Schluckstörungen interdisziplinäre Diagnostik und Rehabilitation [6. Auflage] 9783437444173, 3437444174


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Schluckstörungen: Interdisziplinäre Diagnostik und Rehabilitation
Vorwort-zur-6--Auflage_2018_Schluckst-rungen
Vorwort zur 6. Auflage
Abbildungsnachweis_2018_Schluckst-rungen
Abbildungsnachweis
Abk-rzungsverzeichnis_2018_Schluckst-rungen
Abkürzungsverzeichnis
Adressen_2018_Schluckst-rungen
Adressen
Benutzerhinweise_2018_Schluckst-rungen
Benutzerhinweise
Kapitel-1---Anatomie-des-Schluckvorgangs_2018_Schluckst-rungen
1 - Anatomie des ­Schluckvorgangs
1.1 Mimische Muskulatur
1.2 Halsfaszien
1.3 Mundhöhle, Cavitas oris
1.3.1 Kiefergelenk, Articulatio temporomandibularis
1.3.2 Kaumuskulatur
1.3.3 Mundboden, Diaphragma oris
1.3.4 Zungenbein, Os hyoideum
1.3.5 Zunge, Lingua
1.3.6 Gaumen, Palatum
1.4 Rachen, Pharynx
1.5 Kehlkopf, Larynx
1.6 Speiseröhre, Ösophagus
1.7 Speicheldrüsen
Kapitel-2---Physiologie-des-Schluckvorgangs_2018_Schluckst-rungen
2 - Physiologie des ­Schluckvorgangs
2.1 Normaler Schluckvorgang
2.1.1 Orale Vorbereitungsphase
2.1.2 Orale Phase
2.1.3 Pharyngeale Phase
2.1.4 Ösophageale Phase
2.2 Variationen des normalen Schluckvorgangs
2.2.1 Normvarianten der Schluckmuster beim gesunden Erwachsenen
2.2.2 Kindliches Schlucken
2.2.3 Schlucken im Alter
2.3 Gestörter Schluckvorgang
2.3.1 Die wichtigsten pathologischen Symptome
2.3.2 Die wichtigsten patho­physiologischen Ursachen
Kapitel-3---Neuroanatomie-des-Schluckens_2018_Schluckst-rungen
3 - Neuroanatomie des ­Schluckens
3.1 Großhirnrinde und ­absteigende Fasersysteme
3.1.1 Kortikale Repräsentationsareale
3.1.2 Beidseitige Großhirnläsionen
3.1.3 Einseitige Großhirnläsionen
3.1.4 Plastizität des Schluckkortex
3.2 Hirnstamm
3.2.1 Pattern Generators for Swallowing
3.2.2 Efferente Systeme
3.2.3 Afferente Systeme
3.3 Neuromuskuläre Übergangsregion
3.4 Oberer Ösophagus­sphinkter und Ösophagus
3.4.1 Oberer Ösophagussphinkter (OÖS)
3.4.2 Ösophagus
Kapitel-4---Mit-Schluckst-rungen-assoziierte-neurologische_2018_Schluckst-ru
4 - Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen
4.1 Epidemiologie
4.1.1 Häufigkeit neurogener Dysphagien
4.1.2 Neurogene Dysphagien als Outcome-Prädiktoren
4.2 ZNS-Erkrankungen
4.2.1 Zerebrovaskuläre Erkrankungen
4.2.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
4.2.3 Parkinson-Syndrome und andere Erkrankungen mit Bewegungsstörungen
4.2.4 ZNS-Tumoren
4.2.5 ZNS-Fehlbildungen
4.2.6 Infektionskrankheiten des ZNS
4.2.7 Entzündliche Erkrankungen des ZNS
4.2.8 Metabolische und toxische Erkrankungen
4.2.9 Degenerative Motoneuron­erkrankungen
4.2.10 Hohe Querschnittlähmungen
4.3 Erkrankungen des peripheren Nervensystems
4.3.1 Akute inflammatorische ­demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP)
4.3.2 Miller-Fisher-Syndrom (MFS) und Polyneuritis cranialis
4.4 Erkrankungen der neuromuskulären Übergangsregion
4.4.1 Myasthenia gravis
4.4.2 Lambert-Eaton-Syndrom (LES)
4.4.3 Botulismus
4.5 Erkrankungen der ­Muskulatur
4.5.1 Muskeldystrophien und ­Myopathien
4.5.2 Muskelentzündungen (­Myositiden)
4.6 Langzeitbeatmung, Critical-Illness-Polyneuro­myopathie (CIPNM)
4.7 Iatrogene Ursachen
4.7.1 Medikamente
4.7.2 Bestrahlung von Tumoren im Kopf-Hals-Bereich
4.7.3 Operationen im Halsbereich
4.8 Psychogene Dysphagien
4.9 Seltene Ursachen
4.10 Diagnostik neurogener Dysphagien
4.10.1 Anamnese und klinische Untersuchung
4.10.2 Apparative ­Zusatzuntersuchungen
4.11 Therapie neurogener Dysphagien
4.11.1 Therapie der ­Grunderkrankung
4.11.2 Therapie von mit neurogenen Dysphagien assoziierten Symptomen
4.11.3 Neuere pharmakologische Therapieansätze
Kapitel-5---Schluckst-rungen-bei-Erkrankungen-der-oropharyng_2018_Schluckst-
5 - Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der ­oropharyngealen und ­laryngealen Strukturen
5.1 Primäre strukturelle ­Erkrankungen
5.1.1 Kongenitale Erkrankungen
5.1.2 Entzündliche und ­Systemerkrankungen
5.1.3 Traumen, iatrogene ­Verletzungen, Fremdkörper
5.1.4 Erkrankungen der Halswirbelsäule
5.1.5 Altersbedingte Schluck­störungen: Presbyphagie
5.1.6 Dysphagie bei COPD und anderen pulmonalen Erkrankungen
5.2 Schluckstörungen bei ­Kopf-Hals-Tumoren
5.2.1 Klassifizierung von Tumoren
5.2.2 Auswirkungen von Tumoren auf die Schluckfunktion
5.3 Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung
5.3.1 Allgemeine Ursachen von Schluckstörungen nach Tumorbehandlung
5.3.2 Schluckstörungen nach ­Tumorbehandlung in der vorderen Mundhöhle
5.3.3 Schluckstörungen nach Entfernung von Tumoren der hinteren Mundhöhle/des Rachens (Oropharynxtumoren)
5.3.4 Schluckstörungen nach Behandlung von Kehlkopftumoren
5.3.5 Schluckstörungen nach Versorgung ausgedehnter Hypopharynx-Larynx-Tumoren
5.3.6 Oropharyngeale Schluckstörungen nach Therapie maligner Ösophagustumoren
5.4 Zusammenfassung
Kapitel-6---Radiologische-Funktionsdiagnostik-von-Schluck_2018_Schluckst-run
6 - Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen
6.1 Methoden der radiologischen Funktionsdiagnostik
6.1.1 Schnittbildverfahren: CT, MRT, Ultraschall
6.1.2 Durchleuchtungsverfahren
6.2 Röntgenanatomie und -physiologie des Schluckakts
6.3 Videofluoroskopie, digitale Fluoroskopie
6.3.1 Auswahl des Kontrastmittels
6.3.2 Strahlenbelastung und Strahlen­schutz
6.3.3 Systematische Durchführung der VFSS
6.3.4 Interpretation der Ergebnisse
6.3.5 Schweregradeinteilung
6.3.6 Vor- und Nachteile der VFSS/DFSS
6.4 Patientenbeispiele
6.4.1 Schluckstörungen bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen
6.4.2 Schluckstörungen bei Patienten mit strukturellen Erkrankungen
6.4.3 Schluckstörungen infolge von Motilitätsstörungen
Kapitel-7---Aspirationsschnelltest-und-klinische-Schlucku_2018_Schluckst-run
7 - Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung
7.1 Aspirationsschnelltest
7.1.1 90-ml-Wasserschluck-Test (90-ml-WST)
7.1.2 Gugging Swallowing Screen (GUSS)
7.1.3 Spezielle Schnelltests für Patienten mit Trachealkanülen
7.1.4 Fazit
7.2 Klinische Schluck­untersuchung (KSU)
7.2.1 Durchführung
7.2.2 Sicherheitskriterien für die klinische Schluckprobe
7.3 Pathologische Symptome und mögliche Ursachen
7.3.1 Störungen der oralen ­Vorbereitungsphase
7.3.2 Störungen der oralen Phase
7.3.3 Störungen der pharyngealen Phase
7.3.4 Störungen der ösophagealen Phase
7.4 Zusammenfassung
Kapitel-8---Klinische-und-video-pharyngolaryngoskopische-Unt_2018_Schluckst-
8 - Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion
8.1 Klinische Untersuchung
8.1.1 Bestandteile der klinischen Untersuchung
8.1.2 Untersuchungsmethoden und Beurteilungskriterien
8.1.3 Untersuchung des fazialen, oralen und oropharyngealen Bereichs
8.2 Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion
8.2.1 Transnasale Videoendoskopie des Schluckvorgangs (FEES)
8.2.2 Transorale Evaluation des Schluckvermögens (TOES)
8.2.3 Untersuchungsmodalitäten und Beurteilungskriterien der video­endo­skopischen Untersuchung
8.2.4 Begleitende Untersuchung der Stimm- und Sprechfunktion
8.2.5 Bedeutung der Videodokumentation der erhobenen Befunde
8.2.6 Beurteilung der erhobenen Befunde, Skalen und Scores
Kapitel-9---Medizinische-Basisversorgung-von-Patienten-mit-Sch_2018_Schlucks
9 - Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen – Trachealkanülen – Sondenernährung
9.1 Aspiration als bedrohlichster Faktor der Dysphagie
9.1.1 Klinische Zeichen der Aspiration
9.1.2 Schweregradeinteilungen der Aspiration
9.1.3 Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Aspirations­komplikationen
9.1.4 Maßnahmen zur Verhinderung von Aspirationen
9.2 Trachealkanülen
9.2.1 Pathophysiologische Erwägungen
9.2.2 Arten der Tracheotomie
9.2.3 Wichtigste Kanülenarten, ihre Handhabung und Indikation
9.2.4 Nachteile und Risiken der Tracheotomie
9.2.5 Kanülenwechsel und ­Tracheo­stoma­pflege
9.2.6 Richtlinien für die Entblockung und Dekanülierung
9.2.7 Fehler und Gefahren der Trachealkanülenversorgung von Dysphagiepatienten
9.3 Mangelernährung, Dehy­dra­tation, Sondenernährung
9.3.1 Mangelernährung (­Malnutrition)
9.3.2 Dehydratation
9.3.3 Sondenernährung
9.3.4 Generelle Probleme der nicht­oralen Ernährung
9.4 Zusätzliche Maßnahmen
9.4.1 Maßnahmen bei onkologischen Patienten
9.4.2 Psychosoziale Unterstützung von Patienten mit Dysphagie
Kapitel-10---Grundlagen-der-funktionellen-Dysphagietherap_2018_Schluckst-run
10 - Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)
10.1 Planung und Ziele der FDT
10.1.1 Planung der Schlucktherapie
10.1.2 Ziele der Schlucktherapie
10.2 Restituierende ­Therapieverfahren
10.2.1 Schulorientierte ­Behandlungskonzepte
10.2.2 Restituierende Therapie aus heutiger Sicht
10.2.3 Restituierende ­Grund­verfahren
10.2.4 Praktische Übungen
10.3 Kompensatorische ­Therapieverfahren
10.3.1 Haltungsänderungen
10.3.2 Schlucktechniken
10.4 Adaptive Verfahren
10.4.1 Diätetische Maßnahmen
10.4.2 Nahrungsplatzierung
10.4.3 Trink- und Esshilfen
10.4.4 Essensbegleitung
10.5 Der Weg zum ­maßgeschneiderten ­Übungsprogramm
10.6 Effektivität und Effizienz von Schlucktherapie
10.6.1 Wie schaffen wir Effektivität und Effizienz?
10.6.2 Effektivität und Effizienz der FDT
Kapitel-11---FDT-bei-speziellen-neurologischen-Erkrankun_2018_Schluckst-rung
11 - FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen
11.1 FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen
11.1.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
11.1.2 Myasthenia gravis
11.1.3 Parkinson-Syndrome
11.1.4 Chorea
11.1.5 Multiple Sklerose
11.2 FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation
11.2.1 Störungen körperlicher Funktionen
11.2.2 Beeinträchtigungen kognitiv-psychischer Funktionen
11.2.3 Therapieansätze
11.2.4 Spezielle Diagnostik und Therapiebausteine
Kapitel-12---FDT-bei-onkologischen-Kopf-Hals-Erkrankung_2018_Schluckst-runge
12 - FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen
12.1 Schluckdiagnostik
12.2 Präventive Maßnahmen
12.3 Durchführung der FDT
12.3.1 FDT nach Radiotherapie
12.3.2 FDT nach chirurgischer Tumorentfernung im Mundhöhlen- bzw. Rachenbereich
12.3.3 FDT nach chirurgischer Tumorentfernung im Kehlkopfbereich
12.3.4 FDT nach totaler ­Laryngektomie (LE)
12.3.5 FDT nach Neck-Dissection
12.3.6 FDT nach Pharyngolaryngoösophagektomie mit Rekonstruktion
12.4 Zusammenfassung
Kapitel-13---Management-von-St-rungen-der-Nahrungsaufnahm_2018_Schluckst-run
13 - Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz
13.1 lzheimer-Demenz (AD)
13.1.1 Beeinträchtigungen kognitiv-psychischer Funktionen
13.1.2 Beeinträchtigungen somatischer Funktionen
13.1.3 Störungen der Nahrungs­aufnahme, Schluckprobleme
13.2 Vaskuläre Demenz (VD)
13.2.1 Beeinträchtigung kognitiv-psychischer und körperlicher Funktionen
13.2.2 Störungen der Nahrungsaufnahme, Schluckprobleme
13.3 Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheiten
13.3.1 Störungen der Nahrungs­aufnahme, Schluckprobleme
13.4 Der Einfluss demenzieller Beeinträchtigungen auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken
13.4.1 Spezielle Diagnostik und Therapie
13.4.2 Anzeichen von Mangel­ernährung und Dehydration
13.5 Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs
13.5.1 Verbesserung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
13.5.2 Behandlung von ­Schluckstörungen
Kapitel-14---Diagnostik-und-konservative-Therapie--sophagea_2018_Schluckst-r
14 - Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen
14.1 Ursachen ösophagealer Dysphagien
14.2 Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
14.2.1 Physiologie
14.2.2 Pathophysiologie
14.3 Diagnostik ösophagealer Dysphagien
14.3.1 Endoskopie
14.3.2 Radiologische Diagnostik der Schluckfunktion
14.3.3 Ösophagusmanometrie
14.3.4 Ösophagusimpedanzmessung
14.3.5 Ösophagusszintigrafie
14.3.6 Langzeit-pH-Metrie
14.3.7 Duodenogastroösophageale Refluxdiagnostik (Bilitec-Messung)
14.4 Diagnosen
14.4.1 Relaxationsstörung im OÖS
14.4.2 Zenker-Divertikel
14.4.3 Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre
14.4.4 Refluxkrankheit
14.5 Konservative Therapie ösophagealer Dysphagien
14.5.1 Relaxationsstörung im OÖS
14.5.2 Zenker-Divertikel
14.5.3 Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre
14.5.4 Refluxkrankheit
14.6 Schlussbetrachtung
Kapitel-15---Chirurgische-Interventionen-bei-Schluckst-r_2018_Schluckst-rung
15 - Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen
15.1 Überblick
15.2 Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung
15.2.1 Maligne und benigne Raumforderungen
15.2.2 Divertikel
15.2.3 Funktionsstörungen des UÖS
15.2.4 Funktionsstörungen im Bereich des tubulären Ösophagus
15.2.5 Funktionsstörungen im Bereich des OÖS
15.3 Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts
15.3.1 Maßnahmen zur Verbesserung des Bolustransports
15.3.2 Maßnahmen zur ­Verhinderung der Aspiration
Glossar_2018_Schluckst-rungen
Glossar
Register_2018_Schluckst-rungen
Register
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Schluckstörungen interdisziplinäre Diagnostik und Rehabilitation [6. Auflage]
 9783437444173, 3437444174

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Hackerbrücke 6, 80335 München, Deutschland Wir freuen uns über Ihr Feedback und Ihre Anregungen an [email protected] ISBN 978-3-437-44417-3 eISBN 978-3-437-17317-2 Alle Rechte vorbehalten 6. Auflage 2018 © Elsevier GmbH, Deutschland Wichtiger Hinweis für den Benutzer Ärzte/Praktiker und Forscher müssen sich bei der Bewertung und Anwendung aller hier beschriebenen Informa­ tionen, Methoden, Wirkstoffe oder Experimente stets auf ihre eigenen Erfahrungen und Kenntnisse verlassen. Bedingt durch den schnellen Wissenszuwachs insbesondere in den medizinischen Wissenschaften, sollte eine unabhängige Überprüfung von Diagnosen und Arzneimitteldosierungen erfolgen. Im größtmöglichen Umfang des Gesetzes wird von Elsevier, den Autoren, Redakteuren oder Beitragenden keinerlei Haftung in Bezug auf jegliche Verletzung und/oder Schäden an Personen oder Eigentum, im Rahmen von Produkthaftung, Fahrlässigkeit oder anderweitig, übernommen. Dies gilt gleichermaßen für jegliche Anwendung oder Bedienung der in diesem Werk aufgeführten Methoden, Produkte, Anweisungen oder Konzepte. Für die Vollständigkeit und Auswahl der aufgeführten Medikamente übernimmt der Verlag keine Gewähr. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden in der Regel besonders kenntlich gemacht (®). Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de/ abrufbar. 18 19 20 21 22

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Für Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial siehe Abbildungsnachweis Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint. Planung: Uta Lux, München Projektmanagement: Anke Drescher, München Redaktion und Projektmanagement: Anne Wiehage, Fröndenberg Satz: abavo GmbH, Buchloe Druck und Bindung: Drukarnia Dimograf Sp. z o. o., Bielsko-Biała/Polen Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelabbildung: Adobe Stock Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de.

Gudrun Bartolome, Heidrun Schröter-Morasch (Hrsg.)

Schluckstörungen Interdisziplinäre Diagnostik und Rehabilitation 6. Auflage Unter Mitarbeit von: Prof. Dr. med. Hubertus Feussner, München, Dr. med. Simone Graf, München, PD Dr. med. Konstantin Holzapfel, Landshut, Prof. Dr. med. Christian Pehl, Vilsbiburg, Dr. med. Mario Prosiegel, München

Vorwort zur 6. Auflage Vor nunmehr 25 Jahren erschien die erste Auflage dieses Buches unter dem Titel „Diagnostik und Therapie neurologisch bedingter Schluckstörungen“. Aus der interdisziplinären Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen für Dysphagie am Klinikum rechts der Isar München und der Johns Hopkins University Baltimore entstanden, ist es bereits zu diesem Zeitpunkt als erstes deutschsprachiges Werk zum Thema Schluckstörungen auf größtes Interesse gestoßen. Neue bildgebende Diagnosemethoden, insbesondere die Videoendoskopie und die Videofluoroskopie, hatten das Verständnis für die vielfältigen Störungsmuster der Dysphagie vertieft und neue Therapiemethoden eröffnet. Noch war es ein junges Gebiet der Rehabilitationsmedizin, der Informationsbedarf von Logopäden, Sprachtherapeuten, Medizinern verschiedener Fachrichtungen, Pflegepersonal und Ernährungsspezialisten daher außerordentlich hoch. In den Folgeauflagen haben wir das Spektrum der Neurogenen Dysphagien um Schluckstörungen bei strukturellen Erkrankungen einschließlich der Dysphagien nach Kopf-Hals-Tumortherapie sowie Ösophaguserkrankungen erweitert und das klinische Management der Trachealkanülenversorgung und künstlichen Ernährung hinzugefügt. Wir freuen uns nunmehr, unseren Lesern die 6. komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage präsentieren zu können. Aufgrund zahlreicher Anregungen und des wachsenden Bedarfs haben wir diese um das Thema „Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz“ ergänzt. In den letzten Jahren ist die Anzahl an Veröffentlichungen zum Thema Schluckstörungen deutlich angestiegen. Wir haben den aktuellsten Stand der Forschung berücksichtigt und möglichst methodisch hochwertige Studien in die Aktualisierung einbezogen. Nach wie vor überwiegen die englischsprachigen Publikationen. Erfreulicherweise nimmt die Anzahl an randomisiert kontrollierten Studien auch im Therapiebereich langsam zu. Dieses Werk soll dazu beitragen, das Management von Schluckstörungen so weit möglich im Sinne der evidence-based medicine (EbM) durchzuführen. Dies heißt nach

EbM-Kriterien Studienergebnisse kritisch zu hinterfragen und dann die besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten mit der eigenen Expertise und den Vorstellungen des Patienten zusammenzuführen. Wir hoffen mit unserem Band hierfür die fundierten Voraussetzungen zu bieten. Bei interdisziplinären Publikationen ist es eine besondere Herausforderung, die Inhalte so zu vermitteln, dass sie für alle Leser verständlich sind. Entsprechend haben wir uns um eine klare Darstellungsweise bemüht, ohne zu stark zu vereinfachen oder wichtige Fachbegriffe zu vernachlässigen. Zur besseren Orientierung sind immer wieder Querverweise auf Kapitel eingefügt. Wir hoffen, damit auch ein nützliches Nachschlagewerk geschaffen zu haben, und bitten um Verständnis der zwangsläufigen Zunahme seines Umfanges. Im elektronischen Zusatzmaterial stellen wir standardisierte Untersuchungsprotokolle zur klinischen Schluckuntersuchung, zur Videoendoskopie und Videofluoroskopie zur Verfügung. Um einen optimalen Praxisbezug zu ermöglichen, bieten wir umfangreiche Therapieanleitungen zum Herunterladen an. Der Download ist zeitlich unbegrenzt. Bei Bedarf kann man die Vorlagen ausdrucken und für den Patienten ein individuelles Übungsprogramm zusammenstellen. Unser Dank gebührt allen beteiligten Mitarbeitern des Elsevier-Verlags, die diese Neuauflage ermöglicht haben. Für die hervorragende Zusammenarbeit und geduldige redaktionelle Unterstützung möchten wir uns insbesondere bei Frau Wiehage bedanken. Wir wünschen den Lesern viel Freude und Erfolg bei der Arbeit mit schluckgestörten Patienten, ­freuen uns über Feedback und Anregungen und hoffen, dass möglichst viele Betroffene durch eine adäquate Diagnostik und Therapie wieder mehr Lebensqualität gewinnen. München, Oktober 2017 Gudrun Bartolome Heidrun Schröter-Morasch

Abbildungsnachweis Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern. F981-001

G572 K353 K386 L126 L190 L234 M857 M858 P407 P408 P409 S007-3-23

T545 T546

Neubauer, P. D.: The Yale Pharyngeal ­Residue Severity Rating Scale: An Anatomically Defined and Image-Based Tool. Dysphagia. 2015; 30(5): S. 521–528. Drake, R. L./Vogl, A. W./Mitchell, A. W. M.: Gray's Anatomy for Students. Elsevier/ Churchill Livingstone, 3. Aufl. 2014. Jeanette Isfahanian, München. Katharina Jaeger, fotografische Werkstatt, Edertal-Bergheim. Dr. med. Katja Dalkowski, München. Gerda Raichle, Ulm. Helmut Holtermann, Dannenberg. PD Dr. Konstantin Holzapfel, Landshut. Dr. Heidrun Schröter-Morasch, München. Dr. Simone Graf, Starnberg. Dr. Gudrun Bartolome, Unterschleißheim. Prof. Dr. Hubertus Feussner, Chirurgische Klinik und Poliklinik – Klinikum Rechts der Isar, München. Paulsen,F./Waschke,J.: Sobotta, Atlas der Anatomie des Menschen, Teil 3: Kopf, Hals und Neuroanatomie. Elsevier/Urban & Fischer, 23. Auflage 2010. Dr. Mario Prosiegel, München. Prof. Dr. Christian Pehl, Vilsbiburg.

T935 T936 V384 V394 V437 V536 V537 V539 V586 V731 V764 V765 V766 V767 V768 V769 V770 V771 V772 W203

Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, TU München (Prof. Dr. E. J. Rummeny). Klinik und Poliklinik für HNO Heilkunde, TU München (Prof. Dr. H. Bier). Wehrfritz GmbH, Bad Rodach. Andreas Fahl Medizintechnik-Vertrieb GmbH, Köln. BestCon Food GmbH, Osnabrück. www. bestconfood.de WGP Produktdesign, Ellerau. HOPPEDIZ, Bergisch Gladbach. www. camocup.de Jako-o GmbH, Bad Rodach. www.jako-o.de Atos Medical AB, Hörby (S). Kapitex Healthcare Ltd., Wetherby (GB). DJO Global, St Paul (USA). Aspire Products, LLC, Atlanta (Georgia, USA). BUCK Elektromedizin GmbH, Bad Rappenau. RESAMA GmbH, Bexbach. iuvas medical GmbH, München. RiJe Inc., Thornhill (Canada). Vitility Care B.V., Gilze (NL). SP Ableware – Maddak, South Wayne (New Jersey, USA). Ornamin-Kunststoffwerke GmbH & Co. KG, Minden. World Health Organisation (WHO), Genf (CH).

Abkürzungsverzeichnis

519

Abkürzungsverzeichnis µg Mikrogramm A Adenin Abb. Abbildung ACE Angiotensin-Converting-Enzyme ACh Acetylcholin AChR Acetylcholinrezeptor ADAMS Aktiv-direkt-adaptierte multisensorische Stimulation ADL Activities of Daily Living AIDP akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie AK Antikörper ALS amyotroph(isch)e Lateralsklerose ANA antinukleäre Antikörper ANCA antineutrophile zytoplasmatische Anti­ körper APP Air Pulse Pressure APS atypisches Parkinson-Syndrom BaSO4 Bariumsulfat BMI Body-Mass-Index BODS Bogenhausener Dysphagiescore BoNT Botulinum-Neurotoxin BPO Black Pepper Oil bzgl. bezüglich C CytosinZervikalsegment des Rückenmarks ca. zirka CADASIL Cerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie CAG Cytosin-Adenin-Guanin CCT kraniale Computertomografie CEA Karotisendarteriektomien Ch Chromosom CHAC Chorea-Akanthozytose CIM Critical-Illness-Myopathie CIPNM Critical-Illness-Polyneuromyopathie CK Kreatinkinase cm Zentimeter COPD Chronic Obstructiv Pulmonary Disease (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) CP M. cricopharyngeus CPD krikopharyngeale Dysfunktion CPG Central Pattern Generator CPI M. constrictor pharyngis inferior CPM krikopharyngeale Myotomie CREST Calcinosis, Raynaud, Esophagus, Sklerodaktylie, Teleangiektasien CT Computertomografie DAI Diffuse Axonal Injury DFSS Digital Fluoroscopic Swallowing Study, ­digitale Fluoroskopie des Schluckens DGN Deutsche Gesellschaft für Neurologie

DISH

diffuse idiopathische skelettäre Hyper­ ostose DM Dystrophia myotonicaDermatomyositis DMCPG dorsomedialer Central Pattern Generator DNA Desoxyribonukleinsäure DSI Digital Spot Imaging EBCT Electro Beam Computer Tomography EBM evidenzbasierte Medizin ED Encephalomyelitis disseminata EMG Elektromyografie EMR endoskopische Mukosaresektion EMST exspiratorisches Muskelkrafttraining EP evoziertes Potenzial EPI Echo-Planar Imaging et al. et altera, und weitere F. O. T. T© Facio-orale Trakt-Therapie© Fa. Firma FDT funktionelle Dysphagietherapie FEES Fiberoptic Endoscopic Evaluation of Swallowing, flexible endoskopische Evaluation des Schluckvermögens FEESST Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing with Sensory Testing FLAIR Fluid Attenuated Inversion Recovery fMRT funktionelle MRT FOL Fast Outer Layer FR Formatio reticularis FVC forcierte Vitalkapazität G Guanin GBS Guillain-Barré-Syndrom GCA Guanin-Cytosin-Adenin GCG Guanin-Cytosin-Guanin GER gastroösophagealer Reflux ggf. gegebenenfalls GIST gastrointestinaler Stromatumor GIT Gastrointestinaltrakt GOM Granular Osmiophilic Material gr. griechisch GUSS Gugging Swallowing Screen HBsAg Hepatitis B Surface Antigen HGM heterotope gastrale Mukosa HIV Humanes Immunschwächevirus HRM High-Resolution Manometry (hochauf­ lösende Manometrie) HTLV Humanes T-Zell-lymphotropes Virus HWS Halswirbelsäule Hz Hertz I Inzidenz i. d. R. in der Regel i. v. intravenös IAN isolierte Angiitis des zentralen Nerven­ systems

520 IBM

Abkürzungsverzeichnis

Inclusion Body Myositis, Einschluss­ körper­myositis ICC Interstitial Cell of Cajal ICF International Classification of Functioning, Disability and Health (Int. Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) IMRT intensitätsmodulierte Radiotherapie IPS idiopathisches Parkinson-Syndrom ISFET ionensensitive Feldeffekttransistor Kap. Kapitel kDa Kilodalton KSU klinische Schluckuntersuchung l Liter LAR laryngealer Adduktionsreflex lat. lateinisch LBD Lewy-Körper-Demenz LE Laryngektomie LE(M)S Lambert-Eaton-(Myasthenisches-)Syndrom LKG Lippen-Kiefer-Gaumen LPSDT Laryngopharyngeal Sensory Discrimination Threshold Testing LR Likelihood Ratio LSVT Lee Silverman Voice Treatment M. Musculus MCTD Mixed Connective Tissue Disease MDCT Multidetektorspiral-CT MEBD Modified-Evans‘-Blue-Dye-Test MEG Magnetenzephalografie MEOS Multimodal Early-Onset Stimulation (multimodale Frühstimulation) MEP motorisch evoziertes Potenzial MFS Miller-Fisher-Syndrom MHz Megahertz min Minute(n) ml Milliliter Mm. Musculi mm Millimeter mmHg Millimeter Quecksilbersäule MNA Minimal Nutritional Assessment MODS Multiple Organ Dysfunction Syndrome MP Morbus Parkinson MRI Magnetic Resonance Imaging MRT Kernspin- oder Magnetresonanztomografie ms Millisekunde MS multiple Sklerose MSA Multisystematrophie MSBT Montgomery Salivary Bypass Tube mSv Millisievert MT Mendelsohn-Technik mT/m/s Millitesla/Meter/Sekunde MuSK muskelspezifische Tyrosinkinase N. NervusNewton NA Nucleus ambiguus ND neurogene Dysphagie NDD National Dysphagia Diet NDT Neurological Development Treatment

NGS nasogastrale Sonde NLS Nervus laryngeus superior NMES neuromuskuläre Elektrostimulation nMol Nanomol Nn. Nervi NO Stickstoffmonoxid NPO nihil per os (keine orale Nahrungsauf­ nahme) NSAID nichtsteroidales Antirheumatikum NSF N-Ethylmaleimide-Sensitive Fusion Protein NTS Nucleus tractus solitarii o. g. oben genannt OÖ oberste Anteile des Ösophagus OÖS oberer Ösophagussphinkter Op Operation OPMD okulopharyngeale Muskeldystrophie ORT Orofaciale Regulationstherapie p petit P Prävalenz p. o. postoperativ PACS Picture Archiving and Communication System PAN Panarteriitis nodosa PAS Penetrations-Aspirations-Skala PCD Paraneoplastic Cerebellar Degeneration PD Parkinson’s disease, Parkinson-Erkrankung PDT perkutane dilatative Tracheotomie PE pharyngoösophageal PEG perkutan-endoskopische Gastrostomie PEJ perkutan-endoskopische Jejunostomie PEM paraneoplastische Enzephalomyelitis  Protein Energy Malnutrition PES pharyngeale Elektrostimulation PET Positronenemissionstomografie PICA Arteria cerebelli inferior posterior PM Polymyositis PML Progressive multifokale Leukenzephalo­ pathie PNF Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation POEM perorale endoskopische Myotomie PÖS pharyngoösophageales Segment PPI Protonenpumpeninhibitor PPMD/PPMA Postpolio-Muskeldysfunktion oder -­atrophie PPS Postpoliosyndrom PROMM proximale myotone Myopathie PSP Progressive Supranuclear Palsy, progres­ sive supranukleäre Blickparese PSS progressive systemische Sklerose R Rezeptor R. Ramus RKS randomisierte, kontrollierte Studie RöV Röntgenverordnung rTMS repetitive transkranielle Magnetstimulation s Sekunde(n) s. o. siehe oben s. u. siehe unten

Abkürzungsverzeichnis SAE

subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie SaO2 arterieller Sauerstoffgehalt SBMA spinobulbäre Muskelatrophie SGK supraglottische Kipptechnik SGS supraglottisches Schlucken SHT Schädel-Hirn-Trauma SIDS schlaganfallinduziertes Immundepres­ sionssyndrom SIL Slow Inner Layer SIRS Systemic Inflammatory Response Syn­ drome SIVD subkortikale ischämische vaskuläre ­Demenz SLE systemischer Lupus erythematodes SMA supplementär-motorisches Arealspinale Muskelatrophie SMART Specific, Measurable, Achievable, Relevant, Timed SMT submuköser Tumor SNAP Synaptosomal-Associated Protein SNARE [Vesicle-]Soluble NSF Attachment Protein Receptor sog. sogenannt SP Substanz P SS Sjögren-Syndromspontanes Schlucken SSA Standardized Swallowing Assessment SSGS supersupraglottisches Schlucken

521

T Thymin Tab. Tabelle TDCS Transcranial Direct Current Stimulation TL Teelöffel TMS transkranielle Magnetstimulation TOES transorale (endoskopische) Evaluation des Schluckvermögens TOR-BSST Toronto Bedside Swallowing Screening Test TSH Thyroidea-stimulierendes Hormon (­Thyreotropin, thyreotropes Hormon) u. a. unter anderem u. U. unter Umständen UÖS unterer Ösophagussphinkter V. a. Verdacht auf VAMP vesikelassoziiertes Membranprotein VFSS Videofluoroscopic Swallowing Study, ­Videofluoroskopie des Schluckens VGCC Voltage-Gated Calcium Channel vgl. vergleiche VIP Vasointestinal Inhibitory Peptide VLCPG ventrolateraler Central Pattern Generator WHO Weltgesundheitsorganisation WS willkürlich initiiertes Schlucken z. B. zum Beispiel z. T. zum Teil ZNS Zentralnervensystem ZPM zentrale pontine Myelinolyse

Adressen Herausgeberinnen Dr. phil. Gudrun Bartolome Sprachheilpädagogin Klinik für Frührehabilitation und Physikalische Medizin Klinikum Bogenhausen Englschalkinger Straße 77 81925 München Dr. med. Heidrun Schröter-Morasch Ärztin für HNO-Krankheiten, Phoniatrie und Pädaudiologie Klinik für Frührehabilitation und Physikalische Medizin Klinikum Bogenhausen Englschalkinger Straße 77 81925 München Mitautoren Prof. Dr. med. Hubertus Feussner Arzt für Chirurgie Klinik und Poliklinik für Chirurgie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München

Dr. med. Simone Graf Ärztin für HNO-Krankheiten, Phoniatrie und Pädaudiologie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Str. 22 81675 München PD Dr. med. Konstantin Holzapfel Arzt für Radiologie Krankenhaus Landshut-Achdorf Achdorfer Weg 3 84036 Landshut Prof. Dr. med. Christian Pehl Arzt für Innere Medizin Krankenhaus Vilsbiburg Krankenhausstr. 2 84137 Vilsbiburg Dr. med. Mario Prosiegel Arzt für Neurologie Arzt für Physikalische und Rehabilitative Therapie Von-der-Vringstr. 9 81929 München

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Der Stift präsentiert die Zusammenfassung wichtiger Inhalte.

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Der Briefumschlag beinhaltet einen Exkurs.

Unterlagen zum Download auf sprachtherapiewelt.de Mit dem Code im Buch haben Sie zeitlich unbegrenzt die Möglichkeit zum Download diverser Arbeitsmaterialien: • Detaillierte Protokolle für die klinische Schluckuntersuchung und Befunderhebung • Aktuelle Befundprotokolle für die videoendoskopische und videofluoroskopische Diagnostik • Bogenhausener Dysphagiescore inkl. Manual (BODS) • Viele Therapieanleitungen einschließlich Vorlagen zum selbstständigen Üben des Patienten

KAPITEL

1

1.1

Simone Graf

Anatomie des ­Schluckvorgangs

Mimische Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.2 Halsfaszien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Mundhöhle, Cavitas oris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Kiefergelenk, Articulatio temporomandibularis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Kaumuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Mundboden, Diaphragma oris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Zungenbein, Os hyoideum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 Zunge, Lingua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.6 Gaumen, Palatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



6 6 7 8 9 10 13

1

1.4

Rachen, Pharynx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.5

Kehlkopf, Larynx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

1.6

Speiseröhre, Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1.7 Speicheldrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

4

1

1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

Der Schluckvorgang ist ein komplexes Geschehen, an dem mehr als 5 Hirnnerven und über 25 Muskeln beteiligt sind. Er dient dem Transport von Speichel, Flüssigkeit und Nahrung aus dem Mund, über den Schlund und die Speiseröhre in den Magen. Dabei wird gleichzeitig der Schutz der Atemwege sichergestellt. An diesem komplexen Geschehen sind sechs Hirnnerven und über 25 Muskeln beteiligt (Rohen und Lütjen-Drecoll 2005). Täglich schlucken wir ca. 1.000 Mal; im Wachzustand ca. ein Mal pro Minute, im tiefen Schlaf kaum (Dodds et al.1990). 4 Phasen des Schluckakts Der Schluckakt wird, entsprechend der Lokalisation des Speisebolus, nach Logemann (1997) eingeteilt in: 1. Orale Vorbereitungsphase 2. Orale Phase 3. Pharyngeale Phase 4. Ösophageale Phase

Die Schluckphasen sind z. T. willkürlich oder vollständig reflektorisch (Matuso und Palmer 2008). Ziel der Schlucktherapie ist die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der oralen Ernährung (Matuso und Palmer 2008). Hierfür muss die Ursache der Störung erkannt und gezielt behandelt werden. Zum besseren Verständnis der pathologischen Veränderungen bei Schluckstörungen wird nachfolgend ein Überblick über die Grundlagen der Anatomie entsprechend dem Ablauf des Schluckens gegeben.

1.1 Mimische Muskulatur Die Gesichtsmuskulatur ist an der Nahrungsaufnahme, dem Mimenspiel und der Artikulation beteiligt. Sie besteht aus Hautmuskulatur. Diese entspringt z. T. an Knochen und setzt in der Haut oder den Weichteilen an. Das heißt, die Gesichtsmuskulatur benötigt keine eigene Faszie, da sie mit der Haut verwachsen ist. Durch die Bewegungen verschiebt sich die Haut bei der Mimik. Die gesamte mimische Muskulatur (› Abb. 1.1) wird durch den siebten

Hirnnerven, den N. facialis, innerviert (Benninghoff und Drenckhahn 2008). Der M. orbicularis oris (Lippenmuskel) umgibt die Mundöffnung. Er ist auf jeder Seite paarig angelegt, sodass er aus vier Quadranten besteht (Wendler, Seidner und Eysholdt 2005; McCulloch, Van­ Daele und Ciucci 2011). Durch seine ringförmige Anordnung ist er funktionell ein Schließmuskel, d.h. die Mundspalte wird durch seine tonische Spannung geschlossen (Benninghoff und Drenckhahn 2008). Bei Lähmungen des N. facialis kommt es u.a. zum Herabhängen des Mundwinkels und Speichel fließt aus („Drooling“) (Benninghoff und Drenckhahn 2008; Böhme 2003). Muskulöse Grundlage der Wange bildet der M. buccinator (Wangen-,Trompetermuskel). Er entspringt bogenförmig vom Alveolarfortsatz des Oberkiefers in Höhe der letzten Molaren und hinten vom Alveolarfortsatz des Unterkiefers. Nach Überkreuzung der Faserzüge zieht er zum Mundwinkel und den Lippen. Er verleiht der Wange ihren Tonus. Beim Kauen verengt er den Mundhöhlenvorhof durch Andrücken von Lippen und Wangen gegen die Zähne. Dadurch können seitlich ausgewichene Nahrungsteile wieder zwischen die Zahnreihen geschoben werden. Die Kontraktion bewirkt eine Verengung des Mundvorhofes und die Sprengung der geschlossenen Mundspalte beim Spucken, Blasen und Pfeifen (Aumüller et al. 2010). Folgende Muskeln gehören ebenfalls zur mimischen Muskulatur des Mundes: • M. depressor labii inferiors (Unterlippenherabzieher) • M. mentalis (Schnute, Kinngrübchen) • M. depressor anguli oris (Mundwinkelherabzieher, mürrisch) • M. risorius (Lachmuskel: Lachgrübchen) • M. levator anguli oris • M. zygomaticus (Jochbeinmuskel, Lachmuskel) • M. levator labii superioris alaeque nasi (Oberlippenheber) • M. nasalis (Unzufriedenheit, Weinen) (Waldeyer 1975; Wirth 2000)

5

1.2 Halsfaszien Galea aponeurotica

M. procerus

M. epicranius, M. occipitofrontalis, Venter frontalis

1

M. corrugator supercilii Lig. palpebrale medial e

M. depressor supercilii

M. levator labii superioris alaeque nasi

M. temporoparietalis

M. nasalis M. orbicularis oculi, Pars palpebralis

M. levator labii superioris

M. orbicularis oculi, Pars orbitalis

M. zygomaticus minor

M. levator labii superioris alaeque nasi

M. zygomaticus major M. depressor septi nasi M. levator anguli oris

M. zygomaticus minor M. levator labii superioris

Glandula parotidea Corpus adiposum buccae

M. zygomaticus major M. levator anguli oris

Ductus parotideus

M. orbicularis oris, Pars marginalis

M. buccinator

M. risorius

M. masseter Platysma

Platysma

Foramen mentale M. depressor anguli oris

M. depressor anguli oris

M. depressor labii inferioris

M. depressor labii inferioris M. mentalis

M. sternocleidomastoideus Platysma Fascia cervicalis, Lamina superficialis

M. orbicularis oris, Pars labialis

Abb. 1.1  Mimische Muskulatur [S007-3-23]

1.2 Halsfaszien Im Halsbereich werden Muskeln, Organe und Leitungsbahnen von einem Bindegewebesystem, der Halsfaszie Fascia cervicalis (› Abb. 1.2) umschlossen und in verschiedene Räume getrennt. Die Fascia cervicalis verläuft vom Os hyoideum kranial bis zum Schultergürtel kaudal. Sie wird in eine oberflächliche, mittlere und tiefe Faszie unterteilt. Direkt unter dem Platysma liegt die Fascia cervicalis superficialis, die den gesamten Hals bedeckt.

Sie umschließt den M. sternocleidomastoideus und die oberen Anteile des M. trapezius. Sensible Äste des Plexus cervicalis und oberflächige Halsvenen (Vv. Jugulares anteriores/externae) verlaufen auf der Faszie. Die Fascia cervicalis media oder Lamina pretrachealis umkleidet die infrahyoidale Muskulatur. Sie ist verbunden mit der Vagina carotica, eines wichtigen Gefäß-Nerven-Strangs (A. carotis communis, V. jugularis interna, N. vagus). Weiter setzt sie sich als dünnes laterales Blatt fort und verschmilzt schließlich mit der Fascia cervicalis profunda.

6

1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

1

Abb. 1.2  Halsfaszien [L126]

Die Wirbelsäule wird von der Fascia cervicalis profunda bedeckt. Sie umhüllt die prävertebralen Halsmuskeln (M. longus capitis, M. longus colli und die Mm. scalene) und ist kranial an der Schädelbasis fixiert. Kaudal geht sie in die Fascia endothoracica über. Zwischen mittlerer und tiefer Faszie liegen die Eingeweide des Halses, wie der Kehlkopf, Schlund, Speiseröhre, Luftröhre, Schilddrüse mit den Nebenschilddrüsen (Frick et al. 1987). Die unterschiedlichen Schichten bzw. Räume sind u.a. bei der Ausbreitung von lebensbedrohlichen Infektionen von Bedeutung (Kitamura 2017).

1.3 Mundhöhle, Cavitas oris Die Mundhöhle ist mit Schleimhaut ausgekleidet. In ihr wird die Nahrung durch den Kauapparat zerkleinert und mit enzymhaltigen Speichel durchmischt, um einen schluckfertigen Bolus zu erhalten (Dodds et al. 1990). Die Mundhöhle wird in drei Abschnitte unterteilt (› Abb. 1.3):

• Das Vestibulum oris (Vorhof) wird einerseits

von den Lippen und Wangen, andererseits von den Zähnen gebildet. • Die Cavitas oris propria (Mundhöhle im engeren Sinne) wird nach vorn und seitlich von den Zähnen begrenzt. Nach oben bildet der harte und weiche Gaumen das Dach und gegenüber liegt die Zunge. Unten bildet das Diaphragma oris (Mundboden) den Abschluss. • Hinten befinden sich die Schlundbögen, die eine Enge, den Isthmus faucium, als Übergangsbereich in den Schlund bilden (Benninghoff und Drenckhahn 2008). Am Kauvorgang sind das Kiefergelenk und die Kaumuskulatur beteiligt.

1.3.1 Kiefergelenk, Articulatio temporomandibularis Das Kiefergelenk (› Abb. 1.4) wird durch den beweglichen Kopf des Unterkiefers (Caput mandibulae), eine bewegliche Knorpelscheibe (Discus articularis) und durch die knöcherne Unterkiefergrube (Fossa mandibularis) des Schläfenbeins, die als Gelenkpfanne dient, gebildet. Sie sind von einer relativ schlaffen, weiten Gelenkkapsel umgeben (Aiken,

1.3  Mundhöhle, Cavitas oris

7

Frenulum labii superioris Uvula palatina

Fossa supratonsillaris

Palatum durum, Raphe palati Palatum molle [Velum palatinum] Arcus palatopharyngeus M. buccinator Arcus palatoglossus Platysma

Pars oralis pharyngis

Bucca

Dorsum linguae Tonsilla palatina

Isthmus faucium Gingiva

Vestibulum oris

Frenulum labii inferioris

Abb. 1.3  Geöffneter Mund [S007-3-23]

Bouloux und Hudgins 2012; Frick, Leonhardt und Starck 1987). Diese ermöglicht den großen Bewegungsspielraum des Kieferköpfchens in der Gelenkpfanne (Raber-Durlacher et al. 2012). Beim Kauvorgang wird eine Schlittenbewegung vollzogen; d.h. nach leichter Öffnung des Mundes kann der Unterkiefer nach vor- und rückwärts gleiten. Weiter existiert eine Scharnierbewegung bei Kieferöffnung und -schluss, ebenso ist eine Mahlbewegung beteiligt (Koolstra und van Eijden 1999; Rohen und LütjenDrecoll 2005). In der oralen Phase des Schluckens kommt es zur Zerkleinerung der Nahrung. Hierfür sind die Mahlbewegungen des Kauens mit seitlichen Drehungen des Unterkiefers wichtig. Für die Sprache sind hingegen v.a. die vertikalen Kieferbewegungen von Bedeutung (Writh 2000). Das menschliche Gebiss besteht aus 32 Zähnen (› Abb. 1.5), die mit ihren Wurzeln fest im Oberund Unterkiefer in einer Reihe lückenlos verankert sind. Die Zahnreihen des Ober- und Unterkiefers sind leicht versetzt in einer Schlussbissstellung, Okklusion (Benninghoff und Drenckhahn 2008).

1.3.2 Kaumuskulatur Die Kaumuskulatur › Abb. 1.6; › Tab. 1.1) ermöglicht die Bewegung des Unterkiefers gegen den Oberkiefer zum Abbeißen und Zermahlen von Nahrung. Zur Kaumuskulatur gehören vier Muskeln, die vom Schädel zum Unterkiefer verlaufen. Sie werden von Ästen des N. mandibularis innerviert (Waldeyer 1975; Wirth 2000): • Der M. masseter (Kaumuskel) zieht von der Außenfläche des Jochbogens zur Außenfläche des Unterkieferwinkels. Er schließt den Kiefer. • Der M. temporalis (Schläfenmuskel) hat einen fächerförmigen Ursprung an der Fascia temporalis des Stirn- und Scheitelbeines und setzt am Proc. coronoideus der Mandibula an. Er ist der stärkste Kieferschließer. • Der M. pterygoideus medialis (der innere Flügelmuskel) entspringt in der Fossa pterygoidea des Keilbeines und zieht an die Innenseite des Unterkieferwinkels. Er bewirkt die Kieferschließung und eine geringe Vorschubbewegung.

1

8

1  Anatomie des ­Schluckvorgangs Tuberculum articulare Fossa mandibularis,

Os zygomaticum

Facies articularis

Discus articularis

1

Caput mandibulae Porus acusticus externus

Capsula articularis Collum mandibulae

Proc. mastoideus Proc. styloideus Proc. coronoideus Ramus mandibulae

Abb. 1.4  Kiefergelenk [S007-3-23] Oberkiefer

1

2

1

1

2

2

3

3 12 11 21 22 13 23 14 24

4 5

15

6

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L

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5 4

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46

6

3

2

6

35

44 34 43 33 42 41 31 32

1

1

5 4 3

2

gelmuskel) ist zweiköpfig, kommt vom Proc. pterygoideus des Keilbeines und zieht seitlich abwärts zum Proc. condylaris und zur Gelenkkapsel des Unterkiefers. Bei einer beidseitigen Kontraktion öffnet er den Mund, bei einseitiger Kontraktion kommt es zur Rotation des Unterkiefers zur Gegenseite (Benninghoff und Drenckhahn 2008; Murray, Bhutada und Peck 2007).

8

R 8

• Der M. pterygoideus lateralis (der äußere Flü-

3

Unterkiefer

Abb. 1.5  Zahnschema. Das Gebiss wird, beginnend von rechts oben im Uhrzeigersinn, in vier Quadranten unterteilt. Innerhalb der Quadranten wird jeder Zahn durchnummeriert. [L190]

1.3.3 Mundboden, Diaphragma oris Der Unterkiefer bildet den knöchernen Rahmen für den Mundboden (› Abb. 1.7). Darin spannt sich die Muskulatur der Mundbodens auf. Innen liegt der längsverlaufende M. geniohyoideus. Außen befindet sich der querverlaufende M. mylohyoideus, dessen Fasern in der Mittellinie zusammenlaufen (Rohen und Lütjen-Drecoll 2005). Als Teil der oberen Zungenbeinmuskulatur bewegen sie das Zungenbein beim Schlucken nach vorne (M. geniohyoideus) und oben (M. mylohyoideus) (Pearson, Langmore und Zumwalt 2011). Bei verminderter Vorwärtsbewegung des Zungenbeines und des Kehlkopfes steigt das Risiko für eine Schluckstörung mit Aspiration (Steele, Bailey und Chau 2011).

1.3  Mundhöhle, Cavitas oris

M. temporalis (Schläfenmuskel)

Abb. 1.6  Kaumuskulatur in Seitenansicht [L190]

Unterkieferwinkel

M. pterygoideus medialis (mittlerer Flügelmuskel)

M. masseter (Kaumuskel)

9

M. pterygoideus lateralis (seitlicher Flügelmuskel)

1

M. orbicularis (Ringmuskel des Mundes)

Tab. 1.1  Bewegungen des Mundes bzw. Unterkiefers und jeweils beteiligte Muskeln Bewegung

Beteiligte Muskeln

Schließen des Kiefers

M. temporalis, M. masseter, M. pterygoideus medialis

Öffnen des Kiefers

Zug des Unterkiefers durch sein Eigengewicht, das Platysma, vordere Teil des M. digastricus, M. mylohyoideus, M. geniohyoideus

Vorschieben des Unterkiefers

M. masseter, vordere Fasern des M. temporalis, M. pterygoideus lateralis

Zurückziehen des Unterkiefers

M. masseter, hintere Fasern des M. temporalis, M. pterygoideus medialis

Unterkiefer wird gedreht

Mm. pterygoidei lateralis durch wechselseitige Kontraktionen

1.3.4 Zungenbein, Os hyoideum Das knöcherne Zungenbein, Os hyoideum, befindet sich zwischen Unterkiefer und Brustbein. Es handelt sich um einen hufeisenförmig, frei aufgehängten Knochen ohne Gelenkverbindungen. Man unterscheidet die oberen von den unteren Zungenbeinmuskeln (› Abb. 1.8): • Die oberen Zungenbeinmuskeln (Mm. suprahyoidei) ziehen vom Zungenbein zum Unterkiefer. Ein Teil der oberen Zungenbeinmuskeln bildet den Mundboden (Sumida, Yamashita und Kitamura 2012). Folgende Muskeln zählen zu den oberen Zungenbeinmuskeln: – M. digastricus: Der der zweibäuchige Kiefermuskel zieht vom Warzenfortsatz des Schläfenbeins zum Unterkiefer. Der vordere und der hintere Bauch sind durch eine Zwischensehne am Zungenbein befestigt. Er dient mit seinem vorderen Bauch als Kieferöffner und mit sei-

nem hinteren Bauch zieht er das Zungenbein nach oben beim Schluckakt. – M. stylohyoideus: Der Griffel-ZungenbeinMuskel beginnt am Processus stylohyoideus und zieht zum großen Horn des Zungenbeines. Er zieht das Zungenbein beim Schluckakt nach hinten oben. – M. mylohyoideus: Der Kiefer-ZungenbeinMuskel entspringt von der Innenseite des Unterkiefers zur Mitte des Mundbodens und zum Zungenbeinkörper. Er senkt den Unterkiefer, hebt das Zungenbein und spannt den Mundboden an. – M. geniohyoideus: Der Kinn-ZungenbeinMuskel verläuft von der Unterkieferinnenseite zum Zungenbeinkörper. Er zieht das Zungenbein nach vorn (Frick, Leonhardt und Starck 1987; Wirth 2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010).

10

1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

1

Corpus mandibulae M. digastricus, Venter posterior

M. mylohyoideus

M. stylohyoideus

M. digastricus, Venter anterior

M. digastricus, Tendo intermedius Os hyoideum

Raphe mylohyoidea M. digastricus, Ansa tendinis

M. hyoglossus

Abb. 1.7  Mundboden. Der knöcherne Rahmen bildet die Mandibula. [S007-3-23]

Für den Schluckakt ist die Vorwärtsexkursion des Zungenbeins und des Kehlkopfes wichtiger als die Aufwärtsbewegung (Pearson, Langmore und Zumwalt 2011; Murray et al. 2007). • Die untere Zungenbeinmuskulatur (Mm. infrahyoidei) stellt das Zungenbein fest und zieht es zum Brustbein. Man unterscheidet im Einzelnen folgende Muskeln: – M. sternohyoideus: Der Brustbein-Zungenbein-Muskel zieht vom Brustbein zum Zungenbeinkörper. – M. thyreohyoideus: Der Schildknorpel-Zungenbein-Muskel entspringt von den äußeren seitlichen Schildknorpelflächen zum Zungenbein. Er kontrahiert beim Schlucken. Dadurch wird der Kehlkopf dem Zungenbein genähert. Dahinter wird der Fettkörper vor dem Kehldeckel nach hinten gedrängt, und der Verschlussmechanismus des Kehlkopfeingangs beim Schlucken wird unterstützt (Logemann, Kahrilas und Cheng 1992). – M. omohyoideus: Der Schulter-ZungenbeinMuskel zieht als zweibäuchiger Muskel vom oberen Rand des Schulterblattes zum Zungen-

bein (Frick, Leonhardt und Starck 1987; Wirth 2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010).

1.3.5 Zunge, Lingua Der ca. 5 cm lange und 4 cm breite Muskelkörper der Zunge ist mit dem Mundboden verwachsen. Die Zunge hat zwei Hauptaufgaben: die Beförderung von Speisen und die Lautbildung. Motorisch wird die Zunge vom N. hypoglossus innerviert. Die hohe sensorische Leistung der Zunge ermöglicht die taktile, thermische und gustatorische Kon­ trolle der Nahrung. Man unterscheidet gemäß ihrem Aussehen vier verschiedene Arten von Zungenpapillen, Papillae linguales. Sie besitzen Geschmacksknospen für den Geschmackssinn. Einige sind zudem für die Tast- und Temperaturempfindung zuständig, andere bewirken den samtartigen Charakter der Oberfläche. Bedingt durch die komplexe em­ bryo­nale Entwicklungsgeschichte erfolgt die Inner­ va­ tion der Geschmackspapillen in den vorderen zwei Dritteln der Zunge (Vorderzunge) vom N. lin-

1.3  Mundhöhle, Cavitas oris

11

M. digastricus, Venter anterior

M. mylohyoideus M. stylohyoideus M. digastricus, Venter posterior Vena jugularis interna

Os hyoideum

Musculus thyreohyoideus Arteria carotis communis Vena jugularis interna

Cartilago thyreoidea

M. cricothyreoideus

Musculus omohyoideus

Musculus sternothyreoideus

Cartilago cricoidea

M. scalenus medius

Gl. thyreoidea

M. scalenus posterior

Musculus sternohyoideus

A. subclavia dextra V. subclavia dextra

M. scalenus anterior

A. subclavia sinistra Trachea

V. subclavia sinistra

Abb. 1.8  Obere und untere Zungenbeinmuskulatur [G572]

gualis, einem Ast des N. trigeminus, im hinteren Drittel (Hinterzunge) vom N. glossopharyngeus und an der Zungenwurzel (Zungenbasis) vom N. vagus (Frick, Leonhardt und Starck 1987; Wirth 2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010). Die Zunge besteht aus der Zungenspitze, Apex linguae, dem Zungenkörper, Corpus linguae, und

dem Zungengrund, Radix linguae. Der Sulcus medianus teilt die Zunge in eine rechte und linke Hälfte. Der Sulcus terminalis (in Form eines nach hinten gerichteten V) mit dem Foramen caecum (Spitze des V) grenzt den Zungenkörper gegen den Zungengrund ab (Dodds, Stewart und Logemann 1990) (› Abb. 1.9).

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1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

Außen- und Innenmuskulatur der Zunge Außenmuskeln sind an einem Skelettteil befestigt und strahlen in die Zunge ein. Sie dienen vor allem der Lageveränderung der Zunge. • Binnen- oder Innenmuskeln erstrecken sich innerhalb der Zunge. Die Innenmuskulatur bewirkt deren starke Verformbarkeit. • Die

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Die Außenmuskulatur der Zunge besteht aus: • M. genioglossus, Kinn-Zungen-Muskel. Er entspringt der Spina mentalis des Unterkiefers und zieht fächerförmig in den Zungenmuskelkörper. Seine Kontraktion bewirkt das Hervorziehen der Zunge. Durch seinen Tonus fällt die Zunge nicht durch ihr Eigengewicht nach hinten und verlegt auch im Liegen nicht den Kehlkopfeingang. Das heißt, ein Ersticken im Liegen z.B. beim Schlafen wird verhindert (Horner 2011). • M. hyoglossus, Zungenbein-Zungen-Muskel. Er reicht vom Zungenbein, Os hyoideum, nach auf-

wärts und vorwärts zum Zungenrand. Er zieht die Zunge nach hinten unten. • M. styloglossus, Griffel-Zungen-Muskel. Er entspringt vom Processus stylohyoideus, strahlt in den Seitenrand der Zunge und verbindet sich an der Zungenspitze mit dem Muskel der Gegenseite. Er bewegt die Zunge nach hinten oben (Frick, Leonhardt und Starck 1987; Wirth 2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010). Die Innenmuskulatur der Zunge besteht aus: • Längsmuskeln, M. longitudinalis • Senkrechtmuskeln, M. verticalis • Quermuskeln, M. transversus Bei einer Formänderung der Zunge wirken jeweils zwei Muskeln als Synergisten und bewirken durch ihre Kontraktion die Dehnung des Dritten. Daraus folgt: • Kontraktion M. transversus und M. verticalis: die Zunge wird lang und schmal • Kontraktion M. longitudinalis und M. transversus: die Zunge wird kurz und hoch

Epiglottis Plica glossoepiglottica mediana

Vallecula epiglottica Plica glossoepiglottica lateralis

Tonsilla lingualis; Cryptae tonsillares

Radix linguae

Foramen caecum linguae

M. palatopharyngeus

Sulcus terminalis linguae

Tonsilla palatina M. palatoglossus

Fossulae tonsillares, Cryptae tonsillares

(Plica triangularis)

Dorsum linguae, Pars posterior

Arcus palatoglossus

Papillae vallatae

Papillae foliatae

Dorsum linguae Pars anterior

Papillae fungiformes

Margo linguae Papillae filiformes

Corpus linguae Sulcus medianus linguae Apex linguae

Abb. 1.9  Zunge seitlich oder Dorsalansicht der Zunge [S007-3-23]

1.3  Mundhöhle, Cavitas oris

• Kontraktion M. longitudinalis und M. verticalis:

die Zunge wird kurz, niedrig und breit Durch die wellenförmige Bewegung des medianen Zungenkörpers wird der Bolus am Gaumendach entlang transportiert (Logemann 1997). Meist ist dabei der Mund geschlossen, um diesen Vorgang zu unterstützen (Kahrilas, Lin und Logemann 1993). Störungen der Zungenmotilität in der oralen Phase des Schluckaktes, wie z.B. bei Patienten mit Morbus Parkinson, führen zu erhöhten Aspirations- und Pneumonieraten (Sumida et al. 2012). Durch ihre große Beweglichkeit kann die Zunge mit ihrer Spitze jeden Punkt in der Mundhöhle erreichen. Je nach Lage der Zunge, zusammen mit der Stellung der Lippen und des Kiefers, erhalten Vokale ihren charakteristischen Klang (Waldeyer 1975).

1.3.6 Gaumen, Palatum Der Gaumen wird in den vorderen zwei Dritteln von einem knöchernen, harten Gaumen, Palatum durum, und einem hinteren Anteil, dem weichen Gaumen, Palatum molle, gebildet. Der weiche Gaumen mit dem Gaumensegel, Velum palatinum, endet mit dem Zäpfchen, Uvula. Embryologisch sind die Muskeln des weichen Gaumens von unterschiedlicher Herkunft und werden deshalb von verschiedenen Hirnnerven innerviert, dem N. glossopharyngeus, dem N. vagus und Ästen aus dem N. facialis. Die Grundlage des Gaumensegels bildet eine Sehnenplatte, die Aponeurosis palatina, in die die Gaumenmuskeln einstrahlen: • Der M. tensor palatini (Spanner des Gaumensegels) zieht von der Fossa scaphoidea und der lateralen Tubenwand als Sehne um den Hamulus pterygoideus und strahlt horizontal in die Gaumenaponeurose ein. Neben der Spannung des Gaumensegels bewirkt er die Öffnung der Tuba auditiva zur Durchlüftung des Mittelohres beim Schlucken. • Der M. levator veli palatini (Gaumenheber) entspringt von der Unterfläche der Felsenbeinpyramide und vom Unterrand der Tuba auditiva. Die Fasern der Muskeln beider Seiten durchflechten sich und bilden eine Muskelschlinge. Auch er erweitert bei Kontraktion das Lumen der Tuba auditiva (Frick, Leonhardt und Starck 1987; Wirth

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2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010). • In den weichen Gaumen strahlen von unten und lateral die Muskeln des vorderen und des hinteren Gaumenbogens, M. palatoglossus und M. palatopharyngeus, ein. Dazwischen liegen die paarigen Gaumenmandeln, Tonsilla palatina (Sumida et al. 2012). Der harte Gaumen ist bei Säuglingen ohne Zähne flacher und der Ringkorpel und der Kehlkopf stehen wesentlich weiter kranial im Vergleich zu Erwachsenen. Der Kehldeckel berührt zunächst den hinteren Anteil des weichen Gaumens, sodass der Larynx sich direkt in den Nasenrachen öffnet. Dadurch ist der Luft- vom Speiseweg getrennt. Beim Saugen können Säuglinge gleichzeitig atmen. In der weiteren Entwicklung wachsen die gesamten Strukturen des Halses und der Kehlkopf wandert weiter nach unten. Diese räumliche Anordnung ist für die Entwicklung des Sprechens notwendig (McCulloch, Van Daele und Ciucci 2011). Das Gaumensegel (› Abb. 1.10) trennt während des Schluckvorganges den Mund und Schlund als Nahrungsweg vom oberen Luftweg, der Nase. Die Kontraktion von M. levator veli palatini, M. constric­ tor pharyngis superior, M. palatopharyngeus, und M. palatoglossus und M. salpingopharyngeus bewirken diesen velopharyngealen Verschluss (Perry 2011).

Os petrosum

M. levator veli palatini M. tensor veli palatini Hamulus pterygoideus weicher Gaumen M. palatopharyngeus M. palatoglossus Uvula

Abb. 1.10  Velopharyngealer Verschluss durch die Kontrak­ tion der Mm. tensor und levator veli palatini, M. constrictor pharyngis superior, Mm. palatoglossi und palatopharyngei. Beim Schlucken öffnet sich die Tube („es knackt im Ohr“) durch die Mm. tensor veli palatini. [L234]

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1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

In der deutschen Sprache verschließt das Gaumensegel den Nasen-Rachen-Raum bei Bildung von Vokalen und Konsonanten. Eine Ausnahme sind die Konsonanten [m], [n] und [ŋ]. Hier entweicht die Luft durch die Nase und erzeugt eine nasale Resonanz (Wirth 2000). Bei einer velopharyngealen Insuffizienz kommt es einerseits zum offenen Näseln und andererseits zum Austritt von Flüssigkeit und ggf. Nahrung beim Schlucken durch die Nase (Shprintzen und Marrinan 2009).

1.4 Rachen, Pharynx Der Rachen ist der Kreuzungspunkt zwischen Luftund Speisewegen. Anatomisch gesehen ist der Rachen, Pharynx, ein ca. 12-15 cm langer Muskelschlauch, der sich von der Schädelbasis bis zum Speiseröhreneingang, in Höhe des Ringknorpels erstreckt (› Abb. 1.11). Die Hinter- und Seitenwand ist ohne Öffnung, während die Vorderseite durch drei große Öffnungen eine Unterteilung des Pharynx in drei Etagen erlaubt: • Die Pars nasalis pharyngis oder Nasopharynx, reicht vom Rachendach bis zum Gaumensegel und steht vorne über die Choanen mit der Nasenhöhle und über die Tuba auditiva mit dem Mittelohr in Verbindung. • Die Pars oralis pharyngis oder Oropharynx reicht kaudal bis zur Plica pharyngoepiglottica und öffnet sich nach vorne zur Mundhöhle. • Die Pars laryngea pharyngis oder Laryngopharynx erstreckt sich vorne von der Epiglottis, seitlich über die aryepiglottische Falte zur Incisura interarytenoidea. Der Raum seitlich von der aryepiglottischen Falte bis zum oberen Ende des Ösophagus wird Sinus piriformis genannt (Benninghoff und Drenckhahn 2008). Der Laryngopharynx hat Zugang zum Kehlkopf und zum Ösophagus (Aumüller 2010). Der Muskelschlauch des Pharynx wird durch die drei Schlundschnürer, Mm. constrictores pharyngis, und die Schlundheber, Mm. levatores pharyngis, gebildet (› Abb. 1.12). Sie liegen wie Dachziegel übereinander und strahlen in einen medianen

Nasenhöhle

Mundhöhle

Nasopharynx (Epipharynx) Rachenmandel Mündung der Ohrtrompete Gaumenmandeln Oropharynx (Mesopharynx)

Zungenbein

Laryngopharynx (Hypopharynx)

Kehldeckel (Epiglottis) Trachea

Abb. 1.11  Pharynx seitlich [L190]

Sehnenstreifen, Raphe pharyngis, ein (Dodds et al. 1990; Wirth 2000; Wendler, Seidner und Eysholdt 2005; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010). Man unterscheidet folgende Schlundschnürer: • M constrictor pharyngis superior Sein Faserverlauf ist überwiegend horizontal. Beim Schlucken und bei Kontraktion wölbt er sich als sog. Passavantscher Ringwulst dem Gaumensegel entgegen und bewirkt zusätzlich zu weiteren Muskeln (s.o.) den Abschluss zum Nasopharynx. • M. constrictor pharyngis medius Er entspringt dem Zungenbeinhorn. Seine Muskelfasern fächern sich in aufsteigende und absteigende Fasern auf. • M. constrictor pharyngis inferior Der obere Anteil, Pars thyropharyngea, hat seinen Ursprung an den Seitenflächen des Schildknorpels. Der untere Anteil, Pars cricopharyngea, nimmt seinen Ursprung am seitlichen Ringknorpel. Es bildet sich eine Muskelschlinge, die den kaudalen Laryngopharynx von hinten umfasst. Zusammen mit dem M. constrictor pharyngis medius bewirkt er das Vorschieben des Nahrungsbolus.

1.4  Rachen, Pharynx Die Pars cricopharyngea und die oberen Abschnitte des zervikalen Ösophagus bilden den Speiseröhreneingang. Die Bezeichnung pharyngoösophageales Übergangs- oder OPE-Segment gibt die Verbindung korrekt wieder, ist aber wenig gebräuchlich. Meist verwendet man den Begriff oberer Ösophagussphinkter (OÖS). Die Pars circopharyngea besteht aus aufsteigenden, zirkulär hufeisenförmigen Zügen, und aus – zur Hinterwand des Ösophagus – absteigenden Fasern. Man unterscheidet eine Pars ­obliqua und eine Pars fundiformis. Dazwischen befindet sich das sog. Killian-Dreieck. Durch dieses muskelschwache Areal kann sich ein Hypopharynxdivertikel, das sog. Zenker Divertikel, oberhalb des Ösophagusmundes bei 60 % der Männer und 34 % der Frauen ausbilden (Anagiotos, Preuss und Koebke 2010; › Kap. 14). Die Schlundheber, Mm. levatores pharyngis inserieren von innen her an der Raphe pharyngis. Die Textur dieser dorsalen Pharynxmuskeln ermöglicht

durch den schräg bzw. z.T. geflechtartigen Faserverlauf eine Verkürzung in der Längs- und in der Sagittalachse, ohne dass es zu einer Faltenbildung in der Aponeurose kommt (Bosma et al. 1986). Folgende Muskeln zählen zu den Schlundhebern: • M. palatopharyngeus: Er kommt von der Gaumenaponeurose, zieht in die Seitenwand des Pharynx und bildet den hinteren Gaumenbogen. • M. stylopharyngeus: Sein Ursprung ist der Proc. styloideus und er strahlt zwischen den oberen und unteren Schlundschnürer. • M. salpingopharyngeus: Er entspringt am Hamulus pterygoideus und geht von innen in die Pharynxwand. Der Rachen übernimmt mehrere Funktionen: • Es überkreuzen sich dort der Luft- und Speiseweg. Die Luft gelangt über die Nase, den Rachen, die Luftröhre in die Lunge. Nahrung, Flüssigkeit und Speichel werden in nur ca. 0,7 Sekunden Fascia pharyngea

Musculus constrictor pharyngis superior Musculus constrictor pharyngis medius

Musculus constrictor pharyngis inferior Pars transversa der Pars cricopharyngea

Abb. 1.12  Darstellung der Pharynxkonstriktoren und des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) von hinten [G572]

Tunica muscularis des Oesophagus Trachea

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Tuberculum pharyngeum

Processus styloideus Ligamentum stylohyoideum Musculus stylopharyngeus Raphe pharyngis

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1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

über den Rachen in die Speiseröhre transportiert. Die Kontraktion der Rachenmuskeln schiebt den Bolus als pharyngeale Welle schlundabwärts durch den geöffneten OÖS. Nach dem Schlucken schließt sich der OÖS wieder. • Der Rachen ist außerdem an der Lautbildung beteiligt. Er ist wesentlicher Bestandteil des sog. Ansatzrohres oder Vokaltraktes, d.h. der vom Kehlkopf produzierte primäre Stimmschall wird im Rachen weiter modifiziert (Wendler et al. 2005).

1.5 Kehlkopf, Larynx Der Kehlkopf ist der Beginn der unteren Atemwege. Seine primäre Funktion ist der Schutz der Atemwege, erst sekundär dient er der Stimmgebung. Weiter wird er zum Husten, Erbrechen und Lachen benötigt. Er ist an willkürlichen und reflektorischen Prozessen beteiligt. Seine komplexen, koordinierten und lebenswichtigen Fähigkeiten spiegeln sich in seinem Aufbau wieder (› Abb. 1.13). Der Kehlkopf befindet sich bei Neugeborenen in Höhe des 2. bis 4. Halswirbels, sinkt mit dem Alter weiter ab und befindet sich beim Erwachsenen in Höhe des 5. bis 7. Halswirbels. Seitlich unten an ihm liegt die Schilddrüse und vorne die untere Zungenbeinmuskulatur (Waldeyer 1975; Frick, Leonhardt,

Starck 1987; Wirth 2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008). Der Kehlkopfeingang, Aditus laryngis, zieht oval von ventral kranial nach dorsal kaudal. Er wird begrenzt durch den Kehldeckel, Epiglottis, davon beidseits nach dorsal kaudal ziehend durch die aryepiglottische Falten, Plica aryepiglotticae, durch die paarigen Stellknorpel, Cartilagines arytenoideae, und die dorsale Incisura interarytenoidea. Der Kehlkopf ragt in den Laryngopharynx. Durch zwei paarige Schleimhautfalten wird der Innenraum des Kehlkopfes in drei Etagen geteilt: • Der Vorhof, Vestibulum laryngis, grenzt vom Aditus laryngis bis an die Taschenfalten, Plicae vestibulares. • Es folgt der Ventriculus laryngis, der bis zu den Stimmfalten, Plicae vocales, reicht. Diese bilden die Glottis. • Anschließend beginnt der subglottische Raum, Cavitas infraglottica, bis zum Ringknorpel. Das Kehlkopfskelett (› Abb. 1.14) besteht aus dem unpaarigen Ringknorpel, Cartilago cricoidea, dem Schildknorpel, Cartilago thyroidea, dem Kehldeckel, Cartilago epiglottica, und den paarigen Stellknorpeln, Cartilago arytenoidea. • Der Ringknorpel, Cartilago cricoidea, ist über Bänder und Sehnen dorsal mit dem oberen Trachealring und kranial mit dem Schildknorpel verbunden. Er bildet die Form eines nach hinten gerichteten Siegelrings.

posterior Rima glottialis (Öffnung zwischen Plicae vocales)

Tuberculum cuneiforme

Plica vocalis (Stimmlippe)

Plica aryepiglottica

Plica vestibularis (Taschenfalte)

Epiglottis

anterior

Abb. 1.13  Larynx (Aufsicht von oben, Endoskopie) [P407]

Tuberculum corniculatum

1.5  Kehlkopf, Larynx

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Membrana thyrohyoidea

Os hyoideum

1 Cartilago epiglottica

Lig. thyrohyoideum medianum Petiolus epiglottidis

Lig. cricopharyngeum

Lig. thyroepiglotticum

Cartilagines arytenoideae

Cartilago thyroidea

Lig. cricoarytenoideum

Lig. vocale

Proc. vocalis

Conus elasticus

Cartilago cricoidea

Lig. cricothyroideum medianum

Lamina cartilaginis cricoideae

Arcus cartilaginis cricoideae Facies articularis thyroidea Cartilagines tracheales

Abb. 1.14  Larynxskelett [S007-3-23]

• Auf seiner hinteren Platte befinden sich die bei-

den pyramidenförmigen Stellknorpel, Cartilago arytenoidea („Aryknorpel“) . • Der Schildknorpel, Cartilago thyroidea, besteht aus zwei nach hinten offenen und nach vorne kielartig geformten Platten. Die oberste Kante, Prominentia laryngea, kann besonders bei Männern als sog. „Adamsapfel““ sichtbar sein. • Die tennisschlägerförmige Epiglottis besteht aus elastischem Knorpel und ragt in das obere Lumen des Schildknorpels. Ein Fettkörper, Corpus adiposum praeepiglotticum, befindet sich zwischen der Vorderseite des Kehldeckels und hinter dem Schildknorpel. Das Larynxskelett ist durch die Mm. thyrohyoidei am Zungenbein, Os hyoideum, aufgehängt. Kaudal wird es durch die Mm. sternothyroidei an das Sternum fixiert. Die Bewegung des Kehlkopfes ist durch seine elastische Verbindung mit der Umgebung möglich. Man unterscheidet zwei Gruppen von Kehlkopfmuskeln (› Abb. 1.15):

• Außenmuskeln • Binnenmuskeln

Der einzige äußere Kehlkopfmuskel ist der M. cricothyreoideus, der vom Ringknorpel zum Schildknorpel zieht. Durch seine Kontraktion wird der Ringknorpel nach vorne oben zum Schildknorpel bewegt und die Stellknorpel nach hinten gekippt. Die am Stellknorpel befestigten Stimmlippen werden dadurch gespannt. Der M. cricothyroideus wird als einziger Kehlkopfmuskel vom N. laryngeus supe­ rior innerviert. Die Binnenmuskulatur wird vom N. laryngeus inferior versorgt. Der einzige Öffner der Glottis ist der M. cricoarytenoideus posterior. Er verläuft von der Hinterfläche der Ringknorpelplatte zum Proc. muscularis des gleichseitigen Aryknorpels. Alle anderen Larynxmuskeln sind Schließer oder Spanner: • Der M. cricoarytenoideus lateralis zieht vom seitlichen Teil des Ringknorpelbogens zum Proc. muscularis des gleichseitigen Aryknorpels.

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1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

• Der M. arytenoideus transversus zieht von der 1

lateralen Kante der hinteren Fläche des Aryknorpels an den gleichen Abschnitten der Kollateralen. • Der M. arytenoideus obliquus zieht vom Proc. muscularis des einen Aryknorpels an die Spitze des anderen. • Der M. thyroarytenoideus kommt von der Innenfläche der Schildknorpelplatte und zieht mit seinem lateralen Anteil zum Proc. Muscularis; mit seinem medialen Anteil, der als M. vocalis bezeichnet wird, zum Proc. vocalis. Zusammen mit dem Ligamentum vocale und der darüberliegenden Schleimhaut bilden sie die Stimmlippen (Waldeyer 1975; Frick, Leonhardt, Starck 1987; Wirth 2000; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010). Beim Schluckakt kommt es reflektorisch zum Verschluss der Atemwege und Atemstopp (Schluck­ apnoe). Der Verschluss vollzieht sich grob in drei Os hyoideum

Lig. thyreohyoideum laterale

Tuberculum cuneiforme Tuberculum corniculatum M. arytenoideus, Pars transversa M. arytenoideus, Pars obliqua

M. cricoarytenoideus posterior

Abb. 1.15  Innere Kehlkopfmuskulatur [G572]

Ebenen: den Stimmlippen, Taschenfalten und dem Kehldeckel. Die Schluckapnoe scheint unabhängig vom Stimmlippenverschluss stattzufinden, da auch kehlkopflose Patienten eine Schluckapnoe zeigen (Costa und Lemme 2010). Die Stimmlippen schließen sich durch Kontrak­ tion des M. cricoarytenoideus posterior. Die Mm. thyroarytenoidei und arytenoidei obliqui unterstützen zusätzlich den Verschluss (Wendler, Seidner und Eysholdt 2005; Benninghoff und Drenckhahn 2008). Weiter nähern sich die Taschenfalten. Die Stellknorpel werden der Basis der Epiglottis genähert. Der Kehldeckel verschließt den Kehlkopfeingang. Das dorsokaudale Kippen des Kehldeckels geschieht durch mehrere Mechanismen. Durch die Mm. digastrici und die Mm. mylo- und geniohyoidei wird das Zungenbein gegen den feststehenden Unterkiefer nach oben vorne gezogen. Der Kehlkopf hebt sich ebenfalls mit nach vorne und oben durch Epiglottis

Musculus aryepiglotticus

Pars thyroepiglottica des Musculus thyroarytenoideus Incisura thyroidea superior Sacculus laryngis Pars externa des Musculus thyroarytenoideus M. thyreoarytenoideus M. cricoarytenoideus lateralis

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1.6  Speiseröhre, Ösophagus die Kontraktion der Mm. thyrohyoidei und des M. constrictor pharyngis inferior. Die Zurücknahme des Zungengrundes und die Kontraktion des M. cricothyroideus bewirken die Kompression des Corpus adiposum praeepiglotticum; dadurch wird die Epiglottis gegen den Kehlkopfeingang gedrückt (Logemann, Kahrilas und Cheng 1992).

1.6 Speiseröhre, Ösophagus Die Speiseröhre beginnt ca. in Höhe des 6. Halswirbels und bildet einen ca. 25 cm langen elastischen Muskelschlauch. Die gesamte Strecke von den Schneidezähnen bis zum Mageneingang beträgt ca. 40 cm. Die Länge ist bei der Platzierung einer nasalen Magensonde von Bedeutung. Der Ösophagus wird unterteilt in: • Eine ca. 8 cm lange Pars cervicalis (Halsteil) vom oberen Ösophagusmund, Höhe Ringknorpel, bis zum Brustbeinrand. Dieser Teil liegt hinter der Trachea, dazwischen verläuft der N. laryngeus recurrens, der bei operativen Eingriffen in dieser Region verletzt werden kann und zur Stimmlippenlähmung führt. • Eine ca. 16 cm lange Pars thoracica (Brustteil) bis zum Zwerchfell. • Eine ca. 1-3 cm kurze Pars abdominalis (Bauchteil), die unter dem Zwerchfell bis zum Mageneingang reicht, in Ruhe geschlossen ist und sich beim Schluckakt öffnet. Der Ösophagus mündet spitzwinklig in den Magen (Incisura cardiaca, Hisscher Winkel) (› Kap. 14). Es ergeben sich durch den anatomischen Verlauf drei Engen (Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller 2010): Angustia cricoidea (durch den Ringknorpel), die engste Stelle des Ösophagus (ca. 15 mm, › Abb. 1.16) • Angustia aortica (durch die Aorta) • Angustia diaphragmatica (durch das Zwerchfell)

Die obere Enge wird durch den zirkulären oberen Ösophagus Sphinkter (OÖS) verschlossen, der erstmals von Killian beschrieben wurde. Er wird gebildet durch Fasern der Pars circopharyngea des M. constrictor pharyngis inferior. Ein submuköses Venengeflecht verschließt ihn zusätzlich. Nach manometrischen, elektromyografischen und radiologischen Ergebnissen beschränkt sich die Verschlusszone des oberen Ösophagussphinkters nicht auf den M. cricopharyngeus. Es werden kaudale Teile des unteren Schlundschnürers (M. thyreopharyngeus) und kraniale Abschnitte der zervikalen Ringmuskelschicht des Ösophagus funktionell mit einbezogen (Kallmünzer et al. 2010). Die Speiseröhre besteht im ersten Viertel aus quergestreifter, im zweiten Viertel zusätzlich aus glatter Muskulatur, die untere Hälfte nur aus glatter Muskulatur (Vegesna et al. 2012). Die Muskelfasern verlaufen schraubenförmig von außen (äußere Längsmuskelschicht) schräg oder zirkulär nach innen (innere Ringmuskelschicht) und bilden eine funktionelle Einheit (Rohen und Lütjen-Drecoll 2005; Benninghoff und Drenckhahn 2008; Aumüller et al. 2010).

Ringknorpelenge

Schilddrüse

Luftröhre (Trachea)

Aortenenge

Rechter Hauptbronchus

Aorta

Speiseröhre (Ösophagus) Zwerchfell Zwerchfellenge

Veränderungen der Umgebungsstrukturen im Bereich der Engen können zu Schluckstörungen führen, z. B. Vergrößerung des Herzens, Perikardergüsse etc. (› Kap. 15).

Abb. 1.16  Der Ösophagus mit seinen 3 Engstellen [L190]

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1  Anatomie des ­Schluckvorgangs

Man unterscheidet eine primäre von einer sekundären peristaltischen Welle: Die Beförderung des Bolus bei der reflektorischen primären Welle benötigt ca. 8–10 s bis zum Magen. Flüssigkeiten werden, bei Öffnung des oberen und unteren Ösophagussphinkters, in nur 1 s durch die Stempelkraft von Zunge und Mundboden quasi in den Magen gespritzt (Benninghoff und Drenckhahn 2008). Durch mechanische Reizung (Speisereste) an der Wand wird die sekundäre Welle ausgelöst. Sie fungiert als sog. Reinigungswelle. Die Speiseröhre besitzt eine hohe Längsspannung, die es uns ermöglicht z.B. im Handstand zu schlucken (› Kap. 2). Der Ösophagus wird vom N. vagus über den Plexus oesophagealis und vom Truncus sympathicus innerviert. Die peristaltische Bewegung wird vom N. vagus gefördert, vom Sympathikus gehemmt (Kallmünzer; Sörensen und Neuhuber 2008).

1.7 Speicheldrüsen Wir produzieren ca. 0,5–1,5 l Speichel pro Tag. Er besteht zu 99,5 % aus Wasser; der Rest sind Amylase, anorganische Salze, Muzin, Bikarbonate, antibakteriell wirkendes Lysozym, Abwehrzellen (Lym-

phozyten) und Antikörper (Aumüller et al. 2010). Speichel ist notwendig zur Befeuchtung und Erweichung der Nahrung, zum Schutz der Schleimhäute und Zähne. Durch Amylase wird die Stärke in der Nahrung abgebaut (Cheng, Wu und Kwong 2011). Die Schluckinitierung beginnt normalerweise, wenn die Bindekraft zwischen den Nahrungspartikeln im Bolus am stärksten ist. Bei vermindertem Speichelfluss oder Viskosität kommt es zur Dysphagie mit vermehrten oralen und pharyngealen Rückständen (Residuen) (Hamlet, Faull und Klein 1997). Mundtrockenheit (Xerostomie) ist eine der häufigsten dosisabhängigen Nebenwirkungen nach Bestrahlung bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren (Raber-Durlacher, Brennan und Verdonck-de Leeuw 2012). Der Speichel stammt von kleinen Speicheldrüsen (Glandulae salivariae minores) in der Mundhöhlenwand und der Zunge sowie von großen Speicheldrüsen (Glandulae salivariae majores). Hierzu ­zählen die Glandula parotidea, Glandula submandibularis (Unterkieferdrüse), die dünnflüssigen Speichel und die Glandula sublingualis (Unterzungendrüse, › Abb. 1.17), die muköses Gleitmittel produziert (Rohen und Lütjen-Drecoll 2005; Benninghoff und Drenckhahn 2008). • Die Glandula parotidea (Ohrspeicheldrüse) liegt vor dem Ohr, z. T. auf dem M. masseter und ragt in die Fossa retromandibularis. Sie produziert se-

Abb. 1.17  Seitliche Ansicht der großen Speicheldrüsen [L190]

1.7 Speicheldrüsen rösen, sehr wasserhaltigen Speichel (Benninghoff und Drenckhahn 2008; Cheng, Wu und Kwong 2011). Im stimulierten Modus produziert sie bis zu 60 % des gesamten Speichels. Ihr Ausführungsgang mündet in den Mundvorhof gegenüber dem zweiten oberen Molaren. Der Gesichtsnerv, N. fazialis, durchzieht mit seinem Stamm das Parotisparenchym und breitet sich fächerförmig über das Gesicht aus. • Die seromuköse Glandula submandibularis (Unterkieferdrüse) liegt zwischen Unterkiefer und M. diagastricus. Sie produziert dickeren und visköseren Speichel aus seromukösen Zellen (Benninghoff und Drenckhahn 2008; Cheng, Wu und Kwong 2011). Im unstimulierten Zustand produziert sie bis zu 90 % des Gesamtspeichels. Ihr Ausführungsgang endet seitlich des unteren Zungenbändchens. • Die Glandula sublingualis (Unterzungenspeicheldrüse) liegt dem M. mylohyoideus auf. Sie setzt sich aus ca. 50 einzelnen Drüsen zusammen. Die Zungenbewegungen beim Schlucken können diese besser „verformen“ als einen kompakten Drüsenkörper. Sie produziert 2–5 % des Gesamtspeichels (Cheng, Wu und Kwong 2011). LITERATUR Aiken A, Bouloux G, Hudgins P.MR Imaging of the Temporomandibular Joint. Magn Reson Imaging Clin N Am. 2012; 20(3):397–412. Anagiotos A, Preuss SF, Koebke J. Morphometric and anthropometric analysis of Killian`s triangle. Laryngoscope 2010, 120: 1082–8 Aumüller G, Aust G, Doll A, Engele J, Kirsch J, Mense S, Wurzinger LJ. Anatomie. Duale Reihe. 2. Auflage. Georg Thieme Verlag Stuttgart, 2010. Benninghoff A, Drenckhahn D. Anatomie. Band 1. 16. Auflage. Urban Fischer, München Jena, 2008. Bartolome G. Physiologie des Schluckvorganges. Sprache Stimme Gehör 1999, 23: 3–6 Böhme G. Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Band 1: Klinik. 4. Auflage. Urban-Fischer, München Jena, 2003. Bosma JF, Donner MW, Tanaka E, Robertson D. Anatomy of the pharynx pertinent to swallowing. Dysphagia 1986; 1;23–33. Costa MMB, Lemme EM. Coordination of respiration and swallowing; functional pattern and relevance of vocal folds closure. Arg Gastroenterol. 2010; 47:42–8. Cheng SCH, Wu VWC, Kwong DLW, Ying MTC. Assessment of post-radiotherapy salivary glands. British Journal of Radiology 2011; 84: 393–402

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KAPITEL

2

Gudrun Bartolome

Physiologie des ­Schluckvorgangs

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4

Normaler Schluckvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orale Vorbereitungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orale Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pharyngeale Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ösophageale Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



24 25 28 30 36

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

Variationen des normalen Schluckvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normvarianten der Schluckmuster beim gesunden Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kindliches Schlucken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlucken im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



36 39 39 40

2.3 2.3.1 2.3.2

Gestörter Schluckvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Die wichtigsten pathologischen Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Die wichtigsten patho­physiologischen Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2

24

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

Der Schluckvorgang ist definiert als Transport von Nahrung, Flüssigkeit, Speichel und Sekret aus der Mundhöhle durch den Rachenraum und die Speiseröhre bis zum Magen. Gestörtes Schlucken wird als Dysphagie bezeichnet.

2

Schlucken zählt zu den häufigsten Bewegungsvorgängen. Etwa einmal in der Minute schluckt man im Wachzustand zwischen 0,5 und 1,5 ml Speichel (Dodds et al. 1990; Afkari 2007). Während des Tiefschlafs kommen Speichelbildung und Schluckaktivität fast zum Erliegen. Ein Erwachsener schluckt im Schlaf durchschnittlich 3-mal pro Stunde (Sato und Nakashima 2006). Man benötigt etwa 6 min und 32 Schlucke, um eine kleine Mahlzeit einzunehmen, und schluckt alle 20 s, wenn man ein Bonbon lutscht (Martin et al. 1994). Ertekin (2011) unterscheidet 2 Grundtypen der Schluckfunktion: • Willkürlich initiiertes Schlucken (WS) • Spontanes Schlucken (SS) Essen und Trinken geschehen willkürlich und Speichelschlucken in der Regel spontan. Ein hochkoordiniertes Zusammenspiel von etwa 50 Muskelpaaren gewährleistet den sicheren Transport jeglicher Flüssigkeit und Nahrung (Cunningham und Sawchenko 1990). Kontinuierliche sensorische Rückmeldungen ermöglichen die Anpassung an die verschiedenen Schlucksubstanzen. Im Folgenden werden der normale Schluckvorgang, Variationen des normalen Schluckens und die Merkmale des gestörten Schluckaktes dargestellt. Das Verständnis der physiologischen und pathophysiologischen Prozesse bildet neben dem anatomischen und neuroanatomischen Basiswissen die Grundlage für eine problemorientierte Behandlung von Schluckstörungen. Deshalb stehen die für die funktionelle Therapie relevanten Aspekte im Mittelpunkt dieses Kapitels.

2.1 Normaler Schluckvorgang Bereits 1836 stellte Magendie den Schluckvorgang als Dreiphasenereignis dar mit oraler, pharyngealer und ösophagealer Phase (Magendie 1836). Logemann hat die orale Phase noch unterteilt und ein Vierphasenmodell verwendet (Logemann 1983).

Manche Autoren fügen eine 5. Phase, die sog. prä­ orale Phase, hinzu (Leopold und Kagel 1997) und beziehen die Nahrungsaufnahme ein. Letztere ist von vielfältigen Faktoren abhängig. So spielen die Koordination von Haltung und Arm-Hand-Bewegungen, die subjektive Wahrnehmung der dargebotenen Nahrung, psychosoziale Umgebungsfaktoren und neuropsychologische Funktionen eine Rolle. Sehen, Riechen und Zum-Mund-Führen schmackhafter Speisen und Getränke sowie Essen und Trinken in angenehmer Gesellschaft erhöhen die Schluckmotivation und die persönliche Zufriedenheit. In welchem Ausmaß die präorale Phase die Schluckphysiologie beeinflusst, ist bislang noch nicht ausreichend untersucht. Einige Studien haben die antizipatorische Aktivierung schluckrelevanter kortikaler Regionen in der präoralen Phase nachgewiesen (Leopold und Daniels 2010). Im Folgenden wird das am häufigsten verwendete Vierphasenmodell dargestellt. Schlucken ist zwar ein kontinuierlicher Prozess unter Kontrolle mehrerer zentralnervöser Regelkreisläufe (› Kap. 3). Dennoch zeigt sich unter bestimmten Voraussetzungen eine Unabhängigkeit der einzelnen Schluckphasen: • Die orale Phase kann mehrfach initiiert und auch willkürlich unterbrochen werden. • Die pharyngeale Phase hingegen wird rein reflektorisch gesteuert. • Spontanes Speichelschlucken oder Nachschlucken erfolgt häufig ohne Beteiligung der oralen Phase, als rein pharyngealer Schluck. • Bei etwa einem Drittel der Leerschlucke (Schlucke ohne Nahrung/Flüssigkeit) wird keine ösophageale Peristaltik ausgelöst (Lang 2009). Die 4 Phasen des Schluckvorgangs (› Abb. 2.1) 1. Die orale Vorbereitungsphase dient der Boluspräparation, d. h. Zerkleinerung, Einspeichelung und Sammlung der schluckfertigen Nahrung für den weiteren Transport. 2. In der oralen Phase wird der Bolus im Mundraum in Richtung Oropharynx transportiert. 3. Die pharyngeale Phase beginnt mit der Schluckreflexauslösung. Der Bolus wird unter gleichzeitigem Schutz der Atemwege durch den Pharynx in den Ösophagus befördert. Verschließt sich der obere Ösophagussphinkter (OÖS) wieder, ist die pharyngeale Phase beendet.

2.1  Normaler Schluckvorgang 4. In der ösophagealen Phase wird der Bolus mittels peristaltischer Wellen durch die Speiseröhre in den Magen transportiert.

Im Folgenden wird das Vierphasenmodell zugrunde gelegt. Die Unterteilung in einzelne Schluckabschnitte erleichtert das Verständnis. Allerdings sind Modelle i. d. R. rigide und können die Vielfalt von komplexen Abläufen nie vollständig repräsentieren. Abweichungen vom Standardschluckmodell werden deshalb in einem gesonderten Abschnitt besprochen (› Kap. 2.2). Zu diesen gehören: • Variationen der Schluckmuster • Kindliches Schlucken • Schlucken im Alter

2.1.1 Orale Vorbereitungsphase Die orale Vorbereitungsphase ist vollständig willentlich steuerbar und kann jederzeit unterbrochen werden. Sie beinhaltet • die Aufnahme von Speisematerial in den Mund, • das Zerkleinern im Fall von festen oder halbfesten Speisen, • das Vermischen mit Speichel, • die Platzierung des schluckfertigen Bissens (Bolus) auf der Zunge. Nachdem die Speise im Mund auf das vordere bis mittlere Zungendrittel gebracht ist, wird sie über verschiedene Rezeptoren auf Geruch, Geschmack, Temperatur, Konsistenz und Volumen analysiert. So

Abb. 2.1a  Schluckvorgang (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Schluckorgane in Ruhestellung

25

wird sie als zum Essen geeignet oder ungeeignet identifiziert. Im Optimalfall vermitteln die sensorischen Reize ein lustvolles Erlebnis. Das durchschnittliche Bolusvolumen pro Schluck ist u. a. abhängig von Konsistenz, Geschmack, Alter, Körpergröße, Geschlecht und weiteren äußeren Bedingungen, z. B. vom Hungergefühl und emotionalen Faktoren. In der Literatur variieren die Durch­ schnitts­angaben für Flüssigkeitsschlucke bei Männern von 20–25 ml und bei Frauen von 14–20 ml (Lawless et al. 2003). Je höher die Viskosität des Bolus ist, desto kleiner wird das durchschnittliche Bolus­ volumen pro Schluck (Kahrilas und Logemann 1993). Das Grundbewegungsmuster des Kauens verläuft zyklisch mit exakt aufeinander abgestimmten Unterkiefer-, Zungen-, Wangen- und Hyoidbewegungen. Dies erfordert eine differenzierte sensomotorische Kontrolle. Sensible Rückmeldungen über die jeweilige Bolusgröße und -konsistenz bewirken die Anpassung von Bewegungsauslenkung, Bissstärke und Dauer des Kauzyklus. Ständiges sensorisches Feedback verhindert Bissverletzungen während des Kauens. Bewegungsabläufe während der oralen Vor­ bereitungsphase • Lippenadduktion/-protraktion/-retraktion (Kauen) • Wangentonisierung (einseitig auf Kauseite) • Unterkieferabduktion/-adduktion/-rotation/-

protraktion/-retraktion (Kauen) • Zungenlateralisation/-rotation/-protraktion/-retraktion

(Kauen)

2

26

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

2

Abb. 2.1 b–g  Schluckvorgang (modifiziert nach Donner et al. 1985). b Orale Vorbereitungsphase: Bolus in Zungenschüssel, c Orale Phase: Bolustransport in den Oropharynx, d Auslösung des Schluckreflexes: Bolus im Oropharynx, e Pharyngeale Phase: Bolus im Oropharynx, Hypopharynx, f Pharyngeale Phase: Bolus im Hypopharynx, oberen Ösophagussphinkter (OÖS), g Ösophageale Phase: Bolus im Ösophagus

2.1  Normaler Schluckvorgang • Elevation

der Zungenspitze und Vorderzungenränder (Zungenschüsselbildung für Bolussammlung) • Velumdepression (für Boli, die nicht gekaut werden)

Lippen und Wangen Die Lippen sind i. d. R. geschlossen, zugleich kommt es beim Kauen zu Protraktions- und Retraktionsbewegungen. Die Wangenmuskulatur kontrahiert auf der jeweiligen Kauseite. Dies verhindert das Entgleiten von Speiseteilchen aus dem Mund oder in die Wangentaschen.

Unterkiefer Die Unterkieferbewegungen gehen in folgende Richtungen: • Inferior-superior (unten – oben) • Medial-lateral (Mitte – Seite) • Anterior-posterior (vor – zurück) Sie erfolgen während, vor und nach dem Zahnkontakt bzw. dem Kontakt mit dem Oberkiefer. Der Unterkiefer kann ohne eingeschobene Ruhephase von einer Extremposition in die andere bewegt werden (Kennedy und Kent 1988). Das Zungenbein zieht bei der Kieferöffnung nach vorn, in der letzten Öffnungsphase und während der Schließbewegung nach hinten. Größere Bissen werden normalerweise dekantiert, d. h., es wird nur ein Teil zerkaut. Die restlichen Bolusteile verbleiben im vorderen Mundraum (Logemann 1998). Obwohl Kauen ein bilateral koordinierter Vorgang ist, besteht meist eine deutliche Asymmetrie, d. h., viele Menschen kauen überwiegend auf einer Seite.

Zunge Die Zunge macht während des Kauens eine Drehbewegung in Richtung Kauseite. Der zentrale Teil der Zunge und die Zungenseite, auf der gekaut wird, bewegen sich nach posterior-inferior, während sich der Zungenrand auf der ausgleichenden Seite nach anterior-superior bewegt (Kennedy und Kent 1988). Die Tonisierung der Wange auf der Kauseite hilft, das Speisematerial von den Mahlflächen der Zähne

27

auf die Zunge zu transportieren, und verhindert, dass Material in den lateralen Sulkus gelangt und liegen bleibt. Am Ende der Vorbereitungsphase zieht die Zunge das Speisematerial zu einem Bolus zu­ sammen und hält ihn im vorderen bis mittleren Gaumenbereich rundherum umschlossen: Zungenschüssel (Dodds 1989; › Abb. 2.2). Zungenspitze und -ränder liegen an den Alveolen (Zahnfächern), die Hinterzunge ist gehoben. Da Hinterzunge und Velum während des Kauens einander nicht angenähert sind, können Nahrungspartikel vor der Schluckreflexauslösung in die Valleculae fallen. Dies wurde bei etwa einem Drittel aller Schlucke beobachtet und ist nicht als pathologisch zu bewerten (Palmer et al. 1992; Palmer 1998; Hiiemae und Palmer 1999). Bei Flüssigkeiten wird der Schluck, nachdem er im Mund platziert ist, ebenso von der Zunge zusammengezogen und wie oben beschrieben gehalten. Es ist auch möglich, die Flüssigkeit erst in der Mundhöhle umherzubewegen und sie dann ganz oder in Portionen in die Stellung zur Einleitung des Schluckens zu bringen. Breiige Nahrung wird wie Flüssigkeit verarbeitet oder ggf. gekaut.

Velum Während der gesamten Vorbereitungsphase ist das Velum für Nahrungsmittel, die nicht gekaut werden gesenkt. Dies soll verhindern, dass Material vorzeitig in den Oropharynx gelangt. Erhöhte Aspirationsgefahr bei gemischten Kon­ sistenzen Während die feste Substanz zerkaut wird, kann der flüssige Anteil vorzeitig in den Rachen übertreten, da der Schutz durch den Zungen-Gaumen-Verschluss fehlt (Saitoh et al. 2007).

Dauer der oralen Vorbereitungsphase Sie ist individuell sehr unterschiedlich und wird nicht in die orale Transitzeit mit einberechnet.

2

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2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

2

Abb. 2.2  Orale Vorbereitungsphase (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Bolus in Zungenschüssel, b Velumdepression, c Zungenschüssel

2.1.2 Orale Phase

Bewegungsabläufe während der oralen Phase • Lippen-/Unterkieferadduktion (Schluss) • Elevation Zungenspitze, Vorderzungenränder

– Abschluss mit Gaumen, Senkung der Zungenmitte (Zungenfurche für den Bolustransport) • Sequenzielle Zungenelevation/-depression/-retraktion (oraler Transport) • Senkung der Hinterzunge (Rampenbildung für Transport in den Oropharynx) • Wangentonisierung (beidseitig) • Beginn der Velumelevation

Nach J. Cook (Cook et al. 1989) gibt es 2 Schluck­ typen:

• Schneidezahntyp („incisor type“): hält den Bolus auf der Vorderzunge rundherum umschlossen mit der Zungenspitze an den Alveolen oder an der Hinterseite der oberen Schneidezähne. • Schöpflöffeltyp („dipper type“): positioniert den Bolus im vorderen Mundbodenbereich unter der Zunge; holt den Bolus zu Beginn der oralen Phase mit der Zunge auf die Zungenoberfläche; mit dieser Bewegung erreicht die Zungenspitze die oberen Schneidezähne und so verläuft die orale Phase jetzt für beide Schlucktypen gleich.

Lippen, Kiefer, Wangen und Velum Lippen und Kiefer sind geschlossen, die Wangen sind tonisiert. Da die Zunge im Gegensatz zur übri-

2.1  Normaler Schluckvorgang

29

gen Skelettmuskulatur nur an einem Ende fixiert ist, benötigt das andere, freie Ende die Stütze der umgebenden Strukturen, vor allem des Unterkiefers und des harten Gaumens. Die Velumhebung beginnt bereits während des oralen Transports. 2

Versuchen Sie, mit geöffnetem Mund zu schlucken, und achten Sie auf Ihre Zungenbeweglichkeit!

Bei geöffnetem Mund sind die Stützfunktionen unzureichend. Dies erschwert die Zungenbeweglichkeit erheblich!

Zunge und Hyoid Zungenspitze und Vorderzungenränder liegen eng an den Alveolen an. Die Zungenmitte bildet eine Furche, in der der Bolus nach hinten gleiten kann (Dodds et al. 1990; › Abb. 2.3). Die Tiefe der Furche wird dem Bolusvolumen entsprechend moduliert: je größer der Bolus, desto tiefer die Furche. Die Weite der Furche verändert sich mit steigendem Bolusvolumen, jedoch nicht signifikant (Kahrilas et al. 1993). Bei der Bolusaustreibung zieht der gesamte Zungenkörper durch Kontraktion der extrinsischen Zungenmuskulatur synchron mit dem Hyoid ellipsenförmig von vorn nach hinten. Das Hyoid bewegt sich zuerst nach vorn, für die Annäherung der Zunge an den Gaumen nach oben und zum Rücktransport nach hinten (Miller 1999). Durch sequenzielle Kontraktionen der intrinsischen Zungenmuskulatur, an der Zungenspitze beginnend, wird der Bolus am Gaumendach entlang nach hinten geschoben. Zunächst entsteht ein Sog (negativer Druck), dann eine Stoßbewegung nach hinten (positiver Druck). Allerdings haben Kennedy et al. (2010) deutliche individuelle Druckunterschiede festgestellt. Darüber hinaus ist die Höhe des Zungendrucks von der Boluskonsistenz abhängig: Festere Konsistenzen erfordern einen höheren Kraftaufwand als Flüssigkeiten (Reimers-Neils et al. 1994). Genau zum richtigen Zeitpunkt senkt sich dann die Hinterzunge rampenförmig, sodass der Bolus in den Oropharynx gleiten kann.

Abb. 2.3  Orale Phase (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Bolustransport in den Oropharynx, b Sequenzielle Zungenelevation/-retraktion

Beim spontanen Speichelschlucken und beim Nachschlucken zum Abtransport von Nahrungsresten im Rachen findet häufig keine orale Phase statt. Man beobachtet lediglich partielle orale Muskelaktivierungen (Ertekin 2011).

Dauer der oralen Phase Sie beträgt weniger als 1 s und ist abhängig von der Definition der Messpunkte: Meist beginnt die Messung mit dem Einsatz der Zungenspitzenhebung und stoppt, sobald der Bolus die vorderen Gaumenbögen passiert hat.

30

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

2.1.3 Pharyngeale Phase Bewegungsabläufe während der pharyngealen Phase

2

• Schluckreflexauslösung • Velumelevation (velopharyngealer Verschluss) • Zungenbasisretraktion (lingual-pharyngealer Ver-

schluss) • Hyoid-Larynx-Elevation nach anterior • Laryngeale Adduktion (Glottisschluss,

Verengung supraglottisch mit Taschenfaltenschluss, Epiglottisschluss) • Pharyngeale Kontraktion nach inferior (pharyngeale Welle) • Öffnung des OÖS

Schluckreflex Mit der Schluckreflexauslösung setzt die fein abgestimmte reflektorisch gesteuerte Bewegungskette der pharyngealen Phase ein (› Abb. 2.4). Diese unterliegt nicht mehr der willentlichen Steuerung. Die pharyngeale Phase lässt sich zwar durch die Zungenbewegungen der oralen Phase willkürlich initiieren, jedoch nicht beliebig oft auslösen. Versuchen Sie, 4 Mal schnell hintereinander zu schlucken. Achten Sie darauf, ob Sie den Schluckreflex jedes Mal auslösen können!

Abb. 2.4  Auslösung des Schluckreflexes (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Bolus im Oropharynx, b Velumelevation, Beginn der pharyngealen Welle, c Hyoid-Larynx-Elevation, Zungenbasisretraktion, d Laryngealer Verschluss

2.1  Normaler Schluckvorgang Vermutlich ist Ihnen dies nicht gelungen. Damit es zur Schluckreflextriggerung kommt, muss immer ein Schluckbolus vorhanden sein. Auch der motorische Input spielt eine wichtige Rolle. Die Schluckreflexauslösung ist u.a. mit einer spezifischen Aktivierung der submentalen Muskulatur verbunden (Dua et al. 1997). Für die Wahrnehmung des Bolus benötigt man die Geschmacks-, Chemo-, Thermo- und die Mechanorezeptoren des Tastsinns. Letztere reagieren auf Berührung und leichten Druck. Den motorischen Input vermitteln die Mechanorzeptoren der Propriozeption, die über Muskelspannung, Muskellänge, Gelenkstellung und Bewegung informieren. Die isolierte Betäubung einzelner oropharyngealer Triggerareale beeinträchtigt die Schluckreflexauslösung nicht wesentlich (Hannig 1995). Eine Ausnahme bildet der Larynx. Die meisten laryngealen sensorischen Rezeptoren liegen in der supraglottischen Schleimhaut, in der Nähe der Aryknorpel. Interessanterweise besitzt die Unterseite der Epiglottis mehr sensorische Rezeptoren als die Zunge. Vermutlich führt eine Anästhesie des Larynx deshalb vermehrt zu Penetration und Aspiration (Übersicht in Steele und Miller 2010). Schluckreflexauslösezonen variieren Sie können interindividuell erheblich variieren und von den vorderen Gaumenbögen bis zu den Sinus piriformes reichen. Man unterscheidet (Rüffer 2012): • Späte Schluckreflextriggerung („late swallow“): Ihr folgt ein normaler pharyngealer Schluckablauf. • Verspätete Triggerung („delayed swallow“): Dabei kommt es zu pathologischen Symptomen mit vermindertem Schutz der oberen Luftwege (Penetration, Aspiration).

Früher war man der Meinung, der Schluckreflex sollte ausgelöst werden, sobald der Boluskopf (bei Lateralansicht des Kopfes) die Höhe des Schnittpunkts zwischen Mandibula und Zungenbasis erreicht hat. Mittlerweile kennt man verschiedene Normvarianten. Unter folgenden Bedingungen spricht man von später, aber noch normaler Schluck­reflex­auslösung: • Im Alter (> 60 Jahre) verlagern sich die Hauptauslösezonen weiter nach hinten in Richtung Valleculae (Robbins 1996; Leonard und McKenzie 2006; Martin-Harris 2007).

31

• Beim Kauen fester Substanzen fallen bereits vor

der Schluckreflexauslösung Bolusteile in die Valleculae (Palmer et al. 1992; Palmer 1998; Hiiemae und Palmer 1999). • Etwa ein Drittel der Normalschlucker löst beim Trinken (Einzelschlucke) den Schluckreflex erst unterhalb der Valleculae aus (Leonard und McKenzie 2006). • Beim schnellen Trinken aus Tasse oder Strohhalm (konsekutive Schlucke) gelangt die Flüssigkeit bereits vor Schluckreflextriggerung bis in den unteren Pharynxraum (Daniels und Foundas 2001; Chi-Fishman und Sonies 2002; Daniels et al. 2004). • Beim spontanen Schlucken wird der Schluckreflex später ausgelöst als beim Schlucken auf verbale Aufforderung (Martin-Harris et al. 2007).

Velopharyngealer Verschluss Die Velumhebung beginnt bereits in der oralen Phase und dauert während der pharyngealen Phase an. Hebung des Gaumensegels und die Vorwölbung der gegenüberliegenden Rachenwand (Kontraktion des M. constrictor pharyngis superior) dichten den Nasenraum ab. Somit wird das Eindringen von Nahrung oder Flüssigkeiten in die Nase (nasale Penetration) verhindert (› Abb. 2.4 b).

Lingual-pharyngealer Verschluss und pharyngeale Welle Sobald das Bolusende den Zungengrund erreicht hat, kommt es zu einer kräftigen Rückwärtsbewegung der Zungenbasis an die Rachenhinterwand, die ihrerseits kontrahiert (Shawker et al. 1983; Hamlet et al. 1989; McConnel et al. 1989; Mendelsohn 1993). Die pharyngeale Welle beginnt im unteren Teil des oberen Pharynxkonstriktors und pflanzt sich schlundabwärts fort (› Abb. 2.4 b, › Abb. 2.5). In Höhe der Valleculae teilt sich der Bolus. Die größten Bolusanteile fließen seitlich am Kehldeckel vorbei in die Recessus piriformes, ein kleinerer Teil überspült die Epiglottisspitze. Die pharyngeale Welle ist ein koordinierter Vorgang mit unterschiedlichem Druckaufbau. Es beginnt mit niedriger Druckgenerierung in Höhe des Boluskopfes, gefolgt von mode-

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2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

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Abb. 2.5  Pharyngeale Phase (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Bolus im Oropharynx, Hypopharynx, OÖS, b Epiglottisschluss, Larynxschluss, Relaxation des OÖS, c Zunge bleibt posterior (an Pharynxrückwand), d Pharyngeale Welle

ratem Druck während der pharyngealen Boluspassage und einem hohen Druck am Bolusende. Dann setzt eine noch stärkere Druckwelle ein, die der pharyngealen Reinigung dient (Walczak et al. 2017). Etwa 20 % der Gesunden schlucken über eine Rachenseite ab (Logemann et al. 1989).

Hyoid und Larynx Nahezu zeitgleich mit der Zungenbasisretraktion bewegen sich Hyoid und Larynx nach superior-ante­ rior (› Abb. 2.4 c). Der Larynx ist mit dem Hyoid durch die Membrana thyreohyoidea und die gepaar-

ten thyreohyoidalen Muskeln verbunden. Durch die Kehlkopfanteriorbewegung wird der Rachenraum erweitert und somit der Weg für eine ungehinderte Boluspassage freigegeben. Gleichzeitig kürzt die Kehlkopfhebung den Pharynx um etwa ein Drittel seiner Länge. Die Kehlkopfhebung besteht aus 2 Phasen (Kendall et al. 2003): 1. Annäherung der Aryknorpel an die Epiglottis 2. Hebung des Hyoid und Larynx nach vorn durch Kontraktion der suprahyoidalen Muskeln (Muskeln zwischen Kinn und Zungenbein) Die Angaben der Mittelwerte der Hyoid- und Kehlkopfhebung bei gesunden Erwachsenen variieren in der Literatur erheblich (Molfenter und Steele 2011):

2.1  Normaler Schluckvorgang

• Hyoidhebung: 7,6–18 mm nach anterior, 5,8–

25 mm nach superior. • Kehlkopfhebung: 3,4–8,2 mm nach anterior, 21,2–33,9 mm nach superior. Um den Einfluss anatomischer Unterschiede auszuschließen, ist in neueren Studien häufig die prozentuale Relation der Messwerte (mm) zum Abstand der Halswirbelkörper C2 und C4 angegeben (% C2– C4 Distanz). Für die Hyoid- und Kehlkopfanteriorbewegung scheinen Kiefer- und Kopfstabilität und die relaxierte Ausgangslage der suprahyoidalen Muskeln eine wichtige Rolle zu spielen. Versuchen Sie, mit geöffnetem Mund und nach oben gestrecktem Kinn zu schlucken. Achten Sie darauf, ob Sie den Kehlkopf mühelos nach vorn heben können!

Zusätzlich schützt der 3-fache Kehlkopfverschluss die Luftwege (› Abb. 2.4 d, › Abb. 2.5 b): 1. Nach traditioneller Sichtweise kommt es unmittelbar vor der Kehlkopfhebung durch Atemstopp zum Glottisschluss. Allerdings gibt es Untersuchungen, bei denen bereits bei Eintritt des Bolus in den Pharynx ein reflektorischer Glottisschluss beobachtet wurde, selbst wenn dies noch während der oralen Phase geschieht (Flaherty et al. 1995; Dua et al. 1997). In der Regel wird während der Exspirationsphase geschluckt und nach dem Schlucken mit der Residualluft ausgeatmet. Dies ergibt den Atemzyklus Inspiration – Exspiration – Schluckapnoe während des Glottisschlusses – Exspiration (E-E-Zyklus). Seltener erfolgt unmittelbar nach dem Schlucken die Inspiration (E-IZyklus) (Hardemark Cedborg et al. 2010). 2. Der Kehlkopfeingang beginnt sich bereits vor der Epiglottissenkung durch Adduktion und Aufwärtskippung der Aryknorpel zu verengen und bietet dadurch einen gewissen Schutz vor laryngealer Penetration (Abe und Tsubahara 2011). Des Weiteren verengen die oberhalb der Stimmlippen liegenden Taschenfalten durch Kon­trak­ tion des M. ventricularis den supraglottischen Raum. 3. Die Epiglottis besteht aus Knorpelstiel (Petiolus) und Knorpelkörper. Der Stiel ist durch das Lig. thyreoepiglotticum am Schildknorpel und das Lig. hyoepiglotticum am Zungenbein befestigt.

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Die Epiglottiskippung ist ein multifaktorielles Geschehen (Vandaele et al. 1995): – Phase I: Bereits durch die Zungenbasisretrak­ tion kommt es zu einer Kippung in die Horizontale. Allerdings tritt diese initiale Senkung bei etwa 20 % der Normalschlucker nicht auf. – Phase II ist entscheidend für das vollständige Durchkippen der Epiglottis. Sie beginnt zeitgleich mit der Hyoid- und Kehlkopfhebung nach vorn. Wird der Epiglottisstiel während der Kehlkopfhebung durch die Traktion der hyoepiglottischen Ligamente nach vorn oben gezogen, kippt der Körper nach hinten. Dabei wird das präepiglottische Fettgewebe zwischen Zungenbein und Schildknorpel komprimiert. Auch die Anteriorbewegung des Hyoids an sich fördert durch zusätzliche Traktion das Durchkippen, insbesondere wenn präepiglottisches Fettgewebe die Senkung einschränkt. Schließlich wirkt auch der Bolusdruck von oben an der Epiglottiskippung mit. 3-facher Kehlkopfverschluss 1. Stimmlippenschluss 2. Verengung des supraglottischen Raums 3. Epiglottisschluss

Entscheidend für das vollständige Durchkippen der Epiglottis ist die Hyoid-Kehlkopf-Hebung nach vorn (Van­ daele et al. 1995). Die aryepiglottischen Muskeln können nicht, wie häufig angenommen, direkt an der Epiglottiskipppung beteiligt sein, da deren Fasern nicht am Kehldeckel inserieren.

Öffnung des oberen Ösophagus­ sphinkters (OÖS) Der obere Ösophaguseingang besteht im Wesentlichen aus der Muskelschlinge des M. cricopharyngeus. Diese zieht von den beiden Cornua inferiores des Schildknorpels und der Seitenfläche des Ringknorpels zur Rachenhinterwand. Wegen der anatomischen Vielfalt werden inferiore Anteile des unteren Schlundschnürers und superiore Abschnitte des zervikalen Ösophagusab-

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2

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

schnitts dem oberen Ösophagussphinkter zugesprochen. Deshalb spiegelt die (kaum gebräuchliche) Bezeichnung „pharyngoösophageales Übergangssegment“ die anatomischen Begebenheiten korrekter wider (› Kap. 1). Zur Vereinfachung wird im weiteren Textverlauf jedoch die gängige Bezeichnung oberer Ösophagussphinkter oder OÖS beibehalten. Die Öffnung des OÖS (› Abb. 2.6) ist ebenfalls ein komplexes Phänomen und lässt sich in 5 Phasen einteilen (Jacob et al. 1989): 1. 0,1 s vor der Larynxelevation relaxiert der OÖS. 2. Die initiale Öffnung wird durch die Larynxbewegung nach superior-anterior bewirkt und beträgt ca. 6 mm (Lang und Shaker 1994). Da die Muskelschlinge an Kehlkopf und Rachenhinterwand

fixiert ist, kommt es durch die Kehlkopfanteriorbewegung zur passiven Aufdehnung. Sphinkterrelaxation und -öffnung sind voneinander unabhängige, aber koordinierte Ereignisse: Der Sphinkter muss sich erst entspannen, bevor er durch die Larynxbewegung nach superior-ante­ rior aufgezogen werden kann (Cook 1993). 3. Der Bolusdruck reguliert die OÖS-Öffnungsweite, die so jedem einzelnen Schluckbolus angepasst wird (vgl. Unterkapitel „Für jeden Bolus die passende OÖS-Öffnungsweite“). 4. Der Sphinkter „kollabiert“, wenn der Bolus in den Ösophagus transportiert ist und Hyoid und Larynx wieder gesenkt sind. Diese Phase entspricht der Relaxationsphase, d. h., der Muskel ist nicht mehr geöffnet, aber noch nicht tonisiert.

Abb. 2.6  Pharyngeale Phase (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Bolus im Hypopharynx, OÖS, b Epiglottis und Larynx bleiben geschlossen, Relaxation des OÖS, Öffnung des OÖS, c Beginn der Velumsenkung, pharyngeale Welle

2.1  Normaler Schluckvorgang 5. Mit dem Ankommen der pharyngealen Kontraktion am OÖS besteht wieder ein Dauertonus im Speiseröhreneingang. Nasopharyngealer Verschluss und Glottis sind wieder geöffnet, das System ist auf Atmung umgestellt. Die pharyngeale Phase ist damit beendet. Die Dauer der OÖS-Öffnung hängt mit der Dauer der Superior-anterior-Bewegung von Hyoid und Larynx zusammen. Die bisherige Meinung, dass sich der OÖS immer schon vor Ankunft des Bolus öffnet, hat sich in einer Folgestudie nicht bestätigt (Molfenter et al. 2014). 5 Phasen der Öffnung des OÖS 1. Relaxation 2. Öffnung 3. Erweiterung der Öffnung 4. Kollaps 5. Schluss

Dauer der pharyngealen Phase Sie beträgt maximal 1 s, beginnt mit der Schluckreflexauslösung, definiert als maximale Hyoid-Larynx-Hebung, und endet mit dem Schluss des oberen Ösophagus­ sphinkters.

Für jeden Bolus die passende OÖS-Öffnungsweite Wir schlucken unterschiedliche Bolusvolumina. Damit der Bolus die OÖS-Öffnung passieren kann, passt sich die Öffnungsweite dem jeweiligen Volumen an. Hierfür spielt der pharyngeale Bolusdruck eine entscheidende Rolle (McConnel et al. 1989). Da es sich beim oropharyngealen Schluckweg um ein geschlossenes Röhrensystem handelt (oropharyngeale und ösophageale Röhre mit Lippenschluss, Zungenbasis-Rachen-Verschluss, Schluss des oberen und unteren ÖS), funktionieren die Druckmechanismen gemäß den Boyle-Gesetzen: Wird ein Teil der Röhre zusammengedrückt, nimmt das Bolusvolumen ab und der Druck steigt; ist der Druck im nächsten Abschnitt niedriger, entsteht ein Unterdruck und der Bolus wird angesaugt. Der pharyngeale Bolusdruck setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen (› Abb. 2.7): • Zungenschubkraft • Hypopharyngealer Saugpumpenstoß • Pharyngeale Kontraktion und Schwerkraft

Zungenschubkraft Die Zunge befördert als maßgebliche Kraft den Bolus in den Schlund hinab (Mendelsohn 1993). Die Kraft überträgt sich auf den Bolus und wird in Höhe des Aditus laryngis manometrisch als Intrabolusdruck gemessen. Das Bolusvolumen zieht sich beim

• Boluseintritt • Druck durch Zungenschub

• Boluspassage • Sogwirkung durch Raumerweiterung infolge Hyoid-Larynxhebung nach anterior

• Bolusaustreibung • Druck durch pharyngeale Kontraktion und Schwerkraft

Abb. 2.7  Pharyngealer Bolusdruck [P408]

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36

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

Transport durch den Pharynx in die Länge. Dadurch zeigt das Bolusende die Form eines umgekehrten „V“. Die Schubkraft wirkt nur auf den Boluskopf, der sich folglich schneller bewegt. Die Zungenschubkraft steigt signifikant mit erhöhter Viskosität (Miller und Watkins 1996). 2

Hypopharyngealer Saugpumpenstoß Infolge der Raumerweiterung durch die Kehlkopfhebung nach anterior und durch den geöffneten und erweiterten Speiseröhreneingang entsteht ein Unterdruck, der den Bolus nach unten zieht. Über dem OÖS wird dann manometrisch ein negativer Druck gemessen (Hamlet et al. 1989). Man nennt den Vorgang hypopharyngealer Saugpumpenstoß.

Pharyngeale Kontraktion und Schwerkraft Die pharyngeale Kontraktion, beginnend im unteren Teil des oberen Pharynxkonstriktors, und die Schwerkraft treiben das Bolusende schlundabwärts (Cerenko et al. 1989). Der Druckaufbau durch die Zunge und der hypopharyngeale Saugpumpenstoß scheinen für den pharyngealen Bolusdruck wichtiger zu sein als der Druck durch die pharyngeale Welle und die Schwerkraft. Die Rachenkontraktion scheint vorrangig als Reinigungswelle zu wirken (McConnel et al. 1989).

Man unterscheidet primäre und sekundären Pe­ ris­taltik: • Die primäre Peristaltik wird vom Schluckreflex ausgelöst und befördert den Bolus durch die Speiseröhre. Sie verläuft kontinuierlich mit 2–4 cm/s abwärts bis zur Ampulla epidiaphragmatica, der ösophagealen Ausweitung unmittelbar vor dem Mageneingang. Beim Schlucken in aufrechter Position wird der Transport des Bolus durch die Schwerkraft unterstützt. Die Öffnung des unteren Sphinkters ist schluckreflektorisch gesteuert und geht der primären Welle voraus. Normalerweise ist die Schlucksequenz mit dem Ankommen der primären Welle am UÖS und dem folgenden Sphinkterschluss beendet. • Die sekundäre peristaltische Welle oder Reini­ gungswelle, wird durch einen lokalen Dehnungsreiz im Ösophagus ausgelöst (Wuttge-Hannig et al. 1991). Sie befördert liegen gebliebene Nahrungsreste in den Magen. Ist die Schlucksequenz beendet, besteht auf dem oberen und unteren Ösophagussphinkter Dauertonus. Der obere Sphinkter verhindert das Eindringen von Luft in die Speiseröhre während der Inspiration, der untere verhindert einen Reflux aus dem Magen in die Speiseröhre. Dauer der Ösophagusphase Die Boluspassage dauert 4–20 s, gemessen vom Eintritt des Bolus in die Speiseröhre bis zum Mageneintritt. Sie verlängert sich mit steigendem Alter.

2.1.4 Ösophageale Phase

Bewegungsabläufe während der ösophagealen Phase • Peristaltische Wellen • Öffnung des unteren

im Ösophagus Ösophagussphinkters

Die Ösophagusphase beginnt mit dem Ankommen der pharyngealen Kontraktion am OÖS und dem dann folgenden Schluss des OÖS (› Abb. 2.8). Der Bolus wird über peristaltische Wellen vom oberen zum unteren Ösophagussphinkter (UÖS) durch die Speiseröhre in den Magen befördert.

2.2 Variationen des normalen Schluckvorgangs Die folgenden Informationen sollen helfen, normales Schlucken von pathologischen Vorgängen abzugrenzen. Die geschilderten Beobachtungen an Gesunden beruhen meist auf Ergebnissen mit kleinen bis mittleren Stichprobengrößen. Gelegentlich finden sich auch widersprüchliche Angaben. Dennoch sind die Resultate aufschlussreich, da jeder Einzelfall, der von der Norm abweicht, das bisherige Modell des „normalen Schluckens“ infrage stellt.

2.2  Variationen des normalen Schluckvorgangs

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2

Abb. 2.8  Ösophageale Phase (modifiziert nach Donner et al. 1985). a Bolus im Ösophagus, Umstellung auf Atmung, b Velum senkt sich, c Zunge bewegt sich nach anterior, Hyoid senkt sich, d ­Larynx senkt und öffnet sich, e Schluss des OÖS

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2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

Tab. 2.1  Studienergebnisse zu Normvarianten der Schluckmuster beim gesunden Erwachsenen Anpassung an die Boluskonsistenz • Vorzeitiges

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Entgleiten von Bolusteilen beim Kauen fester Speisen in den Pharynx, da kein Hinterzungen-Velum-Kontakt (Palmer et al. 1992; Dua et al. 1997; Palmer 1998; Hiiemae und Palmer 1999) • Höherer oraler Zungendruck bei großer Viskosität (Reimers-Neils et al. 1994) • Erhöhte Aktivität der submentalen Muskeln bei großer Viskosität (Watts und Kelly 2015) • Reflektorischer Atemstopp bei festen Speisen, sobald Bolusteile die Valleculae erreichen (Palmer und Hiiemae 2003) • Größere Hyoidhebung nach superior und anterior bei festen Konsistenzen (Ishida et al. 2002; Inokuchi et al. 2016) • Bei angedickter Flüssigkeit größere und schnellere Hyoidhebung als bei dünnflüssig (Nagy et al. 2015) • Bei dünnflüssig schnellerer Transport in Hypopharynx und längere Verweildauer im Hypopharynx, früherer und länger andauernder Glottisschluss als bei dickflüssig (Inamoto et al. 2013) • Längere Dauer der OÖS-Öffnung bei Flüssigkeiten (Corbin-Lewis et al. 2005) Anpassung an das Bolusvolumen Große Boli: • Frühere Schluckreflexauslösung und stärkere Kontraktion der submentalen und infrahyoidalen Muskeln (Dantas et al. 1990; Dantas und Dodds 1990; Chi-Fishman et al. 2002) • Größere Hyoidhebung nach anterior und superior (Molfenter und Steele 2011; Barikroo et al. 2015) • Frühere Schluckapnoe (Hiss et al. 2004) und länger anhaltend (Hiss et al. 2001) • Längere Gesamttransitzeit und längere Dauer der OÖS-Öffnung (Hoffmann et al. 2010), frühere und weitere OÖS-Öffnung bei gleichbleibender Dauer der submentalen Muskelaktivität (Cock et al. 2017) Kleine Boli: • Höherer Zungenbasisdruck (Hoffmann et al. 2010), höherer negativer Druck über OÖS (Gumbley et al. 2008) • Meist rein pharyngeales Schlucken beim spontanen Speichelschlucken und beim Nachschlucken (Ertekin 2011), also bei sehr kleinen Boli Einfluss intensiver Geschmacksreize • Höherer oraler Zungendruck (Pelletier und Dhanaraj 2006) • Frühere Kontraktion der submentalen und infrahyoidalen Muskeln (Ding et al. 2003) • Stärkere Kontraktion der submentalen Muskeln (Ding et al. 2003; Palmer et al. 2005)

Personenabhängige Unterschiede • Variabilität der Schluckreflexauslösezonen – vgl. späte Schluckreflextriggerung (Rüffer 2012) • Abschlucken über nur eine Rachenseite bei 20 % (Logemann et al. 1989) • Variabilität der Angaben zu Hyoid-Larynx-Hebung – Hyoid nach anterior 7,6–18 mm, nach superior

5,8–25 mm, Larynx nach anterior 3,4–8,2 mm, nach superior 21,2–33,9 mm (Molfenter und Steele 2011) • Gelegentlich laryngeale Penetration bei Flüssigkeiten mit Reinigung (Daggett et al. 2006) • Bei Frauen früherer laryngealer Verschluss (Kurosu und Logemann 2010) • Variabilität der pharyngealen Drücke innerhalb einer Untersuchung und bei wiederholten Untersuchungen (Macrae et al. 2011) Einzel- vs. Mehrfachschlucke • Bei • Bei

80 % späte Schluckreflexauslösung beim Trinken in Einzelschlucken (Martin-Harris et al. 2007) etwa 50 % hypopharyngeales Pooling bei Mehrfachschlucken: – Bei Typ I Hochkippen der Epiglottis nach jedem Schluck – Bei Typ II bleibt Epiglottis gesenkt – Typ III ist gemischt (Daniels und Foundas 2001; Daniels et al. 2004) und reduzierte Hyoidhebung (Chi-Fishman und Sonies 2002) • Bei Mehrfachschlucken kürzere Dauer der oralen Transitzeit und der OÖS-Öffnung (Chi-Fishman und Sonies 2002) Schlucken auf verbale Aufforderung (verglichen mit spontanem Schlucken) • Bolus wird weiter hinten auf der Zunge gehalten (Daniels et • Kürzere orale Transitzeit (Daniels et al. 2007) • Frühere Schluckreflexauslösung (Martin-Harris et al. 2007)

al. 2007)

2.2  Variationen des normalen Schluckvorgangs

2.2.1 Normvarianten der Schluckmuster beim gesunden Erwachsenen Verschiedene Variablen beeinflussen beim Gesunden die Schluckphysiologie. Dazu gehören › Tab. 2.1): • Anpassungen an Boluskonsistenz und -volumen • Einfluss des Geschmacks • Personenabhängige Faktoren • Unterschiede zwischen Einzel- und Mehrfachschlucken • Unterschiede zwischen spontanem Schlucken und Schlucken auf verbale Aufforderung. Der letzte Punkt betrifft insbesondere die Untersuchungssituation.

2.2.2 Kindliches Schlucken Das kindliche Schlucken unterscheidet sich vom Schluckmuster des Erwachsenen. Die Anatomie von Pharynx, Larynx und Mund zeigt andere Größenrelationen (› Abb. 2.9): • Der Pharynx ist wesentlich kürzer, Larynx und Hyoid liegen höher, die Aryknorpel sind im Vergleich zum Larynxeingang größer. • Weicher Gaumen, Zunge und Epiglottis stehen enger zusammen. • Die Mundhöhle ist viel kleiner, sodass die Zunge den gesamten oralen Raum ausfüllt. Zudem liegt sie mehr anterior als beim Erwachsenen. Nasenhöhle

Während der kindlichen Entwicklung verlängert und vergrößert sich der Pharynx. Weicher Gaumen, Larynx und Zunge verändern ihre Position und ihre Dimension. Schlucken ist die 1. Funktion des Pharynx und beginnt in der 12. Lebenswoche des Fetus. Saugen beginnt etwa mit der 18. Woche. Es erfasst alle oralmotorischen Strukturen (Arvedson et al. 1997). Der Fetus trinkt über Saugbewegungen Fruchtwasser. Dabei löst die Stimulation der oberen laryngealen oder der glossopharyngealen Nerven das Schlucken aus. Beim Neugeborenen und Kleinkind besteht das Saug-Schluck-Muster aus rhythmischen, ganzheitlichen Bewegungen, die jedoch nicht so konstant verlaufen wie bislang angenommen (Lang et al. 2011). Manche zeigen einen Rhythmus aus wenigen Saugbewegungen und einer anschließenden Pause. Andere saugen ohne Unterbrechung 2–3 min lang. Auch die Bewegungsamplitude nimmt im Verlauf einer Mahlzeit ab. Die Brustwarze (oder der Sauger) liegt im vorderen Mundraum zwischen Zunge und Gaumen. Die Lippen umschließen die Mamilla, der Pharynx ist offen, und es besteht Nasenatmung, die durch den Hochstand des Larynx möglich ist. Die Spitze des Nippels ist von der Zunge völlig umschlossen (Eishima 1991). Intraoraler Druck wird durch eine Infe­ rior­bewegung des Unterkiefers bei geschlossenem Mund geschaffen. Dann werden Zunge und Unterkiefer gegen den Oberkiefer und die gespannte weicher Gaumen mit Uvula

Harter Gaumen Rachenwand Zunge

Epiglottis Vallecula

Abb. 2.9  Kindliche Schluckorgane in Ruhe [L234]

Mandibula

Larynx

Hyoid

Cricoid

Thyroid

Ösophagus

Trachea

39

2

40

2

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

Oberlippe gehoben. Die Brustwarze wird gedrückt und Flüssigkeit herausgesaugt. Der angesaugte Bolus dringt durch eine Rückwärtsbewegung der Zunge in den Oropharynx ein. Unterkiefer und Zunge verlagern sich nach inferior, sodass die Brustwarze nicht mehr gedrückt wird. Gleichzeitig nähern sich weicher Gaumen und Hinterzunge einander an. Dadurch werden oraler und pharyngealer Raum separiert. Die pharyngeale Phase beginnt mit der Velumelevation und der Anteriorbewegung der Pharynxrückwand. So wird der Bolus durch den Hypopharynx in den Ösophagus transportiert. Wie beim Erwachsenen wird der OÖS durch die Hyoid- und Larynxbewegung nach superior-anterior geöffnet. Das Bewegungsausmaß ist beim Kind kleiner, da Hyoid und Larynx in Ruhe höher liegen. Die Anteriorbewegung der Pharynxrückwand ist dagegen größer als beim Erwachsenen (Logemann 1998). Vorherrschendes Bewegungsmuster der Zunge bis zum 4. Lebensmonat ist eine Vor-Zurück-Bewegung, wobei die Rückwärtsbewegung ausgeprägter ist (Bosma 1992). Ab dem 4.–6. Monat kann der Säugling den Zungenkörper heben und senken, wodurch die vertikalen Kieferbewegungen kleiner werden. Jetzt kann die Gabe von Breikost mit dem Löffel beginnen. Anfangs saugt der Säugling den Brei mit geschlossenen Lippen vom Löffel, ähnlich wie er den Nippel umschließt. Tab. 2.2  Kindliches Schlucken von der Geburt bis zum Alter von 12 Monaten Alter

Schluck­ bewegungen

Geburt bis Saugen mit einfazu 6 Mo- cher Vor- und naten Rückwärtsbewegung der Zunge

Nah­ rung

Nahrungs­ zuführung

Milch, Brust, Flasche Tee

4–6 Monate

AufwärtsbeweBrei gung der Zunge, kleinere vertikale Kieferbewegungen

Beginn Löffelgabe

7–9 Monate

Beißbewegungen, seitliche Zungenbewegungen

weiche Löffel, Beginn Kost Trinken aus Becher

10–12 Monate

Kaubewegungen

Beginn Löffel, zunehfestere mend Trinken Kost aus Becher, Essen mit Fingern

Ungefähr ab dem 7. Monat fängt das Kind zu beißen an, und es zeigen sich langsam seitliche Zungenbewegungen. Das Kauen beginnt etwa ab dem 10.– 12. Monat und ist im Alter von 3–6 Jahren vollständig entwickelt. In einer Pilotstudie mit Säuglingen und Kleinkindern bis zu 4 Jahren stellten Weckmüller et al. (2011) keinen Unterscheid in der Bolustransitzeit fest. Dies lässt eine biomechanische Anpassung der Schluckmechanismen an die veränderten Größenverhältnisse vermuten. › Tab. 2.2 fasst die Entwicklung des kindlichen Schluckens von der Geburt bis zum Alter von 12 Monaten zusammen.

2.2.3 Schlucken im Alter Altersbedingte Um- und Abbauprozesse können sich auf den Schluckvorgang auswirken. Sie müssen nicht zwingend zu behandlungsbedürftigen Schluckproblemen führen. Für die Therapie ist es deshalb wichtig, zwischen Presbyphagie (gr. presby = alt) und Dysphagie zu unterscheiden. Presbyphagie bezeichnet die Veränderungen der Schluckorgane und der Schluckfunktion während des normalen Alterungsprozesses. Die Altersgrenze wird in den einzelnen Studien unterschiedlich definiert, meist umfasst sie die Gruppe der über 60-Jährigen. Zu den altersspezifischen Veränderungen der Schluckorgane zählen (Corbin-Lewis et al. 2005): • Nachlassen der Elastizität des Bindegewebes mit Gewebeverhärtungen, Verdickungen und Fetteinlagerungen • Abbau von Muskelmasse (gr. Sarkopenie = Fleischverlust), Reduktion von Kraft und Ausdauer, Bewegungsverlangsamung • Bewegungseinschränkung des Kiefergelenks, Veränderung der Kieferstellung (Bisslage/Okklusion) durch Zahnverlust • Abnahme der Speichelproduktion • Verlangsamung der Nervenleitungsgeschwindigkeit und Abnahme der Geruchs- und Geschmacksempfindung. Interessanterweise sind bei gesunden Älteren kortikale Reorganisationsmechanismen beobachtet worden. So wurden bei älteren Probanden die sensomotorischen kortikalen Areale während des Schluckens stärker aktiviert. Vermutlich kompensiert eine stär-

2.3  Gestörter Schluckvorgang

41

Tab. 2.3  Studienergebnisse zu möglichen altersspezifischen Veränderungen der Schluckfunktion Reduzierte Kraft, veränderte Bewegungsamplitude, Veränderungen der Druckverhältnisse • Reduzierter Zungendruck gegen den Gaumen bei isometrischen Übungen und beim Schlucken (Robbins et al. 2016) • Eingeschränkte Pharynxkontraktion (Tracy et al. 1989); gegenteiliges Ergebnis bei Kendall und Leonard (2001), sogar

größere Pharynxkontraktionsamplitude (vermutlich als Kompensationsmechanismus; Van Herwaarden et al. 2003) • Reduzierte Hyoidhebung (Logemann et al. 2000) • Verminderte OÖS-Öffnungsweite (Logemann et al. 2000); gegenteiliges Ergebnis bei Leonard et al. (2004) • Vermehrt pharyngeale Residuen in Valleculae und Sinus piriformes (Dejaeger et al. 1997; Yoshikawa et al.

2005);

kaum pharyngeale Residuen (Kelly et al. 2008) • Unvollständige OÖS-Relaxation (Dejaeger et al. 1994) • Reduzierter OÖS-Ruhetonus (Bardan et al. 2000; Van Herwaarden et al. 2003) Veränderungen des zeitlichen Ablaufs • Spätere Schluckreflexauslösung (Robbins et al. 1992; Robbins 1996; Logemann • Verlängerte Dauer der Schluckapnoe (Hiss et al. 2001) • Verlängerte Gesamttransitzeit (Robbins 1996; Leonard et al. 2004) • Verspäteter Beginn der OÖS-Relaxation (Shaw et al. 1995) • Längere OÖS-Öffnungsdauer (Robbins et al. 1992; K ­ urosu et al. 2010)

et al. 2000)

Reduzierte Sensibilität, verminderte Speichelproduktion • Reduzierte orale Sensibilität (Smith et al. 2006) • Reduzierte laryngeale und pharyngeale Sensibilität (Aviv et al. 1994; Dua et al. 2014) • Verminderte, medikamentenunabhängige Speichelproduktion (Affoo et al. 2015)

Veränderte Schluckmuster • Häufiger Mehrfachschlucke für einen Bolus (Nilsson et al. 1996) • Häufiger Inspiration nach dem Schlucken (normal Exspiration; Martin-Harris et al. 2005) • Vermehrt vorzeitiges Übertreten von Bolusteilen in den Pharynx (Tracy et al. 1989) • Vermehrt laryngeale Penetration auch bei nichtflüssigen Konsistenzen, jedoch mit Reinigung (Daggett et al. 2006)

kere Rekrutierung der kortikal aktiven Areale altersabhängige Beeinträchtigungen des Schluckablaufs (Teismann et al. 2009). Kommen zu den altersbedingten Um- und Abbauprozessen weitere Beeinträchtigungen hinzu, z. B. akute Erkrankungen, Operationen, degenerative neurologische Prozesse, Medikamente, die sich negativ auf den Schluckvorgang auswirken etc., entwickelt sich aus der Presbyphagie eine Dysphagie. Kognitive Abbauprozesse wie Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Antrieb können insbesondere die oralen Schluckphasen beeinträchtigen. So summieren sich bei älteren Personen vielfältige Veränderungen. Die tatsächliche Ursache der Schluckstörung lässt sich dann schwer herausfinden. In der amerikanischen Literatur wird die Häufigkeit von Schluckstörungen bei Älteren abhängig vom Grad der Selbstständigkeit mit 15–40 % angegeben. So leiden 40 % der Personen, die auf ambulante Pflege angewiesen sind oder in Pflegeeinrichtungen leben, an einer Schluckstörung (Barczi et al.

2000). Allgemein gelten eine verminderte Zungenmotilität und skelettaler Muskelabbau bei pflegebedürftigen Älteren als Risikofaktor für die Entwicklung einer Dysphagie (Murakami et al. 2015). › Tab. 2.3 fasst mögliche altersphysiologische Veränderungen des Schluckvorgangs zusammen, wobei die Grenze zwischen Presbyphagie und Dysphagie fließend sein kann.

2.3 Gestörter Schluckvorgang Prinzipiell ist zwischen pathologischen Symptomen und deren pathophysiologischer Ursache zu unterscheiden: • Die Symptomatologie (z. B. Aspiration) bezieht sich auf den Bolusfluss. Sie bestimmt den Schweregrad der Schluckstörung und die Therapieindikation. • Die pathophysiologische Ursache (z. B. gestörte Kehlkopfhebung) bezieht sich auf den Pathomechanismus. Sie bildet die Grundlage für die Therapieplanung.

2

42

2  Physiologie des ­Schluckvorgangs

Normalerweise macht sich eine Schluckstörung zunächst durch die klinische Symptomatik bemerkbar,  z. B. durch Ausspucken oder Husten. Da der Schluckvorgang im Verborgenen abläuft, lassen klinische Dysphagiesymptome i. d. R. keine zuverlässi2

gen Rückschlüsse auf die zugrunde liegende sensomotorische Störung zu. Die folgende Darstellung des gestörten Schluckvorgangs orientiert sich deshalb an videoendoskopisch und radiologisch objektivierten Symptomen und deren pathophysiologischen Ursa-

Tab. 2.4  Beziehungen zwischen Pathophysiologie und Symptomatologie Pathophysiologische Ursachen Mögliche Symptome Orale Phase • Leaking anterior Gestörter Lippen-Kiefer-Schluss Gestörte orale Bolussammlung und • Leaking anterior und/oder posterior • Penetration*/Aspiration prädeglutitiv -kontrolle • Orale Residuen postdeglutitiv Gestörter oraler Bolus­trans­port • Penetration*/Aspiration postdeglutitiv Pharyngeale Phase • Pooling Valleculae/Sinus piriformes prädeglutitiv Schluckreflexauslösung fehlend • Penetration*/Aspiration prädeglutitiv • Pooling Valleculae prädeglutitiv Schluckreflexauslösung verspätet • Pooling Sinus piriformes prädeglutitiv • Penetration*/Aspiration prädeglutitiv • Bei massivem Pooling Penetration intradeglutitiv*, Aspiration postdeglutitiv Unvollständiger velopharyngealer • Nasale Penetration (meist nur bei großem Bolusvolumen) Verschluss • Residuen in Valleculae postdeglutitiv Unvollständiger Zungenbasis-­ • Residuen auf Zungenbasis postdeglutitiv (konsistenzabhängig) Rachen-Verschluss • Penetration/Aspiration postdeglutitiv • Penetration intradeglutitiv* Reduzierte Pharynxkontraktion • Residuen postdeglutitiv in Valleculae • Residuen postdeglutitiv an Pharynxwand (konsistenzabhängig) • Residuen postdeglutitiv diffus • Penetration/Aspiration postdeglutitiv Reduzierte Hyoid- Larynx­elevation • Penetration intradeglutitiv* • Aspiration postdeglutitiv • Residuen in Valleculae Reduzierte Epiglottis­kippung** • Penetration intradeglutitiv* • Aspiration postdeglutitiv • Aspiration intradeglutitiv (meist nur in Kombination mit eingeschränkte HyoidUnvollständiger oder verspäteter Stimmbandschluss Larynxelevation) • Residuen postdeglutitiv in Sinus piriformes Gestörte OÖS-Öffnung*** • Penetration/Aspiration postdeglutitiv • Bei erheblichen Residuen beim Nachschlucken laryngeale Penetration intradeglutitiv (wg. verkürztem Pharynxraum während des Schlucks) * Prä- oder intradeglutitiv penetrierte Substanzen werden normalerweise während des Schluckreflexes durch Kompression der muskulären Strukturen des Kehlkopfeingangs wieder herausgedrückt. ** Isolierte Störungen der Epiglottiskippung sind insbesondere aufgrund anatomischer Veränderungen möglich. Auch Deformierungen der Halswirbelsäule können das Durchkippen behindern. ***  Die gestörte OÖS-Öffnung tritt meist in Kombination mit unvollständigem Zungenbasis-Rachen-Verschluss und/oder reduzierter Pharynxkontraktion und/oder reduzierter Hyoid-Larynxelevation auf. Dementsprechend können die zu diesen Pathologien genannten Symptome hinzukommen (s. oben). Isolierte Störungen (Relaxationsstörungen) der OÖS-Öffnung sind selten (Logemann 1988; Williams et al. 2002).

2.3  Gestörter Schluckvorgang chen. Insbesondere werden für die diagnosegeleitete Therapieplanung relevante Aspekte hervorgehoben. Eine ausführliche Beschreibung der klinischen Dysphagiesymptome bzw. möglicher Dysphagiehinweise findet sich in › Kap. 7. Die Pathologie öso­pha­ gealer Schluckstörungen ist in › Kap. 14 beschrieben.

2.3.1 Die wichtigsten pathologischen Symptome Pathologische Symptome • Leaking (Entgleiten) • Pharyngeales Pooling (Ansammeln) • Residuen oral, laryngeal oder/und pharyngeal • Penetration • Aspiration

(Reste)

• Als Leaking bezeichnet man das unkontrollierte

Entgleiten des Bolus, entweder nach vorn aus dem Mund (anteriores Leaking) oder nach hinten in den Rachenraum (posteriores Leaking). • Pharyngeales Pooling nennt man das Ansammeln von Bolusteilen im Rachen, v.a. in den Valleculae und Sinus piriformes. Dies geschieht vor der Schluckreflexauslösung (prädeglutitiv). • Residuen, also Bolusreste, können nach der Schluckreflexauslösung (postdeglutitiv) im Mundraum, im Rachen oder Kehlkopf verbleiben. • Penetration bedeutet das Eindringen von Fremdsubstanzen in die Nase (nasale Penetra­ tion) oder in den Kehlkopfeingang, also oberhalb der Stimmlippen (laryngeale Penetration). Die Penetration kann sich vor, während oder nach der Schluckreflexauslösung ereignen: prä-, intraund postdeglutitive Penetration. • Die Aspiration gilt als bedrohlichste Folge der Dysphagie und bezeichnet das Eindringen von Fremdsubstanzen in die Luftwege unterhalb der Stimmlippen. Man unterscheidet prä-, intra- und postdeglutitive Aspiration.

43

2.3.2 Die wichtigsten patho­ physiologischen Ursachen Pathophysiologische Ursachen • Gestörte

Oralmotorik (Störungen des Kauens, der Bolussammlung, der oralen Boluskontrolle, des oralen Bolustransports) • Verspätete, fehlende Schluckreflexauslösung • Unvollständiger velopharyngealer Verschluss • Unvollständiger Zungenbasis-Rachen-Verschluss • Eingeschränkte Hyoid-Larynx-Hebung • Reduzierte Pharynxkontraktion • Eingeschränkter laryngealer Verschluss (Epiglottiskippung, Taschenfalten-, Stimmbandschluss) • Gestörte OÖS-Öffnung

› Tab. 2.4 stellt pathophysiologische Ursachen und mögliche resultierende Symptome einander gegenüber. LITERATUR Abe H, Tsubahara A. Observation of arytenoids movement during laryngeal elevation using videoendoscopic evaluation of swallowing. Dysphagia. 2011; 26: 150–154. Afkari S. Measuring frequency of spontaneous swallowing. Australas Phys Med Eng Sci Med. 2007; 30: 313–317. Affoo RH et al. Meta-analysis of salivary flow rates in young and older adults. J Am Geriatr Soc. 2015; 63: 2142–2151. Arvedson J, Rogers B. Swallowing and feeding in the pediatric patient. In: Perlman A, Schulze-Delrieu K (eds.). Deglutition and its disorders. San Diego: Singular, 1997. Aviv JE et al. Age related changes in pharyngeal and supra­ glottic sensation. Ann Oto Laryngol. 1994; 103: 749–752. Barczi SR, Sullivan SP, Robbins J. How should dysphagia care of older adults differ? Establishing normal practice patterns. Semin Speech Lang. 2000; 21: 347–361. Bardan EA et al. Effect of aging on the upper and lower esophageal sphincters. Eur J Gastroenterol Hepatol. 2000; 12: 1,221–1,225. Barikroo A et al. Effects of age and bolus volume on velocity of hyolaryngeal excursion in healthy adults. Dysphagia. 2015; 30: 558–564. Bennett JW et al. Sip-sizing behaviours in natural drinking conditions compared to instructed experimental conditions. Dysphagia. 2009; 24: 152–158. Bosma JF. Pharyngeal swallow, basic mechanisms in development and impairments. Adv Otolaryngol Head Neck Surg. 1992; 6: 225–275. Cerenko D, McConnel FMS, Jackson RT. Quantitative assessment of pharyngeal bolus driving forces. Otolaryngol Head Neck Surg. 1989; 100: 57–63.

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KAPITEL

3

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4

Mario Prosiegel

Neuroanatomie des ­Schluckens

Großhirnrinde und ­absteigende Fasersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kortikale Repräsentationsareale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beidseitige Großhirnläsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einseitige Großhirnläsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plastizität des Schluckkortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



48 48 49 49 50

3.2 Hirnstamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Pattern Generators for Swallowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Efferente Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Afferente Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



51 51 53 56

3.3

3

Neuromuskuläre Übergangsregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3.4 Oberer Ösophagus­sphinkter und Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.4.1 Oberer Ösophagussphinkter (OÖS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.4.2 Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

48

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

Neurogene Dysphagien können durch Läsionen auf verschiedenen anatomischen Etagen entstehen. Läsionsetagen neurogener Dysphagien • Großhirnrinde (Cortex cerebri, „Kortex“) • Deszendierende Fasersysteme vom Kortex

3

zu den Hirnnervenkernen (kortikobulbäre Bahnen) • Hirnstamm: – Schluckzentren des Hirnstamms (Central Pattern Generators for Swallowing) – Efferente Systeme: Innervation von Schluckmuskulatur und Speicheldrüsen – Afferente Systeme: Sensibilität (oropharyngeal und laryngeal), Geschmackssinn • Neuromuskuläre Übergangsregion/Synapse – Präsynaptisch: Axone der Hirnnerven, die den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) freisetzen – Postsynaptisch: ACh-Rezeptoren (AChR) bzw. MuSK (muskelspezifische Tyrosinkinase) enthaltende Endplattenregionen einzelner Muskelfasern der Schluckmuskulatur • Schluckmuskulatur

Dieser kraniokaudalen Richtung folgend, also „von oben nach unten“, wird in diesem Kapitel auf die klinische Neuroanatomie des Schluckens und wichtiger assoziierter Funktionen eingegangen.

3.1 Großhirnrinde und ­absteigende Fasersysteme 3.1.1 Kortikale Repräsentationsareale Untersuchungen mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS), Positronenemissionstomografie (PET) und funktioneller Kernspin- oder Magnetresonanztomografie (fMRT) haben gezeigt, dass die menschliche Schluckmuskulatur auf dem Kortex beider Großhirnhemisphären repräsentiert ist – besonders im Bereich des untersten Abschnitts der sensomotorischen Rinde, des sog. frontoparietalen Operkulums (lat. operculum = Deckel; das Operkulum liegt wie ein Deckel über der sog. Insel) und im Bereich der vorderen Insel (Hamdy et al. 1999) (› Abb. 3.1). Obwohl der Schluckkortex auf beiden Großhirnhälften repräsentiert ist, liegt bezüglich seiner Größe meist eine Hemisphärenasymmetrie vor (Hamdy et al. 1999). Schluckdominanz Sie existiert bei den meisten Menschen, und zwar unabhängig von der Händigkeit.

Außerdem besteht eine somatotopische Gliederung oder Somatotopie: Auf der Kortexoberfläche ist die orale Muskulatur weiter ventral (unten) repräsen-

Abb. 3.1  Schluckkortex und kortikobulbäre Bahnen. Links oben: Vordere Insel (orange) der rechten Großhirnhemisphäre. Rechts oben: Frontoparietales Operkulum (orange) der linken Hemisphäre. Von diesen kortikalen Schluckarealen projizieren kortikobulbäre Fasern (gekreuzt und ungekreuzt) zu Hirnstammkernen, in diesem horizontalen Schnitt durch die Medulla oblongata zum Nucleus ambiguus (› Abb. 3.6) [L234]

3.1  Großhirnrinde und ­absteigende Fasersysteme tiert als die pharyngeale und diese wiederum weiter ventral als die ösophageale Muskulatur (Hamdy et al. 1996). Somatotope kortikale Repräsentation der Schluckmuskulatur • Oben: Ösophagus • Mitte: Pharynx • Unten: Mund

Analog zum Bereitschaftspotenzial der Körpermuskulatur existiert auch ein Schluckpotenzial (swallowing potential), das ebenfalls beidseitig – hauptsächlich im Bereich des an der Innenseite des Gehirns liegenden supplementär-motorischen Areals (SMA) – genereriert wird und für die Initiierung willentlichen Schluckens (mit)verantwortlich ist (Huckabee et al. 2003).

3.1.2 Beidseitige Großhirnläsionen Eine beidseitige Läsion des Schluckkortex und/oder der absteigenden (kortikobulbären) Fasern isoliert die Hirnnervenkerne von allen kortikalen Zuflüssen mit der Folge einer sehr schweren neurogenen Dysphagie. Die beiden wichtigsten klinischen Beispiele hierfür sind:

49

• Vorderes bilaterales Operkulumsyndrom

(Foix-Chavany-Marie-Syndrom) infolge beidseitiger Läsionen des frontoparietalen Operkulums (meist Hirninfarkte im Mediaversorgungsgebiet, seltener Blutungen oder Enzephalitiden); neben einer Dysphagie leiden die betroffenen Patienten an einer Anarthrie und einer Parese der Kaumuskulatur (Anarthria and Bilateral Central Faciolinguo-velo-pharyngeo-masticatory Paralysis) (› Abb. 3.2 a) • Pseudobulbärparalyse aufgrund beidseitiger Affek­tion der kortikobulbären Fasern (› Abb. 3.2 b), meist infolge von Endstrominfarkten oder im Rahmen degenerativer Erkrankungen, z. B. der amyotrophen Lateralsklerose (ALS)

3.1.3 Einseitige Großhirnläsionen Robbins und Levin (1988) untersuchten Patienten mit Dysphagien nach einseitigen Großhirnläsionen. Sie stellten die Hypothese auf, Schluckstörungen bei linksseitigen Läsionen könnten als Folge einer „Schluckapraxie“, bei rechtsseitiger Schädigung im Rahmen eines „Schluckneglekts“ bzw. eines „vorschnell-impulsiven Schluckens“ auftreten. Auf „Schluckapraxie“ wird in der empfehlenswerten Arbeit von Daniels (2000) näher eingegangen.

Abb. 3.2  a Bilaterale Mediainfarkte der vorderen Insel und des frontoparietalen Operkulums (Pfeile) im kranialen Computertomogramm (CT); klinisch bestand ein vorderes bilaterales Operkulumsyndrom (Foix-Chavany-Marie-Syndrom). b T2-gewichtetes kraniales MRT eines Patienten mit bilateralen Endstrominfarkten im Bereich der kortikobulbären Fasern (Pfeile); klinisch bestand eine Pseudobulbärparalyse; die großen Pfeilspitzen zeigen auf ausgeprägte periventrikuläre Marklagerveränderungen, insbesondere in der Umgebung der Hinterhörner der Seitenventrikel (Der Patient weist die erbliche Arterienfehlbildung CADASIL auf; › Kap. 4.2.1) [T545]

3

50

3

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

Daniels und Foundas (1997) berichteten über 4 Patienten mit unilateralen Läsionen, bei denen die Insel (mit)betroffen war: 2 Patienten mit rechtsseitigen und 2 mit linksseitigen Läsionensowie 3 mit Läsionen der vorderen Insel und ein Patient mit einer Läsion der hinteren Insel. Die 3 Patienten mit Affektion der vorderen Insel litten an einer Dysphagie. Daraus schlussfolgerten die Autoren, der vorderen Insel komme eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Schluckstörungen zu. Dies wurde durch die MRT-Studie von Riecker at al. (2009) bestätigt: Die Autoren beschrieben eine Patientin, die nach einem isolierten rechtsseitigen Infarkt im Versorgungsgebiet der vorderen Inselarterien als einziges Symptom eine Dysphagie entwickelte, bei der eine Verzögerung der Schluckreflextriggerung (mit Leaking und prädeglutitiver Aspiration) dominierte. Noch war nicht geklärt, warum – bei gleicher Läsionslokalisation – bei einigen (Schlaganfall-)Patienten linksseitige, bei anderen rechtsseitige Großhirnschädigungen zu Dysphagien führen. Erst die in › Kap. 3.1.1 erwähnten Untersuchungen brachten den Nachweis, dass bei den meisten Menschen eine Schluckdominanz vorliegt. Besteht eine Schluckdominanz, tritt im Falle einer einseitigen Großhirnläsionen eine klinisch relevante Dysphagie nur bei Affektion der schluckdominanten Hemisphäre auf.

Einseitige Läsionen des dominanten Schluckkortex/ der vorderen Insel führen meist zu einer Verzögerung des Schluckreflexes (bei nichtverzögertem Glottisschluss) mit resultierendem Leaking und evtl. (prädeglutitiver) Aspiration (Power et al. 2007, Oommen et al. 2010); darüber hinaus ist die Sensibilität beider (!) Gaumenbögen bei etwa zwei Drittel der Betroffenen gestört (Power et al. 2007). Vermutete Hauptaufgaben des Schluckkortex • Initiierung willentlichen Schluckens (SMA!) • Zeitliche Kopplung zwischen oraler und pharyngealer

Phase • Gewährleistung

einer intakten oropharyngealen Sensibilität, um Leaking bzw. Aspirationen zu vermeiden.

