Schreiben in der Zweitsprache Deutsch: Ein Handbuch 9783110354577, 9783110354225

Many students use written German as a second or third language. Some students have age-appropriate writing competency in

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German Pages 440 [442] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Schreiben in der Zweitsprache Deutsch – Grundlagen
1. Literalität und Schreiben in der Zweitsprache
2. Zweitspracherwerb und Diagnose des Schreibens in der Zweitsprache
3. Methoden zur empirischen Erforschung des Schreibens in Deutsch als Zweitsprache
II. Schreibentwicklung und Schreibkompetenz
4. Schriftspracherwerb und Alphabetisierung in der Zweitsprache im Grundschulalter
5. Mehrsprachige Alphabetisierung
6. Schreibentwicklung in der Grundschule
7. Erzählerwerb in der Zweitsprache
8. Schriftliches Argumentieren
9. Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache
10. Schreibentwicklung in der Hochschule: wissenschaftliche Textkompetenz in der Zweitsprache Deutsch
11. Schreiben in der beruflichen Bildung in der Zweitsprache Deutsch
III Diagnostik
12. Diagnose zweitsprachlichen Schreibens
13. Diagnostik der Schriftsprachaneignung in unterschiedlichen Altersstufen
14. Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen
15. Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Textmuster
16. Sprachstandstests im hochschulischen Kontext
17. Diagnostik in der Erwachsenenbildung
IV. Didaktik
18. DaZ-Schreibdidaktik – Ein Überblick
19. Schrifterwerb und L2-Alphabetisierung
20. DaZ-Schreibdidaktik in der Grundschule
21. Individualisierte Lese-, Schreib- und Sprachförderung am Beispiel der Sachtextzusammenfassung
22. Protokolle als Textsorte(n) im Unterricht
23. Schreiben und Mehrschriftlichkeit – zur funktionalen und koordinierten Förderung einer mehrsprachigen Literalität
24. Schreibbegleitung und Schreibberatung in Schule und Hochschule
25. DaZ-Schreibdidaktik an der Hochschule
26. Alphabetisierung und Schreibentwicklung in der Erwachsenenbildung
27. Schreiben in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung
Sachregister
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Schreiben in der Zweitsprache Deutsch: Ein Handbuch
 9783110354577, 9783110354225

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Schreiben in der Zweitsprache Deutsch

DaZ-Handbücher

Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Migration Herausgegeben von Bernt Ahrenholz Christine Dimroth Beate Lütke Martina Rost-Roth

Band 1

Schreiben in der Zweitsprache Deutsch

Ein Handbuch Herausgegeben von Wilhelm Grießhaber, Sabine Schmölzer-Eibinger, Heike Roll und Karen Schramm

ISBN 978-3-11-035422-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-035457-7 e-ISBN (E-PUB) 978-3-11-039409-2 Names: Grießhaber, Wilhelm, editor. Title: Schreiben in der Zweitsprache Deutsch : ein Handbuch / herausgegeben von Wilhelm Grießhaber [and three others]. Description: Boston : De Gruyter Mouton, 2018. | Series: DaZ-Handbücher ; Band 1 | Includes bibliographical references. Identifiers: LCCN 2018009947 | ISBN 9783110354225 (hardback) Subjects: LCSH: German language--Study and teaching--Foreign speakers. | German language--Written German. | Second language acquisition. | BISAC: LANGUAGE ARTS & DISCIPLINES / Linguistics / General. Classification: LCC PF3066 .S368 2018 | DDC 438.0071--dc23 LC record available at https://lccn.loc.gov/2018009947 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Einbandabbildung: Aerial3 / iStock / Getty Images Plus www.degruyter.com

Vorwort In vielen Domänen des institutionellen Lernens, der beruflichen Tätigkeit und des Alltags wird in Deutsch als zweiter oder dritter Sprache geschrieben. Zweitsprachlernende werden beim Schuleintritt mit der deutschen Schriftsprache konfrontiert, deren Aneignung ihre weitere sprachliche Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Um das schulische Schreiben in der L2 als Werkzeug und Denkmedium auch in den Sachfächern nutzen zu können, sind didaktische Modelle der Schreibförderung erforderlich, die die Ressource der Mehrsprachigkeit für die kognitiv-konzeptuelle Entwicklung berücksichtigen. Spezifische Herausforderungen stellen der Schriftspracherwerb und die Aneignung von Literalität an sog. Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger, die auf der Basis einer altersgemäß ausgebildeten erstsprachlichen Schriftsprachkompetenz mit der deutschen Schriftsprache in Kontakt kommen. Erwachsene eignen sich die Grundlagen des Lesens und Schreibens in der Zweitsprache oft erst im Deutschkurs an. Das vorliegende Handbuch „Schreiben in der Zweitsprache“, das sich gleichermaßen an Studierende und Forschende richtet, präsentiert Grundlagenwissen aus unterschiedlichen Bezugsdisziplinen und aktuelle empirische Studien zu diesem breit gefächerten Thema. Einige Bereiche, so z.  B. die Diagnostik im Erwachsenenbereich, sind bislang wenig erforscht, so dass eine Aufgabe des Handbuches auch darin besteht, Desiderata zu identifizieren und somit das interdisziplinäre Potenzial einer empirisch basierten Theorie und Didaktik des zweitsprachlichen Schreibens weiter auszubauen. Zur Aufschlüsselung des komplexen Gegenstandsbereichs werden zwei Zugangsweisen kombiniert. Zum einen dient die Aufgliederung nach Vermittlungsinstitutionen als Gitter zur Behandlung institutionsspezifischer Aspekte. Zum anderen ist der Band in vier übergreifende Bereiche untergliedert: Schreiben in der Zweitsprache Deutsch – konzeptionelle und empirische Grundlagen (Abschnitt I), Schreibentwicklung und Schreibkompetenz (Abschnitt II), Diagnostik (Abschnitt III) und Didaktik (Abschnitt IV). Der erste Abschnitt gibt einen einführenden Überblick über Entwicklungstendenzen und aktuelle Erkenntnisse zum Erwerb, zur Förderung und Diagnostik des Schreibens in der Zweitsprache. Zu Beginn skizziert Sabine Schmölzer-Eibinger die historische Entwicklung sowie aktuelle Ansätze der Schreibforschung und Schreibdidaktik im Kontext des internationalen Literalitätsdiskurses (Kapitel 1). Dabei nimmt sie v.  a. die angloamerikanische und die deutschsprachige Forschung zu Literalität bzw. Textkompetenz vergleichend und in ihrem Verhältnis zum Schreiben in den Blick. Im darauf folgenden Beitrag geht Wilhelm Grießhaber auf Schreibmodelle, die Schreibentwicklung sowie diagnostische Verfahren und Tests zur Bewertung von Schreibprodukten ein; weiters skizziert er entwicklungsrelevante Schreibimpulse und -aufgabenformate (Kapitel 2). Schließlich stellt Karen Schramm das vielfältige Methodenrepertoire der empirischen Schreibforschung im Bereich Deutsch als Zweitsprache vor, skizziert prototypische Forschungsdesigns und geht im Speziellen auf Datenerhebung zum zweitsprachlichen Schreiben ein (Kapitel 3).

VI 

 Vorwort

Der zweite Abschnitt behandelt die Entwicklung von Schreibkompetenzen und Literalität in der L2 mit Blick auf unterschiedliche Altersstufen, Textmuster bzw. Textsorten und Domänen. Der Beitrag von Stefan Jeuk diskutiert Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs unter Berücksichtigung unterschiedlicher L1/ L2-Erwerbskonstellationen (Kapitel 4). Yazgül Şimşek geht auf die Spezifik des mehrsprachigen Schriftspracherwerbs ein, indem sie, ausgehend von empirischen Forschungen, Zusammenhänge und Transferprozesse zwischen den beteiligten Sprachen belegt (Kapitel 5). Der Beitrag von Tabea Becker zeigt den Weg zum Text in der Grundschule auf, also die Aneignung textueller Kompetenzen im Verhältnis zu Wortschatz- und Grammatikentwicklung beim L2-Schreiben (Kapitel 6). Monika Dannerer fokussiert den Erwerb des schriftlichen Erzählens in der Zweitsprache als basalem Textmuster im Grundschulbereich und reflektiert DaZ-spezifische Entwicklungen mit Blick auf unterschiedliche Aufgabenstellungen und Erzähltypen (Kapitel  7). In der Sekundarstufe verortet ist das schriftliche Argumentieren, dessen Entwicklung und Funktionen im schulischen Kontext Madeleine Domenech und Inger Petersen darlegen (Kapitel 8). Eng verknüpft mit der Aneignung kontroverser Textmuster ist die Ontogenese der wissenschaftlichen Textkompetenz von Schülerinnen und Schülern in der L2, deren Modellierung am Beispiel wissenschaftspropädeutischer Arbeiten der Beitrag von Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner und Sabine Schmölzer-Eibinger beleuchtet (Kapitel 9). Wie die Schreibentwicklung von Studierenden in der Domäne Wissenschaft verläuft, fokussiert Dagmar Knorr unter Bezugnahme auf spezifische Herausforderungen für Zweitsprachenschreibende im hochschulischen Kontext (Kapitel 10). Noch wenig beforscht ist die L2-Schreibentwicklung in der beruflichen Bildung; hier bietet der Beitrag von Constanze Niederhaus einen Überblick über empirische Befunde zu berufsspezifischen Anforderungen und berufsbezogenen Schreibkompetenzen von mehrsprachigen Jugendlichen (Kapitel 11). Der dritte Abschnitt ist Fragen der Diagnostik gewidmet. Im einleitenden Beitrag stellen Magdalena Knappik und İnci Dirim (Kapitel 12) Grundlagen der Diagnostik und diagnostische Instrumente vor, die die vorhandenen Ressourcen in den Blick nehmen. Elke Montanari behandelt (Kapitel 13) diagnostische Verfahren in unterschiedlichen Altersstufen. Alexandra Lavinia Zepter und Kirsten Schindler behandeln Diagnostik im schulischen Kontext mit dem Schwerpunkt Niveaubeschreibungen für die Nutzung im Unterricht (Kapitel 14), Christoph Gantefort (Kapitel 15) mit dem Schwerpunkt auf Textmuster. Für den tertiären Bereich stellt Dirk Scholten-Akoun (Kapitel 16) allgemeine Anforderungen an diagnostische Verfahren im Hochschulkontext und ein Sprachassessment für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter aller Fächer vor. Diana Feick (Kapitel  17) stellt fest, dass die Entwicklung DaZ-spezifischer Ins­ trumente im Erwachsenenbereich für Migrantinnen und Migranten unter besonderer Berücksichtigung förderdiagnostischer Aspekte ein Desiderat darstellt. Der vierte Abschnitt ist Fragen der Didaktik gewidmet. In ihrem Überblick reißt Anja Ballis das Themenfeld der DaZ-Schreibdidaktik einführend auf (Kapitel 18). Die zwei darauf folgenden Beiträge fokussieren auf die Primarstufe: Anne Berkemeier

Vorwort 

 VII

beleuchtet den Forschungsstand zum Schrifterwerb und zur L2-Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch (Kapitel 19) und Joachim Schäfer geht auf die darüber hinausreichenden Fragen einer DaZ-Schreibdidaktik in der Grundschule ein (Kapitel 20). Vorrangig auf die Sekundarstufe bezogen sind die Beiträge zur DaZ-spezifischen Unterstützung der Schreibentwicklung beim Zusammenfassen von Anne Berkemeier (Kapitel 21) und beim Protokollieren von Julia Ricart Brede (Kapitel 22) sowie auch der Beitrag von Erkan Gürsoy und Heike Roll zu einer translingualen Schreibdidaktik (Kapitel 23). Der Beitrag von Ina Lammers (Kapitel 24) verbindet Überlegungen zur Schreibberatung in der Sekundarstufe und im Hochschulbereich; über den umfassenden Forschungsstand zur DaZ-Schreibdidaktik an der Hochschule berichtet Melanie Brinkschulte (Kapitel 25). Für den Bereich der Erwachsenenbildung wurde parallel zur Primarstufendidaktik erneut eine Zweiteilung in zweitsprachliche Alphabetisierung (Kapitel 26 von Stefan Markov und Elena Waggershauser) und darüber hinausgehende DaZ-Schreibdidaktik (Kapitel 27 von Silvia Demmig) vorgenommen. Unser herzlicher Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die zum Zustandekommen des Bandes beigetragen haben. Bernadette Lipp danken wir für ihre überaus gründliche Satz- und Redaktionsarbeit. Frau Dr. Julie Miess vom Verlag De Gruyter stand uns in allen verlagstechnischen Fragen kompetent und freundlich zur Seite. Ein besonderer Dank gilt auch dem Herausgeberteam der Reihe „DaZ-Handbücher“ für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe. 

Wilhelm Grießhaber, Sabine Schmölzer-Eibinger, Heike Roll, Karen Schramm

Inhaltsverzeichnis Vorwort 

 V

I Schreiben in der Zweitsprache Deutsch – Grundlagen Sabine Schmölzer-Eibinger 1 Literalität und Schreiben in der Zweitsprache 

 3

Wilhelm Grießhaber 2 Zweitspracherwerb und Diagnose des Schreibens in der Zweitsprache  Karen Schramm 3 Methoden zur empirischen Erforschung des Schreibens in Deutsch als Zweitsprache   33

II Schreibentwicklung und Schreibkompetenz Stefan Jeuk 4 Schriftspracherwerb und Alphabetisierung in der Zweitsprache im Grundschulalter   49 Yazgül Şimşek 5 Mehrsprachige Alphabetisierung 

 63

Tabea Becker 6 Schreibentwicklung in der Grundschule  Monika Dannerer 7 Erzählerwerb in der Zweitsprache 

 79

 94

Madeleine Domenech & Inger Petersen 8 Schriftliches Argumentieren   108 Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger 9 Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache   121

 17

X 

 Inhaltsverzeichnis

Dagmar Knorr 10 Schreibentwicklung in der Hochschule: wissenschaftliche Textkompetenz in der Zweitsprache Deutsch   135 Constanze Niederhaus 11 Schreiben in der beruflichen Bildung in der Zweitsprache Deutsch 

III Diagnostik Magdalena Knappik & İnci Dirim 12 Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

 167

Elke Montanari 13 Diagnostik der Schriftsprachaneignung in unterschiedlichen Altersstufen   183 Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler 14 Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen   199 Christoph Gantefort 15 Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Textmuster  Dirk Scholten-Akoun 16 Sprachstandstests im hochschulischen Kontext  Diana Feick 17 Diagnostik in der Erwachsenenbildung 

 247

IV Didaktik Anja Ballis 18 DaZ-Schreibdidaktik – Ein Überblick 

 267

Anne Berkemeier 19 Schrifterwerb und L2-Alphabetisierung  Joachim Schäfer 20 DaZ-Schreibdidaktik in der Grundschule 

 282

 300

 229

 215

 150

Inhaltsverzeichnis 

Anne Berkemeier 21 Individualisierte Lese-, Schreib- und Sprachförderung am Beispiel der Sachtextzusammenfassung   315 Julia Ricart Brede 22 Protokolle als Textsorte(n) im Unterricht 

 335

Erkan Gürsoy & Heike Roll 23 Schreiben und Mehrschriftlichkeit – zur funktionalen und koordinierten Förderung einer mehrsprachigen Literalität   350 Ina Lammers 24 Schreibbegleitung und Schreibberatung in Schule und Hochschule  Melanie Brinkschulte 25 DaZ-Schreibdidaktik an der Hochschule 

 365

 380

Stefan Markov & Elena Waggershauser 26 Alphabetisierung und Schreibentwicklung in der Erwachsenenbildung   394 Silvia Demmig 27 Schreiben in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung  Sachregister 

 425

 410

 XI

I Schreiben in der Zweitsprache Deutsch – Grundlagen

Sabine Schmölzer-Eibinger

1 Literalität und Schreiben in der Zweitsprache 1 2 3

Literalität & literale Praxis Der Literalitätsdiskurs aus historischer Perspektive Literale Entwicklung und Förderung

Im diesem Beitrag geht es darum, das Verhältnis von Literalität und Schreiben auszuleuchten. Das Schreiben wird dabei auf ein begriffliches Verständnis von Literalität bezogen, wie es in der angloamerikanischen Forschung und ihrer Rezeption im deutschsprachigen Raum angelegt ist. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, welche Rolle der Erwerb und die Förderung einer Zweitsprache spielen.

1 Literalität & literale Praxis Literalität wird als Wissen um den Gebrauch von Sprache verstanden, das die Teilhabe an einer literalen Kultur ermöglicht (vgl. Brockmeier 1998: 202–203). Dieses Wissen ermöglicht es einem Individuum, Schrift und Schriftlichkeit als ein „kulturelles Werkzeug“ zu nutzen (Brockmeier 1998: 18; 201). Literal zu sein umfasst daher mehr als bloß die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, es bedeutet, die literalen Praktiken einer Gesellschaft im jeweiligen Kontext einsetzen zu können (vgl. Brockmeier 1998: 18; Feilke 2014: 43). Literale Praktiken (Street 1995) werden als sozio-kulturell geprägte Formen des Umgangs mit Schriftlichkeit und mit Texten betrachtet: ‚Literacies are social practices: ways of reading and writing using written texts that are bound up in social processes which locate individual action within social and cultural processes.‘ (Martin-Jones & Jones 2000: 158). Sie sind ein Motor der literalen Entwicklung, längst bevor ein Kind lesen und schreiben lernt: In fact, if the child’s path to literacy is considered as a complex set of socio-cultural practices, it can be mediated by his or her active involvement in different types of ‘text based’ social events which take place both in family and in school setting and can substantially enhance the development of a ‘literate mind’ in children. (Brockmeier 1998: 219).

Literalität wird somit v.  a. als soziale Gebrauchspraxis (literacy as practice) gesehen: ‘Practice provides a way of linking the cognitive with the social, opening up the possibility of an integrated approach to the study of literacy in use’ (Baynham 1995: 1). Der Erwerb von Literalität ist mit der Aneignung schriftkultureller Normen und Standards einer Gesellschaft verbunden. Deren Vermittlung findet vor allem in BilDOI 10.1515/9783110354577-001

4 

 Sabine Schmölzer-Eibinger

dungsinstitutionen statt. Die Schule nimmt dabei eine Schlüsselposition ein  – sie trägt zu deren Weitergabe und Etablierung, aber auch zu deren Konstituierung entscheidend bei.1 Die Teilhabe an den literalen Praktiken einer Gesellschaft stellt Zweitsprachenlernende vielfach vor große Herausforderungen. Dies betrifft v.  a. neu zugewanderte Menschen mit einer schriftfernen Sozialisation in der Erstsprache – sei es aufgrund unzureichender Bildungsangebote oder eingeschränkter Möglichkeiten einer Bildungsbeteiligung in den Herkunftsländern –,2 oder mit unterbrochenen Schul- und Bildungskarrieren, wie sie für Menschen auf der Flucht vielfach entstehen. Hürden beim Erwerb von Literalität in der Zweitsprache können aber auch bei ausgebauter Literalität in der Erstsprache entstehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn literale Fähigkeiten in der Erstsprache nicht als Ressource für den Literalitätserwerb in der Zweitsprache wahrgenommen und genutzt werden. Solche Barrieren können jedoch im Bildungssystem durch entsprechende Förderangebote überwunden werden.

2 Der Literalitätsdiskurs aus historischer Perspektive Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich Literalität sind im angloamerikanischen Raum in den frühen 1960er Jahren entstanden und beschäftigten sich zunächst v.  a. mit der gesellschaftlichen Funktion von Schrift und Schriftlichkeit. In dieser Zeit entstanden vorwiegend anthropologisch und psychologisch ausgerichtete Arbeiten, darunter auch die später heftig umstrittene great divide-theory3 (u.  a. Havelock 1963), die als „starke Literalitätshypothese“ in die Diskussion eingegangen ist (vgl. Brockmeier 1998: 136). Literale Kulturen werden in dieser Sichtweise als fortschrittlich und zivilisiert betrachtet und sog. „primitiven“ oralen Kulturen gegenübergestellt. Kritisiert wurde daran vor allem, dass man Angehörigen literaler Kulturen rationale und logische Denkfähigkeiten zuschrieb, während man diese Angehörigen oraler Kulturen absprach (vgl. Baynham 1995: 48; Goody & Watt 2002).

1 Zur Beschreibung einer institutionell geprägten bzw. institutionell hervorgebrachten Sprache wird auch der Begriff „Bildungssprache“ verwendet (Feilke 2012a, 2013; Thürmann 2012; Schmölzer-Eibinger 2010; 2014); diese kann als domänenspezifischer Gebrauchstypus von Literalität betrachtet werden. 2 Viele flüchtende Menschen, die derzeit nach Europa kommen, stammen aus Ländern mit niedrigen Literalisierungsraten, z.  B. Afghanistan 38,2 %, Irak 79,7 %, Nigeria 59,6 %, https://en.wikipedia.org/ wiki/List_of_countries_by_literacy_rate. 3 Der Begriff wurde von Finnegan (1988) geprägt und von Brockmeier (1998: 136) als zu stark kritisiert.

Literalität und Schreiben in der Zweitsprache  

 5

Seit Ende der 1970er Jahre entstanden v.  a. kognitionswissenschaftlich orientierte Studien, die sich mit den Konsequenzen der frühen literalen Entwicklung (early literacy, emergent literacy) auf die Sprach- und Denkfähigkeiten eines Kindes beschäftigen. Im Zentrum des Interesses steht dabei das Kind als soziales Handlungssubjekt und die Frage, wie es Sprache als ein Arsenal sozialer und kognitiver Handlungsmöglichkeiten zu nutzen lernt (Brockmeier 1998: 130). Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist die These, dass Schriftlichkeit die Konzeptualisierung von Sprache grundlegend verändert und der Erwerb von Literalität neue Optionen des sprachlichen Handelns, Denkens und Lernens eröffnet (siehe auch Kap. 3). In den 80er Jahren rückt das Verhältnis von Oralität und Literalität erneut ins Zentrum des Interesses (Goody, Watt & Gough 1986: 16). In Abgrenzung zur starken Literalitätshypothese entstehen sog. Kontinuitätstheorien (continuity theories), die sich gegen eine strikte Polarisierung von Oralität und Literalität wenden und von einem Kontinuum ausgehen (Finnegan 1988). Die starke Literalitätshypothese wird in den 1980er Jahren auch durch die am kogni­ tionswissenschaftlichen Paradigma orientierte Schreibforschung in Frage gestellt. In dieser Perspektive rückt das Schreiben als problemlösendes Handeln ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt stehen das schreibende Individuum und seine Fähigkeit, Schreibprobleme im Prozess der Textproduktion zu lösen. Diese Auffassung liegt zahlreichen Schreibmodellen zugrunde, die seit Beginn der 1980er Jahre entstanden sind, auch dem vielfach rezipierten Schreibprozessmodell von Hayes & Flower (1980) und dem Schreibentwicklungsmodell von Bereiter (1980). Beide Modelle haben die Schreibforschung bis heute nachhaltig beeinflusst.4 Das Verhältnis von Oralität und Literalität ist seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre auch Gegenstand der Zweitsprachenerwerbsforschung. In der populär gewordenen Hypothese des kanadischen Linguisten Jim Cummins wird zwischen „basic interpersonal communicative skills“ (BICS) und „cognitive academic language proficiency“ (CALP) (Cummins 1979) unterschieden. Im deutschsprachigen Raum wird das nachhaltig einflussreiche Konzept von Koch & Österreicher (1985) diskutiert, in dem zwischen konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit unterschieden wird (siehe aktuelle Diskussion dazu in Feilke & Henning 2016). In den angloamerikanischen New Literacy Studies wird Literalität seit Mitte der 1980er Jahre v.  a. als soziale Praxis diskutiert (vgl. Street & Lefstein 2007: 142–192, siehe auch Kap. 1). Soziale Interaktion wird als grundlegend für den Erwerb von Literalität betrachtet (Heath 1983; Street 1984)5 und es wird davon ausgegangen, dass sich Literalität nicht nur im Wissen zeigt, wie man liest oder schreibt, sondern auch in 4 Beide Schreibmodelle sind theoretisch begründet, empirisch jedoch nicht fundiert. Ein Modell von Literalität, das die komplexen Zusammenhänge von Schreiben, Lesen und einer textbezogenen mündlichen literalen Praxis beleuchtet, existiert bislang nicht. 5 Diese Perspektive erfolgt vielfach in Anlehnung an die von Vygotsky (1978) und Bruner (1977) postulierte „social interaction theory”.

6 

 Sabine Schmölzer-Eibinger

der Fähigkeit zum Ausdruck kommt, wie man im jeweiligen Kontext schriftsprachlich angemessen handelt (vgl. Baynham 1995: 49; Scribner & Cole 1981: 236). Das Schreiben wird daher als sozial und kulturell bestimmte sowie kontextabhängige, domänenspezifische literale Praxis betrachtet – so verlangt etwa das Schreiben in der Wissenschaft nach anderen literalen Handlungsformen als das Schreiben in der Schule. Mitte der 1990er Jahre entstanden zunehmend Forschungsarbeiten in Auseinandersetzung mit sog. critical literacy (Street 1995: 1), verstanden als Fähigkeit, an gesellschaftlichen Diskursen nicht nur teilzuhaben, sondern diese auch kritisch zu hinterfragen (vgl. Baynham 1995: 2): ‚a key goal of literacy education is to empower learners to use language effectively in a range of relevant contexts (literacy as social processes), an equally important goal is to control these uses of language critically and knowledgeably‘ (Baynham 1995: 24). Literal zu sein bedeutet demnach nicht nur über Lese- und Schreibkompetenz zu verfügen, sondern Literalität auch als Werkzeug der Reflexion und des kritischen Denkens nutzen zu können (vgl. Kern 2000: 39– 40).6 Anfang der 2000er Jahre beschäftigte man sich zunehmend auch mit den Auswirkungen des technologischen Wandels auf Texte und deren Entstehung.7 So plädieren etwa Kress & Leeuwen (2001: 112) dafür, Texte als „multimodale Ensembles“ zu betrachten (multiliteracies).8 Ein Text ist in dieser Perspektive mehr als nur ein sprachliches Gebilde und das Schreiben mehr als reine Sprachproduktion. Die Multimodalisierung von Texten wird in jüngerer Zeit aber auch kritisch betrachtet, da sie, so Feilke (2015: 51), dazu geführt hat, dass gegenwärtig zwar immer mehr Texte, gleichzeitig aber immer weniger „Text“ i.e.S. entsteht. Im deutschsprachigen Forschungsdiskurs war Portmann-Tselikas einer der ersten, der sich auf die angloamerikanische Literacy-Forschung bezog und auf deren Erkenntnisse aufbaut. Ihn hat v.  a. die Frage interessiert, wie Zweitsprachenlernende in der Schule oder im Studium mit Texten umgehen und mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert sind, wenn sie daraus lernen sollen (Portmann-Tselikas 1998; 2001; 2002). Entscheidend dafür ist seiner Auffassung nach Textkompetenz als Fähigkeit, „Texte selbständig zu lesen, das Gelesene mit den eigenen Kenntnissen in Beziehung zu setzen und die dabei gewonnenen Informationen und Erkenntnisse für das weitere Denken, Sprechen und Handeln zu nutzen. Textkompetenz schließt die Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit Gedanken, Wertungen und Absichten verständlich und adäquat mitzuteilen“ (Portmann-Tselikas 2005: 2). Die Förderung der Textkompetenz von Zweitsprachenlernenden in der Schule steht auch im Zentrum der Arbeiten von Schmölzer-Eibinger (2006; 2008/2011), die v.  a. auf das Schreiben

6 Das Konzept der critical-literacy wird auch in Bezug auf den schulischen Kontext diskutiert (vgl. Macken Horarik 1998). 7 Begründet wurde diese Forschungsausrichtung von der New London Group (New London Group 1996). 8 Siehe auch den Begriff der multimodalen Textkompetenz (Weidacher 2007).

Literalität und Schreiben in der Zweitsprache  

 7

als Medium des Lernens im Fachunterricht in mehrsprachigen Klassen fokussieren (Schmölzer-Eibinger et al. 2013; Schmölzer-Eibinger 2014; siehe auch Kap. 4).9 Angestoßen durch das bildungspolitische Postulat der Evidenzbasierung und dem daraus resultierenden Aufschwung der empirischen Bildungsforschung (vgl. Becker-Mrotzek, Grabowski & Steinhoff 2017: 10) ist in der deutschsprachigen Textkompetenz- und Schreibforschung der letzten Jahre eine empirisch-didaktische Forschungsdisziplin mit interdisziplinärer Ausrichtung entstanden, die sowohl Perspektiven der Psychologie und der Linguistik als auch der Sprachdidaktik integriert (vgl. Becker-Mrotzek, Grabowski & Steinhoff 2017: 10). Mit den Arbeiten in diesem Bereich wurden mittlerweile zahlreiche Akzente gesetzt, insbesondere in der Forschung zum Erwerb von Schreibkompetenz, der theoretischen Modellierung von Schreibkompetenz und der Konzeption von empirisch basierten Konzepten zur Schreibförderung (vgl. Feilke & Pohl 2014). Exemplarisch dafür sei hier das in der jüngeren Textkompetenz- und Schreibforschung intensiv diskutierte Konzept der „Textprozeduren“10 (Feilke 2014) genannt.11 Textprozeduren werden als Werkzeuge des Schreibens (Bachmann & Feilke 2014: 15) betrachtet, die einen Text bzw. eine schriftsprachlich geprägte Äußerung auf Handlungsebene konstituieren (vgl. Feilke 2014, 2012b; Schmölzer-Eibinger & Dorner 2012). Textprozeduren werden als komplexe Zeichen verstanden, in denen das Verhältnis von Form, Funktion und Handlung musterhaft eingeschrieben ist (vgl. Feilke 2014: 14). Textprozeduren sind kontextuell eingebettet und bestehen aus Handlungsschemata und damit verbundenen „Prozedurausdrücken“ (z.  B. „zwar-aber“ als typischer Ausdruck für das Konzedieren). Auf der Oberfläche eines Textes indizieren Textprozeduren domänenspezifische literale Praktiken (vgl. Ehlich 1993; Redder 2014). Als Ergebnis von wiederholtem Gebrauch und Habitualisierung stehen sie einer Sprechergemeinschaft als kulturelle Ressource zur Verfügung (vgl. Bachmann 2014: 43). Die Aneignung von Textprozeduren erfolgt über rezeptive Spracherfahrung, Sprachreflexion und Routinisierung (Feilke & Lehnen 2012). Beim Schreiben stehen Textprozeduren als sozial etablierte Problemlösungen bereit, können somit das Schreiben entlasten und haben daher ein besonderes Erwerbspotential. Arbeiten, die bisher dazu entstanden sind, beschäftigen sich vor allem mit der Förderung von Textprozeduren in der Erstsprache (z.  B. Schmölzer-Eibinger & Dorner 2012; Schmölzer-Eibinger & Fanta 2014; Steinhoff 2007; Niederdorfer, Ebner & Schmölzer-Eibinger in diesem Band). Die Frage, wie Textprozeduren in der Zweit-

9 Der Begriff Textkompetenz ist linguistisch, spracherwerbstheoretisch und -didaktisch geprägt und auf institutionelle Lehr- und Lernkontexte bezogen, der Begriff literacy ist interdisziplinär hingegen breiter verankert und auf einen weiteren gesellschaftlichen Kontext bezogen. 10 Ursprünglich wurde der Begriff „Textroutinen“ (Feilke 2012b) verwendet. 11 Dieses Konzept stellt die Grundlage einiger neuerer didaktischer Modellierungen dar, denen ein breites Begriffsverständnis von Literalität zugrunde liegt. Diese werden daher in diesem Beitrag ausführlicher behandelt.

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 Sabine Schmölzer-Eibinger

sprache angeeignet und gefördert werden können, wurde bislang kaum untersucht. Diese Frage steht im Mittelpunkt eines aktuell entwickelten didaktischen Modells, in dem ein prozedurenorientierter Ansatz aus der erstsprachlich orientierten Schreibforschung (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013) mit dem Focus on Form-Ansatz aus der Zweitsprachenerwerbsforschung (vgl. Long 1991; Long & Robinson 1998) verbunden wird (Rotter & Schmölzer-Eibinger 2015; 2016).12 Dieses Modell baut auf dem in diesem Beitrag skizzierten breiten Verständnis von Literalität (bzw. Textkompetenz) auf und fokussiert das Schreiben als Medium des Lernens im Fachunterricht.13 (Siehe Kap. 3) Das Forschungsinteresse liegt dabei auch auf dem Transfer von Handlungsschemata zwischen der Erst- und Zweitsprache, wie dieser jüngst für das Sprachenpaar Türkisch-Deutsch festgestellt wurde (Wenk et al. 2016). Es geht dabei v.  a. um die Frage, wie erstsprachlich angeeignete Handlungsschemata durch mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze im Zweitsprachenerwerb genutzt werden können. Ausgangspunkt dabei sind Erkenntnisse aus der Mehrsprachigkeitsforschung (z.  B. Gumperz 1964; Busch 2013), denen zufolge im Spracherwerb auf vielfältige Ressourcen zurückgegriffen wird, die einem Individuum in einer Gesellschaft oder individuell zur Verfügung stehen: ‚(…) many have more than two spoken or written languages and language varieties within their communicative repertoire. These include the languages and literacies associated with their cultural inheritance (…)ʻ. (Martin-Jones & Jones 2000: 158–159). Im Folgenden soll auf die Entwicklung und Förderung von Literalität näher eingegangen werden. Dabei wird v.  a. die Frage gestellt, wie Literalität in der Zweitsprache mit Fokus auf das Schreiben gefördert und entwickelt werden kann.

3 Literale Entwicklung und Förderung Erste Begegnungen mit der Welt der Schriftlichkeit finden für ein Kind in einer literalen Gesellschaft nicht erst in der Schule, sondern schon im vorschulischen Alltag statt. Es wächst in eine Wirklichkeit hinein, in der es von Beginn an neben oralen auch literale Praktiken vorfindet (vgl. Brockmeier 1998: 194). In Arbeiten zur frühen literalen Entwicklung (emergent literacy, early literacy) wird von einem engen Zusammenhang zwischen der sprachlichen und der kognitiven Entwicklung ausgegangen (z.  B. Pontecorvo 1997), ebenso von einer tiefgreifenden Umstrukturierung des Denkens durch den Schrifterwerb (siehe auch Kap. 1). Durch die aktive Teilhabe an den literalen Praktiken einer Gesellschaft werden die Normen und Konventionen der

12 Siehe Erasmus+ Projekt „Mehr-sprachliche Bildung – Entwicklung und Erprobung von Language Awarenesskonzepten im Unterricht aller Fächer“ (2015–2018). 13 Zur aktuellen Fachdiskussion des Schreibens als Medium des Lernens im Fachunterricht siehe u.  a. Schmölzer-Eibinger & Thürmann 2015.

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jeweiligen Schriftkultur erworben und das kommunikative Handlungspotential von Schrift erschlossen, das einer Gesellschaft zur Verfügung steht (vgl. Ehlich 2015: 21). Der Erwerb von Literalität wird daher nicht nur als ein individueller, sondern auch als ein kulturabhängiger Kompetenzaufbau verstanden (vgl. Feilke 2011: 10). In Studien zur frühen literalen Entwicklung eines Kindes wird die Bedeutung einer anregenden literalen Umgebung betont (vgl. z.  B. Verhoeven & Aarts 1998). Es wird v.  a. Büchern ein hoher Stellenwert zugeschrieben, ebenso der Vorlesepraxis, dem Erzählen und dem Gespräch über Texte (vgl. Homer 2002: 268). Eltern, Geschwister oder ältere Peers spielen dabei als Mediators of literacy (Baynham 1995: 39) eine wichtige Rolle. Die Art und Weise, wie ein Kind in seinem vorschulischen Alltag in seiner literalen Entwicklung gefördert wird, wird als entscheidend für den Schulerfolg betrachtet (vgl. Pontecorvo 1997: 335). Mit Schuleintritt beginnt die institutionelle Auseinandersetzung mit Schriftlichkeit und dem Schreiben. Schon durch die ersten Schreiberfahrungen ändert sich die Wahrnehmung von Sprache für ein Kind fundamental. Sprache wird ‚anschaulich‘, sie wird zum Objekt und Gegenstand der Reflexion (vgl. Olson & Kamawar 2002: 187). Die Aufmerksamkeit auf Schrift eröffnet nicht nur neue Möglichkeiten über Sprache nachzudenken, sondern auch über Sprache zu sprechen (vgl. Brockmeier 2002: 26). Das Schreiben verlangt, so Brockmeier (1998: 284), ein solches Maß an Sprachaufmerksamkeit, dass es als konstitutiv metasprachlich gelten kann. Beim Schreibenlernen wird Schriftlichkeit nicht nur gänzlich neu erworben, sondern es wird auch auf bisher mündlich entwickelte literale Fähigkeiten aufgebaut (Hausendorf & Quasthoff 2007). So werden etwa Erzählfähigkeiten, die im Mündlichen schon aufgebaut wurden, beim Schreiben genutzt und weiter ausdifferenziert (Hausendorf & Quasthoff 2007). Das Schreiben kann daher als Schlüsselkompetenz und gleichzeitig als zentrales didaktisches Verfahren betrachtet werden, um Literalität zu erwerben. Der schulische Erwerb von Literalität erweist sich für Zweitsprachenlernende vielfach als schwierig. Die Gründe dafür sind meist sog. „Bildungsferne“ und ein literal wenig anregungsreiches familiäres Umfeld. Für neu zugewanderte SchülerInnen kommen basale Sprachlernaufgaben in der Zweitsprache noch hinzu. Dementsprechend eingeschränkt sind vielfach ihre Möglichkeiten, sich an den schriftkulturellen Praktiken der Schule zu beteiligen. Für die Schule erwächst daraus die Herausforderung, ihre literalen Fähigkeiten in der Zweitsprache entsprechend zu fördern. Aber auch Bildungsinstitutionen wie die Universität sind gefordert, Zweitsprachenlernende in ihrer Textkompetenz den domänenspezifischen Anforderungen gemäß zu unterstützen. Das Schreiben spielt dabei v.  a. als Medium der Vermittlung und Aneignung von Wissen eine zentrale Rolle. Bisher war die Förderung von Literalität in Bildungskontexten vor allem an Erstsprachenlernenden orientiert. Konzepte zur Förderung literaler Fähigkeiten von Zweitsprachenlernenden sind bislang rar. Bestehende Förderkonzepte fokussieren darüber hinaus meist entweder auf das Lesen oder das Schreiben, nicht aber auf literacy events (Baynham 1995) als sozio-kulturell etablierte Gebrauchspraktiken. Schon zu Beginn

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dieses Jahrtausends wurde daher gefordert, Literalität in Bildungsinstitutionen in einem umfassenden Sinne zu fördern: ‚literacy (…) conveys a broader scope than the terms ‚reading‘ and ‚writing‘ and thus permits a more unified discussion of relationships between readers, writers, texts, culture, and language learning‘ (Kern 2000: 2) und deren Vermittlung nicht auf isolierte Fertigkeiten zu beschränken, sondern das Lesen und Schreiben als „rekursive Akte der Kommunikation“ (Kern 2000: 107) aufeinander zu beziehen (vgl. Kern & Schultz 2005: 381–384).14 Das Schreiben spielt dabei eine zentrale Rolle. Es ermöglicht einen reflektierten Umgang mit Sprache, interaktive Bedeutungsaushandlungen und die Auseinandersetzung mit verschiedenen Textformen und -handlungen (vgl. Jesson, Parr & McNaughton 2013: 220–221). Im Folgenden sollen Modelle zur Förderung von Literalität vorgestellt werden,15 die sich an dem in diesem Beitrag skizzierten breiten Verständnis von Literalität orientieren. Im Mittelpunkt steht dabei das Schreiben als literale Praxis, das mit dem Lesen und Sprechen über Texte im Sinne eines gebrauchsbasierten Ansatzes verbunden wird.16 Diese Modelle sind gedacht für den Einsatz in sprachlich heterogenen Gruppen in der Schule bzw. an der Universität. Eines der ersten Modelle zur Förderung von Literalität und daher wegweisend ist der sog. „literacy based approach“ (Kern 2000). Schreib- und Leseaktivitäten werden in diesem Ansatz als einander bedingende sozio-kulturelle Gebrauchspraktiken vermittelt, die nicht nur den Zugang zu einer fremden Sprache, sondern auch zu einer fremden Kultur eröffnen sollen (vgl. Kern 2000: 6). Dieses Modell baut auf Prinzipien der New London Group17 (1996) auf und wurde für Austauschstudierende an amerikanischen Universitäten entwickelt. Auf diesem Modell baut die sog. Literale Didaktik (Schmölzer-Eibinger 2008/2011) auf, die für den Einsatz in mehrsprachigen Klassen in der Schule gedacht ist. Anhand des sog. „3-Phasen-Modells zur Förderung von Textkompetenz“ sollen Erst- und Zweitsprachenlernende dazu befähigt werden, Texte zu verstehen, daraus zu lernen und selbst kohärente, sachadäquate Texte zu verfassen (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008/2011: 178–179). Im Fokus steht dabei das Schreiben, zunächst als mehrsprachiges, assoziatives Schreiben und schließlich als sachtextbezogenes, epistemisches 14 Baynham geht davon aus, dass Erwerbsziele dadurch gemeinsam erreicht werden können: “an adequate theory of literacy has to include a theory about the relationship of written texts to spoken texts in contexts of use” (Baynham 1995: 4). Siehe auch Definition von „Textkompetenz“ (PortmannTselikas 2005; Schmölzer-Eibinger 2008/2011: 15). 15 Diese Modelle basieren auf linguistischer, spracherwerbstheoretischer und empirischer Forschung. 16 Dies erfolgt durchaus im Bewusstsein darüber, dass es sich dabei um verschiedene sprachliche Aktivitäten handelt und sich z.  B. das Sprechen und Schreiben in kommunikativer, semiotischer und temporaler Hinsicht deutlich voneinander unterscheiden (vgl. Feilke 2011: 19). 17 Zu den zentralen Prinzipien der „New London Group“ zählen metasprachliche Aktivitäten (overt instruction), immersiver Sprachgebrauch (situated practice), kritische Textanalysen (critical framing) und das Interpretieren bzw. Transformieren von Texten (transformed practice).

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Schreiben. Es werden dabei zahlreiche kooperative Schreibaufgaben eingesetzt, um Sprachreflexion und metasprachliche Interaktion zu evozieren (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008/2011: 185–191). Die Fähigkeit zur metasprachlichen Interaktion kann als Form der critical literacy betrachtet werden, denn sie ermöglicht es, sowohl Schreibprozesse als auch Texte zu reflektieren. In kognitionswissenschaftlichen Theorien wird angenommen, dass metalinguistische Bewusstheit die kognitive Flexibilität von Lernenden erhöht (vgl. Homer 2002: 274) und diese den Spracherwerb vorantreibt (Bialystok 1993). Demzufolge besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Schreiben, der Sprachreflexion, der Entstehung metasprachlicher Bewusstheit und dem Spracherwerb (vgl. Homer 2002: 278). Ähnlich aufgebaut ist das Modell der sog. „Prozedurenorientierten Didaktik“ (Rotter & Schmölzer-Eibinger 2015; 2016), das Literalität über die Aneignung von Textprozeduren zu fördern versucht (siehe Kap. 2). Um die Aufmerksamkeit der Lernenden auf Textprozeduren zu lenken, werden Focus on Form-Techniken eingesetzt (vgl. Ellis 2016). Das Schreiben wird auch in diesem Modell mit dem Lesen und dem Gespräch über Texte verbunden, davon ausgehend, dass die Aneignung von Textprozeduren über Rezeption, Aufmerksamkeit, Reflexion und Routinisierung beim Schreiben erfolgt (siehe Kap. 2): „Ebenso wichtig wie der produktive Zugang zu Texten und ihren Prozeduren ist die Begegnung mit Texten in der Rezeption und in der Reflexion, in der gerichteten und geteilten Aufmerksamkeit auf spezifische sprachliche Phänomene“ (Bachmann 2014: 50).18 Um die vorhandenen sprachlichen Ressourcen der SchülerInnen in der Klasse umfassend zu nutzen, werden mehrsprachigkeitsdidaktische Elemente integriert. Im Mittelpunkt steht auch in diesem Modell das Schreiben als Medium des Lernens im Fachunterricht (vgl. Akbulut et al. 2017). Ein weiteres Modell dieser Art wurde für den Hochschulkontext entwickelt (Bushati & Ebner 2015) und zur Förderung der wissenschaftlichen Textkompetenz von Studierenden mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache konzipiert. Dieses Modell fokussiert auf das Referieren als einer wissenschaftlich zentralen Diskurspraxis. Das Referieren steht auch im Mittelpunkt eines Modells zur Förderung der wissenschaftlichen Schreib- und Textkompetenz in der Schule, das auf dieser Grundlage entwickelt und im Rahmen einer Interventionsstudie in mehrsprachigen Klassen eingesetzt wurde.19 Dabei hat sich gezeigt, dass Zweitsprachenlernende keine signifikant schlechteren Schreibleistungen als Erstsprachenlernende erbringen und durchaus vor ähnlichen Problemen stehen: es gelang den SchülerInnen insgesamt nur bedingt, funktional adäquate, domänentypische Handlungs- und Ausdrucksmuster im Sinne einer kontextuellen Passung (Steinhoff 2007) zu verwenden. Durch die gezielte Vermittlung von 18 Damit folgt auch dieses prozedurenorientierte Modell einem ‚reading to write‘-Ansatz und bewegt sich damit von einem impliziten zu einem explizitem Prozedurenwissen (vgl. Feilke 2014: 27). 19 Siehe Projekt „Wissenschaftliches Schreiben. Die textlinguistische und erwerbstheoretische Bedeutung von wissenschaftlichen Textprozeduren“ (2014–2017), gefördert von der ÖNB (15820).

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wissenschaftlichen Textprozeduren konnte jedoch ein Bewusstsein für deren domänenspezifischen Gebrauch geschaffen werden, das in den Texten der SchülerInnen unmittelbar zum Ausdruck kam (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2017). Didaktische Modelle, die wie diese das Schreiben als literale Gebrauchspraxis in mehrsprachigen Bildungskontexten fokussieren, tragen nicht nur zur Aneignung von Schreibkompetenz und Literalität, sondern auch zur Chancengerechtigkeit in Bildungsinstitutionen bei. Darüber hinaus erweitern sie die Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation, des Wahrnehmens demokratischer Rechte und der sozialen Integration.

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Wilhelm Grießhaber

2 Zweitspracherwerb und Diagnose des Schreibens in der Zweitsprache 1 2 3 4 5 6 7

Grundlagen: Diagnostische Konzepte und Tests Grundlagen: Schreibmodelle Beschreibung und Bewertung von Schreibprodukten Schreibentwicklung und Entwicklungsniveaus Zweitspracherwerbsprozesse – mündlich und schriftlich Aufgabenformate und Schreibimpulse Resümee und Ausblick

Die Diagnose des Schreibens in der Zweitsprache Deutsch stützt sich auf allgemeine diagnostische Konzepte und Testverfahren in ihrer Anwendung auf Schreibprozesse und Schreibprodukte. Das Schreiben in der Zweitsprache erfordert die Einbeziehung von L2-Erwerbsprozessen und L2-Kenntnissen. Zunächst werden in diesem Beitrag diagnostische Konzepte und Tests mit Bezug zum Schreiben behandelt. Darauf werden die diagnostische Beschreibung und Bewertung von Schreibprodukten betrachtet. An zwei Projekten werden Aspekte der Schreibentwicklung und der Entwicklungsniveaus vorgestellt. Anschließend werden schreibrelevante Aspekte von L2-Erwerbsprozessen skizziert und Aufgabenformate und Schreibimpulse für die Diagnose des Schreibens in der Zweitsprache vorgestellt und diskutiert. Abschließend werden Diagnosebedarfe und zweitsprachliche Schreibdiagnostikinstrumente betrachtet und weitere Forschungsaufgaben benannt.

1 Grundlagen: Diagnostische Konzepte und Tests Diagnostische Verfahren dienen der zuverlässigen und genauen Ermittlung von Kenntnissen und Kompetenzen. Am zuverlässigsten und anspruchsvollsten sind geeichte und standardisierte Tests, wie sie z.  B. in der Psychologie verwendet werden. Ein Test ist ein wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung. (Lienert & Raatz 1998: 1)

Neben standardisierten werden auch nichtstandardisierte Verfahren eingesetzt. Bewertung in einem weiten Sinn umfasst sowohl informelle Verfahren als auch standardisierte Tests (vgl. Grotjahn 2006, auf den sich die folgenden Ausführungen stützen; vgl. auch Jeuk 2015). Bewertung im engeren Sinn ist auf die Beurteilung von (komplexen) Testleistungen anhand bestimmter Kriterien gerichtet. DOI 10.1515/9783110354577-002

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Tests werden zu verschiedenen Zwecken eingesetzt, von denen für das Schreiben vor allem folgende interessant sind: Zulassungstests, Einstufungstests, Förderdiagnosen und Tests zur Erreichung eines Lernziels. Zulassungstests werden z.  B. für die Zulassung zu einem Studium durchgeführt, Einstufungstests zur Verteilung bereits zugelassener LernerInnen auf geeignete Kurstypen oder zur Bestimmung von Förderschwerpunkten, z.  B. bei neu zugewanderten SchülerInnen. Förderdiagnosen dienen im laufenden Unterricht der Überprüfung der Effizienz, der Vermittlung und der Feststellung von Lernfortschritten. Achievement tests werden vor allem am Ende einer Vermittlungsperiode zur Überprüfung der Lernzielerreichung eingesetzt. Bei Erwachsenen mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen und Schulerfahrungen spielen Einstufungstests eine zentrale Rolle bei der Zuweisung zu bestimmten Kurstypen (s. Feick in Kapitel 3). Förderdiagnosen erfolgen meist auf informeller Grundlage. Breit angelegte Erhebungen, wie z.  B. IGLU (Schwippert, Wendt & Tarelli 2012) oder DESI (2006), erfordern einen hohen Vorbereitungsaufwand zur Validierung und geben z.  B. Einblicke in den Leistungsstand von SchülerInnen einer Jahrgangsklasse. Bei der Ermittlung von Schreibkompetenzen werden vornehmlich Performanztests eingesetzt, bei denen kommunikative Aufgaben bearbeitet werden sollen, z.  B. die Produktion eines Briefs zu einem bestimmten Thema. Die Bewertung erfolgt überwiegend auf der Basis von Ratingskalen zu folgenden Bereichen (Näheres s.  u.): Inhaltliche Bewältigung, Kommunikative Angemessenheit, Textaufbau und sprachliche Kompetenz. So sind z.  B. narrative oder argumentierende Handlungen zwar beobachtbar, aber die entsprechenden Kompetenzen nur eingeschränkt einer objektiven Bewertung zugänglich. Die unten vorgestellten Analyseraster, die auf objektive Bewertungen zielen, erfüllen diesen Anspruch auch mit intensiv geschulten Ratern nur eingeschränkt. Angesichts dieser Probleme überrascht es nicht, dass nur wenige Diagnoseverfahren zum Schreiben verfügbar sind, noch deutlich weniger zum Schreiben in der Zweitsprache. Während Schreibkompetenzen meist auf einer komplexen Probandenleistung, dem Text, beruhen, bestehen klassische Tests aus mehreren Items für jede zu prüfende Teilleistung wie z.  B. der Heidelberger Sprachentwicklungstest (H-S-E-T) (s. Grimm 1978; Schöler & Grabowski 2004). Er besteht aus 13 Untertests zur getrennten Ermittlung grammatischer, semantischer und pragmatischer Aspekte der Sprachproduktion und -rezeption. Bei der Pluralbildung wird z.  B. die Antwort „Streichholze“ als unvollständig mit 1 Punkt bewertet, falsche Antworten mit 0 Punkten und korrekte mit 2 Punkten. Die erzielten Punkte werden für jeden Untertest aufsummiert und grafisch in einem Ergebnisbogen dargestellt, so dass sich ein Profil der Teilleistungen ergibt. Diese Rohwerte werden anschließend standardisiert und auf eine Normskala bezogen, so dass die Leistung eines bestimmten Probanden mit einem Normwert verglichen werden kann. Der Test ist altersabhängig auf unterschiedliche Bezugsgruppen bezogen und setzt die Standardisierung mit den Vergleichsgruppen voraus. Die Qualität von Tests wird allgemein mit folgenden drei Gütekriterien bestimmt: Objektivität, Reliabilität und Validität (Lienert & Raatz, §  1.2). Objektivität betrifft

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die Unabhängigkeit der Ergebnisse von der Person des Durchführenden, d.  h., dass verschiedene Untersuchende bei denselben ProbandInnen zu gleichen Ergebnissen gelangen. Die Reliabilität ist auf die Genauigkeit des Messverfahrens gerichtet. Wiederholte Messungen sollten das gleiche Ergebnis erbringen, wenn sich die gemessene Eigenschaft nicht verändert hat. Die in weitere Teilbereiche unterteilte Validität bezieht sich darauf, dass ein Test auch tatsächlich das misst, was gemessen werden soll. Die sog. inhaltliche Validität bezieht sich auf den Inhalt, z.  B. darauf, dass eine Schreibprobe auch tatsächlich die vermittelten Schreibkompetenzen erfasst. Mit der Konstruktvalidität wird die Übereinstimmung des Tests mit den zugrundeliegenden Konstruktmodellen erfasst, für das Schreiben z.  B. mit den Schreibprozessmodellen. Die kriterienbezogene Validität bestimmt die Übereinstimmung der Testleistung mit externen Kriterien, z.  B. der Schreibleistung außerhalb des Unterrichts. Für die Akzeptanz von Tests ist schließlich die Augenscheinvalidität maßgeblich, die sich auf die Akzeptanz des Tests durch die Getesteten bezieht (Grotjahn 2006: 223) und die z.  B. für den C-Test sehr gering ist. Für das Schreiben in der Zweitsprache liegen nach diesen Kriterien derzeit keine Tests vor. Informelle Tests, im Unterrichtsalltag meist global mit einer Note bewertete Klassenarbeiten, befinden sich am anderen Ende der diagnostischen Verfahren. Sie gelten als anfällig für subjektiv gefärbte Bewertungen. Dies bestätigt eine Erhebung von Birkel & Birkel (2002; nach Eckes 2004). Die Beurteilung eines Aufsatzes aus einer vierten Grundschulklasse durch 88 GrundschullehrerInnen ergab Schulnoten von 1 bis 5 mit einem Schwerpunkt von 3 bis 4+ (58%), wobei die jeweils niedrigere bzw. höhere Notenstufe einen Anteil von jeweils knapp 20% erreichte. Das holistische Verfahren der Benotung mit Schulnoten weist gravierende Mängel auf.

2 Grundlagen: Schreibmodelle Die Konstruktvalidität setzt für das Schreiben und die produzierten Texte geeignete Modelle voraus. In solchen Modellen werden komplexe Handlungen ähnlich wie beim H-S-E-T in verschiedene Teilbereiche zerlegt, die zueinander in Beziehung gesetzt und getestet werden können. Für das Schreiben sind zwei Bereiche maßgeblich: die Schreibprozesse selbst und die Schreibprodukte. Zur Beschreibung und Beurteilung von Schreibprozessen hat sich das Modell von Hayes & Flower (1980) weithin als Bezugspunkt etabliert, das für zweitsprachliches Schreiben modifiziert wurde (Grießhaber 2010: 220). Zur Beschreibung von Textprodukten liefert das Zürcher Textanalyse­raster (ZTA) von Nussbaumer & Sieber (1995) differenzierte Kategorien. Schreibprozessmodelle wurden vor allem für das erstsprachliche Schreiben ausgearbeitet (zum zweitsprachlichen Schreiben s. Knappik & Dirim in Kapitel 3). Das Schreibprozessmodell von Hayes & Flower (1980) basiert auf der Analyse von schreibbegleitenden Laut-Denk-Protokollen. Es nimmt drei miteinander interagierende Werk-

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Abb. 1: Schreibprozessmodell von Hayes & Flower (1980: 11, Fig. 1.5), modifiziert für zweitsprach­ liches Schreiben (Grießhaber 2010: 220)

stätten an: das Aufgabenumfeld (Task Environment), das Langzeitgedächtnis (Long Term Memory) und die Prozesswerkstatt mit dem zentralen Monitor, den Planungsaktivitäten, der Übersetzung psychischer Einheiten in sprachliche und den Überarbeitungsprozessen. Das beim Schreiben von Essays im amerikanischen Hochschulkontext gewonnene Modell ist im Prinzip auf die Produktion von kohärenten narrativen Texten bis hin zu Texten im schulischen Fachunterricht anwendbar. Eine Weiterentwicklung für die stärkere Berücksichtigung des Textmusterwissens haben Bachmann & Becker-Mrotzek 2017 vorgestellt. Für die Beurteilung erst- oder zweitsprachlicher Schreibprozesse liegen noch keine Tests vor. Die nicht direkt für diagnostische Zwecke entwickelten Modelle können für die Entwicklung von Diagnostikinstrumenten genutzt werden. Im Modell von Hayes & Flower ist jede Werkstatt von Einflüssen einer Zweitsprache betroffen. Die Aufgabenstellung kann hinsichtlich des Stellenwerts des Schreibens, der Schreibaufgabe im engeren Sinn, des Themas, des Lesepublikums und entsprechenden Motivierungsverfahren (s. Schmölzer-Eibinger in diesem Band) mit Besonderheiten im Vergleich zu erstsprachlichem Schreiben verbunden sein. Die im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen zum Thema, zu den Rezipienten oder zu Schreibplänen können ebenfalls zweitsprachspezifisch geprägt sein. Die Prozesswerkstatt mit dem eigentlichen Sprachwissen, dem Wortschatz und der Grammatik besitzt eine zentrale Rolle im Schreibprozess, da z.  B. unzureichende Lexik- oder Grammatikkenntnisse die Schreibpläne beeinflussen und zu Vermeidungs- oder Umgehungsstrategien führen können.

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3 Beschreibung und Bewertung von Schreibprodukten Konzepte zur Beschreibung und Bewertung von Schreibprodukten sehen sich mit dem Problem konfrontiert, eine Vielzahl unterschiedlichster Textarten berücksichtigen zu müssen: narrative, argumentative, instruierende, beschreibende und protokollierende, um nur die am häufigsten verwendeten zu nennen (vgl. Pohl 2017: 98  ff.). Für Deutsch als Erstsprache liegen Beschreibungsverfahren vor. Das sehr differenzierte „Zürcher Textanalyseraster“ (ZTA, Nussbaumer & Sieber 1995) besteht aus drei Haupt- und drei Unterbereichen mit insgesamt 49 Kategorien. Es bildet die Grundlage für einige Forschungsprojekte zur Bestimmung der Qualität narrativer Texte von Grundschulkindern, u.  a. Kruse et al. 2012. Unter Fördergesichtspunkten sind die ‚Niveaubeschreibungen‘ ausgearbeitet (s. Zepter & Schindler in Kapitel 3; Gantefort in Kapitel 3). Im weiteren Verlauf werden folgende Konzepte kurz vorgestellt: Das Bewertungsinstrument von Kruse et al. (2012), der „Gemeinsame europäische Referenzrahmen“ (Europarat 2001), DESI 2006 und das Kompetenzstufenmodell von Böhme et al. (2017). Das Bewertungsinstrument von Kruse et al. (2012) bezieht sich auf narrative Texte zu Bildern. Das Qualitätsraster besteht aus drei Teilen, ein vorgeschalteter Null-Teil dient der Deskription der Texte. Es erfasst u.  a. die Textlänge, eine Strukturierung nach Handlungsepisoden, die Charakterisierung des Genres und das Textthema. Den detaillierten Bewertungen wird eine holistische Gesamtbewertung vorgeschaltet. Die Textualität fokussiert konventionelle und unkonventionelle Aspekte. Unter inhaltlichen und formalen Wagnissen im unkonventionellen Teil können in zweitsprachlichen Texten Abweichungen vom Üblichen nicht nur als Fehler, sondern auch als kreative Beiträge verstanden werden (vgl. auch Kruse et al. 2014). Die Interraterreliabilität wird auf der Basis von 132 Kindertexten als ausreichend hoch eingeschätzt. Die konventionelle Textqualität erhält durchschnittlich höhere Bewertungen als die unkonventionelle. Ein modifiziertes Faktorenmodell mit den Bereichen Textualität, Kohärenz, Implizitheit, Explizitheit und Wortschatz erreicht mit einer intensiven Schulung der Rater ausreichend hohe Gütewerte. Der „Gemeinsame europäische Referenzrahmen“ (GeR) (Europarat 2001) wird mit seinen allgemeinen Kompetenzstufen für Deutsch als Fremdsprache auch bei der Curriculumgestaltung von DaZ-Integrationskursen des BAMF (2015) verwendet. Der GeR definiert Kompetenzen auf drei globalen Niveaustufen mit je zwei Untergliederungen, die auch Diagnoseinstrumente geprägt haben. Für das Schreiben bestehen eine allgemeine Skala und zusätzlich zwei Skalen für kreatives Schreiben sowie für das Schreiben von Berichten und Aufsätzen (Europarat 2001: 67  f.). Die allgemeinen Schreibniveaus beginnen auf dem Niveau A1 mit dem Schreiben einfacher, isolierter Wendungen und Sätze, erfassen auf A2 das Schreiben von Reihen einfacher Wendungen und Sätze, die mit Konnektoren wie und, aber oder weil verbunden sind. Auf dem

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Niveau B1 können unkomplizierte, zusammenhängende Texte zu mehreren vertrauten Themen aus dem Interessengebiet verfasst werden, wobei einzelne kürzere Teile in linearer Abfolge verbunden werden. Auf dem Niveau B2 steigt der Detaillierungsgrad mit erweitertem Themenspektrum. Auf dem Niveau C1 befinden sich gut strukturierte Texte zu komplexen Themen mit ausführlicher Darstellung der Standpunkte, die durch Unterpunkte oder Beispiele gestützt werden. Auf dem Niveau C2 können klare, flüssige, komplexe Texte in angemessenem und effektivem Stil geschrieben werden. Die Operationalisierung der Kriterien ist alles andere als trivial und in der vorliegenden Form kaum für Diagnosezwecke geeignet. Problematisch ist weiterhin, dass die Niveaus auf der Basis des Englischen entwickelt wurden und Besonderheiten der deutschen Sprache nur unzureichend berücksichtigen. So erfordert die Verbindung von Sätzen mit weil im Deutschen die Endstellung des finiten Verbs, die erst spät erworben wird und auf der Niveaustufe A2 auch von DaZ-Lernenden in der Regel noch nicht erreicht ist. In der großangelegten DESI Studie (DESI 2006) mit über 10.000 SchülerInnen aus 9. Klassen wurden nach Kompetenzen gestufte Modelle zur Bewertung von formellen Beschwerdebriefen und persönlichen narrativen Briefen verwendet. Die Auswertung differenziert auf drei Niveaus zwischen semantisch-pragmatischen und sprachsystematischen Teilkompetenzen. Das unterste Niveau A folgt eher umgangssprachlichen Sprachnormen, ist logisch fehlerhaft aufgebaut und lässt wesentliche Teile eines Briefs aus. Auf dem Niveau B ist der Wortschatz teilweise noch begrenzt, der Aufbau ist im Wesentlichen schlüssig, so dass eine ungestörte schriftliche Kommunikation möglich ist. Auf dem Niveau C sind die Texte konsequent logisch aufgebaut und bei einer abwechslungsreichen Wortwahl stilistisch anspruchsvoll. In der sprachsystematischen Dimension bleiben einige SchülerInnen noch unter dem Niveau A, das durch Fehler in Orthographie, Zeichensetzung und Satzkonstruktion geprägt ist. Auf dem Niveau B werden orthographische Konventionen weitgehend eingehalten und komplexe Satzkonstruktionen angemessen verwendet. Gegenüber einsprachig deutschen SchülerInnen erreichen mehrsprachig aufwachsende und nicht deutschsprachig aufwachsende SchülerInnen geringere Werte, die insbesondere beim Wortschatz, dem auch beim Schreiben eine große Bedeutung zukommt, groß sind. Einen anderen Ansatz der gestuften Bewertung verfolgen Böhme et al. (2017) im Rahmen des durch die KMK vorgegebenen Kompetenzmodells (KMK 2004). Für den Mittleren Schulabschluss wurde ein fünfstufiges Kompetenzstufenmodell entwickelt und in Piloterhebungen validiert. Im Unterschied zum GeR enthält die Globalskala vier skalierte Teilkompetenzen. Die Formulierung eines Standpunktes enthält z.  B. folgende Differenzierungen (Böhme et al. 2017: 63):

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5 4 3 2 1 0

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Bezieht einen klaren Standpunkt und entwickelt ihn mit stimmigen Begründungen … Bezieht einen klaren Standpunkt und stützt ihn mit einigen Begründungen … Bezieht einen Standpunkt und bemüht sich, ihn zu stützen, ist dabei aber nicht deutlich … bezieht einen Standpunkt, die Stellungnahme wirkt aber sehr unverständlich … bemüht sich, einen Standpunkt zu beziehen, doch ist die Erarbeitung unzusammenhängend … Der Text ist zu kurz

Das Modell bietet eine Graduierung der Schreibkompetenz am Ende der Sekundarstufe I, erfasst jedoch nicht die Entwicklung der Schreibkompetenz. Die Beurteilung der Schreibfähigkeiten beruht im Unterschied zum H-S-E-T auf einer komplexen Probandenleistung, die unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet wird. Als zentrales Problem benennen Böhme et al. die Abhängigkeit der Schreibkompetenzmessung von den jeweiligen Aufgabenstellungen. Aufgrund der unterschiedlichen Wissensbestände, Interessen usw. der SchülerInnen reagieren sie in unterschiedlicher Weise auf verschiedene Aufgaben (vgl. Neumann 2013, vgl. auch die Abhängigkeiten im Schreibprozessmodell). In einem anderen Beitrag präsentieren Bremerich-Vos & Possmayer (2013) (vgl. auch Böhme et al. 2017) zwei spezifische Kompetenzstufenmodelle für narrative und argumentative Texte. Allerdings erweist sich die Interraterreliabilität trotz intensiven Trainings als nicht zufriedenstellend. Die Lösung könnte in einer Kombination von mehreren analytischen Beurteilungen mit einer holistischen Beurteilung des Gesamttextes bestehen. Insgesamt würden die Skalen spezifischer auf Textarten bezogen, so dass sie jeweils ‚kleinere Brötchen‘ erfassen, die jedoch besser erfasst werden können als ‚große Brote‘, d.  h. umfangreiche Ganztexte. Auch bei diesem Modell werden mehrsprachige SchülerInnen nicht systematisch berücksichtigt.

4 Schreibentwicklung und Entwicklungsniveaus Kompetenzstufungen werden auch zur Konstruktion von Entwicklungsniveaus verwendet. Dabei wird die Schreibkompetenz in unterschiedliche Teilaspekte unterteilt und deren gegenseitige Abhängigkeit betrachtet (vgl. den Referenzrahmen der altersspezifischen Sprachaneignung, Ehlich, Bredel & Reich 2008). Im Zusammenhang mit dem Schreiben dient im Allgemeinen das Stufenmodell von Bereiter (1980) und seine Weiterentwicklung (Bereiter & Scardamalia 1987) als Ausgangspunkt. Bereiter betrachtet das Schreiben als kognitiven Prozess, der sich im Zusammenspiel mit der Entwicklung kognitiver Kompetenzen entwickelt. Beim Schreiben sind mehrere Pro-

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zesse simultan zu bewältigen, die sukzessiv erworben werden. Er schlägt folgende Stufung vor (Bereiter 1980: 83  ff.): (a) Associative Writing, bei dem das niedergeschrieben wird, was gerade in den Sinn kommt, (b) Performative Writing, das zusätzlich schulisch vermittelte Konventionen beachtet, (c) Communicative Writing, das auch die Rezipienten berücksichtigt, (d) Unified Writing, bei dem der Produzent seine persönliche Position zum Ausdruck bringt, und (e) Epistemic Writing, das der Erweiterung des Wissens dient. Diese Stufen können sich ohne scharfe Grenzen zeitlich überlappen. Es wird zusätzlich unterschieden zwischen der Bewältigung einer Aufgabe und der Automatisierung der Prozesse. Erst letztere ermöglicht flüssiges Schreiben. In einer dreijährigen echten Längsschnittstudie haben Augst et al. (2007) erzählende, berichtende, instruierende, beschreibende und argumentierende Texte von GrundschülerInnen der zweiten bis vierten Jahrgangsklasse erhoben. In dem Korpus identifizieren sie vier Entwicklungsniveaus, die partiell mit den Erwerbsstufen von Bereiter & Scardamalia kompatibel sind. Die Entwicklung beginnt mit selektierenden Assoziationen, geht weiter zu sequenzierten Selektionen, schreitet fort zu perspektivierten Sequenzen und erreicht schließlich synthetisierte Perspektiven. Diese Niveaus werden jeweils für die untersuchten Textarten konkretisiert. Die Daten wurden ausschließlich mit monolingual deutschen SchülerInnen erhoben, so dass die Übertragung auf mehrsprachige SchülerInnen noch aussteht. Ein Instrument zur Beurteilung der Zweitsprachkenntnisse mit Einbeziehung der Schreibentwicklung in verschiedenen Fächern und Schulstufen liegt mit dem Instru­ment ‚Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache‘ (Döll 2009; 2012) vor (s. Zepter & Schindler in Kapitel 3).

5 Zweitspracherwerbsprozesse – mündlich und schriftlich SchülerInnen unterscheiden sich im Schulkontext zunächst nach ihrem Alter, ältere SeiteneinsteigerInnen und Erwachsene zusätzlich auch nach vorherigen erstsprachlichen Schulerfahrungen. Bei der Einschulung verfügen einige mehrsprachige SchülerInnen schon über Erfahrungen mit dem Deutschen und über mündliche Deutschkenntnisse, während andere in vorwiegend herkunftssprachlich geprägten Wohngegenden oder aus neu zugewanderten Familien noch nicht über Deutschkenntnisse oder nur über sehr geringe Deutschkenntnisse verfügen. Beide Gruppen werden auf Deutsch alphabetisiert und bauen hauptsächlich in dieser Sprache ihre Schriftsprachkenntnisse aus (zur Schriftsprachaneignung s. Montanari in Kapitel 3). Später nach Deutschland zugewanderte SchülerInnen verfügen in den allermeisten Fällen über altersgemäß entwickelte erstsprachliche Schriftsprachkenntnisse. Einige erwachsene MigrantInnen, z.  B. aus Afghanistan, verfügen dagegen oft nur über geringe und weit zurückliegende Schulerfahrungen in anderen institutionellen

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Kontexten. Bei den letzten beiden Gruppen spielen der Zweitspracherwerb und das jeweils erreichte Niveau der Zweitsprachkenntnisse eine entscheidende Rolle beim zweitsprachlichen Schreiben. Bei den Zweitspracherwerbsprozessen wird folgenden drei Einflussgrößen eine entscheidende Rolle zugeschrieben: (a) dem Alter beim Beginn des L2-Erwerbs und der damit verbundenen Entwicklung kognitiver Ressourcen, (b) dem sozialen Status des Elternhauses und dessen Bildungshintergrund und (c) der Erstsprache. Das Alter spielt vor allem im Hinblick auf die Entwicklung der kognitiven Ressourcen eine zentrale Rolle. Der Übergang in die Pubertät markiert eine weitere Zäsur, da dann einerseits kognitive Ressourcen regelgeleitetes Lernen unterstützen, andererseits meist erstsprachliche Einflüsse überdauern, am offensichtlichsten als Sprechakzent. Das Alter spielt auch beim Erwerb erzählerischer Kompetenzen eine Rolle (Bereiter 1980; Augst et al. 2007). Große Bedeutung kommt dem sozialen Status des Elternhauses und der fami­ liären Situation zu. Sie bestimmen die vor- und außerschulischen literalen Erfahrungen (s. den Beitrag von Schmölzer-Eibinger in diesem Band). Die großen empirischen Bildungsstudien stellen durchgehend schwächere Leistungen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu SchülerInnen ohne Migrationshintergrund fest. Auch IGLU 2011 (Schwippert, Wendt & Tarelli 2012) zeigt einen signifikanten Vorsprung der SchülerInnen ohne Migrationshintergrund, der allerdings verschwindet, wenn zusätzlich zum Migrationsstatus auch andere Faktoren wie der soziale Status und der Buchbesitz als Indikator des Bildungsbezugs sowie das Bildungsniveau der Eltern berücksichtigt werden. Der Migrationsstatus oder die Verwendung einer anderen Sprache in der Familie sind somit nicht allein für schwächere Leseleistungen im Deutschen verantwortlich. Beim Schreiben sind ähnliche Unterschiede anzunehmen. Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass auch einsprachig deutsche SchülerInnen aus sozial schwachen und bildungsfernen Elternhäusern Leistungsrückstände aufweisen. Auch die Erstsprache (L1) wirkt sich auf den Erwerb und die Verwendung einer weiteren Sprache aus. In der sogenannten Kontrastivhypothese spielt negativer erstsprachlicher Transfer, der zu fehlerhaften zweitsprachlichen Äußerungen führt, sogar die zentrale Rolle (Lado 1969; Bausch & Kasper 1979). Dabei wurden alle zielsprachlichen Abweichungen, denen eine ausgangssprachliche Regel entspricht, als Interferenzfehler betrachtet. Diese monokausale Erklärung wurde aus prinzipiellen Gründen (für die Orthographie s. Thomé 1987) kritisiert und durch empirische Studien entkräftet. Im Einzelnen erweist sich die Rolle der L1 als recht komplex. Grundsätzlich ist die typologische Distanz zwischen der Ausgangssprache und der Zielsprache Deutsch zu beachten. Sie ist zu Chinesisch und Türkisch sehr groß, zu den romanischen oder slawischen Sprachen wesentlich kleiner. Auch bei den Schriften gibt es sehr unterschiedliche Distanzgrade. So fehlen den romanischen Lettern des Türkischen einige deutsche Sonderzeichen, z.  B. , , während türkischen Sonderzeichen deutsche

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Konsonantencluster entsprechen können, z.  B. für . Beim grundlegenden Erstschrifterwerb sind im ‚Deutsch & PC‘-Korpus nur sehr wenige ausgangssprachliche Einflüsse festzustellen (Grießhaber 2004). So verwenden einige SchülerInnen mit der L1 Serbokroatisch am Ende der 1. Klasse in frei produzierten Texten für in „sechen“ oder für in „Medchen“. Dies kann mit der parallelen Einführung in die L1-Schriftsprache im herkunftssprachlichen Unterricht zusammenhängen. Im Laufe der Grundschulzeit gehen diese Einflüsse zurück. Auch wenn bei neu zugewanderten SeiteneinsteigerInnen in der Sekundarstufe und bei Erwachsenen solche Prozesse stärker ausgeprägt sind, ist die auffällige orthographische Ebene diagnostisch wenig aussagekräftig. In der Morphologie und Syntax sind bei hier eingeschulten SchülerInnen insgesamt wenig direkte erstsprachliche Einflüsse festzustellen. Bei der Betrachtung größerer Gruppen zeigen sich Muster einer anderen Verwendung von zweitsprachlichen Mitteln (Grießhaber 2007). So enthalten Texte mehrsprachiger SchülerInnen am Ende der vierten Jahrgangsklasse mehr Präpositionen, die nur einen Kasus erfordern, insbesondere „zu“, und weniger Wechselpräpositionen, die sowohl den Akkusativ als auch den Dativ verlangen, z.  B. „in“. Dadurch sinkt der Einfluss der Kasusmarkierung in der Nominalgruppe für die Bedeutung, da dies von der Präposition geleistet wird. Diese Prozesse sind auch bei einsprachig deutschen SchülerInnen zu beobachten, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang. Für die Beurteilung des zweitsprachlichen Schreibens spielen die L1-Kenntnisse in Relation zum erstsprachlichen Schreiben eine große Rolle. Es wird angenommen, dass innerhalb einer Altersgruppe das aktuelle Niveau der Zweitsprachkenntnisse das Schreiben bestimmt. Dabei stellt sich allgemein die Frage, ob in Bezug auf die Niveaustufen jeweils ein Mindestniveau erforderlich ist. Die Deutschkenntnisse können mit Verbstellungsmustern recht zuverlässig ermittelt werden (z.  B. mit der Profilanalyse (Grießhaber 2013; Settinieri & Spaude 2014), mit LiSe-DaZ für drei- bis siebenjährige Kinder (Schulz & Tracy 2011)). Mit dem C-Test können Sprachkenntnisse differenziert und zuverlässig ermittelt werden (Baur, Goggin & Wrede-Jackes 2013; Grotjahn 2002). C-Tests sind für viele Herkunftssprachen verfügbar und können zur Ermittlung erstsprachlicher Kenntnisse genutzt werden.

6 Aufgabenformate und Schreibimpulse Die Diagnose der Schreibkompetenzen wird wesentlich von den Schreibaufgaben bestimmt, die die von den ProbandInnen erwarteten Textarten festlegen (vgl. die Zusammenhänge im Schreibprozessmodell oben). Zur Erzielung vergleichbarer Ergebnisse werden in den Verfahren jeweils dieselben Schreibaufgaben gestellt. Sie berücksichtigen Curricula und institutionelle Vorgaben, für die Schule sind dies curricular vorgegebene Textarten (s. Gantefort in Kapitel 3), für Erwachsene in Qualifizierungs-

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maßnahmen vor allem beruflich relevante Textarten (s. Feick in Kapitel 3) und für Studierende akademische Textarten (s. Scholten-Akoun in Kapitel 3). Die Instrumente nutzen unterschiedliche Elizitierungsformate und Impulse zur Produktion der Texte. Generell lassen sich visuelle und filmische von verbalen Impulsen unterscheiden. Zunehmend finden auch Kombinationen aus visuellen und verbalen Impulsen Verwendung. Bei Bildimpulsen reicht die Bandbreite von Einzelbildern, bei denen es sich um Comics, Bilder oder Fotos handeln kann, bis zu comicartigen Bilderfolgen. Bei Einzelbildern erhalten die ProbandInnen in der Regel die Aufgabe, sich zu überlegen, wie es zu der dargestellten Situation gekommen sein könnte und was weiter passieren könnte. Ein Beispiel dafür ist der Bildimpuls ‚Langnase‘ (Meyer 1995: 30  f. in Obrecht 1995; s. auch Grießhaber 2014), der eine Straßenszene zeigt, bei der ein kleiner Junge einem Polizisten eine lange Nase dreht und die Zunge herausstreckt, während ihn eine Frau am Arm zieht und laut etwas sagt. Ein Beispiel für Bilderfolgen ist ‚Der Sturz ins Tulpenbeet‘ (Gantefort & Roth 2008; 30; Reich, Roth & Gantefort 2008), eine Folge von fünf Bildern, bei dem das mittlere durch ein Fragezeichen ersetzt ist. Auf den Bildern stolpert ein Mann beim Fotografieren von zwei Kindern beim Rückwärtsgehen und fällt in ein Tulpenbeet. Die SchülerInnen sollen zu den bildlich dargestellten Ereignissen einen erzählenden Text verfassen. Filmsequenzen zeigen Handlungsfolgen direkt als Bewegtbilder. Typisch sind kurze Stummfilme, z.  B. „The lost Envelope“ (Blaschitz 2014: 100  ff.). Der ca. zweiminütige Stummfilm stellt in sechs Szenen das Verlieren und Finden eines Kuverts dar. Die Kinder sollen die Handlung als Geschichte nacherzählen. Beim verbalen Input lassen sich Weitererzählen und materialgestütztes Schreiben unterscheiden. Beim Weitererzählen bricht eine Geschichte nach der Etablierung der Handlung und der Einführung der Handelnden ab. Die ProbandInnen sollen dann die Geschichte weiter, bzw. zu Ende erzählen. Am Beispiel der Erzählung „Der Froschfänger“ zeigt Ehlich (1984) am Vorlagentext und an den Weiterführungen, die nach der Präsentation von einem Drittel des Textes von SchülerInnen produziert wurden, dass sich die Vorlagengeschichte und die weitererzählten Geschichten massiv unterscheiden können. Beim materialgestützten Schreiben erhalten die ProbandInnen schriftliche Informationen, auf deren Basis sie dann Texte produzieren sollen, z.  B. einen Brief an einen bestimmten Adressaten (so z.  B. in DESI 2006). Im Projekt „Schuldeutsch“ (Cantone & Haberzettl 2008) sollen die SchülerInnen als Mitglieder eines Sportvereins dem Trainer brieflich mitteilen, dass sie sich vom Training abmelden. Die Aufgabe nennt als möglichen Grund Zeitmangel aus schulischen Gründen. Für den akademischen Bereich bilden längere Texte, auch in Verbindung mit Grafiken, die Basis für die Textproduktion (s. Scholten-Akoun in Kapitel 3). Eine Mischform aus visuellem und verbalem Impuls sind bildliche Darstellungen mit Informationen zu der Szene und der Schreibaufgabe. In einem Projekt zur Entwicklung von Schreibkompetenzstufenmodellen für die Grundschule verwenden

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Bremerich-Vos & Possmayer (2013) eine Kombination aus einem Bild und unterschiedlich ausführlichen verbalen Informationen als Grundlage der Schreibaufgabe. Bildliche Impulse bieten den Vorteil, dass sie den ProbandInnen die Verbalisierung überlassen, das umfasst den Aufbau der Texte, die Lexik und die Grammatik. Sie eignen sich deshalb auch für mehrsprachige Erhebungen, z.  B. ‚Tulpenbeet‘. Der großen Freiheit steht als Nachteil die eingeschränkte Steuerbarkeit gegenüber. Erst auf der Basis umfangreicherer Korpora können induktiv Vertextungsmuster gewonnen werden, die als bezugsgruppenorientierte Referenzgröße für die Textbeurteilung dienen. Auf diesem Wege lassen sich dann auch Besonderheiten des zweitsprachlichen Schreibens beurteilen (z.  B. Grießhaber im Druck). Bei den Bilderfolgen orientieren sich die ProbandInnen häufig memorierend an Einzelbildern, auf die sie sich deiktisch beziehen, so dass sie nur eingeschränkt einen kohärenten narrativen Text produzieren. Dieses Problem stellt sich in ähnlicher Weise auch bei Stummfilmen mit einer in sich geschlossenen Handlung. Verbale Impulse eignen sich gut zur gezielten Steuerung des Inputs für die Textproduktion. Allerdings können detaillierte Vorgaben die Produktion stark steuern oder sogar einschränken. Zu viele oder zu detaillierte Inputinformationen verleiten zur Übernahme von vorgegebenen Formulierungen in den produzierten Text, so dass die eigene Leistung der ProbandInnen nur eingeschränkt zu beurteilen ist. Bei materialgestützten Aufgaben mit längeren Inputtexten können mit differenzierten Auswertungsrastern Stärken und Schwächen eines Textes ermittelt werden.

7 Resümee und Ausblick Inzwischen liegen einige wenige diagnostische Verfahren für das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch vor, die jedoch deutlich schwächer als einsprachige Verfahren kalibriert sind. Zu dieser Situation trägt zunächst die Heterogenität der AdressatInnen der Verfahren bei. Der Diagnosebedarf reicht von der Einschätzung vorhandener grundlegender Schreiberfahrungen in der Erstsprache der ProbandInnen bis zu weit fortgeschrittenen Kompetenzen im akademischen Bereich. Zu dieser Vielfalt kommen sodann die ebenfalls sehr unterschiedlichen für die AdressatInnen relevanten Text­ arten hinzu. Das Schreiben in der Zweitsprache hat weiterhin die Besonderheiten des Zweitsprachenerwerbs und mögliche differente erstsprachliche Literalitätserfahrungen zu berücksichtigen. Aus der Darstellung der Anforderungen und der Verfahren geht hervor, dass je nach Adressatengruppe unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen sind. Für den schulischen Bereich stellt der Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe eine Markierung dar. Im Grundschulbereich stehen einige Verfahren zur Ermittlung der Zweitsprachkenntnisse zur Verfügung, die Hinweise auf den Ansatzpunkt für die Förderung geben können. Curriculare Vorgaben auf wenige Textarten führen auch zu

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einer Einschränkung der Bandbreite der diagnostischen Aufgaben. Auch erstsprachlich erworbene Literalitätskonzepte und Schreibkompetenzen dürften bei SchülerInnen noch nicht weit streuen. Dagegen stellt sich die Situation in der Sekundarstufe wesentlich unübersichtlicher dar, so dass vor allem in diesem Bereich praxistaugliche Diagnoseinstrumente benötigt werden. Im tertiären Bereich wurden die zweitsprachlichen Studierenden erst seit kurzer Zeit als Gruppe mit besonderen Förderbedarfen identifiziert. Aus den aufwendigen Forschungsarbeiten sind demnach praktikable Diagnoseinstrumente zu entwickeln. Im Bereich der Erwachsenenbildung mit Neuzugewanderten sind Instrumente erforderlich, die auch auf Niveaus weit unterhalb der Stufe A1 des GeR didaktisch begründete Differenzierungen ermöglichen, da die ProbandInnen über extrem heterogene Vorkenntnisse verfügen, die von AnalphabetInnen ohne (längere) Schulerfahrung bis hin zu akademisch Gebildeten reicht. Auch die zu berücksichtigenden erstsprachlichen Literalitätserfahrungen und Ausgangssprachen sind sehr unterschiedlich.

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 Wilhelm Grießhaber

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 Wilhelm Grießhaber

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Karen Schramm

3 Methoden zur empirischen Erforschung des Schreibens in Deutsch als Zweitsprache 1 Zur Vielfalt der methodischen Zugänge zum Schreiben in Deutsch als Zweitsprache 2 Empirische Schreibforschungsdesigns 3 Untersuchung von DaZ-Schreibprodukten 4 Untersuchung von DaZ-Schreibprozessen 5 Videoaufnahmen und Interaktionsanalysen 6 Fazit

1 Zur Vielfalt der methodischen Zugänge zum Schreiben in Deutsch als Zweitsprache Aufgrund der hohen Relevanz des zweitsprachlichen Schreibens für den Bildungserfolg mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher sowie für die berufliche und gesellschaftliche Partizipation mehrsprachiger Erwachsener hat sich das Forschungsfeld zum Schrei­ ben in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) in den vergangenen zwei Jahrzehnten rasant entwickelt. Es wurde dabei nicht nur in thematischer, sondern auch in methodischer Hinsicht zunehmend ausdifferenziert. Unterscheidet man grundlegend in theoretische, historische und empirische Forschung, so lässt sich folgender Stand skizzieren: a) Theoretische Beiträge zum DaZ-Schreiben lassen sich erstens vor allem in Bezug auf zentrale Konstrukte wie bspw. Textkompetenz (z.  B. Portmann-Tselikas & Schmölzer-Eibinger 2008) oder Lehrplananalysen (z.  B. Demmig und Niederdorfer, Ebner & Schmölzer-Eibinger in diesem Band) in Bezug auf das DaZ-Schreiben erkennen. Zweitens werden konzeptionelle Beiträge für die Praxis vorgelegt, die anschließend erprobt und empirisch evaluiert werden: Der Beitrag von Schäfer (in diesem Band) illustriert am Beispiel der Grundschule schreibdidaktische Konzeptionen; der Beitrag von Lammers (in diesem Band) zeigt mit Blick auf das Schreibberatertraining ausbildungsbezogene Konzeptionen. b) Historische Forschungen zum DaZ-Schreiben stehen bisher noch aus. c) Empirische Studien zum DaZ-Schreiben bilden dagegen in der aktuellen Forschungslandschaft einen deutlichen Schwerpunkt, bei dem die Ausdifferenzierung der methodischen Zugänge eine genauere Betrachtung verdient. Sie ist nicht nur für das Forschungsfeld des DaZ-Schreibens charakteristisch, sondern ist eingebettet in eine generelle Weiterentwicklung der empirischen Fremd- und Zweitsprachendidaktik, von der zahlreiche forschungsmethodische Publikationen der letzten Jahre zeugen (z.  B. Doff 2012; Settinieri et al. 2014; Caspari et al. 2016; s. speziell zum Schreiben auch Becker-Mrotzek, Grabowski & Steinhoff 2017 und Brinkschulte & Kreitz 2017). DOI 10.1515/9783110354577-003

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Vor diesem Hintergrund gibt der vorliegende Beitrag einen Überblick über das aktuelle Methodeninventar der Forschung zum Schreiben in der Zweitsprache Deutsch, die im Vergleich zur angelsächsischen Forschung in charakteristischer Weise durch das Zusammenspiel von Linguistik einerseits und Lehr- und Lernforschung andererseits beeinflusst ist.1 Abschnitt  2 skizziert dazu einleitend zunächst prototypische Designs. Anschließend fokussiert Abschnitt 3 die empirische Annäherung an den Text als Produkt des DaZ-Schreibens: Hier wird die methodische Entwicklung von der klassischen Fehleranalyse zu kompetenzorientierten Longitudinalstudien und zu aktuellen korpuslinguistischen Untersuchungen der LernerInnensprache kurz nachgezeichnet. Abschnitt  4 beleuchtet anschließend den methodischen Handwerkskasten für Studien zum Prozess des DaZ-Schreibens. Neben Beobachtungsdaten wie beispielsweise Videoaufnahmen und Bildschirm- oder Tastaturprotokollen sind dabei vor allem in­tro­spektive Verfahren von Bedeutung: das Laute Denken, das Laute Erinnern und das retrospektive Interview. Auch Befragungen in Form von Fragebögen, Interviews und Gruppendiskussionen werden in diesem Abschnitt angesprochen. Abschnitt 5 ist dem videographischen und interaktionsanalytischen Zugriff auf Gespräche während des (gemeinsamen) Schreibens oder über das Schreiben gewidmet. Ein kurzes Fazit in Abschnitt 6 zu den Entwicklungslinien und forschungsmethodischen Desiderata für zukünftige DaZ-Schreibforschung schließt den Beitrag ab.

2 Empirische Schreibforschungsdesigns Wie auch in anderen Bereichen der empirischen Fremd- und Zweitsprachenforschung bietet die grundsätzliche Unterscheidung von quantitativen, qualitativen und mixedmethods-Zugängen (vgl. einführend Schramm 2016a) eine erste Orientierung über empirische Schreibforschungsdesigns. Als Prototyp eines quantitativen Vorgehens gilt das Experiment unter kontrollierten Bedingungen, bei dem bestimmte Messwerte in Kontroll- und Experimentalgruppen erhoben und einer statistischen Auswertung unterzogen werden. Ziel ist es dabei, aus etischer Perspektive universalgültige Aussagen zu treffen. Als Beispiel kann hier die evidenz-basierte Aufsatztrainingsforschung dienen, die Glaser & Meyer (2017: 371) dadurch charakterisieren, dass ihr „ein theo­ retisch begründetes Wirkungsmodell zu Grunde [liegt]“. Es geht dabei darum, in (quasi-)experimentellen Verfahren die Wirksamkeit bestimmter Trainingsverfahren für Komponenten der Schreibkompetenz nachzuweisen. Dementsprechend spielen Grundfragen quantitativer Forschung wie Stichprobenziehung, Reliabilität und Validität der Messinstrumente sowie die entsprechenden statistischen Auswertungsver1 Vgl. zur Einführung in die entsprechende angelsächsische Diskussion zu Methoden zur Erforschung des Schreibens in Englisch als Zweit- und Fremdsprache einführend Hyland (2016) und Polio & Friedman (2017).

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fahren eine zentrale Rolle. Grabowski (2017) diskutiert in einem aktuellen Beitrag mit schreibforschungsspezifischem Schwerpunkt Anforderungen an quantitative Untersuchungsdesigns und die für solche Vorgehensweisen gültigen Gütekriterien (vgl. für den angelsächsischen Bereich auch Manchón 2016). Als Prototyp eines qualitativen Vorgehens gelten dagegen ethnographische Herangehensweisen. Ethnographische SchreibforscherInnen sammeln im authentischen Feld Daten, die sie interpretativen Analysen unterziehen, um aus emischer Perspektive Aussagen über einen spezifischen soziokulturellen Kontext zu treffen; im Zentrum der Datenerhebung steht dabei in der Regel die teilnehmende Beobachtung (vgl. zur Einführung mit schreibforschungsspezifischem Fokus Buchanan & Oberzaucher 2017). Als Beispiel sei auf die Untersuchung von Waggershauser (2015) zu fünf erwachsenen Zweitschriftlernenden mit der Erstsprache Russisch verwiesen: Über die Dauer eines Integrationskurses mit Alphabetisierung begleitete die Ethnographin den Alltag bzw. die literalen Praktiken ihrer ForschungspartnerInnen und sammelte deren literale Artefakte wie beispielsweise Gesprächsstützen, Kochrezepte oder Wegskizzen sowie auch ethnographische Feldnotizen zu deren funktionaler Verwendung. Forschungsbeiträge zu den Gütekriterien qualitativer Untersuchungen stellen in der Regel die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses in den Mittelpunkt. Eine erste schreibforschungsspezifische Zusammenstellung methodischer Überlegungen zu qualitativen Vorgehensweisen legen Brinkschulte & Kreitz (2017) vor (vgl. für den angelsächsischen Bereich auch Casanave 2016). Diese beiden Prototypen eröffnen gewissermaßen das breite Spektrum, in dem sich empirische Untersuchungen zum DaZ-Schreiben bewegen. Es lassen sich vielfältige Kombinationen der Aspekte Kontext (Labor vs. Feld), Daten (Messwerte vs. verbale Daten) und Auswertung (statistische vs. interpretative Verfahren) beobachten. Darüber hinaus finden in der DaZ-Schreibforschung auch zunehmend komplexe Designs Verwendung, in denen verschiedene Methoden trianguliert oder mixedmethods-Zugänge gewählt werden.

3 Untersuchung von DaZ-Schreibprodukten Die LernerInnentexte als Produkt des Schreibens in DaZ stellen eine besonders wichtige Datenquelle und einen zentralen Untersuchungsschwerpunkt dar. Bei der Zusammenstellung eines Korpus an DaZ-Schreibprodukten ist die Unterscheidung von Erfassen und Erheben wichtig. Das Erfassen bezieht sich auf das Gewinnen von LernerInnentexten, die unabhängig von einer Studie im (Schul-)Alltag ohnehin entstehen, während der Begriff des Erhebens die Fälle bezeichnet, in denen die Texte aufgrund des Eingriffs der Forschenden von DaZ-Schreibenden produziert werden. Sowohl beim Erheben als auch beim Erfassen kommt dem Kontext bzw. der Aufgabenstellung eine wichtige Rolle für das Schreibhandeln zu.

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Klassische Fehleranalysen, die in den 70er und 80er Jahren in Anlehnung an die Kontrastivhypothese erarbeitet wurden, fragten vorrangig nach der Identifizierung, Klassifizierung und Erklärung von Fehlern (vgl. einführend Marx & Mehlhorn 2016: 300–301). Seit der Entwicklung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens und der Kompetenzorientierung der Schreibdidaktik stehen dagegen deskriptorenbasierte Evaluationen von Texten im Mittelpunkt, die auf Selbst- oder Fremdeinschätzungen beruhen. Im Bereich der DaZ-Schreibdiagnostik sind umfassende Forschungsanstrengungen zur Entwicklung von Kriterienrastern unternommen worden, die u.  a. Gantefort (in diesem Band) und Knappik & Dirim (in diesem Band) ausführlich darstellen. Auf der Grundlage von LernerInnentextanalysen lassen sich in Longitudinalstudien Entwicklungsverläufe nachzeichnen und genrespezifische Kompetenzentwicklungsmodelle erstellen. Als Beispiel seien die umfangreichen Längsschnittstudien zum Erzählen angeführt, die Dannerer (in diesem Band) referiert. Die korpuslinguistische Erstellung und Auswertung von LernerInnen- und ggf. auch L1-Referenzkorpora befindet sich nach Steinhoff (2017) noch in den Anfängen, weist aber hohes Potenzial auch für die Erforschung des Schreibens in Deutsch als Zweitsprache auf.2 Das Falko-Korpus3 aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache illustriert dieses Potenzial. In solchen Textkorpora werden die erfassten Primär- und Rohdaten mit Metadaten versehen und mit Annotationen so aufbereitet, dass sie digital nach unterschiedlichen linguistischen Gesichtspunkten ausgewertet werden können. Einen schreibforschungsspezifisch ausgerichteten Überblick über verfügbare deutschsprachige Textkorpora bietet Steinhoff (2017: 360). Er gelangt mit Blick auf den diesbezüglichen Forschungsstand zu folgendem Fazit: Hinsichtlich der Korpusgestaltung ist festzuhalten, dass es an größeren Korpora mangelt, die Daten sorgfältiger balanciert werden könnten und eine vorsichtigere Generalisierung der Ergebnisse angebracht wäre. In Bezug auf die Korpusaufbereitung und Korpusauswertung ist auffällig, dass die Daten nur selten und oft nur in Auszügen sowie nicht besonders nutzerfreundlich publiziert werden, weshalb eine ‚Kultur der Weiternutzung‘ wünschenswert wäre. Hinzu kommt, dass die Optionen, die der Computer im Allgemeinen und die Korpustechnologie im Speziellen eröffnet, z.  B. digitale Rohtextformate, bestimmte Rechercheprogramme oder automatische Annotationen, kaum genutzt werden. Insgesamt könnte die schreibdidaktische Forschung also sehr davon profitieren, wenn sie in Zukunft intensiv mit der Korpuslinguistik zusammenarbeiten würde. (Steinhoff 2017: 365)

2 Zur allgemeinen Einführung in die Verwendung von Korpora zu fremd- und zweitsprachendidaktischen Zwecken, s. Meißner, Lange & Fandrych (2016). 3 Siehe: https://www.linguistik.hu-berlin.de/de/institut/professuren/korpuslinguistik/forschung/ falko/standardseite.

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4 Untersuchung von DaZ-Schreibprozessen Liegt der Untersuchungsfokus nicht auf dem Text als Produkt des DaZ-Schreibens, sondern auf dem Prozess, lassen sich Beobachtungen aktionaler Aspekte (Abschnitt 4.1.) sowie auch introspektive Verfahren (Abschnitt 4.2.) und Befragungen (Abschnitt 4.3.) gewinnbringend einsetzen.

4.1 Beobachtung aktionaler Aspekte des Schreibprozesses Im Gegensatz zu Hör- und Leseprozessen lässt sich der Schreibprozess vergleichsweise gut von außen bzw. in aktionaler Hinsicht beobachten. Filmaufnahmen der schreibenden Person bzw. der Schreibhand und des Papiers lassen bestimmte Arbeitsschritte wie Revisionsprozesse (z.  B. Wegradieren) oder das Konsultieren anderer Materialien (z.  B. Informationsquellen, Wörterbuch, Orientierung an einem L1-Genre-Beispiel) erkennen. Bei Schreibprozessen am Computer bieten Tastatur- und Bildschirmprotokolle genauen Aufschluss über die Entstehung eines Textes. Im Rahmen seiner kon­ trastiv angelegten Untersuchung des wissenschaftlichen Schreibens in der L2 Deutsch bzw. Portugiesisch mithilfe der Software Camtasia gibt Matias (2017: 56–59) einen aufschlussreichen Überblick über solche Tastatur- und Bildschirmprotokolle. Er betont u.  a., dass für unterschiedliche Zwecke wie Pausenanalyse, Untersuchung von Revisionen oder Formulierungen die Programme unterschiedlich gut geeignet sind und dass die Mehrzahl der Programme das Abspielen der aufgezeichneten Vorgänge erlaubt und somit auch eine Grundlage für das Laute Erinnern (s. dazu Abschnitt  4.2.2.) bietet (Matias 2017: 58; vgl. auch Linnemann 2017: 344–346). Breuer (2017: 41–45) diskutiert am Beispiel von Camtasia-basierten Studien ebenfalls das schreibbezogene Forschungspotenzial von Screencapturing-Daten und illustriert die skriptbasierte Aufbereitung und die inhaltsanalytische Auswertung. Linnemann (2017: 346–347) weist darüber hinaus auf das methodische Potenzial von Schreibpads, Grafiktabletts und digitalen Stiften sowie auch von Eye-Tracking zur Erhebung von Leseprozessen während des Schreibens hin: Während vor wenigen Jahren die Technik des Eye-Trackings noch physisch groß, kompliziert im Umgang und teuer war, lassen sich Eye-Tracker mittlerweile ohne größere Probleme einsetzen. Dies hat auch den Vorteil, dass das Gerät am Kopf nicht mehr ungewohnt wirkt und dadurch den Schreibprozess beeinträchtigt. (Linnemann 2017: 347)

Da die Aussagekraft von Beobachtungsdaten des L2-Schreibprozesses letztlich jedoch recht begrenzt bleibt, werden sie in vielen Fällen durch introspektive Datenerhebungsverfahren ergänzt.

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4.2 Introspektion Introspektive Verfahren bieten gewisse Einblicke in die mentale Dimension des Schreibens (s. einführend Heine & Schramm 2016). Ein frühes und prominentes Beispiel aus der L1-Schreibforschung ist die Laut-Denk-Studie von Hayes & Flower (1980). Sie forderten ihre ForschungspartnerInnen auf, Gedanken während des Schreibprozesses zu verbalisieren, und erarbeiteten auf dieser Grundlage ein viel beachtetes Schreibprozessmodell. Neben der simultanen Verbalisierung von Gedanken während des Schreibprozesses finden auch retrospektive Verfahren Einsatz, bei denen erst nach dem Schreibprozess über die Gedanken während des Schreibens berichtet wird; es sind dies das Laute Erinnern und das retrospektive Interview. Die drei Verfahren sollen in diesem Abschnitt mit Blick auf ihr Potenzial zur Erforschung des DaZSchreibprozesses genauer beleuchtet werden. 4.2.1 Lautes Denken Lautes Denken lässt sich in Anlehnung an Knorr & Schramm (2012: 185) als „die aus dem Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis erfolgende simultane, ungefilterte Verbalisierung einer Person von Gedanken während einer (mentalen, interaktionalen oder aktionalen) Handlung“ definieren. In Bezug auf das Laute Denken beim zweitsprachlichen Schreiben bedeutet dies, dass automatisierte Schreibprozesse auf diese Weise nicht erfasst werden können, sondern nur (Teile der) nicht-automatisierte(n) Schreibprozesse – also Gedanken, die bewusst im Arbeitsgedächtnis prozessiert werden, wie z.  B. Planungsprozesse oder Störungsbearbeitungen, und die somit der Verbalisierung zugänglich sind.4 In der Regel wird für eine Datenerhebung mittels Lautem Denken empfohlen, den ForschungspartnerInnen ein (Video-)Beispiel für Lautes Denken und eine Trainingsphase mit Feedback zu bieten. So nutzt Matias (2017: 74) bspw. Rechen- und Schreibaufgaben für ein zwanzigminütiges zweisprachiges Training. In Untersuchungsberichten über Laut-Denk-Studien wird immer wieder thematisiert, dass eine Kommunikationssituation zwischen ForscherInnen und ForschungspartnerInnen nach Möglichkeit zu vermeiden ist; dazu wird ForscherInnen empfohlen, sich außerhalb des Sichtfelds der laut denkenden Personen oder gar außerhalb des Raums aufzuhalten. Auf diese Weise soll eine bestmögliche Wiedergabe der inneren Sprache unterstützt werden. Aktuelle methodische Beiträge aus soziokultureller Perspektive weisen jedoch auf die Adressatenorientierung und das Rezipientendesign von Daten Lauten Denkens hin (z.  B. Feick 2013) und machen damit deutlich, dass Lautes Denken nicht wie im kognitivistischen Paradigma angenommen ein reines Nach-Außen-Setzen von innerer Sprache, sondern durchaus kommunikatives Handeln ist. 4 S. einführend zum Lauten Denken mit spezifischem Bezug auf das L2-Schreiben am Beispiel Französisch Schnell (2013).

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Seit der klassischen Lautdenk-Studie von Hayes & Flower (1980) haben viele L2-SchreibforscherInnen mittels Daten Lauten Denkens Einsicht in die kognitive und metakognitive Dimension des Schreibprozesses gewonnen und damit das Potenzial dieser Herangehensweise unter Beweis gestellt. Problematisiert werden u.  a. die Reaktivität und die personenspezifische Eignung der Methode. Das Problem der Reaktivität betrifft die Frage, inwieweit der L2-Schreibprozess durch das Laute Denken verändert wird. Denkbar ist hier, dass das Laute Denken zu verstärkter metakognitiver Aktivität führt und somit den Schreibprozess verändert. Sollte das Laute Denken in der Erstsprache als Denksprache stattfinden, was grundsätzlich mit Blick auf die Qualität der Lautdenkdaten empfehlenswert erscheint, ist in diesem Zusammenhang auch in Erwägung zu ziehen, dass die erstsprachliche Verbalisierung Einfluss auf die zweitsprachlichen Schreibprozesse hat. Ein zweites Problem besteht darin, dass UntersuchungsteilnehmerInnen das Laute Denken unterschiedlich leicht- bzw. schwerfällt. In den Forschungsberichten über Laut-Denk-Studien finden sich zahlreiche Hinweise auf personenbezogene Unterschiede in Bezug auf den Umfang der durch Lautes Denken elizitierten Daten. Es ist anzunehmen, dass das Laute Denken Personen mit ausgeprägter Metakognition leichter fällt; dies bedeutet, dass bei einem Sampling solcher – besonders aussagekräftiger – Fälle ggf. mit einer systematischen Verzerrung zu rechnen ist. Auch schriftliche Kommentare während des Schreibens sind als simultanes in­tro­ spek­tives Erhebungsverfahren denkbar; sie werden jedoch vergleichsweise selten eingesetzt (vgl. Linnemann 2017: 341).

4.2.2 Lautes Erinnern Im Gegensatz zum Lauten Denken ist das Laute Erinnern eine nachträgliche Verbalisierung der Gedanken, die während des Schreibprozesses abliefen. Dieses Erhebungsverfahren zielt somit auf eine Erhebung der reflection-in-action ab und es gilt, dabei nach Möglichkeit eine reflection-on-action, also ein aktuelles Nachdenken über den Schreibprozess in der Befragungssituation zu vermeiden (vgl. Knorr & Schramm 2012). Auch wenn sich beide Arten von Gedanken in der Erhebungspraxis mischen, ist das Laute Erinnern grundsätzlich darauf angelegt, dass die ForschungspartnerInnen sich gedanklich in die Schreibsituation zurückversetzen. Hilfreich für eine möglichst detaillierte Erinnerung sind dabei Impulse aus der Schreibhandlung wie bspw. die oben angeführten Tastatur- und Bildschirmprotokolle, die ForschungspartnerInnen im Fall von offline-Retrospektionen komplett anschauen oder im Fall von online-Re­ tro­spek­tionen an all den Stellen stoppen, an denen nach ihrer Erinnerung bestimmte Gedankengänge abliefen. Ein solches impulsbasiertes Vorgehen ist im Englischen auch unter dem Begriff des stimulated recall bekannt. Es liegt auf der Hand, dass Lautes Erinnern somit möglichst bald nach dem Schreibprozess durchgeführt werden sollte, da ansonsten die Erinnerungen zu verblassen drohen. Ein Vorteil dieses Verfahrens liegt im Vergleich zum Lauten Denken darin, dass die Gefahr der Reaktivität deutlich geringer ist: Der DaZ-Schreibprozess verläuft unge-

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stört, da die Verbalisierung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Dies betrifft auch den spezifischen Aspekt einer Erhebung in der Erstsprache, von der in der Regel eine detailliertere Datenlage zu erwarten ist. Während beim Lauten Denken in der Erstsprache die Gefahr besteht, dass das Schreiben verändert wird, ist die zeitliche Trennung von DaZ-Schreibhandlung und Lautem Erinnern in der Erstsprache von Vorteil. 4.2.3 Retrospektive Befragung Eine retrospektive mündliche Befragung, also ein Interview oder eine Gruppendiskussion zu den Schreibprozessen, stellt eine methodische Option zur Annäherung an die Wahrnehmung des Schreibens seitens der ForschungspartnerInnen dar (s. Dengscherz 2017); retrospektive schriftliche Befragungen sind dagegen seltener. Im Gegensatz zum Lauten Denken und Lauten Erinnern sind bei retrospektiven Befragungen weniger die Gedanken während eines Schreibprozesses als vielmehr die Reflexionen während der Befragungssituation über den spezifisch erlebten Schreibprozess sowie auch generelle Aussagen über Schreiberfahrungen im Allgemeinen zu erwarten. Re­tro­spektive Befragungen eignen sich somit für emisch angelegte Studien zum Erleben der ForschungspartnerInnen, also Studien, die die Innenperspektive einer kürzlich zurückliegenden Schreiberfahrung beleuchten wollen. Unter dem Stichwort Videokonfrontation diskutiert Karsten (2017) eine videobasierte Form des retrospektiven Interviews: Während der Videokonfrontation präsentiert die forschende Person der beforschten Person die Videoaufnahmen ihres Schreibens – sie konfrontiert sie im oben diskutierten Sinne mit ihrem Schreibprozess. Forschende und beforschte Person analysieren dabei gemeinsam das Video. Die Aufnahmen der beiden Kameras aus dem ersten Schritt (Profil und Über-die-Schulter) werden als Vorbereitung für die gemeinsame Analyse synchronisiert und Bild-in-Bild geschnitten. Die forschende Person kann das Videomaterial vorab sichten und je nach Forschungsinteresse (explorativ vs. mit vorformulierter Forschungsfrage) und Länge der Aufnahmen die gemeinsame Analyse vorbereiten oder frei vorgehen. Als Vorbereitung kann die forschende Person beispielsweise eine unverbindliche Liste interessanter Momente erstellen, die sie gemeinsam mit der beforschten Person analysieren möchte, oder Analysefragen vorformulieren. (Karsten 2017: 66–67)

Die Autorin illustriert ihr innovatives Vorgehen und hält als Desiderat für die forschungsmethodische Weiterentwicklung fest, dass die Rollen und Aufgaben der forschenden und der beforschten Person genauer zu eruieren sind. Die aus dem Forschungsprogramm Subjektive Theorien bekannten Dialog-Konsens/Struktur-Lege-Gespräche explorieren Heine & Engberg (2017) mit schreibforschungsspezifischem Fokus. Sie filtern dazu aus retrospektiven Interviews zentrale Begriffe heraus, die den ForschungspartnerInnen auf Kärtchen vorlegt werden. Diese Begriffe sollen die ForschungspartnerInnen mithilfe von Relationskärtchen in einem gleichberechtigten Dialog mit den ForscherInnen anordnen, sodass sich auf diese Weise (weitere) Einsichten in die subjektiven Theorien der ForschungspartnerInnen ergeben.

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4.3 Weitere Arten der Befragung Befragungen werden nicht nur zu kürzlich zurückliegenden spezifischen Schreib­ erlebnissen in Form von retrospektiven Interviews durchgeführt, sondern kommen zur Erforschung vieler weiterer Themenbereiche in Frage. So nutzt Mauritz (2017) beispielsweise Interviews zur Erforschung von Schreibbiographien, Lammers (2017) setzt in einem methodentriangulativen Vorgehen flankierend zu Gesprächsdaten Fragebögen bei Schreibenden und Beratenden ein und Niederhaus (in diesem Band) verweist auf verschiedene Befragungsstudien, die die Schreibanforderungen im Beruf zu erfassen suchen. Für solche Befragungen stehen in den Sozialwissenschaften entwickelte und auch in der Fremd- und Zweitsprachendidaktik inzwischen etablierte Verfahren zur Verfügung (vgl. einführend Riemer 2016). Einen schreibforschungsspezifischen Beitrag mit methodischem Schwerpunkt legen Kirschbaum & Rothärmel (2017) vor, in dem sie am Beispiel einer Studie zum Rollenverständnis von sogenannten writing fellows ein inhaltsanalytisches Vorgehen bei der Auswertung thematisieren.

5 Videoaufnahmen und Interaktionsanalysen Gespräche während des Schreibens und über das Schreiben lassen sich auf der Grundlage von Videoaufnahmen und interaktionsanalytischen Herangehensweisen besonders gut erforschen. In ihrem schreibforschungsspezifischen Methodenbeitrag zur Gesprächsanalyse stellt Grieshammer (2017) die Vielzahl von Gesprächen über das Schreiben heraus, die auf der Grundlage von Videoaufzeichnungen und Transkripten untersucht werden können: Diskussionen in Schreibworkshops, Gespräche in Schreibberatungen, gegenseitiges mündliches Peer-Feedback oder auch mündliches Feedback Lehrender zu Texten Studierender sind nur einige der Szenarien, in denen – unter anderem – das Schreiben im Mittelpunkt eines Gesprächs steht. (Grieshammer 2017: 249)

Die methodischen Erfahrungen in Bezug auf eine schreibforschungsspezifische Interaktions- oder Gesprächsanalyse sind zwar recht begrenzt; das methodische Potenzial solcher Untersuchungen im Klassenzimmer oder in isolierten Partner-/Gruppensettings ist jedoch hoch einzuschätzen. Videoaufzeichnungen schreibbezogener Gespräche erfordern wie alle Unterrichtsaufnahmen eine gute Vorbereitung im Hinblick auf informierte Einwilligungserklärungen, datenschutzrechtliche Grundlagen, die ethische Reflexion sowie auch die organisatorische und technische Vorbereitung wie z.  B. ein Kameraskript (vgl. einführend Schramm 2014: 246–248). Die Aufzeichnung gemeinsamer Schreibprozesse stellt darüber hinaus die Anforderung, dass die interaktionalen Gesprächsdaten mit

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den oben angesprochenen Daten zu aktionalen Aspekten des Schreibprozesses in zielführender Weise zusammengeführt werden. In der Regel sind deshalb mindestens zwei Kameras erforderlich, von denen die eine auf die GesprächspartnerInnen und die andere auf den entstehenden Text gerichtet ist. In split-screen-Formaten können dann beide Videoaufnahmen zeitgenau aufeinander bezogen abgespielt, aufbereitet und analysiert werden. Bezieht man die Unterscheidung von stärker kontextentbundenen Videointeraktionsanalysen und kontextbezogener, ethnographisch inspirierter Videographie (Schramm 2016b: 591) auf das Schreiben in Deutsch als Zweitsprache, zielt das erste Vorgehen auf ein Inventar an sprachlichen Handlungen, die während des schreibbezogenen Gesprächs erfolgen, und auf entsprechende pragmalinguistisch basierte Einsichten in die (verallgemeinerbaren) mentalen und interaktionalen Prozesse, denen das schreibbezogene Gespräch dient. Lehnens (2017) folgende Beschreibung der Untersuchungsgegenstände, die sich mittels kooperativer Textproduktionen besonders gut erforschen lassen, illustriert einen solchen Ansatz: Die Nutzung von Formen der kooperativen Textproduktion als Methode der Untersuchung von Schreibprozessen eignet sich für die gezielte Untersuchung ausgewählter Teilprozesse beim Schreiben: das Planen, Formulieren oder Überarbeiten (1), die Untersuchung spezifischer, etwa domänen- und textsortenbezogener Anforderungen beim Schreiben (2) wie auch die Untersuchung von Kriterien, die Schreibende bei der Sichtung, Analyse und Bewertung von Texten anlegen (3). Letzteres ist besonders in rückmeldeorientierten Forschungsdesigns beobachtbar, wie sie durch Schreibkonferenzen und andere Textüberarbeitungsverfahren gerahmt werden können. (Lehnen 2017: 302–303)

In vergleichbarer Weise geht auch Schindler (2017) genauer auf die konversationsanalytisch inspirierte Analyse von „konversationellen Schreibinteraktionen“ – also kollaborativen Schreibprozessen mit gemeinsamer Verantwortung für den gemeinsamen Text – ein: Wenngleich Konversationelle Schreibinteraktionen ein Fenster in Vorstellungen, Konzepte und Normen von Schreiber*innen öffnen, so zeigen sie zugleich immer auch ihr strategisches Handeln: Sie ermöglichen einen Blick darauf, wie Schreiber*innen eigene Vorschläge posi­ tionieren und durchsetzen, wie sie (gezielt) Ressourcen nutzen und wie sie ihr Schreibhandeln koordinieren. Konversationelle Schreibinteraktionen führen daher in der Regel auch zu längeren Bearbeitungszeiten. (Schindler 2017: 24)

Im Gegensatz zu solchen videointeraktionsanalytischen Vorgehensweisen wird ein videographisches Vorgehen dagegen stärker die kontextspezifische soziale Praxis des schreibbezogenen Gesprächs in den Blick nehmen und die Videoaufnahmen zu diesem Zweck in der Regel in einer Methodentriangulation mit weiteren Erhebungsverfahren ergänzen. Denkbar wäre hier beispielsweise der Fokus auf identitätsbezogene Fragestellungen von DaZ-Schreibenden, denen in ethnographischen Fallstudien nachgegangen wird.

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Die Transkription solcher Schreibinteraktionen erfordert Darstellungsformen, in denen die aus der Interaktionsanalyse bekannten Transkriptionssysteme (vgl. einführend Mempel & Mehlhorn 2014) mit Standbildern kombiniert werden, die Auskunft über den Text zum jeweiligen Entstehungszeitpunkt geben.

6 Fazit Der kurze Überblick über die Vielzahl der in der empirischen DaZ-Schreibforschung eingesetzten qualitativen und quantitativen Verfahren hat den differenzierten forschungsmethodischen Zugriff auf Produkte und Prozesse des Schreibens in Deutsch als Zweitsprache aufgezeigt. Es wurde ebenfalls der interdisziplinäre Charakter der DaZ-Schreibforschung deutlich, die sich nicht allein der in der Lern- und Unterrichtsforschung allgemein etablierten Verfahren bedient und die Zusammenarbeit mit (Kognitions-)PsychologInnen sucht, sondern sich auch in einer für den deutschsprachigen Diskurs zur Schreibforschung charakteristischen Weise an linguistischen Teildisziplinen, insbesondere der Pragma- und der Textlinguistik, orientiert. Weiterhin zeigte sich, dass einige der spezifisch schreibforschungsmethodischen Innovationen stark mit Entwicklungen im digitalen Bereich verknüpft sind; als Beispiele lassen sich hier korpuslinguistische Verfahren, Bildschirmprotokolle oder Eye-Tracking nennen. Das Spektrum dieser bisher häufig in explorativer und deskriptiver Absicht und außerhalb des Klassenzimmers eingesetzten Verfahren steht nun auch für explanative Studien zu Interventionen (vgl. Marx & Steinhoff 2017 sowie den Beitrag von Niederdorfer, Ebner & Schmölzer-Eibinger in diesem Band) im Klassenzimmer bereit, die zum aktuellen Zeitpunkt als besonders dringliches Desiderat erscheinen. Für Meta-Analysen mit DaZ-spezifischem Fokus scheint es in diesem vergleichsweise engen und jungen Forschungsgebiet verfrüht. Die einsetzende Diskussion über methodische Fragen der empirischen Schreibforschung wird in zukünftigen Beiträgen mit Bezug auf das Arbeitsfeld Deutsch als Zweitsprache spezifisch auszugestalten sein. Vielversprechend erscheint es dabei, die schreibspezifische Nutzung von Mehrsprachigkeit als sprachliche Ressource von Zweitsprachenlernenden auf der Designebene zu ­eruieren.

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II Schreibentwicklung und Schreibkompetenz

Stefan Jeuk

4 Schriftspracherwerb und Alphabetisierung in der Zweitsprache im Grundschulalter 1 Einleitung 2 Die Schülerinnen und Schüler 3 Schriftspracherwerbsforschung 4 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache 5 Didaktische Folgerungen

1 Einleitung Ebenso wie einsprachig deutsche Kinder werden mehrsprachige Kinder im deutschsprachigen Raum zum Schuleintritt mit der deutschen Schriftsprache konfrontiert. Der Schriftspracherwerb bringt nicht nur die Fähigkeit mit sich, in einem neuen Medium zu kommunizieren, vielmehr eignen sich die Kinder auch wesentliche Grundlagen der (Schrift-)Kultur und der schulischen Bildung über die deutsche Sprache an. Maas (2010) weist darauf hin, dass schriftliche Kommunikation sich grundlegend von mündlicher Kommunikation unterscheidet und andere Formen des Denkens, Fühlens und Handelns mit sich bringt. Der Erwerb des Schreibenlernens ist somit wesentlich mehr als der Erwerb technischer Fertigkeiten. Für mehrsprachige Lerner ist die Situation insofern besonders, als sie die deutsche Schrift häufig auf der Basis anderer mündlicher (und evtl. schriftlicher) Kompetenzen in der deutschen Sprache lernen, als dies für einsprachige Lerner der Fall ist. In diesem Beitrag wird zunächst versucht, diese Personengruppe im Hinblick auf die sprachlichen Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb zu charakterisieren. Dann werden Schriftspracherwerbsprozesse bei einsprachigen Kindern beschrieben, in einem weiteren Schritt wird versucht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum mehrsprachigen Schriftspracherwerb aufzuzeigen. Der Beitrag schließt mit einem didaktischen Ausblick.

2 Die Schülerinnen und Schüler Die Gruppe der mehrsprachlichen Kinder im deutschsprachigen Raum ist sehr heterogen. Bei Kindern und Jugendlichen, deren Familien schon länger im deutschsprachigen Raum leben, werden in der L2 Deutsch häufig gut ausgebaute Kompetenzen in der mündlichen Alltagskommunikation beobachtet. Sprachschwierigkeiten fallen häufig erst auf, wenn in der Schule die schriftlichen Anteile zunehmen. Knapp (1999) prägte hierfür den Begriff der „verdeckten Sprachschwierigkeiten“. Bei einigen Kindern sind DOI 10.1515/9783110354577-004

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die Kompetenzen in der L2 so gut ausgebaut, dass sie ohne weiteres einem Unterricht folgen können, der auf einsprachige Kinder ausgerichtet ist, sie erreichen einen höheren Schulabschluss (vgl. Chlosta & Ostermann 2013). Andere Kinder haben, z.  B. aufgrund ihrer lebensweltlichen Lage, Schwierigkeiten in der Alltagskommunikation in der L2 Deutsch. Bei wieder anderen werden Sprachschwierigkeiten erst evident, wenn es um den Erwerb schriftsprachlicher bzw. bildungssprachlicher Kompetenzen geht (vgl. Maas 2010). Im öffentlichen Diskurs werden mehrsprachige Kinder häufig als Gruppe den einsprachig deutschen Kindern gegenübergestellt. Dieser Gegenüberstellung liegt ein eindimensionales Konzept von Ein- und Mehrsprachigkeit zu Grunde, denn auch die scheinbar einsprachigen Kinder verwenden in ihrem Alltag verschiedene Varietäten und Register (vgl. Busch 2013). Die Gruppe der mehrsprachigen Kinder ist noch einmal wesentlich heterogener: Neben sozialen und lebensweltlichen Unterschieden, die sich z.  B. auf die literale Sozialisation auswirken, sprechen sie verschiedene Sprachen im Sinne verschiedener Systeme und verfügen in der L2 Deutsch über äußerst unterschiedliche Erfahrungen, Kompetenzen und Lernchancen. So weist bereits Stanat (2006) darauf hin, dass mehrsprachige Jugendliche im deutschen Schulsystem nicht schlechter als einsprachig deutsche Jugendliche abschneiden, wenn man sie mit den Jugendlichen vergleicht, die aus derselben sozialen Schicht kommen. In Bezug auf Schriftlichkeit und Alphabetisierung in der Grundschule können idealtypisch mindestens die folgenden Gruppen unterschieden werden (vgl. auch Noack & Weth 2012): –– Kinder, die im deutschsprachigen Raum geboren und aufgewachsen sind, in der Regel die entsprechende Staatsbürgerschaft besitzen und mindestens 3 Jahre eine Kita besucht haben. In der Regel werden ihre Kompetenzen in der Alltagskommunikation von den Lehrkräften so eingeschätzt, dass sie keiner weiteren Unterstützung bedürfen. –– Kinder, die zu Beginn der Schulzeit einwandern und die in ihren Herkunftsländern noch keine Schule besucht haben. –– Kinder, die im Laufe der Schulzeit einwandern und bereits über schulische Schrift­ erfahrung in ihrer Erstsprache verfügen, manche kennen mit dem Deutschen verwandte Schriftsysteme (Türkisch, Italienisch), unter Umständen kennen sie andere Schriftsysteme (kyrillisch, arabisch, chinesisch, etc., vgl. Schulte-Bunert 2012). –– Kinder, die im Laufe der Schulzeit einwandern und die in ihren Herkunftsländern keine Schule besuchen konnten, weil sie auf der Flucht waren, in ihren Herkunftsländern Bürgerkrieg herrschte, oder weil sie zu unterprivilegierten und/oder verfolgten Minderheiten gehören. Didaktische Überlegungen zum Schriftspracherwerb im Grundschulalter müssen diese verschiedenen Gruppen im Blick behalten.

Schriftspracherwerb und Alphabetisierung in der Zweitsprache im Grundschulalter 

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3 Schriftspracherwerbsforschung Die Erforschung des Schriftspracherwerbs und darauf aufbauende Konzeptionen beziehen sich in der Regel auf einsprachige Lernkontexte, die Tatsache, dass viele Lerner mehrsprachig sind, wird erst in jüngerer Zeit thematisiert. Dennoch sind einige Forschungsergebnisse und Konzeptionen in weiten Teilen auf mehrsprachige Kontexte übertragbar (vgl. Kap. 4). Lange Zeit waren systematische Lese- und Schreiblehrgänge im Anfangsunterricht vorherrschend. Je nach Zugang wurde die Phonem-Graphem-Beziehung (synthetische Verfahren) oder das Wort als semantisch-lexikalische Einheit (analytische Verfahren) zum Ausgangspunkt der Schriftbegegnung genommen. Beide Zugänge bringen Vorund Nachteile mit sich (vgl. Jeuk & Schäfer 2013: 110), gemeinsam ist ihnen, dass sie das Sprach- bzw. Schriftsystem zum Ausgangspunkt der Didaktik nehmen. Erst zu Beginn der 1980er-Jahre widmete sich die Spracherwerbsforschung auch dem Schriftspracherwerb. In der Folge konnten didaktische Konzepte entstehen, die kindliche Entwicklungsprozesse stärker berücksichtigen. In Analogie zu Entwicklungsmodellen des (ungesteuerten) Spracherwerbs wurde versucht, Phasen- oder Stufenmodelle des Erwerbs der Schriftsprache zu entwickeln und empirisch zu untermauern. Das Modell von Frith (1986) geht von der These aus, dass es eine Abfolge von Entwicklungsstufen gibt, die das Kind nacheinander durchläuft. Die Abfolge kann bei jedem Kind beobachtet werden, allerdings ist nicht gesagt, dass die jeweiligen Phasen immer gleich intensiv durchlaufen werden:

Abb. 1: Die Phasen des Schriftspracherwerbs im Modell nach Frith (1986: 255)

In der linken Spalte der Abbildung ist die Ausprägung für die rezeptive Seite (Lesen) dargestellt, in der rechten Spalte jene für die produktive Seite der Schriftaneignung, das Schreiben. Dabei ist in Abhängigkeit von der Entwicklung entweder das Lesen oder das Schreiben die dominierende Tätigkeit (im Sinne Wygotskis 2002), dargestellt durch die Pfeile. Nach diesem Modell erschließen sich Kinder die Schrift zunächst

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logographemisch, sie können Embleme und Zeichen deuten und versuchen, ihren Namen und andere einfache Wörter als (Wort-)Bilder (Logogramme) zu reproduzieren. Sie haben noch keine Einsicht in die Laut-Buchstaben-Beziehung und orientieren sich an einfach wahrnehmbaren Merkmalen. In der alphabetischen Phase erkennen die Kinder nach und nach, dass die Schriftzeichen (Grapheme) Phoneme repräsentieren. Zunächst werden jedoch nur einzelne Aspekte dieser Beziehungen bewusst. In diese Zeit fallen sogenannte Skelettschreibungen, in denen nur vereinzelte lautliche Aspekte realisiert werden, in denen sich auch noch logographemische Anteile finden. So schreibt ein Kind z.  B. iAbFUSBAL für Ich habe Fußball gespielt (vgl. Jeuk & Schäfer 2013: 77). Je mehr Wissen die Kinder über die Graphem-Phonem-Korrespondenz (GPK) haben, desto eher sind sie in der Lage, auch neue Wörter zu (er)lesen. Indem sie lesen, werden sie mit der korrekten Orthografie konfrontiert, dies kann zu einer Systematisierung der Schreibvorgänge führen. In dieser späteren alphabetischen Phase gelingt es Kindern zunehmend, sich bei der Wahl der Grapheme auf das Repertoire zu beziehen, das innerhalb der GPK-Regeln des Deutschen zulässig ist. Fehlschreibungen sind insofern als Fortschritt zu werten, als das Kind sich nun an den Möglichkeiten des GPK-Systems orientiert. Neben den GPK-Regeln erwerben die Kinder in dieser Phase auch die Fähigkeit zur Analyse von Silben. Die Stellung und der Kontext von Lauten, die korrekte Betonung und die Aussprache sind daran zu erkennen. Das alphabetische Prinzip wird meist in der Schule gelernt, es ist das Ergebnis von Unterricht. In der orthographischen Phase werden zunehmend orthographische Elemente wie Auslautverhärtung oder Doppelkonsonanz eingesetzt, außerdem werden orthographische Muster wie Morpheme und Silben zunehmend korrekt verschriftet. Kritisiert wurden solche Entwicklungsmodelle unter anderem für die entwicklungspsychologische Orientierung, die die Gefahr in sich birgt, die Phasen als zwingende, quasi vorgegebene Entwicklungsschritte zu interpretieren (vgl. Bremerich-Vos 1996). Dehn & Hüttis-Graf (2006) sprechen deshalb anstatt von Phasen von Strategien oder Zugriffsweisen. Ein weiteres Problem wird darin gesehen, dass es nur wenige Kinder gibt, welche sich die Schriftsprache ohne Einflussnahme Erwachsener aneignen. Im Vorschulalter kommt es zwar immer wieder vor, dass Kinder eigeninitiativ Schrifterfahrungen machen, meist sind Erwachsene hier jedoch als Partner verfügbar. Kinder lernen in der Schule Lesen und Schreiben und so gibt es kaum die Möglichkeit, den Schriftspracherwerb unbeeinflusst von gesteuerten (didaktischen) Prozessen zu erforschen. Nach Bredel, Fuhrhop & Noack (2011: 96) würden Stufenmodelle somit nur das erklären, was die Didaktik selbst verursacht habe. Forschungen, die sich mit dem Schriftspracherwerb im Vorschulalter befassen (Füssenich & Löffler 2006) bestätigen die Modelle jedoch zumindest bis zur alphabetischen Phase auch für weitgehend ungesteuerte vorschulische Prozesse. Das für das Englische entwickelte Modell von Frith (1986) wurde u.  a. von Valtin (1993), Günther (1995) und Thomé (2003) auf das Deutsche übertragen, weiterentwickelt und ausdifferenziert. Unter anderem wurde der Tatsache Rechnung getragen,

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dass bereits vor der logographemischen Phase vielfältige Auseinandersetzungen mit Schrift stattfinden (symbolische Phase). Einigkeit besteht derzeit, dass es sich bei allen Modellen nicht um zwingende Stufen handelt, sondern um systematische, einander ergänzende Strategien. Im Unterricht sollte die Lehrkraft erkennen, wo das Kind steht und ihm ein entsprechendes Angebot machen können. Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Frage, ob der Ausgangspunkt dieses Angebots die GPK oder die Silbe sein sollte (vgl. Röber 2012). Einigkeit besteht wiederum darin, dass „Fehler“ auf der orthographischen Oberfläche ein Bestandteil von Erwerbsprozessen sind. Dies ermöglicht, die kommunikative Funktion des Schreibens von Anfang an mitzubedenken: „Schulanfänger sollen das Schreiben von Anfang an als sprachlich-konzeptionellen, kommunikativen und kooperativen Prozess erlernen und als Ausdrucksmittel ihrer Gedanken in verschiedenen Funktionen nutzen“ (Weinhold 2014: 144).

