Bühnentechnik: Mechanische Einrichtungen [6, überarbeitete und erweiterte Auflage] 9783110776003, 9783110775860

Whereas simple manual drives were often used in stage technology in the past, today highly specialized know-how is emplo

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German Pages 486 Year 2022

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Table of contents :
Vorwort zur 6. Auflage
Inhalt
1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien
2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen
3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik)
4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik
5 Sicherheitsvorschriften – Normen
Register
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Bühnentechnik: Mechanische Einrichtungen [6, überarbeitete und erweiterte Auflage]
 9783110776003, 9783110775860

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Bruno Grösel Bühnentechnik

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Bruno Grösel

Bühnentechnik |

Mechanische Einrichtungen 6., überarbeitete und erweiterte Auflage

Autor Em. Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Bruno Grösel 1170 Wien Österreich [email protected]

ISBN 978-3-11-077586-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-077600-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-077629-4 Library of Congress Control Number: 2022936055 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Wiener Volksoper Satz: VTeX UAB, Lithuania Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort zur 6. Auflage Technischer Aufwand bestimmt und garantiert nicht die Qualität einer Aufführung. Ein Theater- oder Opernbetrieb ohne Einsatz bühnentechnischer Einrichtungen wäre aber nur sehr eingeschränkt möglich. Von besonderer Bedeutung ist die Bühnentechnik in Häusern, die im Repertoiresystem arbeiten und womöglich täglich ein anderes Stück zur Aufführung bringen, wobei zwischen den Aufführungen auch noch Proben möglich sein müssen. Die Bühnentechnik bietet dazu die erforderlichen Fördergeräte. Die Technik muss auch die Voraussetzungen für den Künstler schaffen, das Bühnenbild zu gestalten. Nur mit technischen Mitteln sind Aufbau und Wechsel von Bühnenbildern in angemessener Zeit realisierbar. Ihr Einsatz erfolgt meist im für den Zuschauer Verborgenen – „hinter den Kulissen“. Bühnentechnik wird aber auch immer wieder für den Zuschauer sichtbar eingesetzt und ermöglicht szenische Effekte. Mit dem Fortschritt der Technik werden auch diese technischen Bühneneinrichtungen immer leistungsfähiger, aber auch komplexer, und erfordern für die Planung und Konstruktion, aber auch für deren betrieblichen Einsatz und Wartung immer größeres technisches Wissen. Meist werden unter „bühnentechnischen Einrichtungen“ im engeren Sinn universell einsetzbare mechanische Einbauten in Ober- und Unterbühne verstanden, also Hubpodien, Bühnenwägen, Drehbühnen, Prospekt- und Punktzüge, Vorhangeinrichtungen etc., aber auch mechanische Einrichtungen zum Brandschutz. Im weiteren Sinn kann dieser Begriff auch die Beleuchtungs- und Tontechnik umfassen. Diese fachspezifische Trennung in bühnenmechanische Ausrüstungen, Beleuchtungs- und Tontechnik ist im Allgemeinen bei Herstellern von Bühnenausrüstungen, aber auch bei Ausbildung und Einsatz des Fachpersonals an Bühnen gegeben. Dieses Buch befasst sich mit den vielfältigen Aspekten der Bühnentechnik im engeren Sinn, also mit mechanischen Einrichtungen. Daher müssen Fachgebiete wie Maschinenbau, elektrische und hydraulische Antriebstechnik, aber auch Grundlagen der Mechanik einbezogen werden. Um einem möglichst großen Interessentenkreis fachspezifische Informationen zu bieten, wurde in der Gliederung des Buches darauf Bedacht genommen, Personen unterschiedlichen technischen Ausbildungsgrades anzusprechen. In vielen Abschnitten ist das Buch für Absolventen einer Pflichtschule mit technisch orientiertem Berufsschulwissen und praktischer Bühnenerfahrung sicher verständlich. Es ist aber unvermeidbar, in manchen Teilen des Buches auch höheres Fachwissen vorauszusetzen. Doch selbst in diesen Teilen wird versucht, grundlegende Aussagen möglichst allgemeinverständlich zu formulieren, freilich da und dort auch unter Verzicht auf streng wissenschaftliche Exaktheit. Der Verkauf des Buches hat gezeigt, dass für eine derartige Zusammenstellung bühnenspezifischen Fachwissens offensichtlich Bedarf besteht. Daher ist es erfreulich, wenn nun schon eine sechste Auflage erforderlich wird. Diese ist wieder überarbeitet und erweitert. Erstens sind in der Zwischenzeit neue Anlagen errichtet worden, https://doi.org/10.1515/9783110776003-201

VI | Vorwort zur 6. Auflage die erwähnenswert sind, zweitens läuft die Entwicklung der Technik so rasant, dass ein Überarbeiten unter Berücksichtigung der nunmehr vorhandenen europäischen Norm EN 17602 mit der Bezeichnung „Maschinen für Bühnen und andere Produktionsbereiche – Sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfungen“ unerlässlich wurde. In diesem Sinn wurden neue Textabschnitte formuliert und Abbildungen hinzugefügt. Damit soll sichergestellt werden, dass das Buch dem Stand der Technik entspricht und aktuell informiert. Bei den Firmen, die mir Unterlagen zur Verfügung gestellt haben, bedanke ich mich herzlich. Wien, im Juni 2022

Bruno Grösel

Inhalt Vorwort zur 6. Auflage | V 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.7.1 1.7.2 1.7.3 1.7.4 1.8 1.8.1 1.8.2 1.8.3 1.8.4 1.8.5 1.8.6 1.8.7 1.8.8 1.9 1.9.1 1.9.2 1.9.3

Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien | 1 Historische Entwicklung | 1 Aufgaben bühnentechnischer Einrichtungen | 5 Raumkonzepte | 6 Bühnensysteme | 13 Transport- und Lagersysteme | 28 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen | 38 Technische Einrichtungen der Unterbühne | 57 Hubpodien | 58 Bühnenwagen | 117 Drehscheiben und Drehbühnen | 131 Mobile Podien und Tribünen | 146 Technische Einrichtungen der Oberbühne | 154 Feste Einbauten in der Oberbühne | 155 Einrichtungen des Proszeniums | 160 Hubzüge mit Seilen | 170 Hubzüge mit Ketten | 209 Hubzüge mit Stahlbändern | 211 Spezielle Einrichtungen zur Spielraumbegrenzung | 213 Mechanische Einrichtungen für die Beleuchtungstechnik | 218 Flugwerke | 222 Sicherheitstechnische Einrichtungen des Brandschutzes | 227 Brandschutzvorhänge | 227 Rauchgasabzuganlagen | 233 Wasserlöschanlagen | 236

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2

Antriebe bühnentechnischer Anlagen | 241 Manuelle Antriebe | 241 Elektrische Antriebe | 243 Gleich- und Drehstromantriebe klassischer Bauart | 243 Servomotortechnik | 253 Linearmotortechnik | 254 Hydraulische Antriebe | 255 Bauelemente und deren Schaltzeichen | 255 Möglichkeiten zur Veränderung der Arbeitsgechwindigkeit | 268

VIII | Inhalt 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.5.6 2.5.7 2.5.8 3

Hydrostatische Antriebe im Vergleich zu elektrischen Antrieben | 273 Bedienung der Bühnenantriebe | 277 Grundsätzliche Arten der Steuerung | 277 Anforderungen an das Konzept der Bedienung | 278 Organisation von Steuerstellen | 283 Betriebsarten bei Gruppenfahrten | 284 Notsteuermöglichkeiten | 286 C⋅A⋅T-Steuerung der Firma Waagner-Biro | 287 COSTACOwin – Steuerung der Firma SBS | 308 Leittechnik SYB 3.0 der Firma Bosch Rexroth | 315

Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) | 324 3.1 Das Internationale Einheitensystem | 324 3.2 Grundbegriffe der Kinematik | 325 3.2.1 Translation | 326 3.2.2 Rotation | 328 3.3 Grundbegriffe der Dynamik | 330 3.3.1 Kinetische Energie – Energie der Bewegung | 331 3.3.2 Potentielle Energie – Energie der Lage | 331 3.3.3 Bremsarbeit | 332 3.3.4 Anwendungsbeispiele | 333 3.3.5 Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Formeln | 335 3.3.6 Mehrmassensysteme | 337 3.4 Reibung | 339 3.4.1 Arten der Reibung | 339 3.4.2 Adhäsionsbedingung | 341 3.5 Wirkungsgrad | 342 3.6 Leistungsermittlung | 345 3.6.1 Bewegungswiderstände in der Beharrung | 345 3.6.2 Bewegungswiderstände beim Beschleunigen | 346 3.6.3 Antriebsleistung | 347 3.7 Elastische Bauelemente | 348 3.8 Grundbegriffe der Hydraulik | 350 3.8.1 Grundbegriffe | 350 3.8.2 Hydrostatische Geräte mit linearer und rotierender Arbeitsfunktion | 353 3.8.3 Hydrospeicher | 357 3.8.4 Rohrleitungen | 359 3.9 Hydraulikflüssigkeiten | 359 3.10 Schwingungen | 364 3.10.1 Einmassenschwinger | 366

Inhalt | IX

3.10.2 3.10.3 3.10.4 3.11 3.11.1 3.11.2 3.11.3 3.11.4 4

Schwingendes Kontinuum | 375 Schwingungserregung | 379 Wahrnehmung von Schwingungen | 381 Akustik | 381 Schall und Hörempfinden | 382 Schallfeldgrößen | 385 Maßnahmen zur Lärmreduktion | 393 Maßnahmen zur Beeinflussung der Raumakustik | 394

4.8.1 4.8.2 4.8.3 4.8.4 4.8.5 4.9

Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik | 395 Seile und Seiltriebe | 395 Drahtseile, Seilrollen und Seiltrommeln | 395 Flaschenzug | 402 Windentrieb | 405 Treibscheibentrieb | 405 Klemmtrieb | 409 Faserseile | 410 Ketten und Kettentriebe | 411 Ketten | 411 Kettentrieb | 418 Keil- und Spindeltrieb | 420 Keiltrieb | 420 Spindeltrieb | 423 Zahntriebe | 426 Verzahnung | 426 Getriebe | 430 Gelenkwellen | 431 Besonders reibungsarme Lagerung | 435 Hydrostatische Lagerung | 435 Luftkissentechnik | 435 Bremsen | 438 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1) | 445 Erforderliche Nachweise gemäß Norm | 445 Rechnerische Untersuchung des Systemverhaltens im Störfall | 446 Ergänzende Hinweise | 455 Erkenntnisse aus den Untersuchungen | 455 Der Load Limiter von Bosch Rexroth | 458 Traversen und Traversensysteme für Riggingzwecke | 459

5

Sicherheitsvorschriften – Normen | 463

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.5 4.6 4.6.1 4.6.2 4.7 4.8

X | Inhalt 5.1 5.2

Gefährdungen des Bühnenpersonals und der Darsteller | 463 Gefährdungen der Zuschauer | 471

Register | 473

1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien In diesem Abschnitt soll die Vielfalt bühnentechnischer Einrichtungen, deren Bauarten und Einsatzkriterien in systematischer Form beschrieben werden. Zu Beginn sei ganz kurz die historische Entwicklung des europäischen Theaters dargelegt.

1.1 Historische Entwicklung Als Wurzel des Theaterbaus im europäischen Abendland kann man das griechische Amphitheater (Abb. 1.1) ansehen. Die Plätze der Zuschauer waren in einem Kreisring nach außen hin ansteigend angeordnet. Davor befand sich die Spielfläche für die Schauspieler. Sie bestand aus einer Art Vorbühne, dem sogenannten Proszenium, und einer dahinter erhöht angeordneten Bühne, genannt Skene. Proszenium und Skene waren bereits architektonisch durch Säulen, Stützen und Überdachung gestaltet. Im Zentrum des Kreises befand sich der Platz für den Chor, das sogenannte Orchestra.

Abb. 1.1: Griechisches Amphitheater – Grundrissschema. Bildnachweis: Merkblatt 289 (siehe Verzeichnis ergänzender Literatur).

Die Begriffe des griechischen Theaters werden auch heute verwendet, allerdings mit etwas geänderten Bedeutungen. Aus dem Orchestra wurde der Bereich der Musiker, das Orchester, aus dem architektonisch gestalteten Proszenium die Umrahmung der Bühnenöffnung. Aus dem ursprünglich als Skene benannten Bauteil entwickelte sich letztlich das Bühnenhaus. Theatron bezeichnete zunächst nur den Bereich der Zuhttps://doi.org/10.1515/9783110776003-001

2 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien schauer; später verwendete man den Begriff Theater für den gesamten Baukomplex, also Zuschauerraum und Bühne. Im römischen Theater beließ man einerseits nach griechischem Vorbild die Längsorientierung, indem ein Halbkreisabschnitt den Zuschauern und ein hiervon getrennter Bereich den Schauspielern zugedacht war. Andererseits war im römischen Arenatheater, das in römischer Zeit vorwiegend sportlichen Veranstaltungen, Tier- und Gladiatorenkämpfen Platz bot, eine im Zentrum gelegene Sandfläche rundum von einem Zuschauerbereich umschlossen. Diese zweite Variante findet sich im Zirkus und im Arenatheater moderner Prägung wieder. Bereits im antiken Theater wurden bemalte Tafeln zwischen den Säulen als Dekorationen verwendet und auch mit drehbaren dreiseitigen Prismen sehr einfache Verwandlungen des Bühnenbildes vorgenommen. In der Telari-Bühne der frühen Renaissance wurde diese Idee wieder aufgegriffen. Es wurde aber auch schon maschinelle Bühnentechnik angewandt, um einen Gott als „Deus ex machina“ (lat. „Gott aus der Maschine“) mit Versenkungen oder Flugapparaten plötzlich erscheinen zu lassen. Das Theatergeschehen des Mittelalters war vor allem durch kirchliche Mysterienund Passionsspiele geprägt. Als Bühne dienten Kirchen oder Plätze. Häufig war durch die bestehende Architektur oder durch Gerüstbauten eine dreiteilig gestufte Anordnung für Hölle, Erde und Himmel als Spielfläche gestaltet, oder es wurden nebeneinander fix aufgebaute Bühnendekorationen verwendet. Das Spielgeschehen fand in mehreren Szenenbereichen gleichzeitig (simultan) statt oder wechselte von einem Dekorationsabschnitt zum anderen. Man bezeichnet diese Bühnenform daher auch als Standortbühne oder Simultanbühne. Das Bühnenbild musste also nicht gewechselt werden, daher waren auch keine technischen Einrichtungen für Verwandlungen erforderlich. Das weltliche Theatergeschehen war auf die Benutzung von Scheunen und einfachen Bretterbuden angewiesen oder spielte sich in Sälen und Höfen mit einfachster Bühnengestaltung ab. Erst im 16. Jahrhundert entstanden sogenannte Spielhäuser. In England sollen bereits damals Wagen mit darauf aufgebauten Szenerien vor das Publikum geschoben worden sein, um den raschen Wechsel eines Bühnenbildes zu ermöglichen. Man könnte dies als Vorläufer des heutigen Schiebebühnensystems ansehen. In Italien konstruierte Leonardo da Vinci die erste Drehbühne für eine HochzeitsFestaufführung. Der klassische Theaterbau der italienischen Renaissance versuchte die Formen des antiken Theaters verkleinert in einen geschlossenen Raum zu übertragen. Das Teatro Olimpico des Architekten Palladio in Vicenza ist dafür ein interessantes Beispiel: Durch betont perspektivische Gestaltung der Bühnenarchitektur wurde ein Bühnenraum mit besonderer Tiefenwirkung geschaffen. Zur besseren Raumausnutzung erfand man das Rangtheater, in welchem bis zu sechs übereinander angeordnete Ränge etwa halbkreisförmig von der einen Seite der Proszeniumswand zur anderen reichten. Im höfischen Theater waren auf den Rängen oft nur Logen vorhanden; man bezeichnet dies als Logentheater. Der Zuschauerraum

1.1 Historische Entwicklung

| 3

dieses klassischen Theaters war bereits, wie heute üblich, durch die Proszeniumswand und den Vorhang von der eigentlichen Spielfläche, dem Bühnenhaus, getrennt. Diese Bauform des klassischen Theaters wird auch heute noch weitgehend beibehalten, allerdings wird im modernen Rangtheater wieder die offene Sitzreihenanordnung bevorzugt. Während man im Shakespeare-Theater Dekorationsteile nur wenig verwendete und Szenenwechsel oft nur symbolisch andeutete, führte später der allgemeine Trend zu immer größerem Einsatz von Dekorationsmaterial; dies erforderte technische Mittel zur variablen Bühnenraum- und Szenengestaltung. Das in Europa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts generell übliche Bühnensystem war die sogenannte Kulissenbühne. Der Bühnenraum wurde an der Bühnenhinterwand durch einen bemalten Prospekt, seitlich durch hintereinander versetzt angeordnete bemalte Bildflächen, hängend oder stehend, und oben durch Bogen oder Soffitten begrenzt (s. Abb. 1.2a). Dekorationselemente waren auf vom Schnürboden herabhängenden horizontalen Latten befestigt und konnten aus dem Sichtbereich der Zuschauer durch Hochziehen dieser Latten entfernt bzw. durch Absenken in den Sichtbereich der Zuschauer verfahren werden. Stehende Seitenkulissen konnten auf schmalen verfahrbaren Traggestellen, bezeichnet als Kulissenwagen, von der Seite her in die Bühne ein- bzw. ausgefahren werden. Diese Kulissenwagen waren in 2 bis 4 cm breiten über die gesamte Bühnenbreite reichenden Spalten, sogenannten Freifahrten, eingebaut. Zwischen diesen Freifahrten waren teilweise vertikal verfahrbare Bodenelemente zum plötzlichen Erscheinen- oder Verschwindenlassen von Bildteilen, sogenannte Kassetten, eingebaut. Zum Verschließen geöffneter Kassetten dienten Kassettenklappen. Ein typisches Element dieser Zeit war auch der heb- und senkbare Gitterträger – ein Element der Bühnentechnik, das manchmal auch in modernen Bühnen, z. B. im Staatstheater Stuttgart, zu finden ist. Damit ist eine sehr schmale Versenkeinrichtung in Bühnenbreite gemeint, die als biegesteifer Fachwerksträger ausgeführt ist. Um einen entsprechenden Spalt im Bühnenboden freizugeben, sind die Hubpodien mit Gitterklappen versehen. Auf dem Gitterträger können schmale Kulissenelemente montiert und vor allem für szenische Effekte eingesetzt werden. Auf der Vorderseite kann also ein Prospekt befestigt werden oder z. B. eine Wasserwellenblende hochgefahren werden. Damit kann auch im Zusammenspiel mit seitlich verfahrbaren Blenden und in der Oberbühne abgehängten Soffitten die Durchblicköffnung der Guckkastenbühne (s. Kap. 1.2) variiert werden. Der Gitterträger wird mit vom Schnürboden herabhängenden Seilen vertikal verfahren. Zur rückseitigen Begrenzung des Bühnenbildes verwendete man manchmal einen sogenannten Wandelprospekt. Bei diesem wurden mehrere Bühnenbilder auf einer Stoffbahn nebeneinander gemalt; die Stoffbahn konnte dann auf zwei an der linken und rechten Seite der Bühnenrückwand stehenden Zylindern auf- bzw. abgewickelt werden. Bei der Kulissenbühne wurde die Bühnenraumgestaltung also durch bemalte Flächenelemente vorgenommen. Die zwischen den einzelnen Kulissen vorhande-

4 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.2: Dekorationen. (a) Bei der Kulissenbühne, (b) mit plastischen Dekorationen. Bildnachweis: Merkblatt 289.

nen Gassen dienten den Schauspielern zum Auftritt; man sprach daher auch von Gassensystem. Durch perspektivisch gemalte Prospekte und Soffitten entwarf man effektvolle Bühnenbilder mit großer Tiefenwirkung. Die Perspektive wurde durch einen in Richtung Hinterbühne ansteigenden Bühnenboden, den Bühnenfall, noch verstärkt. Allmählich wurde das Bedürfnis immer größer, echte Bühnenaufbauten und plastische Dekorationen zu verwenden (s. Abb. 1.2). Damit waren rasche Verwandlungen aber nicht mehr nur durch Heben und Senken oder Verschieben von leichten Flächendekorationselementen wie bei der Kulissenbühne möglich. Es mussten aufwendigere technische Einrichtungen geschaffen werden, die den raschen Transport von schweren räumlichen Bühnenaufbauten ermöglichten. So entstanden große heb- und senkbare Bühnenpodien, verfahrbare Bühnenwagen und Drehbühnen. Ein schräg ansteigender Bühnenboden erwies sich dann allerdings als unzweckmäßig.

1.2 Aufgaben bühnentechnischer Einrichtungen |

5

Ein besonderer Entwicklungsschub in der Bühnentechnik setzte um die Jahrhundertwende ein. Die „Asphalia-Gesellschaft für die Herstellung zeitgemäßer Theater“ und der österreichische Ingenieur Robert Gwinner (Wien, Budapest) entwickelten gegen Ende des 19. Jahrhunderts das sogenannte Asphalia-System. (Das griechische Wort „Asphalia“ bedeutet „Sicherheit, Gefahrlosigkeit“) Die Erfindungen betrafen auch neue Konzepte zur Verbesserung der Akustik und Ventilation, vor allem aber hydraulisch betriebene Bühnenpodien in der Unterbühne und an Drahtseilen hängende Zugeinrichtungen in der Oberbühne. Der Ingenieur Fritz Brandt (Berlin) entwarf ein Nebenbühnensystem mit horizontaler Verwandlungsmöglichkeit, bekannt als Reformbühne Berlin. In durch Schiebetüren oder schalldämmende Vorhänge von der Hauptbühne trennbaren Seitenbühnen konnten auf verfahrbaren Bühnenwagen Bühnenbilder vorbereitet und auf die Hauptbühne verfahren werden. Etwa um die gleiche Zeit entdeckte Karl Lautenschläger (München) die Drehbühne für das heutige Theater wieder, insbesondere als Zylinderdrehbühne mit eingebauten Versenkeinrichtungen.

1.2 Aufgaben bühnentechnischer Einrichtungen Zu den bühnentechnischen Einrichtungen zählt man üblicherweise: – mechanische Systeme zur Gestaltung des Bühnen- und Zuschauerraumes in Spielstätten wie Sprech-, Musik- und Tanztheatern, Opernhäusern, Konzertsälen, aber auch in Konferenzräumen und Mehrzweckhallen, – mechanische Systeme zum Bewegen von Bauelementen der Bühne, zur szenischen Gestaltung und für Verwandlungen zum Wechseln des Bühnenbildes, – mechanische Systeme zum Fördern und Lagern von Dekorationselementen, – mechanische Einrichtungen für den Brandschutz, – Einrichtungen der Beleuchtungs- und Projektionstechnik, – akustische Systeme der Tontechnik. Dieses Buch befasst sich mit der in obiger Aufzählung genannten Vielfalt an mechanischen Einrichtungen, also nicht mit Beleuchtungs-, Projektions- und Tontechnik. Diese mechanischen Einrichtungen dienen zum Heben, Senken, Kippen, Verfahren oder Drehen von Bühnen- oder Zuschauerraumelementen und von Dekorationen und sind manuell, elektromechanisch oder hydraulisch angetrieben. Es handelt sich also um fördertechnische Einrichtungen zum vertikalen oder horizontalen bzw. translatorischen oder rotatorischen Bewegen von Lasten, gegebenenfalls auch von Personen. Bühnentechnik kann somit als eine Spezialdisziplin allgemeiner Fördertechnik angesehen werden. Diese Tatsache macht klar, dass Entwicklungstendenzen in der allgemeinen Fördertechnik naturgemäß, wenn auch in speziellen Ausprägungen, in der Bühnentechnik ihren Niederschlag finden. Der Einsatz dieser Fördermittel erfolgt in der Mehrzahl vom Zuschauer unbemerkt vor und nach der Aufführung bzw. in den Aktpausen.

6 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Die Art der Spielplangestaltung vieler europäischer Theater- und Opernbühnen, mit unterschiedlichen Aufführungen an aufeinanderfolgenden Tagen und Probenbetrieb während des Tages, erfordert rasche Transportmöglichkeiten oft tonnenschwerer Dekorationselemente. Ein derartiger Bühnenbetrieb benötigt daher universell einsetzbare Fördermittel in der Bühne. Die Bewegbarkeit von Bühnenelementen ermöglicht aber, wie bereits erwähnt, auch deren Verwendung zur szenischen Bühnenraumgestaltung. So können z. B. Hubpodien zur Gestaltung des Bühnenbodens oder als Tragelemente für Bühnenaufbauten herangezogen werden. Für den Zuschauer wird die Bühnentechnik bei deren Einsatz während des Spielgeschehens oder bei Verwandlungen auf offener Bühne bei szenischen Effekten sichtbar. In der technischen Konzeption einer hierfür vorgesehenen Einrichtung sind geringe Schallemissionen während der Bewegung und vor allem hohe Arbeitsgeschwindigkeiten sowie deren stufenlose Steuer- bzw. Regelbarkeit gefordert. Die Bauteile wie Podien, Drehbühnen etc. müssen aber auch so dimensioniert und konstruiert sein, dass sie nicht nur festigkeitsmäßig den Belastungen standhalten sondern infolge der Belastungen auch sehr geringe Verformungen und hohe Steifigkeiten aufweisen und nicht zu störenden Schwingungen angeregt werden können. Mechanische Bühneneinrichtungen können also – kurz zusammengefasst – für folgende Zwecke eingesetzt werden: – für transporttechnische Aufgaben, – zur Raumgestaltung sowie – für szenische Effekte. Zu den mechanischen Einrichtungen der Bühnentechnik zählt man im Allgemeinen aber auch Sicherheitseinrichtungen im Sinne des Brandschutzes, wie Schutzvorhänge und Rauchgasabzugsanlagen, da deren Funktion ebenfalls mechanischer Abläufe bedarf. In der Aufzählung der drei Zwecke mechanischer Bühneneinrichtungen war unter „Raumgestaltung“ die Gestaltung des Bühnenraumes gemeint. In Mehrzweckhallen bezieht sich „Raumgestaltung“ aber auch auf Anpassung des Gesamtraumes an verschiedene Nutzungen, z. B. als Konzertsaal oder Opernhaus etc. Dazu werden in Kap. 1.6 einige Beispiele angeführt.

1.3 Raumkonzepte Für die räumliche Anordnung von Zuschauer- und Bühnenbereich gibt es unterschiedliche Konzepte. Bei der Guckkastenbühne nach Abb. 1.3a (auch Rahmenbühne genannt) ist eine Längsorientierung des Theaters gegeben. Die Zuschauer blicken aus dem Zuschauerraum auf eine durch optische Einengung getrennte Spielfläche. Diesen den Blick be-

1.3 Raumkonzepte

| 7

Abb. 1.3: Anordnung der Spielfläche und des Zuschauerbereichs (nach DIN 56 920, Blatt 1). (a) Rahmenbühne, Guckkastenbühne, (b) Arenabühne, (c) Raumspielfläche (drei Varianten als Beispiele), (d) Stegspielfläche schraffierte Fläche…Bühne, weiße Fläche…Zuschauerraum.

grenzenden Rahmen nennt man Proszenium bzw. Proszeniumsöffnung. Abbildung 1.4 zeigt die Proszeniumsöffnung im Teatro Madrid von der Bühne aus gesehen in den Zuschauerraum. Bei der Arenabühne nach Abb. 1.3b ist die Szenenfläche allseitig von Zuschauerplätzen umgeben; die Zuschauer blicken also aus allen Richtungen auf eine zentral angeordnete Bühne. Neben diesen beiden Grundformen sind noch Bühnenanordnungen mit nicht allseitig von Besucherplätzen umgebenen Spielflächen verschiedenster Form möglich – bezeichnet als Raumspielflächen nach Abb. 1.3c – sowie die z. B. für das japanische Kabukitheater typische Stegspielfläche nach Abb. 1.3d. Zu erwähnen ist auch noch die sogenannte Thrust-Stage. (Der englische Begriff „thrust“ bedeutet „Vorstoß“; „thrust into“ heißt „sich drängen in“ oder „to thrust out“ „herausstrecken“.) Damit ist eine in den Zuschauerraum hineinragende Bühne gemeint, die an drei Seiten von Publikum umgeben ist. Raumbereiche einer Guckkastenbühne Im Folgenden sollen insbesondere die bühnentechnisch spezifischen Raumanordnungsmöglichkeiten im Bühnenhaus einer Guckkastenbühne näher erläutert werden: Bei Kleinbühnen ist die Bühne eine auf einer Podestkonstruktion auf etwas höherem Niveau angeordnete Fläche bei etwa normaler Raumhöhe. Bei größeren Bühnen ist oberhalb der Hauptspielfläche der Bühne ein großer Freiraum vorhanden, um Hän-

8 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.4: Teatro Madrid. Foto: Waagner Biró.

gedekorationen oberhalb der vom Zuschauer einsehbaren Hauptbühne speichern zu können. Dadurch erhält der Bühnenraum eine turmartige Struktur. Eine wesentliche Erweiterung des Raumangebotes kann dadurch erfolgen, dass der Bühne auf gleichem Niveau noch Nebenräume zugeordnet werden. Darin können stehende Dekorationselemente bereitgestellt und bei Wechsel des Bühnenbildes in den Blickbereich der Zuschauer gebracht werden. In diesem Sinn können neben der eigentlichen von den Zuschauern einsehbaren Spielfläche – der Hauptbühne – links und rechts von der Hauptbühne Seitenbühnen bzw. hinter der Hauptbühnenfläche eine Hinterbühne angeordnet sein (s. Abb. 1.5). Ist genügend Fläche vorhanden, können auf Bühnenniveau auch noch daran angrenzende Nebenflächen wie z. B. in Abb. 1.6 in Anlehnung an die Oper Kopenhagen dargestellt als Montageflächen oder als Probebühne genutzt werden. Für Auftritte von unten ist es aber auch wichtig, einen Raum unterhalb der Hauptbühne vorzusehen. Während man den bereits erwähnten Bereich oberhalb des Bühnenniveaus als Oberbühne bezeichnet, nennt man diesen Raumbereich Unterbühne.

1.3 Raumkonzepte

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Abb. 1.5: Lage und Bezeichnung der Bühnenflächen in einer Rahmenbühne (DIN 56 920, Blatt 2).

Abb. 1.6: Beispiel für weitere Nutzung von Flächen auf Bühnenebene.

Abb. 1.7 zeigt Längsschnitt und Grundriss eines Theaters mit zwei Seiten- und einer Hinterbühne, Ober- und Unterbühne. U. A. sieht man Seitenbühnenwägen, einen Hinterbühnenwagen mit Drehscheibe, Doppelstockpodien in der Hauptbühne, Orchesterpodien in der Unterbühne, Hubzüge in der Oberbühne usw. Besonders großzügig im Raumangebot ist die Opera de la Bastille in Paris ausgestattet. Der Abb. 1.8 und Abb. 1.9 ist zu entnehmen, dass sowohl auf Bühnenniveau als auch im Kellergeschoß sehr viele zusätzliche Bühnenflächen – auch eine Probebühne – zur Verfügung stehen. In beiden Ebenen können Bühnenwagen im Ringverkehr verfahren werden; deren Vertikaltransport erfolgt mit den Hubpodien der Hauptbühne. Eine Rangierdrehscheibe in der Hinterbühne ermöglicht das Schwenken der Bühnenwägen. In Opernhäusern und Musiktheatern ist knapp vor der Proszeniumsöffnung ein Orchestergraben vorhanden. Stehen mehrere Orchesterpodien (s. Kap. 1.7.1) zur Verfügung kann damit die Größe des Orchestergrabens der Zahl der Musiker angepasst werden. In Spielstätten in denen aber auch Aufführungen ohne Orchester stattfinden, kann dieser Raumbereich mit den Orchesterpodien verschieden genutzt werden: Je nach Hubstellung dieser Podien kann dieser Bereich dann als Spielfläche – als sogenannte Vorbühne – dienen oder mit zusätzlicher Bestuhlung dem Zuschauerraum zugeordnet werden oder es wird ein Orchestergraben geschaffen (siehe auch Kap. 1.7.1).

10 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.7: Längsschnitt und Grundriss eines Theaters. 1: Zuschauerraum, 2: Vorbühne – Orchester, 3: Hauptbühne, 4: Seitenbühne, 5: Hinterbühne mit eingebauter Drehscheibe, 6: Lastenaufzug (Kulisenaufzug), 7: Prospektaufzug, Prospektlager, 8: Rundhorizont, 10: Seitenbühnentore, 11: Hinterbühnentor, 12: Rauchklappen. Bildnachweis: Krupp Industrietechnik GmbH (D-Duisburg), in der Folge mit „Krupp“ zitiert.

1.3 Raumkonzepte | 11

Abb. 1.8: Opera de la Bastille, Paris – Längsschnitt, Querschnitt. Bildnachweis: BTR 5/1989, R. Biste – K. Gerling, Architektur- und Ingenieurbüro (D-Berlin).

12 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.9: Opera de la Bastille, Paris – Grundriss. 1: Hauptbühne, 2: Seitenbühnen vorne, 3: Hinterbühne mit Rangierdrehscheibe, 4: Seitenbühnen hinten, 5: Rangier- und Vorbereitungsraum, 6: Probebühne, 7: Nebenbühne Unterhalb dieser Bühnenflächen befinden sich in der Unterbühne ebenfalls Nebenbühnen, insbesondere wieder eine Rangierdrehscheibe unter 3. Bildnachweis: BTR 5/1989, R. Biste–K. Gerling, Architektur- und Ingenieurbüro (D-Berlin).

Es sei auch auf die Möglichkeit verwiesen, den Boden im Zuschauerraum vor dem Orchesterpodium kippbar auszuführen, damit er an eine geneigte Fläche des Zuschauerraumes angepasst werden kann. Diese ist z. B. im Kulturpalast Dresden möglich. An dieser Stelle sei auch auf die spezielle Gestaltung des Orchesterraumes im Festspielhaus Bayreuth (s. Abb. 1.10) hingewiesen. Durch diese Anordnung wollte Richard Wagner erreichen, dass die Zuschauer nicht durch den Blick auf den Dirigenten und die Musiker abgelenkt werden. Außerdem soll durch den Schalldeckel vor der Bühne der Klang der einzelnen Instrumente in einem gedämpften Gesamtklang des Orchesters aufgehen.

1.4 Bühnensysteme | 13

Abb. 1.10: Festspielhaus Bayreuth – Orchesteranordnung. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

1.4 Bühnensysteme Eine wesentliche transporttechnische Aufgabe besteht darin, einen raschen Wechsel des Bühnenbildes zu ermöglichen, indem auf der Bühne eingesetzte Dekorationen aus dem Spielbereich entfernt werden und bereits vorbereitete Gesamtszenerien oder Szenenelemente aus Bereitschaftsstellungen für das Spielgeschehen entnommen werden. Diesem Zweck dienen verschiedene Bühnensysteme. Bereits in Kap. 1.1 wurden im historischen Rückblick verschiedene Möglichkeiten erwähnt; hier sollen zusammenfassend die aus heutiger Sicht wichtigsten Konzepte dargelegt werden. Im Schnürboden abgehängte Dekorationselemente können durch Senken in den bzw. durch Heben aus dem Blickbereich der Zuschauer verfahren werden. Damit kann das Bühnenbild in einfacher Weise verändert werden. Sieht man von den in Kap. 1.1 erwähnten ebenen Kulissenwagen, die in Freifahrten seitlich verschoben werden können, ab, so gibt es für am Bühnenboden stehende räumliche Dekorationselemente im Prinzip folgende Möglichkeiten, diese in den oder aus dem für den Zuschauer sichtbaren Bühnenbereich zu bewegen: – Vertikales Verfahren des gesamten oder von Teilen des Bühnenbodens: Dieses Konzept wird als Hubpodien- bzw. Versenkbühnensystem (Abb. 1.11a) bezeichnet und eigentlich nur in Kombination mit anderen Systemen angewandt. Hier sei als Beispiel auf die Einsatzmöglichkeit der Doppelstockpodien der Hamburgischen Staatsoper verwiesen (siehe Abb. 1.13). Die vorderen Podien sind Doppelstockpodien (siehe Kap. 1.7.1) mit einem Abstand der beiden begehbaren Ebenen von 10 m. Da die untere Podienfläche auf Niveau 0,0 hochgefahren werden kann, können je nach Podienstellung zwei Bühnenbilder wahlweise in das Blickfeld der Zuschauer gerückt werden. Für das Bühnenbild auf der unteren Podienfläche können die Oberbühneneinrichtungen am Schnürboden jedoch nicht eingesetzt

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Abb. 1.11: Bühnensysteme – Grundformen. (a) Versenkbühne, (b) Schiebebühne, (c) Drehbühne mit Vollscheibe, (d) Drehbühne mit großer Ringscheibe.





werden. Daher sind unterhalb der oberen Podienfläche einfache Prospektzüge installiert. Horizontales translatorisches Verfahren des Bühnenbodens: Dieses Konzept nennt man Schiebebühnensystem- oder Wagenbühnensystem (Abb. 1.11b). Es ist in all jenen Fällen realisiert, wo Bühnenwagen zwischen Haupt- und Seitenbühne und/oder Haupt- und Hinterbühne verfahren werden können. Zum Ausgleich der Niveauunterschiede, die durch die Bauhöhe der Bühnenwagen entstehen, sind meist Ausgleichspodien (s. Kap. 1.7.1) eingebaut. Horizontale Rotation des Bühnenbodens, bezeichnet als Drehbühnensystem (Abb. 1.11c): Die Drehbühne kann als einfache Drehscheibe (Abb. 1.157a, b) wie z. B. auch im „Theater in der Josefstadt“ in Wien (Abb. 1.156) oder mit zwei rotierenden Ebenen in Doppelstockausführung (Abb. 1.157c und 1.160) ausgeführt sein. Es kann aber auch eine zusammenklappbare oder zerlegbare Drehscheibe (Abb. 1.147 und Abb. 1.148) auf den Bühnenboden aufgelegt werden.

Das Raumkonzept sollte eine Drehscheibe mit einem Durchmesser ermöglichen, der größer als die Breite der Bühnenöffnung im Proszenium ist. Nur dann kann ein um-

1.4 Bühnensysteme | 15

fassender Dekorationsaufbau am drehbaren Bühnenboden Platz finden, da keine zu großen Seitensegmente fester Bühnenkonstruktion verbleiben. In Abb. 1.11d (ohne strichliertem Kreis) ist eine Riesen-Drehbühne – auch als „Transportdrehbühne“ bezeichnet dargestellt. Sie ermöglicht mehrere umfangreiche Dekorationsaufbauten, die in das Blickfeld der Zuschauer gedreht werden können. In den Abb. 1.21 (Oper Frankfurt) und Abb. 1.22 (Musiktheater Linz) sind zwei konkrete Ausführungen zu sehen. Sie werden später näher beschrieben. In Abb. 1.11d (mit strichliertem Kreis) ist eine große Ringdrehscheibe dargestellt. Die kreisförmige Zentralfläche ist nicht drehbar und kann als Magazin dienen, auf dem Kreisring mit ausreichender Breite können im Kreis nebeneinander Bühnenbilder angeordnet werden. Sehr oft finden sich Kombinationen der drei grundsätzlichen Bewegungsmöglichkeiten: – Podienbühne mit Bühnenwagen (Hub-Schiebebühne) Abb. 1.12a: In den Seitenbühnen, der Hinterbühne und gegebenenfalls in den seitlichen Randbereichen der Hauptbühne sind Ausgleichspodien, deren Hub der Bauhöhe der Bühnenwagen entspricht. Unterhalb der Hauptbühne befindet sich eine Unterbühne, ausgerüstet mit Hubpodien von großem Verfahrweg. Sie ermöglichen einen Vertikaltransport zwischen beiden Ebenen. Damit können auch Dekorationen auf Bühnenwagen in der Unterbühne bereitgestellt werden. Selbstverständlich können diese Podien auch die Funktion von Ausgleichspodien übernehmen.

Abb. 1.12: Bühnensysteme – kombinierte Systeme. (a) Podienbühne mit Bühnenwagen, (b) Podienbühne mit Bühnenwagen, insbesondere einem Drehscheibenkassettenwagen in der Hinterbühne, (c) Zylinderdrehbühne mit eingebauten Hubpodien.

Als Beispiel sei auf die Wiener Staatsoper (Abb. 1.14) verwiesen. Allerdings sind in diesem Fall keine großen Bühnenwägen in einer Seiten- oder Hinterbühne vorhanden, sondern nur kleine manuell verfahrbare Bühnenhilfswägen. An Hand dieser Abbildung kann aber die Funktion des Hub-Schiebebühnensystems gut erläutert werden: In der gezeichneten Stellung sind die Bühnenpodien

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Abb. 1.13: Doppelstockpodien – Hamburger Staatsoper. Oben: Übersicht der Podienanlage im Längsschnitt, unten: Querschnitt eines Podiums mit Antrieb. Bildnachweis: SBS.

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Abb. 1.14: Staatsoper Wien – Längsschnitt und Grundriss. H: 6 Hubpodien in Doppelstockausführung (H1 –H3 in oberer, H4 –H6 in unterer Stellung dargestellt). B: 3 Bühnenwagen (Brückenwagen). A: Ausgleichswagen (kann unter die Hubpodien verfahren werden, wenn diese hochgefahren sind). D: auflegbare Drehscheibe (zusammenklappbar). 0: 3 Orchesterpodien. PA: Prospektaufzug. K: Kulissenwagenaufzug zum Transport der LKW- Anhänger auf Bühnen- oder Unterbühnenniveau. A: Ablage für Bühnenhilfswagen. RH: Rundhorizontanlage. Bildnachweis: Merkblatt 289.

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H1 bis H3 auf Bühnenniveau hochgefahren und die Podien H4 bis H6 auf das tiefste Niveau in die Unterbühne abgesenkt. Die Bühnenwägen B1 bis B3 sind als Brückenwägen konzipiert (siehe Kap. 1.7.2), decken die Grube oberhalb der Podien H4 bis H6 ab und bilden eine geschlossene Bühnenfläche. Neue Dekorationen können nun z. B. dadurch in die Hauptbühne eingebracht werden, dass die Podiengruppe H1 bis H3 abgesenkt, die Bühnenwägen B1 bis B3 in eine Lage oberhalb dieser Podiengruppe verfahren und die Podien H4 bis H6 auf Bühnenniveau hochgefahren werden. Sollen auf den Podien H4 bis H6 platzierte Aufbauten in Richtung Proszenium verlagert werden, so können diese Aufbauten auf in „A“ gespeicherten Bühnenhilfswägen gesetzt und damit auf der Bühne in die gewünschte Position verfahren werden. Der in der Unterbühne installierte Ausgleichswagen „A“ kann bei hochgefahrenen Podien H4 bis H6 zu den Podien H1 bis H3 verschoben werden, um die Grube in der Unterbühne zu schließen damit z. B. die oben genannten Hilfsbühnenwägen verfahren werden können. Schiebebühne mit Drehscheibenkassettenwagen: Baut man in einen Bühnenwagen, meist dem Hinterbühnenwagen, eine Drehscheibe nach Abb. 1.12b ein, so sind Schiebebühnen- und Drehbühnensystem kombiniert. Als Beispiel sei die Semperoper in Dresden (Abb. 1.73) erwähnt. Ferner wird als Beispiel auf den in Abb. 1.9 in der hinteren Seitenbühne zu sehenden Drehscheibenwagen in der Oper de la Bastille in Paris verwiesen. Podienbühne mit auflegbarer Drehscheibe: Bei diesem Konzept wird im Bedarfsfall eine in zerlegtem oder zusammengeklapptem Zustand magazinierte Drehscheibe auf die Podienbühne aufgelegt (siehe Kap. 1.7.3 bzw. Abb. 1.147 und Abb. 1.148). Drehbühne mit eingebauten Hubpodien – Zylinderdrehbühne (Abb. 1.12c): Bei diesem System sind in einem drehbaren Zylinder Hubpodien eingebaut. Durch zusätzliche Verwendung von Bühnenwägen können auch bei dieser Lösung Versenkbühnen-, Schiebebühnen- und Drehbühnensystem kombiniert werden. Als Beispiel für Drehbühnen mit eingebauten Hubpodien wird auf die in Abb. 1.15 und 1.16 dargestellte Zylinderdrehbühne des Wiener Burgtheaters verwiesen. In dieser Zylinderdrehbühne sind vier Hubpodien in Doppelstockausführung (siehe Kap. 1.7.1) und unterhalb jedes Podiums ein Ausgleichspodium untergebracht. Ferner sind im Drehzylinder auf Bühnenniveau zwei Brückenwagen (siehe Kap. 1.7.2 und Abb. 1.133) eingebaut. Dadurch kann bei jeder Stellung der Hubpodien, auf Bühnenniveau (0,0 m) und in der Unterbühne auf Niveau – 8,82 m, eine geschlossene Ebene gebildet werden. Auf diesen Ebenen können dann in der Unterbühne magazinierte Hilfsbühnenwagen verfahren werden. Vergleicht man dieses Zylinderdrehbühnensystem mit der Podienbühne nach Abb. 1.14 so erkennt man, dass ebenfalls Hubpodien – in diesem Fall 4 Stück statt 6 Stück – und Brückenwägen – in diesem Fall 2 Stück statt 3 Stück – vorhanden sind. In der Unterbühne sind an Stelle des horizontal verfahrbaren Ausgleichswa-

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Abb. 1.15: Wiener Burgtheater – oben: Längsschnitt, unten: Zylinderdrehbühne. Bildnachweis: Waagner-Biró.

gens vier Ausgleichspodien, die je nachdem, welche Podien hochgefahren sind, eine geschlossene Ebene auf Niveau – 8,82 m bilden. Verfährt man Dekorationen nach dem zu Abb. 1.14 beschriebenen Taktverfahren, so bietet der Einbau dieses Podiensystems in eine Zylinderdrehbühne noch die Möglichkeit, durch Drehen der Drehbühne um 180 ° die dann hochgefahrenen Podien z. B. wieder zum Proszenium zu schwenken.

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Abb. 1.16: Wiener Burgtheater – Zylinderdrehbühne mit Podien. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.17: National Theatre London. Schemaskizze der Zylinderdrehbühne. 1: Drehzylinderrahmen, 2: Hubpodium A, 3: Hubpodium B, 4: Ausgleichs-Drehsegment, 5: absenkbare Ladefläche, 6: Transportöffnung. Bildnachweis: BTR 3 1977.

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Es sollen aber auch exemplarisch vier Sonderlösungen von Drehbühnensystemen erwähnt werden: – In Abb. 1.17 ist das Prinzip der Zylinderdrehbühne des National Theatre London dargestellt. Im Drehzylinder sind zwei Hubpodien mit halbkreisförmiger Grundrissfläche eingebaut. Die durch Absenken eines Podiums entstehende Öffnung auf Bühnenniveau kann durch eine im Zylinder drehbar gelagerte Scheibe geschlossen werden. Diese halbkreisförmige Scheibe übernimmt somit als drehbares Element die Funktion des soeben beschriebenen verfahrbaren Brückenwagens. – Eine andere Sonderlösung zeigen die Abb. 1.18 und Abb. 1.19: In der Wiener Volksoper ist auf einem zylindrischen Hubpodium eine drehbare Kernscheibe aufgesetzt, und diese Einheit ist von einer Ringscheibe umgeben. Somit können unabhängig voneinander Drehbewegungen von Ring- und Kernscheibe und eine Hubbewegung des Kernzylinders (dort auch „Hubstock“ genannt) überlagert werden. Für szenische Effekte kann sich z. B. die Kernscheibe durch Überlagerung einer Rotation der Scheibe mit einer Hubbewegung des Kernzylinders emporschrauben, während die Ringscheibe in entgegengesetzter Richtung rotiert.

Abb. 1.18: Drehbühnensystem der Wiener Volksoper. (a) Grundriss, (b) Kern- und Ringscheibe. Bildnachweis: Waagner-Biró.

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Abb. 1.19: Drehbühnensystem der Wiener Volksoper. Kernzylinder mit Kernscheibe. Bildnachweis: Waagner Biró.





Mit einer Kern- und Ringscheibe ist auch das Theater am Goetheplatz in BadenBaden (Abb. 1.20) ausgestattet. Die Kernscheibe ist als zentralgelagerte Zylinderdrehbühne analog zu Abb. 1.157c ausgeführt und enthält zwei Versenkungen, die Ringscheibe läuft mit Kreisschienen auf einer Vielzahl von Stützrollen (Bockrollen) mit Vulkolanbelag. Besonders erwähnenswert ist das Konzept der Großdrehbühne in der Oper Frankfurt am Main nach Abb. 1.21. Die Drehscheibe umfasst nicht nur die Hauptbühne, sondern auch die Hinterbühne (und Seitenbühnenbereiche). In einer sehr großen Drehscheibe mit 37,4 m Durchmesser ist exzentrisch eine kleine Drehscheibe von 16 m Durchmesser eingebaut. Die große Scheibe dient vor allem der Vorbereitung und Bereitstellung für den Repertoire- und Probenbetrieb, die kleine Scheibe

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Abb. 1.20: Drehbühne des Theaters am Goetheplatz in Baden-Baden. Kern- und Ringdrehscheibe. Bildnachweis: BTR Sonderheft 1995.



kann in der Funktion einer normalen Drehbühne eingesetzt werden. Die kleine Drehscheibe entspricht etwa der Bühnengröße und kann durch Schutztore von der übrigen Großscheibe abgeschottet werden. Mit Eröffnung des Musiktheaters Linz im Frühjahr 2013 gibt es nun in Österreich ein weiteres modernes Beispiel einer Großdrehbühne (siehe Abb. 1.22): Unter der Bezeichnung Transportdrehbühne ist eine Doppelstock-Zylinderdrehbühne mit einem Durchmesser von 32 m (oberes Gedeck 32,0 m auf Niveau 0,00, unteres Gedeck 31,3 m auf Niveau −3,95 m) eingebaut. Je nach Drehstellung dieser Transportdrehbühne befindet sich im Bereich der Hauptspielfläche dann wahlweise eine Podienbühne mit drei Hubpodien von je 15 m mal 4 m oder eine DoppelstockZylinderdrehbühne als Spieldrehbühne mit einem Durchmesser von 15 m.

Infolge der sehr geringen Bauhöhe von 6m (unterhalb der Bühne musste noch eine Garage Platz finden und der Grundwasserspiegel sollte nicht unterschritten werden) muss die Transportscheibe einerseits von einer Kreisringschiene und zusätzlich von einem im Zentrum angeordneten „Königsstuhl“ in Form einer Kugeldrehverbindung getragen werden.

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Abb. 1.21: Drehbühnensystem der Oper Frankfurt – Längsschnitt, Querschnitt und Grundriss. 1: Zuschauerraum, 8: Eiserner Vorhang, 9: Orchestergraben, 10: Bühne, 10a: kleine Drehscheibe, 11: Seitenbühne, 12: Hinterbühne, 13: Unterbühne, 14: Kulissenlager, 17: Magazin/Lager, 43: Tonstudio, 44: Klimazentrale, 49: Schnürboden, 50: Maschinenraum, 51: Rauchgasabzugklappen, 52: Königstuhl (große Drehbühne), 55: Portalbrücke, 56: Beleuchterbrücke. Bildnachweis: BTR 2/1992.

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Abb. 1.22: Musiktheater Linz – Grundriss und Längsschnitt. Bildnachweis: Landestheater Linz.

Auch die Spieldrehscheibe ist auf einer Kreisschiene und Kugeldrehverbindung gelagert. Die Podien mussten wegen der geringen Bauhöhe in seitlichen ebenfalls verfahrbaren Führungselementen eingesetzt werden, damit teleskopartig eine höchste Stel-

26 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien lung von +4,15 m und eine tiefste Stellung von −3,95 m erreicht werden kann. Ausgleichspodien unterhalb dieser Podien schaffen bei hochgefahrenen Spielpodien unten ebene Flächen. Nähere Details über die Podien sind dem Kap. 1.7.1 zu entnehmen, Drehbühnen werden in Kap. 1.7.3 näher beschrieben. Außerdem sind zwei Seitenbühnen und eine Hinterbühnenfläche vorhanden, wobei eine Seitenbühne akustisch so getrennt werden kann, dass sie unabhängig als Probebühne genutzt werden kann. Ferner stehen insgesamt sechs Bühnenwägen zur Verfügung – drei in der Seitenbühne und drei in der Hinterbühne. Maximal drei Wägen können auch auf die Transportdrehscheibe verfahren und mit den Podien auf Niveau 0 abgesenkt werden, sie können aber auch in die Probebühne gefahren werden, sodass auch in der Probebühne mit Originaldekorationen geprobt werden kann. Der Abb. 1.22 ist auch zu entnehmen, dass in Bühnennähe ein Kulissendepot und ein Prospektlager angeordnet sind; beide werden in Kap. 1.5 beschrieben. Probebühnen Sofern es das Raumkonzept zulässt und die Betriebsführung erfordert, situiert man in Bühnennähe eine Probebühne, wobei es transporttechnisch möglich sein sollte, Bühnenwagen dorthin zu verfahren. Auch hierfür können die Oper Kopenhagen (Abb. 1.6), die Oper Paris (Abb. 1.8 und Abb. 1.9)) und das Musiktheater Linz (Abb. 1.22) als Beispiele dienen. Fernsehstudios Das Anforderungsprofil für Bühnen in Fernsehstudios ist grundsätzlich ein anderes. So entfallen Unterbühneneinrichtungen gänzlich. Es ist vielmehr ein besonders ebener und glatter Studioboden mit sehr hoher Tragfähigkeit gefordert, da mobile technische Einrichtungen frei verfahrbar sein müssen. Daher kommen Holzböden wie im Theater nicht in Frage. Als Oberbühneneinrichtung ist im Deckenbereich ein Beleuchtungsrost spezieller Konzeption üblich. Neben Laufstegen zur Bedienung und Wartung wird aus Deckenfeldern mit längs- und querorientierten Schlitzen eine Lichtgitterdecke gebildet, welche die Möglichkeit bietet, Teleskop-Hängestative für Scheinwerfer eventuell auch über Weichensysteme zu verfahren und Punktzugwinden als Hubzüge (Kap. 1.8.3 bis 1.8.5) einzusetzen. Außerdem ist zur Spielraumbegrenzung (Kap. 1.8.6) meist eine Horizontanlage vorhanden. Bühnen in Schiffen Besondere Anforderungen werden an Bühneneinrichtungen gestellt, die in Schiffen installiert sind, da ein Schiff durch den Wellengang Schlingerbewegungen unterworfen ist.

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Bei rauem Seegang können dadurch in allen Richtungen zusätzliche Beschleunigungen von über 1g (9,81 m/s2 ) zur Wirkung kommen. Das heißt, dass am Boden liegende Gegenstände abheben können. Natürlich kann in solchen Situationen nicht mehr Theater gespielt werden, aber Bühnenelemente müssen entsprechend gesichert sein. Z. B. müssen Bühnenwägen festgeklemmt werden, damit sich die Laufräder nicht von den Schienen lösen können. Sollten für Hubpodien „Spiralift“-Elemente eingebaut sein, so müssen auch diese verriegelt werden, damit die Faltspindelelemente nicht ihren Zusammenhalt verlieren. Die neue I-Lock-Serie könnte den notwendigen Formschluss bieten. Es kommen aber auch Spezialketten der Fa. Serapid in Frage (siehe Kap. 1.7.1). Da aber auch im Spielbetrieb durch Schiffsbewegungen Zusatzkräfte infolge des Wellenganges zur Wirkung kommen können, müssen z. B. Prospektzug-Laststangen geführt werden, um nicht zu pendeln und auf das Eigengewicht angewiesene Adhäsionsantriebe von Bühnenwagen müssen vermieden werden. Abb. 1.23 zeigt die Bühne eines Kreuzfahrschiffes. Sie wurde mit Bühnenwagen, Drehscheibe, Ausgleichspodien, Orchesterpodien mit Spiralliften etc. ausgerüstet. In der Computersteuerung sind Licht- und Tontechnik eingebunden, sodass bühnentechnische Abläufe vollständig automatisch abrufbar sind.

Abb. 1.23: Cruise Liner „Aurora“, Meyer Werft – Papenburg/Deutschland. Modell des Schiffs und Blick in den Theatersaal. Bildnachweis: Waagner-Biró.

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1.5 Transport- und Lagersysteme Im vorigen Abschnitt wurden Transportsysteme zum Verändern bzw. Wechseln von Bühnenbildern behandelt. Momentan nicht eingesetzte Dekorationselemente oder ganze Bühnenbilder werden wenn möglich in Nebenbühnenbereichen aufbewahrt. Dekorationselemente müssen aber auch über längere Zeiträume in oder außerhalb der Spielstätte gelagert werden. Prospektmagazine im Bühnenbereich Besonders wichtig ist es, Lagermöglichkeiten für die langen und daher schwierig zu transportierenden Prospektrollen in unmittelbarer Nähe zur Bühne zu schaffen. Dazu dienen Prospektlager verschiedenster Bauart: Oft ist in Bühnennähe ein Lagerraum mit einem von einem Aufzug aus bedienbaren Kragarmregal vorhanden. Das Bühnenpersonal kann mit dem Aufzug zur gewünschten Regalhöhe hochfahren und die Prospektrollen aus- oder einlagern. Ein seitlich der Bühne situierter Lagerraum sollte so angeordnet sein, dass die Prospektrollen ohne Verschwenken parallel zum Proszenium ein- oder ausgebracht werden können. Im Musiktheater Linz wurde, wie in Abb. 1.24 ersichtlich, ein Prospekt-Regallager mit Transportaufzug im Hinterbühnenbereich angeordnet. Die Prospekte werden dazu in Wannen mit den Innenmaßen 17,16 m × 0,72 m × 0,40 m (L × B × H) gelegt. Eine ähnliche Lösung stellt das Prospektlager des Nationaltheaters München (Abb. 1.26) dar. Es handelt sich um ein neben der Bühne situiertes Regallager mit einem Regalbediengerät. Links und rechts stehen übereinander je 14 Kragarmregalebenen zur Verfügung. Die Besonderheit dieses Lagers ist, dass wannenartige Containereinheiten jeweils aus fünf hintereinanderliegenden Einzelwannen bestehen. Im Regal müssen sie daher mit Oberrahmen zu einer tragfähigen Gesamteinheit verbunden werden. Beim Auslagern werden sie auf einen aus fünf gelenkig gekuppelten Laufwagen bestehenden Transportwagen abgesetzt und vom im Lager verbleibenden Oberrahmen getrennt. Die Laufwagen fahren auf Schwenkrollen und können so bei engen Platzverhältnissen auf der Bühne um Kurven gelenkt werden. Ein automatisiertes Prospektlager für Prospekte wurde auch im Opernhaus Hannover eingebaut. Es stehen 37 Container der Größe 18,90 m × 0,60 m × 0,56 m zur Lagerung der Prospekte für etwa 30 Vorstellungen zur Verfügung. Jeder Container wiegt ca. 800 kg und kann mit 1300 kg beladen werden. Die Container werden im Prospektlager mit einem Regalbediengerät manipuliert, auf die Bühne können sie mit Lenkrollen verfahren werden. Als interessante Lösung sei auch noch auf eine im Berliner Ensemble von der Fa. Schenck Handling eingebaute Paternosteranlage zur Lagerung von Prospekten und sonstigem Langgut hingewiesen (siehe BTR 2/2001).

1.5 Transport- und Lagersysteme

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Abb. 1.24: Kulissen- und Prospektlager im Musiktheater Linz. Bildnachweis: Landestheater Linz (Technische Leitung, Böhner).

Abb. 1.25: Kulissenlager im Musiktheater Linz. Bildnachweis (links): Landestheater Linz, Technische Leitung, Böhner. Bildnachweis (rechts): Unitechnik Systems GmbH.

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Abb. 1.26: Prospektlager des Nationaltheaters München. Links: Regal mit eingelagerten Containerwannen und Unterwagen, mittig: Transportrahmen (Greifrahmen) mit Oberrahmen, rechts: Transportrahmen und verriegelter Oberrahmen mit Container. Bildnachweis: BTR 4/1989.

Eine betriebstechnisch interessant erscheinende Lösung wurde in der Pariser Oper de la Bastille realisiert. In Abb. 1.8 (Längsschnitt) sieht man in der Oberbühne im vordersten Abschnitt der Hinterbühne ein hohes zweizeiliges Prospektlager mit 2×20 = 40 Lagerflächen, in denen die Prospektrollen in wannenartigen Prospektlager-Containern aufbewahrt werden können. Zwischen den Fächern ist ein mit Fahrkabinen für Personen ausgestatteter Containeraufzug installiert, der bis auf Bühnenniveau abgesenkt werden kann. Im normalen Prospekt-Wechselbetrieb werden die Container jedoch auf einem Arbeitswagen abgesetzt, der für zwei Container Platz bietet und in der Höhe der ersten Arbeitsgalerie eingebaut ist. Abbildung 1.27 zeigt das Prospektlager mit diesen Fördergeräten und insbesondere diesen einer Kranbrücke ähnelnden Arbeitswagen, der von der vordersten Portalstellung bis zur Rückwand der Hinterbühne verfahren werden kann. Damit sollte die Möglichkeit geschaffen werden, diese Arbeitsvorgänge unabhängig von auf Bühnenebene stattfindenden Montagearbeiten durchzuführen. Allerdings wird der Arbeitswagen wegen herabhängender Dekorationen in seiner Verfahrbarkeit im praktischen Betrieb oft behindert. (Im gegenständlichen Fall ergaben sich auch noch konstruktiv bedingte Probleme). Der Lagerraum kann sich auch unterhalb der Hauptbühne befinden und von einem als Prospekthebebühne konzipierten Aufzug wie in der Semperoper Dresden nach Abb. 1.73 und Abb. 1.74 (Position 29) bedient werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Prospektrollen zwar ebenfalls in der Unterbühne, aber in einem Hubpodium der Hauptbühne unterzubringen. In diesem Fall wird nicht der Bedienungsstand, sondern das Regal vertikal verfahren und die Manipulation des Aus- und Einlagerns kann von Bühnenniveau aus erfolgen. Dadurch müssen aber relativ schwere Massen bewegt werden. Meist wird bei diesem

1.5 Transport- und Lagersysteme

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Abb. 1.27: Prospektlager der Pariser Oper. 1: Prospektaufzug, 2: Prospektlager-Container, 3: Maschinenraum, 4: Prospektwagen, 5: fahrbare Hubarbeitsbühne, Bildnachweis: BTR 5/1989.

Konzept das – vom Zuschauerraum betrachtet – letzte Bühnenpodium als Prospekthubpodium ausgebildet (siehe auch Kap. 1.7.1 – Abb. 1.93). Ein solches Prospekthubpodium ist z. B. im Opernhaus Zürich eingebaut und in Abb. 1.28 (Position 7) ersichtlich. Eine Erweiterung der Lagerkapazität eines Prospekthubpodiums ohne zusätzliche Podienantriebe ist durch die Wahl eines Systems nach Abb. 1.29 möglich, wie es im Nationaltheater Warschau ausgeführt wurde. Das Prospektlager ist als dreiteiliges Hubregal konzipiert, Regal 3 ist mit einem Hubantrieb ausgestattet, die Regale 1 oder 2 können wahlweise an das Regal 3 angekoppelt und verfahren werden. Prospekthubpodien sind auch im in Moskau (siehe Abb. 1.255) und im Nationalen Akademischen Großen Opern- und Balletttheater Minsk (siehe Abb. 1.94) eingebaut. Bezugnehmend auf Kap. 4.3 (Abb. 4.20) sei noch darauf hingewiesen, dass die Prospekthubpodien im Bolschoi-Filialtheater mit Wälzgewindespindeln (Planetenspindeln) angetrieben werden. Kulissenlager im Bühnenbereich Im völlig neu gebauten Musiktheater Linz konnte ein großes Dekorationsmagazin im Gebäude integriert werden (siehe Abb. 1.25). Das Kulissenlager bietet insgesamt 55 Stellplätze für Container der Größe 8,2 m × 2,39 m × 2,16 m (L × B × H) und einer Nutzlast von 2,5 t. Die Stellplätze sind in 5 Etagen mit je 11 Lagerplätzen angeordnet, wobei die Container mittels Rollen- und Kettenför-

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Abb. 1.28: Opernhaus Zürich – Längsschnitt durch Bühne und Zuschauerraum. 1: Parkettpodium mit Gestühlwagen, 2: Orchesterpodium II mit Schleppboden, 3: Orchesterpodium I mit Schleppboden, 4: Ausgleichswagen mit Schrägstellplattform, 5: 5 Bühnenpodien mit Schrägstellplattform, 6: Tischversenkung, fahrbar unter Bühnenboden, 7: Prospekthubpodium mit Schrägstellplattform, 8: Hinterbühnenpodium I, 9: Hinterbühnenpodium II, 10: Schiebebühne mit Drehscheibe, 11: Eiserner Vorhang, 12: Hauptvorhang, 13: Portalbrücke, 14: 3 Arbeitsgalerien, 15: Schnürboden – Hauptbühne, 16: Schnürboden – Hinterbühne, 17: Rauchhaube. Bildnachweis: MAN Gutehoffnungshütte AG (D-Oberhausen), in der Folge kurz „MAN“ genannt.

Abb. 1.29: Nationaltheater Warschau. Dreiteiliges Prospekthubpodium. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

1.5 Transport- und Lagersysteme

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derer in Längs- und Querrichtung so verschoben werden können, dass eine Rotation im Uhrzeigersinn ermöglicht wird. Die einzelnen Container werden dann in der Etage solange umgelagert bis der gewünschte Container den Übergabebereich zum Etagenförderer erreicht. Beim Einlagern werden die Containern auf einen Kulissen-Palettenwagen aufgesetzt und über eine Rollen- und Kettenförderanlage in den Etagenförderer eingeschoben. Die Auslagerung eines Containers dauert systembedingt je nach dessen Standort im Lager bis zu 50 min. Im täglichen Betrieb wird das Lagersystem nur außerhalb der Vorstellungs- und Probenzeiten und nach Ende einer Vorstellung benützt. Vorzugsweise werden die Auslageraufträge am Abend eingegeben und über die Nacht abgearbeitet. Damit wurde ein in der Flughafentechnik angewandtes Logistikkonzept im Bereich der Bühnentechnik realisiert. Die Lagerung der Container erfolgt chaotisch, d. h. bei der Einlagerung wird nicht ein bestimmter Lagerplatz zugewiesen, sondern einfach ein freier Lagerplatz gewählt. Von der Spielstätte räumlich getrennte Kulissendepots Wegen des meist viel zu geringen Raumangebotes in Theatern und Opernhäusern müssen Dekorationen aber auch außerhalb, in oft einige Kilometer entfernten Kulissendepots, untergebracht werden. Das heißt, der Spielbetrieb einer Großbühne erfordert vielfach nicht nur transporttechnische Lösungen im Sinne innerbetrieblicher Förder- und Lagertechnik, sondern auch Verkehrstechnik durch Verwendung von im öffentlichen Verkehr zugelassenen Spezial-Transportfahrzeugen zur Beförderung von Dekorationselementen zwischen Theater und Kulissendepot. Auch diesem Zweck dienen Lösungen allgemeiner Transport- und Lagertechnik, wie sie etwa in Produktion und Distribution eingesetzt werden. Dekorationen müssen mit Spezialfahrzeugen transportiert bzw. manipuliert und in Regalen eingelagert werden. Für Be- und Entladung der Straßentransporter und Ein- bzw. Ausbringung der Dekorationen in die Spielstätte sollten transporttechnisch günstige Bedingungen geboten werden. Oft liegen Bühnenebene und Straße auf unterschiedlichem Niveau, sodass geeignete Fördermittel zur Überwindung dieser Höhendifferenz erforderlich sind. In Abb. 1.14 ist an der Rückwand der Hinterbühne der Wiener Staatsoper ein großer Kulissenwagenaufzug – bezeichnet mit „K“ – zu erkennen, auf dem Spezialanhänger für den Dekorationstransport ohne Zugfahrzeug Platz finden und vertikal verfahren werden können. Lässt sich die Hubeinrichtung für das Transportfahrzeug nicht innerhalb des Gebäudes unterbringen, so kann bei entsprechender Platzgegebenheit auch eine externe LKW-Hebebühne installiert werden, wie es z. B. beim Theater am Kornmarkt in Bregenz erfolgt ist (siehe Abb. 1.30): Eine Plattform von der Größe 12 m × 3,8 m mit einer Hubkapazität von 16 t (statisch 32 t) kann als Scherenpodium 5,6 m über Straßenniveau

34 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

1: Buffet, 2: Zuschauerraum/Parkett, 3: Zuschauerraum/Rang, 4: Foyer/Erdgeschoß, 5: Garderoben, 6: Foyer/Parkett, 7: Foyer/Rang, 8: Klimazentrale Nr. 3, 9: Dachgeschoß, 10: Beleuchterbrücke, 11: Schnürboden, 12: Portalbrücke, 13: Orchestergraben, 14: Bühne, 15: LKW-Hebebühne, 16: Bereich Garderoben, 17: Bereich Theatermeister, 18: Arkadenhalle, 19: 1. Arbeitsgalerie, 20: 2. Arbeitsgalerie.

Abb. 1.30: Theater am Kornmarkt – Bregenz, Andockrampe an der Rückfront des Bühnenhauses. Oben: Längsschnitt, unten: Foto des Hubtisches. Bildnachweis: Prospekt 1995/Heft 1, Meyer Stahlund Anlagenbau – Nütziders.

hochgefahren werden. Außerdem kann die Hubplattform ca. 0,8 m horizontal zum Gebäude verschoben werden, um einen baulich bedingten Zwischenraum zum Gebäude zu überbrücken und am Gebäude anzudocken. Als Beispiel eines Zentrallagers sei das Logistikzentrum des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart erwähnt: Es wurde im Juni 2006 in Betrieb genommen und ist

1.5 Transport- und Lagersysteme

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für die gesamten Logistikdienstleistungen der drei Sparten Oper, Schauspiel und Ballett verantwortlich. Das allgemeine Lager erstreckt sich über drei Etagen. Im Montagebereich werden in einer eigenen Schlosserei, Schreinerei, Drechslerei etc. Kulissen gefertigt, aufgebaut, angepasst und auf Belastbarkeit getestet. Im Hochre-

Abb. 1.31: Hochregallager mit 4-Wege-Gabelstapler im Logistikzentrum des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart. Bildnachweis: Grösel.

36 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien gallager (siehe Abb. 1.31) können auf vier Ebenen Dekorationen auf insgesamt 560 Kulissenwagen gelagert werden. Die Kulissenwagen bieten eine Fläche von 8,0 m × 2,3 m und können ein Gewicht von 4 t aufnehmen. Die Manipulation der Kulissenwagen erfolgt mit einem 4-Wege-Gabelstapler (Gesamtgewicht des Spezialstaplers 18 t). Eine in transport- und lagertechnischer Hinsicht moderne Lösung ist in München verwirklicht. Die Dekorationen werden in speziellen von der Längs- oder Stirnseite beladbaren Dekorationsbehältern transportiert und gelagert. Zum Verfahren der Behälter an der Spielstätte dienen Transportwagen mit Rollenbahnen auf der Ladefläche. Ebenso sind die LKW-Anhänger auf ihrer Ladefläche mit Rollenbahnen ausgestattet. Als Kulissendepot steht ein dreistöckiges Regallager mit vier Lagerzeilen und zwei Lagergassen zur Aufnahme von insgesamt 457 Containern zur Verfügung. Ein- und Auslagerung erfolgt automatisch mit zwei schienengebunden verfahrbaren Regalfahrzeugen. In Abb. 1.32 ist das Lager im Grundriss dargestellt. Abbildung 1.33 erläutert die Behältermanipulation an der Spielstätte und Abb. 1.34 jene im Depot. Durch dieses

Abb. 1.32: Dekorationsmagazin in München/Poing – Lager im Grundriss. 1, 2: Andockstationen für LKW-Anhänger zur Ein- und Auslagerung, 3, 4: schienengebundene Regalbediengeräte, 5: Rollenförderer zum Quertransport, 6: Regale bedient vom Regalbediengerät 3, 7: Regale bedient vom Regalbediengerät 4. Bildnachweis: BTR 4/1989.

1.5 Transport- und Lagersysteme

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Abb. 1.33: Dekorationsmagazin in München/Poing – Palettenmanipulation an der Spielstätte. Oben: Straßentransporter bei der Andockstelle und Entladen (Ausfahren) des Dekorationsbehälters auf einen schwenkbaren Rollenförderer, unten: Beladen eines LKW-Anhängers mit einem Dekorationsbehälter. Fotos: SHS Fördertechnik (D-Darmstadt).

in München realisierte Behälter-Konzept entfallen Umlade- und Sortiervorgänge; so wie die Behälter auf der Bühne beladen werden, werden sie bei neuerlichem Spieleinsatz auch wieder entladen. Daraus resultieren natürlich große betriebsorganisatorische Vorteile. Sollen im internationalen Gastspielbetrieb für den Transport der Dekorationen Container eingesetzt werden, sind i. A. genormte ISO-Container zu verwenden. Wegen der kleineren Abmessungen und schwierigeren Manipulation (eingeschränkte Zutrittsmöglichkeit) ergeben sich aber betriebliche Nachteile.

38 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.34: Dekorationsmagazin in München/Poing – Palettenmanipulation im Lager. Oben: Beladen eines Dekorationsbehälters und Transportwagen für Dekorationsbehälter mit Rollenförderer, unten: Beschickung des Regalbediengerätes und dreistöckiges Paletten-Regallager. Fotos: SHS Fördertechnik.

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen Während in einem ausschließlich für Aufführungszwecke konzipierten Theater mit Guckkastenbühne der Zuschauerraum bis auf die eben beschriebenen geringfügigen Variationsmöglichkeiten im Orchesterbereich nicht veränderbar ist, sind in Mehrzweckhallen und modernen Experimentier- und Arenabühnen meist umfassendere Gestaltungsmöglichkeiten gegeben; insbesondere kann die Sitzanordnung durch Podien und Tribünen variiert werden. Flexible Gestaltung des Auditoriums Ein interessantes Beispiel für große Flexibilität stellt die Schaubühne Berlin dar (siehe Abb. 1.35 und Abb. 1.36). Mit ihr sollte ein Theaterraum geschaffen werden, der

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen

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Abb. 1.35: Schaubühne Berlin. Oben: Längsschnitt, unten links: Querschnitt, unten rechts: Querschnitt mit unterschiedlich eingestellten Hubpodien. Bildnachweis: BTR 2/1982.

nicht von vornherein durch Bühneneinrichtungen und Tribünen in fixer Raumanordnung in seiner Nutzung vorherbestimmt ist. Daher ist der gesamte Saalboden mit 76 hydraulisch angetriebenen Scherenhubpodien (s. Kap. 1.7.1) versehen. Im Dachbereich steht eine Lichtgitterrost-Decke als Arbeitsboden, vor allem zur Montage von Punktzügen und Beleuchtungskörpern, zur Verfügung. Abb. 1.37 zeigt das Konferenzzentrum Kuweit – eine in der Zwischenzeit durch Kriegshandlungen zerstörte Anlage. Es ist ein Mehrzweckraum, der sowohl als Theater als auch als Konferenzzentrum genutzt werden konnte. Zur Umgestaltung des Auditoriums ist auch dieses mit Hubpodien ausgestattet, sodass ein ebener oder ein gestufter Boden erzeugt werden kann. In Abb. 1.38 ist der Saal des Tagungszentrums Kassel dargestellt. Bezüglich der Faltspindeln für die Podienantriebe wird auf Kap. 1.7.1 verwiesen. Das Kongresszentrum Berlin ist mit einer von der Saaldecke absenkbaren Tribünenanlage ausgestattet. In Abb. 1.39 sind die Tribünen sowohl in abgesenkter Stellung für Theater, Konzerte, Vorträge und Kongresse als auch während des Hochziehens zur Umgestaltung für Bankette, Bälle und ähnliche Veranstaltungen dargestellt. (Die Hubketten werden nach dem Absenkvorgang in die Saaldecke gezogen.) In der Stadthalle Reutlingen kann der Saal in 2 Varianten genutzt werden: als Schräge mit stufenförmigem Boden oder als horizontale Fläche. Dazu dienen der Antrieb der Plattform und der Antrieb der Stufen. Die Fläche der Saalschräge beträgt 19,40 m × 22,50 m, jene der Stufen ca. 1 m × 19,40 m. Abbildung 1.40 zeigt den Saal mit Bestuhlung in der Variante „Saalschräge“.

40 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.36: Schaubühne Berlin. Oben: Raumgestaltung durch verschiedene Hubstellungen der Scherenhubtische, Gitterrostdecke über dem gesamten Raum für flexiblen Einsatz der Obermaschinerie; unten: Scherenhubtische in der Unterbühne. Fotos: Otto Vogel KG, Theaterbühnenbau; Stahl-, Metallbau GmbH & Co. (D-Berlin), in der Folge kurz „Vogel“ genannt.

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen |

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Abb. 1.37: Konferenzzentrum Kuwait – Längsschnitt durch Bühne und Zuschauerraum. Hauptbühne mit Doppelstockpodien, Hinterbühne mit Ausgleichspodien und Drehscheibenkassettenwagen, Zuschauerraum mit Orchesterpodien und Saalpodien. Zeichnung: Waagner-Biró. BTR 2/1989.

Abb. 1.38: Tagungszentrum Kassel. Links: Festsaal mit Hubpodien, rechts: Podienantrieb mit Faltspindeln. Bildnachweis: Sächsische Bühnen-, Förderanlagen- und Stahlbau-GmbH (D-Dresden), in der Folge „SBS“ genannt.

Der Mechanismus zur Bildung der Saalschräge ist in Abb. 1.41 zu sehen: Die Hubbalken werden am Ende mit einer Schubkette 4,45 m angehoben und stützen sich in der Endposition an den Pendelstützen ab. Die Pendelstützen sind passiv, werden also nicht gesondert angetrieben sondern rollen nur ab. Die aus Hubbalken gebildete Platte wird leicht überhoben, dann fahren Riegel in die Laufbahn der Pendelstützen ein

42 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.39: Kongresszentrum Berlin – von der Saaldecke absenkbare Tribünenanlage. Oben: abgesenkte Stellung, Hubketten noch nicht ausgehängt und hochgezogen, unten links: beim Hochziehen der Tribünen, unten rechts: Kettenhubwerk. Fotos: Krupp.

und die Platte wird abgesenkt bis die Riegel die Pendelstützen in definierter Endposition stoppen. Der Zeitaufwand für den Hub der Platte beträgt ca. 4 min. Die Bildung der Stufen erfolgt durch „Elektrozylinder“ mit Spindeltrieb. Eine ähnliche Verwandlung des Saales erfolgt auch in der „Giant Amber Concert Hall“ in Liepaja in Lettland. Waagner Biró hat eine spezielle Gelenkkinematik entwi-

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen |

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Abb. 1.40: Stadthalle Reutlingen – Saal in Variante Saalschräge. Bildnachweis: SBS.

ckelt, durch die mit einem Antrieb sowohl die Neigung des Tragsystems als auch die Stufenbildung bewerkstelligt wird. Dabei wird die durch das Schwenken bedingte Verschiebung der Podien so ausgeglichen, dass diese senkrecht gehoben werden. Der Antrieb erfolgt über Spindelhubelemente. Die Situation ist aus Abb. 1.42 zu ersehen. Das Podium davor ist ein Orchesterpodium mit Spiraliftantrieb.

44 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.41: Stadthalle Reutlingen – Mechanismus zur Bildung der Saalschräge. Bildnachweis: SBS.

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen

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Abb. 1.42: „Giant Amber Concert Hall“ in Liepaja in Lettland. Längsschnitt: ebene und gestufte Position Grundriss. Bildnachweis: Waagner Biró.

Verschiedene Nutzung von Bühnen- und Zuschauerbereich Variable Gestaltungsmöglichkeiten sind auch im Neuen Konzerthaus in Athen gegeben, um das Haus für Konzerte, Theateraufführungen und Kongresse nutzen zu können (siehe Abb. 1.43).

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Abb. 1.43: Megaro Musikis Athinon, Konzerthalle Athen in einigen Raummodifikationen. Fotos: Bayerische BühnenBau GmbH, in der Folge kurz „Bayerischer BühnenBau“ genannt (siehe auch BTR 4/1993).

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen |

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Abb. 1.44: Zu Abb. 1.45.

Eine besonders aufwendige Saalverwandlungstechnik wurde im Royal Opera House Muscat im Oman verwirklicht. Das Haus kann als Oper oder Konzertsaal genutzt werden. Beide Varianten sind in Abb. 1.44 und Abb. 1.45 dargestellt. Kernelement zur Verwandlung ist eine selbstfahrende Konzertmuschel mit insgesamt 525 t Eigenmasse, die im Konzertmodus auf die Hauptbühne und im Opernmodus auf die Hinterbühne verfahren wird. Als Fahrwerk dienen 28 Demag-Radblöcke (8 davon angetrieben). In der Konzertmuschel sind auch eine Orgel (ca. 30 t), 2 Akustikplafonds und 22 Akustikklappen integriert. Die beiden Proszeniumslogen mit drei Etagen werden je nach Nutzung in unterschiedliche Stellungen verbracht. Für den Konzertmodus werden sie um 15 ° gedreht und um 800 mm zurückgefahren. Auch 14,8 m hohe Säulen werden um den gleichen Betrag mit Linearantrieben nach außen verschoben. Die Größe der Portalöffnung kann in der Breite durch Verschiebewände (Zahnstangenantrieb) und in der Höhe durch einen Blendenzug (Rohrwellenzug) verändert werden. Im Vorbühnenbereich sind ein Doppelstockpodium und zwei Orchesterpodien vorhanden, die Hauptbühne ist mit einer Oberbühnenmaschinerie bestehend aus Laststangen-, Punktzügen und Panoramazügen ausgestattet, in den Seitenbühnen stehen Kettenzüge zur Verfügung. Auftritte von unten aus einer Unterbühne sind möglich. Der Zuschauerraum bietet in der Opernvariante 1100 Plätze, als Konzertsaal 850.

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Abb. 1.45: Royal Opera House Muscat. Vorige Seite: Nutzung für Oper. Diese Seite oben: Nutzung als Theater, unten: Nutzung für Konzert. Fotos: Courtesy of Royal Opera House Muscat.

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen |

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Spezielle Nutzungen im Bühnenbereich Als Nächstes seien Beispiele erwähnt, bei denen es darum geht, den Bühnenbereich für verschiedene spezielle Darbietungen zu gestalten. Erwähnenswert ist die technisch aufwendigen Sonderausstattungen des Friedrichstadtpalastes in Berlin (Abb. 1.46, 1.47), der ganz nach dem Muster der großen ShowTheater in Las Vegas gestaltet wurde. Im Vorbühnenbereich kann über ein Rundpodium ein Wasserbecken, eine Eisarena oder eine Zirkusmanege hochgefahren werden.

Abb. 1.46: Friedrichstadtpalast Berlin. (a) Grundriss, (b) Längsschnitt durch Vor-, Haupt- und Hinterbühne, (c) Querschnitt durch Vorbühne. Bildnachweis: BTR 6/1985.

Abb. 1.47: Friedrichstadtpalast Berlin. Zentrales Hubpodium der Vorbühne mit Eisarena. Foto: SBS.

50 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Ähnlich dem Friedrichstadt-Palast in Berlin wurde das Shanghai Culture Square als Veranstaltungszentrum geschaffen, das optimal auf Belange des großen Musical und auf Varietéveranstaltungen zugeschnitten ist (s. Abb. 1.48, Abb. 1.49 und Abb. 1.50).

Abb. 1.48: Shanghai Cultural Square. Bühnenflächen auf Bühnenniveau und in der Unterbühne. Bildnachweis: SBS.

Abb. 1.49: Zu Abb. 1.50.

Außer der Hauptbühne stehen zwei Seitenbühnen und eine Hinterbühne auf Niveau 0,00 aber auch Räume darunter in der Unterbühne zur Verfügung. Unterhalb der Seitenbühnen und Hinterbühne werden 3 runde Funktionswägen mit einem Durchmesser von 18 m geparkt: – ein Drehscheibenwagen mit einer Kern- und zwei Ringscheiben, die innere Scheibe kann um 0,6 m, der mittlere Ring um 0,3 m angehoben werden, – ein Wasserwagen mit einem Wasserbecken von 14 m Durchmesser und 0,4 m Beckentiefe – und ein Eiswagen, mit einer Eisfläche von 17,5 m Durchmesser.

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen

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Abb. 1.50: Zentrales Hubpodium mit Schubkettenantrieb und Scherenführung. Bildnachweis: SBS.

Diese Funktionswägen können mittels Reibradantrieb auf ein zentrales Hubpodium verfahren werden und mittels 30 Schubketten (siehe Kap. 4.2) und Scherenführung 5 m auf Bühnenniveau mit maximal 0,25 m/s gehoben werden. Die Öffnung in der Hauptbühne kann durch Brückenwägen (einer ist der Rundung der Funktionswägen angepasst) überbrückt werden. Ferner stehen Seitenbühnenwägen (19 m × 4,5 m) zur Verfügung. Alle Bühnenwägen werden durch horizontale Zug-/ Schubketten (siehe Kap. 1.7.2) angetrieben. Außerdem gibt es noch 13 Ausgleichspodien, um die Bühne in verschiedensten Konstellationen zu bespielen. Das größte Ausgleichspodium befindet sich in der Hinterbühne und hat die Abmessung 19 m × 19 m. Variable Raumteilung Oft besteht auch der Wunsch, eine große Mehrzweckhalle mit Trennwänden in mehrere kleine Räume zu unterteilen. Ein interessantes Beispiel hierfür bietet das „Congress Center“ in Frankfurt am Main. Der „Große Saal“ kann mit Hilfe von 22 schalldichten mobilen Trennwänden in 15 kleinere Räume geteilt werden (s. Abb. 1.51 links). Diese Trennwände sind als stähler-

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Abb. 1.51: Congress Center Frankfurt. Links: mögliche Saalunterteilungen, rechts: Möglichkeiten der Stufung des Saalbodens. Bildnachweis: Messe Frankfurt, BTR 5/1997.

ne Teleskophubwände ausgeführt, die bei Bedarf vom Hallendach abgesenkt werden können und sich seitlich in acht Führungssäulen abstützen. Sie bieten einen Schalldämmwert von 45 dB. Die Teleskophubwände werden mit Hydrozylindern und Seilflaschenzügen angetrieben, die Führungssäulen ragen in hochgezogenem Zustand über das Dach – architektonisch in eine Dachlandschaft integriert. Sie werden mit polumschaltbaren Drehstrommotoren (siehe Kap. 2.2) gehoben bzw. gesenkt. Der Fußboden der Halle kann im Zuschauerbereich mit Podien treppenförmig gestaltet werden (Abb. 1.51 rechts). Als Fußboden einer Mehrzweckhalle muss er auch mit 1,5-t-Gabelstaplern befahren werden können, daher war ein 40 mm starker Buchensperrholzbelag mit entsprechender Unterkonstruktion für die Aufnahme einer 22 kN Radlast vorzusehen. Abb. 1.52 zeigt drei Beispiele der Raumgestaltung. Universell nutzbare Veranstaltungshallen Große Mehrzweckhallen sind in Abb. 1.53 (Sportpalast Madrid) und Abb. 1.54 (Arena Rockódromo Madrid) dargestellt. Sie können für Sportveranstaltungen, aber auch für Musikveranstaltungen und Theateraufführungen genutzt werden. Die Halle in Abb. 1.53 hat ein Fassungsvermögen von 15.000 Besuchern.

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen

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Abb. 1.52: Congress Center Frankfurt. Drei Beispiele der Raumgestaltung. Bildnachweis: Messe Frankfurt.

Abb. 1.53: Sportpalast Madrid. Bild links: Nutzung als Konzertsaal, Bild rechts: andere Nutzungen. Foto: Waagner-Biró.

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Abb. 1.54: Arena Rockódromo Madrid – Tennisnutzung. Foto: Waagner-Biró.

Die Halle in Abb. 1.54 bietet bis zu 10.000 Zuschauern Platz. Die Tribünenanlage ist auf drei Niveaus angeordnet, modular aufgebaut und die einzelnen Tribünen können teleskopartig aus- oder eingefahren werden. Bezüglich der Tribünenanlagen beider Mehrzweckhallen wird auf Kap. 1.7.4 verwiesen. Als weiteres interessantes Beispiel ist das Koninklijk Theater Carré Amsterdam anzuführen, das sowohl die Nutzung als Theater als auch als Zirkus ermöglichen soll. Der Boden wurde mit sechs Hubpodien ausgestattet, die drei Saalkonfigurationen ermöglichen, Zirkus mit tief gesetzter Manege, Theater mit erhöhter Bühnenfläche und eine ebene Saalfläche für allgemeine Nutzung. Auf dem Saalpodium ist eine neigbare Kippplattform gleicher Größe aufgesetzt. In abgesenkter tiefster Stellung ist das Saalpodium für den Zirkusbetrieb mit 2000 kg/m2 belastbar, in anderen Hubstellungen mit den üblichen 500 kg/m2 . Bei Theaterbetrieb wird das Saalpodium um 60 cm hochgefahren und mit der Kippplattform ein Bühnenfall gebildet. Das Saalpodium ist mit einem hufeisenförmigen Streifenpodium von 90 cm Breite umgeben, das ebenfalls mit einer aufgesetzten Kippplattform versehen ist und mit dem ein Gang variabler Höhenlage gebildet werden kann. Auf der anderen Seite befinden sich ein großes und drei kleine Orchesterpodien. Alle Podien sind mit „Spiralift“-Antrieben (siehe Kap. 1.7.1) versehen, die Kippplattformen mit Spindelantrieb. Abb. 1.55 zeigt ein Modell der Podienanlage und ein Foto vom Werkszusammenbau der hebbaren Kernscheibe. Im Folgenden wird noch eine 2011 fertiggestellte Multifunktionshalle „Reyno de Navarra“ in Pamplona in Spanien beschrieben. Sie soll als Zirkus, als Konzert-

1.6 Gestaltung von Mehrzweckräumen und Mehrzweckhallen

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Abb. 1.55: Koninklijk Theater Carrè Amsterdam. Links: Modell, rechts: Werkszusammenbau. Bildnachweis: SBS.

oder Theatersaal oder als Spielfeld für Sportveranstaltungen genutzt werden können (siehe Abb. 1.56, Abb. 1.57, Abb. 1.58 und Abb. 1.59).

Abb. 1.56: Reyno de Navarra-Pamplona, Spanien. Nutzungsvarianten der beispielhaft dargestellt. Bildnachweis: Waagner Biró. Links oben.: Sportsaal größter Ausdehnung, rechts oben: Hauptsaal mit allen Tribünen, unten: Hauptsaal mit Bühne, Tribünen und Saalbestuhlung.

Die Halle kann bis zu 12.000 Zuschauern Platz bieten. Aus drei Seitenwandbereichen können Zuschauertribünen ausgefahren werden. Als Besonderheit kann durch eine Podienkonstruktion auch eine Trennung in einen großen und kleinen Veranstaltungsraum vorgenommen werden. Diese Podienkonstruktion besteht aus 4 Primärpodien

56 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.57: Hauptsaal als Sportsplatz zu Abb. 1.58.

Abb. 1.58: Nutzungsvarianten der Reyno de Navarra beispielhaft dargestellt. Foto: Waagner Biró.

1.7 Technische Einrichtungen der Unterbühne | 57

Abb. 1.59: Schematische Darstellung der Primär- und Sekundärpodien und deren eingebaute Tribünen. Bildnachweis: Waagner Biró.

mit je 11 m × 14 m (insgesamt 44 m × 14 m) ausgeführt als Doppelstockpodien, die innerhalb der ausfahrbare Tribünen eingebaut sind und Richtung Hauptsaal oder Richtung Nebensaal ausgefahren werden können. Darin sind aber auch 4 Sekundärpodien untergebracht, die hochgefahren werden können, dann um eine vertikale Achse geschwenkt werden können und aus denen ebenfalls Tribünen ausgefahren werden können, die dann je nach Schwenkstellung für den Hauptraum oder den Nebenraum zur Verfügung stehen. Die Primärpodien können am oberen Gedeck mit 1000 kg/m2 belastet werden und können auf eine Höhe von 5,3 m über Saalniveau angehoben werden. Die Sekundärpodien können um etwa die gleiche Höhe über die Primärpodien angehoben werden. Werden Primärpodien nur auf 1 m oder 2 m hochgefahren, so können sie als Bühnenfläche für Theateraufführungen dienen. Die Sitze auf den Tribünen können motorisch hochgeklappt oder abgelegt werden. In Abb. 1.56 und Abb. 1.58 sind beispielhaft verschiedene Nutzungsvarianten dargestellt: Abb. 1.59 zeigt schematisch die Primärpodien mit beidseitig ausgefahrenen Tribünen, und darüber die schwenkbare Sekundärpodieneinheit mit nach links geneigter Tribüne. Bezüglich ausfahrbarer Tribünen und Saalbestuhlung wird auf Kap. 1.7.4 verwiesen.

1.7 Technische Einrichtungen der Unterbühne Der Begriff Unterbühne wurde bereits im Kapitel „Raumkonzepte“ erläutert. Spieltechnisch ist das Vorhandensein einer Unterbühne äußerst wichtig, auch wenn darin keine technischen Einrichtungen besonderer Art vorhanden sind. Denn mit einer unter-

58 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien halb des Bühnenniveaus liegenden Ebene werden Auftritte von unten bzw. Abgänge nach unten durch Öffnungen im Bühnenboden ermöglicht. In diesem Abschnitt werden technische Einrichtungen behandelt, deren Einbaulage sich im Wesentlichen auf oder unter Bühnenniveau befindet, das sind Hubpodien (Versenkungen), Bühnenwagen und Drehbühnen. 1.7.1 Hubpodien Übersicht – Klassifikation von Hubpodien Gliederung nach dem Verwendungszweck: – Spielpodium – Ausgleichspodium – Orchesterpodium – Tisch-, Personenversenkung – Prospekthubpodium. Gliederung nach der Zahl der Ebenen: – einfaches Podium – Doppelstockpodium mit festem Abstand der Gedecke – Doppelstockpodium mit variablem Abstand der Gedecke (Sonderform: Schleppboden) – Primärpodium mit aufgesetzten Sekundärpodien. Gliederung nach der Lage des Antriebes: – Antrieb ortsfest – Antrieb fährt mit dem Podium mit → Kletterpodium. Antriebsvarianten hinsichtlich Konstruktionsweise: – Seilwindwerk – Kettentrieb (mit Zug- oder Druckkette) – Zahnstangentrieb – Spindeltrieb – Hydrozylinder – Keiltrieb. Antriebsvarianten hinsichtlich Energiebereitstellung: – elektromechanisch – hydraulisch. Führung des Podiums: – in Gleitführungen (oder Rollenführungen) – mit Scheren.

1.7 Technische Einrichtungen der Unterbühne | 59

Nähere Beschreibung von Podien für verschiedene Verwendungszwecke Bühnenpodien – allgemein Bühnenpodien sind Podien, die im Bereich der Hauptbühne eingebaut und normalerweise bezüglich der angewandten Technik so konzipiert sind, dass sie auch szenisch eingesetzt werden können (siehe Kap. 1.3 und 1.4). Sie erstrecken sich meist mit rechteckiger Grundrissfläche über die gesamte Bühnenbreite und sind in Bühnenlängsachse hintereinander angeordnet (siehe z. B. Abb. 1.7 und Abb. 1.14). Die Podienfläche kann nicht verstellbar in horizontaler Lage oder mit geneigter Bühnenfläche (Bühnenfall) (siehe Abb. 1.79 und Abb. 1.255) gebaut sein. Die obere Spielfläche von Bühnenpodien kann aber auch neigbar ausgeführt werden, indem die Podienspielfläche um eine parallel zum Proszenium orientierte horizontale Achse gekippt werden kann. Durch Neigen aller Podien um den gleichen Winkel und Verfahren der Hubpodien in entsprechende Höhenpositionen ist damit statt einer horizontalen Bühnenebene ein Bühnenfall nach Abb. 1.60 herstellbar. Früher wurde oft mit derart schrägem Bühnenboden mit ca. 1,5 bis 5 cm Anstieg pro Meter Bühnentiefe, d. h. mit einer Neigung der Bühnenebene von 1,5 bis 5 % bzw. mit ca. 1 ° bis 3 °, gespielt. Dadurch ergeben sich für die Zuschauer im Parkett bessere Sichtbedingungen, es kann dadurch aber auch die perspektivische Wirkung im Bühnenbild verstärkt werden (s. Kap. 1.1). Ein Podium mit neigbarem Gedeck ist auch in Abb. 1.61 (Wiener Raimundtheater) dargestellt.

Abb. 1.60: Neigbare Podien. Bühnenfall gebildet aus mehreren Podien in der Oper Zürich. Foto: MAN.

60 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.61: Neigbare Podien. Einzelpodium im Wiener Raimundtheater. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.62 zeigt eine Spezialkonstruktion für ein neigbares Gedeck. Durch die besondere Gelenkkinematik wird erreicht, dass die Podienkanten bei der Kippbewegung innerhalb der Grundrissabmessungen (bei horizontaler Lage) bleiben. Neigbare Podien mit Rechtecksfläche sind meist um Achslagen in Podien-Längsrichtung kippbar. Bei Podien von etwa quadratischer Form, insbesondere bei Schachbrettbühnen (siehe später), wird oft auch die Möglichkeit geboten, die Spielfläche nach beliebigen Richtungen zu neigen. Dann kann die aus mehreren Podien gebildete Bühnenfläche in beliebiger Raumlage geneigt werden. Bühnenpodien – Doppelstockpodium mit fixem Abstand zwischen oberer und unterer Ebene Hubpodien im Hauptbühnenbereich werden vielfach als sogenannteDoppelstockpodien ausgeführt, d. h. sie bieten zwei begehbare Niveaus. Bei Vorhandensein einer tiefen Unterbühnengrube, wie dies bei großen Podienbühnen der Fall ist, wäre bei auf Bühnenniveau hochgefahrenem einfachem Podium unterhalb der Podiumsfläche ein Leerraum großer Höhenerstreckung gegeben, sodass Auftritte von unten durch Öffnungen auf der Podienspielfläche nicht möglich wären. Ein Doppelstockpodium mit einer unterhalb der Normalspielfläche angeordneten zweiten Ebene bietet in idealer Weise eine Auftrittsmöglichkeit von unten. Üblicherweise haben die beiden begehbaren Niveaus einen Abstand von etwa 2,5–3,5 m. Auf diesem unteren Podiumniveau können dann z. B. auch verfahrbare Personenversenkungen flexibel eingesetzt werden. Abbildung 1.63 zeigt das Doppelstockpodium

1.7 Technische Einrichtungen der Unterbühne

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Abb. 1.62: Neigbares Gedeck – Patent Waagner-Biró. 1: Plattform des Sekundärpodiums, 2: Neigemechanismus, 3: geführter Hubrahmen, 4: Führungen des Hubrahmens, 5: Spindelhubelement mit drehender Spindel, 6: Stütze, 7: Stahlkonstruktion des Primärpodiums, 8: Antriebsmotor. Bildnachweis: Waagner-Biró.

Abb. 1.63: Doppelstockpodium der Oper Graz. Foto: Waagner-Biró.

62 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien in der Drehbühne der Oper Graz in jener Höhenstellung, bei der die untere Podiumsebene mit der Bühnenebene übereinstimmt. Sollen doppelstöckige Podien im Sinne eines Versenkbühnensystems nach Abb. 1.11a eingesetzt werden, muss der Abstand zwischen den beiden Podienflächen natürlich sehr groß sein. In Abb. 1.13 sind Hubpodien der Hamburgischen Staatsoper mit einem Niveauunterschied der beiden Stockwerke von 10 m zu sehen. Da für ein auf der unteren Spielfläche aufgebautes Bühnenbild Hubzüge der Oberbühne nicht eingesetzt werden können, sind unterhalb der oberen Podienspielfläche Prospektzüge montiert. Bühnenpodien – Doppelstockpodien mit unterer Ebene als Schleppboden Ist die Grube im Fahrbereich eines Podiums nicht ausreichend tief, sodass ein Doppelstockpodium nicht weit genug abgesenkt werden könnte, so kann das Podium eventuell mit einem Schleppboden gebaut werden. Ein Schleppboden bietet bei hochgefahrenem Podium ebenfalls eine zweite begehbare Fläche. Wird das Podium jedoch gänzlich abgesenkt, so setzt sich der Schleppboden am Fundament ab. Die obere Spielfläche kann dadurch – allerdings bei Verringerung des Abstandes der beiden Podienflächen – weiter nach unten gefahren werden. In diesem Fall müssen spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, damit sich bei diesem Betriebsfall niemand auf dem Schleppboden befindet und durch die Reduktion der freien Höhe gefährdet wird. In Abb. 1.64 sind die Schlepppodien im Opernhaus Valencia (Spanien) dargestellt. In der oberen Stellung ist der Schleppboden ausgefahren und die Sekundärpodien sind hochgefahren, in der unteren Stellung ist der Schleppboden in der Unterbühne abgesetzt und die Sekundärpodien sind eingefahren. Auch die Orchesterpodien I und II in Abb. 1.28 im Opernhaus Zürich sind mit Schleppböden ausgeführt. Bühnenpodien – Doppelstockpodium als Primärpodium mit relativ dazu verfahrbaren aufgesetzten Sekundärpodien Mehr Gestaltungsmöglichkeit mit Hilfe der Podien kann erreicht werden, indem Doppelstockpodien so gestaltet werden, dass die untere Ebene – das Primärpodium – die Bühnenbreite einnimmt, die obere Ebene aber in etwa quadratische Sekundärpodien unterteilt wird, die relativ zum Primärpodium unabhängig in der Höhenlage verstellt werden können. Als Beispiele dienen die Oper Genua (Abb. 1.65), die Oper Oslo (Abb. 1.66) und das Opern- und Balletttheater Vilnius (Abb. 1.68). Die Primär- und Sekundärpodien im Opernhaus Oslo sind als Schnittbild in Abb. 1.66 dargestellt. Die vier Hauptpodien haben eine Größe von 16 m × 4 m und werden an 8 Seilen hängend mit 2 hydraulischen Winden verfahren (siehe Abb. 1.67). Der Einsatz eines hydraulischen Antriebes wurde gewählt, um auch bei Stromausfall ein Heben der Podien über die Druckspeicheranlage zu ermöglichen. Der maximale Hub beträgt 12,5 m, die maximale Geschwindigkeit 0,7 m/s. Obwohl die Podien in Seilen hängen und dies

1.7 Technische Einrichtungen der Unterbühne

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Abb. 1.64: Doppelstockpodium mit Schleppboden im Opernhaus Valencia (Spanien). Bildnachweis: Waagner-Biró.

Abb. 1.65: Primär- und Sekundärpodien – Oper Genua (Unterflaschen der verschiebbaren Punktzüge, Gerüst eines Beleuchtungszuges). Foto: Waagner-Biró.

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Abb. 1.66: Primär- und Sekundärpodien in der Oper Oslo. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

wegen der Elastizität der Seile normalerweise Bolzenverriegelungen bedingt, wurde in diesem Fall eine andere Lösung gewählt: Während der Podienfahrt werden etwaige Höhendifferenzen auf Grund unterschiedlicher Seildehnungen durch ein Feinregelsystem ausgeglichen, indem an jeder Podienkurzseite ein Umlenkrollensatz über einen Hydraulikzylinder solange verfahren wird, bis das Podium wieder in der Waage steht. Sobald die Podienfahrt unterbrochen wird, fallen Reibungsbremsen an den Umlenkrollen ein und blockieren die Seile. Dadurch wird deren wirksame Länge entscheidend verkürzt und die Systemsteifigkeit ausreichend erhöht. Die Sekundärpodien der Größe 4 m × 4 m werden in je vier rollengeführten hochpräzisen Hubstützen geführt. Innerhalb der Stützen befinden sich Hydrozylinder, die derart verfahren werden können, dass auch Schrägstellungen ermöglicht werden. Der maximale Hub beträgt 2,5 m, die maximale Hubgeschwindigkeit 0,3 m/s.

1.7 Technische Einrichtungen der Unterbühne

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Abb. 1.67: Oper Oslo – Antrieb der Primärpodien. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Im Litauischen Nationalen Opern- und Balletttheater Vilnius wurde eine Podienbühne mit 5 Primärpodien (17,4 m × 3,0 m) und je 3 Sekundärpodien (5,75 m × 2,98 m) je Primärpodium eingebaut. Die Anordnung ist in Abb. 1.68 zu sehen. Die Primärpodien können von Kote 0,0 m auf −2,9 m abgesenkt werden, die Sekundärpodien stehen in tiefster Stellung 0,665 m und in höchster Stellung 3,215 m über den Primärpodien. Der Hubantrieb erfolgt über Seiltrommelwinden. Die Winden für die Primärpodien sind am Boden der Unterbühne in 8,0 m Tiefe aufgestellt, die Winden für die Sekundärpodien befinden sich auf den Primärpodien und fungieren neben dem Hubantrieb auch als Kippantrieb mit der Möglichkeit, eine Schräge nach beiden Seiten zu bilden. Die Primärpodien werden mit maximal 0,1 m/s, die Sekundärpodien mit 0,2 m/s verfahren. Bühnenpodien – Doppelstockpodium mit relativ zur oberen Ebene verfahrbarer Ebene In der Oper Kopenhagen sind 4 Doppelstockpodien mit den Maßen 16 m × 4 m eingebaut. Die Grundstruktur des Podiums mit der oberen Ebene kann von +5 m auf −5 m (Hub 10 m) verfahren werden, die untere Ebene gegenüber der oberen Ebene von −5 m auf −2,9 m (Verfahrweg 2,1 m). Der Podienantrieb besteht aus zwei Seilwinden je Podien-Schmalseite, welche elektronisch synchronisiert sind, die untere Ebene wird mit hängenden Spindeln bewegt. Die Podien sind in Abb. 1.69 zu sehen. Außerdem ist in der Darstellung rechts ein Prospekthubpodium mit den Maßen 22 m × 2 m abgebildet, das mittels Spiralift um 7,5 m angehoben werden kann.

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Abb. 1.68: Podienbühne im Litauischen Nationalen Opern- und Balletttheater Vilnius. Bildnachweis: SBS.

Bühnenpodien – Doppelstockpodien mit verfahrbarer oberer und unterer Ebene Doppelstockpodien in spezieller Bauweise sind im neuen Musiktheater Linz eingebaut: Die drei Stück Bühnenpodien befinden sich in der großen Transportdrehbühne gegenüber der Spieldrehbühne und sind in der Grundstellung auf Bühnenebene eingesenkt (siehe Kap. 1.4 und Abb. 1.22). Die Doppelstockpodien können bis maximal 3,95 m hochgefahren werden, so dass die untere Ebene Teil des Bühnenbodens ist. Wenn ein Bühnenwagen genau über einem Bühnenpodium steht, kann das Primärpodium um die Bühnenwagenhöhe von 0,2 m abgesenkt werden, damit die Bühnenwagenoberfläche auf gleicher Höhe ±0,00 wie der angrenzende Bühnenboden steht. Jedes Bühnenpodium besteht als Doppelstockpodium aus einem Primär- und Sekun-

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Abb. 1.69: Oper Kopenhagen Bühnenpodien. Bildnachweis: Waagner-Biró.

därpodium. Im Primärpodium ist außerdem ein Ausgleichspodium eingebaut. Mögliche Podienstellungen sind der Abb. 1.70 und Abb. 1.71 zu entnehmen. Das Primärpodium besteht aus einer U-förmigen Stahlkonstruktion mit geschweißten Hauptträgern an der Basis und sogenannten Türmen, an denen die Führungs-

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Abb. 1.70: Doppelstockpodien im Musiktheater Linz – Schnitt quer zur Bühne. (a) Primärpodium in tiefster Stellung, Sekundärpodium mit aufgesetztem Bühnenwagen in oberster Stellung, Ausgleichspodium angehoben, (b) Primärpodium und Sekundärpodium in tiefster Stellung, Ausgleichspodium abgesenkt, (c) Primärpodium und Sekundärpodium in oberster Stellung, Ausgleichspodium angehoben. Bildnachweis: Waagner-Biró.

schienen für Hubrahmen befestigt sind. Es hat die Abmessung 15 m × 4 m und eine Bauhöhe von ca. 5,6 m, der gesamte Hub beträgt 4,15 m. Jedes Primärpodium hängt in vier 6-strängigen Seilflaschenzügen und wird von zwei in der Transportscheibe situ-

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Abb. 1.71: Doppelstockpodien im Musiktheater Linz. Schnitt längs der Bühne und Foto. Bildnachweis: Waagner-Biró.

ierten Seilwinden mit je zwei Seilen bewegt. Die maximale Hubgeschwindigkeit beträgt 0,3 m/s. Die beiden Antriebswinden sind elektronisch synchronisiert. Das Podium kann in 7 Hubpositionen verriegelt werden. Für das im Primärpodium verfahrbare Sekundärpodium musste aus Platzgründen eine ungewöhnliche Lösung gefunden werden. Das Sekundärpodium ist ein über Spindeln neigbares Gedeck (max. 10 % Steigung), das auf sogenannten Hubrahmen sitzt. Der Neigemechanismus im Hubrahmen ist so ausgeführt, dass der Drehpunkt an der Vorderkante des Holzbelages liegt und das hintere Ende mit den Spindelhubelementen gehoben wird. Die beiden Hubrahmen werden mit 4 Stück Flaschenzügen je 4-strängig (untereinander elektronisch synchronisiert) vertikal bewegt. Da diese Seilwinden aus Platzgründen in der Transportdrehbühne integriert sind, müssen beim

70 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Bewegen des Primärpodiums und verriegeltem Sekundärpodium die dazugehörige Windenantrieb gelüftet werden; sie werden mit einem geringen Drehmoment „beaufschlagt“, so dass die Antriebsseile des Sekundärpodiums leicht gespannt bleiben. Das Sekundärpodium kann damit innerhalb des Primärpodiums relativ zum Primärpodium 3,95 m mit einer maximalen Hubgeschwindigkeit von 0,6 m/s verfahren werden. Für das Sekundärpodium gibt es nur eine Riegelstellungen in der oberen Endlage und einen fixen Anschlag unten, wenn der Hubrahmen am Primärpodium aufsitzt. Wenn das Primärpodium gehoben wird, ist gleichzeitig das Sekundärpodium verriegelt und wenn das Sekundärpodium bewegt wird, ist das Primärpodium verriegelt. Eine gleichzeitige Bewegung von Primär- und Sekundärpodium ist nicht vorgesehen. Die untere begehbare aber in der Höhe verstellbare Ebene des Primärpodiums (12 m × 4 m) ist als Ausgleichpodium ausgebildet, um trotz geringer Tiefe der Unterbühnen bei verschiedenen Positionen des Primär- und Sekundärpodiums ebene Flächen zu ermöglichen. Der Hub dieses Podiums zum Niveauausgleich erfolgt ohne Nutzlast und beträgt 0,71 m und wird mit am Primärpodium befestigten horizontal liegende Spindeln mit Schubstangen bewerkstelligt. In der obersten Stellung stehen die Schubstangen senkrecht (siehe Abb. 1.70a, c). Um die gesamte vom Doppelstockpodium eingenommene Bühnenfläche neigen zu können, sind seitlich vom als Sekundärpodium bezeichneten neigbaren Gedeck auch noch neigbare Flächen oberhalb der Türme des Primärpodiums angeordnet. Im mittleren Bereich der Sekundärpodien sind sieben Versenkklappen angeordnet, um Auftritte von unten zu ermöglichen. Generell auf Bühnenebene und daher auch in den Sekundärpodien sind Führungsschienen im Holzbelag integriert, so dass Bühnenwagen in Längs- und Querrichtungen geführt werden können. Für die Berliner Oper „Unter den Linden“ wurde dieses Podienkonzept weiterentwickelt. Es handelt sich um ein Doppelstockpodium, bei dem die beiden begehbaren Ebenen unterschiedlich distanziert werden können. Dies erfolgt durch drei bewegliche Konstruktionselemente, die von zwei in der Unterbühne situierten Seilwindengruppen (je Gruppe jeweils links und rechts von der Schmalseite des Podiums) verfahren werden können (siehe Abb. 1.72). Das Podium besteht aus der oberen und unteren Plattform und seitlichen Hubstützen, in denen die beiden Plattformen geführt verfahren werden können, sowie aus zwei in die Unterbühnenkonstruktion integrierten ortsfesten seitlichen Riegelstützen zur Führung der ebenfalls verfahrbaren Hubstützen. Die eine Windengruppe – der Hauptantrieb (Plattformantrieb) – bewegt je nach Bedarf entweder die Hubstützen mit darin verriegelter oberer Plattform oder bei ortsfest in den Riegelstützen verriegelten Hubstützen nur die obere Plattform. Die Hubseile werden zu diesem Zweck von der Seiltrommel zum oberen Ende der Riegelstütze, dann über Umlenkrollen zum unteren Ende und dann zum oberen Ende der Hubstützen geführt und an der oberen Plattform befestigt.

