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german Pages 385 Year 2007
W i s s e n s k u l t u r und g e s e l l s c h a f t l i c h e r Wa n d e l
Herausgegeben von Cora Bender Thomas Hensel Erhard Schüttpelz
Schlangenritual D e r T ra n s fe r der W is s e n s f o r m e n vom T s u ’t i ’kive der H o p i bis zu A by W a rb u rg s K reuzlib ger V o rtra g
Akademie Verlag
Cora Bender / Thomas Hensel / Erhard Schüttpelz (Hg.) Schlangenritual
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WISSENSKULTUR UND GESELLSCHAFTLICHER WANDEL Herausgegeben vom Forschungskolleg 435 der Deutschen Forschungsgemeinschaft »Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel« Band 16
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Schlangenritual Der Transfer der Wissensformen vom Tsu'ti'kive der Hopi bis zu Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag Herausgegeben von Cora Bender, Thomas Hensel und Erhard Schüttpelz
Akademie Verlag Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:08 PM
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Einbandgestaltung unter Verwendung einer Abbildung mit der Darstellung eines Schlangentänzers der Hopi, aus: John Gregory Bourke, The Snake-Dance of the Moquis of Arizona, London / New York 1884, Tafel XIV Die Abbildung auf S. 7 zeigt einen mit gelblichem Papier in Schlangenhautoptik bezogenen Zettelkasten Aby Warburgs. © The Warburg Institute, London
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-05-004203-9
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2007 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Benjamin Beil, Siegen Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Einbandgestaltung: Dorén + Köster, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort Schlangenritual Vom Tsu'ti'kive der Hopi zu Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag und zurück
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Dossier Aby Warburg Legendary origins of the clan with the totem Serpent (Übersetzung (1923) nach J. W. Fewkes (1894))
17
Paul Ehrenreich Ein Ausflug nach Tusayan (Arizona) im Sommer 1898 (1899)
23
Aby Warburg/Fritz Saxl Die Indianer beschwören den Regen Großes Fest bei den Pueblo-Indianem (1926) und Michael Diers Warburg für Kinder. Den Blitz gestalten - Ein Splitter über das Hopi-Schlangenritual (Kommentar)
59
60
Spurensicherung Hans-Ulrich Sanner „Schlangenpolitik" : Marginale Notizen zum Schlangentanz der Hopi 1989-1990, nebst einem historischen Katalog
65
Armin W. Geertz Tsu'ngyam Tradition: Men, Women and Snakes in Hopi Theology
103
Christian F. Feest Das Unverständliche, das Fremde und das Übernatürliche: Schlangen in religiöser Vorstellung und Praxis im indigenen Nordamerika
119
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6
Cora Bender A Man Made Matter out of Place: Captain John Gregory Bourke (1846-1896) as a Source for Aby Warburg's "Schlangenritual"
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Erhard Schüttpelz Das Schlangenritual der Hopi und Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag
187
Spyros Papapetros „ohne Füße und Hände" Historiographische Bemerkungen über die unorganische Bewegung der Schlangen von Philo von Byblos bis Aby Warburg
217
Dorothea McEwan Zur Entstehung des Vortrages über das Schlangenritual: Motiv und Motivation/Heilung durch Erinnerung
267
Charlotte Schoell-Glass „Contakt bekommen": Warburg schreibt
283
Thomas Hensel Kupferschlangen, unendliche Wellen und telegraphierte Bilder Aby Warburg und das technische Bild
297
Philippe-Alain Michaud Serpent et forme serpentine au cinema
361
Anhang Autorinnen und Autoren
377
Personenregister
379
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Vorwort Schlangenritual Vom Tsu'ti'kive der Hopi zu Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag und zurück
Aby Warburg wird seit einigen Jahren und mehr als je zuvor als Gründerfigur einer Kunstwissenschaft, die sich als eine Bildwissenschaft begreift, aber auch als Spiritus Rector einer anthropologischen Kulturwissenschaft beansprucht. Wenn solche Genealogien aufgestellt werden, geht es wiederholt um seinen Text zum „Schlangenritual" der Hopi, den er 1923 zur Vorbereitung eines Vortrags im Sanatorium „Bellevue" in Kreuzlingen geschrieben hat. Die Rezeptionsgeschichte dieses Textes ist mehr als ungewöhnlich, denn Warburg selbst hatte eine Verbreitung seines Manuskripts rigoros untersagt - doch spätestens seit der deutschen Erstveröffentlichung und ihrer Kommentierung durch Ulrich Raulff (1988), in deren Folge eine Welle von Interpretationen und Würdigungen erschien, ist das „Schlangenritual" Warburgs bekanntester und populärster Text geworden und geblieben. Ein Effekt dieser Popularität besteht darin, dass Warburgs idiosynkratischer Reisebericht in den deutschen Kulturwissenschaften vermutlich der beliebteste, wenn nicht der einzige Text geworden ist, in dem viele Leser etwas über die Hopi und andere Pueblokulturen der Zeit um 1900 erfahren haben - mit allen Gefahren und Chancen, die eine solche Lektüre in sich birgt. Mehr als ein Warburgianer ist mittlerweile auf Warburgs Spuren in den Südwesten der USA gereist. Wenn man in die Geschichte des „Schlangenrituals" der Hopi hinabsteigt, stößt man im Gegenzug auf das Faktum, dass diese neuerliche Popularität von Warburgs Text nur zu gut mit der Popularität des „Schlangenrituals" der Hopi in der Zeit zwischen 1890 und 1925 zusammenpasst, also in der Zeit zwischen Warburgs Reise in den Südwesten der USA (1895/96) und seinem Kreuzlinger Vortrag. Das „Schlangenritual" der Hopi, und um genauer zu sein: eigentlich nur der neunte Tag des „Schlangenrituals", der öffentliche „Schlangentanz" („tsu'ti'kive"), war für mehrere Jahrzehnte das touristisch und massenmedial erfolgreichste nordamerikanische Ritual, das von gerade unterworfenen Bewohnern des Subkontinents gefeiert und von ihren Kolonisatoren rezipiert und mitgefeiert wurde. Und diese Popularität wurde von den Hopi an den betreffenden Orten - soweit man heute rekonstruieren kann - nicht nur mitgesteuert, sondern allem Anschein nach durchaus kontrolliert und für bestimmte innen- wie außenpolitische Ziele inszeniert. Tatsächlich war das „Schlangenritual" der Hopi keineswegs das zentrale kosmologische Ereignis im Zyklus ihrer Feste und Zeremonien, für das es die Außenwelt und auch Warburg damals halten wollten, für mehrere Jahrzehnte aber war seine jährliche Wiederkehr zweifelsohne ein zentrales Ereignis in der Auseinandersetzung zwischen Hopi und Nicht-Hopi. In diesen Zeitraum fallen einige der wichtigsten Ereignisse der neueren Hopi-Geschichte: eine Reihe von Konflikten um die Stellung der Pueblo-Kommunitäten im U.S.-Staat, und zwar sowohl die Auseinandersetzung mit diesem Staat und den Vertretern der Außenwelt vor Ort, als auch eine heftige Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen politischen und ritualpolitischen Fraktionen der Hopi, die Anfang des 20. Jahrhunderts zur Spaltung Oraibis und in deren Folge zum Entstehen neuer Siedlungen führte. Die politische Inszenierung der Spaltung Oraibis geschah 1906
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Vorwort
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gleich im Anschluss an die Aufführung eines „Schlangenrituals", durch den - allem Anschein nach bewusst inszenierten - Bruch der zeremoniellen Ruhe nach dem Ritual, kurz nachdem die letzten Touristen den Ort verlassen hatten. Das „Schlangenritual" der Hopi zwischen 1890 und 1930 ist daher aus mehreren Gründen ein markantes Ereignis in der Kulturgeschichte der Moderne gewesen, es gehört zu dieser Kulturgeschichte wie die Neu-Erfíndung der Olympiaden, der Kautschukboom im Kongo mitsamt Joseph Conrads „Heart of Darkness" oder der „Potlatch" der Kwakiutl mit seinen philosophischen Umschriften durch Marcel Mauss und Georges Bataille. Die Spuren der damaligen Schlangen ziehen sich noch durch die Gegenwart. Zum einen ist die moderne Popularität des „Schlangenrituals" - in Zeitungsberichten, Reiseführern, Filmen und vor allem Fotografien - der Ursprungsherd einer Hopi-Verehrung, deren kulturelle, religiöse und politische Konstellationen bis heute fortwirken. Aus der durchaus ambivalenten Popularität des „Schlangentanzes" ist im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Tradition einer „Hopiphilie" entstanden - bis nach Hollywood und in die Esoterik - , deren Missverständnisse und lokale Rückkopplungen nur durch eine akribische Historisierung und philologische Spurensicherung aufgearbeitet werden können, wie sie insbesondere Peter Whiteley, Ekkehard Malotki und Armin W. Geertz geleistet haben. Zum anderen hat die Popularität des „Schlangenrituals" in der Moderne eine ganze Reihe von Politikern, Künstlern und prominenten Touristen angezogen, die ihre eigene Exponiertheit mit dem Augenschein des Hopi-Rituals konfrontierten - unter anderem Theodore Roosevelt und D. H. Lawrence. Der „Schlangentanz" hatte allem Anschein nach - für bestimmte Kreise und für eine vorübergehende Zeit - die Ausstrahlung eines kanonischen modernen „Events", dessen späte Folge die Kanonisierung von Warburgs Text geworden ist. Das moderne Spektrum der Rezeption des „Schlangenrituals", das zuerst von Leah Dilworth zusammengestellt worden ist, reicht von wissenschaftlichen Monographien und musealen Nachbauten über eine Unmenge von Fotografien in die Frühgeschichte des Films (unter anderem der Edison Company und des Fotografen Edward Curtis), in literarische Umsetzungen und eine ganze Serie von musikalischen Kompositionen. Obschon sich Aby Warburgs „Schlangenritual" als ein äußerst idiosynkratisches Zeugnis betrachten lässt, steht dieser Text daher keineswegs isoliert, sondern ist eine von vielen modernen Bemühungen gewesen, dem „Schlangentanz" der Hopi eine klassische und kanonische Gestalt zu verleihen. Und diese Bemühung bleibt in allen ihren Elementen sehr viel enger mit den kulturellen und politischen Projekten und Konflikten des „Schlangenrituals" verflochten, als es bisherige Kommentare fassen konnten. Das gilt nicht nur auf einer motivischen und ikonographischen Ebene, sondern auch für die wissenschaftlichen Projekte, die sich mit Warburgs Werdegang verbunden haben. So wurde Warburgs Reise in den Südwesten mitsamt seiner ethnographischen Sammlung, um deren Erforschung sich Benedetta Cestelli Guidi verdient gemacht hat, zum Auslöser für eine erste deutsche Hopi-Forschung mit Museumssammlungen, Forschungsreisen und Reiseberichten - der Amerikanist Paul Ehrenreich schrieb 1898 einen ausführlichen Bericht vom Besuch des „Schlangenrituals", das Warburg verpasst hatte, Ehrenreich hingegen in der Folge von Warburgs Reise besuchen konnte. Der Kreuzlinger Vortrag wiederum steht im Zusammenhang der Hamburger Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K.B.W.), die Fritz Saxl in Warburgs Abwesenheit zu einem Forschungsinstitut umgebaut hatte, und antwortet seinerseits unter anderem auf Ernst Cassirers Rekurs auf eine benachbarte Pueblokultur: die der Zuñi, die durch Frank Hamilton Cushing erforscht wurde - dem Warburg auf seiner Reise in Washington begegnet war, und dessen mündliche Entgegnung er im Kreuzlinger Text zitiert.