4 Schriftspracherwerb in der Zweitsprache 4.1 Kontrastives Insbesondere für die Modellierung des Anfangsunterrichts und damit für die Ausgestaltung der Alphabetisierung mehrsprachiger Kinder ist es von hoher Bedeutung, inwieweit sich der Erwerb der grundlegenden Schreib- und Lesefertigkeiten bei mehrsprachigen Kindern, die Deutsch als Zweitsprache lernen, vom Schriftspracherwerb einsprachiger Kinder unterscheidet. Unter Bezugnahme auf den kontrastiv-phonologischen Ansatz von Trubetzkoy (1958/1938) nimmt Röber-Siekmeyer (2006) an, dass mehrsprachige Kinder zunächst nur diejenigen phonologischen Elemente in der Zweitsprache wahrnehmen können, die auch in ihrer Muttersprache vorhanden seien. Deshalb seien insbesondere in Lehrgängen, die auf dem Lernen der Phonem-GraphemBeziehungen beruhen, mehrsprachige Kinder benachteiligt. Auch Bredel, Fuhrhop & Noack (2011) gehen davon aus, dass ZweitsprachenlernerInnen dazu neigen, „Strukturen, die ihnen aus der Muttersprache (sic!) bekannt sind, auf die neue Sprache zu übertragen. Das Resultat sind häufig so genannte Interferenzfehler“ (Bredel, Fuhrhop & Noack 2011: 190; vgl. Bredel 2012). Das würde für den Unterricht bedeuten, dass die Lehrkraft bei der Vermittlung der deutschen Schrift bei mehrsprachigen Kindern insbesondere kontrastiv bedingte Unterschiede zwischen den Laut- und den Schriftsprachen in ihre didaktisch-methodischen Überlegungen einarbeiten müsste. Die Beobachtungen Trubetzkoys (1958/1938) beziehen sich auf den Fremdspracherwerb. Demgegenüber berichten Landua, Maier-Lohmann & Reich (2008), dass mehrsprachigere Kinder, wenn sie drei Jahre in eine Kindertageseinrichtung in Deutschland gegangen sind, die Artikulation der L2 bis zur Einschulung relativ problemlos erwerben (vgl. Landua, Maier-Lohmann & Reich 2008: 173). Trotz der akzent-

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freien Aussprache könnte es natürlich sein, dass die für den Schriftspracherwerb notwendige phonologische Wahrnehmungs- und Diskriminierungsfähigkeit in der L2 nicht vollständig ausgebildet ist. Um dies zu überprüfen, werden im Folgenden empirische Studien vorgestellt, die der Frage nach der Ursache von Normabweichungen im Bereich der Orthographie bei mehrsprachigen Lernern und den damit verbundenen Lernstrategien nachgehen. Grießhaber (2004) analysiert Schreibungen (freie Texte sowie Prüfwörter) von 189 Kindern der 1. Klasse, 75% der Kinder sind mehrsprachig. Insgesamt zeigen sich bei den mehrsprachigen Kindern etwas mehr Normabweichungen als bei den einsprachig deutschen Kindern, interferenzbedingte Abweichungen werden jedoch kaum beobachtet. Verfügen die Kinder über schriftsprachliche Fertigkeiten in ihrer Erstsprache, werden etwas mehr kontrastive Fehler beobachtet. Allerdings ist die Frage der Dauer und der Intensität der Schrifterfahrung in der L1 nur ein Faktor, den es zu berücksichtigen gilt. Art und Ausmaß der Fehler aller Kinder hängt stark vom jeweiligen Umfeld und vom Unterricht ab, es gibt signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Schulen. Grießhaber (2004) kommt zu dem Fazit: Erwartungsgemäß spielen direkte Einflüsse erstsprachiger Schriftsprachkonventionen eine im Einzelfall wahrnehmbare aber generell vernachlässigbare Größe. (Grießhaber 2004: 84)

Eine Reihe weiterer empirischer Untersuchungen kommt zu vergleichbaren Ergebnissen (vgl. Grießhaber & Kalkavan 2012): Becker (2012) stellt in einer Langzeituntersuchung (acht Kinder mit Türkisch als L1, neun Kinder mit Deutsch, Klasse 1 bis 4) fest, dass die mehrsprachigen Kinder etwas schlechtere Leistungen in der deutschen Rechtschreibung zeigen, die Zahl der Normabweichungen, die auf Interferenzen zurückgeführt werden können, ist jedoch marginal. Jeuk (2012) erfasst Schreibproben von zehn mehrsprachigen Kindern der 1. Klasse in der L2 Deutsch über ein Schuljahr, insgesamt werden acht Schreibanlässe von November bis Juni analysiert. Die Kinder bekommen keinen Herkunftssprachenunterricht und werden nicht in der L1 alphabetisiert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Normabweichungen, die als Interferenzfehler interpretiert werden können, mit 4,7% sehr gering ist. Deutlich wird auch, dass nur bei wenigen Normabweichungen (wie dem Einfügen des Sprossvokals oder bei der Ersetzung von Graphemen) eine Interpretation als Interferenz eindeutig ist. In anderen Fällen könnten auch Strategien wirksam werden, die nicht im Rückgriff auf die L1 bestehen. Auch bei der Auswertung von Daten derselben Kinder in der 2. Klasse kommt Jeuk (2009) zu vergleichbaren Ergebnissen. Er kommt zu dem Schluss, dass die Analyse von Normabweichungen vor dem Hintergrund vieler Faktoren erfolgen muss, dass aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine Normabweichung auf der Grundlage der Gesetzmäßigkeiten des deutschen orthographischen Systems erfolgt (und nicht auf der Grundlage des Kontrasts der Sprachen), sehr hoch ist. Die Schreibproben der mehrsprachigen Kinder, insbesondere wenn man echte Längsschnittdaten auswertet, lassen sich in ein Modell einordnen, in dem logographemische, alphabetische und orthographische Strategien zu beobachten sind (vgl. Kap. 3).

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Die oben genannten Befunde zeigen, dass die Annahme, dass Lernschwierigkeiten beim Schriftspracherwerb mehrsprachiger Kinder vor allem im Hinblick auf sprachliche Kontraste zu erwarten sind, nicht bestätigt werden kann. Bei Kindern, die nicht in der L1 alphabetisiert werden und die über ausreichende Erfahrung in der gesprochenen L2 verfügen, lassen sich Interferenzen so gut wie gar nicht beobachten. Zudem scheinen kontrastive Fehler eher ein Anfangsphänomen zu sein. Die vorliegenden Forschungsergebnisse legen nahe, dass mehrsprachige Kinder, die in der L2 alphabetisiert werden, sofern sie über ausgebaute mündliche Fähigkeiten in der L2 verfügen, im wesentlichen dieselben Strategien anwenden, wie dies bei einsprachigen Kindern der Fall ist. Über die Alphabetisierung von Kindern, die erst zu Beginn der Schulzeit einwandern und die bereits über Schrifterfahrung in der L1 verfügen oder Kindern, die zweisprachig alphabetisiert werden, liegen bisher kaum empirische Studien vor. Es spricht aber Vieles dafür, dass Kinder, die über Schrifterfahrung in der L1 verfügen, diese produktiv zum Erwerb der Schrift in der L2 nutzen können (vgl. Berkemeier in diesem Band). Entscheidend bleibt die Einsicht, dass beim Erwerb einer zweiten (Schrift-) Sprache neben der Artikulation in der L2 auch die phonologische Bewusstheit angeeignet werden muss, mit der das zu lernende Schriftsystem beurteilt wird. Um Schwierigkeiten bei der Artikulation, der phonematischen Differenzierung und den Schreibungen in der L2 analysieren zu können, müssen neben dem Sprachkontrast auf verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen eine Reihe weiterer Faktoren wie das Alter des Lerners, die Erfahrung in der L2, die Lern- und Lebenssituation sowie weitere individuelle Variablen berücksichtigt werden.

4.2 Sprachbewusstheit Bereits in den 70er-Jahren hatten Skutnabb-Kangas & Toukomaa (1976) beobachtet, dass Kinder mit Finnisch als Erstsprache, die im Alter von zehn Jahren nach Schweden eingewandert waren, nach einigen Jahren besser Schwedisch konnten, als die finnischen Kinder, die in Schweden geboren und aufgewachsen waren. Cummins (2000) greift in der Interdependenzhypothese diese Befunde auf. Sie besagt, dass sich Kompetenzen in der Zweitsprache auf der Grundlage der Erstsprache entwickeln. Darüber hinaus geht Cummins davon aus, dass die Kompetenz, die ein zweisprachiges Kind in der Zweitsprache erreicht, zum Teil vom Stand der Kompetenzentwicklung in der Erstsprache abhängt. Grundlage seiner Überlegungen sind auch die Ergebnisse von kanadischen Immersionsprogrammen, bei denen Kinder von der 1. Klasse an in einer Zweitsprache unterrichtet werden (z.  B. in Kanada mit den Landessprachen Englisch und Französisch). Die Interdependenzhypothese beruht zunächst auf der Interpretation von Untersuchungen zum Schulerfolg mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher. Auf der Grundlage der Überlegungen von Cummins (2000) entstanden einige Studien, in

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denen versucht wurde zu zeigen, auf welche sprachlichen Aspekte sich der positive Zusammenhang zwischen Kompetenzen in zwei Sprachen bei einem Lerner bezieht (Fthenakis et al. 1985; Jeuk 2007; Bialystok 2007). Im Zentrum steht die Annahme, dass bilinguale Kinder über bessere Fähigkeiten verfügen, metasprachliches Wissen gezielt einzusetzen. Dies solle sich positiv auf den Schriftspracherwerb auswirken, da mehrsprachige Kinder bereits vor der Einschulung mit mehreren Sprachsystemen konfrontiert werden (zusammenfassend Bialystok 2007). Nach Bialystok setzen sich metasprachliche Leistungen aus zwei Komponenten zusammen: zum einen die Analysefähigkeit linguistischer Repräsentationen (Wissen), zum anderen die Kontrolle der Aufmerksamkeit (Kontrolle). In der Wissenskomponente spiegelt sich die Fähigkeit, zunehmend explizite und abstrakte Strukturen zu analysieren. Dies ereignet sich zunächst auf der semantischen Ebene, später auch auf der strukturellen. Bei der Kontrollkomponente handelt es sich um die Fähigkeit, die selektive Aufmerksamkeit auf bestimmte Wissensaspekte zu richten. Die Sprecherin/der Sprecher muss entscheiden, welchen Aspekt des Wissens sie/er in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Erst das Zusammenspiel beider Prozesse ermöglicht es der Sprecherin/dem Sprecher, von einfacher Konversation auf bewussten Sprachgebrauch und metasprachliches Problemlösen zu fokussieren. Mit Hilfe verschiedener Experimente kann Bialystok (1999) zeigen, dass mehrsprachige Kinder nicht über ein größeres Wissen, sondern über bessere Fähigkeiten der Kontrolle verfügen. Spricht man Kindern eine Reihe von Sätzen vor, sind sie in der Lage zu beurteilen, ob diese Sätze richtig oder falsch sind. (Why is the dog barking so loudly? vs. Why the dog is barking so loudly?) Fügt man semantische Distraktoren ein (Why is the cat barking so loudly?), werden die Kinder von ihrer ursprünglichen Aufgabe abgelenkt und beurteilen semantisch falsche aber grammatikalisch richtige Sätze als falsch. Bilinguale Kinder verfügen über eine bessere Kontrolle, indem sie eher in der Lage sind, grammatikalische Korrektheit bei gleichzeitiger semantischer Inkorrektheit festzustellen. Diese Kontrollfähigkeit erstreckt sich auch auf nichtsprachliche Aufgaben (Zuordnung von Farben zu Bildkärtchen). Nach Bialystok (1999) zeigt sich hier, dass mehrsprachige Kinder auf Grund der Notwendigkeit, zwei Sprachen zu gebrauchen, metasprachliche Fähigkeiten im Hinblick auf den gezielten und kontrollierten Einsatz von (sprachlichem) Wissen erwerben, die sich von den Kompetenzen einsprachiger Kinder abheben. Eine Metaanalyse von Mand (2012) zeigt, dass sich diese in experimentellen Studien gewonnenen Ergebnisse nicht ohne Weiteres im Hinblick auf die Nutzung metasprachlicher Kompetenzen beim Schriftspracherwerb übertragen lassen, die Ergebnisse verschiedener Studien hierzu bleiben widersprüchlich. Ein Problem scheint zu sein, dass die meisten Kinder mit hohen Kompetenzen in beiden beteiligten Sprachen auch aus eher gebildeten sozialen Schichten kommen und somit der Grund für die besseren Schulleistungen unklar bleibt. Cummins (2000) selbst ging allerdings nie davon aus, dass bereits im Vorschulalter positive Zusammenhänge zwischen Kompetenzen in zwei Sprachen nachweisbar

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sind. Insbesondere gebe es keine Hinweise dafür, ob Lesen und Schreiben zuerst in der Erstsprache oder in der Zweitsprache gelernt werden sollten oder ob es ein Niveau gibt, das ein Kind in der Erstsprache beherrschen muss, bevor es in der Zweitsprache gefördert werden kann. Zentral ist für ihn die Annahme der beiden sprachlichen Dimensionen BICS und CALP. BICS (basic interpersonal communicative skills = grundlegende kommunikative Fähigkeiten) umfassen die grundlegenden Fähigkeiten der mündlichen Kommunikation. Sie spielen vorwiegend in Alltagssituationen eine Rolle, sind kontextgebunden und bestehen jenseits der schulischen Förderung. Mit CALP (cognitive academic language proficiency = kognitiv-akademische Sprachkompetenz) meint Cummins die Aspekte der sprachlichen Fähigkeiten, die sich als intellektuelle Aktivitäten in der Schule manifestieren. Sie sind durch Schriftlichkeit gekennzeichnet und bis zu einem gewissen Grad unabhängig von der jeweiligen Sprache. Sie befähigen das Individuum, Sprache als kognitives Werkzeug zu gebrauchen. Die Bestätigung des Zusammenhangs zwischen einer Förderung bildungssprachlicher Kompetenzen in der Erstsprache und entsprechenden Kompetenzen in der Zweitsprache ist für Cummins (2000) eindeutig. Er bezieht dies jedoch ausdrücklich auf den Schulerfolg in Bezug auf akademisch-sprachliche und somit konzeptionell schriftliche Sprachfähigkeiten und nicht auf den frühen Zweitspracherwerb. Die Aneignung sprachlicher Mittel in der Zweitsprache im Bereich der mündlichen Kommunikation kann zweifellos nur durch die kommunikative Auseinandersetzung mit der Zweitsprache erfolgen. Im bildungssprachlichen Kontext ist es jedoch offenbar so, dass Schülerinnen und Schüler, die in ihrer Erstsprache über ausgebaute Kompetenzen im Lesen und Schreiben verfügen, diese zum Erwerb der konzeptionellen Schriftlichkeit in der zweiten Sprache nutzen können. Auch Krafft (2014) untersucht metasprachliche Fähigkeiten bei Kindern im Grundschulalter mit ein- und mehrsprachigem Hintergrund. Je 20 ein- und mehrsprachige Kinder der 1. und der 4. Klasse werden Fragen zur Grammatikalität, zum Wortbegriff, zu lexikalischen Segmentierungen sowie zu formalen Definitionen gestellt. Es zeigt sich, dass die mehrsprachigen Lerner nicht pauschal über eine bessere Sprachaufmerksamkeit verfügen als die einsprachigen. Andererseits zeigt sich, dass bei den mehrsprachigen Lernern eine ausgeglichene zweisprachige Entwicklung, in der beide Sprachen gleichermaßen gefördert werden, z.  B. durch doppelten Schriftspracherwerb, optimale Bedingungen bietet. „Offenbar kann sich die Förderung in der Erstsprache, insbesondere im Fall der Alphabetisierung und Literalisierung, positiv auf die Fähigkeit zur Sprachbetrachtung in der Zweitsprache auswirken“ (Krafft 2014: 133). Konnte bei den Erstklässlern noch kein Zusammenhang zwischen metasprachlichen Fähigkeiten und einer Förderung in der L1 festgestellt werden, so zeigten sich bei den Viertklässlern bei den mehrsprachigen Kindern, die auch in der L1 gefördert wurden, teils geringfügige, teils signifikant bessere Leistungen. Krafft (2014: 156) stellt fest, dass mehrsprachige Kinder ihre besonderen Kompetenzen dann entfalten können, wenn diese im Unterricht, z.  B. im Arbeitsbereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen, berücksichtigt und aufgegriffen werden.

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4.3 Schwierigkeiten beim Erwerb der Grammatik Arbeiten zum Erwerb der Zweitsprache Deutsch im Vor- und Grundschulalter vermitteln ein recht eindeutiges Bild: Morphosyntaktische Eigenschaften deutscher Sätze, wie Formen und Stellung des Verbs, werden von den meisten zweisprachigen Kindern im Laufe des Vor- und Grundschulalters ohne größere Probleme erworben. Thoma & Tracy (2006) zeigen, dass drei- bis vierjährige Kinder mit Türkisch und Russisch als Erstsprache bereits nach einem halben Jahr, in dem sie einen deutschen Kindergarten besucht haben, die Subjekt-Verb-Kongruenz beherrschen. Merkmale wie die linke Satzklammer und damit verbundene Finitheitsmerkmale des Verbs und die Asymmetrie der Verbstellung im Haupt- und Nebensatz werden in zeitlichen Abfolgen erworben, die mit dem Erstspracherwerb des Deutschen durchaus vergleichbar sind. Große Schwierigkeiten haben die zweisprachigen Kinder demgegenüber mit den Genus- und Kasusparadigmen, mit den Gebrauchsbedingungen von Pronomen und Präpositionen, sowie den Besonderheiten unregelmäßiger Verben. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen Kaltenbacher & Klages (2006): Bei einer Untersuchung von 200 mehrsprachigen Kindern im letzten Kindergartenjahr wird gezeigt, dass die meisten Kinder die Grundmuster des deutschen Satzes weitgehend erworben haben. Artikel werden jedoch häufig ausgelassen oder in fehlerhafter Form gebraucht. Auch bei Kindern, die mehrere Jahre einen Kindergarten besuchten, werden im Bereich des Genus noch viele Fehler gemacht. Fasst man diese und andere Publikationen zusammen (vgl. Jeuk 2015: 68), entsteht der folgende Eindruck: Die Bereiche des Sprachsystems, die über kategoriale Repräsentationen anzueignen sind, wie z.  B. die Subjekt-Verb-Inversion, scheinen den Kindern weniger Schwierigkeiten zu bereiten. Modelle des Spracherwerbs, bei denen davon ausgegangen wird, dass Kinder sich die Grammatik in der Regel in einer bestimmten Reihenfolge aneignen, können demnach Gültigkeit sowohl für den Erstspracherwerb als auch den sukzessiven Zweitspracherwerb im Vor- und Grundschulalter beanspruchen (vgl. Grießhaber 2005; Tracy 2007). Der Erwerb der Formen und Stellungen des Verbs stellt zwar eine anspruchsvolle Lernaufgabe dar, diese wird jedoch von den meisten Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache im Laufe der Vor- oder Grundschulzeit gelöst. Offenbar verfügen Kinder an deutschen Kindergärten und Schulen über einen ausreichenden Input, um sich die Bereiche der Sprache, bei denen hochfrequent immer wieder dieselben regelhaften Beziehungen gebraucht werden, zu erschließen. Gelernt werden also jene Bereiche, für die Kinder in der alltäglichen Kommunikation laufend Evidenzen bekommen (Thoma & Tracy 2006: 74). Die Frage, wie lange die Kinder dafür brauchen, scheint unter anderem eine Frage der Intensität, der Dauer und der Qualität des Sprachkontakts zu sein. Als schwieriger stellen sich Bereiche dar, die eher episodischem bzw. exemplarischem Lernen unterliegen. Dazu gehören: Genus in Verbindung mit dem Kasus, Formen und Funktionen der Präpositionen, ebenfalls in Verbindung mit Genus und

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Kasus sowie unregelmäßige Verbformen und die Übergeneralisierung von haben als Auxiliar (vgl. Jeuk 2015: 68  ff.). Der Bereich der Genera stellt insofern eine Besonderheit dar, als jedes Genus mit einem neu zu lernenden Nomen erworben werden muss. Insofern stellt die Kenntnis des korrekten grammatischen Geschlechts eines Nomens einen Aspekt semantisch-lexikalischen Lernens dar. Unklar ist bisher, ob und inwieweit die vorhandenen Regelungen der Genuszuweisung für Lerner nutzbar sind (vgl. Jeuk 2010). Durch die Verbindung mit dem Kasus, dem die Kinder in der Alltagskommunikation ebenfalls ausgesetzt sind, wird die Lernaufgabe zum einen komplexer, zum anderen mit morphosyntaktischen Elementen verknüpft. Diese Lernaufgabe stellt sich beim Erwerb konzeptioneller Schriftlichkeit in verschärftem Maße, denn es handelt sich zum Teil um Formen, die erst in der Schriftlichkeit ihre volle Bedeutung erlangen. Mit der Schriftlichkeit werden bestimmte grammatische Formen erst erworben (vgl. Feilke, Kappest & Knobloch 2001), dies muss auch bei der Vermittlung der Schriftsprache berücksichtigt werden (vgl. Jeuk 2008).

5 Didaktische Folgerungen Mehrsprachige Kinder kommen mit besonderen Bedürfnissen und mit besonderen Fähigkeiten in die Grundschule. Diese unterscheiden sich unter anderem im Hinblick auf Kompetenzen in der L2 Deutsch und auf literale Kompetenzen in der L1, je nachdem wie lange die Kinder in Deutschland sind und ob und in welcher Schrift sie in ihrer L1 alphabetisiert wurden. In der vorangegangenen Darstellung wurden drei Aspekte herausgegriffen, die in Bezug auf den Schriftspracherwerb mehrsprachiger Kinder in der Grundschule besonders relevant sind: Erstens: In Bezug auf kontrastive Einflüsse kann festgehalten werden, dass, in Abhängigkeit von der Sprachlernzeit, der Einfluss der Erstsprache auf den Schriftspracherwerb in der Zweitsprache eher gering ist. Können Kinder in ihrer L1 bereits Lesen und Schreiben, ist der Einfluss als größer einzustufen, er nimmt jedoch mit der Lernzeit ab. Daraus folgt, dass mehrsprachige Kinder beim Erwerb der deutschen Schrift im Wesentlichen vor denselben Schwierigkeiten stehen wie einsprachig deutsche Kinder und deshalb auch im Wesentlichen mit denselben didaktisch-methodischen Verfahren Lesen und Schreiben lernen können wie einsprachige Kinder. Ob für einsprachige wie für mehrsprachige Kinder analytisch-synthetische, silbenanalytische oder von der Spracherfahrung ausgehende Ansätze zu bevorzugen sind, sei an dieser Stelle dahingestellt. Kinder, die auch in ihrer L1 alphabetisiert werden, können in Bezug auf schriftstrukturelle Aspekte aus zwei Sprachen schöpfen. Damit stehen ihnen mehr Möglichkeiten zur Verfügung als einsprachigen Lernern. Es gilt, diese Interferenzen unter dem Aspekt der Lernervarietät als sinnvolle Strategien anzusehen und im Kontext eines Unterrichts, der den bewussten Umgang mit Sprache fördert, didaktisch zu nutzen (vgl. Bredel 2012; vgl. Berkemeier in diesem Band).

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Zweitens: Einiges deutet darauf hin, dass mehrsprachige Kinder über besondere metasprachliche Kompetenzen verfügen. Diese können sie jedoch nur dann nutzen, wenn der Unterricht diese Kompetenzen einbezieht und aufgreift. Ein Beispiel hierfür sind z.  B. Sprach- und Schriftvergleiche. Gleichzeitig muss im Arbeitsbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ die Erstsprache aufgegriffen werden und z.  B. für den Grammatikunterricht nutzbar gemacht werden (vgl. Jeuk 2014). Drittens: Bei der Aneignung der Schrift in der Zweitsprache muss eine Reihe weiterer Faktoren, wie der Stand der Aneignung der Zweitsprache, die Kontaktzeit, die familiäre Schrifterfahrung usw. berücksichtigt werden. Mit der Schriftaneignung werden bestimmte grammatische Formen der Sprache erst erworben bzw. neu konstituiert. Nach Feilke, Kappest & Knobloch (2001) ist Schriftaneignung in literalen Gesellschaften genuiner Bestandteil des Spracherwerbs. Die Aneignung der Schrift ist die Erweiterung sprachlicher Kompetenzen um spezifische Strukturen, sprachliches Können, das schon gesichert schien, muss neu konstituiert werden. Feilke, Kappest & Knobloch (2001) wählen für diesen Vorgang den Begriff „Grammatisierung“. Mehrsprachige Kinder haben da Schwierigkeiten in der Zweitsprache, wo es sich um grammatisierte lexikalisch bestimmte Einheiten handelt. Wenn es z.  B. zutrifft, dass eher die kaum regelhaft erschließbare Genuszuweisung das Problem ist, als das kategoriell erschließbare Kasussystem, muss semantisch-lexikalisches Lernen ins Zentrum der Betrachtung rücken. Damit ein Kind ein Wort, seine Bedeutungen, seine Lexik und somit gegebenenfalls sein Genus auch in schriftlichen Texten sicher gebrauchen kann, bedarf es eines intensiven Sprachkontakts und vieler Gelegenheiten, die Wörter wahrzunehmen, zu verarbeiten und zu erproben also auch zu lesen und zu schreiben. Somit muss Sprachförderung ein genuiner Bestandteil des Deutschunterrichts und damit des Schriftspracherwerbs in heterogenen Lerngruppen sein, auch dann, wenn die Kinder schon länger im deutschen Sprachraum leben und in der konzeptionellen Mündlichkeit in der L2 Deutsch über gut ausgebaute Kompetenzen verfügen.

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Yazgül Şimşek

5 Mehrsprachige Alphabetisierung 1 Einleitung 2 Die Schrift als Repräsentationsform von Sprache 3 Mono- vs. bilingualer Erwerb 4 Ein empirischer Einblick 5 Überlegungen zur ein- vs. mehrsprachigen Vermittlung 6 Fazit

1 Einleitung Den Fall der mehrsprachigen Alphabetisierung von Kindern gesondert zu betrachten, resultiert aus der in der linguistischen wie didaktischen Forschung weiterhin bestehenden Frage, ob und welche spezifischen Wege des Erwerbsprozesses beim mehrsprachigen Kind vorhanden und bei der Vermittlung von Lese- und Schreibfertigkeiten zu berücksichtigen sind. Zunächst ist grundsätzlich festzuhalten, dass der Prozess des Schriftsprach­ erwerbs nicht erst mit dem Schuleintritt beginnt und auch nicht mit dem Erwerb der Orthographie abgeschlossen ist. Sowohl für einsprachige als auch für mehrsprachige kindliche Lerner gilt, dass für die vollständige Erschließung komplexer Konzepte wie Buchstabe, Laut, Wort, Satz und phonologisches, morphologisches, syntaktisches und textuelles Wissen erforderlich ist (vgl. z.  B. Klann-Delius 1999: 36, 40), dessen Aufbau bis weit über die Grundschulzeit hinausgeht. Das orthographische System des Deutschen setzt dieses Wissen ebenfalls voraus und ist auch für muttersprachliche Schreiber in seinen Regeln nicht einfach zu erschließen. Alphabetisierung kann somit als ein Prozess definiert werden, der sowohl eine allmählich wachsende Erkenntnis über die Repräsentation von Sprache im schrift­ lichen Medium (Orthographie) als auch den Aufbau der Regeln des Systems (Gramma­ tik) beinhaltet. Wenn es in diesem Entwicklungsprozess einen grundlegenden Unterschied zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern gibt, dann wäre dies auf einen abweichenden Aufbau des Wissens in der Zweitsprache Deutsch zurückzuführen, also auf mögliche Einflüsse der Erstsprache des Kindes. Nur selten wird die Erstsprache im Lernprozess als ein positiver Faktor gesehen – in dem Sinne, dass das Wissen über unterschiedliche sprachliche Strukturen auch mit einer höheren Analysekapazität und einer größeren Bewusstheit über die Strukturen des Deutschen einhergeht. Dort, wo Verzögerungen im Erwerb festzustellen sind, werden sie nicht selten auf Mehrsprachigkeit und unzureichende Kompetenzen im Deutschen zurückgeführt und abweichende Schreibungen von Kindern mit den Strukturen der Erstsprache/den Erstsprachen erklärt (Belke 2007: 29; Bredel, Fuhrhop & Noack 2011: 192). Die Frage nach Strategien beim Schrifterwerb, die als genuin für DOI 10.1515/9783110354577-005

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den Zweitspracherwerbsprozess bezeichnet werden können, also tatsächlich nur aufgrund des Wissens aus der L1 von dem Lernprozess einsprachig deutscher Kinder abweichen, die Jeuk (2012) aufwirft, bleibt bisher weitgehend unbeantwortet. Dieser Beitrag wird skizzieren, unter welchen Annahmen und mit welchen Ergebnissen der Lernprozess bei mehrsprachigen Kindern in der bisherigen empirischen Forschung zum mehrsprachigen Schrifterwerb diskutiert wird. Vor allem werden mögliche Unterschiede bei der Analyse- und Synthetisierfähigkeit und dem Wissensaufbau bei ein- und mehrsprachigen kindlichen Lernern mit Blick auf die strukturelle Nähe und Distanz der beteiligten Sprachen und der Möglichkeiten für Interferenzen und Transferprozesse zu besprechen sein.1 Die Schrift als Repräsentationsform von Sprache als grundlegende Erkenntnis, auf welche dann weiteres Wissen systematisch aufgebaut werden kann, wird in Abschnitt (2) thematisiert. In Abschnitt (3) wird der Erwerbsprozess und der Wissensaufbau bei ein- und zweisprachigen Kindern vergleichend betrachtet. Zur Veranschaulichung des Problems, das sich der linguistischen Forschung stellt (Frage nach dem Grad des Einflusses der Erstsprache), werden in Abschnitt (4) einige Beispiele herangezogen. Einige Überlegungen zur Rolle der Vermittlung werden (in Abschnitt  5) zusammengefasst und in einem abschlie­ ßenden Fazit dargelegt.

2 Die Schrift als Repräsentationsform von Sprache Der Erwerbsprozess der Lese- und Schreibfertigkeiten beinhaltet den Aufbau von Wissen über das gesamte strukturelle Formeninventar einer Sprache, hier des Deutschen, und seiner schriftlich festgehaltenen Form, der elaborierten Schriftsprache. Im Vergleich zum Umgang mit konkreten Objekten in alltäglichen Kommunika­ tionssituationen, also in den bis zum Schuleintritt dominierenden mündlichen Interaktionen des Kindes, ist die Schrift eine abstraktere Form von Sprache. Dass die Schrift als Medium der Kommunikation unter Abwesenden dient (vgl. Ehlich 1994: zerdehnte Sprechsituation), erschließt sich dem Kind erst allmählich mit zunehmendem Kontakt zur Schrift und der Schreibpraxis in der Schule. Dies bedeutet, dass kindliche Lerner des Deutschen mit dem Schuleintritt gleichzeitig auch mit neuen Formen, einem neuen sprachlichen Register, konfrontiert sind, das ihnen Wissen auf allen sprachlichen Ebenen abverlangt (vgl. Maas 2015 und Röber 2015). Insbesondere bei Kindern, 1 Sprachliche Ressourcen aus zwei unterschiedlichen sprachlichen Systemen – hier sind auch Varietäten einzubeziehen – können im Erwerbsprozess den Mehrsprachigen gleichermaßen zur Regelbildung dienen. Dabei ist unter Transfer auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen eine mögliche Übertragung der Regeln und Merkmale der einen Sprache in die andere zu verstehen. Dies geschieht, im Unterschied zu Phänomenen wie Code-Switching, unter Einsatz sprachlichen Wissens aus zwei Sprachen und unter Verwendung sprachlichen Materials aus nur einer der beiden beteiligten Sprachen (vgl. Verhoeven 1994).

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die im familiären Umfeld keinen oder wenig Kontakt zur Schrift und Schriftsprache haben, muss das nötige Wissen, das zu der Erkenntnis von Schriftsprache als besondere Form führt, im schulischen Kontext erst aufgebaut werden. Die Vorschulphase ist dabei deshalb entscheidend, weil das Kind in dieser Phase lernt, zwischen dem Schreiben und ähnlichen Handlungen wie dem Malen als „schriftliche“ Tätigkeiten unterschiedlicher Art zu differenzieren. Die eher grobmotorischen Bewegungen beim Malen und Zeichnen werden ausgebaut zu kleinräumigen und stärker spiralförmigen oder feineren Auf- und Abwärtsbewegungen. Das Kind beginnt das Schreiben zu imitieren und so die entsprechende Feinmotorik zu trainieren.2 Darauf folgend verstärkt sich beim Kind auch allmählich der Eindruck, dass die Schrift eine bestimmte Reihenfolge an visuell wahrnehmbaren Zeichen darstellt. Dass die graphische Darstellung von Sprache eine endliche Menge an Zeichen einsetzt und dass die Abfolge dieser Zeichen bestimmten Einheiten von Sprache entspricht, erprobt das Kind in Form spontaner Schreibungen (vgl. Tolchinsky 1998). Der nächste große Schritt in der Entwicklung, dass nämlich auch das Lesen von graphischen Zeichen immer die Produktion derselben Wortlaute ist (Invarianz von Schrift), bildet dann den Übergang zu eigenen Lese- und Schreibprozessen. Im Falle der mehrsprachigen Kinder ist anzunehmen, dass der skizzierte Erkenntnisprozess und die entsprechenden kognitiven Fortschritte nicht anders ablaufen. Weiterhin sind bei Ein- und Mehrsprachigen die Intensität des Kontakts zur schriftlichen Darstellungsform von Sprache entscheidend; ein außersprachlicher und sozialer Faktor, dessen hohe Relevanz folglich für beide Gruppen von kindlichen Lernern gilt.

3 Mono- vs. bilingualer Erwerb Im Erwerb der Fähigkeiten zur Segmentierung der gesprochenen Sprache in einzelne grammatische Einheiten (Wörter) und deren Übertragung in die Schrift ist der mehrsprachige kindliche Lerner mit Regeln verschiedener Sprachen konfrontiert bzw. bringt mehr oder weniger ausgewogenes Wissen aus beiden Sprachen mit, das im weiteren Erwerbsverlauf unterschiedlich stark genutzt werden kann. Im Vergleich zu Kindern, die nur über das Wissen aus einem sprachlichen System verfügen, ergeben sich folgende mögliche Schlussfolgerungen für mehrsprachige Kinder: Es ist möglich, dass diese bei der Identifizierung phonologischer Einheiten (Phonem, Silbe, Wort) und der jeweiligen Form der graphischen Wiedergabe in ihrer

2 Vgl. hierzu Stufenmodelle des Schrifterwerbs bei Scheerer-Neumann (1998) und Valtin (1997). Die Kritik an solchen Modellen betont, dass die bei Kindern beobachtbaren vorschulischen „Spontanschreibungen“ nicht einen quasi autonomen Erwerb der Schrift bedeuten und dass diese Modelle fälschlicherweise auf der Annahme basieren, Laute könnten als rein auditive Einheiten aus dem Rede­ strom „herausgehört“ werden (vgl. Röber-Siekmeyer & Spiekermann 2000).

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zweiten Sprache Deutsch verstärkt gefordert sind. Sie sollen nicht nur Phonem-Graphem-Beziehungen erkennen, sondern auch die Struktur von Wörtern analysieren, was phonologisches und morphologisches Wissen erfordert. Es bedeutet zugleich, dass mehrsprachige Kinder damit auch einen höheren kognitiven Aufwand leisten müssen, weil die mitgebrachten sprachlichen Ressourcen im Vergleich zum Deutschen erheblich divergieren können. Ein Mehr an Analyse ist auch schon deshalb erforderlich, da das Wissen über die Zweitsprache noch im Aufbau ist und deshalb auch die Regeln des orthographischen Systems des Deutschen nicht ohne eine Analyse zu den entsprechenden Strukturen aus der gesprochenen Sprache in Beziehung gesetzt werden können. Die größere Anforderung mag gleichzeitig auch dafür sorgen, dass mehrsprachige Kinder durch ihre Erfahrung mit zwei oder mehr Sprachen über eine größere sprachanalytische Fähigkeit verfügen, die sie im Erwerbsprozess unterstützt und ihnen möglicherweise sogar einen Vorteil gegenüber den einsprachig Gleichaltrigen verschafft. Folglich ist das, was den Schrifterwerb zu einer besonderen kognitiven Leistung bei Mehrsprachigen macht (verglichen mit Kindern, die in ihrer Erstsprache alphabetisiert werden) die kontrastierende Erfahrung, insbesondere in Bezug auf phonologische Merkmale.

3.1 Phonem-Graphem-Korrespondenzen Wie in den vorhergehenden Abschnitten bereits angemerkt, befindet sich das Wissen, das bei der Zuordnung von Phonemen zu Graphemen relevant wird, meist ‘phonologische Bewusstheit’ genannt, bei Ein- und Mehrsprachigen zu Beginn der Alphabetisierung ähnlich im Aufbau (vgl. Gombert & Fayol 1992). Unabhängig davon, welche sprachlichen Ressourcen das mehrsprachige Kind aus allen seinen Sprachen mitbringt, erwirbt es das geschriebene Wort, indem es sich das entsprechende Wissen über das phonologische, morphologische und syntaktische Wort des Deutschen aneignet. Bei der Übertragung von Sprache in die Schrift wird das lautliche Signal segmentiert, indem vor allem Silben und der Rhythmus von gesprochenen sprachlichen Einheiten als prägnanter wahrgenommene betonte Silben zur Orientierung dienen (vgl. Röber 2009). Nach bekannten kognitiven Modellen, wie das lexical-restructuring-Modell von Metsala & Walley (1998), kennen alle Kinder zu Beginn des Schriftspracherwerbs nur die Silbe als Segmentierungsgröße, die kleinste sprachliche Einheit, die ihnen aus dem mündlichen Sprachgebrauch vertraut ist. In diesem Zusammenhang besagt auch die grain-size theory (vgl. Goswami 2006), dass Kinder mit fünf Jahren, unabhängig von der jeweiligen Erstsprache, die Anfangsränder und Reime von Silben getrennt wahrnehmen. Die getrennte Wahrnehmung einzelner Segmente von Wörtern, die in der empirischen Forschung durch Aufgaben der lautlichen Manipulation, z.  B. durch das Ersetzen von Vokalen, untersucht wird, ist bei allen Schulanfängern nicht ausgeprägt (vgl. Schnitzler 2008: 41). Eine ausgeprägte explizite Bewusstheit für Phoneme, die Erkenntnis, dass Sprache für den Erwerb einer Alphabetschrift feiner segmentiert

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werden muss und dass Wortgebilde in einzelne Laute zerlegt in der Schrift repräsentiert werden – Phonem-Graphem-Korrespondenzen – entwickelt sich mit dem Beginn des Orthographieerwerbs. Daher sind in der Forschung auch die einzelnen orthographischen Systeme, in denen alphabetisiert wird, im Hinblick darauf betrachtet worden, inwieweit sie Kindern den Einstieg in die Analyse der Schrift als Repräsentationsform gesprochener Laute erleichtern oder erschweren (für einen Überblick über verschiedene Sprachen, ihrer orthographischen Systeme und möglicher Folgen für den Erwerbsprozess vgl. Goswami & Bryant 1990).

3.2 Phonologische Bewusstheit Wie zuvor betont, ist das sprachliche Wissen, was unter phonologischer Bewusstheit zu fassen ist, im Aufbau befindlich und wird erst in der Schule mit dem Beginn der Instruktion zum Lesen- und Schreiben und durch die Vermittlung von Orthographie aufgebaut. Im Falle mehrsprachiger Kinder bedeutet dies, dass sie zwar phonologisches Wissen aus der gesprochenen Form von zwei Sprachen mitbringen, diese aber zu einem schriftlichen Repräsentationssystem in Beziehung setzen müssen. Untersuchungen, die sich auf das Testen des phonologischen Wissens zum Schulbeginn konzentrieren, stellen fest, dass mehrsprachige Kinder dabei besser abschneiden (vgl. z.  B. Bruck & Genesee 1995). In einer longitudinal angelegten Studie testen Bruck und Genesee ein- und zweisprachige Kinder vom Kindergarten bis zum ersten Schuljahr und kommen zu dem Ergebnis, dass Mehrsprachige im Kindergartenalter bei der Segmentierung von Silben in Onsets und Reime gegenüber einsprachigen Kindern im Vorteil sind. In der ersten Klasse aber kann die Untersuchung diesen Vorteil nicht mehr nachweisen; einsprachige Erstklässler erzielten bei der Zuordnung einzelner Phoneme in Wörtern bessere Ergebnisse. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Schlussfolgerung von Bialystok aus ihren Untersuchungen zur phonologischen Bewusstheit bei ein- und zweisprachigen Anglo- und Frankophonen in Kanada (s. dazu Bialystok, Majumder & Martin 2003). Bei einer weiteren Untersuchung von Bialystok zum Zusammenhang von Analysefähigkeit und Mehrsprachigkeit bei Erst- und Zweitklässlern (im Alter von 6;7 bzw. 7;4 Jahren), zeigte sich die Gruppe der Englisch-Spanisch-Bilingualen bei einer Segmentierungsaufgabe von Phonemen kompetenter als die monolinguale englische und auch als die chinesisch-englische Vergleichsgruppe. In der gleichen Untersuchung war bei einer komplexeren Phonem-Substitutionsaufgabe kein Vorsprung der englisch-spanisch Zweisprachigen mehr vorhanden. Die Ergebnisse werden daher so gedeutet, dass Zwei- oder Mehrsprachigkeit nicht als solche für einen Vorsprung im Erwerbsprozess sorgen. Vielmehr scheint die besondere phonologische Struktur des Spanischen in Kontrast zum Englischen, durch die einfachere Silbenstruktur des Spanischen, den Kindern die Segmentierung gesprochener Einheiten zu erleichtern. Diese Bewusstheit für den Kontrast kann dann bei der Analyse der komplexeren L2-Wörter

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und deren orthographischer Repräsentation genutzt werden (Bialystok, Majumder & Martin 2003: 40–42).

3.3 Wortkonzept Die Entwicklung des Lese- und Schreibprozesses vor und zu Beginn der Schule befindet sich in einem Stadium, in der das Schreiben erster Buchstaben und die Erfahrung des Vorlesens durch Betreuungspersonen zu der Erkenntnis führen, dass ein längerer gesprochener Text eine Art äquivalente Struktur in einer bestimmten Folge von geschriebenen Zeichen hat. Damit kann noch keine Korrespondenz zwischen Phonemen und Graphemen hergestellt und keine Wortgrenzen in der Schrift erkannt werden, denn das Erkennen schriftlich dargestellter sprachlicher Formen (Wortstrukturen) besteht nicht nur darin, die Grenzen von Einheiten durch Spatien zu kennzeichnen. Obwohl es im Falle der Kinder mit anderen Erstsprachen noch keine fundierten empirischen Belege dafür gibt, ist davon auszugehen, dass bei ihnen, wie bei monolingualen Kindern, die Bewusstheit für morphologische Strukturen des Deutschen und die Abgrenzung morphologischer Einheiten, mit dem Schulbeginn einsetzt. Durch erste Erfahrungen im Lesen- und Schreiben werden dem Kind morphologische Prinzipien der zweiten Sprache ersichtlich, d.  h. die Fähigkeit der Kinder sowohl zur Segmentierung als auch zur Synthese sprachlicher Einheiten wie Wort und Phrase werden ausgebaut. Die tatsächlich erreichte Bewusstheit für Wörter – Wörter als spezifische durch Spatien getrennte Buchstabenfolgen mit referentieller oder grammatischer Funktion – wird in der Forschung mit Experimenten getestet, die die Wortlänge im Gesprochenen zu den geschriebenen Wörtern in Beziehung setzten. So stellt Bialystok (2007: 62) bei hebräisch-englisch und chinesisch-englisch zweisprachigen Kindern im Alter von fünf Jahren fest, dass ein deutlicher Erwerbsvorsprung im Vergleich mit der englisch einsprachigen Gruppe und einer französisch-englisch zweisprachigen Gruppe besteht. Das Ergebnis wird von Bialystok als Resultat unterschiedlicher Schriftsysteme gedeutet, die bei den entsprechenden Gruppen von Zweisprachigen eine größere Aufmerksamkeit für die graphischen Formen von Wörtern bewirken. Obwohl ähnliche Untersuchungen zu analytischen Leistungen mehrsprachiger Kinder im deutschen Sprachraum noch nicht im ausreichenden Maße durchgeführt worden sind, bestätigen bisherige Arbeiten, dass die Analyse- und Synthetisierfähigkeiten mehrsprachiger Kinder differenzierter zu betrachten sind (vgl. Şahiner 2012).3

3 Eine größere Synthetisier- und Segmentierleistung attestiert die Autorin den bilingualen Kindern nur mit der Einschränkung, dass ein bestimmtes Niveau in der L1 und L2 beim Beginn des Orthographieerwerbs bestehen muss (vgl. Şahiner 2012: 249).

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Studien aus den Niederlanden (vgl. Kurvers 2002) liefern diesbezüglich einige interessante Ergebnisse. Bei der Untersuchung der analytischen Fähigkeiten von 24 Vorschulkindern mit türkischer, marokkanischer und somalischer L1 – im Vergleich zu Kontrollgruppen, die aus erwachsenen Analphabeten mit derselben L1 bestehen  – stellt Kurvers fest, dass die Leistungen der Vorschulkinder über denen schriftunkundiger Erwachsener liegen. Besonders bei der Wortsegmentierung (in Silben, Onsets und Reime) haben die Kinder weitaus weniger Schwierigkeiten als die Analphabeten (Kurvers 2002: 167). Verhoeven (2007) untersucht eine Gruppe von 75 Kindern mit türkischer L1 im Alter von 5;5 Jahren nach ihren sprachanalytischen Fähigkeiten. Analysiert wurden die Sprachkompetenzen der Kinder in beiden Sprachen am Anfang und am Ende des Vorschuljahres in den Bereichen der Perzeption von lautlichen Einheiten, des rezeptiven und produktiven Wortschatzes, im Verständnis von Funktionswörtern und im Verstehen einer Erzählung. Die Ergebnisse werden differenziert erfasst, indem vier Untergruppen je nach L1- und L2-Kenntnissen unterschieden sind. Für alle Gruppen, unabhängig wie hoch die Kenntnisse in der L1 und L2 sind, zeigt sich die Segmentierung zu einzelnen Phonemen als die schwierigste Aufgabe für die Kinder. Insgesamt erreicht die Gruppe mit gleichermaßen hoher L1- und L2-Kompetenz in allen Teiltests bessere Werte als die anderen drei Gruppen mit unausgewogenem Wissen in der L1 und L2. Diese Untersuchung bestätigt wiederum die These, wie bereits bei Bialystok und für den deutschen Sprachraum bei Şahiner vertreten, dass der Ausbau der Lese- und Schreibkompetenzen und die Analysefähigkeit von Mehrsprachigen in einem hohen Maße mit den Gesamtressourcen und Level an Wissen in beiden Sprachen korreliert.

4 Ein empirischer Einblick Demnach, wenn also nach Bialystok Mehrsprachigkeit per se kein Faktor ist, der für einen von monolingualem Erwerb abweichenden Verlauf sorgt, sondern es vielmehr auf die Eigenschaften der beteiligten Sprachen ankommt, lassen bei mehrsprachigen Kindern vorhandene Wissensbestände über die Erstsprache und deren Charakteristika bei der Segmentierung der Schriftsprache im Deutschen Interferenzen in bestimmten Bereichen erwarten; Interferenzen und Transferprozesse, die auf sprachtypologisch gegebene strukturelle Unterschiede zum Deutschen und auf die in den jeweiligen orthographischen Systemen gegebenen Abweichungen zum Deutschen zurückführbar wären. Bei der Sprachpaarung Türkisch und Deutsch beispielsweise lassen sich einige solcher Unterschiede finden: Während das Deutsche einen akzentzählenden Rhythmus aufweist und daher auch in der gesprochenen Sprache zu Reduktionen von Phonemen und Silben neigt, bestimmt im Türkischen die Vokalharmonie und z.  T. auch die Platzierung des Wortakzents auf der letzten Silbe die Wahrnehmung von

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Wortgrenzen. Im Gegensatz zum Deutschen orientiert sich auch das graphematische Wort primär an phonologischen Kriterien. Im Deutschen hingegen kann bei der Kategorie Wort von einer „grammatischen Größe Wort“ (vgl. Röber 2009: 73) gesprochen werden, zu dessen Verschriftung die Orthographie phonologische, morphologische und syntaktische Kriterien einsetzt (vgl. Fuhrhop 2008). Als Folge der differierenden phonologischen Eigenschaften beider Sprachen werden z.  B. die Repräsentation von Reduktionssilben, die Repräsentation komplexer Silbenanfangsränder und Reimen mit Konsonantenclustern für türkischsprachige Lerner der deutschen Orthographie als mögliche Probleme bei der Verschriftung des Deutschen erkennbar. Untersuchungen zum Schriftspracherwerb der Gruppe von türkisch-deutsch zweisprachigen Kindern wie die LAS-Studie, aus deren Datenmaterial im Folgenden zwei Textbeispiele vorgestellt werden, fokussieren aufgrund dieser typologisch gegebenen Unterschiede zwischen beiden Sprachen nicht nur die Schreibfertigkeiten der Kinder in der Zweitsprache Deutsch, sondern ebenso Sprachprodukte in der Erstsprache, in der die Kinder nicht alphabetisiert werden. Wenn mehrsprachige Schüler gebeten werden, schriftliche Texte in ihrer Familiensprache zu verfassen, so nutzen sie dazu das Wissen, das sie (implizit) über orthographische Regeln im Deutschunterricht gelernt haben. Die auf ihre gesamten Ressourcen aus beiden Sprachsystemen basierende Sprachanalyse, die bei der Zuordnung von Phonemen zu Graphemen und bei der Ausgrenzung von Wörtern zu leisten ist, wird auf diese Weise sichtbar und lässt Schlüsse auf das Zusammenspiel der Sprachsysteme zu (vgl. Schroeder & Şimşek 2010).

4.1 Beispiel Türkisch-Deutsch Bilinguale Um die im vorhergehenden Abschnitt genannten Transfermöglichkeiten an einem Beispiel zu veranschaulichen, wird hier auf das Datenmaterial der bereits erwähnten LAS-Studie zurückgegriffen, die den Schriftspracherwerbsprozess mono- und bilingualer Erstklässler unter den in den beiden Ländern Deutschland und Türkei gegebenen Bedingungen in der Schule untersucht (zur LAS4-Studie vgl. Sürig et al. 2016). Zum umfangreichen Datenmaterial der Studie, die den Schriftspracherwerb als Bewältigung der sozialen und kognitiven Anforderungen in der Organisation Schule versteht und daher eine länderübergreifende Perspektive wählt, gehören Aufnahmen zur Erfassung des Unterrichts (in regelmäßigen Abständen über den Zeitraum von einem Jahr in einer 1. und einer 7. Klasse; in Deutschland in einer Grund- und einer Gesamtschule) sowie Tests (linguistische Tests zur Erfassung der orthographischen, textuellen und lexikalisch-grammatischen Kompetenzen der Schüler in ihren Erst- und

4 LAS: “Literacy Acquisition in Schools in the Context of Migration and Multilingualism”; siehe: http://www.uni-potsdam.de/daf/projekte/las.html

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Zweitsprachen) und im Unterricht erstellte schriftliche Produkte. Die in Abbildung 1 und Abbildung 2 gezeigten Beispiele mit den jeweils graphematischen Erfassungen der kindlichen Schreibung und der Form nach der Standardorthographie, sind zwei Beispiele für im Unterricht entstandene Texte.

Abb. 1: Textprodukt eines Türkisch-Deutsch bilingualen Kindes

Schreibung des Kindes: Standardorthographie: Der Text des türkisch-deutsch-zweisprachigen Schülers zeigt auf graphematischer Ebene vor allem folgende Auffälligkeiten: –– Schwierigkeiten mit Konsonantenclustern: Im An- und Auslaut werden Konsonantenhäufungen reduziert repräsentiert. In dem Wort „Geschenke“ wird das Phonem [ŋ], in den Wörtern „vielleicht“ und „Kiste“ das Phonem [t], nicht repräsentiert. –– Unterdifferenzierungen bei den Frikativen: Die alveolaren und palatalen Frikative [ʃ ç s] werden undifferenziert mit repräsentiert (2x). –– Probleme mit der Repräsentation von Vokalen: Der Diphthong [aɪ] in den Wörtern ‚vielleicht’ und ‚eine’ wird reduziert in Form von verschriftet (2x). Das Phonem [i] wird als wiedergegeben (2x), das Schwa-Phonem [ə] entfällt 1x in der Vorsilbe von „Geschenke“, aber nicht im Auslaut (2x korrekt). Bei 32 Graphemen, die die intendierten Wörter umfassen, produziert das mehrsprachige Kind insgesamt 13 abweichende Schreibungen bzw. Fehler auf graphematischer Ebene und erreicht demnach eine Trefferquote von 59 %.

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Abb. 2: Textprodukt eines Deutsch monolingualen Kindes

Schreibung des Kindes: Standardorthographie:



Im Text des monolingualen Kindes werden alle als /r/ zu repräsentierenden Phoneme nicht wiedergegeben und zwar auch nicht als vokalische Grapheme. Eine zweite Auffälligkeit ist die Schreibung der Diphthonge; [aɪ] wird als verschriftet. Insgesamt macht das Kind 11 Fehler bei 25 intendierten Graphemen und erreicht eine Trefferquote von 56 %. Wenn man die Kompetenzen beider Kinder vergleicht, fallen zwar beim bilingualen Kind die Probleme mit Mehrbuchstabengraphemen, die Wiedergabe der Vokalquantität und die Repräsentation der Frikative auf, aber dennoch ist seine phonologische Analyse auf der Ebene der Silbe weitaus besser als bei dem monolingualen Kind. Die Ausgrenzung von Wörtern bzw. das Fehlen der Spatiensetzung verweist jedoch auf noch unzureichendes morphologisches Wissen. Die LAS-Studie kommt im Vergleich des Erwerbsprozesses der beobachteten sechs einsprachigen und sechs zweisprachigen Schüler mit Türkisch als L1 insgesamt zu dem Ergebnis, dass die TürkischDeutsch-Zweisprachigen keinen signifikanten Rückstand zeigen (für weitere Analysen des Datenmaterials vgl. Mehlem 2011).

4.2 Beispiel Kurdisch-Türkisch-Deutsch Dreisprachige Um zu diskutieren, inwieweit die genannten Ergebnisse der LAS-Studie im Hinblick auf das Potential mehrsprachiger Ressourcen in komplexen Mehrsprachigkeitskonstellationen verallgemeinerbar wären, soll hier ein kurzer Einblick in die Schreibfertigkeiten von (Kurmanjî-)Kurdisch-Türkisch-Deutsch dreisprachigen Erstklässlern gegeben werden. Das Deutsche und das Kurdische als indoeuropäische flektierende Sprachen teilen auf phonologischer Ebene einige typologische Eigenschaften: Sie kennen den rhythmischen Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben, sind daher akzentzählende Sprachen und verfügen über komplexe Silbenstrukturen mit

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Konsonantenhäufungen. Das Türkische als agglutinierende Sprache hingegen weicht von beiden auf phonologischer Ebene stark ab, indem in dieser Sprache der Wortakzent und die Vokalharmonie den Orientierungspunkt für Sprecher und Hörer bei der Segmentierung des akustischen Signals bilden. Im Deutschen und im Kurmanjî-Kurdischen kommen stärker auch morphologische Aspekte bei der Segmentierung hinzu (zu dieser Mehrsprachigkeitskonstellation siehe Şimşek 2016). Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um den Text einer dreisprachigen Erstklässlerin mit KurmanjîKurdisch und Türkisch als Familiensprachen: Textbeispiel: „Ballon-Story“ im Deutschen Kurdisch-Türkisch-Deutsch dreisprachiges Kind, 1. es war ein Junge 2. der ging schpatsieren 3. da war ein Luftbalon_werreufer 4. der Junge wolte einen Luftbalon 5. er hat sich einen gholt untswar einen lilernen Balon 6. er ging nach Hause 7. aber sein Balon rutschte sein Balon aus seiner Hant 8. er ging weinent nach Hause 9. Schade. Auf graphematischer Ebene sind in dem Text Auffälligkeiten, die die Mehrbuchstabengrapheme des Deutschen betreffen, wie statt . Diese Schreibung ist durchaus auch bei Kindern mit Deutsch als Muttersprache zu beobachten. Den weitaus größten Anteil der Andersschreibungen in diesem Text machen die von Jeuk als „systembedingt“ bezeichneten Bereiche aus, Doppelkonsonanten und Groß- und Kleinschreibung (vgl. Jeuk 2012). Auf mögliche Übertragungen aus den Familiensprachen weisen Andersschreibungen auf phonographischer Ebene hin, vor allem, obwohl in diesem Text nur durch ein Beispiel vertreten, die Wiedergabe reduzierter Silben in Präfixen, wie in statt . Vergleicht man die Schreibung der Schwasilben als eine Art Indikator für die differierende Silbenphonologie der drei Sprachen Kurdisch, Türkisch und Deutsch, indem man Daten aus unterschiedlichen Gruppen5 heranzieht, ergibt sich folgendes Bild:

5 Es handelt sich um Texte etwa gleichaltriger Grundschüler, die in folgenden Untersuchungen erhoben wurden: – LAS = “Literacy Acquisition in Schools in the Context of Migration and Multilingualism”, 2007– 2012/2013; vgl. http://www.unipotsdam.de/daf/projekte/las.html – LisFÖR = Literalität und Interaktion in der Sprachförderung; vgl. http://www.uni-bielefeld.de/lili/ personen/blingnau/lisfoer.pdf

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–– Die monolingual deutschen Kinder haben nahezu keine Schwierigkeiten bei der Repräsentation der Schwasilben. Sie zeigen jedoch große Unsicherheiten bei der Verschriftung der Silbenkoda. –– Die Kurdisch-Deutsch-Bilingualen können im Vergleich zu den Monolingualen den Silbenanlaut besser erkennen, während sie bei der Silbenkoda gleichermaßen Schwierigkeiten haben wie die Monolingualen und auch bei der Schreibung der Schwasilben ähnlich gute Ergebnisse erzielen. Hier ist also, vermutlich bedingt durch die typologische Ähnlichkeit beider Sprachen, kein Vorteil der Mehrsprachigkeit bei dieser Gruppe erkennbar. –– Eine interessante Differenz, die ebenfalls mit der Typologie der Erstsprache erklärbar ist, weist die Gruppe der türkisch-deutsch-bilingualen Kinder auf. Dieser Gruppe fällt es besonders schwer, die Schwasilben zu repräsentieren. –– Die wenigsten Abweichungen bei der Repräsentation reduzierter Silben sind bei der Gruppe der Dreisprachigen zu beobachten. Zwei der Sprachen dieser Kinder kennen den Typus der reduzierten Silben, während die dritte Sprache Türkisch möglicherweise als eine Art katalysierende Komponente stärker zum Erkennen des Merkmals beiträgt. Betrachtet man dieses Phänomen der Schreibung von Reduktionssilben im Lichte der oben angeführten Schlussfolgerung (u.  a. von Bialystok), dass die erfolgreiche Nutzung mehrsprachiger Ressourcen davon abhängt, welche phonologischen Eigenschaften die beteiligten Sprachen aufweisen, lässt sich über die Leistung des dreisprachigen Kindes (siehe oben) folgender Schluss ziehen: Das Kind verfügt über Ressourcen von zwei Sprachen (Kurdisch und Deutsch), die Reduktionssilben kennen und einer dritten Sprache (Türkisch), das diese nicht kennt und damit folglich einen anderen Rhythmus hat. Zieht man zu den Beobachtungen aus dem Text zusätzlich die Information hinzu, dass das Türkische die stärkere Familiensprache ist – das Kind verfügt nur über geringe mündliche Ressourcen im Kurdischen, kann diese nicht in einen analysierbaren Text transferieren  –, so wird der phonologische Einfluss des Türkischen bzw. das Problem mit den Reduktionssilben im Deutschen verständlich und fügt sich in die Argumentation von der ‘Abhängigkeit von Analysefähigkeiten im phonologischen Bereich von der typologischen Nähe- und Distanz der Erstsprache(n) einerseits und dem erreichten Sprachstand in den jeweiligen Sprachen andererseits’ ein.

– PROCOPE: „Das Kurdische als Migrantensprache“; vgl. http://www.uni-potsdam.de/daf/projekte. html

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5 Überlegungen zur ein- vs. mehrsprachigen Vermittlung In Anbetracht dessen, dass Mehrsprachigkeit an sich noch nicht für Unterschiede oder gar negative Erwerbsverläufe sorgt, kommt die Frage nach anderen Faktoren auf. Studien wie Lesemann & van Tuijl (2001) betonen den Zugang zur Schrift in der Umgebung des Kindes und stellen fest, dass die Förderung der Literalität in der Erstsprache innerhalb der Familien insgesamt einen positiven Effekt auf die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten der Kinder zeigt (vgl. Kalkavan-Aydın 2016). Auf die Rolle des Unterrichts verweist Verhoeven (2003) und deutet das gute Abschneiden der mehrsprachigen Kinder aus der Studie von Kurvers (2002) als eine Folge des Umgangs mit phonologischem Wissen im Elementarbereich, der Förderung dieser durch Spiele zur phonologischen Bewusstheit, die in den Niederlanden offenbar fester Bestandteil des Schulwesens ist (Verhoeven 2003: 176). In der Diskussion um didaktische Aspekte in Deutschland findet sich eine Vielzahl an kritischen Betrachtungen u.  a. der Vermittlung durch Anlauttabellen (vgl. Röber 2015). Die Problematik der Anlauttabellen liegt darin, dass sie eine 1:1-Zuordnung von Lauten und Buchstaben suggerieren und dadurch ein- und mehrsprachigen Kindern gleichermaßen den Übergang zu komplexeren Analysen erschweren. Das Kind (siehe Abb. 1) hat besonders mit Mehrbuchstabengraphemen und mit der orthographisch geregelten Repräsentation einer phonologischen Größe wie Vokalquantität Schwierigkeiten. Dies verweist gleichzeitig darauf, dass einfache Phonem-Graphem-Beziehungen nicht ausreichen, um die Besonderheiten des orthographischen Systems zu erklären. Die Erfahrungen aus den oben genannten Forschungsprojekten zeigen, dass das Schreiben der Erstsprache für mehrsprachige Kinder eine Hilfe im Erwerbsprozess der Lese- und Schreibfertigkeiten darstellt, sowohl für die Lautanalyse wie für das Verständnis der sozialen Funktion von Schrift. Die Entwicklung der Erstsprache ist somit unbedingt in neue didaktische Konzepte einzubeziehen, zu nutzen und zu fördern; wobei eine strenge Normorientierung im Sinne eines Erlernens der Standardorthographie des Herkunftslandes nicht das Ziel ist. Vielmehr erscheint es sinnvoll, die im Unterricht angewandten Verfahren, beispielsweise falsche Schreibungen als Hypothesen der Kinder über die Struktur der Schrift, zu berücksichtigen. Sicher ist, dass die Gegenüberstellung gleicher und verschiedener Laute in verschiedenen Sprachen die phonologische Bewusstheit für Besonderheiten des Deutschen schärft und den Aufbau phonologischen und morphologischen Wissens im Deutschen nur fördern kann.

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6 Fazit Überlegungen zum mehrsprachigen Schrift- und Schriftspracherwerb aus linguistischer Perspektive resultieren nach der bisherigen Forschung in der klaren Erkenntnis, dass Mehrsprachigkeit auch im Erwerb der Orthographie des Deutschen per se keinen Grund für negative Erwerbsverläufe darstellt. Auch mehrsprachige Kinder durchlaufen eine Entwicklung, die von dem jeweils beim Schuleintritt mitgebrachten Wissen und den kognitiven Fähigkeiten der Kinder abhängt. Abhängig von den vorschulischen Erwerbsbiographien kann dabei das Wissen der Kinder über phonologische und morphologische Strukturen des Deutschen unterschiedlich ausgeprägt sein. Andererseits sorgt aber die kontrastive Erfahrung der Mehrsprachigen im Vergleich zu gleichaltrigen einsprachigen Schulanfängern für eine höhere Analysekapazität von Sprache, wobei diese Kapazität geprägt ist von der Nähe- und Distanz der Erstsprache(n) zum Deutschen. Die Familiensprachen bieten eine Möglichkeit des experimentellen Umgangs mit Sprache und Orthographie. Damit das Wissen aus den Erstsprachen sich im Lernprozess tatsächlich positiv auswirken und bei den Problemen mit dem orthographischen System des Deutschen als Stütze dienen kann, müssten Schreibprodukte als Einheit phonographischer, morphologischer und textueller Prozesse verstanden werden (sprachtypologisch fundierte Orthographieanalyse). Die Mehrsprachigkeit der Kinder als Ressource für ihren Zugang zu Literalität zu begreifen, wäre eine Voraussetzung für die Entwicklung adäquater didaktischer Konzepte und die Nutzung mehrsprachiger Ressourcen gerade in der Anfangsphase des Erwerbs von Lese- und Schreibkompetenzen.

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Mehrsprachige Alphabetisierung 

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Tabea Becker

6 Schreibentwicklung in der Grundschule 1 Einleitung 2 Schreibentwicklung: Allgemeines und Voraussetzungen 3 Alphabetisierung und Schreibentwicklung 4 Der Weg zum Text 5 Fazit und didaktischer Ausblick

1 Einleitung Allgemein beginnt die Entwicklung von schriftsprachlichen Fähigkeiten meist bereits lange vor Eintritt in die Grundschule, zumindest werden schon im Vorschulalter, ja sogar im Kleinkindalter, wichtige Grundlagen und Voraussetzungen geschaffen, um mit der Welt der Texte und der Schrift vertraut zu werden. Und gerade diese Phase ist es auch, die für einige der Unterschiede verantwortlich ist, welche zwischen Kindern mit Deutsch als Muttersprache (DaM) und Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) zu beobachten sind und auch immer wieder in den einschlägigen Bildungsstudien benannt werden (vgl. hierzu aktuell im Überblick Böhme & Hoffmann 2014). Im folgenden Artikel sollen aber nicht nur diese Vorläuferphase und die damit verbundenen Voraussetzungen für das Texteschreiben genauer in den Blick genommen werden. Es wird auch die Schreibentwicklung im engeren Sinne thematisiert und außerdem in Bezug gesetzt zur basalen Alphabetisierung: ein Zusammenspiel, welches gerade zu Beginn der Grundschulzeit von besonderer Relevanz ist. Schließlich werden einzelne Aspekte des Texteschreibens mit dem Fokus auf die Primarstufe und auf zweitsprachliches Schreiben differenzierter betrachtet.

2 Schreibentwicklung: Allgemeines und Voraussetzungen Zunächst einmal muss geklärt werden, was es bedeutet, schreiben zu lernen. Nach Feilke (2001) sind diesbezüglich drei grundlegende Aspekte zu betrachten: der Formaspekt, der Normaspekt und der mediale Aspekt. Als dominante Lernleistung des medialen Aspektes lässt sich die grapho-motorische Aneignung oder auch Graphetisierung (Feilke 2003: 179) fassen, für den Normaspekt steht zu Beginn die Orthographie im Vordergrund. Der Formaspekt dagegen ist weniger scharf umrissen, was die zu leistende Lernaufgabe betrifft. Feilke nennt in diesem Zusammenhang die Grammatikalisierung und die Textualisierung als Teilprozesse des Schriftspracherwerbs (2003: 179). DOI 10.1515/9783110354577-006

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Unter der Perspektive der Entwicklung ist besonders zu berücksichtigen, dass die kommunikative Situation im Schriftlichen eine qualitativ andere ist als im Mündlichen. Ehlich hat dies mit dem vielfach zitierten Begriff der „Zerdehnung“ zu fassen versucht (1983: 20): Die Einheit von Zeit und Raum, welche in der mündlichen face-toface-Interaktion zwischen Hörer und Sprecher herrscht, kann durch den schriftlichen Text aufgehoben werden. Allerdings muss der zerdehnten Kommunikationssituation insofern Rechnung getragen werden, als dass der Schreiber sich im Schriftlichen nicht in gleichem Maße auf den situativen Kontext beziehen kann. Eine im Mündlichen vollkommen akzeptable Aufforderung wie: „Komm jetzt her!“ funktioniert schriftlich nur bedingt. Der Blick auf den Text muss daher immer auch den Blick auf den Schreiber enthalten, welcher „in einer Kommunikationssituation steht und den vielfältigen Anforderungen daraus in seinen Schreibhandlungen gerecht werden muss“ (Weinhold 2000: 36). Damit verbunden ist für die Überführung von Mündlichem in Schriftliches eine gewisse Abstraktion, da nicht konkrete Realisierungen den Ausgangspunkt dieser Transformation bilden, sondern abstrakte, idealisierte, explizite Formen: Gesprochen wird [ham], geschrieben wird ; gesprochen wird [va:], geschrieben wird . Schreibenlernen bedeutet also nicht, dass die gesprochene Sprache lediglich in das Medium Schrift transferiert werden muss. Wie nun deutlich gemacht wurde, ist Schreiben mehr, nämlich eine „komplexe und komplizierte Tätigkeit“ (Weinhold 2000: 44), welche Abstraktionsleistungen und Neukonzeptionalisierungen verlangt. Für Kinder mit DaZ liegen – abhängig von den je individuellen Voraussetzungen – in diesem Umstand Hürde und Chance gleichermaßen: Hürde, da sie die gesprochene Sprache meist nicht im gleichen Umfang beherrschen wie Monolinguale; Chance, da auch Monolinguale gleichsam eine „neue Sprache“ lernen müssen. Mitunter kann es von Vorteil sein, wenn durch die strukturelle Verschiedenheit die Kinder erst gar nicht in Versuchung geraten, ihre mündliche Sprache für die Schriftlichkeit zu nutzen (vgl. auch Schmidlin 1999 in Bezug auf deutschschweizer Kinder). Man kann es als die zentrale Aufgabe der Grundschule begreifen, ihren Schülerinnen und Schülern Lesen und Schreiben und damit die „Sprache der Schrift“ zu vermitteln. Wie gut und reibungslos das gelingt, hängt jedoch nicht nur von den Fähigkeiten und Möglichkeiten der Lehrkräfte ab, sondern auch davon, welche Voraussetzungen die Kinder mitbringen und inwiefern der Lernprozess im Elternhaus unterstützt werden kann. Denn eigentlich beginnt die Schreibentwicklung in einer von Schrift geprägten Gesellschaft bereits in den ersten Lebensjahren (vgl. z.  B. Häcki-Buhofer 1998). Die Bedingungen aber, unter denen Kinder ihre Schullaufbahn starten, und die Ressourcen und Fähigkeiten, welche sie hierbei einsetzen können, sind hochgradig variant. Dies ist insofern von besonderer Relevanz, als wiederholt in Studien nachgewiesen werden konnte, dass sich Leistungsrankings bereits zu Beginn der Schulzeit etablieren und gerade im Verlaufe der Grundschule wenig variieren (z.  B. Wells 1986; Kotzerke et al. 2013). Beschulung hat – wie auch die Bildungsstudien immer wieder zeigen – vor allem in Deutschland eher selten kompensatorische Wirkung. Dabei ist

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der Zusammenhang zwischen allgemeinen sprachlichen Fähigkeiten und familiärem Hintergrund in der Vorschulzeit noch sehr schwach ausgeprägt (Wells 1986). Während der Grundschulzeit wird die Korrelation zwischen familiärem Hintergrund und sprachlichen Fähigkeiten jedoch signifikant (Wells 1986; aktuell Heppt et al. 2015). Nach einer Untersuchung von Steinig et al. (2009) sind am Ende der Grundschulzeit der Wortschatz und morpho-syntaktische Fähigkeiten beim Texteschreiben hochgradig abhängig von der sozialen Schicht (Steinig et al. 2009: 350). Dies kann darin begründet sein, dass sich die Zusammenhänge zwar erst im späteren Lernprozess und vor allem im schriftorientierten Lernen offenbaren, die Voraussetzungen für die Entwicklung von Schreibfähigkeiten aber bereits mit der frühen familiären Sozialisation gelegt werden. So lernen einige Kinder schon um den ersten Geburtstag Bücher kennen: Sie werden nicht nur mit materiellen Aspekten der Bücher vertraut (Leserichtung, Linearität), sondern auch mit funktionalen (Sprachliches fixieren, Abbildfunktion etc.) (vgl. Rau 2007; Becker 2013). Idealerweise haben sie uneingeschränkten Zugang zu einer Auswahl an Büchern und verbinden mit der Situation des Vorlesens eine positive, geborgene, zugewandte Interaktion (Rau 2007). In dieser Hinsicht konnten zwischen Kindern mit DaZ und mit DaM bereits erste signifikante Unterschiede dokumentiert werden. So besteht für DaZ-Kinder – je nach Herkunftssprache und sozialer Situation – oft nur ein sehr eingeschränkter Zugang zu Büchern (Kuyumcu 2006); auch wird ihnen – als Gruppe betrachtet – signifikant weniger vorgelesen (vgl. Vorlesestudie der Stiftunglesen 2013). Gerade unter Flüchtlingskindern finden sich immer wieder auch ältere Kinder, die noch keine Schule besuchen und auch keine anderen Gelegenheiten des schriftsprachlichen Lernens nutzen konnten. Hinzu kommt die Tatsache, dass familialer Umgang mit Schrift und Büchern naturgemäß geprägt ist durch die verschiedenen Schriftkulturen der Herkunftssprachen. Weth untersuchte die literalen Praktiken in arabischstämmigen Familien in Frankreich und beobachtete: „So wurden Lesen und Schreiben […] vorwiegend mit der Religionsausübung assoziiert und die funktionalen Verwendungsweisen von Schrift ganz und gar an die Schule delegiert. Die schulische Alphabetisierung und Literalisierung schlug ihrerseits keinen Bogen zu den familiären Schriftpraktiken“ (2009: 235). Dadurch ergibt sich auch für den aktiven, produktiven Umgang mit Schrift und Schreibgeräten eine sehr starke Variation. Der Besuch eines Kindergartens stellt zwar in der Regel sicher, dass zumindest einige dieser grundlegenden schreibrelevanten Erfahrungen gemacht werden können. Aber erstens variieren Art und Intensität der Schriftanbahnung und -förderung je nach Einrichtung sehr stark, da es bundesweit kein einheitliches oder verbindliches Konzept gibt. Zweitens besuchen Kinder mit DaZ tendenziell seltener eine Krippe oder einen Kindergarten (Wollin 2013). Zu bedenken ist also, dass die Heterogenität der Voraussetzungen bei Kindern mit DaZ durch diverse Faktoren noch verstärkt wird. Denn während selbst bei monolingual deutschen Kindern eine große Vielfalt an Dispositionen und Situationen herrscht, seien es psychische, soziale, physiologische oder sonstige, kommen bei Kindern mit

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anderem sprachlichem und kulturellem Hintergrund noch all jene Umstände hinzu, die durch Sprache und Kultur geprägt werden.

3 Alphabetisierung und Schreibentwicklung Mit der Grundschulzeit beginnt dann – unabhängig von den unterschiedlichen Vorerfahrungen – für alle Kinder die Phase der Alphabetisierung, welche der Schreibent­ wicklung im engeren Sinne notwendig vorangeht. Entsprechend der oben vorgenommenen Dreiteilung ist es der mediale Aspekt, welcher mit dem grapho-motorischen Lernen den Lernprozess anfänglich dominiert. Die Alphabetisierung stellt für alle Kinder, insbesondere für Kinder mit DaZ, eine Lernherausforderung dar; denn während die Lernaufgaben eigentlich für alle Kinder die gleichen sind, sind die Ressourcen, auf die zurückgegriffen werden kann, ganz unterschiedlich (Becker 2011). Da Lernen stets auch Vernetzung und Verknüpfung bedeutet, ergibt sich bei geringerem Vorwissen ein Lernnachteil. Umgekehrt betrachtet bedeutet dies, dass diese Kinder eine höhere Lernleistung aufbringen müssen. Der grapho-motorische Aspekt des Schreibens bindet zu Beginn der Schreib­ent­ wicklung noch einen großen Teil der kognitiven Kapazitäten (zur Alphabetisierung vgl. Jeuk in diesem Band). Dies trifft nicht nur auf Schreibnovizen zu, sondern ist auch noch am Ende der Grundschulzeit zu beobachten. Denn die Aufmerksamkeit des Schreibers kann nicht auf alle wesentlichen Aufgaben und Anforderungen des Textes gleichzeitig ausgerichtet sein (Hasert 1998a: 47). Zwar beziehen sich diese Erkenntnisse zunächst einmal nur auf Kinder mit DaM, es ist jedoch zu vermuten, dass sich bei Kindern mit DaZ das Problem der Aufmerksamkeitsfokussierung als noch relevanter erweist, da Versprachlichungs- und Formulierungsprozesse noch weniger automatisiert sind. Indem sich der Schreiber auf einen Komplikationskomplex konzentriert, wird seine Aufmerksamkeit von anderen Fehlern im Umfeld dieses Komplexes abgezogen, so dass hier auch keine Korrektur erfolgen kann (Hasert 1998b: 46).

4 Der Weg zum Text Wie nun die allgemeine Schreibentwicklung – im Sinne der Textualisierung – speziell bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache abläuft, dazu liegen kaum gesonderte Studien vor. Es erscheint aber legitim, die wesentlichen Erkenntnisse aus der Schreibentwicklungsforschung der letzten Jahrzehnte – zumindest in den Grundzügen – auch auf deren Situation zu übertragen. Neben verschiedenen theoretischen Modellierungen hat diese mittlerweile zahlreiche empirische Studien hervorgebracht, mitunter auch bezogen auf unterschiedliche Textsorten, so dass ein recht umfangreiches Bild gezeichnet werden kann (für einen Überblick vgl. Feilke 2003). Zusam-

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menfassend kann charakterisiert werden, dass sich Schreiber von der anfänglichen Lösung der Schreibaufgabe auf lokale, lineare Weise zur Lösung auf globaler und strukturierter Ebene entwickeln. Das bedeutet, dass in Texten zunächst – und dies gilt weitgehend unabhängig von der Textsorte – einzelne Elemente gleichwertig aneinandergereiht werden, ohne Gewichtung oder Abgrenzung. Dabei besteht kein Gesamtplan für den Text; auch der Leser wird kaum berücksichtigt. Beschrieben werden eher die äußerlichen Sachverhalte. Erst mit zunehmendem Alter beginnen die Kinder, auch die „Innensicht“ (Wünsche, Gefühle, Absichten) darzustellen (Becker-Mrotzek 1997). Es gelingt mehr und mehr, die Texte am Leser zu orientieren, dessen Wissensstand und Erwartungen zu berücksichtigen. Zudem werden nun Textmuster und -normen erfüllt; nicht selten beobachtet man eine Übererfüllung, etwa in der Weise, dass mehrere Schlussformeln den Text abschließen oder wörtliche Rede extensiv genutzt wird. Feilke (2003) vermutet diesbezüglich: „Die Normorientierung wird den Schülern nicht oktroyiert, sie ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Lerninteresses“ (Feilke 2003: 187). Schließlich erfährt der Text mit zunehmender Textkompetenz des Schreibers eine immer globalere Strukturierung und Integration der einzelnen Elemente. Textfunktionen, Schreibintention und Adressatenorientierung gelingen mittels immer differenzierterer und angemessenerer sprachlicher Mittel. Beachtenswert ist dabei die Erkenntnis, dass die Texte eines Kindes nicht unbedingt mit zunehmender Klassenstufe länger werden, sondern dass die höhere Schreibentwicklungsstufe zu längeren Texten führt. Das legt nahe, dass bei der Entwicklung von Aspekten des Schreibens, wie Textlänge oder Nutzung spezifischer sprachlicher Mittel, die Schreiberfahrung und das Schreibalter entscheidend sind. Dies sollte gerade auch in Bezug auf Kinder mit DaZ berücksichtigt werden, welche unter Umständen zwar ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben, aber möglicherweise erst über geringe Schreiberfahrung verfügen. Für ältere SchülerInnen (ab Sek I) sind es nicht nur Schreibfähigkeiten im engeren Sinne, die den guten Textschreiber ausmachen. Ein signifikanter Einfluss konnte vor allem auch in Bezug auf Fähigkeiten der Kohärenzbildung und der Perspektivenübernahme nachgewiesen werden (Becker-Mrotzek et al. 2014). Den kompetenten Schreiber zeichnet aber vor allem aus, dass er die verschiedenen Teilaspekte und Teilhandlungen eines Textes zu einem stimmigen Gesamtbild integrieren kann. Für Kinder mit DaZ besteht allerdings oft genau in diesem Zusammenspiel eine Herausforderung, da sie einzelne Teilaspekte und -kompetenzen nicht in gleichem Maße ausgebildet haben und daher deren Zusammenführung nicht entsprechend gelingt (Becker-Mrotzek et al. 2014). Diese einzelnen Teilaspekte sollen im Folgenden nun detaillierter in den Blick genommen werden.

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4.1 Adressatenorientierung Bezüglich des Aspektes, den Feilke mit Textualisierung bezeichnet, liegt die anfängliche Lernaufgabe in erster Linie darin, die Anforderungen der neuen kommunikativen Situation zu bewältigen. Diese Anforderungen entstehen vor allem durch die bereits weiter oben erwähnte „Zerdehnung“ der kommunikativen Situation. An erster Stelle lässt sich hier die Ferne des Kommunikationspartners nennen: Die Partnerferne nimmt (…) bei Schreiblernern am schulischen Schreibanfang eine ganz besondere Rolle als Definiens ihres gesamten Schreibprozesses ein: Die Themasuche, die Entscheidung für ein Textthema, das Ideengenerieren; das Finden eines Schreibbeginns, das Aufrechterhalten des Diskurses und das „Beim-Thema-bleiben“, die Überprüfung des Textes aus Leserperspektive und das Re-Formulieren, – alle Subprozesse des Text-Schreibens sind von der Partnerferne als bestimmender Größe der Schreibsituation von Anfängern betroffen. (Weinhold 2000: 86)

Wenn es nämlich um das Formulieren komplexerer sprachlicher Einheiten geht, gilt für Kinder, die sich noch im Spracherwerbsprozess befinden – und das trifft für einund zweisprachige Grundschulkinder gleichermaßen zu –, der erwachsene Interaktionspartner als entscheidender Impuls- und Strukturgeber (vgl. Quasthoff 2009). Beim schriftlichen Formulieren aber fällt diese Unterstützung weg, der Schreiber ist auf sich gestellt. Während z.  B. beim mündlichen Erzählen der (erwachsene) Zuhörer typischerweise mit „und-dann-Fragen“ den Erzähler unterstützt, fehlt diese Hilfestellung beim Schreiben. Für das Schreibenlernen innerhalb der Schule betonen Stude & Ohlhus (2005) daher die Bedeutung von Lehrer-Schüler-Gesprächen während des Schreibprozesses: „In ähnlicher Weise wie die dialogischen Muster der mündlichen Kommunikation sind diese in der Lage, ein Unterstützungssystem für den Erwerb schriftsprachlicher Fähigkeiten insofern bereitzustellen, als auch hier die Lehrperson – als der narrativ kompetentere Interaktionspartner – ihre Strukturerwartungen in die Interaktion einfließen lässt und damit den Erzählprozess steuert“ (Stude & Ohlhus 2005: 84). Nun ist allerdings zu vermuten, dass ein Schüler, dessen kommunikative Ressourcen in der Zweitsprache eingeschränkt sind, nicht in gleicher Weise von solchen interaktiven Unterstützungsmöglichkeiten profitieren kann. So sollten sich Lehrpersonen nicht nur des Potentials bewusst sein, welches textbezogene Lehrer-Schüler-Interaktionen für den Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit besitzen können, sie sollten auch berücksichtigen, dass SchülerInnen mit DaZ diese Ressource möglicherweise nicht im gleichen Umfang nutzen können und diese Interaktionen besonders sensibel gestalten. Zu den zu bewältigenden Lernaufgaben der Schreiblerner gehört außerdem die kognitive Fähigkeit, sich in den Leser hineinzuversetzen, seine Perspektive zu übernehmen, um sein Schreibprodukt an eben diese Perspektive anzupassen. Dass die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ein Merkmal des kompetenten Schreibers ist, wurde mittlerweile auch empirisch belegt (Becker-Mrotzek et al. 2014). Schreibnovizen gelingt es dagegen erst ansatzweise, bei der Textgestaltung zu berücksichtigen,

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welche Informationen, welche sprachlichen Mittel und welche Strukturen der Adressat benötigt, um den Text verstehen zu können (Augst et al. 2007). Vor dem Hintergrund des Schreibens in der Zweitsprache ist nun relevant, dass dieser Aspekt zwar vor allem mit der kognitiven Entwicklung verbunden ist, dadurch also relativ unabhängig von Sprachkenntnissen. Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ist aber eng verbunden mit der Fähigkeit, einen Text kohärent zu gestalten, was wiederum zur Voraussetzung hat, dass die relevanten sprachlichen Mittel genutzt werden können. Eine Separierung der einzelnen Fähigkeitsaspekte lässt sich daher nur schwerlich vornehmen, und auch didaktisch erscheint es gerade mit Bezug auf Lerner mit DaZ sinnvoll, die Förderung kognitiver Aspekte immer auch an Sprachliches zu binden.

4.2 Textmusterwissen In den letzten Jahren haben zahlreiche Arbeiten innerhalb der Schreibforschung Erkenntnisse darüber zusammengetragen, dass die Wörter und Sätze, aus denen ein Text besteht, ganz spezifischen prototypischen Mustern folgen können, je nachdem um welche Textsorte oder -form es sich handelt. Um den Anforderungen eines bestimmten Texttyps oder einer Textsorte gerecht zu werden, müssen Schreibende sich dieses Wissen aneignen. Auf den Schreibprozess bezogen spricht z.  B. Feilke auch von Textroutinen, die vom Schreiber genutzt werden, indem er bestimmte Gebrauchsschemata (z.  B. eine Meinung vertreten) mit Routineausdrücken (z.  B. „Meiner Meinung nach …“) koppelt (2012: 11). Es liegt daher nahe anzunehmen, dass das Textmusterwissen bei der Schreibentwicklung ebenfalls eine große Rolle spielt. Welche Rolle genau das Textmusterwissen beim Texteschreiben spielt und vor allem wie es erworben wird, zählt zu den wichtigsten Fragen, mit denen sich die Schreibentwicklungsforschung gegenwärtig auseinandersetzt, die bislang jedoch erst in Ansätzen beantwortet werden können. Grundsätzlich ist allerdings die Bedeutung, die Textmusterwissen für die Schreibentwicklung hat, heute kaum noch umstritten. Welche Konsequenzen hat nun diese Erkenntnis für den Schreiblernprozess und dessen Unterstützung? Um sich (implizites) Wissen über Textmuster aufzubauen, bedarf es solcher Muster im sprachlichen Input. Da aber Textmusterwissen auch dabei hilft, mentale Repräsentationen von Texten zu konstruieren, kann man von einer sich immer weiter verstärkenden Lerndynamik ausgehen. Hört ein Kind z.  B. mehrere Märchen und erschließt sich dabei das Textmuster „Es war einmal …“, wird es, wenn es diesen Textanfang hört, vermutlich einen Text erwarten, in dem es um fabelhafte Wesen geht und der glücklich endet, was ihm wiederum die Rezeption dieses Textes erleichtert (sofern natürlich diese Erwartungen erfüllt werden). Da das Textmusterwissen zwar teilweise sprachgebunden ist, andererseits aber auch Wissen umfasst, welches sprachunabhängig ist, kann sich ein Kind dieses Wissen auch in einer Herkunftssprache aufbauen. Dass dieser Wissenstransfer von L1 in L2 nicht nur möglich,

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sondern auch erfolgreicher ist, als sich dieses Wissen ausschließlich in der L2 aufzubauen, legen Studien wie die von Knapp (1997) nahe. Vor allem älteren SchülerInnen gelingt es oft, Strukturen und Muster konstruktiv zu transferieren (Dollnick & Pfaff 2013), und zwar sowohl von der L1 auf die L2 als auch umgekehrt. Im Primarbereich dürften sich Effekte des Transfers jedoch noch nicht allzu deutlich einstellen, da ja Muster- und Strukturwissen generell noch stark im Aufbau befindlich sind, und zwar in L1 und in L2. Einiges Wissen um den Text und seine typischen Merkmale besitzen viele Kinder bereits zu Beginn der Schreibentwicklung (Weinhold 2000), wodurch gezielt Textualisierungs- und Textentfaltungsstrategien genutzt werden können. Allerdings spricht Weinhold von einem „schlummernden“ Vorhandensein dieser Fähigkeiten (2000: 196), da eben anfänglich die kognitiven Kapazitäten in Einzelaspekten gebunden sein können und durch geringe Automatisierung diese Fähigkeiten noch nicht gleichzeitig und natürlich nicht voll entfaltet genutzt werden können. Zusammenfassend bedeutet dies, dass der Auf- und Ausbau von Wissen über Strukturen und Muster von Texten ein wichtiger Baustein bei der Entwicklung von Textkompetenz ist, welcher gerade in der Zweitsprache gezielt gefördert und unterstützt werden sollte. Dazu gehört sowohl die implizite Vermittlung in der Form, den Schreiblernern möglichst viele Erfahrungen mit mustergerechten Texten zu ermöglichen (eventuell auch in der L1), als auch explizit solche Textmuster und Stereotype zu thematisieren und bewusst zu machen.

4.3 Textsortenkompetenz Das Wissen um Textmuster und -strukturen bildet sich nicht allgemein aus, sondern domänenspezifisch. Die Schreibentwicklungsstudie im Primarbereich von Augst et al. (2007), bei welcher verschiedene Textsorten (Erzählen, Beschreiben, Instruieren etc.) miteinander verglichen wurden, ergab, dass die Beherrschung der Strukturen einer bestimmten Textsorte nicht unbedingt zu hohen Kompetenzen bei anderen Textsorten führt. Eine gute Erzähltextschreiberin muss keine gute Instruktionsschreiberin sein. Dennoch sind auch deutlich Entwicklungen zu beobachten, die domänenübergreifend sind (2007: 357). Zudem sind die Entwicklungsschritte innerhalb der einzelnen Textsorten qualitativ durchaus miteinander vergleichbar. So ist sowohl bei Beschreibungen (Feilke 2003) als auch bei Erzählungen die erste Entwicklungsphase gekennzeichnet durch eher enumerative, unverbundene listenartige Aufzählungen, die oft stark assoziativ wirken. Die Abfolgen dieser Entwicklungsphase können jedoch zeitlich versetzt zueinander laufen. Bei der Betrachtung der Schreibentwicklung müssen daher auch die unterschiedlichen Textsorten berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind die folgenden (allgemeineren) Textsorten im schulischen Kontext zu finden: Erzählung, Beschreibung, Argumentation, Bericht. Allerdings: Obwohl auch PrimarschülerInnen unter Umständen schon in der Lage sind, argumentative Texte zu verfassen (Feilke 1995), findet diese Textsorte wohl wenig Einsatz in der

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Grundschulpraxis. Auch liegen hier die wesentlichen Entwicklungsphasen jenseits der Primarstufe und reichen sogar bis weit in die Adoleszenz hinein (im Überblick Feilke 2003). Die Erzählung nimmt dagegen eine herausragende Stellung ein. Sie wird auch im Rahmen der Schreibentwicklung als prototypisch angesehen, da der Entwicklungsverlauf wie oben beschrieben bei dieser Textsorte oft besonders charakteristisch ist in der Weise, dass er von enumerativen Texten über linear-sequenzierende zu makrostrukturell kontrastierenden und narrativ involvierenden voranschreitet (Wolf 2000). Zudem bestehen in verschiedenen Studien immer wieder beobachtete Parallelen zur Entwicklung im Mündlichen (Becker 2002; Quasthoff & Kern 2007). In Bezug auf bestimmte sprachliche Mittel prädiziert jedoch der Erwerb im Mündlichen die Verwendung im Schriftlichen teils um mehrere Jahre, so z.  B. bei bestimmten Satzstrukturen oder Konjunktionen (Feilke 1995; Schmidlin 1999). Allerdings zeichnet sich auch gerade die Textsorte Erzählung, insbesondere Fantasieerzählung, dadurch aus, dass den Kindern hier schon recht früh literale Konzeptionalisierungen gelingen, so verwenden sie eher präteritale Verbformen, literal konnotierte Lexeme oder literarische Phrasen und Formeln (Becker 2013) als in Erlebniserzählungen oder Spielerklärungen (Quasthoff & Ohlhus 2005; Quasthoff 2009). Im Zusammenhang mit den Erkenntnissen zum Textmusterwissen wird deutlich, dass der Konventionalisierungsgrad einer bestimmten Textsorte auch stark auf die Entwicklung einwirkt. Denn ein hoher Konventionalisierungsgrad bedeutet deutlich ausgeprägte Textmuster, welche wiederum die Erschließung der Textsorte vereinfachen. Für Feilke ist dies ein Beleg für die „hochgradige Gegenstands- und damit Produktbestimmtheit der Entwicklung schriftlich-konzeptualer Fähigkeiten“ (2003: 189). Diese Produktbestimmtheit gilt es bei Kindern mit DaZ insofern besonders zu berücksichtigen, als die Unterstützung und Förderung einer konkreten Textsorte nicht notwendigerweise auch auf andere Textsorten übertragen werden kann. Zumindest sollte nicht wie selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass der Transfer textsortenbezogenen Wissens ohne weiteres gelingt. Zur Textsorte Erzählung liegen diverse Studien vor, die nahe legen, dass DaZ-Kinder durchaus über ein relativ hohes Maß an narrativer Kompetenz verfügen, welches sich auch in ihren Schreibprodukten widerspiegelt, und diesbezüglich den DaM-Kindern nicht unbedingt nachstehen (Becker 2009; Grießhaber 2001).

4.4 Wortschatz Ähnlich relevant wie das Textmusterwissen und damit auch eng verbunden ist der Wortschatz. So sind es nicht nur Inhaltswörter z.  B. in Form von Fachwörtern, über die beim Schreiben verfügt werden muss, sondern auch Funktionswörter wie Konjunktionen und Präpositionen. Selbst in der Sekundarstufe haben SchülerInnen bisweilen noch Schwierigkeiten und Defizite z.  B. in Bezug auf die Verwendung bestimmter Konjunktionen beim Schreiben argumentativer Texte.

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Zwar verläuft der Wortschatzerwerb in der L2 auf ähnliche Weise wie in der L1 (Jeuk 2012; im Überblick Landua, Maier-Lohmann & Reich 2008), die Lernverzögerung, welche durch den meist zeitlich versetzten Beginn entsteht, wird aber in der Regel auch in der Sekundarstufe nicht vollständig wieder aufgeholt, so dass in Klasse 9 Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, deutliche Rückstände vor allem zu monolingual Deutschen aufweisen (Bilinguale liegen dazwischen) (Hesse, Göbel & Hartig 2008). Nicht nur der produktive Wortschatz ist betroffen mit der Konsequenz, dass bei der Textproduktion weniger differenziert und weniger automatisiert auf das mentale Lexikon zugegriffen werden kann. Auch die Begriffsentwicklung und das Verstehen sind nicht qualitativ auf gleichem Stand mit monolingual Deutschen. Daher wird davon gesprochen, dass die Zweitsprache einen „schmalen Kanal“ darstelle (vgl. Ott 2003: 200), der die Aufnahme von Wissen und die Weiterentwicklung nicht im gleichen Maße ermögliche. Die Begriffsentwicklung verläuft in der Regel dergestalt, dass sich Grundbegriffe immer weiter ausdifferenzieren, aus „big cup“ wird „glass“ und schließlich „wine glass“ (Andersen 1975, zitiert nach Crystal 1987: 245). Dabei wird der im Vorschulalter erworbene Wortschatz zu Beginn der Primarstufe systematisiert und strukturiert und gegen Ende der Primarstufe vor allem durch den Zuwachs an differenzierteren Begriffskonzepten und Fachwörtern weiter präzisiert und ausgebaut. Produktiv wirkt sich dies auf die Formulierungskompetenz aus: „Die im Vergleich zu den einsprachig deutschen Kindern geringer ausgebildete Formulierungskompetenz der Kinder aus Sprachminderheiten macht es ihnen schwerer, einen inhaltlichen Zusammenhang der Textteile herzustellen und diese in eine logische Abfolge zu bringen“ (Landua, Maier-Lohmann & Reich 2008: 200). Da aber wohl auch die Rezeption von Texten, deren Bedeutung bereits weiter oben betont wurde, durch Defizite im Wortverstehen und andere Faktoren eingeschränkt ist (Landua, Maier-Lohmann, Reich 2008), ebenso das Verstehen von Aufgabenstellungen und die Überarbeitungsmöglichkeiten, sind praktisch alle Bereiche im Umfeld des Schreibprozesses beeinträchtigt (Ott 2003). Dem muss unter didaktischen Gesichtspunkten begegnet werden, und zwar in erster Linie durch Wortschatzarbeit – gerade im Primarbereich.

4.5 Grammatik und Kohäsion Der letzte wichtige Aspekt, der zu den Teilbereichen des Texteschreibens gehört, betrifft die grammatischen Fähigkeiten im weiteren Sinne. Um angemessene Satzund Textstrukturen zu produzieren, bedarf es grammatischer Fähigkeiten. Selbst bei monolingualen Kindern befinden sich diese Kompetenzen während der Grundschulzeit jedoch noch im Aufbau. Dennoch sind sie bei diesen in der Regel deutlich weiter ausgebaut als bei DaZ-Kindern (vgl. z.  B. Becker 2006; aktuell Kotzerke, Ebert & Weinter 2014). Grießhaber untersuchte im Rahmen seines Projektes „Deutsch & PC“, bei dem über 100 SchülerInnen in ihrer Grundschulzeit begleitet wurden, u.  a. auch die

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Entwicklung grammatischer Fähigkeiten beim Texteschreiben. „Bis zum Ende des dritten Schuljahres geht mit der Zunahme der produzierten Textmenge auch eine steigende syntaktische Komplexität einher. Im vierten Schuljahr jedoch ist mit der deutlichen Steigerung der Textmenge um 50 % ein Stillstand und sogar Rückschritt bei der syntaktischen Komplexität zu beobachten“ (Grießhaber 2006: 164). Lediglich in der starken Leistungsgruppe verläuft die Entwicklung linear. In der schwächsten Gruppe dagegen kommt es immer wieder zu deutlichen Rückschritten. Diese schwachen Lerner haben vor allem bezüglich der Kasusmarkierungen noch Schwierigkeiten, so gibt es SchülerInnen, deren Texte selbst am Ende der vierten Klasse noch keine korrekte Dativverwendung zeigen. Nicht alle der näher in den Blick genommenen 30 Kinder hatten einen Migrationshintergrund. Die stärkste Leistungsgruppe bestand jedoch fast ausschließlich aus Kindern mit Deutsch L1, dagegen konstituierte sich die schwächste Gruppe vorwiegend aus Kindern mit Migrationshintergrund. Differenzen zu den monolingualen Kindern sind in diesem Bereich besonders augenfällig. Während Probleme oder Schwierigkeiten in Bereichen wie Wortschatz oder Textmusterkenntnis eher zu den „verdeckten“ Schwierigkeiten gezählt werden können, sind es Probleme im grammatischen Bereich, die dazu führen können, dass ein Schreiber unmittelbar als Nicht-Muttersprachler identifiziert werden kann. Für den Primarbereich dokumentieren neben Grießhaber (2006) auch weitere Studien Probleme insbesondere im Bereich der Nominalphrasenbildung und der Verbmorphologie (im Überblick Landua, Maier-Lohmann & Reich 2008; Straßl & Ender 2009; Jeuk 2012).

5 Fazit und didaktischer Ausblick Im Rahmen eines abschließenden Resümees möchte ich zunächst herausstellen, dass sich die Schwierigkeiten und Differenzen der Schreiblerner mit DaZ im Unterschied zu muttersprachlichen Lernern oft dadurch ergeben, dass erstere sich noch verstärkt im Sprachlernprozess befinden und nicht durch die Zweisprachigkeit selbst. Bei gleichmäßigen Lernbedingungen und Förderung für beide Sprachen entstehen den Kindern in der Regel keine Nachteile oder Lernschwierigkeiten. So betonen Steinig et al. im Rahmen der Interpretation ihrer Entwicklungsstudie zum Schreiben im Primarbereich: „Schulische Probleme, die sich im Schreiben von Texten manifestieren, scheinen weitgehend auf der sozialen Lage von Familien zu beruhen, lassen sich also nicht ursächlich auf Migration und Zweisprachigkeit zurückführen“ (2009: 370). Gerade Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit und soziolektale Merkmale in den Schülertexten erwiesen sich dann auch als wenig beeinflusst durch Unterricht, da sie keine schulklassenspezifischen Affinitäten zeigen (Steinig et al. 2009: 374). Inwiefern es Kindern gelingt, sich die „Sprache der Schrift“ anzueignen, scheint nach der gegenwärtigen Erkenntnislage weniger damit zusammenzuhängen, welche und wie viele

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Sprachen das Kind spricht, und auch nicht, welchen Unterricht es genießt, sondern vielmehr welchem sozialen Umfeld es entstammt. Diese Erkenntnis stellt die Schreibdidaktik sicherlich vor eine große Herausforderung; sie bedeutet aber auch, dass vor der Annahme einfacher Kausalitäten gewarnt werden muss, wie etwa: mehrsprachiges Kind = Probleme in der Schreibentwicklung. Als konstruktiv und wesentlich für schreibdidaktische Überlegungen sehe ich folgende Punkte an (hierzu auch Ott 2003): 1. Entlastungs- und Überarbeitungsstrategien anbieten. Beim Texteschreiben handelt es sich um die komplexeste sprachliche Handlung überhaupt. Kinder mit DaZ scheitern eher an der Komplexität des Texteschreibens als monolinguale (Grießhaber 2001). 2. Der Schreibkontext muss berücksichtigt werden. 3. Textmusterwissen aufbauen und diesbezüglich ausreichende Lerngelegenheiten schaffen. Texte und Textvorlagen erweisen sich gerade für Kinder mit geringen Erfahrungsmöglichkeiten im Bereich der Literalität und Literarität als wichtige Lernressource. 4. Nicht nur von „verdeckten“ Sprachschwierigkeiten sprechen, sondern auch von „verdeckten Sprachfähigkeiten“ in dem Sinne, dass Kompetenzen im Bereich der Textstrukturierung oder der Textgestaltung von Problemen auf der lexikalischen, morpho-syntaktischen oder orthographischen Ebene „verdeckt“ werden. 5. Bei der Planung und Konzeption von Fördermaßnahmen in einer Regelklasse ist es nicht unbedingt sinnvoll, Fördergruppen nur nach dem Kriterium DaM/DaZ zu bilden, sondern es sollten auch andere Kriterien wie Schrift- und Texterfahrungen beachtet werden. Vor allem aber sollte die „Ermutigung zur Textproduktion“ (Ott 2003: 201) im Vordergrund stehen, denn für die Entwicklung des Schreibens in Erst- und Zweitsprache muss festgehalten werden, dass diese „in besonderem Maß durch das Schreiben selbst (Hv. i. O.) motiviert und vorangetrieben wird“ (Feilke 1995: 85).

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Monika Dannerer

7 Erzählerwerb in der Zweitsprache 1 Gegenstandsbestimmung 2 Forschungsüberblick 3 Aktuelle Studien und Tendenzen 4 Resümee

1 Gegenstandsbestimmung Erzählen als anthropologische Grundform des Miteinandersprechens (und damit auch sekundär des Schreibens) genießt einen besonderen Status in vielerlei Hinsicht. Es ist Nukleus der Weitergabe von Erfahrungen, von Wissen und von Interpretationen dieser Erfahrungs- und Wissensbestände. Damit wird auch die Macht der Erzählenden deutlich: Sie gestalten Ordnungen und Interpretationen der Welt und machen sie damit kollektiv zugänglich und erinnerbar. Überdies tragen sie dazu bei, Ereignisse in einer bestimmten Form und mit einer spezifischen Interpretation versehen im Gedächtnis einer kleineren oder größeren Gemeinschaft zu verankern. Der Prozess des Erzählens stellt temporale Relationen zwischen Ereignissen her, Erzählende schaffen Kausalität und scheiden Wichtiges von weniger Wichtigem und Unwichtigem, indem sie Vordergrund und Hintergrund einer Erzählung definieren und Erzähltes von Nichterzähltem trennen. Die Macht des Erzählens ist auch die Verantwortung des Erzählens. Erzählungen sind wie alle sprachlichen Handlungen intentional und adressatenbezogen: Erzählt wird ein Ereignis mit einem bestimmten kollektiven Zweck und einem individuellen Ziel (z.  B. Sieges- oder Leidensgeschichten (Rehbein 1984)). Erzählt wird unter Bezugnahme auf einen bestimmten aktuellen oder zukünftigen Adressaten(-kreis), der über bestimmte Wissensbestände und Interessen verfügt. Die mediale Realisierung der Erzählung ändert daran zunächst einmal nichts Grundlegendes. Die zerdehnte Kommunikationssituation (Ehlich 1984) schafft jedoch zusätzliche Anforderungen, zumal Deixis und Adressatenbezug anders hergestellt werden müssen. Kollektives Erzählen, wie es im Mündlichen möglich ist, ist im Schriftlichen selten(er), zumindest für eine bestimmte Fassung des Textes oder eines Textteiles übernimmt ein/e SchreiberIn zunächst einmal die gestaltende Verantwortung, ohne den Rezipienten/die Rezipientin der Erzählung unmittelbar vor sich zu haben. Die Herausforderungen des mündlichen Erzählens wie das Überleiten vom allgemeinen Gespräch hin zu einer Erzählung und wieder zurück in die Fortführung einer allgemeinen Gesprächsbeteiligung, die entsprechende Veränderung beim Rederecht (vgl. Hausendorf & Quasthoff 1996: 133–138) sowie die „online-Prozessierung“ der Formulierungen (vgl. z.  B. Auer 2000) stellen sich im schriftlichen Erzählen so nicht. Umgekehrt sind Verfahren der Vertextung, Verdichtung und der (mehrfachen) Textrevision spezifisch literale Anforderungen. DOI 10.1515/9783110354577-007

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Konstitutiv für die Diskurseinheit des Erzählens als (sprachlicher) Handlung ist die „verbale Rekonstruktion eines Ablaufs realer oder fiktiver Handlungen oder Ereignisse, die im Verhältnis zum Zeitpunkt des Erzählens zurückliegen oder zumindest […] als zurückliegend dargestellt werden“ (Gülich & Hausendorf 2000: 373). Daneben wird häufig die Singularität des erzählten Ereignisses, seine Erzählwürdigkeit als zentral hervorgehoben und je nach Ansatz als „Planbruch“ (Quasthoff 1980), „Unerwartetes“ (Ehlich 1983) oder als „Diskontinuität von Ereignisfolgen“ (Boueke et al. 1995) bezeichnet. Auch der Ausdruck von Emotionalität sowie die Evaluation der Ereignisse (Boueke et al. 1995; Wolf, Boueke & Schülein 2007) werden häufig als wesentlich für die Unterscheidung der Erzählung von anderen Textmustern wie Bericht oder Beschreibung herangezogen (vgl. z.  B. Wolf 2000). Für das interaktionale Erzählen ist es überdies charakteristisch, dass spezifische sprachliche Handlungen (sog. „Jobs“) anfallen: das Darstellen von Inhalts- und/oder Formrelevanz, Thematisieren, Elaborieren, Dramatisieren, Abschließen und Überleiten (vgl. Hausendorf & Quasthoff 1996). Inhaltlich kann sehr Unterschiedliches erzählt werden: eigene Erfahrungen – sei es als AkteurIn, als „passiveR BetroffeneR“ oder als Augen- und/oder OhrenzeugIn (in der Schule normiert als „Erlebniserzählung“) –, Erfahrungen anderer, die bereits einmal dargestellt wurden  – sei es verbal (die „Nacherzählung“) oder aber visuell (eine „Filmnacherzählung“ oder „Bildergeschichte“). Bei visuellen Vorlagen ist die Anforderung an die Formulierungskompetenz noch einmal eine ganz andere, zumal die Inhalte noch nicht/nicht mehr verbalisiert vorliegen, sondern das visuell Wahrgenommene sehr ähnlich wie ein Augenzeugenbericht selbstständig verbalisiert und ggf. noch zeitlich neu linearisiert und gestaltet werden muss. Bildschnitte zwischen Filmsequenzen oder zwischen Einzelbildern in einer Bildergeschichte sind kognitiv und ggf. auch verbal auszufüllen. Weiters können auch lediglich imaginierte Ereignisse erzählt werden, wobei der Akt des Vorstellens und damit des kreativen Schöpfens positiv konnotiert sein kann („Fantasiegeschichte“, „Utopie“, „Horrorgeschichte“ etc.) oder aber negativ, weil die Grenze zwischen realem Erleben und Vorstellung bewusst verschleiert wurde („Lügengeschichte“, „Geschichtsfälschung“ etc.). In die Kategorie des Erzählens imaginierter Ereignisse fallen überdies typische schulisch elizitierte Text­sorten wie die „Reizwortgeschichte“ oder die Erzählung zu einem Bildimpuls. In der jüngeren didaktischen Forschung zum Sachfachunterricht wird das Erzählen auch als Mittel zur Weitergabe und Aneignung von komplexen naturwissenschaftlichen Zusammenhängen thematisiert (vgl. z.  B. Kubli 2001; Küblbeck & Leisen 2008). Die Struktur der Erzählung wurde vielfach und mit unterschiedlichen Konzepten beschrieben: Story-Grammar-Ansätze, die auf Rumelhart (1975) zurückgehen und zwischen Setting und Episodenfolgen differenzieren, stehen beispielsweise den High-Point-Analysen (z.  B. Labov & Waletzky 1967/1997) gegenüber. Während Labov & Waletzky (1967/1997: 21) zunächst für das Erzählen nur eine Minimalbedingung nennen („Any sequence of clauses that contains at least one temporal juncture is a

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narrative.“), halten sie dennoch (für mündliches Erzählen) eine „klassisch“ gewordene Struktur fest: Orientierung – Komplikation – Evaluation – Resolution – Coda. Der Erzählerwerb in der Erstsprache1 beginnt i.  d.  R. mit dem mündlichen Erzählen in der Familie, das stark dialogisch angelegt ist und durch vielfältige Formen des Bootstrappings, der Unterstützung durch ältere, im Diskurstyp erfahrenere GesprächsteilnehmerInnen, befördert wird (vgl. z.  B. Hausendorf & Quasthoff 1996). Die Bedeutung familialer Sprachpraxis für die Entwicklung mündlicher wie schriftlicher narrativer Kompetenzen wird insgesamt hoch eingeschätzt (vgl. z.  B. Müller 2012).2 Mit dem Eintritt in eine Kinderbetreuungseinrichtung erhält die Erzählförderung einen institutionellen Rahmen und wird dort auch Teil der geplanten und institutionalisierten Sprachförderung (z.  B. im Kontext des Vorlesens und des Betrachtens von Bilderbüchern). Damit wird das Erzählen erstmals losgelöst von einer Mitteilungsfunktion und in eine bewusste Förderung des Spracherwerbs eingebettet, in der die Form, die Verwendung bestimmter Lexeme oder die korrekte Wiedergabe von Ereignisreihen dominiert und die Kompetenzentwicklung – wenn auch noch implizit – im Fokus steht. Die Entwicklung schriftlicher Erzählkompetenzen beginnt (zumeist) in der Schule und steht dort traditionell am Anfang der Entwicklung von Textsortenkompetenz, da das Erzählen aufgrund seiner alltagsweltlichen Fundierung als „einfache“ Text­ sorte für Schreibnovizen gilt. Nach dem an Cummins (2000) angelehnten erweiterten Modell von BICS und CALP rechnen Portmann-Tselikas & Schmölzer-Eibinger (2008: 6–7) das schriftliche Erzählen z.  B. der thematischen Orientierung an der Welt des Alltags, jedoch einer textuellen „Durchformtheit“ (vs. einer dialogischen Organisiertheit) zu. Auf der anderen Seite gibt es aber auch kritische Stimmen zu einer daraus resultierenden Platzierung des Erzählens an den Anfang der schriftlichen Textproduktion. So bezeichnen z.  B. Augst et al. (2007: 16) dies kritisch als „didaktische[s] Brauchtum“. Überdies gibt es Hinweise, dass gerade die alltagsweltliche Fundierung

1 In diesem Artikel wird – vereinfachend – von „Erstsprache“ gesprochen. Verstanden werden soll(en) darunter die Sprache(n) bzw. die Varietät(en), die in der Familie verwendet werden und die das Kind als erste erwirbt. Es wird damit also lediglich auf die Erwerbsreihenfolge Bezug genommen und ein symmetrischer Terminus zu „Zweitsprache“ verwendet. Damit wird kein Urteil gesprochen, welche Sprache(n) ein Kind am besten kann, es ist auch keineswegs ausgeschlossen, dass Kinder über mehr als eine Erstsprache verfügen. Der Terminus steht damit in der Nähe zu den derzeit häufiger verwendeten Bezeichnungen „Familiensprache“ (kritisch dazu u.  a. Schroeder & Stölting 2005: 60) oder „Herkunftssprache“, die fallweise als Synonym dazu verwendet werden. Der Terminus „Erstsprache“ hat den Vorteil, dass er unabhängig von einer Differenz zur dominanten Umgebungssprache oder Schul-/ Bildungs-/Unterrichtssprache gültig und somit nicht auf Menschen „mit Migrationshintergrund“ beschränkt ist. Daneben wird zwischen der Zweitsprache (meist Teil einer sogenannten lebensweltlichen Zweisprachigkeit) und der (z.  B. in schulischen Kontexten) erworbenen Fremdsprache unterschieden. 2 Eine knapp zusammengefasste Diskussion der Termini „Entwicklung“, „Erwerb“, „Lernen“ und „Aneignen“ bietet Bredel (2005: 79–80). Wenn in der Folge von „Erwerb“ gesprochen wird, sollen auch bewusste Prozesse des Aneignens eingeschlossen sein.

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dialogischen mündlichen Erzählens zu spezifischen Problemen der Transformation in das Medium und die Modalität der monologischen Realisierung von Schriftlichkeit führt. In schulischen Curricula ist das Erzählen nach der 8. Schulstufe kaum noch anzutreffen, d.  h. zu einem Zeitpunkt, wo der Literaturunterricht vertieft wird, werden die eigenen narrativen Kompetenzen nicht mehr gefördert. Für Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, aber von Anfang an Bildungsinstitutionen im deutschsprachigen Raum besuchen, erfolgt die Förderung der Erzählkompetenzen in der Zweitsprache Deutsch im oben skizzierten Rahmen. In der Regel wird dabei keine Rücksicht auf ihre sprachliche Entwicklung in der Erstsprache genommen, die u.  U. gar nicht oder aber auf eine andere Art und Weise und mit anderen didaktischen Zielen und Textsortennormen gefördert wird. Der Transfer von (Teil-) Kompetenzen zwischen L1 und L2 in Mündlichkeit und Schriftlichkeit obliegt damit den SchülerInnen selbst und wird kaum institutionell angeregt oder unterstützt (s. Kap. 2.2.).

2 Forschungsüberblick 2.1 Textuelle, morphosyntaktische und lexikalische ­Anforderungen der Textsorte Erzählen Die zentralen Merkmale der Textsorte Erzählen geben gleichzeitig auch Teilfähigkeiten vor, über die die SchreiberInnen (zunehmend – und je nach Erzähltyp unterschiedlich ausgeprägt) verfügen sollten:3 Neben allgemeinen Kriterien der Textqualität (u.  a. Kohäsion und Kohärenz) sowie orthographischer und morphosyntaktischer Sprachrichtigkeit müssen sie eine zeitliche Abfolge und eine räumliche Relationalisierung herstellen können, Spannung aufbauen, ggf. verschiedene Formen der Redewiedergabe einsetzen, Emotionalität ausdrücken, was wiederum das Verfügen über eine differenzierte Lexik voraussetzt. Die Differenzierung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, eine „angemessene Gestaltung“ sowie die komplexe Fähigkeit, (textsortenspezifische) sprachliche Routinen einzusetzen und trotzdem der Forderung nach Individualität zu genügen, sind weitere Herausforderungen (vgl. Dannerer 2016: 16–19). Differenzen von mündlichem und schriftlichem Erzählen wurden v.  a. im Zusammenhang mit dem schulischen bzw. schulnahen Erzählen  – in der L1, der L2 oder

3 Ehlich, Bredel & Reich (2008) unterscheiden generell folgende sprachliche Teilkompetenzen (sog. „Basisqualifikationen“): literale (Orthographie, Interpunktion), morphosyntaktische, semantische, pragmatische und diskursive Basisqualifikationen.

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vergleichend – thematisiert (z.  B. Schmidlin 1999; Ohlhus & Quasthoff 2005; Guckelsberger & Reich 2008; Dannerer 2012; Mehlem 2013, Blaschitz 2014: 67–69).

2.2 Erzählerwerb und Erzählkompetenz in der L1/L2/L3 – in der Mehrsprachigkeit Die Forschung zum Erzählerwerb ist insgesamt so breit, dass sie hier unmöglich angemessen dargestellt werden kann. Für die Vielfalt der Ansätze sei exemplarisch auf die Sammelbände von Bamberg (1997; 2007) Verhoeven & Strömqvist (2001) oder Kern, Morek & Ohlhus (2012) verwiesen. Wie für den Spracherwerb allgemein wurden auch für den Schreiberwerb (z.  B. Bereiter 1980; Feilke & Augst 1989; Augst et al. 2007) und den Erzählerwerb in der Erst- und Zweitsprache mehrfach und aus unterschiedlichen theoretischen Modellierungen heraus Stufenmodelle entwickelt, um den Verlauf der Kompetenzentwicklung eingängig beschreiben zu können (vgl. z.  B. Boueke et al. 1995; in Modifikation Augst et al. 2007 – zum Vergleich der beiden Ansätze vgl. Andresen 2013: 21–27). Zunehmend geht man jedoch auch von einer Nicht-Linearität der Entwicklungsverläufe aus (Ehlich 2005: 25–58) oder nimmt sogar auf Ansätze der Chaos-Theorie Bezug (z.  B. Peltzer-Karpf, Brizić & Rabitsch 2006: 15–22). „Chunks“, „Formeln“ oder „Routinen“ können in stabilen Phasen erworben und in turbulenten Phasen wieder zurückgedrängt werden. Probleme bei der Annahme von Linearität bereitet auch die Tatsache, dass der Erwerb von Erzählkompetenz nur als eine Interdependenz von Entwicklungen auf unterschiedlichen, jedoch zusammenwirkenden sprachlichen Ebenen erfolgt (vgl. Feilke 2003: 183; Ehlich 2005: 25). Die Kritik an Stufenmodellen richtet sich auch gegen deren überwiegende Basierung auf Erlebnisbzw. Höhepunkterzählungen, die eine allgemeine Gültigkeit einschränkt, sowie gegen die Gefahr einer normativen Deutung der Modelle (Andresen 2013: 30, 34). In den Studien, die gezielt den Erzählerwerb erfassen, werden häufig in besonderer Weise textsortenspezifische und/oder in der zeitlichen Entwicklung besonders aussagekräftige Aspekte der Erzählentwicklung herausgegriffen und analysiert wie z.  B. Aktanteneinführung, Planbruch/Spannung/Pointe, die Darstellung von Emotionalität/emotionaler Involviertheit, Tempusgebrauch, Temporalität, Lokalität, Figurenrede, feste Formeln oder Vorfeldbesetzung (vgl. z.  B. Augst et al. 2007; Becker 2011; Dannerer 2012, 2013; Lütke 2007). Dies gilt sowohl für Darstellungen des Erzählerwerbs als auch für – darauf aufbauende – Verfahren zur Sprachstandsmessung, die aus Ökonomiegründen ebenfalls darauf angewiesen sind, bestimmte Parameter herauszugreifen. Andere Aspekte, die ebenfalls zum „guten Erzählen“ gehören, wie Kreativität (Peltzer-Karpf 2008), Individualität oder Unkonventionalität (Kruse et al. 2014) werden hingegen selten untersucht. Wann immer der Spracherwerb mehrsprachiger Kinder untersucht wird, stellt sich die Frage nach den angemessenen Normerwartungen für die altersgemäße Sprachstandsentwicklung mehrsprachiger Kinder – eine Frage, die bei weitem noch nicht

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­ chroeder ausreichend geklärt ist (vgl. z.  B. Reich 2005: 151–152; Dannerer 2012: 29; S & Stölting 2005; Blaschitz 2014: 25). Dies hängt wohl auch mit dem „monolingual bias“ in Linguistik, Bildungspolitik und auch Sprachenpolitik ganz allgemein zusammen (vgl. z.  B. Laakso et al. 2016: 1–32). Allerdings müsste in dieser Diskussion noch genauer differenziert werden zwischen vergleichenden linguistischen Untersuchungen, die feststellen, ob und in welchen Bereichen Sprachkompetenzen divergieren, und der angemessenen Definition von Leistungsanforderungen und der Entwicklung von Fördermaßnahmen. Bereits für die Modellierung des (erst-/zweitsprachlichen/mehrsprachigen) Erzählerwerbs sind unterschiedliche Positionen auszumachen: Wenn ein- und mehrsprachige Kinder gleichen Alters im Erzählerwerb verglichen werden (z.  B. Knapp 1997; Dannerer 2012), kann damit gezeigt werden, dass bzw. in welchen Bereichen sich die beiden Schülergruppen (nicht) signifikant unterscheiden. Auch die Parallelen in der Entwicklung sind hier festzuhalten, zumal längst deutlich geworden ist, dass die Streuung der Kompetenzen in beiden Gruppen äußerst groß ist. Es kann überdies verdeutlicht werden, wie weit die einzelnen Teilkompetenzen DaZ-spezifische Entwicklungen zeigen oder aber allgemeine Aspekte der Sprachentwicklung, die auch in der L1 zu berücksichtigen sind (vgl. Dannerer 2012: 411–417; Blaschitz 2014: 339; Grommes 2014: 246). Im Sinne von Interferenzen ist auch mit Rückwirkungen von der Zweit- auf die Erstsprache im Hinblick auf die Entwicklung der Schriftlichkeit (vgl. Maas & Mehlem 2003) oder auch narrativer bzw. allgemeiner sprachlicher Fähigkeiten zu rechnen (vgl. Gogolin, Neumann & Roth 2005). KritikerInnen einer vergleichenden Untersuchung geben demgegenüber zu bedenken, dass damit eher die Orientierung an einer einsprachigen Norm etabliert und somit auch eine Defizitorientierung sowie eine additive Konzeption von Zweisprachigkeit befördert wird. Die Kompetenzen der mehrsprachigen SchülerInnen sollten als „Gesamtsprachenkompetenz“ modelliert werden und müssten nicht unbedingt jeweils vergleichbar sein mit Kompetenzen in einer L1 (vgl. z.  B. Blaschitz 2014: 24; Schroeder & Stölting 2005: 64; Jeuk 2006: 54). Aus pädagogischer Perspektive erfolgt hingegen umgekehrt die Kritik, dass es bei einer gesonderten Messung und Beurteilung von ein- und mehrsprachigen Kindern zu einer Verdauerung einer Ungleichbehandlung kommen kann bzw. dass der Vergleich besser die Realität in der Schule spiegle (vgl. Blaschitz 2014: 26–27). Die Vielfalt der Sprachen, die Problematik der Angaben durch die SchülerInnen bzw. deren Eltern (vgl. Brizić 2007) und die Vielfalt der Erwerbskontexte machen eine angemessene Konzeption überdies keineswegs einfach. Auf die prinzipiell vorhandenen Transfermöglichkeiten verweisen u.  a. Knapp (1997: 228), Verhoeven & Strömqvist (2001) oder Rehbein & Meng, die festhalten: „Im Fall mehrsprachiger Ontogenese sind die mit der Texthabitualisierung erworbenen Strukturen, Muster und Praktiken von einer in die andere Sprache transferierbar.“ (Rehbein & Meng 2007: 19; Hervorhebung i.O.). Ähnlich äußern sich in jüngerer Zeit z.  B. Gantefort (2013: 157) oder Baake & Hoppe (2016: 64).

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Als Untersuchungen, aus denen deutlich wird, welche Transferprozesse zwischen welchen Sprachen im (schulischen schriftlichen) Erzählen auftreten, sind u.  a. sprachvergleichend Peltzer-Karpf, Brizić & Rabitsch (2006) für BKS, Türkisch und Deutsch, Schroeder & Stölting (2005) zu Türkisch und Deutsch oder Dollnick & Pfaff (2013) zu Türkisch, Deutsch und Englisch zu nennen. Zu fragen ist dabei allerdings noch stärker nach tragfähigen Parallelen bzw. nach vorliegenden sprach- und kulturspezifischen Differenzen im Erzählen oder hinsichtlich schulischer/„transitorischer“ Normen (Feilke 2012) und didaktischer Vorstellungen zum angemessenen Erzählen. Es fällt überdies auf, dass der Vergleich zum Erwerb narrativer Kompetenzen in weiteren Fremdsprachen (L3, Ln) aus erzähldidaktischer Perspektive eher vernachlässigt wird. Im Hinblick auf das mehrsprachige Erzählen Erwachsener sind Vergleiche von Erzählkompetenzen in zwei Sprachen selten (vgl. z.  B. Fienemann 2006 zu mündlichen Alltagserzählungen in Deutsch und Französisch). Sprachvergleiche an sich jedoch liegen z.  B. durch die große Anzahl an Publikationen zur „Frog Story“ im Umkreis von Bamberg und Berman vor (vgl. z.  B. Bamberg 1997, 2007; Berman & Slobin 1994).

2.3 Die Rolle von Erhebungskontext, Aufgabenstellungen, Erzähltypen Die Mehrheit der Untersuchungen zum (kindlichen) Erzählerwerb elizitiert Daten im schulischen oder schulnahen Kontext. Dabei wird allerdings bei der Analyse der Schreibprozesse bzw. Schreibprodukte nicht immer ausreichend berücksichtigt, dass (national) gültige Textsortennormen, die institutionell geprägte Selbstwahrnehmung als Schreibende und die im Kontext der Institution erzielbare Schreibmotivation (durch das Verfassen eines Textes in der Schule, jedoch außerhalb schulischer Anreizformen wie Notenvergabe bzw. anderen Formen der Leistungshonorierung) mit eingerechnet werden müssen. Als Erzählimpulse für die Datengenerierung in der linguistischen Forschung spielen immer noch Bildergeschichten oder andere stark lenkende Impulse eine wichtige Rolle (vgl. u.  a. die Untersuchungen zur „Frog Story“ von Berman und vielen anderen, die in zahlreichen Erstsprachen und für unterschiedliche Altersstufen vorliegen), die auch aus der Erzähldidaktik im Erstspracherwerb bekannt sind, wenngleich sie keine so wichtige Rolle mehr spielen wie früher. Sie erhöhen die Vergleichbarkeit des Datenmaterials – sei es zwischen den einzelnen SchülerInnen, sei es im Längsschnitt, sei es im Querschnitt. Ein unerwünschter Nebeneffekt ist aber z.  B. das Erzeugen von Artefakten. So wird Bildergeschichten immer wieder vorgeworfen, Bildbeschreibungen zu evozieren (vgl. z.  B. Bredel 2001; Wieler 2013), ein Phänomen, das allerdings eher bei jüngeren ProbandInnen auftritt. Die von Becker (2011) nachgewiesenen Auswirkungen des Erzähltyps (Bildergeschichte, Nacherzählung, Erlebnis- und Fantasieerzählung) auf Parameter der Textqualität kann auch für die L2 angenommen

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werden. Die Frage, wie weit hier Erzählimpulse, die tendenziell zu besseren Ergebnissen führen, auch sinnvoll im Sinne eines Scaffoldings (d.  h. einer gezielten Unterstützung, die schrittweise wieder zurückgenommen wird, sobald sie nicht mehr benötigt wird) eingesetzt werden können, ist bislang jedoch kaum diskutiert. Auch Einzelbilder werden immer wieder als Erzählimpuls verwendet (z.  B. Knapp 1997; Augst et al. 2007). Neuere Arbeiten setzen gerne Filmimpulse ein, die nacherzählt werden (vgl. z.  B. Mehlem 2013; Blaschitz 2014) bzw. als Stimulus für die Erzählung ähnlicher Erlebnisse dienen (vgl. z.  B. Dollnick & Pfaff 2013). In allen Fällen sind die Art des Erzählimpulses wie auch der Erzähltyp in die Beurteilung der Ergebnisse einzubeziehen.

3 Aktuelle Studien und Tendenzen Die frühe Studie von Knapp (1997) hat bereits einige der Merkmale gezeigt, die auch viele aktuelle Untersuchungen prägen, weshalb sie hier kurz resümiert werden soll: Erhoben wurden die Erzählungen in der 5. bis 7. Schulstufe im schulischen Kontext. Die Aufgabenstellung (Phantasieerzählung anhand des Bildimpulses „Die Reise mit dem Flugkissen“) hätte so auch in der Schule gestellt werden können. Sie wurde konstant gehalten, damit die insgesamt 310 Texte besser vergleichbar sind. Das Korpus („Gmünder Korpus“) ist Teil einer größeren Erhebung in Baden-Württemberg, wobei weder die vorhandenen Textüberarbeitungen noch die ebenfalls vorliegenden Bildergeschichten einbezogen wurden. Basisdaten über die SchülerInnen sind vorhanden (Alter, Geschlecht, Nationalität,4 Aufenthaltsdauer in Deutschland), wobei die Auswertung v.  a. nach der Aufenthaltsdauer differenziert und auch „deutsche Kinder“ einbezieht (Knapp 1997: 44–57). Analysiert werden überwiegend textsortenspezifische Kriterien wie z.  B. Aktanteneinführung, Referenz, Lexik, Realisierung narrativer Muster oder affektive Markierung der Plötzlichkeit. Dannerer (2012) hat eine Längsschnittstudie der Entwicklung mündlichen und schriftlichen Erzählens von der 5. bis 8. bzw. 12. Schulstufe vorgelegt, in der sie 320 Erzählungen von 40 ein- und 8 mehrsprachigen SchülerInnen vergleicht. Die Erzählungen wurden anhand von altersspezifisch variierenden Bildergeschichten in österreichischen (Real-)Gymnasien elizitiert. Die Analyse berücksichtigt u.  a. Redewiedergabe, Tempus und temporale Mittel, Raumreferenz und Bewegung sowie

4 Knapp hält fest, dass eine Differenzierung nach „ethnischem“ oder „kulturellem“ Hintergrund wünschbar, aber im Rahmen seiner Studie nicht möglich war (Knapp 1997: 54). Eine Differenzierung nach L1 oder auch nach frühkindlicher Mehrsprachigkeit (Bilingualismus) wird nicht vorgenommen – Parameter, die in den späten 1990er Jahren noch nicht so sehr fokussiert wurden. Die Differenzierung nach der Kompetenz in der L1 (z.  B. Alphabetisierung) wird bei der Interpretation der Auswertung deutlich (Knapp 1997: 226).