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Abb. 1.72: Oper „Unter den Linden“ – Berlin. Doppelstock-Hubpodien bestehend aus Hubstützen, obere Plattform (Plattform) und untere Plattform (Schleppboden) geführt in Riegelstützen, darunter: Extremstellungen. Bildnachweis: Waagner-Biró.

72 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Die zweite Windengruppe – der Nebenantrieb (Schleppbodenantrieb) – dient der Bewegung der unteren Plattform. Die Hubseile werden ebenfalls durch die Riegel- und Hubstützen geführt und sind an der unteren Plattform befestigt. Sind Hubstützen und obere Plattform miteinander gekoppelt und die Hubstützen in den Riegelstützen frei verfahrbar, so bewirkt ein Aufwickeln der Seile auf der Trommel ein Anheben der Podien mit den Hubstützen bis in die oberste „Positivstellung“ 8,67 m. Die untere Plattform wird durch gleichzeitiges Aufwickeln der Seile am Nebenantrieb mitbewegt, bei schnellerem Wickeln auch relativ zur oberen Plattform angehoben. Selbstverständlich kann die untere Plattform auch bei ruhender oberer Plattform innerhalb der Hubstützen bewegt werden. Sind die Hubstützen mit den Riegelstützen gekoppelt, also ortsfest, so ermöglicht ein Abwickeln der Seile an den Trommeln des Hauptantriebes ein Absenken der oberen Plattform innerhalb der Hubstützen als „Negativhub“ bis zu einer maximalen Tiefe der oberen Plattform auf Niveau −9,5 m. Die untere Plattform kann auch noch etwas weiter nach unten abgesenkt werden, um bei gänzlich abgesenkter oberer Plattform eine Ebene in der Unterbühne zu ermöglichen. In Abb. 1.72 sind Extremstellungen der Podien bildlich dargestellt. Selbstverständlich sind viele Zwischenstellungen möglich u. a. eine geringfügig abgesenkte Stellung der oberen Plattform auf Niveau −0,33 m, um den Drehscheibenwagen auf Niveau 0,00 einzusenken. Diese speziellen Podien sind als Podium 1,2 und 3 in der Hauptbühne eingebaut und haben eine Größe von je 15 m × 3 m. Die obere Plattform allein kann mit 0,5 m/s verfahren werden, gemeinsam mit den Hubstützen mit 0,3 m/s, die untere Plattform ebenfalls mit 0,3 m/s. Bühnenpodien – Podien in Schachbrettanordnung mit einem Gedeck bzw. in Doppelstockanordnung Noch größere Flexibilität bieten Podien, die im Grundriss nicht Rechtecke in Bühnenbreite, sondern im Schachbrettmuster angeordnete Quadrate oder Rechtecke sind. Als Beispiele für eine Schachbrettbühne seien zunächst die Semperoper in Dresden (Abb. 1.73, 1.74 und 1.75) und das kleine Wiener Theater Akzent (Abb. 1.76) erwähnt. Bei letztgenanntem umfassen die Schachbrettpodien nicht nur die Bühnenfläche, sondern auch den vorderen Teil des Zuschauerraumes. Dies hatte in brandschutztechnischer Hinsicht aufwendige Maßnahmen im Bereich des Eisernen Vorhanges zur Folge. Ein eindrucksvolles Beispiel einer Schachbrettbühne wurde auch im Nationaltheater Budapest realisiert (s. Abb. 1.77). Als Führung dient ein mittig angeordnetes Rohrteleskop, das einen Gesamthub von ca. 5 m erlaubt. Das innere Rohr wird mit Hilfe von zwei Biflex-Zahnketten als platzsparender „Omega-Antrieb“ bewegt. Der Antrieb ist am äußeren Rohr befestigt (s. Abb. 1.78).

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Abb. 1.73: Semperoper Dresden – Querschnitt und Grundriss. Bildnachweis: BTR 4/1979.

Unter „Biflex-Zahnketten“ sind nach beide Seiten verzahnte flexible Ketten zu verstehen, die mit s-förmiger Umschlingung einen Antrieb beliebig vieler Wellen ermöglichen. Die Bezeichnung Omega-Antrieb wurde vom Hersteller gewählt, da die Form der Kettenführung dem Buchstaben Omega entspricht.

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Abb. 1.74: Semperoper Dresden – Längsschnitt. Bildnachweis: BTR 4/1979.

Abb. 1.75: Schachbrettpodien – Semperoper Dresden. Foto: SBS.

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Abb. 1.76: Schachbrettpodien im Theater Akzent in Wien – Podien in verschiedenen Hubstellungen auf der Bühne und im Zuschauerraum. Fotos: Waagner-Biró.

Abb. 1.77: Schachbrettpodien Im Nationaltheater Budapest. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Abb. 1.78: Führung und Antrieb der Schachbrettpodien im Nationaltheater Budapest. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

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Abb. 1.79: Bolschoi Filialtheater – Bühnenpodien. Grundriss und Bühnenlängsschnitt, Foto. Bildnachweis: Waagner-Biró.

Als weiteres Beispiel für eine Schachbrettbühne sei das Filialtheater des BolschoiTheaters in Moskau erwähnt. Die Bühne besteht aus 20 Podien der Größe 3 m × 3 m mit einer Bühnenschräge von 4 %. Jedes Podium wird mit 4 Spindeln und einem zentralen Motor angetrieben. Ein Längsschnitt der gesamten Bühne ist in Abb. 1.255 zu sehen. Ein geringer Hub dient nur dazu den Ballettwagen auf Bühnenniveau absenken zu können. Bühnenpodien eingebaut in einer Zylinderdrehbühne Bühnenpodien können aber auch in großen Drehbühnen eingebaut sein. Als Beispiel sei die mit vier Hubpodien ausgestattete Zylinderdrehbühne des Wiener Burgtheaters (Abb. 1.15, 1.16) genannt. Abb. 1.80 zeigt eine historische Aufnahme einer großen Zylinderdrehbühne mit Podien in Schachbrettanordnung im Werkszusammenbau für das Nationaltheater Belgrad. Im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses wurde, wie in Abb. 1.81 ersichtlich, eine Zylinderdrehbühne eingebaut, in der vier rechteckige Doppelstockpodien (Podien 5–8) und ein Kreissegmentpodium (Podium 4) vorhanden sind. Dazu entsprechend befindet sich auf der Zuschauerseite davor ein passend geformtes Podium (Podium 3). Die vier Podien 5–8 sind mit Seilwinden angetrieben und in zwei Richtungen schrägstellbar, das Kreissegmentpodium sowie die beiden Orchesterpodien (Podium 1 und 2) werden mit Zahnstangenantrieben verfahren.

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Abb. 1.80: Nationaltheater Belgrad. Drehbühne mit Schachbrettpodien Historische Aufnahme. Bildnachweis: Waagner-Biró.

Abb. 1.81: Schauspielhaus Düsseldorf. Bildnachweis: SBS.

78 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Sonderkonstruktionen, wie z. B. im Smetana Theater in Prag (Abb. 1.82), ermöglichen es, die gesamte Kreisfläche des Bühnenbodens mit den Podien zu erfassen.

Abb. 1.82: Smetana Theater in Prag. Zylinderdrehbühne (die Podien umfassen die gesamte Kreisfläche). Bildnachweis: Waagner-Biró.

Im National Grand Theatre Beijing – Drama Theatre (Abb. 1.83) ist eine große Zylinderdrehbühne mit 16 m Durchmesser und einer Höhe von 18,4 m eingebaut. In ihr befinden sich 13 quadratische Schachbrettpodien (2,5 m × 2,5 m) und 2 rechteckige

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Abb. 1.83: National Grand Theatre Beijing – Drama Theatre. Bildnachweis: Konsortium Bosch Rexroth – SBS Bühnentechnik GmbH.

Podien (12,5 m × 2,5 m und 7,5 m × 2,5 m). Die Podien werden mit Hydrozylindern verfahren. Neben der externen Druckstation mit Fluidleitungen durch die Drehdurchführung sind auch Druckspeicher für maximal zwei Kompletthübe in der Drehbühne untergebracht (siehe Abb. 1.151). Ausgleichspodien Ausgleichspodien sind Podien mit nur sehr geringem Hubweg, die zum Ausgleich von Niveauunterschieden dienen, wie sie beim Verfahren von Bühnenwagen aufgrund deren Bauhöhe benötigt werden, da der Bühnenwagen an seinem ursprünglichen Standort eine Fläche niedrigeren Niveaus zurücklässt. In Abb. 1.73 (Semperoper Dresden) sind Ausgleichspodien in den Seitenbühnen und in der Hinterbühne, aber auch an den Seiten der Hauptbühne zu sehen. Orchesterpodien Orchesterpodien sind Podien im Bereich des Orchesters und passen sich in ihrer Grundrissform ein- oder mehrteilig der Grundrissfläche des Orchestergrabens an. Abbildung 1.84 zeigt am Beispiel des Aalto-Theaters in Essen deutlich die Konturen der Orchesterpodien, die zur Bildung einer großen Vorbühnenfläche hochgefahren sind. In Abb. 1.260 sind die Orchesterpodien des Großen Festspielhauses in Salzburg zu sehen.

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Abb. 1.84: Bühne des Aalto-Theaters Essen. Podienflächen am Bühnenboden deutlich sichtbar. Foto: Krupp.

In Opernhäusern gibt es für große Orchesterbesetzung Orchestergräben im Ausmaß von 150 bis 160 m2 , ja sogar bis zu 180 m2 (z. B. Muziektheater Amsterdam). Mit Hilfe dieser Orchesterpodien kann der Vorbühnenbereich flexibel gestaltet werden. Je nach Anzahl der abgesenkten Podien kann die Größe des Orchesterraumes variiert werden. Sind Orchesterpodien auf das Niveau des Zuschauerraumes verfahren, so kann dieser Bereich mit Sitzreihen versehen werden. Werden Orchesterpodien auf Bühnenniveau hochgefahren, so kann die Spielfläche der Hauptbühne in den Zuschauerraum hinein als Vorbühne vergrößert werden. Dadurch kann das Spielgeschehen auch vor das Proszenium in den Zuschauerraum hinein verlagert werden. Im Opernhaus Zürich (Abb. 1.28) ist außer zwei Orchesterpodien noch ein sogenanntes Parkettpodium mit Gestühlwagen eingebaut. Tisch- und Personenversenkungen Zur Gruppe der Hubpodien zählen auch Tafelelemente im Bühnenboden der Hauptbühne, die vor allem zum Verschwinden- oder Erscheinenlassen von Personen oder Gegenständen dienen und je nach Größe Tischversenkungen bzw. Personenversenkungen genannt werden. Abb. 1.85 zeigt verfahrbare Tischversenkungen, wie sie im Opernhaus Hannover eingebaut sind, als Scherenhubtische mit Fahrschachtverkleidung und elektrischer und hydraulischer Anspeisung über Energieketten. Eine weitere Tischversenkung ist in Abb. 1.86 abgebildet. Kleine Versenkungen, mit denen vor allem Darsteller transportiert werden, bezeichnet man als Personenversenkungen. In den Abb. 1.87, Abb. 1.88 und 1.89 ist eine ortsvariabel einsetzbare Personenversenkungen dargestellt, wie sie im Musiktheater Linz eingebaut wurde. Sie können auf einem begehbaren Bühnenniveau unterhalb

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Abb. 1.85: Verfahrbare Tischversenkung. 1: Fahrantrieb, 2: Fahrschachtwand, 3: Zylinderbetätigung der Fahrschachtwand, 4: Hubtisch, 5: Zylinderantrieb des Scherenhubtisches, 6: Energiekette. Bildnachweis: Bosch Rexroth. Foto: R. Budde.

Abb. 1.86: Verfahrbare Tischversenkung. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Abb. 1.87: Funktionsschema der Personenversenkung.

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Abb. 1.88: Personenversenkung im Musiktheater Linz. Bildnachweis: Waagner-Biró.

der Bühnenfläche in verschiedene Einsatzpositionen verfahren werden. Deren Funktionsweise ist in Abb. 1.87 ersichtlich. Basis ist eine auf schwenkbaren Rädern stehende Stahlkonstruktion, auf der ein Windwerk für Stahlbänder situiert ist. Die PrimärPlattform kann in Gleitführungen gehoben bzw. gesenkt werden, indem Stahlbändern mit diesem Windwerk bobinenartig auf- bzw. abgewickelt werden.

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Abb. 1.89: Personenversenkung im Musiktheater Linz. Bildnachweis: Waagner-Biró.

Auf der Primärplattform sitzt auf einer Welle einerseits eine bewickelte Seiltrommel, die bei diesem Hubvorgang in Drehbewegung versetzt wird, da das Seilende am Grundrahmen befestigt ist. Auf der gleichen Welle sitzt das Antriebszahnrad für eine Serapid-Schubkette, die ihrerseits die Sekundär-Plattform bewegt. Die Sekundärplattform wird durch eine Doppelschere geführt. Durch diese Kombination der beiden Hubbewegungen ist es möglich, dass die Person durch die Podienkonstruktion (durch das Gedeck) bis auf Bühnenniveau angehoben werden kann. Die Basiseinheit hat eine Höhe von ca. 2,7 m und bietet um die Person Schutzwände aus Plexiglas, oberhalb kann ein steckbarer Fahrschacht aufgesetzt werden. Es gibt auch in der Podienkonstruktion hängend montierte verfahrbare Personenversenkeinrichtungen, wie sie in Abb. 1.90 zu sehen sind. In Abb. 1.91 ist ein von Teco-Bühnentechnik Wiesbaden (nunmehr Bosch Rexroth) entwickeltes Versenkungssystem dargestellt, das im Grand Theatre de Luxembourg eingebaut wurde. Es ist multifunktional einsetzbar, da auch mehrere Personenversenkungen mit und ohne Zwischenbrücken zu größeren Podienflächen kombiniert werden können und ein sogenannter „Tandem-“ oder „Triplett-Betrieb“ ermöglicht wird. Mit einer Einzelversenkung kann ein Flächenelement von 1 m × 1 m bewegt werden. Im Triplett-Betrieb ist mit drei Versenkungen unter zusätzlichem Einbau von 2 × 3 Aluminium-Zwischenbrücken zwischen den Einzelversenkungen eine Gesamtfläche von 1 m × 9 m herstellbar. Grundsätzlich kann jede Personenversenkung einzeln ange-

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Abb. 1.90: Verfahrbare Personenversenkung. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Abb. 1.91: Zwei Personenversenkung gekoppelt mit Zwischenbrücke. Grand Theatre de la Ville de Luxembourg. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

steuert werden, im geschilderten Kombinationsbetrieb werden sie selbstverständlich im Synchronbetrieb verfahren und bilden eine Tischversenkung. Um eine ortsvariable Tisch- oder Personenversenkung hochfahren zu können, muss ein flächengleiches Element des Bühnenbodens entfernt werden. Dies kann mit herausnehmbaren Kassettenelementen erfolgen oder mit sogenannten „Versenkschiebern“. Damit ist ein Bühnenbodenelement gemeint, das mit Hilfe eines Hebelsystems abgesenkt und in unterhalb des Bühnenbodens befestigten horizontalen Führungsschienen seitlich verfahren werden kann. Ist die Öffnung so lang, dass der Versenkschieber in der Längsrichtung keinen ausreichenden Platz findet, so kann es erforderlich sein, Schieberelemente übereinander anzuordnen. Abbildung 1.92 zeigt im Podium eingebaute Versenkschieber, bei denen das zu öffnende Bodenelement unterhalb des Bühnenbodens magaziniert wird.

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Abb. 1.92: Versenkschieber. Bildnachweis: SBS.

Prospekthubpodien Speziell ausgebildete Hubpodien auf der Bühne können aber auch als Lager für Prospektrollen dienen, wie dies bereits in Kap. 1.5 mit Hinweis auf Abb. 1.24 und Abb. 1.25 erläutert wurde. Abbildung 1.93 zeigt ein derartiges Prospekthubpodium mit hydraulischem Zylinderantrieb und Synchronisationswelle. (Der Begriff “Synchronisationswelle“ wird mit Abb. 1.118 näher erklärt.)

Abb. 1.93: Prospekthubpodium. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Prospekthubpodien sind auch in Abb. 1.255 zu sehen, in der das Filialtheater des Bolschoi Theaters in Moskau im Längsschnitt abgebildet ist.

86 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Ein besonders komplexes Unterbühnensystem ist im Nationalen Akademischen Großen Opern- und Balletttheater der Republik Weißrussland in Minsk (Abb. 1.94) installiert, das wegen der Vielzahl an Prospekthubpodien hier Erwähnung finden soll:

Abb. 1.94: Unterbühne im Nationalen Akademisches Großen Opern- und Balletttheater Minsk. Bildnachweis: SBS.

Hinter dem Proszenium sind in 4 Reihen 20 Doppelstockpodien in Schachbrettanordnung mit einer Fläche von je 3,2 m mal 3,0 m untergebracht, dahinter befindet sich in der 5. Reihe ein 16 m mal 3 m großes Hubpodium und in der 6.bis 8. Reihe als Hinterbühnenpodium drei Prospekthubpodien 25 m mal 0,9 m mit je 8 Regalflächen.

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In der Hinterbühne kann in einem Doppelstockpodium der Größe 17,2 m × 15,1 m ein Drehscheibenwagen mit Kern- und Ringscheibe (Durchmesser 12,0 m bzw. 14,5 m) und ein Ballettwagen magaziniert werden. Sämtliche Podien werden hydraulisch betrieben. Wie aus Abb. 1.94 ersichtlich, ist ein fester Bühnenfall von 4 % Steigung vorgesehen, die Gedecke der Schachbrettpodien können aber ±6,5 ° geneigt werden. Bauarten von Podienantrieben Für die technische Realisierung der Verfahrbarkeit von Podien bieten sich zahlreiche Möglichkeiten. Die Auswahl der antriebstechnischen Varianten hat sich an den baulichen Randbedingungen, dem Verwendungszweck der Podien und natürlich an den finanziellen Rahmenbedingungen zu orientieren. Allgemeines Der Beschreibung einzelner Antriebsvarianten seien folgende grundsätzliche Überlegungen vorangestellt: – Meistens werden im Falle rotierender Antriebe Elektromotoren verwendet. Auch der Einsatz von Hydromotoren ist möglich. Es sei darauf hingewiesen, dass auch für hubbewegte Podien aus Sicherheitsgründen zwei unabhängig wirkende Bremsen eingesetzt werden müssen oder ein Element mit Selbsthemmung aus der Bewegung (siehe Kap. 5.1). – Sieht man von kleinen Hubpodien ab, müssen sehr große Eigenmassen und Nutzlasten bewegt werden. Daher ist es in vielen Fällen zweckmäßig, zur Verringerung der Antriebsleistung die Hublasten teilweise durch Gegengewichte auszugleichen. Dies macht vor allem bei Antrieben mit Elektro- oder Hydromotor Sinn. Hat das Podium ein Eigengewicht von E [kN] und beträgt die maximale Nutzlast Q [kN], so ergibt sich die geringste erforderliche Hubleistung, wenn man das Gegengewicht G = E + Q/2 wählt, wie dies auch im Aufzugsbau üblich ist. In diesem Fall ist bei leerem Podium und bei mit maximaler Nutzlast beladenem Podium jeweils nur ein Gewicht von Q/2 zu heben, da bei leerem Podium das Gegengewicht um Q/2 schwerer ist und voll beladenem Podium das Podium um Q/2 schwerer ist. Bei Antrieben mit einfachwirkenden Hydraulikzylindern (Plungerzylindern) muss das Eigengewicht des Podiums das Absenken ermöglichen und es wird daher i. A. auf Gegengewichte verzichtet. (Es sei auch auf den Text zu Abb. 1.95 verwiesen.) Es ist natürlich auch möglich, die Kraftwirkung eines Gegengewichtes durch die eines Hydraulikzylinders zu ersetzen – Es gibt Lösungen, bei denen der Antrieb ortsfest installiert ist, und Lösungen, bei denen der Antrieb mit dem Podium mitfährt (Kletterantrieb). Sollen Bühnenpodien szenisch eingesetzt werden, darf von der Antriebseinheit keine störende Schallemission ausgehen. Bei solchen Antrieben ist es daher i. A. günstiger, deren Anordnung im Keller der Unterbühne vorzusehen, da ein mitfahrender An-

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Abb. 1.95: Podienantrieb mit Seilwindwerk. (a) Mit Seil und Gegenseil (Gegengewicht größer als Eigengewicht des Podiums), (b) ohne Gegenseil (Gegengewicht gleicht Eigengewicht des Podiums nur teilweise aus).

trieb bei hochgefahrenem Podium der Spielfläche sehr nahe kommt. Aufwendige Maßnahmen zur Schalldämmung sind dann oft unvermeidbar, wobei damit zwar Luftschalldämmung möglich ist, störende Körperschallweiterleitungen aber meist nur sehr schwer unterbunden werden können. Dimensionierung von Podien Da Podien Teil der Bühnenfläche sind, müssen sie im nicht bewegten Zustand – gegebenenfalls in verriegeltem Zustand – genauso belastet werden können wie der feste Bühnenboden, das sind im Regelfall 500 kg/m2 . Da sich bei großen Podienflächen damit sehr hohe Gesamtlasten ergeben, ist es üblich beim Verfahren der Podien kleinere Gesamtlasten zur Dimensionierung des Hubantriebes anzusetzen. Mindestwerte sind den einschlägigen Normen zu entnehmen. In diesem Sinn wird bei Podien in der Branche zwischen „statischen“ und „dynamischen Lasten“ unterschieden – exakter wäre die Bezeichnung „ruhende“ und „bewegte Last“, da man in der Mechanik mit „dynamischen“ Lasten aus Beschleunigungsvorgängen wirkende Massenkräfte bezeichnet. Verriegelungen von Podien Wie oben erwähnt kann der Hubantrieb auch für geringere Lasten ausgelegt sein, als für die Ruhestellung berücksichtigt werden muss. Somit müssen Podien in mehreren Höhenstellungen verriegelt sein, wenn die Tragmittel zwar die für die Hubbewegung erforderlichen Lasten mit geforderter Sicherheit tragen, in Ruhestellung aber größere Lasten aufgenommen werden müssen bzw. vorgeschrieben sind. Hängen Podien in elastischen Tragmitteln, wie z. B. Seilen oder Ketten, sind Verriegelungen aber auch erforderlich, da sich auf Grund deren Elastizität die Höhenlage bei Änderung der Lastverhältnisse ebenfalls ändern würde und das Podium unter rasch veränderlichen Lasten (Ballett etc.) auch sehr leicht zu Schwingungen

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angeregt werden könnte. Auch bei Antrieb mit Hydrozylindern sind Verriegelungen vorzusehen, da auch Hydraulikflüssigkeit infolge der Kompressibilität elastisch ist (s. Kap. 3.8). Als Alternative zu formschlüssig wirkenden Riegeln, bei denen nur bestimmte Betriebsstellungen angefahren werden können, werden eventuell auch über Reibschluss wirkende Klemmelemente (Hydrozylinder mit Klemmkopf, Abb. 2.14d) eingesetzt. Werden Podien von Stahlbauteilen getragen, deren Elastizität vernachlässigbar ist (Gewindespindeln, Zahnstangen, spezielle Druckketten…) kann auf Verriegelungen verzichtet werden. Antrieb mit Seilen (s. auch Kap. 4.1) Bei einem Podium mit Seiltrieb hängt das Podium an Seilen, je nach Größe der Podien bzw. der Eigengewichts- und Nutzlastmasse eventuell auch mehrsträngig in Flaschenzügen. Im Keller der Unterbühne steht eine Seilwinde zum Heben bzw. Senken des Podiums. Durch mechanisches Kuppeln der Antriebe mehrerer Podien oder mit moderner Regelungstechnik kann deren synchrones Verfahren erzielt werden. Bezüglich der Art der Seilführung gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Hier werden nur zwei Varianten beschrieben: Eine Bauform ist in Abb. 1.95a dargestellt. Um die schweren Massen mit ausreichend großer Geschwindigkeit, aber trotzdem mit kleinen Antriebsleistungen bewegen zu können, wird die Hublast, wie bereits erläutert und in der Bühnentechnik oft üblich, teilweise durch Gegengewichte ausgeglichen. In Abb. 1.95a sind die Gegengewichte in den Hubseilsträngen eingebunden, sie können aber auch an extra Seilen hängen. Wählt man die Gegengewichtsmassen in der Größe der Eigenmasse plus der halben Nutzlastmasse, so wird, je nach Größe der Nutzlast, die Podien- oder Gegengewichtslast überwiegen und die resultierende Hublast – wie bereits beschrieben – höchstens der halben Nutzlast entsprechen (siehe auch Kap. 3.6.3). Die Seiltrommeln haben nach oben ziehende Hub- und nach unten ziehende Gegenseile aufzunehmen, wobei beim Aufwickeln des einen Seils das entsprechende Gegenseil abgewickelt wird. Wird das Gegengewicht so gewählt, dass immer die Podienmasse überwiegt, kann das Gegenseil entfallen, wie dies in Abb. 1.95b gezeigt wird. Außerdem ist in diesem Beispiel der Verfahrweg des Gegengewichts durch die Flaschenzugübersetzung halbiert, was Gegengewichte mit doppeltem Gewicht zur Folge hat. Bei kleinen Podien kann natürlich auf Gegengewichte verzichtet werden. Da Seilpodien in ihrer Verwendungslage i. A. mechanisch verriegelt sind, ist die Hubwerkssteuerung der Winden so konzipiert, dass diese Verriegelungsbolzen jeweils mit ausreichendem Spiel in eine Lochleiste eingefahren werden können und erst anschließend das Absetzen des Podiums auf die Verriegelungsbolzen erfolgt. Ebenso muss zum Entriegeln das Podium leicht angehoben werden.

90 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Die Seiltrommeln zum Auf- bzw. Abwickeln der Seile werden meist von Elektromotoren angetrieben. Natürlich ist auch der Einsatz von Hydromotoren möglich, wie dies z. B. bei den in der Zylinderdrehbühne des Residenztheaters München eingebauten Podien der Fall ist. Abbildung 1.96 zeigt die Anordnung in einer Zeichnung der Seilwindwerke, Abb. 1.97 eine Fotografie. Diese Anlage hat aber noch eine Besonderheit: Da sich die Druckzentrale mit den Pumpen wegen des zu hohen Lärmpegels und aus Platzgründen außerhalb des Bühnenbereichs befindet, muss die Versorgung der Podien auf der Drehbühne mit Druckflüssigkeit teilweise über eine hydraulische Drehdurchführung erfolgen. Allerdings wird ein Großteil des momentanen Flüssigkeitsbedarfs bei Arbeitsbewegungen aus Kolbenspeichern entnommen, die sich gemeinsam mit den Stickstoffflaschen auf der Drehbühne befinden, sodass eine hydraulische Drehdurchführung mit geringer Nennweite ausreicht. Eine analoge Lösung wurde für die Zylinderdrehbühne im National Grand Theater Beijing (Abb. 1.83 und Abb. 1.151) gewählt. Zum Gleichlauf mehrerer Podien wurden deren Seiltrommeln in früheren Zeiten mechanisch gekuppelt; heute bevorzugt man elektronische Gleichlaufregelung. Ein an Seilen hängendes Podium kann auch dadurch verfahren werden, dass die Seile nicht mit Seilwinden, sondern mit Hilfe eines Hydraulikzylinders gezogen werden, wie dies in Abb. 1.98 dargestellt ist und z. B. für Bühnenpodien im Festspielhaus Bayreuth und für Tischversenkungen im Staatstheater Kassel gebaut wurde. Antrieb mit Ketten (s. auch Kap. 4.2) In diesem Fall hängen die Podien nicht in Seilen, sondern in Ketten, je nach Lastgröße in Einfach- oder Mehrfachketten. Diese Ketten werden über Kettenräder angetrieben – Kettentrieb. Auch bei dieser Lösung wird man bestrebt sein, die Eigen- bzw. Nutzlastmassen durch Gegengewichtsmassen möglichst auszugleichen. In Abb. 1.99 sieht man den elektrischen Kettenantrieb und die an einem Kettenende hängenden Gegengewichte im Tiroler Landestheater. In Abb. 1.100 ist das Antriebskonzept für die in der Drehbühne des Wiener Raimundtheaters eingebauten Hubpodien dargestellt. Die Antriebskettenräder sind knapp unterhalb des Bühnenniveaus seitlich der Podien angeordnet. An einem Kettenende hängt das Podium, am anderen Kettenende das Gegengewicht. Die vier Antriebskettenräder eines Podiums werden über Gelenkwellenstränge mit Verteilergetrieben mechanisch synchronisiert von einer im Keller der Unterbühne montierten Einheit angetrieben. Solche Podien können, wie dieses Beispiel zeigt, auch vorteilhaft in Drehbühnen eingebaut werden. Die Gelenkwellen sollten einerseits mit nicht zu hoher Drehzahl laufen, um Geräusche und störende Schwingungserregungen auszuschließen (s. Kap. 3.10 und 4.5), andererseits sollten die zu übertragenden Drehmomente nicht zu groß sein, um teure und schwere Gelenkwellen zu vermeiden. Es ist daher

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Abb. 1.96: Podienantrieb mit Seilwindwerken in der Drehbühne des Residenztheaters München. a: Schema der Drehbühne, Seiltrieb der Podien, hydrostatischer Windenantrieb, b: Grundriss der Drehbühne, 1: Antriebe der Podien, 2: Antriebe der Tischversenkungen, 3: Kolbenspeicher, 4: Stickstoffspeicher, 5: hydraulische Drehdurchführung, c: elektrische und hydraulische Anspeisung der Drehbühne mit elektrischem Schleifringkörper und hydraulischer Drehdurchführung – Antrieb der Drehbühne, Zentrallagerung mit einer Kugeldrehverbindung. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

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Abb. 1.97: Podienantriebe mit Seilwindwerken in der Drehbühne des Residenztheaters München. Foto: Bayerischer BühnenBau, Bosch Rexroth.

Abb. 1.98: An Seilen hängende Podien mit Zylinderantrieb. Links: Bühnenpodien im Festspielhaus Bayreuth, Bildnachweis: Bosch Rexroth, Teco; rechts: Tischversenkungen im Staatstheater Kassel, Bildnachweis: Bosch Rexroth, MAN-GHH.

günstig, einen Teil der Übersetzung zwischen Motor und Kettenrad im Getriebe beim Antriebsmotor unterzubringen, den Rest bei den Verteilergetrieben zu den Kettenrädern. In Abb. 1.101 sind die Hubpodien der Oper Genua zu sehen und die schweren Rollenketten deutlich zu erkennen.

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Abb. 1.99: Podienantrieb mit Ketten im Tiroler Landestheater, Innsbruck. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.100: Podienantrieb mit Ketten im Wiener Raimundtheater Schemazeichnung. Bildnachweis: Waagner Biró.

Bei Verwendung eines Kettentriebes sollte auch beachtet werden, dass infolge des sogenannten Polygoneffektes (s. Kap. 4.2.2) bei Antrieb der Kettenräder mit konstanter Winkelgeschwindigkeit Schwankungen in der Translationsbewegung der Podien entstehen – also Schwingungen in Kettenlängsrichtung, aber die Kette wird auch zu Querschwingungen angeregt. Diese Ungleichförmigkeit wirkt sich umso stärker aus, je geringer die Zähnezahl der Kettenräder ist. Bei großen Hublasten ist aber die Verwendung schwerer Ketten mit relativ großer Teilung erforderlich, sodass sich aus Platzgründen sehr wohl die Notwendigkeit ergeben kann, relativ kleine Zähnezahlen

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Abb. 1.101: Podienantrieb mit Ketten in der Oper Genua – Primärpodien in verschiedenen Höhenstellungen, Sekundärpodien alle in tiefster Stellung. Foto: Waagner-Biró.

zu wählen. Allerdings wirkt sich bei im Bühnenbetrieb üblichen Arbeitsgeschwindigkeiten dieser Polygoneffekt kaum störend aus. In Sonderfällen, wenn z. B. geometrisch bedingt zusätzlich zu den Antriebsrädern auch Umlenkrädern vorgesehen werden müssen, können sich deren Polygoneffekte aufgrund ungünstiger Lagezuordnung der beiden Kettenräder durch Überlagerung verstärkt auswirken. Hier kann es vorteilhaft sein, die Umlenkung der Rollenketten statt über ein rotierendes Kettenrad als Umlenkkettenrad über ein stehendes Kreissegment, an dem die Kette abrollt, vorzunehmen, wie dies in Genua geschehen ist. Bei den bisher gezeigten Lösungen sind die Ketten als Zugelemente belastet. Sogenannte Schubketten – wie sie seit einigen Jahren erhältlich sind – können aber auch Druckkräfte aufnehmen und bieten daher weitere konstruktive Lösungen. (Solche Schubketten eignen sich auch für den Antrieb von Bühnenwagen – s. Kap. 1.7.2). Die Serapid-Schubkette wird in Kap. 4.2 näher beschrieben. In Abb. 1.102 sind als Beispiel für den Einsatz von Serapid-Schubketten für den Podienantrieb Kettentriebe in der BMW-Welt in München dargestellt. Schubketten können auch für Scherenhubpodien als Alternative zu Hydrozylindern, Spindeltrieben oder Spiralift, eingesetzt werden (siehe „Scherenhubpodien“ in diesem Kapitel). Zahnstangenantrieb – Zahnradantrieb (s. auch Kap. 4.4) Bei Verwendung von Zahnstangen sind prinzipiell zwei Möglichkeiten gegeben: – Antrieb mit hubbewegter Zahnstange: Am Boden, unterhalb des Podienverfahrweges, ist eine Antriebseinheit installiert. Über Verteilergetriebe und Gelenkwellenstränge werden ortsfeste Zahnräder angetrieben, die in vertikal verfahrbaren

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Abb. 1.102: BMW-Welt München. Bildnachweis: Waagner-Biró.





am Podium befestigten Zahnstangen eingreifen. Somit ergibt sich das Erfordernis, die Zahnstangen in der Länge des Gesamthubes in Brunnen unterhalb des Kellerniveaus einfahren zu lassen. Abbildung 1.103 zeigt die Podienantriebe der Oper Zürich und im Graf Zeppelinhaus Friedrichshafen. Als Alternative zur Zahnstange mit Evolventenverzahnung ist die Verwendung von Triebstöcken (siehe Kap. 4.4.1), wie z. B. im Theater der Stadt Essen (Abb. 1.104), möglich. An dieser Stelle sei auch eine im Theater Ludwigsburg ausgeführte Sonderlösung eines Antriebs mit hubbewegtem Triebstock erwähnt (Abb. 1.105). Zur Verringerung der Antriebsleistung werden die Podien von Luftfedern gestützt. In der tiefsten Stellung ist die Luft auf ca. 10 bar komprimiert. Kletterantrieb: Bei der zweiten Variante (Abb. 1.106 – Mozarteum Salzburg) sind die Zahnstangen in der Bühne ortsfest eingebaut und angetriebene Kletterritzel

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Abb. 1.103: Podienantrieb mit hubbewegten Zahnstangen. Links: Podienanlage Oper Zürich, rechts: Detail Evolventenverzahnung, Graf Zeppelinhaus Friedrichshafen. Fotos: MAN.

Abb. 1.104: Podienantrieb mit hubbewegtem Triebstock im Theater der Stadt Essen. Foto: Krupp.

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Abb. 1.105: Podienantrieb mit hubbewegten Zahnstangen. Sonderlösung mit pneumatischer Hublastreduktion. Bildnachweis: Bayerischer BühnenBau.

samt Antriebseinheit fahren mit dem Podium mit. Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass eine derartige Bauweise in schalltechnischer Hinsicht sehr ungünstig ist. Wenn dies von den Einsatzbedingungen her keine Rolle spielt, kann dies aber eine sehr wirtschaftliche Lösung sein. Spindelantrieb (s. auch Kap. 4.3) Wie beim Zahnstangenantrieb für Podien ergeben sich auch beim Spindelantrieb die Ausführungsvarianten mit hubbewegter oder ortsfester Spindel. Darüber hinaus bietet sich aber noch die Alternative, die Spindel oder die Mutter anzutreiben. Für einen Podienantrieb resultieren daraus die in Abb. 1.107 schematisch dargestellten üblichen Möglichkeiten: – Bei der in Abb. 1.107b dargestellten Variante ist am Boden des Verfahrraumes das Antriebssystem ortsfest installiert; über Verteilergetriebe und Gelenkwellen werden die Muttern der Spindeln angetrieben. In diesem Fall müssen Brunnen vorhanden sein, in welche die an den Podien befestigten Spindeln beim Absenken des Podiums einfahren können. Es rotieren also die Muttern, die Spindeln führen nur eine Translationsbewegung aus. – Alternativ hierzu können aber auch die Spindeln ähnlich den Zahnstangen ortsfest und nicht drehbar montiert sein. Die gesamte Antriebseinheit für die Drehbewegung der Muttern hat sich dann auf dem Hubpodium zu befinden. In diesem Fall ist ein Kletterantrieb (Abb. 1.107c) gegeben.

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Abb. 1.106: Kletterantrieb über Zahnstangen – Mozarteum Salzburg. Foto: Waagner-Biró.



Als dritte Variante ergibt sich bei Spindelantrieben auch die Möglichkeit, zwar wie bei der ersten Variante am Boden ortsfest ein Antriebssystem zu installieren, aber nicht die Spindelmuttern, sondern die Spindeln in Drehung zu versetzen. Die Muttern sind dann gegen Verdrehen gesichert in die Podienkonstruktion eingebunden und werden mit dem Podium durch die Spindelrotation auf- oder abbewegt (s. Abb. 1.107a). Eine konkrete Ausführung ist in Abb. 1.108 zu sehen.

In Abb. 1.107 sind die Spindeln am Fundament abgestützt und übernehmen die Podienlasten als Druckkraft. Prinzipiell können die Spindeln auch oben hängend gelagert sein und werden dann auf Zug belastet. Da die Spindeln in diesem Fall nicht im tieferliegenden Fundament der Unterbühne, sondern im Bereich des Bühnenbodens verankert sind, ist diese Anordnung auch hinsichtlich der Körperschallweiterleitung allerdings ungünstiger.

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Abb. 1.107: Podienantrieb mit Hubspindeln – Schemazeichnung. (a) Antrieb ortsfest, drehende Spindel, hubbewegte Mutter, (b) Antrieb ortsfest, drehende Mutter, hubbewegte Spindel, (c) Antrieb mitfahrend, drehende Mutter, feststehende Spindel. 1: Podium, 2: Spindel, 3: Mutter, 4: Spindelhubelement, 5: Führungsschiene.

Abb. 1.108: Podienantrieb mit Hubspindeln – Musikhochschule Hamburg. Foto: MAN.

Hängende Spindeln sind z. B. zur Bewegung des unteren Gedecks bei den Doppelstockpodien in der Oper Kopenhagen eingesetzt (siehe Abb. 1.69).

100 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Antriebe mit Gleitspindeln stellen sehr einfache wirtschaftliche Lösungen dar. Normale Gleitspindelantriebe können bei Anwendung eines entsprechend niedrigen Steigungswinkels selbsthemmend ausgeführt werden. Das heißt, dass noch so große Lasten auf der Podienfläche keine Senkbewegung des Podiums zur Folge haben können, auch wenn keine Bremse am Antrieb zur Wirkung kommt (s. Kap. 4.3). Selbsthemmung bedeutet aber auch Inkaufnahme hoher Verlustleistungen, und je größer die Verluste sind, umso mehr Energie wird in Wärme umgewandelt. Hohe Fahrgeschwindigkeiten sind daher aus thermischen Gründen nicht möglich und die Einschaltdauer darf nur kurz sein. Außerdem können Spindelantriebe bei hohen Drehzahlen bei der Senkbewegung relativ laut werden. Daher beschränkt sich deren Verwendung meist auf für szenischen Einsatz nicht vorgesehene Podien, also vor allem auf Orchesteroder Ausgleichspodien. Hohe Verlustleistungen können durch Einsatz mehrgängiger Spindeln mit großer Steigung vermieden werden, allerdings fällt dann der eben beschriebene Effekt der Selbsthemmung weg. Als Alternative zu den eben beschriebenen Gleitspindelantrieben, bei denen die Axialkräfte zwischen Spindel und Mutter über Gleitflächen übertragen werden, können auch Kugel-oder Planetenspindeln, wie z. B. im Theater Tampere in Finnland eingesetzt werden (Abb. 1.109). Bei Kugelspindeln dienen Kugeln – ähnlich den Kugeln in einem Wälzlager – als Übertragungselemente zwischen Spindel und Mutter, bei Planetenspindeln stützt sich die Zentralspindel auf planetenartig rotierenden, in der Mutter eingebauten Spindeln ab (siehe Abb. 4.20). Mit diesen Bauelementen können hohe Hubgeschwindigkeiten bei geringer thermischer Belastung realisiert werden, der Effekt der Selbsthemmung ist allerdings wegen des hohen Wirkungsgrades auszuschließen. Mit Wälzspindeln sind z. B. auch die in Abb. 1.255 zu sehenden Prospekthubpodien angetrieben. Verriegelungen sind bei Spindelantrieben aus verformungs- und schwingungstechnischen Erwägungen nicht erforderlich. Bei Spindeltrieben, die in der Bewegung nicht selbsthemmend sind, muss der Antrieb mit zwei unabhängig wirkenden Bremsen ausgerüstet sein. Selbstverständlich kann es auch bei einem Podienantrieb mit Planetenspindeln sinnvoll sein, zur Reduktion der Belastung der Planetenspindel und der Antriebsleistung Gegengewichte vorzusehen. Falls dies aus Platzgründen nicht möglich ist, kann mit einem hydraulischen Gegengewichtsersatz gearbeitet werden, wie dies z. B. in der königlichen Oper Stockholm geschehen ist. Abbildung 1.110 zeigt schematisch das Prinzip der Anlage. In diesem Fall werden 90 % des Podien-Eigengewichtes ausgeglichen. Faltspindeltrieb Ein bereits vielfach eingesetztes Maschinenelement stellt der sogenannte Spiralift dar. Dabei handelt es sich um eine Faltspindel, bei der die Spindel als Rohr aus einem horizontalen und vertikalen Stahlband gebildet wird. Beide Bänder sind im zusam-

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Abb. 1.109: Podienantrieb mit Planetenspindeln. Links: Vertikalspindeln für Sekundärpodien, Theater Tampere – Finnland. Fotos: SKF Multitec GmbH (D-Dreieichen-Sprendlingen).

Abb. 1.110: Schema des hydraulischen Gewichtsausgleiches in der Oper Stockholm. Bildnachweis: Novoscen, Rexroth.

mengeschobenen Zustand in Paketen magaziniert und werden beim Hubvorgang miteinander formschlüssig verbunden und schraubenförmig zu aufgebaut. Aufgrund des relativ großen Durchmessers kann die so gebildete Spindel Druckkräfte aufnehmen. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass eine ausreichende Druckkraft in jeder Betriebssituation erhalten bleibt, um den Zusammenhalt des aus Blechstreifen gebildeten sicherzustellen; der Formschluss der in Nuten der Horizontalbänder einrastenden Vertikalbänder ginge sonst verloren. Das Prinzip einer Faltspindel ist in Abb. 1.111 und

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Abb. 1.111: Funktionsweise einer Faltspindel. 1: Band D, 2: Band D kombiniert mit Band E, 3: Detail der Fügenut zur Lagefixierung von E in D, A: rotierender Speicherzylinder für Stahlband D, angetrieben über G—H, B: Wälzlager, C: Führungstragrollen, D: horizontales Führungsstahlband zum Aufbau der Faltspindel, E: vertikales Stahlband zur Spindelbildung, F: drehbarer Tragring zur Speicherung des Stahlbandes E, G: Antriebsritzel, H: Antriebsrad, I: Fügebereich von Band D und E. Bildnachweis: Waagner-Biró, Paco Corporation.

Abb. 1.112 dargestellt. Abbildung 1.113 zeigt die Einbausituation im Festspielhaus Freiburg, Abb. 1.114 im Multifunktionssaal des Stavanger Konserthus, in dem im Orchestergraben drei Hubpodien mit Spirallift-Antrieb zur Bildung eines Orchestergrabens oder Erweiterung des Zuschauerparketts vorhanden sind. Neuerdings bietet Gala auch als neue Reihe das System I-Lock an. Bei diesem werden die beiden Stahlbänder gegenseitig mechanisch verriegelt, indem das Vertikalband mit einer Lochreihe und das Horizontalband mit einer in die Lochreihe passenden Verzahnung ausgestattet ist. Dadurch wird ein kompaktes Rohr gebildet. Mit Keilen angetriebene Podien Podien mit sehr kleinem Hub, wie dies bei Ausgleichspodien der Fall sein kann, können auch mit einfachen Keilgetrieben verfahren werden, indem mechanisch gekoppelte Keile verschoben werden. In den Kammerspielen Paderborn ist ein Ausgleichspodium mit einer Fläche von 9 m × 7,5 m mit einem Hub von 334 mm als Keilzugpodium ausgeführt. Wie in Abb. 1.115

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Abb. 1.112: Faltspindeln „neuer Generation“. Bildnachweis: Gala Theatrical Equipment.

Abb. 1.113: Podienantrieb mit Faltspindeln. Festspielhaus Freiburg. Bildnachweis: Waagner-Biró.

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Abb. 1.114: Stavanger Konserthus – Orchesterpodien. Bildnachweis: Waagner-Biró.

ersichtlich werden Keilwägen mit Rollen in schiefe Ebenen an Podium und Unterboden mit 4 Antriebsmotoren über Spindelantriebe ein- bzw. ausgeschoben. Mit Hydraulikzylindern angetriebene geführte Podien (siehe Kap. 2.3) Hydrozylinder können große Kraftwirkungen ausüben und die Hydraulikflüssigkeit wird aus Druckspeichern entnommen. Auf den Einbau von Gegengewichten kann daher i. A. verzichtet werden. Außerdem können doppeltwirkende Zylinder vermieden und einfache Plungerzylinder eingesetzt werden, da auch das leere Podium unter Schwerkraftwirkung abgesenkt werden kann. Hydraulikzylinder zur Betätigung von Podien werden schon sehr lange eingesetzt. Ursprünglich diente als Hydraulikmedium Wasser bzw. eine Wasser-Öl-Emulsion, in modernen Anlagen werden normalerweise Hydraulikflüssigkeiten auf Mineralölbasis oder schwer entflammbare Hydraulikflüssigkeiten verwendet. Wird ein Podium mit zwei oder mehreren Hydraulikzylindern angetrieben, so ist rein hydraulisch (also ohne Regelung) i. A. kein ausreichend genauer Synchronlauf der Zylinder erzielbar, es sei denn man arbeitet mit sogenannten Zylinderstromteilern, wie sie im Opernhaus Göteborg für die Orchesterpodien angewandt wurden. In diesem Fall werden die Hubzylinder eines Podiums nicht direkt von der Pumpe bzw. Speicherstation mit Hydraulikflüssigkeit beaufschlagt, sondern jedem Hubzylinder wird die Flüssigkeitsmenge mit einem Dosierzylinder zugeführt. Durch mechanische Koppelung der Dosierzylinder wird deren Gleichgang erzwungen und daher jedem Hubzylinder der gleiche Volumenstrom zugeteilt (s. Abb. 1.116).

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Abb. 1.115: Ausgleichspodium in der Hinterbühne in den Kammerspielen Paderborn ausgeführt als Keilzugpodium im Aufriss: Podium in höchster und tiefster Stellung. Bildnachweis: SBS.

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Abb. 1.116: Zylinderstromteiler für Orchesterpodien – Opernhaus Göteborg. 1: Steuerplatte, 2: Gleichgangzylinder, 3: hydraulisch gesteuerter Absperrhahn, 4: Hubzylinder, 5: Orchesterpodien. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Auch elektronische Regelsysteme mit exakter Wegerfassung und kombiniertem Einsatz von Hydraulik und Elektronik ermöglichen selbstverständlich ebenfalls synchrone Bewegungen mehrerer Hydraulikzylinder ohne mechanische Zusatzsysteme. Auf diese Art wird heutzutage auch der Gleichlauf mehrerer Podien bewerkstelligt. Innerhalb eines Podiums wird jedoch in den meisten Fällen mit einem mechanischen Synchronisationssystem Gleichlauf erzwungen. Während man also die Synchronisation mehrerer Podien untereinander elektronisch regelt, bevorzugt man innerhalb eines Podiums eine mechanische Synchronisation, um auch bei Ausfall des Regelsystems im Notbetrieb ein sicheres Verfahren der Einzelpodien zu ermöglichen. Unterschiedliche Geschwindigkeiten der beiden Zylinder eines Podiums könnten Klemmen in den Führungen oder gar Herausspringen aus den Führungen zur Folge haben. Abb. 1.117(links) erklärt die Funktion einer Seilsynchronisation. Sind mehrere Podien hintereinander angeordnet, so bieten die in Abb. 1.117(rechts) dargestellten Seiltrommeln die Möglichkeit einer mechanischen Synchronisation mehrerer Podien, indem die gewünschten Podien an eine durchgehende Welle gekuppelt werden. Die alte Podienanlage in der Wiener Staatsoper war so konstruiert. Heute synchronisiert man mehrere Podien untereinander mit Hilfe elektronischer Regelungstechnik, indem den gewünschten Podien die entsprechenden Sollwerte vorgegeben werden. Mit Hydrozylindern verfahrbare Hubpodien mit Seilsynchronisation sind z. B. in der Hamburger Staatsoper (s. Abb. 1.13) eingebaut.

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Abb. 1.117: Seilsynchronisation – Schemazeichnung. Links: Seilsynchronisation des Podiums, rechts: mit Seiltrommel zur Synchronisation mit anderen Podien.

Abb. 1.118: Wellensynchronisation. 1: Zahnstangen, 2: Gelenkwellen, 3: Verteilergetriebe.

Wegen der Elastizität der Seile ist einer Wellen-Synchronisation nach Abb. 1.118 der Vorzug zu geben, wie sie in der Wiener Staatsoper nach dem Umbau eingebaut wurden (siehe auch Abb. 1.119). Im Bereich der vier Eckpunkte der Podienrechtecksfläche sind parallel zu den Führungen Zahnstangen angebracht, in denen am Podium montierte und über Gelenkwellen und Verteilergetriebe drehzahlgekoppelte Ritzel eingreifen. Dies bewirkt auch bei asymmetrischen Lastverhältnissen und unabhängig vom Spiel in den Podienführungen ein exakt synchrones Verfahren. Diese Ritzel und Zahnstangen dienen also nicht als Hubantrieb, sondern nur als mechanische Synchronisationseinrichtung. Aus der geometrischen Anlagensituation ergibt sich bei Zylinderantrieben oft die Notwendigkeit, diese in Brunnen einzusetzen. Mit Teleskopzylindern (s. Abb. 2.14b) kann die erforderliche Brunnentiefe reduziert werden oder Brunnen können gänzlich vermieden werden. Teleskopzylinder sind aber sehr teuer und werden nur sehr selten eingesetzt. Abbildung 1.120 zeigt Podien mit Teleskopzylindern. Wegen der Kompressibilität der Hydraulikflüssigkeit ist es auch bei von Hydrozylindern getragenen Podien notwendig, mechanische Verriegelungen wie bei Seilpo-

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Abb. 1.119: Podienantrieb mit Hydraulikzylinder in der Wiener Staatsoper, Synchronisation mit durch Wellen gekoppelte in Zahnstangen eingreifende Ritzel. Foto: Waagner-Biró.

dien vorzusehen. Eine mechanische Fixierung in jeder Hublage ist durch Ausrüstung der Zylinder mit Klemmköpfen zur Fixierung der Kolbenlage durch Reibung möglich (siehe Kap. 2.3.1 und Abb. 2.14d). Scherenhubpodien Allen bisher beschriebenen Podien ist gemeinsam, dass sie, unabhängig von der Antriebsart, für die Vertikalbewegung in Schienen geführt werden müssen. Hinzu kommt je nach gewählter Antriebsart das Erfordernis des Einbaus von Brunnen, der Einbau von relativ platzaufwendigen Winden oder die Anordnung von Gelenkwellensträngen zu mehreren synchron zu betreibenden Antriebselementen.

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Abb. 1.120: Podienantrieb mit Teleskopzylindern. Foto: Bosch Rexroth.

Scherenpodien gemäß Abb. 1.121 (siehe auch Abb. 1.36) kommen mit sehr geringer Bauhöhe in komplett abgesenktem Zustand aus, benötigen keinerlei Vertikalführungen, ermöglichen allerdings geometriebedingt nicht allzu große Hubhöhen, es sei denn, es werden übereinander angeordnete, gekoppelte Doppelscheren gebildet. Werden zwei Scheren auf gleicher Ebene nebeneinander angeordnet, um ein besonders langes Podium abzustützen, so spricht man von Tandem-Scheren. In Abb. 1.122 und Abb. 1.123 sind Fotos von Scherenhubtischen abgebildet, und zwar eine Einfachschere in der Oper Genua und eine Doppelschere in den Kammerspielen Linz. Der Antrieb erfolgt in den meisten Fällen hydraulisch mit einem in die Schere eingebauten Hydraulikzylinder. In Abb. 1.124 ist ein hydraulisch betätigter Scherenhubtisch dargestellt, im Bild rechts die Verriegelung mit Bolzen. Statt einem Hydrozylin-

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Abb. 1.121: Scherenpodium – Schemazeichnung einer Einfachschere. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Abb. 1.122: Scherenhubtisch Orchesterpodium mit Einfachschere. Oper Genua. Foto: Waagner-Biró.

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Abb. 1.123: Scherenhubtisch Orchesterpodium mit Doppelschere. Kammerspiele Linz. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.124: Scherenpodium. Links: Zweifachschere, rechts: Detail der Verriegelung. Fotos: Bayerischer BühnenBau.

112 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien der kann auch ein Gleit- oder Wälzspindeltrieb (siehe Kap. 4.3.2) Verwendung finden. Abbildung 1.125 zeigt ein Scherenhubpodium mit Wälzgewindetrieb im Theater Lahti in Finnland.

Abb. 1.125: Theater Lahti – Finnland. Antrieb eines Scherenhubtisches mit Kugelspindeln. Foto: Kone (Finnland).

Bei Einbau des Antriebselementes in den Scheren sind bei abgesenktem Podium infolge der Kinematik relativ große Hubkräfte erforderlich, die dann im Zuge der Hubbewegung immer kleiner werden. Dies kann man vermeiden, wenn man Faltspindeln oder Druckketten vertikal zwischen Hub- und Basisebene einbaut; dann entspricht der Kraftaufwand während der Hubbewegung konstant der Hublast. Diese Anordnung ist in Abb. 1.126 mit Faltspindeln und in Abb. 1.127, Abb. 1.49 und Abb. 1.50 mit Schubketten (siehe auch Abb. 4.10, Abb. 4.11 und Abb. 4.12) zu sehen. Werden Hydrozylinder verwendet, so müssen bestimmte Hubpositionen verriegelt werden, da selbst bei leckölfreier Absperrung geringfügige Höhenabweichungen bei Temperaturänderung des Öles auftreten. Auch die Kompressibilität der Hydraulikflüssigkeit kann bei Änderung der Belastung zu geringfügigen Lageveränderungen bzw. bei veränderlicher Belastung zu Schwingungen führen (siehe Kap. 3.10). Diese Lagefixierung kann auf verschiedene Art erfolgen: Wie bei Podien mit Hydrozylinderantrieb beschrieben, kommen auch in diesem Fall Klemmköpfe an den Zylindern zur stufenlosen mechanischen Arretierung infrage, sowie Bolzenverriegelungen z. B.

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Abb. 1.126: Scherenhubtisch mit Faltspindelantrieb. Bildnachweis: Gala Theatrical Equipment.

Abb. 1.127: BMW-Welt. Scherenhubtische mit Schubkettenantrieb. Foto: Waagner Biró.

gemäß Abb. 1.124. Eine weitere Möglichkeit besteht z. B. darin, mit den Scheren ein ausfahrbares „Schwert“ mitzubewegen, das sich auf genau justierbaren Anschlägen abstützt, wenn das Schwert bei Erreichen der entsprechenden Position ausgefahren wird. In der Schaubühne Berlin (Abb. 1.35, 1.36) sind im gesamten Bodenbereich Scherenhubtische montiert. Besonders häufig werden Scherenhubtische als Ausgleichs- und Orchesterpodien verwendet. Manchmal werden sie auch als Sekundärpodien auf Primärpodien der Hauptbühne gesetzt, verhindern dann aber eine Durchstiegsmöglichkeit durch Öffnungen in der Podien-Spielfläche oder den Einsatz von verfahrbaren Personenversenkungen.

114 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Scherenhubtische werden in der Fördertechnik sehr häufig verwendet und daher auch standardmäßig angeboten. Für Scherenhubtische im bühnentechnischen Einsatz sind aber spezielle Erfordernisse zu beachten: So sind in der allgemeinen Fördertechnik vielfach weit größere Toleranzen bezüglich der Bewegungsgenauigkeit der Podien zulässig als im Bühneneinsatz, sowohl was die exakte Parallelführung der Podienfläche als auch deren exakte vertikale Bewegung betrifft. Ferner müssen für den Bühnenbetrieb geeignete Scherenpodien in vertikaler und horizontaler Richtung ausreichend steif dimensioniert sein, um im Spielbetrieb nicht zu Schwingungen angeregt zu werden. Auch bei Scherenhubpodien kann es Sinn machen, die Hubleistung zu reduzieren, indem mit einer von einem Elektromotor angetriebenen Planetenspindel und einer mit einem Hydraulikspeicher und Hydrozylinder erzeugten Zusatzkraft gearbeitet wird. Als Beispiel wird auf das Brüsseler Opernhaus La Monnaie verwiesen (Abb. 1.128), dessen Antrieb ähnlich wie bei dem Podienantrieb in der Oper Stockholm (Abb. 1.110) gestaltet ist. An diesen Scherenhubpodien ist aber noch eine weitere Besonderheit erwähnenswert:

Abb. 1.128: Brüsseler Opernhaus La Monnai – Scherenhubtisch. Foto: Waagner Biro.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei Antrieben gemäß Abb. 1.121 bei Heben aus niedrigster Stellung besonders hohe Kräfte erforderlich sind, die mit der Hubhöhe abnehmen. Dies kann – wie bereits erläutert – durch Antriebe gemäß Abb. 1.126 und Abb. 1.127 mit Faltspindeln oder Druckketten vermieden werden.

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Eine andere Möglichkeit dies zu vermeiden besteht darin, gemäß Abb. 1.129 eine Druckrolle auf eine an dem Scherenschenkel, der an einen lagefixierten Drehpunkt verankert ist, befestigte kurvenförmige Kulisse wirken zu lassen. Durch deren Formgebung kann erreicht werden, dass ebenfalls während des gesamten Hubvorganges eine gleichbleibende Kraft erforderlich ist. Damit wird bei konstanter Antriebsgeschwindigkeit auch eine konstante Hubgeschwindigkeit erzielt. Näherungsweise kann diese Kulisse zur Vereinfachung der Fertigung auch kreisförmig gebaut werden, was zu Folge hat, dass die Kraft etwas variiert und bezüglich der Hubgeschwindigkeit regelungstechnisch eingegriffen werden muss. Diese Bauweise eines Antriebs für Scherenhubtische wurde angeblich bereits in früherer Zeit angewandt, hatte sich aber aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht durchgesetzt. Der in Abb. 1.129 nach links und rechts wirkende Doppelantrieb treibt zwei Tandem-Scheren an, wie in Abb. 1.128 zu sehen ist.

Abb. 1.129: Brüsseler Opernhaus La Monnai. Oben: Scherenhubtisch mit Druckrolle und Kulisse, unten: Antriebseinheit des Scherenhubtisches mit Planetenspindeltrieb und Hydrozylinder. Bildnachweis: Waagner Biro, Novoscen.

Bereits am Anfang dieses Kapitels wurde darauf hingewiesen, dass eine wesentliche Eigenschaft von Scherenhubpodien darin besteht, dass sie keine gesonderten Führungen benötigen, da diese Aufgabe ja die Scheren übernehmen. Um allerdings die in der bühnentechnischen Anwendung erforderliche Steifigkeit zu erzielen, müssen die Scheren sehr massiv konstruiert werden. Dies ist vor allem darin begründet,

116 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien dass die Scherenkonstruktion zwar in Scheren-Längsrichtung nicht aber in ScherenQuerrichtung gute Steifigkeitsverhältnisse ergeben. Es kann daher besonders bei größeren Hubhöhen von Vorteil sein, auch in Querrichtung (in Richtung der Schmalseite der Podien) Scheren vorzusehen, wie dies in Abb. 1.130 zu sehen ist. Die Hub- bzw. Senkbewegung erfolgt in diesem Fall mit Druckketten. Es handelt sich im in der Abbildung dargestellten Anwendungsfall um eine Vielzahl von Podien kleiner Fläche, um auf einer Gesamtfläche von 135 m2 eine hohe Flexibilität der Podienlandschaft zu ermöglichen. Der Hubhöhe beträgt 1,3 m.

Abb. 1.130: Scherenhubpodium mit Orthogonal-Scheren im Gewandhaus Leipzig. Links: Podium bei Werkserprobung, rechts: Konzertsaal im Gewandhaus Leipzig. Bildnachweis: SBS.

Neben den bisher beschriebenen Scherenkonstruktionen soll auch noch eine als „Lambda-Schere“ bezeichnete Scheren-Variante erwähnt werden (ihre Bauform entspricht dem griechischen Buchstaben λ). Die in Abb. 1.131 dargestellten Podien wurden im Konzerthaus Berlin zur variablen Gestaltung der Orchesterpodien eingebaut. Die mit vier Faltspindeln ausgestatteten Primärpodien werden in Schienen geführt,

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Abb. 1.131: Podium mit Lambda-Scheren – Konzerthaus Berlin. Links: Sekundärpodium mit LambdaSchere, rechts: Primär- und Sekundärpodien. Bildnachweis: SBS.

die ebenfalls mit vier Faltspindeln ausgestatteten Sekundärpodien werden mit einer Lambda-Schere geführt.

1.7.2 Bühnenwagen Übersicht – Klassifikation von Bühnenwagen Gliederung nach der Orientierung der Fahrbewegung: – Längsfahrer: Fahrt Seitenbühne ↔ Hauptbühne – Querfahrer: Fahrt Hinterbühne ↔ Hauptbühne – Freifahrer: frei verfahrbare Bühnenwägen. Gliederung nach dem Tragsystem: – Vielrolliger Bühnenwagen: wird auf Bühnenboden verfahren Variante: auf Kufen abgestützt, auf Luftkissen verfahrbar – Brückenwagen: fährt wie eine Kranbrücke (ohne Laufkatze) auf seitlichen Kranschienen und überbrückt als „Ausgleichswagen“ eine offene Bühnengrube mit abgesenkten Podien. Gliederung nach der Antriebsart: – Manuell gezogen oder geschoben – mit kraftbetriebenen Antrieb: – mit Seilen gezogen – mit Ketten gezogen oder geschoben

118 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien – –

mit im Boden versenkten Zahnrädern (Zahnstange am Bühnenwagen) oder Reibrädern geschoben Selbstfahrer (Antrieb auf dem Bühnenwagen).

Gliederung der Selbstfahrer hinsichtlich der Konstruktionsweise: – Reibantrieb: – mitfahrende Laufräder werden angetrieben – ortsfeste Stützräder werden angetrieben – mitfahrende Reibräder (mit Feder angepresst) werden angetrieben. – Zahnradantrieb: – Zahnräder am Bühnenwagen, Zahnstangen am Bühnenboden. Gliederung der Selbstfahrer hinsichtlich der Energiebereitstellung: – elektrischer Antrieb mit Kabelanspeisung – elektrischer Antrieb mit Batterien – hydraulischer Antrieb mit Schlauchanspeisung – hydraulischer Antrieb mit Kabelanspeisung und Hydroaggregat im Wagen. Nähere Beschreibung von Bühnenwägen für verschiedene Verwendungszwecke Wie bereits in Kap. 1.4 „Bühnensysteme“ beschrieben, werden beim Schiebebühnensystem Bühnenwagen eingesetzt. Das sind auf Rädern horizontal verfahrbare Plattformen. Je nach Ausrichtung der Räder unterscheidet man bezogen auf die Rechtecksform des Bühnenwagens zwischen Längs- und Querfahrern (Abb. 1.132) für eine Fahrbewegung zwischen Haupt- und Seitenbühne bzw. Haupt- und Hinterbühne. Es gibt auch Bauweisen, bei denen durch Schwenken der Radachsen oder durch alternatives Einsetzen von Längs- oder Querfahrrädern (Anheben bzw. Absenken der entsprechenden Radsätze) das Fahren in beiden Richtungen ermöglicht wird, oder die Wagen sind mit Schwenkrollen ausgerüstet, die ein Verfahren in beliebiger Richtung ermöglichen. Neuerdings werden dazu Schwenkrollensätze – auch „Stage Swivel“ und „Turtels“ genannt – verwendet, die nahezu schwenkfreien Fahrtrichtungswechsel ermöglichen und auch größere Lasten aufnehmen können (siehe Abb. 1.142). Ihre Lauffläche besteht aus Polyethan-Elastomer – z. B. Pevodyn für mittlere und Vulkollan für größere Tragkräfte. Je nach Tragsystem des Bühnenwagens bzw. je nach Anordnung der Laufräder kann ferner zwischen vielrolligen Bühnenwagen (Abb. 1.132) und sogenannten Brückenwagen (Abb. 1.133) unterschieden werden: Seitenbühnenwagen (Längsfahrer) üblicher Bauart nach Abb. 1.132a tragen ihre Eigen- und Nutzlast über eine Vielzahl von Laufrollen auf den darunter befindlichen Bühnenholzboden ab. Die Laufrollen fahren daher bei Podienbühnen im Bereich der Hauptbühne auf der Fläche der Bühnenpodien und auf der Seitenbühne meist

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Abb. 1.132: Bühnenwagen. (a) Schemazeichnung Längsfahrer, (b) Querfahrer (zwei Wagen in mechanisch gekuppeltem Zustand), (c) Spurkranzführung.

auf Ausgleichspodien. Einige Laufrollen haben einen Spurkranz zur formschlüssigen Schienenführung (z. B. gemäß Abb.17/73c).

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Abb. 1.133: Hubpodien und Ausgleichswagen (Brückenwagen) in der Drehbühne des Wiener Burgtheaters. Foto: Waagner-Biró.

Hinterbühnenwagen (Querfahrer) können prinzipiell nach dem gleichen Konzept gebaut sein (Abb. 1.132b), die funktionellen Bedingungen der Hauptbühne erfordern aber oft eine andere Bauweise. Soll nämlich bei in die Unterbühne abgesenkten Hauptpodien die so entstehende Bühnengrube wieder zu einer Spielfläche geschlossen werden, können sich die Bühnenwagen nicht mit einem Vielrollensystem auf darunterliegenden Podien abstützen. In diesem Fall muss ein sogenannter Brückenwagen ähnlich einer Kranbrücke die gesamte Bühnenbreite freitragend überspannen. Die Laufräder rollen auf Schienen links und rechts von der Bühnengrube. Solche Brückenwagen sind auch als Ausgleichswagen erforderlich, wie sie z. B. in der Podienbühne der Wiener Staatsoper (Abb. 1.14) und in der Zylinderdrehbühne des Wiener Burgtheaters in den Abb. 1.15 und Abb. 1.133 gezeigt sind. Bühnenwagen mit vielrolliger Lastabtragung können mit sehr niedriger Höhe gebaut werden. Die Laufrollen müssen so gering belastet sein, dass für den Holzboden zulässige Pressungen nicht überschritten werden. Etwas größere Pressungen sind zulässig, wenn die Laufrollen auf in den Bühnenboden eingelassenen Hartholzschienen oder Metallbahnen laufen. Schwere Brückenwagen erfordern größere Bauhöhen und auf Stahlschienen, z. B. Kranschienen, rollende Stahllaufräder. Für den szenischen Einsatz ist zu bedenken, dass auf Stahlschienen fahrende Brückenwagen erschütterungsfreier bewegt werden können als Bühnenwagen, deren Laufräder auf dem Bühnenboden abrollen, der nie die gleiche Ebenheit wie eine gut ausgerichtete Schienenfahrbahn bieten kann.

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Während Brückenwagen immer schienengeführt sind, sind andere Bühnenwagen entweder durch einige Spurrollen in Schienen oder durch Einsteckschwerter in Schlitzen geführt oder sie sind in Schwenkrollenausführung frei verfahrbar. Oft ist ein Hinterbühnenwagen mit einer Drehscheibe ausgestattet, wie dies bereits in Kap. 1.4 (Abb. 1.12b) erläutert wurde. In Abb. 1.73 ist so ein Drehscheibenkassettenwagen in der Hinterbühne der Semperoper in Dresden zu sehen. Bei dessen Einsatz in der Hauptbühne steht somit eine Drehscheibe zur Verfügung. Als szenischer Effekt kann ein Drehscheibenkassettenwagen auch auf offener Bühne bei drehender Scheibe verfahren werden. Bühnenwagen mit Drehscheiben großen Durchmessers können zu Platzproblemen führen. Daher gibt es auch technische Lösungen, bei denen die Drehscheibe in Teilen in mehreren Bühnenwagen oder teilweise in Hubpodien oder festem Bühnenboden untergebracht ist. Der Dreheinsatz ist dann nur durch Koppelung der die Scheibe bildenden Teilsegmente möglich. Eine derartige Situation ist z. B. in der Oper Genua gegeben (siehe Abb. 1.134). Als weiteres Beispiel dienen die Kammerspiele Paderborn. Dort ist im als Drehscheibenkassettenwagen ausgebildeten Hinterbühnenwagen (9,0 m × 7,5 m × 0,333 m) nicht die gesamte Drehscheibe mit 8,6 m Durchmesser eingebaut, sondern ein großes Drehscheibensegment der Drehscheibe (siehe Abb. 1.135). Das kleine Segment liegt im Portalbereich und wird angekoppelt. Somit bildet die Drehscheibe im Wagen erst mit einem im Bühnenboden vor dem ersten Bühnenpodium eingelassenen Kreissegment einen vollen Kreis. Dies ermöglicht einen Drehscheibendurchmesser, der die maximale Breite der Bühnenpodien nutzt, aber auch die Lagermöglichkeit auf der Hinterbühne berücksichtigt. Die Ankopplung erfolgt bei abgesenktem Drehscheibenwagen. Der Antrieb der Drehscheibe als Reibradantrieb ist im Hinterbühnenwagen eingebaut. Der Antrieb des Hinterbühnenwagens erfolgt über eine als Triebstock unterseitig am Wagen befestigte Rollenkette und Antrieben mit ausklappbaren Ritzeln im Hinterbühnenboden sowie in einem Bühnenpodium. Der Bühnenwagen samt Drehscheibensegment kann analog zu den Seitenbühnenwägen in der Hinterbühne mittels eines Ausgleichspodiums auf Bühnenniveau abgesenkt werden. Dieses Ausgleichspodium mit einer Fläche von 9 m mal 7,5 m ist mit einem Hub von 334 mm als Keilzugpodium ausgeführt (siehe Abb. 1.115). Eine Besonderheit stellt auch der Hinterbühnenwagen mit Zylinderdrehbühne in der Oper Oslo dar. Der Drehbühnenwagen hat seine Parkposition in der Hinterbühne und kann mit einem elektrischen Zahnstangenantrieb bis zum Proszenium verfahren werden. Im Wagen ist eine Zylinderdrehbühne mit 15 m Durchmesser und 3 m Höhe eingebaut. Damit ermöglicht diese Doppelstock-Drehbühne auch Auftritte von unten während der Drehbewegung (siehe Abb. 1.136). Auch Bühnenwagen können ähnlich wie Hubpodien mit neigbaren Gedecken ausgestattet sein. Die moderne Luftkissentechnik (vgl. Kap. 4.6.2) eröffnet die Möglichkeit, Bühnenwagen de facto reibungsfrei auf einem dünnen Luftfilm schwebend zu verfahren. Mit

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Abb. 1.134: Oper Carlo Felice, Genua. Längsschnitt und Grundriss der Bühne. Bildnachweis: BTR 4/1991, Waagner Biró.

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Abb. 1.135: Drehscheiben-Kassettenwagen in den Kammerspielen Paderborn. Bildnachweis: SBS.

Abb. 1.136: Oper Oslo – Drehbühne zum Einbau in de Hinterbühnenwagen. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

einem derartigen Bühnenwagensystem wurde z. B. das Muziektheater Amsterdam ausgestattet. Jeder Wagen von etwa 40 m2 Größe ist mit je 8 Luftkissen von ca. 1 m Durchmesser versehen. Durch tausende kleine Löcher wird Luft ausgeblasen, und es wird sowohl das Überfahren von Spalten bis zu 2 cm Breite als auch von Höhenunterschieden bis zu 1 cm ermöglicht. Der Antrieb erfolgt über Schubwagen. Diese Technik wurde auch im Konferenzzentrum Kuwait (siehe Abb. 1.37) eingesetzt.

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Abb. 1.137: Antrieb von Bühnenwagen. (a) Mechanisch mit Zugseil, (b) Selbstfahrer mit Stromanspeisung. 1: Bühnenwagen, 2: Führungsrolle, 3: Laufrollen, 4: Mitnehmereinrichtung, kuppelbar, 5: Zugseil oder Kette, 6: ortsfester Antrieb, 7: Fahrantrieb mitfahrend, 8: Stromzuführung über Schleppkabel, 9: Kabeltrommel.

Antriebsarten von Bühnenwagen Kleinere Bühnenwagen können manuell durch Ziehen oder Schieben bewegt werden und werden meist als Bühnenhilfswägen bezeichnet. Größere Bühnenwagen müssen motorisch verfahren werden. Dies kann auf mehrere Art erfolgen: Antrieb mit Zugseil oder Zugkette Der Bühnenwagen besitzt selbst keinen Antrieb, wird jedoch durch externe Antriebselemente durch Ziehen des Bühnenwagens mit einem Seil oder einer Kette bewegt. Seil oder Kette können auch nach Art eines Unterflur-Schleppförderers die Zugkraft über kuppelbare Mitnehmer übertragen (Abb. 1.137a). Antrieb mit Zug-Druckketten Abb. 1.138 und Abb. 1.139 zeigen neuartige Ausführungen mit Schubketten, die sich bereits bewährt haben:

Abb. 1.138: Antrieb von Bühnenwagen mit Schubketten. Anordnung der Ketten in Haupt- und Nebenbühnen für Längs- und Querfahrt. Bildnachweis: Waagner-Biró.

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Abb. 1.139: Antrieb von Bühnenwagen mit Schubketten, Schubkette im Kettenkanal. Bildnachweis, Foto: Waagner-Biró, Serapid.

Im Bühnenboden sind Kettenkanäle eingebettet und in jedem Kanal kann eine Schubkette bewegt werden, die nicht nur Zug, sondern auch auf Druckkräfte aufnehmen kann. Wird ein Bühnenwagen mit einem Mitnehmerbolzen mit der Kette verbunden, so kann er durch Antreiben der Kette über ein Kettenrad nach beiden Richtungen bewegt werden. Die Kettenkanäle für die Bühnenwagen werden – wie in Abb. 1.138 dargestellt – an den Wänden der Seitenbühnen nach oben geführt und an der Decke nochmals umgelenkt. Dadurch kann eine Kanallänge realisiert werden, die es erlaubt, die Kette komplett aus dem Verfahrbereich unterhalb des Bühnenwagens auszufahren. (Die Kettenkanäle können natürlich statt nach oben auch nach unten in die Unterbühne umgelenkt werden.) Damit behindern sich Ketten für Längs- und Querfahrer nicht an den Kreuzungspunkten der Kettenkanäle wie auch Abb. 1.138 verdeutlicht. Antrieb mit in eine Zahnstange eingreifenden Zahnrädern Eine andere neuartige Lösung, die sich als besonders geräuscharm bewährt hat, ist in Abb. 1.140 und Abb. 1.141 vorgestellt: An der Unterseite des Bühnenwagens sind Zahnstangen montiert, im Bühnenboden oder gegebenenfalls in Podien (z. B. Ausgleichspodien) sind Zahnradantriebe ortsfest eingebaut. Die Ritzel werden von unten durch einen mechanisch öffnenden Schlitz nach oben gehoben und greifen in die Zahnstange am Bühnenwagen ein. Sind Zahnstangen für Längs- und Querfahrt an einem Bühnenwagen angebracht, so müssen diese an den Kreuzungspunkten unterbrochen sein. Die Zahl und Lage der Antriebseinheiten muss so gewählt sein, dass immer mindestens eine Einheit für die gewünschte Fahrbewegung in Eingriff ist. Die genaue Positionierung des Ritzels und damit des Wagens erfolgt durch ein Lasersystem, das die Lage des ersten Zahnes der am Wagen montierten Zahnstange ermittelt. Mit diesen Daten kann der Kontrollrechner die Drehgeschwindigkeit und Lage

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Abb. 1.140: Bühnenwagen mit ortsfesten Zahnradantrieben – Schemabild. Bildnachweis: WaagnerBiró.

Abb. 1.141: Bühnenwagen mit ortsfesten Zahnradantrieben – Details. Bildnachweis: Waagner-Biró.

des Ritzels beim Einschwenken bzw. den Fahrweg zur Positionierung errechnen, damit es nicht passieren kann, dass Zahn auf Zahn zu liegen kommen und so ein Blockieren des Antriebes zur Folge hat. Sind Zahnstangen und Antriebseinheiten in Bühnenlängs- und -querrichtung vorhanden (Abb. 1.140), müssen die Räder der Bühnenwägen in Drehschemeln gelagert sein, um verschiedene Fahrtrichtungen zu ermöglichen – in Schwenkrollensätzen – auch „Stage Swivel“ und „Turtels“ genannt (siehe Abb. 1.142). Selbstfahrer mit Kabel bzw. Schlauchanspeisung Sogenannte Selbstfahrer sind mit einem eigenen Fahrantrieb ausgestattet und müssen daher mit einer Energieanspeisung versehen sein. Hierfür kommen Kabeleinspeisungen über Kabeltrommeln für elektrische Energie oder Schlauchanspeisungen

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Abb. 1.142: Bühnenwagen mit Schwenkrollensätzen (auch „Turtels“ genannt) als Laufräder. Bildnachweis: Waagner-Biró.

über Schlauchtrommeln bei hydrostatisch angetriebenen Bühnenwagen, falls das Aggregat nicht im Bühnenwagen untergebracht ist, in Frage. Ein Problem besteht meist darin, dass diese Energieanspeisungen mit gewissem Aufwand derart verlegt werden müssen, dass sie beim Verfahren von Ausgleichspodien nicht beschädigt werden. Selbstfahrer mit Batterien Dieses Problem der Anspeisung kann vermieden werden, wenn in den Bühnenwagen Batterien als Energiequelle installiert sind. Die Akkumulatoren werden dann über Stromschienen im Seiten- oder Hinterbühnenbereich oder über elektrische Steckverbindungen nachgeladen. Mit Batterien bestückte Bühnenwagen sind in den Abb. 1.143 (Oper Seoul) und Abb. 1.144 (Musiktheater Linz) zu sehen. Der in Abb. 1.144 dargestellte Bühnenwagen wird in Führungsschienen aus Walzprofil geführt, als Führungselement dienen speziell gestaltete Stahlscheibenräder. Durch Schwenken der Räder um 90 ° wird sowohl eine Längs- als auch eine Querfahrt ermöglicht. Beide abgebildeten Bühnenwagen sind funkferngesteuert.

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Abb. 1.143: Bühnenwagen mit Batterie. Oper Seoul. Foto: Waagner-Biró.

Selbstfahrer mit Adhäsionsantrieb oder Zahnradantrieb Die Übertragung der Antriebskraft erfolgt entweder durch Adhäsion über die lasttragenden Laufräder (siehe Kap. 3.4), oder es werden Zahnräder angetrieben, die formschlüssig in am Bühnenboden eingelassene Zahnstangen oder in als Triebstock dienende Bolzenketten eingreifen (siehe Kap. 4.4.1). Bei vielrolligen Bühnenwagen ist diesem formschlüssigen Antriebssystem gegenüber einem reibschlüssigen System

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Abb. 1.144: Bühnenwagen im Musiktheater Linz. Foto: Waagner-Biró.

der Vorzug zu geben. Durch die statisch unbestimmte Lastaufteilung auf eine Vielzahl von Rollen kann nämlich kaum sichergestellt werden, dass die Radlasten weniger Antriebsräder ausreichen, um die erforderlichen Triebkräfte tatsächlich durch Adhäsion zu übertragen. In Abb. 1.145 ist ein Reibradantrieb in Modulbauweise für ein BühnenwagenBaukastensystem mit Vulkollan-Laufrädern dargestellt.

Abb. 1.145: Reibradantrieb – Bühnenmodul „Zarga System“. Bildnachweis: Max Eberhard AG – Bühnenbau (CH-Weesen), in der Folge kurz „Eberhard“ genannt.

130 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Frei verfahrbare Bühnenwagen mit motorischem Antrieb In den Abb. 1.146 werden zwei Systeme der Firma Green Motion dargestellt. Die Bühnenwägen können aus 1 m × 1 m großen Modulen zusammengesetzt werden. Die Bauhöhe der Module beträgt 16 32 cm oder 20 cm.

Abb. 1.146: Frei verfahrbare Bühnenwägen. Bildnachweis: Green Motion.

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Beim System servo II (Abb. 1.146 oben) wird ein Lenken bei der Fahrbewegung dadurch erzielt, dass zwei Antriebe mit unterschiedlichen Drehzahlen beaufschlagt werden. Bei der kleinsten Bauvariante sind diese beiden Antriebe in einem Modul eingebaut, bei größeren Einheiten werden zwei Module mit je einem Antrieb eingesetzt. Beim System vector III (Abb. 1.146 unten) befindet sich im Modul ein um 360 ° drehbarer Drehschemel mit zwei Antrieben, der sowohl bei Stillstand als auch während einer Fahrbewegung in gewünschte Drehstellungen geschwenkt werden kann. Dadurch ist ein Verändern der Achsrichtung aus dem Stand heraus möglich, ohne dass Reibung zwischen Antriebsrad und Untergrund auftritt. Die Steuerung der Antriebe erfolgt per Funk über tragbare Fernbedienpulte oder Standbedienpulte mit Touch Panel und Computersteuerung, es kann aber auch ein bestimmter Fahrweg vorgegeben werden, dem der Bühnenwagen folgen muss. Bei frei verfahrbaren Bühnenwägen kann man als Navigationstechnik grundsätzlich Verfahren einsetzen, wie sie auch bei fahrerlosen Transportsystemen (FTS) in der Logistik verwendet werden. Dazu kann man physische Leitlinien als induktive Spurführungssysteme (man folgt mit einem Sensor einem wechselstromdurchflossenen Draht) oder optische Spurführungssysteme (man folgt mit einem Sensor einem weißen oder farbigen Streifen) einsetzen. Dies erfordert allerdings Umbauten für verschiedene Produktionen. Daher ist es praktikabler mit virtuellen Leitlinien zu arbeiten, indem die Fahrkurve durch Raumkoordinaten eingegeben wird und mit Hilfe der Lasernavigation die Position in Bezug auf installierte Referenzpunkte gemessen wird (Kreuzpeilung).

1.7.3 Drehscheiben und Drehbühnen Übersicht – Klassifikation von Drehbühnen Gliederung nach der Zahl der Ebenen: – Einfache Drehscheibe – Doppelstock − Drehscheibe = Zylinderdrehbühne: – ohne eingebaute Podien – mit eingebauten Podien. Gliederung nach der Art der Lagerung: – Kreisschiene mit darauf abrollenden Laufrädern: – Ortsfeste Kreisschiene – Kreisschiene an der Drehbühne gestützt auf ortsfeste Räder. – Zentrallagerung mit Speziallager („Kugeldrehverbindung“) – Kreisschiene und Zentrallager (statisch unbestimmte Lagerung) – Säulenlagerung (sehr seltene ältere Bauweise) – (Hydrostatische Lagerung).

132 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Gliederung nach Art der Zentrierung: – Mit den Spurkränzen der Laufräder am Schienenkopf der horizontalen Kreisschiene – mit Horizontalrollen an einer Kreisschiene – mit Zentrierzapfen – mit einer Kugeldrehverbindung – (mit Säulenlagerung). Gliederung nach der Lage des Antriebes: – Antrieb ortsfest – Antrieb fährt mit der Drehbühne mit. Antriebsvarianten: – Antrieb über die auf der Kreisschiene laufenden Räder über Adhäsion – Antrieb über eigene Reibräder (mit Federkraft angepresst) – Antrieb mit Zahnrädern – Seilantrieb über Treibscheibe – Antrieb mit Stahlgelenkkette. Nähere Beschreibung von Drehbühnen Eine Drehscheibe bietet eine sehr einfache Möglichkeit zur Verwandlung des Bühnenbildes. Auf ihr können zwei bis drei Bühnenbilder Platz finden und je nach Drehstellung dem Publikum zugewandt werden. Viele Bühnen sind mit ortsfesten Drehscheiben in der Hauptbühne ausgestattet. Oder man bedient sich andersartiger mobiler Drehscheiben: So kann z. B. eine zusammenklappbare Drehscheibe nach Abb. 1.147 in Ober- oder Unterbühne deponiert sein. Es gibt aber auch zusammensetzbare Drehscheiben, die in kleine Teile zerlegt und wie Dekorationsmaterial gelagert werden können. Abbildung 1.148 zeigt eine aus Leichtmetallelementen zusammensetzbare Drehscheibe aus einem Programm standardisierter Bühnenmodule. Bei auflegbaren oder in Bühnenwagen eingebauten Drehscheiben verwendet man vielrollige Ausführungen, indem tangential ausgerichtete Laufrollen auf konzentrischen Kreisschienen abrollen. Der Antrieb für die Drehbewegung erfolgt z. B. über mit ausreichender Federkraft angepresste, horizontal laufende Reibräder (s. Abb. 1.149 rechts, Abb. 1.161b und Abb. 1.164 oder formschlüssig über ein horizontal liegendes Kettenritzel, das in einen Zahnkranz oder einen aus einer Kette gebildeten Triebstockring eingreift (Abb. 1.161d, e). Als Alternative bietet sich die Möglichkeit, eine Drehscheibe in einen Bühnenwagen einzubauen und bei Bedarf auf die Hauptbühne zu verfahren. So ein Drehscheibenkassettenwagen wurde bereits in Kap. 1.4 und in Abschnitt 1.7.2 erwähnt und ist z. B. in der Semper Oper in Dresden (siehe Abb. 1.73) vorhanden.

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Abb. 1.147: Aufleg- bzw. aufklappbare Drehscheibe der Wiener Staatsoper. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.148: Drehscheibe, aus Bauelementen zusammensetzbar. Foto: Eberhard.

In Kap. 1.7.2 bzw. in Abb. 1.136 wurde eine Doppelstock-Drehbühne gezeigt, die in der Oper Oslo im Hinterbühnenwagen eingebaut wurde. Besonders aufwendig wurde ein Hinterbühnenwagen für das Wuhan YueHu Culture and Art Center in China gestaltet. In diesem ist sowohl eine Kreisringscheibe mit

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Abb. 1.149: Drehscheiben-Kassettenwagen für das Konferenzzentrum Kuwait. Links: Werkszusammenbau, rechts: Reibradantrieb der Drehscheibe. Foto: Waagner-Biró.

17 m Durchmesser integriert als auch eine Kernscheibe mit 9 m Durchmesser, die mit Spiralifts geführt von Scherensystemen 1,2 m gehoben werden kann. Abbildung 1.150 zeigt die Kernscheibe in angehobenen Zustand.

Abb. 1.150: Hebbare Kernscheibe für einen Hinterbühnenwagen. Wuhan YueHu Culture and Art Center. Foto: SBS.

Wie bei der Aufzählung von Bühnensystemen (Kap. 1.4) bereits erwähnt, sind große Theater oft mit sogenannten Zylinderdrehbühnen ausgestattet. Die Drehbühne besteht dann nicht nur aus einer den Bühnenboden bildenden Drehscheibe (Abb. 1.154 und Abb. 1.157b), sondern analog einem Doppelstockpodium aus einem Drehzylinder mit zwei begehbaren Niveaus. Man kann diese Bauweise daher auch als DoppelstockDrehscheibe bezeichnen (Abb. 1.157c). Meist sind in Zylinderdrehbühnen auch Hubpodien (Versenkeinrichtungen) eingebaut. Im Zusammenspiel von Rotation der Drehbühne und Vertikalfahrt der Podien ergeben sich Möglichkeiten für Bildverwandlungen und für szenische Effekte. Vor

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allem bietet eine Zylinderdrehbühne mit eingebauten Hubpodien, kombiniert mit einem Schiebebühnensystem mit Bühnenwagen, sehr viele Möglichkeiten zum raschen Wechsel mehrerer vorbereiteter Bühnenbilder – siehe Kap. 1.4. Abb. 1.151 zeigt das Modell einer großen Zylinderdrehbühne (siehe auch Abb. 1.83) im National Grand Theater Beijing (Durchmesser 16 m und Höhe 18,4 m) mit darin eingebauten Schachbrettpodien, und zwar 13 in sich geführte quadratische und 2 außen geführte rechteckige Podien. Im Foto rechts sieht man vorne die Stickstoffflaschen und rechts hinten die Kolbenspeicher.

Abb. 1.151: Modell einer Zylinderdrehbühne mit Podienanlage im National Grand Theatre Beijing. Fotos: Konsortium SBS-Rexroth.

Das Musiktheater Linz wurde bereits in Kap. 1.4 erwähnt. In Abb. 1.152 ist die große Transportdrehbühne und die darin eingebaute Spieldrehbühne dargestellt. Beide Drehbühnen sind – wie bereits in Kap. 1.4 näher erläutert – sowohl auf einer Kreisschiene als auch auf einer Kugeldrehverbindung gelagert. Diese statisch unbestimmte Lagerung war durch die sehr geringe zur Verfügung stehende Bauhöhe erforderlich. Die Kugeldrehverbindung übernimmt in beiden Fällen die Zentrierung. Die schwere Transportdrehbühne läuft mit Stahllaufrädern in Balanciers, die durch Horizontaldruckrollen geführt werden (siehe Abb. 1.153) auf der Kreisschiene. (Balanciers sind zwei Laufräder in einem gelenkig gelagerten Schemel zur gleichen Lastaufteilung auf beide Räder). Der Antrieb erfolgt über acht Reibräder, die sich auf die Betonwand des Fundamentes abstützen.

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Abb. 1.152: Musiktheater Linz – Transport- und Spieldrehbühne. Bildnachweis: Waagner-Biró.

Abb. 1.153: Musiktheater Linz – Laufrollen auf der Kreisschiene der Transportdrehscheibe. Foto: Waagner-Biró.

Die viel leichtere Spieldrehbühne stützt sich auf leise laufende Vulkollan-Laufräder auf der Kreisschiene ab. Acht Laufräder sind angetrieben. Bei fix installierten Drehscheiben bietet sich eine Vielzahl von Lagerungs- und Antriebsmöglichkeiten an, die im nächsten Abschnitt systematisch behandelt werden. Bauweisen der Lagerung von Drehbühnen Bei den Konstruktionen zur Lagerung von Drehscheiben und Drehbühnen lassen sich die gleichen Entwicklungen nachvollziehen wie im Kranbau bei der Lagerung von Drehkranen.

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Lagerung mit Kreisschiene Die älteste Bauweise war die Lagerung auf einer Kreisschiene; sie ist in verschiedenen Varianten in Abb. 1.154 dargestellt. Die Zentrierung der Scheibe erfolgt je nach Bauweise durch die Spurkränze der vertikalen Laufräder (Abb. 1.154a und Abb. 1.155) oder durch Horizontalrollen an der Kreisschiene (Abb. 1.154b), durch einen Zentrierzapfen im Drehmittel (Abb. 1.154c) oder durch einen Zentrierzapfen, der auch Vertikalkräfte aufzunehmen vermag (Abb. 1.154d).

Abb. 1.154: Lagerung von Drehscheiben auf einer Kreisschiene. Schemata verschiedener Varianten – Zentrierung. (a) Mit den Spurkränzen der Laufrollen, (b) an der Kreisschiene, (c) an einem Zentrierzapfen, (d) an einem Zentrierzapfen mit vertikaler Tragfunktion.

Die Abb. 1.155 zeigt die Lagerung einer schweren Zylinderdrehbühne in der Oper Sydney auf einer horizontal verlegten Kreisschiene. Schwere in Balanciers gelagerte Kranlaufräder nehmen die aus den hohen Eigenmassen der Bühne und aus den Nutzlasten resultierenden Lasten auf. Die Zentrierung übernehmen die Spurkränze der Laufräder. Während also bei dieser großen Zylinderdrehbühne Stahllaufräder eingesetzt werden müssen, können bei der viel leichteren Drehscheibe des Theaters in der Josefstadt in Wien nach Abb. 1.156 sehr leise laufende Räder mit Kunststoffbandagen Verwendung finden. In dieser Abbildung sind sowohl die in Ausgleichsschwingen (Balanciers) gelagerten vertikalen Laufrollen zur Aufnahme der Vertikallasten als auch Horizontalrollen

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Abb. 1.155: Zylinderdrehbühne der Oper Sydney – Werksfoto bei der Montage. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.156: Drehscheibe im Theater in der Josefstadt (Wien) – Lagerung auf einer Kreisschiene. Foto: Waagner-Biró.

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zur Zentrierung der Scheibe zu sehen. Außerdem sind auch, wie in Kap. 1.7.1 beschrieben, Versenkungsschieber im Bühnenboden und eine transportable Personenversenkung abgebildet. Um die Geräuschbildung auch bei schweren Drehbühnen zu verringern, kann in Analogie zu Fahrwerken bei verfahrbaren Tribünen (siehe Kap. 1.7.4) eine Lösung dienen, wie sie in der Oper Oslo realisiert wurde (siehe auch Kap. 1.7.2): Wenn sich die mittig zentrierte Drehbühne in Ruhe befindet, ist diese auf federbelasteten Reibflächen abgesenkt. Soll die Bühne in Rotation versetzt werden, werden insgesamt 24 Radsätze hydraulisch gegen die Lauffläche der Drehbühne gepresst und 6 Radsätze elektrisch angetrieben. Da die schwere Drehbühne im Ruhezustand nicht von den Rädern getragen wird, können zur Minimierung der Laufgeräusche an den Rädern Laufflächen aus Kunststoff verwendet werden. Bei den bisher erwähnten Lösungen mit Kreisschiene befanden sich die Laufrollen am Drehteil und die Schiene am Fundament. Es ist aber auch möglich, in Umkehrung des Prinzips die Rollen im festen Fundament zu lagern und die Drehscheibe mit einer Schiene oder auch mehreren konzentrischen Schienen auf kreisförmig angeordneten und tangential ausgerichteten Rollen zu lagern. Säulenlagerung Drehkrane für große Lastmomente wurden mit sogenannter Säulenlagerung gebaut. Bei dieser Bauweise werden die Vertikalkräfte zentrisch durch ein Wälzlager an der Spitze der Säule aufgenommen. Kippmomente aus der Exzentrizität der Vertikallasten und aus Horizontallast werden einerseits durch ein Wälzlager an der Säulenspitze und andererseits durch Horizontaldruckrollen aufgenommen, die sich an einer in horizontaler Ebene liegenden Kreisschiene abstützen. Bei einer Bauvariante steht die konische Säule mit der Spitze nach oben fest und das Drehgerüst ist glockenförmigen darüber gestülpt, bei einer anderen auch in der Bühnentechnik angewandten Variante dreht sich die mit der Spitze nach unten gerichtete Säule, wie dies in Abb. 1.157a und Abb. 1.158 zu sehen ist (Stadttheater St. Pölten). In der Bühnentechnik ist die Säulenlagerung nur ganz selten realisiert worden. Lagerung mit Kugeldrehverbindung Eine weitere Lagerungsmöglichkeit, die sich im Kranbau weitgehend durchgesetzt hat, wird in der Bühnentechnik auch immer öfter verwendet, und zwar die Lagerung mit einer Kugeldrehverbindung. Es handelt es sich um eine spezielle Bauform eines Großwälzlagers nach Abb. 1.159, welches imstande ist, neben Radialkräften sehr große Axialkräfte in beiden Richtungen, also nach oben und unten wirkend, aufzunehmen. Diese Lagerung ist somit geeignet, sowohl Axialkräfte aus der Summe der Vertikallasten als auch Kippmomente aus deren exzentrischer Lage aufzunehmen. Diese Lager werden auch ausgestattet mit einem Außen- oder Innenzahnkranz gebaut,

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Abb. 1.157: Zentrallagerung von Drehbühnen. (a) Säulenlagerung einer Drehscheibe, (b) Drehscheibe auf Kugeldrehverbindung, (c) Zylinderdrehbühne auf Kugeldrehverbindung. 1: Drehbühne, 2: Drehsäule mit Kreisschiene für Horizontraldruckrollen, 3: Axial-/Radiallager, 4: Horizontaldruckrollen, 5: Kugeldrehverbindung, 6: Antrieb, 7: Schleifringkörper, 8: Fundament.

wie dies in Abb. 1.160 deutlich zu sehen ist, sodass sich auch für den Drehantrieb einfache Konzepte ergeben. Derartige Lager zeichnen sich durch besondere Laufruhe aus, da die Drehbewegung durch Abwälzen von Kugeln in einem exakt bearbeiteten Laufring erfolgt. Selbstverständlich sind die Drehwiderstände aus der Reibung bei dieser Wälzlagerung um vieles kleiner als der Drehwiderstand an Laufrollen bei

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Abb. 1.158: Säulenlagerung einer Drehscheibe im Stadttheater St. Pölten. Längsschnitt und Foto der Bühne. Bildnachweis: Waagner-Biró.

Abb. 1.159: Kugeldrehverbindung – Schnittzeichnung und Erläuterung des Tragverhaltens, Oben: Darstellung der auf die Kugeldrehverbindung einwirkenden Axialkräfte (Fa ), Radialkräfte (Fr ) und Momente (M). M = Fa ⋅ a + Fr ⋅ b; unten: Darstellung der Zylinderfläche, in welcher die Axialkräfte (Fa ) und Momente (M) wirken, sowie der Ebene, in der die Radialkraft (Fr ) wirkt. Bildnachweis: Hoesch/Rothe Erde – Schmiedag AG (D-Dortmund).

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Abb. 1.160: Zylinderdrehbühne des Linzer Landestheaters. Gesamtansicht bei der Werksmontage Antriebsdetail. Fotos: Waagner-Biró.

den anderen Lagerungssystemen. Daher sind auch sehr geringe Antriebsleistungen ausreichend. Solche Zentrallagerkonstruktionen müssen allerdings auch im Baukonzept des Bühnenraumes berücksichtigt werden, muss doch die gesamte Last, auf eine kleine Fläche konzentriert, von diesem Zentrallager und dessen Fundament aufgenommen werden. Bei der Lagerung auf einer Kreisschiene werden diese Lasten auf eine viel größere Fundamentfläche verteilt.

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Abb. 1.157b zeigt die Zentrallagerung einer einfachen Drehscheibe und Abb. 1.157c die einer Zylinderdrehbühne in schematischer Darstellung. In Abb. 1.160 ist die zentral gelagerte Drehbühne des Linzer Landestheaters und deren Antrieb zu sehen. Hydrostatische Lagerung Eine weitere, allerdings sehr selten ausgeführte Variante der Lagerung von Drehbühnen ergibt sich in Anwendung eines hydrostatischen Lagerungskonzepts. Die in Abb. 1.46 in der Haupt- und Vorbühne eingebauten Drehscheiben des Friedrichstadtpalastes in Berlin sind auf diese Art gelagert. Unterhalb einer kreisförmigen Gleitbahn befinden sich Teller mit einem Durchmesser von etwa 500 mm, durch die Öl gedrückt wird, sodass die Scheibe auf einem etwa 0,3 bis 0,4 mm dicken Ölfilm schwimmt. Bauweisen für den Antrieb von Drehscheiben und Drehbühnen Als Antrieb bieten sich viele Möglichkeiten, die im Folgenden beschrieben werden und zusammenfassend in Abb. 1.161 dargestellt sind. Grundsätzlich kommen wieder elektrische oder hydrostatische Antriebe in Frage.

Abb. 1.161: Antrieb von Drehbühnen – Schematische Darstellung verschiedener Varianten. (a) Adhäsionsantrieb über Laufrad, (b) Adhäsionsantrieb über Reibrad, (c) Seilantrieb über Treibscheibe, (d) Antrieb über Kettenräder, (e) Zahnradantrieb.

Antrieb über Reibschluss (s. auch Kap. 3.4) Ist ausreichend Reibschluss an bestimmten Laufrädern gegeben, kann der Antrieb über diese Laufräder erfolgen. Diese Antriebsart kommt daher z. B. bei Lagerung einer Drehbühne auf vertikal stehenden Laufrädern, die auf einer horizontal verlegten Kreisschiene abrollen, in Frage (Abb. 1.155). Ist aus Eigen- und Nutzlasten kein ausreichender Reibschluss gegeben, kann der Antrieb über federbelastete Reibräder erfol-

144 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien gen. Die Reibräder können auch in horizontaler Lage eingebaut sein und wälzen sich auf einem vertikal stehenden Reibkranz – wie in Abb. 1.149 dargestellt – ab. Seilantrieb Vorwiegend in älteren Anlagen wurde der Antrieb als Treibscheibentrieb ausgeführt, indem ein Seil mit ausreichender Vorspannung um die drehbare Scheibe und eine meist zweirillige Antriebsscheibe geschlungen wurde. Abbildung 1.161c zeigt dieses Prinzip, Abb. 1.162 ein Foto vom Tiroler Landestheater.

Abb. 1.162: Seilantrieb der Drehbühne im Tiroler Landestheater. Foto: Waagner-Biró.

Antrieb über Formschluss (s. auch Kap. 4.2 und 4.4) Bei einem Zahnradantrieb greifen ein oder mehrere Antriebsritzel in einen großen, zur Drehbühne konzentrischen Zahnkranz ein. Bei großen Zylinderdrehbühnen mit Kreisschienenlagerung dient als Zahnkranz oft ein Triebstockring (Abb. 1.163 – Burgtheater in Wien). Bei einem Triebstock werden die Zähne aus Bolzen mit Kreisquerschnitt gebildet, die im Teilungsabstand der Verzahnung nebeneinander angeordnet sind (siehe Abb. 4.21d). Die Form des Triebstockritzels ist gemäß den geometrischen Bedingungen der Verzahnungstheorie diesen Bolzen als Zykloide anzupassen. Erfolgt die Lagerung mit einer Kugeldrehverbindung, so können diese Großwälzlager bereits standardmäßig mit einem Zahnkranz in Evolventenverzahnung ausgestattet beschafft

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Abb. 1.163: Antrieb über Triebstock der Zylinderdrehbühne des Wiener Burgtheaters. Foto: WaagnerBiró.

werden. Als Antriebsritzel kommen dann Zahnräder mit genormter Evolventenflanke zum Einsatz (siehe Abb. 1.160 bzw. Abb. 4.21a). Allerdings können formschlüssige Zahnradantriebe den Nachteil haben, dass Zahnspiele durch Anschlagen der Zahnflanken beim Beschleunigen oder Verzögern die grundsätzlich gegebene Laufruhe durch die Lagerung in einem Großwälzlager (Kugeldrehverbindung) beeinträchtigen. Zahnspiele können sich negativ auswirken, da derartig gelagerte Drehbühnen einen besonders geringen Reibwiderstand bei der Drehbewegung aufweisen. Dies kann beim regeltechnischen Einpendeln auf einen exakten Sollwert der Drehgeschwindigkeit zum wechselnden Anliegen der Zahnflanken führen. Daher wird auch bei einer derartigen Zentrallagerung manchmal – wie im Grazer Schauspielhaus ein Reibradantrieb bevorzugt, indem z. B. federbelastete Reibräder beidseitig auf einen Stahlring wirken – siehe Abb. 1.164. Kettenantrieb Als Sonderform eines Zahnradantriebes sei noch die Möglichkeit erwähnt, den Triebstockring durch eine um die Drehscheibe geschlungene Bolzenkette zu realisieren. Diese Lösung ist manchmal bei auflegbaren Drehscheiben in Anwendung. Als Antriebsritzel wählt man dann gerne genormte Kettenräder, die in einer Schwinge gelagert und federbelastet im Kettenzahneingriff gehalten werden. Es sei angemerkt,

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Abb. 1.164: Reibradantrieb der Drehbühne im Schauspielhaus Graz. Foto: Waagner-Biró.

dass Kettenräder in ihren Zahnflanken nicht der exakten Verzahnungsgeometrie einer Triebstockverzahnung entsprechen (s. Kap. 4.4.1). Als Alternative zum nun beschriebenen Zahnradantrieb sei noch der Kettenradantrieb erwähnt. In diesem Fall erfolgt der Antrieb über ein Kettengetriebe, bestehend aus einem ortsfest installierten Antriebskettenrad kleinen Durchmessers und einem an der Drehscheibe montierten konzentrischen Kettenrad großen Durchmessers sowie einer beide Räder umschlingenden Kette (siehe Abb. 1.161d). Oft genügt es auch, die Kette einfach um eine z. B. mit Holz verkleidete zylindrische Wand an der Drehbühne zu schlingen und die Reibung reicht aus, die Bühne durch Antreiben der Kette über ein kleines Kettenrad zu bewegen.

1.7.4 Mobile Podien und Tribünen Praktikable, Podeste Die Gestaltung des Bühnenbildes kann, wenn dazu keine Hubpodien herangezogen werden können, oder in Ergänzung zu Hubpodien, mit sogenannten Praktikablen vorgenommen werden. Diese schon sehr lange gebräuchliche Bezeichnung wurde für begehbare Bühnengerüste zur Unterscheidung von nur imitierten Gerüsten verwendet. In Abb. 1.165 sind Praktikable als einfache unverrückbar stapelbare „Holzkisten“ dargestellt.

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Abb. 1.165: Podeste als „Holzkisten“ ausgeführt. Bildnachweis: Eberhard.

In DIN 15920 ist ein Baukastensystem des Bühnenbaus genormt. Darin sind Bühnenpodeste (Praktikable) verschiedener Form und Größe (Quader, Dreiecksprismen), Stufen, Treppen, frei verfahrbare kleine Bühnenwagen und Bühnengeländer erfasst. Durch diese Normung soll die Durchführung von Koproduktionen und Gastspielen erleichtert werden. Ferner gibt es vielerlei Steck- und Schraubsysteme für Podeste und Gerüstaufbauten. Abbildung 1.166 und Abb. 1.167 zeigen nach einem Baukastenprinzip entwickelte, in Höhe und Neigung verstellbare Podeste aus Leichtmetall. Verschiebbare Konzertsaalpodien In Konzertsälen besteht manchmal der Bedarf, das Orchesterpodium unterschiedlich zu gestalten. Dazu können schubladenartig verfahrbare, aber auch teilweise hebbare Podien dienen. In Abb. 1.168 sind als Beispiel die Podien im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses zu sehen. Mobile Zuschauertribünen Besonders zu erwähnen sind aber auch Teleskoptribünen zur variablen Gestaltung des Zuschauerbereichs. Diese Tribünen können wie in Abb. 1.169a und 1.170 durch Zusammenschieben in einer Wandnische deponiert werden, wie in Abb. 1.169b auf Hubplattformen unter die Saal-

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Abb. 1.166: Verstellbare Bühnenpodeste in Aluminiumkonstruktion System „Scebomat“. Bildnachweis: Eberhard.

Abb. 1.167: Links: Hubtisch mit von oben verstellbarer Scherenkonstruktion, rechts: Transportwagen. Bildnachweis: Bühnenbau Schnakenberg.

ebene versenkt oder in gestapelter Form gemäß Abb. 1.169c mit ausfahrbaren Rollen oder als Variante mittels Hubwagen verfahren werden. Ein Problem bei fahrbaren Tribünen besteht oft darin, dass die Laufräder bei langem Stillstand infolge der relativ hohen Pressung an den Radaufstandsflächen Druckmarken am Boden verursachen bzw. die Kunststoff-Laufflächen der Räder durch Abplattung unrund werden. Daher gibt es Systeme, bei denen sich das stillstehende Podium an Kufen großflächig abstützt und die Laufräder die Lastabtragung nur für den

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Abb. 1.168: Ausfahrbare Podien in Schubladenbauweise kombiniert mit einem Hubpodium im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses – Foto und Schemazeichnung. Foto, Bildnachweis: WaagnerBiró.

Abb. 1.169: Teleskoptribünen. (a) Abstellen in Wandnischen, feste Sitze mit Klapplehnen, (b) mit Hubplattform unter die Saalebene versenkbar, (c) auf ausfahrbaren Rollen wegfahrbar. Bildnachweis: Bayerischer BühnenBau.