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Schlangenritual
Die Vielfalt und schon die schiere Zahl der hier aufgeworfenen Kontexte stellt die Frage nach einer Methode, die mit dieser sperrigen und oft auch schwer zugänglichen Überlieferung umgehen kann. Viel wäre bereits gewonnen, würde man auf Warburgs Text jene kulturwissenschaftlichen Methoden anwenden, die er für Bilder, Artefakte und Texte der Renaissance entwickelte. Um es mit einem Wort Warburgs zu sagen: Über welche „Wanderstraßen der Kultur" ist es zu Warburgs Text gekommen? Wie sahen diese Wanderstraßen aus, und welche Transferwege - für Bilder, Erzählungen und Erklärungen - können in ihren Verzweigungen zwischen Oraibi und Kreuzlingen, Walpi und Hamburg nachgezeichnet werden? Diese Fragestellung kann nicht durch Einzelforschung bewältigt werden. Die Nachzeichnung der Transferwege, die das „Schlangenritual" der Hopi in der Moderne genommen hat, verlangt insbesondere eine genauere Darstellung der verschiedenen Wissensformen, die der Wirkungsgeschichte des „Schlangenrituals" und dem Transfer vom „Tsu'ti'kive" der Hopi bis zu Warburgs „Schlangenritual" zugrunde lagen - Wissensformen, die durch den Transfer selbst modifiziert und in Mitleidenschaft gezogen werden konnten. Die Beiträge dieses Bandes versuchen, die wichtigsten Wissensformen des „Schlangenrituals" und damit den gesamten Transferweg oder, wie man auf Englisch sagen könnte, „the trajectory" von Oraibi bis Kreuzlingen darzustellen: - die Geschichte, Ritualpolitik und Mythologie des „Schlangenrituals" der Hopi (HansUlrich Sanner und Armin W. Geertz) - und da es hier nicht nur um imaginäre, sondern auch um ganz konkrete Schlangen geht: die Ethnozoologie Nordamerikas (Christian F. Feest); - die verschiedenen Etappen der Bereisung, Erforschung, der touristischen Rahmung und Musealisierung des „Schlangenrituals" (Cora Bender, Erhard Schüttpelz); - die Textgenese von Warburgs Vortrag, seiner Reiseaufzeichnungen und Zettelkästen (Spyros Papapetros), bis zu einer neuen Einschätzung der Autorschaft des Kreuzlinger Vortags (Dorothea McEwan); - und nicht zuletzt die verschiedenen Wissensformen, die sich in Warburgs Kreuzlinger Texten niedergeschlagen haben: Autobiographie, Kunstgeschichte, Medienarchäologie und die Einrichtung des Forschungsinstituts der K.B.W. (Charlotte Schoell-Glass, Thomas Hensel, Philippe-Alain Michaud). Durch die Nachzeichnung des Wissenstransfers von Oraibi bis Kreuzlingen, von Walpi bis Hamburg kann es in Zukunft gelingen, Warburgs Text ebenso differenziert und polyfokal zu behandeln, wie Warburg dies in seinen eigenen Texten mit den Transferwegen von Bildern und Artefakten, Schriften und numinosen Gestalten und Mächten unternommen hat. Außerdem fuhrt die kulturwissenschaftliche Analyse dazu, andere politische und ästhetische Formen der Durchlässigkeit und der Interaktion von Wissensformen zwischen Tusayan (Arizona) und der Außenwelt erkennen zu können. Aby Warburg selbst hat die „Ursprungslegende" des Schlangenklans der Hopi zur Vorbereitung seines Kreuzlinger Vortrags übersetzt und damit seine eigene Reiseliteratur mit jener fremden Hopi-Reise konfrontiert, die dem rituellen Ablauf des „Schlangenrituals" von den Ritualteilnehmern zugrunde gelegt wurde (vgl. Armin W. Geertz). Und wie bereits erwähnt, kann die neuere Hopi-Geschichte nicht verstanden werden, ohne die Rückwirkungen der modernen „Hopiphilie" und der historischen „Schlangenrituale" auf die Auseinandersetzungen von Hopi und Nicht-Hopi zu verzeichnen (vgl. Hans-Ulrich Sanner). Auch wenn es im vorliegenden Band vor allem um einen einmaligen Transfer zwischen Tusayan und Kreuzlingen geht, so bleibt bei aller Singularität der hier dargestellten Transferwege zu berücksichtigen, dass der Transfer keineswegs einseitig geblieben ist. Der vorUnauthenticated Download Date | 6/11/16 5:08 PM
Vorwort
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liegende Band möchte weitere Untersuchungen anregen, er kann sie allerdings nicht vorwegnehmen. Eine Edition der Kreuzlinger Texte Warburgs liegt nicht vor, und sie bleibt auf schwierige Weise verbunden mit der ausstehenden Edition anderer Texte von Warburgs Hand, insbesondere der Tagebücher und kunstpsychologischen Fragmente der amerikanischen Reise. Wir haben uns entschlossen, einer Edition der betreffenden Dokumente und Manuskripte nicht vorzugreifen, mit der Ausnahme eines Textes, der tatsächlich von Tusayan nach Kreuzlingen gebracht wurde, da er von den Hopi selbst stammt und in Kreuzlingen von Warburg aus einer englischen Übersetzung in die deutsche Sprache überführt wurde. Auch die Geschichte des „Schlangenrituals" der Hopi kann hier nicht geschrieben und nur in Umrissen mitgeteilt werden. Die engere politische Geschichte oder Sozialgeschichte des „Schlangenrituals" der Hopi zwischen 1860 und 1930 verlangt ein eigenes (und bisher ungeschriebenes) Buch. Aber auch die Wirkungsgeschichte des „Schlangentanzes" zwischen der Gründungsurkunde von John Gregory Bourke (vgl. Cora Bender) und - um nur einen recht bizarren deutschsprachigen Endpunkt herauszugreifen, den zukünftige Germanisten mit Warburgs Text vergleichen werden, - dem Roman „Weiße Frau am Lagerfeuer" der Reiseschriftstellerin Vendia von Langenn bietet genug Material für ein Buch. Wie bereits angedeutet sind auch fotografiehistorische Betrachtungen oder musikwissenschaftliche Abhandlungen denkbar: André Jolivet komponierte 1948 ein Stück mit dem Titel „Hopi Snake Dance", und dieser Komposition ging bereits die patriotisch anmutende Arbeit des amerikanischen Komponisten Henry Gilbert voraus, der auch Wachszylinder-Aufnahmen von Edmund Curtis' Reisen in den Südwesten transkribierte (1911-1920) - und ihm folgt heute die Komponistin Kyle Gann mit dem Titel „Snake Dance" (1991/1995). Die Perspektiven ließen sich vervielfachen. Wenn die versammelten Beiträge mehr als ein Streiflicht auf einzelne Stationen und einige „Wanderstraßen" des „Schlangentanzes" werfen können, so hat der vorliegende Band sein Ziel nicht verfehlt. Das Buch geht auf eine internationale Tagung zurück, die im April 2002 im WarburgHaus Hamburg von den Herausgebern veranstaltet wurde. Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre Geduld und ihre vielfältigen Hilfestellungen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer Konferenz und allen, die mit uns diskutiert haben, namentlich Prof. Dr. Fritz Kramer, der wiederholt jene anthropologische Grundierung des Themas anmahnte, die auch Warburg in seinem Text zur Disposition gestellt hatte. Wir danken der Aby-WarburgStiftung für ihre großzügige Unterstützung der Konferenz und allen im Warburg-Haus wie auch im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, die uns bei der Organisation vor Ort geholfen haben, stellvertretend Marianne Pieper, Ingrid Grosse M.A. und Andreas Ruß M.A. Auch ist es uns eine werte Pflicht, Christopher Mondt für die Ermöglichung einer Filmprojektion im Warburg-Haus zu danken wie auch dem Kommunalen Kino Metropolis, das unsere Tagung durch die Vorführung einer Reihe von Schlangenfilmen bereichert hat - darunter die Filme der Edison Company, in denen die damals noch öffentlichen Tanzbewegungen des „Schlangentanzes" festgehalten sind. Als dem Kurator des Filmprogramms gebührt Dr. Philippe-Alain Michaud unser herzlicher Dank. Die Veröffentlichung des Bandes in der Reihe des DFG-Forschungskollegs „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a. M., erschien ebenso folgerichtig wie glücklich, nicht nur weil zwei der Autoren, Prof. Dr. Christian F. Feest und Dr. Cora Bender, zwischen 1999 und 2005 am Forschungskolleg tätig waren, sondern auch weil die interdisziplinäre Forschung zum Transfer der Wissensformen zwischen den Kulturen den Band in vielfältiger Weise mit dem Programm des Forschungskollegs verbindet. Zu besonderem Dank sind wir dem Sprecher des ForschungskolUnauthenticated Download Date | 6/11/16 5:08 PM
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Schlangenritual
legs, Prof. Dr. Johannes Fried, den Mitarbeitern der Geschäftsstelle, Dr. Christoph Franzen und Ulrich Kloos M.A., verpflichtet sowie außerdem den Mitarbeiterinnen des Teilprojektes C2, Annette Schroedl M.A. und Christine Zackel, ohne die die Fertigstellung des Bandes nicht möglich gewesen wäre. Wertvolle Unterstützung kam auch von Prof. Dr. Dorle Dracklé sowie von Heike Derwanz und Benjamin Beil, die das Typoskript nochmals und abschließend bearbeitet haben, wie auch von Rukiye Canli, die den Index erstellt hat. Daneben danken wir dem Direktor des Warburg Institute, London, Prof. Dr. Charles Hope, und den Leiterinnen des dortigen Archivs, Dr. Dorothea McEwan und Dr. Claudia Wedepohl, für ihre vielfältigen Hilfestellungen. Und nicht zuletzt ist es uns eine angenehme Pflicht, dem Akademie Verlag, vor allem in Person von Dr. Sabine Cofalla und Dr. Mischka Dammaschke, unseren allerbesten Dank für die generöse Realisierung des Buchprojektes auszusprechen.