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erzählspezifische Verfahren der Gestaltung von Einleitung und Schluss. Sie stellt für die zweisprachigen SchülerInnen eine höhere Normkonformität, eine stärkere Beschränkung auf hochfrequente narrative Mittel sowie eine höhere Fähigkeit zur Strukturierung fest. Insgesamt ergibt sich bis zur 8. Schulstufe eine starke Annäherung an die einsprachigen SchülerInnen. Gantefort (2013) hat eine Längsschnittuntersuchung des schriftlichen Erzählerwerbs von der 2. bis 6. Schulstufe anhand von 40 mehrsprachigen Kindern (DeutschSorbisch) vorgelegt und dabei sowohl einzelsprachliche Kompetenzen (Wortschatz, syntaktische Komplexität) als auch sprachvergleichend die „narrative Textkompetenz“ (Makrostruktur, Aktanteneinführung, Referenzfortsetzung und affektive Mittel) untersucht. Erzählimpuls waren Bildergeschichten, die auch in Sprachstandserhebungen eingesetzt werden („Katze und Vogel“ bzw. „Der Sturz ins Tulpenbeet“). Die detailreiche Arbeit von Blaschitz (2014) stützt sich auf eine Datenbasis deutschsprachiger Erzählungen von 160 mehrsprachigen Wiener SchülerInnen im Alter von 9–11  Jahren, deren Erstsprachen v.  a. Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Türkisch waren.5 Erzählimpuls war der Film „The Lost Envelope“, der „nacherzählt“ werden sollte (vgl. Blaschitz 2014: 100–107). Ziel ihrer Arbeit ist die Entwicklung eines Analyserasters, das zentrale Bestandteile der narrativen Qualifizierung erfassen und die individuelle Ausprägung beschreiben kann. Dabei ist ihr „die Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen mehrsprachiger Sprachaneignung sowie die Konzen­ tration auf die kindlichen Kompetenzen und Potenziale“ (Blaschitz 2014: 331) besonders wichtig. Die aktuelle Entwicklung in den Forschungsarbeiten scheint in Richtung einer Verbindung von qualitativen und quantitativen Methoden zu gehen und damit sowohl die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse als auch die Individualität in der Entwicklung stärker zu betonen. Insgesamt ist festzustellen, dass es immer noch kaum Arbeiten gibt, die an größeren Korpora kollektive Schreibprozesse oder Überarbeitungen von Schreibprodukten berücksichtigen. Auch eine „gleichgewichtete Repräsentation“ der Ergebnisse aus beiden/allen erhobenen Sprachen ist noch in wenigen Publika­tio­ nen realisiert.

4 Resümee Trotz einer zunehmenden Orientierung auf bildungssprachliche beschreibende und argumentierende Texte spielt das Erzählen im Schriftspracherwerb nach wie vor eine wichtige Rolle. Zunehmend werden unterschiedliche Erzählimpulse und Auf-

5 Das Datenmaterial stammt aus dem Projekt „Bildungserfolg bei Sprachtod“ von Katharina Brizić. Die Problematik der Sprachangaben wird thematisiert (Blaschitz 2014: 82–85).

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gabenstellungen eingesetzt. Die Verwendung des Erzählens in Sprachstandserhebungen ist von Bedeutung und in diesem Kontext tritt auch die Modellierung einer mehrsprachigen Kompetenzentwicklung langsam in den Vordergrund. Die Erfassung und Beschreibung von Basisqualifikationen stellt allerdings nach wie vor stärker die „Bewältigung“ der Aufgabenstellung in den Vordergrund als die Individualität der Entwicklung und die Kreativität oder Unkonventionalität von einzelnen Texten. Längsschnittuntersuchungen sowie Vergleiche von Mündlichkeit und Schriftlichkeit von SchülerInnen unterschiedlicher Erstsprachen und von ein- und mehrsprachigen SchülerInnen zeigen ein zunehmendes Problembewusstsein im Hinblick auf die Modellierung des Spracherwerbs wie auch auf die Normenfrage. Die große Heterogenität mehrsprachiger SchülerInnen u.  a. im Hinblick auf Erstsprachen, Literalisierung in den Erstsprachen, Schriftsysteme, Textsortennormen, Zeitpunkt des Eintritts in das deutschsprachige Schulsystem und (weitere) Förderung der Erstsprache macht übergreifende Untersuchungen und deren Vergleichbarkeit ebenso schwierig wie die Differenzierung der Erzählanlässe, der Erzähltypen und der Aufgabenkontexte. Die verhältnismäßig gute Datenbasis zum (schriftlichen) Erzählerwerb macht Forschung auch in Zukunft keineswegs obsolet, sondern ermöglicht die dringend notwendige Ausdifferenzierung der Analysen.

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Madeleine Domenech & Inger Petersen

8 Schriftliches Argumentieren in der Zweitsprache Deutsch im Jugendalter 1 Grundlagen 2 Empirische Befunde 3 Resümee und Ausblick

1 Grundlagen Mündlich und schriftlich argumentieren zu können hat für die Teilhabe an Diskursen und Entscheidungsprozessen in einer demokratischen Gesellschaft eine große Bedeutung. Dementsprechend kommt der Ausbildung argumentativer Fähigkeiten im schulischen Kontext eine wichtige Rolle zu. Das Argumentieren kann – insbesondere ab der Sekundarstufe I  – als zentrale bildungsbiographische Diskursfunktion aller Fächer bezeichnet werden (Feilke 2013; Vollmer 2011) und ist insbesondere im Deutsch­unter­richt prominenter bzw. expliziter Lerngegenstand. Gleichzeitig ist Argumentieren nicht nur Ziel schulischer Bildung, sondern wird auch als Werkzeug des Lernens genutzt und hängt nachweislich mit Schulleistungen verschiedener Fächer zusammen (z.  B. Quasthoff et al. 2015 für die Sekundarstufe I). Im Sinne der Ermög­ lichung von Bildungserfolg und gesellschaftlicher Partizipation ist es somit von besonderer Bedeutung, dass auch mehrsprachige Lernende über argumentative Fähigkeiten in der Zweitsprache Deutsch verfügen. In der Literatur werden die Begriffe Argumentieren, Argument und Argumentation unterschiedlich verwendet. Pohl (2014: 287) spricht von einem „ebenso heterogenen wie vielschichtigen Phänomen“. In Anlehnung an die Terminologie der formalen Logik besteht ein Argument laut Bayer (2007) aus einer Konklusion und einer Menge von Aussagen, sogenannte Prämissen, die die Konklusion stützen. In anderen Kontexten wird unter einem Argument eine einzelne Aussage verstanden (z.  B. Böhnisch 2009). Der Begriff Argumentation kann sowohl eine sprachliche Handlung (Feilke 2010) als auch das Produkt des Argumentierens bzw. einen argumentativen Text bezeichnen (Winkler 2003). Ausgangspunkt des Argumentierens ist stets eine strittige bzw. als solche zu explizierende Frage, res dubia (z.  B. Winkler 2003) oder Quaestio (z.  B. Klein 1980) genannt. Beim Argumentieren wird sodann versucht, das Fragliche „mit Hilfe des kollektiv Geltenden in etwas kollektiv Geltendes zu überführen“ (Klein 1980: 19). Das Argumentieren kann verschiedene Funktionen haben, die in der Literatur unterschiedlich bezeichnet werden. Genannt wird erstens das persuasive Argumentieren. Es dient der Persuasion des Gegenübers, also dazu, eine andere Person von der eigenen Position zu überzeugen (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012; Ehlich, Valtin DOI 10.1515/9783110354577-008

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& Lütke 2012; Winkler 2003). Eine zweite Funktion des Argumentierens ist das heuristische (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012) oder epistemisch-heuristische Argumentieren (Winkler 2003). Hierbei wird eine eigene Position zu einer strittigen Frage entwickelt und dabei vorhandenes Wissen neu strukturiert oder neues Wissen erworben. Ehlich, Valtin & Lütke (2012: 71) sprechen vom explorativen (oder erkundenden) Argumentieren und betonen damit insbesondere seine Funktion als Mittel zum Erwerb neuen Wissens zu dem Objektbereich, um den es in der strittigen Frage geht. Eine weitere Form ist schließlich das explizierende Argumentieren. Becker-Mrotzek & Böttcher (2012: 219) verstehen darunter „argumentativ-erklärende Begründungen […], in denen der Argumentierende seinen Standpunkt nicht als eine Positionierung, sondern als etwas im Prinzip unstrittig Wahres ansieht, das er nachvollziehbar machen will“. Unabhängig von ihrer jeweiligen Funktion kann davon ausgegangen werden, dass die Produktion einer schriftlichen Argumentation aufgrund des „Fehlen[s] eines textunabhängigen Sachverhalts“ (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012: 62) „große[r] strukturelle[r] Offenheit“ (Feilke 2008: 156) sowie der für sie typischen virtuellen Dialogizität (Feilke 2008: 155) sowohl auf kognitiver als auch sprachlicher Ebene für alle Schreiber*innen sehr anspruchsvoll ist. Auf theoretischer Ebene lassen sich zudem einige Bereiche ableiten, die speziell beim Argumentieren in einer Zweitsprache Schwierigkeiten bereiten könnten. Unterschiedliche Voraussetzungen von Erst- und Zweitsprachler*innen bei der Textproduktion können zum einen bei den relevanten Vorläuferfähigkeiten, dem verfügbaren Wortschatz sowie der schrift-sprach-systematischen Beherrschung angenommen werden, zum anderen auf der im Schriftlichen besonders relevanten Ebene der Formen zur explizitsprachlichen (Maas 2010) Markierung. In diesem Sinne beschreibt auch Portmann-Tselikas (2000) die Hauptprobleme fremdsprachlicher Textproduktion stellvertretend als: die Beschränktheit der verfügbaren Sprachmittel bei potentiell unbeschränkten Ausdrucksbedürfnissen und mangelnde Genauigkeit der Sprachkenntnis bei erhöhten Normansprüchen im schriftlichen Bereich. (Portmann-Tselikas 2000: 837)

Das schriftliche Argumentieren verlangt in besonderem Maße den präzisen Einsatz lexikalisch differenzierter bzw. syntaktisch komplexer Formen, was für zweitsprachliche Schreiber*innen eine besondere Herausforderung darstellen kann. Daneben ist zu erwarten, dass eben genannte Aspekte auch Folgen für den gesamten Schreibprozess in der Zweitsprache haben. Ebenfalls in diese Richtung gehen Überlegungen bzw. empirische Ergebnisse anderer Autoren (z.  B. Chenoweth & Hayes 2001; Grießhaber 2008; Krings 1992), welche die Spezifika der L2-Textproduktion auf Grundlage des Schreibprozess-Modells von Hayes & Flower (1980) herausgearbeitet haben: Aufgrund eingeschränkter zielsprachlicher Kenntnisse (insbesondere Wortschatz, Grammatik) stehen weniger kognitive Ressourcen für den Schreibprozess zur Verfügung, was zu einer insgesamt weniger automatisierten, verlangsamten Textpro-

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duktion führt, bei der hierarchiehöhere Prozesse unter Umständen nur unvollständig bearbeitet werden können. Ganz allgemein ist die Frage, unter welchen Umständen welche Aspekte des Schreibprozesses in der L1, Interimssprache oder L2 aktiviert werden und wie genau sich dies auf die zweitsprachliche Textproduktion auswirkt (z.  B. Börner 1989a; 1989b; Krings 1989; Grießhaber 2008), empirisch bisher nicht abschließend geklärt. Dies könnte insbesondere den Bereich kontextrelevanten Wissens betreffen, bei dem gerade themenbezogene Wissensbestände möglicherweise eher in der L1 vorliegen. So würde der ohnehin komplexe Prozess des Verfassens schriftlicher Argumentationen (s.  o.) in der Zweitsprache zusätzlich belastet werden. Auf adressaten- und textsortenbezogene Kenntnisse dürfte sich eine andere Erstsprache nicht per se auswirken, da diese eher von den literalen Vorerfahrungen bzw. praktischen Schreiberfahrungen, dem sogenannten „Schreibalter“ (Feilke 1996: 1181), abhängen und weniger von einzelsprachlichen Fähigkeiten. Gerade im Kontext eines mehrsprachigen Schriftspracherwerbs ist zu erwarten, dass sich diese relevanten (Vor-)Erfahrungen mit der Schriftsprachlichkeit für die einzelnen Sprachen hinsichtlich des Umfangs und der Intensität unterscheiden, so dass von einem jeweils unterschiedlichen Schreibalter in der L1 und L2 (und ggf. weiteren Sprachen) ausgegangen werden muss. Insbesondere im Zusammenhang mit einer stark schulisch geprägten Textsorte wie der schriftlichen Argumentation ist jedoch anzunehmen, dass neben den individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen und ihrem Zugang zu außerschulischen Begegnungen mit Schriftsprache(n) vor allem auch Bildungsinstitutionen eine wichtige Rolle für die Ausbildung solcher Facetten von Schreibkompetenz spielen. In diesem Sinne wird hier von Schreibbildung, als Gesamtheit schriftsprachlicher Erfahrungen eines Individuums in mehreren Sprachen unter besonderer Betonung curricular bzw. institutionell geprägter Schreiberfahrungen im Hinblick auf eine bestimmte Textsorte, gesprochen.

2 Empirische Befunde In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, inwieweit die im vorangegangenen Kapitel skizzierten Anforderungen schriftlichen Argumentierens in der Zweitsprache (Deutsch) tatsächlich empirisch nachweisbar sind. Dies geschieht anhand empirischer Studien, welche sich dezidiert der Fähigkeit zur Produktion argumentativer Texte in der Zweitsprache Deutsch widmen. Auch wenn die Anzahl von Arbeiten, welche schriftliches Argumentieren unter Berücksichtigung soziokultureller bzw. multilingualer Hintergrundfaktoren untersuchen, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, handelt es sich nach wie vor ausschließlich um Querschnitts- oder pseudolongitudinale Studien; echte Längsschnittstudien liegen derzeit noch nicht vor. In dem folgenden Forschungsüberblick werden die Ergebnisse der unterschiedlichen Unter-

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suchungen aufsteigend nach dem Alter der jeweils untersuchten Schreiber*innen berichtet und abschließend zusammengefasst.

2.1 Schriftliches Argumentieren von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Deutsch als Zweitsprache Die vergleichende und querschnittlich angelegte Untersuchung explorativer Argumentationen in Briefform von Rapti (2005) zur Abschaffung von Schulnoten von jeweils ca. 20 Schüler*innen aus den Klassen 4, 6 und 8 in der Erstsprache Griechisch und der Zweitsprache Deutsch zeigt, dass die meisten der an Augst & Faigel (1986) angelehnten Untersuchungsbereiche (Argumentations- und Textstruktur, Syntax und Lexik) in der Zweitsprache klarer umgesetzt werden bzw. besser ausgeprägt sind und sich mit zunehmendem Alter deutlicher entwickeln. Dies betrifft beispielsweise die Gestaltung von Einleitung, Schluss und Briefmerkmalen sowie den Rückgriff auf metakommunikative Wendungen, Konnektoren oder Adjektive bzw. Adverbien. Während die Unterschiede im Bereich der Textordnungsmuster weniger deutlich ausfallen, sind die verwendeten Argumentationsstrukturen jüngerer Schreiber*innen zunächst in Griechisch komplexer, mit zunehmendem Alter jedoch in Deutsch. Allein Phraseologismen werden durchgehend häufiger in der Erstsprache realisiert. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt FUnDuS widmet sich der Identifikation relevanter familiärer Faktoren, u.  a. auch migrationsbedingter Merkmale (s.  u.), zur Erklärung argumentativer Fähigkeiten als zentrale Schlüsselkompetenzen für schulische, lebensweltliche und berufliche Partizipation. Dabei wird Argumentationskompetenz als Zusammenspiel relevanter Vorläuferfähigkeiten, lokaler und globaler, rezeptiver und produktiver sowie konzeptionell mündlicher und schriftlicher Teilkompetenzen modelliert wird. Im Rahmen eines komplexen triangulativen longitudinalen Designs, das sowohl unterschiedliche fachliche (Psychologie und Linguistik) sowie methodische (quantitativ und qualitativ) Zugriffe kombiniert, wurden Schüler*innen (ca. 1400) und ihre Eltern (ca. 900) von der fünften bis zur neunten Klasse begleitet (siehe Quasthoff et al. 2015 für eine detaillierte Beschreibung des Designs und zentraler Ergebnisse). Erste Auswertungen der persuasiven Briefe aus Klasse 5 zeigen, dass der mit Hilfe eines innovativen Verfahrens erhobene Gesamtscore für Textqualität (TexQu; Quasthoff & Domenech 2016) deutlich stärker mit individuellen schriftsprachlichen Praktiken (r = .28) bzw. dem Einkommens- und Bildungsniveau des Haushalts (r = .21) zusammenhängt als mit migrationsbedingten Merkmalen der Familie (r = .14) bzw. dem Deutschgebrauch der Schüler*innen (r = .13).1

1 Grundlage hierfür war eine explorative Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse, PromaxRotation), welche die erhobenen Hintergrundvariablen zu den vier genannten Komponenten zusammenfasst:

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Die detaillierten Analysen eines systematisch gezogenen Teilkorpus (N = 293) überdurchschnittlich langer bzw. unterdurchschnittlich kurzer Texte von Domenech (in Vorbereitung) zeigen außerdem, dass ähnliche Korrelationen je nach avisierter schriftsprachlicher Ressource der Fünftklässler*innen sehr unterschiedlich ausfallen. So scheint beispielsweise die syntaktische Varianz eher mit der Häufigkeit individueller schriftsprachlicher Praktiken (Textproduktion bzw. Buchlektüre) in der Freizeit zusammenzuhängen, die orthographische bzw. morphosyntaktische Richtigkeit der Texte hingegen korreliert deutlich stärker mit dem Deutschgebrauch oder dem Bildungsabschluss der Eltern. Das Projekt Teilkomponenten von Schreibkompetenz untersucht allgemeine und spezielle kognitive sowie (zweit-)sprachliche Prädiktoren von Textqualität am Anfang (Klasse 5) und Ende (Klasse 9) der Sekundarstufe I an einer Stichprobe von 277 Schüler*innen anhand berichtender, instruierender und argumentativer Texte. Auch wenn bisher keine differenzierten Ergebnisse zu den schriftlichen Argumentationen vorliegen, so zeigen die textsortenübergreifenden Ergebnisse u.  a. stabile Effekte der jeweiligen Schularten (Gymnasium > Realschule > Hauptschule) sowie eine mit steigendem Alter bessere Vorhersagbarkeit und höhere Korrelation der verschiedenen Textsorten untereinander, wobei die Werte für die argumentativen Texte in Klasse 5 hier jeweils besonders schwach ausgeprägt sind (Becker-Mrotzek et al. 2015; Grabowski et al. 2014). Für Jugendliche, welche zu Hause noch eine andere Sprache als Deutsch sprechen, lässt sich feststellen, dass diese in sprachbezogenen Voraussetzungen wie Wortschatz, Listening Span und Leseflüssigkeit sowie Aspekten der Textqualität gegenüber einsprachig deutschen Schüler*innen schlechter abschneiden. Keine Unterschiede zeigen sich jedoch in anderen relevanten Fähigkeitsbereichen wie der Perspektivenübernahme oder der Kohärenzherstellung (Knopp, Becker-Mrotzek & Grabowski 2013). Von den Ergebnissen einer Studie, in der 351 Schüler*innen einer 7. Gesamtschulklasse (davon 48 % mehrsprachig) u.  a. einen argumentativen Text zu einem möglichen Handy-Verbot verfassen2, berichtet Haberzettl (2015). Die Qualität der Schreibprodukte wurde hinsichtlich der inhaltlichen Aufgabenbewältigung (Formulierung einer eigenen Position, zwei nachvollziehbar formulierte Gründe, Logik der Argumentation), der Fähigkeit, den argumentativen Text konzeptionell schriftlich

Individuelle schriftsprachliche Praktiken = Häufigkeit der Buch- und Zeitschriftenlektüre sowie der Textproduktion außerhalb der Schule. Einkommens- und Bildungsniveau des Haushalts = höchster Schulabschluss der Eltern (ISCED), sozioökonomischer Status (ISEI), Anzahl der Bücher. Migrationsbedingte Merkmale der Familie = Geburtsland von Großeltern, Eltern und Kind, Kindergartenbesuch in Deutschland, Deutschgebrauch zu Hause. Deutschgebrauch der Schüler*innen = Deutschgebrauch mit Freunden, Geschwistern und Eltern. 2 Die entsprechende Aufgabe ist dem Diagnoseinstrument Schuldeutsch (Gruhn & Haberzettl 2011) entnommen.

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zu gestalten (Formulierung von Einleitung, Schlussfolgerung und Kontinuität der Referenten ich, du, man) und anhand von allgemeinen Kriterien zur Textkompetenz (u.  a. passende Konnektoren, Konjunktionen, Präpositionen und korrekte Bildung von Nominalphrasen) bewertet. Im Ergebnis deuten viele Texte auf einen Förderbedarf aller Schüler*innen im Bereich des Textaufbaus hin, z.  B. misslingt in 48 % der Texte die Einleitung, und in 59 % der Texte fehlt eine explizite, identifizierbare persönliche Schlussfolgerung (Haberzettl 2015: 64). Die Autorin kann also keinen qualitativen Unterschied zwischen den Produkten der ein- und mehrsprachigen Untersuchungsteilnehmer*innen feststellen (Haberzettl 2015: 62). Auf einer vergleichbaren Schreibaufgabe basieren die exemplarischen Analysen zur syntaktischen Beschaffenheit eines Teilkorpus schriftlicher Argumentationen von Achtklässlern mit (N = 11) und ohne Migrationshintergrund (N = 16) von Henrici (2012). Hinsichtlich der Verwendung von Inversionen und Verbletztstellungen zeigen sich zunächst keine DaZ-spezifischen Unterschiede. Allerdings tauchen Insertionen ausschließlich in erstsprachlichen Texten auf, welche sich darüber hinaus durch ein breiteres Repertoire an Nebensätzen auszeichnen. Die Auswertungen formeller und persönlicher Briefe von Neuntklässlern (insgesamt ca. 9000) mit argumentativen Elementen des DESI-Projekts zeigen zunächst sehr deutliche Schulformeffekte: So erreichen anderssprachige Gymnasiasten beispielsweise höhere Kompetenzwerte als deutschsprachige Realschüler*innen (Neumann & Lehmann 2008). Bei Kontrolle des Bildungsgangs, sozioökonomischer und individueller Faktoren (kognitive Grundfähigkeit und Geschlecht) zeigen sich darüber hinaus Effekte der Erstsprache, welche für die erhobenen Teilkompetenzen (sprachsystematisch und semantisch-pragmatisch) unterschiedlich ausfallen (Hesse, Göbel & Hartig 2008): Im Bereich schriftlicher Textproduktion schneiden monolingual deutschsprachige Schüler*innen in beiden Kompetenzfacetten am besten ab, gefolgt von mehrsprachigen Jugendlichen, denen der sprachsystematische Bereich etwas schwerer fällt. Monolingual anderssprachige Schüler*innen3 zeigen insgesamt die schwächsten Leistungen und scheinen besondere Schwierigkeiten mit semantisch-pragmatischen Facetten der Textproduktion zu haben. Eingebettet in eine größere Pilotstudie zu den Wechselwirkungen von schriftsprachlicher Kompetenz in der Erst- und Zweitsprache mit ein- und mehrsprachigen Neunt- und Zehntklässlern untersucht Riehl (2013) 90 argumentative Texte einer Substichprobe von 45 mehrsprachigen Schüler*innen. Ähnlich wie bei Rapti (2005) (s.  o.) wurden sowohl L1-Texte (Italienisch, Russisch, Türkisch) als auch Texte in der L2 Deutsch erhoben4 und u.  a. in Anlehnung an die Textordnungstypen von Augst & 3 Damit sind Schüler*innen gemeint, die zuhause ausschließlich eine nichtdeutsche Sprache sprechen. 4 Die Schreibaufgabe bestand darin, einen Brief an einen Bundestagsabgeordneten zu schreiben und entweder zum Wahlrecht mit 16 Jahren (L2-Texte) oder zur doppelten Staatsbürgerschaft (L1-Texte) Stellung zu nehmen (Riehl 2013: 266).

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Faigel (1986) analysiert (s. auch Wörfel et. al. 2014). Im Vergleich der L1- und L2-Texte zeigt sich, dass die L1-Texte mehrheitlich (72 %) dem ersten, einfachen Texttyp mit einer linear-entwickelnden Makrostruktur, konzeptionell mündlichem Diskursmodus, Selbstreferenz der Schreiber und narrativen Elementen zuzuordnen sind, während mehr als die Hälfte der L2-Texte (58 %) zu dem zweiten, gemischten Typen (material-systematische Makrostruktur, konzeptionell schriftlicher Diskursmodus mit mündlichen Elementen und Distanzhaltung) gezählt werden kann. Die mehrsprachigen Schüler*innen produzieren in ihrer L2 also bessere schriftliche Argumentationen als in ihrer L1. Verglichen mit der monolingualen Gruppe aus der Gesamtstichprobe produzieren sie jedoch in ihrer L2 Deutsch etwas seltener (14 % vs. 26 %) Texte des dritten, komplexen Typs, der sich durch eine formal-systematische Makrostruktur, einen konzeptionell schriftlichen Modus und Distanzhaltung auszeichnet (Riehl 2013: 278). Ein weiteres interessantes, aber schwer zu interpretierendes Ergebnis ist, dass die russischsprachigen Schüler*innen tendenziell bessere Resultate als die Schüler*innen mit L1 Türkisch und Italienisch erzielen (Riehl 2013: 279). Zudem scheint der wechselseitige Transfer zwischen Schreibkompetenzen in der L1 und L2 in den parallel erhobenen Erzählungen besser zu gelingen als in den argumentativen Texten. Riehl (2013: 285) führt dies auf die höhere kognitive Belastung beim Verfassen einer Argumentation zurück. Zum schriftlichen Argumentieren in der Zweitsprache Deutsch von älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt unseres Wissens nach nur die Studie von Petersen (2013; 2014) vor, die im Rahmen ihrer Untersuchung syntaktischer Schreibfähigkeiten von ein- und mehrsprachigen Oberstufenschüler*innen und Studierenden (N = 198) u.  a. 191 argumentative Texte analysiert. Zur Elizitierung der Texte wurde eine Schreibaufgabe eingesetzt, in der in einem Leserbrief Stellung zur Abschaffung von Schulnoten genommen werden soll. In einer die syntaktischen Analysen ergänzenden, qualitativen Untersuchung wurde in einem Subkorpus von 72 argumentativen Texten, die im Hinblick auf die Satzlänge als Maß für syntaktische Komplexität entweder aus dem 1. oder 4. Quartil stammen, das Vorkommen und der Gebrauch konzessiver Textprozeduren näher betrachtet. Analog zu den Ergebnissen zu den syntaktischen Schreibfähigkeiten zeigt sich auch in dieser Analyse, dass der Faktor Mehrsprachigkeit keinen Einfluss auf die konzessive Argumentationsfähigkeit hat, wohl aber das Schreibalter bzw. die Schreibbildung:5 Die konzessiven Textprozedu-

5 Die syntaktischen Analysen in Petersen (2014) zeigen, dass sich weder die argumentativen Texte noch die ebenfalls erhobenen Zusammenfassungen der monolingualen und mehrsprachigen Untersuchungsteilnehmer*innen im Hinblick auf den Gebrauch komplexer Nominalphrasen signifikant voneinander unterscheiden. Dasselbe gilt für Fehler in der Nominalphrasen-Flexion, deren Vorkommen insgesamt als unerheblich bezeichnet werden kann. Beobachtbar ist jedoch ein deutlicher Anstieg der syntaktischen Komplexität der Texte über die drei Altersgruppen hinweg: Die Text- und Satzlänge steigt an, Attributsätze, Genitiv- und Adjektivattribute werden mit zunehmendem Alter vermehrt verwendet.

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ren werden sowohl in den Texten der Einsprachigen als auch in denjenigen der Mehrsprachigen mit zunehmender Schreiberfahrung häufiger und sicherer eingesetzt. Allerdings ist auf lexikalischer Ebene eine Tendenz zur Häufung von Formulierungsschwierigkeiten in den Texten der Mehrsprachigen beobachtbar. Zu diesen Formulierungsschwierigkeiten gehören der Gebrauch semantisch oder stilistisch unpassender Lexeme sowie Formulierungsbrüche bei festen Wendungen, z.  B. *meiner Meinung nach zu urteilen.

2.2 Zusammenfassung Was lässt sich aus oben genannten Untersuchungen nun hinsichtlich der Fähigkeit zur Produktion argumentativer Texte in der Zweitsprache Deutsch festhalten? Zunächst sprechen einige Ergebnisse durchaus für einen Unterschied zwischen Schreiber*innen mit Deutsch als Erst- vs. Zweitsprache. So werden in einigen Studien Bereiche identifiziert, in den monolingual deutschsprachige gegenüber mehrsprachigen Schüler*innen tendenziell im Vorteil sind. Dies betrifft beispielsweise zielsprachenbezogene Vorläuferfähigkeiten, wie den Listening Span und die Leseflüssigkeit (Knopp, Becker-Mrotzek & Grabowski 2013), lexikalische Aspekte, wie kohärente Formulierungen (Petersen 2014) sowie die Verfügbarkeit variationsreicher Nebensatzstrukturen (Henrici 2012). Ähnliches gilt für unterschiedliche Operationalisierungen von Textqualität (DESI-Konsortium 2008; Knopp, Becker-Mrotzek & Grabowski 2013). Gleichzeitig belegen eine Reihe von Studien keine Einzelsprach- bzw. Zweitspracheffekte für das schriftliche Argumentieren, sei es mit Blick auf zentrale Prädiktoren wie die Perspektivenübernahme oder Kohärenzherstellung (Knopp, Becker-Mrotzek & Grabowski 2013), die Verwendung genrerelevanter syntaktischer Strukturen (Henrici 2012; Petersen 2014) bzw. argumentationsspezifischer Textprozeduren (Petersen 2014) oder globale Facetten der Textqualität (Haberzettl 2015; Riehl 2013). Darüber hinaus ist vor allem auch die Komplexität des Zusammenspiels der verschiedenen sozialen und textuellen Aspekte deutlich geworden. Zum einen scheint die Gruppe der DaZ-Lerner*innen keineswegs homogen zu sein, sondern es bestehen Differenzen in Abhängigkeit der jeweiligen Erstsprache (Riehl 2013) bzw. der jeweiligen Sprachkonstellation. So zeigen die DESI-Auswertungen, dass Schüler*innen, die zuhause überhaupt kein Deutsch sprechen, sich in vielen Bereichen von Jugendlichen unterscheiden, die monolingual bzw. gemischtsprachlich Deutsch aufwachsen (Hesse, Göbel & Hartig 2008). Zu beachten ist ebenso die Tatsache, dass mehrsprachige Jugendliche in bestimmten zielsprachlichen Bereichen ähnliche oder sogar bessere Ergebnisse erzielen als (deutsch oder anderssprachig) monolinguale Schüler*innen, so z.  B. im Bereich der Orthografie (DESI-Konsortium 2008). Zum anderen scheinen neben migrationsbedingten Merkmalen insbesondere auch bildungs- bzw. schriftsprachbezogene Ressourcen auf individueller und familiärer Ebene mit der Qualität

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argumentativer Texte assoziiert zu sein (FUnDuS), wobei diese Zusammenhänge je nach avisierter Facette der Textproduktion sehr unterschiedlich ausfallen (Domenech in Vorbereitung). Schließlich zeigen einige Untersuchungen den Ausbau der Qualität bzw. Komplexität schriftlicher Argumentationen mit zunehmendem Alter in der Ziel- und Unterrichtssprache Deutsch, unabhängig von individueller Ein- oder Mehrsprachigkeit (Petersen 2014) und gerade auch im Vergleich zu den sich weniger entwickelnden bzw. stagnierenden Fähigkeiten in der Erstsprache (Rapti 2005; Riehl 2013). Das spricht dafür, dass die Vertrautheit und Erfahrung mit der Textsorte bzw. textsortenrelevanten Aspekten, die sogenannte Schreibbildung (Teil 1), ein zentraler Faktor für das Verfassen guter argumentativer Texte ist. Dies scheint gerade bei kognitiv anspruchsvollen Genres wie dem Argumentieren besonders (Riehl 2013) bzw. sogar stärker (FUnDuS) ins Gewicht zu fallen als die oben genannten Herausforderungen beim Schreiben in der Zweitsprache Deutsch. In diese Richtung weisen auch Befunde zu den in der Regel sehr stark ausgeprägten Schulform-Effekten (Becker-Mrotzek et al. 2015; Grabowski et al. 2014; Neumann & Lehmann 2008).

3 Resümee und Ausblick Sowohl die Modellierung der Anforderungen schriftlichen Argumentierens unter zweitsprachlicher Perspektive (Teil 1) als auch die Zusammenschau von Untersuchungen zum schriftlichen Argumentieren in der Zweitsprache Deutsch im Jugend­alter (Teil  2) haben verdeutlicht, dass die Frage nach zweitsprachspezifischen Facetten keineswegs eindeutig oder einfach zu beantworten ist. Zwar lassen sich sowohl heuristisch (Teil  1) als auch empirisch Bereiche identifizieren, die für L2-Schreiber*innen besonders herausfordernd sind: so z.  B. der Einsatz entsprechender sprachlicher Formen im Bereich der Lexik und Morphosyntax (Domenech in Vorbereitung; Henrici 2012; Neumann & Lehmann 2008; Petersen 2014). Angenommen werden kann überdies, dass sich diese Besonderheiten zusammen mit der insgesamt relativ hohen kognitiven Belastung beim Verfassen schriftlicher Argumentationen negativ auf den gesamten L2-Schreibprozess und somit auch auf die Qualität argumentativer Texte auswirken können (DESI-Konsortium 2008; Knopp, Becker-Mrotzek & Grabowski 2013). Genauso gibt es jedoch auch einige Hinweise, dass zentrale Prädiktoren (Knopp, Becker-Mrotzek & Grabowski 2013) bzw. Aspekte (Henrici 2012) sowie die Fähigkeit zur Produktion argumentativer Texte selbst unabhängig von der Erstsprache bestehen (FUnDuS; Haberzettl 2015) und neben vielen anderen möglichen Einflussfaktoren auch maßgeblich von der jeweiligen Schreibbildung (Petersen 2014; Rapti 2005; Riehl 2013) und individuellen schriftsprachlichen Praktiken (Domenech in Vorbereitung) abhängen.

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Um dieses komplexe Bild in Zukunft besser zu verstehen, bedarf es empirischer Untersuchungen, welche die aus vorheriger Forschung bekannte Vielzahl potentiell relevanter Hintergrundmerkmale erheben und in transparenten Auswertungen differenziert berücksichtigen. Dies gilt für hypothesengenerierende, qualitative Arbeiten mit im besten Fall systematisch ausgewählten Proband*innen genauso wie für quantitative Analysen mit dem Einbezug mehrerer Prädikatoren sowie statistisch flexibleren Auswertungsverfahren als vorab festgelegten Gruppenvergleichen. Erst dann wird es möglich sein, klarer zwischen zweitsprachspezifischen und schreibbildungsspezifischen Effekten zu unterscheiden. Eine weitere Herausforderung und ein Desiderat zukünftiger Forschung stellt zudem die Tatsache dar, dass bislang relativ unklar ist, welche Aspekte schriftlichen Argumentierens (in der Zweitsprache) genrespezifisch sind und welche Aspekte allgemeinere Facetten von Schreib- oder Sprachkompetenz widerspiegeln. So gibt es einige empirische Hinweise, dass die Fähigkeit zur Produktion bzw. die Qualität verschiedener, auch argumentativer, Textsorten mit zunehmendem Alter immer stärker mit textsortenübergreifenden Fähigkeiten bzw. der allgemeinen Schreibkompetenz zusammenhängt (z.  B. Grabowski et al. 2014). Genauso zeichnen sich Zusammenhänge zwischen rezeptiven und produktiven (DESI) bzw. schriftlichen und mündlichen (Domenech & Krah 2014; Domenech & Krah in Vorbereitung) argumentativen Kompetenzen ab. Dies unterstreicht erneut oben genannte Überlegungen hinsichtlich eines Einbezugs möglichst vieler unabhängiger (Angaben über zweitsprachliche und Schreibbildungs-Erfahrungen, Vorläuferfähigkeiten, zielsprachliche Voraussetzungen etc.) und abhängiger Variablen (allgemeine und genrespezifische, rezeptive und produktive Fähigkeiten etc.) in der empirischen Schreibforschung. Daneben hat der Forschungsüberblick zum schriftlichen Argumentieren in der Zweitsprache Deutsch große Lücken, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungen älterer Lerner*innen (s. auch Ahrenholz & Grommes 2014) und echte Längsschnittuntersuchungen, offenbart. Studien dieser Art wären angesichts des Schlüsselcharakters argumentativer Texte, gerade in höheren Bildungsgängen, und für bisher noch nicht vorhandene Modellierungen der Ontogenese jedoch unverzichtbar (s. z.  B. Domenech & Quasthoff in Vorbereitung).

Literatur Ahrenholz, Bernt & Patrick Grommes (2014): Deutsch als Zweitsprache und Sprachentwicklung Jugendlicher. In Bernt Ahrenholz & Patrick Grommes (Hrsg.), Zweitspracherwerb im Jugendalter, 1–20. Berlin u.  a.: Walter de Gruyter. Augst, Gerhard & Peter Faigel (1986): Von der Reihung zur Gestaltung. Untersuchungen zur Ontogenese der schriftsprachlichen Fähigkeiten von 13–23 Jahren. Frankfurt a.  M.: Peter Lang. Bayer, Klaus (2007): Argument und Argumentation. Logische Grundlagen der Argumentationsanalyse. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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Schriftliches Argumentieren in der Zweitsprache Deutsch im Jugendalter 

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 Madeleine Domenech & Inger Petersen

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Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger

9 Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache 1

Die Verankerung wissenschaftspropädeutischer Arbeiten im deutschen, österreichischen und Schweizer Bildungssystem 2 Wissenschaftliche, vorwissenschaftliche oder wissenschaftspropädeutische Textkompetenz? 3 Die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz 4 Resümee/Ausblick

In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, den aktuellen Forschungsstand zur Entwicklung der wissenschaftlichen Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache Deutsch zu skizzieren. Im Mittelpunkt stehen dabei die mit dem Schreiben von wissenschaftspropädeutischen Abschlussarbeiten verbundenen Kompetenzanforderungen, die für einen positiven Schulabschluss sowohl in Österreich (Vorwissenschaftliche Arbeit oder Diplomarbeit) als auch in Deutschland (Facharbeit) und der Schweiz (Maturaarbeit) an Bedeutung gewonnen haben. Zunächst wird im vorliegenden Beitrag skizziert, wie das Schreiben wissenschaftspropädeutischer Arbeiten im deutschen, österreichischen und Schweizer Bildungssystem verankert ist. Anschließend wird der Begriff der wissenschaftlichen Textkompetenz näher erläutert und auf vorhandene Befunde zur Entwicklung der wissenschaftlichen Textkompetenz von SchülerInnen mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache eingegangen.

1 Die Verankerung wissenschaftspropädeutischer Arbeiten im deutschen, österreichischen und Schweizer Bildungssystem Sowohl in Deutschland und Österreich als auch der Schweiz spielt das Verfassen einer schriftlichen Arbeit im Zuge des Abiturs bzw. der Matura eine wichtige Rolle. In der Schweiz ist die Maturaarbeit bzw. in Österreich in allgemeinbildenden höheren Schulen die Vorwissenschaftliche Arbeit (VWA)1 und in berufsbildenden höheren Schulen die Diplomarbeit mittlerweile verpflichtender Bestandteil der Matura. Die Facharbeit ist in 1 Der Begriff „vorwissenschaftlich“ ist kein Terminus aus der Wissenschaft, sondern wurde im österreichischen Schulunterrichtsgesetz erstmals genannt (§ 34) und wird seither im nationalen bildungspolitischen Diskurs weithin verwendet. DOI 10.1515/9783110354577-009

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 Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger

Deutschland in den Oberstufenlehrplänen aller Bundesländer verankert und vielerorts auch verpflichtend (Schindler & Fischbach 2015). Jedoch unterscheiden sich die Anforderungen von Land zu Land, und auch innerhalb der einzelnen Länder bleiben die Regelungen oftmals vage und geben keine oder nur ungenaue Anhaltspunkte für die konkrete Umsetzung dieser Arbeit als wissenschaftspropädeutischer Text. So wird etwa im österreichischen Schulunterrichtsgesetz (SchUG 2016) verlangt, Texte „auf vorwissenschaftlichem Niveau“ (§ 34 Abs. 3 SchUG 2016) zu schreiben. Was dies konkret bedeutet, wird jedoch nicht definiert. Auch wenn es heißt, dass „vorwissenschaftliche Arbeitsweisen unter Beweis gestellt werden sollen“ (§ 8 Abs. 1 SchUG 2016), ist nicht klar, um welche Arbeitsweisen es sich hier handelt. Auf der Homepage des österreichischen Bildungsministeriums findet sich der Hinweis, dass sich vorwissenschaftliche ebenso wie wissenschaftliche Arbeiten an den wissenschaftlichen Methoden und Regeln einer guten wissenschaftlichen Praxis zu orientieren haben, jedoch wird bei vorwissenschaftlichen Arbeiten nicht die Produktion neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse verlangt, sondern lediglich der Nachweis, „die wichtigsten Regeln der Wissenschaftlichkeit anwenden zu können“ (Bundesministerium für Bildung [BMB] 2015). Ausgehend von den Anforderungen an wissenschaftliches Arbeiten, wie sie etwa Eco (2007: 39–46) definiert, greift diese Definition aber bei weitem zu kurz. Auch gibt sie wenig Orientierung für die SchülerInnen selbst und ebenso für die Lehrkräfte, die diese Arbeiten zu betreuen und zu beurteilen2 haben. Während die Vorgaben für die Vorwissenschaftliche Arbeit in Österreich durch das Schulunterrichtsgesetz bundesweit verbindlich geregelt sind, sind diese für die Facharbeit in Deutschland nicht einheitlich. Gefordert wird jedoch mehrheitlich die Entwicklung und Formulierung von Fragestellungen und Hypothesen und deren Bearbeitung auf Grundlage von selbstständig recherchierter (Fach-)Literatur oder eigenen empirischen Untersuchungen. Sowohl bei der Darstellung der Literatur als auch der Ergebnisse der empirischen Untersuchungen wird verlangt, wissenschaftliche Gütekriterien einzuhalten (vgl. Schindler & Fischbach 2015: 7–8). In der Schweiz wurde die verpflichtende Maturaarbeit bereits 1995 eingeführt, d.  h. mehr als zehn Jahre, bevor diese Maßnahme in Österreich umgesetzt wurde. SchülerInnen sollen diese Arbeit allein oder in der Gruppe eigenständig verfassen (vgl. Maturitäts-Anerkennungsverordnung [MAV] 2013, Art.  10) und sich „vertieft mit ausgewählten Methoden des Recherchierens, Analysierens und Argumentierens vertraut machen“ (Quesel & Husfeldt 2013: 185). Außerdem sollen wissenschaftliche Informationen sachgerecht verarbeitet und angemessen vermittelt werden. Die konkrete Umsetzung dieser Anforderungen ist jedoch von Kanton zu Kanton und von Schule zu Schule unterschiedlich, da landesweit einheitliche Regelungen zu den Zielsetzungen und Umsetzungsmaßnahmen fehlen (Lehmann & Huber 2010: 10). Ein

2 Lehrkräften wird auf einer vom BMB betriebenen Internetseite ein Beurteilungsraster zur Orientierung zur Verfügung gestellt: http://www.ahs-vwa.at/mod/data/view.php?d=2&.

Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache 

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gemeinsamer Aspekt scheint jedoch „das Einüben wissenschaftlichen Arbeitens“ (Quesel & Husfeldt 2013: 186) zu sein. In allen drei Ländern wird dieser Arbeit eine propädeutische, d.  h. auf das Studium vorbereitende Funktion zugeschrieben (vgl. Gruber, Huemer & Wetschanow 2014: 29 für die VWA; Schindler 2015: 250 für die Facharbeit; Quesel & Husfeldt 2013: 186 für die Maturaarbeit). Es herrscht daher dahingehend Konsens, dass sie das wissenschaftliche Schreiben im Studium anbahnen soll. Wie jedoch eine Schülerin oder ein Schüler beweisen soll, „die wichtigsten Regeln der Wissenschaftlichkeit anwenden zu können“ (BMB 2015) bzw. was „die Einhaltung wissenschaftlicher Gütekriterien“ (Schindler & Fischbach 2015: 7–8) oder „das Einüben wissenschaftlichen Arbeitens“ (Quesel & Husfeldt 2013: 186) konkret ausmacht, ist nicht hinreichend geklärt. Zwar soll ein wissenschaftlicher Diskurs simuliert werden, jedoch ist das Verfassen einer wissenschaftspropädeutischen Arbeit in einem schulischen Lehr- und Lerndiskurs verankert. Außerdem ist die wissenschaftspropädeutische Arbeit an nicht näher definierte AdressatInnen gerichtet, während ein wissenschaftlicher Text an die Scientific Community als konkrete Leserschaft adressiert ist. Damit ist die Aufgabe, eine wissenschaftspropädeutische Arbeit zu schreiben, als Schreibaufgabe nicht ausreichend profiliert (siehe Konzept der „Profilierung von Schreibaufgaben“ nach Bachmann & Becker-Mrotzek 2010). Dementsprechend unklar sind auch die Anforderungen hinsichtlich der sprachlichen Konstituierung dieses Textes und der Textkompetenz, derer es dafür bedarf. Über welche Textkompetenz die SchülerInnen verfügen müssen, um eine wissenschaftspropädeutische Arbeit zu schreiben und ob dabei von „vorwissenschaftlicher“ (BMB 2015), „wissenschaftspropädeutischer“ (Quesel & Husfeld 2013: 187) oder wissenschaftlicher Textkompetenz die Rede sein soll, bleibt auch aus wissenschaftlicher Sicht bislang offen. Es soll daher im folgenden Kapitel zunächst eine Begriffsklärung vorgenommen werden.

2 Wissenschaftliche, vorwissenschaftliche oder ­wissenschaftspropädeutische Textkompetenz? Die Frage, ob das wissenschaftspropädeutische bzw. vorwissenschaftliche vom wissenschaftlichen Arbeiten unterschieden werden kann, wurde sowohl von Steets (2011: 64–65) als auch von Gruber, Huemer & Wetschanow (2014: 28–29) bejahend beantwortet, da aus ihrer Sicht sowohl Unterschiede in der Qualität des Endprodukts als auch der Entstehungssituation feststellbar sind. Allerdings bleibt die Antwort darauf offen, ob diese Unterscheidung auch in Bezug auf die Textkompetenz gilt, über die die SchülerInnen verfügen müssen, um diese Arbeiten verfassen zu können. Bevor diese Frage beantwortet werden kann, muss jedoch zunächst definiert werden, was unter wissenschaftlicher Textkompetenz verstanden werden kann.

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 Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger

Wir orientieren uns am Begriff der wissenschaftlichen Textkompetenz als Fähigkeit, wissenschaftliche Texte zu lesen, zu verstehen und zu schreiben und neue Erkenntnisse anhand von wissenschaftlichen Texten zu gewinnen und in schriftlicher Form zu präsentieren.3 Wissenschaftliche Textkompetenz wird dabei im Sinne eines allgemeinen Verständnisses von Textkompetenz nicht nur als individuelle, sondern auch als soziale und kulturelle Kompetenz betrachtet (vgl. Schmölzer-Eibinger 2010), die sich in der Fähigkeit zeigt, sich am wissenschaftlichen Diskurs und Erkenntnisgewinn zu beteiligen und den Normen und Konventionen der wissenschaftlichen Diskursgemeinschaft entsprechend zu handeln. Die pragmatische Dimension des Gebrauchs von Wissenschaftssprache in einer der Domäne angemessenen kommunikativen und sprachlichen Form spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Erwerb dieser Fähigkeit wird in der aktuellen Schreibforschung als Entwicklungsaufgabe verstanden, die institutionell bereits in der Schule angebahnt werden kann. So macht etwa Pohl (2011: 10) darauf aufmerksam, dass Basisqualifikationen für das wissenschaftliche Schreiben, wie das Referieren fremder Inhalte oder das Argumentieren unter Antizipation potentieller Gegenargumente, schon beim schulischen Schreiben geübt werden können. Auch Handlungen wie das Stellen von Fragen, das Entwickeln einer eigenen Perspektive auf einen Gegenstand oder das Verknüpfen und Darstellen von Konzepten sind nicht erst in der wissenschaftlichen Praxis von ExpertInnen, sondern auch schon in der Schule gebräuchlich (Portmann-Tselikas 2001: 7). Redder (2014: 29) verweist des Weiteren auf Studien, die eine breite Nutzung der „alltäglichen Wissenschaftssprache“ (Ehlich 1999) schon bei Lehrkräften und SchülerInnen belegen. Jedoch zeigt die hohe lernersprachliche Variation von Ausdrücken, die SchülerInnen verwenden, um wissenschaftstypische Handlungen in ihren Texten zu realisieren, dass domänenspezifische Handlungsroutinen noch kaum ausgebildet sind (vgl. Bushati et al. 2018). Die Relevanz wissenschaftssprachlichen Handelns wird auch durch Steinhoffs (2007) Neubestimmung des Begriffs der wissenschaftlichen Textkompetenz auf Basis der Wittgenstein’schen Gebrauchstheorie deutlich. Er definiert wissenschaftliche Textkompetenz als „Kompetenz zur Verwendung der in der Wissenschaftsdomäne gebräuchlichen, fachübergreifenden wie auch fachgebundenen Sprache im Medium der Schrift“ (Steinhoff 2007: 79), und als ein „knowing how“, das an den vorherrschenden Sprachgebrauch der scientific community anschließt (Steinhoff 2007: 79). Dies impliziert die Kenntnis der historisch und sozial etablierten domänentypischen Sprachgebrauchspraktiken und -formen (vgl. Feilke 2010; 2012). In diese routinisierten sprachlichen Handlungen und Formen ist der Zweck von wissenschaftlichen 3 Diese Definition geht auf die allg. Textkompetenz-Definition von Portmann-Tselikas zurück, der zufolge Textkompetenz als Fähigkeit zu verstehen ist, Texte lesen und verstehen und die damit erworbenen Informationen für das weitere Denken, Sprechen oder Schreiben nutzen zu können (PortmannTselikas 2002: 14). Wer über Textkompetenz verfügt, kann Texte daher nicht nur lesen und schreiben, sondern auch mittels Texten kommunizieren und lernen (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 15).

Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache 

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Texten eingeschrieben. Dieser besteht nicht nur in der Archivierung und Tradierung von Wissen, sondern auch in der Konstitution und Evolution von Wissen (Antos 1997). Wissenschaftliches Schreiben ist daher stets an Erkenntnisgewinn orientiert (Ehlich 1993; Redder 2014). Aber gerade diese Textfunktion ist den SchülerInnen meist gänzlich unbekannt, und zwar nicht nur jenen, für die Deutsch eine Zweitsprache ist, sondern auch jenen, für die Deutsch die Erstsprache ist. Für alle gilt gleichermaßen, dass sie Texte zum Zweck der Gewinnung wissenschaftlichen Wissens bis zum Verfassen einer Facharbeit, Maturaarbeit oder Vorwissenschaftlichen Arbeit in der Regel meist weder gelesen noch geschrieben haben. Wissenschaftliche Textkompetenz kann daher nicht nur als voll ausgebaute Fähigkeit von ExpertInnen verstanden werden, sondern auch als heranreifende Fähigkeit von NovizInnen, die sich im Laufe der Schul- und Studienzeit entfaltet. Diese ist daher nicht nur als Endprodukt einer jahrelangen Entwicklung zu betrachten, die erst im Laufe der Studienzeit stattfindet (Steinhoff 2007; Pohl 2007), sondern kann auf einem Erwerbskontinuum verortet werden, dessen Startpunkt bereits in der Schulzeit liegt.

3 Die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz Während über das Ende der Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz bereits Aussagen getroffen werden können, ist der Beginn noch wenig untersucht. So liegen zur Ontogenese wissenschaftlicher Textkompetenz im Studium neben zahlreichen Einzelpublikationen auch größer angelegte Erwerbsstudien vor (Pohl 2007; Steinhoff 2007); Studien zur Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz in der Schule wurden jedoch erst in jüngster Zeit durchgeführt (Schüler 2016; Bushati et al. 2018, siehe Kap.  3.1). Die Verortung der Kompetenzen der SchülerInnen auf einem Erwerbskontinuum stellt daher nach wie vor und insbesondere für SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache ein Forschungsdesiderat der Schreibforschung dar. Bisher können über die wissenschaftliche Textkompetenz von SchülerInnen zu dem Zeitpunkt, wenn sie mit einer Facharbeit, Maturarbeit oder Vorwissenschaftlichen Arbeit beginnen sollen, erst wenige Aussagen getroffen werden – in Bezug auf SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache liegen dahingehend noch keine empirisch fundierten Erkenntnisse vor. Bislang wurde auch noch nicht untersucht, ob sich SchülerInnen mit Deutsch als Erstsprache von SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Textkompetenz überhaupt unterscheiden. Da es sich bei einer Matura-, Facharbeit oder Vorwissenschaftlichen Arbeit für alle SchülerInnen um eine unbekannte Textsorte handelt und ihnen die dafür erforderlichen domänenspezifischen Textmuster, Gebrauchspraktiken und sprachlichen Mittel gleichermaßen weitgehend unbekannt sind, kann angenommen werden, dass sowohl SchülerInnen

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 Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger

mit Deutsch als Erstsprache als auch SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache noch am Beginn der Entwicklung ihrer wissenschaftlichen Textkompetenz stehen. Die geringe Anzahl an empirischen Studien in diesem Bereich kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die Bedeutung des Erwerbs wissenschaftlicher Textkompetenz in der Schule im deutschsprachigen Raum erst in jüngerer Zeit erkannt wurde. Dies zeigt sich vor allem in der vermehrten Konzeption von Fördermaßnahmen für die Oberstufe (z.  B. Schindler 2015; Schüler & Lehnen 2014). Diese Fördermaßnahmen sind bisher nicht spezifisch auf SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache ausgerichtet. Erst in einer jüngst abgeschlossenen Studie wurde ein didaktisches Modell zur Förderung der wissenschaftlichen Textkompetenz von SchülerInnen entwickelt, das sowohl SchülerInnen mit Deutsch als Erstsprache als auch SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache als Zielgruppe fokussiert und die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz in der Zielsprache Deutsch didaktisch kleinschrittig anbahnt (Bushati et al. 2018). Dieses Modell baut auf der Vermittlung von wissenschaftlichen Textprozeduren auf und zielt auf deren Routinisierung ab. Es ist angelehnt an ein didaktisches Konzept zur Förderung der wissenschaftlichen Textkompetenz in der Zweitsprache Deutsch für Studierende (Bushati & Ebner 2015). Im Zentrum steht dabei die Beschäftigung mit authentischen wissenschaftlichen Texten, die für eine genaue Analyse und Reflexion des Form-Funktionsgefüges wissenschaftlicher Textprozeduren herangezogen werden, bevor anhand von weiteren wissenschaftlichen Quellen ein Kontroversenreferat (siehe Kap. 3.1) zu einer strittigen Forschungsfrage verfasst wird.

3.1 Die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen Kann man davon ausgehen, dass SchülerInnen am Ende der Schulzeit bereits über eine ausreichende wissenschaftliche Textkompetenz verfügen, um wissenschaftspropädeutische Arbeiten verfassen zu können? Diese Frage ist nicht nur relevant, um die Erwartungen der Bildungssysteme entsprechend zu adaptieren, sondern auch um beurteilen zu können, ob und welcher Maßnahmen es bedarf, um SchülerInnen dabei zu unterstützen, diese Herausforderung zu meistern. Wissenschaftliche Textkompetenz von SchülerInnen wird in bisher verfügbaren empirischen Studien auf zwei Ebenen modelliert: entweder auf der makrostrukturellen Ebene des Textaufbaus oder auf der Ebene der Textprozeduren. Auf makrostruktureller Ebene werden Texte mit aggregativer und synthetischer Struktur unterschieden (Schüler & Lehnen 2014; Schüler 2016). In einem aggregativ verfassten Text werden die Bezugstexte nacheinander abgehandelt und der eigene Text bleibt eng an den vorgegebenen Texten orientiert. Ein synthetischer Text hingegen ist in thematische Blöcke gegliedert, zu denen jeweils passende Abschnitte aus den Bezugstexten herangezogen und integrierend verarbeitet werden (Schüler & Lehnen 2014: 231). Eine weitere Art, wissenschaftliche Textkompetenz zu modellieren, sind Textprozeduren

Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache 

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(Feilke 2012; 2014). Textprozeduren sind zwischen dem Schreiben als Prozess und dem Text als Produkt anzusiedeln und verbinden die bereits beschriebenen sprachlichen Handlungsmuster (z.  B. referieren) und deren Manifestation in domänentypischen Ausdrucksmustern, sog. Prozedurausdrücken (z.  B. „laut x“) (siehe auch das Konzept der „Alltäglichen Wissenschaftssprache“, Ehlich 1993; 1999). Wissenschaftliche Textprozeduren indizieren daher domänentypische Sprachgebrauchspraktiken auf der Oberfläche eines Textes (siehe z.  B. Bachmann & Feilke 2014; Feilke 2010; Feilke 2012; Feilke 2015; Feilke & Lehnen 2012; Ehlich 1993; Redder 2014). Legt man der Analyse wissenschaftlicher Textkompetenz das TextprozedurenKonzept zu Grunde, so zeigt sich in der Studie von Bushati et al. (2018), dass die SchülerInnen in der Oberstufe bereits zum Teil in der Lage sind, wissenschaftstypische Texthandlungen wie das Referieren oder Gegenüberstellen mit domänenspezifischen Prozedurausdrücken umzusetzen. So beträgt der Anteil der von den SchülerInnen zum Referieren verwendeten domänenspezifischen Ausdrücke bereits vor der didaktischen Intervention 70 Prozent. Allerdings werden diese Ausdrücke nur in 28 Prozent der Fälle auch kontextuell passend in den Text integriert (Bushati et al. in Vorbereitung). Auch die Ergebnisse von Schüler (2016: 469) zeigen, dass die SchülerInnen über ein domänenspezifisches Repertoire an Textprozeduren verfügen; dieses führt jedoch nicht immer dazu, dass auch synthetische Texte verfasst werden. Methodisch arbeiten bisherige Untersuchungen im schulischen Bereich mit der Aufgabenstellung des „Kontroversenreferats“, einer materialgestützten Schreibaufgabe, die einen argumentativen Text in Form eines wissenschaftlichen Artikels evozieren soll (siehe Feilke & Lehnen 2011: 38–41; Schüler & Lehnen 2014: 228; Bushati et al. 2018). Die Herausforderung besteht dabei darin, die Bezugstexte unter Entwicklung einer neuen Struktur im eigenen Text zu verarbeiten und die Inhalte dabei gleichzeitig in eine argumentative Struktur zu bringen (Schüler 2016: 7–8). Damit unterscheidet sich das Kontroversenreferat, ebenso wie die zu verfassenden Abschlussarbeiten, deutlich von den in der Schule üblichen Textsorten. Während Schüler und Lehnen (2014) und Schüler (2016) drei journalistische Bezugstexte als Inputmaterial heranziehen, sind es bei Bushati et al. (2018) in den Testungen zur Erhebung der wissenschaftlichen Textkompetenz zwei, in der didaktischen Intervention drei wissenschaftliche Texte.4 Sowohl Schüler & Lehnen (2014) als auch Schüler (2016) und Bushati et al. (2018) zeigen in ihren Erwerbsstudien, dass SchülerInnen in der Oberstufe durchaus bereits über Ansätze wissenschaftlicher Textkompetenz verfügen. In der Studie von Schüler und Lehnen (2014) verfassen fünf von 14 Oberstufen-SchülerInnen synthetische Texte. Die SchülerInnen zeigen damit, dass sie die Herausforderung einer inte­ 4 Im Unterschied zu dem in der Studie von Schüler & Lehnen (2014) verwendeten Material wurden den SchülerInnen in dieser Untersuchung „echte“ wissenschaftliche Texte bzw. Textausschnitte und damit auch Modelle einer wissenschaftlichen Schriftpraxis zur Verfügung gestellt. Diese wurden für ein besseres Verständnis der SchülerInnen geringfügig vereinfacht und ausschnittweise präsentiert.

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grativen Verarbeitung der Informationen aus den vorgegebenen Texten bereits bewältigen. Schüler (2016) führt diese Untersuchung mit Texten von 32 SchülerInnen in der zwölften Schulstufe weiter. 18 von 32 Texten aus diesem Korpus weisen einen zumindest teilweise synthetischen Aufbau auf, während neun davon bereits durchgängig synthetisch realisiert werden (Schüler 2016: 469). Einzelne Texte enthalten auch schon eine konklusiv-eristische Argumentation (Schüler 2016: 467). Bei der Erhebung von Bushati et al. (2018) mit 80 SchülerInnen zeigt sich, dass die SchülerInnen die vorgegebenen wissenschaftlichen Texte in den Testungen zur Erhebung des Stands der wissenschaftlichen Textkompetenz ohne didaktische Unterstützung überwiegend aggregativ abhandeln und sich dabei stark am vorgegebenen Textmaterial orientieren. Im Rahmen des Interventionssettings, in dem drei Texte vorgegeben waren und die SchülerInnen didaktisch kleinschrittig auf das schriftliche Darstellen einer Kontroverse vorbereitet wurden (ebd.), verarbeiten sie unterschiedliche Positionen aus den vorgegebenen Texten jedoch vor allem am Anfang und Ende der Texte durchaus integrativ. Für die tatsächliche Darstellung der Textinhalte greifen die SchülerInnen aber meist wiederum auf einen aggregativen Aufbau zurück. Es scheint somit im Rahmen eines spezifisch auf die Förderung wissenschaftlicher Textkompetenz ausgerichteten didaktischen Settings durchaus möglich zu sein, SchülerInnen dazu anzuregen, unterschiedliche Positionen in ihren Texten auch synthetisch zu verarbeiten (vgl. Schmölzer-Eibinger, Bushati & Ebner 2017). Eine zielgerichtete didaktische Anleitung scheint mehr Gewicht zu haben, als die Anzahl der bereitgestellten Texte. Ein Grund für die in den Studien festgestellte Dominanz aggregativer Strukturen könnte sein, dass das Verfassen eines Kontroversenreferats auf Basis mehrerer Bezugstexte die SchülerInnen überforderte und sie daher die aggregative Darstellungsweise wählten. Denn wie auch Schüler (2016: 468–469) bemerkt, dürfte es für SchülerInnen eine große Herausforderung darstellen, textübergreifende inhaltliche Bezugs- oder Diskussionspunkte zu erkennen und für die Strukturierung ihrer Texte zu nutzen. Dies zeigt sich auch in der Studie von Struger (2012a; 2012b), in der Sachtexte in der Art von Fachbereichsarbeiten in zwei Berufsbildenden Höheren Schulen in Österreich in der 12. Schulstufe untersucht wurden. Die SchülerInnen integrieren in ihren Texten die recherchierten Quellen5, indem sie Wörter durch Synonyme ersetzen, den Bezugstext reduzieren, syntaktisch verändern oder durch selbst erdachte Informationen anreichern (Struger 2012b: 192–193). Dabei werden die Quellen jedoch nicht in Bezug auf die Fragestellung des Textes weiterverarbeitet (Struger 2012a: 14) und in den meisten Fällen auch nicht systematisch ausgewiesen (Struger 2012b: 193)6. Ein Versuch, die Gesamtqualität tatsächlicher Maturaarbeiten zu evaluieren, wurde in der Schweiz mit der EVAMAR II Studie unternommen. Dabei wurden 437 5 Es handelt sich dabei vorwiegend um Internetseiten. 6 Andererseits könnten die Resultate auch darauf hindeuten, dass die SchülerInnen sich in der ersten Entwicklungsdimension wissenschaftlicher Textkompetenz – der Gegenstandsdimension – bewegen, wie dies von Pohl (2007) auch für StudienanfängerInnen festgestellt wurde (siehe Kapitel 3.2).

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Maturaarbeiten aus dem Maturajahrgang 2006/2007 von ExpertInnen auf ihre inhaltliche (z.  B. thematische Fokussierung und argumentative Stringenz), sprachliche (z.  B. Wortwahl und sprachliche Korrektheit) und formale (z.  B. formale Gliederung und korrekte Zitation) Qualität eingeschätzt. Dies erfolgte auf einer Skala von „Anforderungen voll erfüllt“ bis „Anforderungen überhaupt nicht erfüllt“ mit sechs Abstufungsmöglichkeiten. Es konnte festgestellt werden, dass die SchülerInnen in der Lage sind, die Anforderungen an die Maturaarbeit größtenteils zu erfüllen (Huber et al. 2008: 336–350). Auf den ersten Blick mag es überraschend erscheinen, dass die Schweizer SchülerInnen die Anforderungen zufriedenstellend bewältigen können, während in den deutschen (Schüler & Lehnen 2014; Schüler 2016) und österreichischen (Bushati et al. 2018) Studien festgestellt wird, dass SchülerInnen nicht über ausreichende wissenschaftliche Textkompetenz verfügen, um die geforderten Arbeiten zu verfassen. Jedoch muss bedacht werden, dass im Schweizer Kontext Maturaarbeiten untersucht wurden, an denen die SchülerInnen monatelang unter der Betreuung von Lehrkräften und oft auch unterstützt durch Familienmitglieder und Bekannte (Huber et al. 2008: 290) an einem meist selbst gewählten Thema gearbeitet haben. Eine systematische Analyse von Vorwissenschaftlichen Arbeiten bzw. Diplomarbeiten im österreichischen und Facharbeiten im deutschen Kontext steht hingegen noch aus. Im Mittelpunkt bisher verfügbarer Studien stehen jedoch nicht Zweitsprachenlernende, sondern SchülerInnen mit Deutsch als Erstsprache. Welche wissenschaftliche Textkompetenz lässt sich nun am Ende der Schulzeit bei SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache nachweisen? Über die Kompetenz dieser SchülerInnen, wissenschaftliche Texte zu verstehen und zu verfassen, überwiegen aktuell Aussagen, die in erster Linie Defizite zu erkennen meinen (z.  B. Eco 2007). Dass in Bezug auf wissenschaftliche Textkompetenz bei SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache in der Sekundarstufe größere Schwierigkeiten im Umgang mit wissenschaftlichen Texten als bei SchülerInnen mit Deutsch als Erstsprache zu erwarten sind, wäre empirisch jedoch erst zu überprüfen.7 In diesem Beitrag soll im Folgenden auch die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von StudienanfängerInnen mitberücksichtigt werden (s. auch Beitrag von Knorr in diesem Band), die Hinweise darüber gibt, wo SchülerInnen beim Schulabschluss auf einem Erwerbskontinuum wissenschaftlicher Textkompetenz verortet werden können.

7 Demgegenüber liegen zu einzelnen Basisqualifikationen des wissenschaftlichen Schreibens wie dem Argumentieren mittlerweile zahlreiche Studien vor (siehe auch Beitrag von Domenech/Petersen zum Argumentieren in der Sekundarstufe in diesem Band).

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3.2 Die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von Studierenden In den Studien zur wissenschaftlichen Textkompetenz von Studierenden spielen Studierende mit Deutsch als Zweitsprache bislang ebenso nur eine marginale Rolle. So fokussieren auch die Erwerbsmodelle von Steinhoff (2007) und Pohl (2007) auf Studierende mit Deutsch als Erstsprache (siehe Beitrag von Knorr in diesem Band). Steinhoff (2007: 137–149) nimmt in seinem Entwicklungsmodell wissenschaftlicher Textkompetenz drei Phasen an: die präkonventionelle, die konventionelle und die postkonventionelle. Ihm zufolge sind NovizInnentexte in der präkonventionellen Phase daran zu erkennen, dass Ausdrücke aus der nicht-wissenschaftlichen Domäne vorkommen (Transposition) oder die wissenschaftliche Ausdrucksweise anderer Texte (bzw. was für eine solche gehalten wird) imitiert wird (Imitation). Dies wäre auch von SchülerInnen-Texten primär zu erwarten. Weiters werden die für die wissenschaftliche Domäne spezifischen Ausdrücke nicht immer fehlerlos im Text verwendet (Transformation). Erst, wenn die Ausdrücke kontextuell passend eingesetzt werden, begibt man sich als AutorIn in die konventionelle Phase der wissenschaftlichen Textproduktion und ist in der Lage, fehlerfreie und der wissenschaftlichen Domäne entsprechende Texte zu verfassen. In dieser Phase verfügt man bereits über ein breites Spektrum an wissenschaftstypischen Ausdrücken. Wie bereits in Kapitel 3.1. anhand der Ergebnisse von Bushati et al. (2018) gezeigt wurde, können die von den Schüler­ Innen beim Referieren verwendeten Prozedurausdrücke überwiegend in der präkonventionellen Phase verortet werden. Pohl (2007: 489–491) beschreibt die Entwicklung der wissenschaftlichen Textkompetenz am Beispiel von Einleitungen in drei Dimensionen: Gegenstandsdimension, Diskursdimension und Argumentationsdimension. Diese Dimensionen werden bei der Entwicklung von wissenschaftlicher Textkompetenz nicht nacheinander durchlaufen, sondern vielmehr integriert. Texte, deren Machart für die Gegenstandsdimension typisch ist, zeichnen sich durch eine enge Orientierung an der bereits vorhandenen Forschungsliteratur aus. Die Schreibenden selektieren Textstellen anderer und reihen diese meist additiv aneinander. In den Texten finden sich sowohl allgemeinsprachliche Formulierungen als auch Normverstöße (Pohl 2007: 489–490). In der Diskursdimension kommt es zu einer ausgeprägten Formulierungssicherheit unter der Verwendung der wissenschaftlichen Alltagssprache (Ehlich 1993; 1999). Die Textinhalte anderer werden nun nicht mehr nur aneinandergereiht, sondern auch „diskursiv und epistemisch qualifiziert“ (Pohl 2007: 490). Die Argumentationsdimension zeichnet sich schließlich durch ein vielfältiges Repertoire an für die wissenschaftliche Domäne geeigneten Formulierungen aus und es wird sowohl auf meso- als auch auf makrostruktureller Ebene argumentiert (Pohl 2007: 490–491). Es kann angenommen werden, dass die in den Studien von Schüler & Lehnen (2014), Schüler (2016) und Bushati et al. (2018) entstandenen SchülerInnen-Texte überwiegend der Gegenstandsdimension zuzuordnen sind.

Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache 

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Aufgrund bisheriger Untersuchungen finden sich somit einige relevante Hinweise auf die zu Beginn eines Hochschulstudiums erwartbare bzw. institutionell geforderte wissenschaftliche Textkompetenz, die aus schulischer Perspektive zu reflektieren ist. Darüber hinaus gibt es in Bezug auf wissenschaftliche Textkompetenz von StudienanfängerInnen bisher lediglich Einschätzungen, denen zufolge diese den Anforderungen an wissenschaftliches Schreiben nicht gewachsen sind. So stellt Pohl etwa fest, dass „Abiturienten mit Schreibfähigkeiten an die Universitäten kommen, die für die besonderen Anforderungen wissenschaftlichen Schreibens in der Regel nicht ausreichen“ (2011: 3). Aus diesen Einschätzungen können jedoch keine Aussagen über die wissenschaftliche Textkompetenz von StudienanfängerInnen mit Deutsch als Zweitsprache abgeleitet werden, die Hinweise darauf geben könnten, ob bzw. auf welche Weise sich diese möglicherweise von Studierenden mit Deutsch als Erstsprache unterscheidet.

4 Resümee/Ausblick Aus der aktuellen Forschungssituation lässt sich somit ein Desiderat an Studien zur Ontogenese wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen mit Deutsch als Erstsprache, im Besonderen aber von SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache feststellen. Dahingehende Erkenntnisse wären nicht nur für die Schreibentwicklungsforschung, sondern auch für die Konzeption von didaktischen Maßnahmen zur Förderung wissenschaftlicher Textkompetenz in der Schule relevant, um der bisher vor allem an institutionellen Normen und Erwartungshaltungen orientierten didaktischen Praxis Modelle einer Förderung wissenschaftlicher Textkompetenz entgegensetzen zu können, die sich auf empirische Befunde zum Erwerbsstand wissenschaftlicher Textkompetenz am Ende der Schulzeit stützen. Damit könnte die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen entwicklungsorientiert vorangetrieben werden. Um einen differenzierten Erwerbsstand wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen am Ende der Schulzeit erheben zu können, bedarf es neben der Untersuchung der domänenspezifischen Textkompetenz auch der Analyse sprachlicher Vorläuferkompetenzen für das wissenschaftliche Schreiben, wie sie traditionellerweise in der Schule ausgebildet werden (z.  B. das Argumentieren im Deutschunterricht oder das Protokollieren im Fachunterricht, siehe dazu die Beiträge von Domenech & Petersen und Ricart Brede in diesem Band). Die Kompetenzvoraussetzungen der SchülerInnen für das Schreiben wissenschaftspropädeutischer Arbeiten sind dabei mit besonderer Berücksichtigung von SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache zu erheben, um festzustellen, ob sich die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz bei ihnen auf dieselbe Weise wie bei SchülerInnen mit Deutsch als Erstsprache vollzieht oder aber ob sie von diesen abweichen und einer besonderen Förderung bedürfen.

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 Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger

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Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen in der Zweitsprache 

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 Lisa Niederdorfer, Christopher Ebner & Sabine Schmölzer-Eibinger

Steinhoff, Torsten (2007): Wissenschaftliche Textkompetenz. Sprachgebrauch und Schreibentwicklung in wissenschaftlichen Texten von Studenten und Experten. Tübingen: Max Niemeyer. Struger, Jürgen (2012a): Forschungsprojekt „Schreiben von Sachtexten (Vorwissenschaftliche Arbeiten und Diplomarbeiten) an Berufsbildenden höheren Schulen“. In Ursula Esterl & Werner Wintersteiner (Hrsg.), Österreichisches Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik: Zwei-Jahresbericht. Bilanz 2010–2011, 13–14. Klagenfurt: Österreichisches Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik. Struger, Jürgen (2012b): Von der Frage zum Text. Empirische Befunde und didaktische Ansätze zur Förderung wissenschaftlicher Schreibkompetenz in Schule und Hochschule. In Ulrike Preußer & Nadja Sennewald (Hrsg.), Literale Kompetenzentwicklung an der Hochschule, 185–200. Frankfurt a.  M.: Peter Lang. Quesel, Carsten & Vera Husfeldt (2013): Projektmethode und Hochschulreife. Schweizer Matura­ arbeiten im Spiegel von lernbiographischer Selbstreflexion, schulischer Bewertung und Expertenrating. Zeitschrift für Pädagogik 59 (2), 180–200.

Dagmar Knorr

10 Schreibentwicklung in der Hochschule: wissenschaftliche Textkompetenz in der Zweitsprache Deutsch 1 Einleitung 2 Schreiben in der Domäne „Wissenschaft“ 3 Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz – zwei Annäherungen 4 Herausforderungen für Zweitsprachenschreibende

1 Einleitung In diesem Beitrag wird die Entwicklung der wissenschaftlichen Textkompetenz von Studierenden mit L2 Deutsch an Hochschulen beschrieben. Zu dieser Gruppe gehören vornehmlich Bildungsinländer1, also Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben, und solche mit deutscher Staatsangehörigkeit, die einen Migrationshintergrund aufweisen und mehrsprachig aufgewachsen sind. An dieser Stelle soll keine Diskussion über sprachliche Kompetenzniveaus geführt, sondern vielmehr die Fähigkeit zu einem adäquaten, also im wissenschaftlichen Kontext angemessenen Sprachgebrauch in den Vordergrund gestellt werden. So ist zum einen zu fragen, wie sich wissenschaftliche Schreibfähigkeit im Studium überhaupt entwickelt und zum anderen, welche spezifischen Herausforderungen sich dabei für Zweitsprachenschreibende ergeben. Dass wissenschaftssprachliche Kompetenzen für den Erfolg bzw. Misserfolg relevant sind, ist zwar in (schreib-)didaktischen Kontexten seit langem bekannt (vgl. bspw. Ehlich 1999; Gogolin & Lange 2011 und für einen Überblick Gogolin 2017), wurde auf bildungspolitischer Ebene jedoch erst in jüngerer Zeit in den Blick genommen. Katalysatorische Wirkung hatte der Bericht des DAAD (2011), in dem u.  a. Faktoren für den Studienabbruch untersucht wurden. Dort heißt es: „Auffällige Defizite werden vor allem in Bezug auf die selbstständige Studiengestaltung konstatiert. Hinzu kommen, eher überraschend, erhebliche sprachliche Schwierigkeiten. Zu viele Bildungsinländer bekunden Probleme mit der Beherrschung der deutschen Sprache in wissenschaftlichem Kontext.“ (DAAD 2011: 6). Hier zeigt sich ein Forschungsdesiderat: Denn den Klagen der Dozierenden über mangelnde wissenschaftliche Schreibfähigkeiten ihrer Studierenden stehen kaum empirische Befunde entgegen (Bremerich-Vos & Scholten-Akoun 2016: 36). Vielmehr

1 Zur Differenzierung von Bildungsinländern, Bildungsausländern und ausländischen Studierenden vgl. DAAD (2015). DOI 10.1515/9783110354577-010

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 Dagmar Knorr

wird eine bildungspolitische Debatte um den Bildungserfolg von Studierenden mit Migrationshintergrund und Bildungsinländern geführt, da diese Personen über „kulturelles Kapital“ (im Sinne von Bourdieu 1992) verfügen, das in einer „moderne[n], global und transnational agierende[n] Gesellschaft“ (Brandl et al. 2013: II) genutzt werden kann. Um als Gesellschaft wertschöpfend tätig werden zu können, bedarf es jedoch einer gezielten Förderung dieser Gruppe in zweierlei Hinsicht: Zum einen bedarf es Unterstützung darin, dass sie ein Studium aufnehmen, denn diese Gruppe ist nach wie vor an Hochschulen unterrepräsentiert, zum anderen bedarf es einer Unterstützung, damit sie das Studium nicht vorzeitig abbricht (vgl. Knorr & Neumann 2014). Als ein relevanter Baustein wird die Förderung im Umgang mit der Wissenschaftssprache Deutsch angesehen (vgl. Bandorski & Karakaşoğlu 2013; Gogolin, Neumann & Kopischke 2011). Dementsprechend wurden an zahlreichen Hochschulen Schreibwerkstätten und Projekte2 eingerichtet, die gezielt zweitsprachlich Schreibende ansprechen. Neben der praktischen Arbeit zur Unterstützung der Studierenden entwickelt sich in jüngster Zeit eine interdisziplinäre Schreibwissenschaft, in der die – ebenfalls interdisziplinären – Diskurse der empirischen Schreibforschung und der Schreibdidaktik zusammengeführt werden. In der empirischen Schreibforschung wird mit den verschiedensten Erhebungs- und Analysemethoden gearbeitet, um dem Facettenreichtum des Schreibens gerecht zu werden (für einen Überblick vgl. Becker-Mrotzek, Grabowski & Steinhoff 2016). Um die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz beschreiben zu können, wird in diesem Beitrag zunächst allgemein auf das Schreiben in der Domäne Wissenschaft und die Charakteristika wissenschaftlicher Texte eingegangen (Abschnitt 2). Anschließend werden zwei Entwicklungsmodelle wissenschaftlicher Schreibfähigkeiten vorgestellt (Abschnitt  3). Diese bilden die Grundlagen für die spezifischen Anforderungen, die das wissenschaftliche Schreiben in der Zweitsprache Deutsch mit sich bringt. Allerdings liegen zurzeit keine Studien und Modellierungen vor, die eine direkte Auseinandersetzung mit der Entwicklung wissenschaftlicher Schreibfähigkeit in der Zweitsprache ermöglichen. Deshalb werden abschließend die Herausforderungen des Forschungsfeldes diskutiert.

2 Schreiben in der Domäne „Wissenschaft“ Das wissenschaftliche Schreiben stellt alle Studierende vor eine besondere Herausforderung: Sie müssen sich inhaltlich und methodisch in ihr Studienfach einarbeiten sowie abhängig vom Fach eigene Fragestellungen entwickeln und bearbeiten. Hierfür 2 Beispiele hierfür sind die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit an der Universität Hamburg (Knorr & Neumann: 2014) und das Projekt „Zwischen den Sprachen“ an der Goethe-Universität Frankfurt/Main (Larrew & Kochanska 2016; Larrew, Pitzler & Rodríguez Navarro 2014).

Schreibentwicklung in der Hochschule 

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müssen sie sich entsprechendes Wissen aneignen und in Texten darlegen, die inhaltlich, sprachlich und formal den Ansprüchen des jeweiligen Fachs genügen. Wissenschaftliches Schreiben zeichnet sich also u.  a. dadurch aus, dass dem Schreibprozess Lese- und Verstehensprozesse vorausgehen: Es wird Textkompetenz benötigt (vgl. Portmann-Tselikas & Schmölzer-Eibinger 2008). Studierende müssen beim Schreiben zudem eine Vielzahl von Anforderungen gleichzeitig erfüllen. Flower & Hayes (1980: 31) beschreiben dieses Phänomen als „juggling with constraints“, wobei sie die Anforderungen in drei größere Bereiche unterteilen: „Knowledge, Written Speech, and the Rhetorical Problem“ (Flower & Hayes 1980: 33). Die Umsetzung von Wissen in Sprache wird als Linearisierungsproblem unter den rhetorischen Anforderungen an den Text aufgezählt, aber nicht expliziert. Das zur Verfügung stehende lexikalische und syntaktische Wissen ist jedoch ein relevanter Einflussfaktor beim Schreiben, da sie zum einen die „Flexibilität und Wendigkeit im Sprachgebrauch“ beeinflusst (PortmannTselikas 1991: 427) und zudem „nicht beliebig verwendet werden kann, sondern den genre- und adressatenbezogenen Erwartungen gerecht werden muss“ (Kruse & Jakobs 1999: 22). Die Sprache der Domäne Wissenschaft verfügt zudem über spezielle Charakteristika, die nachfolgend skizziert werden. Der Sprachgebrauch in der Wissenschaft zeigt sich besonders in wissenschaftlichen Texten. Der wissenschaftliche Zeitschriftenartikel kann als Prototyp eines wissenschaftlichen Textes verstanden werden (Graefen 1997). Er folgt vielfach – hier sind disziplinenspezifische Einflüsse sichtbar – bestimmten Konventionen, die sich in der Diskursgemeinschaft herausgebildet haben und tradiert werden (vgl. Ehlich 2003). Die Texte sind intern strukturiert (vgl. Portmann-Tselikas 2011) und folgen bestimmten Handlungsschritten (vgl. Swales 1990). Sprachkontrastive Untersuchungen zeigen Unterschiede auf, die sich in der Realisierung genrespezifischer Merkmale (Kruse & Chitez 2012) oder sprachlicher Muster widerspiegeln (vgl. als Beispiele kontrastiver Untersuchung der Wissenschaftssprache Deutsch mit anderen Wissenschaftssprachen Chen 2015; Heller 2008; Thielmann 2009). Graefen (1997: 100) bezeichnet die „Hervorbringung und Verbreitung von neuem Wissen“ als herausragendes Merkmal eines wissenschaftlichen Zeitschriftenartikels. Dieses Wissen wird in einer – dem Schreibenden – bekannten Community dargelegt. Für studentische Arbeiten gilt dieses Merkmal nicht. Besonders in unteren Semestern wird von Studierenden nicht erwartet, neues Wissen zu erzeugen (Stezano Cotelo 2011: 92). Auch wird von studentischen Arbeiten nicht erwartet, dass sie für die Fachgemeinschaft relevantes Wissen hervorbringen (vgl. Stezano Cotelo 2011). Texte von erfahrenen Wissenschaftlern und von Studierenden unterscheiden sich daher in vielfacher Hinsicht. Studentische Textproduktion zielt zunächst auf das Einüben wissenschaftssprachlicher Konventionen. Hierzu gehört die Wiedergabe von Forschungs­ posi­tio­nen bzw. des Forschungsdiskurses. Die verschiedenen Textformen, die hierfür verwendet werden (bspw. Seminar- oder Hausarbeiten), dienen dieser Einübung. Pohl & Steinhoff (2010) bezeichnen sie deshalb auch als „Lernformen“, zumal der Einfluss der Fachgemeinschaft bei der Genreausgestaltung geringer ist als die der Institution

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 Dagmar Knorr

(vgl. Kruse & Chitez 2012). Im deutschsprachigen schreibdidaktischen Diskurs macht die Differenzierung zwischen „wissenschaftlichem“ und „akademischem Schreiben“ (Jakobs 1999a: 173) den Unterschied deutlich. Im folgenden Abschnitt wird daher der Frage nachgegangen, wie sich wissenschaftliche Schreibfähigkeit entwickelt.

3 Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz – zwei Annäherungen In diesem Abschnitt werden die Studien von Steinhoff (2007) und Pohl (2007) vorgestellt. Es handelt sich um zwei Entwicklungsmodelle wissenschaftlicher Schreibfähigkeit, die sich beide an der L1-Studierendenkompetenz orientieren. Beide Autoren gehen davon aus, dass das Ziel der Entwicklung darin besteht, in einem fachlichen Diskurs adäquat kommunizieren zu können, und dass sich diese Fähigkeit im Laufe des Studiums erst entwickelt bzw. von einer „lebenslange[n]“ Entwicklung (Steinhoff 2007: 130) ausgegangen werden muss. Zudem konstatiert Steinhoff (2007), dass es Abiturienten an „genuiner Schreiberfahrung“ in der Domäne Wissenschaft fehlt, so dass sie wieder – zumindest in dieser Domäne – als Schreibnovizen betrachtet werden müssen (Steinhoff 2007: 132). Ausgehend von dieser Prämisse konzipiert Steinhoff sein Entwicklungsmodell. Er prüft anhand von 296 studentischen Texten aus verschiedenen Semestern und einem Expertentexte-Korpus (Steinhoff 2007: 3), welche Strategien die Studierenden in ihren Texten anwenden und welches die Bedingungen sind, damit vom Erreichen wissenschaftlicher Schreibfähigkeit gesprochen werdenkann. Pohl (2007) untersucht aus einer „entwicklungsdifferenzierte[n] Perspektive“ (Pohl 2007: 3), zu welchen Zeitpunkten Studierende welche Entwicklungsschritte im Erwerb wissenschaftlicher Textkompetenz fokussieren. Den Begriff der „Entwicklung“ beleuchtet er dabei aus psychologischer, sprachwissenschaftlicher und didaktischer Perspektive. Seine Ergebnisse basieren auf sechs Studien, die er qualitativ und zum Teil auch quantitativ analysiert. Beide Arbeiten basieren also auf empirischen Untersuchungen und bieten somit konkretes Material und Einsichten über Entwicklungsprozesse, die als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen können. Beide Autoren gehen zudem davon aus, dass Studienanfänger noch nicht in der Lage sind, wissenschaftssprachlich adäquat zu schreiben, da sie zwar „über Möglichkeiten allgemeinsprachlichen/schriftsprachlichen Formulierens, nicht aber über ein Repertoire an wissenschaftsspezifischen Formulierungsbeständen“ verfügen (Pohl 2007: 500). Dieses ist aber notwendig, um eine „kontextuelle Passung“ zu erreichen, bei der „der Sprachgebrauch des Schreibers mit dem wissenschaftssprachlichen Common sense kompatibel ist“ (Steinhoff 2007: 137). Der Weg der Entwicklung wird von den beiden Autoren unterschiedlich beschrieben. Steinhoff (2007) nutzt die Theorie der kognitiven Entwicklung Wygotskis als

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Ausgangspunkt für die Bildung seiner Kategorien. Hierbei werden die Prinzipien der Assimilation und Akkomodation auf das Schreiben übertragen, also das Wechselspiel zwischen Lernendem und Umwelt: Auf der einen Seite übernimmt der Lernende Schemata und Muster in sein Handlungswissen und lernt, diese anzuwenden (Akkomodation), auf der anderen Seite prägt ihn die Umwelt (Assimilation). Das Ziel ist ein Gleichgewicht: die „kontextuelle Passung“ (Steinhoff 2007: 137). Mit der kontextuellen Passung greift Steinhoff (2007) diskurstheoretische Ansätze auf, wie sie u.  a. von Swales (1990) im Hinblick auf Textgenres vorgeschlagen wurden (für einen Überblick vgl. Pogner 1999). Steinhoff untersucht, mit welchen Strategien Schreibende dahin kommen, kontextuell adäquat zu schreiben. Um von einem „inadäquaten“ oder „präkonventionellen“ Sprachgebrauch (Steinhoff 2007: 138) zu einem kontextadäquaten zu gelangen, verfolgen Schreibende laut Steinhoff zwei Strategien: jene der „Transposition“ und jene der „Imitation“ (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Modell zur Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz (Steinhoff 2007: 138)

Bei der Transposition versuchen Lernende „neue Probleme mit alten Mitteln zu lösen“ (Steinhoff 2007: 138). Steinhoff ermittelt den journalistischen Sprachgebrauch als die Domäne, aus der am häufigsten übertragen wird, und betont, dass sich hieraus oft Schwierigkeiten bei der Übertragung ergeben, da sich der Sprachgebrauch in den Domänen unterscheidet. Bei der Imitation wird ein Sprachgebrauch nachgeahmt, ohne ihn tatsächlich zu beherrschen (Steinhoff 2007: 143). Steinhoff (2007: 144) identifiziert die Nominalisierung bzw. die Deverbalisierung als Hauptmerkmal der Nachahmung. Dabei konzentrieren sich Novizen auf die sprachliche Form und vernachlässigen den zu vermittelnden fachlichen Inhalt. Dennoch erkennt Steinhoff (2007: 145) in der Imitation einen „bedeutsame[n] Lernmechanismus“, zumal wenn Studierende das Imitierte immer bewusster und angemessener einsetzen. Als „Transformation“ bezeichnet Steinhoff (2007) die Stufe zwischen präkonventionellem Sprachgebrauch und kontextueller Passung. In dieser Stufe geht es

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zunächst um den quantitativen Erwerb wissenschaftssprachlicher Mittel. Typisch für diese Stufe der Entwicklung sind Fehler in der Verwendung von Kollokationen3 (vgl. Ehlich 1999; siehe auch Beitrag von Niederdorfer, Ebner & Schmölzer-Eibinger in diesem Band). Kollokationen sind feste sprachliche Einheiten, die aus mehreren Wörtern bestehen. Die Wissenschaftssprache verfügt über viele feststehende, teilweise komplexe Wendungen, die sich Studierende nach und nach aneignen. Kollokationen, wie bspw. „der Frage nachgehen“ indizieren „ein typisch wissenschaftliches Gebrauchsschema“ (Steinhoff 2007: 79). Solange Studierende nicht über entsprechende sprachliche Mittel verfügen, kommt es zu Fehlern bzw. zu Verstößen gegen diese Gebrauchsschemata. Allerdings wird in schreibdidaktischen Kontexten bezweifelt, ob es sich tatsächlich um Fehler handelt; Steinhoff (2007: 258) verwendet den Begriff „Lernerformen“. Und Pohl (2007) konstatiert: Sämtlich zeichnen sich diese Formulierungsversuche dadurch aus, dass eine gebräuchliche Formulierungsroutine angestrebt wird, diese aber hinsichtlich der konventionellen, ausdrucksseitigen Kombinatorik knapp verfehlt ist. Die mit den verunglückten Formulierungen anvisierten Verstehenskontexte bleiben zwar für einen kompetenten Leser unter Umständen rekonstruierbar und können von ihm durch ‚sprachliches Zurechtrücken‘ (Seidel 1994, 61) eingebracht werden, Irritationen und Verzögerungen im Rezeptionsprozess sind aber vorprogrammiert. (Pohl 2007: 127)

Ähnlich argumentieren Honegger & Sieber (2012), die solche Normverstöße als „sprachlogisches Zittern“ bezeichnen, also um ein „Ringen um Präzision der Aussage, der Argumentation und um die Verwendung der Fachsprache“ (Honegger & Sieber 2012: 39). Diese – didaktisch geprägte und lernersensitive Sichtweise – ermöglicht es Studierenden, sich sprachlich auszuprobieren. Rückmeldungen sollten daher entsprechend formuliert werden. Allerdings merken Honegger & Sieber (2012) auch an, dass dies von zu wenig Dozierenden getan wird. Dabei sind gerade für Zweit- und Fremdsprachenschreibende solche sprachsensiblen Rückmeldungen wünschenswert.4 Wenn Schreibende über die entsprechenden sprachlichen Mittel verfügen und die (fachlich und kulturell geprägten) Diskurskonventionen kennen, ist ihnen ein kontextuell passender Sprachgebrauch möglich. Steinhoff beobachtet zudem einen „postkonventionellen“ Sprachgebrauch und stellt die These auf, dass „ältere, erfahrene, sehr erfolgreiche Wissenschaftler anders schreiben als ihre jüngeren Kollegen“ (Steinhoff 2007: 39). Er kritisiert die Forderung in einigen Ratgebern, dass „Studierende sich von wissenschaftskommunikativen Konventionen lösen und ihre „eigene“ wissenschaft­ liche Schreibweise entwickeln“ sollten, deshalb als „nicht entwicklungsangemessen“ 3 Pohl (2007: 124) vermeidet den Begriff „Kollokation“ und verwendet stattdessen den Begriff „Ausdrucksfehler“ zur Beschreibung des Phänomens. Allerdings sind „Kollokation“ und „Ausdrucksfehler“ nicht synonym. 4 Auch Neumann (2013) weist auf den Aspekt der mangelnden Rückmeldung von Dozierenden auf sprachliche Fähigkeiten von Studierenden – unabhängig von deren sprachlichen Hintergrund – hin.

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(Steinhoff 2007: 139). Hieraus können wiederum schreibdidaktische Konsequenzen gezogen werden, da die Vermittlung fachlicher Konventionen im Sinne eines Scaffoldings5 für die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz genutzt werden kann. Während Steinhoff (2007) seine Modellierung auf den Sprachgebrauch hin ausrichtet, konzentriert sich Pohl (2007; 2010) auf die Modellierung des Textaufbaus. Hierfür hat er sechs Studien durchgeführt, die er qualitativ und zum Teil quantitativ analysiert. Seine Fallstudien zeigen, dass das wissenschaftliche Formulieren, die Verwendung „alltäglicher Wissenschaftssprache“6 (Ehlich 1999) sowie die „explizit kontrollierte Intertextualität“ (Pohl 2007: 322) im Verlauf des Studiums zunehmen. Er kommt zu dem Schluss, dass sich wissenschaftliche Schreibfähigkeit über drei Dimensionen entfaltet: die Gegenstandsdimension, die Diskursdimension und die Argumentationsdimension (vgl. Abbildung 2). Pohl (2007; 2010) leitet aus den Dimensionen drei Entwicklungsniveaus ab, die sich in zugehörigen Entwicklungsphasen des wissenschaftlichen Schreibens niederschlagen: In der 1. Entwicklungsphase „gegenstandsbegrenztes Schreiben“ verfügen Studierende „über Möglichkeiten allgemeinsprachlichen/schriftsprachlichen Formulierens, nicht aber über ein Repertoire an wissenschaftsspezifischen Formulierungsbeständen. Sie sind daher gezwungen sich in ihrem Schreiben sehr stark an den Vorlagetexten der wissenschaftlichen Literatur zu orientieren“ (Pohl 2007: 500). Versuche, sich von den Vorlagen zu lösen, können misslingen und zu Formulierungsverstößen führen. Die 2. Entwicklungsphase bezeichnet Pohl als „diskursbegrenztes Schreiben“ (Pohl 2007: 501). Studierende können „argumentative Konstellationen des fachlichen Diskurses mit ihren Texten“ abbilden, indem sie Positionen „textuell […] arrangieren“. Erst in der 3. Entwicklungsphase „wissenschaftlich argumentierendes Schreiben“ ist die „wissenschaftliche Alltagssprache“ voll entwickelt und einsetzbar (Pohl 2007: 501). Diese Entwicklung kann in studentischen Texten nachvollzogen werden. Zur Illustration folgt eine Analyse von drei Beispielen mehrsprachig aufgewachsener Studierender, für die Deutsch die Zweitsprache ist, und die eine Schreibberatung aufgesucht haben. Jedes Beispiel hat eigene Stolperstellen. Zu erkennen sind die verschiedenen Stadien der Aneignung des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs. (1) Um festzustellen ob es ein Student einen Anspruch auf Grundsicherung hat im Sinne des Sozialrechts müsste mann die Gesetze die für eine Grundsicherung zuständig sind prüfen.7

5 Mit Scaffolding ist eine vorübergehende Hilfestellung gemeint, die es – besonders Zweitsprachenlernenden – ermöglichen soll, sich neue Inhalte sprachlich zu erschließen (vgl. Gibbons 2002/2015; Kniffka 2010). 6 Mit „alltäglicher Wissenschaftssprache“ bezeichnet Ehlich (1999: 8) die sprachlichen Mittel, die zwischen den Fachtermini (als Zeichen der Wissenschaftssprache) stehen. 7 Quelle: KoLaS–  Kommentiertes Lernendenkorpus akademisches Schreiben, (Andresen & Knorr 2017), Text „13–01–04_Diplom-Grundsicherung-fuer-Studenten_31–23–46.docx“, geboren in Deutschland, mit 3,5 Jahren nach Ecuador gezogen, Rückkehr nach Deutschland im Alter von 14 Jahren, bi-

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Abb. 2: Die Entfaltungsbewegung der Ontogenese wissenschaftlichen Schreibens (Pohl 2010: 110, zuerst veröffentlicht in Pohl 2007: 488)

Im ersten Beispiel wird sehr gegenstandsbezogen formuliert. Es werden einige Fachtermini verwendet („Grundsicherung“, „Sozialrecht“), die jedoch in eine syntaktische Struktur eingebunden sind, die den propositionalen Gehalt des Satzes herabsetzen. (2) Das Ziel dieser Arbeit ist es die Erwartungen der SuS vor dem Anfangsunterricht Chemie zu ermitteln. Dabei soll eine stichprobeartige Studie unter den SuS helfen. Es soll untersucht werden, inwieweit die Erwartungen für die Chemie vorliegen.8

Im zweiten Beispiel wird mit „Das Ziel dieser Arbeit ist es …“ eine Textprozedur9 verwendet, die der Leserführung dient. Zudem ist deutlich ein „Ringen um den präzisen Ausdruck“ (Honegger & Sieber 2012) sichtbar: Während mit „Erwartungen … ermitteln“ eine ausgeprägt wissenschaftliche Lexik verwendet wird, ist die Kombination von „stichprobe[n]artig“ und „Studie“ sowie das Verb „helfen“ in wissenschaftlichen Kontexten eher unüblich. lingual aufgewachsen mit Deutsch und Spanisch; für die Mutter ist Deutsch, für den Vater Spanisch die Erstsprache. 8 Quelle: KoLaS, Text „14–12–04_HA-Chemiedidaktik_27–06–19.doc“, Bildungsinländerin, aufgewachsen mit Deutsch, Englisch, Französisch und Persisch/Farsi. 9 Textprozeduren sind sprachlich-kommunikativen Handlungskomponenten, die eine vermittelnde Rolle zwischen Text und Schreibprozess einnehmen (Feilke 2014: 21).

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(3) Säkularisierende Diskurse im Osmanischen Reich können als heterogene Diskurse verstanden werden, weil das Reich eine Form des Vielvölkerstaates trug. Die Gesellschaft war von unterschiedlichen religiösen Gruppen geprägt. Diese Diskurse findet man auch in den Werken der Osmanischen Muslimen, Juden, Christen und Atheisten10

Im dritten Beispiel findet sich eine ausgeprägte fach- und wissenschaftssprachliche Lexik („Diskurs“) und entsprechende Textmuster bzw. Textprozeduren („können als x verstanden werden“). Allerdings wird der Leser noch nicht ausreichend durch den Abschnitt geführt. Im Sinne von Becker-Mrotzek & Schindler (2007) wäre hier eine Weiterentwicklung notwendig, um Kohärenz zu erzeugen. Die Ähnlichkeiten der Modellierungen von Steinhoff (2007) und Pohl (2007) sind unverkennbar: Sie betonen beide die allmähliche Aneignung eines wissenschaftlichen Sprachgebrauchs, der Schreibende nach und nach dazu befähigt, für den wissenschaftlichen Diskurs angemessen zu schreiben; also Texte produzieren zu können, die sich durch eine argumentative und eristische Struktur (Ehlich 2003, 2015) bzw. Intertextualität (Jakobs 1999b) auszeichnen. Die Herstellung von Intertextualität stellt für Zweitsprachenschreibende eine besondere Herausforderung dar. So stellt Stezano Cotelo (2006: 92) eine „Dominanz des zitierenden sprachlichen Handelns“ fest, die „verstärkt in Arbeiten ausländischer Studierender zu beobachten“ ist (Hervorhebung im Original).11 Während beim Zitieren wortgetreu Text eines anderen Autors in den eigenen übernommen wird, wird beim Paraphrasieren der Inhalt in eigenen Worten wiedergegeben. Im funktional-pragmatischen Diskurs wird zudem zwischen „Umformulieren“ und „Zusammenfassen“ unterschieden. Beim „Umformulieren“ soll nur die Äußerungsdimension verändert werden; „propositionale Verschiebungen“ können jedoch dazu führen, dass „die in der Umformulierung niedergelegten Wissenselemente denen im Bezugstext nicht mehr angemessen sind“ (Stezano Cotelo 2011: 91–92). Beim „Zusammenfassen“ werden begriffliche Bündelungen, Neugliederungen und Ausrichtungen der Betrachtung vorgenommen (Stezano Cotelo 2011: 92). Ein Ergebnis von Stezano Cotelo (2011: 106) ist, dass insbesondere ausländische Studierende beim Umformulieren Probleme haben, weshalb sie sich eher auf zitierendes sprachliches Handeln beschränken. Welche Schlüsse können aus den referierten und beobachteten Befunden für die spezifischen Bedingungen gezogen werden, unter denen L2-Schreibende Texte produzieren?

10 Quelle: KoLaS, Text „16-02-01_Protokoll_19-94-77_SB02.docx“, Bildungsinländerin, aufgewachsen mit Aserbaidschanisch, Georgisch, Russisch und Deutsch. 11 Die Untersuchung basiert auf der funktional-pragmatischen Analyse von 44 studentischen Seminararbeiten (39 von ausländischen, 5 von deutschen Studierenden).

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4 Herausforderungen für Zweitsprachenschreibende Die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von Zweitsprachenschreibenden bedarf zum einen schreibdidaktischer Überlegungen, wie vorhandene sprachliche Kompetenzen beim Schreiben genutzt werden können (vgl. Hornung 2002; Bushati & Ebner 2015; Lange 2015), zum anderen einer Veränderung der Diskussion, welchen Stellenwert Mehrsprachigkeit in der Domäne Wissenschaft einnimmt. Besonders die zweite Frage wird in den vorgestellten Modellierungen nicht berücksichtigt – hier zeigt sich ein offensichtlicher Forschungsbedarf. So ist die Frage zu diskutieren, wie mit Standards und Normen umgegangen werden soll, die sich im monolingualen deutschsprachigen Raum entwickelt haben. Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da zum einen Qualitätsstandards betroffen12, zum anderen Diskriminierungen zu vermeiden sind (vgl. Kalpaka 2015). Immerhin ist in jüngster Zeit eine Veränderung zu beobachten: Die lange Zeit getrennten Diskurse zur sprachlichen Bildung, Schreibprozessforschung sowie zur Schreib- und Textkompetenz, die in den Bildungs- und Sprachwissenschaften geführt wurden, gehen aufeinander zu und fachliche Grenzen werden zunehmend überwunden.13 Die fachliche Diskussion und die empirische Forschung sind zwei Felder, für deren Bearbeitung noch Handlungsbedarf besteht. In der Schreibdidaktik tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die intensive Auseinandersetzung mit der Wissenschaftssprache Deutsch und die besonderen Anforderungen für die Zweitund Fremdsprachenschreibenden als ein Handlungsfeld erkannt. Auffällig ist, dass meist nicht zwischen Zweit- und Fremdsprachenschreibenden unterschieden wird, sondern dass entweder mehrsprachige oder fremdsprachliche Rezipienten adressiert werden: Beinke et al. (2011) geben in ihrem Ratgeber explizit Hinweise für Zweit- und/ oder Fremdsprachenschreibende; Ulmi et al. (2014) weisen auf den Einfluss mehrsprachlicher Bedingungen hin, die in der Schreibberatung berücksichtigt werden sollten. Die Lehrbücher zur Wissenschaftssprache Deutsch von Graefen & Moll (2011) und Moll & Thielmann (2017) geben konkrete Vorschläge und Verwendungshinweise für wissenschaftssprachliche Ausdrucksmittel. Lehrmaterialien, wie die von Fandrych (2012) und Fügert & Richter (2016), zielen auf DaF-Studierende im Selbstlernprozess. Es fehlt allerdings noch ein Wörterbuch, in dem sich spezifische Verwendungsweisen alltäglicher Wissenschaftssprache nachschlagen ließe (vgl. Andresen 2016). Alles in allem zeigt sich in jüngster Zeit eine Tendenz, die Wissenschaftssprache Deutsch in ihrer Komplexität aus sprachlichen Ausdrucksmitteln und textuellen Anforderungen als lernbar darzustellen (siehe auch Bushati & Ebner 2015). 12 Vgl. die Forderung von Bremerich-Vos & Scholten-Akoun (2016: 11), dass alle Lehramtsstudierende über ein „Mindestniveau schriftsprachlicher Fähigkeiten verfügen sollten“. 13 Vgl. die Projekte im Forschungsschwerpunkt „sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit“ (www. kombi.uni-hamburg.de, 24. 02. 2017), die zwar überwiegend im sekundären Bildungssektor angesiedelt, aber für die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz relevant sind.

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Die Entfaltung wissenschaftlicher Textkompetenz wird für Zweitsprachenschreibende jedoch noch von einem weiteren Faktor beeinflusst, der bislang nur am Rande eine Rolle spielte: Die Diskussion um die sprachliche Identität, die für Mehrsprachige von besonderer Bedeutung ist. Die Sprachidentität prägt die Person (Reeg 2014) und nimmt so auch Einfluss auf die Schreibentwicklung. So hemmen negative Erfahrungen in der Wahrnehmung der eigenen Mehrsprachigkeit durch andere, bspw. Dozierende, die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz und führen dazu, dass Zweisprachigkeit nicht als Ressource, sondern als Makel wahrgenommen wird, die es besser zu „kaschieren“ gilt (vgl. Knorr et al. 2015). Wer sich aber aufgrund seiner Zweisprachigkeit „schämt“ etwas zu sagen – oder zu schreiben (Dirim 2013), nimmt sich die Chance auf Übung und damit auf die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Die größte Herausforderung im Bereich der Hochschulentwicklung für die Zweitsprache Deutsch ist daher mit der Frage verbunden, wie eine defizitorientierte Lehr-/ Lernumgebung in eine wertschätzende, lernendensensitive und der sprachlichen Heterogenität der Studierendenschaft gerecht werdende Umgebung überführt werden kann. Entsprechende Ansätze sind – wie hier vorgestellt – vorhanden. Das Ziel könnte die Etablierung einer sprachensensiblen akademischen Schreibkultur sein, die sich durch einen professionellen Umgang mit Texten und dem Schreibprozess auszeichnet. Eine solche sprachensensible akademische Schreibkultur stellt Anforderungen an Schreibprodukte transparent dar und unterstützt Studierende darin, ihre Schreibfähigkeiten und ihre wissenschaftliche Textkompetenz (weiter) zu entwickeln.

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Constanze Niederhaus

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Zum Schreiben migrationsbedingt mehrsprachiger Jugendlicher in der beruflichen Bildung Anforderungen an das Schreiben Jugendlicher und junger Erwachsener – Welche Relevanz hat das Schreiben in der beruflichen Bildung und was sollen die Schülerinnen und Schüler können? 3 Empirische Befunde zu den Schreibkompetenzen Jugendlicher und junger Erwachsener mit und ohne Zuwanderungsgeschichte in der beruflichen Bildung 4 Ausblick

1 Zum Schreiben migrationsbedingt mehrsprachiger Jugendlicher in der beruflichen Bildung In Bezug auf die berufliche Bildung zeigt sich, dass derzeit noch Bildungsbenachteiligungen migrationsbedingt mehrsprachiger Jugendlicher und junger Erwachsener bestehen, die es abzubauen gilt. Ein Indikator für Ungleichheiten ist, dass Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte im Vergleich zu Jugendlichen ohne Zuwanderungsgeschichte seltener eine Berufsausbildung absolvieren, dass also der Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung „gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund oft besonders schwierig und langwierig“ ist (Bundesinstitut für Berufsbildung 2012: 185). Gleichzeitig münden Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte überproportional häufig in Maßnahmen des Übergangssystems ein (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012: 102), das zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führt. Sie sind zudem bei der Suche einer Arbeitsstelle nach Ausbildungsende benachteiligt (Boos-Nünning 2008). In Bezug auf diese Ungleichheiten zeigen die Daten der Bewerberbefragung der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Bundesinstituts für Bildung und Forschung (BiBB), dass sie in Bezug auf die Ausbildungsplatzsuche auch dann benachteiligt sind, wenn sie sich mit gleich guten schulischen Voraussetzungen bewerben wie Jugendliche ohne Zuwanderungsgeschichte (Boos-Nünning 2011; Bundesinstitut für Berufsbildung 2014: 9). Somit spielen also in Bezug auf Chancenungleichheiten Diskriminierungsprozesse eine Rolle. Neben Diskriminierungsprozessen werden als Ursachen dieser Benachteiligung mitunter auch fehlende oder gering bewertete Schulabschlüsse bzw. schulische Qualifikationen sowie mangelhafte oder unzureichende sprachliche Kompetenzen benannt. Dabei wird  – mit Blick auf alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unabhängig von Migrationserfahrungen oder Erst- bzw. Familiensprache(n) – häufig eine nicht ausreichende Lesekompetenz bemängelt (z.  B. Pätzold 2010), aber auch die Schreibkompetenz Jugendlicher (mit und ohne) Zuwanderungsgeschichte wird als DOI 10.1515/9783110354577-011

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nicht ausreichend konstatiert. So zeigt Efing (2006) anhand der Erhebung der Sprachkompetenzen im Rahmen des Modellprojekts VOLI (Vocational Literacy – Methodische und sprachliche Kompetenzen in der beruflichen Bildung), dass Berufsschülerinnen und -schüler neben Problemen mit dem verstehenden Lesen von Texten auch „Probleme mit der eigenen Textproduktion/Schreibkompetenz“ haben (Efing 2006: 44). Er stellt fest, dass es Schülerinnen und Schülern „äußerst schwer“ fällt, „sich schriftlich auszudrücken“ (Efing 2006: 39). Dabei schneiden die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund schlechter ab als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Aus diesen Ergebnissen zieht Efing die Schlussfolgerung, dass „der Deutschunterricht an der Berufsschule zunächst einmal Versäumnisse der Vorgängerschulen kompensieren muss“ (Efing 2006: 59  f.). Eine Erklärung für diese „Versäumnisse der Vorgängerschulen“ bzw. die als unzureichend eingeschätzten Schreibkompetenzen  – hier benannt als Kompetenzen im Bereich des durch „literate Artikulation“ bestimmten formellen Registers  – findet Ohm (2017). Er argumentiert in Anlehnung an Maas (2015: 20), dass Kinder und Jugendliche, die nur mit dem informellen, vom oraten Sprachgebrauch bestimmten Register vertraut sind, von dem formalen für das Schreiben in der beruflichen Bildung relevanten Register „gewissermaßen abgeriegelt“ seien. Die „Schwelle zur literaten Artikulation“ sei für manche Jugendliche unüberwindlich. Er argumentiert weiter, dass Kinder – wenn sie die Relevanz von Schriftsprachlichkeit bzw. literatem Sprachgebrauch nicht bereits vor der Schule erfahren – es schwer haben, die in der Schule auf sie zukommenden schriftkulturellen Anforderungen zu meistern. Da aber das deutsche Schulsystem eine sog. „kategoriale Haltung zur Schriftlichkeit“ von Schülerinnen und Schülern voraussetze, überrasche es nicht, dass einige Jugendliche „während ihrer gesamten Schulzeit keinen Zugang zur literaten Artikulation finden und bei ihnen daher noch im Übergang Schule-Beruf grundlegende Probleme im Bereich der sog. Schreibkompetenz diagnostiziert werden“ (Maas 2015: 9). Es ist anzunehmen, dass dies prinzipiell bzw. unabhängig von Zuwanderungsgeschichte oder migrationsbedingter Mehrsprachigkeit gilt. Ein Ansatzpunkt für die Förderung von Bildungsgerechtigkeit in der beruflichen Bildung besteht somit in der Förderung sprachlicher Kompetenzen und hier besonders in dem Aufbau von Kompetenzen in denjenigen Registern, die durch „literate Artikulation“ bestimmt sind. Eine Voraussetzung einer solchen Förderung besteht in der Analyse der Anforderungen an die Schreibkompetenzen Jugendlicher in der beruflichen Bildung, die sich deutlich von den Anforderungen der allgemeinbildenden Schulen unterscheiden. Daher werden diese Anforderungen im nachfolgenden Abschnitt dargestellt. Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Beschreibung der beruflichen und berufsbezogenen Schreibkompetenzen Jugendlicher dar. Da bisher nur sehr vereinzelt Studien dazu vorliegen, inwiefern sich die literaten Kompetenzen und hier v.  a. die Schreibkompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte bzw. mit Deutsch als Zweitsprache und die Schreibkompetenzen derjenigen mit Deutsch als

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Erstsprache unterscheiden, werden Studien dargestellt, die Einblicke in die Schreibkompetenzen aller Jugendlichen in der beruflichen Bildung geben, die also nur in Einzelfällen zwischen den Kompetenzen migrationsbedingt mehrsprachiger bzw. Jugendlicher mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden. Zum einen lassen sich aus diesen Studien Schlussfolgerungen für die Förderung der Schreibkompetenz von Schülerinnen und Schülern sowohl mit einer anderen Erstsprache als Deutsch als auch mit Erstsprache Deutsch ableiten; zum anderen zeigen sie Forschungsdesiderate gerade auch hinsichtlich der Schreibkompetenzentwicklung auf.

2 Anforderungen an das Schreiben Jugendlicher und junger Erwachsener – Welche Relevanz hat das Schreiben in der beruflichen Bildung und was sollen die Schülerinnen und Schüler können? Sprachliche Kompetenzen gelten als Schlüsselqualifikation und stellen eine Basis für den Wissenserwerb im Rahmen der beruflichen Bildung sowie für den Erwerb beruflicher Handlungskompetenzen dar (vgl. z.  B. Ehlich 2007; Grundmann 2008: 52; Ohm, Kuhn & Funk 2007; Ohm 2014). Hinzu kommt, dass „Schreiben im Beruf […] eine Form (und Ausdruck) des fachlichen Denkens und Handelns und als solche situiert [ist]“ (Jakobs 2006: 317), was u.  a. bedeutet, dass Fachwissen und berufliche Kompetenzen ohne angemessen ausgeprägte Schreibkompetenz nur schwer zum Ausdruck gebracht werden können. Auch wenn die Anforderungen an die Schreibkompetenzen, die die berufliche Bildung an Jugendliche stellt, nur schwer zu bestimmen sind, stellt Aebli hierzu bereits 1983 fest: Beruflicher Erfolg und berufliches Fortkommen erfordern die Fähigkeit, mit Texten umzugehen, wer es kann, kommt mit, wer darin versagt bleibt sitzen oder geht unter, nicht nur individuell, sondern auch kollektiv, zusammen mit ganzen Wirtschaftszweigen, die im internationalen Wettbewerb abfallen. (Aebli 1983: 114)

Mit Blick auf dieses Zitat aus den 1980er-Jahren ist zu beachten, dass sich die Anforderungen in vielen anerkannten Ausbildungsberufen in kognitiver Hinsicht verändert haben und sich erhöhen. Berufliche Tätigkeiten „erfordern heute durch den Einsatz von computergestützten Maschinen zunehmend theoretische Kenntnisse“ (BMBF 2006: 4) und die raschen Veränderungen in Technik, Prozess- und Arbeitsabläufen erfordern eine „kontinuierliche Anpassung der Qualifikationen und Kompetenzen, um Beschäftigungsfähigkeit auf Dauer erhalten zu können“ (BMBF 2006: 1). Entsprechend betonen Klein & Schöpper-Grabe (2011: 10) die ebenfalls gewachsenen Anfor-

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derungen auch an die Schreibkompetenz. Dass das Schreiben dabei nicht – wie man annehmen könnte – nur für einzelne, sondern für alle Berufe von zentraler Bedeutung ist, verdeutlichen Pospiech und Bitterlich (2007): Selbst in Berufen, die üblicherweise nicht einer schreibenden Zunft zugerechnet werden, sind regelmäßig Texte unterschiedlicher Art zu produzieren. (Pospiech & Bitterlich 2007: 19)

Es kann somit festgehalten werden, dass Kompetenzen im Bereich des beruflichen Schreibens einen Einflussfaktor für berufliches Lernen darstellen. Um die für berufliches Lernen erforderliche Schreibkompetenz intensiver und gezielter fördern zu können, müssen zunächst die Fragen beantwortet werden, welche Anforderungen die berufliche Bildung an Schreibende stellt und welche Textsorten besonders relevant sind.

2.1 Kriterienkatalog zur sog. „Ausbildungsreife“ Eine Quelle für die Bestimmung der Schreibanforderungen an Jugendliche stellt der „Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife“ (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland 2009) dar. Dieser Kriterienkatalog wurde von Partnern im Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland gemeinsam mit Experten aus Betrieben, Schulen und Arbeitsagenturen entwickelt und benennt Merkmale und Mindestanforderungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung. Hierzu muss allerdings angemerkt werden, dass sowohl das Konstrukt der Ausbildungsreife als auch der Kriterienkatalog diskutiert und deutlich kritisiert werden (Dietrich et al. 2009: 332). Als ein Kriterium der Ausbildungsreife wird die Schreibkompetenz genannt, wobei hier als „wichtigste“ und „unverzichtbare“ Kriterien (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland 2009: 18) die folgenden aufgeführt sind: –– „Sie/er schreibt Texte in lesbarer handschriftlicher Form. –– Sie/er kennt die Grundregeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung und kann sie anwenden. –– Sie/er kann häufig vorkommende Wörter richtig schreiben. –– Sie/er kann Texte verständlich und zusammenhängend schreiben. –– Sie/er kann formalisierte Texte verfassen: z.  B. Brief, Lebenslauf, Bewerbungsanschreiben, Ausfüllen von Formularen.“ Diese Kriterien zeigen, dass der Teilbereich der Orthographie stark fokussiert wird und weitere Textkompetenzen weniger explizit benannt werden. Aus diesem Grund und weil diese Kriterien wenig Auskunft darüber geben, welche konkreten Textsorten in der beruflichen Bildung von Schreibenden verfasst werden, werden nachfolgende Ergebnisse empirischer Studien zu genau dieser Frage dargestellt.

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2.2 Empirische Studien zu den in der beruflichen Bildung ­relevanten Textsorten Nachdem für die berufliche Bildung spezifische Anforderungen an die sprachlichkommunikativen Anforderungen und somit auch an die Schreibkompetenzen bzw. typische Schreibaufgaben lange nicht systematisch untersucht wurden (Efing 2013: 124), liegen mittlerweile verschiedene Studien vor, die auch empirische Grundlagen für die Bestimmung der sog. Ausbildungsreife liefern. So ermittelt Wyss Kolb (1995) im Rahmen ihrer Analyse schulischen, betrieblichen und privaten Schreibverhaltens Schweizer Auszubildender folgende „auf die Ausbildung bezogene“ Textsorten, die im Rahmen einer Berufsausbildung im Lehrbetrieb verfasst werden: „Einträge ins Arbeitstagebuch oder Laborjournal u.  ä., Berichte, Rapporte, Protokolle, Beschreibungen, Zusammenfassungen, Notizen etc.“ sowie „Briefe, Mitteilungen, Reklamationen, Entschuldigungen u.  ä.“ und „Stichwortartiges“ wie „Ausfüllen von Formularen […] und Listen, Beschriften von Plänen, Adressen u.  ä.“ (Wyss Kolb 1995: 58). Knapp, Pfaff & Werner (2008) erheben mittels Leitfadeninterviews mit Meistern aus dem Handwerk u.  a. diejenigen Anforderungen in den Bereichen Lesen und Schreiben, die für das Absolvieren einer Berufsausbildung zu bewältigen sind. Die Studie bezieht sich auf Berufe, die typischerweise von Auszubildenden mit Hauptschulabschluss absolviert werden und zeigt, dass zum einen betriebsinterne Textsorten wie Stundenabrechnungen, Quittungen und vorgedruckte Rechnungen, Warenbestands- und Inventurlisten, Garantienachweise und Kundenkarteien und zum anderen Texte, die den Betrieb verlassen, hier v.  a. ebenfalls Stundenabrechnungen und Arbeitsvorgänge für die Stundenabrechnung, verfasst werden müssen (Knapp, Pfaff & Werner 2008: 198). Auch Efing (2010) erhebt, welche sprachlichen Anforderungen Jugendliche bewältigen sollen, die eine Ausbildung absolvieren. Der Fokus liegt dabei auf den Berufen Industriemechaniker, Mechatroniker, Elektroniker für Geräte und Systeme und technische Zeichner, die ebenfalls traditionell von Auszubildenden gewählt werden, die die Haupt- oder Realschule absolviert haben. Die Auswertungen zeigen, dass folgende Textsorten verfasst werden:

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Tab. 1: Efing 2010: 7 Fachlich bedingt

organisationell bedingt

– Arbeitsplan – Berichtsheft – (Mess-, …)Protokolle – Formulare (Bestellschein, Stückliste, …) – Fachliche Präsentationen (Plakat, PowerPoint) für Kollegen und Fachfremde – (Werkstatt-)Bericht – Dokumentationen (Prozess, Produkt) – Lernzielkontrollen – Übersetzung von Datenblättern aus dem ­Englischen – „Was habe ich in meiner Ausbildung bisher gelernt?“ (frei zu formulierender Text im Sinne einer Kompetenz-Selbsteinschätzung) – …

– Selbsteinschätzung, Entwicklungsbogen – Protokolle der Gruppengespräche – …

Klein & Schöpper-Grabe (2012) untersuchen Schreibanforderungen im Beruf, konkret die „Mindestanforderungen, die Unternehmen von Lehrstellenbewerbern erwarten“ als „Grundbildung im Sinne der Ausbildungsreife“ (Klein & Schöpper-Grabe 2012: 1). Die Ergebnisse ihrer „repräsentativen Online-Unternehmungsbefragung“ (Klein & Schöpper-Grabe 2012: 4) zeigen, dass Kompetenzen wie „Rechtschreibung beherrschen“, „Schriftlich argumentieren und Stellung nehmen“, „Berichte und Beschreibungen erstellen“ und „Schreiben sachgerecht formulieren“, „Mindestkompetenzen“ darstellen, die mehr als acht von zehn der befragten Unternehmen für „unverzichtbar“ oder „eher unverzichtbar“ halten (Klein & Schöpper-Grabe 2012: 10). Auch wenn an dieser Stelle keine Analyse der Textsorten erfolgen kann, die Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen beherrschen müssen, lässt sich aus diesen Studien schlussfolgern, dass sich die Anforderungen an das Schreiben in der beruflichen Bildung aufgrund des Berufsbezugs der zu verfassenden Texte stark von denen allgemeinbildender Schulen unterscheiden. Die zu verfassenden Texte bzw. Textsorten, die in der beruflichen Bildung verfasst werden, können sich wiederum berufsspezifisch zum Teil stark voneinander unterscheiden, wie der folgende Abschnitt zeigt.

2.3 Empirische Studien zu berufsspezifischen Unterschieden in Bezug auf die Schreibanforderungen Buhofer (1983) untersucht die Schreibanlässe in einem Industriebetrieb. Im Gegensatz zu Wyss Kolb, die ausbildungsbetriebsbedingte Unterschiede in Bezug auf die

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Häufigkeit des Schreibens und die zu verfassenden Textsorten feststellt, ermittelt Buhofer hierarchiebezogene Unterschiede. So müssen formale schriftliche Texte v.  a. von Führungskräften verfasst werden, während Schreiben für Angestellte eher eine „Gebrauchsfunktion“ habe (Buhofer 1983). Zwar ist nicht geklärt, ob dieser Befund auch heute noch gültig ist, aber dennoch weist er bereits darauf hin, dass das Schrei­ ben bzw. die Schreibanforderungen der beruflichen Bildung möglicherweise sehr divers sind. Jakobs (2006) untersucht ebenfalls das Schreiben im Beruf. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Schreiben in den meisten Berufen relevant ist, wobei allerdings auch zahlreiche akademische Berufe untersucht werden und der Anteil der Berufe, die im Anschluss an eine Berufsausbildung ausgeübt werden können und somit zum Sektor der beruflichen Bildung zählen, eher gering ist. Dennoch zeigt sich, dass mit Blick auf Ausbildungsberufe große Unterschiede in Bezug auf die Relevanz des Schreibens bestehen: Während beispielsweise das Schreiben für Bankkaufleute und „Krankenschwestern“ in Bezug auf den zeitlichen Anteil ihres Arbeitsalltags einen großen Umfang hat und zudem „sehr wichtig“ ist, ist es zwar für Feuerwehrleute „sehr wichtig“, hat jedoch einen geringen „Umfang“. Dass sich die Schreibanforderungen von Beruf zu Beruf unterscheiden können, zeigen auch Daten von Hanisch (2014). Sie untersucht im Rahmen einer Befragung von 33 Maurerinnen und Maurern im ersten Lehrjahr, wie Auszubildende die schriftsprachlichen Anforderungen ihres Berufes wahrnehmen und einschätzen und zeigt, dass die Jugendlichen sowohl im Rahmen ihrer Ausbildung als auch im privaten Bereich wenig lesen. Sie schätzen darüber hinaus auch Schreibanlässe als sehr gering ein. Zwar stellen das Schreiben des Berichtshefts oder des „Baustellentagebuchs“ eigentlich wichtige berufliche Schreibanlässe dar, jedoch „geben 24 Prozent der Befragten an, nie oder höchstens einmal im Monat Berichte zu schreiben“ (Hanisch 2014: 10). Hanisch hält fest, dass der „Beruf Maurer/in […] nicht so viele Lese- und Schreibanlässe bietet wie beispielsweise der Beruf des/der Bankkaufmanns/-frau“ (Hanisch 2014: 10). Ein wichtiger Aspekt des beruflichen Schreibens ist darüber hinaus, dass offenbar die „meisten Berufsausübenden […] das berufliche Schreiben erst in der Praxis“ lernen (Jakobs 2006: 321). Dass das berufliche bzw. domänenspezifische Schreiben erst während der Berufsausübung gelernt wird und dass sich das Schreiben im Beruf verändert, verdeutlicht auch der folgende Auszug eines Interviews mit einem selbstständigen Elektrotechniker, dessen vollständige Version in Pospiech und Bitterlich (2007: 21) zu finden ist: F: Wie, glaubst du, hat sich dein Schreiben durch den Beruf verändert? A: Verändert hat es sich bestimmt – aber ob durch den Beruf – kann ich jetzt irgendwie keine Einschätzung zu abgeben, muss ich jetzt mal so gerade bemerken. In der Schule habe ich Texte über Feuerwerke geschrieben und was der Mensch wohl dabei empfinden würde, heute schreibe ich technische Texte, insofern hat sich etwas verändert.

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Die Ursache dafür, dass berufliches Schreiben erst während der Berufsausbildung oder möglicherweise sogar erst während der Berufstätigkeit gelernt wird, liegt nach Jakob (2006) darin, dass wichtige Voraussetzungen für berufliches Schreiben „das Bewusstwerden und Verstehen von Kommunikationsstrukturen, Argumentationsweisen und Aufgabenverteilungen in der Organisation“ sind (Jakobs 2006: 330). Diese Erkenntnis weist darauf hin, dass Jugendliche nicht unbedingt zu Beginn einer Ausbildung bereits mit Blick auf ihre Schreibkompetenzen „ausbildungsreif“ sein müssen, sondern dass sie sich zumindest das domänen- bzw. ausbildungsberufsspezifische Schreiben auch während ihrer Ausbildung aneignen können: Der Prozess der allmählichen Entwicklung beruflicher Formulierungsexpertise sollte systematisch durch Ausbildungsangebote unterstützt und begleitet werden. (Jakobs 2006: 330)

Die hier aufgezeigte Analyse von Anforderungen an die Kompetenz Schreibender in der beruflichen Bildung soll als Grundlage für die Förderung gerade auch der Schreibkompetenz derjenigen Schülerinnen und Schüler dienen, die das Deutsche als Zweitsprache erworben oder gelernt haben bzw. deren Aneignung der deutschen Sprache noch nicht abgeschlossen ist. Unklar ist jedoch, inwiefern diese Anforderungen erfüllt werden müssen, damit Ausbildung gelingen kann. So geht Hanisch (2014) davon aus, dass „Defizite in den Grundbildungskenntnissen nicht zwangsläufig zur Folge [haben], dass die Auszubildenden den berufsspezifischen (praktischen) Anforderungen ihres Berufs ebenfalls nicht gerecht werden“ (Hanisch 2014: 8). Auch Baumann (2014) zeigt, dass – zumindest in den Ausbildungsberufen des sog. „unteren Segments“ – einer beachtlichen Zahl von Jugendlichen die Aufnahme sowie das Absolvieren einer Berufsausbildung gelingt, obwohl sie die schriftsprachlich geforderten Kompetenzen nicht erfüllen. Zwar steht die Beforschung der Schreibkompetenzen Jugendlicher und junger Erwachsener in der beruflichen Bildung noch am Anfang und es liegen kaum Studien zu den Unterschieden zur Schreibentwicklung und zum Schreiben in der Erst- und Zweitsprache vor. Dennoch soll nachfolgend auf einige zentrale Ergebnisse zum Schreiben in der beruflichen Bildung eingegangen werden; auch, um Forschungslücken benennen und Schlussfolgerungen für Ansätze zur Förderung der Schreibkompetenz formulieren zu können.