3.1.4 Plastizität des Schluckkortex Die Rückbildung von Dysphagien etwa nach Schlaganfall ist u. a. auf Reorganisationsprozesse in der nichtbetroffenen Großhirnhemisphäre zurückzuführen. Dabei handelt es sich um Vorgänge, die sich innerhalb mehrerer Wochen nach Eintritt der ZNSLäsion abspielen (Hamdy et al. 1998a). Möglicherweise lassen sich derartige Reorganisationsprozesse in Zukunft durch therapeutische Interventionen beschleunigen bzw. verstärken: • So vergrößerte z. B. die elektrische Reizung des Pharynx mit 10 Hz über 10 min bei 8 gesunden Probanden für 30 min deren kortikales PharynxRepräsentationsareal (Hamdy et al. 1998b). • Fraser et al. (2002) gelang durch elektrische Reizung (5 Hz) der Pharynxschleimhaut bei 16 dysphagischen Schlaganfallpatienten eine signifikante Fazilitation kortikobulbärer Fasern, verbunden mit einer videofluoroskopisch gesicherten Verbesserung von Schluckparametern. • Exzitatorische repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) mit 5 Hz über der intakten Großhirnhemisphäre ist ebenfalls wirksam (Gow et al. 2004). • Transkranielle Gleichstromstimulation – transcranial Direct Current Stimulation (tDCS) – ist erfolgversprechend (Feng et al. 2013). Empfehlenswerte Übersichten über diese neuen, z. T. noch im experimentellen Stadium befindlichen Verfahren, finden sich bei Barritt und Smithard (2009) sowie bei Pisegna et al. (2016). Zu bevorzugen ist wohl die Stimulation der kontraläsionalen („gesunden“) Großhirnhemisphäre und zwar mit exzitatorischen Reizparametern, d. h. mit Frequenzen um 5 Hz bei der rTMS und anodaler Elektrodenpositionierung bei der tDCS. Eine kürzlich publizierte Studie zeigte keine klinische Verbesserung nach Anwendung der pharyngealen Elektrostimulation (PES) bei Schlaganfallpatienten in der (sub)akuten Phase (5Hz-Stimulation für 10 Minuten an drei aufeinanderfolgenden Tagen, bis zu 42 Tagen nach dem Ereignis) (Bath et al. 2016); wegen methodischer Mängel ist allerdings eine amerikanisch-europäische Folgestudie geplant.

3.2 Hirnstamm

3.2 Hirnstamm 3.2.1 Pattern Generators for Swallowing Als Pattern Generators for Swallowing bezeichnet man Mustergeneratoren des Schluckens bzw. Schluckzentren des Hirnstamms.

Tierexperimentelle Befunde Dezerebrierte Tiere können weitgehend normal schlucken. Der menschliche Fetus schluckt, noch bevor die deszendierenden kortikobulbären Fasern den Hirnstamm erreicht haben. Beide Beobachtungen lassen ein weitgehend autonomes Agieren des Hirnstamms in Bezug auf das Schlucken vermuten. Doty und Bosma vermuteten bereits 1956 in ihrer bekannten, auf Tierexperimenten beruhenden Arbeit, dass das räumlich-zeitliche Zusammenspiel der Schluckmuskeln von Swallowing Centers des unteren Hirnstamms (Medulla oblongata) kontrolliert wird. Doty bzw. Jean prägte später den Begriff Central Pattern Generators for Swallowing (kurz CPGs), die sie im unteren Hirnstamm von Tieren nachgewiesen hatten. Auf jeder Hirnstammseite identifizierten sie 2 CPGs, einen dorsomedialen und einen ventrolateralen: • Die dorsomedialen CPGs oder DMCPGs liegen in unmittelbarer Nähe des Nucleus tractus solitarii (NTS) und in der umgebenden Formatio reticularis (FR). In ihnen befinden sich sog. Master-

Abb. 3.3  Dorsolateraler Infarkt der Medulla oblongata mit resultierendem Wallenberg-Syndrom (T2-gewichtetes MRT). Links horizontale, rechts koronare Schnittführung (die Pfeile zeigen jeweils auf den linksseitigen Infarkt). Wie man auf dem rechten Bild erkennt, liegt der Infarkt im obersten Bereich der Medulla oblongata (am Übergang zur Brücke) [T545]

51

oder Generator-Neuronen, die verantwortlich sind für die zentralnervöse Kontrolle des Schluckens. • Die ventrolateralen CPGs oder VLCPGs liegen in unmittelbarer Nähe des Nucleus ambiguus (NA) und in der umgebenden FR. In ihnen befinden sich sog. Umschalt- oder Switching-Neuronen, die den zeitlich-sequenzierten Output der DMCPGs zu den Hirnnervenkernen V, VII, IX, X und XII weiterleiten (Miller 1993). Beispiele für Läsionstypen des Hirnstamms, die beim Menschen wahrscheinlich durch Affektion von CPGs zu Dysphagien führen, werden im Folgenden erläutert. Läsionstypen des Hirnstamms • Wallenberg-Syndrom • Avellis-Syndrom • Tumoren der hinteren

Schädelgrube, raumfordernde

Kleinhirnläsionen

Wallenberg-Syndrom Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschrieb der deutsche Neurologe A. Wallenberg (Danzig) das später nach ihm benannte Hirnstammsyndrom (Wallenberg 1895). Es ist Folge von Infarkten der dorsolateralen Medulla oblongata im Versorgungsgebiet der meist aus der A. vertebralis abgehenden A. cerebelli inferior posterior (int. Kürzel PICA). In den Beschreibungen seiner Patienten erwähnte A. Wallenberg stets das Vorliegen einer Schluckstörung. Deshalb sollte von einem Wallenberg-Syn-

3

52

3

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

drom eigentlich nur gesprochen werden, wenn (zumindest initial) eine Dysphagie vorliegt. In der Literatur variieren die Häufigkeitsangaben von Schluckstörungen beim Wallenberg-Syndrom dennoch zwischen 51 und 100 % (Sacco et al. 1993). Wie Kim (2003) nach mehreren Vorarbeiten an 130 Patienten mit medullären Infarkten zeigte, waren rostrale, d. h. weiter oben gelegene Läsionen signifikant häufiger mit Dysphagien assoziiert als kaudale. Prosiegel et al. (2005) erhärteten diese Befunde neuroanatomisch. Da beim Wallenberg-Syndrom beide CPGs einer Hirnstammseite – ein DMCPG und ein VLCPG – betroffen sind, resultieren oft schwere Dysphagien (› Abb. 3.3 und › Abb. 3.6).

Avellis-Syndrom Bei Patienten mit einem Avellis-Syndrom (Avellis 1891) findet sich ein kleiner Infarkt der Medulla oblongata (Takizawa und Shinohara 1996). Er betrifft die Gegend des NA, und damit wahrscheinlich auch den VLCPG (› Abb. 3.4 und › Abb. 3.6). Da der NA der Hirnnervenkern für den IX. und X. Hirnnerv ist, resultiert eine Parese dieser beiden Hirnnerven mit konsekutiver „palatolaryngealer Hemiplegie“. Die resultierenden Dysphagien sind initial meist leicht bis mittelgradig und prognostisch günstig (Prosiegel et al. 2005).

Tumoren der hinteren Schädelgrube, raumfordernde Kleinhirnläsionen Patienten mit Tumoren der hinteren Schädelgrube, der Rautengrube oder des IV. Ventrikels können schwere Dysphagien entwickeln. Letztere entstehen oft erst nach operativer Entfernung des Tumors (z. B. Ependymom). Prosiegel et al. (2005) fanden als Ursache dabei kleine Blutungen, vermutlich venöser Genese, im dorsalen Abschnitt der ros­ tralen Medulla oblongata. Wahrscheinlich kommt es bei Tumoren des IV. Ventrikels und/oder während der operativen Entfernung zur (bilateralen) Schädigung der DMCPGs (› Abb. 3.5 und › Abb. 3.6). Dass eine bilaterale Affektion der DMCPGs die Schwere der Dysphagie bedingt, ist deshalb naheliegend, weil Hirnnervenkerne bei diesem Läsionstyp selten betroffen sind. Wenn Letzteres der Fall ist, dann sind meist die sehr weit hinten in der Medulla oblongata gelegenen Kerne des N. hypoglossus betroffen. In einer Studie von Benito-León und Alvarez-Cermeño (2003) über einen Patienten mit Infarzierung beider Hypoglossuskerne litt dieser aber nicht unter schwerer persistierender Dysphagie. Auch bei Kindern treten nach neurochirurgischer Entfernung von Tumoren des IV. Ventrikels nicht selten Dysphagien auf; Kirk et al. (1995) sprechen in diesem Kontext sogar von einem postoperativen „posterior fossa syndrome“. Neurologisch-symptomatisches Kontinuum von Dysphagien Dieses reicht von sehr schweren Dysphagien bei Tumoren der hinteren Schädelgrube über mittelschwere Dysphagien beim Wallenberg-Syndrom bis zu leichten bis mittelschweren Schluckstörungen beim Avellis-Syndrom (› Abb. 3.6): • Tumoren des IV. Ventrikels: schwere Dysphagie – beide DMCPGs betroffen? • Wallenberg-Syndrom: mittelschwere Dysphagie – einseitige Affektion eines VLCPG und eines DMCPG? • Avellis-Syndrom: leichte bis mittelschwere Dysphagie – einseitige Affektion eines VLCPG?

Abb. 3.4  Kleiner linksseitiger Infarkt der Medulla oblongata mit resultierendem Avellis-Syndrom (T2-gewichtetes MRT in horizontaler Schnittführung) [T545]

Dass die Dysphagien bei bilateralen Läsionen der DMCPGs schwerer sind als die bei unilateraler Affektion eines VLCPG und eines DMCPG, beruht entweder darauf, dass die DMCPGs „schluckrelevanter“

3.2 Hirnstamm

53

Abb. 3.5  T1-gewichtete kraniale MRT-Aufnahmen eines Patienten mit einem Tumor der hinteren Schädelgrube vor und nach operativer Entfernung. Links ist bei sagittaler Schnittführung der Tumor zu erkennen (Pfeil). Rechts oben zeigt sich einige Tage postoperativ ein hyperintenses (helles) Areal, das einer kleinen Blutung im oberen Bereich der hinteren Medulla oblongata entspricht (Pfeil). Rechts unten lässt sich bei horizontaler Schnittführung erkennen, dass die Blutung beide Seiten der Medulla oblongata betrifft (Pfeile) [T545]

als die VLCPGs sind (Prosiegel et al. 2005), oder auf der Tatsache, dass die Schädigung bilateral ist. Um diese Frage zu klären, müsste man Patienten mit Läsionen beider VLCPGs untersuchen. Über ein beidseitiges Avellis-Syndrom wurde aber bisher in der Literatur nicht berichtet. Ähnlich schwere Dysphagien mit sehr verzögerter Rückbildung treten außer bei Tumoren des IV. Ven­ trikels auch bei raumfordernden Kleinhirnläsionen (z. B. Infarkten, Blutungen) auf. Auch in diesen Fällen ist ein Druck von hinten auf die DMCPGs als Ursache anzunehmen (Perie et al. 1999; Prosiegel et al. 2005). Während Dysphagien besonders bei rostralen Läsionen der Medulla oblongata auftreten, ist Singultus (Schluckauf) wahrscheinlich Folge dorsolateraler Läsionen der mittleren Medulla oblongata. Diese führen offensichtlich zu einer Imbalance zwischen – sich normalerweise hemmenden – inspiratorischen und exspiratorischen Ereignissen (Park et al. 2005), u. a. zum Stimmlippenschluss bei Zwerchfellkontraktion, durch den der inspiratorische /hik/-Laut entsteht.

3.2.2 Efferente Systeme Innervation der Schluckmuskulatur An der zentralnervösen Kontrolle der oralen Phase sind etwa 20 Muskelpaare beteiligt, die vom V., VII. und XII. Hirnnerv innerviert werden (› Tab. 3.1). Die motorischen Hirnnervenkerne des N. trigemi-

3

nus und des N. facialis liegen in der Brücke, die des N. hypoglossus in der Medulla oblongata. Der N. trigeminus versorgt die Kaumuskulatur, der N. facialis die Gesichtsmuskulatur. Der N. hypoglossus versorgt die gesamte Zungenmuskulatur, sowohl die Zungenbinnenmuskulatur (intrinsischen Zungenmuskeln) als auch in die Zunge einstrahlende Muskeln (extrinsische Zungenmuskeln). Bei der zentralnervösen Kontrolle der pharyngealen Phase sind etwa 30 Muskelpaare beteiligt (› Tab. 3.2). Die Hirnnerven V (N. trigeminus), VII (N. facialis) und XII (N. hypoglossus) versorgen die suprahyoidale Muskulatur (Elevation von Hyoid und Larynx). N. glossopharyngeus und N. vagus versorgen die Pharynxmuskulatur, der N. vagus außerdem die Larynxmuskulatur. Der Nucleus ambiguus (NA), der motorische Hirnnervenkern des IX. und X. Hirnnervs, liegt in der Medulla oblongata (› Abb. 3.6 und › Abb. 3.7). Der N. glossopharyngeus verlässt den NA im rostralen, der Vagusnerv im kaudalen Abschnitt. Fasern des XII. Hirnnervs, die in der Medulla oblongata entspringen, und Nervenfasern der ersten 3 aus dem Halsmark entspringenden Wurzeln (Zervikalsegmente C1–C3) bilden gemeinsam die sog. Ansa cervicalis (lat. ansa = Henkel). Diese versorgt mit ihren Nervenästen die infrahyoidalen Muskeln, die die Senkung von Hyoid und Larynx bewirken. › Tab. 3.1 und › Tab. 3.2 listen die Muskeln der oralen und der pharyngealen Phase, die sie versorgenden Hirnnerven und deren Ursprungskerne

54

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

Tab. 3.1  Innervation der an der oralen Phase beteiligten Muskeln Muskel

3

Hirnstammkern

Hauptfunktion

Gesichtsmuskulatur: N. facialis • M. levator labii superioris • M. levator labii superioris alaeque nasi • M. zygomaticus major • M. zygomaticus minor • M. risorius • M. depressor labii inferioris • M. depressor anguli oris • M. orbicularis oris • M. buccinator • Platysma

Nerv

Nucleus n. facialis (Pons)

Lippenbewegung, Lippenschluss, Wangentonisierung (M. buccinator), Kieferöffnung (Platysma)

M. temporalis

N. trigeminus N. trigeminus

Nucleus motorius n. trigemini (Pons)

„Zubeißmuskel“

M. masseter M. pterygoideus medialis

N. trigeminus

Kaumuskel

M. pterygoideus lateralis

N. trigeminus

Kieferöffnung

Intrinsische Zungenmuskulatur (Binnen­muskulatur der Zunge)

N. hypoglossus

Extrinsische Zungenmuskulatur (Außen­muskulatur der Zunge):

N. hypoglossus

Kaumuskel

Nucleus n. hypoglossi Formveränderung der Zunge (Medulla oblongata) Zungenbewegung nach:

• M.

genioglossus

• Vorn

• M.

styloglossus

• Hinten

und oben

• M.

hyoglossus

• Unten

und hinten

im Hirnstamm sowie die Hauptfunktion dieser Muskeln auf. › Abb. 3.6 und › Abb. 3.7 zeigen die Lage der Hirnnervenkerne. Neurogene Dysphagien bei einseitigen Tumoren eines Hirnnervs sind meist leicht bzw. besitzen i. d. R. eine sehr gute Rehabilitationsprognose, vermutlich weil keine CPGs betroffen sind (Prosiegel et al. 2005). So leiden etwa Patienten mit Neurinomen des X. bzw. XII. Hirnnervs an einseitiger Parese des ipsilateralen Hemipharynx bzw. der ipsilateralen Zungenhälfte. Die Restitutionsprognose ist bei adäquater Schlucktherapie günstig. Das Outcome von Dysphagien bei Tumoren, die mehrere schluckrelevante Hirnnerven lädieren – etwa Raumforderungen des Foramen jugulare (z. B. Glomus-jugulareTumoren) –, ist hingegen deutlich schlechter bzw. der Rehabilitationsverlauf ist verzögert.

Speicheldrüsen und -sekretion Die Glandula parotidea („Parotis“) wird parasympathisch über den N. glossopharyngeus und sein

und unten

Ganglion oticum versorgt. Vom Nucleus salivatorius der Medulla oblongta verlaufen seine präganglionären parasympathischen Fasern über den N. tympanicus (Paukenhöhle), dann weiter als N. petrosus minor zum Ganglion oticum (Jakobson-Anastomose). Dort erfolgt eine Umschaltung und postganglionäre Fasern verlaufen im R. auriculotemporalis des 3. Trigeminusastes zur Parotis. Die Glandula submandibularis (Unterkieferspeicheldrüse), Glandula sublingualis (Unterzungenspeicheldrüse) und kleinere Zungenspeicheldrüsen werden parasympathisch über die Chorda tympani des N. facialis versorgt. Seine parasympathischen präganglionären Fasern verlaufen über den R. lingualis des 3. Trigeminusastes zum Ganglion submandibulare. Dort erfolgt eine Umschaltung auf postganglionäre Fasern zu den Speicheldrüsen. Die sympathische Innervation der Speicheldrüsen verläuft über Nervengeflechte, die hirnzuführende Arterien begleiten. Die Steuerungszentralen im Hirnstamm für die Speichelsekretion sind Nucleus salivatorius supe­ rior und Nucleus salivatorius inferior, beide liegen

3.2 Hirnstamm im Übergangsbereich zwischen Medulla oblongata und Pons. Die tägliche Speichelproduktion beträgt normalerweise ca. 1,5 l. Nachts wird die Speichelproduk­ tion stark gedrosselt.

55

• Unter Ruhebedingungen werden etwa 0,25–

1 ml/min Speichel produziert. Dabei beträgt der seröse Anteil des von der Parotis produzierten Speichels etwa 25 %, der serös-muköse Anteil der Submandibularis über 70 %. Den Rest produzieren die übrigen Speicheldrüsen.

Tab. 3.2  Innervation der an der pharyngealen Phase beteiligten Muskeln Muskeln der pharyngealen Phase Muskel

Nerv(engeflecht)

Hirnnervenkern

M. mylohyoideus

N. trigeminus

M. digastricus ant.

N. trigeminus

Nucleus motorius n. tri- Hyoid-Larynx-Elevation gemini (Pons)

M. tensor veli palatini

N. trigeminus

M. geniohyoideus

N. hypoglossus

M. hyoglossus

N. hypoglossus

M. styloglossus

N. hypoglossus

M. pterygopharyngeus

Plexus pharyngeus*

M. palatoglossus

Plexus pharyngeus

M. palatopharyngeus

Plexus pharyngeus

M. stylopharyngeus

Plexus pharyngeus

M. salpingopharyngeus

Plexus pharyngeus

M. levator veli palatini

Plexus pharyngeus

M. uvulae

Plexus pharyngeus

M. stylohyoideus

N. facialis

M. digastricus posterior

N. facialis

Nucleus n. facialis (Pons)

M. constrictor pharyngis sup.

Plexus pharyngeus

NA (Medulla oblongata) Bildung des Passavant-Wulstes

M. thyreohyoideus

Ansa cervicalis

Nucleus n. hypoglossi Hyoid- bzw. Larynxsenkung und Motoneurone der ersten 3 zervikalen Segmente (C1–C3)

M. sternohyoideus M. sternothyroideus M. omohyoideus M. hypopharyngeus (M. con­stric­tor Plexus pharyngeus pharyngis medius) M. thyreopharyngeus (Teil des M. constrictor pharyngis inf.)

Plexus pharyngeus

M. cricopharyngeus

Plexus pharyngeus

M. aryepiglotticus

N. laryngeus inferior

M. cricoarytenoideus lat.

Hauptfunktion

Abdichtung Nasopharynx Nucleus n. hypoglossi (Medulla oblongata)

Hyoid-Larynx-Elevation

Abdichtung Pharynxeingang, Nucleus ambiguus (NA) Bolus­transport (Medulla oblongata)

Abdichtung Nasopharynx Abdichtung Pharynxeingang, Hyoid­elevation

NA (Medulla oblongata) Bolustransport

Konstriktion des Kehlkopfeingangs Adduktion der Stimmbänder

M. arytenoideus transversus M. arytenoideus obliquus M. thyreoarytenoideus M. cricoarytenoideus post. („­Posticus“) M. cricothyroideus

Abduktion der Stimmbänder N. laryngeus superior

Spannung der Stimmbänder

* Von Ästen des N. glossopharyngeus und des N. vagus gespeistes Nervengeflecht in der Pharynxmuskulatur.

3

56

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

• Bei Stimulation, insbesondere bei mechanischmastikatorischen und gustatorischen Reizen, steigt die Produktion auf ca. 1–3,5 ml/min an und das anteilige Verhältnis der Drüsen an der Speichelproduktion kehrt sich um: Parotis ca. 60 %, Submandibularis ca. 30 %. Den Rest produzieren wieder die übrigen Speicheldrüsen.

3

Speichel erfüllt zahlreiche Aufgaben, von der Anfeuchtung der Schleimhaut bis hin zu Immunfunktionen (Pedersen et al. 2002).

3.2.3 Afferente Systeme Sensibilität Gesicht, Nasopharynx, Zunge und Oropharynx, nach hinten etwa bis zum Niveau zwischen vorderen und hinteren Gaumenbögen, werden sensibel vom N. trigeminus versorgt. Die hinteren Gaumenbögen werden aus einem dichten Geflecht pharyngealer Fasern des IX. und X. Hirnnervs versorgt. Die Epiglottis wird von Ästen des N. laryngeus superior (einem Vagusast) und des IX. Hirnnervs versorgt, die Arytenoid- und Postkrikoidregion vom N. laryngeus su-

Dorsomedialer Central Pattern Generator

Nucleus nervi hypoglossi (N XII)

Xd

Ventrolateraler Central Pattern Generator

N XII

Der obere Ösophagussphinkter bleibt bei größeren Bolusmengen länger geöffnet als bei kleineren Bolusvolumina.

Diese Modulation findet während aller Schluckphasen statt und wird überwiegend über den kaudalen Teil des Nucleus tractus solitarii (NTS) vermittelt. Der NTS liegt im hinteren Anteil der Medulla oblongata, direkt neben dem Nucleus dorsalis n. vagi

Nucleus dorsalis nervi vagi (Xd)

NTS FR

perior. Der Hypopharynx wird vom N. laryngeus superior innerviert. Stimmbänder und die Larynxschleimhaut unterhalb der Stimmbänder werden vom N. laryngeus inferior („Rekurrens“) versorgt (Mu und Sanders 2000). Die gleichzeitige elektrische Stimulation des sensiblen Anteils des N. laryngeus superior (NLS) und des Cortex cerebri löst häufigeres Schlucken aus als die alleinige Stimulation des NLS oder des Kortex. Dieser Summationseffekt spielt auch beim Schlucken unter natürlichen Bedingungen eine Rolle: Sowohl die Eigenschaften des Bolus (z. B. Konsistenz, Größe, Temperatur, Geschmack) als auch kortikale Einflüsse können Schluckvorgänge modulieren, also in fein abgestimmter Weise den jeweiligen Gegebenheiten anpassen.

Nucleus tractus solitarii (NTS)

NA

Nucleus ambiguus (NA)

vorne

Abb. 3.6  Horizontaler Schnitt durch die obere Medulla oblongata des Menschen. Rechte Bildhälfte (linke Medulla oblongata): Schluckrelevante Hirnnervenkerne (beschriftet, verschiedene Farben) sowie Areal der Formatio reticularis (FR). Linke Bildhälfte (rechte Medulla oblongata): Rot gestricheltes, rundes Areal = Infarkt bei Wallenberg-Syndrom; rot gepunktetes, ovales Areal = Infarkt bei AvellisSyndrom; durchgezogen rotes, unregelmäßig begrenztes Areal im hinteren Bereich der Medulla oblongata beidseits = Läsion, wie sie nach Operation von Tumoren der hinteren Schädelgrube vorkommen kann. Die vermutliche Lage der dorsomedialen und ventrolateralen Central Pattern Generators ist beidseits durch rote Scheiben gekennzeichnet (im linken Teil der Abbildung beschriftet) [L234]

3.3  Neuromuskuläre Übergangsregion

V

Abb. 3.7  Lage der wichtigsten schluckrelevanten Hirnstammkerne (sagittale Schnittführung). a Motorische Kerne (rot), b Sensible/sensorische Kerne (blau) [T545]

VII IX X XII

Nucleus motorius nervi trigemini Nucleus nervi facialis Nucleus ambiguus (NA) V Nucleus dorsalis nervi vagi

a

(› Abb. 3.6 und › Abb. 3.7). Der rostrale (obere) Teil des NTS wird als Pars gustatoria, der kaudale (untere) Teil als Pars cardiorespiratoria bezeichnet. Kontinuierliche sensible/sensorische Rückmeldungen erfolgen über den V. Hirnnerv zum Nucleus sensorius principalis n. trigemini und zum Nucleus spinalis n. trigemini bzw. über die Hirnnerven VII, IX und X zum kaudalen NTS (Pars cardiorespiratoria). Die sensiblen Anteile des IX. Hirnnervs treten weiter rostral in den NTS ein als die des X. Hirnnervs. Geschmacksafferenzen des VII. und IX. Hirnnervs ziehen zum rostralen NTS (Pars gustatoria).

57

Nucleus sensorius principalis nervi trigemini Nucleus spinalis nervi trigemini Nucleus tractus solitarii (NTS) Pars gustatoria Pars cardiorespiratoria

VII IX X Nucleus nervi hypoglossi b

dort eine Umschaltung/Weiterleitung zum Geschmacksareal des Großhirns, u. a. zur Insel und zum angrenzenden Operkulum. Die Geschmacksbahn verläuft also über 3 Neuronen: 1. Neuron im jeweiligen Ganglion 2. Neuron im NTS 3. Neuron im Thalamus

3.3 Neuromuskuläre Übergangsregion

Relaisstation Nucleus tractus solitarii Der NTS leitet Meldungen sowohl an die Hirnnervenkerne als auch an sensible Areale des Großhirns weiter, die ihrerseits aktiv werden und Nachkorrekturen veranlassen (Miller 1993).

Geschmackswahrnehmung Der N. facialis innerviert die vorderen zwei Drittel der Zunge gustatorisch, der N. glossopharyngeus das hintere Zungendrittel. Umstritten ist die Rolle des N. vagus. Er versorgt gustatorisch den Zungengrund und möglicherweise weitere Schleimhautbereiche. Gemeinsames Kerngebiet der Geschmacksnerven VII, IX und X ist der rostrale (obere) Teil des Nucleus tractus solitarii, die sog. Pars gustatoria des NTS (der N. facialis tritt weiter oben ein als der N. glossopharyngeus bzw. der N. vagus). Hier erfolgen Umschaltung und Weiterleitung zum Thalamus,

Die terminalen (präsynaptischen) Nervenendigungen setzen den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) frei. ACh wandert durch den synaptischen Spalt und bindet an postsynaptische ACh-Rezeptoren (AChR) der einzelnen Muskelfasern. Die muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase (MuSK) ist für die Anordnung und Anzahl (Clustering) der AChR verantwortlich. Gerade Patienten mit okulobulbären Myasthenieformen (ca. 10 % der Myastheniepatienten), die oft mit Dysphagien einhergehen, weisen keine Antikörper gegen AChR (AChR-AK) im Serum auf. Bei etwa der Hälfte dieser „seronegativen“ Myastheniepatienten sind hingegen MuSK-AK nachweisbar. Solche seronegativen, MuSK-AK-positiven Myasthenien sprechen nach heutigem Kenntnisstand auf übliche Therapien eher schlecht, auf Plasmapherese hingegen gut an (Hanisch et al. 2004; Vincent et al. 2004). Für das Verständnis der therapeutischen Wirkung bzw. der unerwünschten Nebenwirkungen von

3

58

3

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

Botulinum-Neurotoxin (BoNT) ist es wichtig zu wissen, wie dieses „Nervengift“ an der Synapse wirkt. Die BoNT-Wirkung geht mit einer Hemmung von an der ACh-Ausschüttung beteiligten SNAREProteinen (SNARE: [Vesicle-] Soluble NSF Attachment Protein Receptor) einher. So hemmen BoNT A und BoNT E das „Synaptosomal-Associated Protein of 25 kDa“, kurz SNAP-25. BoNT B, D und F hemmen das vesikelassoziierte Membranprotein VAMP und BoNT C das Protein Syntaxin. BoNT-Injektionen in die Nähe von Schluckmuskeln können – wahrscheinlich durch Diffusion von BoNT zu Nervenendigungen dieser Muskeln – Dysphagien hervorrufen (› Kap. 4). Doch auch nach BoNT-Injektionen in von der Schluckmuskulatur weit entfernte Muskeln kommt es (selten) zur Dysphagie. Daher wird gemutmaßt, die Schluckmuskulatur reagiere besonders empfindlich auf BoNT. Re­ tro­grad transportiertes injiziertes BoNT fand man in Rückenmark und Gehirn – ob dies funktionell bedeutsam ist, wird ebenso kontrovers diskutiert.

3.4 Oberer Ösophagus­ sphinkter und Ösophagus 3.4.1 Oberer Ösophagussphinkter (OÖS) Die Gesichtsmuskulatur und die Muskulatur der Zunge, des Pharynx und des Larynx sind jeweils quer gestreift. Es handelt sich überwiegend um – für rasche Bewegungen zuständige – phasische (TypII-)Fasern. Der obere Ösophagussphinkter (OÖS) hingegen besteht zu ca. 70 % aus tonischen (Typ-I-) Muskelfasern. Hauptteil ist der M. cricopharyngeus (CP), eine C-förmige am Ringknorpel inserierende Muskelschlinge. Des Weiteren besteht der OÖS aus unteren Anteilen des M. constrictor pharyngis inferior (CPI) sowie aus obersten Anteilen des Ösophagus (OÖ). Die Innervation des OÖS ist sehr komplex. Vereinfacht ausgedrückt, versorgen verschiedene Äste des N. vagus die äußere, überwiegend phasische (schnelle) Muskelschicht (Fast Outer Layer, FOL) und Äste des N. glossopharyngeus die innere, über-

wiegend tonische (langsame) Muskulatur (Slow Inner Layer, SIL) (Mu und Sanders 2007). Die Öffnung des OÖS ist einer der wichtigsten Vorgänge während der pharyngealen Phase (Pouderoux und Kahrilas 1995). Sie ist das Resultat • der Relaxation des OÖS etwa 100–200 ms vor der Öffnung, • der anterior-superioren Bewegung des Hyoid-­ Larynx-Komplexes („hyolaryngeale Elevation“), bewirkt durch die Aktivität der suprahyoidalen Muskulatur, • von Zungenschubkräften sowie • der Pharynxkontraktion. Da der CP, die Hauptkomponente des OÖS, am Ringknorpel (Krikoid) inseriert, führt die anteriorsuperiore hyolaryngeale Exkursion zur Aufweitung des relaxierten CP; die Öffnung kommt durch den Bolusdruck zustande, wobei die Zungenschubkraft wichtiger ist als die Pharynxkontraktion. Bei ca. 70 % der Patienten mit Hirnstamminfarkten fehlt die Öffnung des OÖS oder sie ist inkomplett oder verzögert und/oder der OÖS schließt vorzeitig. Das Resultat ist eine krikopharyngeale Dysfunktion (CPD), die auch als zervikale Achalasie bezeichnet wird. (Achalasie bedeutet wörtlich übersetzt „Nichterschlaffen“.) Folge der CPD ist ein pharyngealer Aufstau und oft eine konsekutive postdeglutitive Aspiration.

3.4.2 Ösophagus Die Speiseröhre besteht aus einer inneren Ringmuskelschicht und einer äußeren Längsmuskelschicht. Die Muskulatur im oberen Ösophagus ist quer gestreift, die im unteren Abschnitt glatt. Im Übergangsbereich finden sich glatte und quer gestreifte Muskulatur. Die Peristaltik des Ösophagus unterliegt einerseits einer zentralen Kontrolle, andererseits ist sie das Resultat intrinsischer Mechanismen, d. h. von neuromuskulären Vorgängen im Ösophagus selbst. Man unterscheidet eine primäre Ösophagusperi­ staltik – ausgelöst im Rahmen des pharyngealen Schluckaktes – von einer sekundären Ösophagus­ peristaltik, verursacht durch bolusbedingte (Dehnungs-)Reize der Speiseröhre, die nicht an den Schlucktakt gekoppelt sind.

3.4  Oberer Ösophagus­sphinkter und Ösophagus Zellen im rostralen Abschnitt des Nucleus ambiguus garantieren offenbar die zentrale Kontrolle der Peristaltik der quer gestreiften Ösophagusmuskulatur. Der Nucleus dorsalis n. vagi spielt hingegen wahrscheinlich eine Rolle bei der Peristaltik im Bereich der glatten Ösophagusmuskulatur und damit auch für Vorgänge im Bereich des unteren Ösophagussphinkters (Mittal und Balaban 1997). Tierstudien zufolge fungieren vermutlich u. a. Somatostatin und die exzitatorischen Aminosäuren Glutamat und Aspartat als Neurotransmitter. Der Vagusnerv scheint im glattmuskulären Bereich der Speiseröhre nur modulatorisch zu wirken. Die ösophageale Peristaltik scheint also überwiegend durch das intramurale Nervensystem gesteuert zu werden. Acetylcholin dient als exzitatorischer Transmitter. Außerdem wirken inhibitorische, nichtcholinerge nervale Mechanismen – u. a. vermittelt über Stickstoffmonoxid (NO) und Vasointestinal Inhibitory Peptide (VIP) – auf die Peristaltik im UÖS ein. Die Interstitial Cells of Cajal (ICC) spielen dabei wahrscheinlich eine wichtige Rolle. Sie vermittlen gewissermaßen zwischen den (exzitatorischen und inhibitorischen) Neuronen einerseits und den glatten Muskelzellen andererseits (Goyal und Hirano 1996; Ward et al. 2004). LITERATUR Avellis G. Klinische Beiträge zur halbseitigen Kehlkopflähmung. Berliner Klinik. 1891; 10: 1–26. Barritt AW, Smithard DG. Role of cerebral cortex plasticity in the recovery of swallowing function following dysphagic Stroke. Dysphagia. 2009; 24: 83–90. Bath PM et al.; Swallowing Treatment Using Pharyngeal Electrical Stimulation (STEPS) Trial Investigators. Pharyngeal Electrical Stimulation for Treatment of Dysphagia in Subacute Stroke: A Randomized Controlled Trial. Stroke. 2016; 47: 1,562–1,570. Benito-Léon J, Alvarez-Cermeño JC. Isolated total tongue paralysis as a manifestation of bilateral medullary infarction. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2003; 74: 1,698– 1,699. Daniels SK. Swallowing apraxia: a disorder of the praxis system? Dysphagia. 2000; 15: 159–166. Daniels SK, Foundas AL. The role of the insular cortex in dysphagia. Dysphagia. 1997; 12: 146–156. Doty RW, Bosma JR. An electromyographic analysis of reflex deglutition. J Neurophysiol. 1956; 19: 44–60. Fraser C et al. Driving plasticity in human adult motor cortex is associated with improved motor function after brain injury. Neuron. 2002; 34: 831–840.

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3

60

3

3  Neuroanatomie des ­Schluckens

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KAPITEL

4

Mario Prosiegel

Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

4.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4.1.1 Häufigkeit neurogener Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4.1.2 Neurogene Dysphagien als Outcome-Prädiktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.2 ZNS-Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zerebrovaskuläre Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Parkinson-Syndrome und andere Erkrankungen mit Bewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 ZNS-Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 ZNS-Fehlbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Infektionskrankheiten des ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Entzündliche Erkrankungen des ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Metabolische und toxische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.9 Degenerative Motoneuron­erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.10 Hohe Querschnittlähmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 4.3.1 4.3.2



64 64 66 67 69 70 71 72 72 72 73

4

Erkrankungen des peripheren Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Akute inflammatorische ­demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Miller-Fisher-Syndrom (MFS) und Polyneuritis cranialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

4.4 Erkrankungen der neuromuskulären Übergangsregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Myasthenia gravis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Lambert-Eaton-Syndrom (LES) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Botulismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



74 74 74 75

4.5 4.5.1 4.5.2

Erkrankungen der ­Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Muskeldystrophien und M ­ yopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Muskelentzündungen (­Myositiden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4.6

Langzeitbeatmung, Critical-Illness-Polyneuro­myopathie (CIPNM) . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4.7 Iatrogene Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1 Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Bestrahlung von Tumoren im Kopf-Hals-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.3 Operationen im Halsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8



77 77 77 78

Psychogene Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

62 4.9

4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen Seltene Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4.10 Diagnostik neurogener Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.10.1 Anamnese und klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.10.2 Apparative ­Zusatzuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4.11 4.11.1 4.11.2 4.11.3

Therapie neurogener Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie der ­Grunderkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie von mit neurogenen Dysphagien assoziierten Symptomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuere pharmakologische Therapieansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



81 81 83 84

4.1 Epidemiologie In diesem Kapitel setzen wir die Kenntnis der in › Tab. 4.1 aufgelisteten Charakteristika zentraler und peripherer Paresen voraus. Charakteristika der Pseudobulbärparalyse • Paresen ohne Atrophien • Dissoziation zwischen gestörten

willkürlichen Funktio­ nen einerseits und normalen oder verstärkten reflekto­ rischen Vorgängen andererseits, z. B.: – fehlendes/unzureichendes Anheben des Gaumen­ segels bei Phonation und normaler/gesteigerter Pa­ latalreflex – Kaustörung und gesteigerter Masseterreflex

Sind die motorischen Hirnnervenkerne V, IX, X und XII – mitsamt den enthaltenen 2. Motoneuronen – beidseitig betroffen, spricht man von bulbären Zeichen oder von Bulbärparalyse. Charakteristika der Bulbärparalyse • Schlaffer Muskeltonus • Parese und Atrophie der

– oropharyngealen Muskulatur (N. glossopharyngeus/ IX. Hirnnerv und N. vagus/X. Hirnnerv) – Kaumuskulatur (N. trigeminus/V. Hirnnerv) – Zungenmuskulatur (N. hypoglossus/XII. Hirnnerv) mit Fibrillieren

Eine isolierte progressive Bulbärparalyse tritt meist bei der bulbären Verlaufsform der amyotrophen

63

L­ateralsklerose (ALS) auf (› Kap. 4.2.9). Eine Pseudobulbärparalyse ist meist Folge beidseitiger Hirninfarkte, die die kortikobulbären Fasern be­ treffen (z. B. Endstrominfarkte) (› Kap. 4.2.1; › Abb. 3.2 b), oder einer beidseitigen Degeneration der kortikobulbären Fasern bei ALS. Bei der ALS können also bulbäre neben pseudobulbären Zeichen vorliegen.

4.1 Epidemiologie Prävalenz P ist der Anteil der Personen einer de­ finierten Population (Grundgesamtheit), die zu einem bestimmten Zeitpunkt an dieser Krankheit erkrankt sind. • Die Inzidenz I ist der Anteil von Personen einer defi­ nierten Population, die in einem bestimmten Zeitraum (meist 1 Jahr) an einer Krankheit neu erkranken. Beide Angaben werden meist auf eine Gesamtheit von 100.000 bezogen. • Die

4.1.1 Häufigkeit neurogener Dysphagien Zahlreiche neurologische Krankheiten sind mit Dys­ phagien assoziiert (› Tab. 4.2).

Tab. 4.1  Hauptmerkmale zentraler und peripherer Paresen Zentrale Paresen

Mögliche betroffene Struktur(en)

Symptome

1. Motoneuron (im primär-motorischen Kortex)

• Gesteigerter Muskeltonus • Gesteigerte und/oder pathologische Reflexe • Mitbewegungen/Massenbewegungen • Keine Atrophien

und/oder dessen absteigende kortikobulbäre Fasern

Periphere Paresen

2. Motoneuron (in einem der Hirnnervenkerne) Deren im Hirnstamm nach vorn verlaufende Fasern Hirnnerven Neuromuskuläre Übergangsregion (neuromuskuläre Synapse) Schluckmuskeln

• Schlaffer Muskeltonus • Atrophien • Abgeschwächte/fehlende Muskeleigenreflexe • Evtl. mit Faszikulationen (spontaner Aktivität von

Muskelfasergruppen, z. B. im Gesicht) oder Fibril­ lationen (spontaner Aktivität einzelner Muskelfa­ sern, z. B. an der Zunge sichtbar)

4

64

4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

Tab. 4.2  Häufigkeit neurogener Dysphagien bei bestimmten Erkrankungen

4

Erkrankung

Häufigkeit

Schlaganfall

Häufigste Dysphagieursache: Akutphase: > 50 %, chronische Phase: ca. 30 %

Idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS)

> 50 %

Progressive supranukleäre Blickparese (PSP; SteeleRichardson-Olszewski-Syndrom)

Ca. 80 %

Multisystematrophien (MSA)

Ca. 70 %

Schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

> 50 % in Akutphase

Multiple Sklerose (MS)

Ca. 30–40 % (Korrelation mit Behinderungsgrad)

Zentrale pontine Myelinolyse (ZPM)

Sehr häufig

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Im Verlauf fast immer; in ca. 25 % bulbärer Beginn, dann re­ gelhaft

X-chromosomal-rezessive spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Kennedy

Im Verlauf immer

Demenzen/Hochbetagte/Heimbewohner

Malnutrition sehr häufig (großes Problem der Zukunft wegen demographischen Wandels)

Akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikulon­ Häufig, v. a. bei den Unterformen Polyneuritis cranialis bzw. europathie (AIDP)/akutes Guillain-Barré-Syndrom (GBS) Miller-Fisher-Syndrom Critical-Illness-Polyneuromyopathie (CIPNM)

Sehr häufig bei intensivstationär Behandelten bzw. bei Sepsis

Langzeitbeatmung

Bis > 80 %

Myasthenia gravis

Als Erstsymptom ca. 20 %, im Verlauf > 50 %

Lambert-Eaton-Syndrom (LES)

Ca. 30 %

Dystrophia myotonica Curschmann-Steinert-Batten

Ca. 70 %

Autosomal-dominante okulopharyngeale Muskeldystro­ phie (OPMD)

Regelhaft

Polymyositis (PM), Dermatomyositis (DM), Einschlusskör­ > 50 %; v. a. bei IBM oft initiales Symptom permyositis (IBM) Paraneoplastische Syndrome

Eher selten (bei paraneoplastischer Myositis häufig)

4.1.2 Neurogene Dysphagien als Outcome-Prädiktoren

4.2 ZNS-Erkrankungen

Wie wir in › Kap. 4.2.3 näher ausführen, beträgt die Überlebenszeit von Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen (progressiver supranukleä­ rer Blickparese und Multisystematrophie) ab dem Zeitpunkt des Auftretens einer Dysphagie im Mittel nur noch etwa 1–2 Jahre (Müller et al. 2001). Damit kommt neurogenen Dysphagien eine prädiktive Be­ deutung zu. Dies könnte auch für andere Erkran­ kungen zutreffen, wurde aber bislang zu wenig un­ tersucht.

4.2.1 Zerebrovaskuläre Erkrankungen Schlaganfall Die häufigste zu Dysphagien führende Erkrankung in den westlichen Industrienationen ist der Schlag­ anfall (Inzidenz: ca. 250/100.000, Prävalenz: ca. 1.200/100.000). Das prozentuale Verhältnis von Hirninfarkten zu Hirnblutungen zu Subarachnoidalblutungen beträgt ca. 80 : 15 : 5.

4.2 ZNS-Erkrankungen

Häufigkeit von Dysphagien bei Schlaganfall • In der Akutphase nach Schlaganfall: • Bei Hirnstammläsionen: > 60 %

> 50 %

Mehr als zwei Drittel der Aspirationen verlaufen stumm („silent aspirations“; Horner et al. 1991; Daniels et al. 1998)!

Legt man die Videofluoroskopie (VFSS) als dia­ gnostischen Goldstandard zugrunde, so werden Dysphagien klinisch unterschätzt (51 % klinisch vs. 64 % VFSS), Aspirationen hingegen überschätzt (49 % klinisch vs. 22 % VFSS) (Mann et al. 2000). Eine Aspirationspneumonie tritt in der Akutphase (erste Woche) in 6 bis 10 % auf (Bray et al. 2017). Eine oder mehrere Aspirationspneumonie(n) treten innerhalb eines Jahres nach Schlaganfall bei 10– 20 % aller Patienten auf bzw. bei ca. 50 % der Pa­ tienten, die sich wegen Dysphagieverdachts einer VFSS unterziehen (Johnson et al. 1993; Mann et al. 1999). Eine besonders schlechte Restitutionsprognose haben Dysphagien beim bilateralen vorderen Oper­ kulumsyndrom und der Pseudobulbärparalyse (› Kap. 3.1.2; › Abb. 3.2).

65

kann dann jedoch plötzlich zu einer Dysphagie füh­ ren. Die Kombination von Lakunen und ischämisch bedingter Marklagererweichung des Großhirns, eine sog. Leukoaraiose (gr. leukos = weiß, araios = ­schmal, schwach, rarefiziert), wird als subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) be­ zeichnet, im Falle einer dadurch bedingten Demenz als subkortikale ischämische vaskuläre Demenz (SIVD) (› Abb. 4.1). Das Ausmaß der SAE/SIVD bzw. von Läsionen der weißen Substanz, sog. White Matter Lesions, korreliert einerseits positiv mit der Bolustransitzeit (Levine et al. 1992), andererseits mit Aufmerksam­ keitsstörungen (Junqué et al. 1990). Die Verände­ rungen der White Matter Lesions stellen sich im MRT auf T2- und protonengewichteten bzw. sog. FLAIR-Bildern hyperintens, also hell, dar. Eine aus­ geprägte SAE kann die Rückbildung von Dysphagien negativ beeinflussen.

Lakunäre Infarkte, Leukoaraiose, subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) bzw. ­subkortikale ischämische vaskuläre Demenz (SIVD) Lakunäre Infarkte/Lakunen (meist multipel und bilateral) haben definitionsgemäß einen Durchmes­ ser < 2 cm. Ihre Prädilektionsstellen sind das peri­ ventrikuläre Marklager, der Stammganglienbereich sowie der Hirnstamm. Ursache ist meist eine hyper­ tensive oder diabetische Mikroangiopathie. Neuro­ gene Dysphagien im Rahmen multipler Lakunen entwickeln sich oft subakut oder chronisch, da sich die Auswirkung der Lakunen im Laufe der Zeit „ad­ dieren“ kann. Allerdings gibt es Fälle, in denen auf einer Hirnseite ein strategisch ungünstig gelegener lakunärer Infarkt (z. B. im Bereich der kortikobulbä­ ren Bahn) zunächst keine Ausfälle verursacht. Ein 2. lakunärer Infarkt an bilateral-symmetrischer Stelle

Abb. 4.1  Protonengewichtetes kraniales MRT (in horizonter Schnittführung) mit Lakunen (Pfeilspitzen) und periventrikulä­ rer Marklagererweichung (v. a. im Bereich der Hinterhörner der Seitenventrikel) im Sinne einer Leukoaraiose (Pfeile). Diese Kombination aus lakunären Infarkten und Leukoaraiose be­ zeichnet man als subkortikale arteriosklerotische Enzephalo­ pathie (SAE) [T545]

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

CADASIL

• Mixed Connective Tissue Disease (MCTD)/Over­

CADASIL ist das Akronym für zerebrale autosomaldominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie. Die seltene Er­ krankung (Prävalenz ca. 2/100.000; Razvi et al. 2005) manifestiert sich im Mittel im Alter von ca. 45 Jahren mit Migräne und Hirninfarkten bei fehlenden Risi­ kofaktoren für Arteriosklerose. Dem Namen entspre­ chend ist CADASIL autosomal-dominant erblich. Die Diagnose lässt sich auf folgenden Wegen sichern: • Klinisch und MR-tomografisch • Hautbioptisch: osmiophile Einschlüsse in Arte­ riolen (GOM = Granular Osmiophilic Material) • Molekulargenetisch: Mutation des Notch3-Gens/ Ch 19p13.1, d. h. in Bande 13.1 des kurzen Armes (p = petit) von Chromosom 19 › Abb. 3.2 b zeigt das MRT eines Patienten mit ­CADASIL und schwerer Dysphagie aufgrund zweier bilateral-symmetrisch gelegener Endstrominfarkte. Als Haupttodesursache wurden bei CADASIL-Pa­ tien­ten Pneumonien ermittelt (38 %; Opherk et al. 2004). Vermutlich sind Aspirationen im Spät­sta­ dium also häufig.

• Polymyositis und Dermatomyostis

Systemische Vaskulitiden und ­Kollagenosen

Die jährliche Inzidenz des Schädel-Hirn-Traumas aller Schweregrade beträgt in Deutschland 150/ 100.000, für das schwere SHT mindestens 16/100.000 (Unterberg et al. 2003). Schluckstörungen beim SHT sind Folge • von Kontusionsblutungen des Großhirns, • sekundärenr (hirndruckbedingter) bzw. primärtraumatischer Hirnstammschädigungen oder • der sog. diffusen axonalen Schädigung (Diffuse Axonal Injury, DAI), einer vom Marklager des Großhirns (einschließlich Balken) bis in den Hirnstamm reichenden Schädigung der weißen Substanz. Oft sind die Dysphagien mit einer durch Hirn­ stammschädigung bedingten Aphonie/Dysphonie und/oder Anarthrie/Dysarthrie – bis hin zum trau­ matischen Mutismus – assoziiert. Seit dem in den letzten Jahren forcierten Aufbau neurologischneuro­chirurgischer Frührehabilitationsabteilungen (Phase B) in Deutschland wird deutlich, dass Dys­ phagien bei SHT-Patienten mit > 70 % viel häufiger sind als bisher vermutet (Prosiegel et al. 2000).

Systemische Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) gehen charakteristischerweise mit dem Nachweis antineutrophiler zytoplasmatischer Antikörpern (ANCAs) einher und umfassen u. a.: • Wegener-Granulomatose • Mikroskopische Polyangiitis • Klassische Panarteriitis nodosa (PAN) Patienten mit Kollagenosen (Autoimmunerkran­ kungen mit systemischem Befall des Bindegewebes, häufiger Organbeteilung und Immunphänomenen in vitro) sind klassischerweise positiv für an­ti­nu­ kleäre Antikörper (ANAs) auf. Man unterscheidet: • Systemischer Lupus erythematodes (SLE) • Sjögren-Syndrom (SS) • Sklerodermie/progressive systemische Skleroder­ mie (PSS)/systemische Sklerose (SSc) • CREST-Syndrom (Sonderform der Sklerodermie; Akronym für: Calcinosis, Raynaud, Esophagus, Sklerodaktylie, Teleangiektasien)

lap-Syndrom/Sharp-Syndrom

Sowohl bei systemischen Vaskulitiden als auch bei Kollagenosen (Burmester und Pezzutto 1998) treten je nach Läsionsort Dysphagien auf: • Bei der Wegener-Granulomatose können einer­ seits Hirnnerven befallen sein, andererseits vas­ kulitische ZNS-Herde vorkommen. • Beim Sjögren-Syndrom kommt es allein wegen des Sicca-Syndroms mit meist sehr ausgeprägter Xerostomie, aber auch durch ZNS-Beteiligung oder ösophageale Affektion zu Dysphagien. • Bei der Sklerodermie ist der Ösophagus häufig, beim CREST-Syndrom immer betroffen. Die isolierte Angiitis des zentralen Nervensystems (IAN) ist selten und kann je nach Lokalisation der vaskulitischen Herde mit einer neurogenen Dyspha­ gie einhergehen. Neben klinischen, angiographi­ schen und MRT-Befunden ist eventuell eine lepto­ meningeale oder parenchymatöse Biopsie notwen­ dig.

4.2.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

4.2 ZNS-Erkrankungen

4.2.3 Parkinson-Syndrome und andere Erkrankungen mit Bewegungsstörungen Parkinson-Syndrome Unter den Parkinson-Syndromen ist das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS; Syn.: Morbus Par­ kinson, Parkinson-Erkrankung) mit über 90 % am häufigsten (Inzidenz: 10/100.000, Prävalenz: 300/ 100.000 bzw. 1.000/100.000 bei über 60-Jährigen). Es kommt zu einem Untergang von Neuronen in der Pars compacta der Substantia nigra (schwarzen Sub­ stanz) des Mittelhirns. Typisch sind intrazelluläre Einschlusskörper (Lewy-Körper nach Friedrich H. Lewy) in der Substantia nigra und anderen Gehirn­ regionen. Die klassische Symptomatik umfasst: • Rigor • Tremor • Akinese • Störung der posturalen Kontrolle • Kognitive und vegetative Störungen In über 50 % liegt eine Dysphagie vor, mit folgenden Symptomen: • Probleme in der oralen Phase, z. B. Pumpbewe­ gungen der Zunge • Störung der Zungenbasisretraktion • Gestörter Glottisschluss • Dysfunktion des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) Das Auftreten einer Dyshagie korreliert mit dem Schweregrad (Hoehn-Yahr-Skala) des IPS, aber nicht mit der Erkrankungsdauer (Miller et al. 2009); Prävalenzangaben variieren stark und reichen von 11 % bis 81 % (Takizawa et al. 2016). Erfahrungsge­ mäß sprechen die oropharyngealen Dysphagien nicht so gut auf L-Dopa oder Dopaminagonisten an wie die anderen (motorischen) IPS-Symptome. Das liegt u.a. darin begründet, dass sich die Lewy-Körper nicht nur in Zellen der mesenzephalen Substantia nigra befinden, sondern z. B. auch im Nucleus dor­ salis n. vagi der Medulla oblongata und anderen schluckrelevanten, nichtdopaminergen Hirnstamm­ kernen, etwa dem pontinen Nucleus coeruleus und dem pontomesenzephalen Nucleus tegmentalis pe­ dunculopontinus (Hunter et al. 1997).

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Dysphagien infolge IPS sind keine Indikation zur tiefen Hirnstimulation (THS) des Nucleus subthala­ micus: Viele Parkinson-Symptome sprechen auf THS oft hervorragend an, Dysphagien bei den meis­ ten Betroffenen (zumindest mit den üblichen Reiz­ parametern) jedoch nicht (Troche et al. 2013). Lewy-Körper sind auch in Zellen des parasym­ pathischen Auerbach-Plexus von Ösophagus und Gastrointestinaltrakt (GIT) nachweisbar. Sie sind mitverantwortlich für häufige Störungen der öso­ phagealen Phase (ca. 65 %) sowie des GIT (z. B. Ob­ stipation) (Pfeiffer 2003).

Atypische Parkinson-Syndrome Zu den atypischen Parkinson-Syndromen (APS) gehören: • Progressive supranukleäre Blickparese (Progres­ sive Supranuclear Palsy, PSP), auch SteeleRichardson-Olszewski-Syndrom genannt • Multisystematrophien (MSA) • Lewy-Körper-Demenz (LBD)/Kosaka-Syndrom • Kortikobasale Degeneration (CBD; selten) Anfänglich kann die differenzialdiagnostische Ab­ grenzung der progressiven supranukleären Blickparese (PSP; Prävalenz: 6/100.000) vom IPS schwie­ rig sein. Die PSP ist eine neurodegenerative Erkran­ kung, bei der neben parkinsonähnlichen Sympto­ men eine axiale Dystonie und Rigidität (besonders der Nackenregion), eine vertikale Blickparese (v. a. nach unten), ein demenzielles Syndrom sowie pseu­ dobulbäre Zeichen und Dysphagien häufig (initial in ca. 16 %, im Verlauf in über 80 %) vorkommen. Die mittlere Überlebenszeit beträgt ca. 7 Jahre (1–23 Jahre), das Ansprechen auf Medikamente ist schlecht. Multisystematrophien (MSA; Prävalenz: 4/100.000) werden in die MSA-P (P für Parkinson) und die MSA-C (C für zerebellär) unterteilt. Das Verhältnis von MSA-P zu MSA-C beträgt ca. 80 zu 20 %. • Bei MSA-P dominieren Parkinson-Symptome, die schlecht auf L-Dopa bzw. Dopaminagonisten ansprechen. • Bei MSA-C steht eine progrediente zerebelläre Ataxie im Vordergrund.

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

Bei beiden MSA-Formen ist das autonome Nerven­ system mitbetroffen. Dies zeigt sich u. a. durch: • Arterielle Hypotonie • Gastrointestinale Störungen • Blasenstörungen durch den Befall des Nucleus Onuf(rowicz) im sakralen Rückenmark Demenzen sind eher selten bzw. relativ milde. Der Tod tritt meist infolge dysphagiebedingter Aspira­ tionspneumonien oder respiratorischer Probleme ein. Die Dysphagiehäufigkeit beträgt ca. 70 %. Bei inspiratorischem Stridor, der bei der MSA nicht sel­ ten (initial) auftritt, ist die Indikation zur Tracheoto­ mie zu erwägen. Die Überlebenszeit beträgt etwa 7 Jahre. 4 Dysphagie als prognostischer Indikator • Bei

IPS können Dysphagien im ersten Erkrankungsjahr auftreten; bei frühem Beginn sind aber differenzialdia­ gnostisch immer atypische Parkinson-Syndrome zu er­ wägen. • Die mittlere Überlebenszeit nach Auftreten einer klinisch relevanten Dysphagie bei PSP und MSA beträgt jeweils nur ca. 1–2 Jahre. Damit ist die Dysphagie bei PSP und MSA ein prognosti­ scher Indikator bezüglich der noch verbleibenden Überle­ benszeit (Müller et al. 2001).

aus dem Mund „katapultiert“ wird. Beide Erkran­ kungen können sich (selten) auch erst im Erwachse­ nenalter manifestieren (Bader et al. 2010).

Morbus Wilson Beim autosomal-rezessiv erblichen Morbus Wilson (hepatolentikuläre Degeneration; Prävalenz: 1–3/ 100.000) handelt es sich um eine seltene Kupfer­ stoffwechselstörung mit übermäßiger Kupfereinla­ gerung in Leber, ZNS, Hornhaut und anderen Orga­ nen. Die Wilson-Krankheit beginnt entweder früh (juveniler Typ; zwischen dem 5. und 20. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter (adulter chronisch-pro­ gredienter Typ; zwischen dem 20. und 40. Lebens­ jahr). Hauptsymptome sind: • Psychische Auffälligkeiten • Tremor (viele Varianten bis hin zum Flügel­ schlagtremor, „flapping tremor“) • Rigidität • Dysarthrie • Dysphagie (in etwa 50 %; Machado et al. 2006) Eine medikamentöse Therapie, die eine vermehrte Kupferausscheidung zum Ziel hat, ist verfügbar.

Dyskinesien Chorea Die autosomal-dominante Chorea Huntington ist durch choreatische Hyperkinesen und eine zuneh­ mende demenzielle Entwicklung gekennzeichnet. Typischerweise entwickelt sich im Verlauf dieser Er­ krankung auch eine Dysphagie. Nach der Chorea Huntington sind die wahr­ scheinlich zweithäufigsten erblichen mit Chorea ein­ hergehenden Erkrankungen das seltene X-chromo­ somal erbliche McLeod-Syndrom (Prävalenz: 0,5– 1/100.000) und die etwa 3-mal häufigere autosomalrezessiv erbliche Chorea-Akanthozytose (CHAC). Bei beiden Erkrankungen kommen Erythrozyten mit Dornfortsätzen (gr. akantha = Dorn) vor. Die Dysphagiehäufigkeit beträgt beim McLeod-Syn­ drom bzw. bei der Chorea-Akanthozytose 10 bzw. 62 %. Typisch für die Dysphagie bei CHAC sind akti­ onsabhängige Zungenprotrusionen, sodass Nahrung

Die zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus) ist durch fokale Dystonien, d. h. unwillkürliche, an­ haltende, zu teilweise bizarren Bewegungsabläufen führende Muskelkontraktionen im Bereich der Halsund Nackenmuskulatur gekennzeichnet. Diese ge­ hen einher mit Kopfdrehungen (rotatorischer Torti­ kollis) oder Kopffehlstellungen (Antero-, Retro-, La­ terokollis). Mögliche Ursachen von Dysphagien: • Mechanisch, d. h. durch sekundäre Beeinträchti­ gungen des oropharyngealen Trakts infolge unkoordinierter Kontraktionen der Hals-/Na­ ckenmuskeln • Primär-neurogen, d. h. durch dystone Bewegun­ gen der oropharyngealen Muskulatur Ertekin et al. zufolge betrug die klinisch vermutete Häufigkeit von Dysphagien bei den Betroffenen ca. 30 %, die neurophysiologisch bestätigte aber über 70 % (Ertekin et al. 2002). Dabei waren mechanische

4.2 ZNS-Erkrankungen Ursachen selten, primär-neurogene Ursachen, u. a. verzögerte Reflexauslösung, Hyperreflexie des OÖS, sehr häufig. Tardive Dyskinesien (Spätdyskinesien) kom­ men nach Medikation mit Neuroleptika vor (› Kap. 4.7.1).

Myoklonien und Tremor Myoklonien sind nichtrhythmische Muskelzuckun­ gen und treten bei unterschiedlichsten Erkrankun­ gen und Läsionslokalisationen (kortikal, subkorti­ kal, Hirnstamm, spinal) auf. Sie können das koordi­ nierte Zusammenspiel der Schluckmuskeln stören und Dysphagien verstärken. Auch bei den posthypoxischen Aktionsmyoklonien (Lance-Adams-Syndrom) können Schluck­ muskeln mitbetroffen sein. Beim symptomatischen Gaumensegeltremor (früher: Gaumensegel-Myoklonus oder -Myorhyth­ mie) tritt ein Tremor mit einer Frequenz von 1–3/s (60–180/min) auf. Dieser kann auch die orale, pha­ ryngeale, laryngeale, Gesichts- sowie die Extremitä­ tenmuskulatur einbeziehen. Ursache sind Hirnstamm- oder Kleinhirnläsio­ nen, die Komponenten des sog. Guillain-MollaretDreiecks betreffen: • Nucleus ruber des Mittelhirns • Zentrale Haubenbahn (Tractus tegmentalis cen­ tralis) • Untere Olive der Medulla oblongata • Fasern (über den unteren Kleinhirnstiel) zum kontralateralen Kleinhirn • Fasern (über den oberen Kleinhirnstiel) zum kontralateralen Nucleus ruber Die zentrale Haubenbahn ist besonders empfindlich (z. B. Trauma, multiple Sklerose, Hypoxie). In der MRT ist bei Unterbrechung in diesem Funktions­ kreis eventuell eine Olivenhypertrophie nachweis­ bar: Degenerationsvorgänge in der unteren Olive vergrößern – zumindest vorübergehend – die Neu­ ronen. Myoklonien und Gaumensegeltremor treten oft erst mit einer Latenz von Wochen oder Monaten nach Erkrankungsbeginn auf. Sie nehmen nicht sel­ ten im weiteren Verlauf zu und sind meist schlecht therapierbar, weil die Nebenwirkungen der einge­

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setzten Medikamente bei Aufdosierung einen limi­ tierenden Faktor darstellen (z. B. Sedierung). In neurologischer Hinsicht pathognomonisch für das Vorliegen eines Morbus Whipple (› Kap. 4.9) soll eine Kombination aus Konvergenznystagmus und palatalen, lingualen sowie mandibulären Hy­ perkinesen („oculomasticatory myorhythmia“) sein (Perkin und Murray-Lyon 1998). Die WhippleKrankheit geht mit Diarrhö, Gewichtsverlust und Arthralgien einher und wird durch das grampositive Bakterium Tropheryma whippelii verursacht. Dys­ phagien kommen bei zerebraler Beteiligung vor.

4.2.4 ZNS-Tumoren In der prospektiven Studie von Newton et al. (1994) traten bei 117 Patienten einer neurologischen Ein­ richtung in 14,5 % Dysphagien auf, davon 30 % prä­ operativ, 30 % unmittelbar postoperativ und 40 % im weiteren Verlauf. Die Vigilanz korrelierte signifi­ kant mit dem Schweregrad der Dysphagie. Der re­ tro­spektiven Studie von Mukand et al. (2001) an 51 Patienten einer Rehabilitationseinrichtung zufolge litten 26 % an Dysphagie. In der retrospektiven Studie von Wesling et al. (2003) betrug die Dysphagiehäufigkeit bei Hirntu­ morpatienten 63 % (24 von 38), was sicher keine re­ präsentative Zahl ist. Diese Studie ist jedoch interes­ sant, weil sie das Outcome von Tumorpatienten mit dem von Schlaganfallpatienten verglich: Schlucksta­ tus, Dauer des Aufenthalts (Tumorpatienten 21,7 Tage, Schlaganfallpatienten 28,8 Tage) und Kosten waren in beiden Gruppen etwa identisch. In 80 % handelte es sich um primäre Hirntumoren, davon nur 20 % benigne. Bei den restlichen 20 % handelte es sich um Hirnmetastasen. Bei dysphagischen Patienten mit (bösartigen) ZNS-Tumo­ ren ist eine Schlucktherapie sinnvoll und notwendig.

Patienten mit Tumoren der hinteren Schädelgrube, der Rautengrube oder des IV. Ventrikels können schwere Dysphagien entwickeln, obwohl Hirnnerven selbst meist nicht betroffen sind. Ist dies doch der Fall, ist meist der sehr weit hinten in der Medulla ob­ longata gelegene Kern des N. hypoglossus affiziert.

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

Die Dysphagien entwickeln sich oft erst nach operati­ ver Entfernung des Tumors (z. B. Ependymom). Ur­ sächlich sind am ehesten kleine Blutungen vermut­ lich venöser Genese im dorsalen Abschnitt der ros­ tralen Medulla oblongata (Prosiegel et al. 2005). Wahrscheinlich kommt es bei Tumoren des IV. Ventrikels zu (bilateralen) Schädigungen der DCPGs (› Abb. 3.5 und › Abb. 3.6). Bei einseitigen Tu­ moren eines Hirnnervs sind Dysphagien meist leich­ ter, weil keine Central Pattern Generators for Swal­ lowing (› Kap. 3) betroffen sind (Prosiegel et al. 2005). So leiden etwa Patienten mit einem Neuri­ nom des X. bzw. XII. Hirnnervs zwar an einer einsei­ tigen Parese des ipsilateralen Hemipharynx bzw. der ipsilateralen Zungenhälfte. Die assoziierte Dyspha­ gie besitzt in der Regel aber eine sehr gute Rehabili­ tationsprognose. Allerdings ist das Outcome von Dysphagien bei Tumoren, die mehrere schluckrelevante Hirnnerven affizieren – etwa Raumforderungen des Foramen ju­ gulare (z. B. Glomus-jugulare-Tumoren) – schlech­ ter und der Rehabilitationsverlauf verzögerter. Schädelbasistumoren, die mehrere bulbäre Hirnnerven affizieren, verursachen ähnliche klinische Symptome wie ALS und können Anlass zu Verwechselungen geben.

• Sensomotorische Störungen • Nystagmus • Schlafapnoesyndrom Eine Chiari-I-Malformation stellt aufgrund ähnlicher kli­ nischer Symptome (beidseitige Zungenatrophie mit Fibril­ lationen, Dysphagie) eine wichtige Differenzialdiagnose zur bulbären Verlaufsform der ALS (› Kap. 4.2.9) dar.

Paulig und Prosiegel (2002) beschrieben den ent­ sprechenden Fall einer 78-jährigen Patientin (› Abb. 4.2). Die Chiari-I-Malformation ist neurochirurgisch u. a. durch subokzipitale Dekompression ggf. mit Duraplastik erfolgreich therapierbar.

Syringobulbie Patienten mit einer Syringobulbie, einer Höhlenbil­ dung im unteren Hirnstamm, haben neben Kopf­ schmerzen, Schwindel, Dysphonie/Dysarthrie, Tri­ geminusparästhesien, Doppelbildern und Tinnitus oft Dysphagien. Die Syringobulbie tritt entweder kombiniert mit einer Chiari-Malformation oder

4.2.5 ZNS-Fehlbildungen In Bezug auf Dysphagien spielen im Erwachsenenal­ ter 2 Fehlbildungen des ZNS eine Rolle: • Chiari-I-Malformation • Syringobulbie

Chiari-I-Malformation Bei der Chiari-I-Malformation verlagern sich die Kleinhirntonsillen meist in der 3. oder 4. Lebensde­ kade, teilweise aber erst im hohen Alter, ins Hinter­ hauptloch und üben Druck auf den Hirnstamm aus (› Abb. 4.2). Typische Zeichen sind: • Nackenkopfschmerzen • Kaudale Hirnnervenausfälle • Zerebelläre Zeichen

Abb. 4.2  Chiari-I-Malformation im T1-gewichteten kranialen MRT (sagittale Schnittführung). Verlagerung der Kleinhirnton­ sillen nach unten (Pfeil) ins Hinterhauptloch mit resultierender Kompression der Medulla oblongata von hinten. Die 78-jähri­ ge Patientin wurde mit der Fehldiagnose „bulbäre ALS“ zur Schlucktherapie überwiesen. Sie litt unter beidseitiger starker Zungenatrophie mit Fibrillieren und schwerer Dysphagie [T545]

4.2 ZNS-Erkrankungen idiopathisch auf oder wird durch andere Erkrankun­ gen wie Trauma oder Entzündungen verursacht. Auch sie kann zu Verwechselungen mit der ALS An­ lass geben.

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Es handelt sich in beiden Fällen um das Human TCell Lymphotropic Virus HTLV III. Durch HIV-In­ fektionen des zentralen oder peripheren Nervensys­ tems bzw. bei Neuro-AIDS können auf vielfältige Weise Dysphagien entstehen.

4.2.6 Infektionskrankheiten des ZNS Poliomyelitis Die Poliomyelitis ist eine fäkal-oral übertragene Virus­infektion, die die Motoneuronen des Hirn­ stamms und Rückenmarks befällt und mit Dyspha­ gien einhergehen kann. Sie kommt endemisch nur noch in Afghanistan und Pakistan vor. In Europa ist das sog. Postpoliosyndrom (PPS) von Bedeutung. Es tritt im Mittel ca. 30 Jahre nach durchgemachter Poliomyelitis bei mehr als jedem 2. ehemals Betroffenen auf. Das PPS kommt in 2 Va­ rian­ten (Borg 1996) vor: • Patienten mit dieser Variante klagen über Mus­ kel- und Gelenkschmerzen sowie Kälteintoleranz bzw. subjektives Kältegefühl. • Die Postpolio-Muskeldysfunktion oder -atrophie (PPMD oder PPMA) – geht mit Muskelschwä­ chen (Verstärkung vorbestehender Schwächen oder Schwächen vormals nichtbefallener Mus­ keln) und/oder mit Muskelatrophien einher. Im Rahmen der PPMD/PPMA können Dysphagien auftreten bzw. vorbestehende Dysphagien ver­ stärkt werden.

Meningitis/Enzephalitis Meningitiden/Enzephalitiden, die den Hirnstamm (mit)betreffen, verursachen besonders häufig Dys­ phagien. Unter den Bakterien befallen besonders die grampositiven Listerien den Hirnstamm (ListerienMeningoenzephalitis).

HIV-Infektionen Beim Humanen Immunschwächevirus HIV kennt man 2 Untertypen: • HIV 1 • HIV 2 (bei uns viel seltener)

HIV-assoziierte Erkrankungen, die eine Dysphagie hervorrufen können • HIV-assoziierte

Enzephalopathie bis hin zum AIDS-De­ menz-Komplex • Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) • Meningoenzephalitiden durch: – Kryptokokken – Toxoplasmen – Zytomegalievirus (CMV) – Herpes-simplex-Virus (HSV) – Varicella-Zoster-Virus (VZV) – Mykobakterien – Candida – Syphiliserreger • ZNS-Lymphome • HIV-Myopathie • HIV-Neuropathie (z. B. AIDP, › Kap. 4.3.1).

Bei der progressiven multifokalen Leukenzephalo­ pathie (PML), verursacht durch das JC-Virus (ein Papovavirus), sind Dysphagien mit etwa 85 % häu­ fig. Eine kausale Therapie der PML existiert bislang nicht. Bei CMV-Infektion wurde eine mit Dysphagie einhergehende Polyneuritis cranialis beschrieben. Bei HIV-Infizierten ist immer an eine Ösophagitis (z. B. durch Candida oder CMV) zu denken.

HTLV-I-Infektionen HTLV I verursacht Leukämien oder, durch Befall des Rückenmarks, die sog. tropische spastische Pa­ raparese. Dysphagien durch dieses Virus sind in ­seltenen Fällen beschrieben, bei denen neben dem Rückenmark das Gehirn betroffen war.

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

4.2.7 Entzündliche Erkrankungen des ZNS

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linum-Neurotoxin (BoNT) auf. Das Gift des gram­ positiven, sporenbildenden, anaeroben Bakteriums Clostridium botulinum ist das stärkste bakterielle Multiple Sklerose (MS) Toxin (letale Humandosis 0,1–1 µg, d. h. unter 1 Millionstel Gramm). Das Gift verhindert präsynap­ Die multiple Sklerose ist eine entzündliche ZNS-­ tisch die Ausschüttung von Acetylcholin. Erkrankung (Inzidenz: 5/100.000, Prävalenz: 100/ 6–60 Stunden nach Verzehr von vergiftetem Le­ 100.000) mit autoimmuner Pathogenese und unge­ bensmittel, meist Fleisch/Fisch oder Hülsenfrüchte klärter Ätiologie. Sie geht mit Demyelinisierungen aus unsachgemäß verarbeiteten Konserven, kommt (Entmarkungen) von Axonen einher. Nach neueren es zu folgenden Symptomen: Untersuchungen kommen Dysphagien bei 30–40 % • Bauchschmerzen der MS-Patienten vor. Dabei besteht eine positive • Übelkeit/Erbrechen Korrelation zwischen dem Schweregrad der Behin­ • Obstipation oder Durchfall derung und der Auftretenswahrscheinlichkeit von Dann entwickeln sich neben autonomen Sympto­ Schluckstörungen. Von den MS-Patienten mit Dys­ men wie Mydriasis, Xerostomie und arterieller Hy­ phagie haben jedoch immerhin 17 % nur eine gerin­ potonie zusätzlich Verschwommensehen, Doppel­ ge Behinderung. Es gibt keine MS-typischen dyspha­ bilder, Dysarthrie und Dysphagie sowie eine zuneh­ gischen Störungsmuster (Prosiegel et al. 2004). Der mende Schwäche der Körpermuskulatur bis hin zur bei schweren Verläufen einsetzbare monoklonale Tetraparese. Antikörper Natalizumab (Tysabri®) verringert die Beim Säuglingsbotulismus liegt eine Vergiftung Schubrate um ca. 60 %, führt aber bei etwa einem durch Aufnahme von Bakteriensporen vor (meist in von 1.000 Betroffenen zu einer PML, die ihrerseits Honig), die im Darm auswachsen und Toxin bilden. häufig mit Dysphagien assoziiert ist (s. o.). Die Behandlung besteht in Gabe eines Antitoxins, Intensivtherapie (Beatmung), Magenspülung und hohem Einlauf. Ohne Therapie beträgt die Letalität 4.2.8 Metabolische und toxische beim Erwachsenen 20 %, beim Säugling ist sie nied­ Erkrankungen riger.

Myelinolysen Bei der zentralen pontinen Myelinolyse (ZPM) han­ delt es sich um eine osmotisch bedingte Entmar­ kung zentraler Abschnitte der Brücke, meist bei zu rasch ausgeglichener Hyponatriämie und/oder bei Alkoholismus, nach (Leber-)Transplantationen bzw. bei Ciclosporintherapie. Auch extrapontine Myelinolysen (EPM) sind nicht selten und betreffen u. a. Basalganglien, Kleinhirn und Thalamus. Dysphagien sind bei ZPM bzw. EPM sehr häufig und bil­ den sich unter Schlucktherapie meist gut zurück.

Botulismus Der Nahrungsmittelbotulismus (lat. botulus = Darm, Wurst) tritt durch orale Aufnahme von Botu­

4.2.9 Degenerative Motoneuron­ erkrankungen Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) Die amyotrophe Lateralskerose ist die häufigste de­ generative Motoneuronerkrankung des Erwachse­ nen (Inzidenz: 2/100.000, Prävalenz: 7/100.000). Sie tritt in über 90 % sporadisch auf und ist ansonsten genetisch determiniert. Es handelt sich um eine ätiologisch bislang unge­ klärte Degeneration des 1. und des 2. Motoneurons. Der Befall der Motoneuronen im primär-motori­ schen Kortex führt zu einer Degeneration der korti­ kobulbären Bahnen. Die Degeneration der Moto­ neurone der Hirnstammkerne (V, VII, IX, X, XII) bewirkt schlaffe Paresen und Atrophien der „bulbä­ ren“ Muskulatur.

4.3  Erkrankungen des peripheren Nervensystems Klinisch charakteristisch für ALS ist ein Nebenei­ nander von Spastik/spastischen Paresen, Pyrami­ denbahnzeichen und gesteigerten Reflexen (1. Mo­ toneuron) einerseits sowie von schlaffen Paresen, Muskelatrophien und Faszikulieren/Fibrillieren (2. Motoneuron) andererseits. Die mittlere Überlebensdauer beträgt 3–5 Jahre. Eine Lebensverlängerung um wenige Monate ist bei Gabe des einzigen bislang zugelassenen Medika­ ments Riluzol (Rilutek®), eines Glutamatantagonis­ ten, möglich. Die Häufigkeitsangaben von Dysphagien variieren zwischen 48 und 100 %. In etwa 25 % beginnt die ALS in Form der Bulbärparalyse. Diese sog. bulbäre Ver­ laufsform der ALS ist besonders rasch progredient und geht bereits initial mit einer Dysphagie einher. Differenzialdiagnosen, die zu einer Verwechse­ lung mit ALS Anlass geben können, sind: • Chiari-Malformation (› Kap. 4.2.5) • Syringobulbie (› Kap. 4.2.5) • Einschlusskörpermyositis (› Kap. 4.5.2) • Schädelbasistumoren (› Kap. 4.2.4) • Spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Ken­ nedy

Spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Kennedy Eine wichtige Differenzialdiagnose zur ALS ist die seltene X-chromosomal erbliche spinobulbäre Mus­ kelatrophie (SBMA) Typ Kennedy („Kennedy’s di­ sease“). Atrophien und Faszikulieren/Fibrillieren der Gesichts- und Zungenmuskulatur mit begleiten­ der neurogener Dysphagie stehen klinisch neben langsam fortschreitenden Atrophien der Extremitä­ tenmuskeln im Vordergrund. Die Erkrankung ma­ nifestiert sich fast nur bei Männern, meist im jungen Erwachsenenalter. Es finden sich oft eine Gynäko­ mastie (Brustbildung), eine Hodenatrophie sowie niedrige Serum-Testosteron- und erhöhte SerumEstrogen-Spiegel. Pathogenetisch relevant ist eine CAG-TriplettVerlängerung im Androgenrezeptor-Gen des XChromosoms, d. h., die Anzahl der die Aminosäure Glutamin kodierenden Trinukleotidsequenz Cyto­ sin-Adenin-Guanin ist von normalerweise 12–30 auf 40–52 erhöht.

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Spinale Muskelatrophien (SMA) Spinale Muskelatrophien spielen beim Erwachse­ nen hinsichtlich Dysphagien zahlenmäßig eine ge­ ringere Rolle. Unter den 4 proximalen Typen treten nach Messina et al. (2008) etwa beim Typ II Dyspha­ gien in ca. 25 % auf.

4.2.10 Hohe Querschnittlähmungen Bei traumatisch bedingten zervikalen Läsionen des Rückenmarks können Dysphagien auftreten. Dies war in einer Studie von Kirshblum et al. (1999) bei 16,5 % der Betroffenen der Fall. Die Autoren fanden 3 Hauptprädiktoren für das Auftreten einer Dyspha­ gie: 1. Höheres Alter 2. Tracheostoma bzw. Notwendigkeit der Beatmung 3. Anteriorer operativer Zugang zur Halswirbelsäu­ le (› Kap. 4.7.3) Besonders ungünstig hinsichtlich der Auftretens­ wahrscheinlichkeit einer Dysphagie scheint dabei die Kombination aus Punkt 2, vermutlich wegen der gestörten Larynxelevation, und Punkt 3, vermutlich aufgrund der Verletzung des vagalen Plexus pharyn­ geus, zu sein.

4.3 Erkrankungen des peripheren Nervensystems 4.3.1 Akute inflammatorische ­demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) Die akute inflammatorische demyelinisierende Po­ lyneuropathie ist die klassische und gleichzeitig häu­ figste Form des Guillain-Barré-Syndroms (GBS). Sie beruht auf einer immunvermittelten Demyelinisie­ rung peripherer Nerven(wurzeln) (Polyneuritis, Po­ lyradikulitis). Mit einer Latenz von etwa 10 Tagen tritt sie oft im Gefolge von Atemwegs- oder gastroin­ testinalen Infekten oder nach Operationen bzw. Impfungen auf (Inzidenz: 1,5/100.000). Bei den In­ fekten ist insbesondere Campylobacter jejuni zu

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

nennen. Die Verläufe sind bei Nachweis dieses Erre­ gers schwerer und die Restitutionsprognose ist schlechter. Im Liquor findet sich ein erhöhter Ei­ weißgehalt bei weitgehend normaler Zellzahl. Oft sind die kaudalen Hirnnerven mit resultierenden mehr oder weniger schweren Dysphagien affiziert.

4.3.2 Miller-Fisher-Syndrom (MFS) und Polyneuritis cranialis

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Diese beiden Erkrankungen gelten als Sonderfor­ men der AIDP: • Das Miller-Fisher-Syndrom (MFS) ist durch ex­ terne Ophthalmoplegie, Ataxie, Areflexie und oft durch eine Dysphagie charakterisiert. • Bei der Polyneuritis cranialis kommt es zu einem symmetrischen Befall kaudaler Hirnnerven ein­ schließlich Dysphagien. Die Anti-Gangliosid-Antikörper Anti-GQ1b bzw. Anti-GT1a sind beim MFS bzw. bei der Polyneuritis cranialis meist positiv.

4.4 Erkrankungen der neuromuskulären Übergangsregion Der Überträgerstoff an der neuromuskulären Synap­ se ist Acetylcholin (ACh). Präsynaptisch freigesetz­ tes ACh bindet an ACh-Rezeptoren (AChR) der postsynaptischen Muskelmembran. Muskelspezifi­ sche Rezeptor-Tyrosinkinase (MuSK) ist für die An­ ordnung und Anzahl – sog. Clustering – der AChR verantwortlich.

4.4.1 Myasthenia gravis Die Myasthenia gravis (Inzidenz: 0,5/100.000, Prä­ valenz: 5/100.000) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Autoantikörper die AChR der Muskelend­ platte besetzen und damit die Rezeptorbindung von präsynaptisch freigesetztem ACh blockieren. Die daraus resultierende Schwäche betrifft insbe­ sondere die Muskeln der Augen und der proximalen Extremitätenabschnitte sowie sehr häufig auch Pha­

rynx und Kaumuskulatur. Die abnorme Ermüdbar­ keit der Muskulatur ist wechselnd ausgeprägt und wird im klassischen Fall besonders deutlich bei Be­ lastung bzw. am Abend. Myastheniebedingte Dysphagien gehen häufig mit einer beidseitigen, belastungsabhängigen Pha­ rynxkontraktionsschwäche und einer Kaustörung einher. Die Häufigkeit einer Dysphagie als Erstsym­ ptom wird mit 17 %, im späteren Verlauf mit 53 % angegeben. Gerade okulobulbäre Myastheniefor­ men, bei denen Dysphagien nicht selten vorkom­ men, sind oft seronegativ (in 50 % sind MuSK-AK nachweisbar). Diese Patienten sprechen eher schlecht auf die übliche medikamentöse Therapie an, hingegen besser auf Plasmapherese (Hanisch et al. 2004; Vincent et al. 2004). Die Therapie besteht u. a. in der Gabe von Cho­ linergika (Pyridostigmin, z. B. Mestinon®), Immun­ suppressiva, intravenösen Immunglobulinen bzw. Plasmapherese. Bei jüngeren Patienten bzw. bei sol­ chen mit Thymom sollte eine Thymektomie erfol­ gen.

4.4.2 Lambert-Eaton-Syndrom (LES) Das seltene Lambert-Eaton-Syndrom/Lambert-Ea­ ton-Myasthenisches-Syndrom (LEMS) kommt in etwa 60 % als immunvermitteltes paraneoplasti­ sches Syndrom vor, am häufigsten bei Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom. Dabei behindern Antikörper gegen spannungsabhängige Kalziumka­ näle (Voltage-Gated Calcium Channels, VGCC) die präsynaptische Freisetzung von ACh in den synapti­ schen Spalt. Bei LES-Formen, denen kein Tumorlei­ den zugrunde liegt, ist der Pathomechanismus un­ bekannt. Die vorschnelle Ermüdbarkeit betrifft vorwiegend die Beckengürtelmuskulatur. Ptose, Doppelbilder und Dysphagien sowie vegetative Störungen treten im weiteren Verlauf hinzu. Die Häufigkeit von Schluckstörungen wird in der Literatur zwischen 24 und 34 % angegeben (Payne et al. 2005). Die Therapie besteht in der Gabe von 3,4-Diami­ nopyridin (Firdapse®) und eventuell der Behand­ lung des zugrunde liegenden Tumors. Ansonsten kommen Immunsuppressiva, intravenöse Immun­ globuline bzw. Plasmapherese zum Einsatz.

4.5  Erkrankungen der ­Muskulatur

4.4.3 Botulismus Zum Nahrungsmittel- und Säuglingsbotulismus › Kap. 4.2.8.

4.5 Erkrankungen der ­Muskulatur 4.5.1 Muskeldystrophien und ­Myopathien Dystrophia myotonica CurschmannSteinert-Batten Die Dystrophia myotonica vom Typ 1 (DM1) – Cur­ schmann-Steinert-Batten (dystrophische Myotonie, myotone Dystrophie) – ist eine autosomal-domi­ nant erbliche Muskelerkrankung (Prävalenz: 3–15/100.000). Sie beruht auf einer Vermehrung von CTG-Trinukleotid-Wiederholungen auf Chro­ mosom 19q13.3 und geht mit einer Schwäche der Gesichts- und Pharynxmuskulatur sowie der dista­ len Extremitätenmuskeln einher. Der Ausdruck „Myotonie“ weist auf die verzöger­ te Muskelerschlaffung nach stattgehabter Kontrakti­ on hin. So kann es den Patienten z. B. Schwierigkei­ ten bereiten, nach einem kräftigen Händedruck die Hand wieder loszulassen, oder die Zunge kontra­ hiert nach einer Perkussion mit dem Reflexhammer bzw. die resultierende Delle löst sich nur langsam (Perkussionsmyotonie). Wie Ertekin et al. (2001) berichten, litten 70 % der Patienten mit dystrophi­ scher Myotonie an einer Dysphagie; neben oropha­ ryngealen Symptomen dominierte eine Öffnungs­ störung des oberen Ösophagussphinkters. Auch ösophageale Motilitätsstörungen kommen bei DM1 vor (Eckardt et al. 1986). Bei der DM2, die bevorzugt proximale Muskeln befällt (daher das Kürzel PROMM für proximale myotone Myopathie), spielen Dysphagien zahlen­ mäßig kaum eine Rolle.

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Okulopharyngeale Muskeldystrophie (OPMD) Die okulopharyngeale Muskeldystrophie des mittle­ ren bis höheren Erwachsenenalters ist eine autoso­ mal-dominant erbliche Erkrankung. Sie geht mit ei­ ner progredienten Ptose und einer Dysphagie infol­ ge Muskelschwäche der Augenlider und des Pharynx einher (Prävalenz: 0,5/100.000). Da meist auch eine Relaxationsstörung des oberen Ösophagussphink­ ters vorliegt, können die Patienten von einer kriko­ pharyngealen Myotomie profitieren. Man findet bei ihnen GCG- oder GCA-Triplett-Verlängerungen auf Chromosom 14q11. Die Progredienz der Ptosis kor­ reliert mit der Schwere der Dysphagie; Grund ist, dass die Betroffenen zur besseren Sicht durch die schmale Lidspalte ihren Hals überstrecken („astrologist‘s view“). Dies wirkt sich negativ auf Schluckparameter aus (de Swart et al. 2006).

Andere Muskeldystrophien Andere Arten der Muskeldystrophie wie die X-chro­ mosomal erbliche und daher nur bei männlichen Patienten im Kindesalter auftretende Muskeldystro­ phie vom Typ Duchenne spielen im Erwachsenenal­ ter bezüglich Dysphagien kaum eine Rolle.

Hereditäre metabolische Myopathien und endokrine Myopathien Unter hereditären metabolischen Myopathien fasst man (seltene) Störungen im Kohlenhydrat-, Li­ pid-, Purin- und Mitochondrienstoffwechsel sowie die Ophthalmoplegia plus bzw. das Kearns-SayreSyndrom zusammen. Es handelt sich um Muskeler­ krankungen, die auf einem Defekt eines oder mehre­ rer mitochondrialer Enzyme beruhen, die die Ener­ giegewinnung der Muskelzelle vermitteln. In der Trichromfärbung finden sich als typischer mikro­ skopischer Befund „ragged red fibers“ („zerlumpte rote Fasern“). Die Ophthalmoplegia plus ist durch Ptose, Au­ genmuskellähmungen und den Befall mimischer Muskeln, der Kaumuskeln sowie Dysphagien ge­ kennzeichnet. Das Kearns-Sayre-Syndrom ist eine

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

Variante, bei der zu diesen Symptomen u. a. eine Retinopathia pigmentosa und kardiale Reizleitungs­ störungen hinzutreten. Endokrinologische Erkrankungen oder Störun­ gen können zu Dysphagien führen. So verursachen Hyper- oder Hypothyreose pharyngeale Muskel­ schwächen. Ein erhöhter Kortisonspiegel schwächt die pharyngeale Muskulatur, z. B. beim CushingSyndrom bzw. häufig im Rahmen einer Kortikoste­ roidtherapie („Kortisonmyopathie“).

4.5.2 Muskelentzündungen (­Myositiden) 4

Polymyositis, Dermatomyositis, Einschlusskörpermyositis Polymyositis (PM), Dermatomyositis (DM) und Einschlusskörpermyositis (Inclusion Body Myositis, IBM) sind entzündliche Muskelerkrankungen; die IBM ist die häufigste, im Erwachsenenalter auftre­ tende Muskelerkrankung. Die Assoziation mit Malignomen ist bei der DM höher als bei der PM und bei der PM höher als bei der IBM. Während PM und DM meist akut/subakut mit proximalen Muskelschwächen auftreten, liegen bei der IBM nicht selten langsam-progrediente distale Schächen/Atrophien vor. Diese können fälschlicher­ weise eine ALS vermuten lassen (› Kap. 4.2.9). Die Dysphagiehäufigkeit bei PM und DM (Inzidenz: 0,5– 1/100.000) wird in der Literatur mit 12–54 % veran­ schlagt (Kuhlemeier 1994). Bedeutend häufiger als früher angenommen sind Dysphagien bei der IBM (Prävalenz: 0,5–1/100.000). Sie sollen bei bis zu 80 % der IBM-Patienten vorkommen (Houser et al. 1998).

Granulomatöse Myositis Eine granulomatöse Myositis tritt im Rahmen einer Sarkoidose (Morbus Boeck), aber auch isoliert auf.

Parasitosen Bei der Trichinose (Fadenwurminfektion) kommt es durch Genuss von rohem oder ungenügend ge­

kochtem Fleisch zu einem Trichinenbefall der Mus­ kulatur. Dysphagien sind in diesem Zusammenhang beschrieben worden. Bei der Zystizerkose befallen die Larven des Schweinebandwurmes (Taenia solium) die Musku­ latur und führen nicht selten zu röntgenologisch nachweisbaren Verkalkungen der Muskulatur. Fälle mit Zungenbefall sind beschrieben worden. Dyspha­ gien können vor allem bei zerebraler Zystizerkose vorkommen.

4.6 Langzeitbeatmung, CriticalIllness-Polyneuro­myopathie (CIPNM) Tolep et al. (1996) fanden bei langzeitbeatmeten Pa­ tienten in ca. 80 % Schluckstörungen, eine scheinbar sehr hohe Quote. Nach neueren Studien mittels Fi­ berendoskopie sind es über 50 %, wobei stumme Aspirationen sehr häufig vorkommen (Ajemian et al. 2001; El Solh et al. 2003). Die Critical-Illness-Polyneuromyopathie tritt ins­ besondere bei Patienten auf, die auf Intensivstatio­ nen längere Zeit wegen Multiorganversagens (Mul­ tiple Organ Dysfunction Syndrome, MODS) bzw. Sepsis/systemischer Entzündungsreaktion (Syste­ mic Inflammatory Response Syndrome, SIRS) be­ handelt/beatmet wurden. Es entwickeln sich: • Eine Tetraplegie • Probleme bei der Entwöhnung von der Beatmung (Weaning) infolge einer Schwäche der Atemmus­ kulatur Bei der CIPNM scheint hochdosierte Kortikosteroid­ behandlung bzw. die Gabe von nichtdepolarisieren­ den Endplattenblockern und/oder von Aminoglyko­ sidantibiotika zu einem selektiven Verlust von Myo­ sinfilamenten zu führen. Die Pathomechanismen der CIPNM sind im Einzelnen noch nicht geklärt. Da begleitende septische Enzephalopathien auftreten, ist es oft schwer, bei Dysphagien zu unterscheiden, ob sie Folge der CIPNM, der begleitenden septischen Enzephalopathie oder der Langzeitbeatmung per se sind. Unserer Erfahrung nach ist die Restitutions­ prognose von Dysphagien bei Patienten nach Lang­ zeitbeatmung/CIPNM gut. Dies wird durch eine ak­

4.7  Iatrogene Ursachen tuelle Arbeit von Ponfick et al. (2015) gestützt, wo­ nach sich videoendoskopisch bei 20 von 22 CIP-Pa­ tienten eine Dysphagie fand, die sich aber innerhalb von vier Wochen zurückbildete. CIPNM ist häufig Sie tritt bei 90–100 % der Patienten auf, die mehr als 3 Wochen intensivstationär behandelt werden und eine schwere Sepsis entwickeln. Die Prognose von Dyspha­ gien ist gut.

Die CIPNM lässt sich meist neurophysiologisch si­ chern (Zeichen der axonalen Schädigung und der Myopathie). Empfehlenswerte Übersichten finden sich bei Hund (2005) sowie bei Doherty und Steen (2010).

4.7 Iatrogene Ursachen 4.7.1 Medikamente Zahlreiche Medikamente können eine Dysphagie auslösen oder, noch häufiger, eine bestehende Dys­ phagie verstärken (O‘Neill und Remington 2003): • Benzodiazepine und andere zentral angreifende Medikamente über einen sedierenden Effekt • Aminoglykosidantibiotika und D-Penicillamin über eine Beeinflussung der neuromuskulären Übergangsregion (besonders bei Myasthenia gra­ vis) • Kortikosteroide, das Gichtmittel Colchicin, Cholesterinsenker (z. B. Statine) und L-Tryptophan über die Auslösung einer Myopathie/Myositis • Neuroleptika (insbesondere „klassische“ wie Haloperidol) und das Antiemetikum Metoclo­ pra­mid über Dopaminantagonismus mit der Fol­ ge eines früh einsetzenden Parkinson-Syndroms und/oder spät einsetzender tardiver Dyskinesien • Anticholinergika über Verwirrtheit und/oder Xerostomie Botulinum-Neurotoxin (BoNT) kann insbesondere bei Injektion in Halsmuskeln (z. B. bei Tortikollispa­ tienten) oder in den M. thyreoarytenoideus (bei spasmodischer Dysphonie vom Adduktionstyp)

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Dysphagien auslösen oder verstärken. Dabei wird als Mechanismus u. a. eine Diffusion des Toxins in Schluckmuskeln diskutiert. Es wird u. a. eine beson­ dere BoNT-Empfindlichkeit pharyngealer Muskeln vermutet. Die Häufigkeit des Auftretens einer Dys­ phagie bei BoNT-Therapie der zervikalen Dystonie ist dosisabhängig. Die Angaben variieren je nach Studie stark, nach Ceballos-Baumann et al. (1990; 45 Patienten, 85 Behandlungen) beträgt die Häufigkeit 6,1 %. Der Schweregrad reicht von sehr leicht bis sehr schwer. Die Dysphagiedauer beträgt 2–6, im Mittel 2,5 Wochen. Nach Kessler et al. (1999) treten Dysphagien im Mittel nach 9,7 Tagen auf und dau­ ern 3,5 Wochen an. Tetrazykline, Bisphosphonate, die bei Osteopo­ rose eingesetzt werden (insbesondere Alendronat, z. B. Fosamax®), nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID), Kaliumchlorid und Quinidin können zu Schleimhautschäden des Ösophagus führen. Beson­ ders gefährdet sind (ältere) Patienten mit einer Kar­ diomegalie, bei denen der vergrößerte linke Vorhof den Ösophagus einengt. Als wichtige Präventivmaß­ nahmen dienen z. B.: • Einnahme im Sitzen, nie im Liegen und nicht un­ mittelbar vor dem Schlafengehen • Nachtrinken größerer Flüssigkeitsmengen Bezüglich Kortisonmyopathien › Kap. 4.5.1.

4.7.2 Bestrahlung von Tumoren im Kopf-Hals-Bereich Bestrahlungen von Tumoren des oropharyngealen Bereichs gehen oft mit einer Dysphagie einher. Dabei schädigen strahlenbedingte Fibrosierungen der Hals­ weichteile vermutlich sekundär einen oder mehrere Hirnnerven. Am häufigsten betroffen ist der N. hypo­ glossus, gefolgt N. vagus bzw. N. recurrens und N. accessorius (Lin et al. 2002). Auch bestrahlungsbe­ dingte Indurationen von Haut/Bindegewebe mit me­ chanischer Behinderung der Larynxelevation, Ver­ härtung der oropharyngealen Muskulatur einschließ­ lich des oberen Ösophagussphinkters sowie Xerosto­ mie sind pathogenetisch bedeutsam. Eine zusätzliche Chemotherapie (Radiochemotherapie) verstärkt den Schweregrad der Xerostomie (Caudell et al. 2009). Sehr empfehlenswert ist eine neue Übersichtsarbeit von King et al. (2016).

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

4.7.3 Operationen im Halsbereich

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Karotisendarteriektomien (CEA) können zu Va­ gusschädigungen mit den Folgen einer ipsilateralen Stimmbandlähmung und einer Dysphagie führen („double trouble“: Stimmbandlähmung und Schluckstörung). Auch Hypoglossusschädigungen kommen vor. Beide Komplikationen treten je nach Erfahrung des Operateurs in 1 % oder seltener auf. Anteriore operative Zugänge zur Halswirbelsäule (HWS), etwa im Rahmen zervikaler Band­ scheibenoperationen, können zu Dysphagien, Ody­ nophagie (Schmerzen beim Schlucken) bzw. Heiser­ keit infolge kompletter oder inkompletter Stimm­ bandparesen führen (Morpeth und Williams 2000; Winslow et al. 2001). Die Häufigkeit von Dysphagien nach derartigen Eingriffen variiert in der Literatur zwischen 6,5 und 80 %. Lee et al. (2007) führten eine 2-Jahres-Ver­ laufsuntersuchung an 310 Patienten durch: Die Häufigkeit von Dysphagien nach 1, 2, 6, 12 bzw. 24 Monaten betrug 54,0, 33,6, 18,6, 15,2 bzw. 13,6; be­ sonders ungünstige Prädiktoren einer postoperati­ ven Dysphagie nach 2 Jahren waren weibliches Ge­ schlecht, Rezidivoperation und Operation auf Höhe mehrerer HWS-Segmente. Ursachen der Dysphagien sind u. a.: • Schädigungen nervaler Strukturen durch den chi­ rurgischen Zugang • Postoperative Hämatome • Ösophagusstrikturen Auch lange Zeit nach operativen Eingriffen im Halsbe­ reich können (in ca. 2 %) Materiallockerung und/oder -verschiebung nach vorn den Ösophagus einengen und eine Dysphagie auslösen. Anamnestisch ist daher immer nach Operationen im Halsbereich zu fragen (Vanderveldt und Young 2004).

4.8 Psychogene Dysphagien Beim Globus pharyngis klagen Patienten defini­ tions­gemäß nicht über eine Schluckstörung, son­ dern über eine Missempfindung im Sinne eines oro­

pharyngealen Kloßgefühls („fullness or lump in the throat“). Dieses nimmt bei Nahrungsaufnahme typi­ scherweise eher ab oder verschwindet gar. Häufigs­ tes Korrelat ist eine Fehlfunktion des oberen Öso­ phagussphinkters. Zugrunde liegt z. B. ein Zen­kerDivertikel oder eine Refluxkrankheit. Erst nach Aus­ schluss aller infrage kommender Erkrankungen ist die Diagnose eines „psychogenen Globus pharyngis“ zu erwägen. Psychogene Dysphagien und „psychogener Globus pha­ ryngis“ sind viel seltener als Dysphagien, die als psycho­ gen fehlinterpretiert werden.

So fanden Ravich et al. (1989) im Rahmen einer ReEvaluation von 23 Patienten mit der Diagnose „psy­ chogene Dysphagie“ oder „Globus hystericus“ bei 15 Betroffenen (65 %) ein organisches Korrelat ihrer Beschwerden. Bezüglich der Entwicklung eines Glo­ bus pharyngis werden Faktoren wie sozialer Stress und bestimmte Persönlichkeitszüge (z. B. Introver­ tiertheit) diskutiert (Deary et al. 1995). Bei der psychogenen Dysphagie, die bei Frauen angeblich häufiger als bei Männern vorkommt, han­ delt es sich meist um eine Störung der Schluck­ini­ tiie­rung, verbunden mit der Klage, beim Schlucken bleibe etwas „in der Kehle stecken“. Die Furcht vor dem Schlucken bzw. Verschlucken kann zu einer ausgeprägten Angst vor Atemnot und Ersticken füh­ ren. Sprech-/Stimmstörungen oder sonstige neuro­ logische Symptome fehlen. Die Störung fluktuiert bisweilen stark. Als objektivierbares klinisches Zeichen findet sich, wenn überhaupt, nur ein Gewichtsverlust. Die Videofluoroskopie ist bis auf eine an eine „Schlucka­ praxie“ erinnernde „orale Störung“ normal („com­ plex, nonpropulsive tongue movements during att­ empted swallowing“). Vor der Diagnosestellung müssen andere Ursachen ausgeschlossen sein (Buchholz 1994). Patienten mit psychogener Dys­ phagie unterscheiden sich von solchen mit Ess-Stö­ rungen (Anorexia nervosa, Bulimie). Stressfaktoren wie Angst, Depression und erhöhte Sensibilität im zwischenmenschlichen Kontakt („interpersonal sen­ sitivity“) scheinen eine Rolle zu spielen (Barofsky und Fontaine 1998).

4.10  Diagnostik neurogener Dysphagien

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Möglicherweise ist die Angst zu schlucken (Phagophobie) eine spezielle Form der psychogenen Dysphagie bzw. sogar eine eigene Entität (Shapiro et al. 1997). Psychogene Schluckstörungen bzw. psy­ chogener Globus pharyngis lassen sich nach ICD-10 unter „Nicht näher bezeichnete dissoziative Störung (Konversionsstörung)“ (F44.9) bzw. unter „Sonstige somatoforme Störungen“ (F45.8) subsumieren.

oder die auf Glutenunverträglichkeit beruhende Zöliakie (einheimische Sprue) können mit Dysphagi­ en einhergehen (Perkin und Murray-Lyon 1998; Dietrich und Erbguth 2003).

4.9 Seltene Ursachen

Bei Vorliegen einer Schluckstörung muss durch ge­ eignete diagnostische Verfahren festgestellt werden, ob eine neurologische Ursache vorliegt. Dies kann von vornherein klar sein, etwa beim Auftreten einer Dysphagie im Rahmen eines Hirnstamminfarkts. Ansonsten können bestimmte klinische und/oder apparative Befunde auf eine neurogene Ursache hin­ weisen, z. B. zusätzlich nachweisbare andere neuro­ logische Symptome oder der videofluoroskopische Nachweis einer Hemipharynxparese. Schließlich ist bei Vorliegen einer neurogenen Dysphagie, falls noch nicht geschehen, deren genaue Ursache her­ auszufinden.

Als Beispiele seltener Ursachen seien genannt: • Anomalien des kraniozervikalen Übergangs (Chiari-I-Malformation, oft als ALS fehlinterpre­ tiert, › Kap. 4.2.5) • Spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Kennedy (X-chromosomal erblich, › Kap. 4.2.9) Dysphagien kommen bei paraneoplastischen Syndromen selten vor, z. B. bei der bulbären Enzephali­ tis/paraneoplastischen Enzephalomyelitis (PEM) (positive Anti-Hu-Antikörper) bzw. bei der para­ neoplastischen Kleinhirndegeneration (Paraneo­ plastic Cerebellar Degeneration, PCD) (positive An­ ti-Yo-Antikörper). Zervikale Spondylophyten (knöcherne Anbau­ ten an den Halswirbelkörpern) führen sehr selten zu einer Dysphagie, die dann auf eine operative Abtra­ gung der Osteophyten meist gut anspricht. Ausge­ prägte Spondylophyten sind beim Morbus Forestier, einer diffusen idiopathischen skelettären Hy­ perostose (DISH), häufig. Diabetes mellitus soll zu dieser seltenen Erkrankung prädisponieren. Die entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa können auf unter­ schiedlichen Wegen zu neurologischen Ausfällen führen, etwa über thromboembolische arterielle oder venös bedingte Hirninfarkte. Darüber hinaus sind bei ca. 40–50 % der Patienten mit derartigen Darmerkrankungen im T2-gewichteten MRT hyper­ intense, pathogenetisch ungeklärte Schädigungen der weißen Substanz nachweisbar; selten kann dies mit Dysphagien einhergehen. Auch andere Erkrankungen des Gastrointestinal­ trakts wie der Morbus Whipple (› Kap. 4.2.3)

4.10 Diagnostik neurogener Dysphagien

Durch Diagnostik zu klärende Fragen • Liegt eine Dysphagie vor? • Ist die Ursache neurogen? • Welche neurologische Erkrankung

liegt vor?

4.10.1 Anamnese und klinische Untersuchung Eigen- und Fremdanamnese Eigen- und insbesondere fremdanamnestisch – Pa­ tien­ten nehmen bestimmte Symptome/Zeichen bzw. kompensatorische Haltungsänderungen selbst nicht immer bewusst wahr – ist u. a. nach folgenden Stö­ rungen/Symptomen zu fragen bzw. sind bei der kli­ nischen Untersuchung zu beachten: • Häufiges Verschlucken • Kauschwäche • Verminderte Nahrungs- oder Trinkmengen • Veränderte Haltung beim Schlucken (z. B. Ante­ flexion des Kopfes)

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

• „Steckenbleiben“ von Speichel/Getränken/Spei­

sen „in der Kehle“ • Erstickungsanfälle bzw. Husten nach dem Essen/ Trinken • Unklare Fieberschübe und/oder Pneumonien (evtl. stumme Aspirationen!) • Unklarer Gewichtsverlust • Odynophagie (bei neurogenen Dysphagien selten) Bestimmte Substanzen können eine Dysphagie aus­ lösen oder eine bestehende Schluckstörung verstär­ ken. Deshalb ist nach derzeit oder früher eingenom­ menen Medikamenten zu fragen.

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Familienanamnese Da einige mit Dysphagien einhergehende Erkran­ kungen erblich sind, ist eine Familienanamnese zu erheben. • So sind z. B. Schluckprobleme in Kombination mit einer Störung der Lidhebung (Ptose) bei Fa­ milienmitgliedern ein möglicher Hinwies auf das Vorliegen einer autosomal-dominant erblichen okulopharyngealen Muskeldystrophie (OPMD, › Kap. 4.5.1). • Ebenfalls autosomal-dominant wird CADASIL vererbt, bei der häufig insbesondere pseudobul­ bäre Symptome infolge bilateraler Endstromin­ farkte auftreten. Charakteristisch sind zudem Mi­ gräneanamnese und Schlaganfälle ohne typische Risikofaktoren (› Kap. 4.2.1). • X-chromosomal erblich und daher praktisch nur bei Männern vorkommend ist die spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Kennedy. Neben ei­ ner Hodenatrophie und Brustbildung (Gynäko­ mastie) tritt dabei eine langsam progrediente Atrophie der Gesichts- und bulbären sowie der Extremitätenmuskulatur mit Faszikulationen auf. Differenzialdiagnostisch ist sie gegenüber der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) abzugrenzen (› Kap. 4.2.9).

Neurologische Untersuchung Bei der neurologischen Untersuchung (Hughes und Wiles 1998) ist speziell auf das Vorliegen folgender Störungen/Symptome zu achten:

• Bulbäre Symptomatik: Fibrillationen/Atrophie

der Zunge, abgeschwächte/fehlende oropharyn­ geale Reflexe, Kaustörung etc. • Pseudobulbäre Symptomatik: willkürliche Funk­ tionen gestört, z. B. fehlendes/unzureichendes Anheben des Gaumensegels bei Phonation, ver­ stärkte reflektorische Abläufe (z. B. gesteigerter Palatalreflex) • Fehlender (bei Gesunden selten) oder gesteigerter Würgreflex (auch bei Gesunden häufig) • Gestörte Sensibilität im oropharyngealen Bereich • Dysphonie und/oder Dysarthrie • Feuchte oder gurgelige Stimmqualität nach dem Schlucken • Hypersalivation Kognitive Störungen können relevant sein. So zei­ gen einige Patienten, insbesondere solche mit rechtsseitigen Großhirnläsionen, nicht selten eine Tendenz, die Nahrung rasch in sich „hineinzustop­ fen“ (vorschnell-impulsives Verhalten) und/oder während des Essens zu sprechen. Besonders un­ günstig ist eine gestörte Einsicht in das Schluckpro­ blem: Patienten mit gestörter Awareness schlucken größere Bolusmengen und diese auch noch schneller als normal (Parker et al. 2004). Folgende Symptome gestatten bei Feststellung durch erfahrene Personen wie Schlucktherapeuten in etwa drei Vierteln der Fälle eine richtige Prädik­ tion des Vorliegens einer Aspiration (Linden et al. 1993): • Schlucken in falscher Position, z. B. liegend • Dysphonie/Aphonie • Gestörte Stimmqualität: feucht, rau oder be­ haucht • Fehlende oder gestörte Larynxelevation • Feuchtes, spontanes Husten • Gestörter Palatalreflex • Gestörte Speichelkontrolle Schwierig ist die Vorhersage von Aspirationspneumonien. Eine Dysphagie ist dafür zwar i. d. R. eine notwendige, aber keineswegs eine hinreichende Vo­ raussetzung: So gibt es einerseits Patienten, die trotz schwerer Aspirationen keine Pneumonie entwi­ ckeln, und andererseits solche, die bei nur leichter bis mittelschwerer Dysphagie an rezidivierenden Lungenentzündungen leiden. Wie Langmore et al. (1998) zeigten, korrelieren folgende Faktoren mit der Entstehung einer Aspirationspneumonie:

4.11  Therapie neurogener Dysphagien

• Unselbstständigkeit bei der Nahrungszufuhr • Unselbstständigkeit bei der Mundhygiene • Anzahl kariöser Zähne • Ernährung über Sonde • Mindestens 2 medizinische Diagnosen • Anzahl eingenommener Medikamente • Rauchen

Auch eine Hemmung zellulär vermittelter immuno­ logischer Abwehrmechanismen wird – etwa im Falle des schlaganfallinduzierten Immundepressionssyn­ droms (SIDS) – diskutiert (Maschke und Diener 2005).

4.10.2 Apparative ­Zusatzuntersuchungen Bei Verdacht auf eine neurogene Dysphagie ist ne­ ben einer ausführlichen Anamnese und klinischen Untersuchung die apparative Zusatzdiagnostik un­ verzichtbar. Dabei kommen der zeitlich hochauflö­ senden Videofluoroskopie (25 Bilder/s) und der flexiblen transnasalen Videoendoskopie als kom­ plementären Methoden große Bedeutung zu; diese Verfahren werden in › Kap. 6.3 und › Kap. 8.2 behandelt. Auf die Indikationen und die Aussage­ kraft anderer apparativer Untersuchungen wie pHMetrie, Manometrie bzw. Radiomanometrie wird in › Kap. 15 eingegangen. Eine besondere Herausforderung sind ätiologisch unklare neurogene Dysphagien. Neben Blut-Routi­ neparametern, einschließlich CK (= das Muskelen­ zym Kreatinkinase) und TSH (Thyreoides-stimulie­ rendes Hormon), und eventutell Liquorstatus (bei entsprechendem Verdacht inkl. Lues-/Borrelien-/ HIV-Serologie) kommen hier zahlreiche Untersu­ chungen in Betracht. Bei der Differenzialdiagnostik geht man hypothesengesteuert vor, d. h., oft sind Anamnese und klinische Befunde hinweisend auf die mögliche/wahrscheinliche Ursache. Was sich be­ währt hat, ist eine Checkliste, um möglichst keine Ursache zu übersehen. › Tab. 4.3 zeigt die von uns verwendete Checkliste. Die Tabelle bezieht sich auf Erkrankungen, die mit einer isolierten Dysphagie einhergehen können, und solche, bei denen die Dys­ phagie nur ein Symptom unter vielen ist. Die Bedeutung der kranialen MRT sei besonders hervorgehoben. Gerade bei unklarer Ätiologie einer

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neurogenen Dysphagie ist sie der kranialen CT (CCT) eindeutig überlegen. Als Beispiel seien kleine Infarkte im unteren Hirnstamm (› Abb. 3.3, › Abb. 3.4), die sich dem CCT-Nachweis praktisch immer entziehen, sowie die Chiari-Fehlbildungen genannt (› Abb. 4.2). Vor einer unkritischen Inter­ pretation häufiger MRT-Befunde (z. B. subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, White Matter Lesions) als Ursache neurogener Dysphagien sei al­ lerdings gewarnt.

4.11 Therapie neurogener Dysphagien 4.11.1 Therapie der ­Grunderkrankung Im Idealfall verschwindet oder bessert sich eine neu­ rogene Dysphagie bei kausaler Therapie der zugrun­ de liegenden neurologischen Erkrankung. Beispiele sind: • Myasthenia gravis: Behandlung z. B. mit Pyridos­ tigmin, Kortikosteroiden, Azathioprin, intrave­ nöser Immunglobulingabe • Bestimmte Formen der Myositis: Behandlung z. B. mit Kortikosteroiden, Immunsuppressiva Bei einigen neurologischen Erkrankungen sind Schluckstörungen pharmakologisch weniger gut zu beeinflussen als die übrigen Krankheitssymptome. Ein Beispiel ist das idiopathische Parkinson-Syn­ drom (IPS), bei dem, im Gegensatz zu den (übrigen) motorischen Defiziten, neurogene Dysphagien oft schlecht(er) auf eine dopaminerge Therapie anspre­ chen, d. h. in (nur) 30-50% (Hunter et al. 1997). Dies beruht darauf, dass die beim IPS pathogenetisch re­ levanten Einschlusskörperchen in Form der LewyKörper nicht nur in Zellen der Substantia nigra des Mittelhirns vorkommen, sondern auch in nichtdo­ paminergen Zellen anderer Hirnstammkerne/Kerngebiete, u. a. im Nucleus dorsalis n. vagi, Nuc­ leus coeruleus, Nucleus tegmentalis pedunculopon­ tinus. Schließlich können die Lewy-Körper beim IPS auch den Auerbach-Plexus des Ösophagus affizieren und daher (evtl. zusätzlich) eine ösophageale Dys­ funktion verursachen.

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

Tab. 4.3  Checkliste – ätiologisch unklare neurogene Dysphagie

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Untersuchung

Erkrankungen (Beispiele)

Elektromyografie (EMG, evtl. mit repetitiver Sti­ mulation)

CIPNM, Myotonie, Myasthenie, LES

Motorische und sensible Neurografie

CIPNM, AIDP einschl. Sonderformen MFS bzw. Polyneuritis cranialis

Röntgen der Halswirbelsäule

Spondylophyten, Morbus Forestier (DISH)

MRT des Schädels

SAE/SIVD, MS, ZPM/EPM, Hirnstamminfarkt, Chiari-Malformation, Syringobulbie, Schädelbasistumoren

Serologie auf Trichinen, Zystizerkose

Trichinose, Neurozystizerkose

Kupferausscheidung im Urin, Gesamt- und freies Kupfer im Serum

Morbus Wilson

Antikörper gegen AChR, MuSK, VGCC

Myasthenia gravis, LES

Anti-Jo-1-AK

Anti-Jo-1-Syndrom

Antinukleäre AK (ANA): • AK gegen dsDNA/ribosomales P • AK gegen SS-A/Ro bzw. SS-B/LA • Myositisspezifische AK • Anti-Scl-70-AK, Anti-Centromer-AK • Anti-U1-Ribonucleoprotein-AK

Kollagenosen: • SLE • Sjögren-Syndrom • PM, DM, IBM • Sklerodermie • MCTD

Antineutrophile zytoplasmatische AK: • c-ANCA (Autoantigen-Proteinase 3) • p-ANCA (Autoantigen-Myeloperoxidase) • Anti-Endothelial Cell Antibodies • HBsAg

Systemische Vaskulitiden: • Wegener-Granulomatose (c-ANCA) • Mikroskopische Polyangiitis (p-ANCA) • Klassische Panarteriitis nodosa (p-ANCA, evtl. HBsAg)

Mit paraneoplastischen Syndromen assoziierte AK Paraneoplastische Syndrome Anti-Gangliosid-AK: • Anti-GT1a-AK • Anti-GQ1b-AK

GBS-Sonderformen: • Polyneuritis cranialis • MFS

Hautbiopsie

CADASIL: osmiophile Einschlüsse in Arteriolen

Muskelbiopsie

PM, DM, IBM, seltene Myopathien

Hirnbiopsie, leptomeningeale Biopsie

Evtl. bei Verdacht auf Neurozystizerkose, IAN

Molekulargenetische Untersuchung

• CADASIL: Mutationen im Notch3-Gen/Ch 19p13.1 • SBMA Typ Kennedy: CAG-Triplett-Verlängerung im

Androgenre­ zeptor/Ch X • OPMD: GCG- oder GCA-Triplett-Verlängerung/Ch 14q11

Die sog. seronegative – AChR-AK-negative, oft MuSK-AK-positive – Myasthenie (› Kap. 4.4.1) spricht nach heutigem Kenntnisstand auf übliche Therapien eher schlecht, auf Plasmapherese hinge­ gen gut an (Hanisch et al. 2004; Vincent et al. 2004). Die medikamentöse Therapie einer mit Dysphagie assozi­ ierten Erkrankung kann die Schluckstörung und die zu­ grunde liegende Erkrankung verschlechtern!

So besteht z. B. bei der Kortikosteroidtherapie einer Myositis die Gefahr einer die Muskelschwäche ver­ stärkenden „Kortisonmyopathie“ (› Kap. 4.5.1). Eine Botulinum-Neurotoxininjektion in zervikale Muskeln bei Torticollis spasmodicus mit Dysphagie kann die Schluckstörung verschlimmern (› Kap. 4.7.1).

4.11  Therapie neurogener Dysphagien

4.11.2 Therapie von mit neurogenen Dysphagien assoziierten Symptomen Öffnungsstörung des oberen ­Ösophagussphinkters Bei Öffnungsstörung des OÖS kann ein operativer Eingriff (krikopharyngeale Myotomie, CPM) indi­ ziert sein. Alternativen sind die reversible Injektion von Botulinum-Neurotoxin A (BoNT A) in den M. cricopharyngeus (CP), den Hauptanteil des des OÖS, oder Aufweitungen des OÖS (Dilatation, Bougie­ rung). Insbesondere aufgrund der größeren Patien­ tenzahlen ist die Datenlage für eine CPM besser als für eine BoNT-Injektion; bei allen genannten Inter­ ventionen sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein (Kelly 2000, Kos et al. 2010): • Erfolglose und ausreichend lange funktionelle Schlucktherapie (vor allem Shaker-Übung bzw. Mendelsohn-Manöver und/oder Masako-Übung) • Radiomanometrischer Nachweis einer Öffnungsund/oder Relaxationsstörung des OÖS • Mittels VFSS nachgewiesene suffiziente hyolaryn­ geale Exkursion • Kein therapierefraktärer Reflux Die schwierige Indikationsstellung zur CPM und den beiden anderen Interventionen soll nur im in­ terdisziplinären Spezialistenteam erfolgen. Sowohl nach CPM als auch nach BoNT-Injektion in den CP ist die Schlucktherapie bis zum Erreichen einer opti­ malen OÖS-Öffnung fortzuführen.

Nebenwirkungen der CPM sind selten. Mögliche Nebenwirkungen sind insbesondere die Verstär­ kung einer neurogenen Dysphagie und Stimmband­ paresen. Für krikopharyngeale BoNT-A-Injektionen (Chiu et al. 2004) – transkutan oder endoskopisch – erreichten Alfonsi et al. (2010) an der bisher größten prospektiv untersuchten Patientengruppe (N = 34, diverse neurologische Erkrankungen) eine „Erfolgs­ quote“ von 50 %. Die Kosten einer CPM bzw. von krikopharyngealen BoNT-Injektionen sind nach 2 Jahren ungefähr gleich hoch (Zaninotto et al. 2004). Erwähnenswert ist eine kürzlich publizierte syste­ matische Übersichtsarbeit (Kocdor et al. 2016), die 34 Artikel zu allen drei Interventionen auswertete. Da­

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nach ist die CPM mit einer Erfolgsquote von 78% am wirksamsten; die Erfolgsraten zwischen OÖS-Aufwei­ tung (73%) und BoNT-Injektion (69%) unterschieden sich nicht signifikant. Aus dieser Studie geht auch her­ vor, dass eine erfolgreiche (reversible) BoNT-Behand­ lung den Erfolg einer (irreversiblen) Myotomie nicht hinreichend sicher voraussagt. Diese Übersichtsarbeit vergleicht erstmals alle relevanten Interventionsstudi­ en, ist aber vorsichtig zu interpretieren, das sie keine randomisiert-kontrollierte Vergleichsstudie ersetzt.

Sialorrhö Sialorrhö ist vermehrter Speichelfluss, entweder durch übermäßige Speichelproduktion (Hypersali­ vation) oder verringertes Abschlucken von Speichel (Pseudohypersalivation). Zur Therapie einer ausgeprägten Sialorrhö eignen sich, unter Beachtung der Kontraindikationen, anticholinerge Substanzen bzw. Medikamente mit an­ ticholinergen Nebenwirkungen, z. B. ScopolaminPflaster (wirkt 72 Stunden; Scopoderm TTS®) oder Amitriptylin (z. B. Saroten®). Glycopyrroniumbro­ mid (z. B. Robinul®) soll nebenwirkungsärmer sein, weil es die Bluthirnschranke kaum durchdringt; die orale Gabe ist in Deutschland aber (noch) nicht zu­ gelassen. Besonders vorteilhaft sind Scopolamin­ tropfen, weil sie sich – an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst – individuell dosieren lassen; ihre Herstel­ lung wird in › Kap. 9.1.4 beschrieben. Bei fehlendem/unzureichendem Ansprechen auf anticholinerge Substanzen oder Nebenwirkungen bzw. Kontraindikationen kann die BoNT-Injektion in die Speicheldrüsen (Glandula parotis, Glandula submandibularis, Glandula sublingualis) oder in die darüber liegende Haut indiziert sein. Da unter Ruhebedingungen die Glandula sub­ mandibularis bedeutend mehr Speichel produziert als die Parotis, sollte man bei schweren Schluckstö­ rungen, d. h. ohne Möglichkeit der Stimulation durch Nahrung, die submandibuläre Speicheldrüse mit BoNT behandeln. Injektionen in die Parotis sind allerdings häufiger und durchaus wirksam – ei­ ne Ultraschalluntersuchung kann die Treffsicherheit dabei erhöhen. Die Wirkungsdauer beträgt 2–4 Mo­ nate (Hagenah et al. 2005). In seltenen Fällen ist die Bestrahlung der Speicheldrüsen indiziert.

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4  Mit Schluckstörungen ­assoziierte neurologische Erkrankungen

Xerostomie Die Indikation zum Absetzen bzw. Umsetzen von Medikamenten, die eine Mundtrockenheit (Xerosto­ mie) verursachen, ist zu überdenken. Bei ausgepräg­ ter Xerostomie, z. B. nach Bestrahlung von Tumo­ ren im Kopf-Hals-Bereich oder bei Sicca-/SjögrenSyndrom kann ein Cholinergikum, z. B. Pilocarpin (Salagen®), wirkungsvoll sein, wenn noch eine Rest­ speichelsekretion vorliegt.

Verschleimung 4

Bei starker Verschleimung können Mukolytika wie N-Acetylcystein (z. B. ACC®) oder Ambroxol (Mu­ cosolvan®) hilfreich sein. Manchmal sind Anticho­ linergika effektiv (z. B. Scopoderm TTS®).

Reflux Bei Reflux sind Protonenpumpenhemmer indiziert (z. B. Pantoprazol = Pantozol®, bei Patienten mit nasogastraler oder PEG-Sonde Omeprazol = Antra MUPS®), da Reflux eine Dysphagie verschlechtern bzw. sogar eine Dysphagie verursachen kann.

Singultus Bei Singultus ist eine Dreierkombination aus einem Prokinetikum (z. B. Domperidon = Motilium®), Ba­ clofen (z. B. Lioresal®) und Omeprazol (z. B. Antra MUPS®) zu empfehlen (Petroianu et al. 1998). Gaba­ pentin (z. B. Neurontin®) kann als Add-On-Thera­ pie indiziert sein (Petroianu et al. 2000). Selten sind Psychopharmaka (z. B. Psyquil®) indiziert.

Medikamentöses Vorgehen bei Anwendung des Kontrastmittels Iotrolan Da im Rahmen der Videofluoroskopie bei aspira­ tions­gefährdeten Patienten meist das isoosmolare Kontrastmittel Iotrolan (Isovist®) verwendet wird, sei kurz das medikamentöse Vorgehen vor dieser

Untersuchung zur Vermeidung einer iatrogenen Hyperthyreose beschrieben: • Bei normalem TSH ist keine Medikation erfor­ derlich. • Bei supprimiertem TSH und normalem T4/T3 werden, beginnend 1 Tag vor der Untersuchung bis einschließlich 3 Tage danach (insges. 5 Tage), täglich 4×30 Tropfen Natriumperchlorat (Irenat) verabreicht. • Bei supprimiertem TSH und manifester Hyper­ thyreose (T4 und/oder T3 erhöht) erfolgt zu­ nächst eine thyreostatische Therapie, bis T4 bzw. T3 im Normbereich liegen. Danach wird wie oben beschrieben unter Weiterführung der thy­ reo­sta­ti­schen Therapie Irenat® verabreicht. • Bei Einnahme von Schilddrüsenhormonen und supprimiertem TSH (z. B. bei euthyreoter Stru­ ma) wird Irenat® ebenfalls wie oben beschrieben unter Fortsetzung der Substitutionstherapie ver­ abreicht.

4.11.3 Neuere pharmakologische Therapieansätze In den letzten Jahren haben insbesondere japanische Forscher pharmakologische Interventionen durch­ geführt, die Schlucken und (protektives) Husten fa­ zilitieren bzw. gegen Aspirationspneumonien ge­ richtet sind. Dabei haben sich Hemmstoffe des An­ giotensin-Converting-Enzyme (ACE-Inhibitoren) bewährt. Sie hemmen den Abbau von Substanz P (SP), das Schlucken und Husten fördert. Durch die ACE-Inhibitor-bedingte SP-Konzentrationszunah­ me wird Schlucken/Husten fazilitiert. • In einer randomisierten plazebokontrollierten Multicenterstudie an 6.105 Schlaganfallpatienten wurde nach einer medianen Zeit von 3,9 Jahren unter dem ACE-Inhibitor Perindopril eine nicht­ signifikant geringere Pneumonierate als unter Plazebo (3,8 vs. 4,7 %) gefunden; eine signifikan­ te Senkung der Aspirationspneumonie-Häufig­ keit fand sich nur bei Menschen asiatischer Her­ kunft was auf einen Allel-Polymorphismus zu­ rückgeführt wird (Ohkubo et al. 2004). • In einer randomisierten, nichtplazebokontrollier­ ten (!) Studie an 163 Schlaganfallpatienten (100 mg Amantadin/Tag vs. keine Therapie) fan­

4.11  Therapie neurogener Dysphagien den Nakagawa et al. (1999) nach 3 Jahren signifi­ kant weniger Aspirationspneumonien unter Amantadin (6 vs. 28 %). Es wird kontrovers dis­ kutiert, ob Amantadin seine Wirkung wegen sei­ nes antiglutamatergen Ansatzes entfaltet und/ oder wegen seiner allgemein antriebssteigernden Wirkung und/oder wegen seiner antiinflammato­ rischen (antiviralen) Potenz.Der C • Der Chili-Inhaltsstoff Capsaicin erhöht SubstanzP-Konzentrationen, fördert den Hustenreflex (Shin et al. 2016) und scheint eine gewisse Wirk­ samkeit bei der Prophylaxe von Aspirationspneu­ monien aufzuweisen (El Solh und Saliba 2007). Capsaicin, Amantadin und ACE-Hemmer können also im Einzelfall (unter Beachtung der Nebenwir­ kungen bzw. Kontraindikationen) zur Prophylaxe von Aspirationspneumonien versuchsweise einge­ setzt werden (El Solh und Saliba 2007). LITERATUR Ajemian MS et al. Routine fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing following prolonged intubation: implications for management. Arch Surg. 2001; 136: 434–437. Alfonsi E et al. An electrophysiological approach to the diagnosis of neurogenic dysphagia: implications for botulinum toxin treatment. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2010; 81: 54–60. Bader B et al. Tongue protrusion and feeding dystonia: a hallmark of chorea-acanthocytosis. Mov Disord. 2010; 25: 127–129. Barofsky I, Fontaine KR. Do psychogenic dysphagia patients have an eating disorder? Dysphagia. 1998; 13: 24–27. Borg K. Post-polio muscle dysfunction. Neuromuscul Disord. 1996; 6: 75–80. Bray BD et al. The association between delays in screening for and assessing dysphagia after acute stroke, and the risk of stroke-associated pneumonia. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2017; 88: 25–30. Buchholz DW. Neurogenic dysphagia: What is the cause when the cause is not obvious? Dysphagia. 1994; 9: 245–255. Burmester G-R, Pezzutto A. Taschenatlas der Immunologie – Grundlagen, Labor, Klinik. Stuttgart: Thieme, 1998. Ceballos-Baumann AO et al. Lokale Injektionen von Botulinum-Toxin A bei zervikaler Dystonie: Verlaufsbeobachtungen an 45 Patienten. Akt Neurol. 1990; 17: 139–145. Caudell JJ et al. Factors associated with long-term dysphagia after definitive radiotherapy for locally advanced head-and-neck cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2009; 73: 410–415. Chiu MJ, Chang YC, Hsiao TY. Prolonged effect of botulinum toxin injection in the treatment of cricopharyngeal dysphagia: case report and literature review. Dysphagia. 2004; 19: 52–57.

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4

KAPITEL

5

Heidrun Schröter-Morasch

Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der ­oropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6

Primäre strukturelle ­Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kongenitale Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entzündliche und ­Systemerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traumen, iatrogene ­Verletzungen, Fremdkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkrankungen der Halswirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altersbedingte Schluck­störungen: Presbyphagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dysphagie bei COPD und anderen pulmonalen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.2 5.2.1 5.2.2

Schluckstörungen bei ­Kopf-Hals-Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Klassifizierung von Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Auswirkungen von Tumoren auf die Schluckfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

5.3

Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Ursachen von Schluckstörungen nach Tumorbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schluckstörungen nach ­Tumorbehandlung in der vorderen Mundhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . Schluckstörungen nach Entfernung von Tumoren der hinteren Mundhöhle/ des Rachens (Oropharynxtumoren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schluckstörungen nach Behandlung von Kehlkopftumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schluckstörungen nach Versorgung ausgedehnter Hypopharynx-Larynx-Tumoren . . . . . . . . . Oropharyngeale Schluckstörungen nach Therapie maligner Ösophagustumoren . . . . . . . . . .

5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6



90 91 92 93 95 96 99

5 103 104 108 109 109 114 114

5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

90

5

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Strukturelle Veränderungen am Schluckvorgang beteiligter Organe und benachbarter Organsysteme wie Schädelbasis, Halsweichteile, Halswirbelsäule, Schilddrüse und Mediastinum – von manchen Autoren als „mechanical disorders of swallowing“ bezeichnet – können vielfältige Ursachen haben. Je nach Lokalisation und Ausmaß beeinträchtigen sie ebenso wie die in › Kap. 4 beschriebenen neurologisch bedingten Schluckstörungen: • Nahrungsaufnahme und -zerkleinerung • Bolusformung und gleichzeitige Durchmischung mit Speichel • Bolustransport durch Mundraum und Pharynx in den Ösophagus • Schutz der tiefen Atemwege durch festen und zeitgerechten Larynxverschluss Obwohl bei strukturellen Störungen der zentrale Steuerungsmechanismus des Schluckablaufs in der Regel erhalten ist, können gleichzeitig neurologische Symptome durch Schädigung der peripheren Nervenversorgung vorhanden sein (Schröter-Morasch 1999). Patienten mit strukturellen Erkrankungen realisieren nach Pauloski et al. (2000) ihre Schluckbeschwerden in einem größeren Ausmaß als Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Störungen des Schluckvorgangs aufgrund struktureller Veränderungen können in 2 Gruppen aufgeteilt werden: • Schluckstörungen bei strukturellen, nicht tumorbedingten Erkrankungen der Mundhöhle, des Pharynx und Larynx, des Ösophagus, des Halses und der Skelettanteile (Kiefer, Schädelbasis, obere Thoraxapertur, Halswirbelsäule; › Tab. 5.1): Sie sind vorwiegend medikamentös und/ oder chirurgisch, bzw. durch physikalische Therapiemaßnahmen fachspezifisch zu behandeln. Sie werden hier nur im Hinblick auf spezielle Probleme, die sie für die Schluckfunktion beinhalten können, dargestellt. Zur eingehenden Erörterung wird auf entsprechende Fachliteratur verwiesen (Rettinger et al. 2017; Strutz und Mann 2009). • Schluckstörungen bei Kopf-Hals-Tumoren: Tumoren können je nach Lage und Ausdehnung Schluckstörungen verursachen. Ihre Behandlung umfasst chirurgische Verfahren, Radio- und Chemotherapie. Aufgrund dabei unvermeidlicher Gewebeschädigungen und -defekte kann es neben Problemen der Atmung, der Stimmgebung

und des Sprechvermögens auch zu schwerwiegenden Schluckstörungen kommen. Tumoren stellen nach den neurogenen Schädigungen die zweithäufigste Ursache für Dysphagien dar.

Die für eine Dysphagie ursächlichen pathologischen Veränderungen der Strukturen und ihre möglichen Folgen sind in › Tab. 5.1 dargestellt. Obwohl die Läsionen durchaus umschrieben sein können, wirken sich die durch sie bedingten Störungen häufig auf mehrere Funktionsabläufe aus: So kann z. B. eine entzündlich verdickte, ödematös-starre Epiglottis durch ungenügende Dorsalneigung während des Schluckablaufs sowohl den Bolustransport behindern als auch durch einen ungenügenden Verschluss des Aditus laryngis eine Penetration/Aspiration begünstigen. Insbesondere nach Tumorbehandlung mit ausgedehnten Resektionen und/oder Bestrahlung und Chemotherapie sind Mehrfachschädigungen zu erwarten. Diese sind vergleichbar mit der komplexen Symptomatik neurologischer Erkrankungen (› Kap. 4). Ihre Kenntnis und eine entsprechend sorgfältige diagnostische Abklärung sind daher unverzichtbar, um eine an den pathophysiologischen Gegebenheiten orientierte Therapie zu ermöglichen.

Oftmals gehen auch neurologische Erkrankungen mit strukturellen Veränderungen einher: Im Vordergrund einer Polymyositis steht z.B. die pharyn­ geale Muskelschwäche, während im M. cricopharyngeus fibrotische Umbauprozesse erfolgen, die ­eine adäquate Relaxation erschweren. Auch bei traumatischen Prozessen lassen sich beide Komponenten häufig nicht voneinander trennen, ebenso bei Schluck­stö­run­gen im Alter.

5.1 Primäre strukturelle ­Erkrankungen Die relevanten Tumorerkrankungen des Kopf-HalsBereichs und die Folgen ihrer Behandlung werden in › Kap. 5.2 und › Kap. 5.3 beschrieben.

5.1  Primäre strukturelle ­Erkrankungen

91

Tab. 5.1  Strukturelle Veränderungen, pathologische Folgen und klinische Symptomatik Strukturelle Veränderung

Mögliche pathologische Auswirkungen

Klinische Symptomatik

Gewebevermehrung: • Entzündungen • Ödeme • Tumoren

• Verminderter Druckaufbau • Gestörter Klappenmechanismus • Passagebehinderung

• Schmerzen,

Defekte: • Angeborene Defekte • Narben nach operativen Eingriffen Bestrahlung, Trauma • Umbau, Atrophie von Knochen/ Muskulatur • Zahnverlust

• Gestörte Sensibilität • Gestörter Transport • Verminderte Schluckreflexauslösbarkeit • Kraft und Druckaufbau reduziert • Gestörter Klappenmechanismus • Passagebehinderung

Beeinträchtigung peripherer Nerven

Beeinträchtigung von: • Sensibilität • Beweglichkeit • Kraft • Koordination

Änderung der Schleimhautverhältnisse

• Meist Trockenheit • Entzündliche und ödematöse

Missempfindungen, Taubheitsgefühl • Bewegungseinschränkungen • Reduzierte Geruchs- oder Geschmackswahrnehmung • Symptome der gestörten Schluckfunktion: – Gefühl des Steckenbleibens im Hals – Notwendigkeit des Rachenreinigens – Änderungen von Atemgeräusch/Stimme – Dyspnoe – Räusperzwang – Hustenreiz

Veränderun-

gen (Beläge) • Atrophie

5.1.1 Kongenitale Erkrankungen Hauptursachen von Schluckstörungen bei Kindern sind (Böckler 2015; Lefton-Greif 2008): • Störungen der sensomotorischen Steuerung durch neuropädiatrische Erkrankungen einschließlich Hirnreifungsverzögerungen (z.B. bei Frühgeburten, Kühn et al. 2014) • Fehlbildungen bei einer Vielzahl genetischer Syndrome (Biber 2014; Frey 2011; Limbrock 2011; Arvedson und Brodsky 2002; Schumann und Zenk 1998) • umschriebene Fehlbildungen (z. B. Choanalatresie, Lippen-Kiefer-Gaumen-[LKG-]Spalten, Ösophagusatresie, ösophagotracheale Fisteln, Pylorusstenose) Daneben können iatrogene Schäden zu Schluckstörungen führen: Die Beeinträchtigungen vitaler Funktionen erfordern oftmals längere Intubation und Beatmung sowie eine Ernährung über Sonden. Diese Maßnahmen können einerseits den oberen Respirations- und Verdauungstrakt schädigen (Entzündungen, Drucknekrosen, Gefahr der Bildung von Stenosen, Verschlüssen oder Fisteln) und andererseits zur „Deprivation des Saugmechanismus“ (Bos-

ma 1997) führen. Dieser ist intrauterin schon ab der 10. Woche vorhanden. Die Schädigung kann so weit gehen, dass das Kind alle Manipulationen im oralen Bereich ablehnt (Tuchmann und Walter 1994), da es damit quälende Erfahrungen verbindet, z. B. Schmerzen, Husten und Würgen durch häufiges Absaugen. Relativ häufig ist eine Funktionsstörung des unteren Ösophagussphinkters (UÖS) mit Rückfluss von Magensaft in den Ösophagus (Reflux), entzündlichen Veränderungen, Erbrechen, Schmerzen und pulmonalen Komplikationen im Säuglingsalter, die eine chirurgische Intervention erfordern kann (› Kap. 15). Strukturelle und neurologische Störungen sind in der Regel so gravierend, dass sie unmittelbar nach der Geburt nicht zu übersehen sind. Diskretere Störungen werden häufig erst durch die allgemeine Symptomatik auffällig. Nach Arvedson (2013) sollte bei folgenden Auffälligkeiten eine entsprechende weiterführende Dysphagiediagnostik durchgeführt werden (vgl. auch Empfehlungen der European Society for Swallowing Disorders 2014, Position Statement on Pediatric Dysphagia): • Dauer der oralen Nahrungszufuhr > 30 Min. • Mahlzeiten für Kind/Eltern belastend

5

92

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

• Mangelernährung (Normgewicht wird nicht er-

reicht) • Penetrations-, Aspirationszeichen, Atemwegs­ erkrankungen Auch Myofunktionelle Störungen können die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen (Bigenzahn 2003). Störungen der Nahrungsaufnahme bei Kindern bedeuten stets nicht nur eine vitale Bedrohung, sondern auch eine Störung der für deren Entwicklung notwendigen sozialen Interaktionen. Die Eltern-Kind-Beziehung kann dadurch erheblich beeinträchtigt werden. Unterstützung benötigen Eltern häufig auch wegen der verminderten sozialen Akzeptanz ihres Kindes durch das Umfeld, z. B. wegen dessen chronisch erhöhten Speichelflusses (Fairhurst und Cockerill 2011).

5

5.1.2 Entzündliche und ­Systemerkrankungen Entzündungen können Schwellungen, Schleimhautbeläge und Schmerzen verursachen und damit den Schluckvorgang beeinträchtigen (Pizzorni et al. 2014). Sie entstehen durch • Virale oder bakterielle Infektionen • Pilzbefall • Mechanische Irritationen, z. B. durch fehlerhaften Zahnersatz, Verätzungen und Verbrennungen • Chemische Reizung Als Systemerkrankungen (› Kap. 4.2.1) werden Erkrankungen bezeichnet, die sich in mehr als einem Organbereich manifestieren, z.B. Tuberkulose, Amyloidose und Sarkoidose. Häufig werden sie durch autoimmunologische Prozesse verursacht wie bei Rheumatoider Arthritis, Sjögren-Syndrom, Wegener Granulomatose, Pemphigus, Lupus erythematosis, Sklerodermie (Viner 2001), entzündlichen Myopathien (Hofauer et al. 2017; Amos et al. 2016). Sind Oropharyn, Larynx und Ösophagus beteiligt, können strukturelle Veränderungen und Motilitätsstörungen entsprechende Dysphagien zur Folge haben (Jones et al. 1993). Insbesondere bei Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung und Kommunikationsstörungen muss an entzündliche und Systemerkrankungen gedacht werden, wenn sie

ohne erkennbare Ursache die Nahrungsaufnahme verweigern und/oder Zeichen der Mangelernährung und Exsikkose zeigen.

Die Symptomatik bei Rheumatoider Arthritis verdeutlicht die ggf. vielfache Beeinträchtigung der Schluckfunktion durch entzündlich-degenerative Prozesse (Gilheaney et al. 2017): • Ein Großteil der Patienten (84%) weist Destruk­ tionen des Kiefergelenks mit der Folge von Störungen des Kauens (reduzierte Kraft, Schmerzen, Verlangsamung), der Bolusformung und des Bolustransportes auf. • Funktionsstörungen des Kehlkopfs (Befall von Krikoarytenoid- und Krikothyroidgelenk), aber auch Ösophagusmotilitätsstörungen können zusätzlich entsprechende Beeinträchtigungen nach sich ziehen. • Dislokation und Formveränderungen der zervikalen Wirbelsäule bis zur dramatischen Einengung des Wirbelkanals können durch Kompres­ sion der Medulla oblongata zu Symptomen einer Bulbärparalyse führen (Ekberg et al. 1987). Das Sjögren-Syndrom beeinträchtigt die Tränenund Speicheldrüsenfunktion mit der Folge einer Xerostomie. Die verminderte Speichelproduktion und die damit verbundene Schleimhauttrockenheit beeinträchtigen die Geschmackswahrnehmung, die Schluckreflexauslösung sowie die Gleitfähigkeit und Formung des Bolus mit der Folge einer Verlängerung der oralen Transitzeit (Logemann et al. 2001). Auch Verdauungsprobleme werden beschrieben (Pedersen et al. 2002). Eyigör et al. (2017) erfassten in einer Studie mit 69 Patienten endoskopisch nachweisbare Residuen insbesondere bei festen und halbfesten Konsistenzen. Sie konstatierten eine erhöhte Gefährdung für die Entwicklung von Aspirationspneumonien, eine vermehrte Refluxgefahr und Gewichtsabnahme. Zudem bestand eine deutliche Reduktion der Lebensqualität durch Missempfindungen und Globusgefühl, Räusper- und Hustenzwang und eine Minderung des Esskomforts. Die Symptomatik verstärkt sich mit dem Schweregrad der Erkrankung (Pierce et al. 2016).

5.1  Primäre strukturelle ­Erkrankungen

5.1.3 Traumen, iatrogene ­Verletzungen, Fremdkörper Traumen Traumen können durch Gewalteinwirkung sowie bei Verletzungen und Verbrennungen oder Verätzungen entstehen, aber auch iatrogen bedingt sein.

Verletzungen der Kiefer- und Schädelknochen, Gesichtsweichteile und Halsstrukturen bedingen strukturspezifische Beeinträchtigungen von Nahrungsaufnahme und -transport: • Im Rahmen von Schädel-Hirn-Traumen liegen oft komplexe Schädigungen mit strukturellen und neurologischen Beeinträchtigungen der Schluckfunktion vor. • Traumata des Kehlkopfs und der umliegenden Strukturen sind durch den Schutz von Mandibula, HWS und Sternum zwar relativ selten, können aber durch Frakturen und Zerreißungen des ­Hyoid-Larynxkomplexes neben Atmungsbehinderungen schwere Dysphagien verursachen (Schäfer 2014; Schröter-Morasch et al. 2013; Cutuk et al. 2012). Häufigste Ursachen sind: – Verkehrsunfälle, insbes. Motorradunfälle (z. B. Gewalteinwirkung durch den Helmriemen) – Suizid durch Erhängen – Sportunfälle (Fußball, Teakwando) – Kriegsverletzungen, Gewaltverbrechen • Besonders gefährlich sind Perforationsverletzungen, die unentdeckt bleiben und zu Gefäßoder Nervenverletzungen, Emphysemen, Infek­ tio­nen und Abszessbildung führen können, z. B. bei Schuss- und Stichverletzungen. • Pneumatische Rupturen des Pharynx treten beim Aufblasen von Gummischläuchen und Ballons auf oder wenn mit den Zähnen Behälter mit hohem Druck geöffnet werden (kohlensäurehaltige Getränke). • Laugen- und Säureverätzungen führen nach oft dramatischer akuter Symptomatik zu Vernarbungen und Strikturen, die häufig lebenslange Beschwerden verursachen. • Im Rahmen von Verbrennungsunfällen von Kopf und Hals kann es sowohl zu lokalen Schäden der orofazialen Strukturen kommen als auch zum

93

sog. Inhalationstrauma. Als Hauptursachen der Schluckbeeinträchtigung gelten nach klinischer und endoskopischer Untersuchung: Einschränkung der Beweglichkeit durch Rötung, Schwellung der Haut/Schleimhaut, Narben und Kontrakturen, Minderung der Sensibilität und Reflexauslösbarkeit sowie laryngotracheale Ödeme (Rumbach et al. 2012). Als Folge wurden ein gestörter oraler Transport, eine verminderte Schluckreflexauslösung, Residuen, Penetration und Aspiration festgestellt, zu 50 % ohne reflektorisches Husten! Häufig erwies sich auch die Fähigkeit zum willkürlichen Abhusten als vermindert. Patienten mit Schluckstörungen infolge Verbrennungen weisen sowohl Bolustransportstörungen als auch ein hohes Aspirationsrisiko auf. Sie benötigen daher möglichst früh eine fachgerechte klinische und instrumentelle Dysphagiediagnostik und entsprechende Therapie.

Iatrogene Schädigungen Zu iatrogenen Schäden kann es bei endoskopischen Eingriffen in Rachen, Ösophagus oder Trachea kommen, ebenso beim Einführen und längeren Liegen von Sonden und infolge Intubationen (besonders häufig im Bereich der Recessus piriformes und des M. cricopharyngeus). Nach Langzeitintubation (≥  48 Stunden) werden in 10 bis 84 % Schluckstörungen mit Aspirationen beschrieben (Überblick bei Malandraki et al. 2016; Scheel et al. 2016; Brown et al. 2011; Skoretz et al. 2010; Barker et al. 2009; Ajemian et al 2001). Die Variabilität der angegebenen Häufigkeiten und Ursachen lassen sich durch die große Heterogenität der Basiserkrankungen dieser Patientengruppe und die Variabilität des Studiendesigns erklären. Als prädisponierende Risikofaktoren werden ein erhöhtes Alter der Patienten angegeben (Skoretz et al. 2014; Brown et al. 2011), die Schwere der Grunderkrankung und Komorbiditäten sowie die Dauer der Intubation (Brodsky et al. 2014; Kwok et al. 2013). Nach Bordon et al. (2011) erhöht sich das Risiko einer Post-Extubations-Dysphagie (PED) um 14% für jeden Tag der Intubationsdauer. Mögliche Ursachen für die Dysphagie nach Langzeitbeatmung können Druckschädigungen der Kehl-

5

94

5

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

kopfnerven mit resultierenden Stimmlippenparese sein. Nach Randestad et al. (2000) besteht eine große Variationsbreite des Ringknorpeldurchmessers als engstem, nicht-elastischem Lumen, das bei der Intubation passiert werden muss. In diesem Bereich ist die Gefahr von Druckschädigungen bei der Wahl eines ungeeigneten Tubus besonders hoch. Auch Minderungen von Sensibilität und Muskelkraft der Zunge werden beschrieben (Su et al. 2015). Zu linksseitiger Vagusschädigung mit der Folge einer gleichseitigen Kehlkopflähmung, Dysphonie und Dysphagie kann es bei einer Reihe kardiovaskulärer Erkrankungen kommen: Wie Ortner 1897 erstmals beschrieb, können Mitralstenosen, Septumdefekte, Mitralklappenprolapse sowie Aortenaneurysmen zur Aufweitung des linken Vorhofs bzw. des Aortenbogens mit einer Druckschädigung des N. vagus und der Folge einer Kehlkopflähmung führen („kardiovokales Syndrom“ = Ortner-Syndrom). Häufiger tritt diese Symptomatik jedoch nach herzchirurgischen Eingriffen auf (Skoretz et al. 2014; Barker et. al. 2009; Lee et al. 2006) und bedarf eingehender Abklärung und Behandlung. Bei Patienten nach Intensivbehandlung kommen eventuell die Folgen einer Critical-Illness-Polyneuromyopathie (CIPNM, › Kap. 4.6) hinzu.

Die klinische Schluckuntersuchung ergab zunächst keine Hinweise auf eine Dysphagiesymptomatik. Nach Beginn des Kostaufbaus fielen jedoch zunehmende Verschleimung, Husten, Temperaturanstieg und steigende serologische Entzündungsparameter auf. Eine daraufhin durchgeführte endoskopische Schluckuntersuchung gab keinen Hinweis auf oropharyngeale Dysphagiesymptome. Auch eine Ösophagogastroskopie zeigte keinen pathologischen Befund. Erst durch eine videofluoroskopische Untersuchung gelang der Nachweis der laryngo-ösophagealen Fistel von posterior-kaudal nach ventrokranial ,zunächst ohne genaue Lokalisation der Fistelaustrittsstelle in der Trachea. Während einer kombinierten Ösophago-/Bronchoskopie wurde schließlich Farbstoff in den Ösophagus eingebracht, durch dessen Austritt dorsal zwischen Schild- und Ringknorpel sich die Fistel lokalisieren ließ (› Abb. 5.1). Die Fistelöffnung befand sich also noch im Bereich des Kehlkopfs bzw. in der „subglottischen Trachea“.

Auf die häufigen nachteiligen Folgen für den Schluckvorgang durch eine Tracheotomie wird in › Kap. 9 ausführlich eingegangen. Neben den Schädigungsmechanismen durch Intubation/Tracheotomie können auch nasogastrale oder -jejunale Sonden Läsionen im nasopharyngolaryngealen Bereich und somit Schluckstörungen herbeiführen bzw. verstärken (› Kap. 9).

Fremdkörper Nach Langzeitintubation bzw. Tracheotomie, z. B. wegen erforderlicher Langzeitbeatmung, kann die aufgeblasene Manschette Druckschädigungen der Trachealwand verursachen und schließlich zur Ausbildung einer tracheoösophagealen bzw. einer laryngotrachealen Fistel (› Abb. 5.1) führen. Diese Gefahr ist bei gleichzeitig liegender nasogastraler Sonde wegen des Gegendrucks aus der Speiseröhre besonders hoch (Reed et al. 2003; vgl. nachfolgendes Fallbeispiel).

Fallbeispiel Ein 46-jähriger Patient musste wegen der Blutung eines Ulcus duodeni, Übernähung des Dünndarms sowie postoperativer pulmonaler Probleme 3 Wochen beatmet werden. Nach erfolgloser Extubation (Schwellung im ­ Kehlkopfbereich) erfolgte eine Tracheotomie und die Er­ nährung über eine nasogastrale Sonde. Nach weiteren 3 Wochen wurde der Patient dekanüliert.

Häufigste Fremdkörper in Pharynx und Ösophagus sind beim Erwachsenen (› Kap. 6): • Fischgräten • Knochen • Zahnprothesen • Unzureichend zerkleinerte/gekaute Nahrungsmittel (insbes. Fleisch, Wurst) Sie stecken meist in den Valleculae, im Sinus piriformis oder oberhalb des M. cricopharyngeus bzw. in den Ösophagusengen. Bei Kindern sind die häufigsten Fremdkörper (Jones 2003): • Münzen • Nüsse • Kieselsteine • Ringe

5.1  Primäre strukturelle ­Erkrankungen

95

Primäre Erkrankungen der HWS

Abb. 5.1  a Bildgebung einer laryngo-ösophagealen Fistel. Die Videofluoroskopie zeigt den Übertritt des Kontrastmittels von posterior-kaudal aus dem Ösophagus nach ventrokranial in die Subglottis; Benetzung der Tracheavorderwand. b Bronchoskopische Darstellung der laryngo-ösophagealen Fistel. Eintritt des Farbstoffs aus dem Ösophagus in den Larynx oberhalb des Ringknorpels. [M858]

Fremdkörper können Passagehindernisse darstellen, Atembehinderungen verursachen, aber auch Verletzungen und Entzündungen auslösen. Fremdkörperimpaktationen werden häufig durch Osteophyten der Halswirbelsäule begünstigt (s.u.)

5.1.4 Erkrankungen der Halswirbel­ säule Bei mit Schluckstörungen einhergehenden Schädigungen der HWS unterscheidet man: • Primäre Erkrankungen • Beeinträchtigungen durch operative Eingriffe

Entzündliche, degenerative und traumatische Veränderungen der HWS können die Schluckfunktionen aus verschiedenen Ursachen in Mitleidenschaft ziehen: • Durch Einengung des Spinalkanals und der Nervenwurzelkanäle: Dies führt zur Kompression der Medulla oblongata und/oder peripherer Nerven und der entsprechenden neurologischen Symptomatik mit Beeinträchtigung der Schluckzentren. • Durch Veränderungen, die die Pharynxwand oder den oberen Ösophagus in Form und Funktion beeinträchtigen: Sie entstehen durch Schwellungen oder Dislokationen bei Entzündungen, Abszessen, Tumoren, Bandscheibenvorfällen und HWS-Traumata (Valenzano et al. 2016; Abels et al. 2004; Kirschblum et al. 1999) sowie durch zervikale Osteophyten vor allem bei älteren Menschen (Keller et al. 2017; Shoffel-Havakuk et al. 2016; Carlson et al. 2011; Seidler et al. 2009; Giger et al. 2006), insbesondere mit Forestier-Krankheit (Kasper et al. 2002). Sie sind häufig mit Schmerzen beim Schlucken verbunden. Nach Strasser et al. (2000) werden Vorwölbungen der Rachenhinterwand bei einem Ausmaß ≥ 10 mm klinisch relevant (› Abb. 5.2). Die HWS Protrusionen können sich in vielfältiger Weise auf den Schluckablauf auswirken (Giger et al. 2006): • Mechanische Blockierung der Boluspassage, besonders für feste Speisen, ggfs. Fremdkörper (Shoffel-Havakuk 2016) • Behinderung der Dorsalwärtsneigung der Epiglottis und damit eines vollständigen Verschlusses des Aditus laryngis • Beeinträchtigung der pharyngealen bzw. ösophagealen Muskelkontraktion • Triggerung eines Spasmus des OÖS durch Druck auf den Ösophagus Entzündliche Begleitreaktionen verstärken die Symptomatik (Deutsch et al. 1985; Di Vito 1998). Besonders ausgeprägte Befunde können zusätzlich laryngeale Druckschädigungen mit Stimmlippenstillstand verursachen (Kasper et al. 2002). Die Therapie besteht meistens in der chirurgischen Abtragung der Spondylophyten, die jedoch

5

96

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

5

Abb. 5.2  Ausgeprägte HWS-Spondylophyten behindern die Dorsalflexion der Epiglottis während des Schluckens [M858]

mit weiteren Risiken für die Schluckfunktion verbunden sein kann (s. u.). Bei Patienten mit mäßig ausgeprägter Symptomatik und bei solchen, bei denen ein operativer Eingriff als zu riskant erscheint, ist eine funktionelle Therapie indiziert und kann in vielen Fällen die Symptome so weit reduzieren, dass eine ausreichende, sichere Nahrungsaufnahme wieder möglich ist (› Kap. 12).

Schluckstörungen nach operativen Eingriffen an der HWS Operative Eingriffe an der HWS, z. B. bei Stabilisierung nach Traumata oder Bandscheibenoperationen, können ebenfalls zur Beeinträchtigung der pharyngealen Passage führen (› Tab. 5.2). Dies ist insbesondere bei ventralem (anteriorem) Zugang der Fall (Cho et al. 2013; Rihn et al. 2011; Lee et al. 2007; Tervonen et al. 2007; Bazaz et al. 2002; FrempongBoadu et al. 2002; Buchholz et al. 1993), vereinzelt

auch nach Eingriffen mit posteriorem Zugang (Bekelis et al. 2010) (› Abb. 5.3). Neben postoperativen Stimmstörungen aufgrund von Stimmlippenparesen (Mukherjee et al. 2014; Ryu et al. 2012; Morpeth et al. 2000) werden Schluckstörungen unterschiedlicher Auftretenshäufigkeit und Ausprägung angegeben, von 2 bis über 70 %. Diese großen Differenzen sind auf sehr unterschiedliche Bewertungskriterien sowie Beobachtungszeiträume zurückzuführen: • Im frühen postoperativen Stadium (bis zu 2 Wochen p. o.) weisen über 70 % der Patienten Beschwerden auf (Rihn et al. 2011), nach Bazaz et al. (2002) nach 4 Wochen 50%. • Einige Studien fanden nach 6 Monaten einen Anteil von bis zu 30 % mit relevanten Störungen, teils mit schweren Aspirationen und der Notwendigkeit mehrmonatiger Sondenernährung. • Lee et al. (2007) untersuchten 310 Patienten und stellten noch nach 2 Jahren einen Anteil von 13,6 % Patienten mit Dysphagie fest. Im Gegensatz zur Abnahme der p.o. Schluckstörungen im zeitlichen Verlauf kann die Symptomatik aber nach einem beschwerdefreien Intervall auch erst nach Monaten oder Jahren auftreten, wenn die Osteosynthesematerialien dislozieren oder sich lockern (› Abb. 5.3 b, c). Eine neuere Untersuchung berichtet über niedrigere Komplikationsraten mit einem Zero-profile Implant System (Yang et al. 2016). Die vielfältigen Schädigungsmöglichkeiten bei chirurgichen Eingriffen an der HWS mit ventralem Zugang erfordern eine sorgfältigie Aufklärung und Nachbetreuung der Patienten und eine adäquate klinische, endoskopische und radiologische Untersuchung, da sowohl eine funktionelle Therapie als auch chirurgische Interventionen angezeigt sein können. Auch eine präoperative Übungstherapie kann hilfreich sein (Chen et al. 2012).

5.1.5 Altersbedingte Schluck­ störungen: Presbyphagie Mit höherem Lebensalter treten Dysphagien zunehmend häufiger auf. Die European Society for Swallowing Disorders und die European Union Geriatric Medicin Society definieren daher die Oropharyngea-

5.1  Primäre strukturelle ­Erkrankungen

97

5

Abb. 5.3  a 80-jährige Patientin 24 Tage nach Reposition und Schraubenfixation einer Densfraktur mit ventralem Zugang rechts. Ausgeprägte Vorwölbung der Rachenhinterwand rechts mit Behinderung der Dorsalflexion der Epiglottis, Residuen und Penetra­ tion [M858] b 77 jähriger Patient, 18 Jahre nach HWS Verplattung. Vorstehen der oberen Schrauben der ventralen Platte des Osteosynthesematerials in den Pharynx mit Behinderung der Dorsalkippung der Epiglottis [T935] c Bolusimpaktation auf Höhe der HWS-Protrusion aufgrund der vorstehenden Schrauben [T935]

le Dysphagie als ein „geriatrisches Syndrom“ (Baijens et al. 2016). In der Altersklasse der über 65-Jährigen weisen je nach Autor 10 bis 40 % selbstständig lebender Personen Schluckstörungen auf, 44% nach stationärer Aufnahme in eine Klinik und 60% der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen (Muhle et al. 2015; Kocdor et al. 2015; Holland et al. 2011; Rofes et al. 2011; Barczi et al. 2000). Dafür können normale Altersveränderungen ursächlich sein (› Tab. 5.3, linke Spalte).