Die Herausgeber, Juni 2007
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Aby Warburg Legendary origins of the clan with the totem Serpent (Übersetzung (1923) nach J. W. Fewkes (1894))
Am Colorado grande kamen wir aus der Erde. Nach Wanderungen bauten wir in Tokonabi (Navajo Mountains). Da waren aber wenige Quellen und wenig Wolken. Der Häuptling hatte zwei Töchter und zwei Söhne, von denen der eine Ti-yo immer melancholisch auf der Mauer sass und nachsann, wohin das Wasser in den Erdboden entschwände. Ti-yo sagte, er müsse dieses Rätsel lösen. Mit dem Vater zusammen baut er ein Boot, die Mutter gibt ihm Speise mit, der Vater pahos, fünf an der Zahl und gibt ihm Vorschriften, wem er diese zu geben hat. Ausserdem gab er ihm ein Stückchen Adler-Schenkel. So ausgerüstet fährt Ti-yo ununterbrochen den Unterwelts-Strom hinunter, bis er an ein Land kommt. Dort wird er angerufen. Er ist beim Haus der Frau Spinne, die ihn freundlich begrüsst. Er kommt dort in eine geräumige Kiwa. Er gibt der Frau Spinne den grossen Paho und den Adlerschenkel, sie freut sich sehr darüber, gibt ihm zu essen, beherbergt ihn vier Tage, dann rät sie ihm, zum Schlangenhaus zu gehen, und verspricht ihm, ihn zu begleiten. Dann fertigt sie ein Zaubermittel, das sie ihm schenkt, und begleitet ihn - für die andern unsichtbar - auf seinem rechten Ohr. Er flog auf seinem Adlerbüschel, bis er in eine Kiwa kam in der Nähe der grossen Schlange, der er etwas von dem Zaubermittel gab. Da Hess sie ihn durch. Da stieg er hinab in die Schlangen-Kiwa, wo viele Männer schweigend bei einem Sand-pon-ya sassen, alle in Schlangen Haut gekleidet. Von da stieg er weiter hinab in die Schlangen-Antilopen Kiwa. Um ein Sand Pon-ya sassen weiss gekleidete Männer. Dem Häuptling übergab er einen seiner blauen Pahos, der nahm ihn, legte ihn auf das Sand Ponya und sagte: „Ich habe Dich schon erwartet und danke Dir für Dein Kommen. Ich lasse die Wolken kommen und gehen und die reifenden Winde blasen: und ich lenke das Gehen und Kommen aller Berg-Tiere; vor Deiner Rückkehr kannst Du Dir Vieles wünschen. Verlange frei und es wird gewährt werden." Nun riet ihm Frau Spinne, wieder weiter zu wandern. Der Adler flog nach Westen, dort sah er ein grosses Wasser und weit weg in der Mitte die langen Schäfte einer Leiter, die aus dem Dach einer Kiwa herausragte. Dorthin riet ihm die Spinne zu fliegen. Als er dahin kam, bewachten zwei Pumas den Eingang. Doch mit dem Zaubermittel der Spinne besänftigte er sie. Die Kiwa war ganz aus Türkisen und Korallen und in der Mitte sass am Boden ganz allein eine alte Frau. „Das ist die freundliche Mutter; jede Nacht, wenn sie ihren Mantel ablegt, wird sie ein reizendes junges Mädchen", sagte die Spinne. Da bereitete die gute Alte Essen für zwei: „Das ist für Dich und für den Vater, wenn er heimkehrt." Während sie das sagte, flüsterte ihm die Spinne zu, den Paho für die Sonne bereitzuhalten. Und wie der Lärm eines Donnerpfeils kam die Sonne. Sie nahm alle die Pahos, die sie auf ihrer Tagesreise von den Menschen bekommen hatte, aus ihrem Mantel und ordnete sie. „Die sind von Menschen Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:08 PM
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Aby Warburg
mit gutem Herzen, sie sollen erhalten, was sie wünschen; die aber sind von den Bösen. Die wollen meine Augen nicht erblicken." Ti-yo gab ihm seinen Paho. „Es ist gut, mein Freund, mein Verwandter, mein Sohn, lass uns rauchen", sagte die Sonne und sie rauchten. Die Sonne forderte nun Ti-yo auf, sie auf ihrer Fahrt durch die Unterwelt zu begleiten. Ti-yo hielt sich an ihrem Gürtel und sie flogen in die tiefste Unterwelt, dem Haus von Mü-i-yin-wuh. Dort hasteten viele ernste Menschen und die Sonne brachte Ti-yo mitten in das arbeitsreiche Gedränge, wo Ti-yo Mü-i-yin-wuh seinen Paho gab. Der sagte, er würde immer auf die Wünsche von Ti-yos Volk hören und auf sein Geheiss würden alle Keime des Lebendigen. Die Menge, die er hier sehe, sei mit diesen Arbeiten beschäftigt. Dann nahm ihn die Sonne wieder auf und führte ihn ostwärts zum Sonnenaufgang. Als sie hielten, waren sie beim Sonnenhaus, einer Kiwa, ähnlich der im Westen, nur dass sie rot ist. Hier war auch keine Frau, sondern der Sonne Bruder, der mit dem Bruder abwechselnd auch den Sonnenschild trägt. Alle vier Tage wechseln die Brüder. Hier lehrte ihn die Sonne, den Sonnen Paho zu machen. Dann würde er in die Herzen aller Menschen sehen. Die wichtigste Gabe, die er bekommen könne, sei in der SchlangenAntilopen Kiwa, die Gabe der Regenwolke. Die Sonne schenkte ihm Felle vom grauen und vom gelben Fuchs, nahm ihn auf die Schulter und führte ihn über den Himmel nach Westen. Da war wieder die alte gute Frau, die beschenkte ihn reich, er packte alles sorgfältig in seinen Mantel, stieg die Leiter hinauf, und flog auf dem Adler-Stück davon. Es war noch im Zwielicht des Abends, als er an die Schlangen Kiwa kam, fünf Tage waren verflossen, seit er zuerst dagewesen war. Rasch trat er ein und ging in die SchlangenAntilopen Kiwa, wo er sich vier Tage zu dem Sand-Ponya setzte, um den Lehren des Häuptlings zu lauschen, der sagte: „Hier haben wir Überfluss an Regen und Korn. In Deinem Land ist nur wenig. So sollst Du den Zauber gebrauchen. Merke gut diese Gebete in Deiner Brust, diese Gesänge sollst Du singen, diese Pahos sollst Du machen; und wenn Ihr das Weisse und das Schwarze an Euren Körpern entfaltet (display), werden die Wolken kommen." Er gab Ti-yo Teile von beiden Kiwas, ferner vom Sand des Ponya in der SchlangenAntilopen Kiwa und dies, sagte er, seien die Farben des Kornes, das durch das Gebet Ti-yos kommen würde. Er gab ihm noch zwei Mädchen, die den Zauber gegen den Biss der Klapperschlange kannten. Eine der beiden sollte er seinem Bruder geben. Auch gab er ihm von dem Sand-ponya einen ti-po-ni und befahl ihm, den immer sorgsam zu bewahren. „Denn fürwahr, er ist Deine Mutter." Frau Spinne liess ihn dann wieder zu ihrem Haus, wo er vier Tage blieb und Kaninchen für sie jagte. Sie machte ihm dann einen Korb und am fünften Morgen setzte sie ihn hinein mit einem Mädchen zu jeder Seite. Dann verschwand sie. Ein Faden aber erschien, befestigte sich an dem Korb und der wurde durch die weissen Wolken geführt und segelte bis Tokonabi. Ti-yo nahm die beiden Mädchen zu seiner Mutter, vier Tage blieben sie da und die Brüder bereiteten die Brautgeschenke. Am fünften wusch die Mutter den Mädchen die Köpfe und von der Spitze des Hauses wurde verkündet, ein fremder Stamm sei zu ihnen gekommen, in sechzehn Tagen würde ihr Fest gefeiert. Und bis auf den heutigen Tag wird das Schlangenfest sechzehn Tage vorher angekündigt.
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Legendary origins of the clan with the totem Serpent
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Ti-yo und das eine Mädchen gingen in die Schlangen-Antilopen Kiwa, der Bruder mit dem andern in die Schlangenkiwa. (Nun wird das Zeremonial des tatsächlichen Festes erzählt, nur dass die Brüder nicht auf die Schlangenjagd gehen). Am fünften Abend der Zeremonie und an den drei folgenden zogen niedere Wolken über Tokonabi und das Schlangenvolk kam aus der Unterwelt herauf. Am nächsten Morgen war es verwandelt in Reptilien aller Art. Am nächsten Morgen sagten die Schlangenmädchen: „Bringt die jüngeren Brüder des Schlangenvolks herein, wascht ihre Köpfe und lasst sie mit Euch tanzen." Das ward getan, bei Sonnenuntergang macht Ti-yo ein Schlangenhaus aus Mehl, in das die Schlangen gebracht wurden. Alle Leute kamen herbei und warfen geheiligtes Mehl auf sie, die jüngeren Brüder brachten sie aber wieder hinaus in die Täler, sie kehrten zurück zur Schlangen Kiwa der Unterwelt und brachten alle Wünsche der Leute dahin. Danach gebaren die Schlangenmädchen zahlreiche Schlangen. Als Kinder mit diesen spielen wollten, wurden sie gebissen. Wir mussten von Tokonabi auswandern, die beiden Schlangenmädchen wurden zurückgelassen. Nach langen Wanderungen weist ihnen dann der Kriegsgott Walpi als Wohnort an, wo er verehrt sein will.
Quelle: Aby Warburg, Manuskript zur Vorbereitung des Kreuzlinger Vortrage, Warburg Archiv London, WIA, III.93.4, Seiten 106-113. (Für die vorliegende Lesefassung des Textes wurden Tippfehler berichtigt und Satzzeichen ergänzt.)