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Abb. 1.170: Teleskoptribüne. Foto: Bayrischer BühnenBau.

Transport übernehmen. Bei der Lösung nach Abb. 1.171 geschieht dies durch Füllen eines Pneumatikschlauches.

Abb. 1.171: Fahrbare Podien mit pneumatischer Einrichtung zum Anheben der Abstellkufen und Absetzen der Last auf die Laufräder. Bildnachweis: Bayerischer BühnenBau.

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Als besonders elegante Lösung bieten sich Tribünenstützen auf Luftkissen an. Im Stillstand steht eine ausreichend große Ringfläche für die Lastabtragung zur Verfügung, zum Verfahren werden die tellerförmigen Luftkissenelemente mit Luft versorgt und lassen die Tribünen auf einem dünnen Luftfilm schweben, sodass deren Verschieben mit sehr geringem Kraftaufwand erfolgen kann. Weitere Hinweise zur Luftkissentechnik werden in Kap. 4.6.2 gegeben. Eine Tribünenkonstruktion mit Luftkissen ist in Abb. 1.172 und 1.173 zu sehen.

Abb. 1.172: Teleskoptribüne mit Luftkissen als Verfahreinrichtung. Bildnachweis: Bayerischer BühnenBau.

Besteht der Bedarf, einen Saal mit ebenem Boden wahlweise mit oder ohne Sitzreihen auszustatten, so kann dies z. B. mit einem in Abb. 1.174 dargestellten Bestuhlungssystem erfolgen: Das Gestühl ist auf Sitzreihenträgern montiert, die mit Laufrollen ausgestattet sind, welche auf in Bodenschlitzen verlegten Schienen verfahren werden können. Die Sitzreihen sind durch Federstahl-Mitnehmerbänder gekuppelt. Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, bildet das Stahlband im ausgefahrenen Zustand die Abdeckung der Bodenspalte für die Schienen. Sind die Stuhlreihen in Parkposition an einer Hallenseite zu einem Paket zusammengeschoben, müssen diese Spalte manuell mit Schienen abgedeckt werden. Das Verfahren des letzten Sitzreihenträgers erfolgt

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Abb. 1.173: Teleskoptribüne mit Luftkissen als Verfahreinrichtung in ausgefahrener und gestapelter Position. Fotos: Bayerischer BühnenBau.

Abb. 1.174: Bestuhlungssystem mit auf Schienen verfahrbaren Sitzreihen, Antrieb mit Seilwinde – System „Elochair“. Bildnachweis: Vogel.

über einen Seilwindentrieb und Mitnehmer. Je nachdem, in welche Richtung die Seiltrommel gedreht wird, wird das eine oder andere Ende einer im Boden verlegten Seilschlaufe aufgewickelt und der Sitzreihenträger an der rechten und linken Hallenseite in Stapel- oder Sitzposition gezogen. In Abb. 1.175 sind Transportsysteme für Tribünen dargestellt: Das linke Bild zeigt eine Transporteinheit für die Arena Madrid, das rechte Bild für den Sportpalast Madrid. Die Tribünen in der Arena werden auf lenkbaren Transportwägen mit batteriegespeistem Elektroantrieb verfahren, die Tribünen im Sportpalast Madrid werden mit Luftkissen „schwebend“ an beliebige Stellen der Halle bewegt, sodass sehr unterschiedliche Konfigurationen erzeugt werden können. Verschiedene Teleskopstellungen sind in Abb. 1.176 mit einer unterschiedlichen Anzahl von ausgefahrenen Elementen zu sehen (siehe auch Kap. 1.6 die Abb. 1.53 und 1.54).

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Abb. 1.175: Tribünentransport. Links: lenkbarer-Transportwagen (Arena Madrid), rechts: LuftkissenTransportwagen (Sportpalast Madrid). Bilder: Waagner-Biró.

Abb. 1.176: Teleskoptribünen in verschiedenen Stellungen. Foto: Waagner-Biró.

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1.8 Technische Einrichtungen der Oberbühne In diesem Kapitel werden jene technischen Anlagen behandelt, die dem Bühnenraum oberhalb der Spielfläche zuzuordnen sind. Feste Einbauten im Decken- und Wandbereich Bei Großbühnen ist der Bühnenraum im Hauptbühnenbereich mehr als doppelt so hoch wie die Portalöffnung des Proszeniums, um die Dekorationen nach oben aus dem Blickfeld der Zuschauer verfahren zu können. An der Decke befindet sich der Schnürboden als begehbare Trägerrostkonstruktion. Bei Kleinbühnen fehlt oft ein derartiger Freiraum oberhalb der Bühne. Die Seitenwände und die Rückwand des Bühnenhauses sind mit Arbeitsgalerien versehen, von denen aus die verschiedensten Manipulationen im Bühnenbetrieb vorgenommen werden können. Portalkonstruktion – Proszenium Zu den Einrichtungen der Oberbühne wird auch die Portalkonstruktion der Proszeniumsöffnung gerechnet. Auch hier können mechanische Systeme zur Variation der Größe der Portalöffnung integriert sein; in Sonderfällen kann das gesamte Proszenium in Richtung der Bühnenlängsachse verschoben werden, um die Tiefe des Bühnenraumes zu verändern. Bei Mehrzwecknutzung einer Spielstätte kann auch vorgesehen sein, die gesamte Portalkonstruktion zu entfernen und z. B. in den Bühnenturm zu heben (siehe auch Abb. 1.183d). Im Proszenium befinden sich auch Vorhänge zum Öffnen bzw. Schließen der Proszeniumsöffnung. Es sind dies Vorhanghub- oder Vorhangzugsysteme und der Eiserne Vorhang als Brandschutzeinrichtung. Torkonstruktionen mit Brand- und Schallschutzfunktion gibt es fallweise auch zwischen Haupt- und Seitenbühne bzw. Hinterbühne. Mechanische Ausrüstungen am Schnürboden Vom Schnürboden hängen in großer Zahl die Seile der Hubeinrichtungen herab. Früher waren es geschnürte Naturfaserseile, daher auch der Name Schnürboden; heute sind es Drahtseile. Zu diesen Einrichtungen gehören vor allem (Abb. 1.177): – Prospektzüge, deren Laststangen normal zur Bühnenlängsachse orientiert sind und die gesamte Bühnenbreite überspannen, – Punktzüge mit einem – wie schon der Name ausdrückt – einzelnen Lastaufhängepunkt, – mechanische Einrichtungen zur Abgrenzung der Spielfläche in den Wandbereichen, wie Panorama- und Rundstangenzüge, auch Cycloramazüge genannt, und Rundhorizonte, – mechanische Einrichtungen für die Beleuchtungstechnik, wie Beleuchterbrücken, Oberlichtzüge und Seitenlichtgestelle, – Sondereinrichtungen, z. B. Flugapparate.

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Abb. 1.177: Anordnung von Zugeinrichtungen (in Anlehnung an DIN 56 920, Blatt 3). 1: Vorbühnenzug, 2: Schmuckvorhang, 3: Spielvorhang, 4: Schleierzug, 5: Deckenwolkenzug, 6: Schallvorhang, 7: Prospektzüge, 8: Kurtine, 9: Punktzüge, 10: Freizug, 11: Panoramazüge, 12: Rundstangenzug.

1.8.1 Feste Einbauten in der Oberbühne Schnürboden Im einfachsten Fall besteht der Schnürboden aus einer begehbaren Zwischendecke im obersten Bereich des Bühnenturmes. Die rostartige Ausbildung der Deckenkonstruktion gestattet das Durchführen von Seilen zur Aufhängung von Dekorationselementen. Die Seile von Hubzügen müssen meist in Richtung einer Bühnenseitenwand zu den Gegengewichtsschlitten von Handkonterzügen oder den Winden von Maschinenzügen umgelenkt werden. In den Abb. 1.178a–d sind verschiedene Anordnungen für Laststangenzüge dargestellt. In Abb. 1.178a erfolgt die Seilführung über einrillige Seilrollen vom Schnürboden zu einer mehrrilligen Kopfrolle an der Seitenwand; in Abb. 1.178b werden die Seile gestützt in teils mehrrilligen Rollen horizontal zur Seitenwand geführt. Zur besseren Begehbarkeit des Schnürbodens kann man die Drahtseile der Züge auch unterhalb des Schnürbodens führen, indem man die Seilrollen auf der Unterseite des Bodenrostes einbaut (Abb. 1.178c). Der Nachteil dieser Anordnung besteht allerdings in der ungünstigen Wartungsmöglichkeit. Sofern genügend Platz vorhanden ist, ist die geeignetste Schnürbodenkonzeption wohl jene, bei der zwei Ebenen geschaffen werden, und zwar der begehbare Rost, durch den die Seile vertikal durchgeführt werden, und ein ca. 2 bis 3 Meter darüber angeordneter Rollenrost, in dem die Umlenkrollen zur Weiterführung der Seile situiert sind (Abb. 1.178d). Die begehbare Schnürbodenebene kann mit einem Latten- oder einem Lichtgitterrost versehen werden. Der Lattenrost aus U-förmig gebogenen Blechen bietet lange Durchführungsschlitze für die Seile, sodass eine Querverschiebung der Seile mög-

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Abb. 1.178: Schnürboden. (a) Rollen auf dem Schnürboden montiert, schräge Seilführung zur Wand, (b) wie (a), jedoch horizontale Seilführung, (c) Rollen unterhalb des Schnürbodens, (d) Rollenrost oberhalb des Schnürbodens.

lich ist. Ein Gitterrost lässt nur Ablaufpunkte zu, durch die das Seil bei Lageveränderung jeweils neu gefädelt werden muss; allerdings kann der Gitterrost natürlich so gestaltet werden, dass an bestimmten Stellen rechteckige Seilschlitze vorgesehen werden. Ein Schnürboden in Lattenrostausführung und darüber liegender Rollenrostebene ist in Abb. 1.179 (Großes Festspielhaus Salzburg), eine Ausführung mit Gitterrost in

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Abb. 1.179: Schnürboden mit Lattenrost im Großen Festspielhaus in Salzburg, oberhalb ein Rollenrost. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.180 (Stadttheater Duisburg) zu sehen. Eine Seilführung unterhalb des Rostes gemäß Abb. 1.178c ist z. B. im Stadttheater Stockholm (Abb. 1.181) gegeben.

Abb. 1.180: Schnürboden mit Gitterrost im Stadttheater Duisburg, oberhalb ein Rollenrost. Foto: Krupp.

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Abb. 1.181: Stadttheater Stockholm Schnürboden mit Seilführung unterhalb des begehbaren Rostes im. Fotos: SBS.

Eine selten realisierte Lösung ist in der Oper Frankfurt zu finden und in Abb. 1.182 ersichtlich. Über dem begehbaren Schnürboden ist eine massive Decke als Fundament für die Elektrowinden eingezogen. Die Hubseile verlassen die Seiltrommeln vertikal nach oben und werden über Seilrollen in einem Rollenrost an der Decke zu den erforderlichen Ablaufstellen verzogen und durch kleine Öffnungen vertikal durch die Decke geführt. Insgesamt sind somit drei Ebenen vorhanden, unten ein begehbarer Schnürbodenrost, darüber eine Massivdecke von brandschutz- und schallschutztechnischer Wirkung und darüber der Rollenrost.

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Abb. 1.182: Schnürbodensystem in der Oper Frankfurt am Main Maschinenraum oberhalb des Rollenrostes. Bildnachweis: BTR 2/1992.

Tragfähigkeit des Schnürbodens Der Schnürboden bietet also die Möglichkeit eine Vielzahl von Hubzügen zu installieren. Jeder dieser Züge hat eine maximale Tragfähigkeit, die sich aus der Dimensionierung der Bauelemente des jeweiligen Zuges ergibt. Daraus resultieren insgesamt für die Tragkonstruktion des Schnürbodens enorme Gesamtbelastungen, die letztlich über die Gebäudestruktur ins Gebäudefundament abgeleitet werde müssen.

160 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Bei der Erneuerung bühnentechnischer Einrichtungen oder größeren Umbauten in älteren Gebäuden ergeben sich dabei oft erhebliche Probleme, sei es, dass die Dachbinder, das Mauerwerk oder die Fundamente des Gebäudes diese Lasten nicht aufnehmen können. Dies kann gegebenenfalls auch dazu führen, dass die Gesamtbelastung eingeschränkt werden muss. Zu dieser Problematik seien zwei konkrete Situationen geschildert: Bei der Renovierung des Wiener Volkstheaters vor einigen Jahrzehnten wurde die gesamte Schnürboden – Tragkonstruktion auf eine in das Haus eingebaute Portalkonstruktion aus Stahl aufgesetzt, sodass Stahlstützen die Last direkt in Fundamente ableiten, ohne das Gebäude selbst zu belasten. Beim Umbau der Berliner Oper „Unter den Linden“ musste man feststellen, dass der Gebäudeuntergrund aus geologischen Gründen gar nicht in der Lage wäre, die Gesamtlast zu übernehmen, die sich ergäbe, wenn alle vorhandenen Züge mit der maximale Tragfähigkeit belastet würden. Daher ist es erforderlich, die Größe der Gesamtlast einzuschränken und die Schnürbodenkonstruktion auf Lastmessdosen zu lagern, um Überlastung auszuschließen. Arbeitsgalerien Die Begrenzungswände der Bühne, die Seitenwände und die hintere Bühnenwand sind mit Arbeitsgalerien versehen. Dies sind mehrere übereinander angeordnete und durch Treppen – oft auch durch eine Aufzugsanlage – verbundene begehbare Flächen, von denen aus verschiedenste Manipulationen bei guten Sichtverhältnissen auf die Bühne vorgenommen werden können. Von besonderer Bedeutung sind die Arbeitsgalerie für die Betätigung der Handkonterzüge, die Arbeitsgalerie zum Be- und Entladen der Gegengewichtsschlitten sowie jene Arbeitsgalerien, auf denen Schaltpulte zur Steuerung von mechanischen Antrieben der Unter- und Oberbühne situiert sind. Die Geländer der Arbeitsgalerien sind massiver als bei sonstigen Laufstegen ausgeführt, da der Handlauf auch zur Befestigung von Scheinwerfern und zum Verhängen einfacher Handleinenzüge dienen soll (siehe Kap. 1.8.3).

1.8.2 Einrichtungen des Proszeniums Gestaltung des Bühnenportals Unter Proszenium versteht man die architektonisch gestaltete Umrahmung der Bühnenöffnung. Die Bühnenseite der Proszeniumswand ist bei größeren Bühnen mit Podesten und Laufstegen versehen, um vor allem Beleuchtungsgeräte installieren zu können. Die seitlichen Begrenzungen bezeichnet man als Portaltürme, die obere Begrenzung als Portalbrücke. Soll die Größe der Portalöffnung veränderbar sein, kann die seitliche Begrenzung durch verfahrbare Portaltürme oder bei festen Portaltürmen

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mit verschiebbaren Blenden verstellbar gemacht werden. Die obere Begrenzung kann bei Vorhandensein einer festen Portalbrücke durch vertikales Verschieben einer Blende, bei beweglichen Portalbrücken durch Veränderung der Hubstellung der Portalbrücke variiert werden. Das Verschieben der Portaltürme kann entweder von Hand oder motorbetrieben erfolgen. Durch entsprechende Seilführung eines Windentriebs kann auch ein zwangsgeführtes symmetrisches Verfahren beider Türme bewerkstelligt werden. Zum vertikalen Verfahren der Portalbrücke kommt ein Handantrieb wegen der meist sehr großen bewegten Massen trotz teilweisen Gegengewichtsausgleichs bei größeren Bühnen nicht in Frage. Eine bewegliche Portalbrücke kann in ihrer Funktion als Beleuchterbrücke i. A. bis auf Bühnenniveau abgesenkt werden, um deren Bestückung mit Scheinwerfern in einfacher Weise vornehmen zu können. Oberhalb der höchsten Portalöffnung sind feste Führungen für die Portalbrücke vorhanden. Die unterhalb eingebauten verschiebbaren Portaltürme müssen zum Absenken der Portalbrücke auf Bühnenniveau meist in die Stellung kleinster Portalöffnung verfahren werden, um der Portalbrücke Führung zu bieten. Kann die Portalbrücke ausreichend hoch gebaut werden, kann auf die Führung in den verfahrbaren Portaltürmen verzichtet werden, sodass Portaltürme und -brücke völlig unabhängig voneinander verstellt werden können. Große Portalbrücken sind mehrstöckig gebaut. Die Begehung der Laufstege auf der Portalbrücke von den Arbeitsgalerien aus wird gegebenenfalls über bewegliche Anbindungselemente zur Überbrückung von Niveauunterschieden ermöglicht. In Abb. 1.183 sind schematisch verschiedene Möglichkeiten der Ausbildung der Portalzone zusammengefasst. Abbildung 1.184 zeigt die verfahrbaren Portaltürme und die in der Höhenlage verstellbare Portalbrücke im Festspielhaus Bregenz, Abb. 1.185 jene im Großen Festspielhaus Salzburg und Abb. 1.186 in der Oper Genua. Vorhangkonstruktionen Im Bereich des Proszeniums sind bei größeren Bühnen meist mehrere Vorhänge eingebaut, deren Funktionen und Bauweisen im Folgenden kurz beschrieben werden und zwar: – Spielvorhang – Schleiervorhang, Schleierzug – Schmuckvorhang – Schallvorhang – Eiserner Vorhang. Spielvorhang Zum Öffnen und Schließen der Proszeniumsöffnung dient der Spielvorhang. Dabei bieten sich folgende drei Möglichkeiten des Bewegungsablaufes an: – Heben des Vorhanges,

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Abb. 1.183: Ausbildung der Portalzone, Varianten hinsichtlich der Portaltürme und der Portalbrücke. (a) Feste Portalausbildung, Veränderung der Portalöffnung durch bewegliche Blenden möglich, (b) bewegliche Portalbrücke, feststehende Portaltürme, (c) bewegliche Portalbrücke und Portaltürme, (d) in Bühnenlängsrichtung verfahrbare und hebbare Portalkonstruktion.

Abb. 1.184: Verfahrbare Portaltürme und verfahrbare Portalbrücke im Festspielhaus Bregenz. Foto: Waagner-Biró.

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Abb. 1.185: Portalzone im Großen Festspielhaus Salzburg. Bildnachweis: Waagner Biró.

– –

Teilen des Vorhanges durch Verziehen der Vorhanghälften nach links und rechts, Raffen als diagonales Heben der Vorhanghälften in Richtung der seitlichen oberen Ecken.

Beim Hubvorhang nach Abb. 1.187a – auch Deutscher Vorhang genannt – wird eine Laststange mit darauf montiertem Vorhang ähnlich einem Prospektzug vertikal verfahren. Der Antrieb kann manuell oder motorisch erfolgen. Beim Teilvorhang nach Abb. 1.187b – auch Griechischer Vorhang genannt – werden zwei Vorhanghälften auf einer Vorhangschiene seitlich verfahren. Der Antrieb erfolgt über Seilzug manuell oder elektrisch. Wird dabei jede Vorhanghälfte am der Mitte zugewandten Ende in Schließ- oder Öffnungsrichtung gezogen, so ergibt sich am Vorhang während der Bewegung eine ungleichmäßige Faltenteilung. Abbildung 1.188a zeigt die Aufhängung des Vorhanges auf Gleitern (Gleitzugeinrichtung), Abb. 1.188b die Aufhängung auf Rollen (Rollenzugeinrichtung). Meistens werden die Vorhanggleiter oder -rollen mit Seilen oder Ketten bewegt. In Abb. 1.189 ist ein System abgebildet bei dem mit einem verfahrbaren Zahnriemen gearbeitet wird: BELT-TRACK ist eine motorisierte Vorhangschiene für mittelschwere bis schwere Stoffe, für Leinwände sowie für Kulissenteile. Mit dieser Schiene können ein- oder zweiläufige, gerade, wie auch individuell gebogene Schienenverläufe realisiert wer-

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Abb. 1.186: Verfahrbare Portaltürme und verfahrbare Portalbrücke in der Oper Genua. Bildnachweis: Waagner-Biró.

den. Die Vorhangteile können individuell und formschlüssig am Zahnriemen eingekoppelt und gleichgerichtet oder gegenläufig bewegt werden. Der schlupffreie, formschlüssige Antrieb über Zahnriemen bietet die Möglichkeit der genauen und reproduzierbaren Positionierung durch Geber und entsprechende Steuerung und garantiert absolut präzise und reproduzierbare Bewegungsabläufe, wie sie insbesondere auf Kreuzfahrtschiffen und bei Shows garantiert werden müssen. Beim sogenannten Scherenvorhang nach Abb. 1.188c oder Abb. 1.190 wird die Distanz der Aufhängepunkte des Vorhanges gleichmäßig vergrößert oder verkleinert, wodurch bei jeder Vorhangstellung ein gleichmäßiger Faltenwurf erhalten bleibt. Ein großer Scherenvorhang wurde im 2009 errichteten Kongresszentrum in Taschkent eingebaut (siehe Abb. 1.192). Der Scherenvorhang besteht aus zwei Scheren mit der Endstellung am linken und rechten Ende. Beide Scheren sind seitlich versetzt eingebaut und überlappen sich in der Mitte im geschlossenen Zustand. Die Gesamtlänge des Vorhanges beträgt ca. 36,7 m, die Überlappung normalerweise 1,0 m, in besonderen Fällen maximal 3,0 m.

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Abb. 1.187: Spielvorhang, Bau- und Funktionsweisen nach DIN 56 920, Blatt 3. (a) Hubvorhang (Deutscher Zug), (b) Teilvorhang (Griechischer Zug), (c) Raffvorhang (Italienischer Zug), (d) Raffvorhang (Wagner-Vorhang), (e) hebbarer Raffvorhang (Französischer Zug), (f) Wolkenvorhang.

Der Scherenträger kann in Seile gehängt (13 Seile im Abstand von ca. 2,9 m) und somit über eine Prospektzugwinde als Hubvorhang gehoben bzw. gesenkt werden. Der Antrieb des Scheren-Teilvorhanges (griechischer Zug) befindet sich auf dem Scherenträger und ist ein Treibscheibenantrieb mit dreirilliger Treibscheibe (3 mal 180 ° Umschlingung). Es ist auch ein Hanfseil-Notantrieb vorhanden. Im Bedarfsfall könnte bei dieser Vorhangkonstruktion auch ein Antrieb für einen Raffvorhang als italienischer Zug eingebaut werden. Kennzeichnend für den Raffvorhang ist, dass zwei Vorhanghälften diagonal zu den oberen Eckpunkten der Proszeniumsöffnung gezogen werden. Je nach Höhe der Portalöffnung, Ansatzpunkt und Lage des Diagonalzuges spricht man auch vom Italienischen Vorhang (Abb. 1.187c) bzw. vom Wagner-Vorhang (Abb. 1.187d). Bei Kombination der Raff- mit einer Hubbewegung nach Abb. 1.187e ist die Bezeichnung Französischer Zug üblich. Der Zug an den Seilen für die Raffbewegung muss beim Öffnen mit einer immer geringer werdenden Geschwindigkeit erfolgen. Früher erreichte man dies

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Abb. 1.188: Teilvorhang-Schemaskizzen. (a) Gleitzugeinrichtung, (b) Rollenzugeinrichtung, (c) Scherenzugeinrichtung. 1: Vorhang, 2: Vorhangschiene bzw.-träger, 3: Vorhanggleiter, 4: Vorhangrolle, 5: Laufrolle, 6: Schiene, 7: Hänger, 8: Zugseil.

Abb. 1.189: BELT-TRACK. Links: Laufschiene mit Zahnriemen und Detail Zahnriemen. Rechts: Beispiel einer Anwendung. Bildnachweis: Gerriets GmbH.

Abb. 1.190: Scherenzugeinrichtung. Schneider Bühnentechnik (D-Kiel).

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durch Verwendung einer mit konstanter Drehzahl angetriebenen konischen Seiltrommel (Abb. 1.191); heute verändert man die Drehzahl einer zylindrischen Seiltrommel. Für den Schließvorgang kuppelt man die Seiltrommel eventuell vom Antrieb ab und lässt den Vorhang zufallen.

Abb. 1.191: Alte Winde eines Raffvorhanges. Foto: Waagner-Biró.

Im Proszenium können in der „Vorhanggasse“ hintereinander Vorhänge verschiedener Funktionsweise eingebaut sein. Es ist aber auch möglich, kombinierte Vorhangsysteme zu bauen, bei denen ein und derselbe Vorhangstoff in zwei oder drei verschiedenen Arten bewegt werden kann. In diesem Sinne gibt es kombinierte Teil-/Raff-, Hub-/Teil- und Hub-/Raffvorhänge oder bei Kombination aller drei Bewegungsmöglichkeiten einen Teil-/Raff-/Hubvorhang. Beispiel für ein Vorhangsystem zum Teilen, Heben und Raffen In Abb. 1.193 ist die neue Vorhanganlage der Wiener Staatsoper dargestellt. Sie ermöglicht drei Varianten der Betätigung: als Teil-, Hub- und Raffvorhang. Abbildung 1.193b–d zeigt das Schema der Gesamtanlage, Abb. 1.193 die Antriebe und Seilführungen in drei spezifischen Situationen: – Öffnen bzw. Schließen als Teilvorhang erfolgt mit einer Seilwinde, wobei jeweils zwei Seile auf- und zwei Gegenseile abgewickelt werden, sodass über Zugkräfte beide Bewegungsrichtungen ermöglicht werden. (In der Abbildung ist nur ein Seil schematisch dargestellt.) Da die Seile über Rollen des Hubschlittens geführt werden, der zur Betätigung als Hubvorhang dient, kann ein Teilvorhang in verschiedenen Höhenlagen des Vorhangträgers eingesetzt werden.

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Abb. 1.192: Scherenvorhang für Kongresszentrum Taschkent. Bildnachweis: Gerriets.







Beim Öffnen und Schließen als Raffvorhang ist dieser Vorhangträger auf Tragbolzen abgesetzt. Die vom Vorhang kommenden beiden Raffseile sind je an einem Raffschlitten befestigt, der in seiner Höhenlage durch einen Seilflaschenzug mit den Raff-/Hubseilen zum Öffnen- oder Schließen verstellt wird, indem der Kolben eines Hydrozylinders ein- oder ausgefahren wird. Beim Heben bzw. Senken als Hubvorhang wird der Raffschlitten mit dem Vorhangträger verriegelt, sodass ein Verfahren des Raffschlittens auch ein Heben bzw. Senken des Vorhangträgers bewirkt. Da die Raff-/Hubseile auch über den Hubschlitten als Flaschenzug geführt sind, wird der Raffschlitten über ein am Hubschlitten angreifendes Zugseil mit einer Hubwinde bewegt. In angehobener Stellung des Hubvorhanges werden die beiden Raff-/Hubseile entlastet, indem der Vorhangträger auf einer höhenverstellbaren Absetzkonsole abgesetzt wird. Da die Biegesteifigkeit des Vorhangträgers als Träger auf zwei Stützen nicht ausreicht, ist in Trägermitte das Hubseil-Mitte angebracht, das mit den Raff-/Hubseilen mitbewegt wird. Da der Vorhangträger seine Höhenlage aber beim Raffen

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Abb. 1.193: Kombinierter Teil-, Raff- und Hubvorhang der Wiener Staatsoper. Bildnachweise: Klik Bühnensysteme Ges. m. b. H. (a) Übersicht, (b) Raff- und Teilvorhangfunktion – Vorhangträger und Raffschlitten nicht verriegelt, (c) Hubfunktion – Vorhangträger und Raffschlitten verriegelt – Fahrstellung, (d) Hubfunktion – Vorhangträger auf höhenverstellbarer Konsole abgesetzt – Vorhang in Offenstellung.

nicht verändern darf, wird dieses Seil nicht über den Flaschenzug zum Raffzylinder geführt und ist nach dem Hubschlitten abgehängt. Neben diesen drei am meisten gebräuchlichen Vorhangsystemen werden manchmal auch noch andere Varianten verwendet. Als Beispiele seien angeführt: – der Wickelvorhang, bei dem ein Textil auf einer horizontalen Trommel aufgewickelt wird, – der Wolkenvorhang, bei dem der Stoff durch mehrere in Ringen geführte Hubseile nach oben zusammengeschoben wird (Abb. 1.187f). Weitere im Proszeniumsbereich eingesetzte Vorhänge:

170 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Schleiervorhang Unter Schleiervorhang versteht man einen Vorhang aus leichtem durchscheinenden Textil. Er kann als Hubvorhang mit besonders hoher Geschwindigkeit verfahren werden und dient zur Erzielung szenischer Effekte. Als Einrichtung des Proszeniums wird er auch Portalschleier genannt. Ebenso können aber auch im Bühnenbereich hinter dem Proszenium installierte Laststangenzüge für Vorhangfunktionen und insbesondere auch für Schleiervorhänge eingesetzt werden; man spricht daher auch allgemein von Schleierzug. Schmuckvorhang Vor dem Eisernen Vorhang kann ein Schmuckvorhang eingebaut sein, falls das Vorhangblatt des eisernen Vorhanges auf der dem Zuschauer zugewandten Seite nicht dekorativ gestaltet ist. Die mit der Kurtine brandhemmend geschlossene Proszeniumsöffnung wird ja aus Sicherheitsgründen meistens erst wenige Minuten vor Vorstellungsbeginn in Anwesenheit des Publikums geöffnet und nach Vorstellungsende sofort wieder geschlossen. Schallvorhang Als Schallvorhang bezeichnet man einen Vorhang, der hinter dem Spielvorhang angeordnet ist und nach dem Schließen des Spielvorhanges herabgelassen werden kann, um zwischen Bühne und Zuschauerraum schalldämmend zu wirken. Dadurch sollen Geräusche bei Bühnenumbauten im Zuschauerraum nicht zu laut wahrzunehmen sein. In der sogenannten Vorhanggasse im Proszenium sind eventuell auch ein oder zwei Laststangenzüge für variablen Einsatz eingebaut. Eiserner Vorhang Obwohl bisher nur von Textilvorhängen die Rede war, soll in dieser Aufzählung auch der Eiserne Vorhang – auch als Kurtine bezeichnet – als Brandschutzvorhang erwähnt werden. Er wird im Kap. 1.9.1 näher beschrieben. 1.8.3 Hubzüge mit Seilen Übersicht – Klassifikation Gliederung nach Bauweise und Verwendungszweck: – Laststangenzüge: – Prospektzüge – Panoramazüge – Rundstangenzüge – Freizüge

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– – – –

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Punktzüge Handleinenzüge Oberlichtzüge Flugwerke.

Gliederung nach der Art des Antriebes: – Manuell: – Laststangenzug als Handkonterzug einfach oder doubliert – als Handwindenzug – Elektromotorischer Antrieb – Hydraulischer Antrieb: – mit Hydrozylinder – mit Hydromotor. Gliederung nach Art des Tragmittels: – Drahtseil – Naturfaserseil (als Handleinenzug) – Kette – Stahlband – Kunstfaserseil in Sonderfällen (siehe Kap. 1.8.8 bzw. Abb. 1.258). Begriffe und grundsätzliche Bauweisen Hängende Dekorationselemente werden von Hubzügen getragen und können im Bühnenhaus in den Sichtbereich der Zuschauer abgesenkt oder aus dem Sichtbereich der Zuschauer hochgezogen werden. Dazu befindet sich im Dachbereich des Bühnenhauses der in Kap. 1.8.1 beschriebene Schnürboden. Unabhängig von der Antriebsart unterscheidet man je nach Verwendungszweck und Art der Lastaufnahme zwischen Laststangenzügen und Punktzügen. Bei Laststangenzügen – manchmal wegen der früher verwendeten Holzlatten auch Lattenzüge genannt – können Lasten auf einer vertikal verfahrbaren Laststange montiert werden, insbesondere also Linienlasten, selbstverständlich aber auch Einzellasten. Als Laststange werden u. a. verwendet: – Rohre: z. B. Außendurchmesser 63,5 mm, Wandstärke 4 mm, Metermasse 5,9 kg/m, Flächenträgheitsmoment I = 33,2 cm4 , Widerstandsmoment W = 10,5 cm3 . – Rechteckshohlprofile: z. B. Außenmaße 100 mm × 50 mm, Metermasse 6,6 kg/m, Iy = 106 cm4 , Wy = 21,3 cm3 . – Sonderprofile aus Aluminiumlegierung (z. B. nach Abb. 1.196). Die Tragfähigkeit eines Laststangenzuges ist durch drei Kriterien bestimmt: – durch die maximale Gesamtsumme aller an der Laststange angehängten Lasten,

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durch die maximal zulässige Belastung jedes Hubseiles, an dem die Laststange hängt und durch die maximal zulässige Biegebeanspruchung der Laststange.

Daher sind meist als charakteristische Werte der Tragfähigkeit angegeben (siehe Abb. 1.194): – die maximale Nutzmasse in kg oder die maximale Last in N oder kN bzw. falls diese Last als Gleichlast über die Lattenlänge verteilt, eventuell auch in N/m oder kN/m, – die maximale Einzellast unter einem Hubseil, – die maximale Einzellast in Stangenmitte zwischen zwei Hubseilen bzw. am Stangenende.

Abb. 1.194: Nutzlasttafel für Laststangenzüge.

Die Lastangaben A – D bedeuten: A: maximale Einzellast unterhalb der Seilaufhängung – abhängig von der Seilbemessung B: maximale Einzellast in Feldmitte zwischen zwei Seilaufhängungen – abhängig von der Bemessung der Laststange und der maximalen Last A C: maximale Streckenlast (Gleichlast) zwischen zwei Seilaufhängungen – abhängig von der Bemessung der Laststange und der maximalen Last A D: maximale Einzellast am Stangenende – abhängig von der Bemessung der Laststange und der maximalen Last A. Abb. 1.195 zeigt Möglichkeiten der Ausführung nachstellbarer Seilbefestigungen. Da eine Laststange je nach Länge an etwa 4 bis 6 Seilen hängt, müssen die Seile in ihrer Länge justiert werden können. In den Ausführungen nach Abb. 1.195a, c dienen dazu Spannschlösser, in der Ausführung nach Abb. 1.195b eine verschiebbare Justierlasche. Mittig angeschweißte Befestigungslaschen nach Abb. 1.195c bieten die Mög-

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Abb. 1.195: Laststange – Justierung der Seilaufhängung mit (a) Spannschloss, vertikal, (b) verschiebbarer Justierlasche, (c) Spannschloss, horizontal, Laststange als Schiene nutzbar (vgl. Abb. 1.256).

lichkeit, dass Laufwagen, deren Rollen links und rechts oben auf dem Rohr in einem Winkel von etwa 45 ° laufen, vorbeifahren können. Solche Laststangen eignen sich dann auch für den Einsatz als Flugwerkschiene (siehe Kap. 1.8.8). In Abb. 1.196 sind Spezialprofile aus Leichtmetall dargestellt, die universelle Einsatzmöglichkeiten bieten. Laststangenzüge sind in großer Zahl normal zur Bühnenachse orientiert angebracht und werden in dieser Anwendung auch als Prospektzüge bezeichnet. Die Länge der Laststangen entspricht etwa der Breite der Bühne, der Abstand der Laststangen beträgt ca. 180 bis 300 mm. Bei sehr engem Abstand besteht die Gefahr des Hängenbleibens an bereits mit Lasten bestückten Nachbarstangen. Sind Hubzüge im Vor- bzw. Hinterbühnenbereich situiert, nennt man sie der Raumzuordnung entsprechend auch Vor- bzw. Hinterbühnenzüge. Werden Laststangenzüge entlang der Bühnenseitenwände in Bühnenlängsachse orientiert, um mit deren Hängern diese Wände dekorationsmäßig abzudecken, bezeichnet man sie als Panoramazüge. Neben den Laststangenzügen mit gerader Stange gibt es auch sogenannte Rundstangenzüge oder Cykloramazüge mit bogenförmiger Laststange. Diese Züge werden zur Begrenzung des Bühnenraumes oft in Kombination mit Panoramazügen eingesetzt. Ortsveränderliche Prospektzüge kleiner Tragfähigkeit mit versetzbaren Rollen und beliebiger Raumlage werden auch als Freizüge bezeichnet. In modernen Bühnen legt man meist auch auf den Einbau vieler Punktzüge Wert. Punktzüge sind nicht für Linien-, sondern für Punktlasten gedacht und bieten mit einem Hubseilstrang oder bei einfacher Flaschenzugeinscherung mit zwei Seilsträngen und Unterflasche die Möglichkeit des Anhängens einer Einzellast. Meist arbeiten mehrere Punktzüge in einer Synchrongruppe zusammen, um z. B. einen Plafond zu heben. Selbstverständlich kann in mehrere Punktzüge auch eine

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Abb. 1.196: Spezialprofile aus Leichtmetall für universellen Einsatz. (a) Auswahl verschiedener Profiltypen, (b) Seilaufhängung, Laufwagen, Elektroschienen und Zubehör. Bildnachweis: Bühnenbau Schnakenberg GmbH & Co. KG (D-Wuppertal).

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Laststange eingehängt werden. Daher ist ihr Einsatz i. A. nur in schaltungstechnisch vernetzbaren Anlagen mit der Möglichkeit der Regelung der Geschwindigkeit der betroffenen Punktzüge sinnvoll. Die bisher aufgezählten sehr bühnenspezifischen Hubeinrichtungen haben meist eher geringe Tragkraft. Laststangenzüge sind üblicherweise für eine Tragfähigkeit von ca. 300 bis 1000 kg bzw. eine Tragkraft von 3 bis 10 kN ausgelegt, Punktzüge für 100 bis 300 kg bzw. 1 bis 3 kN. Haben die eingebauten Hubzüge eine geringe Tragfähigkeit, wie dies vor allem bei Handkonterzügen der Fall ist, werden in der Oberbühne öfters auch einzelne Schwerlastzüge installiert, um im Bedarfsfall auch höhere Lasten manipulieren zu können (siehe Abb. 1.235). Als Tragmittel für Hubzüge werden und wurden vor allem Drahtseile verwendet, kommen aber auch Ketten oder Stahlbänder zum Einsatz (s. Kap. 1.8.4 und 1.8.5). Bauweisen von Laststangenzügen Theater wurden früher fast ausschließlich mit manuell betätigten Hubzügen ausgerüstet. Motorkraftbetriebene Züge wurden relativ selten eingesetzt. Mit Hydrozylindern über einfache Handsteuerventile betätigte Prospektzüge hatten sich in alten Theatern ebenfalls bewährt. Elektrische Antriebe konnten mit geeigneter Steuercharakteristik in früheren Jahren kaum, oder nur mit wirtschaftlich nicht vertretbarem Aufwand realisiert werden. In der Folge hatten sich bei Motorisierung zunächst vor allem hydraulische Antriebe durchgesetzt, da diese feinfühlig geregelt werden konnten. Mit den Möglichkeiten der modernen Elektrotechnik haben sich nunmehr wieder elektrische Antriebe durchgesetzt, wie in Kap. 2.4 näher erläutert wird. Manueller Antrieb Handzüge werden im Allgemeinen für eine Tragfähigkeit bis zu 300 kg (3 kN Nutzlast) gebaut. Mit Flaschenzügen könnten solche Lasten im szenischen Einsatz nicht rasch genug bewegt werden. Daher arbeitet man in der Bühnentechnik mit sogenannten Handkonterzügen, bei denen die Hublast durch Gegengewichte ausgeglichen wird. Die Bauweise ist in Abb. 1.197a ersichtlich. Die Laststange hängt an mehreren Drahtseilen, die vertikal zum Schnürboden (Rollenboden) und über Umlenkrollen zur Gegengewichtswand geführt werden. An der Gegengewichtswand werden sie in einen Gegengewichtsschlitten eingebunden, der zum Ausgleich der an der Latte hängenden Last mit manuell auflegbaren Gewichtselementen beladen wird. Das Be- und Entladen dieser Gegengewichtsschlitten erfolgt von einer hierfür vorgesehenen Arbeitsgalerie aus; die Einzelgewichte sollten nicht mehr als 15 kg wiegen. Zum Heben oder Senken der Laststange bzw. des Gegengewichtsschlittens wird von einer Arbeitsgalerie aus an einem Kommandoseil gezogen. Dies ist ein Naturfaserseil (z. B. Hanfseil), welches in einer vertikalen Seilschleife in den Gegengewichtsschlitten eingebunden ist. Bei dieser Anordnung legt der Gewichtsschlitten die gleiche Hubstrecke zurück wie die Laststange, also einen maxima-

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Abb. 1.197: Manuell betriebener Prospektzug. (a) Einfacher Handkonterzug, (b) doublierter Handkonterzug, (c) Handwindenzug. 1: Prospektlatte, 2: Laststangenseile (Drahtseile), 3: Kommandoseil (Hanfseil), 4: Spannrolle, 5: Gegengewichtsschlitten mit Gewichten (Laststange am Schnürboden angehoben), 6: Seilstopper, 7: Arbeitsgalerie, 8: Windenseil, 9: Handwinde, 10: Bühnenboden.

len Hubweg, der etwa der Niveaudifferenz zwischen Schnürboden und Bühnenboden entspricht. Daher muss die Gegengewichtswand ebenfalls vom Schnürboden bis zum Bühnenboden oder noch tiefer hinunterreichen. In Abb. 1.199 (Festspielhaus Bregenz) ist eine Gegengewichtswand für Handkonterzüge zu sehen. Schließt an die Hauptbühne eine Seitenbühne an und kann die Gegengewichtswand daher nicht bis auf Bühnenniveau geführt werden, müssen doublierte Handkon-

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terzüge anstelle der oben beschriebenen Einfach-Handkonterzüge eingesetzt werden, wie sie in Abb. 1.197b dargestellt sind. Im Falle der Doublierung ist zwischen Laststange und Gegengewicht ein Flaschenzug im Verhältnis 1:2 eingebunden. Daher muss eine doppelt so große Gegengewichtsmasse die Last ausgleichen, die dann allerdings nur den halben Hubweg der Laststange zurücklegt (vgl. Kap. 4.1.2). Das Kommandoseil kann ebenfalls doubliert oder direkt eingebunden sein. Zum Fixieren einer Laststange in einer bestimmten Höhenlage wird das Betätigungshanfseil (Kommandoseil) mit einem Seilstopper geklemmt. Es gibt eine Vielzahl von Seilstopperausführungen unterschiedlichster Qualität; vor allem sollte das Hanfseil an der Klemmstelle keinem zu großen Verschleiß unterliegen. In Abb. 1.198 ist ein Seilstopper für ein Kommandoseil zu sehen. Manchmal werden aber auch nur einfache Seilklemmbügel, in der gleichen Abbildung zu sehen, verwendet.

Abb. 1.198: Seilfeststelleinrichtungen für Handkonterzüge mit – links: Seilstopper, rechts: Seilklemmbügel. Fotos: Waagner-Biró.

Die Beladung der Gegengewichtsschlitten mit Gegengewichtsstücken von 15 kg erfordert großen Arbeitsaufwand und belastet die Wirbelsäule. Daher gibt es nicht nur als Rationalisierungsmaßnahme, sondern auch im Sinne des Arbeitsschutzes Bestrebungen, Handkonterzüge durch Maschinenzüge zu ersetzen bzw. die Tragfähigkeit von Handkonterzügen auf sehr kleine Nutzlasten zu beschränken. In den Niederlanden wurde z. B. eine Verordnung verabschiedet, nach der in einer Bühne nur maximal 20 Stück Handkonterzüge installiert sein dürfen, deren Tragfähigkeit dadurch beschränkt wird, dass – egal ob es sich um einfache oder doublierte

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Abb. 1.199: Gegengewichtswand für einfache Handkonterzüge im Festspielhaus Bregenz. Foto: Waagner-Biró.

Züge handelt – der Gegengewichtsschlitten nur eine maximale Masse von 75 kg besitzen darf; die einzelnen Gegengewichtsstücke dürfen nicht schwerer als 6 kg sein. Als Motivation für diese Vorschrift ist anzumerken, dass infolge des in den Niederlanden üblichen „Gastspielsystems“ Rüstarbeiten besonders häufig anfallen. Im Hinter-, Unter- und Seitenbühnenbereich ist kein szenischer Einsatz der Züge erforderlich, daher können auch einfache Handwindenzüge nach Abb. 1.197c verwendet werden. Die Tragseile der Laststange werden zu einem Seil zusammengefasst, das auf die Trommel einer Handwinde aufgewickelt wird. Dadurch kann die Manipulation mit Gegengewichten vermieden werden; es sind allerdings nur geringe Geschwindigkeiten erzielbar. Eine einfache Handwinde ist in Abb. 1.200 zu sehen. Abbildung 1.201 zeigt Handwinden- und Handkonterzüge. Prospektzüge mit Hydrozylinderantrieb (Hydraulische Linearzüge) Mit Hydrozylindern angetriebene Laststangenzüge wurden schon seit vielen Jahren als Alternative zu Handkonterzügen eingesetzt, wobei als Hydraulikflüssigkeit

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Abb. 1.200: Handwinde für Handwindenzug. Foto: Köstner.

Abb. 1.201: Handwinden- und Handkonterzüge. Bildnachweis: Eberhard.

Wasser-Öl-Emulsionen verwendet wurden. So waren – wie zum Beispiel in der Wiener Staatsoper – neben einer Vielzahl von Handkonterzügen hydraulische Linearzüge installiert. Später war es im Zuge der Umrüstung von Handkonterzügen zu Motorzügen vielfach üblich, Hydraulikzylinder in die Gegengewichtswand zu integrieren.

180 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Bei hydraulischen Linearzügen werden die Aufhängeseile der Laststange über den Rollenboden zur Bühnenseitenwand geführt und mit Hilfe eines Hydraulikkolbens bewegt. Zur Reduktion des erforderlichen Zylinderhubes arbeitet man mit einer Flaschenzugübersetzung, sodass der Hydraulikkolben zwar die i-fache Kraft aufbringen, aber nur den i-ten Teil des Weges zurücklegen muss (siehe Kap. 4.1.2 und Abb. 1.202a).

Abb. 1.202: Motorgetriebene Züge. (a) Hydraulischer Linearzug, (b) Windenzug mit Gegengewicht doubliert (1:2) aufgehängt, Winde am Schnürboden über Flaschenzug 1:2 arbeitend, (c) Windenzug mit Gegengewicht doubliert (1:2) aufgehängt, Winde in der Unterbühne, keine Flaschenzugübersetzung, (d) Treibscheibenantrieb.

Da sich in einem Hydraulikzylinder zur Betätigung eines Laststangenzuges relativ große Ölmengen befinden, haben Temperaturänderungen der Hydraulikflüssigkeit Verschiebungen der Kolbenstellung zur Folge, die dann die Höhenstellung der Laststange um den i-fachen Betrag verändern. Dies kann dazu führen, dass bei warmem Öl einjustierte Prospektstangen nach Abkühlung der Hydraulikflüssigkeit nicht mehr in den richtigen Positionen stehen. Daher wird bei modernen hydraulischen Oberbühnenanlagen i. A. der hydrostatische Windenzug mit Hydromotoren bevorzugt, da die Drehstellung der Seitentrommel durch eine mechanische Bremse fixiert ist. Diese eventuell störende Temperaturdrift an Hydraulikzylindern kann aber durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden, wie sie z. B. für die Linearantriebe der Obermaschinerie im Schauspielhaus Kassel getroffen wurden. Sollte die Laststange eines Prospektzuges ihre angefahrene Position, bedingt durch Temperaturabfall der Druckflüssigkeit nach längerem Stillstand verlassen haben, so wird ein spezieller Regelkreis aktiviert und aus einem Hydrospeicher Flüssigkeit zugeführt, bis die Laststange wieder die richtige Position einnimmt.

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Windenzüge angetrieben mit rotierenden Motoren Bei einem Windenzug werden die Laststangenseile auf einer Trommel auf- bzw. abgewickelt. Die Seiltrommel nimmt in nebeneinanderliegenden Lagen die Aufhängeseile der Laststangen auf. Egal, ob es sich um mit Elektromotor oder Hydromotor angetriebene Windenzüge handelt, ist deren Konstruktion prinzipiell mit und ohne Gegengewicht möglich. Im Regelfall werden motorkraftbetriebene Windenzüge wie bei normalen Hebezeugen ohne Gegengewichte gebaut, da die Hubleistungen aufgrund der relativ kleinen Nutzlasten sowieso nicht groß sind. In Abb. 1.202b–d sind Bauvarianten dargestellt, wie sie vor allem dann anzutreffen sind, wenn Handzüge zu Motorzügen umgebaut werden oder wurden und die vorhandenen Gegengewichtsschlitten weiterhin Verwendung finden, dann allerdings mit nicht veränderbarer Gegengewichtsgröße, und zwar vorteilhafter Weise der Größe Eigengewicht der Laststange plus halbe maximale Nutzlast. Auf diese Weise wird für die Antriebsleistung ein Minimalwert erreicht (siehe Kap. 3.6). Das Hanfseil zur Handzugbetätigung wird durch ein Drahtseil ersetzt, dessen Enden auf der Seiltrommel auf- bzw. abgewickelt werden. Solcherart eingesetzte Prospektzugwinden aus dem Opernhaus Düsseldorf sind in Abb. 1.203 zu sehen.

Abb. 1.203: Elektrisch angetriebene Winden für Prospektzüge mit Gegengewichtsausgleich bei halber Nutzlast, Auf- bzw. Abwickeln nur eines Seiles zur Bewegung des Gegengewichtsschlittens (System nach Abb. 1.202c) – Oper Düsseldorf. Foto: Krupp.

182 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Als Alternative können zur Bewegung des Gegengewichtsschlittens auch Punktzugwinden eingesetzt werden (z. B. das Punktzugsystem „Fly“ nach Abb. 1.232). Heutzutage werden fast nur mehr mit Elektromotoren angetriebene Windenzüge eingebaut (siehe Kap. 2.2.2). Je nach Raumsituation und Platzverhältnissen können die Seiltrommeln mit horizontaler oder vertikaler Achse eingebaut werden. Abb. 1.204 zeigt eine Winde mit horizontaler Trommel. Die Umlenkrollen für die weitere Seilführung sind weit genug von der Seiltrommel entfernt, sodass zulässige Ablenkwinkel an der Trommel eingehalten werden können (siehe Kap. 4.1.1).

Abb. 1.204: Prospektwinden mit horizontaler Windentrommel. Oben: Zeichnung einer Winde mit elektrischem Antrieb, unten: Foto einer elektrischen Winde. Bildnachweis: Waagner-Biró.

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Bei der in Abb. 1.205 dargestellten Winde mit vertikaler Trommel erfolgt die Umlenkung der Hubseile so nahe an der Winde, dass die zulässigen Ablenkwinkel überschritten werden würden. Die Seilrommel oder der Rollenträger wird daher bei Drehung der Seiltrommel in Richtung der Trommelachse derart verschoben, dass stets ein gleicher Ablenkwinkel erhalten bleibt.

Abb. 1.205: Prospektzugwinde mit vertikaler Trommelwinde. Lucent Danstheater Den Haag. Bildnachweis: SBS.

Für den Einbau an der Gegengewichtswand beim Ersatz von Handkonterzügen durch motorbetriebene Trommelwinden wurden speziell schmal bauende ProspektzugTrommelwinden mit vertikaler Trommel entwickelt (Abb. 1.206). Im dargestellten Fall wird bei Rotation der Trommel nicht die Trommel sondern der Rollenträger vertikal verschoben.

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Abb. 1.206: Prospektzüge im Theater an der Wien. Bildnachweis, Foto: Waagner-Biró.

In Abb. 1.207 sind die drei Varianten zum ordnungsgemäßen Bewickeln der Seiltrommeln dargestellt.

Abb. 1.207: Varianten zur Vermeidung zu großer Ablenkwinkel an der Seiltrommel. (a) Abstand der Umlenkbatterie zur Seiltrommel ausreichend groß, um zulässige Ablenkwinkel nicht zu überschreiten, (b) Abstand zu klein, daher wird die Seiltrommel bei Drehung der Seiltrommel axial verschoben, (c) Abstand zu klein, daher wird die Umlenkbatterie bei Drehung der Seiltrommel axial verschoben.

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Elektromechanische Windentriebe sind in den Abb. 1.204, Abb. 1.205 und Abb. 1.206 zu sehen. Die Seiltrommel wird unter Zwischenschaltung eines Getriebes von einem Elektromotor angetrieben. Mit moderner Leistungselektronik können Elektromotoren in ihrer Drehzahl gut geregelt werden. Während früher fast ausschließlich fremderregte Gleichstrommotore verwendet wurden, bietet heute die moderne Drehstromtechnik noch weit bessere Einsatzmöglichkeiten. Besonders günstiges Regelverhalten bieten moderne Servomotoren. Mit ihnen kann ein besonders hohes Regelverhältnis zwischen maximaler und minimaler Arbeitsgeschwindigkeit realisiert werden, ja, die Last kann bzw. könnte sogar im Stillstand motorisch gehalten werden (s. Kap. 2.2.2). Regelverhältnisse von 1:1000 gelten bei modernen Anlagen als allgemein üblich. Selbstverständlich ist es möglich, durch sorgfältige Gestaltung der Getriebe – der Verzahnung, der Zahnspiele etc. und der Motorbauweise die Schallemissionen sehr gering zu halten. Abbildung 1.208 zeigt eine Prospektzugwinde mit dem geschützten Namen „Flüsterwinde“.

Abb. 1.208: Flüsterwinde. Foto: Statec.

Bei hydraulischen Windenzügen (Abb. 1.209, Abb. 1.210) wird die Trommel von einem Hydromotor angetrieben. Als Hydromotor verwendet man meist Langsamläufer, sodass die Zwischenschaltung eines Getriebes gänzlich entfallen kann oder nur mehr eine kleine Übersetzungsstufe erforderlich ist. Schallemissionen rasch laufender Elektromotore und Zahnräder in Übersetzungsgetrieben können dadurch vermieden werden. Durch Kombination von Hydraulik und Elektronik können mit Hilfe moderner Servoventiltechnik sehr feinfühlig und exakt arbeitende Steuerungen bzw. Regelungen realisiert werden. Allerdings lassen langsam laufende Hydromotore keine großen Regelverhältnisse zu, da sie bei sehr geringen Drehzahlen konstruktionsbedingt unrund laufen.

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Abb. 1.209: Hydraulische Prospektzugwinden – Opernhaus Göteborg. Foto: Bosch Rexroth.

Abb. 1.210: Hydraulisch angetriebener Windenzug mit Seiltrommel in vertikaler Einbaulage mit verfahrbarer Umlenkrollenbatterie. Foto: Bosch Rexroth.

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Sollen sehr große Regelverhältnisse erzielt werden, ist es auch bei hydraulischen Antrieben notwendig, rascher laufende Hydromotoren einzusetzen, da Hydromotore bei zu kleinen Drehzahlen nicht mehr absolut gleichmäßig rotieren. In diesem Fall ergeben sich dann aber hohe Schallemissionen, denen durch entsprechende Schallschutzmaßnahmen begegnet werden muss, wie dies im Grand Thèâtre de Genève und Opernhaus Hannover (Abb. 1.211) geschehen ist.

Abb. 1.211: Anordnung der hydraulischen Prospektzugwinden im (a) Grand Thèâtre de Genève, (b) Opernhaus Hannover. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

(Die Technik hydraulischer Antriebe wird in Kap. 2.3 ausführlicher behandelt.) In Abb. 1.209 sind mit Hydromotoren angetriebene Prospektzugwinden zu sehen, wie sie im Opernhaus Göteburg eingesetzt wurden. Eine Sonderheit der in dieser Abbildung dargestellten Winde ist außerdem die leicht geneigte Lage der Seiltrommeln, durch die der Seilablauf zum Schnürboden günstig gestaltet werden kann. Die in Abb. 1.210 zu sehenden Prospektzugwinden mit vertikaler Trommel sind mit verschiebbaren Umlenkrollenbatterien ausgestattet. Elektrische Bobinenwinde Normalerweise werden die Hubseile auf einer mit Rillen versehenen Seiltrommel einlagig aufgewickelt. In Sonderfällen kann die Seilwicklung auch in Form einer Bobine erfolgen. Dadurch lassen sich für kleine Hubhöhen und kleine Hubgeschwindigkeiten kleine Kompakteinheiten gestalten, da lange Seiltrommeln vermieden werden. Die in Abb. 1.212 abgebildete Bobinenwinde ist mit 4 Seilsträngen für eine Tragkraft von 3 kN, eine Hubgeschwindigkeit von 0,1 m/s und eine Hubhöhe von 6 m ausgelegt und mit einer Nothandsteuerung mit aufsteckbarer Handkurbel ausgestattet.

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Abb. 1.212: Prospektzug-Bobinenwinde. Foto: Waagner Biró.

Motorisch betriebene Treibscheibenzüge Bei einem Windentrieb wird die Zugkraft über Formschluss übertragen. Als Alternative kann die Kraftübertragung auf das Seil auch durch Reibschluss erfolgen (s. Kap. 4.1.4). Dies ist bei mit Treibscheiben angetriebenen Laststangenzügen mit Gegengewicht (Abb. 1.202d) der Fall. Es ist aber problematisch, im Bühnenbetrieb bei allen möglichen Lastsituationen ausreichenden Reibschluss (s. Kap. 4.1.3) sicherzustellen. Daher werden Treibscheibenzüge eher selten verwendet. Außerdem ist bei Treibscheiben, auch wenn kein Gleitschlupf infolge Überlastung auftritt, ein sogenannter Dehnschlupf unvermeidbar. Die HCWA-Winde der Fa ASM-Steuerungstechnik GmbH „HCWA“ steht für „hand counterweight automation“. Es handelt sich um eine extrem schmal bauende Prospektzugwinde (180 mm), die ohne großen Umbau der Stahlkonstruktion an Stelle eines Handkonterzuges eingebaut werden kann, denn die Winde wird unter der vorhandenen Sammelrollenkonstruktion befestigt. Der Antrieb der Seiltrommel erfolgt über ein Stahlband (plus ein zweites Sicherheitsband) und ermöglicht Hubgeschwindigkeiten bis zu 1,8 m/s. Die maximale Tragfähigkeit beträgt 1000 kg. 4 bis 6 die Laststange tragenden Seile werden auf eine Kunststofftrommel mit großem Durchmesser (800 mm–1000 mm) als Bobine übereinander aufgewickelt. Neben den Seilen werden zusätzlich zwei Edelstahlbänder entgegengesetzt zu den Seilen aufgewickelt. Die Edelstahlbänder haben die Funktion des Antriebes, dabei ist eines der Bänder das Haupttragmittel und das andere ein Sicherheitsband. (Es gibt allerdings auch eine Bauweise mit nur einem Band.) Eine Drehmomentübertragung über die Nabe der Trommel, ist Aufgrund dieses Bandantriebes der auf den Umfang der Trommel wirkt, daher nicht notwendig. Die beiden Edelstahlbänder werden auf eine kleine-

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re Trommel, der der großen Trommel vorgelagerten Winde mit elektromotorischem Antrieb, gewickelt. Bei Verwendung zweier Bandantriebe ist auch eine Kompensationsmechanik, für die sich unterschiedlich entwickelnden Bandlängen des Hauptbandes und des Sicherheitsbandes, enthalten. Bei größeren Tragfähigkeiten werden zur Einhaltung der geringen Baubreite zwei Antriebsmotore kleiner Baugröße eingebaut. Die Bauweise ist der Abb. 1.213 zu entnehmen. In Abb. 1.214 ist die Ausführung für das Stadt- theater in Konstanz und für das Nationaltheater Mannheim dargestellt.

Abb. 1.213: Bauweise der HCWA-Winde. Bildnachweis: ASM-Steuerungstechnik GmbH.

Hinsichtlich Antrieb umrüstbare Laststangenzüge Handkonterzüge umrüstbar zu Maschinenzügen Da der Handkonterzug wesentlich kostengünstiger ist als der maschinelle Zug, sind aus Kostengründen in Theatern oft Mischsysteme installiert, bei denen die Bühnen mit Handkonterzügen ausgerüstet sind und zusätzlich eine gewisse Anzahl mobiler maschineller Windeneinheiten vorhanden ist. Durch mechanische Ankopplung einer dieser verfahrbaren Windeneinheiten kann ein Handkonterzug zum Maschinenzug umgerüstet werden, um damit eventuell auch größere Lasten zu bewegen. Im Festspielhaus Bregenz waren in der Oberbühne nur Handzüge vorhanden. Um den Anforderungen der vielen Einsatzbedingungen als international renommierter Spielstätte aber auch als Ausstellungs- und Kongresszentrum gerecht zu werden, wurde u. a. die Obermaschinerie im Festspielhaus erweitert. Standen bisher nur 60 Hand-

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Abb. 1.214: HCWA-Winde im Nationaltheater Mannheim. Bildnachweis: ASM-Steuerungstechnik GmbH.

konterzüge mit 350 kg Tragfähigkeit zur Verfügung, so sollten nunmehr 15 (erweiterbar auf 20) maschinelle Einheiten eingebaut werden, die es erlauben, jeden dieser Handzüge je nach Einsatzbedarf in einen Maschinenzug mit einer Tragfähigkeit von 500 kg bei einer Hubgeschwindigkeit von 0,001 bis 1,20 m/s umzurüsten (siehe Abb. 1.215 und Abb. 1.216).

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Abb. 1.215: Lage der verschiebbaren Prospektzugantriebe in der Unterbühne des Festspielhauses Bregenz. Bildnachweis: Bühnenplanung Walter Kottke Ingenieure GmbH.

Dazu wurden Antriebseinheiten entwickelt, die in der Unterbühne vor den Gegengewichtsbahnen auf Schienen verfahrbar angeordnet sind. Für den Einsatz eines Handzuges als maschineller Prospektzug wird der Gegengewichtsschlitten inkl. der Grundgewichte und dem Kommandotau für den Handzugbetrieb demontiert. Für den Maschinenzug wird nur die obere Führung mit dem Seilrechen verwendet, der unter dem Maschinenseil eingespannt wird. Auf den Fahrschienen können die kompletten Antriebseinheiten über die gesamte Bühnentiefe verfahren und an jeder beliebigen Stelle mit einem Rasterabstand von 500 mm arretiert werden. Jeder Handzug kann so, vor allem für den Festspielbetrieb, zu einem vollwertigen Maschinenzug umgerüstet werden. Zur Vermeidung von Schallübertragungen bzw. -ausbreitung auf die Bühne wurden diverse Schallschutzmaßnahmen vorgenommen. Maschinenzüge umrüstbar zu Handkonterzügen Im Gegensatz zu dieser bereits häufig realisierten Grundidee „Alle Züge manuell – einige wahlweise maschinisierbar“ gab es auch das konträre Modell „Alle Züge maschinell – einige wahlweise manualisierbar“, was allerdings kaum mehr Sinn macht, da die moderne Steuerungs- und Regeltechnik motorbetriebener Züge alle Ansprüche abdeckt. Trotzdem sei dieses Konzept mit Abb. 1.217 erläutert: Eine Anlage wird komplett mit maschinellen Prospektzugwinden ausgerüstet. Über speziell entwickelte verschiebliche Handkonterzugeinheiten hat der Nutzer die Möglichkeit, jeden der maschinellen Züge auch manuell als Handkonterzug zu nutzen. Bei mehreren verschieblichen Handkonterzugeinheiten können somit auch mehrere der maschinellen Züge gleichzeitig als Handkonterzug genutzt werden.

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Abb. 1.216: Verschiebbare Prospektzugantriebe in der Unterbühne des Festspielhauses Bregenz. Bildnachweis: Bühnenplanung Walter Kottke Ingenieure GmbH.

Um dies zu ermöglichen wird bei jedem maschinellen Zug im horizontalen Seilverlauf im Bereich der Bühnenhausseitenwand eine Seilschlaufe gebildet. In dieser Schlaufe befindet sich eine vertikal bewegliche Seilumlenkrolle. Im Maschinenbetrieb ist diese lose Rolle durch einen Bolzen arretiert. Das Ankoppeln der Handkonterzugeinheit an einen Maschinenzug erfordert nur wenige Handgriffe: Die Arretierung wird gelöst und bei Bewegen des Kommandoseiles des Handkonterzuges verschiebt sich einerseits die lose Rolle und damit andererseits die Laststange. Die durch die lose Rolle hervorgerufene einfache Einscherung wird in der verschieblichen Handkonterzugeinheit aufgehoben, so dass sich der Laststangenhub und der Weg des Gegengewichtes bzw. des Naturfaser-Kommandoseiles 1:1 entsprechen. Somit handelt es sich um einen einfachen nicht doublierten Handkonterzug.

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Abb. 1.217: Umrüstbarer Laststangenzug. Links u. Mitte: Handbetrieb, Rolle verfahrbar, rechts: Maschinenbetrieb, Rolle arretiert. Bildnachweis: Theatertechnische Systeme GmbH.

Motorisierung von Handzügen mit Reibradantrieb Schlussendlich sei noch eine Antriebsvariante erwähnt: Die Idee war, die Betätigung des Kommandoseiles am Handkonterzug durch einen am Kommandoseil wirkenden Reibradantrieb zu ersetzen. Dabei wurde aber vorausgesetzt, dass Last und Gegengewichtsschlitten wie bei Handantrieb austariert werden müssen. Da deshalb das anstrengende Bestücken der Gegengewichtsschlitten nicht entfallen kann, hat sich dieses in Abb. 1.218 dargestellte System nicht durchgesetzt. Rohrwellen- und Transmissionswellenzüge Bei kleineren Theatern und für untergeordnete Zwecke finden auch sogenannte Rohrwellenzüge Anwendung (Abb. 1.219). In diesem Fall werden die Hubseile der Laststange nicht über Umlenkrollen zur Bühnenseitenwand geführt, um dort gemeinsam an einer mehrteiligen Trommel aufgewickelt zu werden, sondern über die gesamte Bühnenbreite ist eine Rohrwelle verlegt, die als lange Seiltrommel angesehen werden kann, auf der die Hubseile der Laststange direkt auf- bzw. abgewickelt werden. Die Rohrwelle ist, wie im Bild zu sehen ist, in Stützrollen gelagert und wird mit einem Motor angetrieben. Werden statt einer

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Abb. 1.218: Handkonterzug- Hilfsantrieb. Foto: Bader Maschinenbau.

durchgehenden Rohrwelle Einzeltrommeln gekuppelt, ist die Bezeichnung Transmissionswellenzug gebräuchlich. Von Waagner Biró wird ein Modulrohrwellenzug („MRZ“) angeboten (siehe Abb. 1.219 und Abb. 1.220): Er ist äußerst flexibel gestaltet und besteht aus den Moduli Antrieb, Seiltrommel, Rohrwelle und Winkelgetriebe. Er ist so konzipiert, dass eine stehende, hängende oder seitliche Montage möglich ist. Da die Rohrwelle zur Drehmomentübertragung nicht bearbeitet werden muss, können die Module noch auf der Baustelle verschoben werden. Bei fixen Seildurchgängen in den Decken kann der MRZ auch mit einer Verschiebeeinrichtung für die Seiltrommeln – zum Ausgleich des Seillaufes – ausgestattet werden. Das Verschieben der Trommelmodule und des Antriebsmoduls erfolgt mit einer drehenden Spindel und einer feststehenden Mutter am Schlittenmodul. Das Spindelgewinde entspricht der Steigung der Seiltrommel. Im Standardprogramm stehen 2 Typen mit Nutzlasten von 3 und 5 kN und einer Nennhubgeschwindigkeit von 0,15 m/s und 0,3 m/s zur Auswahl. Bauweisen von Punktzügen In Ergänzung zur Ausstattung des Schnürbodens mit Laststangenzügen werden zum Bewegen von Einzellasten häufig Punktzugwinden installiert. Ein mehrfacher Einsatz von Punktzügen war allerdings erst dann sinnvoll, als moderne Regelungstechnik eine exakte Vorgabe der Hub- und Senkgeschwindigkeiten ermöglichte.

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Abb. 1.219: Rohrwellenzug im Theater Hartberg. Fotos: Waagner-Biró.

Laststangenzüge werden im Regelfall als Seiltriebe gebaut. Bei Punktzügen wird das Seil auch durch Ketten oder Stahlbänder ersetzt. Daher werden in Kap. 1.8.4 und 1.8.5 auch Ketten- und Bandtriebe behandelt. Grundsätzlich ist anzumerken, dass durch eine mechanische Kopplung von Punktzügen über eine Laststange und Synchronisation der Antriebe auch aus mehreren Punktzügen ein Laststangenzug realisiert werden kann, egal ob als Zugmittel ein Seil, eine Kette oder ein Stahlband dient. Seilzüge mit manuellem Antrieb Selbstverständlich können Punktlasten mit einfachen Handwinden gehoben werden. Im Hauptbühnenbereich kommt der Einsatz solcher Handwindenzüge kaum in Frage, wohl aber auf Nebenbühnen.

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Abb. 1.220: Modul-Rohrwellenzug und dessen Module. Bildnachweis: Waagner Biró.

Entfällt bei sehr kleinen Lasten die Winde und wird direkt über eine oder mehrere Umlenkrollen an einem Hanfseil gezogen, nennt man dies Handleinenzug. Dies ist allerdings nur für sehr kleine Lasten zulässig (z. B. für Lasten von maximal 30 kg). Motorisch angetriebene Einzelwindenzüge mit Seilen Durch Verziehen des Hubseiles über Versatzrollen am Schnürboden kann trotz fixen Einbaustandortes der Winde die Einsatzlage am Schnürboden variiert werden. Abbildung 1.221 veranschaulicht die Art der Aufstellung. Wie die Winden für Laststangenzüge können auch diese Winden elektrisch oder hydraulisch angetrieben werden. Abbildung 1.222 zeigt eine hydrostatisch angetriebene Punktzugwinde. In Abb. 1.223 ist eine Versatzrollenkonstruktion zu sehen, die sowohl auf Lichtgitter-Schnürböden als auch bei Schwellenrosten montiert werden kann und durch Schwenken um zwei Achsen jede Raumlage der Umlenkrolle ermöglicht. Somit sind horizontale und vertikale aber auch beliebig im Raum orientierte Seilumlenkungen realisierbar. Da das Hubseil auf der Trommel beim Auf- und Abwickeln den Auf- bzw. Ablaufpunkt verändert, muss die erste Versatzrolle nach der Trommel so gesetzt werden, dass keine zu großen Seilablenkwinkel auftreten, es sei denn die Seiltrommel wird bei Drehung – wie in Abb. 1.224 zu sehen – axial verschoben.

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Abb. 1.221: Punktzüge – Festlegung des Ablaufpunktes mit Versatzrollen (dargestellt im Grund- und Aufriss).

Abb. 1.222: Punktzugwinde mit hydrostatischem Antrieb. Foto: Bosch Rexroth.

Bei den in Abb. 1.224 dargestellten Winden wandert die Seiltrommel bei Drehung in axialer Richtung entsprechend der Rillensteigung, so dass die Lage des Seilablaufes unverändert bleibt. Selbstverständlich ist bei weiterer Führung des Seiles über Versatzrollen wieder zu beachten, dass der Winkel aus der Versatzrollenebene nicht zu groß ist (s. Kap. 4.1.2). Parallel zum Proszenium verfahrbare Punktzüge Eine häufig realisierte Bauweise von Punktzügen ist das System der Seilzugkatze, wie es in Abb. 1.225 und Abb. 1.226 gezeigt wird. Anstelle eines Prospektzuges ist quer über die Bühnenbreite am Schnürboden eine Schiene verlegt, auf der kleine Laufkatzen fahren können. Das Hubseil wird von einem Fixpunkt an einer Bühnenseite zu die-

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Abb. 1.223: Versatzrolle. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.224: Elektrische Punktzugwinden mit „Wanderantrieb“. Links: für vertikalen, rechts: für horizontalen Seilabzug. Foto: Köstner.

sem kleinen Laufwagen, dann nach unten zu einer Art Hakenflasche, von dort über eine Rolle wieder nach oben zum Laufwagen und dann zur gegenüberliegenden Bühnenwand und weiter zur Seiltrommelwinde geführt. Mit deren Hilfe kann ein Heben und Senken der Last vorgenommen werden. Die Stellung der Katze auf der Schiene bestimmt die Lage des Lastpunktes in Bühnenquerrichtung. Durch Verfahren der Katze auf der Schiene kann die Lage des Lastpunktes verändert werden, ohne dadurch die Höhenlage der Last zu beeinflussen. Das Verschieben der Katze kann über ein Seilzugsystem von Hand oder motorisch erfolgen. Bei einer sehr häufig ausgeführten Bauvariante wird die Veränderung der Katzstellung vom Bühnenboden aus durch Ziehen an einem der beiden zur Hakenflasche führenden Seile vorgenommen. Meist werden auf einer Schiene 5 bis 6 Punktzüge mit einem eigenen Windenantrieb für jeden Punkt angeordnet.

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Abb. 1.225: Punktzüge mit verfahrbaren Laufkatzen.

Abb. 1.226: Punktzug-Laufkatzen in der Oper Genua. Foto: Waagner-Biró.

Es gibt auch Anlagen, bei denen die Laufkatzen über ein Seilzugsystem verfahren werden können, wie dies bei Bau-Turmdrehkranen üblich ist. Damit ist der Punktzug als ein in der Ebene verfahrbares Flugwerk einsetzbar (siehe Kap. 1.8.8). Eine ebenfalls ausgeführte aber nicht sehr zweckmäßige Variante zum eben beschriebenen System besteht darin, dass alle 5 oder 6 Lastseile von einer einzigen Seilwinde betrieben werden. Bei dieser Lösung muss man nicht benötigte Aufhängepunkte nach außen ziehen und lässt sie außer Sicht ohne Funktion mitlaufen.

200 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Diese verschiebbaren Punktzüge bieten größere Variabilität im Einsatz, aber auch bei Bedarf die Möglichkeit, eine Laststange einzuhängen. Als Nachteil gegenüber Versatzrollen wäre anzuführen, dass nicht die gleiche Freizügigkeit in der Wahl des Ablaufpunktes gegeben ist, falls nur einige Punktzugbahnen vorhanden sind, da die Laufkatzen nur in Bühnenquerrichtung verschoben werden können. Außerdem ist zu bedenken, dass Punktzüge mit verfahrbaren Laufkatzen dieser Bauweise einer zweisträngigen Aufhängung mit Unterflasche bedürfen. Als Hubantrieb für die Punktzüge kommen, wie unter den Laststangenzügen beschrieben, wieder elektrische und hydrostatische Antriebe in Frage. Bei der im Seilschema nach Abb. 1.227 dargestellten Variante werden in diesem Fall beide Seilenden auf der Seiltrommel gewickelt, damit das Seil bei Hubgeschwindigkeit v auch nur mit v bewegt werden muss. Im Falle des Wickelns nur eines Seilendes ist ja für die Hubgeschwindigkeit v die Seillaufgeschwindigkeit 2v erforderlich, wodurch höhere Seillaufgeräusche entstehen. Die in Abb. 1.227 und Abb. 1.228 abgebildete Anlage befindet sich im Schauspielhaus Frankfurt. Die Gassen-Punktzuganlage bietet in 15 Gassen je 6 separat angetriebenen Hängepunkte mit 250 kg Tragfähigkeit. Die 6 Antriebe sind jeweils übereinander als Block angeordnet.

Abb. 1.227: Gassen-Punktzuganlage im Schauspielhaus Frankfurt. Bildnachweis: SBS.

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Abb. 1.228: Gassen-Punktzuganlage im Schauspielhaus Frankfurt. Foto: SBS.

Tragbare bzw. versetzbare Punktzugwinden Wird der Schnürboden möglichst frei gehalten, können auch versetzbare Punktzugwinden verwendet werden. Je höher deren Tragfähigkeit, umso größer natürlich deren Eigengewicht. Winden mit geringer Tragfähigkeit bis etwa 150 kg können als tragbare Punktzugwinden ausgeführt; Winden mit höherer Tragfähigkeit werden z. B. auf Rädern oder Walzen verfahrbar gebaut (siehe Abb. 1.229 und 1.230).

Abb. 1.229: Versetzbare Punktzugwinde. Bildnachweis: Statec.

Auch versetzbare Winden können elektrisch oder hydraulisch angetrieben werden. Allerdings ist zu bedenken, dass bei hydraulischen Antrieben mit Schlauchleitungen

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Abb. 1.230: Versetzbare Punktzugwinde. Bildnachweis: Waagner-Biró.

und Schnellschlusskupplungen zu arbeiten ist, da die Winde ja an beliebigen Orten des Schnürbodens eingesetzt werden soll. Daher werden de facto nur elektrisch angetriebene Winden eingesetzt. Abb. 1.231 zeigt einen Blick in die Oberbühne des Opernhauses in Muscat im Oman. Der begehbare Schnürboden ist mit einem Lichtgitterrost versehen, im darüber liegenden Rollenrost sieht man die Seilrollen für die Laststangenzüge. Links und rechts auf dem Lichtgitterrost sind 2 der 6 verfahrbaren Punktzüge zu sehen. Das Hubseil wird von der Trommel über eine Schwenkrolle senkrecht nach unten geführt. Eine Kunststoffführung verhindert eine Berührung zwischen Seil und Gitterrost. Es fallen auch die vielen Kabeltrommeln auf. Sie bieten die Möglichkeit, jeden Maschinenzug als Beleuchtungszug einzusetzen. Das Punktzugsystem „Fly“ der Firma Waagner Biró ist sehr flexibel einsetzbar. Je nach Einbausituation kann die FLY stehend am Schnürboden oder hängend montiert an einer fixen Konsole oder an Fahrwerken eingesetzt werden. Bei hängendem Einsatz wird die FLY über ein händisches oder motorisiertes Unterflanschlaufwerk sowie über ein händisches oder motorisiertes Kranbrückensystem in Position gefahren. In Abb. 1.232 ist der Einbau in der Wiener Bühne „Ronacher“ zusehen. Die Punktzüge hängen in Traversen, die ihrerseits zwischen den Seilgassen manuell verschoben werden können. In der Seilwinde sind ein redundanter Achsrechner und die komplette Elektronik integriert. Dennoch wiegt die FLY bei einer maximalen Nutzlast von 400 kg nur etwa 175 kg. Mit der FLY können auch Handkonterzüge auf Maschinenzüge umgerüstet werden, indem die FLY im Gegengewichtsschacht montiert und das Seil am Gegengewichtsrahmen oder Seilkoppelstück befestigt wird.

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Abb. 1.231: Versetzbare Punktzugwinden im Royal Opera House Muscat. Bildnachweis: SBS.

Bobinenwinde In Abb. 1.212 wurde eine Prospektzug-Bobinenwinde gezeigt. Diese kann selbstverständlich mit einer einrilligen Bobinenscheibe auch als Punktzug eingesetzt werden. In Abb. 1.233 ist eine neue standardisierte Punktzugwinde mit distanzierter Seilablaufrolle der Fa Waagner Biro dargestellt: Seilwinde und Ablaufrolle des Seiles bilden eine über eine Distanzstange verbundene Einheit. Dadurch wird erreicht, dass der Schnürboden am Aufstandspunkt der

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Abb. 1.232: Verfahrbares Puktzugsystem „Fly“. Foto: Waagner Biró.

Abb. 1.233: Punktzugwinde mit distanzierter Ablaufrolle. Links: in Arbeitsstellung, rechts: mit hochgeklapptem Distanzarm. BN: Waagner Biro.

Winde nur durch deren Eigengewicht und der Aufstandspunkt der Umlenkrolle nur durch das Gewicht der Nutzlast und der Umlenkrolle belastet wird. Damit kann gegebenenfalls verhindert werden, dass die zulässige Belastung des Schnürbodens pro Quadratmeter überschritten wird. Außerdem ist durch den Abstand zwischen Winde und Seilrolle gewährleistet, dass die zulässigen Ablenkwinkel zur Rillensteigung an der Trommelwinde nicht überschritten werden.

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Abb. 1.234 zeigt den sogenannten „Slim Hoist“ der Fa. Waagner Biró mit zugehörigem Schaltschrank. Der Zug hat nur ein Eigengewicht von 130 kg und kann eine Nutzlast von maximal 300 kg mit 1,5 m/s heben.

Abb. 1.234: Slim Hoist. Foto: Waagner Biró.

Schwerlastzüge An in statischer Hinsicht geeigneter Stelle des Schnürbodens werden oft auch Hebezeuge mit höherer Tragfähigkeit eingebaut, die auch Punktzugwinden darstellen. Dies war vor allem üblich, wenn die Oberbühne nur mit Handkonterzügen kleiner Tragfähigkeit ausgestattet waren. Gemäß allgemein geforderter Sicherheitsvorschriften für Winden in bühnentechnischem Einsatz wird allerdings der Einbau einer zweiten Bremse verlangt (s. Kap. 5). Daher kommen handelsübliche Elektroseilzüge nicht in Frage und es wurde schon vor vielen Jahren eine in Abb. 1.235 dargestellte Elektroseilwinde in Spezialausführung für den Bühneneinsatz angeboten. Tirak Greifzug Schlussendlich sei noch eine Punktzugvariante erwähnt, die von manchen Bühnen angeschafft wurde, aber kaum mehr im Einsatz sind. Es handelt sich um Greifzüge, die in ihrer Antriebstechnik den in Kap. 4.1.5 beschriebenen Klemmtrieben zuzuordnen sind. Während sich Klemmzüge – allerdings in anderer Bauart – vor allem als Montagegeräte – vielfach bewährt haben, haben sich diese Klemmzüge für den bühnentechnischen Einsatz nicht geeignet.

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Abb. 1.235: Schwerlastzug „Adlerwinde“. Oben: Winde mit Zusatzbremse, unten: Schnittbild der Winde ohne Zusatzbremse. Bildnachweis: Friedrich Köster GmbH & Co. KG (D-Heide).

In Abb. 1.236 ist der Tirak-Greifzug dargestellt. Das linke Bild zeigt die komplette Einheit bestehend aus Antriebsmotor, Getriebe, Klemmscheibe und Seilspeichertrommel, das rechte Bild erklärt das Klemmprinzip. Das lose Seilende wird in die Seilspeichertrommel eingeschoben bzw. in der Gegenbewegung wieder herausgezogen. Verkettete Punktzugsysteme Mechanische Verkettung Punktzüge sind nur dann universell einsetzbar, wenn mehrere Punktzüge zu Gruppen zusammengeschaltet und gemeinsam synchron verfahren werden können. Eine Synchronisation ist auf mechanischem Wege durch Synchronisationswellen in Kombination mit geeigneten Kupplungsmechanismen möglich. Abbildung 1.237 links zeigt ein mechanisches Punktzugsystem, bei dem die Punktzugtrommeln mechanisch an einen Zentralmotor gekuppelt werden können und so zu einer synchron arbeitenden Gruppe zusammengefasst werden. Damit wird ein exakter Gleichlauf ohne elektroni-

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Abb. 1.236: Tirak-Greifzug (X-Serie). Bildnachweis: Greifzug Hebezeugbau GmbH (D-Bergisch Gladbach). 1: Trennscheibe, 2: Andruckrollen, 2a: Druckfeder, 3: Seilführung, 4: belastetes Seil (Einlauf), 5: loses Seil (Auslauf).

Abb. 1.237: Punktzugsystem mit mechanischer Verkettung. Links: mit einem Antriebsmotor, rechts: mit zwei Antriebsmotoren.

sche Gleichlaufregelung erreicht. Als Alternative zeigt Abb. 1.237 rechts eine Lösung mit zwei Zentralmotoren, wobei die Punktzugeinheiten dann an den einen oder anderen Motor gekuppelt werden können, sodass sich zwei in ihrer Bewegung voneinander unabhängige Punktzuggruppen bilden lassen. Mechanisch kuppelbare Punktzugsysteme werden heutzutage nicht mehr installiert (eventuell im Vorbühnenbereich), und ausschließlich elektronisch verkettete Punktzugsysteme gebaut. Elektrische Verkettung Mechanische Wellen können durch „elektrische Wellen“ ersetzt werden. Die klassische Drehstromtechnik bot z. B. unter Verwendung sogenannter Wellenleitmaschinen die Möglichkeit der Synchronisation von Motoren. Allerdings hatte sich diese Art der

208 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Drehzahlkoppelung in der Bühnentechnik nicht durchgesetzt und wird nicht mehr realisiert. Elektronische Verkettung Durch Einsatz von Wegmesssystemen und elektronischer Regelung der Arbeitsgeschwindigkeit nach vorgegebenen Sollwerten lassen sich heute Punktzugwinden zu komplexen Punktzugsystemen variabel vernetzen. Dabei können prinzipiell Punktund Laststangenzüge, egal, ob elektrisch oder hydrostatisch angetrieben, kombiniert werden. Ergänzende generelle Anmerkungen zu elektrischen Windenantrieben Modulbauweise von Winden Ein Trend in der Technik geht dahin, Kompakteinheiten anzubieten, indem die zu einem Antrieb gehörende Elektrik und Elektronik in einen eigenen Schaltschrank integriert wird. Dadurch können bühnentechnische Ausrüstungen einfach erweitert oder umgerüstet werden; diese Modularisierung erweist sich als vorteilhaft (siehe auch Kap. 2.5.6 bis 2.5.8). Als Beispiel sind in Abb. 1.238 mehrere „Unicorn“-Schaltschränke der Fa. Waagner-Biró samt Windenantrieb abgebildet, in denen für jede Winde Bauteile wie Frequenzumrichter, Netzfilter, Bremswiderstand (auf der Rückwand montiert), Wartungsschalter, Hauptschütz, Bremsschütze, Spannungsversorgung und Achsrechner installiert sind.

Abb. 1.238: Kompaktwinde mit „Unicorn“-Schaltschränken. Foto: Waagner-Biró.

Langsamlaufende Elektromotore Prinzipiell ist es möglich statt Drehstrommotoren mit hoher Nenndrehzahl vielpolige Motore mit niedriger Nenndrehzahl einzusetzen. Dadurch können Übersetzungsstu-

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fen in einem nachgeschalteten Getriebe entfallen, wodurch oder verringert werden und die emittierte Schallleistung kann reduziert werden. (Motor und Bremsen können auch in die Trommel integriert werden.) Bei Antrieb mit Hydromotoren ist der Einsatz von Langsamläufern ja wie oben erläutert – aus Lärmschutzgründen selbstverständlich. Will man dann aber Regelverhältnisse von – wie heute üblich – 1:1000 erreichen, laufen Hydromotore bei so geringen Drehzahlen i. A. ungleichmäßig, während man Elektromotore mit modernster Steuerungstechnik trotzdem im Extremfall bis zum Stillstand herunterregeln kann. Bisher hat sich der Einsatz von Elektromotoren mit niedriger Drehzahl aber nicht durchgesetzt. Dass die Verwendung von elektrischen Langsamläufermotoren möglich ist zeigt die Tatsache, dass diese in den USA bei Treibscheibenaufzügen serienmäßig eingesetzt werden, während in Europa Motor-Getriebekombinationen mit rasch laufenden Motoren üblich sind. Abb. 1.239 zeigt eine nach diesem Konzept entwickelte elektrische Winde für Hubzüge.

Abb. 1.239: Trommelwinde mit elektrischen Direktantrieb. Foto: Waagner Biró.

1.8.4 Hubzüge mit Ketten Kettenzüge werden vor allem als Punktzüge, insbesondere für Riggingzwecke eingesetzt. Gemäß Sicherheitsrichtlinie VPLT: SR2.0 – „Bereitstellung und Benutzung von Elektrokettenzügen“ bzw. BGV – sind drei grundsätzliche Kettenzug-Bauvarianten am Markt:

210 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Der D 8-Zug ist ein Elektrokettenzug zur Verwendung als Aufbaukettenzug zum Heben von Lasten als einfaches Montagegerät. Dieser Zug entspricht nicht den Anforderungen der Bühnentechnik, da er nur mit einer Bremse ausgestattet ist. Daher darf er bei Anwesenheit von Personen unter der Last auch nicht zu Auf/Abbau- und Einrichtarbeiten oder zum Halten einer Last verwendet werden. Die Last muss nach dem Anheben auf andere Weise gesichert werden. Der D 8 Plus-Zug ist ein Elektrokettenzug geeignet als Aufbaukettenzug zum Heben von Lasten mit dem besonderen Merkmal, dass Lasten im Ruhezustand ohne Sekundärsicherung über Personen gehalten werden dürfen. Denn dieser Zugtyp entspricht in mechanischer Hinsicht – insbesondere bezüglich der redundanten Bremstechnik – den Vorschriften zum Einsatz auf der Bühne. Daher kann eine Last daran abgehängt sein, obwohl sich Personen unterhalb der Last aufhalten. Es ist allerdings zu beachten, dass ihm entscheidende steuerungstechnische Komponenten fehlen. So könnten im Gruppenbetrieb, z. B. beim Verfahren eines Plafonds wegen kleiner Unterschiede in der Fahrgeschwindigkeit der einzelnen Züge (auf Grund der Lastabhängigkeit der Rotationsgeschwindigkeit – asynchrones Fahren) falsche Lastaufteilungen entstehen, die zu Schädigungen an der Last bzw. der Lastaufnahmemittel führen können. Ein C 1-Zug ist ein Elektrokettenzug, dessen Fahrgeschwindigkeit geregelt werden kann, und daher zum Halten und Bewegen von Lasten und Personen, in der Bühnentechnik zulässig ist. Ferner sei noch erwähnt, dass gemäß Maschinenrichtlinie Hebezeuge ab einer Tragfähigkeit von 1000 kg prinzipiell mit einer Überlastabschaltung ausgerüstet sein müssen. Diese Bestimmung wird daher auch beim D 8-Zug eingehalten. D 8 Plus- und C 1-Kettenzüge sind unabhängig von deren Tragkraft grundsätzlich mit einer Überlastabschaltung ausgerüstet. Die Abb. 1.240 zeigt Kettenzüge in verschiedenen Versionen.

Abb. 1.240: Kettenzüge. (a) Fix abgehängt – einsträngig, (b) als Kletterzug – einsträngig, (c) fix abgehängt – zweisträngig, (d) als Kletterzug – zweisträngig. Foto: Chainmaster.

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1.8.5 Hubzüge mit Stahlbändern Fortschritte in der Werkstofftechnik ermöglichen die Herstellung von hochfesten Federstählen, die als verschleißfreie Zugelemente bobinenartig gewickelt werden können und in sogenannten Bandzügen eingesetzt werden können. Die Edelstahlbänder haben z. B. einen Querschnitt von 40 mm mal 0,5 mm und besitzen eine Zugfestigkeit von ca. 1700 N/mm2 , also in ähnlicher Größenordnung wie in Seilen verwendete Stahldrähte. Die Dehnung unter Last ist aber geringer, da der Elastizitätsmodul eines Stahlbandes höher ist als der eines Drahtseiles infolge der Verseilung der Drähte. Während Seile besonders gestaltet sein müssen bzw. einer besonderen Herstellung bedürfen, um drehungsfrei zu arbeiten, ist diese Problematik bei Hubbändern nicht gegeben. Durch die glatte Oberfläche ermöglichen sie einen sehr leisen Lauf. Daher werden Bandzüge immer häufiger eingesetzt (Abb. 1.241).

Abb. 1.241: Bandzüge. (a) Bobinenartig aufgewickeltes Bandelement, (b) Bandzug einsträngig, (c) Bandzug zweisträngig. Foto: ASM – Lightpower.

Abb. 1.242 zeigt den Antrieb von Bandzügen, auf denen Laststangen abgehängt sind. Eine Besonderheit bei dieser Anlage ist auch, dass die Laststangen an den Hängepunkten mit Gelenken versehen sind und damit ein statisch bestimmtes System gebildet wird. Eine Last zwischen zwei Aufhängungen führt damit nicht zu ungewollter Entlastung eines nicht beteiligten Tragmittels. Im Wiener Volkstheater wurden bei der letzten Renovierung am Schnürboden in Schienen verfahrbare Bandzüge der Firma ASM mit einer Tragfähigkeit von 250 kg als Punktzuganlage eingebaut – siehe Abb. 1.243.

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Abb. 1.242: Gesamtanordnung und Antriebsblöcke von Bandzügen für Prospekt-Laststangen. ThaliaTheater Hamburg. Foto: ASM.

Abb. 1.243: In Schienen verfahrbarer Bandzug – Volkstheater Wien. Bildnachweis: Waagner Biro.

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1.8.6 Spezielle Einrichtungen zur Spielraumbegrenzung Zur Gestaltung des Bühnenbildes ist es i. A. notwendig, die Spielfläche durch Hängedekorationen gegenüber den mit technischen Einrichtungen versehenen Bühnenwänden oder zur Seiten- und Hinterbühne hin abzugrenzen. Prospektzug, Wandelprospekt Die Bühnenrückwand kann in einfacher Weise durch einen Prospektzug abgedeckt werden. Wie in Kap. 1.1 beschrieben, wurden dafür vor allem in früheren Zeiten auch sogenannte Wandelprospekte verwendet. Sie hatten ursprünglich den Sinn, mehrere Bilder (Landschaft, Häuser etc.) nebeneinander auf einem Prospekt angeordnet zu haben, um damit verschiedene Bühnenbilder gestalten zu können. Als Weiterentwicklung wurde z. B. im Bolschoi-Theater (Kleines Haus) neuerdings eine Stoffbahn von ca. 120 m Länge und ca. 11,5 m Höhe als Wandelprospekt installiert, die es erlaubt, mit zwei Wickelkonen nach dem System des Rundhorizontes auch den Effekt einer vorbeiziehenden Landschaft vorzutäuschen, wenn z. B. jemand auf einem Boot einen Fluss entlang fährt. Die Geschwindigkeit der Stoffbahn ist stufenlos regelbar. Panoramazüge Panoramazüge sind Laststangenzüge, die jedoch nicht wie die üblichen Prospektzüge quer zur Bühnenachse, sondern parallel zur Bühnenlängsachse entlang der Bühnenseitenwände situiert sind (siehe Abb. 1.177 und Abb. 1.244). Panoramazüge in Kombination mit einem Prospektzug können die Spielfläche gänzlich umschließen. Auch die Bezeichnung Seiten- und Rückpanoramazug ist manchmal üblich. Rundstangenzug Will man die Abgrenzung im hinteren linken und rechten Bühneneckbereich durch einen in einem Bogen geführten Behang vornehmen, so muss der Prospektzug eine Stange mit Rundungsbögen erhalten. Manchmal werden die drei Wandbereiche auch durch einen kompletten Rundstangenzug abgedeckt, den man auch Cykloramazug nennt. Abb. 1.244 links zeigt die Anordnung auf der Bühne im Grundriss und Abb. 1.244 rechts eine Winde mit Gegengewichtsausgleich. Manchmal ist auch doubliertes Hochziehen vorgesehen. Rundhorizont In den bisher beschriebenen Fällen wird der Textilbehang zur Spielraumbegrenzung durch Hubzüge in den Bühnenturm hochgefahren bzw. von dort abgesenkt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Vorhang in einer horizontal um die Spielfläche

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Abb. 1.244: Panorama- und Rundstangenzug. (a) Anordnung auf der Bühne, (b) Antrieb eines Rundstangenzuges mit Winde und Gegengewicht. 1: Panoramazug (Seitenpanoramazug), 2: Prospektzug (Rückpanoramazug), 3: Rundstangenzug.

geführten Schiene zu verfahren. Im einfachsten Fall bedient man sich einer rundgeführten Vorhangschiene als Wurfkarniese (Schleuderschiene). In Großbühnen ist manchmal ein als Rundhorizont bezeichnetes System nach Abb. 1.245 bestehend aus Vorhang-Speichertrommeln und Vorhangschiene, eingebaut. Meistens sind Speichertrommeln auf beiden Seiten des Proszeniums im Bereich der Portaltürme montiert. Die Speichertrommel in Form eines Wickelkonus wird bei Rotation in Drehrichtung zum Aufwickeln gleichzeitig abgesenkt und bei Rotation zum Abwickeln gleichzeitig angehoben, damit die Höhenlage der Stoffbahn zur Vorhangschiene beim Wickelvorgang erhalten bleibt. Durch die konische Form der Trommel wird ein freies Hängen des Stoffes im bewickelten Zustand gewährleistet. Meist wird auf der einen Proszeniumsseite eine Speichertrommel mit weißem Stoff und auf der anderen Proszeniumsseite eine mit schwarzem Stoff (Nachthimmel) untergebracht. In Abb. 1.245b ist die besondere Ausbildung der Schiene zu sehen. In einer Hohlkehle mit einem nach unten offenen Schlitz läuft das Seil, das in die obere Lasche der Stoffbahn eingenäht ist. So dient das Seil einerseits als Tragelement zur Aufnahme von nach unten wirkenden Gewichtskräften, andererseits auch als Zugseil zum Verfahren des Horizonts. Abbildung 1.246 zeigt Wickelkonus und Schiene im Foto. In Abb. 1.247 ist eine Rundhorizont-Bauweise dargestellt, bei der das gesamte Schienen- und Wickelkonussystem in den Bühnenturm angehoben werden kann. Durch eine spezielle Seilführung muss erreicht werden, dass die Seile unabhängig von der Hubstellung gespannt bleiben. Rundhorizonte der klassischen Bauart nach Abb. 1.245 sind immer seltener anzutreffen. In der Wiener Staatsoper wurde der Rundhorizont in der oben beschriebenen Bauweise ersetzt durch ein System von unabhängig voneinander oder gekoppelt verfahrbaren Laststangen-Zügen gemäß Abb. 1.248. Die Anlage besteht aus insgesamt fünf Traversen mit vier Hubwerken, zweimal Alu-Truss 1 und 2 als Panoramazüge und Alu-Truss 3 als gebogener Cycloramazug. Neben der elektronischen Synchronsteuerung der fünf Elemente können die einzelnen Segmente in den Hauptrohren der Trusse auch durch konische Kuppelstücke mecha-

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Abb. 1.245: Rundhorizont als Wickelhorizont. (a) Prinzipdarstellung der Anlage, (b) Schienenführung.

Abb. 1.246: Rundhorizont als Wickelhorizont im Großen Festspielhaus Salzburg (nicht mehr vorhanden). Foto: Waagner Biró.

nisch gekoppelt werden. Die Trusse 1 und 2 besitzen einen Tragfähigkeit von 360 kg, Truss 3 von 1590 kg, die maximale Hubgeschwindigkeit beträgt 0,3 m/s. Der Rundhorizont-Vorhang besteht aus einer einzigen durchgängigen Stoffbahn aus weißem Baumwollmaterial mit einer Höhe von 22 m und einer Länge von 54 m. Der Vorhang wird an

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Abb. 1.247: Vertikal verfahrbare Rundhorizontanlage. Bildnachweis: Waagner Biró.

Abb. 1.248: Neue Rundhorizontanlage in der Wiener Staatsoper. Bildnachweis: Waagner Biró.

den unteren Alu-Truss-Rohren befestigt, kann dort auch aufgerollt gelagert werden oder aufgerollt wie ein Prospekt gelagert werden. Der Stoff ist mit 175 g/m2 sehr leicht und wiegt daher insgesamt nur etwas über 200 kg.

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Spielraumbegrenzung durch Dekorationselemente parallel zum Proszenium Seitliche Panoramazüge und Rundstangenzüge und Rundhorizonte haben den großen Nachteil, dass keine Gassen für den Auf- und Abtritt der Darsteller verbleiben. Auch die Seitenbeleuchtung wird behindert bzw. muss entfallen. Soll der Blick auf die Seitenwände durch parallel zur Portalebene orientierte Kulissenelemente oder Hänger verdeckt werden, ist deren Abdeckungseffekt durch eine Sichtlinienkonstruktion nach Abb. 1.249 zu überprüfen. Nach dem gleichen Prinzip kann mit Soffitten die Sicht zum Schnürboden abgedeckt werden, ohne ein plafondähnliches Element einzuziehen.

Abb. 1.249: Sichtlinienkonstruktion im Grund- und Aufriss.

218 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien 1.8.7 Mechanische Einrichtungen für die Beleuchtungstechnik Der Einsatz von Beleuchtungsanlagen im Bühnenbereich erfordert ebenfalls Einrichtungen maschineller Bühnentechnik. Quer über die Bühnenbreite können ortsfeste oder verfahrbare Beleuchterbrücken vorgesehen sein, um darauf Scheinwerfer, Projektoren etc. zu montieren. Eine Beleuchterbrücke an der Proszeniumswand wird als Portalbeleuchterbrücke oder kurz als Portalbrücke bezeichnet (Abb. 1.250).

Abb. 1.250: Portalbrücke in der Semperoper Dresden. Foto: SBS.

Die Portalbrücke ist also ein Element des Proszeniums und bildet mit der Blende auf der Zuschauerseite die obere Begrenzung der Proszeniumsöffnung. Wie in Kap. 1.8.2 beschrieben, ist die Portalbrücke meist in ihrer Höhenlage verfahrbar und kann, in

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Schienen geführt, bis auf Bühnenbodenniveau abgesenkt werden, um die Montage von Beleuchtungskörpern leichter vornehmen zu können. Bei der konstruktiven Ausbildung höhenverstellbarer Portalbrücken sollte hinsichtlich der Führung und Aufhängung an der Hubeinrichtung darauf geachtet werden, dass die Portalbrücke möglichst stabil und spielfrei gelagert ist. Selbst kleine durch Führungsspiel bedingte Bewegungen der Portalbrücke bewegen auch die darauf montierten Scheinwerfer und deren Lichtkegel und die von der Portalbrücke ausgestrahlten Projektionsbilder. So kann z. B. durch in Querrichtung exzentrische Aufhängung der Portalbrücke eine eindeutig spielfreie Anlage der Führungsrollen an die Führungsschienen erzielt werden. Der Hubantrieb für die Bühne kann mit Seilwindwerken oder mit Hydrozylindern erfolgen. Abbildung 1.250, 1.251 und 1.252 zeigen Portalbrücke und Portaltürme zweier Bühnen: in der Semperoper Dresden und im Großen Festpielhaus Salzburg. In Abb. 1.252 ist auch die kranartig verfahrbare Beleuchterbrücke im Festpielhaus Bregenz zu sehen.

Abb. 1.251: Portalzone im Großen Festspielhaus Salzburg. Foto: Waagner Biró.

Verteilt über die Bühnentiefe, oft etwa in den Drittelpunkten, sind sogenannte Beleuchtungszüge auch Oberlichtzüge genannt installiert. Dies sind meist Windenzüge höherer Tragfähigkeit ähnlich den Laststangenzügen, aber mit heb- und senkbaren Lastträgern oder Gerüsten zur Aufnahme von Scheinwerfern. Abbildung 1.253 zeigt

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Abb. 1.252: Beleuchterbrücke im Festspielhaus Bregenz. Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.253: Oberlichtzüge im Großen Festspielhaus Salzburg. Foto: Waagner Biró.

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Oberlichtzüge mit Faltenbändern zur elektrischen Anspeisung. Hierfür können aber auch Kabeltrommeln verwendet werden, wobei für größere Hubhöhen nur Motorkabeltrommeln in Frage kommen, weil Federkabeltrommeln eine zu große Spannkraft ergeben würden. Für diese Einrichtungen reichen langsame Hubgeschwindigkeiten aus. Der Antrieb erfolgt meist mit elektrisch betriebenen Seilwindwerken. Müssen große Massen wie im Fall einer Portalbrücke bewegt werden, ist ein Gegengewichtsausgleich sinnvoll. Aber auch hydrostatische Linearantriebe wie z. B. in Abb. 1.254 kommen in Frage.

Abb. 1.254: Hydraulische Linearantriebe für verfahrbare Beleuchtungsgerüste. Links: Antrieb einer Portalbrücke, rechts: Antrieb eines Beleuchtungszuges (Oberlichtzuges). Fotos: Bosch Rexroth.

Einen flexiblen Einsatz von Oberlichtzügen bietet auch ein System, bei dem jeweils zwei nebeneinander liegende Laststangen von motorisch betriebenen Prospektzügen gekoppelt werden und die Montage von Scheinwerfern ermöglichen. Manchmal ist es auch üblich fahrbare und/oder hebbare Seitenlichtgestelle an den seitlichen Arbeitsgalerien zu montieren. Diese sind in Abb. 1.255 (Filialtheater des Bolschoi Theaters in Moskau) zu sehen. In diesem Bild sind u. a. auch die Prospekthubpodien zu sehen (siehe auch Kap. 1.7.1).

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Abb. 1.255: Filialtheater des Bolschoi Theaters Moskau. Bildnachweis: Waagner Biró.

1.8.8 Flugwerke Laststangenzüge eingesetzt als Flugwerke für Flugbewegungen in der Ebene Flugwerke sind Spezialeinrichtungen in der Oberbühne, mit denen Personen oder Dekorationsteile im szenischen Einsatz gehoben oder abgesenkt und verfahren werden können. Bezüglich der Bauweise ergeben sich verschiedene Möglichkeiten. Hier werden zunächst exemplarisch zwei Systeme älterer Bauart beschrieben: – Variante A (Abb. 1.256a): Die Laufschiene ist in ihrer Höhenlage fix verhängt. Auf ihr kann eine Seilzugkatze (siehe Abb. 1.225) verfahren werden. Auf ihr kann ein Laufwagen über Seilzug verfahren werden. Wird diese Hubeinrichtung betätigt, so wird das Hubkorsett gehoben oder gesenkt; wird der Fahrseilantrieb betätigt, so wird der Laufwagen und mit ihm das Hubkorsett verfahren. – Variante B (Abb. 1.256b): Die Laufschiene und mit ihr der darauf verfahrbare Laufwagen sind in ihrer Höhenlage verstellbar. Heben und Senken des Hubkorsetts erfolgt somit durch Heben oder Senken der Laufschiene. Eine Fahrbewegung wird durch Verfahren des Laufwagens über Seilzug bewerkstelligt. Im dargestellten

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Abb. 1.256: Flugwerke in schematischer Darstellung für zwei Varianten (a) und (b). (1–9: Seilführung für horizontale Fahrbewegung).

System muss die Seilführung so konzipiert sein, dass die Fahrseilschleife unabhängig von der Höhenstellung der Laufschiene gleich lang und somit immer gespannt bleibt.

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Abb. 1.257: Flugeinrichtung für das Schauspielhaus Dresden. Foto: SBS.

Unabhängig von der soeben beschriebenen Systemwahl kann als Hubantrieb ein Handkonterzug oder ein Maschinenzug – ein elektrisch oder hydrostatisch betriebener Windenzug oder ein hydrostatischer Linearzug – eingesetzt werden. Zur Fahrbewegung kann ebenfalls eine Seilschleife manuell betätigt werden oder der Seilzug kann motorisch erfolgen, indem das rechte und linke Fahrseil formschlüssig auf einer Seiltrommel auf- bzw. abgewickelt oder reibschlüssig mit einer Treibscheibe unter ausreichender Vorspannung angetrieben werden. In Abb. 1.256b erfolgt die Fahrbewegung mit einer Treibscheibe. Die beiden Abbildungen zeigen aber auch noch ein weiteres Detail mit zwei Ausführungsvarianten. In Abb. 1.256a wird eine eigene Schiene zur Aufnahme des Flugwerk-Laufwagens an die Laststange angeklemmt. In Abb. 1.256b ist die Laststange so ausgebildet, dass sie direkt als Schiene für den Laufwagen dienen kann. Es sei daher nochmals auf die Ausbildung der Laststangen von Prospektzügen nach Abb. 1.195c verwiesen (Kap. 1.8.3), durch die der Einbau eines Flugwerkes an jedem Laststangenzug ermöglicht wird. Das Spezialstranggussprofil nach Abb. 1.196 besitzt unten ein Helmprofil zur Aufnahme eines Laufwagens.

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Verfahrbare Kranbrücke als Flugwerk für Flugbewegungen im Raum Ein Flugwerk mit besonders vielen Bewegungsmöglichkeiten wurde im Schauspielhaus Dresden eingebaut. Es handelt sich um eine in Bühnenlängsrichtung verfahrbare die gesamte Bühnenbreite überspannende Kranbrücke, einige Meter unterhalb des Schnürbodens angeordnet. Eine Laufkatze kann an den Untergurten der Brücke hängend als Seilzugkatze bewegt werden. Von der Laufkatze kann die Unterflasche mit dem Lastaufnahmemittel z. B. mit einer in einem Korsett angehängten Person gehoben bzw. gesenkt werden, ein in der Unterflasche eingebautes Drehwerk ermöglicht aber auch noch eine Rotation. Abbildung 1.257 zeigt diese Flugwerkeinrichtung bei der Erprobung im Werk. Räumlich angeordnetes Seilwindensystem als Flugwerk Räumliche Bewegungsabläufe lassen sich aber auch dadurch darstellen, dass das Flugobjekt bzw. das Flugkorsett für einen Menschen an drei Punktzugseilen abgehängt wird und die drei Punktzugwinden so programmiert werden, dass sich geradlinige, kreisförmige, spiralförmige oder beliebige dreidimensionale Flugbahnen ergeben. Eine solche Anlage wurde z. B. im Nationaltheater Budapest von Bosch Rexroth realisiert. Damit ermöglicht die moderne computergesteuerte Regelungstechnik mit drei oder mehr geeignet plazierten Seilwinden frei gestaltbare Flugbewegungen im Raum. Spezialflugwerk für Artisten In Abb. 1.258 ist eine von Waagner Biro für den fernen Osten entwickelte Artistenwinde („Acrobatic Hoist“) dargestellt. Die Winde ist für Lasten von 200 kg pro Winde mit Seilgeschwindigkeiten von bis zu 4 m/s dimensioniert. Für einen 3D Flug werden 4 computergesteuerte Seilwinden eingesetzt. Während gemäß EN 17206 für Seile als Tragmittel nur Stahlseile (und in sehr eingeschränktem Maße auch Naturfaserseile) verwendet werden dürfen, werden in diesem Fall auch Kunststoffseile eingesetzt, da man deren spezielle Elastizität wie bei Bergsteiger-Seilen nutzen will, um Verzögerung und Kraftwirkung im Falle eines Notstop (Kategorie 0) möglichst gering zu halten (siehe auch Kap. 4.8). Außerdem erfolgt dadurch eine Potenzialtrennung zwischen Winde und Last. Es ist allerdings nicht wie bei Bergsteigerseilen ein Kunststoffseil aus Polyamid (Nylon, Perlon etc.), das bereits bei relativ niedrigen Temperaturen seine Festigkeit verliert, sondern ein „Liquid Crystal Polymer“ („LCP“), das sich durch extrem hohe Zugfestigkeit (ähnlich wie Stahldrähte), einen hohen Elastizitätsmodul und durch seinen hohen Schmelzpunkt auszeichnet und daher auch Anwendungen im Hochtemperaturbereich erlaubt. Im konkreten Fall handelt es sich um ein Seil mit der Markenbezeichnung „Vectrus“ der Fas. Ticona mit 6 mm Durchmesser und einer Bruchkraft von ca. 31 kN.

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Abb. 1.258: Artistenwinde für 3D-Flugwerk. BN: Waagner Biro.