Diese Organveränderungen können zu folgenden Beeinträchtigungen der Schluckfunktion führen (Wirth et al. 2016; Herwaarden et al. 2003; Logemann et al. 2002): • Verlängertes und erschwertes Kauen • Verspätete Schluckreflextriggerung • Verlängerte orale Bolustransitzeit • Verminderte pharyngeale Kontraktionskraft • Verminderte hyo-laryngeale Elevation und Anteriorbewegung

98

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Tab. 5.2  Mögliche Ursachen und pathologische Auswirkungen bei Dysphagie nach HWS-Operationen mit ventralem Zugang

5

Mögliche Ursachen

Pathologische Auswirkungen

Kehlkopftrauma durch seitliches Wegziehen während der Operation, dabei auch Schädigung peripherer Nerven (Fowler et al. 2001)

• Schwellung,

Durchtrennen der Pharynxmuskulatur, des Plexus pharyngis

• Erschwerte Kontraktionsfähigkeit der • Störung der Schluckreflexauslösung

Hämatome, Ödeme, Infektionen im Opera­ tionsbereich, evtl. Fistelbildung

• Schwellungsbedingte Passagebehinderung • Behinderung der Epiglottiskippung • Ungenügender Verschluss des Aditus laryngis • Aspirationsgefahr

Ösophagusischämien und -strikturen

• Passagebehinderung

Dislokation der Stabilisierungssubstanzen (Metallplatten, Knochenmaterial)

• Passagebehinderung, Behinderung • Einengung der Luftwege (Stridor)

Narbenbildung Halsvorderwand

• Reduzierung

Hämatom, Nervenschädigung mit Stimmlippenstillstand, Heiserkeit, evtl. Luftnot • Ungenügender Glottisschluss • Sensibilitätsstörung (cave: „silent aspiration“) Pharynxmuskulatur

der Epiglottiskippung

der laryngealen Hebung

Tab. 5.3  Ursachen von Dysphagien im Alter Altersbedingte Organveränderungen

Weitere Einflussfaktoren der erhöhten ­Dysphagierate im Alter

• Verminderte Speichelproduktion • Vermindertes Durstgefühl • Reduzierte Geruchs- und Geschmackswahrnehmung (Klimek et al. 2000) • Verminderte oropharyngolaryngeale Sensibilität • Zahnverlust, Abbau der Alveolarkämme • Kiefer- und Kiefergelenkveränderungen • Stärkere Verknöcherung von Hyoid und Larynx, Abnahme der Kraft des

• Erhöhtes

Halteapparates und damit Absinken des Larynx-Hyoid-Komplexes • Verringerung von Muskelkraft und pharyngealer Konstriktion • Verminderte Gewebeelastizität insbesondere des OÖS • Auftreten von Zenker-Divertikeln • Verminderte Ösophagusperistaltik

• Eingeschränkte Öffnung des OÖS • Verminderter ösophagealer Transport • Erhöhte Refluxneigung

Sind nur einzelne Komponenten in relativ geringer Ausprägung beeinträchtigt, kann der Schluckvorgang noch ausreichend effektiv und sicher ablaufen. Allerdings erfolgt z. B. bei jüngeren Menschen die Anhebung des Kehlkopfs während der pharyngealen Phase etwa 1 cm höher als für eine maximale Öffnung des OÖS nötig wäre. Bei älteren Menschen, insbesondere bei Männern, wird der Kehlkopf nur so weit gehoben, wie es für die OÖS-Öffnung erforderlich ist. Es besteht also eine verringerte Flexibilität und verminderte funktionelle Reserve. Sie wird auch als „primäre Presbyphagie“ bezeichnet.

Auftreten neurologischer Erkrankungen, z. B. Schlaganfall, Morbus Parkinson, Demenzen (› Kap. 4, › Kap. 13) • Häufigeres Auftreten von Tumorerkrankungen • Häufigeres Auftreten degenerativer HWS-Erkrankungen • Zunehmende internistische Erkrankungen, vermehrte Medikamenteneinnahme • Veränderter sozialer Status, veränderte Essgewohnheiten

Diese ist nach Logemann (1998, 1990) die Ursache des höheren Aspirationsrisikos alter Menschen mit Schwächung durch Allgemeinerkrankungen, die nicht unbedingt einen Bezug zum „Schlucksystem“ aufweisen müssen. Je nach Ausmaß und Anzahl der Funktionsstörungen kann es jedoch auch ohne zusätzliche Erkrankung durch diese altersabhängigen Veränderungen zu bedrohlichen Beeinträchtigungen der Schluckfunktion mit pharyngealen Residuen, Penetration und Aspiration, Mangelernährung und Aspirationspneumonien kommen (Cabre et al. 2010; Leonard et al. 2004; Kendall und Leonard 2001; Donner und Jones 1991). Weisen Personen, die noch selbstständig leben und sich versorgen können, Schluckstörungen auf,

5.1  Primäre strukturelle ­Erkrankungen so erhöht sich das Risiko einer Mangelernährung und das Pneumonierisiko verdoppelt sich (40% gegenüber 21,8%) gegenüber Personen ohne Schluckstörung (Serra Prat et al. 2012). Bei einer notwendigen Hospitalisierung treten bei über 60 % dieser Altersgruppe Zeichen der Mangel­ ernährung auf (› Kap. 9.3.1; Cabre et al. 2010; Kolb 2001; Sullivan und Lipschitz 1997). Malnutri­ tion bedingt ein Absinken bestimmter Eiweißstoffe im Serum (Protein-Energy-Malnutrition, PEM) und damit weitere Komplikationen, z. B. erhöhte Infektanfälligkeit, höhere Pneumonierate, schlechte Wundheilung, Entwicklung von Dekubitalulzera und eingeschränkte Mobilität durch zunehmende Gebrechlichkeit (Sakai et al 2017; Leibovitz 2011; Hengstermann et al. 2007). Diese Faktoren verlängern die stationäre Aufenthaltsdauer (Hudson et al. 2000), verschlechtern die Lebensqualität und führen zu weiterer Risikoexposition und höheren Kosten. Sie gehen schließlich auch mit einer erhöhten Mortalitätsrate einher (Cabre et al. 2010). Als „sekundäre Presbyphagie“ werden gelegentlich Schluckstörungen bezeichnet, die aufgrund von Erkrankungen des vorwiegend höheren Lebensalters entstehen. Dies sind insbesondere: • Zerebrovaskuläre Erkrankungen (› Kap. 4.2.1) • Kopf-Hals-Tumoren (› Kap. 5.2) Darüber hinaus kann die Einnahme einer Vielzahl an Medikamenten, auf die ältere Menschen häufig angewiesen sind, den effektiven und sicheren Schluckablauf beeinträchtigen (Miarons et al. 2016; Gallagher und Naidoo 2009; Kendall et al. 2004). Ältere Menschen sind durch eine Dysphagie stärker gefährdet als jüngere.

Die demografische Entwicklung mit steigender Lebenserwartung wird die Anzahl der Patienten mit Dysphagie weiter erhöhen (Wilmskötter und Stanschuss 2012). Diese Patientengruppe ist besonders gefährdet durch: • Komorbidität • Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit • Kognitive Störungen im Hinblick auf Mangelernährung • Aspirationspneumonien

99

In fortgeschrittenem Alter sind viele Aktivitäten nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich. Essen und Trinken nehmen daher einen besonders hohen Stellenwert in der Lebensqualität ein. Screening-Verfahren, klinische und in­ strumentelle Untersuchungen dysphagiegefährdeter Patienten sowie Re-Evaluationen von Patienten mit Sondenernährung in Pflegeeinrichtungen sollten daher zum Standard gehören, ebenso wie eine adäquate funktionelle Dysphagietherapie unter Einbeziehung von Diätassistentinnen (Rofes et al. 2011; Schindler und Kelly 2002; Barczi et al. 2000).

5.1.6 Dysphagie bei COPD und anderen pulmonalen Erkrankungen Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion unterschiedlicher Ätiologien können in besonderer Weise an Schluckstörungen leiden, denn der Schluckablauf muss zeitlich genau mit der Atmung koordiniert werden: Während der pharyngealen Passage erfolgt ein kurzzeitiges Sistieren der Atmung und ein adäquater Verschluss des Kehlkopfs (› Kap. 2). Dies kann bei primär beeinträchtigter Lungenfunktion zur weiteren Verschlechterung des Gasaustauschs führen, vor allem bei Patienten mit gesteigerter Atemfrequenz (Tachypnoe). Patienten mit Dysphagiesymptomatik und Lungenerkrankungen sind daher besonders gefährdet: • Eine mögliche Aspirationssymptomatik führt zu weiterer Beeinträchtigung des bronchopulmonalen Systems. • Die Durchführung kompensatorischer Schlucktechniken wie supraglottisches Schlucken und Mendelsohn-Manöver erfordert zwangsläufig einen verlängerten Atemstopp, welcher für diese Patienten problematisch ist. Die häufigste Erkrankung ist die chronisch-ob­struk­ tive Lungenerkrankung (chronic obstructive pulmonary disease, COPD), eine chronisch-entzünd­ liche Erkrankung des Lungengewebes. Eine aus­ führliche Übersicht dieser bis heute in Auftreten, Häufigkeit und sozioökonomischen Auswirkungen unterschätzten Erkrankung findet sich bei Keller und Durwen (2013). International wird von einer Prävalenz von ca. 10% ausgegangen, sie gilt als die vierthäufigste Todesursache weltweit. Die chronische Erkrankung wird durch die Inhalation von Rauch, Gas, chemischen Substanzen und Feinstaub ausgelöst.

5

100

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Pathophysiologische Veränderungen bei COPD • Hypertrophie der Schleimhaut der großen Bronchien • Vergrößerung muköser Drüsen mit erhöhter Sekretab-

sonderung • Destruktionen im Alveolarbereich und damit Verkleinerung der respiratorischen Fläche (Lungenemphysem)

5

Insbesondere ältere Patienten mit Raucheranamnese, neurologischen Erkrankungen und nach Tumorbehandlung leiden an COPD (Martin-Harris 2000). Dadurch kommt es zu charakteristischen Symptomen: Husten, Auswurf, und Dyspnoe und schließlich zur Beeinträchtigung weiterer Organsysteme. Die damit verbundene Muskelschwäche bezieht die am Schluckvorgang beteiligten Muskeln ein. Der Schutz der Atemwege und die Effizienz des Bolustransports können dann beeinträchtigt sein (› Tab. 5.4; Cvejic et al. 2011; Mokhlesi et al. 2002; Martin-Harris 2000). Ein verlängerter Glottisschluss während des Schluckens und Mehrfachschlucke pro Bolus sind als offensichtlich spontane kompensatorische Manöver zu werten (Shaker et al. 1992). Typischerweise kommt es im Rahmen der Nahrungsaufnahme bei Patienten mit COPD zur raschen Ermüdbarkeit. Durch die Muskelschwäche bedingte Mikroaspirationen führen eventuell zu Bronchospasmus und zusätzlicher Reduzierung des Gasaustauschs. Die Patienten schlucken viel Luft, sind entsprechend gebläht und beenden die Mahlzeiten vorzeitig. Dies vergrößert die Gefahr der Mangelernährung. Eine besondere Gefährdung von Patienten mit Lungen­ erkrankungen bei Aspiration besteht zudem durch eine verminderte pulmonale Abwehr. Deren Gründe sind: • Vermehrte Sekretbildung • Verminderte alveoläre Clearance bei Schädigung der Schleimhautzilien • Häufig reduzierter, ineffektiver Hustenstoß

Neben der entsprechenden Behandlung der Grunderkrankung sind daher Richtlinien zur individuellen Optimierung der Nahrungsaufnahme essenziell. In schweren Fällen ist eine nonorale unterstützende Ernährung zu erwägen.

Strategieempfehlungen bei Patienten mit COPD und Dysphagie • Appetitsteigernde Nahrungsauswahl • Ruhige Umgebung während der Nahrungsaufnahme • Häufige, kleine Mahlzeiten • Optimierung von Bolusvolumen und -beschaffenheit • Kein sequenzielles Schlucken mit großen Volumina • Mehrfaches Schlucken je Bolus • Refluxprophylaxe • Falls

erforderlich, Fortführung bzw. Erhöhung der O2Zufuhr während der Mahlzeit

Patienten sind sich häufig ihrer Beeinträchtigung beim Essen und Trinken nicht bewusst. Nicht selten verschlechtern daher Aspirationen die pulmonale Situation drastisch (Exazerbation) bis hin zur Beatmungspflicht und Hospitalisierung. Erst dann wird häufig das Vorliegen einer Schluckstörung diagnostiziert.

In mehreren Studien wurde bereits nachgewiesen, dass das Vorliegen einer Dysphagie in einem hohen Maße Ursache von Exazerbationen (akute Verschlechterung) der chronischen Erkrankung ist (Steidl et al. 2015). Dabei spielt auch das mögliche Vorliegen einer Refluxerkrankung für die Schwere der Exazerbationen eine Rolle (Lee und Goldstein 2015). Teramoto (2016) wies darüberhinaus auf eiTab. 5.4  Pathologische Veränderungen bei COPD Pathologische Ver­ änderungen bei COPD

Beeinträchtigung der Schluckfunktion

• Verlangsamte

• Gestörter

Bolusvor­ bereitung • Mundtrockenheit • Verspätete Schluckreflex­ triggerung • Gestörte Atem-Schluck-­ Koordination • Verspäteter Kehlkopf­ verschluss • Verlängerte Hebung/­ Senkung des Kehlkopfs • Verfrühte Kehlkopföffnung • Verringerte pulmonale Abwehr­reaktion • Verlangsamte Ösophagusmotorik und -clearance • Gastroösophagealer Reflux

Schutz der Atemwege mit Pene­ tra­tion und Aspiration • Verlangsamung der Essgeschwindigkeit, Ermüdung • Gestörte Effizienz des Bolustransports mit Residuen

5.2  Schluckstörungen bei ­Kopf-Hals-Tumoren nen möglichen Zusammenhang zwischen Dysphagie, Gastroösophagealem Reflux, COPD und Ob­ struktivem Schlafapnoesyndrom (OSAS) hin (vgl. auch Schindler et al. 2014). Die Bedeutung einer entsprechenden anamnestischen und diagnostischen Erfassung von Schluckstörungen sollte daher unbedingt in künftige Leitlinien zum Thema der COPD Eingang finden und bei der Versorgung dieser Patientengruppe zum Standard werden.

5.2 Schluckstörungen bei ­Kopf-Hals-Tumoren Kopf-Hals-Karzinome stehen in der Häufigkeit von Tumorerkrankungen weltweit an sechster Stelle (Wittekindt et al. 2012). In Deutschland ist von ca. 17.000 Neuerkrankungen im Jahr auszugehen (Mund-Rachen- und Kehlkopfkarzinome, Krebs in Deutschland 2015). Die 5-Jahres-Überlebensraten variieren je nach Tumorstadium und Lokalisation des Primärtumors zwischen unter 20 und über 90 %. Im Mittel betragen sie ca. 55% (Mundhöhle/Rachenkarzinome) bis ca. 62% bei Kehlkopftumoren. Da sich das reine Überleben in den letzten 30 Jahren nur marginal verbessern ließ, ist dem Bemühen um möglichst großen Funktionserhalt und eine akzeptable Lebensqualität ein hoher Wert zuzumessen. Während alkohol-/tabakbedingte Erkrankungen leicht rückläufig sind, nehmen durch HPV-Infektionen verursachte Tumorerkrankungen zu, insbesondere bei jüngeren Menschen (Deschler et al. 2014; Wittekind et al. 2012). In über 90 % handelt es sich um Plattenepithelkarzinome. Ihre meist verborgene Lage in Mundhöhle, Pharynx oder Larynx bedingt in vielen Fällen ein fortgeschrittenes Stadium bei der Erstdiagnose. Zwangsläufig führen chirurgische Entfernung und Radiotherapie zu ausgedehnten Organschädigungen. Wegen der hohen Tumorrezidivneigung einschließlich Metastasierung ist zudem oft eine systemische Behandlung erforderlich, die Chemotherapie. Diese wird neuerdings ergänzt durch „biotherapeutische“ Substanzen in Form von Antikörpern

101

und „small molecules“, niedermolekularen Substanzen, die gezielt an verschiedenen Stellen der Krebsentstehung und Metastasierungswege eingreifen (Hoffmann 2012). Biotherapeutische Substanzen verursachen weitere Nebenwirkungen, die ebenfalls sowohl die Funktionsfähigkeit von Atmung, Stimmgebung, Sprechvermögen und Nahrungsaufnahme beeinträchtigen als auch systemisch wirken und die Lebensqualität der Patienten reduzieren können. Übersichten zu Grundlagen der Entstehung von Kopf-Hals-Tumoren, der Epidemiologie, zu Aspekten der Diagnostik und neuen Wegen in der Therapie finden sich bei Dietz et al. 2014, Stasche 2012, Mozet und Dietz 2010.

5.2.1 Klassifizierung von Tumoren Die Ausbreitung der Tumoren lässt sich in vier Stadien einteilen. Die Einteilung der Plattenepithelkarzinome erfolgt mit Hilfe des TNM-Systems in der jeweils aktuellen Fassung (Wittekind 2017). Dabei werden zwei Hauptklassifikationen beschrieben: • Klinische Klassifikation (TNM oder cTNM): Sie erfolgt durch die Bewertung der erhobenen klinischen Befunde (klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren, Endoskopie, Biopsie etc.). • Pathologische Klassifikation (pTNM): Sie stellt die postoperative histopathologische Klassifikation dar, wird für die Indikation zur adjuvanten Therapie verwendet und liefert zusätzliche Daten für Prognose und Abschätzung von Endergebnissen. Parameter der klinischen Klassifikation von Tumoren nach dem TNM-System T = „Tumor“: Größe und Ausbreitung des Primärtumors N = „Nodes“ Knoten: Fehlen oder Vorhandensein, Lokalisation, Anzahl und Größe regionärer Lymphknotenmetastasen M = „Metastasen“: Fehlen oder Vorhandensein von Fernmetastasen Das Hinzufügen der Ziffern 0 bis 4 zu diesen 3 Komponenten zeigt die Ausbreitung der malignen Erkrankung an: • T0, T1, T2, T3, T4 • N0, N1, N2, N3 • M0, M1

5

102

5

5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Die Klassifikation erfolgt differenziert nach den anatomischen Bereichen: • Lippen und Mundhöhle • Pharynx: Nasopharynx, Oropharynx, Hypopharynx • Larynx: Supraglottis, Glottis, Subglottis • Kieferhöhle • Nasenhöhle, Siebbeinzellen • Unbekannter Primärtumor mit zervikalen Lymphknotenmetastasen • Malignes Melanom der Schleimhäute des Oberen Aerodigestivtraktes • Große Speicheldrüse(n) • Schilddrüse Tumoren der kleinen Speicheldrüsen des oberen Aerodigestivtraktes werden nach den Regeln für Tumoren klassifiziert, die von diesen Regionen ausgehen, z.B. Mundhöhle. Diese Differenzierung ist notwendig, da es sich um unterschiedliche Gewebearten und Organstrukturen handelt. Beispiele (vereinfacht) Mundhöhle T1: Tumor misst in der größten Ausdehnung max. 2 cm T2: Ausdehnung bis 4 cm T3: > 4 cm T4: Tumorinfiltration in Nachbarstrukturen wie Knochen, Zunge oder Halshaut Stimmlippen T1: Begrenzung des Tumors auf eine oder beide Stimmlippen bei erhaltener respiratorischer Beweglichkeit T2: Begrenzung auf die Stimmlippe(n) bei eingeschränkter respiratorischer Beweglichkeit bzw. Ausbreitung auf supra- oder subglottische Strukturen T3: Stimmlippenfixation T4: Ausdehnung jenseits des Larynx

Entsprechende Definitionen gelten für die übrigen oben erwähnten anatomischen Bereiche, ebenso für die Bewertung der Regional- und Fernmetastasen. Die TNM-Graduierung kann in einer Stadieneinteilung Betreuern und Therapeuten onkologischer Patienten orientierende Hinweise über das Ausmaß der Tumorerkrankung geben (› Tab. 5.5). Jedes T und N kann noch in Untergruppen (z. B. T1a, T1b) unterteilt werden. Ausführlichere Be-

Tab. 5.5  Tumorstadieneinteilung nach dem TNM-System Stadium

TNM-System

I

T1, N0, M0

II

T2, N0, M0

III

T3, N0, M0 T1, T2, T3, N1, M0

IV

T4, N0, N1, M0 Jedes T, N2, N3, M0 Jedes T, jedes N, M1

schreibungen der Klassifizierungen der Tumoren nach Lokalisation und Ausdehnung, Vorliegen eines Rezidivs, neoadjuvanter Therapie etc. finden sich bei Wittekind (2017) sowie Motzko et al. (2004). Im TNM-Atlas von Wittekind, Assamura und Sobin (2014) vermitteln sehr eindrucksvolle Abbildungen die jeweiligen Tumorlokalisationen und -ausdehnungen und können damit zum Verständnis für die jeweilige Therapiesituation des Patienten außerordentlich hilfreich sein.

5.2.2 Auswirkungen von Tumoren auf die Schluckfunktion Nahrungsaufnahme, -zerkleinerung und -transport werden im Wesentlichen durch Tumoren der Mundhöhle, des Pharynx und Larynx beeinträchtigt, nur selten durch (größere) Tumoren der Umgebungsstrukturen. Relevante Parameter für den Grad der funktionellen Störung bei Kopf-Hals-Tumoren • Tumorgröße und -lokalisation • Beeinträchtigung benachbarter Strukturen • Vorbestehende Gewebedefekte bei Rezidiv-

oder Zweittumoren • Einschränkung der Beweglichkeit • Einschränkung der Sensibilität und Reflexauslösbarkeit durch: – Ausmaß der Infiltration von Schleimhaut und submukösen Strukturen – Nervenläsionen – Evtl. gleichzeitig vorliegende Polyneuropathie durch Alkoholabusus

5.3  Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung Tumoren geringerer Ausdehnung verursachen meist keine Beeinträchtigung von Sicherheit und Effektivität des Schluckvorgangs, obwohl bei ihnen schon in 59 % Auffälligkeiten einzelner Parameter bestehen wie verlängerter Bolustransport, eingeschränkter Kehlkopfverschluss sowie reduzierte Öffnung des OÖS. Auch Residuen und Aspirationen wurden beobachtet (Pauloski et al. 2000). Bei fortgeschrittenen Tumoren zeigten 45 % der Patienten in der videofluoroskopischen Untersuchung Aspirationen, davon wiederum fast die Hälfte „silent aspirations“ (Rosen et al. 2001)! Viele der Patienten mit fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren weisen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits Mangelernährung mit Gewichtsverlust und reduziertem Immunstatus auf, begleitet von chronischer Bronchitis.

Bei diesen Patienten sollte daher stets bereits vor Beginn der Tumorbehandlung eine Untersuchung der Schluckfunktion erfolgen. Deren Ergebnisse sind in die Planung des therapeutischen Vorgehens einzubeziehen, z. B. Ausmaß und Art der Resektion und/ oder Radiochemotherapie, eventuell Tracheotomie. Diese Untersuchung beeinflusst auch die Entscheidung, ob während/nach der Behandlung eine orale Ernährung aufrechterhalten werden kann oder eine frühzeitige Sondenernährung bzw. „prophylaktische PEG Anlage“ zu erwägen ist (› Kap. 9). Weiterhin ist die klinische und gegebenenfalls instrumentelle Untersuchung der Schluckfunktion Grundlage einer funktionellen Übungsbehandlung vor Beginn der Tumortherapie, die das Outcome nach chirurgischer Resektion und/oder Radiochemotherapie verbessern und die Lebensqualität erhöhen kann (› Kap. 12).

5.3 Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung Hauptziele jeder Tumortherapie sind (› Abb. 5.4): • Eliminierung des Tumors sowie eventuell vorhandener Metastasen und damit die Sicherung

103

des Überlebens mit möglichst langer Überlebenszeit • Vollständiger oder weitgehender Funktionserhalt sowie Sicherung der bestmöglichen Lebensqualität Kleine Tumoren (T1, T2) der oberen Luft- und Speisewege und des Kopf-Hals-Bereichs von der Schädelbasis bis zur oberen Thoraxapertur werden in der Regel entweder chirurgisch entfernt oder bestrahlt. Fortgeschrittene Tumoren bedürfen kombinierter Verfahren der Chirurgie, der Radio- und Chemotherapie. Die Maßnahmen führen sowohl zu Substanzdefekten als auch häufig zu weitgehenden Strukturveränderungen. Diese können die Ursache von Störungen der Atmung, der Stimmgebung und des Sprechvermögens sowie von Schluckstörungen sein (Lazarus 2013, 2009; Kreeft et al. 2009). Die Beurteilung des Funktionserhalts und der Lebensqualität nach einer Tumorbehandlung hat sich in den vergangenen Jahren als wichtiger Bestandteil vieler klinischer Studien etabliert (Tschiesner 2012). Obwohl in allen Therapiemodalitäten in den letzten Jahren in dieser Hinsicht Fortschritte erzielt wurden, sehen sich die Patienten nach der Therapie weiterhin mit häufig großen Einschränkungen ihrer Lebens­qualität konfrontiert, wobei die Störungen einer normalen Ernährung an oberster Stelle stehen (Terell et al. 2004). Tumortherapiebedingte Schluckstörungen sind nach den neurologisch bedingten Schluckstörungen die häufigsten Dysphagien. Nach verschiedenen Studien kommt es in 55 bis 88% der Fälle zu Dysphagien, insbesondere nach Radiochemotherapie. Daraus resultierende Malnutrition (Prävalenz 35 bis 60%) und Aspirationspneumonien (5 bis 25%) bestimmen in einem weit höheren Maße das Überleben nach Tumortherapie als bisher angenommen wurde (Xu et al. 2015).

Der Schweregrad der Dysphagie nach Tumortherapie ist abhängig von (Tschiesner 2012; Francis et al. 2010; Zuydam et al. 2005; Bonkowski 2006): • Lokalisation und Ausmaß des Defekts • Wahl des Zugangsweges (transzervikal, transoral) • Wahl der chirurgischen Methode (traditionelle vs. Laserchirurgie) • Rekonstruktionsmaßnahmen

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5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Therapie von Kopf-Hals-Tumoren

Kleine Tumoren Eine Therapie:

Fortgeschrittene Tumoren Kombinierte Therapie:

Funktionelle

I) Radikale Chirurgie mit Bestrahlung/Chemotherapie

Chirurgie (evtl. mit

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Rekonstruktion)

II) Organerhalt: Bestrahlung mit Chemotherapie

Oder Bestrahlung

„Rettungschirurgie“ bei: Rezidiven, Funktionsverlust

Abb. 5.4  Aspekte der Therapie maligner Kopf-Hals-Tumoren [M858]

• Ausprägung von Bestrahlungsfolgen • Ausprägung lokaler und generalisierter Folgen

der Chemotherapie Die Behandlungsstrategien von Tumoren richten sich nach: • Art des Tumors • Lokalisation des Tumors • Ausbreitung des Tumors • Alter und Allgemeinzustand des Patienten

5.3.1 Allgemeine Ursachen von Schluckstörungen nach Tumorbe­ handlung Folgen der chirurgischen Intervention Die chirurgische Entfernung eines Tumors kann konventionell-chirurgisch oder mikrochirurgisch (mittels Laser oder konventionellen Mikroinstru-

menten) erfolgen. In den letzten Jahren hat in der chirurgischen Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren ein Paradigmenwechsel stattgefunden (Gößler 2012): Im Vergleich der Ergebnisse der traditionellen offenen Chirurgie (bei Pharynx- und Larynxtumoren mit Eröffnung der Halsvorderwand) hat sich gezeigt, dass die transorale Laserchirurgie gute onkologische und funktionelle Ergebnisse bei gleichzeitig niedrigerer Komplikationsrate aufweist, vor allem im Stadium T1 und T2. Teilresektionen des Kehlkopfs erfolgen daher heute zunehmend transoral durch den Laser. Sie sind verschiedenen Autoren zufolge vorteilhafter im Hinblick auf den Funktionserhalt. Schluckstörungen sind daher weniger gravierend und anhaltend als nach konventionellen Eingriffen (Arens 2012; Ambrosch und Fazel 2011; Iro et al. 2011; Steiner 2005; Bernal-Sprekelsen et al. 2004; Eckel et al. 2000).

5.3  Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung Eine zusätzliche Halslymphknotenausräumung (Neck-Dissection) kann die gesamten ipsilateralen Lymphknoten der betroffenen Seite umfassen sowie die Resektion der extralymphatischen Strukturen V. jugularis interna, M. sternocleidomastoideus und N. accessorius (radikale Neck-Dissection), aber auch bilateral notwendig sein. Daraus resultieren postoperative Komplikationen und zusätzliche Beeinträchtigungen (Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Lymphabflussstörungen, Ödeme, Verhärtungen). Diese können dazu führen, dass Patienten wesentlich länger von einer Sondenernährung abhängen (Lango et al. 2010). Daher ist man heute bestrebt, nur die zum unmittelbaren Lymphabfluss des Primärtumors gehörenden Lymphknoten zu resezieren (selektive Neck-Dissection; Teymoortash und Werner 2012), nicht-lymphatische Strukturen bleiben erhalten. Generell kann es durch chirurgisches Entfernen von Schleimhaut, Muskeln, Nerven, Knorpeln und Knochen samt Bezahnung zu zahlreichen Beeinträchtigungen kommen: • Verringerung der propulsiven und kontraktilen Kräfte, die der Zerkleinerung, Formung und Weiterbeförderung des Bolus dienen • Störung des Klappenmechanismus, der die Bewegungsrichtung des Bolus vorgibt und seine Passage ermöglicht • Paresen und Sensibilitätsstörungen • Schmerzen und Schwellungen • langanhaltende Auswirkungen auf das Schluckvermögen durch Vernarbungen und Narbenschrumpfungen • Bewegungseinschränkungen im Hals-, Nackenund Schulterbereich • Taubheitsgefühl • Ästhetische Beeinträchtigungen • Einschränkung der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung nach Tracheotomie (› Kap. 9) Bei kleineren Tumoren kann die Funktionsminderung so minimal sein, dass sie sich ohne zusätzliche Maßnahmen gut kompensieren lässt. Bei größeren Tumoren und damit entsprechend größeren Defekten ist häufig eine primäre Defektdeckung mit angrenzendem Gewebe nicht möglich. Dann muss der Operateur die Tumorresektion mit rekonstruktiven Maßnahmen durch gestielte und freie Lappentransplantate aus verschiedenen Spenderregionen

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(z. B. äußerer Hals, M. pectoralis, Unterarm, Oberschenkel, Lappen aus dem Darmbereich) verbinden (Gößler 2012). Erheblich verbesserte mikrochirurgische Operationstechniken ermöglichen heute die Deckung selbst großer Defekte. Die Transplantate differieren jedoch in Oberflächenbeschaffenheit, Sensibilität und Kontraktionsfähigkeit häufig so sehr von der ursprünglichen Organstruktur, dass sie den Schluckvorgang erheblich beeinträchtigen, sodass z. B. durch die fehlende Kontraktionskraft ein Bolustransport nicht mehr möglich ist oder eine adäquate Schluck- und Hustenreflexauslösung fehlt. Eine eventuell notwendige Bestrahlung beginnt i. d. R. 4–6 Wochen nach dem Eingriff. Nach Laserchirurgie kann sie bereits nach 2 Wochen erfolgen.

Schluckstörungen als Folgen der Radio-/Chemotherapie Die Radiotherapie kann bei kleineren Tumoren eine primäre Tumortherapie darstellen, bei größeren Tumoren erfolgt sie in Kombination mit chirurgischen Maßnahmen und/oder Chemotherapie (› Abb. 5.4). Hinsichtlich lokaler Tumorkontrolle und Überlebenszeit sind durch aggressivere Bestrahlungsformen und neue Chemotherapien Fortschritte erzielt worden. Daher haben sich manche Behandlungsempfehlungen für fortgeschrittene Tumoren verändert: Bestand die etablierte Behandlung solcher Kehlkopftumoren bisher z. B. in der Laryngektomie mit nachfolgender Bestrahlung, so lässt sich heute durch eine Bestrahlung kombiniert mit Chemotherapie ein gleiches Ergebnis hinsichtlich der Überlebensrate erzielen, bei gleichzeitigem morphologischem Erhalt des Kehlkopfs (Fuller et al. 2016; Dietz et al. 2009). Allerdings sind die Folgen der Akut- und Spättoxizität der Radiochemotherapie einschließlich der Folgen für Atmung, Stimmgebung, Sprechvermögen und Schluckfunktion (s. u.) bisher noch nicht ausreichend erfasst und bewertet und in Vergleichsstudien mit chirurgischen Optionen untersucht worden. Deshalb geht die Diskussion um die primär chirurgische Versorgung vs. Radiochemotherapie fortgeschrittener Kopf-Hals-Karzinome weiter (Dawe et al. 2016; Dietz et al. 2014; Ambrosch und Fazel 2011). Vermutlich wird die Anzahl der Patienten

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5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

mit schweren Dysphagien nach Kopf-Hals-Tumor­ therapie aber ansteigen (Langendijk et al. 2009). Im Verlauf und nach Abschluss einer Bestrahlung kann eine Vielzahl von Nebenwirkungen auftreten, die entweder wieder abklingen, sich verstärken oder erst verzögert auftreten. Manche Autoren beschreiben eine akute Phase (< 3 Monate) eine subakute Phase (3–6 Monate) und eine chronische Phase (> 6 Monate). Die Schädigungen betreffen sowohl strukturelle, mechanische als auch neurologische Komponenten des Schluckvorganges (King et al. 2016; Servagi-Vernat et al. 2015; Lazarus 2013; Crary 2010): • Strahlenenanthem („Ausschlag der Schleimhaut“): Rötung, Schwellung der Schleimhaut; Ulzera (Mukositis) • Submuköses Ödem; dieses kann im Kehlkopfbereich so ausgeprägt sein, dass eine Tracheotomie notwendig wird • Muskelatrophie • Verminderte Sensibilität und Reflexauslösbarkeit, verminderte Geruchs- und Geschmackswahrnehmung (Baharvand et al. 2012) • Verminderte Speichelproduktion durch Schädigung von Speicheldrüsen; dadurch bedingte Mundtrockenheit (Xerostomie), zäheres Sekret und Beläge verschlechtern die Gleitfähigkeit des Bolus und verstärken Kariesbefall und Verdauungsprobleme (Pedersen et al. 2002; Cassolato und Turnbull 2003) • Änderung der Bakterienflora des Oropharynx; Candidiasis • Chondroradionekrose des Kehlkopfs als schwere Komplikation mit Schmerzen, Ödemen, Abszessund Fistelbildung • Osteoradionekrose von Zungenbein und Mandibula • Einschränkung der Kieferöffnung Während der Behandlung sind die Patienten zusätzlich durch Störungen des Allgemeinbefindens beeinträchtigt: Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechensneigung. Ist eine zusätzliche Chemotherapie (Radiochemotherapie) erforderlich, verstärken sich sowohl diese toxischen Allgemeinsymptome als auch lokale Schädigungen (Lazarus 2013) mit Entzündungen im Mundraum und im gesamten Verdauungstrakt sowie Verstärkung der Schmerzen. Infektanfälligkeit, Haarausfall und Blutungsneigung kommen hinzu.

Sowohl im Anschluss an eine Radio(chemo)therapie als auch Jahre und sogar Jahrzehnte danach können weitere massive Schädigungen auftreten, „late effects“ (King et al. 2016; Schröter-Morasch et al. 2016; Frowen et al. 2015; Lazarus 2009). Nicht selten treten die genannten Symptome z.B. erst über 20 Jahre nach postoperativer Bestrahlung eines Schilddrüsenkarzinoms auf (Schröter-Morasch et al. 2011; › Abb. 5.5). Nach King et al. (2016) können biologische Veränderungen durch die Radiatio jahrelang unbemerkt ablaufen, aber in funktionellen Defiziten enden, welche sowohl die Lebensqualität beeinträchtigen als auch das Mortalitätsrisiko erhöhen: • Zunahme der Mundtrockenheit • Atrophie der Schleimhaut, Gefäßerweiterung (nach etwa 2–5 Monaten) • Fibrosen der Halsmuskulatur und der Subkutis als Spätfolgen („Holzhals“) • Stenosen von Pharynx und Ösophagus (> 40 %, Francis et al 2010; 33 % Vu et al. 2008) • Schädigungen des Rückenmarks und der Hirnnerven, die zum Bild einer neurologisch bedingten Schluckstörung führen können (Ku et al 2010; Lin et al. 2002) • Schädigungen der großen Gefäße mit der Folge von Rupturen oder Stenosen, welche Jahrzehnte nach Abschluss einer Bestrahlung auftreten und auch zerebrovaskuläre Komplikationen verursachen können! • Interstitielles Lymphödem • Zahnschäden • Einschränkung der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung Aus diesen gravierenden Strukturveränderungen lassen sich die massiven Störungen des Schluckvorgangs erklären. McConnel et al. (1994) und Lazarus et al. (1996) beschreiben eine „reduzierte oropharyngeale Schluckeffizienz“, die zu reduziertem Bolustransport (Retentionen) und gestörter Schutzfunktion des Kehlkopfs verbunden mit Penetration und Aspiration führt. Die Symptomatik hängt dabei von den im Strahlengang liegenden Bereichen ab. Sie ist am ausgeprägtesten bei Mitbestrahlung von Zungengrund, Pharynxkonstriktoren, sowie supraglottischem und glottischem Larynx mit einer hohen Rate an (stillen) Aspirationen (Nguyen 2004; Eisbruch 2002). Diese führen häufig zu schweren

5.3  Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung Aspirationspneumonien (Hunter et al. 2014; Francis et al. 2010). In neueren Bestrahlungsverfahren wird daher eine Aussparung bzw. Dosisreduzierung dieser Strukturen angestrebt (intensitätsmodulierte Radiotherapie, IMRT) sowie eine für das umgebende gesunde Gewebe schonendere Applikation (Hyperfrak­ tionierte Bestrahlung) (Beadle et al. 2017; Pauloski et al. 2015; Starmer et al. 2015; Batth et al. 2014; ­Pigorsch und Duma 2014; Wenz und Pütz 2012; Dietzsch et al. 2011; Eisbruch et al. 2011; Peponi et al. 2011; Feng et al. 2010; Caudell et al. 2009). Von ­Modesto et al. (2014) wurden nach IMRT signifikant günstigere Werte im Hinblick auf die Spättoxizität mit Xerostomie, Dysphagie und PEG-Abhängigkeit als nach herkömmlicher Strahlentherapie ermittelt. Dennoch bleibt wegen einer Tumorlokalisation in enger Beziehung zu schluckrelevanten Strukturen die Dysphagie als langfristige Folge einer Radio­ (chemo)therapie bestehen und muss in die Outcome-Beurteilung jeder Tumortherapie einbezogen werden. Komponenten der Schluckstörung nach Radio-/ Chemotherapie • Erschwerter und verlangsamter Bolustransport • Verspätete Schluckreflextriggerung mit verspäteter

und ungenügender Anterior- und Elevationsbewegung des Larynx-Hyoidkomplexes

107

• Ungenügende Zungenbasisretraktion • Unzureichende Epiglottisdorsalflexion • Ungenügende Pharynxkontraktion • Unzureichender Verschluss des Aditus

laryngis und der Glottis • Verminderte und verspätete Öffnung des OÖS • Narbige Stenosierung des OÖS, die regelmäßige Bougierungen erfordert • Schleimhauttrockenheit • Eingeschränkte Kopf-Hals-Beweglichkeit und erschwerte Durchführung kompensatorischer Strategien (z. B. Kopfdrehung)

Lebensbedrohliche Aspirationen können so schwerwiegend sein, dass schließlich eine Tracheotomie oder auch Laryngektomie unumgänglich wird. Nicht immer kann anschließend eine orale Nahrungsaufnahme erfolgen, da meist auch die oropharyngeale Transportfunktion schwer gestört ist (Lazarus et al. 2002). Auch eine alleinige Radio-/Chemotherapie kann trotz Organerhalts zu schweren Beeinträchtigungen der Schluckfunktion führen. Neue Verfahren (hyperfraktionierte Bestrahlung oder intensitätsmodulierte Radiotherapie [­IMRT]), die die Toxizität reduzieren bzw. schluckrelevante Strukturen möglichst aussparen sollen, mindern diese Folgen. Sichere Vergleichsstudien stehen jedoch noch aus (Cartmill 2012; Tschiesner 2012). Bei kombinierter chirurgischradiochemotherapeutischer Behandlung sind alle genannten Störungskomponenten zu berücksichtigen.

Abb. 5.5  Laryngoskopische Befunde bei Dysphagie nach p. o. Bestrahlung eines Schilddrüsenkarzinoms. a Patientin M. C., 53 Jahre, 23 Jahre nach postoperativer Radiatio wegen eines Schilddrüsenkarzinoms. Beidseitige Rekurrens­ parese und Stimmlippenödeme, Glottisverengung, zeitweise Dyspnoe b Patientin W. R., 51 Jahre, 17 Jahre nach postoperativer Radiatio wegen eines Schilddrüsenkarzinoms. Gefäßerweiterungen beider Stimmlippen, Residuen und Penetration bei Pharynxparese, starrem Aditus laryngis und Stenose des OÖS [M858]

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5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Je nach Tumorlokalisation und -ausdehnung kommt es durch die Behandlung zu unterschiedlichen Beeinträchtigungen des oropharyngealen Schluckablaufs. Die folgenden Abschnitte fokussieren daher auf die jeweils erkrankten bzw. therapierten Regionen.

5.3.2 Schluckstörungen nach ­Tumorbehandlung in der vorderen Mundhöhle

5

Typische Tumorlokalisationen sind: • Zungenspitze und Zungenrand • Vorderer oder seitlicher Mundboden • Alveolarkamm Bei kleinen Zungentumoren kann die alleinige Resektion von Zungengewebe mit oder ohne primären Wundverschluss ausreichend sein. Die Funktion ist dann nicht wesentlich beeinträchtigt, wenn weniger als die Hälfte des freien Zungenkörpers entfernt wurden (McConnel et al. 1994; Hirano et al. 1992). Insbesondere die verbleibende Zungenmotilität und nicht so sehr das erhaltene Volumen bestimmt die Effektivität der Zungenfunktion. Der Einsatz verbleibenden Zungengewebes zur Defektdeckung des Mundbodens verschlechtert daher die Zungenfunktion. Deshalb sind Lappenplastiken empfehlenswert (Deganello et al. 2012). Hilfreich sind Prothesen, die Zungendefekte durch Verbreiterung der Alveolarkämme oder Absenkung des harten Gaumens als Widerlager der Zunge ausgleichen (Schröter-Morasch und Ziegler 2005; Pauloski et al. 1996; Vogel et al. 1996; Hurst 1988). Große Tumoren erfordern eine En-bloc-Re­sek­ tion von Zungenanteilen, Mundboden und Teilen der Mandibula, einschließlich (radikaler) NeckDissection. Defektdeckungen erfolgen mit umliegender Schleimhaut, myokutanen bzw. faszioku­ tanen sowie mikrovaskulären osteokutanen bzw. osteomuskulokutanen Transplantaten. › Abb. 5.6 zeigt schematisch eine solche Resektion bei einem Mundbodentumor. Daraus wird ersichtlich, dass es nach einem so ausgedehnten Eingriff durch die Beeinträchtigung der Mundbodenmuskulatur außer zu einer Störung der Zungenbeweglichkeit auch zu einer Verminderung der Ventral- und Kranialbewegung des Zungenbeins kommen kann, mit den ent-

Abb. 5.6  Seitenansicht der Resektionsgrenzen eines Mundbodentumors mit Entfernung von Zungenanteilen, Mandibula und Mundbodenmuskulatur

sprechenden Störungen der pharyngealen Phase. Im Allgemeinen beschränken sich jedoch die Störungen nach Eingriffen in der vorderen Mundhöhle auf die orale Phase. Mögliche Störungen nach Tumorentfernung in der vorderen Mundhöhle • Beeinträchtigung

von Aufnahme, Zerkleinerung und Halten des Bolus • Gestörter Bolustransport • Prädeglutitives Leaking des Bolus in den Pharynx mit der Gefahr der Penetration

Nach größeren Teilresektionen oder vollständiger Entfernung der Zunge besteht eine hohe Aspirationsgefahr (Halczy-Kowalik 2015). Durch Vermittlung kompensatorischer Schluckmechanismen und unter Anwendung adaptiver Maßnahmen kann es gelingen, diese zu minimieren, was jedoch eine große Motivation und Übungsbereitschaft der Patienten erfordert (› Kap. 12).

5.3  Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung

5.3.3 Schluckstörungen nach Entfernung von Tumoren der hinteren Mundhöhle/des Rachens (Oropharynxtumoren) Betroffen sein können: • Zungenbasis • Harter und weicher Gaumen • Tonsillen • Pharynxwand Kleine Tumoren des oropharyngealen Raums lassen sich durch Resektion des betreffenden Organbereichs therapieren. In den meisten Fällen sind das Mitentfernen umliegender Strukturen sowie eine funktionelle Neck-Dissection erforderlich. En-blocResektionen von Zungengrund, Tonsillen, Mandibula und Halslymphknoten, manchmal noch durch Entfernung von weichem Gaumen und Pharynxwand erweitert, führen zu erheblichen Störungen des Schluckablaufs (Kreeft et al. 2009). Dabei wirkt sich eine Resektion der Zungenbasis als Schlüsselstruktur für den oralen und pharyngealen Schluckmechanismus besonders gravierend aus (Zuydam et al. 2005; Pauloski et al. 2004; Logemann 1993). Die Entfernung des harten und weichen Gaumens beeinträchtigt den velopharyngealen Verschluss und die Funktion als Widerlager für die propulsiven Zungenbewegungen. Daraus können sowohl ausgeprägte Transportstörungen des Bolus als auch prä-, intra- und postdeglutitive Aspirationen resultieren, die eine orale Nahrungsaufnahme behindern oder in schweren Fällen ausschließen. Mögliche Störungen nach Tumorentfernung im Oropharynx • Erschwertes

Kauen, Halten und Transportieren des Bolus, Residuen in Mundhöhle und am Gaumen • Vorzeitiges Abgleiten in den Pharynx • Verspätete Schluckreflextriggerung • Unvollständige lingual-velare Annäherung, unvollständiger velopharyngealer Verschluss mit nasaler Penetration • Unzureichende Zungenbasisretraktion mit ungenügendem Zungenbasis-Pharynxwand-Kontakt • Eingeschränkte Kehlkopfhebung mit Reduzierung der Öffnung des OÖS und unzureichendem Verschluss des Aditus laryngis • Ungenügende Pharynxkontraktion

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5.3.4 Schluckstörungen nach Behandlung von Kehlkopftumoren Tumoren des Kehlkopfs können in 3 Ebenen auftreten: • Supraglottis: Strukturen oberhalb der Stimmlippenebene • Glottis: Stimmlippenebene • Subglottis: Strukturen unterhalb der Stimmlippen Vorwiegend sind die Glottis und supraglottische Strukturen betroffen. Da Tumoren dieser Lokalisation relativ frühzeitig Stimm- und/oder Schluckprobleme verursachen, werden sie häufig früher diagnostiziert als z. B. Hypopharynxtumoren und sind daher erfolgreicher behandelbar. Supraglottische Tumoren tendieren im Vergleich zu isolierten Stimmlippentumoren stärker zu lymphogener Ausbreitung, d. h. zur Halslymphknotenmetastasierung. Kleine Tumoren im frühen Stadium (T1/T2) können durch umschriebene Exzisionen entfernt oder bestrahlt werden. Der Bolustransport ist dadurch nicht gefährdet, wohl aber kann es durch Beeinträchtigungen des Glottisschlusses bei einseitiger Stimmlippenresektion zumindest vorübergehend zu einer Aspirationssymptomatik kommen. Größere Tumoren erfordern ausgedehntere Resektionen, entweder Larynxteilresektionen oder die vollständige Entfernung des Kehlkopfs (Laryngektomie). Larynxteilresektionen können mikrochirurgisch transzervikal oder transoral mit dem Laser erfolgen.

Supraglottische Teilresektionen Tumoren oberhalb der Stimmlippen (Taschenfalten, Epiglottis, aryepiglottische Falten) können durch supraglottische Teilresektionen behandelt werden. Diese erhalten die Funktion der Stimmbildung, entfernen jedoch einen großen Teil der anatomischen Strukturen zum Schutz der tiefen Atemwege beim Schlucken. Die Resektionen umfassen je nach Lokalisation des Tumors (› Abb. 5.7): • Epiglottis • Valleculae • Präepiglottisches Gewebe • Taschenfalten • Zungenbein

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5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

b

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Abb. 5.7  Supraglottische Teilresektion. a  Seitenansicht: gestrichelte Linie = Ausdehnung der Exzision auf Zungengrund und Aryknorpel b  Aufsicht. [L234]

• Bei größerer Ausdehnung des Tumors auch Zun-

gengrund, Aryknorpel und Teile des Schildknorpels, mit entsprechend ausgeprägteren Störungen Hauptschädigungen einer horizontalen supraglottischen Teilresektion: • Resektionen im Zungenbasisbereich bedingen eine verminderte Retraktion und damit verminderte Zungenschubkraft sowie Sensibilitätsstörungen mit der Folge einer reduzierten Schluckreflextriggerung. Der Verschlussmechanismus des Aditus laryngis während des Schluckens ist gestört, die Valleculae sind nicht mehr vorhanden. Nahrung kann direkt über den Zungengrund wie über eine Rampe auf die Glottis bzw. in die Trachea gelangen (› Abb. 5.7). • Schädigungen des N. laryngeus superior führen zu gleichseitigen Sensibilitätsstörungen der Glottis (verminderter Schutzreflex des Hustens) und zur Verschlechterung des Glottisschlusses durch reduzierte Stimmlippenspannung und Absinken der Stimmlippe. • Die Entfernung des Zungenbeins führt zu verminderter Kehlkopfexkursion mit der Folge einer Sphinkteröffnungsstörung des Ösophagus (trotz eventuell durchgeführter Myotomie bei transzervikaler Teilresektion).

• Residuen werden nicht mehr im Recessus pirifor-

mis aufgefangen, sondern gleiten in den Larynx, da die Barriere der aryepiglottischen Falte fehlt. • Ödeme und Vernarbungen im Glottisbereich können die Atmung und einen zuverlässigen Stimmlippenschluss während des Schluckens behindern. Mit diesen Komplikationen ist besonders bei zusätzlicher Bestrahlung zu rechnen. Aufgrund dieser Störungen ist die Aspirationsgefahr nach solchen Eingriffen außerordentlich hoch (> 50 %; Schweinfurth und Silver 2000). Dabei kommen prä-, intra- und postdeglutitive Aspirationen vor. Demzufolge ist häufig eine längerfristige nichtorale Ernährung erforderlich. Hauptursachen für die hohe Aspirationsgefahr nach supraglottischer Teilresektion • Verspätete Reflextriggerung • Reduzierter Verschluss des Aditus • Reduzierte Zungenkraft • Reduzierte Larynxelevation

laryngis

5.3  Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung

Fallbeispiel Ein eindrucksvolles Beispiel dieser Symptomatik zeigt die endoskopische Aufnahme eines 58-jährigen Patienten 4  Wochen nach supraglottischer Kehlkopfteilresektion mit dem CO2-Laser: Wegen eines Epiglottiskarzinoms erfolgte die Entfernung von Epiglottis und Taschenfalten beidseits, eine Freilegung des rechten Aryknorpels und eine beidseitige Neck-Dissection (› Abb. 5.8). Klinisch bestand eine ausgeprägte Dysphagie mit prä- und intradeglutitiver Aspiration. Der Patient konnte nur flüssigbreiige Kost zu sich nehmen. Es waren bereits rezidivierende pulmonale Infekte aufgetreten. Die Endoskopie ergab eine Schwellung des rechten Aryknorpels, gerötete Stimmlippen und einen guten Glottisschluss bei Phonation. Nach Aufnahme von ⅓ TL Joghurt zeigte sich eine ausgeprägte Aspiration über die vordere Kommissur ohne Hustenreflex! Durch willkürliches Abhusten und kräftiges Nachschlucken konnte der Patient Trachea und Glottis leidlich reinigen.

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Nach dem Erlernen kompensatorischer Schlucktechniken (supraglottisches Schlucken in Kombination mit Mendelsohn-Manöver und Haltungsänderung, Kopfneigung nach vorn; › Kap. 12) war der Patient bereits 20 Tage nach der Erstuntersuchung zu aspirationsfreiem Schlucken geeigneter Nahrungskonsistenzen in der Lage.

Suprakrikoidale Laryngektomie Diese Methode kann in ausgewählten Fällen bei glottischen Larynxkarzinomen bis zum Stadium T4 indiziert sein. Je nach Lokalisation und Ausdehnung des Tumors werden oberhalb des Ringknorpels Schildknorpel, Stimmlippen und Taschenfalten unter Schonung wenigstens eines Aryknorpels, also fast der gesamte „glottische Sphinkter“ reseziert. Gleichzeitig kann die Entfernung von Epiglottis und präepiglottischem Raum erforderlich sein (Lips et al. 5

Abb. 5.8  Patient nach supraglottischer Teilresektion. [M858] a Respiration: Epiglottis und Taschenfalten entfernt, rechter Aryknorpel ödematös, Überlauf von Speichel in die Glottis b nach ⅓ TL Joghurt: massive Aspiration über die vordere Kommissur ohne Hustenreiz („silent aspiration“) c 20 Tage nach Beginn der Behandlung kein Speichelaufstau, kein Überlauf in die Glottis mehr d nach Gabe von 2 TL Joghurt: aspirationsfreies Schlucken möglich, noch geringe Residuen an der Zungenbasis

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5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

2015). Zwangsläufig kommt es trotz Rekonstruk­ tionsmaßnahmen postoperativ zu ausgeprägter Aspiration, die eine Ernährung über Sonde und eine intensive Dysphagietherapie erfordert. Dennoch ist ein großer Teil der Patienten (> 80 % laut Lewin et al. 2008) nach einigen Monaten zur oralen Nahrungsaufnahme in der Lage und das Tracheostoma kann verschlossen werden.

Vertikale Teilresektion oder ­Hemilaryngektomie

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Eine vertikale Kehlkopfteilresektion umfasst in der Regel die Entfernung von Stimmlippe, Ventrikel, Taschenfalte sowie Teilen des Schildknorpels (› Abb. 5.9). Der Defekt wird mit umgebendem Gewebe gedeckt, eine Stimmlippenrekonstruktion kann z. B. mit Schildknorpel erfolgen, sodass ein ausreichender Kehlkopfverschluss auf Glottisebene wieder möglich wird. Können Zungenbein und Epiglottis belassen werden, entwickeln sich in der Regel keine Schluckstörungen. Es kommt zwar aufgrund des Substanzdefekts und der notwendigen Lösung von infrahyoidaler und infralaryngealer Muskulatur einschließlich des M. cricothyreoideus vom Kehlkopfskelett zur asymmetrischen Kehlkopfhebung und zum unvoll-

Zungenbein

ständigen Glottisschluss. Doch daraus resultieren nicht zwingend bleibende Störungen für die Schluckfunktion (Casper et al. 1998). Sitzt der Tumor weit anterior und hat er ein größeres Volumen, erfordert dies häufig eine Modifikation und Erweiterung dieser Methode. Die zusätzliche Resektion des Schildknorpels erfolgt unter Mitnahme der vorderen Kommissur (frontolaterale Teilresektion) über die vordere Mitte hinaus. Ist es bei posteriorem Sitz des Tumors notwendig, den Aryknorpel mitzuresezieren, resultiert eine erhebliche Gefahr eines bleibenden, unvollständigen Glottisschlusses mit der Folge einer intradeglutitiven Aspiration (Logemann 1998). Muss die Teilresektion auf die Entfernung von Epiglottis, aryepiglottischer Falte und Zungenbein erweitert werden, können Störungen wie bei den supraglottischen Teilresektionen auftreten. Bei einer gleichzeitigen Pharyngektomie kommen ebenfalls entsprechende Störungen hinzu.

Schluckstörungen nach totaler ­Laryngektomie Eine totale Laryngektomie (LE) beinhaltet: • Entfernung des gesamten Larynx, einschließlich Zungenbein • Beidseitige Neck-Dissection

Schildknorpel

Taschenfalte Schildknorpel Stimmlippe Ringknorpel Ringknorpel

Abb. 5.9  Vertikale Teilresektion [M858]

5.3  Schluckstörungen nach chirurgischer, radiologischer und/oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung Damit erfolgt eine Separation von Luft- und Speisewegen, die die Atmung wird über ein Tracheostoma (Verbindung der Trachea mit der äußeren Halshaut) ermöglicht (› Abb. 5.10). Eine Aspiration, die größte Bedrohung bei einer Dysphagie, kann also im Prinzip nicht mehr auftreten. Relativ häufig treten jedoch Störungen der Boluspassage auf. Ursachen können sein: • Verengung des Pharynx, da das Entfernen des Kehlkopfs als Vorderwand des Hypopharynx einen Substanzdefekt hinterlässt, der geschlossen werden muss (erhöhter Widerstand) • Fehlender hypopharyngealer Unterdruck oberhalb des M. cricopharyngeus durch die fehlende Kehlkopfhebung → verminderte Boluspropulsion. • Bildung einer Pseudoepiglottis am Übergang von Zungenbasis zum Pharynx (McConnel et al. 1988) oder narbige Veränderungen (› Kap. 6). • Verminderte proximale ösophageale Kontraktionen (Dantas et al. 2005). Zusätzlich können durch Entfernen des Zungenbeins Beeinträchtigungen der Zungenbewegungen auftreten. Mussten bei der Laryngektomie Teile des Zungengrunds entfernt werden, z. B. bei Einwachsen des Tumors in die Valleculae, so vermindert dies die Zungenschubkraft auf den Bolus. Ebenso kann nach zusätzlicher Pharynxteilresektion eine reduzierte Pharynxperistaltik den Weitertransport des Bolus behindern. Beide Faktoren gelten als Hauptursachen einer verlängerten pharyngealen Transitzeit nach LE (Walther 1995; McConnel et al. 1988). Bei intakter Zunge lässt sich der oben erwähnte erhöhte pharyngeale Widerstand möglicherweise durch eine erhöhte Zungenschubkraft kompensieren. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen berichteten laut der Studie von Maclean et al. (2009) 72 % der laryngektomierten Patienten über Probleme bei der Nahrungsaufnahme: • Verlängerter Schluckvorgang • Notwendigkeit des Nachtrinkens bei festen Speisen • Vermeidung bestimmter Nahrungskonsistenzen Von diesen Patienten empfanden 40 % ihre Beeinträchtigung als schwerwiegend, 57 % gaben Einschränkungen ihrer sozialen Aktivitäten an, wie gemeinsames Essen mit Freunden oder Restaurantbesuche.

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Wie bei tracheotomierten Patienten fehlt auch nach totaler LE weitgehend die Geruchswahrnehmung, da die Atemluft das Riechepithel der Nase nicht erreicht. Daraus resultiert ein beeinträchtigtes Geschmacksempfinden für Aromastoffe. Die Wahrnehmung der Grundqualitäten süß, sauer, salzig und bitter erfolgt über die Zunge und kann bei Schleimhaut- und Hirnnervenläsionen ebenfalls beeinträchtigt sein. Eine Bestrahlung kann die Geruchs- und Geschmacksempfindung zusätzlich mindern. Bei der Mehrzahl der Patienten wird zur Stimmbildung nach Laryngektomie eine „Stimmprothese“ eingesetzt. Dafür muss während oder nach der Laryngektomie eine Verbindung (Shunt) zwischen Ösophagus und Trachea geschaffen werden. In diese Verbindung wird die Prothese mit dem Ventil („Shuntventil“) eingepasst. Das Ventil verhindert den Durchtritt von Substanzen aus dem Ösophagus in die Trachea, erlaubt aber den Durchtritt von Luft aus der Trachea in den Ösophagus, wenn das Trachestoma mit einem Ventil oder mit dem Finger verschlossen wird. Durch diesen Luftstrom werden Schleimhautfalten im pharyngoösophagealen Übergangssegment zur Stimmbildung in Schwingungen versetzt.

Nasenhöhle Mundhöhle Zunge Rachen

Tracheostoma Speiseröhre Luftröhre

Abb. 5.10  Zustand nach Laryngektomie [L234]

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5  Schluckstörungen bei ­Erkrankungen der o­ ropharyngealen und ­laryngealen Strukturen

Bei Patienten mit Stimmprothese (Shuntventilen) ist eine spezielle Aspirationsform möglich (Hutchinson et al. 2012; Motzko et al. 2004; Margolin et al. 2001): 1. Nekrosen, Entzündungen oder Vernarbungen führen zur Aufweitung des Shuntkanals, sodass Material aus dem Ösophagus in die Trachea übertreten kann (periprothetische Leckage). 2. Das Ventil wird durch verschiedene Ursachen undicht, z.B. Materialabnutzung, Pilzbesiedelung (transprothetische Leckage). In diesen Fällen ist ein Wechsel des Shuntventils indiziert oder eine operative Revision des tracheo-ösophagealen Shunts erforderlich.

Die Laryngektomie kann auch als „Rettungschirurgie“ bei der Therapie von Rezidivtumoren oder einer nichtbeherrschbaren Aspirationssymptomatik indiziert sein (Gößler 2012; › Kap. 15). 5

5.3.5 Schluckstörungen nach Versorgung ausgedehnter Hypopharynx-Larynx-Tumoren Bei ausgedehnten Tumoren des Larynx, Hypopharynx und zervikalen Ösophagus müssen nach Exzision dieser Strukturen (Pharyngolaryngektomie) eine Rekonstruktion des Pharynx (also praktisch eine neue „Röhre“) und eine geeignete Verbindung zum verbleibenden Ösophagus bzw. Magen geschaffen werden. Die günstigsten Resultate werden erzielt, wenn zum einen nach der Resektion noch genügend Gewebe vorhanden ist, mit dem der Pharynx primär wieder verschlossen werden und zum anderen eine Engebildung bei der Rekonstruktion vermieden werden kann. Ist nicht genügend lokales Gewebematerial verblieben, stehen zur Rekonstruktion des pharyngoösophagealen Segments zahlreiche Methoden mit diversen Materialien (Haut- und myokutane Lappen, Magenhochzug, Jejunum- und Dünndarminterponate etc.) zur Auswahl. Ziel einer Rekonstruktion ist die Wiederherstellung der Form (Pharynxschlauch, „Neoglottis“) und Funktion (Atmung, Stimmgebung, Sprechen, Schlucken) sowie die Minimierung postoperativer Komplikationen wie pharyngokutane Fisteln oder Pharynxstenosen (Gößler 2012). Da durch diese operativen Maßnahmen die

ursprünglichen kontraktilen Elemente des Pharynx reduziert werden sind folgende Voraussetzungen für eine akzeptable Boluspassage zu nennen: • Der Physiologie des Pharynx angepasste, weit stehende Transplantate, die dem ankommenden Bolus möglichst wenig Widerstand entgegensetzen • Eine möglichst gut erhaltene Zungenschubkraft, um erhöhten Widerstand aufgrund einer nichtadäquaten Kontraktionswelle bei Transplanta­ tions­materialien zu überwinden (McConnel et al. 1988)

5.3.6 Oropharyngeale Schluckstö­ rungen nach Therapie maligner Ösophagustumoren Motilitätsstörungen des Ösophagus sowie maligne Tumoren können Auffälligkeiten der oropharyngealen Phase bedingen (Martin et al. 2001), deren Ursachen noch nicht hinreichend geklärt sind. Nach Resektion eines malignen Tumors des Ösophagus werden neben Stenosen der Anastomosen der verbliebenen Organstümpfe insbesondere pharyngeale Beeinträchtigungen beschrieben: • Gestörte Anhebung des Larynx-Hyoid-Komplexes • Reduzierte Pharynxkontraktion Diese Beeinträchtigungen werden durch operationsbedingte Schädigung der Muskulatur und des Plexus pharyngeus und durch den Zug des hochgezogenen Magens verursacht. Hinzu kommen häufig Läsionen des N. recurrens mit Stimmlippenparese und unvollständigem Glottisschluss (Pierie et al. 2000).

5.4 Zusammenfassung Obwohl für die verschiedenen Behandlungsverfahren bei Kopf-Hals-Tumoren typische und häufige Störungsbilder beschrieben wurden, können dies nur Anhaltspunkte sein. Selbst bei gleichem Ausgangsbefund und identischer Vorgehensweise sind unterschiedliche funktionelle Ergebnisse möglich. Unverzichtbar ist daher bei jeder Schluckstörung nach Tumorbehandlung eine eingehende Diagnostik:

5.4 Zusammenfassung

• Schluckanamnese, Untersuchung des oropharyngealen Raums

• Klinische Schluckprüfung • Videoendoskopische Untersuchung und Doku-

mentation der pharyngolaryngealen Strukturen mittels starrer und flexibler Optik einschließlich Funktionsprüfung und Überprüfung der Schluckfunktion • Röntgenkinematografie oder Videofluoroskopie des Schluckvorgangs Je nach Befundkonstellation können weitere Untersuchungen wie Bronchoskopie und Röntgen-Thoraxkontrolle zum Ausschluss akuter und chronischer Aspirationen erforderlich sein. Ösophagogas­ troskopie, Manometrie und pH-Metrie sind zur Beurteilung ösophagealer Motilitätsstörungen geeignet (› Kap. 14). Die Betreuung von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren bedarf daher einer besonders intensiven Kommunikation zwischen Operateur, nachbe­treuen­ dem Arzt und Therapeuten. Engmaschige Unter­ suchungen zur Früherkennung von Operations- und Bestrahlungskomplikationen und Rezidiven sind unabdingbar. Wegen der möglichen Spätfolgen der Radiochemotherapie ist eine entsprechende Aufklärung der Patienten unabdingbar und eine lebenslange Kontrolle über die 5-Jahresgrenze hinaus anzustreben. Eine einfühlsame Führung und Begleitung der Patienten muss auch berücksichtigen, dass viele von ihnen zusätzlich zur Schluckstörung vorübergehend oder dauerhaft in ihrer verbalen Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt sind. Danksagung: Herrn Prof. Dr. Friedemann Pabst, Chefarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf-und Halschirurgie des Städtischen Klinikums Dresden danke ich sehr für Gedankenaustausch, fachkundige Beratung und Manuskriptkorrektur. LITERATUR Abels R, Ruf S, Spahn B. Zervikal spine injury and degluti­ tion disorders. Dysphagia. 2004; 19: 87–94. Ajemian MS et al. Routine fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing following prolonged intubation: implications for management. Arch Surg. 2001; 136: 434–437. Ambrosch P, Fazel A. Funktionserhaltende Therapie des Kehlkopf- und des Hypopharynxkarzinoms. Laryngo-­RhinoOtol. 2011; 90: 83–109. Amos J, Baron A, Rubin AD: Autoimmune swallowing dis­ orders. Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2016 Dec; 24(6):483-488.

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KAPITEL

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Konstantin Holzapfel

Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

6.1 Methoden der radiologischen Funktionsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6.1.1 Schnittbildverfahren: CT, MRT, Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.1.2 Durchleuchtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.2

Röntgenanatomie und -physiologie des Schluckakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

6.3 Videofluoroskopie, digitale Fluoroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Auswahl des Kontrastmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Strahlenbelastung und Strahlen­schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Systematische Durchführung der VFSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Schweregradeinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.6 Vor- und Nachteile der VFSS/DFSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6.4 Patientenbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Schluckstörungen bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Schluckstörungen bei Patienten mit strukturellen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Schluckstörungen infolge von Motilitätsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

6.1 Methoden der radiologischen Funktionsdiagnostik Wie die in den bisherigen Kapiteln dargestellten physiologischen und pathophysiologischen Abläufe des Schluckakts zeigen, besteht die Rolle der bildgebenden Diagnostik bei Patienten mit Schluckstörungen nicht nur in der Dokumentation der morphologischen Verhältnisse; vielmehr kommt der Aufzeichnung funktioneller Abläufe eine zentrale Rolle zu. Die hierfür verfügbaren Modalitäten werden im Folgenden kurz aufgeführt.

6.1.1 Schnittbildverfahren: CT, MRT, Ultraschall

6

Durch zahlreiche Innovationen im Bereich der Computertomografie (CT), heute meist in Form der Multidetektorspiral-CT (MDCT), sowie der Magnetresonanztomografie (MRT) ist die morphologische Diagnostik im Bereich der Mundhöhle sowie von Larynx, Pharynx und Ösophagus in den vergangenen Jahren weiter deutlich verbessert worden. Insbesondere die Diagnostik von Tumoren im Kopf-Hals-Bereich ist durch sog. Hybridtechniken wie der PETCT (PET, Positronenemissionstomografie) und zuletzt der PET-MRT optimiert worden. Zudem versucht man zunehmend, die Vorteile der CT- und MRT-Geräte der neueren Generation, die vor allem in einer deutlich beschleunigten Bildakquisition liegen, auch für die Funktionsdiagnostik zu nutzen. Entscheidender Nachteil all dieser Modalitäten bleibt jedoch die unphysiologische, liegende Posi­ tion, die eine Untersuchung gerade von Patienten mit Aspirationsneigung meist nicht zulässt. Vor allem die MRT als bildgebende Modalität, die ohne ionisierende Strahlung auskommt und aufgrund des hohen intrinsischen Weichteilkontrasts als besonders geeignet für die Funktionsdiagnostik des Schluckakts erscheint, ist diesbezüglich weiterentwickelt worden. Durch die Entwicklung ultraschneller Sequenzen, etwa des „echo-planar imaging“ (EPI), der parallelen Bildgebung und die Verwendung von MRT-Geräten mit hohen Feldstärken von bis zu 3 Tesla wurden in zahlreichen Studien vielversprechende Ergebnisse publiziert (Hartl et al. 2006, 2010).

Allen herkömmlichen (geschlossenen) MRT-Typen gemeinsam ist jedoch die Einschränkung, dass eine Untersuchung nur im Liegen möglich ist. Aufgrund der liegenden Position und der beengten Verhältnisse während der Untersuchung können Patienten mit ausgeprägten Schluckstörungen, insbesondere diejenigen, bei denen Aspirationsgefahr besteht, nicht im MRT untersucht werden.

Die Verwendung offener oder halboffener MRT-Geräte mit einer niedrigeren Feldstärke kann diese Limitation umgehen. Doch ist die Qualität der Aufnahmen mit diesen Geräten bislang nicht ausreichend. Die in den letzten Jahren ebenfalls weiter optimierte funktionelle MRT (fMRT) spielt in der Wissenschaft weiterhin eine Rolle bei der Untersuchung der Neurophysiologie und -pathophysiologie des Schluckens, hat jedoch bislang in der Routine­ diagnostik keine Bedeutung erlangt. Die Multidetektorspiral-Computertomografen (MDCT) der neuesten Generation erlauben durch die parallele Anordnung multipler Detektorreihen sowie Rotationszeiten im Subsekundenbereich eine Darstellung der Pharynxregion in kürzester Zeit. Neben der rein morphologischen Diagnostik könnte dies in Zukunft auch eine Beurteilung funktioneller Abläufe ermöglichen. So berichtet eine japanische Arbeitsgruppe von der dynamischen Darstellung des Schluckakts unter Verwendung eines 320-Zeilen-MDCT-Geräts (Fujii et al. 2011). Dies gelang mithilfe eines speziellen Untersuchungsstuhls auch in halbsitzender Position und ermöglichte, so die Schlussfolgerung der Autoren, eine physiologischere Darstellung des Schluckakts als in liegender Posi­ tion. Die Strahlenbelastung im Rahmen dieser Arbeit war zwar nur wenig höher als bei der Videofluoroskopie. Ein wesentlicher diagnostischer Nutzen bzw. Vorteil gegenüber der Videofluoroskopie ist jedoch bislang nicht abzusehen. Ein weiteres, nicht nur experimentell angewandtes Verfahren in der Dysphagiediagnostik stellt der Ultraschall dar. Insbesondere die orale Phase des Schluckakts, etwa die Funktion der Zunge, lässt sich sonografisch beurteilen. Zur Anwendung kommen in der Regel hochfrequente Linearschallköpfe (> 7,5 MHz). So wiesen Hsiao et al. (2012) eine gute Korre-

6.1  Methoden der radiologischen Funktionsdiagnostik lation der Sonografie mit der Videofluoroskopie bezüglich der Beurteilung von Veränderungen der Zungendicke und der Beweglichkeit des Zungenbeins bei Patienten nach einem Schlaganfall nach. Zur Beurteilung der oralen Boluskontrolle und -propulsion dient Wasser als negatives Kontrastmittel. Auch Teile der pharyngealen Phase des Schluckakts, die Funktion des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) sowie die Velumfunktion lassen sich mit dieser Modalität untersuchen. Wesentliche Nachteile des Verfahrens sind die Untersucherabhängigkeit (ausschlaggebend ist insbesondere dessen Erfahrung) und die schwere Standardisierbarkeit bzw. Objektivierbarkeit des Verfahrens.

6.1.2 Durchleuchtungsverfahren Videofluoroskopie Die konventionelle Untersuchung im Sinne eines „Ösophagus-Breischlucks“ ist für die Beurteilung der schnellen Bewegungsabläufe des oropharyngealen Schluckakts aufgrund der geringen zeitlichen Auflösung nicht ausreichend. So könnte z. B. eine kurze Aspirationsepisode unentdeckt bleiben. Zur Diagnostik der oropharyngealen Dysphagie wird in der Regel die Videofluoroskopie (videofluoroscopic swallowing study, VFSS) als dynamisches Aufzeichnungsverfahren verwendet.

Das Videosignal eines Bildverstärkers wird hierfür auf herkömmliche Videokassetten aufgenommen oder als digitales Videoformat (DSI, s. u.) gespeichert. Die zeitliche Auflösung beträgt in der Regel 25–30 Bilder/s. Die Strahlenbelastung ist bei der herkömmlichen Videoaufzeichnung in der Regel gering. Der Nachteil einer etwas schlechteren Bildqualität fällt bei der im Vordergrund stehenden funktionellen Analyse jedoch nicht ins Gewicht. Ein wichtiger Nachteil der klassischen VFSS ist die Tatsache, dass die Untersuchung in der Regel nicht in ein PACS (picture archiving and communication system) eingespeist wird. Somit ist sowohl die Archivierung als auch die Kommunikation der Bilddaten zum Zuweiser problematisch (Hellerhoff 2011).

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Digital Spot Imaging Mittels Digital Spot Imaging (DSI) lassen sich bei Verwendung digitaler Durchleuchtungsgeräte je nach Gerät bis zu 8, bei spezieller Ausstattung bis zu 30 Bilder/s aufzeichnen. Die gute Bildqualität wird hierbei jedoch mit einer im Vergleich zur klassischen VFSS deutlich höheren Strahlenbelastung erkauft. Eine Übernahme der digital akquirierten Bildserien in ein PACS ist problemlos möglich (Levine 2017; Hellerhoff 2011).

Digitale Fluoroskopie Moderne digitale Durchleuchtungs- bzw. Multifunktionsgeräte mit Flachdetektor ermöglichen eine digitale Speicherung gepulster – und somit dosissparender – Durchleuchtungsserien mit bis zu 30 Bildern/s. Die Bildqualität ist dabei in der Regel besser als bei den videodokumentierten Modalitäten (VFSS, Hochfrequenzkinematografie). Die digitale Fluoroskopie eignet sich für die Darstellung der funktionellen Abläufe des Schluckakts (digital fluoroscopic swallowing study, DFSS, auch digitales Fluorograbbing genannt) (Hellerhoff 2011).

War die Datenübertragung bei sehr langen Durchleuchtungsserien in den Anfangszeiten des PACS häufig noch problematisch, so stellt dies heutzutage bei entsprechender Ausstattung kein Problem mehr dar. Vorteilhaft ist bei der DFSS zudem die rasche Regulierungsmöglichkeit der Durchleuchtungsfrequenz. Sie erlaubt eine schnelle Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse, etwa durch Herabsetzen der Bildfrequenz auf 2–4 Bilder/s bei der Darstellung des Ösophagus, und somit eine effektive Reduktion der Strahlenexposition der Patienten.

Hochfrequenzkinematografie Die Hochfrequenzkinematografie ermöglicht auch die Erfassung schneller Vorgänge. Mittels z. B. einer an die Bildverstärker-Fernsehkette angeschlossenen Arriflex 35-mm-Kinokamera lassen sich Bildfolgen mit Frequenzen von 50–200/s aufzeichnen. Die zum Einsatz kommenden modernen Kinofilme bieten aufgrund der feinen Körnung bei gleichzeitig

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6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

hoher Empfindlichkeit eine sehr hohe Ortsauflösung. Aufgrund des apparativen und zeitlichen Aufwands sowie der vergleichsweise hohen Strahlenbelastung ist das Verfahren überwiegend wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten (Hannig und Wuttge-Hannig 2007). Wie bei der VFSS ist eine Einspeisung der akquirierten Aufnahmen in ein PACS in der Regel nicht möglich.

als bei der klassischen VFSS, zudem ist die Übertragung der Bildserien in ein PACS möglich (Hellerhoff 2011). Im Weiteren steht (soweit die DFFS nicht explizit erwähnt wird) vereinfachend die Abkürzung VFSS stellvertretend sowohl für die klassische Videofluoroskopie als auch für die digitale Fluoroskopie (DFSS), da bezüglich der Durchführung der Untersuchung (Positionierung des Patienten, Kontrastmittelwahl und -darreichung etc.) keine wesentlichen Unterschiede bestehen.

Fazit

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Die VFSS (videofluoroscopic swallowing study) ist weiterhin das Standardverfahren in der funktionellen radiologischen Diagnostik des Schluckakts. Moderne digitale Durchleuchtungs- bzw. Multi­funk­ tionsgeräte mit Flachdetektor ermöglichen eine digitale Speicherung gepulster Durchleuchtungsserien mit bis zu 30 Bildern/s (digitale Fluoroskopie). Da es sich hierbei nicht mehr um eine herkömmliche Videoaufzeichnung handelt, ist die Bezeichnung DFSS (digital fluoroscopic swallowing study) treffender. Die Bildqualität ist in der Regel etwas besser

6.2 Röntgenanatomie und -physiologie des Schluckakts Bezüglich der anatomischen und physiologischen Grundlagen sei auf › Kap. 1 und › Kap. 2 verwiesen. Im Folgenden werden die relevanten, bildmorphologisch fassbaren anatomischen Strukturen (› Abb. 6.1) und die Abläufe im Rahmen eines physiologischen Schluckvorgangs dargestellt. Dabei

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5 2

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3 9 6

8 13 14

a

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10 12 11 16 15

b

Abb. 6.1  a Seitliche Schemazeichnung und seitliche Röntgenaufnahme des Kopf-Hals-Bereichs. 1 Vorderzunge, 2 Hinterzunge, 3 Zungenbasis, 4 Harter Gaumen, 5 Weicher Gaumen, 6 Unterkiefer, 7 Valleculae, 8 Zungenbein, 9 Kehldeckel, 10 Kehlkopfeingang, 11 Stimmlippen bzw. Ringknorpel, 12 Aryknorpel, 13 Sinus piriformis, 14 Oberer Speiseröhrensphinkter, 15 Speiseröhre, 16 Luftröhre, 17 Halswirbelsäule. [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)] b Pharynx in p. a.-Projektion. Die Pfeile deuten auf die mit kontrastmittelgefüllten Valleculae epiglotticae. Diese werden durch die Plica glossoepiglottica voneinander getrennt. Die Pfeilspitzen deuten auf die Recessus piriformes [M857]

6.2  Röntgenanatomie und -physiologie des Schluckakts zeigen seitliche Ausschnitte einer DFSS die Röntgenmorphologie eines normalen Schluckakts von der Mundhöhle bis zur Passage durch den OÖS (› Abb. 6.2 a, › Abb. 6.2 b, › Abb. 6.2 c, › Abb. 6.2 d, › Abb. 6.2 e, › Abb. 6.2 f).

Triggerung des Schluckreflexes Bei der Beurteilung des Schluckakts sind die Festlegung von Ort und exaktem Zeitpunkt des Schluckreflexes besonders wichtig. Die Schluckreflextriggerung erfolgt zu dem Zeitpunkt, wenn sich das Zungenbein nach ventral zu bewegen beginnt (Kim 2005), bzw. mit Beginn der dorsalen pharyngealen peristaltischen Welle.

Die Auslösung erfolgt durch Kontakt des Speisebolus mit bestimmten Triggerarealen, in denen sich Rezeptoren für thermische, taktile, gustatorische Reize und für ölige Konsistenzen befinden. Beim Erreichen einer kritischen Schwelle wird der Reflex ausgelöst (Hellerhoff 2011).

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Nach derzeitiger Einschätzung existieren 4 Triggerareale: • Beim gesunden Erwachsenen erfolgt die Schluckreflextriggerung in den primären Triggerarealen der vorderen Gaumenbögen, der Uvula und der Pharynxhinterwand. • Das sekundäre Triggerareal befindet sich im Bereich der Valleculae. Hier erfolgt die Schluckreflextriggerung beim Säugling. • Das tertiäre Triggerareal liegt im Bereich der Recessus piriformes. Es dient als Hilfsareal der Reflextriggerung. Wird bei Insuffizienz der primären und sekundären Triggerareale der Schluckreflex erst hier ausgelöst, besteht wegen der tiefen Lage eine deutliche Aspirationsgefahr. • Ein quarternäres Triggerareal schließlich befindet sich im Bereich des Aditus laryngis. Auffällig ist hier das Fehlen von Rezeptoren für ölige Konsistenzen (Hellerhoff 2007). Die Schluckreflexauslösezonen können interindividuell erheblich variieren. Insbesondere im höheren Alter kommt es häufig erst nach Boluskontakt mit sekundären bis tertiären Arealen zur Auslösung eines Schluckablaufs ohne pathologische Symptome (Rüffer 2012).

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Abb. 6.2  a Nach Zerkauen der Speise und Durchmischung mit Speichel wird der schluckbereite Bolus zwischen Zunge sowie hartem und weichem Gaumen gehalten. Der Zungenrücken bildet hierbei die Form einer Grube. Die Lippen verschließen die Mundhöhle nach ventral. Leaking des Bolus nach anterior oder posterior ist nicht erkennbar. [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)]

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6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

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Abb. 6.2  b Die Boluspropulsion beginnt durch Anheben der Zungenspitze, die gegen den harten Gaumen gedrückt wird. Anschließend schiebt eine Rollbewegung der Vorderzunge den Bolus am Gaumendach entlang. Nun senkt sich die Hinterzunge, und der Bolus kann in den Oropharynx gleiten. Anheben des weichen Gaumens und Vorwölben der Oropharynxhinterwand (Passavant-Wulst) bewirken den Abschluss des Nasopharynx. [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)]

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Abb. 6.2  c Die Boluspropulsion beginnt durch Anheben der Zungenspitze, die gegen den harten Gaumen gedrückt wird. Anschließend schiebt eine Rollbewegung der Vorderzunge den Bolus am Gaumendach entlang. Nun senkt sich die Hinterzunge, und der Bolus kann in den Oropharynx gleiten. Anheben des weichen Gaumens und Vorwölben der Oropharynxhinterwand (Passavant-Wulst) bewirken den Abschluss des Nasopharynx. [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)]

6.2  Röntgenanatomie und -physiologie des Schluckakts

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d

Abb. 6.2  d Sobald der Bolus den Zungengrund passiert hat, folgen die Dorsalbewegung des Zungengrundes (Zungenbasis-Rachen-Abschluss) sowie die Elevation und Ventralbewegung des Zungenbeins (und somit des Larynx). Der Beginn der Ventral-kranial-Bewegung des Zungenbeins sowie die einsetzende pharyngeale Peristaltik (kranial beginnende Kontraktion des M. constrictor pharyngis superior) initiieren die pharyngeale Phase des Schluckakts (Zeitpunkt der Schluckreflextriggerung). [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)]

e

Abb. 6.2  e Fortschreitende Larynxelevation und „Abdecken“ des Aditus laryngis durch den Zungengrund erleichtern die Epiglottiskippung sowie den Eintritt des Speisebolus in den Hypopharynx. Gleichzeitig dehnt die Kehlkopfhebung die Muskelschlinge des OÖS auf. Diese initiale Öffnung erfolgt bereits vor Ankunft des Speisebolus. Für die Feinanpassung der Öffnungsweite sorgt dann der aus mehreren Komponenten zusammengesetzte Bolusdruck (Saug-Pump-Mechanismus, › Kap. 2). Das Fortschreiten der peristaltischen Welle durch Kontraktion von M. constrictor pharyngis medius et inferior und die Schwerkraftwirkung treiben das Bolusende nach unten in den oberen Ösophagus. [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)]

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6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

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Abb. 6.2  f Der Schluckakt endet mit der Boluspassage durch den OÖS. Der Larynx kehrt wieder in seine Ausgangsstellung zurück, zeitgleich schließt sich der OÖS. [L234 (Schemazeichnung); M857 (Röntgenbild)]

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6.3 Videofluoroskopie, digitale Fluoroskopie Die Videofluoroskopie (VFSS) stellt weiterhin das Standardverfahren zur radiologischen Beurteilung des Schluckakts dar (› Kap. 6.1). Im Folgenden steht das Kürzel VFSS sowohl für die klassische Videofluoroskopie als auch für die digitale Fluoroskopie (DFSS), da bezüglich der Durchführung der Untersuchung (Positionierung des Patienten, Kontrastmittelwahl und -darreichung etc.) keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Bei beiden Modalitäten erfolgt die Dokumentation des Schluckakts mit einer Bildfrequenz von 25–30 Bildern/s.

Konsistenz und Größe des Kontrastmittelbolus werden dabei an das Beschwerdebild des Patienten angepasst bzw. systematisch variiert (› Kap. 6.3.3).

Nichtwasserlösliche Bariumsulfat­ suspensionen Die eigentlich toxische Substanz Bariumsulfat wird, als Suspension angewandt, bei oraler Applikation nicht resorbiert und eignet sich aufgrund der hohen Dichte der Substanz sowie des guten Schleimhautbeschlags hervorragend als Kontrastmittel. Ein weiterer Vorteil ist der geringe Preis. Zum Einsatz kommt häufig eine Bariumsulfatsuspensionen mittlerer Viskosität (z. B. Micropaque® flüssig).

6.3.1 Auswahl des Kontrastmittels Kontraindikation von Bariumsulfatsuspensionen

Wenngleich einige Strukturen in der VFSS auch ohne Kontrastmittel erkennbar sind (z. B. Mandibula, Konturen von Zunge und Gaumen, Zungenbein etc.), so ist zur detaillierten Beurteilung der einzelnen Phasen des Schluckakts die orale Applikation eines röntgendichten Kontrastmittels nötig. Art,

Streng kontraindiziert ist die Anwendung von Bariumsulfatsuspensionen bei Patienten mit Verdacht auf Perforation eines intraabdominellen Hohlorgans. Der Übertritt der nichtresorbierbaren Bariumsulfatpartikel in die Peritonealhöhle löst eine granulomatöse Fremdkörper­ reaktion aus, die zu schweren Fibrosierungen bzw. zu

6.3  Videofluoroskopie, digitale Fluoroskopie einer Bariumperitonitis (Letalität bis zu 50 %) führen kann. Entsprechend zurückhaltend sollte man die Sub­ stanzen auch bei unmittelbar bevorstehender operativer Intervention am Gastrointestinaltrakt anwenden.

Ein Übertritt des bariumhaltigen Kontrastmittels nach mediastinal wird von einigen Autoren zwar als weniger kritisch gesehen und sogar zum Nachweis bzw. Ausschluss einer Leckage am Ösophagus empfohlen. Gegen diese Verwendung spricht jedoch die Möglichkeit einer unvorhergesehenen Verteilung des Kontrastmittels mit potenziell schweren Folgen für den Patienten und deutlich erschwerten Folgeuntersuchungen durch den mediastinalen Verbleib des Bariums (Hellerhoff 2011). Entgegen der insbesondere in angelsächsischen Ländern vertretenen Meinung ist zudem die tracheale bzw. alveoläre Aspiration von Bariumsulfat nicht frei von unerwünschten Wirkungen. Auch hier treten granulomatöse Fremdkörperreaktionen auf. Bei etwa 1% der Patienten kommt es nach einer Schluckuntersuchung mit bariumhaltigen Kontrastmitteln zu einer Pneumonie. Einflussfaktoren sind hierbei das Alter der Patienten sowie der Schweregrad der Schluckstörung (Jo 2016). Zudem sind nach Aspira­ tion hochviskosen Bariumsulfats Todesfälle durch Obstruktion der Trachea bzw. der Hauptbronchien beschrieben (Hannig und Wuttge-Hannig 2007).

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gastrointestinaler Passagezeit beträgt der resorbierte Anteil nur wenige Prozent des verabreichten Kon­ trast­mittels, kann jedoch bei pathologischer Verzögerung der Passage, etwa im Rahmen eines Ileus, deutlich ansteigen. Dennoch sind allergische Reak­ tionen nach oraler Gabe jodhaltiger Kontrastmittel eine Rarität. Die ionischen, hyperosmolaren jodhaltigen Kontrastmittel (z. B. Gastrografin®, Telebrix-Gas­ tro®) zeigen eine im Vergleich zum Blutplasma 5bis 7-fach höhere Osmolalität. Aufgrund ihrer niedrigen Viskosität dringen die Substanzen bei trachealer Aspiration zudem schnell in die Alveolen vor. Ein konsekutiver, massiver alveolärer und interstitieller Flüssigkeitseinstrom kann zu einem schweren Lungenödem mit möglicherweise tödlichem Ausgang führen. Zusätzlich kann eine chemotoxisch induzierte Histaminfreisetzung aus Mastzellen das Auftreten von Bronchospasmen begünstigen. Kontraindikation wasserlöslicher, jodhaltiger Kontrastmittel Aufgrund der Gefahr der Entwicklung eines Lungenödems sowie von Bronchospasmen ist die orale Anwendung hyper­osmolarer, jodhaltiger Kontrastmittel bei Aspira­ tionsgefahr sowie Verdacht auf eine Fistel zum Tracheobronchialsystem absolut kontraindiziert. Bei der VFSS von Patienten mit Schluckstörungen dürfen diese Kontrastmittel nicht zur Anwendung kommen.

Kontraindikation von Bariumsulfatsuspensionen Bei Patienten mit Aspirationsgefahr/-verdacht ist von einer Anwendung bariumsulfathaltiger Suspensionen dringend abzuraten, wenngleich diskrete, nichtokklusiv wirksame Aspirationen häufig asymptomatisch und ohne schwerwiegende Folgen für die Patienten ablaufen.

Bei Verdacht auf Bariumsulfataspiration kann eine Bronchoskopie mit dem Ziel der bronchialen Absaugung des aspirierten Materials indiziert sein, um Folgeschäden zu vermeiden oder zu minimieren.

Wasserlösliche, jodhaltige Kontrastmittel Anders als die Bariumsulfatsuspensionen werden diese Substanzen vom Körper resorbiert und im weiteren Verlauf renal eliminiert. Bei regelrechter

Aufgrund der genannten Kontraindikationen für bariumhaltige sowie hyperosmolare, jodhaltige Kontrastmittel sollen bei Patienten mit Schluckstörungen nichtionische, hypo- oder isoosmolare jodhaltige Kon­ trastmittel (z. B. Imeron® 300) zum Einsatz kommen.

Selbst bei deutlicher trachealer Aspiration dieser Substanzen sind keine Bronchospasmen und keine ödematösen Veränderungen des Lungenparenchyms zu beobachten. Zudem ist nach Aspiration eine zügige Resorption des Kontrastmittels zu beobachten. Des Weiteren werden diese Kontrastmittel aufgrund ihres neutralen Geschmacks meist auch von Säuglingen und Kleinkindern toleriert. Als relativer Nachteil ist der im Vergleich höhere Preis zu nennen. Bei Patienten mit manifester Hyperthyreo-

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6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

se sollten diese Kontrastmittel nicht zur Anwendung kommen, wenngleich bei oraler Anwendung das Risiko einer Entgleisung der Schilddrüsenfunktion deutlich geringer ist als bei intravenöser Anwendung. Bei latenter Hyperthyreose kann, bei strenger Indikationsstellung, eine Blockade der Schilddrüse mit Perchlorat-Tropfen ca. 30 min vor der Untersuchung erfolgen. Die Perchloratgabe sollte in diesem Fall für 7 Tage fortgesetzt und die Schilddrüsenwerte (TSH, fT3, fT4) in diesem Zeitraum kontrolliert werden. Eine Einschränkung der Nierenfunktion stellt für die orale Anwendung der jodhaltigen Kon­ trast­mittel dagegen keine Kontraindikation dar.

6.3.2 Strahlenbelastung und Strahlen­schutz

6

Trotz intensiver Bemühungen und technischer Weiterentwicklungen haben radiologische Verfahren ohne ionisierende Strahlung (wie z. B. Ultraschall, MRT) die VFSS als bildgebende Standarduntersuchung in der Diagnostik von Patienten mit Schluckstörungen nicht ersetzen können. Die Bedeutung der VFSS in der diagnostischen Aufarbeitung dieser Patienten ist unbestritten (› Kap. 6.4), jedoch ist aufgrund der potenziell schädigenden Wirkung der Röntgenstrahlen stets im Einzelfall die Indikationsstellung zu überprüfen. Nach § 23 der derzeit gültigen Fassung der Röntgenverordnung (RöV) muss für jede Untersuchung durch eine Person mit entsprechender Fachkunde eine rechtfertigende Indikation gestellt werden.

Es muss also explizit festgestellt werden, dass der gesundheitliche Nutzen der Anwendung der Röntgenstrahlung am Menschen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt. Insbesondere sind andere Verfahren mit vergleichbarem gesundheitlichem Nutzen, die mit keiner oder einer geringeren Strahlenbelastung einhergehen, bei der Abwägung zu berücksichtigen. Dieser Bestimmung liegt zugrunde, dass, so die derzeitig vorherrschende Meinung, kein unterer Schwellenwert existiert, bei dessen Unterschreitung keine schädigende Wirkung der Röntgenstrahlen wie etwa die Entwicklung von Krebserkrankungen

zu befürchten ist, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit des Auftretens abhängig von der Höhe der applizierten Dosis ist (stochastische Strahlenschäden). Wenn eine VFSS indiziert ist, muss also gewährleistet sein, dass die Strahlenbelastung für Pa­ tient und Personal gemäß dem ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable“) möglichst niedrig ist. Man sollte also versuchen, die applizierte Dosis so weit zu reduzieren, dass gerade noch eine für die Dia­gnostik ausreichende Bildqualität besteht. Entsprechende Dosisreferenzwerte sind durch die Leitlinien der Bundesärztekammer festgelegt. Zudem sollte man versuchen, mit einer möglichst niedrigen Anzahl an Bildserien auszukommen, und auf eine exakte Einblendung des Nutzstrahlenbündels achten. Entscheidend für die Reduktion der Strahlenbelastung des Personals ist neben dem obligaten Benutzen der Strahlenschutzmittel (z. B. Röntgenschürzen, Schilddrüsenschutz) die Kenntnis des quadratischen Abstandsgesetzes: Quadratisches Abstandsgesetz Verdoppelt der Untersucher während der Aufnahme seinen Abstand zur Strahlenquelle, so reduziert sich seine Strahlenexposition auf ein Viertel.

Unter den strahlensensiblen Organen gerät in der jüngeren Vergangenheit zunehmend die Augenlinse in den Fokus. Das Risiko durch eine sich im Berufsleben kumulierende Strahlendosis einen Katarakt („grauen Star“) zu entwickeln, scheint neueren Arbeiten zu folge deutlich höher zu sein als lange vermutet. Die Anwendung spezieller Strahlenschutzbrillen seitens des Untersuchers wird daher ausdrücklich empfohlen. Die mit einer VFSS verbundene Strahlenbelastung des Patienten ist sehr variabel. Sie hängt unter anderem ab von der Komplexität der Fragestellung, Größe und Gewicht des Patienten, von dessen Kooperationsfähigkeit sowie insbesondere auch von der Erfahrung des Untersuchers. Insgesamt ist die mit einer VFSS einhergehende Strahlenbelastung eher als niedrig anzusehen. So lag das durchschnittliche Dosisflächenprodukt in einer größeren Studie bei einer durchschnittlichen Durchleuchtungszeit von 171 s bei 140 cGy × cm2. Die effektive Dosis von im Mittel 0,2 mSv ist also etwa vergleichbar mit der von 10 Thorax-Röntgenaufnah-

6.3  Videofluoroskopie, digitale Fluoroskopie men (Zammit-Maempel et al. 2007). Zum Vergleich: Die durchschnittliche jährliche Strahlenbelastung einer Person beträgt in Deutschland etwa 4 mSv (effektive Dosis).

6.3.3 Systematische Durchführung der VFSS Zur optimalen Beurteilbarkeit einer VFSS sowie zur Vergleichsmöglichkeit mehrerer Untersuchungen desselben Patienten ist eine standardisierte, systematische Untersuchung unabdingbar. Der Patient wird zunächst stehend oder sitzend so positioniert, dass in seitlichem Strahlengang Mundhöhle, Larynx und Pharynx überlagerungsfrei einsehbar sind. Insbesondere bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen kann eine adäquate Positionierung problematisch sein. Der Patient sollte so aufrecht wie möglich sitzen, um physiologisches Schlucken zu erleichtern und eine überlagerungsfreie Darstellung der genannten Strukturen zu ermöglichen. Dies lässt sich unter Umständen durch den Einsatz von Hilfsmitteln, etwa von Haltegriffen oder auch speziell für die VFSS entwickelten Untersuchungsstühlen, erreichen. Soweit möglich, sollten nasal eingebrachte Ernährungssonden vor Untersuchungsbeginn entfernt werden. Im Anschluss werden in einer bestimmten Reihenfolge dem Patienten mehrere definierte Kon­ trast­ mittel­ boli in unterschiedlichen Konsistenzen gereicht. Der Schluckakt wird jeweils von der oralen Vorbereitungsphase bis zur Boluspassage durch den oberen Ösophagus und zur kompletten Wiederentfaltung der pharyngealen Recessus dokumentiert. Ein mögliches Vorgehen ist etwa Folgendes: • 3 ml flüssiges Kontrastmittel (ggf. mit einer Wiederholung) • 5 ml flüssiges Kontrastmittel Je nach Befund folgen im Weiteren: • 10 ml flüssiges Kontrastmittel • Trinken eines Bechers flüssigen Kontrastmittels (mit dem Kommando: „Trinken Sie, als wären Sie sehr durstig!“ – sog. „Stresstrinken“) • 3 ml nektarartig angedickte Flüssigkeit • 5 ml nektarartig angedickte Flüssigkeit, alternativ ein Schluck nektarartige Flüssigkeit aus einer Tasse

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• 3 ml Brei (Götterspeise) • 5 ml Brei (mittels Esslöffel verabreicht) • 1 Bissen Brot (feste Substanz)

Anschließend erfolgt ggf. noch die Darstellung des Schluckakts unter Ausführung kompensatorischer Manöver bzw. um deren Effektivität zu beurteilen. Zudem sollte man, unter anderem um Seitenasymmetrien oder pharyngeale Pouches auszuschließen, zumindest eine Serie im posteroanterioren (p.–a.) Strahlengang durchführen. Abschließend kann je nach Fragestellung nach entsprechender Anpassung der Aufnahmefrequenz auf 2–4 Bilder/s der tubuläre Ösophagus bis zur Kardia in p.–a. oder Schrägprojektion nach Gabe flüssigen Kontrastmittels dargestellt werden. Die unterschiedlichen Substanzen werden jeweils zur Sichtbarmachung in ausreichendem Maße mit einem Kontrastmittel (z. B. Imeron) versetzt. Andere Autoren schlagen vor, die Untersuchung mit einer Konsistenz zu beginnen, die der Patient sicher schlucken kann: So könnte man z. B. bei einem Patienten mit Schwierigkeiten bei Flüssigem z. B. mit nektarartiger Konsistenz beginnen. Dieses Vorgehen lässt sich wie folgt begründen: Erfolgt bei einer Aspiration ein Kontrastmittelbeschlag der Stimmlippen/der Trachea, so kann dieser bei den folgenden Schlucken die Beurteilung erschweren, ob eine erneute Aspiration aufgetreten ist.

6.3.4 Interpretation der Ergebnisse Die Befundung der VFSS erfolgt zunächst rein deskriptiv und möglichst systematisch (vgl. Bogenhausener Untersuchungsprotokoll im Elsevier-OnlinePortal: www.elsevier.de). Zu achten ist auf: • Anatomische/strukturelle Auffälligkeiten • Bolusfluss • Zeitliche Koordination der Bewegungen in Relation zum Bolusfluss sowie Bewegungsausmaß • Eventuell die Effektivität kompensatorischer Schluckmanöver

Anatomische/strukturelle Auffälligkeiten Eine Beurteilung der anatomischen Gegebenheiten sollte bei allen Patienten erfolgen:

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6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

• Auffallend können u. a. ventrale Spondylophy-

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ten im Bereich der Halswirbelsäule sein, etwa im Rahmen degenerativer Veränderungen oder einer DISH (diffuse idiopathische skelettale Hyperostose) bzw. eines Morbus Forestier. Selbst wenn diese zu einer deutlichen Pelottierung, also mit einer gewissen Einengung einhergehenden Kompression des Pharynxschlauchs von dorsal führen, ist ein Zusammenhang mit Schluckbeschwerden aufgrund der langsamen, über Jahrzehnte fortschreitenden Entwicklung der ossären Anbauten als selten anzusehen. • Weitere Auffälligkeiten im lateralen Strahlengang können Defekte im Bereich des harten und weichen Gaumens (kongenital oder als postoperativer Defektzustand) sein, die in der Folge etwa eine nasale bzw. nasopharyngeale Penetration des Kontrastmittels bedingen können. • Schließlich sollte auf einen auffallend langen Processus styloideus bzw. Ossifikationen im Verlauf des Lig. stylohyoideum als mögliche, seltene Ursache einer Schluckstörung (im Rahmen eines Eagle-Syndroms) geachtet werden. • Weitere strukturelle Auffälligkeiten, die zu symptomatisch werden können, sind pharyngeale Pouches, Membranstenosen (Webs) im Bereich des oberen Ösophagus oder Divertikel (z. B. Zenker-Divertikel). Anatomische Abnormitäten können, wenngleich zunächst über Jahre asymptomatisch, etwa bei Schlag­ an­fall­pa­tien­ten mit erschöpften Kompensa­tions­me­ cha­nismen das Beschwerdebild verschlimmern. In der postoperativen Situation z. B. nach Operationen an der HWS und insbesondere nach Therapie von Kopf-Hals-Tumoren steht die Beurteilung der anatomischen/strukturellen Gegebenheiten naturgemäß besonders im Vordergrund.

Bolusfluss Bereits vor Beginn des Schluckakts ist auf eine suffiziente orale Boluskontrolle zu achten: Kann das Kontrastmittel stabil in der Mundhöhle gehalten werden? Oder kommt es zum Leaking nach anterior (durch die Lippen nach außen) oder posterior (nach hypopharyngeal; cave: Aspirationsgefahr!)?

Die Beurteilung des Bolusflusses umfasst im Weiteren die Bestimmung der Bolustransitzeiten sowie den Zeitpunkt der Schluckreflextriggerung. Dies kann qualitativ-beschreibend, quantitativ-messend oder in Form einer Kombination aus beiden Optionen geschehen. Bestimmt werden: • Orale

Transitzeit: Zeit vom Beginn der Dorsalbewegung des „Kopfs“ des Bolus bis zum Erreichen des Hinterrandes des Angulus mandibulae durch den vo­ ran­gehenden Teil des Bolus • Pharyngeale Transitzeit: Zeit zwischen Erreichen des Hinterrandes des Angulus mandibulae durch den führenden Teil des Bolus (siehe Ende der oralen Transitzeit) und dem Passieren des OÖS des hinteren Teils des Bolus • Schluckreflextriggerung: Zeit zwischen Erreichen des Hinterrandes des Angulus mandibulae oder der Valleculae durch den führenden Teil des Bolus und Beginn der Ventral- und Kranialbewegung des Zungenbeins. Der eindeutig pathologische obere Grenzwert aller dieser 3 Zeitparameter beträgt 1.000 ms bei jedoch ausgeprägter Altersabhängigkeit der genannten Werte (Kim et al. 2005).

Neben der Bestimmung der genannten Zeiten ist die Beurteilung bezüglich des Vorliegens einer laryngealen Penetration oder einer trachealen Aspiration (Misdirektion des Bolus) entscheidend: laryngeale Penetration bezeichnet man einen Eintritt von Fremdmaterial bzw. Kontrastmittel in den Aditus laryngis, das Kontrastmittel verbleibt jedoch kranial der Stimmlippen. • Unter einer trachealen Aspiration versteht man demgegenüber einen Eintritt des Kontrastmittels in die Luftwege unterhalb der Stimmlippen. • Als

Zur Einteilung des Schweregrads einer laryngealen Penetration und einer trachealen Aspiration › Kap. 6.3.5. Der Zeitpunkt der Penetration oder Aspira­ tion wird in Relation zur Triggerung des Schluckreflexes als prä-, intra- oder postdeglutitiv eingeteilt.

6.3  Videofluoroskopie, digitale Fluoroskopie

Die VFSS ist derzeit das einzige diagnostische Verfahren, mit dem sich eine intradeglutitive tracheale Aspiration sicher erfassen und die Menge des aspirierten Materials einschätzen lässt. Zudem ist auf eine Penetration des Kontrastmittels nach nasopharyngeal etwa im Rahmen einer funktionell oder strukturell bedingten velopharyngealen Insuffizienz zu achten.

Nach der Analyse der Bolustransitzeiten und der Klärung, ob Penetration/Aspiration bzw. nasopharyngeale Penetration vorliegt, gilt es, postdeglutitive Kontrastmittelresiduen im Bereich der Mundhöhle, der Valleculae, der Recessus piriformes oder im Bereich der Zungenbasis sowie entlang der aryepiglottischen Falten zu beschreiben. Bedeutsam ist insbesondere eine Zunahme der Residuen über mehrere Schluckvorgänge hinweg sowie eine Abhängigkeit der Residuen von der Konsistenz bzw. Viskosität des verabreichten Bolus. Die Menge des residuell nachweisbaren Kontrastmittels lässt sich zwar nicht exakt quantifizieren, jedoch hat sich folgende Einstufung im klinischen Alltag bewährt: Quantifizierung von Residuen • Keine oder minimale Residuen • Moderate Residuen, die maximal

50 % eines Recessus piriformis umfassen • Deutliche Residuen, die mehr als 50 % eines Recessus piriformis umfassen

Zudem sollte man die Reaktion des Patienten auf die Residuen beurteilen: Versucht der Patient durch spontanes Nachschlucken/Räuspern, den Rachen von Residuen zu reinigen? Gelingt die Reinigung durch vom Untersucher angeordnetes Nachschlucken ohne erneute Kontrastmittelgabe?

Zeitliche Koordination der Bewegungen bzw. des Bewegungsausmaßes relativ zum Bolusfluss Der Untersucher erhebt Zeitpunkt, Ausmaß und Dauer unterschiedlicher Ereignisse während das Schluckakts. Ausreichend ist hierfür in der Routinediagnostik in der Regel ein qualitativ-beschreibendes Vorgehen. Exakte Messungen der genannten

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Parameter sind nur in besonderen Fällen, etwa im Rahmen wissenschaftlicher Studien, von Bedeutung. Im Einzelnen beurteilt man folgende Bewegungen/ Befunde: • Anhebung des Gaumensegels; Vorwölben der Pharynxhinterwand (Passavant-Wulst); suffizienter velopharyngealer Abschluss • Retraktion der Zungenbasis; suffizienter Zungenbasis-Rachen-Abschluss • Hyolaryngeale Elevation und Ventralbewegung: Elevation und Ventralbewegung des Zungenbeins sind konsistenzabhängig und sollten orientierend etwa die Höhe eines Halswirbelkörpers betragen; Hyoid- und Kehlkopfhebung nach anterior und kranial sind jedoch insgesamt recht variabel (Molfenter und Steele 2011) • Zeitgerechte und vollständige Kippung der Epiglottis • Zeitgerechte Öffnung des PE-Segments bzw. des OÖS (Öffnung vor Ankunft des Bolus); vollständige Öffnung; ausreichende Dauer der Öffnung

Effektivität kompensatorischer ­Schluckmanöver Abschließend dokumentiert man als mögliche Hilfe für die Therapieplanung die Auswirkung kompensatorischer Manöver auf die zuvor erhobenen pathologischen Befunde. Auf mögliche kompensatorische Manöver in Abhängigkeit des erhobenen Befundes wird ausführlich in › Kap. 10 eingegangen.

6.3.5 Schweregradeinteilung Das Eindringen des Kontrastmittels in die Luftwege ist, wie in › Kap. 6.3.4 erläutert, bei der Interpretation einer VFSS von besonderer Bedeutung. Man unterscheidet laryngeale Penetration und tracheale Aspiration. Die Quantifizierung des Ausmaßes einer laryngealen Penetration bzw. einer trachealen Aspiration erfolgt in der Regel anhand der PenetrationsAspirations-Skala (PAS, › Tab. 6.1, Rosenbek et al. 1996). Die Stufen 2–5 beschreiben darin laryngeale Penetrationen unterschiedlichen Ausmaßes, die Stufen 6–8 tracheale Aspirationen.

6

136

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

Tab. 6.1  Schweregrade der Aspiration (Hannig 1995) Schweregrad

Aspiration

Hustenreflex

1

Aspiration des im Aditus und Ventriculus laryngis retinierten Materials

erhalten

2

Aspiration ≤ 10 % des Bolusvolumens

erhalten

3

• Aspiration • Aspiration

reduziert erhalten

4

Aspiration > 10 % des Bolusvolumens

≤ 10 % des Bolusvolumens > 10 % des Bolusvolumens

Alternativ kann die Klassifikation der trachealen Aspiration nach Hannig erfolgen (› Tab. 6.1, Hannig 1995). Das Risiko der Entwicklung einer Aspirationspneumonie zeigt hier eine deutliche Korrela­ tion mit dem ermittelten Schweregrad der Aspira­ tion.

6.3.6 Vor- und Nachteile der VFSS/ DFSS Vorteile 6

Die VFSS/DFSS gilt weiterhin als „Goldstandard“ in der apparativen Schluckdiagnostik, handelt es sich doch um das einzige Verfahren, mit dem alle Phasen des Schluckakts einschließlich Mundhöhle, Rachenraum, OÖS und Ösophagus visualisierbar sind. Sie ermöglicht neben der Erfassung morphologischer Auffälligkeiten eine lückenlose Darstellung des Bolusflusses und der Schluckbewegungen. Im Gegensatz zur FEES ist die VFSS/DFSS auch für die orale und die intradeglutitive Phase aussagekräftig. Schließlich bildet die Analyse der pathologischen Schluckbewegungen die Grundlage für die Planung der funktionellen Schlucktherapie (› Kap. 10). Die VFSS/DFSS eignet sich insbesondere für die Beurteilung folgender therapierelevanter Pathomechanismen: • Störungen von oraler Bolussammlung, -kontrolle, -transport • Verspätete, fehlende Schluckreflexauslösung • Unvollständiger velopharyngealer Abschluss • Unvollständiger Zungenbasis-Rachen-Abschluss • Unvollständige Epiglottiskippung • Eingeschränkte Hyoid-Larynx-Hebung • Eingeschränkte Pharynxkontraktion • Gestörte OÖS-Öffnung

fehlt

Bei Verdacht auf Aspirationsgefahr mit Indikation für die funktionelle Schlucktherapie sollte zu Behandlungsbeginn neben der klinischen und endoskopischen Untersuchung eine radiologische Funktionsdiagnostik erfolgen.

Nachteile Wesentlicher Nachteil der VFSS ist die Notwendigkeit der Verwendung ionisierender Strahlung. Diese limitiert die Untersuchungsdauer und macht so eine Beurteilung des Schluckverhaltens über einen län­ geren Zeitraum unmöglich. Das hat zur Folge, dass in der Regel eine etwas unnatürliche Form des Schluckens, das Schlucken auf Kommando („cued swallowing“), dargestellt wird. Diese Art des Schluckens führt zu anderen Ergebnissen als normales Schlucken, etwa bei normalem Trinken mehrerer Schlucke aus einem Becher. So kommt es auch beim Gesunden beim normalen Schlucken häufiger zu einem Eintritt von Bolusanteilen in tiefere Regionen als beim Schlucken auf Kommando. Ein mittels VFSS und „cued swallowing“ erhobener Befund kann daher nicht ohne Weiteres auf einen mittels FEES bei spontanem Schlucken erhobenen Befund übertragen werden. So wird beim Schlucken auf verbale Aufforderung (verglichen mit spontanem Schlucken): • der Bolus weiter hinten auf der Zunge gehalten (Daniels et al. 2007), • die orale Transitzeit verkürzt (Daniels et al. 2007) und • der Schluckreflex früher ausgelöst (Martin-Harris et al. 2007). Zudem wird mittels VFSS im Vergleich zur FEES sowohl das Ausmaß hypopharyngealer Residuen als auch das einer Penetration/Aspiration systematisch

6.4 Patientenbeispiele als weniger schwer eingeschätzt (Kelly et al. 2007). Des Weiteren verändert die Notwendigkeit der Applikation eines Kontrastmittels die Viskosität der verabreichten Nahrungsmittel und Substanzen. Auch die pharyngolaryngeale Schleimhautbeschaffenheit ist lediglich mittels FEES beurteilbar.

Fazit VFSS und FEES sind 2 sich ergänzende und nicht konkurrierende Verfahren. Nachteil beider Methoden ist, dass sie zwar Vorkommen und Ausmaß einer trachealen Aspiration aufzeigen, jedoch die Relevanz bzw. die Konsequenzen dieser Aspiration, die interindividuell stark variieren können, sich mit beidenTechniken nicht weiter untersuchen lassen.

6.4 Patientenbeispiele Im Folgenden werden anhand von Patientenbeispielen typische pathologische Befunde bzw. Befundmuster im Bereich des Pharynx und des Ösophagus aufgezeigt. Bezüglich der Krankheitsbilder und der jeweiligen pathologischen Veränderungen des

137

Schluck­akts sei auf die entsprechenden Kapitel verwiesen.

6.4.1 Schluckstörungen bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen Die Diagnose der neurogenen Ursache einer Schluckstörung erfolgt, soweit nicht bereits a priori evident – etwa im Rahmen eines Schlaganfalls – in Zusammenschau der Ergebnisse von Anamnese, klinischer Untersuchung sowie apparativer Zusatzuntersuchungen. Dysphagien treten bei über 50 % aller Patienten nach zerebrovaskulären Insulten auf. Die in der Folge häufig stumm ablaufenden und zu Pneumo­ nien führenden Aspirationen stellen bei diesen Pa­ tien­ten einen wesentlichen prognostischen Faktor dar. Betroffen sind häufig Personen mit mehreren lakunären Infarkten sowie insbesondere mit Beteiligung des Hirnstamms. Die in der VFSS erhobenen pathologischen Befunde können mannigfaltig sein und reichen von Störungen der Oralmotorik über eine verzögerte Schluckreflextriggerung bis hin zu einer gestörten Funktion des OÖS. In der Regel lässt sich nicht vom Muster einer Schluckstörung auf die Lokalisation des Infarkts schließen. Eher typisch ist eine Öffnungsstörung des OÖS bei Patienten nach

Abb. 6.3  VFSS einer 72-jährigen Patientin nach Hirnstamminfarkt. [M857] a, b Verzögerte Triggerung des Schluckreflexes mit konsekutiv verzögertem Umschlag der Epiglottis und deutlicher, laryngealer Penetration des Kontrastmittels. c, d Nur kurzzeitige, unvollständige Öffnung des OÖS (c) mit entsprechender hypopharyngealer Kontrastmittelretention und sekundärer postdeglutitiver trachealer Aspiration eines Teils des retinierten Kontrastmittels

6

138

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

Abb. 6.4  81-jähriger Patient mit Morbus Parkinson. [M857] a Gestörte orale Boluskontrolle mit Leaking des Kontrastmittels nach dorsal und bereits prädeglutitiv tracheale Aspiration des Kon­ trast­mittels. b Unvollständige Öffnung des OÖS mit deutlichen hypopharyngealen Kontrastmittelresiduen und postdeglutitiver trachealer Aspiration eines Teils des retinierten Kontrastmittels

6

Ischämie im Bereich des Hirnstamms, etwa im Rahmen eines dorsolateralen Medulla-oblongata-Syndroms (Wallenberg-Syndrom, › Abb. 6.3). Neben vielen anderen ZNS-Erkrankungen (› Kap. 4.2) sind insbesondere Patienten mit Morbus Parkinson oft von Dysphagien betroffen. Häufige Veränderungen bei diesen Patienten sind eine Störung der Oralmotorik mit insuffizienter oraler Boluskontrolle, -formation und -propulsion, eine verzögerte Schluckreflextriggerung sowie eine Funktionsstörung des OÖS (› Abb. 6.4)

6.4.2 Schluckstörungen bei Patienten mit strukturellen Erkrankungen Wie in › Kap. 5 erläutert, können eine Reihe primär struktureller Veränderungen bzw. Erkrankungen sowie iatrogen durch Operationen oder Radio-/ Chemotherapie herbeigeführte Veränderungen zu Schluckstörungen führen.

Primär strukturelle Erkrankungen Als mögliche Ursache kommen impaktierte Fremdkörper infrage, etwa Fleischstücke, Fischgräten, Knochen oder Zahnprothesen. Diese bleiben in der Regel im Bereich der Valleculae, der Recessus piriformes oder des Ösophagus (insbesondere in den 3 ösophagealen Engen) stecken. Der impaktierte

Abb. 6.5  32-jähriger Patient mit Dysphagie nach Genuss einer Currywurst in alkoholisiertem Zustand. Im Bereich des distalen Ösophagus Nachweis einer rundlichen Kontrastmittelaussparung entsprechend einem impaktierten Stück verzehrter Wurst (Pfeil). Der Bolus wird randständig von Kontrastmittel umflossen [M857]

6.4 Patientenbeispiele

Abb. 6.6  22-jährige Patientin mit akut aufgetretener Dysphagie nach Verschlucken eines Fleischstücks. Absoluter Passagestopp des Kontrastmittels im Bereich des oberen Ösophagus. Der impaktierte Fleischbolus wird randständig vom Kon­ trast­mittel umflossen („Kuppelphänomen“) [M857]

Fremdkörper kann hier zu einer partiellen (› Abb. 6.5) oder absoluten Behinderung der Boluspassage (› Abb. 6.6) führen. Typischer bildmorphologischer Befund ist das „Kuppelzeichen“ durch den randständig von kranial umspülten impaktierten Fremdkörper (› Abb. 6.6). Insbesondere bei älteren Menschen ist häufig eine ausgeprägte ventrale Spondylophytenbildung der Halswirbelsäule zu beobachten (› Abb. 6.7), sei es im Rahmen degenerativer Veränderungen oder einer DISH (diffuse, idiopathische, skelettale Hyperostose; Morbus Forestier). Diese können zu einer deutlichen Pelottierung des Pharynxschlauchs von dorsal und zu Schmerzen beim Schlucken führen. Vorwölbungen der Rachenhinterwand werden bei ≥ 10 mm relevant. Mögliche Folgen sind: • Mechanische Blockierung der Boluspassage • Behinderung der Epiglottiskippung • Beeinträchtigung der pharyngealen Kontraktion Ventrale Spondylophytenbildung ist nur gelegentlich primäre Ursache einer Dysphagie. Daher müs-

139

Abb. 6.7  61-jähriger Patient mit über Jahre progredienter Dysphagie. Ausgeprägte anteriore teilweise pontifizierende Spondylophyten mit Punctum maximum bei HWK 3/4 bis HWK 4/5. Hierdurch deutliche Pelottierung des Pharynx von dorsal sowie enge Lagebeziehung zwischen Pharynxhinterwand und Epiglottis mit Behinderung des Epiglottisumschlags [M857]

sen vor einer etwaigen operativen Maßnahme andere Ursachen einer Schluckstörung zwingend ausgeschlossen werden. Eine andere, strukturelle Ursache von Schluckstörungen stellen entzündliche Erkrankungen des Pharynx, Larynx und des Ösophagus dar. Dies kann im Rahmen eines infektiösen Geschehens oder einer Systemerkrankung etwa aus dem rheumatischen Formenkreis, z. B. einer Kollagenose wie etwa der Sklerodermie, der Fall sein: • Typischer Befund bei ösophagealer Beteiligung im Rahmen einer Sklerodermie ist ein etwas distendierter, gelegentlich lufthaltiger, tubulärer Ösophagus mit deutlich verminderter bzw. annähernd fehlender propulsiver Peristaltik („starres Rohr“; › Abb. 6.8). • Ein seltener, jedoch typischer Befund ist die in­ tra­mura­le Pseudodivertikulose des Ösophagus (› Abb. 6.9). Dabei finden sich multiple, kol-

6

140

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

Abb. 6.9  45-jähriger Patient mit seit mehreren Monaten bestehender Dysphagie und bekanntem Diabetes mellitus. Im Bereich des tubulären Ösophagus Nachweis zahlreicher, fin­ger­ ähnlicher, senkrecht zum Lumen verlaufender Aussackungen. Typischer Befund einer intramuralen Pseudodivertikulose des Ösophagus. Endoskopisch Nachweis einer Besiedelung des Ösophagus mit Candida albicans. Besserung der Beschwerden unter antimykotischer Therapie und rigoroser Einstellung des Blutzuckerspiegels [M857]

6

Abb. 6.8  32-jährige Patientin mit bekannter Sklerodermie. Es zeigt sich ein etwas dilatierter Ösophagus mit deutlich verminderter propulsiver Peristaltik. Konsekutiv verzögerte Boluspassage in den Magen mit Ausbildung eines Luft-FlüssigkeitsSpiegels im Bereich des unteren Ösophagus („support level“) [M857]

benförmige Ausbuchtungen in die Ösophaguswand, die erweiterten Ausführungsgängen ösophagealer Mukosadrüsen entsprechen. Die Erkrankung tritt gehäuft bei Patienten mit Beeinträchtigung des Immunsystems auf, etwa bei Diabetes mellitus oder Alkoholismus, und ist mit einer Candida-Besiedelung des Ösophagus assoziiert. Eine weitere Gruppe struktureller Veränderungen des Pharynx und Ösophagus, die zu Schluckstörungen führen können, sind Pouches und Divertikel:

Begriff Pouch ist definiert als transiente sichtbare Ausstülpung während der Druckerhöhung beim Schluckakt, die im Intervall verstreicht und somit der endoskopischen Untersuchung meist entgeht. • Ein Divertikel stellt eine permanente Ausbuchtung des Lumens dar, deren Größe und Füllungszustand zwar schwanken kann, die jedoch in allen Phasen des Schluckakts und im Intervall nachweisbar ist. • Der

Laterale Pouches des Pharynx sind vergleichsweise häufig bei Patienten mit Dysphagie und Globus pharyngis zu beobachten (› Abb. 6.10), sind jedoch auch als Zufallsbefund bei asymptomatischen Pa­ tien­ten oder bei Musikern (Blasinstrumente) zu sehen. Typische Lokalisation ist die Membrana thyreo­ hyoidea im Bereich des Eintritts von A./V. laryngea superior sowie des R. internus des N. laryngeus superior, der einen Locus minoris resistentiae darstellt.

6.4 Patientenbeispiele

Abb. 6.10  65-jähriger Patient mit bekannter Refluxösophagitis. Als Zufallsbefund im Pharyngogramm Nachweis beidseitiger, pharyngealer Pouches [M857]

Das Zenker-Divertikel ist eine Ausstülpung des Pharynxlumens unmittelbar kranial des OÖS nach dorsal (› Abb. 6.11). Prädilektionsstelle ist in diesem Falle eine muskuläre Lücke, die sich zwischen Pars obliqua des M. constrictor pharyngis inferior und den quer verlaufenden Fasern des M. cricopharyngeus (Killian-Dreieck) befindet. Deutlich seltener ist das Killian-Jamieson-Divertikel, das sich unmittelbar unterhalb des M. cricopharyngeus entweder nach ventrolateral am Ösophagus oder nach dorsal in das Laimer-Dreieck entwickelt (› Abb. 6.12).

141

Ein weiterer typischerweise im Bereich des oberen Ösophagus lokalisierter Befund sind die sog. Webs (Membranstenosen), die ebenfalls Ursache einer Dysphagie sein können und eine typische Röntgenmorphologie im Sinne einer umschriebenen, glatt konturierten, horizontal orientierten Kontrastmittelaussparung zeigen (› Abb. 6.13). Webs können idiopathisch auftreten oder Folge einer Bestrahlung sein und dürfen nicht mit häufigen postkrikoidalen Schleimhautaufschiebungen verwechselt werden (› Abb. 6.14), die keinen Krankheitswert besitzen. Bei Patienten mit axialer Hiatushernie ist gelegentlich im Bereich der Kardia eine zirkuläre Einschnürung des Lumens zu beobachten. Ein solcher Schatzki-Ring kann ebenfalls Ursache einer Dysphagie sein (› Abb. 6.15). Als zweithäufigste Ursache nach den neurologischen Erkrankungen können Kopf-Hals-Tumoren, insbesondere des Pharynx, Larynx und Ösophagus zu Schluckstörungen führen. Die primäre Tumor­ dia­gnostik ist zwar eine Domäne der HNO-ärztlichen Untersuchung bzw. der Endoskopie. Doch auch die radiologische Diagnostik erlaubt die Darstellung größerer Tumoren. Wie bereits in › Kap. 2 erwähnt, ist eine asymmetrische Boluspassage oder ein gar gänzlich einseitiges Abschlucken bei bis zu 20 % der Bevölkerung zu beobachten. Eine einseitige Boluspassage über nur einen Recessus piriformis kann aber auch auf ein dort befindliches Hypopharynxkarzinom hinweisen und sollte eine weitere Abklärung nach sich ziehen (› Abb. 6.16). Wie im Pharynx so ist auch im Bereich des Ösophagus die überwiegende Mehrzahl der Tumoren maligne und kann durch stenosierendes Wachstum zu einer Dysphagie führen. Der häufigste der deutlich selteneren gutartigen Tumoren ist das Leiomyom, das sich im typischen Falle als intramural lokalisierter Tumor in Form einer rundlichen oder ovalären, glatt konturierten Kon­ trast­mittel­aus­spa­rung manifestiert, die aufgrund ihrer intramuralen Lage einen stumpfen Winkel mit der angrenzenden Ösophaguswand bildet (› Abb. 6.17).

6

142

6

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

Abb. 6.11  54-jähriger Patient mit Dysphagie, Foetor ex ore und nächtlicher Regurgitation unverdauter Speisereste. Typischer Befund eines Zenker-Divertikels mit Aussackung des kontrastierten Lumens auf Höhe des pharyngoösophagealen Übergangs nach dorsal. Deutliche Kontrastmittelretention im Bereich des Divertikels [M857]

Abb. 6.12  64-jährige Patientin mit bekannter Refluxösophagitis. Nachweis eines kleinen, nach links weisenden Divertikels im Bereich des oberen Ösophagus: Killian-Jamieson-Divertikel [M857]

6.4 Patientenbeispiele

143

6

Abb. 6.13  57-jährige Patientin, die über wiederholtes „Steckenbleiben“ der Tablette im „Hals“ berichtet. Im Bereich des oberen Ösophagus Nachweis einer von ventral horizontal ins Lumen ragenden Kontrastmittelaussparung (Pfeil) als typischer Befund eines Webs (Membranstenose) [M857]

Abb. 6.14  Häufige postkrikoidale Schleimhautaufwerfung im Bereich der Vorderwand auf Höhe des pharyngoösophagealen Übergangs (Pfeil). Der Befund besitzt keinen Krankheitswert und darf nicht mit einem Web (› Abb. 6.13) verwechselt werden [M857]

144

6

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

Abb. 6.15  62-jähriger Patient mit Dysphagie besonders für feste Substanzen. Nachweis eines Schatzki-Rings: kleine, axiale Hiatushernie mit zirkulärer, glatt konturierter Einschnürung des Lumens im Bereich des ösophagogastralen Übergangs [M857]

Schluckstörungen nach chirurgischer und/oder radio-/chemotherapeutischer Behandlung Infolge operativer, medikamentöser oder bestrahlungsbedingter Veränderungen an Larynx, Pharynx und Ösophagus kann es zu funktionellen Beeinträchtigungen kommen, zum einen bedingt durch anatomisch-funktionelle Defizite, zum anderen infolge sensorischer Defizite. Des Weiteren treten insbesondere nach Strahlentherapie häufig fibrotische Veränderungen auf, die die Funktion zusätzlich beeinträchtigen. Typische Komponenten einer Schluckstörung nach Radio-/Chemotherapie werden in › Kap. 5.3 ausführlich diskutiert. Eine postoperative velopharyngeale Insuffizienz, die mit einer nasalen bzw. nasopharyngealen Penetration des oral applizierten Kontrastmittels einhergeht, kann sowohl Folge einer strukturellen als auch eines sensorischen Defizits sein (› Abb. 6.18).

Abb. 6.16  68-jähriger Raucher mit unklarer Dysphagie. Nachweis einer einseitigen Boluspassage lediglich durch den rechten Recessus piriformis. Die HNO-ärztliche Abklärung ergab ein lokal fortgeschrittenes, linksbetont wachsendes Hypopharynxkarzinom [M857]

Die Laryngektomie stellt einen besonders ausgedehnten operativen Eingriff im Kopf-Hals-Bereich dar. In der Initialphase kommt die radiologische Diagnostik hier zunächst zum Ausschluss einer postoperativen Kontrastmittelleckage bzw. einer Fistelbildung zum Einsatz (› Abb. 6.19). Ursache von Schluckstörungen im weiteren zeitlichen Verlauf nach Laryngektomie können Tumorrezidive, narbige Veränderungen und Stenosen sowie funktionelle Störungen des rekonstruierten „Pharynxschlauchs“ sein. Tracheale Aspirationen nach Kehlkopfteilresektionen sind ebenfalls sowohl als Folge eines strukturellen Defizits als auch einer gestörten Funktion zu erklären (› Abb. 6.20). Ähnlich einer Kontrastmittelleckage nach Laryngektomie (s. o.) kann es auch nach ösophagealen Operationen insbesondere in der frühen postoperativen Phase zum Austritt des applizierten Kontrastmittels kommen. Patienten nach Ösophagektomie mit anschließendem Magenhochzug aufgrund eines Öso-

6.4 Patientenbeispiele

145

Abb. 6.18  52-jähriger Patient 8 Tage nach Resektion eines Tonsillenkarzinoms. Postoperative velopharyngeale Insuffi­ zienz mit nasopharyngealer Penetration des Kontrastmittels [M857]

6

Abb. 6.17  56-jährige Patientin mit langsam progredienten Schluckbeschwerden. Nachweis einer glatt konturierten Kon­ trast­mittel­aus­spa­rung im Bereich der Ösophaguswand. Stumpfer Winkel zwischen Befund und Ösophaguswand hinweisend auf eine intramurale Lokalisation des Prozesses. Die histologische Abklärung ergab ein Leiomyom [M857]

phaguskarzinoms bilden typischerweise eine Anastomoseninsuffizienz (› Abb. 6.21) aus. Im Idealfall lässt sich in diesem Falle durch endoskopisches Einbringen eines Stents bis zur Ausheilung eine operative Revision umgehen (› Abb. 6.22). Postoperativ lässt sich häufig auch eine Fistelbildung etwa zwischen Magenhochzug und Tra­cheo­bron­chial­system radiologisch nachweisen (› Abb. 6.23). Die bereits erwähnten, fibrotischen Veränderungen als Folge einer Bestrahlung können sowohl im Bereich des Ösophagus (› Abb. 6.24) als auch des

Abb. 6.19  63-jähriger Patient 4 Tage nach Laryngektomie. In der Seitenaufnahme bereits vor Kontrastmittelgabe auffallender Lufteinschluss in Projektion auf die Halsweichteile. Nach Kontrastmittelapplikation Nachweis einer Leckage des Kontrastmittels in eine ventral vom Pharynxschlauch gelegene Verhaltformation [M857]

Pharynx (› Abb. 6.25) zu deutlichen Stenosierungen führen. Diese postradiogenen Stenosen stellen sich radiologisch im typischen Fall als eher langstreckige Engstellen mit glatter Konturierung der Pharynx- bzw. Ösophaguswand im Bereich der Stenose dar und sind so von einem stenosierend wachsenden Tumorrezidiv zu unterscheiden.

146

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

Abb. 6.20  58-jährige Patientin nach supraglottischer Kehlkopfteilresektion einschließlich Epiglottis. Bei unzureichender Deckung des Kehlkopfeingangs Nachweis einer ausgeprägten intradeglutitiven trachealen Aspiration [M857]

6

Abb. 6.21  69-jähriger Patient mit einem Ösophaguskarzinom nach Ösophagektomie und Magenhochzug. Bei postoperativ ansteigenden Entzündungsparametern und persistierendem Fieber Nachweis einer nach rechts weisenden Kontrastmittelleckage auf Höhe der Trachealbifurkation im Sinne einer Anastomoseninsuffizienz (Pfeil) [M857]

Abb. 6.22  Nach Einbringen eines Stents beim Patienten aus › Abb. 6.21 regelrechte Kontrastmittelpassage ohne Nachweis einer Leckage [M857]

6.4 Patientenbeispiele

147

Abb. 6.23  72-jährige Patientin mit einem Ösophaguskarzinom nach Ösophagektomie und Magenhochzug. Die Kontrastmitteldarstellung zeigt eine Kontrastierung des linken Hauptbronchus (Pfeil) im Sinne einer gastrobronchialen Fistelbildung [M857]

6

Abb. 6.24  64-jähriger Patient 3 Jahre nach kurativer primärer Radiochemotherapie eines Ösophaguskarzinoms. Nachweis einer langstreckigen, glatt konturierten Engstelle im Bereich des Ösophagus im Sinne einer postradiogenen Stenose [M857]

Abb. 6.25  67-jähriger Patient 2 Jahre nach kurativer primärer Radiochemotherapie eines Hypopharynxkarzinoms. Glatt konturierte Engstellung des Lumens auf Höhe des pharyngoösophagealen Übergangs im Sinne einer postradiogenen Stenose [M857]

148

6  Radiologische ­Funktionsdiagnostik von Schluckstörungen

6.4.3 Schluckstörungen infolge von Motilitätsstörungen Eine häufige, mit Dysphagie einhergehende primäre Motilitätsstörung des Ösophagus ist die Achalasie.

Diese ist durch die ausbleibende schluckreflektorische Erschlaffung des UÖS gekennzeichnet (› Abb. 6.26). Bildmorphologisch zeigt sich meist ein distendierter Ösophagus mit massiver, glatt konturierter Engstellung des Lumens im Bereich der Kardia, die

Abb. 6.26  48-jährige Patientin mit zunehmender Dysphagie. Hypomotiler, deutlich distendierter Ösophagus. Verzögerte Boluspassage in den Magen mit Ausbildung eines Luft-Flüssigkeits-Spiegels im Bereich des unteren Ösophagus. Engstellung des Lumens im Bereich der Kardia („Sektglaskonfigura­ tion“) als typischer Befund bei hypomotiler Achalasie [M857]

Abb. 6.27  72-jähriger tracheotomierter Patient nach Isch­ ämie des Hirnstamms. a Nachweis eines unvollständig öffnenden OÖS im Sinne einer zervikalen Achalasie. b Deutliche hypopharyngeale Kontrastmittelresiduen und Nachweis einer postdeglutitiven trachealen Aspiration [M857]

6

6.4 Patientenbeispiele im typischen Fall sekt- oder weinglasförmig ist. Deutlich seltener ist eine isolierte Relaxationsstörung des OÖS, die gelegentlich als zervikale Achalasie bezeichnet wird (› Abb. 6.27; › Kap. 14.2.5). Beim diffusen Ösophagusspasmus steht symptomatisch hingegen neben einer Dysphagie häufig ein massiver retrosternaler Thoraxschmerz im Vordergrund, der nicht selten eine kardiologische Abklärung zum Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit nach sich zieht („non-cardiac chest pain“). Typischer Röntgenbefund sind ausgeprägte, simultan auftretende, nicht propulsiv wirksame tertiäre Kontraktionen, die zu einem korkenzieherartigen Aspekt des Ösophagus führen (› Abb. 6.28).

Abb. 6.28  52-jähriger Patient mit Dysphagie und ausgeprägten retrosternalen Schmerzen. Nachweis massiver, über die gesamte Länge des Ösophagus synchron auftretender tertiärer Kontraktionen mit „korkenzieherartigem“ Aspekt des Ösophagus als typischer Befund eines diffusen Ösophagusspasmus [M857]

149

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6

KAPITEL

7

Gudrun Bartolome

Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

7.1 Aspirationsschnelltest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 90-ml-Wasserschluck-Test (90-ml-WST) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Gugging Swallowing Screen (GUSS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Spezielle Schnelltests für Patienten mit Trachealkanülen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152 153 154 156 157

7.2 Klinische Schluck­untersuchung (KSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 7.2.1 Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 7.2.2 Sicherheitskriterien für die klinische Schluckprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4

7

Pathologische Symptome und mögliche Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der oralen ­Vorbereitungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der oralen Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der pharyngealen Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der ösophagealen Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160 161 162 163 166

7.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

152

7

7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

Bei Verdacht auf eine Schluckstörung benötigt man zunächst Screeningverfahren, die schnell und ohne aufwändigen apparativen Einsatz erste Therapieent­ scheidungen ermöglichen. Die Untersuchungsme­ thode soll dabei eine Schluckstörung • ausreichend sicher nachweisen (Sensitivität) bzw. • ausreichend sicher ausschließen (Spezifität). Für valide Diagnoseverfahren wird eine Sensitivität > 80–90 % und eine Spezifität > 50 % gefordert (Doggett et al. 2002). Diese Vorgaben erfüllen bis­ lang nur wenige Tests. Da der Schluckvorgang im Verborgenen abläuft, hat die klinische Untersu­ chung gezwungenermaßen ihre Grenzen. Bei den verfügbaren Verfahren unterscheidet man: • Aspirationsschnelltest (› Kap. 7.1) • Ausführliche klinische Schluckuntersuchung (KSU; › Kap. 7.2) Aspirationsschnelltests bieten die Möglichkeit, oh­ ne großen Zeitaufwand das Aspirationsrisiko einzu­ schätzen. Auch speziell geschultes medizinisches Personal kann Schnelltests durchführen. Die Aspiration ist jedoch nur das Symptom einer Störung (› Kap. 2). Über die zugrunde liegende Ursache gibt der Schnelltest keine Information. Letzteres ist jedoch Voraussetzung für eine pro­ blem­orientierte therapeutische Vorgehensweise. Für die ausführliche klinische Schluckuntersuchung (KSU)1, die auch nach den Ursachen fragt, ist spezielles sprachtherapeutisch-logopädisches Fach­ wissen erforderlich. Deshalb ist die Durchführung der KSU Sprachtherapeuten vorbehalten. Die Untersuchung beinhaltet verschiedene Kom­ ponenten: • Anamneseerhebung unter Berücksichtigung der ganzkörperlichen Problematik • Ruhebeobachtung und Überprüfung schluckrele­ vanter motorischer und sensorischer Funktionen • Direkte Schluckprüfung Der Vergleich zwischen pathologischen Zeichen und Störungsursachen am Ende dieses Kapitels (› Kap. 7.3, › Tab. 7.1) hilft Klinikern bzw. Sprachthera­ peuten, mögliche Hinweise auf eine Schluckstörung

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Ein Protokollbogen und ein Befundformular für die ausführliche klinische Schluckuntersuchung sind online unter www. elsevier.de verfügbar.

zu erkennen und zu interpretieren. Eine Zusam­ menfassung (› Kap. 7.4) rundet das Kapitel ab.

7.1 Aspirationsschnelltest 55% % der Patienten, die aspirieren, husten nicht.

Dieser hohe Anteil an „stiller Aspiration“ (Garon et al. 2009) ist für die klinische Diagnostik eine beson­ dere Herausforderung. Bedenkt man die gesund­ heitlichen Komplikationen einer nicht erkannten Aspiration, ist die Forderung nach einem zuverlässi­ gen Screeningverfahren unverzichtbar. In systemati­ schen Reviews von Bours et al. (2009), Daniels et al. (2012), Schepp et al. (2012) und anderen wurden zahlreiche klinische Dysphagie-Screenings hinsicht­ lich ihrer methodischen Qualität sowie ihrer Sensiti­ vität und Spezifität geprüft. Wenige erfüllten die er­ forderlichen Qualitätskriterien. Aufgrund ihrer rela­ tiv hohen Sensitivät/Spezifität und ihrer einfachen Durchführbarkeit werden der 90-ml-Wasser-Test (DePippo et al. 1992; Suiter und Leder 2008; › Kap. 7.1.1) und der Gugging Swallowing Screen (GUSS; Trapl et al. 2007; › Kap. 7.1.2) genauer beschrie­ ben. Ersterer ist ein reiner Wassertest, Letzterer prüft verschiedene Konsistenzen. Diverse weitere Screenings sind ebenfalls validiert und erfüllen weitgehend die oben genannten Anfor­ derungen bezüglich Sensitivität und Spezifität. Bei­ spielhaft sind im Folgenden einige häufig verwende­ te Schnelltests erwähnt: • Der Toronto Bedside Swallowing Screening Test (TOR-BSST; Martino et al. 2009) ist einfach durchzuführen, die Testvorlage ist jedoch nur nach einem kostenpflichten Training via Internet erhältlich. • Den 50-ml-Wasser-Test mit Pulsoxymetrie (Smith et al. 2000; Lim et al. 2001) kann man iso­ liert oder kombiniert mit Pulsoxymetrie anwen­ den. Die kombinierte Version ergab die höchste Sensitivität. Ein Sauerstoffabfall > 2 % gilt dabei als Aspirationshinweis. Allerdings ist die Puls­ oxymetrie als Mittel zum Nachweis einer Aspira­ tion mittlerweile umstritten. Auf ihr Für und Wi­

7.1 Aspirationsschnelltest der wird am Ende von › Kap. 7.1.2 näher einge­ gangen. • In der akuten Schlaganfallphase werden häufig das Standardized Swallowing Assessment (SSA) von Perry (2001a, b) und zur Feststellung der As­ pirationsprädiktoren das Daniels-Screening „2 aus 6“ (Daniels et al. 1997) durchgeführt. Nach einer prospektiven Validierung mittels FEES-Dia­ gnostik reichen die beiden Verfahren nicht aus, um in der akuten Schlaganfallphase Risikopatien­ ten für eine Aspirationspneumonie zu identifizie­ ren (Lindner-Pfleghar et al. 2017). Die Autoren empfehlen deshalb den niederschwelligen Einsatz der FEES. • Ein einfaches Screening-Instrument für Bewoh­ ner in Alters- und Pflegeheimen ist der EAT-10 (Belafsky et al. 2008). Der Screening-Bogen ent­ hält 10 Fragen zu Schluckproblemen und ist auch in deutscher Sprache erhältlich (www.nestle­ healthscience.ch). Cordier et al. (2017) schätzen nach erneuter Überprüfung die Reliabilität und Validität der 10 Items als problematisch ein und schlagen deshalb eine Überarbeitung vor. • Zur Einschätzung des Aspirationsrisikos bei nicht kooperationsfähigen, bettlägerigen Patien­ ten eignet sich der Schluckprovokationstest (SPT) (Teramoto et al. 1999; Warnecke et al. 2008; Kagaya et al. 2010) (› Kap. 11.2.4). Für Patienten mit Trachealkanülen gibt es spezielle Schnelltests, die in › Kap. 7.1.3 beschrieben sind. Zu bedenken ist, dass nicht jeder der genannten Aspirationsschnelltests für jeden Patienten geeignet ist.

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7.1.1 90-ml-Wasserschluck-Test (90-ml-WST) Suiter und Leder (2008) validierten den 90-ml-WST (3-Ounce Water Swallow Test nach DePippo et al. 1992) an 3.000 Probanden mit der flexiblen Video­ endoskopie. Bei der Einschätzung des Aspirationsri­ sikos wiesen sie eine Sensitivität von 96,5 % und ei­ ne Spezifität von 48,7 % nach.

Untersuchungsmaterial

• Tasse mit 90 ml Wasser, evtl. Strohhalm • Spritze für die Dosierung Untersuchung

• Patient in Sitzposition bringen • 90 ml Wasser ohne Unterbrechung aus einer Tas­ se mit oder ohne Strohhalm trinken lassen

Aspirationshinweise und Abbruchkriterien

• Austrinken der gesamten Flüssigkeitsmenge nicht möglich

• Auftreten von Husten oder Erstickungsanfall bis zu 1 min nach Testende

• Gurgelnde, feucht-belegte Stimmqualität

Empfehlungen: Vortest mit kleineren Wasserschlu­ cken (1, 3, 5, 10 ml) durchführen, für die Dosierung Spritze verwenden, Abbruch bei Aspirationshinwei­ sen

Interpretation der Testergebnisse Kontraindikationen für den Aspirationsschnelltest • Bereits bekannte Aspirationszeichen • Pathologische Lungenbefunde • Schwere Bewusstseinsstörungen

Vergleiche hierzu › Kap. 7.2.2: Sicherheitskriterien für die klinische Schluckprobe.

Fast alle Wasser aspirierenden Patienten sind im 90-mlWST auffällig. Zeigen sich keine Symptome, liegt mit ­hoher Wahrscheinlichkeit auch keine Aspiration dünnflüssiger Konsistenzen vor. Wegen der geringen Spezifität sind viele Patienten mit auffälligem Testergebnis dennoch nicht aspirationsgefährdet. Bei Aspirationshinweisen sollten in jedem Fall weitere diagnostische Verfahren folgen.

In einer Untersuchung an über 4.000 Testpersonen belegten Leder et al. (2011), dass 58 % der Proban­

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154

7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

den, die bei kleinerem Bolusvolumen „still“ aspirier­ ten, beim 90-ml-WST husteten. So kommt es bei großen Wasserschlucken seltener zur „stillen Aspi­ ration“. Dies bestätigt auch ein systematischer Re­ view von Chen et al. (2016), der verschiedene WSTs mit Zielvolumina von 3ml bis zu 90 ml verglichen hat. Die beste Sensitivität erreichte der 90-ml-WST. Durch die großen Wasserschlucke besteht erhöhte Aspirationsgefahr und damit eine pulmonale Gefährdung (› Kap. 7.2.2). Deshalb sollte der Test nur durchgeführt werden, wenn Schlucke mit kleineren Bolusvolumina unauffällig sind.

Zaidi et al. (1995) und Garon et al. (1997) fanden keinen Zusammenhang zwischen Wasseraspiration und Pneumonie. Diese Ergebnisse müssten jedoch mit weiteren Untersuchungen gesichert werden.

7.1.2 Gugging Swallowing Screen (GUSS)

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Der GUSS (Trapl et al. 2007) wurde an 50 Schlagan­ fallpatienten in der Akutphase getestet (an 20 Pro­ banden durch Therapeuten, an 30 Probanden durch Pflegepersonal). Bei der Einschätzung des Aspirati­ onsrisikos weist der Test eine Sensitivität von 100 % für beide Gruppen und eine Spezifität von 50 bzw. 69 % auf. Eine erneute Überprüfung an 100 Schlag­ anfallpatienten der Akutphase erbrachte mit einer Sensitivität von 96,5% und einer Spezifität von 55,8% ähnliche Ergebnisse (Warnecke et al. 2017). Zur Validierung diente in beiden Untersuchungen die flexible Videoendoskopie.

Untersuchungsmaterial

• Tee-, Esslöffel (flach), Trinkgefäß (oben weit oder mit Nasenkerbe)

• Flüssigkeit und Spritze zur Dosierung • Andickungsmittel • Brot ohne Rinde Untersuchung

• Patient in Sitzposition bringen

Voruntersuchung/indirekter Schluckversuch: • Vigilanz – Patient muss mindestens 15 min wach sein können • Effektives Husten und/oder Räuspern auf Auffor­ derung ist mindestens 2-mal möglich • Speichelschlucken Aufforderung – Beobachtung Auslösbarkeit, Drooling (Herausrinnen von Spei­ chel aus dem Mund), Stimmänderung nach dem Schlucken Direkter Schluckversuch: Breiige Konsistenz: • Beginn mit ⅓–½ TL puddingähnlich angedick­ tem Wasser oder Aqua bidest. (Laborwasser; Vorteil gegenüber Leitungswasser bislang nicht nachgewiesen) • Wenn keine Symptome auftreten, weitere 3–5 TL verabreichen Flüssige Konsistenz: • Beginn mit 3 ml Wasser oder Aqua bidest. (La­ borwasser), dann 5 ml, 10 ml, 20 ml • Wenn keine Symptome beobachtbar sind, bis zu 50 ml mit sequenziellen Schlucken trinken lassen Feste Konsistenz: • Stück trockenes Brot ohne Rinde essen lassen • Bis zu 5-mal wiederholen Aspirationshinweise und Abbruchkriterien Voruntersuchung Ist der Patient nicht wach oder kann er nicht willkürlich husten/räuspern oder/und weist er nach dem Speichelschlucken eine veränderte Stimmqualität auf, wird der Test bereits im Vorstadium abgebrochen und NPO (nihil per os = nichts über den Mund), also keine orale Nahrungsaufnahme, empfohlen. Nur wenn alle Punkte der Voruntersuchung unauffällig sind, wird der Test fortgesetzt. Direkter Schluckversuch Als Hinweis auf ein Aspirationsrisiko gilt das Auftreten mindestens eines der folgenden Symptome: • Schlucken nicht möglich • Verzögerte Schluckinitiierung (Flüssigkeit > 2 s, feste Nahrung > 10 s) • Drooling • Unwillkürliches Husten vor, während oder (bis 3 min) nach dem Schlucken • Stimmänderungen nach dem Schlucken (Patient soll vor und nach dem Schlucken „o“ sprechen)

7.1 Aspirationsschnelltest

Schweregradeinteilung und ­Empfehlungen Gemäß einer 20-Punkte-Skala unterteilt man die Dys­ phagie in 4 Schweregrade – von schwerer Dysphagie mit hohem Aspirationsrisiko bis zu minimaler/keiner Dysphagie und minimalem Aspirationsrisiko. Jeweils entsprechende Empfehlungen zur oralen Ernährung von NPO bis zu vollständiger oraler Ernährung sind zugeordnet. Bei den Schweregraden 2–4 werden ap­ parative Schluckdiagnostik mittels Endoskopie oder/ und Videofluoroskopie und Schlucktherapie empfoh­ len. Die Notwendigkeit der apparativen Kontrolle bei Verdacht auf Dysphagie bestätigt auch die Folgestudie von Warnecke et al. (2017). Hier stimmten bei 59 von 100 Patienten die Ernährungsempfehlungen nach GUSS nicht mit der Einschätzung durch die FEES überein. So erhielten nach GUSS-Beurteilung 45 Pa­ tienten unnötig die Empfehlung zu NPO.

Interpretation der Testergebnisse Bei sehr guter Sensitivität hat der Test fast alle Patienten mit Aspirationsrisiko ermittelt. Wegen der deutlich geringeren Spezifität ist aber eine hohe Rate falsch positiver Ergebnisse zu erwarten: Nicht alle Patienten, die bei diesem Test durch ein oder mehrere der oben genannten Symptome auffielen, hatten tatsächlich eine Schluckstörung. Folgerichtig wird bereits bei leichtgradiger Dysphagie mit geringem Aspirationsrisiko die apparative Schluckdiagnostik empfohlen.

Der GUSS wird derzeit in mindestens 3 Ländern va­ lidiert.

Abb. 7.1  Pulsoxymeter (Einzelheiten im Text) [K353]

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Tipp: Ein Protokollbogen mit Auswertung ist un­ ter www.dysphagie-trapl.at oder unter https://guss­ groupinternational.wordpress.com/guss-sheets/ verfügbar. Pulsoxymetrie in der Dysphagietherapie Früher glaubte man, die Messung des arteriellen Sauerstoffgehalts SaO2 mittels Pulsoxymetrie könne eine Aspiration valide nachweisen. Sinkt oder steigt die Sauerstoffsättigung, verändert sich die Blutfarbe. Sensoren mit einer kleinen Lichtquelle werden an Fingerspitze oder Ohrläppchen angebracht. Dann wird gemessen, wie viel Licht das Blut absorbiert hat. Der Sättigungswert wird dementsprechend aus der Zu- und Abnahme des Lichts während des Pulsschlags errechnet, d. h. aus der Differenz zwischen Absorption während der Diastole und dem Spitzenwert der Systole. Auf einem kleinen Monitor lässt sich dann die errechnete Sauerstoffsättigung ablesen (› Abb. 7.1). Der Referenzwert für Normalpersonen beträgt 95–97 % SaO2, für ältere Personen und Raucher ist er i. d. R. niedriger (92–96 %). Abnorme Pulse, Lungenerkrankungen oder eine zentralvenös bedingte respiratorische Insuffi­ zienz beeinträchtigen ebenfalls die SaO2-Werte. Generell sollte die Sauerstoffsättigung 90 % nicht unterschreiten. Kontra Pulsoxymetrie Sehr umstritten ist, ob der Sauerstoffabfall, wie ursprünglich von Zaidi et al. (1995) vermutet, unmittelbar durch die Aspiration bedingt ist. Denn selbst bei Aspiration größerer Wassermengen, z. B. während der bronchoalveolaren Lavage, kommt es meist nicht zu einem deutlichen SaO2-Abfall. Möglicherweise bewirken Beeinträchtigungen der Schluck-Atem-Koordination und ein reduziertes Inspirationsvolumen den aspirationsbedingten Sauerstoffabfall beim Pulsoxymetrietest (Teramoto et al. 1996). Bislang galt ein SaO2-Abfall > 2 bzw. > 4 % als pathologisch. Wie jedoch Hirst et al. (2002) nachwiesen, zeigen selbst gesunde Ältere beim Schlucken Sauerstoffsättigungsabfälle von 2–4 %. Damit stellt sich die Frage nach der Validität der Pulsoxymetrie als unmittelbarem Aspirationsnachweis. Pro Pulsoxymetrie Dennoch kann die Aufzeichnung der Sauerstoffsättigung hilfreich und notwendig sein. Sie gibt Hinweise über die Schluck-Atem-Koordination und den respiratorischen Status während der Schlucktests, bei der täglichen Nahrungsaufnahme oder/und der Therapie. Bei schwer beeinträchtigten Dysphagiepatienten einschließlich Trachealkanülenträgern ist das kontinuierliche Monitoring in Belastungs- und Ruhephasen ein notwendiges Feedback. Während der Dekanülierungsphase erweist sich die Kontrolle der SaO2-Sättigung als unverzichtbar (› Kap. 9).

7

156

7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

7.1.3 Spezielle Schnelltests für Patienten mit Trachealkanülen Die verschiedenen Kanülenarten werden in › Kap. 9 ausführlich beschrieben. Eine Kanüle erschwert das Schlucken zwar, bietet jedoch die Möglichkeit, aspiriertes Material relativ leicht abzusaugen. Dies wird beim Färbetest (Cameron et al. 1973; Brady et al. 1999) und beim Glukoseoxidasetest (Potts et al. 1993) ausgenutzt.

Färbetest

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Beim Färbetest (in der internationalen Literatur: Modified Evans‘ Blue-Dye-Test, MEBD) vermischt man die Nahrungs- und Flüssigkeitsschluckproben mit blauer Farbe. Gleich nach dem Schlucken und danach in Zeitintervallen (z. B. 5, 10, 20, 30 min) wird tracheal abgesaugt. Blau gefärbtes Sekret weist auf eine Aspiration hin. Zur Prüfung von Spei­chel­ aspiration platziert man wenige Tropfen blaue Far­ be auf die Zungenmitte und lässt vor dem ersten Absaugen ein paar Sekunden verstreichen. Hinsichtlich der Treffsicherheit ist zwischen ge­ ringer Aspiration (Aspirationsspur) und größeren Aspirationsmengen (größer als Aspirationsspur) zu unterscheiden. Im 1. Fall wurden nur 50 % der Aspi­ rationen erkannt, im 2. Fall jedoch 100 % (Brady et al. 1999). Das Verfahren ist also eingeschränkt ge­ eignet.

Untersuchungsmaterial

• Wasser mit blauer Lebensmittelfarbe vermischen • Spritze, Löffel für die Wassergabe • Zum Absaugen: sterile Handschuhe, Absaugge­ rät, weißes Gefäß zum Auffangen des Sekrets

• Zum Entblocken: Handdruckmessgerät oder

Spritze zum Entblocken des Kanülencuffs, Tra­ chealdilatator (Spreizer zum Offenhalten des Tra­ cheostomas), falls notfallmäßig die Kanüle gezo­ gen werden muss

Untersuchung 1. Vor dem Schlucken oder ggf. unmittelbar vor dem Absaugen geblockte Kanüle entblocken

2. 1 ml Flüssigkeit mit einem Teelöffel oder einer Spritze auf der Zunge platzieren und Patienten zum Schlucken auffordern 3. Während des Schluckes Kanülenöffnung mit Fin­ ger verschließen, vor dem Einatmen wieder lösen 4. Unmittelbar nach dem Schlucken tracheal absau­ gen, Sekret in weißem Gefäß auffangen und Far­ be bei guten Lichtverhältnissen beurteilen 5. Dann Flüssigkeitsmenge steigern (3 ml, 5 ml) Um konsistenzabhängige Probleme herauszufinden, kann der Test mit angedickten Flüssigkeiten und breiigen Substanzen erfolgen. Halbfeste und feste Konsistenzen, die sich nicht absaugen lassen, sind für diesen Test nicht geeignet. Aspirationshinweise und Abbruchkriterien Angefärbtes Sekret und/oder Nahrungsreste nach trachealem Absaugen oder Husten.

Interpretation der Testergebnisse • Ein

positives Ergebnis weist in jedem Fall auf eine Aspiration hin. • Ein negatives Resultat lässt keine Schlussfolgerung zu.

Färbetest und Glukoseoxidasetest Der Färbetest dient auch dazu, bei Kanülenpatienten mit bestehender Refluxkrankheit (› Kap. 14) even­ tuelle Aspirationen von Mageninhalt festzustellen. Hierzu färbt man die Sondennahrung an und saugt nach Nahrungseinfuhr im Verlauf 1 Stunde mehr­ mals tracheal ab, z. B. 4 Mal. Beim Glukoseoxidase­ test taucht man einen Teststreifen zum Nachweis von Glukose in das abgesaugte Sekret. Nach Unter­ suchungen von Potts et al. (1993) hat der Gluko­ seoxidasetest eine höhere Treffsicherheit als der Fär­ betest. Zum Anfärben eignet sich blaue Lebensmittelfarbe für beide Tests. Cave: Wegen möglicher Toxizität darf Methylenblau nicht mehr verwendet werden (Lucarelli et al. 2004).

7.2  Klinische Schluck­untersuchung (KSU)

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7.1.4 Fazit

• Wattestäbchen zur Überprüfung der Berührungs­

Zusammenfassend bieten die Aspirationsschnell­ tests folgende Vor- und Nachteile: Vorteile: • Geringer Zeitaufwand • Geringe Kosten • Entscheidungshilfe für Sofortmaßnahmen, z. B. vorläufige Art der Ernährung, weiterführende Dia­gnostik wie ausführliche klinische Schluck­ untersuchung und apparative Diagnostik, sowie die Therapieindikation Nachteile: • Erhöhtes Aspirationsrisiko durch Wasserschlucke • Keine Informationen über die Störungsursache

• Tee-, Esslöffel (flach, vorn rund) für breiige Nah­

7.2 Klinische Schluck­ untersuchung (KSU) Bei positivem Schnelltest (Aspirationshinweise) führt der Sprachtherapeut eine ausführliche klini­ sche Schluckuntersuchung durch. In systematischen Reviews zur Klinischen Schluckuntersuchung kom­ men die Autoren zu dem Schluss, dass bislang kein Goldstandard existiert (Bours et al. 2009; Daniels et al. 2012; O’Horo et al. 2015).

7.2.1 Durchführung Die KSU umfasst die 3 Bereiche: • Anamnese • Überprüfung schluckrelevanter motorischer und sensorischer Funktionen • Direkte Schluckprobe Im Folgenden wird die praktische Durchführung der KSU unter Berücksichtigung des im Elsevier-OnlinePortal erhältlichen Diagnostikbogens beschrieben.

empfindung

rung oder geringe Flüssigkeitsmengen

• Spritze zum Abmessen der Flüssigkeitsmenge • Becher (durchsichtig, oben weit oder mit Nasen­ kerbe) zum Trinken

• Wasser, Götterspeise, feste Nahrung (falls durch­ führbar) für die Probeschlucke

• Spuckschale, zur Expektoration nach Rachenrei­

nigung Bei Bedarf: • Mullkompressen für die intraorale Stimulation • Pipette/Spritze, um Flüssigkeiten im hinteren Mundraum zu platzieren • Larynxspiegel Größe 0 und Eiswasser, um die Re­ flexauslösung zu stimulieren • Bei Trachealkanülenträgern: sterile Handschuhe, Absauggerät, Handdruckmessgerät oder Spritze zum Entblocken des Kanülencuffs, Trachealdila­ tator (Spreizer zum Offenhalten des Tracheosto­ mas), falls notfallmäßig die Kanüle gezogen wer­ den muss

Anamnese Die Anamnese (Protokollbogen 1.1 und 1.2) beginnt mit der Datensammlung aus der Krankenakte über den bisherigen Verlauf. Dann wird der derzeitige Status notiert. Dazu gehören u. a.: • Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit • Rumpf- und Kopfkontrolle

Untersuchungsmaterial Grundausstattung  (› Abb. 7.2): • Gummihandschuhe • Spatel • Taschenlampe

Abb. 7.2  Untersuchungsmaterial für die klinische Schluckuntersuchung – Grundausstattung [K353]

7

158

7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

• Evtl. Vorhandensein einer Trachealkanüle • Art der Nahrungszufuhr, d. h. oral oder über

Sonde Es erfolgt das Kontaktgespräch mit dem Patienten. Nach der gegenseitigen Vorstellung stellt der Thera­ peut einfache Fragen zur Situation, z. B.: • „Warum sind Sie hier?“ • „Haben Sie mit dem Schlucken Probleme?“ Durch die Antworten bzw. Reaktionen erhält man einen allgemeinen Eindruck über die Kooperationsund Kommunikationsfähigkeit sowie Hinweise zur Krankheitseinsicht und/oder über den Leidensdruck des Patienten. Selbstverständlich erklärt man ihm die Ziele und der Ablauf der bevorstehenden Unter­ suchung. Anschließend folgt die gezielte Patientenbefragung zu allgemeinen Symptomen, die auf eine Schluck­stö­rung hinweisen können, und zu phasen­ spezifischen Störungsmerkmalen. Dabei werden orale, pharyngeale sowie ösophageale Phase berück­ sichtigt.