Kommentar (Erhard Schüttpelz) Aby Warburgs Übersetzung der „Legendary origins of the clan with the totem Serpent" wurde erstmals 1998 von Philippe-Alain Michaud in französischer Übersetzung veröffentlicht (Warburg 1998). Zur Quellenfrage vermerkt Michaud dort (Michaud 1998:247): „Ici commence un récit cosmogonique mettant en scène Ti-yo, ,1e héros du serpent', récit que Warburg a placé en annexe de ses notes et dont la source se trouve probablement dans J. Walter Fewkes, ,The Snake Ceremonials at Walpi', A Journal of American Ethnology and Archaeology, Boston et New York, 1894, pp. 106-124". Diese Konjektur wurde den Herausgebern dieses Bandes durch Armin W. Geertz bestätigt. Eine andere Quelle kann nach dem Vergleich der Varianten des Mythos ausgeschlossen werden. Fewkes selbst schreibt zur Quelle des Mythos: „Several variants of this legend, which differ in many respects from the one here presented, have already been published. This version was collected by Mr. A.M. Stephen, who received it from the Antelope chief Wi-ki. On account of the difficulty in communicating with him, owing to extreme deafness, Wi-ki was assisted by Wi-ky-á-ti-wa and Ma-si-um'-ti-wa." (Fewkes 1894:106 n.2) Alexander MacGregor Stephen lebte in den 1890ern längere Zeit bei den Hopi, seine damals größtenteils unveröffentlichten Manuskripte wurden schon bald nach seinem Tod im Jahr 1894 zu einer wichtigen Quelle der Hopi-Ethnographie, insbesondere für Fewkes. Wiki war einer von Stephens wichtigsten Gesprächspartnern und Oberhaupt (in den damaligen Veröffentlichungen „chief') des Schlangen-Antilopen-Klan in Walpi. Armin W. Geertz schreibt in einem Vergleich von neun veröffentlichten Versionen des SchlangenklanMythos: „This is an excellent myth because it gives an extraordinary amount of detail concerning the characters that we meet and the places where they live." (Geertz Ms.:8) Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:08 PM
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Aby Warburg
Warburgs Übersetzung schwankt zwischen der wörtlichen Übersetzung einzelner Stellen und der summarischen Paraphrase ganzer Abschnitte, insbesondere gegen Ende des Mythos. Allerdings blieben durch Warburgs Vorgehensweise eine ganze Reihe von Übersetzungsdetails offen und wurden, vielleicht aufgrund einer Beschleunigung der Vorbereitung auf Warburgs Vortrag (es handelt sich im Manuskript um den letzten Teil vor einer Liste der im Vortrag verwendeten Dias) nicht mehr korrigiert. Einige dieser offenen Stellen und problematischen Details sollen im folgenden unter Zuhilfenahme der philologischen Arbeit von Armin W. Geertz (Geertz Ms.:8-13) kurz festgehalten werden; einer zukünftigen editorischen Auseinandersetzung mit Warburgs (und Stephens) Text kann hierdurch nicht vorgegriffen werden. „Am Colorado grande kamen wir aus der Erde. Nach Wanderungen bauten wir in Tokonabi (Navajo Mountains)." - Das „wir" des Textes bezieht sich auf die Gruppe des Erzählers (Wi-ki aus dem Schlangen-Antilopen-Klan). Die Identifizierung von „Tokonabi" (Tokoonavi) mit den „Navajo Mountains" geht auf Fewkes zurück (Geertz Ms.:8). „Der Häuptling hatte zwei Töchter und zwei Söhne, von denen der eine Ti-yo immer melancholisch auf der Mauer sass und nachsann, wohin das Wasser in den Erdboden entschwände." - Diese „Mauer" sind vielmehr „the edges of the cliffs along the Grand Canyon" (Geertz Ms.:9). „Ausserdem gab er ihm ein Stückchen Adler-Schenkel." - Es handelt sich allem Anschein nach um eine Fehlübersetzung ausgehend vom Wort „down". Vgl. Geertz (Geertz Ms.:9): „He also made a quantity of kwaavöhö (kwa-pü'-ha) (down from an eagle's thigh) which Spider Woman would show him how to use." Es handelt sich um Adlerdaunen vom Schenkel, aus denen durch „Frau Spinne" (Spider Woman) ein magischer Flugapparat gemacht wird. Diese Umwandlung führt (ausgehend von dieser Textstelle) in Warburgs Text zu einer Serie verschiedener Übersetzungen der gleichen Adlerdaunen, darunter der durchaus angemessenen Übersetzung als „Adlerbüschel": „Ausserdem gab er ihm ein Stückchen Adler-Schenkel." - „Er gibt der Frau Spinne den grossen Paho und den Adlerschenkel, sie freut sich sehr darüber". - „Er flog auf seinem Adlerbüschel". - „Der Adler flog nach Westen". - „Da war wieder die alte gute Frau, die beschenkte ihn reich, er packte alles sorgfältig in seinen Mantel, stieg die Leiter hinauf, und flog auf dem Adler-Stück davon." „Während sie das sagte, flüsterte ihm die Spinne zu, den Paho für die Sonne bereitzuhalten. Und wie der Lärm eines Donnerpfeils kam die Sonne." - Die Sonne ist im Original (und in der englischen Übersetzung) männlich, diese Eigenschaft wird von Warburgs Übersetzung und abgekürzter Paraphrase zwar berücksichtigt, aber nicht konsequent genug. Der pronominale Bezug der betreffenden Textpassage ist hierdurch unklar geworden, er kann im Vergleich mit Fewkes (Fewkes 1894:112f.) folgendermaßen zugeordnet werden: „Während sie (die alte Frau) das sagte, flüsterte ihm die Spinne zu, den Paho für die Sonne bereitzuhalten. Und wie der Lärm eines Donnerpfeils kam die Sonne. Sie (die alte Frau) nahm alle die Pahos, die sie (die Sonne, ein Mann) auf ihrer Tagesreise von den Menschen bekommen hatte, aus ihrem Mantel und ordnete sie." - „Ti-yo gab ihm (der Sonne) seinen Paho. ,Es ist gut, mein Freund, mein Verwandter, mein Sohn, lass uns rauchen', sagte die Sonne und sie rauchten. Die Sonne forderte nun Ti-yo auf, sie (die Sonne, ihn) auf ihrer Fahrt durch die Unterwelt zu begleiten." „Der sagte, er würde immer auf die Wünsche von Ti-yos Volk hören und auf sein Geheiss würden alle Keime des Lebendigen. Die Menge, die er hier sehe, sei mit diesen Arbeiten beschäftigt." - Warburgs Übersetzung der Rede von Muy'ingwa (im Text: „Mü-i-yinwuh") ist an dieser Stelle in einer Wort-fur-Wort-Übertragung steckengeblieben. Vgl. das Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:08 PM
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Legendary origins of the clan with the totem Serpent
Original: „he would always listen to the wishes of Τί-yo's people, and then he explained that at his command the germs of all living things were made; the seeds of all vegetation that grows upon the surface of the upperworld, and of all animals and men who walk upon it; and the multitude he saw were ceaselessly occupied at his task". (Fewkes 1894:113) Trotz einzelner Schwächen wird der Gesamtverlauf der Erzählung durch Warburgs Übersetzung treffend festgehalten, und deutlich erkennbar wird bei einem Vergleich mit dem Original insbesondere der Wille des Übersetzers - oder, sofern Fritz Saxl beteiligt war, der beiden Übersetzer - , die zeremoniell bedeutenden Details des Textes aufeinander zu beziehen und andere Teile der Erzählung - darunter mehrere dramatische Konfrontationen - eher zu raffen. Dies zeigt sich etwa im Vergleich mit einer Zusammenfassung der gleichen Mythenversion durch Armin W. Geertz: „Near the Grand Canyon, at a place called Tokoonavi, the hero of the tale, Tiyo, was melancholy and thoughtful and wanted to find out where the waters of the Colorado River led to. His father and mother make elaborate preparations for him including his vehicle, food and various gifts to be given to the supernatural beings that he would meet along the way. Floating in his closed box down the river, he strikes a mud bank near the coast of a large body of water. Here he is allowed to enter the underground chamber or kiva of Spider Woman. She accompanies him on his further travels down through the sipaapuni in her kiva to the Snake kiva which was guarded by the dreadful giant snake Gatoya and two angry bears. Tiyo subdues them with a magic potion. They pass through the gloomy Snake kiva filled with silent men through its sipaapuni to the Snake-Antelope kiva which is colourful and friendly. After a brief stay, Tiyo and Spider Woman leave these kivas and travel west to the ocean. On a floating island they approach the kiva of Huru'ingwuuti which is guarded by two angry pumas who are subdued by the potion. In the kiva, they are welcomed by the old woman who announces that the Sun Taawa will arrive shortly and eat with them. Taawa arrives burdened with the many offerings of his worshippers and the scalps of the fallen. He invites Tiyo to accompany him on his nocturnal journey through the underworld to the eastern kiva. The first stop in the underworld is the house of Muy'ingwa. After receiving his gift, Tiyo and Taawa continue east and stop at the house that Taawa shares with his brother Tayowa. Tiyo receives gifts from Taawa and is carried across the sky of the world to Huru'ingwuuti's kiva. She gives him gifts and sends him off to the Snake-Antelope people. Here a ceremonial is in progress and Tiyo is initiated in the Snake Ceremonial, given parts of the paraphernalia, a new name, and two women. One is to be his wife and the other his brother's wife. When they return to Spider Woman's kiva, she carries them up to the surface again to Tokoonavi. Here they get married, perform the Snake Ceremonial during which the Snake people of the underworld visit them and transform themselves into reptiles. After this, the two Snake women give birth to a lot of snakes who bite and kill the human children. The people then abandon them at Tokoonavi and migrate to the south. Tiyo's younger brother takes the Horn people on a separate route and he teaches them the Flute Ceremonial. Tiyo's group continues separately and ends their journey at Walpi where they are met and tested by Maasaw who gives them permission to live in his territory." (Geertz Ms.: 13)
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BIBLIOGRAPHIE Fewkes, J. Walter 1894 The Snake Ceremonials at Walpi. In: A Journal of American Ethnology and Archaeology 4, 106-124. Boston und New York. Geertz, Armin W. 1994 Snake Mythology (unveröffentlichtes Manuskript) Michaud, Philippe-Alain 1998 Aby Warburg et l'image en mouvement. Paris. Warburg, Aby 1998 Notes pour la conférence de 1923 sur ,1e rituel de serpent'. In: Philippe-Alain Michaud, Aby Warburg et l'image en mouvement, 247-280. Paris.
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Paul Ehrenreich Ein Ausflug nach Tusayan (Arizona) im Sommer 1898 (1899)
I. Die Moki-Indianer und ihre Hochsommerfeste Die großartigen ethnologischen Arbeiten der Nordamerikaner haben auf keinem Gebiete so reiche Früchte getragen, wie auf dem der Puebloforschung. Seit der Zeit der Expedition Coronados nach Neu-Mexiko und Arizona (1540), die den nördlichsten Vorstoß der Conquistadores bezeichnet, hat die eigentümliche Halbkultur der sogen. Pueblo-Indianer ihr Gepräge, trotz der allseitig sie umdrängenden modernen Civilisation, im wesentlichen bewahrt. Diese Indianerbevölkerung, die im Gegensatz zu den nomadischen Jägerstämmen des westlichen Nordamerika seit uralter Zeit Ackerbau treibt und in festen, steinernen Dorfanlagen eigenartiger Architektur haust, steht in ihrem Wesen heute nicht mehr so isoliert und rätselhaft da, wie man bis vor kurzem annahm. Wir wissen jetzt, daß die merkwürdigen Höhlen- und Klippenbewohner (Cliff dwellers) vorhistorischer Zeit, die ihre Spuren in den tief eingeschnittenen Flußthälern (Cañons) der Hochebenen hinterlassen haben, sowie die verschollenen Erbauer der großen, über viele Gebiete Arizonas zerstreuten Dorfruinen, als ihre direkten Vorfahren anzusehen sind. Ebenso haben sich interessante Beziehungen der Pueblokultur zu der aztekischen ergeben. Die größte wissenschaftliche Bedeutung des Studiums der heutigen Pueblobevölkerung liegt aber darin, daß wir in der Lage sind, den ganzen Kulturbesitz, das geistige Leben, die Religion und Symbolik derselben noch in zwölfter Stunde bis in die Einzelheiten kennen zu lernen, eine Möglichkeit, die uns in gleichem Maße kaum an einem anderen Punkte der Erde noch geboten ist. Wir verdanken dies den jahrelangen, mühevollen Arbeiten von Männern wie Cosmos Mindeleff, M. F. [sie] Stephen, J. G. Owens, J. W. Fewkes, F. H. Cushing und R. Voth. Mit Sicherheit ist zu hoffen, daß die noch vorhandenen Lücken innerhalb der nächsten zehn Jahre ausgefüllt werden. Dann dürfte freilich auch hier die letzte Stunde geschlagen haben, da die jüngere Generation mehr und mehr unter den Einfluß der amerikanischen Schulen gerät und den alten Traditionen der Väter abwendig gemacht wird. Obwohl die Pueblo-Indianer vier verschiedenen Völkerfamilien angehören, ist der Charakter ihrer Kultur doch ein relativ einheitlicher infolge der Gleichheit der Existenzbedingungen und eines seit Jahrhunderten bestehenden regen wechselseitigen Verkehrs, der namentlich auch Blutmischung in weitem Umfang mit sich brachte. Die heute zwischen den einzelnen Stämmen sichtbaren Unterschiede beruhen im wesentlichen auf der mehr oder weniger innigen Berührung mit der christlichen Kultur. Während die Bewohner der Pueblos von Neu-Mexiko am oberen Rio Grande del Norte, die Keres und Tanoa, fast drei Jahrhunderte lang unter spanischem Einfluß standen und so dem Namen nach Christen sind, wenn auch unter Beibehaltung eines guten Teiles altheidnischer Bräuche, hat bei den weiter westlich lebenden, einen besonderen Sprachstamm bildenden Zuñi im Gebiete des alten Cibola,