Um trotz der hohen Geschwindigkeiten beim Senken Schlaffseil an der Trommelwinde zu vermeiden, wird die Abgangrolle ebenfalls angetrieben und läuft mit einer leichten Überdrehzahl gegenüber der Winde. Der aufgebaute Schlupf hält das Seil auf Spannung. Ein leichter vorzeitiger Seilverschleiß wird bei dieser Technologie in Kauf genommen. Besondere Beachtung musste auch der Einbindung eines Kunststoffseiles in die Seiltrommel geschenkt werden. Es sei auch darauf hingewiesen, dass auf den Verzögerungen und Kraftwirkungen im Falle eines Notstopp (Kategorie 0) besonderes Augenmerk geschenkt werden musste. In der Abb. 1.258 ist auch ersichtlich, dass die Seiltrommel bei Ihrer Drehung auch axial bewegt wird, damit der Ablaufpunkt des Seiles unverändert bleibt. Das Seil wird am Schnürboden durch eine Öse mit glatter Oberfläche geführt (siehe Abb. 1.259).

Abb. 1.259: Seil-Öse („Donut“). BN: Waagner Biro.

1.9 Sicherheitstechnische Einrichtungen des Brandschutzes | 227

1.9 Sicherheitstechnische Einrichtungen des Brandschutzes Vor der Erfindung elektrischer Beleuchtungsanlagen wurde mit Kienspan, Öllampen und Kerzen, dann mit Gaslicht gearbeitet. Daher war eine besondere Brandgefährdung gegeben. Aus der Geschichte sind verheerende Theaterbrände mit vielen Menschenopfern bekannt. In Europa war es insbesondere der Brand des Wiener Ringtheaters im Jahre 1881. Vor allem diese Brandkatastrophe hatte zur Folge, dass strenge Bauvorschriften erlassen wurden, um möglichst hohen Brandschutz zu gewährleisten bzw. bei Ausbruch eines Feuers die Evakuierung der Menschen möglichst rasch und problemlos durchführen zu können; diese Vorschriften waren beispielgebend für viele andere Länder. Wenn auch durch die moderne Beleuchtungstechnik das Gefahrenpotenzial im Spielbetrieb reduziert wurde, so existieren trotzdem in den meisten Ländern strenge brandschutztechnische Vorschriften. Hier soll nur auf Sicherheitseinrichtungen der maschinellen Bühnentechnik eingegangen werden. Es sind dies in erster Linie mobile Trennwände zwischen verschiedenen Brandabschnitten im Bühnenbereich, insbesondere der Eiserne Vorhang - auch Kurtine genannt - zwischen Bühne und Zuschauerraum sowie die Rauchgasabzüge, durch deren Öffnen ein Abführen der Rauchgase, aber auch von Wärme bewirkt werden soll. Im Zusammenwirken beider Einrichtungen soll einerseits ein Übergreifen der Flammen von der Bühne auf den Zuschauerraum unterbunden und andererseits auch verhindert werden, dass tödliche Rauchgase in den Zuschauerraum dringen. Durch das Öffnen der Rauchabzüge wird verhindert, dass sich auf der Brandseite im Bühnenraum durch die Erwärmung der Luft ein Überdruck bildet, der eine Verformung des Schutzvorhanges und das Einströmen der Rauchgase in den Zuschauerraum zur Folge haben könnte. Durch die Schornsteinwirkung wird das Feuer auf der Bühne besonders angefacht, sodass das Entstehen von qualmendem Rauch verhindert und eine Luftströmung erzeugt wird, die die Gase kaum in den Zuschauerraum dringen lässt. Die Zerstörung der Bühne wird durch diese Maßnahme zwar gefördert, der Zuschauerraum und die Besucher werden dadurch aber geschützt.

1.9.1 Brandschutzvorhänge Bei klassischer Theaterbauweise ist je nach örtlichen Bauvorschriften ab einer gewissen Theatergröße eine Trennung von Zuschauer- und Bühnenraum in unterschiedliche Brandabschnitte vorgeschrieben. Daher muss das Bühnenhaus vom Gebäudeteil für die Zuschauer bautechnisch durch eine Feuermauer getrennt sein. Die „unvermeidbare“ Proszeniumsöffnung muss durch ein entsprechendes ausreichend brandhemmender Wirkung verschlossen werden können. In den meisten Fällen ist dies ein sogenannter Eiserner Vorhang in Form einer Hubkurtine (Abb. 1.260). Normaler Weise wird erst wenige Minuten vor Spielbeginn der Eiserne Vorhang hochgefahren, und

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Abb. 1.260: Großes Festspielhaus Salzburg – Eiserner Vorhang, Orchesterpodien. Foto: WaagnerBiró.

man gibt damit die Proszeniumsöffnung frei; sofort nach Ende der Vorstellung wird er abgesenkt. Bei großen Bühnenanlagen mit Seiten- und/oder Hinterbühnen wird eventuell auch der Bühnenbereich in mehrere Brandabschnitte unterteilt, indem Seiten- bzw. Hinterbühnen-Kurtinen eingebaut werden. Diese haben dann meist auch noch schallschutztechnische Aufgaben zu übernehmen. Sie sollen in geschlossenem Zustand während des Proben- und Spielbetriebes in der Seiten- bzw. Hinterbühne Dekorationsarbeiten ermöglichen (Abb. 1.261). Meist sind es ebenfalls Hubtore, manchmal auch andere Verschlusselemente wie z. B. Rolltore (s. Abb. 1.8 – Hinterbühne, Längsschnitt). Neben der Standardausführung als nach oben wegzuhebende Kurtine mit einem Torblatt gibt es auch baulich bedingte Sonderlösungen. Ist oberhalb des Proszeniums zu wenig Platz, kann die Kurtine statt nach oben nach unten abgesenkt werden, wie dies z. B. bei den Kammerspielen in Wien der Fall ist. Das Kurtinenblatt kann auch aus zwei Teilen bestehen; die Teile werden teleskopartig nach oben oder unten verfahren, oder ein Teil wird nach oben, der andere nach unten bewegt. Ferner gibt es Schiebekurtinen, bei denen Torblätter seitlich verfahren werden. Eine Schiebekurtine ist z. B. im Schönbrunner Schlosstheater in Wien eingebaut; in Abb. 1.263c wird deren Funktionsweise erläutert.

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Abb. 1.261: Seiten- und Hinterbühnen-Hubtor im Festspielhaus Bregenz. Foto: Waagner-Biró.

Das Torblatt (Kurtinenblatt) Das Torblatt muss rauchdicht und mindestens 30 min. brandhemmend/feuerhemmend sein. Je nach örtlichen Vorschriften kann aber auch eine längere Feuerwiderstandsdauer gefordert werden. Bezüglich der Dimensionierung des Torblattes ist zu beachten, dass im Brandfall hohe thermische Belastungen und relativ große Druckbelastungen infolge einer Luftdruckdifferenz zwischen Zuschauer- und Bühnenraum auftreten können. Daher ist das Torblatt meist als Stahlrostkonstruktion mit feuerhemmender Plattenbeschichtung auf der Bühnenseite ausgeführt. In vielen Ländern ist auf jeden Fall bühnenseitig eine feuerhemmende Beschichtung vorzusehen. Früher diente dazu Asbest; seitdem man über die Gesundheitsschädlichkeit von Asbestfasern Bescheid weiß, werden andere Mineralstoffplatten eingesetzt. Oder es ist durch Installation einer Sprühflutanlage für eine ausreichende Kühlung des Torblattes auf der Bühnenseite mit Wasser gesorgt. Die Belastung des Torblattes mit Kräften aus einer Luftdruckdifferenz in der Größenordnung von ca. 400 N/m2 (Wert je nach Vorschrift) bewirkt große Biegebeanspruchungen. Ist das Kurtinenblatt als nur in den Seitenführungen gelagertes Biegeelement zu betrachten, also als ein an zwei Rändern gelenkig gelagerter Rost, so ergeben sich bei breiten Bühnenöffnungen sehr hohe Biegebeanspruchungen, die große Dickenabmessungen und ein überaus hohes Blattgewicht zur Folge haben.

230 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien Eine erhebliche Gewichtsreduktion ist dadurch möglich, dass man das Torblatt nicht nur als in den Führungen zweiseitig gelagertes Flächenelement, sondern als ein vierseitig, also auch oben und unten abgestütztes Element ansieht. Dazu wird das Torblatt an der Unterseite mit konischen Ansätzen versehen, die in geschlossenem Zustand in entsprechende Bohrungen im Bühnenboden einrasten. Dabei geht man davon aus, dass beim Schließvorgang noch nicht so große Verformungen des Torblattes auftreten, die bewirken würden, dass diese Zapfen nicht mehr in die Bohrungen einfahren könnten. Abb. 1.260 zeigt die Kurtine des Großen Festspielhauses in Salzburg mit einer 30 m breiten Portalöffnung. Dieses Kurtinenblatt ist im Mittenbereich etwa 1 m dick. Eine Rauchgasdichtheit des Schutzvorhanges ist allerdings nur bedingt erreichbar. An der Auflagefläche des Torblattes am Bühnenholzboden hilft man sich z. B. mit elastischem Material oder auch mit Dichtelementen, die bei hoher Temperatur quellen; am oberen Kurtinenblattrand wurden häufig Sandrinnen nach Abb. 1.262 montiert. Es kommen aber auch andere Beweisen infrage; z. B. können oben, unten und in den Seitenführungen Dichtungswulste aus Mineralwolle umhüllt mit hitzeresistenten Stoffen (z. B. Zetex® der Firma Newtex Industries – USA) appliziert werden.

Abb. 1.262: Führung des Kurtinenblattes und Abdichtung. Links: Aufriss, rechts: Grundriss.

Der Antrieb Das Torblatt wird im Normalbetrieb mit relativ geringer Nenngeschwindigkeit im Sinne des Öffnens oder Schließens bewegt werden können. Im Fall des Notschlusses hat der Schließvorgang jedoch mit größerer Geschwindigkeit zu erfolgen. In Vorschriften wird z. B. eine maximale Schließzeit von 30 Sekunden verlangt. Die Auslösung des Notschluss-Vorganges hat durch eine befugte Person zu erfolgen. Der Notschluss muss auch bei Ausfall der elektrischen Energieversorgung möglich sein. Die Antriebskraft

1.9 Sicherheitstechnische Einrichtungen des Brandschutzes | 231

zur Bewegung des Kurtinenblattes resultiert daher üblicherweise aus der Schwerkraftwirkung von im Sinne der Schließbewegung wirkenden Eigen- oder Gegengewichtsmassen. Der Schließvorgang muss aber auch durch automatisch wirkende Bremseinrichtungen kontrolliert ablaufen, damit das Torblatt die Schließposition nicht mit zu hoher Geschwindigkeit erreicht. Für eine Hubkurtine (Abb. 1.263a und Abb. 1.263b) mit im Spielbetrieb hochgefahrenem Torblatt ergeben sich hieraus z. B. folgende Bauweisen: Die Eigenmasse des Kurtinenblattes wird bis auf eine Restmasse von etwa 1–2 t durch Gegengewichte ausgeglichen. Somit reicht ein Hubantrieb für eine Hubkraft von ca. 10 bis 20 kN aus, um den betriebsmäßigen Öffnungs- bzw. Schließvorgang vorzunehmen.

Abb. 1.263: Antrieb von Schutzvorhängen. (a) Windenantrieb für ein Hubtor (Hubkurtine), (b) Zylinderantrieb für ein Hubtor, (c) Windenantrieb für Schiebetore (Schiebekurtine).

Im Falle eines Notschlusses hat die Auslösung durch Öffnen der Hubwerksbremsen zu bewirken, dass infolge des Übergewichts des Kurtinenblattes ein selbsttätiger Fallvorgang des Kurtinenblattes einsetzt. Diese Senkbewegung muss jedoch automatisch abgebremst werden, damit sich die Senkgeschwindigkeit nicht nach den Gesetzen des

232 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien freien Falles stetig erhöht und das Kurtinenblatt mit seiner hohen Eigenmasse auf dem Bühnenboden aufprallt. Die Abbremsung wurde bei älteren Anlagen durch eine automatisch wirkende Fliehkraftbremse, also über mechanische Reibung, vorgenommen dann setzte das Torblatt auf Hydraulikpuffern auf und fährt die letzten Zentimeter langsam in seine Endstellung ein. In moderneren Anlagen wurde die Fliehkraftbremse durch eine Hydropumpe ersetzt, indem diese bei der Fallbewegung eine z. B. an der Motorwelle oder einer anderen rasch laufenden Getriebewelle angeschlossene Hydraulikpumpe angetrieben wird, die gegen eine Drossel arbeitet. Beim Einsatz von hydrostatischen Bremsen kann durch wegabhängige Veränderung der Drosselwirkung ein im Bewegungsablauf sehr gut kontrollierter Notschlussvorgang erzielt werden und auf den Einbau von Hydraulikpuffern verzichtet werden. Man kann aber auch ohne Einsatz einer Hydraulik eine analoge Bremswirkung rein elektrisch bewirken, indem man beim Notschluss einen Synchronmotor generatorisch antreibt und statt Drosseln Bremswiderstände einsetzt. Als Synchronmotor eignet sich ein Motor mit einem Rotor als Permanentmagnet, da ja aus Sicherheitsgründen davon auszugehen ist, dass kein Stromnetz zur Verfügung steht. Dieser Motortyp ist außerdem sehr wartungsarm, da er keine Bürsten erfordert. Neben dem soeben beschriebenen Windenantrieb für die Hubbewegung des Kurtinenblattes ist als Alternative auch ein hydrostatischer Linearantrieb möglich, in dem der Hub- bzw. Senkvorgang des Kurtinenblattes mit einem Hydrozylinder vorgenommen wird. Durch Einsatz eines „verkehrt wirkenden“ Flaschenzuges kann trotz eines großen Verfahrweges des Torblattes entsprechend der Höhe der Proszeniumsöffnung mit einem kurzhubigen Zylinder gearbeitet werden (siehe Abb. 1.263b). Auch in diesem Fall ist durch wegabhängiges von der Stellung des Blattes gesteuerte Drosseln ein sehr exakt steuerbarer Notschlussvorgang möglich. Beim Einsatz von Hydraulikzylindern kann meist auf Gegengewichte verzichtet werden. Bei Sonderlösungen, wie etwa der bereits erwähnten Variante, bei der das Kurtinenblatt in das Kellergeschoß abgesenkt wird, müssen die Gegengewichte gegenüber der Kurtine Übergewicht haben, sodass auch in diesem Fall der Schließvorgang ohne Energiezufuhr erfolgen kann. Auch bei Schiebekurtinen haben Gewichte über Seilzug die Vortriebskräfte zum horizontalen Verfahren der Torelemente herbeizuführen (s. Abb. 1.263c). Brandschutzvorhänge aus Gewebe In manchen Ländern werden von den zuständigen Behörden bei kleineren Bühnenöffnungen neuerdings auch einrollbare Brandschutzvorhänge aus Glasfasergewebe zur Trennung der Brandabschnitte Bühnenhaus und Zuschauerraum zugelassen. Um einer höheren Druckbelastung standzuhalten, werden in das Glasfasergewebe rostfreie Stahldrähte verwoben. Die für das Vorhangmaterial zulässigen Druckdifferenz zwischen Bühne und Zuschauerraum hängen von der Größe der Vorhangfläche ab

1.9 Sicherheitstechnische Einrichtungen des Brandschutzes | 233

und sind im Allgemeinen weit geringer als die für Volltheater vorgeschriebenen Werte. Der Vorhang wird seitlich gemäß Abb. 1.264 in Schienen geführt und beim Schließen über stehende rostfreie Rundstäbe gezogen. Die Rauchgasdichtheit entsteht im Brandfall durch die im Gewebe wirkenden horizontalen Zugkräfte.

Abb. 1.264: Brandschutzvorhang System Fibershield Montagebeispiel oben und Seitenführung. Bildnachweis: Fa. Stöbich.

1.9.2 Rauchgasabzuganlagen Im Bereich von Bühne und Zuschauerraum sind in ausreichender Größe Rauchabzüge vorzusehen. Deren minimaler Öffnungsquerschnitt ist in Vorschriften genau festgelegt und hängt von der Grundfläche des Bühnenraumes bzw. der Grundfläche des Zuschauerraumes ab. Ähnlich wie beim Schutzvorhang muss deren Öffnungsvorgang im Brandfall nach Auslösung selbsttätig ohne Energiezufuhr vor sich gehen. In manchen Ländern besteht auch die Vorschrift, dass die Rauchgasabzuganlagen bei einem bestimmten Überdruck selbsttätig öffnen müssen. Da die Rauchabzugsöffnungen aber auch für Lüftungszwecke eingesetzt werden, ist auch eine normale Betriebssteuerung vorzusehen. Eine sehr übliche Bauweise sind sogenannte Rauchklappen. Das sind im Dachbereich untergebrachte, etwa vertikale Wandelemente, die über eine horizontale Achse aufgeklappt werden können, wobei Gewichte das selbsttätige Öffnen sicherstellen. Zum betriebsmäßigen Öffnen und Schließen können wieder Windentriebe oder Hydraulikzylinder Verwendung finden. Abbildung 1.265 zeigt über Seilzug betätigte Rauchklappen, und zwar hintereinandergeschaltete vertikale Außen- und horizontale Innenklappen, und Abb. 1.266 zeigt hydraulisch betätigte einfache Rauchklappen. Wo klimabedingt eine Vereisung der Rauchklappen erfolgen kann, ist besonders zu beachten, dass zum Aufstoßen der Klappen ausreichend große Kräfte zur Wirkung kommen. Dies ist z. B. hydrostatisch unter Verwendung von Speichern möglich. Auch Windkräfte sind zu berücksichtigen.

234 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

Abb. 1.265: Rauchklappenanlage des Großen Festspielhauses in Salzburg, betätigt über Seilzug (Rauchklappen geöffnet). Fotos: Waagner-Biró.

Neben den soeben beschriebenen Rauchklappen gibt es auch Bauvarianten, bei denen Dachelemente – sogenannte Rauchhauben – hochgefahren werden, sodass die vorgeschriebenen Rauchgasabzugsflächen freigegeben werden (Abb. 1.267). Vor allem wenn Schneelasten in Rechnung zu stellen sind, können sich relativ große Hublasten ergeben, die ebenfalls wieder im Brandfall durch gespeicherte Energie bewegt werden müssen. Dazu können Gegengewichte oder druckbeaufschlagte Hydrospeichersysteme herangezogen werden. Es wurden aber auch Rauchklappen ausgeführt, die im Betriebsfall pneumatisch mit in einem Kompressor verdichteter Druckluft betätigt werden und bei Notschluss mit CO2 aus Druckflaschen bewegt werden (z. B. im Musical-Theater Basel).

1.9 Sicherheitstechnische Einrichtungen des Brandschutzes | 235

Abb. 1.266: Rauchklappen im Wiener Raimundtheater mit hydraulischer Betätigung (Rauchklappen geschlossen). Foto: Waagner-Biró.

Abb. 1.267: Rauchhauben und Rauchklappen der Semperoper Dresden. Seilwindenantrieb, Notschluss durch Gegengewicht. Bildnachweis: SBS.

236 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien 1.9.3 Wasserlöschanlagen Für die Brandbekämpfung durch die Feuerwehr sind in jeder größeren Spielstätte Löschwasseranschlüsse vorhanden. Teilweise ist es aber auch üblich, SprühwasserLöschanlagen zu installieren, um sofort gegen eine schnelle Brandausbreitung ankämpfen zu können. Es handelt sich dabei um ein Rohrnetz mit Löschdüsen, angeschlossen an eine leistungsfähige Wasserleitung. Reicht die Wassermenge aus der allgemeinen Wasserversorgung nicht aus, kann Wasser auch in Wasserbehältern, insbesondere in Druckluft-Wasserbehältern zur Sicherstellung eines ausreichenden Druckniveaus, gespeichert werden. Die Auslösung der Löschanlage erfolgt in Spielstätten nicht automatisch über Brandsensoren, sondern durch eine dazu befugte Person. Bei einer Sprühwasser-Löschanlage sind, wie eben beschrieben, alle Löschdüsen offen und versprühen Löschwasser, sobald sie im Ringleitungsnetz mit Druckwasser versorgt werden. Selbstverständlich können auch mehrere getrennt beaufschlagbare Ringleitungssysteme vorgesehen werden. Im Gegensatz dazu sind Sprinkler automatisch auf Wärme reagierende Sprühdüsen, die immer unter Wasserdruck stehen und durch Glasampullen, die eine Spezialflüssigkeit mit einer Luftblase enthalten, geschlossen gehalten werden. Bei einem Feuer erwärmt sich die Flüssigkeit in den Glasampullen, dehnt sich aus und die Ampullen platzen, so dass die Düsen geöffnet werden und Wasser aus dem Sprinklerrohrnetz austritt. In einem Sprinklersystem sind also alle Düsen mit Druckwasser beaufschlagt, es versprühen nur jene Löschwasser, deren Verschluss aufgesprengt wird.

Hinweise für ergänzende Literatur zu Kap. 1 Bühnentechnische Rundschau Sigloch Distribution GmbH & Co. KG – Der Theaterverlag – Friedrich Berlin GmbH Vormals: Erhard Friedrich Verlag GmbH & Co. KG bzw. Orell Füssli + Friedrich Verlag AG Insbesondere sind im Buch angeführten Bühnen in folgenden Heften näher beschrieben oder es wird darauf besonders hingewiesen: Jg. 50 (1956) Nr. 1 Wiener Staatsoper Jg. 71 (1977) Nr. 3 National Theatre London Jg. 73 (1979) Nr. 4 Semperoper Dresden Jg. 76 (1982) Nr. 2 Schaubühne Berlin Jg. 78 (1984) Nr. 5 Friedrichstadtpalast Berlin Jg. 79 (1985) Nr. 3 Opernhaus Zürich Jg. 79 (1985) Nr. 4 Festspielhaus Salzburg Jg. 79 (1985) Nr. 6 Friedrichstadtpalast Berlin Jg. 80 (1986) Nr. 3 Dekorationsmagazin München

Hinweise für ergänzende Literatur zu Kap. 1

| 237

Jg. 80 (1986) Nr. 3 Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen Jg. 81 (1987) Nr. 3 Muziektheater Amsterdam Jg. 82 (1988) Nr. 3 Hamburgische Staatsoper Jg. 82 (1988) Nr. 5 Alvar Aalto Theater Essen Jg. 83 (1989) Nr. 2 Konferenzzentrum Kuwait Jg. 83 (1989) Nr. 3 Staatstheater Stuttgart Jg. 83 (1989) Nr. 4 Nationaltheater München Jg. 83 (1989) Nr. 4 Prospektlager, Nationaltheater München Jg. 83 (1989) Nr. 5 Opera de la Bastille Paris Jg. 84 (1990) Nr. 4 Staatsoper München Jg. 85 (1991) Nr. 1 Theater Neue Flora Jg. 85 (1991) Nr. 4 Teatro Felice – Oper Genua Jg. 86 (1992) Nr. 1 Residenztheater München Jg. 86 (1992) Nr. 2 Deutsche Oper Berlin Jg. 86 (1992) Nr. 2 Oper Frankfurt am Main Jg. 87 (1993) Nr. 4 Megaro Musikis Athinon Jg. 87 (1993) Nr. 6 Nationaltheater Maribor Jg. 98 (1995) Nr. 1 Nationaltheater Maribor Jg. 98 (1995) Nr. S (Sondernummer) Theater am Goetheplatz Baden-Baden Jg. 98 (1995) Nr. S (Sondernummer) Wiener Staatsoper Jg. 99 (1996) Nr. 1 Burgtheater Wien Jg. 99 (1996) Nr. 4 Musical-Theater Basel Jg. 100 (1997) Nr. 2 Semperoper Dresden Jg. 100 (1997) Nr. 5 Kongresszentrum Frankfurt Jg. 101 (1998) Nr. 5 Opernhaus Hannover Jg. 102 (1999) Nr. 1 Genfer Oper 2001 Nr. 2 Berliner Ensemble Nr. 3 Als die Matrosen auf den Schnürboden zogen Theater an der Wien – 200 Jahre alt (Teil 1) Sanierung des Stadttheaters Bremerhaven Nr. 4 Ein festes Haus bis in die fernste Zukunft hinaus Das Maxim Gorki- Theater in Berlin-Mitte Theater an der Wien – 200 Jahre alt (Teil 2) Bühnentechnik in den letzten Jahrzehnten 2002 Nr. 2 Das Tempodrom Berlin Theaterneubau in Basel Der Umbau der Berliner Volksbühne Nr. 4 Stadttheater Regensburg – Generalsanierung der Bühnentechnik Nr. 5 Das Ungarische Nationaltheater in Budapest (Teil 1) 2003 Nr. 1 Das Ungarische Nationaltheater in Budapest (Teil 2) Modernisierung der Obermaschinerie im Staatstheater Saarbrücken

238 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien

2004

2005

2006 2008 2011 2012

2013 2017 2020

Nr. 2 Die Sanierung des großen Thalia-Theaters in Halle Nr. 3 Konzerthaus Berlin – Umbau des Orchesterprobensaals Nr. 6 Grand Théâtre Luxembourg Nr. 1 E. T. A. Hoffmann-Theater in Bamberg Nr. 2 Der Theaterneubau in Erfurt Sonderband Die neue Philharmonie Essen Nr. 1 Muziektheater Amsterdam Nr. 2 La Fenice in Venedig – Wo sie war, wie sie war Thalia-Theater Hamburg – Erneuerung der Obermaschinerie Nr. 3 Palast der Künste Budapest Nr. 4 Die Sanierung der Untermaschinerie im Schauspielhaus Frankfurt Nr. 5 Die Sanierung des Bolschoi-Theaters Nr. 6 Staatstheater Wiesbaden Nr. 2 Zirkustheater „Care“ in Amsterdam Nr. 5 Bühnentechnik „Made in Europe“ für Oslo Nr. 6 Neue Bühnentechnik fürs Düsseldorfer Schauspielhaus Nr. 6 Das Bolschoi Theater in neuem Glanz – Zur Erneuerung der bühnentechischen Anlagen – Teil 1 Nr. 1 Das Bolschoi Theater – eine Wiedergeburt – Zur Erneuerung der bühnentechischen Anlagen – Teil 2 Nr. 2 Opernbau in den Golfstaaten- Das neue Royal Opera House Muscat (Oman) Nr. 3 Shanghai Culture Square – Eine neue Musical- und Showbühne in Shanghai Nr. 4 Dekorationen bewegen und lagern Das neue Container- und Prospektlager des Bolschoi-Theaters Nr. 3 Die Bühnenmaschinerie im Musiktheater Linz Nr. 5 Neues Arbeiten im renovierten Haus – Die Sanierung der Staatsoper unter den Linden – Teil 3 Bühnentechnik Nr. 2 Neue Strahlkraft für das 21. Jahrhundert – Die Staatsoper in Prag

(In den Abbildungslegenden erfolgt der Bildnachweis z. B. für 87 (1993) Nr. 6 in der Form BTR 6/1993.) Prospect Magazin der OETHG für Bühnen & Veranstaltungstechnik Herausgeber und Medieninhaber: Österreichische Theatertechnische Gesellschaft – OETHG Insbesondere sind im Buch angeführten Bühnen in folgenden Heften näher beschrieben: 1996 Nr. 1 Die neue Bühnen-Obermaschinerie für das Wiener Burgtheater Nr. 3 High-Tech auf hoher See Die Wiener Volksoper im Wandel der Zeit

Hinweise für ergänzende Literatur zu Kap. 1

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2000 Nr. 1 Vom Zug zum Flug 2001 Mai 175 Jahre Grazer Schauspielhaus 200 Jahre Theater an der Wien (1. Teil) Sept. 200 Jahre Theater an der Wien (2. Teil) 2003 März Die neue „Helmut-List-Halle“ in Graz Juni Ein neuer Bühnenboden für die Seebühne in Mörbisch Dez. 200 Jahre Landestheater Linz 1803–2003 Die Blackbox des Burgtheaters im Kasino 2004 März Die Wiedereröffnung von „La Fenice“ in Venedig Juni Neuer intelligenter Bühnenwagen – Ideen-Schmiede Werfing Dez. Stabile, versenkbare neue Orchesterpodien für das Wiener Burgtheater 2005 März Tiroler Landestheater: Etappenweise Umrüstung des Schnürbodens auf Elektroantriebe Juni Arena Rockódromo Madrid Okt. Faszination der Bühne: Barocke Bühnentechnik Dez. Der Palacio de las Artes – Das spanische Valencia hat ein neues Opernhaus Volksoper Wien – Umbau des Antriebes für die versenkbare Kernscheibe der Drehbühne 2006 Nr. 1 Spektakulärer Umbau des Wiener „Ronacher“ „Haus für Mozart“ Nr. 3 Die Universität – Mozarteum in Salzburg erstrahlt in neuem Glanz Festspielhaus Bregenz – Sanierung in nur 319 Tagen Die verschiebbaren Prospektzüge im sanierten Festspielhaus Einzigartiges neues Bühnenwagensystem von Waagner Biró für die neue Oper in Kopenhagen Nr. 4 Erneuerung des Hauptvorhangträgers in der Wiener Staatsoper 2007 Nr. 2 Das neue Opernhaus in Oslo nimmt Gestalt an Nr. 3 Erneuerung der Unterbühnensteuerung CATV4 für die Wiener Staatsoper 2008 Nr. 1 „China National Gran Theatre“ – eine Perle für Peking Nr. 2 Wiedereröffnung des Wiener Ronacher nach Funktionssanierung Nr. 4 Die Osloer Nationaloper – „Kulturgebäude der Welt 2008“ 2009 Nr. 1 Wiedereröffnung der Oper im Seoul Ars Center Nr. 2 Das Slowakische Nationaltheater in Pressburg Neues Musiktheater in Linz – Die Realisierung hat begonnen Nr. 4 37 m langer Vorhang-Scherenzug für Taschkent – von Gerriets 2010 Nr. 3 Die Bühnentechnik für das neue Musiktheater Linz Multiversum – neues multifunktionales Veranstaltungszentrum für Schwechat Wiener Staatsoper – neue Rundhorizont- Anlage Nr. 4 Arena „Reyno de Navarra“ in Pamplona – Die verborgene Schatztruhe in der Arena

240 | 1 Bühnentechnische Einrichtungen, Bauarten und Einsatzkriterien 2011 Nr. 1 Neues Musiktheater Linz – Modernstes Opernhaus Europas mit vollautomatischen Dekorationslagern Nr. 4 Das Bolschoi Theater erstrahlt in neuem Glanz Grazer Oper – Sanierung der Bühnentechnik 2012 Nr. 1 Vorhangsysteme mit Schwerlastschienen Nr. 2 Die Bühnentechnik des neu eröffneten Bolschoi-Theaters in Moskau Neues Musiktheater Linz – Der Endspurt Nr. 3 Neues Musiktheater Linz – die multifunktionale Transportdrehbühne 2013 Nr. 1 Das neue Musiktheater in Linz Tirol – Das Festspielhaus Erl ist eröffnet Das neue Konzerthaus in Stavanger – Bühnentechnik von Waagner Biró Mariinsky-Theater – Erweiterungsbau mit 2000 Sitzplätzen Nr. 3 Musiktheater Linz – Flughafentechnik in der Oper: Das automatisierte Kulissenlager ist der heimliche Star dieses neuen Theaters Nr. 4 Wiener Kammerspiele – nach Generalsanierung in neuem Glanz 2014 Nr. 1 Wiener Opernball – Wandlung des Opernhauses in einen riesigen Ballsaal Der Bremsentest in der Bühnentechnik – Ein Stiefkind in Bezug auf den Sicherheitsgedanken Normung in der Bühnentechnik und Dimensionierung von Bremsen Nr. 3 Burgtheater Wien – Start in die Saison 2014/15 mit neuer Bühnenleittechnik Nr. 4 Das „Globe Wien“ in der Marx-Haller 2015 Nr. 4 Königliche Oper Stockholm 2017 Nr. 3 Staatsoper Berlin – Ein Rundgang – Viel Technik unter den Linden 2019 Nr. 1 150jähriges Jubiläum der Wiener Staatsoper – Technikgeschichte einer Weltbühne Globe Wien – Renovierung und Aufrüstung – Das Ende einer Zwangspause Nr. 3 Renovierung des Opernhauses Sydney– Der digitale Zwilling des Opernhauses 2020 Nr. 2 Staatsoper Prag – Neue Technik in altem Glanz 2021 Nr. 1 Wiener Volkstheater – Das Spiel kann beginnen Nr. 3 Wiener Staatsoper – Virtuelle Bühnenplanung im Haus am Ring Merkblätter über sachgemäße Stahlverwendung Heft 289 – Stahlkonstruktionen im Theaterbau Beratungsstelle für Stahlverwertung Düsseldorf DK 725.82; 624.94/95 In den Abbildungslegenden erfolgt der Bildnachweis mit der Angabe „Merkblatt 289“. Kranich, Friedrich: Bühnentechnik der Gegenwart, 2 Bde., München–Berlin: Oldenbourg, 1929 (Nachdruck 1992). Unruh, Walter: Theatertechnik – Fachkunde- und Vorschriftensammlung, Berlin– Bielefeld: Klasing, 1969.

2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Motorische Antriebe bedienen sich – von Sonderfällen abgesehen – letztlich immer elektrischer Energie, die dem allgemeinen Stromnetz entnommen wird. Nur bei Einsatz eines Notstromaggregates wird elektrische Energie in einem von einer Verbrennungskraftmaschine angetriebenen Generator direkt erzeugt. Diese elektrische Energie wird in bühnentechnischen Anlagen dann auf zweierlei Art in Bewegungsenergie umgesetzt: – Die Umsetzung erfolgt mittels elektrischer Antriebe, indem die Arbeitsbewegungen mit Hilfe von Elektromotoren erzeugt werden. Die rotierende Bewegung des Motors wird über ein Getriebe in rotierende Bewegung anderer Geschwindigkeit, in Linearbewegung oder in kinematisch komplexe Bewegungsabläufe umgewandelt. Elektrische Linearmotoren werden selten eingesetzt. – Arbeitsbewegungen werden hydrostatisch erzeugt, indem durch Beaufschlagung von Hydrozylindern mit Druckflüssigkeit Linearbewegungen oder durch Beaufschlagung von Hydromotoren drehende Bewegungen hervorgerufen werden. Die Druckflüssigkeit wird von mit Elektromotoren angetriebenen Hydraulikpumpen bereitgestellt bzw. Speichern entnommen, die jedoch ebenfalls durch elektrisch angetriebene Hydraulikpumpen gefüllt werden müssen. In den folgenden Abschnitten werden beide Antriebsvarianten näher erläutert. Dem werden einige Anmerkungen zu manuellen Antrieben vorangestellt.

2.1 Manuelle Antriebe Bis zur Erfindung motorischer Antriebe war man auf Muskelkraft angewiesen. Allerdings kann z. B. durch Ausnutzung der Schwerkraft Muskelkraft ersetzt oder zumindest der vom Menschen aufzubringende Kraftbedarf stark reduziert werden. Eine Möglichkeit bietet der Einsatz von Gegengewichten zum teilweisen oder vollständigen Gewichtsausgleich der Nutzlast. Bei sehr alten Hydraulikanlagen wurde eventuell auch der Schweredruck im Dachniveau des Gebäudes gespeicherten Wassers genutzt, um mit einfachen Plungerzylindern Hubarbeit zu verrichten. Später wurde zur Erzielung höherer Drücke der hydrostatische Druck durch Druckluft, die in einen geschlossenen Wasserbehälter eingepumpt wurde, erhöht. Zur Aufbringung größerer Kräfte können auch Flaschenzüge, Hebel- oder Getriebeübersetzungen herangezogen werden. Technische Einrichtungen der Unterbühne werden heute, abgesehen von kleineren Bühnenwagen und Personenversenkungen, kaum mehr manuell bewegt. Nur in sehr alten Theatern kann man eventuell noch durch Muskelkraft betriebene Drehbühnen und größere Versenkeinrichtungen finden.

https://doi.org/10.1515/9783110776003-002

242 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen In der Oberbühne, bei Prospektzügen und Vorhangantrieben, sind aber auch heute noch oft Handantriebe vorzufinden. Erstens ist eine Bestückung der Oberbühne mit Handzügen um vieles billiger, zweitens waren in der Vergangenheit manche Betreiber der Meinung, dass dem Spiel angepasste feinfühlige Bewegungen nur mit einem Handzug realisiert werden können. Diese Ansicht stammt vor allem aus jener Zeit, in der tatsächlich nur schlecht steuer- oder regelbare Maschinenzüge in Bühnen eingebaut wurden, sei es, weil die Technik noch zu wenig ausgereift war, sei es, dass aus Kostengründen technisch minderwertige Lösungen gewählt wurden. Ein elektrisch oder hydraulisch betriebener Prospektzug unter Anwendung moderner Antriebstechnik ist dem Handzug in vielem überlegen, in der Beschaffung aber natürlich auch teurer. Handkonterzüge werden in Zukunft auch aus betriebsorganisatorischen Gründen immer seltener eingesetzt werden. Das Manipulieren der Gegengewichte ist eine die Wirbelsäule stark belastende Schwerarbeit, und der Einsatz der Züge erfordert hohen Zeit- und Personalaufwand. Handantriebe werden in der Bühnentechnik auch als Notantriebe eingesetzt, um bei technischen Störungen wenigstens einen Notbetrieb mit Einschränkungen aufrechterhalten zu können. In solchen Notsituationen können dann auch langsamere Bewegungsabläufe in Kauf genommen werden. Bei der Konstruktion sollten ergonomische Gesichtspunkte hinsichtlich der räumlichen Anordnung von Handrädern und Kurbeln berücksichtigt werden. Ferner ist zu beachten, dass keine zu großen Handkräfte zugemutet werden. Am Umfang eines Handrades mit glatter Grifffläche kann die Handkraft etwa 200 N betragen, an einer Handkurbel sind kurzzeitig auch etwas höhere Kräfte möglich. Ein Zug an einem Seil oder einer Kette sollte möglichst in senkrechter Richtung erfolgen und die Zugkraft nicht größer als 300 bis 400 N sein. Unter Beachtung der Daten für einen Handkurbelantrieb kann am Antrieb ein Drehmoment von etwa 100 Nm erzeugt werden und bei Annahme einer Drehgeschwindigkeit von ca. 30 U/min kurzzeitig eine Leistung von etwa 300 W erbracht werden. Über einen längeren Zeitraum ist die durch Muskelkraft aufbringbare Leistung viel geringer. Das Drehmoment und entsprechende Kraftwirkungen können durch Übersetzungen zwar vergrößert werden, in gleichem Maße wird dadurch aber die Geschwindigkeit der Bewegung reduziert. Die bei manuellen Antrieben nur sehr kleine Leistung, die ja nach Gl. (3.26) dem Produkt aus Kraftwirkung und Bewegungsgeschwindigkeit proportional ist, kann natürlich nicht erhöht werden, es sei denn, mehrere Personen werden gleichzeitig eingesetzt. Die Begrenzung der Leistung bedeutet also, dass entweder große Kräfte bzw. Momente mit nur kleiner Geschwindigkeit überwunden werden können oder große Geschwindigkeiten oder Drehzahlen bei nur kleinen Kraftwirkungen realisierbar sind. Ist die Arbeitsgeschwindigkeit eines manuellen Notantriebes zu gering, kann ein Notantrieb auch so konzipiert werden, dass eine Handbohrmaschine oder eine ähn-

2.2 Elektrische Antriebe

| 243

liche Einrichtung provisorisch an eine hierfür vorgesehene Welle angekuppelt wird, um höhere Antriebsleistungen zu erzielen.

2.2 Elektrische Antriebe 2.2.1 Gleich- und Drehstromantriebe klassischer Bauart Aus dem Drehstromnetz können Drehstrommotore direkt angespeist werden, es sei denn, man will die Anspeisefrequenz des Antriebsmotors verändern. Der zum Betrieb von Gleichstrommotoren erforderliche Gleichstrom muss erst über Gleichrichter erzeugt werden. Nur Motore kleiner Leistung können aus Batterien bzw. Akkumulatoren betrieben werden. Allerdings wird das Batterieladegerät wieder mit Netzstrom versorgt. Welcher Motortyp und welche Schaltungen zu wählen sind, hängt von den Einsatzbedingungen und Erfordernissen ab. Wesentliche Kriterien sind: – ob der Motor vom Netz oder von einer Batterie gespeist wird, – ob der Motor nur mit seiner Nenndrehzahl betrieben werden muss, – ob eine zusätzliche Langsamfahr-Geschwindigkeit erwünscht ist, – ob mehrere Drehzahlen oder eine stufenlose Verstellung der Drehzahl gefordert ist, – wie groß das Verhältnis zwischen größter und kleinster Drehzahl sein soll, – des Weiteren ist zu bedenken, ob eine Drehzahlverstellung als Steuerung unter Inkaufnahme einer gewissen Lastabhängigkeit ausreicht oder – ob eine lastunabhängige Drehzahlregelung für einen Einzelantrieb oder eine Regelung für einen Synchronbetrieb mehrerer Antriebe erforderlich ist. Bei einem geregelten Antrieb wird der messtechnisch erfasste Istwert einer Betriebsgröße, z. B. der Drehzahl bzw. Arbeitsgeschwindigkeit, mit dem vorgegebenen Sollwert verglichen und die Drehzahl entsprechend korrigiert. Mit nur einer Nenndrehzahl findet man z. B. bei Pumpenantrieben in der Hydraulik-Druckzentrale das Auslangen oder bei Antrieben, die szenisch nicht eingesetzt werden und keine hohen Arbeitsgeschwindigkeiten verlangen. Dies trifft meistens bei Orchesterpodien, Ausgleichspodien, bei Antrieben zur Veränderung der Neigung der Gedecke von Podien, bei Schutzvorhängen und bei Montage-Schwerlastzügen zu. In den meisten Fällen werden an szenisch einzusetzende Antriebe in der Unterund Oberbühne aber sehr hohe Anforderungen gestellt, nämlich stufenlose Verstellung der Arbeitsgeschwindigkeit, keine Lastabhängigkeit, gute Regelfähigkeit im Sinne einer hohen Regeldynamik und ein hohes Regelverhältnisses von Maximalzu Minimalgeschwindigkeit. Daher werden in modernen Bühnenanlagen für Hubzüge, Bühnenwägen und Drehbühnen i. A. nur mehr geregelte elektrische Antriebe eingesetzt.

244 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Gleichstrommotor Eine geringe Lastabhängigkeit der Drehzahl besitzen der Gleichstromnebenschlussmotor und der fremderregte Gleichstrommotor mit der Wicklungsschaltung in Ständer (Stator) und Anker (Rotor) nach Abb. 2.1b, c, da in der Erregerwicklung (Ständerwicklung) ein von der Belastung unabhängiger magnetischer Fluss Φ erzeugt wird. In Abb. 2.1a ist zum Vergleich auch die Schaltung des Reihenschlussmotors dargestellt, der in der Bühnentechnik wegen seiner extremen Lastabhängigkeit aber nicht verwendet wird.

Abb. 2.1: Schaltbilder von Gleichstrommotoren. (a) Reihenschlussmotor, (b) Nebenschlussmotor, (c) fremderregter Motor.

Der fremderregte Gleichstrommotor bietet auch sehr gute Möglichkeiten stufenloser Drehzahlsteuerung und -regelung und wurde und wird daher in der Bühnentechnik sehr häufig eingesetzt. Für Drehzahl und Drehmoment gelten folgende Beziehungen (Proportionalitäten): U − IA ⋅ (RI − RV ) 0 M ≈ IA ⋅ 0 n≈

n U IA RI RV Φ M

(2.1) (2.2)

Motordrehzahl Klemmenspannung Ankerstrom innerer Widerstand der Ankerwicklung etwaiger Vorschaltwiderstand magnetischer Fluss Motormoment.

Eine Drehzahlverstellung ist bei einem Gleichstrommotor daher auf folgende Arten möglich (Abb. 2.2): – Ausgehend von der Nenndrehzahl kann eine Reduktion der Drehzahl durch Vorschalten von Widerständen RV im Ankerkreis erfolgen. In diesen Widerständen wird elektrische Energie in Wärme umgewandelt, sodass dieser Betriebszustand

2.2 Elektrische Antriebe

| 245

Abb. 2.2: Kennlinien eines fremderregten bzw. eines selbsterregten NebenschlussGleichstrommotors. (a) Verlustbehaftete Drehzahlverstellung durch Vorschaltwiderstände RV , (b) verlustfreie Drehzahlverstellung durch verlustlose Änderung der Klemmenspannung bzw. des magnetischen Flusses Φ.





nur für sehr kurze Zeitabschnitte sinnvoll und möglich ist; andererseits wird die Drehzahl dadurch auch stärker lastabhängig (siehe Abb. 2.2a). Diese Art der Drehzahlverstellung scheidet daher aus; Vorschaltwiderstände wurden gegebenenfalls nur für den Anlaufvorgang größerer Maschinen verwendet. Fast verlustfrei kann eine Verringerung der Drehzahl durch Reduktion der Klemmenspannung U am Anker herbeigeführt werden. Früher wurde diese Reduktion der Klemmenspannung unter Anwendung rotierender Umformer, dem sogenannten Ward–Leonard-Umformer, durch Feldschwächung eines Gleichstromgenerators vorgenommen (Abb. 2.3a), oder man verwendete einen Stelltransformator mit Gleichrichter. Heute bedient man sich statischer Umformer in Anwendung moderner Leistungselektronik und reduziert die Spannung durch Phasenanschnittsteuerung. Dabei wird durch Wegschalten der Anspeisespannung über kurze Zeitintervalle der Effektivwert der Spannung als energetisch wirksamer Spannungswert verändert (Abb. 2.3b). Die so entstehenden Kennlinien sind kaum lastabhängig und in Abb. 2.2b dargestellt. Abbildung 2.4a zeigt die Prinzipschaltung eines Gleichstromstellers zum drehzahlvariablen Betrieb eines Gleichstrommotors. Fremderregte Gleichstrommotoren mit 4-Quadranten-Thyristor-Regelgeräten waren in der Bühnentechnik die am häufigsten eingesetzten elektrischen Antriebe, werden aber – dem allgemeinen Trend entsprechend – immer mehr durch Drehstromantriebe ersetzt. Eine Verstellung in höhere Drehzahlbereiche könnte durch Feldschwächung, d. h. durch Verringerung des magnetischen Flusses im Ständer (Stator) des Gleichstrommotors erreicht werden. Aus Gl. (2.2) ist ersichtlich, dass bei Feldschwächung aber auch das Motormoment reduziert wird, d. h. im Feldschwächbereich kann der Motor nur ein geringeres Drehmoment abgeben. Daher ist Feldschwächung nur bei Teillasten anwendbar und kommt bei bühnentechnischen Antrieben de facto nicht in Frage.

246 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.3: Gleichstromantrieb gesteuert bzw. geregelt (strichlierte Linie). (a) Mit Ward–LeonardUmformer, (b) mit Stromrichter in Drehstrom-Brückenschaltung.

Abb. 2.4: Möglichkeiten der Drehzahlverstellung – Schemaskizzen. (a) Verlustlose Steuerung eines Gleichstrommotors mit einem Gleichstromsteller, (b) verlustlose Steuerung eines Drehstrommotors mit einem Spannungszwischenkreis-Umrichter.

2.2 Elektrische Antriebe



| 247

Unter diesen Aspekten können Gl. (2.1) und Gl. (2.2) vereinfacht werden, indem folgende Proportionalitäten angeschrieben werden: n≈U

(2.3)

M ≈ IA

(2.4)

Drehstrommotor Beim Drehstrommotor werden im Stator mindestens drei Elektromagnet-Spulen um 120 ° versetzt angeordnet. Werden diese drei Spulen mit jeweils einer Leiterspannungsphase des Drehstromsystems gespeist, dann wird in jeder Spule ein Magnetfeld erzeugt, dessen zeitlicher Ablauf um eine Drittelperiode versetzt ist. Aus den einzelnen Spulenmagnetfeldern ergibt sich ein drehendes Magnetfeld. Wird im Zentrum dieses Magnetfelds ein drehbar gelagerter Magnet (der Rotor) angebracht, versetzt das Drehfeld den Magneten in eine Drehbewegung. Diese drei Elektromagnet-Spulen, jeweils bestehend aus einem Nord- und Südpol, bilden zusammen ein Polpaar. Werden die Statorwicklungen eines Drehstrommotors an das Drehstromnetz angeschlossen, so rotiert das magnetische Feld (Drehfeld) mit einer Drehzahl ns ns =

f p

bzw. n∗s = 60 ⋅

f p

(2.5)

ns Synchrondrehzahl [U/s], ns ∗ [U/min] f Frequenz [1/s = Hz] p Polpaarzahl [–] In Hinblick auf das Rotorverhalten gibt es prinzipiell unterschiedliche Funktionsweisen: Beim Synchronmotor rotiert der Rotor (bei diesem Motor auch Polrad genannt) mit der Synchrondrehzahl ns . Seine Statorwicklung erzeugt ein rotierendes Drehfeld und der mit Gleichstrom über Schleifringe gespeiste Rotor muss infolge der elektrodynamischen Kraftwirkung folgen. (Der Rotor kann auch als Permanentmagnet ausgebildet sein.) Bei Belastung verschieben sich die Läufer- und Ständerpole gegeneinander um einen der Last proportionalen Winkel. Bei Motorbetrieb bleibt der Läufer um diesen Belastungswinkel zurück, bei Generatorbetrieb eilt das Polrad dem Statorfeld voraus. Laststöße können das Polrad aber zum Pendeln bringen, und unter Umständen kann dadurch der Synchronismus gestört werden und das Polrad „aus dem Tritt fallen“. Solche Synchronmotoren wurden in der Bühnentechnik nur in ganz wenigen Anlagen eingesetzt, haben sich aber nicht bewährt. Beim Asynchronmotor muss das Magnetfeld des Rotors erst durch Induktion erzeugt werden. Man verwendet daher auch die Bezeichnung Induktionsmotor. Elektrodynamische Kraftwirkung kann dann nur durch Schneiden der Feldlinien in einer Re-

248 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen lativbewegung zwischen Statordrehfeld und Rotor entstehen, d. h. die Drehzahl des Rotors muss bei Motorbetrieb um einen Schlupf σ kleiner sein als die Synchrondrehzahl ns n = ns ⋅ (1 − σ) bzw. n −n n −n [–] = s ⋅ 100 [%] σ= s ns ns

(2.6)

Die Frequenz des Rotorstromes beträgt fR = fS ⋅ σ ns n σ fR fS

(2.7)

Synchrondrehzahl (Drehzahl des Drehfeldes) [U/s], [U/min] Drehzahl des Asynchronmotors [U/s], [U/min] Schlupf [–] Frequenz in der Rotorwicklung [1/s] Frequenz in der Statorwicklung [1/s]

Wird der Motor durch die Last angetrieben, also zum Generator, so wird sich eine übersynchrone Drehzahl mit negativem Schlupf einstellen. Abb. 2.5 zeigt das Drehzahl–Drehmoment-Diagramm eines Drehstrommotors.

Abb. 2.5: Kennlinie eines Asynchronmotors im M/n-Diagramm. MA : Anfahrmoment. MN : Nennmoment. MK : Kippmoment. ML : Lastmoment (im Diagramm ML = MN ). nK : Nenndrehzahl.

Für das von einem Drehstrommotor abgegebene Drehmoment gilt die Proportionalität M ≈ IR ⋅ 0

(2.8)

M ≈ IR

(2.9)

Für 0 = const. folgt daraus

2.2 Elektrische Antriebe

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In Bauweise und Funktion unterscheidet man zwei Arten von Drehstrom-Asynchronmotoren: Beim Schleifringläufer Motor werden die Wicklungsenden im Rotor über Schleifringe nach außen geführt, sodass der Rotor z. B. durch Vorschalten von Widerständen beeinflusst werden kann. Beim Kurzschlussläufermotor, auch Käfigläufermotor genannt, sind die Wicklungsenden im Rotor kurzgeschlossen und nicht nach außen geführt und ein Zugriff auf die Rotorwicklung von außen nicht möglich. Diese Motorbauart ist besonders robust und im Prinzip wartungsfrei. Beim direkten Einschalten eines Drehstrommotors tritt ein Einschaltstrom auf, der das etwa 6- bis 8fache des Nennstromes beträgt. Dadurch kann eine Überforderung des Netzes gegeben sein. Bei Schleifringläufermotoren kann durch kurzzeitiges Vorschalten von Widerständen im Rotor die Motorcharakteristik so verändert werden, dass der Einschaltstrom viel niedriger gehalten wird. Außerdem kann dabei auch das Momentenverhalten des Motors den Erfordernissen angepasst werden. Das Einschalten eines Motors mit Vorschaltwiderständen und stufenweisem Wegschalten dieser Widerstände nennt man Anlassen des Motors und ist in Abb. 2.6 dargestellt. Daher kommen beim Kurzschlussläufer nur alle jene Möglichkeiten der Drehzahlverstellung in Frage, bei denen nur auf den Stator Einfluss genommen wird (Frequenz, Spannung, Polpaarzahl). Beim Kurzschlussläufermotor besteht daher auch nicht die Möglichkeit des Anlassens mit Widerständen. Man kann sich allerdings damit helfen, dass die Ständerwicklung des Motors zunächst in Sternschaltung an das Netz gelegt wird und dann in Dreieckschaltung umgeschaltet wird. Durch diese verschiedene Verkettung der drei Drehstromwicklungen gemäß Abb. 2.7a, b und deren Anbinden an das dreiphasige Netz wird der Einschaltstrom auf ein Drittel reduziert. Allerdings gibt der Motor dann beim Anlauf in Dreieckschaltung auch nur ein Drittel seines bei Dreieckschaltung möglichen Drehmomentes ab. Ein Stern-Dreieck-Anlauf kann daher nur bei Anlauf mit reduzierter Last bzw. im Leerlauf realisiert werden. Dies ist z. B. für das Anlaufen eines Elektromotors zum Betrieb einer Hydraulikpumpe möglich, wenn der Start bei drucklosem Umlauf des Hydraulikmediums erfolgen kann. Die Kennlinien eines Kurzschlussläufermotors mit Stern-Dreieck-Anlaufschaltung sind in Abb. 2.7c ersichtlich. Aus Gl. (2.5) und (2.6) können wieder die Möglichkeiten der Drehzahlverstellung abgelesen werden: – Verstellung der Drehzahl ns und damit auch der asynchronen Drehzahl n durch Verändern der Polpaarzahl p: Mit polumschaltbaren Motoren lassen sich dann verschiedene Nenngeschwindigkeiten erreichen. Gemäß Gl. (2.5) ergeben sich z. B. bei Umschaltung von 2 auf 4 Polpaare (4 auf 8 Pole) und Anspeisung vom 50Hz-Drehstromnetz die Drehzahlen ns = (60.50)/2 = 1500 U/min und (60.50)/4 = 750 U/min.

250 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.6: Drehstrom-Schleifringläufermotor mit Widerständen RV im Rotorkreis. (a) Schaltung der Wicklungen, (b) Drehzahlverhalten dargestellt im Drehzahl–Drehmoment-Diagramm M über n, (c) Hochfahren eines Drehstrommotors mit Anlasswiderständen dargestellt im Drehzahl– Drehmoment-Diagramm n über M.



Im Aufzugsbau wird die Methode der Polumschaltung sehr häufig angewandt, um beim Anhalten im angewählten Stockwerk durch eine kurze Fahrt mit Schleichgeschwindigkeit eine ausreichende Haltegenauigkeit zu erzielen. Die Drehzahl eines Asynchronmotors kann auch durch Vergrößerung des Schlupfes reduziert werden. Eine Schlupfsteuerung ist durch Veränderung des Rotorstromes oder Änderung der Statorspannung möglich. Das Feld im Stator wird z. B. durch Anlegen einer kleineren Spannung durch Phasenanschnitt so geschwächt, dass der Motor das geforderte Moment erst bei einer reduzierten Drehzahl abgeben kann (Abb. 2.8). Die Ständeranschnittsteuerung wurde früher in der Bühnen-

2.2 Elektrische Antriebe

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Abb. 2.7: Kurzschlussläufermotor– Stern- und Dreieckschaltung. (a) Sternschaltung der Wicklungen, (b) Dreieckschaltung der Wicklungen, (c) Drehzahl–Drehmoment-Diagramm mit Anlaufkennlinie.

Abb. 2.8: Drehzahlverstellung über Schlupfänderung bei Verstellen der Ständerspannung durch Phasenanschnitt. (a) Drehzahl–Drehmoment-Diagramm, (b) Prinzipschaltbild mit Drehstromsteller.



technik insbesondere bei Antrieben in der Unterbühne angewandt, es konnte aber nur ein relativ kleines Regelverhältnis von etwa 1:50 erreicht werden. Ein ähnlicher Effekt kann durch Reduktion der Spannung im Rotor erzielt werden, ebenfalls durch Phasenanschnitt oder mit Vorschaltwiderständen. Die Einflussnahme auf den Stromfluss im Rotor ist aber nur möglich, wenn die Wicklungsenden des Rotors über Schleifringe nach außen geführt werden. Dies ist beim Schleifringläufer der Fall. Dieser Motortyp bietet daher diese sehr einfache Möglichkeit der Schlupfbeeinflussung. Vorschaltwiderstände bringen Verluste und Lastabhängigkeit, wie bereits für Anker-Vorschaltwiderstände beim Gleichstrommotor erwähnt wurde, und werden daher vor allem nur zum Anfahren (Anlassen) größerer Motoren eingesetzt. Verstellung der Drehzahl durch Verändern der Anspeisefrequenz f : Früher wurden rotierende Frequenzumformer, sogenannte Frequenzwandler (Drehstrommotor mit Drehstromgenerator) verwendet. Eine Langsamfahrgeschwindigkeit konnte

252 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen dadurch beinahe verlustlos erzielt werden, indem zusätzlich zum üblichen 50-HzNetz z. B. ein 6-Hz-Netz zur Verfügung gestellt wurde. Damit war der Betrieb mit einer „Schleichdrehzahl“ von etwa 1/10 der Nenndrehzahl erreichbar. Bei modernen Frequenz-Umrichtersteuerungen wird der dem Netz entnommene Drehstrom zunächst gleichgerichtet und aus einem Gleichstromzwischenkreis mit einem Wechselrichter wieder in einen Drehstrom umgewandelt. Die im Wechselrichter erzeugte Frequenz kann verstellt werden. Auf diese Art ist eine stufenlose und nahezu verlustlose Drehzahlverstellung des Asynchronmotors möglich. Solche Frequenz-Umrichtersteuerungen sind heutzutage Stand der Technik und werden in der Bühnentechnik eingesetzt. Abbildung 2.4b zeigt das Prinzipschaltbild eines Spannungszwischenkreis-Umrichters. Dabei ist zu beachten, dass bei Veränderung der Anspeisefrequenz des Motors auch die Anspeisespannung verändert werden muss, damit der Motor bei niedrigerer Drehzahl das gleiche Drehmoment abgeben kann. Synchronlauf mehrerer elektromotorischer Antriebe Oft ergibt sich bei Bühnenantrieben das Erfordernis eines möglichst exakten Gleichlaufes zweier oder mehrerer Antriebe. Es müssen z. B. mehrere Podien oder mehrere Prospekt- oder Punktzüge mit gleicher Geschwindigkeit verfahren werden: – Drehstromsynchronmotoren rotieren exakt mit der Synchrondrehzahl. Daher ist bei Einsatz von Drehstromsynchronmotoren ein Gleichlauf mehrerer Antriebe ohne besonderen Steuerungsaufwand möglich. Allerdings kann ein Motor bei Überlastung „aus dem Tritt fallen“ (siehe oben). In einigen bühnentechnischen Anlagen wurden früher tatsächlich auch Synchronmotore eingesetzt. – Auch Asynchronmotoren können so miteinander verkettet werden, dass sie synchron laufen, indem die Rotation z. B. über eine sogenannte Wellenleitmaschine vorgegeben wird. Man spricht von der Schaltung einer elektrischen Welle, da in diesem Fall die mechanische Kupplung mehrerer Motoren statt über mechanische Wellen auf elektrischem Wege vorgenommen wird. In der allgemeinen Fördertechnik wurde diese Methode früher öfters angewandt, in der Bühnentechnik nur selten. – Bei Gleichlaufregelungen nach dem Nachlaufprinzip (Master–Slave-Schaltung) wird die verstellbare Istdrehzahl eines Gleich- oder Drehstromantriebes einem oder mehreren anderen Antrieben als Sollwert regelungstechnisch vorgegeben. Dadurch kann unter Einbindung entsprechender Istdatenerfassung mit Weg- bzw. Geschwindigkeitsaufnehmern eine Gleichlaufregelung erfolgen. – Es können aber auch allen zu synchronisierenden Antrieben die gleichen Sollwerte – wenn alle mit der gleichen Geschwindigkeit bewegt werden sollen – vorgegeben werden, sodass jeder Antrieb dieser Sollwertvorgabe folgen muss. Dies ist die heute generell verwendete Synchronschaltung mehrerer Bühnenantriebe.

2.2 Elektrische Antriebe

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Von Sonderfällen abgesehen, wird heute daher nur die letztgenannte Art der Synchronisation in der Bühnentechnik angewandt.

2.2.2 Servomotortechnik Als Servomotor werden spezielle Elektromotoren bezeichnet, die die Kontrolle der Winkelposition ihrer Motorwelle sowie der Drehgeschwindigkeit und Beschleunigung erlauben. Sie bestehen aus einem Elektromotor, der zusätzlich mit einem Sensor zur Positionsbestimmung ausgestattet ist. In der lateinischen Sprache heißt „servus“ Diener. Mit der Bezeichnung Servomotor soll daher zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um einen besonders „gut dienenden“ Motor handelt, der genau das macht, was von ihm verlangt wird. Die moderne Servomotortechnik arbeitet mit verschiedenen Motortypen. Im Folgenden sind die wichtigsten Typen erwähnt: – Bürstenloser Gleichstrommotor Das ist ein Synchronmotor mit permanent erregtem Rotorfeld; die Speisung der Wicklungsstränge des Stators erfolgt in Abhängigkeit von der Rotorposition, wozu eine exakte Lageerfassung des Rotors erforderlich ist. Die Bezeichnung „Gleichstrommotor“ ist irreführend, da wie beim Drehstrommotor ein rotierendes Drehfeld erzeugt wird, allerdings erfolgt die Kommutierung zur Erzeugung eines drehenden Statorfeldes elektronisch („elektronische Kommutierung“ – EC-Motore). Derartige Motore wurden z. B. in der Obermaschinerie der Staatsoper München eingesetzt. – Drehstrom-Sychron-Servomotor Das ist ein Synchronmotor mit permanent erregtem Rotorfeld; die Speisung des Ständers erfolgt mit sinusförmiger Spannung im sogenannten Sinusbetrieb. Die Lageerfassung des Rotors ist etwas aufwendiger als bei Blockbetrieb. – Drehstrom-Asynchron-Servomotor mit feldorientierter Regelung, umrichtergespeist Die Besonderheit dieses Prinzips besteht darin, dass der Stator feldorientiert erregt wird. Dabei werden der Magnetisierungsstrom und der drehmomentbildende Strom getrennt geregelt. Damit ergeben sich ähnliche Verhältnisse wie beim fremderregten Gleichstrommotor, bei dem der für die Drehmomentenbildung maßgebliche Ankerstrom und der Erregerstrom unabhängig voneinander verstellbar sind. Beim Asynchron-Servomotor wird in analoger Weise einerseits der Magnetisierungsstrom verändert und andererseits der zur Drehmomentenbildung notwendige Läuferstrom. Dieser Läuferstrom kann allerdings nur durch Induktion erzeugt werden, also durch eine Relativbewegung des Feldvektors gegenüber dem rotierenden Läufer. Auch in diesem Fall muss die Lage des Rotors exakt messtechnisch erfasst werden. Mit diesem Regelverfahren können zu jedem Zeitpunkt Blind- und Wirkstrom völlig unabhängig voneinander verstellt und begrenzt werden. Damit steht ein dem Gleichstrommotor äquivalentes System zur Verfügung, das sich aber

254 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen durch Wartungsfreiheit und Robustheit auszeichnet und ein viel größeres Regelverhältnis als beim Gleichstrommotor zulässt. Diese feldorientierte Regelung – auch Vektorregelung genannt – ermöglicht den Betrieb des Motors mit vollem Moment bis herab zur Drehzahl null (Stillstand) und ergibt so die gewünschten Servoeigenschaften. Die Regelung selbst ist sehr komplex und wird durch einen im Umrichter eingebauten Mikroprozessor realisiert. Neben der Drehzahl kann das Drehmoment geregelt werden und eine Lageregelung des Rotors vorgenommen werden. Das neuartige Regelverfahren zeichnet sich insbesondere auch durch eine hohe Regeldynamik mit Ausregelzeiten im Millisekundenbereich, eine stufenlose Regelung mit hoher Regelgüte und Steifigkeit und durch einen Regelbereich von 1:10000 und mehr aus. Ja der Motor könnte sogar bis zur Drehzahl null (Stillstand) heruntergeregelt werden. Derartig hohe Regelverhältnisse sind in bühnentechnischen Anwendungen aber nicht erforderlich. Wohl sind aber manchmal doch etwas größere Regelverhältnisse erwünscht, als bei Gleichstrom- und Hydroantrieben erzielbar sind. In der Bühnentechnik sind heute i. A. Regelverhältnisse von 1:1000 üblich. Die Drehzahlverstellung eines Servomotors erfolgt dann folgendermaßen: Der netzseitig zur Verfügung gestellte Drehstrom wird über eine Stromrichterschaltung in Gleichstrom konstanter Spannung umgewandelt (Gleichspannungszwischenkreis). Aus dieser Gleichspannung erzeugt ein Wechselrichter einen Drehstrom variabler Frequenz zur Anspeisung des Motors. Im Unterschied zur klassischen Frequenzumrichtersteuerung werden bei der feldorientierten Regelung aber nicht nur die Frequenz sowie Strom und Spannung, sondern auch deren Phasenverschiebung zueinander in Abhängigkeit von der Drehlage des Rotors geregelt.

2.2.3 Linearmotortechnik Es ist anzunehmen, dass sich mit fortschreitender Entwicklung in der elektrischen Linearmotortechnik auch Anwendungen im Bereich der Bühnentechnik eröffnen könnten. Prinzipiell kann zwischen folgenden beiden Lösungen unterschieden werden: – Beim bürstenlosen, permanent erregten Linearmotor muss der gesamte Verfahrweg mit teuren Permanentmagneten bestückt werden. Bei bühnentechnischer Anwendung handelt es sich um begrenzte Fahrwege, sodass dieses Kriterium nicht den gleichen Stellenwert wie bei verkehrstechnischen Anwendungen hat. – Bei asynchron arbeitenden Linearmotoren besteht der Sekundärteil nur aus Weicheisen oder Kurzschlussstäben aus Kupfer.

2.3 Hydraulische Antriebe

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Mit elektrischen Linear-Direktantrieben kann ein spielfreier, trägheitsarmer und mechanisch steifer Antriebsstrang mit hoher Regeldynamik und hoher Laststeifigkeit gebildet werden. Damit erzielbare hohe Verfahrgeschwindigkeiten sind in der Bühnentechnik von geringer Relevanz.

2.3 Hydraulische Antriebe Hydraulische Antriebe können nach folgenden zwei Prinzipien arbeiten: – Bei hydrodynamischen Antrieben wird die kinetische Energie einer strömenden Flüssigkeit zur Leistung mechanischer Arbeit herangezogen. In Kreiselpumpen z. B. wird durch Antrieb der Pumpe mit einem Elektromotor elektrische Energie in Strömungsenergie der Hydraulikflüssigkeit umgewandelt und in Turbinen wieder in mechanische Arbeit umgesetzt. Eine aus Pumpe und Turbine bestehende Kompakteinheit ist die Turbokupplung. Ist noch ein Leitrad integriert, spricht man von einem hydraulischen Wandler. In der Bühnentechnik spielen derartige Antriebe keine Rolle. – Bei hydrostatischen Antrieben wird der hydrostatische Druck einer Flüssigkeit zur Arbeitsleistung herangezogen, indem Hydraulikzylinder als Linearantriebe oder Hydromotoren als Rotationsantriebe mit Druckflüssigkeit beaufschlagt werden. Die Hydraulikflüssigkeit wird von mit Elektromotoren (oder Verbrennungsmotoren) angetriebenen Verdrängerpumpen auf Arbeitsdruck gebracht und direkt oder aus Hydrospeichern bereitgestellt. Den maximalen Betriebsdruck wählt man bei bühnentechnischen Anlagen kaum viel höher als 160 bar. In der allgemeinen Fördertechnik arbeitet man auch mit höheren Drücken von 300 bar und mehr.

2.3.1 Bauelemente und deren Schaltzeichen Hydraulikaggregat – Pumpen – Speicher In einem Hydraulikaggregat wird elektrische Energie (oder Energie eines Verbrennungsmotors) in Druckenergie, also Arbeitsvermögen einer Flüssigkeit, umgewandelt. Ein Hydraulikaggregat besteht aus Antriebsmotor(en) und Pumpe(n), gegebenenfalls auch aus Hydrospeichern, sowie aus den zur Steuerung erforderlichen Schaltelementen (Ventilen) und aus einem Tank für die Hydraulikflüssigkeit. Abbildung 2.9 zeigt ein Hydraulikaggregat in Kompaktbauweise zum Antrieb eines Scherenhubtisches. Es gibt mehrere Bauarten von Pumpen, deren Arbeitsprinzip in den Abb. 2.10 und 2.11 dargestellt ist. Je nach Funktionsweise handelt es sich dabei um Zahnrad-, Flügelzellen- und Schraubenpumpen, um Axialkolben- und Radialkolbenpumpen.

256 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.9: Hydraulikaggregat in Kompaktbauweise. Foto: Bosch Rexroth.

Abb. 2.10: Schemabild einer (a) Zahnradpumpe mit Außenverzahnung, (b) Zahnradpumpe mit Innenverzahnung, (c) Flügelzellenpumpe, (d) Schraubenpumpe. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

2.3 Hydraulische Antriebe

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Abb. 2.11: Schemabilder von Kolbenpumpen. (a) Axialkolben-Konstantpumpe mit Schrägachse, (b) Axialkolben-Verstellpumpe mit Schrägachse, (c) Axialkolben-Verstellpumpe mit Schrägscheibe, (d) Radialkolbenpumpe (Kontantpumpe). Bildnachweis: Bosch Rexroth.

Zellen-, Axial- und Radialkolbenpumpen können nicht nur als Konstantpumpen (konstante Fördermenge bei konstanter Antriebsdrehzahl), sondern auch als Verstellpumpen (variable Fördermenge trotz konstanter Antriebsdrehzahl) ausgeführt werden. Die Verstellung besteht in einer mechanischen Lageänderung von Bauelementen in der Pumpe (siehe Kap. 2.3.2) und kann manuell (z. B. über ein Handrad), elektrisch oder – wie in den meisten Fällen – hydraulisch mittels Verstellzylinder vorgenommen werden. Der Verstellmechanismus kann auch in einen Regelkreis eines Leistungs-, Druck- oder Mengenreglers eingebunden werden. Druckflüssigkeit kann auch aus Speichern (Abb. 2.12) entnommen werden. Als Variante a ist ein Gewichtsspeicher dargestellt. Sein Vorteil bestünde darin, dass der Druck im Speicher unabhängig von der Füllmenge im Speicher nur durch das konstante Gewicht bestimmt wird. Die erforderliche Masse des Gewichtes wäre aber viel zu groß, um bei dieser Bauweise erforderliche Drücke und Flüssigkeitsmengen realisieren zu können. Bei der Variante b wird der Druck durch die Druckkraft der Feder bestimmt. Die Federkraft hängt aber von der Füllmenge ab, sodass bei vollem Speicher große, bei fast leerem Speicher kleine Drücke vorhanden wären. Die Druckunterschiede wären so groß, so dass diese Bauweise ebenfalls ausscheidet. In Variante c ist die mechanische Feder durch eine Gasfeder ersetzt. Auch in diesem Fall hängt der Druck in der Flüssigkeit von der Füllmenge ab. Bei diesem Konzept ist es aber möglich, ein sehr großes Gasvolumen in angeschlossenen externen Gasfla-

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Abb. 2.12: Bauarten von Hydrospeichern und Schaltzeichen. (a) Gewichtsspeicher, (b) Federspeicher, (c) Gasspeicher als Kolbenspeicher, (d) Gasspeicher als Blasenspeicher, (e) Gasspeicher als Membranspeicher. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

schen von etwa 4 bis 6fachem Volumen der Speicherkapazität für die Druckflüssigkeit unterzubringen, sodass die Druckunterschiede zwischen vollem und leerem Speicher sehr niedrig gehalten werden können. Daher werden in den Druckzentralen bühnentechnischer Einrichtungen nur solche Kolbenspeicher verwendet (siehe Kap. 3.8.3). Die als Variante d und e dargestellten Blasen- und Membranspeicher werden vielfach als Kleinspeicher eingesetzt, entsprechen in der Abbildung in ihrer Größe neben dem Kolbenspeicher aber keineswegs der Realität. Während Kolbenspeicher oft mehrere Meter hoch sind, sind Blasen- und Membranspeicher unter einem Meter Größe. Typisch für den Bühnenbetrieb sind Betriebsabläufe, in denen während kurzer Zeitintervalle ein großer Mengenbedarf an Druckflüssigkeit gegeben ist, um z. B. gleichzeitig alle hydrostatisch angetriebenen Podien zu heben oder mehrere Hubzüge anzutreiben. Anschließend besteht dann während längerer Zeit kein oder nur wenig Bedarf an Druckflüssigkeit. Wollte man diesen kurzfristig großen Mengenbedarf aus direktem Pumpenbetrieb bereitstellen, wäre die Installation von vielen großen Pumpen zur Erzielung eines ausreichend großen Fördervolumens erforderlich. Viel wirtschaftlicher ist es daher, diesen Spitzenbedarf aus Hydrospeichern abzudecken und die Pumpen in ihrer Förderleistung so auszulegen, dass die Speicher wieder in betrieblich angemessener Zeit gefüllt werden können. Dieser kombinierte Pump-Speicher-Betrieb hat sich in der Bühnentechnik sehr bewährt. In Abb. 2.13 ist eine Druckzentrale mit Kolbenspeichern und Stickstoffflaschen dargestellt. Um den Druckabfall bei Flüssigkeitsentnahme aus den Speichern möglichst gering zu halten, werden einem Kolbenspeicher Stickstoffflaschen als Gasspeicher mit etwa 5 bis 7fachem Volumen zugeordnet (siehe Kap. 3.8.3).

2.3 Hydraulische Antriebe

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Abb. 2.13: Pump-Speicher-Anlage Druckzentrale im Staatstheater Stuttgart. Oben: Pumpaggregat und Tank, unten: Kolbenspeicher und Stickstoffflaschen Foto: Bosch Rexroth.

260 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Arbeitsgeräte Diese dienen der Umwandlung hydraulischer Energie in mechanische Arbeit. Lineare Bewegung kann sehr einfach mit einem Hydrozylinder erzeugt werden. Daher ist auch die Bezeichnung hydraulischer Linearmotor üblich. Verschiedene Bauarten von Hydrozylindern sind in Abb. 2.14 dargestellt. Abbildung 2.14a zeigt einen Plungerzylinder mit Endlagendämpfung und gelenkig aufgesetzter Anschlussplatte, wie er z. B. für Hubpodien eingesetzt wird. Große Zylinder, die den gesamten Hubweg durchfahren, werden mit Endlagendämpfung ausgeführt, um ein hartes Aufschlagen des Kolbens am Zylinderende zu verhindern. Es gibt mehrere Bauarten, um am Hubende ein gedrosseltes Ausfließen der Hydraulikflüssigkeit zu erreichen. Bei der in Abb. 2.14c dargestellten Variante muss durch Einfahren eines Dämpfungskolbens in die Bohrung des Zylinderbodens die Flüssigkeit aus dem Kolbenraum über einstellbare Drosselventile entweichen. Abbildung 2.14b zeigt einen dreistufigen Gleichgang-Teleskopzylinder mit hydraulischem Rückzug, bei dem unter Einsatz von Ventilen die wirksamen Kolbenkräfte so angeglichen werden, dass die einzelnen Teleskoprohre jeweils gleichzeitig ein- bzw. ausfahren, damit die Arbeitsgeschwindigkeit bei gegebenem Volumenstrom während des gesamten Hubweges konstant bleibt. In Abb. 2.14d ist ein Zylinder mit Klemmkopf, wie er bei Hubpodien zur Fixierung der Podienlage verwendet werden kann, zu sehen. Drehende Bewegung kann mit einem Hydromotor erzeugt werden. So wie ein Elektromotor von Motor- auf Generatorbetrieb übergehen kann und Motor und Generator dem Prinzip nach gleichartige Maschinen sind, so sind auch Hydropumpe und Hydromotor analoge Einheiten; die Abb. 2.10 und Abb. 2.11 stellen bezüglich ihres prinzipiellen Aufbaues sowohl Pumpen als auch Motoren dar (ausgenommen die Schraubenpumpe). Für Bühnenantriebe werden besonders häufig langsam laufende Radialkolbenmotoren eingesetzt. Oft ist es wichtig, dass auch Minimaldrehzahlen unter 1 U/min noch möglichst einwandfreien Rundlauf ohne Ruck- und Stotterbewegungen aufweisen. Genormte Symbole für Hydropumpen und -motoren, Speicher und Hydrozylinder sind in Abb. 2.15 dargestellt. Steuerelemente (Ventile) Die Schaltzeichen der im Folgenden beschriebenen Ventile sind in Abb. 2.15, Abb. 2.17 und Abb. 2.18 zusammenfassend dargestellt. – Ventile können schaltend oder regelnd wirken, d. h. es sind definierte Schaltstellungen vorgegeben (Schwarz–Weiß-Technik) oder es sind stetige Veränderungen einer Steuergröße möglich (Stetigventil-Technik bzw. Proportionalventil-Technik). – Ventile können ferner als Sitzventile oder als Schieberventile (= Kolbenventile) ausgeführt sein. Sitzventile schließen absolut dicht (leckölfrei) und haben infolge kleiner Stellwege kurze Ansprechzeiten. Schieberventile arbeiten ausgestattet mit

2.3 Hydraulische Antriebe

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Abb. 2.14: Hydrozylinder. (a) Plungerzylinder für ein Hubpodium, (b) Teleskopzylinder, (c) Zylinder mit Endlagendämpfung am Zylinderboden, (d) Zylinder mit Klemmkopf. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

262 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.15: Schaltzeichen nach DIN ISO 1219.

Feinsteuerkanten mit höherer Regelgüte. In Abb. 2.16 ist ein Druckbegrenzungsventil in beiden Bauweisen schematisch dargestellt.

2.3 Hydraulische Antriebe

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Abb. 2.16: Schemabild eines Druckbegrenzungsventils ausgeführt als (a) Sitzventil, (b) Schieberventil.

Abb. 2.17: Schaltzeichen nach DIN ISO 1219.



Bei kleinen Nennweiten bzw. kleinen Durchflussmengen verwendet man direkt gesteuerte Ventile, bei großen Nennweiten für große Durchflussmengen vorgesteuerte Ventile mit Zwischenschaltung eines hydraulischen Verstärkers. Abbildung 2.18 zeigt z. B. ein vorgesteuertes Wegeventil: Ein elektromagnetisch bewegtes Wegeventil kleiner Nennweite schaltet einen hydraulischen Steuerkreis, dessen Steueröl ein Wegeventil großer Nennweite hydraulisch betätigt.

264 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.18: Schaltzeichen nach DIN ISO 1219.

Im Folgenden werden, gegliedert nach deren Funktion, die wichtigsten Ventiltypen mit kurzen Erläuterungen aufgezählt:

2.3 Hydraulische Antriebe

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Sperrventile (Rückschlagventile) Rückschlagventile haben die Aufgabe, einen Volumenstrom in einer Richtung zu sperren und in der Gegenrichtung freien Durchfluss zu gestatten. Bei hydraulisch entsperrbaren Rückschlagventilen kann die Sperrstellung durch hydraulisches Aufsteuern des Sitzventilkegels aufgehoben und damit der Durchfluss in der ursprünglich gesperrten Richtung freigegeben werden. Damit kann auf sehr einfache Weise das Absinken (der Absturz) einer Last bei Rohrbruch bzw. Platzen eines Hydraulikschlauches verhindert werden. Zu diesem Zweck wird an der Ausflussöffnung des Zylinders ein hydraulisch entsperrbares Rückschlafventil montiert. Die Entsperrung (Freigabe des Flüssigkeitsabflusses) erfolgt mit Hilfe des Druckes in der Abflussleitung, der z. B. durch ein auf einen kleinen Druck eingestelltes Druckbegrenzungsventil erzeugt wird. Bei einem Rohrbruch fällt dieser Druck ab und das Rückschlagventil schließt, sodass eine weitere Senkbewegung nicht mehr möglich ist. In der Bühnentechnik werden analog zur Forderung der Installation von zwei redundanten Bremsen an Hubwerken auch in diesem Fall zwei redundante entsperrbare Rückschlagventile verlangt (siehe einschlägige Normen bzw. Vorschriften). Druckventile Man unterscheidet zwischen schaltenden Druckventilen, die bei einem bestimmten Steuerdruck eine Auf- oder Zuschaltung auslösen, und regelnden Druckventilen, die den Systemdruck einer Anlage durch stufenlose Veränderung eines Drosselquerschnittes beeinflussen. Ein Druckbegrenzungsventil begrenzt den Druck in einer Anlage; ein Druckminderventil reduziert den Druck für bestimmte Verbraucher in einem Teil des Leitungssystems. In Abb. 2.16 wurden zwei Bauarten von Druckbegrenzungsventilen – als Sitz- und als Schieberventil – gezeigt. In Abb. 2.19 und Abb. 2.20 ist der Einsatz von Druckbegrenzungsventilen zur Begrenzung des Arbeitsdruckes in einfachen Schaltkreisen dargestellt. Elektrische Anlagen werden grundsätzlich durch Überstromschutzeinrichtungen, die die maximale Stromstärke begrenzen, abgesichert (Schmelzsicherungen, Schutzschalter). Analog werden hydraulische Anlagen durch Überdruckschutzeinrichtungen, die den maximalen Druck begrenzen, abgesichert (Druckbegrenzungsventile). Stromventile reduzieren den Volumenstrom durch eine Querschnittsverengung (Drossel, Blende). Durch Veränderung des Drosselquerschnittes kann die Arbeitsgeschwindigkeit von Hydrozylindern oder Motoren verstellt werden. Man unterscheidet zwischen Drosselventilen und Stromregelventilen. Der tatsächliche Volumenstrom durch Drosselventile hängt von der Druckdifferenz an der

266 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.19: Prinzip-Schaltplan für die Geschwindigkeitsverstellung. (a) Eines doppeltwirkenden Zylinders mit einer Verstellpumpe in einem offenen Kreislauf, (b) eines Hydromotors mit einer Verstellpumpe in einem geschlossenen Kreislauf, Ventilblock zur Spülung und Speisung.

Abb. 2.20: Verstellung der Hubgeschwindigkeit mit (a) Verstellpumpe, (b) Drossel, (c) 2-WegeRegelventil, (d) 3-Wege-Regelventil. Schaltplan und Leistungsdiagramm Q über p. PW : Wirkleistung (Nutzleistung), PP : Pumpleistung, PV : Verlustleistung.

2.3 Hydraulische Antriebe

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Drossel und der Dichte bzw. der Viskosität ab (siehe Kap. 3.8.1). Somit wirkt eine Drossel bei einem hydraulischen Antrieb analog zu einem elektrischen Widerstand bei einem elektrischen Antrieb und in beiden Fällen resultiert daraus eine Abhängigkeit der Hubgeschwindigkeit (Fördermenge) von der Größe der Last, indem eine große Last langsamer gehoben wird als eine kleine Last. Bei Stromregelventilen wird durch einen ventilinternen Regelmechanismus (Einbau einer Druckwaage) der Volumenstrom vom Lastdruck unabhängig gemacht, indem die Druckdifferenz an der die Durchflussmenge bestimmenden Drossel konstant gehalten wird, dadurch ist keine Lastabhängigkeit gegeben. Je nach Funktionsweise unterscheidet man zwischen 2-Wege- und 3-Wege-Stromregelventilen. Beim 2-Wege-Stromregelventil muss die von der Konstantpumpe geförderte Überschussmenge über das Druckbegrenzungsventil in den Tank abgeführt werden und dies kann bei Teillastbetrieb zu hohen Verlustleistungen führen. Beim 3-Wege-Stromregelventil wird die Überschussmenge bei einem nur geringfügig über dem tatsächlichen Arbeitsdruck liegenden Druck zum Tank geführt. Daher sind die Verluste an Drossel und Druckbegrenzungsventil beim 2-Wege-Stromregelventil gleich hoch wie bei der Drossel, beim 3-Wege-Stromregelventil aber kleiner. Die Unterschiede in den Verlustleistungen sind in Abb. 2.20 in den Q/p-Diagrammen ersichtlich (siehe Gl. (3.77)). Wegeventile haben die Aufgabe, verschiedene hydraulische Leitungen gegeneinander zu sperren bzw. freizugeben. Schaltzeichen sind der Abb. 2.18 zu entnehmen. Abbildung 2.19a stellt das Funktionsschema eines 4/3-Wegeventils als Schaltglied in einem einfachen Schaltkreis zur Betätigung eines doppeltwirkenden Hydrozylinders dar. Bei Wegeventilen kleiner Nennweite betätigt ein Elektromagnet direkt das Ventil, bei größeren Nennweiten werden vorgesteuerte Wegeventile eingesetzt, bei denen, wie bereits erläutert, der Magnet nur ein kleines Wegeventil in einem vorgeschalteten Steuerkreis betätigt und das eigentliche große Ventil im Arbeitskreis hydraulisch geschaltet wird. Proportional-, Regel- und Servoventile Im Unterschied zu Ventilen, die in Schwarz–Weiß-Technik nur zwei oder drei Schaltstellungen einnehmen, handelt es sich bei Proportional-, Regel- und Servoventilen um Stetigventile, welche proportional zu einem elektrischen Eingangssignal eine hydraulische Kenngröße verändern. Stetigventile ermöglichen daher kontrollierte Schaltübergänge, vermeiden Druckspitzen und lassen deshalb schnelle Bewegungsabläufe zu. Proportionalventile besitzen einen in Öl arbeitenden regelbaren Gleichstrommagneten (Magnete normaler Wegeventile arbeiten im Trockenen), und zwar entweder hubgeregelt mit analogem Weg-Stromverhalten und einem Hub von ca. 3–5 mm, oder kraftgeregelt mit definiertem Kraft-Stromverhalten und einem Hub von ca.

268 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen 1,5 mm. Proportionalventile besitzen allerdings eine relativ niedrige Grenzfrequenz (10–70 Hz), große Schaltüberdeckung und große Hysterese (ca. 1 %). Sie werden daher vor allem in offenen Steuerketten verwendet. Servoventile sind sehr aufwendig gebaute regelbare Umsetzer. Die Grenzfrequenz beträgt ca. 100–200 Hz, es ist Nullüberdeckung gegeben und die Hysterese beträgt ca. 0,1 %. Sie sind daher ideal in Regelkreisen einzusetzen. Da Servoventile sehr sensibel und teuer sind, wurden aus den ursprünglichen Proportionalventilen verbesserte, auch oft als Regelventile bezeichnete Stetigventile entwickelt. Sie kommen den Eigenschaften von Servoventilen nahe. Die Grenzfrequenz beträgt ca. 50–150 Hz, es ist Nullüberdeckung gegeben, die Hysterese beträgt ca. 0,1–0,2 %. Sie können daher ebenfalls in Regelkreisen eingesetzt werden. Auch in der Stetigventiltechnik wird zwischen Wege-, Strom- und Druckventilen unterschieden. Die hier verwendeten Begriffe für Stetigventile werden in der Literatur und von Herstellern nicht immer mit gleicher Sinngebung verwendet. Oft ist die Bezeichnung Proportionalventiltechnik auch als Synonym für Stetigventiltechnik gewählt, ohne damit einen bestimmten Ventiltyp zu meinen. Sonstige Bauelemente einer hydraulischen Anlage In Abb. 2.15 sind auch noch Symbole für einige weitere wichtige Komponenten einer hydraulischen Anlage dargestellt. So muss z. B. jede Hydraulikanlage durch Filter gegen Verschmutzung geschützt werden; die Hydraulikflüssigkeit muss in einen Tank zurückgeleitet werden können. Wird die Hydraulikflüssigkeit infolge von Verlusten zu stark aufgeheizt, müssen Kühler eingesetzt werden. 2.3.2 Möglichkeiten zur Veränderung der Arbeitsgechwindigkeit Die Hubgeschwindigkeit eines Hydraulikkolbens beträgt vK =

Q AK

(siehe Gl. (3.80))

und die Drehgeschwindigkeit eines Hydromotors nM =

Q VM

(siehe Gl. (3.83))

Q Fördermenge; Volumenstrom, mit dem das Arbeitsgerät beaufschlagt wird [m3 /s] AK Kolbenfläche des Hydrozylinders [m2 ] VM Schluckvolumen des Hydromotors, d. i. das vom Hydromotor bei einer Umdrehung aufgenommene bzw. abgegebene Flüssigkeitsvolumen [m3 /U] = [m3 ] vK Bewegungsgeschwindigkeit des Kolbens [m/s] nM Drehzahl des Hydromotors [U/s]

2.3 Hydraulische Antriebe

| 269

Die Geschwindigkeit des Kolbens eines Hydrozylinders vK kann dadurch variiert werden, dass der dem Zylinder zugeführte Volumenstrom Q verändert wird. Die Kolbenfläche AK ist durch die Geometrie des Zylinders vorgegeben. Die Größe der Drehzahl nM eines Hydromotors kann ebenfalls durch Veränderung des dem Hydromotor zugeführten Volumenstromes Q verstellt werden, aber auch durch Veränderung des Schluckvolumens VM des Hydromotors, falls ein Verstellmotor eingesetzt wird. Allerdings wird bei Verringerung von VM auch das Drehmoment des Hydromotors reduziert (siehe Gl. (3.84)). Änderung der Arbeitsgeschwindigkeit mittels Verstellpumpen und Verstellmotoren Die Geschwindigkeitsänderung kann durch Verändern der dem Gerät (Zylinder, Hydromotor) zugeführten Fördermenge je Zeiteinheit erfolgen. Bei hydrostatischen Antrieben ist dies fast verlustfrei durch Verändern der Fördermenge der Pumpe möglich, indem deren Fördervolumen pro Umdrehung (dies entspricht dem Schluckvolumen beim Motor) verändert wird. Analog zur oben angeschriebenen Gleichung für den Motor gilt für die Pumpe: Q = VP ⋅ nP

(siehe Gl. (3.82))

VP Fördervolumen (= Schluckvolumen) der Pumpe je Umdrehung [m3 /U] nP Drehzahl der Pumpe [U/s] Eine Variation der Drehzahl nP der Pumpe ist i. A. unwirtschaftlich, weil dann alle Aufwendungen für die Drehzahlverstellung eines Elektromotors erforderlich wären. Verstellpumpen bieten die Möglichkeit, die Fördermenge Q zu variieren, indem das Schluckvolumen VP verändert wird. Die mechanische Verstellung besteht z. B. im Schwenken der Schrägachse (Abb. 2.11b) oder der Taumelscheibe (Abb. 2.11c) einer Axialkolbenpumpe, wodurch der Kolbenhub der in der Pumpe eingebauten Hydrozylinder variiert wird. Ist also Qnenn = Qmax = VPmax nP , so kann durch Verkleinern des Schluckvolumens VP an der Pumpe die Motordrehzahl nM reduziert werden (Primärverstellung); für VP = 0 wird nM = 0. Bei Durchschwenken der Schrägachse oder Taumelscheibe wird der Förderstrom in seiner Richtung umgekehrt. Der Hydromotor dreht sich dann in die entgegengesetzte Richtung. Ist am Verstellmotor VMnenn = VMmax , so kann durch Verkleinern des Schluckvolumens VM des Hydromotors die Motordrehzahl erhöht werden (Sekundärverstellung). Dabei ist allerdings zu beachten, dass dadurch das Motordrehmoment MM , wie aus Gl. (3.84) zu ersehen ist, reduziert wird. Bei einer bereits mit maximalem Betriebsdruck arbeitenden Anlage kann im Bereich der Primärverstellung mit steigender Drehzahl auch die Leistung erhöht werden, während im Bereich der Sekundärverstellung die Leistung mit steigender Drehzahl nicht mehr erhöht werden kann und daher das Drehmoment reduziert wird. Verstellmotore werden in der Bühnentechnik von Sonderfällen abgesehen nicht eingesetzt.

270 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Die von der Pumpe abzugebende Leistung beträgt nach Gl. (3.77) P = p ⋅ QP und ist somit dem tatsächlichen Bedarf angepasst, denn der Druck p wird durch die erforderliche Kraftwirkung und die Fördermenge Q durch die gewünschte Arbeitsgeschwindigkeit bestimmt. Abb. 2.19a zeigt als Beispiel das Schaltbild der Steuerung eines Hydrozylinders in offenem und Abb. 2.19b jenes der Steuerung eines Hydromotors in geschlossenem Kreislauf. Zwischen der nun beschriebenen Möglichkeit einer beinahe verlustlosen Drehzahlverstellung eines Hydromotors und jener eines Gleichstrommotors besteht eine Analogie, wenn man sich z. B. die als „Ward–Leonard-Steuerung“ bezeichnete Drehzahlverstellung eines Gleichstrommotors nach Kap. 2.2.1 (Abb. 2.3a) vor Augen hält: Die Hydropumpe entspricht dem Gleichstromgenerator, der Hydromotor dem Gleichstrommotor. Eine Reduzierung des Fördervolumens der Hydropumpe ist der Feldschwächung am Gleichstromgenerator zur Verringerung der Anspeisespannung des Elektromotors gleichzusetzen. Einer Reduzierung des Schluckvolumens des Hydromotors entspricht die Feldschwächung am Gleichstrommotor. So wie ein Hydromotor bei Reduzierung seines Schluckvolumens kann auch ein Elektromotor im Feldschwächbereich nur ein reduziertes Drehmoment abgeben (siehe Gl. (2.2)). Analogie besteht somit zwischen dem Druck p und dem Ankerstrom I, dem Schluckvolumen V und dem magnetischen Fluss Φ sowie zwischen dem Volumenstrom Q und der Ankerspannung U. Eine Geschwindigkeitsregulierung mit Verstellpumpen bzw. Verstellmotore ist bei bühnentechnischen Antrieben i. A. nicht anwendbar, da die vielen Antriebe einer bühnentechnischen Anlage von einer Pump-Speicher-Anlage gespeist werden. Dieses Prinzip der Drehzahlverstellung wird für Einzelantriebe in der allgemeinen Fördertechnik, z. B. auch bei Flurförderzeugen sehr häufig angewandt, im Bühnenbetrieb nur in Sonderfällen. Diese Art der Drehzahlverstellung wurde daher nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Änderung der Geschwindigkeit durch Drosselung der dem Verbraucher zugeführten Flüssigkeitsmenge Die von einer Konstantpumpe gelieferte Fördermenge QP kann auch durch ein Drosselventil auf QD reduziert werden. Die Differenzmenge QDBV = QP − QD = Q1 − Q2 wird in der hydraulischen Schaltung nach Abb. 2.20b über das Druckbegrenzungsventil in den Tank zurückgeleitet. Ist das Druckbegrenzungsventil auf pDBV (bestimmt durch den erforderlichen Druck für die größte Last) eingestellt, wird die Pumpe die gesamte Fördermenge QP auf den Druck pDBV bringen und dabei die Leistung PP = p1 ⋅ Q1 = pDBV ⋅ Q1

PW = p2 ⋅ Q2

aufbringen müssen, obwohl nur ein Teil

als mechanische Leistung verwertet wird und der Restanteil

PV = PV1 + PV2 = Q2 ⋅ (p1 − p2 ) + p1 ⋅ (Q1 − Q2 )

als Verlustleistung verloren geht.

2.3 Hydraulische Antriebe

QP = Q1 QD = Q2 PP PW PV pDBV = p1 p2

| 271

Fördermenge der Pumpe [m3 /s] Durchflussmenge durch die Drossel [m3 /s] von der Pumpe zu erbringende Leistung [kW] Wirkleistung = Nutzleistung für den Verbraucher [kW] Verlustleistung (PV1 an der Drossel, PV2 am Druckbegrenzungsventil) [kW] Einstelldruck am Druckbegrenzungsventil [N/m2 ] Arbeitsdruck am Verbraucher [N/m2 ]

Der Druck p hinter der Drossel wird vom tatsächlichen Kraft- bzw. Momentenbedarf bestimmt, wird also je nach Bedarf variieren, während pDBV als konstanter Wert zur Absicherung der Anlage vor Überlastung vorgegeben ist und etwas höher als der maximal erforderliche Arbeitsdruck gewählt werden muss. Die Durchflussmenge einer Drossel ist jedoch gemäß Gl. (3.76) von der Druckdifferenz abhängig. Daher bedingt ein lastabhängiger Arbeitsdruck p unterschiedliche Durchflussmengen und damit lastabhängige Arbeitsgeschwindigkeiten des Verbrauchers. Diese Lastabhängigkeit kann durch Verwendung eines Stromregelventils vermieden werden, indem mit Hilfe einer Druckwaage die Druckdifferenz an der Drossel konstant gehalten wird. Bei Einsatz eines 2-Wege-Stromregelventils bleibt der Verlustleistungsanteil PV erhalten (Abb. 2.20c), bei Einsatz eines 3-Wege-Stromregelventils kann er, wie bereits in Kap. 2.3.1 erwähnt, stark reduziert werden (Abb. 2.20d). Zwischen der Wirkung einer Drossel in einer hydraulischen Anlage und der Wirkung eines Ohmschen Widerstandes in einer elektrischen Anlage besteht ebenfalls eine Analogie. Änderung der Arbeitsgeschwindigkeit bei Pump-Speicher-Anlagen In hydraulischen Großanlagen der Bühnentechnik werden, wie in Kap. 2.3.1 dargelegt, Pump- Speicher-Anlagen eingesetzt. Dabei werden Hydrospeicher durch automatisch gesteuertes Zu- und Abschalten von Konstantpumpen und/oder den Betrieb druckgeregelter Verstellpumpen immer wieder gefüllt. Dem Verbraucher wird daher nicht ein durch die Pumpe bestimmter Förderstrom direkt zugeführt, sondern dem Speichersystem eine dem Bedarf entsprechende Flüssigkeitsmenge entnommen. Zur Betätigung eines Antriebes wird die diesem Verbraucher zugeführte Flüssigkeitsmenge mit Hilfe moderner Stetigventiltechnik genau dosiert. Je nachdem, ob gesteuert oder geregelt werden soll, sind hierfür geeignete Proportional-, Regel- oder Servoventile einzusetzen (siehe Kap. 2.3.1). Vor dem Regelventil herrscht der Druck des Speichersystems (bei Kolbenspeichern mit Gasfeder abhängig vom Füllzustand des Speichers), hinter dem Regelventil der durch die Last bestimmte Druck. Die Regelung bewirkt, dass in Auswertung des Vergleiches von Soll- und Ist-Geschwindigkeit die Regelventilstellung (der Drosselquerschnitt) so gewählt wird, dass dem Antrieb die gemäß Geschwindigkeitsvorgabe notwendige Flüssigkeitsmenge zugeführt wird.

272 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Beim Absenken einer Last muss durch Drosseln mit dem Regelventil die ursprünglich als Hubarbeit aufgewendete Energie vermindert um Wirkungsgradanteile (vgl. Kap. 3.5) wieder als Bremsarbeit aufgebracht werden. Dies bedeutet, dass z. B. bei großen Podienanlagen durch die Drosselung relativ große Wärmemengen anfallen, die die Hydraulikflüssigkeit bei der Rückführung in den Tank auf eine zu hohe Temperatur aufheizen. In diesem Fall ist ein Kühler, z. B. als Wärmetauscher mit Wasserkühlung, erforderlich. Abbildung 2.21 zeigt das Prinzipschaltbild der Pump-SpeicherAnlage der Wiener Staatsoper (beim Tank ist auch der Kühlkreislauf ersichtlich) und Abb. 2.22 zeigt Fotos dieser Druckzentrale.

Abb. 2.21: Prinzipschaltplan der Pump-Speicher-Anlage in der Wiener Staatsoper. Bildnachweis: Bosch Rexroth.

2.4 Hydrostatische Antriebe im Vergleich zu elektrischen Antrieben

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rechts: Pumpstation mit 2 Innenzahnradpumpen (Konstantpumpen) und einer druckgeregelten Axialkolbenpumpe (Verstellpumpe); Behälter für Hydraulikflüssigkeit, Kolbenspeicher, Tank mit Kühlsystem (Pumpe, Wasser kühler), links: Speicherstation bestehend aus 7 Kolbenspeichern à 1000 l (= 7000 l) und 7 × 5 = 35 Stickstoffbehältern à 900 l (= 31500 l). Abb. 2.22: Druckzentrale der Wiener Staatsoper. Fotos: Waagner-Biró.

2.4 Hydrostatische Antriebe im Vergleich zu elektrischen Antrieben Nach Behandlung beider Antriebsvarianten drängt sich die Frage auf, welcher der beiden Antriebsvarianten der Vorzug gegeben werden soll. Generalisierend ist diese Frage nicht beantwortbar, da die Entwicklung der elektrischen und hydraulischen Antriebstechnik rasch voranschreitet und viele Argumente für und wider eine bestimmte Lösung schon nach kurzer Zeit ihre Geltung verlieren können. Das Angebot technischer Produkte und deren Preise ändern sich ständig, sodass bei gleichen technischen Anforderungen manchmal die eine und manchmal die andere Lösung die wirtschaftlichere sein kann.

274 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen In historischer Betrachtung kann folgende allgemeine Aussage getroffen werden: In den Jahren beginnender Umrüstungen von manuellen zu maschinellen Antrieben in der Oberbühne waren hydrostatische Antriebe elektrischen Antrieben klassischer Bauart weit überlegen. Sie haben sich aus technisch/wirtschaftlichem Gesichtspunkt bestens bewährt und sind daher in sehr vielen Bühnen anzutreffen. In den letzten Jahren hat auf dem Gebiet der elektrischen Antriebstechnik allerdings eine derartig revolutionierende Entwicklung stattgefunden, dass es grundsätzlich zweckmäßig sein kann, sowohl eine elektrische als auch eine hydraulische Variante in die Planungsüberlegungen einzubeziehen, um je nach Rahmenbedingungen technisch-wirtschaftlich richtig zu entscheiden. Im Folgenden wird versucht ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Kriterien und Argumente zur Entscheidungsfindung darzulegen: – Während der Elektromotor elektrische Energie direkt in mechanische Arbeit umsetzt, wird bei hydrostatischen Antrieben ein Hydraulikkreislauf zwischengeschaltet. Der Elektromotor treibt eine Hydraulikpumpe an, überträgt die Energie auf eine Druckflüssigkeit und leistet mechanische Arbeit an Hydrozylindern oder Hydromotoren. Dieser „Umweg“ über ein Hydrauliksystem bedeutet i. A. neben dem technischen Mehraufwand hinsichtlich des Geräteeinsatzes (inklusive dem Aufwand eines Hydraulikmediums) einen Wirkungsgradverlust und einen zusätzlichen Aufwand an Wartung. – Der Energiebedarf zum Heben einer Last ist prinzipiell durch die Größe der Last und durch den Hubweg gegeben (vgl. Gl. (3.23)), der Leistungsbedarf durch die Größe der Last und die gewünschte Hubgeschwindigkeit (vgl. Gl. (3.26)). Der tatsächliche Energie- bzw. Leistungsbedarf ist aufgrund unvermeidbarer Verluste in der Antriebskette stets größer als die letztendlich für die Bewegung der Hublast abzugebende Leistung und wird in der Berechnung mit Hilfe des Wirkungsgrades berücksichtigt (siehe Kap. 3.5). Die Zwischenschaltung eines hydraulischen Systems bedeutet i. A. eine gewisse Verschlechterung des Wirkungsgrades, es sei denn, man vergleicht etwa einen Zylindertrieb mit einem Spindel- oder Schneckentrieb, in dem insbesondere bei selbsthemmenden Abtrieben besonders hohe Reibungsverluste auftreten (siehe Kap. 4.3.2 und Kap. 4.4.1). Der eben beschriebene Sachverhalt bei einem Hubwerk ist in analoger Form natürlich auch bei einem Fahrwerk oder Drehwerk gegeben. – Mit Hydrozylindern können sehr große Kräfte und mit langsam laufenden Hydromotoren mit großem Schluckvolumen sehr große Drehmomente erzeugt werden. Mit Elektromotoren können große Linearkräfte nur über mechanische Getriebeelemente (Spindel/Mutter, Ritzel/Zahnstange) erzeugt werden, und für größere Drehmomente und kleinere Drehzahlen müssen Übersetzungsgetriebe zwischengeschaltet werden, da Elektromotore im Regelfall mit hoher Nenndrehzahl betrieben werden. Es gibt allerdings auch langsam laufende elektrische Hochmomentenmotore, deren Einsatz häufiger werden wird.

2.4 Hydrostatische Antriebe im Vergleich zu elektrischen Antrieben









| 275

Druckenergie kann in Hydrospeichern gespeichert werden. Damit kann der Bedarf an Spitzenleistung für Antriebe, die während nur kurzer Zeit gleichzeitig eingesetzt werden, von solchen Speichern entnommen werden. Der Spitzenbedarf elektrischer Antriebsleistung kann bei hydraulischen Speicheranlagen daher sehr niedrig gehalten werden, da die Antriebsleistung der Hydraulikpumpen zum Füllen der Hydrospeicher weit geringer sein kann, als die kurzzeitig benötigte Spitzenleistung an einzelnen Antrieben bühnentechnischer Einrichtungen. Ob dieses Argument von entscheidender Bedeutung ist, wird u. a. auch davon abhängen, wie hoch im Vergleich dazu der Bedarf an elektrischer Leistung für die Beleuchtung etc. ist und unter welchen finanziellen Rahmenbedingungen die Verrechnung des elektrischen Energieverbrauches unter Beachtung von kurzzeitigem Spitzenbedarfes erfolgt. Auch elektrische Energie kann in Akkumulatoren gespeichert werden. Bisher wurde davon in der Bühnentechnik allerdings nur dann Gebrauch gemacht, wenn in bestimmten Betriebszuständen z. B. bei Bühnenwägen eine Kabelanspeisung vermieden werden soll. Grundsätzlich wäre es aber auch durchaus denkbar, analog zu hydraulischen Druckzentralen elektrisch wiederaufladbare Batteriezentralen zu installieren. Genauso wie Hydropumpen mit kleinen Leistungen Hydrospeicher aufladen, kann dies auch bei elektrischen Energiespeichern erfolgen. Ein positiver Aspekt bei Batterie-Speicheranlagen ergibt sich auch insofern, als beim Absenken einer Last (z. B. Senken der Podien) die Bremsenergie in einer hydraulischen Speicheranlage nicht genutzt wird, da die Hydraulikflüssigkeit durch Drosselung in den Tank geleitet wird und als Wärmeenergie verloren geht, während bei einem elektrischen Speichersystem Bremsleistung als Batterieladestrom (oder als Antriebsleistung für einen anderen Antrieb) herangezogen werden könnte. Eine derartige Technik könnte insbesondere bei Verwendung von FrequenzUmrichtersteuerungen für Drehstrommotore interessant sein, da der GleichstromZwischenkreis (siehe Kap. 2.2) dann einerseits über eine Gleichrichterschaltung aus dem Netz, andererseits aber auch aus der Batterieanlage gespeist werden kann. Ob derartige elektrische Speicheranlagen, wie sie bei USV-Anlagen („unterbrechungsloses Stromversorgung“) üblich sind, auch im bühnentechnischen Betrieb technisch/wirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden können, wird die Zukunft zeigen. Hydraulische Arbeitsgeräte wie Hydrozylinder und langsam laufende Hydromotore arbeiten fast lautlos, während Elektromotore im üblichen Nenndrehzahlbereich i. A. mehr Schall emittieren. Wie weit dieses Kriterium von Relevanz ist, hängt von den örtlichen Gegebenheiten und der Raumanordnung der Antriebe ab. Die Winden von Prospekt- und Punktzügen werden vielfach in schalltechnisch abgeschirmten Raumbereichen hinter einer Wand untergebracht und die Seile werden durch kleine Maueröffnungen geführt.

276 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen –











Langsam laufende Hydromotore arbeiten zwar ohne störende Schallemission, erlauben aber bei Wahrung eines gleichmäßigen Rundlaufes auch bei kleinster Geschwindigkeit ein nicht so großes Regelverhältnis zwischen minimaler und maximaler Drehzahl. Sind sehr hohe Regelverhältnisse erwünscht, muss daher auch bei hydraulischen Rotationsantrieben auf Hydromotore höherer Nenndrehzahl in Kombination mit einem Getriebe zur Drehzahlreduktion zurückgegriffen werden. Dies hat aber eine höhere Schallemission zur Folge und es müssen dann auch für diese Antriebe gegebenenfalls Schallschutzmaßnahmen ergriffen werden, denn raschlaufende Hydromotore haben eine weit höhere Schallemission. Es gibt auch langsam laufende vielpolige Elektromotore mit sehr geringen Laufgeräuschen, die unter Anwendung modernster Steuerungstechnik trotzdem hohe Regelverhältnisse zulassen. Von Elektromotoren mit hoher Drehzahl angetriebene Hydropumpen arbeiten mit relativ hoher Schallemission. Hydraulikaggregate bzw. die hydraulische Druckzentrale können aber meist problemlos in einem abgeschiedenen Raum untergebracht werden. Kleine Hydraulikaggregate können durch spezielle Gerätewahl und konstruktive Maßnahmen auch sehr lärmarm konzipiert werden. In bestimmten auch für die Bühnentechnik relevanten Einsatzfällen kann die Kompressibilität der Hydraulikflüssigkeit zu nachteiligen Effekten führen. Kompressibilität einer Flüssigkeitssäule bedeutet Elastizität und damit Schwingungsfähigkeit. Die Kompressibilität der Hydraulikflüssigkeit bedingt aber auch Positionsveränderungen von auf eine Flüssigkeitssäule abgestützten Bauteilen bei Änderung der Druckverhältnisse durch Änderung der Belastung. Auch die Wärmedehnung der Hydraulikflüssigkeit kann zu nachteiligen Effekten führen. Bei hydraulischen Linearantrieben von Hubzügen in der Oberbühne mit Flaschenzugübersetzung können Temperaturänderungen relativ große Positionsveränderungen abgehängter Dekorationselemente zur Folge haben. Dieses Problem kann allerdings durch dosiertes Nachfüllen von Druckflüssigkeit bei Abkühlen des Mediums beseitigt werden (siehe Kap. 1.8.3 – Prospektzüge mit Hydrozylinder – Hydraulische Linearzüge). Die Verlegung elektrischer Leitungen und insbesondere flexibler Leitungen ist weit weniger aufwendig als die Verlegung von Rohrleitungen und flexiblen Schlauchleitungen. Auch die Übertragung von elektrischem Strom über Schleifringe auf rotierende Bauteile ist einfacher und unproblematischer als Rotationsanschlüsse für Hydraulikleitungen.