7

Die Behandlung ösophagealer Schluckstörungen ist mit der funktionellen Dysphagietherapie nicht möglich. Weist die klinische Schluckuntersuchung auf Störungen der ösophagealen Phase hin, ist umgehend der behandelnde Arzt zu verständigen.

Wegen der Gefährdung der Patienten mit kombi­ nierter oropharyngealer und ösophagealer Dyspha­ gie erfasst man mögliche ösophageale Symptome im Rahmen der KSU zumindest orientierend (› Kap. 14). So kann z. B. das Eindringen sauren Magen­ inhalts in die Luftwege zu ernsthaften, z. T. lebens­ bedrohlichen pulmonalen Komplikationen führen (Bynum et al. 1976). 22 % der Patienten mit neuro­ logisch bedingten oropharyngealen Dysphagien lei­ den zugleich unter ösophagealen Beschwerden (Bar­ tolome et al. 1997). Insgesamt korrelieren nach Untersuchungen von Wright und Ellis (1997) die subjektiven Angaben der Patienten in hohem Maße mit der Lokalisation der vorliegenden Schluckstörung. Bei Patienten mit Be­ wusstseinsstörungen, gravierenden kognitiven Be­ einträchtigungen, unzureichenden Kommunika­ tionsmöglichkeiten oder schweren Sprachverständ­ nisproblemen muss die Patientenbefragung entfal­

len. Alternativ können die Angehörigen oder mit dem Patienten vertraute Personen bzw. das Pflege­ personal Auskunft geben.

Untersuchung der Schluckorgane Die Untersuchung (Protokollbogen 2.1–2.4) umfasst: • Ruhebeobachtung • Überprüfung reflektorischer Reaktionen • Überprüfung willkürlich intendierter Bewegungen • Beurteilung der Berührungsempfindung Für die Untersuchung positioniert man den Patien­ ten in relaxierter Ausgangslage, möglichst in Sitzhal­ tung (› Kap. 10.2.4).

Ruhebeobachtung Zur Ruhebeobachtung (Protokollbogen 2.1) gehört das visuelle Erfassen der Schluckorgane bezüglich: • Oberflächenbeschaffenheit • Form • Lage • Strukturveränderungen Bei Patienten mit mechanisch bedingten Schluck­ störungen steht die Beschreibung der Strukturver­ änderungen im Vordergrund. Bei neurogenen Er­ krankungen achtet man zusätzlich auf eventuelle pathologische Tonusveränderungen oder unwillkür­ liche Bewegungen (› Kap. 8).

Überprüfung reflektorischer Bewegungen Die Überprüfung reflektorischer Bewegungen (Pro­ tokollbogen 2.2) beinhaltet: • Beurteilung der Würgreflexauslösung • Bewertung oraler Primitivreaktionen Der Würgreflex ist ein Schutzreflex, um uner­ wünschte Substanzen aus dem Rachen zu befördern. Dies geschieht vor allem durch starke Kontraktion der Rachenmuskeln, die nach oben drücken, und die Anhebung des Velums. Normalerweise wird der Würgreflex durch Berührung der Hinterzunge oder des weichen Gaumens (z. B. mit einem Spatel) aus­ gelöst. Abnormer Würgreflex: • Hyperaktiv: Auslösung durch Berührung des vor­ deren Mund-Zungen-Bereichs

7.2  Klinische Schluck­untersuchung (KSU)

159

• Hypoaktiv bzw. aufgehoben: Auslösung er­

schwert, erst nach Berührung der Hinterzunge oder der Rachenhinterwand bzw. nicht möglich

Fehlender Würgreflex Nicht alle Gesunden lösen bei taktiler Stimulation einen Würgreflex aus. Ein fehlender Würgreflex betrifft in der Bevölkerung immerhin zwischen 13 % (Leder 1996) und 37 % (Davies et al. 1995). Er weist deshalb nicht eindeutig auf eine Sensibilitätsstörung hin.

Orale Primitivreaktionen können bei Patienten mit schweren Hirnverletzungen auftreten. Der Thera­ peut versucht die pathologischen Reaktionen durch taktile Stimulation der Lippen und des Mundraums auszulösen. Am häufigsten sind Zungenstoß und Beißreflex zu beobachten. Um bei einem Beißreflex Verletzungen für Patient und Therapeut zu vermei­ den, nimmt man einen weichen Stimulus, z. B. eine leicht angefeuchtete, zigarrenförmig zusammenge­ rollte Mullkompresse.

Abb. 7.3  Untersuchung der Schluckorgane (hier: Zungenkraft) [K353]

Überprüfung willkürlich intendierter Bewegungen Zur Bewertung willkürlich intendierter Bewegungen (Protokollbogen 2.3) der Schluckmuskulatur führen die Patienten die einzelnen Aufgaben nach den ver­ balen Anweisungen des Therapeuten durch. Gelingt dies nicht, macht dieser die Bewegung vor und der Patient versucht zu imitieren. Geprüft werden schluckrelevante Lippen-, Kieferund Zungenbewegungen sowie die Velumhebung. Die Einschätzung der Lippen- und Zungenkraft er­ folgt durch Widerstand mit dem Spatel (› Abb. 7.3). Die Kraft der Unterkieferbewegungen wird durch manuellen Widerstand gegen die verschiede­ nen Bewegungsrichtungen geprüft. Neben Bewe­ gungsumfang, Kraft und Geschwindigkeit achtet man auf Tonus, Hyperkinesen und eventuell aprak­ tische Bewegungen. Näheres hierzu, einschließlich der Unterscheidung zwischen peripherer und zen­ traler Parese, ist in › Kap. 8 beschrieben. Zur Bewertung laryngopharyngealer Willkürbewegungen gehören die Prüfung der Stimmqualität, der Stimmleistung und der Reinigungsfunktionen Husten und Rachenreinigen.

Abb. 7.4  Prüfung der Berührungsempfindung [K353]

Beurteilung der Berührungsempfindung Die Beurteilung der Berührungsempfindung (Befund­ bogen 2.4) erfolgt mit einem Wattestäbchen (› Abb. 7.4). Man betupft nacheinander rechts und links: • Ober-/Unterlippe • Vorder-/Hinterzunge • Wangenschleimhaut • Weicher Gaumen • Rachenhinterwand Der Patient soll dabei die Augen schließen und ange­ ben, ob er die Berührung spürt und ob die Empfin­ dung seitengleich ist.

Beobachtungen während der ­Schluckversuche Nach der Überprüfung am Schluckvorgang beteiligter Organe erfolgt die Bewertung der Schluckfunk­tion

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7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

(Protokollbogen 3). Zunächst beurteilt man das spon­ tane und das willkürliche Speichelschlucken. Falls keine Kontraindikation, d. h. bereits bekannte Aspi­ rationszeichen, pathologische Lungenbefunde oder eine schwere Bewusstseinsstörung, vorliegt, führt man Ess- und Trinkversuche mit verschiedenen Nah­ rungskonsistenzen und Bolusvolumina durch. Er­ nährt sich der Patient bereits oral, wird das Essen und Trinken während einer Mahlzeit beobachtet.

7.2.2 Sicherheitskriterien für die klinische Schluckprobe

7

Die Gefahr, nach Aspiration an Lungenentzündung zu erkranken, hängt von verschiedenen Risikofakto­ ren ab. Es gibt keine gesicherten Aussagen über die tolerierbare Menge aspirierter Nahrung. Die pulmo­ nale Verträglichkeit scheint individuell zu variieren (Langmore 1991). Wir empfehlen, das Bolusvolumen zunächst so zu dosieren, dass die Luftwege nicht blockiert oder ge­ fährlich behindert werden: Zu Beginn verabreicht man maximal ⅓–½ TL pro Schluck. Für die Flüssigkeitsgabe verwendet man im Erstversuch Wasser. Götterspeise hat sich als günstig für den Breischluck erwiesen. Deren Sub­ stanz weist eine relativ gute Gleitfähigkeit auf und sie verflüssigt sich nicht sofort im Mundraum. Patienten mit Störungen der Schluckreflextrigge­ rung haben bei kleinen Bolusmengen häufig erhebli­ che Probleme mit der Reflexauslösung. Hier ver­ sucht man nach Reflexstimulation, z. B. thermal oder taktil, erneute Schlucke. Zeigen sich bis 1 Minute nach dem Schluck keine auffälligen akuten Aspirationshinweise, z. B. Husten, gurgelnde Stimmqualität, Expektoration von Nah­ rungsresten nach willkürlichem Rachenreinigen, ver­ größert man das Bolusvolumen. Testschlucke mit festen Nahrungskonsistenzen sind in der klinischen Diagnostik nur bei Patienten mit guter Kaufunktion und geringem Aspirationsrisiko durchführbar. Der Hustenreflex ist eine wichtige Schutzfunktion, um penetrierte oder aspirierte Nahrung wieder aus den Luftwegen zu befördern. Besondere Vorsicht ist geboten, falls dieser zu schwach ist, zu spät auftritt oder fehlt.

Ein beeinträchtigter Hustenreflex kann in folgen­ den Fällen vorliegen: • Bei Patienten mit Sensibilitätsstörungen im Be­ reich der Luftwege kann der Hustenreflex völlig fehlen oder viel zu spät auftreten. Es kommt zur stillen Aspiration („silent aspiration“). Deshalb empfiehlt es sich, prophylaktisch während und vor allem am Ende der Schluckprobe zum will­ kürlichen Husten aufzufordern. • Bei Störungen der Stimmbandadduktion, Schwäche der Atemmuskulatur, geblockter und ungeblockter Trachealkanüle oder offenem Tracheostoma können die Betroffenen den sub­ glottischen Druck für einen effektiven Husten­ stoß nicht aufbauen. Bei ungeblockter Kanüle verschließt man deshalb während des Hustensto­ ßes die Kanülenöffnung mit dem Finger. • Viele Patienten versuchen während oder nach der Schluckbeobachtung, den Hustenreiz zu unterdrücken, um keine Auffälligkeiten zu zeigen. Deshalb erklärt man allen Patienten vor der Schluckprobe: „Husten reinigt die Luftwege. Bitte unterdrücken Sie auf keinen Fall den Husten­ reiz!“ Der Therapeut kann das Husten forcieren, indem er bei jedem Hustenstoß mit der flachen Hand einen kräftigen, kurzen Druck am Brustbein nach dorsalkranial ausübt. Maßnahmen für den Notfall sind in › Kap. 10.4.4 genauer beschrieben. • Bei plötzlichen Atemgeräuschen, Atemnot – Aspiration: • Bei Atemstopp, Zyanose – lebensbedrohliche Aspiration:

→ Den Patienten beim Husten unterstützen, sofort Hilfe herbeirufen!

7.3 Pathologische Symptome und mögliche Ursachen Zum besseren Verständnis der klinischen Sympto­ matik und als Hilfe für die Therapieplanung stellen wir in den folgenden Abschnitten die pathologi­ schen Zeichen und deren mögliche Störungsursache dar. Die Einteilung der Schluckphasen entspricht der in › Kap. 2 vorgestellten.

7.3  Pathologische Symptome und mögliche Ursachen

7.3.1 Störungen der oralen ­Vorbereitungsphase Die orale Vorbereitungsphase umfasst: • Nahrungsaufnahme • Bolusverarbeitung, also Kauen, Bolussammlung, Halten des Bolus • Boluskontrolle In dieser Phase wird die Nahrung zerkleinert und mit Speichel vermischt, um eine schluckgerechte Konsistenz zu erreichen (› Kap. 2.1.1).

Kaumuskulatur Bewegungsstörungen der Kaumuskulatur können folgende Funktionen beeinträchtigen: • Kieferöffnung • Kieferschluss • Laterale rotierende Kaubewegungen Teilresektionen von Muskelgewebe und/oder Kno­ chen, Paresen oder Koordinationsstörungen schrän­ ken die Funktionen ein. Häufig erschweren zusätzlich pathologische orofaziale Reflexmuster die Bo­ lus­ aufnahme und Verarbeitung, z. B. Hypersensibilität oder der Beißreflex. Ob apraktische Bewegungen beim Kauen auftreten können, wird kontrovers diskutiert.

Klinische Störungssymptome Die Auswirkungen von Kaufunktionsstörungen auf die orale Vorbereitungsphase sind in der klinischen Beobachtung leicht festzustellen. So gibt es Patien­ ten, die den Mund nur wenig oder überhaupt nicht öffnen können, sowohl willkürlich als auch bei Sti­ mulation. Dies erschwert die orale Nahrungsaufnah­ me. Bei unvollständiger maxillar-mandibularer An­ näherung und bei Störungen der Rotationsbewe­ gung des Unterkiefers verbleibt die Nahrung unzer­ kaut oder unvollständig zerkleinert im Mundraum.

Lippenbewegungen Während des Kauvorgangs sind folgende Lippen­ funktionen erforderlich: • Lippenrundung und Vorschieben • Lippenbreitziehen

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• Lippenschluss

Während der gesamten Nahrungsverarbeitung so­ wie beim Sammeln und Halten des Bolus bleiben die Lippen geschlossen.

Klinische Störungssymptome Auffälligstes Symptom ist das Wiederaustreten des Bolus aus dem Mund bei unvollständigem Lippenund Kieferschluss. Während des Kauvorgangs sollen trotz wechselnder Kieferöffungen die Lippen immer geschlossen bleiben. Nahrungsreste im oberen oder unteren Sulkus weisen auf eine ungenügende Lippenspannung hin. Die Lippen liegen dem Zahndamm nicht dicht ge­ nug an.

Wangenmuskulatur Während des Kauvorgangs dichten wechselseitige Kontraktionen der Wangenmuskulatur die latera­ len Sulci ab, damit sich keine Bolusteilchen in den Wangentaschen ansammeln.

Klinische Störungssymptome Nahrungsreste im seitlichen Sulkus, unilateral oder bilateral, oben und/oder unten, weisen auf Beein­ trächtigungen der Wangenkontraktion hin.

Zungenbewegungen Während des Kauens schiebt die Zunge durch rotie­ rende laterale Bewegungen, parallel zur gleichzeiti­ gen Kieferöffnung, Nahrung zwischen die Molaren einer Seite. Zugleich wird die Zunge etwas gehoben, damit der Bolus auf der jeweiligen Kauseite gehalten werden kann. Das folgende Sammeln und Halten des Bolus gegen den Gaumen erfordert eine differenzier­ te neuromuskuläre Zungenkontrolle. Vor allem der posteriore Zungenanteil bringt den Bolus in die Hal­ teposition. Die Zunge bildet mit den anterioren und lateralen Rändern einen hufeisenförmigen Abschluss gegen den Gaumen, die mediane Raphe ist gesenkt und der Bolus in dieser Zungenschüssel gefangen. Dies ähnelt der Zungenform beim Frikativ „sch“.

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7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

Klinische Störungssymptome

Klinische Störungssymptome

Man sieht bei Störungen der Lateralbewegungen un­ zerkaute Nahrung auf der Zunge oder zwischen Zunge und Zähnen. Bei Beeinträchtigungen der Zungenspitzen- und Zungenränderelevation kann die Nahrung nicht gesammelt oder gehalten werden. So findet man nach dem Schlucken Bolusreste in den Sulci, auf dem Gaumen oder im gesamten Mundraum verteilt.

Schlucken mit geöffnetem Mund ist zwar möglich, jedoch deutlich erschwert und mit orofazialen (Hy­ peraktivität des M. orbicularis oris oder des M. men­ talis) und/oder lingualen Kompensationsmechanis­ men verbunden. Bei auffälligen klinischen Störungs­ symptomen wie oralem Nahrungsaustritt sind be­ gleitende Dysfunktionen der Zungenmotorik zu berücksichtigen.

Sensibilität

Zunge

Die orofaziale Sensibilität meldet die Lage und Ver­ teilung des Bolus im Mundraum und trägt zu zielge­ richteten motorischen Aktivitäten bei. Bei Sensibili­ tätsstörungen werden die Bolusteile in dem betroffe­ nen Areal nicht oder unzureichend gespürt. Bei be­ einträchtiger Sensibilität im Oropharynx scheint die Aspirationsgefahr um 2,5-mal höher zu sein als bei unauffälligem Befund (Martino et al. 2000).

Der enge lingual-palatale Kontakt bleibt während des oralen Bolusrücktransports bestehen. Fein koor­ dinierte wellenförmige Bewegungen des Zungenkörpers transportieren den Bolus am Gaumendach entlang Richtung Rachen.

Klinische Störungssymptome

7

Nahrungsreste bleiben im gestörten Bereich liegen, z. B. auf der Zunge oder in den Wangentaschen. Ge­ legentlich sieht man bei eingeschränkter pharyngea­ ler Sensibilität auch Nahrungsreste an der Rachen­ hinterwand.

7.3.2 Störungen der oralen Phase Die orale Phase umfasst den Rücktransport des Bo­ lus im Mundraum bis zum Eintritt in den Oropha­ rynx (› Kap. 2.1.2).

Klinische Störungssymptome Zu beobachten sind entweder eine verspätete Initiie­ rung der oralen Phase oder/und eine verlängerte Dauer oder/und Bolusreste im Mundraum bei einge­ schränkter Bewegungsamplitude. Bei bestimmten neurologischen Erkrankungen können orale Desin­ tegrationszeichen wie Zungenstoß oder repetitive Pumpbewegungen der Zunge auftreten. Bei eingeschränkter Zungenhebung beobachtet man nach dem Schlucken Nahrungsreste auf der Zunge oder am Gaumen. Bei gestörter Zungenspit­ zenelevation können Bolusteilchen auf den Mund­ boden fallen. Beobachtet man mit Zunahme der Vis­ kosität vermehrt Bolusreste am Gaumen, liegt die Ursache möglicherweise in einer reduzierten Zun­ genkraft.

Lippen und Kiefer

Schluckkontrollgriff (Dreifingermethode)

Der labiale und maxillar-mandibulare Schluss ver­ hindert intraorale Druckverluste. Zugleich bietet der geschlossene Kiefer die notwendige Stütze für die differenzierten Elevations- und Retraktionsbewe­ gungen der Zunge.

Initiierung und Dauer der oralen Phase sowie der Beginn der Schluckreflexauslösung lassen sich klinisch durch Palpation von Mundboden und Kehlkopf mit dem Schluckkontrollgriff erfassen (› Abb. 7.5): • Zeigefinger am äußeren Mundboden hinter dem Kinn – Information über die Dauer der Zungenbewegungen während der oralen Phase

7.3  Pathologische Symptome und mögliche Ursachen • Zeigefingerspitze

am Zungenbein – Information über die Hyoidelevation und das Einsetzen der Schluckreflextriggerung • Mittelfinger am oberen Schildknorpel, Ringfinger am Ringknorpel – Information über Larynxelevation und Reflextriggerung Wichtig: Fingerspitzen nur leicht anlegen, um keinen unnötigen Druck auszuüben!

Beim Zungenstoß wird die Nahrung statt nach pos­ terior nach anterior befördert und bei geöffneten Lippen wieder aus dem Mund gestoßen. Obwohl der Zungenstoß hier den lingualen Dysfunktionen zuge­ ordnet ist, liegt tatsächlich ein komplexes pathologi­ sches Störungsmuster zugrunde mit Beeinträchti­ gungen der orofazialen, mandibularen und lingua­ len Muskulatur. Wiederholte stereotype Pumpbewegungen der Zunge beobachtet man häufig bei Parkinson-Patien­ ten. Die anterioren und posterioren Zungenteile werden gegen den Gaumen gedrückt, der Bolus wird dabei nur bis zur Zungenmitte geschoben und fließt vor der nächsten Zungenelevation wieder zurück in den vorderen Zungenabschnitt. Dies verursacht die Pumpbewegungen der Vorderzunge, und der Bolus kann nicht über den Zungenrücken abfließen. Bei Patienten mit Paresen oder Zungenteilresek­ tionen ist der orale Rücktransport gestört oder über­ haupt nicht möglich. Es kommt zu massiven Nah­ rungsansammlungen in der Mundhöhle. Störungen der lingualen Funktionen können zum Leaking, d. h. zum vorzeitigen Abgleiten von Bolus­ teilen in den Rachen, führen. Gegebenenfalls kann es zu prädeglutitiver Penetration in den Kehlkopf­

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eingang oder zur Aspiration kommen. Bei intakter laryngealer Sensibilität hustet der Patient prädeglu­ titiv.

Wangenmuskulatur Während des oralen Rücktransports kontrahiert die Wangenmuskulatur bilateral.

Klinische Störungssymptome Bei unzureichender Kontraktion fallen Bolusteile in den lateralen Sulkus. Nach dem Schlucken finden sich Nahrungsreste in den Wangentaschen.

Velum Das Gaumensegel bleibt während der oralen Phase (für nichtgekaute Boli) durch Kontraktion der vor­ deren Gaumenbögen gesenkt. Störungssymptome sind klinisch nicht zu erfas­ sen.

7.3.3 Störungen der pharyngealen Phase Die Schluckreflexauslösung initiiert die pharyngeale Reflexphase. Diese endet mit dem Eintritt des Bolus in die Speiseröhre (› Kap. 2.1.3).

Schluckreflextriggerung Die Reflextriggerung beginnt mit der Kehlkopfhe­ bung nach vorn. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen verlängerter oraler Phase und verzögerter Reflextriggerung. Durch Palpation des Mundbodens und Kehlkopfes (Schluckkontrollgriff, › Abb. 7.5) spürt der Therapeut die einleitenden Zungenbewe­ gungen und den Beginn der Reflextriggerung. Dies erlaubt Rückschlüsse auf die Dauer der oralen Pha­ se, jedoch nicht auf die Lokalisation der Reflexauslö­ sung (Triggerpunkt).

Abb. 7.5  Schluckkontrollgriff (Dreifingermethode) [K353]

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7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

Zur Prüfung der Reflexauslösung dient ebenfalls der Schluckkontrollgriff (› Abb. 7.5). Eine verzögerte Reflextriggerung ist mit dieser Methode jedoch nicht sicher zu beurteilen.

Klinische Störungssymptome Dauert die Phase zwischen der Initiierung des oralen Bolusrücktransports (Hebung der Zungenspitze an den vorderen Gaumen) und der Reflexauslösung (Kehlkopfhebung nach anterior) länger als 1 s – möglich sind 5 s, 10 s oder länger –, spricht man von verlängerter oraler Phase. Eine fehlende Kehlkopfhebung weist auf eine auf­ gehobene Reflexauslösung hin. Häufig versuchen die Patienten, die erschwerte Reflextriggerung mit über­ mäßigen Zungenbewegungen zu kompensieren. Da­ bei kommt es zu Kehlkopfhebungen mit geringer Bewegungsamplitude, die jedoch nicht mit der ei­ gentlichen Reflextriggerung gleichzusetzen sind. Bei schweren Störungen wird der Bolus wieder ausge­ spuckt oder aufgrund fehlender laryngealer Schutz­ mechanismen prädeglutitiv aspiriert.

7

Velopharyngealer Verschluss Durch Heben des Gaumensegels und Vorwölben der gegenüber liegenden Rachenwand wird der Nasen­ raum abgedichtet. Dies verhindert das Eindringen des Bolus in die Nase, also eine nasale Penetration.

Klinische Störungssymptome Tritt aufgrund einer Veluminsuffizienz bzw. eines gestörten velopharyngealen Kontakts Nahrung in die Nase ein, reagieren die Patienten bei intakter Sensibilität der Nasenschleimhäute mit Niesen. Häufig beobachtet man Nahrungsaustritt aus der Nase. Zu nasaler Penetration kommt es in erster Li­ nie bei großen Bolusmengen oder nach vorn geneig­ tem Kopf.

Zungenabschluss mit der Pharynxrückwand Die Zunge transportiert den Bolus durch eine schnelle, kolbenartige Rückwärtsbewegung in den Hypopharynx. Die Zungenbasis drückt dabei gegen die Rachenhinterwand, die ihrerseits kontrahiert. Die Schubkraft der Zunge und der Widerstand der Rachenwand üben im Oropharynx Druck auf den Bolus aus. Als Folge einer eingeschränkten Zungenbasisre­ traktion verbleiben häufig Nahrungsreste in den Val­ leculae. Besteht neben der verringerten Zungen­ schubkraft eine verminderte Kehlkopfhebung, kommt es zu Öffnungsstörungen des OÖS. Dies kann die Boluspassage erheblich beeinträchtigen bzw. zu einer postdeglutitiven Aspiration führen. Die über dem Speiseröhreneingang gestaute Nahrung läuft dann, sobald sich der Kehlkopf nach dem Schlucken wieder gesenkt hat, in den Kehlkopfeingang über.

Klinische Störungssymptome Paresen der intrinsischen und der extrinsischen Zungenmuskulatur oder strukturelle Läsionen kön­ nen die Schubkraft der Zunge beeinträchtigen. Die Patienten schlucken häufig wiederholt nach und spüren bei intakter Sensibilität Nahrungsreste im Rachen. Häufig können sie die betreffende Hals­re­ gion genau angeben. Zeigt sie auf den Kinn-HalsWinkel (in Höhe des Zungenbeins), liegen die Resi­ duen in den Valleculae. Für die folgenden Phonationsproben gilt: • Ein positives (auffälliges) Ergebnis weist auf Res­ te im Hypopharynx hin. • Ein negatives (unauffälliges) Resultat kann diese jedoch nicht sicher ausschließen. Phonationsprobe A mit Kopfextension 1. Der Patient wird nach dem Schlucken aufgefordert, kurz „A“ zu phonieren. 2. Dann soll er den Kopf strecken und anhaltend „A“ phonieren Wird die Stimmqualität gurgelnd oder rau, haben sich Nahrungsreste aus den Valleculae entleert. Die veränderte Klangqualität entsteht durch Fremdkörper, die auf den Taschenfalten und/oder den Stimmlippen liegen. Bei

7.3  Pathologische Symptome und mögliche Ursachen intakter laryngealer Sensibilität wird das in den Kehlkopfeingang penetrierte Material abgehustet.

Pharyngeale Kontraktionen Die pharyngealen Kontraktionen verlaufen vom Na­ so- zum Hypopharynx. Die kontraktile Welle übt Druck auf das Bolusende aus und wirkt reinigend. Bei Beeinträchtigungen der Pharynxmuskeln ver­ bleiben nach dem Schluckakt Bolusreste an der Ra­ chenhinterwand und im Sinus piriformis.

Klinische Störungssymptome Bei intakter Sensibilität klagen die Patienten über Nahrungsreste im Hals. Häufig schlucken sie mehr­ mals leer nach, um die Residuen zu beseitigen. Folgende Phonationsproben können auf pharyn­ geale Residuen hinweisen. Phonationsprobe B nach Hochräuspern 1. Der Patient wird aufgefordert, unmittelbar nach dem Schlucken kurz „A“ zu sprechen. 2. Dann soll er einige Sekunden lang hochräuspern bzw. den Rachen reinigen; dadurch lösen sich Bolusreste an der Rachenhinterwand und fallen in den Larynx­ein­ gang; jetzt wird einige Sekunden lang „A“ phoniert Zeichen wie gurgelnde Stimmqualität, Husten oder Ausspucken von Nahrung weisen auf pharyngeale Residuen hin. Zeigt sich sofort nach dem Schlucken eine veränderte Stimmqualität (Punkt 1), können unterschiedliche Faktoren die laryngeale Penetration verursacht haben.

Bei bilateralen pharyngealen Paresen verbleiben Nahrungsreste in beiden Recessus piriformes, bei unilateralen Paresen nur auf der kranken Seite. Eine Möglichkeit zur Lokalisation der Störung kann die folgende Phonationsprobe bieten: Phonationsprobe C mit Kopfdrehung 1. Der Patient wird sofort nach dem Schlucken gebeten, kurz „A“ zu phonieren. 2. Dann fordert man ihn auf, den Kopf nach rechts zu drehen und anhaltend „A“ zu phonieren. 3. Schritt 2 wird mit Kopfdrehung nach links wiederholt.

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Die Veränderungen der Stimmqualität bei Kopfrotation nach rechts oder links oder in beide Richtungen erlauben Rückschlüsse auf die Lokalisation hypopharyngealer Residuen. Häufig husten die Patienten zusätzlich und müssen in gravierenden Fällen die Nahrung wieder ausspucken.

Laryngealer Verschluss Der Kehlkopf wird auf 3 Ebenen verschlossen: 1. Aneinanderlegen der Stimmlippen 2. Aneinanderlegen der Taschenfalten 3. Neigung der Epiglottis und Schluss der aryepi­ glottischen Falte am Kehlkopfeingang Patienten mit isolierten Störungen des Glottis­ schlusses (Punkt 1) leiden i. d. R. nicht an einer Schluckstörung. Zu Problemen kommt es bei zusätz­ lichen Beeinträchtigungen, z. B. bei unzureichen­ dem Schutz des Kehlkopfeingangs (Punkt 2 und 3) und in Kombination mit einer reduzierten Kehl­ kopfhebung.

Klinische Störungssymptome Aphonie oder behauchte Stimmqualität weisen auf einen insuffizienten Glottisschluss hin. Treten Fremdkörper in den Kehlkopfeingang oder in die Luftröhre ein, kommt es bei intakter Sensibilität zu reflektorischem Husten. Wird bei dieser reflektori­ schen Bewegung keine ausreichende Glottisadduk­ tion erreicht, z. B. bei peripherer Stimmbandparese, kann der subglottische Druck für einen effizienten Hustenstoß nicht aufgebaut werden.

Larynxhebung nach vorn Der Kehlkopf wird während des Schluckreflexes nach vorn oben gezogen. Die Angaben über die Kehlkopfexkursion variieren erheblich (Molfenter und Steele 2011). So reichen die Mittelwerte für die Anteriorbewegung des Kehlkopfes von 3,4–8,2 mm, für die Superiorhebung von 21,2–33,9 mm; (› Kap. 2.1.3). Durch die Larynxhebung • wird die pharyngeale Boluspassage freigegeben, • ermöglicht die Raumerweiterung den Unterdruck für den Bolustransport (hypopharyngealer Sog),

7

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7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

• fördern Zungenretraktion und Druck des Zun­

gengrundes auf den Kehldeckel die Epiglottisnei­ gung, • wirkt der Zug am Krikopharyngeussegment an der Ösophagusöffnung mit.

Klinische Störungssymptome Störungen der Larynxelevation lassen sich in der kli­ nischen Beobachtung nur grob beurteilen. Der The­ rapeut kontrolliert während des Schluckens mit dem Schluckkontrollgriff durch Palpation die Larynxbe­ wegung von außen (› Abb. 7.5). Nach den obigen Angaben sollte die Hebung des Schildknorpels nach superior mindestens 2 cm betragen. Insbesondere die Ventralbewegung ist palpatorisch oft kaum wahrnehmbar.

Öffnung des Speiseröhreneingangs

7

Folgende Komponenten bewirken die Öffnung des OÖS (Kahrilas et al. 1988): • Relaxation • Zug durch die Larynxelevation nach anterior • Bolusvolumen und -druck bestimmen die Öff­ nungsweite Die Sphinkteröffnung wird also nicht allein durch die Relaxation bestimmt. Weitere wichtige Faktoren sind die Larynxelevation nach anterior sowie Bolus­ druck und -volumen. Isolierte krikopharyngeale Störungen ohne Einschränkung der Kehlkopfhe­ bung wurden bei neurologischen und karzinogenen Erkrankungen nur in etwa 6 % beobachtet (Loge­ mann 1988). So ist die Relaxationsstörung eher eine seltene Ursache für die beeinträchtigte Sphinkteröff­ nung.

OÖS-Öffnungsstörungen führen meist zu postdeglutitiver Aspiration durch Überlauf der Residuen aus den Sinus piriformes oder der Postkrikoidre­ gion. Ist der OÖS vollständig verschlossen oder nur minimal geöffnet, kann selbst der Speichel nicht ab­ geschluckt werden. Diese Patienten räuspern, manchmal im Abstand weniger Minuten, das Sekret hoch und spucken es aus. Residuen in den Recessus piriformes überprüft man durch die Phonationsproben B und C (s. o.).

7.3.4 Störungen der ösophagealen Phase Störungen der Ösophagusphase werden medika­ mentös oder/und endoskopisch interventionell oder/und chirurgisch behandelt und fallen nicht in den Bereich der funktionellen Therapie. Liegen so­ wohl oropharyngeale als auch ösophageale Schluck­ störungen vor, sind die Patienten besonders gefähr­ det. Deshalb beinhaltet die KSU orientierende Fra­ gen zur Refluxkrankheit und zu ösophagealen Moti­ litätsstörungen. In › Kap. 14 ist die Pathologie ösophagealer Schluckstörungen ausführlich darge­ stellt.

Klinische Störungssymptome Leitsymptome der Refluxkrankheit sind: • Sodbrennen • Regurgitation (Wiederhochwürgen) • Saures Aufstoßen Als Leitsymptome ösophagealer Motilitätsstörungen gelten: • Steckenbleiben von Nahrung in der Speiseröhre • Schmerzen hinter dem Brustbein

Klinische Störungssymptome Stauen sich Bolusreste über dem Speiseröhrenein­ gang („Postkrikoidregion“) und in den Sinus prifor­ mes, klagen die Patienten häufig über das „Steckenbleiben der Nahrung“ im Rachen. Bei intakter Sen­ sibilität zeigen sie auf die seitliche Halsregion, unter­ halb der Schildknorpelprominenz.

7.4 Zusammenfassung Da der Schluckvorgang im Verborgenen abläuft, ist eine Aspiration klinisch nie direkt nachweisbar. Man ermittelt indirekte Anzeichen für ein erhöhtes Aspirationsrisiko.

7.4 Zusammenfassung

Wichtigste klinische Aspirationshinweise Nach Untersuchungen von McCullough et al. (2005) an 165 Schlaganfallpatienten erhöhen die folgenden klinischen Symptome das Aspirationsrisiko mindestens 3-fach (LR = Likelihood Ratio > 3). Anamnese • Pneumonie (aktuell oder Zeitraum nach Ereignis) • Schlechte orale Hygiene • Drooling („Sabbern“, Speichelaustritt) • Ernährung via Sonde Sensomotorik • Schwache Kaumuskulatur bilateral oder unilateral • Nasse/gurgelnde Stimme • Dysphonie • Strukturveränderungen weicher Gaumen (Atrophie) Direkte Schluckversuche (geprüft durch: Schluckkontrollgriff, Stimmprobe vor und nach Schluck) • 90-ml-Wassertest nicht erfolgreich • 10-ml-Wasserschluck nicht erfolgreich • 5-ml-Wasserschluck nicht erfolgreich • Angedickte Flüssigkeit nicht erfolgreich • Breiige Konsistenz nicht erfolgreich • Feste Konsistenz nicht erfolgreich Die besten Wahrscheinlichkeitsquotienten hatten die Schlucktests mit Flüssigkeiten. Dabei erreichte der 90-mlWassertest mit LR = 9,5 den höchsten Wert. Da sich dieser nicht bei jedem Patienten durchführen lässt, wurden in bestimmten Fällen kleinere Bolusvolumina und andere Konsistenzen überprüft.

Die Aspiration ist nicht das einzige wichtige Sym­ ptom einer Schluckstörung. › Tab. 7.1 fasst die verschiedenen klinischen pathologischen Merkmale zusammen und stellt ihnen Störungsursache und möglichen radiologische Beobachtungen gegenüber.

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Ziele der klinischen Schluck­ untersuchung Die KSU soll folgende Fragen beantworten: • Liegt eine Schluckstörung vor? • Welche Schluckphase(n) ist (sind) betroffen: oral/pharyngeal/ösophageal? • Welche neuromuskulären oder strukturellen Be­ einträchtigungen könnten die Störung verursa­ chen? • Sind apparative Zusatzuntersuchungen notwen­ dig? Wenn ja – welche Schlucktechniken/Boli sollen geprüft werden? • Sind Sofortmaßnahmen bezüglich Ernährung oder/und zum Schutz der Atemwege notwendig? Gravierende Eingriffe wie das Verbot der oralen Ernährung oder die Anlage eines Tracheostomas und einer geblockten Trachealkanüle erfolgen nach medizinischer Diagnosestellung unter Ein­ beziehung der apparativen Diagnostik. • Ist eine funktionelle Schlucktherapie indiziert? • Wie ist die Kommunikationsfähigkeit? Wie ist die Therapiefähigkeit (Belastbarkeit, Vigilanz, Auf­ merksamkeit, Kognition)?

Nachteile der KSU

• Screening-Methode, kein sicherer Nachweis der Dysphagie.

• Derzeit existiert kein Goldstandard für die KSU.

Tab. 7.1  Pathologische Symptome der KSU im Vergleich zur Störungsursache und zu möglichen radiologischen Beobachtungen Funktionelle, strukturelle ­Störungsursache

Pathologische Symptome der KSU Radiologische Beobachtungen

Orale Vorbereitungs- und orale Phase Eingeschränkter Lippenschluss und/ oder Kieferschluss

Speichel/Nahrung fließt aus dem Mund, unvollständiger Lippen- und/ oder Kieferschluss

Oraler Kontrastmittelaustritt, unvollständiger Lippen- und/oder Kieferschluss

Eingeschränkte Unterkiefer- und/oder Zungenlateralbewegungen, Koordinationsstörungen

Eingeschränkte Kaubewegungen, un- Unzerkaute Kontrastmittelreste auf der zerkaute Nahrungsreste auf der Zunge Zunge

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7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

Tab. 7.1  Pathologische Symptome der KSU im Vergleich zur Störungsursache und zu möglichen radiologischen Beobachtungen (Forts.) Funktionelle, strukturelle ­Störungsursache

Pathologische Symptome der KSU Radiologische Beobachtungen

Orale Vorbereitungs- und orale Phase Reduzierte Wangenkontraktion

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Nahrungsreste in den Wangentaschen Kontrastmittelreste in den Wangen­ taschen

Eingeschränkte Zungenschüsselbildung Nahrungsreste im Mundraum

Gestörte Bolusaufladung, Kontrast­ mittelreste im Mundraum

Eingeschränkte Zungenhebung

Vermehrte Probleme bei festen Speisen, Nahrungsreste auf der Zunge oder/und am Gaumen, verlängerte orale Phase (Schluckkontrollgriff)

Kontrastmittelreste auf der Zunge oder/und am Gaumen, unvollständiger Zungen-Gaumen-Kontakt, verlängerte orale Transitzeit

Eingeschränkte Retraktionsbewegung der Vorder- und Hinterzunge

Vermehrte Probleme bei festen Speisen, evtl. Nahrungsreste im Mundraum, verlängerte orale Phase (Schluckkontrollgriff)

Evtl. Kontrastmittelreste im Mundraum, verlängerte orale Transitzeit

Apraktische Zungenbewegungen (­jedoch kontroverse Diskussion, ob Schluckapraxie existiert!)

Verlängerte orale Phase (Schluck­ kontroll­griff), evtl. Husten

Suchbewegungen der Zunge zur Ini­ tiierung der oralen Phase oder/und während der Zungenrückwärtsbewegung, verlängerte orale Transitzeit, evtl. prädeglutitive Aspiration

Zungenstoß

Oraler Nahrungsaustritt

Oraler Kontrastmittelaustritt, Anteriorbewegung der Zunge

Pumpbewegungen der Zunge

Verlängerte orale Phase (Schluck­ kontroll­griff)

Wiederholte Pumpbewegungen der Zunge, verlängerte orale Transitzeit

Eingeschränkte Zungenkraft

Nahrungsreste am Gaumen, vermehrt mit Zunahme der Viskosität

Kontrastmittelreste am Gaumen

Vernarbte Zunge

Nahrungsansammlungen in den Narbenfurchen, verdickte Gewebeteile, verminderte Zungenelastizität

Kontrastmittelresiduen auf der vernarbten Zungenkontur

Teilresektion der Zunge

Nahrungsreste auf der Zunge oder in der Mundhöhle, evtl. Husten

Kontrastmittelresiduen auf der Zunge oder in der Mundhöhle, evtl. prädeglutitive Aspiration

Eingeschränkte orale Sensibilität

Verspäteter Beginn der oralen Phase (Schluckkontrollgriff), Nahrungsreste auf der betroffenen Seite, in der Mundhöhle, evtl. Husten

Verspäteter Beginn der oralen Phase, Kontrastmittelreste auf der betroffenen Seite, in der Mundhöhle, evtl. prädeglutitive Aspiration

Pharyngeale Phase Verzögerte Schluckreflexauslösung

Verspätete oder aufgehobene Hebung Verspätete pharyngeale Phase, Kon­ des Zungenbeins und Kehlkopfes trast­mittel fließt über die Zungenbasis, (Schluckkontrollgriff), evtl. Husten evtl. prädeglutitive Aspiration

Aufgehobene Schluckreflexauslösung

Keine Hebung des Zungenbeins und Fehlende pharyngeale Phase, Kon­ Kehlkopfes (Schluckkontrollgriff), häu- trast­mittel fließt in den Rachenraum, fig Ausspucken der Nahrung, Husten prädeglutitive Aspiration

Eingeschränkter velopharyngealer Ver- Niesen, Nahrungsaustritt aus der Nase Nasale Penetration des Kontrastmittels schluss Eingeschränkte Zungenbasisretraktion Fremdkörpergefühl im oberen Halsbereich, wiederholte Schlucke

Kontrastmittelresiduen in den Valle­ culae

7.4 Zusammenfassung

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Tab. 7.1  Pathologische Symptome der KSU im Vergleich zur Störungsursache und zu möglichen radiologischen Beobachtungen (Forts.) Funktionelle, strukturelle ­Störungsursache

Pathologische Symptome der KSU Radiologische Beobachtungen

Pharyngeale Phase Eingeschränkte pharyngeale Kontrak­ tion, unilateral

Fremdkörpergefühl im Hals, wiederhol- Einseitige Residuen in den Valleculae te Schlucke, evtl. Husten und Sinus piriformis, evtl. postdeglutitive Aspiration

Eingeschränkte pharyngeale Kontrak­ tion, bilateral

Fremdkörpergefühl im Hals, wiederhol- Residuen an der Rachenhinterwand te Schlucke, veränderte Stimmqualität, und in den Sinus piriformes, evtl. postevtl. Husten deglutitive Aspiration

Vernarbungen der Rachenhinterwand

Fremdkörpergefühl im Hals, wiederhol- Eingeschränkte pharyngeale Kontrak­ te Schlucke, veränderte Stimmqualität, tion, Nahrungsreste in den Sinus pirievtl. Husten formes, evtl. postdeglutitive Aspiration

Pseudoepiglottis bei Laryngektomie

Fremdkörpergefühl im Hals, wiederhol- Tasche, in der sich Kontrastmittel ante Schlucke sammelt

Eingeschränkter Verschluss des Kehlkopfeingangs

Fremdkörpergefühl im Hals, evtl. Räus- Laryngeale Penetration, Residuen unpern, wiederholte Schlucke ter der Epiglottis, auf den Aryknorpeln

Eingeschränkter laryngealer Verschluss/ Veränderte Stimmqualität, evtl. Husten Eingeschränkter Stimmbandschluss eingeschränkte Kehlkopfhebung (a.–p. Projektion), evtl. intradeglutitive Aspiration Eingeschränkte oder fehlende Öffnung Wiederholtes Schlucken, Rachen reini- Residuen in den Sinus piriformes, evtl. des OÖS/eingeschränkte Kehlkopfhe- gen, veränderte Stimmqualität, Hoch- postdeglutitive Aspiration bung räuspern der Nahrung, evtl. Husten Ösophageale Phase Motilitätsstörungen der Speiseröhre

Gefühl des Steckenbleibens von Nahrung in der Speiseröhre, Schmerzen hinter dem Brustbein

Kontrastmittel staut sich in der Speiseröhre, evtl. postdeglutitive Aspiration

Refluxkrankheit (funktionelle oder strukturelle Insuffizienz des UÖS)

Sodbrennen, Regurgitation (Wiederhochwürgen), saures Aufstoßen

Kontrastmittel fließt aus dem Magen zurück in die Speiseröhre, evtl. post­ deglutitive Aspiration

Tracheoösophageale Fistel

Husten

Eindringen von Kontrastmittel aus dem Ösophagus in die Trachea, postdeglutitive Aspiration

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7

7  Aspirationsschnelltest und klinische Schluckuntersuchung

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KAPITEL

8

Heidrun Schröter-Morasch

Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­ suchung der Schluckfunktion

8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3

Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestandteile der klinischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsmethoden und Beurteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchung des fazialen, oralen und oropharyngealen Bereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172 172 173 176

8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3

Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transnasale Videoendoskopie des Schluckvorgangs (FEES) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transorale Evaluation des Schluckvermögens (TOES) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsmodalitäten und Beurteilungskriterien der video­endo­skopischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begleitende Untersuchung der Stimm- und Sprechfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der Videodokumentation der erhobenen Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der erhobenen Befunde, Skalen und Scores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180 184 189

8.2.4 8.2.5 8.2.6

191 202 202 203

8

172

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Aus didaktischen Gründen ist die radiologische Diagnostik bereits in › Kap. 6 dargestellt worden. Die Beschreibung der Bewegungsabläufe bei der röntgenkinematografischen bzw. videofluoroskopischen Untersuchung ermöglicht das Verständnis der komplexen Vorgänge bei der Nahrungsaufnahme am besten. In der Praxis müssen Anamnese, eventuell Aspirationsschnelltests und klinische Befunderhebung am Anfang stehen (› Kap. 7; ausführliche Darstellung im „Protokollbogen Klinische Schluckuntersuchung“ online unter: www.elsevier.de). In Akutkliniken und Rehabilitationseinrichtungen werden sie in der Regel zunächst von speziell ausgebildeten Therapeuten durchgeführt. Anamneseerhebung, allgemeinmedizinische Untersuchung sowie die Beurteilung der fazialen, oralen und oropharyngealen Strukturen und Funktionen müssen jedoch auch Bestandteil der phoniatrischen bzw. HNO-ärztlichen Untersuchung schluckgestörter Patienten sein und der endoskopischen Beurteilung von Velum, Pharynx und Larynx sowie der endoskopischen Überprüfung der Schluckfunktion vorangehen. Anzustreben ist eine ärztliche Untersuchung im Beisein und unter Mitarbeit des Therapeuten.

8.1 Klinische Untersuchung 8

8.1.1 Bestandteile der klinischen Untersuchung Die klinische Untersuchung eines Patienten mit Verdacht auf eine Schluckstörung beinhaltet die im Folgenden dargestellten Schritte. Diagnostische Schritte der klinischen Untersuchung • Anamneseerhebung • Allgemeinmedizinische Untersuchung • Klinische Untersuchung von am Schluckvorgang

beteiligten Strukturen mit Schluckversuchen unterschiedlicher Konsistenzen und Bolusgrößen

Anamnese Die Anamneseerhebung schließt die Einschätzung des medizinisch-pflegerischen Status (Krankenakte, Befragung von Patienten, Angehörigen, Pflegepersonal) ein. Erfragt werden Informationen zu: • Grunderkrankung, Erkrankungszeitpunkt • Bisheriger Behandlung: – Bei Tumorpatienten: Art und Ausmaß der chir­urgischen, radiologischen und chemotherapeutischen Intervention (vorteilhaft: Einsicht in OP-Berichte, Bestrahlungsprotokolle, Berichte über Art und Umfang einer Chemotherapie) – Bei neurologischen Patienten: Läsionsort und -ausmaß, bisheriger Verlauf, Medikation • Ernährungsmodus im Verlauf: parenteral, enteral über Sonden, oral mit Modifikation der Nahrungsaufnahme, der Beschaffenheit der Nahrung • Zeichen von Mangelernährung und Exsikkose • Respiratorischem Status im Verlauf: Beatmung, Tracheotomie, pulmonale Komplikationen • Hinweisen auf Refluxsymptomatik • Beschwerden beim Essen und Trinken und beim Abschlucken von Speichel; nach Whright und Ellis (1997) korrelieren die subjektiven Beschwerden der Patienten stark mit der Lokalisation einer oropharyngealen Dysphagie; ösophageale Störungen weisen ein diffuseres Beschwerdebild auf

Allgemeinmedizinische Untersuchung Diese schließt folgende Punkte ein: • Orientierende Prüfung von Hirnleistung und Kommunikationsfähigkeit: Wachheitsgrad, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Konzentration; visuelle, akustische, taktil-kinästhetische Wahrnehmung; Vorhandensein eines Neglekts, einer Apraxie; Sprachvermögen • Orientierende Prüfung der Gesamtmotorik: Haltung, Kopf- und Rumpfkontrolle, Paresen, Ataxie, Hyperkinesen, Dystonien; Beurteilung von HWS, Hals- und Nackenmuskulatur sowie Schilddrüse • Ernährungsmodus: Partiell/vollständig parenteral oder enteral über Sonde (nasogastral, perkutan-endoskopische Gastrostomie, Jejunostomie); oral mit oder ohne Modifikation der Konsistenz

8.1  Klinische Untersuchung und Beschaffenheit der Nahrung; Zeichen von Mangel­ernährung und Exsikkose • Respiratorischer Status: Zeichen pulmonaler, eventuell aspirationsbedingter Komplikationen; Tracheotomie, Kanülenart, Beatmung

Klinische Untersuchung der am Schluckvorgang beteiligten Organe Sie beinhaltet folgende Punkte: • Beurteilung der Strukturen: visuelle und taktile Untersuchung • Einschätzung nichtsprachlicher Funktionen • Untersuchung von Atmung, Stimmgebung und Artikulation • Überprüfung der Sensibilität und Reflexauslösbarkeit • Beurteilung der Fähigkeit des Abschluckens von Speichel und Sekret • Überprüfung willkürlicher Reinigungsfunktionen (Husten, Räuspern)

8.1.2 Untersuchungsmethoden und Beurteilungskriterien Ursachengeleitetes Vorgehen Wie aus den vorangegangenen Kapiteln ersichtlich geworden ist, handelt es sich beim Schluckvorgang um einen hochkomplexen Bewegungsablauf, dessen Störungen in der Regel multifaktoriell bedingt sind. Es überlagern sich also mehrere ursächliche Faktoren (› Tab. 8.1). So ist eine Hirnverletzung oder Hirnerkrankung im Akutstadium häufig mit Bewusstseinsverlust und

173

Störungen von Atmung und Kreislauf verbunden. Die Aufrechterhaltung dieser vitalen Funktionen kann durch Langzeitintubation und Sondenernährung zusätzlich zum primären Krankheitsbild zu Folgeschäden im Pharynx- und Larynxbereich führen. Zudem weisen Patienten mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma neben der Hirnverletzung häufig periphere Nervenläsionen, Kieferfrakturen und Weichteilverletzungen auf. Außerdem können die Folgen globaler neuropsychologischer Störungen, z. B. Minderung von Aufmerksamkeit und Antrieb, den Schluckablauf beeinträchtigen. Bei Patienten nach Tumorbehandlung überlagern sich häufig strukturelle Defekte und Narben sowie Schädigungen von Hirnnerven und eventuell Bestrahlungsfolgen. Um eine Therapie zu ermöglichen, die sich an den pathophysiologischen Gegebenheiten orientiert, müssen die verschiedenen Störungsursachen und ihre Auswirkungen auf den Schluckvorgang präzise definiert werden. Dies gelingt nur, wenn über eine traditionelle HNO-ärztliche Untersuchung hinaus eine Prüfung schluckrelevanter Einzelfunktionen erfolgt (Schröter-Morasch, Graf 2014).

Bei der klinischen Untersuchung faziooraler, pharnygealer und laryngealer Strukturen handelt es sich somit um eine unter neurologischen Gesichtspunkten erweiterte Untersuchung, die nicht nur auf die Erkennung pathologischer Veränderungen der anatomischen Strukturen ausgerichtet ist, sondern die Prüfung motorischer, sensibler und sensorischer Funktionen der Hirnnerven und ihres integrierten Zusammenspiels beinhaltet (Daniels, Huckabee 2014; Langmore 2001; Schröter-Morasch 1993; Sonies et al. 1987).

Tab. 8.1  Ursachen des gestörten Schluckakts Ursächliche Faktoren

Beeinträchtigungen mit Auswirkungen auf den Schluckakt

Folgen von Erkrankungen, Verletzungen oder Behandlungen einer Grunderkrankung (z. B. Schlaganfall, Tumorbehandlung)

• Beeinträchtigung der zentralen sensomotorischen Steuerung • Störung der peripheren Nervenversorgung • Masse-/Strukturveränderungen an den Organen selbst, z. B. Schleim-

Mögliche zusätzliche Störungen

• Beeinträchtigung der Körpermotorik • Kognitive Beeinträchtigung • Funktionelle Fehlanpassung

haut-, Muskulatur-, Gelenk- und Gebissveränderungen, Narben

8

174

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Untersuchungsmethoden und ­Beurteilungskriterien Der Untersuchungsablauf mit den entsprechenden Einzelschritten ist im Protokollbogen der KSU dargestellt und wird in › Kap. 7 erläutert. Im Folgenden werden spezielle Aspekte im Hinblick auf die Erfassung und die Interpretation der erhobenen Befunde aufgeführt. Die Besonderheiten bei der klinischen Untersuchung und der Beurteilung schluckgestörter Patienten hat Bosma bereits 1976 eingehend dargestellt: Beurteilung mit „Auge, Ohr und Hand“:

Visuelle Beobachtungen Inspektiv erfasst werden demzufolge vor der pharyngolaryngologischen Untersuchung: • Allgemeinzustand des Patienten • Reaktionsvermögen • Kopf- und Körperhaltung • Mimischer Ausdruck • Bewegungen beim Sprechen • Vorhandensein einer Ernährungssonde und/oder eines Tracheostomas

Auditive Beobachtungen Auditiv kann eine Beeinträchtigung der Stimmqualität auf eine mögliche Störung der Glottisschlussfunktion beim Schluckakt hinweisen. Aphonie oder 8

Rauigkeit können durch eine Parese bedingt sein, Stimmzittern durch Hyperkinesen (Schröter-Morasch und Hoole 1998). Ein rasselndes, brodelndes Atemgeräusch und/oder eine gurgelnde oder sehr raue Stimme werden häufig durch den Überlauf von Speichel oder Speisebrei in den Kehlkopfeingang bzw. die Glottis verursacht (Groves-Wright et al. 2010). Räuspern oder Husten kann durch nicht abgeschluckte Substanzen im Pharynx oder deren Eindringen in den Kehlkopfeingang oder in die Trachea bedingt sein. Dysarthrische Störungen lassen sich als Hinweis auf Bewegungsstörungen im oralen, pharyngealen oder laryngealen Bereich interpretieren.

Palpation Durch Palpation werden geprüft: • Tonus der Kau-, Wangen-, Lippen-, Mundboden-, Zungen- und Halsmuskulatur • Passive Beweglichkeit des Unterkiefers • Bewegungen von Kehlkopf und Zungenbein Die inspektive bzw. endoskopische Untersuchung der am Schluckvorgang beteiligten Organe erfasst 3 Bereiche, deren Topografie in › Abb. 8.1 dargestellt ist. Modalitäten der klinischen Untersuchung Die Untersuchungsmodalitäten bleiben in allen 3 anatomischen Bereichen gleich: • Ruhebeobachtung • Beobachtung reflektorischer Bewegungen • Beurteilung von Willkürbewegungen • Untersuchung der Sensibilität

Ruhebeobachtung

Abb. 8.1  Bereiche der klinischen Untersuchung

Es erfolgt die Beurteilung von: • Form und Lage der knöchernen Strukturen • Oberflächenbeschaffenheit (Haut, Schleimhaut) • Beschaffenheit (z.B. Sarkopenie) und Tonus der Muskulatur • Eventuell vorhandenen Hyperkinesen der Muskulatur Die strukturellen Veränderungen sind insbesondere bei Patienten nach Tumorresektion und eventuell Bestrahlungs- und Chemotherapie genau zu analy-

8.1  Klinische Untersuchung sieren, da sie Hinweise auf das mögliche Ausmaß der Schluckstörung geben können.

Reflektorische Abläufe Die Beurteilung erfolgt nach: • Auslösbarkeit • Radius • Tonus und Tempo Eventuell vorhandene Hyperkinesen sind zu berücksichtigen. Emotionale Reaktionen und pathologische Reflexe • Die

Beobachtung emotionaler Regungen wie Lachen, Weinen oder Stöhnen ist wichtig. Diese können als unwillkürliche Bewegungen Auskunft über die Intaktheit des 2. motorischen Neurons geben und sind daher diagnostisch sehr wertvoll (Hopf et al. 1992; Monrad-Krohn 1924). • Gleiches gilt für die Feststellung pathologischer Reflexe, z. B. oraler Such-/Greifreflex, Ansperren (Mundaufreißen), Beißreflex, Zungenstoß, als Zeichen zerebraler Desintegration. Diese sind häufig im Frühstadium bei Patienten nach schweren Hirnverletzungen zu beobachten und unbedingt zu dokumentieren. Sind sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorhanden, und ist der Patient dennoch z. B. zu willkürlicher Lippenprotrusion nicht imstande, so ist ein intaktes 2. motorisches Neuron zu vermuten. Folglich kann eine Störung des 1. motorischen Neurons, also eine zentrale Schädigung, angenommen werden.

Normale beobachtbare Reflexe • Masseterreflex: Kieferschlussbewegung nach passivem Öffnungsdruck auf den Unterkiefer • Palatalreflex: Anhebung des Gaumensegels nach Berührung der vorderen Gaumenbögen • Würgreflex: Schutzreflex gegen das Eindringen zum Schlucken ungeeigneter Substanzen; bei Berührung der hinteren Mundhöhle bzw. Rachenhinterwand Kontraktion von Pharynx, Anhebung des Gaumensegels, Kehlkopfverschluss und -anhebung • Hustenreflex: Bei Berührung der laryngealen Epiglottisfläche, des Kehlkopfeingangs und der Stimmlippen abrupter Verschluss von Glottis und/oder supraglottischen Strukturen sowie ex-

175

plosionsartige Sprengung der Glottis durch erhöhten subglottischen Druck Der Hustenreflex ist der wichtigste Schutzreflex gegen das Eindringen von Substanzen in die tiefen Luftwege.

• Schluckreflex: Multimodale Auslösung im hinte-

ren Bereich der Mundhöhle oder im Oropharynx mit Einleitung der pharyngealen Phase des Schluckvorgangs (› Kap. 2) zum Transport des Bolus durch den Rachen in die Speiseröhre (velopharyngealer Verschluss, Rückführung der Zungenbasis, Pharynxkontraktion, Öffnung des OÖS) bei gleichzeitigem Schutz der tiefen Atemwege (Anhebung, Vorwärtsbewegung und Verschluss des Kehlkopfs).

Eingeschränkte Reflexauslösung Dies kann Zeichen einer Einschränkung oder Aufhebung der Berührungsempfindung, einer Störung der Reflexumschaltung im Hirnstamm oder einer Schädigung des peripheren motorischen Neurons sein. Beim Schluckreflex wird eine zeitliche Koordination auf kortikaler Ebene vermutet (Suntrup und Dziewas 2013; Oommen et al. 2011; Power et al. 2007).

Willkürbewegung Die intendierte (willkürliche) Beweglichkeit wird beurteilt nach: • Radius • Tonus • Kraft • Tempo • Vorhandensein von Hyperkinesen Zusätzlich ist auf die Flüssigkeit der Bewegung und ihre Zielgenauigkeit zu achten sowie das eventuelle Vorliegen eines Intervalls zwischen Aufforderung und Ausführung der Bewegung zu registrieren. Ersatzhandlungen, Überschusssymptome, Minus­symp­ tome, d. h. fragmentarische Bewegungen, oder andere Fehlhandlungen wie Annäherungssequenzen und Perseverationen können auf eine apraktische Symptomatik hinweisen. Die Kenntnis dieser Symptomatik liefert für den Therapieaufbau wichtige Informationen.

8

176

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Auf der genauen Beurteilung der reflektorischen und willkürlichen Beweglichkeit sowie des Muskeltonus beruht in der Hauptsache die Diagnose, ob es sich um eine periphere Nervenläsion oder um eine supranukleäre zentrale Schädigung handelt (› Tab. 8.2). Zentrale Bewegungsstörungen können ebenso wie an den Extremitäten auch an Gaumensegel und Kehlkopf einseitig oder beidseitig auftreten (Morasch et al. 1987; Morasch und von Cramon 1984).

An der Zunge kann eine Unterscheidung peripherer und zentraler Paresen klinisch oft nur durch die Beurteilung des Zungentonus mittels Palpation erfolgen, falls nicht Sulkusbildung und/oder Faszikula­ tionen für eine periphere Parese sprechen. Nicht immer lässt sich die Symptomatik eindeutig abgrenzen, da nicht selten peripheres und zentrales motorisches Neuron betroffen sind, z. B. bei einer Hirnstammschädigung, und in Phasen der Rückbildung wechselnde klinische Bilder vorhanden sein können.

Taktile Sensibilität

8

Auf die grundlegende Bedeutung der Wahrnehmungsfunktion für einen ungestörten Schluckablauf wurde in den vorangegangenen Ausführungen hingewiesen. Insbesondere bei neurologischen Erkrankungen und nach Tumorbehandlung sind Sensibilitätsdefizite häufig Ursache von: • Gestörter Boluskontrolle • Eingeschränkter Schluckreflextriggerung • Inadäquatem Kehlkopfverschluss • Fehlender Reinigung von Residuen, penetrierten oder aspirierten Substanzen

8.1.3 Untersuchung des fazialen, oralen und oropharyngealen Bereichs Untersuchung der vorderen Mundhöhle Struktur Eingangs müssen Lippenform und -funktion, Mund­ schluss, Kieferstellung und Zahnstatus beurteilt werden. Wird eine Prothese nicht getragen, kommt es bereits nach wenigen Wochen zu Veränderungen des Alveolarkamms. Dies ist bei sehr vielen Patienten nach intensivmedizinischen Maßnahmen der Fall. Dann muss häufig eine neue Prothese angepasst werden.

Bei Kindern ist die Beurteilung des stomatognaten Systems im Zusammenhang mit Störungen der Nahrungsaufnahme besonders wichtig. Veränderungen in der Struktur wirken sich bei ihnen noch stärker auf myofunktionelle Abläufe der Orofazialregion aus als bei Erwachsenen (Bigenzahn 2003). Patienten nach Tumorbehandlung weisen häufig massive Strukturdefizite und Zahndefekte auf sowie ausgedehnte Vernarbungen und Ödeme. Letztere können, auch im Bereich des äußeren Halses, erhebliche Behinderungen von Kopfhaltung, Mundbodenbeweglichkeit und Larynxelevation nach sich ziehen.

Tab. 8.2  Unterscheidungsmerkmale peripherer und zentraler Bewegungsstörungen der Schluck-/Sprechorgane Beurteilungskriterium

Periphere Parese

Zentrale Parese

Willkürbewegungen

Aufgehoben

Aufgehoben oder beeinträchtigt

Reflektorische und emo- Aufgehoben tionale Bewegungen

Erhalten

Muskeltonus

Erniedrigt

Anfangs erniedrigt, später erhöht

Muskelatrophie

Bei längerem Bestehen vorhanden, an der Zunge mög- Nicht vorhanden licherweise Ausbildung eines Sulkus (› Abb. 8.2)

Faszikulationen

Möglicherweise vorhanden

Nicht vorhanden

Hyperkinesen

Nicht vorhanden

Möglicherweise vorhanden

8.1  Klinische Untersuchung

177

Schleimhaut Ihre Beschaffenheit spielt eine wichtige Rolle bei Boluswahrnehmung, -formung und -transport. Entzündliche Veränderungen, Vernarbungen und Atrophien können diese Funktionen beeinträchtigen. Schleimhauttrockenheit (Xerostomie) kann bedingt sein durch folgende Faktoren: • Ungenügender primärer Mundschluss • Behinderte Nasenatmung mit sekundär ungenügendem Mundschluss • Ungenügende Flüssigkeitszufuhr (eventuell durch die Schluckstörung) • Ungenügende Speichelproduktion bei Erkrankung der Speicheldrüsen, als Folge bestimmter Medikamente oder einer Strahlentherapie (› Kap. 5) Ein verstärkter Speichelfluss kann primär als Folge der Hirnerkrankung auftreten, aber auch die Folge eines ungenügenden Mundschlusses oder eines verminderten Abschluckens durch eine reduzierte Schluckfrequenz und/oder einen ineffektiven Abtransport sein. Das Liegenbleiben von Speiseresten ist als Zeichen einer gestörten Boluswahrnehmung und/oder eines gestörten oralen Bolustransports zu werten.

Muskeltonus und Beweglichkeit Der Beurteilung des Muskeltonus und der Beweglichkeit kommt besondere Bedeutung zu. Ein herabhängender Unterkiefer kann sowohl durch eine ungenügende Tonisierung der Kaumuskulatur als auch durch einen zu hohen Tonus der den Unterkiefer absenkenden und retrahierenden Muskulatur bedingt sein (→häufiges Symptom nach Schädel-Hirn-Trauma). Ein ungenügender Lippenschluss kann auf einer zu hohen (Lippenretraktion) oder zu geringen Tonisierung beruhen, wobei der Bewegungsradius nicht notwendigerweise eingeschränkt sein muss. Wegen der großen Bedeutung der Zunge für den Schluckablauf werden charakteristische Zeichen einer peripheren und zentralen Parese nochmals gesondert in › Tab. 8.3 dargestellt: › Abb. 8.2 zeigt eine einseitige periphere Zungenparese mit Abweichen zur kranken Seite beim Herausstrecken und Sulkusbildung infolge Atrophie.

Abb. 8.2  Einseitige periphere Zungenparese mit Abweichen zur kranken Seite beim Herausstrecken und Sulkusbildung infolge Atrophie. [M858]

Diskrete Störungen lassen sich manchmal nur an der reduzierten Kraft beim Druck der Zungenspitze in die Wangentaschen erkennen (Hopf und Kömpf 2006).

Als Zeichen einer beidseitigen zentralen Parese bei Patienten mit schwerer Beeinträchtigung der willkürlichen Zungenmotorik kann trotz einer Hypotonie der Zunge gelten, wenn beim Versuch, die Zunge passiv herauszuziehen (z. B. im Rahmen einer transoralen Lupenlaryngoskopie), eine kräftige reflektorische Retraktion eintritt. Dies erschwert häufig die Untersuchung erheblich, ist aber ein Hinweis für die Intaktheit des 2. motorischen Neurons. In späteren Stadien ist die Zunge dann häufig aufgrund des Hypertonus in Ruhe retrahiert und nimmt beim Herausstrecken Zigarrenform an. Daraus ergibt sich, dass am Beginn einer Parese in Ruhe wegen der Hypotonie der Muskulatur in beiden Fällen eine Abweichung zur gesunden Seite zu beobachten ist. Diese Abweichung in Ruhe zur gesunden Seite bleibt bei unvollständiger Parese und damit ausbleibender Atrophie bestehen. Beim Her­ ausstrecken weicht die Zungenspitze sowohl bei peripherer wie auch zentraler Parese zur betroffenen Seite ab. Der Beurteilung des Muskeltonus kommt daher die wesentliche Bedeutung für die Entscheidung einer zentralen oder peripheren Parese an der Zunge zu. Die dagnostische Bedeutung dieser Untersuchung unterstreicht eine Studie von Leder et al. (2013). Sie

8

178

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Tab. 8.3  Form und Bewegungsmuster bei einseitiger peripherer und zentraler Parese der Zunge Beurteilungs­ kriterium

Periphere Parese

Zentrale Parese

Form/Lage in Ruhe

• Anfangs

Anfangs ebenfalls Abweichen zur gesunden Seite wegen Hypotonie der paretischen Seite; später Abweichen zur paretischen Seite wegen Verschmälerung der Zungenhälfte durch Hypertonie der Muskulatur

Abweichen zur gesunden Seite, da paretische hypotone Zungenhälfte breiter; später Abweichen zur paretischen Seite wegen Substanzverlust der Muskulatur durch Atrophie, evtl. mit Sulkusbildung und Faszikulationen • Bei unvollständiger Parese und fehlender Atrophie bleibende Abweichung zur gesunden Seite

Herausstrecken Abweichung zur paretischen hypotonen Seite durch Schub der gesunden Seite

fanden eine deutliche Korrelation zwischen (1) reduziertem Lippenschluss, (2) eingeschränkter Zungenbeweglichkeit, (3) fazialer Asymmetrie und in instrumentellen Untersuchungen nachgewiesenen Aspirationszeichen.

Taktile Sensibilität

8

Bei einer Störung im vorderen Bereich der Mundhöhle (sensibel versorgt durch den N. trigeminus) kommt es zur Beeinträchtigung der Bolusformung und zum Liegenbleiben von Substanzen, besonders in den Wangentaschen und seitlich unter der Zunge, bzw. zum Herauslaufen von Flüssigkeit und Speisebrei. Nicht selten klagen Patienten mit taktilen Sensibilitätsstörungen darüber, sich auf Zunge und Wangeninnenseite zu beißen und dies dann als sehr schmerzhaft zu empfinden. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Tempera­ tur in der Mundhöhle wird nur orientierend durch die Berührung mit einem kleinen Larynxspiegel geprüft, der entweder in kaltes oder in warmes Wasser getaucht wurde. Schwellenbestimmungen sind methodisch sehr aufwändig, und ihre klinische Relevanz ist fraglich. Auf die orientierende Prüfung sollte jedoch nicht verzichtet werden. Bei Patienten mit gestörter oraler Wärmeempfindung kommt es leider häufig zu Verbrühungen im Mund- und Rachenbereich. So z. B., wenn der Patient nicht bemerkt, dass der servierte Tee noch zu heiß ist, und das Pflegepersonal nicht entsprechend informiert wurde. Auch über ein gestörtes Kälteempfinden muss der Therapeut informiert sein, vor allem im Hinblick auf die Stimulationstherapie mit Thermosonden (› Kap. 10).

Abweichung zur paretischen Seite durch Hypertonie der Muskulatur

Untersuchung von hinterer Mundhöhle, Velum und Pharynx In der hinteren Mundhöhle ist vor allem bei Patienten nach Tumortherapie der Zunge, des Gaumens, des Pharynx und Larynx auf Schwellungen, Substanzdefekte und Narben zu achten, welche bei oberflächlicher Untersuchung unentdeckt bleiben, aber für eine Beeinträchtigung des Schluckvorgangs relevant sein können. Vorwölbungen der Rachenhinterwand müssen im Hinblick auf Veränderungen der HWS und auf Entzündungen und Abszesse abgeklärt werden (› Kap. 5).

Velum Bei der Beurteilung des Gaumensegels sind 2 Muskelgruppen mit unterschiedlicher Wirkungsweise zu berücksichtigen: • Hebende und spannende Wirkung des M. levator veli palatini und des M. tensor veli palatini • Absenkende Funktion der Gaumenbogenmuskeln M. palatoglossus und M. palatopharyngeus Es lässt sich nicht immer entscheiden, ob eine ungenügende Anhebung und damit ein unvollständiger velopharyngealer Verschluss auf einer Schwäche des M. levator beruht oder auf einer zu hohen Tonisierung der Gaumenbogenmuskeln. Letztere lässt sich an der Scharfkantigkeit des Gaumenbogens erkennen sowie an einem großen Abstand des Gaumensegels von der Rachenhinterwand. Eine insgesamt un­ genügende velare Tonisierung ist am ventralen Vorschieben des Gaumensegels während einer forcierten Ausatmung („Flattern im Luftstrom“) zu dia­gnostizieren.

8.1  Klinische Untersuchung Erfolgt bei der sekundenlang angehaltenen willkürlichen Phonation von [a:] und bei mehrmaliger Phonation von [a] keine Anhebung, muss man versuchen, den Palatal- oder den Würgreflex auszulösen. Lässt sich dabei eine reflektorische Anhebung beobachten oder erfolgt bei Lachen, Weinen oder Gähnen eine unwillkürliche Velumelevation, so handelt es sich um eine zentrale Parese. Wie die › Abb. 8.3 veranschaulicht, findet man z. B. bei rechtsseitiger zentraler Gaumensegelheberparese keine Anhebung rechts bei willkürlicher Phonation. Uvula und Gaumensegel werden dabei nach links verzogen. Es besteht nur linksseitig eine Grübchenbildung neben der Mittellinie des Velums, an der Ansatzstelle des M. levator. Bei Auslösung des Würgreflexes erfolgt jedoch eine beidseitige Anhebung. Lässt sich kein Würgreflex auslösen (häufiges Symptom z. B. nach Schädel-Hirn-Trauma), kann man mit dem flexiblen Endoskop untersuchen, ob beim Schluckvorgang eine Velumanhebung erfolgt. Erst wenn auch dies nicht der Fall ist, ist von einer peripheren Parese auszugehen.

Pharynx Die Kontraktion der Pharynxmuskulatur wird gleichzeitig mitgeprüft, sowohl bei der willkürlichen Phonation als auch bei Auslösung eines Würgreflexes. Bei dieser Untersuchung lässt sich jedoch nicht einschätzen, ob die Kontraktion normal oder einge-

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schränkt ist. Dies kann nur anhand des videoendoskopischen, radiologischen bzw. manometrischen Befundes beurteilt werden.

Überprüfung von Sensibilität und Reflexauslösbarkeit Beeinträchtigungen in der hinteren Mundhöhle können Zungengrund, Gaumenbögen, Gaumensegel- und Pharynxbereich betreffen. Sensibel versorgt ist die hintere Mundhöhle teils durch den N. trigeminus, hauptsächlich aber durch den N. glossopharyngeus bzw. den Plexus pharyngeus, den Äste des N. glossopharyngeus und des N. vagus bilden und der sympathische Fasern enthält. Die Beeinträchtigungen können zum einen die Ursache dafür sein, dass der Patient oropharyngeale Residuen nicht spürt und keine spontanen Reinigungsmanöver einsetzt. Zum anderen können sie eine Störung der Auslösung von Palatalreflex, Würgreflex und/oder Schluckreflex nach sich ziehen. • Bei Patienten nach Tumorchirurgie im Bereich des Pharynx und Larynx liegen häufig Störungen der Sensibilität durch Läsionen peripherer Nerven im Narbengebiet bzw. im Bereich von Lappentransplantaten vor. • Nach Bestrahlungen sind ausgedehnte Sensibilitätsdefizite häufig. • Bei Patienten nach Schlaganfall können – meist einseitig – Zungengrund, Gaumenbögen, Velum und Rachenhinterwand betroffen sein.

Abb. 8.3  Zentrale Gaumensegelheberparese rechts. [M858] a Keine Anhebung rechts bei willkürlicher Phonation. Grübchenbildung nur links (1), Verziehung der Uvula nach links; b Nach Auslösung des Würgreflexes kräftige gleichseitige Anhebung

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Ursachen der Störung der Schluckreflexauslösbarkeit bei neurologischen Patienten • Beeinträchtigung peripherer Nerven • Läsion im Bereich des Schlucksteuerungszentrums

im Hirnstammgebiet, das für die Informationsverarbeitung und Initiierung der integrierten motorischen Funktionen des Reflexablaufs verantwortlich ist • Kortikale Läsion mit der Folge einer Verzögerung der Schluckreflextriggerung

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Power et al. (2007) wiesen durch Videofluoroskopie (VFSS) bei 90 dysphagischen Patienten mit einseitigem Großhirninfarkt eine Korrelation zwischen Sensibilitätsstörung der Gaumenbögen, signifikant verlängerter Latenz der Schluckreflextriggerung (SRT) und Aspirationen im Vergleich zu 50 gesunden Personen nach. Oommen et al. (2011) fanden bei 52 Schlaganfallpatienten mit überwiegend einseitigen Großhirnläsionen im Vergleich zu 20 Gesunden ebenfalls eine verzögerte SRT mit Aspira­ tionssymptomatik. Eine wichtige Rolle des Schluckkortex scheint es also zu sein, eine intakte Sensibilität der Mundhöhle zu garantieren und die orale mit der pharyngealen Phase zeitlich so zu koordinieren, dass kein vorzeitiger Übertritt von geschlucktem Material bzw. keine Aspirationen stattfinden (Prosiegel et al. 2015). Die Aussagekraft der Auslösbarkeit des Würgre­ flexes für das Vorliegen einer Dysphagie ist noch nicht hinreichend geklärt. In früheren Untersuchungen korrelierten die Nichtauslösbarkeit des Würgreflexes und Störungen der Schluckfunktion nicht miteinander (Leder 1996). In einer Studie an 242 Patienten wiesen Ramsey et al. (2005) nach, dass nach Schlaganfall im Akutstadium eine Dysphagie signifikant häufiger bei solchen Patienten vorlag, bei denen sich kein Würgreflex auslösen ließ (88,6 %), als bei Patienten mit auslösbarem Würgreflex (31,3 %).

Dysphagiepatienten nach akutem Schlaganfall weisen nach dieser Studie zu 38 % keinen Würgreflex auf, Patienten ohne Dysphagie nur zu 3,5 %. Auch nach unseren Erfahrungen signalisiert ein Fehlen des Würgreflexes ein höheres Risiko für eine klinisch relevante Schluckstörung.

Umgekehrt darf aus einem vorhandenen Würgreflex keinesfalls auf einen ungestörten Schluckablauf geschlossen werden.

Es gibt jedoch Patienten, etwa nach Schädel-HirnTrauma, die zwar eine erhebliche Beeinträchtigung der Berührungsempfindung und der Würgreflexauslösbarkeit aufweisen, die aber keine merkbare Störung des Schluckablaufs zeigen, zumindest nicht mehr zum Zeitpunkt der Untersuchung. Diese Beobachtung spricht wohl für die große Kompensa­ tions­fähigkeit, die bei Störungen nur eines Aspekts des Schluckvorgangs bestehen kann. Treten moto­ rische oder kognitive Beeinträchtigungen hinzu, kommt es jedoch häufig zur Dekompensation.

8.2 Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion Historisches Durch die klinische Untersuchung inklusive schluckspezifischer Tests und deren Kombination (› Kap. 7.1) lassen sich nur unzureichende Aussagen über den Ablauf des Schluckvorgangs, die pathologischen Abweichungen und deren Folgen sowie die daraus resultierende Gefährdung des Patienten treffen. Daher sind bildgebende Untersuchungsmethoden für den „im Verborgenen ablaufenden“ Schluckvorgang mit möglichst hoher Validität und Reliabilität unerlässlich. Nach Einführung der Hochgeschwindigkeitskinematografie galt die radiologische Untersuchung der Schluckfunktion zunächst viele Jahre als Goldstandard (Logemann 1983; › Kap. 6). Bei optimaler Erfassung aller relevanten Parameter des Schluckvorgangs ist sie jedoch nicht überall verfügbar, zudem technisch aufwändig, mit Strahlenbelastung verbunden und nur bei kooperativen Patienten durchführbar. Nachdem im Jahre 1956 das erste flexible transorale Gastroskop patentiert worden war, entwickelten Sawashima und Hirose (1968) ein dünneres, durch die Nase in den Pharynx einführbares Gerät speziell zur Erfassung von Sprechbewegungen. Diese Technik wurde 1988 von Langmore, Schatz und Ohlsen

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion und 1991 von Bastian zur Beobachtung des Schluckvorganges eingesetzt und in entsprechenden Untersuchungsprotokollen beschrieben (Bastian 1993; Langmore 2001). In Deutschland erfolgte die endoskopische Beurteilung zunächst auch durch die TransOrale Endoskopie des Schluckvermögens (TOES) mit dem starren Lupenlaryngoskop (Schröter-Morasch 1993; Schröter-Morasch et al. 1999), dessen Bildqualität damals den flexiblen Endoskopen noch weit überlegen war. Allerdings besteht bei diesem Vorgehen die Einschränkung, dass die Beobachtung nur vor und nach dem Schlucken möglich ist und damit wichtige Parameter des Schluckvorganges nicht erfasst werden können (s.u.). Inzwischen sind die fiberoptischen Techniken weiterentwickelt worden und ihre Bildqualität starren Optiken gleichwertig. Analoge Aufzeichnungstechniken der erhobenen Befunde wurden durch digitale Verfahren ersetzt und erlauben eine zeitsparende Dokumentation und Analyse der Bewegungsabläufe in Slow Motion bzw. Einzelbildbetrachtung (Hey et al. 2015, 2011). Durch den Einsatz mobiler Untersuchungseinheiten („alles im Handkoffer“) ist es möglich geworden, sowohl Patienten in Kliniken auf unterschiedlichen Fachstationen – von der Intensivstation bis zur Orthopädie – als auch in Altenund Pflegeheimen zu untersuchen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Videoendoskopie als effizientes Instrumentarium zur Diagnostik und Therapieevaluation etabliert (Langmore 2017; Arens et al. 2015; Schröter-Morasch und Graf 2014; Warnecke und Dziewas 2013). Sie gehört nach dem heutigen Stand des Wissens unverzichtbar zur Basisuntersuchung in der Beurteilung jedes Patienten mit Verdacht auf eine Schluckstörung.

Die videoendoskopische Untersuchung (Protokollbogen online unter www.elsevier.de) hat sich einerseits bei der Erfassung einer Aspiration gegenüber der klinischen Beurteilung als überlegen erwiesen (Leder und Espinosa 2002; Lim et al. 2001; Rosen et al. 2001), und sich andererseits bei der Erfassung von Residuen, Penetration und Aspiration gegenüber der radiologischen Untersuchung als gleichwertig effizient, teilweise auch überlegen, gezeigt (Pisegna und Langmore 2016; Giraldo-Cadavid et al. 2016;

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Butler et al. 2009; Kelly et al. 2007; Langmore 2003; Colodny 2002; Aviv 2000; Schröter-Morasch et al. 1999; Leder et al. 1998; Kaye et al. 1997; Wu et al. 1997; Murray et al. 1996; Kidder et al. 1994). Hoch anzusetzen ist der prädiktive Wert der en­ doskopischen Untersuchung: Nach einer Publika­ tion von Doggett et al. (2001) reduzierte die endo­ skopische Schluckuntersuchung signifikant die Anzahl der auftretenden Aspirationspneumonien in einem Zeitraum von 6 Monaten auf 0 im Vergleich mit einer Kontrollgruppe ohne Einbeziehung der Endoskopie in das Dysphagiemanagement. Die Untersuchung bedeutet nur eine geringe subjektive Beeinträchtigung der Patienten. Nach Stu­ dien scheint zudem eine Störung des Schluckvorgangs durch das liegende Endoskop nicht gegeben zu sein: Suiter und Moorehead (2007) führten bei 14 Personen eine videofluoroskopische Untersuchung des Schluckvorgang jeweils mit und ohne liegendes flexibles Endoskop durch und fanden keine signifikanten Unterschiede. Wie sich ein eingeführtes Endoskop bei Dysphagiepatienten auswirkt, ist jedoch noch nicht hinreichend geklärt.

Vor- und Nachteile der Video­endo­skopie Vorteile Die folgenden Vorteile weisen die transnasale Videoendoskopie als unverzichtbare Standard-Untersuchungsmethode im Management schluckgestörter Patienten aus: • Die an der oralen und pharyngealen Phase des Schluckakts beteiligten Strukturen, ein Teil ihrer schluckrelevanten Funktionen, deren zeitliche Abläufe und die Symptome der jeweiligen Störungen – Residuen, Penetration und Aspiration – können beurteilt, die Gefährdung des Patienten eingeschätzt und therapeutische Empfehlungen hergeleitet werden. • Sie ist bei Patienten durchführbar, die aufgrund schwerer Beeinträchtigungen wie Bewusstseinseinschränkungen oder mangelnder Kopf­k on­ trol­le/Rumpfstabilität radiologisch (noch) nicht untersucht werden können, z. B. auf Intensivstationen (Scheel et al. 2016; Dziewas et al. 2013; Hafner et al 2008; Ajemian et al. 2001; Leder et al.

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182

8

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

1998). Damit lässt sich beurteilen, ob sie zum Abschlucken von Speichel und Sekret in der Lage sind und/oder ob eine Aspirationssymptomatik mit evtl. Notwendigkeit einer Tracheotomie vorliegt (› Kap. 9). • Die Untersuchung eignet sich für Kinder (Reynolds et al. 2016; Willette et al. 2016; Böckler 2015; Bader, Niemann 2010; Willging und Thompson 2005; Leder und Karas 2000; Diesener 1999; Migliore 1999) und Patienten mit begrenzter Kooperationsfähigkeit, z. B. Patienten mit Demenzerkrankungen (Keller 2012; Rösler et al. 2008; Wada et al. 2001). • Strukturen und Einzelfunktionen lassen sich beurteilen, die radiologisch nicht oder nur unzureichend zu erfassen sind, z. B. Entzündungen, Weichteilschwellungen, Defekte, Narben (insbesondere nach Tumortherapie; Deutschmann et al. 2012), Tonusveränderungen oder diskrete Bewegungsstörungen (Pisegna und Langmore 2016). • Residuen und Aspirationen von Speichel sind nachweisbar (Neubauer et al. 2016, 2015; Ota et al. 2011; Rodrigues et al. 2011; Colodny 2002; Schröter-Morasch et al. 1999; Murray et al. 1996), die beim Schlucken von Fremdsubstanzen wie Kontrastmittel beim Röntgen, nicht in Erscheinung treten. • Die Untersuchung ist nicht invasiv, bedeutet eine geringe Belastung des Patienten und ist daher beliebig oft wiederholbar. Dadurch ist sie sowohl hervorragend zur Evaluation funktioneller therapeutischer Maßnahmen (FDT) geeignet als auch zur Überprüfung der Wirksamkeit erkrankungsspezifischer Medikation z. B. Tensilon bei Myasthenie, L-Dopa bei Morbus Parkinson und „progressive supranuclear palsy“ [PSP] (Suttrup et al. 2011; Warnecke et al. 2010, 2008). • Eine Strahlenexposition wird vermieden: Insbesondere Patienten mit Tumoren, aber auch Patienten nach Hirnverletzung (durch Unfälle oder zerebrovaskuläre Erkrankungen) müssen zur Behandlung der Grunderkrankung häufig geröntgt werden. Die Kumulation der Strahlenbelastung wird dabei oft zu wenig beachtet. • Eine transportable Endoskopieeinheit erlaubt die zunehmend unverzichtbare Untersuchung „vor Ort“, z. B. in allen Abteilungen eines Akutkrankenhauses oder in Reha-Einrichtungen. Auch in

Alten- und Pflegeheimen und bei bettlägerigen Patienten gewinnt die Notwendigkeit dieser Untersuchung immer mehr an Bedeutung (› Abb. 8.4; Kocdor et al. 2015; Keller und Durwen 2010; Barczi et al. 2000; Rehman und Knox 2000). • Sie eignet sich als Biofeedback-Verfahren (Denk und Kaider 1997; Bastian und Nagorski 1987). • Sie ist kostengünstiger als die radiologische Dia­ gnostik.

Abb. 8.4  a Untersuchungsturm der flexiblen endoskopischen Schluckuntersuchung mit Lichtquelle, Endoskop und Kamera, digitaler Aufzeichnung (PC) und Monitor (Fa. Xion) [K353] b Flexible endoskopische Schluckuntersuchung mit portabler Untersuchungseinheit am Bett des Patienten [T936]

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

Nachteile Den Vorteilen der Endoskopie als nichtinvasives Dia­gnose­instru­ment stehen gravierende Einschränkungen gegenüber: • Der Schluckvorgang ist nicht im vollständigen Ablauf zu erfassen: – Ungenügende Beurteilung der oralen Phase. – Ungenügende Sicht auf den Kehlkopf während der pharyngealen Phase: Zungengrund, Rachen und Kehlkopfstrukturen sind nur unmittelbar vor und nach der pharyngealen Phase erfassbar; während des reflektorischen Schluckablaufs kommt die Optik durch den „Mitnahmeeffekt“ des sich hebenden Velums und des sich kontrahierenden Pharynx meist in Kontakt mit der Rachenhinterwand. „White out“ (Murray 1999) ist die Folge. „White out“ Die resultierende kurzfristige Sichtunterbrechung schließt eine ausreichende Beurteilung der pharyngealen Phase mit den entscheidenden Komponenten Kehlkopfverschluss und Ösophagussphinkteröffnung nahezu aus.

• Keine Beurteilung der Ösophagusfunktionen. • Die Menge aspirierten Materials ist nicht einzuschätzen.

• Eine erhöhte Sekretproduktion erschwert möglicherweise die Untersuchung.

• Da das flexible Endoskop nur vom Naseneingang

aus dirigiert wird, kann bei Patienten mit ausgeprägten motorischen Störungen wie Paresen, Ataxie, Tremor oder Dystonie ein Positionieren und Ruhighalten des Endoskops während der Schluckmanöver erschwert sein (Migliore et al. 1999). • Schleimhautverletzung und -blutung können auftreten, insbesondere bei Patienten unter Marcumar-Medikation. • Es besteht die Gefahr der Auslösung eines vasovagalen Reflexes mit Hypotonie und Bradykardie, insbesondere bei Berührung der Epiglottis durch die Endoskopspitze, oder der Auslösung eines laryngealen Spasmus bei Berührung der Taschenfalten/Stimmlippen, wenn sich der Kehlkopf wäh­ rend des Schluckens hebt. Diese Ereignisse sind

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aber selten, und deshalb gilt die Methode auch im ambulanten Bereich als sicher und wenig belastend für die Patienten (Warnecke et al. 2009; Aviv 2005; Cohen et al. 2003; Aviv et al. 2000). ­Eine Studie von Nacci et al. (2016) bestätigte im Wesentlichen die Einschätzung dieser Autoren: bei über 2.800 Untersuchungen (48% davon mit Neurogener Dysphagie) fanden sich nur bei 4 Patienten Blutungen der Nasenschleimhaut, in 3 Fällen trat eine vasovagale Synkope auf und in 2 Fällen ein Laryngospasmus, letzterer bei 2 Pa­tien­ten mit ALS. Absaugmöglichkeit, Kreislaufbehandlung, Notfallkoffer, ggf. eine liegende Venenverweilkanüle sowie die Möglichkeit einer zeitnahen Notfallbronchoskopie sind für eine sichere Durchführung der flexiblen endoskopischen Schluckuntersuchung empfehlenswert (Mellies et al. 2008).

Konsequenzen für das diagnostische Vorgehen Wie die Nachteile der videoendoskopischen Dia­ gnostik verdeutlichen, lassen sich insbesondere einige pathophysiologische Ursachen einer Aspiration trotz hochgradig verbesserter Bildqualität endoskopisch nicht ausreichend sicher erkennen. Für eine Vielzahl klinisch relevanter persistierender Schluckstörungen ist daher eine radiologische Untersuchung als komplementäre Methode unverzichtbar (Langmore 2003). Eine Empfehlung zur radiologischen Untersuchung innerhalb der 1. Woche nach einem Schlaganfall, wie verschiedentlich angegeben, betrachten wir jedoch als problematisch bzw. nicht vertretbar: In der Akutphase, also in den ersten beiden Wochen nach dem Ereignis, kommt es bei ca. 50 % der Pa­ tien­ten mit Dysphagie zu einer Spontanremission, sodass in vielen Fällen eine Untersuchung mit re­ lativ hoher Strahlenbelastung nicht gerechtfertigt wäre. Als Erst- und Verlaufsuntersuchung hat die Video­endo­skopie die radiologische Untersuchung zweifelsfrei abgelöst. Als gemeinsames Ziel aller diagnostischen Bemühungen muss versucht werden, gleichsam einem Mosaik, ein möglichst genaues Bild der Natur der Schluckstörung zu erhalten.

8

184

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

• Die transorale Untersuchung mit dem starren

Ziele des diagnostischen Vorgehens • Einschätzung

der Gefährdung des Patienten hinsichtlich der Ernährung (kann ausreichend Nahrung/Flüssigkeit in angemessener Zeit aufgenommen werden?) und des Schutzes der tiefen Atemwege • Entscheidungshilfe: Indikation zur Speichelreduktion, Notwendigkeit einer Tracheotomie, Entblockung/Dekanülierung (› Kap. 9), Beginn von Schluckversuchen mit Nahrung, weiterer oraler Nahrungsaufbau • Abgrenzung struktureller und neurologischer Störungen und deren Charakteristik • Überprüfung der Effektivität von Haltungsänderungen, Modifikationen der Nahrung/Flüssigkeit • Festlegung weiterer diagnostischer Maßnahmen unter Berücksichtigung der Belastbarkeit des Patienten und des wirtschaftlich sinnvollen Einsatzes aufwändiger, kostenintensiver Untersuchungen • Indikationsstellung für die FDT auf der Basis der Ergebnisse der KSU und der endoskopischen Schluckuntersuchung • Kontrolle der Therapieeffektivität

Methodik Zur videoendoskopischen Untersuchung stehen 2 Methoden zur Verfügung: • Die transnasale Untersuchung mit einem flexiblen Endoskop (› Kap. 8.2.1) gilt als Standarduntersuchung

Lupenlaryngoskop (› Kap. 8.2.2) kann in manchen Fällen indiziert sein (s. u.). Beide Methoden zeigen Vorteile und Einschränkungen. Die Untersuchungsprinzipien und Beurteilungskriterien sind bei beiden Methoden gleich (› Abb. 8.5).

8.2.1 Transnasale Videoendoskopie des Schluckvorgangs (FEES) Instrumentelle Ausrüstung

• Fiberoptic Endoscopic Evaluation of Swal­

lowing (FEES; Langmore et al. 1988, 1991; Bastian 1991): Flexibles Rhinopharyngolaryngoskop, ca. 2,4 oder 3,5 mm dick • Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing with Sensory Testing (FEESST; Aviv et al. 1998): Flexibles Rhinopharyngolaryngoskop mit zusätzlichem Kanal für die Abgabe eines definierten Luftstromreizes zur Sensibilitätsprüfung • Flexibles Bronchoskop mit Absaugkanal zum Entfernen von Sekret und nichtabgeschlucktem Material sowie zur Flüssigkeitsabgabe; Eignung sowohl zur Sensibilitätsprüfung als auch zur Testung des Schluckvermögens; 4–6 mm dick (Wada et al. 2001; Gallenberger und Schröter-Morasch 1999; Anagnostopoulos-Schleep 1999)

8 Ruhebeobachtung: • Strukturen • Tonus • unwillkürliche Bewegungen

Prüfung der Beweglichkeit und Sensibilität = „endoskopische neurologische Untersuchung“

Prüfung der Schluckfunktion

Prüfung der Effektivität therapeutischer Manöver

Abb. 8.5 Untersuchungsmodalitäten der videoendoskopischen Untersuchung [M858]

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

• Für spezielle Fragestellungen (Videopanendoskopie ViP): Flexibles ultradünnes Endoskop mit einer Länge von 60 bis 100 mm, dessen Spitze um bis zu 200° für eine Inversions-Ansicht gebogen werden kann, zur gleichzeitigen Funktionsbeurteilung des Ösophagus (Herrmann, Arce-Recio 1997; Arens et al. 2015)

Fiberoptic Endoscopic Evaluation of Swallowing (FEES) Instrumentelle Ausrüstung

• Flexibles Rhinopharyngolaryngoskop Vorgehen Die Bestimmung der geeigneten Nasenhöhle erfolgt durch eine vorherige Spiegeluntersuchung. Bei unzureichender Durchgängigkeit ist eine Schleimhautabschwellung indiziert. Zusätzlich kann bei empfindlichen Patienten eine lokale Schleimhautanästhesie im vorderen Bereich des unteren Nasenganges mittels Xylocain-Gel das Druckgefühl bzw. eine Schmerzauslösung reduzieren. Das Gel kann auch um die Spitze des Endoskops appliziert werden und verbessert damit dessen Gleitfähigkeit. In Studien wurde gezeigt, dass geringe Mengen (0,2 ml 4% Lidocainspray) eines Lokalanästhetikums keine signifikante Beeinträchtigung des Schluckablaufs verursachen, jedoch eine deutliche Schmerzreduzierung bewirken mit der Folge, dass die Untersuchung besser toleriert wird (O´Dea et al. 2015). Die Verwendung von Spray erscheint uns jedoch wegen der Gefahr der Ausbreitung in den Pharynx und damit einer Sensibiltätsminderung als nicht geeignet. Leder et al. (1997) sahen nach einer prospektiven, randomisierten Studie keine Notwendigkeit für die Verwendung abschwellender und anästhesierender Medikamentenapplikation. Die Einführung erfolgt in der Regel im unteren Nasengang auf dem Nasenboden als anatomischer Gleitschiene. Zur Beobachtung der Velumhebung liegt die Spitze des Endoskops an der Grenze zwischen knöchernem und muskulärem Nasenboden im hinteren Drittel des unteren Nasengangs (› Abb. 8.6).

185

Zur Erfassung des velopharyngealen Verschlusses mit gleichzeitiger Pharynxkontraktion muss das Endoskop über den mittleren Nasengang eingeführt und die Spitze nach unten abgebogen werden. So wird eine Aufsicht auf Velum und sich kontrahierende Pharynxmuskulatur mit konzentrischem Verschluss möglich (Engelke 1990, › Abb. 8.6 d). Dies erfordert jedoch wegen der größeren Enge im mittleren Nasengang eine ausgedehntere Lokalanästhesie, die sich in den Rachen ausbreiten kann. In der Regel genügt es, das Endoskop im unteren Nasengang auf dem knöchernen Nasenboden bis zur Grenze zum muskulären Nasenboden vorzuschieben und den Patienten ein [i::] oder [k] artikulieren zu lassen. Dabei lässt sich die Anhebung des Velums beobachten (› Abb. 8.6 c), ein unvollständiger Verschluss wird bei Phonation und Artikulation meist am „Durchschlagen von Luft mit Speichelbläschen“ deutlich. Zur Beobachtung von Valleculae, Zungengrund, Pharynx und Larynx wird das Endoskop über das Velum durch den Epipharynx weiter in den Mesopharynx vorgeschoben (› Abb. 8.7). Die Lage der Endoskopspitze dicht unterhalb der Uvula wird auch als „obere Position“ oder „swallow position“ bezeichnet, da das Endoskop während des Schluckreflexablaufs in dieser Höhe verbleiben sollte, um die laryngealen Bewegungen nicht zu beeinträchtigen. Zur eingehenden Betrachtung des Kehlkopfeingangs, der Stimmlippen und der subglottischen Trachea kann die Endoskopspitze bis hinter die Epiglottis vorgeschoben werden. Vor Beginn des Schluckreflexes ist ein schnelles Zurückziehen zu empfehlen, um während der Kehlkopfhebung und -anteriorbewegung die Dorsalflexion der Epiglottis nicht zu behindern und keinen Berührungsreiz durch das Endoskop auszulösen (cave: vasovagaler Reflex). Nach Ablauf des Schluckvorgangs wird diese tiefere Position empfohlen, um eventuell penetriertes Material auch in geringer Menge zu erfassen und aspiriertes Material in Glottis und Trachea nachzuweisen („untere Position“ oder „postswallow position“). Ist der Patient tracheotomiert, kann man sowohl mit Blick durch die Trachealkanüle ihre Lage in situ überprüfen als auch nach Entfernen der Kanüle Trachea und Glottis beurteilen. Das Endoskop wird dann in das Tracheostoma eingebracht, die Endo­ skop­spitze nach oben gebogen und die Glottis von

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

4 2

5

3

a

b

1

1

c

d

Abb. 8.6 Transnasale Velumbeobachtung. a Eingeführtes Endoskop mit der Spitze an der Grenze zwischen knöchernem und muskulärem Nasenboden; b Velum in Ruhe – 1 Velum; 2 Rachenhinterwand; 3 seitliche Nasenwand; 4 Tubenostium; 5 Septum [M858]; c Velumanhebung bei der Phonation (Endoskopie) [M858]; d Konzentrischer velopharyngealer Verschluss beim Schlucken [M858]

8

2

3

1

a

b

Abb. 8.7  a Position des flexiblen Endoskops zur Beobachtung von Zungengrund, Pharynx und Larynx; b Aufsicht auf Hypopharynx und Larynx. Prädeglutitives Leaking (1), Pooling (2) und Penetration (3) von grüner Götterspeise bei Z.n. Hypopharynx-Tumor-Op. links [T936]

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

187

a

Abb. 8.8  a Transstomatal eingeführtes, nach oben abgebogenes Endoskop zur retrograden Glottisbeurteilung; b „Retrograde Laryngoskopie“ mit spontanem Speicheldurchtritt bei Respiration durch die Glottis ohne Hustenreiz („silent aspiration“) [M858]; c Durchtritt (Aspiration) grün gefärbter Götterspeise während des Schluckreflexablaufs [M858]

b

unten betrachtet („retrograde Laryngoskopie“). Auf diese Weise lassen sich Tracheostoma und subglottische Trachea beurteilen, sind spontane Speichelaspirationen erfassbar, aber auch Aspirationen nach Gabe von Nahrung und Flüssigkeit (› Abb. 8.8). Dies erfordert Übung und große Vorsicht, um eine Berührung der Trachealschleimhaut mit Auslösung eines Hustenreizes, der sehr heftig sein kann, zu vermeiden.

c

Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing with Sensory Testing (FEESST) Instrumentelle Ausrüstung

• Speziell für diesen Zweck entwickeltes Rhinopha-

ryngolaryngoskop mit einem Kanal zur Abgabe eines definierten Luftstroms (Fa. Pentax Preci­ sion Instrument, Orangeburg, New York) auf den Kehlkopf. (z. Zt. kommerziell nicht verfügbar, Langmore 2017).

8

188

8

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Vorgehen

Tab. 8.4  Einteilung der Sensibilitätsstörung in Schweregrade

Durch den Luftkanal des Endoskops wird ein 50 ms dauernder Luftstrom mit einer Intensität (APP = Air Pulse Pressure) von 0–15 mmHg abgegeben. Gewertet werden die Angaben der Patienten, ob und bei welcher Stärke sie den Stimulus spüren (Aviv et al. 1998), und/oder die Auslösung des Laryngealen AdduktionsReflexes (LAR) = kurzer Glottisschluss als Reizantwort; Aviv et al. 1997, 2002). Die Untersuchung wird auch als Laryngopharyngeal Sensory Discrimination Threshold Testing (LPSDT) bezeichnet. Als Resultat der Schwellenbestimmung ist die Sensibilitätsstörung in Schweregrade eingeteilt worden (› Tab. 8.4). Bei Gesunden beträgt die Schwelle ca. 2,9 ± 0,7 mmHg (Aviv et al. 1998). Mehrere Autoren wiesen in Studien eine Korrelation zwischen pharyngolaryngealen Sensibilitätsstörungen, einer Störung des LAR und dem Auftreten von Aspirationen nach (Schindler et al. 2010; Sasaki et al. 2005; Aviv et al. 2002; Setzen et al. 2003), die insbesondere bei zusätzlichen motorischen pharyngealen Defiziten zu beobachten sind. Cunningham et al. (2007) fanden allerdings bei 4 von 22 gesunden Probanden eine um mehr als 4 mmHg erhöhte Sensibilitätsschwelle, sodass weitere Studien zur Validierung erforderlich erscheinen. Als Alternative verglichen Kaneoka et al. (2015) diese Testung mit dem „Touch test“: mittels Endoskopspitze erfolgt eine Berührung von Epiglottisrand oder Aryknorpel, die als Indiz einer intakten Sensibilität gelten: Spüren der Berührung, Verziehen des Gesichts, Husten, Schlucken, Niesen. Es erwies sich, dass bei Normalpersonen, Parkinsonpatienten und Patienten nach Radiotherapie von Kopf-Hals-Tumoren der FEESST zwar häufiger als pathologisch gewertet werden musste, nicht aber mit dem gleichzeitig erhobenen PAS (Penetration-Aspiration Score, Rosenbek et al. 1996, › Kap. 8.2.6) korrelierte. Dagegen war eine durch den Touchtest ermittelte reduzierte laryngeale Sensibilität mit einem erhöhten Schweregrad des PAS assoziiert. Allerdings kann die Endoskopberührung bei intakter Sensibilität als äußerst unangenehm empfunden werden, auch die Gefahr des Laryngospasmus ist zu berücksichtigen. Ein Urteil über eine reduzierte Sensibilität kann unserer Meinung nach auch

APP-Schwelle zur Auslösung des laryngealen Adduktionsreflexes (LAR)

Schweregrad

< 4,0 mmHg

Normal

4,0–6,0 mmHg

Mittelgradig

> 6,0 mmHg

Schwer

durch die Beobachtung einer reaktionslosen „stillen“ Penetration/Aspiration getroffen werden oder mittels der Reizung durch den Arbeitskanal eines Bronchoskops transnasal eingebrachter Flüssigkeit (s.u.)

Pharyngolaryngoskopie mit broncho­ skopischer Untersuchung Instrumentelle Ausrüstung

• Bronchoskop mit integriertem Absaug-/Arbeitskanal

Vorgehen Mit einem transnasal eingeführten flexiblen Bronchoskop kann am Beginn oder während einer bronchoskopischen Untersuchung auch eine Untersuchung von Velopharynx, Pharynx und Larynx sowie eine Schlucküberprüfung erfolgen. Dies bietet sich vor allem bei Patienten auf Intensivstationen und bei Patienten mit reduzierter Bewusstseinslage bzw. Kooperationsfähigkeit an. Zu diesem Zweck kann über den Absaug-/Arbeitskanal des Endoskops Flüssigkeit (Wasser, Kochsalzlösung, Lokalanästhetika) in den Pharynx verabreicht werden, und die Auslösung und der Ablauf des Schluckreflexes sind unmittelbar beobachtbar (Gallenberger und Schröter-Morasch 1999; Wada et al. 2001). Zudem lässt sich bei diesem Vorgehen wie bei der Sensibilitätsprüfung mit Luftdruck (s. o.) beobachten, ob ein normaler laryngealer Adduktorreflex (LAR) bzw. ein normaler Hustenreflex ausgelöst wird. Durch vorsichtige Berührung der Epiglottis, der aryepiglottischen Falten, der Taschenfalten, der Aryknorpel und der Stimmlippen mit der Endoskopspitze kann man auch bei dieser

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion Untersuchung versuchen, eine entsprechende Reaktion auszulösen und damit eine Einschätzung der reflektorischen Verschluss- und Schutzfunktion des Kehlkopfs zu erhalten. Die Ergebnisse dieser Prüfungen sind insbesondere bei Entscheidungen über eine Kanülenentblockung/Dekanülierung tracheotomierter Patienten wichtig (› Kap. 9.2.6)! Vor Einbringen eines Lokalanästhetikums kann bei wachen Patienten eine Schluckuntersuchung mit Nahrung und Flüssigkeit erfolgen (entsprechend einer FEES). Nach der Passage der (im Anschluss an die Schluck­prüfung normalerweise anästhesierten) Glottis ist die Beurteilung von Trachea und Bron­chial­ system möglich und damit die Erfassung aspirierter Substanzen, die in die tiefen Luftwege gelangt sind.

Vorteile der Untersuchung

• Art und Menge des aspirierten Materials sowie

entzündliche Reaktionen des Bronchialsystems werden direkt erfasst. • Das Entfernen von aspiriertem Fremdmaterial (nicht selten Sondenkost nach Erbrechen oder fehlerhafter Verabreichung) und Sekret (Bronchiallavage) sowie die Gewinnung von Material zur mikrobiologischen Diagnostik sind möglich. • Schluckreflexprüfung bei bewusstseinsgestörten Patienten ist möglich. • Bei tracheotomierten Patienten gibt die Bronchoskopie zusätzlich Auskunft über Lage und Beschaffenheit des Tracheostoma, erleichtert die Auswahl der geeigneten Kanüle, lässt den Kanülensitz einschließlich der Blockungsmanschette und einer eventuellen Fensterung einschätzen sowie mögliche Komplikationen erfassen (gebrochene Trachealknorpelspangen, Granulationen, Ulzera, die sich teilweise in gleicher Sitzung endoskopisch therapieren lassen, z. B. durch die Abtragung von Granulationen; › Kap. 9). • Eine „retrograde Laryngoskopie“ ist ebenfalls möglich und damit eine Beurteilung der Stimmlippen von unten sowie eine unmittelbare direkte Erfassung einer Aspiration (› Abb. 8.8). Die Beurteilung von Tracheostoma, Trachea und Kanülensitz sowie eine retrograde Laryngoskopie kann auch im Anschluss an eine FEES-Untersuchung erfolgen, allerdings eingeschränkt durch die

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fehlende Absaugmöglichkeit und eine weniger gute Einschätzung von Weite und Stabilität der Trachea, vor allem im subglottischen Bereich. Die Bronchoskopie ist unverzichtbar bei der Beurteilung von Dysphagiepatienten mit pulmonalen Komplikationen, bei Verdacht auf Trachealstenosen und -malazie, auf ösophagotracheale Fisteln und in vielen Fällen zur Beurteilung des Tracheostomas und der Trachealkanülensituation (› Kap. 9). Sie ist die einzige Untersuchungsmethode, mit der sich Aspirationsfolgen unmittelbar erfassen lassen (Gallenberger und Schröter-Morasch 1999).

8.2.2 Transorale Evaluation des Schluckvermögens (TOES) Bei kooperativen Patienten kann im Rahmen einer HNO-ärztlichen bzw. phoniatrischen Untersuchung eine transorale Evaluation des Schluckvermögens mit dem Lupenlaryngoskop erfolgen (Schröter-Morasch 1993; Schröter-Morasch, Ziegler 2002; Curtis et al. 2016).

Instrumentelle Ausrüstung

• Starres Lupenlaryngoskop mit 90°- oder 70°-Winkel-Optik

Vorgehen Zunächst erfolgt eine übliche lupenlaryngosko­ pische Untersuchung mit Beurteilung des Hypo­ pharynx und Larynx (transorale Laryngoskopie; › Abb. 8.9 a). › Abb. 8.9 b–d zeigt die auf diese Weise einsehbaren Strukturen in verschiedenen funktionellen Positionen. Das Lupenlaryngoskop besteht aus einem starren Rohr mit einer 70° bzw. 90°-Winkel-Optik und dem Anschluss an eine Kaltlicht- bzw. LED-Lichtquelle. Während der Untersucher die herausgestreckte Zungenspitze mit einer Kompresse leicht festhält, wird das Laryngoskop oberhalb des Zungenrückens bis hinter das Velum in den Rachenraum eingeführt, sodass eine direkte Beobachtung der Hypopharynx- und Larynxstrukturen möglich ist. Bei einer Drehung um 180° lässt sich der Epipharynx einsehen.

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Die Untersuchung erfolgt in 3 Schritten wie bei der FEES: 1. Zunächst können bei eingeführtem Endoskop Strukturveränderungen, Pooling, Penetration und Aspiration von Sekreten erfasst, sowie Funktionsstörungen des Kehlkopfverschlusses und der pharyngealen Kontraktion beurteilt werden. Nach Entfernen des Endoskops erhält der Patient Nahrung/Flüssigkeit. 2. Unmittelbar nach dem Schluckvorgang wird das Endoskop wieder eingeführt und das „postdeglutitive Ergebnis“ beurteilt, v.a. im Hinblick auf Residuen, Penetration und Aspiration und die Reaktion des Patienten. Entfernen des Endoskops. 3. Nach Durchführung von Reinigungsmanövern und Schlucktechniken kann das Endoskop wieder eingeführt und die Resultate beurteilt werden. Der Patient muss also mehrfach endoskopiert werden. Daher ist eine hohe Kooperationsbereitschaft erforderlich.

Vorteile der Untersuchung

• Manche Patienten fürchten, besonders nach in-

tensivmedizinischer Behandlung mit nasaler Intubation, Magensonden, Absaugmanövern, „wieder einen Schlauch in der Nase“ und tolerieren eher eine Lupenlaryngoskopie. • Schlucken ist ohne jede Beeinträchtigung möglich. Dies ist besonders vorteilhaft bei Patienten, deren Reflexauslösbarkeit hochgradig gestört ist, und bei apraktischen Patienten, da es keine Interferenz durch den Fremdkörperreiz eines im Rachenraum liegenden Endoskops gibt wie bei der flexiblen Untersuchung. • Es besteht keine zeitliche Limitierung. Therapeutische Interventionen wie oben angegeben (Änderung von Nahrung, Haltung, Schluckmodus, Reinigungstechniken) können beliebig oft wiederholt werden.

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a

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Abb. 8.9  Transorale Laryngoskopie. a In den Pharynx eingeführtes Lupenlaryngoskop; b Respirationsstellung des Kehlkopfs – 1 Epiglottis; 2 Vallecula; 3 aryepiglottische Falte; 4 Sinus piriformis; 5 Aryknorpel; 6 Taschenfalte; 7 Stimmlippe; 8 Trachea [M858]; c Phonationsstellung des Kehlkopfs [M858]; d Kehlkopfverschluss beim Atemanhalten und Pressen [M858]

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

• Bei der Endoskopie hält der Untersucher die

Zunge und kann damit den Kopf des Patienten leichter führen. Dies wirkt bei motorisch beeinträchtigten Patienten stabilisierend. • Die erwähnten Risiken der transnasalen Untersuchung werden vermieden (› Kap. 8.2.1).

Nachteile der Untersuchung Das Informationsdefizit dieser Methode in Bezug auf ein vorzeitiges Abgleiten von Material aus der Mundhöhle in den Pharynx oder Larynx (Leaking, prädeglutitive Aspiration; › Abb. 8.7 b, c) ist ein gravierender Nachteil gegenüber der transnasalen Beurteilung. Ebenso wenig ist eine Einschätzung der Annäherung von Zungenbasis und Rachenhinterwand, der beginnenden Verschlussfunktion des Kehlkopfs sowie die Beobachtung der Wiederaufrichtung der Epiglottis nach Dorsalflexion während des Schluckreflexes möglich. Die Schwierigkeit kann bei dieser Untersuchung darin liegen, dass der Patient die Untersuchung wegen eines Würgreizes nicht toleriert. Die Mehrzahl dysphagischer Patienten weist jedoch erhebliche Sensibilitätsstörungen im Rachen auf. Dies gilt für neurologische Patienten und für Patienten nach Tumorresektionen und Bestrahlungen. Daher besteht die Würgreizproblematik nur selten, wenn der Patient mit der erforderlichen Ruhe und Vorsicht untersucht wird.

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Die Einschätzung der postdeglutitiven Symptome unmittelbar nach dem Schluckvorgang sowie der Überprüfung therapeutischer Manöver bedeutet in den meisten Fällen einen hohen Informationsgewinn im Hinblick auf Effektivität, Sicherheit und mögliche Störungsfaktoren des Schluckvorgangs.

8.2.3 Untersuchungsmodalitäten und Beurteilungskriterien der video­endo­ skopischen Untersuchung Für die Beurteilung der videoendoskopischen Schluckuntersuchung wurden bisher zahlreiche Untersuchungsprotokolle publiziert, es existiert jedoch kein Goldstandard (Langmore 1991; Murray 1999; Seidl et al. 2002; Dziewas et al. 2008; Ickenstein et al. 2009; Schröter-Morasch et al. 2010; Hey et al. 2011). Im „Bogenhausener Untersuchungsprotokoll für die videoendoskopische Schluckuntersuchung“ (ElsevierOnline-Portal: www.elsevier.de) sind die im Folgenden beschriebenen relevanten Parameter für die Untersuchung erfasst worden. Die Prinzipien der transnasalen und der transoralen endoskopischen Untersuchungsmethode sind im Wesentlichen gleich. Die Untersuchung gliedert sich dabei jeweils in 4 Modalitäten (› Tab. 8.5): 1. Ruhebeobachtung 2. Funktionsprüfungen (ohne Nahrung) 3. Überprüfung der Schluckfunktion mit Nahrung 4. Überprüfung der Effektivität kompensatorischer Schlucktechniken und Reinigungsmanöver

Schleimhautanästhesie der Mundhöhle und des Rachens vor einer Schluckprüfung ist kontraindiziert.

Fazit Die Überprüfung der Schluckfunktion mittels TOES ist zwar nur als „indirekte Beurteilung“ möglich, bei der die funktionellen Resultate des Schluckablaufs erfasst werden. Trotzdem können die Befunde ähnlich wertvolle Informationen liefern wie die trans­ nasale Untersuchung. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Erfassung von Residuen, Penetration und Aspiration (Schröter-Morasch et al. 1999; Schröter-Morasch und Ziegler 2002; Curtis et al. 2016), die Effekte therapeutischer Interventionen und die Therapieevaluation.

1. Untersuchungsmodalität „­Ruhebeobachtung“ Bei ruhiger Respiration werden die in › Tab. 8.5 aufgeführten Parameter beurteilt.

Strukturelle Veränderungen Zu achten ist auf (› Kap. 5): • Schleimhautbeschaffenheit • Symmetrie der Strukturen • Defekte • Narben • Ödeme

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Tab. 8.5  Beurteilungsparameter der pharyngolaryngoskopischen Untersuchung bei Dysphagie Untersuchungsmodalitäten Beurteilungsparameter

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1. Ruhebeobachtung

• Strukturveränderungen:

Defizite, Ödeme, Narben, Vorwölbungen der Rachenhinterwand, Entzündungszeichen (Reflux!) • Stellungsveränderungen der Stimmlippen, der Glottisachse, Tonus-(Form-)Veränderungen • Beeinträchtigung respiratorischer Bewegungen • Vorhandensein unwillkürlicher Bewegungen (Myoklonien, Tremor) • Zeichen des gestörten Schluckablaufs: Residuen von Speichel/Sekret und Penetration, Aspiration von Speichel/Sekret • Beobachtung der Reaktion des Patienten auf: Residuen, Penetration und Aspiration (reflektorisches Husten, spontanes Räuspern)

2. Funktionsprüfungen (­ohne Nahrung)

• Phonation

3. Überprüfung der Schluckfunktion mit Nahrung

• Bei • Bei

4. Überprüfung der Effektivität kompensatorischer Schlucktechniken und Reinigungsmanöver

• Effektiveres Abschlucken • Vermeidung von Penetration und Aspiration • Verringerung/Elimination von Residuen, Penetration,

auf [e:] (möglichst mit stroboskopischer Untersuchung): – Glottisschluss, Stimmlippentonus, Regularität, Ablauf der Schwingungen – Repetitive Phonation [e]: diadochokinetische Bewegungen – Glissando: Kehlkopfhebung, Verlängerung der Stimmlippen • Phonation auf [iii:] so hoch und so laut wie möglich: Pharynxkontraktion („­pharyngeal squeeze“) • Leichtes Atemanhalten: Glottisschluss • Festes Atemanhalten und Pressen: Verschluss der supraglottischen Strukturen • Willkürliches Husten: Glottisschluss, supraglottischer Verschluss mit Sprengung • Bei Vorhandensein von Residuen, Penetration und Aspiration von Speichel/Sekret: Überprüfung der Fähigkeit und Effektivität von Reinigungstechniken (Haltungsänderung, willkürliches Räuspern, Husten, Nachschlucken) • Eventuell Sensibilitätsprüfung: – Berührung mit dem flexiblen Endoskop (cave: vasovagaler Reflex, Laryngospasmus!) – Einbringen von Flüssigkeit durch den Arbeitskanal eines flexiblen Endoskops – FEESST (› Kap. 8.2.1) – Berührung mit gebogenem Watteträger (bei transoraler Lupenlaryngoskopie) Hinweisen auf Aspiration: zunächst Wasser, Eis, Götterspeise Vorhandensein von reflektorischem Husten oder gutem willkürlichem Abhusten: Verabreichung geeigneter flüssiger, breiiger fester Substanzen (› Kap. 8.2.3)

• Vorwölbungen der Rachenhinterwand

Entzündungszeichen des Hypopharynx können auf eine chronische Reizung durch retiniertes Material, z. B. Speichel, Sekret oder Nahrung, hinweisen. Entzündungen der Stimmlippen und der subglottischen Trachea können Hinweise auf chronische Aspirationen sein. Symptome eines möglichen laryngopharyngealen Refluxes Wegen der besonderen Gefährdung von Dys­pha­gie­pa­ tien­ten durch eine Refluxsymptomatik (cave: Aspiration von Magensaft!) ist auf ihre möglichen Manifestations-

Aspiration

zeichen (Powell und Cocks 2012; Messalam et al. 2007) in Hypopharynx und Larynx zu achten: • Ödeme der Larynxstrukturen • Pseudosulkus der Stimmlippen (infraglottisches Ödem von der vorderen Kommissur bis zur Hinterwand des Larynx) • Verdickung der Schleimhaut der Interarytenoidregion • Entzündungen, verstärkte Gefäßzeichnung, Ulzera und Granulationen von Aryknorpeln und Stimmlippen • Zäher Schleim in Hypopharynx und Larynx

Veränderungen des Krikoarytenoidgelenks können auf eine Sklerodermie oder eine rheumatoide Ar­ thri­tis (entzündliche Gelenkbeteiligung in 25–30 %!) hinweisen.

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

193

Als Veränderungen der Schleimhaut nach Radio(chemo)therapie sind zu beobachten: Rötung, Schwellung, Ulzera, später auch Atrophie und narbige Veränderungen, Trockenheit (› Kap. 5). Verdickung der Epiglottis Sie kommt am häufigsten nach Bestrahlung vor und weist auf eine mögliche Einschränkung ihrer normalen Dorsalflexion während des Schluckablaufs und damit auf ein Aspirationsrisiko hin (Garon et al. 2002).

Symmetrie der Sinus piriformes Ein verengter Sinus piriformis kann auf eine Hypertonie der Pharynxmuskulatur hinweisen. Eine Erweiterung hingegen kann Anzeichen eines Hypotonus aufgrund einer peripheren Parese sein (› Abb. 8.17).

Form- und Stellungsveränderungen Form und Stellung der Stimmlippen und der Glottis­ achse, der Aryknorpel, der Epiglottis sowie die respiratorischen Bewegungen der Stimmlippen können auf Tonusveränderungen hinweisen. Diese können Zeichen der zentralen oder peripheren Parese (› Kap. 4) und der von einer Parese betroffenen Muskeln sein (› Abb. 8.10 und › Abb. 8.11). Die häufig beobachtete einseitige zentrale Parese der Stimmlippen, die sowohl bei beidseitigen als auch bei einseitigen zerebralen Läsionen auftreten kann (Morasch und von Cramon 1984), bewirkt zwar keine Beeinträchtigung des Glottisschlusses beim Schluckvorgang, kann aber ein Hinweis auf eine mögliche gleichzeitige Parese der Pharynxmuskulatur mit Beeinträchtigung des Schluckakts sein. Eine zentrale Parese der rechten Stimmlippe zeigt › Abb. 8.10: Beginn der Untersuchung: rechte Stimmlippe paramedian, verdickt und verkürzt (› Abb. 8.10 a). Nach längerer Beobachtung bei maximaler Entspannung: nachlassender Tonus, normale Abduk­ tion der Stimmlippe (› Abb. 8.10 b). Phonation: seitengleiche Adduktion mit nicht ganz vollständigem Glottisschluss (› Abb. 8.10 c). Nach Beendigung der Phonation: Verharren der rechten Stimmlippe in Adduktionstellung (› Abb. 8.10 a).

8 Abb. 8.10 Zentrale Stimmlippenparese rechts. [M858] a Beginn der Untersuchung, Respiration, rechte Stimmlippe in Paramedianstellung, verdickt und verkürzt; b nach maximaler Entspannung vollständige Abduktion beidseits; c Phonation, gleichseitige Adduktion

Dieser Stellungswechsel während einer Untersuchung ist charakteristisch für eine Bewegungseinschränkung und Tonusveränderung bei zentralen Läsionen. Er ist jedoch nicht immer so deutlich ausgeprägt wie im vorliegenden Fall. Im Gegensatz dazu ist die Stimmlippe bei einer peripheren Parese – als Resultat einer Hirnnervenkernläsion oder einer Schädigung des N. re­cur­rens/

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion linksseitige) einseitige Kehlkopfparese vorliegt (Ortner-Syndrom, › Kap. 5).

Hyperkinesen

Abb. 8.11  Periphere Stimmlippenparese links mit Glottis­ schief­stand, Intermediärstellung und Exkavation der Stimm­ lippe. [M858] a Respiration; b Phonation, unvollständiger Glottisschluss

8

N. vagus – schlaff, exkaviert und meist in Intermediär- oder Lateralstellung (› Abb. 8.11). Betrifft die Schädigung den N. vagus selbst, resultiert oft ein Glottisschiefstand mit einer Rotation der hinteren Kommissur zur erkrankten Seite, verursacht durch das Überwiegen des Muskeltonus der gesunden Kehlkopfseite (Périé et al. 2003). Dies wird bei den Funktionsprüfungen deutlicher (s. u.). In einer Studie mit 2.650 Patienten, die wegen einer Dysphagie durch Videoendoskopie untersucht wurden, bestätigten Leder et al. (2012) die Ergebnisse einer früheren Untersuchung (Leder et al. 2005): Danach weisen ca. 4,5 % der zugewiesenen Dysphagiepatienten einseitige Stimmlippenparesen auf, mit Aspirationsraten von 37 % (Parese rechts), 42 % (Parese links) und 50 % (beidseitige Parese)! Ihr Aspirationsrisiko war etwa 2,5-fach höher als für Pa­ tien­ten ohne Parese, insbesondere bei Flüssigkeiten. Dies ist besonders für Patienten nach Herz- und Ösophaguschirurgie von Bedeutung, bei denen re­ lativ häufig eine (manchmal nur passagere, meist

Zum Vorkommen solcher unwillkürlicher Bewegungen › Tab. 8.2. Am häufigsten sind an Gaumensegel, Rachenhinterwand und Kehlkopf velopharyngolaryngeale Myoklonien zu beobachten. Dabei handelt es sich um rhythmische Bewegungen mit Frequenzen von 1–3/s, mit schnellerer Adduktions- und langsamerer Abduktionskomponente, erkennbar bisweilen schon von außen an nystagmusartigen Bewegungen des Kehlkopfs und/oder des Mundbodens/der Halsmuskulatur. Die Bezeichnungen Tremor und Myoklo­ nien sind dafür nicht einheitlich (› Kap. 4). Hyperkinesen sind immer Zeichen einer zentralen motorischen Störung und besonders häufig bei Patienten mit Kleinhirn- und/oder Hirnstammläsionen. Sie sind sowohl in Ruhe vorhanden als auch bei reflektorischen und intendierten Bewegungen und sogar im Schlaf. Bestehen sie nur einseitig und ist ihre Amplitude gering ausgeprägt, führen sie meist nur zur Beeinträchtigung der Stimmqualität (Rauigkeit) und Stimmbelastbarkeit, selten zu Schluckstörungen. Ein beidseitiger Myoklonus kann jedoch zu ständigem, intermittierendem „Auseinanderziehen“ der Stimmlippen führen und damit zu insuffizientem Glottisschluss mit der Folge des Stimmzitterns. Die Stimmstörung wird häufig durch Pressverhalten kompensiert. Beim Schlucken führt dieser insuffi­ ziente Glottisschluss nicht selten zur Aspiration (Schröter-Morasch und Hoole 1998). Der Patient muss dann durch Erlernen kompensatorischer Strategien den Kehlkopfverschluss herbeiführen. Nicht immer gelingt es, solche Patienten zu dekanülieren, da sie auch ständig Speichel und Schleim aspirieren. Auch am Kehlkopf können sich durch kernnahe Läsionen die Symptome einer peripheren und zentralen neuralen Schädigung überlagern, z. B. beim Wallenberg-Syndrom, das häufig zu Schluckstörungen führt.

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8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

Ansammlung von Speichel/Sekret/­ Speiseresten

eine stille Aspiration („silent aspiration“), dem bedrohlichsten Symptom einer Dysphagie.

Ansammlungen von Speichel und Sekret an den Hypopharynxwänden, in den Valleculae, den Sinus piriformes und in der Postkrikoidregion (= Residuen) sind immer Zeichen einer Schluckstörung, entweder als Folge einer reduzierten Schluckfrequenz oder einer reduzierten Transportfunktion. Speichel und Sekret können auch im Aditus laryngis (Penetration), in der Glottis und der subglottischen Trachea (Aspiration) beobachtbar sein. Lösen sie keinen Hustenreiz aus, handelt es sich um

Der Nachweis einer Speichel- und Sekretansammlung bereits zu Beginn der endoskopischen Untersuchung, noch vor Überprüfung des Schluckvermögens für Nahrung und Flüssigkeit, ist außerordentlich wichtig bei der Einschätzung der Gefährdung eines Dysphagiepatienten (Ota et al. 2011; Rodrigues et al. 2011) und ein herausragender Vorteil der endoskopischen Untersuchung, da Speichel und Sekret radiologisch nicht visualisierbar sind (Murray et al. 1996). Ihre Lokalisation ist schematisch in › Abb. 8.12 dargestellt. 3

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Abb. 8.12  Definition von Residuen, Penetration, Aspiration. a Kehlkopfschema mit Lokalisation von Residuen (1–5), Penetration (6–9), Aspiration (10) (Schröter-Morasch und Ziegler 2002); [L234] b Kehlkopfaufsicht mit Strukturbeschreibung (wie a), Respirationsphase; [M858] c Abgrenzung des Kehlkopfeingangs, Eindringen von Substanzen bis zur Glottis = Penetration; [M858] d Abgrenzung der Glottis, Eindringen von Substanzen bis unterhalb der Glottis = Aspiration (Murray 1999); [M858]

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

2. Untersuchungsmodalität „­Funktionsprüfungen“ Vor der Überprüfung mit Nahrung und Flüssigkeit erfolgt die Überprüfung schluckrelevanter Bewegungen von Pharynx und Larynx. Dabei ist die Erfassung des laryngealen Verschlusses von elementarer Bedeutung.

Kehlkopfverschluss Ein ausreichend fester, zeitgerechter Verschluss des Kehlkopfs während des Schluckens zum Schutz der tiefen Atemwege vor eindringenden Substanzen ist lebenswichtig!

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Ursachen einer primären Beeinträchtigung des laryngealen Verschlussmechanismus auf Glottisebene sind: • Stimmlippenparesen • Operationsdefekte • Fixation des Krikoarytenoidgelenks oder andere mechanische Behinderungen, z. B. nach Intubation oder bei Sklerodermie, rheumatoider Arthritis • Reduzierung der Kraft der medialen laryngealen Kompression, z. B. bei Parkinson, Encephalo­ myelitis disseminata, Atrophie der intrinsischen Larynxmuskulaur im Alter • Intermittierende Glottisöffnung durch Hyperkinesen mit ausgeprägter Amplitude, insbesondere als myoklones Syndrom (s. o.) Als Ursachen für die sekundären Beeinträchtigun­ gen des laryngealen Verschlussmechanismus ist zu denken an (› Kap. 2): • Unvollständige oder verspätete Auslösung des Schluckreflexes und/oder unvollständige oder aufgehobene Larynxelevation (Park et al. 2017; Power et al. 2007) • Reduzierte oder aufgehobene Kehlkopfsensibilität (Sasaki et al. 2005)

Funktionsprüfungen Mit den folgenden Tests prüft man die Voraussetzungen für den Kehlkopfverschluss auf Glottisebene oder durch die supralaryngealen Strukturen für mögliche kompensatorische Techniken: • Phonation auf [e:]: In mittlerer Stimmlage möglichst entspannt über mehrere Sekunden anhal-

ten; Beurteilung von Tonus und Beweglichkeit der Stimmlippen sowie Glottisschluss • Mehrmalige Phonation [e] kurz hintereinan­ der: Beurteilung der diadochokinetischen Beweglichkeit (bei spastischer Parese vermindert) • Eventuell Glissando: Erhöhung der Stimmlage mit entsprechender Veränderung von Form, Länge und Spannung der Stimmlippen – Dadurch soll nach Meinung diverser Autoren ein Rückschluss auf die Sensibilität des Kehlkopfs möglich sein, da der für eine entsprechende Spannung der Stimmlippen bei hohen Tönen verantwortliche M. cricothyroideus vom N. laryngeus superior versorgt wird, der auch die sensiblen Fasern für die supraglottische Kehlkopfschleimhaut führt. Es ist dabei aber zu bedenken, dass viele Patienten, vor allem nach Schädel-Hirn-Trauma, eine dysarthrische Störung mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Prosodie aufweisen, sodass bei eingeschränkter Tonhöhenvariationsmöglichkeit nicht zwingend auf eine gestörte sensible Versorgung des Kehlkopfs geschlossen werden kann. • Möglichst hohe, laute Phonation [iii:]: Überprüfung der Verlängerung des Stimmlippen und der Kehlkopfanhebung. Dabei erfolgt gleichzeitig die Überprüfung der Pharynxkontraktion (› Abb. 8.17 b), erkennbar an der lateralen Kontraktion der Pharynxmuskulatur und der Verengung der Sinus piriformes: „pharyngeal squeeze“ (Malandraki et al. 2011; Fuller et al. 2009; Rodriguez et al. 2007).

Überprüfung weiterer Funktionen Als weitere wichtige Funktionen für den Schluckablauf bzw. als Voraussetzungen für die Therapie (› Kap. 10) müssen geprüft werden: • Leichtes Atemanhalten: Glottisschluss • Atemanhalten, leichtes und stärkeres Pressen: Aneinanderpressen und Anteriorbewegung der Aryknorpel, Schluss der Taschenfalten, Kontraktion der aryepiglottischen Falten, Dorsalneigung der Epiglottis (Martin et al. 1993; Ohmae et al. 1998; Murray 1999; Langmore 2001; › Abb. 8.9 d); letztere Prüfung ist insbesondere bei Pa­ tien­ten wichtig, bei denen sich kein vollständiger Glottisschluss beobachten lässt!

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

• Willkürliches Husten: Glottisschluss oder Ta-

schenfaltenschluss mit adäquater Sprengung • Bei vorhandenen Residuen/Penetration/Aspi­ ration von Speichel oder Sekret: Überprüfung der Fähigkeit zur „Rachen- und Kehlkopfreinigung“ mittels Haltungsänderung, Räuspern, Husten und Nachschlucken oder notfalls Ausspucken Die Fähigkeit, kompensatorisch einen Verschluss des Kehlkopfeingangs und der Taschenfalten herzustellen, und die Fähigkeit des effektiven Abhustens gelten bei Patienten mit gestörter Sensibilität und daraus resultierender gestörter Hustenreflexauslösung als notwendige Voraussetzungen für den Beginn von Schluckversuchen mit Nahrung.

Sind die willkürlichen motorischen Funktionen so beeinträchtigt, dass sich auf Glottisebene oder supraglottisch kein Kehlkopfverschluss beobachten lässt, muss man versuchen, diesen durch vorsichtiges Auslösen eines Würg- oder Hustenreflexes herbeizuführen. Obwohl der Schluckreflex einerseits und Würgund Hustenreflex andererseits unterschiedlich ausgelöst und gesteuert werden, gibt die Beobachtung reflektorischer Bewegungen beim Husten- oder Würgreflex doch Auskunft darüber, ob die Bewegung überhaupt möglich ist bzw. ob es sich um eine zen­ tra­le oder periphere Schädigung handelt. Auch beim Vorliegen einer laryngealen Apraxie erlaubt die Beobachtung eingeschränkter willkürlicher Kehlkopfbewegungen keine Aussage über die

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Verschlussfähigkeit des Kehlkopfs beim Schlucken (Hoole et al. 1997). So wiesen Stephens et al. (2003) nach, dass fast 80 % der Patienten nach linksseitigem Infarkt der A. cerebri media nicht willkürlich husten konnten, ihr Hustenreflex jedoch intakt war.

Sensibilitätsprüfung Zunächst weisen folgende Beobachtungen auf eine mögliche Sensibilitätsstörung des Kehlkopfs hin: • Überlauf von Speichel, Flüssigkeit oder Speisebrei in die Glottis bei ausbleibendem Hustenreflex (› Abb. 8.13, › Abb. 8.14, › Abb. 8.17) • Rötung und Gefäßinjizierung der Glottisschleimhaut und der subglottischen Abschnitte (Reizerscheinung) • Häufige gurgelnde und raue Stimmqualität Wird ein ausgeprägter Speichelüberlauf beobachtet und kommt es auch bei Eintritt in den subglottischen Bereich nicht zu kräftigem Husten, so muss vor der weiteren Diagnostik jede orale Nahrungszufuhr unterbleiben. Eine bereits liegende Trachealkanüle muss geblockt werden!

Fallbeispiel Eine 27-jährigen Patientin mit Zustand nach Listerienenzephalitis musste 2 Wochen nach Erkrankungsbeginn wegen ständiger Aspiration und 2-maliger Pneumonie tracheotomiert werden. 2 Monate später erwiesen sich die primären Verschlussmechanismen des Kehlkopfs als

Abb. 8.13  a Vor Therapiebeginn ausgeprägte Schluckstörung mit Aufstau von Speichel im gesamten Hypopharynx und Überlauf bis in die Trachea [M858]; b Situation nach Beendigung der funktionellen Therapie [M858]

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion völlig intakt. Es bestand jedoch eine massive Ansammlung von Speichel im gesamten Hypopharynx- und Larynxbereich mit ständigem Überlauf in die Glottis, ohne dass ein Hustenreflex ausgelöst wurde (› Abb. 8.13 a). Dieser erfolgte erst bei Erreichen tieferer Trachealabschnitte. Die Stimme der Patientin war danach klar, nach kurzer Zeit jedoch wieder rau und gurgelnd. Röntgenologisch bestanden eine ausgeprägte Sphinkteröffnungsstörung und eine Beeinträchtigung der Larynxelevation. Da die Patientin sehr gut wahrnehmen konnte, wenn Atemgeräusch und Stimme rasselnd wurden, und da sie willkürlich und kräftig abhustete, wurde vereinbart, die Trachealkanüle tagsüber zeitweise zu entblocken. Nach einem weiteren Monat intensiver funktioneller Therapie hatte sich insbesondere die Larynxelevation und damit auch die Öffnung des OÖS entscheidend verbessert. Das laryngoskopische Bild war völlig unauffällig, eine geringgradige Aspiration bestand nur noch beim Essen von Schokolade. Nach röntgenologischer Kontrolle konnte die Patientin kurze Zeit später dekanüliert werden (› Abb. 8.13 b).

Bei Patienten mit Speichelaspiration lässt sich in vielen Fällen durch eine medikamentöse Speichelreduktion eine Tracheotomie vermeiden (› Kap. 9) bzw. eine Dekanülierung beschleunigen.

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Abb. 8.14  38-jähriger Patient nach Schädel-Hirn-Trauma; transorale Evaluation des Schluckvermögens (TOES). [M858] a Ruhebeobachtung: Residuen, ausgeprägte Aspiration von Speichel; b nach 1 Löffel Joghurt: Residuen, Penetration, Aspiration; c nach 1 Bissen Brot: ausgeprägte Residuen rechte Vallecula

Gelingt es nicht, während der Untersuchung einen Überlauf in den Kehlkopf und die Reaktion des Pa­ tien­ten darauf zu beobachten, kann man die Sensibilität auf verschiedene Weise überprüfen: • Während der Untersuchung mit einem flexiblen Endoskop (› Kap. 8.2.1): – Berührung von Epiglottis/Taschenfalten/Ary­ knorpel/Stimmlippen mit der Endoskopspitze – Einbringen von Flüssigkeit durch den Absaugkanal in den Pharynx – Verabfolgung eines definierten Luftdruckstoßes (FEESST®) • Während der Untersuchung mit dem starren Lupenlaryngoskop kann bei dringlicher Indikation eine Berührung des Kehlkopfeingangs mit einem gebogenen Watteträger erfolgen. Eine pharyngolaryngeale Sensibilitätsstörung bedeutet ein hohes Aspirationsrisiko (Power et al. 2007; Setzen et al. 2003; Aviv et al. 2002).

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

3. Untersuchungsmodalität „Überprüfung des Schluckvorgangs mit Nahrung“ Voraussetzungen Die Überprüfung des Schluckvorgangs mit Nahrung erfolgt, wenn sich aus der Anamnese und dem bisher erhobenen klinischen und endoskopischen Befund keine Hinweise auf eine Gefährdung des Pa­tienten durch Aspiration ergeben. Dies bedeutet: Es liegt keine bedrohliche Speichelaspiration vor, und der Pa­ tient ist zum effektiven willkürlichen Abhusten in der Lage, sodass er eventuell in die Trachea eingedrungenes Material wieder abhusten kann. Ebenso wie in der klinischen Schluckprüfung ist die Beachtung der Sicherheit des Patienten oberstes Gebot (› Kap. 9). Für hochgradig aspirationsgefährdete Patienten, die aufgrund eingeschränkter Kooperationsfähigkeit eventuell aspiriertes Material nicht sicher willkürlich abzuhusten vermögen, kann eine Schluckprüfung bedrohlich sein. Erscheint bei ihnen jedoch ein frühzeitiger Beginn mit Nahrungssubstanzen wegen des erhöhten sensorischen Inputs sinnvoll und soll deshalb geklärt werden, ob ein effektiver reflektorischer Hustenstoß bei Aspiration ausgelöst werden kann, erfolgt die Schluckprüfung mit Nahrung unter bronchoskopischer Absaugbereitschaft.

Durchführung Die Auswahl der verabreichten Substanzen muss der jeweiligen Situation des Patienten und seinen spezifischen Beschwerden angepasst werden und variiert nach Konsistenz, Bolusgröße, Temperatur und Geschmack. Zur Untersuchung stehen je nach Bedarf bereit: • Tasse/Wasserglas, Löffel, Strohhalm • Eis (gefrorener Tee oder Fruchtsaft, als Stangeneis oder zerstoßen) • Breiige Substanzen: wahlweise Götterspeise/Eis/ Fruchtbrei/Gemüsebrei/Joghurt • Flüssigkeit: flüssig (Wasser, Tee, Kaffee), sämig (Frucht- oder Gemüsesaft) • Andickungsmittel zum Variieren der Flüssigkeit • Weiche Kost: Kartoffeln, Gemüse, Weißbrot • Feste Substanzen: Graubrot, Semmel, Keks, Kuchen

199

• Lebensmittelfarben, um verschiedene Substanzen zu markieren, falls diese nicht selbst eine von der Schleimhaut gut unterscheidbare Farbe aufweisen; manchmal ist ein Anfärben zur Differenzierung unterschiedlicher Konsistenzen und zur besseren Erfassung von Aspirationen hilfreich (Marvin et al. 2017; Hacki 2000)

Methylenblau wird wegen seiner möglichen Toxizität nicht mehr zur Färbung verwendet (Lucarelli et al. 2004).

Bei Patienten mit Speichelaufstau infolge reduzierter Schluckreflextriggerung kann es von Nutzen sein, die Aufnahme einer kleinen Menge (⅓ TL) Eis zu prüfen. Die niedrige Temperatur bewirkt einen größeren sensorischen Input als der Speichel. Ein Schluckreflex wird eventuell besser ausgelöst und läuft kräftiger ab als beim reinen Speichelschluck, der Patient kann mit dem (zerlaufenen) Eis auch den Speichel besser abschlucken (Sciortino et al. 2003). Patienten ohne bisherige orale Nahrungszufuhr erhalten in der Regel zunächst kleine Mengen (ca. ⅓ TL) Götterspeise. Diese Konsistenz ist für die meisten Patienten leichter zu schlucken als Flüssigkeiten und feste Speisen. Sie ist gleitfähig und verflüssigt sich bei Erwärmung im Körper. Sie kann daher bei Aspiration leicht abgehustet bzw. abgesaugt werden oder wird ohne größere Reizerscheinungen resorbiert. Durch grüne oder blaue Färbung lässt sie sich im Pharynx gut erkennen. Unmittelbar nach dem Schlucken lassen sich Residuen/Penetration/Aspiration identifizieren (transnasale und transorale Untersuchung). Weist ein Patient nach Strahlentherapie sehr trockene Schleimhäute auf, ist die Götterspeise even­ tuell zu klebrig. Ein Schluckversuch mit angedickter Flüssigkeit (z. B. Karottensaft oder Kaffee) oder feinpassiertem Gemüsebrei kann daher günstiger erscheinen. Gemüse enthält weniger Säure als Obst und wird daher oft besser toleriert. Aber auch feines Apfelmus kann dem Patienten angenehm sein. Wird dünnflüssige Nahrung verwendet, empfiehlt sich zur besseren Abgrenzung von Speichel/Sekret unbedingt die Anfärbung mit Lebensmittelfarbe. Kann der Patient bereits oral Nahrung zu sich nehmen, erfolgt die endoskopische Prüfung zuerst mit der für ihn günstigsten Konsistenz (in der Regel brei-

8

200

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

ige Substanzen). Ist effektives Abhusten gewährleistet und wird der vermutliche Schwerpunkt der Störung in einem ineffektiven Bolustransport vermutet, kann Joghurt verwendet werden. Die leichte Säure verstärkt den sensorischen Input, Joghurt ist gleitfähig und gut sichtbar. Je nach klinischem Befund und bisherigen endoskopischen Auffälligkeiten wird da­ rauf­hin die Aufnahme von fester Kost und Flüssigkeiten überprüft. Als feste Kost wird meist Butterbrot, als Flüssigkeit Kaffee oder Tee verwendet. Eine bestimmte Ätiologie (neurologische vs. Tumorerkrankung) korreliert nicht mit einer bestimmten Hauptstörung in Bezug auf die Konsistenz (Flüssigkeiten/feste Nahrung)! Als Faustregel gilt lediglich: Bei Störungen der Reflexauslösung treten vorwiegend Probleme mit Flüssigkeiten auf, bei Transportstörungen mehr Schwierigkeiten mit festen Speisen. Bei neurologischen wie bei strukturellen Erkrankungen können also beide pathophysiologischen Symptome vorhanden sein (› Kap. 4 und › Kap. 5). Lediglich Erkrankungen des Ösophagus manifestieren sich vorwiegend in Störungen bei der Aufnahme fester Speisen (› Kap. 14).

Beobachtbare pathologische Symptome

8

Direkt erfassbar sind: • Vor Auslösung der reflektorischen pharyngealen Phase: – Vorzeitiger Eintritt von Substanzen (Leaking) in den Pharynx – Prädeglutitives Pooling (Ansammlung von Substanzen im Hypopharynx) (› Abb. 8.7 b) – Prädeglutitive Penetration/Aspiration und die Reaktion des Patienten darauf (› Abb. 8.7 b) – Verzögerte Schluckreflexauslösung – zu erkennen an verzögerter Anterior- und Aufwärtsbewegung der Aryknorpel (Abe und Tsubahara 2011; Langmore 2001), Anhebung und Rückführung des Zungengrundes, Dorsalneigung der Epiglottis und Anhebung des Kehlkopfs nach Sichtbarwerden des Bolus in Valleculae bzw. Sinus piriformis; diese Bewegungen sind jedoch durch vorheriges „white out“ häufig nicht beobachtbar • Während der pharyngealen Phase: – Ungenügende Dorsalflektion der Epiglottis, ungenügende Zungenbasisretraktion, ungenü-

gende Pharynxkontraktion (bei vorherigem „white out“ nicht immer erkennbar) – Beeinträchtigung der Dauer der pharyngealen Phase, abgeleitet aus der Dauer des „white out“ (Butler et al. 2009; Langmore 2001), nach unserer Meinung jedoch unsicher • Nach Beendigung der pharyngealen Phase transnasal oder transoral beobachtbar: – Residuen von Substanzen an den Pharynxwänden, in den Valleculae und den Sinus piriformes, in der Postkrikoidregion mit/ohne Versuch des Rachenreinigens – Penetration von Substanzen in den Laryn­ xeingang: an die laryngeale Fläche der Epiglottis, über die aryepiglottischen Falten auf die Taschenfalten, über die Interarytenoidregion ohne/mit Auslösung eines Hustenreflexes – Aspiration von Substanzen in die Glottis, in die subglottische Region ohne/mit Auslösung eines Hustenreflexes Die Beobachtung einer Aspiration ohne Hustenreiz („silent aspiration“) ist stets alarmierend. Eine zusätzliche Unfähigkeit des Patienten, willkürlich abzuhusten, kann lebensbedrohlich sein!

Nochmals sei betont: Die wichtigsten Ereignisse während der pharyngealen Phase, der Kehlkopfverschluss und die Öffnung des OÖS, sind mit der transnasalen endoskopischen Untersuchung nicht bzw. nicht sicher erfassbar! Daher ist auch die Beobach­ tung einer intradeglutitiven Aspiration nicht möglich und nur zu vermuten: Die Anfärbung der inneren Kehlkopfschleimhaut und der Subglottis ist Zeichen eines unvollständigen Kehlkopfverschlusses; gleich nach dem 1. Schluck kann sie als Zeichen einer intradeglutitiven Aspiration gewertet werden. Die intradeglutitive Aspiration ist nach unserer Meinung nur durch die radiologische Untersuchung bzw. eine retrograde Laryngoskopie durch ein Tracheostoma mit Sicherheit festzustellen. Besteht ein unvollständiger nasopharyngealer Verschluss, ist dies manchmal an der Anfärbung der Schleimhaut des Nasenrachenraums verifizierbar, klinisch treten eventuell Niesreiz und Bolusaustritt aus der Nase auf. Zeigen sich nach einem Schluck keine ausgeprägten Aspirationen, erhält der Patient eine etwas grö-

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion ßere Menge (1 TL = ca. 3 ml), danach einen kleinen Esslöffel (= 5 ml) des für ihn geeignetsten Lebensmittels. Anschließend wird die nächstschwierige Konsistenz geprüft. Das Bolusvolumen wird versuchsweise vergrößert, auch wenn bei einer Menge von 1 ml Aspira­ tions­zeichen auftreten, der Patient aber sicher abhusten kann: Nachgewiesenermaßen erhöht sich die Effektivität des Schluckablaufs bei größerem Bolusvolumen und höherer Viskosität.

201

› Tab. 8.6 stellt die beobachteten Symptome und ihr mögliches pathophysiologisches Korrelat dar, sodass sich ein entsprechendes therapeutisches Konzept entwickeln lässt. In einigen Fällen können Ansammlungen von Bolusanteilen auch Zeichen eines „postswallow hypopharyngeal reflux“ (PSHR) sein: in permanent oder nur passager vorhandene Ausbuchtungen der Pharynxwände (pouches oder Divertikel, › Kap. 6 und › Kap. 15) gelangt während des Schluckvorganges Nahrung, welche danach in den Pharynx zurückfließt (Bergeron et al. 2013; › Kap. 6 und › Kap. 15).

Penetration und Aspiration können auftreten, wenn der Kehlkopfverschluss • nicht ausreichend effektiv ist oder • nicht zeitgerecht erfolgt. Dies lässt sich endoskopisch weder transnasal noch transoral exakt unterscheiden, da im Augenblick des reflektorischen Schluckens kein Einblick in den Kehlkopf möglich ist.

4. Untersuchungsmodalität „Überprüfung der Effektivität ­therapeutischer Manöver“ Nach jedem Schluck mit pathologischen Auffälligkeiten werden die entsprechenden therapeutischen Manöver überprüft (› Kap. 10):

Tab. 8.6  Sicher beobachtbare Symptome der pharyngolaryngoskopischen Untersuchung und ihr pathophysiologisches Korrelat bei Schluckstörungen Symptome

Pathophysiologisches Korrelat

• Leaking (vorzeitiger Übertritt)* • Prädeglutitives Pooling* • Prädeglutitive Penetration, Aspiration*

• Gestörte orale Boluskontrolle • Verspätete Reflextriggerung

Residuen Hinterer Nasengang*

• Ungenügender

Pharynxwände

• Ungenügende

velopharyngealer Verschluss

Valleculae und Sinus piriformis

• Ungenügende Zungenschubkraft • Reduzierte Kehlkopfhebung • Reduzierte Zungenbasisretraktion • Reduzierte Pharynxkontraktion

Postkrikoidregion

• Reduzierte • Reduzierte

Pharynxkontraktion

Öffnung des oberen Ösophagussphinkters Kehlkopfhebung und -anteriorbewegung

Penetration • Laryngeale Epiglottisfläche • Aryepiglottische Falten • Taschenfalten • Oberfläche der Stimmlippen

• Reduzierte Kehlkopfhebung • Reduzierte Dorsalbewegung der Epiglottis • Reduzierte Adduktion des Aditus laryngis • Sensibilitätsstörung, Störung der Schluckreflexauslösung

Aspiration

• Reduzierter

oder nicht zeitgerechter Verschluss des Aditus laryngis inklusive verminderter Epiglottiskippung • Reduzierter oder nicht zeitgerechter Glottisschluss • Sensibilitätsstörung; Störung der Schluckreflexauslösung, der Hustenreflexauslösung

* Nur mittels transnasaler Endoskopie zu beobachten

8

202

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

• Haltungsänderung • Reinigungstechniken • Schlucktechniken 8.2.4 Begleitende Untersuchung der Stimm- und Sprechfunktion

8

Während der Untersuchung werden folgende Aspekte berücksichtigt: • Störungen der am Schluckvorgang beteiligten Strukturen bedingen häufig gleichzeitig Beein­ trächtigungen der Funktionen Atmung, Stimmgebung und Sprechvermögen (SchröterMorasch 2003, 2014; Robbins 1988). Ursachen können die Erkrankungen selbst sein (neurologische Erkrankungen, strukturelle Veränderungen), die zu Dysarthrien, Dysglossien und Dysphonien führen. Aber auch die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung vitaler Funktionen (Intuba­tion, Tracheotomie, Sondeneinlage) können durch Druckschädigungen an Pharynx, Larynx und Trachea zu solchen Beeinträchtigungen führen. • Aufgrund der differenzierten Ventilfunktionen des oropharyngolaryngealen Systems in den unterschiedlichen Funktionsbereichen können Therapiemaßnahmen bei Dysphagien in manchen Fällen negative Auswirkungen auf die Stimmgebung haben. Diese bedürfen phoniatrischer Kontrolle und möglicher Minimierung. Bei entsprechender Qualifikation des Untersuchers kann eine Stimmbeurteilung einschließlich Stroboskopie in Verbindung mit bzw. vor der endoskopischen Beurteilung der Schluckfunktion erfolgen.

Fallbeispiel Um Aspiration, das bedrohlichste Dysphagiesymptom, zu verhindern, muss entweder die Glottis oder müssen die supraglottischen Strukturen während des Schluckvorgangs einen ausreichend festen und zeitgerechten Verschluss des Kehlkopfs herbeiführen. Das dafür erforderliche und vergleichsweise grobmotorische Pressen mit hohem Kraftaufwand beeinträchtigt die feinmotorische Abstimmung der Stimmlippen bei der Phonation. Daraus können hyperfunktionelle Stimmstörungen, Reizungen der Kehlkopfschleimhaut bis hin zur Entwicklung von Kontaktgranulomen und -ulzera resultieren, deren Behandlung in den Therapieplan einzubeziehen ist (Schröter-Morasch 2003).

8.2.5 Bedeutung der Videodokumentation der erhobenen Befunde Eine Erweiterung des Informationsgehalts stellt die Videodokumentation der erhobenen Befunde dar. Damit ist eine erhebliche Verbesserung und Objektivierung der Diagnostik und der Therapieevaluation einhergegangen und hat die Erarbeitung der unten beschriebenen Skalen erst ermöglicht (Schröter-­Morasch 1993; Hey et al. 2015; › Abb. 8.15; › Abb. 8.16): • Die dynamischen Abläufe des Schluckakts sind verlangsamt darstellbar. Dadurch wird eine objektive Beurteilung ermöglicht. • Eine Kombination mit anderen Untersuchungstechniken lässt eine umfassende Befundbeurteilung und Datenkorrelation zu, z. B. mit Ergebnissen der Videofluoroskopie. • Eine interdisziplinäre Befundbeurteilung ist möglich.

Abb. 8.15  a Yale-Scale: Bewertung Valleculae Residuen: moderat = mittelgradig (epiglottisches Band bedeckt) [F981-001] b Yale-Scale. Bewertung Residuen Sinus piriformes: moderat = mittelgradig (bis zur Hälfte gefüllt) [F981-001]

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

203

• Dem Patienten und seinen Angehörigen kann der

Abb. 8.16  84-jährige Patientin, 8 Monate nach Operation eines Glomus-vagale-Tumors links. Ausgeprägte Residuen im gesamten Hypopharynx, jedoch gute Verschlussfunktion des Kehlkopfeingangs, keine Penetration oder Aspiration [M858]

Befund demonstriert und die Störung veranschaulicht werden. Dadurch lassen sich Verständnis und Motivation für die therapeutischen Maßnahmen verbessern. • Die Videoendoskopie kann als Biofeedback-Therapie genutzt werden (Denk und Kaider 1997; Bastian und Nagorski 1987). • Eine objektive Verlaufsbeobachtung ist möglich mit Überprüfung der Therapieziele und Anpassung seiner Inhalte, z. B. Anpassung der Nahrungskonsistenz, Haltungsänderungen, Reinigungstechniken oder Medikation (› Abb. 8.17). • Videodokumentationen endoskopischer Befunde sind zu Lehr- und Ausbildungszwecken unverzichtbar. Patientenbeispiele mit Befunden bei Neurogener Dysphagie finden sich bei Warnecke und Dziewas (2013) und Birkmann und Kley (2015).

8.2.6 Beurteilung der erhobenen Befunde, Skalen und Scores Schweregrad der Aspiration, Beurteilung von Residuen

Abb. 8.17  Überprüfung der Effektivität therapeutischer Manöver. 49-jähriger Patient 2 Jahre nach Operation eines Kleinhirnbrückenwinkeltumors. Paresen der Hirnnerven IX, X, XII links. [M858] a Nach Schluckvorgang ohne Technik: ausgeprägte Residuen besonders im linken Sinus piriformis; b nach Schluckvorgang mit nach links gedrehtem Kopf und Mendelsohn-Manöver

Die Beurteilung des Schweregrades der Aspiration nimmt in der Führung schluckgestörter Patienten eine besondere Stellung ein: • Im Hinblick auf die unmittelbare Sicherung der Atemwege müssen Entscheidungen getroffen werden, d. h., in schweren Fällen sind Schutzintubation mit blockbarem Tubus bzw. Tracheotomie und der Einsatz blockbarer Trachealkanülen (› Kap. 9) nicht zu umgehen. • Von der Beurteilung des Aspirationsgrades hängt die Entscheidung über den Ernährungsmodus ab: Sind orale Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr noch vertretbar oder ist das Einlegen einer nasogastralen Sonde bzw. eine Entscheidung zu einer perkutanen Gastrostomie/Jejunostomie erforderlich? • Im Verlauf der Erkrankung ist zu beurteilen, ob eine Besserung durch eine Funktionelle Therapie und medikamentöse Speichelreduktion eintritt oder sogar chirurgische Eingriffe (Glottisverschluss, Separation von Luft- und Speisewegen, Laryngektomie) zu erwägen sind (› Kap. 15).

8

204

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Für diese weitreichenden Maßnahmen sind eingehende Bewertungen der klinischen, endoskopischen und/oder röntgenologischen Aspirationszeichen erforderlich. Zur Einschätzung des Aspirationsschweregrades sind verschiedene Einteilungen erarbeitet worden (› Kap. 9). Sie sind wegen der Erfassung unterschiedlicher Kriterien untereinander nicht vergleichbar. Nach dem videoendoskopischen/laryngoskopischen Befund wurde 1996 eine Einteilung der Aspirationssymptomatik in die Schweregrade 0–IV (› Tab. 8.7) angegeben (Schröter-Morasch 1996).

Da Aspirationen unterschiedlichen Grades beim Schlucken von Speichel oder Schleim sowie von Flüssigkeiten und Nahrung verschiedener Konsistenz, Temperatur und Menge auftreten können, sind entsprechend mehrfache Beurteilungen erforderlich. Bei Schweregrad I und II reichen konservative Maßnahmen (Diätanpassung, funktionelle Schlucktherapie, Refluxprophylaxe; › Kap. 9 und › Kap. 10) eventuell aus. Bei Schweregrad III und IV müssen weiterreichende Entscheidungen erwogen werden, vom Verbot oraler Nahrungszufuhr bis zu Tracheotomie und geblockter Kanüle. Bei der Einschätzung der Symptome ist unbedingt zu berücksichtigen, dass ihre klinische Relevanz vom individuellen Zustand des einzelnen Patienten abhängt. 8 Tab. 8.7  Schweregradeinteilung der Aspiration nach dem videoendoskopischen Befund (Schröter-Morasch 1996) Schwe- Aspirationssymptomatik regrad 0

Keine Aspiration

I

Gelegentliche Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex

II

Permanente Aspiration bei erhaltenem Husten­ reflex oder gelegentliche Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichen Abhusten

III

Permanente Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichen Abhusten

IV

Permanente Aspiration ohne Hustenreflex, ohne willkürliches effektives Abhusten

Penetrations- und Aspirationsskala (PAS) Rosenbek et al. (1996) stellten eine 8-stufige Einteilung vor (› Tab. 8.8). Zunächst für die Bewertung des radiologischen Befundes erarbeitet und validiert, erwies sie sich auch als ebenso geeignet für die Beurteilung endoskopischer Befunde (Kelly et al. 2007; Colodny 2002; Robbins et al. 1999) und hat sich sowohl für den Klinikgebrauch als auch zur Bewertung von Studien als geeignet erwiesen (Bartolome 2004). Eine deutsche Version wurde 2014 von Hey et al. validiert.

Die Schweregrade 1 bis 5 beschreiben die Penetra­ tion, die letzten 3 Items die Aspiration. Mit der Erfassung und Bewertung dieser „laryngealen Eindringtiefe“ von Sekreten/Flüssigkeit/Nahrung und der jeweiligen Reaktion des Patienten ist eine differenzierte Einschätzung der Gefährdung im Hinblick auf die Entwicklung pulmonaler Komplikationen möglich. Tab. 8.8  Deutsche Version der 8-Punkte-PenetrationsAspirations-Skala nach Rosenbek 1996 Schweregrad 1

Material dringt nicht in den Luftweg ein

2

Material dringt in den Luftweg ein, verbleibt oberhalb der Stimmlippen und wird aus dem Luftweg ausgestoßen a

3

Material dringt in den Luftweg ein, verbleibt oberhalb der Stimmlippen und wird nicht aus dem Luftweg ausgestoßen a

4

Material dringt in den Luftweg ein, kontaktiert die Stimmlippen und wird aus dem Luftweg ausgestoßen

5

Material dringt in den Luftweg ein, kontaktiert die Stimmlippen und wird nicht aus dem Luftweg ausgestoßen.