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das heidnische Wesen sich der Hauptsache nach erhalten. Die der Schoschonenfamilie angehörigen Hopi oder Moki im nördlichen Arizona, der von den Spaniern sogenannten Landschaft Tusayan, haben die altertümlichen Verhältnisse am treuesten bewahrt. Die abgelegene Lage ihres Gebietes, die große Unwirtlichkeit des Wüstenlandes haben dauernde Ansiedelungen weißer Männer bis auf die jüngste Zeit dort nicht aufkommen lassen. Spanische Missionen hielten sich nur ganz vorübergehend. Nur die von den Missionaren eingeführten Kulturpflanzen und Haustiere, namentlich Schafzucht, haben die Indianer als Kulturerrungenschaften von höchster praktischer Bedeutung erhalten und weiter gepflegt. Die sieben Mokidörfer liegen auf drei südlichen Ausläufern des vom oberen Colorado und seinen Nebenflüssen durchströmten Plateaus, die als die östliche, zweite oder mittlere und die westliche „Mesa"1 unterschieden werden. Als Hauptort der östlichen Mesa, an der äußersten Spitze derselben gelegen, ist Walpi gegenwärtig am besten bekannt. Einige hundert Schritte nördlich schließt sich daran Sitshumovi, eine kleine Kolonie von Walpi aus neuerer Zeit und endlich Hano oder Tewa, eine Kolonie eingewanderter Tanoaleute aus Neu-Mexiko, die, seit fast 200 Jahren hier ansässig, stark mit Moki gemischt sind, aber ihre Muttersprache bewahrt haben. Die zweite oder mittlere, gerade nach Süden gerichtet, gabelt sich in zwei Zipfel, von denen der östliche die Orte Shipaulovi und Mishongnovi trägt, auf zwei isolierten Tafelbergen. Auf dem westlichen erhebt sich Shimopavi. Auf der westlichen Mesa endlich liegt das größte und in der Anlage altertümlichste Dorf Oraibi. Meine vorjährige amerikanische Reise brachte mich Anfang August in die Nähe der Mokidörfer, gerade zu der Zeit, in der die großen Hochsommerceremonieen stattfinden, durch die die Indianer nach uralter Tradition für ihre Pflanzungen Regen und Gedeihen von den Göttern ihrer Väter erbitten. Diese wichtigsten Feste der Moki sind der Schlangen- und Antilopentanz einerseits und der Flötentanz (Flute ceremony) anderseits. Beide Feste stehen schon äußerlich insofern im Zusammenhange, als jedes Dorf, das in den geraden Jahren unserer Zeitrechnung einen Flötentanz abhält, in den ungeraden einen Schlangentanz feiert und umgekehrt. Von den sieben Mokidörfern haben Walpi und Mishongnovi den Schlangentanz in den ungeraden, den Flötentanz in den geraden Jahren, während Shimopavi, Shipaulovi und Oraibi die umgekehrte Ordnung innehalten. Nicht in Betracht kommen Sitshumovi, das als Kolonie von Walpi keine besonderen Feste feiert und Hano (Tewa), in dem als fremde Niederlassung diese Riten nicht heimisch sind. Zwei Priesterschaften2 sind es, die beim Schlangentanz zusammenwirken, nämlich die eigentlichen Schlangenpriester, die gleichzeitig einen besonderen Clanverband bilden und 1 Die spanische Bezeichnung Mesa bezieht sich eigentlich nur auf die isolierten, als Denudationsreste über der Ebene sich erhebenden Zeugenberge, wie sie in den Gebieten ungestörter Schichtung, besonders in den Wüstenländern beider Hemisphären so häufig sind. Die hier genannten Mesas sind nur scheinbar als solche anzusprechen, da sie nicht isoliert sind, sondern mit dem Hauptplateau zusammenhängen. Ihre Erhebung über der Ebene schwankt zwischen 120 und 200 m. Ihre Meereshöhe beträgt rund 2000 m. 2 Die Priester bilden keinen besonderen Stand neben den Laien. Es sind vielmehr Kultgenossenschaften, deren jede ein bestimmtes Kultobjekt und ursprünglich auch bestimmte Feste hat. Sie rekrutieren sich aus Mitgliedern sämtlicher socialen Gruppen (Clans, Phratrien). Sie sind gegenwärtig unabhängig von den Clanverbänden, haben sich aber jedenfalls aus solchen entwickelt. Sie bilden jetzt gewissermaßen religiöse Clans neben den socialen. Bei den Schlangen und Antilopen deckt sich noch so ziemlich der religiöse mit dem gesellschaftlichen Verband. Ein ziemlich vollständiges Verzeichnis der Priesterschaften giebt Fewkes im Journ. of Am. Ethn. II, p. 6 ff.
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die Antilopenpriester, eine Unterabteilung der Ala oder Hornphratrie. Beide stehen seit uralter Zeit in einem durch die Tradition geheiligten Kartell. Das Fest verläuft also in zwei parallelen Feierlichkeiten, die in dem Mais- oder Antilopentanz (Corn dance) einerseits und dem Schlangentanz anderseits gipfeln. Die innige Beziehung dieser Feste zum Flötentanz erhellt schon daraus, daß die Flötenbrüderschaft ebenfalls eine Gens der Hornphratrie bildet. Dasselbe lehrt der zu Grunde liegende Mythus. Tiyo, der Kulturheros der Moki, stieg hinab zu der Unterwelt unter Leitung der Erdgöttin. Er gelangt nach mancherlei Begegnungen mit mystischen Wesen unter anderen zum Schlangenvolk, von dem er in die Mysterien des Regenzaubers eingeweiht wird. Der Schlangenhäuptling giebt ihm zwei Jungfrauen mit, von denen die eine sein Weib, die andere das seines Zwillingsbruders wird. Letzterer ist kein anderer als der Flötenknabe, der Lenya-tiyo, der als Ahnherr der Flötenbruderschaft verehrt wird. Das Schlangenweib (Tshüamana), die Gemahlin Tiyos, gebiert schließlich Schlangen. Sie unterweist das Volk, wie es die Schlangen freundlich zu stimmen und Regen durch ihre Beihülfe herabzurufen habe und verläßt schließlich mit ihren Schlangenkindern das Land3. Daß die in den dramatischen Akten beider Feste auftretenden mythischen Persönlichkeiten genau einander entsprechen, daß dieselben sich auch bei den Herbstfesten Mamzrauti und Lalakonti in analoger Weise wiederfinden, ist von Fewkes in überzeugender Weise dargelegt worden. (Vergi. XVI, Ann. Rep., p. 300 ff.) Die klassische Heimstätte des Schlangentanzes ist Walpi. Hier ist die Priesterschaft am stärksten vertreten und im alleinigen Besitz des heiligen Palladiums (Tiponi). Sie feiert deshalb das Fest mit besonderem Glänze und äußerst verwickeltem esoterischem Ceremoniell. Die erste ausfuhrliche Schilderung dieses merkwürdigen, echt urwüchsigen barbarischen Festes, an dessen Haupttage die Priester mit giftigen Schlangen sich zu schaffen machen, als wären sie harmlose Haustiere, hat im Jahre 1883 J. G. Bourke in seinem bekannten Werke: The Moki snake dance, gegeben. Später stellte sich heraus, daß auch die übrigen größeren Dörfer das gleiche Fest, wenn auch minder glanzvoll, begehen und daß sich auch in einigen der Pueblos von Neu-Mexiko Schlangenceremonieen nachweisen lassen. Wahrscheinlich ist indeß dieser Kult dort den Moki entlehnt worden4. Neuerdings haben namentlich die Arbeiten von J. W. Fewkes, der die dem Tanze vorausgehenden Geheimceremonieen zuerst in Walpi vollständig beobachtete, wie auch auf den Dörfern der mittleren Mesa, Mishongnovi, Shimopovi und Shipaulovi, eingehende Studien des Rituals angestellt hat, unsere Kenntnis soweit gefordert, daß der Schlangentanz gegenwärtig die am besten bekannte religiöse Feier in Tusayan ist. Nur für Oraibi, dem größten Dorfe, waren die Beobachtungen bisher überaus lückenhaft, da der einzige genaue Kenner der dortigen Verhältnisse, Missionar Voth, seine umfassenden Materialien noch nicht veröffentlicht hat. Das Ritual von Oraibi ist wahrscheinlich das altertümlichste und deshalb von besonderem Interesse. Das Studium desselben wird erschwert durch die fanatisch abweisende Haltung eines Teiles der Priesterschaft, die von
3 Die Sage ist in verschiedenen Varianten überliefert. Die ausführlichste Darstellung hat Fewkes gegeben, Joum. of Am. Ethn. IV, p. 106 ff. Eine kürzere in vielen Punkten abweichende ist von A. M. Stephen im Journ. of Am. Folklore in I, S. 109 ff. mitgeteilt. 4 Fewkes, XVI. An. Report., p. 306.
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einem Vekehr mit den Weißen nichts wissen will. Die liberaler gesinnten halten sich zum Teil von den Festlichkeiten fern, die deshalb an äußerem Glanz auch schon durch die geringere Zahl der Teilnehmer denen zu Walpi nachstehen. Da es mir gelungen ist, durch Herrn Voths Beihülfe wenigstens die wichtigsten Geheimceremonieen in Oraibi zu sehen, zu dem außer letzterem kein weißer Zuschauer bisher zugelassen wurde, bin ich in der Lage, im Folgenden wenigstens einen bescheidenen Beitrag zur Kenntnis des Schlangenrituals von Oraibi zu liefern. Ich nehme daher an dieser Stelle die Gelegenheit wahr, den Herren, deren liebenswürdige Unterstützung mit Rat und That mir diese Episode meiner Reise so genußund lehrreich gestaltet hat, meinen tiefgefuhlten Dank hiermit auszusprechen. Außer Herrn Rev. Voth sind es Dr. Fewkes und Dr. Hough in Washington, Herr Vroman und Prof. Wharton James aus Pasadena [...], und endlich auch unsere Landsleute, die Herren Gebr. Volz in Canyon diablo, deren treffliche Arrangements über die Beschwerden der Reise hinweghalfen. Sie seien jedem Besucher dieses interessanten Erdreiches als zuverlässige Berater hiermit bestens empfohlen.
II. Nach Oraibi Der gewöhnlichste Ausgangspunkt für die Reise zu den Mokidörfern war bisher Holbrook, eine Station der Atchison-Topeka-Santa-Fé-Bahn. Der Weg führt von hier in fast genau nördlicher Richtung nach Keams Canyon (90 miles), wo sich eine von der Regierung eingerichtete Indianerschule befindet und wendet sich dann westlich nach den Dörfern der sogen, ersten (östlichen) Mesa, Walpi, Sitshumovi und Tewa (10 miles). Bis Oraibi rechnet man von dort noch 20 miles (s. Karte Abb. 1). Wer direkt nach Oraibi will, bevorzugt jetzt die neue Route über Canyon diablo, einer kleinen Haltestelle zwischen Winslow und Flagstaff, seitdem die deutschen Trader, Gebrüder Volz, daselbst einen regelmäßigen Verkehr mit Oraibi eröffnet haben. Einmal wöchentlich geht von hier ein Wagen mit Handelsartikeln nach den Mokidörfern ab. Für Reisende können außerdem Pferde, Zelte, Provisionen u. dergl. eventuell von Flagstaff aus besorgt werden. Die 73 englische Meilen betragende Strecke wird gewöhnlich in zwei Tagen zurückgelegt. Halbwegs ist in der Nähe einer kleinen Lagune, die von wandernden Navaho viel besucht wird, ein Geschäftshaus (Store) errichtet, wo bescheidene, aber ausreichende Unterkunft gewährt wird. Der Platz heißt nach der weiten Ebene The Fields. Ein zweites kleineres Magazin ist von Gebr. Volz 5 km südlich von Oraibi angelegt. Der wichtigste Exportartikel der Moki und Navaho ist Schafwolle, daneben indianische Decken, Körbe, Topfgerät, die an allen Eisenbahnstationen, besonders aber Flagstaff, guten Absatz finden. Im Sommer 1898 hatte die Bahndirektion in Chicago eine vollständige Gesellschaftsreise zu den Sommerceremonieen in Oraibi veranstaltet. Ein eigens dafür geschriebenes, hübsch illustriertes Büchelchen des bekannten Tusayanforschers, Dr. Hough in Washington, über die Moki und ihre Schlangenmysterien „The Moki snake dance" trug dazu bei, die Sache in weiteren Kreisen bekannt zu machen, so daß sich etwa 30 Personen zu dieser Tour zusammenfanden. Die speciellen Arrangements hatte Herr F. Volz übernommen.