Als Resümee kann die Entwicklung der letzten Jahre wie folgt zusammengefasst werden: Hydraulische Antriebe werden z. B. in der Unterbühne als Linearantriebe mit Hydraulikzylindern für große Podienanlagen eingesetzt, wobei die Druckflüssigkeit aus in einer Druckzentrale untergebrachten Hydrospeichern zur Verfügung gestellt wird.

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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In der Oberbühne werden für Prospekt- und Punktzüge i. A. nur mehr elektrische Antriebe mit Servomotoren realisiert. Ein wesentlicher Grund besteht darin, dass die heute üblichen Regelverhältnisse zwischen größter und kleinster Arbeitsgeschwindigkeit mit Hydromotoren nicht erreicht werden können, da hierfür aus Gründen deren Schallemission Langsamläufer eingesetzt werden müssten, diese aber für diese Regelverhältnisse nicht geeignet sind.

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe Zunächst wird die Thematik allgemein behandelt, es wird aber auch auf die Beschreibung konkreter Anlagen in den Kap. 2.5.6, 2.5.7 und 2.5.8 hingewiesen.

2.5.1 Grundsätzliche Arten der Steuerung Wenn in diesem Zusammenhang immer wieder von der Steuerung der Antriebe die Rede ist, so ist damit – dem Sprachgebrauch angepasst – der Begriff „Steuern“ ganz allgemein im Sinne einer Beeinflussung des Bewegungsverhaltens des Antriebes gemeint. Im strengen und engeren Sinn muss man zwischen „Steuerung“ und „Regelung“ unterscheiden. Bei der Steuerung gebe ich einem Antrieb, z. B. einem Drehstrommotor, eine bestimmte Frequenz vor und der Motor wird mit einer u. a. von der Belastung abhängenden Drehzahl rotieren und daraus wird eine bestimmte Arbeitsgeschwindigkeit resultieren. Bei der Regelung wird für die Drehzahl bzw. Arbeitsgeschwindigkeit ein bestimmter Sollwert vorgegeben, der tatsächliche Istwert gemessen und die Frequenz so verändert, dass letztlich Soll- und Istwert übereinstimmen. Bei einem Gleichstrommotor führt eine höhere Spannung, bei einem Drehstrommotor eine höhere Frequenz und bei einem Hydromotor (Hydrozylinder) eine größere Durchflussmenge zu einer höheren Drehzahl (Kolbengeschwindigkeit). Egal, ob es sich um elektrische oder hydrostatische Antriebe handelt, die Schaltfunktionen, Steuer- und Regelbefehle, gegenseitigen Verriegelungen und Verknüpfungen erfolgen elektrisch. Bei der klassischen Schützensteuerung wurden die elektrischen Antriebe oder elektrischen Schaltelemente der Hydraulik über Relais mit einer Steuerspannung von etwa 24 V bis 220 V geschaltet, die Schaltkreise werden über Verdrahtungen in den Schaltschränken je nach Funktionserfordernis anlagenspezifisch realisiert. Dabei dient ein Hilfsschütz überwiegend zum Schalten von Steuerspannungen während ein Leistungsschütz den Lastromkreis von beispielsweise einem Drehstrommotor schalten kann.

278 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Sieht man von der Steuerung untergeordneter Einzelantriebe ab, so wurden diese Schützensteuerungen von modernen speicherprogrammierbaren Steuerungen – abgekürzt „SPS“ – verdrängt. Bei diesem System erfolgt die logische Verknüpfung der Schaltkreise nicht über verdrahtete Hilfsschütze, sondern durch elektronische Schalter im Millivolt-Spannungsbereich durch Programmieren von Mikroprozessoren. Somit können universell gestaltete Mikroprozessor-Einheiten für den konkreten Bedarf programmiert werden. Eine Änderung der schaltungstechnischen Verknüpfungen ist durch Umprogrammieren, also im Softwarebereich ohne Änderungen in der Hardware möglich. Solche SPS-Moduli können über Bus-Kommunikation zu sehr komplexen Anlagen vernetzt werden. In der Bühnentechnik können die hohen Anforderungen hinsichtlich deren Einsatzmöglichkeiten nur mit solchen rechnergestützten Steuerungen verwirklicht werden. Daher werden größere Bühnen heute standardmäßig mit Computer-Steuerungen versehen, wie sie in den folgenden Abschnitten beschrieben werden.

2.5.2 Anforderungen an das Konzept der Bedienung In einer mit moderner Technik ausgestatteten Bühne muss es auf Bedienebene die Möglichkeit geben, die vielen Antriebe in Ober- und Unterbühne u. a. unter Beachtung folgender Aspekte anzusteuern: – Es muss möglich sein, einzelne Antriebe unabhängig voneinander, aber auch mehrere Antriebe, z. B. mehrere Podien, Prospekt- oder Punktzüge, gemeinsam in variabel wählbaren Gruppen zu betreiben. Bezüglich des Gruppenbetriebes gibt es verschiedene Betriebsarten, die etwas später näher erläutert werden. – Bei der Konzeption des Steuerpultes muss beachtet werden, dass eine Vielzahl von Antrieben gleichzeitig ansteuerbar sein muss, einem Bediener aber nur zwei Hände zur Verfügung stehen, und zwei zu betätigende Steuerhebel auch in gleichzeitig erreichbarer Position angeordnet sein müssen. Daher gehören großflächige Steuerpulte, wie sie vor Jahren manchmal gebaut wurden, der Vergangenheit an. Im Gegenteil, heute kann man Bedienpulte deshalb sehr klein bauen, da man oft mit Touchscreen arbeitet und die menügeführte Bildfläche nur die aktuell erforderlichen Bereiche anzeigt. – Komplexe Bewegungsabläufe müssen oft in sehr kurzen Zeitintervallen abgewickelt werden und stellen dadurch hohe Anforderungen an den Bediener. Die Zuordnung der Steuerhebel zu einzelnen Antrieben oder Antriebsgruppen und die Eingabe von Daten, wie Zielkoten etc., müssen daher möglichst einfach erfolgen können. Moderne Anlagen mit Computersteuerung bieten die Möglichkeit der Speicherung dieser Daten und deren Abruf im Spielbetrieb. – Der Bewegungsablauf muss aus Sicherheitsgründen auf Sicht, eventuell über Videokamera auf einem Bildschirm verfolgt werden können. Außerdem kann die Bewegung meist auch auf einem Monitor grafisch in Analoganzeige beobachtet wer-

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe















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den, indem symbolische Bildelemente bewegt werden. Ferner werden die Wegkoten auch digital (in Zahlenwerten) angezeigt – Digitalanzeige. Antriebe bühnentechnischer Einrichtungen bewegen Podien und können gefährliche Niveaudifferenzen entstehen lassen. Sie verfahren Bühnenwagen und lassen Drehscheiben rotieren, sie heben oder senken Lasten in der Oberbühne über den Köpfen der Darsteller. Somit ist i. A. ein Sicherheitsrisiko gegeben. Daher muss der Bediener den Bewegungsablauf ausreichend überblicken können. Dies ist von einer zentralen Steuerstelle aus nicht immer möglich. Es müssen daher in den meisten Fällen auch periphere oder ortsvariabel einsetzbare Steuerstellen zur Verfügung stehen. Der Bediener muss einen einmal eingeleiteten Bewegungsablauf auch jederzeit wieder unterbrechen können. Ferner muss im Sinne einer Totmannsteuerung der Steuerhebel beim Loslassen sofort selbsttätig in die Nullstellung gehen. Ein Bewegungsablauf darf also nicht etwa durch einen Knopfdruck gestartet und der Haltbefehl durch einen weiteren Knopfdruck gegeben werden; die Bewegung muss vielmehr z. B. über einen Steuerhebel erfolgen, dessen Auslenkung aus der Nulllage ein Bewegen zur Folge hat. Auf etwaige Sonderbestimmungen für Schutzvorhänge oder Ausnahmen für sehr lange andauernde Bewegungen (siehe später) wird hier nicht Bezug genommen. Es muss sichergestellt sein, dass von Antrieben geometrisch oder funktionell bedingte Grenzlagen nicht überfahren werden. Daher muss in diesen Grenzpositionen eine automatische Abschaltung erfolgen, wenn nicht rechtzeitig über den Steuerhebel oder durch Programmierung eine Absteuerung vorgenommen wurde. Damit sind z. B. folgende Grenzlagen gemeint: Eine Seiltrommel darf nur so weit abgewickelt werden, dass mindestens zwei Reservewicklungen auf der Trommel verbleiben; eine Laststange darf nur so weit gehoben werden, dass sie nicht mit der Schnürbodenkonstruktion kollidiert. Unabhängig von der soeben beschriebenen Abschaltung in Grenzlagen, sind moderne Bedienungskonzepte so gestaltet, dass der Antrieb automatisch über eine eingestellte Verzögerungsrampe an der eingegebenen Zielkote zum Stillstand gebracht wird, auch wenn der Steuerhebel ausgelenkt bleibt. In modernen Anlagen erfolgt auch die Beschleunigung eines Antriebes gemäß einer vorgegebenen Beschleunigungsrampe, d. h. auch ein sehr schnelles Auslenken des Steuerhebels führt zu keiner unzulässigen Beschleunigung. Sehr wohl kann aber durch sehr langsames Auslenken des Steuerhebels eine kleinere Beschleunigung bewirkt werden. Gleiches gilt für die Verzögerung. Wird die zulässige Toleranz beim Synchronbetrieb mehrerer Antriebe überschritten, muss ebenfalls eine automatische Abschaltung erfolgen, um Überlastung einzelner Antriebe, unbeabsichtigte Lageänderungen etc. zu verhindern. Bei computergesteuerten Anlagen können Redundanzen in der Hardware und Software eingebaut werden. Für jeden motorischen Antrieb, sei er elektrisch oder

280 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen hydraulisch, linear oder rotierend, sollte aber auch ein eventuell mehrstufiges Notbetriebssystem vorhanden sein. Seine Gestaltung hängt von der Bauweise und vom Einsatz des Antriebes ab. Als erste Maßnahme wird z. B. von einer zweikanalig sich gegenseitig überwachenden Regelung auf eine einkanalige umgeschaltet. Als weiterer Schritt wird z. B. eine Ausschaltung der Computerebene ermöglicht, dann der Übergang von geregeltem Gruppenbetrieb zu direkt gesteuertem Einzelbetrieb. Je nach Situation wird auch ein Betrieb mit Hilfsmotoren oder ein manueller Notantrieb vorzusehen sein. Für Steuerstellen mechanischer Bühneneinrichtungen liegen teilweise ähnliche Problemstellungen wie für Steueranlagen der Lichttechnik vor. Daher können in mancher Hinsicht auch ähnliche Konzepte Anwendung finden. Es sind jedoch sehr entscheidende Unterschiede im sicherheitstechnischen Anforderungsprofil beider Steuerungstechniken gegeben. In der Lichttechnik ist eine meist große Zahl von Beleuchtungsgeräten bezüglich Lichtintensität, Farbton, räumlicher Ausrichtung etc. einzeln und in variablen Gruppenzuordnungen und oft sehr komplexen Zeitabfolgen zu steuern. Dabei geht es sicherheitstechnisch gesehen nur um niemanden gefährdende Veränderungen von Scheinwerfereinstellungen. Im Falle der Bedienung von maschinellen Einrichtungen wie Hubzügen, Podien etc. ist jedoch ein relativ großes Gefährdungspotential gegeben. Daher wird für die Steuerung in Normen auch eine hohe funktionale Sicherheit eingefordert, damit das Risiko einer Fehlfunktion minimiert werden kann. Dazu dient u. a. der Sicherheits-Integritätslevel (SIL) nach EN 61509. Der SicherheitsIntegritätslevel 4 stellt die höchste Stufe der Sicherheitsintegrität und der SicherheitsIntegritätslevel 1 die niedrigste dar.“ Bei Bühnensteuerungen wird i. A. SIL 3 verlangt. (Näheres ist den einschlägigen Normen zu entnehmen.) Handsteuerebene Da von einer Person gleichzeitig nur zwei Fahrhebel bedient werden können, sind am Steuerpult i. A. nur zwei, eventuell für sequentielle Bedienung oder zur Betätigung durch zwei Personen auch vier Fahrhebel vorhanden. Das Steuerpult besitzt am Pult strukturiert angeordnete Tasten, Eingabemöglichkeiten über Touchscreen (oder über eine Computertastatur), mit denen ein Antrieb einem der Fahrhebel zugeordnet werden kann. Für Gruppenfahrten können mehrere Antriebe einem einzigen Fahrhebel zugeordnet werden. Mit einem Fahrhebel kann also ein bestimmter Antrieb oder eine bestimmte Gruppe von Antrieben bedient werden. Drücken des Totmanntasters und Auslenken des Steuerhebels bedeutet dann die Einleitung einer Bewegung (Heben bzw. Senken, Fahren oder Drehen in die eine oder andere Richtung). Je nach Größe der Auslenkung des Fahrhebels kann die Bewegungsgeschwindigkeit des Antriebes oder der in einer Gruppe erfassten Antriebe stufenlos

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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verändert werden, falls es sich um Antriebe mit stufenloser Drehzahlverstellung handelt – was in der Bühnentechnik i. A. schon eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Es können auch Zielkoten des Verfahrweges zur automatischen Absteuerung eingegeben werden. Bei sehr langsamen lang andauernden Bewegungen ermöglicht manche Steuerungen die Einleitung der Fahrt über Tastendruck und periodisches Drücken des Totmanntasters; bei Stellgliedern für völlig ungefährliche Fahrten kann auch die Betätigung eines Totmanntasters entfallen. Computersteuerebene Sollen sehr komplexe Bewegungsabläufe mehrerer Antriebe erfolgen, unterschiedliche Bewegungen mehrerer Gruppen gleichzeitig oder in kurzen Abständen hintereinander vorgenommen werden, so ist dies von der Handsteuerebene aus nicht mehr zu bewältigen. Dann ist es sinnvoll, Fahrhebelzuordnungen, Gruppenbildungen, Geschwindigkeits- und Wegvorgaben etc. vor zu programmieren, als gespeicherte Daten abzulegen und dann in entsprechender Schrittfolge abzurufen. So können komplette Vorstellungen in der Abfolge der Antriebssteuerung programmiert und auf einem Speichermedium aufbewahrt werden (Szenotheken). Bei Bedarf wird dessen Inhalt wieder in den Rechner eingelesen. Das Programmieren, d. h. die Dateneingabe, erfolgt eventuell menügesteuert über die normale Computertastatur aber meist über ein spezielles Tastenfeld im Steuerpult. Im „Teach-in-Betrieb“ können aber auch mit dem Antrieb real angefahrene Positionen als Sollwerte übernommen werden. Es ist wichtig zu betonen, dass „Computersteuerung“ in dieser Anwendung nicht bedeutet, dass die Bewegungen der Bühnenmaschinerie automatisch in vorgegebenen Zeitintervallen und Geschwindigkeiten ablaufen. Dies wäre erstens viel zu gefährlich und zweitens spieltechnisch ungeeignet, weil nicht jede Vorstellung im gleichen Tempo abläuft. Bei Computersteuerung werden – wie bereits erläutert – nur Daten für Bewegungsabläufe auf Abruf und damit rechtzeitig bereitgestellt. Die Bewegung selbst muss aber wie bei Handsteuerung über den bzw. die Fahrhebel gesteuert werden. Wie in der Handsteuerebene bedeutet auch nun wieder volle Auslenkung des Steuerhebels Bewegung mit der vorprogrammierten Maximalgeschwindigkeit. Wird der Hebel nicht voll ausgelenkt, werden die Geschwindigkeiten proportional der Hebelauslenkung reduziert. Wird der Steuerhebel in Nullstellung geführt, werden die Antriebe stillgesetzt. Vorgegebene einprogrammierte Zielpositionen werden, auch wenn der Fahrhebel in Auslenkstellung bleibt, automatisch angefahren und der Antrieb selbsttätig und rechtzeitig abgesteuert und stillgesetzt. Ferner werden auch bei noch so schnellem Auslenken des Fahrhebels vorprogrammierte Beschleunigungswerte (Verzögerungswerte) nicht überschritten.

282 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Der absolute Größtwert für die Geschwindigkeit bei maximaler Auslenkung ist von der Dimensionierung des Antriebes und aus sicherheitstechnischen Erwägungen bzw. Vorschriften begrenzt (Normen, Unfallverhütungsvorschriften u. ä.). Neben diesem grundsätzlich in der Steuerung verankerten Größtwert, können jedoch auch bezogen auf bestimmte Vorstellungsabläufe für bestimmte Bewegungen niedrigere Maximalwerte für volle Auslenkung des Steuerhebels eingestellt werden. Ferner sind für die Anlage Maximalwerte für die Beschleunigung (Verzögerung) der Antriebe vorgegeben, die bei manchen Anlagen vorstellungsbezogen ebenfalls reduziert werden können. Es gibt aber auch derart komplexe Bewegungsabläufe, dass die Sollvorgaben für die einzelnen Antriebe erst in einem Rechenvorgang ermittelt werden müssen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn mehrere Antriebe im gleichen Zeitintervall unterschiedliche Wege zurücklegen müssen und die erforderlichen Sollgeschwindigkeiten bzw. die Verhältniswerte der erforderlichen Geschwindigkeitsabstufungen errechnet werden müssen. Als Beispiel für einen derart komplexen Bewegungsablauf, der sicher nur über Computersteuerung durchführbar ist, sei ein Verwandlungsprozess in der Unterbühne angeführt. Und zwar soll eine horizontale ebene Bühnenfläche in eine geneigte ebene Bühnenfläche umgewandelt werden, wobei die Ebenheit der Bühne während der Verwandlung gewahrt bleiben soll. Dies bedeutet, dass die Hubbewegung der Podien mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vorgenommen werden muss, aber auch eine Veränderung der Neigung der Podiengedecke überlagert sein muss. Bei einer Bühne mit hintereinander angeordneten Rechteckspodien ist nur eine Neigung um die Bühnenquerachse möglich, bei einer Schachbrettbühne und bei Podien mit in beliebiger Richtung neigbaren Gedecken könnte aber auch eine ebene Fläche beliebiger Raumneigung erzeugt werden. Als Beispiel für einen komplexen Bewegungsablauf in der Oberbühnenmaschinerie könnte das Neigen eines an Punktzügen hängenden Plafonds in eine beliebige Raumlage oder ein wellenförmiges Heben und Senken von Laststangenzügen erwähnt werden. Manche Anlagen bieten auch die Möglichkeit, zeitlich begrenzte Bewegungsabläufe der Art vorzusehen, dass nicht nur gleichzeitig verschiedene Bewegungen durchgeführt werden, sondern Bewegungen auch gestaffelt nach entsprechenden Zeit- oder Wegvorgaben als Bewegungssequenzen ablaufen; dies wird auch als „Profilfahrt“ bezeichnet. Bei Bedienung einer Anlage auf Computersteuerebene sind im Allgemeinen folgende grundsätzliche Betriebseinstellungen möglich: In der Grundbetriebsart sind alle Fahrbewegungen mit anlagenspezifischen Grenzwerten vom Hersteller vorprogrammiert. D. h., bei voller Fahrhebelauslenkung werden die betriebstechnisch festgelegten Maximalgeschwindigkeiten erreicht. Bei raschem Durchschwenken des Fahrhebels wird mit ebenfalls vorprogrammierten Maximalwerten beschleunigt bzw. verzögert. Ferner sind Fahrwege vor allem auf Grund

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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geometrischer betriebstechnischer Gegebenheiten begrenzt und auch durch Endschalter abgesichert, sodass bei Erreichung der Grenzpositionen eine automatische Abschaltung der Antriebe erfolgt. In der Programmier-Betriebsart – auch Einricht-Betriebsart genannt – können vorstellungsspezifischen Zielkoten, reduzierte Maximalgeschwindigkeiten bei voller Auslenkung des Fahrhebels, gegebenenfalls andere Beschleunigungsrampen etc. vorgegeben werden und Synchrongruppen gebildet werden. Im Vorstellungsmodus werden als Automatik-Betriebsart vorprogrammierte Bewegungsabläufe über die Fahrhebel schrittweise abgespielt, wobei über den Fahrhebel Geschwindigkeitsanpassungen möglich sind. In einer Simulationsbetriebsarbeit (Simulationsmodus) können Bewegungsabläufe virtuell abgespielt werden, d. h. die Bewegungen können am Bildschirm mitverfolgt werden, die Antriebe selbst werden aber nicht bewegt. Dies ist vor allem dann wertvoll, wenn Bewegungsabläufe vorerst nur virtuell abgespielt oder getestet werden sollen. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Bühne anderweitig benützt wird oder durch Wartungs- oder Reparaturarbeiten nicht benützbar ist. Auch für Schulungszwecke ist dieser Simulationsmodus sehr zweckmäßig. Im Hinblick auf die Antriebstechnik sei noch erwähnt, dass die beschriebenen Steuerungskonzepte auf der Bedienebene sowohl für elektromechanische als auch für hydraulische Antriebe angewendet werden können. Zur Wegerfassung in einem Regelkreis werden fast nur mehr Absolutwertgeber eingesetzt, als Überwachungsgeräte auch relativ zu einer Ausgangslage messende Relativwertgeber (Inkrementalgeber). Beim Anfahren einer Zielkote wird eine hohe Wiederholgenauigkeit, bei SynchronGruppenfahrten auch eine hohe dynamische Gleichlaufgenauigkeit gefordert.

2.5.3 Organisation von Steuerstellen Oft ist es üblich, die Antriebe der Oberbühne und der Unterbühne in zwei unterschiedlich platzierten Hauptsteuerpulten anzuordnen; eines für die Unterbühne z. B. in einem Portalturm, eines für die Oberbühne auf einer seitlichen Arbeitsgalerie. Manchmal werden als Hauptsteuerpult von Hand oder motorisch verschiebbare Pulte eingesetzt, die in sichtgünstige Positionen zur Überwachung von Gefahrenstellen gebracht werden können. I. A. soll die Steuerung von mehreren Standorten aus möglich sein, daher sind neben diesen Hauptsteuerpulten oft auch Nebensteuerpulte vorgesehen. Von solchen Nebensteuerpulten aus sind allerdings je nach Fabrikat und Type eventuell nicht alle Bedieneingriffe wie vom Hauptsteuerpult aus möglich. Nebensteuerpulte können an anderen Stellen ortsfest installiert, aber auch ortsvariabel, z. B. auf Rädern verfahrbar sein. Sie können dann mit flexiblen Leitungen an fix verdrahtete Steckdosen angeschlossen werden.

284 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Auch tragbare Nebensteuerpulte eventuell mit etwas eingeschränkter Bedienfunktion, können eingesetzt werden. Sie können entweder ebenfalls an hierfür vorgesehenen Steckdosen angeschlossen werden oder die Steuerbefehle werden drahtlos übertragen. Aus Sicherheitsgründen erfolgt die Funkübertragung in redundanter Form über zwei unabhängige Funksysteme. Für außergewöhnliche Betriebssituationen, vor allem aber als Notbetrieb und zu Reparatur- und Wartungszwecken, ist es sinnvoll für jeden Antrieb in dessen unmittelbarer Nähe oder an Stellen besonders guter Sichtverhältnisse eine „VorortEinzelsteuermöglichkeit“ vorzusehen. Neben den oben erwähnten Steuerpulten, die im Vorstellungsbetrieb szenisch eingesetzte Antriebe der Ober- und Unterbühne betreffen, gibt es natürlich auch noch davon unabhängige Einzelsteuerpulte und Steuerstellen für sonstige Einrichtungen, wie z. B. für die Portalbrücke, den Schutzvorhang und die Rauchklappen. An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass ein gut durchdachtes Antriebskonzept möglichst viele Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes bieten sollte. Dazu können Redundanz-Elemente dienen. Andernfalls sollte ein Notbetrieb ermöglicht werden. So müssen Störungen in der Rechnersteuerung im Vorstellungs- und Probenbetrieb umgangen werden können, indem unter Inkaufnahme unvermeidbarer betrieblicher Einschränkungen auf eine vom Rechner unabhängige Steuerebene übergegangen wird. Als weiterer Schritt sollte es möglich sein, unter Beachtung sicherheitstechnischer Erwägungen Regelkreise zu umgehen und auch geregelte Antriebe nur gesteuert zu verfahren. Treten Betriebsstörungen auf, so gibt die Software moderner Steueranlagen detaillierte Hinweise zur Fehlerauffindung, die Fehlermeldungen werden aber auch für späteren Abruf gespeichert, um nach der Vorstellung gezielte Reparatureingriffe vornehmen zu können.

2.5.4 Betriebsarten bei Gruppenfahrten Bei Einzelfahrt wird die Fahrt eines dem Steuerhebel zugeordneten Antriebes durchgeführt. Die Fahrt wird von Hand mit dem Steuerhebel eingeleitet und über den ganzen Weg von Hand gesteuert und beendet, bzw. es folgt eine automatische Absteuerung bei Erreichen der Zielkote. Wie bereits erläutert, muss es von der Steuerstelle aus aber auch möglich sein, nicht nur jeden Antrieb einzeln zu steuern, sondern auch mehrere Antriebe gemeinsam als Gruppe zu verfahren, z. B. mehrere Hubpodien oder mehrere Prospekt- oder Punktzüge. Beim Verfahren in der Gruppe können mehrere Betriebsarten der Gruppenfahrt (Gemeinsamfahrt) unterschieden werden, wie im Folgenden erläutert wird. (Leider sind die im Folgenden genannten Bezeichnungen nicht einheitlich definiert).

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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Im Sinne der Überwachung der Gruppenfahrten kann ferner zwischen der Bildung von asynchronen Gruppen mit und ohne Gruppenabschaltung und synchronen Gruppen unterschieden werden. Es gibt folgende Varianten an Gruppenfahrten: Asynchrone Gruppenfahrt Fahrt, bei der alle maschinentechnischen Einrichtungen einer Gruppe nach dem gemeinsamen Start ohne gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit fahren. (Die Fahrt der Einrichtungen in der Gruppe kann geregelt oder gesteuert erfolgen). Das Erreichen der Fahrbereichsbegrenzung oder Ansprechen einer Sicherheitseinrichtung einer Einrichtung muss zum Stillstand der betreffenden Maschineführen (Gruppenfahrt ohne Gruppenabschaltung) oder zur Abschaltung der gesamten Gruppe (Gruppenfahrt mit Gruppenabschaltung – Es muss angezeigt werden, welche Einrichtung zur Stillsetzung der Gruppe geführt hat. Synchrone Gruppenfahrt Fahrt, bei der alle maschinentechnischen Einrichtungen einer Gruppe nach dem gemeinsamen Start mit gegenseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit geregelt fahren (weg- oder zeitsynchron). Hierbei muss die Synchronisation überwacht werden und die vorgegebene Gleichlauftoleranz darf in allen Betriebszuständen nicht überschritten werden. Das Erreichen der Fahrbereichsbegrenzung oder Ansprechen einer Sicherheitseinrichtung einer Einrichtung muss zum Stillstand der gesamten Gruppe führen; ebenso das Überschreiten der Gleichlauftoleranzgrenzen. Außerdem muss erkennbar sein, bzw. angezeigt werden, welche Einrichtung zur Stillsetzung der Gruppe geführt hat. Bei synchroner Gruppenfahrt sind folgende Betriebssituationen möglich: Synchronfahrt – zeitsynchron Zunächst heißt dies eigentlich nur, dass alle Antriebe ihre Fahrt gleichzeitig beginnen und gleichzeitig beenden. Im Allgemeinen ist damit aber auch gemeint, dass in diesem Zeitintervall von den einzelnen Antrieben unterschiedliche vorgegebene Wegstrecken durchfahren werden müssen. Diese unterschiedlichen Wegstrecken können je nach Anwendungsfall frei gewählt werden oder sie stehen in einer geometrischen Abhängigkeit. Soll z. B. ein an Punktzügen abgehängter Plafond beim Hochfahren aus einer horizontalen Lage geneigt werden, so muss jeder Zug je nach Koordinatenlage bestimmte Wege durchfahren. Die dafür notwendige Geschwindigkeitsabstufung der einzelnen Züge kann der Computer, wenn die Koordinatenlagen der Punktzüge bekannt sind, errechnen.

286 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Synchronfahrt – wegsynchron Alle Antriebe, z. B. Züge oder Podien einer Gruppe, durchfahren eine vorgegebene Strecke gleichzeitig und in gleicher Zeitdauer unabhängig von der jeweiligen Startposition der einzelnen Antriebe, d. h. die Verfahrwege aller Antriebe sind gleich lang. Wird der Fahrhebel ausgelenkt, fahren alle Antriebe mit gleicher Beschleunigung hoch, fahren bei unveränderter Fahrhebelstellung mit konstanter Geschwindigkeit weiter und werden bei Rückführung des Fahrhebels gleichzeitig verzögert und stillgesetzt. Somit haben alle Antriebe gleiche Wege mit gleichen Geschwindigkeiten zu durchfahren, daher ist ihre Bewegung auch geschwindigkeitssynchron und da alle Antriebe in gleichen Zeitintervallen bewegt werden, auch zeitsynchron (was sich in der Bezeichnung aber nicht widerspiegelt). (Synchronfahrt – geschwindigkeitssynchron) Alle Antriebe bewegen sich mit gleicher Geschwindigkeit. Bewegen sich alle Antriebe in gleichen Zeiträumen mit gleicher Geschwindigkeit und legen daher gleiche Wege zurück entspricht dies dem Begriff wegsynchron. Summenfahrt Eine Summenfahrt von Gruppen (Einzelfahrten und/oder Gruppenfahrten) kann mit einer gemeinsamen Steuereinrichtung durchgeführt werden. Dabei bleiben die jeweiligen Gruppeneigenschaften (z. B. Synchronfahrt, Stillsetzung im Fehlerfall) der einzelnen Einrichtungen erhalten. Manche Steuerungen bieten auch die Möglichkeit einen Bewegungsablauf sozusagen im Teach-in-Betrieb per Hand zu fahren und der so aufgenommene Fahrtablauf wird dann im Vorstellungsbetrieb präzise wiedergegeben.

2.5.5 Notsteuermöglichkeiten Selbstverständlich müssen – wie oben bereits erläutert – solche komplexe Anlagensysteme auch mehrere Notsteuermöglichkeiten bieten. Auch hier gibt es je nach Hersteller verschiedene Konzepte insbesondere auch in der Hardwareanordnung – integriert in das Steuerpult oder als eigenes Haveriepult. – Ein Haveriemodus wurde bereits genannt. Er besteht darin, dass auf die Überwachungsfunktion Fahrrechner – Überwachungsrechner verzichtet wird und einkanalig statt zweikanalig gefahren wird. – Tritt eine Störung an einem Achsrechner auf, so kann auf einen als Reserve vorhandenen Achsrechner umgeschaltet werden.

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe







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Als nächster Schritt kann eine Umgehung der Rechnersteuerung vorgenommen werden und ein Betrieb inklusive Gruppenbildungen am Fahrhebel auf SPS-Ebene (speicherprogrammierbare Steuerung) vorgenommen werden. Oft wird in Anlagen auch noch die Möglichkeit geboten, einen Einzelantrieb über eine Notsteuerkassette anzusteuern, die am Klemmkasten des Antriebes angeschlossen ist oder als mobile Einheit angeschlossen werden kann. Als weiterer Schritt wird, wie in Kap. 2.1 bzw. 2.5.1 beschrieben, oft auch die Möglichkeit der Anbringung eines motorischen Hilfsantriebes oder Umschaltung auf manuellen Antrieb geboten.

2.5.6 C⋅A⋅T-Steuerung der Firma Waagner-Biro

Die C⋅A⋅T Computer Aided Theatre Steuerung der Firma Waagner-Biro Stage Systems, die in ihrer ersten Version bereits 1989 im Stadttheater Oberhausen installiert wurde, wurde seit dem Jahr 2003 als SIL 3-Steuerung in der Generation C⋅A⋅T V4 installiert und in den früheren Auflagen dieses Buches beschrieben. Im Jahr 2017 wurde die fünfte und technisch vollständig überarbeitete Version C⋅A⋅T V5 am Markt vorgestellt, die im Folgenden beschrieben wird. Mit der für CAT V5 neuentwickelten Hardware- und Softwareplattform können alle in der EN 17206 benannten Sicherheitsfunktionen erstmals vollständig unabhängig voreinander und ohne antriebs- oder anlagenweit durchgeschleifte elektrische Sicherheitskreise mit dem erforderlichen Sicherheitsniveau SIL3 bzw. PLe implementiert werden. Da in der Anlage keine Sicherheitsschleifen mehr gebrückt werden müssen, kann die Behandlung von Sicherheitsproblemen und Störungen in der Sensorik komplett mit grafischer Benutzerführung in die Benutzeroberfläche der Bedienpulte integriert werden. Dem entsprechend sind auch die nötigen Werkzeuge für Bremsentests, Lasttests und andere Wartungsaufgaben bei Sachverständigenprüfungen und wiederkehrenden Prüfungen als geführte Benutzerdialoge im C⋅A⋅T STUDIO an die Hauptbedienpulten enthalten. C⋅A⋅T V5 kommt damit im Betrieb vollständig ohne separate Reparatur- oder Prüftableaus aus. Zur Realisierung dieses leistungsfähigen und flexiblen Konzepts der Störungsbehebung nutzt C⋅A⋅T V5 die Möglichkeit, einzelne Sensoren oder einzelne Sicherheitsfunktionen im Fehlerfall oder in Prüfszenarien selektiv und zeitlich befristet zu deaktivieren. So wird beispielsweise zum Anheben der Prüflast bei der Bremsenprüfung die Überlastüberwachung temporär deaktiviert, während bei der Prüfung alle anderen Sicherheitsfunktionen wie z. B. die Überwachung der Maximalgeschwindigkeit oder des Fahrbereichs mit vollem Sicherheitsniveau aktiv bleiben.

288 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Auch im Falle defekter Sensoren, so z. B. bei defekter Lastmessung, kann der Bediener diese Muting-Funktionen einsetzen und die notwendigen Fahrten im Rahmen der Vorstellung vom Hauptbedienpult aus durchführen. Dabei ist der Bediener dafür verantwortlich, ersatzweise alternative (organisatorische) Maßnahmen zur Wahrung des erforderlichen Sicherheitsniveaus sicherzustellen. Im Beispiel muss er sicherstellen, dass die bewegte Nutzlast bekannt und im zulässigen Bereich ist und keine Kollisionen mit benachbarten Kulissen oder Anlagenteilen erfolgen kann. Im Zweifel kann die Fahrt vor Ort durch eine weitere Person überwacht und durch einen zusätzlichen externer Zustimmtaster freigegeben werden. Der Zugang zum Muting ist dementsprechend nur gesondert unterwiesenen und erfahrenen Bedienern gestattet. Aufbau des Systems zur Bedienung der Antriebe Betriebssystem Die C⋅A⋅T Steuerung nutzt Linux als Betriebssystem und zeitgemäße HTML5 Techniken für die Benutzerschnittstelle. Das Betriebssystem ist echtzeitfähig und skaliert damit auch in größten Anlagen mit definieren Zykluszeiten. Im C⋅A⋅T System wird Linux durchgängig auf allen Ebenen verwendet: In Pulten, Servern und Netzwerk garantiert es eine zuverlässige Basis für die anwendungsspezifische Software. Eine wichtige Zielsetzung bei der Entwicklung des CAT-Systems war eine hohe Verfügbarkeit: Auch beim Ausfall einzelner Komponenten soll die Gesamtanlage möglichst funktional bleiben. Kritisch sind dabei sogenannte „Single points of failure“, also Bauteile, deren Defekt gleich mehrere andere Komponenten negativ beeinflussen würde: Server, Netzwerk-Verteiler (Switches), zentrale Baugruppen usw. Durch ihren modularen Aufbau und mehrere Redundanzebenen werden solche Engpässe in der CAT-Steuerung vermieden: Baugleiche Teile können schnell und leicht getauscht werden. Kritische zentrale Komponenten sind redundant oder pro Antrieb separat ausgeführt. Das Ergebnis ist eine hohe Verfügbarkeit, ohne dafür Einschränkungen bei der Sicherheit in Kauf nehmen zu müssen. In der CAT-Steuerung hat jeder Netzwerkteilnehmer zwei getrennte Netzwerkanschlüsse. Jeder Achsrechner und jedes Pult ist darüber permanent mit zwei verschiedenen Netzwerken verbunden, und kann bei Ausfall einer beliebigen Netzwerkkomponente nahtlos und ohne etwaige Unterbrechung einer Fahrt über das andere Netzwerk weiter kommunizieren. Der prinzipielle Systemaufbau der C⋅A⋅T V5 Steuerung ist der Abb. 2.23 zu entnehmen. Systemaufbau – Modularer Aufbau Jeder Antrieb bildet für sich eine selbstständige Einheit. Sollte zum Beispiel einmal ein Achsrechner ausfallen, so betrifft dies nur einen einzigen Antrieb, die anderen Antriebe bleiben einsatzfähig. Der modulare Aufbau des Systems macht auch spätere

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Abb. 2.23: C⋅A⋅T V5-Systemaufbau. Bildnachweis: Waagner-Biro Stage Systems.

Erweiterungen denkbar einfach. So ist es möglich, Anlagen schrittweise umzubauen und auch kleinere Anlagen Jahr für Jahr um einige Antriebe zu ergänzen. Das CAT-System setzt sich aus den folgenden Komponenten zusammen (siehe Abb. 2.23): – Zentrales Server- und Netzwerksystem – Bedienpulte – Steckstellen für Bedienpulte – UNICORN-Schaltschränke oder zentrale Schaltanlage – E/A- Controller – AXIO 5 – Zusätzliche Notaustaster bei Bedarf Zentraler Server Das zentrale Serversystem basiert auf leistungsstarken Servern, die je nach Anlagengröße und erforderlicher Zykluszeit passend skaliert werden können. Der Server berechnet und koordiniert die Bewegungsabläufe und übernimmt zentrale Aufgaben, wie z. Verwaltung der Show-Datenbank, der Telemetriedaten, der Protokolldateien und des Zugriffs auf die Fernwartung. Der zentrale Server wird redundant ausgeführt: Parallel zum Haupt-Server läuft ein zweiter Server mit, der die Datenänderungen auf seine Festplatte spiegelt. Beim Ausfall des Haupt-Servers wird auf diesen Backup-Server umgeschaltet. Die Umschaltung erfolgt automatisch, kann aber auch gezielt vom Bediener vorgenommen werden. Die Steuerung läuft mit voller Funktionalität auf dem anderen Server weiter, wodurch

290 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen eine Unterbrechung der Bühnenvorstellung ausgeschlossen wird. Die komplette Hardware des Servers ist doppelt vorhanden. Daraus ergibt sich eine höhere Ausfallsicherheit als zum Beispiel durch ein alleiniges Spiegeln der Festplatte im selben Server. Der Serverschrank verfügt über ein USV-System zum Schutz der Stromversorgung des Steuerungssystems sowie ein dediziertes zusätzliches Ethernet-Netzwerk zum Anschließen von Peripherie-Geräten, aber auch für Schnittstellen zu anderen Steuerungssystemen oder anderen Gewerken wie z. B. Licht oder Showcontrollern. Dank des durchgängigen Ethernet-Netzwerk-Konzeptes kann bei Bedarf über eine VPN-Verbindung zum C⋅A⋅T-Remote-Dienst nicht nur auf die Server, sondern auf alle Geräte der C⋅A⋅T Steuerung zugegriffen werden, um Support oder Wartungsaufgaben ausführen zu können. Damit ist es bei Bedarf auch möglich, die Inbetriebnahme neuer Antriebe oder ganzer Anlagen ohne Vor-Ort-Anwesenheit eines C⋅A⋅T Spezialisten per Fernwartung zu unterstützen. Bedienpulte Mit den Bedienpulten werden möglichst alle Antriebe der Anlage bedient. Man kann festlegen, welche Antriebe von welcher Steckstelle und von welchem Benutzer gesteuert werden dürfen. Gefährliche Blindfahrten lassen sich so von vornherein vermeiden. Mit Hilfe von Grafiken, integrierten Videos etc. wird eine hohe Benutzerfreundlichkeit erreicht. Waagner-Biro Stage Systems teilt seine Bedienpulte in 3 verschieden Kategorien mit den jeweiligen Bedienpulten ein: Hauptbedienpulte C⋅A⋅T 562 (siehe Abb. 2.24), C⋅A⋅T 560, C⋅A⋅T 552 (siehe Abb. 2.25), C⋅A⋅T 550 Wandmontierte Bedienpulte C⋅A⋅T 520 mit einem 7 Zoll Touchscreen Mobilpulte C⋅A⋅T 530 und C⋅A⋅T 530(R) (siehe Abb. 2.26) Die kabelgebundenen Pulte werden an die Steckstellen OUTLET500 angeschlossen, die im Bühnenbereich verteilt sind (siehe Abb. 2.26), wobei das C⋅A⋅T 530R Bedienpult über eine WiFi-Netzverbindung der Steckstellen OUTLET500 kommuniziert. Ein Bildschirm mit Multitouch-Screen und Gestenunterstützung ist in der Pultfläche integriert. Zusätzlich ist je nach Bedienpult-Typ ein zweiter identischer Bildschirm im Pultdeckel untergebracht. So können gleichzeitig die zwei Oberflächen der CAT-Software angezeigt werden, z. B. der der am Programm und Ablauf der Vorstellung orientierte C⋅A⋅T CONTROL und der an der Maschinenübersicht orientierte C⋅A⋅T VIEW. Beide Ansichten können zur Anwahl und Anzeige von Fahrten verwendet werden. Als Zugangsberechtigung dient für alle Bedienpulte ein RFID Token oder eine RFID-Karte. Die Zugangsberechtigung ist in mehrere Einzelfunktionen aufgeteilt und individuell auf ein jeweiliges Benutzerkonto konfigurierbar. Somit kann der Bediener an verschiedenen Pulten seine personalisierten Einstellungen benutzen. Darüber

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Abb. 2.24: C⋅A⋅T 562 Hauptpult auf Pultständer C⋅A⋅T ROVER COMFORT. Bildnachweis: Waagner-Biro Stage Systems.

Abb. 2.25: C⋅A⋅T 552 auf C⋅A⋅T GALLERY Schienensystem im Dramaten, Stockholm. Bildnachweis: Waagner-Biro Stage Systems.

hinaus können typische Konfigurationen mittels der Benutzergruppen voreingestellt werden. Entsprechend der zugewiesenen Benutzerrechte haben unterschiedliche Personen Zugang zu unterschiedlichen Funktionen. Die Sicherheit des Systems wird erhöht, da die Berechtigung zu gefährlichen Bewegungen und der Zugang zu empfindlichen Daten klar geregelt sind (siehe Abb. 2.28)

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Abb. 2.26: CAT 530 tragbares Mobilpult. Bildnachweis: Waagner-Biro Stage Systems.

Abb. 2.27: OUTLET 500 in der Oper Kopenhagen. Bildnachweis: Waagner-Biro Stage Systems.

Zu jedem Fahrhebelmodul gehören zwei programmierbare Drucktaster mit integriertem OLED-Display, dass die gewählte Funktion und die laufenden Fahrtparameter in Echtzeit anzeigt. Über die Taster können die Verwandlungen an- und abgewählt sowie (in Verbindung mit dem übergeordneten Zustimmtaster) gestartet werden. Bei

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Abb. 2.28: C⋅A⋅T V5 Benutzeranmeldung mit personalisierten Profilen. Bildnachweis: Waagner Biro Stage Systems.

Fahrt per Joystick wird hingegen der in Fahrhebel integrierte Zustimmtaster verwendet. Die Fahrhebel sind farblich hinterleuchtet und können frei zugewiesen werden. So können mehrere Bewegungen unabhängig voneinander gesteuert werden. Wenn eine Text- oder Zahleneingabe benötigt wird, erscheint eine entsprechende Tastatur auf dem Touchscreen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, eine handelsübliche USBTastatur oder -Maus an das Pult anzuschließen. Das C⋅A⋅T 562 und das C⋅A⋅T 560 verfügen über zwei bzw. ein 24-Zoll-MultitouchDisplay und in der Standardausführung über vier feinfühlig skalierte FahrhebelModule C⋅A⋅T GEARS JOYSTICK INTERACTIVE. Wie bei allen Pulten der C⋅A⋅T V5 Steuerung können die Fahrbefehlsgeber und Eingabeelement C⋅A⋅T GEARS jedoch nach Benutzerwunsch in vielen verschiedenen Zusammenstellungen angeordnet werden. Die Pulte der C⋅A⋅T 560 Serie können dabei so erweitert werden, dass bis zu 12 verschiedene Fahr- und Bedienelemente in einem Pult integriert sind, was vor allem bei komplexen Produktionen mit vielen überlappend laufenden Verwandlungen sinnvoll wird. Der Bediener kann so jede einzelne Verwandlung während der Ausführung bei Bedarf individuell nachregeln oder stoppen, und bei Bedarf Notfalloder Evakuierungsfahrten in der Vorstellung einplanen und für eine Aktivierung auf Knopfdruck vorhalten. Bei Verwendung von C⋅A⋅T GEAR PLAYBACK WHEEL ist es so möglich, sechs laufende Verwandlungen ohne Umgreifen mit einer Hand individuell zu kontrollieren. Alle Hauptbedienpulte können auf den eigens entwickelten fahrbaren Pultständern C⋅A⋅T ROVER BASIC, C⋅A⋅T ROVER COMFORT oder dem C⋅A⋅T ROVER RADIO aufgesetzt werden. Die Pultständer unterscheiden sich in ihrer Ausstattung: während das

294 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Basismodell C⋅A⋅T ROVER BASIC höchste Standsicherheit und gute Mobilität mit manueller Höhenverstellung bietet, erlaubt der C⋅A⋅T ROVER COMFORT zusätzlich elektrische Verstellbarkeit der Arbeitshöhe und -neigung für alle Sitz- und Stehpositionen. Ein integrierter Aufbewahrungsschrank und verschiedene Anbaumöglichkeiten für Geräte und Ausrüstung zielen darauf ab, die Arbeitsergonomie für den Benutzer auch über die grafische Bedienoberfläche hinaus weiter zu optimieren und ergonomisch zu gestalten. Das Spitzenmodell C⋅A⋅T ROVER RADIO erlaubt es mit kabellosem und batteriegestütztem Betrieb mit langer Autonomie, auf einer belebten Bühne schnell und ohne Kabel die richtige Position einzunehmen oder freizumachen. Die Hauptbedienpulte C⋅A⋅T 552 und C⋅A⋅T 550 sind in ihrer Leistung und Ausstattung identisch zu ihren großen Geschwistern C⋅A⋅T 562 und C⋅A⋅T 560, wurden aber speziell dafür entwickelt, einen ergonomischen Arbeitsplatz selbst auf einer engen Arbeitsgalerie zu schaffen. Für eine optimierte Bautiefe sind sie mit zwei bzw. einem 20-Zoll-Multitouch-Display und vollständig seitlich angeordneten Bedientasten ausgerüstet. Erreicht wird die Platzeffizienz aber vor allem mit dem entlang der Galerie verschiebbaren und in zahlreichen Achsen beweglichen Galeriearm C⋅A⋅T GALLERY. Anders als bei festgestellten Galleriehalterungen kann damit die Position, Höhe, Lage und vor allem auch die Ausrichtung des Bedienpultes an der engen Gallerie buchstäblich im Vorbeigehen an die jeweilige Bedien- und Platzsituation angepasst werden. Mit dem C⋅A⋅T 530 steht dem Benutzer ein Mobilpult zur Verfügung. Es verfügt über einen 12′′ HD-Bildschirm mit Touchscreen und hat zwei Fahrhebelmodule. Der Zugang zu den Pultfunktionen geschieht mit denselben RFID-Karten wie beim C⋅A⋅T 562. Die Softwareoberfläche auf diesem Pult ist die gleiche wie beim C⋅A⋅T 562, die für verschiedene Displaygrößen jeweils angepasst wurde. Das Pult ist hauptsächlich für den Einrichtungsbetrieb direkt auf der Bühne und dem Schnürboden sowie der Wartungsbetrieb in den Maschinenräumen konzipiert, kann aber selbstverständlich auch zum Fahren vorprogrammierter Bewegungen verwendet werden. Aufgrund des kleineren Bildschirms fällt die Ergonomie bei aufwändigen Programmiervorgängen jedoch gegenüber den Hauptbedienpulten etwas ab. Das C⋅A⋅T 530R ist noch flexibler einsetzbar. Das Pult unterstützt die sichere Datenübertragung über Funk und Batteriebetrieb, und verbindet sich mit den Steckstellen wahlweise per Kabel oder per WLAN. Es ermöglicht damit nahezu uneingeschränkte Mobilität. Für beide Mobilpulte steht der fahrbare Pultständer C⋅A⋅T ROVER ONE zur Verfügung. In der robusten Wandhalterung WALLMOUNT werden die Bedienpulte schraubenlos gehalten und können bei Bedarf herausgenommen werden. Mithilfe des Tragegurtes lassen sich beide Modelle bequem tragen. Das C⋅A⋅T 520 ist ein Lokalbedienpult mit einem 7 Zoll Touchscreen und einem einzelnen Fahrhebelmodul. Es kommt dann zum Einsatz, wenn an einer ortsfesten Bedienstelle Zugriff auf die Vorstellungs-Datenbank und ihre Verwandlung erforderlich sind, aber auch als Sammelbedienstelle mit grafischer Positionsanzeige für eine Reihe von einfachen Auf- und Ab-Bewegungen von Hubzügen. Typische Anwendungen

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sind die Steuerstelle im Orchestergraben, die Steuerstelle für die Vorhangzone oder auch die Steuerung von Einrichtzügen in der Seiten- und Hinterbühne. Aber auch in der Einhängezone für Artisten in (3D-) Flugwerke kann das C⋅A⋅T 520 dem Maschinisten vor Ort als Steuerstelle zur Verfügung stehen, der zwischen den Verwandlungen die Artisten oder Schauspieler ins Fluggeschirr einhängen und auf die Startposition fahren soll. In all diesen Situation bietet das C⋅A⋅T 520 eine einfach verständliche Bedienoberfläche, ein klares visuelles Feedback über den lokalen Systemstatus, sowie bei Bedarf und Berechtigung einen schnellen Zugriff auf die Fahrtparameter und vorprogrammierte Fahrten der Vorstellung. Mit der C⋅A⋅T 500 Desktop-Konsole bietet Waagner-Biro eine Desktopkonsole an für Offline-Simulationszwecke mit Laptop oder große Bedienstellen mit zahlreichen externen Bildschirmen an. Es bietet die sichere und komfortable Bedienhardware der C⋅A⋅T Hauptbedienpulte, wo die Programmierung und Visualisierung über externe Rechner und Bildschirme erfolgt. C⋅A⋅T GEARS Bedienelemente für alle Bedienpulte Waagner-Biro ermöglicht zusätzlich das Konfigurieren der Bedienpulte und deren Bedienelemente mit Hilfe von C⋅A⋅T GEARS Modulen (siehe Abb. 2.29). Darunter werden unterschiedliche, modularen Bedienelemente verstanden, von denen je nach Bedienpult-Typ bis zu 12 Bedienelemente an einem Pult eingesetzt werden können. Neben verschiedenen Arten von Fahrbefehlsmodulen (C⋅A⋅T GEAR JOYSTICK, C⋅A⋅T GEAR PLAYBACK WHEEL) kann der Kunde nach seiner persönlichen Präferenz auch haptische Eingabemodule wie einen programmierbaren Makro-Taster, eine 3D-Maus oder Jog-Wheels zur Ergänzung der vollständig per Touchscreen bedienbaren Benutzeroberfläche wählen. Insgesamt stehen dem Kunden neun verschiedene Module zur Verfügung.

Abb. 2.29: C⋅A⋅T GEARS PLAYBACK WHEEL im Dramaten, Stockholm. Bildnachweis: Waagner-Biro Stage Systems.

296 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Universalsteckstellen, Funkverbindung und Nothaltzonen Jedes bewegliche Bedienpult wird mit einer OUTLET 500 Steckstelle per Kabel oder WLAN verbunden (siehe Abb. 2.27). Kabelgebundene Pulte werden an den Steckstellen über das bewährte und flexible Systemkabel CABLE 500 angeschlossen. Üblicherweise sind mehrere OUTLET 500 im Bühnenraum verteilt. Zur Vereinfachung der Konfiguration können die Steckstellen bei Bedarf Zonen mit besonderen funktionalen Berechtigungen oder Antriebsgruppen zugewiesen werden. Die Konfiguration pro Zone wird automatisch von jedem angeschlossen Bedienpult übernommen. Die Administratoren können damit ortsabhängig den Zugriff auf bestimmte Maschinen oder den Zugriff auf spezielle Funktionen wie das Verziehen eines Punktzugaufzugspunkts, das Stummschalten von Sicherheitsfunktionen oder Sensoren zur Fehlerbehebung und vieles mehr gewähren oder widerrufen. Die OUTLET 500 Steckstellen können darüber hinaus auch per Software-Konfiguration zu einer oder mehreren Nothaltzonen einer größeren Bühnenanlage zugewiesen werden. In diesem Fall wirkt der Nothalt am angeschlossenen Bedienpult oder direkt an der OUTLET 500 nur auf die Antriebe, die dieser Nothaltzone auch zugewiesen sind. So kann je nach Risikoanalyse beispielsweise der Notaus einer Steckstelle in der Hinterbühne nur auf das Bühnenwagensystem in diesem Bereich und die Einrichtzüge wirken, um einen Probe- oder Vorstellungsbetrieb auf der Hauptbühne nicht zu stören. Gerade im En-Suite-Betrieb eines Musicaltheaters kann es durchaus Sinn machen, diese Notauszonen für jede Produktion und Dekoration individuell festzulegen und zu konfigurieren. Die Reichweite der Funkverbindung hängt von den Gegebenheiten der Bühne ab. Die verwendeten Funktechnologien erlauben im Indoor-Bereich eine Reichweite von bis zu 100 m. Sollte die Funkabdeckung dennoch nicht ausreichen, ist auch Roaming möglich: da in der Regel mehrere Steckstellen auf der Bühne verteilt sind, wird automatisch auf ein OUTLET 500 mit besserem Signal umgeschaltet, wenn das Signal zum C⋅A⋅T 530R zu schwach wird. Heutzutage konkurrieren jedoch derart viele Gewerke und Geräte um die limitiere Funkbandbreite, dass ein verlässlicher Funkbetrieb bei voll besetztem Auditorium mit hunderten individueller Mobilgeräte nur schwer sicherzustellen ist. Wie eine Straße mit Autos können auch Funkfrequenzen und -kanäle nicht mit beliebigen Bandbreiten belegt werden, ohne dass es zu Staus und Unterbrechungen kommen kann, die einen sicheren Echtzeitbetrieb einer Maschine erschweren. Aus diesen Gründen bleibt im Zeitalter von Smartphones und Laptops die kabelgebundene Bedienung die sicherste Alternative für einen hoch verfügbaren Vorstellungsablauf. Dank dünner und flexibler C⋅A⋅T Systemkabel und in den Pultständern integrierter Kabelmanagement-Lösungen stellt dies in der Praxis jedoch kaum eine Einschränkung dar. Jede der Steckstellen kann auf Wunsch mit einem Not-Halt-Taster ausgestattet werden, der je nach Einbausituation zusätzlich mit einem Schutzring gegen Beschädigung gesichert sein kann. Ein Deaktivieren und Abstecken des Bedienpults führt

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nicht zur einem Notaus in der Anlage, gleichwohl werden alle vom Pult noch angewählten Antriebe sicher angehalten und abgewählt. Schaltschränke Waagner-Biro Stage Systems bietet mit dem eigens entwickelten dezentralen Schaltschrank UNICORN ein fortschrittliches Schaltschranksystem an. Jeder Antrieb verfügt hierbei über einen speziellen Schaltschrank, der in der Nähe des Antriebs selbst installiert ist. Der Schaltschrank ist vollständig am Produktionsstandort ausgestattet und getestet. Alle Verbindungen nach außen erfolgen über Steckverbinder. Dies hilft, die Zeit während der Inbetriebnahme extrem zu verkürzen. Im Falle eines Ausfalls kann ein Schrank einfach und schnell ausgetauscht werden. Im UNICORN-Schaltschrank sind integriert: – Frequenzumrichter – Netzfilter – Bremswiderstand (auf der Rückseite montiert) – Hauptschalter – Hauptschütz – Bremsschütz – Stromversorgung – AXIO 5-Achsrechner. Die einzelnen Schaltschränke (siehe Abb. 2.30) sind unabhängig voneinander und beeinflussen keinen anderen Antrieb oder Schaltschrank im System. Sie können für alle geschwindigkeitsgeregelten Antriebe im Bereich von 1,5 kW bis zu 45 kW der Oberbühne eingesetzt werden. Die Schaltschränke sind so klein und leicht, dass sie in der direkten Umgebung der zu steuernden Winde montiert werden können. Daher ist kein gesonderter Schaltschrankraum nötig. Sämtliche Kabel zwischen der Winde und dem Schaltschrank werden über Steckverbindungen angeschlossen – so können alle Kabel im Werk vorkonfektioniert und getestet werden. Die Installationsarbeiten vor Ort werden reduziert, um vorab getestete Kabel anzuschließen. Dies reduziert Fehler vor Ort und erleichtert die Wartung, da keine Schraubklemmen nachgezogen werden müssen. Jeder Schaltschrank wird lediglich versorgt mit 400 Volt Drehstrom und Ethernet. Dies reduziert die benötigte Verkabelung erheblich im Vergleich zu herkömmlicher Zentralschrank-Technik. Um den Verkabelungsaufwand noch weiter einzuschränken, können spezielle Stromschienen verwendet werden. Diese Stromschienen sind über dem UNICORN montiert. Überall dort, wo es nicht möglich oder nicht erwünscht ist, dezentrale UNICORNSchaltschränke direkt bei den Antrieben zu installieren, werden zentrale Schaltanlagen eingesetzt. Diese können in einem speziell dafür vorgesehenen Schaltraum unter-

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Abb. 2.30: Typischer Systemaufbau mit UNICORN und AXIO 5 in Windenraum. Bildnachweis: Waagner Biro Stage Systems.

gebracht werden. Die benötigten elektrischen und elektronischen Komponenten werden dann in Standard-Schaltschränken für mehrere Antriebe zusammengefasst. Achsrechner Der AXIO 5 Achsrechner verbindet das C⋅A⋅T V5 Steuerungssystem mit der Maschinentechnik und Außenwelt. Dieser ist für alle sicherheitsrelevanten Funktionen sowie für die Antriebssteuerung und Bewegungsüberwachung verantwortlich. Er kombiniert einen SIL 3/PLe-zertifizierten Sicherheits-Fahrtenregler und frei zuweisbare Sicherheitsein- und -ausgänge in einer per Plug & Play austauschbaren Blackbox. Der AXIO 5 übersetzt Pultbefehle in die erforderlichen elektrischen Signale zur Steuerung aller Arten von Maschinen, einschließlich Hochgeschwindigkeitswinden, Kettenzügen, Drehscheiben, Bühnenwagen, Bühnenlifte, Hydraulik und vielem mehr. Der Achsrechner verfügt über mehrere Positionsgeber-Schnittstellen, über die eine sichere Position des Antriebs berechnet und überwacht wird. Auch abgeleitete Werte wie die Geschwindigkeit und Beschleunigung des Antriebs werden auf Basis der jeweiligen Geberkombination ermittelt und überwacht. Wird eine unzulässige Abweichung festgestellt, wird der Antrieb gestoppt. Beim Ausfall eines Achsrechners ist daher lediglich der entsprechende Antrieb betroffen. Der Rest des Systems bleibt in Funktion. Die einfachste und kostengünstigste Redundanz ist das Vorhalten eines Ersatz-Achsrechners AXIO 5. Der AXIO 5 ist sehr wartungsfreundlich eingebaut, indem er lediglich auf zwei Kontaktleisten ge-

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steckt wird. Ein- und Ausbau des AXIO 5 sind daher schnell und ohne Werkzeug zu bewerkstelligen. Sollte ein AXIO 5 nicht mehr funktionieren, so muss er lediglich gegen einen anderen AXIO 5 getauscht werden. Er wird automatisch erkannt, durch einen Knopfdruck des Bedieners am Pult mit der erkannten Maschine gekoppelt und automatisch für den entsprechenden Antrieb konfiguriert. Es ist keinerlei Konfiguration durch Wartungspersonal erforderlich. Jeder Antrieb wird anhand eines ID-Chips identifiziert, der beim Start vom AXIO 5 gelesen wird. Somit kann jeder AXIO 5 als Ersatz für jeden anderen verwendet werden. Ethernet-Netzwerk Alle Einzelkomponenten des C⋅A⋅T-Systems sind über ein Ethernet-Netzwerk basierend auf dem IP-Protokoll verbunden. Diese einfache Struktur bietet eine hervorragende und kostengünstige Übertragungsgeschwindigkeit und Skalierbarkeit. Die klare und kontinuierliche Kommunikationsstruktur erfordert keine zusätzliche Datenkomprimierung oder Protokoll-Konvertierungen zwischen verschiedenen Subsystemen. Die Netzwerkarchitektur von C⋅A⋅T V5 ist für 2.000 Netzwerkteilnehmer ohne Segmentierung ausgelegt und für die Verwendung in einer Sicherheitssteuerung zertifiziert. Dazu musste Waagner-Biro Stage Systems ein eigenes Datenprotokoll mit besonderen Fehlererkennungs- und -korrekturmöglichkeiten entwickeln, um die für SIL3 Systeme geforderte niedrige Fehlerwahrscheinlichkeit bei einer derart großen Anzahl von Netzwerkteilnehmern nachweisen zu können. Parallel aufgelegte Sensoren mit aufwändiger Kabelführung oder fest verdrahtete Verriegelungen von Maschinen untereinander sind damit nicht mehr erforderlich. Wegen seiner Bedeutung für die Verfügbarkeit der Anlage wird das Netzwerk parallel redundant ausgeführt. In dieser Variante besitzen Server, Achsrechner und Pulte zwei Netzwerkverbindungen, und alle Netzwerk-Komponenten sind doppelt vorhanden. Die Steuerung kommuniziert parallel über beide Netzwerke, so dass bei Ausfall eines Strangs das Netzwerk ohne jegliche Unterbrechung voll funktionsfähig bleibt. Bedienkonzept Bei der Entwicklung von C⋅A⋅T V5 stand und steht eine zeitgemäße Benutzererfahrung (engl.: User Experience) im Vordergrund aller Überlegungen. Dazu gehört neben allgemeinen Lösungen zur Gewährleistung der Ergonomie und Sicherheit am Arbeitsplatz vor allem auch die Erkenntnis, dass die (meisten) Anwender der C⋅A⋅T V5 Steuerung keine Programmierer oder Ingenieure sind, die in Zahlen und Regeln denken. Dem entsprechend verzichtet die neue C⋅A⋅T V5 Bedienoberfläche weitestgehend auf die tabellarischen Übersichten und Nummerierungssysteme, die in älteren Generationen von Bühnensteuerung vorhanden sind, und orientiert sich an der möglichst einfachen Umsetzung von natürlicheren Konzepten wie z. B.: – sprachlichen Anweisungen: „Fahre etwas schneller“ statt „Fahre bitte mit 1,37 m/s“

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Wiederholungen: „die gleiche Position wie im zweiten Bild“ praktisches Sortieren: direktes Verschieben eines Elements an eine andere Stelle per Drag & Drop statt Anpassen von Ordnungsparametern Alltagswissen: Verwendung von alltäglich verwendeten Symbolen und Gesten freie Arbeitsweise: die Steuerung gibt keine festen Reihenfolgen bei der Bearbeitung von Aufgaben vor und toleriert temporäre Inkonsistenzen, die sich durch die individuelle Arbeitsweise ergeben. Dadurch entstehende Probleme werden jedoch kontrolliert und klar visualisiert, um sie später auflösen zu können.

Als wichtigste Elemente dieser Bedienphilosophie nutzt C⋅A⋅T V5 die folgenden Techniken: – Zeige nur Informationen, die gerade wichtig sind – Verwende heute bekannte Gesten und Bedienlogiken, die üblich und damit leicht erlernbar sind – Verwende ein grafisch ansprechendes Design, das nicht überfrachtet ist, Freude bei der Arbeit macht und zielgerichtet das erledigen lässt, was aktuell gefordert ist – Erläutere Anzeigen und erwartete Eingabewerte unmittelbar bei ihrer Verwendung. Zu diesem zeitgemäßen Ansatz gehört auch, dass die Erläuterungen zur Bedienung am Pult nicht nur in Form eines Benutzerhandbuchs verfügbar sind, sondern über einfache und kurze Erklärvideos in den Bedienpulten selbst beschrieben werden. Hauptelement der Benutzeroberfläche Die C⋅A⋅T Benutzeroberfläche ist durchgehend als Mehrbenutzerplattform konzipiert, in der mehrere Benutzer an verschiedenen Bedienpulten gleichzeitig in derselben oder in verschiedenen Vorstellungen arbeiten können. Aus diesem Grund werden alle Bedienschritte unmittelbare auf dem Server ausgeführt und auf alle Bedienpulte gespiegelt. Moderne Locking-Strategien sorgen dafür, dass alle Bediener Änderungen an zeitgleich geladenen Objekten unmittelbar sehen, aber nur jeweils ein Benutzer Änderungen vornehmen darf. All dies passiert im Hintergrund, ohne dass die Benutzer selbst spezielle Bedienschritte unternehmen müssten. Benutzerverwaltung Um auf der Oberfläche kenntlich zu machen, welcher Bediener gerade wo arbeitet, sind die einzelnen Benutzerkonten mit Namen und Fotos versehen, die der Bediener nach Wunsch direkt am Bedienpult mit der eingebauten Webcam erstellen oder hochladen kann. Neben den persönlichen Einstellungen und Default-Verhalten, die der Benutzer selbst einstellen kann, werden zentral vergebene Benutzer- und Gruppenrechte von der Systemadministratoren verwaltet.

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Vorstellungsverwaltung Die im System angelegten Vorstellungen sind über die Vorstellungsverwaltung zugänglich. Neben Favoritenmarkierungen hilft eine inkrementelle Suchfunktion dabei, die gewünschte Vorstellung schnell zu finden. Vorstellungen können unter anderem archiviert, dupliziert oder auch ausgedruckt werden. C⋅A⋅T CONTROL – Seitenansicht Die Seitenansicht ist das Pendant zum C⋅A⋅T CONTROL Bildschirm der früheren C⋅A⋅T Generationen. Hier werden Fahrten in Seitenansichten programmiert, angezeigt und gefahren. Die Ansicht der Fahrten und Verwandlungen passt sich dabei adaptiv an den verfügbaren Bildschirmplatz an: je mehr Antriebe und Fahrten geladen sind, desto weniger Details werden angezeigt. Die Seitenansicht unterscheidet zwischen temporären ad-hoc Fahrten, die einer spontanen Fahrt ohne Speicherung in der Vorstellung entsprechen, und gespeicherten Verwandlungen. Mit diesem Konzept lassen sich Einricht- und Vorstellungsbetrieb auf einfachste Weise auf einem Bildschirm vereinbaren, ohne dass der Bediener Ansichten umschalten oder auf Funktionalität verzichten muss. C⋅A⋅T VIEW – Maschinenansicht Die Maschinenansicht ist eine 2D-Repräsentation der Anlage (siehe Abb. 2.31), die spezifisch für jede Installation und Spielstätte, mitunter auch spezifisch für eine Produktion angepasst wird. Sie entspricht dem C⋅A⋅T VIEW früherer Generation, ist im Gegensatz zu diesem aber keine reine Statusanzeige. In der Maschinenansicht können Antriebe (oder darin hängende Objekte) direkt in freier Fahrt oder mit Zielvorgabe angewählt und einem Fahrhebel zugewiesen werden. Um einen besseren Überblick über die Belegung der Bühnenmaschinerie zu ermöglichen, visualisiert die Maschinenansicht nicht nur die Antriebe, ihre Höhenstände und Fahrtparameter, sondern auch die zusammenhängenden Kulissen samt Höhe, Bezeichnung und gewähltem Icon. Die Maschinenansicht bietet damit jederzeit einen umfassenden Hängeplan für den Bühnenturm. 3D C⋅A⋅T VIEW/3D Visualisierung Je nach Ausstattung der Anlage kann eine einfache 3D Visualisierung der Maschinen oder eine hochwertige realitätsnahe 3D Visualisierung mit Lichtsimulation am Bedienpult angezeigt werden (siehe Abschnitt „Simulation und 3D Visualisierung). C⋅A⋅T STUDIO Das C⋅A⋅T Studio ist die Konfigurations- und Wartungsumgebung der C⋅A⋅T Steuerung. Sie erlaubt je nach Benutzerrechten Zugang zu Muting-Funktionen für Sicherheitsfunktionen und Sensoren, zu den eingebauten Assistenten für die wiederkehren-

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Abb. 2.31: Oben: C⋅A⋅T VIEW Maschinenansicht mit verschiedenen Objekten. Unten: C⋅A⋅T CONTROL Seitenansicht mit verschiedenen Fahrten und Verwandlungen. Bildnachweis: Waagner Biro Stage Systems.

den Prüfungen (teil-automatisierte Bremsenprüfung, Überlasttests, Endschaltertests) oder auch zu den Administrationsseiten. Für Inbetriebnehmer von Waagner-Biro Stage Systems und autorisierten Partnerfirmen beinhaltet das C⋅A⋅T STUDIO zudem umfassende Konfigurations- und Inbetriebnahmewerkzeuge. Nachrichten C⋅A⋅T V5 überprüft kontinuierlich im Hintergrund den Anlagenzustand und die Konsistenz der auf dem Bedienpult aktiven Vorstellung. Störungen im System oder unzu-

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lässige Programmparameter werden sofort und klar mit einem erklärenden Text am Bildschirm angezeigt. In der Nachrichten-Ansicht werden alle aktiven Warnungen mit Navigationsmarkierung gelistet, so dass der Bediener auf Knopfdruck zur betroffenen Stelle springen und das Problem beheben kann, Außerdem werden Nachrichten zwischen den Bedienern und auch Notizen zu bestimmten Sachverhalten (z. B. der Grund für das Sperren eines Antriebs) festgehalten und angezeigt, Im Logbuch werden die Fehlermeldungen und Warnungen aus der Anlage im zeitlichen Verlauf angezeigt. Telemetrie In der C⋅A⋅T V5 Steuerung ist eine Anlagentelemetrie integriert, die über mehrere Monate hinweg alle relevanten Eingangs- und Ausgangs-Daten, Statuswechsel, Bedienaktionen und Bildschirmansichten der Anlage protokolliert und über eine grafische Auswertung zugänglich macht. Mehrere hundert Gigabyte an Daten werden hier vorgehalten, um auch im Nachhinein Störungen oder historische Entwicklungen im Kontext der jeweiligen Bedien- und Anlagensituation analysieren zu können. Hilfe-Seiten Die in der C⋅A⋅T V5 Benutzeroberfläche enthaltene Online-Hilfe umfasst neben dem Benutzerhandbuch und Hinweisen zur Störungsbehebung auch Video-Anleitungen für erste oder seltene Bedienschritte, Änderungsvermerke von Software-Updates und natürlich Kontakthinweise zum lokalen Service-Ansprechpartner. Synchronfahrten und Verwandlungen Möglichkeiten zur Synchronisation CAT bietet verschiedene Optionen an, um das Fahrverhalten der Antriebe innerhalb einer Gruppe vorzugeben: Wenn eine Asynchronfahrt vorgewählt ist, bewegen sich alle Antriebe der Gruppe mit der vom Bediener eingegebenen Geschwindigkeit. Sie erreichen ihre Zielpositionen früher oder später, je nach der zurückzulegenden Wegstrecke. Bei einer Zeitsynchronfahrt erreichen alle Antriebe einer Gruppe ihre Zielpositionen zum selben Zeitpunkt – unabhängig davon, welche Wegstrecke sie dafür zurücklegen müssen. Dazu berechnet CAT für jeden einzelnen Antrieb die Geschwindigkeit im Verhältnis zur Wegstrecke. Bei einer Wegsynchronfahrt bewegen alle Antriebe einer Gruppe gemeinsam einen starren Gegenstand. In einer wegsynchronen Gruppe halten die Antriebe untereinander immer genau dieselben Abstände ein, um das eingehängte Objekt nicht zu beschädigen. Mehrere Fahrten einer Verwandlung, die damit auf einem gemeinsamen Fahrhebel liegen, können so ausgerichtet werden, dass sie gemeinsam starten oder gemein-

304 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen sam enden – und zwar unabhängig davon, ob die Antriebe innerhalb einer Fahrt asynchron, zeitsynchron oder wegsynchron fahren. Somit muss der Bediener nur die jeweilige Zeit- oder Geschwindigkeitsvorgabe für die einzelnen Fahrten machen. Gemeinsam endende Fahrten werden unabhängig von ihrer tatsächlichen Startposition automatisch so verzögert, dass sie mit der individuell vorgewählten Geschwindigkeit oder Laufzeit am Ziel ankommen. In einer Sequenzfahrt können mehrere Fahrten auch unterschiedlicher Antriebe automatisch nacheinander abgespielt werden. Dabei kann der Benutzer entscheiden, ob die Maschinen beim Übergang von einem Sequenzschritt in den nächsten stehen bleiben oder nahtlos in die neue Geschwindigkeit oder Richtung übergehen sollen. Fahrten und Verwandlungen C⋅A⋅T V5 fasst alle Fahrten, die von einem Fahrbefehlsgerät (Fahrhebel, Taster oder Drehrad) gemeinsam gestartet und kontrolliert werden, als eine Verwandlung zusammen. Mehrere Verwandlungen, die zeitgleich oder in engem zeitlichem Zusammenhang gestartet werden, werden zur besseren Orientierung auf einer Seite zusammengefasst. Diese Seiten bilden in chronologischer Abfolge den Zeitverlauf einer Vorstellung ab. Eine Fahrt wird auf der Seitenansicht als eine Zeile dargestellt. Felder für Fahrtparameter wie Beschleunigungsverhalten, Wiederholungen, Verzögerungen, Bedingungen usw. werden dabei üblicherweise ausgeblendet, solange sie Standardwerte enthalten. Damit werden neben den bewegten Antrieben nur Startposition, Zielposition, Geschwindigkeit und Fahrzeit sowie der Objektname und sein Icon – sofern konfiguriert – angezeigt. Soll im Rahmen einer Probe nur ein Ausschnitt der programmierten Vorstellung ausgeführt werden, dann muss der Bediener die korrekte Ausgangsposition für diese Startpunkt der Probe herstellen. Dazu bietet C⋅A⋅T V5 eine automatisch generierte Seite an, die alle dazu notwendigen Fahrten auf Letztposition vor dem Startpunkt anbietet. Objekte und Kulissen Gerade im Repertoirebetrieb von Opernhäusern kommen umfangreiche Kulissenaufbauten zum Einsatz, die mitunter täglich auf- und abgebaut werden müssen. Für eine einfachere und sicherere Handhabung der Dekorationsteile und besser Reproduzierbarkeit von Terminen in den Verwandlungen bietet C⋅A⋅T V5 eine umfassende Unterstützung von Objekten an (siehe Abb. 2.32). Bei der Arbeit mit Objekten werden Termine nicht mehr als Position der Antriebe eingegeben und verwaltet, sondern als Position des Objekts relativ zum Bühnenboden. Dies erlaubt eine exakte Reproduktion der Kulissenposition auch bei wechselnder Anbindung an die Laststange: Beim Einhängen des Objekts in die Antriebe führt der Bediener einmalig auf Knopfdruck eine

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Abb. 2.32: Benutzerführung bei der Referenzierung der neuen Kulissenhöhen. Bildnachweis: Waagner Biro Stage Systems.

Referenzierung der Höhe durch, und kann im Anschluss ohne weitere Anpassungen an der Programmierung sicher die eingestellten Termine anfahren. Mit den Objekten verknüpft sind aber auch zahlreiche weitere Eigenschaften, die der Sicherheit und Übersichtlichkeit dienen: – Die Kulissenhöhe dient nicht nur der Repräsentierung der Kulisse in der 2D/3D Anzeige, sondern begrenzt auch automatisch den Fahrtweg in der freien Fahrt zum Bühnenboden und Schnürboden hin. Da das Objekt an verschiedenen Antrieben mit verschiedenen Abständen befestigt sein kann, bietet C⋅A⋅T V5 einen übersichtlichen und interaktiven Konfigurationsdialog für die Objekthöhe und -anbindung sowie für die Referenzierung an. – Die tatsächliche Last des Objekts an den Antrieben kann eingemessen und hinterlegt werden. C⋅A⋅T V5 kann damit nicht nur eine spezifische Unter- und Überlasterkennung für das Objekt pro Antrieb und in Summe implementieren, sondern auch einen automatischen Lastausgleich auf die voreingestellten Lastwerte pro Antrieb sicherstellen. – Bei großen und schweren oder zerbrechlichen Objekten ist es oft sinnvoll, Maximalwerte für die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des Objektes festzulegen, Diese festgelegten Maximalwerte überschreiben in C⋅A⋅T V5 die zulässigen Grenzwerte für die Antriebe, sobald das Objekt eingehangen wurde. – Ein Name und ein Icon repräsentieren das Objekt in der Seitenansicht und in der Maschinenansicht. – Ein 3D Modell für das Objekt kann je nach Ausführung der 3D Visualisierung vom Benutzer hinterlegt oder aus einer Modellpalette ausgewählt werden.

306 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Simulation und 3D Visualisierung Virtuelle Bühne(n) C⋅A⋅T V5 bietet eine oder mehrere in den Systemservern integrierte virtuelle(n) Bühne(n) an, auf die der Benutzer sein Bedienpult über einen Menüpunkt umschalten kann. Auf der virtuellen Bühne kann er programmierte Fahrten ohne tatsächliche Bewegung der Maschinen für sich alleine oder auch im Zusammenspiel mit anderen Bedienpulten simulieren. Den aktuellen Status der realen Bühne kann er dazu auf Knopfdruck kopieren. 3D Visualisierung Es gibt zwei verschiedene Anwendungsfälle für die 3D-Visualisierung in Steuerungssystemen für die Bühnenautomatisierung. C⋅A⋅T V5 bietet für beide Anwendungsfälle unterschiedliche Lösungen an: – Der Bediener oder Inspizient möchte ein realistischeres Bild von dem Raum haben, der von der Dekoration und der Ausrüstung während einer Aufführung genutzt wird, einschließlich der Objekte, die von Standardinstallationen oder anderen Produktionen übrigbleiben. Die 3D Visualisierung dient der Raumübersicht und wird vollständig intern im C⋅A⋅T V5 System bereitgestellt. Die 3D Visualisierung auf den Bedienpulten stellt dabei ausschließlich die Maschinen und die darin hängenden Kulissen in einem vereinfachten Abbild des Bühnenraums dar. – Das Kreativteam, einschließlich Bühnenbildner, Lichtdesigner und Ausstatter, möchte einen realistischen Eindruck von den Bildern und Verwandlungen auf der Bühne erhalten. Die 3D Visualisierung dient der Vorproduktion und ist sowohl auf den Bedienkonsolen als auch auf einer eigenständigen Workstation für die Produktion verfügbar, die von den Bühnenbildnern und Produktionsdesignern verwendet wird. Neben den C⋅A⋅T V5 Systemservern verfügt die Anlage in diesem Fall über separate 3D-Server, die qualitativ hochwertiges 3D-Rendering des Gebäudemodells, der geflogenen Objektmodelle, der manuell platzierten Objektmodelle, der Beleuchtung und der auf Objekte projizierten oder auf LED Wänden abgespielten Medieninhalte durchführt. Individuell für die verschiedenen C⋅A⋅T V5-Konsolen berechnete Szenen bieten nicht nur eigene Kamerapositionen, sondern erlauben es auch auf jedem Pult einen unterschiedlichen Kontext (reale Bühne mit bestehenden Aufbauten oder virtuelle Bühne mit gewähltem Bild einer Vorstellung) darzustellen. Zusätzlich zu diesem systemintegrierten Rendering ist eine separate 3D-Produktions-Workstation an das externe C⋅A⋅T V5-Netzwerk angeschlossen. Während die Benutzeroberfläche der C⋅A⋅T V5-Konsolen für die Arbeitsabläufe eines Automationsoperators optimiert ist (z. B. Laden einer Dekoration aus dem vorbereiteten Repertoire oder einer Standarddekoration, Ändern eines Blickwinkels, Umschalten von Showlicht auf Arbeitslicht) und automatisch dem Arbeitsablauf auf der Konso-

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le folgt, ist die Benutzeroberfläche der 3D-Produktions-Workstation für Produktionsdesigner gemacht und erlaubt es, neue Dekorationsobjekte zu laden, sie auf der Bühne zu platzieren, Unterbilder für die manuelle Handhabung von Objekten zu erstellen oder geänderte Beleuchtungsvoreinstellungen zu speichern und vieles mehr. Um all diese Vorproduktionsarbeit direkt dem Automatisierungsteam zur Verfügung zu stellen, werden die Showdatenbanken von C⋅A⋅T V5 und dem 3D-Produktionssystem automatisch synchronisiert. Licht- und Medienwiedergabe können dabei ebenfalls in Echtzeit vom Lichtpult empfangen und in der Simulation wiedergegeben werden. 3D Flugwerke Die C⋅A⋅T V5 Steuerung unterstützt 3D Flugsysteme auf mehreren Punktzügen in Form von 3D Gruppen, die vor allem in den Akrobatik-Showtheatern in China eingesetzt werden, aber auch verschiedenen Theaterbühnen in Europa zur Verfügung stehen. Beim Anlegen einer 3D Gruppe in der Steuerung muss der Benutzer am Bedienpult zunächst die exakt eingemessenen 3D-Koordinaten der eingesetzten Schwenkrollen und die Seilführung dorthin konfigurieren, damit das System automatisch den zulässigen 3D-Bewegungsraum mit den verfügbaren Seillängen berechnen kann. Außerdem muss er angeben, wie die Seile am geflogenen Objekt angeschlagen sind. Nach dieser Vorarbeit kann der Benutzer 3D Koordinaten für das Objekt direkt am Bedienpult eingeben und anfahren. Je nach Konfiguration des Flugsystems mit 2 bis 8 Punktzügen sind Bewegungen in den und/oder Rotation um die Achsen möglich. Sollen komplexere Bewegungsabläufe durchgeführt werden, dann gibt es die Möglichkeit die Flugbewegung mittels eines separaten 3D Joysticks frei Hand zu fliegen und aufzuzeichnen, oder sie in einem eigens dafür entwickelten 3D Editor zu skizzieren und editieren. Der Editor kann dabei ein 3D Modell der Bühne samt Einbauten darstellen, um die Orientierung beim Editieren der Flugbewegungen zu verbessern. Sollen mehrere 3D Flugwerke gleichzeitig genutzt werden, kann der Editor genutzt werden um Kollisionen zwischen den geflogenen Personen oder Objekten und den aufgespannten Seilsystemen zu erkennen und bei Bedarf zu korrigieren. Die Flugkurven aus dem 3D Editor stehen in der C⋅A⋅T V5 Steuerung als aufgezeichnete Profilfahrten zur Verfügung, die in der Vorstellung wie jede andere Fahrt vom Bedienpult aus gestartet und kontrolliert werden können. Schnittstellen zu anderen Gewerken Echtzeit-Positionsdaten Um die Verfolgung von durch die Bühnensteuerung bewegten Objekten in der Beleuchtung und das korrekte Ausrichten von LED- und Projektionsinhalten auf bewegten Objekten zu vereinfachen, implementiert C⋅A⋅T V5 verschiedene StandardProtokolle für die Echtzeitübertragung von Maschinen- und Objektpositionen, unter anderem PosiStage.Net, s/ACN und ArtNet. Waagner-Biro Stage System kann jedoch auch individuelle Protokolle in Abstimmung mit den Kunden implementieren.

308 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Vorstellungs-Automatisierung Da die C⋅A⋅T V5 Bühnensteuerung auch in Anwendungen zum Einsatz kommt, wo eine fest vorgegebene Vorstellung automatisiert abläuft, unterstützt C⋅A⋅T V5 verschiedene Möglichkeiten zum Starten von Verwandlungen über externe Signale (z. B. SMPT/E Timecode) und automatisches Weiterschalten innerhalb einer Vorstellung, Der Bediener muss in diesem Fall in den meisten Fällen die Fahrten jedoch zusätzlich über den Zustimmtaster im Pult freigeben.

2.5.7 COSTACOwin – Steuerung der Firma SBS Aufbau des Systems zur Bedienung der Antriebe Das COSTACOwin® -Steuerungssystem beinhaltet die gesamte Hard- und Software zur Steuerung aller Antriebe auf der Bühne. Sie steuert alle Bewegungsabläufe der Oberund Untermaschinerie, der Szenentechnik bis hin zu Sonderantrieben, unabhängig, ob elektrisch oder hydraulisch, geregelt oder mit fester Geschwindigkeit. Der modulare Aufbau gewährleistet höchste Sicherheit. Das Steuerungssystem ist gemäß dem internationalen Sicherheitsintegrationslevel 3 (SIL 3) nach IEC 61508 (DIN EN 61508) zertifiziert. Seine Flexibilität macht auch Erweiterungen problemlos möglich. Alle Komponenten – etwa Zentralrechner, Achsrechner, Netzwerk – können redundant ausgeführt werden, im Gesamtsystem oder auch einzeln. Die Architektur mit zentraler Serverebene erlaubt es externe Steuerungen einzubinden (bspw. Kettenzugsteuerungen, SPS, Sicherheitseinrichtungen etc.) und kennt keine Begrenzung hinsichtlich der Zahl eingebundener Bedienpulte oder anzusteuernder Achsen. Das COSTACOwin® -Steuerungssystem ist in drei Ebenen gegliedert: – Bedienebene, – Serverebene und – Antriebsebene. Bedienebene Die Bedienebene bildet die Schnittstelle zwischen dem Bediener (Mensch) und dem COSTACOwin® - Steuerungssystem (siehe Abb. 2.33). Für die Bedienung stehen vier verschiedene Pultausführungen zur Verfügung: – das Hauptbedienpult SCOUT Eagle – das Nebenbedienpult SCOUT Milan – das tragbare Bedienpult SCOUT Hawk – in Funkausführung SCOUT Hawk radio – und das Serviceterminal SCOUT Merlin. Die Pulte arbeiten mit dem Betriebssystem Windows® embedded. Dabei handelt es sich um ein bewährtes System mit hoher Stabilität in industriellen Anwendungen.

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Abb. 2.33: COSTACOwin® Steuersystem: Pulte. Bildnachweis: SBS.

Die Bedienoberfläche ist für den Betrieb auf mehreren Bildschirmen konzipiert und durchgängig auf die Bedienung via Touchscreen ausgerichtet. Dank der übersichtlichen Struktur und der bis zu 4 konfigurierbaren Widgets je Bildschirm behält der Bediener immer den Überblick. Die Systematik führt den Bediener durch die verschiedenen Ansichten und ermöglicht mit wenigen Befehlseingaben einfache Fahrten bis hin zur Programmierung komplexer Bewegungen. Einzelne Elemente wie Maschinen, programmierte Fahrten lassen sich einfach mittels Drag n‘ Drop zwischen den einzelnen Widgets austauschen. Nicht benötigte Funktionen und Parameter werden ausgeblendet. Die konfigurierbaren bis zu 4 Widgets eines Bildschirms, deren Inhalt und Größe konfigurierbar sind, erlauben das Navigieren im Bediensystem ohne die Orientierung zu verlieren. Die Bedienoberfläche bietet verschiedene Ansichten wie bspw. Fahrtabelle, Seiten- und Topographieansicht, zwischen denen einfach gewechselt werden kann. Das erlaubt einen fokussierten Blick auf den aktuellen Prozess und zugleich den schnellen Wechsel auf die Gesamtansicht.

310 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen SCOUT Eagle ist ein modular aufgebautes Hauptbedienpult. Es kann entsprechend des Kundenwunsches angepasst werden. Externe Elemente wie Sprechanlage und Haustechnik sind leicht integrierbar. Die Ausstattung mit mindestens vier Fahrhebeln und zwei unabhängigen Bildschirmen erlaubt den Multi-User-Betrieb. SCOUT Milan ergänzt das Hauptbedienpult als mobiles Nebenbedienpult. Auf kleinen und mittleren Bühnen kann es als Hauptbedienpult eingesetzt werden. SCOUT Hawk ist ein leichtes, tragbares Nebenbedienpult. Große Akkulaufzeiten ermöglichen durchgängiges Arbeiten. In der kabellosen Ausführung als SCOUT Hawk radio arbeitet das Pult mittels Funkverbindung als vollwertiges Bedienpult. SCOUT Merlin ist ein Serviceterminal, entwickelt für Prüf- und Reparaturarbeiten. Es wird direkt an den Antrieb angeschlossen und ermöglicht hier einfache gesteuerte Fahrten auf Sicht, unter vollständiger Umgehung der Computersteuerung. Individuelle Parameter können über Taster und Potentiometer eingegeben werden. Universalsteckstelle Die Universalsteckstelle SCOUT 100 verbindet die Bedienpulte mit dem Steuerungssystem. Das An- und Abstecken der Pulte kann im laufenden Betrieb erfolgen. Jede Universalsteckstelle ist mit Not-Aus-Kontakten für den Not-Aus-Taster des jeweiligen Pultes ausgestattet. COSTACOwin® erlaubt den Einsatz beliebig vieler Universalsteckstellen und damit den flexiblen Einsatz der SCOUT Bedienpulte. Serverebene Die Serverebene umfasst die Komponenten: – Zentralrechner, – Datenbanksystem, – Fernwartung – Datenlogger und – Netzwerk. Zentralrechner Der Zentralrechner verarbeitet alle systemübergreifenden Rechen- und Sicherheitsprozesse. Dafür kommt ein Echtzeitbetriebssystem mit besonderer Auslegung für sicherheitskritische industrielle Anwendungen zum Einsatz. Parallel zum Zentralrechner berechnet ein Sicherheitsrechner die Bewegungsvorgaben mittels anderer Methoden. Anschließend werden die Ergebnisse der beiden Berechnungen verglichen und im Fehlerfall die Anlage abgeschaltet. Das Datenmanagement erfolgt in einem Datenbanksystem. Dieses speichert alle System-, Standard- und Anlagendaten sowie Nutzerinformationen. Zusätzlich können auch Updates der Bediensoftware im System verteilt und Servicedaten abgerufen werden.

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Fernwartung Die Fernwartung ermöglicht den effizienten Zugriff von SBS-Spezialisten, um Probleme schnell zu analysieren und zu beheben. Das gilt für alle rechnerbasierten Komponenten wie Server, Datenbanksystem, Bedienpulte und Achsrechner. Datenlogger Beim Datenlogger handelt es sich um ein Speichermodul zur Aufzeichnung sämtlicher Bewegungs-, Nutzungs- und Fehlerdaten der Anlage über einen längeren Zeitraum (konfigurierbar; mehrere Wochen, Monate je nach Nutzungsszenario). Damit können gezielte Einsatz- und Fehleranalysen einzelner Maschinen oder der gesamten Anlage durchgeführt werden, um ein besseres Verständnis für die Nutzung der maschinentechnischen Ausrüstung zu erhalten. Der Zugriff erfolgt mittels eines separaten Bedienprogramms und ist somit unabhängig vom Vorstellungs- und Probenbetrieb. Netzwerk Das Netzwerk dient der sicheren Verbindung aller Steuerungskomponenten. Es umfasst zwei Segmente: – ein Standard- Ethernet als Verbindung von Server- und Bedienebene, sowie – ein industrielles Echtzeitnetzwerk (Realtime Network) zur Verbindung von Serverund Antriebsebene. Antriebsebene Die Kernkomponente der Antriebsebene ist der Achsrechner. Dieser steuert die Maschinenbewegungen auf Basis der Sollwertvorgaben des Bedieners und der individuellen Maschinenzustände. Es handelt sich dabei um einen industriellen Anlagenrechner, der für den Einsatz im Theaterbetrieb konzipiert ist. Zudem bietet der Achsrechner eine redundante Busankopplung und ist innerhalb weniger Minuten austauschbar. Aufgrund der Ringstruktur des Echtzeichtnetzwerkes ist bei Fehlern nur eine Achse betroffen, es gibt keinerlei Rückwirkung auf das System insgesamt. Die Integration von Fremdanlagen (elektrisch, hydraulisch, Sicherheitseinrichtungen etc.) ist möglich. Der zweikanalig aufgebaute Achsrechner verfügt über zwei unabhängige Controller, welche die Berechnung aller Bewegungs- und Sicherheitsfunktionen parallel ausführen. Er erfasst alle analogen und digitalen Ein- und Ausgangssignale des jeweiligen Antriebs und löst die entsprechenden Fahr- und Sicherheitsfunktionen aus. Der Achsrechner ist universell einsetzbar und wartungsfreundlich aufgebaut. Alle elektrischen Anschlüsse sind steckbar, was einen einfachen Austausch des Gerätes ermöglicht. Die Achsrechner eines Steuerungssystemes bilden in Kombination mit dem Zentralrechner/Sicherheitsrechner ein mehrfach abgesichertes deterministisches System, das systematische Fehler ausschließt.

312 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Schaltschränke Die elektrische Anlage kann konzentriert, mit Schaltschränken an wenigen zentralen Orten, oder dezentral aufgebaut sein. Der Antriebsschrank SCUBE ist die Basis für den dezentralen Systemaufbau. Die kompakten Abmaße dieses Schaltschrankes ermöglichen eine Montage direkt an der Maschine. Jeder Antrieb ist steckbar mit seinem eigenen Antriebsschrank verbunden. Die wesentlichen Vorzüge von SCUBEs sind deren variable Einsetzbarkeit, geringer Installationsaufwand, verkürzte Inbetriebnahmezeiten und Minimierung von Interferenzen. Einige Details zur Bedienoberfläche – Im Hauptmenü sind die typischen Verwaltungsfunktionen des Systems zu finden u. a. Import- und Exportfunktionen, das Laden und Speichern von Vorstellungsdaten. – Die Statusleiste zeigt, in welchem Modus (Live, Vorstellung, Simulation) die Steuerung gerade arbeitet, welcher User angemeldet ist, sowie die bestehenden Verbindungen zu Zentralrechner und Datenbank. – Mit Hilfe der Navigationsleiste bewegt sich der User mit einem Klick zu den verschiedenen Ansichten. Neben der maßstabsgerechten Seitenansicht mit einstellbarer Sichtlinie sind optional auch 3D-Ansichten sowie kunden- und anlagenspezifische Ansichten möglich. Die für den Theaterspielbetrieb wichtigsten Ansichten sind die Topographieansicht und die Programmieransicht. In dieser kann der vorgesehene Ablauf der Maschinenbewegungen einer Vorstellung programmiert oder modifiziert werden. – Funktionen und Informationen, die unabhängig von der Ansicht benötigt werden, sind stets in der globalen Funktionsleiste im unteren Bildschirmbereich zu sehen: z. B. die An- und Abwahl von Fahrhebeln und Meldungen des Systems. Vorstellungsaufbau Die Programmierung einer Vorstellung folgt einer klaren Systematik. Diese umfasst vier Ebenen: – In der untersten Ebene 1 (= Antriebe) finden sich alle Antriebe mit ihren jeweiligen Parametern. – In Ebene 2 (= Gruppen) werden Antriebe zu Gruppen zusammengefasst und mit Fahrparametern und Abhängigkeiten parametriert. Eine Gruppe kann beliebig viele Antriebe enthalten. – In Ebene 3 (= Bilder, Verwandlungen) werden Gruppen zu Bildern zusammengefasst und weiter spezifiziert. Ein Bild kann beliebig viele Gruppen enthalten. – Die Ebene 4 = Vorstellung beinhaltet eine sequentielle Abfolge von Bildern, welche nacheinander abgefahren werden. Die Anzahl der zu integrierenden Bilder ist unbegrenzt. Sofern vom Bediener bzw. Inspizienten gewünscht, können die Bilder auch in freier Abfolge aufgeführt werden. Außerdem ist es möglich einzelne

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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Bilder zu überspringen, zu wiederholen oder zu einem anderen Zeitpunkt aufzuführen. Das System bietet somit vielfältige Flexibilität, um auf die Anforderungen der individuellen Vorführung zu reagieren. Fahrfunktionen Zu den Basisfunktionalitäten, die in jeder Ansicht zur Verfügung stehen, gehören: – Fahrt zwischen betrieblichen Endstellungen (Betriebsenden) – Fahrt zwischen beliebigen programmierten Grenzen – Zielfahrt (Eingabe eines Zahlenwertes oder eines Markers) – Differenzfahrt (spezifizierte Entfernung zur derzeitigen Position). Alle Fahrfunktionen, die über die Basisfunktionalitäten hinausgehen, sind über die Ansicht der Fahrtabelle realisierbar. Das betrifft z. B. die Gruppe der Synchron- und Effektfahrten. Synchronfahrten Bei asynchronen Fahrten werden alle Antriebe einer Gruppe mit der vorgegebenen Geschwindigkeit verfahren. Jeder Antrieb erreicht sein Ziel entsprechend seiner Fahrparameter, ohne Berücksichtigung der übrigen Gruppenteilnehmer. Die asynchrone Gruppenfahrt kann zusätzlich mit einer Überwachungsfunktion auf Gruppenebene ausgestattet werden. Bei zeitsynchronen Fahrten erreichen alle Antriebe der Gruppe zeitgleich ihr Ziel, unabhängig von der jeweiligen Wegstrecke. Die jeweilig notwendige Geschwindigkeit wird durch das Bediensystem automatisch errechnet. Bei wegsynchronen Fahrten fahren alle Antriebe einer Gruppe die gleiche Strecke. Dabei werden die Abstände zueinander entsprechend der Programmierung genau eingehalten, um etwa eine Dekoration zu bewegen, die von mehreren Antrieben getragen wird. Effekte Das sind Gruppenfahrten, deren Abhängigkeit definiert wird, um bestimmte Bewegungseffekte zu erzielen. Zum Standardprogramm gehören folgende Effekte: Die Strahlenfahrt verbindet mehrere Antriebe in einer Gruppe. Der Anwender muss nur die Parameter des ersten und des letzten Antriebs definieren. Die Start-, Zielwerte und Geschwindigkeiten der übrigen Antriebe dazwischen passen sich automatisch an. Die Stützpunktfahrt fasst einzelne Antriebe oder eine Gruppe von Antrieben zusammen und führt diese entsprechend des programmierten Zeit-/Geschwindigkeits-/ Positionsprofils. Grafische Darstellungen der resultierenden Fahrkurven und des Geschwindigkeitsverlaufes jedes Antriebs bilden Verlauf und Ergebnis der Stützpunkt-

314 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen fahrt ab. Die Parametrierung erfolgt über ein Dialogfenster und/oder mittels grafischer Editierung der einzelnen Stützpunkte. Die Oszillationsfahrt führt einzelne Antriebe oder eine Gruppe von Antrieben innerhalb eines vorgegebenen Intervalls zwischen Start und Ziel (Oszillationsfaktor). Vom Bediener einzugebende Parameter sind die Anzahl der Wiederholungen oder die Zeit der Durchführung der Oszillation. Erweiterte Funktionen COSTACOwin® bietet eine Vielzahl weiterer Funktionen: Die Kulissenverwaltung hält Bühnenbilder mit deren spezifischen Parametern in einer Datenbank. Die Kulissen können einer oder mehreren Vorstellungen zugeordnet sein. Das ermöglicht ein schnelles Auffinden und die Wiederverwendung von Dekorationen. Die Hängeplanverwaltung bildet den Soll-Zustand der Bühne hinsichtlich der verwendeten Kulissen ab. Dieser verbindet Antriebe mit den verschiedenen Kulissen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Antrieb oder die Kulisse in der aktuellen Vorstellung Verwendung finden. Die Nutzerverwaltung enthält die Daten aller Nutzer, deren Zugangsberechtigungen und die jeweilige Zuordnung der berührungslosen magnetischen Authentifizierungsschlüssel an den Bedienpulten. COSTACOwin® verfügt zudem über eine komfortable Umschaltung verschiedener Sprachen zur Laufzeit der Software. Druck-Funktion, individuelle Pultnachrichten, Taschenrechner, Kontextabhängiges Hilfesystem, Onboard-Dokumentation sowie eine flexible USB-Schnittstelle für Import/Export-Funktionen runden den Umfang dieser Bühnensteuerungssoftware ab. VISTOR – 3D-Visualisierung Die Visualisierungsumgebung VISTOR bietet die Möglichkeit alle Bewegungen des Bühnenbildes über die gesamte Vorstellung hinweg und unter Einbeziehung der Lichttechnik virtuell darzustellen und zur erproben. So können beispielsweise Kollisionen erkannt und durch Änderung der Programmierung vermieden werden. VISTOR kann damit sowohl bei der Entwicklung eines Vorstellungsablaufes als auch zur Überprüfung der Programmierung eingesetzt werden. Die 3D-Visualisierung umfasst alle Elemente: die Bühnenmaschinerie, das Bühnenbild und die Dekorationen, die szenische Beleuchtungstechnik sowie das Bühnenhaus mit dem Zuschauerraum und ermöglicht somit frühzeitig einen realitätsnahen Eindruck einer zukünftigen Vorstellung. Vistor simuliert, wie sich reale Objekte auf der Bühne aufgrund physikalischer Gesetze verhalten. Die 3D-Visualisierung bezieht auch die Lichttechnik mit ein. Die Visualisierung emuliert die realen Maschinen der Bühnentechnik und ist mit der Bühnensteuerungssoftware COSTACOwin® koppelbar.

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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Die 3D-Visualisierung zeichnet sich aus durch: Echtzeit-Visualisierung realitätsnahe Physiksimulation extrem detailgetreu frei wählbare Blickposition einfache Dekorationsverwaltung (Dekorationsimport aus CAD-Daten) Kollisionserkennung zwischen allen Elementen einfache Vorstellungs- und Szenenverwaltung (Szenenimport) verschiedene, frei wählbare Ansichten Möglichkeit der Überblendung einer Visualisierung mit Realbildern optimale Integration der Szenerie von Gastspiel- und Roadshowequipment.

Automatische Verfolgung COSTACOwin® stellt erstmals eine Lösung bereit, die es Licht-, Ton- und Videotechnik ermöglichen, mit Positionsdaten der Bühnensteuerung elegant zu arbeiten und darauf zu reagieren. COSTACOwin® stellt diese Positionsdaten in entsprechenden Formaten zur Verfügung: beispielsweise Art-Net für Licht- und Video, OSC für Ton und für Kameraprotokolle. Die Verzahnung mit den Bühnenbewegungen bietet die Möglichkeit der automatischen Anpassung von Licht, Ton und Video an die Veränderungen auf der Bühne. Die automatische Verfolgung ermöglicht beispielsweise die Bewegung einer Videowand bei laufender Projektion. Die Verfolgerautomatik ändert z. B. wunschgemäß Licht und Farbe des Mondes, obwohl sich dieser über die Bühne bewegt, aufsteigt und sinkt. Fazit Das Bühnensteuerungssystem COSTACOwin® bietet sämtliche Funktionen, die für einen sicheren und produktiven Bühnenbetrieb in Theatern, Opern- und Konzerthäusern sowie Musicaltheatern notwendig sind. Vorstellungsabläufe können mittels einer Vielzahl verschiedener Ordnungsebenen und Fahrtparameter an die Erfordernisse des jeweiligen Stückes angepasst werden. Zudem bieten spezielle Effekte Programmiermakros, mit deren Hilfe komplexe Bewegungsabläufe schnell und einfach parametrierbar sind. Aufgrund seiner dezentralen Struktur kann COSTACOwin® gleichzeitig von mehreren Bedienern bedient und programmiert werden. Verschiedene Pultbaureihen stehen zur Auswahl. Somit können vom Stadttheater bis zum Musicaltheater alle Nutzeranforderung erfüllt werden. 2.5.8 Leittechnik SYB 3.0 der Firma Bosch Rexroth Seit mehr als vier Jahrzehnten steht Rexroth weltweit für maßgeschneiderte bühnentechnische Lösungen – angefangen bei wegweisenden Kulturneubauten über

316 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Funktions- und Substanz erhaltende Sanierungen bis hin zu Modernisierungen innerhalb kurzer Spielpausen. In Abb. 2.34 ist die Entwicklung der Bosch Rexroth Leittechnik veranschaulicht und im Folgenden wird das Leittechniksystem SYB 3.0 näher erläutert.

Abb. 2.34: 41 Jahre Leittechnik Bosch Rexroth. Bildnachweis: Bosch Rexroth AG.

Die Abbildung zeigt die Entwicklung von mechanischen Schalterelementen bis zum modernen Touch- und Multitouch-System. Das System SYB 3.0 verbindet elektrische, hydraulische und hybride Antriebstechnologie mit moderner elektronischer Leittechnik, welche speziell für die Bühnentechnik ausgelegt ist. Das System ist dezentral mit redundanten Komponenten aufgebaut. Antriebs- und Steuerungstechnologien sind Eigenentwicklungen und garantieren hohe Sicherheit und Verfügbarkeit in Bosch Qualität. Durch die streng modulare Konzeption deckt das Leittechniksystem die Anforderungen jeder Bühne ab und ermöglicht auch nachträglich Erweiterungen mit minimalem Aufwand. Bis zu 700 Antriebe und 16 Bedienpulte können eingebunden werden. Das SYBNet ist ein eigenentwickeltes, deterministisches und industrielles Ethernet-Netzwerk. Mit einer Übertragungsrate von bis zu 1 GBit/s bietet es Echtzeitkommunikation mit einer hohen Bandbreite für den Informations- und Datenaustausch. Das schafft Raum für erweiterte Funktionen. Die SYB 3.0 unterstützt darüber hinaus

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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Standardfeldbusse für die nahtlose Einbindung weiterer Komponenten. Das Ergebnis ist eine hohe Synchronisationsgenauigkeit für optimal aufeinander abgestimmte Bewegungen. Die Bühnenleittechnik bietet daneben alle Möglichkeiten, auch Licht- und Tontechnik sowie weitere Komponenten außerhalb der eigentlichen Bühnenautomatisierung komfortabel einzubinden. Die Leittechnik SYB 3.0 gliedert sich in die Betriebsebenen Bedien-, Steuerungsund Antriebsebene (siehe Abb. 2.35).

Abb. 2.35: Die drei Betriebsebenen der Leittechnik. Bildnachweis: Bosch Rexroth AG.

Die Bedienebene oder das HMI stellt die Schnittstelle zwischen Bediener und dem SYB-Steuerungssystem dar und umfasst folgende Komponenten: – Bedienpulte SC5 und CPII – Regiecomputer RC und Statusmonitor SM – VPN Remote Zugang – Zentraler Speicher (NAS – RAID 1).

318 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen Die Steuerungsebene umfasst: – Pultrechner (Redundanter Master Controller MC) – Achsrechner BLE (Redundanter Achs-Controller AC)) – Busmaster (BM) – Sicherer Speicher (Data Concentrator DC). Darunter ist die Antriebsebene dargestellt, das können sein: – Frequenzgeregelte Elektromotore (Asynchron- und Servomotore) – Frequenzgeregelte elektromechanische Linearantriebe (EMA) – Frequenzgeregelte hydraulische Linearachsen (EHZ, Cytro Force, autarke Achsen) – Ventilgeregelte Hydromotore – Ventilgeregelte Hydrozylinder – Frequenzgeregelte Hybrid-Antriebe. Das System ermöglicht die Synchronisation von über 128 Achsen je Gruppe. Ein besonderer Vorteil dieser Struktur: Sie reduziert die Komplexität, der Austausch von Steuerungsmodulen vor Ort erfordert keine zusätzlichen Einstellarbeiten. Alle Antriebsund Steuerungstechnologien wurden von Bosch Rexroth entwickelt. Die Bedienung der gesamten Leittechnik erfolgt durch die sehr kompakten 22′′ SC5 Bedienpulte sowie durch die kleinere Ausführung CPII. Das kompakte CPII-Pult bietet die gleiche Benutzeroberfläche und den gleichen Funktionsumfang (Ausnahme 1 Fahrhebel und keine SYB Keys) wie das SC5-Pult und ist auch als WiFi Variante erhältlich. (Abb. 2.36)

Abb. 2.36: SYB SC5 und CP II Bedienpulte. Bildnachweis: Bosch Rexroth AG.

SYB SC5 auf einen Blick – 22′′ kapazitiver 10 Punkte Multitouch mit Gestenunterstützung – Full HD Auflösung – Kompakte Abmessungen B × H × T in mm: 600 × 460 × 60 – Extrem Leistungsstark dank Intel Core i7 Prozessor

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe



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4 Start- und Startinvers-Taster zum Starten von programmierten Bewegungen. Zusätzlich Bremsen/Beschleunigungen von einzelnen Bewegungen (Override Funktion) Völlig geräuschlos und wartungsfrei ohne Lüfter dank innovativem Kühlkonzept und somit optimiert für den akustisch anspruchsvollen Bühnenbereich Erweiterbar um einen zweiten 22′′ -Multitouch-Monitor, Schwanenhalslampe und konfigurierbaren SYB Frames SYB Keys → kontextgesteuerte, taktile LCD-Tastatur mit 32 Tasten 2 sichere Fahrhebel mit Hall-Sensorik zum Starten von Bewegungen und zum Bremsen/Beschleunigen von programmierten Bewegungen (Summen Override Funktion) Standard VESA Aufnahme zur Befestigung an Halteaufnahmen (Mobilwagen, Schienensystem, Schwenkhalterungen u. v. m.) Gewicht: 13,3 kg.