6

Material dringt in den Luftweg ein, passiert bis unter die Stimmlippen und wird in den Larynx hinein oder aus dem Luftweg ausgestoßen

7

Material dringt in den Luftweg ein, passiert bis unter die Stimmlippen und wird nicht aus der Trachea ausgestoßen, trotz Bemühung

8

Material dringt in den Luftweg ein, passiert bis unter die Stimmlippen, und es wird keine Bemühung zum Ausstoßen unternommen

a

Ausstoßen inkludiert: Husten, Räuspern und Schlucken (nach Rücksprache mit J. Rosenbek).

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion Tab. 8.9  Sekretbeurteilungsskala nach Murray et al. 1996, Langversion

Tab. 8.10 Kurzversion

Schwe- Sekretbeurteilung regrad

1

Ansammlung Valleculae/Sinus piriformes

2

Transient im Aditus laryngis

3

Konstant im Aditus laryngis

0

Am ehesten normale Bewertung. Keine sichtbaren Sekrete im gesamten Hypopharynx oder einige transiente Blasen sichtbar in den Valleculae und Sinus piriformes. Diese Sekrete sind nicht bilateral oder tief aufgestaut.

I

Sichtbare Sekrete, die initial oder nach einem Leerschluck in den Aditus laryngis umgebenden Kanälen bilateral präsent oder tief aufgestaut sind. Diese Bewertung würde Fälle beinhalten, in denen es während des Beobachtungsabschnitts zu einer Ansammlung von Sekreten kommt. Ein Patient könnte beginnen ohne sichtbare Sekrete, aber Sekretansammlungen bilden, in einer Menge, die groß genug ist, bilateral zu erscheinen oder sich tief aufzustauen. Ebenso würde ein Patient als „1“ bewertet werden, wenn initial tief aufgestaute Sekrete und zum Ende des Beobachtungsabschnitts keine sichtbaren Sekrete präsent sind.

II

Alle Sekrete, die während des Beobachtungsabschnitts von Bewertungsgrad „I“ zu „III“ bzw. von Bewertungsgrad „III“ zu „I“ wechseln.a

III

Der schwerste Bewertungsgrad. Sekrete, die im als Aditus laryngis definierten Gebiet sichtbar sind. Pulmonale Sekrete werden inkludiert, wenn sie nicht durch Schlucken oder Husten am Ende des Beobachtungsabschnitts gereinigt werden.

a

„Bzw. von Bewertungsgrad „3“ zu „1““ ist in der englischen Originalversion nicht enthalten, wurde jedoch nach Rücksprache mit Joe Murray und dessen Genehmigung als Ergänzung der detaillierten Beschreibung des Schweregrades „2“ hinzugefügt.

Das Vorhandensein und das Ausmaß von Resi­ duen berücksichtigt sie dagegen nicht. Eine Sekretbeurteilungsskala von Murray et al. (1996; › Tab. 8.9) bezieht die Residuen ein. Der Reliabilitätsund Validitätsvergleich der deutschen Lang- und Kurzversion wurde 2014 von Pluschinski et al. durchgeführt.

Kurzversion der Skala (› Tab. 8.10): Dziewas et al. (2008) erarbeiteten den Fiberoptic Endoscopic Dysphagia Severety Scale (FEDSS) für

205

Normal (feucht)

akute Schlaganfallpatienten nach dem endoskopischen Befund von Penetration/Aspiration/Schutzreflexen für Speichel/Sekret, Flüssigkeit und Nahrung unterschiedlicher Konsistenzen. Aus der Graduierung leiten die Autoren Empfehlungen hinsichtlich evtl. Schutzintubation, Magensonde, Oralisierung und Kostform ab. Nach Untersuchungen von Warnecke et al. (2009) eignet sich der FEDSS auch zur Outcome-Prognose nach akutem Schlaganfall. Von Seidl et al. (2002) wurde ein Untersuchungsbogen zur endokopischen Schluckuntersuchung vorgestellt (Berliner Dysphagiescore), der nach dem Ergebnis der erhobenen Befunde, einer bestimmten Punktezahl, therapeutische Empfehlungen gibt. Das Ausmaß der Residuen wurde auch in diesen Skalen nicht erfasst. Wie jedoch u.a. schon Kendall und Leonhard (2001) nachwiesen, stellt eine „reduzierte pharyngeale Konstriktion“ mit verbleibenden Residuen bei älteren Patienten mit Dysphagie 75 % der Aspirationsursachen dar. Auch andere Autoren wiesen auf einen „prädiktiven Faktor“ von Residuen für eine Aspiration hin (Molfenter und Steele 2013; Logemann et al. 2005; Eisenhuber et al. 2002). Die für die videofluoroskopischen Untersuchungen entwickelten Scores für Residuen (u.a. Pearson et al. 2012) sind nicht ohne Weiteres auf das endoskopische Bild zu übertragen, da bei der Endoskopie nur die „Sicht von oben auf den Hypopharynx“ bewertet werden kann, nicht aber die Lateralansicht und damit die Tiefe der Ausdehnung. Butler et al. (2009) gaben für die endoskopische Beurteilung der Residuen folgenden Score an: • Score 1: Schleimhautbenetzende Residuen • Score 2: Mehr als schleimhautbenetzend, aber weniger als 50 % des Bolus • Score 3: Mehr als 50 % des Bolus Die untersuchten Personen waren jedoch keine Dysphagiepatienten, die Einteilung daher nicht unbedingt verwertbar zur Beurteilung klinischer Befunde.

8

206

8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

Der von Farneti 2008 vorgestellte „Pooling Score“ beurteilt sowohl Residuen als auch Ansammlungen in Kehlkopfeingang und Glottis nach Lokalisation, Menge und „Management“ (Beeinflussbarkeit durch den Patienten) und wurde 2014 (Farneti et al. 2014) validiert. Allerdings werden in der Literatur durch den Begriff „Pooling“ pharyngeale Nahrungsansammlungen vor der Schluckreflexauslösung gekennzeichnet, der Score kombiniert jedoch die Einschätzung von Residuen, Penetration und Aspira­tion. Eine weitere Skalierung von Residuen erfolgte durch eine Bostoner Arbeitsgruppe: The Boston Residue and Clearance Scale BRACS (Kaneoka et al. 2013). Dabei handelt es sich um eine 11 Punkte-Skala, welche 3 Aspekte der videoendoskopischen Untersuchung definiert: 1. Menge und Lokalisation der Residuen 2. Nachweis spontaner Reinigungsschlucke 3. Effektivität der Reinigungsschlucke Für den Test wurde eine gute Reliabilität und Validität ermittelt. Aufgrund sehr zahlreicher Items ist er jedoch zeitaufwändig (Sasaki und Leder 2015).

Die jeweiligen Schweregrade werden durch Fotos verdeutlicht (› Abb. 8.18) Dieser Score lässt sich gut mit der Penetrations-/ Aspirationsskala (PAS) von Rosenbek et al. (1996) kombinieren, womit eine klare Erfassung der laryngealen Schutzmechanismen einerseits und der Bolustransportfunktion andererseits ermöglicht wird. Ein allgemeingültiger Score des endoskopischen Befundes, der sowohl für die klinische Einschätzung einer Dysphagie verwendbar ist als auch in Studien eingesetzt werden kann und deren Vergleichbarkeit verbessern würde, wäre außerordentlich wünschenswert, steht jedoch noch aus. Bei Verwendung aller Skalen und Scores im klinischen Alltag muss immer bedacht werden, dass in die Bewertung der erhobenen Befunde hinsichtlich des Managements der Schluckstörung weitere Faktoren einfließen müssen wie: • Gesamtkörperlicher Status einschließlich Bewusstseinslage • Immunabwehr • Kooperationsfähigkeit Fallbeispiel

Von Neubauer, Rademaker und Leder et al. wurde 2015 eine Bewertung postdeglutitiver Residuen mittels einer 5-stufigen Ordinalskala vorgestellt (Review durch Neubauer et al. 2016). Erfasst werden Residuen in den Valleculae und den Sinus piriformes in den Schweregraden normal – gering – leicht – mittelgradig – schwer (› Tab. 8.11).

8 Tab. 8.11  The Yale Pharyngeal Residue Severity Rating Scale (Neubauer, Rademaker, Leder 2015) Definitions for severity of vallecula residue I

None

0%

No residue

II

Trace

1–5%

Trace coating of the mucosa

5–25%

Epiglottic ligament visible

III Mild

IV Moderate 25–50% Epiglottic ligament coverd V

Severe

>50%

Filled to epiglottic rim

Definitions for severity of pyriform sinus residue I

None

0%

No residue

II

Trace

1–5%

Trace coating of the mucosa

5–25%

Up wall to quarter full

III Mild

IV Moderate 25–50% Up wall to half full V

Severe

>50%

Filled tot he aryepiglottic fold

Ein wacher, aufmerksamer und lernfähiger Patient mit Speichelaspiration ohne Hustenreflex kann selbstständig durch auditive Kontrolle von Atemgeräusch und Stimme unter Anwendung willkürlichen Hustens einen effektiven Schutz der tiefen Atemwege erreichen. Bei einem Patienten mit beeinträchtigter Vigilanz erfordert der gleiche Befund möglicherweise eine Schutzintubation bzw. Tracheotomie mit Einsatz einer blockbaren Kanüle.

FAZIT UND AUSBLICK

Da der Schluckablauf im Verborgenen stattfindet, sind für die Erfassung seiner Störungen instrumentelle Untersuchungen erforderlich. Ergibt die klinische Diagnostik einen Verdacht auf Dysphagie, ist eine möglichst frühzeitige endoskopische Überprüfung der Strukturen und Funktionen unverzichtbar. Ihre Durchführung und Bewertung bedarf einer speziellen Qualifikation, um deren einheitliche Definition große Bemühungen bestehen (Dziewas et al. 2016; Arens et al. 2015; Bader 2013). Technische Verbesserungen werden die Möglichkeiten der Endoskopie noch deutlich erweitern: Die weitere Optimierung optischer Systeme wird sowohl die Einschätzung von Strukturveränderungen und die Bolusbeurteilung als auch die Erfassung der räumlichen Ausdehnungvon Valleculae und Sinus piriformes und möglicher Re­-

8.2  Videoendoskopische Untersuchung der Schluckfunktion

207

8

Abb. 8.18  Verlaufsuntersuchung eines 56-jährigen Patienten nach Hirnstamminfarkt mit rechtsseitiger Zungen-, Gaumensegelund Pharynxparese. [M858] a Erstuntersuchung 11 Tage nach Erkrankung: Respiration. Ausgeprägter Speichelaufstau im gesamten Hypopharynx mit Überlauf in den Aditus in der hinteren Kommissur, kein Hustenreflex. Ausspucken des Speichels erforderlich, Ernährung noch über Magensonde, PEG-Anlage; b 6 Wochen nach Erkrankungsbeginn nur noch geringgradiger Speichelaufstau. Phonation. Deutliche Pharynxkontraktion nur links = „pharyngeal squeeze“, weiterer Sinus piriformis rechts gegenüber links ohne „pharyngeal squeeze“ als Zeichen der Pharynxparese; c nach Schluckversuch mit Joghurt. Residuen in beiden Valleculae und im rechten Sinus piriformis, leichte Penetration (laryngeale Epiglottisfläche), keine Aspiration; d 3 Monate nach Erkrankungsbeginn, Befundverschlechterung durch Lioresal-Medikation (!), deutliche Penetration, diskrete Aspiration („silent aspiration“)! e 7 Monate nach Erkrankungsbeginn. Jetzt aspirationsfreies Schlucken aller Konsistenzen möglich, jedoch noch Residuen (hier Brot) in beiden Valleculae, PEG-Entfernung möglich. Weitere Schlucktherapie und Einhaltung von Schluck- und Reinigungstechniken erforderlich

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8  Klinische und video-pharyngolaryngoskopische Unter­suchung der Schluckfunktion

siduen verbessern, z.B. die 3D-Technik. Eine präzisere Analyse laryngopharyngealer Bewegungen verspricht die digitale Auswertung endoskopischer Aufzeichnungen mittels Hochgeschwindigkeitsverfahren (4000 Bilder/sec statt der bisher üblichen 30 Bilder/sec) nach einer Studie von Aghdam et al. (2017). Eine neue Lichttechnik NBI (narrow band imaging) kann die Erkennung und Lokalisation auch geringer Mengen penetrierter und aspirierter Bolusanteile ermöglichen (Nienstedt et al. 2017). Computerprogramme werden die Auswertung zahlreicher Messdaten der endoskopischen Untersuchung vereinfachen. Damit wird sowohl der diagnostische Wert dieser Methode weiter erhöht als auch ihr wissenschaftlicher Gewinn.

8

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KAPITEL

9

9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4

Heidrun Schröter-Morasch

Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen – Trachealkanülen – Sondenernährung

Aspiration als bedrohlichster Faktor der Dysphagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Zeichen der Aspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweregradeinteilungen der Aspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Aspirations­komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen zur Verhinderung von Aspirationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216 217 218 218 220

9.2 Trachealkanülen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Pathophysiologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Arten der Tracheotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Wichtigste Kanülenarten, ihre Handhabung und Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Nachteile und Risiken der Tracheotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Kanülenwechsel und ­Tracheo­stoma­pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.6 Richtlinien für die Entblockung und Dekanülierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.7 Fehler und Gefahren der Trachealkanülenversorgung von Dysphagiepatienten . . . . . . . . . . .

224 224 226 229 240 241 243 246

9.3 Mangelernährung, Dehy­dra­tation, Sondenernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Mangelernährung (­Malnutrition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Dehydratation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Sondenernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Generelle Probleme der nicht­oralen Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247 247 248 249 254

9.4 9.4.1 9.4.2

9

Zusätzliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Maßnahmen bei onkologischen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Psychosoziale Unterstützung von Patienten mit Dysphagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

216

9

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Am Anfang der Therapie von Patienten mit einer Beeinträchtigung des normalen Schluckvorgangs steht die Sicherung der vitalen Funktionen Atmung und Ernährung/Flüssigkeitszufuhr. Beides sollte unter Erhalt der größtmöglichen Lebensqualität für den Patienten erfolgen. Dabei sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: • Die sprechsprachliche Kommunikationsfähigkeit kann als Begleitsymptomatik der Erkrankung bereits primär gestört sein (Dysarthrie, Aphasie, Dysglossie oder Dysphonie). • Das Lusterlebnis am Essen und Trinken ist durch Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme schon eingeschränkt. • Die soziale Akzeptanz des Patienten kann durch Speichelfluss, Räuspern, Husten und Ausspucken gemindert sein. Notwendige Therapiemaßnahmen wie Schutzintubation/Tracheotomie, Verbot oraler Nahrungsaufnahme, parenterale oder Sondenernährung mindern die Lebensqualität sowie die soziale Akzeptanz zunächst nochmals drastisch. Da die Sicherheit der vitalen Funktionen Ernährung und Atmung jedoch im Vordergrund stehen muss, sind in vielen Fällen Konflikte bei den Entscheidungen nicht zu umgehen. Zwei große Patien­ tengruppen werden dabei differenziert betrachtet: • Patienten mit Schluckstörungen nach akutem Krankheitsereignis (z. B. Schlaganfall, HWSOperation, Tumorbehandlung): Bei ihnen geht es in der Regel um die Überbrückung eines kritischen Zeitraums; unter diesem Aspekt lässt sich die Notwendigkeit einschneidender Maßnahmen wie nichtoraler Ernährung oder Tracheotomie häufig besser vermitteln. • Patienten mit progredienten Erkrankungen (inkurable Tumoren, degenerative neurologische Erkrankungen): Bei ihnen steht im Vordergrund, die Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten und deshalb z. B. die orale Nahrungsaufnahme trotz offensichtlicher Aspirationsgefahr noch zu tolerieren. Intensive Erörterungen solcher Problemstellungen mit Patienten und Angehörigen einerseits und dem medizinischen Betreuungsteam andererseits sind unverzichtbar (Schröter-Morasch 2003).

Entscheidende Fragen zu Behandlungsbeginn • Besteht

ein ausreichender Schutz der tiefen Atemwege oder müssen Sofortmaßnahmen zur Verhinderung einer Speichelaspiration getroffen werden? • Ist der Patient zu einer ausreichenden oralen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme in angemessener Zeit in der Lage? Lässt sich durch zeitnahe Modifikationen wie Haltungsänderungen, Schlucktechniken, Variation von Nahrung/Flüssigkeit eine orale Aufnahme aufrechterhalten?

Müssen diese Fragen verneint werden, lassen sich alternative Lösungen unter Einsatz von Hilfsmitteln (Trachealkanülen, › Kap. 9.2; Sondenernährung, › Kap. 9.3.3) nicht vermeiden, deren Weiterentwicklung im Hinblick auf Verträglichkeit, Handhabung und Tragekomfort in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer deutlich erhöhten Akzeptanz geführt hat. Gleichwohl bedeuten sie für die Patienten nach wie vor eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität und der Teilhabe an sozialer Interaktion. Unser Bestreben sollte daher sein, sie möglichst nur für einen begrenzten Zeitraum zu nutzen. Dazu bedarf es der Anstrengung jedes einzelnen im interdisziplinären therapeutischen Team und ausreichender zeitlicher und finanzieller Ressourcen des Gesundheitssystems, die eine evidenzbasierte Rehabilitation durch hochspezialisierte Fachkräfte ermöglichen.

9.1 Aspiration als bedroh­ lichster Faktor der Dysphagie Das Eindringen von Substanzen in die Luftröhre und den Bronchialtrakt bedeutet eine vitale Gefährdung. Bei größeren Teilen/Mengen kann es zu Luft­ not und Ersticken kommen, kleinere Teile rufen entzündliche Reaktionen hervor wie Tracheo­ bronchitis, Pneumonie, Lungenabszess und Pleuraempyem. So entwickeln z.B. nach einem Schlaganfall bis zu 55% der Dysphagiepatienten eine Pneumonie (Bray et al. 2016), welche die häufigste Todesursache dieser Patientengruppe darstellt (Finlayson et al. 2011). Insbesondere ältere Patienten sind nach einem Schlaganfall gefährdet, an einer Aspirations-

9.1  Aspiration als bedrohlichster Faktor der Dysphagie pneumonie zu erkranken (Wirth et al. 2016a; Vergis et al. 2001). Aber auch nach Behandlung von KopfHals-Tumoren beeinträchtigen Aspirationsprobleme in weit höherem Maße den Behandlungserfolg als bisher angenommen (Xu et al. 2015; Nguyen et al. 2008). Anhaltende diskrete Aspirationen können auch chronisch obstruktive Lungenveränderungen (chronic obstructive pulmonary disease, COPD) nach sich ziehen (› Kap. 5). Aspirationsbedingte Lungenkomplikationen bedeuten eine hohes Mortalitätsrisiko, insbesondere bei älteren Menschen, und ihre Behandlung verursacht hohe Kosten. Eine frühzeitige und umfassende Vorbeugung dieser Komplikationen durch entsprechende diagnostische und therapeutische Maßnahmen ist daher unerlässlich (Doggett et al. 2001).

217

Indirekte Symptome Indirekte Symptome stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schlucken: • Verstärkte Verschleimung, vermehrtes Husten, Räuspern • Unklare Temperaturerhöhungen, serologische Entzündungszeichen • Brodelndes Atemgeräusch • Stimmveränderungen • Kurzatmigkeit, Tachypnoe • Bronchitis, Pneumonie, Lungenabszess • Chronische obstruktive Lungenveränderungen Die relativ unspezifischen Zeichen pulmonaler Komplikationen werden häufig nicht als aspirationsbedingt erkannt!

9.1.1 Klinische Zeichen der Aspiration Die klinischen Zeichen der Aspiration lassen sich in direkte und indirekte Symptome einteilen (Schröter-Morasch 1994).

Direkte Symptome Direkte Symptome sind während des Speichel­ schluckens, beim Essen und Trinken zu beobachten: • Aspiration kleiner Partikel/Mengen: – Gurgelndes Atemgeräusch, raue, gurgelnde Stimme – Husten vor, während, nach dem Schlucken – Bei ausreichend weitem Tracheostoma even­ tuell Austritt von Speichel, Sekret, Nahrung aus dem Tracheostoma – Partikel im abgesaugten Trachealsekret (Belafsky et al. 2003) • Aspiration größerer Partikel/Mengen: – Dyspnoe, Husten, Keuchen – Zyanose, Tachykardie – Bei ausreichend weitem Tracheostoma eventuell Austritt aus dem Tracheostoma, Partikel im abgesaugten Trachealsekret

Fallbeispiel Zuweisung eines 42-jährigen Patienten, der wegen rezidivierender eitriger Bronchopneumonien bereits in 3 stationären Einrichtungen, einschließlich einer Lungenklinik, behandelt worden war (unter anderem mit Tuberkulostatika). Die Pharyngolaryngoskopie im Rahmen der Bronchoskopie ergab neben den bronchopulmonalen Entzündungszeichen den Verdacht auf eine ausgeprägte Sensibilitätsstörung im gesamten Kehlkopfbereich mit Schwäche der Pharynxmuskulatur beidseits, Speichelaufstau im Hypopharynx mit spontanem Überlauf in Kehlkopf und Trachea (Aspiration). Die damit aufgedeckte Ursache der schweren Lungeninfekte konnte unmittelbar anschließend mit den entsprechenden Maßnahmen (nichtorale Ernährung, intensive physikalische Therapie und Erlernen kompensatorischer Techniken zur Verhinderung von Speichelaspirationen) beherrscht werden. Die jetzt unter dem Verdacht auf eine Hirnnervenfunktionsstörung durchgeführte MRT-Untersuchung ließ einen großen Hirnstammtumor erkennen (nach intraoperativem Befund vom N. vagus ausgehend). Dessen erfolgreiche chirurgische Entfernung zog bilaterale Zungen-, Pharynx- und Kehlkopfparesen mit weiterer Minderung der Sensibilität nach sich. Die daraus resultierende Verschlechterung der Dysphagie mit zunächst nichtbeherrschbarer Aspiration erforderte eine Tracheotomie mit Einsatz einer blockbaren Kanüle sowie eine Sondenernährung. Erst eine 10-monatige Rehabilitation ermöglichte wieder eine Dekanülierung und eine sichere orale Ernährung.

9

218

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Stille Aspiration Da das für eine Aspiration charakteristische klinische Zeichen des Hustens beim Schlucken aufgrund gestörter Sensibilität und/oder Reflexauslösbarkeit wie bei dem im Fallbeispiel beschriebenem Patienten fehlen kann („silent aspiration“), muss man besonders sorgfältig auf die indirekten Zeichen achten. Lundy et al. (1999) fanden in einer heterogenen Gruppe von 166 zugewiesenen Patienten mit Dysphagie in 51 % Aspirationen, davon 47 % ohne Hustenreflex, also stille Aspirationen. Als Hauptursachen fanden sie verspätete Schluckreflextriggerung sowie ungenügende Kehlkopfhebung und Sphinkter­öffnung. Ramsey et al. (2005) beschreiben als ursächliche Mechanismen einer „silent aspiration“: • Schwäche oder Dyskoordination der Pharynxmuskulatur • Reduzierte pharyngolaryngeale Sensibilität • Reduzierter Hustenreflex (Niimi et al. 2003) • Reduzierter Serumspiegel der Substanz P (Arai et al. 2003). (Dieses Neuropeptid soll die Auslösung von Husten- und Schluckreflex fazilitieren). „Silent aspiration“ gefährdet den Patienten doppelt • Sie kann übersehen werden. • Das eingedrungene Material

wird aufgrund des fehlenden reflektorischen Hustenreflexes nicht wieder hinausbefördert und gelangt in die tiefen Atemwege.

9

Nach Aviv et al. (1997) sind nachgewiesene Aspira­ tion und laryngopharyngeale Sensibilitätsstörung eindeutige Prädiktoren für die Entwicklung einer Aspirationspneumonie. Unabhängig vom jeweiligen Pathomechanismus sind für die Akutversorgung das Ausmaß der Aspiration und die unmittelbaren klinischen Folgen relevant.

9.1.2 Schweregradeinteilungen der Aspiration Um eine Einschätzung der Gefährdung des Patienten vornehmen, therapeutische Konsequenzen herleiten und einen Therapieerfolg überprüfen zu können, sind Schweregradeinteilungen nach dem klinischen, rönt-

genologischen und pharyngolaryngoskopischen Befund erarbeitet worden. Auf die wichtigsten ist bereits in › Kap. 8.2.6 eingegangen worden (Beurteilungskriterien, Skalen und Scores). Historisch ist noch eine der ersten Einteilungen nach dem klinischen Befund von Miller und Eliachar (1994) bemerkenswert: Schweregrade der Aspiration nach dem klini­ schen Befund (Miller, Eliachar 1994): 1. Gelegentliche Aspiration ohne Komplikationen 2. Intermittierende Aspiration von Flüssigkeiten, aber erhaltene Fähigkeit, eigenen Speichel und festere Nahrung zu schlucken; keine klinischen Zeichen von Pneumonie oder chronischer Hypoxie 3. Keine sichere orale Nahrungsaufnahme möglich, intermittierende Pneumonie/Hypoxie 4. Schwere lebensbedrohliche Aspiration von Flüssigkeiten, festen Speisen und Speichel, chronische Pneumonie/Hypoxie Zur genaueren Erfassung der Störungskomponenten Aspiration und Bolustransportstörung wurde der Bogenhausener Dysphagiescore entwickelt (› Kap. 10).

9.1.3 Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Aspirations­ komplikationen Die Aspiration gefährdet die Lungenfunktion in 3-facher Hinsicht (Bartlett et al. 1975): • Chemisch • Bakteriell • Mechanisch Dabei sind die Auswirkungen akuter oder chronischer Aspirationen von mehreren Faktoren abhängig (› Tab. 9.1): Zum einen müssen aggressive Faktoren berücksichtigt werden wie Häufigkeit, Art und Menge des Aspirats sowie dessen Keimbesiedelung. Zum anderen bewirken protektive Faktoren eine ganz unterschiedliche Reaktion der Patienten bei gleichem Aspirationsschweregrad. Die protektiven Faktoren sind bei jedem Patienten in unterschiedlichem Maße vorhanden. Sie können erklären, warum eine geringgradige Aspiration bei einem Patienten zur schweren Pneumonie führt, während ein anderer Patient eine höhergradige Aspiration über längere Zeit ohne größere Komplika­ tionen toleriert. So erfassten Langmore et al. (1998)

9.1  Aspiration als bedrohlichster Faktor der Dysphagie

219

Tab. 9.1  Einflussfaktoren der Entwicklung von Aspirationskomplikationen Aggressive Faktoren • Art des Aspirats (s. u.) • Häufigkeit der Aspiration:

Protektive Faktoren ständig, intermittierend, gele-

gentlich • Menge des aspirierten Materials • Menge der kontaminierenden Keime: häufig liegen bei Intensivpatienten bakterielle Nebenhöhlenaffektionen vor, deren Sekret bei Aspiration entsprechend infektiös wirkt • Virulenz der Keime

in einer Studie wichtige Prädiktoren einer Aspira­ tions­pneumonie: • Unselbstständigkeit bei der Nahrungszufuhr • Anzahl kariöser Zähne (unter anderem beeinträchtigte Mundflora!) • Sondenernährung (unter anderem Refluxgefahr!) • Mehr als eine medizinische Diagnose • Zahl der einzunehmenden Medikamente • Rauchen Diese Prädiktoren verdeutlichen, dass insbesondere ältere Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen gefährdet sind, eine Aspirationspneumonie zu entwickeln. Nach der Art der Aspiration lassen sich einteilen (Mendelsohn 1993): • Speichel-/Sekretaspirationen • Aspiration von Nahrung/Flüssigkeiten • Magensaftaspiration

Aspiration von Speichel bzw. ­oropharyngealem Sekret Speichelaspiration kommt auch bei Gesunden in geringen Mengen und im Schlaf vor. Bedrohlich werden kann sie in folgenden Fällen: • Wenn sich aufgrund einer Unfähigkeit des Abschluckens größere Mengen im Hypopharynx ansammeln und in den Kehlkopf und die Trachea überlaufen • Bei Änderungen der Mundflora (Vermehrung von Anaerobiern bei Gingivitis, Vermehrung gramnegativer Keime bei chronisch Kranken), bei endotrachealer Intubation und nach Einnahme von Protonenpumpenhemmern • Bei bakterieller Besiedlung des Nasopharynx (häufig nach transnasaler Intubation oder bei

• Clearance der Atemwege • Mukoziliare Clearance (Verschlechterung

bei Vorschäden) • Hustenstoß (reflektorisch, willkürlich) • Immunologische Abwehrlage (je nach Grunderkrankung, Ernährungszustand, Medikamenteneinnahme) • Kognitive Fähigkeiten, Mobilität

transnasaler Magensonde wegen Schleimhautdruckschäden und mangelhafter Belüftung der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen!) In den beiden letztgenannten Fällen wirken aspirierte Substanzen wesentlich aggressiver als nichtkontaminierter Speichel/Schleim. Über die Menge aspirierten Materials, die ein Patient ohne bedrohliche pulmonale Komplikationen toleriert, gibt es keine verlässlichen Angaben. Auch bei nichtoraler Ernährung können aufgrund von Speichel- und Sekretaspirationen lebensbedrohliche pulmonale Komplikationen auftreten.

Aspiration von Nahrung und ­Flüssigkeiten Bei Aspiration von Nahrung und Flüssigkeit kann es bei größeren Bestandteilen zur Obstruktion der Luftwege mit entsprechender akuter Luftnot kommen. Bei kleineren Aspiraten besteht neben der mechanischen und chemischen Irritation eine Gefährdung durch die Infektion mit Bakterien und Pilzen. Selbst Wasser ist nach der Passage der Mundhöhle und des Rachens entsprechend kontaminiert und kann bei Aspiration zu Komplikationen führen.

Aspiration von Magensaft Die Aspiration von Magensaft ist die größte Bedrohung für das pulmonale System und birgt eine hohe Letalität (Miller und Eliachar 1994).

9

220

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Aspiration von Magensaft bedingt eine mechanische Obstruktion durch chemische Schädigung mit erhöhter Permeabilität der alveolaren Kapillar­mem­ bran, vermindertes intravaskulares Volumen und Serumausscheidung in den Alveolarraum (Pneumonitis). Patienten mit gastroösophagealem Reflux (GER) und einer Aspirationssymptomatik bedürfen daher besonderer Überwachung, insbesondere bei Sondenernährung (› Kap. 9.3.1) sowie Achtsamkeit bei therapeutischen Übungen mit Einsatz der Bauchpresse (z. B. zur Verbesserung der laryngealen Adduktion).

9.1.4 Maßnahmen zur Verhinderung von Aspirationen Unmittelbar nach Diagnosestellung muss versucht werden, die Aspiration zu vermindern bzw. zu eliminieren. Entsprechende Maßnahmen sind im Folgenden dargestellt.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

• Haltungsänderung • Anwendung von Schluck- und Reinigungstechniken

• Kostanpassung • Änderung des Essverhaltens (› Kap. 10) Nichtorale Ernährung 9

In schweren Fällen, insbesondere mit manifesten Lungenkomplikationen, muss die orale Nahrungsaufnahme durch parenterale oder Sondenernährung ersetzt werden (› Kap. 9.3).

Umfassende interdisziplinäre Betreuung Die Betreuung aspirationsgefährdeter Patienten mit Dysphagie erfordert die enge Zusammenarbeit eines speziell geschulten ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Teams.

Internistische Behandlung Die engmaschige internistische Kontrolle und Mitbehandlung beinhaltet die Registrierung von Entzündungszeichen (Temperatur, Blutbild, C-reaktives Protein [CRP]), Auskultation der Lunge und Röntgen-Thorax.

Bronchoskopie Die Bronchoskopie ist eine der wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bei Verdacht auf Lungenkomplikationen durch Aspiration (Gallenberger und Schröter-Morasch 1999): • Diagnostisch zum Nachweis von aspiriertem Material in Trachea und Bronchialbaum und von Entzündungszeichen sowie zur Gewinnung von Material für die bakteriologische Testung (Antibiotika sind nach Antibiogramm zu verabreichen.) • Therapeutisch zum Absaugen von (aspirierten) Fremdpartikeln, Speichel, Sekret, Eiter (Bronchiallavage)

Behandlung der oberen Luftwege Hierzu gehört die Sanierung der oberen Luftwege (Nase, Nebenhöhlen), die als eventuelles Keimreservoir fungieren und dementsprechend eine Gefahr darstellen können. Eine HNO-ärztliche Konsultation ist daher insbesondere bei Patienten nach intensivmedizinischer Behandlung mit transnasalen Sonden/Tuben sowie bei Patienten mit entsprechenden Vorerkrankungen, z. B. einer chronischen Sinusitis, unerlässlich.

Refluxbehandlung Zur Prophylaxe und Therapie des Refluxes gehören (› Kap. 14): • Nahrungsaufnahme im Sitzen, Sitzposition bis 1 Stunde nach den Mahlzeiten beibehalten • Vermeidung säurefördernder Speisen und großer Mahlzeiten • Letzte Nahrungsaufnahme 3–4 Stunden vor dem Schlafengehen • Schlafposition mit um ca. 10–20 cm erhöhtem Oberkörper

9.1  Aspiration als bedrohlichster Faktor der Dysphagie

• Medikamentöse Behandlung von Motilitätsstö-

rungen der Speiseröhre und des Magens • Verringerung der Magensäure durch H2-Blocker oder Protonenpumpenhemmer

Pflege und physikalische Medizin Zur pflegerischen Betreuung und zu physikalischen Maßnahmen (Lob 1999) gehören: • Optimale Mund- und Zahnpflege, eventuell Gabe von Sialogoga (z. B. Zitrone) (Maeda, Akagi 2014) • Anfeuchten der Atemluft bei tracheotomierten Patienten • Suffizientes Absaugen bei tracheotomierten Pa­ tienten • Konsequente Atemtherapie • Allgemeine Aktivierung und Mobilisierung • Ausreichende Ernährung und Flüssigkeitszufuhr

Vermeidung dysphagieauslösender bzw. -verstärkender Medikation Als Beispiele seien angeführt (› Kap. 4): • Sedativa • Hypnotika • Antikonvulsive Medikamente mit dämpfender Wirkung auf das ZNS bzw. die Re­gu­la­tions­zen­ tren des Hirnstamms • Neuroleptika mit Auslösung von Hyperkinesen und Koordinationsstörungen der oropharyngealen Schluckmechanismen (Sokoloff et al. 1997) Nach Möglichkeit Vermeidung von Medikamenten, die eine erhöhte Speichelproduktion auslösen können, z. B. atypische Neuroleptika wie Clozapin (Prosiegel und Weber 2010). Auch Pyridostigmin (Mestinon®) zur Behandlung der Myasthenie kann zu erhöhter Speichelproduktion führen. Die Nebenwirkungen sind häufig dosisabhängig und individuell unterschiedlich. Nach einer Studie von Wada et al. (2001) erhöht sich z. B. das Aspirationsrisiko bei Patienten mit Alzheimer-Erkrankung signifikant mit Zunahme der Dosis an verabreichten Neuroleptika. Eine Übersicht zu Auswirkungen von Medikamenten auf Essverhalten und Schluckvermögen findet sich bei Schwemmle et al. (2015) und Carl und Johnson (2005).

221

Pharmakotherapie Eine gesicherte generelle medikamentöse Behandlung der oropharyngealen Dysphagie ist bis heute nicht verfügbar. Wichtig ist eine adäquate Behandlung der Grunderkrankung mit optimaler Medikamentenverabreichung im Hinblick auf die Schluckstörung. Dazu gehört z. B. die Medikation zu einem Zeitpunkt, der die Einnahme der Mahlzeit während des günstigsten Wirkungseffekts erlaubt, z. B. bei Patienten mit Myasthenie oder Morbus Parkinson. Zu weiteren Therapieeffekten von ACE-Hemmern und Amantadin bei neurogenen Dysphagien › Kap. 4.11.3. Die medikamentöse Behandlung ösophagealer Dysphagien wird in › Kap. 14 dargestellt.

Medikamentöse Speichelreduktion Ein übermäßiger Speichelfluss (Sialorrhö) kann durch eine zu große Speichelproduktion (Hypersalivation) oder ein vermindertes Abschlucken von Speichel (Pseudohypersalivation) bedingt sein. Verschiedene Autoren stimmen in der Annahme überein, dass bei den meisten Patienten nicht eine übermäßige Speichelproduktion vorliegt, sondern eine Beeinträchtigung des Abschluckens (Checklin et al. 2015; Steffen et al. 2013). Der Begriff Sialorrhö oder Drooling (Steffen et al. 2011) scheint daher treffender zu sein als Hypersalivation. Eine entsprechende deutsche Symptombezeichnung exisiert nicht, allenfalls „Speicheltröpfeln, Sabbern“. Das Herauslaufen aus dem Mund führt in unterschiedlichem Umfang zum Benässen von Lippen, Kinn, Händen, Kleidung und Wäsche. Es stellt ein großes ästhetisches Problem dar, erhöht den Pflegeaufwand und mindert die soziale Akzeptanz. An den Lippen und der perioralen Haut kommt es zu Entzündungen und Rhagadenbildung. Ist das Speichelabschlucken gestört, sodass sich „Speichelseen“ im Hypopharynx bilden, kann der in den Kehlkopf überfließende Speichel aspiriert werden. Solange sich die Situation durch reflektorisches und willkürliches Abhusten, Absaugen, Lagern und physikalische Maßnahmen beherrschen lässt, kann man versuchen, das Abschlucken des Speichels durch Maßnahmen der funktionellen Schlucktherapie zu verbessern.

9

222

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Gelingt dies nicht bzw. nur unzureichend und ist der Patient akut aspirationsgefährdet, gibt es Möglichkeiten, die Speichelproduktion medikamentös zu vermindern. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Anticholinergika. Klinisch bewährt haben sich folgende Wirkstoffe: • Scopolamin • Glycopyrroniumbromid und Amitriptylin • Botulinum-Neurotoxin

Scopolamin

9

Das Scopolaminpflaster (Scopoderm TTS®) wurde zur Behandlung der Reisekrankheit entwickelt und vermindert als Nebenwirkung die Speichelproduk­ tion (Talmi et al. 1990). Nach Applikation erfolgt ­eine kontinuierliche, allerdings abnehmende Wirk­ stoff­ab­ga­be über 72 Stunden. Vorteil ist die unkomplizierte Anwendung. Als Nachteile sind die relativ häufigen Pflasterallergien anzusehen und die geringe Beeinflussbarkeit der Dosierung. Dazu gehört, dass die Wirkstoffabgabe auch nachts erfolgt, wenn die Speichelproduktion ohnehin stark reduziert und eine Drosselung oft gar nicht erforderlich ist. Scopolamintropfen werden nach ärztlicher Verordnung in der Apotheke hergestellt: • 7,5 mg Scopolaminbromid auf 250 ml Aqua conservans • p-Hydroxybenzoesäurepropylester 0,0625 g, • p-Hydroxybenzoesäuremethylester 0,1875 g, • gereinigtes Wasser ad 250 ml). 1 ml dieser Lösung enthält 30 µg Scopolamin. Lichtgeschützt ist diese Lösung mehrere Monate haltbar. Die empirisch, nach klinischer Wirkung, gefundenen Tagesdosen liegen zwischen 4 × 3 ml ≙ 0,36 mg/ Tag und 4 × 8 ml ≙ 0,96 mg/Tag (Fischbacher und Schröter-Morasch 2003). Scopolaminbromid wird oral oder über Sonden verabreicht. Damit lassen sich tageszeitliche und aktivierungsabhängige (Sprechbelastung!) Schwankungen der Speichelproduktion berücksichtigen. Scopolamin reduziert die Speichelmenge und erhöht die Viskosität des Speichels. Durch die damit verbundene Verstärkung des sensorischen Inputs lässt sich zusätzlich die Schluckreflextriggerung günstig beeinflussen. So kann bei Schlaganfällen, nach Schädel-Hirn-Traumen und bei vielen anderen Indikationen eine Dysphagie gemildert und die Le-

bensqualität verbessert werden. Insbesondere bei Kanülenträgern aufgrund einer schweren Dysphagie hat sich die Medikation zur Vorbereitung auf die Dekanülierung bewährt. Bei anderen kann es sogar gelingen, eine drohende Tracheotomie abwenden. Mögliche Nebenwirkungen sind: • Starke Mundtrockenheit • Hohe Viskosität des Speichels mit erschwertem Abschlucken und Absaugen • Akkommodationsstörungen • Harnverhalt • Tachykarde Rhythmusstörungen • Kognitive und vegetative Beeinträchtigungen wie Konzentrationsschwäche, Schläfrigkeit, Schwindel, Erregtheit • Störungen der Magen-Darm-Passage (Obstipation), Harnverhalt Nebenwirkungen und Kontraindikationen von Scopolamin Bei Langzeitanwendung und älteren Patienten sind kognitive Einbußen möglich (Sittironarid et al. 2011)! Als Kontraindikationen sind Glaukom, Akkomodationsstörungen, Harnverhalt, gastrointestinale Motilitätsprobleme, Herzrhythmusstörungen und Verwirrtheit zu beachten.

Glycopyrroniumbromid und Amitriptylin Die Häufigkeit der Nebenwirkungen im ZNS ist bei Glycopyrroniumbromid deutlich vermindert (geringere Überwindung der Blut-Hirn-Schranke). Daher wird es zunehmend bei stationären Patienten verwendet: Robinul®-Ampullen sind in der Anästhesie zur Operationsvorbereitung sowie Narkoseeinund -ausleitung zugelassen. 1 ml Injektionslösung (i. v., i. m.) enthält 0,2 mg Glycopyrroniumbromid. Die erforderliche Dosierung muss individuell angepasst werden (ein bis mehrmals tgl. ¼ bis ½ Ampulle), auch eine Kombination mit Scopolamin ist zu erwägen. Gelegentlich kommt auch das Antidepressivum Amitriptylin (Saroten®) zur Anwendung. Vorteil aller genannten Substanzen ist der rasche Wirkungseintritt innerhalb weniger Stunden.

9.1  Aspiration als bedrohlichster Faktor der Dysphagie

Bei der Verordnung von Medikamenten zur Speichelreduktion handelt es sich um einen Off-Label-Gebrauch, das heißt, das Medikament ist für diese Indikation nicht speziell zugelassen. Die Patienten müssen entsprechend aufgeklärt werden und zustimmen.

Botulinum-Neurotoxin (BoNT) Gelingt die medikamentöse Speichelreduktion nicht oder verbieten vorhandene Kontraindikationen die Anwendung anticholinerger Substanzen, steht mit der Injektion von Botulinum-Neurotoxin in die großen Speicheldrüsen eine zunehmend als effektiv und nebenwirkungsarm erkannte Möglichkeit zur Reduktion der Speichelproduktion zur Verfügung (Fischbacher 2016; Squires et al. 2014; Vashishta et al. 2013; Lim et al. 2006; Laskawi und Roggenkämper 2004;). Sie basiert auf der Hemmung der cholinergen neuroglandulären Übertragung und ist für ein breites Alters- und Erkrankungsspektrum empfehlenswert: Gute Ergebnisse wurden bei Patienten mit Parkinson-Erkrankung (Chinnapongse et al. 2012; Lagalla et al. 2009; Ondo et al. 2004) und amyotropher Lateralsklerose (ALS; Stone und O‘Leary 2011; Guidubaldi et al. 2011) sowie bei Kindern beschrieben (Steffen et al. 2011; Ellies et al. 2004, 2002). In der Regel erfolgt die Injektion, optimiert durch Ultraschallkontrolle, sowohl in die Glandula parotidea als auch in die Glandula submandibularis (Jongerius et al. 2003). Nebenwirkungen wurden bei diesen Applikationen nicht beobachtet. Der Wirkungseintritt beginnt nach 2–3 Tagen und erreicht nach ca. 10 Tagen das Optimum. Die Wirkungsdauer beträgt nach Hagenah et al. (2005) ca. 2–4 Monate, nach anderen Autoren bis zu 6 Monaten (u. a. Lagalla et al. 2009). Unter der Behandlung mit Botulinum-Neurotoxin kann es gelingen, den Patienten zu dekanülieren und den Schluckvorgang effektiv und ausreichend sicher werden zu lassen, sodass beim Wiedereinsetzen der normalen Speichelproduktion das Abschlucken möglich und keine erneute Injektion notwendig ist.

Nachteil dieser Behandlungsoption ist der verzöger­ te Wirkungseintritt (Optimum nach 1–2 Wochen).

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Gerade bei stationären Patienten vergeht damit wertvolle Zeit, bis der Patient entblockt werden kann. Daher ist anfangs nicht selten die Kombina­ tion von Robinul® oder einer scopolaminhaltigen Medikation und die Injektion von Botulinum-Neurotoxin indiziert. Die Auswahl des jeweils geeigneten Behandlungsverfahrens, Dosierung und Dauer können optimal durch video-pharyngolaryngoskopische Verlaufsuntersuchungen überprüft werden (Fischbacher 2016; Fischbacher und Schröter-Morasch 2003).

Weitere Optionen und Informationen Chirurgische Verfahren zur Verringerung der Speichelproduktion (Exzision und Verlagerung der Speicheldrüsen bzw. deren Ausführungsgänge; Reed et al. 2009) sind erwägungswert, insbesondere bei Kindern und Patienten, bei denen langfristige Lösungen erforderlich sind (Checklin et al. 2015). Eine Bestrahlungstherapie (External beam radiation therapy, EBRT) wird in einigen Studien beschrieben, z.B. bei Parkinsonerkrankung und ALS (Hawkey et al. 2015). Die dabei auftretenden Nebenwirkungen mit akuter Toxizität (Schmerzen, Schwellungen, Hautreaktionen, Mukositis, Xerostomie) und (irreversiblen) Langzeitfolgen wie Geschmacksstörungen, Xerostomie und zu zäher Speichel sind nicht zu unterschätzen, die Methode daher sicher Einzelfällen vorbehalten. Ein Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Speichelreduktion findet sich in der Leit­ linie „Hypersalivation“ der Deutschen Gesellschaft für HNO-Erkrankungen (Steffen et al. 2013), für Kinder zudem in Übersichtsartikeln von Fairhurst und Cockerill (2011) sowie Steffen et al. 2011. Generelle Nebenwirkungen der medikamentösen Speichelreduktion • Die

zunehmende Zähigkeit von Speichel und Sekret kann das Abhusten erschweren, ggf. ist die Kombination mit Acetylcystein ACC® und Inhalationen indiziert. • Starke Mundtrockenheit kann das Abschlucken erschweren. • Mundflora und Zahnmineralisation werden beeinträchtigt, entsprechend ist die Mundpflege zu intensivieren.

9

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9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Schutzintubation/Tracheotomie Trotz nichtoraler Ernährung und Maßnahmen zur Speichelreduktion können eine relevante Speichel­ aspiration sowie die Aspiration von nasopharyngealem Sekret und Refluat (weiter)bestehen. In diesen Fällen muss eine Schutzintubation (orale oder nasale Einführung eines Tubus mit aufblasbarer „blockbarer“ Manschette in die Luftröhre) oder eine Tracheotomie (Punktion oder Einschnitt der Luftröhre unterhalb des Kehlkopfs) mit Einsatz einer blockbaren Kanüle erfolgen.

9.2 Trachealkanülen

9

Eine Tracheotomie bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in Lebensqualität und Kommunikationsfähigkeit des Patienten, ein Risiko für Folgekomplikationen und eine deutliche Erhöhung des Pflegeaufwands. Fehlerhafte Anlage des Tracheostomas, die Verwendung ungeeigneter Kanülen sowie unsachgemäße Pflege und Handhabung überschatten und erschweren nicht selten die gesamte Rehabilitation nach einer schweren Grunderkrankung (Klemm und Novak 2012). Zur Beurteilung schluckgestörter Patienten mit einer Trachealkanüle sind daher einige grundsätzliche Erörterungen zum Verständnis der pathophysiologischen Verhältnisse und zu den verwendeten Kanülenarten und ihrer Pflege erforderlich. Sie sollen Therapeuten, Pflegepersonal, Angehörigen und nicht zuletzt dem Patienten selbst die Scheu vor dem „Loch im Hals“ nehmen und die Unsicherheit im Umgang mit den durch das Tracheostoma veränderten Bedingungen der Atmung, des Sprechens und des Schluckaktes verringern. Ausführliche Literatur zu verschiedenen Aspekten der Tracheotomie, spezieller Trachealkanülen und des Trachealkanülenmanagements findet sich in Publikationen von Schwegler (2016), Hess und Altobelli (2014), Beyer et al. (2014), Klemm und Novak (2012), BVMed (2017) sowie von Niers (2009) und Herbst (2008).

9.2.1 Pathophysiologische Erwägungen Der Kehlkopf erfüllt in seiner strategischen Lage unterschiedliche wichtige Funktionen. Kehlkopffunktionen • Atmung:

ausreichende Glottisöffnung (ungehinderte Atemluftströmung) • Schluckakt: Verschluss des Kehlkopfs (Schutz der tiefen Atemwege) • Husten und Pressen: Kehlkopfverschluss (subglottischer Druckaufbau) • Primäre Tongebung: schnelle, zeitlich und im Ausmaß genau definierte Wechsel von Öffnungs- und Verschlussmechanismen der Stimmlippen

Diese können in mehrfacher Weise gestört sein.

Behinderung der Atmung Bei den meisten Patienten, bei denen eine Tracheotomie erforderlich ist, liegt eine Behinderung der Atmung vor. Diese kann auf zahlreiche Ursachen zurückzuführen sein (Knöbber 1991): • Mechanische Behinderung (akut, chronisch) der oberen Atemwege durch: – Strukturelle Prozesse: entzündlich oder allergisch bedingt, Fremdkörper, Traumen, Gewebeneubildungen, insbesondere bösartige Tumoren – Beeinträchtigung der Stimmlippeninnervation, vor allem bilaterale Schädigungen mit ungenügender Abduktion der Stimmlippen und unzureichender Glottisweite (häufig nach Strumarezidiv-Op, direkten traumatischen Verletzungen des Kehlkopfs und der Trachea, zentralen bilateralen Paresen, Läsionen im Hirnstammbereich mit Schädigung der Hirnnervenkernregion) • Zentrale Ateminsuffizienz mit Beatmungspflicht • Pulmonale respiratorische Insuffizienz

Intubation Als Akutintervention erfolgt in der Regel in diesen Fällen eine Intubation, das heißt das Einbringen ei-

9.2 Trachealkanülen nes Schlauchs (Tubus), entweder durch den Mund (orale Intubation) oder durch die Nase (nasale Intubation, meist bei längerer Dauer) durch den Rachen in den Kehlkopf und die Trachea. Diese kann erhebliche Komplikationen hervorrufen, insbesondere wenn sie über einen längeren Zeitraum erforderlich ist (Klemm und Novak 2012): • Schädigungen der Nasen- und Rachenschleimhaut (Entzündungen, Ödeme, Druckulzera) • Nasennebenhöhlen-Entzündungen (Fokusbildung!) durch Behinderung der Belüftung • Schädigung der Rachen-, Kehlkopf- und Trachealschleimhaut, mögliche Entwicklung von Stimmlippengranulomen und -ulzera sowie Ringknorpelstenosen: Der Kehlkopf ist die engste Stelle im Atemrohr, der Ringknorpel durch seine geschlossene Ringform nicht dehnbar und daher besonders druckgefährdet • Tubusverborkungen, schwierige Mund- und Rachenhygiene

Tracheotomie Die Tracheotomie bietet neben der Vermeidung oben genannter Risiken viele Vorteile: • Direkter Zugang zu den unteren Luftwegen (erleichtertes Absaugen/Bronchialtoilette) • Erleichterung der Atemarbeit • Erleichterung der Beatmung (Reduktion des Atemwiderstands) und des Anschlusses von Geräten • Verminderung des Totraums • Erleichterung der Lagerung und der Mundpflege • Notwendigkeit der Sedierung entfällt • Sicherung des Atemwegs bei Tumoren in Oropharynx und Larynx Bei Patienten mit einer Obstruktion der oberen Atemwege, die eine Tracheotomie erfordert, sind in der Regel die Verschlussmechanismen des Kehlkopfs beim Schluckakt erhalten, sofern nicht die Tracheotomie selbst das Schlucken beeinträchtigt.

Gestörter Kehlkopfverschluss Ganz andere Voraussetzungen haben Patienten mit Schluckstörungen im pharyngoösophagealen Bereich. Bei ihnen besteht meist keine Beeinträchti-

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gung der Glottisöffnung, sodass die Atmung prinzipiell ungestört ablaufen könnte. Sie weisen jedoch häufig Störungen der notwendigen Verschluss­ funktion des Kehlkopfs beim Schlucken auf. Ursachen sind: • Motorische Störungen mit ungenügender Kehlkopfelevation, verminderter Dorsalneigung der Epiglottis, verminderter medialer laryngealer Kompression (Glottisschluss), vermindertem Verschluss des Aditus laryngis • Verminderte Schluckreflexauslösung mit nicht zeitgerechtem und/oder ungenügendem Kehlkopfverschluss • Sensibilitätsstörung des Kehlkopfs und eventuell der subglottischen Trachealabschnitte mit einer Verminderung der Schutzreflexe (Husten). Diese wirkt sich insbesondere aus, wenn aufgrund pharyngealer Kontraktionsschwäche oder einer Öffnungsstörung des oberen Ösophagus­ sphinkters (OÖS) Residuen im Hypopharynx verbleiben, in den Kehlkopf überkippen, nicht reflektorisch entfernt und somit aspiriert werden. Die schwersten Beeinträchtigungen sind bei einer Kombination motorischer und sensibler Störungen zu erwarten. Bei den davon betroffenen Patienten kann es zum Eintritt von Speichel/Sekret/Nahrung in den Kehlkopf oder sogar in die unteren Luftwege kommen, das heißt zur Aspiration.

Die Tracheotomie hat bei Patienten mit gestörtem Kehlkopfverschluss die Aufgabe, diesen durch den Einsatz einer blockbaren Kanüle zu kompensieren sowie das Entfernen aspirierten Materials durch Absaugen zu ermöglichen. Letzteres ist insbesondere bei Patienten der Fall, bei denen neben der Schluckstörung eine Schwächung der Atemmuskulatur vorliegt. Diese führt zu einer verminderten Kraft des reflektorischen und willkürlichen Abhustens, die sich häufig auch durch physikalisch-pflegerische Maßnahmen nicht ausreichend kompensieren lässt. Abhusten muss dann durch Absaugen ersetzt werden.

Die Indikation zur Tracheotomie wird in der Regel bereits durch die akut versorgende Klinik gestellt (neurologische/neurochirurgische/internistische Intensivstation, HNO-Klinik oder Chirurgie bei Pa­ tien­ten mit onkologischen Erkrankungen, HWS-Erkrankungen). Heute liegen Indikation und Durch-

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226

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

führung der Tracheotomie zunehmend in der Hand von Intensivmedizinern, da sich die Anzahl intensivpflichtiger Patienten mit der Notwendigkeit einer längerfristigen Beatmung deutlich erhöht hat (Bast et al. 2014). Dabei ist eine enge Kooperation mit HNO-Fachkollegen anzustreben (Klemm und Novak 2012; Seidl und Nusser-Müller-Busch 2004).

9.2.2 Arten der Tracheotomie Ein ausführlicher Überblick über Indikationen, Techniken und Komplikationen der Tracheotomie findet sich bei Klemm und Novak (2012). Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte zusammengefasst. Koniotomie Notfallmäßige Schaffung eines Zugangs zur Trachea. Dazu spaltet man das – am besten zugängliche – Lig. cricothyreoideum zwischen Ringknorpel und Schildknorpel quer und führt eine Kanüle ein.

Eine Koniotomie ist umgehend in ein chirurgisches Tracheostoma umzuwandeln, um Druckschäden am empfindlichen Ringknorpel mit nachfolgender Stenosebildung zu vermeiden (Bartels und Bogdanski 2011).

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Neben der notfallmäßigen Koniotomie unterscheidet man folgende Arten der elektiven Tracheotomie: • Perkutane dilatative Tracheotomie (PDT) • Konventionelle chirurgische Tracheotomie/Tracheostomie • Epithelisiertes Tracheostoma

den, folgen jedoch alle dem gleichen Prinzip (› Abb. 9.1; Übersicht: Jungehülsing und Erle-­Bischoff 2012): • Unterhalb des 2. oder 3. Trachealknorpels wird die Trachea mit einer Kanüle punktiert. • Danach wird in die Punktionskanüle ein Führungsdraht (Seldinger-Draht) geschoben. • Über diesen erfolgt nach Rückziehen der Kanüle – Die Einführung von Dilatatoren (Ciaglia et al. 1985) oder – Die Aufweitung des Punktionskanals (bestehend aus Haut, Halsweichteilen und Tracheavorderwand) – mit einem Spreizer (nach Griggs) – mit einer Dilatationsschraube (nach Frova) oder – durch eine Ballondilatation (Zgoda und Berger) • Anschließend wird über den Führungsdraht die Kanüle eingebracht. Die PDT erfolgt stets unter sonografischer und bronchoskopischer Kontrolle.

Bei der heute nur noch selten angewendeten Dilata­ tionstracheotomie nach Fantoni (Fantoni und Ripamonti 1997) wird die Trachea ebenfalls von außen punktiert, der Führungsdraht aber durch den Mund nach außen geführt. Dann wird eine mit ihm verbundene, spitz zulaufende Kanüle durch den Kehlkopf hindurch und durch die Trachea nach außen gezogen. Damit erfolgt die Dilatation der Tracheapunktionsstelle von innen nach außen. Risiken der Halsweichteil- und Trachealpunktion • Schrägpunktion

Perkutane dilatative Tracheotomie (PDT) Die auch als Punktionstracheotomie bezeichnete PDT ist in Deutschland auf Intensivstationen in steigendem Maße der bevorzugte Eingriff (30.000 Eingriffe jährlich in Deutschland, Bast et al. 2014). Sie kommt weltweit heute bei 9 von 10 Tracheotomien zur Anwendung. Verschiedene Methoden sind nach der Erstbeschreibung im Jahre 1955 entwickelt wor-

mit Verletzung der Trachealwand (Stenosegefahr) • Trachealspangenbruch bei Ausübung von zu großem Druck (ebenso spätere Stenosegefahr!) • Durchstechen der Tracheahinterwand mit Gefahr der Emphysembildung, Ösophaguswandverletzung und Fistelbildung (› Abb. 9.1) • Gefäß- oder Schilddrüsenpunktion mit schweren Blutungen Entsprechend sorgfältig muss die Indikation gestellt werden, der Eingriff unter Anleitung erfahrener Fachärzte und in einem Umfeld erfolgen, in dem lebensbedrohliche Komplikationen beherrschbar sind.

9.2 Trachealkanülen

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diese im Verlauf schrumpfen. Der Tracheotomiekanal schließt sich daher dicht um die Kanüle und es kann beim Ausatmen nur wenig bzw. gar keine Luft neben der Kanülenwand entweichen. Damit wird der für stimmhaftes Sprechen (bei Verwendung eines Sprechventils) und effektives Räuspern/Abhusten notwendige Druckaufbau ermöglicht. • Meist Spontanverschluss des Tracheostomas nach Dekanülierung mit kleiner, punktförmiger Narbe ohne ausgeprägte Adhäsion • Selteneres Auftreten schwerer Trachealstenosen Für voraussichtlich kurzzeitige Kanülenpflicht erscheint die Methode daher als durchaus vorteilhaft.

Nachteile Abb. 9.1  Punktionstracheotomie. [M858] a Punktion der Trachea unterhalb des 2. Trachealrings. b Einführen des Seldinger-Drahts durch die Punktionskanüle. c Über den Seldinger-Draht eingebrachter Dilatator. d Eingeführte Trachealkanüle

Trotz dieser Risiken haben Klemm und Novak (2017) in einer Reviewerhebung keine erhöhten Todesfallraten für PDT-Verfahren erkennen können. Studienvergleiche sind jedoch sehr schwierig, da es sich um Patientenkollektive mit sehr heterogenen Grunderkrankungen handelte und keine Verlaufskomplikationen erfasst wurden. Auch sie betonen die Notwendigkeit fachgerechter Anleitung bei diesem Verfahren.

Vorteile gegenüber der chirurgisch angelegten Tracheotomie

• Eingriff im Bett auf der Intensivstation möglich • Durchführung nicht zwingend durch HNO-Fachärzte notwendig, entsprechende Kenntnisse und Anleitung des Operateurs durch erfahrene Kollegen vorausgesetzt • Geringere Belastung für den Patienten, da kürzerer Eingriff (Oggiano et al. 2014) • Geringere Infektionsgefahr (da keine nennenswerten Wundflächen entstehen) • Da das Gewebe nur auseinandergedrängt wird, ist der Tracheotomiekanal sehr eng und bleibt es auch nach Granulation der Wundflächen, zumal

Demgegenüber stehen jedoch gravierende Nachteile dieser Enge: nach Entfernen der Kanüle zieht sich der Tracheotomiekanal oft in Minutenschnelle zusammen, was einen Kanülenwechsel erschwert und besondere Vorsicht erfordert . Nach Selbstdekanülierung, z. B. nachts, lässt sich die Kanüle meist nur unter großen Schwierigkeiten und/oder nach erneuter Aufbougierung wieder einbringen. Besteht eine gleichzeitige mechanische Atmungsbehinderung oberhalb des Tracheostomas oder eine massive Aspira­ tions­symptomatik, kann diese Situation lebensbedrohlich sein!

Ein Kanülenwechsel sollte frühestens 7–10 Tage nach Tracheotomie erfolgen. Er gestaltet sich oft sehr schwierig und kann zur Bildung einer Via falsa („falscher Weg“) führen mit Mediastinalemphysem, Blutungen und bedrohlicher Atemnot als Folge. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass die Nachsorge, Betreuung und konservative Therapie solcher Pa­ tien­ten häufig in Reha-Einrichtungen ohne Interventionsmöglichkeit wie in einer Intensivstation oder einer HNO-Klinik erfolgt, ganz zu schweigen von der häuslichen Pflege. Bei schluckgestörten Patienten kommt hinzu, dass die sehr fest sitzende Kanüle die Kehlkopfhe­ bung stärker behindert als ein weniger enges Tracheostoma, welches der Kanüle ein gewisses Spiel erlaubt. Druckschädigungen der Trachea sind

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228

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

durch diesen festen Sitz der klinischen Erfahrung nach ebenfalls eher zu erwarten. (Allerdings fanden Ledl und Mertl-Roetzer [2009] in einer Studie an 344 Patienten bei Patienten mit PDT keine erhöhte Neigung zu Granulationen/Stenosen im Vergleich zu Patienten mit chirurgisch angelegtem Tracheostoma.) In vielen Fällen muss daher nachträglich eine Punktionstracheotomie in ein plastisches epithelisiertes Tracheostoma, das gefahrlos und leicht zu versorgen ist, umgewandelt werden (s. u.). Patienten mit Punktionstracheostoma dürfen in der Regel nicht in häusliche Pflege entlassen oder in Einrichtungen verlegt werden, die nicht zum notfallmäßigen Kanülenwechsel bzw. zur sofortigen Intervention mit Intuba­ tion und Bronchoskopie in der Lage sind!

Konventionelle chirurgische ­Tracheotomie/Tracheostomie • Tracheotomie: chirurgische Eröffnung der Luftröhre • Tracheostomie: Anlage eines epithelisierten Tra-

cheostomas, das heißt Schaffung eines epithelisierten Kanals durch Verbindung der Luftröhrenschleimhaut mit der Haut (Koscielny 2012; Bartels und Bogdanski 2011).

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Nach horizontalem Hautschnitt und vertikaler Durchtrennung der langen prälaryngealen Halsmuskulatur erfolgt die Spaltung der Schilddrüse, die Inzision der Trachea unterhalb der 2. Trachealspange über ein Drittel der vorderen Trachealwand und die Umschneidung eines Türflügellappens aus der Trachea nach unten über ca. 2 Trachealspangen. Dieser sog. Björk-Lappen bleibt an der Unterseite mit der Trachea verbunden, wird nach vorn geklappt und mit der Schleimhaut an der Halshaut vernäht. Er bildet die untere Begrenzung des Tracheostomakanals und dient beim Kanülenwechsel als Gleitschiene. Die übrigen durchtrennten Gewebeschichten bleiben als offener Wundkanal bestehen und epithelisieren durch Granulation. Nach Dekanülierung kann der Lappen wieder hochgeklappt und mit der Trachea vernäht werden. Eine Resektion der Tracheavorderwand sollte nicht

erfolgen, jedoch unterbleibt in der Praxis häufig die Lappenbildung und die Trachealöffnung wird nur „ausgestanzt“. Nachteile • Durch

den größtenteils offen bleibenden langen Wundkanal kann es leicht zu Komplikationen, z. B. Granulationsbildung und Blutungen, Infektionen des umliegenden Gewebes mit Narbenschrumpfung und der Gefahr von Arrosionsblutungen der benachbarten Gefäße, kommen. • Die Bildung einer Via falsa beim Kanülenwechsel ist ebenfalls bedrohlich.

Epithelisiertes Tracheostoma Dabei wird der Wundkanal zwischen Halshaut und Tracheavorderwand plastisch gedeckt: Nach entsprechender Mobilisation der Halshaut erfolgt eine spannungsfreie Vernähung von Haut und Trachealschleimhaut (Koscielny 2012). Dadurch werden Komplikationen vermieden, die bei der klassischen Tracheotomie mit dem langen Wundkanal auftreten können Außerdem erleichtert das epithelisierte Tracheostoma den Kanülenwechsel. Bei schluckgestörten Patienten ist nach Möglichkeit ein epithelisiertes Tracheostoma anzulegen. Bei Entlassung in häusliche Pflege/Pflegeheim/weiterführende RehaEinrichtung muss das Tracheostoma reizlos sein und der Kanülenwechsel sich problemlos vollziehen lassen.

Eindeutige Empfehlungen über den optimalen Zeitpunkt für eine Tracheotomie gehen aus den bisher existierenden Studien nicht hervor. Daher bleibt der Zeitpunkt einer elektiven Tracheotomie unter Abwägung von Risiken und Erfolgsaussichten eine individuelle Entscheidung, die interdisziplinär getroffen werden sollte (Klemm und Novak 2012). Nach wie vor gelten folgende Richtlinien (Hille 2005; Graumüller et al. 2002; Deitmer 1999):

9.2 Trachealkanülen

Zeitliche Richtlinien zur Anlage einer Tracheotomie • Erwartete

Intubationsdauer < 10 Tage: translaryngeale Intubation • Erwartete Intubationsdauer > 21 Tage: Tracheotomie nach 3–5 Tagen • Erwartung einer erforderlichen Langzeitüberbrückung des physiologischen Atemwegs: primäre Anlage eines epithelisierten Tracheostomas • Bei unklarer Intubationsdauer tägliches Überdenken der Indikation einer Tracheotomie

9.2.3 Wichtigste Kanülenarten, ihre Handhabung und Indikation Gemeinsamer Aufbau und allgemeine Merkmale von Trachealkanülen Eine Trachealkanüle besteht aus einem gebogenen Rohr (lat. cannula, Röhrchen), das eine Verbindung zwischen vorderer Halshaut und Trachea herstellt. Damit ermöglicht es die Atemluftströmung, die normalerweise über Mund und Nase erfolgt. Gleichzeitig hält es die künstlich geschaffene Verbindung, das Tracheostoma, offen. Das am Kanüleneingang befestigte Schild verhindert das Abgleiten des Rohrs in die Trachea. Gleichzeitig fixiert es die Kanüle durch seitliche Haltebänder am Hals und verhindert ein Herausgleiten oder Heraushusten der Kanüle. Manche Kanülen besitzen darüber hinaus ein inneres Rohr, die Innenkanüle oder „Seele“, die gewechselt und gesäubert werden kann, ohne die Außenkanüle entfernen zu müssen. Folgende Merkmale charakterisieren eine Kanüle (› Abb. 9.2 a): • Material: Silber, verschiedene Kunststoffe; eventuell enthaltene Metallteile sind auf ihre Tauglichkeit für die Kernspintomografie (MRT) zu überprüfen! • Größe: Sie wird von verschiedenen Herstellern unterschiedlich definiert; meist entspricht sie dem Innendurchmesser der Außenkanüle. • Länge: Distanz vom Kanülenschild bis zum unteren Kanülenrand, meist über die äußere Krümmung gemessen • Krümmung: Die Kanüle kann einen relativ kleinen Krümmungsradius aufweisen, das heißt, Kanüleneingang und untere Öffnung können nahe-

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zu rechtwinklig zueinander stehen (geeignet vor allem für schlanke Patienten mit dünnem Hals) oder flacher verlaufen (für Patienten geeignet, deren Trachea einen mehr schrägen Verlauf nach dorsal nimmt, z.B. bei Patienten mit etwas gedrungenem Körperbau und kurzem, dicken Hals) Kunststoffkanülen haben häufig keine Innenkanülen. Optimale Luftbefeuchtung (durch feuchte Nase, Vernebler, Inhalationen) und adäquates Absaugen minimieren die Gefahr der Verborkung. Kanülen mit Innenkanülen Innenkanülen lassen sich leicht entfernen und reinigen, ohne die Kanüle zu wechseln. Dadurch erscheinen sie zunächst pflegeleichter. Eine Innenkanüle verkleinert jedoch das Kanülenlumen erheblich! Dies kann den Gasaustausch beeinträchtigen und die Verborkungsgefahr begünstigen.

Entsprechend den dargestellten unterschiedlichen pathophysiologischen Gegebenheiten bei der Indikation zur Tracheotomie (Gewährleistung der Atmung und/oder Schutz der tiefen Atemwege) werden verschiedene Kanülenarten verwendet. Kanülenarten • Trachealkanülen

ohne Blockung, mit/ohne Fensterung/ Siebung und Sprechventil • Blockbare Trachealkanülen mit unterschiedlichen Systemen für: – Blockung – Subglottische Absaugung – Fensterung/Siebung mit Sprechventil – Fensterung/Siebung mit Sprechventil und subglottischer Absaugung

Trachealkanülen ohne Blockung Einfache Kanülen Es kommen Kanülen ohne und mit zusätzlicher Innenkanüle, auch Inlet oder „Seele“ genannt, zur Anwendung. Dieses innere Rohr (› Abb. 9.2 a, b) passt leichtgängig in die Außenkanüle und kann zum Reinigen problemlos herausgenommen werden, wäh-

9

230

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen Außenkanüle KW

Halteplatte

Innenkanüle

Wahl der Kanülengröße

Länge

AD der Außenkanüle ID der Außenkanüle

a

rend die Außenkanüle im Tracheotomiekanal verbleibt.

ID der Innenkanüle

AD = Außendurchmesser ID = Innendurchmesser KW = Krümmungswinkel

b

9

c

Abb. 9.2  Einfache Kanüle. a Einfache Kanüle mit Innenkanüle und den wichtigsten Parametern. [L234] b Silberkanüle mit Innenkanüle und Obturator zum Einführen. [K353] c Eingesetzte einfache Kanüle. Die Pfeile verdeutlichen die Luftstromrichtungen.

Sie richtet sich nach der Weite der Trachea. Bei einer Kanüle mit Seele wird die Kanüle stets nach dem Innendurchmesser der Seele ausgewählt, der bei den Kanülen der meisten Herstellern kleiner ist als deren Größenbezeichnung: Einen adäquaten Atemluftstrom mit nicht zu großem Atemwiderstand gewährleisten folgende Werte des Innendurchmessers: • Bei Frauen mindestens 7 mm • Bei Männern mindestens 8–9 mm

Um die Trachea nicht durch Druck zu irritieren, wird die kleinste Größe gewählt, die noch eine ausreichende Atmung gewährleistet. Bei Patienten mit starker Sekret- und Borkenbildung ist manchmal ein etwas größeres Lumen erforderlich, um das schnelle Verkleben der Kanüle zu vermeiden. Die Spitze der Kanüle sollte etwa 2 cm über den Unterrand des Tracheostomas in die Trachea hinabreichen. Bei Dauerkanülenträgern empfiehlt sich manchmal ein regelmäßiger Wechsel zweier Kanülen unterschiedlicher Länge, um die Gefahr der Trachealwandreizung durch die untere Kanülenkante, die bis zu einem gewissen Ausmaß unvermeidbar ist, zu minimieren. Wie › Abb. 9.2 c zeigt, bleibt beim Einsatz einer solchen ungeblockten Kanüle ein Spielraum zwischen Kanüle und Trachealwand bestehen. Dieser ermöglicht bei Verschluss der Kanüle mit dem Finger oder einem Sprechventil einen Luftaustritt durch den Kehlkopf und damit stimmhaftes Sprechen. Bei unzureichender Verschlussfunktion des Kehlkopfs kann jedoch von oben Material wie Speichel und Nahrung in diesen Raum gelangen und weiter in die tiefen Luftwege gleiten! Eine einfache, ungefensterte Kanüle sollte nur unter therapeutischer Aufsicht mit einem Sprechventil versehen werden. Beim Ausatmen verschließt sich das Sprechventil, und die Luft kann nur zwischen Kanüle und Trachealwand nach oben entweichen. Dies entspricht einer „Stenosenatmung“, da die Kanüle im Tracheallumen als Hindernis wirkt. Dieser Effekt kann zum Atemtraining genutzt werden, aber nur unter fachgerechter Aufsicht!

9.2 Trachealkanülen

Sprechkanülen Sprechkanülen sind auf der konvexen Seite des Kanülenrohrs, an der Stelle der stärksten Krümmung, mit einer Öffnung („Fenster“ auch „Phonationsfenster“) versehen. Durch diese Öffnung wird der Ausatemstrom bei Verschluss der Kanüle (durch den Finger oder ein Sprechventil) nach oben zur Stimmbildung durch den Kehlkopf geleitet (› Abb. 9.3 a, b, c). Die durch die Fensterung strömende Luft erzeugt einen größeren subglottischen Anblasedruck und ermöglicht stimmhaftes Sprechen besser, als dies bei Verwendung einer einfachen ungefensterten, mit Finger oder Sprechventil verschlossenen Kanüle der Fall ist, bei der die Ausatemluftstrompassage zwischen Kanüle und Trachealwand geringer ist. Es existieren Loch-, Schlitz- und Siebfensterungen. Lochfensterungen können die Granulombildung fördern, und beim Absaugen kann der Absaugkatheter leicht die Fensterung passieren und die Trachea verletzen. Meist werden daher heute Siebfensterungen verwendet. Zu beachten ist jedoch, dass diese schneller durch Sekret verkleben.

Ein Sprechventil kann einzeln auf eine Kanüle aufgesetzt werden (› Abb. 9.3 c–f) oder mit einer (gefensterten) Innenkanüle fest verbunden sein (› Abb. 9.3 a). Es besitzt eine Ventilklappe, die sich beim Einatmen durch die einströmende Luft öffnet und beim Ausatmen durch den Luftstrom passiv verschließt. Bei gefensterten Trachealkanülen mit Innenkanülen empfiehlt sich eine gefensterte Innenkanüle zum Einsetzen für das Sprechen und eine ungefensterte Innenkanüle zum sichereren Absaugen. Die Fensterung von Außenund Innenkanüle muss immer übereinstimmen.

Sprechkanülen können eingesetzt werden, wenn keine nennenswerte Aspiration mehr vorhanden ist, aber noch folgende Einschränkungen bestehen: • Keine ausreichende Weite von Kehlkopf und subglottischem Bereich für die Atmung • Keine ausreichende Funktion des effektiven Abhustens (intermittierendes tracheales Absaugen erforderlich)

231

• Keine ausreichend erhöhte Atemarbeit bei At-

mung durch Mund/Nase bei Schwäche der Atemmuskultur Die Sprechkanüle sollte so früh wie möglich verwendet werden, da sie dem Patienten wieder eine Annäherung an normale physiologische Verhältnisse ermöglicht: • Der Atemwiderstand wird vergrößert (erwünschter Trainingseffekt) • Die Erhöhung des subglottischen Anblasedrucks wirkt sich positiv als Anreiz für die normalen Stimmlippenbewegungen und damit für eine Verstärkung der medialen laryngealen Kompression aus (Glottisschluss!) • Die Fähigkeit zu stimmhaftem Sprechen verbessert die Kommunikationsfähigkeit erheblich Sprechventile können mit einem Anschluss für einen Sauerstoffzufuhrschlauch (› Abb. 9.3 d) versehen sein, mit einem Adapter für beatmete Patienten (› Abb. 9.3e) und/oder mit einer Drehvorrichtung, welche die Luftzufuhr regeln lässt (› Abb. 9.3 f). Sprechkanülen können auch mit Verschlusskappen versehen werden, wenn Ein- und Ausatmung bereits sicher über Mund/Nase erfolgen, eine Dekanülierung bzw. das Einbringen eines Platzhalters aber (noch) nicht indiziert erscheint.

Platzhalter/Kurzkanülen Ist kein nennenswertes Absaugen mehr erforderlich und soll das Tracheostoma aus Sicherheitsgründen noch offen gehalten werden, sind sog. Platzhalter („buttons“) geeignet. Sie werden wie ein Kragenknopf in das Tracheostoma eingesetzt. Als solcher lässt sich eine (abgestöpselte) Montgomery-Kanüle verwenden (› Abb. 9.4). Die stabile Befestigung der Platzhalter stellt häufig ein erhebliches Problem dar, da sie z. B. beim Husten durch den explosionsartig ansteigenden Luftdruck – oft in hohem Bogen – aus dem Tracheostoma hinausbefördert werden. Daher sind Kurzkanülen zu empfehlen oder kleine einfache Kanülen oder Sprechkanülen (z. B. Portex Blue Line, doppelt gefenstert).

Kanülen bei Laryngektomie Nach Kehlkopfentfernung besteht zunächst keine Verbindung zwischen Luft- und Speisewegen mehr,

9

232

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

a

b

c

d

e

f

Abb. 9.3  a Sprechkanüle aus Silber mit siebförmiger Fensterung, Innenkanüle mit Sprechventil. [K353] b Eingesetzte Sprechkanüle mit Darstellung des unterschiedlichen Luftstroms bei Ein- und Ausatmung. c Phantomkopf mit eingesetzter Sprechkanüle und aufgesetztem Sprechventil [K353] d Sprechventile für Kunststoffkanülen mit Sauerstoffzufuhrschlauch [K353] e Passy-Muir-Sprechventil mit ­Adapter für Beatmungssystem [K353] f Sprechventil mit drehbarer Luftstromregulierung, Fa. Tracoe [K353]

9 die Trachea ist nach außen mit der Halshaut verbunden. Die Atmung erfolgt ausschließlich über das Tracheostoma, zu dessen Sicherung nur noch ungeblockte (Kurz-)Kanülen erforderlich sind. Zur Bildung einer Ersatzstimme wird meist ein „Shunt-Ventil“ (Verbindung zwischen Trachea und Ösophagus) eingesetzt. Dichtet das Ventil die Öffnung (aufgrund von Narbenschrumpfung, Entzündungen, Dislokationen) nicht vollständig ab, kann es zum Übertritt von Speichel/Sekret/Nahrung in die Trachea kommen, also ebenfalls zur Aspiration, die einer sofortigen Revision der Shunt-Öffnung bedarf.

Blockbare Trachealkanülen Einfache blockbare Kanülen Blockbare Kanülen haben um den in der Trachea liegenden Schenkel eine aufblasbare Manschette („cuff“) (› Abb. 9.5 a). Über einen Luftschlauch lässt sich diese Manschette aufblasen und damit der Raum zwischen Trachealwand und Kanüle abdichten (› Abb. 9.5 b, c). In die Trachea eingedrungenes Material bleibt oberhalb der Blockungsstelle liegen, es staut sich

9.2 Trachealkanülen

233

Abb. 9.4  a Montgomery-Kanüle (Fa. Boston Medical Products; bess medizintechnik GmbH). [K353] b Platzhalter nach Müller [K353] c Stoma-Button [K353] d Eingesetzte Montgomery-Kanüle

und läuft teilweise spontan aus dem Tracheostoma heraus; bei manchen Patienten erfolgt dies so massiv, dass die Kompresse um das Tracheostoma ständig nass ist (› Abb. 9.5 d). Bei der Videoendoskopie ist wegen dieses subglottischen Aufstaus, der oft bis zum Kehlkopfeingang reicht, die Glottisebene häufig nicht bzw. erst nach Absaugen durch das Tracheostoma oberhalb der Kanüle einsehbar.

ner erheblichen Beeinträchtigung der Kehlkopf­ sensibilität auszugehen! Bei Dilatationstracheostomata nach PDT ist der Tracheotomiekanal in der Regel so eng, dass kein Austritt von aspiriertem, aufgestautem Speichel nach außen mehr erfolgen kann. Ein trockenes Tracheostoma darf dann jedoch nicht als Zeichen einer fehlenden Aspiration gewertet werden!

Indikationen für eine geblockte Kanüle • Notwendigkeit

der (Langzeit-)Beatmung: Die Blockung verhindert das Entweichen der zugeführten Luft nach oben. • Schluckstörungen mit Aspiration: Die Blockung verhindert das Eindringen aspirierten Materials in die tiefen Luftwege nach unten.

Die Atmung erfolgt ausschließlich über die Kanüle, Geruchswahrnehmung und stimmhaftes Sprechen sind nicht mehr möglich! Solange ein subglottischer Aufstau besteht, eventuell mit einem ständigen Abfließen von Speichel aus dem Tracheostoma, ohne dass der Patient einen wesentlichen Hustenreiz erkennen lässt, ist von ei-

Vor Kanülenwechsel saugt man ggf. den Mund, bei Kanülen mit subglottischer Absaugung den Bereich über dem Cuff als auch die Trachea sehr sorgfältig durch die Kanüle ab, bevor man sie entblockt. Während des Entblockens muss weiter simultan durch die Kanüle abgesaugt werden. Dabei sollte die Spitze des Absaugkatheters direkt unterhalb des Kanülen­ endes liegen, um an der Kanüle vorbei in die Trachea laufendes Material „aufzufangen“. Durch die Entwicklung thermosensibler Kunststoffe für die Trachealkanülen und großlumiger weicher Cuffs = High-Volume-Low-Pressure-Cuff-Ka­ nülen (Dikeman und Kazandjian 2003) lassen sich Trachealwandschäden bei Patienten, die über eine

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234

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

9

Abb. 9.5  a Kanüle mit Manschette, Luftschlauch und Kontrollbällchen (Fa. Rüsch). [K353] b Eingesetzte geblockte Trachealkanüle c In Phantomkopf eingesetzte geblockte Trachealkanüle [K353] d Aufstau und Überlauf von Speichel in den Tracheostomiekanal bei Aspiration bei geblockter Kanüle

9.2 Trachealkanülen lange Zeit eine Kanülenblockung benötigen, bei richtiger Handhabung weitgehend vermeiden. Cuff-Druckmessung Trachealwandschäden lassen sich nur durch gewissenhafte Messung des Manschettendrucks mittels CuffDruckmesser (› Abb. 9.6 a) vermeiden. Der Cuff-Druck darf den grünen Bereich (bis 25 mmHg) nicht übersteigen, da es sonst zu Schäden der Kapillaren und entsprechenden Trachealwanddestruktionen kommt.

Andererseits ergab eine experimentelle Studie, dass der Cuff-Druck nach Blockung von Kanülen verschiedener Hersteller in den ersten 15 min wieder sinkt, also eventuell nochmals erhöht werden muss, um eine optimale Abdichtung zu gewährleisten (Winklmaier et al. 2005). Eine vollständige Abdichtung durch eine Kanülenmanschette ist trotz korrekten Drucks nicht möglich (Faltenbildung, Unregelmäßigkeiten im Trachealquerschnitt). Die Blockung kann also eine Aspiration nicht verhindern, sondern nur minimieren (Dullenkopf et al. 2003; Oikkonen und Aromaa 1997). Dabei variiert das Ausmaß der Leckage je nach Kanülentyp (Winklmaier et al. 2005).

Als optimal für Langzeitkanülenträger hat sich ein spezielles Manschettenpatent erwiesen, bei dem die Manschette über ein Lanz-Ventil mit einem äußeren Ausgleichsdruckbällchen verbunden ist. So lässt sich auftretender Manschettenüberdruck, z. B. bei zu starker Luftinsufflation oder bei intrathorakalen Druckspitzen durch Husten und Pressen, ableiten und die Gefahr der gefürchteten Druckschädigung der Trachea minimieren (TracheoSoft Lanz™; Fa. Mallinckrodt, Vertrieb durch Fa. Covidien; › Abb. 9.6 b). Lässt der Druck auf die Manschette nach, wird sie durch Rückfluss aus dem Ausgleichsbällchen wieder aufgefüllt. Da dieser Vorgang jedoch 1–2 min in Anspruch nimmt, ist diese Kanüle weniger geeignet für Patienten mit ständiger, sehr ausgeprägter Aspiration und/oder Erbrechensneigung, da aufgestautes Material in dieser Zeit in die Trachea abgleiten kann. Als Alternative ist ein neuartiges Cuff-System entwickelt worden: Eine ultradünne Polyurethan-Manschette soll durch kapillare und adhäsive

235

Kräfte eine verbesserte Abdichtung bei niedrigerem Cuff-Druck ermöglichen (SealGuard™ TracheoSoft™, Fa. Mallinckrodt, Vertrieb durch Fa. Covidien). Eine ähnliche Möglichkeit der visuellen Kontrolle von Trachealkanülen mit Niederdruckcuff besteht in der Verwendung eines Cuffdruckmanagers (› Abb. 9.6 c). Dieser wird mit dem Füllventil des Cuffs verbunden und soweit mit Luft befüllt, bis der blaue innere Pufferballon ca. ⅔ bis ¾ der transparenten Umhüllung ausfüllt, was etwa einem optimalen Cuffdruck entspricht. Damit wird ein kontinuierlicher Cuffdruck gehalten, ein Absinken ist leicht erkennbar am schrumpfenden Ballon. Eine spezielle flexible blockbare Kanüle aus MRT-geeignetem Material wurde von der Fa. Primark entwickelt (› Abb. 9.6 d).

Blockbare Kanülen mit subglottischer Absaugung Aus der Intensivmedizin ist seit langem bekannt, dass sich das oberhalb des Cuffs ansammelnde Speichel-Sekret-Gemisch („Kummerecke“) mehrfach ungünstig auswirken kann: • Das infizierte Material kann den Cuff passieren und die Bronchopneumonierate erhöhen (Bouza et al. 2008; Dezfulian et al. 2005; Smulders et al. 2002). • Der Verdauungsfermente enthaltende Speichel wirkt auf die Trachealschleimhaut ein und kann trotz bester Pflege mit häufigem Absaugen/Inhalieren schwerste subglottische Tracheitiden bis zur Nekrotisierung der Schleimhaut verursachen. Daher ist ein Tubus bzw. eine Kanüle mit subglottischer Absaugmöglichkeit entwickelt worden (TracheoSoft Evac™, Fa. Mallinckrodt, Vertrieb durch Fa. Covidien; › Abb. 9.6 b). Das Absaugen erfolgt über einen weiteren feinen Schlauch, der oberhalb des Kanülen-Cuffs endet. In der Intensivmedizin kann kontinuierlich mittels einer Pumpe abgesaugt werden, ansonsten erfolgt das Absaugen mittels einer Spritze (› Abb. 9.6 b). Über das System kann der subglottische Raum auch gespült werden. Inzwischen sind bei anderen Herstellern entsprechende Kanülen erhältlich (Blue Line Ultra, Suction Aid, Fa. Portex; Duracuff Suction, Fa. Fahl; Primacomb, Fa. Heimomed, Tracoe twist, Fa. Tracoe etc.).

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236

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Abb. 9.6  Blockbare Kanülen. [K353] a Blockbare Kanüle mit Cuff-Druckmesser (und subglottischer Absaugung). b TracheoSoft Evac Lanz-Kanüle mit Druckausgleichsballon und subglottischer Absaugung, mit zugehörigen Spritzen. c Tracoe twist Kanüle mit Tracoe Smart Cuffdruckmanager. d Blockbare flexible Trachealkanüle. Priflex MRT geeignet, Fa. Primed.

9

Vorteile • Subglottisches Entfernen angestauten Speichels/ Sekrets ohne Entblockung möglich (schonender für den Patienten) • Drastischer Rückgang entzündlicher Komplika­ tionen • Maß des aspirierten Speichels lässt sich kontrollieren und aufzeichnen: „Speichelprotokoll“ ist für Entscheidungen über den Beginn von Entblockungen hilfreich (› Kap. 9.2.6) • Beginn von Schluckversuchen mit geeigneten Nahrungs-/Flüssigkeitssubstanzen ist bereits bei geblockter Kanüle möglich, da sich eventuell aspiriertes Material (Götterspeise, Tee, Kaffee) absaugen lässt und ebenfalls der Kontrolle einer möglichen Aspiration dient

Blockbare Kanülen mit subglottischer Luftzufuhr Um Patienten mit geblockter Kanüle stimmhaftes Sprechen zu ermöglichen, sind Kanülen entwickelt worden, die neben der normalen Luftzuleitung für die Manschette (nach unten) einen weiteren Luftkanal nach oben aufweisen (z. B. Vocal Aid Tracheostomy Tube®, Fa. Portex; Tracheosoft Pitt™ Sprechkanüle, Fa. Mallinckrodt, Vertrieb durch Fa. Covidien; › Abb. 9.7). Durch diesen Luftkanal kann von außen zugeführte Druckluft den fehlenden subglottischen Anblasedruck ersetzen und zu stimmhafter Phonation benutzt werden. Dies ist für Patienten mit Langzeitbeatmung geeignet. In der Rehabilitation der Dysphagie verwenden wir dieses System aus folgenden Gründen nicht: Die Koordination des laryngealen Systems könnte wei-

9.2 Trachealkanülen

237

subglottische Druckluftzufuhr Druckluftzufuhr

High-VolumeLow-PressureCluff

Manschettendruckkontrollbällchen

Anschluss für Druckluft

a

b

Abb. 9.7  a Blockbare Kanüle mit subglottischer Druckluftzuführung. [L234] b Blockbare Kanüle mit subglottischer Luftzuführung. [M858]

ter beeinträchtigt werden, und es besteht die Gefahr, durch den eintretenden erhöhten Luftdruck oberhalb der Kanüle aufgestautes Material an der Kanülenmanschette vorbei nach unten in die Trachea zu pressen. Das System darf auch nicht in umgekehrter Weise benutzt werden, nämlich zum Absaugen des oberhalb der Kanüle gestauten Materials, da es nicht den dafür vorgesehenen Schleimhautschutz an der subglottischen Öffnung besitzt.

Blockbare Sprechkanülen

Gefensterte blockbare (Sprech-)Kanülen können in Einzelfällen sinnvoll sein. Ihre Verwendung bei schluckgestörten Patienten muss jedoch sehr genau überlegt werden, da die Fensterung den Schutzmechanismus des geblockten Cuffs für die tiefen Atemwege wieder aufhebt.

Die Außenkanüle ist gefenstert und mit einer blockbaren Manschette versehen. Wird eine geschlossene Innenkanüle eingeführt, funktioniert das System wie eine normale, geblockte Kanüle. Inzwischen gibt es zahlreiche Modelle (z. B. Shiley-Kanüle™, Fa. Mallinckrodt; Blue Line Ultra, Fa. Portex; Duracuff Phone bzw. Duracuff Kombi Voice, Duratwix®Lingo Cuff, Fa. Fahl; Tracheofix, Fa. Rüsch; Ref 302, Fa. Tracoe). Wird die geschlossene Innenkanüle entfernt (vorheriges Absaugen!), kann der Patient bei intaktem Glottisschluss stimmhaft sprechen, falls die Fensterung richtig im Tracheallumen liegt (endoskopische Kontrolle erforderlich!). Der Verschluss der Kanüle erfolgt mit dem Finger oder

Sprechventil, bei manchen Kanülenarten ist das Sprechventil mit einer gefensterten Innenkanüle verbunden, die entsprechend eingeführt werden muss (› Abb. 9.8). Vor Aufsetzen des Sprechventils muss die Kanüle nach entsprechendem Absaugen entblockt werden. Bei anhaltendem Hustenreiz des Patienten ist die Kanülenlage zu überprüfen. Die vorübergehend wiedererlangte Stimme bedeutet für manche Patienten nach Monaten der „Stummheit“ ein großes Geschenk. Für manche Dauerkanülenträger ist es die einzige Möglichkeit der – zumindest kurzzeitigen – verbalen Kommunikation. Auch die Anbahnung physiologischer Atemmuster ist möglich. Der Vorteil dieser Kanülen besteht darin, dass der Patient für kurze Zeit den Kehlkopf bei annähernd normalen Verhältnissen einsetzen kann, ohne dass dies einen Kanülenwechsel erfordert. Nachteilig ist der durch die Seele verklei9

Abb. 9.8  Blockbare Sprechkanüle mit geschlossener und gefensterter Innenkanüle (Blue Line Ultra, Fa. Portex) [K353]

238

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

nerte Innendurchmesser der Kanüle und die kompliziertere Handhabung. Während des Einsatzes einer gefensterten Innenkanüle bzw. während des Entfernens der geschlossenen Innenkanüle ist eine gewissenhafte Überwachung mit Absaugbereitschaft und Pulsoxymeter Bedingung, da durch die Fensterung in der Kanüle aspiriertes Material in die tiefen Luftwege gelangen kann.

9

Den gleichen Zweck kann eine vorübergehende Entblockung erfüllen: Auf die vordere Öffnung der Kanüle wird nach Entblockung ebenfalls ein Sprechventil aufgesetzt. Ein kleiner Teil der Ausatemluft strömt in die Kanüle und verschließt das Sprechventil; der größte Teil muss an der (entblockten) Kanüle vorbei nach oben strömen. Dies bedeutet relativ wenig Raum, der bei manchen Patienten nicht ausreicht, um einen subglottischen Druck zur Phona­ tion zu erzeugen („Stenoseatmung“). Normalerweise gelingt dies jedoch unter fachgerechter logopädischer Anleitung. Durch vorübergehende Entblockung kann ein Patient, der noch auf eine geblockte Kanüle angewiesen ist, also für kurze Zeit sprechen, ohne dass die Kanüle dafür gewechselt werden muss. Als weiterer großer Vorteil lässt sich der Mechanismus zur Kräftigung der Atemmuskulatur nutzen, da die Ausatmung an der Kanüle vorbei durch Mund und Nase den Atemwiderstand erhöht. Auf Intensivstationen und bei Rehabilitationspatienten, die über einen langen Zeitraum eine geblockte Kanüle tragen mussten, bedeutet dies den ersten Schritt zur Anbahnung physiologischer Atem-, Sprechund Schluckmuster. Eine strenge Überwachung des Patienten, ggf. mit Messung der Blutsauerstoffsättigung, ist unverzichtbar.

Blockbare Sprechkanülen mit subglottischer Absaugung Diese Kanülen vereinigen alle Vorteile der o. g. Kanülen und besitzen folgende Merkmale (› Abb. 9.9): • Blockbare Manschette • Gefensterte Außenkanüle • Geschlossene und gefensterte Innenkanüle mit Sprechventil

Abb. 9.9  Blockbare Sprechkanüle mit subglottischer Absaugung [M858]

• Subglottische Absaugung

Mit geschlossener Innenkanüle entspricht die blockbare Sprechkanüle einer normalen, geblockten Kanüle. Die subglottische Absaugung ermöglicht das Entfernen aspirierten angestauten Speichels und damit auch das Freisaugen unmittelbar vor dem Ent­ fernen der geschlossenen Innenkanüle und vor dem Einsetzen der gefensterten Innenkanüle. Neben den unbestreitbaren Vorteilen blockbarer Sprechkanülen bestehen erhebliche Nachteile: • Durch die Notwendigkeit von 2 Luftkanälen und einer Fensterung, die auf jedes Rohr destabilisierend wirkt, müssen sie relativ dick sein. • Die Notwendigkeit der Innenkanüle verkleinert den Innendurchmesser. • Das Prinzip ist Patienten und Angehörigen sowie ungeschultem Pflegepersonal nur noch schwer zu vermitteln, Anwendungsfehler häufen sich. • Sie sind teurer. Von diesen Grundformen der Trachealkanülen gibt es zahlreiche Abwandlungen für spezielle Problemstellungen: Variationen in der Länge des horizontalen und vertikalen Schenkels der Kanüle, des Kanülenkrümmungswinkels sowie der Lokalisation und Ausprägung von Cuff und Fensterung (Morris und Afifi 2010). Hier sei auf entsprechende Informationen der Hersteller verwiesen. Gleiches gilt für die Wahl des Kanülenmaterials. Bei Patienten, die keine Blockung mehr benötigen, haben Silberkanülen gewisse Vorteile gegenüber Kunststoffkanülen (› Tab. 9.2).

9.2 Trachealkanülen

239

Tab. 9.2  Vor- und Nachteile von Silberkanülen Vorteile

Nachteile

• Dünnere

• Härteres

Wand, daher bei gleicher Größenbezeichnung geringerer Durchmesser der Außenkanüle (mehr „Spiel“ in Tracheostomakanal und Trachea) • Bakterizide Wirkung des Silbers • Geringere Haftung von Schleim, daher geringere Verborkung • Leichte Reinigung • Lange Haltbarkeit

Indikationen der verschiedenen Kanülenarten Die optimale Wahl der Kanüle bedarf bei jedem Pa­ tien­ten einer individuellen Entscheidung. Der Erfolg der Anpassung hängt von einer genauen Kenntnis der jeweiligen anatomischen und pathophysiologischen

Material, höheres Gewicht, daher höheres Risiko von Druckschäden • Im Winter bei niedrigen Temperaturen unangenehm kalt • Teurer

Gegebenheiten ab. Er muss endoskopisch und ggf. röntgenologisch kontrolliert werden (Hess und Altobelli 2014). Es bedarf einer guten Kenntnis der inzwischen vielfältigen Produktpalette diverser Hersteller und daher eines erheblichen Zeitaufwands bei der Suche nach einer optimal an die Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepassten Kanüle (› Tab. 9.3).

Tab. 9.3  Kanülenarten und Indikation. Hauptindikation bzw. zusätzliche besondere Funktion sind mit * gekennzeichnet Kanülenart

Indikation(en)

Aspirationsschutz?

Einfache Kanüle (Platzhalter)

• Kurzfristige Atmungsbehinderung bei Verlegung der oberen Atemwege* • Notwendigkeit des trachealen Absaugens bei insuffizientem Hustenstoß

Nein!

(Bronchialtoilette) von geblockter Kanüle → Dekanülierung

• Übergang

Sprechkanüle

• Erleichterung

der Phonation aufgrund der Vergrößerung des subglottiNein! schen Anblasedrucks durch die Fensterung* • Längerfristige Atmungsbehinderung bei Verlegung der oberen Atemwege • Notwendigkeit des trachealen Absaugens bei insuffizientem Hustenstoß (Bronchialtoilette) • Übergang von geblockter Kanüle → Dekanülierung

Blockbare Kanülen

• Beatmung* • Speichel-, Sekret-, Nahrungsaspiration* • Erhöhte Neigung zum Erbrechen bei aspirationsgefährdeten

Ja Patienten

Blockbare Kanülen mit Innenseele

• Wechsel

der Innenkanüle zur Reinigung bei verbleibender Außenkanüle, Schutz vor Verborkung* • Beatmung • Speichel-, Sekret-, Nahrungsaspiration

Ja

Blockbare Kanülen mit subglottischer Absaugung

• Entfernen

von Material bei Speichel-, Sekret-, Nahrungsaspiration mit subglottischem Aufstau* • Beatmung

Ja

Blockbare Kanülen mit subglottischer Absaugung und Fensterung

• Entfernen

von Material bei Speichel-, Sekret-, Nahrungsaspiration mit subglottischem Aufstau* • Stimmhaftes Sprechen beim Entfernen der geschlossenen Innenkanüle, Erlernen von Reinigungsfunktionen, Stimmkontrolle und Schlucktechniken* • Beatmung

Nur mit geschlossener Innenkanüle!

Blockbare Kanülen mit subglottischer Luftzufuhr

• Stimmhaftes • Beatmung

Ja

Sprechen bei geblockter Kanüle*

9

240

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

9.2.4 Nachteile und Risiken der Tracheotomie Wichtig für die Einschätzung schluckgestörter Patienten mit Trachealkanüle ist die Kenntnis der Risiken und Nachteile, die mit einer Tracheotomie verbunden sein können. Diese sind von zahlreichen Autoren beschrieben worden. Ihre Auswirkungen auf die Schluckfunktion sind jedoch noch nicht hinreichend geklärt und werden teilweise kontrovers diskutiert (Seo et al. 2017; Leder und Ross 2010).

Mechanische, neurophysiologische und psychosoziale Beeinträchtigungen

9

Tracheotomie und Kanülenversorgung können verschiedene mechanische, neurophysiologische und psychosoziale Beeinträchtigungen hervorrufen: • Behinderung der Hyoid-Larynxelevation (Seo et al. 2017) mit der möglichen Folge eines unzureichenden Kehlkopfverschlusses und einer ungenügenden OÖS-Öffnung • Beeinträchtigung der Sensibilität von Larynx und Trachea, damit Einschränkung der Schluckreflextriggerung und des Hustenreflexes (Frank et al. 2008; Tolep et al. 1996) • Verminderung der Schluckfrequenz (Seidl et al. 2002) und des laryngealen Adduktorenreflexes (LAR) • Erschwertes Abhusten durch Verminderung des subglottischen Anblasedrucks • Verkürzung des laryngealen Verschlusses während des Schluckens, Störung der Koordination zwischen Schluckreflextriggerung, Stimmlippenverschluss und Apnoe während des Schluckens (Shaker et al. 1995) • Druck der Kanüle auf die Trachealwand: Reizung, Entzündung der Schleimhaut, eventuell Bildung von Ulzera und Granulationsgewebe, Erweichung des Knorpels (Tracheomalazie) • Vermehrte Schleimproduktion, erhöhte Infektanfälligkeit, da eingeschränkte Filterung, Anwärmung, Anfeuchtung der Einatemluft • Verlust der körperlichen Integrität, ästhetische Beeinträchtigung

Bei Einsatz einer geblockten Kanüle kommt hinzu: • Hochgradig reduzierte Kommunikation, keine Stimmgebung mehr möglich • Die Atemluftströmung umgeht vollständig die Mund- und Nasenräume → beeinträchtigte Aufnahme olfaktorischer und gustatorischer Reize, die für die Stimulation des Schluckvorgangs wichtig sind • Niesen, Schnäuzen nicht mehr möglich, Rachenreinigen und Expektorieren sowie Abhusten weiter erschwert • Zusätzliches Festhalten des Kehlkopfs durch eine (eventuell zu stark) geblockte Manschette („Ankereffekt“; Ding und Logemann 2005). Amathieu et al. (2012) berichten von einem direkten Zusammenhang zwischen Cuff-Druck und Minderung von Kehlkopfelevation, submentaler Muskelaktivität und Schluckreflexauslösung – die Ergebnisse der Studie sind jedoch kritisch zu hinterfragen, da der Cuff-Druck bei bis zu 60 cm H2O ≙ ca. 44 mm Hg gemessen wurde und der empfohlene Wert von 25 mm Hg relevant überschritten wurde. • Manschettendruck schädigt die Trachealwand → Ausweichen der geschädigten Trachealwand → mögliche Passage von eingedrungenem Material → Blockung mit höherem Druck erforderlich → weitere Schädigung • Erhöhter Manschettendruck → erhöhter Druck im Ösophagus → erschwerte Passage → Aufstau und Überlauf in den Larynx. Nach Feldman et al. (1966) kann insbesondere dieser Sekretstau aus dem Ösophagus eine lokale Chondritis der Trachealwand mit der Folge der Erweichung verursachen. • Entzündung von Tracheostoma und Umgebungshaut durch herauslaufendes Speichelaspirat Um diese Beeinträchtigungen zumindest während des Schluckvorgangs auszugleichen, empfehlen einige Autoren, eine Kanüle bei Schluckversuchen zu entblocken und mit dem Finger oder einem Sprechventil zu verschließen, um annähernd physiologische oropharyngeale Druckverhältnisse zu erzeugen und die Aspirationsgefahr zu verringern (Logemann et al. 1998; Elpern et al. 2000; Suiter 2003). Die Studienergebnisse dazu sind jedoch nicht eindeutig. Nach anderen Untersuchungen haben die Entblockung und der Verschluss der Trachealkanüle wäh-

9.2 Trachealkanülen rend des Schluckens keinen unmittelbaren Einfluss auf Kehlkopfhebung und Hyoidbewegung; sogar die temporäre Herausnahme der Kanüle zeigte keinen positiven Effekt (Kang et al. 2012; Terk et al. 2007; Donzelli et al 2005). (Möglicherweise wird die Einschränkung dieser Mobilität durch den chirurgischen Eingriff selbst verursacht, weniger durch Einbringen einer Kanüle.)

Therapeutische Beeinflussung der Beeinträchtigungen durch die Kanüle

Die folgenden positiven Auswirkungen einer frühzeitigen, anfangs nur kurzen Entblockung der Kanüle und Luftstromumlenkung zunächst mit Fingerverschluss, baldmöglichst mit Sprechaufsatz oder Verschlusskappe, sind unbestritten (Schwegler 2016): • Druckentlastung der Trachealschleimhaut • Normalisierung des Atemstroms durch Mund und Nase mit Normalisierung der oropharyngolaryngealen Druckverhältnisse • Stimulation der Sensibilität mit Anbahnung normaler laryngealer Reflexe und Beweglichkeit • Anbahnung und Verbesserung von Reinigungstechniken wie Husten, Räuspern, Expektorieren • Kräftigung der Atemmuskulatur durch erhöhten Atemwiderstand und vergrößerten Totraum • Anbahnung der Phonation

Die physiologische Luftstromlenkung durch schrittweise ansteigende Entblockungszeiten gilt nach Heidler (2007) in der Therapie von Patienten mit schwerer (stiller) Aspiration als ergänzender Behandlungspfad. Sie ist zudem Grundvoraussetzung für eine angestrebte Dekanülierung bewusstseinsgestörter Patienten (Ehlers und Mielke 2012). Bis für einen Schluckversuch das notwendige gefahrlose und längere Entblocken mit Verschluss der Kanüle möglich ist, kann jedoch viel Zeit vergehen. Daher lässt sich aus den genannten Studien ableiten, dass auch Schluckversuche mit geblockter Kanüle gerechtfertigt und wünschenswert sind.

241

Oftmals lassen sich Fremdsubstanzen besser abschlucken als Speichel. Die unterschiedliche Konsistenz und Temperatur sowie der Geschmack üben einen stärkeren Reiz zur Schluckreflextriggerung aus als der körperwarme, geschmacksneutrale Speichel. Das Problem der Aspiration am Cuff vorbei lässt sich dabei gut mit der Verwendung subglottisch absaugbarer Kanülen lösen (s. o.).

Für diese Schluckversuche werden entsprechend geeignete, gut absaugbare Substanzen verwendet (Fruchteis, Götterspeise, Kaffee, Tee), die möglichst den Vorlieben des Patienten entsprechen. Das Entfernen der Kanüle für Schluckversuche bei aspirationsgefährdeten Patienten kann zu gefährlichen Situationen führen (Regurgitationen, Erbrechen bei anhaltendem Husten, Verengung und Verlegung des Tracheostomas), insbesondere in der ambulanten Therapiesituation.

9.2.5 Kanülenwechsel und ­Tracheo­stoma­pflege Instrumentelle Ausrüstung für ­Tracheo­stoma­patienten Für einen Patienten mit geblockter Kanüle benötigt man: • Absauggerät mit Kathetern • Inhalationsgerät mit Überleitung zur Kanüle („Gänsegurgel“) • gegebenenfalls O2 Zufuhr • Notfall-Kanülenwechselset (Spritze zum Ent­ blocken, Spreizer oder Spekulum nach Killian, Ersatzkanüle, eventuell Notfallkanüle kleineren Durchmessers; ggf. PEG-Entlastungsbeutel, › Abb. 9.10) • Pulsoxymeter • Absaugprotokoll der trachealen Absaugung (Frequenz, Menge) • Eventuell Speichelprotokoll mit Aufzeichnung von: – Menge des jeweils subglottisch abgesaugten Speichels – Frequenz der erforderlichen Absaugung • Cuff-Druckmesser (nicht erforderlich bei Kanüle mit Lanz-Ventil, bzw. Cuffdruckmanager)

9

242

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Abb. 9.10  Notfall-Kanülenwechselset mit Ersatzkanüle, Tracheostomaspreizer, Entblockungsspritze, PEG-Entlastungsbeutel [K353]

Kanülenwechsel

9

Ein Kanülenwechsel bedarf sorgfältiger Vorbereitung, um Komplikationen zu vermeiden und ggf. zu beherrschen. Dafür müssen vorhanden sein (Krompass 2005; Knöbber 1991): • Absauggerät mit Kathetern • Sterile Handschuhe • Spritze zum Entblocken/Blocken • Neue Kanüle, Stomaöl • Spreizer oder Spekulum nach Killian • Bei Patienten mit PEG (› Kap. 9.3.3) Entlastungsbeutel (› Abb. 9.10) • Es hat sich bewährt, bei kritisch Kranken, die aus externen Einrichtungen zugewiesen werden und deren Tracheostomaverhältnisse nicht bekannt sind, den ersten Kanülenwechsel unter broncho­ skopischer Kontrolle durchzuführen.

Vorgehen Vor dem Kanülenwechsel sollte 90 min keine Sondennahrung mehr verabreicht bzw. keine orale Nahrung gegeben werden. Vor dem Entfernen der Kanüle saugt man sorgfältig ab, sowohl transoral, oberhalb der Kanüle durch das Tracheostoma oder subglottisch, als auch tracheal durch die Kanüle. Erst dann darf entblockt und die Kanüle entfernt werden. Neigt das Tracheostoma zur Verengung, so ist es mit Spreizer oder Spekulum offen zu halten. Die Umge-

bung des Tracheostomas wird sorgfältig gereinigt und Tracheostoma sowie Trachea inspiziert, ggf. mit einer Taschenlampe, am günstigsten mit einem flexiblen Endoskop. Die Einführung der leicht eingefetteten Kanüle (medizinisch hochgereinigtes Olivenöl, Stomaöl, Xylocain-Gel) gestaltet sich leichter, wenn die Kanüle zunächst um 90° gedreht an das Tracheostoma gehalten wird und während des Einführens die Drehung im Uhrzeigersinn erfolgt, bis die Kanüle den richtigen Sitz erreicht hat. Bei flexiblen Kanülen empfiehlt sich die Einführung unter Verwendung der beiliegenden Einführhilfe zur Stabilisierung. Die Kanüle wird am Kanülenschild durch das Halsband befestigt und geblockt. Ein Entlastungsbeutel ist hilfreich, wenn es durch die Manipulation an der Kanüle zum Erbrechen kommt. Bei den ersten Anzeichen wird die PEG-Sonde geöffnet und, wenn noch Zeit bleibt, an den Entlastungsbeutel angeschlossen. So kann sich der Mageninhalt entleeren, gegebenenfalls ins Bett. Mageninhalt im Bett ist besser als aspiriert in der Lunge (Krompass 2005)!

Wechselintervalle Zur Häufigkeit des Kanülenwechsels gibt es unterschiedliche Empfehlungen. Nach Herstellerangaben sei es vertretbar, die Kanülen bis zu 4 Wochen zu belassen. Dies halten wir nach eigenen Erfahrungen für nicht empfehlenswert. Die Wechselintervalle hängen von der Art der Kanüle sowie den Tra­cheo­ stoma­ver­hält­nis­sen ab. Empfehlenswerte Kanülenwechselintervalle bei Rehabilitationspatienten wöchentlicher Wechsel genügt in der Regel den hygienische Anforderungen und ist für den Patienten nicht zu belastend. • Bei starker Sekretion/Borkenbildung kann ein häufigerer Wechsel, etwa alle 2–3 Tage, notwendig sein. • Innenkanülen werden täglich entfernt und gereinigt. • Ein

9.2 Trachealkanülen

243

Tracheostomapflege Ziel der Pflege ist ein sauberes, reizloses und trockenes Tracheostoma bei gleichzeitig ausreichend angefeuchteter Trachealschleimhaut und freiem Atemweg.

Absaugen Dieses Ziel wird erreicht durch häufiges Absaugen (durch den Mund, subglottisch und durch die Kanüle), vor allem bei Patienten mit starker Sekretbildung sowie bei Patienten mit verminderter Fähigkeit abzuhusten. Abgesaugt wird durch die Kanüle mit einem am Ende abgerundeten, sterilen Absaugkatheter. Da die Kanülen für Erwachsene ca. 8–9 cm lang sind, muss man den Katheter ca. 9–10 cm durch die Kanüle vorschieben, um bis in die Trachea zu gelangen und am Kanülenende eventuell angesammeltes Sekret absaugen zu können.

Hautpflege Für die Abdeckung der Umgebungshaut des Tracheostomas hat sich Zinksalbe und eine saugfähige Kompresse bewährt, z. B. Vlies oder Schaumstoff (Allvyn®-Schlitzkompressen, Fa. Mallinckrodt), da auf der Haut liegenbleibendes Sekret besonders in Verbindung mit zusätzlicher Feuchtigkeit sehr aggressiv ist und schnell zur Hautmazeration führt. Schließlich ist auf eine gute Befestigung der Kanüle zu achten, die den richtigen Sitz gewährleistet und das Herausgleiten verhindert.

Luftbefeuchtung Da bei der Einatmung durch die Trachealkanüle der Nasenrachenraum umgangen wird, fehlt die für das Bronchialsystem notwendige Anwärmung, Anfeuchtung und Reinigung der Einatmungsluft durch die Nasenschleimhaut. Daher ist die Luftbefeuchtung durch Vernebler oder Luftbefeuchter essen­ ziell, ebenso wie durch Aufsätze auf die Kanüle: HMT-Filter (Heat and Moisture Exchanger) („künstliche Nase“; › Abb. 9.11). Diese Filter, meist aus Schaumstoff, gelegentlich auch aus Papier, in einem Kunststoffgehäuse, halten die Feuchtigkeit und Wärme der Ausatemluft zurück, womit die eingeatmete Luft wieder angereichert und gleichzeitig gereinigt wer-

Abb. 9.11  Künstliche Nasen zum Aufstecken auf die Kanülen [K353]

den kann. Sie haben ebenso wie Sprechaufsätze meist Adapter für die Sauerstoffzufuhr. Das Austrocknen der Schleimhaut kann zu massiver Borkenbildung mit Stenosierung und Blutungen führen. Bei Patienten mit Schluckstörungen müssen diese Filter gut überwacht und häufig ausgetauscht werden, da sie durch Sekretverklebungen undurchlässig werden können! Permanenter pflegerischer und ärztlicher Betreuungs­bedarf Tracheotomierte, insbesondere aspirationsgefährdete, Patienten bedürfen immer einer besonderen Pflege. In Reha-Einrichtungen, aber auch in häuslicher Pflege, sollte jederzeit eine HNO-ärztliche bzw. phoniatrische Betreuung der Patienten verfügbar sein, sowohl zur regelmäßigen Kontrolle als auch zur Beherrschung auftretender Komplikationen.

9

9.2.6 Richtlinien für die Entblockung und Dekanülierung Das Tragen einer geblockten Trachealkanüle ist oft eine lebenserhaltende Notwendigkeit: • Durch Aufrechterhaltung der Atemluftströmung • Durch Vermeidung einer Aspiration, wenn der Patient Speichel und Sekret nicht schlucken kann, insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen von Regurgitationen und Erbrechen (Lipp und Schlaegel 1997)

244

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

Gleichzeitig bedeutet die geblockte Trachealkanüle eine hochgradige Gefährdung (s. o.) und Beeinträchtigung des Patienten: Er kann schlechter schlucken, weniger riechen und schmecken und nicht stimmhaft sprechen. Hustenreiz, Fremdkörpergefühl, Angstzustände und Schmerzen durch die Kanüle können hinzukommen. Daher ist die schnellst­ mögliche Dekanülierung indiziert. Dies muss jedoch stets die Sicherheit des Patienten berücksichtigen. In den meisten Fällen ist eine schrittweise Entblockung hin zur Dekanülierung anzustreben. Ausschlaggebende Parameter für die Einleitung der Dekanülierung • Allgemeinzustand des Patienten • Klinische, videoendoskopische und

videofluoroskopische Befunderhebungen • Pulmonale Situation, die hochfrequent klinisch kon­ trolliert und im Zweifelsfall immer wieder broncho­sko­ pisch abgeklärt werden muss Voraussetzung aller Entblockungsversuche • Keine • Keine • Keine

9

massive Refluxsymptomatik Regurgitationen Erbrechensneigung

Die ersten Entblockungsversuche sollten in Absaugbereitschaft und in Gegenwart von Schlucktherapeut, Arzt und Pflege erfolgen. Optimal ist die Überwachung mit EKG und Pulsoxymeter. Auch nachdem sich der Zustand stabilisiert hat, darf die zeitweise Entblockung nur unter qualifizierter Aufsicht und in Absaugbereitschaft erfolgen. Die im Folgenden dargestellten Hinweise sind bei der schrittweisen Entblockung/Dekanülierung zu beachten.

Zeitweise Entblockung Die zeitweise Entblockung beginnt mit wenigen Minuten und steigert sich auf bis zu mehrere Stunden. Dann erst wird tagsüber komplett entblockt.

Voraussetzungen • Klinisch: Kein Austritt von Speichel/Sekret aus dem Tracheostoma (cave: bei engem Tracheostomakanal Irrtum möglich!) bzw. Absaugen nur ge-

ringer Mengen subglottisch angesammelten Speichels • Endoskopisch: – Freier Atemweg, ausreichende Glottisöffnung – Glottisschluss/Verschluss des Aditus laryngis für effektives Abhusten beobachtbar – Entweder geringer Aufstau, geringer Überlauf in die Glottis, reflektorischer Husten vorhanden oder zuverlässige Eigenwahrnehmung des gurgelnden Atemgeräuschs oder der belegten/ gurgelnden Stimme sowie effektives willkürliches Husten vorhanden.

Dauerhafte (24 h) Entblockung (bzw. ungeblockte Kanüle) Voraussetzungen • Klinisch: – Abschlucken von Speichel/Sekret möglich; kein Verdacht auf ausgeprägte Aspiration mehr, gelegentliches Absaugen noch erforderlich; Tracheostoma trocken, cave: bei engem Tracheostomakanal Irrtum möglich! – Zeitweise Entblockung komplikationslos verlaufen – Atemgeräusch/Stimme nicht gurgelig • Endoskopisch: kein Aufstau, kein Überlauf von Speichel und Sekret • Falls geringgradiger Aufstau mit Überlauf, muss reflektorisches effektives Abhusten möglich sein Sprechkanüle Voraussetzungen • Klinisch: Absaugen noch erforderlich, noch keine ausreichende Stabilität zur Dekanülierung • Einsatz: so bald wie möglich, cave: Verklebung des Ventils bei starker Verschleimung! Ziele • Gewöhnung an die erhöhte Atemarbeit beim Ausatmen durch Mund und Nase (wichtig für Patienten mit einer reduzierten Lungenreserve und für neurologische Patienten mit Dyskoordination der Atmung)

9.2 Trachealkanülen

• Leiten des Ausatemluftstroms durch die Glottis

(Normalisierung der laryngealen/pharynealen Regulationsmechanismen: Schluckreflextriggerung, Kehlkopfverschluss während der pharyngealen Boluspassage) • Stimmgebung

Abgestöpselte (Sprech-)Kanüle Voraussetzungen und Ziele Sobald die Atmung stabil ist und der Patient die Sprechkanüle problemlos trägt, sollte das Sprechventil gegen einen verschließenden Stöpsel ausgetauscht werden. Damit muss der Patient durch Nase und Mund ein- und ausatmen. Dies nähert die Druckverhältnisse im Oropharynx physiologischen Werten an, und der Patient gewöhnt sich so wieder an die erhöhte Atemarbeit beim Einatmen. Dekanülierung

• Klinische Voraussetzungen:

– Im Frühstadium bei neurologischen Reha-Patienten wünschenswert: verbesserte Vigilanz, zunehmende Aufmerksamkeit, Kooperationsfähigkeit – Stabile Atmung, sicheres Abschlucken von Sekret/Speichel, unauffälliger Lungenbefund (Stelfox et al. 2008) – Keine Erbrechensneigung, kein Reflux – Keine pulmonalen Auffälligkeiten • Endoskopisch: ausreichend weite Glottis, keine hochgradigen subglottischen Stenosen wie Ringknorpelstenose (häufig nach Langzeitintubation) oder supraorifizielle Stenose (oberhalb des Tracheostomas), keine signifikanten Aspirationshinweise • Nicht zwingend: Fähigkeit zur oralen Nahrungsaufnahme (Schluckakt kann häufig nach Dekanülierung besser aufgebaut werden) Zwischenlösung bei Bedarf: Platzhalter oder Montgomery-Kanüle (› Kap. 9.2.3) Auch bei Patienten mit chronischen Bewusstseinsstörungen kann eine erfolgreiche Dekanülierung angestrebt werden, wenn die o. g. Voraussetzungen erfüllt sind (Ehlers und Mielke 2012).

245

Tracheostomaverschluss

• Spontan (Dilatationstracheotomie, nicht plas-

tisch angelegtes Tracheostoma): nach Dekanülierung durch Abkleben des Tracheostomas initiiert; bei verbleibender Fistel chirurgischer Verschluss notwendig • Chirurgisch: nach erfolgreichem Abklebeversuch ca. 10 Tage lang spontane Verkleinerung abwarten, da somit das Ausmaß des chirurgischen Eingriffs reduziert wird Bei manchen Patienten haftet nach dem Tracheostomaverschluss die Haut so fest an der Trachea, dass neben dem kosmetisch unschönen Einziehen der Haut die Kehlkopfelevation und damit der Schluck­ ablauf behindert wird. In solchen Fällen ist eine chirurgische Korrektur mit Lösung der Narbenstränge und Mobilisation des Subkutangewebes indiziert. Der Tracheostomaverschluss sollte stets stationär erfolgen und mindestens 3 Tage p. o. überwacht werden, da es immer wieder zu nicht vorhersehbaren Komplikationen einschließlich Emphysementwicklung und Dyspnoe­ zuständen kommen kann (Grasl und Erovic 2012; Wenzel et al. 2004).

Es ist vom Einzelfall abhängig, welche der eine Aspiration objektivierenden Untersuchungen (Laryngoskopie, Bronchoskopie, Videofluoroskopie) bei den jeweiligen Schritten als notwendig erachtet wird. Normalerweise sind nicht alle Zwischenschritte erforderlich. Oft gelingt es, den Patienten nach einem ausreichenden Zeitraum – meist 48 Stunden – der Dauerentblockung mit häufiger Verwendung eines Sprechventils unter therapeutischer Aufsicht zu dekanülieren, ohne zuvor eine Sprechkanüle einzusetzen. Solche Entscheidungen bedürfen stets eines Konsensus des interdisziplinären Teams (Scheddin 2012; Schlaegel 2009; Hunt und McGowan 2005). Eine anschließende kontinuierliche Überwachung über mindestens 24 Stunden ist obligat. Eine ausführliche Beschreibung des Trachealkanülenmanagements einschließlich Dekanülierung bei beatmeten Patienten findet sich bei Schwegler (2016).

9

246

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

9.2.7 Fehler und Gefahren der Trachealkanülenversorgung von Dysphagiepatienten Die Zahl der Patienten, die nach einer akuten Erkrankungsphase für einen längeren Zeitraum – bisweilen dauerhaft – Kanülenträger bleiben, nimmt stetig zu. Sie geht aus den oben angeführten Gründen weit über die Tracheotomien des HNO-Fachgebiets hinaus. Auch in die Nachsorge sind häufig keine HNO-Ärzte eingebunden. Daraus resultieren teilweise bedenkliche Fehleinschätzungen und Versorgungsfehler.

Abb. 9.12  „Versehentliche“ Koniotomie: Die Sprechkanüle sitzt unmittelbar unterhalb der Stimmlippenebene [M858]

Eine Tracheotomie ist ein Eingriff an einem zu jeder Sekunde lebensnotwendigen Organsystem. Durchführung, pflegerische Betreuung, Kanülenauswahl und therapeutische Entscheidungen bedürfen daher einer besonderen Qualifikation.

Mögliche Komplikationen

• Inkorrekte Lage des Tracheostomas:

9

– Zu hoch: häufig unterhalb des Ringknorpels; Koniotomie, das heißt Punktionen zwischen Schildknorpel und Ringknorpel; hochgradige Gefahr der nachfolgenden Kehlkopfstenosierung (› Abb. 9.12)! – Zu tief, z. B. unterhalb des 4. Trachealrings: Das Ende der Kanüle kommt der Bifurkation der Trachea so nah, dass sie nicht ganz vollständig eingeführt werden kann! Gefahr der Arrosionsblutung! – Sehr schräg nach unten oder oben verlaufender Tracheotomiekanal, der damit sehr lang wird und eine entsprechende spezielle Kanülenform benötigt: Länge und Sitz der Manschette müssen angepasst werden, ebenso eine eventuelle Fensterung • Tracheostoma zu eng: schwieriger Kanülenwechsel, zu fester Sitz der Kanüle • Tracheostoma zu weit: hoher Luftverlust bei Phonation, beim Husten; bei Schluckversuchen gestörter oropharyngealer Druckaufbau • Tracheotomiekanal nicht ausreichend epithelisiert: Gefahr der Blutungen, Granulombildung, Bildung einer Via falsa beim Kanülenwechsel

Abb. 9.13  a Falscher Sitz der Sprechkanülenfensterung: Sieb nicht sichtbar (befindet sich im Tracheotomiekanal). [M858] b Endoskopische Sicht in das Kanülenlumen: Gewebe des Tracheotomiekanals drückt in die Siebfensterung. [M858]

• Kanülentyp entspricht nicht der Indikation: z. B. ungeblockte Kanüle bei Aspiration

• Kanülengröße inadäquat:

– Zu groß: Gefahr der Trachealwanddruckschädigung, häufiger Hustenreiz – Zu klein: chronischer Sauerstoffmangel, Gefahr der Verborkung • Krümmung entspricht nicht der Anatomie des Patienten: – Zu flach: Druck auf die Tracheahinterwand – Zu stark gebogen: Druck auf die Vorderwand

9.3  Mangelernährung, Dehy­dra­tation, Sondenernährung – In beiden Fällen Reizung der Schleimhaut mit häufigem Husten • Patient toleriert das Material der Kanüle nicht: Reizung und erhöhte Sekretbildung • Bei Sprechkanülen sehr häufig falsch liegende Fensterung: im Tracheotomiekanal oder an der Hinterwand der Trachea (› Abb. 9.13); kein Nutzen für den Luftstrom, große Gefahr der Granulombildung und Blutung Die Lage der Fensterung muss stets endoskopisch kon­ trolliert werden!

• Patient nutzt die Kanüle nicht entsprechend der

Indikation: Insbesondere bei blockbaren Sprechkanülen ist immer wieder zu beobachten, dass die Patienten die geschlossene Seele bei geblockter Kanüle tagsüber entfernen und die gefensterte Seele einsetzen und stundenlang „wunderbar sprechen können“. Das ist kontraindiziert! Die Blockung ist in diesem Falle sinnlos und der dauer­hafte Druck auf die Trachealwand gefährlich. In Einzelfällen können Patienten tagsüber ohne Blockung, sogar ohne Kanüle atmen, da sie aktiv hochhusten und schlucken können, nachts benötigen sie aber eine geblockte Kanüle.

Eine geblockte Kanüle über längere Zeit mit offenem Fenster zu tragen ist sinnlos und gefährlich für die Trachealwand.

• Fehlende ausreichende Abklärung vor Dekanülie-

rung bezüglich: – Tracheastabilität – Stimmlippenbeweglichkeit und Glottisweite – Ausreichender Luftdurchgängigkeit der subglottischen Region: dort häufige Stenosebildung durch Knorpelspangeneinbruch, Granulationen und entzündliche Verschwellungen Bei Übernahme eines Patienten mit Trachealkanüle muss eine nachsorgende Klinik daher in der Lage sein, diese Fragen abzuklären und ggf. entsprechend korrigierende Schritte einzuleiten. Insbesondere vor Entlassung eines Patienten in häusliche Pflege sollten alle möglichen Komplikationen bedacht und ihre Ursachen eliminiert werden.

247

9.3 Mangelernährung, Dehy­dra­ tation, Sondenernährung 9.3.1 Mangelernährung (­Malnutrition) Aufgrund einer Schluckstörung kann neben aspirationsbedingten Lungenkomplikationen als zweite lebensbedrohliche Folge eine normale, ausreichende orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme vorübergehend oder dauerhaft unmöglich sein. Mögliche Ursachen einer gestörten Ernährung bei Dysphagie • Die

Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme haben zur Folge, dass der Patient zu wenig isst/trinkt (Ekberg et al. 2002). • Wegen einer Aspirationssymptomatik darf aus Sicherheitsgründen keine Nahrung/Flüssigkeit oral aufgenommen werden („nihil per os“ = NPO). • Der Transport von Nahrung und Flüssigkeit von den Lippen bis zum Magen ist nicht ausreichend effektiv.

Ist eine normale Nahrungsaufnahme und Flüssigkeit nicht gewährleistet, drohen Unter- und Mangeler­ nährung sowie Dehydration mit weitreichenden klinischen Folgen für die Patienten, aber auch budgetären Folgen für das Gesundheits- und Sozialsystem (Dziewas et al. 2017; Bonilha et al. 2014; Löser 2010, 2011). Definitionen nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) • Unterernährung:

Verringerung der Energiespeicher (reduzierte Fettmasse) • Mangelernährung (Malnutrition): krankheitsassoziierter Gewichtsverlust, Eiweißmangel (reduzierte Muskelmasse) oder Defizit an spezifischen essenziellen Nährstoffen

Unter- und Mangelernährung treten vor allem bei zu Hause lebenden Menschen im höheren Lebensalter (10–20 %) und bei Bewohnern in Alten- und Pflegeheimen (40–60 %) auf (Wirth et al. 2016a; Lö-

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248

9  Medizinische Basisversorgung von Patienten mit Schluckstörungen

ser 2007) (› Kap. 4.2.11, › Kap. 5.1.5). Aber auch bei akuten Krankheitsereignissen und durch Tumorbehandlung können Schluckstörungen zu qualitativer und quantitativer Mangelernährung führen und eine vollständige oder teilweise nichtorale Ernährung erfordern. Nach Löser (2010) sind Unterund Mangelernährung bei Krankenhauspatienten ein häufiges und zunehmendes Problem mit einer 25-prozentigen Prävalenz. Die Folgen einer Mangelernährung sind vielfältig: Wundheilungsstörungen, Entwicklung von Dekubitalulzera, Infektanfälligkeit aufgrund verminderter Immunabwehr, Minderung der Therapietoleranz, Muskelschwäche mit Sturzgefahr und Immobilität. Sie führen nicht nur zu erhöhter Morbidität und Letalität, sondern auch zu verlängerter Liegedauer und höheren Kosten: Bei Patienten mit Dysphagie kann sich folgende „Kaskade“ entwickeln: Die Mangelernährung führt zur Muskelschwäche mit Verschlechterung des Schluckvermögens und zur Verringerung der Kraft des Abhustens (Murakami et al. 2015), gleichzeitig besteht eine verminderte Immunabwehr, die das Auftreten einer Aspirationspneumonie begünstigt. Da bei älteren Menschen schon normalerweise der Proteinanteil des Körpers abnimmt, ist ihr Risiko einer Mangelernährung im Falle einer Schluckstörung besonders hoch (Wirth et al. 2016b; Volkert et al. 2011).

Scores zur Erfassung des Ernährungs­ zustands

9

Zur Erfassung des Ernährungszustands sind verschiedene Scores entwickelt worden, die Anamnese, Body-Mass-Index (BMI), aktuelle Nahrungszufuhr in Prozent vom Bedarf sowie die Schwere der Erkrankung werten (Übersichten bei Löser 2010). Ein anerkanntes und valides Verfahren ist das Minimal Nutritional Assessment (MNA), das die Antworten auf 18 Fragen zu folgenden Bereichen wertet: • Anthropometrische Parameter (Body-Mass-Index, Oberarm- und Wadenumfang) • Allgemeinzustand • Ernährungsgewohnheiten • Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands Die Bewertung erfolgt nach einem Punktesystem zu den einzelnen Fragen.

Body-Mass-Index (BMI), Normwert 18,5 bis 1.750

Stufe B

Honigartig angedickt

351–1.750

Stufe C

Nektarartig angedickt

51–350

Stufe D

Dünnflüssig

1–50

10.4  Adaptive Verfahren Falls für die Standardisierung der instrumentellen Untersuchung oder für wissenschaftliche Zwecke ei­ ne genauere Viskositätsbestimmung erforderlich sein sollte, bietet sich als Alternative der von der IDDSI entwickelte Spritzenfließtest an (IDDSI Sy­ ringe Flow Test). Man benötigt hierzu lediglich eine 10 ml Spritze und eine Stoppuhr. Durchführung des Spritzenfließtests (IDDSI Syringe Flow Test): 1. Stoppuhr und 10 ml Spritze bereitlegen, Kolben aus Spritze herausziehen 2. Spritze mit der Spritzdüse nach unten halten und Düsenöffnung mit Finger verschließen 3. Spritze bis 10 ml mit Prüfflüssigkeit auffüllen – am besten mit zweiter Spritze 4. Finger von Düse nehmen und gleichzeitig Stopp­ uhr starten 5. Nach 10 Sekunden Finger wieder auf Düsenöff­ nung drücken Man verwendet die einfache Einwegspritze mit Luer Ansatz (kurze Düse). Nicht geeignet ist die Kathe­ therspritze (lange Düse). Die Bestimmung der Viskositätslevel richtet sich nach der in der Spritze verbliebenen Restmenge. Sie wird in einer 5-stufigen Skala von dünnflüssig bis sehr dick angegeben. Ein Video zur praktischen Druchführung und die genauen Skalierungskrite­ rien sind unter www.iddsi.org einsehbar. Dünnflüssige Konsistenzen lassen sich schwer kontrollieren und eignen sich meist nicht für Patien­ ten mit gestörter oraler Boluskontrolle, verspäteter Schluckreflexauslösung und/oder unvollständigem Kehlkopfverschluss (Kuhlemeier et al. 2001). In die­ sen Fällen sind breiige Nahrung und angedickte Flüs­ sigkeiten die bevorzugte Konsistenz. Andererseits kann eine gut fließende Substanz bei pharyngealer Parese besser transportiert werden, eine kleine OÖSÖffnung eventuell noch passieren oder im Falle einer Penetration/Aspiration leichter abgehustet werden. Auch innerhalb einer Kost- oder Flüssigkeitsstufe können sich je nach Kohäsion erhebliche Unter­ schiede ergeben: • So kann es vorkommen, dass z. B. Apfelmus, das eine gute Gleitfähigkeit besitzt, symptomfrei ge­ schluckt wird, während Pudding im Rachenraum hängen bleibt. • Kohlensäurehaltige Getränke scheinen weniger Aspirationen zu verursachen als normale dünne

369

Flüssigkeiten (Bülow et al. 2003; Sdravou et al. 2012). Erhöhte Aspirationsgefahr besteht bei Mischkonsistenzen, also bei gleichzeitiger Aufnahme fester und flüssiger Boli (Saitoh et al. 2007).

Zu bedenken ist auch der Einfluss des Speichels auf die Viskosität angedickter Getränke: Die meisten Andickungsmittel basieren auf Stärke. Das im Speichel enthaltene Enzym Amylase baut Stärke ab und verrin­ gert die Viskosität von angedicktem Wasser bereits nach einigen Sekunden. Dagegen beeinflusst Speichel die Viskosität von angedickten Getränken mit einem pH-Wert ≤ 3,6 kaum (Hanson et al. 2012a, b). Mittler­ weile sind amylaseresistente An­dickungs­mittel erhält­ lich (Bezugsquellen › Tab. 10.13 am Kapitelende). Einfluss des Speichels auf die Viskosität (Hanson et al. 2012a, b) Andickungsmittel auf Stärkebasis • Behält man angedicktes Wasser nur einige Sekunden im Mund, führt dies zu einer deutlichen Viskositätsreduktion: Nach 10 s ist die Viskosität bereits um 90 % reduziert. • Dagegen zeigt sich keine signifikante Viskositätsminderung bei angedickten Getränken mit pH-Wert ≤ 3,6 (z. B. Orangensaft, Coca Cola etc.) Amylaseresistente Andickungsmittel • Die Viskosität des angedickten Wassers ist bei Vermischung mit Speichel um 70% reduziert. Es setzt sich weniger freie Flüssigkeit ab.

Logemann et al. (2008) verglichen an über 700 (an Demenz/Morbus Parkinson leidenden) Patienten mit Flüssigkeitsaspiration die Aspiration abhängig von Kopfflexion sowie bei nektarartig und honigartig an­ gedickten Getränken: Bei den meisten Patienten ver­ hinderte die honigartige Konsistenz die Aspiration, als weniger schützend erwies sich die nektarartige Konsistenz. Die Kopfflexion war zwar weniger wirk­ sam, hatte aber die beste Anwenderakzeptanz. Eine Folgestudie an mehr als 500 Patienten ergab über ei­ nen Beobachtungszeitraum von 3 Monaten keinen Unterschied in der Pneumonierate (Robbins et al. 2008). Kurzfristige Erfolge müssen sich also nicht zwingend auf das Langzeit-Outcome auswirken.

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370

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Wie Leder et al. (2013) andererseits bei Patienten feststellten, die dünnflüssige Getränke aspirierten und breiige Konsistenzen aspirationsfrei schlucken konnten, bot die honigartige Konsistenz gegenüber nektarartigen Flüssigkeiten keinen Vorteil. So sollte man die Entscheidung über die Flüssigkeitsstufe sorgfältig prüfen. Nach einem Review von Steele et al. (2015) kommt es bei angedickten Flüssigkeiten zwar zu we­ niger Penetration und Aspiration, jedoch zu mehr postdeglutitiven Residuen. Angedickte Flüssigkeiten sind nicht sehr beliebt. Deshalb trinken die Patienten oft zu wenig. Nach einer Unter­ suchung von Murray et al. (2014) nahmen dysphagische Schlaganfallpatienten im Tagesdurchschnitt nur 780ml angedickte Flüssigkeit ein. Eine Flüssigkeitsbilanzierung ist deshalb dringend erforderlich.

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Exkurs: „Free Water Protocol“ Manche Rehabiliationseinrichtungen verwenden zur Aufbilanzierung der Flüssigkeitsmenge das „Frazier Free Water Protocol“ (Panther et al. 2005). Dysphagiepatienten die normalerweise angedickt trinken müssen, können zwischen den Mahlzeiten unangedicktes Wasser zu sich nehmen. Die Vorga­ ben beim „Frazier Free Water Protocol“ lauten: • Gründliche Mundpflege am Morgen, vor und nach Haupt- und Zwischenmahlzeiten, vor dem Wasser trinken und vor dem Zubettgehen; Mundpflege bestehend aus Zähneputzen und an­ schließender Mundspülung • Wasser trinken jederzeit vor den Mahlzeiten und ab 30 Minuten danach erlaubt • Niemals Tabletten mit unangedicktem Wasser einnehmen • Empfohlene Schlucktechniken oder Haltungsän­ derungen auch beim Wassertrinken anwenden • Während der Haupt- oder Nebenmahlzeiten nur angedickte Flüssigkeiten trinken • Gegebenenfalls Wassertrinken nur unter Super­ vison erlaubt Befürworter des Protokolls argumentieren, das die Gefahr einer Aspirationspneumonie bei reinem Wasser geringer ist, als bei angedickter Konsistenz. Voraussetzung ist allerdings eine sorgfältige Mundpflege. Reines Wasser enthält weniger pathogene

Bakterien als andere Flüssigkeiten. Zudem kann durch die Aquaporine (Proteine, die in der Zell­ membran Kanäle bilden, um den Durchtritt von Wasser zu erleichtern) der Lunge eine geringe Was­ sermenge wieder in den Blutfluss diffundieren, ohne Infektionen zu verursachen. Einen guten Überblick über das Für und Wider bietet der Review von Gill­ mann et al. (2017). Die Metaanalyse der inkludierten Studien ergab folgende Ergebnisse: 1. Patienten, bei denen keine degenerative neurolo­ gische Erkrankung vorlag, Mobilität und Kogni­ tion einigermaßen intakt waren oder die Mög­ lichkeit bestand, die Kongnitionseinbußen durch Supervsion zu kompensieren, entwickelten keine pulmonalen Komplikationen. 2. Nur ein Teil der Patienten verbesserte die Flüs­ sigkeitsbilanz, hier ergab sich lediglich eine ge­ ringe Evidenz-Stärke. 3. Das „Free Water Protocol“ führte zu einer besse­ ren Lebensqualität.

Sensorischer Input Der sensorische Input beginnt bereits vor der Nahrungsaufnahme: Gesichts-, Geschmacks- und Ge­ ruchssinn beeinflussen Speichel- und Magensaft­ sekretion. Eine gut aussehende, wohlriechende und -schmeckende Nahrung regt den Appetit an und fördert die Motivation zu essen. Patienten, die aus­ schließlich breiige Speisen einnehmen müssen, füh­ len sich in ihrer Lebensqualität erheblich beein­ trächtigt. Beispiele für ansprechend und abwechs­ lungsreich dargebotene passierte Kost zeigen › Abb. 10.107, › Abb. 10.108, › Abb. 10.109, › Abb. 10.110 und › Abb. 10.111. Passierte Kost ist als Fertigprodukt für die schnelle Eigenherstel­ lung oder fertig vorgeformt erhältlich, unter ande­ rem auch passiertes und geformtes Brot (Bezugs­ quellen › Tab. 10.13 am Kapitelende). Parameter, die während der Nahrungsaufnahme den sensorischen Input beeinflussen, sind Bolusgrö­ ße, Konsistenz, Geschmack und Temperatur. Die Sicherheit und Effizienz der Nahrungsaufnah­ me hängen oft von der Bolusgröße ab. Nach einem Review von Rizzo et al. (2016) besteht bei kleinen Schlucken (1-5 ml) flüssiger Konsistenzen ein gerin­ geres Penetrations-/Aspirationsrisiko. Eine Ausnah­ me bilden Patienten mit reduziertem pharyngealen

10.4  Adaptive Verfahren Druck, die häufig bei größeren Bolusvolumina siche­ rer schlucken. Kuhlemeier et al. (2001) untersuchten den Effekt der Bolusgröße mit verschiedenen Appli­ kationsformen (Teelöffel, Tasse): Bei der Einnahme mit dem Teelöffel wurde weniger aspiriert als beim Trinken aus der Tasse. Bei Problemen mit der Schluckreflexauslösung können dagegen größere Bo­ lusvolumen und dichtere Konsistenzen die Schluck­ reflexauslösung begünstigen (Bisch et al. 1994). Starke Geschmacksreize, nach Logemann et al. (1995) insbesondere Zitronensaft, fördern ebenfalls die Reflextriggerung. Sciortino et al. (2003) bestätig­ ten einen verbesserten Effekt der Thermosondensti­ mulation (Schwerpunkt 13: Schluckreflexstimula­ tion in › Kap. 10.2.4) durch Hinzufügen saurer Geschmacksreize. EMG-Studien zeigten beim sau­ ren Bolus eine stärkere Muskelkontraktion der sub­ mentalen Muskeln und eine schnellere Aktivie­ rungsfolge (Palmer et al. 2005). Auch extrem temperierte Speisen (kalt oder heiß) sollen die Schluck­

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reflexauslösung erleichtern. Elshukri et al. (2016) verglichen mittels Transkranieller Magnetstimula­ tion bei Gesunden die Wirkung von zitronensäure­ haltigem, kohlesäurehaltigem und stillem Wasser auf den Schluckkortex. Bei den ersteren beiden kam es zu einer höheren Erregbarkeit im dominanten pharyngealen motorischen Areal, wobei die Verän­ derungen beim kohlesäurehaltigen Wasser am längsten (bis zu 60 Min.) anhielten.

Abb. 10.109  Hähnchenschenkel [V437]

Abb. 10.107  Dreifarbiges püriertes und geformtes Gemüse [V437]

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Abb. 10.108  Kalbsgulasch [V437]

Abb. 10.110  Roggenbrot mit Leberwurst [V437]

372

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Pulmotoxische Eigenschaften Bei Aspirationsgefahr sind pulmotoxische Eigen­ schaften zu berücksichtigen. Nahrung, die die pul­ monalen Alveolargänge schädigt, insbesondere säu­ re- und fetthaltige Speisen, gilt es zu vermeiden. Des Weiteren können diverse Verunreinigungen und Rückstände in Lebensmitteln pulmotoxisch wirken.

Abb. 10.111  Frühstücksbox Brot passiert, mit passierter Fleischwurst [V767]

Einfluss auf Sekretbildung Darüber hinaus haben Geschmacksreize Einfluss auf die Sekretbildung. Bei verminderter Speichelpro­ duktion sind salzige, säurehaltige Speisen zu be­ vorzugen, da sie den serösen (dünnflüssigen) Spei­ chel aktivieren. Trockener, muköser Schleim kann den Bolustransport behindern. Deshalb gibt man schleimbildende Nahrung wie Milchprodukte, Ge­ treide und süße Speisen nur wohldosiert.

Es besteht die Gefahr, dass diätetische Maßnahmen zu restriktiv verordnet werden. Um zum gegebenen Zeitpunkt das Nahrungsangebot zu erweitern bzw. in die nächsthöhere Koststufe zu wechseln, ist es wichtig, • die Indikation nur nach sorgfältiger Diagnostik zu stellen und • in regelmäßigen Zeitabständen Follow-Up-Kontrollen durchzuführen.

› Tab. 10.8 gibt einen Überblick über Möglichkei­ ten zur Diätanpassung an die jeweilige Schluckpa­ thologie.

Tab. 10.8 Diätanpassung Diätanpassung

Indikation

Anpassen der Bolusgröße Bisch et al. 1994; Rizzo et al. 2016 Review

• Kleine

Breiige Nahrung, angedickte Flüssigkeiten Bisch et al. 1994; Kuhlemeier et al. 2001; Logemann et al. 2008; Robbins et al. 2008; Leder et al. 2013; Steele et al. 2015 Review

• Gestörte orale Boluskontrolle • Unvollständiger laryngealer Verschluss • Verzögerte Schluckreflexauslösung

Bolusvolumina (1-5ml) bei Penetration/Aspiration dünnflüssiger Konsistenz • Größeres Bolusvolumen bei verzögerter Schluckreflexauslösung, bei reduziertem pharyngealen Druck

Flüssig oder alternierend flüssig und breiig/ Eingeschränkte pharyngeale Kontraktion fest Flüssig

10

Isolierte Störungen der OÖS-Öffnung

Geschmacks- und Temperaturreize Verzögerte Schluckreflexauslösung Logemann et al. 1995; Rosenbek et al. 1996; Sciortino 2003; Palmer et al. 2005 Kohlensäurehaltige Getränke Bülow et al. 2003; Sdravou et al. 2012

Weniger Aspiration als bei normaler Flüssigkeit

Salzige, säurehaltige Speisen

Gestörter Bolustransport durch zähes Sekret, verminderte Speichelbildung

Vermeidung pulmotoxischer Substanzen Bei noch unklarer phyiologischer Störung mit Aspirationsgefahr insbesondere zur Diagnostik keine säure- und fetthaltigen Speisen

10.4  Adaptive Verfahren

373

• Stufe 2 (weiche Kost) ist für Patienten mit mittle­

Diät-Stufenplan Jutta Braun und Gudrun Bartolome Es gibt keine spezielle Schluckdiät. Wegen der vielfältigen Arten und Schweregrade der Schluckstörung ist die diätetische Anpassung immer auf den Einzelfall abzustimmen.

Die Indikationen für die Diätstufen sind deshalb le­ diglich als Empfehlung zu verstehen: • Stufe 1 (pürierte Kost) eignet sich für Patienten mit schweren Störungen des Kauens, der oralen Boluskontrolle, der laryngealen Schutzmechanis­ men, ggf. auch bei verzögerter Reflextriggerung, eingeschränkten pharyngealen Kontraktionen so­ wie bei gestörter OÖS-Öffnung. Den relativ gerin­ gen sensorischen Input dieser Konsistenz ver­ sucht man insbesondere bei Störungen der Re­ flexauslösung durch intensive Geschmacksreize zu kompensieren.

ren Störungen der oralen Vorbereitungsphase und der oralen Phase sowie, je nach Individual­ fall, bei mittelgradigen Beeinträchtigungen der pharyngealen Phase geeignet. Die Patienten sol­ len in dieser Phase bereits einige Mischkonsisten­ zen schlucken können, z. B. weiche Kost mit sä­ miger Soße. • Stufe 3 (Übergangskost) bildet den Übergang zur Normalkost. Die Patienten haben noch leichte Störungen der oralen und/oder pharyngealen Phase. Sie sollen Mischkonsistenzen aspirations­ frei schlucken können. • Stufe 4 (Vollkost) entspricht einer völlig norma­ len Kost, ohne jegliche Einschränkungen. Menüvorschläge und der zugehörige Diät-Stufenplan (› Tab. 10.9) sind online unter www.elsevier.de verfügbar. Beide wurden in Zusammenarbeit mit J. Braun, Diätküchenleiterin des Klinikums München GmbH, Städtisches Krankenhaus München-Bogen­ hausen, erstellt. Darüber hinaus bereichern spezielle Kochbücher für schluckgestörte Patienten die Menü­ auswahl (KWA Club 2015; Borasio et al. 2016).

Tab. 10.9  Diät-Stufenplan Dysphagie (Bezugsquellen gen. Nahrungsmittel am Kapitelende in › Tab. 10.13) Stufe 1: Pürierte Kost

Stufe 2: Weiche Kost

Stufe 3: Übergangskost

Weiche Nahrungsmittel, die sich mit der Zunge/Gabel zerdrücken lassen, einige Mischkonsistenzen können enthalten sein (z. B. sämige Soßen) sowie Nahrung aus Stufe 1

Halbweiche und feste Nahrungsmittel, die sich mit der Gabel zerdrücken oder leicht schneiden lassen, Mischkonsistenzen können enthalten sein (z. B. dünne Soßen) sowie Nahrung aus Stufe 1 und 2

Geeignete Nahrungsmittel Nahrungsmittel, die sich zu homogenem, kohäsivem Brei verarbeiten lassen, ihre Konsistenz sollte puddingähnlich sein

Gemüse Gekocht und fein püriert, ohne Schale und Kerne

Weich gekocht, wie Möhren, Sellerie, BluGekocht, auch Rosenkohl, Fenchel, menkohl, Brokkoli, Zucchini, Gurken, Kürbis, Schnittbohnen Tomatenragout (ohne Kerne), Rahmchampignons, Gemüseaufläufe ohne harte Kruste

Obst Gekocht und fein püriert, ohne Schale und Kerne, Götterspeise ohne Fruchtstücke und Kerne Fruchtgelee Frischobst: fein pürierte Banane

Gekochtes Obst ohne Kerne, wie Aprikosen, Pfirsiche, Birnen, Äpfel, Bananen, reife, geschälte Pfirsiche/Nektarinen Marmelade Frischobst: fein geriebener Apfel

Weiches Frischobst, wie Melonen, Pfirsiche, Nektarinen, Aprikosen, Erdbeeren, Kiwis

Milchprodukte Quark, Naturjoghurt, aromatisierter Joghurt, Pudding, Mousse, Eis

Fruchtjoghurt, Fruchtquark, Kräuterquark mit Camembert, Briekäse, Schnittkäse naDill, Schmelz-, Frisch-, Kartoffelkäse, Obazda, tur Schafskäsecreme

10

374

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Tab. 10.9  Diät-Stufenplan Dysphagie (Bezugsquellen gen. Nahrungsmittel am Kapitelende in › Tab. 10.13) (Forts.) Stufe 1: Pürierte Kost

Stufe 2: Weiche Kost

Stufe 3: Übergangskost

Faschiertes Fleisch

Weiches Fleisch, wie Kalb, Geflügel, Hähnchen, Schwein, Fisch

Leberpastete ohne grobe Stücke

Schnittwurst ohne Pfefferkörner, Senfkörner, Pistazien o. Ä.

Fleisch Püriertes Kalb-, Hühner-, Schweine- und Putenfleisch, evtl. mit sämiger Soße Wurst Feine Leber- und Teewurst Fisch Püriertes Seelachs- oder Panga- Fischklößchen, -nocken (durch Fleischwolf ge- Weich gedünstetes Seelachs-, Kabelsiusfilet, Fischnocken passiert dreht) jau-, Rotbarsch- oder Pangasiusfilet; und geformt Fischkonserve: weicher Hering in sämiger Tomatensoße Beilagen Kartoffelpüree, Kartoffelschnitten passiert und geformt

Polenta, Kartoffelknödel, weich gekochte Kar- Kartoffeln, Kartoffelsalat, Teigwaren toffeln, Serviettenknödel, Tortellini, Ravioli, (s. Stufe 2), weich gekochter Reis, KlöNudeln (weich gekocht) ße, Spätzle, Reibekuchen, Kroketten

Mehl- und Eierspeisen Pfannkuchen, Crèpes, Quarkauflauf ohne Kruste, Eierspeisen: Omelette, Rührei, weich gekochtes Ei, Eiersalat

Apfelstrudel, süße und pikante Aufläufe ohne harte Kruste

Getreide Feiner, nicht klebriger GrießWeiß- oder Graubrot ohne Rinde, in angebrei, Pudding ohne Stücke, alle dickter Milch eingeweichte Weißbrotstücke, anderen fein pürierten Breie mit Cornflakes usw., Käsesahnetorte Ausnahme Zwiebackbrei Brot passiert und geformt

Brot ohne Körner und Schalen Kuchen ohne grobe Nüsse etc.

Salate Rote-Beete-Apfel-Salat püriert

Ungeeignete Nahrungsmittel

Z. B. weich gekochter Sellerie



Gekochte und leicht kaubare rohe Salate

Alle Texturen, die sich nicht fein Harte, körnige, faserige, klebrige oder trocke- Sehr harte, grobkörnige, krustige, pürieren lassen ne Konsistenzen klebrige, zähe oder sehr trockene Konsistenzen Gemüse

10

Jedes nicht pürierbare Gemüse, Gemüse wie Stufe 1, Weiß-, Rot-, Wirsingz. B. rohes Gemüse, Spargel, kohl, alle Blattgemüse Brechbohnen, Mais, Hülsenfrüchte mit Schalensplittern, Kohlgemüse, Küchenkräuter

Rohe Karotten- oder Selleriestücke usw.

Obst Beeren mit Kernen, Erdbeeren, Zitrusfrüchte, Ananas, Weintrauben, Rhabarber, rohes Obst, getrocknetes Obst, gemahlene Nüsse

Siehe Stufe 1, Zwetschgen, Pflaumen, Mirabellen

Hartes Obst, Beeren mit Körnern

10.4  Adaptive Verfahren

375

Tab. 10.9  Diät-Stufenplan Dysphagie (Bezugsquellen gen. Nahrungsmittel am Kapitelende in › Tab. 10.13) (Forts.) Stufe 1: Pürierte Kost

Stufe 2: Weiche Kost

Stufe 3: Übergangskost

Milchprodukte Fruchtquark mit Fruchtstücken, Fruchtquark mit Kernen, Fruchtjoghurt mit Fruchtjoghurt mit Fruchtstücken, harten Fruchtstücken, Kräuterquark mit grob Kräuterquark, Kräuterfrischkäse geschnittenen Kräutern

Fruchtquark mit Kernen, Käse mit Pfefferkörnern u. Ä.

Fleisch Rind-, Hammelfleisch, Wild

Siehe Stufe 1

Zähes und trockenes Fleisch, paniertes Fleisch

Schnittwurst

Schnittwurst mit Pfefferkörnern o. Ä.

Siehe Stufe 1

Panierter Fisch

Faden-, Sternchen-, bissfeste Nudeln, Reis

Trockener Reis

Mehl-/Eierspeisen mit festen Bestandteilen, z. B. Nüssen, Mandeln, Rosinen

Siehe Stufe 2

Wurst Grobe streichfähige Wurst Fisch Kabeljau, faserreicher Fisch Beilagen Teigwaren, Reis Mehl- und Eierspeisen Mehlspeisen, auch Mehlmus meist zu klebrig Getreide Grobe Vollkornflocken

Brot mit krustiger Rinde und Körnern, Schalen Brot mit unvermahlenen Körnern und Schalenanteil, hartes, trockenes Brot, trockene Kuchen

Salate Alle nicht gekochten und nicht fein pürierten Salate

Ungekochte Salate

Flüssigkeitsstufen Je nach individuellem Störungsbild ist die Fließfä­ higkeit der Suppen, Soßen und Getränke zu berück­ sichtigen (Einteilung der Flüssigkeitsstufen › Tab. 10.7).

Wichtige Informationen zu bedarfs­ deckender Flüssigkeits- und Nahrungs­ einnahme Andickungsmittel Andickungsmittel ausschließlich aus Guarkernbzw. Johannisbrotkernmehl (Bezugsquellen › Tab. 10.13 am Kapitelende) sind kalorien- und kohlenhy­ dratfrei, dicken allerdings nach. Dies erschwert es, die optimale Konsistenz über einen längeren Zeit­ raum beizubehalten, wenn die Patienten langsam essen oder trinken.

Harte Salate, z. B. Fenchelsalat, Karottenscheiben, Gurkensalat mit groben Kernen

Deshalb bietet der Handel Andickungsmittel spe­ ziell für Dysphagiepatienten an (Bezugsquellen › Tab. 10.13). Deren Kalorien- und Kohlenhydrat­ gehalt ist zu beachten. Bei Diabetikern sind deshalb häufigere Blutzuckerkontrollen für eine gute Blutzu­ ckereinstellung unerlässlich. Der Einfluss des Spei­ chels auf nicht amylaseresistente Andickungsmittel ist weiter oben bereits beschrieben worden. Die gebunde Flüssigkeit angedickter Getränke wird durch Säuren und Enzyme im Magen und Dünndarm wieder freigesetzt, der Flüssigkeitsbedarf lässt sich deshalb auch mit ihnen decken (Sharpe et al. 2007; Hill et al. 2010). Allerdings können angedickte Flüssigkeiten die Auflösung und den Zerfall von Medikamenten verzögern und damit deren Wirkung beeinträchtigen. Bei Medikamenteneinnahme mit angedickten Getränken ist deshalb Rücksprache mit einem Pharmakologen erforderlich (Cichero 2013).

10

376

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Bedarfsdeckende Zusatz- und Ergänzungsnahrung Für Patienten, die wegen reduzierter Essgeschwin­ digkeit keine vollständige Mahlzeit bewältigen, ist zur optimalen Nährstoffversorgung die Gabe speziell angereicherter Trink- und/oder Zusatznahrung not­ wendig. Inzwischen ist auch hochkalorische, honig­ artig angedickte Trinknahrung erhältlich und auch verordnungsfähig (Bezugsquellen › Tab. 10.13 am Kapitelende). Um einem Mangel an Mikronährstoffen aufgrund des stark eingeschränkten Frischkostanteils, insbesondere in den Stufen 1 und 2, vorzubeugen, ist im Individualfall die Einnahme eines entsprechenden Präparats zur ergänzenden Ernährung zu empfehlen (Bezugsquellen › Tab. 10.13 am Kapitelende).

10.4.2 Nahrungsplatzierung Bei motorischen und/oder sensorischen Störungen der Zunge sowie nach Resektionen lingualer Struk­ turen lassen sich Defizite durch die richtige Platzie­ rung der Nahrung in vielen Fällen umgehen. Die Positionierung der Nahrung kann je nach individu­ ellem Krankheitsbild durch die Patienten selbst er­ folgen oder durch eine Begleitperson.

10

Eingeschränkte Lateralbewegungen und ­Teilresektionen der Zunge • Die (breiige) Nahrung wird mit einem flachen Löffel auf der Zungenmitte platziert, in der Zun­ genschüssel gehalten und dann geschluckt. Bei halbfester Konsistenz wird der Bolus durch kräf­ tige Zungenhebung am Gaumen zerdrückt und sofort geschluckt. • Bei Halbseitensymptomatik oder Zungenteilre­ sektion wird der Bolus auf die gesunde Zungen­ hälfte gelegt. Eingeschränkte Fähigkeit, den Bolus in der Zungenschüssel zu halten • Die (breiige) Nahrung wird auf die Zungenmitte geschoben, der Patient soll die Speise nicht im Mund bewegen, sondern gegen den vorderen bis mittleren Gaumen halten und möglichst schnell willkürlich schlucken.

Eingeschränkte Zungenelevation und -retraktion, Teilresektionen der Zunge • Der Patient legt breiige Nahrung auf die Hinter­ zunge und schluckt sofort. Die Positionierung auf der Hinterzunge kann mit einem Spatel erfolgen, manche Patienten helfen mit dem Finger nach. Bei massiven Teilresektionen wird häufig ein Schiebelöffel (› Abb. 10.128) verwendet. Dieser kann im Spezialhandel erworben oder aus einer 20-ml-Plastikspritze selbst hergestellt werden (› Abb. 10.129; Fleming und Weaver 1983). Die Anleitung hierzu ist weiter unten beschrieben. • Flüssigkeiten oder breiige Nahrung kann man vorsichtig direkt in den Oropharynx spritzen. Voraussetzung ist eine regelrechte Reflextrigge­ rung. Gegebenenfalls lässt sich die Spritze mit ei­ nem kurzen Schlauchstück verlängern (› Abb. 10.112). • Kann der Patient saugen, wird der Trinkhalm weiter nach hinten, bis fast in Höhe der vorderen Gaumenbögen, gelegt. Zungenstoß • Der Löffel wird von vorn in den Mund einge­ führt. Um die Elevationsbewegung der Zunge an­ zuregen, wird mit der Löffelunterseite auf der Zungenmitte ein kurzer Druck nach unten ge­ setzt. Beim Herausziehen des Löffels soll die Nah­ rung mit der Oberlippe abgenommen werden. • In manchen Fällen verhindert direktes Platzieren der Nahrung auf der Hinterzunge (s. o.) das Her­ ausstoßen aus dem Mund.