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Abb. 1. Die Wege zu den Moki-Pueblos.
Die Partie sollte programmmäßig am 20. August in Oraibi eintreffen. Ich beschloß daher, mindestens zehn Tage früher dort abzureisen, um noch einige Tage ungestört im Verkehr mit dem Missionar, Herrn Voth, meinen Studien obliegen zu können. Die Haltestelle Canyon diablo zählt nur drei Häuser, von denen zwei hölzerne den Bahnbeamten dienen, während ein steinernes in einiger Entfernung von der Bahn das Volzsche Geschäft beherbergt. Der Platz liegt am linken Abhänge des 30 m tiefen, stark gewundenen Canyon, den die Eisenbahn auf einer kühnen, leichten Brücke überschreitet. Der im Sommer größtenteils ausgetrocknete Bach im Grunde des Canyon fließt in den kleinen Colorado-River, dessen tiefgrüner Galeriewald fern im Norden sichtbar ist; im übrigen ist die Landschaft ringsum baumlos, öde, steinig. Nur Gestrüpp von Artemisien, Wacholder und andere Wüstensträucher schmücken sie mit saftigem Grün. Dennoch ist die Rundsicht großartig und stimmungsvoll. Im Westen erhebt sich die herrliche Vulkangruppe der San Francisco-Mountains, im Norden und Nordosten breitet sich die bunte, schimmernde Wüstenlandschaft aus, unter deren Tafelbergen die pittoresk aufragenden Moki buttes am meisten ins Auge fallen. Der Weg nach Oraibi folgt drei Stunden lang dem Laufe des Canyon diablo an dessem rechten Rande bis zu seiner Mündung in den Little Colorado, der auf einer Furt passiert wird. Bei Hochwasser kann dies Schwierigkeiten machen, da die Ufer stark unterspült werden. Ein zwischen Bäumen ausgespanntes Drahtseil dient nötigenfalls zum Hinüberschaffen des Gepäcks. So wenig einladend das dicke, braunrote Lehmwasser sein mag, so oft sehnt man sich später in der dürren Einöde nach ihm zurück. Denn nun geht es in die eigentliche
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Wüste des „painted desert" hinein. Langsam ansteigend erreichen wir über eine Art Paß ein von wallartigen Höhen umgebenes sandiges Thal, von dessen Ausgange man eine weite Ebene, die erwähnten „Fields", übersieht. Die von grünem Gras und Röhricht umgebene Lagune erfreut das Auge wieder. Im Norden öffnet sich zwischen schroffen roten Sandsteinmauern das weite Thal von Oraibi, während im Osten die Gipfel der Moki buttes näher rücken. Einige hundert Schritt von der Lagune liegt die einfache Holzbaracke der Volzschen Filiale, deren Verwalter, ein Deutsch-Amerikaner, auf das gastfreundlichste Obdach gewährt. In dem einfachen Wohnraume bieten aufgeschichtete Navahodecken ein bequemes Nachtlager. Weniger angenehm war der als Küche und „Speisesaal" dienende Keller, dessen einzige Luke gleichzeitig als Ausguß für Abfalle und Spülicht diente, während Hunde ungeniert aus- und eingingen. In der Nähe der Lagune kampierten einige Navahofamilien in ihren primitiven Sommerhütten. Letztere bestehen einfach aus einem halbkegelförmigen Gestelle von Stangen, mit Gras und Schilf bedeckt. Eine größere, festere Hütte, das eigentliche „hogan", ist ein ebenfalls kegelförmiger, über einer 1 m tiefen, 2 bis 3 m im Durchmesser haltenden Grube errichteter Stangenbau mit Dach aus Gras und Holzscheiten, zu dem eine Art Portal fuhrt. Diese Hütte diente vereinzelt hier passierenden Navahos als Hotel. In allen Hütten waren die Weiber am Webeapparat beschäftigt, während die Männer sich im Kamp mit ihren Pferden zu schaffen machten. Der nächste Tag (14. August) brachte Hitze, Staub und Durst in Fülle. Vier Stunden lang ging es auf die Mündung des Oraibithales zu. Die festungsartig aufragenden roten Felsen des Monument Point blieben zu unserer Linken. Das Thal liegt zwischen den steilen Abhängen zweier flacher Mesas. Der Grund ist sandig, mit dichtem Gestrüpp bedeckt. Erst nach zwei weiteren Stunden zeigte sich rechts am Bergesabhange die spärliche, aber gutgefaßte Quelle Burro Spring. Hier stehen auch schon die ersten Mokihütten, freilich keine einheimischen, sondern von der Regierung in moderner, nüchterner Bauart errichtete, mit denen man hofft, allmählich die Indianer von ihren Felsennestern in die Ebenen und an das Wasser locken zu können. Etwas weiter aufwärts liegen ein paar kleine Maisfelder, umgeben von wunderlichen Vogelscheuchen und Amuletten. Außer den Vögeln machen auch die Springmäuse den Indianern viel zu schaffen. Die meiste Arbeit aber verursachen die Sandstürme, nach denen die Pflanzen mühsam wieder ausgegraben werden müssen. Bei frisch gepflanzten Stämmchen liegen Steine, die „die Feuchtigkeit anziehen sollen". Bald stellen sich auch einige der halbnackten Feldarbeiter ein, um Tabak, Kaffee oder Zucker bettelnd, spanischer Brocken bedienen sie sich dabei häufiger als englischer. An den Bergabhängen erblickt man häufig Höhlen, vor denen sich mit Feldsteinen eingefriedete Räume befinden. Sie dienen den Navahos und Mokis als Viehställe. Um fünf Uhr nachmittags tauchte endlich die Mesa von Oraibi vor uns auf (Abb. 2). Die übereinander geschichteten graugelben Steinhaufen des Ortes mit ihren spärlichen Fensterund Thüröffnungen sind nur schwer von dem verwitterten Felsboden zu unterscheiden. An der westlichen Thalwand sind ausgedehnte Felsflächen mit Petroglyphen bedeckt, meist Totemzeichen der Moki, über deren Wesen und Bedeutung Fewkes eine erschöpfende Darstellung gegeben hat. Eine halbe Stunde später erreicht man die Schuppen des zweiten Volzschen Depots bei einem neu angelegten Brunnen mit Trinkwasser, 5 km vom Fuße der Mesa, umgeben von
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Abb. 2. Ansicht von Oraibi. Originalauftiahme von Prof. Wharton James.
Mais- und Pfirsichpflanzungen. Einige berittene Indianer in Kattunhemden, bunten Kopftüchern, mexikanischen Beinkleidern, den Hals mit dicken Silberketten geschmückt, reiten grüßend vorüber. Nach kurzem Aufenthalte wandten wir uns der östlichen Seite der Mesa zu und gelangten endlich bei Sonnenuntergang zum gastlichen Hause des Missionars Voth, im Thale zwischen der zweiten (mittleren) Mesa und der von Oraibi, 5 km von letzterer gelegen. Rev. R. Voth, ein deutscher aus Südrußland eingewanderter Mennonit, ist gegenwärtig unstreitig der beste Kenner des Mokivolkes, speciell der Leute von Oraibi. In der richtigen Voraussetzung, daß eine ersprießliche Missionsthätigkeit nur bei genauester Kenntnis der Sprache und der religiösen Anschauungen dieser Indianer möglich ist, hat er fünf Jahre lang Sprache und Sitte derselben studiert, alle ihre religiösen Ceremonieen ins Detail verfolgt, ethnologische und besonders rituelle Objekte gesammelt. Außer seiner Lehrthätigkeit gab ihm eine ausgedehnte ärztliche Praxis noch besonders Gelegenheit, in alle Verhältnisse einzudringen. Die großen Stöße seines handschriftlichen, durch zahllose Zeichnungen und Photographieen erläuterten Materials harren jedoch noch der Veröffentlichung. Seine ethnologischen Schätze barg der Bodenraum seines einfachen Hauses5. Ihrer Besichtigung wurde in den nächsten Tagen jede freie Stunde gewidmet. Während ich im Missionshause, wo eine deutsche Hausfrau, unterstützt von ihrer erwachsenen Toch-
5 Sie sind neuerdings in den Besitz des Field-Museums in Chicago übergegangen.
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ter, auf das liebenswürdigste ihres Amtes waltete, Quartier nahm, hatte es sich draußen eine andere Gesellschaft, die direkt vom großen Colorado-Canyon herübergekommen war, im offenen Kamp bequem gemacht. Es waren Prof. Wharton James aus Pasadena, und der Photograph Mr. Maude aus Los Angeles, beide bekannt als die Verfertiger der besten und instruktivsten Lichtbilder aus dem Mokileben und ihrer Kultur. In ihrer Begleitung befand sich ein etwas vom Spleen geplagter englischer Globetrotter und Japanschwärmer. Andere officielle Festteilnehmer, wie der Regierungsagent der ganzen Moki- und Navaho-Reservation, Major Williams nebst Gefolge, hatten sich in den Schulgebäuden am Fuße der Mesa einquartiert. Der nächste Tag (15. August) wurde zu einer orientierenden Besichtigung der Indianerstadt verwendet, die vom Missionshause aus zu Fuß in einer, zu Wagen in etwa dreiviertel Stunden erreichbar ist. Der Fahrweg endet etwa 20 m unterhalb der Höhe. Oben eröffnet sich ein überraschendes Panorama über die westliche und mittlere Mesa und die weiten, in der Ferne von den San Francisco-Mountains und den steilen Moqui buttes überragten Wüstenebenen, ein Bild großartiger Einöde. Der Ort selbst, die größte und volkreichste Ansiedelung in Tusayan, mit seinen 900 bis 1000 Einwohnern, fast die Hälfte der gesamten Mokibevölkerung beherbergend, besteht aus sieben von Nordosten nach Südwesten laufenden Häuserreihen, deren jede in zwei bis drei Blocks zerfällt. An der südöstlichen Seite befindet sich am Rande der Mesa der Festplatz mit den Kivas, den unterirdischen Versammlungsräumen der Antilopen- und Schlangenpriester. Außer diesen sind noch 11 weitere Kivas vorhanden (siehe Abb. 36). Die Häuser jeden Blocks gehen nach beiden Seiten durch. Der Grundriß des einzelnen Hauses ist rechteckig, oft annähernd quadratisch. Durch Anbauten und Aufsetzen von ein bis zwei Stockwerken entwickelt sich allmählich ein terrassenförmiger Block, dessen Stockwerke durch Leitern zugänglich sind. Nur die einstöckigen Häuser neueren Stils sind direkt von der Straße aus betretbar, bei den mehrstöckigen dient das untere, von außen abgeschlossene Geschoß als Vorratsraum. Die flachen Dächer, von einer Brüstung umgeben, dienen als Trockenböden. Indem die oberen Stockwerke etwas zurücktreten, wird durch das darunter liegende Dach des nächstunteren Geschosses eine Art Plattform gebildet, von der aus eine Thür in das obere Stockwerk führt. Bisweilen liegt vor derselben noch eine kleine Veranda mit der charakteristischen T-förmigen Eingangsöffnung. Zu den oberen Stockwerken fuhren an den Kanten der Seitenmauern steinerne Stufen empor (vgl. Mindeleff, VIII. Ann. Report., p. 161). Die Mauern bestehen aus flachen, mit Lehm verschmierten Steinen, innen und an den oberen Geschossen auch außen weiß getüncht. Die Dächer, aus starkem Balkenwerk, sind mit einer harten Lehmschicht überkleidet. Die Fensteröffnungen sind klein und unregelmäßig. Die ganze terrassenförmige Anlage erinnert sehr an die ossetischen Dörfer des Kaukasus. Wie bei diesen dienen aufeinander gesetzte, durchbohrte Töpfe als Essen. 6 Diese Räume sind gewöhnlich 6 bis 8 m lang, halb so breit und 3 bis 4 m hoch. Sie gehören entweder einer socialen Gruppe oder einer Priestergenossenschaft an, deren Namen sie tragen. Früher ausschließlich religiösen Ceremonieen geweiht, dienen sie jetzt auch einfach als Versammlungs- und Arbeitsraum der Männer der betreffenden Genossenschaft. Sie kommunizieren mit der Außenwelt durch eine viereckige Öffnung im Dache, durch die eine Leiter hinabführt. Die Öffnung ist oben von einem steinernen Aufbau umgeben, zu dem Stufen fuhren. Über Konstruktion und innere Einrichtung vgl. Mindeleff in VHIth. Annual Report, p. 130 ff.