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3 Empirische Befunde zu den Schreibkompetenzen Jugendlicher und junger Erwachsener in der beruflichen Bildung Der hohen Bedeutung, die dem Schreiben in der beruflichen Bildung zugeschrieben wird, stehen Einschätzungen und Forschungen entgegen, die davon ausgehen, dass viele Jugendliche mit Blick auf ihre Schreibkompetenz nicht „ausbildungsreif“ seien. Zwar kann dieser Beitrag die Frage, inwieweit die schriftsprachlichen Kompetenzen Jugendlicher ihren Ausbildungserfolg beeinflussen bzw. inwieweit nicht ausreichende Kompetenzen diesen gefährden, nicht beantworten. Jedoch soll ein auf die Schreibkompetenz fokussierter Überblick darüber gegeben werden, welche Daten zum Schreiben und zu den Schreibkompetenzen gerade auch migrationsbedingt mehrsprachiger Kinder bzw. Jugendlicher mit anderen Erstsprache(n) als dem Deutschen vorliegen, wobei hierzu – sowie auch zur Schreibentwicklung migrationsbedingt mehrsprachiger Jugendlicher in der beruflichen Bildung – nur sehr wenige Daten vorhanden sind. Ein mit Blick auf Schreibförderung und Schreibkompetenzen wichtiger Aspekt besteht darin, dass das Schreiben in der Berufsschule möglicherweise zu wenig geübt wird (Wyss Kolb 1995). Wyss Kolb zeigt, dass im Ausbildungsbetrieb zwar 60 Prozent der von ihr befragten „Lehrlinge“ täglich oder oft und zehn Prozent gelegentlich schreiben. Allerdings schreiben 30  Prozent der Befragten am Ausbildungsplatz selten oder nie (Wyss Kolb 1995: 61). Weitere Einblicke geben die sog. ULME-Studien (Hamburger Untersuchung der Leistungen, Motivation und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler der Berufsschulen und der Berufsfachschulen). ULME besteht aus den drei Teilstudien ULME I (Lehmann et al. 2005), ULME II (Lehmann, Seeber & Hunger 2006) und ULME III (Lehmann & Seeber 2007). ULME III zeigt, dass Jugendliche mit Migrationsgeschichte „im Bereich der allgemeinen Grundqualifikationen am Ende der beruflichen Ausbildung“ – hier konkret in Bezug auf den Umgang mit kontinuierlichen und diskontinuierlichen Texten – schlechtere Leistungen zeigen (Seeber 2007: 67  ff.), sodass – wenn ein Zusammenhang zwischen rezeptiven und produktiven Kompetenzen angenommen wird – auch von schlechteren Schreibkompetenzen ausgegangen werden muss. Dies wiederum weist darauf hin, dass gerade im Bereich des Schreibens verstärkt gerade für migrationsbedingt mehrsprachige Jugendliche Möglichkeiten geschaffen werden müssen, das berufsbezogene und berufsspezifische Schreiben gezielter zu üben. Fleuchaus (2004) stellt in einer Studie zur Selbst- und Fremdeinschätzung von Kompetenzen Auszubildender fest, dass die Fähigkeit, Texte zu schreiben, bei Auszubildenden zu Beginn der Berufsausbildung in geringerem Maße vorhanden ist, sich jedoch im Laufe der Ausbildungszeit weiterentwickelt. Im Rahmen des Forschungsprojekts „leo. – Level-One Studie“, das die Größenordnung des funktionalen Analphabetismus bei Deutsch sprechenden Erwachsenen

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untersucht, wurde gezeigt, dass „7,5 Millionen Deutsch sprechende Erwachsene […] nur so eingeschränkt lesen und schreiben [können], dass sie von voller selbstständiger gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind, bzw. häufig auf Unterstützung angewiesen sind“ (Universität Hamburg 2013). Besonders zu beachten ist hier, dass „gut die Hälfte der Betroffenen eine Berufsausbildung abgeschlossen hat (Grotlüschen, Riekmann & Buddeberg 2012: 32) und dass 2,7 Prozent der Betroffenen „Auszubildende/r in betrieblicher Lehre“ sind (Buddeberg 2012: 204). Diese Daten zeigen deutlich, dass auch das System der dualen Berufsausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen absolviert wird, die über eigentlich nur unzureichende Kompetenzen im Bereich des Schreibens verfügen. Dass insgesamt von funktionalem Analphabetismus keineswegs ausschließlich, aber häufiger Personen betroffen sind, die eine andere Erstsprache als Deutsch erworben haben, ist ein weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Schreibförderung in der beruflichen Bildung. Weitere Einblicke in das Schreiben Jugendlicher in der beruflichen Bildung wurden im Rahmen des Modellprojekts VOLI gewonnen. Hier wurden die sprach­ lichen Kompetenzen von Berufsschülerinnen und -schülern in Hessen erhoben. Ein Ausgangspunkt für das Projekt war die hohe Zahl der Ausbildungsabbrüche sowie der Jugendlichen, die die Abschlussprüfungen nicht bestehen, was auch auf Defizite der Auszubildenden im Bereich der „Vocational Literacy“ zurückgeführt wurde (Biedebach 2006: 16  f.). „Der Begriff ‚Vocational Literacy‘ bezeichnet die Summe der sprach­lichen Fertigkeiten, die in spezifischen beruflichen Zusammenhängen benötigt werden. Er umfasst sowohl die Fähigkeit, Fachtexten gezielt Informationen entnehmen zu können, als auch das Vermögen, Arbeitsergebnisse angemessen zu formulieren und zu präsentieren“ (Biedebach 2006: 16). Efing (2006) zeigt – wie eingangs erwähnt –, dass Berufsschülerinnen und -schüler neben Problemen mit dem verstehenden Lesen von Texten auch „Probleme mit der eigenen Textproduktion/Schreibkompetenz“ haben (Efing 2006: 44). Das Design der Untersuchung bestand aus vier Zugriffen: Mittels eines Fragebogens wurden 48 Lehrkräfte zur Lese-, Schreib- und Methodenkompetenz von Berufsschülerinnen und -schülern befragt. Mittels eines „Problemtypentests“ wurden v.  a. die Lesekompetenz, „am Rande aber auch die Schreib- und Methodenkompetenz“ (Efing 2006: 36) von 415 Jugendlichen untersucht, von denen 31,8 Prozent einen „nicht-deutschsprachigen Hintergrund“ (Efing 2006: 36) aufwiesen. Zudem wurden qualitative Interviews mit 97 Schülerinnen und Schülern sowie mit Lehrerinnen und Lehrern geführt. Efing stellt in Bezug auf den „Problemtypentest“ u.  a. „enorme Defizite der Berufsschüler im Bereich Schreibkompetenz“ fest (Efing 2006: 37). So weisen die Ergebnisse des Tests auf „zahlreiche Orthographie- und Interpunktionsfehler, die die Lektüre erheblich behindern“, Mängel in Bezug auf die „Präzision im Ausdruck“, das „Bewusstsein für den angemessenen schriftlichen Stil und für die Konventionen konzeptioneller Schriftlichkeit“ sowie das Wissen um „Text­ sorten­muster und -konventionen“ hin (Efing 2006: 41). Dabei schneiden die Schreibenden mit Migrationshintergrund schlechter ab als diejenigen ohne Migrationshintergrund.

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Knapp, Pfaff & Werner (2008) untersuchen im Rahmen des Projekts „Erhöhung der Schreib- und Lesefähigkeit von Hauptschülern zur Verbesserung ihrer Ausbildungsfähigkeit“ mithilfe von Interviews mit Meisterinnen und Meistern aus dem Handwerk die für eine Ausbildung erforderlichen Fähigkeiten im Lesen und Schreiben bzw. die Kompetenzen Auszubildender in diesem Bereich. Der Fokus liegt dabei auf dem betrieblichen Teil der dualen Ausbildung; es wird der Zusammenhang von schriftsprachlichen Kompetenzen und betrieblichen Tätigkeiten untersucht. Konkret werden in der Studie Meisterinnen und Meister der Berufe Kraftfahrzeugmechanikerin und -mechaniker, Schlosserin und Schlosser bzw. Industriemechanikerin und -mechaniker, Schreinerin und Schreiner, Steinmetzin und Steinmetz, Einzelhandelskauffrau und -mann, Frisörin und Frisör, Fachverkäuferin und -verkäufer für Nahrungsmittel, Metzgerin und Metzger, Bäckerin und Bäcker, Köchin und Koch und Kinderpflegerin und -pfleger befragt, da diese Berufe zu den Berufen zählen, in denen am häufigsten Hauptschülerinnen und -schüler ausgebildet werden. Knapp, Pfaff & Werner kommen zu dem Ergebnis, dass die Meisterinnen und Meister überwiegend die Rechtschreibung und die Grammatik der Jugendlichen als defizitär wahrnehmen (Knapp, Pfaff & Werner 2008: 199). Dies wird darauf zurückgeführt, dass Fehler in diesen Bereichen auffällig sind und als richtig oder falsch bewertet werden können. Die befragten Meisterinnen und Meister geben des Weiteren an, dass der parataktische Stil der Texte von Auszubildenden sowie eine fehlende syntaktische Vollständigkeit problematisch seien. Klein & Schöpper-Grabe (2010) zeigen in ihrer Analyse von fast 100 Deutscharbeiten von Schülerinnen und Schülern der Berufsvorbereitung in Nordrhein-Westfalen ebenfalls, dass die Schreibkompetenzen der Jugendlichen defizitär sind, allerdings erfassen sie ausschließlich die Leistungen in den Bereichen Rechtschreibung, Interpunktion und Grammatik. Probleme der Schreibenden in Bezug auf den inhaltlichen Aufbau der Texte, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, die Form, den Adressaten- und Situationsbezug sowie die Argumentationsfähigkeit werden allerdings nicht untersucht. Eberhardt (2016) erhebt in einer Fragebogenstudie mit 156 Lehrkräften beruflicher Schulen, welche sprachlichen Schwierigkeiten im Fachunterricht auftreten und stellt fest, dass Schwierigkeiten weniger in „mündlichen umgangssprachlichen Zusammenhängen“, sondern v.  a. im „fachsprachlichen Kontext“ bestehen (Eberhardt 2016: 41), die auch das berufliche Schreiben umfassen. Detaillierte Angaben zu den spezifischen Schreibkompetenzen Jugendlicher, deren Erst- bzw. Familiensprache nicht Deutsch ist, lassen sich nur schwer formulieren, da in Untersuchungen im Bereich der Schreibentwicklung und Schreibkompetenz von Schreibenden in der beruflichen Bildung häufig keine solche Differenzierung erfolgt. Fraglich ist, inwiefern eine solche Differenzierung von Relevanz für Konzepte zur Förderung der Schreibkompetenz in der beruflichen Bildung wäre und ob hier eine Unterscheidung zwischen migrationsbedingt mehrsprachigen und anderen Schülerinnen und Schülern sinnvoll und zielführend wäre. Festgehalten werden kann

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jedoch zum einen, dass sich Schreibanforderungen in der beruflichen Bildung bzw. die zu verfassenden Textsorten je nach (Ausbildungs-)Beruf stark voneinander unterscheiden und dass zum anderen die Anforderungen an das Schreiben in der beruflichen Bildung in großem Gegensatz zu den z.  T. nicht ausreichend guten Schreibkompetenzen stehen. Somit muss geschlussfolgert werden, dass das Schreiben gerade auch in der beruflichen Bildung intensiver zu fördern ist und dass hierbei nicht nur Interpunktion, Orthographie und Grammatik im Fokus stehen dürfen, sondern v.  a. auch die konzeptionelle Dimension des Schreibens berücksichtigt werden muss und hierbei berufliche Textsorten im Fokus stehen müssen. Vermutet werden kann, dass gerade auch Jugendliche und junge Erwachsene mit einer anderen Erstsprache als Deutsch und hier v.  a. diejenigen, die sich noch im Prozess der Sprachaneignung befinden, besonders unterstützt werden müssen. Hinweise darauf, dass Unterstützungsangebote zum Schreiben in der beruflichen Bildung durchaus wirksam sind und sich die Kompetenzen im bildungssprachlichen Schreiben [„academic writing“ (Heatley et al. 2011: 101)] durch diese Angebote verbessern, finden sich mit Blick auf den internationalen Forschungsstand beispielsweise bei Heatley et al. (2011). Diese Studie wurde mit Englisch-Zweitsprach-Lernenden durchgeführt, die in England berufliche Bildungsmaßnahmen im Pflegebereich absolvieren. Die Lernenden konnten im Rahmen von Einzeltrainings und Gruppenworkshops an einer Schreibförderung teilnehmen; darüber hinaus wurden Workshops für ihre Dozentinnen und Dozenten angeboten, in denen diese für die Barrieren sensibilisiert wurden, auf die Lernende mit einer anderen Erstsprache als Englisch stoßen können.

4 Ausblick Ausblickend werden diejenigen Forschungsdesiderate festgehalten, die sich aus dem vorliegenden Beitrag als besonders dringlich ergeben: Für die Konzeption schreibförderlicher Angebote bedarf es der empirischen Erforschung der konkreten Schreibanforderungen weiterer Ausbildungsberufe. Auf dieser Basis gilt es, die Schreibkompetenz und v.  a. die Schreibentwicklung Jugendlicher und junger Erwachsener mit anderer Erstsprache bzw. anderen Erstsprachen als Deutsch aber ebenso auch derjenigen mit Erstsprache Deutsch im Kontext der beruflichen Bildung systematisch zu beforschen. Gerade auch aus dem Grund, dass für den deutschen Kontext derzeit weitestgehend Daten zur Wirksamkeit von Schreibförderung in der beruflichen Bildung bzw. zu Effekten solcher Maßnahmen auf die Schreibentwicklung Schreibender fehlen. Die Bearbeitung dieser Desiderate ist insbesondere angesichts der Tatsache von zentraler Bedeutung, dass nicht ausreichend entwickelte schriftsprachliche Kompetenzen zu einem höheren Armutsrisiko führen und die Integration in den Arbeitsmarkt erschweren (Literacy and Vocation o.  J.: 23).

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III Diagnostik

Magdalena Knappik & İnci Dirim

12 Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 1 Herausforderungen der Modellierung zweitsprachlicher/mehrsprachiger Schreibkompetenz 2 Grundlagen der Diagnostik 3 Diagnoseverfahren 4 Fazit

Förderdiagnostische Verfahren ermöglichen eine Diagnose von Aneignungsständen in der Schreibkompetenz sowie den einzelsprachlichen Kompetenzen von DaZ-Lernenden. An die Diagnose kann eine auf den erreichten Aneignungsstand möglichst genau abgestimmte Förderung angeschlossen werden. Im Folgenden werden zunächst Grundlagen der Förderdiagnostik dargelegt, bevor Facetten der Messung von Schreibkompetenz im Kontext migrationsgesellschaftlicher Mehrsprachigkeit diskutiert und in Abschnitt 3 einige empirisch gesicherte Diagnoseverfahren1 vorgestellt werden.

1 Herausforderungen der Modellierung zweitsprachlicher/mehrsprachiger Schreibkompetenz Der im Folgenden verwendete Begriff Schreibkompetenz fußt auf dem Schreibkompetenzmodell von Becker-Mrotzek (2014: 54), das Schreibkompetenz „[…] in Form von individuellen Ressourcen [beschreibt], die bei der Textproduktion zum Einsatz kommen“. Schreibkompetenz stellt damit einen Teilbereich der umfassender gedachten Textkompetenz dar2, die Lese- und Schreibkompetenz einschließt (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008). Becker-Mrotzeks (2014) Modell beschreibt folgende Ressourcen: –– sprachliche Ressourcen (im Anschluss an den Qualifikationenfächer von Ehlich et al. 2005 vor allem morphosyntaktische, semantische und pragmatische Basisqualifikationen); –– Schriftkompetenz (Fähigkeit zum Verschriften, Lesekompetenz);

1 Der vorliegende Artikel beschränkt sich aus Platzgründen auf jene Verfahren für den schulischen Kontext, die nach der Alphabetisierung der SchülerInnen zum Einsatz kommen. Einen umfassenden Überblick über Verfahren zur Schuleingangsdiagnostik des Schreibens gibt Schmid-Barkow (2013). Für den tertiären Bereich siehe Zlatkin-Troitschanskaia et al. (2016) und Knappik (2013). 2 In der Forschung zur Diagnostik der Lesekompetenz bei mehrsprachigen SchülerInnen liegen Ergebnisse vor, die zeigen, dass Instrumente zur Erfassung der Lesekompetenz mehrsprachige Aneignungskontexte berücksichtigen müssten, um eine adäquate Aussage ihrer Kompetenz zu erbringen (vgl. Dorner 2013). Aus Platzgründen kann hierauf leider nicht näher eingegangen werden, auch wenn dies aufgrund der vielfältigen Bezüge zwischen Lese- und Schreibkompetenz auch für den vorliegenden Zusammenhang von Interesse wäre. DOI 10.1515/9783110354577-012

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 Magdalena Knappik & İnci Dirim

–– k ognitive Ressourcen (im Anschluss an Hayes & Flower 1980 Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis, darüber hinaus Aufmerksamkeit, Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, Selbstkonzept, die Fähigkeit zur Herstellung von Kohärenz, Motivation); –– deklaratives Wissen (Weltwissen und Kommunikationswissen, auch Textsortenwissen). Dabei ist zu beachten, dass sein Kompetenzmodell eines ist, das monolingual-erstsprachliches Schreiben fokussiert und für den Gegenstand des zweitsprachlichen Schreibens ausdifferenziert werden muss. Zudem handelt es sich noch nicht um ein gestuftes Modell. Für eine Diagnose, die die Grundlage für eine daran anschließende Förderung bilden soll, ist ein Kompetenzstufenmodell anzustreben. Dennoch stellt es in seiner Allgemeinheit und Aktualität einen guten Ausgangspunkt für die folgende Diskussion dar. Zudem schließt es an das Modell der sprachlichen Basisqualifikationen nach Ehlich et al. (2005) an, auf das auch viele der hier vorgestellten Instrumente Bezug nehmen. Schindler & Siebert-Ott (2014), Gantefort (2013) und Gantefort & Roth (2014) weisen darauf hin, dass Schreibkompetenzmodelle für zweitsprachliches oder mehrsprachiges/mehrschriftliches3 Schreiben einen besonders hohen Komplexitätsgrad aufweisen müssen; Schindler & Siebert-Ott (2014) sehen darin und in der erst jüngeren Beschäftigung der Schreibforschung mit diesem Gegenstand einen Grund dafür, dass derzeit noch kaum Modellierungen zweitsprachlichen Schreibens vorliegen; für mehrsprachige Schreibkompetenz, also die Erfassung der Schreibkompetenz in mehreren Sprachen, hat Gantefort (2013) ein empirisch geprüftes Modell vorgelegt, für Besonderheiten zweitsprachlichen Schreibens siehe Grießhabers (2008) Auseinandersetzung mit Hayes & Flower (1980). Einige Facetten der angesprochenen Komplexität der Modellierung zweitsprachlichen/mehrsprachigen Schreibens sollen im Folgenden dargestellt werden.

1.1 Sprachengebundene und sprachenübergreifende Teilkompetenzen In beiden Arten von Schreibkompetenzmodellen, monolingual-erstsprachlichen wie mehrsprachigen/zweitsprachlichen, wird zwischen einzelsprachlich gebundenen sowie sprachenübergreifenden Teilkompetenzen unterschieden; in monolingualerstsprachlichen Modellen werden sprachenübergreifende Teilkompetenzen „kognitiv“ (vs. „sprachlich“) genannt. Zwischen der Entwicklung sprachgebundener und sprachenübergreifender Kompetenzen wird eine Wechselwirkung angenommen (vgl.

3 Woerfel et al. (2014) verwenden den Begriff „Mehrschriftlichkeit“.

Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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Grießhaber 2005; Feilke 2014); die im Folgenden besprochenen Diagnoseinstrumente versuchen, sowohl sprachgebundene als auch sprachenübergreifende Teilkompetenzen zu erfassen, letzteres oft über den Bereich „Aufgabenbewältigung“. Kognitive Schreibkompetenzen können in den vorliegenden Diagnoseinstrumenten aber nie „direkt“, sondern immer nur auf Grundlage ihrer jeweiligen schriftsprachlichen Realisierung erfasst werden. Dies ist für mehrsprachige Aneignungskontexte ein wichtiger Umstand: Es besteht die Möglichkeit, dass „verdeckte Sprachkompetenzen“ (Gantefort 2013)  – in diesem Fall: verdeckte Schreibkompetenzen  – übersehen werden. Zum Beispiel kann es bei sog. SeiteneinsteigerInnen der Fall sein, dass sie zwar über eine altersgemäß entwickelte Schreibkompetenz verfügen (sowohl in Bezug auf die sprachlichen Ressourcen ihrer Erstsprache als auch in Bezug auf das deklarative Weltund Kommunikationswissen), dass aber eine Schreibprobe in der neu anzueignenden Zweitsprache über das Ausmaß ihrer Kompetenzen jedoch keine Auskunft gibt. Um dies zu vermeiden, schlägt Gantefort (2013) ein „Modell zur Textproduktion im mehrsprachigen Kontext“ vor, das die Erfassung und Analyse von zwei Schreibproben, in Erst- und Zweitsprache, vorsieht. Dies ist in einigen der unten besprochenen Diagnoseinstrumente möglich, da diese in mehreren Sprachen vorliegen.

1.2 Aneignungskontexte Mit dem erwähnten Beispiel der Schreibkompetenzen von SeiteneinsteigerInnen ist einer von vielen möglichen Aneignungskontexten (vgl. Schindler & Siebert-Ott 2014: 196) von Mehrsprachigkeit in Migrationsgesellschaften4 beschrieben. Eine weitere sehr häufige Aneignungskonstellation betrifft den bilingualen Erstspracherwerb, bei dem Deutsch und eine oder mehrere weitere Sprachen von Anfang an gleichzeitig erworben werden, oder den frühen Zweitspracherwerb, bei dem das Deutsche als weitere Sprache in frühen Jahren hinzukommt und durch die monolingual-deutschsprachige Ausrichtung vieler Bildungseinrichtungen mit den Jahren zu der Sprache wird, in der die Schreibkompetenz am differenziertesten entwickelt wird. In diesem zweiten Aneignungskontext wäre es also wahrscheinlich, dass eine Schreibprobe im Deutschen eine gute Auskunft über die Schreibkompetenz geben kann. Modelle zweitsprachlicher oder mehrsprachiger Schreibkompetenz sollten also zwischen unterschiedlichen Aneignungskontexten unterscheiden, zumindest zwischen dem Aneignungskontext „Seiteneinstieg“ und dem Kontext „Bilingualer Erstspracherwerb/Früher Zweitspracherwerb“.

4 Der Begriff Migrationsgesellschaft wurde von Paul Mecheril mit der Absicht, die Gesellschaft unter der Perspektive der Migration in den Blick nehmen zu können, in den pädagogischen Fachdiskurs eingeführt; s. ausführlich dazu Mecheril (2010: 11).

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1.3 Kritik am Einzelsprachenkonzept Modelle zweitsprachlichen/mehrsprachigen Schreibens sind jedoch noch mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert: Neuere Sprachkonzeptionen kritisieren die Trennung des Sprachvermögens eines mehrsprachigen Menschen in isolierte Einzelsprachen als künstlich und nicht der realen Sprachverwendung angemessen (Makoni & Pennycook 2006). Sprachen werden in einem Kontext lebensweltlicher Mehrsprachigkeit (Gogolin 2004) nicht isoliert voneinander angeeignet oder verwendet. Daher sehen etwa Busch (2013) die „Sprachigkeit“ oder García & Sánchez (2015) den „emergent bilingualism“ eines Kindes als passendere begriffliche Kategorien. Diese Begriffe gehen nicht allein von einer Addition mehrerer Einzelsprachen aus, sondern vielmehr von einer Verschränkung der Sprachen miteinander. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die Einteilung der Sprachen in Erstsprache(n) und Zweitsprache eher künstlich. Um ein getreues Bild der Gesamtsprach(en)kompetenz und in Folge der Schreibkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu erhalten, wären migrationsgesellschaftliche Sprachformen und -verwendungsweisen in die Diagnose einzubeziehen (Dirim 2015), z.  B. im Sinne von Berücksichtigung von Interferenzen (Dirim 2005). Über solche Einzelfragen hinaus gibt es jedoch langjährige Überlegungen zum Einbezug des Gesamtrepertoires von Sprachen in den Unterricht (Dirim 1998; 1999; 2001), nicht nur im deutschsprachigen Diskurs, wie beispielsweise die Veröffentlichungen von García & Sánchez (2015) zum „(trans-)languaging“ zeigen. Eine ungelöste Frage stellt demnach die Erfassung und Bewertung von Nonstandardphänomenen dar. Erste empirische Evidenz für die Notwendigkeit der Berücksichtigung von eigenständigen Entwicklungen von Migrationssprachen, die auf Grund des Einflusses des Deutschen, weiterer Sprachen, der fehlenden Unterweisung in den Migrationssprachen und der geographischen Entfernung der Gebiete, in denen diese Sprachen teils Amtssprachen sind, zustande kommen, liefert u.  a. die Analyse von zehn Schreibproben von Jugendlichen. Die mit dem Instrument ‚Bumerang‘ (s.  u.) erhobenen Schreibproben zeigen, dass es in dem türkischen Repertoire, das in Hamburg verwendet wird, zu Schreibungen kommt, die vom Gebrauch des Türkeitürkischen in unterschiedlichen Bereichen möglicherweise systematisch abweichen (Dirim 2009). Noch sind im Bereich der Schreibkompetenzdiagnose Antworten auf Fragen danach, wie derlei migrationsgesellschaftliche Neuformationen der Sprachen systematisch erfasst und bewertet werden sollten, völlig offen, beispielsweise wie sich migrationsgesellschaftliche Formationen des Deutschen (vgl. Wiese 2012) von LernerInnenphänomenen unterscheiden und bewerten lassen könnten (Dirim 2009). Inwiefern Interferenzen oder Sprachkontaktphänomene Indikatoren für einen bestimmten Sprachstand sind, ist ebenfalls noch zu klären.

Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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1.4 Komplexe Grammatik Ein weiteres Desiderat für die Diagnose zweitsprachlicher/mehrsprachiger Schreibkompetenz formulieren Schindler & Siebert-Ott (2014) auf der Grundlage der Forschungsergebnisse von Thoma & Tracy (2006), Haberzettl (2009) und Cantone & Haberzettl (2008; 2009): die Erfassung von Kompetenzen der Herstellung von Kohärenz mit Hilfe von komplexerer Grammatik. Bei ihren Analysen von SchülerInnentexten der Sekundarstufe 2 zeigte sich, dass die Schwierigkeiten der SchülerInnen nicht im Bereich der „Kerngrammatik“ liegen, da diese in diesem Alter bei einer langen Beschulung in dieser Sprache als sicher angeeignet gelten kann. In den Texten zeigte sich aber ein Vermeidungsverhalten in Bezug auf komplexere morphosyntaktische Strukturen, etwa im Bereich komplexer Nebensätze und im Bereich der Pronominalisierung: Die SchülerInnen schienen bevorzugt die sprachlichen Mittel zu verwenden, die sie sicher beherrschten  – mit der Konsequenz, dass ihre Texte keine angemessene Verwobenheit aufwiesen, für die die Verwendung komplexerer Grammatik hilfreich sein könnte. Für ein gestuftes Kompetenzmodell zweitsprachlichen/ mehrsprachigen Schreibens ergibt sich also die Konsequenz, für die Sekundarstufe 2 gezielt die Ebene der Herstellung von Kohärenz durch komplexere grammatische Mittel zu fokussieren und durch die Förderung der sprachlichen Ressourcen in entsprechender Komplexitätsstufe eine Ausdifferenzierung der Schreibkompetenz anzubahnen.

2 Grundlagen der Diagnostik 2.1 Prinzipien der Förderdiagnostik, Ziele der Diagnose Förderdiagnostik folgt den Prinzipien der Prozess- und Ressourcenorientierung. Das bedeutet, dass der förderdiagnostische Blick auf das Können des Schülers/der Schülerin gerichtet ist. Ein Diagnoseverfahren in diesem Sinne wird eingesetzt, um den Aneignungsstand des Schülers/der Schülerin in einem bestimmten Bereich möglichst gut und differenziert beschreiben zu können, mit dem Ziel, sie oder ihn mit daran anschließenden, passgenauen Förderangeboten in der weiteren Aneignung zu unterstützen. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass sich Sprachaneignung in festen Abfolgen vollzieht, die nicht übersprungen werden können (Pienemann 1984). Jeder erreichte Aneignungsschritt ist also notwendig und ermöglicht dem/der SchülerIn, in der Aneignung voranzuschreiten. Die daran ansetzende Förderung versucht nicht in erster Linie Fehler auszubessern, sondern bietet Material und Aufgaben an, die dem/der SchülerIn helfen, in die „Zone der nächsten Entwicklung“ (Vygotskij 2002) vorzudringen. Im Bereich von mehrsprachiger Sprachaneignung ist es sowohl für zusätzliche Förderangebote als auch für die Planung des regulären Unter-

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 Magdalena Knappik & İnci Dirim

richts5 empfehlenswert, Lernziele diagnosebasiert zu bestimmen, da sonst allzu schnell eine erstsprachlich altersgemäße Norm als Maßstab dient und Äußerungen und Textproduktionen von DaZ-Lernenden schnell als Abweichung und Defizit erscheinen, auch wenn sie Aneignungsleistungen zeigen (vgl. zur Forderung der diagnosebasierten Unterrichtsplanung Gibbons 2002, Lange & Gogolin 2010). Zudem können Fortschritte in der Sprachaneignung durch begleitende förderdiagnostische Verfahren zuverlässiger bestimmt werden: ein hoher Motivationsfaktor für SchülerInnen und Lehrkräfte.

2.2 Anforderungen an Diagnoseverfahren Mit den „Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung“ von Ehlich et al. (2005) existiert heute ein Standard für die Qualität von Diagnoseverfahren. Es erscheint zweckmäßig, diese auch für den Bereich der Diagnose zweitsprachlichen Schreibens anzusetzen und gegebenenfalls zu modifizieren. Der Anforderungskatalog umfasst die folgenden Aspekte: 1. Umfassendes Sprachverständnis: Als Grundlage für einen umfassenden Sprachbegriff schlagen Ehlich et al. (2005) das Modell der Basisqualifikationen vor, in dem phonische, pragmatische, semantische, diskursive, morphosyntaktische und literale Basisqualifikationen beschrieben sind. 2. Einhaltung der testtheoretischen Gütekriterien Validität, Reliabilität und Objektivität: Diese grundlegende Forderung bedeutet, dass diagnostische Verfahren empirisch entwickelt und geprüft werden müssen. Daher ist es notwendig, dass ein Instrument auch tatsächlich das misst, was es messen soll (Validität) und dies in ausreichend genauer Weise (Reliabilität); und dass die Ergebnisse unabhängig von den Rahmenbedingungen, also z.  B. unabhängig von der durchführenden Person, gleich ausfallen (Objektivität). Empirisch entwickelte Verfahren sind daran zu erkennen, dass in ihrer Beschreibung Auskunft über die Entwicklungsund Prüfschritte und die Ergebnisse der Prüfung gegeben wird. 3. Mehrsprachigkeit: Instrumente sollten idealerweise das gesamte Sprachenrepertoire der SchülerInnen und Kinder berücksichtigen. 4. Die geforderte Bezugnahme auf die Basisqualifikationen entspricht der Tatsache, dass die Komplexität des Aneignungsprozesses von Schreib- und Sprachkompetenz nicht durch eine Beschränkung auf einzelne Teilkomponenten abgebildet

5 Dieser Artikel folgt der von Reich (2008) vorgeschlagenen Unterscheidung, dass sprachliche Bildung oder Sprachbildung Angebote meint, die sich an alle SchülerInnen richten und Sprachförderung, Förderangebote etc. Angebote meint, die sich an SchülerInnen richten, bei denen ein spezifischerer Förderbedarf besteht, der durch die Angebote zur sprachlichen Bildung nicht ausreichend gedeckt wird.

Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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werden kann. So sind Diagnoseverfahren abzulehnen, die etwa die Rechtschreibentwicklung als Indikator für den Schriftspracherwerb im Sinne von Schreibkompetenz ansetzen.

2.3 Verfahrenstypen Es können Beobachtungsverfahren, Profilanalysen, Testverfahren und Schätzverfahren unterschieden werden (vgl. Döll & Dirim 2011: 158). 1. Beobachtungsverfahren sind für einen breiten Überblick gedacht. Sie sind trotz der umfassenden Anlage handhabbar gestaltet und sollten sich gut in den Alltag einer Institution integrieren lassen. Beobachtungsverfahren setzen bei den täglichen Sprachhandlungen (mündlich und schriftlich) der SchülerInnen an und benötigen keinen spezifischen Sprech- oder Schreibimpuls. 2. Profilanalysen bieten einen detaillierteren Einblick in die Sprachkompetenz eines Schülers oder einer Schülerin. Ausgangspunkt bildet eine durch einen Impuls elizitierte Sprachprobe (schriftlich oder mündlich). Die Ergebnisdokumentation erfolgt in Form eines individuellen Profils, das eine hohe Genauigkeit und Differenziertheit aufweist und eine gute Grundlage für die individuelle Förderplanung darstellt. 3. Tests, z.  B. C-Tests, sind stark standardisierte Verfahren, die zwar schnell durchführbar sind, jedoch keine qualitativen Auskünfte über Sprachstände geben, sondern eher eine Einschätzung des Abstands zu einer Norm erlauben. Aufgrund ihrer fehlenden Detailliertheit sind Tests als Grundlage für die Förderung ungeeignet. 4. Schätzverfahren sind meist Fragebögen, die die Feststellung des Sprachstands durch Selbst- oder Fremdeinschätzung vorsehen. Sie sind zu wenig detailliert oder exakt für eine anschließende Förderung. Zudem ist zu beachten, dass viele Kompetenzen als prozedurales Wissen vorliegen und Selbstauskünfte darüber oft nicht möglich sind. Daneben existieren zahlreiche Verfahren, die nicht empirisch geprüft wurden und/ oder zumindest keine Angaben über ihre Entwicklung und Prüfung geben. Diese Verfahren können Anregungen für die pädagogische Praxis geben und sind in den meisten Fällen heuristisch wertvoll. Die Darstellung in Abschnitt 3 konzentriert sich auf empirisch entwickelte und geprüfte Verfahren.

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3 Diagnoseverfahren Empirisch geprüfte Diagnoseverfahren für das Schreiben existieren in Bezug auf DaZ vor allem in Form bzw. als Teil von Verfahren zur Feststellung von Sprachaneignungsständen. Entsprechend der Bedeutung von bildungssprachlicher, d.  h. konzeptionell schriftsprachlicher Sprachaneignung wird in einigen Verfahren auf Textkompetenz fokussiert (vgl. Gantefort & Roth 2010)6, von denen im Folgenden einige geordnet nach Schulstufen vorgestellt werden.

Primarstufe Profilanalyse nach Grießhaber (2002–2006, 2005, 2010) Das Instrument „Profilanalyse“ (im Folgenden benannt „Profilanalyse nach Grießhaber“, um Verwechslungen mit anderen profilanalytischen Verfahren zu vermeiden) basiert auf den Erkenntnissen von Meisel, Clahsen & Pienemann (1979) zu den Stufen der Sprachaneignung, die von allen Zweitsprachaneignenden in gleicher Abfolge durchlaufen werden. Aufgrund dieser Forschungsergebnisse entwickelte bereits Clahsen (1985) ein profilanalytisches Verfahren, das jedoch sowohl in seinem Aufwand als auch in seiner linguistischen Komplexität und Genauigkeit für die Verwendung im Schulkontext und für die Ermittlung von Fördervorschlägen nicht praktikabel war. Grießhaber (2002–2006) kommt das Verdienst zu, die von Meisel, Clahsen & Pienemann in generativistischer Sprachbeschreibungsweise vorgenommene Einteilung der Kompetenzstufen für die Anwendung in der Praxis so zu modifizieren, dass sie von PädagogInnen mit vertretbarem Fortbildungs- und vergleichsweise geringem Durchführungsaufwand anwendbar sind. Somit entwickelte er das erste für die Praxis anwendbare Verfahren der Sprachstandsdiagnose, das auf der Forschung zu Sprachentwicklungsstufen basiert. Die Profilanalyse nach Grießhaber ist für mündliche sowie schriftliche Äußerungen anwendbar. Für die Analyse wird ein Text oder eine aufgenommene Äußerung zunächst in satzwertige Einheiten unterteilt. Anschließend wird jede Einheit einer von sechs Entwicklungsstufen zugeordnet, wobei nur die jeweils höchste erreichte

6 Einige weitere Verfahren zur Sprachstandserhebung wie etwa USB-DaZ (Fröhlich, Döll & Dirim 2014) wurden hier nicht aufgeführt, da sie mit dem Ziel der möglichst umfassenden Beobachtung des Sprachstands als Beobachtungsinstrumente entwickelt wurden. Diese gehen daher nur am Rande auf die Schreibkompetenzentwicklung ein. Für die Analyse von Schreibproben zur Erfassung der Schreibkompetenz sind die vorgestellten Profilanalysen besser geeignet. Für den Schulalltag erscheint eine Kombination der genannten Beobachtungsverfahren mit Profilanalysen empfehlenswert, um einen umfassenderen Einblick in das Kompetenzenprofil der SchülerInnen über die Schreibkompetenz hinaus zu erhalten.

Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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Stufe notiert wird. Die sechs Entwicklungsstufen orientieren sich an der Aneignung der Verbstellung im Satz sowie der finiten und infiniten Bestandteile des Verbs: Tabelle 1: Entwicklungsstufen der Profilanalyse (nach Grießhaber 2010: 154) Entwicklungsstufen der Profilanalyse nach Grießhaber (2010) Stufe 6

Integration eines EPA (erweitertes Partizipialattribut)

Stufe 5

Insertion eines Nebensatzes

Stufe 4

Endstellung des Finitums in Nebensätzen

Stufe 3

Nachstellung des Subjekts nach Finitum

Stufe 2

Separierung finiter & infiniter Verbteile (Satzklammer)

Stufe 1

Finitum in einfachen Äußerungen

Stufe 0

Bruchstücke (ohne Finitum)

Vorteile des Verfahrens sind seine sehr gute Handhabbarkeit sowie seine sensibilisierende Wirkung: Lehrkräfte gaben für die Profilanalyse die Rückmeldung, dass die Anwendung des Verfahrens für sie als „Lupe“ gewirkt habe und sie nun einen genaueren Blick auf bereits Erreichtes hätten (Grießhaber 2005). Als problematisch könnte die Konzentration des Verfahrens auf die Syntax angesehen werden. Grießhaber (2005) argumentiert auf Grundlage einer funktionalpragmatischen Fundierung des Verfahrens dafür, dass die erreichten Stufen in einem Zusammenhang mit weiteren Facetten sprachlichen Handelns stehen: Jede erreichte Stufe der Syntax ermögliche eine spezifische Zunahme an funktionalen sprachlichen Möglichkeiten. Der Erwerb der Stufe 2, die Separierung finiter und infiniter Verbteile, also der Erwerb der Satzklammer, mache den Weg frei für den Erwerb der Vergangenheitsform und der Modalverben, funktional-pragmatisch gesprochen für den Erwerb der Verankerung des Gesagten in der Zeit und seine Modalisierung (Grießhaber 2005: 42). Der Erwerb der Stufe 3 ermögliche dann den Einsatz von Konnektoren und dadurch eine zunehmende Verkettung (Kohärenz) von Aussagen, da durch die Stellung des Subjekts nach dem finiten Verb das Vorfeld frei wird. In Bezug auf den Wortschatz nimmt Grießhaber an, dass eine Zunahme des Wortschatzes die Bedingung für die Aneignung jeder weiteren Stufe darstellt und dass daher eine Zunahme der Komplexität der Syntax mit einer Zunahme des Lexikons korrespondiere. Die hier zugrunde gelegte konnexionistische Erwerbstheorie (Grießhaber 2010: 167) liefert auch die Grundlage für die Annahme, dass eine Zunahme des Wortschatzes auch der Motor für den Erwerb weiterer sprachlicher Facetten sei, so etwa der Morphologie mit dem Kasus- und Genussystem. Diese Annahmen findet Grießhaber (2005) in einer Detailanalyse von fünf Sprachproben bestätigt, von der jede Probe einer der Stufen zugeordnet wurde. Im Anschluss listet Grießhaber sprachliche Merkmale jeder Stufe

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 Magdalena Knappik & İnci Dirim

auf, die sich auch auf Wortschatz und morphologische Elemente erstrecken. Heilmann (2012) formuliert auf Grundlage dieser Annahmen Förderhorizonte, die jeweils an eine erreichte Stufe anschließen können. In Bezug auf den Zusammenhang von Syntaxstufen und Schreibkompetenz kann mit der Profilanalyse nach Grießhaber vor allem in Bezug auf Kohärenz (in der Annahme, dass das Erreichen der Stufe 3 die für die Aneignung von Konnektoren notwendige Voraussetzung darstellt) eine Aussage über die sprachlichen Voraussetzungen von Schreibkompetenz getroffen werden. Grießhaber (2005) hält als Desiderat die weitere empirische Überprüfung dieser Zusammenhänge fest. In parallelen Entwicklungen verschiedener disziplinärer Zusammenhänge wurden weitere Diagnoseinstrumente entwickelt, die im Folgenden vorgestellt werden. Diese Arbeiten reduzieren zwar die Handhabbarkeit der Instrumente durch eine Erhöhung des Beobachtungsaufwands, liefern dafür jedoch eigene Beobachtungsbögen für den Erwerb des Kasussystems, von Satzverknüpfungen oder des (differenzierter zu erfassenden) Wortschatzes. Bei der Erfassung des Wortschatzes wird in einer Reihe später entwickelter Verfahren versucht, in mehreren Stufen zwischen Alltags-, Bildungs- und Fachwortschatz zu differenzieren.

Sekundarstufe Die im Folgenden vorgestellten Instrumente „Tulpenbeet“, „Beobachtung der Schreibentwicklung“ und „Bumerang“ sind im Kontext des Modellprogramms FörMig entstanden (zum Überblick vgl. Gogolin et al. 2011). Tulpenbeet und Bumerang liegen außer für das Deutsche auch in den Sprachen Türkisch und Russisch vor und eignen sich daher gut für die von Gantefort (2013) geforderte mehrdimensionale Diagnostik. Darüber hinaus existieren verschiedene nicht empirisch geprüfte förderdiagnostische Materialien (z.  B. Junk-Deppenmeier & Jeuk 2015), die noch umfassendere Beobachtungen zulassen und bereits in der Bearbeitung auch fördernd wirken, etwa durch die Durchführung eines Schreibgesprächs (Junk-Deppenmeier & Jeuk 2015: 131–133).

Tulpenbeet „Tulpenbeet“ (Reich, Roth & Gantefort 2008) ist eine Profilanalyse, die für die 4.–6. Klassenstufe einsetzbar ist. Anhand einer Bildgeschichte soll ein narrativer Text geschrieben werden, der anschließend detailliert ausgewertet wird. Das verwendete Kompetenzmodell enthält sowohl Indikatoren für die Messung von Textkompetenz (Bereich „Textbewältigung“, in dem auch Items zur Erfassung genretypischer Merkmale enthalten sind, wie etwa die emotionale Involvierung durch narrative Gestaltungsmittel) als auch für die Messung von allgemeinsprachlicher Kompetenz (Bereiche „Wortschatz“, „Bildungssprachliche Elemente“ und „Satzverbindungen“).

Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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Beobachtung der Schreibentwicklung in der Sekundarstufe 1 Das Instrument „Beobachtung der Schreibentwicklung in der Sekundarstufe 1“ (Lengyel & Roth 2012) ist ein unterrichtsbegleitendes Beobachtungsverfahren, das die Entwicklung bildungssprachlicher Fähigkeiten im Fachunterricht fokussiert. Die Diagnose kann anhand von schriftlichen oder mündlichen SchülerInnenäußerungen erstellt werden. Es wurden Beobachtungsbögen für die Sprachhandlungen Berichten, Erklären, Beschreiben und Argumentieren entwickelt, für die jeweils Aneignungsverläufe in fünf Stufen modelliert sind. Jeder der Bögen beobachtet drei Ebenen: Lexik/ Semantik, Syntax und Text. Die folgende tabellarische Darstellung gibt Lengyel & Roth (2012) wieder: Tab. 2: Stufenbeschreibungen der Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen im Fach­ unterricht (nach Lengyel & Roth 2012) Lexik/Semantik

Syntax

Text

Stufe 1

Platzhalter (z.  B. Dings, Sache)

Aussagen ohne Verbform

Unverbundene Einzel­ aussagen

Stufe 2

Näherungsbegriffe (z.  B. tun, raufkippen)

Verwendung von Verben mit Unsicherheiten in der Stellung im Satz und in der Bildung

Darstellung ist zusammenhängender, aber Gesamt­ verständnis noch gefährdet

Stufe 3

Treffende und verständliche Formulierungen in einem alltagssprachlich geprägten Wortschatz (z.  B. warm werden, Schaum)

Einfache Hauptsätze, Verbindungen oft mit „und (dann, danach)“

Gesamtzusammenhang wird erfasst, aber Nachvollziehen noch nicht vollständig möglich (thematische Sprünge, fehlende Details)

Stufe 4

Differenzierte Begriffe, Verben und Formulierungen der Standardsprache (z.  B. sich entzünden, auflösen)

Verbindung von Aussagen über einfache Reihung hinaus, z.  B. durch Konjunktionen, Adverbien, Relativsätze, Präpositionalphrasen

Sachangemessene ­Darstellung

Stufe 5

Spezifische fachsprach­ liche Bezeichnungen (z.  B. Calcium)

Weitere Erhöhung der Komplexität, Formen der Entpersonalisierung (Passiv, Nominalisierung)

Umfassende und präzise Darstellung, Einordnung in Gesamtzusammenhang

Durch die detaillierte Unterteilung im Bereich „Lexik/Semantik“ kann dieses Instrument gut zur Vertiefung der Diagnose herangezogen werden. Die Modellierung von Aneignungsfolgen ermöglicht wiederum eine gute Orientierung darüber, auf welcher Stufe die Förderung ansetzen soll.

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 Magdalena Knappik & İnci Dirim

Bumerang Die Profilanalyse „Fast Catch Bumerang“ (Reich, Roth & Dirim & Döll 2009) besteht aus zwei Schreibaufgaben: einem Bewerbungsschreiben und einer Bauanleitung für einen Bumerang. Sie kann gegen Ende der Sekundarstufe 1 eingesetzt werden. Das Profil wird auf Grundlage beider Texte erstellt, die jeweils eigens ausgewertet werden. Das Indikatorenmodell ist ähnlich aufgebaut wie in „Tulpenbeet“. Es besteht hier aus den Bereichen „Textpragmatik“, „Wortschatz“, „Bildungssprache“ und „Syntax“. Das Verfassen der Bauanleitung erfolgt auf Grundlage einer Bilderserie. Neben der Aufgabenbewältigung umfasst der Bereich „Textpragmatik“ den Bereich „Textkompetenz“. Dieser ist untergliedert in die Bereiche „Gestaltung“, „Strukturierung“ und „Adressierung“. Der Diagnosebogen zu „Bildungssprache“ erfasst komplexe morphosyntaktische Phänomene, wie etwa Nominalisierungen und Passiv- oder Attributkonstruktionen. Im Bereich des Wortschatzes besteht die Möglichkeit, zwischen „Näherungswortschatz“, „aufgabennahem/allgemeinem“ und „fachlichem“ Wortschatz zu unterscheiden, bei Verben gibt es noch die zusätzliche Kategorie „textsortenspezifisch“. Somit ist auch hier eine Skalierung angedeutet. Auch die Satzverbindungen werden in einem eigenen Bogen erfasst, zudem erfolgt eine Zählung der Gesamtzahl an Wörtern, Sätzen und daraus eine Ermittlung der mittleren Satzlänge.

4 Fazit Mit Diagnoseverfahren werden Lehrkräfte in die Lage versetzt, einen ressourcenorientierten Blick auf die Textproduktionen von SchülerInnen zu richten. Gerade in Bezug auf die sprachliche Bildung und Förderung im Kontext zweitsprachlichen Schreibens bieten sich Diagnoseverfahren aus dem Kontext der Sprachstandsfeststellung an, um sowohl textkompetenz- als auch allgemeinsprachspezifische Facetten zu erheben und in der Planung von Unterricht und Förderung zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sind Forschungsdesiderata der Modellierung von Textkompetenz im Kontext migrationsbedingter Mehrsprachigkeit; trotzdem bieten die vorhandenen Diagnoseverfahren wertvolle Unterstützung für eine individualisierte und passgenaue sprachliche Bildung und Förderung.

Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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 Magdalena Knappik & İnci Dirim

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Diagnose zweitsprachlichen Schreibens 

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 Magdalena Knappik & İnci Dirim

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Elke Montanari

13 Diagnostik der Schriftsprachaneignung in unterschiedlichen Altersstufen 1 Zum Gegenstand der Diagnostik der Schriftsprachaneignung 2 Forschungsüberblick: Ergebnisse der Schriftsprachaneignungs- und Diagnoseforschung 3 Verfahren 4 Fazit und Ausblick

1 Zum Gegenstand der Diagnostik der Schriftsprachaneignung Im Folgenden werden Grundfragen der Diagnostik für das Lesen und Schreiben in der zweiten Sprache diskutiert.1 Die Diagnose von Schriftsprachaneignung befasst sich mit einer Fülle von Lernbereichen: früher Schrifterwerb, Orthografieaneignung, Textschreiben, Schriftsystematik, Interpunktion und Lesen. Nicht alle Lernbereiche können mit dem gleichen Diagnoseinstrument erfasst werden; die Auswahl muss sich also nach der Fragestellung richten. Grundsätzlich können folgende Dimensionen unterschieden werden: die Aneignung der Schriftsprachlichkeit im Kontext lebensweltlicher Mehrsprachigkeit, die Aneignung der Schriftlichkeit in einer später gelernten Sprache, z.  B. im Fremdsprachenunterricht, und die Frage nach den kognitiven und linguistischen Komponenten des flüssigen Lesens und Schreibens in mehrsprachigen Kontexten (Bialystok 2007). Müssen Schrifterwerbsprozesse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen getrennt voneinander betrachtet werden? Gibt es einen Altersfaktor (Singleton & Ryan 2004) für die Aneignung der Schriftsprache? Müssen also Schrifterwerbsprozesse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen getrennt voneinander betrachtet werden? Es ist überraschend, dass die für den mündlichen Erwerb so intensiv diskutierte Frage, ob sich die Aneignung älterer und jüngerer Lernender grundsätzlich unterscheidet, für den Schriftspracherwerb bisher kaum betrachtet wurde. Dabei unterscheiden sich die Voraussetzungen und Bedarfe für Schriftsprachaneignung von Kindern und Erwachsenen erheblich (vgl. Markov & Waggershauser in diesem Band). Die Ziele, die Erwachsene mit schriftlichen sprachlichen Handlungen in der Gesellschaft erreichen wollen, z.  B. gesellschaftliche Teilhabe, Aneignung für beruf­liche

1 Sehr herzlich danke ich Johanna Fay und den Herausgebern für Kommentare und Anregungen, sowie Katharina Melzner und Ana-Isabel König-Graziano für SchülerInnentexte aus dem Projekt „Sprachlernunterstützung für Flüchtlinge“, Stiftung Universität Hildesheim. DOI 10.1515/9783110354577-013

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 Elke Montanari

Zwecke, sind andere als die von Kindern. Weitere Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen bestehen in den Angeboten institutioneller Vermittlung der Schrift­ sprach­aneig­nung. Vor dem Eintritt in die Schule ist Literalität in die Bildungsaktivitäten der frühen Bildungseinrichtungen und Familien einbezogen, wobei kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede beobachtet wurden (Kyumcu 2005). Die systematische Einführung in die Kenntnis der Verschriftlichung des Unterrichtsmediums steht im Fokus der ersten Schuljahre. Das wird in vielen Familien ergänzt durch didaktische Angebote zur Aneignung von Schriftlichkeit in Elternvereinen oder Organisationen der Communities, die sich um die Aneignung von Literalität in den Herkunftssprachen verdient machen. In den späteren Schuljahren erfolgt die Schriftaneignung in den Unterricht integriert, als ein Gegenstandsbereich des Faches Deutsch; eine Unterweisung in das Schriftsystem für Schülerinnen und Schüler, die erst nach den ersten Schuljahren in das deutsche Bildungssystem dazustoßen, erfolgt typischerweise nicht in der gleichen Systematik und Stringenz wie im Anfangsunterricht und überlässt weite Teile der Schriftsprachaneignung der selbständigen, durch Lehrerfeedback gestützten Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit Lernmaterial (Montanari 2017). Für das Erwachsenenalter bieten die Alphabetisierungskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge strukturierte Alphabetisierungsangebote mit einem umfassenden, detaillierten Curriculum (BAMF 2015). Für die Diagnose ist eine zielgruppengerechte Konstruktion der Stimuli sinnvoll, wobei das Alter, der Stand der geistigen Entwicklung, die Kenntnis schriftsprachlicher Handlungsmuster und Interessen neben kulturellen Voraussetzungen einbezogen werden müssen, wenn die Probandinnen und Probanden konzentriert und motiviert ihr Wissen zeigen sollen. Bei dem Blick in erste Schreibprodukte zeigt sich, dass einige Schwierigkeiten der Orthografie, aber auch Erfolge der Schriftsprachenaneignung unabhängig vom Alter zu beobachten sind. im Park Der Vater mit seine Kinder, der Vater sagt jede nimt ein Platze, die Kinder sitzen auf dem bank und der Vater macht ein Foto. Und der Vater ist hin gefällt auf den Blumen. und die Tochter hat ein Foto von ihr Vater gemacht. Und dann die haben zusammen das Bild gesehen. Beispiel 1: Text eines 15-jährigen Schülers einer Sprachlernklasse, der seit 14 Monaten in einer Sprachlernklasse in Deutschland beschult wird Die Schreibrichtung ist von diesem 15-jährigen Schüler, der seit 14 Monaten in einer Sprachlernklasse beschult wird und seit ca. zwei Jahren in Deutschland lebt, bereits zielsprachlich verwendet (Montanari 2017). Der Stimulus ist der Impuls „Tulpenbeet“ (Gantefort & Roth 2008). Die darauf folgenden Entwicklungsschritte in der Orthogra-

Diagnostik der Schriftsprachaneignung in unterschiedlichen Altersstufen 

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fieaneignung sind die konsistente Majuskelschreibung und die Graphemverdoppelung. – Das Beispiel zeigt bereits einen Aufbau, der auf die Kenntnis von Textmustern zurückgeführt werden kann. Die Beobachtung, dass Texte älterer Lerner auf Textebene komplexer wären, kann jedoch an weiteren Schreibprodukten zum gleichen Stimulus (Tulpenbeet) nicht konsistent erhärtet werden: Ich sehe ein mann und eine mädchen und ein kind der mann wärd ein foto machen und das mädchen und das kind wollen auf der Bank sitzen der mann macht foto und das mädchen will auch ein foto für der mann machen. Er zeigt das foto für das mädchen und das kind. das mädchen nehmt der camera und sie will ein foto machen. dann der mann liegt im blümmen und dann das mädchen macht foto für den mann. Dann sie zeigt das foto für den mann. Beispiel 2: Text eines 16-jährigen Schülers einer Sprachlernklasse, der seit sechs Monaten in einer Sprachlernklasse in Deutschland beschult wird. So bleibt als Desiderat zu benennen, den Altersfaktor bei der Schriftsprachaneignung grundlegend empirisch zu untersuchen und ihn in Bezug zu weiteren Faktoren, wie u.  a. Transfer von Schrifterfahrungen aus anderen Schriften und die Beherrschung der zu verschriftlichenden Sprache, zu setzen.

2 Forschungsüberblick: Ergebnisse der Schrift­ sprachaneignungs- und Diagnoseforschung In diesem Abschnitt werden zentrale Befunde zur Diagnostik der Schriftsprachaneignung mit dem Fokus auf Mehrsprachigkeit diskutiert. Die Bildungsstandards der KMK (Kultusministerkonferenz 2004) beziehen sich ausschließlich auf die Unterrichtssprache Deutsch, deren Beherrschung, falls nicht vorhanden, vermittelt werden soll. Für die Jahrgangsstufe 4 sind als differenzierte Zielkompetenzen die Beherrschung der orthographischen Zielschreibung, das Planen, Verfassen, Überarbeiten und Gestalten von Texten, insbesondere ein verständliches, strukturiertes, adressaten- und funktionsgerechtes Schreiben zu erlebten und erfundenen Themen, zu Gedanken und Gefühlen in den Textsorten Bitten, Wünsche, Aufforderungen und Vereinbarungen, Erfahrungen und Sachverhalte, Dokumentation von Lernergebnissen aufgeführt. Mehrschriftigkeit kommt hingegen nicht vor; Schriftaneignung wird auf die Aneignung von Schriftsprachlichkeit im Unterrichtsmedium verengt. Ist denn eine spezifische Diagnostik der Schriftsprachenaneignung für Zweitsprachensprechende notwendig und sinnvoll? Für eine Diagnostik, die sich an alle Schülerinnen und Schüler wendet und eben nicht spezifisch auf Deutsch als Zweitsprache ausgerichtet ist, spricht, dass DaZ-Schreibende mit den monolingualen peers zusam-

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 Elke Montanari

men lernen und sich alle Schülerinnen und Schüler die gleichen schrift­sprach­lichen Handlungen aneignen und aneignen müssen (Koch et al. 2017). In diesem Sinn ist von den Bildungsinstitutionen zu erwarten, dass sie allen Schülerinnen und Schülern die Aneignung von Schriftsprache in gleichem Umfang ermöglichen, was als Konsequenz eine gleichlaufende und als nicht nach DaZ differenzierende Diagnostik erwarten ließe. Dagegen spricht für eine spezifische Schriftdiagnostik für Zweitsprachensprechende, dass noch keine ausreichenden Erkenntnisse dazu vorliegen, ob und in welchem Umfang Erkenntnisse zu Phasen, Dynamik, Dauer der Erstschriftaneignung auch für Zweitschriftprozesse gelten (Bulut et al. 2010). Für das Verständnis von Prozessen der zweitsprachlichen Schriftlichkeit weist Grießhaber (2009) darauf hin, dass empirisch noch bestätigt werden müsse, ob Schreibprozesse in der Zweitsprache analog zu erstsprachlichen Schreibprozessen verlaufen würden. Grießhaber (2009) arbeitet auf dieser Grundlage eines der klassischen Modelle der kognitiven Vorgänge des Schreibprozesses (Hayes & Flower 1980) für das zweitschriftliche Schreiben um und weist auf Spezifika des L2-Schreibens hin: So ist für Schreibaufgaben in der Zweitsprache für die Schreibenden kennzeichnend, dass Prozess und Produkt in der Schule bewertet werden, und freies, unbewertetes Schreiben für Kinder, die in ihrem Umfeld nur wenig Deutsch verwenden, deutlich seltener vorkommt. Falls die Zweitsprache noch nicht sehr gut beherrscht wird, so muss die oder der Schreibende die Aneignung der Zweitsprache sowohl in der Mündlichkeit als auch der Schriftlichkeit meistern (Grießhaber 2009). Weiter stellt sich die Frage, wie sich Biliteralität auswirkt (Reich & Roth 2007) und welches Wissen Schreibende aus ihren weiteren Sprachen übertragen und nutzen (Böhmer 2015; Taylor et al. 2008; Verhoeven 1991): Mehrsprachig Schreibende müssen sich mit divergierenden Informationen ihrer Schriften auseinandersetzen, sei es auf Wortschatz-, auf Regel-, Textsorten- oder pragmatischer Ebene. Bei der Entwicklung metasprachlichen Bewusstseins kann das durchaus förderlich sein. Für eine sinnvolle Förderdiagnostik, die Ressourcen und Potentiale einbeziehen muss, kann es daher unumgänglich sein, die DaZ-spezifischen Effekte der Schriftsprachaneignung, z.  B. Transfereffekte, separat zu berücksichtigen. Werden mehrsprachige Probandinnen und Probanden in den gleichen Normen wie einsprachige unter Bewertung nur einer Sprache erfasst, wird nur ein Teil ihrer sprachlichen Fähigkeiten berücksichtigt, sie werden dadurch systematisch benachteiligt (De Houwer 2010). So ist es bei abwägender Betrachtung sinnvoll, Diagnoseverfahren zu konstruieren, die Mehrsprachigkeit berücksichtigen und dadurch alle kognitiven Fähigkeiten einbeziehen. Das ist etwa in der Entwicklungsdiagnostik unverzichtbar. Gleichzeitig ist es notwendig, den Vergleich mit den einsprachigen Peers in der Diagnose und der Auswertung zu ermöglichen. Eine Testung von Mehrsprachigen mit Verfahren, die mit einer einsprachigen Gruppe normiert wurden, ist daher also nicht per se obsolet, sondern hängt von der Fragestellung, der Validität des Testverfahrens und der Auswertungsqualität sowie von einer reflektierten Publikation der Ergebnisse ab.

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Der Prozess der Schriftsprachaneignung von Kindern und Erwachsenen wird weitgehend übereinstimmend als gleichverlaufend eingeschätzt (Jeuk & Schäfer 2009a), wobei die enge Forschungslage (Hüttis-Graff 2003) angemerkt wird. Allerdings ist das phonologische System bei jungen Kindern aktiver und flexibler als bei Erwachsenen (Meisel 2009). Eine Differenzierung phonologischer Merkmale im frühen Kindesalter setzen mehrsprachige Kinder bei Besuch einer Kindertagesstätte in der Regel vollständig um (Landua, Maier-Lohmann & Reich 2008). Mit Bezug auf Rechtschreibung stellt Hüttis-Graff (2003) bei einer Untersuchung mit Erst- und Zweitklässlern nicht mehr, aber andere Fehlschreibungen durch mehrsprachige SuS im Vergleich mit einsprachigen fest, da erstere auch Phonem-Graphemverbindungen aus den anderen Sprachen einbeziehen; dagegen wird an anderer Stelle ein Rückstand mehrsprachiger SuS festgestellt, wobei jedoch sozio-ökonomische Faktoren nicht normalisiert wurden (Herwartz-Emden et al. 2008). Einen ähnlichen Befund finden Steinig et al. (2009) bei mehrsprachigen Viertklässlern und stellen bei phonographischen, silbischen und prosodischen Schreibungen in der Zweitsprache leicht mehr Fehler als in Schreibungen vorwiegend einsprachiger Mitschülerinnen und Mitschülern fest (Steinig et al. 2009). Transfereinflüsse sind zwar auch in anderen Untersuchungen beobachtet worden, jedoch in ihrer Auswirkung deutlich relativiert worden, da sie sich nur in geringem Umfang zeigten (Fix 2002; Grießhaber 2017; Jeuk 2012; Richter 2008; Thomé 1987a, 1987b); die meisten Fehler können systembedingt erklärt werden. Ein spezifisches Handlungsfeld der Diagnostik der Schriftaneignung in der Zweitsprache ist die Aneignung einer Schrift im Verlauf der Schulbiographie für neu zugewanderte SuS, als Aneignung einer zweiten Schrift oder als Alphabetisierung bei einem Spracherwerb, der parallel noch weitgehend erfolgen muss, was als Vermittlungsaufgabe von Schrift, Orthografie und Schriftsprache vor allem für die Sekundarstufe eine Herausforderung darstellt (Goschler & Montanari 2016). Die vorgenannten Studien arbeiten mit relativ kleinen Stichproben, die vor Ort gewonnen wurden. Für eine große Stichprobe dagegen hat die DESI-Studie (2006) Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse untersucht und stellt fest: Berücksichtigt man die sonstigen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler (Bildungsgang, sozio-ökonomischer Hintergrund, kognitive Grundfähigkeit und Geschlecht), so kann für das Rechtschreiben nicht mehr von einem Leistungsrückstand der Jugendlichen mit nicht-deutscher Erstsprache gesprochen werden; die mehrsprachig aufgewachsenen sind sogar für orthographische Phänomene besonders sensibilisiert. (Klieme et al. 2006: 4)

Bei illiteraten bzw. wenig literaten Erwachsenen fallen geringe phonologische Fähigkeiten der Diskriminierung auf, die bei nicht lesenden Kindern nicht in dieser Häufung gefunden wurden, insbesondere mit Blick auf phonologische Bewusstheit, Segmentierfähigkeit und Lauterkennung bei Phantasiewörtern (Perfetti & Marron 1995). Da jedoch Lesefähigkeit phonologische Fähigkeiten beeinflusst und geringe phonologische Fähigkeiten auch aus seltener Auseinandersetzung mit alphabetischen Systemen herrühren können, ist die Richtung des Einflusses unklar; möglicherweise liegt

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eine Wechselwirkung vor, so dass geringe Lesefähigkeit sich ebenfalls ungünstig bzw. nicht fördernd auf phonologische Fähigkeiten auswirkt. Von älteren, insbesondere erwachsenen Lernern wird davon ausgegangen, dass sie durch zahlreiche Erfahrungen im Umgang mit mehreren Sprachen und Schriften und Mehrsprachigkeit über ein ausgereifteres metasprachliches Bewusstsein verfügen, das sie für die Schriftsprachaneignung verwenden können (Franceschini 2011). Außerdem können sie auf bereits vorhandene literale Fähigkeiten aufbauen, z.  B. aus anderen Schriftsystemen oder aus dem Umgang mit medial mündlicher Schriftsprache, wie im Falle religiöser Kontexte. In der Leseforschung wurden Transfereffekte und damit potentiell Vorteile erwachsener Lernender gefunden. Bei dualen Modellen der Leseorientierung wird von zwei möglichen Zugängen ausgegangen: einerseits dem Zugriff auf eine lexikalische Organisation, bei der Wortformen in Verbindung mit gewussten lexikalischen Einheiten gebracht werden, und zweitens einem dekodierenden Vorgehen, bei dem Verbindungen zwischen graphemischen Einheiten, phonischen Einheiten und dann lexikalischen Einheiten hergestellt werden (Coltheart et al. 1993). Erfahrene Lesende verbinden im Leseprozess sofort Grapheme mit Wortformen und können daher schneller und effizienter lesen. Beim Leseerwerb in einer später angeeigneten Verschriftlichung einer bereits gut beherrschten Sprache und dem dafür notwendigen Aufbau eines weiteren orthographischen Lexikons zeigt sich, dass sehr schnell Wortformen mit Bedeutung assoziiert werden und der Aufbau des neuen orthographischen Lexikons in den gleichen Hirnarealen erfolgt, die bereits für die Lektüre in anderen Sprachen mit vorherigen Leseerfahrungen aktiviert werden (Abutalebi et al. 2007). Für die Aneignung von Schriftlichkeit, so ist die Folgerung, wird also intensiv auf Wissen aus früherer Aneignung von Schriftlichkeit zurückgegriffen.

3 Verfahren Der folgende Abschnitt stellt ausgewählte Erhebungsmethoden und Verfahren mit dem Schwerpunkt auf Schreiben in einer zweiten Sprache vor, die mit Blick auf Altersund Schulabschnitte betrachtet werden. Eine der grundlegenden Fragen der Schriftdiagnostik greift die idealtypische Unterscheidung zwischen summativer und formativer Diagnose auf (Cope et al. 2011). So liegt bei summativer Diagnostik oder Feststellungsdiagnostik (Lengyel 2013) der Fokus auf einer Einschätzung der Fähigkeiten der Probandin/des Probanden zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.  B. zum Zwecke der Evaluation, für Leistungsstudien (z.  B. PISA, DESI) oder als Testverfahren für schulbiographische Entscheidungen. Dem stehen als formative Diagnostik regelmäßige, feedbackorientierte Verfahren mit dem Ziel der Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Probandin/des Probanden und der Erarbeitung von Impulsen für das didaktische Vorgehen gegenüber, wie es z.  B. in regelmäßigen Schreibkonferenzen der Fall sein kann. In der schulischen Wirklich-

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keit zeigen sich zahlreiche Mischformen, z.  B. Lernstandsüberprüfungen in Klassenarbeiten, die sowohl eine Information für den Lernstand beinhalten können, also formativen Charakter haben, als auch schullaufbahnentscheidend mit summativer Kraft eingesetzt werden können. In beiden Erkenntniszielen kann eine, ggf. nach einiger Zeit sich wiederholende, am Schreibprodukt orientierte Diagnostik, die Fehler qualitativ einzuordnen sucht, von einer prozessorientierten Herangehensweise, die sich mit der Frage beschäftigt, welche Hypothesen und Regeln die oder der Lernende zum Schriftsystem befolgt, unterschieden werden (Fay & Berkling 2013). Beispiele für produktorientierte Verfahren zur Diagnostik von Rechtschreibkompetenz sind standardisierte Verfahren wie die Hamburger Schreibprobe HSP; aber auch freie Schreibproben können Gegenstand produktorientierten Vorgehens sein. Eine produktorientierte Diagnostik arbeitet mit sehr sorgfältig ausgewähltem verdichtetem Wortmaterial, um eine optimale Verteilung orthographischer Schwierigkeiten im Testmaterial zu garantieren. Individueller Wortschatz und didaktischer Vermittlungsstand können in den standardisierten Verfahren nicht berücksichtigt werden. Letzteres führt dazu, dass nur spezifische Ausschnitte der zu testenden Kompetenz erfasst werden können. In der Prozessdiagnostik wird dagegen vorwiegend gefragt, ob Schreibungen memoriert versus konstruiert werden und auf welcher Grundlage der Prozess erfolgt. Dafür werden z.  B. Befragungen („warum hast du das so geschrieben?“) und Audioaufnahmen von lautem, schreibbegleitendem Denken eingesetzt. Einen weiteren Zugang bieten Diktate mit schriftstrukturell typischen Pseudowörtern, für die nur konstruktionsbasierte Entscheidungen möglich sind.

Elementare Schriftlichkeitsdiagnose vor dem Schuleintritt Im frühen Kindesalter haben Kinder bereits unterschiedlich umfangreiche Begegnungen mit Literalität erlebt, im Alltag, mit Büchern, Schriftlichkeit in der Familie, in der Kindertagesstätte. Diagnostisch relevant sind daher vordringlich Erfahrungen mit Literalität und Interesse für Schriftlichkeit sowie unter Umständen eine erste Aneignung von Schreibungen in der Familiensprache und in der zweiten Sprache Deutsch, z.  B. der eigene Name oder im Alltag relevante Wörter. Für die Diagnostik früher Literalität in der Kindertagesstätte steht für mehrsprachige Kinder der Beobachtungsbogen SISMiK: Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in der Kindertageseinrichtung zur Verfügung (Ulich & Mayr 2003). Damit können Erzieherinnen und Erzieher Kinder in vorgegebenen Alltags- und Spielsituationen beobachten und ihre Wahrnehmungen dokumentieren, z.  B. um sie einige Zeit später zu wiederholen oder für den Austausch und die Beratung mit Eltern, kindlichen Bezugspersonen oder Kolleginnen und Kollegen zu verwenden. Durch die Systematisierung von Beobachtung erfolgt eine Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte. Das Europäische Sprachenportfolio liegt in vielen Formen und für alle Altersstufen vor und kann in der Kindertagesstätte z.  B. im Rahmen eines Sprachenprojekts

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eingesetzt werden (Filtzinger, Montanari & Cicero Catanese 2011). Hier schätzen die Kinder, unterstützt von der Erzieherin bzw. dem Erzieher, angeleitet von alltäglichen Situationen sprachlichen Handelns ihre mündlichen und schriftlichen Handlungsfähigkeiten in allen ihren Sprachen ein. Portfolioarbeit kann in die pädagogische Arbeit eingebettet werden und so Prozesse auslösen, die auf vielfältigen Ebenen literale Entwicklung und Mehrsprachigkeit thematisieren, Potentiale aufzeigen und Fördermöglichkeiten sichtbar machen. Die Verlässlichkeit von Selbsteinschätzungen ist von vielen Faktoren bestimmt, variabel und hängt sehr stark von der Konkretheit der Impulse ab, die die sich Einschätzenden unterstützen. Im Rahmen einer didaktisch geplanten Interaktion auf der Grundlage der Selbsteinschätzungen gelingt es auch bei jungen Kindern, frühe Erfahrungen der Mehrschriftigkeit nachvollziehbar zu dokumentieren (Montanari, Junkert & Nachit 2011). Für eine vergleichende Einschätzung von Schriftlichkeit in der zweiten Sprache Deutsch und anderen Schriften, insbesondere bei Kindern, die vor Schuleintritt schon in einer anderen Sprache als Deutsch alphabetisiert werden, können einfache Schreibproben eingesetzt werden. Hier werden die Kinder gebeten, in einem Zeitfenster (z.  B. fünf Minuten) möglichst viele Buchstaben oder Wörter zu schreiben – die sie schon kennen. Für Zweitsprachenschreibende haben diese Proben den Vorteil, dass das Kind in allen seinen Schriften etwas zu Papier bringen kann und so die Einteilung in Erst- und Zweitschrift überwunden werden kann. Die Buchstaben bzw. Wörter werden dann gezählt. Allerdings ist die Erfassung deutlich komplexer, als es scheint, da konsistente und methodische Entscheidungen dazu getroffen werden müssen, was als Wort gewertet wird (Lesbar? Keine zu großen Lücken? Orthografisch?) oder was als Buchstabe gewertet werden muss (wie zielsprachlich muss die Buchstabenform sein?) (Schmid-Barkow 2009). Die prognostische Aussagekraft freier Schreibproben auf den Lernprozess ist allerdings kritisch zu reflektieren, da viele weitere Faktoren, wie Unterrichtsqualität und Lernverhalten, nicht einbezogen werden (Schmid-Barkow 2009).

Diagnose der Schriftsprachenaneignung im Schulalter Für die Diagnose der Schriftsprachaneignung im Schulalter unterscheiden sich die Verfahren u.  a. in ihren Konzeptionalisierungen und dementsprechend Diagnosefoki, wie orthographische Beherrschung, den zweckmäßigen Einsatz textgliedernder Mittel, die Verkettung propositionaler Gehalte, Mittel zur Kennzeichnung von Plötzlichkeit und Dramatik, schnelles Lesen mit zielführender Sinnentnahme und Verständnis, und weiterhin darin, welche Textsorten eingesetzt werden und welche sprachlichen Handlungen, z.  B. Argumentieren, Überzeugen, Berichten, Erzählen etc. gefordert werden, so dass auch die Ergebnisse sehr unterschiedlich sein können (Jeffery 2009). Für belastbare Entscheidungen z.  B. hinsichtlich der Entwicklung schriftsystematischer Kompetenz haben sich standardisierte Diagnoseverfahren mit Vergleichswerten

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normierter Stichproben etabliert, z.  B. für Rechtschreibung die Hamburger Schreibprobe HSP (May 2007), für das Leseverständnis ELFE (Lenhard & Schneider 2006). Die Verfahren arbeiten mit Indikatoren, die hoch operationalisiert sind, um eine gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen und um sie mit Hilfe einer Normierungsstichprobe verlässlich einordnen zu können. Die dafür notwendige sehr genaue Konstruktion der Diagnoseitems impliziert eine Beschränkung und Eingrenzung der Fragestellung. Die Tests prüfen daher ausschließlich Fragen in ihrem gesetzten Fokus ab – also z.  B. Orthografie in einem spezifischen Bereich, ohne dass damit ausgesagt werden sollte oder könnte, wie sich die Aneignung der literalen Basisqualifikation einer Probandin/eines Probanden in einem weiten Verständnis gestaltet. Standardisierte Verfahren ermöglichen je nach Konzeption typischerweise die Identifikation von typischen und nicht-typischen Entwicklungen in einem quantitativen Ansatz, d.  h. der Logik folgend: Wenn die Testergebnisse von dem Kind A schlechter oder besser sind als die Ergebnisse der meisten seiner Altersgenossen (z.  B. besser oder schlechter als 90 % der Altersgenossen), dann liegt hier eine Auffälligkeit vor, die besonderer Aufmerksamkeit bedarf; in diesem Fall z.  B. als Förderbedarf oder als Hochbegabung.2 Viele dieser Verfahren erlauben die Anwendung statistischer Analysen, insbesondere wenn begleitend weitere Daten erhoben werden, z.  B. für Korrelationen mit Faktoren wie sozio-ökonomischer Status, Kontaktdauer mit der deutschen Sprache u.  v.  m. zu Korrelationen und Faktoren. Sie sind zeitökonomisch als Screenings oder Tests konzipiert und werden je nach Verfahren von pädagogisch oder psychologisch geschulten Testleitungen, im Fall von Screenings oft auch von Lehrpersonen, durchgeführt. Für eine Entwicklungsdiagnose bei mehrsprachigen Schreibenden ist jedoch abzuklären, wie groß insgesamt der Grad der Beherrschung der Zweitsprache ist. Bei Testkindern, die deutlich dominant in der anderen Sprache als der Testsprache sind, ist das Testergebnis für die nicht-dominante Sprache nur eingeschränkt interpretierbar; es muss für wichtige Förderentscheidungen unbedingt mit anderen Sprachtests, die die kindliche mehrsprachige Entwicklung berücksichtigen, kombiniert werden; dafür könnte z.  B. LiSeDaZ als begleitendes Verfahren eingesetzt werden (Schulz & Tracy 2011). In diesen Fällen ist eine qualitative Fehleranalyse mehrerer Schreibproben über einen längeren Zeitraum oft besser geeignet als standardisierte Verfahren, da der Vergleich mit Altersgenossen wegfällt, die die Testsprache als eine (u.  U. unter mehreren) Erstsprache(n) erworben haben. Für die Diagnostik geschriebener Texte stehen vorwiegend Verfahren zur Verfügung, für die Texte als Schreibaufgabe von den Probandinnen und Probanden verfasst werden, die anschließend analysiert werden. Üblicherweise werden Impulse oder Anregungen konstruiert, die die Probandinnen und Probanden zu einem Text einladen sollen; Beispiele dafür sind Bildvorlagen, Film(-ausschnitt)e, Bildkarten und andere Medien (Gogolin, Neumann & Roth 2005). Häufig werden Aufgaben verwendet,

2 Die Voraussetzung ist hierfür u.  a. Normalverteilung.

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die eine Verschriftlichung anregen sollen, aus Abbildungen eine Erzählung zu entwickeln, eine Beschreibung zu verfassen oder eine Gebrauchsanweisung zu erstellen – die Bandbreite der Impulse, der Handlungskontexte der Textsorten und damit der Schriftprodukte ist also, je nach Alter, inhaltlicher Fragestellung und Schulstufe, weit. In der Regel liegt für diese Aufgaben ein Auswertungsraster vor. Die Vergleichbarkeit der Schriftanalyseergebnisse wird damit erhöht, die Auswertung erfolgt zügig und ist für den schulischen Alltag von Lehrpersonal umsetzbar. Analyseraster erlauben es, Texte darauf hin zu analysieren, wie die Planung, die Strukturierung, die Behandlung inhaltlich komplexer Themen und die Umsetzung gelungen sind. Ein Beispiel für so ein Raster ist das Zürcher Textanalyseraster, das sprachsystematische und orthographische Korrektheit sowie ästhetische Angemessenheit behandelt (Nussbaumer & Sieber 1994) und mit deskriptiven Oberflächenphänomenen wie Textlänge, Anzahl der Wörter als token oder types, Satzstrukturen arbeitet und weiterhin die sprachsystematische und orthographische Richtigkeit neben funktionaler Angemessenheit und Kohärenz einbezieht. Was allerdings ein Desiderat darstellt, ist die Überprüfung der Angemessenheit der Analyseraster selbst, also der Validität, für Schreibprozesse von Zweitschreibern. Analyseraster sind in der Regel anfällig für Textsorten, d.  h. es sollten möglichst gleichartige Textsorten verglichen werden (z.  B. Beschreibungen untereinander, aber nicht Erklärungen und Gebrauchsanweisungen). So wird letztlich oft verglichen, wie nahe sie den Erstschreibenden sind, doch eine unter Umständen spezifische Kraft und Qualität des zweitsprachlichen Schreibens wäre auf diese Weise kaum zu erfassen. Für den Schwerpunkt Fokus auf den Bereich der Orthographie liegt das Raster der Fehlerkategorien beim alphabetischen Schreiben für ein- und mehrsprachige SuS (Jeuk & Schäfer 2009a, 2009b) vor. Fehlschreibungen werden in die für Zweitsprachenschreiber sehr häufigen Kategorien Auslassung, Ersetzung, Umstellung, Hinzufügung und orthographische Strategien aufgeteilt; dagegen werden die für alle SuS schwierigen Felder Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung nicht berücksichtigt. Auswertungsraster, die für mehrere Sprachen vorliegen, ermöglichen es, bei der Diagnose des Schreibens in der Zweitsprache auch Informationen aus dem Schreiben in anderen Sprachen einzubeziehen. Ein Beispiel für einen solchen Diagnoseansatz für Schreibende in der Zweitsprache stellt das Verfahren „Tulpenbeet“ dar (Gantefort & Roth 2008). Anhand einer Bilderfolge, wobei das mittlere Bild leer gehalten ist, werden Schreibende eingeladen, einen Text zu verfassen. Für die Sprachen Deutsch, Russisch und Türkisch liegt ein Analyseraster vor, das lexikalische und grammatische Mittel beinhaltet sowie die Textgestaltung erfasst. Auch die „Prozessbegleitende Diagnose der Schreibentwicklung“ ist im Design ähnlich aufgebaut, nur werden hier Texte in den sprachlichen Handlungen Berichten, Beschreiben, Erklären und Argumentieren erhoben und mittels Auswertungsraster auf lexikalische, syntaktische und textuelle Eigenschaften beurteilt. So entsteht eine Einschätzungsdokumentation für Lehrkräfte der Sekundarstufe I von schriftlichen

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Sprachhandlungen (Lengyel et al. 2009). Die Besonderheit dieses Designs liegt darin, dass der Impuls für Texte in allen Sprachen der Schreibenden genutzt werden kann, die Analyseraster für große Sprachen zur Verfügung stehen, aber die in weiteren Sprachen entstandenen Texte durch den Einbezug von Informanten, den Schreibenden selbst oder den Eltern auch für eine Analyse herangezogen werden können. Erst in einer Metaanalyse ist es möglich, aus den Textanalyserastern Daten dafür zu gewinnen, welche altersspezifischen und zweitsprachspezifischen Ausprägungen sich gehäuft in Konstellationen finden; hierzu müssten Analysen einer genügend großen Anzahl von Schreibenden zu Faktoren wie Beschulungsdauer und -form, Sprachkontakt, Alter u.  a. in Bezug gesetzt werden; ein lohnendes Desiderat für Forschungsarbeiten. Während die vorgenannten Verfahren Schreibprodukte betrachten, gleichwohl sie bei wiederholter Anwendung Hinweise auf den Schreibprozess geben könnten, so ist das Schreibprotokoll ein Versuch, den Prozess des Verschriftlichens durch Intro­ spektion des Schreibenden in den Mittelpunkt zu stellen (Held 2009). Damit können, soweit introspektiv oder durch Beobachtung zugänglich, Planungs- und Überlegungsprozesse dokumentiert werden. Sie können schriftlich oder durch Aufzeichnungen mündlicher Kommentare erhoben werden. Allerdings bestehen hier erhebliche Fragen, inwieweit die Introspektion selbst den Schreibprozess beeinflusst und leitet. Eine alternative Möglichkeit, Erkenntnisse zu Entscheidungen der jungen Schreibenden zu erhalten, ist das Gespräch nach der Verschriftlichung und die Frage nach den Gründen der Textgestaltung. Für die qualitative Erkenntnisgewinnung sind diese Verfahren sehr interessant, allerdings werden sie für eine Leistungs- oder Entwicklungsdiagnose selten eingesetzt.

Diagnose der Schriftsprachenaneignung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen Während für das Schulalter eine diversifizierte Bandbreite von Verfahren zur Verfügung steht, ist der diagnostische Bereich für Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene bisher äußerst eingeschränkt (s. Jeuk & Junk-Deppenmeier 2015; Bulut et al. 2010). In den Aneignungsprozess von Schrift können in zunehmendem Maße kognitive Reifungsaspekte einbezogen werden, die insbesondere das Abstraktionsvermögen, die Fähigkeit zur Regelbildung und selbstgesteuerte Lern- und Organisationsfähigkeiten betreffen. Der Lernprozess entwickelt daher eine andere Dynamik als im frühen Schulalter. Insbesondere sind der Deutsch-Test für Zuwanderer DTZ A2/B1 sowie der DeutschTest für Zuwanderer A2/B1 (Jugendintegrationskurs) (Goethe-Institut e.V. & telc GmbH) praktisch relevant, da mit ihnen u.  a. die notwendigen Sprachkenntnisse für eine Einbürgerung nachgewiesen werden können (s. auch den Beitrag von Feick in diesem Band). Für die Diagnose von Schriftlichkeit in der Zweitsprache werden für

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Jugendliche und Erwachsene die Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens in standardisierten und in Übungsversionen veröffentlichten Prüfungsformaten angesetzt. Lesen und Schreiben sind darin zwei der insgesamt vier geprüften Fertigkeiten. Die Durchführung erfolgt durch spezifisch vorbereitete Prüfende und kann also nicht innerhalb der Bildungsinstitution geleistet werden. In der Anfangsphase sind für Jugendliche und Erwachsene mit sehr geringen Sprach- und Schriftkenntnissen in der Zweitsprache freie Schreibproben ein niederschwelliger diagnostischer Weg, um innerhalb einer Lerngruppe Vorwissen zu erkennen wie auch, um bei einer erneuten Anwendung den Schreibenden ihre Fortschritte sichtbar zu machen: Hello… _ Ich heiße Rima. Ich komme aus Syrien. _ Ich bin 26 Jare alt … Ich bin Lernein … _ Ich habe eine Tochter und zwei Söhne … _ Ich wohne in Heldeshim … _verb. Lesen_ hören _ trinken _ schlafen _ essen putzen _ spielen _ Lernen _ wohnen _ malen Apfle _ rote _ weiß_ brown _ blau _ pink. rosa _ Gelb _ Orange _ Lampe _ Tisch _ Tür _ Bücher _ Handy _ wasser _ milch _ Tee _ Kaffee Tomate _ schlafzimmer _ badezimmer _ kinderzimmer wohenzimmer _ Hof _ Dach _ basketball spielen Opa _ Oma_ Muter _ vater _ Sohn _ Tochter Burder _ kinder _ Baby _ ehemann _ ehefrauen Gotenabend _ Gotenach _ Gotenmorgen. Köchen _ fahren _ Farred _ Auto _ Bus_ Sprichen Koch _ Lernein _ Student _ Schuler _ Arzt _ Ärzten mulur _ mann _ frauen Beispiel 3: Freie Schreibprobe (Abschrift) einer Erwachsenen in einer Erstaufnahmeeinrichtung, Ausschnitt aus einer voll beschriebenen Seite, ca. zwei Monate nach Sprachkontaktbeginn, lateinische und kyrillische Schrifterfahrung, auf den Impuls im Sprachkurs: „Schreiben Sie alle Wörter auf, die Sie kennen“3 Die prognostische Kraft freier Schreibproben im Erwachsenenalter ist noch nicht empirisch überprüft worden und sollte daher als Teil einer Gesamtbeobachtung des Lernverhaltens verstanden werden.

3 Projekt „Sprachvermittlung in Erstaufnahmeeinrichtungen“, Stiftung Universität Hildesheim.

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4 Fazit und Ausblick Für die Diagnostik des Schreibens in der zweiten Sprache Deutsch stehen vielfältige Verfahren zur Verfügung: Verfahren, die sich spezifisch mit den Stärken, Chancen und Spezifika der Diagnostik des zweitsprachlichen Schreibens auseinandersetzen, sind vorhanden, jedoch wird es auch hier vor allem um den Blickwinkel gehen: Wird die/ der einsprachig Schreibende als das Maß gesetzt und gemessen, wie weit Zweitschriftschreiber sich davon unterscheiden? Oder wird es gelingen, in der Interpretation und der Analyse die besondere Qualität zu erfassen und gleichzeitig die Aneignung in der Zweitsprache zu sichern? Was will Diagnostik? Wenn sie Hinweise zur Förderung liefern will, liefern die bestehenden Vorgehen wichtige Ansatzpunkte. Wenn es um eine differenzierte Einschätzung im Sinne eines standardisierten Vergleichs geht, gibt es großen Entwicklungsbedarf, insbesondere, um vielfältige Dimensionen der Schriftsprachaneignung verlässlich zu vergleichen. Für den Umgang mit Diagnose im Unterricht, insbesondere, wenn die Verfahren standardisiert sind und für große Stichproben entwickelt wurden, stellt sich die Frage, wie Unterricht und Testergebnis zusammenhängen. Wie können Testergebnisse für das Lernen optimal nutzbar gemacht werden? Sollen SuS auf Tests vorbereitet werden und wenn ja, in welcher Weise? Es ergibt sich die Schwierigkeit, einerseits die SuS auf diagnostische Formate vorbereiten zu müssen, damit tatsächlich die schriftlichen Fähigkeiten erfasst werden und sie nicht so sehr mit dem Aufgabenformat selbst beschäftigt sind, dass sie ihre Leistungen nicht vollständig zeigen können; andererseits verschiebt ein „teaching to the test“ Lerninhalte und führt zu einer Verengung von Lernzielen und behindert die Freiheit und Autonomie des Unterrichts. Gleichzeitig zeigen in Vergleichsstudien intensiv auf den Test vorbereitete Probandinnen und Probanden bessere Ergebnisse in standardisierten Testverfahren als Vergleichsschülerinnen und -schüler, die in gleichem Umfang auf das Schreiben als Lerninhalt vorbereitet wurden (Higgins, Miller & Wegmann 2006). Es gilt also, eine Balance zu finden zwischen der Vorbereitung auf Verfahren der Schriftdiagnostik und dem autonomen, freien Schriftunterricht, der die diagnostischen Ergebnisse reflektiert, in den Lernprozess einbezieht und sich auch wieder von ihnen befreien kann.

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Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler

14 Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 1 Einleitung 2 Gegenstands-/Begriffsbestimmung 3 Niveaubeschreibungen DaZ im Fokus 4 Aktuelle Studien/Forschungstendenzen 5 Resümee/Ausblick

1 Einleitung Diagnostik im schulischen Kontext kann verschiedenen Zielen dienen: Häufig wird grundlegend zwischen (a) Selektions-/Zuweisungsdiagnostik und (b) Förderdiagnostik unterschieden (vgl. u.  a. Döll 2012; Michalak 2012). Erstere erfüllt vorrangig politische und entscheidungslegitimierende Zwecke und soll z.  B. die Einschulung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder den Zugang zu einer bestimmten Schulform rechtfertigen. Dagegen werden im Rahmen von Förderdiagnostik pädagogische Intentionen verfolgt. Sprichwörtlich will Förderdiagnostik diagnostizieren, um anschließend (besser) fördern zu können: Die Diagnose dient der Ermittlung individueller Lernbedarfe und Lernressourcen – und dies zumeist in vorab definierten Kompetenz- und/ oder Handlungs- und Wissensbereichen. Man möchte herausfinden, was die einzelnen Schüler/-innen in den betreffenden Bereichen bereits können, wo ihre lernbezogenen Stärken liegen und wo sie noch herausgefordert sind, damit die schulische Lehre sie nach der Diagnose jeweils genau dort ‚abholen‘ kann. Wie auch Knappik & Dirim (in diesem Band) ausführen, fundiert sich Sprachförderdiagnostik grundsätzlich durch eine erwerbstheoretische Perspektive, nach der Sprachaneignung einen sich schrittweise entfaltenden Prozess darstellt. Nur wenn wir im Sinne Wygotskis ‚Zone der proximalen Entwicklung‘ (Wygotski 1964) davon ausgehen, dass einem diagnostizierten Sprachstand ein spezifischer nächster Entwicklungsschritt folgen wird, wird die Idee einer diagnostikbasierten Förderung, die ebendiesen nächsten Schritt unterstützen möchte, plausibel. Besonders fruchtbar wird diese Perspektive, wenn sich in Bezug auf spezifische Sprachbereiche (z.  B. Aspekte der Syntax, Verbmorphologie) chronologisch geordnete Entwicklungssequenzen empirisch nachweisen lassen – dergestalt, dass die Sprachaneignung im betreffenden Bereich bei allen Lernenden in den gleichen, unveränderlichen Abfolgen verläuft (Pienemann 1984). Auf theoretischer Ebene wird in diesem Rahmen der Grundstein gelegt für das Konzept der Erwerbsstufe und für erwerbstheoretische Modelle, die eine Folge von ‚natürlichen‘ Erwerbsstufen oder auch Niveaus differenzieren, welche alle Lernenden im Zuge ihres sprachlichen Lernens sukzessive ‚erklimmen‘. DOI 10.1515/9783110354577-014

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 Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler

Im Bereich des Zweitsprachlernens ist im schulischen Kontext aus pädagogischer und deutschdidaktischer Perspektive die Förderdiagnostik von zentraler Bedeutung, weshalb wir im Folgenden auf diese fokussieren. Da verknüpft damit die Schreib­ entwicklung im Vordergrund stehen soll, stellen wir exemplarisch ein förderdiagnostisches Verfahren ins Zentrum, das nicht nur explizit mit Blick auf Deutsch-als-Zweitsprache-Lernende (=DaZ-Lernende) entwickelt wurde: Die Niveaubeschreibungen DaZ für die Primarstufe und für die SEK I sind bereichsbezogen auch vergleichsweise breit angelegt und schenken der Diagnose des Kompetenzfelds Schreiben substanzielle Beachtung. Das Verfahren trägt den Begriff des Niveaus unmittelbar im Titel, sodass dieser in der Regel mit dem Verfahren assoziiert wird. Aufgebaut ist der Beitrag wie folgt: Das nächste Kapitel widmet sich zunächst einer genaueren Gegenstands- und Begriffsbestimmung. Der Forschungsstand zu Erwerbsstufen und Niveaus im Zweitsprachenlernen wird sondiert und ein Blick auf Entwicklungsmodelle im Bereich von Schreib- und Textkompetenzen, die vorrangig für erstsprachliche Lernende konzipiert sind, motiviert den hier gewählten exemplarischen Fokus auf die Niveaubeschreibungen DaZ (Kap. 2.1.); ergänzend wird deren Verfahrensart methodologisch eingeordnet (Kap. 2.2.). Anschließend fokussiert Kapitel 3 auf das Verfahren und nimmt dabei nach einer Vorstellung der Genese (Kap. 3.1.) und des generellen Aufbaus (Kap. 3.2.) im Besonderen den Kompetenzbereich Schreiben in den kritischen Blick (Kap. 3.3.). Der Beitrag schließt mit einem Einbezug aktueller Studien (Kap. 4) und einem kurzen Resümee (Kap. 5).

2 Gegenstands-/Begriffsbestimmung 2.1 Erwerbsstufen und Niveaus in der Sprachaneignung Werden in Bezug auf einen bestimmten sprachlichen Kompetenz- und/oder Handlungsbereich ‚natürliche‘ Erwerbsstufen bzw. Niveaus modelliert, ist dies in der Regel mit der Idee einer festen Abfolge der Stufen verknüpft. Im Prinzip sind hier immer noch unterschiedliche Konzeptionen von Entwicklungsprozessen möglich: Kompatibel ist z.  B. die Annahme, dass man von einer Stufe zur nächsten auf unterschiedlichen Wegen und/oder in verschiedenen Zeiten gelangen kann; oder, dass sich Entwicklungsniveaus überschneiden können, sodass sich die/der Lernende zeitweise auf zwei Niveaus gleichzeitig befindet. Das Charakteristische von Stufenmodellen ist jedoch stets, dass jede/-r Lernende alle Niveaus durchläuft und dass die Reihenfolge unveränderlich ist. Die Erwerbsstufen sind derart so etwas wie der ‚kleinste gemeinsame Nenner‘ von potenziell individuell variierenden Sprachaneignungsprozessen – ein gemeinsamer Nenner, der für eine förderdiagnostische Perspektive von großer Bedeutung ist. Denn ist das Wissen um eine natürliche Erwerbssequenz tatsächlich robust, dann

Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 

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kann die Einordnung eines Lernenden auf einer bestimmten Stufe mit einer klaren Förderempfehlung verbunden werden: Unterstützung in dem betreffenden Kompetenz-/Handlungsbereich kann und sollte stets auf das Erreichen der folgenden Stufe fokussieren. Unterrichtsreihen, die die natürliche Sequenz missachten, sind dagegen zu vermeiden (vgl. Pienemann 1984). Die praktische Nutzbarkeit solcher Stufenmodelle steht und fällt mit empirischen Studien, die die Generalität spezifischer Erwerbssequenzen auf breiter Basis fundieren können. Der Forschungsbedarf ist hier nach wie vor hoch. Für den DaZErwerb fassen z.  B. Landua, Maier-Lohmann & Reich (2008) zentrale Ergebnisse der Forschungen zusammen, die für einige sprachliche Teilfähigkeiten Erkenntnisse über eine (mehr oder weniger) feste Reihenfolge der Aneignung zielsprachlicher Phänomene sammeln konnten (Döll 2012: 30; 30  ff.). Die empirisch am ehesten gesicherten Erwerbssequenzen betreffen die grammatischen Bereiche Verbstellung, Satzsyntax, Kasus und Tempus: Einen Überblick verschaffen neben Landua, Maier-Lohmann & Reich z.  B. die Arbeiten von Diehl et al. (2000), Grießhaber (2008; 2010), Jeuk (2010). Herausfordernd für eine empirische Differenzierung von allgemeinen Erwerbssequenzen ist neben dem Desiderat weiterer Studien ein Aspekt, der sich aus der grundsätzlich konstruktiven Dynamik des Zweitspracherwerbs bedingt: Mit Ehlich (2009: 18) ist herauszustreichen, dass es in jeglichen Sprachaneignungsprozessen im Zuge neuer Regel- und Mustererkenntnis immer wieder zu scheinbaren ‚Rückschritten‘ kommen kann. Bereits erworbene Formen und Qualifikationen stehen dann zeitweilig nicht mehr zur Verfügung. Ehlich spricht in diesem Rahmen von einer „u-kurvenförmigen Charakteristik“, d.  h. einem typischen Verlauf von „Verfügung  – Nicht-Verfügung  – erneuter Verfügung über die im Deutschen angemessene Form“ (Ehlich 2009: 18). Dabei unterscheidet sich „die dritte Phase vom systematischen Stellenwert entscheidend gegenüber der ersten“ (Ehlich 2009: 18) und die Interimsphase der Nicht-Verfügung entspricht nicht einer Phase der kompletten Unkenntnis über die angemessene Form. Ehlich (2005; 2009) macht im Übrigen die inhaltliche Komplexität der Verläufe deutlich, wenn er insgesamt sieben Basisqualifikationen unterscheidet, die sich Lernende aneignen, wenn sie in einer Sprache sprechen, verstehen und sprachlich kompetent zu handeln lernen. Die Basisqualifikationen modellieren an sich keine Erwerbsstufen, sie bilden jedoch den „Fächer“ dessen, „was Sprachaneignung heißt“: Dies sind die pragmatische Qualifikation I/II, die phonische, die semantische, die morphologisch-syntaktische, die diskursive und die literale Qualifikation (Ehlich 2009: 19). Im Bereich literaler Qualifikationen sind auch in der Schreibforschung diverse empirisch fundierte Entwicklungsmodelle entstanden, die Erwerbssequenzen und in diesem Rahmen Erwerbsstufen oder Niveaus differenzieren. Sie zeichnen allerdings vorrangig erstsprachliche Entwicklungsverläufe nach und nehmen keinen expliziten Bezug auf Zweitsprachlernende. Breit rezipiert sind etwa bereits seit den 1980er Jahren die Stufenmodelle für den basalen Schriftspracherwerb, sie liegen bis heute in diversen Varianten vor und wurden zum Teil explizit für förderdiagnostische Zwecke entwickelt (vgl. z.  B. Günther 1986).

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Eine stufenförmige Entwicklung der Textkompetenz im Grundschulalter modellieren z.  B. Augst et al. (2007) auf Basis einer (echten) Longitudinalstudie. Dabei wird u.  a. die Ontogenese von Erzählkompetenz in der Primar- und Sekundarstufe in insgesamt vier Niveaus geordnet, auf denen die Lernenden von einer eher assoziativen Aneinanderreihung von erzählerisch Einzelnem zur Fähigkeit gelangen, eine fiktive Höhepunkterzählung monologisch zu entfalten. Bremerich-Vos & Possmayer (2013) nehmen die betreffenden Stufenmodelle zur Erzählung und zur Argumentation im Zuge weiterer empirischer Überprüfungen kritisch ins Gericht, modifizieren sie leicht und machen einige Vorschläge zur Weiterentwicklung von Kompetenzstufenmodellen im Bereich des narrativen und argumentativen Schreibens. Aber auch sie adressieren nicht explizit die Gruppe der DaZ-Lernenden. Es liegen Modelle für die jeweiligen Schulformen bzw. Schulabschlüsse vor. Baur­ mann & Pohl (2009) haben ihr Modell zur Schreibkompetenz an die Erwartungen für Schüler/-innen am Ende der Grundschulzeit angepasst. Becker-Mrotzek & Behrens (2014) beziehen sich auf das Ende der SEK I, Neumann & Steinhoff (2015) in ihren Überlegungen auf das Ende der SEK II. Wenngleich obige Kritik auch hier weitgehend gilt, zeigen doch neuere Arbeiten, dass durchaus der Versuch unternommen wird, zunächst getrennte Diskurse zueinander in Bezug zu setzen (vgl. auch Schindler & Siebert-Ott 2014). Von Erwerbsstufen- bzw. Entwicklungsmodellen konzeptionell zu unterscheiden sind Analysemodelle, die die Qualität des Schreibprodukts (oder auch des Schreibprozesses) zum Ankerpunkt machen und dafür verschiedene Teilqualitäten differenzieren (oder auch die Fähigkeiten, diese Qualitäten in einem Text umzusetzen). Eine solche Textanalysemodellierung ist grundsätzlich ohne eine chronologische Ordnung der Teilqualitäten in Erwerbsstufen möglich. Förderdiagnostik setzt notwendig auf der Idee einer schrittweisen Sprachaneignung auf. Gestufte Erwerbssequenzen sind in diesem Rahmen besonders aussagekräftig, aber nicht der einzige mögliche Zugriff. Eine Alternative bieten Modelle, die Kompetenzen, Handlungen, Qualitäten etc. horizontal auffächern oder hierarchisieren, aber nicht in eine chronologisch zu durchschreitende feste Abfolge ordnen. Im Bereich der Schreibförderung gehören dazu Bewertungsinstrumente, die die Qualität eines Textes (und seiner Produktion) in vorab festgelegten textuellen Dimensionen kriteriengeleitet ausloten. Die Auswertung proximaler Entwicklungsschritte wird hier durch den Fächer der Qualitätsdimensionen und die Urteilsgraduierungen, die die Dimensionen zulassen, bestimmt. Der Fächer der Qualitätskriterien eröffnet quasi eine Bandbreite von Ansatzpunkten für die anschließende (individuell differenzierte) Förderung. Kruse et al. (2012) haben in diesem Rahmen z.  B. ein Bewertungsinstrument für die (narrativen) Schreibprodukte von Grundschüler(inne)n entwickelt, das auf dem Zürcher Textanalyseraster von Nussbaumer & Sieber (1994) aufsetzt. Damit werden die Lernertexte nach diversen konventionellen Qualitätskriterien  – d.s. Kohärenz, Implizitheit und Explizitheit, sprachliche Mittel, Wortwahl (Wortschatz), Angemessenheit der Überschrift und Orientierung am narrativen Grundmuster  – beurteilt.

Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 

 203

Um die Fähigkeit zur Textgestaltung und damit zusätzlich die Prozesskomponente zu akzentuieren, ergänzen Kruse et al. ihr Instrument noch durch die unkonventionellen Qualitätskriterien inhaltlicher und sprachlich-formaler Wagnis. Aber auch in diesem diagnostischen Zugriff werden zweitsprachliche Lernende nicht spezifisch in den Blick genommen. Fokussiert man auf zweitsprachliche Schreibende, stellt sich gleichwohl die berechtigte Frage, inwiefern ihre Schreib- und Textkompetenzen zu den übergreifenden Prozessen ihrer Sprachaneignung in einen aus förderdiagnostischer Perspektive hilfreichen Bezug gesetzt werden können. In diesem Rahmen diskutieren wir im Folgenden die Niveaubeschreibungen DaZ als Beispiel eines förderdiagnostischen Verfahrens, das diesen Bezug explizit zu schaffen sucht. Dafür soll das Verfahren im nächsten Abschnitt zunächst methodologisch eingeordnet werden (vgl. zu den generellen Verfahrenstypen auch Knappik & Dirim in diesem Band).

2.2 Zum Begriff der Niveaubeschreibung: methodologische Einordnung Fasst man den Begriff der Niveaubeschreibung eng, wird er in der Regel mit dem förderdiagnostischen Verfahren assoziiert, das denselben Namen trägt. Methodisch betrachtet stellen die Niveaubeschreibungen DaZ ein Verfahren „zur unterrichtsbegleitenden individuellen Feststellung sprachlicher Fähigkeiten im Deutschen durch systematische Fremdbeobachtung“ (Döll 2012: 89) dar. Das heißt, die Lehrkraft oder ein Unterrichtshospitant sucht das sprachliche Niveau einer Schülerin/eines Schülers zu einem bestimmten Zeitpunkt über die Diagnoseverfahrensart der Beobachtung zu ermitteln – und zwar auf der Basis von Beobachtungsbögen, die eine zielgerichtete, geplant selektive und systematisch dokumentierte Beobachtung in Hinblick auf verschiedene Kompetenzbereiche ermöglichen sollen. In den Niveaubeschreibungen für die Primarstufe werden insgesamt sechs Kompetenzbereiche unterschieden: (i) Weite der sprachlichen Handlungs- und Verstehensfähigkeit, (ii) Wortschatz, (iii) Aussprache, (iv) Lesen, (v) Schreiben und (vi) Grammatik (mündlich und schriftlich); für die Sekundarstufe I finden sich dieselben Bereiche plus (vii) Persönlichkeitsmerkmale. Allen Kategorien sind jeweils noch einmal verschiedene Kompetenz- bzw. Beobachtungsbereiche untergeordnet. Die unter die Kategorie Persönlichkeitsmerkmale fallenden Bereiche fehlen in den Niveaubeschreibungen für die Primarstufe nicht, sie sind nur jeweils unter einer der anderen Oberkategorien verortet; insgesamt sind die Niveaubeschreibungen für die Sekundarstufe I trotzdem mit 27 Beobachtungsbereichen (entgegen 25) moderat umfangreicher. Wenn kein Hospitant, sondern die Lehrkraft selbst beobachtet, handelt es sich um teilnehmende und in der Regel um verdeckte Beobachtung; Letzteres in dem Sinne, dass die Schüler/-innen nicht darüber informiert sind, dass sie über das reguläre Maß hinaus im Aufmerksamkeitsfokus stehen (Döll 2012: 91).

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 Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler

Diagnostik, die mit dem Mittel der Beobachtung arbeitet, kann sich im Prinzip auf alle Aspekte beobachtbaren Verhaltens richten, im Falle der Niveaubeschreibungen betrifft dies Aspekte sprachlichen Handelns sowohl auf mündlicher als auch auf schriftlicher Ebene inklusive der Schreibprodukte, die dabei entstehen. Generell zeichnen sich Beobachtungsverfahren darüber aus, dass sie die verschiedenen sprachlichen Teilkompetenzen nicht isoliert betrachten. Stattdessen trachten sie danach, die sprachlichen (Basis-)Qualifikationen einer/eines Lernenden – indem sie sich darüber über einen bestimmten Zeitraum hinweg einen breiten Überblick verschaffen – ganzheitlich zu erfassen und systemisch einzuordnen (Michalak 2012: 64). Grundsätzlich ist bei der methodologischen Einordnung von Beobachtungsverfahren im Allgemeinen und Niveaubeschreibungen im Besonderen zu beachten, dass letztlich alle diagnostischen Verfahrensarten – also z.  B. auch Tests, Schätzverfahren oder Profilanalysen – nur einen indirekten Zugang zu den zu ermittelnden sprachlichen Fähigkeiten gewähren. Gewonnen werden entweder Daten sprachlichen Verhaltens oder Daten sprachlicher Produkte, aus denen dann Rückschlüsse auf die sprachlichen Fähigkeiten gezogen werden.

3 Niveaubeschreibungen DaZ im Fokus 3.1 Zur Genese der Niveaubeschreibungen DaZ In der Entwicklungsgenese gehen die Niveaubeschreibungen DaZ auf das Länderprojekt FörMig Sachsen und eine 2006 initiierte Kooperation von FörMig Sachsen mit FörMig Schleswig-Holstein zurück (vgl. Döll 2009a: 109). FörMig („Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“) stellt insgesamt ein länder­ übergreifendes, bundesweites Modellprogramm der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) in Schleswig-Holstein dar, das ursprünglich für fünf Jahre angelegt 2005 an den Start ging. Explizites Programmziel war und ist es, Kindern und Jugendlichen aus zugewanderten Familien eine verbesserte sprachliche Förderung zu bieten. Bund und Länder sollten in diesem Rahmen unter wissenschaftlicher Begleitung zusammenwirken und in diversen Bereichen der Sprachförderung neue Akzente hin zu einer durchgängigen Sprachbildung setzen. Die Sprachdiagnostik nahm von Anfang an eine zentrale Stellung ein. Im Rahmen der Kooperation wurden dazu zwei Instrumente der Niveaubeschreibungen ausdifferenziert, eines spezifisch für die Primarstufe, das andere für die SEK I. Erklärtes Ziel der Niveaubeschreibungen ist es, den Lehrkräften ein möglichst praktikables Instrument an die Hand zu geben, das über längere Zeiträume und auch über die verschiedenen Fächer hinweg (also nicht nur im Deutschunterricht) zum Einsatz kommen kann. Die Idee ist, genau ein Instrument zur Verfügung zu stellen, das es allen Lehrkräften eines Kollegiums erlaubt, die deutschsprachigen Fähigkeiten

Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 

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von DaZ-Schüler(inne)n kriteriengeleitet und systematisch zu beobachten. Dies soll dann einen verstärkt strukturierten und sachlichen kollegialen Austausch über individuelle sprachliche Gesamtentwicklungen einzelner Schüler/-innen anregen und unterstützen (vgl. Döll 2012: 90). Die Stärkung einer fächerübergreifenden Perspektive wird auch deshalb als relevant erachtet, weil für die Niveaubeschreibungen zwei Bezugspunkte zentral sind: Sie orientieren sich nicht nur (a) an den Bildungsstandards, sondern nehmen damit verbunden (b) das alle Fächer gleichermaßen betreffende schulische Ziel der Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen in den diagnostischen Blick. Zu (a): Seit der Wende hin zu einer Output-Steuerung definieren die von der Kultusministerkonferenz (KMK) verabschiedeten Bildungsstandards für die Fächer Kompetenz- bzw. Fähigkeitsstände (Lernstände), die zu einem bestimmten Zeitpunkt als Standard erwartet werden und als solche auch überprüfbar sein sollen. So legen z.  B. die Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich fest, welche Leistungen von einem Kind am Ende der Jahrgangsstufe 4 im Durchschnitt zu erbringen sind, oder für die SEK I, was u.  a. das Minimalziel der Aneignung des Deutschen für den Hauptschulabschluss ist. Auf die einzelnen Länder und deren Schulformen bezogene Kernlehrpläne konkretisieren die Bildungsstandards dann für die einzelnen Schulstufen. Das bedeutet, die Bildungsstandards formulieren für alle Schüler/-innen innerhalb einer bestimmten Schulform – unabhängig davon, welche (sprachlichen) Voraussetzungen sie mitbringen  – die gleichen Sprachlernendziele. Aber sie geben keine Auskunft darüber, welche Zwischenschritte in der Kompetenzentwicklung, also welche sprachlichen Interimsfähigkeiten zu diesen Endzielen führen. Ebendiese Lücke ersuchen die Niveaubeschreibungen zu schließen, indem sie als Orientierung für die Entwicklungsbeobachtung entsprechende Schritte der Sprachaneignung in Form von diagnostizierbaren Niveaus aufzeigen; Niveaus, an denen dann auch Förderung im Konkreten ansetzen kann (Döll 2009a: 110). Im Übrigen intendieren die Niveaubeschreibungen miteinzubeziehen, dass DaZLernende tendenziell sehr disparate Deutschkenntnisse und differente Sprachlernerfahrungen mitbringen und dass generell die Bildungsstandards je nach Lernervoraussetzung auf diversen Wegen und in unterschiedlichen Tempi erreicht werden können (Reich 2009: 5; Reich 2010: 5). Vor diesem Hintergrund formulieren die Niveaubeschreibungen „ausdrücklich keine Zeitnormen […], sondern benennen Niveaustufen, an denen sich ablesen lässt, wie weit die betreffende Schülerin/der betreffende Schüler noch vom jeweiligen Standard entfernt ist“ (Reich 2009: 5). Obgleich die Niveaubeschreibungen explizit dafür konzipiert sind, Orientierung für die Integration von DaZ-Schüler(inne)n zu bieten, können sie auch für die Beobachtung von Sprachentwicklungsprozessen bei deutschstämmigen Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden (Döll 2012: 91). Ein solcher Nutzen wird dann deutlich, wenn man den zweiten zentralen Bezugspunkt der Niveaubeschreibungen in den Blick nimmt, welcher das Desiderat einer fächerübergreifenden Perspektive unterfüttert. Dies ist der obige Punkt (b). Hintergrund bildet die im deutschdidaktischen Diskurs

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 Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler

breit diskutierte Beobachtung, dass Sprache in der Schule ein zentrales Medium des Lehrens und Lernens in allen Fächern darstellt (vgl. u.  a. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 11; Feilke 2012) – und dass die im Deutsch- und im Fachunterricht verwendete Sprache in der Regel stark von einem alltagssprachlichen Register abweicht. Im Fokus stehen vorrangig bildungs- und fachsprachliche Register. Entsprechende bildungssprachliche Kompetenzen können keineswegs bei allen Schüler(inne)n vorausgesetzt werden, so etwa nicht bei Kindern und Jugendlichen aus ‚bildungsfernen‘ Familien oder auch nicht notwendig bei DaZ-Lernenden. Damit erwächst für die Schule selbst die Aufgabe, „Bildungssprache in allen Fächern systematisch zu vermitteln und zu fördern“ (Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 14). Die Niveaubeschreibungen sollen diesem Umstand Rechnung tragen und explizit Bildungs­ sprach­aneig­nungs­prozesse diagnostizierbar machen  – und zwar quer durch alle Fächer, um derart auch für die Notwendigkeit einer „durchgängigen Sprachbildung“ zu sensibilisieren (Reich 2009: 9). In ihrer erwerbssequenztheoretischen Fundierung sind die Niveaubeschreibungen DaZ vergleichsweise breit aufgestellt, indem sie sich u.  a. auf Erkenntnisse zur Progression der DaZ-Aneignung stützen, die Landua, Maier-Lohmann & Reich (2008) im ‚Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung‘ (Ehlich, Bredel & Reich 2008a, 2008b) aus verschiedenen Studien zusammengetragen haben. Generell besteht jedoch für die Niveau-Skalierung noch immer substanzieller Forschungsbedarf, insbesondere wenn man z.  B. eine Weiterentwicklung des Instruments anvisierte.

3.2 Aufbau der Niveaubeschreibungen DaZ für die Primarstufe und die Sekundarstufe I Im Vergleich zu anderen Verfahren spannen die Niveaubeschreibungen eine große Breite an Diagnosebereichen auf. Die folgende Übersicht (Abbildung 1) listet exemplarisch die Bereiche, die in die Kompetenzfelder Schreiben und Grammatik fallen: 1. Schreiben – Textproduktion – Strategien bei der Suche nach passenden Wörtern – Orthographie – Interpunktion 2.

Grammatik – mündlich und schriftlich – Verbstellung – Satzverbindungen – Präpositionen – Formen des Verbs (Tempus, Konjunktiv, Passiv) – Formen des Nomens (Genus, Numerus, Kasus)

Abb. 1: Ausschnitt Beobachtungsbereiche der Niveaubeschreibungen DaZ für die SEK I

Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 

 207

Generell werden für jeden der Beobachtungsbereiche je vier Niveaustufen differenziert und verbal beschrieben. Das Instrument vervollständigen die Beobachtungsbögen, auf denen man das Ergebnis einer Beobachtung in einem bestimmten Bereich, d.i. die Zuordnung zu einem spezifischen Niveau, durch Ankreuzen festhalten kann. Dafür geben die Beobachtungsbögen entsprechende Raster vor, es wird aber auch Raum für die Dokumentation begleitender Bemerkungen integriert. Einordnungen sind darüber hinaus auf der Schwelle von einer Niveaustufe zur nächsthöheren möglich, sodass sich letztlich pro Beobachtungsbereich acht mögliche Niveaus ergeben. Die Skizze macht deutlich, dass die Niveaubeschreibungen nicht nur ein weites diagnostisches Spektrum abdecken: Insofern jeder Beobachtungsbereich zu einem eigenen Aneignungsprozess korreliert, ermöglichen sie die Erstellung breit gefächerter individueller Kompetenzprofile (Döll 2009b: 11) und können auf diese Weise potenziell die große Varianz von Gesamtentwicklungsverläufen beim Erwerb einer Zweitsprache abbilden (vgl. auch Zepter 2015: 26  ff.).

3.3 Niveaubeschreibungen DaZ – Kompetenzbereich Schreiben Wir vertiefen den Einblick in den strukturellen Aufbau, indem wir den Kompetenzbereich des Schreibens herausgreifen und daran fokussiert die Auffächerung auf jeweils vier Niveaustufen ins Visier nehmen. Abbildung 1 hat bereits aufgezeigt, dass für die SEK I grundsätzlich vier untergeordnete Beobachtungsbereiche differenziert werden: Abbildung 2 greift diese erneut auf und führt die Beschreibungen der Niveaustufen im Detail vor:

208 

 Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler

(i) Textproduktion I

II

III

IV

Der Schüler kann einfache Texte geringen Umfangs verfassen bzw. reproduzieren (z.  B. Nacherzählungen)

Der Schüler kann einfache verständliche Texte zu einem Thema verfassen.

Der Schüler kann verständliche, strukturierte Texte verfassen, die die Darlegung von Zusammenhängen oder zeitlichen Abläufen verlangen.

Der Schüler kann verständliche schwierige Texte verfassen, die die Darlegung komplexer Zusammenhänge verlangen. Er kann z.  B. Instruktionen schrei­ ben, in Schriftform Stellung nehmen oder Schlüsse ziehen.

(ii) Strategien bei der Suche nach passenden Wörtern I

II

III

IV

Der Schüler bemüht sich nicht um das Finden passender Wörter.

Der Schüler bittet eine Person um sprach­ liche Hilfe. Er erfragt ­passende Wörter.

Der Schüler kennt verschiedene Nach­ schlage­werke und Medien (Wörterbücher, Internet usw.). Mithilfe dieser Nachschlage­ werke versucht er, passende Wörter herauszufinden, kommt dabei ohne Unterstützung jedoch häufig noch nicht zum Ziel.

Der Schüler kennt verschiedene Nach­ schlage­werke und Medien (Wörterbücher, Internet usw.). Mithilfe dieser Nachschlage­ werke findet er passende Wörter in der Regel erfolgreich und ist darüber hinaus in der Lage, einen benötigten Begriff verständlich zu umschreiben.

I

II

III

IV

Der Schüler schreibt orthographisch stark fehlerhafte Texte, die schwer entzifferbar sind.

Der Schüler schreibt verständliche Texte mit groben Rechtschreibfehlern.

Der Schüler schreibt verständliche Texte mit Verstößen gegen besonders schwierige Rechtschreibregeln.

Der Schüler schreibt weitgehend fehlerfrei.

I

II

III

IV

Der Schüler setzt Punkte, Fragezeichen und Ausrufezeichen.

Der Schüler setzt Kommata in Aufzählungen.

Der Schüler setzt Kommata vor Nebensätzen sowie Anführungszeichen zur Markierung direkter Rede.

Der Schüler setzt Gedankenstriche, Semikola und schließende Kommata (z.  B. am Ende von eigenbetteten Nebensätzen).

(iii) Orthographie

(iv) Interpunktion

Abb. 2: Niveaubeschreibungen DaZ für den Kompetenzbereich Schreiben (SEK I)

Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 

 209

Methodisch lassen sich die verschiedenen Beobachtungsbereiche generell nach Deskriptorentypen klassifizieren; insgesamt gibt es drei, deren Differenzierung aufzeigt, dass die Niveaubeschreibungen trotz ihrer expliziten Ausrichtung als beschreibendes Verfahren auch schätzende Komponenten aufweisen (vgl. Döll 2012: 92  f.): (i) konkret beschreibend, (ii) beschreibend mit interpretativem Moment und (iii) schätzend. Aus methodologischer Perspektive nicht unkritisch für den Kompetenzbereich Schreiben ist, dass nur zwei seiner Subkategorien, ‚Strategien‘ und ‚Interpunktion‘, unter die konkret beschreibenden Deskriptoren fallen; die zwei anderen, ‚Textproduktion‘ und ‚Orthographie‘, die jede für sich äußerst umfangreiche und in sich komplexe Kompetenzbereiche bzw. Aneignungsprozesse umgreifen, können nur schätzend erfasst werden. Zur Differenz: Konkret beschreibende Deskriptoren zeichnen sich darüber aus, dass in dem betreffenden Beobachtungsbereich die sprachlichen Phänomene oder Tätigkeiten begrifflich genau benannt werden. Der Interpretationsspielraum ist für die Beobachter/innen vergleichsweise minimal, wenn sie z.  B. im Bereich der Interpunktion feststellen sollen, ob eine Lernende/ein Lernender ausschließlich Punkte, Fragezeichen und Ausrufezeichen setzt (Niveaustufe I). Gleichwohl benötigen die Beobachter/-innen gleichzeitig eine fundierte linguistische Kenntnis: Im aufgeführten Fall genügt es z.  B. nicht, nur begrifflich zu wissen, was eine Aufzählung und was ein Nebensatz ist; man muss die verschiedenen möglichen Formen von Aufzählungen und Nebensätzen identifizieren und analysieren können und die Details der Kommasetzung in den betreffenden Kontexten kennen. Während beschreibende Deskriptoren mit interpretativem Moment ein gewisses (wenn auch noch immer relativ geringes) Maß an Interpretation voraussetzen, erweitert sich der Interpretationsspielraum bei den schätzenden Deskriptoren substanziell. In der Konsequenz ist das Beobachtungergebnis potenziell sehr viel stärker durch die beobachtende Person subjektiv gefärbt, was eine Verminderung der wissenschaftlichen Güte des Diagnoseverfahrens impliziert. Betrachtet man dazu z.  B. die Niveaustufe II im Bereich der Textproduktion, wird transparent, dass eine Beschreibung der Form „Der Schüler kann einfache verständliche Texte zu einem Thema verfassen“ je nach Beurteilung, welche Textproduktionen man (noch) als verständlich und als einfach deklariert, sehr unterschiedliche Einstufungen evozieren kann. Um hier den Faktor der (Ein-)Schätzung zu minimieren, wären letztlich weitere, präzisierende Kriterien für die Bestimmung von Verständlichkeit und Einfachheit notwendig. Ebenfalls kritisch anzumerken ist, dass gerade für komplexe sprachliche Anforderungen, wie es sicher für das Verfassen eines längeren Textes gilt, in den Niveaubeschreibungen zu wenig die prozessuale Dimension Berücksichtigung findet: Planen die Schüler/-innen ihren Text und wie machen sie das? Nutzen sie verschiedene Formulierungen, die sie auf ihre Passung prüfen können? Kennen und verwenden sie Überarbeitungsstrategien? Schreibkompetenz besitzt zugleich eine Produkt- wie Prozessdimension und wird in aktuellen Modellen, aber auch in Aufgabendesigns entsprechend abgebildet (vgl. beispielsweise Baurmann & Pohl 2009 für die Primarstufe;

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Becker-Mrotzek & Behrens 2014 für die Sekundarstufe I). Soll die Niveaubeschreibung helfen, Fördermöglichkeiten aufzuzeigen, dann muss sie beide Dimensionen abbilden. Darüber hinaus erscheint das Raster bezogen auf die Textproduktion insgesamt zu grob: Die konkreten Aufgaben (Textsorten) sind nicht trennscharf. Kategorien wie Textlänge sind kein zwingender Hinweis auf eine weiter entwickelte sprachliche Kompetenz. Und wie gelingt es Schreibenden, die Leserperspektive einzunehmen und in ihrem Text abzubilden? Schreibentwicklungsmodelle wie z.  B. Bereiter (1980) weisen eine solche Leserorientierung als zentralen Entwicklungsschritt aus. Zu den Unterschieden zwischen erstsprachlichen und zweitsprachlichen Schreiber(inne)n stellt im Besonderen Grießhaber (2010: 219  ff.) heraus, dass für die Zweitsprachlernenden ihre jeweilige Erstsprache zum Einflussfaktor werden kann. So mag es zum einen zu Herausforderungen kommen, wenn das Erfahrungs- und Hintergrundwissen und/oder die Erklärungsmuster und Begründungen, die in Erst- und Zweitsprache (bis zum aktualen Entwicklungszeitpunkt) gemacht wurden, in einem differenten Verhältnis zueinander stehen. Literarische Muster, Sprichwörter etc. werden dann z.  B. wörtlich von der Erst- in die Zweitsprache übertragen und führen zu schwer oder nicht verständlichen Formulierungen im Text. Positiv gewendet verfügen die Schreibenden in diesen Fällen eventuell über eine weiter entwickelte Textkompetenz, als sie in der Zweitsprache umzusetzen in der Lage sind (vgl. zum Nachweis sprachübergreifender Textkompetenzen auch Gantefort 2013). Zum anderen kann ein entwicklungsbedingt geringerer Wortschatz bei Schreiber(inne)n in der Zweitsprache nicht nur zu einer geringeren Textlänge, sondern auch zu einer verminderten inhaltlichen Differenzierung führen. Gerade vor dem Hintergrund dieser Unterschiede könnten die Niveaubeschreibungen DaZ die auf die Lexik bezogenen Strategien entwicklungsbezogen u.  U. sehr viel differenzierter modellieren, um z.  B. Phänomenen wie Umschreibungsstrategien oder Ad-hoc-Wortschöpfungen adäquater gerecht zu werden. Insgesamt legt der fokussierte Blick auf den Kompetenzbereich Schreiben nahe, dass die Niveaubeschreibungen DaZ die faktische Komplexität der involvierten Kompetenzen und Handlungen nur im Ansatz abbilden. Hoch anzurechnen ist dem Instrument nichtsdestotrotz der Anspruch, aus einer förderdiagnostischen Perspektive die Entwicklung von Schreib- und Textkompetenzen zum Erwerbsprozess in der Zweitsprache explizit in Bezug zu setzen.

4 Aktuelle Studien/Forschungstendenzen Obgleich es sich bei den Niveaubeschreibungen um ein vergleichsweise umfangreiches und komplexes Diagnoseverfahren handelt, das in seiner Anwendung eine nicht geringe linguistische Analysekompetenz erfordert, scheint in der Praxis die positive Resonanz zu überwiegen (vgl. Döll 2012: 103). Vielleicht ist dies darauf zurückzufüh-

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ren, dass das Verfahren bei allem Aufwand breit gefächerte und differenzierte Einblicke in die Sprachaneignung von Schüler(inne)n (mit DaZ) gewährt. Studien zur empirischen Untersuchung der Niveaubeschreibungen sind allerdings bis dato noch rar. Döll (2012) hat ein Forschungsprojekt vorgelegt, in dessen Rahmen die Niveaubeschreibungen DaZ für die Sekundarstufe I auf Validität, interne Konsistenz, Interrater-Reliabilität und Beobachtungsgenauigkeit geprüft wurden. Die Ergebnisse sind insofern positiv, als dass sie den Niveaubeschreibungen eine „hinreichende Validität“ sowie „hervorragende interne Konsistenz“ bescheinigen (Döll 2012: 132). Selbiges trifft für die Interrater-Reliabilität und die Genauigkeit der Beobachtungsergebnisse jedoch nicht zu. In diesen Bereichen offenbarte sich stattdessen das Desiderat der Entwicklung und des Einsatzes von Schulungen für Beobachter/-innen (Döll 2012). Wider Erwarten fielen nicht nur die Ergebnisse für die Beobachtungsbereiche, die schätzende Deskriptoren aufwenden, sondern auch die der konkret beschreibenden Deskriptoren eher schwach aus; und dies obgleich es sich überwiegend um Lehrkräfte für DaZ mit einer ausgewiesenen linguistischen Ausbildung handelte. Wünschenswert wäre eine kontinuierliche Anpassung der Niveaubeschreibungen an aktuelle Forschungsbefunde, die durchaus auch zu einer veränderten Ausrichtung der Niveaustufen führen könnten, sowie eine Ausweitung der Beschreibungen auf die Sekundarstufe II. Auch für ältere Lernende sind Entwicklungsschritte systematisch beobachtbar, wie Petersen (2014) in einer kontrastiven Studie zu Textkompetenzen ein- und mehrsprachiger Schüler/-innen herausarbeitet.

5 Resümee/Ausblick Eine Diagnostik im schulischen Kontext soll Lehrkräfte befähigen, selbst diagnostische Verfahren umzusetzen und entsprechende Konsequenzen für eine Förderung zu ziehen. Das bedeutet, dass eine solche Diagnostik umsetzbar, also in alltäglichen Situationen nutzbar sein sollte. Die Niveaubeschreibungen DaZ, die wir hier in den Fokus gestellt haben, scheinen diesen Anforderungen zu genügen. Es scheint uns darüber hinaus aber notwendig, Lehrkräfte weiterführend für sprachliche Kompetenzen zu sensibilisieren und die besondere Situation von Lernenden mit DaZ wahrzunehmen. Auch was die Modellierung des Kompetenzbereichs Schreibens betrifft, lassen sich Desiderata für eine weiter greifende Differenzierung ausmachen. So könnte man bei einer Weiterentwicklung des Instruments sowohl die prozessualen Dimensionen des Schreibens (inklusive der Textplanung und Überarbeitung) als auch die Komponenten der Textproduktion an sich gegenstandsangemessener berücksichtigen. Sicherlich ist bei einem entsprechenden Ausbau stets die Praktikabilität des Gesamtinstruments zu balancieren. Übergreifend ist der empirische Forschungsbedarf im Bereich der Diagnostik zweitsprachlichen Schreibens noch immer groß.