Abb. 10.112  Verlängerte Spritze [K353]

10.4  Adaptive Verfahren

377

Pumpbewegungen der Zunge • Die Nahrung wird auf der Zungenmitte platziert. Man fordert den Patienten auf, den Bolus be­ wusst gegen den Gaumen zu drücken und den Schluckreflex durch eine einzige kräftige Rück­ wärtsbewegung willkürlich zu initiieren. Sensibilitätsstörungen • Der Patient legt die Speise auf das Zungenareal, dessen taktile Wahrnehmung nicht beeinträchtigt ist. • Bleibt durch die orale Bolusverarbeitung trotz­ dem häufig Nahrung auf der gestörten Seite lie­ gen, macht man den Patienten verbal und durch visuelle Kontrolle mit dem Spiegel darauf auf­ merksam.

10.4.3 Trink- und Esshilfen Trinkhilfen Trinkbecher, Tassen Aus schmalen Trinkgefäßen lässt sich nur mit nach oben gestrecktem Kopf trinken. In normaler Kopf­ haltung kann das Gefäß nicht ausreichend gekippt werden, da die Nase im Weg ist (› Abb. 10.113). Um die Anteflexion des Kopfs zu erleichtern, wird deshalb ein Gefäßdurchmesser gewählt, der etwa dem Abstand zwischen Mund und Nasenwurzel ent­ spricht (› Abb. 10.114).

Abb. 10.113  Trinkbecher mit kleinem Durchmesser führt zu Kopfextension [K353]

Abb. 10.114  Weites Trinkgefäß ermöglicht Anteflexion des Kopfs [K353]

Inzwischen sind im Handel Becher mit Nasenausschnitt in verschiedenen Größen erhältlich, (› Abb. 10.115) optional auch im „Porzellanlook“ mit beidseitigen Griffen (› Abb. 10.116) oder aus echtem Hartporzellan. Alternativ kann man aus ei­ nem Plastikbecher eine Nasenkerbe ausschneiden. Dabei empfiehlt es sich, den Becher vor dem Aus­ schneiden mit einem Haarföhn zu erwärmen. Der Trinkbecher CamoCup® ermöglicht durch die eigenwillige Form ebenfalls die Kopfflexion, hat breite Griffrillen und steht stabil. Noppen im Lip­ penbereich geben zusätzlichen sensorischen Input, und die Schnabelform mit Trinkrille führt die Flüs­ sigkeit zielgerichtet in den Mundraum (› Abb. 10.117). Das neu entwickelte sippa Trinksystem be­ findet sich noch in der Erprobungsphase. Im Becher ist eine elastische Membran integriert, die sich beim Entleeren der Flüssigkeit zusammenzieht. So kann man auch beim Chin-down und sogar beim Chintuck den Becher leer trinken, ohne die Kopfhaltung zu verändern. (› Abb. 10.118).

10

378

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Abb. 10.115 KAPI® Trinkbecher [V394]

Ist beim Trinken eine dosierte Flüssigkeitsabgabe erforderlich, sind spezielle Dosierbecher zu emp­ fehlen. Der Provale™ Sicherheitstrinkbecher gibt pro Schluck 5 ml Flüssigkeit ab. Bei dem neu entwi­ ckelten RiJe Dysphagiebecher lässt sich das Trink­ volumen individuell auf 3 bis 15 ml pro Schluck ein­ stellen (› Abb. 10.119). Die Rillenbecher sind be­ sonders leicht und rutschen durch die fingergerech­ te Form der Grifffläche nicht so leicht aus der Hand. Mit Trinkhalmhaltern lassen sich Trinkhalme am Becher fixieren (› Abb. 10.120; Bezugsquellen › Tab. 10.13 am Kapitelende). Besteht die Gefahr des Verschüttens, eignet sich der Novo Cup, ein Be­ cher mit Trinkröhrchenaufsatz. Das schmale Röhr­ chen erleichtert eine dosierte Flüssigkeitsabgabe (› Abb. 10.121). Abb. 10.116  Nasenbecher mit 2 Griffen – wie Porzellan [V536]

Esshilfen 10

Die folgenden Esshilfen kompensieren primär Stö­ rungen der Arm- und Handfunktion. Sie unterstützen die Nahrungsaufnahme bei schluckgestörten Patien­ ten mit Beeinträchtigungen der oberen Extremität.

Teller Abb. 10.117  Trinkbecher CamoCup®, entwickelt von J. R. Prüfs, dem Gründer des Castillo Morales Centrum® [V537]

Teller mit erhöhtem Rand oder alternativ mit schrä­ gem Innenboden erleichtern das Aufnehmen der

10.4  Adaptive Verfahren

379

Abb. 10.118  a sippa Trinksystem – Becher voll gefüllt. [V768] b sippa Trinksystem – Becher halb gefüllt [V768]

Abb. 10.119  RiJe Dysphagiebecher [V769]

Abb. 10.121  Novo Cup mit Trinkröhrchenaufsatz [V394]

10 Abb. 10.120  Rillenbecher mit Trinkhalmhalter [V770]

Nahrung auf Löffel oder Gabel (› Abb. 10.122, › Abb. 10.123). Sie sind geeignet für Patienten, de­ nen nur eine Hand zur Verfügung steht, also bei ein­ seitig gestörter oder fehlender Arm- und Handfunk­ tion und Koordinationsstörungen der oberen Extre­

Abb. 10.122  Teller mit Randerhöhung [V384]

380

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Abb. 10.123  Teller mit schrägem Innenboden [V384]

Abb. 10.125  Biegsame Bestecke mit verstärktem Kunststoffgriff – für Rechts- und Linkshänder anpassbar [V384]

mität. Dieselbe Funktion erfüllen elastische Teller­ ränder, die sich mit einer Klemmvorrichtung an jedem beliebigen Teller befestigen lassen.

Bestecke

Unterlage Das Essgeschirr wird auf eine rutschfeste Unterlage gestellt und kann dadurch nicht mehr verschoben werden. Diese Maßnahme ist geeignet bei einseitig gestörter oder fehlender Arm- und Handfunktion und Koordinationsstörungen der oberen Extremität.

Frühstücksbrett Das Brett wird mit einer Schraubzwinge und/oder mit Gummisaugern auf dem Tisch befestigt. Vorste­ hende Metallstifte sorgen dafür, dass das Brot nicht vom Brett rutscht. Die große Gabel hält z. B. Käse, Wurst oder Obst fest (› Abb. 10.124; Bezugsquel­ len › Tab. 10.13 am Kapitelende). Es ist geeignet bei einseitig gestörter oder fehlender Arm- und Handfunktion und Koordinationsstörungen der oberen Extremität.

Hilfreiche Veränderungen bei Bestecken sind z. B. verstärkte Griffe aus Kunststoff oder aus Moos­ gummi zurechtgeschnittene Griffvergrößerungen (› Abb. 10.125, › Abb. 10.126; Bezugsquellen › Tab. 10.13). Biegsame Bestecke lassen sich indi­ viduell anwinkeln und so einer handgerechten Griff­ form anpassen (› Abb. 10.125). Mit dem Einhän­ derbesteck, bestehend aus Messer und Gabel, lässt sich Fleisch etc. mit einer Hand schneiden (› Abb. 10.127). Veränderte Bestecke sind geeignet bei schwacher oder eingeschränkter Greiffunktion (ver­ stärkte Griffe) sowie Störungen der Armfunktion.

10

Abb. 10.124  Frühstücksbrett [V384]

Abb. 10.126  Moosgummigriff [V539]

10.4  Adaptive Verfahren

381

Abb. 10.127  Einhänderbesteck, besteht aus Messer und Gabel [V384]

Schiebelöffel Patienten mit Hypoglossusparesen oder Teilresek­ tionen der Zunge haben häufig große Schwierigkei­ ten, die Nahrung im Mundraum nach hinten zu be­ fördern. Seit einiger Zeit sind im Handel spezielle Schiebelöffel erhältlich (› Abb. 10.128; Bezugs­ quellen › Tab. 10.13). Alternativ kann man dieses Hilfsmittel aus einer 20-ml-Plastikspritze selbst her­ stellen. Dies empfiehlt sich insbesondere, um zu­ nächst den Nutzen eines speziellen Schiebelöffels individuell zu überprüfen.

Abb. 10.128  Schiebelöffel [V771]

Schiebelöffel aus 20-ml-Plastikspritze herstellen • Man

führt von oben einen Schnitt im rechten Winkel durch die Spritze, um die vordere Kappe bis auf ein kleines Reststück abzutrennen. • Um eine Löffelform zu erreichen, sägt man 3 cm hinter dem Schnitt im 45°-Winkel bis zur Hälfte des Tubendurchmessers. • Nun beginnt man an der vorderen Öffnung und sägt von der Mitte ausgehend waagerecht nach hinten bis zum Schnittpunkt mit der vorhergehenden Linienführung. Jetzt lässt sich das ausgeschnittene Stück entfernen. • Zum Schluss glättet man die Kanten mit Sandpapier (› Abb. 10.129).

Die Schiebelöffel sind geeignet für Patienten mit er­ heblichen Problemen beim oralen Bolustransport.

Abb. 10.129  Schiebelöffel, hergestellt aus 20-ml-Plastikspritze [K353]

Obturatorprothese als Ess- und Trinkhilfe Patienten mit hohem Gaumen, Substanzdefekten des Oberkiefers, der Zunge oder paretischer Zunge erreichen häufig den Zungen-Gaumen-Kontakt nicht. Dies erschwert den oralen Bolustransport, weil sie die Nahrung nicht am Gaumendach entlang nach hinten schieben können. In vielen Fällen ist ei­ ne Obturatorprothese hilfreich (› Abb. 10.130). Hier handelt es sich um eine herausnehmbare Ver­ schlussplatte im Oberkiefer. Diese füllt den freien Zwischenraum aus und ermöglicht dadurch den lin­ gual-palatalen Kontakt (Herstellung durch den Zahnarzt).

10

382

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Vorbereitende Maßnahmen

Abb. 10.130  a  Obturatorprothese. [K353] b Obturatorprothese in situ. [K353]

10.4.4 Essensbegleitung

10

Viele schluckgestörte Patienten benötigen Hilfestel­ lungen für die Nahrungsaufnahme und/oder Supervi­ sion bei der Anwendung der erlernten Schlucktechni­ ken. Die Essensbegleitung erfolgt in der Regel durch das Pflegepersonal oder im Rahmen des Selbststän­ digkeitstrainings durch den Ergotherapeuten. Besteht die Möglichkeit, bezieht man die Angehörigen in die Essensbegleitung ein. Der Logopäde/Sprachtherapeut erarbeitet für den Patienten individuelle Essregeln. Es empfiehlt sich, die Instruktionen schriftlich zu fixie­ ren und für alle Beteiligten sichtbar im Patientenzim­ mer zu hinterlegen. Ungeschultes Personal und Ange­ hörige leitet man für die assistierten Mahlzeiten an. Sind Selbstständigkeit und Unabhängigkeit während der Nahrungsaufnahme angestrebtes Therapieziel, er­ folgt die Auswahl geeigneter Trink- und Esshilfen in Zusammenarbeit mit der Ergotherapie.

Es werden Vorkehrungen getroffen, um eine opti­ male Ausgangssituation zu erreichen: • Um Ablenkungen durch auditive Reize zu redu­ zieren, wird die Zimmertür geschlossen und Fernseher oder Radio ausgeschaltet. Ist der Pa­ tient leicht durch visuelle Stimuli ablenkbar, po­ sitioniert man ihn zum Essen mit Blick auf eine leere Wand oder zieht die Vorhänge zu. • Man die platziert Mahlzeit so vor dem Patienten, dass er sie sehen und riechen kann. Besteht eine Gesichtsfeldeinschränkung, legt man das Gedeck in den Bereich des intakten Gesichtsfeldes. • Individuell notwendige Hilfsmittel (› Kap. 10.4.3) zur Nahrungsaufnahme liegen bereit. • Man achtet auf eine optimale Körperhaltung. To­ nusveränderungen durch ungünstige Positionie­ rung, eventuell verbunden mit Schmerzen, kön­ nen die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen. Man bringt den Patienten in eine relaxierte Aus­ gangslage. Diese entspricht in den meisten Fällen einer aufrechten Sitzposition (Schwerpunkt 1: Haltungsaufbau in › Kap. 10.2.4). • Übermäßige Sekretansammlungen können den Bolustransport behindern. Vor der Nahrungsauf­ nahme achtet man deshalb auf eventuelle Atemge­ räusche. Im Bedarfsfall fordert man den Patienten zum Husten oder Rachenreinigen auf, tracheoto­ mierte Patienten werden abgesaugt. Produzieren die Patienten zu wenig Speichel (Hyposalivation), kann man die Mundhöhle zur Stimulierung der Sekretion vor dem Essen mit einem Schwamm oder einer Zahnbürste reinigen bzw. stimulieren. Weitere Maßnahmen zur Mundbefeuchtung sind in › Kap. 12.3.1 beschrieben. • Um Patienten mit schwersten Hirnschäden an taktile intraorale Reize zu gewöhnen und/oder bestehende Hypo- oder Hypersensibilität abzu­ bauen, sind taktile Reize vor dem Essen hilfreich. Man führt z. B. die Finger des Patienten an sei­ nen Mund, zuerst an die Lippen, später in den Mundraum. Alternativ kann vor jedem Essen die sog. Mundbehandlung (› Kap. 11.2.4) erfolgen. • Bei manchen Erkrankungen (z. B. Myasthenia gravis) ist die zeitgerechte Medikation wichtig, um die optimale Arzneiwirkung während der Mahlzeiten zu gewährleisten (› Kap. 11.1.2).

10.4  Adaptive Verfahren

Ess- und Trinktraining Die Betreuungsperson überprüft die Mahlzeit bezüglich der vorgegebenen Diätphase. Sie achtet auf die Beibehaltung der optimalen Körperhaltung, die konstante und korrekte Durchführung notwendiger kompensatorischer Maßnahmen, und stimuliert ggf. die Schluckreflextriggerung, z. B. mittels Thermosondenstimulation (Schwerpunkt 13: Schluckreflexstimulation in › Kap. 10.2.4).

Regeln und Risiken

• Um Verbrühungen/Verbrennungen zu vermei­

den ist vor der Aufnahme in den Mund die Temperatur der Nahrung/Flüssigkeit zu überprüfen. • Während des Essens sind bei schluckgestörten Patienten Unterhaltungen zu vermeiden. Man stellt dringend notwendige Fragen oder Auffor­ derungen nur, wenn der Mund leer und der Bo­ lus geschluckt ist. • Allgemein ist dem Patienten genügend Zeit zum Essen zu geben. Zu große Schlucke sind zu vemeiden. • Cave: Nach der Aufforderung, langsam zu trin­ ken, nahmen Ältere signifikant größere Schlucke (Yang et al. 2012). • Die Kauphase sollte so lange dauern, bis eine breiige Konsistenz erreicht wird. Schlecht zerkau­ te, zu große Nahrungspartikel können bei Aspira­ tion die Luftwege verschließen und zu lebensbe­ drohlichen Situationen führen. • Der Patient nimmt den nächsten Bolus erst ein, wenn alle Nahrungsreste entfernt sind. – Prüfung: Die Mundhöhle lässt sich visuell mit Taschenlampe und Spatel inspizieren. Residu­ en im Kehlkopfeingang sind indirekt an der gurgelnden Stimmqualität zu erkennen. Der Patient wird aufgefordert, direkt nach dem Schluck „ah“ zu sprechen. Bei Residuen im Ra­ chen klagen die Patienten häufig über ein Fremdkörpergefühl und können bei intakter Sensibilität zeigen, wo sich der Bolusrest befin­ det (Valleculae = Höhe Zungenbein, Sinus pi­ riformes = Höhe Ringknorpel). – Reinigung: Die Reinigung des Mundraumes geschieht durch leer Nachschlucken, ggf. Aus­ spucken oder manuell ausräumen. Die Luftwe-

383

ge bzw. den Kehlkopfeingangs reinigt man durch Husten. Es empfiehlt sich nach dem Husten nochmals leer nachzuschlucken, um das hochgehustete Material zu entfernen. Die Reinigung des Rachens geschieht durch Hoch­ räuspern („throatclearing“) und leer nach­ schlucken bzw. Ausspucken in ein leeres Ge­ fäß. Bei letzterem gewinnt man Informationen über die Menge der Residuen. • Ermüdet der Patient oder verschlechtert sich sei­ ne Vigilanz, besteht erhöhte Aspirationsgefahr. Man legt eine Essenspause ein oder bricht die Mahlzeit ab. • Um Refluxprobleme zu verhindern, sollte der Pa­ tient nach dem Essen 1 Stunde aufrecht sitzen bleiben und 1–2 Stunden vor dem Zubettgehen keine Nahrung mehr zu sich nehmen.

Patienten mit schweren motorischen und/oder kognitiven Störungen Sie benötigen besondere Hilfestellung. Eine instabile Körper- und/oder Kopfhaltung muss zwischendurch korrigiert oder passiv unterstützt werden (Schwer­ punkt 1: Haltungsaufbau in › Kap. 10.2.4). Ist der Patient nicht in der Lage, Nahrung selbst­ ständig aufzunehmen, versucht die Betreuungsper­ son, den Löffel möglichst durch passives Führen von vorn in den Mund zu schieben. Die antizipatori­ schen Spürinformationen erhöhen häufig den senso­ rischen Input und regen Sekretproduktion und/oder Reflextriggerung an. Um die Nahrung leichter mit den Lippen abneh­ men zu können, benutzt der Patient einen möglichst flachen, stabilen Löffel oder alternativ eine Gabel. Während des Schluckens achtet man auf den voll­ ständigen Mund- und Kieferschluss. Im Bedarfsfall wird der sog. Kieferkontrollgriff A, B oder C ange­ wendet (› Kap. 10.2.4). Lässt der Patient dennoch Nahrung im Mund­ raum liegen und reagiert weder mit Kau- noch mit Schluckbewegungen, versucht man mit kurzem Druck der Löffelunterseite auf die Zungenmitte die propriozeptiven Reize zu erhöhen. Bei Bedarf ver­ stärkt man den sensorischen Input durch besondere Geschmacks- oder Temperaturreize. Häufig ist es hilfreich, die Zungenbewegungen durch Streichen des Zeige- oder Mittelfingers am Mundboden Rich­ tung kranial/dorsal anzuregen.

10

384

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Verbleiben nach dem Schlucken Nahrungsreste außerhalb des Mundes, tupft man vorzugsweise mit einem weichen Papiertuch ab. Wiederholte reiben­ de, wischende Bewegungen führen zu Hautirritatio­ nen.

Maßnahmen im Notfall Bei Beachtung der geeigneten therapeutischen Stra­ tegien kommt es i. d. R. nicht zu schweren Aspira­ tionen. Dennoch müssen Therapeut und Betreu­ ungsperson auf einen eventuellen Notfall vorbereitet sein, um sofort die geeigneten Maßnahmen durch­ führen zu können. Ohne Sauerstoffzufuhr kann das Gehirn nur etwa 3–5 min überleben. Deshalb ist bei einer schweren Aspiration mit Zeichen von Atemnot rasche Hilfe lebensnotwendig. Anzeichen für Atemnot • Unregelmäßige Atmung • Starkes Ziehen oder Schnappen

nach Luft mit entsprechendem Atemgeräusch (Stridor) • Fahle Blässe • Blaufärbung der Haut/Schleimhäute (Zyanose) • Unruhe, Angst • Bewusstseinseintrübung

Zeigt der Patient Symptome von Atemnot, muss sofort notärztliche Hilfe gerufen werden!

Sofortmaßnahmen

• Ruhe bewahren und den Patienten zum Husten auffordern.

10

• Ist die Auslösung des Hustens erschwert oder der

Hustenstoß nicht kräftig genug, beugt man Kopf und Rumpf des sitzenden Patienten nach vorn in Richtung Knie. Dann klopft man mit der flachen Hand mehrmals kräftig zwischen die Schulterblätter. Dadurch erhöht sich der intrathorakale Druck und die Ausatemluft kann leichter nach außen dringen. • Alternativ kann man den Hustenstoß durch Kompression des Brustkorbs unterstützen. Der

Abb. 10.131  Kompression des unteren Brustkorbs zur Unterstützung des Hustenstoßes [K353]

Therapeut steht hinter dem Patienten, legt seine Arme um dessen unteren Brustkorb und drückt die Rippen zusammen und nach unten, während der Patient zu husten versucht (› Abb. 10.131). • Bei Kanülenpatienten lässt sich aspiriertes Ma­ terial i. d. R. durch Absaugen entfernen. Deshalb sollte bei diesen Patienten während der Ess- und Trinkversuche ein Absauggerät bereitstehen.

Indikation und Durchführung des HeimlichManövers Bei Erstickungsgefahr durch vollständige Verle­ gung der Luftwege wendet man als lebensrettende Maßnahme das Heimlich-Manöver (Heimlich 1975; Heimlich und Patrick 1990) an (ungeeignet bei durch kleine Boli unvollständig verlegte Luftwege!): • Sitzenden oder stehender Patient: Man umfasst den Oberkörper von hinten und drückt in Höhe des Epigastriums (zwischen Schwertfortsatz des Brustbeins und Nabel) mit der Faust kurz und kräftig nach innen oben (› Abb. 10.132). Da­ durch verschiebt man das Zwerchfell nach kra­

10.5  Der Weg zum ­maßgeschneiderten ­Übungsprogramm

385

Heimlich benutzt den Vergleich mit einer luftgefüll­ ten Plastikflasche, deren Korken aus dem Flaschen­ hals springt, wenn man den Flaschenkörper plötz­ lich zusammendrückt. Maximaler Druck lässt sich nach inspiratorischer Aspiration erzeugen, da die unteren Luftwege nach der Einatmung mit viel Luft gefüllt sind. Aber selbst nach vollständiger Ausat­ mung verbleibt noch ein Restvolumen von etwa 0,5 l Luft in der Lunge. Risiken des Heimlich-Manövers • Begünstigt das Regurgitieren von Mageninhalt • Kann zu Rippenbrüchen und Verletzungen innerer

Or-

gane führen

Scheitern alle Versuche, die Atemwege frei zu be­ kommen, wird der Patient bis zum Eintreffen des Notfallteams in stabiler Seitenlage mit leicht nach oben gedrehtem Kopf gelagert.

Abb. 10.132  Heimlich-Manöver in stehender Patientenposition [K353]

nial, komprimiert so die Lungen und erhöht den Luftdruck des Tracheobronchialbaumes. • Liegender Patient: Er wird in Rückenlage ge­ bracht. Der Helfer kniet mit gegrätschten Beinen über ihm (Knie in Hüfthöhe des Patienten), legt seine Hände übereinander und drückt die Hand­ ballen nach innen oben ins Epigastrium (› Abb. 10.133).

Abb. 10.133  Heimlich-Manöver in Rückenlage [K353]

10.5 Der Weg zum ­maßgeschneiderten ­Übungsprogramm › Tab. 10.10 eignet sich als Leitfaden für die Zu­ sammenstellung eines störungsspezifisch abge­ stimmten Übungsplans. Wegen der Fülle der Übungsmöglichkeiten sind die restituierenden Me­ thoden nach Oberbegriffen geordnet, z. B. „Lippen­ schluss“ oder „Zungenspitzenhebung“. Besonders häufig durchgeführte Übungen oder solche, die spe­ zielle Materialien erfordern, sind unter dem jeweili­ gen Oberbegriff exemplarisch aufgeführt. Die ent­ sprechenden Seitenzahlen kann man im Stichwort­ verzeichnis nachschlagen. Studien zu Wirksamkeits­ nachweisen sind in › Tab. 10.3, › Tab. 10.4 und › Tab. 10.5 zusammengefasst. Tipp: Kopiervorlagen für individuell angepasste Eigenübungen, bzw. die entsprechende Anleitung für betreuende Personen sind im Onlinezugriff die­ ses Buches erhältlich. Zahlreiche farbige Illustratio­ nen veranschaulichen die Übungsanweisungen. Die einzelnen Vorlagen kann man sich herunterladen und ausdrucken.

10

386

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Tab. 10.10  Leitfaden für die Wahl der richtigen Übung Pathomechanismus

Symptom

Mögliche restituierende Übungen

Mögliche kompensatorische/adaptive Maßnahmen

Übungen zur Behandlung von Störungen der oralen Phase Unvollständiger ­Lippenschluss

Prädeglutitiv: • Anteriores Leaking

Lippenschluss: • Widerstand mit Spatel • Ora-Light®1 Lippenstimulator • Face-Former®

• Flüssigkeiten andicken • Flaschetrinken • Trinkhalmtrinken

Reduzierte Lippenspannung

Postdeglutitiv: • Residuen im vorderen Sulkus

Lippenschluss: • Widerstand mit Spatel Lippenprotraktion/-retraktion

• Trinkhalmtrinken

Reduzierter Tonus der Postdeglutitiv: • Residuen im lateralen Wangenmuskulatur Sulkus

Wangenkontraktion: • Widerstand manuell • Face-Former®

• Manuelle

Unvollständiger ­Kieferschluss

Kieferschluss passiv: • Kieferkontrollgrifff Kieferschluss aktiv: • Widerstand manuell • Widerstand mit Spatelkreuz

• Flüssigkeiten

Prädeglutitiv: • Anteriores Leaking Postdeglutitiv: • Orale Residuen (Zunge, Mundboden)

Kompression der paretischen Seite • Trinkhalmtrinken andicken

Übungen zur Behandlung von Störungen der oralen Phase Eingeschränkte ­Kieferöffnung

Prädeglutitiv: • Unvollständige Bolusaufnahme

Beißreflex/Kau­ Postdeglutitiv: • Orale Residuen (Zunschwierigkeiten: • Fehlende oder eingege, Mundboden) schränkte Kieferrotation • Reduzierte seitliche/rotatorische Zungenbewegungen

10

Kieferöffnung: • Spatelblock • Therabite® • Widerstand manuell

• Flacher Löffel • Trinkhalm • Flüssignahrung

Beißreflex abbauen, Kieferrotation: • Kaustimulation mit Kauschlauch • Widerstand manuell Zungenlateralisation/-rotation

• Zunächst

breiige oder weiche Kost • Flüssigkeiten • Feste Konsistenzen als Kau­ stimulus

Gestörte BolusforPrädeglutitiv: Zungenrandelevation/Zungenmung und -kontrolle: • Posteriores Leaking schüsselbildung: • Reduzierte Zungen• Penetration/Aspiration • Kugelübung • „sch“ phonieren schüsselbildung Postdeglutitiv: • Gestörter Vorderzun• Orale Residuen (ZunHinterzungenelevation: • Widerstand mit Spatel genrand-Hinterzungenge, Mundboden) • Aspiration penetrierter • Ora-Light®4 – HinterzungenGaumen-Abschluss („glossopalatal seal“) Residuen stimulator • Mit Hinterzunge schnalzen • Face-Former®

• Breiige, weiche Kost • Nahrung auf Zungenmitte • Flüssigkeiten andicken • Trinkhalmtrinken • Kopfneigung (Chin-down/

Gestörter oraler Postdeglutitiv: Zungenspitzenelevation: • Residuen auf der Zun- • Widerstand mit Spatel Transport: • Unvollständige Zungen• Mit Zungenspitze schnalzen ge (vorn, Mitte und/ • Ora-Light®2 – Zungenspitzenhebung oder hinten) • Coating am Gaumen stimulator • Face-Former® Vorderzungenelevation: • Widerstand mit Spatel • Löffel ansaugen • Mit Vorderzunge schnalzen

• Nahrung • Nahrung

Chin-tuck, Schutz vor Leaking) • Kopfneigung und -hebung (bei gleichzeitiger oraler Transportstörung) auf Hinterzunge auf gesunde Zun-

genseite • Schiebelöffel • Trinkhalmtrinken • Leer nachschlucken

oder -trinken • Flüssignahrung • Kopfhebung (verbesserter oraler Flüssigkeitstransport)

10.5  Der Weg zum ­maßgeschneiderten ­Übungsprogramm

387

Tab. 10.10  Leitfaden für die Wahl der richtigen Übung (Forts.) Pathomechanismus

Symptom

Mögliche restituierende Übungen

Mögliche kompensatorische/adaptive Maßnahmen

• Ora-Light®3

• Kopfkippung

– Zungenkörpertrainer • Face-Former® Hinterzungenelevation: • Widerstand mit Spatel • Ora-Light®4 – Hinterzungenstimulator • Mit Hinterzunge schnalzen • Face-Former® • Reduzierte

Zungenrück- Postdeglutitiv: Zungenkörperretraktion: • Residuen auf der Zun- • Sanfter manueller Widerstand wärtsbewegung • Zunge so weit wie möglich zuge • Coating am Gaumen rückziehen

zur gesunden Zungenseite (oraler Transport über gesunde Seite) • SGK (zusätzlicher Aspira­ tions­schutz)

• Nahrung auf Hinterzunge • Trinkhalmtrinken • Flüssignahrung • Kopfhebung (verbesserter

oraler Flüssigkeitstransport) (zusätzlicher Aspira­ tions­schutz)

• SGK • Zungenstoß

Prädeglutitiv: • Anteriores Leaking

Zungenstoß

Verlängerter oraler Transport: • Verspäteter Beginn • Zungenpumpen

Prädeglutitiv: Verbale Hilfe, z. B.: • Posteriores Leaking • „Mit Zungenspitze starten, so• Penetration/Aspiration fort schlucken“ Postdeglutitiv: oder • Aspiration penetrierter • „Nahrung an Gaumen drüResiduen cken und sofort schlucken“

• Nahrung auf Hinterzunge • Löffeldruck auf Zungenmitte • Flaschetrinken • Flüssigkeiten andicken • Nahrung

auf Zungenmitte

Übungen zur Behandlung von Störungen der pharyngealen Phase Verzögerte/fehlende Schluck­reflex­aus­ lösung

Eingeschränkte Zungenbasisretraktion (unvollständiger Zungenbasis-Rachen-Kontakt)

Prädeglutitiv: Schluckreflexstimulation: • Pooling im Valleculae • Saugschlucken • Pooling in Sinus piri• Bolusspezifische Stim. • Olfaktorische Stim. formes • Penetration/Aspiration • Thermal-taktile Stim. • Auditive Stim. Intradeglutitiv: • Bei erheblichem Poo• Elektrostim. ling in Sinus piriformes Penetration Postdeglutitiv: • Aspiration penetrierter Residuen

• Breiige Nahrung • Extreme Temperatur • Geschmacksreize • Flüssigkeiten andicken • Kopfneigung (Chin-down,

Postdeglutitiv: Zungenbasisretraktion: • Residuen in den Valle- • Zungenbasishalteübung • Gurgelübung culae • Penetration/Aspiration • Gähnübung • Pressübung

• Kopfneigung

Reduzierte Velum­ Intradeglutitiv: • Nasale Penetration hebung (unvollständiger velopha(v. a. bei großen ryngealer Verschluss) Bolus­volumina)

Übungen Velumhebung nur bei gravierender nasaler Penetration Pharynxkontraktion: • Masako-Manöver

Erweiterung Valleculae/Chintuck, verbesserter Schutz des Kehlkopfeingangs) • SGS (Schutz vor prädeglutitiver Aspiration) • SSGS (Schutz vor intradeglutitiver Penetration) (Chin-tuck, bessere Zungenbasisretrak­ tion) • Kräftig schlucken (höherer Bolusdruck) • Kleine Bolusvolumina • Flüssigkeiten andicken • Kräftig schlucken (höherer

Bolusdruck)

10

388

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Tab. 10.10  Leitfaden für die Wahl der richtigen Übung (Forts.) Pathomechanismus

Symptom

Mögliche restituierende Übungen

Mögliche kompensatorische/adaptive Maßnahmen

Reduzierte PharynxPostdeglutitiv: Pharynxkontraktion: Uni- oder bilaterale Stökontraktion unilateral, • Residuen in den Valle- • Widerstand – Lippen/Wangen rung: • Masako-Manöver • Wechsel zwischen flüssig bilateral culae • Coating an den Pha• Modif. Valsalva-Manöver (gestörte pharyngeale und fest • Gleitfähige Nahrung Reinigungswelle) rynxwänden • Residuen in Sinus piri• Flüssignahrung • Leer nachschlucken formes • Penetration/Aspiration • Kräftig schlucken (höherer Bolusdruck) Unilaterale Störung: • Kopfdrehung zur kranken Rachenseite (pharyngealer Transport über die gesunde Seite) Bilaterale Störung: • Seitenlage, kombiniert mit leerem Nachschlucken (Schutz vor Überlauf der Residuen in Kehlkopfeingang) Unilateral gestörter oraler Transport und unilateral gestörte pharyngeale Reinigungswelle

Postdeglutitiv: • Einseitige orale und pharyngeale Residuen (s. o.) • Penetration/Aspiration

• Zungenspitzenelevation • Vorderzungenelevation • Hinterzungenelevation • Zungenretraktion • Pharynxkontraktion

Bilateral gestörter oraler Transport und unilateral gestörte pharyngeale Reinigungswelle

Postdeglutitiv: • Bilaterale orale Residuen und einseitige pharyngeale Residuen • Penetration/Aspiration

• Zungenspitzenelevation,

Unzureichende Epiglottis- und Aryknorpelkippung (unzureichender Verschluss des Kehlkopfeingangs)

Intradeglutitiv: Epiglottiskippung → Larynxele• Penetration vation • Aspiration, wenn zugleich Stimmbandschluss unvollständig Postdeglutitiv: • Aspiration penetrierter Residuen

• Wechsel

zwischen flüssig und fest • Gleitfähige Nahrung • Flüssignahrung • Bolusplatzierung auf gesunder Seite • Leer nachschlucken • Kräftig schlucken (erhöhter Bolusdruck) • Kopfkippung zur gesunden Seite (oraler und pharyngealer Transport auf gesunder Seite) Vor-

derzungenelevation • Hinterzungenelevation • Zungenretraktion • Pharynxkontraktion

10

• Wechsel

zwischen flüssig und fest • Gleitfähige Nahrung • Flüssignahrung • Leer nachschlucken • Kopfneigung, dann Hebung und Drehung zur kranken Seite • Kombiniert mit kräftigem Schlucken • Flüssigkeiten andicken • Breiige Nahrung • Chin-tuck (verbesserter

Schutz des Kehlkopfeingangs) • SSGS (verbesserter Schutz des Kehlkopfeingangs)

10.6  Effektivität und Effizienz von Schlucktherapie

389

Tab. 10.10  Leitfaden für die Wahl der richtigen Übung (Forts.) Pathomechanismus

Symptom

Mögliche restituierende Übungen

Eingeschränkte Hyoid- Unzureichende EpiLarynxelevation: • Widerstand gegen KieferöffLarynx-Hebung glottiskippung Intradeglutitiv: nung • Penetration • Shaker-Übung • Aspiration wenn zu• Zungenpress-Übung • Exspiratorisches Muskelkraftgleich Stimmbandschluss unvollständig training (EMST) • Mendelsohn-Technik als LeerPostdeglutitiv: • Residuen in Valleculae schluck • Aspiration penetrierter • Chin-tuck gegen Widerstand Residuen

Unvollständiger Stimmbandschluss

Mögliche kompensatorische/adaptive Maßnahmen • Flüssigkeiten andicken • Leer nachschlucken • MT (verbessertes Bewe-

gungsausmaß) (Schutz vor intradeglutitiver Penetration)

• SSGS

Unvollständige OÖSÖffnung Postdeglutitiv: • Residuen in Sinus piriformes • Aspiration • Bei erheblichen Residuen evtl. nasale Penetration

• Flüssigkeiten

Intradeglutitiv: Laryngeale Adduktion: • Aspiration, wenn zu• Druck-Halte-Übungen gleich Kehlkopfhebung • Stimmübungen reduziert

• Breiige Nahrung • Angedickte Flüssigkeiten • Kopfneigung (Chin-tuck, ver-

10.6 Effektivität und Effizienz von Schlucktherapie In der Diskussion um mehr Wirkungsökonomie geht es darum, die Wirksamkeit und Wirtschaftlich­ keit therapeutischer Maßnahmen nachzuweisen. Dies liegt nicht nur im Interesse der Kostenträger, es dient vor allem dem Wohl der Patienten.

(dringen durch kleine Öffnungen) • Kohäsiver Bolus (erhöhter Druck) • Leer nachschlucken • Kopfdrehung oder Chindown (reduzierter OÖS-Residualtonus) • MT (längere OÖS-Öffnungsdauer, weitere Öffnung)

besserter Schutz des Kehlkopfeingangs) • Kopfdrehung zur kranken oder gesunden Seite (verbesserte Glottisadduktion) • Kopfneigung, kombiniert mit Kopfdrehung zur kranken Seite • SSG (Schutz vor intradeglutitiver Aspiration)

• Effekt = allgemeine Wirkung einer Maßnahme • Effektivität = Maß für die Wirksamkeit einer Maß-

nahme; Vergleich des tatsächlichen Nutzens einer Leistung mit dem angestrebten Nutzen (Therapieziel) • Effizienz = Maß für die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme; die Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Mittel (Input) wird zur erbrachten Leistung (Output) in Beziehung gesetzt; eine Maßnahme erfüllt den Anspruch auf Wirtschaftlichkeit, wenn ein hoher Nutzen bei niedrigen Kosten entsteht (Viethen 2000)

10

390

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

10.6.1 Wie schaffen wir Effektivität und Effizienz?

Tab. 10.11  Einteilung der Evidenzstärke von Therapiestudien nach ÄZQ (AWMF, ÄZQ 2001)

Wissenschaftliche Methoden

Evidenz- Beschreibung klassen

Beobachten wir nach der Therapie Funktionsverbes­ serungen, ist der Patient zwar mit dem Ergebnis zu­ frieden, wir haben jedoch nicht den Beweis, dass der Erfolg unmittelbar auf die Behandlung zurückgeht. Man kann nie sicher sein, ob andere Faktoren das Ergebnis beeinflusst haben und ob die vermeintliche Wirkung auch ohne Behandlung eingetreten wäre. Um den Therapieerfolg nachzuweisen, benötigen wir wissenschaftlich fundierte Methoden. Die fol­ gende Darstellung soll den in Wissenschaft und Pra­ xis Tätigen helfen, die Qualität klinischer Evalua­ tions­studien besser zu beurteilen.

Evidenzbasierte Medizin (EBM)

10

Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Eva­ luationsforschung hat sich der Begriff evidenzbasierte Medizin rasant verbreitet. Den Beginn der EBM mar­ kiert das Buch Effectiveness and efficiency: random reflections on health services von A. Cochrane (1972). Ein internationales Netzwerk zur Wirksamkeitsbe­ wertung in der Medizin, die Cochrane Collaboration wurde nach ihm benannt. Hauptaufgabe dieser ge­ meinnützigen Organisation ist die Erstellung und Ak­ tualisierung systematischer Übersichtsarbeiten, um damit die Evidenz zu therapeutischen Fragen verfüg­ bar zu machen. Die Zusammenfassungen (abstracts) dieser Reviews kann man kostenlos einsehen (www. cochrane.de). Die Bewertung der wissenschaftlichen Aussagefähigkeit klinischer Studien erfolgt in der EbM anhand von Evidenzklassen. Nicht nur für Wis­ senschaftler, auch für praktisch Tätige ist es wichtig die EbM-Kriterien zu kennen, um aus der Fülle der Literatur die relevanten Ergebnisse zu extrahieren und zum Wohl der Betroffenen zu nutzen. Ziel der EBM ist das Zusammenführen der individuellen klinischen Erfahrung mit den besten verfügbaren Daten aus der klinischen Forschung.

Es existieren verschiedene Klassifikationsschemata. Die in › Tab. 10.11 dargestellte Definition der Evi­

Ia, Ib

Evidenz aufgrund von Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien (Ia) bzw. aufgrund mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie (Ib)

IIa, IIb

Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie ohne Randomisierung (IIa) bzw. aufgrund mindestens einer gut angelegten, quasi experimentellen Studie (IIb)

III

Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht experimenteller deskriptiver Studien (z. B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien, Fall-Kontrollstudien)

IV

Evidenz aufgrund von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsensus-Konferenzen und/oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten

denzklassen orientiert sich am Leitlinien-Manual der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) und der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssiche­ rung (ÄZQ). Studien der Klasse Ia haben die höchste Evidenz, die der Klasse IV die geringste.

Evidenzklasse I Die randomisierte kontrollierte Studie (Randomized Controlled Study – RCT) gilt als bestes Design für Interventionsstudien und wird als experimentell bezeichnet. Bei diesem Studiendesign wird eine Gruppe von Patienten nach dem Zufallsprinzip in 2 oder mehre­ re Gruppen aufgeteilt (randomisiert): • Die eine Gruppe erhält eine Therapie (z. B. spe­ zielle Schlucktherapie), • die andere Gruppe eine Vergleichs-, Plazebothe­ rapie oder aber keine Therapie. Beide Gruppen sind nur vergleichbar, wenn die Startbedingungen äquivalent sind. Dazu trägt einer­ seits die Auswahl der Stichprobe bei und anderer­ seits die Randomisierung: • Die Stichprobe sollte hinsichtlich der untersu­ chungsrelevanten Merkmale homogen sein, z. B. gleiche Grunderkrankung oder gleiche Art der

10.6  Effektivität und Effizienz von Schlucktherapie Schluckstörung. Da Personen nie identisch sind, gibt es unvorhergesehene personenbezogene Merkmale, die das Ergebnis beeinflussen können, z. B. Therapiemotivation oder Intelligenz. • Die Gruppenzuteilung nach dem strengen Zufall­ sprinzip (Randomisierungsplan) gewährleistet eine Gleichverteilung unbekannter personenge­ bundener Störgrößen. Damit der zufallsbedingte Fehlerausgleich statistisch wirksam wird, muss die Stichprobe ausreichend groß sein. Bortz und Dörung (2006) empfehlen mindestens 20 Unter­ suchungsteilnehmer pro Experimental- und Kon­ trollgruppe. Der Begriff kontrolliert bezieht sich darauf, dass man die Ergebnisse der Experimentalgruppe mit de­ nen der Kontrollgruppe vergleicht. Im Idealfall des doppelblinden Studiendesign wissen weder Patient noch Untersucher, wer welche Therapie erhält. Weiß nur der Proband nicht, was er erhält, ist die Studien­ anlage einfach blind. Doppelblinde Studien sind für übende Verfahren schwierig zu realisieren, da das Ziel der Übung vielfach vor den Patienten nicht zu verbergen ist bzw. diese eine Plazebotherapie als solche erkennen.

Evidenzklasse II Ist eine streng dem Zufallsprinzip unterworfene Gruppeneinteilung nicht möglich, bietet die quasiexperimentelle Studie eine Alternative. Dabei ver­ gleicht man „natürliche Gruppen“ miteinander, z. B. die Patienten einer Station. Die Zuordnung der Pati­ enten zur Experimental- und Kontrollgruppe folgt einem quasi zufälligen Mechanismus, z. B. alternie­ rend, Anfang des Namens, Patientennummer. Den­ noch besteht die Gefahr, dass sich die Vergleichs­ gruppen hinsichtlich diverser Variablen systema­ tisch unterscheiden. Der Behandlungseffekt ist dann nicht mehr eindeutig, sondern durch andere Fakto­ ren überlagert, z. B. Behandlung im Ein- oder Zwei­ bettzimmer. So müssen in quasiexperimentellen Untersuchun­ gen besondere Maßnahmen ergriffen werden, um personengebundene Störvariablen zu kontrollieren (Bortz und Döring 2006). Dazu gibt es folgende Möglichkeiten:

391

• Konstanthalten personengebundener Störvaria­

blen, d. h., man untersucht z. B. nur Patienten aus Zweibettzimmern • Parallelisierung, d. h., die Störvariablen werden in den Vergleichsgruppen gleich verteilt • „Zwillingsmatching“, d. h., bei kleineren Stich­ proben (≤ 20 Teilnehmer pro Vergleichsgruppe) werden die Untersuchungsteilnehmer der ver­ schiedenen Gruppen aufeinander abgestimmt, al­ so sucht man jeweils 2 passende Partner aus bei­ den Gruppen mit denselben Störvariablen (z. B. Alter, Geschlecht, Schulbildung). Die Homogenität der Stichprobe ist auch hier eine methodische Voraussetzung.

Evidenzklasse III Zu nichtexperimentellen Studien zählen einfache Vergleichsstudien, Korrelations- oder Fall-KontrollStudien. Die Ergebnisse dieser Studien geben eine wichtige Orientierungshilfe, liefern jedoch keinen sicheren Beleg für die kausale Wirksamkeit einer Be­ handlung. Die sorgfältige Beobachtung des Indivi­ dualfalls ist deshalb unabdingbar. Eine methodisch hochwertige nichtexperimentelle Studie erfüllt fol­ gende Anforderungen: • Die Fragestellung muss exakt formuliert sein. • Die Frage muss verlässlich beantwortet werden können. • Die Erfolgskriterien müssen überprüfbar und aussagekräftig sein. • Die Stichprobe sollte homogen sein. • Die Methoden der Auswahl- und Ausschlusskri­ terien, nach denen man die Patienten aussucht, müssen beschrieben werden.

Sonderfall Einzelfall-Kontroll-Studie (Single-Case-Control-Study) Oft ist eine Einzelfall-Kontroll-Studie die einzige Möglichkeit, die Wirksamkeit einer Intervention zu überprüfen. Insbesondere bei heterogenen Krank­ heitsbildern und komplexen Störungsmustern erge­ ben sich keine homogenen bzw. nicht ausreichend große Gruppen. Bei der Einzelfallstudie handelt es sich immer um eine individuelle Fragestellung. Es geht nicht um die generelle Wirksamkeit einer Behandlungsme­ thode, sondern um die Fragen:

10

392

10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

• Wie wirkt die Therapie bei diesem Patienten? • Warum wirkt die Behandlung bei diesem Patien­ ten oder warum nicht?

• Wie ist der zeitliche Verlauf? • Wann zeigen sich Veränderungen, sind diese sta­

bil? Bei einem Einzelfallexperiment lassen sich die Stör­ faktoren, z. B. Einfluss der Spontanheilung oder Konzentrationsfähigkeit, nur durch Messungen un­ ter verschiedenen Bedingungen kontrollieren. Das Individuum bildet sozusagen seine eigene Kontrolle. Versuchspläne Im Gegensatz zu den meisten Gruppendesigns wer­ den bei Einzelfallstudien mehrmalige Messungen für jede Bedingung durchgeführt (Kratochwill 1992; Bortz und Döring 2006). Man unterscheidet: • Erhebungsphasen ohne Behandlung • Erhebungsphasen mit Behandlung Ist eine Leistung ohne Therapie nach mehreren Mes­ sungen gleich geblieben und ist diese Leistung nach der Therapiephase besser, kann man mit mehr Si­ cherheit sagen, dass die Leistungssteigerung mit der Therapie zusammenhängt. Die Messphasen werden mit Buchstaben bezeichnet. Kennzeichnung der Messphasen A = Kontrollbedingung (keine Behandlung) B = Treatmentbedingung (Behandlung) C = zusätzliche therapeutische Maßnahme

10

Im Folgenden sind die häufigsten Pläne kurz darge­ stellt: • A-B-Plan: Die 1. A-Phase nennt man Baseline. Hier erfolgen für die Untersuchung relevante Tests, und dadurch wird die Ausgangssituation charakterisiert. Anschließend wird mit den Mes­ sungen der B-Phase verglichen. • A-B-A-Plan: Man beginnt ebenfalls mit der Base­ line-Phase. An die Behandlungsphase schließt sich eine weitere Baseline- bzw. Nichtbehand­ lungsphase an. Dieser Plan führt zu eindeutige­ ren Aussagen als der einfache A-B-Plan. Gleichen sich die beiden A-Phasen, spricht dies für einen kurzzeitigen Behandlungseffekt. • B-A-B-Plan: Aus ethischen Gründen erscheint es in klinischen Studien häufig günstiger, die Unter­

suchung mit einer Behandlungsphase zu been­ den. Allerdings ist hier die Aussagekraft einge­ schränkt, da die Phase zwischen den beiden Be­ handlungen möglicherweise nicht die tatsächli­ che Baseline vor Therapiebeginn widerspiegelt. • A-B-A-B-Plan: Dieser Plan wird häufig angewen­ det, da er die Vorteile der beiden vorangegange­ nen miteinander verbindet. • A-BC-B-BC-Plan: Dieses Setting besteht eben­ falls aus 4 Phasen, enthält aber C-Phasen mit ei­ ner zusätzlichen therapeutischen Maßnahme. Die isolierte B-Phase gibt bei diesem Design Auf­ schluss darüber, welcher Anteil der kombinierten Wirkung von BC auf B zurückzuführen ist.

Evidenzklasse IV Zu dieser Hierarchiestufe gehören Meinungen und Überzeugungen klinisch erfahrener, angesehener Autoritäten, Ratschläge von Expertenkommissionen und beschreibende Studien. Diese Ebene dient vor allem zur Generierung erster Hypothesen. Das per­ sönliche Urteil eines erfahrenen Klinikers ist häufig ausschlaggebend für die Qualität weiterführender Untersuchungen. Die Gruppendynamik einer Exper­ tenrunde führt manchmal zu kreativen, zukunftswei­ senden Ideen. Bei sehr komplexen Sachverhalten hilft die beschreibende Falldarstellung oft, die diffu­ sen Merkmalskombinationen zu strukturieren.

Effektivität und Effizienz im klinischen Alltag Angesichts der methodischen Anforderungen lassen sich Wirksamkeitsnachweise außerhalb klinischwissenschaftlicher Institutionen kaum durchführen. Für den Praktiker stellt sich primär die Frage: „Wie kann ich im therapeutischen Alltag die bestmögliche Effektivität und Effizienz erreichen?“ Folgende Faktoren können dazu beitragen1: • Valide diagnostische Verfahren anwenden, Un­ tersuchungsverlauf strukturieren

1

Protokollbögen für die klinische, endoskopische und ra­dio­ logische Schluckuntersuchung sind online unter www.­ sprachtherapiewelt.de verfügbar.

10.6  Effektivität und Effizienz von Schlucktherapie

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Tab. 10.12  Bogenhausener Dysphagiescore – BODS (Bartolome, Starrost, Schröter-Morasch et al.) Bogenhausener Dysphagiescore BODS BODS-1: Beeinträchtigung des Speichelschluckens Score 1 Keine Trachealkanüle, Speichelschlucken nicht beeinträchtigt Score 2 Keine Trachealkanüle, gelegentlich gurgelnder Stimmklang und/oder gelegentliche Expektoration (Abstände größer als 1 Std.) Score 3 Keine Trachealkanüle, häufig gurgelnder Stimmklang und/oder häufige Expektoration (Abstände kleiner oder gleich 1 Std.) Score 4 Trachealkanüle ohne Blockung oder Platzhalter/Sprechkanüle als Absaugmöglichkeit für Speichel Score 5 Trachealkanüle tägl. länger als 12 Std. und kürzer als 24 Std. entblockt Score 6 Trachealkanüle tägl. länger als 1 Std. und kürzer oder gleich 12 Std. entblockt Score 7 Trachealkanüle tägl. kürzer oder gleich 1 Std. entblockt Score 8 Trachealkanüle dauerhaft geblockt BODS-2: Beeinträchtigung der oralen Nahrungsaufnahme Score 1 Voll oral ohne Einschränkung Score 2 Voll oral mit geringen Einschränkungen: Mehrere Nahrungskonsistenzen und mindestens eine Flüssigkeitskonsistenz ohne Kompensation oder Kompensation ohne Einschränkung der Nahrungs-/Flüssigkeitskonsistenzen Score 3 Voll oral mit mäßigen Einschränkungen: Mehrere Nahrungskonsistenzen und mindestens eine Flüssigkeitskonsistenz mit Kompensation Score 4 Voll oral mit gravierenden Einschränkungen: Nur eine Nahrungskonsistenz und/oder eine angedickte Flüssigkeitskonsistenz mit oder ohne Kompensation Score 5 Überwiegend oral: Mehr als die Hälfte des Tagesbedarfs, Restbedarf via Sonde/parenteral Score 6 Partiell oral: Mehr als 10 TL täglich bis zur Hälfte des Tagesbedarfs, Restbedarf via Sonde/parenteral Score 7 Geringfügig oral: Weniger oder gleich 10 TL tägl., Restbedarf via Sonde/parenteral Score 8 Ausschließlich Sonde/parenteral Einzelbewertung: 1 = keine Beeinträchtigung 8 = höchstgradige Beeinträchtigung Gesamtbewertung: 2 = keine Beeinträchtigung 16 = höchstgradige Beeinträchtigung

• Untersuchungen bei Therapiebeginn und -ende

durchführen, Therapieverlauf regelmäßig kon­ trollieren • Therapieziele präzise formulieren und mit den Vorstellungen von Patienten und Angehörigen abgleichen • Evidenzbasierte Therapiemethoden einsetzen, so­ weit vorhanden • Gesetzte Ziele regelmäßig überprüfen • Bei Intervalltherapie Leistungsvergleich mit und ohne Therapie durchführen

• Lückenlose Dokumentation des Therapieverlaufs • Dokumentation der Therapieergebnisse • Outcome-Messung mit speziellen ADL-Skalen

(Activities of Daily Living) zur Dokumentation der alltagsrelevanten Schluckbeeinträchtigung Der Bogenhausener Dysphagiescore (BODS; › Tab. 10.12) zielt darauf ab, die alltagsrelevante Schluck­ beeinträchtigung zu erfassen, d. h. die Fähigkeit, den Speichel und/oder Nahrung zu schlucken. Da Speichel- und Nahrungsschlucken unterschiedlich beeinträchtigt sein können, erscheint eine getrennte

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10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Erfassung sinnvoll. Bislang sind Reliabilität und In­ haltsvalidität des BODS untersucht worden (Starrost et al. 2012). Kriteriumsvalidität, Kreuzvalidierung und Überprüfung der Veränderungssensitivität sind derzeit in Bearbeitung. Tabelle und Handanweisung zum Bogenhausener Dysphagiescore sind online verfügbar (www.elsevier.de). Zusätzlich sind radiologische bzw. endoskopische Schweregradeinteilungen zur Dokumentation der physiologischen Funktionsstörung sinnvoll (› Kap. 6, › Kap. 8).

10.6.2 Effektivität und Effizienz der FDT Im klinischen Setting lassen sich die höchsten me­ thodischen Anforderungen an die Evaluationsfor­ schung im Sinne randomisierter, kontrollierter Stu­ dien (RCT) aus verschiedenen Gründen oft nicht er­ füllen (› Kap. 10.6.1). Für die Forschung ist es deshalb eine große Herausforderung, die Evidenz­ stärke zum Nachweis schlucktherapeutischer Ver­

fahren zu verbessern. Seit einigen Jahren zeichnet sich dennoch eine positive Entwicklung ab und die Anzahl an RCT-Studien nimmt deutlich zu. So fin­ den sich vermehrt Nachweise über die lange um­ strittene Wirksamkeit des isolierten Trainings schluckrelevanter Muskeln auf den Schluckvorgang (› Tab. 10.3). Zu erwähnen seien insbesondere iso­ metrische Zungenkraftübungen, das Exspiratorische Muskelkrafttraining (EMST), die Kopfhebeübung (Shaker) oder die thermale, gustatorische und olfak­ torische Schluckreflexstimulation. Zu den kompensatorischen Maßnahmen existieren bislang außer einer RCT-Studie zur Mendelsohn-Technik über­ wiegend Vergleichsstudien, die den unmittelbaren Effekt des veränderten Schluckverhaltens mit der apparativen Diagnostik nachgewiesen haben (› Tab. 10.4, › Tab. 10.5). In einer groß angeleg­ ten RCT-Studie mit flüssigkeitsaspirierenden Par­ kinson- und Demenzpatienten haben Logemann et al. (2008) und in einer Folgestudie Robbins et al. (2008) die Kopfanteflexion und verschiedene Kon­ sistenzen untersucht. Über die Wirksamkeit der Kostanpassung gibt es inzwischen systematische

Tab. 10.13  Bezugsquellen für Hilfsmittel im Rahmen der FDT Hilfsmittel Artikel Informationsbroschüre Kurzinformation über Ursachen, Dysphagien (Bartolome ­Diagnostik, Therapie 2005) Vibration Gesichtsmassagegerät Therapielöffel ORA-LIGHT® (› Abb. 10.56) Orofaziale Trainingshilfe Face-Former® (› Abb. 10.59) Kieferöffnungshilfe TheraBite® (› Abb. 10.62) Kauhilfe Kauschlauch

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Visi-Pitch

Sprech-Stimmaufzeichnungsgerät

Elektrostimulationsgerät Pharyngeale Elektrostimulation EMG-Biofeedback mit grafischem Display

VitalStim® (› Abb. 10.12) Phagenyx® Basisstation und Katheter

Thermosonde

z. B. LOGOmove (› Abb. 10.106), NeuroTrac™ Simplex BiSSkiT-Software Larynxspiegel (Zahnspiegel), Größe 00

Hersteller, Vertrieb, Quelle Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik (dgs), www.dgs-ev.de Vertrieb z. B. www.prolog-therapie.de Hersteller: Kapitex, www.kapitex.com; Vertrieb z. B. www.fahl-medizintechnik.de Dr. Berndsen, www.faceformer.de Hersteller ATOS; www.atosmedical.de Diverse Hersteller; Vertrieb z. B. www.prolog-therapie.de Diverse Hersteller, auch Apps und Software zum Herunterladen verfügbar (Suchbegriff visi-pitch) Hersteller Chatanooga Group, www.vitalstim.com Hersteller Phagenesis, www.phagenesis.com Hersteller Buck Elektromedizin, www.buck-electromedizin.de Hersteller Heller Medizintechnik, www.heller-medizintechnik.de BiSSkiT, www.rosecentre.canterbury.ac.nz/bisskit Sanitätshäuser, Fachhandel für HNO-ärztlichen oder zahnmedizinischen Bedarf

10.6  Effektivität und Effizienz von Schlucktherapie

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Tab. 10.13  Bezugsquellen für Hilfsmittel im Rahmen der FDT (Forts.) Hilfsmittel Artikel Hersteller, Vertrieb, Quelle Therapiebecher KAPI® Trinkbecher (› Abb. 10.115), Fahl Medizintechnik, www.fahl-medizintechnik.de Novo Cup mit Trinkröhrchenaufsatz (› Abb. 10.121), sippa Trinksystem (› Abb. 10.118) Iuvas medical GmbH, [email protected] RiJe Dysphagiebecher (› Abb. 10.119), Alltagshilfen24.com, www.alltagshilfen24.com Provale™ Sicherheitstrinkbecher Fahl Medizintechnik, www.fahl-medizintechnik.de; Nasenbecher mit 2 Griffen (› Abb. Wehrfritz, www.wehrfritz.de 10.116), Trinkbecher CamoCup®: (› Abb. 10.117), Rillenbecher mit Trinkhalmhalter (› Abb. 10.120) Nasenbecher aus Hartporzellan REHA Spezialgeschirr GmbH, www.reha-spezialgeschirr.ch Therapieteller, Fixierung Teller mit Randerhöhung (› Abb. Wehrfritz, www.wehrfritz.de 10.122), Teller mit schrägem Innenboden (› Abb. 10.123), Frühstücksbrett (› Abb. 10.124) Therapiebestecke Biegsame Bestecke mit verstärktem Wehrfritz, www.wehrfritz.de; Kunststoffgriff (› Abb. 10.125), Moosgummigriff (› Abb. 10.126), Einhänderbesteck (› Abb. 10.127) Flexi®-Löffel in verschiedenen Größen Diverse Anbieter, siehe Internet Schiebelöffel Glossectomy Placement Feeding Spoon AliMed, www. Alimed.com (› Abb. 10.128) Dysphagieprodukte Diverse Ess-Trink-Therapiehilfenhilfen Andreas Fahl Medizintechnik, www.fahl-medizintechnik.de; Servona, www.servona.de; ProLog, www.prolog-shop.de Andickungsmittel für Thick & Easy™ (enthält Kohlenhydrate, KH) Fresenius Kabi, www.fresenius-kabi.com Dysphagiepatienten Resource® Thicken Up (enthält KH) Nestle Nutrition, www.nestle.de Resource® Thicken Up clear (amylaseresistent, Flüssigkeit bleibt klar, enthält KH) Clinutren® Instant Thickener (enthält KH) Nutilis Powder (amylaseresistent, enthält Nutricia, www.nutricia.de KH), Nutilis Clear (für klare Flüssigkeiten) Herkömmliche AndiDietogel (KH-frei, dickt nach) Dr. Oetker, www.dieto.de ckungsmittel Johannisbrotkernmehl, Guarkernmehl Reformhäuser, Apotheken (KH-frei, dickt nach) Energiereiche Trinknah- Diverse Produkte u.a. Dysphago plus od. Fresenius Kabi, s. o.; Nestle Nutrition, s. o.; rung, Zusatznahrung Nutilis Complete (Trinknahrung honigar- ­Nutricia, s. o.; Abbott Nutrition, www.abbott.de tig angedickt u. verordnungsfähig) Fertigkost passiert und FINDUS Fertigkost BestCon Food, www.bestcon-food.de geformt:Fleisch, Fisch, SOFT MEALS Fertigkost Resama, www.sooft-meals.de Beilagen, Gemüse, Brot Dieto passenio Fertigkost (auch als Kom- Dr. Oetker, www.oetker-professional.com plettmenü) Schaumkost, SmoothSchaumkost Starter Set www.biozoon.de/shop/ food Produkte CocktailPro-Baukasten

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10  Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT)

Reviews, die vorhandene Studien bewertet und de­ ren Ergebnisse verglichen haben (Steele et al. 2015; Rizzo et al. 2016). In einigen Arbeiten wurde die Kombination verschiedener Verfahren untersucht: • Carnaby et al. (2006) haben in einer RCT-Studie den Effekt der Schlucktherapie in der akuten Schlaganfallphase nachgewiesen. Einige nicht randomisierte Vergleichsstudien mit größeren Stichproben untersuchten die Kombina­ tion aus restituierenden, kompensatorischen und adaptiven Verfahren bei Patienten mit neurogener Dysphagie. 55–80 % der sondenabhängigen Patien­ ten konnten sich nach Dysphagietherapie wieder vollständig oral ernähren (Neumann et al. 1995; Prosiegel et al. 2002). Auch stabile Langzeiteffekte wurden belegt (Bartolome et al. 1997). Informatio­ nen über aktuell laufende Therapiestudien finden sich unter www.clinicaltrials.com.

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KAPITEL

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Gudrun Bartolome

FDT bei speziellen neuro­ logischen Erkrankungen

11.1 FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Myasthenia gravis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Parkinson-Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Chorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.5 Multiple Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

404 404 407 408 411 413

11.2 FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Störungen körperlicher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Beeinträchtigungen kognitiv-psychischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Therapieansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Spezielle Diagnostik und Therapiebausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

415 415 417 417 420

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Bei neurologischen Krankheitsbildern mit progredienten Verläufen oder schweren Hirnverletzungen mit multiplen Beeinträchtigungen (› Kap. 4) ergeben sich als Folge der Grunderkrankung Besonderheiten für die Therapieplanung. Deshalb ist diesen Fällen ein spezielles Kapitel gewidmet. Die Behandlung orientiert sich gleichermaßen am Grundkonzept der funktionellen Dysphagietherapie, bestimmte Methoden werden jedoch unter Berücksichtigung der speziellen Voraussetzungen unterschiedlich gewichtet. Die Darstellungen sind als exemplarische, im klinischen Alltag häufig vorkommende Beispiele zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

11.1 FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen Die Behandlung progredienter neurologischer Erkrankungen erfolgt in Ermangelung kausaler Therapiemöglichkeiten symptomatisch-medikamentös. Funktionelle Therapiemethoden kommen ergänzend hinzu mit dem Ziel, den Status quo zumindest möglichst lange zu erhalten. Nur in einigen Fällen lassen sich durch ein sensomotorisches Training temporäre Funktionsverbesserungen der Muskulatur erzielen. Eine besondere Bedeutung gewinnen deshalb die kompensatorischen und adaptiven Methoden. Letztere zielen nicht auf die Wiederherstellung gestörter Funktionen, sondern darauf, das sichere und effektive Schlucken trotz bestehender neuromuskulärer Störung fortzusetzen. Mit der Option, die orale Ernährung so lange wie möglich zu erhalten, versucht man, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

11.1.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 11

Die amyotrophe Lateralsklerose (› Kap. 4.2.9) ist eine meist rasch fortschreitende degenerative Erkrankung bislang unbekannter Ursache. Sie betrifft die oberen (1.) Motoneurone des Großhirns und die unteren (2.) Motoneurone des Hirnstamms und/ oder des Rückenmarks.

Degeneration der oberen Motoneuronen führt zu: • Spastischen Paresen • Pyramidenbahnzeichen • Gesteigerten Reflexen Befall der unteren Motoneuronen führt zu: • Schlaffen Paresen • Muskelatrophien • Unwillkürlichen Muskelzuckungen, z. B. Faszikulieren der Gesichts-/Extremitätenmuskulatur bzw. Fibrillieren der Zunge Charakteristisch ist ein Nebeneinander an Plus- und Minussymptomatik. Für die Verteilung der ersten Krankheitszeichen lassen sich keine festen Regeln aufstellen. Die Symptomatik kann initial in der Schluck- und Sprechmuskulatur, in anderen Fällen an den oberen Extremitäten beginnen oder zuerst an der Beinmuskulatur auftreten. ALS ist die häufigste degenerative Motoneuronerkrankung mit einer Prävalenz von 7/100.000 Einwohner. Der Verlauf dieser kausal nicht behandelbaren neuromuskulären Erkrankung variiert sehr stark. Die mittlere Überlebensdauer beträgt etwa 3 Jahre, eine initial bulbäre Symptomatik ist besonders ungünstig. In Einzelfällen wird auch von Krankheitsverläufen berichtet, die bis zu 10 Jahre und länger dauern (Chio et al. 2009). Mit dem Medikament Riluzol (Rilutek®) ist eine Lebensverlängerung um durchschnittlich 3 Monate erzielt worden (› Kap. 4.2.9).

Schluckpathologie Bei etwa 25 % der erkrankten Patienten sind zuerst die bulbären Kerne, also die Motoneuronen des Hirnstamms, betroffen. Hier kommt es bereits ini­ tial zu Schluckstörungen. Die ersten Anzeichen der sog. bulbären Form äußern sich häufig in Fibrilla­ tionen des Zungenkörpers. Im weiteren Verlauf wird die Zunge schwach bzw. paretisch. Bereits in der Anfangsphase zeigen sich Beeinträchtigungen des oralen Bolustransports (Kawai et al. 2003). Der Tonus der Lippen- und Kaumuskulatur ist häufig erniedrigt, was zu unvollständigem Mundschluss und einer schnellen Ermüdung beim Kauen führt. Häufig stellt sich eine Schwäche der Velumhebung und der pharyngealen Kontraktionen ein. Der Verlust des

11.1  FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen velopharyngealen Verschlusses kann beim Schlucken eine nasale Penetration bewirken. Als Zeichen der Insuffizienz pharyngealer Bewe­ gungen verbleiben Nahrungsreste an den Rachenwänden. Auch Öffnungsstörungen des OÖS mit Nahrungsaufstau im unteren Rachen sind häufig. Neben einer reduzierten Kehlkopfhebung kann die Stimm­ bandadduktion beeinträchtigt sein. Aufgrund der oropharyngealen Muskelschwäche ist der Schluckdruck erniedrigt. Nach videofluoromanometrischen Studien von Higo et al. (2002) war der oropharyngeale Druck bereits ein halbes Jahr nach Auftreten erster bulbärer Zeichen nachweislich reduziert. Darüber hinaus weisen mehr als 50 % der ALS-Patienten eine ein­ geschränkte laryngeale Sensibilität auf (Amin et al. 2006). Dies erhöht die Gefahr der stillen Aspiration. Mit fortschreitender Dysphagie kommt es zu Problemen des Sekret-/Speichelmanagements (medikamentöse Behandlung › Kap. 9). Zähes Sekret kann durch Dehydration oder verstärkte Mundatmung verursacht sein. Übermäßiger Speichelfluss resultiert nicht aus einer Überproduktion, sondern ist vielmehr Folge des unvollständigen Mundschlusses und des unzureichenden oralen Transports (Andersen et al. 2005). Unabhängig von der initialen Symptomatik treten Störungen der Atmungsmuskulatur auf. Sie verursachen vielseitige Komplikationen. Neben unzureichender Sauerstoffversorgung sind durch den insuffizienten Hustenstoß die Reinigungsfunktion und der Schutz vor Aspiration beeinträchtigt (Tidwell 1993). Auch die Atem-Schluck-Koordination kann gestört sein (Nozaki et al. 2008). Die fortschreitende Parese der respiratorischen Muskeln gilt als die häufigste Todesursache bei ALS. Da ALS in erster Linie motorische Neuronen betrifft, sind kognitive Funktionen üblicherweise nicht gestört. In Einzelfällen wurden diskrete neuropsychologische Beeinträchtigungen beobachtet, und etwa 5 % der ALS-Patienten leiden unter einer frontotemporalen Demenz (Kew et al. 1993; Lomen-­ Hoerth et al. 2003; › Kap. 13.3). Ziel der Dysphagietherapie ist es vor allem, sekundäre Komplikationen wie Mangelernährung, Dehydration und Aspiration zu verhindern sowie die Lebensqualität der Patienten zu verbessern (Strand et al. 1996).

405

Diagnostik Routinemäßig sollte von Anfang an die Lungen­ funktion überprüft werden (Messung der Vitalkapazität mit dem Spirometer), da die Patienten Respirationsprobleme anfangs meist nicht bemerken. Ebenfalls unerlässlich sind: • Prüfung des Ernährungsstatus durch Gewichtskontrolle • Bilanzierung der Flüssigkeitseinnahme Um rechtzeitig die notwendigen differenzialdiagnostischen und therapeutischen Schritte einzuleiten, werden die genannten Maßnahmen in regelmäßigen Abständen durchgeführt. Bei ALS-Patienten besteht eine hohe Korrelation zwischen Dysphagie und Dysarthrie (Yorkston et al. 2004). Deshalb sollte bereits bei ersten dysarthrischen Symptomen ein Dyspha­ giescreening (› Kap. 7) erfolgen, das im Bedarfsfall durch die apparative Diagnostik ergänzt wird. Der frühzeitige Einsatz der transnasalen Videoendosko­ pie bei ALS hat sich nach Untersuchungen von Leder et al. (2004) für die spezifische Therapieplanung und als visuelles Feedback für den Betroffenen und seine Angehörigen als besonders hilfreich erwiesen. In schwierigen Fällen ist zur Differenzialdiagnostik auch die Videofluoroskopie empfehlenswert.

Restituierende bzw. übende ­Therapieverfahren Die Rolle der übenden Verfahren bei ALS wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Im Allgemeinen gelten Übungen, die zur Muskelermüdung führen, als ungeeignet. Kräftigungsübungen werden nur empfohlen, wenn die ALS langsam voranschreitet. Sie sollten nur an Muskeln durchgeführt werden, die noch keine auffällige Schwäche zeigen. Allerdings stammen die Empfehlungen aus Studien zur Extremitätenmuskulatur (Chen et al. 2008). Die Schluckund Atemmuskulatur ist diesbezüglich noch nicht ausreichend untersucht. Im Anfangsstadium scheinen Übungen zur Erhaltung und Förderung des Bewegungsausmaßes sinnvoll. Die Patienten neigen dazu, betroffene Muskelgruppen weniger zu bewegen. Ziel dieser Übungen ist deshalb, durch Bewegungsmangel verursachte Muskelschwäche zu verhindern sowie gleichzeitig

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406

11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

nichtbetroffene Muskelgruppen zu stärken. Mangels wissenschaftlicher Belege wird von intensiven Kräftigungsübungen der Schluckmuskulatur nach wie vor abgeraten (Miller und Britton 2011). Im Gegensatz hierzu steht eine kürzlich erschienene Pilotstudie von Plowman et al. (2016). Die Autoren untersuchten den Effekt des Exspiratorischen Muskelkrafttrainings (EMST › Kap. 10, Schwerpunkt 11) bei ALS-Patienten mit reduziertem maximalen Exspirationsdruck (MEP) und forcierter Vitalkapazität > 60%. Nach 5-wöchigem Training (5 mal täglich, je 5 Wiederholungen) kam es zu Verbesserungen des Exspirationsdruckes und zu höherer Hyoidhebung beim Schlucken. Im fortgeschrittenen Stadium konzentriert sich die Therapie auf kompensatorische Methoden und/ oder Hilfsmittel zur Erleichterung der Nahrungsaufnahme. Überanstrengung durch zu häufiges Üben und/oder zu hohen Kraftaufwand ist zu vermeiden, weil dies die Pathologie verstärken kann.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

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Im Anfangsstadium wird die optimale Sitzhaltung erarbeitet (› Kap. 10.2.4). Zugleich achtet der Therapeut während des Schluckens auf die Kieferkon­ trolle. Er hält den Patienten an, langsam zu essen und bei beginnender Muskelschwäche ausreichen­ de Pausen einzulegen. Alternativ empfiehlt es sich, mehrere kleinere Mahlzeiten in kürzeren Zeitab­ ständen einzunehmen. Bei Problemen der Schluckreflexauslösung versucht man den sensorischen Input zu erhöhen, z. B. durch thermal-taktile Stimulation oder Geschmacksreize (› Kap. 10.2.4). Kauprobleme lassen sich häufig mit diätetischen Veränderungen kompensieren. Harte, krümelige, schwer kaubare Konsistenzen werden zunächst vermieden. Mit zunehmender Muskelschwäche wird zu weicher und schließlich zu brei­ iger Kost übergegangen (Diätstufen › Kap. 10.4.1). Kommt es bei dünnen Flüssigkeiten zu oralen Transportproblemen oder zu laryngealer Penetra­ tion, werden die Getränke mit Verdickungsmitteln

(Bezugsquellen, › Tab. 10.13) angedickt. Die tägliche Flüssigkeitszufuhr sollte mindestens 2 l betragen. Essen die Patienten wegen der Muskelschwäche zu wenig, muss ein Teil der Nahrung durch ein Konzentrat an essenziellen Nährstoffen ersetzt werden. Spezielle bedarfsdeckende Ergänzungskost ist im Handel erhältlich (› Tab. 10.13). Wird Obstipation zum Problem, deren Ursache sowohl in einer über den Vaguskern vermittelten intestinalen Motilitätsstörung als auch in einer Schwäche der Abdominalmuskulatur liegen kann, empfiehlt sich ballaststoffreiche Nahrung. Eine umfangreiche Rezeptsammlung, die auch für ALS-Patienten geeignet ist, stellen Nißle et al. (2016) vor. In manchen Fällen sind ergänzend zu den diätetischen Maßnahmen kompensatorische Schlucktechniken notwendig. Gut eignen sich, falls es für die jeweilige Pathophysiologie indiziert ist, Änderungen der Kopfhaltung (› Kap. 10.3.1), die nur eine geringe Muskelarbeit erfordern. In manchen Fällen wird Nachschlucken, supraglottisches Schlucken oder die Mendelsohn-Technik durchgeführt (› Kap. 10.3.2). Ermüden die Muskeln zu rasch, sind die letztgenannten Strategien jedoch kontraindiziert.

Ernährung mittels Sonde Bereitet die orale Ernährung zunehmend Probleme oder/und zeigen Gewichtskontrollen an, dass eine ausreichende Oralisierung nicht mehr gewährleistet ist, müssen die Nährstoffe per Sonde zugeführt werden. In den meisten Fällen ist lediglich eine ergänzende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme mittels künstlicher Ernährung notwendig. Vielen Patienten fällt die Entscheidung zu einer Sondenanlage schwer. Dennoch kann diese Maßnahme den Alltag des ALSErkrankten wesentlich erleichtern, die Lebensqualität steigern und lebensverlängernd wirken. Unter den verschiedenen Sondensystemen (› Kap. 9) wird in der Regel die perkutan-endos­ kopische Gastrostomie (PEG) bevorzugt, die unter Lokalanästhesie durchgeführt werden kann. Miller et al. (2009) empfehlen die PEG möglichst frühzeitig anzulegen und zwar solange die forcierte Vitalkapazität noch über 50 % liegt. Inzwischen gibt es kon­ tro­verse Meinungen. Dorst et al. (2015) haben in ei-

11.1  FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen ner prospektiven Verlaufsstudie dokumentiert, dass eine PEG-Applikation im späteren Krankheitsverlauf auch bei niedriger forcierter Vitalkapazität nicht zu nennenswerten Komplikationen führen muss. Das Wichtigste im Überblick • Entwicklung

der Dysphagie entweder bei Erkrankungsbeginn oder im weiteren Verlauf, abhängig vom primären Motoneuronenbefall • Regelmäßige Follow-Up-Kontrollen bezüglich Lungenfunktion, Gewichtskontrolle, Flüssigkeitsbilanzierung, Dysphagiescreening, ggf. Videoendoskopie, Video­ fluoro­skopie • Muskeltraining nur im Anfangsstadium oder bei sehr langsamen Krankheitsverläufen; Überanstrengung vermeiden • Kompensatorische/adaptive Methoden je nach Individualfall • Sondenernährung (meist PEG) meist nur zur Aufbilanzierung, seltener vollständige künstliche Nahrungszufuhr • Anlage eines Tracheostomas und Anpassung einer Trachealkanüle in Einzelfällen

11.1.2 Myasthenia gravis Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die postsynaptischen Acetylcholin-Rezeptoren verloren gehen. Dadurch ist die Übertragung an den Muskelendplatten beeinträchtigt. Es resultiert eine Muskelschwäche, die bei repetitiven oder anhaltenden Bewegungen zunehmend deutlicher in Erscheinung tritt. Betroffen sind unter anderem (Buchholz 1997): • Augenmuskulatur • Proximale Extremitäten • Häufig auch Zunge, Velum und Pharynx Die Krankheit tritt mit einer Prävalenz von 5/100.000 Einwohner auf. Die Dysphagie betrifft im Anfangsstadium 17 % der Erkrankten und im weiteren Verlauf 53 % (› Kap. 4.4.1).

Schluckpathologie Eine Zusammenfassung der charakteristischen Dysphagiepathologie findet sich bei Miller und Groher (1997) sowie bei Miller und Britton (2011):

407

• Als häufigste Symptome der oralen Phase wer-

den Ermüdung beim Kauen, eingeschränkte Wangenkontraktion, verlangsamte Zungenbewegungen, Probleme der oralen Boluskontrolle und der Reflexinitiierung beschrieben. Beeinträchtigungen der Velumhebung führen gelegentlich zu nasaler Penetration. • Störungen des pharyngealen Transports können aus der eingeschränkten Zungenbasisretraktion, der reduzierten Epiglottiskippung, einer Kontraktionsschwäche der Rachenmuskeln oder/und einer unvollständigen Öffnung des OÖS resultieren. • Als pathologische Symptome werden demzufolge häufig orale und pharyngeale Residuen und laryn­geale Penetration beobachtet (ColtonHudson et al. 2002). Eine relativ hohe Aspira­ tions­wahrscheinlichkeit geben Koopman et al. (2004) und Higo et al. (2005) an. Allgemein ist bei Myasthenia gravis zu beachten, dass sich die Schluckstörung üblicherweise erst im Verlauf oder am Ende einer Mahlzeit bemerkbar macht. Tageszeitliche Schwankungen treten auf. Meist ist die Muskelermüdung abends besonders stark ausgeprägt. Die Behandlung der Myasthenia gravis erfolgt in erster Linie medikamentös. Ergänzend können kompensatorische und adaptive Therapiemethoden hilfreich sein. Repetitive Muskelübungen sind in der Regel kontraindiziert.

Diagnostik Routinemäßig wird die klinische Eingangsuntersuchung (› Kap. 7) durchgeführt. Eine sorgfältige Beobachtung des Ess- und Trinkverhaltens erfolgt wegen der wechselnd ausgeprägten Muskelermüdbarkeit möglichst mehrmals zu verschiedenen Ta­ geszeiten und/oder nach Belastungen, z. B. nach dem Essen, nach der Physiotherapie. Wichtig sind: • Regelmäßige Kontrolle des Ernährungsstatus durch Gewichtsprüfung • Flüssigkeitsbilanzierung Bei konstanten Aspirationshinweisen und/oder Man­ gel­ernährung empfiehlt sich die Videoendo­skopie,

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

da die Methode beliebig wiederholbar ist. Wegen der belastungsabhängigen Schwankungen der Muskelfunktionen sollte die Untersuchung unter erschwerten Bedingungen erfolgen. Der Endoskopiker unterhält sich zuerst mit dem Patienten, anschließend folgen mehrere Probeschlucke. Falls möglich, erfolgt eine 2. Videoendoskopie zu einer anderen Tageszeit. Bei Verdacht auf stille Aspiration kann man ergänzend die Videofluoroskopie einsetzen.

Restituierende bzw. übende ­Therapieverfahren Die Muskelschwäche nimmt mit der Belastung zu. Deshalb sind übende Verfahren, insbesondere repetitive und anhaltende Muskelkontraktionen, im Allgemeinen nicht indiziert. Gegebenenfalls sollten die Patienten vor dem Essen physische Anstrengungen oder langes Sprechen meiden.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

11

Eine zeitgerechte Einnahme der Medikation, die ihre optimale Wirkung während der Mahlzeiten erwarten lässt, kann die Nahrungsaufnahme wesentlich erleichtern oder Dysphagiesymptome sogar verhindern. Bei Kauschwäche empfiehlt sich weiche, leicht zu kauende Nahrung. Kohäsive Konsistenzen lassen sich besser zu einem zusammenhängenden Bolus formen. Verbleiben Nahrungsreste im Mund- oder Rachenraum, hilft häufig leer Nachschlucken oder Nachtrinken. Meist sind mehrere, über den Tag verteilte, kleinere Mahlzeiten leichter zu bewältigen. Falls die Patienten während der Nahrungsaufnahme sehr ermüden, Kauprobleme oder Schwierigkeiten haben, den Schluckreflex auszulösen, wird das Essen unterbrochen und nach einer Erholungspause fortgesetzt. Um die Dauer der Nahrungsaufnahme zu verkürzen, erweist sich in solchen Fällen hochkalorische Nah­ rung als nützlich.

Ernährung mittels Sonde Wenn die genannten Maßnahmen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium die ausreichende Ernährung nicht mehr gewährleisten und/oder keinen sicheren Aspirationsschutz bieten, ist ggf. die Anlage einer Sonde indiziert. Das Wichtigste im Überblick • Wegen

schwankender Symptomatik regelmäßige Gewichtsprüfung und Flüssigkeitsbilanzierung • Medikationseinnahme in optimalem Abstand vor den Mahlzeiten • Klinische Diagnostik mehrmals und zu verschiedenen Tageszeiten, ggf. Videoendoskopie und/oder Video­ fluoro­skopie • Therapie primär medikamentös • Repetitive Muskelübungen meist nicht indiziert • Kompensatorische und adaptive Maßnahmen je nach Individualfall • Sondenanlage ggf. zur Aufbilanzierung

11.1.3 Parkinson-Syndrome Parkinson-Syndrome entstehen durch degenerative Veränderungen im extrapyramidalmotorischen System. Bezogen auf die Ätiologie unterscheidet man u.a. zwischen idopathischem, bzw. primärem ParkinsonSyndrom (IPS oder Morbus Parkinson), dem symptomatischem bzw. sekundärem und dem atypischem Parkinson-Syndrom. Letzteres tritt im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen auf. Am häufigsten kommt das sog. idiopathische Parkinson-Syndrom vor mit einer Prävalenz von 300/100.000 bzw. bei über 60-Jährigen mit 1000/100.000 (› Kap. 4.2.3). Klinisch macht sich die Parkinson-Symptomatik bei voller Ausprägung durch die motorischen Kar­ dinalsymptome (Ceballos-Baumann 2005) bemerkbar: • Bewegungsverlangsamung (Bradykinese) • Erhöhung des Muskeltonus (Rigidität) • Typischer asymmetrischer distaler Extremitätentremor • Störung der posturalen Reflexe Hinzu können kommen: • Vegetative Störungen, z. B. Salbengesicht • Kognitive Beeinträchtigungen bis zur Demenz

11.1  FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen

• Psychische Probleme, vornehmlich mit depressi-

ver Symptomatik • Sprechstörungen Die folgenden Ausführungen beziehen sich primär auf das am häufigsten vorkommende idiopathische Parkinson-Syndrom. Die Daten zur Prävalenz der Dysphagie reichen von 11% bis 81%. (Takizawa et al. 2016). Hauptursache dieser Diskrepanz sind die Unterschiede im Dysphagiemanagement. Die Therapie erfolgt beim IPS medikamentös durch dopaminerge Stimulation und/oder Dopaminsubstitution. Nach bisheriger Studienlage scheint die tiefe Hirnstimulation auf den Schluckvorgang keinen Effekt zu haben (Troche et al. 2013). Ziel der funktionellen Dysphagietherapie ist es, den Status quo möglichst lange zu erhalten, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme zu erleichtern und/oder vor Aspiration zu schützen.

Schluckpathologie Insgesamt variieren die Beschreibungen der charakteristischen Schluckpathologie bei Parkinson-Krank­ heit: • Leopold und Kagel (1996) haben überwiegend Kaustörungen und Beeinträchtigungen der Zungenbewegungen festgestellt. Dabei kommt es mit fortschreitender Erkrankung zu einer deutlichen Verschlechterung (Umemoto et al. 2011). In einigen Fällen hat man Freezing, das für Parkinsonpatienten typische Einfrieren von Bewegungen in der oralen Schluckphase beobachtet (Maetzler et al. 2016). • Robbins et al. (1986) und Bushmann et al. (1989) fanden als charakteristische Störungen repetitive Pumpbewegungen der Zunge, Dekantieren der Nahrung, Leaking und verzögerte Schluckre­ flexauslösung. • Insgesamt scheint die orale Phase stärker beein­ trächtigt zu sein als die pharyngeale Phase (Rosen­bek und Jones 2009). Die pharyngealen Symptome können stark variieren, wobei es meist nur im fortgeschrittenen Stadium zur Aspiration kommt. • Auch Störungen der ösophagealen Phase können auftreten (Bassotti et al. 1998).

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• Die Hypersalivation (vermehrter Speichelfluss)

ergibt sich meist als Folge der Schluckstörung bzw. einer verminderten Schluckfrequenz und nicht durch einen primär vermehrten Speichelfluss (medikamentöse Behandlung der Hypersalivation › Kap. 9). • L-Dopa-Medikation: Als Nebenwirkung wurde eine Verschlechterung der Schluckeffizienz beobachtet ohne nennenswerten Effekt auf Penetra­ tion oder Aspiration (Lim et al. 2008). Bei Verabreichung der Medikation in optimalem Zeitabstand (1 Stunde) vor den Mahlzeiten berichteten andere Untersucher (Bushmann et al. 1989; Fonda et al. 1995) dagegen über eine positive Wirkung auf den Schluckvorgang.

Diagnostik Da viele Patienten Schluckprobleme zunächst nicht bemerken (› Kap. 4.2.3), sollte standardmäßig ein klinisches Dysphagiescreening erfolgen. In den meisten Fällen sind weiterführende differenzialdia­ gnostische Maßnahmen wie die Videoendoskopie und/oder die Videofluoroskopie unerlässlich. Um Mangelernährung oder Flüssigkeitsverlust vorzubeugen, werden regelmäßig Gewicht und Flüssigkeitsaufnahme kontrolliert.

Restituierende bzw. übende ­Therapieverfahren Übende Verfahren scheinen sich positiv auf die Sprech- und Schluckfunktion auszuwirken. Beim Lee-Silverman-Voice-Treatment (LSVT®), einer speziell für Parkinson-Patienten konzipierten Stimmtherapie zur Erhöhung der Sprechlautstärke, verbesserten sich als Nebeneffekt verschiedene Schluckparameter (Sharkawi et al. 2002). Ein 4-wöchiges exspiratorisches Muskelkrafttraining (EMST, › Kap. 10.2.4) verbesserte bei Parkinson-Patienten den Hustenstoß und die Schluckbeeinträchtigung, gemessen an der Pentrations-/Aspirationsskala (Pitts et al. 2009). Das videoassistierte Schlucktrai­ ning (VAST) kombiniert mit konventioneller Schlucktherapie führte im Vergleich zur Gruppe mit ausschließlich konventioneller Schlucktherapie bei

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Parkinson-Patienten bereits nach 6 Interventionen zu einer deutlichen Reduktion der pharyngealen Residuen (Manor et al. 2013) (› Kap. 10.3.2). Nach einem systematischen Review von van Hooren et al. (2014) zur Schlucktherapie bei Parkinson zeigten sowohl das EMST als auch die Videoassistierte ­ Schlucktherapie (VAST) isoliert oder in Kombina­ tion mit Dopamintherapie einen positiven Effekt auf den Schluckvorgang. In den genannten Studien zu EMST und VAST sind nur Patienten mit leicht bis mittelgradig gestörter Schluckfunktion eingeschlossen worden. Zumindest für diese Patientengruppe lässt sich vermuten, dass man durch Kräftigungsund Bewegungsübungen der Schluckmuskulatur Funktionsverbesserungen erreichen kann. Erschwerend kommt bei Parkinson-Patienten hinzu, dass als Folge der Grunderkrankung motorisches Lernen, d. h. die Automatisierung von Bewegungsmustern, beeinträchtigt ist. Manchmal hilft die bewusste Steuerung der gestörten Bewegung. Der Patient wird über die physiologischen Mechanismen aufgeklärt und versucht die gestörten Bewegungen willkürlich zu beeinflussen. Um die repetitiven Pumpbewegungen der Zunge zu verhindern, hält man die Betroffenen an, die Speise bewusst gegen den Gaumen zu drücken und mit einer kräftigen Rückwärtsbewegung der Zunge in den Pharynx zu transportieren. Auch die 3-Sekunden-Vorbereitung (in Gedanken bis 3 zählen und dann schlucken) könnte hilfreich sein. Im Falle assoziierter kognitiver Probleme gelingt diese willkürliche Kontrolle meist nicht.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

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Bestimmte Verhaltensänderungen und adaptive Maßnahmen können im Individualfall das Schlucken verbessern. Da das Kauen meist überdurchschnittlich lange dauert, verlieren viele Patienten bei längeren Mahlzeiten den Genuss am Essen und brechen vorzeitig ab. Vorteilhaft ist es deshalb, mehrmals täglich kleinere Portionen anzubieten. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium sind häufig diätetische Maßnahmen notwendig: Weiche Kost erfordert weniger Kraft während des Kauens. Kommt

es bei dünnen Flüssigkeiten zu Problemen der oralen Boluskontrolle, wird das Getränk angedickt. Die Aspiration dünnflüssiger Konsistenzen ließ sich bei Parkinson-Patienten durch honigartiges Andicken am besten verhindern, am zweitbesten durch nektarartiges Andicken, etwas weniger erfolgreich war die Kopfanteflexion (Logemann et al. 2008). Das Platzieren der Nahrung auf der Hinterzun­ ge erleichtert häufig den oralen Bolustransport. Leichte Kopfneigung nach vorn (Chin-down) verhindert bei Zungenpumpen oftmals das vorzeitige Abgleiten von Nahrung/Flüssigkeiten in den Rachenraum. Bei Residuen in den Valleculae fordert man zum kräftigen Schlucken oder/und zur extremen Kopfneigung nach vorn (Chin-tuck) auf. Störungen der Reflexauslösung versucht man durch Erhöhung des sensorischen Inputs zu kompensieren. Klagen die Patienten über pharyngeale Residuen, wird der Rachen über repetitive Leerschlucke gereinigt. Insbesondere bei pharyngealen Residuen empfiehlt sich zum Erlernen der Schlucktechnik die oben erwähnte VAST. Die genannten Maßnahmen eignen sich meist auch für Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen. Im Einzelfall sind kompliziertere Schlucktechniken wie das supraglottische Schlucken oder die Mendelsohn-Technik angebracht. Bei Parkinson-Patienten ist ständig auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten! Schon bei geringem Wassermangel kann es, insbesondere in fortgeschrittenen Fällen, zu Verwirrtheit bis zum Vollbild des Delirs kommen. Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen LDopa-Präparaten und Eiweißaufnahme wird empfohlen, die Medikation 1 Stunde vor oder 1,5 Stunden nach den Mahlzeiten einzunehmen. Ausnahmen sind individuell abzuklären, z. B. Beschwerden bei nüchtern genommener L-Dopa Dosis.

Ernährung mittels Sonde Dauert die orale Nahrungsaufnahme zu lange, kann ergänzende Sondennahrung die Lebensqualität sogar verbessern. Häufig kann in diesen Fällen zumindest eine partielle orale Ernährung beibehalten werden.

11.1  FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen

Das Wichtigste im Überblick • Ausreichende Flüssigkeitszufuhr in jedem Fall • Regelmäßige Gewichtskontrolle • Routinemäßiges Dysphagiescreening; bei auffälliger

Symptomatik apparative Untersuchung (Videoendo­ skopie und/oder -fluoroskopie) • Kräftigungs- und Bewegungsübungen der Schluckmuskulatur erfolgversprechend • Kompensatorische und adaptive Maßnahmen je nach Individualfall • Wegen Wechselwirkung zwischen L-Dopa und Eiweiß Einnahme der Medikation 1 Stunde vor oder 1,5 Stunden nach der Nahrungsaufnahme • Im fortgeschrittenen Stadium ggf. Ernährungssonde (individuelle Abklärung)

11.1.4 Chorea Als choreatische Bewegungsstörung („Veitstanz“) bezeichnet man unwillkürliche, unregelmäßige, plötzlich einschießende und häufig asymmetrische Bewegungen, die alle Körperregionen betreffen und von einer Körperregion zur anderen wandern können.

Viele Erkrankungen sind mit choreatischen Bewegungsstörungen assoziiert (Weindl und Conrad 2005). Die bekannteste ist die erbliche Chorea Hun­ tington. Manche Autoren bevorzugen den Terminus Morbus Huntington, da sich nicht in allen Fällen eine Chorea manifestiert (Rollnik 2015). Die Erkrankung geht mit fortschreitender Atrophie des Gehirns, insbesondere der Basalganglien, einher. Die Degeneration betrifft vor allem kleine und mittelgroße Interneuronen des Neostriatums (Nucleus caudatus und Putamen). Chorea Huntington tritt in den USA und Europa mit einer Prävalenz von 4–8/100.000 auf. Häufig zeigen sich psychische Auffälligkeiten als erste Symptome. In der Folgezeit entwickeln sich kognitive Störungen und Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur Demenz. Neben den Bewegungsstörungen der Extremitäten treten Hyperkinesen der orofazialen Muskulatur auf, die zu Grimassieren, unwillkürlichen Kau- und Schmatzbewegungen sowie zu Beeinträchtigungen der Artikulation führen. Der Muskeltonus ist anfänglich meist herabgesetzt.

411

Die seltenere akinetisch-rigide Form geht dagegen mit Bewegungsverlangsamung, Bewegungsarmut und erhöhtem Muskeltonus einher.

Schluckpathologie Schluckprobleme können bei Chorea in der oralen Vorbereitungsphase, der oralen und der pharyngealen Phase auftreten (Heemskerk und Roos 2011). Bei den oben genannten Formen der Chorea haben Kagel und Leopold (1992) einerseits charakteristische hyperkinetische und andererseits rigid-hypokinetische Bewegungsstörungen der Schluckmotorik nachgewiesen. Die hyperkinetische Ausprägung zeigte: • Übermäßige Zungenbewegungen • Unkontrollierte Reflexinitiierung • Unwillkürliche Bewegungen der Atmungsmuskulatur • Insgesamt zu schnelle, unkontrollierte Schluckbewegungen Durch die übersteigerte Motilität der Körpermotorik erhöhte sich der Kalorienbedarf dieser Patienten. Manche entwickelten eine regelrechte Esssucht. Die rigid-hypokinetische Form wies Ähnlichkeiten mit typischen Dysphagiesymptomen bei Parkinson-Patienten auf, z. B.: • Rigidität der Kiefermuskulatur • Kauprobleme • Verlangsamte orale Transitzeit Die Aspirationshäufigkeit lag bei der hyperkinetischen Gruppe unter 10 %, bei der rigid-hypokinetischen Gruppe jedoch deutlich höher. Zu erwähnen sind noch das ebenfalls mit Chorea einhergehende McLeod-Syndrom und die ChoreaAkanthozytose mit einer Dysphagiehäufigkeit von 10 bzw. 62 % (Danek 2002). Bei Letzterer kommt es typischerweise zu Zungenprotrusionen (Bauer et al. 2010). Chorea ist bislang medikamentös nicht kausal behandelbar. Die Pharmakotherapie mindert jedoch die Symptome. Große Hoffnungen auf eine kausale krankheitsmodifizierte Behandlung setzt man derzeit auf das „gene silencing“, ein Vorgang aus der Genetik, bei dem Gene abgeschaltet werden. Die Strategie wurde im Tierversuch bereits erfolgreich erprobt (Rollnik 2015).

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412

11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Da kognitive Störungen bereits im Frühstadium auftreten, sind kompensatorische Schlucktechniken, die hohe Anforderungen an die Kooperation stellen, oft nicht möglich. Einfache Übungen, diätetische Anpassungen und spezielle Trink- und Esshilfen können zumindest für einen bestimmten Zeitraum die Schluckfunktion, den Ernährungsstatus und die Lebensqualität verbessern.

Diagnostik Schluckstörungen treten in der Regel nicht im frühesten Krankheitsstadium auf. Zu welchem Zeitpunkt die dysphagischen Beschwerden beginnen, lässt sich nicht festlegen. Da die Dysphagie eine häufige Begleitsymptomatik ist, sollten die Angehörigen auf die tägliche Ess- und Trinkmenge achten. Es empfiehlt sich ein klinisches Dysphagiescreening in regelmäßigen Abständen. Aufgrund der Hyperkinesen erfordert die apparative Diagnostik oft viel Geduld.

Restituierende bzw. übende Maßnahmen Im frühen Stadium sind Bewegungs- und Kräftigungsübungen möglich, um den Status quo möglichst lange zu erhalten. Die Hyperkinesen nehmen bei Erregung zu und sistieren im Schlaf. Tonussenkende Stimuli reduzieren oft die choreatischen Bewegungen der Oralmotorik (Jain et al. 1993).

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

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Der Therapieschwerpunkt liegt bei den kompensatorischen und adaptiven Maßnahmen. Um das selbstständige Essen und Trinken möglichst lange zu erhalten, setzt man diverse Hilfsmittel (› Kap. 10.4.3) ein: • Rutschfeste Unterlagen • Teller mit gewölbtem Rand • Spezielle Bestecke • Tassen mit beidseitigen Griffen und/oder Trinkgefäße, die sich mit Gewichten beschweren lassen Gewichte an den Handgelenken können die Koordination fördern und ein zu schnelles Esstempo reduzieren (Yorkston et al. 2004).

Im fortgeschrittenen Stadium ist in der Regel eine Essensbegleitung notwendig. Die Steuerung der erforderlichen Kompensationen erfolgt dann durch verbale Aufforderung der Begleitperson. Choreapatienten neigen während des Essens häufig zu Kopfextension. Die Begleitperson achtet auf die leichte Kopfneigung nach vorn und die richtige Positionierung des Rumpfs. Das Essen mit dem Löffel gelingt nach Miller und Groher (1997) am effektivsten, wenn der Patient aktiv mitarbeitet: Die Essensbegleitung schiebt den Löffel nicht in den Mund des Patienten, sondern hält ihn vor dessen Lippen und wartet, bis dieser selbstständig die Nahrung vom Löffel abnimmt. So lassen sich Zungenstoß und oraler Nahrungsaustritt meist reduzieren. Eine weitere Möglichkeit, den oralen Bolustransport zu verbessern, bietet, zumindest in der Anfangsphase, das Saugschlucken, d. h. das Ansaugen der Zunge bei geschlossenem Mund an den Gaumen und gleichzeitiges Schlucken. Bei Kauproblemen kann vermehrter sensorischer Input, z. B. durch besonders strukturreiche Nahrung, das Kauen stimulieren. Dies trifft nach Kagel und Leopold (1992) insbesondere für die hyperkinetische Gruppe zu. Zeigen sich gravierende Kauprobleme oder Störungen der oralen Boluskontrolle, muss man auf weiche Kost umstellen. Um den erhöhten Kalorienbedarf dieser Patienten abzudecken, ist eine hochkalorische Kost mit 6–8 Mahlzeiten pro Tag und/oder eine hochkalorische bedarfsdeckende Ergänzungsnahrung (› Tab. 10.13) erforderlich (DGN-Leitlinie Chorea 2012). Mit Verbesserung des Ernährungszustandes bessert sich oftmals auch die choreatische Symptomatik. Häufig treten bei Flüssigkeiten eher Schluckprobleme auf als bei fester Nahrung. Dann kann das Andicken der Getränke hilfreich sein. Zusätzlich besteht Aspirationsgefahr durch zu schnelles Esstempo und/ oder durch zu große Bolusvolumina. Ein angemessenes Essverhalten lässt sich durch die Begleitperson verbal meist gut steuern. Je nach individueller Pathologie können kompensatorische Maßnahmen indiziert sein. Einfache Techniken, z. B. Änderungen der Kopfhaltung, leer Nachschlucken oder kräftiges Schlucken sind mit verbaler Hilfe der Essensbegleitung in vielen Fällen möglich.

11.1  FDT bei progredienten neurologischen Erkrankungen

Ernährung mittels Sonde Lässt sich der erhöhte Kalorienbedarf nicht mehr durch die orale Nahrungsaufnahme abdecken oder kommt es im späten Stadium trotz therapeutischer Maßnahmen zu aspirationsbedingten Komplikationen, muss man eine Sonde anlegen. Das Wichtigste im Überblick • Vom

Diagnosezeitpunkt an Bilanzierung der Flüssigkeitsaufnahme und Gewichtskontrolle • Regelmäßiges klinisches Dysphagiescreening, ggf. Videoendoskopie und/oder Videofluoroskopie • Im frühen Stadium: tonusreduzierende Stimuli, Bewegungs- und Kräftigungsübungen möglich • Im fortgeschrittenen Stadium: kompensatorische, adap­tive Maßnahmen (Kostanpassung einschl. erhöhte Kalorienzufuhr, Hilfsmittel für selbstständige Nahrungsaufnahme), Essbegleitung • Im späten Stadium: ggf. Anlage einer Ernährungssonde

11.1.5 Multiple Sklerose Die multiple Sklerose (MS) oder Encephalomyelitis disseminata (ED) ist eine entzündliche Autoimmun­ erkrankung der weißen Substanz des ZNS, die mit einer Entmarkung (Demyelinisierung) markhaltiger Nervenfasern einhergeht. Nach neueren Erkenntnissen scheint der Abbau der Myelinschicht nicht die einzige Ursache der MS zu sein, da auch Axone mit intakter Schutzhülle absterben. Möglich ist auch eine strukturelle Erholung der Axone, die mit einer Wiederherstellung der Funktion verbunden ist (Nikić et al. 2011). Die Erkrankung tritt selten vor der Pubertät und am häufigsten zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf, ihre Prävalenz beträgt 100/100.000. Man kann etliche Verlaufsformen unterscheiden: • Schubförmig mit vollständiger oder partieller Remission • Häufige Schübe mit rasch progredienter Symptomatik • Seltene Schübe • Sekundäre Progredienz im Alter, nach schubförmigem Verlauf in der Jugend • Primäre Progredienz (selten) Entsprechend der (zufälligen) Verteilung der Entzündungsherde – spinal und/oder supraspinal, im

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Marklager von Großhirn, Kleinhirn, Hirnstamm oder den Hirnnerven – variiert die neurologische Symptomatik beträchtlich. Es können motorische, sensible, sensorische, vegetative, kognitive, affektive und sonstige hirnorganische Symptome einzeln oder in beliebiger Kombination auftreten. Nach einer weltweiten Online-Befragung der internationalen Multiple-Sklerose-Vereinigung MSIF (Multiple Sclerosis International Foundation) sind etwa 9 von 10 Menschen mit MS von Fatigue (abnormer Ermüdbarkeit) betroffen. Die Ursachen hierfür sind noch weitgehend unklar.

Die Häufigkeit dysarthrischer Symptome wird mit 77 % angegeben (Darley et al. 1975). Gelegentlich wurden leichte Sprachstörungen beobachtet (Lethlean et al. 1993). Über die Prävalenz von Schluckstörungen gibt es unterschiedliche Angaben. Nach einem systematischen Review von Guan et al. (2015) variieren diese in Abhängigkeit von der Diagnosemethode. Im Mittel ergab sich eine Prävalenzrate von 36%. Schluckprobleme wurden auch bei etwa ⅓ der Patienten mit insgesamt leichten bis mäßigen MS-Symptomen beobachtet (Heemskerk und Roos 2011). Respiratorische Beeinträchtigungen mit ineffizientem Hustenstoß können aus verschiedenen Gründen zu jedem Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs dazukommen und die Aspirationsgefahr erhöhen (Aiello et al. 2008). Paresen/Koordinationsprobleme/Tremor der oberen Extremitäten können die Nahrungszuführung erheblich stören.

Schluckpathologie Je nach Verlaufsform können bei MS chronische oder transiente Schluckprobleme auftreten. Letztere zeigen sich im akutem Krankheitsschub und bilden sich wieder zurück (Miller und Britton 2011). Auch der Schweregrad kann variieren. Diskrete Schluckstörungen äußern sich in gelegentlichem Verschlucken mit Nahrung oder Flüssigkeiten. Meist gehen die Probleme auf Ermüdung oder Unaufmerksamkeit während des Essens, z. B. Sprechen mit vollem Mund, zurück. Im weiteren Verlauf können auftreten:

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

• Kauprobleme • Störungen des oralen Bolustransports • Verzögerte Schluckreflexauslösung • Beeinträchtigungen der pharyngealen Kontrak­ tionen

• Eingeschränkte Epiglottiskipping • Unvollständige OÖS-Öffnung

Nicht selten kommt es insbesondere bei schweren MS-Verläufen zur Aspiration (Wiesner et al. 2002). Insgesamt zeigen sich keine MS-typischen Schluckstörungsmuster (Prosiegel et al. 2004). Pharmakologisch ist eine kausale Therapie der MS nicht möglich. Durch symptomatische medikamentöse Behandlung lassen sich jedoch Verbesserungen erzielen. Ziel der funktionellen Dysphagietherapie ist, vorhandene Funktionen zu erhalten und vor Aspiration zu schützen.

Diagnostik Insbesondere im fortgeschrittenen Krankheitssta­ dium ist ein Dysphagiescreening, einschließlich der Beobachtung der Nahrungsaufnahme, empfehlenswert. Bei Bedarf ist zur genauen Abklärung eine apparative Untersuchung (Videoendoskopie und/oder -fluoroskopie) notwendig.

Restituierende bzw. übende Maßnahmen

11

Motilitäts- und Kräftigungsübungen der Schluckmuskulatur scheinen zur Funktionserhaltung oder -verbesserung erfolgversprechend zu sein. Man sollte sie allerdings moderat und nicht bis zur Schmerzoder Ermüdungsgrenze durchführen (Dalgas et al. 2010). Das Training der in- und exspiratorischen Muskulatur zur Kräftigung der Atmung und des Hustenstoßes hat sich als hilfreich erwiesen (Fry und Chiara 2010). Das Fatigue-Symptom kann unterschiedlich ausgeprägt sein, plötzlich auftreten oder sich im Tagesverlauf verschlimmern. Deshalb passt man die Therapiedauer, die Anzahl der Übungswiederholungen sowie die Häufigkeit und Länge der Pausen dem Individualfall an. Restivo et al. (2013) haben in einer RCT-Pilotstudie nach 5-tä-

giger pharyngealer Elektrostimulation (› Kap. 10.2.3) eine deutliche Verbesserung von Schluckparametern nachgewiesen. Die Ergebnisse haben sich auch in den beiden Kontrolluntersuchungen nach 2 und nach 4 Wochen als stabil erwiesen.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen In Absprache mit der Ergotherapie setzt man Hilfsmittel ein, um vor allem den Tremor der Hand zu kompensieren und dadurch die Selbstständigkeit während der Nahrungsaufnahme zu erhalten: Die Arme werden z. B. mit den Ellenbogen auf die Tischplatte aufgelegt sowie spezielle Bestecke und Trinkgefäße mit Gewichten verwendet. Während der Mahlzeiten sind Ablenkungen zu vermeiden. Wegen der Hitzeempfindlichkeit der Patienten ist auf die adäquate Raumtemperatur zu achten. Zeigen sich bei dünnen Flüssigkeiten erste Aspirationshinweise, hilft oft Andicken. Weiche, leicht zu kauende Nahrung beugt einer raschen Ermüdung in der oralen Vorbereitungsphase vor. Bei verzögerter Reflexauslösung versucht man durch erhöhten sensorischen Input (z. B. Geschmacks- und Temperaturreize) die Triggerung zu beschleunigen. Im Bedarfsfall werden kompensatorische Techniken angewendet. Bei fortgeschrittener Erkrankung ist häufig Essensbegleitung notwendig.

Ernährung mittels Sonde In seltenen Fällen muss eine Ernährungssonde angelegt werden. Bei geschwächter Atmungsmuskulatur ist die Reinigungsfunktion des Hustens nicht mehr gewährleistet. Daher können bereits geringe Aspira­ tions­mengen zu pulmonalen Komplikationen führen. Das Wichtigste im Überblick • Klinisches

Dysphagiescreening inkl. Beobachtung der Nahrungsaufnahme auch bei leichten bis mäßigen MSSchweregraden; ggf. apparative Diagnostik (Video­ endo­skopie und/oder Videofluoroskopie) • Reduzierte Belastbarkeit bei Fatigue in Therapiegestaltung berücksichtigen

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation • Moderate

Motilitäts- und Kräftigungsübungen der Schluckmuskulatur • Kompensatorische Schlucktechniken oder/und Anpassung der Nahrungskonsistenz je nach Individualfall • Bei Tremor geeignete Ess- und Trinkhilfen • Im späten Krankheitsstadium häufig Essensbegleitung notwendig • Anlage einer Ernährungssonde bei MS relativ selten erforderlich

11.2 FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation Durch den Ausbau des Notarztwesens und die Fortschritte der Intensivmedizin ist die Überlebensrate schwer hirngeschädigter Patienten gestiegen. Innerhalb der neurologischen Rehabilitation hat die Frührehabilitation mittlerweile eine Sonderstellung erlangt, da sie spezielle medizinische und therapeutische Maßnahmen erfordert. Sie wird nach dem Rehastufenmodell der Phase B zugeordnet und folgt der intensivmedizinischen Akutbehandlung (Phase A). Dysphagische Frührehabilitationspatienten lassen sich in 3 Gruppen einteilen (Prosiegel et al. 2000): Einteilung dysphagischer Frührehabilitationspa­ tienten 1. Patienten mit quantitativen Bewusstseinsstörungen: Wachkoma (früher: „apallisches Syndrom“) und sonstige Ausprägungsgrade einer quantitativen Bewusstseinsstörung 2. Patienten mit qualitativen Bewusstseinsstörungen im Rahmen schwerer hirnorganischer Psychosyndrome: z. B. psychomotorische Unruhe, Desorientierung, fehlende oder mangelnde Krankheitseinsicht 3. Bewusstseinsklare Patienten mit schweren sensomotorischen Störungen: Tetraplegie, z. B. Locked-in-Syndrom

Bei Patienten der Frührehabilitationsphase liegen in unterschiedlicher Ausprägung Beeinträchtigungen körperlicher und kognitiv-psychischer Funktionen vor.

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11.2.1 Störungen körperlicher Funktionen Von Störungen körperlicher Funktionen können betroffen sein: • Lebenswichtige vegetative Systeme • Sinneswahrnehmung • Bewegung Die Steuerung der Wachheit, des Schlaf-WachRhythmus und des Bewusstseins sind beeinträchtigt. Es besteht eine Neigung zu vegetativen Entglei­ sungen. Vegetative Funktionen sind durch innere Reize, z. B. Schmerzen, und Umweltreize, beeinflusst. Bei schwer hirnverletzten Patienten ist die Filterfunktion übergeordneter Leistungen häufig gestört und Reize treffen so ungeschützt auf das vegetative Nervensystem. Daher kommt es häufig zu überschießenden vegetativen Reaktionen oder länger dauernden Krisen (Schönle 2000). Manche Patienten weisen einen erhöhten Stoffwechselumsatz auf und magern trotz hochkalorischer Ernährung ab. Die Sinneswahrnehmungen, also Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfindung sowie die Eigenwahrnehmung des Körpers, sind mehr oder weniger beeinträchtigt. Bei Patienten mit quantitativen Bewusstseinsstörungen (z. B. Wachkoma) oder bei bewusstseinsklaren Patienten mit schweren sensomotorischen Störungen (z. B. Locked-in-Syndrom) kann die Bewegungsfähigkeit der Skelettmuskulatur völlig ausfallen. Zusätzlich können anhaltende Tonuserhöhungen der Muskulatur zu Kontrakturen in den Gelenken führen. Die Fähigkeit, zu sprechen oder nonverbal zu kommunizieren, ist beeinträchtigt oder aufgehoben. Die Häufigkeit von Schluckstörungen wird für die Frührehabilitationsphase mit 60–85 % angegeben (Prosiegel 2000). Vielfach ist eine Ernährung über Sonde notwendig. Bei längerer Beatmungsdauer, bei Obstruktionen der Atemwege und/oder als Schutz vor Speichelaspiration werden die Patienten tracheotomiert und mit einer Kanüle versorgt (› Kap. 9).

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Schluckprobleme

Orale Phase

Schluckprobleme in der Frührehabilitationsphase lassen sich in primäre und sekundäre Dysphagien einteilen: • Bei der primären Dysphagie sind für den Schluckvorgang verantwortliche neuromuskuläre Strukturen und sensomotorische Steuerungsmechanismen unmittelbar betroffen. Je nach Läsion können die orale, die pharyngeale und/oder die ösophageale Phase beeinträchtigt sein. • Die sekundäre Dysphagie entsteht als Folge der Bewusstseinsstörung und äußert sich vorrangig in der willkürlich beeinflussbaren präoralen und oralen Phase. Die reflektorischen Schluckphasen sind hier nicht beeinträchtigt. Mit zunehmender Verbesserung des Bewusstseinszustands bilden sich in diesen Fällen auch die Schluckprobleme zurück. • Eine primäre Dysphagie kann sich durch die Bewusstseinsstörung oder Medikamente, die sich ungünstig auf den Schluckvorgang auswirken, verschlimmern. So entsteht eine gemischte Form mit kumulativen Auswirkungen. Die folgende Beschreibung der Schluckbeeinträchtigungen von Phase-B-Patienten stützt sich in Ermangelung valider Daten mit apparativen Diagnoseverfahren überwiegend auf die klinische Diagnostik.

Störungen des afferenten Inputs in der oralen Phase können den Geschmackssinn, die periphere Tastaufnahme und, bei fehlender Zungen-Kiefer-Beweglichkeit, die propriozeptiven Reize betreffen. Häufig ist die mentale Identifikation gestört: Der Speisebolus wird nicht als solcher erkannt. All dies kann zu Störungen von Bolussammlung, -kontrolle und oralem Transport führen. Im Extremfall erfolgt überhaupt keine Reaktion, und der Bolus bleibt im Mundraum liegen. Manchmal behindern unwillkürliche patholo­ gische orale Aktivitäten wie Saugen, Schmatzen, Lippenlecken, Zähneknirschen, Zungenstoß und Beißreflexe die höher integrierten Funktionen des ­Kauens und des oralen Rücktransports. Speichelfluss aus dem Mund entsteht meist infolge unzureichenden Zungentransports, erniedrigter Schluckfrequenz, fehlenden Mund-Kiefer-Schlusses oder in seltenen Fällen durch übermäßige Sekretproduk­tion. Fehlende oder eingeschränkte Mundöffnung erschwert Nahrungsaufnahme, Kauen und Mund­hy­ gie­ne. Probleme der Kopf- und Rumpfkontrolle beeinträchtigen das muskuläre Gleichgewicht der Schluck- und Atemmuskulatur zusätzlich.

Präorale Phase

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Aufgrund der Wahrnehmungsstörungen und Beeinträchtigungen der Skelettmuskulatur beginnen die Probleme häufig schon in der präoralen Phase (­Nusser-Müller-Busch 2006). Sieht oder riecht man Nahrung, wird über einen neuronalen Schaltkreis die Sekretion von Speichel und Magensaft sti­muliert. Dies setzt Nahrungsaufnahme- und Ver­dauungs­ system sozusagen in Bereitschaft. Zusätzlich steigt mit dem Sehen und Riechen leckerer Speisen/Getränke die Motivation, zu essen und zu trinken. Kann der Betroffene die Nahrung nicht selbstständig zum Mund führen, fehlt die zusätzliche Stimulation durch die Hand-Mund-Koordination. Sind bei fehlender Kopf-Rumpf-Kontrolle eine aufrechte Sitzposition und eine stabile Kopfhaltung nicht möglich, ist die Nahrungsaufnahme erschwert.

Pharyngeale Phase Liegt eine primäre Dysphagie vor, zeigen sich je nach Ort und Ausmaß der Hirnschädigung Störungen der laryngopharyngealen Mechanismen. Sie können unter anderem die zeitgerechte Schluckreflexauslösung, die Hebung oder den Verschluss des Kehlkopfs, die Rachenkontraktion und/oder die Öffnung des Speiseröhreneingangs betreffen. Bei sekundärer Dysphagie ergeben sich in der Regel keine Beeinträchtigungen der reflektorischen pharyngealen Schluckphase.

Ösophageale Phase Da der Transport in der Speiseröhre z. T. einer zentralen Kontrolle unterliegt, können bei schweren Hirnverletzungen Motilitätsstörungen der Speiseröhre auftreten (› Kap. 3). Unabhängig davon ist bei Vorliegen einer Refluxkrankheit (› Kap. 14.4.4) unbedingt auf eine eventuelle Aspirationsproblematik und deren mögliche pulmonale Folgen zu achten.

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation

11.2.2 Beeinträchtigungen kognitivpsychischer Funktionen Die kognitiven und psychischen Funktionen charakterisieren die Persönlichkeit eines Menschen. Bei schweren Bewusstseinsstörungen sind willkürlich gesteuerte und unwillkürliche Entscheidungen beeinträchtigt oder nicht mehr möglich. Mit zunehmender Verbesserung des Bewusstseinszustandes zeigen sich dann Störungen kognitiver Funktio­ nen, also von Aufmerksamkeit und Konzentration, Lernen und Gedächtnis sowie der Planungs- und Handlungsfähigkeit. Die Kommunikation durch Sprache ist überhaupt nicht mehr oder nur unzureichend möglich. Zusätzlich kann eine verminderte Fähigkeit für soziale Wahrnehmung oder die Unfähigkeit, aus sozialen Erfahrungen zu lernen, die Interaktion mit der Umgebung erschweren. Mit zunehmender Einsicht in die eigene Situation können reaktive Depressionen auftreten. Häufig finden sich psychische Auffälligkeiten, z. B. eine emotionale Instabilität in Form einer erhöhten Reizbarkeit und überschießenden Reagibilität, in anderen Fällen Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit. Die veränderte Außen- und Selbstwahrnehmung kann mit Halluzinationen einhergehen. Orientierungs- und Hilflosigkeit können Angstzustände hervorrufen. Die Kombination verschiedener Dysfunktionen auf körperlicher und kognitiv-psychischer Ebene erfordert eine spezielle medizinische Behandlung und eine enge Zusammenarbeit unterschiedlicher therapeutischer Disziplinen sowie mit den Angehörigen (Bienstein und Fröhlich 2016). Dabei bildet die Aktivierung der Ess- und Trinkfunktionen einen Teilbereich eines umfassenden Gesamtkonzepts.

11.2.3 Therapieansätze

Therapieziele der Frührehabilitation • Besserung des Bewusstseinszustandes • Vermeidung sekundärer Komplikationen • Anbahnen der Kommunikations- und Handlungsfähig-

keit

• Förderung der Wahrnehmungsfähigkeit • Anbahnen motorischer Funktionen, einschließlich

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der

Ess- und Trinkfunktion • Abklärung des Rehabilitationspotenzials • Planung und Einleitung der weiteren Versorgung

Grundlagen Da schwer hirnverletzte Patienten zur kooperativen Mitarbeit nicht oder nur sehr eingeschränkt fähig sind, konzentriert sich die Therapie zunächst auf die Stimulationsbehandlung (Bartolome 1996). Dazu gehören stimulative Angebote von: • Pflege • Physiotherapie • Ergotherapie • Sprachtherapie/Logopädie • Musiktherapie • Neuropsychologie • Physikalischer Behandlung Daneben können angeboten werden: • Umgebungswechsel • Co-Therapie durch Angehörige Nach einem Cochrane-Review von Lombardi et al. (2002) sind die Aussagen über die Wirksamkeit sensorischer Stimulationsbehandlungen – mit Ausnahme einiger Kurzzeiteffekte – ernüchternd. Ein Review über Effektivitätsstudien zu derzeit existierenden Therapiekonzepten für schwer hirnverletzte Patienten in Pflegeeinrichtungen ergab ebenfalls keine ausreichende Evidenz (Klingshirn et al. 2015). Ursachen für dieses Dilemma sind u.a. die geringe Anzahl an methodisch hochwertigen Studien, die fehlende Vergleichbarkeit der Arbeiten und der mangelnde Nachweis an Langzeiteffekten. Das bedeutet jedoch nicht, dass Stimulationsbehandlungen nicht erfolgreich sein können. Da Patienten mit schweren Hirnverletzungen nicht über normale Verarbeitungskapazitäten verfügen und ihre Belastbarkeit zumindest in der Anfangsphase begrenzt ist, empfiehlt Wood (1991) eine Reizregulation und warnt vor Reizüberdosierung. Daraus ergeben sich einige allgemeine Behandlungsprinzipien:

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Allgemeine Behandlungsprinzipien • Begrenzen

ständiger Hintergrundstimulation, z. B. Radio, CD-Player, TV • Umgebungslärm niedrig halten • Stimulationen am Individuum orientiert auswählen, zunächst mit wenigen Reizen beginnen • Feste Regeln für die Kommunikation mit dem Patienten definieren, z. B. Schlüsselwörter bei Stimulation und Intervalle zwischen den Stimuli • Genügend Zeit für die Reaktion lassen • Stimulationseffekte regelmäßig protokollieren • Therapiedauer der Belastbarkeit des Patienten anpassen, anfangs nur kurze Übungsphasen, z. B. mehrmals täglich 5–20 min • Im Tagesverlauf ausreichend Ruhephasen einplanen

Strukturierte Stimulationsprogramme

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Neben unspezifischer Reizapplikation haben sich mittlerweile vermehrt strukturierte Stimulationsprogramme durchgesetzt. Diese lassen sich im Wesentlichen in 2 Gruppen einteilen: • Unimodaler Ansatz: Stimuli werden zeitlich getrennt gesetzt und in jeder Behandlungseinheit nur eine Reizmodalität geboten. • Multimodaler Ansatz: In einer Behandlungssequenz werden mehrere sensorische Modalitäten nacheinander stimuliert und die einzelnen Reize jeweils ein paar Minuten lang angeboten. Unabhängig vom jeweiligen Ansatz umfasst die Stimulationstherapie folgende Reizmodalitäten: • Taktile Stimuli: Berührungsreize der Haut mit Tüchern, Bürsten, Pinseln, mit Fingern/Hand • Visuelle Stimuli: bewegte Objekte, angestrahlte farbige Gegenstände, vertraute Abbildungen/Gegenstände • Auditive Stimuli: verbale Reize, Alltagsgeräusche, unterschiedlich hohe Tonfolgen, Singen bekannter Lieder, Klänge mit Klanginstrumenten, Lieblingsmusik • Propriozeptive Stimuli: passive Bewegungen der Extremitäten, Gesichts-Kiefer-Muskulatur • Olfaktorische Stimuli: Düfte von Lebensmitteln, Duftöle, Kosmetika • Gustatorische Stimuli: verschiedene Geschmacksreize

• Thermale Stimuli: warme und kalte Tücher, Eiswürfel

• Vestibuläre Stimuli: Drehen von Körper und

Kopf, in Sitzposition aufrichten Nach bisherigen Ergebnissen scheinen multimodale Stimulationsansätze der unimodalen Reiztherapie überlegen zu sein (Padilla und Domina 2016, Review). Dabei zeigen bei der multimodalen Stimula­ tion Reize mit hoher Bedeutung für den Patienten die besten Ergebnisse (Wilson et al. 1996). Bei unimodaler Stimulation ist zu bedenken, dass zwar mit einer Reizmodalität stimuliert werden kann, jedoch nie ein Sinneskanal isoliert angesprochen wird. So sind schon allein durch die Körper- und Kopfposi­ tion propriozeptive und vestibuläre Reize vorhanden. Die Auswahl vorrangig benutzter Reize ist abhängig von • der möglichen Bedeutung für den Patienten, • der Reaktion des Patienten, • dem spezifischen Behandlungsziel der jeweiligen therapeutischen Berufsgruppe, • dem übergeordneten Globalziel (› Kap. 10.1.2). Aufgrund der Schwere der Störungen sind häufig zusätzliche Co-Therapien sinnvoll. So arbeitet z. B. der Sprachtherapeut/Logopäde bei Bedarf mit einem Physiotherapeuten an der Schluckanbahnung (z. B. Aufrichten des Oberkörpers). Der Integration der Angehörigen in das Frührehabilitationskonzept kommt besondere Bedeutung zu. Nahestehende Menschen können den Patienten bei entsprechender Erfordernis in der frühen Phase ständig begleiten (Rooming-in). Ihre Anwesenheit lindert die seelische Not dieser Patienten und fördert die Reorientierung (Gadomski 2000). Die folgenden Ausführungen beziehen sich schwerpunktmäßig auf Patienten mit quantitativen Bewusstseinsstörungen.

Verschiedene Therapiekonzepte Im deutschsprachigen Raum haben sich in der Frührehabilitation diverse Therapiekonzepte etabliert. Trotz verstärkter Bemühungen um wissenschaftliche Evidenznachweise ist der Vorteil einzelner Therapieschulen im Vergleich zu anderen Konzepten bisher nicht belegt (Klingshirn H et al. 2015).

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation

• Ein Konzept zur multimodalen Frühstimulation (Multimodal Early-Onset Stimulation, MEOS) stellen Lippert-Grüner (2002) vor. Die Stimula­ tionen erfolgen nach einem strukturierten Plan 2-mal täglich, jeweils 1 Stunde lang. Die beiden Blöcke enthalten unterschiedliche Stimuli. Zwischen den einzelnen Reizapplikationen sind ausreichend Pausen vorgesehen, z. B. 10 min orofaziale Stimulation, 10 min Pause, 5 min gustatorische Stimulation, 10 min Pause usw. Dagegen empfehlen Padilla und Domina (2016) eine Übungsfrequenz von 2–5 Mal täglich mit jeweils 20 Min. Dauer. • Die Basale Stimulation© nach A. Fröhlich (2008) wurde ursprünglich als sonderpädagogischer Ansatz für die Früh- und Wahrnehmungsförderung von Kindern mit geistiger und körperlicher Behinderung konzipiert. In Zusammenarbeit mit C. Bienstein hat A. Fröhlich dieses multisensorische Konzept in die Pflege von Erwachsenen übertragen. Hervorgehoben wird die Identifizierbarkeit und Bedeutung der Stimuli für den einzelnen Patienten. In der Neuauflage werden Forschungsergebnisse zu basalen Stimulationen aus dem Bereich der Pflege diskutiert (Bienstein und Fröhlich 2016). • Die Aktiv-direkt-adaptierte multisensorische Stimulation (ADAMS) nach Gobiet und Gobiet (1999) lehnt sich im Wesentlichen an den sonderpädagogischen Ansatz der Basalen Stimula­ tion an. Sie legt Wert darauf, dass man Art, Intensität und Schwerpunkt der Reizauswahl direkt an die Reaktionen des Patienten adaptiert. • Die Facio-orale Trakt-Therapie (F. O. T. T.©) nach Kay Coombes ist eine auf dem Bobath-Konzept aufbauende, multisensorisch stimulative Therapieform, die auf bewusstseinsgestörte Pa­ tienten abzielt. Die Behandlung umfasst die fa­ zio­oralen Funktionen Atmen, Essen und Trinken, Schlucken, verbale und nonverbale Kommunikation (Nusser-Müller-Busch 2015). Das Schwergewicht liegt, wie aus der Bezeichnung hervorgeht, auf dem faziooralen Trakt. Seidl et al. (2007) beobachteten nach F. O. T. T.-Mundstimulation eine Steigerung der Schluckfrequenz. • Bei der Orofacialen Regulationstherapie (ORT) nach Castillo Morales (1998) handelt es sich um eine überwiegend taktil-propriozeptiv-vestibulär

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stimulative Aktivierung der orofazialen Funktionen. Die ORT wurde ursprünglich für Kinder mit Beeinträchtigungen der Schluck- und Sprechmuskulatur entwickelt und wird inzwischen auch bei Erwachsenen mit zerebralen Bewegungsstörungen angewendet. • Die Behandlung nach Affolter (Affolter 2006, Hofer 2009) wird ebenfalls bei schwer hirnverletzten Patienten eingesetzt. Bewegungsstörungen werden bei diesem Konzept als Wahrnehmungsstörungen betrachtet. Deshalb steht passives Führen zur Vermittlung von Spürinformationen im Vordergrund. Allerdings zeigen Einzelfallbeispiele aus der Literatur, dass Bewegungen sogar ohne jegliche Propriozeption möglich sind (Roll und Roll 2005). Elemente des Affolter-Konzepts finden sich auch in anderen Therapieschulen (z. B. F. O. T. T.). • Ob die ursprünglich aus der Physiotherapie stammenden Techniken der Manuellen Therapie das Spektrum sensorischer Stimulationen schwer hirngeschädigter dysphagischer Patienten ergänzen können, ist noch nicht erforscht. Ein manualtechnisches Behandlungsprogramm für die Atem-, Sprech- und Schluckmuskulatur stellte Münch (2009, 2014) für verschiedene Krankheitsbilder vor. Ziel ist, vor allem durch Dehntechniken die Gelenke und Muskeln zu mobilisieren.. Nusser-Müller-Busch (2011) hat unter dem Titel „Manuelle Schlucktherapie“ die manuelle Therapie weiter gefasst. Hier bezieht sich die Behandlung auf alle Methoden und Techniken der Schluckrehabilitation, bei denen die Hände der Therapeuten zum Einsatz kommen (› Kap. 10.2.1). F. O. T. T. und ORT werden mitunter als Schlucktherapie missverstanden. Es handelt sich jedoch nicht um spezielle schlucktherapeutische Verfahren, sondern um Stimulationen der faziooralen Funktionen aus ganzheitlicher Sicht. Spezielle Übungen für die pharyngeale Schluckphase und kompensatorische Schluckstrategien beinhalten diese Konzepte nicht.

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Zusammenfassung Die Frage, ob man ein Sinnessystem vorrangig stimulieren sollte, ist ungeklärt. Entscheidend ist letztlich, welche Reize im Individualfall für die Informationsaufnahme zur Verfügung stehen und einer kortikalen Verarbeitung zugänglich sind. Nach bisherigen, jedoch nicht ausreichenden Wirksamkeitsnachweisen sind multimodale Reizanwendungen den unimodalen Stimulationskonzepten vorzuziehen.

11.2.4 Spezielle Diagnostik und Therapiebausteine Frühreha-Assessment und ­Schluckdiagnostik Um den Gesamtstatus, d. h. Ausprägung und Schweregrad der Hirnverletzung, zu erfassen, sind verschiedene standardisierte Assessmentverfahren verfügbar (Übersicht in Wedel-Parlow et al. 2010), die jedoch keine spezielle klinische Schluckbeobachtung beinhalten. Für die Schluckdiagnostik in der Früh­ rehabilitation gibt es bislang keine einheitlichen Verfahren.

Aspirationsschnelltest und Klinische ­Schluckuntersuchung

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Als Aspirationsschnelltest eignet sich der Schluck­ provokationstest (SPT), den man auch bei liegenden, nicht kooperationsfähigen Patienten durchgeführen kann (Teramoto et al. 1999): • Sehr dünnen Katheter ca. 12 cm durch die Nase vorschieben • 0,4 ml (Schritt 1) und dann 2,0 ml (Schritt 2) Wasser in den Pharynx applizieren • Dauer von Bolusgabe bis zur visuell sichtbaren Kehlkopfhebung als Zeichen der Schluckreflexauslösung messen • Latenzzeit von über 3 Sek. bis zur Kehlkopfhebung als pathologisch zu bewerten Kagaya et al. (2010) haben an einer gemischten Stichprobe den SPT mit der Videofluoroskopie verglichen. Bezüglich Aspiration, stille Aspiration oder Penetration ergab sich eine Sensitivität von 72–75 % (Schritt 1) und 13–17 % (Schritt 2) und eine Spezifi-

tät von 38–44 % (Schritt 1) sowie 80–98 % (Schritt 2). Aufgrund der geringen Sensitivität, insbesondere bei Schritt 2, empfehlen die Autoren den SPT nur zu verwenden, wenn es aufgrund von Kooperationsproblemen etc. keine anderen Möglichkeiten gibt. Auch der Vergleich mit der FEES zeigte bei Schritt 2 eine niedrige Sensitivität (Warnecke et al. 2008). Zu bedenken ist, dass auch eine zeitgerechte Kehlkopfhebung sicheres Schlucken nicht unbedingt gewährleistet. Die klinische Schluckuntersuchung ist bei Pa­ tien­ten der Frührehabilitationsphase wegen der eingeschränkten oder aufgehobenen Kooperationsfähigkeit nur in reduziertem Umfang durchführbar. Sie beschränkt sich auf: • Ruhebeobachtung (Kriterien › Kap. 7) • Beschreibung stimulusinduzierter Reaktionen; falls möglich, inklusive Schluckversuch Bei bewusstlosen und schwer bewusstseinseingeschränkten Patienten führt man zunächst keine Schluckversuche mit Nahrung durch. Zur Stimulation der Schluckreflexauslösung tropft man z. B. mit einer Pipette einige Tropfen gekühlte oder intensiv schmeckende Flüssigkeit auf die Zunge. Alternativ könnte man eine angefeuchtete, um einen Strohhalm gewickelte Mullkompresse auf die Zungen­ mitte legen und den Patienten zum Schlucken auffordern bzw. Reaktionen abwarten. Auch die Gabe von aromatischer Schaumkost hat sich bewährt (› Abb.10.90). Eine unterstützende Kieferkontrolle (› Kap. 10.2.4) und taktile Stimulation am Mundboden erleichtern häufig die Reflexeinleitung. Die Beobachtungskriterien für die Schluckversuche sind in › Kap. 7 beschrieben.

Apparative Untersuchung Als apparative Schluckdiagnostik eignet sich bei schwer hirnverletzten Patienten insbesondere die transnasale Videoendoskopie (Bartolome 2010). Man kann während der Untersuchung mit einer verlängerten Spritze durch den Mundraum Flüssigkeit oder Brei mit wenig Druck direkt in den Rachen spritzen und so das Aspirationsrisiko beurteilen (› Abb.10.112). Die FEES spielt zudem eine wichtige Rolle, um die Fähigkeit des Speichelschluckens zu überprüfen oder ggf. die Indikation zur Tracheotomie zu stellen. Bei Trachealkanülenträgern ist die

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation Untersuchung über den transstomatalen Zugang eine wichtige Voraussetzung, um den Zeitpunkt der Dekanülierung festzulegen. Bei verbessertem Wachheitsgrad sind unter videoendoskopischer Beobachtung kontrollierte Ess- und Trinkversuche durchführbar. Dies kann den Therapieverlauf erheblich beschleunigen, da sich der laryngopharyngeale Bereich mit der klinischen Untersuchung nicht zuverlässig einschätzen lässt. O‘Neil-Pirozzi et al. (2003) beschrieben den Nutzen der Videofluoroskopie bei schwer bewusstseinsgestörten Patienten. Da die radiologische Schluckdiagnostik bislang nur in speziell eingerichteten Kliniken möglich ist, scheitert die Unter­ suchung in der Regel am aufwändigen Transport. Zudem gewinnt dieses Verfahren erst an therapie­ relevanter Aussagekraft, sobald die Patienten in der Lage sind, aktiv mitzuwirken und einfache Kompensationsstrategien anzuwenden.

Restituierende Maßnahmen Zu den restituierenden Maßnahmen gehören (in der Reihenfolge ihrer Darstellung in den Folgeabschnitten): • Kontaktaufbau • Haltungsaufbau • Verbesserung der Atemführung und Unterstützung des Hustens • Stimulation der Halsmuskulatur • Stimulation der Gesichtsmuskulatur • Abbau pathologischer oraler Reflexaktivitäten • Intraorale Stimulation: – Zahnfleisch und Wangen – Zunge – Kauen – Mundhygiene • Olfaktorische und gustatorische Stimulation

Kontaktaufbau Zu Beginn der Therapiesitzung versucht man, Kontakt mit dem Patienten aufzubauen. Man nähert sich, nimmt Blickkontakt auf und grüßt freundlich, indem man den Namen des Betroffenen nennt und sich vorstellt.

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Beispiel „Guten Morgen, Herr/Frau … Ich heiße … und bin gekommen, um mit Ihnen … zu üben. Könnten Sie mir bitte ein Zeichen geben, ob Sie dazu bereit sind.“ Dabei kann man die Hand oder die Schulter umfassen. Vielleicht gelingt es, die Hand zur Begrüßung zu geben. Öffnet der Patient noch nicht die Augen, schiebt man behutsam die Augenlider hoch und bewegt bunte, glitzernde Gegenstände vor dem Gesichtsfeld oder setzt mit einer Taschenlampe einen Lichtreiz. Dabei strahlt der Therapeut die Augen nie direkt an. Alternativ kann er sich anleuchten oder Gegenstände im Raum.

Der Behandelnde konzentriert sich nun auf den Patienten und beobachtet die Reaktionen. Man hört auf den Rhythmus der Atmung, eventuelle Atemgeräusche, achtet auf Bewegungen im Gesicht, am Mund, in den Augen und am ganzen Körper. Werden Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung überwacht, kann eine Veränderung darauf hinweisen, dass man wahrgenommen wird. Zeigen sich keine äußerlich erkennbaren Reaktionen, kann man eventuell Frequenzänderungen im gleichzeitig abgeleiteten EEG beobachten. Schwierig ist es, Körpersprache sicher bzw. richtig zu interpretieren: • Ein angespannter Gesichtsausdruck, Stirnfalten, ein Verschließen des Mundes oder das Zurseitedrehen des Kopfes können, müssen aber nicht Ablehnung signalisieren. • Eine entspannte, vielleicht hypotone Gesichtsmuskulatur, ein geöffneter Mund oder das Heben des Armes muss nicht in jedem Fall Zustimmung bedeuten. Bestimmte Körpersymptome sind dagegen als Zeichen einer vegetativen Reaktion, ggf. auch Krise, unbedingt zu beachten: Hinweise auf eine vegetative Reaktion oder Kri­ se • Schweißausbrüche • Blasswerden • Psychomotorische Unruhe • Tachypnoe (Anstieg der Atemfrequenz) • Tachykardie (Anstieg der Pulsfrequenz) • Blutdruckanstieg

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Die Symptome können mit oder ohne ersichtlichen Auslöser (z. B. Lagewechsel) auftreten. In vielen Fällen helfen schon minimale Gegenmaßnahmen, z. B.: • Stoppen hektischer Aktivitäten im Raum • Andere Körperpositionierung • Ruhiges Zureden • Entspannende taktile Stimuli • Vermeiden von Überanstrengung Bei dramatischer Entgleisung der Vitalparameter ist sofortige ärztliche Hilfe notwendig.

Haltungsaufbau Sitzhaltung Der Patient sollte sobald wie möglich die Sitzhaltung einnehmen.

Das Aufrichten des Oberkörpers verbessert die Vigilanz und vermittelt zugleich neue propriozeptive Erfahrungen. Befinden sich Rumpf und Kopf in der gewohnten aufrechten Haltung, ändern sich sowohl die Lage am Schlucken beteiligter Organe als auch die Schwerkraftverhältnisse. So kommt z. B. die Zunge aus der retrahierten in eine protrahierte Ausgangsposition und die vertikale Nacken-/Oberkörperhaltung erleichtert den pharyngealen und ösophagealen Bolustransport. In schweren Fällen sind zusätzliche Lagerungshilfen zur Aufrichtung des Rumpfes notwendig (› Kap. 10.2.4). Bei Bedarf kann eine 2. Person während der Therapie den Oberkörper stützen. Das Vorgehen bespricht man mit dem Physiotherapeuten. Elektrisch verstellbare Krankenbetten mit differenzierten Einstellmöglichkeiten erleichtern die Positionierung im Bett (› Abb. 10.22).

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Passive Kopf- und Kieferkontrolle Manchmal reicht ein Druck auf das Sternum, um die Flexion der Kopfgelenke zu aktivieren. Bei schweren Beeinträchtigungen müssen Lagerungshilfen mit Kissen und Rollen die Kopfhaltung unterstützen. Wenn notwendig, greift der Therapeut immer wieder korrigierend ein oder stabilisiert manuell. Um eine konstante Kopfflexion zu erleichtern, sollte der

Behandelnde grundsätzlich tiefer sitzen als der Patient. Fällt bei hypotonem Grundtonus der Kopf schlaff nach vorn, schafft die Rückverlagerung des Oberkörpers bei gleichzeitiger Abstützung, z. B. mit einem Kissen, Abhilfe. Viele Patienten mit schweren Hirnverletzungen können den Kiefer- und Mundschluss nicht halten. Die Kieferschließer helfen den frei beweglichen Zungenkörper während des Schluckens zu stabilisieren. Zugleich hemmt ein ständig geöffneter Mund intraorale sensorische Erfahrungen, da die Zunge keinen Kontakt mit dem Gaumen findet. Bei vielen therapeutischen Übungen, aber auch beim Essen und Trinken schließt man deshalb den Kiefer passiv. Die geeigneten Kieferkontrollgriffe sind ausführlich in › Kap. 10.2.4 beschrieben (› Abb. 10.28, › Abb. 10.29, › Abb. 10.30). Passive Maßnahmen zur Stabilisierung der Rumpf-, Kopfund Kieferhaltung sollten nicht unnötig lange angewendet und mit zunehmender Mobilisierung schnellstmöglich abgebaut werden („hands-off“).

Sensomotorische Stimulation Der Behandlungsverlauf lässt sich in 3 Stufen unterteilen: Behandlungsstufen der sensomotorischen Stimu­ lation • Geführte

Stimulation: Der Therapeut führt vorsichtig die Hand des Patienten und berührt orofaziale Regionen. • Fremdstimulation: Der Therapeut setzt je nach Tonuslage und Reaktion des Patienten angepasste Stimuli, z. B. manuelles Streichen, Tapping, Druck. • Passiv geführte Bewegung: Der Therapeut bewegt verschiedene Muskeln passiv durch; während der Mobilisation fordert er den Patienten immer wieder verbal zur aktiven Mitarbeit auf.

Verbesserung der Atemführung und Unterstützung des Hustens Der wichtigste Muskel zur Einatmung ist das Zwerchfell, das sich während der Inspiration kontrahiert und dabei senkt. Die Bauchwand wölbt sich

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation

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durch Kompression der Bauchorgane vor und das Brustraumvolumen vergrößert sich. Die Ausat­ mung erfolgt beim Erschlaffen des Zwerchfells. Die Ruheatmung ist ein passiver Ausatmungsprozess infolge der elastischen Rückstellkräfte der Lunge (Oberflächenspannung der Alveolen) und der Brustwand (Rippen, Zwerchfell). Die forcierte Ausat­ mung, z. B. beim Husten, ist dagegen ein aktiver Prozess. Hier wird die Aufwärtsbewegung des Zwerchfells durch kräftige Kontraktion der Bauchmuskeln unterstützt. Aufgrund der flachen Atmung im Liegen oder der nur geringen Rumpfaktivität im Sitzen und Stehen ist die Mobilität des Brustkorbs und der Bauchmuskulatur reduziert: • Die Gelenke zwischen Wirbeln und Rippen können versteifen, wenn die Brustwand zu wenig bewegt wird. • Der Hustenstoß ist zu schwach und kann bei Aspira­ tion die Reinigungsfunktion nicht mehr erfüllen.

Schwerpunkte der Atemarbeit sind: • Mobilisierung des Brustkorbs • Vertiefung der Inspiration • Verlängerung der Exspiration • Aktivierung der Bauchmuskulatur Die folgenden Kästen beschreiben exemplarisch Übungen zur Atemarbeit. Mobilisierung des Brustkorbs • Patient

in Rückenlage: Der Therapeut legt beide Hände übereinander auf das Brustbein. Während der Ausatmung des Patienten bewegt er das Brustbein mit angemessenem Druck nach dorsal. Während der Einatmung mindert er den Druck, damit sich der Brustkorb heben kann (› Abb. 11.1). • Patient in Seitenlage: Der Therapeut legt beide Hände übereinander auf den seitlichen Brustkorb und bewegt während der Ausatmung die Rippen mit Druck nach unten und medial, Richtung Nabel. Beim Einatmen wird der Druck gelockert. In der Seitenlage zieht die Schwerkraft die Rippen nach unten und medial. Damit die Bewegungen gleichmäßig und fließend ausgeführt werden, bleiben die Arme des Therapeuten bei beiden Übungen bei der Aus- und Einatmung des Patienten gestreckt (Davies 1995). Allgemein fördern Lageveränderungen die intrinsische Flexibilität des Brustkorbs.

Abb. 11.1  Mobilisierung des Brustkorbs [K353]

Vertiefung der Inspiration – Verlängerung der Exspiration • Patient

in Rückenlage: Der Therapeut legt die Hände links und rechts an den Brustkorb. Während der Ausatmung drückt er sanft nach unten und medial, Richtung Nabel. Bei der Einatmung lockert er den Druck (› Abb. 11.2). • Zur Unterstützung des Hustens wird mit stärkerem Druck gearbeitet. Varianten 1. Vibration statt Druck 2. Beibehalten des Drucks bei der Inspiration als Widerstandsübung

Aktivierung der Bauchmuskulatur Patient in Rückenlage: Anziehen der Beine bei der Ausatmung, Wegschieben der Beine bei der Einatmung (› Abb. 11.3).

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11  FDT bei speziellen neuro­logischen Erkrankungen

Abb. 11.2  Vertiefung der Inspiration – Verlängerung der Exspiration [K353]

Abb. 11.4  Stimulation der Halsmuskulatur – Kopf auf Kissen bewegen [K353]

Abb. 11.3  Aktivierung der Bauchmuskulatur [K353]

Stimulation der Halsmuskulatur Vor der Arbeit an speziellen Schluckmuskeln mobilisiert man den Hals. Man beginnt mit Berührungsstimuli, indem man mit der Daumen-ZeigefingerGabel vom Schulteransatz bis zum Hinterkopf nach oben streicht, um die Nackenextensoren zu stimulieren. Dann versucht man, den Kopf in alle Richtungen zu bewegen. Beim passiven Bewegen des Kopfes keine Schmerzreize oder Gegenspannungen auslösen!

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Davies (1995) empfiehlt für bettlägerige Patienten folgende Übungen:

Spezielle Übungen für Bettlägerige • Kopf

auf Kissen bewegen: Falls man den Kopf in der Frühphase wegen Operationsnarben nicht festhalten kann, legt man die Hände unter das Kopfkissen des Patienten und hebt so den Kopf langsam und vorsichtig in Flexion, Lateralflexion oder Rotation (› Abb. 11.4). • Lateralflexion: Man hält mit einer Hand den Schultergürtel unten und schiebt den Kopf mit der anderen Hand zur gegenüberliegenden Seite (› Abb. 11.5). Die Übung wird auf der anderen Seite wiederholt. – Variante: Mit der einen Hand Kopf des Patienten ruhig halten und mit der anderen Hand den Schultergürtel mit sanften rhythmischen Bewegungen nach unten schieben. • Anteflexion: Der Therapeut steht hinter dem Patienten, legt seine Hände mit den Fingern nach oben auf beide Kopfseiten und zieht nach kranial und ventral (› Abb. 11.6).

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation

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Abb. 11.5  Stimulation der Halsmuskulatur – Lateralflexion nach links (a) und nach rechts (b); auch in Rückenlage möglich [K353]

Stimulation der Gesichtsmuskulatur Während der Patient sitzt oder liegt, setzt man zu­ nächst taktile Reize im Gesicht. Damit sich der Patient an die Berührungsstimuli gewöhnt, führt man dessen Hände langsam zum Gesicht und berührt Stirn, Wangen und Mund. Anschließend appliziert der Therapeut je nach Tonuslage verschiedene Reize. Die Entspannung der Gesichtsmuskulatur unterstützt er durch langsame, haftende Berührungsreize wie Streichen oder Massieren. Bei schlaffer Gesichtsmuskulatur setzt er erregende Reize, z. B. Pinseln oder Tapping. Eisapplikationen fördern die Wachheit, dürfen den Patienten aber nicht erschrecken oder Abwehrreaktionen hervorrufen. Der Behandelnde beobachtet deshalb sorgfältig dessen Reaktionen. Waschen und Eincremen durch den Therapeuten oder geführt mit den Händen des Patienten ist eine sinnvolle, praxisbezogene Stimulation. Ergänzend zur manuellen Reizapplikation kann man auch weiche Tücher,

Bürsten, Felle, Stofftiere oder vibrierende Stimuli mit elektrischen Zahnbürsten benutzen. Nach der vorbereitenden Stimulation bewegt der Therapeut die Gesichtsmuskeln passiv durch (› Kap. 10.2.4). Dabei wird der Patient immer wieder verbal zum aktiven Mitmachen aufgefordert. Der Therapeut schiebt beispielsweise die Lippen nach vorn, und der Patient erhält die Aufforderung: „Versuchen Sie die Lippen zu spitzen“. Anweisungen einfach, kurz und wiederholt geben. Dem Patienten genügend Zeit zum Antworten bewilligen, mindestens 1 min (Zieger 2004).

Abbau pathologischer oraler Reflexaktivitäten Diese Thematik ist in › Kap. 10.2.4 ausführlich beschrieben.

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Mundbehandlung nach Mueller • Mit

Abb. 11.6  Stimulation der Halsmuskulatur – Anteflexion [K353]

Intraorale Stimulation – Zahnfleisch und Wangen

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Nach Berührung der Gesichtsmuskulatur und des Mundes nähert man sich dem inneren Mundraum. Die intraorale Stimulation dient der Verstärkung des sensorischen Inputs von Regionen, die durch die Immobilität der Gesichts- und Zungenmuskulatur oder auch bei oraler Nahrungskarenz kaum mehr angeregt werden. Sie fördert die Durchblutung in­ tra­ oraler Schleimhäute, einschließlich des Zahnfleischs, und regt die Speichelsekretion an. Häufig beobachtet man während der Reizanwendung motorische Reaktionen, z. B. Bewegungen der Zunge in Richtung Stimulus. Heute übliche intraorale Reizanwendungen haben ihren Ursprung in der „Mundbehandlung nach H. Mueller“ (1972):

Mittel- oder kleinem Finger streicht man von der Oberkiefermitte ausgehend an den äußeren Zahnhälsen nach hinten, dann am äußeren Zahnfleisch nach vorn, jetzt am äußeren Zahnfleisch nach hinten und wieder zur Oberkiefermitte. Letzteres wird nochmals wiederholt, insgesamt 3 Mal. • Dann dreht man den Finger und massiert die Wangeninnenseite in kreisenden Bewegungen. Bei hypertoner Wangenmuskulatur führt man langsame, gleichmäßige Bewegungen durch. Beim Hypotonus erfolgt die Massage schneller und kräftiger. • Jetzt wird der Mund geschlossen und eine Reaktion des Patienten abgewartet. Nach Bedarf unterstützt man den Mundschluss mit dem Kieferkontrollgriff. Häufig beobachtet man spontane Schluckversuche. Falls keine Reaktion erfolgt, kann man am Mundboden nach hinten streichen und vor dem Hyoid in kreisförmigen Bewegungen massieren. • Dieselbe Sequenz wird am Unterkiefer durchgeführt und anschließend auf der gegenüberliegenden Seite wiederholt. • Sobald der Patient es toleriert, stimuliert man in gleicher Weise das innere Zahnfleisch (ohne Wangenmassage). Kieferöffnung und nachfolgenden Kieferschluss ggf. mit dem Kieferkontrollgriff unterstützen. Liegt eine Kieferklemme oder ein Beißreflex vor, empfiehlt es sich, bei ersten Annäherungsversuchen einen Spatelkeil oder einen mit feuchter Mullkompresse umwickelten Löffelstiel zwischen die Zähne zu schieben. • Zur Intensivierung der sensorischen Stimulation taucht man den Finger in geschmacksintensive Getränke. Zusätzlich ist der Einfluss auf die Sekretbildung zu beachten.

Intraorale Stimulation – Zunge Zur Stimulation der intrinsischen Zungenmuskulatur, also des Zungenkörpers, muss man den Kiefer bei Bedarf ebenfalls wie oben beschrieben öffnen. Man beginnt zunächst mit leichten Berührungs­ stimuli: Mit der Fingerspitze berührt man verschiedene Zungenareale. Sind noch Beißreflexe zu befürchten, verwendet man eine feuchte Mullkompresse als Stimulus. Um mehr Stabilität und damit eine bessere Führung zu erreichen, wickelt man diese um einen Strohhalm. Als nächster Schritt erfolgt passives Durchbewe­ gen der Zunge. Der Therapeut legt seinen Zeigefinger oder einen Spatel auf die Zunge, bewegt diese sachte von einer Seite zur anderen und schiebt sie leicht nach hinten und nach vorn. Vibrationsbewe-

11.2  FDT bei schwer ­hirngeschädigten Patienten der Frührehabilitation gungen intensivieren die Stimulation. Um die Zunge außerhalb des Mundraums zu bewegen, hält man die Zungenspitze mit einer Mullkompresse vorsichtig fest und bewegt sie in verschiedene Richtungen. Dabei fordert man den Patienten immer wieder zur aktiven Mitarbeit auf.

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Besteht Aspirationsgefahr durch eventuell austretende Flüssigkeit, z. B. beim Apfelkauen, empfiehlt es sich, für erste Versuche stattdessen einen Kauschlauch zu verwenden.

Mundhygiene und intraorale Stimulation Intraorale Stimulation – Kauen Der Therapeut wickelt ein Kaugummi, in Würfel geschnittene Apfelstücke, Essiggurke o. Ä. in eine feuchte Mullkompresse und legt diese in die Wangentasche. Das freie Ende hält er fest (› Abb. 11.7). Häufig kommt es zu spontanen Kaubewegungen. Tritt keine Reaktion auf, legt er das Kausäckchen auf die Molaren, hilft dem Patienten, die Lippen zu schließen und führt mit Hilfe des geeigneten Kieferkontrollgriffs Schließ- und Öffnungsbewegungen des Unterkiefers aus. Dadurch wird die Nahrung zusammengedrückt. Nun entfernt er das Kausäckchen und lässt dem Patienten Zeit zum Schlucken. Zusätzlich kann er durch Stimulation des Mundbodens (s. o.) die orale Initiierungsphase fazilitieren.

Abb. 11.7  Kausäckchen [K353]

Der Mundhygiene kommt eine besondere Bedeutung zu. Zum einen sind die Patienten nicht mehr in der Lage, selbst die Zahnpflege durchzuführen, zum anderen fehlen durch die Immobilität der oralen Strukturen die Kräfte, die durch den Kontakt von Zähnen und Weichgeweben die glatten Zahnflächen reinigen und das Zahnfleisch massieren. Dadurch bilden sich Zahnbeläge und Karies und in der Folge Entzündungen des Zahnhalteapparats (Parodontitis). Werden die Bakterien aspiriert entwickelt sich eine Pneumonie. Der Zusammenhang zwischen Aspirationspneumonie und schlechter Mundhygiene bei älteren hospitalisierten Patienten ist in einigen Studien belegt. Für diese Patientengruppe gibt es mehrere Untersuchungen zu strukturierten Vorgehensweisen (van der Maarel-Wierink et al. 2013 Review). Bei nicht kooperativen Patienten erfordert die Mundpflege jedoch ein individuell angepasstes Vorgehen unter Einbeziehung intraoraler Stimulation. Nach Meinung verschiedener Autoren sollte die Mundpflege zur Karies-, Parodontitis- und Pneu­ monieprophylaxe mindestens 3 Mal täglich erfolgen. Sie beinhaltet die Reinigung der Zähne und die Massage des Zahnfleischs. Neben der Fazilitation oral­ motorischer Funktionen (Mundöffnung, Mundschluss) kann die regelmäßige Mundpflege bei oraler Überempfindlichkeit desensibilisierend wirken. Man befeuchtet eine Mullkompresse mit einer desinfizierenden Lösung oder bei bestehenden Entzündungen bevorzugt mit Kamillentee. Die Kompresse wickelt man um den Finger. Damit massiert man Zahnfleisch und Zähne in sanften, reibenden Bewegungen. Hat sich der Patient an die taktilen Stimuli gewöhnt, verwendet man eine weiche Zahnbürste mit kleinem Kopf. Zur Reinigung der Zähne taucht man diese in Mundwasser. Erst wenn der Patient in der Lage ist, den Mund mit Wasser auszuspülen und auszuspucken, verwendet man Zahncreme (Davies 1995).

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Jakobsen und Elferich (2015) beschreiben erwei­ terte Anwendungsmöglichkeiten der Mundhygiene im Rahmen der F. O. T. T., die von der Aktivierung sensomotorischer Funktionen bis zur Förderung kognitiver Funktionen wie Situationsverständnis und Handlungsplanung reichen.

Olfaktorische und gustatorische ­Stimulation Während visuelle, auditive und sensomotorische Reize ihre Wirkung den physikalischen Eigenschaften verdanken, beruht die Wirkung der Stimuli für Geruch und Geschmack auf deren chemischer Natur. Das Aroma der Speisen nehmen wir als Kombination aus Geruchs- und Geschmackssinn wahr.

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Olfaktorische Reize Die olfaktorische und gustatorische Wahrnehmung kann interindividuell sehr unterschiedlich sein: Manche Personen empfinden bestimmte Gerüche oder Geschmacksrichtungen als stark und aufdringlich, andere die gleichen Stimuli eher als angenehm. Kulturell bestehen erhebliche Unterschiede und auch ein und dieselbe Person zeigt alters- und situationsspezifische Vorlieben. Im Gespräch mit den Angehörigen lassen sich häufig die geeigneten Stimuli für den Patienten finden. Nach Engen et al. (1991) soll vorsprachliches Erinnern eng mit Geruchsreizen verbunden sein. Vermutlich sind Komapatienten auf Gerüche besonders „ansprechbar“. Als Stimuli eignen sich vertraute, positiv besetzte Gerüche der häuslichen Umgebung, z. B. Parfüm der Ehefrau, Rasierwasser des Ehemannes, außerdem gut riechende Lebensmittel wie Kaffee und Orangen oder die Düfte von Lieblingsspeisen. Gut eignen sich Gewürze oder etherische Öle, deren Geruch sich deutlich unterscheidet, z. B. Lavendel und Tanne oder Vanille und Oregano. Olfaktorische Reize sind auch bei Patienten mit geblockter Trachealkanüle einsetzbar. Allerdings werden wegen der fehlenden nasalen Einatmung weniger Duftrezeptoren der Nasenschleimhaut stimuliert. Neuerdings dienen olfaktorische Stimuli verstärkt zur Verbesserung der Schluckreflexauslösung, z. B. „schwarzes Pfefferöl“ (› Kap. 10.2.4).

Empfehlungen für den Einsatz olfaktorischer Rei­ ze • Geruchsstoff

nicht länger als 15 s unter die Nase halten (Zieger 2004). • Pro Therapieeinheit maximal 4 Düfte verwenden, da sich die Aromen mit der Raumluft vermischen und dann schwer zu unterscheiden sind (Freivogel 1997). • Unangenehme oder gar widerwärtige Gerüche vermeiden.

Gustatorische Reize Die meisten Rezeptoren für Geschmacksqualitäten befinden sich auf der Zunge, weitere am weichen Gaumen, im Rachen, am Kehldeckel und in der oberen Speiseröhre. Sie reagieren auf die chemischen Eigenschaften der mit Speichel vermischten Nahrungsbestandteile.

Bei trockenem Mundraum funktionieren die Geschmacksrezeptoren nicht einwandfrei, und das Geschmacksempfinden ist reduziert. Geschmacksforscher unterscheiden mehr als die 4 klassischen Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig und bitter. Seit einigen Jahren bezeichnet man die Geschmacksrichtung „umami“ als 5. Geschmacksqualität. Das japanische Wort „umami“ bedeutet fleischig, herzhaft. Neuere Studien weisen auf mögliche Geschmacksrezeptoren für Fett hin, so dass bereits über eine 6. Grundgeschmacksqualität diskutiert wird. Es hält sich in Lehrbüchern immer noch der Mythos über bestimmte Geschmacksregionen auf der Zungenoberfläche. Im Zentrum der Zunge befinden sich zwar weniger Geschmacksrezeptoren als am Rand, die verschiedenen Geschmacksqualitäten sind jedoch ungefähr gleich verteilt. Eine Ausnahme bildet der Bittergeschmack, der intensiver im hinteren Zungenanteil wahrgenommen wird (Hatt 2010).

Zur gustatorischen Stimulation appliziert man Geschmacksreize mit einem Watteträger, einer Pipette etc. auf der Zunge. Eine hervorragende Möglichkeit zur intensiven Geschmacksstimulation bietet die Gabe von aromatisierter Schaumkost (› Abb. 10.90).