SYB CP II auf einen Blick: – 13,3′′ kapazitiver 10 Punkte Multitouch mit Gestenunterstützung – Full HD Auflösung – Extrem kompakte Abmessungen B × H× T in mm: 402 × 320 × 62 – 4 Start- und Startinvers-Taster zum Starten von programmierten Bewegungen. Zusätzlich Bremsen/Beschleunigungen von einzelnen Bewegungen (Override Funktion) – 1 sicherer Fahrhebel mit Hall-Sensorik zum Starten von Bewegungen und zum Bremsen/Beschleunigen von programmierten Bewegungen (Summen Override Funktion) – Kabelgebunden oder WLAN – Ins Gehäuse integrierter Griff für den mobilen Betrieb – Standard VESA Aufnahme zur Befestigung an Halteaufnahmen (Mobilwagen, Schienensystem, Schwenkhalterungen u. v. m.) – Gewicht: 4 kg. Das SYB SC5 Grundgerät kann jederzeit um ein zweites 22′′ -Multitouch-Display, sowie unterschiedliche SYB Frames, auch nachträglich erweitert werden (siehe Abb. 2.37): Das SC5 bietet mit den SYB Keys eine integrierte, kontextgesteuerte LCD-Tastatur unterstützend zur bisherigen Touchbedienung. Die multifunktionale Belegung der LCD-Tastatur (Abb. 2.38) vereint die Vorteile von Touchbedienung und taktiler Tastatur. Zum einen kontextbezogene, flexible Bedienung zum anderen haptisches Feedback und kurze Wege. Neben dieser Weiterentwicklung der Bedienpulte nutzt Bosch Rexroth modulare Erweiterungsbausteine, sogenannte SYB frames (Abb. 2.39). Die Bedienpulte lassen

320 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen

Abb. 2.37: SYB SC5 mit zweitem 22′′ -Multitouch-Display. Bildnachweis: Bosch Rexroth AG.

Abb. 2.38: Kontextgesteuert LCD Tastatur.

Abb. 2.39: SC5 Bedienpult inklusive zweitem Bildschirm und Frames.

sich auch nachträglich durch SYB Frames erweitern. Neben standardisierten Varianten mit zusätzlichen Fahrhebeln, Drehpotis, Signalleuchten, Schwanenhalslampe etc. sind auch kundenspezifische SYB-Frames möglich.

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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Die Leittechnik SYB 3.0 bietet insbesondere die Möglichkeit, eine Vielzahl höchst unterschiedlicher, szenischer Bewegungsabläufe bis hin zu kompletten Vorstellungen zu programmieren, zu simulieren und zu archivieren. Es ermöglicht das zeitgleiche Arbeiten mehrerer Personen an einer Vorstellung oder verschiedenen Vorstellungen. So können ein oder mehrere Bediener Bewegungsabläufe programmieren, während parallel Fahrbewegungen ausführt werden können. Die Mehrbenutzerfähigkeit an allen Bedienpulten schafft Flexibilität, spart Zeit und erhöht damit die Effizienz. Dabei unterstützen intelligente Funktionen die sichere und schnelle Realisierung komplexer Verwandlungen und Vorstellungen. Beispielsweise sorgt die Autokorrektur stets sehr praktikabel für die gewünschte, exakte Positionierung von Kulissen, auch für den Fall, wenn sich die Höhenstände der Antriebe durch andere Anschlagmittel verändert haben. Das erspart aufwändiges manuelles Anpassen von Bewegungsabläufen innerhalb bereits programmierter Vorstellungen. Die Einricht-Funktion unterstützt den Nutzer beim Springen zwischen bestehenden Bewegungsabläufen und programmierten Verwandlungen während des Probebetriebs, indem der Nutzer alle Antriebe und deren Ziele angezeigt bekommt, welche noch nicht in ihrer richtigen, aber notwendigen Position stehen und kann diese Bewegungen per Knopfdruck laden und so korrigieren, dass die Probe an neuer Stelle fortgesetzt werden kann. Zahlreiche weitere Funktionen wie etwa die Kulissendatenbank, die Schnürbodenverwaltung, flexible Verwandlungsstrukturen sowie das kulissenorientierte Programmieren und Bedienen vereinfachen die Umsetzung komplexer Abläufe und somit den Umgang mit der Technik. Die Möglichkeit der Anbindung externer Systeme wird über entsprechende, zusätzlich Eingänge zur Verfügung gestellt. So sind synchronisierte Bewegungsabläufe der Maschinerie mit Licht- und Tontechnik über gemeinsame Trigger (z. B. Time Code), sowie die Vernetzung zu anderen Gewerken über standardisierte Schnittstellen wie z. B. Streaming ACN (sACN) oder PosiStageNet (PSN) realisierbar. Die Rexroth-Bühnenleittechnik SYB 3.0 bietet in jeder Konfiguration höchste Sicherheit. Eine diesen Anforderungen angepasste Sensorik und zahlreiche Softwarefunktionalitäten der Rexroth-Bühnensteuerung verhindern, dass es zu gefährlichen Situationen kommen kann. So unterstützt der Kollisionsassistent Bediener dabei, Bewegungen im Verbund sicher auszuführen. Die Software warnt vor und während der Fahrt vor Konflikten und gibt dem Bediener genügend Zeit zu reagieren. Die Bühnenleittechnik zeigt auf allen Bedienpulten und zusätzlich an zentraler Stelle den Betriebszustand der gesamten Anlage an. Sie sammelt und verwaltet Bedieneingaben, Betriebsdaten, Systeminformationen und Fehlermeldungen. Das integrierte Expertensystem vereinfacht über eine regelbasierte Auswertung die Identifizierung von Fehlerursachen und steigert so die Verfügbarkeit. Über eine sichere InternetVerbindung können im Falle von auftretenden Fehlern schnelle Ferndiagnosen erstellt und Bediener vor Ort unterstützt werden. Ein berührungsloses Transpondersystem schützt vor unautorisiertem Zugriff, stellt verschiedene Berechtigungen ein und individualisiert die entsprechende Bedienstelle. Der Bediener kann seine Arbeit unterbrechen, sich abmelden und gege-

322 | 2 Antriebe bühnentechnischer Anlagen benenfalls an einem anderen Pult, nach erforderlicher Anmeldung, fortsetzen. Über ein Administrationstool werden die Berechtigungen vom Kunden definiert und eingestellt. Sowohl Funktionen als auch Zugriffe auf Antriebe können eingeschränkt werden. Drei Betriebsmodi decken alle Aufgaben ab: – Hand-Modus: Stellt die Grundfunktionen und Parameter bereit, wie sie für einfache Bühnenarbeiten und Einricht-Betrieb benötigt werden. – Automatik-Modus: Stellt die Funktionen und Parameter bereit, um im Vorstellungsbetrieb sowie im Probe- und Einricht-Betrieb komplexe Fahrbewegungen zu programmieren, abzufahren und zu kontrollieren. Fahrbewegungen, Verwandlungs- und Kulissendaten können angelegt und strukturiert in Vorstellungsdatenbanken gespeichert werden. – Offline-Modus: Stellt größtenteils die gleichen Funktionen und Parameter bereit, wie sie im „Automatik-Modus“ zu finden sind, jedoch können keine Fahrbewegungen ausgeführt werden. Komplexe Fahrbewegungen, Verwandlungs- und Kulissendaten können angelegt und strukturiert in Vorstellungsdatenbanken gespeichert werden, ohne das System zu belegen. Einen besonderen Fokus legt Bosch Rexroth auf Basis des aktuellen Standes der Technik auf die Funktionale Sicherheit und erfüllt damit die geltenden normativen Vorschriften, insbesondere die EN 17206. Oberste Zielsetzung ist die Gewährleistung der Sicherheit aller Akteure auf und im Umfeld der Bühne sowie eine größtmögliche Verfügbarkeit der Anlage für einen störungsfreien Spielbetrieb. Im Informationscenter befindet sich der PDF Viewer. Hier sind standardmäßig die Funktionsbeschreibung, Kurzbeschreibung, Anlagenbeschreibung und Hilfefunktionen integriert. Auf diese Dokumente sowie nutzerspezifische PDF Dokumente kann einfach und intuitiv zugegriffen werden. Verschiedene Anzeigestufen ermöglichen die arbeitsbegleitende Anzeige sowie die Anzeige im Vollbildmodus. Des Weiteren befindet sich auch der Nachrichtendienst im Informationscenter. Hier können Nachrichten an Personen oder Personengruppen gesendet werden (z. B. Schichtübergabe etc.). Sobald ein Benutzer sich an einer Bedienstelle anmeldet bekommt er seine neuen Nachrichten oder Informationen angezeigt. Der selektive Havarie-Modus ermöglicht die Überbrückung von einzelnen Sicherheitsfunktionen. Dieser wird eingesetzt, wenn externe Sensoren defekt sind, Sicherheitseinrichtungen einen Defekt erkennen und/oder die Kollisionsüberwachung einzelner Antriebe bewusst deaktiviert werden soll, um trotzdem eine Fahrt der betroffenen Antriebe zu ermöglichen. In diesem Modus können bei einzelnen havarierten Antrieben einzelne Überwachungen (Sicherheitsfunktionen) überbrückt bzw. deaktiviert werden. Eine geregelte Fahrt ist auch bei selektiv überbrückten Überwachungen gewährleistet. Geregeltes Fahren bei gleicher Bedienung und Funktionalität wie im Normalbetrieb ist also weiterhin möglich. Auch Zielfahrten und Gruppenfahrten sind unter Beachtung der Sicherheitshinweise ohne Einschränkungen möglich.

2.5 Bedienung der Bühnenantriebe

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Bosch Rexroth verfolgt dabei ein ganzheitliches Sicherheitskonzept. Risikoanalysen sind die Basis für die Ermittlung von unterschiedlichsten Gefährdungspotentialen. Auf diese Gefährdungspotentiale werden technologische Antworten formuliert und implementiert. Dabei handelt es sich um die sogenannten Sicherheitsfunktionen, welche vornehmlich in der Leittechnik realisiert sind, um die Gefährdungspotentiale „Ein-Fehler-sicher“ zu eliminieren. Alle Sicherheitsfunktionen sind in der SYB3.0 mit dem Sicherheitsintegritätslevel 3 (SIL3) umgesetzt. Die zweikanalige Achsrechnerund Bus-Struktur gewährleistet auch bei Ausfall einzelner Komponenten die sichere Funktion des Gesamtsystems. Darüber hinaus sind alle der Leittechnik zuarbeitenden Komponenten (Geber, Sensoren, Lastmesseinrichtungen, etc.) und deren funktionale Zuverlässigkeit analog zu den Sicherheitsfunktionen der Leittechnik mindestens mit einem Performance Level PLd anzusetzen. Die hierfür notwendigerweise zu berücksichtigende Vorschrift ist die EN 13849, Teil 1 und 2.

3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Dieses Kapitel soll nicht ein Lehrbuch der Mechanik ersetzen; es wird darin auch nicht wissenschaftliche Exaktheit beansprucht. Es sollen damit vielmehr Lesern entsprechender Vorbildung einige Aspekte aus dem Fachgebiet der Mechanik in Erinnerung gerufen werden, die zum besseren Verständnis von in anderen Kapiteln des Buches gemachten Aussagen dienen. Außerdem soll damit für konkrete Berechnungen eine auf diesen spezifischen Bedarf abgestimmte Formelsammlung zur Verfügung gestellt werden, ohne allerdings exakte Hinweise für den Gültigkeitsbereich der Formeln anzugeben. Daher setzt deren Anwendung ein Grundwissen voraus, oder es muss auf entsprechende Fachliteratur zurückgegriffen werden (s. auch Hinweise für ergänzende Literatur zu den Teilen 2, 3 und 4).

3.1 Das Internationale Einheitensystem Bevor einige grundlegende Prinzipien und Formeln der Mechanik erläutert werden, soll das Internationale Einheitensystem in den hier relevanten Aspekten vorgestellt werden. Dieses System benützt sogenannte kohärente Einheiten. Das heißt, dass mit Formeln ohne Verwendung von Umrechnungsfaktoren gearbeitet werden kann, wenn die darin vorkommenden Größen in diesen Einheiten eingesetzt werden. Ohne auf die physikalischen Grundlagen näher einzugehen, sei vermerkt, dass zunächst sogenannte „Basiseinheiten“ (siehe Tab. 3.1) festgelegt wurden, aus denen sich die übrigen Einheiten (siehe Tab. 3.2) dann nach physikalischen Gesetzen ableiten lassen. In den folgenden Aufstellungen sind in eckiger Klammer die Einheitenbezeichnungen angeführt, ferner wird die für den Begriff in Formeln meist verwendete Buchstabenbezeichnung angegeben. So wird z. B. eine Masse oft mit dem Buchstaben „m“ abgekürzt. Die Einheit einer Masse ist Kilogramm, abgekürzt „kg“. Die Bildung von Vielfachen und Teilen erfolgt nach Tab. 3.3. Tab. 3.1: Kohärente Basiseinheiten der Mechanik. Masse Länge Zeit Stromstärke Temperatur

[kg] [m] [s] [A] [°K] [°C]

Kilogramm Meter Sekunde Ampére Grad Kelvin Grad Celsius

m s t I θ θ °K = θ °C + 273,15

(für die Differenz zweier Skalenwerte gilt 1 °K = 1 °C = 1 grd).

https://doi.org/10.1515/9783110776003-003

3.2 Grundbegriffe der Kinematik | 325 Tab. 3.2: Abgeleitete Einheiten. Geschwindigkeit Beschleunigung Winkelgeschwindigkeit Winkelbeschleunigung Fläche Volumen Spezifische Masse (Dichte) Moment (Drehmoment) Drehwinkel Kraft Arbeit Leistung Druck Elektrische Spannung

[m/s] [m/s2 ] [1/s] [1/s2 ] [m2 ] [m3 ] [kg/m3 ] [Nm] [rad], [1] [N] [J] [W] [Pa], [bar] [V]

Newton Joule Watt Pascal Volt

v (velocity) a (acceleration) ω ε A (area) V (volume) ρ M ϕ F (force) W (work) P (power) p U

Tab. 3.3: Bildung von Vielfachen und Teilen (Auszug). Faktor 6

10 103 102 10 10−1 10−2 10−3 10−6

Vorsilbe

Zeichen der Vorsilbe

Mega Kilo Hekto Deka Dezi Zenti Milli Mikro

M k h da d c m µ

3.2 Grundbegriffe der Kinematik Bewegungsabläufe, so auch Arbeitsbewegungen bühnentechnischer Einrichtungen, lassen sich in Zeitintervalle zerlegen, in denen: – die Bewegung mit veränderlicher Geschwindigkeit abläuft (Phase des Beschleunigens oder Verzögerns), – die Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit abläuft (in gleichen Zeitabschnitten Δt werden gleiche Wegstrecken Δs durchlaufen). Für die Beschleunigungs- und Verzögerungsphase ist vor allem jener Sonderfall interessant, bei dem die Geschwindigkeit in gleichen Zeitabschnitten Δt um den gleichen Wert Δv zu- oder abnimmt. Man nennt dies dann eine gleichmäßig beschleunigte oder gleichmäßig verzögerte Bewegung, da der Wert der Beschleunigung oder Verzögerung über der Zeit konstant bleibt. Solche Bewegungssituationen treten immer dann ein, wenn Kräfte gleichbleibender Größe beschleunigend oder bremsend wirken. Dies ist in den meisten Anwendungsfällen zumindest näherungsweise gegeben.

326 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) So kann z. B. der Bewegungsablauf einer motorisch angetriebenen Laststange eines Prospektzuges beim Heben zerlegt werden: – in einen Bewegungsabschnitt, in dem die Geschwindigkeit vom Stillstand, also v0 = 0, gleichmäßig auf die Geschwindigkeit v1 erhöht wird (Beschleunigungsphase mit konstanter Beschleunigung ac ), – in einen Bewegungsabschnitt, in dem die Laststange mit konstanter Geschwindigkeit vc = v1 verfahren wird und – in einen Bewegungsabschnitt, in dem die Geschwindigkeit der Laststange wieder gleichmäßig von der Geschwindigkeit v1 auf v0 = 0, also bis zum Stillstand, verzögert wird (Phase mit konstanter Verzögerung ac ). ac kann beim Beschleunigen und Verzögern von unterschiedlicher Größe sein, ist aber meistens von gleicher Größe. Das soeben gegebene Beispiel stellt eine geradlinige Bewegung – eine sogenannte Translation – dar. Ein analoger Sachverhalt ist natürlich auch bei drehender Bewegung – sogenannter Rotation – gegeben: Statt eines Weges Δs in [m] ist dann der Drehwinkel Δϕ in [rad], statt der Geschwindigkeit v in [m/s] die Winkelgeschwindigkeit ω[1/s] und statt der Beschleunigung a in [m/s2 ] die Winkelbeschleunigung εin [1/s2 ] maßgebend. Für diese kinematischen Größen (Translation und Rotation) bestehen folgende Formelzusammenhänge:

3.2.1 Translation (a) Für eine lineare Bewegung (Translation)mit konstanter Geschwindigkeit vc [m/s] gilt gemäß Abb. 3.1a: Δs = vc = const Δt Δs = vc ⋅ Δt s = s0 + Δs v=

(3.1)

(b) Für eine Bewegung mit konstanter Beschleunigung ac [m/s2 ] ausgehend von einer Anfangsgeschwindigkeit v0 zum Zeitpunkt t = 0 gilt nach Abb. 3.1b, c: Δv = ac = const Δt Δv = ac ⋅ Δt a=

v = v0 + Δv = v0 + ac ⋅ Δt = √v02 + 2 ⋅ ac ⋅ Δs

v +v 1 Δs = v0 ⋅ Δt + ac ⋅ (Δt)2 = 0 ⋅ Δt 2 2

s = s0 + Δs

(3.2)

3.2 Grundbegriffe der Kinematik | 327

Abb. 3.1: Zeitdiagramme bei Bewegung mit konstanter. (a) Geschwindigkeit, (b) Beschleunigung, (c) Verzögerung. (Weg s, Geschwindigkeit v und Beschleunigung a bei Translation; Drehwinkel ϕ, Winkelgeschwindigkeit ω und Winkelbeschleunigung ε bei Rotation).

Für den Sonderfall der Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0 (Beschleunigen aus dem Stillstand und s0 = 0 wird: v = Δv = ac ⋅ Δt = √2 ⋅ ac ⋅ Δs

1 v2 v Δs = ac ⋅ (Δt)2 = = ⋅ Δt 2 2 ⋅ ac 2 v Δt = ac Δt Zeitintervall [s] s0 Wegmarke zur Zeit t = 0 [m] s Wegmarke zur Zeit t

(3.3)

328 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Δs im Zeitintervall Δt zurückgelegter Weg [m] v Geschwindigkeit [m/s] ac Beschleunigung [m/s2 ] ac > 0 positive Beschleunigung bedeutet, dass die Geschwindigkeit zunimmt ac < 0 negative Beschleunigung (=Verzögerung) bedeutet, dass die Geschwindigkeit abnimmt Für den freien Fall mit der Erdbeschleunigung ac = g mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0 ergibt sich damit nach einer Fallhöhe Δs = h die Geschwindigkeit v = √2 ⋅ g ⋅ h nach der Zeit Δt =

v 2h =√ g g

(3.4)

Bei einem Wurf nach oben mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0 wirkt g verzögernd und die Geschwindigkeit beträgt nach einem Zeitintervall Δt v = v0 − g ⋅ Δt Die Geschwindigkeit v = 0 wird nach dem Zeitintervall Δt erreicht Δt =

v0 g

Aus Δs = v0 ⋅ Δt − 21 ac ⋅ (Δt)2 erhält man für ac = g und Δt = Δsmax = h = h

v02 2⋅g

v0 g

die Wurfhöhe h (3.5)

Fallhöhe bzw. Wurfhöhe [m]

3.2.2 Rotation (a) Für eine Rotation mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ωc [1/s] gilt gemäß Abb. 3.1a: Δϕ = ωc = const Δt Δϕ = ωc ⋅ Δt ω=

ϕ = ϕ0 + Δϕ

(3.6)

3.2 Grundbegriffe der Kinematik | 329

(b) Für eine Rotation mit konstanter Winkelbeschleunigung εc [1/s2 ] von einer Winkelgeschwindigkeit ω0 zum Zeitpunkt t0 aus gilt gemäß Abb. 3.1b,c: Δω = εc = const Δt Δω = εc ⋅ Δt ε=

ω = ω0 + Δω = ω0 + εc ⋅ Δt = √ω20 + 2 ⋅ εc ⋅ Δϕ

ω +ω 1 ⋅ Δt Δϕ = ϕ0 ⋅ Δt + εc ⋅ (Δt)2 = 0 2 2 ϕ = ϕ0 + Δϕ

(3.7)

Für den Sonderfall ω0 = 0 (Beschleunigung aus dem Stillstand) und ϕ0 = 0 wird: ω = εc ⋅ Δt = √2 ⋅ εc ⋅ Δϕ

ω 1 ω2 = ⋅ Δt Δϕ = εc ⋅ (Δt)2 = 2 2 ⋅ εc 2 Δt ϕ0 ϕ Δϕ ω εc

(3.8)

Zeitintervall [s] Winkelmarke zur Zeit t = 0 [m] Winkelmarke zur Zeit t im Zeitintervall Δt durchlaufender Winkel [rad] Winkelgeschwindigkeit [1/s] Winkelbeschleunigung [1/s2 ] εc > 0 positive Beschleunigung bedeutet, dass die Geschwindigkeit zunimmt εc < 0 negative Beschleunigung (=Verzögerung) bedeutet, dass die Geschwindigkeit abnimmt

Ein Winkel α, so auch der Drehwinkel ϕ, kann entweder im Bogenmaß oder im Gradmaß angegeben werden. In den obigen Formeln ist er im Bogenmaß [rad] einzusetzen! Ein Winkel α von 360 ° beträgt im Bogenmaß 2πund entspricht somit dem Umfang u = 2rπ des Einheitskreises mit r = 1. ⋅ α [rad]. Daher gilt allgemein für einen Winkel α ∝ [∘ ] = 180 π Die Geschwindigkeit, mit der eine drehende Bewegung erfolgt, kann mit dem Begriff der Winkelgeschwindigkeit in [1/s] angegeben werden. Es ist aber auch möglich, die Bewegung durch Angabe der Zahl der Umdrehungen pro Sekunde oder pro Minute zu beschreiben, der sogenannten Drehzahl mit der Einheit [U/s = 1/s] bzw. [U/min = 1/min]. Oder es wird die Geschwindigkeit v in [m/s] in einem definierten Abstand r vom Drehpunkt als Umfangsgeschwindigkeit angegeben. Somit kann der Zahlenwert der Winkelgeschwindigkeit als Umfangsgeschwindigkeit in [m/s] und der Zahlenwert der Winkelbeschleunigung als Beschleunigung in [m/s2 ] gemessen am Radius 1 m interpretiert werden. Zwischen diesen drei die Rotation beschreibenden Größen ergeben

330 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) sich folgende Formelzusammenhänge (Abb. 3.2): ω= n=

v r

ω v v = = 2⋅π 2⋅r⋅π d⋅π

bzw. ω = 2 ⋅ π ⋅ n v =d⋅π⋅n

30 ⋅ ω 30 ⋅ v 60 ⋅ v = = π r⋅π d⋅π d ⋅ π ⋅ n∗ v =ω⋅r =d⋅π⋅n= 60 a ε= r

(3.9)

n∗ =

ω v a ε n n∗

(3.10)

Winkelgeschwindigkeit [1/s] Umfangsgeschwindigkeit [m/s] am Radius r bzw. Durchmesser d Beschleunigung [m/s2 ] am Radius r bzw. Durchmesser d Winkelbeschleunigung [1/s2 ] Drehzahl [U/s = 1/s] Drehzahl [U/min = 1/min]

Abb. 3.2: Begriffe zur Drehgeschwindigkeit: Umfangs-, Winkelgeschwindigkeit, Drehzahl.

3.3 Grundbegriffe der Dynamik In diesem Abschnitt sollen nochmals die wichtigsten Grundformeln der Mechanik zusammengefasst werden, die ja teilweise schon zur Erläuterung der „abgeleiteten Einheiten“ des Internationalen Einheitensystems herangezogen wurden. Mit ihnen kann das Bewegungsverhalten einfacher Systeme unter der Einwirkung von Kräften und Momenten untersucht werden. Die ebene Bewegung eines starren Körpers lässt sich mit dem Schwerpunktsatz für die Translation F =m⋅a

(3.11)

3.3 Grundbegriffe der Dynamik | 331

und dem Drallsatz für die Rotation M =I ⋅ε

(3.12)

behandeln. F Resultierende aller am starren Körper angreifenden Kräfte [N] M Moment der äußeren Kräfte um die Rotationsachse [Nm] m Masse [kg] I Massenträgheitsmoment in Bezug auf die zur Bewegungsebene senkrechte Rotationsachse [kg m2 ] a Beschleunigung [m/s2 ] ε Winkelbeschleunigung [1/s2 ] 3.3.1 Kinetische Energie – Energie der Bewegung Die kinetische Energie stellt das Arbeitsvermögen einer bewegten Masse, deren „Wucht“ dar. In Formeln ausgedrückt heißt dies, angewandt auf eine mit der Geschwindigkeit v translatorisch bewegte Masse Ekin =

m ⋅ v2 2

(3.13)

und angewandt auf eine mit der Winkelgeschwindigkeit ω rotierende Masse mit dem Massenträgheitsmoment I Ekin =

I ⋅ ω2 2

(3.14)

Der Arbeitssatz besagt angewandt auf einen starren Körper, dass die Zunahme der kinetischen Energie eines Körpers in einem beliebigen Zeitintervall gleich ist der von den äußeren Kräften in diesem Zeitintervall geleisteten Arbeit. ΔEkin = Ekin2 − Ekin1 = W1,2 Ekin kinetische Energie [Nm = J] W Arbeit [Nm = J] Index 1, 2 Zustand 1, 2 3.3.2 Potentielle Energie – Energie der Lage Wird eine Masse m gegen die Wirkung der Schwerkraft um die Höhe h angehoben, so muss dafür die Arbeit W1,2 = m ⋅ g ⋅ Δh

332 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) geleistet werden. Damit wird der Masse potentielle Energie (Arbeitsvermögen) zugeführt: ΔEpot = Epot2 − Epot1 = W1,2 ΔEpot = m ⋅ g ⋅ Δh

(3.15)

Δh Höhendifferenz [m] 3.3.3 Bremsarbeit Wird eine Masse m aus der Geschwindigkeit v1 am Bremsweg sbrems auf die Geschwindigkeit v2 abgebremst, so muss die Bremsarbeit Wbrems geleistet werden, die in Wärme umgesetzt wird. Bei Bremsung bis zum Stillstand ist v2 = 0 zu setzen. Bei Wirkung einer Bremskraft Fbrems während der Zeit tbrems kann die Bremsarbeit ermittelt werden als (siehe Abb. 3.3): tbrems

tbrems

Wbrems = ∫ Fbrems ⋅ v ⋅ dt = Fbrems ⋅ ∫ ( 0

Wbrems

0

v2 − v1 ⋅ t + v1 )dt tbrems

v + v2 ⋅ tbrems = Fbrems ⋅ 1 2 v = Fbrems ⋅ 1 ⋅ tbrems für v2 = 0 2

(3.16)

Analog gilt bei Wirkung eines Bremsmomentes Mbrems während der Zeit tbrems : tbrems

tbrems

Wbrems = ∫ Mbrems ⋅ ω ⋅ dt = Mbrems ⋅ ∫ ( 0

Wbrems

0

ω2 − ω1 ⋅ t + ω1 )dt tb

ω + ω2 = Mbrems ⋅ 1 ⋅ tbrems 2 ω = Mbrems ⋅ 1 ⋅ tbrems für ω2 = 0 2

Abb. 3.3: Verzögern mit konstanter Bremskraft bzw. Bremsmoment.

(3.17)

3.3 Grundbegriffe der Dynamik | 333

3.3.4 Anwendungsbeispiele Freier Fall einer Masse m Die Endgeschwindigkeit nach einem freien Fall über die Höhe h gemäß Gl. (3.4) lässt sich daher auch ableiten, indem man die freiwerdende potentielle Energie mit der Zunahme an kinetischer Energie gleichsetzt, also m⋅g⋅h=

m ⋅ v2 2

Daraus folgt wie in Gl. (3.4) angegeben: v = √2 ⋅ g ⋅ h

(3.18)

Absenken einer Last mit konstanter Geschwindigkeit v Soll z. B. ein Podium mit konstanter Geschwindigkeit abgesenkt werden, so ist die freiwerdende potentielle Energiemenge als Bremsenergie aufzubringen. Da mit konstanter Geschwindigkeit gesenkt wird, bleibt die kinetische Energie erhalten. Somit ist ΔEpot = m ⋅ g ⋅ Δh Die im Zeitintervall tbrems zu leistende Bremsarbeit bei konstanter Geschwindigkeit v ergibt sich zu Wbrems = Fbrems ⋅ v ⋅ tbrems Die Bremskraft muss dem Gewicht der Last entsprechen, also Fbrems = m ⋅ g und mit tbrems = Δh wird v Wbrems = m ⋅ g ⋅ v

Δh = m ⋅ g ⋅ Δh = ΔEpot v

Erfolgt dies z. B. bei einem mit einem Hydrozylinder bewegten Podium durch Drosselung, so wird diese Energie in Wärme umgesetzt und führt zur Erwärmung der Hydraulikflüssigkeit an der Drossel. Die Erwärmung kann mit Gl. (3.94) errechnet werden. Abbremsen einer Last aus einer Senkgeschwindigkeit bis zum Stillstand Erfolgt der Bremsvorgang auf einem Bremsweg sbrems mit der Verzögerung abrems , so muss die Bremsarbeit der zu vernichtenden kinetischen Energie und der durch das Absenken freiwerdenden potentiellen Energie entsprechen (Gl. (3.3), Gl. (3.13) und

334 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Gl. (3.16)). Eges =

m ⋅ v2 m ⋅ v2 v2 m ⋅ v2 g + m ⋅ g ⋅ sbrems = +m⋅g⋅ = (1 + ) 2 2 2 ⋅ abrems 2 abrems

Zum selben Ergebnis kommt man bei Betrachtung der Bremsarbeit nach Gl. (3.17). Die erforderliche Bremskraft ist in diesem Fall mit Gl. (3.3) Fbrems = m ⋅ (g + abrems ) Wbrems = Fbrems ⋅

und mit tbrems =

v abrems

v v v m ⋅ v2 g ⋅ tbrems = m ⋅ (g + abrems ) ⋅ ⋅ = (1 + ) (3.19) 2 2 abrems 2 abrems

Abbremsen einer Last bei der Hubbewegung mit einer Seilwinde Erfolgt die Bremsung mit einer Verzögerung größer als die Fallbeschleunigung g und kommt das Windwerk in der Zeit tbrems zum Stillstand, so wird die am Seil hängende Last infolge ihrer Massenträgheit noch weiter nach oben bewegt werden (Wurf nach oben) und anschließen in das schlaffe Seil fallen. Die Größe der daraus resultierenden Fallhöhe kann unter der Annahme, dass die Bremse nicht verzögert einfällt, folgendermaßen ermittelt werden: Die Wurfhöhe mit einer Anfangsgeschwindigkeit v bis zum Stillstand bei Wirkung der Schwerkraft beträgt nach Gl. (3.5) smax =

v2 2⋅g

Wird das Windwerk mit abrems (errechnet gemäß Gl. (3.35) bzw. Gl. (3.36)) abgebremst, so beträgt der daraus resultierende Bremsweg nach Gl. (3.3) sbrems =

v2 2 ⋅ abrems

(Bei Ermittlung von abrems darf die Massenträgheit der Last nicht berücksichtigt werden, da das Seil keine Druckkräfte aufnehmen kann.) Somit ergibt sich daraus eine Fallhöhe h von h = smax − sbrems =

v2 1 1 ⋅( − ) 2 g abrems

(3.20)

Das gleiche Ergebnis erhält man mit folgender Energiebetrachtung: Während des Bremsvorganges an der Winde wird die Hubgeschwindigkeit der Last von v auf v verzögert. Aus der Energiegleichung errechnet sich v zu m ⋅ v2 m ⋅ v2 − = m ⋅ g ⋅ sbrems 2 2

3.3 Grundbegriffe der Dynamik | 335

v = √v2 − 2 ⋅ g ⋅ sbrems Mit der verbleibenden kinetischen Energie wird die Last um h weiter angehoben m ⋅ v2 =m⋅g⋅h 2 v2 v2 1 1 h= = ⋅( − ) 2⋅g 2 g abrems Die beim Fall in das schlaffe Seil auftretenden Verzögerungen und Kraftwirkungen können gemäß Kap. 3.7 berechnet werden.

3.3.5 Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Formeln Masse × Beschleunigung = Kraft m [kg] ⋅ a [m/s2 ] = F [kg m/s = N] 1 N = 1 kg m/s

(3.21)

Setzt man für a die Erdbeschleunigung g = 9,81 ≈ 10 m/s2 ein, so erhält man das Gewicht der Masse m m⋅g =G Massenträgheitsmoment × Winkelbeschleunigung = Drehmoment I [kg m2 ] ⋅ ε [1/s2 ] = M [kg m/s2 ⋅ m = Nm]

(3.22)

M Moment (Drehmoment) = Kraft × Hebelarm Kraft × Weg = Arbeit (=Energie = Wärmemenge) F [N] ⋅ Δs [m] = W [Nm = J]

1 J = 1 Nm = 1 Ws

(3.23)

(Bei der Messung des Energieverbrauches wird die Arbeit wegen W = P [W] ⋅ t [s] auch in Ws bzw. kWh angegeben.) Moment × Drehwinkel = Arbeit M [Nm] ⋅ Δϕ [rad] = W [Nm = J]

(3.24)

336 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Arbeit/Zeit = Leistung W [J] = P [J/s = Nm/s = W] t [s] Aus P =

W Δt

=

F⋅Δs Δt

=F⋅

Δs Δt

1 W = 1 Nm/s

(3.25)

= F ⋅ v folgt

Kraft × Geschwindigkeit = Leistung F[N] ⋅ v[m/s] = P [W] Aus P =

W Δt

=

M⋅Δϕ Δt

=M⋅

Δϕ Δt

(3.26)

= M ⋅ ω folgt

Moment × Winkelgeschwindigkeit = Leistung M[Nm] ⋅ ω[1/s] = P[W]

(3.27)

Kraft/Fläche = Druck F [N] N = p[ 2 = Pa] 2 A [m ] m

(3.28)

106 Pa = 106 N/m2 = 1 N/mm2 = 1 MPa

105 Pa = 105 N/m2 = 0,1 N/mm2 = 1 daN/cm2 = 1 bar

Vor Einführung des soeben dargestellten „Internationalen Einheitensystems“ wurden in der Technik teilweise andere Einheiten verwendet, die kein kohärentes System darstellten. Auch diese sollen kurz erläutert werden, weil sie in älterer Literatur vorkommen und die Art der Umrechnung bekannt sein sollte. Einheiten des alten technischen Einheitensystems und deren Umrechnung – Alte Krafteinheit [kp] (Kilopond) 1 [kg] ⋅ 9,81 [m/s2 ] = 1 kp



D. h. die Kraftwirkung einer Masse von 1 kg im Schwerefeld der Erde (Normalbeschleunigung g = 9,81 m/s2 ) beträgt 1 Kilopond und stellt deren Gewicht G dar. alte Einheiten für die Leistung [kp m/s], [PS] kp m 1 kp ⋅ 1 m =1 1s s



bzw.

75 kp ⋅ 1 m kp m = 75 = 1 PS 1s s

alte Einheit für eine Wärmemenge [cal] (Kalorie)

3.3 Grundbegriffe der Dynamik | 337

1 [cal] = Wärmemenge (Arbeit), die erforderlich ist, um 1 g reines Wasser bei Atmosphärendruck um 1 °C zu erwärmen (von 14,5 °C auf 15,5 °C). Umrechnungen 1 W = 1/9,81 kp m/s = 0, 102 kp m/s

bzw. P [W] = P [kp m/s] ⋅ 9,81 = P [kp m/s]/0,102

P [kW] = P [kp m/s] ⋅ (9,81/1000) = P [kp m/s]/102 1 PS = 75 kp m/s = (75/102) kW = (1/1,36) kW

bzw. P [PS] = P [kp m/s]/75 = P [kW] ⋅ 1,36

1 kcal = 427 kpm = 427 ⋅ 9,81 Nm = 4187 [Nm = J]

bzw. Q [kcal] = Q [J]/4187 = Q [kJ]/4,187 3.3.6 Mehrmassensysteme

In den meisten Fällen wird ein System aus translatorisch und rotatorisch bewegten Massen bestehen. Soll z. B. ein Bühnenwagen in Bewegung gesetzt werden, so ist ja nicht nur die gesamte Masse m des Wagens samt etwaiger Nutzlastmassen im Sinne dieser Translation zu beschleunigen, sondern es müssen auch alle rotierenden Massen gegen die Wirkung deren Massenträgheit beschleunigt werden. Analoges gilt für eine Hub- oder Senkbewegung einer Last. Dabei muss nicht nur die Lastmasse m entsprechend beschleunigt oder verzögert werden, sondern auch alle rotierenden Massen im Antriebsstrang. Nimmt man vereinfachend eine starre Koppelung mehrerer Einzelmassen an, so kann das Verhalten des Systems folgendermaßen untersucht werden: Man wählt ein beliebiges translatorisch oder rotatorisch bewegtes System als Ersatzsystem und rechnet alle mit anderer Geschwindigkeit oder Winkelgeschwindigkeit bewegten Massen auf dieses Ersatzsystem um. Diese Massenreduktion erfolgt derart, dass man in einer Energiebilanz die ins Ersatzsystem zu reduzierenden Massen so ansetzt, dass sie die gleiche kinetische Energie wie im tatsächlichen System besitzen. Massen mit sehr kleiner kinetischer Energie, also nur langsam bewegte oder sehr kleine Massen, können dabei vernachlässigt werden. Da die Geschwindigkeit bzw. Winkelgeschwindigkeit die Größe der Energie mit dem Quadrat bestimmt und die Masse bzw. das Trägheitsmoment die Größe der Energie nur linear beeinflusst, sind somit vor allem langsam bewegte Massen vernachlässigbar. Ebenso muss man auf das System wirkende Kräfte oder Drehmomente auf das Ersatzsystem reduzieren, indem man in einer Leistungsbilanz die Leistungen gleichsetzt.

338 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Wirkt also z. B. auf eine mit der Geschwindigkeit v bewegte Masse m eine Kraft F (System 1) und auf eine mit ω rotierende Masse mit dem Trägheitsmoment I ein Moment M (System 2), so kann das Gesamtsystem entweder auf System 1 oder auf System 2 reduziert werden. In den folgenden Formeln wird in der Energie- und Leistungsbilanz der Wirkungsgradeinfluss außer Acht gelassen. Bei Systemen mit schlechtem Wirkungsgrad muss der Wirkungsgrad jedenfalls berücksichtigt werden. Reduktion auf das System 1 F + Fred = (m + mred )a

(3.29)

Aus der Energiebilanz nach Gl. (3.14) und Gl. (3.15) m ⋅ v2 I ⋅ ω2 = 2 2

2

ω folgt mred = I ⋅ ( ) v

(3.30)

Und aus der Leistungsbilanz nach Gl. (3.26) und Gl. (3.27) Fred ⋅ v = M ⋅ ω folgt Fred = M ⋅

ω v

(3.31)

Reduktion auf das System 2 M + Mred = (I + Ired ) ⋅ ε

(3.32)

Aus der Energiebilanz Ired ⋅ ω2 m ⋅ v2 = 2 2

2

v folgt Ired = m ⋅ ( ) ω

(3.33)

und aus der Leistungsbilanz Mred ⋅ ω = F ⋅ v

folgt Mred = F ⋅

v ω

(3.34)

Mit Gl. (3.21) bzw. Gl. (3.22) kann damit die Beschleunigung a bzw. ε unter Berücksichtigung dieser reduzierten Massen berechnet werden: F + Fred ∑F = 1 ∑ m m1 + mred ∑ M M1 + Mred ε= = I1 + Ired ∑I

a=

Soll der Wirkungsgrad η berücksichtigt werden, so gilt a=

F1 + Fred ⋅ ηw m1 + mred ⋅ ηw

(3.35)

3.4 Reibung

ε= η w

M1 + Mred ⋅ ηw I1 + Ired ⋅ ηw

| 339

(3.36)

Wirkungsgrad [1] Exponent des Wirkungsgrades [1]; w ist im Zähler und Nenner (+1) oder (−1) zu setzen (η1 = η und η−1 = 1/η)

Das Vorzeichen des Exponenten w ist so zu wählen, dass der allgemein gültigen Aussage entsprochen wird: Mit besserem Wirkungsgrad wird die Beschleunigung dem Betrag nach größer (die Beschleunigungszeit kleiner) und der Betrag der Verzögerung kleiner (die Bremszeit länger). Dies kann durch Probieren einfach überprüft werden, indem einmal z. B. η = 1 und η < 1 gesetzt wird.

3.4 Reibung 3.4.1 Arten der Reibung Gleitreibung Berühren sich zwei Körper mit der Druckkraft FN und beträgt der vom Material der beiden Körper und einem etwaigen Schmierzustand abhängige Reibungskoeffizient μ, so ist für eine Relativverschiebung der Körper gemäß Abb. 3.4a eine Kraft FR = FN ⋅ μ mit μ = tan ρ

(3.37)

zur Überwindung der Reibung erforderlich.

Abb. 3.4: Reibung. (a) Gleitreibung, (b) Rollreibung, (c) Lagerreibung (Zapfenreibung).

Bezüglich der Größe von μ ist i. A. zwischen der Haft- und der Gleitreibung zu unterscheiden. Findet zwischen den beiden sich berührenden Körpern keine Relativbewe-

340 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) gung statt, ist der Reibschluss durch den Haftreibwert μH bestimmt, und es kann unter einer Kraftwirkung F erst dann eine Relativbewegung einsetzen, wenn F > FN ⋅ μH ist. Im Zustand einer Relativbewegung ist die erforderliche Kraft F durch den Gleitreibwert μG bestimmt, der i. A. niedriger ist als der Haftreibwert μH . Findet bereits eine Relativbewegung statt, so bleibt diese bestehen, solange F > FN ⋅ μG ist. FN Druckkraft [N] FR Reibkraft [N] μ Reibungskoeffizient [–] μH Reibungskoeffizient für Haftreibung [–] μG Reibungskoeffizient für Gleitreibung [–] ρ, ρH , ρG Reibungswinkel [°, rad] Ist die Haftreibung merklich größer als die Gleitreibung, so kann ein sogenannter SlipStick-Effekt auftreten, wenn eine der Reibung ausgesetzte Masse durch ein elastisches (federndes) Element bewegt wird. Dadurch kann störender Lärm bzw. Körperschall entstehen. Siehe Kap. 3.10.3. Rollreibung Unter diesem Begriff werden Bewegungswiderstände zweier sich aneinander abwälzender Körper unter einer Druckkraft FN verstanden, die sich infolge plastischer Verformung der Druckkörper ergeben. Diese Situation ist am auf einer Schiene rollenden Rad gemäß Abb. 3.4b erläutert. Infolge der Verformung bilden die Aktions- und Reaktionskraft FN bei rollender Bewegung ein Kräftepaar mit dem Abstand f , wodurch sich am Rad mit dem Radius r ein Bewegungswiderstand FR ergibt: FR = FN ⋅

f = FN ⋅ μR r

(3.38)

f Hebelarm der Rollreibung [m] r Radius des Rades [m] μR Rollreibungskoeffizient [–] Damit tatsächlich ein Rollen des Rades und nicht ein Gleiten auftritt, muss ηR < ηH sein. Lagerreibung Auch eine in einem Lager geführte Welle wird durch Reibkräfte in ihrer Drehbewegung behindert. Auch für diesen Fall besteht eine Beziehung zwischen Lagerkraft und dem Reibmoment im Lager (Abb. 3.4c). Die Größe des Lagerreibungskoeffizienten μL hängt vor allem davon ab, ob es sich um ein Gleit- oder Wälzlager handelt. FR = FN ⋅ μL

und MR = FR ⋅ rL

(3.39)

3.4 Reibung

| 341

rL Lagerradius [m] MR Reibmoment [Nm] μL Lagerreibungskoeffizient [–] Gesamtwiderstand eines rollenden Rades Dieser setzt sich aus dem Rollreibungswiderstand am Laufrad nach Gl. (3.38) und dem Lagerreibungswiderstand nach Gl. (3.39) zusammen und beträgt r f FR = FN ⋅ ( + μL ⋅ L ) r r Oft wird mit einem beide Komponenten und etwaige Zusatzwiderstände (wie z. B. die Spurkranzreibung) erfassenden spezifischen Fahrwiderstand wR gerechnet. FR = FN ⋅ wR

(3.40)

wR spezifischer Fahrwiderstand [–], [N/N] (Widerstand in N pro N Radlast, manchmal auch in [N/kN] angegeben)

3.4.2 Adhäsionsbedingung Bei Fahrantrieben von Bühnenwagen oder z. B. bei Drehantrieben von Drehbühnen kann die Übertragung der Triebkraft über Reibschluss zwischen Rad und Schiene erfolgen. Die Größe der übertragbaren Umfangskraft hängt von der Größe der zwischen Rad und Schiene wirkenden Druckkraft und dem Reibwert der LaufradSchienenpaarung ab, nach der Beziehung FUmax = RA ⋅ μA

(3.41)

Daher darf der vom Antriebsrad zu überwindende Bewegungswiderstand (siehe Kap. 3.6) nicht größer sein, und es folgt die Adhäsionsbedingung Fv∗ + Fa∗ ≤ RA ⋅ μA Fv∗

FUmax Fv∗ Fa∗ RA μA μA = 0,14 μA = 0,2 ÷ 0,7

+

Fa∗

bzw. bei mehreren Antrieben

≤ ∑ RA ⋅ μA

am Antriebsrad übertragbare Umfangskraft Bewegungswiderstand in der Beharrung zusätzlicher Widerstand beim Beschleunigen zwischen Antriebsrad und Schiene wirkende Druckkraft Reibwert am Antriebsrad, z. B. Stahlrad auf Stahlschiene Vulkollanrad auf Stahlschiene

(3.42)

342 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Das Zusatzzeichen „∗ “ bei Fv und Fa soll darauf hinweisen, dass bei Ermittlung dieser Größen bei exakter Betrachtung nur jene Kraftanteile zu berücksichtigen sind, die auch tatsächlich an den Antriebsrädern über Reibschluss übertragen werden müssen. D. h. beispielsweise, dass der Fv -Anteil aus der Laufrad-Lagerreibung oder der Fa -Anteil zur Beschleunigung rotierender Massen im Antriebsstrang zwar für die Bestimmung der Motorgröße, nicht aber für die Adhäsionsbedingung von Relevanz ist. Die Kraft RA kann aus Gewichtskräften resultieren, wie dies z. B. beim Fahrantrieb des in Abb. 1.128 dargestellten Brückenwagens oder bei den Reibrädern des in Abb. 1.138, Abb. 1.139 und Abb. 1.140 abgebildeten Bühnenwagen oder einer in Abb. 1.150 dargestellten Drehbühne gegeben ist, oder aus einer Federkraft, wie dies beim Reibradantrieb des in Abb. 1.144 dargestellten Drehscheibenantriebes der Fall ist.

3.5 Wirkungsgrad Wird in ein reibungsbehaftetes Triebwerkselement am Antrieb eine bestimmte Energie während eines Zeitintervalles eingebracht, so kann am Abtrieb im gleichen Zeitintervall nur eine reduzierte Energiemenge abgegeben werden (Nutzarbeit); der Differenzbetrag kann als Bewegungsenergie nicht genutzt werden, sondern geht infolge von Reibungseffekten vor allem als Wärmeenergie verloren. Betrachtet man als Zeitintervall die Zeiteinheit, so kann dieser Sachverhalt auch mit dem Begriff der Leistung beschrieben werden. Die Abtriebsleistung Pab (Nutzleistung) ist um die Verlustleistung PV kleiner als die Antriebsleistung Pan . Pab = Pan − PV Nur bei einem verlustlosen Antrieb (Index 0) ist P0an = P0ab = P0 Den Quotienten „Nutzarbeit dividiert durch aufgewendete Arbeit“ bzw. „Abtriebsleistung (Nutzleistung) zu Antriebsleistung“ bezeichnet man als Wirkungsgrad η. Der Wirkungsgrad ist also in einem „realen“ verlustbehafteten System immer kleiner 1 (im Zähler steht immer der kleinere Wert) und nur in einem „idealen“ verlustlosen System gleich 1. η= Pan Pab PV

Pab Pan − PV Pab P P = = = 0an = ab Pan Pan Pab + PV Pan P0ab

Antriebsleistung im verlustbehafteten System Abtriebsleistung im verlustbehafteten System Verlustleistung

(3.43)

3.5 Wirkungsgrad | 343

P0an = P0ab = P0 An- bzw. Abtriebsleistung im verlustlosen System η Wirkungsgrad [–] Zur Ermittlung des Wirkungsgrades eines Systems muss also z. B. verglichen werden, welche Arbeit bzw. Leistung eingebracht werden muss, um einen Bewegungszustand im realen verlustbehafteten System infolge von Reibung aufrecht zu erhalten und welche Arbeit bzw. Leistung in einem idealen verlustlosen System ohne Wirkung von Reibung einzubringen wäre. Im Falle einer Hub- oder Senkbewegung unter Wirkung der Schwerkraft muss zwischen zwei Fällen unterschieden werden: – Beim Heben einer Last mit der Geschwindigkeit v muss „Treibleistung“ erbracht werden. Die der Bewegungsrichtung entgegenwirkende Schwerkraft muss auch im verlustlosen System überwunden werden. Die im verlustbehafteten System wirkenden Reibkräfte vergrößern diesen Bewegungswiderstand. Daher muss im realen System neben der Treibleistung P0 auch eine Verlustleistung PVH erbracht werden. Der Hubwirkungsgrad ηH beträgt daher P0 P0 = PH P0 + PVH 1 PH = P0 ⋅ ηH ηH =



(3.44) (3.45)

Beim Senken einer Last mit der Geschwindigkeit v muss „Bremsleistung“ erbracht werden; sonst würde die Last unter der Wirkung der Schwerkraft immer schneller werdend abstürzen. Im verlustlosen System muss also die in Bewegungsrichtung treibende Schwerkraft ausgeglichen werden. Diese treibende Kraft wird im verlustbehafteten System durch Reibung verkleinert. Daher wird die Bremsleistung P0 im realen System um die Verlustleistung PVS reduziert und der Senkwirkungsgrad ηS beträgt ηS =

P − PVS PS = 0 PH P0

PS = P0 ⋅ ηS = PH ⋅ ηH ⋅ ηS

(3.46) (3.47)

Unter der Bedingung, dass die Verlustleistung PV im Hub-und Senksinn gleich groß ist PVH = PV S = PV (siehe auch Kap. 4.3.1), errechnet sich daraus der Zusammenhang ηS = 2 −

1 ηH

(3.48)

344 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) In Tab. 3.4 sind nach Gl. (3.48) errechnete Werte für ηH und ηS gegenüber gestellt. Tab. 3.4: Hub- und Senkwirkungsgrad gemäß Gl. (3.48). ηH ηS

0,99 0,99

0,95 0,95

0,90 0,89

0,80 0,75

0,50 0

Bei sehr guten Wirkungsgradwerten (etwa für ηH > 0,9) kann ohne weiteres ηH = ηS = η gesetzt werden. Bei hohen Wirkungsgradwerten wird daher oft gar nicht zwischen Hub- und Senkwirkungsgrad unterschieden, sondern man setzt für die Hubsituation PH = P0 ⋅

1 ηH

und für die Senksituation gemäß Gl. (3.47) PS = P0 ⋅ ηS ≈ PH ⋅ η2

(3.49)

Aus der Betrachtung der Bremssituation, wie sie beim Senken einer Last beschrieben wurde, kann aber auch folgendes Systemverhalten abgeleitet werden: Sind die in einem Triebwerk wirksamen Reibkräfte größer als die treibende Kraftwirkung infolge der Schwerkraft, dann ist gar keine Bremsleistung, sondern sogar für die Senkbewegung eine Treibleistung vom Antrieb aufzubringen. Dabei sind allerdings zwei Fälle zu unterscheiden: – Das Erfordernis, auch beim Senken antreiben zu müssen, ist nur bei kleinen, „nicht durchziehenden“ Lasten gegeben, während bei größeren Lasten sehr wohl gebremst werden muss. – Das Erfordernis, auch beim Senken antreiben zu müssen, ist systemimmanent und unabhängig von der Lastgröße immer gegeben, d. h. auch eine noch so große Last kann keinen Senkvorgang hervorrufen. Dieser Zustand wird als Selbsthemmung bezeichnet. Ein System ist also selbsthemmend, wenn der Senkwirkungsgrad ηS von der Größe der Last unabhängig und kleiner/gleich Null ist. ηS ≤ 0 Gilt Gl. (3.48), dann folgt daraus, dass diese Bedingung gleichbedeutend ist mit der Bedingung ηH ≤ 0,5 In Kap. 4.3.1 sind die Verhältnisse für Keil- und Spindeltrieb dargelegt. (Statt der Schwerkraft kann auch eine andere Kraft wirken, z. B. die Vorspannkraft (Klemmkraft) an einer Schraube.)

3.6 Leistungsermittlung

| 345

3.6 Leistungsermittlung Zur Berechnung der erforderlichen Leistung eines Antriebes muss zuerst untersucht werden, welche Kraftwirkungen F sich der gewünschten Bewegung als Bewegungswiderstand entgegensetzen. 3.6.1 Bewegungswiderstände in der Beharrung Darunter sind Bewegungswiderstände zu verstehen, die überwunden werden müssen, um einen Bewegungszustand mit einer Geschwindigkeit v aufrecht zu erhalten. Sie können bei translatorischer Bewegung unter der Bezeichnung FV = ∑ F

(3.50)

zusammengefasst werden. F sind als Bewegungswiderstand wirksame Kräfte, für die nachfolgend einige Beispiele angeführt werden: – Wirkung der Schwerkraft bei vertikalem Hub der Masse m (siehe Gl. (3.1)) F = G [N] = m [kg] ⋅ g [m/s2 ] –

an Laufrädern bei horizontaler Fahrbewegung gemäß Gl. (3.40) wirkender Fahrwiderstand F = wR ⋅ FN



(3.51)

(3.52)

wR siehe Gl. (3.40) Im Falle des Verfahrens einer Masse unter einem Steigungswinkel αnach Abb. 3.5 resultiert der Bewegungswiderstand aus der Sinuskomponente des Gewichtes und dem Fahrwiderstand F = G ⋅ sin α + wR ⋅ G ⋅ cos α = G(sin α + wR ⋅ cos α)

Abb. 3.5: Fahrwiderstand auf schiefer Ebene.

(3.53)

346 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik)

Abb. 3.6: Kraftwirkung eines hydrostatischen Druckes auf eine Fläche.



Wirkung eines statischen Druckes p auf eine Fläche A gemäß Abb. 3.6 (siehe auch Gl. (3.71)) F =p⋅A



(3.54)

p hydrostatischer Druck [N/m2 ] A druckbeaufschlagte Fläche [m2 ] Als Druck kann auch der Staudruck eines strömenden Mediums, z. B. der Winddruck bei einer Anlage im Freien, wirken. Die geometrische Form der angeströmten Struktur wird durch einen aerodynamischen Kraftbeiwert c berücksichtigt: F = cW ⋅ q ⋅ AW

(3.55)

AW angeströmte projizierte auf eine Fläche normal zur Strömungsrichtung

ρ v

cW ρ

ρ⋅v2

Staudruck [N/m2 ] q = 2 Relativgeschwindigkeit Luft-Objekt [m/s]; das ist bei Stillstand des angeströmten Objektes die Windgeschwindigkeit, bei kleinen Fahrgeschwindigkeiten annähernd die Windgeschwindigkeit aerodynamischer Kraftbeiwert (Gestaltbeiwert) [–] (c ≈ 0,8 ÷ 1,3 ÷ 1,6) Dichte der Luft [kg/m3 ] (ρ ≈ 1,3 kg/m3 )

Bei drehenden Bewegungen sind die Bewegungswiderstände als Drehmomente darstellbar, und Gl. (3.50) kann in der abgewandelten Form Mv = ∑ M

(3.56)

angeschrieben werden. 3.6.2 Bewegungswiderstände beim Beschleunigen Zur Einleitung einer Bewegung mit der Geschwindigkeit v muss die Masse m erst mit der Beschleunigung a [m/s2 ] auf die Geschwindigkeit v gebracht werden. Aufgrund der Massenträgheit setzt die Masse m der Beschleunigung einen mit Fa bezeichneten Beschleunigungswiderstand entgegen (Gl. (3.11) und (3.29)). Fa = m ⋅ a bzw. Fa = (m + mred ) ⋅ a

(3.57)

3.6 Leistungsermittlung

| 347

Ebenso sind bei rotierender Bewegung Drehmomente Ma zur Beschleunigung des Systems in Betracht zu ziehen (Gl. (3.22) und (3.32)) Ma = I ⋅ ε

bzw. Ma = (I + Ired ) ⋅ ε

(3.58)

3.6.3 Antriebsleistung Die erforderliche Leistung eines Antriebes setzt sich somit unter Beachtung eines Wirkungsgrades η zur Berücksichtigung zusätzlicher Verluste (Gl. (3.43)) zusammen aus: (a) der Beharrungsleistung Pv – zum Aufrechterhalten einer Geschwindigkeit v [m/s] gegen Widerstandskräfte Fv [N] bei Translation Pv = Fv ⋅ v ⋅ –

1 [N ⋅ m/s = Nm/s = W] η

(3.59)

zum Aufrechterhalten einer Winkelgeschwindigkeit ω [1/s] gegen ein Drehmoment Mv [Nm] bei Rotation Pv = Mv ⋅ ω ⋅

1 [Nm ⋅ 1/s = Nm/s = W] η

(3.60)

(b) der maximalen Beschleunigungsleistung Pa – zum Beschleunigen einer translatorisch bewegten Masse (Gl. (3.11) und (3.26)) in der Beschleunigungszeit (Anfahrzeit) ta Pa = Fa ⋅ v

1 1 v2 1 = m ⋅ a ⋅ v ⋅ = m ⋅ ( ) ⋅ [Nm/s = W] η η ta η

(3.61)

zum Beschleunigen einer rotierenden Masse (Gl. (3.12) und (3.27)) Pa = Ma ⋅ ω

1 ω2 1 1 = I ⋅ ε ⋅ ω ⋅ = I ⋅ ( ) ⋅ [Nm ⋅ 1/s = Nm/s = W] η η ta η

(3.62)

In der Beschleunigungsphase ist somit maximal eine Antriebsleistung (Spitzenwert am Ende der Beschleunigungszeit) Pges = Pv + Pa

(3.63)

erforderlich, in der Phase der Beharrung reicht eine Antriebsleistung Pv aus. Die tatsächlich erforderliche Nennleistung eines elektrischen Antriebsmotors ist so zu wählen, dass Anfahr- und Nennmoment dem Bedarf entsprechen. Es ist aber auch zu bedenken, dass der Motor thermisch richtig ausgelegt ist, das heißt, dass er

348 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) im Betrieb nicht zu heiß wird. Die thermische Belastung hängt vor allem von der Einschaltdauer und den Kühlverhältnissen am Motor ab (siehe Fachliteratur). Reduzierung der Antriebsleistung mit Gegengewichten Soll eine Last mit der Masse m gehoben werden, so kann die erforderliche Hubleistung theoretisch auf null reduziert werden, wenn die Masse mit einem Gegengewicht austariert wird, wenn man Reibungswiderständen und Massenkräften außer Acht lässt. Soll ein Podium mit der Eigenmasse mE bzw. dem Eigengewicht E mit der Geschwindigkeit v gehoben werden, benötigt man dazu die Leistung P = E ⋅ v. Ist das Podium zusätzlich mit einer Masse mQ bzw. einer Nutzlast Q belastet so benötigt man insgesamt die Leistung P = (E + Q) ⋅ v. Dieser Leistungsaufwand kann mit Hilfe eines Gegengewichtes extrem reduziert werden. Die kleinste Hubleistung erhält man, wenn man ein Gegengewicht der Größe G = E + Q/2 wählt – wie dies im Aufzugbau (bei Treibscheibenaufzügen) allgemein üblich ist. Im Fall des leeren Podiums ist dann das Gegengewicht um Q/2 schwerer, im Falle des voll belasteten Podiums das Podium um Q/2 schwerer. In beiden Extremfällen ist also nur die Hublast Q/2 zu überwinden und der Leistungsbedarf beträgt nur P=

Q ⋅v 2

3.7 Elastische Bauelemente Die Elastizität eines Bauteiles – eines Stabes, einer Feder, eines Seiles – kann folgendermaßen beschrieben werden (siehe auch Kap. 4.1.1 – Seile und Seiltriebe): Dehnt sich das elastische Element bei Wirkung der Kraft F um Δl, so definiert man die Federkonstante c (siehe Abb. 3.7). c=

F Δl

bzw. F = c ⋅ Δl

(3.64)

Abb. 3.7: Lineare Federkennlinie.

Bei einem elastischen Stab mit dem Querschnitt A gilt nach dem Hook’schen Gesetz der Festigkeitslehre:

3.7 Elastische Bauelemente

Δl σ F = = l E E⋅A A⋅E c= l F A E l Δl

mit Δl =

F⋅l E⋅A

| 349

wird (3.65)

Kraft [N] Querschnitt des elastischen Bauteiles [m2 , mm2 ] Elastizitätsmodul des Bauteiles [N/m2 , N/mm2 ] Länge des Bauelementes vor der Belastung mit F [m,mm] Verlängerung infolge der Last F [m, mm]

Bei einem Drahtseil mit metallischen Querschnitt Am und dem Elastizitäsmodul ES ist c=

Am ⋅ ES l

(3.66)

Das Produkt Am ⋅ ES wird auch als Seilmodul M bezeichnet M = Am ⋅ ES = c ⋅ l

(3.67)

Fall einer Masse in ein schaffes Seil Fällt eine Masse m nach einer freien Fallhöhe h auf eine Feder bzw. in ein Seil, so wird die im freien Fall erzeugte kinetische Energie und die beim Dehnvorgang der Feder bzw. des Seiles frei werdende potentielle Energie in Dehnarbeit umgesetzt. m ⋅ v2 1 + m ⋅ g ⋅ Δl = ⋅ F ⋅ Δl 2 2 1 m ⋅ g ⋅ (h + Δl) = ⋅ F ⋅ Δl 2

mit v = √2 ⋅ g ⋅ h (siehe Gl. (3.4))

oder anders ausgedrückt, die auf der gesamten Fallstrecke h + Δl frei werdende potentielle Energie wird in Dehnarbeit umgewandelt. m Masse [kg] h freie Fallhöhe [m] v Geschwindigkeit nach einer Fallhöhe h bei einer Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0 [m/s] Mit Gl. (3.64) für Δl folgt daraus die quadratische Gleichung F2 − 2 ⋅ m ⋅ g ⋅ F − 2 ⋅ m ⋅ g ⋅ h ⋅ c = 0 F = m ⋅ g ⋅ [1 + √1 + Mit F als die im Seil wirkende Kraft bei der Seildehnung Δl

2⋅h⋅c ] m⋅g

(3.68)

350 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik)

Δl =

F m⋅g 2⋅h⋅c = ⋅ [1 + √1 + ] c c m⋅g

(3.69)

Die dabei auftretende Verzögerung ist ages =

F 2⋅h⋅c = g ⋅ [1 + √1 + ]=g+a m m⋅g 2⋅h⋅c m⋅g

a = g ⋅ √1 +

(3.70)

Die Kraft F wird bei gegebener Fallhöhe h umso kleiner sein, je elastischer das Seil ist, d. h. bei einem gegebenen Seiltyp je länger die wirksame Seillänge l ist. In der Klettertechnik wird der Sturzfaktor f definiert als f = h/l. Das mit F belastete Seil kann auch als Einmassenschwinger betrachtet werden – siehe Kap. 3.10.1. In der Bühnentechnik kann diese Belastungssituation z. B. in folgenden Fällen von Relevanz sein: – Fall eines Gegenstandes (z. B. Scheinwerfer) in ein Sicherungsseil, – Fall einer während eines Hubvorganges bei Stromausfall abrupt abgebremsten Last in das schlaffe Seil (siehe Gl. (3.20)). Bei der „Last“ kann es sich um eine Dekoration oder aber auch um eine in einem Flugwerk hängende Person handeln.

3.8 Grundbegriffe der Hydraulik 3.8.1 Grundbegriffe Hydrostatischer Druck Wirkt auf eine eingeschlossene Flüssigkeit über eine Kolbenfläche A die Kraft F (Abb. 3.7a), so steht diese Flüssigkeit unter dem Druck p[ F A p

N F [N] ]= m2 A [m2 ]

(3.71)

Kraft [N] Fläche [m2 ] Druck [N/m2 = Pa]

Gewichtsdruck = Schweredruck Neben diesem durch äußere Kräfte hervorgerufenen hydrostatischen Druck wirkt in einer Flüssigkeitssäule der Höhe h unabhängig von der Form der Drucksäule noch der Gewichtsdruck oder Schweredruck ps nach Abb. 3.8b. ps = h ⋅ ρ ⋅ g

(3.72)

3.8 Grundbegriffe der Hydraulik | 351

Abb. 3.8: Hydrostatischer Druck infolge einer äußeren Kraft und Gewichtsdruck. (a) Druck p infolge einer äußeren Kraft, (b) Druckverteilung ps infolge des Flüssigkeitsgewichts.

h ρ g

Höhe der Flüssigkeitssäule [m] Dichte der Flüssigkeit [kg/m3 ] (Wasser ρ ≈ 1000 kg/m3 , Mineralöl ρ ≈ 900 kg/m3 ) Erdbeschleunigung, g = 9,81 ≈ 10 [m/s2 ]

10 m Wassersäule ergeben daher einen Schweredruck: ps ≈ 10 [m] ⋅ 1000 [kg/m3 ] ⋅ 10 [m/s2 ] = 100.000 [kg m/s2 ⋅ 1/m2 ] = 100.000 [N/m2 ] = 1 bar. Luft- und Schweredruck sind gegenüber den in der hydrostatischen Antriebstechnik verwendeten Drücken vernachlässigbar klein und werden daher in der hydrostatischen Antriebstechnik nicht in Rechnung gestellt. Hydrodynamischer Druck Auch eine strömende Flüssigkeit erzeugt Kraftwirkungen bzw. Druck infolge der ihr inne- wohnenden kinetischen Energie. Dieser dynamische Druck, auch Staudruck genannt, ist die kinetische Energie pro Volumseinheit und beträgt, wenn man in Gl. (3.13) m=ρ⋅V pdyn =

ρ⋅v 2

setzt und durch V dividiert

2

(3.73)

Bei hydrostatischen Antrieben ist auch diese hydrodynamische Druckwirkung vernachlässigbar klein. Kontinuitätsgleichung Strömt durch den Querschnitt A eine Flüssigkeit mit der Geschwindigkeit v, so beträgt der Volumenstrom pro Zeiteinheit (Fördermenge) Q [m3 /s] = A [m2 ] ⋅ v [m/s] Q v

Fördermenge, Volumenstrom der Flüssigkeit [m3 /s] Fördergeschwindigkeit, Fließgeschwindigkeit [m/s]

(3.74)

352 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik)

Abb. 3.9: Strömungsgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Durchflussquerschnitt.

Da man die Hydraulikflüssigkeiten als nahezu inkompressibel annehmen kann, gilt für zwei Querschnittsbereiche 1 und 2 nach Abb. 3.9 Q = A1 ⋅ v1 = A2 ⋅ v2 = const. Durchflussmenge bei Drosselung In Anwendung des Satzes von der Erhaltung der Energie für eine strömende Flüssigkeit (Gleichung von Bernoulli; siehe Fachliteratur) lässt sich der Zusammenhang zwischen Durchflussmenge und Druckabfall an einer Engstelle ermitteln. Unter Hinzufügung eines Korrekturwertes αD zur Berücksichtigung der geometrischen Form der Querschnittsverengung und der Viskosität der Flüssigkeit ergibt sich die Beziehung QD = αD ⋅ AD ⋅ √ QD αD AD Δp ρ

2 ⋅ Δρ ρ

AD =

d2 ⋅ π 4

(3.75)

Durchflussmenge durch die Drossel [m3 /s] Durchflussbeiwert [–], αD ≈ 0,6 ÷ 0,9 Drosselquerschnitt [m2 ] Druckdifferenz aus den Drücken vor und nach der Drossel [N/m2 ] Dichte des strömenden Mediums [kg/m3 ]

Die Formel (3.75) ist vor allem bei kurzen Querschnittsverengungen – bei Blenden – anwendbar. Handelt es sich um Drosseln in Form eines langen dünnen Rohrquerschnittes, so wird in Anwendung des Gesetzes von Hagen–Poiseuille (gültig für laminare Strömung in dünnen Rohren) folgende Formel angegeben: Q= η l r ν ρ

Dynamische Viskosität [kg/m⋅s] Länge der Drossel [m] Radius der Drossel [m] kinematische Viskosität [m2 /s] Dichte der Flüssigkeit [kg/m3 ]

π ⋅ r4 ⋅ Δp 8⋅η⋅l

(3.76)

3.8 Grundbegriffe der Hydraulik | 353

Abb. 3.10: Durchfluss in Abhängigkeit von der Druckdifferenz bei Drossel und Blende.

Es hängt also von der Geometrie der Engstelle ab, welche Gleichung der Realität besser entsprechende Werte liefert. Je nach Formel ist ein linearer oder nicht linearer Zusammenhang zwischen Q und Δp gegeben (siehe Abb. 3.10).

3.8.2 Hydrostatische Geräte mit linearer und rotierender Arbeitsfunktion Wie bereits in Kap. 2.3 erläutert, ist als Gerät mit linearer Arbeitsbewegung als Verbraucher der Hydraulikzylinder und in Umkehrung des Arbeitsprinzips der Kolbenspeicher anzuführen. Als Geräte mit rotierender Arbeitsbewegung sind die Hydropumpe als Druckerzeuger bzw. der Hydromotor als Verbraucher zu nennen. Leistung eines hydrostatischen Arbeitsgerätes Setzt man in Gl. (3.26) die Gl. (3.71) für die Kraft F und Gl. (3.74) für die Geschwindigkeit v ein, erhält man: P =F⋅v =p⋅A⋅v =p⋅Q

P [W] = p [N/m2 ] ⋅ Q [m3 /s]

P [kW] = p [MPa] ⋅ Q [l/min] ⋅ 1/60 = p [bar] ⋅ Q [l/min] ⋅ 1/600 Steht das hydrostatische Arbeitsgerät auf der Hochdruckseite unter p und auf der Niederdruckseite unter p0 > 0, so ist für die Leistung P natürlich nur die Druckdifferenz Δp = p − p0 in Rechnung zu stellen. (Der Gegendruck p0 = 1 bar aus dem Luftdruck kann i. A. gegenüber dem Druck p vernachlässigt werden.) P [W] = Δp [

N m3 ] ⋅ Q [ ] s m2

(3.77)

Wirkungsgrad eines hydrostatischen Systems In einem hydrostatischen System ist neben dem auf Reibungsverluste zurückzuführenden mechanischen Wirkungsgrad auch der von Lecköl herrührende volumetrische

354 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Wirkungsgrad zu berücksichtigen. ηges = ηm ⋅ ηv

(3.78)

ηm [–] oder [%] mechanischer Wirkungsgrad zur Berücksichtigung von Reibungsverlusten ηm ≈ 0,8 Zahnradpumpe (80 %) ≈ 0,9 Kolbenpumpe

ηv [–] oder [%]

volumetrischer Wirkungsgrad zur Berücksichtigung von Verlusten an druckwirksamem Volumen durch Lecköl ηv ≈ 0,85 Zahnradpumpe ≈ 0,95 Kolbenpumpe

Sind die Verluste in einem System ηges , so muss in das System eine Leistung P ′ = P/ηges hineingesteckt werden, damit die Leistung P abgegeben werden kann; bzw. wird in ein verlustbehaftetes System P hineingesteckt, so wird nur die Leistung P ′′ = P ⋅ ηges abgegeben. Sonstige Formelzusammenhänge Wendet man diese Grundgleichungen auf hydrostatische Geräte an, so ergeben sich für Linear- und Rotationsgeräte folgende Formeln: Lineargeräte mit einer Kolbenfläche A [m2 ] und einem Hub h [m] – gewichtsbelasteter Kolbenspeicher (Abb. 2.12) F =G =m⋅g –

bzw. p =

(3.79)

einfachwirkender Hydraulikzylinder (Plungerzylinder nach Abb. 3.11a) In Anwendung von Gl. (3.71) und Gl. (3.74) wird F = p ⋅ AK vK =

Q AK

mit AK =

d2 ⋅ π 4

und

P = F ⋅ vK = Q ⋅ p –

G A

doppeltwirkender Hydraulikzylinder nach Abb. 3.11b

(3.80)

3.8 Grundbegriffe der Hydraulik | 355

Abb. 3.11: Hydrozylinder. (a) Einfachwirkend, (b) doppeltwirkend.

Bei Beaufschlagung der Kolbenfläche AK1 mit dem Druck p1 und der Fördermenge Q1 errechnen sich Kraft, Kolbengeschwindigkeit und Leistung zu F1 = p1 ⋅ AK1 Q AK1

vK1 =

mit AK1 =

d12 ⋅ π 4

und

P1 = F1 ⋅ vK1 = Q1 ⋅ p1 Bei Beaufschlagung der Kolbenfläche AK2 mit p2 und Q2 zu F2 = p2 ⋅ AK2 vK2 =

Q AK2

mit AK1 =

π ⋅ (d12 − d22 ) 4

und

P2 = F2 ⋅ vK2 = Q2 ⋅ p2

(3.81)

Zur Zurücklegung des Hubes h wird die Zeit [s] t1 = t2 =

h ⋅ AK1 h = vK1 Q1

h ⋅ AK2 h = vK2 Q2

bzw. benötigt.

Im Falle p1 = p2 und Q1 = Q2 ist F1 > F2 , vK1 < vK2 und t1 > t2 . (Der Reibungswiderstand in der Kolbenführung und den Dichtungsmanschetten kann durch einen Zylinderwirkungsgrad ηz ≈ 0,95 berücksichtigt werden.) Rotationsgeräte mit einem Förder- bzw. Schluckvolumen je Umdrehung V [m3 /U, l/U] – mit der Drehzahl nP angetriebene Pumpe Q [m3 /s] = VP [m3 /U] ⋅ nP [U/s]

Q [l/min] = VP [l/U] ⋅ n∗P [U/min]

(3.82)

356 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Ist der Leckölverlust der Pumpe gegeben durch ηvP , wird die effektive Fördermenge der Pumpe Q = Q ⋅ ηvP bzw. um Q zu fördern, muss die Pumpe statt mit nP mit n nP = P = angetrieben werden. ηvP –

mit dem Volumenstrom Q beaufschlagter Hydromotor 3

Q [ ms ] U nM [ ] = 3 s VM [ mU ] n∗M [

l Q [ min ] U ]= l min VM [ U ]

3

Q [ ms ] 1 U und ωM [ ] = 2 ⋅ π ⋅ nM [ ] = 2 ⋅ π ⋅ 3 s s VM [ mU ] (3.83)

Ist der Leckölverlust des Motors gegeben durch ηvM, so ist die effektive Drehzahl des Hydromotors nM =

Q ⋅η VM vM

Das von einem Hydromotor abgegebene Drehmoment errechnet sich unter Anwendung der Gln. (3.27), (3.77) und (3.83) zu MM =

P Q ⋅ Δp VM ⋅ nM ⋅ Δp VM ⋅ Δp = = = ω ω 2 ⋅ π ⋅ nM 2⋅π

1 m3 N ⋅ V M [ ] ⋅ Δp [ 2 ] 2⋅π U m l l 100 MM [Nm] = ⋅ V [ ] ⋅ Δp [bar] = 15,9 ⋅ VM [ ] ⋅ Δp [bar] 2⋅π M U U

M M [Nm] =

n n∗ M V Index P Index M

(3.84)

Drehzahl [U/s], [U/min] Drehmoment [Nm] Förder-, Schluckvolumen [m3 /U] = [m3 ] Pumpe Motor

Unter Beachtung eines mechanischen Wirkungsgrades des Hydromotors ηmM wird M M = MM ⋅ ηvM

3.8 Grundbegriffe der Hydraulik | 357

und unter Beachtung eines volumetrischen Wirkungsgrades des Hydromotors ηvM wird ωM = ωM ⋅ ηvM und die Leistung des mit Q und p beaufschlagten Hydromotors (siehe die Gln. (3.27), (3.83), (3.84)) ist 1 ⋅ V ⋅ Δp ⋅ ηmM ) ⋅ (ωM⋅ ηvM ) 2⋅π M 1 Q = ⋅η ⋅ V ⋅ Δp ⋅ ηmM⋅ 2 ⋅ π ⋅ 2⋅π M VM vM

Peff = M M ⋅ ωM = (

Peff = Q ⋅ Δp ⋅ ηges

(3.85)

3.8.3 Hydrospeicher Hydrospeicher nehmen ein bestimmtes Flüssigkeitsvolumen unter Druck auf und können diese Menge unter Druck bei Bedarf wieder in einen Hydraulikkreislauf abgeben. Bauarten Grundsätzlich kann zwischen zwei Arten von Speichern unterschieden werden (siehe. Abb. 2.12): – Speicher, bei denen der Druck bei Flüssigkeitsabgabe konstant bleibt; dies ist bei Gewichtsspeichern der Fall, da immer die gleiche Kraft zur Wirkung kommt (Abb. 2.12a). In der Praxis kommen solche Speicher nicht vor. – Speicher, bei denen der Druck bei Flüssigkeitsabgabe abnimmt; dies ist bei Federspeichern der Fall, egal, ob die Feder eine mechanische Feder oder – wie allgemein üblich – eine Gasfeder ist (Abb. 2.12b–e). Im Folgenden sollen die Verhältnisse bei Gasspeichern näher untersucht werden, da diese in Druckstationen bühnentechnischer Anlagen eingesetzt werden. Zur Vermeidung von Korrosion und aus Sicherheitsgründen wird als Füllgas i. A. Stickstoff verwendet. (Bei höheren Temperaturen und unter Druck entzündet sich ein Öl-SauerstoffGemisch; Diesel-Effekt.) Dimensionierung von Speichern Gewünscht ist ein Hydrospeicher, der die Flüssigkeitsmenge ΔV abgeben kann, wobei der Druck von pmax = p1 auf pmin = p2 absinken darf. Auf der Gasseite gilt allgemein für eine polytrope Zustandsänderung das Gesetz p ⋅ V n = const

358 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) und für die Zustände 1 und 2 p1 ⋅ V1n = p2 ⋅ V2n

bzw. V1 = V2 ⋅ √n

p2 p1

(3.86)

Mit ΔV = V2 − V1 folgt daraus ΔV = V2 ⋅ (1 − √n p1,2 V1,2 V0 ΔV n

p2 ) p1

(3.87)

Druck im gefüllten bzw. entleerten Zustand [N/m2 ] (p1 > p2 ) Gasvolumen im gefüllten bzw. entleerten Zustand [m3 ] (V1 < V2 ) Gasvolumen bei p0 (Speichergröße samt gegebenenfalls angeschlossenen Gasflaschen) Abgabemenge des Speichers an Hydraulikflüssigkeit (Nutzvolumen) Polytropenexponent (n = 1 bis 1,4)

Will man sich auf einen Vorspannungszustand, charakterisiert durch die Zustandsgrößen V0 und p0 , beziehen, so gilt: p1 ⋅ V1n = p2 ⋅ V2n = p0 ⋅ V0n bzw. p p V1n = 0 ⋅ V0n und V2n = 0 ⋅ V0n p1 p2 Eingesetzt in die Bedingung ΔV = V2 − V1 folgt daraus ΔV = V0 ⋅ (√n V0 =

p √ p0 2 n

ΔV

p0 n p0 −√ ) p2 p1 p

− √n p0

bzw. (3.88)

1

Erfolgt die Zustandsänderung vom Zustand 1 in den Zustand 2 sehr langsam, sodass stets ein Temperaturausgleich mit der Umgebung stattfinden kann, liegt eine isotherme Zustandsänderung vor. In diesem Fall kann n = 1 gesetzt werden. Bei hohen Füllbzw. Entnahmegeschwindigkeiten, also bei raschen Zustandsänderungen, kann kein Wärmeaustausch stattfinden, und es liegt eine adiabatische Zustandsänderung vor. In diesem Fall ist mit n = κ = 1, 4 zu rechnen. Tatsächlich wird „n“ zwischen den Werten 1 und 1,4 liegen. Um den Druckabfall im Speicher bei Entnahme von Hydraulikflüssigkeit möglichst gering zu halten, wird in Druckzentralen bühnentechnischer Anlagen einem Kolbenspeicher für die Flüssigkeitsmenge VF in Gasflaschen ein Gasvolumen VG ≈ 5 ⋅ VF zugeordnet.

3.9 Hydraulikflüssigkeiten

| 359

3.8.4 Rohrleitungen Um die Strömungsverluste bzw. die Erwärmung der Hydraulikflüssigkeit und die Schallemission gering zu halten, sollen in hydrostatischen Anlagen der Bühne folgende Strömungsgeschwindigkeiten nicht überschritten werden: in Druckleitungen 3 m/s in Saugleitungen 0,7 m/s in Tank-Rücklaufleitungen 2 m/s (In der Druckzentrale können für Druckleitungen auch höhere Geschwindigkeiten zugelassen werden.) Nach Gl. (3.74) kann daraus der erforderliche Nennquerschnitt errechnet werden.

3.9 Hydraulikflüssigkeiten Die Hydraulikflüssigkeit ist in hydrostatischen Antrieben Energieträger zur Weiterleitung von Kraftwirkungen, muss aber auch die durch Verluste freigesetzte Wärmeenergie abführen. Ferner übernimmt die Hydraulikflüssigkeit Aufgaben der Schmierung, des Korrosionsschutzes sowie des Abtransportes von Verschleißmaterial (Abrieb) und der Sammlung der Feststoffteilchen in Filtern. Hydraulikflüssigkeiten sollten nicht zu dickflüssig sein, um ein gutes Ansaugen durch die Pumpe zu gewährleisten und die Strömungsverluste gering zu halten; andererseits sollten sie nicht zu dünnflüssig sein, um die Leckölverluste an Dichtspalten gering zu halten. Als Hydraulikmedium kommen grundsätzlich verschiedene Flüssigkeiten in Frage, deren sehr unterschiedliche Eigenschaften aber beachtet werden müssen: Mineralöle, pflanzliche Öle, Öl–Wasser-Gemische, Wasser–Glykol-Lösungen (Polyglykole), synthetische wasserfreie Flüssigkeiten (Ester). Bei Hydraulikölen auf Mineralölbasis unterscheidet man nach DIN 51 524 zwischen – HL-Ölen mit Wirkstoffen zur Erhöhung der Alterungsbeständigkeit und des Korrosionsschutzes, geeignet bis zu Flüssigkeitsdrücken von etwa 200 bar, – HLP-Ölen, die mit Hochdruck-Zusätzen zur Verschleißverringerung bei hohen Drücken versehen sind, und – HVLP-Ölen, bei denen außerdem Wirkstoffe zur Verringerung der Abhängigkeit der Viskosität von Druck und Temperatur zugesetzt sind. Üblicherweise werden in hydrostatischen Anlagen, falls der Betrieb nicht bei besonders großen Temperaturunterschieden erfolgt, HLP-Öle eingesetzt. In der Bühnentechnik sind aufgrund von Vorschriften des Öfteren aber auch schwerentflammbare Flüssigkeiten mit einem bestimmten Entzündungs- und Brennverhalten zu verwen-

360 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) den, die nach ISO mit HFA–HFD bezeichnet werden. Zu den schwerentflammbaren Hydraulikflüssigkeiten zählen: – HFA-Flüssigkeiten: Öl-in-Wasser-Emulsionen mit einem Wassergehalt von 80– 98 %, d. h. brennbarer Anteil maximal 20 %, – HFB-Flüssigkeiten: Wasser-in-Öl-Emulsionen mit einem Wassergehalt von mehr als 40 %, d. h. brennbarer Anteil maximal 60 %, – HFC-Flüssigkeiten: wässrige Lösungen, z. B. Wasser-Glykol mit einem Wassergehalt von 35–55 %, – HFD-Flüssigkeiten: wasserfreie synthetische Flüssigkeiten wie z. B. Phosphatester, chlorierte Kohlenwasserstoffe und organische Ester. In der Bühnentechnik wurden in alten Bühnenanlagen aus Brandschutzgründen oft Systeme mit Wasserhydraulik (HFA- und HFC-Flüssigkeiten) eingesetzt. Bei der Anwendung von HFA-Flüssigkeiten stellen mechanischer Verschleiß, Erosion und Kavitationserosion sowie mikrobieller Befall besondere technologische Probleme dar. Heutzutage werden häufig HFD-Flüssigkeiten, und zwar organische Ester, als Hydraulikmedium verwendet. Bei synthetischen Flüssigkeiten ist zu bedenken, dass durch chemische Verunreinigungen eventuell elektrochemische Korrosionsvorgänge ausgelöst werden können. Daher sollten diese Flüssigkeiten zeitweilig hinsichtlich ihrer Zusammensetzung überprüft werden, um eventuell rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Unter diesen organischen Estern wird in der Bühnentechnik ein Produkt unter der Markenbezeichnung „Quintolubric N 822“ sehr häufig eingesetzt, das als HFD-U Flüssigkeit zu klassifizieren ist und auf Polyolesterbasis beruht. Diese Hydraulikfüssigkeit soll daher exemplarisch bezüglich seiner Eigenschaften etwas näher beschrieben werden: – Die Selbstzündungstemperatur liegt bei 460 °C, d. h. unterhalb dieser Temperatur ist eine Selbstzündung unmöglich, der Brennpunkt bei 350 °C, d. h. unterhalb dieser Temperatur brennt die Flüssigkeit nicht, wenn eine offene Flamme als Zündquelle verwendet wird. Wird die Zündquelle entfernt, so zeigt die Flüssigkeit einen Selbstlöscheffekt. – Verträglichkeit mit allen Metallen, allen Hydraulikflüssigkeiten auf Mineralölbasis und den gebräuchlichsten Phosphatestern ist gegeben. Ferner können in den Geräten fast alle allgemein gebräuchlichen Standarddichtungen verwendet werden. – Die spezifische Masse beträgt 0,92 kg/dm3 und erlaubt ein Aufschwimmen bei Wasserbeimengungen, was deren Entfernen ermöglicht. Es ist wichtig, die Flüssigkeit wasserfrei zu halten, denn sie ist mit Wasser nicht mischbar und das Wasser würde in Form von Wassertröpfchen zu nachteiligem Betriebsverhalten führen. – Die Flüssigkeit ist biologisch abbaubar und ungiftig. – Die Schmiereigenschaften sind in einem großen Temperaturbereich sehr gut.

3.9 Hydraulikflüssigkeiten

| 361

Diverse Kennwerte von Hydraulikflüssigkeiten Spezifische Masse (Dichte) Die Dichte ist vom Produkt, aber auch von der Temperatur und dem Druck abhängig. Grobe Richtwerte sind der Tab. 3.5 zu entnehmen. Tab. 3.5: Spezifische Masse von Hydraulikflüssigkeiten.

Mineralöle HFA HFB HFC HFD, Quintolubric

kg/dm3

kg/m3

0,90 0,99 0,95 1,04–1,09 0,92–1,45

900 990 950 1040–1090 920–1450

Viskosität Die kinematische Zähigkeit (Viskosität) wird meist in [mm2 /s] angegeben. Sie ist i. A. stark temperatur- und auch druckabhängig; mit steigender Temperatur nimmt die Viskosität ab. Der zulässige Viskositätsbereich hängt vor allem von der im System verwendeten Pumpen- und Motorenbauart ab und ist den Herstellerangaben zu entnehmen. Bei 50 °C beträgt die Viskosität von Ölen etwa 20 ÷ 150 mm2 /s, jene von Wasser 0,6 mm2 /s. Kompressibilität Bei den meisten Betrachtungen können Hydraulikmedien als inkompressibel angesehen werden, aber manchmal ist die geringfügige Kompressibilität doch zu berücksichtigen. Der Wert βK =

1 ΔV 1 m2 ⋅ [ ], [ ] mit ΔV = V0 − V1 und Δp = p1 − p0 V0 Δp N bar

ΔV = βK ⋅ V0 ⋅ Δp

(3.89)

wird als Kompressibilitätskoeffizient und der Reziprokwert V ⋅ Δp N 1 = 0 = EH [ 2 ], [bar] βK ΔV m V ⋅ Δp ΔV = 0 K K=

(3.90)

als Kompressionsmodul bezeichnet. Die Kompressibilität einer Flüssigkeit ist vor allem vom Druckniveau, aber auch von der Temperatur abhängig: Je höher der Druck ist, desto geringer ist βK bzw. desto größer ist K. Lufteinschlüsse in der Hydraulikflüssigkeit erhöhen die Kompressibilität.

362 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Bei sehr hohen Drücken (> 350 bar) wirken sich Lufteinschlüsse allerdings kaum mehr auf die Kompressibilität aus. Je höher die Temperatur ist, desto größer ist βK bzw. desto geringer ist K. Die Abhängigkeit von der Temperatur ist im üblichen Temperaturbereich aber vernachlässigbar gering. Für Mineralöl gilt je nach Druckniveau im Mittel βK = 6,7 ⋅ 10−5 1/bar = 6,7 ⋅ 10−6 cm2 /N = 6,7 ⋅ 10−10 m2 /N

K = EH = 1,5 ⋅ 104 bar = 1,5 ⋅ 105 N/cm2 = 1,5 ⋅ 109 N/m2 = 1,5 kN/mm2

(K = 1,6 kN/mm2 bei normalem Atmosphärendruck, K = 1,4 kN/mm2 im Druckbereich 100 bis 300 bar.)

Für Wasser gilt im Mittel βK = 4,8 ⋅ 10−5 1/bar K = 2,1 ⋅ 104 bar

D. h. Wasser besitzt eine geringere Kompressibilität als Öl. Der Kompressibilitätsmodul K einer Flüssigkeit entspricht dem Elastizitätsmodul eines Feststoffes und wird daher auch mit EH bezeichnet. Vergleichsweise beträgt der E-Modul von Stahl EStahl = 206 [kN/mm2 ] = 206 ⋅ 109 [N/m2 ] Öl ist also 206/1,5 ≈ 140fach und Wasser 206/2,1 ≈ 100fach elastischer als Stahl. Daher ist ein von Spindeln oder Zahnstangen getragenes Hubpodium viel starrer gelagert als ein auf Hydrozylindern abgestütztes Podium. Die weit höhere Kompressibilität der Flüssigkeit wirkt sich in einer größeren Lageänderung des Podiums bei Änderung der Last, vor allem aber in einer größeren „Schwingungsanfälligkeit“ im unverriegelten Zustand aus, da die Eigenfrequenz des Systems viel niedriger ist (siehe Kap. 3.10). Wird also in einem Zylinder der Innendruck durch Vergrößerung der Last um Δp erhöht, kann die Veränderung ΔV des Flüssigkeitsvolumens mit Gl. (3.89) bzw. Gl. (3.90) errechnet werden. Der Kolben verschiebt sich um das Maß lp = V0 ΔV A lp

ΔV A

(3.91)

Volumen der Hydraulikflüssigkeit im Zylinder [m3 ] Volumsänderung der Hydraulikflüssigkeit infolge der Druckänderung [m3 ] Kolbenfläche [m2 ] Verschiebung des Kolbens infolge der Druckänderung [m]

3.9 Hydraulikflüssigkeiten

| 363

βK Kompressibilitätskoeffizient [m2 /N, 1/bar, …] K = EH Kompressionsmodul [N/m2 , bar, …] Genaugenommen müsste bei dieser Betrachtung auch die Dehnung des Zylinderrohres bei Druckerhöhung berücksichtigt werden. Diese ist aber i. A. vernachlässigbar klein. Volumenänderung bei Temperaturänderung Der volumetrische Wärmeausdehnungskoeffizient = Wärmedehnzahl ist ΔV 1 1 ⋅ [ ] mit ΔV = V1 − V0 und Δϑ = ϑ1 − ϑ0 V0 Δϑ grd ΔV = βϑ ⋅ V0 ⋅ Δϑ βϑ =

(3.92)

Er beträgt: für Hydrauliköl ca. βϑ = 7,0 ⋅ 10−4 [1/grd] für Wasser βϑ = 1,8 ⋅ 10−4 [1/grd]. Damit und mit dem Ansatz lϑ =

ΔV A

(3.93)

Δϑ Temperaturänderung der Hydraulikflüssigkeit [grd] lϑ Verschiebung des Kolbens infolge der Temperaturänderung kann daher die Volumsänderung bei Veränderung der Temperatur und die daraus resultierende Verschiebung des Kolbens eines Zylinders errechnet werden. Genaugenommen müsste die Durchmesseränderung des Zylinderrohres bei Temperaturänderung berücksichtigt werden. Diese ist jedoch vernachlässigbar klein. Spezifische Wärme Die spezifische Wärme c ist jene Wärmemenge Q, die erforderlich ist, um 1 kg eines Stoffes um 1 grd zu erwärmen. Es gilt daher die Beziehung Q = c ⋅ m ⋅ Δϑ Q m c Δϑ

(3.94)

zu- bzw. abgeführte Wärmemenge = Energie = Arbeit [Nm = J] Masse des Stoffes [kg] spezifische Wärme [J/(kg ⋅ grd)] Temperaturdifferenz (Erwärmung bzw. Abkühlung)

In Tabelle 3.6 ist die spezifische Wärme von Hydrauikflüssigkeiten in neuer und alter Einheit angeführt.

364 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Tab. 3.6: Spezifische Wärme von Hydraulikflüssigkeiten.

Mineralöl Wasser, HFA-Flüssigkeiten HFB-, HFC-Flüssigkeiten HFD-Flüssigkeiten, Quintolubric

kJ/(kg ⋅ grd)

kcal/(kg ⋅ grd)

1,9 ÷ 2,1 4,18 3,3 1,26

0,45 ÷ 0,5 1,0 0,8 0,3

Die spezifische Wärme beträgt für (siehe Tab. 3.6). Die spezifische Wärme von Mineralöl ist also nur etwa halb so groß wie jene von Wasser, die von Quintolubric nur etwa ein Drittel jener von Wasser. Daher wird sich eine Gewichtsmenge Mineralöl im Vergleich zur gleichen Gewichtsmenge Wasser bei Zufuhr der gleichen Wärmemenge um etwa das Doppelte und Quintolubric um etwa das Dreifache erwärmen. Daher kann es sein, dass eine Anlage mit Wasser als Betriebsmedium kein Kühlsystem benötigt, dieselbe Anlage mit Öl bzw. Quintolubric als Hydraulikmedium aber mit einem Kühlsystem ausgerüstet sein muss. Bei Hydraulikflüssigkeiten sollte bei der Wartung der Anlage insbesondere auf Folgendes geachtet werden: – Der Wassergehalt in HLP-Mineralölen und HFD-U Flüssigkeiten sollte nicht längere Zeit über 0,1 % liegen. – Da die Flüssigkeiten durch Oxydation, Hydrolyse, Abbau von Additiven etc. einem Alterungsprozess unterliegen, sollte der Alterungszustand durch zeitweilige Bestimmung der „Neutralisationszahl“ und Überprüfung des Luftabscheidevermögens bzw. Schaumverhaltens überwacht werden.

3.10 Schwingungen Bei der Dimensionierung von Bauteilen ist zu beachten, dass im Betrieb keine störenden Schwingungen auftreten. In der Bühnentechnik ist dieses Kriterium von besonderer Bedeutung. Es wäre z. B. nicht tolerierbar, wenn ein Podium mit aufgebauten Kulissen durch Balletttänzer/Balletttänzerinnen oder durch Antriebe zu deutlich wahrnehmbaren Schwingungen angeregt werden würde. Ganz allgemein bezeichnet man als Schwingungen mehr oder weniger regelmäßig auftretende Schwankungen von Zustandsgrößen. In der hier angesprochenen Problemstellung handelt es sich um mechanische Schwingungen, bei denen ein Bauteil periodisch um eine Ruhelage schwingt. Abb. 3.12 a zeigt eine Schwingung mit periodischer Veränderung eines Zustandswertes x (z. B. Lagekoordinate, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Kraft oder Winkellage, Winkelgeschwindigkeit, Winkelbeschleunigung, Moment) über der Zeit t, wobei gilt: x(t) = x(t + T)

(3.95)

3.10 Schwingungen

| 365

Abb. 3.12: Schwingungen.(a) periodische Schwingung, (b) harmonische Schwingung.

Einen charakteristischen Wert einer veränderlichen Größe stellt deren Effektivwert dar, der als quadratischer Mittelwert definiert ist: xeff = √ x t T xeff

1 ∫ x2 (t)dt T

(3.96)

Zustandswert Zeit [s] Schwingungsdauer = Dauer einer Periode [s] Effektivwert des Zustandswertes

Die meisten in Natur und Technik vorkommenden Schwingungen sind Sinusschwingungen der Form x = x ⋅ sin(ω ⋅ t)

nach Abb. 3.12b;

sie werden auch als harmonische Schwingungen bezeichnet. Auf diese Art der Schwingungen beziehen sich die weiteren Betrachtungen. Für sie gilt insbesondere: f =

1 T

und

ω=2⋅π⋅f

bzw. f =

ω 2⋅π

(3.97)

366 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) 1 ⋅ (xmax − xmin ) 2 1 x = √ (x ⋅ sin ωt)2 dt = √2 T

x= xeff f ω x T

(3.98) (3.99)

Frequenz = Zahl der Schwingungen pro Zeiteinheit [1/s] Kreisfrequenz = Zahl der Schwingungen in 2π Sekunden [1/s] Amplitude = halber Wert der gesamten Schwingweite [Dimension des Wertes x] Schwingungsdauer, Periodendauer [s]

Einen sinusförmigen Kurvenverlauf für x über t kann man erhalten, indem man einen Punkt am Umfang eines Kreises mit dem Radius x mit der Winkelgeschwindigkeit ω um den Kreismittelpunkt rotieren lässt und die jeweilige x-Koordinate des Punktes über der Zeit t aufträgt. Daher wird diese Winkelgeschwindigkeit ω Kreisfrequenz genannt. Damit lassen sich auch die oben angegebenen Formelzusammenhänge erläutern: Bei einer Winkelgeschwindigkeit ω läuft der Punkt am Kreisumfang der Länge u = 2 ⋅ x ⋅ π mit der Umfangsgeschwindigkeit v = x ⋅ ω Die Umlaufzeit T beträgt daher T=

u 2π 1 = = v ω f

Die folgenden Ausführungen sollen nicht Schwingungslehre im Sinne eines Lehrbuches vermitteln, sondern eine für Problemstellungen der Bühnentechnik relevante Formelsammlung bieten.

3.10.1 Einmassenschwinger Zunächst werden Schwinger betrachtet, bei denen eine an einem Ort konzentriert gedachte Masse (Massenpunkt) eine schwingende Bewegung ausführt. Wird ein derartiger Einmassenschwinger z. B. durch eine Auslenkung einmalig angeregt, so schwingt er mit einer ganz bestimmten systemspezifischen Frequenz, der sogenannten Eigenfrequenz feig bzw. ωeig . Bei einer ungedämpften Eigenschwingung würde diese Schwingung theoretisch unendlich lange fortdauern. Tatsächlich sind immer dämpfende Einflüsse vorhanden, sodass die Schwingung je nach Art und Größe der Dämpfung früher oder später abklingt (gedämpfte Eigenschwingung). Es ist aber auch leicht vorstellbar, dass sich ein System, das dauernd im Takt seiner Eigenfrequenz oder ähnlich seiner Eigenfrequenz angeregt wird, zu Schwingungen besonders großer Amplituden aufschaukelt. Stimmen Eigen- und Erregerfrequenz überein, so spricht man von Resonanz. Bei einem völlig ungedämpften System würde

3.10 Schwingungen

| 367

die Schwingungsamplitude in diesem Fall theoretisch unendlich groß werden. Wieder hängt es von Art und Größe der Dämpfung ab, wie groß die Schwingungsamplituden tatsächlich werden. Eigenfrequenz eines Feder-Masse-Systems Ist die Masse der Feder klein gegenüber der Masse m, kann die Feder zur Vereinfachung als masselos angenommen werden. Für den Feder-Masse-Schwinger mit translatorischer Bewegung der Masse nach Abb. 3.13a gilt: ωeig = √ c= m c F δ

F δ

c m

(3.100) (3.101)

schwingende Masse [kg] Federkonstante der Feder [N/m] Kraft [N] Verschiebung [m] infolge der Kraft F [N]

F ist jene an der Stelle der Masse in Richtung der Schwingbewegung anzusetzende Kraft, die erforderlich ist, eine Auslenkung um eine Strecke δ vorzunehmen.

Abb. 3.13: Feder-Masse-Schwinger. (a) Einzelfeder, (b), (c) Parallelschaltung von Federn, (d) Serienschaltung von Federn.

Sind zwei Federn nach Abb. 3.13b, c parallel geschaltet, so ist die resultierende Federkonstante c = c1 + c2 bzw. bei i Federn c = ∑ ci

(3.102)

368 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Sind zwei Federn nach Abb. 3.13d in Reihe geschaltet, so ist 1 1 1 = + c c1 c2 bzw. bei i Federn 1 1 =∑ c ci

(3.103)

Für einen Feder-Masse-Schwinger mit drehender Bewegung der Masse nach Abb. 3.18 a gilt in analoger Weise (masselose Drehfeder) ωeig = √ c= Im c M φ

c Im

(3.104)

M φ

(3.105)

Massenträgheitsmoment der schwingenden Masse [kg m2 ] Drehfederkonstante der Drehfeder [N/rad] Drehmoment [Nm] Drehwinkel [rad] infolge des Drehmomentes M [Nm]

Die Masse m ist also in diesem Fall durch das Massenträgheitsmoment Im der Masse m ersetzt, die Federkonstante bezieht sich auf ein erforderliches Drehmoment M zur Erzielung eines Verdrehwinkels φ. Im Folgenden werden einige spezielle Beispiele näher behandelt: Elastischer Zugstab (Abb. 3.14a) Ist die Feder ein als masselos angenommener Stab mit der Querschnittsfläche A und aus einem Werkstoff mit dem Elastizitätsmodul E, so gilt unter Anwendung des Hooke’schen Gesetzes der Festigkeitslehre für die Verschiebung δ unter einer Kraftwirkung F: F δ = l A⋅E A E l

und

c=

F A⋅E = δ l

(3.106)

Querschnittsfläche des Stabes [m2 ] Elastizitätsmodul des Stabes [N/m2 ] Länge des elastischen Stabes [m]

Der in Kap. 3.7 behandelte Fall einer in ein elastisches Seil stürzenden Last lässt sich auch als Schwingungsphänomen interpretieren, wobei hier Dämpfungen nicht berücksichtigt werden:

| 369

3.10 Schwingungen

Abb. 3.14: Stab und Flüssigkeitssäule als Feder. (a) Zugstab, (b) Flüssigkeitssäule.

Die Schwingungsgleichung lautet für die Anfangsbedingungen x(t=0) = 0 und ̇ x(t=0) = v0 v0 v ⋅ sin(ω ⋅ t) mit der Amplitude x = 0 ω ω ̇x(t) = v0 ⋅ cos(ω ⋅ t) mit |vmax | = v0 x(t) =

̈ = −v0 ⋅ ω ⋅ sin(ω ⋅ t) x(t)

mit |amax | = v0 ⋅ ω

(3.107)

mit ω = √ mc

x(t) Verlauf der Auslenkung aus der Ruhelage über der Zeit ̇ Verlauf der Geschwindigkeit über der Zeit x(t) ̈ Verlauf der Beschleunigung über der Zeit x(t) Die Ruhelage ist durch die Dehnung des Seiles auf Grund des Gewichtes der Masse m bestimmt durch Δl0 = m⋅g , die Schwingungsamplitude c x = Δl − Δl0 Gemäß Gl. (3.69) ist Δl = x=

m⋅g 2⋅h⋅c ⋅ [1 + √1 + ] c m⋅g m⋅g 2⋅h⋅c m⋅g m⋅g 2⋅h⋅c ⋅ [1 + √1 + ]− = ⋅ √1 + c m⋅g c c m⋅g v

Gemäß Gl. (3.107) lässt sich die Amplitude aber auch errechnen als x = ω0 wobei v0 folgendermaßen errechnet werden kann: Bei Zurücklegung des Weges A aus der Nulllage wird die mit v0 gegebene kinetische Energie und die frei werdende potentielle Energie in Dehnarbeit des Seiles um-

370 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) gewandelt m ⋅ v02 1 +m⋅g⋅x = ⋅F⋅x 2 2 v0 = √

2 1 ( F ⋅ x − m ⋅ g ⋅ x) m 2

amax = v0 ⋅ ω

(3.108) (3.109)

Flüssigkeitssäule (Abb. 3.14b) Auch eine Flüssigkeitssäule hat infolge der Kompressibilität einer Flüssigkeit federnde Eigenschaften. Der Kompressionsmodul K der Hydraulikflüssigkeit entspricht dem Elastizitätsmodul EH (siehe Kap. 3.9, Gl. (3.90)). Stützt sich daher eine Masse m über einen Kolben der Fläche A nach Abb. 3.14b auf einem Flüssigkeitsvolumen Vab , so können Federsteifigkeit und Eigenfrequenz des Flüssigkeitsvolumens folgendermaßen errechnet werden (siehe die Gln. (3.28), (3.90), (3.91) und (3.101)): c=

Δp ⋅ A2 ⋅ EH F Δp ⋅ A Δp A2 = ΔV = ⋅ A2 = = E δ ΔV V0 ⋅ Δp V0 H

ωeig = √

A

A2 ⋅ EH c =√ m V0 ⋅ m

(3.110) (3.111)

A Kolbenfläche [m2 ] V0 federndes Volumen der Hydraulikflüssigkeit [m3 ] EH Elastizitätsmodul der Hydraulikflüssigkeit = Kompressibilitätskoeffizient K [N/m2 ] (siehe Kap. 3.9) Gleichgangzylinder (Abb. 3.15a) Ist die Masse m zwischen zwei parallel geschalteten Flüssigkeitssäulen eingespannt, so ist c = c1 + c2 = EH ⋅ A2 ⋅ (

1 1 + ) V1 V2

Setzt man für V1 = A ⋅ x und für V2 = a ⋅ (h − x), erhält man 1 1 c = EH ⋅ A ⋅ ( + ) x h−x

(3.112)

3.10 Schwingungen |

371

Abb. 3.15: Doppeltwirkende Zylinder. (a) Gleichgangzylinder (Volumen V1 und V2 ), (b) Differenzialzylinder (Volumen V1 + VI und V2 + VII ).

Jene Kolbenstellung x0 , bei der die Federsteifigkeit und damit die Eigenfrequenz ein Minimum ist, erhält man durch Differenzieren und Nullsetzen (dc/dx = 0): x0 =

h 2

und

cmin =

4 ⋅ A ⋅ EH h

Die Eigenfrequenz beträgt daher in dieser Kolbenstellung ωeig = √

cmin √ 4 ⋅ A ⋅ EH = m h⋅m

(3.113)

Differenzialzylinder (Abb. 3.15b) In analoger Weise lässt sich ein Differenzialzylinder behandeln. Zur weiteren Verallgemeinerung ist hier zu den Flüssigkeitsvolumina auf beiden Kolbenseiten noch jeweils ein Zusatzvolumen VI und VII zur Berücksichtigung von Rohrabschnitten bis zum nächsten Absperrorgan hinzugefügt. c = c1 + c2 =

A21 ⋅ EH A22 ⋅ EH + A1 ⋅ x + VI A2 ⋅ (h − x) + VII

(3.114)

372 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Aus der Bedingung dc/dx = 0 folgt analog zu vorher A2 ⋅h

x0 = cmin =

√A32

+ 1 √A2

VII

√A32

+

− 1 √A1

VI

√A31

A21 ⋅ EH A22 ⋅ EH + V1 V2

mit V1 = A1 ⋅ x0 + VI und V2 = A2 ⋅ (h − x0 ) + VII

ωeig = √

cmin m

(3.115)

Biegeschwinger (Abb. 3.16) In Anwendung von Gl. (3.100) gilt für einen Kragträger nach Abb. 3.16a δ=

F ⋅ l3 3⋅E⋅J

und

c=

F 3⋅E⋅J = δ l3

(3.116)

und für einen gelenkig gelagerten Träger auf zwei Stützen nach Abb. 3.16b δ=

a2 ⋅ b2 F ⋅ 3⋅E⋅J l

und

c=

F 3⋅E⋅J ⋅l = δ a2 ⋅ b2

(3.117)

E Elastizitätsmodul des Trägermaterials [N/m2 ] J Flächenträgheitsmoment des Trägerquerschnittes [m4 ] a, b, l Längen gemäß Abb. 3.16 [m] Anders gelagerte Träger können unter Anwendung der entsprechenden Formeln für die Durchbiegung analog behandelt werden.

Abb. 3.16: Biegeschwinger mit Einzelmasse. (a) Kragträger, (b) Träger auf zwei Stützen.

3.10 Schwingungen |

373

Querschwingende Saite mit mittiger Masse (Abb. 3.17) Für eine mit der Vorspannkraft S gespannte (masselose) Saite gilt in Anwendung von Gl. (3.101) nach den Gesetzen der Seilstatik δ=

F a⋅b ⋅ S l

und

c=

F S⋅l = δ a⋅b

(3.118)

Abb. 3.17: Querschwingende Saite mit Einzelmasse.

Drehschwinger (Abb. 3.18a) Analog zur Federkennzahl lässt sich die Größe c=

M φ

ωeig = √

definieren und die Eigenfrequenz beträgt

c I

(3.119)

M Drehmoment ϕ Verdrehwinkel I Massenträgheitsmoment der schwingenden Masse

Abb. 3.18: Drehschwinger. (a) Torsionsstab mit Masse, (b) Hydromotor.