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 Alexandra Lavinia Zepter & Kirsten Schindler

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Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Niveaubeschreibungen 

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Christoph Gantefort

15 Diagnostik im schulischen Kontext: Schwerpunkt Textmuster 1 Gegenstands-/Begriffsbestimmungen 2 Diagnostik von Textmusterkompetenz – Forschungsüberblick 3 Desiderata und aktuelle Tendenzen

1 Gegenstands-/Begriffsbestimmungen Der Bildungserfolg von (einsprachigen und mehrsprachigen) Schülerinnen und Schülern steht in Querlage zu den Unterrichtsfächern mit ihrer Fähigkeit in Zusammenhang, angemessene und strukturierte schriftliche Texte zu verfassen. Die Angemessenheit und Strukturiertheit schriftsprachlichen Handelns geht dabei über die Fähigkeit von Lernenden hinaus, morphologisch, syntaktisch oder orthografisch wohlgeformte Äußerungen zu Papier zu bringen. Die Herausforderung besteht über die genannten Aspekte hinaus darin, die Texte entsprechend ihres kommunikativen Zwecks bzw. entlang von mehr oder weniger konventionalisierten Mustern zu gestalten. Diese können als Standardlösungen für wiederkehrende kommunikative Anforderungen aufgefasst werden. Sie werden als kognitive Schemata individuell angeeignet und auf sie kann „[…] mit wachsender Praxis und Schreibfähigkeit zunehmend routiniert zurückgegriffen werden […]“ (Bachmann & Becker-Mrotzek 2017: 36). Da sich die diesbezüglichen Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler in der Regel sehr heterogen darstellen, sollte Textmusterkompetenz in einem sprachbewussten Unterricht bedarfsgerecht und explizit vermittelt werden. Für die in diesem Zusammenhang erforderliche Bestimmung der sprachlichen Fähigkeiten können mindestens zwei nennenswerte Herausforderungen aufgeführt werden: Auf der Ebene des Unterrichts benötigen Lehrerinnen und Lehrer Verfahrensweisen und Techniken zur Diagnostik individueller Aneignungsstände im Bereich Textmusterkompetenz, um den Unterricht entsprechend der Bedarfe der Lernenden sprachsensibel gestalten zu können. Auf der Ebene des Bildungssystems kann mit Blick auf die wiederkehrenden vergleichenden Schulleistungsstudien festgehalten werden, dass Schreibfähigkeiten gegenüber der mit geschlossenen Formaten leichter zu operationalisierenden Lesekompetenz deutlich unterrepräsentiert sind (vgl. Neumann 2017), so dass sich auch hier die Frage nach geeigneten Instrumenten stellt. Im Folgenden werden zunächst einige theoretische Vorüberlegungen zum Konstrukt Textmusterkompetenz und zum Schreiben im Kontext von Mehrsprachigkeit formuliert. Im zweiten Schritt soll der aktuelle Forschungsstand herausgearbeitet werden. Das Konstrukt erweist sich aus mehreren Gründen als begrifflich schwierig zu fassen und zu operationalisieren. Zunächst besteht in der Linguistik keine einheitDOI 10.1515/9783110354577-015

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 Christoph Gantefort

liche Systematik mit Blick auf Texte, welche als kohärenter Bezugsrahmen dienen könnte. Dies wird an der Vielfalt der Bezeichnungen wie ‚Textsorten‘ (vgl. Ehlich 2011), ‚Textarten‘ (vgl. Becker-Mrotzek & Böttcher 2012), ‚Textformen‘ (vgl. Pohl & Steinhoff 2010) oder ‚Genres‘ (vgl. Schleppegrell 2004; Muntigl 2011) deutlich, mit denen jeweils ein spezifisches Verständnis verbunden ist. Textsortenklassifizierungen können entlang einer Vielzahl von Dimensionen und Merkmalen vorgenommen werden (vgl. Heinemann 2011), wie etwa anhand formaler, thematisch-inhaltlicher oder pragmatisch-funktionaler Aspekte, die zu jeweils unterschiedlichen Systematiken führen. Während linguistische Bezugskriterien für morphologisch-syntaktische oder orthografische Aspekte schriftsprachlichen Handelns anhand präskriptiver Normen der Standardsprache zumindest auf den ersten Blick relativ klar vorgegeben sind und binäre Unterscheidungen zwischen ‚korrekt, wohlgeformt‘ und ‚inkorrekt, nicht wohlgeformt‘ einen vergleichsweise einfachen Zugang zu Operationalisierungen bieten, stellt sich dies auf der Textebene anders dar: Hier wird sprachliches Handeln weniger eindeutig und graduell beurteilt. Es geht demnach darum, die Anteile des schriftsprachlichen Handelns möglichst objektiv, reliabel und valide zu erfassen, „[…] die nicht dichotomisch «Richtiges» von «Falschem» trennen, sondern die skalar, graduell zwischen Extrempunkten von «besonders Angemessenem» und «besonders Unangemessenem» vermitteln“ (Nussbaumer & Sieber 1994: 160; vgl. auch Coseriu 1988). Feilke (2014: 21) kennzeichnet Textsorten als „[…] im Regelfall sehr variable[n], aber zugleich konventionelle[n] Zusammenstellungsmuster[n] von […] handlungsbezogenen funktionalen Textbausteinen [Hervorhebung CG]“. Ein weiterer Gesichtspunkt, welcher sich auf die Validität von Verfahren und Techniken zur Beurteilung und Messung von Textmusterkompetenz auswirkt, besteht in der individuellen Mehrsprachigkeit von Schülerinnen und Schülern. Verschiedene empirische Studien deuten darauf hin, dass es sich bei Textmusterkompetenz um eine Fähigkeit handelt, die kognitiv ‚übereinzelsprachlich‘ organisiert ist (vgl. z.  B. Francis 2000; Gantefort 2013; Uccelli & Páez 2007). Damit ist gemeint, dass auf in der L1 erworbene Fähigkeiten zur Strukturierung einer schriftsprachlichen Handlung auch in der L2 zugegriffen werden kann, also ein Transfer über Sprachen hinweg möglich ist. Gängige Modelle zum Schreibprozess sind dabei an einer monolingualen Norm und damit prototypisch an einsprachigen Schreiberinnen und Schreibern orientiert. Anhand des klassischen Modells von Hayes und Flower (1980) wird z.  B. nicht ersichtlich, dass mehrsprachige Schreiberinnen und Schreiber unter einer Engführung der ‚legitimen‘ sprachlichen Mittel im Übergang vom ‚Generieren‘ zum ‚Formulieren‘ einen Verlust erfahren, der aus fremdsprachendidaktischer Perspektive als ‚fremdsprachliche Regression‘ beschrieben wurde (vgl. Börner 1989) und sich in einem ‚Gefälle zwischen Ausdruckswillen und Ausdrucksfähigkeit‘ manifestiert. Demnach kann von der (auch mehrmals beobachteten) Performanz in der zweiten Sprache nicht umstandslos auf die ‚wahre‘ Ausprägung der Textmusterkompetenz geschlossen werden, da die verfügbaren sprachlichen Mittel in der L2 möglicherweise nicht ausreichen, um thematische und pragmatische Makropläne verlustfrei niederzuschreiben, also mithin

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den ‚Text im Kopf‘ in einen ‚Text auf dem Papier‘ zu transferieren (vgl. Nussbaumer 1991). Für eine valide, biasfreie Diagnostik müsste demnach die Gesamtsprachigkeit als Summe der verfügbaren sprachlichen Mittel in L1 und L2 zu Grunde gelegt werden (vgl. Shohamy 2011). Hinzu kommt, dass Vertextungsmuster als Standardlösungen für wiederkehrende kommunikative Kontexte historisch gewachsen sind und damit eine Kulturspezifik aufweisen können (vgl. z.  B. Connor 1999). Testfairness (vgl. Vijver & Tanzer 2004) kann demnach nur dann sichergestellt sein, wenn die Normen, nach denen schriftsprachliche Handlungen strukturiert werden, explizit im Unterricht vermittelt werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine wesentliche Herausforderung für die Entwicklung von Instrumenten zur Diagnostik von Textmusterkompetenz in Schule und Unterricht darin besteht, das Konstrukt kohärent zu erfassen und Konstruktvalidität zu gewährleisten. Eine begriffliche Fassung jedes schulisch relevanten Genres kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Textmusterkompetenz soll daher allgemein verstanden werden als Verfügbarkeit kognitiver Schemata zur Strukturierung von Texten, die es Schreiberinnen und Schreibern erlauben, komplexe schriftsprachliche Handlungen entsprechend gesellschaftlicher, institutioneller oder fachspezifischer Konventionen angemessen und zweckmäßig zu bewältigen.

2 Diagnostik von Textmusterkompetenz – Forschungsüberblick Eine häufig vorgenommene Unterscheidung betrifft die Gegenüberstellung von Selektions- und Förderdiagnostik (vgl. Ingenkamp & Lissmann 2008). Der Zweck von Selektionsdiagnostik besteht im Wesentlichen darin, psychische Merkmale quantifiziert auf einer statistischen Bezugsnorm abzubilden, um anhand von Normwerten, welche die Position von Individuen mit Blick auf die Verteilung in der Bevölkerung ausdrücken, Schülerinnen und Schüler Bildungsgängen oder pädagogischen Maßnahmen zuzuordnen. Förderdiagnostik ist dagegen stärker an der kriterialen Bezugsnorm, also weniger an statistischen als vielmehr an sachlichen Maßstäben orientiert, um – auch unabhängig eines sozialen oder statistischen Vergleichs – Aussagen über die aktuelle und die nächste Zone der Entwicklung zu ermöglichen und auf dieser Grundlage entwicklungsförderliche Lernarrangements zu gestalten. Während Zuweisungsdiagnostik auf standardisierten und normierten Testverfahren beruht, können förderdiagnostische Zwecke auch mit informelleren Zugängen wie allgemeiner Sprachbeobachtung, strukturierenden Beobachtungsverfahren und profilanalytischen Verfahren verfolgt werden. Bezieht man dieses Kontinuum zwischen qualitativ und quantitativ orientierter Diagnostik auf das hier fokussierte Konstrukt, so wird deutlich, dass letztere im Kontext von Leistungsvergleichsstudien zwar eine gewisse Rolle spielt (vgl. Neumann 2017), standardisierte und normierte Testverfahren im engeren Sinne jedoch nicht bzw.

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kaum vorliegen. Daher soll im Folgenden zwischen Förder- und Leistungsvergleichsdiagnostik unterschieden werden. Diese Unterscheidung wird genutzt, um Zugänge und Verfahrensweisen entlang des Kontinuums der Formalität zu strukturieren, wobei zunächst Modelle zur Schreibentwicklung mit Blick auf bestimmte Text­sorten behandelt werden, dann strukturiertere Beobachtungsverfahren und Profilanalysen und schließlich die stärker quantitativ ausgerichteten Verfahren thematisiert werden, die in Leistungsvergleichsstudien eingesetzt werden.

Entwicklungsmodelle Werden Entwicklungsmodelle zur Diagnostik der Schreibkompetenz in bestimmten Textsorten herangezogen, so geschieht dies auf der Grundlage einer linguistischen Analyse von SchülerInnentexten. Dabei dienen die in explorativen, longitudinalen bzw. pseudolongitudinalen Forschungsarbeiten herauspräparierten Entwicklungsniveaus als kriteriale Bezugsnorm, auf deren Grundlage Schreibprodukte beurteilt werden können. Entwicklungsmodelle für schulisch relevante Textsorten wurden unter anderem von Feilke & Augst (1989) für das Argumentieren, von Becker-Mrotzek (1997) für das schriftliche Instruieren, von Augst (2010) für das Erzählen oder von Augst et al. (2007) für das Bündel der Textsorten Erzählung, Bericht, Instruktion, Beschreibung und Argumentation vorgelegt. Hier exemplarisch betrachtet bietet die Arbeit von Augst et al. (2007) Lehrkräften einen differenzierten Referenzrahmen für die entwicklungssensitive Diagnostik textsortenspezifischer Fähigkeiten für das Schreiben im Grundschulalter auf der Basis eines vierstufigen Erwerbsverlaufs. Es können darin allgemeine und textsortenspezifische Merkmale unterschieden werden, um die Zone der nächsten Entwicklung zu identifizieren: „Die ontogenetische Stu­ fen­theorie spricht auch gegen […] eine Leistungsmessung als Defizit zum Muster. Es gilt, das Kind auf seinem Entwicklungsniveau zu fördern. Was nützt das Üben einer Pointe oder einer Conclusio, wenn das Kind in seinen Texten noch keinen Planbruch bzw. kein Gegenargument zeigt?“ (Augst et al. 2007: 359). Wie Lehrplananalysen nahelegen (vgl. Thürmann 2011), ergibt sich eine Schnittmenge zwischen den hier fokussierten Sprachhandlungen und den Operatoren der Kompetenzbeschreibungen aus fachlichen Kernlehrplänen. Daran wird das Potenzial solcher Erwerbsstudien für einen sprachsensiblen Fachunterricht deutlich. Einschränkend ist dabei einerseits die Vertrautheit mit textsortenspezifischen Schreibentwicklungsmodellen als eine deutschdidaktische Expertise anzusehen, die nicht von allen Lehrkräften umstandslos erwartet werden kann. Zum anderen sind weitere explorative Studien erforderlich, welche die genrespezifische Entwicklung in den Sekundarstufen I und II adressieren.

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Beobachtungs- und Analyseverfahren: Förderdiagnostik Nach Reich (2008: 423) sind Beobachtungsverfahren „[…] breit angelegte Verfahren, die sprachliches Handeln aus pädagogischer Sicht erfassen“ und mit denen „[…] eine gewisse intersubjektive Vergleichbarkeit hergestellt werden“ kann. Demgegenüber zeichnen sich Profilanalysen dadurch aus, dass „[…] Ton- oder Videoaufnahmen einer nachträglichen Analyse unterzogen werden, um daraus Folgerungen für die Sprachförderung zu ziehen“ (Reich 2008: 424). Die im Weiteren thematisierten, meist rasterartig konzipierten Beobachtungshilfen weisen Merkmale beider von Reich unterschiedenen Kategorien auf. Einerseits erlauben sie eine stärker an den Gütekriterien orientierte Erfassung von Schreibkompetenzen als die entwicklungsmodellbezogene linguistische Analyse, zum anderen liegt eine nachträgliche Auswertung und Beurteilung einer sprachlichen Handlung vor. Die kriteriale Bezugsnorm ist damit weiterhin zentral, allerdings werden durch die stärkere Standardisierung der Auswertung auch quantitative Fragestellungen entlang einer sozialen Bezugsnorm bearbeitbar. Die Verfahren unterscheiden sich unter anderem mit Blick auf ihre Textsortenschärfe, die holistische vs. analytische Erfassung des Konstrukts, ihre empirische Absicherung, ihre fachspezifische Ausrichtung sowie schließlich ihren Zweck. Das von Nussbaumer & Sieber (1994) entwickelte Zürcher Textanalyseraster kann als Ausgangspunkt für diverse Weiterentwicklungen betrachtet werden. Das Raster soll im Kontext eher wissenschaftlicher denn schulischer Zwecke als „Schablone für die Textwahrnehmung“ (Nussbaumer & Sieber 1994: 149) dienen, um zu einer objektiven und kompetenzorientierten Wahrnehmung von Texten beizutragen. Die auf der Basis textlinguistischer Überlegungen gebildeten Kategorien sind hierarchisch strukturiert und umfassen auf der übergeordneten Ebene einen eher quantitativ ausgerichteten Nullteil, einen A-Teil (Sprachrichtigkeit) sowie einen dreifach untergliederten B-Teil (funktionale Angemessenheit, ästhetische Angemessenheit sowie inhaltliche Relevanz). In letzterem ist der Punkt ‚Erfüllung von Textmusternormen‘ enthalten, allerdings wird dieses Teilkonstrukt nicht weiter ausdifferenziert, so dass die Einschätzung auf subjektiven Kriterien beruht. Wie neuere quantitative Studien zum Schreibassessment zeigen (vgl. Neumann 2007; Canz 2015), erweist sich die Unterscheidung von Sprachrichtigkeit und Angemessenheit durchaus als empirisch haltbar bzw. faktoriell valide, da sich eine zweidimensionale Struktur des Konstrukts modellieren ließ. Becker-Mrotzek und Böttcher (2012) haben auf der Grundlage des Zürcher Textanalyserasters einen Basiskatalog zur förderungsorientierten Bewertung von SchülerInnentexten entwickelt, welcher 12 Bewertungskriterien in 5 übergeordneten Dimensionen umfasst. Innerhalb der Dimension ‚Aufbau‘ lautet die Leitfrage zum Kriterium ‚Textmuster‘: „Orientiert sich der Text an einem Textmuster, das der Aufgabe angemessen ist?“ (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012: 130). Damit bleibt die Deskription des auf einer dreistufigen Skala zu bewertenden Kriteriums zwar ‚textsortenunscharf‘ und das explizite Wissen von Lehrkräften um die Angemessenheitskonventionen

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wird vorausgesetzt, jedoch wird Lehrerinnen und Lehrern im Rahmen der Publikation das Rüstzeug für diese Aufgabe insofern zur Verfügung gestellt, als die wesentlichen sprachlichen Merkmale von Textsorten, die dem informierenden, kreativ-gestaltenden, zusammenfassenden/kommentierenden, populärwissenschaftlichen und argumentierenden Schreiben zugeordnet werden können, differenziert auf Wort- Satz- und Textebene dargestellt werden (vgl. Becker-Mrotzek & Böttcher 2012: 145  ff.). Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Kassel zu unterrichtlichen Einflussfaktoren auf die Textqualität (vgl. Heinzel et al. 2013) ist ein Beurteilungsraster entstanden, welches ebenfalls am Zürcher Textanalyseraster anknüpft und bei einer stärker empirischen Absicherung des Konstruktes narrative Texte von Schülerinnen und Schülern adressiert, womit das schriftliche Erzählen im weiteren Sinn in den Blick gerät (vgl. Universität Kassel o.  J.). Mit diesem Instrument soll ‚Schreibkompetenz im Bereich der Potenzialität‘ erfasst werden: Vor dem Hintergrund der Variabilität des Vertextungsmusters werden die „[…] Lernertexte […] nicht als fertige, die Schreibkompetenz abbildende Texte verstanden, sondern als Ausformungen einer konkreten Schreibprozessphase. Damit wird vermieden, dass Texte typisiert oder im Rahmen einer Ontologie der Erzählentwicklung kategorisiert werden“ (Universität Kassel o.  J.: 2). Im Vergleich mit dem Basiskatalog von Becker-Mrotzek und Böttcher werden Vertextungsmuster hier genauer in den Blick genommen: Einerseits mit dem kategorial bewerteten Indikator ‚Modalität der Themenentfaltung‘ in einer Unterscheidung der Muster ‚narrativ‘, ‚explikativ‘, ‚deskriptiv‘ sowie ‚argumentativ‘; andererseits vierstufig-ordinal anhand des Indikators ‚Orientierung am Grundmuster fiktiver, narrativer Texte‘. Das theoretisch angenommene Konstrukt konnte mit gewissen Einschränkungen empirisch abgesichert werden. Dabei wird exemplarisch deutlich, dass „[…] sich ein quantitativ ausgerichtetes Bewertungsverfahren mit einer lernerorientierten Sichtweise unter bestimmten Bedingungen verbinden lässt“ (Heinzel et al. 2013: o.S.). Im Rahmen des Modellprogramms ‚FörMig‘ ist eine Reihe von Instrumenten entwickelt worden, mit denen unter anderem die textsortenspezifische Schreibkompetenz eingeschätzt werden kann (vgl. Gantefort & Roth 2010; Gogolin et al. 2011: 68  ff.). Die in Deutsch und teilweise darüber hinaus in diversen Herkunftssprachen vorliegenden Verfahren sollen primär Lehrkräfte in der individuellen Förderdiagnostik unterstützen, teils wurden sie auch in der Evaluation des Programms eingesetzt (vgl. Gogolin et al. 2011: 93  ff.; Klinger, Schwippert & Leiblein 2008). Mit dem profilanalytischen Verfahren ‚FörMig Tulpenbeet‘ (vgl. Reich, Roth & Gantefort 2008) werden schriftliche, auf der Grundlage eines Bildimpulses verfasste Erzählungen von Lernenden im Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I nachträglich mit Blick auf verschiedene Sprachstandsindikatoren ausgewertet. Das für Erzählungen typische Vertextungsmuster bzw. Strukturschema (vgl. Boueke et al. 1995) wird dabei einerseits über eine Analyse der Gestaltung der Exposition und der Realisierung einer abschließenden Prozedur abgebildet. Darüber hinaus wird mit der Anwendung des Verfahrens der Blick der Lehrkräfte darauf gerichtet, inwiefern die Schülerinnen

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und Schüler spezifische, für Erzählungen typische sprachliche Mittel auf der Satzebene, wie etwa die Markierung von Plötzlichkeit oder die Verbalisierung von inneren Zuständen der handelnden Figuren verbalisieren. Somit können in einem förderungsrelevanten Kompetenzprofil allgemeinsprachliche und erzählspezifische Fähigkeiten im Schreiben unterschieden werden. Das ebenfalls profilanalytisch konzipierte Verfahren ‚FörMig-Bumerang‘ (vgl. Reich, Roth & Döll 2009) adressiert am Beispiel der Textsorten ‚Bewerbungsschreiben‘ und ‚Instruktion‘ Schülerinnen und Schüler am Übergang von der Sekundarstufe I zur Berufsausbildung. Die anhand eines fiktiven Settings elizitierten SchülerInnentexte werden vergleichbar zum ‚Tulpenbeet‘ mit einem Auswertungsbogen analysiert. Die Fähigkeiten in der stark konventionalisierten Textsorte ‚Bewerbung‘ werden dabei jeweils ordinal-dreistufig über die Betrachtung formaler Merkmale sowie typischer inhaltlicher ‚Züge‘ wie etwa der ‚Herausstellung eigener Kompetenzen‘ operationalisiert. Die schriftliche Anleitung zum Bau eines Bumerangs fällt im Vergleich zur Bewerbung weniger textmusterbezogen aus und fokussiert Phänomene wie die Gliederung des Textes durch Nummerierung oder Absätze. Im Rahmen der Programmevaluation konnte im Vergleich zu FörMigTulpenbeet eine bessere empirische Absicherung der gebildeten Skalen dokumentiert werden (vgl. Gogolin et al. 2011: 125). Schließlich wurde in FörMig mit dem Verfahren ‚Diagnose der Schreibentwicklung in der Sekundarstufe I‘ ein Beobachtungsraster für die Hand von Lehrkräften in den Sachfächern entwickelt (vgl. Lengyel et al. 2009; Lengyel & Roth 2012). Im Gegensatz zu den beiden zuvor thematisierten Verfahren soll dieses Raster dazu dienen, die schriftsprachlichen Fähigkeiten von Lernenden in den Sprachhandlungen Berichten, Beschreiben, Erklären und Argumentieren stärker prozessbezogen und auf den Fachunterricht in der Sekundarstufe I ausgerichtet in den Blick zu nehmen. Auf der Grundlage einer pseudolongitudinalen Betrachtung authentischer SchülerInnentexte wurden Kompetenzgitter entwickelt, mit denen im Fachunterricht anfallende Texte in vier Ebenen mit jeweils sechs Stufen beurteilt werden. In den Rastern zu allen vier Genres werden die Ebenen ‚Lexik‘, ‚Syntax‘ und ‚Text‘ unterschieden, wobei die Spezifik der Sprachhandlungen vor allem in der Ebene ‚Text‘ zum Tragen kommt; für das Erklären und Argumentieren darüber hinaus in den Ebenen ‚Kognition‘ bzw. ‚Rhetorik‘. Während die Spezifik des Erklärens primär über die sprachliche Realisierung von Ursache-Wirkungszusammenhängen und dem Anknüpfen an Wissen und Kontexte operationalisiert wird, geschieht dies mit Blick auf das Argumentieren über die Komplexität der Argumentstruktur und die Wendung an ein Gegenüber mit überzeugender Wirkung. Während die zuletzt thematisierten Raster die förderungsorientierte Diagnostik produktiver schriftsprachlicher Fähigkeiten im Fachunterricht im Allgemeinen adressieren, liegen inzwischen auch fachspezifische Entwicklungen vor. Budke & Uhlenwinkel (2011) haben aus der Perspektive der Geographiedidaktik ein Bewertungsschema für schriftliche Argumentationen in der Sekundarstufe entwickelt, mit welchem sprachliche und fachliche Fähigkeiten integriert erfasst werden können. Die Globalstruktur des Argumentierens wird dabei über das Modell von Toulmin

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mit den drei zentralen Elementen Behauptung, Beleg und deren Geltungsbeziehung abgebildet. Lehrkräfte analysieren die SchülerInnentexte in einem sechsschrittigen Prozess (vgl. Budke & Uhlenwinkel 2011: 118). Vollständigkeits- und Komplexitätsanalyse betreffen zunächst das realisierte Textmusterwissen, indem die Texte daraufhin untersucht werden, ob die Konstituenten Behauptung, Belege, Operatoren zur Geltungsbeziehung, Stützung sowie Gegenargumente und Ausnahmebedingungen vorhanden sind. Mit der Relevanz-, Gültigkeits- und Eignungsüberprüfung wird dann die fachliche Einbettung der Argumentationsstruktur in den Blick genommen. Schließlich steht im sechsten Schritt mit der Überprüfung von Adressatenbezügen wieder ein sprachliches Kriterium im Vordergrund. Zu jedem Schritt werden Punkte vergeben. Die Vorzüge des Verfahrens liegen insbesondere darin begründet, dass neben einer differenzierten Abbildung des sprachlichen Konstrukts auch die fachliche Eignung der Argumentationsstrategie eingeschätzt werden kann. Darüber hinaus werden Möglichkeiten der anschließenden fachintegrierten Schreibförderung beispielhaft angeboten (vgl. Budke & Uhlenwinkel 2011: 125  ff.). Im Rahmen einer „Untersuchung zur Sprachfähigkeit von Lernenden der Jahrgänge 5, 8 und 10“ (Oleschko 2015: 98) wurde ein Diagnoseraster für das wissensbasierte schriftliche Beschreiben in den Fächern Geschichte, Geographie und Politik/ Sozialwissenschaft entwickelt und eingesetzt. Korrespondierend mit dem Kontext einer quantitativen Studie wird als Zweck des Instruments die möglichst niedriginferente Beurteilung von SchülerInnentexten angegeben, um eine hohe Interrater-Reliabilität zu gewährleisten. Im Vergleich mit der Entwicklung von Budke & Uhlenwinkel zum Argumentieren erscheint das Raster weniger textsortenscharf, die Unterscheidung sprachlicher und fachlicher Anteile findet aber auch hier Berücksichtigung, indem die Auswertungskategorien in die zwei übergeordneten Bereiche ‚(Fach-) Sprache‘ und ‚fachliche Inhalte‘ gebündelt werden. Die Fähigkeit von Lernenden zur makrostrukturellen Gliederung der schriftlichen Beschreibung eines Bildimpulses aus dem Geschichtsunterricht wird dabei vor allem über die Kategorien ‚Eröffnungsprozedur‘, ‚Themenentfaltung‘ und ‚Schließungsprozedur‘ ersichtlich, die jeweils vierstufig-ordinal eingeschätzt werden. Auf der Basis (moderater) bivariater Korrelationen der Indikatoren formuliert Oleschko die These, dass „[…] an bestimmten sprachlichen Merkmalen [komplexe Nominalphrasen, Konnektoren und Präfixverben, CG] ein Rückschluss auf fachliche Wissensbestände erkennbar wird“ (Oleschko 2015: 103). Hier gilt es anzumerken, dass sich dieser Zusammenhang nur unter ‚einsprachigen‘ Bedingungen manifestieren kann, in denen die genannten Phänomene auch Teil des sprachlichen Repertoires der Lernenden sind: Fachliche Fähigkeiten und Textmusterwissen, welche in der Erstsprache angeeignet wurden, verbleiben unter einsprachigen Erhebungsbedingungen in der Zweitsprache unterhalb des Radars diagnostischer Verfahrensweisen (vgl. Shohamy 2011). Für die förderungs- und ressourcenorientierte Individualdiagnostik ist damit auf das Potenzial mehrsprachiger Ansätze verwiesen, in denen Diagnostik und Förderung auf Basis der Gesamtsprachigkeit durchgehend ineinandergreifen (vgl. García, Johnson & Seltzer 2017).

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Beobachtungs- und Analyseverfahren: Leistungsvergleichsdiagnostik In der DESI-Studie (vgl. Klieme 2008) wurde die textsortenspezifische Schreibkompetenz für das Genre ‚Brief‘ operationalisiert. Dabei wurde zu zwei thematischen Settings der Adressatenkreis entlang der Kriterien ‚persönlich‘ und ‚formal‘ variiert (vgl. Neumann & Lehmann 2008; Neumann 2007). Die auf diese Weise gewonnenen SchülerInnentexte wurden mit einem differenzierten Auswertungsschema beurteilt, welches zwischen 43 und 46 dichotome Items und sechs ordinale Ratingkategorien enthält. Mit den Daten konnten die zwei moderat korrelierten Skalen ‚Semantik/Pragmatik‘ und ‚Sprachsystematik‘ unterschieden werden. Die verwendete IRT-Skalierung erlaubt eine kriterienorientierte Auswertung; die drei definierten Kompetenzstufen können daher auch als empirisch abgesicherter Referenzrahmen für die förderungsorientierte Individualdiagnostik aufgefasst werden. Die Kompetenzformulierungen beziehen sich auf die wesentlichen Textelemente eines Briefes wie etwa Absender, Betreff, Einleitung und Abschluss sowie aufgabenspezifische inhaltliche Kriterien, die je nach Kompetenzstufe unterschiedlich differenziert realisiert werden. Seit dem Jahr 2012 werden in den jährlichen Lernstandserhebungen in der Schweiz im Kanton Zürich auch produktive schriftsprachliche Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Dabei kommen zur Elizitierung der Texte Schreibaufträge mit wechselnden thematischen Kontexten und Textsorten zum Einsatz. Das Ziel der Erhebungen wird damit umrissen, „[…] die Fähigkeit zu erfassen, Texte verständlich zu formulieren und je nach Zielsetzung adressatengerecht zu schreiben, präzise zu formulieren, überzeugend zu argumentieren oder Sprache ästhetisch ansprechend und kreativ einzusetzen […]“ (Oostlander & Wespi 2013: 5). Die Texte werden mittels eines Beurteilungsrasters nach ca. 15 teils holistischen, teils analytischen Kriterien zwei- bis vierstufig ordinal bewertet, die sich am Zürcher Textanalyseraster sowie dem Globalkatalog nach Becker-Mrotzek und Böttcher orientieren und sich in die Bereiche ‚Inhalt‘, ‚Textaufbau und Textzusammenhang‘, ‚Sprachrichtigkeit‘, sowie ‚Sprachangemessenheit, Schreibstil und Ästhetik‘ bündeln. Die verwendete IRT-Skalierung erlaubt zwar die Bildung von inhaltlich definierten Kompetenzstufen (vgl. Oostlander & Wespi 2013: 25), in diesen wird Schreibkompetenz jedoch eher global als textsortenspezifisch modelliert. Damit zusammenhängend stellen sich die Kriterien für die im Jahr 2012 elizitierte Textsorte Argumentation auch eher allgemein dar, sie orientieren sich an einem Muster ‚Einleitung – Hauptteil – Schluss‘ und weniger an der Struktur der Argumente (vgl. Oostlander & Wespi 2013: 9). Lehrkräfte werden mit der Rückmeldung zwar in die Lage versetzt, die Leistung einzelner Lernender zur normierten ‚Stellwerk-Skala‘ in Beziehung zu setzen und erhalten durch die Kompetenzstufen auch ein qualitatives Feedback; individuelle Lernvoraussetzungen im engeren Sinne, welche die Bereithaltung spezifischer Hilfen zu Schreibentwicklung ermöglichen, erscheinen jedoch ohne eine zusätzliche Individualdiagnostik als schwierig zu realisieren.

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In den jährlichen Leistungsvergleichsstudien in Deutschland (‚Vera‘) wird das Schreiben bislang zwar weniger häufig als Testdomäne zu Grunde gelegt (vgl. Neumann 2017: 213), jedoch beruhen diese Erhebungen auf einem differenzierteren Konstrukt, da die für die Erhebungen maßgeblichen Kompetenzstufenmodelle für drei Genres entwickelt wurden (informierendes, argumentierendes und narratives Schreiben, vgl. Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen 2014). Mit dieser Modellierung wird nicht nur ein differenzierterer Impuls zur Unterrichtsentwicklung möglich, sie entspricht offenbar auch in stärkerem Maß der kognitiven Organisation der Textmusterkompetenz: Der Modellvergleich zwischen einer eindimensionalen und dreidimensionalen Modellierung von Schreibkompetenz auf der Basis der Globalurteile wies eine dreidimensionale und somit textmusterspezifische Modellierung als die angemessenere aus. Auch die Modellierung der aspektualen Dimensionen von Schreibkompetenz (Inhalt, Stil, sprachliche Richtigkeit) lieferte Evidenz für eine textmusterspezifische Interpretation (Canz 2015: 126).

Am Beispiel des Argumentierens werden so nicht nur verallgemeinerbare Textmerkmale nach dem Muster ‚Einleitung, Hauptteil, Schluss‘ in den Blick genommen, sondern darüber hinaus, inwiefern Argumente gestützt, Konklusionen formuliert und textspezifische Gestaltungselemente verwendet werden. Die Beurteilungsskalen und -items finden sich zum Teil in Canz (2015). In der Normierungsstudie kam ein Bewertungsschema zum Einsatz, in dem 17–18 dichotom-analytische sowie vier textmusterspezifische Globalskalen verwendet wurden (vgl. Canz 2015: 55  ff.).

3 Desiderata und aktuelle Tendenzen Auch wenn in diesem Beitrag nicht erschöpfend alle Zugänge und Verfahrensweisen zur Diagnostik von Textmusterkompetenz berücksichtigt werden konnten, so bildet sich in zusammenfassender Perspektive doch ab, dass ein Ungleichgewicht entlang des Kriteriums ‚Formalität‘ vorliegt: Es wurden deutlich mehr informelle als standardisierte Verfahren entwickelt. Zudem ist die Tendenz deutlich geworden, dass Textmusterkompetenz mit einer zunehmenden Ausrichtung der Verfahren auf quantitative Zwecke bzw. Leistungsvergleichsdiagnostik grobkörniger abgebildet wird, so dass förderdiagnostische Zwecke nur schwerlich damit zu realisieren scheinen. Daher besteht ein wesentliches Desiderat darin, standardisierte und normierte, den Gütekriterien genügende Testverfahren zu entwickeln, welchen keine Engführung des Konstruktes zu Grunde liegt. Ein solches Testverfahren, welches sowohl förderdiagnostischen als auch ‚gutachtendiagnostischen‘ Ansprüchen genügen soll, befindet sich derzeit in der Entwicklung (vgl. Hennes et al. im Review). Mit diesem Verfahren soll die Schreibkompetenz von Schülerinnen und Schülern der vierten bis neunten Jahrgangsstufe mit Fokus auf die Textsorten Beschreibung, Bericht, Erklärung und Instruktion differenziert erfassbar werden.

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Weiterhin lässt sich konstatieren, dass die vorliegenden Verfahren (mit Ausnahme der in FörMig entwickelten Profilanalysen) an einer einsprachigen Norm orientiert sind und sich daher Fragen nach der Validität in mehrsprachigen Kontexten stellen. In diesem Zusammenhang sind zwei Bündel von Desideraten zu nennen: Zunächst sind weitere Studien erforderlich, in denen die faktorielle Struktur der Schreibkompetenz unter Berücksichtigung individueller Mehrsprachigkeit modelliert wird. Mit Blick auf die bisher herauspräparierten Faktoren ist dabei a) die Hypothese zu prüfen, dass die Dimension ‚Semantik/Pragmatik‘ im Gegensatz zur ‚Sprachrichtigkeit‘ sprachenübergreifend kognitiv organisiert ist (vgl. Gantefort 2013; dort wurden ‚Textkompetenz‘ und ‚einzelsprachliche Kompetenz‘ unterschieden). Weiterführend sind experimentelle Studien erforderlich, mit denen die Hypothese geprüft werden kann, dass mehrsprachige Lernende mehr Textmusterkompetenz realisieren, wenn sie zur Bearbeitung entsprechender Schreibaufträge ihr gesamtes sprachliches Repertoire nutzen können. Vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Vertextungsmustern mit kulturellen Kontexten sind b) kontrastive Studien zu schulrelevanten Genres wünschenswert. Diese können dazu beitragen, dass die Lernvoraussetzungen neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher angemessen berücksichtigt werden. Daran anknüpfend stellt sich im Kontext von Leistungsvergleichsdiagnostik die Frage nach der Testfairness, die in einem ersten Zugang über DIF-Analysen bearbeitet werden kann (vgl. Vijver & Tanzer 2004). Schließlich stehen Vertextungsmuster nicht nur in einem allgemein-kulturellen sondern auch in einem fachlichen historischen Kontext. Die Entwicklung fachspezifischer Diagnoseraster wurde bereits vorangetrieben (siehe oben), jedoch bestehen auch auf dieser Ebene weitere Bedarfe; dies zunächst grundlegend mit Blick auf Erwartungen an die Struktur schriftlich realisierter Sprachhandlungen in verschiedenen Unterrichtsfächern. Weiterführend ist die interdisziplinäre Entwicklung von weiteren fachspezifischen Diagnoserastern wünschenswert. Damit Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, konkrete sprachliche Mittel und Strategien zu identifizieren, die im sprachbewussten Unterricht je nach Bedarf explizit vermittelt werden, sollten diese Verfahren weniger allgemein-holistisch als vielmehr analytisch-explorativ ausgerichtet sein.

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16 Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 1 2

Einleitung – Testverfahren unter Berücksichtigung des Schreibens auf Hochschulebene Ein Beitrag zur empirischen Überprüfung der basalen sprachlichen Kompetenzen für den Aufbau einer wissenschaftlichen Textkompetenz 3 Fazit

1 Einleitung – Testverfahren unter Berücksichtigung des Schreibens auf Hochschulebene Verfahren zur Messung sprachlicher Kompetenzen liegen bisher vor allem für den vorschulischen (vgl. z.  B. synoptisch Lisker 2013) und schulischen Bereich vor (vgl. z.  B. PISA, VERA usw.). Mit zunehmendem Schüleralter nimmt die Verbreitung sowohl von evaluatorischen als auch von diagnostischen schulübergreifenden Verfahren (vgl. zu der Differenz Klieme & Leutner 2006: 881) zur Erfassung der Sprachkompetenz stetig ab. Für den Bereich der Hochschule sind Verfahren zur Analyse der Schreibkompetenzen für FremdsprachsprecherInnen des Deutschen eingeführt und, das kann zumindest für den TestDaF und die Prüfung telc C1 Hochschule gelten, standardisiert. Mit offenen Items im Prüfungsteil Textproduktion (schriftlich) werden für die FremdsprachsprecherInnen sowohl im Test Deutsch als Fremdsprache (TestDaF)1, in der Prüfung telc C 1 Hochschule2 als auch in der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH)3 die Kompetenzen zur Textproduktion erfasst. Die genannten Tests differenzieren bei der Erfassung der sprachlichen Fertigkeiten generell zwischen den produktiven Modalitäten (Schreiben, Sprechen) und rezeptiven Modalitäten (Hören, Lesen) und haben den Anspruch, die grundsätzliche sprachliche Eignung von StudienbewerberInnen, die aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland kommen und eine deutschsprachige Hochschulausbildung anstreben, am Maßstab des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen4 zu messen. Der Test für ausländische 1 Vgl. http://www.testdaf.de/fuer-teilnehmende/informationen-zum-testdaf/ (07. 06. 2017). 2 Vgl. https://www.telc.net/pruefungsteilnehmende/sprachpruefungen/pruefungen/detail/telcdeutsch-c1-hochschule.html (07. 06. 2017). 3 Vgl. https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02–07-Internationales/RO-DT_ korr_final_ub.pdf (07. 06. 2017). 4 Das von bildungsausländischen Studierenden nachzuweisende Sprachniveau für ein Hochschulstudium liegt im Bereich zwischen „B2 – Selbständige Sprachverwendung“ und „C1 – Fachkundige Sprachkenntnisse“ für die meisten Studienfächer. Vgl. zur Niveaubeschreibung „Gemeinsamer EuroDOI 10.1515/9783110354577-016

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Studierende (TestAS)5 misst deren generelle Studierfähigkeit, optional aber auch global die Sprachkompetenzen mit einem rechtsseitig tilgenden C-Test und der daraus abgeleiteten Einschätzung des Sprachstands angegeben auf der Skala des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Für Studierende, die Erst- oder ZweitsprachsprecherInnen des Deutschen sind, ist der Prozess der Entwicklung vergleichbarer Testinstrumente noch in einer sehr frühen Phase. Self-Assessments in der Regel mit der Zielstellung, die individuelle Eignung für bestimmte Studienfächer zu klären, beherrschen das Feld (vgl. u.  a. Trost 2003). Sie sollen in der Regel vor Beginn des Studiums absolviert werden und nehmen auch sprachliche Kompetenzen in den Blick.6 Die meist onlinebasierten Verfahren zur Selbstexploration gleichen die testgestützte Erfassung von stabilen Persönlichkeitsmerkmalen mit der Studienfachwahl ab. Häufig werden die Ausprägungen der sogenannten „big five“7 untersucht. Selbst für den LehrerInnenberuf (vgl. überblickend Nieskens 2012 und unmittelbar bei den verbreiteten und teilweise verpflichtend für die Bewerbung zum Studium gemachten Assessments wie CCT – Career Counselling for Teachers8, FIT für den Lehrerberuf9, ABC-Lehramt10 oder dem ebenfalls verbreiteten PARCours11) werden zwar auch wie z.  B. im FIT-Self-Assessment die „Ausdrucksfähigkeit (sich klar, verständlich und adressatengerecht ausdrücken können)“ über die auf einer fünfstufigen Skala anzugebende Selbstauskunft zu einer Aussage wie „Ich kann auch komplizierte Sachverhalte klar und verständlich darstellen.“ erfasst, aber nicht überprüft (Schaarschmidt 2012: 63). Das NRW-Projekt Studicheck12 bietet Testaufgaben in den Bereichen Mathematik, Physik (geplant: 2018) und Sprach- und Textverständnis an. Studieninteressierte können für den dritten Bereich in verschiedenen Tests ihr Grundlagen- und Anwendungswissen in Grammatik, Orthografie, Zeichensetzung, Wortschatz, Argumentation, Verstehen und Analyse von Sach- und literarischen Texten, Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten und Sprache und Medien

päischer Referenzrahmen für Sprachen“ unter http://www.europaeischer-referenzrahmen.de/ (07. 06. 2017). 5 Vgl. http://www.testas.de/de/testas.htm (07. 06. 2017). 6 Einen Überblick findet man unter http://www.studis-online.de/StudInfo/selbsttests.php (07.  06. 2017). 7 Neurotizismus (d.  h. in einer weniger klinischen Begrifflichkeit: Belastbarkeit/emotionale Stabilität), Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit (gemessen in einer Ausprägung zwischen misstrauisch/kompetitiv und kooperativ/empathisch) werden erfasst. 8 Vgl. Brandstätter et al. und http://www.cct-germany.de/ (07. 06. 2017). 9 Herlt & Schaarschmidt (2006): Fit für den Lehrerberuf. Fragen zur Selbsteinschätzung. http://www. vbe.de/abc-l/start_fit_einleitung.php (07. 06. 2017). 10 Vgl. Nieskens 2012 und ausführlich Weyand 2015. 11 Vgl. http://www.phil.uni-passau.de/schulpaedagogik/forschungprofilelemente/parcours/ueberparcours/ (07. 06. 2017). 12 Vgl. https://studicheck.nrw/ (19.02.2018).

Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 

 231

überprüfen und im E-Learning-Portal Studiport auffrischen.13 Die Tests werden automatisiert ausgewertet und erfassen exemplarisch das Wissen in den genannten Bereichen. Kompetenzorientierte Tests in Form komplexerer und offener Aufgaben werden nicht angeboten. Die auch sprachliche Kompetenzüberprüfungen integrierenden Eingangstests vor Studienbeginn – ob mit einer fachspezifischen Ausrichtung oder ohne, ob verbindlich abzulegen oder optional, ob auf der Basis von Selbstauskünften oder fremdbewertet – bieten erstens Orientierung im vielfältigen Studienangebotsdickicht. Dies ist bei den oben genannten Beispielen auch als zentrale Motivation ausgewiesen. Die Vielzahl dieser Assessments lässt sich aber zweitens auch als Ausdruck des Zweifels daran interpretieren, „ob bei vielen Studierenden die ‚Passung‘ von Abitur als allgemeiner Hochschulzugangsberechtigung auf der einen und allgemeiner bzw. fachspezifischer Studierfähigkeit auf der anderen Seite (noch) gegeben ist“ (Bremerich-Vos 2016: 10). Dieser Zweifel, insbesondere an den sprachlichen Kompetenzen der Studierenden, ist nicht neu und wird sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern immer wieder formuliert. Von Werder (1994) stieß vor mehr als 20 Jahren beispielsweise mit seiner empirisch allerdings nur unzureichend gestützten Behauptung (vgl. Pohl 2007: 9–10), die Ursache der zahlreichen Studienabbrüche sei in mangelhaft ausgeprägten Schreibkompetenzen der Studierenden zu verorten, eine Debatte zu den sprachlichen Eingangskompetenzen von Studierenden an, die ein breites Presseecho fand. So referierte der Spiegel (9/1994: 51) die genannte Untersuchung: „Eine der Hauptursachen für den Anstieg der Studienabbrecherquoten ist offenbar die Unfähigkeit zahlreicher Studenten, wissenschaftlich und kreativ zu schreiben“. In jüngerer Zeit (2012) berichtete Wolf in einem Interview, wieder im Spiegel (40/2012), über eine immer noch unveröffentlichte Umfrage an 135 philologischen Fakultäten deutscher Universitäten, die massive Schwierigkeiten der Studierenden beim Schrei­ ben dokumentiere. Selbst bei Lehramtsstudierenden stehe die Sprachkompetenz nach den Beobachtungen der KollegInnen keineswegs außer Frage. Vielmehr fielen auch hier erhebliche Mängel auf. „Und da sich während des Studiums immer nur leichte Verbesserungen einstellen, entlassen wir Lehrer, die bei ihren Schülern nach meiner Schätzung maximal die Hälfte aller Fehler überhaupt noch erkennen können“ (Greiner 2012: 49). Den Zweifel, dass bei StudienanfängerInnen die mit dem Abitur curricular versprochenen „Schreibqualifikationen nicht, vielleicht auch nicht mehr, in hinreichendem Umfang gegeben sind“, hegten Ehlich & Steets (2003: 1) in der wissenschaftlichen Diskussion schon vor mehr als zehn Jahren. Eine empirische Überprüfung dieses Sachverhalts wurde bisher noch nicht unternommen.

13 Vgl. https://www.studiport.de/ (19.02.2018).

232 

 Dirk Scholten-Akoun

2 Ein Beitrag zur empirischen Überprüfung der basalen sprachlichen Kompetenzen für den Aufbau einer wissenschaftlichen Textkompetenz Die „Formen des Sprachgebrauchs“, die sich Studierende „schrittweise“ im Laufe ihrer akademischen Ausbildung aneignen müssen (Becker-Mrotzek 1997: 39), können als die nächsten Etappen des in der Schule begonnenen Wegs des Aufbaus von Schreib- und Textkompetenz verstanden werden.14 Die Entwicklung der Schreib- und Lesekompetenzen ist mit dem Abschluss der schulischen Ausbildung jedenfalls nicht beendet, beide müssen sich im akademischen Kontext auch über das in der Schule erreichte Niveau weiter ausbilden (vgl. Kruse 2006: 117). Aufbauend zwar auf Vorerfahrungen im Umgang mit wissenschaftlichen Texten im Oberstufenunterricht (vgl. Steets 2003) sind StudienanfängerInnen in der Wissenschaftsdomäne in gewisser Weise erneut SchreibanfängerInnen (vgl. Dittmann et al. 2003: 163 und Steinhoff 2007: 132). Im Rahmen der universitären Ausbildung wird – didaktisch häufig wenig originell – der weitere Ausbau der sprachlichen Kompetenzen in Richtung einer wissenschaftlichen Textkompetenz dem Lernen am Modell überantwortet (vgl. Steinhoff 2007: 137–139 und Pohl 2007: 18–19). Die SchreiberInnen versuchen zunächst, nach Steinhoff, neue Probleme beim Produzieren der im akademischen Bereich verlangten Texte mit den ihnen bekannten sprachlichen Mitteln zu lösen. Mit den Mechanismen der Assimilation (per Transposition) versuchen die Studierenden den Schriftsprachgebrauch der gelesenen Autoren mehr oder weniger glücklich zu imitieren (Akkomodation). Über Transformationen, die schließlich das wissenschaftliche Ausdrucksspektrum verfügbar machen, komme es schließlich zu konventionellen, domänentypischen Texten, d.  h. zu einer (weitgehenden) „kontextuellen Passung“, also zu sprachlich und inhaltlich angemessen formulierten Texten (vgl. Steinhoff 2007: 137). Die literalen Kompetenzen verbinden sich in diesem Prozess eng mit fachlichen Inhalten und domänenspezifischen Methoden. Sollen die literalen Kompetenzen im Verlaufe des Studiums überprüft werden, wäre also eine fachspezifische Differenzierung unumgänglich, aber schwierig zu leisten (vgl. Preußer & Sennewald 2012: 11). Leichter lassen sich die Sprachkompetenzen überprüfen, auf denen der skizzierte Weg der Weiterentwicklung zur wissenschaftlichen Textkompetenz aufbauen können sollte. Kruse & Chitez (2012: 77) folgend lässt sich sagen, „dass Schreibkompetenz in der Studieneingangsphase noch relativ genau erfasst werden kann, da sie noch stark von der Schule geprägt ist und noch wenig fachlich ausgerichtet ist“. Um die Überprüfung eines – allerdings nicht leicht zu bestimmenden – Mindestniveaus schrift-

14 Vgl. zu den Kompetenzbeschreibungen im Detail die Bildungsstandards. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) z.  B. 2003 und 2012.

Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 

 233

sprachlicher Fähigkeiten geht es in dem im Folgenden vorgestellten Sprachassessment, das Kompetenzen an der Grenze zwischen Schule und Hochschule erfasst und dessen diagnostische Ergebnisse individuelle und institutionelle Förderung orientieren sollen. Keinesfalls sollen so Selektionsentscheidungen begründet oder der Erfolg des Systems Schule bei der Ausprägung von Sprachkompetenzen gemessen werden. Das Sprachassessment wurde zwischen 2008 und 2015 an der Universität Duisburg-Essen entwickelt. Es handelt sich um ein zweistufiges Verfahren, bestehend aus einem modifizierten C-Test und einer kombinierten Lese-/Schreibaufgabe (vgl. zu den Entwicklungsschritten u. a. Scholten-Akoun & Baur 2012; Tischmeyer, Mashkovskaya & Scholten-Akoun 2014). Das Assessment (unter dem Namen „SkaLa“) in in der folgend beschriebenen Struktur ist seit dem Wintersemester 2015/16 von allen LehramtsstudienbewerberInnen vor ihrer Einschreibung an der Universität DuisburgEssen verpflichtend abzulegen.

2.1 Testinstrument 1: Ein modifizierter C-Test C-Tests sind Lückentexte. Die Studierenden sind aufgefordert, vorgegebene Tilgungen von Wortteilen im Kontext eines thematisch geschlossenen Textes zu einem im weiteren Sinne pädagogischen Thema (vgl. u. Abbildung 1) zu schließen. Das ursprünglich für die Messung von sprachlichen Fähigkeiten im Fremdsprachenbereich eingesetzte Format (vgl. z.  B. Grotjahn 2002 und 2016), kam in einer modifizierten, linksseitig tilgenden Variante zum Einsatz (z.  B. Universität → _________sität).15 Motivationsformen Intrinsische Motivation bezeichnet die Absicht oder den Wunsch, eine Handlung um ihrer selbst willen durchzuführen, weil sie als interessant, spannend oder in sich befriedigend erlebt wird. Intrinsisch _______________ertes Lernen _______t die ______________________swerteste aller ______________ationsformen, da ____________ende von ________ch aus _______e Initiative _____________ifen und ______________illig studieren. _______e suchen ________ch herausfordernden ____________aben und _____________nden viel ________it und ________he darauf, _________se zu ______________tigen. Im _______________chied dazu _______t extrinsisch _______________ertes Lernen _________ch die ___________________lungsfolgen veranlasst. __________ses Lernen ___________lgt, um _____________ehme Konsequenzen zu erzielen und unangenehme zu vermeiden. Die Hypothese, dass eine intrinsische Lernmotivation günstigere Folgen für das Lernen hat als eine extrinsische Lernmotivation, wurde in einer Metaanalyse überprüft. Abb. 1: C-Test – Subtest „Motivationsformen“. Quelle: Urhahne (2008: 157)

15 Der vollständige C-Test bestand aus 4 Teiltests (wie z.  B. der folgende Musterteiltest), wobei jeweils 25 Worttilgungen pro Text semantisch und formalsprachlich korrekt rekonstruiert werden sollten.

234 

 Dirk Scholten-Akoun

Diese Form der Tilgung akzentuiert im Vergleich zum rechtsseitig tilgenden deutschsprachigen C-Test andere Facetten der Sprachkompetenz (vgl. zur Interpretation der Ergebnisse mit der geänderten Tilgungsvariante Scholten-Akoun, Mashkovskaya & Tischmeyer 2014). Die grammatisch-morphologische oder orthografische Kompetenz tritt tendenziell in den Hintergrund, die lexikalische Kompetenz (Wortschatzbreite, korrekter Wortgebrauch im vorgegebenen Kontext) sowie grundlegende Fähigkeiten in den Bereichen Lesen (Lesestrategiewissen, globales, detailliertes und selektives Lesen) treten in den Vordergrund (vgl. ausführlich Mashkovskaya 2014: 176–200). Für die Auswertung der C-Tests wurde in einer größeren Zahl von Tests zwischen 2009 und 2013 unter Studierenden der Zielgruppe (n  =  2.891) „StudienanfängerInnen in Lehramtsstudiengängen“ an insgesamt drei Universitäten in einem ersten Schritt ein Referenznormwert errechnet. Der Referenznormwert ist als der bereinigte Mittelwert aller getesteten ErstsprachsprecherInnen definiert (vgl. zum Begriff und seiner statistisch-normativen Festlegung Baur, Grotjahn & Spettmann 2006). Die individuellen Ergebnisse können dann in Relation zum Referenznormwert interpretiert werden. In einem zweiten Schritt wurden Leistungsgruppen bestimmt, deren Grenzen über die gewichtete Standardabweichung definiert sind (0 bis eine Standardabweichung über bzw. unter dem Referenznormwert jeweils eine Leistungsgruppe, eine bis zwei Standardabweichungen über bzw. unter dem Referenznormwert jeweils eine Leistungsgruppe usw., vgl. zu den Details des Vorgehens Mashkovskaya 2014). Den Leistungsgruppen wurde in einem zweiten Schritt ein unterschiedlich großer Förderbedarf unterstellt. Lag das Ergebnis einer TestteilnehmerIn mehr als eine Standardabweichung unter dem Referenznormwert, wurde ihm/ihr großer (bzw. bei mehr als zwei Standardabweichungen sogar erheblicher) Förderbedarf attestiert.16 Die Gruppe mit Testergebnissen innerhalb einer Spannbreite von maximal einer Standardabweichung unter bzw. über dem Referenznormwert hat vermutlich sehr geringen oder keinen erkennbaren Förderbedarf,17 die Gruppe mit Testergebnissen von mehr als einer oder sogar mehr als zwei Standardabweichungen über dem Referenznormwert keinen Förderbedarf.18 Die Festlegung der Leistungsgruppengrenzen und die Zuweisung des Förderbedarfs erfolgen in diesem Ansatz also nie inhaltlich-kriterial, sondern normorientiert (vgl. Grotjahn 2002: 218).

16 Beide Gruppen sind in Abbildung 2 zusammengefasst – der dunkelgraue Balkenteil repräsentiert jeweils ihren Anteil an der Gesamtkohorte. 17 Beide Gruppen sind in Abbildung 2 zusammengefasst – der mittelgraue Balkenteil repräsentiert jeweils ihren Anteil an der Gesamtkohorte. 18 Beide Gruppen sind in Abbildung 2 zusammengefasst – der hellgraue Balkenteil repräsentiert jeweils ihren Anteil an der Gesamtkohorte.

Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 

 235

Abb. 2: C-Test-Ergebnisse der Gesamtstichprobe der Lehramtsstudierenden in der Studieneingangsphase dreier Universitäten in NRW mit Migrationshintergrund (Mh) (n = 696) und ohne Migrationshintergrund (n = 2.195) und Zuordnung zu den Leistungsbereichen (Größe der Gesamtstichprobe: n = 2.891)

Die beteiligten Universitäten haben darum gebeten, nicht namentlich genannt zu werden (deshalb die anonymisierenden Bezeichnungen der Universitäten). Die Ergebnisse der C-Tests (vgl. Abbildung 2) zeigen eine breite Varianz. Erheblicher Förderbedarf (dunkelgraue Balkenteile) lässt sich sowohl bei einer großen Zahl von Studierenden mit als auch ohne Migrationshintergrund feststellen. Der Anteil dieser Gruppe in der Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund ist durchweg höher. Die Größe dieser Gruppe unterscheidet sich signifikant von Universität zu Universität. An der Universität A gehören fast 30 Prozent der Studierenden der Lehramtsstudiengänge dazu, an der Universität C (bei allerdings einem kleinen n) nur ca.  11  Prozent. Die absolute Mehrheit der Studierenden (mit Ausnahme der Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund an der Universität A) zeigt keinen erkennbaren (oder nur einen sehr geringen) Förderbedarf. Bemerkenswert sind die relativ kleinen Gruppen der Studierenden, die ausweislich des C-Tests keinerlei Förderbedarfe (hellgraue Balkenteile) erkennen lassen (zu einer detaillierten Interpretation der Ergebnisse vgl. Mashkovskaya & Baur 2016a und 2016b). Welche Auswirkungen die vermuteten sprachlichen Defizite in den Bereichen der Lexik und des Lesens (vgl. o.) haben, welche konkreteren sprachlichen Schwierigkeiten über die vermutete grobe Identifikation hinaus vorliegen – beides kann mit dem C-Test nicht diagnostiziert werden. Für diesen Zweck ist eine detailspezifischere Analyse notwendig, die in dem hier vorgestellten Ansatz über die Lese-/Schreibaufgabe geleistet wurde.

236 

 Dirk Scholten-Akoun

2.2 Testinstrument 2: Eine Lese-/Schreibaufgabe Bei der kombinierten Lese-/Schreibaufgabe ging es um die schriftliche Wiedergabe der Argumentation eines Zeitungsartikels aus der Süddeutschen Zeitung (Müller 2008) in Form eines Fließtextes auf den folgenden Aufgabenimpuls hin: „Sie haben im Rahmen eines Seminars an der Universität die Aufgabe übernommen, für die nächste Sitzung die Argumentationsstruktur des folgenden Textes zu analysieren. Der erste Leser ist der Dozent bzw. die Dozentin. Verfassen Sie einen Fließtext, in dem die folgenden Aspekte berücksichtigt sind: –– die zentrale Frage im (bildungspolitischen) Kontext; –– die zentrale These des Autors, das heißt die Antwort auf die Frage; –– Begründungen der These, und zwar möglichst alle Argumente des Autors. –– Benutzen Sie wenn möglich Begriffe wie „Analogie”, „Beispiel”, „Bezug auf Autoritäten“, „Definition“, „Vergleich“. Schreiben Sie bitte mindestens 350 Wörter. Sie haben für diese Aufgabe 90 Minuten Zeit. Hinweise: Sie können einzelne Formulierungen des Autors übernehmen, aber auch durchgängig eigene Formulierungen wählen. Wenn Sie sich auf einzelne Stellen im Text beziehen, reicht die Angabe von Zeilennummern.“ Die sprachproduktiven und rezeptiven Kompetenzen eines Schreibers/einer Schreiberin, die auf der Basis einer solchen Lese-/Schreibaufgabe überprüft werden, können nicht unabhängig voneinander bewertet werden, eine (konstrukt-)reine schreib-produktive Kompetenz lässt sich schwerlich evaluieren. Die eingesetzten Inhaltsvariablen verstehen sich deshalb als eine Evaluation der Kombination beider Kompetenzen. Die Verwischung der Grenzen bei der Interpretation der Ergebnisse bedeutet knapp formuliert, dass bei den inhaltlichen Aspekten unklar bleibt, ob eine ungenügende Leistung in einem unzureichenden Verständnis des Ausgangstextes gründet (rezeptive (Lese-)Kompetenz) oder ob sie als Indikator einer nicht hinreichend ausgeprägten Schreibkompetenz anzusehen ist (der Schreiber/die Schreiberin konnte das Erlesene nicht angemessen schriftlich wiedergeben – produktive (Schreib-)Kompetenz). Der oben vorgestellte Aufgabenimpuls setzt auf einen Stimulus-Text auf (s.  o.), der in einem ersten Schritt gelesen und verstanden werden muss. Im zweiten Schritt sollen die TeilnehmerInnen des Tests eine präzise Inhaltsangabe schreiben. Das Verstehen des Stimulus-Textes ist also letztlich eine Bedingung der Schreibmöglichkeit. Diese kombinierte Lese-Schreib-Leistung ist den Studierenden aus ihrer schulischen

Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 

 237

Ausbildung durchaus vertraut. Sichtet man etwa die Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife im Bereich Schreiben, dann zeigt sich, dass „Inhalte und Argumentationen komplexer Texte zusammenfassen, exzerpieren und referieren [können]“ (KMK 2012: 17, 24) zu den ausgebildeten Kompetenzen gehören. Diese Fähigkeiten haben die SchülerInnen sogar bereits am Ende der Sekundarstufe I erworben. Spätestens mit Eintritt in die Oberstufe sollen SchülerInnen, wie in den Bildungsstandards formuliert, „Inhalte auch längerer und komplexerer Texte verkürzt und abstrahierend […] zusammenfassen und so wiedergeben [können], dass insgesamt eine kohärente Darstellung entsteht […]“. Darüber hinaus sollen sie Argumente identifizieren und „Argumente gewichten und Schlüsse ziehen“ können (KMK 2003: 12). Diese Kompetenzen sind zentral, um die in vielen Fächern (nicht nur im Fach Deutsch, auch in Geschichte, Literatur, Pädagogik, Philosophie, Religion, Sozialwissenschaft usw.) in der Oberstufe immer wieder zu schreibenden Inhaltsangaben anfertigen zu können. Diese und andere Darstellungsleistungen sollen die SchülerInnen am Ende der Sekundarstufe I unter „sicherer Beherrschung“ der „Grundregeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung“ (KMK 2003: 11) bewältigen können. Kombinierte Lese-/Schreibaufgaben sind, so lässt sich resümieren, also curricular verankert und gehören auch im Unterricht (z.  B. in den Klausuren zur Leistungsmessung) zu den den SchülerInnen abverlangten Leistungen. Insofern ist also davon auszugehen, dass die von den Studierenden zu bearbeitende Lese-/Schreibaufgabe sowohl curricular valide als auch unterrichtsvalide ist. Das zur Auswertung der Textproduktion eingesetzte Auswertungsschema (vgl. u. Abbildung 3) umfasst insgesamt 39 Variablen19 auf vier Ebenen: Als Deskriptoren sind Variablen zur Evaluation kleinteilig definierter Einzelaspekte (vgl. u. Abbildung 3 z.  B. „Inhalt – Zentrale These“ – Inhalt 04) gefasst, die in der Regel dichotome oder trichotome Bewertungen forderten. Dimensionsratings stellen sich als gewichtete Aggregate der Deskriptoren eines Bereichs dar (vgl. u. Abbildung 3 z. B. „Inhalt – Inhaltliche Gesamtbewertung (Zsf.)“  – Inhalt 14). Ein Gesamtrating (vgl. u. Abbildung  3 z.  B. „informierter Gesamteindruck“ – Global 02) ergibt sich aus dem gewichteten Aggregat der Dimensionsratings, das sich so auf den gesamten Text in allen seinen (von der Kodiermatrix erfassten) Aspekten bezieht und das den analytischen Teil der Bewertung abschließt. Die Dimensions- und Gesamtratings sind in der Regel sechsstufig. Zusätzlich sollten die BewerterInnen auch eine subjektiv-holistische Gesamteinschätzung des Textes („Schriftsprachliche Kompetenz“ – Global 01) auf der Schulnotenskala nach der ersten Lektüre des Textes ohne notwendigen Bezug zu den analytischen Variablen vornehmen.

19 Vier Variablen erfassen in diesem Ansatz formale Aspekte, 14 Variablen inhaltliche, zehn sprachliche (inklusive zweier Zählvariablen zur Textlänge) und fünf strukturelle Facetten des Textes. Dazu kommen vier Dimensionsvariablen, eine analytische Gesamtvariable und eine holistische Gesamtvariable.

238 

 Dirk Scholten-Akoun

Kodiermatrix – Darstellung der Kodestufen Dimension

Variable

Kodestufen

Global 01

Schriftsprachliche Kompetenz

1

2

3

4

Form 01

Verweigerung

1

2

3

4

Form 02

Abschrift

1

2

Form 03

Fließtext

1

2

Form 04

Lesbarkeit der Schrift

1

2

3

Inhalt 01

Zentrale Frage

1

2

3 3

Inhalt 02

Analogie

1

2

Inhalt 03

Bildungspolitischer Kontext

1

2

Inhalt 04

Zentrale These

1

2

Inhalt 05

Vorder-/Hinterbühne

1

2

Inhalt 06

Hidden Intellectualism (HI)

1

2

Inhalt 07

Vergleich (HI – Goldader)

1

2

Inhalt 08

Heimlicher Lehrplan (HL)

1

2

Inhalt 09

Abgrenzung „HI“ und „HL“

1

2

Inhalt 10

Wertung „HI“ und „HL“

1

2

5

6

3 3 3

Inhalt 11

Biographie: Gerald Graff

1

2

3

Inhalt 12

Biographie: Michael Warner

1

2

3

Inhalt 13

Mädchen sind schlau

1

2

Inhalt 14

Stringenz der Inhaltsangabe

1

2

3

4

5

6

Inhalt 15

Inhaltliche Gesamtbewertung (Zsf.)

1

2

3

4

5

6

3

Sprache 01

Wortgebrauch (Richtigkeit)

1

2

Sprache 02

Wortgebrauch (Variabilität)

1

2

Sprache 03

Wortgebrauch (Register)

1

2

3

Sprache 04

Grammatik (Richtigkeit)

1

2

3

Sprache 05

Satzstrukturen (Variabilität)

1

2

Sprache 06

Zitatverwendung/Verweise

1

2

Sprache 07

(Anzahl der Wörter)

[Zahl]

Sprache 08

(Anzahl der Zeilen)

[Zahl]

Sprache 09

Rechtschreibung (quantitativ)

1

2

3

Sprache 10

Kommafehler

1

2

3

4

Sprache 11

Sprachlicher Gesamteindruck 

1

2

3

4

5

6

Sprache 12

Stilistischer Gesamteindruck

1

2

3

4

5

6

Struktur 01

 Gliederungsschritt (I): Einleitung

1

2

3

Struktur 02

 Gliederungsschritt (II): Inhaltsangabe [Anfang]

1

2

3

Struktur 03

 Gliederungsschritt (II): Inhaltsangabe [Schluss]

1

2

3

Struktur 04

 Gliederungsschritt (III): Schluss

1

2

3

Struktur 05

 Absatzgestaltung

1

2

3

4

Struktur 06

 Strukturelle Gesamtbewertung

1

2

3

4

5

6

Global 02

 Informierter Gesamteindruck

1

2

3

4

5

6

Abb. 3: Kodiermatrix – Darstellung der Kodestufen

Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 

 239

Die Bewertung der Texte erfolgte durch ein Team von BeurteilerInnen der Interna­ tional Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA-Hamburg) auf Grundlage eines umfangreichen Kodierhandbuchs (vgl. Scholten-Akoun, Tischmeyer & Martin 2016: 65–122), die aufwändig geschult wurden (vgl. zur Bedeutung von Schulungen Böhme, Bremerich-Vos & Robitzsch 2009: 298). Die Kodierqualität bemisst sich in dem hier vorgestellten Verfahren nach der Konsistenz (Reliabilität) von Ratings (vgl. z.  B. Bachman & Palmer 2010; Weigle 2002). Etwas gröber formuliert: Alle eingesetzten KodiererInnen vergeben im Idealfalle auf allen Ebenen des Kodierschemas (Deskriptor-, Dimensions- und Gesamtratingebene usw.) für einen Text denselben vom Schema festgelegten Kode (vgl. ausführlicher Harsch & Martin 2012 und Martin, Bremerich-Vos & Scholten-Akoun 2016). Zu den auffälligsten Ergebnissen (vgl. ausführlich Bremerich-Vos & Weirich 2016) der Studie gehört, dass insgesamt nur 312 Studierende (n = 872) die zentrale Frage und die zentrale These des Ausgangstextes ganz (Kode 1) oder teilweise (Kode 2) zutreffend wiedergegeben haben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Schreibleistung von mehr als 500 Studierenden in mindestens einer der beiden Hinsichten von den KodiererInnen als nicht oder falsch erbracht gewertet wurde. Ob hier auf individueller Ebene rezeptive oder produktive Probleme vorlagen, kann ohne weitere Analysen nicht geklärt werden (s. o.). Dass aber auf der Ebene des Schreibprodukts „Zusammenfassung“ die Qualität leidet, wenn z.  B. nicht erkennbar ist, wie die zentrale Frage lautete oder was unter „hidden intellectualism“, dem Zentralbegriff des Textes, zu verstehen ist, ist ohne Weiteres nachvollziehbar und zieht schlechtere Ratings in der Dimension „Stringenz der Inhaltsangabe“ nach sich. In ungefähr der Hälfte der evaluierten Texte war das eigentliche Ziel der Aufgabe, nämlich die kohärente Wiedergabe der entwickelten Argumentation, nicht erreicht. Die Bewertungen der kriterial auswertbaren inhaltlichen Deskriptoren (und in der Folge auch der Dimensionsratings) waren insgesamt deutlich schlechter als die Bewertungen für die sprachliche Leistung, die wiederum den Gesamteindruck der Texte durchschnittlich verbesserte. War der sprachliche Eindruck in der Regel auch besser als der inhaltliche, ließen sich auch auf dieser Dimension  – betrachtet man unten einzelne Deskriptoren für basale Schreibfertigkeiten wie z.  B. die Variable zur „grammatischen Richtigkeit“ (vgl. u. Abbildung 5) oder die zu den „Kommafehlern“ (vgl. u. Abbildung 6) – bei einer größeren Gruppe von Studierenden teilweise erhebliche Probleme feststellen. Dabei darf allerdings nicht aus dem Blick verloren werden, dass die Texte unter erheblichem Zeitdruck entstanden sind. Es handelt sich um Drafts, die sicher noch – hätte mehr Zeit zur Überarbeitung zur Verfügung gestanden – hätten verbessert werden können. Als Gesamtergebnis ergab die Auswertung, dass mehr als ein Viertel der Texte der Studierenden die Anforderung, eine Inhaltsangabe zu schreiben, nicht erfüllten. Der Unterschied zwischen der Gruppe mit und ohne Migrationshintergrund ist signifikant. Unter dem Deskriptor „grammatische Richtigkeit“ wurde auf eine Erfassung unterschiedlicher grammatischer Fehler verzichtet. Kasusinkongruenzen, falsch verwen-

240 

 Dirk Scholten-Akoun

Abb. 4: Ergebnisse des Gesamtratings „informierter Gesamteindruck“ (Global 02) (n = 877)

Abb. 5: Kodierergebnisse zum Deskriptor „grammatische Richtigkeit“ (Sprache 04) (n = 877) (ohne Mh = ohne Migrationshintergrund; mit Mh = mit Migrationshintergrund)

Sprachstandstests im hochschulischen Kontext 

 241

Abb. 6: Kodierergebnisse zum Deskriptor „Kommafehler“ (Sprache 10) (n = 877)

dete Pronomen, falsch verwendete Konjunktionen, fehlerhafte Syntax usw. wurden undifferenziert als Verstoß gegen die Korrektheitsnorm gewertet und addiert. Kamen keine Fehler vor, wurde Kode 1 vergeben, bei bis zu 5 Fehlern Kode 2 und bei mehr als 5 Verstößen Kode 3. Fast ein Viertel der Studierenden produziert in einem relativ kurzen Text von etwa 350 Wörtern mehr als 5 Grammatikfehler, eine größere Gruppe sogar deutlich mehr als 5, die weitaus größte Gruppe immerhin bis zu 5 Fehlern. Die Unterschiede zwischen der Gruppe der Studierenden mit und ohne Migrationshintergrund ist signifikant. Bei der Beurteilung der Kommaschreibung, einem für viele Studierende bis zum Ende ihrer universitären Ausbildung unklar bleibenden Bereich der Orthografie bzw. der Grammatik, mussten die BewerterInnen Fehler zählen und auf dieser Grundlage die Kodes vergeben (keine Fehler = Kode 1, bis zu 5 Fehler = Kode 2 und mehr als 5 Fehler = Kode 3). Die Abbildung  6 dokumentiert die Ergebnisse. Die Spanne der Kommafehler reichte teilweise bis zu 20 auf zwei Seiten Text. Bei den Kommafehlern gibt es zwischen der Gruppe mit und ohne Migrationshintergrund keine signifikanten Unterschiede.

242 

 Dirk Scholten-Akoun

3 Fazit Bei den Lehramtsstudierenden in der Studieneingangsphase zeigten sich in der empirisch breiter angelegten Untersuchung unterschiedliche sprachrezeptive und sprachproduktive Probleme. Die curricular mit dem mittleren Schulabschluss, spätestens aber mit dem Abitur, vorausgesetzten Kompetenzen erwiesen sich als keineswegs vollständig gesichert. Die Gruppe der Studierenden mit Migrationshintergrund ist durchschnittlich stärker von den Problemen betroffen. Mehr als ein Viertel der Lehramtsstudierenden verfügt zu Beginn ihres Studiums nicht oder nicht in akzeptablem Umfange über die sprachlichen Mittel, die ihnen eine Weiterentwicklung ihrer Schreibkompetenz hin zur wissenschaftlichen Schreibkompetenz erlaubten. Zu groß sind die Defizite auf basalem Niveau. Eine Auseinandersetzung mit den akademisch-wissenschaftlichen Inhalten erscheint auch durch die sprach­lichen Defizite stark limitiert. Eine fundierte empirische Untersuchung der Entwicklung der Fähigkeiten der Studierenden unter den Bedingungen des Studiums steht ebenso aus wie eine Untersuchung der Auswirkungen von sprachlichen Defiziten auf den Studienerfolg. Dass Sprachkompetenzdefizite sogar auch eine Ursache für den Studienabbruch sein können, lässt sich vermuten. Die hierzu notwendigen Instrumente müssten entwickelt wie Ressourcen zu ihrer Beobachtung bereitgestellt werden.

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 Dirk Scholten-Akoun

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Diana Feick

17 Diagnostik in der Erwachsenenbildung 1 Gegenstandsbestimmung 2 Forschungsüberblick zur Förderdiagnostik Schreiben 3 Aktuelle Entwicklungen der Schreibförderdiagnostik 4 Resümee und Ausblick

Der folgende Beitrag grenzt die Testdiagnostik von der Förderdiagnostik ab, indem er für die Fertigkeit Schreiben die Limitierungen der ersten und die Potenziale der zweiten im Rahmen der DaZ-Erwachsenenbildung ausweist. Zur Förderdiagnostik erfolgt anschließend ein Überblick über den diesbezüglichen Forschungsstand (Kapitel 2) und eine vergleichende Darstellung von Vorarbeiten aus dem Bereich der Kompetenzmodellierung und der Entwicklung von Diagnoseinstrumenten anhand des Lernbereiches unter A1  – der Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch (Kapitel  3). Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf den Bedarf an förderdiagnostischen Verfahren jenseits des Niveaus B1 im Hinblick auf die berufsorientierte Schreibkompetenzentwicklung.

1 Gegenstandsbestimmung Die (schrift-)sprachlichen Kompetenzen der Migrant_innen, die das Deutsche als Zweitsprache erlernen, sind von einer großen Heterogenität gekennzeichnet. Zum einen liegen unterschiedliche Beherrschensgrade in der Schriftsprache vor, die sich von primären Analphabet_innen über Zweitschriftlernende (Alphabetisierung in einem nicht-lateinischen Schriftsystem) bis hin zu vollständig alphabetisierten Personen erstrecken. Zum anderen gehen diese mit unterschiedlich ausgeprägten mündlichen Deutschkenntnissen einher, welche z.  T. kompensatorisch zur mangelnden Schriftsprachfähigkeit ungleich weiter ausgeprägt sein können. Im deutschen Integrationskurssystem wird dieser Vielfalt mit einer äußeren Differenzierung Rechnung getragen, indem Deutschkurse mit Alphabetisierung oder auch jüngst Zweitschriftlernerkurse (BAMF 2017a) eingerichtet wurden. In diesem Rahmen dominiert traditionell die Zuweisungs- bzw. Testdiagnostik und die Förderdiagnostik, wie sie im Kontext Schule praktiziert wird, ist in der DaZ-Erwachsenenbildung noch wenig etabliert. Förderdiagnostik umfasst dabei nicht nur die Feststellung von Lernerfolgen, sondern auch Verfahren der Beobachtung (Protokolle, Checklisten) und Befragung (z.  B. diagnostische Interviews), die sowohl Voraussetzungen und Bedingungen von Lehr-Lernprozessen als auch diese Prozesse selbst analysieren und dokumentieren DOI 10.1515/9783110354577-017

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(Bulut & Linnemann 2015). Um die Potenziale einer Förderdiagnostik für erwachsene Migrant_innen auszuloten, soll dafür zunächst die Testdiagnostik zum Schreiben charakterisiert und deren Grenzen aufgezeigt werden. Zur Testdiagnostik zählen Einstufungstests und Kompetenztests, welche als standardisierte, formelle Verfahren rein summativ angelegt sind, d.  h. Sprachkompetenzen zu einem bestimmten Zeitpunkt ermitteln. Das Ablegen eines Einstufungstests bewirkt die Zuweisung zu einem bestimmten Kurstyp bzw. zu einem bestimmten Kursniveau (z.  B. Modul 2 des Alphabetisierungskurses). Der Einstufungstest des BAMF (Einstufungssystem für Integrationskurse in Deutschland) geht dabei zweistufig vor. Auf einen mündlichen Einstufungsbaustein folgt ein schriftlicher Teil bzw. nach Ermessen des/r Testenden ein Alphabetisierungsbaustein, in dem die Schreibkompetenzen der Erst- und der Zielsprache ermittelt werden (Perlmann-Balme 2010). Dieses Verfahren benachteiligt v.  a. primäre Analphabet_innen mit möglicherweise ausgeprägten mündlichen Kompetenzen, da lediglich die schriftsprachlichen Fähigkeiten zum Distinktionsmerkmal für die Zuordnung zu einem der Kurstypen dienen. Eine Höherstufung für mündlich kompetente Lernende könnte eine stärkere Bündelung der Ressourcen für den Schriftspracherwerb bewirken. Hinsichtlich der Kompetenztests, also Tests, die den Sprachstand der Lernenden zu einem bestimmten Zeitpunkt kontextunabhängig erfassen, differenziert Döll (2016: 424, unter Rückgriff auf OʼSullivan 2012) drei Verfahren: –– „Verfahren zur Regelung von Einwanderung und Vergabe von Staatsbürgerschaft, z.  B. Zertifikat B1 des Österreichischen Sprachdiploms zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft, –– unspezifische Verfahren zur Feststellung sprachlicher Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt, z.  B. Zertifikat Deutsch für den Beruf, und –– spezifische Verfahren zur Feststellung professionsbezogener sprachlicher Fähigkeiten, z.  B. telc Deutsch B1-B2 Pflege.“ Exemplarisch für die erste Kategorie gilt in Deutschland der „Deutsch-Test für Zuwanderer“ (dtz), welcher im Folgenden unter der Perspektive der Schreibkompetenzmessung beleuchtet wird. Der dtz testet standardisiert und skaliert gleichzeitig die vier Fertigkeiten auf den Niveaustufen A2 und B1 am Ende eines Integrationskurses. Im Bereich Schreiben enthält die Feststellungsprüfung eine Aufgabe zum Verfassen einer Korrespondenz im formellen Register (Perlman-Balme, Plassmann & Zeidler 2009: 10) und überprüft dabei die produktive Kompetenz hinsichtlich der Textsorte Brief bzw. Kurzmitteilung. Diese Textsorte wird in den öffentlich zugänglichen Musterprüfungen anhand eines Beschwerdebriefes, einer Kauf- oder einer Informationsanfrage getestet. Dadurch erfolgt eine situative Ausrichtung auf die im „Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache“ (Goethe-Institut 2016) abgebildeten zwölf Handlungsfelder von Migrant_innen in Deutschland (Perlmann-Balme, Plassmann & Zeidler 2009: 24). Damit geht jedoch die im GeR beschriebene (und in Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2005) weiter ausdifferenzierte) subjektiv-eindrucksvermittelnde

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Komponente des Schreibens1 zu großen Teilen verloren und reduziert die getesteten Kommunikationssituationen auf ausschließlich instrumentell-utilitaristische Varianten der Schriftsprachkommunikation2. Als high-stakes Tests erfolgen aus dieser Art von Sprachstandsfeststellung für alle Teilnehmenden aus Drittstaaten weitreichende Implikationen hinsichtlich migrationsrechtlicher Faktoren, wie das Erteilen eines Visums im Rahmen des Ehegattennachzugs (Deutschland), das Erfüllen der sog. Integrationsvereinbarung, das Erteilen oder der Entzug der Aufenthaltsgenehmigung, einer Niederlassungserlaubnis oder dem Erlangen der Staatbürgerschaft. Migrationspolitisch betrachtet kommt Tests zum Nachweis der Sprachkompetenz somit eher die Funktion der Machtausübung und Reglementierung im Sinne eines „Zwangs- und Selektionsinstruments“ (ÖDaF 2010: 9; Schneidhofer & Pavelka 2010) zu, als dass sie den Zweck der Kompetenzermittlung erfüllen. Einher geht diese Entwicklung mit dem für diese Art von Test häufig anzutreffenden Washback-Effekt, also einer Rückwirkung der Testinhalte auf das Kurscurriculum und führt im Extremfall zu ausgeprägten „teaching to the test“-Phänomenen zuungunsten der eigentlichen Sprachlernbedürfnisse. Kritik erfährt die Testdiagnostik außerdem besonders im Hinblick auf die Lernendengruppe der schulungewohnten oder wenig alphabetisierten Kursabsolvent_innen. Da die Testteile „Hören“, „Schreiben“ und „Sprechen“ schriftlich präsentiert werden, wird die Lesekompetenz vorausgesetzt und dadurch implizit mitgetestet. Außerdem mangelt es vielen dieser Lernenden an Prüfungsstrategien und metalinguistischen Aufgabenanalysefähigkeiten (Thurau 2010: 11–12). Zudem reichen die für den Integrationskurs in Deutschland vorgesehenen 1200 Stunden (in Österreich 300 Stunden, s. ländervergleichende Übersicht bei ÖDaF 2010) für die meisten primären und funktionalen Analphabet_innen nicht aus, um das Niveau A2 bzw. gar B1 zu erreichen und damit den Test zu bestehen3 (Ehlich, Montanari & Hila 2007; Thurau 2010: 10; Mayrhofer 2010: 51). Das hat in vielen Fällen traumatische Prüfungserfahrungen zur Folge, die zu emotionaler Überforderung, Erfolgsdruck, Versagensgefühlen, Schwächung des

1 GeR, (B1): „Ich kann über Themen, die mir vertraut sind oder mich persönlich interessieren, einfache zusammenhängende Texte schreiben. Ich kann persönliche Briefe schreiben und darin von Erfahrungen und Eindrücken berichten.“ 2 Die sprachlichen Handlungsfelder, die im Rahmencurriculum für Integrationskurse und so auch im dtz Berücksichtigung finden, basieren auf der Sprachbedarfserhebung für Integrationskursteilnehmer_innen InDaZ (Ehlich, Montanari & Hila 2007). Diese umfassen: Leben mit Kindern, Behörden, Arzt, Arbeitsplatz, Arbeitssuche, Einkaufen, Kontakte und Freizeit, alltäglicher Geschäftsverkehr, Wohnen, Verkehr, Aus- und Fortbildung, Wohnungssuche, Familie und Lebenspartner, Beratung sowie juristische Kommunikation. Als in diesen Kontexten relevante produktive Textsorten wurden E-Mails, Briefe, Protokolle, Formulare/Anträge und Entschuldigungsschreiben u.  ä. ermittelt (Ehlich, Montanari & Hila 2007: 73), wobei eine Unterscheidung in Rezeptions- bzw. Produktionskompetenz bezüglich der genannten Textsorten nicht erfolgte. 3 2015 bestanden 60,5 % der Kandidat_innen den dtz mit dem Niveau B1, 31,9 % mit dem Niveau A2 und 7,6 % erreichten ein Ergebnis unter A2 (BAMF 2016: 12).

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Selbstwertgefühls, Prüfungsangst und Motivationseinbruch führen (Bulut & Linnemann 2015: 26–27; Thurau 2010: 11). Dem Problem, dass alle Fertigkeiten gleichzeitig geprüft werden und somit weniger entwickelte Fertigkeiten, wie z.  B. das Schreiben, nicht kompensierbar sind, trägt der Test zumindest insofern Rechnung, als dass das Gesamtergebnis B1 auch dann erreicht werden kann, wenn einzelne Teilfertigkeiten mit A2 oder unter A2 beurteilt werden. Für den Erhalt des Gesamtresultats B1 genügt es, wenn im Bereich Sprechen und in einem der Bereiche Hören/Lesen oder Schreiben die Bewertung B1 erreicht wird (Perlmann-Balme, Plassmann & Zeidler 2009: 83). Dies führt dazu, dass Lernende in weiterführenden Kursen ab B1 oft noch nicht in allen Fertigkeiten tatsächlich über die durch den Test zertifizierten B1-Kompetenzen verfügen und einer erneuten Förderdiagnostik unterzogen werden sollten. Anhand dieser Ausführungen wurde deutlich, dass die Testdiagnostik im Rahmen der DaZ-Erwachsenenbildung besonders für die Fertigkeit Schreiben, aber auch darüber hinaus nicht das geeignete Mittel darstellt, um den Kompetenzstand eines/r Lernenden zuverlässig und differenziert genug zu beschreiben und daraus individuelle Lernfortschritte zu ermitteln sowie eine passgenaue Förderung des Lernprozesses anzuschließen. Der folgende Abschnitt diskutiert, basierend auf einem Forschungsüberblick, die Möglichkeiten und Chancen der DaZ-Förderdiagnostik und veranschaulicht dies anhand von zwei Verfahren aus dem Kontext der Alphabetisierung und Grundbildung von Erwachsenen.

2 Forschungsüberblick zur Förderdiagnostik Schreiben Im Rahmen der Erwachsenenbildung ist für die Deutsch-als-Zweitsprache-Forschung zur Diagnostik von Schreibkompetenz ein vergleichsweise geringer Entwicklungsstand zu konstatieren. Aktuell existieren zwar Modelle für den zweitsprachlichen Schreibprozess (z.  B. Grießhaber 2005), aber kein Schreibkompetenz(stufen)modell, das die Basis für die Entwicklung förderdiagnostischer Verfahren bildet. Dementsprechend fehlt es an standardisierten Diagnoseverfahren und -instrumenten für diese Zielgruppe, was nicht zuletzt auf die unter 1 beschriebene Ausrichtung auf behördlich vorgegebene Rahmencurricula und die damit einhergehende Testorientierung der Integrationskurssysteme zurückzuführen ist. Innerhalb des „Rahmencurriculums für Deutsch als Zweitsprache“ (Goethe-Institut 2016) beispielsweise ist keine systematische Lernstands- oder Förderdiagnostik vorgesehen, sodass lediglich beim Ablegen der Abschlussprüfung die erreichten Kompetenzen der Lernenden standardisiert evaluiert und dokumentiert werden. Auch von Lehrpersonen wird nicht explizit erwartet, diagnostisch tätig zu werden, sondern diese werden vielmehr dazu angehalten:

Diagnostik in der Erwachsenenbildung  

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[zu] überprüfen […], ob das Unterrichtsmaterial, das sie in ihren Kursen einsetzen möchten oder sollen, es den Lernenden ermöglicht, die Lernziele des Integrationskurses zu erreichen. Aufgrund dieser Überprüfung können sie festlegen, welche Lernziele und Lerninhalte aus dem Unterrichtsmaterial sie weglassen können und sollten und welche sie ergänzen müssen. (GoetheInstitut 2016: 26)

Lerninhalte und -ziele sowie Kompetenzstände können demnach nach eigenem Ermessen lehrmaterialbezogen vor dem Hintergrund vorgegebener Ziele ermittelt werden, wobei nicht ausgeführt wird, mittels welcher Methoden dies erfolgen soll. Die Eignung des Einsatzes förderdiagnostischer Verfahren lässt sich aus diesen Vorgaben, wenn überhaupt, nur implizit erschließen4. Als Ausgansbasis für diagnostische Schreibkompetenzerfassungen bietet der GeR skalierte Deskriptionen für die Niveaus A1 – C2 in Form von Kann-Beschreibungen zur schriftlichen Produktion und Interaktion. Diese bildeten bisher die Grundlage für die Entwicklung testdiagnostischer Verfahren, jedoch sind daraus noch keine standardisierten Förderdiagnoseinstrumente hervorgegangen. Dennoch weist der Referenzrahmen auf sein Potenzial für formative Beurteilungen hin: Für eine diagnostische Beurteilung sind die Listen mit Exponenten5 […], noch viel zu allgemein, um in der Praxis verwendet werden zu können. Man müsste sich dafür eher auf spezielle Lernzielbeschreibungen beziehen (z.  B. Waystage, Threshold usw.). Raster mit Deskriptoren für die verschiedenen Aspekte von Kompetenz auf verschiedenen Niveaus (Kapitel 4) hingegen können für eine formative Rückmeldung bei der Überprüfung von Sprechfertigkeit nützlich sein. (Europarat 2001: 181)

Eine Spezifizierung der Kann-Beschreibungen für die Zielgruppe der Migrant_innen auf den Stufen A1-B1 erfolgte im „Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache“ (Goethe-Institut 2016). Diese umfassen die Bereiche „übergreifende Kommunikation“ mit vorwiegend mündlichen Kompetenzen sowie „Kommunikation in Handlungsfeldern“ mit kontextspezifischen kommunikativen Handlungen, welche in Lern- und z.  T. in intentionsbezogene Handlungsziele untergliedert sind. Innerhalb der übergreifenden Kommunikation ist das Handlungsfeld „Umgang mit dem eigenen Sprachenlernen“ angesiedelt. Es enthält den Teilbereich „Schreibfertigkeit auf- und ausbauen“ und formuliert damit erstmals schreibstrategische Kompetenzen, über die Lernende verfügen sollten: 4 Das „Konzept für Integrationskurse“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015: 24) konkretisiert die Vorgabe hinsichtlich des Einsatzes von nicht sanktionierenden Zwischentests zur Sprachstandfeststellung nach 300 UE und empfiehlt zudem einen vorgelagerten Test zur Überprüfung des Niveaus A1 als „Zwischenbilanz zum bis dahin erreichten Leistungsstand sowie zur Kontrolle von Lernstrategie und Lernfortschritt.“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015: 24) 5 Hier führt der GeR hinsichtlich des Schreibens die orthographische Kompetenz mit Kann-Beschreibungen auf den Niveaustufen A1-C1 auf, die z.  B. das Erkennen und Produktion von Buchstaben, Satzzeichen, Zeichensetzung und die korrekte Schreibweise umfasst. Diese Deskriptoren sind jedoch nicht empirisch skaliert worden (Europarat 2001: 117–118).

AKTIVITÄTEN schreiben

schreiben

schreiben

schreiben

schreiben

schreiben

schreiben

schreiben schreiben

LERNZIELE

Kann die Technik des Abschreibens zur Verbesserung der individuellen Schreibfertigkeit nutzen.

Kann Strategien und Techniken zur Überarbeitung von Texten z. B. die Technik des Reformulierens, beim Verfassen von freien Texten anwenden.

Kann eine Fehlerstatistik führen und diese zur Behebung individueller Defizite beim Schreiben nutzen.

Kann bei schriftlicher Interaktion für bestimmte Textsorten typische Redewendungen und Formulierungen identifizieren und diese bei der eigenen schriftlichen Reaktion verwenden.

Kann die Rechtschreibkontrolle von Word beim Verfassen von Texten einsetzen.

Kann einsprachige Wörterbücher zur Erweiterung der Ausdrucksfähigkeit nutzen.

Kann die Textbausteine in Word beim Verfassen von formellen Schreiben einsetzen.

Kann Originaltexte als Vorlage für eigen Texte nutzen

Kann Merkmale von Textsorten reproduzieren.

Abb. 1: Kompetenzspektrum „Schreibfertigkeit auf- und ausbauen“ (Goethe-Institut 2016: 69) B1

A2

B1

A2

A1

B1

A2

A2

A1

NIVEAU

Möchte register- und textsortenadäquat schreiben.

Möchte seine/ihre Ausdrucksfähigkeit erweitern

Möchte seine/ihre Orthografie verbessern.

Möchte die Qualität der eigenen schriftlichen Produktion verbessern.

Möchte seine/ihre Schreibfertigkeit trainieren.

HANDLUNGSZIELE

Kennt gängige Kompositionsprinzipien von Texten

Kennt die Technik des Notierens.

Kennt die Technik des Korrekturlesens, um einen selbstgeschriebenen Text auf seine formale Richtigkeit zu überprüfen.

Kennt die Technik des Abschreibens zum Üben der Schreibfertigkeit.

FOKUS LANDESKUNDE/ SPRACHENLERNEN

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Die im DaZ-Rahmencurriculum formulierten Kompetenzbeschreibungen können für die Niveaustufen A1 bis B1 als Grundlagen für die noch ausstehende Entwicklung zielgruppenspezifischer Diagnoseinstrumente herangezogen werden, wobei dies an eine empirische Validierung der Skalierung der einzelnen Deskriptoren geknüpft werden sollte. Auch auf dem Niveau unter A1 liegen für Zweitsprachenlernende noch keine standardisierten Förderdiagnoseverfahren vor. Als Referenz für die ausstehende Entwicklung von DaZ-spezifischen Schreibkompetenzmodellen und Deskriptoren können die Alpha-Levels des lea.-Projektes (Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften) und die damit verbundene lea.-Diagnostik (Grotlüschen 2010a) dienen. Dieses Diagnoseverfahren ermittelt ab dem theoretischen „Null-Punkt“ (Schreiben einzelner Buchstaben und Zahlen) präzise und detaillierte Aussagen zu Schreibkompetenzen von Erwachsenen, um daraus passgenaue und individuelle Fördermaßnahmen ableiten zu können. Dabei verortet sich dieser Diagnoseansatz jenseits sozialnormierter Verfahren, bei denen Testergebnisse relativ zu einer Vergleichsgruppe defizitorientiert bewertet werden und damit individuelle Lernfortschritte außerhalb der festgelegten Bezugswerte nicht erfassen (Zimper 2015). Die Basis der Diagnostik bildet das empirisch validierte Kompetenzspektrum zu schriftsprachlichen Fähigkeiten in Form von Alpha-Levels, welches sich aus verschiedenen Modellen des Schriftspracherwerbs bzw. der Literalität speist (vertiefend: Dessinger 2010). Die Kompetenzen sind in die Dimensionen Lesen, Schreiben, Mathematik und Sprachempfinden unterteilt. Für den Bereich Schreiben beinhalten sie fünf zentrale Kategorien (Grotlüschen 2010b: 26): –– Schriftelement (Buchstaben, Wort, Satz, Text) –– Symbollänge (bspw. Buchstabenlänge, Textlänge) –– Phonemstufe (Phoneme werden sukzessiv eingeführt) –– Gebräuchlichkeit (der verwendeten Wörter) –– Strategie (z.  B. alphabetische, morphematische Strategie) Der Kompetenzbereich Schreiben ist in fünf Niveaustufen (Alpha-Levels) unterteilt:

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Tabelle 1: Alpha-Levels Schreiben (Grotlüschen 20096) Alpha-Levels Schreiben Alpha 1

Vom Buchstaben zum Wort, überwiegend logografische Strategie

Alpha 2

Vom Wort zum Satz, alphabetische Strategie

Alpha 3

Vom Satz zum Text, alphabetische und beginnende orthografische Strategie

Alpha 4

Vom einfachen zum komplexen Text, orthografische Strategie

Alpha 5

komplexer Text, orthografische, morphematische und wortübergreifende Strategie

Jedes Level ist durch 9–14 Deskriptoren in Form von Kann-Beschreibungen ausdifferenziert, so lauten sie z.  B. für das Alpha-Level 3 im Bereich Schreiben u.  a. (Grotlüschen 2010b: 37): –– Kann Satzschlusszeichen anwenden (Fragezeichen), –– Kann die Auslautverhärtung bei Substantiven beachten (Bund, Krieg), –– Kann Wörter mit einer Dopplung des Konsonanten im Auslaut orthographisch richtig schreiben. Empirisch wurde mittels des Verfahrens der Rasch-Skalierung (vertiefend: Heinemann 2011a) dazu die durchschnittliche Schwierigkeit jeder Kann-Beschreibung erhoben und entsprechend zu den Levels gebündelt sowie innerhalb eines Levels gereiht, wobei sich auch einzelne Themenbereiche in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden über mehrere Level erstrecken können. Des Weiteren führt jedes Level schwierigkeitsbestimmte Aufgabenmerkmale an, aus denen die sprachliche Konstruk­tion der Diagnoseaufgaben abgeleitet wurde. Aus den auf dieser Grundlage entwickelten arbeitsweltbezogenen Diagnoseaufgaben setzt sich das Instrument „lea.-Diagnose“ (Grotlüschen 2010b) zusammen. Es enthält für den Bereich Schreiben 14 Aufgaben, wobei dabei einige Aufgaben wenige, andere Aufgaben mehrere Kann-Beschreibungen gleichzeitig abprüfen. Zur Ermittlung der Diagnoseergebnisse dienen ein Auswertungs- und ein Entwicklungsbogen. Die Auswertung erfolgt mittels qualitativer Fehleranalyse der Schreibprodukte, sodass wertschätzend das Beherrschen von Fähigkeiten ermittelt und daraus Förderempfehlungen abgeleitet werden können. Damit legt das lea.-Projekt ein empirisch überprüftes, weitreichend ausdifferenziertes Kompetenzmodell für den Schriftspracherwerb deutschsprachiger Erwachsener vor, das eine individualisierte und prozessorientierte Förderdiagnostik ermöglicht.

6 Die Übersicht umfasst in der Vorversion noch ein 6. Alpha-Level, das in der Endversion mit Level 5 zusammengenommen wurde.

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Ein kombiniert für Erst- und Zweitsprachsprechende entwickeltes Instrument stellt das von Bulut & Linnemann (2015) entwickelte „Adaptive Instrument zur Schriftsprachdiagnostik von Lernenden in Alphabetisierungskursen“ (AdISLA) dar. Es umfasst adaptive Diagnoseschritte auf Graphem-Phonem-Ebene, gefolgt von Aufgaben zur Fertigkeit Lesen (Leseflüssigkeit und Leseverstehen), woran sich im dritten Schritt die Diagnose der Fertigkeit Schreiben (basales und kommunikatives Schreiben) anschließt (s. Abbildung 2). Das Instrument ist im Gegensatz zur lea.-Diagnostik auch für Lernende mit wenigen literalen Erfahrungen geeignet. Durch seine Adaptivität  – Aufgaben werden nach dem geschätzten Niveau der/des Teilnehmenden ausgewählt  – kann eine Überforderung der Lernenden vermieden und möglicher Testangst entgegengewirkt werden. Ziel des Verfahrens ist eine Profildiagnostik, um kompetenzbasiert zu erschließen, auf welchen Niveaus eine Förderung anzusetzen ist (Bulut & Linnemann 2015). Die Diagnose umfasst zu Beginn eines Kurses ein Screening, um in regelmäßigen Abständen unter Einsatz eines Portfolios damit ein Lernprozessprofil zu ermitteln und Lernerfolge zu evaluieren, neue Lernziele zu setzen und Lernmotivation zu initiieren (Bulut & Linnemann 2015: 28). Die Diagnostik der Fertigkeit Schreiben erfolgt in Abhängigkeit von den Kompetenzen, die im Testteil I und II ermittelt wurden und kann bei niedrigeren Kompetenzen motorische Fähigkeiten, die Schreibrichtung und die Leserlichkeit der Schrift dokumentieren, indem Buchstaben, Silben oder Wörter abgeschrieben werden sollen (s. Abbildung 2). Lernende mit (a) mittleren oder (b) höheren Kompetenzniveaus sollen einfache (a = Postkarte an einen Freund oder Einladung) oder komplexere Texte verfassen (b = Beschwerdebrief oder einen Text freier Themenwahl). Die Auswertung der Texte erfolgt nach Kriterien zur Textkompetenz, die aus verschiedenen Bewertungsrastern zusammengestellt wurden und z.  B. Faktoren wie die Anzahl der Wörter und Sätze, sprachliche Richtigkeit, Angemessenheit der sprachlichen Mittel und inhaltliche Aspekte beurteilt (Bulut et al. 2010). Die Entwickler_innen des Verfahrens geben an, dass dieses auch für Zweitsprachlernende einsetzbar sei, jedoch sind bisher keine Erprobungsergebnisse dokumentiert, die die Passung des Instruments für diese Zielgruppe bestätigen. Damit Instrumente wie lea.-Diagnostik und AdISLA auch für die Schreibdiagnostik mit DaZ-Lernenden fruchtbringend weiterentwickelt werden können, bedarf es einer Fundierung auf ein Schreibkompetenzstufenmodell für mehrsprachige Erwachsene (s. Beitrag Knappik & Dirim in diesem Band) sowie die zielgruppenspezifische Adaption und empirische Validierung der daraus abgeleiteten (bzw. der bereits existierenden) skalierten Deskriptoren. Dazu beschreibt Heinemann (2011b: 156–161) zehn zentrale Gütekriterien zur Erstellung formativer förderdiagnostischer Instrumente im Kontext der Alphabetisierungsarbeit, die aber auch darüber hinaus greifen: 1. Testakzeptanz individuelle Bezugsnorm 2. differenzierte Lernprozessorientierung 3. 4. Kompetenzorientierung

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Abb. 2: Flussdiagramm des AdILSA-Tests (Bulut & Linnemann 2015: 29)

5. Autonomie der Lernenden 6. Lebensweltorientierung 7.–9. Auswertungsobjektivität, Reliabilität und Validität 10. Praktikabilität Im folgenden Kapitel werden zwei formative Diagnoseinstrumente vorgestellt, die speziell für die Zielgruppe der wenig oder nichtalphabetisierten DaZ-Lernenden entwickelt wurden und im Hinblick auf diese Gütekriterien überprüft.

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3 Aktuelle Entwicklungen der Schreib­förder­diagnostik Wie der Forschungsüberblick zeigt, existiert aktuell kein DaZ-spezifisch ausdifferenzierter Referenzrahmen zum Schreiben unter A1-Niveau (und ab B2 nur sehr grob) sowie daraus ableitbare Kompetenzlevel und Diagnoseinstrumente. Dennoch liegen zwei Verfahren vor, die im Folgenden exemplarisch für die Diagnostik der Fertigkeit Schreiben im Kontext der DaZ-Alphabetisierungsarbeit vorgestellt werden. Das Projekt Alphamar (Albert et al. 2015), untersuchte die Eignung verschiedener Alphabetisierungsmethoden von Migrant_innen, wobei der methodenbezogene individuelle Lernstand und -fortschritt mit dem Instrument „Marburger Kompetenzrad“ ermittelt wurde. Die Stärke des Instruments liegt in seiner unmittelbaren Abbildungsmöglichkeit von Lernprozessen (Gütekriterium 3, s.  o.) in zwölf unterschiedlichen Kompetenz­ dimensionen (s. Abbildung 3). Deren Ermittlung erfolgte deduktiv über die Ausdifferenzierung der globalen Lernzielvorgaben des Konzeptes für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs des BAMF (Feldmeier 2009). Für den Bereich Schreiben umfasst das Instrument die Kompetenzen schriftliche Laut-Buchstaben-Zuordnung (2), Orthographie (4), Schreibakkuratheit (=Lesbarkeit der Handschrift) (6), Vervollständigen struktureller Schemata (7), Grammatikanwendung beim gelenkten Schreiben (8) sowie Grammatikanwendung beim freien Schreiben (9). Für jeden Kompetenzbereich liegt eine Kann-Beschreibung vor, z.  B. (Heyn, Rokitzki & Teepker 2010): Der Lerner kann gehörte Laute (d. h. Silben sowie kurze und lange Wörter) lautgetreu im Sinne der deutschen Lautung und Zuordnung schriftlich in Buchstaben umsetzen (z. B. „heute“ als „hoite“, „aber“ als „aba“). (Kompetenz 2) (Heyn, Rokitzki & Teepker 2010: 212–213)

Der schriftliche Test der Lernfortschrittskontrolle umfasst Aufgabentypen (z.  B. Diktat, Tabelle nach einem vorgegebenen Schema vervollständigen, Fragen beantworten), die den Lernenden bereits aus dem Kurs bekannt sind. Die Auswertung erfolgt durch ein skaliertes schematisches Punktesystem mit detaillierten kompetenzbezogenen Hinweisen zur Punktevergabe. Alle erreichten Stufen werden im Kompetenzrad erfasst, wodurch sich das jeweilige Kompetenzprofil netzartig graphisch abbilden lässt (s. Abbildung 3). Dabei wird neben der visuellen Darstellung des jeweiligen Kompetenzzuwachses ersichtlich, dass Kompetenzen sich auch unabhängig voneinander steigern oder ganze Stufen übersprungen werden können. Für die Interpretation der so erhobenen Daten wurden zusätzlich Unterrichtsbeobachtungs- und Lernendeninterviewdaten herangezogen, so dass mit den Lernenden und Lehrpersonen gemeinsam Entwicklungen nachvollzogen und Förderbedarfe ermittelt werden konnten (Heyn, Rokitzki & Teepker 2010: 220). Eingang erhielt dieses Diagnoseverfahren in ein Teilprodukt des Projektes, dem Lehrwerk „Alphamar“ (2012). Dort werden nach jedem Kapitel Materialien zur

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Abb. 3: Marburger Kompetenzrad mit Beispieleintragungen (Albert et al. 2015: 152)

Lernfortschrittskontrolle (Test sowie kompetenzskalenbasierte Beobachtung) angeboten, welche von der Lehrperson in einer tabellarischen Lernfortschrittsübersicht festgehalten und zur Entwicklung weiterer Förderangebote herangezogen werden können. Im Rahmen eines Projektes zur Sprachlernberatung in Integrationskursen mit Alphabetisierung (Leipziger Lernberatung – LeLeBe; Markov, Scheithauer & Schramm 2015) wurde als Teil eines Beratungskonzeptes für Kursteilnehmende mit Lernschwierigkeiten ein Diagnoseverfahren zur Ermittlung des Beratungs- und Lernbedarfes hinsichtlich verschiedener zielgruppenspezifischer Kompetenzen entwickelt. Es besteht aus den Diagnosebereichen Lernbiographie, strategische Kompetenzen (Lern- und Kommunikationsstrategien) sowie schriftsprachliche Kompetenzen. Zudem ist es bei Bedarf um die Bereiche phonologische Bewusstheit und Lernstil sowie um eine kriteriengeleitete Beobachtung mittels Beobachtungbogen zur Feinmotorik und Wahr-

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nehmung erweiterbar. Der Einsatz dieser (ggf. mehrsprachigen) diagnostischen Verfahren ermöglicht den individuellen Zuschnitt der zu fördernden Kompetenzbereiche in Abstimmung mit ermittelten persönlichen Lernzielen. In der Abschlussphase des Beratungs- und Trainingsprogramms erlaubt der erneute Einsatz der Instrumente die dialogische Evaluation des Nutzens der Lernberatung. In diesem Zusammenhang werden auch zukünftige Lernpläne und Vorhaben zur Nutzung der erlernten Strategien thematisiert. Das Diagnoseinstrument zur schriftsprachlichen Kompetenz soll im Folgenden genauer vorgestellt werden. Eingehend ist anzumerken, dass in den Projektpublikationen keine Angaben zur empirischen Validierung der Instrumente oder die Fundierung auf bestimmte Zweitschrifterwerbsmodelle erfolgen, jedoch wurden alle Materialien in 39 Lernberatungssitzungen erprobt und (weiter)entwickelt (Markov & Scheithauer 2014). Die analytische Einschätzung der schriftsprachlichen Fähigkeiten erfolgt mithilfe von Schriftproben der Beratungssuchenden hinsichtlich technischer und handlungsorientierter Aspekte der Lese- und Schreibkompetenz. Grundlage dafür bieten die für das Deutsche adaptierten Einschätzungsbögen aus dem Raamwerk Alfabetisering NT2 (Cito 2008), in dem Kann-Beschreibungen auf den drei Niveaus Alfa A, Alfa B und Alfa C formuliert sind, wobei Alfa C dem Niveau A1 des GeR entspricht. Dabei werden auf der Phonem-Graphem-Ebene auch Kompetenzen in den fünf Herkunftssprachen Arabisch, Kurdisch (Kurmancî), Persisch, Russisch und Türkisch berücksichtigt. Die technischen Kompetenzen umfassen Kann-Beschreibungen zum Umgang mit den linguistischen Einheiten: Buchstaben, Laute, Zahlen, Silben, Wörter, Sätze und Texte sowie zu den Bereichen Schreibrichtung und -tempo, z.  B. für den Bereich 1 (Buchstaben. Laute, Zahlen): –– Alfa A: Kann alle Buchstaben mit Vorlage schreiben. –– Alfa B: Kann alle Klein- und Großbuchstaben fließend (ohne Vorlage) schreiben. –– Alfa C: Kann alle Grapheme, sehr häufig gebrauchte Konsonantencluster, Diphtonge und Buchstabengruppen fließend schreiben. Hinsichtlich der handlungsorientierten Aspekte der Schreibkompetenz umfasst das Instrument Kompetenzskalen im Umgang mit textlinguistisch-funktional ausdifferenzierten Textsorten, welche in sechs Gruppen gebündelt sind: Informationstexte, Texte mit Appellfunktion, Texte mit Obligationsfunktion, Texte mit Kontaktfunktion, Texte mit Deklarationsfunktion und Texte mit heuristisch-epistemischer Funktion, z.  B. für die Obligationsfunktion: –– Alfa A: Kann in einem Bestellformular Namens- und Adressfelder, sowie Telefonnummer und Anrede durch Abschreiben ausfüllen. –– Alfa B: Kann in einem Bestellformular die meisten Felder ohne abzuschreiben ausfüllen. –– Alfa C: Kann in einem Bestellformular alle Felder eigenständig ausfüllen und die Angaben für die Bestellung tätigen.

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Die beispielhaft genannten Textsorten(träger) umfassen u.  a. Fahrkartenautomat, Wegbeschreibung oder Briefumschlag, wobei in den Materialien eine Darstellung des Gesamtspektrums an zielgruppenrelevanten Textsorten leider ausbleibt. Die Auswertung der Diagnose erfolgt anhand eines Schätzverfahrens durch die Beratungsperson. Hinsichtlich jeder Kann-Beschreibung findet auf Basis der Schreibprobe und/oder anhand von Unterrichtsbeobachtungen eine Einstufung mittels drei Beurteilungskategorien statt: vollständig erfüllt, teilweise erfüllt oder nicht erfüllt. Unklar bleibt hier, wie häufig und mit welcher Varianz ein Item überprüft wird, um den Beherrschungsstand zuverlässig zu diagnostizieren. Das Ergebnis der Kompetenzdiagnose soll Auskunft über den Lernentwicklungsstand des/der Beratungssuchenden geben und Hinweise darauf, in welchen Bereichen die fortlaufende Lernberatung Unterstützungsangebote ansetzen kann. Prinzipiell eignet sich das Verfahren somit auch für die Förderdiagnostik außerhalb von Lernberatungsszenarien. Vergleichend lassen sich die Diagnoseverfahren von Alphamar und der Leipziger Lernberatung (LeLeBe) im Bereich der Schreibkompetenz mit Rückgriff auf ausgewählte der unter Abschnitt  2 genannten Gütekriterien in der folgenden Tabelle zusammenfassen: Alphamar

LeLeBe

Akzeptanz: integriert in Lehrwerksprogression, einsprachig

Akzeptanz: integriert in Lernberatungskonzept, mehrsprachige Bestandteile

Lernprozessorientierung: Diagnose nach vorgegebenen Lerneinheiten

Lernstandsermittlung zu zwei Zeitpunkten

Kompetenzorientierung: skalierte Stufen (Punktesystem) zur Schreibakkuratheit, Freiem Schreiben, Orthographie

Kompetenzorientierung: drei Stufen à drei Beherrschungsgrade zur technischen und handlungs­ orientierten Kompetenz, z.  T. in L1 und L2

Auswertung: Messung durch schriftlichen Test + Einstufung nach Beobachtungsskalen

Auswertung: Schätzverfahren mittels Schreibprobe + Kursbeobachtungen

Autonomie der Lernenden: dialogisches Feedback Lebensweltorientierung

Diese Gegenüberstellung zeigt, dass die für den Bereich unter A1 entwickelten Förderdiagnoseinstrumente zu großen Teilen den von Heinemann (2011b) formulierten diagnosetesttheoretischen Gütekriterien entsprechen, wobei beide im Gegensatz zur Lea.-Diagnose nicht auf empirisch validierten Kompetenzskalen des DaZ-Schriftspracherwerbes fußen, sondern vielmehr aus langjährigen umfassenden Dokumentationen und Konzepten der Kurspraxis heraus entwickelt worden sind und eine empirische Absicherung demnach noch aussteht.

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4 Resümee und Ausblick Die Entwicklung und der Einsatz diagnostischer Instrumente zur Förderung der zweitsprachigen Schreibkompetenz stellt vor dem Hintergrund der erfolgten Ausführungen eine notwendige Ergänzung der bereits breit etablierten Testdiagnostik dar. Besonders im Rahmen der Schreibkompetenzförderung ab Niveau B1 ist hier ein deutliches Desiderat zu verorten. Ausgangpunkt für diese Entwicklung können dafür z.  B. die seit 2016 in Deutschland eingerichteten Basis- (B2-C2) und Spezialmodule (A2-B1) im Rahmen der bundesweiten berufsbezogenen Deutschsprachförderung bilden. Diese Kurse bauen auf den in Integrationskursen erworbenen alltagssprachlichen Kompetenzen auf, um diese um sog. „berufsfeldübergreifende Deutschkenntnisse“ (BAMF 2017b: 6) zu erweitern. Das sowohl berufsvorbereitend als auch berufsbegleitend angelegte Kursangebot fokussiert deutlicher als in Integrationskursen auf den Erwerb von berufsbezogenen Schriftsprachkompetenzen. So heißt es im „Konzept für ein Spezialmodul B1“: Die Teilnehmenden [sollen] schrittweise an das Erlernen von bestimmten im Berufsleben gebräuchlichen Textsorten, in Deutschland geltenden Diskurstraditionen (Konventionen einer Sprach- bzw. Kulturgemeinschaft, wie spezifische Textmuster aufgebaut sind) und bestimmten Formulierungsmustern herangeführt werden. Insbesondere Teilnehmende, die zuvor einen Alphabetisierungs- oder Zweitschriftlernerkurs besucht haben, brauchen im Unterricht oft mehr Zeit Schriftstücke zu verfassen und sollen durch zusätzliche Übungen und Hausaufgaben in ihrem weiteren Ausbau der Schriftlichkeit und Textkompetenz gefördert werden. (BAMF 2017b: 17)

Der aufgrund der im Zitat erwähnten Heterogenität der Teilnehmenden notwendige Einsatz förderdiagnostischer Verfahren beschränkt sich auf Empfehlungen zu regelmäßigen Lernfortschrittskontrollen in Form von schriftlichen Tests oder Selbstkontrollen (BAMF 2017b: 23). In diesem Zusammenhang begnügt sich das Konzept mit der exemplarischen Formulierung von (schriftsprachbezogenen) Lernzielen, z.  B. „Kann unkomplizierte, zusammenhängende Texte zu mehreren vertrauten Themen des eigenen Fachgebiets, wie z.  B. kurze Erfahrungs-/Arbeitsberichte, routinemäßige E-Mails, schriftliche Entschuldigungen oder Grußkarten verfassen.“ (BAMF 2017b: 15), welche jeweils von der Lehrperson bedarfsbezogen erweitert werden sollen. Entsprechend liegen für die berufssprachlichen Deutschkurse zwar an den GeR-Kompetenzstufen ausgerichtete Konzepte vor, ohne jedoch (schriftsprachliche) Niveaustufen vorab für bestimmte spezifische Berufsfelder ausreichend differenziert zu modellieren und zu skalieren sowie dafür geeignete Förderdiagnoseinstrumente bereitzustellen. So spiegelt sich auch im wachsenden Feld des „Deutschen für den Beruf“ das aktuelle Dilemma der Förderdiagnostik für die zweitsprachliche Schreibkompetenz wider  – ihre Vernachlässigung zugunsten der summativen Leistungsmessung und der Mangel an formativen, bedarfs- und bedürfnisbezogenen (Schreib-)diagnoseinstrumenten und -fördermaterialien sowie dafür zugrunde gelegter (mehrsprachiger) Schreibkompetenzmodelle. Es bleibt zu wünschen, dass angeregt durch innovative

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Zugänge der DaZ-Unterrichtsrealität diese Forschungslücke wissenschaftlich fundiert geschlossen werden kann und Förderdiagnostik sich auch für das Schreiben in der DaZ-Erwachsenenbildung als reflektierte Lehr- und Lernpraxis etabliert.

Literatur Albert, Ruth, Anne Heyn, Christiane Rokitzki & Frauke Teepker (2012): Alphamar. Wege in die Alphabetisierung für erwachsene Deutschlernende. Kursbuch. München: Langenscheidt. Albert, Ruth, Anne Heyn, Christiane Rokitzki & Frauke Teepker (2015): Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch – Lehrmethoden auf dem Prüfstand. Marburg: Tectum. Bulut, Necle, Simone Jambor-Fahlen, Markus Linnemann & Bettina Will (2010): Vom Buchstaben zum Text – Ein adaptiver Test zur Messung von Schriftsprachstand und -entwicklung von erwachsenen Lernern. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 77, 127–141. Bulut, Necle & Markus Linnemann (2015): AdISLA – Adaptives Instrument zur Sprachdiagnostik von Lernenden in Alphabetisierungskursen. In Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. (Hrsg.), Projekt „Rahmencurriculum und Kurskonzept für die abschlussorientierte Grundbildung“, 23–32. Bonn: Deutscher Volkshochschul-Verband. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2015): Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Integrationskurse/Kurstraeger/KonzepteLeitfaeden/konz-f-bundesw-integrationskurs.pdf?__blob=publicationFile (08. 05. 2017). Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2016): Bericht zur Integrationskursgeschäftsstatistik für das Jahr 2015. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Integration/ 2015-integrationskursgeschaeftsstatistik-gesamt_bund.pdf?__blob=publicationFile (08. 05. 2017). Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2017a): Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs für Zweitschriftlernende (Zweitschriftlernerkurs). http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Integrationskurse/ Kurstraeger/KonzepteLeitfaeden/konzept-zweitschriftlernende.pdf?__blob=publicationFile (08. 05. 2017). Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2017b): Konzept für ein Spezialmodul B1 im Rahmen der bundesweiten berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a AufenthG. http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/ESF/03_VordruckeAntraege/Deutschfoerderung45a/spezialmodul-b1.pdf?__blob=publicationFile (08. 05. 2017). Cito (2008): Raamwerk Alfabetisering NT2. http://www.cito.nl/onderwijs/volwassen%20educatie/alfabetisering/raamwerk_alfabetisering (08. 05. 2017). Dessinger, Yvonne (2010): Kompetenzmodelle des Schriftspracherwerbs. In Anke Grotlüschen, ­Rudolf Kretschmann, Eva Quante-Brandt & Karsten Wolf (Hrsg.), Lea. – Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften, 69–85. Münster: Waxmann. Döll, Marion (2016): Sprachdiagnostik für Migrantinnen und Migranten. In Eva Burwitz-Melzer, Grit Mehlhorn, Claudia Riemer, Karl-Richard Bausch & Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 423–428. Tübingen: A. Francke. Ehlich, Konrad, Elke Montanari & Anna Hila (2007): Recherche und Dokumentation der Sprachbedarfe hinsichtlich der Sprachbedarfe von Teilnehmenden an Integrationskursen – InDaZ. München: Goethe-Institut. http://www.goethe.de/lhr/prj/daz/pro/InDaZ_Recherche.pdf (08. 05. 2017).

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Perlmann-Balme, Michaela, Sibylle Plassmann & Beate Zeidler (2009): Deutschtest für Zuwanderer – Prüfungsziele, Testbeschreibung. Berlin: Cornelsen. Schneidhofer, Eva & Ulrike Pavelka (2010): Deutschkenntnisse als Bedingung für Zuwanderung und StaatsbürgerInnenschaft. Ein Überblick über die rechtliche und institutionelle Situation in den deutschsprachigen Ländern. ÖDaF-Mitteilungen 2, 19–31. Thurau, Johanna (2010): Der Deutschtest für Zuwanderer in Integrationskursen mit Alphabetisierung. Alfa-Forum 74, 11–13. Zimper, Diana (2015): Die lea.-Diagnostik. In Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. (Hrsg.), Projekt „Rahmencurriculum und Kurskonzept für die abschlussorientierte Grundbildung“, 33–44. Bonn: Deutscher Volkshochschul-Verband.

IV Didaktik

Anja Ballis

18 DaZ-Schreibdidaktik – Ein Überblick 1 2 3 4 5 6

DaZ-Schreibdidaktik – Zwischen Good-practice und wissenschaftlicher Positionierung Schreiben als Prozess – Zwischen Text, Prozess und Prozedur Schreibkompetenz – Teilkompetenzen und Unterstützungsleistungen Vom Einfluss der Erst- und Zweitsprache auf das Schreiben – Tendenzen und Desiderata Didaktische Konzepte für das schulische Schreiben in der Zweitsprache – Zwischen ‚Generieren‘, ‚Strategien‘ und ‚Mischen‘ Resümee – Was bleibt? Was wird?

1 DaZ-Schreibdidaktik – Zwischen Good-practice und wissenschaftlicher Positionierung Recherchiert man zu ‚Schreiben‘ und ‚Zweitsprache‘ (im Folgenden L2), so zeigt sich in den Katalogen von Bibliotheken und Buchhandlungen eine Zweiteilung: Es werden Ratgeber publiziert, wie das Schreiben für L2-Lerner(innen) erleichtert werden kann; von Tipps und methodischen Handreichungen ist nicht selten die Rede. Eine Orientierung am Sprachstand der Lerner(innen) in der Erstsprache (im Folgenden L1) oder L2 wird nur rudimentär dargestellt. Zu komplex scheinen sich die Sprachlernbiographien von Schüler(inne)n verschiedener L1 zu gestalten, als dass diese in einfache „Rezepturen“ überführt werden könnten. Mit Blick auf die wissenschaftliche Beschäftigung ist der unterschiedliche Forschungsstand bezüglich der Erst- bzw. Muttersprachen- und Zweitsprachendidaktik auffällig (Schindler & Siebert-Ott 2014: 196). Des Weiteren werden Ergebnisse anderer Sprachen und ihrer Auseinandersetzung mit dem Schreiben (in L2) wenig berücksichtigt (Philipp 2015). Im Folgenden wird der Versuch unternommen, ausgehend von Modellen und Konzepten des Schreibens in L2 Deutsch, sowohl Anschluss an Projekte des Schreibens in weiteren L1 und L2 zu finden als auch die sich herausbildende Didaktik zu beleuchten.

2 Schreiben als Prozess – Zwischen Text, Prozess und Prozedur Wenn man sich mit Schreiben befasst, steht selbstredend immer auch das Produkt – der Text – im Mittelpunkt. Seit Mitte der 1970er Jahre hat diese Auffassung, ausgelöst und befördert durch die sog. kognitive Wende, eine Erweiterung erfahren: Nicht nur dem Produkt, sondern auch dem Weg dorthin wird Aufmerksamkeit geschenkt; der Prozess des Schreibens wird als Problemlösen mit kommunikativen und interaktiven Anforderungen akzentuiert (Feilke 1996). Einflussreich sind die Studien der amerikaDOI 10.1515/9783110354577-018

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nischen Kognitionswissenschaftler(innen) Hayes & Flower (1980) geworden. Mit Hilfe von Protokollen des Lauten Denkens konnten sie die „Schritte“ sichtbar machen, die erwachsene Schreiber(innen) beim Verfassen eines Textes zurückzulegen haben. Es wird dokumentiert, dass sich das Schreiben in enger Abhängigkeit zum Aufgabenumfeld (task environment) und dem Langzeitgedächtnis (writers’s long time memory) vollzieht. Unter dem Aufgabenumfeld werden alle externen Bedingungen verstanden, die auf den Schreibprozess einwirken. Bedeutsam sind das Thema und der Adressat, für den der Text geschrieben wird. Zu berücksichtigen sind Schlüsselreize bzw. Hinweise auf formale, strukturelle oder inhaltliche Anforderungen (motivation cues). Des Weiteren wird der bereits produzierte Text (text produced so far) unter dem Aufgabenfeld subsumiert. Außerdem ist das Langzeitgedächtnis für den Prozess des Schreibens relevant, da Kenntnisse des Themas (knowledge of topic), der Adressat(inn)en (knowledge of audience) sowie der „gespeicherten Textmuster“ (stored writing plans) aktiviert werden. Langzeitgedächtnis und Aufgabenumfeld wirken auf den Prozess des Schreibens ein, der wiederum in Planen (planning), Formulieren (translating) und Überarbeiten (reviewing) untergliedert wird. Jeder dieser Teilprozesse wird in weitere Subprozesse ausdifferenziert, wobei die Reihenfolge der zu durchlaufenden Prozesse nicht festgelegt ist. Ein Monitor steht als Kontroll- und Steuerungsinstanz bereit und steuert das Schreiben hinsichtlich der Sprachrichtigkeit, Sprachkonventionen, Umfang und Verständlichkeit. Das Modell von Hayes & Flower zeichnet sich durch Rekursivität und Iterativität aus, indem Schreiben eng auf das Langzeitgedächtnis und das Aufgabenumfeld bezogen wird (Sieber 2003: 213–214). Auch wenn es hinsichtlich seiner Aussagekraft für Schreiben in schulischen Kontexten immer wieder kritisiert worden ist, ist es doch eines der wenigen Modelle, das auch im L2-Kontext diskutiert wird. In seinen Ausführungen bemüht Grießhaber (2008) den Begriff der ‚Werkstätten‘, um die Besonderheiten der L2-Lernenden darzustellen. Die ‚Einstiegswerkstatt‘ orientiert sich am Aufgabenumfeld. So können sich Schreibaufgaben für L2-Lernende im Hinblick auf Stellenwert des Schreibens, Schreibaufgabe, Thema, Lesepublikum und Motivierungsverfahren von L1-Schreiber(inne)n unterscheiden. Auch mit Blick auf das Langzeitgedächtnis – der ‚Wissenswerkstatt‘ – können bei Schreiber(inne)n einer L2 unzureichende Kenntnisse über Themen und Schreibpläne vorliegen, allerdings können solche Schreiber(innen), sofern sie in der Erstsprache alphabetisiert sind, auf ihre diesbezüglichen Erfahrungen zurückgreifen. Insbesondere für das Formulieren und Überarbeiten nimmt Grießhaber die größten sprachbezogenen Besonderheiten von L2-Schreiber(inne)n an; diese Tätigkeiten subsumiert er unter dem Begriff der ‚Prozesswerkstatt‘: Denkbar sind geringere Kenntnisse in Lexik und Syntax; zum Teil werden Pläne auf der Basis von Strukturen der L1 entwickelt, für deren Realisierung in der L2 bestimmte Mittel gesucht werden; daher können sich Prozesse der Wortsuche und der Einpassung gefundener Lexeme langwieriger gestalten. Zudem zeigt sich, dass ein Abstand zum Text vor dem Überarbeiten gefunden werden sollte (Grießhaber 2008: 232–233). Die von Grießhaber angestellten Modifizierungen des Problemlöse-

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Abb. 1: Modifiziertes Modell von Hayes & Flower nach Grießhaber (2008: 232)

modells von Hayes & Flower entfalten zum einen heuristischen Wert für das Schreiben in schulischen Kontexten; gezielt kann das Augenmerk auf ‚Stolpersteine‘ des Schreibprozesses gelenkt werden. Zum anderen ist es dadurch möglich, Modelle der Erstsprachendidaktik mit Anforderungen der DaZ-Didaktik zu kombinieren; mit Blick auf eine heterogene Schüler(innen)schaft können Schreibprozesse im schulischen Kontext theoriebasiert modelliert werden. Ein anderer Schwerpunkt ist dem Ansatz der ‚Literalen Didaktik‘ von Schmölzer-Eibinger zu eigen. Die zu Beginn des 21.  Jahrhunderts erstarkende Debatte um Messbarkeit schulischer Leistungen und Outputorientierung, die in dem Begriff der ‚Kompetenz‘ aufgehoben sind, spiegelt sich in ihrem Ansatz. Dieser speist sich aus vielfältigen theoretischen Einflüssen und Beobachtungen von Unterricht (SchmölzerEibinger 2007: 214). Im Zentrum steht der Aufbau von Textkompetenz, worunter die individuelle Fähigkeit verstanden wird, Texte zu lesen, zu verstehen, zu verarbeiten, wiederzugeben und zu produzieren. Textkompetenz ist immer auch Sprachkompetenz und ermöglicht sprachliches Handeln – in mündlicher und schriftlicher Form (Schmölzer-Eibinger 2007: 215). Am Beispiel einzelner Aufgabenformate arbeitet Schmölzer-Eibinger heraus, dass viele Probleme beim Lösen von Aufgaben aus mangelnder Textkompetenz resultieren: Insbesondere den Text als Ganzes wahrzunehmen, überfordert viele Schüler(innen). Um die Textkompetenz zu fördern, entwickelt sie ein 3-Phasen-Modell. Es ist als ein flexibel einsetzbares didaktisches Instrumentarium konzipiert, um Schüler(innen) bei der Bewältigung schriftsprachlicher Aufgaben zu unterstützen. Den Kern des Modells bildet die „Arbeit an Texten“, die in drei

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Abb. 2: Säulen einer Literalen Didaktik nach Schmölzer-Eibinger (2007/2008)

Phasen verläuft: Wissensaktivierung, Arbeit am Text und Texttransformation. Flankiert wird das Modell von Überlegungen zu didaktischen Prinzipien und Grundsätzen der Aufgabenstellung. Diese beinhalten eine Progression, die von einfachen Aufgaben zur Wissensaktivierung über die Arbeit am Text bis hin zu komplexen Aufgaben der Texttransformation führt. Die Literale Didaktik ist primär für L2-Lernende gedacht, die bereits über mündliche Sprachkompetenzen verfügen. Die beiden Modelle unterscheiden sich in ihrer Zielrichtung: Während Grießhaber in seiner Adaption von Hayes & Flower dem Schreibprozess und seinen Herausforderungen für L2-Lernende auf die Spur zu kommen sucht, situiert Schmölzer-Eibinger Textkompetenz in kommunikativen und unterrichtlichen Kontexten. In jüngerer Zeit sind diese Überlegungen angereichert worden, indem Prozeduren als „Mittler“ zwischen Prozess und Produkt eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt haben. Textprozeduren beziehen sich nicht auf den globalen Text als Ganzes, sondern auf Einheiten mittlerer Größe zwischen Satz und Text. Die Grundidee besteht darin, dass Schüler(innen) ihr implizit vorhandenes prozedurales Sprach- und Textwissen mit Hilfe von Situierung und Kontextualisierung als ein explizites prozedurales Sprach- und Textwissen verfügbar machen (Feilke 2014: 14; 26–27). Insbesondere L2-Lerner(innen) profitieren von systematisch präsentiertem Sprachmaterial, das handelnd erfahren und erprobt wird. Hierbei spielen Routineausdrücke eine zentrale Rolle: Lernende werden im Unterricht dazu angehalten, die für die Realisierung von Äußerungsabsichten relevanten Formulierungen zu erlernen und zu verwenden. Solchermaßen wird sukzessiv explizites Sprach- und Textwissen angereichert und für Schreibprozesse erschlossen (Rotter & Schmölzer-Eibinger 2015: 79).