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Kompensatorische und adaptive Maßnahmen Ess- und Trinkversuche erfolgen erst bei ausrei­ chendem Wachheitsgrad. Einfache Strategien wie Änderungen der Kopfhaltung, die der Behandelnde unterstützt, sind auch bei kooperationsgestörten Patienten anwendbar. Diätetische Maßnahmen erfordern ebenfalls nicht unbedingt eine aktive Beteiligung. Erste Essversuche kann man z. B. mit Götterspeise beginnen (⅓ TL), die durch ihre kohäsive Konsistenz stärker stimuliert als Flüssigkeiten. Bei Bedarf müssen Getränke zunächst angedickt werden. Manchmal sind spezielle Ess- und Trinkhilfen notwendig, um die Nahrungsaufnahme zu erleichtern. Die Auswahl geeigneter Hilfsmittel erfolgt gemeinsam mit der Ergotherapie (› Kap. 10.4.3). Für Hinweise zur Platzierung der Nahrung und zur Essensbegleitung › Kap. 10.4.2 und › Kap. 10.4.4.

Ernährung mittels Sonde – ­Trachealkanüle zum Schutz vor ­Speichelaspiration Schwer hirnverletzte Patienten können sich häufig nicht oral ernähren und sind bei Aufnahme in die Rehaklinik in der Regel bereits mit einer Ernährungssonde versorgt. Wegen der meist langen Rehabilitationsphase wird die PEG bevorzugt. Viele Pa­ tien­ten benötigen zumindest in der Anfangszeit, zum Schutz vor Speichelaspiration und/oder bei längerer Beatmungsdauer und/oder bei Obstruktion der Luftwege, eine Trachealkanüle (› Kap. 9). Speichelaspiration erfordert nicht in jedem Falle das Anlegen einer Trachealkanüle. Indikationskriterien sind die pulmonale Gefährdung und/oder die unzureichende Sauer­stoff­ver­sor­gung.

Das Wichtigste im Überblick • Ggf.

Schluckprovokationstest (SPT) zur initialen Abklärung des Aspirationsrisikos • Klinische Schluckuntersuchung (KSU) so weit durchführbar

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• Transportable

Videoendoskopie als apparative Dia­ gnostik unerlässlich • Therapieschwerpunkt zunächst multisensorische Stimulation, Beginn mit kurzen Übungsphasen • Bei ausreichendem Wachheitsgrad erste Ess- und Trinkversuche möglich; in der Regel Anpassung der Nahrungskonsistenz erforderlich • Bei verbesserter Kooperationsfähigkeit und beginnender oralmotorischer Willküraktivität Abbau der Stimulationsbehandlung („hands off“), Beginn der gezielten Schlucktherapie • Oralmotorisches Training und/oder einfache kompensatorische Maßnahmen, je nach Individualfall • Entfernung der Ernährungssonde und/oder Dekanülierung abhängig vom Rehabilitationsverlauf

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KAPITEL

12

Gudrun Bartolome

FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

12.1 Schluckdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 12.2

Präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5 12.3.6

Durchführung der FDT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FDT nach Radiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FDT nach chirurgischer Tumorentfernung im Mundhöhlen- bzw. Rachenbereich . . . . . . . . . . FDT nach chirurgischer Tumorentfernung im Kehlkopfbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FDT nach totaler L­ aryngektomie (LE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FDT nach Neck-Dissection . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FDT nach Pharyngolaryngoösophagektomie mit Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

436 436 439 441 443 444 445

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12.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446

434

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12  FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

Die verschiedenen Ursachen strukturell bedingter Schluckstörungen sind in Kapitel 5 ausführlich dar­ gestellt. Der weitaus größte Anteil entfällt auf die Pa­ tien­ten­grup­pe mit onkologischen Kopf-Hals-Erkran­ kungen. 40 % der Überlebenden leiden innerhalb von 3 Jahren nach Tumorbehandlung an einer Schluck­ störung (Francis et al. 2010). Die Dysphagie kann durch die veränderten Strukturen nach der chirurgi­ schen Tumorresektion, d. h. durch die Entfernung von Muskeln, Knochen oder Knorpeln, entstehen. Zusätzlich müssen als mögliche Sekundärfolge des chirurgischen Eingriffs Hirnnervenläsionen, Lymph­ abflussstörungen, Schwellungen, Vernarbungen und Schmerzen in Betracht gezogen werden. Alternativ zu den „klassischen“ Operationsverfahren hat sich seit einigen Jahren die minimalinvasive laserchirurgische Tumorentfernung etabliert mit dem Ziel, die benach­ barten Strukturen möglichst zu schonen. Auch nach primärer oder postoperativer Bestrah­ lung und/oder Chemotherapie kommt es häufig zu Schluckstörungen. Dabei haben Patienten nach kombinierter Radiochemotherapie ein 2,5-fach hö­ heres Risiko, eine Dysphagie zu entwickeln, als Pa­ tien­ten nach alleiniger chirurgischer Tumorbehand­ lung (Francis et al. 2010). Es besteht eine dosisab­ hängige Auftretenswahrscheinlichkeit von Schluck­ störungen (Levendag et al. 2007). Mit neuen Methoden der intensitätsmodulierten Radiothera­ pie (IMRT), die die schluckrelevanten Strukturen möglichst schonen, versucht man das Dysphagierisi­ ko herabzusetzen (Eisbruch et al. 2011; Peponi et al. 2011; Pauloski et al. 2015). Nach einem Review von Batth et al. (2014) sollte die Strahlendosis für die Glottisebene und die supraglottischen Strukturen auf 3 Monate nach Therapie­ ende): – Zunahme der Xerostomie – Fibrosierung – Muskellähmungen und Gefäßveränderungen – Nekrotische Prozesse in Knochen und Muskeln (Zell­ tod)

Demzufolge können sich Schluckprobleme bereits während oder direkt nach der Behandlung entwi­ ckeln, in den meisten Fällen innerhalb der ersten 12 Monate. Es gibt Patienten, die nach Jahren über Schluckstörungen klagen.

Kombinierte Radiotherapie Bei kombinierter Radiochemotherapie verlängert sich vor allem die Dauer der akuten Mukositis und Dermatitis. Lazarus et al. (2000) berichten von einer reduzierten Zungenkraft nach Radiochemotherapie. Hinzu kommen weitere typische Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Obstipation, Anfälligkeit für Infektionen und vorübergehender Haarausfall. Wird die Radiotherapie mit chirurgischen Maß­ nahmen kombiniert, müssen die Folgen operativer Eingriffe mit berücksichtigt werden.

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Schluckpathologie Bestrahlungsschäden können sich sowohl auf die orale als auch auf die pharyngeale Schluckphase und zudem auf die ösophageale Schluckphase aus­ wirken. Sie betreffen je nach Bestrahlungsfeld unter­ schiedliche am Schlucken beteiligte Strukturen: • So können z. B. ödematöse Veränderungen der Zunge die Feinmotorik und damit die orale Pha­ se beeinträchtigen. Ist zugleich die Zungenkraft reduziert, kann sich dies auf die pharyngeale Phase auswirken. • Sind die Rachenschleimhäute betroffen, ist die pharyngeale Welle eingeschränkt. Ödeme der Weichteile des Kehlkopfs können dessen Funk­ tion z. T. erheblich behindern. Häufig ist der Hustenstoß zu schwach, bei starken Schwellun­ gen muss schlimmstenfalls wegen der unzurei­ chenden Sauerstoffzufuhr eine Tracheotomie er­ folgen. • Unterfunktionen der Speicheldrüsen führen zu reduzierter Geschmackswahrnehmung, häufig zu Kau- und Schluckschwierigkeiten und gelegent­ lich auch zu Verdauungsproblemen (Pedersen et al. 2002). Da die Nahrung beim Kauen nicht ausreichend mit Speichel vermischt wird, ist die Bolusformung erschwert, und die trockenen Schleimhäute behindern den Bolustransport. • Liegen entzündliche Schleimhautveränderungen vor, treten beim Schlucken Schmerzen auf. Darü­ ber hinaus können Sensibilitätsstörungen Bolus­ transport und Schluckreflexauslösung beein­ trächtigen. Als Spätfolge der Radiotherapie kommt es oft zur Fibrosierung des Unterhautgewebes und zur fibroti­ schen Degeneration der Muskeln mit z. T. erhebli­ chen Schrumpfungen und Verhärtungen. In der Halsregion führt dies zum Erscheinungsbild des „Holzhalses“. Meist ist dadurch die Hyoid- und Kehlkopfhebung erheblich gestört. Die Fibrosierung des M. masseter und M. temporalis führt zu Störun­ gen der Kieferöffnung bzw. zur Kieferklemme (Tris­ mus). Je nach Ausprägung sind zudem die Zungen­ bewegungen beeinträchtigt. Große Bestrahlungsfel­ der ziehen Schleimhautschäden in Rachen und Spei­ seröhre nach sich, die die Sensibilität reduzieren und die Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur be­ einträchtigen. Häufig manifestieren sich als Lang­

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12  FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

zeitfolge bestrahlungsbedingte Verengungen (Ste­ nosen) des Pharynx und Ösophagus, die z. T. massi­ ve Transportstörungen bewirken können. Auch ne­ krotische Veränderungen der Knochen oder der Muskeln können den Schluckablauf erheblich stö­ ren. Des Weiteren werden in der Literatur postra­ diogene Paresen erwähnt (Lin et al. 2002). Auswirkungen auf die Schluckphysiologie Insgesamt zeigt die Schluckproblematik eine große Va­ ria­bilität. Folgende Pathomechanismen sind möglich (Lazarus et al. 1996; Hughes et al. 2000; Eisbruch et al. 2002; Kotz et al. 2004; Lazarus et al. 2007; Logemann et al. 2008; Hutcheson et al. 2008; Lazarus et al. 2009): Orale Phase • Eingeschränkte Kieferöffnung, Kaustörungen • Eingeschränkte Zungenkraft • Unvollständiger oraler Bolustransport • Verlängerte orale Transitzeit Pharyngeale Phase • Verspätete Schluckreflexauslösung • Eingeschränkter velopharyngealer Verschluss • Unzureichender Zungenbasis-Rachen-Abschluss • Eingeschränkte Pharynxkontraktion • Reduzierte Kehlkopfhebung, eingeschränkter Kehl­ kopfverschluss • Gestörte OÖS-Öffnung Die häufigsten pathologischen Symptome sind Resi­ duen und Aspiration (Agarwal et al. 2011).

Restituierende Maßnahmen

12

Entwickelt sich im Verlauf der Bestrahlung oder da­ nach eine Schluckstörung, erfolgt nach klinischer und instrumenteller Diagnostik die Behandlung in Abhängigkeit von der individuellen Pathologie. Ent­ sprechend kommen dann die in Kapitel 10 beschrie­ benen Verfahren zur Anwendung (Übersicht: › Tab. 10.10). Je nach Bedarf müssen Übungen zur Unterkiefer- bzw. Zungenbeweglichkeit, Kehlkopf­ hebung, Rachenkontraktion oder Schluckreflexsti­ mulation durchgeführt werden. Hilfsmittel, z. B. der mechanische Kieferöffner TheraBite® (› Abb. 10.62), können unterstützend eingesetzt werden. Nach einer systematischen Übersichtsarbeit von Kamstra et al. (2017 ) über verschiedene Stretch­ techniken zur Verbesserung der Kieferöffnung (akti­

ve Unterkieferübungen, mechanische Kieferöffner, Spatelblöcke etc.) scheint keine Methode einer ande­ ren überlegen. Voraussetzungen für den Erfolg sind ein früher Therapiebeginn und die Patientencom­ pliance. Bei schmerzhaften Schwellungen oder Schleimhautveränderungen ist oftmals eine Thera­ piepause erforderlich.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen Um Komplikationen während und nach der Strah­ lenbehandlung zu vermeiden, ist meist eine Zahn­ sanierung sinnvoll, d. h., man lässt kranke Zähne entfernen. Die Kostanpassung erfolgt gemäß dem Zahnstatus, sodass zumindest temporär weiche und breiige Nahrung am besten geeignet sind. Bei Muko­ sitis sind säurehaltige Speisen zu vermeiden. Auch das prophylaktische Auftragen von Honig auf die orale Schleimhaut kann die Entzündung verhindern oder zumindest deren Schweregrad reduzieren (Cho et al. 2015, Metaanalyse). Zur Befeuchtung der Mund-Rachen-Schleimhaut bei Xerostomie empfehlen Momm et al. (2001) Lutschtabletten, Bonbons, Pastillen, Mundspüllö­ sungen, zuckerfreien Kaugummi, milde Zahnpasta, Mundbefeuchtungsgele oder Speichelersatzpräpara­ te. Liegt keine Aspirationsgefahr vor oder lässt sich diese durch Kompensationstechniken reduzieren, raten Abitbol et al. (1999) dazu, die Schleimhäute immer wieder mit Wasser zu befeuchten, z. B. stän­ dig eine kleine Wasserflasche bei sich zu tragen und vor den Mahlzeiten zur Verbesserung der Gleitfähig­ keit eine Suppe mit Fleischbrühe zu essen. Bei Xe­ rostomie ist auf eine sorgfältige Mundpflege zu ach­ ten, z. B. mit weicher Zahnbürste und Salzlösung. Schaumstoffzahnbürsten scheinen auf trockener Schleimhaut weniger geeignet (Crary 2010). Sind als Spätfolge durch fibröse Verwachsungen die Kieferbewegungen eingeschränkt, ist ebenfalls eine diätetische Anpassung notwendig. Bei Proble­ men der pharyngealen Kontraktion oder Verengun­ gen des Rachens werden Bolusvolumen und Visko­ sität der Störung angepasst und im Bedarfsfall mit kräftigem Schlucken kombiniert. Zur Beseitigung der pharyngealen Residuen wird leer nachge­ schluckt. Um bei verzögerter Reflexeinleitung vor

12.3  Durchführung der FDT Aspiration zu schützen, empfiehlt sich Anteflexion des Kopfes, eventuell kombiniert mit supraglotti­ schem oder supersupraglottischem Schlucken. Stö­ rungen der Kehlkopfhebung versucht man mit der Mendelsohn-Technik zu kompensieren. Im Indivi­ dualfall sind je nach Pathologie weitere Maßnahmen notwendig. Insgesamt scheint der Einsatz schlucktherapeuti­ scher Maßnahmen bei ausgeprägter chronischer postradiogener Dysphagie weniger erfolgverspre­ chend. Dies zeigte eine Multicenter-RCT-Studie an 170 Patienten mit überwiegend höherem Tumorsta­ dium. Alle Probanden erhielten eine Gesamtstrah­ lendosis von ≥ 50 Gy und hatten eine mittel- bis schwergradige Dysphagie (PAS-Score ≥ 4). Die Be­ strahlung lag zu Therapiebeginn mindestens 3 Mo­ nate, im Durchschnitt jedoch 4,5 Jahre zurück. Es wurden konventionelle Schlucktherapie mit und oh­ ne elektrische neuromuskuläre Stimulation (NMES) und alleinige NMES miteinander verglichen. In kei­ ner Gruppe kam es nach 12 Wochen zu videofluoro­ skopisch nachgewiesenen Verbesserungen der Schluckphysiologie. Alle Patienten berichteten je­ doch über Erfolge beim Kostaufbau und schätzten ihre Lebensqualität höher ein (Langmore et al. 2016). Die Studie enthält keine Angaben zu The­ra­ pie­maßnahmen vor Studienbeginn. Es wurden le­ diglich Patienten ausgeschlossen, die vorher eine NMES-Behandlung erhielten. So bleibt es offen, ob präventive Maßnahmen oder/und ein frühzeitiger Therapiebeginn ein besseres Ergebnis erzielt hätten.

Prophylaktische Sondenernährung Während der Radiatio oder der simultanen Radio­ chemotherapie kommt es meist in der dritten bis vierten Woche zu einer hochgradigen Mukositis, die noch einige Wochen nach Behandlung andauernd kann. Für viele Patienten ist in diesem Zeitraum eine ausreichende Ernährung schwierig, deshalb emp­ fehlen manche Autoren die prophylaktische PEGAnlage. Allerdings ist weder der Nutzen noch der Schaden dieser Maßnahme bislang hinreichend be­ legt (Shaw et al. 2015). Häufig ist auch eine Aufbi­ lanzierung über parenterale Ernährung die passende Lösung.

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12.3.2 FDT nach chirurgischer Tumorentfernung im Mundhöhlen- bzw. Rachenbereich Die Teilresektionen betreffen je nach Lokalisation des Tumors die vordere oder hintere Mundhöhle mit folgenden Strukturen (› Abb. 5.6): • Vordere Mundhöhle: – Vorderzunge – Mundboden – Submentale Strukturen – Unter-, Oberkiefer • Hintere Mundhöhle: – Hinterzunge, Zungenbasis – Gaumenbögen – Weicher Gaumen – Oropharynx Der Schweregrad der Schluckstörung ist nicht nur vom Ausmaß der Tumorresektion und von deren Lokalisation, sondern auch von der chirurgischen Technik und der Art der Rekonstruktion abhängig. Besonders anfällig für Dysphagien sind Läsionen der Zungenbasis, der pharyngealen und laryngealen Strukturen (Kraaijenga et al. 2014). Die schwerwiegendste Beeinträchtigung der Sprech- und Schluckfunktion stellt die totale Gloss­ ektomie dar. Als Alternativkonzept wird deshalb meist die Radio- oder Radiochemietherapie ange­ wendet.

Schluckpathologie nach Resektionen im vorderen Mundhöhlenbereich Entfernt man weniger als die Hälfte des mobilen Zungenkörpers (partielle Glossektomie), entstehen im Allgemeinen keine ernsthaften Schluckstörungen (Hirano et al. 1992). Als temporäre postoperative Folge zeigen sich wegen des Ödems meist Störungen der oralen Bolusverarbeitung und des oralen Bo­ lustransports sowie eine verzögerte Schluckrefle­ xeinleitung. Patienten mit Resektionen des vorderen Mundbodens und von Teilen der Mandibula zeigen bei erhaltener Zungenmotilität kaum Schluckauffäl­ ligkeiten. Wurde der Defekt allerdings durch Annä­ hen der Zunge gedeckt, entstehen meist erhebliche Probleme beim Kauen, bei der Bolussammlung und beim oralen Transport. Deshalb empfiehlt man mitt­

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12  FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

lerweile die Defektdeckung durch Lappenplastiken (Deganello et al. 2012). Moderate Resektionen des vorderen Mundraums führen meist nicht zu Beeinträchtigungen des pha­ ryngealen Bolustransports (Pauloski et al. 1993). Ausgedehnte Resektionen und Rekonstruktionen der Mandibula können allerdings die Anteriorhe­ bung des Hyoids und Larynx’ und damit die pharyn­ geale Schluckphase beeinträchtigen. So kann es z. B. zu Öffnungsstörungen des OÖS kommen. Mögliche Schluckprobleme • Probleme der oralen Vorbereitungsphase • Störungen der oralen Boluskontrolle und des

oralen Bolustransports • Gelegentlich verzögerte Schluckreflexeinleitung • Bei ausgedehnten Mandibulateilresektionen pharyn­ geale Transportstörungen

len Kontraktionen gestört sind und der Transport durch den Rachenraum deutlich beeinträchtigt wird. Zudem führt der Verlust von Triggerarealen zu ver­ zögerter Schluckreflexauslösung. Mögliche Schluckprobleme Je nach Lokalisation und Ausdehnung der Resektionen der hinteren Mundhöhle können sich zeigen: • Probleme der oralen Vorbereitungsphase • Störungen der oralen Boluskontrolle und des oralen Bolustransports • Eingeschränkte Zungenbasisretraktion • Unvollständiger velopharyngealer Abschluss • Verzögerte Schluckreflextriggerung • Reduzierte Kehlkopfhebung • Eingeschränkte pharyngeale Kontraktionen • Störungen der OÖS-Öffnung

Restituierende Maßnahmen Schluckpathologie nach Resektionen im hinteren Mundhöhlen-/Oropharynxbereich

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Reicht die Zungenteilresektion bis zur Zungenbasis und sind über die Hälfte des mobilen Zungenkör­ pers entfernt worden, kommt es zu deutlichen Prob­ lemen der oralen Bolusverarbeitung, der Boluskont­ rolle und des oralen Bolustransports, da der lingualpalatale Kontakt nicht mehr möglich ist. Bei isolierten Teilresektionen der Zungenbasis ist der lingual-pharyngeale Abschluss unvollständig und zudem die Schubkraft der Zunge eingeschränkt. Es bilden sich Nahrungsansammlungen in den Val­ leculae und durch die gestörten Druckverhältnisse kommt es zu Öffnungsstörungen des OÖS mit Resi­ duen in den Sinus piriformes. Dies erhöht die Aspi­ rationsgefahr (Hirano et al. 1992; Zuydam et al. 2005). Mit mikrovaskulären Rekonstruktionstechni­ ken der Zungenbasis lassen sich inzwischen bessere funktionelle Ergebnisse erzielen (Rieger et al. 2007). Bei ausgedehnteren oralen Resektionen z. B. der Zunge und des Gaumens kommt es zu erheblichen Bolustransportstörungen einschließlich nasaler Pe­ netration (Borggreven et al. 2007). In vielen Fällen müssen auch oropharyngeale Strukturen entfernt werden, sodass die pharyngea­

Um die Mobilität der Restzunge und des Kiefers zu verbessern, beginnt man bei komplikationsloser Wund- und Lappenheilung möglichst frühzeitig, et­ wa ab dem 10. postoperativen Tag, mit Bewegungsund Kräftigungsübungen. Den Schwerpunkt bilden Aufgaben zum Zungen-Gaumen-Kontakt, zur ora­ len Bolusverarbeitung und -kontrolle sowie zur Öff­ nung, Lateralisation und Rotation des Unterkiefers. Je nach individueller Pathophysiologie fügt man Übungen zur Reflexstimulation, zur indirekten Akti­ vierung pharyngealer Kontraktionen und zur Ver­ besserung der Kehlkopfhebung hinzu. Bei einseiti­ gen Defekten wendet man zur Aktivierung der Schluckreflexauslösung die Thermosondenstimula­ tion auf der nichtoperierten Seite an. Häufig sind unterstützende Übungen zur erfolg­ reichen Durchführung bestimmter kompensatori­ scher Techniken notwendig, z. B. Zungenkräftigung und Kehlkopfhebung für das Erlernen der Mendel­ sohn-Technik oder Übungen zum Stimmlippen­ schluss für ein effektives supraglottisches Schlucken.

12.3  Durchführung der FDT

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Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

12.3.3 FDT nach chirurgischer Tumorentfernung im Kehlkopfbereich

Bei Resektionen der Vorderzunge empfiehlt sich meist die Kopfextension, um den oralen Bolustrans­ port mit Hilfe der Schwerkraft zu kompensieren. Vielfach muss die Kopfstreckung zur Vermeidung einer prädeglutitiven Aspiration mit supraglotti­ schem Schlucken (› Kap. 10.3.2) kombiniert wer­ den. Allerdings ist dies bei Schnittführung an der vorderen Halsseite bzw. am Mundboden oft nicht möglich. Als Alternative bietet sich hier eine 45° Oberkörperlagerung an und Ess-Trinkversuche mit­ tels „Schlürfen“ oder/und Strohhalmtrinken. Im Falle einer Hemiglossektomie wird zur Er­ leichterung der oralen Passage die Kopfkippung zur gesunden Seite angewendet. Liegt das Hauptprob­ lem der oralen Phase im mangelnden Kontakt zwi­ schen Restzunge und Gaumendach, lässt sich die fehlende Distanz durch eine Obturatorprothese (› Abb. 10.130) ausgleichen. Auch bei Gaumende­ fekten bewirkt die Obturatorprothese deutliche Ver­ besserungen des Bolustransports. Orale Bolusverarbeitungs- und Transportproble­ me lassen sich häufig mit der günstigen Platzierung der Nahrung, z. B. auf der Hinterzunge, und/oder mit einer geeigneten diätetischen Anpassung umge­ hen. Für die Nahrungsaufnahme eignen sich speziell für Glossektomiepatienten konstruierte Schiebelöf­ fel (› Abb. 10.128). Alternativ kann man diese Po­ sitionierungshilfe durch Umfunktionieren einer Spritze selbst herstellen (› Abb. 10.129; Anleitung in › Kap. 10.4.3). Bei massiv gestörter Zungenfunktion, aber prompter Reflexauslösung und weitgehend intakter pharyngealer Phase wird die Nahrung mit einer ver­ längerten Spritze (› Abb. 10.112) vorsichtig in die hintere Mundhöhle gespritzt. Bei oralen Transport­ problemen eignet sich am besten flüssige, nektarar­ tige, breiige, gut gleitfähige Nahrung. Vor allem bei Flüssigkeiten ist die Gefahr einer prädeglutitiven Aspiration erhöht. Daher ist häufig die Kombination mit supraglottischem oder supersupraglottischem Schlucken erforderlich. Zusätzliche Beeinträchti­ gungen der Pharynxkontraktionen erschweren die Boluspassage im Rachen. Als Kompensation hilft oftmals kräftiges Schlucken. Im Individualfall sind je nach Pathophysiologie weitere Techniken indiziert.

Schluckpathologie nach ­supraglottischer Teilresektion und suprakrikoidaler Laryngektomie Die „horizontale“ oder supraglottische Teilresek­ tion beinhaltet je nach Tumorlokalisation das Ent­ fernen von (› Abb. 5.7): • Valleculae • Epiglottis • Oberrand Schildknorpel • Gegebenenfalls Zungenbein, Zungenbasis, Ary­ knorpel, Taschenfalten Nach supraglottischen Teilresektionen kommt es häufig zu Schluckstörungen. Hauptproblem ist der Schutz der Luftwege: So fehlen die Valleculae, die als Auffangbecken dienen, falls Nahrung vor der Re­ flextriggerung über die Zungenbasis gleitet und nach Epiglottektomie fehlt der Verschluss des Kehl­ kopfeingangs. Entscheidend für den Schweregrad einer Dysphagie ist das Entfernen weiterer Struktu­ ren, z. B. von Teilen der Zungenbasis, des Zungen­ beins, der Aryknorpel und der Taschenfalten. Ist der Kehlkopf von der suprahyoidalen Muskulatur und der Zungenbasis getrennt, nimmt er eine tiefere Po­ sition ein und kann wegen der fehlenden muskulä­ ren Verbindungen während des Schluckens nicht ausreichend gehoben werden. Die Folgen sind dann neben intradeglutitiver Aspirationsgefahr Öffnungs­ störungen des OÖS. Eine Durchtrennung des N. laryngeus superior kann ebenfalls Schluckstörungen bewirken. Die Be­ einträchtigung der sensorischen Innervation führt zu ipsilateralen Sensibilitätsstörungen im Hypopha­ rynx und Larynx und der motorischen Innervation zu Störungen der Glottisadduktion. Bei dem neue­ ren mikrochirurgisch-transoralem Vorgehen der Laserchirurgie ist eine Dysphagie dagegen seltener (Hinni et al. 2007). Die suprakrikoidale Laryngektomie umfasst das Entfernen der Strukturen oberhalb des Ringknor­ pels: • Schildknorpel • Stimmlippen • Taschenfalten • Gelegentlich Epiglottis und ein Aryknorpel

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12  FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

Auch bei der suprakrikoidalen Laryngektomie ist der Schutz der Luftwege das Hauptproblem. Durch geeignete Therapiemaßnahmen, in diesen Fällen das Erlernen von Schlucktechniken, erreichten in einer Untersuchung von Lewin et al. (2008) nach knapp 10 Wochen über 80 % dieser Patienten trotz weiter­ hin bestehender Aspirationsgefahr die volle orale Ernährung. Inzwischen werden endolaryngeale Laserresekti­ onen bevorzugt und die suprakrikoidale Laryngek­ tomie eher selten durchgeführt. Mögliche Schluckprobleme • Eingeschränkte Zungenbasisretraktion • Unzureichender Verschluss des Kehlkopfeingangs • Unvollständiger Stimmlippenverschluss • Eingeschränkte Kehlkopfhebung • Reduzierte Öffnung des OÖS • Beeinträchtigte Schutzfunktionen aufgrund der Sensi­

bilitätsstörungen

Restituierende Maßnahmen Schwerpunkt bilden Übungen zum Stimmlippen­ schluss, zur Kehlkopfhebung und im Bedarfsfall zum Verschluss des Kehlkopfeingangs. Häufig sind Kräftigungsübungen der Zunge zur Kompensation pharyngealer Transportprobleme notwendig.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen

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Sind die Aryknorpel und Stimmlippen erhalten, empfiehlt sich das supersupraglottische Schlucken. Hierbei kommt es zu einer Annäherung der Ary­ knorpel an die Zungenbasis und damit zum Ver­ schluss des Kehlkopfeingangs (Logemann et al. 1993). Eine weitere, jedoch seltener angewandte Metho­ de zum Verschluss der Luftwege ist das reduzierte supraglottische Schlucken: Durch willkürliches Atemanhalten werden die Stimmlippen während des Schluckens geschlossen. Fällt Nahrung auf die Glottis, wird diese, sobald der Kehlkopf mit der Zun­ genbasis abschließt, nach hinten in den Rachen ge­

schoben. Ist gleichzeitig die Kehlkopfhebung einge­ schränkt, bleiben die Partikel auf den Stimmlippen liegen, und es muss wie beim supraglottischen Schlucken abgehustet werden (Logemann et al. 1993). Bei zusätzlichen OÖS-Öffnungsstörungen ist häufig eine Kombination mit der MendelsohnTechnik notwendig. Um die Fließgeschwindigkeit von Flüssigkeiten zu reduzieren und eine eventuelle prädeglutitive As­ piration zu verhindern, werden die Flüssigkeiten ­angedickt. Meist empfiehlt es sich, in der Anfangs­ phase aus Sicherheitsgründen feste Konsistenzen zu  meiden. Generell beginnt die orale Nahrungs­ aufnahme erst, wenn der Patient kräftig abhusten kann.

Vertikale Teilresektion oder ­Hemilaryngektomie Die vertikale Teilresektion oder Hemilaryngektomie beinhaltet das Entfernen einer Larynxhälfte mit Re­ sektion (› Abb. 5.9) • von Schildknorpelteilen, • einer Taschenfalte, • eines Ventriculus laryngis (Raum zwischen Ta­ schenfalte und Stimmlippe) und • einer Stimmlippe. Zungenbein und Epiglottis bleiben meist erhalten. Darüber hinaus gibt es verschiedene Varianten der Hemilaryngektomie. Um einen Glottisschluss zu erreichen, wird das fehlende Stimmband durch eine Rekonstruktion er­ setzt, z. B. indem ein Schildknorpelteil nach median in die Glottisregion verlagert wird. Die Hemilaryng­ ektomie führt zu asymmetrischer Kehlkopfhebung und insuffizientem Glottisschluss, aber meist nicht zu dauerhaften Schluckstörungen (Casper und Col­ ton 1998). Temporäre Probleme lassen sich je nach individueller Pathophysiologie häufig mit Schluck­ techniken beheben, z. B. durch Änderungen der Kopfhaltung. Bei der erweiterten Hemilaryngektomie werden zusätzlich die Epiglottis, eine aryepiglottische Falte und ein Aryhöcker entfernt. Aufgrund der ausge­ dehnten Resektionen kann es zu schweren Schluck­ störungen kommen.

12.3  Durchführung der FDT

Die Auswirkungen einer Hemilaryngektomie auf den Schluckvorgang können erheblich variieren (Rademaker et al. 1993). So lassen sich keine spezifischen Schluck­ probleme angeben. Häufig finden sich Parallelen zu den o. g. Störungen bei horizontaler Teilresektion.

12.3.4 FDT nach totaler ­Laryngektomie (LE) Bei der vollständigen LE werden alle laryngealen Strukturen einschließlich des Zungenbeins und der präepiglottischen Fettkörper entfernt. Je nach Aus­ dehnung des Tumors müssen Teile der Zungenbasis und/oder des Hypopharynx mit reseziert werden. Die Luftröhre endet in einem Stoma am unteren Hals. Dadurch sind Luft- und Speisewege vollständig getrennt, und eine Aspiration ist ausgeschlossen. Bei Stimmprothesenträgern besteht jedoch die Gefahr der Flüssigkeitsaspiration. Shunt-Ventil („Stimmprothese“) Zur Wiederherstellung der Stimmfunktionen nach Kehl­ kopfentfernung ist derzeit in den meisten Fällen die Ver­ sorgung mit einem Shunt-Ventil die beste Methode. Hier­ für schafft der Chirurg während oder nach der Laryng­ ektomie eine künstliche Verbindung zwischen Luft- und Speiseröhre. In diese ösophagotracheale Fistel, auch Shunt genannt, setzt er die „Stimmprothese“ ein. Beim Ausatmen und gleichzeitigem Verschluss des Tracheostomas (z. B. mit dem Finger) kann die Luft von der Luftröhre durch das Shunt-Ventil in die Speiseröhre und dann nach oben in den Rachen gelangen. Der Ton entsteht durch Schwingungen der Schleimhautfalten am pharyngoösophagealen Übergangssegment, vereinfacht meist als PE-Segment bezeichnet (› Kap. 2). Um den Luftstrom nach oben in den Mundraum zu gewährleis­ ten, erfolgt während der Kehlkopfoperation routinemä­ ßig eine Durchtrennung (Myotomie) des OÖS (› Kap. 15). Der Begriff „Stimmprothese“ ist irreführend, da der Ton nicht im Shunt-Ventil gebildet wird. Das Ventil der „Stimmprothese“ lässt beim Ausatmen lediglich die Luft nach oben durch, schützt jedoch beim Schlucken die Luftröhre vor Aspiration.

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Bei Leckage, d. h. Undichtigkeit des Shunt-Ventils, oder Shuntinsuffizienz kommt es zur Flüssigkeitsaspiration. Man unterscheidet: • Transprothetische Leckage (durch die Prothese hindurch) • Periprothetische Leckage (um die Prothese herum)

Die transprothetische Leckage entsteht meist durch ein defektes Shunt-Ventil und ist deshalb durch ei­ nen Prothesenwechsel leicht zu beheben. Bei Wei­ tung der Fistel kommt es zur periprothetischen Le­ ckage. Ursache hierfür können Epithelisierung des Shunts nach langem Tragen, Vernarbung, Infektion oder Nekrose im Shuntbereich sein. Die Therapie ist dann komplexer und muss stationär erfolgen (aus­ führliche Darstellung zum Thema Stimmprothese inkl. Stimmrehabilitation in Motzko et al. 2004 und Glunz et al. 2011). Vielleicht kann in der Zukunft ein künstlicher Kehlkopf die Stimmgebung erleichtern bzw. verbes­ sern. Versuche mit entsprechenden Implantaten sind in der Experimentierphase (Debry et al. 2014).

Schluckpathologie Bei sorgfältiger Operationstechnik und guter Wund­ verheilung sind Aspirationen ausgeschlossen. Eine Ausnahme bilden Wundheilungsstörungen mit tra­ cheoösophagealer Fistelbildung oder die oben ge­ nannten Shuntleckagen. Fast alle laryngektomierten Patienten (98 %) haben in der ersten postoperativen Phase Schluckprobleme (Ward et al. 2002). Viele Autoren empfehlen postoperativ eine orale Nah­ rungskarenz und während der ersten 7–14 Tage die künstliche Ernährung über Sonde. Andere beginnen bereits in der unmittelbaren postoperativen Phase (1.–4. Tag) mit der Oralisierung und verzichten auf die Sonde. Nach einer RCT-Studie von Sousa et al. (2016) ist während der ersten 4–7 Tage postoperativ die Toleranz für die orale Nahrungsaufnahme ge­ ring. Die Patienten leiden unter Schmerzen oder/ und Schluckproblemen und essen deshalb zu wenig, so dass die Kalorien- und Proteinzufuhr nicht aus­ reicht. Die Autoren empfehlen deshalb zumindest während der ersten 4 Tage nach der Operation er­ gänzend Nahrung über die nasogastrale Sonde zuzu­ führen. In manchen Zentren wird nach ca. 10 Tagen

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12  FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

eine Videofluoroskopie durchgeführt, um mögliche Nahtdehiszenzen und Fisteln zu entdecken. Erst wenn diese ausgeschlossen sind, beginnt man mit der Oralisierung. Leider können die Schluckbeschwerden nach La­ ryngektomie auch länger anhalten. So geben nach mehr als 1 Jahr noch etwa 70 % der Patienten Schluckprobleme an (Maclean et al. 2009). Zu diesen zählen: • Häufiges Nachtrinken zur Reinigung • Längere Dauer der Mahlzeiten • Vermeidung bestimmter Nahrungskonsistenzen Hauptursache der genannten Schluckbeschwerden sind die Passageprobleme mit Residuen über dem OÖS. Die Hyoidresektion nimmt der Zunge Stabili­ tät, was sich auf die Kraft und Feinmotorik aus­ wirken kann. Die Resektion der vorderen Hypo­ pharynxwand führt durch das Vernähen zu einer Lumenverkleinerung der Rachenkammer. Da der Kehlkopf fehlt, sind die Druckverhältnisse für die pharyngeale Boluspassage gestört, und der OÖS lässt sich nicht mehr mit Hilfe des Larynx aufziehen. Des­ halb wird der OÖS i. d. R. chirurgisch durchtrennt (› Kap. 15). Nach Entfernung größerer Hypopharynxkarzino­ me versucht man,einen Wundverschluss mit dem verbliebenen Gewebe herzustellen und aus Pharynxund Ösophaguswand einen Speiseweg zu rekonstru­ ieren. Häufig müssen zur Abdeckung großer Resekti­ onsgebiete Lappentransplantate eingebracht werden. Beeinträchtigungen der pharyngealen Kontraktionen und der Peristaltik des oberen Ösophagus können in diesen Fällen den Nahrungstransport erschweren. Mögliche Narbenbildungen am Zungengrund (z. B. Pseudoepiglottis), im Hypopharynx und Ösophagus können zu Passagehindernissen in der pharyngealen und ösophagealen Phase führen. Laryngektomierte Patienten mit gut erhaltener Zungenfunktion können das pharyngeale Transportproblem häufig mit erhöh­ ter Zungenschubkraft kompensieren (McConnel und Cerenko 1988b; Walther 1995). Darüber hinaus führt die stark reduzierte Ge­ ruchswahrnehmung zu einer zusätzlichen Beein­ trächtigung der Lebensqualität und mindert den Genuss am Essen und Trinken. Denn da die Atem­ luft nicht mehr durch die Nase strömt, kann das Riechorgan die feinen Geschmacksnuancen nicht mehr aufnehmen.

Mögliche den Bolustransport erschwerende Faktoren • Probleme der Zungenfeinmotorik und Zungenkraft • Eingeschränkte oder fehlende pharyngeale Kontraktion • Passagehindernisse durch Narbenbildungen am Zun­

gengrund und im pharyngoösophagealen Bereich oder fehlende Peristaltik des zervikalen Ösophagus

• Eingeschränkte

Restituierende Maßnahmen Bei vollständig oder partiell erhaltener Zungenfunk­ tion werden Motilitäts- und Kräftigungsübungen der Zunge durchgeführt. Bei Bedarf sind zusätzlich Übungen zur Aktivierung der pharyngealen Kon­ traktion notwendig.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen Manchmal muss der Patient die Nahrung durch ­wiederholte Pumpbewegungen der Zunge in den ­Rachen befördern. Kräftiges Schlucken oder Saug­ schlucken verbessert in vielen Fällen das pharyngea­ le und ösophageale Transportproblem. Gegebenen­ falls sind gleitfähige Nahrungskonistenzen zu be­vor­ zugen.

12.3.5 FDT nach Neck-Dissection Bei fast allen onkologischen Kopf-Hals-Erkrankun­ gen erfolgt die chirurgische Ausräumung von Hals­ lymphknoten (Neck-Dissection). Die Neck-Dissec­ tion ist ein wichtiges Diagnose- und Behandlungs­ konzept zum Ausschluss verborgener und gleichzei­ tig zur Entfernung manifester Metastasen. Man unterscheidet dabei: • Radikale Neck-Dissection: Vollständige Entfer­ nung der Halslymphknoten mit umgebendem Gewebe (einschließlich M. sterno­cleido­masto­ ideus), häufig auch Miteinbeziehung einer Vene und eines Nerven (Vena jugularis interna, Nervus accessorius) erforderlich • Modifiziert radikale Neck-Dissection: Entfer­ nung aller Halslymphknoten, mindestens eine

12.3  Durchführung der FDT oder mehrere nicht-lymphatische Strukturen bleiben erhalten (Vena jugularis, Nervus accesso­ rius, Muskulatur) • Selektive Neck-Dissection: Ausräumung be­ stimmter Lymphknotengruppen, nicht-lymphati­ sche Strukturen bleiben möglichst erhalten Es existieren kaum Nachweise über den isolierten Einfluss der Neck-Dissection auf den Schluckvor­ gang. Man vermutet, dass es durch Ödeme, Schmer­ zen, Schädigungen des Plexus pharyngeus oder des N. recurrens zu transienten Schluckstörungen kom­ men kann. Werden zusätzlich suprahyoidale Mus­ keln reseziert, sind Beeinträchtigungen der Hyoid­ hebung zu erwarten (Hirai et al. 2010; Pizzorni et al. 2014). Vor allem bei den radikalen Formen der Neck-Dissection ist das Schulter-Arm-Syndrom eine häufige Komplikation. Möglicherweise können in diesen Fällen die Bewegungseinschränkungen im Hals-Nacken-Schulterbereich den physiologischen Schluckablauf erschweren. Mögliche Schluckprobleme Untersuchungen an kleinen Stichproben zeigen lediglich diskrete Schluckprobleme: • Ein erhöhtes Penetrationsrisiko als Folge von Beein­ trächtigungen der Hyoidhebung nach superior und an­ terior • Zusätzliches Penetrationsrisiko bei tieferer Hyoidruhe­ stellung

Restituierende Maßnahmen Bei Bedarf trainiert man zur Verbesserung der Kehl­ kopfhebung die suprahyoidale Muskulatur. Die Be­ handlung von Schluckproblemen durch das ArmSchulter-Syndrom geschieht in Zusammenarbeit mit der Physiotherapie.

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oder supersupraglottischen Schlucken hilfreich sein. Die Kostanpassung ist vom Individualfall abhängig.

12.3.6 FDT nach Pharyngolaryngoösophagektomie mit Rekonstruktion Eine Pharyngolaryngoösophagektomie umfasst das Entfernen von: • Larynx • Pharynx • Speiseröhre Zur Rekonstruktion dieses massiven Substanzde­ fekts wird häufig das „gastric pull-up“ (Hochziehen des Magens) angewendet. Dabei wird der Magen hochgezogen und mit der Pharynxöffnung vernäht. Gelegentlich werden Kolontranspositionen (Ver­ pflanzung von Darmsegmenten) durchgeführt, die jedoch mit einer höheren Operationsmortalität ein­ hergehen.

Schluckpathologie Hauptproblem ist der Nahrungstransport, da die ursprünglichen kontraktilen Elemente fehlen. Nach McConnel et al. (1988a) erwies sich eine ausreichend erhaltene Zungenfunktion als entscheidender pro­ gnostischer Faktor für einen effektiven Bolustrans­ port. Nach Separierung der Luft- und Speisewege be­ steht keine Aspirationsgefahr mehr. Bei Stimmpro­ thesenträgern zählen Shunt-Ventil-Leckage und Shuntinsuffizienz mit Aspiration von Flüssigkeit zu den häufigen Komplikationen (› Kap. 12.3.4) Mögliche den Bolustransport erschwerende Faktoren • Reduzierte Zungenmotilität und Zungenkraft • Atypische oder fehlende pharyngeale Kontraktion

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen Mit der Mendelsohn-Technik lässt sich in vielen Fäl­ len die Kehlkopfhebung verbessern. Besteht bei ver­ mehrter Penetration zusätzlich Aspirationsgefahr, könnte die Kombination mit dem supraglottischen

bei Transplantat • Atypische oder fehlende ösophageale Peristaltik bei Transplantat • Passagehindernisse durch Narbenbildungen am Zun­ gengrund und im Pharyngoösophagus

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12  FDT bei onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen

Restituierende Maßnahmen Um die Zungenschubkraft zu verbessern, werden Motilitäts- und Kräftigungsübungen der Zunge durchgeführt.

Kompensatorische und adaptive Maßnahmen Da bei diesen ausgedehnten Resektionen die kon­ traktilen und peristaltischen Wellenbewegungen, die den Bolus in den Magen transportieren, fehlen oder atypisch sind, muss die Boluspassage v. a. mit Hilfe der Schwerkraft erfolgen. Wichtig ist dabei die aufrechte Rumpfhaltung. Des Weiteren erhöht kräf­ tiges Schlucken die Schubkraft der Zunge und er­ leichtert dadurch den Bolustransport. Nachfolgende Schlucke mit Nahrung oder Flüssigkeiten befördern durch die Gravitationswirkung den Bolus immer weiter in den Magen. Können die Patienten bei erhaltener Kaufunktion feste Nahrung zu sich nehmen, müssen sie häufig durch Trinken dünner Flüssigkeiten nachspülen. Die Wahl gut gleitfähiger Konsistenzen verbessert den Bolustransport. Zur bedarfsdeckenden Nah­ rungsergänzung eignen sich hochkalorische Geträn­ ke. Um zusätzlichen Reflux zu vermeiden, sollten die Patienten sitzen bleiben, bis der Magen entleert ist. Dafür rechnet man durchschnittlich mit 1 Stunde.

12.4 Zusammenfassung Das Wichtigste im Überblick • Schluckscreening und ggf. instrumentelle Diagnostik so­

wie Beratungsgespräch vor Beginn der Tumortherapie. der Schluckmuskulatur als Präventiv­ maßnahme zur Vermeidung postradiogener und/oder postoperativer Schäden. • Voraussetzung für die Erstellung eines Therapieplans: – Genaue Kenntnisse über die durchgeführte Radio-, Radiochemotherapie oder/und chirurgische Eingriffe einschließlich Art der Rekonstruktion bei größeren Defekten – Klinische und instrumentelle Schluckdiagnostik • Motilitätstraining

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• Anpassung

der Schlucktherapie an den Individualfall, mit restituierenden und/oder kompensatorischen und/ oder adaptiven Maßnahmen • Ursache von Symptomverschlechterung mögliche Rezi­ divtumore oder/und fortschreitende Fibrosierung nach Bestrahlung

Weitere Hinweise zur logopädischen Behandlung von Stimm- und Schluckstörungen nach Larynxund Hypopharynxkarzinomen finden sich in Motz­ ko et al. (2004) und Glunz et al.l (2011). LITERATUR Abitbol AA et al. Radiation therapy in oncologic management with special emphasis on head and neck carcinoma. In: Sullivan PA, Guilford AM (eds.) Swallowing interven­ tion in oncology. San Diego: Singular; 1999. p. 47–63. Agarwal J et al. Objective assessment of swallowing function after definitive concurrent (chemo)radiotherapy in patients with head and neck cancer. Dysphagia. 2011; 26: 399–406. Batth SS et al. Practical considerations in reducing swallowing dysfunction following concurrent chemoradiotherapy with inten- sity-modulated radiotherapy for head and neck cancer. Head Neck. 2014; 36: 291–298. Bleier BS et al. Dysphagia after chemoradiation: analysis by modified barium swallow. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2007; 116: 837–841. Borggreven PA et al. Quality of life after surgical treatment for oral and oropharyngeal cancer: A prospective longitudinal assessment of patients reconstructed by a microvascular flap. Oral Oncol. 2007; 43: 1,034–1,042. Carnaby-Mann G, Crary MA, I, Amdur R. „Pharyngocise“: randomized controlled trial of preventative exercises to maintain muscle structure and swallowing function ­during head-and-neck chemoradiotherapy. Int J Radiat Oncol Biol Physics 2012; 83: 210–219. Carroll WR et al. Pretreatment swallowing exercises improve swallow function after chemoradiation. Laryngoscope. 2008; 118: 39–43. Cartmill B et al. Long-term functional outcomes and patient perspective following altered fractionation radiotherapy with concomitant boost for oropharyngeal cancer. Dysphagia. 2012; 27: 481–490. Casper JK, Colton RH. Clinical manual for laryngectomy and head and neck cancer rehabilitation. 2nd ed. San Diego: Singular; 1998. Cavalot AL, Ricci E, Schindler A, Roggero N, Albera R, Utari C, Cortesina G. The importance of preoperative swallowing therapy in subtotal laryngectomies. Otolaryngol Head Neck Surg. 2009; 140: 822–825. Chapuy CI et al. Swallowing function following post chemoradiotherapy neck dissection – review of findings and analysis of contributing factors. Otolaryngol Head Neck Surg. 2011; 145: 428–434.

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KAPITEL

13 13.1 13.1.1 13.1.2 13.1.3

Gudrun Bartolome

Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Alzheimer-Demenz (AD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beeinträchtigungen kognitiv-psychischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beeinträchtigungen somatischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Nahrungs­aufnahme, Schluckprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

451 452 453 453

13.2 Vaskuläre Demenz (VD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 13.2.1 Beeinträchtigung kognitiv-psychischer und körperlicher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 13.2.2 Störungen der Nahrungsaufnahme, Schluckprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 13.3 Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 13.3.1 Störungen der Nahrungs­aufnahme, Schluckprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 13.4

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Der Einfluss demenzieller Beeinträchtigungen auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 13.4.1 Spezielle Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 13.4.2 Anzeichen von Mangel­ernährung und Dehydration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 13.5

Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 13.5.1 Verbesserung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 13.5.2 Behandlung von ­Schluckstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Die Demenz gilt als eine der Hauptursachen für die Pflegebedürftigkeit älterer Menschen. In Deutschland leben derzeit etwa 1,6 Millionen Demenzkranke. Jährlich kommen etwa 300.000 Neuerkrankungen hinzu. (Alzheimer-Europe, update 2014). Da die meisten Demenzerkrankungen im höheren Lebensalter auftreten, wird bei steigender Lebenserwartung die Zahl der Betroffenen zunehmen (Prince et al. 2013). Aufgrund der altersabhängigen Prävalenz erkranken Frauen häufiger als Männer. Der Begriff Demenz leitet sich ursprünglich vom lateinischen Dementia (Unsinn, Wahnsinn) ab. Dies entspricht nicht mehr unserem heutigen Verständnis von demenziellen Erkrankungen. Oft werden die Begriffe Alzheimer und Demenz für gleichbedeutend gehalten, was jedoch nicht zutreffend ist. Demenz ist der Oberbegriff für Erkrankungsbilder unterschiedlicher Ursache und Ausprägung. Hauptmerkmale sind die Beeinträchtigung oder der Verlust kognitiver Funktionen und die damit verbundenen Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Verläufe sind meist progressiv. Im schweren Stadium der Demenz sind die Erkrankten vollständig pflegebedürftig. Im deutschen Gesundheitssystem ist die Klassifizierung der Demenzen nach den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellten Kriterien des ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) üblich. Die Einteilung erfolgt anhand klinischer Symptomatik und der Zuordnung nach den Ursachen der Schädigung (degenerativ, vaskulär, gemischt).

Für die Diagnose einer Demenz müssen die demenziellen Symptome über mindestens 6 Monate bestehen (ICD-10, 2016). Akute Eintrübungen des Bewusstseins, das sog. Delirium, sind damit ausgeschlossen. Die ICD-10 Kodierung teilt in 4 Demenzgruppen ein: • F00: Demenz bei Alzheimer-Krankheit • F01: Vaskuläre Demenz • F02: Demenz bei anderorts klassifizierten Krankheiten • F03: Nicht näher bezeichnete Demenz (Demenz bei Psychose, Depression etc.) Zum besseren Verständnis des Sammelbegriffs Demenz ist eine Unterscheidung zwischen primären und sekundären demenziellen Syndromen hilfreich. Die primären Demenzen sind durch Krankheiten des Gehirns hervorgerufen, bei welchen Nervenzellen abgestorben sind oder fortschreitend immer mehr absterben. Dazu gehören als häufigste demenzielle Syndrome die Alzheimer-Erkrankung, die vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz und deren Mischform. Bei den sekundären Formen führen nicht-hirnorganische Grunderkrankungen durch Störung des Hirnstoffwechsels indirekt zur Demenz. Sie können etwa durch Nebenwirkungen von Medikamenten, durch Schilddrüsenerkrankungen, Vitaminunterversorgung, Infektionen etc., aber auch durch Depressionen verursacht werden. Bei erfolgreicher Behandlung der jeweiligen Grunderkrankung ist die Demenz reversibel.

Nach ICD-10 Definition (2016) ist „Demenz ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, gelegentlich treten diese auch eher auf. Dieses Syndrom kommt bei Alzheimer-Krankheit, bei zerebrovaskulären Störungen und bei anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn betreffen.“

Als Demenzen werden nicht nur irreversible, sondern auch potenziell reversible demenzielle Syndrome bezeichnet. Die Diagnosestellung erfordert spezialisierte neurologisch-internistische Fachkenntnisse.

Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit den häufigsten Formen der primären Demenzen. Innerhalb dieser Gruppe unterscheidet man zwischen degenerativen und nicht-degenerativen Verläufen. Bei den degenerativen Formen kommt es zu einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen. Das bekannteste Beispiel ist die Alzheimer-Krankheit. Weitere seltenere Formen sind z. B. die Pick-Krankheit bzw. frontotemporale Demenz, Chorea-Huntington, die

13.1  Alzheimer-Demenz (AD) Lewy-Körperchen-Krankheit. Die vaskuläre Demenz entsteht als Folge von Durchblutungsstörungen des Gehirns und ist nicht-degenerativ. Für die degenerativen Formen existiert bislang keine kausale Therapie, während die Symptomatik bei gefäßbedingten Demenzen häufig medikamentös und durch geeignete Rehabilitationsmaßnahmen stabilisiert oder verbessert werden kann.

Die Angaben zur Prävalenz der Demenzerkrankungen variieren. Am häufigsten tritt mit etwa 50– 70 % die Alzheimer-Erkrankung auf und am zweithäufigsten mit 15–20 % die vaskuläre Demenz. Nach neuropathologischen Studien kommt deren gemischte Form relativ häufig vor. Man vermutet, dass bis zu 50 % der AD-Patienten vaskuläre Läsionen haben (Zaccai et al. 2006). Die meisten anderen Formen wie z. B. Morbus Pick, Demenz bei Morbus Parkinson, Chorea Huntington oder die Lewy-Körperchen Krankheit betreffen weniger als 10 % der Fälle (Ziegler und Doblhammer 2009). Als Primärliteratur für die folgende Beschreibung der wichtigsten Demenzerkrankungen sei auf die S3-Leitlinie „Demenzen“ (Deuschl und Maier 2016), auf den Spezialband von Wallesch und Förstl (2012) und aktuelle Informationsvorlagen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (abgerufen Februar 2017) hingewiesen. Weitere Quellen sind im Text gesondert zitiert.

13.1 Alzheimer-Demenz (AD) Die Alzheimer-Demenz tritt meist in höherem Alter auf. Vor dem 65. Lebensjahr kommt die AD als präsenile Demenz sehr selten vor. Sie ist eine primär degenerative zerebrale Krankheit. Die klinischen Symptome entstehen durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen. Dieser beginnt meist schleichend und entwickelt sich langsam aber stetig über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Der für die AD charakteristische Neuronenabbau ist verbunden mit zwei verschiedenen Eiweißablagerungen:

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• Außerhalb der Nervenzelle lagern sich unauflös-

liche, harte Beta-Amyloid-Plaques an. BetaAmyloid ist ein Spaltprodukt eines größeren Proteins und wird im gesunden Gehirn vernichtet. • Innerhalb der Nervenzellen kommt es zu pathologischen Veränderungen der Tau-Fibrillen. Diese bestehen aus gedrehten Fasern, die das Zellskelett stabilisieren und die „Schiene“ für den Transport in den Zellen bilden. Sie enthalten das sog. Tau-Protein. Bei der AD verklumpen die Tau-Fasern zu Fibrillenbündeln und der Nährstofftransport bricht zusammen. Sowohl die Alzheimer-Plaques als auch die AlzheimerFibrillen beeinträchtigen die Kommunikation zwischen und in den Nervenzellen. Besonders empfindlich für die Eiweißablagerungen sind Nervenzellen, die Acetylcholin produzieren. Sie werden deshalb relativ früh geschädigt.

Charakteristisch für die Frühphase der Alzheimer Erkrankung ist der Nervenzellenverlust im Hippocampus und als Folge eine Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses. Hauptursache hierfür ist der Acetylcholinmangel in dieser Region. Einer der wichtigsten Acetylcholin produzierenden Kerne des Zentralnervensystems ist der Nucleus basalis (Meynert-Basalkern). Er befindet sich im Bereich des basalen Vorderhirns und kommuniziert mit dem Hippocampus. Die Hippocampusformation liegt am inneren Rand des Temporallappens und ist für die Speicherung von neuen Gedächtnisinhalten verantwortlich. Durch das Zellsterben im Nucleus basalis kommt es zu einem Mangel an Acetylcholin im Hippocampus und damit zu Zellschädigungen. Im progredienten Verlauf sind weitere Areale des Temporallappens, die für komplexe Lern- und Denkprozesse verantwortlich sind, betroffen. Diese Rindenfelder des basalen Temporallappens grenzen unmittelbar an die sekundären visuellen Rindenfelder an. Letztere sind für die Analyse und Integration von Formen verantwortlich. So kombinieren sich die Gedächtnisbeeinträchtigungen mit Problemen des visuellen Erkennens. Gegenstände werden zwar gesehen, aber nicht mehr erkannt. Bei fortschreitender Hirnatrophie ist auch der Frontallappen involviert, was sich in sozial unangemessenen Verhaltensänderungen äußert. Der primär motorische

13

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13

13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Kortex (hinterer Bereich des Frontallappens) und die primär visuelle Rinde (Occipitallappen) sind entweder gar nicht oder nur im sehr späten Stadium betroffen. Die Ursachen für den Verlust von Nervenzellen bei AD sind bislang nicht vollständig geklärt. Beta-Amyloid-Plaques und Taufibrillen hat man in meist geringerer Ausprägung auch bei anderen Demenzformen und bei nichtdementen alten Menschen nachgewiesen. Neben den typischen Eiweißablagerungen spielen bei AD auch Entzündungsprozesse, Störungen der Mitochondrien (Zellorganell, das der Energiegewinnung dient), genetische Faktoren und nach Bevölkerungsstudien die Lebensführung eine Rolle. Beta-Amyloid-Plaques und Taufibrillen sind nicht die alleinigen Ursachen der Alzheimer-Erkrankung. Man vermutet ein multifaktorielles Geschehen. Die mittlere Lebenserwartung beträgt bei AD nach Diagnosestellung 5–8 Jahre.

13.1.1 Beeinträchtigungen kognitivpsychischer Funktionen Kennzeichnend für das frühe Stadium sind leichte kognitive Beeinträchtigungen. Das Kurzzeitgedächtnis lässt nach: die Betroffenen können sich neue Inhalte nicht mehr länger als ein paar Sekunden oder Minuten merken. Sie erinnern sich nicht mehr an kurzzeitig zurückliegende Ereignisse. Im Dialog vergessen sie manchmal das aktuelle Gesprächsthema und verlieren den roten Faden. Sie finden im Haushalt Gegenstände und gelagerte Lebensmittel nicht mehr wieder oder verlieren den Überblick über die Ordnung im Kleiderschrank etc. Es kommt zu ersten Schwierigkeiten beim Kochen oder bei der Wahl der Kleidung. Leichte Minderungen des Urteilsvermögens und der Problemlösung wirken sich auf anspruchsvolle Tätigkeiten wie Geldgeschäfte oder den Umgang mit Behörden aus. Es machen sich erste Schwierigkeiten bei der Orientierung, insbesondere außerhalb der gewohnten Umgebung bemerkbar. Die sprachlichen Äußerungen zeigen im Frühstadium nur geringfügige Veränderungen. Die Ausdrucksfähigkeit ist weniger präzise und es treten Wortabrufstörungen auf. Auch im Umgang mit

Zahlen zeigen sich erste Schwächen. Da die Patienten Erinnerungslücken und Wortfindungsstörungen geschickt umschreiben, im Dialog zugewandt und aufmerksam wirken, fällt die Veränderung in der Alltagskommunikation kaum auf. Die „Fassade“ bleibt relativ lange erhalten. Im Frühstadium sind die Alzheimer-Patienten in ihrer Persönlichkeit kaum verändert. Manche wirken als Reaktion auf die Leistungseinbußen bedrückt oder reagieren mit Scham und Angst. Gelegentlich entwickelt sich eine Depression. Man vermutet bei bislang nie depressiven Patienten eine organische Ursache aufgrund der strukturellen Veränderungen des Gehirns. Das mittelschwere Stadium setzt etwa 3 Jahre nach Diagnosestellung ein. Die kognitiven Beeinträchtigungen nehmen zu. Während anfangs nur das Kurzzeitgedächtnis betroffen war, sind immer häufiger Inhalte des Langzeitgedächtnisses nicht mehr abrufbar. Die Patienten erinnern sich nicht mehr an Fakten und Ereignisse aus dem eigenen Leben (episodisches Gedächtnis). Sie wissen nicht mehr welchen Beruf sie ausgeübt haben, ob und wen sie geheiratet haben oder kennen die Namen ihrer Freunde oder Verwandten nicht mehr. Manche Patienten fühlen sich um Jahrzehnte zurückversetzt, wollen zur Arbeit gehen oder längst verstorbene Angehörige besuchen. Das Weltwissen, also die Erinnerung über von der Person unabhängige allgemeine Fakten schwindet (semantisches Gedächtnis). Selbst einfache Fragen (z. B. Hauptstadt von Deutschland) können die Betroffenen nicht mehr beantworten. Die expressive Sprache verarmt, wird echolalisch und konfabulatorisch. Deutliche Schwierigkeiten bereiten das Schreiben und Lesen oder das Ablesen der Uhr. Auch automatisierte Handlungsabläufe und Fertigkeiten wie Fahrradfahren, Klavierspielen, Tanzen etc. sind von den fortschreitenden Abbauprozessen betroffen (prozedurales Gedächtnis). Zum Wissensverlust über die Funktion der Dinge kommen Probleme des Objekterkennens und der Verarbeitung räumlicher Beziehungen hinzu. Bei Beteiligung linkshemisphärischer parietaler Strukturen sind apraktische Fehlleistungen zu beobachten. Daher benötigen die Betroffenen zunehmend Hilfe bei Alltagshandlungen wie Körperpflege, Anziehen, Einkaufen, Zubereitung der Mahlzeiten oder Bedienen von Haushaltsgeräten.

13.2  Vaskuläre Demenz (VD) In diesem Stadium beginnt sich auch die Persönlichkeit zu verändern. Es können wahnhafte Vorstellungen auftreten, wie bestohlen worden zu sein oder verfolgt zu werden. Manche Patienten leiden unter optischen Halluzinationen. Angst und Fehleinschätzungen der Situation können zu Störungen der emotionalen Kontrolle mit verbal oder sogar physisch aggressiven Ausbrüchen führen. Die eigene Krankheitswahrnehmung schwindet zusehends. Das schwere Demenzstadium beginnt nach etwa 6 Jahren. Alle kognitiven Funktionen sind hochgradig beeinträchtigt. Die Sprache ist auf einfache Phrasen und wenige Wörter bzw. sinnlose Äußerungen reduziert oder versiegt ganz. Selbst alltägliche persönliche Bedürfnisse kann der Patient nicht mehr äußern und durch die fortschreitende Atrophie des Temporallappens ist auch das Sprachverständnis gestört. Dies erschwert die Kommunikation erheblich. Man vermutet, dass emotionale Signale meist noch erkannt werden.

13.1.2 Beeinträchtigungen somatischer Funktionen Im frühen Stadium sind somatische Funktionen nicht beeinträchtigt. Eine Ausnahme bildet der Geruchssinn, der schon im Vorstadium – jedoch nicht bei allen Betroffenen – gestört sein kann. Auch im mittleren Stadium ist die Mobilität nicht eingeschränkt. Auffällig ist allerdings die motorische Unruhe. Die Patienten gehen rastlos herum oder wollen ständig weglaufen. Stereotype Bewegungen wie Nesteln, Zupfen, Wischbewegungen oder Kopfpendelbewegungen sind zu beobachten. Hinzu kommen Probleme die Ausscheidungen zu kontrollieren. Die Pflegebedürftigkeit nimmt zu. Im späten Stadium geht die Kontrolle über die Körperhaltung verloren. Die Patienten können nicht mehr ohne Hilfe gehen, benötigen einen Rollstuhl oder werden gänzlich bettlägerig. Es können neurologische Symptome wie Myoklonien, Versteifungen der Gliedmaßen und epileptische Anfälle hinzukommen. Harn- und Stuhlinkontinenz treten zunehmend auf. Die Betroffenen sind ganz auf Betreuung und Pflege angewiesen. Die Alzheimer-Krankheit führt nicht zum Tod. Die häufigsten Todesursachen sind Pneumonie, gefolgt von Myokardinfarkt und Sepsis.

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13.1.3 Störungen der Nahrungs­ aufnahme, Schluckprobleme Nach MRT-Studien sind schon im frühen Stadium verminderte Aktivitäten in den kortikalen Schluck­ arealen zu beobachten, d. h. lange bevor Schluck­pro­ bleme auftreten (Humbert et al. 2010). Da bei vielen Patienten bereits im Anfangsstadium der Geruchssinn leidet kommt es zu Störungen der Geschmacksempfindung. Das Essen schmeckt nicht mehr wie gewohnt, die Betroffenen essen weniger und nehmen an Gewicht ab. Im mittleren bis späten Stadium häufen sich die Probleme der Nahrungsaufnahme. Bei Defiziten des visuellen Erkennens und der Raumwahrnehmung wird Nahrung häufig nicht als solche erkannt und deshalb nicht zum Mund geführt. Durch Störungen des Objektgebrauchs kommen die Patienten mit Besteck und Essgeschirr nicht mehr zurecht. Sie können die Nahrung nicht mehr zerkleinern, aufnehmen und selbstständig zum Mund führen. Bei fortgeschrittener Demenz verweigern Patienten aus unterschiedlichen Gründen oft das Essen und Trinken. Schluckprobleme treten im mittleren bis späten Stadium schätzungsweise mit einer Häufigkeit von 84–93 % auf (Affoo et al. 2013). Die Betroffenen zeigen Schwierigkeiten in der oralen Schluckphase mit verlängerter Boluspräparation und verlängerter oraler Transitzeit. Bei oralen apraktischen Störungen kommt es zu Schwierigkeiten den Mund willkürlich zu öffnen und die Nahrung nach hinten zu transportieren. Im späten Stadium verbleibt die Nahrung häufig unzerkaut im Mund liegen. Auch in der pharyngealen Schluckphase machen sich Auffälligkeiten bemerkbar, z. B. eine verspätete Schluckreflexauslösung, verminderte Hyoid-Larynxhebung, Penetration, Aspiration oder pharyngeale Residuen. Sicher spielen dabei auch altersspezifische Veränderungen der Schluckmuskulatur eine Rolle.

13.2 Vaskuläre Demenz (VD) Die vaskuläre Demenz ist die zweithäufigste Demenzform. Sie entsteht als Folge kortikaler oder subkortikaler Gefäßerkrankungen durch Minderdurchblutung des Hirngewebes. Es kommt zu meist

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

kleinen Infarkten, deren Wirkung schließlich kumuliert. Die VD tritt überwiegend im höheren Lebensalter auf. Es gibt verschiedene Ausprägungen. Die ICD-Klassifizierung unterscheidet zwischen: • Vaskulärer Demenz mit akutem Beginn • Multiinfarkt-Demenz • Subkortikaler vaskulärer Demenz • Gemischter (kortikaler und subkortikaler) Demenz Die akute vaskuläre Demenz entwickelt sich meist sehr schnell nach mehreren Schlaganfällen, seltener nach einem einzigen schweren Infarkt. Der Multi­ infarkt-Demenz gehen mehrere vorübergehende ­ischämische Episoden voraus, mit stufenweise fortschreitenden Infarzierungen entwickelt sie sich ­allmählich. Eine Sonderform ist die subkortikale vaskuläre Demenz. Hier bleibt die Hirnrinde weitgehend intakt, es kommt jedoch zu winzigen Durchblutungsstörungen in der weißen Substanz (Mark­ lager) der beiden Großhirnhälften. Ursache der Demenz ist in diesen Fällen die gestörte Erregungsleitung zum Kortex. Durch die Behandlung der Risikofaktoren ist es prinzipiell möglich, ein Fortschreiten der vaskulären Demenz zu verhindern. Zu den Risikofaktoren zählen u. a. Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Zuckerkrankheit, erhöhter Cholesterinspiegel, Bewegungsmangel und Rauchen.

13.2.1 Beeinträchtigung kognitivpsychischer und körperlicher Funktionen Die vaskuläre Demenz zeigt keinen einheitlichen Verlauf. Die Symptome sind abhängig von Ort und Ausmaß des Zelluntergangs. In den meisten Fällen treten die Symptome plötzlich auf, sie können sich schubweise verschlechtern, aber auch stagnieren oder langsam voranschreiten. Nach Kriterien des „National Institute of Neurological Disorders and Stroke“ (NINDS) und der „Association Internationale pour la Recherche et l'Enseignement en Neuro­ sciences“ (AIREN) liegt eine vaskuläre Demenz vor, wenn in Zusammenhang mit der Gedächtnisstörung in mindestens zwei der folgenden kognitiven Funktionen Defizite auftreten:

• Orientierung, Aufmerksamkeit, Sprache, visuell-

räumliche Fähigkeiten, Urteilsvermögen, Handlungsfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit oder/und Praxie (Deuschl und Maier 2016). In Abhängigkeit von der Läsion kommt es zu verschiedenen sensomotorischen Ausfällen. Auch Persönlichkeitsstörungen und Stimmungsänderungen sind möglich.

13.2.2 Störungen der Nahrungsaufnahme, Schluckprobleme Bei Infarkten, die am Schluckvorgang beteiligte Regionen betreffen, ist die sensomotorische Steuerung des Schluckprozesses gestört. Es besteht eine neurogene Dysphagie mit Beeinträchtigungen der oralen und/oder pharyngealen und/oder ösophagealen Schluckphase. Zudem können sich kognitive Defizite auf die Nahrungsaufnahme auswirken. Es treten dann ähnliche Symptome wie bei der AD beschrieben auf. Bei der VD hat man im Vergleich zur AD mehr stille Aspirationen beobachtet (Suh et al. 2009).

13.3 Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheiten Hier handelt es sich um Demenzen die bei anderen Krankheiten als bei Alzheimer und vaskulärer Genese auftreten. Dazu gehören Demenzen bei Pick-Krankheit, Chorea Huntington, Demenz beim primären Parkinson-Syndrom und die Lewy-Körperchen-Demenz. Des Weiteren haben eine Reihe von anderen Ätiologien Demenzen zur Folge (ICD-10, 2016). Die Demenz bei Pick-Krankheit oder Frontotemporale Demenz tritt im mittleren Lebensalter meist zwischen 50 und 60 Jahren auf. Etwa 20 % der Personen mit präseniler Demenz sind vermutlich von der Pick-Krankheit betroffen (Weder et al. 2007). Ursache der Erkrankung ist ein Nervenzellenuntergang im Bereich des Frontal- und Temporallappens. Die Symptomatik beginnt mit langsam fortschreitenden Persönlichkeitsänderungen und dem Verlust sozialer Fähigkeiten. Im Verlauf folgen Beeinträchtigungen von Intellekt, Gedächtnis und Sprachfunktio-

13.4  Der Einfluss demenzieller Beeinträchtigungen auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken nen. Im fortgeschrittenen Stadium fehlt den Patienten oft jeglicher Antrieb. Bei einigen Betroffenen treten extrapyramidale Bewegungsstörungen auf. Die Symptome können in Abhängigkeit vom Nervenzellenuntergang unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei Chorea Huntington tritt die Demenz im Rahmen einer ausgeprägten Hirndegeneration im Spätstadium auf (ausführliche Darstellung › Kap. 11.1.4). Etwa ein Drittel der Patienten mit primärem Parkinsonsyndrom leidet im späteren Verlauf an Demenz, der sog. Parkinson-Demenz (ausführliche Darstellung › Kap. 11.1.3). Mit der Parkinson-Erkrankung kann auch die Lewy-Körperchen-Demenz assoziiert sein. Unterscheidungskriterium ist der Zeitpunkt des Demenzbeginns. Tritt diese im frühen Stadium der Parkinson-Erkrankung auf weist dies auf eine Lewy-Körperchen-Demenz hin (Förstl 2011). Lewy-Körperchen sind charakteristische Einschlüsse in den Nervenzellen der Großhirnrinde und des Hirnstamms. Es handelt sich um Eiweißreste aus Alpha-Synuclein, die nicht abgebaut werden. Häufen sich diese Eiweißeinschlüsse ist die Signalübertragung der Nervenzellen gestört und es kommt zu Ausfallerscheinungen. Die LKD kann auch als eigenständige Erkrankung unabhängig vom Morbus Parkinson auftreten. Sie zeichnet sich durch starke Schwankungen der Symptome aus. Kognitive Leistungen und Wachheit variieren im Tagesverlauf. Schon früh treten visuelle Halluzinationen auf. Die Gedächtnisleistungen sind bei Krankheitsbeginn noch relativ gut erhalten, verschlechtern sich jedoch im Verlauf. Da die anormalen Eiweißeinschlüsse die Bildung des Botenstoffs Dopamin behindern, kommt es bei vielen Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz zu parkinsonähnlichen extrapyramidalen Bewegungsstörungen.

13.3.1 Störungen der Nahrungs­ aufnahme, Schluckprobleme Bei den unterschiedlichen Ausprägungen der o. g. Demenzformen können die Störungen der Nahrungsaufnahme und eventuelle Schluckprobleme stark variieren. Die kognitiven Beeinträchtigungen wirken sich v. a. auf die Nahrungsaufnahme und den oralen Transport aus. Beim Morbus Pick gehören Hyperoralität (Essattacken) und Veränderungen

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der Essgewohnheiten (veränderte Nahrungspräferenzen, Essen von nicht Essbarem) zu den möglichen Symptomen. Insbesondere bei den degenerativen subkortikalen Demenzen wie Morbus Parkinson oder Chorea Huntington kann die sensomotorische Steuerung des Schluckens gestört sein und zu den Problemen der Nahrungsaufnahme noch eine neurogene Dysphagie hinzukommen.

13.4 Der Einfluss demenzieller Beeinträchtigungen auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken Demenzielle Beeinträchtigungen wirken sich primär auf die Nahrungsaufnahme aus, können sekundär aber auch zu Schluckproblemen führen. So erhöht z. B. ein schnelles Esstempo oder das Liegenlassen der Nahrung im Mund die Aspirationsgefahr. Es existieren bislang keine ausreichend fundierten Belege über die Auswirkungen der verschiedenen demenziellen Syndrome auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken. Die meisten Angaben beziehen sich auf die Alzheimer-Demenz. Im Folgenden sind mögliche Einflüsse kognitiver und nicht-kognitiver demenzieller Symptome auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken in tabellarischer Form zusammengefasst (› Tab. 13.1 und › Tab. 13.2, modif. nach Kindell 2009). Bei den verschiedenen Demenzsyndromen können je nach Krankheitsstadium motorische und sensorische Probleme hinzukommen, z. B. Störungen der Bewegungsinitiierung bei der Parkinsondemenz oder Beeinträchtigungen des Geruchs- und damit auch des Geschmackssinns bei der Alzheimer Erkrankung. Auch eventuelle Nebenwirkungen von Medikamenten können zu Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust führen.

13.4.1 Spezielle Diagnostik und Therapie Bislang gibt es kein einheitlich standardisiertes Vorgehen zur Diagnostik der Ess- und Trinkprobleme

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Tab. 13.1  Einfluss kognitiver Beeinträchtigungen auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken

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Kognitive Beeinträchtigung

Nahrungsaufnahme/Schlucken

Gedächtnisbeeinträchtigungen

• Erinnern sich nicht mehr, wann zuletzt gegessen/getrunken wurde • Vergessen die nächste Mahlzeit einzunehmen/zu trinken (Gefahr der

Malnutrition, Dehydrierung) oder essen zu häufig (begünstigt Übergewicht) • Vergessen Diät-Restriktionen (bei Allergien etc.), erinnern sich nicht mehr an ihre Nahrungsvorlieben • Vergessen Handlungsschritte zur Nahrungsvorbereitung und Nahrungsaufnahme (Schneiden, zum Mund führen) • Vergessen während der Mahlzeit den Bolus im Mundraum zu verarbeiten (Nahrung bleibt unzerkaut liegen und wird nicht geschluckt) Gestörte Aufmerksamkeitsintensität (Schläfrigkeit), gestörte Aufmerksamkeitsselektivität

• Essen und Trinken zu wenig • Benötigen extrem viel Zeit für

Zerebrale Sehstörungen (gestörtes vi­ suelles Erkennen, Gesichtsfelddefekte, gestörte visuomotorische Koordination)

• Erkennen Geschirr, Besteck, Nahrung nicht • Können Geschirr, Besteck, Nahrung visuell nicht

Störungen der Raumauffassung

• Schwierigkeiten • Schwierigkeiten

Apraxie

• Schwierigkeiten im Gebrauch von Besteck und Geschirr • Schwierigkeiten, den Mund willkürlich für die Nahrungsaufnahme zu öffnen • Schwierigkeiten, den Bolus willkürlich im Mundraum zu verarbeiten und zu

Sprachstörungen

• Probleme • Probleme

Gestörte Exekutivfunktionen

• Sozial unangemessen Verhalten beim Essen • Zu schnelles Esstempo oder maßloses Essen • Starres Verhalten beim Essen (wollen nur eine Speise essen) • Perseverationen bei der Nahrungsvorbereitung (Umrühren des

die Mahlzeiten oder brechen vorzeitig ab

lokalisieren und danach

greifen beim Decken des Tisches einzuschätzen, wie weit Gefäße angefüllt sind (Einschenken, Teller füllen etc.)

transportieren Ess- und Trinkwünsche zu äußern Instruktionen beim Essen und Trinken zu verstehen

Kaffees kann nicht unterbrochen werden etc.) oder beim oralen Transport (perseverierende Kaubewegungen) • Vorschnelles Abbrechen der Mahlzeiten (erhöhte Ablenkbarkeit) • Apathisches Essverhalten (Verhungern vor vollem Teller)

Tab. 13.2  Einfluss nicht-kognitiver Beeinträchtigung auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken Nicht-kognitive Beeinträchtigungen Nahrungsaufnahme/Schlucken Agitiertes Verhalten (Rastlosigkeit)

• Probleme

Aggressivität

• Weigerung

eine ganze Mahlzeit einzunehmen, am Tisch sitzen zu bleiben

Depression

• Wenig Appetit oder Nahrungsverweigerung • Sehr langsames Esstempo

Wahnvorstellungen

• Nahrungsverweigerung aus Angst vor Vergiftung • Absonderliche Ideen (z. B. Mund zu klein)

Halluzinationen

• Ablenkung

am Esstisch zu sitzen, zu essen, zu trinken oder sich bei der Nahrungsaufnahme helfen zu lassen • Herumwerfen von Besteck, Essen etc.

während der Mahlzeiten durch Halluzinationen (z. B. Ameisen krabbeln über den Tisch) • Nahrungsverweigerung durch Verkennen von Nahrung (z. B. Würmer statt Makkaroni)

13.4  Der Einfluss demenzieller Beeinträchtigungen auf die Nahrungsaufnahme und das Schlucken bei Demenz. Aufgrund der vielfältigen Symptome erscheint dies ohnehin schwierig. Zur Beurteilung der Nahrungsaufnahme und der oralen Schluckphasen steht die Klinische Schluckuntersuchung im Vordergrund. Bei Fragestellungen bezüglich der pharyngealen Schluckphase einschließlich Aspira­tionsgefahr sind bei Patienten mit ausreichender Compliance die FEES bzw. die Videofluoroskopie geeignet.

Aspirationsschnelltest und Klinische Schluckuntersuchung Garon et al. (2009) haben bei etwa 70 % der dementen Pflegeheimbewohner stille Aspirationen nachgewiesen. Sensitivität und Spezifität der gängigen Aspirationsschnelltests (› Kap. 7) wurden beim Schlaganfall oder/und an heterogenen Patientengruppen getestet. Die relativ guten Ergebnisse der in › Kap. 7.1 beschriebenen Tests sind somit nicht direkt auf die Gruppe der dementen Patienten übertragbar. Die Klinische Schluckuntersuchung beinhaltet wie in › Kap. 7.2 beschrieben die Anamnese, die Untersuchung der Schluckorgane und die direkte Schluckbeobachtung. Allerdings sind zur Erfassung der Nahrungsaufnahme und des Ess-und Trinkverhaltens spezielle Fragen an die Patienten/Angehörigen/Pflegenden erforderlich. Hierzu gibt es kaum strukturierte Vorlagen. Ikeda et al. (2002) und Shingawa et al. (2009) haben Assessmentprofile zu folgenden Schwerpunkten entwickelt: • Schluckprobleme (Husten beim Schlucken, Nahrung bleibt im Mund liegen etc.) • Veränderungen des Appetits (Inappetenz, erhöhter Appetit etc.) • Nahrungspräferenzen (Bevorzugung von Süßigkeiten, von stark gewürzten Speisen etc.) • Essgewohnheiten (mit den Händen essen, sehr langsam essen etc.) • Sonstige orale Verhaltensmuster (nicht Essbares in den Mund stopfen, nach allem Essbaren greifen etc.)

Apparative Schluckuntersuchung Weisen die Ergebnisse der klinischen Schlucktests auf eine Dysphagie mit Aspirationsgefahr hin, ist ei-

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ne apparative Schluckuntersuchung zu empfehlen. Voraussetzung für die Durchführung ist allerdings eine ausreichende Compliance des Patienten. Die fiberendoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) ist meist bei beeinträchtigter Kooperationsfähigkeit noch durchführbar, kann jedoch bei stark agitierten Demenzkranken an ihre Grenzen stoßen. Für die videofluoroskopische Schluckuntersuchung (VFS) muss der Patient transportfähig sein und, damit die Strahlenbelastung zulässige Grenzwerte nicht überschreitet, auf Aufforderung reagieren können. Primär ist zu überlegen, ob sich aus der apparativen Diagnostik für den jeweiligen Einzelfall brauchbare therapeutische Konsequenzen ableiten lassen. Gezielte restituierende und kompensatorische schluck­ therapeutische Maßnahmen sind bei beeinträchtigten kognitiven Funktionen nur begrenzt möglich. Ziele der apparativen Untersuchung bei Demenz sind: • Abklärung der Schluckeffizienz und des Aspirationsrisikos • Evaluierung der geeigneten Nahrungs- oder/und Flüssigkeitskonsistenz • Überprüfung von Schlucktechniken/Haltungsänderungen im Einzelfall • Entscheidungshilfe für oder gegen die Anlage einer Ernährungssonde

13.4.2 Anzeichen von Mangel­ ernährung und Dehydration

Krankenhauseinweisungen wegen Mangelernährung und Dehydration kommen bei dementen Patienten 10mal häufiger vor als bei nicht dementen Gleichaltrigen (Natalwala et al. 2008). Zur Prophylaxe eines Nahrungsund Flüssigkeitsdefizits ist das rechtzeitige Erkennen der klinischen Anzeichen von entscheidender Bedeutung.

Man unterscheidet zwei Arten der Mangelernährung, die quantitative und die qualitative Form. Bei der quantitativen Mangelernährung (auch Unterernährung) ist der Energiebedarf durch die Nahrung nicht gedeckt. Die qualitative Mangelernährung (auch Fehlernährung) ist auf eine Unterversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen zurückzuführen. Bei dementen Patienten können beide Formen vorliegen. Die Betroffenen essen entweder zu wenig

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

oder/und ihre Geschmacksvorlieben lassen eine ausgewogene Ernährung nicht zu. Die Dehydration (auch Austrocknung) bedeutet eine Abnahme der Körperflüssigkeit durch verringerte Flüssigkeitsaufnahme oder krankheitsbedingten Flüssigkeitsverlust.

Mangelernährung Die wichtigsten Kriterien für Mangelernährung sind laut ESPEN (The European Society for Clinical Nu­ tri­tion and Metabolism 2016): • ungewollter Gewichtsverlust • Body-Mass-Index (BMI) Zudem können neben Muskelschwäche, Müdigkeit oder auch Apathie und Antriebslosigkeit diverse Beschwerden im Bereich der Gewebe und Organe des Körpers auftreten. Äußerlich sichtbar sind z. B. eine blasse, schuppige Haut, wunde Stellen am Mund und Hämatome oder Ödeme. Oft ist es schwierig bei Demenzkranken die optimale Versorgung mit Energie zu bestimmen. Ein motorisch unruhiger Patient kann bis zu 1800 kcal mehr verbrauchen als ein Gleichaltriger, der sich wenig bewegt. Als klinischer Indikator für mögliche Mangelernährung gilt deshalb der Gewichtsverlust innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Gewichtsreduktionen von 1–2 % innerhalb einer Woche, 5 % in einem Monat, 7,5 % in drei Monaten oder 10 % in sechs Monaten weisen auf ein Ernährungsproblem hin. Bezüglich des BMI gilt nach internationalem Konsens (WHO) ein Wert unter 18,5 kg/m2 als Indikator für Mangelernährung (BMI = kg Körpergewicht/m2 Körpergröße). Für über 65-jährige Personen liegen die BMI-Normwerte mit 24 bis 29 kg/m2 etwas höher. Schlanke ältere Personen können durchaus darunter liegen. Es ist nicht erstrebenswert diese Patienten zu einer Gewichtszunahme zu nötigen, nur um den normierten Grenzwert zu erfüllen.

Dehydration Die Bestimmung der optimalen Trinkmenge gestaltet sich für alte demente Patienten ebenfalls schwierig. Als Orientierungshilfe gelten 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit täglich. Dies kann jedoch im Individualfall

stark variieren. So gibt es Patienten, die mit 1 Liter ausreichend versorgt sind, während andere mehr als 2 Liter täglich benötigen. Umso wichtiger ist es, auf mögliche Symptome der Dehydrierung zu achten. Zu den ersten Anzeichen des Flüssigkeitsmangels gehört oft eine akute Verwirrtheit (Delir). Des Weiteren sind plötzlicher Gewichtsverlust (größer 3 %), trockene Mundschleimhäute, Temperatursteigerung, niedriger Blutdruck, erhöhte Pulsfrequenz, Muskelschwäche, eingefallene Augen oder/und konzentrierter dunkler Urin mögliche Symptome (Übersicht in Wojnar und Perrar 2014). Regelmäßige, am besten wöchentliche Gewichtskontrolle und die täglich Überprüfung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme gehören zu einer guten Betreuung Demenzkranker.

13.5 Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs Empfehlenswerte Übersichten zur Thematik finden sich in systematischen Reviews von Abdelhamid et al. (2016), Bunn et al. (2016), Alagiakrishnan et al. (2013), Carnaby und Madvahan (2013) und dem Cochrane-Review-Protokoll von Herke et al. (2015). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es nach derzeitiger Studienlage noch keine sicheren Evidenznachweise über Nutzen oder Schaden bestimmter Interventionen gibt. Es lassen sich jedoch aus methodisch gut konzipierten Studien mit kleineren Stichproben erfolgversprechende Empfehlungen ableiten.

13.5.1 Verbesserung der Nahrungsund Flüssigkeitsaufnahme

Mangelernährung und Flüssigkeitsdefizit gelten als eines der Hauptprobleme in der Versorgung dementer Patienten (Abdelhamid et al. 2016).

13.5  Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs

Geeignete Speisen und Getränke Essen die Patienten während der Hauptmahlzeiten zu wenig, hilft es oft zwischendurch Fingerfood anzubieten. Man könnte Schälchen mit Obst-, Gemüse-, Käsestücken, Brothäppchen, Blätterteigtaschen, Gebäck etc. gut sichtbar im Raum oder in der Wohnung verteilt aufstellen und damit indirekt oder auch direkt zum Zugreifen anregen. Fingerfood bzw. Fingergerichte eignen sich bei entsprechender Zubereitung auch als Hauptmahlzeit für diejenigen, die nicht mehr mit dem Besteck umgehen können. Dies kann in vielen Fällen selbstständiges Essen ermöglichen und einem Gewichtsverlust vorbeugen (Jean et al. 1997). Um die Essmotivation zu fördern, erhöht man das Angebot an Lieblingsspeisen. Dabei kann die Erstellung einer Ess-Biografie (› Abb. 13.1) sehr hilfreich sein. Man befragt die Patienten und deren Angehörige, um aufgrund der Herkunft und Lebensgeschichte die vertrauten und gewünschten Gerichte herauszufinden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Geruchs- und Geschmackswahrnehmung im Alter oft ändern. Viele bevorzugen süße Speisen. Man könnte z. B. gesüßte Soßen zum Fleisch servieren, pikanten Speisen Süßungsmittel hinzufügen oder auf das Quarkbrot Honig streichen. Auch ältere Demenzkranke mit Diabetes mellitus dürfen Süßes zu sich nehmen, solange die Blutzuckerwerte unter 200–250 mg/dl liegen (Wojnar, Perrar 2014). Oft kann intensiveres Würzen der Speisen den Appetit anregen. Bestimmte Gewürze wie Chili, Ingwer und Zimt gelten angeblich als Appetitzügler. Um die Energiegewinnung zu verbessern bietet es sich an, bei Milchprodukten die fettreicheren Va­

Abb. 13.1  Bildkarten zum Erstellen einer Ess-Biografie [V384]

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rian­ten zu wählen. Man kann auch die Speisen durch Beigabe von Butter oder Öl anreichern oder im Handel erhältliche energiereiche Zusatznahrung ­ (› Tab. 13.3) dem Essen beimischen. Insbesondere unruhige mobile Demenzkranke benötigen oft mehr Energie als andere Gleichaltrige. Das Erstellen eines individuellen Speiseplans erfordert oft geduldiges Experimentieren. Dabei bietet die Zusammenarbeit mit Diätassistenten eine wichtige Hilfe. Nach Rücksprache mit dem Arzt können im Individualfall zusätzlich appetitfördernde Substanzen verabreicht werden. Zudem gilt es abzuklären, ob die Appetit­ losigkeit durch Nebenwirkungen eingenommener Medikamente verursacht ist, um diese Präparate ggf. zu ersetzen. Häufig vergessen die Patienten zu trinken. Hier hilft es an verschiedenen Stellen des Raums gut sichtbar Trinkgefäße mit Lieblingsgetränken bereitzustellen und immer wieder verbal oder gestisch zum Trinken aufzufordern. Bei Mangelernährung oder erhöhtem Energiebedarf kann man durch im Handel erhältliche Produkte Getränke hochkalorisch anreichern oder fertige Energy Drinks (› Tab. 13.3) anbieten. Auch Milchmixgetränke oder Smoothies eignen sich hierfür. Simmons et al. (2015) haben in einer RCT-Studie an 154 Patienten aus 5 Pflegeeinrichtungen das zusätzliche Anbieten von hochkalorischen Getränken mit der Gabe von Snacks (beide Interventionen jeweils 2× täglich, zwischen den Mahlzeiten, 5× wöchentlich) und einer Kontrollgruppe mit Normalversorgung verglichen. Nach 24 Wochen zeigten beide Interventionsgruppen eine Steigerung der Kalorieneinnahme, wobei die Snack-Gabe geringfügig

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

erfolgreicher war. Im Hinblick auf eine Gewichtszunahme ergab sich lediglich ein positiver Trend. Der Betreuungsaufwand war in den Interventionsgruppen mit 11 und 14 Minuten höher als in der Kon­ troll­gruppe mit durchschnittlich 3 Minuten.

Gestaltung der Rahmenbedingungen Mahlzeiten dienen nicht nur der Energieversorgung, sie sind auch eine wichtige tägliche Beschäftigung für Demenzpatienten. Eine entspannte, wohnliche Atmosphäre in Gesellschaft fördert die Motivation zum Essen und Trinken und das alltägliche Wohlbefinden. Die Rahmenbedingungen lassen sich mit relativ geringem Aufwand auch in Pflegeeinrichtungen optimieren. Neben der geeigneten Möblierung sorgt man für die entsprechende Beleuchtung mit warmen Lichtquellen und eine ansprechende Dekoration. Es gibt Hinweise, dass das Abspielen von beruhigender Hintergrundmusik während der Mahlzeiten die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme steigern kann (Wong et al. 2008). Neigen die Patienten eher zu apathischem Verhalten empfiehlt es sich mit stimulierender Musik, heller Beleuchtung und lebhaften Farben zu Aktivität anzuregen (Forbes 2014). Auch die Gestaltung des Essplatzes kann sich auf die Nahrungsaufnahme auswirken. Kleine Tischgruppen wirken wohnlicher als das Essen in langen Tischreihen. Im häuslichen Umfeld sollte der Tisch für alle gedeckt sein und die Betreuenden nehmen ebenfalls an den Mahlzeiten teil. Beim Decken des Tisches achtet man auf eine übersichtliche Tischgestaltung und verzichtet auf Dinge die ablenken. Zu

vermeiden sind deshalb üppige Tischdekorationen, stark gemusterte Tischdecken etc. Klare Strukturen sind leichter zu erkennen. Es gibt Hinweise, dass visuelle Kontraste zwischen Tischdecke und Geschirr die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme auch bei fortgeschrittener Demenz steigern (Dunnea et al. 2004). Ein weißer Teller auf weißer Tischdecke mit heller Suppe ist schwer zu erkennen. Farbige Trinkgefäße nehmen die Patienten oft besser wahr als durchsichtige Gläser (› Abb. 13.2). Manchmal ist auch vertrautes Besteck oder Geschirr die bessere Wahl. Beim Servieren sind folgende Aspekte zu berücksichtigen. Die einzelnen Gänge werden nacheinander vorgelegt und nicht alle gleichzeitig in vorgefertigten Tabletts serviert. Das Anrichten in offenen Schüsseln, aus denen sich die Patienten selbst bedienen, kann sich positiv auf das Essverhalten Demenzkranker auswirken (Altus et al. 2002). Demenzkranke achten oft nicht auf die Temperatur der Speisen und Getränke. Sind diese zu heiß besteht die Gefahr des Verbrühens. Vor dem Servieren ist deshalb die Temperatur zu kontrollieren. Im frühen und mittleren Krankheitsstadium kann man die Patienten an der Tischgestaltung, beim Aufdecken und Abräumen beteiligen und damit die Selbstständigkeit fördern.

Soziale Unterstützung, Essbegleitung Essen in angenehmer Gesellschaft steigert das Wohlbefinden und den Appetit. Es gibt Belege, dass sich gemeinsames Essen in der Gruppe zusammen mit den Betreuungspersonen positiv auf das Essverhal-

Abb. 13.2  Ornamin Ess- und Trinkhilfen mit deutlichen Farbkontrasten [V772]

13.5  Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs ten Demenzkranker auswirkt (Charras und Fremontier 2010). Die Patienten erinnern sich an familiäre Mahlzeiten, sehen bei den anderen Personen die Abläufe beim Essen und können diese nachahmen. Manche Demenzkranke reagieren verwirrt, wenn die betreuende Person nicht mitisst. Sie meinen die Essenszeit sei schon vorbei oder sie müssen noch warten, bis für alle Personen gedeckt ist. Verbale Aufforderungen und positive Verstärkung können oft das Essen und Trinken fördern. Sitzen die Pa­ tien­ten ratlos vor dem vollen Teller kann man zunächst versuchen, freundlich verbal zum Essen aufzufordern: z. B. „guten Appetit“, „ Wie schmeckt es Ihnen“. Auch positive Verstärkung wie „das schmeckt köstlich, probieren Sie mal“ kann zum Essen und Trinken anregen. Bekannte Trinksprüche aufsagen und Zuprosten fördern die Trinkmotivation (Heidler 2015). In aktuellen Übersichtsarbeiten ist eine ältere RCT-Studie von Coyne und Hoskins (1997) hervorgehoben. Durch die Intervention „verbale Aufforderung und positive Verstärkung“ konnte eine Verbesserung des Essverhaltens im Hinblick auf die Selbstständigkeit erreicht werden. Die Erfahrung zeigt, dass in manchen Fällen nonverbale Hinweise hilfreich sein können. Manchmal genügt es lediglich auf den Löffel, Teller oder das Trinkgefäß zu zeigen. Auch taktile Reize fördern ggf. die Nahrungsaufnahme. Man gibt dem Patienten das Besteck oder Trinkgefäß in die Hand und führt dieses zum Mund. Mancher erinnert sich an das motorische Programm und isst dann selbstständig weiter (Heidler 2015). Können die Patienten nicht mehr selbstständig essen, ist geduldiges und einfühlsames Zureichen der Nahrung erforderlich. Beim Essen geben nimmt die Betreuungsperson Augenkontakt mit dem Betroffenen auf und sitzt – wenn möglich – gegenüber oder zumindest im rechten Winkel zugewandt. Der Teller befindet sich im Blickfeld des Patienten. Simmons et al. (2008) haben in einer kontrollierten Studie die individuelle Betreuung während der Hauptmahlzeiten mit individueller Betreuung bei den Zwischenmahlzeiten und mit Normalversorgung verglichen. In beiden Interventionsgruppen kam es innerhalb von 6 Monaten zu einer Steigerung der Kalorienaufnahme und zu einer Gewichtszunahme bzw. zu keiner -reduktion. Die individuelle Essbegleitung während der Hauptmahlzeiten dauerte

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durchschnittlich 42 Minuten, bei den Zwischenmahlzeiten 13 Minuten, versus 5 und 1 Minute in der Kontrollgruppe mit Normalversorgung. Interessanterweise zeigte auch die weniger zeitaufwändige Betreuung während der Zwischenmahlzeiten gute Erfolge. Generell erfordert die Unterstützung beim Essen und Trinken von den Betreuenden viel Zeit, Geduld und oft auch Toleranz für nicht konforme Tischmanieren. Ein freundlicher, respektvoller Umgangston soll selbstverständlich sein. Zu vermeiden ist ein autoritärer Kommandoton wie „Mund auf! – Runterschlucken!“ oder gar Zwang, z. B. das Einspritzen von Flüssigkeiten in den Mund oder Rachen. Drängeln oder eine hektische Atmosphäre erzeugen Stress und können die ablehnende Haltung gegenüber Essen und Trinken verstärken.

Kognitives Training und multi­ sensorische Strategien Die „Spaced Retrieval-Technik (SR)“ (Verzögerter Abruf) wird seit einigen Jahren erfolgreich zum Erinnern einzelner Informationen und zum Aufbau von Routinen bei Demenzpatienten eingesetzt (Bourgeois et al. 2003). Bei der SR handelt es sich um eine Lernmethode mit geringen kognitiven Anforderungen. Man fragt zuvor erlernte Informationen nach zunehmend längeren Intervallen wiederholt ab.

Schacter et al. (1985) konnten zeigen, dass der Abruf in immer längeren Zeitabschnitten effektiver ist als in gleichen Zeitabständen. In der Arbeit mit Demenzkranken trainiert man jeweils nur eine Information pro Sitzung. Die Pausen zwischen den Abrufzeiten werden mit einfacher Konversation gefüllt, es sollen keine neuen Stimuli hinzukommen. Man verändert die Abrufintervalle zunehmend (1, 2, 4, 8 usw. Minuten). Bei fehlerhaften Antworten geht man wieder auf das vorige Intervall zurück und steigert bei Bedarf in halbierten Schritten. Die Grundlagen des Montessori-Konzepts wurden von der italienischen Kinderärztin Maria Montessori zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt.

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Leitgedanke der Montessori Pädagogik ist: „Hilf mir, es selbst zu tun“.

13 Camp und Kollegen haben dieses handlungsorientierte Konzept auf den Umgang mit demenziell Erkrankten übertragen und erste Belege über die positive Wirkung veröffentlicht (Übersicht in Camp 2001). Ziel ist es, die Selbstständigkeit Demenzkranker zu fördern, vorhandene Fähigkeiten zu aktivieren und problematisches Verhalten zu stoppen oder zu verhindern. Man versucht in einer speziell vorbereiteten Umgebung zu sinnvollen Aktivitäten anzuregen. Hierzu gehören Dinge, zu welchen die Personen eine biografische oder persönliche Beziehung haben, Materialien des praktischen Lebens oder besondere Sinnes- und Fördermaterialen nach Montessori (› Abb. 13.3). Nach anfänglicher Anregung durch die Betreuenden sollen die Demenzkranken dann möglichst selbstständig Handlungen entwickeln. Es geht darum, Tätigkeiten vorzuschlagen, die für die Betroffenen bedeutungsvoll und auf ihre Fähigkeiten abgestimmt sind. Im Mittelpunkt stehen die Stärken des einzelnen Individuums und nicht seine Schwächen. Lin et al. (2010) haben in einer RCT-Studie an Demenzkranken die SR-Technik, die Montessori-Therapie und eine Gruppe mit Normalversorgung im Hinblick auf das Essverhalten und die Nahrungsaufnahme miteinander verglichen. In der SR-Gruppe enthielt eine Sitzung jeweils nur eine Aufgabe, die in Abständen von 1, 2, 4, 8, 16 und 32 Minuten abgefragt wurde. Es begann mit der Realisierung der Essenszeit durch einen auditiven Stimulus (Mozart-

Musik). Nach erfolgreichen Wiederholungen wurde dann schrittweise bis zur Nahrungsaufnahme in den Mund mit anschließendem Kauen und Schlucken geübt. In der Montessori-Gruppe standen die HandAugen-Koordination und praktische Tätigkeiten wie Flüssigkeiten schöpfen, eingießen, Nahrung zerdrücken und das Sortieren von Essbarem und nicht Essbarem im Mittelpunkt. Zugleich wurde die Wahrnehmung der Nahrungsmittel mit allen Sinnen gefördert und das Sehen, Berühren, Riechen, Schmecken, Geräusche hören sowie die Erinnerungen an positive Erlebnisse miteinbezogen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe mit normaler Betreuung haben sich nach 8-wöchiger Therapie (3× wöchentlich, je 40 Min.) bei beiden Interventionsgruppen sowohl das Essverhalten als auch die Nahrungsaufnahme verbessert. In einer nicht-randomisierten kontrollierten Studie konnten Wu et al. (2014) mit einer kombinierten SR- und Montessori-Therapie den positiven Langzeiteffekt (6 Monate) auf das Essverhalten und die Nahrungsaufnahme Demenzkranker nachweisen. Nach einem systematischen Review von Sheppard et al. (2016) zur Montessori-Therapie bei Demenz zeigt sich eine hohe Evidenz bei der Verbesserung des Essverhaltens. Der Effekt auf die Kogni­ tion erscheint hingegen weniger erfolgreich.

Reminiscent Cooking (Erinnerungskochen) und Breakfast Club (Frühstücks­club) Hier handelt es sich um Maßnahmen zur Förderung der sozialen Interaktion und des Wohlbefindens

Abb. 13.3  Bildkarten Küchenprofi zur Unterstützung der Handlungsplanung beim Kochen [V384]

13.5  Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs durch gemeinsames Kochen, Essen etc. Das Reminiscent Cooking ist dem Konzept der Reminiszenztherapie (Erinnerungstherapie) entlehnt. Als Erinnerungstherapie bezeichnet man das Einbeziehen und Aufarbeiten biografisch relevanter Daten für primär psychotherapeutische Ziele. Für die Arbeit mit Demenzpatienten ist der Begriff Erinnerungspflege passender und von der Erinnerungstherapie abzugrenzen. Erinnerungspflege bezeichnet das Anstoßen und Austauschen von positiven Erinnerungen einzeln oder in der Gruppe in einer konfliktfreien Atmosphäre, um das Wohlbefinden, die Identität und das soziale Zugehörigkeitsgefühl zu stärken (Pflegende-Demenz-Leitlinie, 2015). Huang et al. (2009) konnten in einer Vergleichsstudie bei einer Patientengruppe mit leichter bis mittelgradiger Demenz nach vier Wochen „Erinnerungskochen“ (je 2× wöchentlich) Verbesserungen des allgemeinen Wohlbefindens nachweisen. Es wurden Gerichte gekocht, an die sich die Teilnehmer positiv erinnerten. Eine Metaanalyse von RCT-Studien zur Reminiszenz-Therapie bei Demenz belegt die Verbesserung der kognitiven Funktionen und eine Reduktion der depressiven Symptome (Huang et al. 2015). Beim sog. „Breakfast Club“ versucht man, in einer wohnlichen Atmosphäre durch den Umgang mit Nahrung (gemeinsames Zubereiten, Aufdecken, Essen, Abräumen etc.), positiver Verstärkung und gruppentherapeutischen Interaktionen zur Kommunikation anzuregen. Ziel des „Breakfast Clubs“ ist die Förderung der Kommunikation Demenzkranker.

463

Santo Pietro (1998) konnte bei Alzheimer-Patienten im mittelgradigen Demenzstadium in einer nicht-randomisierten kontrollierten Studie nach 12 Wochen Therapie (5× wöchentlich) deutliche Verbesserungen der Kommunikationsfähigkeit, des Interesses, der Partizipation und Selbstständigkeit nachweisen. Man vermutet, dass sich sowohl „Reminiscent Cooking“ als auch der „Breakfast Club“ indirekt positiv auf das Essverhalten und die Nahrungsaufnahme auswirken können.

Körperliche Aktivitäten Regelmäßige körperliche Aktivitäten reduzieren agitiertes Verhalten, was sich positiv auf das Essverhalten auswirken kann (Livingston et al. 2014). Es existieren jedoch keine ausreichenden Nachweise über die Wirksamkeit bestimmter körperlicher Tätigkeiten. Beck et al. (2010) haben in einer RCT-Studie an 121 Pflegeheimbewohnern mit leichten bis schweren kognitiven Störungen die Wirkung körperlicher Aktivitäten (2× wöchentlich, mindestens je 45 Min. Gymnastik in der Gruppe) zusammen mit anderen Interventionen (zusätzliche Nahrungsangebote, hoch­kalorische Anreicherung, intensive Mundpflege) untersucht. Im Vergleich zur Kontrollgruppe mit herkömmlicher Betreuung kam es in der Interven­ tions­gruppe nach 11 Wochen zu einer Steigerung des Gewichts und der Kalorienaufnahme.

Tab. 13.3  Verbesserung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme Verbesserung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme Geeignete Speisen und Getränke

• Bereitstellen von Snacks und Getränken zwischen den Mahlzeiten • Fingerfood als Hauptmahlzeit oder zusätzlich zwischen den Mahlzeiten • Individuelle Gestaltung des Speiseplans (Erstellen einer Ess-Trinkbiografie) • Hochkalorische Anreicherung der Nahrung/Getränke

Gestaltung der Rahmenbedingungen

• Entspannte, wohnliche Atmosphäre • Kleine Tischgruppen • Übersichtliche Tischgestaltung • Farbliche Kontraste zwischen Tischdecke und Gedeck • Einzelne Gänge nacheinander servieren, keine vorgefertigten Tabletts • Selbstbedienung aus offenen Schüsseln • Speisen nicht zu heiß anreichen • Miteinbeziehung der Patienten beim Anrichten der Speisen, Tisch decken,

abräumen

13

464

13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Tab. 13.3  Verbesserung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme (Forts.)

13

Soziale Unterstützung, Essbegleitung

• Familienähnliche Esssituationen, Essen gemeinsam mit Betreuungsperson • Verbale, non verbale Stimuli, positive Verstärkung • Möglichst individuelle Essbegleitung, dem Individualfall angepasste Dauer • Kein Drängeln oder Zwang, freundlicher, respektvoller Umgangston

Multisensorische Strate­ gien

• „Spaced Retrieval-Technik“ (Verzögerter Abruf) • Montessori-Therapie • Reminiscent Cooking (Erinnerungskochen) • Breakfast Club (Frühstücksclub)

Körperliche Aktivitäten außer­halb der Mahlzeiten

• Zum

der Mahlzeiten

Beispiel regelmäßige Gymnastik

Die genannten Strategien zur Verbesserung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sind in › Tab. 13.3 zusammengefasst.

13.5.2 Behandlung von ­Schluckstörungen

Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung von begleitenden Schluckstörungen ist die sorgfältige Diagnostik. Aufgrund der kognitiven Beeinträchtigungen und des meist fortschreitenden Krankheitsverlaufs sind der Auswahl an Strategien der FDT Grenzen gesetzt. Der Schwerpunkt liegt auf adaptiven Maßnahmen. Manche Patienten mit leichter bis mittelgradiger Demenz können jedoch auch einfache Übungen der Schluckmuskulatur und leicht erlernbare kompensatorische Techniken durchführen.

Logemann et al. (2008) untersuchten in einer RCTStudie 711 Patienten mit Demenz und/oder Parkinson-Syndrom, die alle dünnflüssige Getränke aspirierten. Mittels VFS wurde der unmittelbare Effekt von drei Interventionen geprüft (Kopfanteflexion, nektarartiges Andicken, honigartiges Andicken von Flüssigkeiten). Am wirksamsten war das honigartige Andicken der Getränke. Geringfügig schlechter schnitt die nektarartige Flüssigkeit und am schlechtesten die Kopfanteflexion ab. Schwer Demenzkranke waren bei allen drei Strategien weniger erfolgreich. Die Kopfanteflexion beurteilten die Patienten als angenehmste Maßnahme, das nektarartige Andicken lag in der Toleranzbewertung nur leicht darunter. In einer zweiten Studie an 504 Demenzerkrankten und Parkinson-Patienten haben dieselben Autoren den Einfluss der drei o.g. Strategien auf das Vor-

kommen von Pneumonien untersucht (Robbins et al. 2008). Es zeigte sich kaum ein Unterschied, lediglich ein nicht signifikanter Trend für eine geringere Pneumonie-Inzidenz bei den nektarartigen Flüssigkeiten. Andicken führte im Gegensatz zu Haltungsänderung häufiger zu Dehydration, Harnwegsinfekten oder Fieber. Die Kombination aus Kopfanteflexion und Änderung der Flüssigkeitskonsistenz wurde nicht geprüft. Nach einer kontrollierten Studie von Germain et al. (2006) an einer kleinen Stichprobe älterer Patienten mit Dysphagie (überwiegend Demenzkranke) konnten mit einer ausgewogenen Nahrungszusammenstellung und durch individuelle Anpassung der Nahrungs- und Flüssigkeitskonsistenz eine Steigerung der Nahrungsaufnahme und eine Gewichtszunahme erreicht werden. Häufig führt die Einnahme zu großer Bolusvolumen zur Aspiration. Manchmal lässt sich dies durch geeignetes Besteck wie kleine Löffel und Gabeln verhindern. Beim Trinken bieten sich Dosierbecher an (› Kap. 10.4.3). In den Übersichtsarbeiten von Abdelhamid et al. (2016) und Alagiakrishnan et al. (2013) ist die RCTStudie von Bautmans et al. (2008) hervorgehoben. Die Autoren berichten über den positiven Effekt der Mobilisation der Halswirbelsäule auf den Schluckvorgang bei schwer dementen Alzheimer-Patienten. Die Mobilisation bestand aus passiven Kopfbewegungen, eine Sitzung dauerte max. 20 Minuten und wurde eine Woche lang jeden 2. Tag durchgeführt. Nach jeder Therapieeinheit sollten die Patienten Wasser trinken. Es begann mit 3 ml Schlucken. Als Aspirationshinweise galten „Husten“ oder/und „Ausspucken“ des Wassers. Schon nach einer Sitzung konnte das Bolusvolumen von 3 auf 5 ml und

13.5  Management von Störungen der Nahrungs-, Flüssigkeitsaufnahme und des Schluckvorgangs nach einer Woche auf 10 ml erhöht werden. Auch in der einwöchigen Kontrollphase ohne Therapie blieb der Effekt stabil. Dies klingt erfolgversprechend, es existieren jedoch keine Daten zum Auftreten von möglichen Pneumonien als Folge der größeren Schlucke. Auch die Langzeitwirkung wurde nicht untersucht. Zudem ist nicht geklärt, ob sich der Schluckvorgang tatsächlich verbessert hat, da keine instrumentelle Schluckdiagnostik stattgefunden hat. Benigas und Bourgeois (2016) haben im Multiple Baseline Design bei 5 schluckgestörten De­menz­pa­ tien­ ten mit insgesamt leichten kognitiven Einschränkungen das Erlernen einfacher Schlucktechniken mithilfe der „Spaced Retrieval-Technik“ kombiniert mit visuellen Erinnerungshilfen untersucht. Voraussetzung zur Teilnahme war ein intaktes Lesesinnverständnis. Nach videofluoroskopischer Dia­ gnostik wurden je nach Individualfall maximal 2–3 einfache Techniken wie „kleine Schlucke/Bissen einnehmen, Kopfneigung nach vorne, Nachschlucken, Nachtrinken, Mund reinigen mit der Zunge etc.“ trainiert. Als visuelle Hilfen dienten kleine Kärtchen mit den Zielhinweisen z. B.: • Wenn ich trinke nehme ich kleine Schlucke. • Beim Essen und Trinken neige ich den Kopf nach vorne. • Wenn ich esse nehme ich kleine Bissen. • Nach dem Kauen schlucke ich zweimal. Konnte der Patient die mündliche Frage „Was tun Sie, um sicher zu schlucken?“ nicht beantworten, zeigte der Betreuer auf die entsprechende Antwortkarte. Im Sinne der Spaced Retrieval-Therapie verlängerte man schrittweise die Zeitabstände der Abfragen. Alle 5 Patienten konnten 2–3 einfache Techniken erlernen. Die Therapiedauer variierte je nach Individualfall von 4 bis 25 Therapieeinheiten, der Langzeiteffekt wurde nicht untersucht. Kommt es bei Demenzpatienten infolge des altersbedingten Muskelabbaus zu dysphagischen Beschwerden, könnten Kräftigungsübungen der Zunge oder/und der suprahyoidalen Muskulatur (› Kap. 10.2.4) hilfreich sein. Allerdings erfordert dies ein gewisses Maß an Kooperationsfähigkeit. › Tab. 13.4 zeigt Maßnahmen zur Behandlung von Schluckstörungen bei Demenz im Überblick.

465

Tab. 13.4  Behandlung von Schluckstörungen Behandlung von Schluckstörungen Schwerpunktmäßig: Adaptive Maßnahmen

• Anpassung

der Nahrungstextur und Flüssigkeitskonsistenz • Anpassung des Bolusvolumens

Restituierende Übungen

• Passive

Einfache kompensatorische Schlucktechniken

• Kopfneigung nach vorne • Reinigungstechniken • Kombinierte einfache Techniken

Mobilisation der Halswirbelsäule bei schwerer Demenz (soll sich positiv auf Schluckvorgang auswirken) • Einfache Kräftigungsübungen der Zunge und der supra­hyo­idalen Muskulatur bei ausreichender Kooperationsfähigkeit (soll altersbedingtem Muskelabbau vorbeugen)

(evtl. intensives Training durch Spaced Retrieval-Therapie und vi­ suel­le Hilfen)

Angehörigenberatung, Schulung der Betreuungspersonen

Da sich die meisten Demenzerkrankungen schleichend entwicklen, bemerken viele Angehörige/Betreuungspersonen Veränderungen der Nahrungsaufnahme oft sehr spät. Auch die Anzeichen von Schluckstörungen werden häufig nicht rechtzeitig erkannt.

Eine Schulung zum Ernährungsmanagement ist deshalb dringend erforderlich. Es werden diverse Seminare zur Unterstützung pflegender Angehöriger/des Pflegepersonals angeboten. Allerdings variieren Inhalte, Dauer und Intensität von Schulungsprogrammen. So gibt es bislang keine einheitlichen Standards, weder für die Betreuung zu Hause noch in Pflegeeinrichtungen. Die Ergebnisse einer kontrollierten Studie von Riviere et al. (2001) zur Schulung von Betreuungspersonen/Angehörigen, die Alzheimer-Demenz-Patienten zu Hause versorgen, erscheinen erfolgversprechend. Mit nur 9 Beratungsstunden zum Ernährungsmanagement zeigten sich nach einem Jahr in der Interventionsgruppe ein geringerer Gewichtsverlust und bessere kognitive Leistungen als in der Kontrollgruppe ohne geschulte Betreuung.

13

466

13

13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

Möglicherweise kann eine intensive Schulung des Pflegepersonals den gefürchteten Gewichtsverlust von dementen Heimbewohnern verhindern. Mamhidir et al. (2007) haben in einer kontrollierten ­Studie die Wirksamkeit eines intensiven Personal­ trainings (1 Woche theoretischer Kurs, 3 Monate Supervision) mit Betreuung ohne spezielle Schulung verglichen. Die Demenzkranken der Interventionsgruppe erreichten nach 4 Monaten eine deutliche Gewichtszunahme. Zugleich verbesserten sich nach Angaben des Personals der Kontakt zu den Patienten und die Atmosphäre beim Essen. Allerdings sind bei anderen Studien mit weniger intensivem Training die Ergebnisse nicht so erfolgversprechend (Übersicht in Bunn et al. 2016).

Ernährung mittels Sonde Wenn im mittleren oder fortgeschrittenen Stadium der Demenz Mangelernährung oder/und Dehydrierung drohen und alle Versuche gescheitert sind den Ernährungszustand zu verbessern, kann eine künstliche Ernährung die Lösung sein. Dies ist in vielen Fällen auch nur temporär oder als ergänzende Maßnahme notwendig. Es empfiehlt sich deshalb auch bei Sondenernährung immer wieder Essen und Trinken anzubieten. Für Patienten mit weit fortgeschrittener Demenz und ausgeprägtem körperlichem Abbau oder für sterbenskranke Demenz­pa­ tienten wird Sondenernährung nicht empfohlen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine PEG bei fortgeschrittener Demenz zu einer höheren Lebenserwartung, Verbesserung der Lebensqualität oder Verhinderung des Auftretens einer Aspirationspneumonie führt (Übersicht in Algiakrishnan 2013). Bei der Anlage einer PEG sind Patientenverfügungen zu beachten und es ist der mutmaßliche Wille des Erkrankten zu ermitteln (Deuschl und Maier 2016).

Das Wichtigste im Überblick • Demenz, Sammelbegriff für verschiedene demenzielle

Syndrome (irreversible und potenziell reversible Formen) • Alzheimer-Demenz, häufigste demenzielle Erkrankung • Gegebenenfalls Aspirationsschnelltest zur Einschät-

zung des Aspirationsrisikos

• Klinische Schluckuntersuchung mit mehrmaliger Beob-

achtung des Ess-/Trinkverhaltens, einschließlich der Befragung des Betroffenen und der Betreuungspersonen • Bei Verdacht auf Dysphagie apparative Schluck­diagnostik • Verbesserung der Nahrungs- und Flüssikgeitsaufnahme durch individuell angepasstes Angebot an Speisen und Getränken, Optimierung der äußeren Rahmenbedingungen, soziale Unterstützung, ggf. multisensorische Strategien, körperliche Aktivitäten • Bei Schluckstörungen primär adaptive Maßnahmen, bei leichter Demenz einfache Übungen der Schluckmuskulatur, einfache kompensatorische Strategien möglich • Schulung des Umfeldes (pflegende Angehörige, Pflegepersonal) erforderlich • Entscheidung für oder gegen eine Sondenanlage (PEG) nach sorgfältiger Prüfung des Einzelfalles LITERATUR Abdelhamid A et al. Effectiveness of interventions to directly support food and drink intake in people with dementia: systematic review and meta-analysis. BMC Geriatrics. 2016: 16: 26. Affoo RH et al. Swallowing dysfunction and autonomic nervous system dysfunction in alzheimer's disease: a scoping review of the evidence. J Am Geriatr Soc. 2013; 61: 2,203–2,213. Alagiakrishnan K et al. Evaluation and management of oropharyngeal dysphagia in different types of dementia: A systematic review. Archives of Gerontology and Geriatrics. 2013; 56 : 1–9. Altus DE et al. Using family-style meals to increase participation and communication in persons with dementia. J Gerontol Nurs. 2002; 28: 47–53. Alzheimer-Europe.org. The prevalence of dementia in Europe/Germany. www.alzheimer-europe.org. Last Update 2014 (letzter Zugriff: 03. Juli 2017). Bautmans I et al. Dysphagia in elderly nursing home residents with severe cognitive impairment can be attenuated by cervical spine mobilization. J Rehabil Med 2008; 40: 755–760. Beck AM et al. Physical and social functional abilities seem to be maintained by a multifaceted randomized controlled nutritional intervention among old (> 65 years) Danish nursing home residents. Archives of Gerontology and ­Geriatrics. 2010; 50: 351–355. Benigas JE, Bourgeois M. Using spaced retrieval with external aids to improve use of compensatory strategies during eating for persons with dementia. Am J Speech Lang Pathol. 2016; 25: 321–334. Bourgeois MS et al. A comparison of training strategies to enhance use of external aids by persons with dementia. Journal of Communication Disorders. 2003; 361–378. Bunn DK et al. Effectiveness of interventions to indirectly support food and drink intake in people with dementia: eating and drinking well in dementia (EDWINA) systematic review. BMC Geriatrics. 2016; 16: 89.

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13  Management von Störungen der Nahrungsaufnahme bei Demenz

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KAPITEL

14 14.1

Christian Pehl

Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Ursachen ösophagealer Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

14.2 Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 14.2.1 Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 14.2.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 14.3 Diagnostik ösophagealer Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Endoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Radiologische Diagnostik der Schluckfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.3 Ösophagusmanometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.4 Ösophagusimpedanzmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.5 Ösophagusszintigrafie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.6 Langzeit-pH-Metrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.7 Duodenogastroösophageale Refluxdiagnostik (Bilitec-Messung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

471 471 472 472 480 481 482 485

14.4 Diagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Relaxationsstörung im OÖS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Zenker-Divertikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.4 Refluxkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

485 485 486 486 487

14.5 Konservative Therapie ösophagealer Dysphagien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.1 Relaxationsstörung im OÖS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.2 Zenker-Divertikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.3 Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5.4 Refluxkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

488 488 489 490 491

14

14.6 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

14.1 Ursachen ösophagealer Dysphagien

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Ösophageal bedingte Dysphagien können strukturell bedingt sein oder durch funktionelle Störungen im Bereich der Speiseröhre hervorgerufen werden (› Tab. 14.1). Aufgrund von Beschwerdecharakteristik und -lokalisation lässt sich nur begrenzt auf die zugrunde liegende Erkrankung oder Störung bzw. ihre Lokalisation zurückschließen. Die Ursache kann in folgenden Bereichen liegen: • Pharyngoösophagealer Übergang (oberer Ösophagussphinkter, OÖS) • Tubuläre Speiseröhre • Ösophagogastraler Übergang (unterer Ösophagussphinkter, UÖS)

14.2 Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus 14.2.1 Physiologie Die Speiseröhre ist ein etwa 24–27 cm langer muskulärer Schlauch. Sie gewährleistet den gerichteten Transport des Speisebolus und des Speichels vom Hypopharynx in den Magen. Die Muskulatur des Ösophagus ist einzigartig aufgebaut: Im oberen Drittel besteht der Ösophagus aus quer gestreifter, im unteren Drittel aus glatter und im mittleren Drittel sowohl aus quer gestreifter als auch glatter Muskulatur. Den Ösophagus verschließen nach oral und aboral tonisch kontrahierte Sphinkteren. Diese grenzen ihn jeweils gegen Abschnitte mit unterschiedlichem Ruhedruck ab. Streng sequenziell erfolgende Kontraktionen der einzelnen Ösophagussegmente gewährleisten die Transportfunktion. Sie „schieben“ den Bolus mit etwa 2–8 cm/s in den Magen (Mittal et al. 2004). Die exakt koordinierte Relaxation des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) ist eine Voraussetzung für den störungsfreien Übertritt des im Hypopharynx beschleunigten Bolus. Ebenso muss der untere

Ösophagussphinkter (UÖS) zeitgerecht vor Eintritt des Bolus in den Magen erschlaffen. Darüber hinaus ist gerade im Bereich des UÖS eine rasche Wiederherstellung des normalen Verschlusstonus erforderlich, um den Rückfluss peptischer Noxen, z. B. von Säure, Enzymen oder Gallensäuren, in die Speiseröhre zu verhindern. Tab. 14.1  Ursachen ösophagealer Schluckstörungen Ursachen Beispiele Strukturel- Benigne und maligne Raumforderungen le Verän- (› Kap. 15): derungen • Submuköse Tumoren, z. B. Fibrom, Leiomyom, externe Kompression durch mediastinale Raumforderungen • Divertikel • Schatzki-Ring, Membranen („webs“) • Ösophagus-, Kardiakarzinome Entzündliche Erkrankungen: • Ösophagitis: Soorösophagitis, HIV, andere infektiöse Ursachen; radiogen; eosinophil; Morbus Crohn; Graft-versus-Host-Erkrankung • Refluxösophagitis mit oder ohne peptische Stenose Systemerkrankungen: • Sklerodermie, Lupus erythematodes, Sharp-Syndrom • Pemphigus/Pemphigoid/Epidermolysis • Amyloidose Traumata: • Fremdkörper • Verätzungen • Stenosen • Ösophagotracheale Fistel • Zustand nach Operation Motilitäts- Primäre Motilitätsstörungen (ausstörungen schließlich auf den Ösophagus bezogen): • Relaxationsstörung des OÖS • Diffuser Ösophagusspasmus • Ineffektive Ösophagusmotilität • Achalasie Typ I-III • Refluxkrankheit Sekundäre Motilitätsstörungen (treten im Rahmen einer anderen Grunderkrankung auf; › Kap. 3): • Zerebrovaskuläre Erkrankungen (Schlaganfall; häufigste Ursache) • Als Folge neuromuskulärer Erkrankungen • Neuropathien (alkoholische, diabetische) • Myositiden, Myopathien und -dystrophien

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien

14.2.2 Pathophysiologie Pathophysiologisches Korrelat ösophagealer Schluck­ störungen sind entweder eine gestörte Motilität der tubulären Speiseröhre oder eine Relaxa­tionsstörung der Sphinkteren, insbesondere des UÖS. Pathophysiologisch differenziert man (› Tab. 14.1; Mittal et al. 2004): • Primäre Motilitätsstörungen: Sie beschränken sich ausschließlich auf den Ösophagus. • Sekundäre Motilitätsstörungen: Sie treten im Rahmen einer anderen Grunderkrankung auf, z. B. neurologisch, systemisch, muskulär, postoperativ, im Rahmen einer Refluxkrankheit. Die Diagnostik dieser z. T. außerordentlich komplexen Motilitätsstörungen erfordert ein relativ breites Methodenspektrum.

14.3 Diagnostik ösophagealer Dysphagien Die effiziente und ökonomische Abklärung ösophagealer Schluckstörungen erfordert die richtige Reihenfolge beim Einsatz der diagnostischen Methoden.

Primär ist wegen der therapeutisch-prognostischen Konsequenz stets eine Diagnostik in Form einer En­ doskopie zum Ausschluss strukturell-organisch bedingter Ursachen durchzuführen. › Tab. 14.2 zeigt die Diagnostikmöglichkeiten bei den entsprechenden Störungsbereichen. Die klassischen Untersuchungsverfahren ergänzend zur Endoskopie zum Nachweis von Speiseröhrenerkrankungen sind: • Ösophagusmanometrie (› Kap. 14.3.3) • 24-Stunden-pH-Metrie (› Kap. 14.3.6) • Kombinierte 24-Stunden-pH-Metrie/-Impedanzmessung Die Ösophagusmanometrie kann ergänzt werden durch eine ösophageale Impedanzmessung oder alternativ eine Ösophagusszintigrafie (› Kap. 14.3.5) zur Beurteilung des Bolustransports. Speziellen Fragestellungen in der diagnostischen Abklärung der Refluxkrankheit (biliärer/intestinaler

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Tab. 14.2  Diagnostik ösophagealer Schluckstörungen Störung

Diagnostik

(Verdacht auf) Strukturelle Erkrankung

• Endoskopie • Röntgendiagnostik/Sonografie

(Verdacht auf) Motilitätsstörung

• Ösophagusmanometrie • Ösophagusimpedanzmanometrie • Ösophagusszintigrafie • Schluckkinematografie

(Verdacht auf) Refluxkrankheit

• 24-Stunden-pH-Metrie

(konventionell) • 24/48 Stunden kabellose pH-Metrie • 24-Stunden-pH-Metrie/-Impedanzmessung • Ggf. ergänzend 24-Stunden-BilitecMessung

Reflux, nichtsaurer Reflux) sind die Bilitec-Messung und die 24-Stunden-Impedanzmessung (› Kap. 14.3.4) vorbehalten.

14.3.1 Endoskopie Schluckstörungen unklarer Genese, die stets auch an ein Malignom denken lassen müssen, erfordern praktisch immer die Durchführung einer Ösopha­ gogastroduodenoskopie. Die Ösophagogastroduodenoskopie ist die primäre diagnostische Untersuchung.

Die Ösophagoskopie erlaubt im Wesentlichen den Nachweis morphologischer Läsionen der Schleimhaut (entzündlich, neoplastisch). Diese lassen sich in der gleichen Sitzung weiter bioptisch-histologisch abklären. Auf das Vorliegen von Funktionsstörungen kann nur bei ausgedehnten Prozessen aufgrund dann charakteristischer Veränderungen geschlossen werden (z. B. Achalasie, Divertikel). Bezüglich der endoskopischen Schluckdiagnostik wird auf › Kap. 8 verwiesen. Als ergänzende Untersuchung gibt die endolumi­ nale Sonografie (Endosonografie) im Rahmen der Endoskopie Aufschluss über die 3. Dimension, d. h. in erster Linie über die Tiefenausdehnung infiltrativer Prozesse und die Beziehung zu Nachbarorganen.

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Dies ist für die weitere Abklärung und Therapieplanung struktureller Läsionen (z. B. intramuraler Prozesse, Eindringtiefe von Tumoren) bedeutsam.

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14.3.2 Radiologische Diagnostik der Schluckfunktion Ergänzend zur Endoskopie kann eine radiologische Diagnostik (Bariumdoppelkontrastdarstellung, Hoch­ frequenzkinematografie bzw. Röntgen-Video­fluoro­ skopie, › Kap. 6) erfolgen. Die Röntgendarstellung der Speiseröhre weist gegenüber der Endoskopie Vor­ teile in der Diagnostik von Motilitätsstörungen und des Zenker-Divertikels (› Abb. 14.1) auf. Sie ist der

Endoskopie bei der Erkennung entzündlicher und dysplastisch-tumoröser Schleimhautveränderungen jedoch unterlegen. Bei der Aufdeckung ösophagealer Funktionsstörungen weist sie im Vergleich zu den übrigen Funktionsuntersuchungen der Speiseröhre eine geringere Sensitivität und Spezifität auf.

14.3.3 Ösophagusmanometrie Die intraluminale Druckmessung (Manometrie, › Abb. 14.2) ist immer dann indiziert, wenn aufgrund der Symptomatik eine Motilitätsstörung der Speiseröhre als Ursache der Dysphagie vermutet wird und die Endoskopie (und ggf. Röntgenkon­ trast­darstellung) keine eindeutige Ursache der Beschwerden zeigt.

Methodik

Abb. 14.1  Typischer Röntgenbefund bei Zenker-Divertikel: Aussackung der Pharynxschleimhaut mit Kompression des oberen Ösophagus [T546]

Zur Erfassung des intraösophagealen Drucks dienen flüssigkeitsperfundierte Systeme oder elektronische Mikrosensoren (› Abb. 14.3): • Perfusionssysteme: Sie eignen sich eher für die Routinediagnostik. Bei der Perfusionsmanome­ trie wird die Flüssigkeitsperfusion durch eine pneumohydraulische Pumpe erzeugt. Technisch bedingte Artefakte lassen sich aufgrund des nur sehr niedrigen Perfusionsvolumens (0,2–0,5 ml/ min) praktisch eliminieren (Cook 1998; Spechler et al. 2001; Murray et al. 2003; Pandolfino und Kahrilas 2005). • Mikrosensoren: Elektromechanische Druckaufnahmesysteme dienen bevorzugt zu Langzeitmessungen. Aufgrund ihrer schnelleren Reaktion im Vergleich zu Perfusionssystemen sind sie zudem bei Druckmessungen im Pharynxbereich vorzuziehen. Mit der zunehmenden Verbreitung der hochauflösenden Manometrie (HRM = high resolution Manometrie; siehe unten) werden zunehmend Mikrosensor-Katheter auch bei der Kurzzeit-Manometrie eingesetzt. Zur Beurteilung des koordinierten Ablaufs von Schluckakt/Peristaltik muss aufgrund der Länge der Speiseröhre der Druck an mindestens 3 Punkten im Abstand von 5 cm gemessen werden (› Abb. 14.4). Bei der Standardmanometrie (Kurzzeitmanome­

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien

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Abb. 14.2 Intraösophagealer Druckablauf (Mehrpunktmano­ metrie). Die im Rahmen eines Schluckakts auftretende charakteristische Druckwelle ist jedem ­Segment zugeordnet. Die oberste Druckwelle repräsentiert den Druckverlauf im OÖS (S = Beginn des Schluckakts), die unterste Druckwelle jenen im UÖS [T546]

Abb. 14.3  Systeme zur Ösophagusmanometrie. Links: Anlage zur Perfusionsmanometrie mit Low-Compliance-Pumpe, Katheteranschlüssen und Druckwandlern. Rechts: Manometriekatheter für die Perfusionsmanometrie bestehen aus mehreren sehr dünnen, miteinander verklebten Plastikschläuchen (im Bild rechts). Daneben eignen sich auch Katheter mit elektronischen Druckaufnehmern zur Druckmessung (im Bild links). Der dargestellte Katheter beinhaltet zudem einen elektronischen Sleeve (roter Bereich; Erklärung im Text) [T546]

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

trie) erfolgt die Beurteilung der schluckinduzierten Peristaltik durch Gabe von 10 Wasserschlucken à 5 ml im Abstand von 20–30 s. Zudem empfiehlt sich zur Erhöhung der Sensitivität eine Schnell-Trink Provokation („rapid drink challenge“) sowie die Verwendung von semisoliden (z.B. Joghurt) und festen Boli (z.B. Reis) (Wang et al. 2015; Ang et al. 2017). Die Langzeitmanometrie mit elektronischen Drucksensoren und tragbarem Datenspeichergerät erlaubt eine Aufzeichnung der Ösophaguskontrak­ tionen über 24 Stunden. Sie bietet in der Routinedia­ gnostik jedoch nur eine geringe diagnostische Zusatzinformation und hat die Kurzzeitmanometrie als Standard nicht ersetzt. Simultan mit den Druckkurven empfiehlt es sich, den Schluckakt zu registrieren (Oberflächen-EMG,

sublaryngeales Mikrofon oder Druckmesssensor im Pharynx), da sich Schluckakte im Zeitabstand < 20 s gegenseitig beeinflussen: z. B. Änderungen von Kontraktionsamplitude und Fortleitungsgeschwindigkeit bis hin zu kompletter Inhibition. Die Druckkurven im Bereich des UÖS und OÖS  sollten aufgrund der räumlichen Varianz des Sphinkterdrucks mittels zirkulär angeordneten Mess­punkten oder radiären Messsensoren bestimmt werden. Pseudorelaxation Aufgrund der longitudinalen Verkürzung der Speiseröhre beim Schluckakt kann es zu einer Dislokation der Messpunkte/-sensoren aus der Hochdruckzone kommen.

Abb. 14.4  Manometrisches Bild einer normalen peristaltischen Kontraktionswelle des Pharynx, einer kompletten Relaxation im OÖS (links im Bild) sowie einer normalen peristaltischen Kontraktionswelle im tubulären Ösophagus und einer kompletten Relaxation im UÖS (rechts im Bild). Der vertikale Strich kennzeichnet jeweils den Beginn des Schluckakts [T546]

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien Die schluckinduzierte Relaxation sollte daher durch mehrere eng benachbarte Messpunkte/-sensoren z.B. im Rahmen der HRM-Manometrie oder mit Hilfe eines Sleeve-Sensors beurteilt werden.

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Vergleichbar zur Messung der Relaxation am UÖS besteht bei Punktmessungen im OÖS die Gefahr, eine Pseudorelaxation aufzuzeichnen, da der OÖS beim Schluckakt ebenfalls eine Verschiebung in Longitudinalrichtung erfährt.

Sleeve-Manometrie Ein Sleeve-Sensor ist ein speziell konstruierter Sensor, der über eine Länge von mehreren Zentimetern den anliegenden Maximaldruck registriert. Zur Beurteilung der Relaxation sind mindestens 5 Wasserschlucke heranzuziehen (› Abb. 14.4). Da es sich beim OÖS (und im Pharynx) um quer gestreifte Muskulatur handelt, sind die Bewegungsabläufe sehr viel rascher als im Bereich des UÖS. Eine methodisch exakte Auswertung des Druckkurvenverlaufs im Sphinkter während des Schluckakts ist nur mit elektronischen Mikrosensoren möglich.

Bei Fragen zur Relaxation des OÖS sollte daher eine Messung mit einem Sleeve-Katheter oder eine HRMManometrie erfolgen. Zur exakten Beurteilung des minimalen Restdrucks („Nadir“) bei der Relaxation des OÖS scheinen „Trockenschlucke“ besser ge­ eignet zu sein als Wasserschlucke. Bei Wasser­ schlucken lässt sich aufgrund der Registrierung des Intrabolusdrucks bei der Passage des Wassers durch den OÖS die Basisdrucklinie nicht exakt beurteilen (Williams et al. 2002).

Abb. 14.5  Farbtopografisches Bild des Schluckakts in der hochauflösenden Ösophagusmanometrie: Der intraösophageale Druck wird farbkodiert dargestellt (Farbskala linke Seite), die Zeitachse in der Horizontalrichtung. Das obere Druckband entspricht dem OÖS, das untere dem UÖS. Mit dem Schlucken von 5 ml Wasser kommt es zur Relaxation von OÖS und UÖS (Druckausgleich mit dem Magendruck kenntlich an der blauen Farbe). Nach der Relaxation läuft die Kontraktionswelle durch den tubulären Ösophagus aboral (in Richtung Magen). Am Übergang vom oberen Speiseröhrendrittel (quer gestreifte Muskulatur) zu den beiden unteren Dritteln (glatte Muskulatur) besteht physiologisch eine Zone mit relativ niedrigem Druck und kurzer Zeitverzögerung im peristaltischen Kontraktionsablauf (Transitionszone) [T546]

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Zusätzlich sollten aber Wasserschlucke (à 10 ml) erfolgen, da der bei diesen messbare pharyngeale Intrabolusdruck (Druckanstieg vor der Kontraktionswelle während der Passage des Speisebolus/Wassers an den Messsensoren) ein hilfreicher Indikator für einen erhöhten Flow-Widerstand im Bereich des OÖS ist (Cook 1998; Williams et al. 2002). Auch wenn sich die pharyngealen Kontraktionsspitzendrücke nur mit elektronischen Druckaufnehmern exakt abbilden lassen, liegt die Kontraktionsamplitude einer pathologisch schwachen („niedrigen“) Pharynxkontraktion (< 60 mmHg) in einem Bereich, der mittels Perfusionsmanometrie akkurat dargestellt wird (Cook 1998). So erscheint für klinische Fragestellungen eine Perfusionsmanometrie derzeit ausreichend. Diese sollte dabei als HRM-Manometrie erfolgen (siehe unten).

High-Resolution-Manometrie (HRM) Die Ösophagus-Manometrie sollte heutzutage mittels hochauflösender Manometrie erfolgen (Fox et al. 2007). Hierbei wird ein Messkatheter mit mindestens 20 Druckaufnehmern verwendet, sodass sich die gesamte Speiseröhre „hochauflösend“ im Zentimeterabstand ohne Katheterrückzug beurteilen lässt. Die Druckwerte werden dann digitalisiert, in Farbgrafiken umgewandelt und so der Druckverlauf über die gesamte Speiseröhre dargestellt (› Abb. 14.5). Durch Kombination mit einer Impedanzmessung lässt sich simultan die (In-)Effektivität der Druckwelle erfassen (› Abb. 14.6, › Abb. 14.7). Bei 10– 20 % der Patienten mit funktioneller Dysphagie liefert die HRM Zusatzinformationen zur konventionellen Manometrie. Dies bezieht sich sowohl auf den

Abb. 14.6  Kombinierte HRM-Manometrie und Impedanzmessung: Die farbtopografische Darstellung zeigt eine propulsive peristaltische Welle mit jedoch repetitiven, hochamplitudigen Nachkontraktionen im distalen Ösophagus. Die Impedanzkurven (weiße Linien) zeigen mit Beginn des Wasserschlucks einen Impedanzabfall (bessere Leitfähigkeit durch Wassersäule im Ösophagus; schwarze Pfeile). Die Kontraktionswelle, kenntlich am Wiederanstieg der intraösophagealen Impedanz (rote Pfeile), schiebt das eingeschluckte Wasser vor sich her in den Magen [T546]

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien OÖS, die tubuläre Motilität (verbesserte Detektion einer segmentalen Dysfunktion) als auch auf Störungen des UÖS. Im OÖS weist die HRM mit elek­ tronischen Drucksensoren im Gegensatz zur SleeveManometrie eine ausreichend hohe Reaktionsgeschwindigkeit auf, um die raschen Kontraktionsabläufe und hohen Kontraktionsamplituden der quer gestreiften Muskulatur exakt aufzeichnen zu können.

Auswertungskriterien Entsprechend ihren funktionellen Besonderheiten müssen die speziellen Auswertungskriterien für

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UÖS, tubuläre Speiseröhre und OÖS getrennt behandelt werden.

Unterer Ösophagussphinkter Die schluckinduzierte Relaxation erfolgt etwa 2–3 s nach Schluckinitiierung und dauert, je nach Größe und Viskosität des Speisebolus, 5–10 s an. In der Phase der Relaxation fällt der UÖS-Druck auf das Niveau des Magenfundusdrucks ab (komplette Relaxation: < 8 mmHg über Magenfundusdruck bei der konventionellen Manometrie; IRP = integrated relaxation pressure < 15mmHg bei der HRM-Manometrie).

Abb. 14.7  Kombinierte HRM-Manometrie und Impedanzmessung bei Achalasie: Die farbtopografische Darstellung zeigt beim Schlucken (Doppelschluck) eine Relaxation des OÖS (oberes Druckband), jedoch keine Relaxation des UÖS (= Achalasie; unteres Druckband). Im tubulären Ösophagus entstehen nur 2 niedrigamplitude Kontraktionsformationen, die nicht peristaltisch, sondern zeitgleich auftreten (simultane Wellen). Die Impedanzkurven (weiße Linien) zeigen mit Beginn des 1. (Wasser-)Schlucks einen Impedanzabfall (bessere Leitfähigkeit durch Wassersäule im Ösophagus; schwarzer Pfeil). Die simultane Kontraktionswelle führt durch Verkleinerung des Ösophaguslumens nur zu einem kurzzeitigen Impedanzanstieg (rote Pfeile). Aufgrund der niedrigen Kontraktionsamplituden (ineffektive Peristaltik) sowie der fehlenden UÖS-Relaxation erfolgt jedoch kein Wassertransport, sodass die Impedanzkurve mit Erweiterung des Ösophaguslumens nach der Kontraktion sofort wieder abfällt („stehende“ Wassersäule im Ösophagus; schwarze Pfeile) [T546]

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Eine Druckdifferenz zwischen maximaler Relaxation und Magenfundusdruckniveau wird als Residualdruck bezeichnet. Sie weist immer auf eine pathologische Veränderung des Sphinkterverhaltens, z. B. Achalasie, Tumor­ infiltration, hin.

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Da beim inspiratorischen Druckniveau eine Summation aus dem myogenen UÖS-Druck (= endexspiratorischer Druck) und einer Druckkomponente durch das umgebende Zwerchfell zu verzeichnen ist, ist der Ruhedruck des UÖS davon abhängig, wann er gemessen wird: • Endexspiratorisch • Mittelinspiratorisch • Endinspiratorisch Der mittelinspiratorische UÖS-Druck liegt bei etwa 10–45 mmHg. Im Einzelfall können physiologisch höhere Drücke, z. B. im Rahmen zyklischer motorischer Phasen des oberen Magen-Darm-Trakts, oder niedrigere Drücke, z. B. postprandial, vorkommen. Bei einer Hiatushernie kann bei der Durchzugsmanometrie als Folge des Auseinanderweichens dieser beiden Druckkomponenten eine kamelbuckelartige Konfiguration der UÖS-Druckkurve entstehen. Im Rahmen der Durchzugsmanometrie lässt sich anhand des Respiratory Inversion Point der Zwerch­felldurchtritt des UÖS/Ösophagus bestimmen. Im abdominalen Bereich zeigt sich bei der Inspiration ein Druckanstieg (erhöhter intraabdominaler Druck bei der Inspiration), intrathorakal ein Druckabfall (negativer intrathorakaler Druck bei der Inspiration). Dieser Respiratory Inversion Point ist wichtig, wenn man die Gesamtlänge des UÖS (normalerweise ≥ 3–4 cm) und die Länge des intraabdominal gelegenen UÖS-Anteils (normalerweise ≥  1 cm) ermitteln will (Richter et al. 1987; Spechler et al. 2001; Murray et al. 2003; Mittal et al. 2004). Eine Differenzierung von myogenem UÖS-Druck und Zwerchfelldruck ist auch mit Hilfe der HRM-Manometrie möglich (Fox et al. 2007). Dadurch lässt sich mittels HRM-Manometrie das Vorliegen einer Hiatushernie nachweisen (Weijenborg et al. 2015; Kahrilas et al. 2015).

Tubuläre Speiseröhre Bei den 10 Wasserschlucken werden die Amplituden der einzelnen Kontraktionen, d. h. die Druckdiffe-

renz zwischen Basislinie und Maximaldruck, und deren Dauer, d. h. die Zeit von Beginn des Druckanstiegs bis zum Druckabfall auf die Basislinie, bestimmt und der Mittelwert aus den 10 Einzelschlucken berechnet. Kontraktionsamplitude und -dauer nehmen dabei in den glattmuskulären distalen zwei Dritteln der Speiseröhre von oral nach aboral zu. Die Normalwerte der Kontraktionsamplitude sind somit abhängig von der Lokalisation des Messpunkts/sensors und liegen für die distale Speiseröhre im Bereich von 30–180 mmHg. Die Kontraktions­ dauer beträgt zumeist 2–4 s. Bei doppelgipfeligen Kontraktionen, die physiologischerweise vorkommen können, ist die Kontraktionsdauer entsprechend länger. In der HRM-Manometrie wird als Parameter für  die Stärke der peristaltischen Kontraktions­ welle das distale kontraktile Integral (DCI) aus Amplitude × Kontraktionsdauer × Kontraktionslänge (mmHg*s*cm) bestimmt. Das Messintegral reicht dabei von der Transitionszone (Übergang von der quergestreiften zur glatten Ösophagusmuskulatur; ca. oberes zu mittlerem Ösophagusdrittel) bis zum Oberrand des UÖS. Der Normalbereich für den DCI liegt zwischen 450 und 8000 mmHg*s*cm. Ein DCI < 100 definiert eine ausgefallene Kontraktion, ein DCI zwischen 100 und 450 eine verminderte („weak“) Kontraktionswelle, ein DCI > 8000 eine hyperkontraktile Peristaltik („Jackhammer“-Ösophagus). Beurteilt wird in der tubulären Speiseröhre weiterhin die Fortleitungsgeschwindigkeit der Kontraktionen, um peristaltische, d. h. koordiniert fortgeleitete bzw. spastische Kontraktionswellen nachweisen zu können. Bei spastischen Kontraktionen treten Kontraktionen gleichzeitig an mehreren Stellen der Speiseröhre auf (Fortleitungsgeschwindigkeit > 8 cm/s; „distal latency“ (DL) < 4,5s, gemessen vom Beginn der OÖS-Relaxation bis zum kontraktilen Dezelerationspunkt (DCI) = Abnahme der Kontraktionsgeschwindigkeit am Übergang vom tubulären Ösophagus zum ampullären Ösophagus im UÖS-Bereich). Dies kann den Speisetransport blockieren. Ein Anteil spastischer Kontraktionen von ≥ 20 % gilt als pathologisch.

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien

Weitere pathologische Befunde (Richter et al. 1987; Spechler et al. 2001; Fox et al. 2007; ­Kahrilas et al. 2015) Ösophagusmotilität: Anteil niedrigamplitudiger (< 30 mmHg im distalen Ösophagus bzw. DCI 100-450 mmHg*s*cm) oder ausgefallener Kontraktionen (DCI < 100) ≥ 50 % • Mehrgipfelige Kontraktionen (≥ 3 Gipfel) • Verbreiterte Übergangszone in der HRM-Manometrie (> 2 cm, > 1 s; › Abb. 14.8) = fragmentierte Kontraktion: Zone mit niedrigen Kontraktionsamplituden und zeitlicher Verzögerung der Kontraktionswelle am Übergang vom proximalen Drittel (quer gestreifte Muskulatur) zu den distalen zwei Dritteln (glatte Muskulatur) → fragmentierte Peristaltik: ≥ 50% fragmentierte Kontraktionen mit DCI > 450 mmHg*s*cm. • Ineffektive

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Oberer Ösophagussphinkter Die Gesamtlänge des OÖS beträgt 2,5–3 cm. Die manometrisch messbare Hauptkomponente der Hochdruckzone umfasst dabei ein ca. 1 cm langes Segment im Bereich des M. cricopharyngeus. Der maximale Ruhedruck des OÖS ist abhängig vom Alter des Patienten und vom Messsystem, insbesondere dem Durchmesser des Manometriekatheters. Er kann bis 120 mmHg erreichen. Aufgrund der ventrodorsalen Zugrichtung des M. cricopharyngeus besteht zudem eine ausgeprägte zirkuläre Varianz des OÖS-Drucks, sodass je nach Lokalisa­ tion des Messpunkts/-sensors Werte zwischen 20 und 120 mmHg gemessen werden. Im Vergleich zum UÖS ist die Relaxationszeit mit 0,5–1,5 s sehr kurz. Es folgt ein postrelaxativer Druckanstieg von mindestens 20–40 mmHg, der

Abb. 14.8  Kombinierte HRM-Manometrie mit pathologisch verbreiterter Transitionszone: Der zeitliche Übergang zwischen der Kontraktionswelle im oberen Speiseröhrendrittel (= quer gestreifte Muskulatur) und den unteren zwei Dritteln [= glatte M.] ist verbreitert (> 1 s; schwarzes Dreieck). Zudem ist der Druck im mittleren Ösophagusdrittel pathologisch niedrig (< 30 mmHg; siehe Farbskala). Dadurch bleibt ein Teil des eingeschluckten Wassers in der Speiseröhre zurück, kenntlich am persisitierenden Druckanstieg hinter der Kontraktionswelle (= Bolus-Escape mit Dysphagie; roter Kreis) [T546]

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

e­twa 2–4 s andauert (Cook 1998). Zur Relaxation des OÖS kommt es dabei nicht nur beim Schluckakt, sondern auch, getriggert durch die Ösophagusdistension, im Rahmen des Aufstoßreflexes. Eine komplette Relaxation liegt vor, wenn der Minimaldruck während der Relaxation eines Trockenschlucks dem pharyngealen Druck entspricht (Williams et al. 2002). Kurzfristig kann der Druck sogar unter das Druckniveau des Pharynxdrucks abfallen, da mit der Öffnung des UÖS die Ösophaguswand nicht mehr dem Katheter anliegt (und der negative Intrathorakaldruck messtechnisch ermittelbar wird). Eine zeitgerechte Relaxation liegt vor, wenn der Ruhedruck des OÖS mit Beginn der pharyngealen Kontraktionswelle um ≥ 50 % abgefallen ist. Ein Intrabolusdruck ≥ 19 mmHg für 10-ml-Wasserschlucke weist auf einen erhöhten Flow-Widerstand im Bereich des OÖS hin (Relaxationsstörung oder fibrotischer Umbau; Cook 1998). Da die pharyngealen Kontraktionsamplituden vom Alter des Patienten und vom Messsystem (z. B. Messart oder Katheterdurchmesser) abhängen, muss jedes Labor seine eigenen Normalwerte erstellen oder mit vergleichbarer Messmethodik erstellte, publizierte Daten verwenden. Dabei ist zudem die Katheter- bzw. Messpunktorientierung zu beachten, da nicht nur der OÖS, sondern auch die Pharynxkontraktionen eine radiäre Druckasymmetrie aufweisen (Cook 1998). Vorteil der HRM-Manometrie bei der OÖS-Untersuchung ist, dass die Position eines erhöhten Intrabolusdrucks sich exakt registrieren lässt, die präzise mit dem Ort der obstruierenden Pathologie übereinstimmt (Fox et al. 2007). Zudem kann der Druckverlauf vom Velopharynx über die Zungenbasis und den pharyngealen Kontraktionen bis zum OÖS exakt dargestellt werden (Omari et al. 2012, 2012a).

Da Relaxation und Öffnung des OÖS zwar miteinander korrelieren, aber dennoch voneinander unabhängige Funktionen sind, kann bei einer manometrisch nachweisbaren Relaxationsstörung nicht auf eine Störung der OÖS-Öffnung im Rahmen des Schluckakts zurückgeschlossen werden und umgekehrt (Cook 1998; Williams et al. 2002). Röntgenkinematografie und Ösophagusmanometrie sind da-

her komplementäre Untersuchungstechniken zur Beurteilung des hypopharyngoösophagealen Übergangs. Die Manometrie kann, im Gegensatz zur Kinematografie, die propulsiven und resistiven Kräfte quantifizieren. Optimalerweise kombiniert man beide Verfahren. Jedoch ist die kombinierte kinematografisch-manometrische Technik aufgrund des großen Aufwands zumeist nur in Forschungseinrichtungen etabliert. In der klinischen Routine ermöglicht die Kombination einer Impedanzmessung (siehe unten) mit der HRM-Manometrie (HRIM = high resolution Impedanz-Manometrie) eine Aussage über das Ausmaß der OÖS-Öffnung (Omari et al. 2012). Der Nadir der Impedanzkurve korreliert präzise mit dem Ausmaß der OÖS-Öffnung. Jedoch kann die HRIM im Gegensatz zur Röntgendarstellung nur eingeschränkt eine Aussage zur Ursache der Öffnungsstörung liefern, z.B. niedriger Pharynxdruck oder erhöhte statische Compliance.

14.3.4 Ösophagusimpedanzmessung Das Prinzip der Impedanzmessung beruht auf der Abhängigkeit des Widerstands eines Stromflusses zwischen 2 benachbarten Elektroden in Abhängigkeit von der Art der Substanz zwischen beiden Elektroden. Die Impedanzmessung registriert Widerstandsdifferenzen bei der Passage von Luft oder Flüssigkeiten (› Abb. 14.9): Die Passage von Luft führt dabei zu einer Impedanzzunahme (Abnahme des Stromflusses durch Widerstandserhöhung), die Passage von Flüssigkeiten zu einer Impedanzabnahme (Zunahme des Stromflusses durch Widerstandsverringerung). Ein Katheter mit mehreren Impedanzmesspunkten erlaubt daher die Registrierung und Quantifizierung des ösophagealen Bolustransports (Sifrim et al. 2004; Tututian et al. 2004). Gestörter Bolustransport Basierend auf Validierungsdaten bei Normalpersonen (Nguyen et al. 2005) liegt ein solcher vor, wenn • der Bolustransit von Wasser bei ≥ 30 % der Schluckakte inkomplett ist bzw. • der Bolustransit visköser Speisen bei ≥ 40 % der Schluckakte inkomplett ist.

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien

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14 Abb. 14.9  Impedanzmessung mit Passage eines flüssigen Bolus. Die oberen 4 Kurven zeigen die Impedanzmessung, die unteren 4 die gleichzeitige Druckmessung. Mit der Passage eines flüssigen Bolus fällt die Impedanz ab. Entsprechend der Boluspassage ist dieser Impedanzabfall von oral nach aboral zeitversetzt. Wie gut erkennbar ist, geht der Flüssigkeitsbolus der Kontraktionswelle voran, d. h., die Kontraktionswelle treibt die Flüssigkeit vor sich her und verhindert einen retrograden Flow [T546]

Optimalerweise werden Manometrie und Impedanzmessung in einem Spezialkatheter kombiniert. Dadurch lässt sich unmittelbar die Auswirkung einer gestörten Peristaltik auf den Bolustransport beurteilen. Wie derartige Untersuchungen ergaben, gingen manometrisch normale ösophageale Druckverläufe beim Schluckakt in 96 % mit einem kompletten Bolustransit einher. Bei manometrisch ineffektiven Druckkurven (› Kap. 14.3.3) war dies aber nur in 33 % der Fall. Bei spastischen Kontraktionen ist der Bolustransport überraschenderweise bei der Hälfte der Fälle (53 %) noch normal. Dies ist wohl damit zu erklären, dass spastische Kontraktionen vielfach nur im distalen Ösophagus auftreten (Tututian et al. 2004). Kombiniert mit der pH-Metrie eignet sich die Impedanzmessung ebenfalls zur Refluxdiagnostik, da sie nicht nur den oral-aboralen Bolustransit regis­ triert, sondern auch gastroösophagealen Reflux. Aufgrund der unterschiedlichen Impedanzwerte von Flüssigkeit und Luft läss sich mit Hilfe der Impedanzmessung zwischen Luftaufstoßen und Volumenreflux differenzieren. Die Impedanzmessung ist somit geeignet zur Differenzierung physikalischer Refluxcharakteristika, während Langzeit-pH-Metrie

(›  Kap. 14.3.6) und Bilitec-Messung (› Kap. 14.3.7) chemische Refluxeigenschaften aufzeigen. Vorteil einer kombinierten Impedanzmessung und pH-Metrie ist folglich, dass sich nicht nur saurer, sondern auch nichtsaurer (Volumen-)Reflux aufzeichnen lässt. Zwar ist vorwiegend der saure Reflux für die Entwicklung einer Speiseröhrenentzündung verantwortlich. Nichtsaurer Reflux kann jedoch ebenfalls Beschwerden hervorrufen (Sifrim et al. 2004; Shaker 2004).

14.3.5 Ösophagusszintigrafie Alternativ zur Impedanzmessung lässt sich der Bolustransit (ante- wie retrograd) durch eine Ösophagusszintigrafie quantifizieren. Diese ist auch geeignet zur Beurteilung des Therapieeffekts von Ösophagusmotilitätsstörungen. Die technischen Voraussetzungen zur Durchführung und Auswertung einer Ösophagusszintigrafie sind an jeder nuklearmedizinischen Abteilung gegeben. Als Trinksubstanz dienen radioaktiv markierte Wasserboli oder – sensitiver – semisolide Boli, von denen mehrere (6–8) jeweils im Abstand von 30 s geschluckt werden.

482

14

14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Bezüglich technischer Einzelheiten und Auswertungsalgorithmen sei auf die Empfehlungen zur Ösophagusszintigrafie durch die Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität verwiesen (Katschinski et al. 2002). Innerhalb von 12 s nach dem Schlucken sollten 91 % eines flüssigen und 85 % eines breiigen Bolus im Magen angelangt sein. In einer Serie von 6 Boli bei normalen quantitativen Transportparametern sind bis zu 2 Schluckakte, in deren Verlauf der Bolus nicht komplett in den Magen befördert wird, noch als normal zu betrachten. Für die zusammenfassende Beurteilung und die Angabe spezifischer Diagnosen, z. B. Achalasie oder diffuser Ösophagusspasmus (› Kap. 14.4.3), kann aus den Ort-Zeit-Matrizes der Einzelschlucke ein repräsentatives Summenbild erstellt werden. Auch im Bereich des (Oro-)Pharynx kann man die Szintigrafie zur Beurteilung der Vollständigkeit des Bolustransfers heranziehen, z. B. zur Quantifizierung des Effekts einer krikopharyngealen Myotomie (Cook et al. 1998).

bei Verdacht auf gastroösophagealen Reflux bei atypischen Refluxbeschwerden wie Thoraxschmerzen, Dysphagie, Odynophagie, Globus, Heiserkeit, Laryngitis, unklarem, insbesondere nächtlichem chronischem Husten und Asthma. Die Langzeit-pH-Metrie/Impedanzmessung ist ferner unerlässlich für die Dokumentation des Refluxes vor geplanter chirurgischer Antirefluxtherapie (Pehl et al. 2003, 2012; › Kap. 15).

Methodik Das Messsystem der Langzeit-pH-Metrie der Speiseröhre besteht üblicherweise aus (› Abb. 14.10): • Intraösophageal zu platzierender pH-Elektrode • Tragbarem, batteriebetriebenem Datenspeicher, ähnlich einem Langzeit-EKG-Gerät • Rechnergestützter Auswertungseinheit Für spezielle Fragestellungen kann eine Mehrpunktmessung (gastral-ösophageal, distaler und proximaler Ösophagus, ösophageal-pharyngeal) erfolgen.

Nachteil Strahlenbelastung Die effektive Ganzkörperdosis des Patienten ist mit ca. 2 mSv wesentlich geringer als bei der radiologischen Untersuchung der Speiseröhre mit ca. 50 mSv/min Durchleuchtungszeit.

14.3.6 Langzeit-pH-Metrie Die 24-Stunden-pH-Metrie dient der quantitativen Erfassung der pH-Änderungen in der distalen Speiseröhre zum Nachweis sauren Refluxes aus dem Magen in die Speiseröhre. Sie ist typischerweise indiziert, • wenn der Patient charakteristische klinische Beschwerden im Sinne einer Refluxkrankheit, z. B. Sodbrennen, das Gefühl des Hochlaufens von Säure oder retrosternaler Schmerz und Druck, bei endoskopisch negativem Befund angibt, • sowie bei vermeintlichem Therapieversagen unter probatorischer medikamentöser Antireflux­ therapie. Zunehmende Bedeutung gewinnt die Langzeit-pHMetrie in Kombination mit der Impedanzmessung

Abb. 14.10  Datenspeichergerät für die 24-Stunden-pH-Me­ trie, Antimon-pH-Messsonde und kutane Referenzelektrode [T546]

14.3  Diagnostik ösophagealer Dysphagien Die pH-Elektrode ist eine dünne, flexible Sonde, an deren distalem Ende ein pH-Sensor angebracht ist. Im Untersuchungslabor wird die geeichte pHElektrode transnasal bis in die distale Speiseröhre eingeführt, sodass der pH-Sensor 5 cm oberhalb des UÖS (manometrische Platzierungsmethode) bzw. 5 cm oberhalb des pH-Sprungs zwischen Magen und Ösophagus (pH-Sprung-Methode) zu liegen kommt. Die Elektrode ist verbunden mit dem tragbaren Datenspeicher (› Abb. 14.10). Am Ende der Messperiode (üblicherweise 24 Stunden) werden die Daten dann mittels PC ausgewertet (› Abb. 14.11). Bei der kabellosen pH-Metrie („Bravo-System“) wird eine pH-Messsonde transnasal oder transoral mit einem speziellen Applikator an die Schleimhaut des distalen Ösophagus angeklippt. Sie überträgt telemetrisch-kabellos die Messdaten an ein tragbares Speichergerät. Vorteil der Methode ist die fehlende Beeinträchtigung des Patienten während der Untersuchungsdauer und damit die Möglichkeit, die Untersuchungsdauer zur Erhöhung der Sensitivität auf 48 Stunden auszudehnen. Nachteil sind die hohen Kosten pro Untersuchung, die durch die Kassenvergütung bisher nicht abgedeckt sind (Pandolfino und Kahrilas 2005).