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Abb. 3. Platz in Oraibi mit Eingangsöffnungen der Kivas. Originalaufhahme von Prof. Wharton James.
Die innere Einrichtung des Hauses 7 ist sehr einfach. Sie beschränkt sich auf die Anlage einer Feuerstelle mit Rauchfang in einer Ecke, aufgemauerten Bänken als Sitz und Lagerstätte, sowie einer Einrichtung zum Kornmahlen. Diese besteht aus meist drei nebeneinander angelegten quadratischen, aus Steinplatten gebildeten Fächern, die Mahlsteine enthalten. Dahinter eine niedrige Bank, auf der die mahlenden Weiber knieen. Dazu kommen Wassergefaße verschiedener Größe, Webeapparate, sowie neuerdings in den meisten Häusern ein von der Regierung gestifteter eiserner Kochofen. Kleider, Decken, Sättel, Geschirre und andere Utensilien hängen an starken, von Wand zu Wand ziehenden Querbalken. Die Bevölkerung, obwohl weniger von der Kultur beleckt als die anderen Pueblos, kam uns bei aller anfanglichen Zurückhaltung doch schließlich gastfrei und zutraulich entgegen, besonders, wenn ein so vorzüglicher Sprachkenner, wie Herr Voth, den Dolmetscher machte. Die Männer sind, soweit nicht die Vorbereitungen zu den Festtagen sie in Anspruch nehmen, tagsüber auf ihren Pflanzungen beschäftigt. Desto zahlreicher sieht man die Kinder in ihren mannigfachen Spielen und den Fremden unermüdlich um „Kandis" (Zucker) bittend. Alle machen einen freundlichen, wohlerzogenen Eindruck, werden aber leider nicht genügend reinlich gehalten. Allerliebste nackte Knaben üben sich emsig im Bogenschießen nach kleinen, in die Höhe geworfenen Maisblattringen. 7 Vgl. Globus, Bd. 65, S. 253.
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Abb. 4. Mädchen von Oraibi. Originalaufnahme von Prof. Wharton James.
Etwas scheuer sind die jungen, zum Teil recht hübschen und manierlichen Mädchen, in ihrem Wesen und Gesichtsausdruck sehr an die Japanerinnen der niederen Klassen erinnernd. Ihre Tracht ist recht malerisch und geschmackvoll. Sie besteht aus einem bis unter die Wade reichenden Rock aus starkem, wollenem Gewebe von dunkelblauer Farbe, oben und unten meist von einem zwei Hände breiten, schwarzen Streifen mit grünem Saum gefaßt. Das Kleid läßt die linke Schulter frei, während es auf der rechten mit grüner Faser zugeschnürt ist. Es wird von einem zierlichen, rot, grün und schwarz gemusterten Gürtel zusammengehalten, die Füße stecken in ledernen, bis über das Knie heraufreichenden Mokassins. Die Unterschenkel sind mit Binden umwickelt. Das auffälligste Merkmal der Moki-Jungfrauen ist jedoch die Haartracht. Das rabenschwarze Haar wird nämlich zu beiden Seiten des Kopfes über den Ohren zu zwei mächtigen runden Wülsten zusammengenommen, deren Unterlage ein hufeisenförmig gekrümmtes dünnes Holz- oder Rohrstück bildet. Ein über den Hinterkopf gehendes gedrehtes schwarzes Wollband hält die ganze Frisur zusammen. Kommt dieselbe in Unordnung, so stehen die sich lösenden Wülste oft wie ein paar Widderhörner von dem Kopfe ab. Nach Lummis („Strange corners", p. 57) sollen diese Haarscheiben die verschlossene Blüte der Sonnenblume als „enblem of maidenhood" darstellen, während die beiderseits herabhängenden, mit Schnüren umwickelten Haarrollen der verheirateten Frauen die lange geschlossene Blüte dieser Pflanze repräsentieren (Abb. 4). Die Männer tragen das Haar als kurzen Zopf, dessen Ende mit einem bunten Zeugstreifen nach oben gebunden ist. Während der Arbeit meist nur mit einem einfachen Lendenschurz bekleidet, tragen sie im Orte Kattunhemden und an der Seite aufgeschnittene Beinkleider von mexikanischem Schnitt nebst ledernen Mokassins.
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Bei beiden Geschlechtern sieht man reichen, schweren Silberschmuck, den die Navaho liefern. Von letzteren beziehen sie auch die schönen, in buntem Zickzackmuster gewebten Decken, die, bei kühlem Wetter umgelegt, dem Träger ein überaus stattliches Äußere geben. Bemerkenswert ist, daß bei den Moki den Männern die Weberei obliegt, während die Weiber den Hausbau besorgen. Außerdem kommt natürlich den ersteren der Ackerbau, den letzteren die Sorge für die Küche, namentlich aber das überaus mühsame Wassertragen zu. Unermüdlich schleppen sie auf dem Kopfe in irdenen Gefäßen das Wasser von weit her im Thale auf die steile Mesa. Wir hatten Gelegenheit, eine Frau bei der Zubereitung eines Maispuddings zu beobachten. Hinter dem Hause befand sich eine viereckige, zwei Fuß tiefe und keinen Fuß breite, mit flachen Steinen ausgelegte Grube (also eine Art Steinkiste), die man durch eingelegtes Feuer stark erhitzt hatte. Nach Ausräumen der glühenden Kohlen wurde die aus Maisbrei und aus süßen Kartoffeln bestehende Masse in einem blechernen Gefäße hineingestellt, und der Backofen durch eine Steinplatte mit darüber gelegter Erdschicht verschlossen. An dem nächsten Tage wurde der nunmehr gare Pudding herausgenommen, um zu dem später zu erwähnenden Taufschmause zu dienen. Für den Alltagskonsum stellen die Moki aus Mais ein eigentümliches schwarzes Brot her, das verkohlten Papierrollen nicht unähnlich sieht. Dünne Teigfladen werden auf heißen Steinen gedörrt und zusammengerollt.
III. Die Vorbereitungen zum Schlangentanz Die offizielle Ankündigung des Schlangenfestes hatte bereits am 6. August stattgefunden, womit dasselbe thatsächlich eröffnet war, doch beschränken sich die Ceremonieen der ersten neun Tage auf beratende Versammlungen, die Bereitung des heiligen Medizinwassers (Charm liquid) und die Anfertigung von Gebetsfederstäben (Bahos8). Erst am 16. August, dem sechsten Tage vor dem Tanze, begann die Reihe der eigentlichen esoterischen Ceremonieen in den unterirdischen Räumen der Kivas. Im Gegensatze zu der Priesterschaft von Walpi, die neuerdings nicht selten befreundeten weißen Besuchern den Zutritt gestattet hat, sucht diejenige von Oraibi ihre Mysterien noch ängstlich profanen Blicken zu entziehen. Eine Ausnahme wurde nur mit Herrn Voth gemacht, der bereits in alle Dinge eingeweiht war. Major Williams suchte anfangs mit Recht die Indianer in ihrer ablehnenden Haltung zu unterstützen, erwirkte aber schließlich auf Voths Verwendung auch für mich die Erlaubnis, die Schlangen- und Antelopenkiva zu betreten, wogegen er versprach, kraft seiner Autorität jeden anderen Weißen zurückzuhalten. Es handelte sich zunächst darum, dem Abmarsch der Schlangenfänger beizuwohnen, der gegen acht Uhr morgens zu erwarten war. Sechs photographische Apparate waren auf
8 Das Baho besteht aus zwei kurzen Stäbchen, der Länge nach mit Sprossen gewisser Kräuter, und zwei bis drei Federn zusammengebunden. Das Ganze ist mit einem Stück Maisblatt umwickelt, das gleichzeitig ein wenig Mehl enthält. Für die Länge der Stäbchen und die Art der verwendeten Federn bestehen je nach der heiligen Handlung, für die der Baho bestimmt ist, besondere Vorschriften.
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Abb. 5. Rückkehr der Schlangenjäger in die Kiva. Originalaufhahme von P. Ehrenreich.
den Eingang der Kiva gerichtet, auf dessen Steinvorbau, gravitätisch in eine Decke gehüllt, der fanatische Oberpriester saß, ein mürrisch dreinschauender alter Herr. Zur bestimmten Stunde entstiegen der Öffnung die sechs Schlangenjäger. Sie trugen den weißen, grün und rot gestickten Ceremonialschurz. Der nackte Oberkörper war mit hell braunroten Streifen bemalt. Ihre Ausrüstung bestand in einer Hacke, einem Ledersacke zur Aufbewahrung der ausgegrabenen Schlangen und der sogenannten Schlangenfeder (Snake whip9), mittels der man die Schlange zum Fortkriechen nach einer bestimmten Richtung zwingt, besonders wenn sie sich zum Bisse zusammenrollt. Schnellen Schrittes verlassen die Jäger im Gänsemarsche das Dorf und teilen sich draußen in zwei oder drei Partien. Die Jagd wird an vier aufeinander folgenden Tagen jedesmal nach einer anderen Himmelsgegend, in der Reihenfolge Norden, Westen, Süden und Osten, unternommen. Durch mehrtägiges Fasten und ceremonielles Rauchen bereiten sich die Schlangenfanger auf ihre Aufgabe vor (Abb. 5). In Oraibi hat noch kein Weißer die Leute bei ihrer Arbeit gesehen, wohl aber gelang dies in Walpi, worüber Fewkes Näheres mitteilt (Journ. of Amer. Ethn. IV, p. 44). Auf einem weiteren Rundgange durch das Dorf erhandelte ich einige Katshina-Puppen (Tihu), was größere Schwierigkeiten machte, als ich erwartet hatte. Sie gehören eben den Kindern, die sich nicht leicht von ihrem Spielzeuge trennen. Diese Katshina sind übernatür9 Diese Snake whip besteht aus einem am Ende zugespitzten, etws 20 cm langen Pappelholzschaft mit zwei bis drei daran befestigten Adlerfedem, auf dem das Bild einer Schlange eingeschnitten ist.