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Abb. 3: Vom implizitem zum expliziten Sprach- und Textwissen (in Anlehnung an Feilke 2014: 27)

3 Schreibkompetenz – Teilkompetenzen und Unterstützungsleistungen Anknüpfend an die oben erwähnten Überlegungen ist eine wichtige Komponente einer DaZ-Schreibdidaktik, Lernende zu befähigen, den Schreibprozess zu erfassen. Darüber hinaus ist die jeweilige Kommunikationssituation zu berücksichtigen, die den Text kontextualisiert. Diese beiden Komponenten finden sich in zahlreichen Modellierungen von Schreibkompetenz der vergangenen Jahrzehnte (vgl. Pohl 2014: 104). Im Gegensatz zum Begriff der Textkompetenz oder Literalität, der Lesen und Schreiben gleichermaßen in den Blick nimmt und nach Integrationsmöglichkeiten strebt (Beckert 2011: 19), fokussiert Schreibkompetenz v.  a. auf den Prozess des Verfassens von Texten und ist in didaktischen Diskursen und administrativen Vorgaben beheimatet (Bremerich-Vos 2009). Oft zeigt sich jedoch in Publikationen, dass Schreibund Textkompetenz synonym verwendet werden. Nähert man sich einer begrifflichen Bestimmung von ‚Schreibkompetenz‘ an, so kann darunter die Fähigkeit verstanden werden, „Texte adressatengerecht zu formulieren und, je nach Zielsetzung, präzise zu informieren, überzeugend zu argumentieren oder Sprache ästhetisch ansprechend und kreativ einzusetzen“ (Harsch et al. 2007: 45). Dazu bedarf es verschiedener sprachlicher und kognitiver Ressourcen sowie Wissensbestände in puncto Schreiben und inhaltliches Vorwissen (Philipp 2015: 8). Ausgehend von diesen Überlegungen wird Schreibkompetenz in vier verschiedene Teilkompetenzen aufgegliedert, die nicht nur für L2-Lernende relevant sind (in Anlehnung an Pohl 2014: 114–125 und Rösch 2011: 199). Planungskompetenz: Betrachtet man Entwicklungstendenzen der Erwerbsphasen des Schreibens, so lässt sich eine Ausweitung der Planungshandlungen feststellen, die sich von lokaler zu globaler Textplanung verschieben. Diese Ausdehnung der Planungsaktivität erlaubt einen gezielteren Zugriff auf das Langzeitgedächtnis und

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ermöglicht eine zunehmende Einbeziehung und differenzierte Verarbeitung von Wissensquellen. Bereits während der ersten Grundschuljahre ist eine Ausweitung von Planungsaktivitäten feststellbar (Pohl 2014: 114). Formulierungskompetenz: Lernende haben sich neben ‚sprechsprachlichen‘ auch ‚schriftsprachlich‘ konstruierte Struktur- und Ausdrucksformen anzueignen. Sie haben syntaktische, morphologische und phrasale Besonderheiten der Schriftsprache zu erfassen, um diese produktiv nutzen zu können. Nicht alle L2-Lernenden finden Zugang zur ‚Welt des Textes‘: Vielmehr zeigen sich – insbesondere beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe  – ‚verdeckte Sprachschwierigkeiten‘ (Knapp 1999). In der Grundschule ist die Sprache im Klassenzimmer stark ritualisiert und standardisiert; die Wissensvermittlung ist weitgehend an das Unterrichtsthema angebunden, sodass der Eindruck einer umgangssprachlichen kommunikativen Geläufigkeit entsteht. Lehrende, die sich v.  a. auf den Inhalt konzentrieren, übersehen zuweilen die Schwächen ihrer Schüler(innen). Erst wenn es zur ‚Schriftprobe‘ kommt, werden die bislang verdeckten sprachlichen Schwierigkeiten offenkundig (Knapp 1999). Textgestaltungskompetenz: Als ein augenscheinliches Merkmal von Textgestaltungskompetenz ist die Verbindung von Sätzen zu Texten aufzufassen. Insbesondere satzverbindende Konnexivität rückt in den Blick, um Phänomene der syntaktischen Koordination, der Subordination bis zur Integration von Sätzen zu beschreiben. In der Anfangsphase verknüpfen Schreiber(innen) ihre Texte gerne mit „dann“ und „und dann“; im Laufe der Grundschulzeit erfährt das syntaktische Spektrum eine Ausdifferenzierung. Des Weiteren werden lernerseitige Fokussierungen und Strategien bestimmt, die die Textgestaltung insgesamt beeinflussen. Betrachtet man die Entwicklungstendenz, so verläuft diese von einer assoziativ-reihenden Textgestaltung zu einer schema- oder textsortengeleiteten Textordnung, „wobei für den Entwicklungsbeginn gilt, dass es sich bei ‚Homogenität‘, der ‚Einheit‘ des Schreibproduktes primär um eine im subjektiven Erleben des Schreibenden konstituierte Einheit handelt, die für den Außenstehenden in der Regel nicht nachvollziehbar ist […].“ (Pohl 2014: 124) Antizipationskompetenz: Schaffen es Schreiber(innen), mit Hilfe einer expliziten Metakommunikation und einer direkten Ansprache sich mit ihren Adressat(inn)en in Verbindung zu setzen? Im Hinblick auf die Entwicklung verläuft diese von einer egozentrischen Textwahrnehmung zur Antizipation generalisierter Leser(innen). Gerade die Adressatenorientierung wird im schulischen Unterricht immer wieder in Zweifel gezogen, da die kommunikative Einbettung in der Regel als künstlich aufgefasst wird. Abgesehen davon ist es wichtig, sich auch immer wieder in Distanz zum eigenen Text zu begeben, um Fragen der Revision und der Beurteilung nachvollziehbar zu gestalten (Pohl 2014: 124).

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Tab. 1: Unterstützungsangebote für den Aufbau von Teilkompetenzen (in Anlehnung an Rösch 2011: 199) Teilkompetenzen der Lernenden

Unterstützungsleistungen durch Lehrende

Planungskompetenz

– Vorwissen aktivieren – ggf. L1 einbeziehen und Übertragung L2 anleiten – Clustern, Mindmapping

Formulierungskompetenz

– Metasprache wie Endungen, Satzklammer etc. zum Sprechen über Formulierungen, Fehler etc. vermitteln – Überarbeitung auf Einzelaspekte reduzieren: Wort-, Satzund Textebenen berücksichtigen – Orthografie (im grammatischen Kontext) vermitteln

Textgestaltungskompetenz

– Redemittel, Skelettsätze und -texte vorgeben – Textsorten (interkulturell) problematisieren – Visualisierungshilfen nutzen

Antizipationskompetenz

– Texte von allen Schüler(inne)n betrachten, positive Beispiele als Modelltexte nutzen – Rezeptionserwartungen (interkulturell) klären – Beurteilungskriterien transparent machen

Die aufgeführten Teildimensionen bauen keineswegs aufeinander auf; vielmehr scheint sich herauszukristallisieren, dass diese bei Schreiber(inne)n unterschiedlich ausgeprägt sind. Ein wichtiges Bindeglied zwischen Schüler(inne)n und Anleitungen zum Schreiben stellen Aufgaben dar (Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 8). Wie Bachmann et al. in ihrer Studie Aufgaben mit Profil mit Schüler(inne)n einer zweiten Klasse offenlegen kann, profitieren alle Lerner(innen) von einer klaren und gut in die Situation eingebetteten Aufgabenstellung – nahezu unabhängig von Geschlecht, sozioökonomischem Status und erstsprachlichem Hintergrund. Daher sollten  – so seine Schlussfolgerung  – Kinder schon früh mit strukturierten Aufgabestellungen konfrontiert werden, um komplexe(re) Texte realisieren zu können. Werden offene Aufgabenformate gewählt, benötigen sowohl einige L2-Lerner(innen) als auch einige schwächere L1-Lerner(innen) Hilfen in den Bereichen Wortschatz und Syntax (Bachmann et al. 2007: 30).

4 Vom Einfluss der Erst- und Zweitsprache auf das Schreiben – Tendenzen und Desiderata Das Verhältnis und Zusammenspiel von L1 und L2 beim schulischen Schreiben kann als Kristallisationspunkt in der deutschsprachigen Forschung ausgemacht werden. Seit den 1980er Jahren werden Diskussionen geführt, wie die Schreibkompetenz dia-

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gnostisch zu erfassen ist und welche Fördermaßnahmen sich ableiten lassen. Einflussreich hat sich dabei die Profilanalyse von Grießhaber erwiesen, der ausgehend von der Stellung verbaler Elemente die grammatische Komplexität in mündlichen und schriftlichen Äußerungen bestimmt (Grießhaber 2005). Grießhaber zeigt auf, dass v.  a. linguistisch zu erfassende Stufen des Spracherwerbs zentral sind (vgl. dazu auch Blaschitz 2014). Neben der linguistischen Grundierung der Forschung wird reflektiert, inwiefern Unterricht in verschiedenen L1 institutionell verankert werden sollte (Fuchs, Maak & Ahrenholz 2014: 71). Betrachtet man die deutschsprachige Forschungslandschaft zum Schreiben in L2 unter Berücksichtigung didaktischer Kontexte, so lassen sich vier Tendenzen herausdestillieren: Zu nennen sind die Nivellierung des Unterschiedes zwischen schriftsprachlichen Kompetenzen in L1 und L2, die Relevanz von Mehrschriftlichkeit, die Frage des L2-Erwerbszeitpunktes sowie didaktisch-methodische Ansätze. Als eine erste Tendenz sei die Nivellierung des Unterschiedes von L1- und L2-Lerner(inne)n genannt. Die wissenschaftliche Begleituntersuchung im Berliner Modellversuch Integration ausländischer Schüler in Gesamtschulen (Steinmüller 1987) richtet den Fokus auf türkische Schüler(innen), die in der 7. Jahrgangsstufe in eine Gesamtschule eintraten. Sowohl ihre – von Steinmüller nicht näher spezifizierten – mündlichen als auch schriftlichen Sprachfähigkeiten im Deutschen weisen Schwächen auf. Speziell im Umgang mit der Schriftsprache, v.  a. im syntaktisch-morphologischen Bereich, haben mehr als die Hälfte der getesteten Proband(inn)en in nahezu allen ausgewählten Kategorien Schwierigkeiten. Diesen Befund der türkischen Schüler(innen) kontrastiert Steinmüller mit den Ergebnissen der deutschen Schüler(innen). Er kommt zu dem Schluss, dass die deutschen und türkischen Schüler(innen) ähnliche Fehlerschwerpunkte aufweisen (Steinmüller 1987: 215). In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse der jüngst publizierten Studie Schreibfähigkeit und Mehrsprachigkeit von Petersen. Sie analysiert ein Korpus von argumentativen und zusammenfassenden Texten ein- und mehrsprachiger Oberstufenschüler(innen) und Studierender. Als ein zentrales Ergebnis ihrer Studie hat zu gelten, dass keine systematischen Unterschiede zwischen den ein- und mehrsprachigen Proband(inn)en auszumachen sind (Petersen 2014: 249). Vielmehr ist die Gruppe mehrsprachiger Schüler(innen) so heterogen, dass pauschale Vorannahmen eines grundsätzlichen Förderbedarfs in Zweifel zu ziehen sind (Petersen 2014: 254). Im Gegensatz dazu existieren Positionen, die L1 und L2 als einander stützende Systeme ansehen und der obigen Position entgegengesetzt sind. Ein solcher Gegensatz zeigt sich, wenn man Mehrschriftlichkeit zum Gegenstand der Untersuchung macht. Unter ‚Mehrschriftlichkeit‘ wird in Anlehnung an den englischen Terminus multiliteracy die Alphabetisierung in zwei oder mehr Sprachen verstanden: Es werden darunter sowohl das Beherrschen unterschiedlicher Schriftsysteme und Orthographieregeln als auch die schriftliche Ausdrucksfähigkeit subsumiert (Riehl 2014: 120). Turgut (1996) legt eine Studie vor, in der er sich um eine spezifische Akzentuierung in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund bemüht: Seine Proband(in-

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n)en der 8. bis 10. Jahrgangsstufe sind schulische Aufsteiger(innen) mit L1 Türkisch, die mit Erfolg das Gymnasium besuchen; ihr Kenntnisstand in deutscher und türkischer Sprache soll nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Lerndefizite betrachtet werden, sondern vielmehr soll auch ihr produktiver und rezeptiver Kenntnisstand in beiden Sprachen Gegenstand der Untersuchung sein (Turgut 1996: 17–18). Turgut kommt mithilfe der Auswertung von Textkorpora und Fragebögen zu dem Ergebnis, dass „die Probanden ihre sprachlichen Fähigkeiten in der Zweitsprache richtiger als in der Muttersprache einschätzen und in ihrer Zweitsprache über einen größeren Wortschatz verfügen“ (Turgut 1997: 2). Auch Rapti (2005) arbeitet mit zweisprachigen Korpora: Sie untersucht griechische, in Deutschland aufwachsende Kinder der 4., 6. und 8. Jahrgangsstufen. Am Beispiel des argumentativen Schreibens zeigt sie, dass sich im jüngeren Alter (4. Jahrgangsstufe) die Textkompetenz der Schüler(innen) in beiden Sprachen auf einem ähnlichen Niveau befindet und diese Kompetenz sich im Laufe der Zeit zugunsten der L2 entwickelt (Rapti 2005: 376). Wie differenziert die Aussagen zur Mehrschriftlichkeit zu fassen sind, belegt die Pilotstudie von Riehl zu erzählenden und argumentativen Texten von zweisprachigen Schüler(inne)n der 9. und 10. Jahrgangsstufe. Analysiert wurden globale Strukturen, wie Makrostruktur, Diskursmodus und ‚kommunikative Grundhaltung‘. Es kann gezeigt werden, dass die L2 durchaus einen positiven Einfluss auf die Texte in der L1 haben kann. Aufgrund der geringen Probandenzahl harren diese Ergebnisse noch einer Verifizierung (Riehl 2014: 133). Anschlussfähig an solche Überlegungen sind Fragen nach dem L2-Erwerbszeitpunkt. Einige Studien bedienen sich der Unterscheidung zwischen BICS und CALP von Cummins. Unter BICS (Basic Interpersonal Communication Skills) werden Fähigkeiten verstanden, sich in der mündlichen Alltagskommunikation zu verständigen; CALP (Cognitive Academic Language Proficiency) bezeichnet das Vermögen, sich in abstrakten, dekontextualisierten Zusammenhängen ausdrücken zu können. Ferner geht Cummins von einer Common Underlying Proficiency (CUP) aus; darunter versteht er ein allgemeines Kompetenzniveau für abstrakte Sprache im Sinne von CALP, auf die eine andere Sprache aufbauen kann (Cummins 2010: 15–16). So destilliert Knapp (1997) in seiner Studie Schriftliches Erzählen in der Zweitsprache eine Liste an Mängeln heraus, wie fehlende Verständlichkeit des Textes, fehlerhafte Realisierung des Erzählmusters sowie Unsicherheiten auf lexikalischer, syntaktischer, morphologischer und orthografischer Ebene (Knapp 1997: 220). Aus dem von ihm ausgewerteten Korpus von 48 Fantasieerzählungen ergibt sich – in Anlehnung an Cummins – der Befund, dass Kinder, die erst kurze Zeit in Deutschland leben, in stärkerem Maße über eine Text- und Erzählkompetenz verfügen (Knapp 1997: 227–228). In jüngerer Zeit machen Ahrenholz & Maak ebenfalls die Dauer des Aufenthaltes in Deutschland zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Sie erfassen Kompetenzen von Schüler(inne)n, die im Alter von sechs Jahren oder später nach Deutschland gekommen sind und ab diesem Zeitpunkt mit dem Bildungssystem in Berührung gekommen sind (Ahrenholz & Maak 2013: 2–3). Explizit didaktisch-methodische Fragestellungen prägen die Arbeiten von Schmölzer-Eibinger. Lernende, die Unsicherheiten im Gebrauch der deutschen Sprache auf-

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weisen, werden mittels eines systematischen Ausbaus von Überarbeitungs- und Beurteilungskompetenz unterstützt. In ihrer Studie Lernen in der Zweitsprache (2008) hebt Schmölzer-Eibinger Vorzüge des kooperativen Schreibens im Sinne einer Korrekturund Textoptimierung hervor, die jedoch auf einer geringen empirischen Basis fußt (Schmölzer-Eibinger 2008: 136). Einen anderen Weg schlägt Ballis (2010) ein, wenn sie dafür eintritt, in stärkerem Maße Textmuster für das schulische Schreiben zu nutzen. Sie plädiert für einen veränderten Schüler- und Lehrerblick auf Textsorten, auf ihre „dahinter liegenden“ Textmuster sowie auf die jeweiligen Formulierungsspezifika. Gerade in der Phase des Übergangs von der Grund- an die Sekundarschule sollte der Schreibprozess für L2-Lerner(innen) überschaubar und systematisch gestaltet werden. Konsequenterweise wird hier ein Schreibunterricht favorisiert, der imitative Erwerbsstrategien in der Sprachproduktion berücksichtigt (Ballis 2010: 247–248). Rekapituliert man die Befunde zum Einfluss von L1 und L2 auf das Schreiben, so zeigt sich zweierlei: Angesichts der Komplexität des L2-Erwerbs und angesichts der differenzierten schulischen Anforderungen fehlen einerseits Grundlagenforschungen in diesem Bereich. Anderseits widersprechen sich die Ergebnisse linguistischer, erziehungswissenschaftlicher und didaktischer Forschung zum Zusammenspiel von L1 und L2 oft diametral (Brizić 2006: 33), sodass weitere Studien – etwa im Sinne von Metaanalysen zu relevanten Faktoren des Schreibens in der Zweitsprache – anzustrengen sind.

5 Didaktische Konzepte für das schulische Schreiben in der Zweitsprache – Zwischen ‚Generieren‘, ‚Strategien‘ und ‚Mischen‘ Die disparaten Forschungsergebnisse zum Einfluss von L1 und L2 auf das Schreiben spiegeln sich im ambivalenten schulischen Umgang mit Mehrsprachigkeit wider: Zum einen gilt das Beherrschen mehrerer Sprachen als kulturelles Gut und ökonomisches Kapital, für das vielfältige Angebote entwickelt werden. Zum anderen kann Mehrsprachigkeit von Kindern aus eingewanderten sprachlichen Minderheiten durchaus einen Risikofaktor im deutschen Schulsystem darstellen (Fürstenau 2011: 34). Gerade pädagogische Publikationen widmen sich der Frage, inwiefern sich die Institution Schule verändern muss, wenn Mehrsprachigkeit als Normalfall anerkannt wird: Welche inhaltlichen und institutionellen Konsequenzen ergeben sich daraus? Wie ist das Verhältnis von Regelunterricht, L2-Förderung und L1-Unterricht auszubalancieren? Inwiefern bestimmt Schreibkompetenz den Erfolg in der Schule? Trotz dieser in Wissenschaft und Öffentlichkeit geführten Diskussion kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass mit Blick auf den Unterricht und das didaktische Brauchtum der von Gogolin konstatierte Monolinguale Habitus der multilingualen Schule noch spürbar ist: Sie fasst die Schule als Institution einer spezifischen nationalstaatlichen Prägung

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auf, die durch monolingual agierende Lehrkräfte stabilisiert wird (Gogolin 1994: 9). Bis in jüngste Zeit wurde und wird wiederholt Kritik am Topos des Aufwachsens in einem monolingualen, nationalstaatlich geprägten Umfeld und von einem zu erwerbenden, für alle gültigen sprachlichen Standard geäußert: „Das Bildungswesen muss zunehmend Lernenden Bedeutung schenken, die verschiedene Sprachen und Sprechweisen oft gleichzeitig und ungesteuert im Kontakt erwerben.“ (Busch 2013: 171) Anknüpfend an solche Überlegungen werden im Folgenden drei als prototypisch anzusehende Konzepte für das Schreiben in L2 (in Kombination mit L1) skizziert, die vielfältige Möglichkeiten eröffnen und über den fachlichen Unterricht das Selbstverständnis der Institution Schule berühren. An erster Stelle sei das von Belke (2003) entwickelte ‚Generative Schreiben nach vorgegebenen Textmustern‘ für Primarstufenschüler(innen) genannt. Wesentliches Ziel des Ansatzes ist, Lerner(innen) zum Schreiben zu motivieren, auch wenn diese über geringe sprachliche Voraussetzungen in der Zielsprache L2 verfügen. Da insbesondere Grammatik und Rechtschreibung Probleme bereiten sowie eine explizite Vermittlung von Regeln oft nicht zielführend ist, entwickelt Belke Schreibarrangements für Lerngruppen mit verschiedenen L1. Auf Grundlage von Satzvariationen können Kinder Sätze oder Gedichtstrophen „generieren“. Darüber hinaus eignen sich Kinderverse, Gedichte, Lieder, Märchen und Bilderbuchtexte als Muster, um grammatische und lexikalische Informationen hervorzuheben. Diese werden implizit vermittelt sowie mehrkanalig dargeboten und rezipiert. Darüber hinaus wird die Begegnung mit Texten interdisziplinär verankert, sodass ästhetische Erfahrungen mehrdimensional angeregt werden. Innovativ an diesem Ansatz ist seine integrative Ausrichtung: So werden verschiedene Fächer miteinander kombiniert, die Verbindung von Sprache und Literatur wird intensiviert und Musterorientierung als Mittel von bewusst gestalteter Sprache exemplifiziert (Belke 2003: 234). An zweiter Stelle wird die Bedeutung von Strategien als mentaler Pläne und Leitlinien für die Herausbildung von Schreibkompetenz dargelegt. Dass Sprachlernstrategien ein wichtiger Schlüssel für erfolgreiches Lernen in L2 sind, gilt als allgemein anerkannt (Schramm 2008: 95). Inzwischen können – empirisch belegt durch die Metaanalysen von Ellis (2010, zit. nach Philipp 2015: 142) – Kriterien ausgemacht werden, die Schüler(inne)n bis zur Klassenstufe 8 helfen, qualitativ bessere Texte zu formulieren. Interessant ist diese Untersuchung, da zwischen ‚Regelschüler(inne)n‘ und ‚Schüler(inne)n mit Lernschwierigkeiten‘ unterschieden wird. Als eine Schnittmenge an Unterstützungsmaßnahmen gilt – geordnet nach abnehmender Effektstärke – für beide Gruppen die Vermittlung von Schreibstrategien, das Setzen von Produktzielen, das Schreiben am Computer und der sogenannte Prozessansatz (Philipp 2015: 143– 144). Eingedenk dieser Ergebnisse sollten Lehrkräfte ermutigt werden, Schreibstrategien explizit zu thematisieren und deren Selbstregulation durch Schüler(innen) anzubahnen. Als Hilfestellung seien hier einige Strategiebündel aufgeführt: Das eigene Schreiben bestimmen (Idee, Botschaft, Textsorte, Umfang, Zeit, Wirkung), die eigene Schreibstrategie finden (ganzheitlich, zerlegend, allein, kollaborativ), Schreiben als Form der Wirklichkeitsverarbeitung und als Form der Erkenntnisgewinnung, Entlas-

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tung suchen (Zerlegung, Vorstufen, Überarbeitungsphasen), Kontexte finden (kooperativ schreiben, Rückmeldung sichern), eigene Texte prüfen (Rupp 2014: 277–278; Fix 2008: 229–235). Auch wenn die von Philipp zitierte Metaanalyse nicht explizit von L2-Lerner(inne)n handelt, wird doch deutlich, dass Schreibstrategien eine effektive Maßnahme der Schreibförderung darstellen. Bleibt abschließend der im deutschsprachigen Raum wenig rezipierte Ansatz Code-Meshing (engl. mesh; dt. Gitter, Netz) von Michael-Luna & Canagarajah (2007) zu erwähnen. Grundlegend ist die Vorstellung, dass mehrsprachige Menschen neue sprachliche Phänomene „erschaffen“ und sich dieser in mündlicher und schriftlicher Kommunikation bedienen. Code-Meshing weckt Assoziationen zu Code-Switching und Code-Mixing: Wechseln mehrsprachige Sprecher(innen) in Gesprächen innerhalb des Gesprächs und manchmal sogar innerhalb des Satzes die Sprache, so wird dies als Code-Switching bezeichnet (Riehl 2014: 100); Code-Mixing wird für übergreifende Phänomene in einer bilingualen Rede aufgefasst, operationalisiert als Insertion, Alternation und kongruente Lexikalisierung (Riehl 2014: 107; Tracy 2008: 55). Im Gegensatz zu diesen sprachlichen Formen des Wechselns und Mischens wird die Vorstellung vom Netz aufgegriffen: „Code meshing recognises an integration oft multiple codes of languages by suggesting that knowledge and linguistic resources are not only integrated or meshed but also include hybrid codes“ (Michael-Luna & Canagarajah 2007: 58). Die verschiedenen Sprachen werden als ein System aufgefasst; folglich bleiben die solchermaßen verwobenen Texte nicht nur auf die mündliche Kommunikation beschränkt, sondern werden darüber hinaus in schriftlichen Texten systematisch genutzt. Größere Einheiten eines Textes können in verschiedenen Sprachen abgefasst sein. Michael-Luna & Canagarajah entwickeln sechs Strategien für den Unterricht, um sowohl L1 (i.  e. Spanisch) als auch L2 (i.  e. Englisch) der Schüler(innen) für die Abfassung und Gestaltung von Texten aufeinander zu beziehen: Bezüglich des Schreibens ergeben ihre Studien in der Primarstufe, dass Schüler(innen) dadurch nicht ihre Motivation verlieren, Englisch als L2 zu lernen. Vielmehr kann in Fallanalysen offengelegt werden, dass Mehrsprachigkeit im Unterricht wertgeschätzt wird, die Schüler(innen) sich motiviert beider Sprachen bedienen und die monolinguale Norm im Klassenzimmer einer Revision unterzogen wird (Michael-Luna & Canagarajah 2007: 68). In Studien mit seinen Studierenden legt Canagarajah offen, inwiefern das mehrsprachige Schreiben Fragen der Identität evoziert und ein Spiel mit der Sprache nach sich zieht (Canagarajah 2011: 415).

6 Resümee – Was bleibt? Was wird? Wie in den vorangegangenen Analysen deutlich geworden ist, ist die DaZ-Schreibdidaktik ein Kristallisationspunkt verschiedener Disziplinen. Prominent ist ihre Ausrichtung an linguistisch orientierter Forschung, insbesondere wenn es darum geht,

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Besonderheiten von L2-Schreiber(inne)n zu bestimmen. Gleichwohl ruht die DaZSchreibdidaktik auf Grundlagen, wie sie auch in der Fremd- und Erstsprachendidaktik Common Sense sind. Zu denken ist hier exemplarisch an die Prozessmodelle des Schreibens, die Modellierung von Schreibkompetenz und die Orientierung an Textmustern und Textprozeduren. Schreibstrategien ebnen den Weg zu ‚guten‘ Texten und rücken die DaZ-Didaktik in die Nähe der Lernforschung. Eine marginale Rolle spielt im deutschsprachigen Diskurs das Mischen von Sprachen. Es werden wenige diesbezügliche Konzepte in der hiesigen Forschung antizipiert sowie nur selten mehrsprachige Literatur in didaktische Ansätze zum Schreiben integriert. Seit einigen Jahren verzeichnet mehrsprachige Literatur sowohl im Segment der Kinder- und Jugendliteratur wie auch der Erwachsenenliteratur einen Zuwachs; eine junge Schriftsteller(innen)generation schafft eine „durchmischte Sprache“ für die (durch Migration) sich wandelnde Gesellschaft. Diese Texte „lehren“, die Grenzen von Sprache zu „sehen“, und sind beredtes Beispiel, dass die Grenzen von Weltvorstellungen zumindest verschoben werden können.

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 Anja Ballis

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DaZ-Schreibdidaktik – Ein Überblick 

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Anne Berkemeier

19 Schrifterwerb und L2-Alphabetisierung 1 Einleitung 2 Erst- und Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache 3 Forschungsstand und Methodenauswahl in den relevanten Teilbereichen 4 Ausblick: Herausforderungen autonomer Lernprozesse im individualisierten Unterricht

1 Einleitung Schrifterwerb und -vermittlung stellen im Kontext von Mehrsprachigkeit ein komplexes Thema dar, weil eine Vielzahl verschiedener Sprachen, Schriftsysteme, Altersgruppen und Schriftvorerfahrungen Einfluss nehmen bzw. zu berücksichtigen sind. Die Zusammenhänge lassen sich aber sehr systematisch beschreiben. Zielgruppenspezifische didaktische Entscheidungen sollten die Schriftvorerfahrungen der Lernenden und ihre Sprachkompetenz im Deutschen in Bezug zu den graphem-, phonem-, silben- und grammatikbezogenen Eigenschaften des deutschen Schriftsystems setzen. Deshalb wird zunächst die Differenzierung der Zielgruppen fokussiert (Kapitel 2), um anschließend den schriftbezogenen Forschungs- und Entwicklungsstand als Basis für didaktische Entscheidungen darzulegen (Kapitel 3). Vor dem Hintergrund stark heterogener Lerngruppen u.  a. aufgrund von Migration und Inklusion wird zukünftig die Gestaltung autonomer Lernprozesse im individualisierten Unterricht in Forschung und Entwicklung stärker zu berücksichtigen sein (Kapitel 4).

2 Erst- und Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache Die Zielgruppen im Bereich Schriftvermittlung in der Erst-, Zweit- oder Fremdsprache reichen von Grundschulkindern über Jugendliche bis zu Erwachsenen, von einsprachigen bis zu zwei- oder mehrsprachigen Lernenden, von primären oder funktionalen AnalphabetInnen bis zu mehrschriftig Gebildeten im Primar-, Sekundar- und im berufsbildenden Bereich, in Projekten (z.  B. Straßenkinder) und im Rahmen der Erwachsenenbildung (vornehmlich in der VHS). Diesem sehr breiten Anwendungsfeld steht gegenüber, dass Forschung am intensivsten im Bereich des monolingualen Erstschrifterwerbs im frühen Grundschulalter betrieben wird und sich schrifterwerbsbezogene Hochschulehre am stärksten auf Primarstufenstudiengänge konzentriert. Erst seit den 1970er Jahren werden Erst- und Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache Deutsch aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen allmählich stärker wissenschaftlich untersucht, allerdings nahezu „getrennt“ in den verschiedenen Communities, die sich jeweils mehr oder weniger ausschließlich auf den muttersprachlichen DOI 10.1515/9783110354577-019

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Erstschrifterwerb (vgl. zur mehrsprachigen Alphabetisierung den Beitrag von Şimşek in diesem Band), den schulischen Erstschrift- oder Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache, auf monolinguale erwachsene funktionale AnalphabetInnen oder den Erstoder Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache im Erwachsenenalter konzentrieren (vgl. Roll & Schramm 2010: 9; vgl. den Beitrag von Markov & Waggershauser in diesem Band). Der Zweitschrifterwerb im Fremdsprachenunterricht scheint im Sekundarstufenbereich quasi „nebenher“ und wenig gesteuert zu verlaufen, was vor allem funktioniert, weil es sich im deutschsprachigen Raum in der Regel um ebenfalls lateinisch basierte Schriftsysteme handelt. Erst die Einführung des Faches Englisch in deutschen Grundschulen hat den Zweitschrifterwerb in der Fremdsprache in den Fokus der Fremdsprachendidaktik gerückt. In vergleichbarer Weise wächst aktuell die schrifterwerbsbezogene Schulungsnachfrage aufgrund der derzeitig stark steigenden Anzahl von SeiteneinsteigerInnen in den Sekundarstufen, weil die dortigen Lehrkräfte in der Regel nicht schrifterwerbsbezogen ausgebildet sind. Das Thema „Erst- und Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache“ ist also nicht als marginal einzuschätzen. Bei der Schriftvermittlung ist je nach Schrift- und Spracherfahrung zu berücksichtigen, ob es sich um Lernende mit Deutsch als Zweitsprache handelt, die bereits immer oder lange im deutschsprachigen Raum leben und gut Deutsch sprechen, um jüngere oder ältere SeiteneinsteigerInnen ohne Sprach- und Schriftkenntnisse im Deutschen oder um SeiteneinsteigerInnen mit Schriftkenntnissen in einer oder mehreren anderen Sprachen. Trotz dieser großen Streubreite der Zielgruppen, beteiligten Institutionen und nicht zuletzt der einflussnehmenden Sprachen- und Schriftenvielfalt, ist der Gegenstandsbereich aus linguistischer und sprachdidaktischer Sicht sehr gut strukturierbar und – im Vergleich zum Spracherwerb – sogar sehr übersichtlich. Als Faustregel gilt: Am komplexesten ist der Erwerbsprozess, wenn weder Schrift­ erfahrung noch Deutschkenntnisse vorliegen, also erstmals ein Schriftsystem und gleichzeitig die Sprache Deutsch erworben werden müssen. Je verwandter die vorhandenen Schrifterfahrungen zum deutschen Schriftsystem und je älter die Lernenden mit entsprechenden Vorkenntnissen sind, desto schneller wird das deutsche Schriftsystem in seinen Grundzügen erworben.

3 Forschungsstand und Methodenauswahl in den relevanten Teilbereichen 3.1 Wer braucht was? – Vorhandene Schrifterfahrung nutzen Wenn Lernende bereits eine Alphabetschrift erworben haben, wissen sie, wie eine Alphabetschrift funktioniert, und erlernen das deutsche Schriftsystem ungleich schneller als Menschen, die vorher noch keine Schrift erworben haben und vielleicht

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noch nie, nicht lange oder lange nicht mehr zur Schule gegangen sind. Wenn man eine systemnahe Schrift beherrscht, können die Graphem-Phonem-Beziehungen in wenigen Stunden erworben werden. SchülerInnen und Erwachsene, die noch gar keine Schrift erworben haben, brauchen dagegen vergleichbar lange wie Erstklässler in der Muttersprache (ca. einige Monate bis zu 2 Jahre). Lernende, die bereits eine lateinische Alphabetschrift mit einer flachen Orthographie (z.  B. Spanisch oder Italienisch) beherrschen, haben es am leichtesten: Fast alle Grapheme sind bekannt, viele Graphem-Phonem-Korrespondenzen stimmen mit denen des Deutschen überein. Abgesehen von den wenigen neuen bzw. abweichenden Graphem-Phonem-Korrespondenzen kann man sich vergleichsweise früh auf die Nutzung orthographischer Informationen für das Lesen und auf den Orthographieerwerb für das Schreiben konzentrieren. Allerdings sind unbekannte Laute und Lautkombinationen ggf. in der Aussprache zu üben und die gelingende Hördiskrimination ist zu sichern. Wenn die Erstschrift eine latein-verwandte Alphabetschrift (z.  B. Griechisch oder Russisch) ist, sind immerhin bereits einige Graphem-Phonem-Korrespondenzen bekannt, allerdings gibt es vermehrt auch solche, die bekannt erscheinen, aber im Deutschen mit anderen Phonemen korrespondieren (sog. „falsche Freunde“). Hinzu kommen Grapheme, die ähnlich sind und deshalb zu Verwechslungen führen. Aus diesem Grund sollte zumindest in den ersten Grundschuljahren auch noch beim Zweitschrifterwerb zunächst mit einem Vierliniensystem gearbeitet werden. Wurde zuvor eine nicht-latein-verwandte Alphabetschrift (z.  B. Arabisch) erworben, sind in der Zweitschrift alle Graphem-Phonem-Korrespondenzen zu lernen. Haben Lernende ein semasiographisches (z.  B. Chinesisch) oder syllabisches Schriftsystem (z.  B. Japanisch) erworben, müssen sie das alphabetische Prinzip, also die Segmentierung von Wörtern in Laute noch erwerben. Wenn Lernende noch gar keine Schrift beherrschen, müssen zumindest jüngere möglicherweise die Funktion von Schrift noch kennenlernen. Dies kann wie bei Vorschulkindern durch Vorlesen geschehen. Alternativ kann auch mit einer Bilderschrift gearbeitet werden (s. Abschnitt 3.3.4.), die außerdem ermöglicht, Sprach- und Schrifterwerb zu koppeln. Aus der Übersicht ergibt sich, dass nicht nur die Ausgangssprachen verglichen werden sollten (so z.  B. in Feick, Pietzuch & Schramm 2013 und Markov, Scheithauer & Schramm 2015 vorgeschlagen), sondern unbedingt auch Schriftvergleiche notwendig sind, um die vorhandenen individuellen Ressourcen bei der Vermittlung nutzen zu können. Ein sinnvoll erscheinendes adaptives Testinstrument zur Prüfung vorhandener Kompetenzen stellen Bulut et al. (2010) vor.

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Tab. 1: Übersicht: Transferierbare Kompetenzen und Entwicklungsaufgaben je nach Schrifterfahrung (Berkemeier & Krupp, unveröff.)

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3.2 Welche Koordinationsform ist die beste? Der Erwerb mehrerer Schriftsysteme ist bereits im frühen Grundschulalter in der Regel unproblematisch. Ausgehend von den Berliner Methoden zur zweisprachigen Alphabetisierung in den Schriften Türkisch und Deutsch (z.  B. Nehr et al. 1988; Keskin 1988) lässt sich empirisch belegen, dass koordinierter Schrifterwerb bereits früh möglich und sinnvoll ist, auch wenn es sich um eine lateinische und eine nicht-lateinische Alphabetschrift handelt (s. Berkemeier 1997). Es hängt von der Bedeutung der verschiedenen Sprachen und Schriften in der jeweiligen Lebenssituation und von den zur Verfügung stehenden kognitiven, zeitlichen und bildungsinstitutionellen Ressourcen ab, ob nur im Deutschen, gleichzeitigkoordiniert oder aufeinanderfolgend-koordiniert alphabetisiert wird (ausführlicher dazu Schramm 1996: 29–45). Der Schrifterwerb in der nicht-deutschen Erstsprache ist aus bilingual-bikultureller Perspektive fraglos erstrebenswert. Ob der gleichzeitigkoordinierte Schrifterwerb zum besseren Zweitspracherwerb führt (so z.  B. Harnisch 1989), wie die Schwellenhypothese von Cummins (1979) nahelegt, ist bis heute nicht ausreichend bewiesen. Dass der koordinierte Alphabetschrifterwerb im Falle einer stärkeren nicht-deutschen Erstsprache den Schrifterwerb in der Zweitsprache stützt, ist wahrscheinlich, aber ebenfalls noch nicht empirisch belegt. Werden neben der Erstschrift ein oder mehrere weitere Schriftsysteme erworben, sind Sprach- und Schriftvergleich die Basis für eine effektive Vermittlung (s.  Abschnitt  3.1.). Einerseits wird dadurch eine sinnvolle Progression nahegelegt, andererseits können mögliche sprach- oder schriftsystembezogene Interferenzen didaktisch ggf. bearbeitet werden. Hier sind phonologische (auch silbische), morphosyntaktische und syntaktische, also sprachsystembezogene Aspekte einerseits und (bei genetisch verwandten Alphabetschriften) graphetische, grapho-phonologische und orthographische, also schriftsystembezogene Gesichtspunkte andererseits zu differenzieren (annähernd in Schramm 1996, ausführlich in Berkemeier 1997 für den Kontrast Neugriechisch – Deutsch, ähnlich in Corvacho del Toro 2004 für den Kontrast Spanisch  – Deutsch und für kyrillisch basierte Schriftsysteme graphetisch in Berkemeier 1998).

3.3 Welche Methode ist für welchen Teilbereich geeignet? Anhand des Überblicks (Tabelle 2) wird deutlich, dass für jede Größe sprachlicher Einheiten voneinander getrennte Schriftvermittlungsmethoden entwickelt wurden: Derzeit vorliegende Spiele und Übungen zur phonologischen Bewusstheit wollen (mit Silben, Reimen und Anlauten als „Zwischenstationen“) Lernende darin unterstützen, Wörter in kleinere Einheiten zu zerlegen. Anlauttabellen und die Methode „Lesen durch Schreiben“ zielen auf Graphem-Phonem-Korrespondenzen und „lautgetreues“ Schreiben von Anfang an. Dehnung und Schärfung zu erkennen und zu markieren,

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bildet den zentralen Zweck der „Häuschen“-Methode. In der vereinfachten Variante von Pracht (2012) geben große und kleine Kreise Silbensegmentierung und Betontheit vor. Auf die Vererbung silbischer orthographischer Markierungen zielt der „Trick mit dem Knick“, der an die „Häuschen“-Methode anschließt (Bredel, Fuhrhop & Noack 2011). Die Ganzwortmethode zielt auf Bedeutung und „überlässt“ den Lernenden die weitere Segmentierung als mentale Aufgabe. Während manche Fibeln und wohl die meisten LehrerInnen mehrere Methoden kombinieren, steht die Erarbeitung eines integrativen didaktischen Konzeptes noch aus. Wissenschaftlich stehen bezogen auf den muttersprachlichen Erstschrifterwerb bisher eher die strittige Methodendiskussion und die methodenvergleichende Evaluation (z.  B. Weinhold 2009 oder metaanalytisch Funke 2014) im Zentrum. Da das Schriftsystem des Deutschen alle diese Einheiten abbildet, ist schlüssig, dass eine Methode alleine nicht zum Ziel führen kann. Lohnenswert wäre demnach die Analyse, welche Methode was leistet, um über die Zusammenführung der Vorteile bzw. den gegenseitigen Ausgleich der Nachteile zu einem in sich stimmigen Konzept zu gelangen, das auch den weiterführenden Orthographieerwerb einschließt (s. dazu Vorschläge in Berkemeier (demn.)). Tab. 2: Überblick über Schriftvermittlungsmethoden im deutschsprachigen Raum

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3.3.1 Erwerb der Graphem-Phonem-Korrespondenzen mithilfe der kontrastiven „Hörtabelle“ Auch wenn man nur in Silben und nicht in Einzellauten sprechen kann und Laute im Sprechfluss anders klingen und gebildet werden als einzeln, brauchen Lehrende und Lernende – gerade wenn sie mit Schriften mehrerer Sprachen zu tun haben – einen vergleichenden Überblick über die zu erwerbenden Graphem-Phonem-Beziehungen, weil ein Alphabetschriftsystem (ggf.: u.  a.) darauf basiert. Das bedeutet nicht zwangsweise, dass man damit bei der Vermittlung beginnen muss. Die Graphem-PhonemKorrespondenzen mittels einer silbischen Herangehensweise herzuleiten, ist ebenso möglich. Anlauttabellen einzusetzen, wenn Kinder kaum Deutsch sprechen können, bedeutet einen besonders großen Umweg1 vom Laut zum Schriftzeichen: Kennt man das Wort zum Bild nicht, kann man auch seinen Anfangslaut nicht identifizieren (vgl. Schulte-Bunert 2000: 96). Demgegenüber ermöglicht die Hörtabelle (Tabelle 3), die Laute, die einem Graphem zugeordnet werden können, online (www.ph-heidelberg. de/hoertabelle) oder mittels eines „Audio-Stiftes“2 und einer ausgedruckten Hörtabelle, deren Audio-Klebepunkte von der Lehrperson besprochen oder mit Dateien verlinkt werden, selbstständig anzuhören. Wenn man mit einer ausgedruckten Hörtabelle arbeitet, kann man zur besseren Übersichtlichkeit auf einer Overlay-Folie alle Grapheme graphisch hervorheben, die schon eingeführt wurden. Ebenso können Lehrkraft wie Lernende mittels sprach- und schriftvergleichender Overlay-Folien auf einen Blick erkennen, welche Laute und welche Grapheme aus der jeweiligen Muttersprache bereits bekannt sind. –– Laute mit nicht-farbigen Audio-Punkten gibt es in der jeweiligen Muttersprache nicht. Es kann sein, dass Übungen zur Aussprache (s. z.  B. gestrichelte Pfeile) und zur Hörunterscheidung nötig sind (s. Abschnitt 3.3.2.). –– Laute mit grünen Audio-Punkten (Farbbeispiele s. z.  B. https://www.ph-heidel berg.de/deutsch/personen/lehrende/berkemeier/hoertabelle/hoertabelle-italie nisch.html) sind bekannt und können in der Regel problemlos gebildet werden. –– Grün markierte Grapheme sind bekannt und korrespondieren in der Erstschrift mit denselben Lauten wie im Deutschen. Aus grün markierten Graphemen kann man Wörter bilden, die – mit Ausnahme der orthographischen Markierungen – auf Anhieb von den Lernenden mit entsprechenden Erstschriftkenntnissen gelesen werden können.

1 Um einen Umweg handelt es sich allerdings bei dem Gebrauch von Bildern immer: Um beispielsweise zu schreiben, muss man sich vorher mit drei anderen Wörtern beschäftigen, die mit dem jeweiligen Textzusammenhang semantisch gar nichts zu tun haben. Die Verwendung ist dem Umstand geschuldet, keine Audios einbinden zu können. Mit den „Audio-Stiften“ oder Computernutzung wird dieses Problem obsolet. 2 z.  B. AnyBook-Reader: http://www.anybookreader.com/countries/GE/GE_German/overview.html.

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Tab. 3: Graphem-Phonem-Korrespondenzen Deutsch – Neugriechisch kontrastiv als Hörtabelle (farbige Markierung s. online: https://www.ph-heidelberg.de/deutsch/personen/lehrende/ berkemeier/hoertabelle/hoertabelle-neugriechisch.html)

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–– Rot markierte Grapheme sind „falsche Freunde“: Sie sehen zwar genauso oder sehr ähnlich aus, korrespondieren aber mit anderen Lauten. Sie sollten besonders beachtet bzw. erst später eingeführt werden. Ältere SchülerInnen, die bereits eine oder mehrere Alphabetschriften beherrschen, können mit der Hörtabelle und dem passenden Overlay die Graphem-Phonem-Korrespondenzen des Deutschen in wenigen Unterrichtsstunden selbstständig erarbeiten. Jüngere SchülerInnen mit einer alphabetischen Erstschrift brauchen etwas länger und sollten mit den grün markierten Graphemen beginnen. Die konsonantische Hör­ tabelle ist nach Aussprachekriterien (Artikulationsstelle, stimmhaft bzw. -los) sortiert (s. Abschnitt 3.3.2.), was Lehrkräften Hinweise zur Ausspracheschulung gibt und Lernenden die Suche der passenden Zeichen zum jeweiligen Laut erleichtern soll. Für das Lesen ist diese Anordnung nur bedingt sinnvoll, weil die Übersicht nicht nach Schriftzeichen, sondern nach Artikulationsmerkmalen sortiert ist. Überlegenswert wäre, zusätzlich eine alphabetisch sortierte Hörtabelle zu erstellen oder eine zweite konsonantische Hörtabelle für das Lesen anzubieten, die nach Elementarformen, also nach optischen Gesichtspunkten sortiert ist (vgl. Vorschlag Sassoon 1998 für eine graphetisch sinnvolle Reihenfolge). Die Grenzen jeder Lauttabelle liegen im Übergang zur Orthographie, deren Regelmäßigkeiten innerhalb der Tabelle nicht oder nur sehr begrenzt angedeutet werden können: –– Auf Graphem-Phonem-Korrespondenzen, die aus anderen Schriftsystemen in das Deutsche übernommen wurden (wie z.  B. in Garage, Computer, Baby), wird mit Ausnahme von Y/y in Fremdwörtern aus dem Altgriechischen aus didaktischen Gründen verzichtet, um zunächst die prototypische Verwendung zu sichern. –– Auf dem morphologischen Prinzip basierende Schreibweisen werden durch Verbindungsklammern berücksichtigt (s. eckige Klammern; Auslautverhärtung: -b/B b, -d/D d, -g/G g, Umlautschreibung: A a/Ä ä, O o/Ö ö, U u/Ü ü, Au au/Äu äu). –– Silbische Markierungsweisen können durch die Anordnung der Vokalgrapheme problemlos angedockt werden (s. geschweifte Klammern; linke Seite: Dehnungs-h und bei a, e und o Vokalgraphemverdopplung, rechte Seite: Konsonantgraphemverdopplung). Dehnungs- und Silbenanfangs-h sind mit einem stummen Höraufkleber verbunden: „                – Hier hörst du nichts.“. –– Syntaktisch-basierte Schreibungen (groß/klein, getrennt/zusammen, Interpunktion) beziehen sich auf grammatische Einheiten und sind nicht an eine Lauttabelle anbindbar. Die Vorteile der Verwendung einer Lauttabelle liegen darin begründet, dass Lernende einen direkten Zugriff auf (fast) alle Graphem-Phonem-Korrespondenzen haben und  – sofern sie die entsprechenden phonetisch-phonologischen Kompetenzen bereits erworben haben (s. Abschnitt 3.3.2.) – von Anfang an immerhin „lautgetreue“ (also nicht-orthographische) Texte schreiben können. Damit entfällt die extreme Ein-

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schränkung, sich für relativ lange Zeit zunächst nur mit bedeutungslosen Silben (wie z.  B. in der Fibel „ABC der Tiere“ von Handt & Kuhn 2005) oder ausschließlich mit erstbetonten Zweisilblern (wie bei der „Häuschen“-Methode) oder Einzelwörtern (wie in dem Erwachsenen-Lehrwerk „mosaik“ von Knechtel 2004) beschäftigen zu dürfen. Arbeitet man mit Lauttabellen, ist also einerseits zu gewährleisten, dass die Lernenden ggf. bei der Bearbeitung phonetisch-phonologischer Herausforderungen unterstützt werden (s. Abschnitt 3.3.2.), und andererseits, dass die Anbindung zu silbischen und morphologischen Schreibungen für den Orthographieerwerb (s. Abschnitt 3.3.3–4) gestaltet wird. Mit einzelnen „Orthographemen“ statt mit orthographischen Strategien zu arbeiten (so z.  B. Siekmann & Thomé 2012; Feick, Pietzuch & Schramm 2013), ist m.  E. wenig effektiv, da jeder graphematische Fall (z.  B. ) isoliert betrachtet wird, ohne den systematischen Zusammenhang dieser Fälle erkennbar werden zu lassen.

3.3.2 Bedeutung phonetisch-phonologischer Fähigkeiten: Segmentierungskompetenz, Aussprache und Hörunterscheidung Gesprochene Sprache in kleinere Einheiten wie Wörter, Silben und Laute zu segmentieren, ist nicht angeboren. Abgesehen von Liedern, mündlich präsentierten literarischen Texten und Sprachspielen, die mit solchen Einheiten spielen und die Bewusstheit dafür anregen können, entsteht diese Bewusstheit häufig erst in besonderem Maße durch ein Schriftsystem, das auf solchen Einheiten basiert. Im Falle des Deutschen handelt es sich um eine einzellautbezogene Alphabetschrift, in der silbische und morphologische Charakteristika sowie syntaktische Einheiten wie Wort, Satz, Nebensatz usw. orthographisch abgebildet werden. Laut Forschungsstand ist die sog. phonologische Bewusstheit im Sinne einer „Vorläuferfähigkeit“ nicht Voraussetzung für den Erwerb einer Alphabetschrift (s. dazu z.  B. Valtin 2012), ihre Schulung bereits im Kindergartenalter kann sich aber bedingt positiv auf den Schrifterwerb auswirken (kritisch dazu s. Sauerborn 2015). Entsprechende Schulungsmaterialien für den Vorschulbereich, das erste Schuljahr, den sonderpädagogischen Bereich und die Erwachsenenbildung stehen z.  B. in Form von Lernspielen in wirklich umfangreichem Maße zur Verfügung. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese auch weitgehend altersunabhängig gestaltet. Zu berücksichtigen sind jedoch folgende Aspekte: Korrektheit In der Regel sind die Materialien nicht von LinguistInnen entwickelt worden und daher sind sie oft nicht durchgängig korrekt (z.  B. sollen Bilder zu und als Anlautpaar erkannt werden). Es ist also sinnvoll, sie vorher zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

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Inlautanzahl Bezogen auf die Segmentierung von einsilbigen Wörtern in Laute werden vorrangig Materialien angeboten, die Bildkarten mit Sortieraufgaben nach gleichem Anlaut, Inlaut oder Auslaut verbinden. M.E. ist es nur bei Wörtern, die aus drei Phonemen bestehen, sinnvoll, nach dem (eben einzigen) Inlaut zu fragen. Abgesehen davon mangelt es an Materialien, welche die vollständige Durchgliederung von einsilbigen Wörtern fördert (Vorschlag dazu in Berkemeier & Drinhaus 2014), worin das eigentliche Ziel und gleichzeitig die größte Herausforderung beim Ersterwerb einer Alphabetschrift bestehen. Vollständigkeit Da die meisten Materialien für den Vorschulbereich und den Erstleseunterricht entwickelt wurden, sind sie unvollständig, weil sie sich in der Regel ausschließlich auf das alphabetische Prinzip beziehen. Neben den Merkmalen betont – unbetont sind insbesondere Fähigkeiten zur Unterscheidung der Vokalquantität und -qualität entscheidend für den Erwerb silbischer orthographischer Markierungen (s. dazu Berkemeier & Drinhaus 2014). Aus diesem Grund unterscheidet die vokalbezogene Hörtabelle (s. Abschnitt 3.3.1.) gespannte und gedehnte Vokale, die von einer streckenbezogenen Streichbewegung der Hände in Gegenrichtung unterstützt werden, von ungespannten, die mit einer punktbezogenen Bewegung (Klatschen) begleitet werden können. Da das Schriftsystem des Deutschen nur über acht Vokalbuchstaben verfügt und alle anderen Vokale über Buchstabenkombinationen oder orthographische Markierungen wiedergegeben werden, ist vielen Lehrkräften nicht klar, dass die deutsche Sprache über 20 bedeutungsunterscheidende Vokalphoneme verfügt. Im Vergleich zu sehr vielen Erstsprachen entstehen hier artikulatorische und rezeptive Herausforderungen (vgl. z.  B. Schulte-Bunert 2000: 129). Eine silbische Methode, wie die „Häuschen“Methode (s. Abschnitt 3.3.3.) bietet den Vorteil, diese Vokalvielfalt von Anfang an im Blick zu haben und in enger Rückkopplung mit der Ausspracheschulung thematisieren zu können. Konsonantencluster Auch typisch für das phonologische System des Deutschen sind Konsonantphonemhäufungen3 im Silbenanfangs- und -endrand: bis zu drei Konsonantphoneme im Onset (/ʃtriς/), bis zu vier in der Coda (/ʃimpfst/: monophonematisch gewertet). In vielen anderen Sprachen folgen nur ein bis zwei Konsonanten innerhalb von Silben aufeinander. Es muss sozusagen „gymnastisch“ geübt werden, mehrere Konsonanten hintereinander auszusprechen, ohne Sprossvokale einzufügen. Hier bietet die

3 Diese sind nicht zu verwechseln mit Häufungen von Konsonantbuchstaben wie in (= 4 Konsonantbuchstaben, 2 Konsonantgrapheme, 2 Konsonantphoneme).

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„Häuschen“-Methode den Vorteil, dass Konsonantenhäufungen immerhin im Onset beider Silben einen eigenen „Raum“ besetzen und ohne Sprossvokal auszusprechen sind. Sprachvergleich Materialien zur Förderung phonologischer Bewusstheit berücksichtigen Mehrsprachigkeit nicht. Mithilfe der kontrastiven Hörtabelle (Abschnitt 3.3.1.) können anhand der nicht-farbig gekennzeichneten Audiopunkte mögliche kontrastive Schulungsschwerpunkte identifiziert werden. Ausspracheschulung Die Nichtberücksichtigung von Mehrsprachigkeit zeigt sich auch daran, dass Material zur Förderung phonologischer Bewusstheit (abgesehen von Materialien der Sprachheilpädagogik) Ausspracheschulung nicht thematisiert. Grundsätzlich ist es sinnvoll, solche Übungen nicht isoliert, sondern genau dann einzusetzen, wenn entsprechende Probleme deutlich geworden sind.

3.3.3 Silbenorientierte Schriftvermittlungsmethoden Da die Silbe die kleinste Sprecheinheit darstellt, ist es beim Lesen und Schreiben von Alphabetschriften notwendig, die einzeln abgebildeten Laute zu Silben zu synthetisieren bzw. Silben in ihrer Lautstruktur zu analysieren. Beim indirekten Weg des Leseverstehens ist dies bei AnfängerInnen, die sich selbst laut vorlesen, Voraussetzung, um über die Lautung zur Bedeutung zu gelangen. Die Fibel „ABC der Tiere“ (Handt & Kuhn 2005) hebt Silben farblich alternierend hervor. Lehrkräfte, darunter auch SonderpädagogInnen, berichten von guten Vorleseergebnissen, die allerdings lediglich dadurch zu begründen sind, dass die LeselernerInnen wissen, bis zu welcher Stelle sie lesen müssen, um silbisch zu segmentieren. Wie Röber & Olfert (2010) kritisieren, reicht allein die farbige Markierung von Silben nicht aus, um über die Qualität und Quantität des Silbenkerns (so Eisenberg 2016) – bei Röber (z.  B. 2009) und Maas (1992) über den Anschluss – entscheiden zu können. In den neueren Auflagen übernehmen die FibelautorInnen die „Häuschen“-Methode von Röber in abgewandelter Weise. In den vorausgehenden Kapiteln wurden bereits sowohl die Vorteile der „Häuschen“-Methode (dargestellt z.  B. in Röber 2009) im Hinblick auf die silbenbezogene Ausspracheschulung als auch der Nachteil der Fixierung auf nach orthographischen Kriterien ausgewählte erstbetonte zweisilbige Wörter erwähnt. Für Jugendliche und Erwachsene mag die Visualisierungsart, ähnlich wie die Gestaltung von Fibeln, wenig ansprechend sein. Pracht (2012) schlägt für erwachsene LeselernerInnen alternativ die Verwendung von großen und kleinen Kreisen vor, fokussiert und vereinfacht

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Abb. 1: Thematisierung syllabischer und morphologischer Markierungen mithilfe der „Silbenkette“

das Prinzip aber für ihre Zielgruppe so stark, dass es für die weiterführende Orthographievermittlung nur sehr bedingt geeignet ist. Die „Häuschen“-Methode führt (nur) zur orthographischen Dehnungs- oder Schärfungsmarkierung, das aber von Anfang an. Der „Trick mit dem Knick“ (Bredel, Fuhrhop & Noack 2011: 111) ermöglicht, die Vererbung silbischer Strukturen, also einen Teilbereich des morphologischen Prinzips, zusätzlich abzudecken. Daher wird hier eine Weiterentwicklung vorgeschlagen: Die „Silbenkette“ ermöglicht in zwei Varianten sowohl die syllabischen als auch die morphologischen Schreibungen zu thematisieren. Klappkärtchen, die unterhalb der „Silbenkette“ hängen (hier nicht abgebildet, s. Berkemeier demn.), machen es leicht, die Schreibungen auch in heterogenen Lerngruppen zu erklären bzw. selbsttätig zu überprüfen. Dabei geht es nicht nur um trochäische Wörter, sondern auch um andere mehrsilbige Wörter sowie um das Entdecken ursprünglicher Trochäen in komplexeren Wörtern und deren „Rückformung“, um auf dieser Basis orthographische Entscheidungen zu fällen. Der fettgedruckte Rahmen zeigt Betontheit an, der Strich Vokalgespanntheit bzw. Dehnung und der Punkt Ungespanntheit bzw. Schärfung. Der „Trick mit dem Knick“ ist durch die gestrichelte schwarze Linie gekennzeichnet, weitere Silben eines Wortes vor oder nach der trochäischen bzw. morphologischen Schreibung sind durch graue Kästen angedeutet. Beginnt man die Schriftvermittlung mit dem syllabischen Prinzip, ist das Wortmaterial sehr eingeschränkt und relativ viele Ressourcen fließen in diesen wichtigen, aber nicht einzigen Bereich der Orthographie. Hörtabelle und Silbenkette schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Bisher sieht es empirisch so aus, als könne man von der einen oder der anderen Methode aus starten (Weinhold 2009). Dass die farbliche Kennzeichnung von mehrgliedrigen Graphemen und Orthographiephänomenen zum schnelleren Erlesen von Testwörtern führt, konnte in Alphabetisierungskursen für Erwachsene bisher nicht nachgewiesen werden (Feldmeier 2010). Möglicherweise ergibt sich ein positiver Befund, wenn man die LernerInnen beim Schreiben befähigt, orthographische Markierungen selbstständig anhand visueller Kennzeichnung abzuleiten, wie es bereits Mann (1991) vorgeschlagen hat. Hierzu stehen empirische Untersuchungen noch aus.

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Abb. 2: Lesenlernen und Deutschlernen mit Satzleiste und Bilderschrift („Sara kauft Fanta bei Aldi.“)

3.3.4 Morphem-, wort- und satzbezogene Schriftvermittlungsmethoden Schriftvermittlung mit rein morphem-4, wort- oder satzbezogenen Schriftvermittlungsmethoden werden heute nicht mehr diskutiert. Allerdings wirkt der richtige und wichtige Ansatz, Schrifterwerbenden von Anfang an Sinnentnahme und den Umgang mit sowie die Produktion von Texten zu ermöglichen, fort. Gerade am Anfang des Lernprozesses nimmt man sozusagen „in Kauf“, dass nicht alle Wörter bereits erlesen werden können, sondern einige – vergleichbar dem chunk-learning – „ganzheitlich“ präsentiert werden. Die im Rahmen der Erwachsenenbildung diskutierte Frage, ob dem Deutschkurs ein Alphabetisierungskurs vorgeschaltet werden sollte oder nicht (vgl. Schramm 1996: 53–54; Feldmeier 2010: 38–39), hängt nicht unwesentlich mit den eingesetzten Schriftvermittlungsmethoden zusammen. Will man Sinnentnahme von Anfang an ermöglichen, sollte die Fragestellung eher darauf ausgerichtet sein, wie Schrift- und beginnender Zweitspracherwerb gekoppelt werden können. Verwendet man die Satzleiste5 (Berkemeier & Wieland 2017) in Kombination mit einer Bilderschrift, so kann der Erwerb von Lexik, Grammatik und Schrift mühelos und individuell differenziert verknüpft werden: Wer systemnahe Schrifterfahrungen hat, schreibt mit der Hörtabelle von Anfang an und beginnt nach wenigen Stunden bereits mit dem Orthographieerwerb. Wer keine Schriftvorerfahrung hat, liest und schreibt (i.S. von legt) mit der Bilderschrift und beginnt allmählich, einzelne Wörter alphabetisch zu verschriftlichen (s. Abbildung 1). Ausgehend von Schulte-Bunerts (2000) Vorschlägen zum Schrifterfahrungsansatz lässt sich tatsächlich mit ca. 16 „Sicht“-Wörtern z.  B. aus den Kontexten „Einkauf“ und

4 Die Konzentration auf vornehmlich Stammmorpheme spielt heute insbesondere bei der Thematisierung des morphologischen Prinzips und der Wortschatzarbeit eine Rolle. 5 Wortarten und syntaktische Strukturen zu visualisieren, ist – insbesondere im DaF-Kontext – überhaupt nicht neu (z.  B. in Feick, Pietzuch & Schramm 2013: 51, 60). Die „Satzleiste“ (Berkemeier & Wieland 2017) ermöglicht es aber, diese Kategorien besonders detailliert abzubilden, um die Sprachvermittlung auf dieser Grundlage weiter auszubauen (s. Berkemeier b in diesem Band).

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„Verkehr“ nahezu das gesamte Graphemsystem für jede Altersgruppe abbilden. Satzleiste und Bilderschrift ermöglichen, kleine Texte mit diesen Wörtern zu verfassen, anhand derer das Gros der Graphem-Phonem-Korrespondenzen memoriert werden können. Internationalismen wie z.  B. „POLIZEI“, „STOP“ oder „TAXI“ erleichtern den Einstieg. Langsame LernerInnen beginnen mit einem Wort, sehr schnelle mit systemnahen Schriftvorerfahrungen bräuchten zwei kurze Textchen für fast alle GraphemPhonem-Korrespondenzen. Je nach den ausgewählten Schriftzügen beginnt man mit Majuskeln oder Minuskeln. Anlaut-, Silben- und Lautdiskrimination lassen sich leicht mit solchen Wörtern verbinden, da Orthographie nur in Ansätzen eine Rolle spielt.

3.4 Druckschrift und Schreibschrift? Bei Lernenden, die bereits eine lateinisch basierte Alphabetschrift in Druck- und Schreibschrift beherrschen, sind lediglich noch unbekannte Grapheme motorisch einzuführen (z.  B. ), die keinesfalls von den Lehrenden übersehen werden dürfen. Die Ausgangsschrift der Erstschrift sollte produktiv beibehalten werden. Im Grundschulbereich ist es evtl. nötig, die an einer Schule üblicherweise verwendete Ausgangsschrift rezeptiv zu vermitteln, wenn dies nicht von selbst gelingt. Für alle anderen Schriftvorerfahrungen und besonders für Lernende ohne Schrifterfahrung ist der Druckschrifterwerb im Deutschen wegen des wesentlich höheren Funktionalitätsgrades primär. Schreibschrift sollte rezeptiv sekundär vermittelt werden. Die produktive Verwendung von Schreibschrift ist eher dann in den Blick zu nehmen, wenn die entsprechenden individuellen und institutionellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Vergleicht man z.  B. das russische und das deutsche Schriftsystem, kommen nämlich unterschiedliche „falsche Freunde“ für die Druck- und für die Schreibschrift zusammen. Hier sollte man auf jeden Fall Schreibschrift zunächst auch rezeptiv vermeiden (Berkemeier 1998).

3.5 Ist der Orthographieerwerb DaZ-spezifisch? In den letzten Jahren wird in Veröffentlichungen vermehrt auf die DaZ-Spezifik des Orthographieerwerbs hingewiesen. Abgesehen von sehr nahen Schriftsystemen mit konfligierenden Orthographiephänomenen (z.  B. Niederländisch – Deutsch im Hinblick auf die Markierung der Vokalquantität bzw. -qualität), der Großschreibung von Nomen und Internationalismen (z.  B. telephone, Telefon, telefon, téléphone …) ist der Orthographieerwerb in der Zweitsprache eigentlich nicht anders als in der Erstsprache. Voraussetzung ist allerdings, dass das phonetisch-phonologische System des Deutschen vollständig beherrscht wird. Es ist vollkommen sinnlos, silbische orthographische Markierungen zu thematisieren, wenn Vokale nicht ausreichend diskriminiert werden können. Ebenso verhält es sich mit noch nicht erworbenen morphologischen

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und syntaktischen Markierungen, wenn die entsprechenden Sprachkompetenzen noch nicht vorhanden sind. Die Vermittlung orthographischer Kompetenzen setzt also die entsprechenden sprachbezogenen Fähigkeiten ebenso voraus wie das Verfügen über die Graphem-Phonem-Korrespondenzen der Wörter, anhand derer die orthographische Funktionsweise erklärt und geübt werden soll.

4 Ausblick: Herausforderungen autonomer Lernprozesse im individualisierten Unterricht Die dargestellten Grundlagen und Methoden ermöglichen es, den Erst- und Zweitschrifterwerb in der Zweitsprache Deutsch fachlich solide zu unterstützen. Die zurzeit drängendste Frage besteht m.  E. darin, wie die z.  B. in Schulte-Bunert (2000), Feldmeier (2010) oder Feick, Pietzuch & Schramm (2013) bereits skizzierten Formen innerer Differenzierung und autonomen Lernens weiter vorangebracht werden können. Dazu bedarf es empirischer, zunächst qualitativer Studien, die autonom gesteuerte Schrift­ erwerbsprozesse gekoppelt an differenzierte Beratungsschleifen auf ihre Wirksamkeit und Optimierungspotenziale untersuchen. Entsprechende Forschungsergebnisse wären auch im Hinblick auf inklusive Settings hoch ergiebig. Wünschenswert wären darüber hinaus quantitativ-vergleichende Studien zur Wirksamkeit verschiedener Kombinationen von Schriftvermittlungsmethoden. DIE eine, perfekte Methode wird es vermutlich nie geben. Dafür ist das Schriftsystem des Deutschen zu komplex. Allerdings ist es wiederum nicht zu komplex, um es als Zweitschrift erfolgreich zu vermitteln bzw. zu erwerben.

Lehrwerke Handt, Rosemarie & Klaus Kuhn (2005): ABC der Tiere: ein integrierter Lese- und Schreiblehrgang. Offenburg: Mildenberger. Knechtel, Inge (2004): mosaik. Der Alphabetisierungskurs. Berlin: Cornelsen.

Literatur Anschütz, Martina & Jürgen Wrobel (1986): Funktionaler Schreibunterricht mit ausländischen Jugendlichen. Diskussion Deutsch 90, 439–443. Berkemeier, Anne (1997): Kognitive Prozesse beim Zweitschrifterwerb. Zweitalphabetisierung griechisch-deutsch-bilingualer Kinder im Deutschen. Frankfurt a.  M. u.  a.: Peter Lang. Berkemeier, Anne (1998): Kontrastive Analyse von Schriftsysteminventaren. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 56, 48–74.

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Berkemeier, Anne (2015): Hörtabelle. www.ph-heidelberg.de/hoertabelle. Berkemeier, Anne (demn.): Schrift- und Orthographievermittlung in der Erst- und Zweitsprache Deutsch. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Berkemeier, Anne & Mareike Drinhaus (2014): Inklusion als deutsch-didaktische Herausforderung. In Eva-Kristina Franz, Silke Trumpa & Ilona Esslinger-Hinz (Hrsg.), Inklusion – eine Heraus­ forderung für die Grundschulpädagogik, 108–118. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Berkemeier, Anne & Regina Wieland (2017): Formen-Funktionen-Relationen DaZ-curricular nutzen. In Yüksel Ekinci-Koks, Elke Montanari & Lirim Selmani (Hrsg.), Funktionale Pragmatik – Funktionale Grammatik. Festschrift für Ludger Hoffmann, 257–266, Heidelberg: Synchron. Bredel, Ursula, Nanna Fuhrhop & Christina Noack (2011): Wie Kinder lesen und schreiben lernen. Tübingen: Narr Francke Attempto. Bulut, Necle, Simone Jambor-Fahlen, Markus Linnemann & Bettina Will (2010): Vom Buchstaben zum Text – Ein adaptiver Test zur Messung von Schriftsprachstand und -entwicklung von erwachsenen Lernern. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 77, 127–142. Corvacho del Toro, Irene M. (2004): Zweitalphabetisierung und Orthographieerwerb: deutschspanisch-bilinguale Kinder auf dem Weg zur biliteralen Kompetenz. Frankfurt a.  M.: Peter Lang. Cummins, James (1979): Linguistic Interdependence and the Educational Development of Bilingual Children. Review of Educational Research 49 (2), 222–251. Eisenberg, Peter (2016): Der Buchstabe und die Schriftstruktur des Wortes. In Duden Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, 9. Aufl., 61–94. Mannheim: Dudenverlag. Feldmeier, Alexis (2010): Alphabetisierung von Erwachsenen nicht deutscher [sic] Muttersprache. Leseprozesse und Anwendung von Strategien beim Erlesen isoliert dargestellter Wörter unter besonderer Berücksichtigung der farblichen und typographischen Markierung von Buchstabengruppen. Dissertation an der Universität Bielefeld. http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/frontdoor.php?source_opus=1814 (28. 09. 2015). Feick, Diana, Anja Pietzuch & Karen Schramm (Hrsg.) (2013): Alphabetisierung für Erwachsene. München u.  a.: Langenscheidt. Funke, Reinold (2014): Erstunterricht nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ und Ergebnisse schriftsprachlichen Lernens – Eine metaanalytische Bestandsaufnahme. Didaktik Deutsch 36, 20–41. Harnisch, Ulrike (1989): Schreiben zweisprachig alphabetisierte türkische Schüler bessere Aufsätze? Lernen in Deutschland 2, 40–44. Kern, Artur (1965): Der Zusammenhang zwischen Ganzheitspsychologie und ganzheitlichen Leselernverfahren. In Artur Kern (Hrsg.), Die Idee der Ganzheit in Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Didaktik, 22–41. Freiburg: Herder. Keskin, Anne (1988): Alphabetisierung in der Muttersprache. Deutsch lernen 13, 18–45. Maas, Utz (1992): Grundzüge der deutschen Orthographie. Tübingen: Niemeyer. Mann, Christine (1991): Selbstbestimmtes Rechtschreiblernen. Weinheim: Beltz. Markov, Stefan, Christiane Scheithauer & Karen Schramm (2015): Lernberatung für Teilnehmende in DaZ-Alphabetisierungskursen. Handreichung für Lernberatende und Lehrkräfte. Münster: Waxmann. Nehr, Monika, Karin Birnkott-Rixius, Leyla Kubat & Sigrid Masuch (1988): In zwei Sprachen lesen lernen – geht denn das? Erfahrungsbericht über die zweisprachig koordinierte Alphabetisierung. Weinheim: Beltz. Pracht, Henrike (2012): Schemabasierte Basisalphabetisierung im Deutschen. Ein Praxisbuch für Lehrkräfte. Münster: Waxmann. Reichen, Jürgen (1988): Lesen durch Schreiben. 3. Aufl. Zürich: Sabe.

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Röber, Christa (2009): Die Leistungen der Kinder beim Lesen- und Schreibenlernen. Grundlagen der Silbenanalytischen Methode. Ein Arbeitsbuch mit Übungsaufgaben. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Röber, Christa & Helena Olfert (2010): Die Bedingungen für ein erfolgreiches Arbeiten mit Silben beim Lesen- und Schreibenlernen. Chancen und Grenzen der Konzepte der neuen Silbenfibeln. http://www.academia.edu/2387630 (28. 09. 2015). Roll, Heike & Karen Schramm (2010): Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch. Editorial. Osnabrücker Beiträge 77, 5–10. Sassoon, Rosemary (1998): Änderung der Einstellung gegenüber Handschriften. Osnabrücker Beiträge 56, 138–153. Sauerborn, Hanna (2015): Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Schramm, Karen (1996): Alphabetisierung ausländischer Erwachsener in der Zweitsprache Deutsch. Münster: Waxmann. Schulte-Bunert, Ellen (2000): Alles noch einmal von vorn? Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Siekmann, Katja & Günther Thomé (2012): Der orthographische Fehler: Grundzüge der orthographischen Fehlerforschung. Aktuelle Entwicklungen. Oldenburg: Institut für sprachliche Bildung. Valtin, Renate (2012): Phonologische Bewusstheit: Ein kritischer Blick auf ein modisches Konstrukt. Frühe Bildung 1 (4), 223–225. Weinhold, Swantje (2009): Effekte fachdidaktischer Ansätze auf den Schriftspracherwerb in der Grundschule. Lese- und Rechtschreibleistungen in den Jahrgangsstufen 1–4. Didaktik Deutsch 27, 53–73.

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Erwartungen an die Schreibkompetenz von Grundschülerinnen und -schülern Besonderheiten in der Schreibkompetenz von mehrsprachigen Grundschülerinnen und Grundschülern Schreibdidaktische Konzepte zur Förderung der Schreibkompetenz in der Grundschule Grundsätze der Förderung

Dieser Beitrag setzt sich mit dem Schreiben in der Grundschule auseinander: „Schrei­ ben bedeutet in diesem Sinne das Herstellen von Texten, um sich mit einem Leser über Sachverhalte zu verständigen“ (Becker-Mrotzek 2014: 52). Hinweise zum Schriftspracherwerb finden sich in den Beiträgen von Jeuk zur Entwicklung und Berkemeier zur Didaktik in diesem Band. Von einer einheitlichen Schreibdidaktik für die Grundschule kann im deutschsprachigen Raum derzeit nicht die Rede sein. Es gibt zahlreiche schreibdidaktische Konzeptionen, die dazu beitragen sollen, dass Grundschülerinnen und Grundschüler lernen, Texte zu verfassen. Ein Überblick zur Schreibdidaktik findet sich bei Ballis in diesem Band. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine eigenständige Schreibdidaktik für mehrsprachige Kinder notwendig ist oder ob die vorhandenen Ansätze für den einsprachigen Schreibunterricht entsprechend übernommen oder angepasst werden können. Zunächst werden die gesellschaftlichen Erwartungen an die Schreibkompetenz in der Grundschule und die Besonderheiten der Schreibkompetenz von mehrsprachigen Kindern dargestellt. Im Weiteren wird erläutert, welche schreibdidaktischen Konzeptionen sich unter welchen Bedingungen für die Förderung der Schreibkompetenz besonders eignen.

1 Erwartungen an die Schreibkompetenz von Grundschülerinnen und -schülern 1.1 Die Bildungsstandards für den Primarbereich im Fach Deutsch der Kultusministerkonferenz in Deutschland Seit 2004 gibt es mit den „Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Primarstufe“ bundeseinheitliche Anforderungen für die Schreibkompetenz bis zum Ende der vierten Klasse (vgl. KMK 2005). Im Vorspann dieser Standards gibt es Hinweise zur Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler: DOI 10.1515/9783110354577-020

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Für viele Kinder ist die deutsche Sprache nicht die erste und nicht die Familiensprache. Sie verfügen dadurch z.  T. über andere sprachliche Erfahrungen und Kompetenzen als einsprachige Kinder. Der Deutschunterricht sollte dies auch für eine interkulturelle Erziehung aller Kinder nutzen. Bei manchen Kindern mit anderer Herkunftssprache müssen durch entsprechende Fördermaßnahmen Grundlagen für schulisches Lernen in der Unterrichtssprache Deutsch erst gesichert werden. (KMK 2005: 6)

In den einzelnen Kompetenzbereichen werden diese Grundsätze allerdings nicht weiter aufgegriffen. Deshalb bleibt unklar, wie im Kompetenzbereich „Schreiben“ diese besonderen Voraussetzungen berücksichtigt werden sollen. Der Kompetenzbereich Schreiben besteht in der deutschen KMK-Modellierung aus den Teilbereichen: „über Schreibfertigkeiten verfügen“, „richtig schreiben“ sowie „Texte planen, Texte schreiben und Texte überarbeiten“ (KMK 2005: 7). Die Standards folgen damit im Grundsatz dem Paradigma der Prozessorientierung der Schreib­ didaktik. Becker-Mrotzek (2014: 53) fasst die Ergebnisse der Schreibforschung zum Schreibprozess zusammen: „Texte entstehen in einem mehr oder weniger komplexen Prozess, der Schreibhandlung, die aus dem übergeordneten Handlungszusammenhang erwächst und in den Text mündet.“ Die Teilkompetenzen zum Bereich „Texte verfassen“ der Standards beinhalten Erwartungen zu Texten, Textfunktionen und Schreibanlässen (vgl. Baurmann & Pohl 2009: 75). Es soll nicht nur erzählt, sondern auch die Ausdrucks-, Darstellungs- und Appellfunktion von Sprache berücksichtigt werden, d.  h. es soll erzählt, beschrieben und argumentiert werden; außerdem sollen Lernergebnisse festgehalten und nach Anregungen geschrieben werden (vgl. Baurmann & Pohl 2009: 77). Die Standards sieht Weinhold (2014: 150) als anspruchsvoll und kaum auf die Grundschule bezogen an. Sie kritisiert auch, dass die Darstellung eine zeitliche Abfolge von Planen-Formulieren-Überarbeiten impliziert, während in der Schreibforschung betont wird, dass diese Teilprozesse rückbezüglich sind und sich gegenseitig beeinflussen. Krelle (2013: 59) betont, dass es manchen Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit nicht gelingt, die Stufe des assoziativen Schreibens, bei dem vor allem spontane Einfälle aus einer subjektiven Perspektive wiedergegeben werden, zu überwinden. Die Erwartungen der Bildungsstandards sind für diese Lernenden relativ hoch angesiedelt. Weinhold (2014: 150) spricht sogar davon, dass keine Regel- sondern Maximalstandards formuliert wurden. Auch Baurmann & Pohl (2009: 75) schätzen die in den Standards formulierten Erwartungen als „extrem hoch“ ein. Es ist erwartbar, dass ein Teil der Schülerinnen und Schüler, die in der Zweitsprache Deutsch Texte verfassen sollen, Schwierigkeiten haben, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

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1.2 Schreibkompetenz in der Grundschule aus Sicht der Fachdidaktik In verschiedenen aktuellen Darstellungen zur Schreibdidaktik in der Grundschule wird die besondere Situation von mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern nicht explizit berücksichtigt (vgl. Weinhold 2014; Krelle 2013; Baurmann & Pohl 2009). Trotzdem wird im Folgenden das Verständnis von Schreibkompetenz in der Grundschule aus Sicht der Fachdidaktik skizziert, um die Anforderungen, die auch an mehrsprachige Kinder gestellt werden, besser einordnen zu können. Schule stellt nach Steinig & Huneke (2007: 11) das Tor zur Schrift dar. In der Grundschule werden dazu die Grundlagen gelegt, „[…] um später als kompetente Mitglieder der Gesellschaft leben und arbeiten zu können“ (Steinig & Huneke 2007: 12). Dazu gehört neben den Schreibfertigkeiten auch der Erwerb der konzeptionellen Schriftlichkeit. Diese beinhaltet eine andere Art des Denkens und Handelns, die von der in der Regel konzeptionell und medial mündlichen Alltagskommunikation abweicht (vgl. Jeuk & Schäfer 2013: 12). Weinhold (2014: 143) weist deshalb darauf hin, dass der Erwerb der Schreibkompetenz mehr als das Erlernen einer so genannten Kulturtechnik bedeutet: „Schreibanfänger befinden sich in ihrer sprachlichen Ontogenese insofern am Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit, der ihr Sprachbewusstsein sowie ihr Denken und Sprechen insgesamt verändern wird.“ Nach Becker-Mrotzek (2014: 54) kann man in der Grundschule deshalb zwischen einem „Verschriften“ und einem „Vertexten“ unterscheiden, die beide eine Rolle spielen: Die Umsetzung von Laut- und Sprachstrukturen in Schrift sowie die Schaffung von Sinnzusammenhängen durch die Anordnung von Informationen; die Produktion von Texten. Deshalb wird in der Fachdidaktik eine Vorgehensweise, bei der zunächst nur das richtige Auf- und Abschreiben trainiert wird und erst ab Klasse 3 eigene Texte verfasst werden, kritisch gesehen. Stattdessen plädiert Weinhold (2014: 144) für eine frühzeitige Textproduktion. In der Fachdidaktik dominiert das Konzept eines kompetenz- und prozessorientierten Schreibunterrichts, der dazu beitragen soll, die individuellen Kompetenzen zu fördern, und der den Schreibprozess als Unterrichtsgegenstand begreift. Bereits in der Grundschule sollen unterschiedliche Schreibfunktionen und Schreibanlässe kennengelernt werden (vgl. Weinhold 2014: 151). Für viele Kinder stellt die Einschulung auch nicht den Start in die Auseinandersetzung mit Schrift und Textualität dar. Sie machen, sofern sie in einer durch Schrift geprägten Umgebung aufwachsen, bereits zahlreiche wertvolle Erfahrungen mit Texten und ihrer Struktur (vgl. Weinhold 2014: 143). Andere Kinder machen allerdings nur wenige solche Erfahrungen und haben noch keine plausiblen Konzepte zur Textualität entwickelt (vgl. Jeuk & Schäfer 2013: 63). Grießhaber (2010: 234) verweist darauf, dass diese Abstände während der Grundschulzeit kaum ausgeglichen werden: „Ein früher Spitzenschüler zählt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch beim Übergang

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in die Sekundarstufe zur Spitzengruppe, so wie umgekehrt ein schwacher Schüler mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Schlussgruppe bleibt.“ Das schließt nicht aus, dass es Veränderungen in beide Richtungen im Einzelfall geben kann (vgl. Grießhaber 2010: 242). Umso wichtiger ist es, Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, dass man beim Schreiben durch Texte kommuniziert. Deshalb spielt bei Schreibanlässen die kommunikative Funktion eine große Rolle, auch wenn die Kinder diese noch nicht immer ausfüllen können (vgl. Baurmann & Pohl 2009: 85). Eine solche kommunikative Funktion ist bei tradierten Schreibanlässen, wie z.  B. bei der Nacherzählung von Bildergeschichten, nicht immer vorhanden (vgl. Haueis 1999). Belke (2012: 99) kritisiert außerdem, dass mehrsprachige Kinder Schreibaufgaben bewältigen müssten, obwohl sie in der Zweitsprache nicht ausreichend schreiben könnten, oder Schmuckblätter ausfüllen müssten und diese Aufgaben nur pro forma erledigten. Es gibt in der Regel keine linearen Entwicklungsverläufe in der Schreibentwicklung. Die individuelle Entwicklung kann gerade bei mehrsprachigen Kindern anders verlaufen (Schäfer 2015: 134). Hinweise zur Schreibentwicklung finden sich bei Becker in diesem Band.

2 Besonderheiten in der Schreibkompetenz von mehrsprachigen Grundschülerinnen und Grundschülern Zunächst muss festgehalten werden, dass nach derzeitigem Kenntnisstand der Schreibprozess bei der Textproduktion in der Zweitsprache ähnlich verläuft, wie dies in der Erstsprache der Fall ist (vgl. Grießhaber 2006: 308). Es gibt auch keine Hinweise, dass die Schreibmotivation bei mehrsprachigen Kindern geringer wäre (vgl. Aschenbrenner, Junk-Deppenmeier & Schäfer 2009: 239). Zudem muss man beachten, dass es sich bei den mehrsprachigen Grundschülerinnen und Grundschülern um eine heterogene Gruppe handelt. Die Kinder haben sehr individuelle Lernvoraussetzungen. Sie unterscheiden sich in ihren Erstsprachen, in ihren erstsprachlichen Kompetenzen, in der Dauer und Tiefe des Zweitspracherwerbs, ihren Erfahrungen mit Schriftlichkeit etc. So zeichnen sich Kinder, die in einer schriftreichen Umgebung mehrsprachig aufwachsen, zum Teil durch differenzierte sprachliche Kompetenzen aus (vgl. Dehn 2011: 140). Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen können Auswirkungen auf die Texte, die während der Grundschulzeit geschrieben werden, haben. Diese unterscheiden sich z.  B. in ihrem Umfang und ihrer Qualität deutlich untereinander und von den Lösungen der Kinder mit Deutsch als Erstsprache. Neben morphosyntaktischen Auffälligkeiten zeigen sich in einer Untersuchung Grießhabers (2008: 229) bei Kindern in der Grundschule Differenzen in der Struktur der Texte, dem verwendeten Wortschatz

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und der erzählerischen Gestaltung. Diese besonderen Merkmale lassen sich nach Grießhaber (2010: 221) in zwei Felder gliedern: Tab. 1: Besondere Merkmale der Textproduktion in der Zweitsprache nach Grießhaber (2010: 221) Beziehungen zwischen Erst- und Zweitsprache

Merkmale der Zweitsprache

Unterschiede im Erfahrungs- und Hintergrundwissen Unterschiede in den Erklärungsmustern und Begründungen „L1-induzierte argumentative/syntaktische Brüche in der L2“ (Grießhaber 2010: 221)

Geringer Wortschatz in der Zweitsprache, der Auswirkungen auf den Textumfang und die inhaltliche Differenzierung des Textes hat. „Geringere Textverwobenheit & syntaktische Integration“ (Grießhaber 2010: 221)

In einer Analyse von Texten zu Beginn der Grundschule zeigen sich Abstände in den Merkmalen für Schriftlichkeit, die bei den Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, seltener vorkommen. Grießhaber (2009: 132) führt diese Ungleichheiten auf eine geringere Wortschatzbreite, mangelndes grammatisches Wissen und fehlende vorschulische Erfahrungen mit Literalität zurück. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die Deutsch als Zweitsprache erwerben und nur wenig Erfahrungen mit Schriftlichkeit gemacht haben, ist relativ groß. Denn neben Kindern, die eine reichhaltige literale Sozialisation erleben, gibt es andere, die kaum in Kontakt mit Schriftlichkeit kommen. Oftmals stehen diese Lernenden vor dem Problem, Texte in einer Sprache verfassen zu müssen, die sie noch nicht so beherrschen, wie dies bei einsprachigen Kindern der Fall ist (vgl. Jeuk & Schäfer 2013: 70). Besonderheiten im Schreibprozess können auch durch die abweichenden Wissensbestände u.  a. bei der Wahrnehmung der Aufgabenstellung bestehen. Diese Differenzen können z.  B. in unterschiedlichen literarischen Erfahrungen und erworbenen Textmustern bestehen (vgl. Grießhaber 2010: 221). Die Besonderheiten im Wortschatz können sich in allen Phasen des Schreibprozesses zeigen und die Qualität der Texte negativ beeinflussen. Es fehlen aber nicht nur einzelne Wörter in der Zweitsprache. Auch die Begriffsbildung, die Erfassung von Situationen und Abläufen sowie deren Einordnung in die eigene Textstruktur können Schwierigkeiten bereiten (Grießhaber 2010: 223). Die Schwierigkeiten im Wort­schatz­ erwerb und bei der Aneignung morphosyntaktischer Strukturen können sich gegenseitig negativ beeinflussen. Ein geringer Wortschatz kann von Anfang an die Ausbildung der Schreibkompetenz beeinträchtigen (vgl. Aschenbrenner, Junk-Deppenmeier & Schäfer 2009: 238). Auch das Wissen über Sprache und die Sprachbewusstheit können abweichen, so dass gerade beim Überarbeiten der Texte Problemstellen nicht erkannt oder dysfunktional überarbeitet werden (vgl. Grießhaber 2010: 221). Dies beinhaltet auch den Erwerb einer Metasprache, um über sprachliche Einheiten und Merkmale sprechen zu können (vgl. Dehn 2011: 146). In manchen Situationen möchten die Kinder sprachli-

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che Strukturen der Erstsprache in der Zweitsprache nachbilden, die aber in der Zweitsprache keine oder eine andere Entsprechung haben. Dadurch können zum Teil ungelenke Satzkonstruktionen oder sprachliche Bilder entstehen (vgl. Grießhaber 2010: 229). Dehn (2011: 141) sieht besondere Herausforderungen bei der Gestaltung und Verknüpfung von Teilsätzen für mehrsprachige Kinder. Wenn Kinder bestimmte Einheiten zweitsprachlich nicht realisieren können, greifen sie häufig auf semantische und syntaktische Vereinfachungsstrategien zurück, indem sie z.  B. lautmalerische Äußerungen verwenden (vgl. Grießhaber 2008: 230). Nach Schindler & Siebert-Ott (2014: 204) verwenden mehrsprachige Kinder häufig einfache und sicher beherrschte Satzstrukturen. Deshalb fordern die Autorinnen eine stärkere Fokussierung syntaktischer Strukturen im Schreibunterricht der Grundschule. Unterschiede zeigen sich auch je nachdem, ob die Kinder in Deutschland aufwachsen oder erst später als so genannte Seiteneinsteigerinnen bzw. Seiteneinsteiger einwanderten. Diese können häufig auf ihre schriftsprachlichen Erfahrungen in der Erstsprache zurückgreifen und haben eher Probleme mit dem Wortschatz und den morphosyntaktischen Strukturen des Deutschen. Sie können ihr Selbstkonzept anzweifeln, wenn sie ihre zum Teil gut ausgebauten schriftsprachlichen Kenntnisse in der Erstsprache im Deutschen nicht auf ähnlichem Niveau realisieren können (vgl. Grießhaber 2010: 247). „Seiteneinsteiger können also in der Grundschule bei normalen Familienverhältnissen und bei intensiver L2-Förderung durchaus in kurzer Zeit Deutschkenntnisse erwerben, die dem Leistungsstand des Mittelfelds entsprechen“ (Grießhaber 2010: 248). Die beschriebenen Schwierigkeiten lassen sich aber nicht nur durch die Lernvoraussetzungen erklären. Dass ein Teil der mehrsprachigen Kinder schlechtere Leistungen beim Schreiben zeigt, wird auch auf eine mangelnde Passung des Unterrichts sowie die fehlende Förderung in der Grundschule zurückgeführt, die im Laufe der Schulzeit zu dem oben beschriebenen Schereneffekt führen (vgl. Aschenbrenner, Junk-Deppenmeier & Schäfer 2009: 239). Es spricht also viel dafür, dass die Konzepte der einsprachigen Schreibdidaktik für mehrsprachige Kinder modifiziert werden können, da das Schreiben in der Zweitsprache sich vom Schreiben in der Erstsprache nicht grundlegend unterscheidet. Das Verfassen von Texten sollte aber schon früh im gesteuerten Zweitspracherwerb einsetzen, da der o.g. Erwerb von Schriftlichkeit förderlich für diesen sein kann (vgl. Grießhaber 2008: 234).

3 Schreibdidaktische Konzepte zur Förderung der Schreibkompetenz in der Grundschule Es lassen sich unterschiedliche Ansätze für den Schreibunterricht nach dem Kriterium unterscheiden, welcher Aspekt des Schreibens im Fokus steht: das Schreibprodukt,

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die Autorin bzw. der Autor, die Adressatin bzw. der Adressat oder der Schreibprozess. Heute spielen immer stärker schülerfokussierte und prozessfokussierte Konzeptionen eine Rolle (vgl. Schäfer 2013: 328). Bis heute kann wenig darüber ausgesagt werden, welche Ansätze für die Entwicklung von Schreibkompetenz besonders geeignet sind, da es nur wenige empirische Studien zur Wirksamkeit dieser schreibdidaktischen Konzeptionen gibt (vgl. Weinhold 2014: 153).

3.1 Schülerfokussierte schreibdidaktische Konzeptionen Insbesondere das ursprünglich aus der Reformpädagogik stammende Konzept des „Freien Schreibens“ wurde in den letzten Jahrzehnten für die Grundschule als Alternative zum sprachgestaltenden Aufsatzunterricht diskutiert. Den Kindern soll dabei eine anregungsreiche Schreibumgebung geboten werden, innerhalb derer sie mit dem Schreiben und mit Texten experimentieren (vgl. Schäfer 2013: 331). Im Ansatz des freien Schreibens wird dafür plädiert, die Kinder über Inhalt, Aufbau und Sprache des Textes ebenso selbst entscheiden zu lassen wie über den Zeitpunkt und den Ort des Schreibens, um ihrer persönlichen Entfaltung größtmöglichen Raum zu geben. Der didaktische Fokus liegt hier auf der Motivation. (Weinhold 2014: 153)

Dieser Ansatz bietet den Kindern viele Freiräume, stellt aber auch relativ hohe Ansprüche. Weinhold (2014: 153) betont deshalb: „Freies Schreiben könnte daher Kinder benachteiligen, die nicht in einer literarisch anregenden Umgebung aufwachsen und reich an Ideen, Erlebnissen und Phantasie sind, um daraus eigene Schreibideen und -ziele zu entwickeln.“ Belke (2012: 108) sieht das als Überforderung für mehrsprachige Kinder an. „Gerade sie sind auf eine professionelle Lernsteuerung durch ihre Lehrer angewiesen“ (Belke 2012: 109). Das so genannte „Kreative Schreiben“ kann als Teil eines handlungsorientierten Sprachunterrichts angesehen werden (Pommerin et al. 1996: 52). Es ist gekennzeichnet durch Offenheit, Originalität, Flexibilität, Eingebundenheit und Produktivität. Den Kindern werden Assoziationsanregungen, Bilder, Texte, Musik etc. als Impulse gegeben, zu denen sie eigene Texte verfassen, die eine besondere sprachästhetische Qualität haben sollen. Diese Texte sollen auch diskutiert und reflektiert werden (Pommerin et al. 1996: 56–61). Da mehrsprachige Kinder andere Voraussetzungen und Fähigkeiten für die Auseinandersetzung mit Sprache mitbringen, ist das kreative Schrei­ben nach Pommerin et al. (1996: 52) für diese Gruppe besonders sinnvoll. Es kann auch dazu dienen, sich über seine Identität bewusst zu werden (Pommerin et al. 1996: 59). Empirisch konnten Vorteile dieses Konzepts jedoch bisher nicht belegt werden (vgl. Schäfer 2013: 332). Eine andere Konzeption bietet Dehn an: Schreiben nach Vorgaben. „Das können Geschichten sein, Bilder, aber auch Erfahrungen und Beobachtungen aus dem Sachunterricht“ (Christensen & Dehn 2012: 109). Die Vorgaben sollten mehrdeutig sein, um

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den Kindern Spielräume für die Ausgestaltung zu geben. Ziel ist es vor allem, einen persönlichen Ausdruck für Gedanken, Gefühle und Erfahrungen zu gestalten, und sich mit anderen über diese Sichtweise austauschen zu können. Dabei kann auf vorhandenes Wissen über Textmuster, sprachliche Muster etc. zurückgegriffen werden (vgl. Christensen & Dehn 2012: 109). Die Kinder können und sollen verschiedene Lösungen produzieren, die aber zur gleichen Aufgabe entstehen. Die Vorgabe sollte Lösungen auf unterschiedlichem Niveau ermöglichen, über die sich die Lernenden austauschen können (vgl. Christensen & Dehn 2012: 121). Zusammenfassend kann man sagen, dass die Stärken dieser Konzeptionen darin liegen, Kinder zum Schreiben zu motivieren; dass aber bei mehrsprachigen Kindern, die wenig Erfahrung mit Schrift haben, viel dafür spricht, Unterstützungs- und Strukturhilfen anzubieten, um diese nicht zu überfordern.

3.2 Prozessfokussierte schreibdidaktische Konzeptionen Diese Konzeptionen finden sich etwa seit den 90er Jahren des 20.  Jahrhunderts in der fachdidaktischen Literatur. Das Überarbeiten des Textes stellt dabei eine Kernkompetenz dar, um die komplexen Herausforderungen des Schreibprozesses zu meistern. Dieser Ansatz prägt die derzeit gültigen Bildungsstandards. Einige Aspekte der Konzeptionen für den Erwerb der Schreibkompetenz werden im Folgenden vorgestellt (vgl. Schäfer 2013: 332).

3.2.1 Berücksichtigung der Lebenswelt Für alle Kinder kann eine Orientierung des Schreibunterrichts an ihrer Lebenswelt die Schreibmotivation stützen (vgl. Krelle 2013: 56). Dies bedeutet bei mehrsprachigen Lernenden, dass ihre möglicherweise abweichenden Erfahrungen und Lebenswelten auch berücksichtigt werden sollten (vgl. Grießhaber 2006: 328). Dies können Themengebiete sein, die in der Lebenswelt der Kinder eine Rolle spielen, aber auch Erfahrungen mit Literatur und die Formen der schriftlichen Kommunikation können andere sein. So können z.  B. Phantasieerzählungen als Lügengeschichten verstanden werden, die allerdings in manchen Familien wegen religiöser bzw. kultureller Gebote verpönt sind (vgl. Grießhaber 2010: 214).

3.2.2 Profilierte und situierte Schreibaufgaben Weinhold (2014: 153) sieht die Schreibanlässe bzw. Schreibaufgaben als Schlüsselstellen für das Gelingen schulischer Schreibprozesse an. Die traditionellen Aufsatzarten kritisieren Bachmann & Becker-Mrotzek (2010: 192) als ungeeignete Schreibanlässe:

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„Die Aufsatzarten wurden zum Selbstzweck, ihre sprachlichen Formen absolut gesetzt und so von ihrer didaktischen und damit letztlich pragmatischen Funktion entbunden.“ Stattdessen benennen sie Qualitätskriterien für profilierte Schreibaufgaben, die schreibförderlich wirken sollen: eine erkennbare Schreibfunktion, Möglichkeiten, sich das für das Schreiben notwendige Wissen zu erarbeiten, die Einbettung in einen sozialen Kontext und die Chance, die Wirkung des Textes bei Leserinnen und Lesern zu erproben (vgl. Bachmann & Becker-Mrotzek 2010: 195). Aufgaben, die diese Kriterien erfüllen, wurden in einer Studie mit Kindern aus zweiten Klassen in der Schweiz und Liechtenstein erprobt. Es zeigte sich, dass durch solche Aufgaben anspruchsvolle funktional-pragmatische, aber auch formal-basale Schreibfähigkeiten gefördert wurden. Es wurden in den Texten, die zu diesen Aufgaben geschrieben wurden, keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache festgestellt (vgl. Bachmann & Becker-Mrotzek 2010: 205–206). Dies spricht dafür, dass sich solche Aufgaben besonders eignen, um die Schreibfähigkeiten von mehrsprachigen Kindern zu unterstützen.

3.2.3 Lerngerüste beim Schreiben Gerade mehrsprachige Kinder sollten während des Schreibprozesses die Möglichkeit haben, einzelne Teilprozesse dehnen zu können. Dadurch wird die Komplexität der Textproduktion zunächst reduziert und die Aufgaben werden überschaubarer (vgl. Grießhaber 2006: 328). Eine Planungsphase, in der Wissen über die Inhalte des Textes erworben und die Struktur des Textes entworfen werden kann, ist oft hilfreich. Aber auch während des Schreibprozesses muss immer wieder geplant werden (vgl. Grießhaber 2006: 328). Veränderungen sollten immer durch möglichst konkrete handlungsleitende Vorschläge begleitet werden. Die Aufforderung, direkt nach dem Schreiben den Text noch einmal auf Fehler durchzulesen, bringt in der Regel wenig, da die Kinder noch in der Perspektive der Autorin bzw. des Autors verhaftet sind und ihren Text nicht kritisch lesen können (vgl. Grießhaber 2006: 329). Stattdessen sollten Lernende Vorgehensweisen erproben, die hilfreich sind, die angestrebten Ergebnisse zu erreichen und Zusammenhänge des Lerngegenstandes zu verstehen. Solche funktionalen Strategien sollten mit der Zeit erworben werden, es kann sein, dass diese dann zunächst übergeneralisiert werden. Dazu könnte z.  B. gehören, dass Sätze durch Anaphern und Konnektoren aufeinander bezogen werden. Wenn beobachtet wird, dass dysfunktionale Strategien eingesetzt werden, z.  B. das mechanische Einsetzen von „Satzanfängen“, sollte mit den Kindern dieses Vorgehen problematisiert werden und eine alternative Strategie, z.  B. das bewusste Umstellen von Sätzen und die Besetzung der Spitzenposition eingeübt werden. Solches Lernen findet am sinnvollsten während der Überarbeitungsphasen statt (vgl. Schäfer 2015: 136). Dehn (2011: 142) schlägt solche unterstützenden Maßnahmen vor, die die Grundgedanken des „Scaffoldings“ aufgreifen: „Beschreiben, berichten, instruieren, erzäh-

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len, argumentieren lernt man durch Aufgaben, die die Auseinandersetzung mit den strukturellen Anforderungen provozieren, nicht durch bloße Unterweisung.“ Gerade für Kinder, die noch Schwierigkeiten mit dem Verschriften haben, aber bereits Textideen entwickeln, kann das Diktieren von Texten eine Hilfe darstellen. Die Lehrperson schreibt die Ideen der Kinder auf, die dadurch bereits Erfahrungen mit Textualität sammeln können, bevor sie das Verschriften sicher beherrschen (vgl. Dehn 2011: 144).

3.2.4 Überarbeiten der Texte Das Überarbeiten von Texten ist ein zentrales Merkmal eines am Schreibprozess orientierten Unterrichts (vgl. Schäfer & Sevegnani 2013: 79). Neuere Untersuchungen sprechen dafür, dass bereits ab der ersten Klasse Überarbeitungsprozesse möglich und sinnvoll sind. Allerdings entwickelt sich die Überarbeitungskompetenz erst während der Grundschulzeit (vgl. Schäfer & Sevegnani 2013: 81). Neben der Überarbeitung, die durch so genannte Förderkommentare der Lehrkraft angeleitet wird, spielen insbesondere Schreibkonferenzen eine große Rolle. Bei diesen sollen Kinder in kleinen Gruppen die Texte von anderen besprechen und auf gelungene sowie überarbeitungsbedürftige Aspekte untersuchen. Das Autorenkind soll eine Rückmeldung und Tipps für die weitere Arbeit am Text erhalten (vgl. Schäfer & Sevegnani 2013: 83). Für die produktive Arbeit in solchen Schreibkonferenzen hat Leßmann (2010) sinnvolle Vorgehensweisen entwickelt. Belke (2012: 108) ist der Ansicht, dass Schreibkonferenzen insbesondere mehrsprachige Kinder mit wenig Schrifterfahrung überforderten. Dies ist vermutlich zutreffend, wenn die Kinder sich selbst überlassen werden und keine strukturierten Hilfen für den Überarbeitungsprozess zur Verfügung stehen. Bei allen Formen der Peer-Rückmeldung ist die Lehrkraft aber nicht außen vor. Sie soll die Arbeitsprozesse vorstrukturieren und bei Problemen sowie der Einordnung der Ergebnisse unterstützen (vgl. Schäfer & Sevegnani 2013: 86). Grießhaber (2008: 235) sieht es als sinnvoll an, auf die o.g. Verfahren zurückzugreifen. Allerdings müssen die Überarbeitungshinweise und die Materialien auf die besondere Ausgangssituation abgestimmt werden. So können mehrsprachige Wörterbücher, typische Formulierungen, Wortfelder, Checklisten mit der Rektion von Präposition und Verben, zur Adjektivdeklination etc. zur Verfügung gestellt werden. Die individuelle Besprechung der Texte und der Überarbeitung können helfen, die erzielten Erfolge und das Arbeitsprogramm zu klären. Bei der Besprechung von Texten und Schreibprozessen sollte man berücksichtigen, dass die Lernenden die Interventionssprache nicht auf muttersprachlich deutschem Niveau beherrschen. Man sollte also auch in den eigenen Formulierungen und Anweisungen auf Klarheit und Verständlichkeit achten. (Grießhaber 2008: 235)

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Sevegnani (2010: 246) berichtet, dass viele Verbesserungen auf der Ebene der Rechtschreibung vorgenommen werden, wenn der Fokus der Kinder nicht auf andere Aspekte gelenkt wird. Textverarbeitungsprogramme erleichtern das Überarbeiten, da die Texte leichter modellierbar sind und Alternativen erprobt werden können (vgl. Schäfer & Sevegnani 2013: 84). Auch das kooperative Schreiben, bei dem z.  B. ein Austausch über Vorstellungen von Textqualität und Schreibzielen stattfinden kann, wird durch die Arbeit mit Textverarbeitungsprogrammen erleichtert (vgl. Grießhaber 2008: 236).

3.2.5 Umgang mit Fehlern Wie bei einsprachigen Kindern auch, bedingen sich die Teilkompetenzen zur sprachlichen und inhaltlichen Gestaltung eines Textes und die Rechtschreibkompetenz nicht gegenseitig. Grießhaber (2006: 314) zeigt an Fallbeispielen, dass trotz großer Schwierigkeiten beim Rechtschreiben gelungene Texte entstehen können. Grießhaber (2008: 234) spricht sich dagegen aus, den Fokus bei der Förderung zu sehr auf die sprachformalen Normabweichungen zu legen. Interventionen sind ohnehin nur im Rahmen des erreichten Sprachstands erfolgsversprechend. Zudem ist die Bereitschaft, an inhaltlichen und sprachgestalterischen Problemstellen des Textes zu arbeiten, in der Regel größer. Am Ende des Schreibprozesses sollte aber auch eine sprachformale Überarbeitung stattfinden. Dazu kann der Fokus durch spezielle Beobachtungsaufträge z.  B. für Schreibkonferenzen auf diese Merkmale ausgerichtet werden (vgl. Schäfer & Sevegnani 2013: 86). Belke (2012: 212) plädiert hingegen dafür, die Entwicklung von fehlerhaften Äußerungen zu beobachten, und rechtzeitig zu intervenieren, um Fossilisierungen zu vermeiden. Die Fehlerkorrektur sollte dabei vom Gedanken der Hilfe und der Kooperation getragen sein. Dabei soll der Schwerpunkt auf bereits im Unterricht erlernbaren Regelmäßigkeiten oder Ausnahmen liegen.

3.3 Schreiben als Lernmedium Schreiben ist in der Grundschule aber nicht immer nur ein Lerngegenstand, sondern kann auch als Medium des Lernens eingesetzt werden. Für mehrsprachige Kinder ist besonders der Ansatz der Generativen Textproduktion nach Gerlind Belke (2012: 150– 173) von Bedeutung. Sie vertritt die Ansicht, dass Lernende implizit Regeln der Sprache erwerben. Dazu soll Sprachvermittlung mit dem Erwerb des Lesens und Schreibens integriert werden. Eine besondere Rolle spielt dabei ein reizvolles Angebot an Texten (Belke: 2012: 109). Das generative Schreiben „[…] ermöglicht einen für DaM- und DaZKinder gleichermaßen nützlichen und attraktiven integrativen Sprachunterricht, der das kreative Schreiben, den produktiven Umgang mit Literatur und gezielte sprachliche Übungen miteinander verbindet“ (Belke 2012: 150). Dazu werden zu kurzen

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poetischen Texten Variationen geschrieben, die sich strikt an der Vorlage orientieren und in deren Varianten nur wenige morphosyntaktische Merkmale geändert werden. Diese können dann auch zum Gegenstand der Reflexion über Sprache genutzt werden (Belke 2012: 154). Dieser Ansatz wird an Grundschulen zunehmend umgesetzt. Allerdings kommt Frieg (2014) in ihrer Untersuchung zur Wirkung des generativen Schreibens zu eher ernüchternden Ergebnissen. Sie kommt zu dem Resümee „[…] dass sich insgesamt in den vorliegenden Daten kein durchschlagender Vorteil des Sprachförderkonzepts der Generativen Textproduktion erkennen ließ“ (Frieg 2014: 165). Es stellt ein Desiderat dar, wie mit diesem Ansatz eine wirksame Sprachförderung ermöglicht werden kann.

4 Grundsätze der Förderung Die Förderung sollte institutionell im Schulcurriculum abgesichert sein, damit möglichst viele involvierte Personen ihre Fördermaßnahmen abstimmen können (vgl. Schäfer 2015: 134). Da insbesondere das Zusammenspiel von mangelnden Schrifterfahrungen im Umfeld des Kindes und dem Zweitspracherwerb den Erwerb einer differenzierten Schreibkompetenz erschweren kann, sollte die Schule von Anfang an möglichst viele strukturierte und fruchtbare Erfahrungen mit Schrift ermöglichen (vgl. Dehn 2011: 146). Geschrieben wird also nicht erst, wenn grammatische Strukturen und ein differenzierter Wortschatz erworben wurden, sondern von Anfang an (vgl. Grießhaber 2008: 234). Krelle (2013: 58) betont die Bedeutung von Erfolgserlebnissen beim Schreiben für den Aufbau und den Erhalt von Schreibmotivation. Es sollten zunächst also häufiger kürzere Texte des gleichen Typs geschrieben werden, statt in längeren Abschnitten längere Texte zu verfassen. Dies gilt nicht nur für den Deutschunterricht (vgl. Grießhaber 2008: 233). Es ist wichtig, dass Lehrkräfte einschätzen können, was Kinder bereits können und was sie noch lernen müssen. Auf solchen Lernstandserhebungen kann der weitere Unterricht differenziert aufbauen (vgl. Baurmann & Pohl 2009: 85). Dazu sollten aber nicht nur Kompetenzerwartungen der Bildungsstandards abgearbeitet werden, sondern die individuelle Entwicklung im Umfeld und die Voraussetzungen des Kindes im Fokus stehen (vgl. Ehlich 2007: 53). Abweichungen in der Schreibkompetenz können dabei häufig als eine Art Lernfenster betrachtet werden, das Auskunft über den erreichten Entwicklungsstand gibt (vgl. Aschenbrenner, Junk-Deppenmeier & Schäfer 2009: 240). Eine Möglichkeit, den Entwicklungsstand von Kindern im Zweitspracherwerb einzuschätzen, stellt die Profilanalyse nach Grießhaber dar, die von Heilmann in ein Handbuch umgesetzt wurde (Heilmann 2012). Die Analysebogen zum Lehrwerk „der – die –das“ können hilfreich sein, den Lernstand beim Verfassen von Texten einzuschätzen (vgl. Gehring, Jeuk & Schäfer 2013). Nur wenn Lehrkräfte erkennen, in welchen Bereichen die Lernenden noch unsicher sind, können sie

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sinnvoll intervenieren. Dazu gehört es dann, dass sich die Schülerinnen und Schüler Regelmäßigkeiten aneignen können und Strategien zur Ermittlung der passenden Lösung erwerben. Der alleinige Verweis auf Fehler und Regeln ist nicht hilfreich (vgl. Grießhaber 2006: 323). Dies spricht dafür, dass mehrsprachige Kinder differenzierte Förderangebote benötigen, die auf dem beschriebenen Lernstand aufbauen. Zentral für die Weiterentwicklung der Schreibkompetenz ist die Rückmeldung der Lehrperson oder anderer Leserinnen und Leser, damit die Kinder lernen können, was sie bereits beherrschen und was sie noch lernen müssen (vgl. Schäfer 2015: 136). Diese sollte sich vorrangig auf die Textqualität und nicht so sehr auf die sprachformalen Leistungen konzentrieren (vgl. Grießhaber 2006: 329). Dabei sollte darauf geachtet werden, dass unterschiedliche Lernstrategien unterstützt werden. Die alleinige Nutzung von Reproduktionsstrategien ist nicht sinnvoll. Insbesondere der Aufbau von Selbstkontrollstrategien, der durch differenzierte und kooperative Rückmeldungen durch die Lehrkraft unterstützt werden kann, ist notwendig, um erfolgreich Schreibprozesse meistern zu können. Dazu kann auch eine Schreibberatung beitragen (Aschenbrenner, Junk-Deppenmeier & Schäfer: 241; s. auch den Beitrag von Lammers in diesem Band). Schindler & Siebert-Ott (2014: 204) betrachten in Anlehnung an Ott „[…] eine über alle Erwerbsstufen hinweg umzusetzende thematische und strukturelle Wortschatzprogression, die ihren festen Platz im Schulunterricht hat […]“ als besonders relevant für die Förderung der Schreibkompetenz. Grießhaber (2008: 234) plädiert dafür, den für die Textproduktion erforderlichen Wortschatz nicht vor dem Schreiben zur Verfügung zu stellen, da sonst die Gefahr besteht, die Äußerungsabsicht als nachrangig zu etikettieren. Es sollen aber während des Schreibprozesses Materialien und Möglichkeiten angeboten werden, um sich den individuell erforderlichen Wortschatz zu beschaffen oder zu erfragen.

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Belke, Gerlind (2012): Mehr Sprache(n) für alle. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Christensen, Timm & Mechthild Dehn (2012): Heterogene Lernentwicklungen in der Grundschule: Zur Konzeption des Schreibunterrichts. In Sara Fürstenau (Hrsg.), Interkulturelle Pädagogik und sprachliche Bildung. Herausforderungen für die Lehrerbildung, 101–122. Wiesbaden: Springer Verlag für Sozialwissenschaften. Dehn, Mechthild (2011): Elementare Schriftkultur und Bildungssprache. In Sara Fürstenau & Mechthild Gomolla (Hrsg.), Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit, 129–151. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Ehlich, Konrad (2007): Sprachstandserhebungsverfahren. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für die frühe und individuelle Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Bildungsforschung, Bd. 11, 42–63. Berlin: BMBF. Frieg, Hendrike (2014): Sprachförderung im Regelunterricht der Grundschule: Eine Evaluation der Generativen Textproduktion. Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum. http://www-brs.ub.ruhr-unibochum.de/netahtml/HSS/Diss/FriegHendrike/diss.pdf (08. 09. 2015). Gehring, Carsten, Stefan Jeuk & Joachim Schäfer (2013): der – die – das. Sprache und Lesen. Sprachstandsbeobachtung 3/4. Berlin: Cornelsen. Grießhaber, Wilhelm (2006): Schreiben mit ausländischen Kindern. In Johannes Bering, Nicola Keßler & Helmut Koch (Hrsg.), Schreiben im Kontext von Schule, Universität, Beruf und Lebensalltag, 306–333. Berlin: LIT. Grießhaber, Wilhelm (2008): Schreiben in der Zweitsprache Deutsch. In Bernt Ahrenholz & Ingelore Oomen-Welke (Hrsg.), Deutsch als Zweitsprache, 228–238. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren (=DTP-Band 9). Grießhaber, Wilhelm (2009): L2-Kenntnisse und Literalität in frühen Lernertexten. In Ahrenholz, Bernt (Hrsg.), Empirische Befunde zu DaZ-Erwerb und Sprachförderung, 115–135. Freiburg i.Br.: Fillibach. Grießhaber, Wilhelm (2010): Spracherwerbsprozesse in Erst- und Zweitsprache. Eine Einführung. Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr. Haueis, Eduard (1999): Bildergeschichten nacherzählen – leichter gesagt als getan! Grundschule 31 (4), 11–13. Heilmann, Beatrix (2012): Diagnostik & Förderung – leicht gemacht: Deutsch als Zweitsprache. Herausgegeben von Wilhelm Grießhaber. Stuttgart: Klett. Jeuk, Stefan & Joachim Schäfer (2013): Schriftsprache erwerben. 2. Aufl. Berlin: Cornelsen Scriptor. KMK – Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (2005): Beschlüsse der Kultusministerkonferenz: Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich. Beschluss vom 15. 10. 2014. München: Wolters Kluwer. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Deutsch-Primar.pdf (08. 09. 2015). Krelle, Michael (2013): Texte schreiben, überarbeiten und bewerten. In Ulf Abraham & Julia Knopf (Hrsg.), Deutsch – Didaktik für die Grundschule, 53–61. Berlin: Cornelsen Scriptor. Leßmann, Beate (2010): Individuell bedeutsames Schreiben als Grundlage von Schreibkompetenzentwicklung – ein Beitrag aus der Unterrichtspraxis. In Christoph Jantzen & Daniela Merklinger (Hrsg.), Lesen und Schreiben: Lernerperspektiven und Könnenserfahrungen, 81–113. Freiburg i.Br.: Fillibach. Pommerin, Gabriele, Claudia Kupfer-Schreiner, Stephanie Lamprecht, Ulla Meyer, Iris Schloß, ­Ibrahim Akman, Johann Mayr & Hans-Martin Quitz (1996): Kreatives Schreiben. Handbuch für den deutschen und interkulturellen Sprachunterricht in den Klassen 1–10. Weinheim: Beltz.

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 Joachim Schäfer

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Anne Berkemeier

21 Individualisierte Lese-, Schreibund Sprachförderung am Beispiel der Sachtextzusammenfassung 1 Einleitung 2 Ist die komplexe Textart Sachtextzusammenfassung für die Lese-, Schreib- und Sprachförderung geeignet? 3 Wie kann Lese-, Schreib- und Sprachförderung mittels der komplexen Textart Sachtextzusammenfassung gelingen? 4 Ausblick: Wie lassen sich textartspezifische Kompetenzzuwächse beim Zusammenfassen empirisch nachweisen? 5 Zusammenfassung

1 Einleitung Zusammenfassen wird hier als Darstellung von Sachtextzusammenhängen verstanden. Diese Kompetenz wurde lange Zeit spätestens ab der 6. Klassenstufe als Basis für Referate und Facharbeiten schulisch mehr oder weniger vorausgesetzt. Dass Zusammenfassungen allerdings häufig nicht gut gelingen, zeigt die fast tägliche Erfahrung in Bildungsinstitutionen und lässt sich theoretisch leicht erklären (s. Abschnitt 2.). Inzwischen liegen für den deutschsprachigen Raum zwei didaktische Vermittlungskonzepte vor, die den Kompetenzerwerb beim Zusammenfassen über die in Lehrwerken üblichen Methoden hinaus unterstützen und die im Hinblick auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden (s. Abschnitt 3.). Beide Konzepte konzentrieren sich auf LernerInnen mit fortgeschrittenen Kompetenzen in ihrer Zweitsprache Deutsch; der Einbezug von SeiteneinsteigerInnen schien bisher kaum möglich. Auf der Basis modifizierter Materialien machen erste Erprobungen nun deutlich, dass die „Arbeit am gemeinsamen Gegenstand“ (Feuser 1989) – eine im Inklusionskontext ursprünglich in der Sonder­pädagogik verwendete Maxime – beim Zusammenfassen auf sprachlich diversen Niveaus durchaus realisierbar und aus institutionellen und individuellen Gründen sogar sinnvoll ist.

DOI 10.1515/9783110354577-021

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2 Ist die komplexe Textart Sachtextzusammen­ fassung für die Lese-, Schreib- und Sprach­ förderung geeignet? Die Textart Sachtextzusammenfassung kann aufgrund des spezifischen Lese-Schreibprozesses, der verarbeiteten Inhalte und der für Sachtexte typischen Sprache als komplex charakterisiert werden: –– Spezifisch für den Schreibprozess des Zusammenfassens ist, dass der zu schreibende eigene Text auf einem oder mehreren Texten anderer AutorInnen basiert. Solche Primärtexte sind also a) zunächst zu lesen und zu verstehen, bevor b) die für die Fragestellung relevanten Informationen extrahiert und entsprechende Stichwörter generiert werden können, c) der eigene Text geplant, d) formuliert und e) ggf. überarbeitet werden kann. Was im allerersten Prozessteil oder den folgenden jeweils nicht gelingt, „vererbt“ sich als Fehlinformation an alle folgenden Teilprozesse. –– Sachtextzusammenfassungen dienen dem Wissenserwerb, der Wissensverarbeitung und der Wissensweitergabe. Daraus folgt notwendigerweise, dass den Zusammenfassenden die Inhalte der Primärtexte in der Regel nahezu ganz oder teilweise unbekannt sind. Die mentale Verarbeitung neuer Informationen ist komplexer als die Rezeption von Bekanntem. Hieraus ergibt sich eine weitere Herausforderung für die Lernenden. –– Sachtexte stellen nicht nur inhaltlich, sondern – aufgrund grammatischer und semantischer Verdichtung – häufig auch sprachlich hohe Anforderungen an die LeserInnen. Die z.  B. von Schmölzer-Eibinger et al. (2013: 13) oder Leisen (o.J.) genannten Merkmale sprachlicher Komplexität in Sach- bzw. Fachtexten lassen sich zu lexikalischen Merkmalen (komplexe Ausdrücke wie Fachbegriffe, Nominalisierungen, Komposita, Abstrakta, Kollokationen) und grammatischen Merkmalen des Satz- und Wortgruppenausbaus (komplexe Syntax, komplexe Attribute) gruppieren, wobei die Charakteristika beider Gebiete zusammenwirken: Komplexe lexikalische Ausdrücke wie Komposita oder Fachtermini vereinen semantisch mehrere zusammenhängende Informationen, die  – quasi „entfaltet“ – auch einzeln in ihrem Zusammenhang dargestellt werden können, dann aber syntaktisch z.  B. als Attribut, Relativsatz oder ganze Satzfolgen mehr als eine Stelle besetzen (z.  B. „Schuppen, die aus Horn bestehen“). Durch lexikalische Verdichtung (z.  B. „Hornschuppen“) bleiben syntaktische Stellen „frei“ und können mit zusätzlichen Informationen besetzt werden, was einerseits den Informationsgehalt eines Satzes erhöht, andererseits aber sprachlich den Zusammenhang der Einzelinformationen stärker hervortreten lässt. Für das Lesen von Sach- und Fachtexten ist also oft typisch, dass bei der Rezeption in relativ wenigen Sätzen sehr viele Informationen in Bezug zueinander zu setzen sind, um die dargestellten Zusammenhänge zu verstehen.

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Vor diesem Hintergrund mag auf den ersten Blick fraglich erscheinen, ob sich ausgerechnet eine solch komplexe Textart für die Lese-, Schreib- und Sprachförderung eignet. Ein Konglomerat verschiedener Gründe spricht jedoch dafür: Beim Zusammenfassen von Sachtexten handelt es sich fraglos um eine schultypische Textart (fast) aller Unterrichtsfächer, weil schriftliche Texte in literalen Gesellschaften für die Wissensverarbeitung, den Wissenserwerb und die Wissensvermittlung genutzt werden. Dennoch wurden entsprechende Kompetenzen im Unterricht lange Zeit eher vorausgesetzt als geschult, obwohl die schreibprozessbezogenen, inhaltlichen und sprachlichen Anforderungen vergleichsweise hoch sind und entsprechende Kompetenzen gefördert werden müssten. Dieser Widerspruch tritt am deutlichsten bei SeiteneinsteigerInnen mit wenig Zweitsprachkompetenzen zu Tage, betrifft aber auch alle anderen LernerInnen. Aufgrund der Versprachlichung der schulischen Wissensvermittlung ist der Ausbau der individuellen Sprachkompetenz in der Mutter- oder Zweitsprache kein Selbstzweck, sondern dient im schulischen Rahmen vornehmlich den Bildungszielen selbst. Eine Verbindung von Wissenserwerb und Ausbau der eigenen Sprachkompetenz durch die Arbeit mit und an Texten ist somit (eigentlich) ein sine qua non, das im Kontext von Bildungssprachförderung erst in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommen wird. Durch die funktionale Verwendung dieser Textart (auch) im schulischen Kontext ergibt sich ein großer Vorteil für die Sinnhaftigkeit und Zweckanbindung der Auseinandersetzung mit entsprechenden Kompetenzen: Im Gegensatz zu anderen, rein schulischen Textarten, die vornehmlich dem Zweck dienen, Schreibkompetenz exemplarisch zu schulen, hat die mündliche oder schriftliche Darstellung von Sachtextzusammenhängen im, aber eben auch außerhalb des Unterrichts lebenslang den Zweck, sich Wissen durch die Sachtextrezeption anzueignen und dieses z.  B. im Rahmen von Problemlöseprozessen ebenfalls versprachlicht (ggf. sogar: übersetzt) an andere weiterzugeben. Werden Sachtextzusammenfassungen funktional und nicht nur als Prüfungsform für das Lernen in der Schule eingesetzt, was wegen des beschriebenen Zusammenhangs sogar naheliegt, wird der Handlungscharakter von Sprache für die Lernenden unmittelbar greifbar und der Ausbau von Sprachkompetenz sinnhaft, auch bzw. gerade wegen der einhergehenden erhöhten Anforderungen an die Lernenden und Lehrenden: Gelingen die Verstehensprozesse beim Lesen der Primärtexte nämlich nicht und/oder ist die Reformulierung der rezipierten Zusammenhänge nicht erfolgreich, verhindert dies den Wissenserwerb bzw. die Wissensvermittlung in Teilen oder vollständig und die daran beteiligten Teilprozesse müssen – wie „im echten Leben“ – überarbeitet werden, wenn man nicht scheitern oder aufgeben möchte. Die Funktionalität der Textart ist im Hinblick auf die Förderung der (Zweit-)Sprachkompetenz also gleichzeitig Herausforderung wie Chance. Trotz der gegebenen textartspezifischen Komplexität sollten deshalb Wissenserwerb und Zweitspracherwerb auch bei SeiteneinsteigerInnen möglichst direkt gekoppelt werden. Dies gilt insbesondere für jugendliche SeiteneinsteigerInnen, die z.  B. aus Fluchtgründen bereits mehrere Schuljahre versäumt haben. Sie können es sich bildungsbiographisch gar nicht „leisten“, sich lange ausschließlich

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auf den Erwerb des Deutschen zu konzentrieren und fachliches Lernen hinauszuschieben.

3 Wie kann Lese-, Schreib- und Sprachförderung mittels der komplexen Textart Sachtext­zusammenfassung gelingen? Damit die komplexen Anforderungen der Textart Sachtextzusammenfassung erfolgreich bewältigt werden können, sollte der Schreibprozess unbedingt beratend begleitet werden (s. Abschnitt 3.1.), damit sich z.  B. Verstehensfehler bei der Primärtextrezeption nicht auf die folgenden Teilprozesse „vererben“ und dadurch den Handlungszweck gefährden. Eine prozessbegleitende Beratung ist besonders wichtig, wenn in der Zweitsprache gelesen, geschrieben und gelernt wird, wie es im Unterricht deutschsprachiger Institutionen für DaZ-Lernende der Regelfall ist. Die angemessene mentale Verarbeitung der Inhalte ist also sicherzustellen (s. Abschnitt 3.5.). Für Sprachförderzwecke ist die sprachkompetenzbezogene Materialanpassung an die individuell anstehenden Sprachlernaufgaben der Lernenden zentral. Beim Zusammenfassen von Sachtexten betrifft dies wesentlich die anzubietenden Primärtexte mit einer für alle ausreichenden Auswahl an Worterklärungen (s. Abschnitt 3.3.–4.). Bei SeiteneinsteigerInnen mit wenig Sprachkompetenzen im Deutschen wird so der Zugang zum Wissenserwerb über Sachtexte überhaupt erst möglich. Will man alle Lernenden einer heterogenen Lerngruppe in ihrer sprachlichen Kompetenzentwicklung unterstützen, genügt die grobe Unterscheidung in Deutsch als Zweit- und Deutsch als Muttersprache nicht. Auch eine differenziertere Benennung mittels Ausdrücken wie „SeiteneinsteigerInnen“, „fortgeschrittene SeiteneinsteigerInnen, „fortgeschrittene DaZ-Lernende“, „sprachlich schwache MuttersprachlerInnen“, „sprachlich starke Bilinguale“ sowie „sprachlich starke MuttersprachlerInnen“ ist noch zu ungenau. Vielmehr ist von einem Kontinuum zunehmender sprachlicher Kompetenz auszugehen, auf dem individuelle Kompetenzprofile abzutragen wären. Mittels Sprachstandsfeststellung wären dann individuell anstehende „nächste Sprachentwicklungsaufgaben“ auf der Basis bisher vorliegender Forschungsergebnisse der (Zweit-)Sprach­erwerbs­forschung und didaktischer Hypothesen für die Förderung genau ablesbar. Da Erst- und Zweitspracherwerbsforschung sich vornehmlich auf die frühe Kindheit konzentrieren, besteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf. Studien zum wissenschaftspropädeutischen und wissenschaftlichen Schreiben in der Mutter-, Zweit- und Fremdsprache beziehen sich auf Schreibkompetenzen von ProbandInnen in der Oberstufe und im Studium (Forschungsüberblick in Berkemeier 2010 und Berkemeier, Schmitt & Geigenfeind 2013: 3) und sind auf die Wiedergabe von Sachtextzusammenhängen in der Sekundarstufe I nur begrenzt übertragbar. Bekannt

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ist aber, dass auch muttersprachliche LernerInnen beim Leseverstehen auf Probleme stoßen, wenn die lexikalische und grammatische Verdichtung hoch ist. Dagegen stellt die Genuszuweisung in der Regel eine DaZ-typische Erwerbsaufgabe dar. Die notwendige Individualisierung bei der Lese-, Schreib- und Sprachförderung muss in der Schulpraxis handhabbar bleiben. Bezüglich der Beratung werden bisher Peer-Feedback oder halbstandardisierte Überarbeitungshinweise vorgeschlagen (s.  u.), die eine starke Individualisierung ohne eine massive Vervielfachung der Ressourcen ermöglichen. Primärtextvarianten auf unterschiedlichen sprachlichen Anforderungsniveaus können dagegen nur in sehr begrenzter Anzahl zur Verfügung gestellt werden. Mit zwei Varianten erreicht man erfahrungsgemäß immerhin bereits wesentlich mehr Lernende als mit einer. Wünschenswert wären vier Varianten, um auch beginnende SeiteneinsteigerInnen und sprachlich begabte Lernende angemessen berücksichtigen zu können. Als Unterstützung im Hinblick auf die Vermittlung und den Erwerb solcher Sprachkompetenzen, die den Umgang mit grammatisch komplexeren Formulierungen im Rahmen der vorhandenen mutter- oder zweitsprachlichen Potenziale betreffen, soll zukünftig das neu entwickelte Instrument der „Satzleiste“ (Berkemeier & Wieland 2017) dienen (s. Abbildungen 1, 2 u. 7), dessen Einsatzmöglichkeiten und Wirksamkeit aber noch zu erforschen sind. Die folgenden Unterkapitel führen die Möglichkeiten, wie Lese-, Schreib- und Sprachförderung beim Zusammenfassen von Sachtexten durch Prozessbegleitung vernetzt werden können, anhand von sechs Maximen aus.