Abb. 14.11  Ergebnisse einer 24-Stunden-pH-Metrie mit physiologischer (oben) bzw. pathologischer Refluxmenge (unten). Die grün hinterlegten Abschnitte entsprechen der Liegendphase, die gelben Abschnitte Mahlzeiten und die roten Abschnitte Phasen mit Beschwerden (Sodbrennen). Re­ flux­ereignisse sind definiert durch einen pH-Abfall < 4 (horizontale rote Linie) [T546]

483

Um bei der pH-Metrie ein realistisches Refluxprofil zu erhalten, sollte der Patient alle säureblockierenden oder -bindenden Medikamente rechtzeitig absetzen (H2-Blocker 2 Tage vor der Untersuchung, Protonenpumpeninhibitoren 6 Tage). Erfolgt die Untersuchung zur Beurteilung einer ausreichenden Blockade der Säuresekre­ tion bzw. des gastroösophagealen Refluxes, wird die Medikamenteneinnahme selbstverständlich fortgesetzt.

Die Langzeit-pH-Metrie soll bevorzugt unter ambulanten Bedingungen erfolgen, wobei der Patient möglichst seinen normalen Lebensrhythmus einhält. Empfohlen werden 3 Hauptmahlzeiten, bei denen Nahrungsmittel oder Getränke mit niedrigem pH-Wert, z. B. Cola oder Fruchtsäfte, gemieden werden. Zur Erleichterung der Auswertung, insbesondere um einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Beschwerden und Refluxepisoden zu erkennen, bittet man den Patienten um die Dokumentation des Tagesablaufs einschließlich eventuell auftretender Beschwerden. Die Sensitivität der pH-Metrie für die Diagnose einer Refluxkrankheit lässt sich durch kombinierte 24-Stunden-pH- und Impedanzmessung erhöhen – insbesondere weil bei der kombinierten Messung auch schwach saure und nichtsaure Refluxereignisse nachgewiesen werden, die ebenfalls Beschwerden hervorrufen können.

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484

14

14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Auswertungskriterien

Tab. 14.3  Normwerttabelle (95 %-Perzentile) für die 24-Stunden-pH-Metrie (nach Richter et al. 1992)

Standardisierte Auswertung

Quantitative Messparameter

Normwert

Prozentuale Zeit pH < 4 in 24 Stunden

5,8 %

Prozentuale Zeit pH < 4 aufrecht

8,2 %

Prozentuale Zeit pH < 4 liegend

3,5 %

Refluxepisoden in 24 Stunden

46

Refluxepisoden > 5 min

4

Längste Refluxepisode

19 min

Standardisiert werden im Untersuchungszeitraum bestimmt: • Anzahl der Refluxepisoden, definiert als pH-Abfall < 4 • Anzahl der Refluxepisoden mit > 5 min Dauer, als Hinweis auf eine Störung der ösophagealen Säure-Clearance • Kumulative Refluxzeit • Prozentuale Zeit mit pH < 4 als entscheidendem Parameter für die Wertung der pH-Metrie als normal oder pathologisch Die Parameter werden dabei getrennt für die Zeiten in aufrechter Körperposition (~ Tagesperiode) und in liegender Körperposition (~ Nachtperiode) berechnet. Für die Diagnose (nichterosive) Refluxkrankheit ist dabei ausreichend, wenn die prozen­ tua­le Zeit in zumindest einer der beiden Perioden über dem Normbereich liegt. Alternativ lässt sich mit vergleichbarer Sensitivität und Spezifität der DeMeester-Score berechnen. Dieser setzt die Parameter in › Tab. 14.3 anhand eines speziellen Algorithmus in einen einzigen Score-Wert um. Für Normwerte für die pH-Metrie – eine geringe Menge gastroösophagealen Refluxes über 24 Stunden ist physiologisch – siehe ebenfalls › Tab. 14.3.

Symptom-Reflux-Korrelation Neben den quantitativen Messparametern gilt es die Koinzidenz von Refluxepisoden und klinischen Beschwerden des Patienten zu beurteilen, z. B. • mit Hilfe eines einfachen „Symptomindex“: Zahl der refluxkorrelierten Symptome/Gesamtzahl der Symptome × 100; Symptomindex ≥ 50 % beweist Refluxgenese der Beschwerden • mit Hilfe einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung („symptome-association-probability“): Berücksichtigung der Möglichkeit des rein zufälligen Zusammentreffens von Refluxepisode und Symptom (zur Methodik der Berechnung: Pehl et al. 2003, 2012)

Klinische Relevanz Basierend auf der quantitativen Refluxanalyse und der Beurteilung der Symptom-Reflux-Korrelation ergeben sich die im Folgenden dargestellten Bewertungsmöglichkeiten (Pehl et al. 2003, 2012).

Pathologische pH-Metrie Die quantitative Auswertung zeigt eine pathologische Refluxmenge: • mit positiver Symptom-Reflux-Korrelation → Refluxkrankheit verursacht die Beschwerden des Patienten. • mit negativer Symptom-Reflux-Korrelation → Refluxkrankheit verursacht nicht die (atypischen) Beschwerden des Patienten; demnach liegt eine Komorbidität vor.

Bewertung einer pH-Metrie ohne pathologische Refluxmenge Unter Berücksichtigung der Beschwerdesymptomatik des Patienten und der Symptom-Reflux-Korrelation während der pH-Messung können nach Durchführung einer pH-Metrie auch bei im Normbereich liegender Refluxmenge noch differenzialdiagnostische Aussagen getroffen werden:

Hypersensitiver Ösophagus Kennzeichen ist eine eindeutige Symptom-RefluxKorrelation bei quantitativ normaler Refluxmenge. Klinik und Outcome dieser Patienten ist vergleichbar wie bei Patienten mit pathologischer 24-Stunden-pH-Metrie.

14.4 Diagnosen

485

Funktionelles Sodbrennen/nichtulzeröse Dyspepsie Patienten mit Sodbrennen/Refluxbeschwerden, aber im Normbereich liegender Refluxmenge und negativer Symptom-Reflux-Korrelation gelten gemäß den Rom-Kriterien als Patienten mit funktionellem Sodbrennen oder bei zusätzlichen epigastrischen/dyspeptischen Symptomen (z. B. epigastrische Schmerzen oder postprandiales Völlegefühl) als Patienten mit funktioneller (nichtulzeröser) Dyspepsie.

positioniert und mit einem externen Datenspeichergerät für die 24-Stunden-Messung verbunden werden. Nachteil der Methode: Aufgrund der Messmethodik muss der Patient während der Untersuchung eine spezielle Diät (keine „roten“ Speisen wie z. B. Tomaten, Paprika, rotes Fleisch, Rotwein) einhalten (Champion et al. 1994).

Normale Refluxmenge, Aussage zur Symptom-Reflux-Korrelation nicht möglich Patienten mit quantitativ normaler 24-Stunden-pHMetrie ohne Auftreten ihrer (atypischen) Symptome innerhalb des Messzeitraums sind nicht endgültig klassifizierbar. Die Wahrscheinlichkeit eines Ansprechens dieser Patienten auf die probatorische Gabe eines Protonenpumpenhemmers ist aber gering. Dennoch ist bei Patienten mit häufig auftretenden Beschwerden (mehrmals pro Woche) und/oder Refluxmengen an der oberen Normgrenze eine Wiederholung der 24-Stunden-pH-Metrie zu diskutieren, um eine Aussage über eine Symptom-RefluxKorrelation treffen zu können. Nach wiederholten Messungen findet man bei 6–15 % der Patienten dieser speziellen Gruppe doch eine pathologische Refluxmenge.

14.4 Diagnosen

14.3.7 Duodenogastroösophageale Refluxdiagnostik (Bilitec-Messung) Duodenogastroösophagealer Reflux ist definiert als Rückfluss intestinaler Sekrete (Gallensalze, Pankreasenzyme) über den Magen in die Speiseröhre.

Duodenogastroösophagealer Reflux ist isoliert oder, häufiger, in Kombination mit saurem Mageninhalt (HCl, Pepsin) nachweisbar und kann nicht nur zu Beschwerden, sondern zu erheblichen Läsionen der Speiseröhre führen. Die messtechnisch relativ einfache Bestimmung des Bilirubins als Tracersubstanz hat sich für duodenogastroösophagealen Reflux bewährt. Prinzip der Untersuchung ist die fotoelektrischen Messung des Bilirubingehalts in der Speiseröhre. Hierfür muss wieder eine Sonde transnasal im Ösophagus

Unter Einsatz der dargestellten diagnostischen Möglichkeiten lassen sich im Bereich der Speiseröhre zahlreiche diagnostische Entitäten als (potenzielle) Ursache dysphagischer Beschwerden abgrenzen (› Tab. 14.1). Im Weiteren wird auf die sog. funk­ tionellen Störungen, die bisweilen organisch fassbare Veränderungen hervorrufen, näher eingegangen. Typischerweise klagen die Patienten bei Dysphagien im Rahmen von Motilitätsstörungen der Speiseröhre über eine Dysphagie fester und flüssiger Speisen. Der Schweregrad reicht dabei von nur leichten Beschwerden, z. B. ineffektive Ösopha­ gusmotilität/unspezifische Ösophagusmotilitätsstörung, bis hin zur massiven Dysphagie, z. B. Achalasie. Je nach Erkrankungsursache können Reflux­ symptome, z. B. Sodbrennen oder Regurgitation, oder retrosternaler Schmerz im Vordergrund der Symptomatik stehen und kann die Dysphagie nur begleitend bestehen.

14.4.1 Relaxationsstörung im OÖS Einer videofluoroskopisch sichtbaren Öffnungsstörung des OÖS liegen nur selten Relaxationsstörungen zugrunde (Williams et al. 2002). Diese finden sich vor allem bei Erkrankungen/Läsionen im Hirnstammbereich sowie bei Morbus Parkinson. Eine insuffiziente oder zeitlich verzögerte Erschlaffung des OÖS bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass eine Öffnungsstörung des OÖS resultiert. Denn die Öffnung des OÖS hängt von der ventrokranialen Bewegung des Zungenbeins und des Kehlkopfs sowie der Druckgenerierung der Zungenbasis und der Pharynxmuskulatur ab.

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486

14

14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Die Öffnung des OÖS bei bestehender Relaxa­ tions­störung erfordert aber das Erzeugen eines höheren Pharynxdrucks. Dieser muss umso größer sein, je größer oder fester der Speisebolus ist. Daher sind das Ausmaß der Öffnungsstörung und die Intensität der dysphagischen Beschwerden weniger von der Relaxationsstörung des OÖS als von begleitenden Störungen der oropharyngealen Phase des Schluckakts abhängig.

14.4.2 Zenker-Divertikel Am häufigsten werden Motilitätsstörungen des OÖS in Form des Zenker-Divertikels klinisch manifest. Das Zenker-Divertikel ist eine Schleimhautausstülpung, die sich stets links-lateral, oberhalb der Pars horizontalis des M. cricopharyngeus, im sog. Killian-Dreieck, einem Punctum minoris resistentiae, entwickelt.

Ursächlich für die Entwicklung eines Zenker-Divertikels sind offenbar strukturelle Veränderungen im Muskel mit zunehmender Fibrosierung. Die Fibrosierung bedingt eine Öffnungsstörung, während die Relaxation normal bleibt. Diese strukturell bedingte Öffnungsstörung führt zu einer Erhöhung der statischen Compliance. Dies bedeutet, dass zunächst, zu Beginn der Öffnung des OÖS, der Schluckwiderstand gering bzw. der Intrabolusdruck normal ist. Mit dem Erreichen der maximalen, durch die Strukturstörung eingeschränkten Öffnungsmöglichkeit des OÖS wird die weitere Öffnung blockiert, der Intrabolusdruck steigt stark an und die Speisepassage wird behindert. Der chronisch erhöhte Intrapharyngealdruck resultiert in der Ausbildung eines ZenkerDivertikels (Williams et al. 2002).

14.4.3 Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre Eine Reihe hier nicht näher erläuterter manome­ trisch nachweisbarer Störungen weisen keine Behinderung des Bolustransports auf:

• Nussknacker-Ösophagus (durch Kontraktions-

amplituden > 180mmHg bzw. DCI von 5000 bis 8000 mmHg*s*cm charakterisiert) • Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter ohne begleitende Relaxationsstörung Klinisch relevant im Hinblick auf Dysphagien sind hingegen: • Diffuser Ösophagusspasmus • Achalasie • Ineffektive Ösophagusmotilität

Diffuser Ösophagusspasmus Beim diffusen Ösophagusspasmus treten die Kontraktionen intermittierend im distalen oder ge­ samten Ösophagus während des Schluckakts nicht peristaltisch auf, d. h. koordiniert nacheinander von oral nach aboral, auf, sondern gleichzeitig, d. h. spastisch. Durch diese spastischen Kontraktionen kann es zu einer Störung der ösophagealen Bolus­ passage mit Dysphagie und/oder retrosternalem Schmerz kommen. Je nach Lokalisation und Ausprägung der spastischen Kontraktionen kann die Passage auch erhalten bleiben. Als Ursache vermutet man eine Störung der der Kontraktionswelle vorauslaufenden Inhibition. Manometrisch ist der diffuse Ösophagusspasmus charakterisiert durch einen Anteil spastischer Kontraktionen ≥ 20 % an den 10 Wasserschlucken beim Test der tubulären Motorik (Murray et al. 2003; Mittal et al. 2004; Spechler et al. 2004; Pandolfino und Kahrilas 2005).

Achalasie

Die Achalasie des UÖS ist charakterisiert durch eine insuffiziente und/oder zeitlich verzögerte Relaxa­ tion aufgrund einer Degeneration nichtcholinerger, nichtadrenerger inhibierender Neuronen des glattmuskulären Plexus myentericus. Häufig ist diese neuronale Degeneration nicht auf den UÖS beschränkt, sondern betrifft den gesamten oberen Gastrointestinaltrakt.

14.4 Diagnosen Neben dem Diagnosekriterium der insuffizienten Relaxation kann bei erhaltenen cholinergen Neuronen begleitend ein erhöhter Druck im UÖS auftreten. Bei der klassischen Form der Achalasie (Typ I ohne, Typ II mit panösophagealer Druckerhöhung bei ≥ 20% der Wasserschlucke) liegt begleitend eine Aperistaltik der tubulären Speiseröhre vor, da inhibitorische Signale im Bereich des tubulären Ösophagus notwendig sind für die Generierung einer normalen Peristaltik. Bei der Typ III Achalasie (spastische Achalasie) finden sich neben der Relaxationsstörung des UÖS spastische Ösophaguskon­ trak­tionen bei ≥ 20% der Wasserschlucke). Die Relaxationsstörung des UÖS bei der Achalasie bedingt, dass ein Restdruck während des Schluckakts bestehen bleibt. Folge ist eine Öffnungsstörung mit Dysphagie und im Verlauf der Erkrankung eine Speiseretention und Dilatation des Ösophagus. Im Spätstadium kann es schließlich zu Gewichtsab­ nahme, Regurgitation unverdauter Speisen, nächt­ lichem Husten und Aspirationen kommen (Murray et al. 2003; Mittal et al. 2004; Spechler et al. 2004; Pandolfino und Kahrilas 2005).

Ineffektive Ösophagusmotilität Als ineffektive Ösophagusmotilität (früher: unspezifische Ösophagusmotilitätsstörung) bezeichnet man ein Störungsmuster der Ösophagusperistaltik mit > 50 % niedrigamplitudigen (Amplitude < 30 mmHg bzw. DCI 100-450mmHg*s*cm) oder ausgefallenen Kontraktionen (keine Kontraktionsantwort auf ein pharyngeales Schlucksignal oder Verlust der Kontraktionswelle im distalen Ösophagus bzw. DCI < 100mmHg*s*cm).

Folge kann eine Speiseretention im Bereich des Ösophagus mit daraus resultierenden dysphagischen Beschwerden sein. Eine ineffektive Ösophagusmotilität findet sich häufig bei Patienten mit Reflux­ krankheit sowie im Rahmen von Systemerkran­ kungen mit Beteiligung des Ösophagus, z. B. Sklerodermie, Kollagenosen, Diabetes mellitus oder systemischen Muskelerkrankungen. Im Vordergrund der Symptomatik stehen daher häufiger Refluxbeschwerden wie Sodbrennen und Regurgitation als dysphagische Beschwerden (Spechler et al. 2004).

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14.4.4 Refluxkrankheit Bei der Refluxkrankheit findet sich meist eine funktionelle, seltener eine strukturelle Störung des UÖS. Die funktionelle Störung besteht in einer Zunahme der Zahl der sog. transienten Sphinkterrelaxatio­ nen und/oder des gehäuften Auftretens von Reflux während dieser transienten Relaxationen. Bei den transienten Relaxationen des UÖS handelt es sich um einen vagovagal vermittelten Reflex, der zum Aufstoßen von beim Essen verschluckter Luft dient. Nur bei höhergradigen Formen der Refluxösophagitis findet sich auch eine pathologische Erniedrigung des Drucks im UÖS als Ausdruck eines mechanisch defekten Sphinkters (Storr et al. 2000). Bei einer Refluxkrankheit kann begleitend eine ineffektive Ösophagusmotilitätsstörung der tubulären Speiseröhre (siehe oben) vorliegen. Dies führt zu einer Störung der ösophagealen Clearance gastroösophagealer Refluxepisoden mit daraus resultierender verlängerter Kontaktzeit von Mageninhalt (Säure, Pepsin, ggf. intestinale Sekrete) mit der Ösophagusschleimhaut (Spechler et al. 2004).

Störungen der Sekundärperistaltik Als Sekundärperistaltik bezeichnet man eine peristaltische Welle, die nicht willkürlich durch einen Schluckakt ausgelöst wird, sondern reflektorisch durch eine Speiseröhrendehnung, z. B. nach Steckenbleiben eines Bolus oder im Rahmen einer Refluxepisode.

Möglicherweise spielen bei der Refluxkrankheit auch Störungen der Sekundärperistaltik eine Rolle in der Dysphagiegenese (Schoeman et al. 1995).

Refluxassoziierte Erkrankungen Im Rahmen einer Refluxkrankheit kann es zu supraoder extraösophagealen Manifestationen im HNOBereich sowie im Bereich der Lunge kommen. Die Genese kann dabei durch direkten Säurekontakt oder über vagovagal vermittelte Reflexkreise erklärt werden. › Tab. 14.4 gibt Auskunft über Erkrankungen, bei denen eine Refluxgenese vermutet wird. Allerdings ist die Bedeutung der Refluxkrankheit an der Ursache dieser Störungen und damit die Therapiemöglichkeit durch säuresuppressive Therapie

14

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

Tab. 14.4  Erkrankungen im HNO-Bereich sowie pulmonale Erkrankungen, die mit der Refluxkrankheit assoziiert sind (nach Pehl et al. 2003, 2012)

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Erkrankungen im HNO-Bereich

Pulmonale Erkrankungen

• Laryngitis posterior • Stimmbandgranulome und • Heiserkeit • Dysphonie • Globusgefühl • Chronische Pharyngitis

• Asthma bronchiale • Chronisch obstruktive

• Sinusitis • Halsschmerzen mit und • Subglottische Stenose • Laryngospasmus • Chronischer Husten • Larynxkarzinom

-ulzera

ohne Schleimbildung

noch nicht letztlich geklärt (Koufman et al. 2002; Pehl et al. 2003; Kawamura et al. 2004; Vaezi 2004).

14.5 Konservative Therapie ösophagealer Dysphagien Die konservative Therapie ösophagealer Dysphagien umfasst (› Tab. 14.5): • Medikamentöse Maßnahmen: Zumeist lässt sich die Refluxkrankheit gut mittels Protonenpumpenhemmern behandeln. Die medikamentöse Beeinflussbarkeit von Motilitätsstörungen ist dagegen noch unzureichend. • Interventionelle endoskopische Verfahren: Zu diesen gehören die Bougierung oder Ballondilatation und die Injektion von Botulinum-Neurotoxin (BoNT) in die Speiseröhrenmuskulatur zur

Lungenerkrankung (COPD, „chronic obstructive pulmonary disease“) • Trachealstenose • Tracheomalazie • Bronchiektasen • Rezidivierende Bronchopneumonien • Lungenfibrose

Beseitigung organischer und/oder funktioneller Passagestörungen. Keine zufrieden stellenden Langzeitergebnisse weisen die endoskopischen Antirefluxverfahren auf. Die flexible endoskopische Divertikuloösophagostomie zur Therapie eines Zenker-Divertikels weist gute Primärergebnisse, aber eine deutlich höhere Rezidivrate als die operative Resektion und Myotomie auf (› Kap. 14.5.2). Ein neues endoskopisches Therapieverfahren zur Behandlung der Achalasie stellt die POEM dar (› Kap. 14.5.3).

14.5.1 Relaxationsstörung im OÖS Bei einer symptomatisch wirksamen Relaxationsstörung des OÖS kann eine Bougierung/Ballondilata­ tion oder eine Botulinum-Neurotoxin-Injektion versucht werden (Hatlebakk et al. 1998; Mandal et al. 2001; Solt et al. 2001). Diese zumeist nur temporär

Tab. 14.5  Konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen Therapie

Maßnahmen

Medikamentös

• Prokinetika • Protonenpumpenhemmer (PPI) • Nitrate/Kalziumantagonisten

Endoskopisch interventionell

• Bougierung • Ballondilatation • Botulinum-Neurotoxin-Injektion • Perorale endoskopische Myotomie (POEM) • Divertikuloösophagostomie bei Zenker-Divertikel

14.5  Konservative Therapie ösophagealer Dysphagien effektiven Verfahren können vor einer geplanten Myotomie helfen, die Erfolgsaussichten der Opera­ tion abzuschätzen. Zudem erhöhen auch der Nachweis einer Relaxationsstörung und/oder ein erhöhter pharyngealer Intrabolusdruck in der Ösophagusmanometrie (Cook 1998) die Erfolgsaussichten einer Myotomie.

14.5.2 Zenker-Divertikel In den letzten Jahren hat sich als Alternative zu den (offenen oder intraluminalen) operativen Therapieverfahren die endoskopische Divertikuloösopha­ gotomie etabliert (Mulder et al. 2001). Hierbei durchtrennt man den „Divertikelsteg“ zwischen Ösophagus und Divertikel inklusive des hier lokalisierten M. cricopharyngeus mit einem flexiblen Endoskop und einer Argon-Beamer-Sonde oder einem elektrischen Schneid-Koagulations-Messer (› Abb. 14.12). Erfolgs- und Komplikationsrate dieses Verfahrens sind mit denen operativer Methoden vergleichbar. Vorteil der endoskopischen Methode ist, dass sie nur eine Analgosedierung und keine Narkose erfordert. Damit ist sie vor allem für alte, multimorbide Patienten geeignet. Allerdings sind die Patienten darauf hinzuweisen, dass für die komplette endo­ skopische Durchtrennung 2–3 Sitzungen nötig sein können. Ein Nachteil des endoskopischen Verfahrens ist die gegenüber der (offenen) Operation deutlich höhere Rezidivrate (Feußner at al. 2016).

Abb. 14.12  Prinzip der flexibel endoskopischen Divertikuloösophagostomie. Oben: Zenker-Divertikel und Divertikelsteg zwischen Divertikel und Ösophagus. Zum Schutz der Ösophagusvorderwand liegt während der Therapie eine Magensonde. Mitte: Über den Arbeitskanal des Endoskops wird ein Nadelmesser (oder eine Argon-Beamer-Sonde) vorgeschoben und die Wand zwischen Ösophagus und Zenker-Divertikel durchtrennt. Unten: Nach der Therapie ist der Divertikelsteg durchtrennt und dadurch der ehemalige Divertikelsack mit dem Ösophagus verbunden sowie der Zugang zum Ösophagus nicht mehr behindert [T546]

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

14.5.3 Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre Diffuser Ösophagusspasmus

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Beim diffusen Ösophagusspasmus kommen relaxie­ rende Medikamente der glatten Muskulatur (Kalziumantagonisten, z. B. Nifedipin oder Nitrate, z. B. Glyceryltrinitrat oder Isosorbitdinitrat) in Betracht. Die Therapie erfolgt je nach Beschwerdeintensität bei Bedarf oder als Dauermedikation (auch sublingual jeweils vor dem Essen möglich). Das therapeutische Ansprechen ist variabel. Während kleinere Fallserien relativ positive Ergebnisse zeigten, sind die Ergebnisse randomisierter Studien eher enttäuschend (Kahrilas 2000; Mittal et al. 2004). Eine Bougierung oder Ballondilatation bringt zumeist nur temporäre Erleichterung. Neuerdings versucht man, gezielt Botulinum-Neurotoxin in die betroffenen Segmente zu injizieren (Storr et al. 2001; Mittal et al. 2004).

Achalasie Ziel der Therapie ist es, den Widerstand des ösophagokardialen Segments zu senken. Primärer Ansatz ist hier die Pneumodilatation des UÖS, die radiologisch oder endoskopisch kontrolliert erfolgen kann. Die Erfolgsrate liegt je nach Durchmesser des verwendeten Dilatationsballons bei 74–90 % (Vaezi et al. 1999). Ein postinterventioneller residualer UÖSDruck < 10 mmHg zeigt den Erfolg der Therapie an (Eckardt et al. 2004). Als Komplikation muss in 2–3 % mit einer Perforation gerechnet werden, die umgehend endoskopisch oder operativ verschlossen werden muss. Die Rezidivrate der pneumatischen Dilatation ist höher als die der operativen Myotomie, insbesonders bei jüngeren Patienten (< 50Jahren). Die Rate an postinterventionellen Refluxbeschwerden ist dafür bei der Dilatationsbehandlung deutlich geringer. Durch wiederholte Dilatationsbehandlungen ist ein der Operation vergleichbares Langzeitergebnis zu erreichen (Lopushinsky et al. 2006; Vela et al. 2006). Alternativ kommt die Injektion von BotulinumNeurotoxin infrage. Den Vorteil der fehlenden Perforationsgefahr gleicht hier die höhere Rezidivrate

bzw. raschere Re-Therapie-Notwendigkeit aus (Vaezi et al. 1999). Bei der peroralen endoskopischen Myotomie (POEM) erfolgt nach Vorschub des Endoskopes in den Submukösaraum eine langstreckige Myotomie vergleichbar zur Operation. Erste Langzeitergebnisse liegen für dieses Verfahren vor (Ngamruengphong et al. 2016). Allerdings weist die POEM vergleichbar zur Operation ein hohes Refluxrisiko auf und kann nicht wie die klassische Operation mit einer Fundoplikatio kombiniert werden. Zu erhoffen ist, dass durch die POEM die Achalasie Typ III („soastische Achalasie“) besser zu behandeln ist, da hier Dilatationsbehandlung und Operation deutlich schlechtere Langzeitergebnisse aufweisen als bei den klassischen Achalasie-Typen I und II.

Ineffektive Ösophagusmotilität Bei der ineffektiven Ösophagusmotilitätsstörung mit durch Impedanzmessung nachgewiesener Störung des Bolustransports empfiehlt sich eine Therapie mit Prokinetika (Spechler et al. 2004). Im Off-LabelGebrauch kommen dafür die Dopamin-(2-Rezeptor-)Antagonisten Metoclopramid und Domperidon, der 5-HT-4-Agonist Prucaloprid sowie der Motilin-Agonist Erythromycin in Betracht: • Die Datenlange zur ösophagealen Wirksamkeit der Dopamin-(2-Rezeptor-)Antagonisten Metoclopramid und Domperidon ist widersprüchlich (Lux et al 1980; Grande et al. 1992; Storr et al. 2000). Beide sind zudem aufgrund potenzieller kardialer (DOM) oder zerebraler Nebenwirkungen (MCP) für die Dauertherapie wenig geeignet. • Auch die Daten für die Wirksamkeit des 5-HT4-Agonisten Prucaloprid sind widersprüchlich (kein Effekt auf die schluckinduzierte Primärperistaltik, aber Verbesserung der durch Dehnung ausgelösten Sekundärperistaltik; Kessing et al. 2014; Yi et al. 2016). • Der Motilin-Agonist Erythromycin ist aufgrund der antibiotischen „Nebenwirkung“ nicht zur Dauertherapie geeignet. Liegt eine ineffektive Ösophagusmotilität im Rahmen einer Refluxkrankheit vor, so empfiehlt sich primär eine Therapie mit Protonenpumpenblockern (siehe unten). Hierdurch bessern sich häufig nicht

14.6 Schlussbetrachtung nur die Refluxsymptome, sondern auch die dysphagischen Beschwerden.

14.5.4 Refluxkrankheit Bei einer Refluxkrankheit mit ösophagealen und/ oder supra- bzw. extraösophagealen Beschwerden oder Komplikationen (peptische Stenose, Laryngitis) aufgrund einer funktionellen oder strukturellen Insuffizienz des UÖS ist der therapeutische Ansatz primär konservativ, d. h. durch Blockade der gastralen Säuresekretion mit Protonenpumpenblockern (Esomeprazol, Lansoprazol, Omeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol; Storr et al. 2000). Die Intensität der Therapie reicht dabei von der Medikamenteneinnahme bei Bedarf über eine zeitlich begrenzte tägliche Einnahme bis zur medikamentösen Dauertherapie. In schweren, chronisch persistierenden Fällen kann als Alternative zur medikamentösen Dauertherapie eine chirurgische Antirefluxchirurgie erfolgen (› Kap. 15).

14.6 Schlussbetrachtung Dem Leitsymptom „ösophageale Dysphagie“ können zahlreiche, pathophysiologisch unterschiedliche Krankheitsbilder zugrunde liegen, die sich mittels sorgfältiger, gründlicher Diagnostik abklären lassen. Relativ einfach ist die Diagnostik meist bei malignen Grunderkrankungen, während benigne funktionelle Störungen oft den Einsatz des gesamten Methodenspektrums erfordern. Eine adäquate Diagnostik ist daher häufig nur in Zentren möglich, die über eine entsprechende Ausrüstung und über Personal mit der erforderlichen Erfahrung im Umgang mit diesen Krankheitsbildern verfügen. Eine klare Begrenzung auf ein medizinisches Fachgebiet ist eher die Ausnahme als die Regel, sodass eine enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen medizinischen Subdisziplinen für die erfolgreiche Behandlung der ösophagealen Dysphagie unerlässlich ist.

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14  Diagnostik und konservative Therapie ösophagealer Schluckstörungen

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KAPITEL

15

Hubertus Feussner und Heidrun Schröter-Morasch

Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

15.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 15.2 Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Maligne und benigne Raumforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Divertikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Funktionsstörungen des UÖS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.4 Funktionsstörungen im Bereich des tubulären Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.5 Funktionsstörungen im Bereich des OÖS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

494 494 497 501 504 504

15.3 Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts . . . . . 506 15.3.1 Maßnahmen zur Verbesserung des Bolustransports . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 15.3.2 Maßnahmen zur ­Verhinderung der Aspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508

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15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

15.1 Überblick

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Chirurgische Therapieansätze sind indiziert bei: • Der Behandlung der Grunderkrankung bei strukturellen Veränderungen (benignen und malignen Raumforderungen der am Schluckvorgang beteiligten Organe und der Umgebungsstrukturen Gesichtsschädel, Wirbelsäule, Schilddrüse, Halsweichteilgewebe und Mediastinum; › Kap. 5) sowie bei funktionellen Störungen des Ösophagus. Dies schließt fachspezifische Verfahren der HNO-Heilkunde, Mund-KieferGesichts-Chirurgie, Orthopädie, Neurochirurgie und Chirurgie ein. Eine herausragende Rolle spielen die chirurgischen Interventionen bei einer Vielzahl ösophagealer Störungen als Primärursache einer Dysphagie. • Der möglicherweise notwendigen Sicherstellung von Atmung und Ernährung durch Tracheotomie und perkutane Sondenanlage. Die jeweiligen Verfahren, Vorteile und Risiken sind in › Kap. 9 ausführlich erörtert worden. • Bei oropharyngealen Dysphagien, die einer funktionellen Therapie nicht zugänglich sind. Am häufigsten ausgelöst werden sie durch zere­ brovaskuläre Erkrankungen („Schlaganfall“), aber auch durch tumortherapiebedingte Beeinträchtigungen. Chirurgische Maßnahmen kommen prinzipiell bei ihnen erst dann in Betracht, wenn konservative oder semiinvasive Behandlungsverfahren primär nicht aussichtsreich sind oder trotz konsequenter Anwendung versagen.

Bei den funktionellen Ursachen einer ösophagealen Dysphagie bietet sich die topografische Unterteilung an: • Störungen im Bereich des unteren Ösophagus­ sphinkters (UÖS; › Kap. 15.2.3) • Störungen des tubulären Ösophagus (› Kap. 15.2.4) • Störungen im Bereich des oberen Ösophagus­ sphinkters (OÖS; › Kap. 15.2.5)

15.2.1 Maligne und benigne Raumforderungen Raumforderungen, die eine Schluckstörung verursachen, sind zumeist Domäne der Chirurgie. Dies gilt für: • Maligne und benigne Läsionen mit Ursprung im Intestinaltrakt, z. B. maligne und benigne Ösophagustumoren • (Seltene) extraintestinale morphologische Dysphagieursachen, z. B. ausgedehnte Strumen oder Schilddrüsenkarzinome • Maligne Lymphome • Osteophyten der Halswirbelsäule (Morbus Forestier) • Gefäßfehlbildungen/-anomalien, z. B. Arteria lusoria (Dysphagia lusoria) Die zur Behandlung der Grunderkrankung angezeigte Resektion ist zugleich Therapie des Symptoms Dysphagie. Grundsätzlich erfordert jede neu aufgetretene Dysphagie den Ausschluss einer malignen Ursache.

15.2 Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung Morphologische Veränderungen, die Ursache einer ösophagealen Schluckstörung sein können, sind: • Maligne und benigne Raumforderungen (› Kap. 15.2.1) • Zervikale, parabronchiale und epiphrenische Ösophagusdivertikel (› Kap. 15.2.2)

Maligne Tumoren: Ösophagus­karzinome Dysphagie ist oft das Leitsymptom lokal fortgeschrittener Ösophaguskarzinome. Die chirurgische Resektion ist die Therapie der Wahl. Umfassende Staging-Untersuchungen sind erforderlich, da nur bei Abwesenheit von Fernmetastasen eine Resektion in kurativer Intention möglich bzw. sinnvoll ist. In palliativer Intention hingegen, d. h. ausschließlich zur Behandlung des Symptoms Dysphagie, wird die Ösophagektomie kaum mehr durchgeführt. Hierfür

15.2  Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung stehen heute weniger invasive Alternativen zur Verfügung, z. B. Stentimplantation, ggf. in Kombination mit palliativer Bestrahlung/Chemotherapie. Es existieren 2 histologische Tumortypen im Bereich des Ösophagus, die sich hinsichtlich Ätiologie, Pathophysiologie, Epidemiologie und Klinik grundlegend unterscheiden und somit 2 verschiedene Entitäten darstellen (Siewert et al. 2001): • Plattenepithelkarzinome: Sie entstehen in jeder Lokalisation (zervikal, supra- und infrabifurkal) im originären Plattenepithel der Speiseröhre. Für sie gelten exogene Noxen (Alkohol und Tabakrauch) als ätiologisch hauptverantwortlich. • Adenokarzinome: Die Inzidenz hat seit etwa 3 Jahrzehnten deutlich zugenommen. Sie treten fast ausschließlich im distalen Ösophagus unter dem chronisch schädigenden Einfluss von gastroösophagealem Reflux auf dem Boden eines BarrettÖsophagus auf (Hvid-Jensen et al. 2011). Im zervikalen Ösophagus sind Adenokarzinome eine Rarität. Selten, d. h. in weniger als 30 publizierten Fällen, wurde ein sog. „inlet patch“ beschrieben, die Entstehung eines zervikalen ösophagealen Adenokarzinoms auf dem Boden heterotoper Magenmukosa. Diese versprengte Magenschleimhaut selbst ist ein häufiger Befund unmittelbar unterhalb des OÖS. Sie kann auch ohne maligne Progression für Globus und Schluckstörungen verantwortlich sein.

Chirurgische Therapie Die Therapie lokal limitierter Tumorstadien, sowohl des Adeno- als auch des Plattenepithelkarzinoms, ist primär chirurgisch. Allerdings hat in den letzten Jahren auch die endoskopische Resektion (endoskopische Mukosaresektion, EMR bzw. Submukosaresektion, ESD) bei frühen Befunden ohne Lymphknotenbefall zunehmend an Bedeutung gewonnen (Longcroft-Wheaton et al. 2011). Bei lokal fortgeschrittenen Tumoren wird eine neoadjuvante Therapie (Chemo-/Radiochemotherapie) vorgeschaltet. Sie zielt auf die Verkleinerung („downsizing“) des Tumors und das Erreichen oder die Verbesserung der Resektabilität ab (Matsuda et al. 2016). Das Ansprechen („response“) des Tumors auf die Vorbehandlung spiegelt sich bisweilen eindrucksvoll im Rückgang der Dysphagie wider. Resektionsverfahren der Wahl ist die radikale Öso­ phagektomie „en bloc“ mit angrenzenden Lymph-

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knotenpaketen. Zur Rekonstruktion der Nah­rungs­ passa­ge wird Magen oder Kolon interponiert. Das Interponat wird entweder im hinteren Mediastinum oder retrosternal hochgezogen. Die physiologische Lage des Interponats im originären Bett der Speiseröhre bietet Vorteile hinsichtlich der Schluckfunktion, da ein „Abknicken“ des Speiseweges vermieden wird. Aus onkologischen Gesichtspunkten, im Falle des Rezidivs, wenn nachoperiert oder bestrahlt werden muss, ist sie die ungünstigere Variante. Grundsätzlich lässt sich sowohl durch Magenhochzug als auch durch Koloninterposition eine gute Schluckfunktion erzielen, vorausgesetzt es steht eine etwa 2 cm lange Manschette des zervikalen Ösophagus für die Anastomose zur Verfügung („Zwei-Zentimeter-Regel“). Ein Anschluss direkt am Hypopharynx führt meist zu schweren Anschluckstörungen, da kein ausreichender Anschluckdruck aufgebaut werden kann. Besondere Bedeutung hat diese Problematik bei der Resektion zervikaler Ösophaguskarzinome. Auch wenn heute oft limitierte Resektionen des zervikalen Ösophagus durchgeführt werden, erfordert die onkologische Radikalität häufig eine Resektion bis nahe an oder einschließlich des OÖS. Bei Anschluss des zur Rekonstruktion verwendeten freien Jejunuminterponats kommt es zu den gleichen Schluckproblemen wie bei hohem Anschluss eines hochgezogenen Magens oder Kolons. Im Gegensatz dazu sind limitiertere Resektionen in größerem Abstand zum OÖS unproblematischer hinsichtlich der Schluckfunktion. So z. B., wenn nach subtotaler Ösophagektomie, vor allem bei Adenokarzinomen im distalen Ösophagus, eine intrathorakale Anastomose angelegt wird. Nach Ösophagusresektionen ist die Schluckfunktion umso besser, je länger der Abstand der rekonstruierten Speisepassage zum OÖS und die Strecke des originären Ösophagus ist.

Benigne morphologische Ursachen Intramurale Raumforderungen Eine heterogene Gruppe intramuraler ösophagealer Raumforderungen, auch „submuköse Tumoren

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15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

(SMT)“ genannt, subsumiert verschiedene mesenchymale und sonstige Tumoren. Zumeist, d. h. in ca. 70 %, handelt es sich um Leiomyome. Seltenere histologische Typen sind z. B. Rhabdomyome, Fibrome, Schwannome, Lipome und gastrointestinale Stromatumoren (GIST) (Rahden et al. 2004). Eine Operationsindikation besteht, wenn die Tumoren symptomatisch sind (Dysphagie) oder ihre Dignität, z. B. bei beobachteter Größenzunahme, unklar ist. 15

Chirurgische Therapie Das Prinzip der operativen Therapie ist die Enuklea­ tion: Nach Längsinzision der den Befund bedeckenden Serosa und Muskelschichten (unter Schonung der Vagusäste) wird der Tumor stumpf herausgeschält. Die Schleimhaut bleibt intakt. Danach erfolgt die Readaptation der Muskelschichten. Dieses chi­ rur­gische Prinzip wird heute standardmäßig als mi­ nimal invasiver Eingriff durchgeführt. Je nach Lokalisation erfolgt ein thorakoskopischer oder ein laparoskopischer Zugang. Letzterer wird gewählt, wenn die Tumoren durch transhiatale Präparation erreichbar sind. Assistiert wird das mini-

mal invasive Vorgehen durch simultane Endosko­ pie im „Rendezvousverfahren“. Dies vereinfacht die exakte Lokalisation des Tumors (Diaphanoskopieeffekt) und unterstützt die Sicherung der Integrität der Mukosa. Die operativen Ergebnisse bei benignen ösophagealen Raumforderungen sind günstig. Das Aufheben der Lumenobstruktion eliminiert die Dysphagie in den meisten Fällen vollständig. Vorteile des minimal invasiven Vorgehens im Vergleich zur Thorakotomie sind die geringeren pulmonalen Komplikationen wie Atelektasen, Dystelektasen, kürzerer Klinikaufenthalt und weniger Schmerzen. Die Störung der Schluckfunktion jedoch wird – unabhängig vom Zugangsweg (offen/minimal invasiv) – gleich gut beseitigt (Rahden et al. 2004).

Morbus Forestier Osteophyten im Bereich der Halswirbelsäule (Spondylophyten) können, wie im Pharynx, (selten) für ösophageale Schluckstörungen verantwortlich sein. Dies wird insbesondere im Rahmen eines progredienten Verknöcherungsprozesses des vorderen

Abb. 15.1  Spondylophyten im Bereich der unteren Halswirbelsäule führen – besonders im seitlichen Strahlengang sichtbar – zu einer deutlichen Einengung des Speiseröhrenlumens [P409]

15.2  Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung Längsbandes (Morbus Forestier) beobachtet, bei dem die Spondylophyten erhebliche Ausmaße annehmen können.

Chirurgische Therapie Die chirurgische Abtragung kann helfen, solche Schluckstörungen zu beseitigen. Bevor die Indikation zur Operation gestellt wird, muss auf jeden Fall eine umfassende diagnostische Abklärung möglicher Differenzialdiagnosen erfolgen. Insbesondere die Pharyngoösophagografie (in Ergänzung zur „Leeraufnahme“) im seitlichen Strahlengang ist ein aussagekräftiges Verfahren, um den Schluckvorgang relevant beeinträchtigende Knochenvorsprünge zu identifizieren (› Abb. 15.1). Dysphagia lusoria Eine weitere seltene morphologische Dysphagieursache im Bereich des Ösophagus ist ein linksseitiger Abgang der A. subclavia dextra, die sog. Arteria lusoria. Diese anatomische Variante selbst ist mit einer Prävalenz von 0,5–2,9 % nicht selten (Epstein und Debord 2002). Die aberrante Arterie verläuft zumeist hinter, seltener vor dem Ösophagus. Da sie angeboren ist, ist eine „Dysphagia lusoria“ eher im Kindesalter zu erwarten. Allerdings sind seltene (insgesamt etwa 23) Fälle eines späten Auftretens einer Dysphagia lusoria im Erwachsenenalter beschrieben („late-onset dysphagia lusoria“, Morris et al. 2001). Die Symptomatik kann intermittierend, von geringer Ausprägung und schließlich nichtoperationsbedürftig sein (Kent und Poterucha 2002). Das Auftreten einer Dysphagie ist abhängig vom Ausmaß der Kompression der Speiseröhre (anatomische Gegebenheiten/Blutdruck) und vom Anschluckdruck in Hypopharynx und Speiseröhre. In Kombination mit anderen morphologischen und funktionellen Schluckstörungen kann eine ehemals asymptomatische Arteria lusoria symptomatisch werden.

Chirurgische Therapie Eine operative Korrektur kann über eine posterolaterale Thorakotomie (Morris et al. 2001) oder über eine supraklavikuläre Inzision (Epstein und Debord 2002) erfolgen. Ösophagus, Trachea und die aberrierende Arterie werden dargestellt. Die Entscheidung,

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ob die Arterie reimplantiert werden muss oder nur der Ligatur bedarf, wird intraoperativ getroffen.

Sonstige morphologische Ursachen ösophagealer Dysphagien Diverse ösophageale Lumeneinengungen, z. B. benigne Strikturen, ösophageale Webs und Ringe des Ösophagus, stellen heute nur noch sehr selten eine Indikation zu Operation dar. Sie sind eine Domäne interventioneller Therapiemöglichkeiten geworden (› Kap. 14). Allerdings kann bei diesen Läsionen in komplizierten Fällen ein resezierender Eingriff indiziert sein. Eine weitere seltene Dysphagieursache ist die heterotope Magenmukosa, ein an Häufigkeit unterschätzter Befund unmittelbar unterhalb des OÖS. Ein makroskopisch sichtbarer „inlet patch“ soll bei bis zu 10 % der endoskopierten Patienten auftreten (Weickert et al. 2011). Eine Laserablation ist in diesen Fällen das Vorgehen der Wahl (Bajbouj et al. 2009).

15.2.2 Divertikel Die Ösophagusdivertikel sind hinsichtlich Pathoanatomie und -physiologie zwischen morphologischen und funktionellen Dysphagieursachen einzuordnen, da zumindest bei den Pulsionsdivertikeln dem morphologischen Korrelat eine (muskuläre) Funktionsstörung zugrunde liegt (Belsey et al. 1966). Ein Pulsionsdivertikel ist eine Mukosaaussackung („Schleimhauthernie“), die oberhalb einer distal davon gelegenen muskulären Hochdruckzone entsteht.

Die Hochdruckzone ist primär für die Dysphagie verantwortlich. Das ist daran zu erkennen, dass bereits sehr kleine Divertikel mit einer ausgeprägten Schluckstörung symptomatisch werden. Pulsionsdivertikel sind das zervikal lokalisierte Zenker-Divertikel (Hypopharynxdivertikel) und das im distalen Ösophagus entstehende epiphrenische Divertikel. Beim im mittleren Ösophagusabschnitt (in engem Bezug zum Tracheobronchialsystem) lokalisierten parabronchialen Divertikel sind hingegen alle Öso-

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15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

Abb. 15.2  Typischer Röntgenbefund (Bariumschluck) bei ZenkerDivertikel (a), bei parabronchialem Divertikel (b) und bei epiphrenischem Divertikel (c) [P409]

15

phaguswandschichten – möglicherweise durch äußere Zugkräfte – ausgestülpt. Im Gegensatz zu den Pulsionsdivertikeln sind solche Traktionsdivertikel zumeist asymptomatisch. Die größte klinische Relevanz kommt dem Zenker-Divertikel zu, das am häufigsten (70 % aller Ösophagusdivertikel) ist, gefolgt vom parabronchialen Divertikel (21,5 %) und dem seltenen epiphrenischen Divertikel (8,5 %). › Abb. 15.2 zeigt typische Röntgenbefunde der verschiedenen Divertikeltypen.

Zenker-Divertikel Die muskuläre Hochdruckzone beim Zenker-Divertikel befindet sich im Bereich der Pars horizontalis des krikopharyngealen Muskels, des anatomischen

Korrelats des funktionellen OÖS. Proximal davon ist die anatomische Prädilektionsstelle für die Ausbildung des Zenker-Divertikels lokalisiert, das muskelschwache „Killian-Dreieck“. Wesentlich seltener bildet sich im distal davon gelegenen „Laimer-Dreieck“ ein Divertikel aus, das als Jamieson-Divertikel bezeichnet wird (› Abb. 15.3). Nach pathomorphologischen Kriterien werden die Zenker-Divertikel nach Brombart (1953) in 4 Stadien eingeteilt (› Tab. 15.1).

Chirurgische Therapie Das Brombart-Stadium dient als Grundlage für die Eingriffswahl und macht Ergebnisse verschiedener Institutionen vergleichbar. Die Operationsindika­ tion besteht in jedem Stadium der Erkrankung, da es sich um einen progredienten Prozess handelt und

Abb. 15.3  Anatomie des hypopharyngoösophagealen Übergangs mit den Prädilektionsstellen für die Divertikelentstehung [P409]

15.2  Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung Tab. 15.1  Stadieneinteilung des Zenker-Divertikels nach Brombart Sta- Länge dium (mm)

Morphologie

I

2–3

„Rosendorn“: kleine spitzzipflige Ausziehung

II

10

„Keule“: kleine Auftreibung der Speiseröhrenwand

III

Über 10 Ohne Kompression des Ösophagus

IV

Deutlich Mit Kompression des Ösophagus über 10

die Eingriffe mit geringem Risiko und sehr guter Ergebnisqualität durchzuführen sind. Auch andere Begleitprobleme, z. B. die reduzierte Bioverfügbarkeit von im Divertikel retinierten Tabletten und die Regurgitation von Speiseresten aus dem Divertikelsack, werden durch einen Eingriff behoben. Chirurgie ist beim Zenker-Divertikel – unabhängig vom Stadium – bei exzellenter Effektivität und Nutzen-RisikoRelation stets indiziert.

Grundprinzip des chirurgischen Vorgehens beim Zenker-Divertikel ist die Myotomie. Durch sie wird die zugrunde liegende muskuläre Funktionsstörung behandelt. Dieses Prinzip wird beim offenen chirurgischen Vorgehen sowie bei den endoskopischen Verfahren umgesetzt (› Abb. 15.4): • Offene Chirurgie: Dabei werden hypopharyngoösophagealer Übergang und Divertikel über einen Schnitt am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus freigelegt. Die krikopharyngeale Myotomie erfolgt mit der Schere, beginnend am Divertikel 2–3 cm nach aboral. Das Divertikel kann anschließend entweder abgetragen (Diver­ tikulektomie) oder lediglich mit Nähten an der prävertebralen Faszie angeheftet („pexiert“) werden (Divertikulopexie). Zur Abtragung wird vorzugsweise ein Stapler verwendet. Das Lumen wird dadurch nicht eröffnet, und die Halsweichteilgewebe werden nicht kontaminiert. • Transorale endoskopische Verfahren: – Im HNO-ärztlichen Fachgebiet wird das Stap­ lerverfahren angewendet (› Abb. 15.4): Der Patient wird in Allgemeinanästhesie auf dem Rücken mit maximal rekliniertem Kopf gela-

499

gert. Mit einem starren Ösophagoskop stellt der Operateur den Abgang des Ösophagusdivertikels dar, sodass er gleichzeitig das ösophageale und das Divertikellumen einsehen kann. Nun führt er einen Endostapler mit der großen Branche ins ösophageale Lumen und mit der schmalen Branche (Andruckplatte) ins Divertikellumen ein. Das Auslösen des Staplers vereinigt beide Lumina, was der pathoanatomisch geprägte Begriff Divertikulostomie ausdrückt. Gleichzeitig wird dabei die muskuläre „Schwelle“ durchtrennt, an der das Divertikel entstanden ist. Daher ist auch von transoraler Schwellenspaltung die Rede. – Neuerdings wird die transorale Schwellenspaltung zunehmend häufiger durch gastroenterologische Endoskopiker durchgeführt. Der Eingriff kann dann ohne Allgemeinanästhesie und ohne forcierte Reklination des Kopfes mit dem flexiblen Endoskop erfolgen und erscheint deshalb besonders schonend (Feussner 2011). Allerdings ist in diesem Fall die Rezidivrate höher. Hinsichtlich der Langzeitergebnisse ist die offene Chirurgie des Zenker-Divertikels nach wie vor überlegen und deshalb bei jüngeren Patienten und Pa­ tien­ ten mit geringerem Op-Risiko vorzuziehen (Feussner et al. 2017). Für Risikopatienten steht mit dem endoskopischen Verfahren eine sehr gute Alternative zur Verfügung, mit der sich die Dysphagie zumindest temporär gut behandeln lässt (Costamagna et al. 2016). Voraussetzungen für das Staplerverfahren sind die Reklinierbarkeit des Kopfs und eine ausreichende Mundöffnung. Bei der zervikalen Myotomie und Divertikelabtragung bzw. Divertikulopexie ist in etwa 2 % mit einer (einseitigen) Rekurrensparese zu rechnen (Barthlen et al. 1990; Feussner und Siewert 1999), die sich in etwa der Hälfte der Fälle spontan zurückbildet. Bei der flexibel-endoskopischen Schwellenspaltung ist v. a. die Gefahr der Mediastinitis gegeben, die in etwa 3–5% der Fälle auftritt.

Parabronchiale Divertikel Die Pathogenese parabronchialer Divertikel ist nicht völlig geklärt. Einige Argumente sprechen dafür, sie als Traktionsdivertikel anzusehen. Entzündlich ver-

15

500

15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

15

Abb. 15.4  Prinzip der „offenen“ und der endoluminalen Therapie des Zenker-Divertikels. In jedem Fall muss eine vollständige Durchtrennung der Pars horizontalis des M. cricopharyngeus erreicht werden [P409]

änderte, mit der Ösophaguswand verbackene Lymphknotenpakete bei spezifischer Lymphadenitis (Tuberkulose) galten früher als Hauptursache. Alternativ soll es sich um das Ergebnis einer unvollkommenen Trennung von Luft- und Speiseröhre im Rahmen der Embryonalentwicklung handeln. Eine so entstandene persistierende fibröse Gewebebrücke übt dann zwischen Trachea und Ösophagus Traktion aus.

Chirurgische Therapie Zumeist sind Patienten mit parabronchialen Divertikeln asymptomatisch. Eine Operationsindikation besteht nur in Ausnahmefällen, bei eindeutiger divertikelassoziierter Symptomatik wie Odynophagie,

Dysphagie und Regurgitation mit rezidivierenden Aspirationen. Eine absolute Indikation zur Intervention besteht nur bei der (seltenen) Fistelbildung zu den Atemwegen oder zum Mediastinum. Die Freilegung des Traktionsdivertikels erfolgt durch rechts­ seitige Thorakotomie. Das Divertikel wird freipräpariert, ligiert und durch eine einstülpende Naht versorgt bzw. reseziert.

Epiphrenische Divertikel Epiphrenische Divertikel entwickeln sich meist unmittelbar supradiaphragmal nach rechts- oder links-

15.2  Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung lateral. Dort besteht zwar keine physiologische Muskellücke, aber die Muskulatur ist regelhaft etwas ausgedünnt. Zugrunde liegt eine Öffnungsstörung des UÖS, eventuell kombiniert mit diffusem Ösophagusspasmus oder achalasiformer Motilitätsstörung. Für Diagnose und Therapieplanung ist eine Ösophagusmanometrie obligat. Symptome wie Regurgitation, Dysphagie und retrosternale Schmerzen sind meist Ausdruck der zugrunde liegenden Motilitätsstörung und nicht des Divertikels. Daher ist die Myotomie die für den Erfolg der Operation entscheidende Maßnahme – im Hinblick auf die Beseitigung der Symptome und das Verhindern eines Divertikelrezidivs.

Chirurgische Therapie Die Operationsindikation ist wegen des Operationsrisikos sorgfältig abzuwägen und auf symptomatische Fälle zu beschränken. Das Standardvorgehen umfasst die Divertikelabtragung nach (zumeist linksthorakaler) Thorakotomie, dann die Myotomie und schließlich die Anlage einer Fundoplastik (nach Dor/Thal) zur Refluxprophylaxe. In der Ära der minimal invasiven Chirurgie wird dieses Prinzip „Di­ vertikulektomie – Myotomie – Fundoplastik“ auch in laparoskopisch-transhiataler Technik oder thorakoskopisch ausgeführt. Ungeachtet des Zugangs – ob offen oder minimalinvasiv – ist die Klammernahtreihe nach Divertikelabtragung die Achillesferse der Therapie des epiphrenischen Divertikels. In mindestens 25 % beobachtet man Fisteln und Insuffizienzen. Hier spielen möglicherweise die meist vorliegenden hypermotilen Motilitätsstörungen eine Rolle. Möglicherweise reduziert eine präemptive Stenteinlage das Insuffizienzrisiko. Die operative Behandlung des epiphrenischen Divertikels sollte entsprechend erfahrenen Zentren vorbehalten bleiben.

15.2.3 Funktionsstörungen des UÖS Achalasie Die Achalasie (griech. achalasis = fehlendes Nachlassen) bezeichnet die Öffnungsstörung des UÖS mit konsekutiver Dilatation der weiter proximal gelegenen Speiseröhrenabschnitte.

501

Bei der primären idiopathischen Achalasie liegt eine funktionelle Motilitätsstörung zugrunde, deren Ursachen und zugrunde liegenden Mechanismen noch nicht vollständig geklärt sind. Inzidenz und Prävalenz sind mit 0,5–1 bzw. 7,9–12,6 pro 100.000 Einwohner pro Jahr eher gering. Die Achalasie tritt in jedem Lebensalter auf, bevorzugt zwischen 20 und 40 Jahren und ohne Geschlechtspräferenz. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist die se­ kundäre Achalasie (auch Pseudoachalasie), deren achalasiformem Krankheitsbild eine andere Ursache (z. B. Karzinom am ösophagogastralen Übergang) zugrunde liegt. Andererseits muss auch in Zusammenhang mit einer gesicherten primären Achalasie an ein Karzinom gedacht werden, das sich im Verlauf als sekundäre Komplikation entwickeln kann. Insbesondere muss ein schneller, normalerweise für Achalasiepatienten untypischer Gewichtsverlust an ein Karzinom denken lassen. Die maligne Entartung (Platten­ epithelkarzinom der Speiseröhre) ist in 2–10 % bei Patienten mit einer über 10 Jahre bestehenden Achalasie beschrieben. Eine weitere Komplikation der Achalasie ist die Infektion (Superinfektion mit Bakterien und Pilzen) aufgrund der Stase von Speichel und Nahrung. In Zusammenhang mit der Achalasie ist stets an ein Karzinom zu denken! • Differenzialdiagnose der primären Achalasie (sekundäre Achalasie oder Pseudoachalasie) • Als sekundäre Komplikation nach ca. 10 Jahren Krankheitsverlauf

Chirurgische Therapie Die chirurgische Operation bei primärer Achalasie umfasst die Myotomie des UÖS kombiniert mit einer Fundoplastik nach Thal oder Dor (› Abb. 15.6). Sie erfolgt in Zentren heute laparoskopisch. Endo­ skopisch-interventionell lässt sich eine Behandlung mittels Ballondilatation durchführen. Außerdem wird bisweilen die Injektion von Botulinumtoxin (Botox®) praktiziert. Die kontrollierteste und effektivste Methode zur Behandlung bei hypertonem UÖS ist die Operation. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Operation (möglichst früh im Krankheitsverlauf!) an (Ansel-

15

502

15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

15

Abb. 15.5  Algorithmen der Differenzialtherapie bei Achalasie: Bei jungen Patienten sollte primär operiert werden; ansonsten ist zunächst eine Dilatation empfehlenswert [P409]

mino et al. 1997), da sich die Dilatation der tubulären Speiseröhre meist nicht zurückbildet und die Peristaltik nicht wieder einsetzt. Dennoch haben – in bestimmter Indikation – auch die anderen Therapieoptionen (Dilatation/Botox) einen Platz im therapeutischen Management der Dysphagie. Bewährt hat sich der in › Abb. 15.5 dargestellte Therapiealgorithmus: Bei jungen Patienten (unter 20 Jahren) erfolgt frühzeitig die Indikation zur primären chirurgischen Therapie, während bei älteren Patienten ein initialer Versuch mit pneumatischer Dilatation gerechtfertigt ist (Eckardt et al. 1992). Die Botulinumtoxintherapie wird bisweilen als Therapieoption bei Patienten mit hohem chirurgischem Risiko erwogen. Spätestens nach 2 erfolglosen Dilatationsversuchen oder Rezidiven nach Botulinumtoxininjektion sollte die Indikation zur chirurgischen Therapie gestellt werden (Urbach et al. 2001). In der letzten Zeit wird jedoch häufiger die wiederholte Dilatation empfohlen (Boeckxstaens et al. 2011). Die Myotomie (› Abb. 15.6 a) erfolgt auf der Vorderseite des Magens über eine Länge von 5–6 cm bis zum dilatierten Ösophagusabschnitt. Die Mukosa muss anschließend in einer Ausdehnung von etwa ¼–⅓ der Ösophaguszirkumferenz freiliegen und soll sich beim Luft- oder Wasser-Insufflationstest vorwölben. Vermeiden sollte man die Durchtrennung der am Antirefluxmechanismus beteiligten Willis-Schlinge („sling fibers“) am Magen. Die Myotomie wird mit einer Antirefluxoperation kombiniert; dabei hat sich die anteriore Fundoplas­

tik nach Dor oder Thal (› Abb. 15.6 b) durchgesetzt (Patti et al. 2003). Die 360-Grad-Fundoplicatio nach Nissen-Rosetti ist bei der Achalasie durch eine hohe Dysphagierate (30 %) kompliziert (Katada et al. 2012). Der Grund dafür ist, dass die motilitätsgestörte Speiseröhre nicht in der Lage ist, diese Antirefluxbarriere zu überwinden. Die anteriore Thal/DorFundoplastik reicht zur Refluxprävention aus und ist außerdem eine schützende Deckung der durch die Myotomie denudierten Schleimhaut. Derzeit neuester therapeutischer Ansatz ist die perorale endoskopische Myotomie (POEM) mit dem flexiblen Endoskop. Man inzidiert die Schleimhaut in der distalen tubulären Speiseröhre. Von dieser Inzision schafft man einen submuköser Tunnel. Über diesen durchtrennt man die Muskulatur im ösophagokardialen Übergang. Inzwischen liegen bereits auch mittelfristige Erfahrungen vor. POEM scheint v.a. bei der hypermotilen Achalasie vorteilhaft zu sein (Hu et al. 2016).

Gastroösophageale Refluxkrankheit Sie ist zumeist nicht primär, bisweilen aber sekundär mit Schluckstörungen assoziiert, da der chronische Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre zu „peptischen Stenosen“ führen kann. Zum anderen ist Dysphagie eine mögliche Komplikation der operativen Therapie, wenn eine Fundoplicatio zu eng angelegt wird oder verrutscht (› Abb. 15.7) oder

15.2  Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung a

503

b

6c

m

15

1–

2c m

4–

Abb. 15.6  Myotomie des UÖS (a) und Deckung des Areals von freiliegender Schleimhaut mit einem Funduszipfel (b) [L234]

a

b

c

Abb. 15.7  Korrekt angelegte Fundoplicatio (a). Wenn die Manschette zu eng (b) oder zu tief (c) angelegt ist, resultieren ausgeprägte Schluckstörungen [L234]

wenn eine motilitätsgestörte Speiseröhre nicht in der Lage ist, den Bolus über die Fundoplicatio zu transportieren (s. o. im Abschnitt „Achalasie“). Die Maximalkomplikation der gastroösophagealen Refluxkrankheit, die Progression über den präkanzerösen Barrett-Ösophagus hin zum Karzinom, ist eine chirurgisch zu therapierende morphologische Dysphagieursache (› Kap. 15.2.1). Besondere Relevanz hat die gastroösophageale Refluxkrankheit als Begleiterkrankung im Rahmen der chirurgischen Therapie von Schluckstörungen: Wird im Bereich des zervikalen Ösophagus myotomiert (oder erfolgen interventionelle Maßnahmen zur Senkung des Einlasswiderstands), sollte man grundsätz-

lich eine relevante Refluxerkrankung ausschließen. Durch die zervikale Myotomie nimmt man den Patienten die letzte Refluxbarriere und damit den Aspirationsschutz. Bei Patienten mit ausgeprägtem Volumenreflux, die aufgrund einer Schluckstörung einer Myotomie bedürfen (z. B. Zenker-Divertikel, isolierte Relaxationsstörung des OÖS), halten wir daher die simultane Durchführung einer Fundoplicatio für notwendig. Bei mäßigem Reflux genügt die hochdosierte Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren.

Chirurgische Therapie Die Behandlung der Refluxkrankheit erfolgt primär konservativ-medikamentös. Nur in Sonderfällen

504

15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

(bei seltenen Medikamentenunverträglichkeiten, fehlender Compliance, Volumenreflux, assoziierten extraintestinalen Komplikationen) muss die Operation erwogen werden. Der laparoskopische Eingriff (Fundoplicatio) reduziert die fast immer bestehende Hiatushernie und verstärkt den UÖS durch Bildung einer Falte bzw. Manschette aus Magenfundus. Bei korrekter Indikationsstellung und Operationstechnik wird Reflux prompt und dauerhaft unterbunden (in 90 % über 15 Jahre). 15

15.2.4 Funktionsstörungen im Bereich des tubulären Ösophagus Beim diffusen Ösophagusspasmus ist die zeitliche Abfolge der Kontraktionen der Speiseröhrenmuskulatur gestört (Zerbib et al. 2015). Beim Nussknacker-Ösophagus hingegen sind die Kontraktionen propulsiv, aber ihre Amplitude ist zu hoch.

Beide Krankheitsbilder können sich episodisch intermittierend manifestieren, in Kombination auftreten oder ineinander übergehen. Goldstandard für die Diagnosestellung ist die hochauflösende Manometrie, die neuerdings auch als Langzeitmanometrie durchführbar ist (Jell et al. 2016).

Chirurgische Therapie Sie ist bei solchen diffusen, die ganze Speiseröhre betreffenden Funktionsstörungen kaum hilfreich. Zwar sind vereinzelt Versuche unternommen worden, Dysphagie und ösophageale Funktion durch langstreckige Myotomie zu verbessern, aber die Ergebnisse waren unbefriedigend. Im Allgemeinen ist äußerste Zurückhaltung bei der Indikationsstellung für solche Maßnahmen geboten.

15.2.5 Funktionsstörungen im Bereich des OÖS „Zervikale Achalasie“ und isolierte Relaxationsstörung des OÖS Die „zervikale Achalasie“ bezeichnet die isolierte Fehlfunktion (Öffnungsstörung) des OÖS. Bei an-

sonsten intakter Schluckfunktion ist die Relaxation des OÖS nicht zeitgerecht oder das Relaxationsausmaß zu gering („Residualdruck“). Klinisch manifestiert sich diese Funktionsstörung entweder als „iso­ lierte Relaxationsstörung des OÖS“ oder in Form des Zenker-Divertikels (› Kap. 15.2.2).

Chirurgische Therapie Für die isolierte Relaxationsstörung des OÖS ist die krikopharyngeale Myotomie die wesentliche Therapieoption. Für die Indikation zur Operation muss durch Manometrie und Schluckkinematografie die Fehlfunktion des OÖS als funktionelles Korrelat der Schluckstörung bewiesen werden. Danach ist die Operation mit einer sehr guten Erfolgsrate möglich. Als entscheidend für den Erfolg galt bisher ein ausreichend hoher pharyngealer Anschluckdruck, der dementsprechend vor der Operation manometrisch erfasst werden muss. Bei ausreichendem Anschluckdruck und vollständiger Durchtrennung aller quer verlaufenden Muskelfasern sind die Operationsergebnisse in über 90 % sehr gut. Die krikopharyngeale Myotomie ist somit immer noch als die effektivste Maßnahme zur Behandlung der isolierten „krikopharyngealen Dysfunktion“ anzusehen, auch im Vergleich zur Dilatation (Marston et al. 2016). Kombinierte Anschluckstörungen Weitaus häufiger als isolierte Funktionsstörungen des OÖS sind kombinierte Störungen im Rahmen einer oropharyngealen Dysphagie, die man auch als „kombinierte Anschluckstörungen“ bezeichnet. Das sehr komplexe pathophysiologische Geschehen bei diesen erfordert eine differenzierte Diagnostik und die Ausschöpfung aller konservativen Therapiemaßnahmen, bevor man eine chirurgische Therapie erwägt. Je „jünger“ eine neu aufgetretene kombinierte Anschluckstörung ist, desto weniger invasiv sollte die Therapie sein.

Das Problem bei kombinierten Anschluckstörungen ist zumeist nicht auf den OÖS beschränkt. Vielmehr handelt es sich um eine komplexe Funktionsstörung

15.2  Ursachen ösophagealer Dysphagie und ihre chirurgische Behandlung des pharyngoösophagealen Muskelapparats und/ oder der Sensibilität durch muskuläre oder nervale Dysfunktion. Sie kann bei verschiedensten strukturellen und neurologischen Grundleiden auftreten (› Kap. 4 und › Kap. 5).

Chirurgische Therapie Die früher propagierte „probatorische Myotomie“ ist bei solchen komplexen Dysphagieursachen abzulehnen, da die günstige Nutzen-Risiko-Relation, mit der argumentiert wurde, nicht nachvollzogen werden kann. Die Aussicht, eine kombinierte Anschluckstörung durch krikopharyngeale Myotomie zu verbessern, ist nur dann gut, wenn eine krikopharyngeale Dysfunktion manometrisch und durch Schluckkinematografie beweisbar ist. Nach wie vor existieren jedoch nur wenige Studien zu Indikation und Wirksamkeit der Myotomie des OÖS bei komplexen oropharyngealen Dysphagien. Zudem ist deren Vergleichbarkeit durch geringe Fallzahlen, unterschiedliche prä- und postoperative Untersuchungsmethoden und Beurteilungskriterien sowie zu geringe Beobachtungszeiträume eingeschränkt. Gute Resultate wurden in Studien an Patienten mit okulopharyngealer Muskeldystrophie beschrieben. In der Mehrzahl der Fälle ließen sich die Dysphagiesymptome durch eine Myotomie über mehrere Jahren signifikant verringern, und damit erhöhte sich die Lebensqualität deutlich (Coiffier et al. 2006; Fradet et al. 1997). Auch bei Patienten mit ALS, Myositis und nach Hirnnervenläsionen durch Schädelbasischirurgie wurden gute Erfolge erzielt (Kos et al. 2010). In dieser Studie (n = 28) ergab sich dagegen ein deutlich geringerer Nutzen für Patienten nach ZNS-Läsionen und nach Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren mit Radio(chemo)therapie, wie auch von Jacobs et al. (2000) beschrieben. Kos et al. (2010) fanden im Gegensatz zu früheren Autoren keinen signifikanten Zusammenhang einer verminderten oder gar fehlenden Pharynxkontraktion (mit entsprechender Reduzierung des hypopharyngealen Anschluckdrucks) als Ursache für einen fehlenden Erfolg des Eingriffs. Im Falle einer solchen Insuffizienz der hypopharyngealen Muskulatur kann nach Kos et al. (2008) eine gleichzeitige laryngeale Suspension indiziert sein.

505

Bei Vorliegen einer OÖS-Öffnungsstörung als überwiegendem Symptom einer oropharyngealen Dysphagie kann die Myotomie des OÖS bei fehlendem Ansprechen auf eine konsequente und ausreichend lange funktionelle Therapie bei sorgfältiger Auswahl der Patienten eine erfolgreiche und risikoarme Therapieoption darstellen. Gleichwohl sind die Risiken dieses chirurgischen Eingriffs zu berücksichtigen und für jeden Einzelfall abzuwägen (Brigand et al. 2007).

Nichtchirurgische Therapie Konkurrierende Verfahren wie die Ballondilatation und die Botulinumtoxininjektion sind ebenfalls noch nicht durch ausreichende Fallzahlen belegt: Die Ballondilatation scheint im Einzelfall gute Ergebnisse zu erzielen, allerdings lassen Publikationen mit meist nur kurzem Follow-up keine Aussagen über den Langzeitverlauf zu (Dou et al. 2012; Nagano et al. 2009; Zepeda Gòmez et al. 2004; Solt et al. 2001). Manjaly et al. (2012) beschreiben jedoch beeindruckend eine erfolgreiche Bougierung im Langzeitverlauf (Median 13 Jahre, Range 3–15) von Patienten mit okulopharyngealer Muskeldystrophie (n = 9) und berichten über eine sofortige Besserung der Symptome nach der Behandlung. Allerdings musste diese in der Regel nach ca. 15 Monaten wiederholt werden. Auf diese Weise gelang jedoch die Aufrechterhaltung einer oralen Ernährung ohne wesentliche Einschränkungen oder respiratorische Komplikationen im Beobachtungszeitraum. Insgesamt scheint aber die chirurgische Myotomie langfristig immer noch überlegen (Kocdor et al. 2015). Die Injektion von Botulinumtoxin in den OÖS (Ahsan et al. 2000; Parameswaran und Soliman 2002) ist keine definitive Therapie und kann im Einzelfall gefährlich sein, wenn die Stimmlippenmuskulatur akzidentell gelähmt und die Tracheotomie erforderlich wird (unveröffentlichte Einzelfallbeobachtung).

In manchen Studien wird eine einseitige Botox-­ Injektion in den OÖS unter EMG-Kontrolle zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen empfohlen. Alfonsi et al. (2010) berichteten über eine Bes­ serungsrate von 50 % bei Patienten mit diversen neurologischen Erkrankungen mit „milden bis moderaten Dysphagieschweregraden“ (n = 34).

15

506

15

15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

Restivo et al. (2011) erzielten mit der Botox-Behandlung bei 14 Patienten mit multipler Sklerose positive Ergebnisse inklusive einer erheblichen Gewichtszunahme (um 4–9 kg!). Die Beobachtung erstreckte sich über 6 Monate. Jedoch ließ die Wirkung der Injektion erwartungsgemäß nach etwa 3–4 Monaten nach, und diese musste entsprechend wiederholt werden. Auch wenn die Wirksamkeit der Botox-Injektion in der Mehrzahl der Fälle als „mittelmäßig“ bis „sehr gut“ beschrieben wird (Moermann 2006), so ist diese keine sinnvolle langfristige Alternative zur Ope­ ration. Nach Blitzer et al. (1997) lässt sich eine signifikante Verbesserung der Öffnung des OÖS durch Botulinumtoxininjektion („chemische Myotomie“) jedoch als sichere Indikation für eine spätere Myotomie werten. In manchen Fällen gelingt es auch, während des verbesserten Intervalls die Schluckfunktion so weit wiederherzustellen, dass erneute Botox-­ Injektionen oder eine Myotomie überflüssig sind (Laskawi und Roggenkämper 2004). Botox-Behandlung, Bougierung und krikopharyngeale Myo­tomie können in interdisziplinär sorgfältig ausgewählten Fällen den „Widerstand“ des OÖS gegen den Bolus­ eintritt in den Ösophagus verringern, sowohl bei primär erhöhter Tonisierung mit unzureichender Relaxa­tion als auch bei Schwächung der pharyngealen Schubkraft („relative Tonuserhöhung des OÖS“; Moermann 2006).

Da die Öffnungsstörung des OÖS vielfach ein Hauptproblem der oropharyngealen Dysphagie darstellt und die funktionelle Therapie in manchen Fällen nicht ausreichend erfolgreich ist, sind weitere methodisch vergleichbare Studien einschließlich der Bewertung von Langzeiteffekten für diese Behandlungsoptionen dringend erforderlich.

15.3 Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts Die plastisch-chirurgischen Verfahren beziehen sich hauptsächlich auf die Behandlung der oropharyngealen Dysphagie. Überschneidungen mit den ösopha-

gealen Störungen sind jedoch häufig und in › Kap. 15.2.5 ausführlich beschrieben worden. Lässt sich durch konservative funktionelle und medikamentöse Maßnahmen keine Wiederherstellung der Schluckfunktion unter ausreichendem Schutz der Atemwege erreichen, kann man durch chirurgische Maßnahmen versuchen, die Bedingungen für einen effektiven Bolustransport wiederherzustellen und eine Aspiration zu verhindern. Diese „chirurgischen Rekonstruktionen“ gelten für: • Erkrankungen mit strukturellen Veränderungen (› Kap. 5) • Neurogene Dysphagien mit sensomotorischen Störungen (› Kap. 4) Jedes operative Vorgehen geht mit Gewebedurchtrennung, Narbenbildung und Sensibilitätsstörungen einher und kann bereits bei geringer Ausprägung zu Beeinträchtigungen des Schluckablaufs führen. Daher sollte stets eine ausreichend lange und intensive funktionelle Therapie vorangehen. Der Op-Zeitpunkt muss individuell ermittelt werden. Unsere Erfahrungen zeigen, dass in manchen Fällen auch nach langen Zeiträumen (> 2 Jahre) noch Erfolge möglich sind. In manchen Fällen kann ein chirurgisches Vorgehen die konservative Therapie auch unterstützen, den dafür notwendigen Zeitaufwand verkürzen, eine lebensbedrohliche Aspiration verhindern und eine verbesserte Lebensqualität erreichen (Shama et al. 2008). Nach Bonkowski (2001) ist immer zuerst der kleinstmögliche Eingriff zu empfehlen, um das Risiko einer Schädigung zu minimieren. Plastisch-chirurgische Maßnahmen Sie erfolgen unter 2 Aspekten, die häufig kombiniert zur Anwendung kommen müssen: • Verbesserung des Bolustransports • Verhinderung der Aspiration

15.3.1 Maßnahmen zur Verbesserung des Bolustransports Die Effizienz des Bolustransports kann beeinträchtigt sein durch: • Hindernisse wie Strikturen, Narben, Ödeme, fehlende Relaxation der Sphinkteren, aber auch Deformitäten der HWS (› Kap. 5 und › Kap. 6), Tumoren und Divertikel

15.3  Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts

• Reduzierung der propulsiven Muskelkräfte, im

Wesentlichen der Zunge und der Pharynxmuskulatur durch: – Defekte und Narben bei strukturellen Erkrankungen – Verminderte Reflexauslösung und Beeinträchtigung der Muskelkraft bei neurologischen Erkrankungen Die entsprechenden chirurgischen Gegenmaßnahmen haben folgende Ziele: • Beseitigung von Passagehindernissen • Reduzierung des „krikopharyngealen Widerstands“ • Verbesserung der muskulären Schubkraft und des Bolustransports

Beseitigung von Hindernissen Die Beseitigung von Passagehindernissen wie Strikturen und Narben kann durch Bougierung und Dilatation (z. B. bei strahleninduzierter Stenose des OÖS, nach Verbrennungen oder Verätzungen) erfolgen, aber auch durch chirurgische Durchtrennung. Dilatationsbehandlungen des OÖS, Botulinumtoxininjektionen und krikopharyngeale Myotomie als Maßnahmen der Reduzierung des „krikopharyngealen Widerstands“ sind bereits ausführlich beschrieben worden (› Kap. 15.2.5). Die Myotomie des OÖS ist die häufigste chirurgische Maßnahme bei Behinderung der Boluspassage und soll einen besseren Übertritt des Bolus aus dem Pharynx in den Ösophagus ermöglichen. Als Vor­ aussetzungen für den Erfolg einer Myotomie galten bisher: • Ausreichende Larynxelevation • Ausreichende Zungenschubkraft • Ausreichende Pharynxkontraktion In manchen Fällen lassen sich nach unseren Erfahrungen jedoch auch bei Patienten mit reduziertem pharyngealem Druck gute Ergebnisse mit einer Myotomie erreichen: Voraussetzung dafür ist aber, dass die Larynxelevation und insbesondere die Anteriorbewegung ausreichen, um den Kehlkopf nach vorn-oben zu ziehen, und damit ein gleichsam „passives Abgleiten“ des Bolus in den Ösophagus zu ermöglichen.

507

Dies bestätigt die Studie von Kos et al. (2010). Fehlen auch Larynxelevation und -anteriorbewegung, können diese durch eine zusätzliche laryngeale Suspension „simuliert“ werden. In manchen Fällen lässt sich auf diese Weise das Schluckvermögen deutlich verbessern bis hin zur Eliminierung einer Aspira­ tionssymptomatik (Kos et al. 2008). Bei einer Refluxsymptomatik ist vor einer Myotomie des OÖS eine konsequente Antirefluxtherapie durchzuführen! Häufig „reagiert“ der OÖS mit einer verminderten Öffnung auf das saure Refluat im Ösophagus, und die augenscheinlichen „Störungen des OÖS“ mit den entsprechenden dysphagischen Symptomen klingen nach. Behandlung des UÖS ab (› Kap. 14). Ohne vorherige Sanierung des UÖS sollte wegen der Gefahr der Magensaftaspiration keine Myotomie des OÖS erfolgen (› Kap. 15.2.3)!

Die Einlage eines Stents (Montgomery Salivary Bypass Tube, MSBT; Lörken et al. 1997) kann sowohl bei tumor- oder narbenbedingter Passagestörung des Ösophagus versucht werden als auch bei neurologisch bedingten Öffnungsstörungen des OÖS. Häufig wird ein solcher Stent jedoch disloziert bzw. von den Patienten nicht toleriert. Ein nicht seltenes „Hindernis“ nach Radiotherapie von Kopf-Hals-Tumoren ist eine aufgetrieben starre Epiglottis, deren Dorsalflexion während des Schluckens reduziert und häufig völlig aufgehoben ist mit der Folge eines reduzierten Zungenbasis-Rachenkontaktes und ausgeprägter Residuen in den Valleculae. Von Jamal et al. (2014) wurde in 7 Fällen nach einer Teilresektion der Epiglottis eine deutliche Besserung des Schluckvermögens angegeben. Weitere chirurgische Therapieverfahren spezifischer Organstrukturen finden sich bei Arens et al. (2016).

Verbesserung der muskulären ­Schubkraft und des Bolustransports Bei Defekten nach Tumortherapie werden verschiedene Ansätze verfolgt: • Ersatz oder Rekonstruktion entfernten Gewe­ bes mittels Verschiebelappen/Unterfütterung/ Transplantaten (Kiefer, Zunge, Mundboden, Ve-

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15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

lopharynx, Pharynx), insbesondere im Bereich der Zungenbasis und des Pharynx (Tschiesner 2012; Gößler 2012; Nawka und Gonnermann 2005; Bloching und Berghaus 2004; Seidl et al. 2003; Siegert et al. 2002). • Augmentation gegenüberliegender Strukturen, um ein neues oder „erreichbares Widerlager“ zum ausreichenden Druckaufbau zu bilden. Dies kann auch prothetisch geschehen, z. B. nach Zungenresektion mittels einer Gaumenplatte (Obturatorprothese) zum Absenken des harten Gaumens, um dem verbliebenen Zungenrest mit eingeschränktem Bewegungsradius eine Kontaktfläche zum Bolustransport zu ermöglichen (Maru­nick und Tselios 2004; › Kap. 12). Bei Defekten des harten und weichen Gaumens können Gaumensegelprothesen eingesetzt werden, um einen nasopharyngealen Verschluss zu erreichen und die nasopharyngeale Penetration zu verhindern (Schröter-Morasch und Ziegler 2005). Mögliche Therapieoptionen bei Paresen sind: • Muskeltranspositionen, Geweberaffungen, Zügelplastiken im Bereich des N. facialis • Nervenanastomosen (Laskawi und Rohrbach 2005; Aviv et al. 1997) • Raffungen paretischen Gewebes im Velopharynx und Pharynx wurden bereits von Denecke und Ey empfohlen (Denecke 1961, 1977; Ey 1986; Ey et al. 1990), zusammen mit Maßnahmen zur Verhinderung der Aspiration (› Kap. 15.3.2). Mok et al. (2003) beschreiben eine hypopharyngeale Pharyngoplastik mit Fixierung des M. constrictor inferior an den Schildknorpel, um den erweiterten Sinus piriformis zu verengen. Eine Übersicht über verschiedene Verfahren zur Beseitigung der velopharyngealen Insuffizienz findet sich bei Sader (2001), einschließlich der Beschreibung der von ihm entwickelten Levatorplastik, bei der durch chirurgische Verlagerung von prävertebraler Muskulatur eine aktive Kontraktionsfunktion des Velopharynx angestrebt wird. Netterville et al. (2002) berichten signifikante Verbesserungen der Stimmqualität mit Reduzierung der Hypernasalität und Minimierung einer nasalen Penetra­ tion von Flüssigkeiten beim Schlucken nach operativer Adhäsion der gelähmten Velumseite an die Rachenhinterwand.

15.3.2 Maßnahmen zur ­Verhinderung der Aspiration Die Schutzfunktion des Kehlkopfs für die tiefen Atemwege kann durch folgende Faktoren gestört sein („Inkompetenz des Kehlkopfs“): • Sensibilitätsstörungen: nicht zeitgerechter bzw. unzureichender Verschluss durch verspätete/aufgehobene Auslösung des Schluckreflexes, reduzierter/aufgehobener Hustenreflex • Reduzierte mediale Kompression der Glottis durch periphere und zentrale Paresen und/oder Hyperkinesen (unwillkürliche Bewegungen) mit unvollständigem Glottisschluss • Mechanische Behinderung des Glottisschlusses durch Narben, Ödeme, Substanzdefekte, z. B. nach chirurgischer/radiologischer Tumorbehandlung • Reduzierte Elevation und Anteriorbewegung des Kehlkopfs • Ungenügende Dorsalflektion der Epiglottis • Ungenügende Pharynxentleerung Folgende chirurgische Gegenmaßnahmen werden in den sich anschließenden Abschnitten dargestellt: • Stimmlippenmedialisation • Laryngeale Suspension • Vierstufenkonzept nach Denecke und weitere kombinierte Verfahren • Trennung von Luft- und Speisewegen

Stimmlippenmedialisation Stimmlippenparesen mit unvollständigem Glottisschluss während des Schluckvorgangs können eine intradeglutitive Aspiration zur Folge haben, wenn gleichzeitig eine Beeinträchtigung des supraglottischen Verschlusses vorliegt. Durch die Medialisa­ tion einer Stimmlippe, für die zahlreiche Techniken existieren (Müller 2017; Arens et al. 2016; Damrose 2010; Shama et al. 2008; Nawka und Hosemann 2005; › Abb. 15.8 zeigt die Technik nach Friedrich), lässt sich – neben der Stimmverbesserung – die Gefahr der Aspiration vermindern und das Abhusten verbessern (Schneider et al. 2003; Bhatta­ charyya et al. 2002; Hacki et al. 1999).

15.3  Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts

Abb. 15.8  Stimmlippenmedialisation nach Friedrich (1998): Durch Einbringen einer Titanspange nach Schildknorpelfensterung kann die paretische Stimmlippe graduell nach median verschoben werden [L234]

Isolierte Störungen des Glottisschlusses bei intakter Verschlussfunktion der supraglottischen Strukturen (z. B. bei isolierter Rekurrensparese nach Strumektomie) resultieren nur selten in persistierenden Schluckstörungen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Studie von Nawka et al. (2015) bei Patienten mit bilateraler Rekurrensparese, bei welchen eine transorale glottiserweiternde Operation durchgeführt worden war. Obwohl in diesen Fällen von einer permanenten Beeinträchtigung des vollständigen Glottisschlusses auszugehen ist, fand sich nach 6 Monaten von 32 Patienten nur in einem Fall eine Verschlechterung des Schluckvermögens, welche jedoch nicht auf die stattgefundene Glottiserweiterung zurückzuführen war.

Bei neurogener Dysphagie handelt es sich in der Mehrzahl um ein komplexes Geschehen. Dies ist einerseits abhängig von Lokalisation und Ausmaß einer zentralen Schädigung (› Kap. 4) und andererseits von der Höhe der Vagusschädigung bei peripherer Läsion. Wie Wilson et al. (1995) nachwiesen, hängt der Grad der Dysphagieausprägung entscheidend von der Höhe der Vagusläsion und damit von der verbleibenden Pharynxkontraktion, Krikopharyngeusfunktion und Ösophagusmotilität ab. Dies erklärt, weshalb die Stimmlippenmedialisation allein häufig nicht zum gewünschten Erfolg führt. Möglicherweise fehlt einer medialisierten Stimmlippe auch die notwendige Fähigkeit einer ausreichenden Muskeltonisierung, um dem Druck evtl. pene­trierter Bolusanteile von oben während des Schluckvorganges standzuhalten.

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Abb. 15.9  „Silent aspiration“ nach Stimmlippenmedialisa­ tion links [P409]

Die Stimmlippenmedialisation kann zu Sensibilitätsstörungen führen und die Aspirationssymptomatik zumindest vorübergehend verstärken (Nayak et al. 2002; › Abb. 15.9). Die Indikation des relativ kleinen Eingriffs ist daher sorgfältig abzuwägen.

Laryngeale Suspension Bei unzureichender Hebung und Vorwärtsbewegung des Kehlkopfs wird die laryngeale Suspension des Kehlkopfs nach vorn-oben empfohlen, fixiert durch Fremdmaterial (Bänder, Draht) an Zungenbein und Mandibula, um einen Schutz des Kehlkopfs während des Schluckens zu erreichen (Kos 2008; Calcaterra 1971). Gleichzeitig wird durch das „Wegziehen“ des Kehlkopfs von der Rachenhinterwand eine verbesserte Öffnung des OÖS angestrebt (› Abb. 15.10). Als experimentellen Ansatz bei ungenügender Öffnung des OÖS mit Aspirationssymptomatik entwickelte Belafsky (2010) die „manuelle Kontrolle des OÖS“: 2 Nähte werden durch die vordere Halswand um den Bogen des Ringknorpels geschlungen. Während des Schluckens erfolgt mittels Zug an diesen Fäden die Anhebung und Anteriorbewegung des Kehlkopfs und somit ein passives Aufziehen des OÖS, wie endoskopisch nachgewiesen werden konnte. Im Tierversuch erfolgte dieser Zug am Ringknorpel durch einen Magneten, wodurch ebenfalls eine signifikante Verbesserung der Öffnung des OÖS, nachgewiesen durch Videofluoroskopie, erreicht werden konnte. Die Probleme der mechanischen Irritation, möglicher Infektionen der Gewebestruktu-

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15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen 3. Resektion der gelähmten Pharynxwand 4. Fixierung des Gaumensegels nach Schleimhautresektion aus dem hinteren Gaumenbogen an die Rachenhinterwand und damit Abdichtung des Nasopharynx

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Abb. 15.10  Laryngeale Suspension an Zungenbein und Unterkiefer [L234]

ren sowie einer korrekten zeitlichen Koordination dieses Zuges während des Schluckablaufs stehen einem routinemäßigen klinischen Einsatz dieser Methode jedoch noch entgegen.

Vierstufenkonzept nach Denecke und weitere kombinierte Verfahren In den meisten Fällen liegen Störungen der Boluspassage und eine Aspirationssymptomatik vor. Daher sind schon frühzeitig Methoden entwickelt worden, die sensomotorischen Fehlfunktionen oder strukturellen Defizite durch eine operative Korrektur der pathologisch-anatomischen Verhältnisse auszugleichen, ohne den Kehlkopf vollständig verschließen oder entfernen zu müssen. Bei einseitiger Parese von Pharynxmuskulatur, Kehlkopf und Gaumensegel sowie unzureichender Öffnung des OÖS erfolgt die plastische Versorgung in 4 Schritten (Denecke 1961, 1977; Ey 1986; Ey et al. 1990): Vierstufenkonzept nach Denecke 1. Krikopharyngeale Myotomie 2. Korrektur des Glottisschlusses

Dieses Verfahren besitzt heute noch Gültigkeit (Arens et al. 2015; Motsch 2005). Weber et al. (2000) gaben in einer Studie an 16 Patienten mit multiplen Hirnnervenparesen und schwersten komplexen Dysphagien an, dass nach selektiver Durchführung der o. g. operativen Schritte bei 50 % die vollständige orale Nahrungsaufnahme mit PEG-Entfernung erreicht wurde. Allerdings gelang die Dekanülierung nur in Einzelfällen. Bei Patienten mit alleiniger unilateraler Pharynxund Larynxparese unterschiedlicher Genese kann eine Myotomie des OÖS, verbunden mit einer Ary­ knorpel­ adduktion zur Verbesserung des Glottisschlusses, erfolgreich sein (Woodson 1997). Über eine erfolgreiche einseitige Restitution einer bilateralen sensiblen Störung des Kehlkopfs berichteten Aviv et al. (1997). Sie führten bei 2 Patienten nach Hirnstamminsult mit reduzierter Kehlkopfhebung, einseitiger Stimmlippenparese und Spasmus des OÖS eine neurale Anastomose zwischen N. auricularis und N. laryngeus superior gleichzeitig mit der Myotomie des OÖS und laryngealer Suspension durch. Aspirationsfreie orale Nahrungsaufnahme war bei beiden Patienten anschließend möglich.

Trennung von Luft- und Speisewegen Lässt sich mit den genannten Verfahren kein aspira­ tionsfreies Schlucken erreichen, ist ein Verschluss des Kehlkopfs (nach Tracheotomie) nicht zu umgehen. Die Folge ist, dass der Patient Kanülenträger bleiben muss. Mehrere Verfahren werden angegeben: • Verschluss der supraglottischen Strukturen • Vollständiger Verschluss des Larynx durch einfache oder mehrschichtige Vernähung der Glottis • Separation des Larynx von der Trachea • Laryngektomie

Verschluss der supraglottischen Strukturen Vernähung von Epiglottis und aryepiglottischen Falten, eventuell mit kleinem verbleibendem Restlu-

15.3  Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts men (Laurian et al. 1986). In letzterem Fall bleibt eine Aspirationsgefahr jedoch bestehen.

Vollständiger Verschluss des Larynx durch einfache oder mehrschichtige Vernähung der Glottis Diese Maßnahme (Montgomery 1975; Sasaki et al. 1980; Linke et al. 2001) ist im Einzelfall reversibel. Hensel et al. (1997) berichten über einen 18-jährigen Patienten nach Operation eines Tumors der hinteren Schädelgrube. Wegen unilateraler Parese der Hirnnerven VII, IX, X und XII lag trotz Tracheotomie und geblockter Kanüle über 9 Wochen eine ex­ treme Dysphagie mit nichtbeherrschbarer Aspira­ tion, schwersten bakteriellen Lungeninfektionen und gastrointestinalen Komplikationen einschließlich Duodenalulzera vor: Nach Verschluss der Glottis mittels medialer Laryngofissur, Entepithelisierung der Glottis und Vernähung konnte der Patient wieder oral ernährt werden. 6 Monate nach dem Eingriff hatten sich die neurologischen Defizite weitgehend zurückgebildet, und der Allgemeinzustand war stabil. Einen Monat später konnte die Wiederöffnung der Glottis erfolgen, ohne weitere Komplikationen nach sich zu ziehen. Nach unseren Erfahrungen kommt es nach einem solchen Verschluss jedoch häufig zu Nahtinsuffizienzen und damit zu wiederkehrenden Aspirationen.

Separation des Larynx von der Trachea Hierbei erfolgt die Trennung von Luft- und Speisewegen im Bereich der oberen Trachea. Unterhalb des Kehlkopfs wird die Trachea durchtrennt. Den unteren Trachealstumpf verbindet man als Tracheostoma mit der Haut bzw. nutzt ein schon vorhandenes Tracheostoma. Bei der „laryngotrachealen Se­ paration“ wird der Larynxstumpf unten verschlossen (› Abb. 15.11 a). Nahrungsbestandteile, welche in den Larynxstumpf gelangen, werden nach Literaturangaben in ausreichendem Maße wieder ausgepresst. Alternativ kann der Larynxstumpf in den Ösophagus eingenäht werden („tracheoösophagea­ le Diversion“, › Abb. 15.11 b) (Lindemann 1975; Eisele 1989). Bei beiden Verfahren können in den Larynx eingedrungene Substanzen nicht mehr in die

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Trachea gelangen. Zwei große Vorteile weisen beide Methoden auf: 1. Der Kehlkopf wird als Vorderwand des Hypopharynx erhalten und dieser Raum wird nicht durch eine Kehlkopfentfernung verengt, was zur Erschwerung der Boluspassage beitragen könnte. 2. Dem Patienten wird die große psychische Belastung einer unwiderruflichen Kehlkopfentfernung erspart. Beide Verfahren sind zwar technisch schwierig und aufwändig, belasten nach einer Untersuchung von Tomita et al. (2004) jedoch die Patienten, welche in der Regel durch die chronische Aspiration in ihrem Allgemeinzustand bereits schwer beeinträchtigt sind, weniger als eine Laryngektomie (Bonte et al. 2015). Außerdem können sie bei Erholung der funktionellen Defizite im Einzelfall mit gutem Erfolg reversibel sein (Zocratto et al. 2011; Pletcher et al. 2005; Hricko et al. 2006) und werden daher heute bei entsprechender Indikation bevorzugt. Sie bedeuten jedoch, ebenso wie ein Glottisverschluss oder eine Laryngektomie, den Verlust der Stimmfunktion. Bonte et al. (2015) haben daher ein Verfahren entwickelt, bei diesen Patienten ebenfalls – wie nach totaler Laryn­ gektomie – eine Stimmprothese einzusetzen. Bei 10 von 15 in dieser Technik operierten Pa­tien­ten war damit eine Stimmrehabilitation möglich. Insbesondere bei Patienten mit schweren chronischen Bewusstseinsstörungen (Persistierend vegetativer Status bzw. Syndrom reaktionsloser Wachheit, „apallisches Syndrom“, „Wachkoma“) und bei Patienten bei welchen das Kanülenmanagement durch vielfache Komplikationen sehr belastend ist, kann die Separation des Larynx von der Trachea eine sinnvolle Option sein.

Laryngektomie Die Laryngektomie ist als Ultima Ratio anzusehen und wurde bis vor einigen Jahren bei schweren Dysphagien relativ häufig durchgeführt, heute nur noch selten. Sie lässt sich jedoch in manchen Fällen noch immer nicht umgehen: • Als „Rettungschirurgie“ nach Teilresektionen des Kehlkopfs, wenn die Patienten aufgrund von Substanzdefekten, Narben und eventuellen Strahlenschäden nichtbeherrschbare Aspirationen aufweisen.

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15  Chirurgische Interventionen bei Schluckstörungen

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a

b

Abb. 15.11  Laryngotracheale Separation (a) und tracheoösophageale Diversion (b) [L234]

• Bei schwerster neurogener Dysphagie und inef-

fektiver funktioneller Dysphagietherapie (FDT), wenn die kleineren chirurgischen Schritte nicht erfolgversprechend scheinen bzw. dem Patienten mehrere Eingriffe aufgrund eines reduzierten Allgemeinzustands nicht zumutbar sind Die Tatsache, dass der Patient beim Verschluss bzw. Entfernen des Kehlkopfs über ein Tracheostoma atmen muss, bedeutet den Verlust der natürlichen Stimmbildung. Diese lässt sich bei schwierigen anatomischen Verhältnissen und weiterhin bestehenden Schwierigkeiten der Nahrungsaufnahme nicht immer durch Stimmprothesen ersetzen. Die Laryngektomie sollte daher stets erst nach Ausschöpfung aller anderen therapeutischen Maßnahmen erwogen werden. Diese werden hier nochmals zusammengefasst: • Optimale Kanülenversorgung • Speichelreduktion (medikamentös oder durch Botox-Injektion)

• Medikationen mit möglichen Nebenwirkungen auf das Schluckvermögen ausschließen

• Gleichzeitige strukturelle oder gastroenterologi-

sche Erkrankungen ausschließen bzw. behandeln

• Intensive, ausreichend lange FDT nach entspre-

chender spezifischer Diagnostik, einschließlich physikalischer Maßnahmen; nach unseren Erfahrungen sind in Einzelfällen auch Jahre nach einem akuten Krankheitsereignis noch Verbesserungen möglich! Die radikalen chirurgischen Eingriffe stellen teilweise eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Patienten dar („Loch im Hals“) und ziehen schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wahr­ nehmungsvermögens, z.  B. des Riechens und Schmeckens, und der Kommunikationsfähigkeit nach sich, wie gestörte Lautproduktion beim Sprechen, Singen und Lachen. Daher muss jede Entscheidung hierfür nach exakter Erfassung und Defi-

15.3  Plastisch-chirurgische Verfahren zur Verbesserung des gestörten Schluckakts nition der anatomischen und physiologischen Störungsursachen in interdisziplinärer Zusammenarbeit und in enger Absprache mit Patienten und Angehörigen getroffen werden. Die angeführten Verluste werden jedoch, zumindest teilweise, aufgewogen: Die Angst vor einer Aspiration und ihren Folgen schwindet. Der Patient erlangt wieder eine größere Unabhängigkeit. Die wiedergewonnene Freude am Essen und Trinken ist in manchen Fällen so groß, dass der Verlust der Stimmfunktion als weniger beeinträchtigend erlebt wird, zumal sich in vielen Fällen durch den Einsatz von Stimmprothesen zumindest eine gewisse sprechsprachliche Kommunikationsfähigkeit wiederherstellen lässt. LITERATUR Ahsan SF, Meleca RJ, Dworkin JP. Botulinum toxin injection of the cricopharyngeus muscle for the treatment of dysphagia. Otolaryngol Head Neck Surg. 2000; 122: 691–695. Alfonsi E, Merlo IL, Ponzio M et al. An electrophysiological approach to the diagnosis of neurogenic dysphagia; implications for botulinum toxin treatment. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2010; 81: 54–60. Anselmino M, Perdikis G, Hinder RA et al. Heller myotomy is superior to dilatation for the treatment of early achalasia. Arch Surg. 1997; 132: 233–240. Arens C, Herrmann IF, Rohrbach S et al. Current state of clinical and endoscopic diagnostics, evaluation, and therapy of swallowing disorders in children and adults]. Laryngorhinootologie; 2015 Mar;94 Suppl 1:S306-54. Aviv JE et al. Restoration of Laryngopharyngeal Sensation by Neural Anastomosis. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 1997; 123: 154–160. Bajbouj M et al. Argon plasma coagulation of cervical heterotopic gastric mucosa as an alternative treatment for globus sensations. Gastroenterology. 2009; 137 (2): 440– 441. Barthlen W et al. Surgical therapy of Zenker’s diverticulum: Low risk and high efficiency. Dysphagia. 1990; 5: 13. Belafsky PC. Manual Control of the Upper Esophageal Sphincter. Laryngoscope. 2010; 120: S1–16. Belsey R. Functional diseases of the esophagus. J Thorac Cardiovasc Surg. 1966; 52: 164. Bhattacharyya N, Kotz T, Shapiro J. Dysphagia and aspiration with unilateral vocal cord immobility: incidence, characterization, and response to surgical treatment. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2002; 111 (8): 672–679. Blitzer A, Brin MF. Use of Botulinum Toxin for Diagnosis and Management of Cricopharyngeal Achalasia. Otolaryngol Head Neck Surg. 1997; 116: 328–330. Bloching M, Berghaus A. Rehabilitation des Schluckvermögens nach Tumorresektion. Funktionelle Rekonstruktion der Supraglottisregion mit einem fasciokutanen Unter-

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15

522

Glossar

Glossar Aditus laryngis Kehlkopfeingang, nach oben begrenzt von Epiglottisrand, aryepiglottischen Falten und Interarytae­ noid­region, nach unten von den Stimmlippen.

Apraxie Störungen von Bewegungen bei willkürlicher Initiierung, die zu einem anderen Zeitpunkt normal ausgeführt werden können. Die am häufigsten beob­ach­teten fehlerhaften motorischen Aktionen sind Suchbewegungen, Ersatzreaktionen, fragmentarisch ausgeführte oder zusätzliche Bewegungen, Selbst­kor­rek­tu­ren und Perseverationen. Entsprechend äußert sich die Symptomatik in der oralen Schluckphase.

Aspirat In die Luftwege eingedrungener Fremdkörper.

Aspiration Eindringen von Bolusteilen oder Speichel/Sekret in die Luftwege, unterhalb der Glottisebene.

BaSO4 Bariumsulfat, wasserunlösliche Kontrastmittelsuspension.

Bolus In der Mundhöhle zum Schlucken aufbereitete Nahrung.

Botulinumtoxin, Botulinum-Neurotoxin (BoNT) (lat. botulus = Wurst, toxin = Gift) Sammelbegriff für neurotoxische Proteine; Giftwirkung durch Hemmung der Signalübertragung von Nervenzellen; Verursacher der Lebensmittelvergiftung Botulismus; heute auch als Medikament eingesetzt: führt bei intramuskulärer Injektion zur Muskelerschlaffung, bei Injektion in die Speicheldrüsen zur Speichelreduktion.

CP Muskelschleuse, bestehend aus M. cricopharyngeus, den unteren Fasern des M. constrictor pharyngis inferior und den oberen Fasern des Ösophaguskonstriktors.

Deglutition Schluckakt.

Divertikel Ausstülpung umschriebener Wandteile eines Hohlorgans oder nur von deren Schleimhaut, z. B. an der Speiseröhre.

Digitale Fluoroskopie des Schluckens (DFSS) Aufzeichnung mittels digitaler Durchleuchtungsgeräte mit Flachdetektor, digitale Speicherung gepulster – und somit dosissparender – Durchleuchtungsserien mit bis zu 30 Bildern pro Sekunde möglich.

Glossar

523

Duodenum

Hypersalivation

Zwölffingerdarm, beim Erwachsenen ca. 12 Finger breit (30 cm), erster Abschnitt des Dünndarms.

Vermehrte Speichelproduktion, Ursachen vielfältig, häufig medikamentös bedingt; oder ungenügendes Abschlucken von Speichel, Ursache meist Schluckstörung.

Dysphagie Störung des Schluckakts.

Ernährung, enterale

Hyposalivation Verminderte Speichelproduktion.

(gr. enteron = Darm) Ernährung mit dünnbreiiger oder flüssiger Nahrung über in den Magen-DarmTrakt eingeführte Sonden.

Impaktation

Ernährung, parenterale

Jejunum

Ernährung unter Umgehung des Magen-DarmTrakts durch direkte Infusion von Nährstofflösungen in den Blutkreislauf.

Leerdarm, schließt sich an den Zwölffingerdarm an, beim Erwachsenen bis zu 2 m lang, mittlerer Abschnitt des Dünndarms.

FEES

Jejunostomie:

Flexible endoskopische Evaluation des Schluckvermögens mittels transnasal eingeführtem Endoskop.

Gastrostomie, perkutan endoskopische (PEG)

Endoskopische Anlage (siehe Perkutane endoskopische Gastrostomie/Jejunostomie) oder chirurgische Anlage einer Verbindung direkt durch die Bauchwand in die Darmwand, um eine Sondenernährung zu ermöglichen. Die Anlage geschieht in Vollnarkose (Allgemeinanästhesie).

Endoskopisch durchgeführte Punktion der Bauchwand zur Einlage einer Sonde in den Magen.

Koniotomie

Hyperkinese Unwillkürliche, regelmäßige oder unregelmäßige Bewegung unterschiedlicher Frequenz, Amplitude und Beschleunigung.

Feststecken.

Bei Verlegung der Atemwege notfallmäßige Eröffnung der Verbindung zwischen Schildknorpel und Ringknorpel.

Leaking Entgleiten des Bolus in den pharyngealen Raum (posteriores Leaking) bzw. aus dem Mund (anteriores Leaking), vor Schluckreflexauslösung.

524

Glossar

Manometrie Technik einer Druckmessung in verschiedenen Organen, z. B. Pharynx, Ösophagus.

Mendelsohn-Manöver Nach M. S. Mendelsohn benannte Schlucktechnik zur zeitlichen Verlängerung der Kehlkopfhebung und zur Verlängerung der Öffnungsdauer des oberen Ösophagussphinkters.

Myotomie, krikopharyngeale Operative Druchtrennung des oberen Ösophagus­ sphinkters.

Nasogastrale Sonde (NGS) Sonde durch die Nase über Rachenraum, Speiseröhre in den Magen geschoben, um eine enterale Ernährung zu ermöglichen.

Ösophagusreinigungsfunktion Regelmäßige Entleerung des Ösophagus nach Passage eines Bolus.

Penetration, laryngeale Eindringen von Bolusteilen oder Speichel/Sekret in den Aditus laryngis bis maximal auf Stimmlippen­ ebene.

Penetration, nasale Eindringen von Bolusteilen oder Speichel/Sekret in die Nase.

Perkutane endoskopische Gastrostomie/Jejunostomie (PEG/PEJ) Unter endoskopischer Kontrolle angelegter Zugang durch die Bauchdecke in den Magen, in manchen Fällen auch in tiefere Abschnitte des Verdauungstrakts (Duodenum, Jejunum), um eine Sondenernährung zu ermöglichen. Die Anlage erfolgt unter örtlicher Betäubung (Lokalanästhesie).

Peristaltik Wurmartig aufeinanderfolgende Kontraktionen der einzelnen Abschnitte muskulöser Hohlorgane, z. B. der Speiseröhre.

Pharyngozele Vorübergehende, überdruckbedingte massive Ausbuchtung der Pharynxwand.

Pharynxkonstriktoren Schlundschnürer.

pH-Metrie Säuremessung über Sonde im Ösophagus.

Pooling, pharyngeales (engl. für sich ansammeln) Nahrungsansammlungen vor der Schluckreflexauslösung z. B. in Valleculae, Sinus piriformes.

Pouch Seitliche pharyngeale Wandschwäche.

Glossar

525

Propulsion

Röntgenkinematografie

Vorwärtsbewegung.

Meist auf 35-mm-Film aufgezeichnete Röntgenbilder mit einer Bildfrequenz von 50–200 Aufnahmen pro Sekunde.

Reflux, gastroösophagealer Retrograde Bewegung von Mageninhalt in die Speiseröhre.

Refluxkrankheit Entzündliche Reaktion der Ösophagusschleimhaut auf Magensäure/angedauten Mageninhalt.

Regurgitation Retrograde Bewegung der ösophagealen Muskulatur, die sogar ein Wiederauswürgen aus der Speiseröhre in Rachen, Mund und/oder Kehlkopf bewirken kann.

Residuen Verbleiben von Bolusresten in den Valleculae und/ oder Sinus piriformes und/oder an der Pharynxwand, nachdem der Bolus den Pharynx passiert hat.

Retention Zurückhalten von Substanzen.

Retrograde Laryngoskopie Untersuchung des Kehlkopfs von unten durch ein Tracheostoma mittels eines nach oben abgebogenen flexiblen Endoskops.

Schluckreflex Nichtwillentlicher, am Ende der oralen Phase beginnender Teil des Schluckakts.

Schutzintubation Orale oder nasale Einführung eines Tubus mit aufblasbarer, „blockbarer“ Manschette in die Luftröhre zur Verhinderung der Aspiration.

„Silent aspiration“ Aspiration ohne unmittelbare äußere klinische Zeichen, wie z. B. Husten, Expektoration.

Sinus piriformis Pl.: Sinus piriformes. Seitliche Tasche im Hypopharynx, geformt durch Anheften des unteren Schlundschnürers am Ringknorpel.

Supraglottisches Schlucken (SGS) Schlucktechnik mit willkürlichem Stimmbandschluss durch Atemanhalten mit anschließender forcierter Exspiration oder Abhusten der in den su­ pra­glottischen Raum eingedrungenen Bolusteile.

Thermosondenstimulation Stimulation der Schluckreflexauslösung an den vorderen Gaumenbögen mit eisgekühltem Stab.

526

Glossar

Tracheostomie

Videoendoskopie des Schluckens

Anlage eines epithelisierten Tracheostomas, d. h. Schaffung eines epithelisierten Kanals durch Verbindung der Luftröhrenschleimhaut mit der Haut.

Endoskopische Beurteilung von Struktur und Funktion des Pharynx und Larynx mit Videoaufzeichnung, entweder transnasal mit flexibler Optik oder transoral mit starrem Lupenlaryngoskop.

Tracheotomie Chirurgische Eröffnung der Luftröhre zwischen 2. und 4. Trachealspange.

Triggerareale Reflexauslösende Zonen.

Triggerung Reflexauslösung.

Valleculae Paarige, taschenförmig vertiefte Verbindungsräume zwischen Zungengrund und Epiglottis.

Videofluoroskopie des Schluckens Videoaufgezeichnete Röntgendurchleuchtung mit einer Bildfrequenz von 25–30 Aufnahmen pro Sekunde.

Xerostomie Mundtrockenheit.

Zentralnervensystem (ZNS) Gehirn und Rückenmark.

Register

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Register Symbole 3-Ounce Water Swallow Test  153 A Abstandsgesetz – quadratisches  132 ACE-Inhibitor  84 Acetylcholin (ACh)  57 Achalasie  486 – kombinierte HRM-Manometrie und Impedanzmessung  477 – konservative Therapie  490 – primäre idiopathische vs. sekundäre  501 – zervikale  149, 504 ACh-Rezeptor (AChR)  57 – Autoantikörper  74 Adamsapfel  17 Adaptive Verfahren  262, 368 Adenokarzinom  495 Aditus – laryngis  16 Affolter-Konzept  419 Air Pulse Pressure (APP)  188 Aktiv-direkt-adaptierte multisensorische Stimulation (ADAMS)  419 ALARA-Prinzip  132 Allgemeinmedizinische Unter­ suchung – Dysphagiepatient  172 Altern – Veränderung der Schluckorgane  40 Amantadin  85 Amitriptylin – medikamentöse Speichelreduktion  222 Amylase  369 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)  72 – FDT  404 Anamnese – KSU  157 – neurologische  79 Anamneseerhebung – Dysphagiepatient  172 Anastomoseninsuffizienz  145 Andickungsmittel  375 – Speicheleinfluss auf Viskosität  369 Ankereffekt  240 Anschluckstörungen – kombinierte  504 Anspannen – Entspannen  290

Anticholinergikum  222 Arteria – lusoria  497 – subclavia dextra  497 Aspiration  43 – Beurteilung des Schweregrades  203 – chirurgische Gegenmaßnahmen  508 – direkte vs. indirekte Symptome  217 – Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Komplikationen  218 – intradeglutitive  339 – laryngoskopische Schweregradeinteilung  204, 205 – Magensaft  220 – Nahrung und Flüssigkeit  219 – post- vs. intradeglutitive  342 – Schweregradeinteilung  135, 218 – stille  195, 218 – tracheale  134 – videoendoskopische Definition  195 Aspiration mit Atemnot – Sofortmaßnahmen  384 Aspirationshinweise – wichtigste klinische  167 Aspirationskomplikation – Maßnahmen zur Verhinderung  220 Aspiration(spneumonie) – Prädiktion  80 Aspirationspneumonie – Prädiktoren  219 Aspirationsrisiko – altersbedingtes  98 Aspirationsschnelltest  152 – Trachealkanülenträger  156 Atemanhalten – forciertes  341 Atemführung – Verbesserung bei Frühreha-­ Patienten  422 Atemstopp – Übungen  363 Atmung – Ursachen einer Behinderung  224 Aufstau – subglottischer  233 Augmentation – nach Tumorresektion  508 Ausatmung – passive vs. forcierte  423

Außenkanüle – gefensterte  237 Autonome Bewegungsübungen  290 Avellis-Syndrom  52 Axonsprossung  272 B Ballondilatation  488 – OÖS-Öffnungsstörung  505 Bariumperitonitis  131 Bariumsulfat  130 Basale Stimulation©  419 Bauchmuskulatur – Aktivierung  423 Becher mit Nasenausschnitt  377 Beißreflex – Lösen im Notfall  302 – Überprüfung, Fazilitation, Inhibi­ tion  300 Berührungen – leichte manuelle  277 Berührungsempfindung – Beurteilung  159 – Normalisierung  277 Besteck – Esshilfe  380 Bestrahlungsschäden – Dysphagieursache  77 – Präventivmaßnahmen zur Minimierung  435 Bett – Positionierung  294 Bewegungsinitiierung – rhythmische  288 Bewegungsübungen – autonome  276, 290 Bewegungsumkehr  289 Bewusstseinsstörungen – quantitative vs. qualitative  415 Bezugsquellen – Hilfsmittel im Rahmen der FDT  394 Bildgebung – Schluckakt  124 Bilirubin – Tracersubstanz  485 Bilitec-Messung  485 Björk-Lappen  228 Black Pepper Oil (BPO)  352 Bobath-Konzept – entwicklungsneurologische ­Behandlung  268 BODS-1  393

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Register

Body-Mass-Index (BMI)  248 Bogenhausener Dysphagiescore (BODS)  393 Bogenhausener Untersuchungs­ protokoll – Videoendoskopie  191 Bolus  25 Bolusaustreibung  29 Bolusfluss – Beurteilung  134 Bolusrest siehe Residuum Bolustransport – chirurgische Maßnahmen zur ­Verbesserung  506 – gestörter  480 Bolustransport, ösophagealer – Registrierung und Quantifizierung  480 Botulinum-Neurotoxin (BoNT)  58 – Dysphagieauslöser  77 – Dysphagietherapie  83 – Injektion zur Therapie ösophagealer Dysphagien  488, 490 – medikamentöse Speichelreduktion  223 – Sialörrhötherapie  83 Botulinumtoxininjektion – OÖS  505 Botulismus  72 Bougierung  488 – OÖS-Öffnungsstörung  505 Bravo-System  483 Brombart-Stadieneinteilung  499 Bronchiallavage  189 Bronchoskopie  188 – V. a. Lungenkomplikationen durch Aspiration  220 Brustkorb – Mobilisierung  423 Bulbärparalyse  63 Button  231 C CADASIL  66 CamoCup®  377 Capsaicin  351 Cartilago – arytenoidea  16 – cricoidea  16 – epiglottica  16 – thyreoidea  17 – thyroidea  16 Castillo-Morales-Konzept  269 Cavitas oris propria  6 Checkliste – ätiologisch unklare neurogene ­Dysphagie  82

Chemotherapie – Folgestörungen  105 – Nebenwirkungen  437 Chiari-I-Malformation  70 Chondroradionekrose  106 Chorea – FDT  411 Chorea-Akanthozytose (CHAC)  68, 411 Chorea Huntington  68 Computertomografie (CT)  124 COPD  99 CPG – DMCPG und VLCPG  51 Critical-Illness-Polyneuromyopathie (CIPNM)  76 Cued swallowing  136 Cuff  232 Cuff-Druckmesser  241 Cuff-Druckmessung  235 D Dehnung – anhaltende vs. kurze  282 Dehydratation  248 Dekanülierung – Richtlinien  245 DeMeester-Score  484 Demenz – Alzheimer-Demenz  451 – Einteilung nach ICD-10  450 – Gruppen  450 – Störung der Nahrungsaufnahme  450 – subkortikale ischämische vaskuläre (SIVD)  65 – vaskuläre  453 Denecke – Vierstufenkonzept  510 Dermatomyositis (DM)  76 DFSS  125, 130 – Vor- und Nachteile  136 Diagnostik – radiologische  472 Diaphragma oris  8 Diaschisis  271 Diätanpassung – an die jeweilige Schluckpathologie  373 – Parameter  368 Diätetische Maßnahmen  368 Diät-Stufenplan Dysphagie  373 Diffuse idiopathische skelettale ­Hyperostose (DISH)  134 Digital Spot Imaging (DSI)  125 Dilatationstracheostomata  233 Dilatationstracheotomie nach ­Fantoni  226

Dilatator  226 Diversion – tracheoösophageale  511 Divertikel  140 – epiphrenisches  497, 500 – parabronchiales  497, 499 Divertikelentstehung – Prädilektionsstellen  498 Divertikelsteg  489 Divertikulektomie  499 Divertikuloösophagotomie – endoskopische  489 Divertikulopexie  499 Doppelblindstudie  391 Doppelschluck  366 Dosierbecher  378 Dreifingermethode  162 Drei-Gummi-Übung  334 Druck – streichender vs. statischer  280 Druckablauf – intraösophagealer  473 Druck-Tapping  280 Dünndarmsonde  251 Duodenogastroösophageale Refluxdiagnostik  485 Dynamische Umkehr  289 Dyskinesie  68 Dyspepsie – nichtulzeröse  485 Dysphagia – lusoria  497 Dysphagie  24 – als prognostischer Indikator  68 – altersbedingte  96 – Lungenerkrankungen  99 – nach HWS-OP  78, 96 – pathologische Symptome und mögliche Ursachen  160 – primäre vs. sekundäre in Frühreha  416 – psychogene  78 – Schweregrade  155 Dysphagie, neurogene – ätiologisch unklare  82 – Diagnostik  79 – Häufigkeit  63 – Läsionsetagen  48 – Therapie  81 Dysphagie, ösophageale – Diagnosen  485 – konservative Therapie  488 – Ursachen  470, 471 Dysphagiepatient – psychosoziale Unterstützung  256 Dystonie – zervikale  68

Register Dystrophia myotonica CurschmannSteinert-Batten  75 Dystrophie – myotone  75 E Ein-Gummi-Übung  331 Einhänderbesteck  380 Einschlusskörpermyositis (IBM)  76 Einzelfall-Kontroll-Studie  391 Eiskompresse  280 Elektrostimulation – neuromuskuläre (NMES)  285, 353 – pharyngeale (PES)  284 – Verbesserung der Kehlkopfhebung  343 – vordere Gaumenbögen  285 EMG-Biofeedback-Verfahren – Erlernen der Mendelsohn-Technik  366 Endoskopie  471 Endosonografie  471 Entblockung – Richtlinien  243 – vorübergehende  238 – zeitweise vs. dauerhafte  244 Entblockungsspritze  242 Entlastungsbeutel  242 Entzündungen  92 Entzündungszeichen  220 Enzephalopathie – subkortikale arteriosklerotische (SAE)  65 Epiglottis  16 – dorsokaudale Kippung  18 – Verdickung  193 Epiglottiskarzinom – Therapiefolgen  111 Epiglottiskippung  33, 341 Ergänzungsnahrung  376 Ernährung – nichtorale, parenterale vs. enterale  249 Ernährungszustand – Scores zur Erfassung  248 Essensbegleitung  382 – Chorea-Patienten  412 Esshilfen  378 Esssucht  411 Evidenzbasierte Medizin (EBM)  390 Evidenzstärken  390 Evoziertes Potenzial – motorisch (MEP)  284 Experimentelle Studie  390 Exspiration – Verlängerung  423

Exspiratorisches Muskelkrafttraining (EMST)  343 – Parkinson-Syndrom  409 Extensorstoß – Zunge  337 F Face-Former® nach Berndsen und Berndsen  318 Facio-orale Trakt-Therapie (F. O. T. T.©)  419 Familienanamnese  80 Färbetest – Trachealkanülenträger  156 Faszikulation  63 Fazialisparese – einseitige  306 Fazialistraining – Übungsschwerpunkt  306 Fazilitation – muskuläre  272 – Propriozeptive Neuromuskuläre (PNF) nach Kabat  269 Faziooraler Bereich – Untersuchung  176 Fazio-orale-Trakt-Therapie (F. O. T. T.)  268 FDT – adaptive Verfahren  262, 368 – Effektivität und Effizienz  394 – Frühreha nach Hirntrauma  415 – Grundlagen und Methodenübersicht  262 – kompensatorische Therapieverfahren  262 – kompensatorische Verfahren  355 – Leitfaden zur individuellen Übungsplanerstellung  385 – nach Bestrahlungstherapie  436 – nach Laryngektomie  443 – nach Neck-Dissection  444 – nach Pharyngolaryngoösophagektomie mit Rekonstruktion  445 – nach Tumorresektion  439 – onkologische Kopf-Hals-Erkrankungen  434 – Planung und Ziele  263 – präventive vor Tumortherapie  435 – restituierende Therapieverfahren  262 – restituierende Verfahren  267 – spezielle neurologische Erkrankungen  404 Feedback  273 Feedforward  273

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Fetus – Saugen und Schlucken  39 Fiberoptic Endoscopic Evaluation of Swallowing (FEES)  185 Fibrillation  63 Fibrosierung  435, 437 Fistel – ösophagotracheale  443 – pharyngokutane  114 – tracheoösophageale  94 Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing with Sensory Testing (FEESST)  187 Fluorograbbing – digitales  125 Fluoroskopie – digitale  125, 130 Flüssigkeitsstufen  369 Foix-Chavany-Marie-Syndrom  49 Fremdkörper  94 – impaktierte  138 Fremdkörperreaktion – granulomatöse  130 Frührehabilitation – Einteilung dysphagischer Patienten  415 – restituierende Maßnahmen  421 – Therapieschulen  418 – Therapieziele  417 Frühstimulation – multimodale (MEOS)  419 Frühstücksbrett  380 Führungswiderstand  287 Fundoplastik – anteriore nach Dor oder Thal  501 Fundoplicatio  502 Funktionsdiagnostik – radiologische  124 G Gähn-Seufz-Übung  340 Gähnübung  330, 340 Gastrostomie – perkutan-endoskopische (PEG)  253, 406 Gaumen – Anatomie  13 Gaumendefekt  441 Gaumensegel – Anatomie  13 Gaumensegelheberparese – rechtsseitige zentrale  179 Gaumensegelprothesen  508 Geruchsreize  428 Geschmacksbahn  57 Geschmackswahrnehmung  57 Gesichtsmuskeln – Training  306

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Register

Gesichtsmuskulatur  4 – Innervation, Hirnstammkerne, Hauptfunktion  53 – Stimulation  425 Glandula – parotidea  20 – sublingualis  21 – submandibularis  21 Gleichstromstimulation – transkranielle  285 Globalziel – therapeutisches  265 Globus pharyngis  78 Glossektomie – partielle  439 Glottis  16 – Vernähung  510 Glottisschiefstand  194 Glottisschluss – willkürlicher beim Schlucken  362 Glukoseoxidasetest – Trachealkanülenträger  156 Glycopyrroniumbromid – medikamentöse Speichelreduktion  222 Großhirnläsion – beidseitige  49 – einseitige  49 Gugging Swallowing Screen (GUSS)  154 Guillain-Barré-Syndroms (GBS)  73 Guillain-Mollaret-Dreieck  69 Gummiringübung – 1 Ring  331 – 2 Ringe  333 – 3 Ringe  334 Gurgelübung  330 H Halslymphknotenausräumung  105 Halsmuskulatur – Stimulation  424 Halsmuskulatur, vordere – Neuromuskuläre Elektrostimula­ tion  285 Halswirbelsäule (HWS) – anteriorer OP-Zugang  78, 96 – primäre Erkrankungen  95 – Spondylophytenbildung  134, 139 Halten – Entspannen  290 Haltungsänderungen – kompensatorische  356 – Wirksamkeitsnachweise  361 Haltungsaufbau – Frühreha-Patienten  422 – Übungsschwerpunkt  292 Heimlich-Manöver  384

Hemilaryngektomie  112, 442 – erweiterte  442 Hemisphärenasymmetrie – Schluckkortex  48 High-Resolution-Manometrie (HRM)  476 High-Volume-Low-Pressure-CuffKanüle  233 Hirnnerven – Innervation der Schluckmuskulatur  53 Hirnnervenkerne – schluckrelevante  54 Hirnstamm – Läsionstypen  51 Hisscher-Winkel  19 HIV-Infektion  71 Hochdruckzone – muskuläre  497 Hochfrequenzkinematografie  125 Hochräuspern und Nachschlucken  366 Holzhals  437 Honig – Auftragen auf entzündliche Schleimhaut  438 Husten – reinigendes  367 – Unterstützung bei Frühreha-­ Patienten  422 Hustenreflex  160, 175 Hyoid-Larynx-Elevation  30 Hyperkinesen  194 Hypersalivation  221 Hypersensibilität – Normalisierung  277 Hyperthyreose – Prävention iatrogener  84 Hypopharynxkarzinom – Bildgebung  141 Hypopharynx-Larynx-Tumoren – Therapiefolgen  114 Hyposensibilität – Normalisierung  277 I Iatrogene Schäden – Intubation  93 ICF-Modell  266 Impedanzmessung  480 Incisura – cardiaca  19 – interarytenoidea  16 Induktion – Gesetz der sukzessiven  289 Infektionskrankheiten – ZNS  71 Inhalationsmethode  348

Inhibition – muskuläre  272 Injektionsmethode  348 Inlet  229 Inlet patch  497 Innenkanüle  229 Innervation – Gesetz der reziproken  287 Insel – vordere  48 Inspiration – Vertiefung  423 Insuffizienz – velopharyngeale  14 Intrabolusdruck  35 Intraorale Sensibilität – Normalisierung  278 Intraorale Stimulation  426 Intrapharyngealdruck – chronisch erhöhter  486 Intubation – Komplikationen  224 Inzidenz  63 Iotrolan – medikamentöse HyperthyreosePrävention  84 Irradiation  287 J Jamieson-Divertikel  498 Jejunostomie – perkutan-endoskopische (PEG)  254 Jejunuminterponat  495 K Kältebrand  280 Kältereize  279 Kalziumantagonist  490 Kanülenwechsel  242 KAPI® Trinkbecher  378 Kardiovokales Syndrom  94 Kaubewegungen  7 – Übungen  325 Kauen – Grundbewegungsmuster  25 – intraorale Stimulation  427 Kaumuskulatur  7 – Bewegungsstörungen  161 Kausäckchen  327 Kauübung  341 Kehlkopf – Anatomie  16 – chirurgische Suspension  509 – chirurgischer Verschluss  510 – Inkompetenz  508 – supraglottische und suprakrikoidale Teilresektion  441 – vertikale Teilresektion  442

Register Kehlkopfmuskeln  17 Kehlkopfschlundschnürer  346 Kehlkopfteilresektion – supraglottische  146 Kehlkopftumoren – Therapiefolgen  109 Kehlkopfverschluss – 3-facher  33 – Störung  225 – videoendoskopische Funktions­ prüfung  196 Kiefergelenk  6 Kieferklemme  321, 437 Kieferkontrolle – passive  422 – Stimulation  296 Kieferkontrollgriffe – Griff A, B und C  297 Kieferöffnung – Fazilitation durch Dauerdehnung  283 – Übungen  321 Kieferprotraktion und -retraktion – Übungen  325 Kieferrotation – Übungen  325 Kieferschluss – Übungen  323 Kieferstoß  321 Kieferübungen – Übungsschwerpunkt  320 Killian-Dreieck  15, 486, 498 Killian-Jamieson-Divertikel  141 Kipptechnik – supraglottische (SGK)  364 Klammernahtreihe  501 Kleinhirnläsionen – raumfordernde  52 Klinisch-neurologische Unter­ suchung  80 Knopfübung  316 Kollagenose  66 Koloninterposition  495 Kompensatorische Therapieverfahren  262, 355 Kompression – Stimmbandadduktionshilfe  340 Kongenitale Erkrankungen  91 Koniotomie  226, 246 Kontaktaufbau – Frühreha-Patienten  421 Kontraktion – pharyngeale  165 Kontraktionswellen – spastische  478 Kontrastmittel – Auswahl  130 – jodhaltige  131

Kontrastmittelleckage – postoperative  144 Kontrastmittelresiduen – postdeglutitive  135 Kopfdrehung – kompensatorische  358 Kopf-Hals-Muster – Übungsschwerpunkt  303 Kopf-Hals-Tumoren  101 – FDT  434 Kopfhebung – kompensatorische  357 Kopfkippung – kompensatorische  360 Kopfkontrolle – passive  422 – Stimulation und passive Maßnahmen  295 Kopfrotation – Stimmbandadduktionshilfe  340 Kortikobulbäre Bahnen  48 Kost – passierte  370 – pürierte vs. weiche vs. Übergangs-  373 Koststufen  369 Krikoid – seitlicher Druck  360 Krikopharyngeale Dysfunktion (CPD)  58 Krümmungsradius – Trachealkanüle  229 KSU  157 – Frühreha-Assessment  420 – Sicherheitskriterien  160 – Ziele  167 Kugelübung  335 Kunststoffkanüle  229 Kuppelphänomen  139 Kurzkanüle  231 Kurzzeiteisbehandlung  279 Kurzzeitmanometrie  472 L Laimer-Dreieck  498 Lakunärer Infarkt  65 Lambert-Eaton-Syndrom (LES)  74 Langzeitbeatmung  76 Langzeiteisanwendung  280 Langzeitintubation – Druckschädigungen  93 Langzeitmanometrie  474 Langzeit-pH-Metrie  482 Lanz-Ventil  235 Laryngeale Adduktion  30 Laryngealer Adduktionsreflex (LAR)  188

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Laryngealer Verschluss  165 – Übungsschwerpunkt  339 Laryngektomie (LE)  511 – Kontrastmittelleckage  144 – supraglottische Teilresektion  441 – suprakrikoidale  111, 441 – totale  112, 443 Laryngopharyngeal Sensory ­Discrimination Threshold Testing (LPSDT)  188 Laryngoskopie – retrograde  189 – transorale  189 Larynx – Anatomie  16 – Separation von der Trachea  511 Larynxelevation – Übungsschwerpunkt  341 Larynxhebung – nach vorn  165 Larynxmuskulatur, extrinsische – schluckrelevante Funktionen  342 Larynxmuskulatur, intrinsische – schluckrelevante Funktionen  339 Larynxspiegel – als Thermosonde  352 Larynxteilresektion – frontolaterale  112 – supraglottische  109 – vertikale  112 Laserchirurgie – transorale  104 Leaking – anteriores vs. posteriores  43 Leckage – trans- vs. periprothetische  443 Lee-Silverman-Voice-Treatment (LSVT®)  341, 409 Leiomyom  496 – Bildgebung  141 Lernen – motorisches  273 Leukoaraiose  65 Levatorplastik – nach Sader  508 Lifequality Cup  378 Lingual-pharyngealer Verschluss  30, 330 Lippen – Bewegungsstörungen  161 Lippen breitziehen  288 Lippenfunktionen – schluckrelevante  314 Lippenöffnung – Übungen  315 Lippenretraktion – Übungen  319

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Register

Lippenrundung und -protraktion – Übungen  319 Lippenschluss – Übungen  315 Lippenübungen – Übungsschwerpunkt  314 Lochfensterung  231 Luftbefeuchtung  243 Luftstromlenkung – physiologische  241 Luft- und Speisewege – chirurgische Trennung  510 Lupenlaryngoskop – starres  189 M Magenhochzug  495 Magensaft – Aspiration  219 Magenschleimhaut – versprengte  495, 497 Magnetresonanztomografie (MRT)  124 Malnutrition  247 – Protein Energy M. (PEM)  99 Mangelernährung  247 Manofluorografie  364 Manometrie – intraluminale  472 Manschette – aufblasbare  232 Manuelle Therapie  419 Masako-Manöver  347 Masseterreflex  175 McLeod-Syndrom  68, 411 Mechanorezeptor  273 Medikamente – als Dysphagieauslöser  77 Mehrpunktmanometrie  473 Membranstenose – Röntgenmorphologie  141 Mendelsohn-Technik (MT)  364 Messphasen – Kennzeichnung  392 Mikrosensor  472 Miller-Fisher-Syndrom (MFS)  74 Mimische Muskulatur  4 Minimal Nutritional Assessment (MNA)  248 Mischkonsistenz  369 Mobilisationstechniken  276, 286 Modified Evans‘ Blue-Dye-Test (MEBD)  156 Montgomery-Kanüle  231 Moosgummigriff  380 Morbus – Crohn  79 – Forestier  79, 134, 496

– Whipple  69, 79 – Wilson  68 Motilitätsstörung – tubulärer Ösophagus  486, 490 Motilitätsstörungen – primäre vs. sekundäre  470 Motivation – motorisches Lernen  273 Motoneuronerkrankung – degenerative  72 Motorik – Mobilisation  277 Motorisches Lernen  273 Motorisch evoziertes Potenzial (MEP)  284 Mukosaresektion – endoskopische (EMR)  495 Mukositis  255 – oropharyngeale  437 Multidetektorspiral-CT (MDCT)  124 Multimodal Early-Onset Stimulation (MEOS)  419 Multiple Sklerose (MS)  72 – FDT  413 Multisystematrophie (MSA)  67 Mundbehandlung nach Mueller  426 Mundboden  8 Mundflora – Änderungen  219 Mundhöhle – Anatomie  6 – taktile Sensibilität  178 Mundhöhlentumor – Therapiefolgen  108 Mundhygiene – intraorale Stimulation  427 Mundwinkel – Zurückziehen nach oben  283 Musculus – arytenoideus  18 – arytenoideus obliquus  18 – buccinator  4 – constrictor pharyngis  14 – cricothyreoideus  17 – digastricus  9 – genioglossus  12 – geniohyoideus  8 – hyoglossus  12 – infrahyoideus  10 – levator pharyngis  14 – levator veli palatini  13 – longitudinalis  12 – masseter  7 – mylohyoideus  8 – omohyoideus  10

– orbicularis oris  4 – palatoglossus  13 – palatopharyngeus  13, 15 – pterygoideus medialis et lateralis  7 – salpingopharyngeus  15 – sternohyoideus  10 – styloglossus  12 – stylohyoideus  9 – stylopharyngeus  15 – suprahyoideus  9 – temporalis  7 – tensor palatini  13 – thyreoarytenoideus  18 – thyreohyoideus  10 – thyreopharyngeus  19 – transversus  12 – verticalis  12 Musculus buccinator – Training  312 Musculus corrugator supercilii – Training  311 Musculus depressor labii inferioris/ anguli oris – Training  311 Musculus frontalis – Training  311 Musculus levator labii superioris – Training  311 Musculus mentalis – Training  312 Musculus orbicularis oculi – Training  311 Musculus orbicularis oris – Training  311 Musculus risorius – Training  311 Musculus zygomaticus – Training  311 Muskelatrophie – spinobulbäre vs. spinale  73 Muskeldystrophie – okulopharyngeale  505 – okulopharyngeale (OPMD)  75 Muskelentzündung  76 Myasthenia gravis  74 – FDT  407 Myelinolyse  72 Myoklonien  69 – velopharyngolaryngeale  194 Myopathien – hereditäre metabolische vs. ­endokrine  75 Myositis  76 Myotomie – chemische  506 – krikopharyngeale  499, 504 – probatorische  505

Register N Nahrung – Fließfähigkeit und Formbarkeit  368 – pulmotoxische  372 Nahrungsaufnahme-Beeinträchtigung – Bogenhausener Dysphagiescore  393 Nahrungsplatzierung  376 Nasalwechselübung  341 Nase – künstliche  243 Nasogastrale Sonde (NGS)  249 Nasopharynx – bakterielle Besiedlung  219 Neck-Dissection – radikale vs. funktionelle  444 – radikale vs. selektive  105 Neoglottis  114 Nervus – facialis  4 – glossopharyngeus  11 – hypoglossus  10 – laryngeus recurrens  19 – laryngeus superior et inferior  17 – lingualis  10 – trigeminus  11 – vagus  11, 20 Neugeborenes – Saug-Schluck-Muster  39 Neurological Development Treatment (NDT)  268 Neurologische Diagnostik  79 Neurologische Therapie  81 Neurologische Untersuchung  80 Neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES) – Schluckreflexauslösung  353 – vordere Halsmuskulatur  343 Neuromuskuläre Synapse – Erkrankungen  74 Neuroplastizität  271 Neurotrophe Faktoren  272 Nichtexperimentelle Studien  391 Niesen  164 Nifedipin  490 Nitrate  490 Notfall-Kanülenwechselset  241 Notfallmaßnahmen  384 Novo Cup  378 Nucleus tractus solitarii (NTS)  56 Nussknacker-Ösophagus  486, 504 O Obturatorprothese  508 – als Ess- und Trinkhilfe  381 – nach Tumorentfernung  441 Ohrspeicheldrüse  20

Okklusion  7 Okulopharyngeale Muskeldystrophie (OPMD)  75 OÖS – Anatomie  19 – chirurgische Therapie von Funk­ tionsstörungen  504 – isolierte Relaxationsstörung  504 – komplette und zeitgerechte ­Relaxation  479 – manuelle Kontrolle  509 – Myotomie  443 – neurologische Therapie der Öffnungsstörung  83 – Öffnung  34, 166 – Relaxationsstörung  485, 488 – strahleninduzierte narbige Stenosierung  107 – Struktur und Innervation  58 OÖS-Öffnung – Übungen  348 – Übungsschwerpunkt  346 Operkulum – frontoparietales  48 Operkulumsyndrom – vorderes bilaterales  49 Orale Phase  28 – pathologische Symptome und mögliche Ursachen  162, 167 – verlängerte  164 Orale Vorbereitungsphase  25 – pathologische Symptome und mögliche Ursachen  161, 167 ORA-LIGHT®  317 Orofaciale Regulationstherapie (ORT)  269, 419 Oropharynx – klinische Untersuchung  172 – Teilresektion  440 Oropharynxtumoren – Therapiefolgen  109 Ortner-Syndrom  94 Ösophageale Phase  36 – Störungen  166, 167 Ösophagektomie – radikale  495 – und Magenhochzug  144 Ösophagogastroduodenoskopie  471 Ösophagus – Anatomie  19 – Aufbau und Funktion  58 – hypersensibler  484 – intramurale Pseudodivertikulose  139 – Physiologie und Pathophysiologie  470 – Stenosen nach Tumortherapie  114

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Ösophagusdivertikel  497 Ösophagusimpedanzmessung  480 Ösophaguskarzinom – chirurgische Therapie  494 Ösophagusmanometrie  472 – hochauflösende  476 Ösophagusmotilität – ineffektive  487, 490 Ösophagusspasmus – diffuser  149, 486, 490, 504 Ösophagusszintigrafie  481 Ösophagustumoren – Therapiefolgen  114 Ossifikation – Ligamentum stylohyoideum  134 Osteoradionekrose  106 Overflow  287 P Palatalreflex  175 Parallelisierung  391 Parasitose  76 Parese – periphere vs. zentrale  176 – zentrale vs. periphere  63 Parkinson-Syndrom – FDT  408 – idiopathisches vs. atypisches  67 Partizipation  266 Passavant-Ringwulst  14 Patientenbeispiele – Röntgendiagnostik  137 Penetration – laryngeale  134 – nasale  31, 164 – nasale vs. laryngeale  43 – Schweregradeinteilung  135 – videoendoskopische Definition  195 Penetrations-Aspirations-Skala (PAS)  135, 204 Perfusionsmanometrie  472 Perindopril  84 Peristaltik – primäre vs. sekundäre  36 Perkutane dilatative Tracheotomie (PDT)  226 Perkutan-endoskopische Gastrostomie (PEG)  253, 406 Perkutan-endoskopische Jejunostomie (PEJ)  254 Perlman-Übungen  348 Phagophobie  79 Pharyngeale Elektrostimulation (PES)  284 Pharyngeale Kontraktionen  165 Pharyngeale Phase  30 – pathologische Symptome und mögliche Ursachen  163, 167

534

Register

Pharyngeale Welle  30 Pharyngeal-Squeeze-Manöver (PSM)  347 Pharyngolaryngektomie – Therapiefolgen  114 Pharyngolaryngoösophagektomie  445 Pharyngolaryngoskopie mit ­bronchoskopischer Untersuchung  188 Pharyngoplastik – hypopharyngeale  508 Pharynx – Konstriktoren und Levatoren  346 – laterale Pouches  140 – p.–a. Projektion  126 Pharynxkontraktion – Übungen  347 – Übungsschwerpunkt  346 Pharynxrekonstruktion  114 Pharynxstenose  114 pH-Elektrode  483 pH-Metrie – 24-Stunden-  482 – pathologische  484 Phonationsprobe – KSU  164 pH-Sprung-Methode  483 Picture archiving and communication system (PACS)  125 Pinseln  278 Plastisch-chirurgische Verfahren – oropharyngeale Dysphagie  506 – ösophageale Dysphagie  501 Plastizität – Schluckkortex  50 Plastizitätsmechanismen – neuronale  271 Plattenepithelkarzinom  495 – Kopf-Hals-Tumoren  101 Platzhalter  231 Plexus myentericus – neuronale Degeneration  486 Plexus pharyngeus  337 Plica – aryepiglottica  16 – vestibularis  16 – vocalis  16 PNS-Erkrankungen  73 Poliomyelitis  71 Polymyositis (PM)  76 Polyneuritis cranialis  74 Polyneuropathie – akute inflammatorische demyelinisierende (AIDP)  73 Pooling – pharyngeales  43

Positionierung – Bett  294 – Kleinkinder  295 – Rollstuhl  293 – Stuhl  292 Positronenemissionstomografie (PET)  124 Postkrikoidregion  166 Postpoliosyndrom (PPS)  71 Postswallow position  185 Pouch  140 Präorale Phase  24 Prävalenz  63 Presbyphagie  40, 96 – sekundäre  99 Press-Druck-Übung  338 Pressübung  330 Primitivreaktionen – orale  321 Processus – muscularis  17 – styloideus  134 – vocalis  18 Prokinetika  490 Prominentia laryngea  17 Propriozeptive neuromuskuläre ­Fazilitation (PNF) nach Kabat  269, 286 – Kopf-Hals-Muster  303 Propriozeptor  269, 273 Protein Energy Malnutrition (PEM)  99 Protonenpumpenblocker  491 Pseudoachalasie  501 Pseudobulbärparalyse  49 Pseudodivertikulose – intramurale  139 Pseudoepiglottis  113 Pseudohypersalivation  221 Pseudorelaxation  474 Psychogene Dysphagie  78 Pulmotoxizität – Nahrung  372 Pulsionsdivertikel  497 Pulsoxymetrie  152, 155 Pumpbewegung – Zunge  337 Punktionstracheotomie  226 Q Quasiexperimentelle Studie  391 Querschnittlähmung – hohe  73 R Rachen – Anatomie  14 Rachenreinigung  366

Radiochemotherapie – Dysphagierisiko  434 Radio-/Chemotherapie – Folgestörungen  105 Radiotherapie – intensitätsmodulierte (IMRT)  107 Randomisierte kontrollierte Studie (RKS)  390 Raphe – pharyngis  14 Redundanztheorie  271 Reflektorische Bewegungen – Beobachtung  175 Reflexauslösbarkeit – Überprüfung  179 Reflexmuster – orofaziale  299 Reflux – duodenogastroösophagealer  485 – laryngopharyngealer  192 – Nachweis durch pH-Metrie  482 Refluxbehandlung – Prophylaxe und Therapie  220 Refluxkrankheit  487 – gastroösophageale  502 – konservative Therapie  491 Rehastufenmodell  415 Reinigungstechniken – oral-pharyngeale  366 Reinigungswelle  36 Rekonstruktion – Pharynx  114 Relaxationsstörung – OÖS  485 Repräsentationsareale – kortikale  48 Residualdruck  478 Residuen – Quantifizierung  135 Residuum  43 – videoendoskopische Definition  195 Resonanzübungen  340 Respiratory Inversion Point  478 Restituierende Therapieverfahren  262, 267 – Behandlungsstufen  275 Restretch  289 Rezeptor-Tyrosinkinase – muskelspezifische (MuSK)  57 Rhinopharyngolaryngoskop – flexibles  185 Rillenbecher  378 Ringknorpel  16 Rollstuhl – Positionierung  293 Röntgenuntersuchung – dynamische, bei Tumorpatienten  435

Register Rood, Margret S.  269 Rooting  299 rTMS  285 Rückmeldung – motorisches Lernen  273 Ruheatmung  423 Ruhebeobachtung  174 Rülpsübung  348 S Saugpumpenstoß – hypopharyngealer  36 Saugschlucken  337, 350 – Chorea-Patienten  412 Saug-Schluck-Muster – Neugeborenes und Kleinkind  39 Saug-Schluck-Reflex  299 – Fazilitation und Inhibition  299 Saugverhalten – frühkindliche Entwicklung  299 Schädel-Hirn-Trauma (SHT)  66 Schatzki-Ring – Röntgenmorphologie  141 Schiebelöffel  381 Schilddrüsenkarzinom – Bestrahlungsfolgen  107 Schildknorpel  17 Schlaganfall  64 Schluckauf  53 Schluckdiagnostik – vor und nach Tumortherapie  434 Schluckdominanz  48 Schlucken – im Alter  40 – kindliches  39 – Neuroanatomie  48 – reduziertes supraglottisches  442 – supersupraglottisches (SSGS)  362 – supraglottisches (SGS)  362 – zentralnervöse Kontrolle  51 Schlucken auf Kommando  136 Schluckfunktion – Videoendoskopie  180 – videoendoskopische Untersuchung  172 Schluckkontrollgriff  162, 163 Schluckkortex  48 – Hauptaufgaben  50 – Plastizität  50 Schluckmuskulatur – Innervation  53 – OÖS  58 – Ösophagus  58 Schluckorgane – altersspezifische Veränderungen  40

– klinische Untersuchung  158 – zentrale vs. periphere Parese  176 Schluckreflex  175 Schluckreflexauslösbarkeit – Störungsursachen bei neurologischen Patienten  180 Schluckreflexauslösung  30 Schluckreflexstimulation – Übungsschwerpunkt  349 Schluckreflextriggerung  127, 134, 163 Schluckrelevante Strukturen – sensible Innervation  56 Schluckstörung – medizinische Basisversorgung  216 – tumortherapiebedingte  103 Schlucktechniken – kompensatorische  361 – Wirksamkeitsnachweise  367 Schluckuntersuchung – klinische Methoden  174 Schluckversuche – direkte  152, 167 Schluckvorgang – Anatomie  4 – gestörter  42 – normaler  24 – Röntgenanatomie und -physiologie  126 – Variationen des normalen  36 Schlundheber  14, 346 Schlundschnürer  14, 346 Schneidezahntyp  28 Schnittbildverfahren  124 Schöpflöffeltyp  28 Schwarzpfefferöl  352 Schwellenspaltung – transorale  499 Schweregradeinteilung – Penetration und Aspiration  135 Schwerpunkt – 01 Haltungsaufbau  292 – 02 Abbau pathologischer oraler ­Reflexaktivitäten  298 – 03 Kopf-Hals-Muster  303 – 04 Fazialistraining  306 – 05 Wangenkontraktion  312 – 06 Lippenübungen  314 – 07 Kieferübungen  320 – 08 Zungenübungen  327 – 09 Velumübungen  337 – 10 Laryngealer Verschluss  339 – 11 Larynxelevation  341 – 12 Pharynxkontraktion und Öffnung des OÖS  346 – 13 Schluckreflexstimulation  349 Schwertschlucken  349

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Scopolamin – medikamentöse Speichelreduktion  222 Screeningverfahren  152 Seele  229 – Innendurchmesser  230 Seitenlagerung – kompensatorische  360 Sekretaspiration  219 Sekretbildung – Einfluss von Geschmacksreizen  372 Sektglaskonfiguration  148 Sekundärperistaltik – Störungen  487 Seldinger-Draht  226 Sensibilität – gestörte orofaziale  162 – Überprüfung  179 Sensibilitätsprüfung – videoendoskopische  197 Sensibilitätsstörung – Schweregrade  188 Sensomotorische Stimulation – Behandlungsstufen  422 Separation – laryngotracheale  511 Sherrington  287 – Gesetz der sukzessiven Induktion  289 – Theorie der Fazilitation und Inhibition  272 Shunt  443 Sialorrhö  221 – Therapie  83 Sicca-Syndrom  66 Siebfensterung  231 Silberkanüle – Vor- und Nachteile  239 Single-Case-Control-Study  391 Singultus  53 – Therapie  84 Sitzhaltung – Frühreha-Patienten  422 – korrekte  292 Sjögren-Syndrom  66, 92 Sklerodermie – Bildgebung  139 Sleeve-Manometrie  475 SMART-Regel  264 Sodbrennen – funktionelles  485 Sonde – nasogastrale (NGS) vs. perkutane  249 – transnasale  252 Sondenarten  250 Sondenernährung  249 – gastrale  250

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Register

Sonografie  125 – endoluminale  471 Spatelkreuz  317, 324 Speichel – viskositätsmindernder  369 Speichelaspiration  219 Speichelbildung – Physiologie  24 Speicheldrüsen – Innervation  54 Speichelfluss – übermäßiger  221 Speichelkonsistenz  55 Speichelproduktion  55 Speichelprotokoll  236 Speichelreduktion – medikamentöse  221 Speichelschluckbeeinträchtigung – Bogenhausener Dysphagiescore  393 Speiseröhre – Anatomie  19 Speiseweg – rekonstruierter  444 Spitzfußstellung  294 Spondylophyt – chirurgische Abtragung  496 – zervikaler  79 Spondylophyten – HWS  96 – ventrale  134, 139 Sprechfähigkeit – wiedererlangte  237 Sprechkanüle  231 – blockbare  237 – blockbare mit subglottischer ­Absaugung  238 – Entblockung  244 Sprechkanülenfensterung – falscher Sitz  246 Sprechorgane – zentrale vs. periphere Parese  176 Sprechventil  230 Spritze – verlängerte  376, 441 Sprouting  272 Stadieneinteilung – Tumoren  102 Standardized Swallowing Assessment (SSA)  153 Staplerverfahren  499 Stenose  91, 106 – OÖS  107 – Ösophagustumortherapie  114 – Pharynx  114 – Pharynx und Ösophagus  438 – postradiogene  145

Stenoseatmung  238 Stichprobe – homogene  390 Stimmbandadduktionshilfe  340 Stimmlippen  18 Stimmlippenmedialisation  508 Stimmlippenparese – periphere vs. zentrale in der Bildgebung  193 Stimmlippenschluss  18 Stimulation – bolusspezifische  350 – gustatorische  428 – intraorale  426 – olfaktorische  428 Stimulation, sensomotorische – Behandlungsstufen  422 Stimulationsmethoden – experimentelle  283 Stimulationsprogramme – unimodaler vs. multimodaler ­Ansatz  418 Stimuli – gustatorische  428 – olfaktorische  428 – vorbereitende  275, 276 Stoma-Button  233 Stomaöl  242 Strahlenbelastung  132 Strahleneffekte – akute/frühe vs. späte  437 Streichender Druck  281 Stretch  283 – Initial  288 Stridor  384 Subglottischer Raum  16 Subkortikale arteriosklerotische ­Enzephalopathie (SAE)  65 Subkortikale ischämische vaskuläre Demenz (SIVD)  65 Submuköser Tumor (SMT)  496 Summübung  341 Supersupraglottisches Schlucken (SSGS)  362 Supraglottische Kipptechnik (SGK)  364 Supraglottisches Schlucken (SGS)  362 – reduziertes  442 Suspension – laryngeale  509 Swallow position  185 Symptom-Reflux-Korrelation  484 Synapse, neuromuskuläre – Erkrankungen  74 Synaptische Mechanismen  272 Syringobulbie  70 Systemerkrankungen  92

T Tapping  280 – Gesichtsmuskeln  307 Teilbewegungen – Sinn des Übens  274 Teilhabe  267 Teller  379 TheraBite®  322 Therapiebeginn – Kriterien  263 Therapieende – Kriterien  264 Therapiefrequenz  263 Therapielöffel  317 Therapieziel – Funktions- vs. Alltags-  264 Thermische Maßnahmen  279 Thermosonde  352 TMS  284 – repetitive  285 TNM-System  101 Toronto Bedside Swallowing Screening Test (TOR-BSST)  152 Torticollis spasmodicus  68 Trachealkanüle – Aufbau und allgemeine Merkmale  229 – blockbare  232 – blockbare mit subglottischer ­Absaugung  235 – blockbare mit subglottischer ­Luftzufuhr  236 – einfache, blockbare  232 – einfache, ungefensterte  230 – eingeführte  227 – Fehler und Gefahren  246 – Fensterung, loch-, schlitz- oder siebförmige  231 – ohne Blockung  229 – Wahl der Größe  230 – Wechsel  242 – Wechselintervall  242 Trachealkanülenarten – Indikationen  239 TracheoSoft Evac Lanz-Kanüle  236 Tracheostoma  443 – epithelisiertes  228 – inkorrekte Lage  246 Tracheostomapflege  243 Tracheostomaspreizer  242 Tracheostomaverschluss  245 Tracheostomie – konventionelle chirurgische  228 Tracheotomie  224 – Arten  226 – Druckschädigung  94 – konventionelle chirurgische  228 – Nachteile und Risiken  240

Register – perkutane dilatative (PDT)  226 – Vorteile  225 Trainingswissenschaften – lerntheoretische Grundsätze  273 Traktionsdivertikel  498 Transcranial Direct Current Stimulation (TDCS)  285 Transitzeit – orale vs. pharyngeale  134 Transorale Evaluation des Schluckvermögens (TOES)  189 Trauma  93 Tremor – Gaumensegel  69 – Morbus Wilson  68 – Parkinson-Symptom  67 Trichinose  76 Triggerareal  127 Trinkhalmhalter  378 Trinkhilfen  377 Trismus  437 Tumor – submuköser (SMT)  496 Tumoren – ZNS-  69 Tumorklassifikation  101 Tumortherapie – Dysphagie als Folge  103 U Üben – Gesamt- vs. Teilbewegungen  274 Überempfindlichkeit – nach Denervierung  272 Ultraschall  124 Unterernährung  247 Unterkieferbewegung – Kauen  27 Unterkieferdrüse  21 Unterkieferfunktionen – Schluck- und kaurelevante  320 Unterlage – rutschfeste  380 Unterzungenspeicheldrüse  21 UÖS – hypertensiver, ohne begleitende Relaxationsstörung  486 – insuffiziente Relaxation bei ­Achalasie  487 – Pneumodilatation  490 – schluckinduzierte Relaxation  477 – transiente Relaxationen  487 Uvula  13 V Vagusschädigung – linksseitige  94

Vaskulitis – systemische  66 Vegetative Entgleisungen  415 Vegetative Reaktion/Krise – Hinweise  421 Veitstanz  411 Velopharyngeale Insuffizienz – postoperative  144 Velopharyngealer Verschluss  31, 164 Velopharynx – Untersuchung  176 Velum – Bewegungsstörungen  163 Velumbeobachtung – transnasale  186 Velumdepression  27 Velumelevation  28, 30 Velumfunktionen – schluckrelevante  338 Velumhebung – Übungen  338 Velumübungen – Übungsschwerpunkt  337 Ventriculus – laryngis  16 Ventrikel, vierter – Tumoren  52 Verbrennung  93 Verschluss – laryngealer  165 – lingual-pharyngealer  330 – velopharyngealer  13, 164 Vestibulum – laryngis  16 – oris  6 VFSS  125, 130 – systematische Durchführung  133 – Vor- und Nachteile  136 Via falsa  227 Vibration  282 Videoendoskopie  180 – Beurteilungskriterien  191 – Bogenhausener Untersuchungsprotokoll  191 – Funktionsprüfungen  196 – Ruhebeobachtung  191 – transnasale  180 – Tumorpatienten  435 – Überprüfung der Effektivität ­therapeutischer Manöver  201 – Überprüfung des Schluckvorgangs mit Nahrung  199 – Untersuchungsmodalitäten  191 – Vor- und Nachteile  181 Videoendoskopische Untersuchung – Schluckfunktion  172

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Videofluoroskopie  125, 130 Vierphasenmodell – Schluckvorgang  24 Vierstufenkonzept nach Denecke  510 Viskosität  368 Vitalfunktionen – Sicherung  216 VitalStim®  285 Vorbereitende Stimuli  275, 276 Vorderzungenelevation – Übungen  332 Vorderzungenhalteübung  347 W Wallenberg-Syndrom  51 Wange – Bewegungen beim Kauen  27 – intraorale Stimulation  426 Wangenkontraktion – Übungsschwerpunkt  312 Wangenmuskulatur – Bewegungsstörungen  161 Wangentonisierung  25 Wärme – neutrale  279 Wärmereize  279 Wasser-Test – 50-ml-  152 – 90-ml-  153 Web – Röntgenmorphologie  141 Welle – pharyngeale  30 – primäre und sekundäre peristaltische  36 – primäre vs. sekundäre peristaltische  20 White Matter Lesion  65 White out  183 Widerstand – gegen statische/dynamische Muskel­arbeit  286 – optimaler oder angepasster  287 Wiederholung – motorisches Lernen  273 Willis-Schlinge  502 Willkürbewegung – Beobachtung  175 Würgreflex  175 – Auslösbarkeit  180 – Auslösung, Inhibition  302 – Überprüfung  158 X Xerostomie  66, 77, 92, 106 – Kompensation  438 – Therapie  84

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Register

Z Zahnfleisch – intraorale Stimulation  426 Zahnsanierung  438 Zenker-Divertikel  486, 497 – Bildgebung  141 – konservative Therapie  489 – Röntgenbefund  472 Zerebrovaskuläre Erkrankungen  64 ZNS – neuroplastischen Eigenschaften  271 ZNS-Erkrankungen  64 ZNS-Fehlbildung  70 ZNS-Tumoren  69 Zunge – Anatomie  10 – Bewegungsstörungen  161, 162 – intraorale Stimulation  426 – stereotype Pumpbewegungen  163 Zungenabschluss mit der Pharynxrückwand  164 Zungenbasis – Teilresektion  440 Zungenbasishalteübung  330

Zungenbasisretraktion  30 – Übungen  330 Zungenbein – Anatomie  9 – Resektion  113 Zungenbeinmuskeln – obere vs. untere  9 Zungenbeinschlundschnürer  346 Zungenbewegung – Kauen  27 Zungenelevation/-retraktion – sequenzielle  29 Zungenfunktionen – schluckrelevante  328 Zungenkörperretraktion – Übungen  329 Zungenlateralisation und -rotation – Übungen  335 Zungenmuskeln – intrinsische vs. extrinsische  327 Zungenmuskulatur – Innervation, Hirnstammkerne, Hauptfunktion  53 Zungenparese – periphere vs. zentrale  177

Zungenpress-Übung  344 Zungenprotraktion – Übungen  329 Zungenpumpbewegung  337 Zungenreaktionen – Abbau pathologischer  337 Zungenschubkraft  35 Zungenschüssel  27, 328 Zungenschüsselbildung – Übungen  334 Zungenspitzenelevation – Übungen  330 Zungenstoß  163 – entwicklungsphysiologischer  299 – Übungen zum Abbau  337 Zungenübungen – Übungsschwerpunkt  327 Zusatznahrung  376 Zwei-Gummi-Übung  333 Zwei-Zentimeter-Regel  495 Zwerchfell  422 Zwillingsmatching  391 Zyanose  384 Zystizerkose  76