Ist die Drehfeder ein Torsionsstab mit Kreisquerschnitt, dessen Massenträgheit vernachlässigbar ist, so ist φ=

M⋅l G ⋅ Ip

und

c=

M G ⋅ Ip = φ l

374 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Jp G l φ

polares Flächenträgheitsmoment [m4 ] Schubmodul des Werkstoffes des Torsionsstabes [N/m2 ] Länge des Torsionsstabes [m] Verdrehwinkel [rad]

Hydromotor (Abb. 3.18b) Auch eine von einem Hydromotor bewegte Masse m stellt ein schwingungsfähiges System dieser Art dar. Hat der Hydromotor das Schluckvolumen VM (siehe Kap. 2.3.2, 3.8.2), kann angenommen werden, dass das eingespannte Volumen im Motor je Seite VM /2 ist. Schließt auf der einen Seite mit Rohrleitungen ein Volumen VI an, auf der anderen Seite ein Volumen VII , so betragen die eingespannten Volumina V1 =

VM + VI 2

und

V2 =

VM + VII 2

(3.120)

Die Eigenfrequenz dieses Systems kann ebenfalls mit Gl. (3.104), (3.105) bestimmt werden. Wird dem Hydromotor die seinem Schluckvolumen VM entsprechende Flüssigkeitsmenge zugeführt, so dreht sich der Rotor um den Winkel 2π; einer Volumensänderung ΔV entspricht daher ein Drehwinkel φ = 2π ⋅

ΔV VM

In Anwendung von Gl. (3.105), (3.84) und (3.90) ist daher c=

M = φ

1 2π

⋅ VM ⋅ Δp

2π ⋅

ΔV VM

2

=(

2

V E VM Δp ) ⋅ =( M) ⋅ H 2π ΔV 2π V0

(3.121)

Setzt man für V0 nun die Volumina nach Gl. (3.119) ein, erhält man c = c1 + c2 = (

2

VM 1 1 ) ⋅ EH ⋅ ( + ) 2π V1 V2

(3.122)

und gemäß Gl. (3.104) ωeig =

VM E 1 1 ⋅√ H ⋅( + ) 2π Im V1 V2

(3.123)

Für den Sonderfall V1 = V2 = V ergibt sich ωeig =

VM 2EH ⋅√ 2π Im ⋅ V

(3.124)

3.10 Schwingungen |

375

Eigenfrequenz des Fadenpendels Zum Schluss sei noch das sogenannte Fadenpendel nach Abb. 3.19 (auch mathematisches Pendel genannt) erwähnt, bei dem eine Masse m an einem masselosen Faden hängend unter der Wirkung der Schwerkraft schwingt. Für dieses schwingungsfähige System gilt im Falle kleiner Auslenkungen ωeig = √ g l

g l

(3.125)

Erdbeschleunigung g = 9,81 m/s2 Pendellänge [m]

D. h. in diesem Fall ist die Eigenfrequenz unabhängig von der Größe der schwingenden Masse.

Abb. 3.19: Pendel. (a) Fadenpendel, (b) physikalisches Pendel.

Bezüglich des physikalischen Pendels nach Abb. 3.19 siehe Gl. (3.134).

3.10.2 Schwingendes Kontinuum Mit dem Begriff schwingendes Kontinuum ist ein schwingendes Bauelement gemeint, bei dem nicht zwischen masseloser Feder und schwingender Masse unterschieden werden kann; es schwingt ein massebehaftetes Bauelement infolge seiner Eigenelastizität. Einem solchen schwingenden Kontinuum ist eigen, dass es unendlich viele Eigenfrequenzen hat: eine niedrigste Eigenfrequenz und viele überlagerte Oberschwingungen höherer Frequenz. Resonanz tritt wieder dann auf, wenn die Erregerfrequenz mit einer dieser Eigenfrequenzen übereinstimmt. Von besonderem Interesse ist meist die niedrigste Eigenfrequenz. Eigenfrequenz eines schwingenden Kontinuums Es werden nur die Formeln für die Längs- und Querschwingungen eines Balkens mit konstantem Querschnitt angegeben.

376 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Längsschwingung eines Balkens ωeig = Kn √

c m

(3.126)

Der Faktor Kn hängt von der Art der Lagerung (den Randbedingungen) ab; c errechnet sich nach Gl. (3.106). – Für völlig freie Längsbeweglichkeit oder feste Halterung (Einspannung) an den beiden Enden ist als Randbedingung zu setzen Kn = π ⋅ n

mit n = 1, 2, 3, . . .

Wendet man Gl. (3.122) für eine in einem Rohr der Länge l eingespannte Flüssigkeitssäule (Querschnittsfläche A) an, so ergibt sich mit Gl. (3.107) A2 A2 A ⋅ EH = ⋅ EH = ⋅ EH und mit m = V ⋅ ρ = A ⋅ l ⋅ ρ V0 A⋅l l m ⋅ EH c= 2 l ⋅ρ E E π⋅n π⋅n c ⋅√ H = ⋅ vs mit vs = √ H ωeig = π ⋅ n ⋅ √ = m l ρ l ρ ωeig n ⋅ vs feig = = (nach Gl. (3.97)) (3.127) 2π 2⋅l c=

Die niedrigste Frequenz ω0 bzw. f0 erhält man für n = 1. Die Wellenlänge errechnet sich daraus (Gl. (3.138)) zu λ=

vs 2 ⋅ l = f n

Resonanz liegt vor, wenn die Rohrlänge l dieser Bedingung entspricht: l= –

n⋅λ 2

d. h. l =

λ 3λ , λ, , 2λ 2 2

(3.128)

Für die Randbedingungen ein Ende frei, das andere fest gilt 2n − 1 und es errechnet sich in analoger Weise 2 2n − 1 ⋅ vs bzw. ωeig = π ⋅ 2⋅l 2n − 1 feig = ⋅ vs 4⋅l v 4⋅l λ= s = f 2n − 1 Kn = π ⋅

Resonanz liegt vor für

(3.129)

3.10 Schwingungen |

l=

2n − 1 ⋅λ 4

d. h. für λ =

λ 3λ 5λ , , .... 4 4 4

377

(3.130)

EH Kompressionsmodul der Flüssigkeit [N/m2 ]

vs Kn l n λ ρ

Schallgeschwindigkeit in der Flüssigkeit [m/s] vs = √ EρH Randbedingungsfaktor [–] Balkenlänge [m] natürliche Zahl 1, 2, 3, . . . Wellenlänge [m] spezifische Masse der Flüssigkeit [kg/m3 ]

Biegeschwingung eines Balkens (Abb. 3.20) Für die Biegeschwingung eines Balkens mit konstanter Materialbelegung über die Balkenlänge l sind die Eigenfrequenzen nach folgender Formel zu errechnen ωeig = Kn2 ⋅ √ A E ρ J vs

E √J ⋅ ρ A

(3.131)

Querschnittsfläche des Balkens [m3 ] Elastizitätsmodul [N/m2 ] Dichte [kg/m3 ] Flächenträgheitsmoment des Balkens [m4 ] Schallgeschwindigkeit im Balkenwerkstoff [m/s] vs = √ Eρ

Die Werte für Kn sind der Tab. 3.7 zu entnehmen.

Abb. 3.20: Eigenfrequenzen des querschwingenden Balkens – Randbedingungen. (a) Frei–frei, eingespannt–eingespannt, (b) gelenkig–gelenkig, (c) eingespannt–frei, (d) eingespannt–gelenkig.

378 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Randbedingungen nach Abb. 3.20: Tab. 3.7: Werte für Kn in Gl. (3.131). a b c d

K1 K1 K1 K1

≈ 4,73/l ≈ π/l ≈ 1,88/l ≈ 3,93/l

K2 K2 K2 K2

≈ 7,85/l ≈ 2π/l ≈ 4,69/l ≈ 7,07/l

K3 K3 K3 K3

≈ 11,00/l ≈ 3π/l ≈ 7,86/l ≈ 10,21/l

Kn Kn Kn Kn

≈ (2n + 1) ⋅ π/(2 ⋅ l) ≈ n ⋅ π/l ≈ (2n − 1) ⋅ π/(2 ⋅ l) ≈ (4n + 1) ⋅ π/(4 ⋅ l)

Die Eigenfrequenz für Biegeschwingungen ist auch für eine rotierende Welle von Relevanz und ergibt die kritische Winkelgeschwindigkeit ωk bzw. mit Gl. (3.9) die kritische Drehzahl nk =

1 ⋅ ωk 2π

Exemplarisch sei die biegekritische Drehzahl ersten Grades (Schwingungsbauch zwischen den Lagern) mit Kn für n = 1 einer beidseitig gelenkig gelagerten Rohrwelle (Fall b) angegeben. In Anwendung der Gl. (3.131) wird 2

π E J ωk = ( ) ⋅ √ ⋅ √ l ρ A

(3.132)

Daraus folgt für die Rohrwelle (z. B. auch für eine Gelenkwelle) mit π π ⋅ (D2 − d2 ) und J = ⋅ (D4 − d4 ) 4 64 π2 E √D2 + d2 ωk = ⋅√ ⋅ 4 ρ l2 A=

J A ρ E D d l

Flächenträgheitsmoment [m4 ] Rohrquerschnitt [m2 ] spez. Masse des Rohrwerkstoffes [kg/m3 ] Elastizitätsmodul des Rohrwerkstoffes [N/m2 ] Außendurchmesser der Rohrwelle [m] Innendurchmesser der Rohrwelle [m] Länge der Rohrwelle von Gelenk zu Gelenk [m]

Setzt man für Stahl √ Eρ = 5100 m/s erhält man mit Gl. (3.17) nk = 120 ⋅ 103 ⋅

√D2 + d2 l2

[U/min] mit D, d, l in [m]

(3.133)

3.10 Schwingungen |

379

Für eine Vollwelle ist d = 0 zu setzen und es wird ωk =

E D π2 ⋅√ ⋅ 2 4 ρ l

nk = 120 ⋅ 103 ⋅

D [U/min] mit D, l [m] l2

Eigenfrequenz des Körperpendels (physikalisches Pendel) Im Gegensatz zum bei den Einmassenschwingern erläuterten Fadenpendel gilt für das Körperpendel (auch physisches oder physikalisches Pendel genannt) nach Abb. 3.19b bei kleiner Auslenkung ωeig = √ m Im g s

m⋅g⋅s Im

(3.134)

Pendelmasse [kg] Massenträgheitsmoment der Masse m um den Drehpunkt [kg m2 ] Erdbeschleunigung [m/s2 ] g = 9,81 m/s2 Schwerpunktsabstand vom Drehpunkt [m]

3.10.3 Schwingungserregung Die Möglichkeiten Schwingungen anzuregen sind natürlich sehr vielfältig. Hier werden nur exemplarisch einige Fälle, die vor allem in der Bühnentechnik von Relevanz sein können, angeführt: Schwingungserregung durch rotierenden Bauteile Rotierende Masse Die Erregerfrequenz ferr beträgt ferr = n = f ω n n∗

n∗ [1/s] 60

Frequenz [1/s] Kreisfrequenz, Winkelgeschwindigkeit [1/s] Drehzahl [U/s] Drehzahl [U/min]

(3.135)

380 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Gelenkwelle Die Masse der Zwischenwelle einer Gelenkwelle (siehe Kap. 4.5) läuft mit einer Ungleichförmigkeit der doppelten Drehfrequenz der An- und Abtriebswelle ferr = 2 ⋅ n = 2 ⋅

n∗ 60

(3.136)

Zahntriebe Ebenso gibt ein Zahnrad durch den ständig wechselnden Zahneingriff in der Paarung mit einem anderen Zahnrad Störimpulse der Frequenz ferr = z ⋅ n = z ⋅

n∗ 60

(3.137)

Kettengetriebe Infolge des Polygoneffekts (siehe Kap. 4.2.2) bewirkt auch ein mit gleichförmiger Winkelgeschwindigkeit angetriebenes Kettenrad eine ungleichförmige Längsbewegung der Kette und – von geometrischen Sonderfällen abgesehen – auch eine ungleichförmige Rotation eines durch diese Kette angetriebenen Kettenrades. Die Frequenz der Ungleichförmigkeit der Kettenlängsbewegung ist gemäß Gl. (3.137) zu errechnen, wobei z die Zähnezahl des Kettenrades ist. Hydraulikpumpe, -motor Eine rotierende Hydraulikeinheit erzeugt in Abhängigkeit von der Anzahl der Förderkammern oder Verdrängerelemente einen mit der Frequenz ferr pulsierenden Förderstrom. Die Frequenz ferr ist nach Gl. (3.137) zu errechnen, wobei für z gilt: z Anzahl der Verdrängerelemente (der Kolben bei einer Kolbenpumpe, der Zähne bei einer Zahnradpumpe, der Flügel bei einer Flügelzellenpumpe) Reibungsschwingungen Periodische Erregungen können auch durch den sogenannten Slip-Stick-Effekt (Ruckgleiten) entstehen. Soll eine Masse m, angetrieben durch einen elastischen Antriebsstrang, auf einer Fläche gleitend bewegt werden, und ist der Reibungskoeffizient der Haftreibung μH größer als jener der Bewegung μG , so kann bei kleiner Relativgeschwindigkeit folgendes Phänomen auftreten: Infolge des hohen Haftreibwertes tritt trotz Kraftwirkung zunächst keine Gleitbewegung ein; die die Verschiebekraft übertragenden Bauelemente werden aber elastisch verformt und wie eine Feder gespannt. Ab einer gewissen Verspannung wird der Reibschluss gebrochen und Gleitbewegung setzt ein. Die Verspannung löst sich ruckartig. Dadurch kommt es aber wieder zur Situation, dass die Relativbewegung der beiden aneinander gleitenden Körper null wird. Somit ist wieder Haftreibung gegeben,

3.11 Akustik | 381

und dieser Vorgang wiederholt sich von neuem. Durch Verbesserung der Schmierverhältnisse kann der Slip-Stick-Effekt meist zum Verschwinden gebracht werden. Bewegungen von Darstellern Schließlich kann im Bühnengeschehen eine Schwingungserregung auch durch rhythmische Bewegungen von Darstellern erfolgen, bei marschierenden Personengruppen, durch Balletttänzer/Balletttänzerinnen etc.

3.10.4 Wahrnehmung von Schwingungen Schwingungen in bestimmten Frequenzbereichen sind für den Menschen wahrnehmbar und, wenn sie nicht beabsichtigt sind, meist störend, sei es, dass man eine Schwingungsbewegung sieht oder spürt. Besonders unangenehm empfindet der Mensch Schwingungen im Bereich von etwa 1 bis 10 Hz. Die mittlere Spürbarkeitsgrenze des Menschen liegt bei einer effektiven Schwinggeschwindigkeit von etwa veff = 0,11 mm/s (siehe Gl. (3.96), (3.99) mit v für den Wert x). Schwingungen der Luft im Frequenzbereich von etwa 16 (20) bis 16.000 (20.000) Hz werden als Schall wahrgenommen (s. Kap. 3.11). Bei der Dimensionierung bühnentechnischer Einrichtungen muss beachtet werden, dass z. B.: – Bauteile, die begehbar sind, nicht zu niedrige Eigenfrequenz haben, – rasch rotierende Massen besonders gut ausgewuchtet werden, – Maschinen auf Schwingmetalle zur Schwingungsisolierung aufgestellt und von der übrigen Konstruktion schwingungstechnisch weitgehend entkoppelt werden.

3.11 Akustik Akustik ist die Lehre vom Schall und umfasst alle Bereiche der Schallerzeugung, Schallausbreitung und des Schallempfanges. Bezüglich der akustischen Gestaltung eines Bühnen- und Zuschauerraumes muss einerseits dafür Sorge getragen werden, dass Sprache und Gesang der Darsteller bzw. der Klang des Orchesters von allen Zuschauern in möglichst guter Qualität wahrgenommen werden, andererseits muss danach getrachtet werden, dass Schallemissionen technischer Einrichtungen, die für den Spielbetrieb erforderlich sind, die Zuschauer kaum erreichen bzw. von diesen nicht als störend empfunden werden. In diesem Buch, das sich mit bühnentechnischen Einrichtungen befasst, soll daher nur die Problematik der Schallemission und Schallausbreitung von bühnentechnischen Antrieben behandelt werden. Zulässige Toleranzwerte hierfür sind sehr nied-

382 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) rig, werden doch bereits relativ leise Geräusche bei Verwandlungen auf offener Bühne als störend empfunden.

3.11.1 Schall und Hörempfinden Das Wesen des Schalles und seine Ausbreitung Unter Schall versteht man mechanische Schwingungen in festen, flüssigen oder gasförmigen Medien im Frequenzbereich des menschlichen Hörempfindens. Von besonderer Bedeutung ist die Schallleitung: – in Luft, bezeichnet als Luftschall, und in Festkörpern, bezeichnet als Körperschall. Die Schallweiterleitung in Flüssigkeiten ist nur im Zusammenhang mit hydraulischen Anlagen von Interesse. – Die Ausbreitung des Schalles in Gasen (aber auch Flüssigkeiten) erfolgt in Form von Longitudinalwellen als periodische Druckschwankungen (Verdichtung und Verdünnung) im Medium. Treffen diese Druckschwankungen am Trommelfell des Ohres ein, werden sie als Schall wahrgenommen. In festen Körpern wird Schall auch als Transversalwelle übertragen, da in Festkörpern auch Schubspannungen wirken können. – Wird etwa von einem Elektromotor Schall emittiert, so heißt dies, dass Vibrationen von Bauteilen dieses Motors und Strömungsgeräusche der Luft die umgebende Luft zu Schwingungen anregen, sodass dem atmosphärischen Luftdruck kleine Druckschwankungen überlagert werden. Diese Druckwellen breiten sich nach allen Seiten aus, gelangen schließlich auch zum Ohr des Menschen, der diese Druckschwankungen dann eben als Schall wahrnimmt. Schwingungen von Bauteilen des Motors können aber auch über die Stahlkonstruktion, auf der der Motor befestigt ist, weitergeleitet werden, sodass über Körperschall zu Schwingungen angeregte Bauteile weitere Quellen zur Luftschallausbreitung werden können. – Der Luftschall trifft jedoch nicht nur am Ohr ein und versetzt das Trommelfell in Schwingungen; er kann auch andere Bauteile zu Schwingungen anregen. Insbesondere erfolgt dies dann, wenn die Frequenz des Schalles mit der Eigenfrequenz eines Bauteiles übereinstimmt (z. B. klirrende Fensterscheibe bei vorbeifahrendem Auto). Unter Eigenfrequenz versteht man jene Zahl der Schwingungen pro Sekunde, mit denen ein Bauteil sich selbst überlassen schwingt, wenn er zu Schwingungen, z. B. durch einen Schlag, kurz angeregt wurde (praktische Anwendung: Stimmgabel, Gong, Gitarrensaite etc.). Bei Gleichheit von Eigen- und Erregerfrequenz spricht man von Resonanz. – Trifft eine Schallwelle auf eine Wand, so wird ein Teil des Schalles reflektiert (Reflexion), der restliche Teil wird von der Wand absorbiert. Von diesem absorbierten Teil wird ein gewisser Prozentsatz durch die Wand wieder abgestrahlt (Transmission), ein anderer Teil wird in der Wand in Wärme umgewandelt, also

3.11 Akustik | 383

als Schallenergie vernichtet (Dissipation). In Schalldämpfern wird absichtlich möglichst viel Schallenergie in Wärme umgewandelt. Frequenz des Schalles und Größe des Schalldruckes Die Frequenz des Schalles ist die Anzahl der Druckschwankungen je Sekunde. Sie bestimmt in der Wahrnehmung die Höhe des Tones. Der Bereich des hörbaren Schalles erstreckt sich beim jungen gesunden Menschen von etwa 6 Hz bis 16 kHz (20 kHz). Bei älteren Menschen ist dieser Bereich stark reduziert. Für andere Lebewesen gelten teilweise auch andere Bereiche; so können z. B. Hunde weit höhere Töne wahrnehmen als Menschen (Hundepfeife). Der Grundton einer Bassstimme liegt bei etwa 85 Hz, jener einer Sopranstimme reicht etwa bis 1400 Hz. Der Kammerton beträgt 440 Hz, bei österreichischen und deutschen Orchestern 443 Hz, in der Schweiz 442 Hz. Frequenz und Schallgeschwindigkeit bestimmen die Wellenlänge nach der Formel λ= vs

f λ

vs f

(3.138)

Schallgeschwindigkeit [m/s] in bühnentechnisch relevanten Temperaturbereichen: in Luft ≈335–345 m/s in Wasser ≈1400–1500 m/s in Mineralöl ≈1200–1300 m/s in Stahl ≈5100 m/s Frequenz [1/s = Hz] Wellenlänge [m]

Je größer der am Ohr eintreffende Schalldruck ist bzw. die am Ohr wirksamen Druckschwankungen sind, desto lauter empfindet der Mensch den Schall. Die Hörschwelle des Menschen liegt bei einem Druck von ca. 20 ⋅ 10−6 Pa = 20 µPa, die Schmerzschwelle bei ca. 100 Pa = 100 ⋅ 106 µPa. Der in der Akustik interessante Schalldruckbereich schwankt also zwischen einem Minimal- und Maximalwert im Verhältnis von ca. 1 zu 1 Million. Bezüglich des menschlichen Hörempfindens ist noch eine weitere physiologische Gegebenheit zu berücksichtigen. Wie bereits gesagt, empfindet der Mensch einen kleinen Schalldruck als leise und einen großen Schalldruck als laut. Schallwellen unterschiedlicher Frequenz bewirken beim Menschen aber nicht das gleiche Lautheitsempfinden, auch wenn der objektiv mit einem Messgerät festgestellte Schalldruck gleich groß ist. Unser Ohr reagiert auf Frequenzen im Bereich von 500 bis 5000 Hz besonders empfindlich. Mit von der Höhe der Frequenz abhängigen Abminderungsfaktoren muss daher der gemessene Schalldruckwert noch im Hinblick auf die tatsächliche Wahrnehmungssituation für den Menschen korrigiert werden. In den meisten Fällen,

384 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) so auch in der Bühnentechnik, wird eine in der Norm festgelegte A-Bewertung des Schalldruckpegels vorgenommen. Ein Ton mit der Frequenz 1000 Hz wird mit 1 bewertet. Gemessene Schalldruckwerte für Töne niedrigerer und höherer Frequenz werden entsprechend der in Abb. 3.21 dargestellten Kurve abgemindert. Auf der Ordinate des Diagramms ist der Schalldruck als bezogene Größe aufgetragen (siehe Kap. 3.11.2). Daher sind wegen der Definition der Pegelwerte mit dem Logarithmus Abminderungsbeträge in dB angegeben.

Abb. 3.21: A-Bewertung des Schallpegels.

Konsequenzen für die Bühnentechnik Beispielsweise stellt ein an einem Hubpodium als Klettertrieb befestigter Elektromotor eine Schallquelle dar. Dieser Motor wird eine bestimmte Schallleistung, d. h. eine bestimmte Schallenergie pro Zeiteinheit, an seine Umgebung abgeben. Der Schall wird, da der Motor am Podium befestigt ist, durch Körperschallleitung auf andere Bauteile des Podiums übertragen und setzt womöglich die Holz-Bühnenböden am Podium ebenfalls in Schwingung. So angeregte Luftschallwellen breiten sich als Druckschwankungen kugelförmig nach allen Seiten aus, werden an Wänden teilweise reflektiert, teilweise absorbiert, regen vielleicht auch andere Bauteile zu Resonanzschwingungen an; letztlich treffen Druckschwankungen bestimmter Größe im Zuschauerraum ein, die als Lärm wahrgenommen werden. Die Größe des Schalldruckes, der vom Zuschauer wahrgenommen wird, hängt also nicht nur von der Größe der vom eigentlichen Schallerreger abgegebenen Schallleistung ab, sondern auch von der Entfernung von der Schallquelle und den Raumgegebenheiten, die die Art der Schallausbreitung beeinflussen. Es wird darauf ankommen, wie viel Schall im Bühnen- und Zuschauerraum reflektiert und absorbiert wird (z. B. welches Dekorationsmaterial sich auf der Bühne befindet, wie viele Textilien in der Oberbühne abgehängt sind) und wie viel Schallleistung eventuell durch Öffnungen an einen anderen Raum abgegeben wird. Der Schalldruck wird daher auch nicht an jeder Stelle im Zuschauerraum gleich groß sein.

3.11 Akustik | 385

Aus dieser Darstellung lässt sich sehr leicht die Problemstellung für den Bühnentechniker erkennen. Für den Zuschauer ist letztlich nur relevant, welcher Schalldruck bei ihm eintrifft. Daher ist in den meisten technischen Spezifikationen für bühnentechnische Einrichtungen ein maximal zulässiger Schalldruckwert gemessen an einem Sitzplatz in der Mitte der ersten Zuschauerreihe festgelegt. Aus diesem maximal zulässigen Schalldruckwert im Zuschauerraum lässt sich aber kaum bzw. nur annähernd schließen, welche Schallleistung eine Schallquelle in der Bühne nun wirklich abgeben darf, um diesen Grenzwert nicht zu überschreiten. Die Verhältnisse bezüglich der Schallausbreitung sind nur sehr schwer abschätzbar und hängen wie erläutert von sehr vielen Einflussfaktoren ab. Zusätzlich ist dabei noch zu bedenken, dass im Bühnenbetrieb natürlich mehrere Schallquellen gleichzeitig aktiviert werden können. An dieser Stelle sei vermerkt, dass in technischen Spezifikationen oft extrem niedrige Werte vorgegeben werden, die dann in der Realität gar nicht eingehalten werden können oder wirtschaftlich kaum vertretbare Sondermaßnahmen erfordern. Manchmal werde in Spezifikationen sogar Werte verlangt, die unter dem im Zuschauerraum gegebenen Grundgeräuschpegel liegen. Es sei aber auch hier, wie an vielen anderen Stellen, darauf hingewiesen, dass mit der Wahl der Bauweise bühnentechnischer Einrichtungen, derer konstruktiven Gestaltung und insbesondere der Wahl der Antriebskonzepte sehr viel Einfluss auf das Lärmverhalten genommen werden kann. Einige konkrete Hinweise werden in Kap. 3.11.3 gegeben.

3.11.2 Schallfeldgrößen Nach den einleitenden Bemerkungen in Kap. 3.11.1 sollen in diesem Abschnitt die physikalischen Begriffe etwas näher erläutert werden. Begriffe Bei der Erläuterung des Begriffes „Schalldruck“ wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Hörempfinden des Menschen von der Hörschwelle bis zur Schmerzgrenze einen sehr großen Druckbereich im Verhältnis von eins zu einer Million umfasst. Es ist daher in der Akustik üblich, nicht mit Absolutwerten zu arbeiten, sondern mit Relativwerten unter Verwendung einer logarithmischen Skala. Eine logarithmische Skala ist auch deshalb zweckmäßig, weil unser Gehör nach einem logarithmischen Gesetz wahrnimmt. Eine Erhöhung der Schallleistung um das Zehnfache wird ungefähr als eine Verdoppelung der Lautstärke empfunden. Außerdem erreicht das menschliche Ohr bei niedrigeren Schalldrücken eine höhere Auflösung.

386 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) In diesem Abschnitt sollen nun die wichtigsten in der Akustik verwendeten Schallfeldgrößen erläutert werden. Neben den dimensionsbehafteten Absolutwerten werden daher auch die als sogenannte Pegelwerte logarithmisch skalierten Relativwerte angegeben. In den in der Folge angeschriebenen Formeln steht „lg“ für den Zehnerlogarithmus 10 log. Den dekadischen Logarithmus des Verhältnisses zweier gleichartiger Schallfeldgrößen bezeichnet man als „Bel“ bzw. „Dezibel“: Lx = lg

x1 x [B] = 10 ⋅ lg 1 [dB] x2 x2

Schallleistung P [W] Die Schallleistung ist die pro Zeiteinheit von einer Schallquelle abgestrahlte Leistung. Sie ist eine analoge Größe zur abgestrahlten Wärmeleistung eines Heizkörpers (=abgestrahlte Wärmeenergie je Zeiteinheit). Die Schallleistung ist daher eine für die Schallquelle charakteristische Größe und völlig unabhängig von der Umgebungssituation und dient zur Lärmbewertung von Maschinen. Schallleistungspegel: Lp [dB] Lp = 10 ⋅ lg(

P ) P0

bzw.

P = P0 ⋅ 10Lp/10

(3.139)

mit P0 = 10−12 W = 1 pW (Piko-Watt). Tabelle 3.8 gibt Richtwerte für Schallleistung und Schallleistungspegel an: Tab. 3.8: Schallleistung und Schallpegel einiger Lärmquellen. P [W] Turbojet Propellerflugzeug Schmerzgrenze Großes Orchester Autohupe lautes Radio PKW auf Autobahn U-Bahn-Innengeräusch laute Unterhaltung normale Unterhaltung Büro leise Unterhaltung Flüstergeräusch

10.000 1.000 100 10 1 0,1 0,01 0,001 0,0001 0,00001 0,000001 0,0000001 0,00000001

Lp [dB] 4

= 10 = 103 = 102 = 101 = 100 = 10−1 = 10−2 = 10−3 = 10−4 = 10−5 = 10−6 = 10−7 = 10−8

160 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40

3.11 Akustik | 387

Schallintensität I [W/m2 ] Die Schallintensität, oder auch Schallstärke genannt, ist die in einer bestimmten Richtung durch eine bestimmte Fläche in der Zeiteinheit fließende Energiemenge, also die je Flächeneinheit übertragene Schallleistung. Die Schallintensitätsmessung kann vor allem zur Lokalisierung und Beurteilung von Lärmquellen herangezogen werden. Schallintensitätspegel (Schallstärkepegel): LI [dB] LI = 10 ⋅ lg(

I ) I0

bzw.

I = I0 ⋅ 10LI /10

(3.140)

mit I0 = 10−12 W/m2 = 1 pW/m2 . Schalldruck p [N/m2 = Pa] Der Schalldruck ist die dem statischen Luftdruck überlagerte Druckschwankung. Der statische Luftdruck beträgt ungefähr 105 Pa = 1 bar. Die Druckschwankungen bei normaler Sprechlautstärke liegen in der Größenordnung von Mikrobar (µbar). Der Druck p ist also eine über die Zeit veränderliche Größe und als charakteristischer Wert für p ist der Effektivwert peff (siehe Kap. 3.10) der Druckschwankung gemeint. Die Messung des Schalldruckes dient zur Beurteilung der Einwirkung von Schall auf den Menschen und erfasst die Größe der wahrnehmbaren Druckschwankungen an einem bestimmten Ort, resultierend aus Schallemissionen, Reflexionen und Absorptionen im Umfeld. Schalldruckpegel: Lp [dB] Lp = 10 ⋅ lg(

2

p p ) = 20 ⋅ lg( ) p0 p0

p = p0 ⋅ 10Lp /20

bzw. (3.141)

mit p0 = 20 ⋅ 10−6 Pa = 20 µPa (Hörschwelle). Schallleistung P, Schallintensität I und Schalldruck p hängen bei kugelförmiger Schallausbreitung im Fernfeld nach folgenden Beziehungen zusammen: I=

P p2 = 2 ρ⋅c 4π ⋅ r

Somit bestehen folgende Proportionalitäten: I ≈ P ≈ p2 ≈

1 r2

(3.142)

388 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) r ρ c

Abstand von der Schallquelle [m] Dichte der Luft ρ ≈ 1, 3 [kg/m3 ] Schallgeschwindigkeit [m/s] c ≈ 332 m/s bei 0 °C ≈ 343 m/s bei 20 °C ≈ 349 m/s bei 30 °C

Dies bedeutet unter Freifeldbedingungen beispielsweise: – Die Schallintensität nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. – Verdoppelt man den Abstand zur Schallquelle, so wird die Schallintensität auf 1/4 und der Schalldruck auf 1/2 reduziert (für r2 = 2r1 ist I2 = I1 /4 und p2 = p1 /2), der Schallintensitätspegel und der Schalldruckpegel werden um 6 dB reduziert. Schallschnelle v [m/s] Unter Schallschnelle versteht man die Schwinggeschwindigkeit der den Schall weiterleitenden Teilchen. Schallschnellepegel: Lv [dB] Lv = 10 ⋅ lg(

2

v v ) = 20 ⋅ lg( ) bzw. v0 v0

v = v0 ⋅ 10Lv /20

(3.143)

mit v0 = 5 ⋅ 10−8 m/s = 50 nm/s (Nanometer/Sekunde) Äquivalenter Dauerschallpegel Lpäqu Wechselt eine schwingende Zustandsgröße x(t) mit der Periode T ihre Größe, so ist gemäß Gl. (3.96) deren Effektivwert als quadratischer Mittelwert definiert. Messgeräte messen diesen Effektivwert, z. B. den Schalldruck peff bzw. den Schalldruckpegel Lpeff (als p bzw. Lp bezeichnet), über sehr kurze Zeitintervalle. Bleibt dieser Effektivwert über einen längeren Zeitabschnitt nicht konstant, sondern verändert seinen Wert, kann in analoger Weise über einen Zeitabschnitt Δt eine Mittelung vorgenommen werden. Diesen Mittelwert nennt man äquivalenter Dauerschallpegel nach dem Ansatz Lpäqu = 10 ⋅ lg

2

1 p(t) ) dt ∫( Δt p0 Δt

(3.144)

3.11 Akustik | 389

p

bzw. mit Gl. (3.141) gemäß ( p i )2 = 10Lpi /10 0

Lpäqu = 10 ⋅ lg

1 ∫ 10L(t)/10 dt Δt

(3.145)

Δt

Er ist ein Maß für den Energieinhalt des Signals während der Messperiode. Sehr oft wird ein Zeitintervall von Δt = 60 Sekunden gewählt und der Schalldruck A-bewertet in Rechnung gestellt. Wirken in Zeitintervallen Δti Schallpegel Lp , wobei gilt ∑i Δti = Δt so kann Gl. (3.144) in der Form 2

Lpäqu = 10 ⋅ lg

p 1 ∑(( i ) ⋅ Δti ) Δt i p0

Lpäqu = 10 ⋅ lg

1 ∑(10Lpi /10 ⋅ Δti ) Δt i

bzw. (3.146)

angeschrieben werden: Δti Zeitintervall, in dem Lpi wirkt [s] Δt gesamtes Zeitintervall [s] Lp Schalldruckpegel im Zeitintervall ∑i Δti = Δt [–] Lpäqu äquivalenter (mittlerer) Schalldruckpegel im Zeitintervall Δt [–] Reflexion und Absorption von Schall Auf eine Wand treffender Schall wird teilweise reflektiert, teilweise absorbiert. Mit dem Reflexions- und Absorptionsgrad können die Verhältnisse bezüglich der Schallleistung quantitativ beschrieben werden: Pges = Pref + Pabs r= r a Pges Pref Pabs

Pref Pges

und

a=

Reflexionsgrad [–] Absorptionsgrad [–] auf die Wand treffende Schallleistung [W] von der Wand reflektierte Schallleistung [W] von der Wand absorbierte Schallleistung [W]

Somit ist r + a = 1.

Pabs Pges

(3.147)

390 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) D. h. bei vollständiger Reflexion ist r = 1 und a = 0, bei vollständiger Absorption ist r = 0 und a = 1. Nachhallzeit TN [s] Unter der Nachhallzeit versteht man jene Zeit, die zum Abklingen einer plötzlich abgeschalteten Schallquelle und Absinken des Schalldruckes auf 1/1000 seines Wertes benötigt wird. Ist der Schalldruck zunächst p1 , so wird die Zeit bis zum Erreichen der Größe p2 = p1 /1000 gemessen. Umgewandelt in die bezogene Größe des Schalldruckpegels bedeutet dies: Ist der Schalldruckpegel zunächst Lp = 20 ⋅ lg(p1 /p0 ), so beträgt der Schalldruckpegel des Druckes p2 : Lp2 = 20 ⋅ lg( = 20 ⋅ lg(

p p p2 1 1 ) = 20 ⋅ lg( ⋅ 1 ) = 20 ⋅ lg( 1 ) + 20 ⋅ lg p0 1000 p0 p0 1000 p1 ) + 20 ⋅ 3 = p0

= Lp1 − 60 dB

(3.148)

Man kann also auch sagen: Die Nachhallzeit TN ist jene Zeitspanne, in der der Schalldruckpegel bei einer plötzlich abgeschalteten Schallquelle um 60 dB absinkt. Die Nachhallzeit TN ist eine für die Raumakustik entscheidende Größe. So wie sich das Klangempfinden eines am Klavier angeschlagenen Tones unterschiedlich verhält, je nachdem, ob mit oder ohne Pedal gespielt wird, ist die Nachhallzeit auch für das Hörempfinden in einem Veranstaltungsraum von Bedeutung. Als Richtwerte kann man angeben: In Sprechtheatern soll die Nachhallzeit etwa 0,8÷1,4 s betragen, in Musiktheatern 1,1 ÷ 1,7 s und in Konzertsälen 1,5 ÷ 2,5 s. Nach Sabine kann die Nachhallzeit nach folgender empirischer Formel errechnet werden: TN = 0, 163 ⋅ V Ai ai Aäqu

V V = 0, 163 ⋅ Aäqu ∑i Ai ⋅ ai

mit ∑ Ai ⋅ ai = Aäqu i

(3.149)

Volumen des Raumes [m3 ] absorbierende Flächen [m2 ], das sind Raumbegrenzung, Einbauten, Personen Absorptionsgrad der Flächen Ai [–] äquivalente Schallabsorptionsfläche [m2 ]; das ist eine fiktive Fläche mit dem Absorptionsgrad a = 1, die den gleichen Anteil an Schallenergie schlucken würde wie die gesamte Oberfläche des Raumes und der in ihm befindlichen Gegenstände und Personen

3.11 Akustik | 391

Schalldämmmaß R [dB] Das Schalldämmmaß gibt an, welcher Anteil von der an einer Wand eintreffenden Schallleistung die Wand durchdringt; es ist nach folgender Formel definiert: R = 10 ⋅ lg

Pa [dB] Pd

(3.150)

Pa auftreffende Schallleistung [W] Pd durchdringende Schallleistung [W]. Daraus folgt in Anwendung von Gl. (3.139) und lg 10 = 1 R = 10 ⋅ lg

Pa 10LPa /10 10LPa = 10 ⋅ lg L /10 = lg L = (LPa − LPd ) ⋅ lg 10 = (LPa − LPd ) ⋅ 1 Pd 10 Pd 10 Pd

R = LPa − LPd [dB]

(3.151)

Dieses Schalldämmmaß ist ein entscheidender Kennwert für bauakustische Maßnahmen zur Behinderung bzw. Reduktion der Schallausbreitung. Ist z. B. die Hinterbühne oder eine Seitenbühne durch ein Brandschutztor von der Hauptbühne abtrennbar, so wird von einem derartigen Tor meist auch eine schalldämmende Wirkung verlangt, um während des Spielbetriebes auf der Hauptbühne Dekorationsvorbereitungen in der Nebenbühne ohne Lärmbelästigung für Darsteller und Zuschauer vornehmen zu können. In der Spezifikation wird dann ein bestimmtes Mindestschalldämmmaß R, oft R = 30, vorgegeben. Grundgeräuschpegel Unter dem Grundgeräuschpegel versteht man den während eines bestimmten Zeitraumes an einem Ort gemessenen geringsten A-bewerteten Schallpegel in dB, der durch entfernte Geräusche verursacht wird und bei dessen Einwirkung noch Ruhe empfunden wird. Richtwerte für den Grundgeräuschpegel werden z. B. für Wohngebiete etc. angegeben. Auch im Zuschauerraum eines Theaters liegt ein bestimmter Grundgeräuschpegel vor. Einerseits ist durch die im Raum anwesenden Personen stets eine gewisse Geräuschsituation gegeben, andererseits dringt in manche Theater Straßenlärm von außen ein. Unter Beachtung dieses Aspektes werden in Spezifikationen – wie bereits erwähnt – oft übertriebene Vorgaben bezüglich des maximal zulässigen Schalldruckpegelwertes in der ersten Zuschauerreihe gemacht. Rechnen mit Pegelwerten Pegeladdition von Schallquellen Bewirken n einzelne Schallquellen an einem Messort die gleiche Schallintensität I, so ist die Intensität am Messort bei Wirkung aller n Schallquellen in Summe Iges = I ⋅ n.

392 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) Der Schallintensitätspegel aller n Schallquellen beträgt daher LIges = 10 ⋅ lg

I ⋅n I = 10 ⋅ lg + 10 ⋅ lg n I0 I0

Der Schalldruckpegel beträgt wegen I ≈ p2 (Gl. (3.142)) Lpges = 10 ⋅ lg

2

p p2 ⋅ n = 10 ⋅ lg( ) + 10 ⋅ lg n 2 p0 p0

oder allgemein Lges = L + 10 ⋅ lg n

(3.152)

Für zwei Schallquellen (n = 2) heißt dies wegen 10 lg 2 = 3, dass zwei gleich laute Schallquellen bei gleichzeitigem Wirken den Schallpegel um 3 dB erhöhen; zehn Schallquellen erhöhen ihn um 10 dB. Haben n Schallquellen am Messort unterschiedliche Schallintensität Ii , ergibt der analoge Ansatz mit Gl. (3.140) für LI und Lp LIges = 10 ⋅ lg

LIi/10 ∑iIi Ii ∑ ∑ I0 =10⋅lg i I0 =10⋅lg i10

bzw. allgemein Li/10

Lges = 10 ⋅ lg ∑

(3.153)

i10

Pegelsubtraktion Bewirken die Schallquellen 1 und 2 am Messort einen Schallpegel L1+2 und die Schallquelle 2 allein einen Schallpegel L2 , so errechnet sich der nur von der Schallquelle 1 herrührende Schallpegel L1 wegen I1 = I1+2 − I2 LI1 = 10 ⋅ lg

bzw. p21 = p21+2 − p22

zu

I I I1 = 10 ⋅ lg( 1+2 − 2 ) I0 I0 I0

Analoges gilt auch für Lp , sodass allgemein angeschrieben werden kann L1 = 10 ⋅ lg(10L1+2 /10 − 10L2 /10 )

(3.154)

Diese Formel kann z. B. verwendet werden, wenn der Einfluss des Hintergrundgeräusches bei einer Schallmessung eliminiert werden soll. Der Index 1 bezieht sich dann

3.11 Akustik | 393

auf den Schallpegel der Schallquelle ohne Hintergrundgeräusch, der Index 2 auf jenen des Hintergrundgeräusches. 3.11.3 Maßnahmen zur Lärmreduktion Maßnahmen beim Schallempfänger Eine Reduktion des auf den Menschen einwirkenden Schalldruckpegels durch Maßnahmen am Schallempfänger ist in bühnentechnischer Anwendung irrelevant, es sei denn, es handelt sich um Sondermaßnahmen, z. B. in der Druckstation einer hydrostatischen Anlage. So kann der Mensch bei sehr hohen Schalldruckpegelwerten durch Gehörschutz oder durch den Aufenthalt in schallgedämmten Räumen vor zu hoher Belastung geschützt werden. Maßnahmen an der Schallquelle Einsatz von Bauelementen mit geringer Schallemission Natürlich wird man bestrebt sein, grundsätzlich Bauelemente mit möglichst geringer Schallemission zu verwenden: – Durch die Bauweise des Getriebekastens, Art und Qualität der Verzahnung und Wahl der Übersetzungsstufung kann die Schallemission eines Getriebes beeinflusst werden. – In Gelenkwellensträngen sind hohe Drehzahlen zu vermeiden, bzw. es muss auf besonders gutes Auswuchten Wert gelegt werden. – Bei Elektromotoren kann in manchen Fällen bei Kurzzeitbetrieb auf den Einbau eines Kühlventilators verzichtet werden, da dieser die am deutlichsten wahrnehmbaren Geräusche verursacht. Aber auch der durch das magnetische Feld bewirkte Geräuschanteil, insbesondere Schwingungen von Blechpaketen, können deutlich hörbar sein. – Mit hohen Drehzahlen arbeitende wälzgelagerte Laufrollen können deutlich wahrnehmbare Geräusche abgeben. Daher können in manchen Fällen Gleitführungen günstiger sein. – Hydropumpen verursachen i. A. Druckpulsationen. (Günstig verhalten sich Schraubenpumpen, da diese nahezu keine geometrisch bedingten Volumenstrompulsationen erzeugen.) Unterbringung von Lärmquellen in geeigneten Raumbereichen Unvermeidbare Schallquellen sind möglichst in Räume oder Raumbereiche zu verlagern, von denen aus eine Schallausbreitung in den Zuschauerraum nicht gegeben ist bzw. verhindert werden kann: – So wird man Elektromotoren größerer Nennleistung für Podien möglichst im Kellerbereich der Unterbühne anordnen und nicht mit dem Podium als Kletterantrieb mitfahren lassen.

394 | 3 Grundlagen der Mechanik (Mechanik fester Körper und Fluidmechanik) – –



Man wird Hydraulikpumpen in einer eigenen Druckzentrale unterbringen. Kleinere Hydraulikaggregate kann man in Unteröl- oder Tauchpumpenanordnung konzipieren, d. h. Pumpe und Motor sind schwingungsisoliert am Behälter montiert und tauchen teilweise oder gänzlich in das Hydraulikmedium, sodass Schall zwar als Flüssigkeitsschall weitergeleitet wird, die Behälterwände aber dämmend wirken. Man wird Windenantriebe mit höherer Schallemission für Zugeinrichtungen in der Oberbühne möglichst vom allgemeinen Bühnenraum abtrennen und die Seile nur durch kleine Öffnungen durchführen.

Vermeidung der Weiterleitung des Körperschalles Ferner muss versucht werden, Körperschallweiterleitungen möglichst zu unterbinden. Der Schallerreger, also z. B. der Motor oder aber der gesamte Grundrahmen einer Antriebseinheit, muss mit der übrigen Konstruktion elastisch über Schwingmetalle verbunden werden, sodass zumindest für kritische Frequenzbereiche eine Schwingungsentkoppelung zustande kommt. Kapselung von Lärmquellen mit Schallschluckhauben Muss eine Schallquelle raummäßig sehr ungünstig situiert werden und ist eine Reduktion der emittierten Schallleistung am Gerät nicht möglich, so muss der Aufwand einer Luftschalldämmung durch Kapselung in Kauf genommen werden, indem eine Schallschutzhaube angebracht wird. Durch diese Umbauung einer Lärmquelle wird zwar innerhalb der Kapsel zunächst eine Pegelerhöhung bewirkt, durch die Kapselwand erfolgt dann aber eine Pegelreduzierung. Schalldämmung erfolgt durch Anordnung von Schalltrennwänden, die aufgrund ihrer Masse und Eigenfrequenz nur eine geringe Schallleistung durchlassen. Bei Schalldämpfung werden Reibungseffekte strömender Luft ausgenützt, um Schallenergie in Wärme umzuwandeln, wie dies an Vorhängen, Polsterungen, Teppichen, Schallisolationsmatten etc. der Fall ist.

3.11.4 Maßnahmen zur Beeinflussung der Raumakustik Die Beeinflussung der Raumakustik ist vor allem durch drei Systeme möglich: – eingehängte Schall reflektierende Flächen über den Podien in Form von höhenverstellbaren Einzelplatten – Möglichkeit der Ankopplung von Schallräumen über schwere Torverschlüsse – Vorhänge zur Änderung der Fläche der schallschluckenden Materialien Diese raumakustischen Maßnahmen wurden z. B. im Palast der Künste in Budapest angewandt (BTR 3/2006).

4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik In diesem Kapitel werden einige ergänzende Hinweise zu wichtigen Bauelementen der Bühnentechnik, insbesondere zu Komponenten der Antriebstechnik, gegeben.

4.1 Seile und Seiltriebe Seiltriebe werden in der Oberbühne vor allem bei Laststangen- und Punktzügen, in der Unterbühne für Hubpodien, aber auch zum Verfahren von Bühnenwagen oder Antrieben von Drehscheiben eingesetzt.

4.1.1 Drahtseile, Seilrollen und Seiltrommeln Bauarten von Drahtseilen In einem Drahtseil übernehmen mehrere Einzeldrähte die Gesamtzugkraft. Je nach Art der Bündelung der Drähte unterscheidet man mehrere Macharten. Sieht man von kaum verwendeten geflochtenen Seilen ab, so sind in einem Seil Drähte oder aus Drähten bestehende Litzen schraubenförmig um einen Kern geschlagen. Werden ein oder mehrere Drahtlagen um einen Kerndraht verschraubt, so ergibt dies ein Spiralseil (Abb. 4.1a) oder eine Litze als Bauelement eines Litzenseiles. Werden mehrere Litzen ein- oder mehrlagig um eine Hanf- oder Kunststoffseele geschlagen, so entsteht ein Rundlitzenseil nach Abb. 4.1b–e; werden sie um eine Kernlitze geschlagen, so entsteht ein Litzenspiralseil nach Abb. 4.1f. Werden sechs Litzenseile nochmals um eine Seele geschlagen, so entsteht ein Kabelschlagseil nach Abb. 4.1h. Diese Machart ergibt besonders biegeweiche Seile, findet in der Bühnentechnik als Drahtseil aber keine Anwendung. Sie werden z. B. als Trosse zum Festmachen von Schiffen an Pollern an der Kaimauer verwendet. Diese Machart wird hier trotzdem erwähnt, weil sie als Naturfaserseil auch in der Bühnentechnik Verwendung finden kann (siehe Kap. 4.1.6). Spiralseile in Standardbauart nach Abb. 4.1a sind sehr biegesteif und werden als bewegte über Rollen laufende Seile oder für Trommelwinden nicht verwendet. Mehrlagige Litzenspiralseile nach Abb. 4.1f verwendet man insbesondere für einsträngig aufgehängte Lasten, also bei Punktzügen, da diese in drehungsfreier (bzw. in drehungsarmer) Machart herstellbar sind und daher nicht zum Aufdrehen unter Last neigen. In Abb. 4.1g, i sind auch Querschnitte von Spezialseilen mit sogenannten verdichteten Litzen dargestellt, die sich ebenfalls durch besondere Drehungsfreiheit, aber auch durch einen hohen Füllfaktor (siehe Gl. (4.2)) auszeichnen. Das Seil nach https://doi.org/10.1515/9783110776003-004

396 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.1: Macharten von Drahtseilen – Seilquerschnitte. (a) Spiralseil oder Litze, (b) Rundlitzenseil mit Hanfseele nach DIN 3060, 6 × 19 Standard, (c) Rundlitzenseil mit Hanfseele nach DIN 3066, 6 × 37 Standard, (d) Rundlitzenseil mit Hanfseele nach DIN 3064, 6 × 36 Warrington-Seale, (e) Spiralrundlitzenseil (Litzenspiralseil) nach DIN 3069, 18 × 7 drehungsarm, (f) Spiralrundlitzenseil mit Kernlitze, (g) Spezialseil mit verdichteten Litzen, drehungsfrei, „Casar Powerlift“, (h) Kabelschlagseil, (i) Spezialseil mit verdichteten Litzen, drehungsfrei, „Casar Quadrolift“. Bildnachweis für (g), (i): Drahtseilwerk Saar GmbH (D-Kirkel-Limbach).

Abb. 4.1i mit der Bezeichnung „Quadrolift“ wird häufig für Punktzüge, aus Gründen der Reduzierung der im Theater verwendeten Seiltypen aber auch für Prospektzüge verwendet. Im szenischen Einsatz störten verzinkte Seile durch Spiegelung bei manchen Beleuchtungseffekten. Man behalf sich gerne mit schwarzen Kunststoffhüllen, die aber eine Kontrolle des Seiles hinsichtlich Drahtbruch unmöglich machen, es sei denn, die Hüllen können verschoben werden. Seit einigen Jahren sind im Handel auch Drahtseile mit schwarzer Oberflächenbeschichtung erhältlich sowie Zubehörteile wie Kauschen, Schäkel, Spannschlösser, Drahtseilklemmen etc.

4.1 Seile und Seiltriebe

| 397

Bruchkraft eines Seiles Werden Drähte der Nennfestigkeit σB verwendet, so lässt sich die „rechnerische Bruchkraft“ des Gesamtseiles als Produkt aus dieser Bruchspannung mal dem metallischen Seilquerschnitt errechnen: SB,r = Am ⋅ σB = As ⋅ f ⋅ σB f =

Am As

(4.1) (4.2)

Tatsächlich reißt das Gesamtseil aber bereits bei einer um etwa 15 % geringeren Kraft, da in den schraubenförmig verlegten und sich gegenseitig berührenden Drähten in Wirklichkeit komplexere Spannungszustände gegeben sind als reine Zugbeanspruchungen, wie bei der Berechnung von SB,r angenommen wird. Die kleinste zulässige wirkliche Bruchkraft wird nach Norm als Mindestbruchkraft bezeichnet, der Abminderungsfaktor k als „Verseilfaktor“: SB = k ⋅ SB,r

(4.3)

dS Durchmesser des Seiles [mm] AS Fläche des Seil-Hüllkreises [mm2 ] AS = Am σB SB,r SB f k

dS2 π 4

metallischer Seilquerschnitt [mm2 ] (Summe aller Drahtquerschnitte) Nennfestigkeit des Einzeldrahtes [N/mm2 ] rechnerische Bruchkraft des Seiles [N] Mindestbruchkraft [N] Füllfaktor [–], berücksichtigt die Tatsache, dass nur ein Teil der Seilquerschnittsfläche aus tragenden Drähten besteht. Verseilfaktor [–], berücksichtigt die Tatsache, dass die Seildrähte durch deren schraubenförmige Lage im Seil nicht nur auf Zug, sondern auch auf Torsion, Biegung und Druck beansprucht sind, also kein einachsiger, sondern mehrachsiger Spannungszustand vorliegt.

In Seilkatalogen sind früher sowohl die rechnerische als auch die Mindestbruchkraft angegeben worden. Ein für Laststangenzüge öfters verwendetes Rundlitzenseil mit der Bezeichnung „6 × 19 Standard“ nach DIN 3060 (6 Litzen zu je 19 Drähten) mit dS = 5 mm (Am ≈ 8,93 mm2 ) hat z. B. bei einer Drahtnennfestigkeit von 1770 N/mm2 eine rechnerische Bruchkraft SB,r = 15,8 kN und eine Mindestbruchkraft von SB = 13,6 kN. In diesem Fall ist f = 0,46 und k = 0,86. Ein Seil richtig dimensionieren heißt, für den ungünstigsten Lastfall die tatsächlich im Seil wirkende Zugkraft zu ermitteln und zu überprüfen, ob diese vorhandene Seilkraft ausreichend weit unterhalb der Bruchkraft liegt.

398 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Der Quotient aus Seilbruchkraft und vorhandener Seilkraft stellt den Sicherheitsfaktor dar. Je nachdem, welcher Wert im Zähler eingesetzt wird, bezieht sich diese Sicherheit auf die rechnerische Bruchkraft oder die Mindestbruchkraft. Es ist daher zu beachten, auf welchen Wert sich in Vorschriften geforderte Sicherheitsfaktoren beziehen. νr = νw =

SB,r ≥ νr erf S SB ≥ νw erf S

(4.4)

S im Seil aus der Belastung tatsächlich vorhandene Zugkraft [N] νr,w Sicherheitsfaktor in Bezug auf die rechnerische Bruchkraft bzw. auf die Mindestbruchkraft [–] In den älteren Normen hatte man sich wie allgemein üblich bei der Angabe von Mindestwerten für die Sicherheit auf die rechnerische Bruchkraft bezogen. Neuerdings bezieht man sich in den meisten Anwendungsfällen auf die Mindestbruchkraft. (Der Grund warum man sich früher gerne auf die rechnerische Bruchkraft bezog, lag darin, dass man zum experimentellen Nachweis der Festigkeit eines Seiles in diesem Fall nur die tatsächliche Nennfestigkeit der Seildrähte nachweisen musste und dazu sehr kleine Drahtprüfmaschinen ausreichten. Soll die Mindestbruchlast des gesamten Seiles experimentell nachgewiesen werden, muss das gesamte Seil in einer Zugmaschine zerrissen werden, was bei größeren Seildurchmessern Testgeräte für sehr groß Seilkräfte erfordert.) Ferner hatte man in den älteren Bühnentechnik-Normen die Sicherheiten so angesetzt, dass bei der Seilkraft S nur statische Lastwerte zu berücksichtigen waren. Nunmehr sind dynamische Zusatzkräfte d. h. auf Grund der Massenträgheit auftretende Massenkräfte beim Beschleunigen bzw. Verzögern ebenfalls in Rechnung zu stellen (siehe Kap. 5.1). Hängt daher am Seil eine Masse m, so ist die Belastung S = m ⋅ (g + a) mit a als betrieblich vorgesehener Nennbeschleunigung in Rechnung zu stellen. Wird ein Seil um eine Rolle geführt oder auf eine Trommel gewickelt, so wird das Seil auch auf Biegung beansprucht. Diese von der Biegung verursachten Zusatzspannungen könnten berechnet und zu den Zugspannungen addiert werden, um die Gesamtspannung zu ermitteln. In Anlehnung an den Kranbau werden aber auch in der Bühnentechnik diese Spannungen nicht wirklich errechnet, sondern man nimmt auf diese örtliche Spannungserhöhung dadurch Rücksicht, dass man kleinstzulässige Biegeradien festlegt. Dies geschieht dadurch, dass ein Mindestwert für das Verhältnis „Durchmesser der Seilrolle (bzw. Durchmesser der Seiltrommel) zu Durchmesser des

4.1 Seile und Seiltriebe

| 399

Seiles“ vorgegeben wird. Also z. B.: DSR /dS ≥ 20 DST /dS ≥ 18

für Seilrollen bzw. DSR ≥ 20 ⋅ ds

für Seiltrommeln bzw. DST ≥ 18 ⋅ ds

(4.5)

dS Durchmesser des Seiles (des Hüllkreises) DSR Durchmesser der Seilrolle DST Durchmesser der Seiltrommel (DSR und DST werden von Seilmitte zu Seilmitte gemessen.) Elastizität von Seilen Bei Zugbeanspruchung dehnt sich ein Seil ähnlich einer Zugfeder; je größer die Kraft, desto größer die Verlängerung des Seiles. Die Elastizität des Seiles kann daher durch Angabe jener Kraft charakterisiert werden, die erforderlich ist, eine Dehnung von einer Längeneinheit hervorzurufen; sie wird als Federrate oder Federkonstante c bezeichnet: c= ΔF Δl c E σ

ΔF Δl

(4.6)

Änderung der Zugkraft [N] Änderung der Länge [m, mm] Federrate, Federkonstante [N/m, N/mm] Elastizitätsmodul [N/mm2 ] Spannung [N/mm2 ]

Für ein bestimmtes Seil, spezifiziert durch Durchmesser, metallischen Querschnitt und Machart, ändert sich die Federrate c mit der Länge des Seiles, denn je länger eine Feder ist, umso mehr dehnt sie sich bei gleicher Kraftwirkung. Ein von der Seillänge unabhängiger Kennwert für das Dehnverhalten des Seiles ist der Elastizitätsmodul ES des Seiles. Infolge der schraubenförmigen Lage der Drähte und der Nachgiebigkeit der Seele ist das Gesamtgefüge des Seiles viel elastischer als der Stahl eines Einzeldrahtes. Unter Anwendung des Hooke’schen Gesetzes ergibt sich mit Gl. (4.6) folgender Zusammenhang: Das Hook’sche Gesetz lautet: Δl Δσ = l E ΔF Δσ = A ε=

ε Dehnung [–] Δσ Änderung der Zugspannung bei Änderung der Last um ΔF A Querschnittsfläche

400 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Daraus folgt für ein Seil: ε= c= L c Am Es

ΔF Δl Δσ = = l E Am ⋅ Es

und

Am ⋅ Es l

(4.7)

Länge des Seiles [mm] Federrate des Seiles der Länge l [N/mm] metallischer Querschnitt des Seiles [mm2 ] Elastizitätsmodul des Seiles [N/mm2 ] Es ≈ 80–110 kN/mm2 für ein Rundlitzenseil mit Faserseele 100–130 für Rundlitzenseile mit Stahlseele 120–140 für Litzenspiralseile 110 für Quadrolift 130–160 für Spiralseile zum Vergleich EStahl = 206 kN/mm2

Seilrollen – Seiltrommeln Seilrollen sind aus Gusseisen oder Stahl gegossen, aus Stahl geschweißt oder aus Kunststoff gefertigt. Für die Führung mehrerer Seile bei mehrfach aufgehängten Laststangen werden auch mehrrillige Seilrollen eingesetzt. Seilrollenkonstruktionen sind exemplarisch in Abb. 4.2 dargestellt. Um ein Scheuern des Seiles am Rillenrand zu vermeiden und das Herausspringen des Seiles aus der Rolle zu verhindern, darf der Ablenkwinkel α des Seiles aus der Rollenebene nicht größer als ca. 4 ∘ sein (Abb. 4.3). Darauf muss besonders geachtet werden, wenn am Schnürboden Seiltrassen mit Versatzrollen für Punktzüge verlegt werden. Auch bei einer Seiltrommel ist ähnlich wie bei einer Seilrolle zu beachten, dass bestimmte Ablenkwinkel nicht überschritten werden dürfen (Abb. 4.3b). Bei einer Seiltrommel ist der Steigungswinkel β der Rillen am Trommelmantel zu berücksichtigen. Die Ablenkung des Seiles aus dieser um β geneigten Ebene darf wieder nur etwa α1 ≈ α2 ≈ 4 ∘ betragen. Somit ist in der einen Richtung ein Ablenkwinkel von (β + α) und in der anderen Richtung von (β − α) zulässig. Dies hat zur Folge, dass bei einer möglichst nahe der Seiltrommel angeordneten Umlenkrolle nach Abb. 4.3c ein Mindestabstand A eingehalten werden muss, wobei die Rolle etwas exzentrisch zur Trommelmitte zu situieren ist. Mit α1 ≈ α2 folgt aus tan (α + β) = l1 /A und tan (α − β) = l2 /A l = l1 + l2 = A[tan(α + β) + tan(α − β)] l1 /l2 = tan(α + β)/ tan(α − β)

4.1 Seile und Seiltriebe

| 401

Abb. 4.2: Seilrollen nach DIN 56 919 „Seilrollen für Prospektzüge“ (a) bis (d). (a) Einrillige Seilrolle für Stahlseil, (b) einrillige Seilrolle für Hanfseil, (c) mehrrillige Seilrolle für Stahlseile, (d) mehrrillige Seilrolle für Stahlseile und ein Hanfseil, (e) einrillige Seilrolle in geschweißter Ausführung.

Daraus kann A errechnet werden: A≥

l tan(α + ρ) + tan(α − ρ)

l1 ≤ A ⋅ tan(α + ρ),

l2 ≤ A ⋅ tan(α − ρ)

(4.8)

A Abstand der Trommelachse zur Achse der Umlenkrolle l bewickelte Trommellänge l1 , l2 Wickelabschnitte Dieses Kriterium der Seilablenkung ist beim Setzen von Versatzrollen für Punktzugwinden am Schnürboden zu beachten. Exakte Werte für die zulässige Abweichung unter Beachtung von eigentlich geringfügig unterschiedlichen Werten von α1 und α2 sind der Fachliteratur zu entnehmen.

402 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.3: Seilablenkung. (a) An einer Seilrolle, (b) an einer Seiltrommel, (c) kürzester Abstand einer Umlenkrolle.

4.1.2 Flaschenzug Durch Anordnung lagefixierter und beweglicher Seilrollen (Abb. 4.4) kann eine KraftWeg-Übersetzung ähnlich wie bei einem Hebel erreicht werden. Während eine feste Rolle nach Abb. 4.4a, b nur eine Seilumlenkung bewirkt, ergeben lose Rollen einen Flaschenzug (siehe Abb. 4.4c–g). Bei einfachen Flaschenzügen nach Abb. 4.4c–f, bei dem an einem Seilende gezogen wird, sind die Flaschenzugübersetzung i und die Zahl der tragenden Seilstränge z, an der die Last hängt, gleich groß, also i = z. Bei einem Zwillingsflaschenzug nach Abb. 4.5g ist i = z/2. Betrachtet man eine bewegliche Rolle nach Abb. 4.4c, d, so hängt die Last Q an zwei Seilsträngen und die Seilkraft beträgt S = Q/2. Soll die Last um den Weg h gehoben werden so muss das Seil um den Weg 2h gezogen werden. Verallgemeinert folgt daraus: – Liegt ein einfacher Flaschenzug vor, und beträgt die Zahl der tragenden Seilstränge z, so ist die Übersetzung des Flaschenzuges i = z. Zum Halten der Last Q am Seilstrang ist daher nur eine Kraft S=

Q Q = z i

(4.9)

4.1 Seile und Seiltriebe

| 403

erforderlich. Soll die Last um den Weg hQ bewegt werden, muss das Seil allerdings um den Weg hS = hQ ⋅ i

(4.10)

bewegt werden. Soll die Bewegung der Last mit der Geschwindigkeit vQ erfolgen, erfordert dies die Seilgeschwindigkeit vS = vQ ⋅ i

(4.11)

Sieht man von geringen Verlusten im System ab, ist die verrichtete Arbeit (Gl. (3.23)) und die Leistung (Gl. (3.26)) betrachtet an der Last und am gezogenen Seilende natürlich gleich groß, nämlich: Q ⋅ hQ ⋅ i = Q ⋅ hQ i Q P = Q ⋅ vQ = S ⋅ vS = ⋅ vQ ⋅ i = Q ⋅ vQ i

W = Q ⋅ hQ = S ⋅ hS =



Q Last S Seilzug hQ , hS Weg der Last bzw. des Seiles vQ , vS Geschwindigkeit der Last bzw. des Seiles i Übersetzung des Flaschenzuges z Zahl der tragenden Seilstränge n Zahl der Flaschenzugrollen (Umlenkrollen nicht mitgezählt) Beim Flaschenzug nach Abb. 4.4c ist z = i = 2. Hängt die Last an einem Zwillingsflaschenzug nach Abb. 4.4g mit z Seilsträngen, so ist die Übersetzung i=

z 2

Zum Halten der Last Q ist daher an zwei Seilsträngen eine Kraft von je S=

Q z 2

=

Q i

(4.12)

aufzubringen. Für einen Lastweg hQ müssen beide Seilenden um den Weg hS = hQ ⋅ i

(4.13)

und für eine Geschwindigkeit vQ beide Seile mit vS = vQ ⋅ i bewegt werden.

(4.14)

404 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Auch in diesem Fall sind Arbeit und Leistung bei Betrachtung der Last Q und beider Seilstränge auf An- und Abtriebsseite gleich groß. Beim Flaschenzug nach Abb. 4.4g ist z = 4 und i = 2 und es gilt für diesen Fall: Q ⋅h ⋅i=Q⋅i 2i Q Q P = Q ⋅ vQ = 2 ⋅ S ⋅ vS = 2 ⋅ ⋅ vQ ⋅ i = Q ⋅ vQ 2i

W = Q ⋅ hQ = 2 ⋅ S ⋅ hS = 2 ⋅

Abb. 4.4: Seilflaschenzug. (a) Feste Rolle als Umlenkrolle, (b) Seilwinde mit Umlenkrolle, (c) Flaschenzug mit einer losen Rolle (i = 2, z = 2), (d) Seilwinde mit Flaschenzug (i = 2, z = 2), (e) Seilflaschenzug (i = 4, z = 4), (f) Seilflaschenzug (i = 5, z = 5), (g) Seilwinde mit Zwillingstrommel – Aufwicklung beider Seilenden (i = 2, z = 4), z Zahl der tragenden Seilstränge, i Übersetzung des Flaschenzuges.

4.1 Seile und Seiltriebe

| 405

Bei den bisherigen Betrachtungen wurden Reibungsverluste im Seil infolge der Biegeverformung an den Rollen und infolge von Reibungsverlusten in den Seilrollenlagerungen vernachlässigt, da diese sehr gering sind. Diese Verluste könnten als Rollenwirkungsgrad (ηR ≈ 0,96 bei Gleitlagerung und ηR ≈ 0,98 bei Wälzlagerung) berücksichtigt werden und zur Berechnung eines Hub- und Senkwirkungsgrades des Seilflaschenzuges herangezogen werden. (Siehe Kap. 3.5 bzw. Fachliteratur.) In den meisten Fällen werden Flaschenzüge zur Aufbringung großer Kräfte verwendet, damit durch die Übersetzung mit kleinen Antriebskräften gearbeitet werden kann. Flaschenzüge können aber auch der umgekehrten Zielsetzung dienen. Soll z. B. ein Kurtinenblatt mit einem Gewicht von 120 kN mit einem Hydrozylinder 8 Meter gehoben werden, so ist es besser, in verkehrter Flaschenzuganordnung mit z = i = 4 (Abb. 1.262b) einen Zylinder mit nur 8/4 = 2 m Hub einzubauen, mit dem dann allerdings eine Kraft von 120 ⋅ 4 = 480 kN aufgebracht werden muss. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten Prospektzüge mit Hydrozylinderantrieb (siehe Kap. 1.8.3 und Abb. 1.201a) und auch hydraulische Personenaufzüge über mehrere Stockwerke. Bei hydraulischen Antrieben sind die höheren Kräfte unproblematisch. 4.1.3 Windentrieb Bei einem Windentrieb wird das Seil auf einer Seiltrommel aufgewickelt. Der Seiltrommelmantel muss i. A. mit schraubenförmig geschnittenen Rillen versehen sein. Beim Bewickeln der Seiltrommel muss durch die Art der Seilführung sichergestellt werden, dass das Seil ordnungsgemäß, d. h. Windung neben Windung in den hierfür vorgesehenen Rillen, abgelegt wird. Besteht die Gefahr von Schlaffseilbildung, muss die Winde in diesem Fall von einer Überwachungseinrichtung sofort abgeschaltet werden. Im völlig abgewickelten Zustand muss sichergestellt sein, dass noch mindestens zwei Reservewindungen auf der Seiltrommel verbleiben; zwei Windungen sind erforderlich, um durch deren Reibschluss (siehe Kap. 4.1.4) die Einbindung des Seilendes in der Trommel mit ausreichender Sicherheit zu gewährleisten, da die meist übliche Klemmung alleine nicht ausreichen würde. Außerdem darf es nicht zum vollkommenen Abwickeln und Aufwickeln des Seiles in entgegengesetzter Richtung kommen. 4.1.4 Treibscheibentrieb Bei einem Windentrieb wird die Zugkraft auf das Seil durch Formschluss übertragen. Bei einem Treibscheibentrieb erfolgt die Übertragung an einer Scheibe durch Reibung. Dabei muss sichergestellt sein, dass der Reibschluss zwischen Seil und Seilscheibe auch tatsächlich ausreicht, die erforderliche Umfangskraft zu übertragen. Das Seil darf also nicht durchrutschen. Die Überprüfung, dass kein „Gleitschlupf“ auftritt, kann folgendermaßen vorgenommen werden:

406 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Umschlingt ein Seil eine Treibscheibe mit dem Zentriwinkel α (im Bogenmaß [rad] gerechnet!), wirkt zwischen Seil und Scheibe der Reibungskoeffizient μ und beträgt die Seilkraft auf der einen Seite S1 und auf der anderen Seite S2 (siehe Abb. 4.5a, b), wobei S1 die größere und S2 die kleinere Seilkraft ist, so lautet die Bedingung nach Eytelwein: S1 ≤ eμα S2

wobei gilt (S1 > S2 )

(4.15)

Für die Umfangskraft folgt daraus als äquivalente Bedingung U = S1 − S2 ≤ S2 ⋅ (eμ⋅α − 1) S1 S2 U μ

α e

(4.16)

größere Seilkraft [N] kleinere Seilkraft [N] Umfangskraft [N] Reibwert zwischen Seil und Seilrolle [–] Stahl, Gusseisen μ = 0,12 Gummi mit Gewebe μ = 0,22 Leichtmetall μ = 0,25 Umschlingungswinkel [rad] Kurzzeichen für eine in der Mathematik häufig vorkommende Zahl; e = 2,718282 (ähnlich dem Kurzzeichen π = 3,141593…)

Ist diese Bedingung erfüllt, dann tritt kein Durchrutschen des Seiles ein; die Umfangskraft kann übertragen werden. Gilt das Gleichheitszeichen, so ist die Treibfähigkeit voll ausgenützt, und es besteht keine „Sicherheitsreserve“ gegen Durchrutschen. Selbstverständlich kann die Bedingung nur erfüllt sein, wenn S2 > 0 ist. Ist S1 ≠ S2 tritt aber unvermeidbar ein sogenannten „Dehnschlupf“ zwischen Seil und Seilscheibe auf, da sich die elastische Dehnung des Seiles während des Umlaufes an der Scheibe je nach Drehrichtung vom Dehnzustand unter der größeren Kraft S1 auf den die kleinere Dehnung unter der Kraft S2 oder der Dehnzustand unter der kleineren Kraft S2 auf die größere Dehnung unter der Kraft S1 ändern muss. Daher lässt sich die Seilgeschwindigkeit aus der Drehzahl nicht exakt bestimmen. Ein etwaiger Sicherheitsfaktor gegen Durchrutschen kann im Falle eines Treibscheibentriebes auf vielfältige Weise definiert werden. Entsprechende Vorschriften haben daher die Art der Berücksichtigung einer bestimmten Sicherheit gegen Durchrutschen anzugeben. Man kann z. B. verlangen, dass Durchrutschen auch bei einer um 25 % größeren Kraft S1 nicht auftreten darf. D. h. der Sicherheitsfaktor ν = 1,25 ist in diesem Fall definiert als νS1 =

S1 zul S1 vorh

mit S1 zul = S2 ⋅ eμα

4.1 Seile und Seiltriebe

| 407

und es müsste gelten S1 zul ≥ 1,25 S1 vorh Zum gleichen Ergebnis führt die Definition νS2 =

S2 vorh S2 erf

mit S2 erf =

S1 eμα

Mit beiden Ansätzen erhält man also mit S1 vorh = S1

und S2 vorh = S2

ν S1 = ν S2 =

S2 μα ⋅e S1

(4.17)

Andere Werte für die Sicherheit ergeben sich, wenn man die Quotientenbildung auf die Umfangskraft U, auf den Reibwert μ oder den Umschlingungswinkel α bezieht: Uzul mit Uzul = S2 ⋅ (eμα − 1) Uvorh S2 = ⋅ (eμα − 1) S1 − S2 μ S 1 = vorh mit μerf = ⋅ ln 1 μerf α S2 α S 1 = vorh mit αerf = ⋅ ln 1 αerf μ S2 μ⋅α = να ⋅ = ln SS1

νU = νU νμ να νμ

(4.18)

(4.19)

2

Die Größe des Sicherheitswertes hängt somit von der Definition ab. Dies erkennt man deutlich, wenn man den Extremfall S1 = S2 betrachtet, für den sich ja der Größtwert der Sicherheit ergeben muss. In diesem Fall wird ν1 = v2 = eμα , aber νU = να = νμ → ∞. Die Überprüfung des Reibschlusses mit Gl. (4.15) oder Gl. (4.16) hat selbstverständlich unter Beachtung aller Lastfälle zu erfolgen. Ist ein Seiltrum mit einer stets vorhandenen Totlast E und einer variablen Nutzlast Q = 0 bis Qmax belastet und das Q , so ist der kritischere Lastfall andere Seiltrum mit einem Gegengewicht G = E + max 2 für Q = 0 gegeben. Diese Größe des Gegengewichtes wird fast immer gewählt, da damit die erforderliche Leistung des Antriebsmotors minimiert wird. (Die maximale Umfangskraft für Q = 0 und Q = Qmax beträgt dann Q/2 – siehe Kap. 3.6.) Wie aus Gl. (4.15) bzw. (4.16) zu ersehen ist, können folgende Maßnahmen ergriffen werden, um die Treibfähigkeit zu verbessern, falls in einer gegebenen Situation zunächst kein ausreichender Reibschluss nachgewiesen werden kann:

408 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.5: Treibscheibentrieb. (a) Prinzipskizze zur Bedingung nach Eytelwein, (b) Vergrößerung der Treibfähigkeit durch Vergrößerung des Umschlingungswinkels α mit einer Umlenkrolle, (c) durch mehrfache Umschlingung einer Treibtrommel, (d) durch mehrfache Umschlingung eines Spillkopfes (Spillwinde), (e) mit zweirilliger Treibscheibe, (f) Vergrößerung der Treibfähigkeit durch Vergrößerung der zwischen Seil und Treibscheibe wirkenden Druckkräfte mittels Halbrundrille, (g) mittels Halbrundrille mit Unterschnitt, (h) mittels Keilrille, (i) Spannrolle mit Spanngewicht.





Vergrößerung des Umschlingungswinkels α durch eine Umlenkrolle (Abb. 4.5b), durch mehrfache Umschlingung an einer Treibtrommel (Abb. 4.5c-kaum ausgeführt, da das Seil bei Drehung axial wandert und den Hub begrenzt) oder einer Spillwinde (Abb. 4.5d) oder Hintereinanderschaltung zweier Treibscheiben, z. B. in Form einer zweirilligen Treibscheibe (Abb. 4.5e) – angewandt beim Antrieb von Drehbühnen über einen Seiltrieb. Verbesserung der Reibverhältnisse durch Wahl einer anderen Reibpaarung. So ist der Reibwert zwischen einem Stahlseil und einer Stahlscheibe z. B. kleiner als je-

4.1 Seile und Seiltriebe



| 409

ner zwischen einem Stahlseil und einer mit einer Gummieinlage oder speziellen Kunststoffeinlage gefutterten Scheibe. Erhöhung der Reibkraft durch Vergrößerung der den Reibschluss bestimmenden Druckkraft zwischen Seil und Scheibe. Anschaulich kann dies an Hand der Keilrille erläutert werden (siehe Abb. 4.5h). In diesem Fall ist der Reibschluss nicht mehr durch eine Normalkraft N mit dem Wert N ⋅ μ, sondern durch Normalkräfte 2N ′ mit dem Reibschlusswert 2Nμ′ gegeben. In Gl. (4.15) und (4.16) kann dies durch einen fiktiven Reibwert, bezeichnet als μf , berücksichtigt werden, nach dem Ansatz: μf =

1

sin δ2

⋅μ

(4.20)

Aus ähnlichen Erwägungen ergibt sich für eine Halbrundrille nach Abb. 4.5f μf =

4 ⋅μ π

(4.21)

bzw. für eine Halbrundrille mit Unterschnitt nach Abb. 4.5g μf = –

β

1 − sin 2 ⋅

π − β − sin β

μ

(4.22)

Erhöhung der Trumkraft S2 (und damit allerdings auch der Trumkraft S1 ), z. B. durch Vorspannen über eine Spannrolle mit einem Spanngewicht (Abb. 4.5i), einer Spannfeder, hydraulisch etc.

Mit Treibscheiben arbeiten die meisten Aufzugsanlagen. An einem Seilende hängt die Fahrgastkabine, am anderen ein Gegengewicht. Auch Seilbahnen und Lifte werden über Treibscheiben angetrieben. In der Bühnentechnik werden Treibscheibentriebe für Hubeinrichtungen selten eingesetzt, finden aber z. B. als Antrieb von Drehscheiben und als Antrieb für horizontale Fahrbewegungen Verwendung.

4.1.5 Klemmtrieb Bei einem Klemmtrieb (Abb. 4.6) wird die Zugkraft auf das Seil ebenfalls durch Reibung übertragen. Allerdings wird in diesem Fall das Seil – wie wenn man es mit den Händen umklammern und festhalten würde – durch von Druckfedern radial auf das Seil wirkenden Klemmkräfte durch Reibschluss gehalten. Dieses Prinzip wird z. B. beim Klemmzug nach Abb. 1.236 angewandt. Da zum Unterschied vom Treibscheibenantrieb nach Kap. 4.1.4 S2 = 0 sein darf, wird das freie Seilende in eine Speichertrommel gewickelt.

410 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.6: Klemmtrieb.

4.1.6 Faserseile Alle bisherigen Ausführungen haben sich auf Drahtseile bezogen. Es gibt aber auch Faserseile, die aus Naturfasern (Hanf, Manila, Sisal) oder Chemiefasern (Polyamid, Polyester, Polypropylen, Polyethylen) hergestellt werden. In der Bühnentechnik finden Naturfaserseile noch immer Anwendung, man beachte aber, dass deren Einsatz als lasttragende Elemente nur sehr eingeschränkt zulässig ist – siehe Kap. 5. Auch Naturfaserseile werden so wie Drahtseile durch mehrfaches Verseilen hergestellt. Ausgangselement bei der Erzeugung eines Drahtseiles sind Drähte, bei Naturfaserseilen aus Fäden gesponnene Garne. Sowie aus den Drähten durch einfaches Verseilen Litzen, durch nochmaliges Verseilen Litzenseile und durch nochmaliges Verseilen Kabelschlagseile entstehen, so werden auch Garne zu Litzen (oft auch als Kardeele bezeichnet) geschlagen, durch nochmaliges Verseilen entstehen Seile in Trossenschlag (mit drei oder vier Litzen) und durch nochmaliges Verseilen Kabelschlagseile (drei dreilitzige Trosse zu einem neunlitzigen Kabelschlagseil) gemäß Abb. 4.7. Je nach verwendetem Naturprodukt haben diese Naturfaserseile unterschiedliche Festigkeitswerte, die allerdings nicht sehr stark voneinander abweichen: Die größte Festigkeit hat Hanf (Maulbeergewächs aus Innerasien) – Hanfseile sollten mit grünen Kennstreifen oder Kennfäden gekennzeichnet sein. Fast die gleiche Festigkeit hat Manila (Bananengewächs aus den Philippinen) – Manilaseile sollten mit schwarzen Kennstreifenoder Kennfäden gekennzeichnet sein. Geringere Festig-

4.2 Ketten und Kettentriebe

| 411

Tab. 4.1: Mindestbruchlasten in daN nach EN 1261 und EN 698. Material Hanf Manila Sisal

dreilitzig

vierlitzig

3600 3590 3340

3240 3230 3010

Abb. 4.7: Faserseile. (a) Form A: Trossenschlag, dreilitzig (3 Kardeele), (b) Form B: Trossenschlag, vierlitzig (4 Kardeele), auch als „Wantschlag“ bezeichnet, (c) Form C: Kabelschlag bestehend aus drei dreilitzigen Trossen (insgesamt 9 Kardeele).

keit hat Sisal (Agavengewächs aus Mexiko, Brasilien, Ostafrika) – Sisalseile sollten mit roten Kennstreifen oder Kennfäden gekennzeichnet sein. Beispielhaft seien die Festigkeitswerte für ein Seil mit 22 mm Durchmesser angegeben. In den Normen wird die Mindestbruchkraft in daN angegeben, daher wird auch in Tab. 4.1 diese Einheit gewählt. Man beachte ferner, dass zum Unterschied von den Drahtseilen bei den Faserseilen nur die Mindestbruchkraft nicht aber eine „rechnerische Bruchkraft“ wie bei Drahtseilen angegeben wird.

4.2 Ketten und Kettentriebe Zur Übertragung von Zugkräften können anstelle von Seilen auch Ketten eingesetzt werden. In der Bühnentechnik finden Ketten bei Kettenhubzügen, bei Podienantrieben und bei Antrieben von Bühnenwagen Verwendung.

4.2.1 Ketten Kettenbauarten Rundstahlketten (Abb. 4.8a) Rundstahlketten werden in Kettenzügen, bei Kettenförderern und als Lastanschlagketten verwendet. Unverzahnte Kettenrollen zur Kettenumlenkung sind in Abb. 4.8b dargestellt. Zur Übertragung von Kräften sind verzahnte Kettenräder nach Abb. 4.8c erforderlich. In diesem Fall müssen Ketten mit engen Toleranzen für die Kettenteilung verwendet werden.

412 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.8: Rundstahlkette und Kettenräder. (a) Rundstahlkette, (b) unverzahnte Kettenrolle, (c) verzahntes Kettenrad (Kettennuss).

Stahlgelenkketten (Abb. 4.9) Diese Ketten bestehen aus Bolzen und Laschen und sind, wenn man von Sonderbauformen absieht, nur in einer Ebene gelenkig. Je nach Bauart unterscheidet man: – Gallketten (Abb. 4.9a), – Buchsenketten (Abb. 4.9b) und – Rollenketten (Abb. 4.9c, d). Die Buchsenkette ist für höhere Arbeitsgeschwindigkeiten einsetzbar, da am Bolzen bessere Gleitverhältnisse gegeben sind. Bei Rollenketten ist auf der Buchse noch eine Rolle gelagert. Rollenketten werden in der Fördertechnik sehr häufig verwendet, im bühnentechnischen Einsatz z. B. als Hubketten für Podien. Sie dienen aber auch als Transportketten bei Kettenförderern (Tragkettenförderern), wie in Abb. 4.9g dargestellt, und finden daher auch für den Transport von Containern für Dekorationsmaterial in der Lagertechnik Verwendung. Zur Übertragung besonders großer Kräfte kann die Fleyerkette nach Abb. 4.9e dienen; allerdings kann diese Kettenart nicht über verzahnte Räder laufen. (Sie wird z. B. bei Gabelstaplern zur Bewegung des Hubrahmens eingesetzt.) Die Verzahnung der Kettenräder für Stahlgelenkketten ist in Abb. 4.9f dargestellt. Solche Kettenräder sind immer dann zu verwenden, wenn das Kettenrad tatsächlich von der Kette umschlungen wird. Dient eine Stahlgelenkkette nur als Ersatz für einen Triebstock (siehe Kap. 4.4), so sollte eigentlich – von untergeordneten Anwen-

4.2 Ketten und Kettentriebe

| 413

dungsfällen abgesehen – ein nach den Gesetzen der Verzahnungstheorie geformtes Triebstockritzel statt einem handelsüblichen Kettenrad verwendet werden.

Abb. 4.9: Stahlgelenkketten. (a) Gallkette (in mehrlaschiger Ausführung dargestellt), (b) Buchsenkette, (c) Einfach-Rollenkette, (d) Zweifach-Rollenkette, (e) Fleyerkette, (f) Kettenrad, (g) Rollenkette als Transportkette.

414 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Spezielle Stahlgelenkketten – Schubketten Im Normalfall ist eine Kette nur geeignet Zugkräfte aufzunehmen. Aus dem Aufzugsbau – z. B. beim Paternosteraufzug – ist der Begriff „Stützkette“ bekannt. Durch die Führung der Kette in einem Kettenkanal kann die Kette bei Kettenbruch die Kabinen stützend abfangen und einen Absturz verhindern; die Zickzacklage der Kettenglieder im Kettenkanal sperrt jede weitere Schubbewegung. Völlig anders verhalten sich sogenannte Schubketten. Als spezielle Bauform, die insbesondere auch in der Bühnentechnik Anwendung findet, seien die Schubketten der Fa. Serapid erwähnt, die für bühnentechnische Anwendungen im Wesentlichen in zwei Systemen angeboten werden: Das System LinkLift ist für die vertikale Förderung hoher Lasten, wie dies bei Hubpodien der Fall ist, entwickelt. Es ist eine Schubkette, deren Glieder aus blockförmigen Elementen bestehen, die in der Aufwärtsbewegung zu einem Turm übereinander gestapelt werden. Die Hubsäule erreicht damit besonders hohe Stabilität und Biegesteifigkeit. Abbildungen 4.10, 4.11 und 4.12 zeigen den LinkLift.

Abb. 4.10: LinkLift. Bildnachweis: SERAPID.

Je nach Baugröße können Lasten bis zu 150 kN bewegt werden und statische Lasten bis zu 200 kN aufgenommen werden. Allerdings sind diese großen Lasten nur für kleinere Hubhöhen (5 m bei 150 kN dynamisch bzw. 3,5 m bei 200 kN statisch). Bei kleineren Lasten sind bis zu 8 m Hub möglich. Die maximale Hubgeschwindigkeit beträgt 0,2 m/s (bei langen Führungen am Antriebsgehäuse bis zu 0,3 m/s). Allerdings muss die Last in Geit- oder Rollenführungen oder durch Scheren exakt geführt sein. Um die

4.2 Ketten und Kettentriebe

| 415

Abb. 4.11: LinkLift Bildnachweis: SERAPID. 1: Die Anschlussplatte muss spielfrei an der Plattform fixiert sein. 2: Das Antriebsgehäuse muss spielfrei auf der Basis fixiert und parallel zur Anschlussplatte ausgerichtet sein. 3: Die Last muss sich absolut vertikal und parallel zu den Schwerpunktachsen der Hubsäulen bewegen. 4: Die Plattform ist parallel zur Schwerpunktachse der Hubsäulen zu führen, so dass jede horizontale Bewegung blockiert ist.

Abb. 4.12: LinkLift. Bildnachweis: SERAPID.

Stabilität zu gewährleisten müssen einige Montagehinweise beachtet werden (siehe Abb. 4.11). Anwendungen in der Bühnentechnik als Antrieb von Hubpodien siehe Kap. 1.7.1. Als Alternative zum LinkLift wird auch der ChainLift angeboten. Es ist ein Produkt aus der Industriebaureihe von SERAPID. Dieses System dargestellt in Abb. 4.13 ist für deutlich höhere Lastspiele und Dynamik ausgelegt, erlaubt aber nur niedrigere Lasten und Hubhöhen unter 2 m. Für horizontale Zug- und Schubbewegungen können Schubketten nach Abb. 4.14 eingesetzt werden. Für das horizontale Verfahren von Bühnenwagen wurde speziell das Silent ChainTrack-System (SCT) entwickelt (siehe Abb. 4.15). Die Kette hat Polymerrollen, welche in dafür abgestimmten Aluminiumkanälen laufen und damit sehr leise abrollen. Mit

416 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.13: Chainlift. Bildnachweis: SERAPID.

Abb. 4.14: Horizontal-Schubkette. Bildnachweis: SERAPID.

dem SCT-System sind Kreuzungen von Seiten- und Hinterbühnen-Antrieben möglich (siehe Kap. 1.7.2). Es gibt sie in 2 Basis-Größen (Teilungen 40 mm und 60 mm). Ein spezieller Koppelwagen am Kettenkopf wird zur Bühnenwagenanbindung benutzt. Die Speicherung der Kette erfolgt flexibel an Wand und Decke bzw. unter der Bühne in einem eigens dafür vorgesehenem Magazin (siehe Abb. 1.138, Abb. 1.139). Als maximale Fahrgeschwindigkeit wird 1 m/s angegeben. Dimensionierung einer Kette In Normen und Katalogen von Herstellern ist für jeden Kettentyp und jede Kettendimension die Mindestbruchkraft angegeben. Sie entspricht der Mindestbruchkraft beim Seil. Außerdem ist meist noch eine Prüfkraft genannt, bei deren Aufbringung noch keine bleibenden Verformungen auftreten. I. A. wird in einschlägigen Vorschriften mindestens eine 8fache Sicherheit gegen Bruch ν ≥ 8 gefordert: ν=

FB ≥ νerf F

F in der Kette aus der Belastung vorhandene Zugkraft [N], [kN] FB Bruchkraft der Kette [N], [kN]

(4.23)

4.2 Ketten und Kettentriebe

| 417

Abb. 4.15: Silent Chain – Kettenführung. Bildnachweis: SERAPID.

Elastizität von Ketten Ähnlich wie ein Seil dehnt sich auch eine Kette unter Belastung. Die Kettenglieder verformen sich in Abhängigkeit von deren Konstruktionsweise, als Dehnung der Laschen und Biegung der Bolzen. Bis zu einer Betriebskraft von etwa 40 % der Mindestbruchkraft kann bei Rollen- und Buchsenketten rein elastische Verformung angenommen werden. Ein dem Elastizitätsmodul E eines Stabes oder eines Seiles entsprechender Wert lässt sich für eine Kette nicht definieren, da über die Kettenlänge keine konstante Querschnittsfläche A gegeben ist. Macht man mit einer Kette einen Zugversuch und trägt in einem Diagramm nach Abb. 4.16 die Kettenkraft F bezogen auf die Kettenbruchkraft FB über der Dehnung ε (Verlängerung Δl bezogen auf die Ursprungslänge l0 ) auf, so ergibt sich ein etwa linearer Zusammenhang. Der Anstieg der Geraden wird oft als relative Federrate crel bezeichnet und von Herstellern angegeben: Δl ΔF = crel ⋅ = crel ⋅ ε FB l0 Δl ΔF = ε= l0 crel ⋅ FB

und (4.24)

Daraus lässt sich die von der Kettenlänge abhängige Federrate c errechnen zu c= ΔF FB l0 Δl c crel ε

F ΔF ΔF/l0 = = crel ⋅ B Δl Δl/l0 l0

Erhöhung der Zugkraft in der Kette [N] Mindestbruchkraft der Kette [N] ursprüngliche Länge der Kette [mm] Verlängerung der Kette infolge ΔF [mm] Federrate [N/mm] relative Federrate [–], crel ≈ 50 Dehnung [–]

(4.25)

418 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.16: Relative Federrate einer Kette.

4.2.2 Kettentrieb Zum Unterschied von einem Seiltrieb tritt bei einem Kettentrieb folgender Effekt auf: Der Teilkreisdurchmesser eines Kettenrades nach Abb. 4.9f bzw. Abb. 4.17a beträgt p sin α2 180 π ∘ bzw. ∝ [ ] = ∝ [rad] = z z d0 =

d0 p z α

(4.26)

Teilkreisdurchmesser des Kettenrades [mm] Kettenteilung [mm] Zähnezahl des Kettenrades halber Teilungswinkel des Kettenrades [rad], [∘ ]

Rotiert ein Kettenrad mit der Winkelgeschwindigkeit ω, dann beträgt die Kettengeschwindigkeit v bei einem wirksamen Kettenradradius r (Gl. (3.9)) v = r ⋅ ω. Beim Lauf einer Kette um ein Kettenrad ist zu beachten, dass aufgrund der Geometrie des Rades der wirksame Kettenradius, also der Normalabstand zwischen Kettenstrang und Kettenradmittelpunkt während der Drehung des Kettenrades stets zwischen einem Maximalwert rmax = r0 = d0 /2 und einem Minimalwert rmin = r0 ⋅ cos α schwankt. D. h. auch bei Antrieb eines Kettenrades mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω variiert die auf die Kette als Umfangsgeschwindigkeit übertragene Tangentialgeschwindigkeit zwischen einem Maximalwert vmax = ω ⋅ rmax und einem Minimalwert vmin = ω ⋅ rmin . Dieser sogenannte Polygoneffekt wirkt sich, wie sich aus den im Folgenden angeschriebenen Formeln leicht erkennen lässt, umso stärker aus, je kleiner die Zähnezahl

4.2 Ketten und Kettentriebe

| 419

Abb. 4.17: Polygoneffekt am Kettenrad. (a) Geschwindigkeitsvektoren am Kettenrad, (b) Verlauf der Transversalgeschwindigkeit, (c) Verlauf der Transversalbeschleunigung der Kette.

des Kettenrades ist, denn umso größer wird dann der Unterschied zwischen rmax und rmin . Die veränderliche Kettengeschwindigkeit v beträgt v = ω ⋅ r = ω ⋅ r0 ⋅ cos φ mit φ = ω ⋅ t

(4.27)

Für φ = 0 ergibt sich die Maximalgeschwindigkeit vmax = ω ⋅ rmax = ω ⋅ r0 ⋅ = v0

und

(4.28)

für φ = ±α die Minimalgeschwindigkeit vmin = ω ⋅ rmin = ω ⋅ r0 ⋅ cos α = v0 ⋅ cos α

(4.29)

Für die Kettenbeschleunigung a gilt a=

dv = −ω2 ⋅ r0 ⋅ sin φ dt

und für φ = ±α als Extremwert mit sin α =

(4.30)

p/2 r0

amax = −ω2 ⋅ r0 ⋅ sin(±α) = ±

p ⋅ ω2 2

(4.31)

420 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik r r0

wirksamer Radius [m] Nennradius (Umkreisradius des Kettenpolygons) [m] r0 = d0 /2

p v a α φ ω t z

Kettenteilung [m] Kettengeschwindigkeit [m/s] Kettenbeschleunigung [m/s2 ] halber Teilungswinkel des Kettenrades [rad], [∘ ] mit der Zeit t veränderlicher Drehwinkel [rad] Winkelgeschwindigkeit des Kettenrades [1/s] Zeit [s] Zähnezahl [–]

Der Verlauf von Geschwindigkeit und Beschleunigung ist aus Abb. 4.17b, c zu ersehen. Aus dem Polygoneffekt resultierende Schwingungserregungen können vor allem dann problematisch werden, wenn die Erregerfrequenz mit einer Eigenfrequenz des Systems zusammenfällt und dadurch Resonanzerscheinungen auftreten. Die sprunghaften Beschleunigungsänderungen führen auf jeden Fall zu Stoßerregungen. Bei Wahl ausreichend großer Zähnezahlen und nicht zu großer Geschwindigkeiten wirkt sich dieser Effekt allerdings kaum störend aus. Neben den beschriebenen Längsschwingungen in Kettenlaufrichtung hat der Polygoneffekt auch Querschwingungen der Kette zur Folge.

4.3 Keil- und Spindeltrieb 4.3.1 Keiltrieb Kraft- und Geschwindigkeitsverhältnisse Für die Geschwindigkeiten gilt nach Abb. 4.18 für den Keiltrieb der Zusammenhang v1 = v2 tan α

(4.32)

In einer schiefen Ebene unter dem Steigungswinkel α ist zum Heben einer Last FQ eine Kraft FH bzw. als Rückhaltekraft zur Vermeidung einer Senkbewegung infolge einer Last FQ eine Kraft FS erforderlich, deren Größen vom Winkel α und den Reibungsverhältnissen an der Kontaktfläche in der schiefen Ebene abhängen. Bei den folgenden Überlegungen wird angenommen, dass an anderen Flächen keine Reibung wirke. Ohne Reibung an der Kontaktfläche gilt gemäß Abb. 4.18a F0 = FH = FS = F0 ⋅ tan α

(4.33)

4.3 Keil- und Spindeltrieb

| 421

Abb. 4.18: Kraftverhältnisse am Keil (am Teil 1 wirksame Kräfte). (a) Ohne Reibung, insbesondere auch an der Keilfläche zwischen Teil 1 und 2, (b)–(d) mit Reibung in der Keilfläche, (b) Bewegung im Hubsinn, (c) Bewegung im Senksinn – α > ρ – keine Selbsthemmung, (d) Bewegung im Senksinn – α ≤ ρ – Selbsthemmung.

Bei Reibwirkung, bestimmt durch die Reibungszahl μ bzw. den Reibungswinkel ρ (tan ρ = μ), wird gemäß Abb. 4.18b, c für eine Bewegung im Hubsinn FH = FQ ⋅ tan(α + ρ)

(4.34)

und für eine Bewegung im Senksinn FS = FQ ⋅ tan(α − ρ) FQ FH,S α ρ

(4.35)

Last am Teil 1 [N] Verschiebekraft am Teil 2 [N] Steigungswinkel [∘ ] Reibungswinkel [∘ ]

Im Senksinn erfordert die Last FQ im Falle α > ρ als Gleichgewichtskraft eine positive Kraft FS als Rückhaltekraft. Wird α < ρ, so wird gemäß Gl. (4.35) tan(α − ρ) < 0 und damit auch die Kraft FS negativ. In diesem Fall ist zum Senken also keine Rückhaltekraft, sondern eine treibende Kraft FS erforderlich. Im Falle α > ρ kann der Keil durch die Wirkung einer Kraft FQ , wenn keine ausreichende Kraft FS als Rückhaltekraft wirkt, verschoben und die Last FQ abgesenkt wer-

422 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik den. Im Falle α ≤ ρ kann diese Senkbewegung auch durch eine noch so große Kraft FQ nicht hervorgerufen werden. Zum Absenken muss sogar eine Kraft FS aufgebracht werden. Man nennt diesen Zustand Selbsthemmung (siehe auch Kap. 3.5). Wirkungsgrad Unter Anwendung der in Kap. 3.5 hergeleiteten Formeln für den Wirkungsgrad gilt ηH =

F ⋅v P0 tan α = 0 2 = PH FH ⋅ v2 tan(α + ρ)

(4.36)

ηS =

F ⋅v PS tan(α − ρ) = S 2 = P0 F0 ⋅ v2 tan α

(4.37)

und beim Senken

Im Falle der Selbsthemmung wird also wegen α ≤ ρ der Senkwirkungsgrad ηS ≤ 0. Im Grenzfall α = ρ bedeutet dies: ηS = 0 ηH =

1 − (tan ρ)2 1 2 tan ρ tan ρ = ≈ (unter Anwendung der Formel tan 2ρ = ) tan 2ρ 2 2 1 − (tan ρ)2

Nur wenn tan 2ρ vernachlässigbar klein ist, also für tan 2ρ ≈ 0, wird ηH = 0,5, d. h. diese Aussage, dass Selbsthemmung vorliegt, wenn der Hubwirkungsgrad kleiner 50 % ist, gilt nur ungefähr, exakt muss es heißen, dass der Senkwirkungsgrad kleiner/gleich null sein muss. Gleichung (3.48) gilt nicht exakt, da die Verlustleistungen beim Heben und Senken unterschiedlich groß sind. Diese lassen sich aus Gl. (4.36), (4.37) errechnen: PVH = PH − P0 = P0 ⋅ (

tan(α + ρ) 1 − 1) = P0 [ − 1] ηH tan α

PVS = P0 − PS = P0 ⋅ (1 − ηS ) = P0 [1 −

tan(α − ρ) ] tan α

(4.38) (4.39)

mit P0 = F0 ⋅ v2 =

FQ ⋅ tan α ⋅ v1 = FQ ⋅ v1 tan α

(4.40)

P Leistung [W] η Wirkungsgrad [–] Index: 0 verlustlos, H Heben, V Verlustanteil, S Senken In der Bühnentechnik eignen sich Keilgriebe für Ausgleichspodien, da bei diesen i. A. kleine Hubwege ausreichen.

4.3 Keil- und Spindeltrieb

| 423

4.3.2 Spindeltrieb Ein Spindeltrieb besteht aus einer Paarung von Spindel und Mutter, wobei je nach Betriebsart (vgl. Kap. 1.7.1 – Spindelhubpodien) die Spindel mit ω rotiert und die Mutter mit v bewegt wird, oder die Mutter mit ω rotiert und die Spindel mit v bewegt wird, oder die Spindel stillsteht und die Mutter die Bewegungen mit v und ω durchführt. Da ein Gewinde als ein Keil in Schraubenform angesehen werden kann, sind alle für das Keilgetriebe hergeleiteten Beziehungen auch für den Spindeltrieb anwendbar. Zunächst wird der als Gleitgewindetrieb benennbare klassische Spindeltrieb mit gleitender Reibung an der Keilfläche behandelt. Es gibt aber auch Spindeltriebe, bei denen die gleitende Bewegung an der Keilfläche durch eine Abwälzbewegung ersetzt wird; in diesem Fall spricht man von einem Wälzgewindetrieb. Gleitgewindetrieb Für solche Bewegungsgetriebe werden Trapezgewinde nach ISO DIN 103 mit der Normbezeichnung „Tr d×p“ eingesetzt (Abb. 4.19a). d gibt den Außendurchmesser des Spindelgewindes und p die Steigung des Gewindes an. Bei Gewinden mit großer Steigung lassen sich mehrere Gewindegänge parallel nebeneinander als mehrgängiges Gewinde mit der Steigung pn anordnen: pn = n ⋅ p

(4.41)

Gemäß Abb. 4.19a sind folgende geometrische Größen definiert: d Außendurchmesser des Spindelgewindes [mm] dK Kerndurchmesser des Spindelgewindes [mm] dF Flankendurchmesser des Spindelgewindes [mm]; dies ist der Durchmesser eines zur Spindelachse konzentrischen Zylinders, der das Gewindeprofil derart schneidet, dass Zahn und Lücke gleich groß sind. p Profilteilung des Gewindes [mm]; dies ist der Abstand zweier gleichartiger Profilpunkte in einem Axialschnitt. Bei einer eingängigen Spindel entspricht dies der Steigung des Gewindes. pn Steigung des Gewindes mit n Gängen [mm]; dies ist jene axiale Wegdifferenz, die sich bei Durchlaufen einer Schraubenlinie des Gewinde profils nach einer Umrundung ergibt. Wird also z. B. die Mutter bei fest- gehaltener Spindel um 360 ∘ gedreht, so verschiebt sie sich axial um den Weg pn . α Steigungswinkel des Gewindes [∘ ]. Wird der Mantel eines Zylinders mit dem Flankendurchmesser dF in eine Ebene abgewickelt, stellt sich die Schraubenlinie mit dem Durchmesser dF gemäß Abb. 4.19b als Gerade dar. Der Steigungswinkel α lässt sich daher unter Bezugnahme auf den „mittleren“ Durchmesser dF errechnen nach

424 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik tan α =

pn dF ⋅ π

(für n = 1 ist pn = p)

Aus Abb. 4.19b ist ersichtlich, dass – wie bei einer Wendeltreppe – der Steigungswinkel am Kerndurchmesser größer und am Außendurchmesser kleiner ist.

Abb. 4.19: Gleitgewindetrieb. (a) Trapezgewinde nach ISO-Norm, (b) Steigung eines Trapezgewindes, (c) eingängig, (d) mehrgängig.

Zur Berechnung der Kräfte bzw. Drehmomente kann man die Formeln für das Keilgetriebe anwenden, indem man die Kräfte FH und FS am Radius dF /2 als Drehmomente MH bzw. MS wirken lässt: dF ⋅ FQ ⋅ tan α 2 d MH = F ⋅ FQ ⋅ tan(α + ρ) 2 dF MS = ⋅ FQ ⋅ tan(α − ρ) 2 M0 =

(4.42) (4.43) (4.44)

Daher gilt für die Wirkungsgrade in analoger Weise ηH =

P0 M ⋅ω tan α = 0 = PH MH ⋅ ω tan(α + ρ)

(4.45)

ηs =

PS M ⋅ ω tan(α − ρ) = S = P0 M0 ⋅ ω tan α

(4.46)

und beim Senken

4.3 Keil- und Spindeltrieb

| 425

Wieder sind die Verlustleistungen beim Heben und Senken geringfügig unterschiedlich und können nach Gl. (4.38) und (4.39) errechnet werden. In Anwendung von Gl. (4.32) folgt ferner für die Winkelgeschwindigkeit ω der Spindel- oder Mutterdrehung und die Längsbewegung der Spindel oder Mutter mit der Geschwindigkeit v der Zusammenhang: dF ⋅ ω ⋅ tan α 2 d P0 = M0 ⋅ ω = F ⋅ FQ ⋅ tan α ⋅ ω = FQ ⋅ v 2 v=

(4.47) (4.48)

Die Verlustleistungen an einem Spindeltrieb mit Selbsthemmung sind relativ hoch. Sie führen auch zu großer thermischer Belastung, sodass bei Spindeltrieben nur relativ kleine Leistungen übertragen werden bzw. nur kleine Einschaltdauern des Antriebes zulässig sind (siehe Kap. 1.7.1). Spindelpodien werden in der Bühnentechnik daher vor allem für Orchester- und Ausgleichspodien angewandt. Wälzgewindetriebe In diesem Fall wird Gleitreibung durch Rollreibung ersetzt. Damit ergeben sich hohe Wirkungsgrade, und die thermischen Belastungen sind sehr gering. Der manchmal bei Spindeltrieben erwünschte Selbsthemmeffekt kann natürlich nicht erzielt werden. Bei Kugelspindeln fungieren, wie in Abb. 4.20a dargestellt, Kugeln als Wälzkörper. Die Kugeln rollen durch die Gewindegänge der Mutter und müssen je nach Bauform innerhalb oder außerhalb des Mutternkörpers wieder rückgeführt werden. Besonders große Kräfte können mit Planetenrollen-Gewindetrieben übertragen werden. Bei der in Abb. 4.20b dargestellten Bauform sind in die Mutter in einem Käfig gelagerte kleine Gewinderollen eingebaut, die sich in einer Planetenbewegung an Spindel und Mutterngewinde abwälzen. Bei Wälzgewindespindeln ist in Anwendung der Gl. (4.41) statt des Flankendurchmessers dF der Gewindenenndurchmesser d0 (laut Herstellerangabe) einzusetzen. Zur Ermittlung der Wirkungsgrade können wieder Gl. (4.36), (4.37) herangezogen werden. In der folgenden Tabelle sind zum Vergleich Richtwerte für die Reibungsverhältnisse beim Gleit- und Wälzgewindetrieb angegeben: Gleitgewindespindel Kugelgewindespindel Planetengewindespindel

ρ = 6∘

ρ = 0,34

ρ = 0,46

tan ρ = μ = 0,1 ∘ ∘

μ = 0,006

μ = 0,008

426 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.20: Wälzgewindetrieb. Oben: Kugelgewindetrieb, unten: Planetenrollen-Gewindetrieb. Bildnachweis: SKF.

4.4 Zahntriebe Mit Zahntrieben können durch formschlüssige Koppelung verzahnter Bauelemente Bewegungen unter Kraftwirkungen übertragen werden. In diesem Buch sollen nicht Theorie und Berechnung von Verzahnungen vermittelt werden; es werden nur einige Grundbegriffe erläutert und Hinweise zur speziellen Thematik gegeben.

4.4.1 Verzahnung Evolventenverzahnung Aus der Bedingung, dass über Formschluss eine gleichförmige Bewegung am Antrieb auch eine gleichförmige Bewegung am Abtrieb ergeben soll, lässt sich zu jeder gewählten Zahnform des einen Elements eine Zahnform des zweiten Elements konstruieren. Im allgemeinen Maschinenbau – und so auch in der Bühnentechnik – wird fast ausschließlich die sogenannte Evolventenverzahnung nach Abb. 4.21a, b verwendet. Wie der Name zum Ausdruck bringt, haben die Zahnflanken eine Kurvenform, die als Evolvente bezeichnet wird: Wickelt man einen gespannten Faden gemäß Abb. 4.21c von einer Scheibe, so beschreibt das Fadenende eine derartige Kurve. Die Größe des Zahnes wird durch eine als Modul m bezeichnete Kennzahl charakterisiert. Sollen am Umfang u eines Kreises z Zähne Platz finden, so besteht folgender geometrischer Zusammenhang:

4.4 Zahntriebe

π⋅d z p d= ⋅z =m⋅z π p=

| 427

(4.49) mit m =

p π

(4.50)

Kämmen zwei Stirnräder mit den Zähnezahlen za und zb nach Abb. 4.21a, so müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: – Die Umfangsgeschwindigkeiten am Teilkreis (Wälzkreis) beider Räder müssen gleich groß sein: v=

d m ⋅ zb da m ⋅ za ⋅ ωa = b ⋅ ωb = ⋅ ωa = ⋅ ωb 2 2 2 2

Daraus folgt i= –

da zb ωa na = = = db za ωb nb

(4.51)

Die Leistung muss bei Annahme verlustloser Übertragung an der An- und Abtriebsseite gleich groß sein. Pa = Ma ⋅ ωa = Pb = Mb ⋅ ωb Daraus folgt i=

ωa Mb = ωb Ma

(4.52)

Ist der Wirkungsgrad der Zahnradstufe η < 1 zu berücksichtigen, so ist bei Antrieb mit Ma das Abtriebsmoment Mb = Ma ⋅ i ⋅ η Wird der Teilkreisdurchmesser eines Zahnrades unendlich groß, so wird aus einem Zahnrad eine Zahnstange mit trapezförmigen Zähnen nach Abb. 4.21b. Damit kann eine rotierende Bewegung in eine lineare Bewegung umgesetzt werden und umgekehrt. Treibt ein Ritzel mit der Zähnezahl z eine Zahnstange nach Abb. 4.21b, so gilt v=

d m⋅z ⋅ω= ⋅ω 2 2

(4.53)

und wegen P = M ⋅ ω = F ⋅ v M v = F ω F Längskraft an der Zahnstange und Umfangskraft am Ritzel [N] M Drehmoment [Nm]

(4.54)

428 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.21: Evolventenverzahnung. (a) Paarung Rad–Rad, (b) Paarung Rad–Zahnstange, (c) Geometrie der Evolvente, (d) Triebstockverzahnung.