3.1 Das Zusammenfassen von Sachtexten in allen Teilprozessen beratend begleiten Mit dem Zusammenfassen in der Erst- und Zweitsprache Deutsch in der frühen Sekundarstufe I befassen sich im deutschsprachigen Raum bisher nur zwei Ansätze. Beide Konzepte setzen die textartspezifische Prozessbegleitung als zentralen didaktischen Ausgangspunkt und versuchen auf diese Weise, Wissens- und Spracherwerbschancen in sprachlich heterogenen Lerngruppen zu erhöhen. Schmölzer-Eibinger (2013) integriert Feedbacks durch kooperatives Schreiben in Form des Peer-writings und flankiert diese mit Kriterienkatalogen. Das Setting bei Berkemeier et al. (2014) sieht u.  a. halbstandardisierte Schreibberatung durch Lehrkräfte mithilfe empirisch abgeleiteter Beratungshinweise vor. Da beide Ansätze (im Detail s. Abbildung 1) unterschiedliche Teilkompetenzen (Peer-Feedback vs. Visualisierungsaneignung) fördern, ergänzen sie sich und lassen sich nach ihrer Einführung und Konsolidierung im Sinne einer halbstandardisierten Peer-Beratung vermutlich auch kombinieren.

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Tab. 1: Konzepte zum Zusammenfassen von Sachtexten nach Schmölzer-Eibinger (2013) und Berkemeier et al. (2014) im Vergleich

Prozessgestaltung

Schmölzer-Eibinger (2013): Kooperatives Schreiben

Berkemeier et al. (2014): Halbstandardisierte Schreibberatung1

Wissensaktivierung (individuell – Austausch)

eingebunden in den Fach- oder fächer­ übergreifenden Unterricht:

Textabschnittfokussierung (lesen – gem. zus.fassen – Austausch) Textverstehen (lesen – Infos markieren – Austausch) Textplanung (Info-Reihenfolge, Titel) Textproduktion (inkl. textartenspezifischer Ratschläge) Textüberarbeitung (Austausch – Überarbeitung)

1. Text lesen und Visualisierungsblanco ausfüllen

2. Beratungscodes bearbeiten 1. Textproduktion

2. Beratungscodes bearbeiten

Know-howTransfer

Aufgabenstellung Kriterienkatalog

Visualisierungsblanco Beratungsinstrument („Code-Knacker“)

Beratungsform

– mündlich – durch offenen Austausch – durch peers

– schriftlich – durch halbstandardisierte Beratung – durch Lehrkräfte

Im Gegensatz zum allgemeinen Befund, dass L2-SchreiberInnen wie schwache L1-SchreiberInnen in unbegleiteten Schreibprozessen kaum planen, mehr Mühe beim Formulieren haben, kaum überarbeiten und insgesamt schlechtere Schreibleistungen erzielen (Schneider et al. 2013: 50–51; bezüglich Erzählen: Knapp 1997), weil sie kogni­ tiv zu stark belastet sind, ist in beiden Settings empirisch nachweisbar (SchmölzerEibinger 2013; Berkemeier & Grabowski i.V.), dass sowohl schwache SchreiberInnen mit Deutsch als Muttersprache als auch schwache fortgeschrittene SchreiberInnen mit Deutsch als Zweitsprache (also keine SeiteneinsteigerInnen) prozessbegleitet Sachzusammenhänge auf der Grundlage von Sachtextlektüre durchaus verständlich formuliert darstellen können. Dem international bereits lange bekannten Problem, dass insbesondere schwache LeserInnen Probleme haben, Informationen in Lesetexten als relevant einzuschätzen (ausführlich in Geigenfeind 2015), wird bei Schmölzer-Eibinger (2011) durch Peer1 Die Unterrichtsmaterialien zur halbstandardisierten Schreibberatung stehen zum Download bereit: https://www.ph-heidelberg.de/sachtexte-schreiben.html.

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Gespräche begegnet. Berkemeier et al. (2014) lösen das Problem durch den Einsatz von Visualisierungsblancos (s. Abbildung 5). Diese vorgegebenen Visualisierungen mit leeren Stichwortfeldern dienen so lange prozessunterstützend, bis die Lernenden vollständig eigenständig visualisieren können (Vorschläge zur Anbahnung selbstständigen Visualisierens in Berkemeier & Geigenfeind 2014). Bisher erwiesen sich prozessbegleitet entstandene Sachtextzusammenfassungen als eigenständiger formuliert (vgl. Schmölzer-Eibinger 2013: 79) und Visualisierungen insbesondere bei schwächeren LeserInnen als verstehensfördernd (Berkemeier, Schmitt & Geigenfeind 2013: 24). Die Ergebnisse sprechen demnach für Prozessbegleitung durch Feedback bzw. Beratung und den Einbezug von Visualisierung. Der Prozessbegleitung dient das Beratungsinstrument „Code-Knacker“ (Berkemeier et al. 2014). Es wird in jedem Teilprozess so lange zur Überarbeitung eingesetzt, bis eine qualitativ für den nächsten Prozessschritt ausreichende Fassung vorliegt: Zunächst werden die ausgefüllten Visualisierungsstichwortfelder (s. Abschnitt 3.5.), dann die Inhalte der ersten Textversion im Vergleich zur vervollständigten Visualisierung, anschließend die Formulierungen (s. Abschnitt  3.6.) und zuletzt formalgrammatische Fehler fokussiert. Um den Prozess nicht zu überfrachten, erfolgt keine selbstständige Orthographieüberarbeitung seitens der SchülerInnen mehr. Sie ist u.  E. erst nach einer Automatisierung der Prozessabläufe sinnvoll anschließbar. Das Instru­ ment dient dem halbstandardisierten Einsatz. Die nach Häufigkeit sortierten Beratungshinweise wurden im Laufe vieler Kohorten an Hunderten von Texten geprüft und verfeinert und decken nahezu alle vorkommenden Fälle ab. Die Lehrkräfte prüfen die vorgelegten Versionen und notieren an zu überarbeitenden Stellen Codes, die von den SchülerInnen mittels „Code-Knackers“ decodiert werden. Dort wird das Problem beschrieben und eine Liste von Lösungswegen zur Verfügung gestellt, was eine ressourcenschonende textarten- und teilprozessspezifische individuelle Rückmeldung ermöglicht und den Lernenden ein Arbeiten im jeweils eigenen Tempo erlaubt.

3.2 Auf die Beschäftigung mit Fachinhalten in Sachtexten vorbereiten Wenn das Zusammenfassen in Anbindung an den Fachunterricht mit den Zielen der fachlichen Bildungsstandards kombiniert werden soll, ist, sofern andere Gründe nicht dagegen sprechen, zielgleiches Arbeiten anzustreben. In der Inklusionsdebatte spielt seit inzwischen geraumer Zeit die Orientierung auf den „gemeinsamen Gegenstand“ (Feuser 1989) eine wesentliche Rolle. Gemeint ist damit, dass alle Lernenden, wenn möglich, dasselbe Thema oder korrespondierende Teilthemen auf kognitiv und sprachlich unterschiedlichen Niveaus bearbeiten und z.  B. SeiteneinsteigerInnen im Regelunterricht nicht mit gänzlich anderen Dingen „beschäftigt“ werden. Im Hinblick auf die meisten LernerInnen mit Deutsch als Zweitsprache bedarf es nur der Anpassung des sprachlichen, nicht aber des kognitiven Niveaus, was die Erarbeitung von

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alternativen Primärtexten für das Zusammenfassen (s. Abschnitt 3.3.) deutlich erleichtert. Das Konzept von Schmölzer-Eibinger sieht den Teilprozess der Wissensaktivierung vor. Lediglich im speziellen Fall des Seiteneinstiegs ist das nicht umsetzbar: Wenn Wissensaktivierung nur in verschiedenen Muttersprachen möglich ist, weil kaum Deutschkenntnisse vorhanden sind, verhindert dies den anschließenden gemeinsamen Austausch in sprachlich heterogenen Gruppen. Gerade in den Sachfächern ist es alternativ möglich und üblich, mit Betrachtungen, Beobachtungen oder Versuchen zu beginnen, deren Visualisierbarkeit eine zunächst nicht-versprachlichte Auseinandersetzung mit einem Sachzusammenhang erlaubt. Beispielsweise durch das Ankreuzen von Fotos statt sprachlicher Benennungen lassen sich aus dem praktischen Einstieg hervorgehende Arbeitsergebnisse oft auch nicht-sprachlich dokumentieren. Ziel der Heranführung an das Thema oder der Wissensaktivierung ist, dass die Lernenden schon wissen, worum es inhaltlich geht, bevor sie mit der Rezeption und Produktion versprachlichten Wissens und (zweit-)sprachlichem Lernen beginnen.

3.3 Primärtexte sprachlich an die Sprachkompetenz anpassen Voraussetzung für die Verbindung von Spracherwerb, Wissenserwerb und Schreibkompetenzentwicklung beim Zusammenfassen sind sprachlich zu bewältigende Primärtexte, die sich sowohl auf eine der Stufen der syntaktischen Profilanalyse (z.  B. Grießhaber 2011 auf der Basis von Clahsen, Meisel & Pienemann 1983) als auch auf solche des morpho-syntaktisch bedeutsamen Wortgruppen- und Satzausbaus (z.  B. Kaltenbacher 2013 auf der Basis von Wegener 1995) konzentrieren. Solange keine zielgruppengerechten Studien vorliegen, muss auf bisher erforschte Spracherwerbsstufen anderer Probandengruppen zurückgegriffen werden. Es gilt also, bestehende Primärtexte, die für die Förderung des Zusammenfassens genutzt werden2, so umzuformulieren, dass sie von Lernenden eines bestimmten Sprachniveaus rezipiert werden können. Hierzu bietet sich die „Satzleiste“ (Berkemeier & Wieland 2017) an. Sie verdeutlicht einerseits die grammatische Komplexität des vorhandenen Primärtextes (s. Abbildung 1) und kann andererseits als „Schablone“ für die grammatischen Möglichkeiten der jeweils fokussierten nächsten Spracherwerbsaufgabe verwendet werden: Wenn Satzgefüge oder Partizipialattribute noch zu komplex für manche Lernenden einer Lerngruppe sind, sollte deren Primärtextvariante ohne Nebensätze und komplex ausgebaute Wortgruppen auskommen. Das ist bei vielen Sachtextzusammenhängen tatsächlich möglich, verlangt sprachlich aber, die Informationen eines komplexen Satzes auf mehrere einfache Sätze zu verteilen (s. Abbildung 2). In Abbil-

2 Unter https://www.ph-heidelberg.de/sachtexte-schreiben.html stehen entsprechende Materialien zum Download bereit.

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Abb. 1: Darstellung eines denkbaren Satzes aus einem Fachtext (in Anlehnung an ein Beispiel aus Leisen o.  J.)

dung 1 wird mittels Satzleiste optisch sehr deutlich, in welch hohem Maße Nominalphrase und adverbiale Bestimmung ausgebaut sind (vgl. Abschnitt 2, 3. Spiegelstrich). Abbildung 2 zeigt, dass es gelingen kann, dieselben Sachtextinformationen grammatisch wenig komplex zu formulieren. Nicht der Schreibprozess des Zusammenfassens ist also zu komplex, um z.  B. SeiteneinsteigerInnen zu beteiligen, sondern die Primärtexte, die üblicherweise eingesetzt werden, sind ungeeignet für diese Zielgruppe. Die Satzleiste wird hier als Instrument zur Umformulierung von Sachtexten verwendet. Das Beispiel „Warum können Fische so gut schwimmen?“ (s. Textausschnitt in Abbildung  3) zeigt, dass sich auf diese Weise Primärtexte für fortgeschrittene SeiteneinsteigerInnen modifizieren lassen. Umgekehrt sollten Primärtexte aber auch für sprachbegabte LernerInnen inhaltlich, lexikalisch und grammatisch angereichert werden, um sie ebenfalls zu fördern.

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Abb. 2: Grammatische Anpassung eines denkbaren Satzes aus einem Fachtext (in Anlehnung an ein Beispiel aus Leisen o.  J.) für die Profilstufe 1 mittels Satzleiste

3.4 Wortschatzarbeit beim Zusammenfassen einbinden Will man beim Zusammenfassen gleichzeitig Sprachkompetenzen ausbauen und den Wissenserwerb stützen, ist explizite Wortschatzarbeit unerlässlich. Während fortgeschrittenen DaZ-LernerInnen, Bilingualen und MuttersprachlerInnen nur bildungsund fachsprachliche lexikalische Hilfen angeboten werden (s. Worterklärungsausschnitt in Abbildung  4), erhalten die SeiteneinsteigerInnen eine ganze Liste von Worterklärungen (alle Wörter mit * in Abbildung 3) zur individuellen Auswahl. Auf dieser Liste sind auch einige DaZ-spezifische grammatische Informationen wie z.  B. Pluralform, Genus und Valenz abgebildet. Da man davon ausgehen muss, dass das Lesen des Textes bereits viele Ressourcen bindet, sollten insbesondere bei schwachen LeserInnen die Worterklärungen möglichst nicht verbalisiert, sondern visualisiert sein (s. auch Abbildung 2: Federkraftmesser). Diese Liste kann in den jeweils relevanten Auszügen für individuelles Wortschatztraining (z.  B. in Form von Spielen) auch außerhalb des Schreibprozesses genutzt werden.3 3 Deshalb ist sie so formatiert, dass durch Längsknick und Auseinanderschneiden der Zeilen unaufwändig ein „gezinktes Memory“ entsteht.

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Abb. 3: Textversionen im Vergleich (fortgeschrittene SeiteneinsteigerInnen vs. fortgeschrittene DaZLernende und Bilinguale/MuttersprachlerInnen ohne Sprachförderbedarf)

Eine interessante empirisch zu überprüfende Frage ist, ob Fachbegriffe, Nominalisierungen, Komposita und Abstrakta (s. Abschnitt 2, 3. Spiegelstrich), die durch Wissensaktivierung oder Vorerfahrung (s. Abschnitt 3.2.) und den Unterrichtskontext angebahnt werden, in jedem Fall für alle SeiteneinsteigerInnen semantisch schwierig sind (vgl. Schmölzer-Eibinger et al. 2013: 13). Wenn das Konzept, für das ein Fachterminus steht, klar ist, dürfte die Verwendung des Ausdrucks gerade SeiteneinsteigerInnen sprachliche Erleichterung bringen, weil das Konzept selbst nicht verbal expliziert werden muss. Grammatisch sind Komposita jedenfalls leichter als komplexe Nominalphrasen mit Attributen zu handhaben (s. Abbildung 1). Wichtig für Wortschatzarbeit ist, dass die zu erwerbenden Ausdrücke hinreichend oft gelesen, gehört, gesprochen, geschrieben und in gewissen Abständen wiederholt werden. Durch eine Einbindung der Wortschatzarbeit in das Schreiben von Sachtextzusammenfassungen im Unterrichtskontext kann dies leicht gewährleistet und sinnvoll mit dem fachlichen Lernen verknüpft werden.

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Abb. 4: Worterklärungen für SeiteneinsteigerInnen (Ausschnitt)

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Abb. 5: Worterklärungen für fortgeschrittene DaZ-Lernende, Bilinguale und MuttersprachlerInnen

3.5 Visualisierung zur Verstehenssicherung und für die Schreibplanung nutzen Die Arbeit mit Visualisierungsblancos hat als Gelenkstelle zwischen Lesen und Schrei­ben mehrere Funktionen: Dadurch, dass die SchülerInnen angehalten werden, Stichwörter in die leeren Felder zu schreiben, wird für die beratende Person sichtbar, wenn inhaltlich etwas nicht verstanden oder übersehen wurde. Durch entsprechende Beratungshinweise werden sie beim nochmaligen Lesen unterstützt. Ist das Visualisierungsblanco angemessen ausgefüllt, dient es als Vorlage für das selbstständige Formulieren des eigenen Textes, wodurch das Kopieren von Primärtextformulierungen automatisch verhindert wird. Die erste eigene Textversion ist in der Regel dank der Orientierung an der Visualisierung bereits gut gegliedert und – grob gesehen – bereits recht verständlich formuliert, weil der Zusammenhang der Informationen in der Visualisierung sichtbar und damit während des Formulierens mental verfügbar ist. Auf den ersten Blick erstaunlicherweise, aber einhergehend mit der Maxime der „Arbeit am gemeinsamen Gegenstand“, unterscheiden sich die Visualisierungen der sprachlich unterschiedlich komplexen Textversionen und damit die Lerninhalte kaum (s. Abbildung 6: Visualisierungsvergleich). Hier wird noch einmal sichtbar, dass man einen Primärtext sprachlich vereinfachen kann, ohne den Zusammenhang verkürzt darzustellen. Lediglich wenige Details werden getilgt; das semantische Gefüge bleibt jedoch bestehen. Je nach mentaler Kapazität der SeiteneinsteigerInnen können die zu

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erwerbenden Fachtermini (hier z.  B. „Brustflosse“) im Visualisierungsblanco bereits eingetragen sein, so dass die entsprechenden Textstellen schneller aufgefunden werden.

Abb. 6: Visualisierungsversionen (Ausschnitt) im Vergleich (fortgeschrittene SeiteneinsteigerInnen vs. fortgeschrittene DaZ-Lernende/Bilinguale/MuttersprachlerInnen)

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3.6 Das Überarbeiten von Formulierungen begleiten Das Neuartige am Instrument „Code-Knacker“ besteht u.  a. darin, dass die Lernenden Rückmeldungen erhalten, wenn Textstellen aus funktional-grammatischen Gründen aus Lesersicht nicht (gut) verständlich sind. Das ist satzintern oder satzübergreifend der Fall, wenn z.  B. ein bestimmter Artikel verwendet wird, obwohl es sich um eine Gattungsbezeichnung handelt oder das Benannte noch nicht eingeführt wurde (Determination), wenn Anaphern oder Zeigwörter nicht nachvollziehbar verwendet werden (Fortführung, Deixis), wenn Benennungen nicht genau genug gewählt werden (Restriktion) oder Zusammenhänge grammatisch nicht expliziert werden (z.  B. durch Junktion) (zu den funktional-pragmatischen Kategorien s. Hoffmann 2016). Anhand einer Auswahl von Beispielen im „Code-Knacker“ entscheiden die SchülerInnen selbst, wie sie ihre Textstelle überarbeiten. Unterrichtspraktisch zeigt sich erstaunlicherweise, dass fortgeschrittene SeiteneinsteigerInnen das Beratungsinstrument schon früh verwenden können. Für LernerInnen mit sehr wenigen Deutschkenntnissen sind die Beratungshinweise sicher in ihrer Anzahl zu reduzieren, sie müssen grammatisch einfacher formuliert werden und sollten nur die grammatischen Lösungsmöglichkeiten enthalten, die von diesen Lernenden auch realisiert werden können. Bezüglich der formal-grammatisch zu korrigierenden Textstellen zeigt sich bei fortgeschrittenen DaZ-LernerInnen, Bilingualen und MuttersprachlerInnen, dass die meisten Syntax- und Flexionsfehler von diesen Zielgruppen selbstständig anhand der Beratungshinweise korrigiert werden können. Es handelt sich demnach also sehr häufig nicht um sprachliche Schwierigkeiten, sondern um grammatische Fehler, die auf fehlende mentale Ressourcen im komplexen Schreibprozess zurückzuführen sein dürften. Anders ist dies im Hinblick auf fortgeschrittene SeiteneinsteigerInnen zu sehen, weil diese die grammatischen Strukturen teilweise noch erwerben müssen. Sie brauchen hier zusätzliche Beratung. Erste Erprobungen haben gezeigt, dass syntaktische Schwierigkeiten in Zusammenfassungen bei fortgeschrittenen SeiteneinsteigerInnen der frühen Sekundarstufe durch die Orientierung an den Varianten der Satzleiste wirksam bearbeitet werden können. Im Gegensatz zur platzsparenden Abbildung 7 werden die verschiedenen Varianten für die Lernenden mit einfachen Beispielsätzen versehen und durchnummeriert, so dass Lehrkräfte per Kürzel (analog zum „CodeKnacker“) darauf verweisen und die SchülerInnen nach einer kurzen Erklärung selbstständig und erfolgreich damit arbeiten können. Der Einsatz der Satzleistenmaterialien zur Förderung morpho-syntaktischer Kompetenzen beim Wortgruppen- und Satzausbau steht noch bevor. Manche Sachtexte beschreiben z.  B. Form-Funktions-Zusammenhänge, andere vergleichen etwas, wieder andere begründen Zusammenhänge, manche entwickeln auf argumentative Weise eine Theorie. Solche Subfunktionen legen die Verwendung spezifischer sprachlicher Mittel nahe, die Einfluss auf die grammatische Komplexität haben. Für die Berücksichtigung der Bedarfe von SeiteneinsteigerInnen besteht die Möglichkeit, die Formen-Funktionen-Relation didaktisch zu nutzen (Berkemeier

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Abb. 7: Exemplarisch ausgefüllte Satzleisten in ihren drei Varianten: Zweit-, Letzt- und Erststellung des finiten Prädikatsteils

& Wieland 2017): Die Charakterisierung eines Gegenstandes kann u.  a. durch einen weiteren Hauptsatz, ein attributives Adjektiv, einen Relativsatz oder ein Genitiv- oder Präpositionalattribut realisiert werden. Zu wählen wäre in diesem Fall eine der individuellen Sprachkompetenz angepasste Variante. Wie im Beispiel der Abbildung  1 ersichtlich ist, kann die Darstellung des Sachzusammenhangs dann recht umfangreich werden. Alternativ kann man sich zunächst z.  B. auf beschreibende Sachtexte beschränken, die häufig grammatisch weniger komplex formulierbar sind.

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4 Ausblick: Wie lassen sich textartspezifische Kompetenzzuwächse beim Zusammenfassen empirisch nachweisen? Die Komplexität des Schreibprozesses beim Zusammenfassen spiegelt sich in den Herausforderungen, die Wirksamkeit entsprechender didaktischer Konzepte zur textartspezifischen Lese-, Schreib- und Sprachförderung zu prüfen. Im Forschungsprojekt „Besser schreiben lehren durch halbstandardisierte individuelle Schreibberatung“4 wurden einige textartspezifische Tests entwickelt und erprobt. Dabei stößt man auf nicht wenige Probleme. Z.  B. liegen die sprachlichen Leistungen in sprachlich stark heterogenen Gruppen so weit auseinander und die Kompetenzzuwächse sind bei manchen SchülerInnen so gering, dass Verbesserungen mittels Ratings aufgrund der „Korngröße“ der Variablen quantitativ nicht sichtbar werden. Dennoch kann nachgewiesen werden (vgl. Berkemeier & Grabowski i.V.), dass die geförderten SchülerInnen ihre Leseleistung stärker verbessern als die Kontrollgruppen. Dabei zeigen die DaZ-Lernenden die größte Steigerung und profitieren am meisten von der Arbeit mit dem Code-Knacker. Bei individueller und qualitativer Betrachtung fällt auf, dass Lernende mit DaZ-Hintergrund nach der Förderung deutlich bessere Texte im Hinblick auf Textqualität, Kohäsionsmittelgebrauch und Satzkomplexität schreiben. Für die quantitative Erfassung von Schreibfördereffekten müssen die Instrumente jedoch sehr fein justiert sein.

5 Zusammenfassung Dass in der Schule Sprache verwendet wird, um Wissen zu vermitteln, spricht dafür, Wissenserwerb und sprachliche Kompetenzförderung miteinander zu vernetzen. Die Textart Sachtextzusammenfassung ist zwar komplex, bietet sich aber für diese Verknüpfung an, wenn der Lese-Schreib-Prozess begleitet wird, eine sehr differenzierte Perspektive auf sprachlich heterogene Zielgruppen eingenommen wird und deren diverse Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Dazu gehören die sprachliche Anpassung der Primärtexte, eine prozessintegrierte Wortschatzarbeit, eine effektive Verstehenssicherung sowie die Unterstützung beim Formulieren und beim Überarbeiten von Formulierungen. Fach- und Bildungssprache ließen sich auf diese Weise

4 Das Verbundprojekt (unter Leitung von Anne Berkemeier (Heidelberg) und Joachim Grabowski (Hannover) und Mitarbeit von Inga Harren (Freiburg), Fabian Kiepe (Heidelberg) sowie Marei Kotzerke und Moti Brinkhaus (Hannover)) wurde durch das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache finanziert und unterstützt. Die Stadt Heidelberg und die Manfred-LautenschlägerStiftung ermöglichen die Lehrerfortbildung und Fördermaßnahme in Heidelberger Schulen.

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Abb. 8: Zusammenhang zwischen inhaltlicher/sprachlicher Komplexität der Primärtextvarianten und kognitiver/sprachlicher Kompetenzförderung durch begleitete Sachtextzusammenfassungen

grammatisch und lexikalisch peu à peu mithilfe des Werkzeugs „Satzleiste“ ausbauen, sodass beginnende wie auch fortgeschrittene DaZ-LernerInnen, Bilinguale und MuttersprachlerInnen ihre Sprachkompetenz gerade mittels dieser Textart ausbauen können (s. Abbildung 8). Obwohl SeiteneinsteigerInnen zunächst Basiskompetenzen im Hinblick auf den Alltagswortschatz und einfache syntaktische Strukturen benötigen, muss dies also keinesfalls ausschließen, frühzeitig den komplexen Schreibprozess des Zusammenfassens begleitet zu bewältigen und die sprachlichen Fähigkeiten von Anfang an im Kontext fachlicher Zusammenhänge zu erwerben.5 Auf dieselbe Weise lässt sich die Arbeit am „gemeinsamen Gegenstand“ auch in Richtung zunehmender Komplexität realisieren, denn wissenschaftspropädeutisch gesehen geht es beim Zusammenfassen um das Verstehen und Reformulieren grammatisch und lexikalisch zunehmend komplexer Texte. Mit Ausnahme DaZ-typischer Erwerbsaufgaben ist dieser Unterschied 5 Selbst ohne Kompetenzen im deutschen Schriftsystem ist dies über Audio-Dateien, visuell zu komplementierende Visualisierungsblancos und Diktat/Audioaufnahme sehr früh auf basalem Niveau möglich.

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also nicht grundsätzlicher, sondern gradueller Art. Wie schön wäre es, wenn auch MuttersprachlerInnen des Deutschen diese Kompetenzen nicht mehr weitgehend ungesteuert ausbauen müssten.

Literatur Berkemeier, Anne (2010): Das Schreiben von Sachtextzusammenfassungen lernen, lehren und ­testen. In Thorsten Pohl & Thorsten Steinhoff (Hrsg.), Textformen als Lernformen, 211–232. Köln: Kölner Beiträge zur Sprachdidaktik (KöBes). http://www.koebes.uni-koeln.de/ pohl_steinhoff.pdf. Berkemeier, Anne, Sara Biafora, Astrid Geigenfeind, Inga Harren, Nora Renschler & Eva Sattelmayer (2014): Lesen – Verstehen – Sachzusammenhänge darstellen. Methodenbeschreibung. https://www.ph-heidelberg.de/fileadmin/ms-faecher/deutsch/Verbundprojekt/Klasse_6/Dateien_ Konzeptpapier/Berkemeier_et_al_Arbeit_mit_dem_Code-Knacker.pdf (25. 01. 2017). Berkemeier, Anne, Markus Schmitt & Astrid Geigenfeind (2013): Implementierung und Evaluation schulischer Schreibförderung als Herausforderung am Beispiel der Sachtextzusammenfassung. dieS-online. http://www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb05/dies/publikationen. Berkemeier, Anne & Astrid Geigenfeind (2014): Vom Text zur Visualisierung inhaltlicher Zusammenhänge. Praxis Deutsch 244, 30–37. Berkemeier, Anne & Regina Wieland (2017): Formen-Funktionen-Relationen DaZ-curricular nutzen. In Yüksel Ekinci, Y., Elke Montanari & Lirim Selmani (Hrsg.), Grammatik und Variation, 257–266. Heidelberg: Synchron. Berkemeier, Anne & Joachim Grabowski (Hrsg.) (i.V.): Mit Sachtextwiedergaben Schreibkompetenz fördern – ein didaktisches Konzept und seine empirische Evaluation. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Clahsen, Harald, Jürgen Meisel & Manfred Pienemann (1983): Deutsch als Zweitsprache: Der Sprach­ erwerb ausländischer Arbeiter. Tübingen: Narr. Feuser, Georg (1989): Allgemeine integrative Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik. Behindertenpädagogik 28 (1), 4–48. Geigenfeind, Astrid (2015): Welche Informationen sind beim Lernen aus (Sach-)Texten wesentlich? Entwicklung, Erprobung und Evaluation eines für SchülerInnen geeigneten Analyseverfahrens zur Bestimmung der wesentlichen Textinformation. Dissertation an der PH Heidelberg. Grießhaber, Wilhelm (2011): Die Profilanalyse als Bindeglied zwischen Sprachstandsdiagnose und Grammatikunterricht für Deutsch als Zweitsprache. In Klaus-Michael Köpcke & Christina Noack (Hrsg.), Sprachliche Strukturen thematisieren, 218–233. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Hoffmann, Ludger (2016): Deutsche Grammatik. Grundlagen für Lehrerausbildung, Schule, Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache. 3. Aufl. Berlin: Erich Schmidt. Kaltenbacher, Erika (2013): Sprachförderung in der 1. und 2. Klasse nach dem Konzept „Deutsch für den Schulstart“. In Yvonne Decker-Ernst & Ingelore Oomen-Welke (Hrsg.), Deutsch als Zweitsprache: Beiträge zu einer durchgängigen Sprachbildung, 139–158. Stuttgart: Fillibach bei Klett. Knapp, Werner (1997): Schriftliches Erzählen in der Zweitsprache. Tübingen: Narr. Kotzerke, Marei, Moti Brinkhaus & Joachim Grabowski (i.V.): Studierende lernen, Schüler in ihren Schreibprozessen zu beraten – standardisiert individuell. Leisen, Josef (o.J.): Sprachsensibler Fachunterricht. http://www.josefleisen.de/uploads2/04 Sprache im Fachunterricht – Bilingualer Fachunterricht/17 Sprachsensibler Fachunterricht.pdf (28. 09. 2015).

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 Anne Berkemeier

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Julia Ricart Brede

22 Protokolle als Textsorte(n) im Unterricht 1 2 3 4 5

Einleitung: Die sprachliche und fachliche Gebundenheit von Textmusterkompetenz Die Bedeutung von Textmustern für das (schulische) Schreiben Das Protokoll als Textsorte des schulischen Fachunterrichts Das Versuchsprotokoll im naturwissenschaftlichen Fachunterricht Versuchsprotokolle als Lerngegenstand im Unterricht

1 Einleitung: Die sprachliche und fachliche ­Gebundenheit von Textmusterkompetenz „Schreiben ist eine komplexe Handlung, die verschiedenartige Kompetenzen voraussetzt“ (Wrobel 2014: 85). In zahlreichen Publikationen werden diese Teilkompetenzen mit unterschiedlichen Akzentuierungen – teilweise mit Zuordnungen zu einzelnen Wissensdomänen, teilweise bezogen auf einzelne Phasen des Textproduktionsprozesses – ausdifferenziert (vgl. z.  B. Becker-Mrotzek & Schindler 2008; Portmann-Tselikas 2005; Schmölzer-Eibinger 2008: 51  ff.; Weidacher 2007: 49  ff.). Auch wenn sich das für erfolgreiches Schreiben erforderliche Spektrum an Kompetenzen in jeder Sprache aus denselben Teilkompetenzen zusammensetzt, stellt sich mit Blick auf das Schreiben in der Zweitsprache die Frage, inwiefern die einzelnen Teilkompetenzen einzelsprachlich gebunden oder sprachübergreifend anwendbar sind (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 53  f.). Im schulischen Kontext ist dies vor allem für sog. SeiteneinsteigerInnen relevant, die zuvor in ihrem Herkunftsland beschult wurden und daher bereits Textproduktions- bzw. Schreibkompetenzen in einer anderen Sprache als der Zielsprache (in diesem Fall Deutsch) ausbilden konnten. In Anlehnung an die Schwellenhypothese von Cummins ist allerdings davon auszugehen, dass es selbst für den Transfer der sprachübergreifend anwendbaren Teilkompetenzen die Überschreitung einer bestimmten „Schwelle an allgemeiner Sprachkompetenz“ in der Zielsprache bedarf (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 57). „Die Schwellenniveau-Hypothese nimmt an, dass jene Aspekte von Zweisprachigkeit, die die kognitive Entwicklung positiv beeinflussen könnten, erst dann zur Wirkung kommen, wenn das Kind [bzw. der Lerner oder die Lernerin] ein gewisses Minimum bzw. eine bestimmte Schwelle an Kompetenz in einer zweiten Sprache erworben hat“ (Cummins 1982: 32). Übertragen auf das Schreiben in einer Zweitsprache bedeutet das in einem weiten Verständnis: Selbst für die sprachübergreifend anwendbaren Teiltextkompetenzen ist die Möglichkeit eines positiven Transfers aus der Erstsprache in die Zielsprache erst dann gegeben, wenn Sprachkompetenzen in der Zielsprache in hinreichendem Maße vorhanden sind. DOI 10.1515/9783110354577-022

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Doch nicht nur die einzelsprachliche Gebundenheit, sondern auch die fachliche Gebundenheit der Teiltextkompetenzen ist – insbesondere mit Blick auf das Schreiben im schulischen Kontext  – von Bedeutung, wenngleich häufig leider wenig(er) beachtet. Eine für das Schreiben relevante Teilkompetenz, die sowohl einzelsprachlich als auch fachspezifisch geprägt ist, ist die Textmusterkompetenz (vgl. SchmölzerEibinger 2008: 53; Portmann-Tselikas 2001: 9; Hufeisen 2008: 52). Aufgrund kultureller Unterschiede in Bezug auf Vorkommen und/oder Gestaltung einzelner Textsorten kann es, trotz der sprachübergreifenden Verfügbarkeit von Textmustern, zu negativen Transfereffekten oder sogenannten „überlappenden Textmustern“ (vgl. Skiba 2010) kommen. Inwiefern und zu welchem Grad sich erst- und zweitsprachliche Textmuster beim Schreiben in einer L2 vermischen bzw. „überlappen“, lässt sich allerdings nicht pauschal bestimmen, sondern steht in Abhängigkeit einerseits vom jeweiligen Textmuster sowie andererseits von zahlreichen Lernervariablen (wie der Art und Beschaffenheit der Erstsprache(n), dem Alter zu Erwerbsbeginn und auch der Schreibsozialisation). Abhängig ist der Umfang des L1-Einflusses auf die L2-Textproduktion auch von der jeweiligen Fachdisziplin, in der die Textproduktion verortet ist. So konstatiert Oldenburg als ein weiteres Ergebnis sprach- bzw. kulturvergleichender Textanalysen, „daß im interlingualen Vergleich zwischen Fachtexten aus den Naturwissenschaften, die von den primären kulturellen Systemen der Sprachgemeinschaften wenig beeinflußt werden und von den Gegenständen, die der außersprachlichen und ‚außerkulturellen‘ Realität angehören, determiniert sind, keine oder nur geringe interkulturelle Differenzen bestehen, während die Unterschiede zwischen Fachtexten aus den Gesellschaftswissenschaften, die den primären kulturellen Systemen näher stehen und deren Gegenstände mit eben diesen kulturellen Systemen eng verknüpft sind, deutlich größer ausfallen“ (Oldenburg 1992: 35  f.). Eine Schwierigkeit besteht weiterhin darin, dass einige Textmuster in mehreren Fachkontexten zugleich präsent sind. SchreiberInnen wähnen sich daher oftmals „auf vertrautem Terrain“, ohne sich der jeweils fachspezifischen Prägung der Textmusterausgestaltung gewärtig zu sein. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf wissenschaftliche Hausarbeiten verwiesen, für die in naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fachdisziplinen (und teilweise sogar in einzelnen Fächern) unterschiedliche Traditionen und Gestaltungsregularien bestehen. Eine weitere Textsorte, die hohe Relevanz im Schulalltag besitzt und die – mit jeweils fachspezifischen Prägungen – in verschiedenen Fächern verortet ist, stellt das Protokoll dar. Im Folgenden wird, nach einer kurzen Darstellung der Bedeutung von Textsorten bzw. Textmustern für das (schulische) Schreiben i.A., auf das Protokoll als Textsorte und Lerngegenstand im schulischen Kontext näher eingegangen.

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2 Die Bedeutung von Textmustern für das (schulische) Schreiben Der Begriff „Textsorte“ wird hier in Anlehnung an Adamzik als im Vergleich zu anderen Begriffen (wie Textart, Texttyp, Textklasse oder auch Textmuster) vergleichsweise neutraler Begriff der Textlinguistik verwendet (vgl. Adamzik 2001: 21; ebenso Beese & Roll 2015: 51). Da sich mit Blick auf die Kompetenzdebatte allerdings v.  a. der Begriff „Textmuster“ (bzw. Textmusterkompetenz) durchgesetzt hat, wird auch dieser gebraucht, insbesondere wenn auf die Kompetenz zur (schematischen) Verwendung eines bestimmten Textmusters für das Schreiben eines Textes in einer bestimmten Textsorte fokussiert wird (das von SchreiberInnen, einem Muster gleich, als Schablone genutzt werden kann, vgl. auch Peschel 2012: 100  f.). Für das Schreiben – gerade auch im schulischen Fachunterricht – sind Textmuster von zentraler Bedeutung. Über das Langzeitgedächtnis können SchreiberInnen ihr schreibbezogenes Wissen, darunter in Form von „Schreibplänen“ (Wrobel 2014), „Stored Writing Plans“ (vgl. Hayes & Flower 1980: 11) oder „Genre Knowledge“ (vgl. Hayes 1996: 4) auch das Textmuster- bzw. Textsortenwissen, aktivieren und für den Schreibprozess nutzen. Entscheidend ist hierfür allerdings der Grad der Verinnerlichung des Textmusters bzw. der Grad der Automatisierung für die Nutzung desselben. So entsteht durch zunehmende Schreibroutine, die sich dadurch ergibt, dass Wissensbestände (wie Textmusterwissen) zunehmend automatisiert und somit auch unbewusst verfügbar sind, Raum für hierarchiehöhere Prozesse des Schreibens (vgl. Feilke & Augst 1989: 302). Beese & Roll bezeichnen die Vermittlung fachlicher Text­ sor­ten und der zugehörigen sprachlichen Handlungen entsprechend auch „als eine Art didaktischer ‚Hebel‘ für eine systematische Sprachbildung im Fach.“ (Beese & Roll 2015: 51) In diesem Zusammenhang bzw. für den Gebrauch von Textmustern von zentraler Bedeutung sind Textprozeduren. Als „routinehafte Komponenten des Textaufbaus“ (Feilke 2015:  62) stellen Textprozeduren eine Verbindung zwischen bestimmten textlichen Handlungsschemata (wie Begründen, Konzedieren) und einem konven­tionell begrenzten Spektrum an sprachlichen Mitteln (bzw. Prozedur­ ausdrücken) her; damit dienen Textprozeduren der Produktion bestimmter Texthandlungstypen (wie dem Argumentieren oder Beschreiben) (vgl. Feilke 2014: 25  f.). Beispielhaft führen Beese & Roll (2015: 54) das Einüben konditionaler Satzgefüge (wie ‚wenn  – dann‘) als bedeutsame Textprozedur für das konzeptuelle Verständnis einer Ursache-Wirkungs-Relation in einem naturwissenschaftlichen Experiment an. Das Potenzial von Textprozeduren für das Schreiben und damit auch für den Schreibunterricht liegt darin, dass sie nicht auf den Text bzw. auf das Textmuster als Ganzes, sondern auf Einheiten mittlerer Größe bezogen sind. Feilke bezeichnet Textprozeduren infolgedessen auch als „sprachliche Werkzeuge des Schreibens“ bzw. als Werkzeuge für die Realisierung bestimmter Textmuster (vgl. Feilke 2014: 14).

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Schulischer Schreibunterricht hat unter anderem die Aufgabe der Heranführung an Textmuster bzw. Textsorten und damit auch an bestimmte Texthandlungstypen und Diskursfunktionen. Eine besondere Rolle nehmen in diesem Zusammenhang die zu Lernzwecken von der Institution Schule hervorgebrachten Textsorten wie die Bildergeschichte, der Reizwortaufsatz oder die Erörterung ein; Feilke bezeichnet sie auch als „didaktische Gattungen“ der Schulsprache (vgl. Feilke 2012: 5). Auch das im naturwissenschaftlichen Unterricht derzeit Hochkonjunktur erfahrende Versuchsprotokoll kann als „didaktische Gattung“ der Schule bezeichnet werden. So weist Krabbe (2015: 157) darauf hin, dass die Struktur des Versuchsprotokolls von ExperimentalphysikerInnen in ihren Laborbüchern und damit in der heutigen Forschungspraxis kaum noch verwendet wird. Doch dient es im naturwissenschaftlichen Unterricht nicht nur als Mittel der Dokumentation von Versuchen, der Herausbildung experimenteller Kompetenz und damit der Heranführung an epistemisches Schreiben, sondern es hält zugleich ein Planungsmodell für den Unterricht bereit, indem es den Unterrichtsablauf strukturiert und eine sachlogische Sequenzierung der Unterrichtsphasen nahelegt.

3 Das Protokoll als Textsorte des schulischen Fachunterrichts Im Allgemeinen ist das Protokoll eine äußerst flexible Textsorte zur Wissensübermittlung, aber auch zum Wissenserwerb; es dient der (chronologischen und/oder systematischen) Fixation von Sachverhalten. Mit Blick auf den zu protokollierenden Sachverhalt gilt es dabei vor allem zu unterscheiden, ob sich die Protokolle auf mündliche Kommunikationsprozesse oder auf nicht-sprachliche Ereignisse beziehen, die schriftlich festgehalten werden (vgl. Moll 2003: 73). Im schulischen Deutschunterricht steht das Protokoll als Mittel zur Fixation mündlicher Kommunikationsprozesse im Vordergrund. Das Protokollieren gilt hier als Verfahren zur komprimierenden Verschriftlichung gesprochener Sprache, um Gespräche in knapper und systematischer Form festzuhalten und damit als allgemeine Wissensbasis für alle Beteiligten verbindlich zu dokumentieren. Je nach Verdichtungs- und Systematisierungsgrad (d.  h. abhängig davon, wie ausführlich das Protokoll ist und ob es die Gesprächschronologie wiedergibt oder inhaltlich-logisch strukturiert ist) existieren dabei entlang eines Kontinuums verschiedene Formen des Gesprächsprotokolls, deren Enden auf der einen Seite vom Verbaltranskript (das ein Gespräch möglichst umfassend und wörtlich wiedergibt) sowie auf der anderen Seite vom Ergebnisprotokoll (das in möglichst knapper Form die wichtigsten Ergebnisse eines Gesprächs wiedergibt) begrenzt werden (für ausführlichere Darstellungen zum Gesprächsprotokoll vgl. Moll 2003: 73  f.; Moll 2001: 29  f.). Bei einem exemplarischen Blick in den Schleswig-Holsteinischen Lehrplan des Faches Deutsch an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen findet sich das

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Protokoll an mehreren Stellen wieder; es wird für die Klassenstufen 7/8 und 9/10 jeweils als „sprachlich kommunikative Basisfähigkeit“ aufgeführt (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 1997a: 36, 37, 52). Für die Klassenstufe 7/8 wird dabei vorausgesetzt, Ergebnisse von Gesprächen, Unterrichtsphasen u. dgl. m. festhalten zu können (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 1997a: 37), wohingegen von SchülerInnen der Klassenstufe 9/10 für gängige Formen informierenden Schreibens, und hier auch explizit für das Protokollieren, in unterrichtlichen Verwendungszusammenhängen bereits eine zunehmend sichere und selbständige Nutzung erwartet wird (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 1997a: 52). Im naturwissenschaftlichen Kontext bezieht sich das Protokoll auf nicht-sprachliche Ereignisse. Um diese Form des Protokolls von Gesprächsprotokollen im Fach Deutsch abzugrenzen, wird es nachfolgend als Versuchsprotokoll bezeichnet. Das Versuchsprotokoll dient als ein Mittel der Darstellung und ist eine insbesondere bei der Durchführung von Experimenten bzw. Versuchen oftmals gewählte fachgemäße Arbeitsweise. „Zweck des Versuchsprotokolls [ist] eine allgemeine naturwissenschaftliche Schlussfolgerung, die durch die präzise, auf das Wesentliche reduzierte Darstellung des Versuchs belegt wird“ (Beese & Roll 2015: 58). Dabei soll es „Abbild einer gewissenhaften Forschung sein, die zwischen dem Vorgehen, der Beobachtung und der Deutung trennt“ (Kraus & Stehlik 2008: 17). Folglich dokumentiert das Versuchsprotokoll zum einen den Ablauf eines Versuchs, zum anderen hält es die beim Versuchsablauf gemachten Beobachtungen einschließlich ihrer Deutung fest. Auch als Versuchsprotokoll findet die Textsorte „Protokoll“ in den Curricula der Schulfächer Berücksichtigung. So wird im Schleswig-Holsteinischen Lehrplan des Faches Biologie für die Sekundarstufe I der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen auf das Anfertigen von Versuchsprotokollen im Kontext der Anforderungen für die Klassenstufe 9 an Realschulen und Gymnasien hingewiesen (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 1997b: 17, 71, 92). Im schulischen Kontext treffen SchülerInnen demnach einerseits auf das Gesprächsprotokoll, das sich auf mündliche Kommunikationssituationen bezieht und das seinen Platz im Deutschunterricht hat, sowie andererseits auf das Versuchsprotokoll, das der Fixierung von Versuchen dient und im naturwissenschaftlichen Fachunterricht Unterrichtsgegenstand ist. Ein Bezug zwischen beiden Protokollformen wird in den Lehrplänen nicht hergestellt; es ist davon auszugehen, dass dies auch für die schulische Praxis gilt. Exemplarisch wird im Folgenden das Versuchsprotokoll näher fokussiert, indem die Merkmale dieser Textsorte als Lernaufgaben für die SchülerInnen (mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache) aufgezeigt werden. In einem (Fach-) Unterricht, der Schreibkompetenzen fördert, sind diese Merkmale gemeinsam mit den SchülerInnen herauszuarbeiten; ihre Umsetzung gilt es des Weiteren zu trainieren.

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4 Das Versuchsprotokoll im naturwissenschaft­ lichen Fachunterricht 4.1 Die Textteile eines Versuchsprotokolls Die zentralen Funktionen eines Versuchsprotokolls finden sich textuell in der Versuchsdurchführung, der Versuchsbeobachtung und der Versuchsauswertung wieder. Charakteristisch ist entsprechend ihre Gliederung in Durchführung, Beobachtung und Auswertung (oder auch Erklärung). Diesen Textteilen vorangestellt ist die Aufgaben-/ Themenstellung (oder auch Zielformulierung); teilweise werden die Hypothesengenerierung und der Versuchsaufbau bzw. die Materialliste als weitere Bestandteile eines Versuchsprotokolls genannt (für ausführlichere Darstellungen zu den Funktionen sowie zur textuellen Gestaltung eines Versuchsprotokolls vgl. Eschenhagen, Kattmann & Rodi 1993: 258  ff.; Gropengießer & Kattmann 2006: 271; Zürcher & Spörhase 2010: 162  ff.; Beese & Roll 2013: 216  ff.). Mit Blick auf die Struktur betont Krabbe (2015:  167) die Nähe zwischen Versuchsprotokollen und wissenschaftlichen Berichten. Letztere folgen häufig dem so genannten IMRAD-Schema, das sich mittlerweile im internationalen Raum disziplinenübergreifend für die Darstellung empirischer Ergebnisse etabliert hat. Nach dem IMRAD-Schema gliedern sich wissenschaftliche Berichte – ähnlich wie Versuchsprotokolle – in die Bestandteile „Introduction, Methods, Results and Discussion“ (für weitere Erläuterungen zur IMRAD-Struktur vgl. Weinreich 2010: 76). Die Einführung und Thematisierung der einzelnen Textteile eines Versuchsprotokolls ist Aufgabe eines jeden naturwissenschaftlichen Unterrichts (und nicht nur eines solchen, der sich als sprachsensibler Fachunterricht versteht). Allein die Nennung der Textteile bzw. die Einführung der Begrifflichkeiten (bspw. in Form von Überschriften) ist – wie auch Untersuchungen zeigen (vgl. Ricart Brede 2014c: 178) – allerdings nicht ausreichend, um SchülerInnen transparent zu machen, welche Inhalte in welchen Textteilen aufzuführen sind. Wie Krabbe mit Blick auf Beobachtungen und Auswertungen zeigt, lassen sich die einzelnen Textteile zudem nicht (immer) ohne Weiteres voneinander abgrenzen (vgl. Krabbe 2015: 165). Für den Unterricht weiterführender scheint daher ein funktionaler Ansatz, im Rahmen dessen die einzelnen Textteile anhand ihrer Funktionen zum Unterrichtsgegenstand werden (vgl. auch Beese & Roll 2015: 59  ff.). Didaktisch unterstützend kann hierfür die Arbeit mit Musterprotokollen, Textbausteinen (vgl. Peschel 2012: 106  ff.; Hoppe, Krämer & Reh 2013) oder Leitfragen für die einzelnen Textteile (vgl. Kraus & Stehlik 2008) sein. Auch Krabbe betont die sich aufgrund der funktionalen Gliederung von Versuchsprotokollen ergebende Chance für den Unterricht und für die Schreibförderung und unterstreicht dabei vor allem die Korrelation der einzelnen Textteile mit unterschiedlichen Diskursfunktionen (vgl. Krabbe 2015: 158; für weitere Erläuterungen zu zentralen Diskursfunktionen des schulischen Sprachgebrauchs vgl. Vollmer 2011).

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Für die nähere Beschreibung von Versuchsprotokollen wird nachfolgend exemplarisch auf die beiden Textteile „Beobachtung“ und „Auswertung“ eingegangen.

4.2 Versuchsbeobachtungen Mit Blick auf die Sprachhandlung handelt es sich bei Versuchsbeobachtungen um Beschreibungen (vgl. Rehbein 1984; Brezmann 2004; Beese & Roll 2013:  220). Die dem Beschreiben im Allgemeinen zugrunde liegende Quaestio „Wie ist x beschaffen?“ (vgl. Klein & Stutterheim 1987: 166) ist für Versuchsbeobachtungen mit „Wie ist der Prozess beschaffen?“ zu konkretisieren. Für die Beantwortung dieser Quaestio erhält die zeitliche und logische Abfolge des Versuchs bzw. der Teilereignisse eine zentrale Bedeutung. Sie wird zum Ordnungsschema der Beobachtung und damit konstituierend für ihre Gliederung (vgl. Rehbein 1984: 77, 79). Sprachlich realisiert werden können zeitliche und logische Zusammenhänge im Deutschen sowohl grammatikalisch als auch lexikalisch. Den vergleichsweise allgemeinen Möglichkeiten der verbalen Tempusanzeige kommt in Versuchsbeobachtungen keine bzw. kaum eine Bedeutung zu; dominant ist hier grundsätzlich das Präsens, was funktional begründet ist und die objektive und allgemeine Gültigkeit des Versuchs zum Ausdruck bringt (vgl. Schleppegrell 1998: 187; Vollmer 2011: 6). Stattdessen erfolgt die Angabe zeitlicher und logischer Informationen über den tempuslosen Satzrest. Frequente Mittel hierfür sind insbesondere Konnektoren, aber auch Präpositionalkonstruktionen; vereinzelt werden Zusammenhänge des Weiteren über mathematische Operatoren (wie → oder =) oder über bestimmte Satzmuster ausgedrückt (für letzteres dient das folgende, konditionale Satzgefüge als Beispiel: „Zieht man am Gummi, geht die Luft raus.“). Die doppelte Lesart einiger Konnektoren trägt dabei der Tatsache Rechnung, dass es sich bei Versuchen nicht um rein temporal begründete Ereignisabfolgen, sondern um eine konditional motivierte Verkettung von Ereignissen handelt. Im Besonderen gilt dies für die Konjunktion „wenn“, den mit Abstand am häufigsten als charakteristisch angeführten Konnektor für Versuchsbeschreibungen (vgl. Ricart Brede 2014a: 63  f.). Im Unterschied zu herkömmlichen Beschreibungen, die zur Ausschmückung und Detaillierung auf Attribuierungen zurückgreifen (vgl. Rehbein 1984: 79), haben Versuchsbeobachtungen den Anspruch, das Wesentliche möglichst knapp darzustellen. Gleichzeitig ist für eine exakte Replikation des Versuchs eine lückenlose und präzise Darstellung erforderlich (vgl. Krabbe 2015: 158). Demzufolge haben Versuchsbeobachtungen den Spagat zwischen einer hinreichenden Ausführlichkeit auf der einen Seite und einer möglichst knappen Darstellung auf der anderen Seite zu leisten. Es geht um den angemessenen Detaillierungs- oder Zerlegungsgrad (vgl. Rehbein 1984: 84) bzw. um the „appropriate amount of information“ (McCarthy 1987: 242) – und die damit zusammenhängende und für jeden Versuch im Einzelnen zu beantwortende Frage, WELCHE Informationen zentral und entsprechend darzustellen sind (vgl. hierzu weiterführend auch das Stichwort der „Themenentfaltung“ bei Adamzik 2001: 18).

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4.3 Versuchsauswertungen Bei Versuchsauswertungen handelt es sich aus diskursfunktionaler Sicht um Erklärungen des Typs „Erklären-warum“ mit Tendenzen zum Typ „Erklären-wie“ im Unterschied zu Erklärungen des Typs „Erklären-was“, die sich auf Sachverhalte beziehen (vgl. Klein 2009; Neumeister & Vogt 2009:  562). Versuchsauswertungen, die das Erklären eines Versuchsablaufs zum Anliegen haben, geben demnach Antwort auf die Frage „Wie kann man das (was man sieht, also das, was beobachtet worden ist) deuten?“ (Kraus & Stehlik 2008: 20). Die Formulierung dieser Frage macht den Bezug zur Versuchsbeschreibung als Conditio sine qua non für die darauffolgende Versuchsauswertung offenkundig (vgl. auch Brezmann 2004: 23). Obwohl in Versuchen ein Prozess im Mittelpunkt steht, interessiert beim Erklären nicht mehr dessen zeitliche Abfolge, sondern allein der kausale bzw. sachlogische Zusammenhang der Teilereignisse; es geht darum, das Zustandekommen des Sachverhalts zu explizieren (vgl. Neumeister & Vogt 2009: 565). Ausgehend von der formulierten Quaestio müssen beim Erklären demnach „im Unterschied zur Diskursfunktion DESCRIBING [bzw. zum Beschreiben] die Ursachen von Ereignissen, Situationen, Phänomenen oder Prozessen genannt werden“ (Vollmer 2011: 7). Anstelle der präzisen Sinneswahrnehmung oder Beobachtung rückt bei diesem Diskurstyp ergo die inhaltlich-logische Durchdringung des Explanandums in den Vordergrund (vgl. Neumeister & Vogt 2009: 562  f.). Um der Verpflichtung gegenüber dem Sachverhalt gerecht zu werden, ist die Erklärung wahrheitsgemäß, korrekt, klar und vollständig darzustellen (vgl. Klein 2009: 35; Grasser & Redder 2011: 57). Ebenso wie in Versuchsbeschreibungen stellt sich damit auch in Versuchsauswertungen die Frage des angemessenen Detaillierungsgrades (vgl. auch Harren 2009: 90). Allerdings ist das Verstehen des Sachverhaltes nicht nur rezipientenseitiges Ziel der Sprechhandlung, sondern zugleich grundlegende Voraussetzung auf Seiten des Erklärenden, um überhaupt erklären zu können. Tajmel bewertet den Diskurstyp „Erklären“ im Vergleich zum eher deskriptiven Vorgang des Beschreibens daher als kognitiv weitaus anspruchsvoller (vgl. Tajmel 2012: 12). Hinzu kommt, dass das Erklären in seiner propositionalen Gestalt anspruchsvoll ist, da es im Unterschied zu anderen Sprechakten per se mindestens zwei Propositionen umfasst. So „bedarf es zum Erklären neben einer Proposition für das, was ERKLÄRT werden soll (Explanandum), mindestens einer weiteren Proposition für den Sachverhalt, der die Erklärung liefert (Explanans)“ (Klein 2009: 28). Mit anderen Worten: Das Ereignis E (das Explanandum; das was zu erklären ist) wird erklärt durch einen Schluß oder eine Ableitung aus den Gesetzesaussagen G1 bis Gk zusammen mit den Antecedensbedingungen A1 bis An als Prämissen; beide zusammen bilden das Explanans, d.  h. das, womit erklärt wird. (Poser 2001: 45)

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Bei den erforderlichen Gesetzesaussagen handelt es sich in den Naturwissenschaften in der Regel um (Gleich-)Setzungen der Art A = B; sprachlich werden diese oftmals mit Hilfe von Gleichheitszeichen und damit im Rückgriff auf mathematische Operatoren realisiert (vgl. Leisen 2010: 46  ff.). Zur Versprachlichung der Antecedensbedingungen dienen u.  a. die bereits für Versuchsbeobachtungen als charakteristisch herausgestellten „wenn(-dann)“-Konstruktionen. Um die bestehenden Bezüge zwischen den einzelnen Propositionen auszudrücken, rückt der Fokus in Erklärungen i.A. auf satzübergreifende Strukturen und Konnektoren (vgl. Lengyel et al. 2009: 136  f.; Ricart Brede 2014a). Zentral für das Erklären sind dabei aufgrund des Schließens vom Explanans auf das Explanandum insbesondere kausale Zusammenhänge. Sprachliche Mittel zur Initiierung von Schlussfolgerungen sind bspw. „dadurch“ oder „da“, wobei „da“ die Ursache betont, wohingegen „dadurch“ den Fokus auf die Folge richtet.

4.4 Allgemeine sprachliche Charakteristika von Versuchs­protokollen Auch wenn sich die Art der Konnektoren in Versuchsbeschreibungen und Versuchsauswertungen unterscheidet (in Versuchsbeschreibungen finden sich v.  a. temporale und konditionale Konnektoren; in Versuchsauswertungen sind neben konditionalen v.  a. kausale Konnektoren frequent), sind Konnektoren gleichermaßen für beide Textteile wichtige sprachliche Mittel. Ebenso ist die unpersönliche Gestaltung von Versuchsprotokollen ein allgemeines, d.  h. sowohl auf Versuchsbeschreibungen als auch auf Versuchsauswertungen zutreffendes Charakteristikum von Versuchsprotokollen. Versuchsprotokolle sollen eine exakte Wiederholung desselben Versuchs unter gleichen Bedingungen ermöglichen; zudem dient das Protokoll dazu, die Ergebnisse der eigenen Versuchsdurchführung mit Ergebnissen anderer Versuche vergleichen zu können. Entsprechend gilt es in der Darstellung vom Einzelfall zu abstrahieren und eine möglichst allgemeine Perspektive auf den Prozess einzunehmen. Um dies zu realisieren, ist in Versuchsprotokollen bezüglich der Genera Verbi eine erhöhte Tendenz im Gebrauch des Vorgangspassivs zu verzeichnen; ferner eine Rolle spielen Passiversatzkonstruktionen (insbesondere mithilfe des Indefinitpronomens „man“) (vgl. Ricart Brede 2012; Ricart Brede 2014b). Die Forderung nach einer unpersönlichen Textgestaltung hat für die Lehrkraft auch didaktische Implikationen. Werden den SchülerInnen für das Schreiben einzelner Textteile des Versuchsprotokolls (wie Beobachtung oder Auswertung) Leitfragen an die Hand gegeben, sind diese entsprechend unpersönlich zu formulieren. Selbiges gilt für die Bereitstellung von Textanfängen als Hilfestellung für die Textproduktion. Die Bedeutung dieser Forderung wird gestützt von Untersuchungsergebnissen, die zeigen, dass SchülerInnen die zu Beginn eines Versuchsprotokolls gewählte Sichtweise im Folgetext beibehalten und insofern bereits der erste Satz ausschlaggebend

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dafür ist, ob der gewählte Schreibstil in einem Versuchsprotokoll unpersönlich ist oder nicht (vgl. Ricart Brede 2014b).

5 Versuchsprotokolle als Lerngegenstand im Unterricht Protokolle sind als Textsorte(n) explizit im Unterricht einzuführen, wobei es den Unterschied zwischen Gesprächsprotokollen (wie sie im Deutschunterricht eine Rolle spielen) und Versuchsprotokollen (die im naturwissenschaftlichen Unterricht erstellt werden) herauszustellen gilt. Die Einführung von Versuchsprotokollen ist dabei Aufgabe der Lehrkraft des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Sie umfasst die Benennung der Funktionen eines Versuchsprotokolls und die sich daraus ableitende Gliederung in die einzelnen Textteile. Als didaktische Hilfestellungen können hierzu Musterprotokolle ebenso wie Leitfragen dienen (für weitere didaktische Vorschläge vgl. Peschel 2012: 104  ff.). Aber auch an die sprachliche Gestaltung der einzelnen Textteile eines Versuchsprotokolls sind die SchülerInnen – und nicht nur solche, für die Deutsch eine Zweitsprache darstellt – heranzuführen. SchülerInnen müssen lernen, dass Versuchsprotokolle allgemeingültig und unpersönlich zu gestalten sind und dass das generische Präsens und Passiva sprachliche Mittel darstellen, um dies zu leisten. Weiterhin ist den SchülerInnen deutlich zu machen, dass die Einhaltung und Versprachlichung der zeitlichen und logischen Struktur eines Versuchs ein zentrales Qualitätsmerkmal eines Versuchsprotokolls ist und ihnen müssen sprachliche Mittel (wie Konnektoren, aber auch mathematische Operatoren) an die Hand gegeben werden, um diese abzubilden. Letztlich geht es darum, Textprozeduren zur Realisierung bestimmter Texthandlungstypen bzw. Diskursfunktionen (wie dem Beschreiben oder Erklären) bzw. Form-Funktions-Zusammenhänge, d.  h. sprachliche Mittel und Prozedurausdrücke zur Realisierung bestimmter Funktionen (Handlungsschema), kennenzulernen und einzuüben (vgl. Feilke 2015: 63, 66; Feilke 2014: 24  ff.). Geeignete Unterrichtsmaterialien hierfür liegen bspw. mit dem Themenheft „Protokolle und Co“ der Zeitschrift „Biologie 5–10“ (4/2013) vor. Die Ebene der Prozedurausdrücke, d.  h. der einzelnen Sprachmittel, hält für SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache dabei zusätzliche Lernaufgaben bereit. Sie müssen bspw. lernen, wie Passivkonstruktionen im Deutschen gebildet werden, aber auch welche Konnektoren es im Deutschen für die Herstellung konditionaler und kausaler Zusammenhänge gibt. Je nach Erstsprache (und typologischer Nähe bzw. Distanz zum Deutschen) bzw. je nach den bereits vorhandenen Sprachkompetenzen (möglicherweise auch in Fremdsprachen) stellt dies für die LernerInnen eine unterschiedlich große Herausforderung dar (mit Blick auf Passivkonstruktionen stellt sich bspw. die Frage, ob diese in der Erstsprache bzw. in den bereits bekannten Sprachen synthetisch oder – ebenso wie im Deutschen – analytisch gebildet werden, vgl. Ricart

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Brede 2012). Derartige, die Ebene der einzelnen Sprachmittel betreffende Lernaufgaben, haben ihren Platz im DaZ-Förderunterricht. Eine explizite DaZ-Förderung ist folglich auch auf einem weit fortgeschrittenen Sprachniveau notwendig, damit SchülerInnen den Anforderungen der Schul- und Fachsprache gerecht werden können. Zugleich wird deutlich, dass SchülerInnen bereits über ein sehr umfangreiches sprachliches Wissen verfügen müssen, um Versuchsprotokolle verfassen zu können. Insbesondere für SeiteneinsteigerInnen, d.  h. für solche SchülerInnen, die „von der Seite her“ resp. während der Schulzeit in das deutsche Bildungssystem „einsteigen“, stellt sich daher die Frage, inwiefern sie bereits auf hinreichend umfangreiches Schreib- und Textmusterwissen (bspw. aus ihrer Erstsprache) zurückgreifen können und inwiefern ihnen die erforderlichen Diskursfunktionen bereits (aus der Erstsprache) vertraut sind. Allgemein ist für Schreibaufgaben höherer Komplexität (und damit auch für das Abfassen von Versuchsprotokollen) mit umfangreicheren Rückgriffen auf die Erstsprache zu rechnen als bei weniger komplexen Schreibaufgaben (vgl. Woodall 2002: 16  f.). Zu bedenken gilt es allerdings, dass Textprozeduren zur Realisierung bestimmter Diskursfunktionen einzelsprachlich sehr unterschiedlich aussehen können (vgl. hierfür weiterführend auch eine vergleichende Analyse englischer und deutscher Beschreibungen von Stutterheim & Kohlmann 2001). Hinzu kommt, dass Form-Funktions-Zusammenhänge selbst im Deutschen nicht ein-eindeutig sind (vgl. hierzu auch Thürmann 2012: 8). So müssen SchülerInnen, und zwar nicht nur solche, für die Deutsch eine Zweitsprache darstellt, bspw. lernen, dass zeitliche und logische Zusammenhänge gleichermaßen über Adverbialien, Konnektoren, bestimmte Satzstellungsmuster, aber auch über mathematische Zeichen angezeigt werden können. Es geht darum, den SchülerInnen ein möglichst breites Repertoire an sprachlichen Zeichen zur Verfügung zu stellen, auf das sie – je nach Situation, Textsorte und Funktion – im Fachunterricht zurückgreifen können. Deutschunterricht und naturwissenschaftlicher Unterricht müssen zusammenwirken, um das notwendige Sprachwissen und die nötige sprachliche Bewusstheit bei allen SchülerInnen auszubilden, das/die im Fachunterricht dann an verschiedenen Textsorten (wie dem Versuchsprotokoll) zielführend genutzt werden kann.1

1 Für eine ausführlichere Diskussion der notwendigen Zusammenarbeit von DeutschlehrerInnen und Lehrkräften aus dem naturwissenschaftlichen Fachunterricht vgl. Zimmer 2008.

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Erkan Gürsoy & Heike Roll

23 Schreiben und Mehrschriftlichkeit – zur funktionalen und koordinierten Förderung einer mehrsprachigen Literalität 1 Einführung 2 Schreiben unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit 3 Zweisprachigkeit und Koordination als Prinzipien einer mehrsprachigen Schreibdidaktik 4 Ausblick

1 Einführung In neueren Arbeiten zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit richtet sich das Forschungsinteresse zunehmend auf die Aneignung von Mehrschriftlichkeit und den Einsatz des gesamten sprachlichen Repertoires beim Schreiben (u.  a. Marx 2017; Rosenberg & Schroeder 2016; Böhmer 2015; Hornberger 2003; Hornberger & Link 2012; Erfurt, Leichsering & Streb 2013). Während zur Alphabetisierung in zwei oder mehreren Sprachen bereits verschiedene Studien und didaktische Konzepte vorliegen (vgl. Şimşek in diesem Band), befassen sich bislang erst wenige Arbeiten mit der Frage, wie Literalität (vgl. Schmölzer-Eibinger in diesem Band) in den Herkunftssprachen1 über das Grundschulalter hinaus anzubahnen ist. Hierfür sind schreib- und lesedidaktische Konzepte erforderlich, die sprachliches und fachliches Lernen in den Herkunftssprachen als Ressource berücksichtigen, und zwar in den weiterführenden Schulformen der Sekundarstufen I und II sowie auch in hochschulischen Lehr-Lernkontexten. Zwar besteht die Forderung nach einer Einbindung des Herkunftssprachenunterrichts (HSU) in Konzepte einer koordinierten oder bilingualen Sprachbildung seit Jahrzehnten (u.  a. BAGIV 1985; Rehbein 1985; Reich 2012), entsprechende Modelle wurden jedoch in den weitgehend monolingual orientierten Lehr- und Unterrichtsplänen in den deutschsprachigen Ländern nicht systematisch umgesetzt. Die jüngste Diskussion stellt den Herkunftssprachenunterricht in einer kritischen Revision auf den Prüfstand, dies verbunden mit der sprachpolitischen Forderung, die großen Migrationssprachen in Deutschland wie Türkisch und Russisch vermehrt als Fremdsprachen und somit als gleichwertige Unterrichtsfächer zu unterrichten (Küppers & Schroeder

1 Zur Abgrenzung der Begriffe Erstsprache, Familiensprache und Herkunftssprache vgl. Lüttenberg (2010). Der Begriff „Herkunftssprache“ wird durchaus kontrovers diskutiert. So kritisieren Küppers & Schroeder (2017: 60), dass dessen Semantik eine exkludierende, auf ein postuliertes Herkunftsland gerichtete Zuweisung vornimmt; ähnlich argumentiert auch Dirim (2015) aus subjektivierungskritischer Position. DOI 10.1515/9783110354577-023

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2017: 60). Vor diesem Hintergrund bietet die Modellierung eines Gesamtsprachencurriculums (Hufeisen 2011; Reich & Krumm 2013; Ehlich 2017) Ansätze für eine durchgängige Sprachbildung (u.  a. Gogolin & Lange 2011), die Mehrsprachigkeit als curricularen Bestandteil für einen fach- und sprachübergreifenden Kognitionsaufbau in Lehr-/Lernprozessen versteht und Synergien für alle Schülerinnen und Schüler (SuS) nutzbar macht. Ein solches interlinguales Konzept integriert auch Ansätze des Translanguaging (García & Wei 2014), des „Content and Language Integrated Learning“, kurz CLiL, (u.  a. Coyle, Hood & Marsh 2010) sowie, im deutschen Kontext, des bilingualen Sachfachunterrichts (Breidbach 2007; Vollmer 2013). Allerdings ist die Kluft zwischen den in Forschung und Didaktik inzwischen unbestrittenen Befunden und der bildungspolitischen Umsetzung groß: Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit wird an vielen Bildungsinstitutionen und Schulen noch immer als Hindernis für die Entwicklung der deutschen Sprache wahrgenommen und als Lernressource vernachlässigt (u.  a. Georgi 2013: 91; Hopf 2005). Im Folgenden werden vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes zunächst theoretische Grundannahmen erläutert, die eine mehrsprachige Schreib­ didaktik begründen. Sodann wird gezeigt, dass neben Translanguaging-Konzepten im regulären Fachunterricht und bilingualen Lehr-Lernmodellen insbesondere ein textmuster- und textsortenbasiertes, an sprachlich-kognitiven Handlungen orientiertes Schreiben im HSU (in diesem Beitrag am Beispiel des Türkischen) in Koordination mit dem Deutsch- und Fachunterricht als Lernmedium in zwei oder mehreren Sprachen für eine funktionale und koordinierte Schreibförderung genutzt werden kann. Abschließend werden weitere Forschungsperspektiven benannt.

2 Schreiben unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit Um literale Kompetenzen in den Erstsprachen unter Berücksichtigung migrationsspezifischer Sprachformen zu diagnostizieren (vgl. auch Gantefort und Knappik & Dirim in diesem Band), sind individuelle Aneignungskonstellationen zu unterscheiden, die je unterschiedliche Ausprägungen der Kompetenzen in den jeweiligen Sprachen bedingen, insbesondere der bilinguale Erstspracherwerb (2L1), der frühe L2-Erwerb und der jugendliche bzw. erwachsene L2-Erwerb (Grießhaber 2010; Marx 2017). Marx (2017: 139) unterscheidet mit Blick auf die Förderung von mehrsprachigen Schreibenden im L2-Kontext zwei Gruppen: 1. Schülerinnen und Schüler, die in zielsprachlicher Umgebung aufgewachsen sind und eingeschult wurden, darunter (a) SuS mit der jeweiligen Amtssprache als bilingualer Erstsprache (L1) oder als früher Zweitsprache, die regelmäßig beide Sprachen in der Familie verwenden; (b) SuS, die in der Familie meist eine andere Sprache sprechen als die Amtssprache.

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2. S uS, die während der Schulzeit zugewandert sind (so genannte Seiteneinsteiger), darunter: (a) in einer anderen L1 als der Amtssprache literal erfahrene SuS, die bereits zu Beginn des L2-Erwerbs in der Regel ein altersangemessenes L1-Textmuster- und Textformenwissen besitzen sowie entsprechende Schreibstrategien beherrschen; (b) literal unerfahrene SuS, die nur in Ansätzen oder gar nicht in einer L1 literalisiert sind und zunächst über keine altersangemessenen Schreibkompetenzen verfügen. Die sprachliche Entwicklung mehrsprachiger SuS ist in einem durch Migration geprägten Aneignungskontext häufig dadurch gekennzeichnet, dass diese ihre Erstsprache(n) nicht ausgewogen erwerben können. Dies kann zu einer Ausbildung getrennter Funktions- und Handlungsbereiche führen, die, so Meng & Rehbein (2007), eine ‚Sprachenfraktionierung‘ insbesondere dann bewirken, wenn „Unterrichtssprache, Alphabetisierung, die Sprache des Problem- und Aufgabelösens, die Texthabi­ tualisierung ausschließlich auf Deutsch erfolgen“ (Meng & Rehbein 2007: 17). Konzeptionell schriftliche Textkompetenzen, eine höhere syntaktische Komplexität sowie ein fach- und bildungssprachlicher Wortschatz sind im Deutschen häufig weiter entwickelt als in den Erstsprachen, die, wenn keine institutionelle Literalisierung stattfindet, überwiegend mündlich in der Familie und im sozialen Nahbereich verwendet werden. Der Begriff „lebensweltliche Mehrsprachigkeit“ (Gogolin 1988) erfasst den heterogenen Sprachgebrauch, der kennzeichnend ist für SuS, die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland aufwachsen. Aufgrund des migrationsbedingten Sprachkontakts können sich Aussprache, Grammatik und Wortschatz einer Herkunftsvarietät von den jeweiligen Standardsprachen unterscheiden (für das Türkische in Deutschland z.  B. Schroeder & Dollnick 2013; für das Russische Brehmer & Mehlhorn 2016; für das Italienische Cantone & Olfert 2014). Als außersprachliche Faktoren, die die Ausprägung von Mehrschriftlichkeit am stärksten beeinflussen, wurden insbesondere Spracheinstellungen und literale Praktiken in der Familie identifiziert (u.  a. Riehl 2013; Duarte et al. 2014; Rehbein 2016). Festzuhalten ist, dass in Teilen der Forschung und Didaktik zum L2-Schreiben ein Perspektivenwechsel von einer auf das Deutsche fokussierten, normativ ausgerichteten Schreibförderung hin zu einem Einbezug des gesamten Sprachrepertoires stattfindet. Dieser ist Ausgangspunkt für eine lernerorientierte Schreibdidaktik, die darauf zielt, Lernende „im Gebrauch der eigenen Sprache, d.  h. aller ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel zu schulen, ihr Formenvokabular zu erweitern, ihre Distinktionsfähigkeit zu fördern“ (Hornung 2002: 4). In dieser Weise wird der mehrsprachige Textraum aufgenommen und als neuer Lernraum erschlossen (Ehlich 2010: 59). Ein sprachpädagogisches Instrument zur Einbeziehung der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit auch in die Ausbildung von Schreibkompetenz bietet das in der soziokulturellen Theorie verankerte Konzept des Translanguaging, das aktuell auch in der deutschsprachigen Literatur rezipiert wird.

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2.1 Translanguaging – Schreiben unter Einsatz von zwei und mehr Sprachen Williams (1997) führte den Begriff ‚Translanguaging‘ im zweisprachigen Kontext von Wales ein. Ziel ist, englisch- und walisischsprachigen Lernenden zu ermöglichen, ihre Mehrsprachigkeit im Unterricht zu nutzen, indem sie den Input in der einen Sprache erhalten und der Output (Sprechen oder Schreiben) in der anderen Sprache erfolgt.2 García greift diesen Begriff in Passung zur amerikanischen Literacy-Forschung (vgl. den Beitrag von Schmölzer-Eibinger in diesem Band) auf und erweitert ihn mit Blick auf die heterogene Mehrsprachigkeit in der Migrationsgesellschaft. Sie bestimmt Translanguaging als ein sprachliches Handeln, das lexikalische, grammatische und textuelle Elemente des mehrsprachigen Repertoires flexibel je nach Erfordernis und Zweck in der Kommunikation einsetzt (García & Wei 2014). Die progressive Zeitform (-ing) bringt den aktiven und dynamischen Gebrauch dieses Repertoires durch mehrsprachige Personen zum Ausdruck, dem die Aufteilung in getrennte Einzelsprachen (L1, L2, L3 …) nicht gerecht wird. Das Präfix trans- markiert die sprachübergreifende und häufig auch transitorische Praxis, wie sie den lebensweltlichen Sprachgebrauch von Mehrsprachigen im Migrationskontext kennzeichnet. Erwirbt eine Schülerin beispielsweise Kurdisch, Türkisch und Deutsch in der Familie, so kann sie diese drei Sprachen in der familiären Kommunikation personenbezogen, situativ und auch gleichzeitig nutzen (vgl. Abbildung 1), um Bedeutung zu konstruieren. „Translanguaging“ referiert somit auf ein funktionales, interaktionales und dynamisches Verständnis von Mehrsprachigkeit (u.  a. Franceschini 2011; Busch 2017; Herdina & Jessner 2002). Neurolinguistische und psycholinguistische Studien gehen davon aus, dass Sprachen oder Varietäten keine getrennten modularen Systeme darstellen, sondern untereinander vernetzt sind: Ist eine Sprache aktiv, kann die andere (oder die anderen) nicht ausgeschaltet werden, gleichwohl kann sie durch bestimmte Mechanismen unterdrückt werden. Das Potential der Mehrsprachigkeit als „Multikompetenz“ (Cook 1992) entfaltet sich für Lernprozesse jedoch nur dann, wenn metasprachliches und metakognitives Wissen in den jeweiligen Sprachen vertieft und ausgebaut werden, wobei das Schreiben als Lernmedium eingesetzt werden kann. Studien zu Translanguaging liegen vor allem für mündliche Lehr-Lernprozesse vor. Internationale Studien zur Schriftlichkeit beziehen sich bislang vor allem auf die Gruppe der Studierenden, die Englisch als Fremd- und Zweitsprache erwerben (vgl. auch den Forschungsüberblick bei Marx 2017). Cenoz & Gorter (2011: 366) heben in ihrer Studie zum fremdsprachlichen Englischlernen von Studierenden hervor, dass baskisch- und spanischsprachige Lernende beim Schreiben fachliche Anforderungen

2 Die Sprachpolitik in Wales ist durch eine gesellschaftlich anerkannte Mehrsprachigkeit gekennzeichnet: Englisch und Walisisch sind seit Jahrzehnten zwei offizielle Sprachen in der Region (Baker 2011).

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Abb. 1: Sprachgebrauch in mehrsprachigen Familien (Uluçam-Wegmann, Roll & Gürsoy 2016: 83)3

bewältigen, indem sie in der Zielsprache Englisch durch Kompensationsstrategien Wörter oder Satzstrukturen im Baskischen und Spanischen verwenden, um Lücken zu schließen. Sie führen diese mehrsprachige Praxis auf die baskisch-spanische Zweisprachigkeit zurück, die als Sprachlernstrategie auf die Aneignung des Englischen übertragen wird. Canagarajah (2011) identifiziert in einer ethnographischen Fallstudie Strategien des „Codemeshing“: Eine Studierende aus Saudi-Arabien verwendet arabische Wörter, Zeichen und islamisch inspirierte Zeichnungen im Englischen. Alagöz-Bakan, Knorr & Krüsemann (2015) berücksichtigen Mehrsprachigkeit in der Konzeption einer mehrsprachigen Schreibwerkstatt an der Universität Hamburg. Hornung (2002) nutzt in ihrem Modell einer plurilingualen Didaktik das automatische Schreiben, um durch eine mehrsprachige écriture die innere Sprache der hochschulischen Schreibenden anzuregen.

3 Die Fragen zum Sprachgebrauch in der Mehrsprachigkeit wurden zur Erfassung sprachbiographischer Daten im Rahmen des Forschungsprojekts „SchriFT – Schreiben im Fachunterricht der Sek. I unter Einbeziehung des Türkischen“ eingesetzt, das vom BMBF (2014–2020) gefördert wird.

Schreiben und Mehrschriftlichkeit 

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Methodisch-didaktische Vorschläge zur Einbeziehung von Mehrsprachigkeit in den Schreibprozess in Schule und Hochschule finden sich in Methodenhandbüchern, u.  a. bei Schader (2012) und Belke (2012). Schader (2012) konzipiert unterschiedliche Aufgaben des kreativen Schreibens, weiterhin zum Clustern als Methode der Ideenfindung bis hin zum kooperativen Schreiben in multilingualen Teams. Verbunden sind solche Schreibaufgaben auch mit Aspekten des interkulturellen Lernens. Eine hohe Schreibmotivation bietet die Anknüpfung an außerschulische Praktiken in der digitalen Kommunikation, da in sozialen Netzwerken, beim Chatten und SMS-Schreiben, so Androutsopoulos et al. (2013: 162), die Sprecher auf eine ständige Mobilisierung mehrsprachiger Repertoires angewiesen sind. Belke (2012) nutzt den Ansatz des generativen Schreibens, um über Sprachgrenzen hinweg die Erstsprachen der SuS einzubeziehen. Akbulut et al. (2017) erweitern das Konzept einer prozedurenorientierten Didaktik um Focus-on-Form-Techniken sowie Elemente von Language Aware­ ness-Ansätzen für den Fachunterricht in mehrsprachigen Klassen. Verbunden ist mit diesen mehrschriftlichen Aufgabenformaten die Frage nach der standardsprachlichen Norm: Können in der Schule auch beim Schreiben Sprachmischungen zugelassen werden, die einen bedeutenden Anteil in der digitalen Kommunikation sowie in der Mündlichkeit ausmachen? Mit Blick auf unterschiedliche Aneignungskontexte ist dies durchaus sinnvoll, um eine emergente Mehrschriftlichkeit – sei es in der Zweitsprache oder in der Erstsprache (bei noch zu entwickelnder Schriftsprachlichkeit in der L1) – zu unterstützen. Hier können im Sinne des Aufbaus einer sprachbewussten, sprachkritischen Haltung die Funktionen von Normabweichung und Normorientierung behandelt werden. In diesem Zusammenhang ist aus einer subjektivierungskritischen Perspektive (Dirim 2015) auch zu fragen, wie verschiedene Sprachen in den Unterricht einbezogen werden, ohne dass dabei Prozesse des „othering“, also einer negativ konnotierten Andersheit, stattfinden.

2.2 Mehrschriftlichkeit – Schreiben in zwei und mehr Sprachen Mehrschriftlichkeit bezeichnet, hierüber besteht Konsens, die Beherrschung von zwei oder mehr Schriftsystemen bzw. textueller Kompetenzen in diesen Sprachen (vgl. Maas 2008; Ehlich 2010; Riehl 2013). Wechselwirkungen zwischen sprachübergreifenden kognitiven Strukturen und Spracherwerbsprozessen sind seit Jahrzehnten Gegenstand linguistischer und psycholinguistischer Studien, wobei in erster Linie der Einfluss von einer weiter entwickelten Erstsprache auf die Sprachkompetenz in der Zweitsprache untersucht und belegt wurde (u.  a. Caprez-Kompràk 2010; Cummins 2004). Neuere Studien zu Mehrschriftlichkeit basieren in den meisten Fällen auf vergleichenden Analysen von mehrsprachigen Lernertextkorpora. Migrationsbedingte Dreisprachigkeitskonstellationen sind dabei bislang wenig untersucht. Şimşeks (2016) Fallanalyse der Konstellation Türkisch-Kurdisch-Deutsch lässt vermuten, dass die Sprachverarbeitung bei Dreispra-

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chigen ähnlich verläuft wie bei Zweisprachigen. Risse & Franceschini (2016) zeigen an der Reihenfolge des Konnektorenerwerbs, dass durch die parallele Alphabetisierung in drei Sprachen die Entwicklung einer dreisprachigen Schreibkompetenz deutschitalienisch-ladinisch einen Antrieb erfährt (zu weiteren Studien vgl. den Beitrag von Ballis in diesem Band). Wenk et al. (2016) verwenden in Anlehnung an Cummins (2010) den Begriff des „interlingualen Potenzials“ bei mehrsprachigen Lernern. Sprachwissen wird „als eine flexible und nicht sprachenspezifische Größe“ (Wenk et al. 2016: 157) betrachtet. Die Ergebnisse der longitudinalen Interventionsstudie des SimO-Projekts (Wenk et al. 2016) mit 59 biliteraten Sechstklässlern liefern empirische Evidenz für interlinguale Zusammenhänge zwischen den deutschen und den türkischen Texten in Bezug auf Textlänge und den gezielten, kontextualisierten Einsatz von Textprozeduren (Feilke 2014), also textspezifischen sprachlichen Mitteln, mit denen Handlungsschemata und Ausdrücke zusammengeführt werden. Erfolgt die Arbeit an Textprozeduren koordiniert, kann die „Förderung der institutionell bedingt stärkeren Schreibfähigkeiten im Deutschen auch zu einer Verbesserung der Textqualität in der Familiensprache Türkisch” (Wenk et al. 2016: 173) führen. Allerdings ist der Transfer nur dann erfolgreich, wenn die Schreibenden über eine Mindestschreibkompetenz in der L1 verfügen, ein Befund, der durch die internationale Spracherwerbsforschung gestützt wird (u.  a. Cummins 1992; Thomas & Collier 1997). Produktive und rezeptive Kenntnisse können dabei unterschiedlich entwickelt sein. Welche Teilkompetenzen aktiviert werden, hängt, wie Grießhaber (2016) in einer Analyse von deutsch-türkischen Lernertexten zeigt, von der Aufgabenstellung und der Modalität (visuelle Impulse oder verbaler Input) ab. Auch Schroeder & Dollnick (2013) konnten literale Strukturen im Türkischen bei deutsch- und türkischsprachigen Gymnasiasten identifizieren, die den HSU Türkisch besucht hatten. Diese nutzen die erworbenen oder im Türkischunterricht erlernten Strukturen oder sie transferieren ihr Wissen aus dem Deutschen in das Türkische, womit eine der genannten Translanguaging-Strategien verwendet wird.

3 Zweisprachigkeit und Koordination als Prinzipien einer mehrsprachigen Schreibdidaktik 3.1 Bilinguale Modelle Bilingualer Unterricht wird als Fachunterricht in einer Fremdsprache bestimmt, der Ansätze der Fremdsprachen- und Sachfachdidaktik integriert. Bilinguale Züge gibt es in Deutschland seit 1963, die in erster Linie an Regelschulen (v.  a. Gymnasien, aber auch an anderen Schulformen) für die prestigereichen Fremdsprachen Französisch und Englisch angesiedelt sind. Der Einsatz einer Fremdsprache als Lern- und Arbeits-

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sprache im Fachunterricht ist auch Kern der sprach- und fachintegrierten Ansätze, die unter dem Dachbegriff CLIL gefasst werden (u.  a. Coyle, Hood & Marsh 2010). Ein weiteres Modell bilingualer Erziehung sind sog. Two-Way-Immersion Modelle, der Fokus bilingualer Modelle liegt dabei insgesamt auf der Grundschule. Angeregt durch das 1992 etablierte Modell der staatlichen Europaschule Berlin (SESB) wurden im Rahmen verschiedener Schulversuche in Hamburg ab dem Schuljahr 2009 verschiedene bilinguale Modelle von der Grundschule bis in die Sekundarstufe erprobt, u.  a. für die Partnersprachen Portugiesisch, Italienisch, Spanisch und Türkisch. Ziel ist, Kinder in Deutsch und den ausgewählten Sprachen so zu unterrichten, dass sie literale Kompetenzen in beiden Sprachen erreichen. Verschiedene Schulversuche legen nahe, dass bilinguale Modelle erfolgreich sind und gerade in Wohngebieten mit einem hohen Anteil an mehrsprachigen Personen angeboten werden sollten (u.  a. Küppers 2016).

3.2 Schreiben im Fachunterricht in Koordination mit dem Deutsch- und Herkunftssprachenunterricht Die Frage, wie das Potenzial von Herkunftssprachen als Bildungsressource im Regelunterricht genutzt werden kann, ist vor dem Hintergrund der langjährigen Diskussion um eine Integration des HSU in durchgängige Sprachbildungsmodelle von hoher Relevanz. Bislang liegen Befunde und Modelle zur mündlichen Nutzung von Erstsprachen in Gruppenarbeitsphasen vor (u.  a. Grießhaber, Özel & Rehbein 1996; Rehbein 2011; Meyer & Prediger 2011). Eine mehrsprachige Schreibentwicklung kann dadurch angestoßen werden, dass Sprachbildung im Herkunftssprachenunterricht in Koordination mit dem Deutsch- und Fachunterricht erfolgt, eine Forderung, die Rehbein bereits 1985 erhoben hat: „Mit einem derartig aufeinander abgestimmten Unterricht werden verschiedene gute Erfolge berichtet. Dies ist Koordination.“ (Rehbein 1985: 167) Als Ankerpunkt für eine Koordination kann ein textsortenbasiertes Schreiben dienen, das systematisch sprachlich-kognitive Handlungsmuster (wie beschreiben, erklären, begründen) mit sprachlichem Ausdruckswissen verbindet (vgl. hierzu für das Deutsche u.  a. Akbulut et al. 2017; Beese & Roll 2015; Vollmer & Thürmann 2010). Sprachübergreifende kognitive Strukturen sind ebenfalls die Teilkomponenten des Schreibens, die mit der Perspektivübernahme (Adressatenorientierung) und der Kohärenzbildung zusammenhängen (Becker-Mrotzek et al. 2014), so dass eine systematische Förderung makrostruktureller Komponenten durch den Einsatz von Textmuster- und Textsortenwissen sprachübergreifend wirksam sein kann (vgl. auch den Beitrag von Gantefort in diesem Band). Im HSU eignen sich insbesondere Sachtexte als eine Art didaktischer Hebel für koordinierende Konzepte (vgl. auch Roll, Gürsoy & Boubakri 2016). Zentral ist bei Sachtexten die Zweckorientierung, nach Becker-Mrotzek (2010) „übernehmen sie in einem größeren Zusammenhang bestimmte Funktionen, die praktischer, kommunikativer oder kognitiver Art sein können. Sie können zu praktischen Handlungen veran-

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lassen oder Wissen durch eine Argumentation verändern“ (Becker-Mrotzek 2010: 3). Im HSU können durch die systematische Vermittlung entsprechender textsortenbezogener basaler sprachlicher Handlungsmuster kognitive Denk- und Verstehensprozesse angebahnt werden, die als Ressource im Deutsch- und ebenfalls im Fachunterricht genutzt werden können. Die Bewältigung von Schreibaufgaben im Fachunterricht erfordert allerdings fachspezifische sprachliche Anforderungen, deren Funktionalität durch die jeweiligen Fachkonzepte begründet ist. So kann im Fach Physik das Fachkonzept experimentelle Kompetenz mit der Systematik der Textsorte Versuchsprotokoll (vgl. Boubakri et al. 2017; Krabbe 2015) verknüpft werden. Die Entwicklung einer Fragestellung, die Planung des Experiments, die Aufbereitung und Auswertung von Daten und Schlüssen erfordern fachliches Wissen, das durch sprachliche Mittel gestützt wird. Temporale Konnektiva werden benötigt, um den chronologischen Ablauf eines Experiments zu beschreiben; durch Präsens wird Allgemeingültigkeit ausgedrückt. Die Auswertung des Experiments erfolgt durch Kausalitätsstrukturen (weil) oder Konditionalsätze (wenn x und y zusammengeführt werden, dann kommt es zu z).4 Tab. 1: Textsorten als „didaktischer Hebel“ für eine fachorientierte Sprachbildung

Physik

Fachkonzept

experimentelle Kompetenz

Textsorte

Versuchsprotokoll

sprachliche Handlungen

benennen (Materialien) beschreiben (Durchführung des Experiments, Beobachtungen) erklären (Auswertung der Ergebnisse)

sprachliche Mittel

temporale Konnektiva, Präsens, Vorgangspassiv, Kausalstrukturen, Unpersönlichkeit

Im Rahmen des Forschungsprojekts „SchriFT  – Schreiben im Fachunterricht der Sekundarstufen I unter Einbeziehung des Türkischen“ (gefördert vom BMBF, 2014– 2020) haben Boubakri, Gürsoy & Wickner (2015) Leitlinien zur Koordination des HSU mit dem Deutsch- und Fachunterricht entwickelt: –– Fachinterner Austausch im Fachunterricht: Im Fachkollegium sollte ein Austausch zur systematischen Auswahl relevanter Textsorten stattfinden. So können die vom Fach evozierten sprachlichen Mittel, die konstitutiv für fachliches Lernen sind, abgeleitet werden. Diese sprachlichen Mittel müssen im Fachunterricht

4 Diese sprachlichen Strukturen werden nach Ehlich (1999) und Redder (2012) als Elemente einer alltäglichen Wissenschaftssprache (AWS) betrachtet, die, anders als Fachtermini, nicht auffallen, von Lehrpersonen bei Lernenden allerdings erwartet werden.

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vermittelt werden und ermöglichen eine fach- und sprachdidaktisch sinnvolle Begründung sprachlicher Gerüste. –– Austausch mit anderen Fächern: Wo lassen sich Überschneidungen bezüglich geeigneter Textsorten und sprachlicher Handlungsmuster zwischen den Fächern ausmachen? Welche Inhalte, Kompetenzen und Textsorten bieten sich besonders dafür an, sprachliche und fachsprachliche Fähigkeiten zu vermitteln? Wie lassen sich Überschneidungen aus unterschiedlichen Fachperspektiven beschreiben? –– Austausch mit den Lehrkräften für den Herkunftssprachenunterricht: Wo lassen sich Überschneidungen bezüglich sprachlicher Handlungsmuster und sprachlicher Mittel zwischen dem Fachunterricht, dem Deutschunterricht und dem Herkunftssprachenunterricht ausmachen?

4 Ausblick Schreiben in der Herkunftssprache ist für Schülerinnen und Schüler nicht selbstverständlich. Die systematische Förderung von mehrsprachiger Literalität im regulären Fachunterricht sowie im Herkunftssprachenunterricht bietet daher vielfältige Ansatzpunkte, um Denken und Verstehen mehrsprachig zu ermöglichen. Ein isoliert durchgeführter Herkunftssprachenunterricht kann das interlinguale Potential mehrsprachiger Literalität jedoch nicht ausschöpfen, ein inklusives bilinguales Angebot ist aus schulorganisatorischen Gründen nur an einer begrenzten Anzahl von Schulen umzusetzen. Daher ist es Teil einer sprachsensiblen Schulentwicklung, koordinierte Modelle zu entwickeln, die Mehrschriftlichkeit im Fach- und Herkunftssprachenunterricht in ein Gesamtsprachencurriculum einbinden. Perspektivisch ist darüber hinaus  – mit dem Ziel, Migrationssprachen wie Türkisch, Arabisch, Kurdisch und andere in der heutigen Gesellschaft aufzuwerten  – anzustreben, Herkunftssprachen zugleich als Fremdsprachenangebote zu etablieren, um diese Sprachen für alle Schülerinnen und Schüler zugänglich zu machen (vgl. hierzu ausführlich Küppers & Schroeder 2017: 66). Dabei kann der Ansatz der funktionalen Koordination durch sprachliche Handlungen auch für Fremdsprachenlernende (vgl. den CLIL-Ansatz zu Diskursfunktionen in Vollmer 2009) einen zentralen Ankerpunkt für eine durchgängige Sprachbildung liefern. Bislang liegen kaum empirische Untersuchungen zu Gestaltung und Wirksamkeit mehrsprachigkeitsdidaktischer Modelle vor. Ein zentrales Forschungsdesiderat hinsichtlich der Aneignung einer mehrsprachigen Literalität ist daher die Entwicklung und empirische Überprüfung von Lehr-Lernmaterialien für den regulären Fachunterricht sowie für einen koordinierten Herkunftssprachenunterricht im Rahmen eines Gesamtsprachencurriculums. Hierzu sind mehrdimensionale, prozessorientierte Untersuchungssettings nötig, die nicht nur Lernertextkorpora untersuchen, sondern das didaktische Dreieck Schreibende – Schreibprodukte und Schreibprozesse – Leh-

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rende (vgl. Becker-Mrotzek, Grabowski & Steinhoff 2017) unter der Perspektive von Mehrsprachigkeit in den Blick nehmen.

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Ina Lammers

24 Schreibbegleitung und Schreibberatung in Schule und Hochschule 1 Das Konzept der tutoriellen Schreibberatung 2 Schreibberatungsgespräche mit L2-Schreibenden 3 Schreibberater/innenausbildung 4 Projektbeispiele 5 Ausblick

In diesem Beitrag wird das Konzept der tutoriellen Schreibberatung dargestellt. Zen­ trale Studien zu Schreibberatungsgesprächen mit L2-Schreibenden werden diskutiert. Sodann werden Ausbildungskonzepte zur Schulung studentischer Schreibberater/ innen und schulischer Schreibbegleiter/innen vorgestellt. Zuletzt werden anhand von Praxisbeispielen die Einsatzmöglichkeiten von Schreibbegleitung in der Schule und Schreibberatung in der Hochschule illustriert.

1 Das Konzept der tutoriellen Schreibberatung Die tutorielle Schreibberatung hat ihre Wurzeln in der US-amerikanischen Hochschulschreibdidaktik. In den 1970er Jahren werden Writing Centers gegründet, die sich von den etablierten korrekturorientierten Writing Clinics distanzieren (vgl. Boquet 1999: 465). In den reformierten Schreibzentren begleiten studentische Schreibberater/innen ihre Mitstudierenden in ihren Schreibprozessen. Bruffee prägt hierfür den Begriff Peer Tutoring: Peer tutoring was a type of collaborative learning. It did not seem to change what people learned but, rather, the social context in which they learned it. Peer tutoring made learning a two-way street, since students’ work tended to improve when they got help from peer tutors and tutors learned from the students they helped and from the activity of tutoring itself. (Bruffee 1984: 87)

Voraussetzung hierfür ist eine symmetrische Beziehung zwischen Schreibberater/in und Schreiber/in (vgl. Lunsford 2001: 95). Zwischen den Studierenden entsteht ein Dialog auf Peer-Ebene, in dem die Beteiligten Expert/innen für verschiedene Bereiche sind: The tutee brings to the conversation knowledge of the subject to be written about and knowledge of the assignment. The tutor brings to the conversation knowledge of the conventions of discourse and knowledge of standard written English. (Bruffee 1984: 94)

DOI 10.1515/9783110354577-024

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Zentral ist dabei der kollaborative Diskurs zwischen den Studierenden, wie Bruffee (1984: 94) betont: „What peer tutor and tutee do together is not write or edit, or least of all proofread. What they do together is converse.“ Das Peer Tutoring Konzept setzt sich durch. Anfang der 1990er Jahre arbeiten bereits an 90% aller US-amerikanischen Hochschulen studentische Schreibberater/innen an Schreibzentren (vgl. Hobson 2001: 165). Zu ihrer Schulung entstehen zahlreiche Handbücher. Das bekannteste und auch in Deutschland am häufigsten rezipierte ist der „Allyn and Bacon Guide to Peer Tutoring“ (Gillespie & Lerner 2004). Das erste Schreibzentrum in Deutschland entsteht 1993 an der Universität Bielefeld. Inzwischen existieren über 70 Schreibzentren an Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz,1 in denen die individuelle Schreibberatung neben Workshops und Kursangeboten zum festen Bestandteil gehört. Bräuer, der die Schreibzentrumsarbeit im deutschsprachigen Raum maßgeblich mitgestaltet und das Modell des Peer Tutoring für eine Schreibberatung an Gymnasien, Real- und Hauptschulen adaptiert, prägt den Begriff der „nicht-direktive[n] Schreibberatung“ (Bräuer 2006: 24). 2012 erscheint das erste deutschsprachige Handbuch „Zukunftsmodell Schreibberatung“ (Grieshammer et al. 2012). Die zentrale Prämisse des Peer Tutoring bzw. der tutoriellen Schreibberatung bringt North (1984: 438) auf den Punkt: „Our job is to produce better writers, not better writing“. Brooks (1991: 2) sieht in der Prämisse gleichzeitig die größte Schwierigkeit des Ansatzes: „We sit down with imperfect papers, but our job is to improve their writers“. Die Verbesserung eines defizitären Textes steht nicht im Fokus von Schreibberatungsgesprächen. Vielmehr sollen die Schreibenden ein Bewusstsein für ihr Schreibhandeln entwickeln und ihre Schreibkompetenz langfristig ausbauen, um zukünftige Schreibaufgaben erfolgreich eigenständig zu bewältigen. Die Schreibberater/innen sollen den Schreibenden helfen, eigenständig Strategien und Lösungen zu finden, wobei die Verantwortung für den Text während des gesamten Beratungsgesprächs bei den Schreibenden verbleibt. Dies ist das Prinzip der Ownership (Gillespie & Lerner 2008: 45). Im Folgenden werden weitere Prinzipien vorgestellt, denen Schreibberater/innen nach Auffassung gängiger Handbücher folgen sollen. Zur Systematisierung wird Bezug auf ein Gesprächskompetenzmodell nach Becker-Mrotzek (2009: 74–75) genommen, das vier Teilkompetenzen differenziert: –– Prozessieren des thematischen Wissens –– Prozessieren von Identität und Beziehung –– Musterrealisierung –– Verständnissicherung

1 Weitere Schreibzentren werden derzeit eingerichtet. Eine aktuelle Übersicht findet sich online unter: http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Einrichtungen/SLK/schreiblabor/wir_und_die_anderen.html (07. 01. 2016).

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Der erste Kompetenzbereich befasst sich mit der Prozessierung von thematischem Wissen. Die Schreibberater/innen müssen ihr eigenes Wissen verständlich verbalisieren und zugleich das Wissen der Schreibenden angemessen integrieren. Ein zentraler Grundsatz der thematischen Gestaltung von Schreibberatungsgesprächen ist, dass Higher Order Concerns vor Lower Order Concerns behandelt werden sollen (vgl. Grieshammer et al. 2012: 110–112). Higher Order Concerns bezeichnen alle inhaltlichen und strukturellen Anliegen, die für die Textqualität ausschlaggebend sind. Lower Order Concerns sind Anliegen der Syntax, Lexik, Grammatik und Orthographie. Sie sollen nachrangig behandelt werden, da sich eine Besprechung der Mikroebene erst lohne, wenn sich die Makroebene als tragfähig erwiesen habe und umgekehrt Schreibende nicht mehr zu Änderungen auf der Makroebene bereit seien, wenn sie die Mikroebene bereits intensiv bearbeitet haben (vgl. Blau & Hall 2002: 35–36). Grieshammer (2011: 60) nennt als Grenze der Wissensprozessierung Bereiche, in denen die Schreibberater/innen sich zurückhalten sollen, da diese Bereiche ihre Kompetenzen und Zuständigkeiten übersteigen. Hierzu zählt sie die Diskussion von Fachinhalten, die explizite Vermittlung von Grammatikregeln und Themen, die die Lern-, Studien- oder Psychosozialberatung betreffen. Der zweite Kompetenzbereich, das Prozessieren von Identität und Beziehung, meint, dass die Schreibberater/innen ihre eigene Identität in Abhängigkeit von den Erwartungen der Schreibenden darstellen und die Identitätsdarstellung der Schreibenden wahrnehmen und reflektieren, um eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen. Die Schreibberater/innen sollen sich als Peers der Schreibenden verstehen und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Es ist eine „symmetrische Beziehung zwischen Tutor und Tutee“ (Bräuer 2006: 25) anzustreben. Hierbei treffen die Vertrautheit, die durch die Peer-Ebene hergestellt werden soll, und die Formalität, die durch den institutionellen Rahmen gegeben ist, aufeinander. Der dritte Kompetenzbereich, die Musterrealisierung, meint, dass die Schreibberater/innen das Beratungsgespräch bewusst gliedern und steuern. In ihrer Ausbildung lernen sie einen idealen Gesprächsverlauf (z.  B. Grieshammer et al. 2012: 139–142 oder Ulmi et al. 2014: 237–239) und bestimmte Gesprächsstrategien kennen, an denen sie sich orientieren sollen. In der Praxis müssen die Schreibberater/innen erkennen, in welcher Phase sich das Schreibberatungsgespräch befindet, signalisieren, dass sie in die nächste Phase wechseln wollen oder ggf. zu erkennen geben, ob sie mit einem Übergang in eine andere Phase durch die Schreibenden einverstanden sind. Die Schreibberater/innen steuern das Gespräch damit bewusst, was der Peer-Beziehung widerspricht. Zuletzt ist als vierter Kompetenzbereich die Verständnissicherung ein Bestandteil der Gesprächskompetenz. Die Schreibberater/innen sollen Verstehensprobleme der Schreibenden erkennen und angemessen bearbeiten sowie eigene Verstehensprobleme signalisieren und mit den Schreibenden lösen, was besonders in Gesprächen mit L2-Schreibenden wichtig ist. So genügt nach Bremer (1997) in diesen Gesprächen schon das Nichtverstehen entscheidender Einzelwörter, um absolutes Missverstehen

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zu bewirken, weswegen die Berater/innen auf Reformulierungen, Wortschatzvarianz und ggf. Bedeutungserklärungen achten sollten.

2 Schreibberatungsgespräche mit L2-Schreibenden Das Potenzial der tutoriellen Schreibberatung liegt wie dargestellt darin, dass die Schreibenden ihre Schreibkompetenz einzuschätzen lernen, ihr Lernen aktiv und eigenverantwortlich steuern und prozedurales Wissen erwerben, das sie befähigt, Schreibschwierigkeiten zukünftig eigenständig zu bewältigen (vgl. Brunnert 2006: 46). Es stellt sich die Frage, ob die tutorielle Schreibberatung diese ideellen Ziele erreicht, insbesondere dann, wenn die Beratungsgespräche mit Schreibenden durchgeführt werden, für die Deutsch eine Zweit- oder Fremdsprache ist. Nach Büker und Lange (2010: 209) versuchen fremdsprachige Studierende häufiger als deutschsprachige, die Verantwortung für ihre Texte an die Schreibberater/ innen abzugeben. Sie begreifen die Schreibberatung als eine Unterrichts- oder Nachhilfesituation, wie auch Grieshammer (2011: 64) beobachtet: „Viele L2-Schreibende sähen den Schreibberater außerdem gern als Autorität, der ihnen sagt, was zu tun ist“. Ulmi et al. (2014: 247–248) sehen die Doppelbelastung fremdsprachiger Schreibender durch das Bewältigen des Schreibprozesses und das Handeln in einer Fremdsprache als besondere Herausforderung, die berücksichtigt werden müsse. Deswegen schlagen sie für Textfeedbackgespräche mit fremdsprachigen Schreibenden vor, dass die Schreibberater/innen neben sprachlichen Aspekten auch Differenzen thematisieren, die auf die unterschiedlichen Wissenschaftskulturen zurückzuführen sind, konkrete Unterstützung bei der Textüberarbeitung anbieten und Literaturempfehlungen zusammenstellen, die den fremdsprachigen Studierenden beim Einüben der alltäglichen Wissenschaftssprache (vgl. Ehlich 1993) helfen. Eine Studie von Blau und Hall (2002) zeigt, dass grundlegende Beratungsstrategien in Gesprächen mit L2-Schreibenden häufig nicht greifen. Die Ursache dafür liege in der Tatsache, dass die sogenannte sokratische Fragetechnik auf einem gemeinsamen Wissen fuße, welches in diesen Fällen nicht immer vorliege, denn „the tutor has information that the client doesn’t [have] about the discourse conventions in the tutor’s native language“ (Blau & Hall 2002: 33). Powers (1993: 41) kommt zu dem gleichen Ergebnis: Kollaborative Techniken, die stark von „shared basic assumptions or patterns“ abhängen, scheitern in Gesprächen mit fremdsprachigen Schreibenden „struggling with an unfamiliar culture, audience, and rhetoric“ (Powers 1993: 45), vor allem dann, wenn die Englischkenntnisse der Schreibenden sich nicht auf College Niveau bewegen (vgl. Powers 1993: 40). Es fehlen Textmuster in der Fremdsprache; „learned patterns“ (Powers 1993: 41) der Erstsprache erschweren die Textproduktion zudem, da sie meist nicht übertragbar seien. Die fremdsprachigen Schreibenden betrachten die Schreibberater/innen „as cultural informants about American acade-

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mic expectations“ (Powers 1993: 41). Entsprechend agieren Schreibberater/innen in Gesprächen mit fremdsprachigen Schreiber/innen häufig „in the role of informant rather than collaborator“ (Powers 1993: 41): Sie handeln direktiver und didaktischer, schlagen z.  B. konkrete Formulierungen vor oder geben dem/der Schreiber/in Auskunft über die Lesererwartung, anstatt sie ihn selbst antizipieren zu lassen. Powers kritisiert das sture Festhalten an der idealtypischen „nondirective philosophy“ (Powers 1993: 42): We had to accept that ESL writers bring different contexts to conferences than native speakers do, that they are, therefore, likely to need different kinds of assistance from us, and that successful assistance to ESL writers may involve more intervention in their writing processes than we consider appropriate with native-speaking writers. (Powers 1993: 44)

Sie sieht das Scheitern der nicht-direktiven, auf kollaborativem Lernen fußenden Schreibberatung in Gesprächen mit fremdsprachigen Schreibenden als „inherent in the methodology itself“ (Powers 1993: 46) und fordert: „we must reexamine and revise the method itself“ (Powers 1993: 46). Shamoon und Burns (1995) stellen fest, dass der nicht-direktive Schreibberatungsansatz derart etabliert ist, dass es für praktizierende Schreibberater/innen schwierig ist, sinnvolle und zwingend erforderliche Alternativen zu akzeptieren (vgl. Shamoon & Burns 1995: 135). Zu diesem Schluss kommen auch Blau und Hall (2002: 43): „Flexibility has always been the hallmark of writing center work, yet it seems that certain ‚guidelines’ have become ‚rules’“. Shamoon und Burns (1995: 134) halten dementgegen ein „directive tutoring, a methodology completely opposite our current tutoring practices“ in manchen Fällen für die sinnvollere und effektivere Methode. Auch im deutschsprachigen Raum liegen erste Studien zur Schreibberatung mit fremdsprachigen Schreiber/innen vor. Samiec (2012) untersucht Textfeedbackgespräche zwischen mehrsprachigen Schüler/innen der Jahrgangsstufen 5 bis 10. Anhand von Transkriptanalysen zeigt sie, dass die Schreibbegleiter/innen sich nicht auf die Anliegen der Schreibenden konzentrieren, da sie „immer im Hinterkopf [haben], dass der Text überarbeitet und wenn möglich sogar verbessert werden soll“ (Samiec 2012: 71). Die Schreibbegleiter/innen verspüren einen inneren Konflikt „zwischen personenzentriertem Vorgehen und sinnvoller Textüberarbeitung“ (Samiec 2012: 71). Außerdem haben die „mutmaßlichen Ratsuchenden“ (Samiec 2012: 71) nicht immer ein konkretes Problem, das sie besprechen wollen, sondern überlassen es den Schreibbegleiter/ innen, die Probleme ihrer Texte und ihrer Schreibprozesse zu nennen. Darauf reagieren die Schreibbegleiter/innen, indem sie „aktiv die Gesprächsführung übernehmen und Beratungsschwerpunkte selbst festlegen“ (Samiec 2012: 71). Voigt (2011) wertet Beratungsprotokolle zu Gesprächen mit fremdsprachigen Schreibenden qualitativ aus. Ein zentrales Ergebnis ist, dass es in den Schreibberatungsgesprächen vorwiegend um konkrete Textprodukte und weniger um Schreibprozesse geht, weil die Schreibenden mit weit fortgeschrittenen Arbeiten in die Schreibberatung kommen. Die Schreibberater/innen geben konkretes Textfeedback und

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erarbeiten mit den Schreibenden Vorschläge zur Textverbesserung. Teilweise korrigieren sie Fehler oder bieten an, den gesamten Text außerhalb der Schreibsprechstunde, also nicht in ihrer Funktion als Schreibberater/in, zu korrigieren. Grieshammer, Peters & Theuerkauf (2010: 73) stellen fest, dass fremdsprachige Studierende ihre Schreibprobleme häufig allein auf mangelnde Sprachkompetenz in der Fremdsprache Deutsch zurückführen. Ihre Texte seien oft wenig kohärent und entsprächen nicht den geforderten Textschemata, es würden zum Teil unpassende Textmuster aus der L1 übertragen. Bei der Überarbeitung fokussieren sie stark die Grammatik und den Wortschatz, was zu inhaltlichen Mängeln führe. Die Studierenden geben an, dass sie die Langwierigkeit des Schreibens und die kognitive Überlastung frustrieren. Grieshammer, Peters und Theuerkauf (2010: 74) heben hervor, dass es sich jedoch keineswegs um Schwierigkeiten handele, die ausschließlich fremdsprachige Studierende betreffen: „Viele dieser Defizite, Fehlstrategien und Schwierigkeiten lassen sich auch bei muttersprachlichen Schreibern beobachten. Fremdsprachige Schreibende neigen jedoch dazu, ihre Schwierigkeiten beim Schreiben vor allem der Fremdsprachlichkeit zuzuschreiben“. Fremdsprachigen Studierenden fehle häufig die Fähigkeit, „ihre Probleme überhaupt wahrzunehmen und zu erkennen“ (Grieshammer et al. 2010: 75) sowie „eine Meta-Sprache, mit der sie ihre Probleme benennen, konkretisieren und differenzieren können“ (Grieshammer et al. 2010: 74–75). Dies bestätigt die Studie von Blau und Hall (2002: 40): „Many inexperienced NNES writers may not see these global issues, or be able to articulate them, when discussing their agenda“. Lammers (2017) zeigt in ihrer Dissertation, dass die Phasierung von Schreibberatungsgesprächen mit fremdsprachigen Studierenden stark von den Empfehlungen der Handbücher abweicht. Insbesondere die für die tutorielle Schreibberatung ausschlaggebenden Phasen, in denen die Peer-Beziehung etabliert und das Beratungskonzept transparent gemacht werden, werden selten und kurz realisiert. Außerdem thematisieren die Schreibberater/innen selbst Gesprächsanliegen und greifen massiv in die Lösungsfindung ein, vor allem bei sprachlich schwächeren Schreibenden. Hier setzen sie unter anderem Fragestrategien aus dem Lehr-Lern-Diskurs ein, die sie für die tutorielle Schreibberatung instrumentalisieren. Auch Büker und Lange (2010) beschäftigen sich mit der Textrückmeldung in Gesprächen mit fremdsprachigen Studierenden. Sie stellen fest, dass fremdsprachige Studierende die Verantwortung für ihre Texte häufig an die Schreibberater/innen abgeben wollen und eine Textkorrektur erwarten. Als möglichen Grund geben sie an, dass sie die Beratenden als omnikompetent wahrnehmen, da diese nicht nur Experten für das Schreiben sind, sondern meist auch die Zielsprache als Erstsprache sprechen und sich mit der (Hochschul-)Kultur auskennen. Darüber hinaus sprechen Beratende und Studierende auf Deutsch miteinander; für die Studierenden ist dies eine Fremdsprache, für die Beratenden meist nicht. (Büker & Lange 2010: 209)

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Es stellt sich also die Frage, ob eine Peer-Beziehung in dieser Konstellation überhaupt möglich ist und was den Begriff Peer dann definiert. Die auf Gesprächstranskripten basierende Studie von Plummer und Thonus (1999) kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Interaktion zwischen Schreiber/in und Schreibberater/in grundlegend von der „idealistic peer characterization in writing center theory and training materials“ (Thonus 2001: 77) unterscheidet: Schreibberater/innen bewerten die Texte der Schreibenden und geben konkrete Handlungsanweisungen genauso häufig, wie sie sogenannte sokratische Fragen stellen. Sie lehren akademische Schreibkonventionen, greifen inhaltlich in die Texte ein und kritisieren sogar „pedagogical practices“ (Thonus 2001: 61) der Hochschuldozent/innen, bei denen die Schreibenden ihre Arbeiten anfertigen. Damit erfüllen sie „a more ‚teacherly’ than a ‚peer’ role“ (Thonus 2001: 61). Thonus’ Interviews mit Schreibberater/innen zeigen, dass diese sich selbst häufig vielmehr als Peers der Dozent/innen, als „colleague pedagogues“ (Thonus 2001: 68), statt als Peers der Schreibenden wahrnehmen und sich deswegen anmaßen, die Dozent/innen in den Gesprächen zu kritisieren: „That is, it appears that tutors view instructors, not tutees, as their peers“ (Thonus 2001: 68). Die Schreibenden wiederum bemerken beim Eintritt in den Schreibberatungsdiskurs nicht automatisch, dass es sich bei Schreibberater/innen um eine andere Rolle und Beziehung handelt als bei Seminardozent/innen und müssen die neuen Rollen erst kennen lernen (vgl. Thonus 2001: 70). McAndrew & Reigstad (2001: 25–26) sehen das nicht-direktive, personenzentrierte Beratungskonzept nicht als einzige Option für die Gestaltung von Schreibberatungsgesprächen. Sie beschreiben drei Formen, die in authentischen Gesprächen häufig vermischt werden: „student-centered“, „collaborative“ und „teacher-centered“. „Student-centered“ meint das, was im Schreibberatungsdiskurs als „Socratic, nondirective approach” (Powers 1993: 42) beschrieben wird, also das Leitbild, das bereits anhand der Prinzipien vorgestellt wurde. Dies ist die im Diskurs übliche Vorstellung von Peer Tutoring. Daneben gibt es die kollaborative Beratung, ein informell wirkendes Gespräch zwischen Schreibberater/in und Schreiber/in, das thematisch häufig über das Schreiben hinausgeht und freundschaftlich wirkt. Der/Die Schreibberater/in greift stärker in die Problemdiagnose und in die Lösungsfindung ein, da er/ sie sich und den/die Schreiber/in als gleichberechtigt empfindet und nicht darauf fokussiert ist, den/die Schreiber/in weitgehend eigenständig arbeiten zu lassen. Man kann sich ein solches Gespräch wie eine Lerngruppe unter Freund/innen vorstellen – auch hier greifen Studierende in die Texte anderer ein oder machen einander konkrete Vorschläge, um sich gegenseitig zu helfen. Zuletzt gibt es die „teacher-centered“ Beratung. Hier nimmt der/die Schreibberater/in eine Lehrerrolle ein. Er/Sie steuert das Gespräch gezielt und lenkt den Problemlösungsprozess des/der Schreibers/ Schreiberin sehr stark, sodass ein deutlich asymmetrisches Verhältnis entsteht. Diese Beratungsform habe dann ihre Berechtigung, wenn Schreibende derart unsicher und ungeübt seien, dass sie mit einem offeneren Beratungsansatz nicht umgehen können (vgl. McAndrew & Reigstad 2001: 26).

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Die Ergebnisse der herangezogenen Studien zeigen, dass die tatsächliche Interaktion in Schreibberatungsgesprächen mit L2-Schreibenden häufig wenig mit den Idealen, Prinzipien und Empfehlungen in Theorien und Handbüchern gemeinsam hat. „Perhaps as a consequence of such research tutorial manuals and theories will correspond more closely to evidence, not anecdote, and to what the practice of tutoring is rather than what it should be“, formuliert Thonus (2001: 78). Eine Lösungsmöglichkeit hierfür ist, die Ausbildung der Schreibberater/innen an die Beratungsrealität anzupassen. Im Folgenden werden gängige Ausbildungskonzepte vorgestellt.

3 Schreibberater/innenausbildung In Bezug auf Beratungsausbildungen in verschiedenen Kontexten schlagen Engel, Nestmann & Sickendieck (2007) eine Doppelverortung von Beratung vor: Beraterinnen und Berater benötigen eine handlungsfeldspezifische Wissensbasis und eine feldunspezifische Kompetenzbasis und erst wenn beide vorhanden sind und zusammenwirken, sind zwei notwendige Grundvoraussetzungen professioneller Beratung erfüllt. (Engel, Nestmann & Sickendieck 2007: 35)

Die handlungsfeldspezifische Wissensbasis bezieht sich auf den Gegenstand der Beratung – während ein/e Schreibberater/in sich mit dem Schreibhandeln auskennen muss, kennt zum Beispiel ein/e Studienberater/in verschiedene Studienordnungen. Die feldunspezifische Kompetenzbasis umfasst Beratungskompetenzen, die sich an der zugrundeliegenden Beratungsmethodik orientieren, also personenzentriert, lösungsorientiert, systemisch usw. sind. Es gibt somit nicht eine generalisierbare Beratungsausbildung, sondern sie muss auf den Beratungsgegenstand und die Beratungsmethode abgestimmt sein. Im Folgenden werden exemplarisch zwei Konzepte vorgestellt, die illustrieren, wie Schreibberatungsausbildungen an schulischen und universitären Schreibzentren ablaufen. Weitere Beispiele finden sich auf den Homepages der verschiedenen Schreibzentren. Die „SIG Qualitätsstandards und Inhalte der Peer-Schreibtutor/innenAusbildung“2 der Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung e.V. entwi2 Das Material befindet sich zurzeit in der Entwicklung und ist daher noch nicht veröffentlicht. Beteiligt an der Erarbeitung des Konzepts sind: Andrea Bausch (Schreibberatung, Universität Bayreuth), Dr. Esther Breuer (Kompetenzzentrum Schreiben, Universität zu Köln), Ella Grieshammer (Internationales Schreibzentrum, Georg-August-Universität Göttingen), Dr. Christiane Henkel (Schreiblabor/skript. um, Universität Bielefeld), Dr. Ulrike Lange, Dr. Anika Limburg und Maike Wiethoff (Schreibzentrum, Ruhr-Universität Bochum), Stefanie Schäfer (Kompetenzzentrum Schreiben, Universität Paderborn), Amata Schneider-Ludorff (Schreibwerkstatt, Hochschule Fulda), Dr. Nadja Sennewald (Schreibzentrum, Goethe-Universität Frankfurt am Main), Jana Zegenhagen (Schreib- und Lesezentrum, Universität Hildesheim). Aktuelles findet sich online unter http://www.schreibdidaktik.de (09. 01. 2017).

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ckelt seit 2012 ein Rahmenkonzept, das zur Standardisierung und Professionalisierung der studentischen Schreibberater/innen beitragen soll.

3.1 Ausbildung studentischer Schreibberater/innen an der PH Freiburg Bräuer (2005) etabliert am Schreibzentrum der PH Freiburg ein Ausbildungskonzept für studentische Schreibberater/innen, das die Grundlage für zahlreiche Schreibberatungsausbildungen an Universitäten bildet. Das Ausbildungskonzept folgt der „Prämisse, dem Suchen vieler Schreibender nach Textrezepten das Lernpotenzial des gemeinsamen Aushandelns von Schreibhandlungskonzepten als die für ein ganzheitliches Lernen sinnvollere Alternative vorzustellen“ (Bräuer 2005: 220). Es besteht aus vier Bausteinen. Die ersten drei Bausteine werden als Seminare im Rahmen des Lehramtsstudiums Deutsch angeboten, sodass sie sich bei erbrachtem Leistungsnachweis anrechnen lassen. Im Baustein 1 geht es einerseits um das Wahrnehmen und Reflektieren des eigenen Schreibhandelns, andererseits werden Grundlagen der Schreibprozessforschung vermittelt und mit dem eigenen Schreibhandeln in Verbindung gebracht, „mit dem Ziel, das eigene Schreibhandeln durch spezielle Strategien, Methoden und Techniken zielgerichtet zu optimieren“ (Bräuer 2005: 220). Es werden die schreibdidaktischen Grundlagen gelegt, die im Baustein 3 im Hinblick auf das Schreiben in Fremd- und Zweitsprachen vertieft werden. Ähnlich wie im ersten Baustein werden wissenschaftliche Erkenntnisse mit eigenen Schreib- und Reflexionsphasen verbunden. Die Studierenden führen ein Schreibprojekt in einer von ihnen gesprochenen Fremdsprache durch, um sich besser in fremdsprachige Schreibende hineinversetzen zu können. Die Bausteine 1 und 3 decken damit den Schreibaspekt der Ausbildung ab. Im Baustein 2 geht es um die Beratungsmethodik. Die Schreibberater/innen lernen Prinzipien sowie Strategien der tutoriellen Schreibberatung kennen und besprechen fiktive Beratungssituationen, die sie in Beratungssimulationen in der Rolle der Schreibberater/innen, der Rolle der Schreibenden und der Rolle der Beobachtenden reflektieren. Sie legen einen Beraterkoffer an, in dem sie relevante Materialien für die Durchführung von Beratungsgesprächen sammeln. Im Baustein 4 findet ein Beratungspraktikum statt. Die Schreibberater/innen lernen die Schreibzentrumsarbeit kennen, hospitieren in Schreibberatungsgesprächen erfahrener Schreibberater/innen, führen unter Supervision von Ausbildungsleiter/innen und erfahrenen Schreibberater/innen erste authentische Beratungsgespräche und verfassen Hospitations- und Beratungsprotokolle. Sie konzipieren ein Abschlussprojekt (z.  B. einen Schreibworkshop), das sie vor dem Schreibzentrumsteam präsentieren. Im Anschluss an die Ausbildung können die Studierenden als Schreibberater/innen tätig werden (vgl. Bräuer 2010).

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3.2 Schulung von Schülerschreibbegleiter/innen an der Universität Duisburg-Essen An der Universität Duisburg-Essen werden Schüler/innen der Jahrgangsstufen 9 und 10, die am Projekt „Stadtteilschreiber“ (vgl. Kapitel 4.1) teilnehmen, zu Schülerschreibbegleiter/innen geschult. Die Schreibbegleiter/innen unterstützen daraufhin ihre jüngeren Mitschüler/innen (Jahrgangsstufe 5 und 6) in der schulischen Schreibwerkstatt. Die Schreibbegleiter/innenschulung ist zweitägig und findet am Universitätscampus statt. Sie umfasst 12 Schulstunden. Die Gestaltung der Schulung übernehmen studentische Tutor/innen, die die Schüler/innen auch an den Schulen betreuen. Die Schulung umfasst Lerneinheiten –– zur Reflexion des eigenen Schreibprozesses, –– zur bewussten Wahrnehmung der eigenen Rolle als Schreiber/in, –– zu Schreib- und Überarbeitungsstrategien, –– zum Textfeedback, –– zur Methode der nicht-direktiven, personenzentrierten und lösungsorientierten Beratung und –– zur Rolle als Schreibbegleiter/in. Die Schüler/innen setzen sich mit ihrer Rolle als Schreibbegleiter/innen und konkreten Beratungsstrategien auseinander, die sie praktisch in Beratungssimulationen erproben und in Feedbackrunden reflektieren. Die Schulung wird in der Schreibwerkstatt fortgesetzt. Die Schreibbegleiter/innen treffen sich regelmäßig, um ihre Beratungserfahrungen zu reflektieren und Feedback zu ihren Gesprächen zu bekommen. Wenn sie eine bestimmte Anzahl an Beratungen mit ihren Mitschüler/innen durchführen und schriftlich reflektieren, erhalten sie ein Zertifikat (vgl. Roll 2012 sowie Lammers & Roll 2014 und Lammers & Roll 2015).

4 Projektbeispiele Zuletzt werden exemplarisch konkrete Projektbeispiele zur Schreibberatung mit L2-Schreibenden vorgestellt.

4.1 Schreibbegleitung in der Schule Als Beispiel für eine schulische Schreibbegleitung soll erstens das Projekt „Stadtteilschreiber – kreative Schreibwerkstätten für Schülerinnen und Schüler im Ruhrgebiet“ vorgestellt werden, das durch das Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache der Universität Duisburg-Essen in Kooperation mit weiterführenden Schulen durch-

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geführt wird.3 Das Projekt richtet sich an schreibbegeisterte Schüler/innen der Sekundarstufen I und II an Gesamtschulen und Gymnasien im Ruhrgebiet. Es entstehen Schreibwerkstätten im offenen Ganztag der Projektschulen, die von studentischen Tutor/innen geleitet werden.4 Die oft mehrsprachigen Schüler/innen verfassen literarische und biografische Texte. Sie nehmen an Schreib-Workshops mit Autor/innen und Künstler/innen aus der Region teil, arbeiten kooperativ mit Studierenden zusammen und unternehmen Ausflüge zu kulturellen Einrichtungen in den jeweiligen Stadtteilen. Außerdem finden Treffen der verschiedenen Schreibwerkstätten statt, sodass sich die Schüler/innen aus den unterschiedlichen Städten austauschen können. Sie verarbeiten diese Erfahrungen sowie auch ihre familiäre Geschichte und Alltagsrealität, indem sie schreiben. Die Schüler/innen der Jahrgangsstufen 9 und 10 werden von den Studierenden zu Schreibbegleiter/innen ausgebildet, um ihre jüngeren Mitschüler/innen zu unterstützen. Die Ausbildung erfolgt wie in Kapitel 3.2 vorgestellt. Die Schreibbegleiter/innen führen individuelle Schreibbegleitungsgespräche mit einzelnen Mitschüler/innen, leiten die Methode „Über-den-Rand-hinaus-Schreiben“5 in Kleingruppen an und moderieren Feedbackrunden im Gruppenplenum. Zweitens sei auf das Projekt „Schreibberatung und -workshops von SchülerInnen für SchülerInnen in Brandenburg und Berlin“ verwiesen, das vom Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina durchgeführt wird.6 Das Projekt unterstützt Schüler/ innen bei der Entwicklung ihrer Schreibkompetenz. Die Schüler/innen werden am universitären Schreibzentrum zu Schreibbegleiter/innen geschult und lernen kreative Schreibmethoden kennen. Auch die Lehrer/innen werden fortgebildet. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlung schreibdidaktischer Erkenntnisse. Langfristig sollen an den beteiligten Schulen eigene Schreib- bzw. Schreiblesezentren etabliert werden, weswegen eine Vernetzung der Projektschulen angestrebt wird.