P d m p z i v n ω η

Leistung [W] Teilkreisdurchmesser [m] Modul [m] Teilung [m], das ist die als Bogenlänge gemessene Entfernung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Rechts- oder Linksflanken Zähnezahl [–] Übersetzung [–] Umfangsgeschwindigkeit am Teilkreis [m/s] Drehzahl [U/s], n∗ [U/min] Winkelgeschwindigkeit [1/s] Wirkungsgrad [–]

Triebstockverzahnung Neben der Evolventenverzahnung wird in Sonderfällen manchmal die sogenannte Triebstockverzahnung angewandt. Bei einem Triebstock werden die Zähne gemäß Abb. 4.21d durch zylindrische Bolzen ersetzt. Die Zähne des Ritzels müssen nach

4.4 Zahntriebe

| 429

den Gesetzen der Verzahnungsgeometrie besonders geformt sein und entsprechen nicht der Evolventenform, sondern einer Zykloide. Die Triebstockverzahnung ist eine Sonderform der Zykloidenverzahnung, die in der allgemeinen Form wegen der aufwendigeren Herstellung nur selten verwendet wird (z. B. in der Uhrenindustrie). Wie in Kap. 1.7.2 beschrieben, werden bei Antrieben von Bühnenwagen oft gespannt verlegte Stahlgelenkketten als Triebstockstangen eingesetzt. Lässt man darin normale handelsübliche Kettenräder als Ritzel zum Antrieb eingreifen, hat dies zur Folge, dass diese Kettenräder in ihrer Zahnform nicht einer nach exakter Verzahnungsgeometrie erforderlichen Zykloidenform entsprechen, denn Kettenräder sind im Zahngrund aus Kreisflanken mit Anschlusstangenten mit 30 ∘ Öffnungswinkel und abgerundeter Zahnspitze geformt. Dies kann sich in speziellen kritischen Fällen auf das Laufverhalten eventuell negativ auswirken. Schnecke und Schneckenrad Eine in der Bühnentechnik häufig verwendete Form einer Verzahnung ist das Schneckengetriebe. In diesem Fall stehen eine Schneckenwelle (Schnecke) und ein Schneckenrad in Eingriff (Abb. 4.22).

Abb. 4.22: Schneckengetriebe.

Auch bei einem Schneckengetriebe gilt Gl. (4.51). Der mittlere Steigungswinkel der Schnecke mit za Zähnen und dem Modul m errechnet sich zu tan α =

m ⋅ za da

mit m =

pa π

(4.55)

m Achsmodul [m], (an der Schneckenwelle im Achsschnitt und am Schneckenrad im Mittelstirnschnitt)

430 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik pa Axialteilung [m] za Zähnezahl der Schneckenwelle = Gangzahl der Schnecke (za = 1 bis 4) [–] zb Zähnezahl am Schneckenrad [–] Der Wirkungsgrad eines Schneckengetriebes darf auf keinen Fall vernachlässigt werden, da im Zahneingriff Gleiten wie bei einer Gewindespindel stattfindet und nicht vernachlässigbare Verluste auftreten. Daher sind auch die für einen Spindeltrieb in Kap. 4.3 angegebenen Formeln anwendbar. Für eine treibende Schnecke (Übersetzung ins Langsame) gilt tan α tan(α + ρ)

ηH =

und Mb = Ma ⋅ i ⋅ ηH

(4.56)

für ein treibendes Schneckenrad (Übersetzung ins Schnelle) ηS = i Ma Mb α ρ ηH,S

tan(α − ρ) tan α

und Ma = Mb ⋅

1 ⋅η i S

(4.57)

Übersetzung des Schneckengetriebes [–] Moment an der Schneckenwelle [Nm] Moment an der Schneckenradwelle [Nm] mittlerer Steigungswinkel der Schnecke [∘ ] Reibungswinkel der Paarung Schnecke–Schneckenrad [∘ ] (tan ρ = μ) Wirkungsgrad

Ist α ≤ ρ bzw. ηS ≤ 0 tritt Selbsthemmung ein. 4.4.2 Getriebe Zur Erzielung größerer Übersetzungsverhältnisse können auch mehrere Zahnradstufen hintereinandergeschaltet werden, und es gilt dann: ib/a =

z2 z4 z6 ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ = i2/1 ⋅ i4/3 ⋅ i6/5 . . . z1 z3 z5

ηb/a = η2/1 ⋅ η4/3 ⋅ η6/5 . . . ib/a i2/1 ηb/a η1/2

(4.58) (4.59)

Übersetzung des Getriebes Übersetzung der erste Getriebestufe Wirkungsgrad des Getriebes Wirkungsgrad der ersten Getriebestufe

Da elektrische Antriebsmotoren i. A. mit hoher Nenndrehzahl laufen, sind in den meisten technischen Anwendungen Übersetzungsgetriebe ins Langsame im Antriebs-

4.5 Gelenkwellen

| 431

strang einzubinden. Je nachdem, welche Übersetzungsverhältnisse, welche Achslagen von An- und Abtriebswelle und welche Betriebseigenschaften verlangt werden, können Stirnrad-, Kegelrad-, Kegelstirnrad- oder Schneckengetriebe oder Kombinationen verwendet werden (siehe Fachliteratur). Bei Antrieb mit langsam laufenden Hydromotoren kann die Zwischenschaltung eines Übersetzungsgetriebes manchmal auch entfallen. Zahnradgetriebe können aber nicht nur zur Übersetzung von Drehzahl und Drehmoment, sondern auch zur Leistungsverzweigung verwendet werden. Müssen z. B. für ein Spindelhubpodium mehrere Spindeln von einem Antriebsmotor angetrieben werden, so muss dessen Drehbewegung über Zwischengetriebe auf alle Spindeln übertragen werden (Abb. 1.108). Eine andere Art der Leistungsverzweigung ist bei Planetengetrieben gegeben, deren Funktionsweise hier aber nicht behandelt wird.

4.5 Gelenkwellen Von Gelenkwellen können in bühnentechnischer Anwendung störende Schwingungserregungen und Schallemissionen ausgehen. Daher werden in diesem Abschnitt die kinematischen Eigenschaften einer Gelenkwelle etwas näher erläutert. Kinematische Verhältnisse an einem Kreuzgelenk Eine Gelenkwelle besteht aus zwei durch eine Zwischenwelle verbundenen Kreuzgelenken (Abb. 4.23). Daher ist zur Untersuchung des Bewegungsverhaltens zunächst die Situation an einem Kreuzgelenk mit dem Beugungswinkel β zweier Wellen zu betrachten (Abb. 4.24a).

Abb. 4.23: Gelenkwelle (Beugungswinkel β = 0).

Zwischen den Drehwinkeln δ1 und δ2 besteht der Zusammenhang: tan δ2 1 = tan δ1 cos β

bzw.: δ2 − δ1 = arctan(

tan δ1 ) − δ1 cos β

(4.60)

In Abb. 4.24b ist der Differenzwinkel (δ2 − δ1 ) über δ1 aufgetragen. Daraus ist ersichtlich, dass die Welle 2 gegenüber der Welle 1 zuerst vor- und dann nacheilt.

432 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Das Verhältnis der Winkelgeschwindigkeiten der Wellen 1 und 2 erhält man durch Differenzieren zu ω2 cos β = ω1 1 − (cos δ1 )2 ⋅ (sin β)2

(4.61)

Wird also die Welle 1 mit konstanter Winkelgeschwindigkeit angetrieben, schwankt die Winkelgeschwindigkeit der Welle 2 trotzdem in Abhängigkeit von der Winkelstellung δ1 gemäß Abb. 4.24c zwischen einem Maximalwert für δ1 = 0 ∘ und einem Minimalwert für δ1 = 90 ∘ . Die Extremwerte betragen: 1 ⋅ ω1 cos β

(4.62)

min ω2 = cos β ⋅ ω1

(4.63)

max ω2 =

Abb. 4.24: Einfaches Kreuzgelenk. (a) Schema eines einfachen Kreuzgelenkes, (b) Differenzwinkel δ2 – δ1 über δ1 . (c) Verhältniswert der Winkelgeschwindigkeiten ω2 /ω1 über δ1 für verschiedene Beugungswinkel β.

4.5 Gelenkwellen

| 433

Kinetische Verhältnisse an einem Kreuzgelenk Da der Leistungsfluss – von geringfügigen Reibungsverlusten abgesehen – konstant bleiben muss, ist mit der Winkelgeschwindigkeit ω2 auch das in der Welle 2 wirksame Drehmoment Mt2 veränderlich. In Anwendung von Gl. (3.27) und Gl. (4.61) für die Bedingung: P1 = Mt1 ⋅ ω1 = P2 = Mt2 ⋅ ω2 Mt2 =

2

wird

1 − (cos δ1 ) ⋅ (sin β)2 ω1 ⋅ Mt1 = ⋅ Mt1 ω2 cos β

(4.64)

Die Umlenkung des Momentenvektors Mt1 im Kreuzgelenk in den Momentenvektor Mt2 hat jedoch auch die Wirkung von Biegemomenten Mb1 in der Lagerung der Welle 1 und Mb2 in der Welle 2 zur Folge. Aus den in Abb. 4.25 dargestellten Dreiecken lassen sich für δ1 = 0 ∘ und δ2 = 90 ∘ folgende Extremwerte ableiten: für δ1 = 90 ∘ wird

ω2 = ω1 ⋅ cos β Mt2 = Mt1 ⋅ cos1 β

Mb1 = Mt1 ⋅ tan β Mb2 = 0 für δ1 = 0 wird ∘

ω2 = ω1 ⋅

1 cos β

Mt2 = Mt1 ⋅ cos β Mb1 = 0 Mb2 = Mt1 ⋅ sin β

(= min ω2 ) (= max Mt2 )

(= max Mb1 ) (= min Mb2 )

(4.65)

(= max ω2 )

(= min Mt2 ) (= min Mb1 ) (= max Mb2 )

(4.66)

Diese periodischen Schwankungen in den Winkelgeschwindigkeiten und Dreh- und Biegemomenten führen zu Schwingungserregungen, die in bühnentechnischer Anwendung manchmal problematisch sein können.

Abb. 4.25: Biege- und Drehmomente in den Wellen 1 und 2. (a) Extremwerte für δ = 0 und δ = 90, (b) allgemein.

434 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik Kinematik und wirksame Drehmomente in einer Gelenkwelle Bei einer Gelenkwelle werden zwei Kreuzgelenke hintereinandergeschaltet. Durch Einhaltung bestimmter geometrischer Bedingungen kann erreicht werden, dass das zweite Kreuzgelenk die Ungleichförmigkeit des ersten Kreuzgelenkes vollkommen ausgleicht. Wird dann Welle 1 mit konstantem ω1 angetrieben, so dreht sich zwar die Zwischenwelle mit ω2 ungleichförmig, die Welle 3 bewegt sich aber wieder mit konstantem ω3 = ω1 . Ein derartiges Verhalten stellt sich dann ein, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: – Der Beugungswinkel beider Kreuzgelenke muss gleich groß sein (β1 = β2 = β), und zwar in sogenannter Z- oder W-Anordnung (Abb. 4.26). – Die Wellen 1 und 3 und die Zwischenwelle 2 müssen in einer Ebene liegen. – Die Gabeln der Zwischenwelle müssen in einer Ebene liegen.

Abb. 4.26: Ausgleich des Kardanfehlers durch Hintereinanderschaltung zweier Kreuzgelenke in (a) Z-Anordnung, (b) W-Anordnung.

Es ist allerdings zu bedenken, dass durch Erfüllung dieser Bedingungen zwar Gleichförmigkeit in der Bewegung der Welle 3 bei Gleichförmigkeit der Drehzahl der Welle 1 erzielt wird; die Ungleichförmigkeit in der Drehung der Zwischenwelle und die Momentenwirkungen in den Kreuzgelenken bleiben aber bestehen. Die Drehzahl schwankt je Umdrehung der Wellen 1 und 3 zweimal zwischen dem Maximal- und Minimalwert. Die Zwischenwelle stellt also einen Schwingungserreger mit doppelter Frequenz der Drehbewegung der An- und Abtriebswelle dar. Im allgemeinen Maschinenbau reicht es meist aus: – in der Geometrie der Gelenkwellenanordnung eine Z- oder W-Anordnung zu realisieren, damit keine Ungleichförmigkeiten in Abtriebsdrehzahl und Abtriebsmoment auftreten, und – Betriebsdrehzahlen im Nahbereich der kritischen Drehzahl zu vermeiden, um keine großen Biegeschwingungen entstehen zu lassen (siehe Kap. 3.10). Bei manchen bühnentechnischen Antrieben können rasch laufende Gelenkwellen aber trotzdem zu nicht tolerierbaren Vibrationen und Schallerregungen führen. Als Körperschall in der Konstruktion weitergeleitet, kann durch Resonanzerregung entsprechender Bauelemente störender Lärm entstehen. Die Holzkonstruktion eines Podiums kann wie der Resonanzkasten eines Saiteninstrumentes wirken.

4.6 Besonders reibungsarme Lagerung

| 435

Exaktes Auswuchten der Gelenkwelle kann die Situation verbessern; die erfolgreichste Maßnahme ist jedoch, hohe Drehzahlen von Gelenkwellen zu vermeiden. Daher ist es im Allgemeinen zweckmäßig, die Drehzahlen von Gelenkwellen durch Vorschaltung eines Übersetzungsgetriebes etwas zu reduzieren, obwohl man natürlich aus Kostengründen auch bestrebt ist, die Drehzahlen nicht zu niedrig anzusetzen, damit die zu übertragenden Drehmomente möglichst klein sind.

4.6 Besonders reibungsarme Lagerung Berühren sich zwei Körper und soll eine Relativbewegung erfolgen, so sind dabei Reibkräfte zu überwinden, deren Größe vor allem von der Kraftwirkung an den Berührungsflächen und dem Reibwert abhängt. 4.6.1 Hydrostatische Lagerung Der Reibwert kann entscheidend reduziert werden, wenn zwischen den beiden Festkörperflächen eine Flüssigkeit eingebracht wird. Bei ölgeschmierten rasch laufenden Gleitlagern erfolgt diese Schmierfilmbildung aufgrund hydrodynamischer Effekte. Flüssigkeitsreibung kann aber auch hydrostatisch durch Einpressen von Öl zwischen die beiden Reibflächen erfolgen. In der Bühnentechnik wurde dieses hydrostatische Lagerungsprinzip z. B. bereits für die Drehlagerung einer großen Drehbühne verwendet (siehe Kap. 1.7.3 bzw. Abb. 1.46). Diese Bauweise hat sich generell allerdings nicht durchgesetzt. 4.6.2 Luftkissentechnik Besonders geringe Reibungswiderstände kann man auch dadurch erzielen, dass man zwischen den beiden Festkörpergleitflächen einen Luftspalt erzeugt. Legt man zwei Glasplatten aufeinander, so gleitet die obere Platte fast reibungslos auf der unteren, bis der Luftfilm abgeflossen ist. Durchbohrt man die obere Platte in der Mitte und bläst Luft durch diese Öffnung, dann ist ständiges Gleiten der oberen Platte erzielbar. Ein stabiles „Luftkissen“ kann also dann entstehen, wenn sich zwischen den gegenüberliegenden Flächen zweier Körper durch Einblasen ein Luftpolster ausreichenden Überdruckes ausbilden kann. Auf diesem Prinzip beruhen Luftkissensysteme für den innerbetrieblichen Transport. Funktionsweise und insbesondere die Ausbildung des Luftkissens ist in Abb. 4.27 dargestellt: In der Ruhestellung ist die Last auf Stützen oder Stützrädern gelagert, um die Gummidichtung nicht zu beschädigen. Durch Einblasen von Luft werden der ringförmige Gummibalg und die Auftriebskammer mit Luft gefüllt. Zunächst wird die Abdichtung der Auftriebskammer zum Boden erhalten bleiben. Dann wird durch ausreichend große Kraftwirkung infolge des Luftüberdruckes in der Auftriebskammer die

436 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.27: Arbeitsweise eines Gummiluftkissens: (a) Ruhestellung, die Last ruht auf Stützen oder auf Rädern, (b) der ringförmige Gummibalg und die Auftriebskammer werden mit Luft gefüllt, (c) der Druck in der Auftriebskammer reicht aus die Last leicht anzuheben und Luft im Umkreis des Balges entweicht. Somit kann sich ein Schwebezustand als Gleichgewichtszustand einstellen. Bildnachweis: DELU-Luftkissentransport-Gerätetechnik GmbH (D-Nürnberg), in der Folge kurz DELU genannt.

Last angehoben, bis Luft durch den Spalt zwischen Balg und Boden zu entweichen beginnt. Auf dem so entstehenden Luftfilm schwebt dann die Last fast reibungsfrei. Solche Luftkissentragmodule sind am Markt in verschiedenen Durchmessern erhältlich. Durch Verwendung mehrerer Module können sehr große Lasten manipuliert werden. Der Luftspalt beträgt ca. 0,05–0,25 mm, der Luftdruck in der Auftriebskammer ca. 2–4 bar. Je nach Größe des Tragmoduls können damit beachtliche Tragkräfte erreicht werden. Die Traglast kann folgendermaßen errechnet werden: F = A ⋅ Δp d2 π , Δp = pi − pa A= 4 F A d pa pi

(4.67)

Tragkraft [N] Fläche des Tragmoduls [mm2 ] Durchmesser des Tragmoduls [mm] Außendruck [N/mm2 ], pa ≈ 1 bar = 10 N/cm2 = 0,1 N/mm2 Innendruck in der Auftriebskammer [N/mm2 ] (Damit ergibt sich z. B. für pi = 3 bar und d = 300 mm eine Tragkraft F = 14,1 kN.)

Der Bedarf an Druckluft hängt sehr von der Bodenbeschaffenheit ab. Auf einem porösen Boden, z. B. auf einem normalen Betonboden, kann sich kein Luftfilm bilden, da die Luft durch Kapillarkanäle entweicht. Je glatter und je weniger porös die Oberfläche ist, desto günstiger ist das Tragverhalten (siehe Abb. 4.28).

4.6 Besonders reibungsarme Lagerung

| 437

Abb. 4.28: Druckluftverbrauch für verschiedene Lasten bei unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit Bildnachweis: DELU.

Die Luftkissentechnik wird daher vorteilhaft bei Montage großer Lasten und bei innerbetrieblichen Transportsystemen eingesetzt. Auch in der Bühnentechnik ergeben sich immer wieder Anwendungsmöglichkeiten: Sie können den Transport und die Montage schwerer Dekorationselemente betreffen. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Bühne der Wiener Staatsoper für den Opernball mit Logeneinheiten ausgestattet wird, die in ihrem Aussehen jenen im Zuschauerraum entsprechen. Aber auch Tribünen und großflächige Paletten mit montierten Sitzreihen, sogenannte Stuhlwagen, können damit gut manipuliert werden. Auf solche Anwendungen wurde bereits in Kap. 1.7.4 verwiesen. Nachteilig für den Einsatz auf einer Bühne wirkt sich die Tatsache aus, dass bei Podien Spalte von etwa 10 mm vorhanden sind, und dass der normale Bühnenholzboden keine geeignete Oberfläche bietet. Es werden dann gegebenenfalls Kunststoffmatten auf die Transportflächen aufgelegt, um einen für die Luftkissentechnik geeigneten Boden zu schaffen. Eine spezielle Alternative, Luftspalte überfahren zu können, bestünde darin, über ein geeignetes Steuerungssystem Luftkissen, die sich über einem Spalt befinden, au-

438 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik ßer Funktion zu setzen, d. h. für die Verweilzeit im Spaltbereich von der Luftzufuhr zu trennen. Es gibt am Markt aber auch anders konzipierte Luftkissenelemente, die aufgrund ihrer Bau- und Funktionsweise beim Überfahren eines Spaltes nur einen sehr geringen Teil ihrer Tragfähigkeit verlieren. Bei diesem System wird die Luft aus einem Balg mit sehr vielen Bohrungen (Luftdüsen) ausgeblasen, sodass beim Überfahren eines Spaltes nur ein sehr kleiner Prozentsatz dieser Düsen wirkungslos wird (siehe Abb. 4.29). Mit solchen Luftkissen können Bodenspalte, aber auch Niveauunterschiede bis zu etwa 10 mm Höhe problemlos überfahren werden. Der Nachteil dieser Luftkissenbauart besteht allerdings darin, dass deren Luftverbrauch etwas höher ist. Diese Luftkissen arbeiten mit einem maximalen Druck von 1 bar. Das kleinste Luftkissen der Größe 380 mm × 380 mm besitzt eine Tragkraft von 8 kN bei einem Luftverbrauch von ca. 300 Nl/min, das größte Luftkissen der Größe 1220 mm × 1220 mm eine Tragkraft von 90 kN bei einem Luftverbrauch von ca. 900 Nl/min.

Abb. 4.29: „Theaterluftkissen“. Bildnachweis: DELU.

In Kap. 1.7.2 wurde darauf hingewiesen, dass im Muziektheater Amsterdam nach diesem System arbeitende Bühnenwagen gebaut wurden. Für das Konferenzzentrum in Kuwait (Abb. 1.37) wurde für Stuhlwagen dasselbe Prinzip angewandt.

4.7 Bremsen Als Maschinenelement gibt es in der Antriebstechnik unzählige Bauarten von Bremsen. Da in der Bühnentechnik i. A. geregelte Antriebe verwendet werden, erfolgt das Abbremsen durch den Antriebsmotor und die mechanische Bremse hat als „Haltebremse“ nur eine Haltefunktion zu übernehmen, da sie erst bei Stillstand einfällt. Nur bei einer Not-Halt Funktion, die zu einer sofortigen Trennung der Energieversorgung führt oder bei Ausfall der Energieversorgung muss die Last in diesem Störfall mit der mechanischen Reibungsbremse aus der Bewegung zum Stillstand gebracht werden, die Bremse muss also nur in diesen Ausnahmefällen als „Stoppbremse“ wirken.

4.7 Bremsen

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Grundsätzlich sind alle Bremsen in der Antriebstechnik so konzipiert, dass die Bremskraft durch Druckfedern aufgebracht wird und die Bremse im Ruhezustand immer eingefallen ist. Um Bewegung zu ermöglichen, muss die Bremse erst gelüftet werden. Man spricht daher auch von „Passivbremsen“ zum Unterschied von „Aktivbremsen“, die im Ruhezustand gelüftet sind und bei der eine Bremskraft erst aufgebracht werden muss. Eine Passivbremse wird erst gelüftet, wenn der Antriebsmotor die Last mit Hilfe seines Motormomentes halten bzw. bewegen kann. Bei Stromausfall bei elektrischen Antrieben oder bei Druckabfall bei hydraulischen Antrieben fällt die Bremse infolge der in den Druckfedern gespeicherten Energie sofort wieder ein und die Druckfeder erzeugt automatisch die erforderliche Bremskraft. Bei Hubantrieben auf der Bühne ist zu bedenken, dass sich Personen unter schwebenden Lasten aufhalten und Personen mit diesen Hubantrieben bewegt werden, sei es mit Podien oder mit Flugwerken. Daher besteht gegenüber normaler Hebezeugtechnik ein erhöhtes Sicherheitserfordernis und es wird u. a. vorgeschrieben, dass Bremsen redundant erfolgen muss, also zwei unabhängig voneinander wirkende Bremsen vorhanden sein müssen (siehe Kap. 5.1). Diese beiden Bremsen wirken üblicherweise an der rasch laufenden Welle motorenseitig, d. h. bei einem Getriebebruch sind sie wirkungslos. Dem wird durch eine entsprechende Überdimensionierung des Getriebes bzw. aller Bauelemente bis zur Last Rechnung getragen. In einschlägigen Normen wird daher z. B. verlangt, dass bei der Berechnung der die Hublast tragenden Konstruktionselemente im Leistungsfluss zwischen Bremse und Lastaufnahmemittel die 2fache dynamische Nennbelastung anzusetzen ist; dies betrifft insbesondere auch das Getriebe. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Bremsbacken direkt an der Seiltrommel wirken zu lassen, sodass – eine entsprechende Sensorik vorausgesetzt – ein Einfallen dieser Bremse auch bei Getriebebruch die Last zum Stillstand bringen würde. Bei in der Bühnentechnik eingesetzten Bremsen ist gemäß EN 17602 i. A. eine Lüftüberwachung vorzusehen, um unzulässige Betriebszustände zu verhindern. Dies kann über Mikroschalter oder berührungslos mit Näherungsinitiatoren erfolgen. Bei der Dimensionierung von Bremsen ist Folgendes zu beachten: – Selbstverständlich muss die Bremse so ausgelegt sein, dass auch die Prüflast auf einem angemessenen Bremsweg abgebremst werden kann. Dabei ist das Hersteller angegebene Mindestbremsmoment (Nennbremsmoment) in Rechnung zu stellen. Diesbezüglich heißt es in EN 17602: „Lastsicherungseinrichtungen müssen in der Lage sein, die Prüflast zum Stillstand zu bringen, auch wenn eine von ihnen versagt. Belastungsprüfungen müssen mit einer Last von mindestens 1,10 ELL für Lasten in Bewegung bei Abwärtsfahrt durchgeführt werden, wobei die Tragfähigkeit für die Prüflast sichergestellt wird und der wirksame Betrieb folgender Elemente geprüft wird: (a) Bremsen; (b) Kupplungen; (c) Bauteile in hydraulischen, pneumatischen und elektrischen Systemen.“

440 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik –









Ferner ist zu bedenken, dass z.B. bei Stromausfall (wenn die Bremse tatsächlich als Stoppbremse agieren muss) bis zum Beginn des Bremsvorganges eine Verzögerungszeit von etwa 120 ms auftritt, in der die Senkgeschwindigkeit erhöht wird, sodass nicht mit der maximalen Nenn-Senkgeschwindigkeit, sondern mit einer höheren Geschwindigkeit gerechnet werden muss. Damit erhöht sich auch die Gleitgeschwindigkeit an den Reibbelägen und die tatsächlich beim Bremsvorgang zu vernichtende Energie, die in der Bremse durch Reibung in Wärmeenergie umgesetzt wird. Diese aus der Reibarbeit resultierende Wärmeenergie erhitzt die Bremse. Infolge der geschlossenen Bauart der Bühnenbremsen ist die Wärmeabfuhr sehr eingeschränkt. Mehrmaliges Bremsen bei Prüfvorgängen ohne Kühlphasen muss daher vermieden werden. Bei der Auslegung von Lastsicherungseinrichtungen ist darauf zu achten, dass die Reaktionszeit zum Anhalten so bemessen ist, dass eine Last in Höhe der zulässigen ELL nicht auf eine Geschwindigkeit von mehr als dem 1,5-fachen der Nenngeschwindigkeit beschleunigt werden kann. Gemäß EN 17602 ist das verzögerte Eingreifen einer zweiten Bremse zulässig, dies muss zur Berechnung des Anhaltewegs bei einem Störfall berücksichtigt werden. Zwei redundante Bremsen werden manchmal so geschaltet, dass die Lüftung der ersten Bremse gleichspannungsseitig abgeschaltet wird, sodass die Bremse ihr Bremsmoment relativ rasch abgibt und die Lüftung der zweiten Bremse wechselspannungsseitig abgeschaltet wird und damit erst verzögert zu einem etwas späteren Zeitpunkt einfällt. Die tatsächlichen Schaltzeiten hängen von der Temperatur und der Größe des Luftspaltes zwischen Ankerscheibe und Spulenträger (abhängig vom Abnutzungszustand der Bremsbeläge) ab. Die Verzögerungszeit zum Einfall der zweiten Bremse muss allerdings so gering sein, dass bei Versagen der ersten Bremse diese verzögert einfallende Bremse trotzdem einen akzeptablen Bremsweg zur Folge hat. Diese Forderung führt aber i.a. dazu, dass bei Funktionsfähigkeit beider Bremsen ein Zeitintervall besteht, in dem tatsächlich beide Bremsen gleichzeitig wirken und eine große Verzögerung bzw. hohe Belastungswerte zur Folge haben. Daher ist der Effekt eines verzögerten Einfalles relativ gering, sodass davon nicht oft Gebrauch gemacht wird. Die beim Bremsvorgang auftretenden dynamischen Zusatzlasten sind selbstverständlich bei der festigkeitstechnischen Dimensionierung der im Leistungsfluss befindlichen Bauelemente zu beachten, Dabei muss auch noch bedacht werden, dass diese Werte tatsächlich weit höher sein können als sich aus dem Nennbremsmoment ergibt, da das Bremsmoment je nach Herstellerangaben auch z.B. um ca 60 % höher sein kann als das angegebene Mindestbremsmoment, also das 1,6 fache betragen kann. Ein abruptes Bremsen bei Heben kann auch zur Folge haben, dass die Last infolge Ihrer Trägheit bei Stillstand des Hubantriebes weiter angehoben wird und dann in das schlaffe Seil fällt. (Siehe Kap. 3.7).

4.7 Bremsen



| 441

Da es sich in der Bühnentechnik – wie erwähnt – fast ausschließlich um geregelte Antriebe handelt, bei denen die Geschwindigkeitsreduktion im Normalbetrieb elektrisch (hydraulisch) mit definierter Verzögerung erfolgt, kommen die Bremsen nur als Haltebremsen zum Einsatz. Nur bei Störungen, bei Stromausfall müssen sie als Stoppbremsen wirken. Wie sich herausstellte, können Staubablagerungen an den Bremsbelägen eventuell dazu führen, dass dann im entscheidenden Noteinsatzfall die erforderlichen und vom Hersteller garantierten Bremsmomente nicht mehr erzielt werden; im Extremfall mit der Konsequenz, dass eine Last aus der Senkbewegung nicht mehr zum Stillstand gebracht werden kann. Daher sollte – egal ob durch entsprechende Hinweise in den Betriebs- und Wartungsvorschriften oder durch betriebsmäßig vorgesehene automatisierte Sonderschaltungen – sichergestellt werden, dass Bremsbeläge in angemessenen Zeitabschnitten durch kurzzeitiges Fahren gegen die schleifende Bremse aktiviert werden, um „schmierende Staubpartikel“ zu entfernen.

In der Bühnentechnik ist es besonders wichtig, dass die Betätigung der Bremse sehr leise erfolgt, also „Klacken“ beim Schalten vermieden wird, denn solche Geräusche sind besonders störend. Abbildung 4.30 zeigt eine speziell für bühnentechnische Anwendungen konzipierte besonders geräuscharm arbeitende Scheibenbremse ROBA-stop®-silenzio. Sie ist als Doppelbremse abgebildet, aber selbstverständlich auch als Einzelbremse erhältlich.

Abb. 4.30: ROBA-stop®-silenzio-Zweikreisbremse. Links: Ansicht, Mitte: Schnittbild Bremsen offen, rechts: Schnittbild Bremsen geschlossen. Bildnachweis: mayr® Antriebstechnik.

Da solche Scheibenbremsen sehr geringe Schaltwege erfordern, erfolgt das Lüften der Bremse elektromagnetisch. Auf dem Bild sind auch die Hebel zur Handlüftung ersichtlich, wie sie z. B. bei Not-Handantrieb benötigt werden. Bei der üblichen Ausführung mit zwei gleichen redundanten Bremsen wirkt nach Einfall der zweiten Bremse – wie früher erläutert – das doppelte Bremsmoment. Dies

442 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik hat, falls beide Bremsen als Stoppbremsen wirken, sehr hohe dynamische Zusatzkräfte und Verzögerungswerte zur Folge, besonders dann, wenn – wie früher erläutert – womöglich um 60 % höhere Bremsmomente als die vom Hersteller garantierten Mindestbremsmomente zur Wirkung kommen. Diese Kraftwirkungen müssen bei richtiger Auslegung des Hubwerkes natürlich festigkeitsmäßig abgedeckt sein. Es muss aber auch dem Betreiber bewusst gemacht werden, dass im Störfall im Hubzug eingehängte Dekorationen erhöhten Belastungen ausgesetzt sind. Daher wird gemäß EN 17206 in der Dokumentation des Herstellers gefordert, entsprechende Angaben zu machen (siehe Kap. 5). Besonders problematisch ist die Situation bei Flugwerken, da der menschliche Körper insbesondere in horizontaler Lage nur relativ geringe Beschleunigungs- bzw. Verzögerungswerte ohne gesundheitliche Schädigung ertragen kann. Bei Nennlast sind die im Störfall auftretenden Lasten für die festigkeitstechnische Dimensionierung zu beachten, bei Teillasten treten im Störfall zwar kleinere Lasten aber noch höhere Werte der Verzögerung auf, da die Bremsen für den Nennlastfall ausgelegt sein müssen und für eine Teillast daher überdimensioniert sind. Um eine Verdoppelung des Bremsmomentes durch gleichzeitiges Wirken von zwei Bremsen zu vermeiden, wurde als Alternative u. a. eine Mehrkreisbremse mit 4 unabhängigen Bremskreisen entwickelt. Drei Bremskreise bringen zusammen das erforderliche Nennbremsmoment. Der vierte Kreis sorgt für die nötige Redundanz, da gemäß allgemein akzeptierter Sicherheitsphilosophie prinzipiell nur der Ausfall eines Bauelementes angenommen werden muss („Einfehlersicherheit“ gemäß EN 17602). Damit werden die Belastungen verringert und die Bremsvorgänge sanfter. Die vierte Bremse bremst zusätzlich nur mit 1/3 des von den drei anderen Bremselementen zusammen abgegebenen Bremsmomentes, d. h. das maximale Bremsmoment ist nicht 2fach, sondern 1,33fach. Abbildung 4.32 zeigt diese Bremse mit der Bezeichnung ROBA®-quadrostop. Es wurde auch eine spezielle Lösung entwickelt, bei der eine Doppelbremse annähernd das gleiche Bremsmoment abgibt, egal, ob die Druckfedern beider Bremsen wirken oder nur die Druckfedern eine Bremse. Dies ist bei der „ROBA-stop®-stage“ – Bremse gemäß Abb. 4.31 der Fall. Sind beide Bremsen funktionsfähig, so drücken beide Druckfedersätze von links und rechts mit der Federkraft F1 . Fällt eine der beiden Druckfedersätze („eine der Bremsen“) aus, so werden die anderen wirksamen Druckfedern (der „zweiten Bremse“) über die Lüftspalte etwas entspannt und drücken über die 4 Reibflächen und die bewegliche Zwischenscheibe gegen die andere Ankerscheibe mit einer Bremskraft F2 . Die Kraft F2 wird wegen der kleinen Entspannung in den Lüftspalten geringfügig kleiner als F1 sein. (Im dargestellten Schnittbild sind die Lüftspalte zur Verdeutlichung sehr groß dargestellt, was aber nicht der Realität entspricht). Die ROBA-stop-stage wird daher nach der etwas geringeren Kraft F2 ausgelegt. Der Forderung gemäß EN 17602, dass insbesondere bei Hubwerken zwei unabhängig voneinander wirkende und unabhängig voneinander angesteuerte Bremsen vorhanden sein müssen (soferne keine Selbsthemmung aus der Bewegung vorliegt) wird

4.7 Bremsen

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Abb. 4.31: ROBA-stop®-stage Zweikreisbremse. Links: Ansicht, Mitte: Schnittbild Bremse offen, rechts: Schnittbild Bremse geschlossen. Bildnachweis: mayr® Antriebstechnik.

Abb. 4.32: ROBA®-quadrostop. Foto: mayr® Antriebstechnik.

üblicherweise dadurch entsprochen, dass die beiden Bremsen an der raschlaufenden Motorwelle angebracht werden, um mit kleinen Bremsmomenten das Auslangen zu finden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, eine der beiden Bremsen an der Seiltrommel der Hubwinde wirken zu lassen. Da hier sehr große Bremsmomente erforderlich sind, werden i. A. Zangenbremsen eingesetzt. Durch die Bremsung an der Trommel kann auch z. B. bei Bruch des Getriebes ein Lastabsturz verhindert werden, wenn durch eine entsprechende Sensorik der Schadensfall erkannt wird. Im Falle eines Getriebebruches ist zu bedenken, dass bis zum Einfallen der Bremse die Last in der Fallbewegung höher beschleunigt wird, da die Trägheit der rotierenden Massen im Antriebsstrang Motor – Getriebe entfallen. Soll mit Scheibenbremsen direkt an der Seiltrommel gebremst werden, so bietet sich dazu die in Abb. 4.33 abgebildete Bremse mit z. B. 6 Bremszangen an. 5 Bremselemente ergeben gemeinsam wieder das erforderliche Bremsmoment, das 6. Element bietet die geforderte Redundanz, in dem es zusätzlich mit 20 % des Bremsmomentes der anderen 5 Elemente bremst, d. h. das maximale Bremsmoment ist nur 1,2fach.

444 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.33: ROBA®-diskstop. Foto: mayr® Antriebstechnik.

Abb. 4.34: Prospektzugwinden mit Bremsen. Foto: mayr® Antriebstechnik.

In Abb. 4.34 sind Bremsen am Antrieb von Prospektzugwinden zu sehen. Ergänzend sei noch eine mechanisch wirkende Getriebebruchsicherung bei einem Schneckengetriebe (siehe Abb. 4.35) vorgestellt. Es verfügt neben dem Schneckenrad über ein zusätzliches Pilotrad. Pilot- und Schneckenrad werden gemeinsam von der Schnecke angetrieben. Bei einem Bruch verdreht sich das Pilotrad und gibt die Bewegung sperrende Sicherungsbolzen frei.

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)

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Abb. 4.35: Getriebebruchsicherung eines Schneckengetriebes. Bildnachweis: Lightpower/ASM.

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1) 4.8.1 Erforderliche Nachweise gemäß Norm In normalem Betriebsfall erfolgt das Stillsetzen eines Antriebes elektrisch (oder hydraulisch) mit einer anlagentechnisch festgelegten maximalen Verzögerung. Vorhandene mechanisch wirkende Bremsen fallen erst bei Stillstand ein – kommen also nur als Haltebremsen und nicht als Stoppbremsen zu Einsatz. Im Falle eines Notstopps durch Stromausfall (Not-Aus der Kategorie 0 nach EN ISO 13850 bzw. EN 60204) fallen die mechanischen Bremsen als Stoppbremsen ein. Gemäß EN 17206 müssen Triebwerke so beschaffen sein, dass unbeabsichtigte gefahrbringende Bewegungen ausgeschlossen sind. Dies kann z. B. durch Selbsthemmung aus der Bewegung (dynamische Selbsthemmung) erreicht werden oder durch zwei unabhängig wirkende Lastsicherungseinrichtungen, z. B. in jedem Betriebszustand unabhängig voneinander wirkende Bremsen. Jede Bremse muss allein wirkend geeignet sein, die Winde bei Nennbelastung aus der Senkbewegung mit Nenngeschwindigkeit auf einem akzeptablen Bremsweg (Anhalteweg) zum Stillstand zu bringen. In der Norm werden konkrete Dimensionierungskriterien für den Betriebs- und für den Störfall vorgegeben, es müssen also festigkeitstechnisch zwei Nachweise erbracht werden, wobei letztlich der kritischere Lastfall die Dimensionierung bestimmt: Im Normalbetrieb müssen alle Bauteile des Triebwerks zwischen dem Lastaufnahmemittel und der Lastsicherungseinrichtung gemäß Norm so ausgeführt sein, dass die doppelte Nennbelastung im Betriebsfall nicht zu dauerhafter Verformung oder zum Ausfall des Bauteils führen, wobei 400 Betriebsstunden bei Nenngeschwindigkeit als Grundlage für Berechnungen verwendet werden; (es sei denn, eine längere Betriebszeit ist angemessen – siehe ISO 4301-1). Unter Nennbelastung versteht man die Summe aus der maximal zulässigen Nutzlast – in der Norm bezeichnet als „entertainment load limit…ELL“ plus dem Gewicht des Lastaufnahmemittels plus der dynamischen Massenkraft bei der betrieblich vor-

446 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik gegebenen Maximalbeschleunigung. Diese Last wird in der Norm als „Nennbelastung im Betriebsfall“ oft auch als „dynamische Nennlast“ bezeichnet. Um die Auswirkungen von Störfällen (Stoppkategorie 0 – Stromausfall – siehe Kap. 5.1) zu berücksichtigen, müssen alle Triebwerksbauteile zwischen dem Lastaufnahmemittel und der Lastsicherungseinrichtung gemäß Norm so ausgeführt sein, dass die einfache Last im Störfall nicht zu dauerhafter Verformung oder zum Ausfall des Bauteils führt. Während die Lastannahmen für den Normallastfall einfach zu ermitteln sind, ist dies beim Störlastfall nicht der Fall, handelt es sich doch bei einer Winde mit Hublast in einfacher Näherung um ein durch das Hubseil gekoppeltes schwingungsfähiges Zweimassensystem, bestehend aus der Seilwinde mit rotierenden Massen und der an einem elastischen Seil hängenden Last, wobei die im Störfall einfallenden Bremsen auf die rotierenden Massen der Winde wirken. In EN 17206 wird auch gefordert, dass die Herstellfirmen in ihrer Dokumentation u. a. auch die „Beschleunigungs- und Verzögerungswerte für Betriebs- und Störfälle“ angeben müssen. Insbesondere wird mit der Anmerkung „Dies ist besonders bei Flugwerken relevant“ die Angabe der „größtmöglichen Verzögerungswerte (niedrige Last, wobei alle Lastsicherungseinrichtungen mit höchstmöglicher Effizienz arbeiten)“ eingefordert. Wenn man von speziellen Sonderbauformen von Bremsen gemäß Kap. 4.7 absieht, bedeutet dies, dass beide redundanten Bremsen einfallen, sodass das doppelte Bremsmoment zur Wirkung kommt.

4.8.2 Rechnerische Untersuchung des Systemverhaltens im Störfall Um das Systemverhalten im Störfall rechnerisch zu untersuchen, kann man sich eines Simulationsprogrammes bedienen und/oder Messungen an einer realen Anlage vornehmen. Ein vereinfachtes dynamische Modell des hierzu angewendeten Simulationsprogramms MATLAB-SIMULINK beruht auf zwei Differentialgleichungen, welche einerseits die Antriebseinheit und andererseits die Lasteinheit beschreiben; das Seil wird dabei als Feder–Dämpfer-System angenommen und bildet den Zusammenhang zwischen den Differentialgleichungen (siehe Abb. 4.36): Antriebseinheit: Ired ⋅ φ̈ = F ⋅ rT − M(t) Lasteinheit: m ⋅ ẍ = m ⋅ g − F Seilkraft: F = c(φ) ⋅ (x − rT ⋅ φ + Δl0 ) + d ⋅ (ẋ − r ⋅ φ)̇ Dabei wird für Ired das reduzierte Massenträgheitsmoment, für rT der Trommelradius, für c(φ) die Federrate des Seiles, für Δl0 die Seildehnung unter Eigenlast zum Startzeitpunkt t = 0 und für d die Dämpfung des Seiles eingesetzt. Allerdings kann die Dämpfung des Seiles unberücksichtigt bleiben, da nur der kritische erste Schwingungswert

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)

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447

Abb. 4.36: System des mathematischen Modells.

für die Seilkraft und Verzögerung interessiert und die Dämpfung darauf geringen Einfluss hat. Die hier als Beispiel angeführten Untersuchungsergebnisse beziehen sich auf einen Punktzug mit der Tragfähigkeit von 500 kg (Nennlast ca 5 kN)- Nenngeschwindigkeit 1,8 m/s und wurden mit dem Simulationsprogramm MATLAB-SIMULINK errechnet, gelten aber im Prinzip generell für Punkt- und Prospektzüge. Wie groß die Spitzenwerte für Verzögerung und Belastung bei einer konkreten Winde tatsächlich sind hängt von deren technischen Daten ab. Es wurde angenommen, dass im Störfall bei Funktionsfähigkeit beider Bremsen das doppelte Bremsmoment anfällt. Ferner wurden bei der Simulation folgende vereinfachenden Annahmen getroffen: – Beide Bremsen fallen zum gleichen Zeitpunkt ein, wobei die Bremskraft linear von null auf den Nennwert ansteigt (siehe strich-punktierte Linie in Abb. 4.37), – Wirkungsgrade werden im hier abgedruckten Beispiel nicht berücksichtigt, – die Änderung der Seillänge während des Bremsvorganges wird nicht berücksichtigt, – das Eigengewicht des Seiles wird vernachlässigt. E ⋅A

Neben der Federkonstante (Federrate) c = S l m (siehe Gl. (3.66)) kann dem Seil eine Dämpfungskonstante zugeordnet werden. Da für die Dimensionierung aber nur der Maximalwert der Schwingungsamplitude maßgebend ist, ist der Einfluss der Dämpfung mit Abnahme der Schwingungsamplitude über der Zeit nicht weiter von Interesse.

448 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.37: Bremsmoment–Zeit-Diagramm. Bildnachweis: Fa. Mayr.

Plötzliches Abbremsen im Störfall bei der Senkbewegung der Nennlast Die in Abb. 4.38 dargestellte Kurve „MATLAB-SIMULINK“ zeigt die in Abhängigkeit von der Federrate des Seiles bzw. der Länge des Seiles errechneten Werte der Verzögerung astör und der Seilkraft Fstör . Dem Kurvenverlauf ist zu entnehmen, dass die Maximalwerte für Verzögerung und Seilkraft bei Seillängen im mittleren Bereich gegeben sind. Im konkreten Fall tritt die maximale Verzögerung und Seilkraft bei eibzw. bei einer Seillänge von ca 14 m auf und beträgt ner Federrate von c ≈ 200 kN m 2 aStör ≈ 32,5 m/s ≈ 3,3g und Fstör ≈ 22 kN. Die statische Nennlast beträgt Fstat = mL ⋅ g = 520 ⋅ 9,81 = 5101 N ≈ 5,1 kN, die dynamische Nennlast Fdyn = mL ⋅ (g + anenn ) = 520 ⋅ (9,81 + 3) = 6661 N ≈ 6,66 kN. Daraus folgt in diesem Fall, dass die Seilkraft im Störfall das 22/5,1 = 4,3 fache der statischen Nennlast und das 22/6,66 = 3,3fache der dynamischen Nennlast im Betriebsfall beträgt. Im Diagramm ist auch die gemäß Norm anzusetzende 2fache dynamisch Nennlast 2 mal 6,66 = 13,32 kN eingezeichnet und man sieht, dass die Last im Störfall auch diese Last bei weitem übersteigt. Für sehr kurze Seillängen, also fast bis zum Schnürboden angehobener Last könnte man als Näherung folgende Grenzüberlegung anstellen: Die Elastizität des Seiles wirkt sich kaum mehr aus und Winde und Last könnten als starr verbunden betrachtet werden. Wenn man auch noch vereinfachend annimmt, dass die Bremskraft nach einer Reaktionszeit treak =

t1 − t11 t +t + t11 = 1 11 2 2

(4.68)

plötzlich in voller Größe zur Wirkung kommt, lassen sich die maximalen Verzögerungswerte bzw. die größte Seilkraft ohne aufwendige Simulation unter Anwendung

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)

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449

Abb. 4.38: Verlauf der Verzögerung astör und der Seilkraft Fstör im Störfall aufgetragen über der Federrate c beim Senken der Nennlastmasse von 500 kg eines 5 kN Punktzuges.

der in Kap. 3.2 und 3.3 angegebenen Formeln errechnen: v Hub- bzw. Senkgeschwindigkeit der Last [m/s] ωM Winkelgeschwindigkeit des Motors [1/s] treak Reaktionszeit [s] vreak Geschwindigkeit der Last nach Ablauf der Reaktionszeit (bis zum tatsächlichen Einfall der Bremsen) [m/s] areak Beschleunigung (Verzögerung) während der Reaktionszeit [m/s2 ] abrems Verzögerung der Last während des Bremsvorganges [m/s2 ] εbrems Verzögerung der rotierenden Massen während des Bremsvorganges [1/s2 ] mL Lastmasse [kg] = Masse der Nutzlast mQ plus Masse des Lastauf- nahmemittels mE mred reduzierte Masse [kg] (schnell rotierende Massen reduziert auf die translatorisch bewegte Lastmasse) IMBG Massenträgheitsmoment der rotierenden Massen an der Motorwelle (Teile von Motor, Bremse, rasch laufende Getriebewelle…) [kg.m2 ] IT Massenträgheitsmoment der Seiltrommel [kg.m2 ] Mbrems Bremsmoment einer Bremse [Nm] astör Verzögerung an der Last im Störfall [m/s2 ] Fstör Kraftwirkung an der Last (im Seil) im Störfall [N] Während dieser Reaktionszeit erhöht sich die Senkgeschwindigkeit auf vreak = v + areak ⋅ treak areak =

mL ⋅ g mL + mred

mit mred = IMBG ⋅ (

2

ωM ω ) ⋅ +IT ⋅ ( T ) v v

2

(4.69)

450 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik sreak =

v + vreak ⋅ treak 2

Verzögerung beim Bremsvorgang mit den auf die Lastbewegung reduzierten Momenten aus Bremsen und Last astör = abrems =

(2 ⋅ Mbrems − ML ) ⋅ mL + mred

ωM v

mit ML = mL ⋅ g ⋅

rT i

(4.70)

oder εbrems =

2 ⋅ MBrems − ML IMBG + ITred

tbrems =

vreak abrems

und

tbremsges = treak + tbrems

Fstör = mL ⋅ (astör + g)

und sbrems =

abrems = 2 vreak 2 ⋅ abrems

v ⋅ε ωM brems

und sbremsges = sreak + sbrems

(4.71)

(4.72)

Das Ergebnis ist in Abb. 4.38 als „Näherung für kurzes Seil“ eingetragen. Für sehr große Seillängen, also fast bis zum Bühnenboden abgesenkter Last, kann man als Näherung annehmen, dass die Winde plötzlich zum Stillstand kommt, und die Last am Seilende mit der Anfangsgeschwindigkeit vreak zum Schwingen angeregt wird: Kreisfrequenz der Schwingung ω=√ Amplitude der Schwingung smax = A = Geschwindigkeit im Nullpunkt vreak Maximale Beschleunigung (Verzögerung)

c mL

(4.73)

v0 ω

aStör = amax = vreak ⋅ ω = vreak ⋅ √

c mL

(4.74)

Maximale Kraft im Seil FStör = Fstat + Fa

max

= mL ⋅ (g + amax ) = m ⋅ (g + vreak ⋅ √

c ) mL

(4.75)

Das Ergebnis ist in Abb. 4.38 als „Näherung für langes Seil“ eingetragen. Man sieht im Diagramm, dass sich bei höherer Federrate (kürzerem Seil) viel zu hohe Werte ergeben, da der Einfluss der Bremswirkung auf die Last umso größer ist, je starrer die beiden Systeme Winde und Last gekoppelt sind und daher die Anfangsgeschwindigkeit der Lastschwingung vreak immer kleiner wird, je kürzer das Seil ist.

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)

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451

Beide Näherungsansätze für sehr kleine und sehr große Seillängen ergeben somit nicht die im Bereich mittlerer Seillänge auftretenden Maximalwerte für die Verzögerung und Seilkraft. Plötzliches Abbremsen im Störfall bei der Hubbewegung der Nennlast Durch das plötzliche Abbremsen der Seiltrommel an der Winde und der in der Last innewohnenden kinetischen Energie wird die Seilkraft reduziert oder es kommt zur Entlastung des Seiles, meist sogar zur Schlaffseilbildung und anschließendem Fall der Last in das entlastete Seil. Bei der dadurch ausgelösten Seilschwingung kommt es zu einem Maximalwert der Verzögerung bzw. Seilkraft und diese Spitzenwerte sind umso größer, je steifer das Seil als Feder ist bzw. je größer die Federrate des Seiles bzw. je kürzer das Seil ist. Die größte Belastung tritt also bei kürzester Seillänge, also bei größter Hubhöhe auf. (An dieser Stelle sei angemerkt, dass es auch im Falle des Notstopps beim Senken der Last zu einer Schlaffseilbildung kommen kann, aber diese tritt erst beim Zurückschwingen der Last nach oben auf und ist daher nicht von Relevanz.) In Abb. 4.39 sind wieder die Ergebnisse für die Werte von astör und Fstör in Abhängigkeit von der Federrate bzw. der Seillänge als Diagramm in den Kurven „MATLAB“ dargestellt.

Abb. 4.39: Verlauf der Verzögerung astör und der Seilkraft Fstör im Störfall aufgetragen über der Federrate c beim Heben der Nennlastmasse von 500 kg eines 5 kN Punktzuges.

In den Diagrammen der Abb. 4.39 sind wieder die sich aus dieser Näherungsrechnung ermittelten Werte für astör und Fstör als Kurven bezeichnet mit „Näherung“ eingezeich-

452 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik net. In den Diagrammen ist zu erkennen, dass sich die größten Werte bei höchster Federrate des Seiles bzw. kürzester Seillänge ergeben. Für eine größte Federrate c = 700 kN/m bzw. einer kürzesten Seillänge von ca 4 m ergeben sich nach MATLAB-Rechnung Werte von aStör ≈ 39 m/s2 ≈ 4g und Fstör ≈ 25,5 kN. Ferner sind im Diagramm Fstör über der Federrate c wieder der Wert der Seilkraft bei der zweifachen dynamischen Nennbelastung als Berechnungswert für den normalen Betriebsfall gemäß Norm eingetragen. Daraus folgt in diesem Fall, dass die Belastung im Störfall das 25,5/5,1 = 5fache der statischen Nennlast und das 25,5/6,66 = 3,83fache der dynamischen Nennlast beträgt. Im Diagramm ist auch die gemäß Norm anzusetzende 2fache dynamisch Nennlast 2 mal 6,66 = 13,32 kN eingezeichnet und man sieht, dass die Last im Störfall auch diese Last bei weitem übersteigt. Für sehr kurze Seillängen könnte man wie bei der Senkbewegung wieder folgende Überlegung als Näherungsrechnung anstellen: Die Elastizität des Seiles wirkt sich kaum mehr aus und Winde und Last könnten als starr verbunden betrachtet werden. Wenn man wieder vereinfachend annimmt, 11 11 + t11 = t1 +t plötzlich in dass die Bremskraft nach einer Reaktionszeit treak = t1 −t 2 2 voller Größe zur Wirkung kommt, lassen sich die maximalen Verzögerungswerte bzw. die größte Seilkraft ohne aufwendige Simulation errechnen. Während dieser Reaktionszeit reduziert sich die Senkgeschwindigkeit auf vreak = v − areak ⋅ treak areak =

mL ⋅ g mL + mred

(4.76)

mit mred = IMBG ⋅ (

2

2

ωM ω ) + IT ⋅ ( T ) v v

Während des Bremsvorganges wirken zunächst das Bremsmoment und das ebenfalls bremsende Lastmoment. Da es aber während des Bremsvorganges sehr rasch zu einer Entlastung des Seiles bzw. zum „Wurf der Last nach oben“ kommt und damit das Lastmoment nicht mehr bremsend wirken kann, ist es in der Näherungsrechnung zweckmäßig zur Ermittlung der Bremszeit und des Bremsweges das Lastmoment an der Trommel gleich null zu setzen – es wirkt somit näherungsweise nur das Bremsmoment abrems =

2 ⋅ Mbrems ⋅

ωM v

mQ + mE + mred

oder εbrems =

2 ⋅ MBrems IMBG + ITred

und abrems =

v ⋅ε ωM brems

Somit steht der Motor nach der Zeit tbrems und dem Bremsweg sbrems still:

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)

tbrems =

vreak abrems

und

tbremsges = treak + tbrems

sbrems =

|

453

2 vreak 2 ⋅ abrems

und sbremsges = sreak + sbrems

Anschließend wird der Wurf nach oben und der anschließende Fall der Last ins schlaffe Seil betrachtet. Zur Ermittlung der dadurch auftretenden Werte für Verzögerung und Seilkraft muss nunmehr aber sehr wohl die Elastizität (Federrate) des Seiles berücksichtigt werden. Daher lässt sich dieser vereinfachte Rechnungsansatz auch als für größere Seillängen relevant erachten. Die Wurfhöhe mit der Ausgangsgeschwindigkeit vreak bis zum Stillstand beträgt: smax =

2 vreak 2⋅g

In dieser Zeit hat sich das Seil um sbrems weiterbewegt, sodass für die Last eine Fallhöhe h verbleibt: h = smax − sbrems =

2 vreak 1 1 ) ⋅( − 2 g abrems

Unter Berücksichtigung der Elastizität des Seiles (Federrate c) beträgt die Seilkraft und die Verzögerung am Ende des Fallvorganges: FStörfall = mL ⋅ g[1 + √1 + aStörfall =

FStörfall −g mL

2⋅h⋅c ] mL ⋅ g⋅

(4.77) (4.78)

Zum gleichen Ergebnis kommt man auch, wenn man ähnlich wie beim Notstopp bei Senken für große Seillängen die Formeln für eine harmonischen Schwingung anwendet. Dazu muss allerdings zunächst die Geschwindigkeit v0 in der Nulllage am durch die Last mit Δl0 gedehntem Seil ermittelt werden (siehe Kap. 3.10). Mit der Gesamtdehnung Δl errechnet sich die Amplitude der Schwingung zu A = Δl − Δl0 =

m ⋅g mL ⋅ g 2⋅c⋅h [1 + √1 + ]− L c mL ⋅ g c

v0 = A ⋅ ω

astör = amax = v0 ⋅ ω

FStör = mL ⋅ (g + astör ) Plötzliches Abbremsen im Störfall bei der Senkbewegung einer kleinen Teillast In Abb. 4.40 ist ersichtlich, dass die für diese kleine Teillast weit überdimensionierten Bremsen sehr große Werte der Verzögerung verursachen, wogegen die Seilkräfte na-

454 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.40: Verlauf der Verzögerung astör und der Seilkraft Fstör im Störfall aufgetragen über der Federrate c beim Senken einer 40 kg Teillastmasse eines 5 kN Punktzuges.

türlich wegen der kleinen Last sehr gering sind und für die Dimensionierung nicht von Relevanz sind. Die Tatsache, dass die Ergebnisse der Näherungsrechnung für starres Seil den tatsächlichen Werten besser entsprechen, ist darin begründet, dass der Einfluss der Elastizität des Seiles umso kleiner ist, je kleiner die Hublast ist. Plötzliches Abbremsen im Störfall bei der Hubbewegung einer kleinen Teillast Die Ergebnisse sind in Abb. 4.41 dargestellt und zeigen wieder sehr hohe Werte der Verzögerung astör .

Abb. 4.41: Verlauf der Verzögerung astör und der Seilkraft Fstör im Störfall aufgetragen über der Federrate c beim Heben einer 40 kg Teillastmasse eines 5 kN Punktzuges.

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)

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455

4.8.3 Ergänzende Hinweise –





In den in Abb. 4.38 bis 4.41 dargestellten Diagrammen wurde ein Punktzug untersucht. Bei einem Prospektzug hängt die Prospektlatte als Lastaufnahmemittel an z Hubseilen, i. a. etwas unterschiedlicher Länge. Vereinfachend kann in diesem Fall mit einer mittleren Länge aller z Seile gerechnet werden und die FederE ⋅A rate der z parallelgeschalteten Federn lässt sich zu c = S l m ⋅ z (siehe Gl. (3.102) und Gl. (4.7)) bestimmen. D. h. die Federrate tendiert bei Prospektzügen zu etwas höheren Werten und das Systemverhalten verschiebt sich in den Bereich etwas kürzerer Seillängen. Dieser vereinfachende Ansatz setzt allerdings voraus, dass die an der Laststange montierte Last tatsächlich von allen Seilen getragen wird. Hängt eine Punktlast z. B. nur unter einem der Seile, so trifft diese Annahme sicherlich nicht zu. In den dargelegten Untersuchungen wurde angenommen, dass die beiden Bremsen gleichzeitig mit dem Brems-Nennmoment einfallen. In der Realität unterliegen die Reibwerte an den Bremsbelägen einer gewissen Bandbreite, und das „Brems-Nennmoment“ ist als unter definierten Betriebsbedingungen garantierter Mindestwert zu verstehen. Als tatsächlich gegebenen Maximalwert wird von Herstellern z. B. der 1,6fache Wert angegeben. Das hat zur Folge, dass die Dimensionierung auch unter Annahme dieser ungünstigeren höheren Bremsmomentwerte vorgenommen werden muss, was noch höhere Werte der Verzögerung und Seilkräfte zur Folge hat (siehe Kap. 4.7). Wie in Kap. 4.7 angemerkt, kann eine Reduktion der Werte für Verzögerung und Seilkraft dadurch erreicht werden, dass man eine der beiden Bremsen etwas verzögert einfallen lässt. Auch dieser Effekt kann in der Simulationsrechnung bzw. in der Näherungsrechnung berücksichtigt werden. Der Einfluss ist aber relativ gering, da nur eine sehr kurze Zeitspanne bis zum Einfall der zweiten Bremse zulässig ist. Eine große Verzögerung des Einfalles der zweiten Bremse ist deshalb nicht zulässig, weil bei Versagen der ersten Bremse die Senkbewegung zu stark erhöht wird und das Stillsetzen der Anlage zu große Bremswegen ergeben würde.

4.8.4 Erkenntnisse aus den Untersuchungen Aus den in Abb. 4.37 bis 4.41 dargestellten Diagrammen, aber auch aus hier nicht dargelegten Untersuchungen an anderen Hubzügen (Prospekt-und Punktzüge verschiedener Tragfähigkeit) lassen sich generell folgende Schlussfolgerungen ziehen: – Während bei einem Störfall bei Senkbewegung die maximalen Belastungen bei mittleren Seillängen auftreten, sind die Maximalwerte bei Hubbewegung immer bei kürzest möglicher Seillänge gegeben. – Vergleicht man die Spitzenwerte von Verzögerung und Seilkraft im Störfall, so sieht man, dass die größeren und damit kritischen Werte während einer Hubbewegung der Last i. a. bei der kleinsten Seillänge auftreten.

456 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik –









Die Spitzenwerte der Seilbelastung sind im Störfall i. a. fast immer größer als bei zweifacher dynamischer Nennbelastung. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Dimensionierung aus dem zweifachen Nennlastfall auf einen Zeitfestigkeitsnachweis und jene aus der Last im Störfall auf einen Gewaltbruch-/Verformungsnachweis bezieht. Bei einem Notstopp während einer Senkbewegung stimmen die tatsächlichen Belastungen bzw. Matlab-Ergebnisse nur bei sehr großen und bei sehr kurzen Seillängen relativ gut mit der Näherungsrechnung überein. Die kritischen Maximalwerte treten aber bei mittleren Seillängen auf und sind viel höher als die zweifache dynamischen Nennbelastung. Es ist kaum möglich allgemein gültige Maximalwerte für Punkt- und Prospektzüge anzugeben, da diese von sehr vielen Faktoren abhängen. Daher kann man die dargelegten Näherungsrechnungen versehen mit entsprechenden Sicherheitsfaktoren nur für grobe Abschätzungen zur Dimensionierung der Antriebe heranziehen, oder man führt für den konkreten Fall Rechnungen z.B. mit MATLAB – SIMULINK durch. Natürlich können an der tatsächlich realisierten Anlage zur Angabe exakter Werte mit Beschleunigungsaufnehmern Messungen durchgeführt werden. Für Teillasten ergeben sich viel niedrigere für die Dimensionierung nicht relevante Seilkräfte Fstör . Die Werte für die Verzögerung astör liegen jedoch höher als im Nennlastfall. Dies ist selbstverständlich, da die Bremsen ja so dimensioniert sein müssen, dass sie im Nennlastfall (bzw. auch bei Überlast = Prüflast) akzeptable Bremswege ergeben und daher bei Teillast zu kurzen Bremswegen mit hohen Verzögerungswerten führen. Auch diese Problematik muss beachtet werden, insbesondere dann, wenn ein Hubzug auch als Flugwerk Verwendung findet. Große Verzögerungswerte können bei einer in einem Flugwerk eingehängten Person (besonders in horizontaler Lage) zu schwersten Verletzungen führen (vgl. Peitschenschlagsyndrom bei Verkehrsunfällen). Dieser Effekt tritt umso stärker auf, je kleiner die Teillast gegenüber der Nennlast ist. Daher kann es sinnvoll sein im Falle einer sehr kleinen Teillast eine Zusatzlast aufzubringen. In den dargelegten Berechnungen für eine 5 kN Punktzugwinde wurde – wie bereits erwähnt – angenommen, dass im Störfall beide Bremsen gleichzeitig mit ihrem vom Hersteller garantierten Nennbremsmoment einfallen, sodass das 2-fache Bremsmoment zur Wirkung kommt. Daher wird auf die Ausführungen in Kap. 4.7 hingewiesen, in der u. a. dargelegt wird, dass es auch Möglichkeiten gibt, das im Störfall wirkender Bremsmoment zu reduzieren. In Abb. 4.31 ist eine Bauweise der Bremse dargestellt, bei der auch im Störfall nur das 1-fache Bremsmoment wirkt. Verhalten bei kleineren Geschwindigkeiten: Wird an einer bestehenden Anlage bei der die Bremsen selbstverständlich für die Nennlast und Nenngeschwindigkeit ausgelegt sind, die Geschwindigkeit reduziert, so hat dies bei starrer Koppelung der rotierenden Massen der Winde und der Hublast keinerlei Änderung

4.8 Hinweise zur normgerechten Dimensionierung von Hubzügen (siehe auch Kap. 5.1)



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457

der Verzögerungswerte zur Folge, da sich ja an der Größe des wirksamen Bremsmomentes und an der Größe der abzubremsenden Massen nichts ändert. Die in der Realität über das Seil gegebene elastische Koppelung der Massen kann aber sehr wohl eine gewisse Reduktion der Verzögerungswerte bewirken. Daher kann es trotzdem Sinn machen, bei kritischen Hubbewegung z. B. bei Nutzung als Flugwerk mit kleineren Hubgeschwindigkeiten als der Nennhubgeschwindigkeit zu arbeiten. Da die Elastizität des Seiles eine Rolle spielt, können bei einem Störfall die Verzögerungswerte dadurch reduziert werden, dass im Bereich der Seilführung Federelemente (+ Dämpfer) eingebaut werden, die allerdings nur dann zur Wirkung kommen sollten, wenn eine gewisse maximale Seilkraft überschritten wird. So eine in Reihe zur Federwirkung des Seiles zugeschaltete Zusatzfeder ergibt eine Reduktion der daraus resultierenden Federrate bzw. eine fiktive Erhöhung der Seillänge: c ⋅c 1 1 1 = + bzw. cres = 1 2 (Gl. (3.103)) mit cres c1 c2 c1 + c2 A ⋅E Am ⋅ ES c1 = cSeil = m S und c2 = cFeder = . lSeil lFeder,fiktiv Daraus lässt sich auch eine damit erreichte fiktive Seillänge errechnen: lSeil =

Am ⋅ ES cSeil

und

lges,fiktiv = Am ⋅ ES ⋅ (



lFeder,fiktiv =

1 1 + ) cSeil cFeder

Am ⋅ ES cFeder

bzw.

Sollen damit die Bedingungen für die Dimensionierung eines Hubzuges verbessert werden, müssten diese Feder-(Dämpfer)elemente dann zur Wirkung kommen, wenn eine bestimmte Seilkraft überschritten wird. Eine derartige Maßnahme würde zwar die Bedingungen für die Dimensionierung des Hubzuges ändern, da die Beanspruchungen im Störfall reduziert werden, im Betrieb mit Teillasten würde sich aber an den hohen Werten der Verzögerung nichts ändern, weil das Zusatzfedersystem bei Teillast gar nicht zur Wirkung kommen würde. Will man z. B. beim Einsatz als Flugwerk mit Personen als Last große Werte der Verzögerung vermeiden, müsste die Wirkung der Zusatzfeder bei Überschreitung eines bestimmten Verzögerungswertes wirksam werden. Um die gemäß EN17602 geforderten Dimensionierungskriterien einzuhalten, müssen die im Störfall auftretenden Spitzenwerte für die Belastung bzw. Verzögerung gegebenenfalls näherungsweise ermittelt werden. Es kann zweckmäßig sein, nach Fertigstellung der Anlage die bei verschiedenen Lasten und Seillängen tatsächlich auftretenden Verzögerungen mit Beschleunigungsaufnehmern messtechnisch zu erfassen.

458 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik 4.8.5 Der Load Limiter von Bosch Rexroth Aufgabe des von Bosch Rexroth entwickelten Load Limiter („Lastbegrenzers“) ist, auch im Falle eines Störfalles der Kategorie 0 keine größeren Belastungen entstehen zu lassen, als die doppelte dynamische Nennbelastung. Der Load Limiter besteht aus einem kurzhubigen, hydraulischen Zylinder sowie einem hydraulischen Speicherbauteil, welches bezogen auf die Geometrie der Stangenseite des Zylinders auf einen Wert vorgespannt ist, der einem Wert zwischen einfacher- und doppelter Nennbelastung entspricht. Der Zylinder ist über eine Umlenkrolle in den Seilverlauf integriert. Der Umschlingungswinkel beeinflusst die Vorspannung gleichermaßen und ist demnach zu berücksichtigen. Im Normalbetrieb ist eine Kompression des Vorspannvolumens nicht möglich. Der Zylinder wirkt daher als bausteifes Element innerhalb des Seilverlaufs und ist ohne Funktion. Sobald im Störfall der voreingestellte Druck im Speicherbauteil überschritten wird, fährt der Zylinder aus und verdrängt dabei das Ölvolumen der Stangenseite des Zylinders gegen das vorgespannte Polster. Die überschüssige Energie aus dem eigentlichen harten Impact wird somit sehr rasch in gespeicherte hydraulische Energie umgewandelt. Sobald die äußere Kraft nicht mehr wirkt, entspannt sich das Speichervolumen auf den voreingestellten Wert. Der Zylinder bewegt sich in die Ausgangsposition. Der Zylinderhub ist als Voraussetzung der vollen, sicherheitsrelevanten Funktionalität positionsüberwacht. Stangenseitig befinden sich zwei Druckmessdosen mit deren Hilfe der Lastdruck am Zylinder und somit die eingehängte Last kontinuierlich redundant gemessen und der Antriebe bei Erreichen der eingestellten Überlast abgeschaltet wird (siehe Abb. 4.42).

Abb. 4.42: Load Limiter. Bildnaschweis: Bosch Rexroth.

Der klassische Load Limiter dient lediglich zur Maximallastabsicherung und schützt demnach in erster Linie die Antriebsmaschine einer bühnentechnischen Einrichtung sowie das angrenzende Tragwerk (z. B. Schnürboden). Wie bereits erläutert treten bei kleineren Nutzlasten zwar keine kritischen Kraftwirkungen am Hubantrieb auf, das Abbremsen erfolgt jedoch mit hohen Werten der

4.9 Traversen und Traversensysteme für Riggingzwecke

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Verzögerung, die vor allem bei der Verwendung als Flugwerk ein sehr hohes Verletzungsrisiko darstellen. Solche zum Teil sogar lebensbedrohliche Verzögerungswerte können mit einem auf Maximallast ausgelegten Load Limiter der klassischen Bauart nicht verhindert werden. Hierfür wurde der Variable Load Limiter konzipiert, der an Hand der eingehängten Last die Vorspannung des Speicherbauteils derart variiert, dass der Dämpfungseffekt bereits bei niedrigen Nutzlasten wirksam wirkt. Damit ist neben der Maximallastabsicherung auch der Schutz der eingehängten Dekoration und deren Anbindung an das Lastaufnahmemittel gewährleistet. Werden diese Anlagen als Flugwerke für Künstler und Artisten genutzt, verhindert man das Risiko von schwerwiegenden Verletzungen dramatisch, da die maximale Verzögerung in allen Lastfällen auf 2g beschränkt werden kann. Außerdem bietet Bosch Rexroth ein Messgerät bezeichnet als „Stage Guard“ an. Als Basiskomponente ist ein hochsensibler Beschleunigungssensor von Bosch. Das Gerät bietet bei eindimensionalen Bewegungen die Möglichkeit für die Dauer eines Bremsentests den gesamten Verlauf der Beschleunigungswerte aufzuzeichnen und diese mit Kenntnis der Traglast in eine analoge Belastungskurve überzuführen. Dazu wird das Messgerät am Lastaufnahmemittel befestigt. Auch der Geschwindigkeitsverlauf kann ausgelesen werden. Den Beginn der Messung kann per Funkverbindung durch ein Mobilfunktelefon, ein Tablet oder einen Laptop getriggert und dann auch beendet werden.

4.9 Traversen und Traversensysteme für Riggingzwecke Unter „Rigging“ versteht man in der Veranstaltungstechnik das Montieren und Betreiben von veranstaltungsspezifischen Arbeitsmitteln zur Lastaufnahme. Als Grundelemente dienen meist als Baukastensystem erhältliche Traversen, die zu komplexen Traversensysteme zusammengebaut werden können und der Aufnahme von vorwiegend statischen Lasten dienen oder zu reinen Dekorationszwecken Verwendung finden. Sie können gehängt, gestellt, fest montiert oder beweglich zum Einsatz kommen. Eine Traverse ist ein mehrgurtiges Gitterträgerelemente aus metallischen Werkstoffen, deren unterschiedliche Systemlängen mittels herstellerseitig spezifizierter Verbindungselemente (Schrauben, Bolzen) zusammengefügt werden können (siehe Abb. 4.43 und 4.44). Ein Traversensystem (Rig) ist eine komplexe Traversenkonstruktion, die unter Einsatz von Spezialelementen, wie z. B. Winkelelementen (fest oder beweglich) oder Bogenelementen oder aus der Kombination von unterschiedlichen Systemelementen und/oder aus verschiedenen Systemen, erstellt werden. Die Montage darf nur auf Basis einer Bauanleitung sowie der entsprechenden Benutzerinformation des verwendeten Traversentyps erfolgen und muss in der rich-

460 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Abb. 4.43: Traversen verschiedener Bauart. Oben: Zwei-Rohr-Fachwerk/DoppelkonusVerbindungssystem. Drei-Rohr-Fachwerk/Doppelkonus-Verbindungssystem. Unten: Vier-RohrFachwerk/ Doppelkonus-Verbindungssystem. Vier-Rohr-Fachwerk/Gabelkopf-Verbindungssystem. Bildnachweis: A. T. C. Production & Handels GmbH.

Abb. 4.44: Auswahl von Zubehörteilen. (a) Doppelkonusadapter, (b) Stalhstift für Doppelkonusadapter, (c) Konushülsenadapter, (d) Stahlstift für Gabelkopf, (e) Sicherheitssplint. Bildnachweis: A. T. C. Production & Handles-GmbH.

tigen Einbaulage erfolgen. Insbesondere ist auf die Krafteinleitung in die Traversen zu achten. Alle Nutzlasten sollen vertikal wirken und gleichmäßig auf die Hauptgurte verteilt werden. Zusätzliche horizontale Lasten sollten vermieden werden. Bei komplexen Systemen sind belastungsspezifische statistische Berechnungsnachweise erforderlich. Um möglichst geringe Eigengewichte zu erzielen, werden die Traversen als ebene Fachwerke oder als Raumfachwerke gestaltet und aus Aluminiumlegierungen (z. B. AlMgSi1) hergestellt. Zur Kennzeichnung der Festigkeitseigenschaften dient in der Normbezeichnung der Zusatz F 28 bis F 31.

4.9 Traversen und Traversensysteme für Riggingzwecke

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Die Verbindung der Traversenelemente zu größeren Einheiten oder zu Traversensystemen kann konstruktiv verschiedenartig erfolgen: – Mit Endplatten – Als Rohr-in-Rohr-Steckverbindungen: Die Enden der Träger sind offen; in diese offenen Rohre werden Rohrstutzen geringeren Durchmessers gesteckt und mit Bolzen oder Schrauben gesichert. – Als Doppelkonus-Verbindungen (das am häufigsten verwendete Verbindungssystem): In die Enden der Hauptgurte ist ein Drehteil eingeschweißt, der im Inneren konisch geformt ist. In diese Konushülse wird als Verbindungselement ein Doppelkonus eingesetzt. Der Doppelkonus ist mit zwei konischen Bohrungen versehen, in die in der Regel verzinkte Stifte geschlagen werden. – Als Gabelkopf-Verbindungen: In die Hauptgurte des Fachwerkträgers werden Drehteile mit langem Ansatz geschoben und mit Spannstiften befestigt. Die Fachwerksträger werden einerseits mit „männlichen“ andererseits mit „weiblichen“ Drehteilen versehen. – Als Hybridverbindung: Kombination aus Doppelkonus- und Gabelkopfsystem. In Abb. 4.45 sind beispielhaft verschiedene Traversen dargestellt, die den Zusammenbau zu ebenen oder auch räumlichen Traversensysteme (Konstruktionen mit etwaigem Abgang nach unten und/oder oben) ermöglichen. Im Bild sind sogenannte Zweipunkt-, Dreipunkt- und Vierpunkt-Traversen zu sehen.

Abb. 4.45: Beispiel eines Zusammenbaues von Traversen zu ebenen und räumlichen Traversensysteme. (a) Einbau eines Doppelkonusadapter, (b) Zweipunkt-Traverse, (c) Dreipunkt-Traverse, (d) Vierpunkt-Traverse. Bildnachweis: Eurotruss.

462 | 4 Projektierungs- und Konstruktionshinweise zu Bauelementen der Bühnentechnik

Hinweise für ergänzende Literatur zu den Kap. 2, 3 und 4 – – – – – – – – –

Böge, A. Böge W. (Hrsg): Handbuch Maschinenbau–Grundlagen und Anwendungen der Maschinenbau-Technik, Springer Fachmedien Wiesbaden, 2021 Bosch Rexroth: Hydraulik Trainer Band 1–4, Bosch Rexroth AG Brosch, P. F.: Moderne Stromrichterantriebe, Würzburg: Vogel, 1989 (KamprathReihe) Bender B., Göhlich D. (Hrsg): Dubbel – Taschenbuch für Maschinenbau – Grundlagen und Tabellen – Band 1, Berlin: Springer, 2020 Decker K.-H.: Maschinenelemente – Funktion, Gestaltung und Berechnung, Carl Hanser Verlag, 2018 Henn, H.: Ingenieurakustik. Physikalische Grundlagen und Anwendungsbeispiele, Vieweg Teubner, 2008 Hoffmann, K., Krenn, E., Stanker, G.: Fördertechnik, Bd. 1: Bauelemente, ihre Konstruktion und Berechnung, Oldenbourg, 2012 Niemann, G., Winter, H.: Maschinenelemente 1, 3 Bde., Berlin: Springer, 2019 Roloff/Matek (Wittel, H., Spura Chr., Jannasch D.): Maschinenelemente – Normung, Berechnung, Gestaltung, Springer Fachmedien Wiesbaden, 2020.

Artikel in der Bühnentechnischen Rundschau: 2013 Nr. 3 Kirsch V. – Bosch Rexroth AG: Testergebnisse mit Folgen Nr. 5 Lucke P. – Mayr Antriebstechnik: Bremsen retten Leben 2017 Nr. 1 Lucke P. – Mayr Antriebstechnik: Neues Bremssystem für mehr Sicherheit 2016 Nr. SH Partl C. Den Nothalt simulieren Untersuchung von Lasten an Seilwinden 2020 Nr. 6 Lucke P. – Mayr Antriebstechnik: Doppelte Sicherheit – einfache Belastung Artikel im Prospekt (ÖTHG) 2014 Nr. 1 Feurer F.: Der Bremsentest in der Bühnentechnik 2016 Nr. 2 Partl. C.: Untersuchung der Lasten an Bühnenwinden bei Not-Halt

5 Sicherheitsvorschriften – Normen 5.1 Gefährdungen des Bühnenpersonals und der Darsteller Das Bemühen, Gefährdungen im Bühnenbetrieb möglichst auszuschließen führte zur Verabschiedung von Normen und sonstigen Vorschriften, die auf Grund fortschreitender technischer Entwicklungen immer wieder überarbeitet werden müssen. Vorschriften und Normen sind nicht in allen Ländern gleich und werden je nach Rechtsstruktur von verschiedenen Organisationen und Behörden erstellt. Im deutschsprachigen Raum ist im Zusammenhang mit dem Inhalt dieses Buches die neue europäische EN 17206 von Bedeutung: In englischer Sprache Entertainment Technology – Lifting and Load-bearing Equipment for Stages and other Production Areas within the Entertainment Industry – Specifications for general requirements (excluding aluminum and steeltrusses and towers) In deutscher Sprache Veranstaltungstechnik – Hub- und Lastaufnahmeeinrichtungen für Bühnen und andere Produktionsbereiche in der Veranstaltungsindustrie – Festlegung von grundlegenden Anforderungen (mit Ausnahme von Aluminium- und Stahltraversen). Die EN 17206 wurde im Jahre 2020 europaweit verabschiedet und damit verlieren innerhalb der EU bisher vorhandene nationale Normen ihre Gültigkeit. Diese Norm ersetzt: in Deutschland: DIN 56950 Veranstaltungstechnik – Maschinentechnische Einrichtungen, Sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfung in Österreich: ÖNORM M 9630-1 Maschinelle bühnentechnische Einrichtungen – Allgemeines ÖNORM M 9630-2 Maschinelle bühnentechnische Einrichtungen – Oberbühnenmaschinerie ÖNORM M 9630-3 Maschinelle bühnentechnische Einrichtungen – Unterbühnenmaschinerie ÖNORM M 9632 Maschinelle Bühnentechnische Einrichtungen – Prüfvorschriften. In revidierter Form werden in Österreich folgende Normen weiter existieren: ÖNORM M 9631 Maschinelle Bühnentechnische Einrichtungen – Betriebs- und Wartungsvorschriften ÖNORM M 9632 Maschinelle Bühnentechnische Einrichtungen – Prüfvorschriften ÖNORM M 9633 Veranstaltungstechnik – Traversensysteme – Bereitstellung, Benutzung und Prüfung https://doi.org/10.1515/9783110776003-005

464 | 5 Sicherheitsvorschriften – Normen ÖNORM M 9630-4 neu als ÖNORM M 9634 Maschinelle Bühnentechnische Einrichtungen – Mechanische Sicherheitseinrichtungen zum Brandschutz. In Deutschland in diesem Zusammenhang zu erwähnende Norm: DIN/TS 56951 Veranstaltungstechnik- Antrieb und Steuerung für sicherheitstechnische Einrichtungen. Die Norm EN 17206 definiert die detaillierte Sicherheitsanforderungen an die Maschinen in der Veranstaltungstechnik. Sie beruht auf dem Prinzip der Risikobeurteilung und Risikominimierung nach EN ISO 12100, EN 62061 und EN ISO 13849-. Z. B. ist gemäß EN ISO 12100 bei der Risikobeurteilung und Risikominimierung folgendermaßen vorzugehen: 1. Festlegung der Grenzen der Maschine einschließlich deren bestimmungsgemäßer Verwendung 2. Identifizierung von Gefährdungen bzw. Gefährdungssituationen 3. Einschätzung des Risikos bei jeder Gefährdung bzw. Gefährdungssituation 4. Bewertung des Risikos und Treffen von Entscheidungen über die Notwendigkeit einer Risikominderung 5. Beseitigung der Gefährdung oder Verminderung des mit der Gefährdung verbundenen Risikos durch Schutzmaßnahmen. Die Schritte 1–4 betreffen somit die Risikobeurteilung, Schritt 5 Maßnahmen zur Risikominderung. Gemäß EN 62061 sollte die Risikobeurteilung für jede Gefährdung durch Bestimmung folgender Risikoparameter durchgeführt werden: (a) Schwere des Schadens (b) Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Schadens, bewertbar nach der: – Häufigkeit und Dauer der Exposition von Personen gegenüber der Gefährdung – Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Gefährdungsereignisses – den Möglichkeiten zur Vermeidung oder Begrenzung des Schadens. Diese Beurteilung wird insbesondere auch für die Zuordnung eines erforderlichen „Safety integrity level“ – „SIL“ herangezogen. Er dient zur Beurteilung elektrischer/ elektronischer/programmierbar elektronischer (E/E/PE)-Systeme in Bezug auf die Zuverlässigkeit von Sicherheitsfunktionen und bietet diskret Niveaus von SIL1 bis SIL 4 als Einstufung an, wobei in der Bühnentechnik für viele Anwendungsfälle SIL 3 von Relevanz ist. Schutzziel muss sein, Gefährdungen auszuschalten bzw. zu minimieren. Das grundlegende Sicherheitskonzept in der Norm EN 17602 basiert auf dem Prinzip der – Eigensicherheit z. B. durch Verdoppelung des Betriebskoeffizienten in Berechnungen (Auslegung auf die doppelte Nennbelastung) oder durch Redundanz

5.1 Gefährdungen des Bühnenpersonals und der Darsteller



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Einfehlersicherheit d. h. das gleichzeitige Auftreten von zwei unabhängigen Fehlern wird nicht in Betracht gezogen.

In diesem Kapitel des Buches sollen nur beispielhaft einige grundsätzliche Aspekte der Sicherheitstechnik dargelegt und typische Gefährdungen aufgezählt werden. Im Prinzip gibt es drei Arten von Gefährdungen für Darsteller, Betriebspersonal und betriebsfremden Personen, die sich im Bühnenbereich aufhalten können: – Gefährdungen, die aus dem Vorhandensein bzw. dem Einsatz bühnentechnischer Einrichtungen (Einrichtungen im Sinne dieses Buches) erwachsen – Gefährdungen durch szenische Einrichtungen und Dekorationen und – Gefährdungen bei artistischen Darbietungen. Gefährdungen bei artistischen Darbietungen liegen im Bereich der Eigenverantwortung des Artisten und interessieren in diesem Zusammenhang nicht. Im Zusammenhang mit der in diesem Buch behandelten Thematik ist der erstgenannte Aspekt von besonderem Interesse, und es stellt sich die Frage, worin die daraus resultierenden speziellen Gefährdungssituationen im Bühnenbereich bestehen. Bühnenpersonal und Darsteller agieren beim Auf- und Abbau von Kulissen, während des Probenbetriebes und während einer Vorstellung: – im Fahrbereich beweglicher Einrichtungen oder – auf bewegten Bühnenbodenelementen – und halten sich unterhalb einer Unzahl von im Schnürboden an Hubzügen abgehängten Lasten auf. Demgegenüber ist im normalen Hebezeugeinsatz i. A. das Verweilen unter hängenden Lasten verboten. Daraus lassen sich folgende Überlegungen ableiten: Gefährdungen ergeben sich vor allem aus der Tatsache, dass in der Unter- und Oberbühne verfahrbare Einrichtungen vorhanden sind, wie z. B. Hubzüge, Versenkeinrichtungen, Bühnenwagen, Drehscheiben etc., die im Umfeld befindliche Personen oder mit den Einrichtungen mit bewegte Personen sowohl: – in der Durchführung beabsichtigter Arbeitsbewegungen als auch – bei unbeabsichtigten Bewegungen aufgrund eines Störfalles gefährden können. Unbeabsichtigte Bewegungen könnten durch Fehlfunktionen in Steuerung oder Regelung in hydraulischen oder elektrischen bzw. elektronischen Schaltkreisen hervorgerufen werden, verursacht durch Fehler in der Software oder in Hardware-Elementen, oder durch mechanisches Versagen von Bauelementen infolge von Überlastung, Verschleiß, Korrosion etc. Es wird auch immer wieder szenische Abläufe geben, bei denen eine gewisse Gefährdungssituation unvermeidbar ist. Dann müssen so weit als möglich organisatorische Schutzmaßnahmen ergriffen werden und der szenische Vorgang unter Originalbedingungen (Beleuchtung, Kostüm) ausreichend oft geprobt werden.

466 | 5 Sicherheitsvorschriften – Normen Beispiele für konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit Im Folgenden werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit exemplarisch einige Bauvorschriften für bühnentechnische Einrichtungen angeführt, um damit die Art des Sicherheitsdenkens zu erläutern. Dabei ist jedoch, wie bereits erwähnt, zu bedenken, dass die Vorschriften in den einzelnen Ländern teilweise voneinander abweichen: – Höhere Sicherheitsfaktoren für die Dimensionierung von Bauteilen für Hubeinrichtungen als in der Hebetechnik sonst üblich: – Die als Tragmittel verwendeten Drahtseile, Ketten und Stahlbänder müssen bei dynamischer Nennbelastung einen Sicherheitsfaktor aufweisen, der doppelt so groß ist, wie in der Richtlinie 2006/42/EG des europäischen Parlaments und des Rates (vom 17. Mai 2006 bzw. deren Neufassungen und Änderungen) über Maschinen und – kurz: „Maschinenrichtlinie“ genannt – aufweisen. Hier ist der Sicherheitsfaktor der Quotient aus der Mindestbruchkraft, bezogen auf die anteilige Seilzugkraft bei dynamischer Nennbelastung (siehe Kap. 4.1.1 bzw. Gl. (4.4)). Daher gilt für Seile und Stahlbänder 10fache und für Ketten 8fache Sicherheit. Erläuterung: Die dynamische Nennbelastung besteht aus den statischen Lastanteilen und den dynamischen Zusatzlasten, die sich auf den betriebsmäßigen Einsatz, also nicht auf einen Störfall (z. B. Stromausfall) beziehen. (In älteren Normen wurde zum Teil mit anderen Sicherheitsfaktoren nur die statische Nennbelastung und bei Drahtseilen statt der Mindestbruchkraft die „rechnerische Bruchlast“ herangezogen.) – Bei der Berechnung der die Hublast tragenden Konstruktionselemente im Leistungsfluss zwischen Antriebsmotor bzw. Bremse und Hublast ist z. B. die 2fache dynamische Nennbelastung für einen Zeitfestigkeitsnachweis anzusetzen. Ausgenommen sind die Tragmittel (z. B. Seile, Ketten, Stahlbänder) und das Lastaufnahmemittel (z. B. die Laststange). Damit soll ein Bruch im Antriebsstrang de facto ausgeschlossen werden. Für die Belastung bei einem Störfall muss ein Gewaltbruch oder unzulässige Verformung ausgeschlossen werden. – Zylinder, Druckrohrleitungen etc. müssen in jenem Anlagenbereich, in dem deren Bersten zu einem Lastabsturz führen würde, für den zweifachen maximalen Arbeitsdruck dimensioniert werden. – Der Berstdruck von Schlauchleitungen muss mindestens dem vierfachen maximalen Arbeitsdruck entsprechen. – Konstruktive Erfordernisse und Redundanzforderungen zur Verhinderung eines Lastabsturzes bzw. des Herabfallens von Gegenständen: – Alle tragenden Elemente von Tragmitteln müssen aus nicht brennbarem Material gefertigt sein. Seile aus Synthetik oder Naturfaser sind nur zulässig, wenn die Risikobeurteilungen ergeben, dass dies sicher ist. Als Tragmittel für

5.1 Gefährdungen des Bühnenpersonals und der Darsteller



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Hubeinrichtungen kommen daher im Regelfall nur Stahldrahtseile, Stahlketten oder Stahlbänder in Frage. – Triebwerke (motorkraftbetrieben oder handbetätigt) müssen als Sicherung gegen unbeabsichtigte Bewegung mindestens wie folgt ausgerüstet sein: * selbsthemmend aus der Bewegung oder * zwei in jedem Betriebszustand unabhängig voneinander wirkende und unabhängig voneinander angesteuerte Bremsen, wobei eine davon verzögert einfallen darf oder * bei hydraulischen Zylindertrieben zwei voneinander unabhängige Sitzventile (hydraulisch entsperrbare Rückschlagventile (siehe Kap. 2.3.1 bzw. Abb. 2.17). Ein Sitzventil darf durch eine Klemmvorrichtung ersetzt werden. Während diese Forderung in den bisher gültigen Normen (DIN 56950 und ÖNORM M9630) nur für Hubeinrichtungen Geltung hatte, gilt diese Forderung in EN 17602 zunächst allgemein. Ergänzend wird aber formuliert: „Wenn durch eine Risikobeurteilung nachvollziehbar festgestellt worden ist, dass die hinreichende Sicherheit mit nur einer Sicherungseinrichtung erreichbar ist, kann bei horizontalen Bewegungen (z. B. Bühnenwagen, Drehscheiben, Vorhanganlagen, Fahrwerke) auch bei nur einem Triebwerk eine Sicherheitseinrichtung ausreichend sein“. – Bei Gleitspindeltrieben muss die Spindel eine höhere Verschleißfestigkeit als die Mutter aufweisen. Die Tragmutter muss für die zweifache Nennbelastung ausgelegt sein. Wird zusätzlich zur Tragmutter eine Sicherheitsmutter positioniert, genügt es, beide Muttern auf das einfache der Nennbelastung auszulegen. Der Verschleiß der Tragmutter muss durch eine Verschleißmesseinrichtung überwacht werden, z. B. durch eine Kontrollmutter. Dies ist eine nicht lasttragende Spindelmutter, die zur Kontrolle des Verschleißes der Tragmutter verwendet wird. Herabfallende Gegenstände – Vermeidung bzw. Schutz Eine bühnenspezifische Gefährdung ergibt sich daraus, dass die Bühnenfläche von Arbeitsgalerien umgeben ist und oberhalb der Bühnenfläche ein begehbarer Schnürboden vorhanden ist. So besteht grundsätzlich die Gefahr, dass Gegenstände auch aus Unachtsamkeit herabfallen können. Konstruktive Maßnahmen sollen das Risiko reduzieren: Z. B. sind Arbeitsgalerien mit besonders hohen Fußleisten auszustatten. Eine besondere Gefahrenquelle können auch die Gegengewichte von Handkonterzügen sein: Gegengewichte von Handkonterzügen sind z. B. vor dem Herausfallen aus dem Gegengewichtsschlitten zu sichern. Befindet sich unterhalb der Laufbahn von Gegengewichtsschlitten ein Verkehrsweg, wie dies z. B. beim Übergang von der Haupt- zur Seitenbühne bei doublierten Zügen der Fall ist, sind Auffangvorrichtungen vorzusehen.

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Festlegung der Mindesttragfähigkeit von Konstruktionselementen, um deren Überlastung zu vermeiden. Zum Beispiel durch folgende Vorgaben: Bei Versenkeinrichtungen muss die Tragfähigkeit je Hubbodenebene im Stillstand mindestens 500 kg/m2 betragen, im Fahrzustand werden i. A. geringere Lasten angenommen. In EN 17602 unterscheidet man daher zwischen: – ELL (entertainment load) als Höchstlast für deren Anheben, Absenken oder Halten ein Element des Hubgerätes ausgelegt ist und – ELL/R (entertainment load at rest) als Höchstlast im Stillstand, für die ein Element des Hubgerätes ausgelegt ist. In der vor Herausgabe der EN 17602 gültigen ÖNORM war diesbezüglich z. B. vorgesehen, dass für den Fahrzustand eine Nutzlast von 250 kg/m2 angenommen werden darf. Die Tragfähigkeit darf allerdings weiter reduziert werden, wenn daraus eine Tragfähigkeit von mehr als z. B. 5000 kg resultieren würde, ein Wert von 100 kg/m2 darf dabei aber nicht unterschritten werden. Steuerungserfordernisse: Auch diesbezüglich werden in diesem Kapitel nur einige Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit angeführt: – Automatische Abschaltung erfolgt u. a.: * beim Überfahren von sicherheitstechnisch definierten Begrenzungen eines Verfahrweges * an Seiltrommeln zur Sicherstellung des Verbleibes von mindestens zwei Reservewindungen beim Abwickeln des Seiles * beim Entstehen von Schlaffseil * beim Überschreiten einer vorgegebenen Gleichlauftoleranz. Erfolgt die Abschaltung im Steuerkreis, sollte dies über eine Rampe mit definierter Verzögerung erfolgen. Denn dadurch könnten zusätzliche Gefährdungen durch Abreiß-, Umsturzvorgänge (insbesondere bei Fahrwerken) etc. hervorgerufen werden. Wird im Sinne einer Notabschaltung oder bei Stromausfall die Stromzufuhr unterbrochen, ist eine kontrollierte Absteuerung i. A. nicht möglich. Beim automatischen Stillsetzen einer Anlage können drei Arten unterschieden werden: * Stopp-Kategorie 0: Die Maschine wird durch Abschalten der Stromzufuhr zum Antrieb unkontrolliert zum Stillstand gebracht. Der Anhalteweg, die Größe der Verzögerung und die dabei hervorgerufenen Kraftwirkungen werden durch die eingesetzte Lasthalteeinrichtung – üblicherweise die mechanischen Bremsen – bestimmt. Dieser Fall tritt also bei Stromausfall auf. * Stopp-Kategorie 1: Die Maschine wird kontrolliert mit vorgegebener Bremsrampe (also vorgegebener Verzögerung) zum Stillstand gebracht, wodurch Anhalteweg und Verzögerung vorgegeben werden können. Nach Erreichen des Stillstandes wird die Stromanspeisung unterbrochen.

5.1 Gefährdungen des Bühnenpersonals und der Darsteller

Stopp-Kategorie 2: Die Stillsetzung der Anlage erfolgt wie bei StoppKategorie 1, nach dem Stillstand wird die Weiterfahrt in der gefährlichen Richtung bei zugeschalteter Energie durch die Sicherheitssteuerung unterbunden, eine Fahrbewegung in die in die ungefährliche Gegenrichtung jedoch ermöglicht. Diese Art des Anhaltens ist insbesondere für das sicher Abwenden von Folgeschäden erforderlich, z. B. bei Quetschungen, Schlaffseil, Absetzen unzulässig angehobener Lasten erforderlich). – Eine spezielle Gefährdung ist auch dann gegeben, wenn Hubpodien verfahren werden und Darsteller z. B. mit ihrem Fuß in eine Scherkante geraten könnten. Deshalb ist in der Regel vorgeschrieben, als Scherkantensicherung ein System zur automatischen Abschaltung vorzusehen. – Gute Überschaubarkeit des Gefahrenbereiches vom Steuerplatz aus, eventuell unter Einsatz von Hilfseinrichtungen wie Fernsehkameras oder von einem im Sichtbereich plazierten Steuerpult, muss gewährleistet sein. Dazu kann auch eine verfahrbares oder tragbares Steuerpult herangezogen werden. – Akustische Signaleinrichtungen für Schutzvorhänge im Notschlussfall sind vorzusehen. Festlegung von Maximalgeschwindigkeiten für Arbeitsbewegungen verfahrbarer Bühneneinrichtungen: In manchen Vorschriften (EN 17 206 trifft diesbezüglich keine Festlegungen) waren für Hub-,Fahr- und Drehwerke Maximalgeschwindigkeiten angegeben. Dies soll Tendenzen verhindern, immer höhere Arbeitsgeschwindigkeiten zu fordern, die aus physikalischen Gründen das Gefährdungspotential unsinnig erhöhen würden. Bisher übliche maximale Verfahrgeschwindigkeiten waren bzw. sind: – 1,8 m/s (früher 1,2 m/s) für Hubzüge – 0,7 m/s für Hubpodien – 0,7 m/s für Bühnenwägen – 1 m/s Umfangsgeschwindigkeit an Drehbühnen. Diese für die Auslegung maßgeblichen Werte der Maximalgeschwindigkeit dürfen nicht in allen Situationen betrieblich ausgenützt werden. Daher können z. B. folgende Reduktionen der Geschwindigkeit erforderlich sein: Erfolgt ein Zu- oder Abgang von Personen bei bewegten Bühnenwagen oder Drehscheiben oder ein Wechsel von einem bewegten Teil zum anderen, so darf die Differenzgeschwindigkeit an der Übergangsstelle nicht mehr als 0,3 m/s betragen. Erfordernisse die der Betreiber beachten sollte: Im Störfall – können wie oben bereits angeführt – erheblich höhere Verzögerungen bzw. Massenkräfte auftreten als im Normalbetrieb. Diese außergewöhnlichen Beanspruchungen belasten nicht nur die maschinelle Einrichtung sondern auch die transportierten Lasten, also Dekorationselemente oder in einem Flugwerk hängende Personen. In EN 17602 wird daher verlangt, dass in der Dokumentation der maschinentechnischen Einrichtung die Beschleunigungs- und Verzö-

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gerungswerte für die Betriebs- und Störfälle (insbesondere die größtmöglichen Verzögerungswerte bei Flugwerken) angegeben werden müssen. Erfordernis besonderer organisatorischer Maßnahmen: Es werden z. B. folgende organisatorische Maßnahmen verlangt: – Technisches und darstellendes Personal ist vor dem erstmaligen Einsatz auf Gefahren im Rahmen seiner Tätigkeit – insbesondere durch bewegte Einrichtungen – hinzuweisen. – Der Aufenthalt im Bewegungsbereich von Bühneneinrichtungen auf Bühnenund Szenenflächen während des Betriebes und in unübersichtlichen Verkehrs- und Transportbereichen ist nur dann gestattet, wenn betriebliche oder szenische Erfordernisse gegeben sind. – Bei gefährlichen szenischen Vorgängen, die ein bestimmtes Verhalten erforderlich machen, sind die Unterweisungen in geeigneten Zeitabständen zu wiederholen bzw. ausreichend zu proben. – Bewegungsvorgänge, die Gefährdungen verursachen können, dürfen nur dann ausgeführt werden, wenn die Geschwindigkeit der Situation angemessen ist, Schutzeinrichtungen zur Sicherung der Gefahrstellen vorhanden sind oder die Gefahrstellen vom Bedienungspersonal überwacht werden und deutlich erkennbar auf die Gefahrstellen hingewiesen wird. – An Arbeitsplätzen, Szenenflächen, Verkehrswegen und Zugängen, die gegenüber angrenzenden Flächen höher als 1 m liegen, müssen wirksame Einrichtungen gegen Abstürzen von Personen vorhanden sein (Handgriffe, Geländer). Sind im Einzelfall, aus zwingenden szenischen Gründen, derartige Einrichtungen nicht einsetzbar, müssen an deren Stelle Einrichtungen zum Auffangen abstürzender Personen vorhanden sein. Ist die Verwendung dieser Auffangeinrichtungen an Szenenflächen aus zwingenden szenischen Gründen nicht möglich, muss mindestens 0,5 m vor der Absturzkante eine Farbmarkierung angebracht werden, die bei allen szenisch gegebenen Beleuchtungsverhältnissen deutlich erkennbar sein muss. An der Bühnenrampe sind derartige Maßnahmen nicht erforderlich. – Bei Flugwerken, in denen Personen eingehängt sind, ist betrieblich durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass diese im Gefahrenfall abgesenkt werden können. – Betriebsbedingte Spalte von mehr als 20 mm müssen abgedeckt werden. – Schließen an begehbare Flächen nicht tragfähige Flächen an, müssen diese klar abgegrenzt sein. Verpflichtende Durchführung von Abnahmen und Überprüfungen der technischen Einrichtungen durch Sachverständige: – Vor der ersten Inbetriebnahme und nach wesentlichen Änderungen müssen bühnentechnische Einrichtungen durch einen Sachverständigen abgenommen und

5.2 Gefährdungen der Zuschauer |



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– in regelmäßigen Zeitintervallen wieder überprüft werden. Verpflichtung zur Evaluierung der Arbeitsbedingungen: Gesetzliche Vorschriften zur Arbeitssicherheit verpflichten den Betreiber einer Anlage bzw. den Arbeitgeber, eine Beurteilung der für die Beschäftigten bei ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen vorzunehmen und gegebenenfalls Maßnahmen im Sinne des Arbeitsschutzes vorzusehen. In diesem Sinn sind bühnentechnische Einbauten und deren Einsatz in spezifischen Produktionen hinsichtlich ihres Gefährdungspotentiales durch Gefährdungsanalysen zu „evaluieren“.

Es ist auch die Befähigung bzw. die Eignung von Personen auf der Bühne zu bedenken.

5.2 Gefährdungen der Zuschauer Gefährdungen für die Zuschauer bestehen vor allem in zweierlei Hinsicht. Einerseits sind, wie in allen Fällen, bei denen größere Menschenansammlungen gegeben sind, Fluchtmöglichkeiten vorzusehen; es sind Notausgänge, Notbeleuchtungen, nach außen öffnende Türen etc. verlangt. Da diese Vorschriften aber nicht die Bühnentechnik im Sinne dieses Buches betreffen, sollen darüber auch keine weiteren Aussagen gemacht werden. Andererseits ergeben sich Gefährdungen aus dem Bühnenbetrieb. Eine direkte Gefährdung kann z. B. dann gegeben sein, wenn Zuschauer auf der Bühne plaziert werden oder in Sonderfällen z. B. Flugbewegungen oberhalb von Zuschauern durchgeführt werden. Eine indirekte Gefährdung für Zuschauer ist im Sinne eines erhöhten Brandrisikos durch den Bühnenbetrieb gegeben. Daher ist für jedes „Volltheater“ – wie immer dieser Begriff auch im Einzelnen definiert sein mag – ein Brandschutzvorhang (Eiserner Vorhang – Kurtine) vorgeschrieben. Ebenso zählen die Rauchgas-Abzuganlagen und gegebenenfalls Sprühwasser-Löschanlagen zu Brandschutzmaßnahmen. Diese Einrichtungen wurden in Kap. 1.8 näher behandelt.

Register Ablenkwinkel 400 Adhäsionsbedingung 341 Akustik 381 Analoganzeige 278 Antriebsleistung 347 Arbeit 335 Arbeitsgalerie 160 Arenabühne 7 Asphalia-System 5 Ausgleichspodium 79, 100, 102 Bandzug 211 Beleuchterbrücke 161, 218 Belttrack 163 Bewegungsablauf 325 Bobinenwinde 187, 203 Bremse 438 Bruchkraft rechnerisch 397 Brückenwagen 18, 118 Bühnenfall 4, 59 Bühnenhaus 1 Bühnenhilfswagen 15, 124 Bühnensysteme 13 Bühnenwagen 117 Cycloramazug 154, 173, 213 Digitalanzeige 279 Doppelstock-Drehscheibe 134 Doppelstockpodium 13, 60 Drahtseil 395, 466 Drehbühne 131 Drehbühnensystem 14 Drehscheibenkasettenwagen 18, 121, 132 Drehstrommotor 247 Drossel 352 Druck hydraulisch 350 Druckzentrale 258 Eigensicherheit 464 Einfehlersicherheit 465 Einheitensystem 324 Eisener Vorhang 227 Endlagendämpfung 260 entertainment load (ELL) 468 Evolventenverzahnung 95, 144, 426 https://doi.org/10.1515/9783110776003-006

Faltspindel 100, 112 Faserseile 410 Flaschenzug 402 Flugwerk 222, 469 Freizug 173 Frequenzumrichtersteuerung 252 Gedeck 60 Gedeck neigbar 59 Gefährdung 464 Gegengewicht 87, 175, 348 Gelenkwelle 380, 431 Gleichstrommotor 244 Gleitgewindetrieb 423 Gleitspindel 100 Greifzug 205 griechisches Theater 1 Gruppenfahrt 284 Guckkastenbühne 6 Handkonterzug 175 Handleinenzug 160, 196 Handwindenzug 178, 195 Hauptbühne 8 Hinterbühne 8 Hinterbühnenwagen 120, 121 Hubpodium 13, 58 Hubvorhang 163 Hydraulikflüssigkeit 359 hydraulischer Antrieb 255 Hydromotor 260, 353, 356 Hydropumpe 260, 353, 355 Hydrospeicher 357 Hydrozylinder, Hydraulikzylinder 104, 260, 354 Keilgetriebe 102 Keiltrieb 420 Keilzugpodium 121 Kette 411, 466 Kettentrieb 90, 124, 146, 380, 418 Kettenzug 209, 411 kinetische Energie 331 Klemmtrieb 205, 409 Kletterantrieb 87, 97 Kolbenspeicher 353 Kreisschiene 137 Kugeldrehverbindung 139

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Kugelspindel 100, 425 Kulissenbühne 3 Kulissenlager 31 Kurtine 227 Körperschall 382 Lambda-Schere 116 Laststangenzug 171, 175 Lattenrost 155 Leistung 336 Lichtgitterrost 155 Linearzug hydraulisch 178 Loadlimiter 458 Logentheater 2 Luftkissentechnik 121, 151, 435 Luftschall 382 manuelle Antriebe 241 Maximalgeschwindigkeit 469 Mehrmassensystem 337 Mehrzweckhalle 38 Mehrzweckhallen 6 Mindestbruchkraft 397, 416 Nachhallzeit 390 Naturfaserseil 410 Notantrieb 242 Oberbühne 8 Oberlichtzug 154, 219 Orchestergraben 9 Orchesterpodium 79, 100 Panoramazug 154, 173, 213 Personenversenkung 80 Planetenspindel 100, 425 Podienbühne 15 Polygoneffekt 93, 418 Portalbrücke 160, 218 Portalturm 160 potentielle Energie 332 Praktikable 146 Primärpodium 62 Probebühne 26 Prospekthubpodium 31, 85 Prospektlager 28 Prospektzug 154, 173 Proszenium 1, 7, 160 Pump-Speicher-Anlage 271

Pumpe hydraulisch 355 Pumpen 255 Punktzug 154, 171, 194 Raffvorhang 165 Rangtheater 2 Rauchabzug 233 Rauchgasabzug 227 Regelung 277 Regelventil 268 Reibradantrieb 129, 143 Reibung 339 Resonanz 382 Rigging 459 Risikobeurteilung 464 Risikominimierung 464 Rohrwellenzug 193 Rollenrost 155 Rotation 328 Rundhorizont 154, 214 Rundstangenzug 154, 173, 213 Safety integrity level (SIL) 464 Schachbrettbühne 72 Schall 382 Schallemission 393 Schallfeldgrößen 385 Schallvorhang 170 Scherenhubpodium 39, 108 Scherenvorhang 164 Schiebebühnensystem 14 Schleiervorhang 170 Schleppboden 62 Schneckengetriebe 429 Schnürboden 155 Schubkette 94, 112, 414 Schwenkrollen 118 Schwerlastzug 205 Schwingung 364 Schürboden 171 Seil 395, 466 Seilstopper 177 Seilsynchronisation 106 Seiltrieb 89, 144, 395 Seitenbühne 8 Seitenbühnenwagen 118 Sekundärpodium 62 Selbstfahrer 126 Selbsthemmung 100, 344, 422

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Servomotor 253 Servoventil 268 Sicherheits-Integritätslevel (SIL) 280 Slip-Stick-Effekt 380 Speicher hydraulisch 257 Spieldrehbühne 23, 135 Spindelantrieb 97, 423 Spiralift 100 Stahlband 466 Steuerung 277 Stopp-Kategorie 468 Störfall 446 Tandem-Schere 115 Teilvorhang 163 Teleskoptribüne 147 Teleskopzylinder 107 Thrust-Stage 7 Tischversenkung 80 Tragmittel 466 Translation 326 Transportdrehbühne 15, 23, 135 Traverse 459 Treibscheibentrieb 405 Tribüne 39, 54, 147

Triebstockverzahnung 95, 144, 428 Turtel 118, 126 Unterbühne 8 Verriegelung 88 Versatzrolle 196, 400 Versenkbühnensystem 13 Versenkklappen 70 Versenkschieber 84 Vorbühne 9 Wasserlöschanlage 236 Wellensynchronisation 107 Windentrieb 405 Windenzug 181 Wirkungsgrad 342, 353 Wälzgewindetrieb 425 Zahnradantrieb 94, 125, 144 Zahnradgetriebe 431 Zahnriemen 163 Zahnstangenantrieb 94 Zahntrieb 426 Zentrallager 142 Zylinderdrehbühne 5, 18, 76, 134

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