4.2 Schreibberatung in der Hochschule Das Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder richtet ihr Angebot an Studierende, Promovierende und Mitarbeiter/innen der Universität. Studierende können in der Schreibsprechstunde individuelle Schreibberatungsgespräche

3 Das Projekt wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert. Weitere Informationen finden sich online unter https://www.uni-due.de/daz-daf/stadtteilschreiber.php (11. 01. 2016). 4 Zur Konzeption der Schreibwerkstätten vgl. Lammers & Roll (2015). 5 Der Textentwurf eines/einer Schreibenden wird auf ein großes Blatt geklebt. Drei weitere Schreibende geben schriftlich um den Text herum ein Feedback, das daraufhin mündlich erläutert werden kann (vgl. Böttcher & Wagner 1993: 25). 6 Das Projekt wird ebenfalls durch die Robert Bosch Stiftung gefördert. Informationen finden sich online unter https://www.europa-uni.de/de/struktur/zsfl/institutionen/schreibzentrum/_dokumente/ Projektbeschreibung_Sch__lerschreibberatung.pdf (04. 01. 2017).

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mit studentischen Schreibberater/innen führen. Außerdem können sie Schreibseminare und -workshops besuchen, an Schreibgruppen teilnehmen und spezielle einmalige Angebote wie die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“7 nutzen. Die Beratung und Begleitung fremdsprachiger Studierender bildet dabei einen Schwerpunkt. Für Promovierende bietet das Schreibzentrum eine spezielle Schreibberatung durch promovierende Schreibberater/innen sowie Workshops, die sich mit Themen rund um das Schreiben einer Doktorarbeit befassen. Zuletzt erhalten Lehrende der Universität auf Wunsch Unterstützung bei der Konzeption schreibintensiver Lehrveranstaltungen und Workshops zum Feedbackgeben auf Texte Studierender.8 Das Projekt PunktUm an der Universität Bielefeld bietet ausschließlich für Studierende mit Deutsch als Fremdsprache eine individuelle Schreibberatung, Sprachkurse und Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben. Exemplarisch seien die individuelle Schreibberatung für angehende Jurist/innen beim Abfassen von Gutachten und das Projekt „Endspurt“ genannt, in dem internationale Studierende, die sich am Ende ihres Studiums befinden und deren Studienabschluss möglicherweise gefährdet ist, neben individueller Schreibberatung auch Workshops zum Schreiben von Abschlussarbeiten, individuelle Beratung zu Klausuren und mündlichen Prüfungen, Unterstützung bei der Korrektur der Abschlussarbeiten, Unterstützung bei der Kommunikation mit Fachdozent/innen sowie Beratung und Weiterleitung an andere universitätsinterne Service-Einrichtungen erhalten.9

5 Ausblick Die tutorielle Schreibberatung stellt eine Methode dar, die die Eigenverantwortlichkeit der Schreibenden fordert und fördert. Sie zeichnet sich durch das Peer-Konzept aus, nach dem Beratende und Schreibende sich auf Augenhöhe begegnen, sodass sie in einer vertrauensvollen Atmosphäre über ihre Texte und ihr Schreibhandeln sprechen können. Schreibprozesse sind hochkomplex und individuell, weswegen ein Beratungsgespräch den geeigneten Rahmen bietet, selbst gewählte Schwerpunkte zu vertiefen und über einen längeren Zeitraum an Texten zu arbeiten. Die Schreibenden entwickeln durch die Schreibberatung nicht nur ihre Schreibkompetenz weiter oder verbessern einzelne Texte. Vielmehr üben sie sich im Aushandeln von Ideen, Vorschlägen und Lösungen, entwickeln metakognitive Fähigkeiten und lernen Dis7 In dieser Nacht, die deutschlandweit an allen Schreibzentren zeitgleich stattfindet, widmen sich die Studierenden unter professioneller Anleitung liegengebliebenen Studienprojekten und lernen Arbeits- und Schreibtechniken kennen, die Prokrastination künftig vermeiden sollen. 8 Weitere Informationen finden sich online unter https://www.europa-uni.de/de/struktur/zsfl/ institutionen/schreibzentrum/index.html (06. 01. 2017). 9 Weitere Informationen finden sich online unter http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Studium/ Studienbegleitende%20Angebote/Punktum/ (06. 01. 2017).

Schreibbegleitung und Schreibberatung in Schule und Hochschule 

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kurskonventionen kennen. Sie finden Zuhörer/innen und Leser/innen, die sie wertschätzen und motivieren, ihre Sprach- und Schreibkompetenz auszubauen. Diese Ziele können allerdings nur realisiert werden, wenn die Beratungskonzepte an die oft sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe angepasst werden. So zeigt sich, dass fremdsprachige Studierende und mehrsprachige Schüler/ innen unter Umständen mehr Unterstützung bei der Fokussierung und Bearbeitung ihrer Anliegen benötigen als Erstsprachige. Hier liegt ein Forschungsdesiderat vor. Wünschenswert sind Beratungs- und Ausbildungskonzepte, die die Ergebnisse der diskutierten Studien berücksichtigen, sowie Studien, die die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit der Schreibberatung bzw. -begleitung prüfen. Hier sollten nicht nur retrospek­tive Fragebögen und Interviews eingesetzt werden, die die subjektive Einschätzung Beratender und Schreibender erfassen, sondern vor allem Beratungsgespräche aufgezeichnet und ausgewertet werden. Insbesondere im Hinblick auf die Schreibbegleitung an Schulen fehlen hier Forschungserkenntnisse.

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25 DaZ-Schreibdidaktik an der Hochschule 1 Gegenstandsbestimmung 2 Einflüsse 3 Studierende mit Deutsch als Zweitsprache 4 Lerninhalte einer akademischen DaZ-Schreibdidaktik 5 Didaktische Realisierungen 6 Resümee und aktuelle Entwicklungen

1 Gegenstandsbestimmung Akademisches Schreiben zu lernen und zu lehren hat spätestens seit der BolognaReform an deutschen Hochschulen Eingang in Studiengänge aller Fachrichtungen gefunden (Girgensohn & Sennewald 2012). Das Erlernen einer umfassenden Textkompetenz (Portmann-Tselikas & Schmölzer-Eibinger 2002) stellt Lerngegenstand und Ausbildungsziel dar, ist jedoch zugleich auch notwendige Voraussetzung, um eine akademische Textkompetenz weiter auszubilden (Kruse & Chitez 2014: 107). Dies gilt insbesondere, wenn mit dem Schreiben in der Zweitsprache Deutsch auf bereits bestehende Textkompetenzen aufgebaut wird. Dabei findet das Schreiben immer eingebettet in einen lokalen, sozialen, institutionellen und disziplinären Kontext statt, der den*die Schreibende*n selbst und sein*ihr Schreiben beeinflusst (Casanave 2003: 98). Die Schreibenden in Deutsch als Zweitsprache bringen ihr individuell ausgeprägtes Sprachrepertoire (Busch 2013: 14–79) als potentielle Ressource mit, um sich im Verlauf ihrer Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand akademisches Schreiben zunehmend reflektierter mit Wissenschaftskulturen (Ehlich 2014) auseinanderzusetzen. Diese Sozialisierung in das Fach umfasst sowohl das komplexe Handeln des Schreibens (z.  B. Auswerten von Literatur, sprachübergreifende und -spezifische Schreib- und Überarbeitungsstrategien) als auch die Umsetzung von wissenschaftsprachlichen Anforderungen an universitäre Textarten, wie z.  B. explorative Argumentationen (Ehlich 2014), Realisierungen alltäglicher Wissenschaftssprache (Ehlich 1993), komplexe Syntax, sprachliche Elemente der Leserorientierung. Für das erfolgreiche Absolvieren von schriftlichen Studienleistungen ist es für Studierende nötig, disziplinen- und domänenspezifische Textformen1 produzieren zu können, die den 1 Pohl & Steinhoff (2010: 5–22) fassen unter Textformen als Lernformen Texte, die genuin didaktisch geprägt sind. Sie spiegeln einen bestimmten Entwicklungsstand eines Lernenden wider und sind medial unterschiedlich gefasst. Hierdurch wird die didaktische Perspektive des Lernens und Weiterentwickelns von Textkompetenzen betont. Die in verschiedenen linguistischen Schulen verankerten Begriffe der Textart, Textsorte oder Genre erfassen die Typologie domänen- und disziplinenspezifischer Texte in ihrer gesellschaftlichen Verankerung (Adamzik 2004). DOI 10.1515/9783110354577-025

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Erwartungen der Prüfenden als Aktanten der Institution entsprechen. Zugleich stellt eine reflektierte Kompetenz im akademischen Schreiben eine Schlüsselqualifikation für den Berufseinstieg dar.2 Der Ansatz einer prozessorientierten Schreibdidaktik sieht das Schreiben als eine komplexe Tätigkeit an, in der die Schreibenden ihre individuellen Schreibkompetenzen situationsspezifisch und kontextabhängig einsetzen, um das Schreibprojekt zu realisieren (Ruhmann & Kruse 2014). Mit dieser Auffassung wird das akademische Schreiben als lehr- und lernbarer Gegenstand greifbar und berücksichtigt zudem die individuellen Voraussetzungen, die Schreibende mitbringen, z.  B. in Form literaler Kompetenzen. Das Ziel besteht in der Förderung der Kompetenzen des*der Schreibenden (North 1984: 76), damit dieser*diese sich zu einem*einer eigenständigen, professionell handelnden Schreibenden entwickelt. Eine Orientierung auf das schriftsprachliche Produkt – den Text – ist integrativ beteiligt, steht jedoch im Dienste der Weiterentwicklung von Schreibkompetenzen. Dies zeichnet auch die gegenwärtigen Bewegungen in der DaZ-Schreibdidaktik an Hochschulen aus, die sich um die Erweiterung einer umfassenden akademischen Textkompetenz bemühen und die Schreibkompetenzen fokussieren, so dass eine Umsetzung domänen- und disziplinenspezifischer Textformen (Pohl & Steinhoff 2010) erfolgen kann.3 Allerdings ist ein Rückschluss vom Produkt auf zugrundeliegende Schreibprozesse nur bedingt möglich, weil diese höchst individuell gestaltet werden; ebenso führen umfassende Schreibkompetenzen nicht zwangsläufig zu einem erfolgreichen Produkt (Emig 1971).

2 Einflüsse Schreibdidaktische Angebote variieren in ihrer Fokussierung auf schreibendes und textuelles Handeln oder greifen gerade beide Bereiche dieser literalen Kompetenz auf. Die derzeitige DaZ-Schreibdidaktik für den akademischen Kontext im deutschsprachi-

2 In diesem Beitrag wird von akademischem Schreiben gesprochen, wenn vom Schreiben als komplexem Gegenstand im Studium die Rede ist. Das berufliche Handeln des wissenschaftlichen Schreibens ist hiervon abzugrenzen (vgl. auch Kruse & Jakobs 1999). 3 Feilke (2014) fasst eine umfassende Textkompetenz als literale Prozedur, die Schreib- und Textprozeduren beinhaltet, so dass er zwischen der Ebene des komplexen Schreibprozesses und der konkreten Ebene des sprachlichen Handelns zur Ausgestaltung von Text unterscheiden kann. Hierbei handelt es sich um eine analytische Trennung, da beim Handeln während des Schreibens beide Prozedurbereiche ineinandergreifen und erst in ihrem Zusammenspiel einen erfolgreichen Schreibprozess ermöglichen, der einen Text zum Ergebnis hat. Redder (2017) nimmt eine sachliche und kategoriale Kritik auf handlungstheoretischer Basis vor und schlägt statt des Prozedurenbegriffs den des textuellen Handelns vor.

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gen Raum beruht auf Erkenntnissen aus empirischen Forschungen und didaktischen Entwicklungen in –– der US-amerikanischen WAC-/WID4-Bewegung (z.  B. Russell 2002; Thaiss 2001), die als einen zentralen Gegenstand das Schreiben in der zweiten Sprache fasst und innovative Didaktisierungen entwickelt hat, die die Individualität des Schreibenden sowie die situationellen Faktoren berücksichtigt (z.  B. Ball & Ellis 2008; Manchón & Matsuda 2016; NCTE 2014);5 sie finden seit den 1990er Jahren Eingang in die deutschsprachige Schreibdidaktik für hochschulische Kontexte, –– der Fremdsprachendidaktik für den deutschsprachigen Raum, die sich auf universitäre Schreibprozesse und -entwicklungen von Lernenden mit anderen Herkunftskulturen beziehen, die in der Zielsprache Deutsch schreiben (Ballweg 2015; Fandrych & Graefen 2010; Hornung 2015; Petersen 2014), –– der empirischen Schreibforschung, die sich auf universitäre Schreibdidaktik in der Erstsprache beziehen, die auf Deutsch als Zweitsprache übertragen wird (Lehnen 2016; Schindler & Siebert-Ott 2011), –– aus dem Forschungsgegenstand der Didaktik mehrsprachigen Schreibens, die Erkenntnisse für eine translinguale Schreibdidaktik liefert (z.  B. Canagarajah 2013; vgl. Gürsoy & Roll in diesem Band) und eine Ressourcenaktivierung betreibt (Brinkschulte 2016). Seit den 1990er Jahren adaptieren Schreibzentren und vergleichbare Einrichtungen an deutschsprachigen Hochschulen (Ruhmann 2014) die WAC/WID-Bewegung für das europäische Bildungssystem nach Bologna. Zunehmend etabliert sich eine Angewandte Schreibwissenschaft im deutschsprachigen Raum, deren Untersuchungsgegenstand die Schreibzentrumsarbeit, Lehr- und Lernprozesse akademischen und beruflichen Schreibens umfassen (z.  B. Girgensohn 2017). Schreiben im Kontext von Mehrsprachigkeit ist ein sich etablierender Forschungsschwerpunkt: Knorr et al. (2015) zeigen für Schreibberatungen auf, dass Mehrsprachigkeit funktional für alle Schreibphasen und als Verhandlungssprache in Schreibberatungen eingesetzt wird. Dengscherz & Steindl (2016) entwickeln eine empirisch fundierte Didaktik, wie Studierende ihre individuelle Mehrsprachigkeit für akademische Schreibprozesse anwenden können. In die Internationalisierungsstrategien6 der Hochschulen eingebunden

4 WAC: Writing across the Curriculum, WID: Writing in the Disciplines. 5 In der Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung e.V. (gefsus) verortete Schreib­didak­ tiker*innen verfassen aktuell ein Positionspapier, das die Anforderungen an eine Schreibausbildung an deutschsprachigen Hochschulen bündelt, damit Studierende während des Studiums akademische Schreibkompetenzen vertiefen können. Nähere Informationen finden sich unter: https://www. schreibdidaktik.de/index.php (25. 06. 2018). 6 Die Internationalisierung der Hochschulen ist eine Initiative des BMBF (2016), die den internationalen Austausch von Studierenden fördert, um langfristige Kooperationen zwischen Hochschulen im In- und Ausland zu etablieren und den internationalen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern.

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ist ein Forschungsprojekt zur Didaktisierung translingualen akademischen Schreibens, um sie in Curricula international ausgerichteter Studiengänge zu integrieren (Brinkschulte, Grieshammer & Stoian 2017). Didaktische Forschungen aus der Germanistik und Deutsch als Fremdsprache beziehen sich auf die Ausrichtung auf Deutsch als Wissenschaftssprache und der Realisierung sprachlicher Handlungen, damit Studierende kompetenter im Verfassen akademischer Texte werden. Die beiden erstgenannten Einflussbereiche agieren sowohl interdisziplinär und sprachübergreifend als auch disziplinen- und sprachspezifisch. Um eine umfassende DaZ-Schreibdidaktik an Hochschulen nachhaltig zu etablieren, wäre eine zunehmende internationale Interdisziplinarität in der Umsetzung von Forschungserkenntnissen hilfreich, wie sie in Ansätzen bereits praktiziert wird.

3 Studierende mit Deutsch als Zweitsprache Mit der Zulassung zum Studium müssen Studierende entweder durch die Allgemeine Hochschulprüfung (bzw. durch ein Äquivalent) oder durch eine Sprachprüfung – in der Regel DSH oder TestDaF – ihre Sprachkenntnisse auf dem Niveau von mind. C1 (GER) nachweisen. Dies setzt bei den Studienanfänger*innen eine hohe allgemeine Sprachkompetenz voraus, die grundlegende propädeutische literale Kompetenzen einschließt. Inwiefern jedoch das Verfassen propädeutischer Texte in der Schule oder die Textproduktion der Prüfungsformate tatsächlich auf das akademische Schreiben in den Disziplinen vorbereitet, stellt derzeit ein Forschungsdesiderat dar (vgl. Scholten-Akoun in diesem Band). Auf der Grundlage verschiedener bildungsbiographischer Hintergründe ist davon auszugehen, dass Studierende mit Deutsch als Zweitsprache unterschiedliche literale Kompetenzen in ihren verfügbaren Sprachen mitbringen, die sie für das weitere akademische Schreiben einsetzen können. Bezogen auf die diversen propädeutischen und akademischen Sozialisierungen lassen sich Studierende mit Deutsch als Zweitsprache auf der Grundlage der 20. Sozialerhebung des Studentenwerks (Middendorff et al. 2013) grob in drei Gruppen bzgl. ihrer vorhandenen literalen Kompetenzen unterteilen: 1. Studierende mit Migrationshintergrund (Middendorff et al. 2013: 520–527) umschreibt die Gruppe von Studierenden, die mit weiteren Familiensprachen in einem deutschsprachigen Umfeld aufgewachsen sind und erfolgreich ein deutschsprachiges Schulbildungssystem durchlaufen haben. Die Reichweite der Literalisierung in der (den) Familiensprache(n) ist in dieser Gruppe sehr unterschiedlich. Deutsch haben sie in der Regel durch ihre deutschsprachige Lebenswelt und ihre schulische Ausbildung erworben. Durch den Schulunterricht haben sie in der Regel mind. zwei Fremdsprachen gelernt. Schindler & Siebert-Ott (2014) nehmen für mehrsprachig aufgewachsene Studierende an, dass sie einen besseren Zugang

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zu Sprachvarietäten haben und diesen auf den Umgang mit wissenschaftlichen Texten übertragen können. 2. Die Gruppe der Studierenden mit unmittelbarer Migrationserfahrung7 beinhaltet diejenigen, die literale Kompetenzen in ihrer (ihren) Herkunftssprache(n) entwickelt und einen Teil ihrer literalen Ausbildung an einer deutschsprachigen Schule durchlaufen haben. In der Schule haben sie ebenfalls mind. zwei Fremdsprachen gelernt. Sie erreichen den Hochschulzugang i.  d.  R. mit einer Allgemeinen Hochschulreife oder einem Äquivalent. Für diese Lernenden stellt Petersen (2014: 249) einen Bedarf an Förderung im Bereich der Lexik und Morphosyntax fest. 3. Die Gruppe der Studierenden mit einem Deutsch-als-Fremdsprache-Hintergrund: Diese Gruppe umfasst ausländische Studierende, die ein deutschsprachiges Regelstudium aufnehmen. Sie verfügen über literale Kompetenzen in ihrer (ihren) Herkunftssprache(n), haben i.  d.  R. Deutsch als Fremdsprache gelernt und eine Prüfung zur Hochschulzugangsberechtigung bestanden. 46% dieser Gruppe verfügen bereits über Studienerfahrungen in einem Herkunftsland und/oder an einer deutschsprachigen Hochschule (Apolinarski & Poskowsky 2013: 4), so dass davon auszugehen ist, dass sie propädeutische und/oder akademische Schreiberfahrungen besitzen. Daneben haben sie in der Regel mind. eine weitere Fremdsprache gelernt. Für diese Studierenden ist anzunehmen, dass sie aufgrund ihr Lernerfahrungen über eine Sprachbewusstheit verfügen und ihre Lernprozesse weitgehend reflektieren (Sprachlernbewusstheit). Didaktische Umsetzungen für diese Gruppe sind vergleichsweise häufiger (z.  B. Graefen & Moll 2011). In fremdsprachendidaktischer Forschung werden die drei Gruppen nicht immer differenziert betrachtet, obwohl sie unterschiedliche Kompetenzen für das akademische Schreiben in der Zielsprache Deutsch einbringen. Der Analysefokus konzentriert sich bisher auf das textuelle Handeln. Forschungen zum differenzierten Vergleich der drei Zielgruppen oder Untersuchungen, die das schreibende Handeln fokussieren, stellen Desiderata dar. Eine differenzierte Schreibdidaktik für diese diverse Zielgruppe wird im folgenden Abschnitt erläutert.

7 Die Zahl der Studierenden mit unmittelbarer Migrationserfahrung wird wahrscheinlich in nächster Zeit ansteigen, weil Geflüchtete ihre Schullaufbahn an einer deutschsprachigen Schule beenden und anschließend ein Studium aufnehmen.

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4 Lerninhalte einer akademischen DaZ-Schreibdidaktik Eine DaZ-Schreibdidaktik, die an Hochschulen angesiedelt ist, hat zum Ziel, die Studierenden zu professionellen Schreibenden auszubilden, die sowohl akademische Schreibaufgaben meistern, welche zu einem erfolgreichen Studienabschluss beitragen, als auch auf berufliche Schreibanforderungen in einer globalisierten Arbeitswelt vorzubereiten. Lernende bringen aufgrund ihrer literalen Sozialisierungen in ihre Disziplin(en) individuelle Lernbedürfnisse und Ressourcen ein, die z.  B. aus akademischen Schreiberfahrungen in anderen Wissenschaftskulturen stammen (Brinkschulte 2012). Es lassen sich drei Perspektiven von Lernbedürfnissen ableiten, die in einer lernerzentrierten, prozessorientierten Schreibdidaktik ineinandergreifen, die den progressiv kompetenter werdenden Schreibenden fokussiert: a) textuelles Handeln, b) schreibendes Handeln, c) Ressourcenorientierung. Lernbedürfnisse betreffen u.  a. die Ebene des textuellen Handelns. Unsicherheiten in der Wissenschaftssprache Deutsch beziehen sich auf lexikalische, morphosyntaktische Herausforderungen. Hierzu gehören fachsprachliche Ausdrucksweisen, die das Beherrschen fachwissenschaftlicher Inhalte auf der sprachlichen Oberfläche markieren, und disziplinenübergreifend verwendbare Ausdrücke der „alltäglichen Wissenschaftssprache“ (Ehlich 1993: 33). Gerade weil Letztgenannte eine Transformation in die Wissenschaftssprache erfuhren, stellen diese Ausdrücke für Lernende mit der L2 Deutsch eine besondere Herausforderung dar (Ehlich 1995). Da Textkonventionen für akademische Textarten je nach disziplinärer Einbettung und ihrer Zugehörigkeit zu Wissenschaftskulturen Spezifika aufweisen (Ehlich 2011: 18; Kruse & Chitez 2014), müssen Studierende diese entweder neu lernen oder sie zu ihrem Vorwissen in Beziehung setzen. Dies beinhaltet z.  B. Realisierungen der Adressatenorientierung im Text, die Integration fremder Aussagen in die eigene Argumentation, Formen von Argumentationen, die Darstellung der eigenen Autorenidentität. Die Auswirkungen des Einhaltens bzw. reflektierten Auseinandersetzens mit Textkonventionen betreffen die sprachliche Ausgestaltung auf der Wort-, Satzund Textebene gleichermaßen. Eine L2-Schreibdidaktik für akademische Kontexte setzt schriftsprachliches Handeln pragmatisch um, so dass Lernende ein reflektiertes Verständnis von der situationsangepassten Realisierung von Wissenschaftssprache erlangen können (z.  B. Moll & Thielmann 2017). Neben dem textuellen Handeln betreffen Lernbedürfnisse die Ebene des schreibenden Handelns: Gerade weil in der L2 schreibende Studierende sich unter Umständen stark auf die sprachliche Oberfläche konzentrieren, kann dies zu einer kognitiven Überlastung führen (Kellogg 1996). Hier bedarf es Schreibstrategien, die die Komplexität des Schreibprozesses entzerren (Grieshammer et al. 2016). Lernbedürfnisse betreffen die Ebene der Realisierung eines komplexen Schreibprojekts, wie es von Studierenden gefordert ist, wenn sie Qualifikationstexte verfassen

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müssen. Dies beinhaltet die in Schreibprozessmodellen (z.  B. Grießhaber 2010; Hayes 2014) enthaltenen Handlungsphasen des Planens, des Formulierens und des Überarbeitens, die rekursiv und iterativ realisiert werden. Zur Realisierung des komplexen Schreibprozesses gehören vielfältige begleitende Fähigkeiten (Ruhmann & Kruse 2014), wie –– die Integration rezeptiver Fähigkeiten, z.  B. Lesen und Auswerten von Fachliteratur, –– rahmende produktive Fähigkeiten, ggf. das Erheben, Auswerten und Aufbereiten empirischer Daten, –– analysierende Fähigkeiten, um die Situation mit den die Schreibsituation beeinflussenden Faktoren zu bestimmen, z.  B. Aufgabenstellung, Zeit, Prüfungsmodalitäten, –– Fähigkeiten mit der eigenen Einstellung, Haltung und Motivation zum Schreibprojekt umzugehen. Schreibnoviz*innen im akademischen Kontext oder Studierende mit Lernerfahrungen aus anderen Disziplinen oder Wissenschaftskulturen bringen an dieser Stelle noch kein oder wenig reflektiertes Verständnis über den komplexen Schreibprozess mit, oder sie haben aufgrund anderer Lern- und Anforderungserfahrungen ein Verständnis aufgebaut, das von aktuellen Ansprüchen abweicht. Eine Schreibdidaktik, die den kompetenten und reflektiert agierenden Schreibenden zum Ziel hat, greift dieses vielfältige schreibende Handeln explizit auf, damit Schreibende ein individuelles und situationsangemessenes Handlungsrepertoire entwickeln. Die dritte Perspektive betrifft die Aktivierung vorhandener Ressourcen von Schreibenden. Indem Studierende akademische Schreiberfahrungen aus anderen Hochschulkontexten einbringen, ziehen sie im kontrastiven Vergleich Rückschlüsse auf das Schreiben in der Zielsprache. Studierende verfügen über Ressourcen zum akademischen Schreiben, die sowohl sprachliche Fähigkeiten in der Zielsprache (z.  B. explizites Regelwissen), sprachliche Fähigkeiten in einer oder mehreren anderen Sprachen (z.  B. um wissenschaftliche Texte in dieser Sprache zu rezipieren, Hilfs- oder Transfertexte zu schreiben) als auch Schreibkompetenzen (z.  B. Schreibstrategien) beinhalten. Diese Ressourcen aktivieren und adaptieren Schreibende für das Verfassen akademischer Texte in anderen Sprachen. Hinzu kommen Ressourcen, die sich auf die Sprachlernbewusstheit beziehen, indem Schreibende über metakognitive Strategien verfügen, um ihre akademischen Schreibkompetenzen zu erweitern. Dies kann z.  B. das Adaptieren von Schreibstrategien beinhalten. Lange (2015) sensibilisiert mit ihren Lernstationen für Schreibstrategien in einem mehrsprachigen Kontext. Brinkschulte (2016) stellt auf empirisch fundierter Basis die Aktivierung von Mehrsprachigkeit als Ressource in Workshops für Studierende in international ausgerichteten Studiengängen vor. Knorr et al. (2015) decken anhand der Analyse von Schreibberatungen auf, wie Studierende ihre individuelle Mehrsprachigkeit für akademische Schreibprozesse einsetzen können. Dengscherz & Steindl (2016) decken empirisch Schreibstrategien in mehrsprachigen Schreibprozessen von Studierenden auf.

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5 Didaktische Realisierungen Je nach Einbettung in den Hochschulkontext können Lehr-, Lern- und Beratungsangebote zur Erweiterung akademischer Schreibkompetenzen in die Fachlehre integriert stattfinden oder im Rahmen eines Wahlpflichtangebots, z.  B. in den Schlüsselkompetenzen, oder extracurricular verortet sein. Passende Schreibarrangements (Bräuer & Schindler 2011) verfolgen das Prinzip eines problemlösenden Lernens, um Studierende zu einer authentischen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand Schreiben zu führen. Schreibzentrumsarbeit realisiert in Abhängigkeit von der institutionellen Verankerung des Schreibzentrums dieses Angebotsspektrum.

5.1 Textformen erlernen Das Erlernen einer umfassenden akademischen Textkompetenz stellt einen langen und aufeinander aufbauenden Weg dar, weshalb Pohl & Steinhoff (2010) ausgerichtet auf das Schreiben in der L1 Deutsch vorschlagen, „Textformen als Lernformen“ in Studiengängen zu etablieren, so dass Studierende allmählich an komplexer werdende Textformen herangeführt werden, die während des Studienverlaufs eine Progression beinhalten sollten (z.  B. Exzerpte, Kontroversenreferat vorbereitend für eine Seminararbeit). Dies entspricht dem Entwicklungsweg, den Lernende von ihrem Noviz*innenstatus bis zur professionellen Schreibhaltung einnehmen (Steinhoff 2007: 137–150). Das Lernziel besteht in einer sprachlichen Sozialisierung der Noviz*innen in die jeweilige Disziplin, indem sich Studierende mit Makro-, Meso- und Mikroebene (Portmann-Tselikas 2011) wissenschaftlicher Texte auseinandersetzen. Hierbei besteht ein Plädoyer, mit authentischen wissenschaftlichen Texten zu agieren, um ein Lernen am Modell zu ermöglichen (Portmann-Tselikas 2011: 48). Denkbar wäre aber auch, zunächst mit den Textformen zu arbeiten, die von den Studierenden tatsächlich verlangt sind, also gut bewertete Seminararbeiten zu nehmen, um Studierenden die an sie gestellten Anforderungen direkt am Zieltext zu veranschaulichen. Fächerübergreifende sprachliche Phänomene der alltäglichen Wissenschaftssprache, wie z.  B. Sprechhandlungsverben zur Integration fremder Aussagen einschließlich ihrer Konnotierung, können analytisch in authentischen wissenschaftlichen Texten des jeweiligen Studiengangs herausgearbeitet werden. In fächerübergreifenden Lehrveranstaltungen zum Schreiben bietet sich ein interdisziplinärer Vergleich der Verwendung dieser Ausdrücke an. Aus diesem kann auf die Zweckgebundenheit von Sprechhandlungsverben in den Disziplinen zurückgeschlossen werden. In Workshops des Internationalen Schreibzentrums der Georg-August-Universität Göttingen wird dieser didaktische Ansatz integrativ umgesetzt, so dass Studierende der drei Gruppen sowie mit Deutsch als Erstsprache gezielt miteinander und voneinander lernen können. Eine konsequente Fortführung des Ansatzes einer translingualen Schreibdidaktik sieht die Realisierung und Akzeptanz hybrider Textformen vor, die mehrsprachig mit

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entsprechenden Erklärungen realisiert werden. Zudem vereinen Hybridtexte zugrundeliegende Wissenschaftskulturen, indem sie Erklärungen einfügen. Diese Realisierungen sind jedoch stark von den Disziplinen abhängig.

5.2 Schreibintensive Lehre Schreibintensive Lehre lässt das Schreiben zum Unterrichts- und Lerngegenstand werden, indem es genutzt wird, um sich mit fachwissenschaftlichen Inhalten auseinanderzusetzen, hierbei kritisches Denken mithilfe heuristischen Schreibens zu erlernen und zu üben. Zugleich wird das Schreiben selbst mit seinen Handlungsphasen und der situierten Einbettung in die Disziplin zum Lerngegenstand (Lahm 2016). Da die schreibintensive Lehre in reguläre fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen integriert wird, betrifft sie alle Studierenden gleichermaßen (mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache). An der Universität Bielefeld wird die schreibintensive Lehre in allen Fakultäten umgesetzt (siehe z.  B. für die Naturwissenschaften Riewerts 2016).

5.3 Kollaborative Lernformen Das Prinzip des kollaborativen Lernens geht auf Bruffee (1999) zurück, der diese Lernform anhand des Schreib-Peer-Tutorings entwickelt hat (vgl. Lammers in diesem Band). Wenn Schreibende gemeinsam eine Schreibaufgabe lösen, führt die münd­ liche Auseinandersetzung zu einer – im gelingenden Fall – intensiveren Auseinandersetzung mit der Aufgabe und einer Reflexion von Teilhandlungen bis hin zur Reflexion über sprachliche Realisierungsformen und zum Scaffolding. Das Vorwissen, die Lernvoraussetzungen sowie der Umgang mit dem Lerngegenstand ähneln einander, so dass sich Studierende untereinander auf einer anderen Basis verständigen und z.  B. ein anderes Register wählen, als dies in einem Diskurs zwischen Novize*Novizin und Agent*in der Institution (Dozent*in) der Fall wäre. Besondere didaktische Realisierungen kollaborativen Lernens neben dem Schreib-Peer-Tutoring (vgl. Lammers in diesem Band) stellen akademische Schreibpartnerschaften (Brinkschulte 2010) und die Arbeit von Writing Fellows dar (Liebetanz, Voigt & Dreyfürst 2016).

5.4 Feedback In einer prozessorientierten Schreibdidaktik gehört die Überarbeitung zu einer zentralen Handlungsphase während der Arbeit an einem Schreibprojekt. Insbesondere Noviz*innen unterschätzen das Potential von Überarbeitungen für die Qualität eines Textes. Honnegger (2008) stellt fest, dass eine geringere Zeigehemmung bei Studierenden mit mehrsprachigem Hintergrund aufgrund einer Verunsicherung im Sprach-

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gebrauch besteht. Ein konstruktives Feedback fokussiert die Rückmeldung aus Sicht eines*einer interessierten Lesenden, der*die den Text verstehen möchte und eröffnet konkrete Möglichkeiten zur Überarbeitung. Feedback kann mündlich (Schindler 2013) oder schriftlich (Knorr 2012) auf Textfassungen erfolgen. Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Feedback stellt die Bereitschaft des Autors*der Autorin zur weiteren Bearbeitung dar sowie die Einbettung von Feedback und überarbeiteter Version in Lehrveranstaltungen. Nur wenn auch der überarbeitete Text gelesen wird, ergibt die Überarbeitung für den Schreibenden Sinn. Peer-Feedbackformen werden in Schreibwerkstätten und in Lehrveranstaltungen eingesetzt. Für Feedback-Gespräche auf andere gemeinsame Sprachen zurückzugreifen, kann je nach Sprachstand für die Beteiligten hilfreich sein, da manche Sachverhalte in einer Erstsprache leichter und präziser verhandelt werden können. Allerdings werden in Feedback-Gesprächen i.  d.  R. Fachtermini in der jeweiligen Wissenschaftssprache verwandt, da sie einen präzise gefassten Sachverhalt beschreiben, der ein gemeinsames Wissensrepertoire für eine Diskursgemeinschaft darstellt (Brinkschulte, Grieshammer & Stoian 2018).

5.5 Portfolios als alternative Prüfungsform Um die Reflexion mit den Teilhandlungen während der Realisierung eines akademischen Schreibprojekts zu fördern, bieten Portfolios als schriftliche Prüfungsleistung eine Alternative zu herkömmlichen schriftlichen Prüfungsformen, in denen allein die akademische Textform verlangt wird (Ballweg 2015). Portfolios im hochschulischen Kontext können sowohl reflexive als auch produktive Aufgaben beinhalten (Bräuer 2016). Reflexive Aufgaben bieten Studierenden die Möglichkeit, förderliche und beeinträchtigende Kontextfaktoren zu analysieren sowie angewandte schreibende und textuelle Handlungen zu reflektieren und Konsequenzen für zukünftiges Handeln zu ziehen. Hierzu gehört auch die Reflexion der Verwendung verfügbarer Sprachen sowie des Einsatzes von Schreibkompetenzen.

6 Resümee und aktuelle Entwicklungen Studierende mit einem mehrsprachigen Hintergrund stellen eine diverse Zielgruppe dar, der es durch adäquate didaktische Konzeptionen zu einem erfolgreichen Studienverlauf zu verhelfen gilt. Bei den seit den 1990er Jahren entwickelten didaktischen Konzepten ist eine zunehmende Berücksichtigung des komplexen Gegenstands akademisches Schreiben zu verzeichnen. Diese bezieht sich auf die Einbeziehung der institutionellen, disziplinen- und domänenspezifischen Verankerung von Texten, auf die individuelle Schreibsituation und -einstellung, auf vorhandenes Vorwissen und

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 Melanie Brinkschulte

die Ressource Mehrsprachigkeit bei den Schreibenden. Damit wird zunehmend nicht allein die sprachliche Kompetenz zur Realisierung akademischer Texte in den didaktischen Blick genommen. Vielmehr werden sowohl schreibendes als auch textuelles Handeln in Didaktisierungen zum mehrsprachigen Schreiben integriert. Die Umsetzungen beziehen sich auf Konzepte für Lehre und Beratung gleichermaßen und integrieren kollaborative Lernformen. Sie fördern das reflektierende Auseinandersetzen mit dem Lerngegenstand. Im gelingenden Fall führt dies zu professionellen akademischen Schreibkompetenzen und einer integrierenden, reflektierten Verwendung von Sprachrepertoires, so dass ein konstruktiver Austausch über Wissenschaftskulturen hinweg stattfindet. Wollen Hochschulen ihre Internationalisierung erweitern, empfiehlt sich neben extracurricularen Angeboten und der Verankerung in den Schlüsselkompetenzen eine Integration einer schreibdidaktischen Ausbildung in die fachwissenschaftlichen Curricula und in die Lehre. Hierbei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Weiterentwicklung einer akademischen Schreibkompetenz im Kontext von Mehrsprachigkeit ein kontinuierlicher Weg ist, so dass schreibdidaktische Angebote den gesamten Studienverlauf begleiten. Eine konsequente Umsetzung der Internationalisierung der Hochschulen schließt u.  a. eine Veränderung von Wissenschaftskulturen ein, wenn sich Disziplinen auf translinguale Textformen einlassen, wie z.  B. Hybridtexte. Empirische Forschungsergebnisse liegen derzeit vor allem zu textuellem Handeln vor, wodurch Textkompetenzen auf der sprachlichen Oberfläche in einem Text ersichtlich werden. Jedoch steht eine differenziertere Erforschung von schreibendem und textuellem Handeln, z.  B. in der Entwicklung von Schreibkompetenzen der verschiedenen Zielgruppen noch aus. Eine Didaktik mehrsprachigen Schreibens entwickelt sich allmählich an deutschen Hochschulen. Hier ist noch Grundlagen- sowie Unterrichtsforschung nötig. Damit geht das notwendige Fördern einer institutionellen Einbettung von Mehrsprachigkeit als Gegenstand der Ausbildung an Hochschulen einher, so dass Mehrsprachigkeit ein integraler Bestandteil einer globalisierten Wissenschaftsgemeinschaft werden kann.

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DaZ-Schreibdidaktik an der Hochschule 

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 Melanie Brinkschulte

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Stefan Markov & Elena Waggershauser

26 Alphabetisierung und Schreibentwicklung in der Erwachsenenbildung 1 Einleitung 2 Zielgruppen der Alphabetisierungsarbeit in der Zweitsprache und Förderstrukturen 3 Forschungsüberblick zum Thema 4 Aktuelle Studien und Tendenzen 5 Fazit

1 Einleitung Auf das Phänomen des sog. Analphabetismus wurde in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Ergebnisse der PISA und PIAAC-Studie1 aufmerksam gemacht. Zahlen der empirischen Studie „leo.-Level-One“ aus dem Jahr 2011 belegen, dass in Deutschland 7,5 Millionen Menschen leben, die zur Gruppe der funktionalen Analphabeten gezählt werden. Davon sprechen ca. 40% eine andere Erstsprache als Deutsch2 (vgl. Grotlüschen & Riekmann 2011: 8). Auch unter der großen Gruppe der seit 2015 neu zugewanderten Erwachsenen befindet sich eine hohe Zahl von Personen, die in ihrer Erstsprache nicht alphabetisiert sind. Die Bildungsinstitutionen stehen in Folge dessen vor einer großen Herausforderung: Wie kann ein Unterricht gestaltet werden, der die Sprachkompetenz in der deutschen Sprache fördert und zugleich die bereits vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden anerkennt und nutzt? In diesem Zusammenhang sind in den letzten Jahren auch Fragen, die die Sprachförderung erwachsener DaZ-Lernender mit geringen Sprachkenntnissen und die Lehrerausbildung im Bereich Alphabetisierung betreffen, in den Mittelpunkt der Fachdiskussion und der Forschung gerückt. Dabei liegen die Herausforderungen einerseits in der Forschung, andererseits in der Alphabetisierungspraxis, die sich trotz einer positiven Entwicklung im Hinblick auf die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und Methoden seit der Einführung der Integrationskurse mit Alphabetisierung im Jahre 2007 am Anfang befindet. Im vorliegenden Beitrag sollen ausgehend von bestehenden Herausforderungen in der DaZ-Alphabetisierung und Schreibentwicklung der gegenwärtige Forschungsstand und aktuelle Tendenzen in der Alphabetisierungsforschung dargestellt werden.

1 PIAAC-Studie: Programme for the International Assessment of Adult Competencies. 2 Es lassen sich zur Größenordnung der wenig literalisierten Menschen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch nur wenig genaue Angaben machen. Diese Schätzung stammt aus einer Befragung von 2011, an der nur Erwachsene mit Migrationshintergrund teilgenommen haben, die sich auf Deutsch gut verständigen konnten. Dementsprechend dürfte die Dunkelziffer weitaus höher sein. DOI 10.1515/9783110354577-026

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 Stefan Markov & Elena Waggershauser

2 Zielgruppen der Alphabetisierungsarbeit in der Zweitsprache und Förderstrukturen Analphabetismus bezeichnet das Phänomen, dass eine Person keine oder nur geringe Kenntnisse der Schriftsprache aufweisen kann (vgl. Hubertus & Nickel 2003: 719). Es gibt verschiedene Formen des Analphabetismus, die zum einen auf der Zeitebene und zum anderen auf der Kenntnisebene unterschieden werden (vgl. Linde 2007: 91). Auf der Zeitebene spricht man vom primären und sekundären Analphabetismus. Primärer Analphabetismus liegt demnach vor, wenn eine Person weder im Verlauf ihrer Kindheit noch zu einem späteren Zeitpunkt schriftsprachliche Kenntnisse erwerben konnte, was in der Regel einem fehlenden Schulbesuch geschuldet ist (vgl. Linde 2007: 91). Die Ursachen hierfür sind häufig Krieg oder Armut. Gerade für diese lernungewohnte Zielgruppe spielen die Alphabetisierungskurse eine wichtige Rolle und stellen gleichzeitig eine große Herausforderung für DaZ-Lehrkräfte dar. Sekundärer Analphabetismus liegt vor, wenn eine Person zwar über einen längeren Zeitraum eine Schule besucht hat, Lese- und Schreibfähigkeiten aber wieder verlernt hat, da diese nicht regelmäßig angewandt wurden. Auf der Kenntnisebene wird zwischen totalem und funktionalem Analphabetismus differenziert. Von totalem Analphabetismus wird gesprochen, wenn bei einer Person auch in der Erstsprache keine schriftsprachlichen Kenntnisse vorliegen. Dieses Phänomen tritt hauptsächlich in Entwicklungsländern auf (Linde 2007: 92). Die Bezeichnung funktionaler Analphabetismus wird verwendet, „wenn die schriftsprachlichen Kompetenzen von Erwachsenen niedriger sind als diejenigen, die in einer Gesellschaft minimal erforderlich sind und als selbstverständlich vorausgesetzt werden“ (Egloff et al. 2011: 14). Für den DaZ-Kontext bedeutet dies, dass die Lernenden, die in ihren Herkunftsländern funktional handeln konnten, in Deutschland als funktionale Analphabeten gelten, da sie die gesellschaftlich gesetzten Mindestanforderungen der Sprachbeherrschung des Aufnahmelandes nicht erreichen und somit aus bestimmten Lebensbereichen ausgeschlossen sind. Eine weitere Zielgruppe in der Alphabetisierungsarbeit stellen die so genannten Zweitschriftlernenden dar. Zweitschriftlernende sind funktional alphabetisierte Menschen. Sie können mehrere Jahre Schulerfahrung nachweisen und sind in einem nicht-lateinischen Schriftsystem alphabetisiert. Ziel für diese Gruppe ist es, sie mit dem lateinischen Schriftsystem vertraut zu machen (vgl. Feldmeier 2015: 41). Im Unterschied zu primären und funktionalen Analphabeten haben diese Lernenden Erfahrungen mit dem gesteuerten Spracherwerb und sind mit unterrichtsrelevanten Textsorten, Strategien und Techniken vertraut (siehe hierzu auch Schulte-Bunert 2000). Diese Kenntnisse erleichtern in der Regel den Erwerb eines neuen Schriftsystems und der Sprache erheblich. Allerdings können auch Zweitschriftlernende funktionale Analphabeten sein, wenn ihre schriftsprachlichen Kompetenzen nicht ausreichen, um etwa kurze Texte in ihrer Erstsprache zu verstehen (vgl. Feldmeier 2015: 41).

Alphabetisierung und Schreibentwicklung in der Erwachsenenbildung 

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Mit Einführung der Integrationskurse mit Alphabetisierung steht den o.g. Gruppen erstmals eine umfangreiche und zielgruppengerechte DaZ-Förderung zur Verfügung,3 die sich sowohl im Hinblick auf Umfang als auch auf Breite von den bisher dagewesenen Angeboten deutlich abhebt. Dem gegenüber stand jedoch zum Zeitpunkt der Einführung der Integrationskurse mit Alphabetisierung nur ein kleiner Fundus an Erfahrungen und Konzepten zur Verfügung, auf den zurückgegriffen werden konnte. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes soll im Folgenden der Bereich der Schreibentwicklung näher beleuchtet werden. Dieser spielt eine bedeutende Rolle für den Lernerfolg der Zielgruppe, da der Alphabetisierungsprozess häufig über die Phasen des Schriftspracherwerbs nachvollzogen werden kann.

3 Forschungsüberblick zum Thema 3.1 Stufenmodelle des Schrifterwerbs Zur Beschreibung der Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen liegen inzwischen mehrere Stufenmodelle4 vor. Ihnen ist die Grundannahme gemein, dass Lernende Etappen durchlaufen, in denen sie auf eine dominierende Lese- oder Schreibstrategie zurückgreifen (vgl. Schnitzler 2008). Weiter unten wird exemplarisch auf das Modell der Schreibentwicklung von Valtin (2000: 78–81) eingegangen, da es für die Erwachsenenalphabetisierung besonders relevant ist. Genau wie andere gängige Modelle wurde auch dieses für eine Beschreibung des kindlichen Schriftspracherwerbs entwickelt. In diesem Zusammenhang ist eine uneingeschränkte Übertragbarkeit unbedingt zu hinterfragen (Pracht 2013: 45). Die bislang fehlenden empirischen Untersuchungen zur Anwendung der Stufenmodelle auf die Erwachsenenbildung nachzuholen, würde sowohl für die Theoriebildung als auch für die Entwicklung didaktischer Konzepte einen großen Nutzen erbringen. Besonders problematisch erweist sich, dass es bislang an Studien mangelt, die einen sukzessiv in Stufen vollzogenen Schrifterwerb empirisch belegen könnten (Dürscheid 2012: 244). Es ist anzunehmen, dass „Rückschritte“ möglich sind und Lernende auf bereits genutzte Strategien zurückgreifen können. Außerdem wird diskutiert, inwieweit Stufenmodelle in Anbetracht der Abhängigkeit der Schreib­ent­wick­lung von

3 Erste Anhaltspunkte hinsichtlich der Beschreibung, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Alphabetisierungskurse liefert die BAMF-Studie von Rother (2010), die Ergebnisse einer Befragung von Teilnehmenden zu Beginn ihres Alphabetisierungskurses darstellt. 4 Darunter etwa Frith 1986; Scheerer-Neumann 1996; Günther 1986. Neben Stufenmodellen werden gelegentlich auch Analogie-Modelle zur Beschreibung der Schreibentwicklung herangezogen. Bei ihnen wird davon ausgegangen, dass Lernende orthographische Erkennungseinheiten auf der Grundlage von Reimen etablieren (vgl. Pracht 2010: 63).

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Abb. 1: Beispiele für die Stufen nach Valtin; den Stufen 2–6 wurden Schriftproben von ­Teilnehmenden in Integrationskursen mit Alphabetisierung zugeordnet (Valtin 2000: 78)

(methodischen) Konzepten der Schriftvermittlung überhaupt aufrechterhalten werden können (Scheerer-Neumann 1996). Wenn Unterricht beispielsweise auf Methoden basiert, die frühzeitig orthografische Grundmuster in die Vermittlung einbeziehen (vgl. schemabasierte Basisalphabetisierung für Erwachsene nach Pracht 2010, 2012), ist eher ein sequentiell-synchroner Verlauf der Kompetenzentwicklung anzunehmen. Das Modell von Valtin (2000: 78) greift im Unterschied zu den meisten anderen Ansätzen nicht nur auf geschriebene Wörter zurück, sondern bezieht auch verschriftete Sätze in die dem Modell zu Grunde liegende Analyse mit ein. Das hat unter anderem den Vorteil, dass auch Aussagen darüber getroffen werden können, inwieweit das Wortkonzept von den Lernenden angeeignet wurde, sie also in der Lage sind, alle Redeteile wiederzugegeben und zwischen den geschriebenen Wörtern eine Lücke gelassen wurde. Darüber hinaus lässt sich mit dem Modell der Stand der Entwicklung des Phonembewusstseins der Lernenden beschreiben (Valtin 2000: 78). Valtin (2000) unterscheidet sieben Stufen der Schreibentwicklung. Auf Stufe 0 (Kritzelstufe) ahmen Kinder das Schreiben von Erwachsenen nach. Ein Wortkonzept und Phonembewusstsein gibt es auf diesen Stufen noch nicht (Valtin 2000: 79). Auf der Stufe 1 (Phase des Malens willkürlicher Buchstabenfolgen) werden bereits Buchstaben abgemalt oder Pseudowörter geschrieben, ohne dass Phonem-Graphem-Korrespondenzen für die gemalten Zeichen bewusst sind. Die ersten beiden Stufen treten

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nach unserer Einschätzung, so wie sie hier dargestellt sind, für den Schrifterwerb in der Erwachsenenbildung mit einer geringen Wahrscheinlichkeit auf, da sie in engem Zusammenhang mit der kognitiven Entwicklung von Kindern zu sehen sind (zu Entwicklungsstufen bei Kindern vgl. etwa Piaget 2014). Die Stufen 2 bis 4 markieren die Entwicklung einer phonetischen Schreibweise. Während beim vorphonetischen Schreiben auf Stufe 2 Laute noch in sehr rudimentärer Weise verschriftet werden, lassen sich auf Stufe 3 deutlich mehr zutreffende Phonem-Graphem-Korrespondenzen beobachten. Auf diesem „halbphonetischen Niveau“ (skelettartige Schreibung) werden insbesondere deutlich hörbare Laute geschrieben. Auf der vierten Stufe werden bereits alle hörbaren Laute phonetisch abgebildet. Orthographische Muster werden dabei noch nicht berücksichtigt, es handelt sich vielmehr um eine lautgetreue Schreibung. In Sätzen werden noch keine oder nur gelegentliche Lücken zwischen den Wörtern gelassen (Valtin 2000: 81). Auf Stufe 5 (phonetische Umschrift und erste Verwendung orthografischer Muster) wird sukzessive orthografisches Wissen auf Schreibweisen angewendet und beispielsweise statt geschrieben. Die erlernten Muster werden auf dieser Stufe tendenziell auch übergeneralisiert, also auf Schreibungen angewendet, auf die dies nicht zutrifft (z.  B. statt ). Die höchste Stufe in Valtins Modell ist erreicht, wenn Wörter vollständig und orthografisch richtig wiedergegeben werden können (Übergang zur entwickelten Rechtschreibfähigkeit). Das Beispiel in Abbildung  2 zeigt die Schriftprobe eines Teilnehmers, der in seiner Erstsprache (Punjabi) alphabetisiert ist und zum Zeitpunkt der Erhebung etwa 900  Stunden in einem Integrationskurs mit Alphabetisierung gelernt hat. Der Ausschnitt gibt einen Hinweis darauf, dass DaZ-Lernende innerhalb eines Textes auf unterschiedliche Strategien gleichzeitig zurückgreifen können. Eine Übertragung orthografischer Muster auf Wörter, deren Schreibung noch nicht bekannt ist, gelingt nur teilweise. Auffällig ist beispielsweise die Verschriftung des Wortes als . Auf den ersten Blick werden hier mehrere Strategien gleichzeitig angewandt: Während das postvokalische h in auf eine Verwendung orthografischer Muster hinweist, liegt aufgrund der abweichenden Verschriftung einzelner Phoneme ( statt in und statt in Schule) nahe, dass von einem eher halbphonetischen Niveau (Stufe 3 nach Valtin) auszugehen ist. Es kann in Anbetracht der Dauer des Kursbesuchs des Teilnehmers angenommen werden, dass das Grund- und das Bestimmungswort des Kompositums bekannt sind, sie aber nicht als seine Bestandteile identifiziert wurden. Bedeutsam ist die Frage, wie die Unregelmäßigkeiten bei der Schreibung zu begründen sind und welchen Einfluss andere vom Lerner gesprochene Sprachen auf die Verschriftungsversuche haben. Longitudinale Untersuchungen zur Entwicklung der schriftsprachlichen Kompetenzen in der DaZ-Alphabetisierung, die sowohl die Herkunftssprachen als auch die Wechselwirkung von Orthografieerwerb und eingesetzten Unterrichtsmethoden systematisch berücksichtigen, stehen bislang noch aus. Der Rückgriff auf validierte Stufenmodelle scheint, wie eingangs bemerkt, in vielerlei Hinsicht sinnvoll, ist aber gegenwärtig noch nicht in Aussicht. Eine alternative

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Abb. 2: Schreibprobe eines fortgeschrittenen Teilnehmers

Möglichkeit zur Darstellung der Schreibentwicklung für erwachsene Lernende bieten Kompetenzmodelle des Schriftspracherwerbs.

3.2 Kompetenzmodelle des Schriftspracherwerbs Im Rahmen des Projekts „Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften (lea.)“ wurde ein Stufenmodell entwickelt, das verschiedene schriftsprachliche Niveaustufen erfasst, da sowohl Anfangsphasen der Schriftentwicklung als auch fortgeschrittene Themen, wie z.  B. Substantivierung von Adjektiven und Verben oder erste Kommaregeln, abgedeckt werden. Fortschritte der Lernenden werden detailliert abgebildet, so dass die Ergebnisse für die Planung anschließender Weiterbildungsmaßnahmen verwendet werden können. In diesem Zusammenhang schreibt Grotlüschen (2011: 28): „Mit den Alpha-Levels Schreiben liegt erstmalig für den deutschsprachigen Raum ein Kompetenzmodell für die Entwicklung der Schreibfähigkeit bei Erwachsenen mit einer empirisch geprüften Schwierigkeitsverteilung vor“.5 Jedes Level des sechsstufigen Kompetenzmodells Schreiben enthält eine Reihe von Kann-Beschreibungen, die Teilkompetenzen abbilden (siehe Abb. 2). Durch die Differenziertheit dieser Beschreibungen können auch einzelne, sehr kleinschrittige Lernerfolge in den Blick genommen werden (vgl. Heinemann, Schepers & Grotlüschen

5 Weitere Kompetenz- bzw. Diagnoseinstrumente (bzw. eine Auflistung) finden sich auf der Seite des Alphabundes: http://www.alphabund.de/1741.php (15. 10. 2015).

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2009: 27). Es ergeben sich daraus im Wesentlichen sechs Niveaus zur Kompetenzeinordnung. Dieser Bereich erstreckt sich von einzelnen Buchstaben über einfache Wörter und Sätze bis hin zu komplexen Texten: Alpha-Levels: Schreiben α1

vom Buchstaben zum Wort/alphabetische Strategie

α2

vom Wort zum Satz/alphabetische Strategie

α3

vom Satz zum Text/alphabetische und beginnende orthographische Strategie

α4

vom einfachen zum komplexen Text/orthographische und beginnende morphematische Strategie

α5

komplexerer Text/orthographische und morphematische Strategie

α6

komplexerer Text/wortübergreifende Strategie

Abb. 3: Alpha-Levels Schreiben (vgl. Grotlüschen et al. 2009)

Auf Grundlage des Kompetenzmodells „Alpha-Levels Schreiben“ wurde für Lernende, deren Erstsprache Deutsch ist, ein Diagnoseinstrument entwickelt. Dies zieht u.  a. die Konsequenz nach sich, dass eine teilnehmergerechte Verwendung dieses Verfahrens bei DaZ-Lernenden problematisch sein kann, da die Erfüllung der Aufgaben voraussetzt, dass ein Verständnis der (vorgelesenen) Aufgabenstellung gewährleistet ist, wozu u.  a. Wortschatz-, Grammatik- sowie Textsortenkenntnisse vorhanden sein müssen. An einem Beispiel aus dem Bereich Lesen, Alpha-Level 2 wird dies deutlich: „Lukas erzählt Lena, dass er eine neue Stelle als Koch sucht. Beantworten Sie nun bitte zwei Fragen.“ (Grotlüschen 2010: 247). Es ist zu erwarten, dass DaZ-Lernende mit einem geringen sprachlichen Ausgangsniveau die Aufgabe aufgrund der grammatischen Anforderungen und des Wortschatzes (z.  B. „Stelle“) nicht lösen können. Als alternative Möglichkeit wird in der Handreichung „Lernberatung in der DaZAlphabetisierung“ für eine formative Evaluation die Verwendung von Einschätzungsbögen vorgeschlagen (Markov, Scheithauer & Schramm 2015). Für die Beurteilung der Lese- und Schreibfähigkeiten von DaZ-Lernenden wurden in Anlehnung an das Raamwerk Alfabetisering (Stockmann 2004) Skalen entwickelt, die Kompetenzen auf den Niveaustufen Alpha A, B und C beschreiben, wobei das Level Alpha C vergleichbar mit der Niveaustufe A1 des GER ist. Bei der Beurteilung werden technische und handlungsorientierte Fähigkeiten voneinander unterschieden. Die Kann-Beschreibungen für die technischen Kompetenzen dienen der Beurteilung von linguistischen Einheiten (Grapheme, Laute, Silben, Wörter usw.) und Operationen (Synthese und Analyse). Eine weitere Besonderheit dieser Einschätzungsbögen liegt darin, dass bei der Entwicklung der Skalen vier häufig vorkommende Erstsprachen (Arabisch, Kurdisch, Türkisch und Russisch) berücksichtigt wurden. Beispielsweise werden für den Deskriptor „Beherrscht die Phonem-Graphem-Korrespondenz des Deutschen bei allen Vokalen

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und Konsonanten, für die es auch in der Herkunftssprache einen entsprechenden Laut gibt“ Grapheme abgebildet, die im Deutschen Schwierigkeiten bereiten könnten, da für diese in der Erstsprache kein entsprechendes Phonem existiert (z.  B. im Kurdischen). Für die handlungsorientierten Fähigkeiten wurden Kann-Beschreibungen in Bezug auf besonders häufig vorkommende Textsorten6 auf den Niveaustufen Alpha A, B und C erstellt.

3.3 Methodische Ansätze Neben linguistischen Kenntnissen und Wissen über den Schriftspracherwerb in der Zweitsprache sind Lehrkräfte nur mit einem Rückgriff auf möglichst vielfältige Methoden, die zur Förderung der Schreibentwicklung führen, hinreichend handlungsfähig. Ein umfangreiches Methodenrepertoire für erwachsene schriftunerfahrene DaZ-Lernende liegt inzwischen vor. In überwiegenden Teilen wurde es methodischen Ansätzen entlehnt, die bereits länger in der kindlichen Schreibförderung eingesetzt werden. Anne Berkemeier geht in ihrem Beitrag (in diesem Buch) auf die wesentlichen Verschriftungsmethoden ein. Für einen Einsatz bei schriftunerfahrenen Erwachsenen in der DaZ-Alphabetisierung stellt sich die Frage, wie eine zielgruppengerechte Adaption der Ansätze und Materialien gestaltet werden muss. Eine detaillierte Beschreibung etablierter Vorgehensweisen und geeigneter Materialien liegt inzwischen in unterschiedlichen Formaten, wie etwa Methodenhandbüchern (Albert, Heyn & Rokitzki 2012) oder Fortbildungsmaterialien (mit zahlreichen Einzelbeiträgen Feick, Pietzuch & Schramm 2013), vor. In Bezug auf die schriftsprachliche Entwicklung unterscheiden Albert, Heyn & Rokitzi (2012) und Albert et al. (2015) phonetische Methoden, den Ansatz nach Montessori, Silben- und Morphemmethode sowie Rückgriff auf die Muttersprache (Kontrastive Alphabetisierung), spielerisches Lernen und Lesen durch Schreiben7 voneinander. Darüber hinaus werden etwa der Fähigkeitenansatz (Rokitzki, Nestler & Drecoll 2013: 85), der Spracherfahrungsansatz (Nestler & Rokitzki 2010: 207), die schemabasierte Basisalphabetisierung (nach Pracht 2012), der emanzipatorische Ansatz nach Freire (Rokitzki, Nestler & Drecoll 2013: 117–121), die Ganz-Wort-Methode und weitere analytische Ansätze8 als Alphabetisierungsmethoden diskutiert.

6 Unterschieden werden Informationstexte, Texte mit Appellfunktion und zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Kontakt, Deklarationstexte und Texte mit epistemischer Funktion nach Brinker (2001). 7 Die Methode Lesen durch Schreiben gehört ebenso zu den häufig eingesetzten Methoden in der Alphabetisierung. Da sie primär auf die Entwicklung der Lesekompetenzen abzielt, wird in diesem Beitrag nicht explizit auf die Methode eingegangen. 8 Die analytische Methode „beschreibt den Weg von den größeren Einheiten (Sätze, Wörter) zu den kleineren Einheiten (Buchstaben und Laute)“ (Feldmeier 2015: 113). Die Ganz-Wort-Methode (d.  h. das

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Im Forschungsprojekt Alphamar wurde untersucht, welche der im Projekt beschriebenen methodischen Ansätze im Zusammenhang mit den entwickelten Materialien bei Kursteilnehmenden Lernerfolge begünstigten. Dazu schreiben die Autoren: Keine der Methoden erwies sich in unserer Erprobung als hilfreich für jeden Teilnehmer und keine der Methoden erwies sich als nutzlos für jeden Teilnehmer. Die Quintessenz unserer Untersuchung ist also, dass es sinnvoll und wünschenswert ist, dass die Lehrperson über ein großes methodisches Spektrum verfügt und je nach Zusammensetzung ihres Kurses und je nach erreichtem Stadium bei einzelnen Teilnehmern die jeweils passende Methode auswählen kann. (Albert et al. 2015: 8)

In der detaillierten Auswertung der Studie konnten jedoch auch Unterschiede zwischen den Ansätzen im Hinblick auf die schriftsprachliche Kompetenzentwicklung9 gezeigt werden. Die größten Lernfortschritte10 wurden beim Einsatz der Silbenmethode sichtbar, gefolgt vom Montessori-Ansatz und der kontrastiven Alphabetisierung. Bei den phonetischen Methoden und der Morphemmethode konnten zwar noch positive Tendenzen für die Schreibentwicklung festgestellt werden, jedoch in deutlich geringerer Ausprägung, als dies bei den vorangehend genannten Ansätzen der Fall war. Lesen durch Schreiben und Spielerisches Lernen zeigten sehr geringe Auswirkungen bzw. sogar Rückschritte. In der Auswertung der Untersuchung wurde gleichermaßen deutlich, dass, in Abhängigkeit zum Kurs, sehr große Abweichungen vom Mittelwert beobachtet werden konnten.

Wort wird als Ganzes erfasst und auswendig gelernt) wird dabei i.  d.  R. als Leselernmethode beschrieben. Neuere Lehrwerke in der DaZ-Alphabetisierung arbeiten nach dem synthetisch-analytischen Ansatz. Eine Förderung der Schreibentwicklung wird gewährleistet, indem kleine Texte vorangestellt werden und Teilnehmende die Laute in ihrer Umgebung (Wort/Satz) kennen- und differenzieren lernen. Es wird davon ausgegangen, dass analytische Ansätze eine sinnvolle Ergänzung zu den sonst dominierenden synthetischen Ansätzen darstellen (Feldmeier 2015: 114). 9 Untersucht wurde die Entwicklung der Kompetenzen ‚perzeptive und schriftliche Laut-BuchstabenZuordnung‘, ‚Buchstaben-Laut-Zuordnung‘, ‚Orthographie‘, ‚Grammatikanwendung beim gelenkten Schreiben‘ sowie ‚freies Schreiben‘. Die Untersuchung fand in kleinen Gruppen statt, die sich durch eine hohe Fluktuation der Kursteilnehmenden und hohe Fehlzeiten bei einigen Teilnehmenden auszeichnete (Albert et al. 2015: 119). Die Autorinnen räumen ein, dass u.  a. dieser Umstand zu einer Einschränkung der Belastbarkeit ihrer Ergebnisse führte. 10 In der Auswertung wird lediglich der Gesamtzuwachs (aller Kompetenzen) in Beziehung zu den Methoden gesetzt. Aussagen über die Schreibentwicklung in Abhängigkeit zur Methode machten die Autorinnen nicht.

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4 Aktuelle Studien und Tendenzen 4.1 Literalität und Schriftspracherwerb in informellen Lernkontexten als neues Forschungsfeld Neben dem Erlernen von Lesen und Schreiben sind die Vermittlung von schriftsprachlicher Handlungskompetenz und das Erreichen von Autonomie und Selbstbestimmung im gesellschaftlichen Leben die wichtigsten Ziele der Alphabetisierungskurse. Das bedeutet, dass der DaZ-Unterricht nur ein Baustein einer umfassenden Strategie sein kann, die schriftsprachliche Entwicklung Erwachsener zu unterstützen. Im deutschsprachigen Raum wird seit jüngster Zeit der Begriff ‚Literalität‘ verwendet (siehe auch den Beitrag von Schmölzer-Eibinger). Dieser umfasst die „Fähigkeit, schriftliche Informationen im täglichen Leben, zu Hause, in der Schule und innerhalb des sozialen Umfelds zu benutzen und zu verstehen, um seine persönlichen Ziele zu erreichen und sich Wissen und Kompetenzen anzueignen“ (OECD 1995: 3). Literalität ist also mehr als nur die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können. Es geht vielmehr um die schriftsprachliche Handlungsfähigkeit, die Menschen zur ‚erfolgreichen‘ Partizipation an der jeweiligen Gesellschaft befähigt.11 Um ein solches Ziel zu erreichen, muss das Unterrichtsgeschehen zukünftig mehr Berührungspunkte mit dem Alltag der Kursteilnehmenden aufweisen. Dies setzt Erkenntnisse darüber voraus, welche Text­ sorten außerhalb des Bildungsbereichs von Lernenden verfasst werden und welche Bedingungen geschaffen werden müssen, damit der Erwerb von Sprachkompetenzen gelingt. Im Folgenden werden exemplarisch zwei Untersuchungen vorgestellt, die die Anwendung und Entwicklung des Schreibens in verschiedenen Lebensbereichen thematisieren. Mit der Monografie „Lesen und Schreiben eröffnen eine neue Welt“ liegt eine große Studie zu alltäglichen literalen Praktiken vor. Mithilfe von Spontan- und Intensivinterviews sowie von Fotodokumentationen wurde erfasst, wie Bürgerinnen und Bürger des Hamburger Stadtteils Altona-Altstadt im Alltag lesen und schreiben (vgl. Zeuner & Pabst 2011: 146). Unterschiedliche Textsorten und Anwendungsfelder konnten identifiziert werden, beispielsweise Emails, SMS und Briefe zwecks privater Kommunikation, Notizen als Gedächtnisstützen sowie Formulare im Kontext institutioneller Kommunikation (vgl. Zeuner & Pabst 2011: 176–178). Die Ergebnisse des Projekts geben zahlreiche Hinweise auf den vielfältigen Gebrauch der Schriftsprache im öffentlichen Raum und bieten somit Anknüpfungspunkte für die Alphabetisierungsarbeit.

11 Der Begriff Literalität entspricht somit literacy nur teilweise (vgl. Linde 2008). Begründet wird dies damit, dass es in der englischen wissenschaftlichen Forschung keine Einigkeit über die Definitionen der literacy gibt. Jede Fachrichtung, z.  B. Psychologie, Anthropologie oder Soziologie deutet diesen Begriff aus eigener Perspektive. Es bleibt also weiterhin zu klären, welche tragfähigen Bedeutungen bei einem Literalitätsbegriff zur Diskussion stehen.

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Waggershauser (2015) untersuchte in ihrer Studie „Schreiben als soziale Praxis. Eine ethnographische Untersuchung erwachsener russischsprachiger Zweitschriftlernender“ welche Textsorten russischsprachige Zweitschriftlernende außerhalb des formellen Lernkontextes verfassen und wie sich ihre schriftsprachlichen Kompetenzen im Laufe eines neunmonatigen Alphabetisierungskurses entwickeln. Schreiben wird als eine Form der sozialen Praxis dargestellt und seine (Teil-) Handlungen (Planen, Formulieren, Inskribieren und Überprüfen) in verschiedenen literalen Situationen empirisch untersucht, wobei das Formulieren und Inskribieren im Zentrum der Analyse standen. Anhand von Lernerprofilen wurde eine Vielzahl von schriftsprachlichen Kompetenzen in Bezug auf das Formulieren und das Inskribieren bei dieser Zielgruppe herausgearbeitet. Eine Betrachtung der jeweiligen Entwicklungsverläufe über den gesamten Zeitraum des Alphabetisierungskurses liefern erste Erkenntnisse zur funktionalen Nutzung der Schriftsprache durch Zweitschriftlernende und bilden somit eine Brücke zu Schreibaktivitäten der Bildungsinstitution und möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt auch zu beruflichen Schreibpraxen. Neben den informellen Lernkontexten, die in 4.1. als neues Forschungsfeld beschrieben wurden, spielt auch die Lernerautonomieförderung eine zentrale Rolle.

4.2 Lernerautonomieförderung im Unterricht und durch Lernberatungen Auch nicht berufstätige Erwachsene sind am Ende des Alphabetisierungs- oder Integrationskurses mit der Situation konfrontiert, den Schriftspracherwerb in der Regel institutionsunabhängig weiterzuführen. Damit stehen Lernende vor der Aufgabe, sich auf metakognitiver Ebene mit dem eigenen Spracherwerb auseinanderzusetzen und Verantwortung für das Lernen zu übernehmen. Der Stellenwert der Lernerautonomie für die Schreibentwicklung kann gerade deswegen als besonders hoch eingeschätzt werden, da Schreibhandlungen außerhalb des Unterrichts auch bei wenig literalisierten Lernenden zwar stattfinden, die Schreibentwicklung im Vergleich zur Entwicklung mündlicher Fähigkeiten jedoch einer höheren (Selbst-)Steuerung bedarf. In diesem Zusammenhang wurden Lernberatungskonzepte für schriftunerfahrene Lernende entwickelt,12 auf deren Grundlage Lernende in einem additiven Gesprächs­

12 Neben den hier vorgestellten Konzepten wurden in der Erwachsenenalphabetisierung auch weitere Beratungsmodelle erprobt. Sie bewegen sich zwischen der Vorstellung, Beratung als Lernbegleitung (Ludwig 2013: 61–67) einzusetzen und einer systemischen Beratung (Jaehn-Niesert 2013: 55–60) und zielen darauf ab, kursimmanent oder kursbegleitend Lernbarrieren und -probleme zu überwinden. Da die Konzepte für deutschsprachige Teilnehmende in Alphabetisierungskursen entwickelt wurden und nicht explizit auf die Entwicklung von Lernerautonomie abzielen, werden sie hier nicht weiter behandelt, obwohl sich hinsichtlich der Vorgehensweise und Grundanliegen interessante Parallelen erkennen lassen.

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angebot unterstützt werden, eigene Sprachlernziele zu verfolgen und ihre Fähigkeit zu selbstgesteuerten Lernhandlungen zu stärken. Sprachlerncoaching im Projekt Autonomy Literacy Learners – Sustainable Results13 zielte darauf ab, das Bewusstsein und die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für das eigene Lernen zu fördern. Dabei spielt das Beratungsgespräch eine tragende Rolle, durch das u.  a. Ziele, Lernverhalten und Ressourcen bewusst gemacht und in ein individuelles Lernprojekt überführt werden sollen.

4.3 Schriftspracherwerb durch Computer-Assisted Language Learning (CALL) Die Rolle der digitalen Medien in Alltag und Beruf wird in den kommenden Jahrzehnten weiterhin an Bedeutung gewinnen. Digitale Literalität stellt dabei einerseits Ziel der Alphabetisierung dar, neue Medien bilden gleichzeitig aber auch ein großes Spektrum an Materialien und Übungsformaten, die sich bei entsprechender Qualität auf dem Weg der Alphabetisierung als förderlich erweisen können. Das hat u.  a. den Vorteil, ein unterrichtsunabhängiges Lernen zu begünstigen, es bietet gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, Lehrkräfte in sehr heterogenen Kursen zu entlasten und die Binnendifferenzierung im Unterricht zu erhöhen. Für DaZ-Lernende wurden in den letzten Jahren Lernplattformen entwickelt, die Materialien für die Schreibentwicklung Erwachsener anbieten. Dazu gehört beispielsweise die Plattform http://www.ich-will-deutsch-lernen.de. Im Rahmen des Entwicklungsprojektes des Deutschen Volkshochschulverbandes wird in der zweiten Förderperiode auch verstärkt auf die Entwicklung von Mobile Apps gesetzt. Ein weiteres Beispiel für Computer-Assisted Language Learning bietet DigLin (www.diglin. eu). DigLin hat Lernmaterialien entwickelt und erprobt, die sich insbesondere zur selbständigen Übung von Graphem-Phonem-Korrespondenzen eignen (Cucchiarini et al. 2015: 252). Lernende erhalten beim Ausführen der Übungen stets ein unmittelbares Feedback. Van de Craats sieht darin den entscheidenden Vorteil, einer Manifestierung von Fehlern entgegenwirken zu können (2014: 21). In Bezug auf Schreiben bietet DigLin Übungseinheiten an, bei denen Lernende vorgelesene Wörter verschriftlichen sollen. Innovatives Merkmal des Programms ist die Verwendung einer Automatic Speech Recognition (ASR) Software: „[It allows] learners to practice L2 speech production through spoken, recoding (blending) exercises to learn grapheme-tophoneme or graphemes-to-word correspondences in the L2, and to automatize them“ (Van de Craats 2014: 21). Im Bereich des computergestützten Sprachenlernens sind in nächster Zeit in quantitativer und qualitativer Hinsicht dynamische Entwicklungen zu

13 Informationen zum Projekt unter https://www.itta.uva.nl/learnerautonomy/learner-autonomy-48. (27. 10. 2015).

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erwarten, für die eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung wünschenswert wäre. Darüber hinaus lassen sich über Lernplattformen Daten zur Sprachentwicklung von Lernenden auswerten, die weiterführende Aussagen zur Schriftentwicklung ermöglichen und zur Validierung/Falsifizierung von Schrifterwerbsmodellen beitragen könnten.

5 Fazit Der Stand der Forschung zu Schreibentwicklung bei Erwachsenen weist gegenwärtig noch Lücken auf. Viele Annahmen stützen sich auf Theorien und Modelle der kindlichen Schreibentwicklung. Gerade im Hinblick auf die zu erwartenden Herausforderungen der nächsten Dekaden für die DaZ-Alphabetisierung erscheint sowohl eine zielgruppenbezogene Theoriebildung als auch eine empirische Untersuchung postulierter Konzepte notwendig, insbesondere: –– die Prüfung der Übertragbarkeit unter Berücksichtigung herkunftssprachlicher Items der lea.-Kompetenzen auf erwachsene DaZ-Lernende; –– die empirische Untersuchung der Schreibentwicklung unter Berücksichtigung individueller Faktoren (insbesondere Alter, Erstsprache und Schreibkompetenzen in der Erstsprache); –– eine weiterführende Untersuchung der Wirksamkeit von Methoden, die aus Sicht der Autoren insbesondere qualitativ und fallbezogen beschrieben werden könnte14; –– weitere qualitative Studien zum Gebrauch der Schriftsprache in verschiedenen Lebensbereichen bei allen Zielgruppen; –– die empirische Untersuchung literaler Praktiken im beruflichen Bereich, die als Minimalstandard erachtet werden, um diese gezielt im Alphabetisierungsunterricht trainieren zu können; –– eine Begründung eines Zusammenhangs zwischen Lernerautonomie-Entwicklung und Schriftspracherwerb; –– stärkere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit computergestützter Schreibentwicklung. Die bestehenden Desiderate schließen eine Handlungsfähigkeit in der beruflichen Praxis keineswegs aus. Mit Rückgriff auf bestehende Konzepte, Methoden und Materialien fördern kreative und aufmerksame Lehrkräfte die Schreibentwicklung von Erwachsenen zweifellos auf wirksame Weise. Die Erfahrungen aus den Integrationskursen mit Alphabetisierung zeigen aber auch, dass die methodisch-didaktisch 14 Diese Annahme wird durch die starken Abweichungen des Lernerfolgs der einzelnen Methoden in Abhängigkeit der Lerngruppen in der Untersuchung von Albert et al. (2015) gestützt.

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zielführende Gestaltung der Kurse im Hinblick auf Teilnehmerzahl und Heterogenität noch weiterer Forschungs- und Entwicklungsarbeit bedarf.

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Silvia Demmig

27 Schreiben in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung 1 Einleitung 2 Annäherung über eine Bedarfsanalyse 3 Annäherung über Rahmencurricula 4 Annäherung über didaktische Prinzipien 5 Zusammenfassung 6 Ausblick

1 Einleitung Schreiben in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung ist in der didaktischen Diskussion immer wieder als ein von Desiderata und Forschungslücken gekennzeichnetes Thema bezeichnet worden (Ballweg 2008: 9). Die Lernziele in Sprachkursen für Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung lassen sich nicht für alle Kontexte einheitlich bestimmen, dementsprechend können auch die Rolle des Schreibens und die damit verbundenen Teillernziele ganz unterschiedlich definiert werden. Die Gliederung dieses Artikels folgt den drei wesentlichen Herangehensweisen an eine Lernzielbestimmung, an die sich die Curriculum- und Unterrichtsplanung entsprechend anschließt. Da ohne die bisher nur lückenhaft vorhandene Forschungsbasis nicht von einer endgültigen Bestimmung von Lehr- und Lernzielen gesprochen werden kann, ist für die Überschriften jeweils der Begriff der „Annäherung an Lernziele“ gewählt worden. Im Abschnitt 2 geschieht dies über eine Bedarfsanalyse, in Abschnitt 3 über Rahmencurricula und in Abschnitt 4 über Prinzipien der Schreibdidaktik. Dabei leiten sich alle drei Herangehensweisen aus benachbarten Gebieten oder Teilgebieten des Bereiches Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung ab: Die Bedarfsanalyse wird besonders im Fach Deutsch für den Beruf eingesetzt, die Rahmencurricula, auf die sich der Abschnitt 3 bezieht, stammen aus dem Integrationskursbereich und die didaktischen Prinzipien sind aus der Zusammenschau der Erkenntnisse, die sich aus der Schreibforschung im schulischen und universitären Kontext ableiten, entstanden (vgl. dazu Kapitel 2 in diesem Band). Als Einstieg in die Thematik soll hier eine Unterrichtssituation aus einem Sprachkurs für erwachsene Gefangene in einer Justizvollzugsanstalt skizziert werden. In diesem Kurs hatte die Lehrkraft ein Bedürfnis der Teilnehmenden direkt aufgegriffen und daraus ein Projekt konzipiert: Es wurden im Sprachkurs Briefe an den Justizminister geschrieben, die die unzumutbaren Zustände in der Justizvollzugsanstalt, die bereits zu vermehrten Selbstmorden geführt hatten, thematisierten (vgl. Demmig 2008: 35). An diesem Beispiel können bereits die im Folgenden beschriebenen drei Herangehensweisen an eine Curriculum- und Unterrichtsplanung gezeigt werden: DOI 10.1515/9783110354577-027

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Zunächst ist die Lehrkraft im Sinne einer Bedarfs- und Bedürfnisanalyse von den Mitteilungsabsichten der Teilnehmenden ausgegangen. Der Bedarf weiterer im Handlungsfeld agierender Personen ist zunächst nicht direkt mit in die Überlegung eingeflossen, jedoch hat sie selbstverständlich das Projekt mit ihren Vorgesetzten besprochen, die dies im Sinne einer Teilhabe der ausländischen Gefangenen am Diskurs in der Justizvollzugsanstalt für sinnvoll hielten. Die Textsorten „persönlicher Brief“ und „Geschäftsbrief“ sind in den Kann-Beschreibungen für Tests auf dem Niveau B1 und B2, im Rahmencurriculum für die Integrationskurse und in vielen weiteren curricularen Rahmenüberlegungen zu finden. Insofern ist die Zielsetzung, die sich die Lehrkraft hier für ihre Unterrichtsplanung gemeinsam mit den Lernenden gesetzt hat, ebenfalls aus der Sicht von übergreifenden curricularen Ansätzen sinnvoll. Neben diesen eher analytischen Herangehensweisen an eine Unterrichtsplanung war ein wichtiger Punkt in der didaktischen Überlegung der Lehrkraft aus dem Beispiel „Briefe an den Justizminister“ die Lebenssituation der Strafgefangenen: Sie waren außerhalb des Sprachkurses, der fünf Unterrichtseinheiten am frühen Morgen umfasste, fast ununterbrochen in ihren Zellen eingeschlossen. Dort hatten sie außer Fernsehen und Lesen wenige Möglichkeiten, sich zu beschäftigen. Schreiben ist für die Gefangenen eine Möglichkeit, ihre Zeit sinnvoll zu verbringen und dabei ebenfalls über ihre Situation zu reflektieren. Aus dieser Tradition sind auch viele Projekte des kreativen Schreibens in der Erstsprache Deutsch hervorgegangen (Ingeborg Drewitz Literaturpreis1). An solche Erfahrungen und Überlegungen knüpfte die Lehrkraft in dem Beispiel also an. Analog zu diesem einleitenden Fall werden im Folgenden die drei oben genannten Wege zur Annäherung an Lernziele skizziert, über eine Bedarfsanalyse (Abschnitt 2), über Rahmencurricula (Abschnitt 3) und über didaktische Prinzipien (Abschnitt 4). Diese drei Herangehensweisen sind nicht als Alternativen zu verstehen, sondern als sich ergänzende Wege, die für die jeweiligen Kontexte in unterschiedlicher Gewichtung zueinander herangezogen werden können. Ein Rahmencurriculum hilft den Lehrkräften nicht direkt bei ihrer detaillierten didaktisch-methodischen Unterrichtsplanung, sondern steckt, wie es der Begriff schon zeigt, lediglich den Rahmen ab, in dem sich die Kursplanung bewegt. Für die konkrete Umsetzung im Unterricht sind die didaktisch-methodischen Prinzipien das Handwerkszeug, das jede Lehrkraft braucht. Ohne eine didaktische Rahmenplanung jedoch würde dieses Werkzeug nicht sinnvoll zum Einsatz kommen. Den meisten Rahmencurricula liegt eine Bedarfsanalyse zu Grunde (vgl. Ehlich, Montanari & Hila 2007), im Bereich der Integrationskurse zeigen sich die Grenzen dieser Bedarfsanalyse jedoch sehr deutlich: Sie kann der Heterogenität der Kurse und Teilnehmenden nicht gerecht werden. Hier ist wiederum eine von den Lehrkräften und/oder Kursplanenden durchgeführte Bedarfs- und Bedürfnisanalyse ergänzend notwendig. Beispiele für im Sinne der äußeren Differenzierung gebildete Kursgruppen

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis_f%C3%BCr_Gefangene

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sind die Mütter- bzw. Elternkurse (vgl. Volkshochschule Berlin 2015) und Kurse aus dem Bereich Deutsch für den Beruf. Ein Beispiel für die Heterogenität innerhalb der Kurse sind die aus den Alphakursen in die regulären Integrationskurse übergegangenen schwach alphabetisierten Teilnehmenden (Feldmeier 2005; siehe auch Markov & Waggershauser in diesem Band).

2 Annäherung über eine Bedarfsanalyse Die systematische Beschäftigung mit Bedarfsanalysen ist in die Lernzielplanung im Fach DaZ in der Erwachsenenbildung endgültig durch die berufssprachlich orientierte Richtung eingegangen. Weissenberg (2012) fasst im Leitfaden „Sprachbedarfsermittlung im berufsbezogenen Unterricht Deutsch als Zweitsprache“ sehr übersichtlich zusammen, wie Bedarfsanalysen durchgeführt werden. Die berufliche Zielsituation wird durch drei Grundfragen charakterisiert: –– Welche sprachlichen Kompetenzen braucht der/die Teilnehmende, um bestimmte berufliche Situationen effektiv bewältigen zu können? –– Mit welchen beruflichen Aufgaben und Aktivitäten hat der/die Teilnehmende zu tun? –– Wie wird in der beruflichen Zielsituation kommuniziert? (Weissenberg 2012: 9) Die Ausgangssituation der Teilnehmenden kann ebenfalls durch drei Fragen bestimmt werden: –– Welche Gründe haben die Teilnehmenden, an diesem Kurs teilzunehmen? –– Haben sie sich eigene Ziele gesetzt? –– Wie möchten sie diese Ziele erreichen? (Weissenberg 2012: 10) Weiterhin teilt Weissenberg die Sprachbedarfsermittlung in vier Ebenen ein, denen er jeweils Methoden der Erhebung zuordnet: Die Ebene der Teilnehmerorientierung lässt sich durch Interviews methodisch bearbeiten. Im Anhang der Handreichungen stellt Weissenberg einen umfassenden Interviewleitfaden zur Verfügung. Die berufsorientierte Ebene wird durch Recherchen abgedeckt. Die beiden weiteren Ebenen der Bedarfsermittlung sind nach Weissenberg die Beobachtung von Lernprozessen und die Erkundung von Arbeitsplätzen. Alle vier Ebenen können auch im Verlauf des Kurses durch die Anwendung der jeweiligen Methoden (z.  B. Partnerinterview, internetgestützte Berufsrecherchen, Selbstbeobachtungen oder Arbeitsplatzerkundungen durch die Teilnehmenden) in den Lernprozess einbezogen werden (Weissenberg 2012: 12–13). In den Handreichungen sind zu jeder dieser vier Ebenen detaillierte Anleitungen zu finden. Die Fragen, die dabei jeweils gestellt werden, sind jedoch sehr allgemein gehalten (z.  B. „Wer kommuniziert wann mit wem worüber wie und in welchem

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Medium?“ Weissenberg 2012: 31). Die für die Rolle der Schriftlichkeit wichtigen Dokumenten- und Textsortenanalysen kommen leider nur in Nebensätzen vor. Unerfahrene Kolleg_innen können aus einer Frage wie: „Können betriebliche Dokumente zur Verfügung gestellt werden?“ die zwischen 14 weiteren Fragen zur Betriebserkundung versteckt ist, möglicherweise nicht die Relevanz der Dokumentenrecherche bestimmen: Texte, die am Arbeitsplatz rezipiert und produziert werden müssen, sind ein wichtiger Ausgangspunkt für die Unterrichtsplanung in Bezug auf das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch im beruflichen Kontext. Für die didaktischen Überlegungen zum Schreiben ist also dieser Schritt von besonderer Bedeutung. Aber auch in den Teilnehmer- und Expertenbefragungen lässt sich die Rolle der Schriftlichkeit im Berufsfeld sehr gut bestimmen. Gezielte Fragen zu Textsorten und schriftlichen Kommunikationswegen müssen dabei in die Leitfäden integriert werden. GrünhageMonetti et al. (2000: 10) stellen als einen eigenständigen Ansatz für die Sprachbedarfsanalyse die Analyse von geschriebenen Fachtexten vor. Dabei steht jedoch die Rezeption von Texten im Vordergrund. Obwohl in den Veröffentlichungen zum beruflichen DaZ-Lernen die durch den Wandel der Arbeitsplätze entstandene zentrale Bedeutung der Schriftlichkeit immer wieder betont wird (Berg & Grünhage-Monetti 2009) und bereits erstellte Bedarfsanalysen in den einzelnen Arbeitsfeldern ergaben, wie wichtig auch das Schreiben eigener Texte ist, gibt es wenig Umsetzungen in Unterrichtsmaterialien zum systematischen Aufbau der Fertigkeit Schreiben. Lehrkräfte können sich angesichts dieser Situation leicht überfordert fühlen (Ballweg 2008: 10). Hier sei ein Beispiel aus dem Berufsfeld der Pflege angeführt: Die Lernzielsetzung über eine Bedarfsanalyse enthält die Anforderung, eine Pflegedokumentation schreiben zu können. Diese Textsorte ist sehr anspruchsvoll, sie setzt eine Vielzahl von Vorüberlegungen voraus. Der Text ist bestimmt von der Notwendigkeit, im Zweifelsfall auch rechtlich unanfechtbar zu sein. Die Frage, wie eine solch komplexe Schreibaufgabe im Unterricht schrittweise vorbereitet werden soll und wie dabei an die Bedürfnisse und Vorkenntnisse der Teilnehmenden sinnvoll angeknüpft werden kann, ist für Lehrkräfte nicht leicht zu lösen. In vielen Materialien wird empfohlen, mit den Teilnehmenden detaillierte Formulierungshilfen kleinschrittig anhand von Textmustern zu erarbeiten (z.  B. Müller 2005). Dies kann wiederum bei Kursteilnehmenden zu Schwierigkeiten führen, ihre Motivation aufrecht zu halten, wenn sie sich in den Unterricht nicht mit ihren Schreibbedürfnissen und -ideen einbringen können. Daher sollte auf jeden Fall eine Bedarfsund Bedürfnisanalyse am Anfang einer Lernzielplanung stehen. Textsorten aus dem beruflichen bzw. privaten Handlungsfeld der Kursteilnehmenden sollten Ausgangspunkt für die Planung des Unterrichts sein. Bereits durchgeführte Bedarfsanalysen aus dem thematischen Umfeld sollten in die Planung einbezogen und mit den Teilnehmenden diskutiert werden.

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3 Annäherung über Rahmencurricula Für den Bereich Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung gibt es mehrere Versuche zur Erstellung von Rahmencurricula. Diese gründen sich sowohl auf Bedarfsanalysen (Ehlich, Montanari & Hila 2007) als auch auf bereits vorliegende curriculare Überlegungen wie z.  B. die umfassenden Dokumentationen zu Szenarien und Handlungsfeldern, die für das Zertifikat Deutsch entwickelt wurden (WBT et al. 1999). Außerdem liegen die Kann-Beschreibungen des Gemeinsamen europäi­ schen Referenzrahmens (GeR) vor, die für die jeweilige Unterrichtssituation angepasst werden können. Im „Rahmencurriculum für die Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache“ aus Deutschland sind für die Fertigkeit Schreiben ausgehend von den globalen Kann-Bestimmungen des GeR (Trim et al. 2001: 86–87) detaillierte KannBeschreibungen zu Situationen und Textsorten entsprechend den Ergebnissen der Bedarfsanalyse in den Handlungsfeldern Ämter und Behörden, Arbeit, Arbeitssuche, Aus- und Weiterbildung, Banken und Versicherungen, Betreuung und Ausbildung der Kinder, Einkaufen, Gesundheit, Mediennutzung, Mobilität, Unterricht und Wohnen formuliert worden. Zudem finden sich in diesem Rahmencurriculum in den handlungsfeldübergreifenden Kann-Beschreibungen Formulierungen, die auf ein selbstgesteuertes Lernen hinzielen und die von den Lernenden als selbstbestimmte Personen ausgehen. Balle & Damm (2008) interpretieren die Intention der Autor_innen des Rahmencurriculums folgerichtig, indem sie diese Lernziele in Beziehung zu der unter Punkt 4.2. (s.  u.) als „ganzheitlich“ beschriebenen Herangehensweise setzen: Im Rahmencurriculum heißt es u.  a., dass Migranten und Migrantinnen in die Lage versetzt werden sollen, sprachlich mit ihrer Migrationssituation umzugehen, indem sie Gefühle ausdrücken, um Unterstützung bitten, Unwissenheit äußern, mit Konflikten konstruktiv umgehen, ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen, Interesse oder Desinteresse äußern, ihrer Zustimmung oder Abneigung Ausdruck verleihen können. Darüber hinaus sollen Migrantinnen und Migranten über das eigene Sprachenlernen reflektieren können. Kurz: Der Mensch muss sich in der Zweitsprache in seiner Individualität ausdrücken und mitteilen können – sonst bleiben gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit Illusion. (Balle & Damm 2008: 66)

Didaktische Hinweise zum Aufbau von Kompetenzen sind jedoch nicht Bestandteil des Rahmencurriculums für die Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. In der Einleitung wird unter „Ausführungen zu Methodik und Didaktik“ auf dieses Manko hingewiesen: Das Rahmencurriculum macht auftragsgemäß keine Aussagen zum methodischen Vorgehen in den Integrationskursen […]. Aus Sicht der Projektgruppe sowie der einschlägigen wissenschaftlichen Expertise setzt eine erfolgreiche Umsetzung des Rahmencurriculums entsprechende methodisch-didaktische Kenntnisse bei den Lehrenden voraus bzw. macht solche Kenntnisse erforderlich. Deshalb sind diese Hinweise an anderer Stelle zu erstellen. (Goethe-Institut 2007: 3)

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Die Erstellung dieser Hinweise ist bisher ein Desiderat geblieben. Das Rahmencurriculum fide (Bundesamt für Migration 2012), das in der Schweiz erstellt wurde, geht vom Szenarien-Ansatz aus und ordnet daher jede Sprachhandlung in ein entsprechendes Szenario ein. Zu jedem Szenario gibt es Beispielfilme und detaillierte Kann-Beschreibungen sowie Unterrichtshilfen. Da das fide-Konzept ebenso wie das Rahmencurriculum für die Integrationskurse in Deutschland davon ausgeht, dass Migrant_innen schnell handlungsfähig in allen Alltagssituationen sein müssen, wurden die meisten sprachlichen Handlungen auf den Niveaus A1 und A2 beschrieben. Schriftliche Sprachhandlungen auf diesen Niveaustufen sind „Notizen anfertigen“ und „einfache Nachrichten verfassen“. Für diese Textsorten sind im Portfolio Beispielseiten vorgesehen. Ergänzend zu den Filmen gibt es einige Beispiele von Lernertexten der Textsorten Brief und Notiz. Einige wenige weiterführende Textsorten wie Kündigungs-, Entschuldigungs- und Beschwerdebriefe (diese bis zum Niveau B1/ B2) sind ebenfalls in die Beispielsammlung aufgenommen worden. Insgesamt überwiegen im fide-Curriculum jedoch ganz eindeutig die mündlichen Sprachhandlungen. Dies gilt in besonderem Maße für die beiden bisher im Portal eingestellten beruflichen Handlungsfelder „Deutsch in der Gastronomie“ und „Deutsch auf der Baustelle“. Ebenso wie es für die Bedarfsanalysen gezeigt wurde, kann für die hier besprochenen Rahmencurricula festgestellt werden, dass eine umfassende Schreibdidaktik darin nicht vorgesehen ist. Lehrende und Curriculumerstellende müssen also zusätzlich zu den Minimalanforderungen, die in Rahmencurricula und Bedarfsanalysen zu finden sind, weitere Kenntnisse und didaktische Kompetenzen einbringen, um einen sinnvollen Schreibunterricht im Fach Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung zu gestalten.

4 Annäherung über didaktische Prinzipien Die Lernziele, die durch Bedarfsanalysen und Rahmencurricula festgelegt werden, können durch die Anwendung grundlegender didaktischer Prinzipien in Teillernzielen und Unterrichtsschritten spezifiziert und auf einzelne Unterrichtskontexte zugeschnitten werden. Im Folgenden werden grundlegende Prinzipien der Erwachsenenbildung, der Schreibdidaktik und der Didaktik des Deutschen als Zweitsprache skizziert und auf konkrete Unterrichtssituationen bezogen.

4.1 Schrittweiser Aufbau von Schreibkompetenz Ferling (2008) geht bei der Lernzielbestimmung von den im Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache formulierten Lernzielen „kurze, einfache Notizen und Mitteilungen sowie einen einfachen persönlichen Brief schreiben“

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aus. Sie zeigt jedoch, dass die Teilfertigkeiten, die diesem Lernziel zu Grunde liegen, durchaus anspruchsvoll sind und nur mit der Hilfe eines kommunikativen und prozessorientierten Modells der Schreibfertigkeit zu erfassen sind. Dementsprechend macht sie Vorschläge zum Training von Teilfertigkeiten und zu Übungen, die schrittweise die kommunikative Kompetenz aufbauen: –– Unerlässlich für die Formulierungsarbeit sind Wortschatz-, Grammatik- und Satzbaukenntnisse. Sie müssen systematisch aufgebaut werden. –– Die LernerInnen sollten mit wichtigen Textsorten und Schreibkonventionen vertraut gemacht werden, die für die schriftliche Kommunikation in Deutschland wichtig sind. Mit Blick auf das anzustrebende B1-Niveau sind hier vor allem halboffizielle Briefe sowie Notizen und Mitteilungen an Personen aus dem eigenen Lebensumfeld wichtig. –– Ein weiterer Schwerpunkt sollte das Training und die Anwendung von (neu erlernten oder bereits bekannten) Schreibstrategien sein. Dazu ist es wichtig, mit den LernerInnen an einem Bewusstsein für die verschiedenen Prozesse und Phasen zu arbeiten, die beim Schreiben eine Rolle spielen. (Ferling 2008: 118) Darüber hinaus stellt sie eine Übungstypologie aus Lehrwerken zusammen und macht Vorschläge zu Aufgaben, die die einzelnen Phasen des Schreibprozesses (Planen – Formulieren – Überarbeiten) fördern. Als Arbeits- und Sozialform, die es besonders gut ermöglicht, den Schreibprozess zu reflektieren, schlägt Ferling das kooperative Schreiben vor. Abschließend skizziert sie Ideen zur Einbindung von Schreibaufgaben in einen größeren kommunikativen Rahmen, der auch über den Unterricht hinausgeht. Die in der Einleitung zu diesem Artikel beschriebene Situation „Briefe an den Justizminister schreiben“ wäre in dieser Hinsicht beispielhaft. Das Kapitel 5 „Schreiben in Lehrwerken“ und 6 „Gestaltung von Schreibaktivitäten“ aus dem hier zitierten Text ist als Einführung in die Didaktik des Schreibens und zur eigenen Weiterbildung geeignet (Ferling 2008: 118–134). Ballweg (2008: 10) kritisiert, dass in Lehrwerken für Anfänger kaum methodischdidaktische Hinweise zu einem schrittweisen Aufbau der schriftlichen Kompetenzen gegeben werden und stattdessen die Imitation gelungener Texte im Vordergrund stehe. Ein solcher Schreibunterricht führe zu Überforderung und Frustration (dazu auch Balle & Damm 2008). Notwendig sei hingegen eine individualisierte und strategieorientierte Herangehensweise an die Vermittlung von Schreibkompetenz. Ballweg schlägt folgende didaktische Schritte als Vorüberlegungen der Lehrkraft vor: –– Welches Ziel verfolge ich mit einer bestimmten Schreibaufgabe? Dient die Aufgabe der Förderung von Schreibkompetenz? –– Hat die Aufgabe einen Bezug zu einem vorher behandelten Thema? Hat das Thema eine Relevanz für die Lernenden? Kann die Aufgabe eventuell so verändert werden, dass die Lernenden darin ihre eigenen Ideen oder ihre Kreativität zum Ausdruck bringen können oder dass sie einen stärkeren Nutzen für ihren Alltag hat?

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–– Wird mit der Aktivität ein kommunikatives Ziel verfolgt? Kann der Lernende mit seinem Text Leser/innen erreichen, zum Beispiel indem ein Brief wirklich abgeschickt werden kann, aber auch indem Mitlernende einen Text lesen und ihn kommentieren? (Ballweg 2008: 16) Als grundlegendes didaktisches Prinzip empfiehlt Ballweg das Scaffolding: „Schreibförderung bedeutet nicht, Lernende mit einer Schreibaufgabe alleine zu lassen, sondern sie durch Hilfestellungen […] und die Vermittlung von Strategien zu fördern.“ (Ballweg 2008: 19). Weiterhin gibt sie in Bezug auf die Förderung des Schreibprozesses die Empfehlung, auch einzelne Schreibphasen, wie das Planen, Verschriftlichen einzelner Textteile und das Überarbeiten, isoliert zu üben. Dabei solle ein verstärktes Augenmerk auf die Überarbeitung gelegt werden, die in vielen Konzepten zur Schreibförderung zu kurz komme. Als Sozialform schlägt Ballweg das kollaborative Schreiben in Gruppen vor. In ihrer Dissertation führt Ballweg diese Überlegungen zur Förderung von Schreibkompetenz weiter und arbeitet Konzepte zum Einsatz von Portfolios aus (Ballweg 2015: 115–116). Wenngleich die Zielgruppe, die sie hier in den Fokus nimmt, Studierende sind, sind die Theoriekapitel, die den neuesten Stand der Forschung zusammenfassen und diskutieren, sehr gut übertragbar auf die Arbeit in der Erwachsenenbildung. Frühere Versuche, in Integrationskursen mit Portfolios zu arbeiten, gingen von einem verkürzten Verständnis des Portfoliogedankens aus (Benndorf-Helbig 2005) und nutzten die Potenziale, die das Portfolio gerade für die Entwicklung des Schreibens bietet, nicht aus. Eine adaptierte Vorgehensweise schlägt auch Grimmer (2005) vor. In dieser Richtung ist eine Weiterentwicklung sehr wünschenswert. Ein aktuelles Beispiel für die Arbeit mit Portfolios in berufsbezogenen Kursen ist in Middeke & Urbanik (2014) dokumentiert. Das fide-Projekt, das im vorangegangenen Abschnitt beschrieben wurde, bietet einen sehr gut durchdachten Download-Bereich an, in dem ein Portfolio-Grundgerüst zur Verfügung steht. Allerdings ist dieses stark auf das fide-Curriculum abgestellt und ist daher ebenfalls nicht konsequent auf die Förderung der Schriftlichkeit ausgelegt (Bundesamt für Migration 2012).

4.2 Ganzheitliche Betrachtungsweise Neben den für die berufsbezogenen Kurse sehr gut entwickelten Überlegungen zu Bedarfs- und Bedürfnisanalysen ist für den berufsbezogenen Unterricht in der Fertigkeit Schreiben die „social theory of literacy“ (Barton & Hamilton 2000) in ihrer Ausprägung der „workplace literacies“ (Berg & Grünhage-Monetti 2009: 9) prägend gewesen. Grundlegend wird dabei davon ausgegangen, dass der Mensch sich in seinen sozialen Beziehungen durch seine kommunikativen Handlungen situiert und definiert. Dies, in Bezug auf die Schriftlichkeit verstanden, heißt, dass in jeder Situation, in der schriftlich gehandelt wird, jeweils soziale Bezüge und persönliche Faktoren bestimmend sind. Eine Didaktik, die diese Grundsätze einbezieht, muss zwangsläufig den

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ganzen Menschen in den Blick nehmen und kann den Schreibakt nicht auf einzelne, eng gesteckte Lernziele, die aus Bedarfsanalysen abgeleitet werden, reduzieren. Dies deckt sich in den didaktischen Ableitungen sehr gut mit den Prinzipien der Erwachsenenbildung, die Petra Szablewski-Çavuş formuliert: –– Teilnehmerorientierung: Zur Teilnehmerorientierung gehört das konsequente Einbeziehen der bereits erworbenen Kompetenzen der Lernenden. Das Prinzip der Mehrsprachigkeit ist dabei grundlegend. –– Methodenkompetenz: Der DaZ-Unterricht sollte möglichst vielfältige methodische Verfahren nutzen und die bewusste Auseinandersetzung mit Lernstrategien fördern. –– Interaktion und Identität: Übertragen auf die Schreibdidaktik ist unter diesem Punkt zu verstehen, dass den Lernenden Gelegenheit gegeben werden sollte, als „sie selbst“ zu handeln. Szablewski-Çavuş verwendet den Begriff des „Identifikationsangebots“. –– Sozialisation und Lernen: Lehrende sollten nach Szablewski-Çavuş „nicht nur der Entwicklung von Lern- und Arbeitstechniken, der Selbstkontrolle des Lernverhaltens und dem Abbau von Selbstunsicherheiten und Versagensängsten einen besonderen Stellenwert beimessen“, sondern auch „die Migrationsrealitäten und -erfahrungen in die didaktischen Überlegungen mitein[…]beziehen.“ (SzablewskiÇavuş 2000: 21; auch in Szablewski-Çavuş 2007: 17–21) Balle & Damm (2008) schlagen ebenfalls vor, die Identität und Migrationserfahrung der Teilnehmenden in den Unterricht einzubeziehen. Dabei knüpfen sie an Erfahrungen mit Formen des kreativen Schreibens an, die bereits seit mehreren Jahrzehnten in der Arbeit mit Migrant_innen sehr gut dokumentiert sind (z.  B. Kumm 2000). Die didaktische Begründung, die Balle & Damm für den Einsatz des kreativen Schreibens im DaZ-Unterricht mit Erwachsenen formulieren ist folgende: Es geht beim Schreiben als Zielfertigkeit […] in erster Linie um die Fähigkeit, sich als Person möglichst authentisch schreibend zu äußern, Gedanken zu Papier zu bringen, der Nachbarin eine Notiz zu hinterlassen, besondere Vorkommnisse nach einer Arbeitsschicht im Übergabebuch schriftlich zu vermerken, ein Krankenblatt anzulegen, eine Postkarte, einen Brief zu schreiben – mit anderen Worten: Gedanken, Eindrücke, Wünsche, Absichten festzuhalten, sichtbar werden zu lassen, mit anderen zu teilen. Das Schreiben als Fertigkeit nimmt eine Sonderstellung ein. Wir betreten hier ein Feld, in dem die Äußerung der Person fixiert, nachvollziehbar, teilbar ist und zu dem daher auch Muttersprachler ein durchaus gemischtes Verhältnis haben – eine gewisse Abneigung, gelegentlich auch Furcht gegenüber der freien schriftlichen Äußerung ist unter Lehrkräften im Fach DaZ daher beinahe ebenso verbreitet wie unter Lernenden der Zweitsprache. Auch die Lehrkräfte sollten zunächst klären, wie ihre Schreibprozesse verlaufen, wer sie selbst als Schreibende sind, um dann die Vermittlung dieser Fertigkeit erfolgreich angehen zu können. (Balle & Damm 2008: 68)

In diesem Zitat wird deutlich, dass sich hinter der Frage einer Schreibdidaktik für DaZ in der Erwachsenenbildung viel mehr verbirgt, als lediglich das Unterrichten einer

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Fertigkeit nach Kann-Beschreibungen wie „eine einfache Notiz an die Nachbarin schrei­ben“. Für die eigene Weiterbildung ist eine Auseinandersetzung mit den Bereichen des kreativen Schreibens, der Schreibforschung, der Schreibberatung etc. daher sehr zu empfehlen. Im Unterrichtsbeispiel schildern Balle & Damm die Arbeit mit Formen wie DialogJournalen und Lernertagebuch (Balle & Damm 2008). In einer „Schreibzeit“, die im Unterrichtsverlauf, immer zur selben Zeit, als Ritual fest eingeplant ist, werden zum Beispiel ausgehend von Portraitfotos, die die Teilnehmenden mitbringen, fiktive Biographien und Dialoge geschrieben. Ebenfalls möglich ist die Übernahme der Fremdidentität, um aus dieser veränderten Perspektive Texte wie Briefe oder Tagebucheinträge zu schreiben. Durch diesen Perspektivenwechsel werden auch Aufgaben, die in Lehrwerken oder Tests gestellt werden, bei denen aus einer fiktiven Situation heraus ein Brief geschrieben werden soll, vorbereitet. Neben Fotos können auch eigene Zeichnungen verwendet werden. Im Deutschkurs im Gefängnis, der als Ausgangssituation skizziert wurde, sind mit diesem Verfahren sehr gute Erfahrungen gemacht worden. Das Zeichnen und Malen ist ebenfalls ein im Gefängnis verbreitetes Ausdrucksmittel. Die so entstandenen Texte gingen in ihrer sprachlichen Ausdrucksvielfalt bei den meisten Kursteilnehmenden weit über die Texte hinaus, die sie im Rahmen der Arbeit im Sprachkurs mit einem kurstragenden Lehrwerk produzierten. Darüber hinaus sind die hier beschriebenen Arbeitsformen ideal, um das Prinzip der Binnendifferenzierung zu verwirklichen. Kursteilnehmende, die noch sehr wenig freie Ausdrucksformen zur Verfügung hatten, konnten mit Vorlagen aus dem Lehrwerk arbeiten, andere konnten sich bei ihren Zellenkollegen Hilfe holen und dadurch selbstständig weiterlernen. In diesem Beispiel ist die Möglichkeit der Verknüpfung von Lehrwerksarbeit und Schreibförderung im Projekt beschrieben worden. In den meisten Fällen bleibt es in der Verantwortung der Lehrkraft, Projekte zu entwickeln und die Verbindung zum Lehrwerk herzustellen. Selbst wenn im Lehrwerk Projekte vorgeschlagen werden, wie beispielsweise „eine Kurszeitung erstellen“, bekommen die Lernenden und Lehrenden kaum Hinweise, welche Teilkompetenzen dafür notwendig wären und wie diese aufgebaut werden können (Ballweg 2008: 13). Ein weiteres Problem ist, dass das Schrei­ben in Lehrwerken in den meisten Fällen das Schreiben als Mittlerfertigkeit betrifft. Das heißt, das Schreiben wird in Grammatik- oder Wortschatzübungen eingesetzt. Schon innerhalb des Lehrwerks „bleibt […] der Weg vom Schreiben als Mittlerzum Schreiben als Zielfertigkeit [unklar]“ (Balle & Damm 2008: 69). Sowohl Ballweg (2008) als auch Balle & Damm (2008) kritisieren, dass diese Funktion des Schreibens als Mittlerfunktion auch in der Unterrichtspraxis einen vergleichsweise viel zu hohen Stellenwert einnehme. Die Verknüpfung von Journal- und Portfolioelementen könnte eine Lösung dieser Probleme bieten. Im fide-Projekt ist dies bereits in Ansätzen versucht worden, wenngleich hier das kreative Schreiben nicht berücksichtigt wird. Eine Integration kreativer Elemente wäre jedoch durchaus möglich und könnte bei einer Weiterentwicklung noch geleistet werden. Lehrkräfte, die ihre eigenen Modelle von

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Portfolios und Journalen entwickeln, können mit den Lernenden gemeinsam nach der besten Lösung für den jeweiligen Unterrichtskontext suchen. Dass dies weiterhin eine große Herausforderung bleibt, ist klar, aber der Erfolg und die Zufriedenheit der Teilnehmenden, wenn sie ihre eigenen Produkte präsentieren können, zeigen, dass es sich lohnt, nach innovativen Lösungen zu suchen.

5 Zusammenfassung Die in diesem Artikel behandelten Herangehensweisen an eine Schreibdidaktik für Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung unterscheiden sich in vielen Aspekten nicht grundsätzlich von denen in der Fremdsprache Deutsch (vgl. Mohr 2010). Schreiben wird in einer modernen Schreibdidaktik sowohl als Prozess als auch als Produkt gesehen. In der Didaktik Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung wird der Aspekt des Prozesses dabei mehr betont, da davon ausgegangen wird, dass in den Kursen für Migrant_innen, die auch in diesem Artikel als Hauptzielgruppe beschrieben wurden, viele schreibungewohnte Teilnehmende zu finden sind, für die eine Strategieförderung in diesem Bereich wichtig ist (Balle & Damm 2008). In der beruflichen Richtung dagegen sind Textmuster und Textbausteine für spezifische Fachtextsorten ein guter Ausgangspunkt für Unterrichtsschritte (Müller 2005). Ein schrittweiser Aufbau von Teilkompetenzen im Sinne des Scaffolding ist ebenfalls ein in der Fremd- und Zweitsprachendidaktik durchgängig angewandtes Prinzip (Ballweg 2008). Die unter Punkt 2 beschriebene Annäherung an Lernziele über eine Bedarfsanalyse ist ursprünglich im Bereich Deutsch für den Beruf entwickelt worden und für die Zielgruppe der Deutsch als Zweitsprache Lernenden adaptiert worden (Weissenberg 2012). Auch der Einsatz von Portfolios, der unter Punkt 4 als didaktisches Mittel empfohlen wird, ist in vielen anderen, nicht nur sprachdidaktischen, Bereichen zu finden (Ballweg 2015). Charakteristisch für die Didaktik der Erwachsenenbildung sind die Grundsätze, die Szablewski-Çavuş formuliert: Teilnehmerorientierung, Förderung von Methodenkompetenz, besondere Einbeziehung von Interaktion und Identität in Unterrichtskonzepte und erwachsenengerechte Betrachtung des Zusammenhangs von Sozialisation und Lernen (Szablewski-Çavuş 2000; 2007). Genauso stellen Balle & Damm die (erwachsene) Identität der Lernenden in den Mittelpunkt ihrer didaktischen Überlegungen und empfehlen, dass sich die Lehrperson im Sinne einer Selbsterfahrung in ihrer Rolle als Schreibende reflektiert (Balle & Damm 2008). Die Rahmencurricula, die unter Punkt 3 diskutiert wurden, sind explizit für den Bereich Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung entwickelt worden. Sie verzichten jedoch weitgehend auf didaktische Hinweise (Bundesamt für Migration 2012; Goethe-Institut 2007). So bleibt es weiterhin Aufgabe von Lehrkräften, Kurs-

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planenden und Materialerstellenden, die unterschiedlichen Fachgebiete, die in der Schreibdidaktik des Deutschen als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung zusammenspielen, zu Rate zu ziehen, auf die spezifische Zielgruppe und Unterrichtssituation anzuwenden und daraus eigene Konzepte zu entwickeln.

6 Ausblick Für die Zukunft sind im Bereich des Schreibens in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung folgende Punkte als Forschungs- und Entwicklungsfeld auszumachen: –– Die Fehler, die in der Vergangenheit bereits bei der Entwicklung von ad-hoc-Konzepten zu den jeweiligen Hochzeiten der Migrationsbewegungen im deutschsprachigen Raum gemacht wurden, sollten nicht wiederholt werden (vgl. Plutzar 2010; Transnationales ExpertInnenforum Sprache und Migration 2015; Gfds 2016). Aus Sicht der Schreibdidaktik ist es vor allem wichtig, eine Unterrichtsplanung beizubehalten, die alle Fertigkeiten berücksichtigt und Aufgaben aus einem kommunikativen Kontext heraus entwickelt. Bei der Sichtung der Materialfülle, die für die Arbeit mit Geflüchteten angeboten wird, drängt sich der Eindruck auf, dass hier Sprache wieder eher als System gesehen und vermittelt wird und Schreiben lediglich als Mittlerfertigkeit dient. Viele Konzepte scheinen von einer verkürzten Bedarfsanalyse auszugehen, was dazu führt, dass die Mündlichkeit ganz stark im Vordergrund steht. Es besteht also die Gefahr, dass wieder eine Art „Überlebensdeutsch“ vermittelt wird und die Chance einer umfassenden bildungssprachlichen Herangehensweise vertan wird. –– Die Bereiche der Basisbildung und Alphabetisierung wurden in diesem Artikel nicht behandelt, da sie an anderer Stelle im Handbuch thematisiert werden (vgl. den Beitrag von Markov & Waggershauser in diesem Band). In der Formulierung von Forschungs- und Entwicklungschancen spielt die Interdisziplinarität jedoch gerade hier eine wichtige Rolle. Soziolinguistische Ansätze wie der der „situated literacy“, der in Abschnitt 4.2. im Zusammenhang mit den „workplace literacies“ vorgestellt wurde, spielen in der Grundbildung eine wichtige Rolle: Schreiben wird dabei nicht nur als Fertigkeit, so wie es in der Fremd- und Zweitsprachendidaktik oft verkürzt dargestellt wird, gesehen, sondern als soziale Handlung zur gesellschaftlichen Teilhabe (vgl. den Beitrag von Schmölzer-Eibinger in diesem Band). Aus dieser Sichtweise ergeben sich weiterführende Forschungsfragen für den Bereich des Schreibens in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung, die den Aspekt der Mehrsprachigkeit systematisch einbeziehen. –– Die Ableitungen, die sich letztlich aus diesem Perspektivenwechsel für die Didaktik und Methodik ergeben, könnten den Unterricht reformieren und, so die Hoffnung, die Teilnehmenden stärker motivieren. Ein Schritt hin zu mehr gesellschaft-

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licher Teilhabe durch Schreiben in der Zweitsprache Deutsch sind Projekte wie die Zeitung NeuLand (www.neulandzeitung.com), die im Sinne einer Projektpädagogik auch über den Unterricht hinaus gesellschaftsverändernd wirksam wären (vgl. Schart 2003). –– Zum Schluss sei noch auf die Lernenden in akademischen Berufen hingewiesen, die zur Anerkennung ihrer Abschlüsse eine Nachqualifizierungsmaßnahme an einer Hochschule belegen (vgl. IQ Netzwerk Thüringen 2015). Hier handelt es sich um einen Überschneidungsbereich zwischen dem Unterricht in der Wissenschaftssprache Deutsch (als Fremdsprache), dem Bereich Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung und der Schreibdidaktik an Hochschulen. Die wissenschaftliche Begleitung solcher Projekte stellt ein weiteres Desiderat der interdisziplinären Schreibforschung dar.

Literatur Balle, Ulrike & Verena Damm (2008): Wenn’s nicht sein muss, schreib ich noch nicht mal ’ne Postkarte … Schreiben als komplexe Fertigkeit und Anlass zur Reflexion. Deutsch als Zweitsprache, Sonderausgabe, 65–71. Ballweg, Sandra (2008): Schreiben lernen von Anfang an – Schreibförderung in Integrationskursen. Deutsch als Zweitsprache 2, 9–21. Ballweg, Sandra (2015): Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht. Eine empirische Studie zu Schreibportfolios im DaF-Unterricht. Dissertation. Tübingen: Narr. Barton, David & Mary Hamilton (2000): Literacy practices. In David Barton, Mary Hamilton & Roz Ivanic (Hrsg.), Situates Literacies. Reading and writing in context, 7–15. Abingdon: Routledge. Benndorf-Helbig, Beate (2005): Das Europäische Sprachenportfolio für Erwachsene. Bereicherung oder Belastung für Sprachenlernende und Kursleitende? Deutsch als Zweitsprache 2, 24–31. Berg, Wilhelmine & Matilde Grünhage-Monetti (2009): „Zu Integration gehört Spaß, Witz, Ironie, `ne Sprache, die Firmensprache“. Sprachlich-kommunikative Anforderungen am Arbeitsplatz. Deutsch als Zweitsprache 4, 7–20. Bundesamt für Migration (Hrsg.) (2012): fide. Deutsch in der Schweiz – lernen, lehren, beurteilen. Bern. http://www.fide-info.ch/doc/01_Projekt/fideDE01_Infobroschuere.pdf (27. 04. 2017). Demmig, Silvia (2008): Binnendifferenzierung und Heterogenität im Unterricht Deutsch als Zweitsprache. Beispiele aus dem Unterricht mit erwachsenen Lernenden. Deutsch als Zweitsprache 4, 34–39. Ehlich, Konrad, Elke Montanari & Anna Hila (2007): InDaZ – Recherche und Dokumentation hinsichtlich der Sprachbedarfe von Teilnehmenden an Integrationskursen. München: Goethe-Institut e.V. Feldmeier, Alexis (2005): Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch: Wann ist sie abgeschlossen? Deutsch als Zweitsprache 1, 38–42. Ferling, Nikola (2008): Schreiben im DaZ-Unterricht. In Susan Kaufmann, Erich Zehnder, Elisabeth Vanderheiden & Winfried Frank (Hrsg.), Fortbildung für Kursleitende Deutsch als Zweitsprache, Bd. 2 Didaktik Methodik, 110–141. Ismaning: Hueber. Gfds – Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. (2016): Leipziger Erklärung zur sogenannten „Flüchtlingskrise“. gfds.de/leipziger-erklaerung-zur-sogenannten-fluechtlingskrise/ (27. 04. 2017).

424 

 Silvia Demmig

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Schreiben in der Zweitsprache Deutsch in der Erwachsenenbildung  

 425

Weissenberg, Jens (2012): Sprachbedarfsermittlung im berufsbezogenen Unterricht Deutsch als Zweitsprache. Ein Leitfaden für die Praxis. Hrsg. v. passage gGmbH. Migration und internationale Zusammenarbeit. Fachstelle Berufsbezogenes Deutsch im IQ Netzwerk. Hamburg: Netzwerk Integration durch Qualifizierung. http://www.netzwerk-iq.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/IQ_Publikationen/Thema_ Sprachbildung/Broschuere_Sprachbedarfsermittlung_2012.pdf (27. 04. 2017).

Sachregister A Alphabetisierung 50, 53, 55, 57, 63, 66, 79, 81, 82, 247, 250, 258, 350, 394, 396, 397, 398, 400, 401, 402, 405, 406 Alphabetschrift 283, 284, 285, 286, 291, 292, 296 Alter 184, 191, 192 Analphabeten 247, 248, 249 analytische vs. holistische Bewertung 237 Argumentationskompetenz 111 argumentative Fähigkeiten 108 Auswertung 223, 340, 341, 343 B Bedarfsanalyse 410, 411, 412, 413, 414, 420, 421 Befragung 40, 41 Beobachtung 35, 37, 203, 205, 207, 339, 340, 341, 342, 343 berufliche Bildung 150, 151, 152, 153, 154, 161 Berufsausbildung 150, 153, 154, 156, 157, 158, 159 berufsbildungsspezifische Textsorten 155 berufsspezifische Unterschiede in Bezug auf Schreibanforderungen 155 Berufsvorbereitung 160 Beschreiben 337, 341, 342, 344 BICS 275 Bilingualer Unterricht 357 Biliteralität 186 C CALP 5, 57, 96, 275 Code-Meshing 278 Code-Mixing 278 Code-Switching 278 Computer-Assisted Language Learning 405 C-Test 230, 233, 234, 235 D Deskriptoren 209, 211 Deutsch als Zweitsprache 108, 110, 111, 114, 115, 116 Deutsch für den Beruf 248 Diagnose 167, 168, 170, 171, 172, 177, 254, 255, 260

Diagnoseinstrument 259 Diagnoseverfahren 167, 171, 172, 173, 174, 178 Diagnostik 17, 18, 26, 167, 171, 176, 183, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 199, 200, 204, 211, 215, 217, 218, 221, 222, 224, 250, 253, 255, 257 E Einstufungstest 248 Elizitierung 27 Entlastungsstrategien 90 Entwicklung der wissenschaftlichen Textkompetenz von SchülerInnen 121 Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz 125, 126, 129, 130, 131 Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz von SchülerInnen 126, 131 Erfassen 35 Erheben 35 Erklären 342, 343, 344 Erstsprache 350, 351, 352, 355 Erwachsene 394, 397, 404 Erwachsenenbildung 410, 414, 415, 417, 418, 420, 421, 422 Erwerbsstufen 199, 200, 201, 202 Erwerb von Literalität 3, 4, 5, 9 Erzählimpuls 101, 102 ethnographisch 35, 42 F Facharbeit 121, 122, 123, 125 Fachunterricht 340, 345, 351, 354, 355, 357, 358, 359, 360 fide-Curriculum 415, 417 Finitheit 58 Förderdiagnostik 167, 171, 217, 219, 220, 247, 250, 254, 260, 261 Förderung 199, 202, 205, 211 Förderung von Literalität 6, 7, 8, 9, 10, 11 Förderung wissenschaftlicher Textkompetenz im Kontext von Mehrsprachigkeit 128, 131 FörMig 204 Freies Schreiben 306 Frühe Literalitätsentwicklung 5, 8, 9

Sachregister 

G grain-size theory 66 grammatische Verdichtung 319 Grammatisierung 60 Grundschule 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 310 Gruppendiskussion 40 Gütekriterien 18, 255, 256, 260 H halbstandardisierte Schreibberatung 319 Handlungscharakter von Sprache 317 Hayes & Flower 5, 19, 20, 38, 39, 109, 168, 186, 337, 268, 269, 270 Herkunftssprachenunterricht 350, 357, 359, 360 Hörtabelle 288, 289, 290, 292, 294, 295 hybride Textform 387 I Interaktionsanalyse 43 Intertextualität 141, 143 K Kodierhandbuch 239 Kodiermatrix 237 kollaborative Lernformen 389 kombinierte Lese-/Schreibaufgabe 233, 236, 237 Kompetenz 101 Kompetenzbeschreibungen 253 Kompetenzmodelle 399 Kompetenzstufenmodell 21, 22 Konnektoren 341, 343, 344, 345 Kontrast, sprachlicher 54, 55 Koordination 351, 357, 359 Korpus 35, 36 Kreativität 98, 103 Kurdisch 72, 73, 74, 259, 353, 355, 359, 363, 401, 402 L Längsschnitt 100 Längsschnittuntersuchung 102, 103 LAS-Studie 70, 72 Lautes Denken 38, 39 Lautes Erinnern 39 Leistungsvergleichsdiagnostik 218, 223, 224, 225

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Lernberatung 400, 404 Lernen am Modell 387 Lernerautonomie 404, 406 LernerInnentext 35 Lernfortschrittskontrolle 257 lexical-restructuring-Modell 66 lexikalische Verdichtung 316 linksseitig tilgender C-Test 233 Literale Didaktik 270 literale Kompetenzen 383, 384 Literale Kultur 4 Literalität 403, 405 Literalität als soziale Praxis 3, 5 Literalität – Textkompetenz 6, 7, 8, 9, 10, 11 Literalität – Textprozeduren 7, 11 M Mehrschriftlichkeit 274, 350, 352, 355, 356, 359 Mehrsprachigkeit 97, 98, 101, 114, 116, 215, 216, 225, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 359, 360 Merkmale, morphosyntaktische (oder Morphosyntax) 58, 59 Methoden 394, 397, 401, 402, 406 mixed-methods 34, 35 Muster 99, 101 N neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler 184, 187 Niveaubeschreibungen 200, 203, 204, 205, 206, 207, 209, 210, 211 Norm 99 Normerwartung 98 normiert 95 O Operationalisierung 22 Oralität – Literalität 5 Orthografie 184 Orthographie 192, 284, 285, 290, 294, 295 P Passivkonstruktionen 344 Peer-Feedback 388 Peer Tutoring 365, 366, 371 Performanztest 18 Perspektivenübernahme 83, 85 Phasenmodelle 51

428 

 Sachregister

Phonem-Graphem-Beziehung 51, 53 phonologische Bewusstheit 66, 75, 291 Portfolio 389, 415, 417 problemlösendes Lernen 386 Protokoll 338, 339, 343 Q qualitativ 34, 35, 43 quantitativ 34, 35, 43 R Rahmencurriculum für die Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache 414 Relevanz vom Schreiben in beruflicher Bildung 151 Ressourcenaktivierung 382 Retrospektion 39 Retrospektive Befragung 40 S Sachtextzusammenhang 315, 317, 318, 322 Satzleiste 295, 319, 322, 323, 324, 329, 332 Scaffolding (Lerngerüste) 308, 417, 420 Schreibanforderungen in der beruflichen Bildung 152, 160 Schreibaufgaben 303, 307 Schreibbegleitung 365, 374, 377 Schreibberatung 365, 366, 368, 369, 370, 372, 373, 374, 375, 376, 377 Schreibbildung 110, 114, 116 Schreibdidaktik 300, 301, 302, 305, 372 Schreiben 136, 139, 141, 142, 144, 215, 218, 220, 221, 224, 353, 370, 371, 372, 375, 376 Schreiben als literale Praxis 10 Schreiben in beruflicher Bildung 150 Schreiben in der Fremdsprache 373 Schreiben in der Zweitsprache 373 Schreiben nach Vorgaben 306 Schreibentwicklung 218, 221, 223 Schreibhandlung 80 Schreibimpuls 17, 26 Schreibintensive Lehre 387 Schreibinteraktion 42, 43 Schreibkompetenz 23, 202, 209, 300, 302, 303, 305, 306, 311, 312, 366, 368, 375, 376 Schreibkompetenzdiagnose 170 Schreibkompetenzen 18, 19, 26, 29 Schreibkompetenzen Jugendlicher in beruflicher Bildung 150, 151, 158

Schreibkompetenzentwicklung 322 Schreibkompetenzen von StudienanfängerInnen 229, 231 Schreibkonferenz 309, 310 Schreibkultur 145 Schreibmodelle 19 Schreibprobe 189, 190 Schreibprozess 316, 323, 329, 332 Schreibprozessmodelle 19 Schreibstrategien 385, 386 Schreibtutor/innen-Ausbildung 372 Schrifterwerb 396, 398 schriftliches Argumentieren 110 Schriftsprache 64, 65, 69, 183, 186, 187 Schriftspracherwerb 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 59 Schriftsystem 283, 284, 287, 291, 292, 296, 297 Schriftvergleich 286 Schriftvermittlungsmethoden 286, 287, 293, 294, 297 Schriftvorerfahrungen 282, 295, 296 Schwierigkeiten (beim Schreiben) 301, 309 Seiteneinstieg 169, 315, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 327, 329, 332 Silbenkette 293, 294 Sprachbewusstheit 55 Sprachgebrauch 135, 137, 138, 139, 140, 141 Sprachidentität 145 Sprachliche Register 64 Sprachstand 199 Sprachstandsdiagnostik 174 stimulated recall 39 Studierende mit Migrationshintergrund 135, 136 Stufenmodelle 396, 397, 399 T Tastatur- und Bildschirmprotokolle 37, 39 Test 17, 18, 19, 20, 26, 233 Testdiagnostik 247, 248, 249, 250, 261 Tests 190, 193, 195 Textfeedback 369 Textkompetenz 83, 86, 202, 210 Textkompetenzen 200, 203, 210, 211 Textmuster 83, 85, 86, 87, 336, 337, 338 Textmusterkompetenz 215, 216, 217, 224, 225 Textmusterwissen 85, 87, 90 Textprozeduren 143

Sachregister 

Textqualität 111, 112, 115 Textsorte 85, 86, 336, 337, 338, 339, 344, 345 Textsorten 82, 83, 86, 218, 220, 221, 223, 224 Textualisierung 79, 82, 84 Translanguaging 351, 352, 353, 356 translinguale Schreibdidaktik 382 Türkisch 69, 70, 71, 72, 73, 74, 350, 353, 356, 357, 359 V Validität 225 Verdeckte Sprachschwierigkeiten 49 Versuchsprotokoll 338, 339, 340, 344, 345 Videoaufnahme 34, 40, 41, 42 Videographie 42 Videointeraktionsanalyse 41, 42 Visualisierung 321, 327 Vorwissenschaftliche Arbeit 121, 122

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W Wissenschaftlicher Textkompetenz 131 Wissenschaftliches Schreiben 124, 125 Wissenschaftliche Textkompetenz 121, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 136, 138, 141, 144, 145 Wissenschaftliche Textkompetenz von SchülerInnen 125, 126 Wissenschaftlich Textkompetenz 145 Wissenschaftssprache 136, 368, 387 Wortschatz 81, 87, 88, 89 Z Zerdehnte Sprechsituation 64 Zweitschrift 190 Zweitschriftaneignung 187 Zweitsprache 222 Zweitsprachenschreibende 135, 143, 144, 145