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liehe Wesen, teils Gottheiten niederen Ranges, teils Personifikationen von Ahnen der Clangenossenschaften, deren Feste die Jahreshälfte zwischen Winter- und Sommersolstitium ausfüllen. Sie sind charakterisiert durch bestimmte Masken und Symbole. Die Puppen stellen nicht die Gottheiten selbst, sondern die mit den entsprechenden Masken versehenen Tänzer dar und werden den Kindern gegeben, damit diese die betreffenden Symbole und Legenden kennen lernen. Sie bilden ein wichtiges Hülfsmittel fur das Studium der Mokimythologie, doch haben neuerdings in Form und Bemalung derselben willkürliche Neuerungen Platz gegriffen.10 Auch vor der Stadt gab es allerlei zu beobachten; so das Brennen der Töpfe mittels darüber angehäufter Düngerfladen. Die besten keramischen Arbeiten werden jedoch nicht hier, sondern auf der östlichen Mesa im Tewadorfe Hano angefertigt. Dagegen ist Oraibi noch heute unbestrittener Hauptort für die Korb- und Tellerflechterei, doch hat die Verwendung importierter Farben zur Dekoration dieser Industrie Abbruch gethan. Diese Preise sind übrigens relativ hoch. Unter einem Dollar war kein Stück erhältlich. An der Nordseite des Ortes stehen zahlreiche einstöckige Einzelhäuser zur Aufbewahrung der Vorräte an getrockneten Pfirsichen, ferner findet sich dort eine Anzahl alter Cisternen, angelegt in natürlichen Felsspalten und Höhlungen, deren Boden durch eine getrocknete Lehmschicht undurchlässig gemacht ist. Kleinere, aus Feldsteinen gebildete Gebets- und Opfernischen (engl, shrines) finden sich überall ringsum zerstreut. Alle enthalten Gebetsträger (Baho) und Nakwakwa-Federopfer, einfache Baumwollschnüre mit daran gebundenen Federn. Diejenigen der Schlangenpriester sind durch ihre rote Farbe gekennzeichnet. Ein heftiger Gewitterregen zwang uns, die Kiva wieder aufzusuchen. Wir fanden dort die Schlangenjäger ziemlich mißmutig vor. Ihre Ausbeute war sehr gering gewesen, da auf dem erweichten Boden die Spuren der Reptilien nicht erkennbar waren. Natürlich hatte unsere profane Gegenwart den Mißerfolg verschuldet. In der Nacht (16./17. August) bot sich Gelegenheit, einer „Kindtaufe"11 beizuwohnen. Obwohl wir schon um 3 Uhr morgens auf der Mesa eintrafen, hatten wir doch den ersten Akt, die Waschung der Mutter, versäumt12. Dieselbe saß bei unserer Ankunft am Feuer, um für das Festmahl am Morgen Sorge zu tragen. Das in Decken gewickelte Kind wurde von der Großmutter gehalten, die nun die Glückwünsche der von allen Seiten eintreffenden Verwandten und Freundinnen entgegen nahm. Innerhalb der nächsten Stunde erschienen auch nacheinander acht dieser „Tanten". Eine jede nahm das Kind, wickelte es aus und wusch das arme Würmchen trotz seines Schreiens und Sträubens in einer großen Schale mit kaltem Wasser, das sie selbst zu diesem Zwecke in einem Gefäße mit sich gebracht hatte.
10 Es war eine Hauptaufgabe Voths, die ursprünglichen Formen der Katshinas nach Angabe der älteren Priester wieder festzustellen. Das von Fewkes gegebene Verzeichnis mit vielen Abbildungen ist deshalb nicht in allen Punkten richtig. Vergi. Intern. Archiv f. Ethn. III, S. 215 ff. 11 Vergi. Owens, Natal Ceremony of the Hopi. Joum. of the Amer. Ethn. II, p. 163 ff. 12 Diese wurde in der folgenden Nacht bei einer anderen Gelegenheit von Frau Voth beobachtet. Dieselbe berichtet darüber Folgendes: die Mutter, eine Primipara, wurde, nachdem ihr von der Schwiegermutter der Kopf gewaschen war, einer Räucherung unterworfen. Zu diesem Zwecke wird eine Abkochung von Cederund Wacholderblättern auf heiße Steine geschwitzt. Die Frau läßt die umhüllenden Decken seitlich nieder, stellt sich über den aufsteigenden Dampf und wäscht sich endlich in demselben Dekokt Arme und Beine. Alle Gefäße und der Fußboden werden dann sorgfaltig gereinigt und der Kehricht herausgetragen. Bei der folgenden Gebetsceremonie trägt die Mutter, als primipara, den weißen, grün gestickten Hochzeitsmantel.
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Vorher bewegte sie zwei Maiskolben vor der Brust des Kindes hin und her, Gebete murmelnd und Wünsche aussprechend, wie etwa: „Mögest Du langes Leben haben", „mögest Du gesund und kräftig bleiben" u.s.w. Der Sitte nach giebt jede Frau dem Kinde einen besonderen Namen nach ihrer Wahl. Nach jedem dieser acht Bäder wurde der Knabe immer wieder sorgfältig eingewickelt, um in wenigen Minuten trotz seines Sträubens wieder in das kalte Bade zu kommen. Von den vielen Namen behält das Kind schließlich denjenigen, der sich am schnellsten einbürgert. Nach dieser Waschung zog die Frau mit ihrer Mutter und dem Kinde hinaus an den Rand der Mesa, um die aufgehende Sonne, den Gott Tawa, feierlich zu begrüßen. Es war ein überaus wirkungsvolles Bild, wie die beiden Frauen, in ihrer malerischen Gewandung im Morgengrauen auf dem einsamen Fels stehend, mit andächtigem Gebet das heilige Maismehl den ersten Sonnenstrahlen entgegen stäubten. Die Namen des Kindes wurden dabei fortwährend wiederholt, doch schien die Mutter sich bereits auf einige derselben nicht mehr besinnen zu können. Nach Hause zurückgekehrt, öffnete die Mutter bei Eintritt der Tageshelle den erwähnten Backofen und es begann alsbald das Taufmahl, zu dem alle Nachbarn geladen waren. Wir benutzten den Morgen zu einem nochmaligen Besuche der Schlangenkiva. Die Leiter zu derselben war mit zahlreichen sogen. Nakwakwa-(Kwoci-)Fäden und daran befestigten Federn bewickelt, die hier als Talisman zu betrachten sind. Sie sollen verhindern, daß jemand herabfällt. Ebenso bringt man solche den Schlangen dar, damit sie nicht beißen. Auch den Pferden befestigt man sie am Schwänze, um sie zahm zu machen. Am Ende der Zelle waren inzwischen die beiden Schlangengötzen aufgestellt, deren Besichtigung uns indeß noch nicht gestattet wurde. Rings herum lagen noch die Fänger im Schlafe. Nur der alte Chef saß feierlich rauchend in der Mitte. Bald darauf erhoben sie sich, wuschen sich den Körper und ihr langes Haar mit Seifenkrautaufguß, legten ihre „Kilts" an und verließen der Reihe nach den Raum. Auch diesmal war, wie wir hörten, die Jagd unergiebig, da ein heftiger Sandsturm sich erhob, was den alten Fanatiker wieder zu grimmigen Äußerungen über den bösen Einfluß der Weißen veranlaßte. Der Nachmittag wurde mit Studien am Missionshause ausgefüllt. Leider versäumte ich dabei ein Leichenbegängnis, über das ich daher nur nach Mitteilungen des Herrn Voth berichten kann. Der Leichnam wird bald nach dem Tode in seine besten Kleider gehüllt in eine der natürlichen Felsspalten an den Abhängen der Mesa unter Steinen beigesetzt oder auch vergraben. Es geleiten ihn nur die nächsten Verwandten, die vorher ein Totenmahl abgehalten haben. Die Gefäße mit Speise und Wasser werden auf das Grab gestellt. Am vierten Tage werden besondere Bahos darauf niedergelegt, deren nach Westen gerichtete Federn der Seele den Weg zeigen. Nicht nur den Menschen, sondern auch Tieren wird ein feierliches Begräbnis zu teil, nämlich den Adlern, die im Frühjahre eingefangen auf den Dächern der Häuser an einer Stange gefesselt gehalten werden und ihre Federn zu rituellen Zwecken hergeben müssen. Zur Zeit des Sommersolstitiums, am Tage nach dem Feste Niman Katshina, dem Auszug der Katshina, werden sie durch Niederdrücken der Zunge getötet und gerupft, der Körper feierlich unter Beigaben von Nahrungsmitteln, Spielzeug u.a. auf einem besonderen Friedhofe beigesetzt. Die Seelen der Adler gehen zu den Adlergeistern und kehren später als Ad-
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Abb. 6. Die Schlangenidole in der Kiva. Originalaufhahme von Prof. Wharton James.
1er wieder zurück. Wahrscheinlich ist hier der Adler als ein Gebetsträger, ein Übermittler derselben an die Götter aufzufassen. Als wir gegen 10 Uhr morgens die Schlangenkiva wieder betraten, rüsteten die Jäger sich gerade zum Ausmarsche. Jeder trug ein rotes Nakwakwa im Haar. Der Oberpriester saß wieder rauchend und unbeweglich in der Mitte. Neben ihm stand ein Satz von Korbtellern und vier irdene Töpfe. Einige Priester arbeiteten noch an Schlangenbahos und Leitfedern (Snake whips). Im innersten Teil des unterirdischen Raumes waren jetzt zwei groteske Götterbilder fertig montiert. Während in Walpi ein vollständiger Schlangenaltar, bestehend aus einem Sandmosaik mit hinein gestellten heiligen Symbolen, worunter das Tiponi oder Palladium des Ordens, errichtet wird, begnügt sich die Priesterschaft von Oraibi mit der Aufstellung zweier uralter Idole, die nur hier zur Verwendung kommen und bisher, außer von Voth, von keinem weißen Manne gesehen worden sind. Die männliche Figur links, etwa 1 m hoch, stellt angeblich den Kriegsgott13, wahrscheinlich aber den wohl damit identischen Schlangenheros Tiyo dar. Das Gesicht ist schwarz und gut modelliert. Er trägt eine spitze Mütze, auf dem Rücken einen Rundschild und um den Leib einen uralten WampumGürtel. Seine Arme halten Bahos und Schlangenfedern (Abb. 6). Vor ihm stehen flache Teller mit Brot, Bohnen und Maismehl. An seinem rechten Fuße liegt eine steinerne Tierfigur in Form der Beutegötter der Zuñi.
13 Vergi. Fewkes, Journ. of Amer. Ethn. II, p. 7, Anm. 2.
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Abb. 7. Der Antelopenaltar in der Kiva. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
Die weibliche, hermenartige Figur rechts ist kleiner. Ihrem terassenförmigen Kopfputz und der schwarzen Kinnfarbung nach ist sie wohl mit der Korn- oder Schlangenjungfrau (Shalikomana) identisch. Um den formlosen Körper laufen gelb-rot-schwarze Spiralbänder. Beide Figuren entsprechen den mythologischen Gestalten, die wir bald darauf am Altar der Antelopen durch lebende Repräsentanten dargestellt sehen werden. Nach dem Abmärsche der Schlangenjäger begaben wir uns in die benachbarte Kiva der Antelopen, an deren oberen Leiterende ein Gehänge von Pferdehaaren, Wieselfellen u. dergl. schon von weitem ankündigte, daß auch hier sich eine Feierlichkeit vorbereitete. Außerdem war die Eingangsöffnung von einem Streifen roten Sandes umzogen. Auch für die Antelopenpriester hatte seit heute das rituelle Fasten begonnen, selbst Salzgenuß war verpönt, mehr noch weiblicher Umgang. Wir fanden unten zwei Männer emsig beschäftigt. Einer, der uns ungebetene Gäste mit grimmigen Blicken musterte, war mit Anfertigung der Sandmosaiks fur den Antelopenaltar beschäftigt, während der andere Bahos machte, ohne von uns Notiz zu nehmen. Der erstere begann nun energisch Herrn Voth gegenüber gegen unseren Eintritt zu protestieren. Nach langem Hin- und Herreden erwiderte ihm der Missionar schließlich unmutig, seine Landsleute sollten doch nicht solche Geheimniskrämerei treiben, denn in Wirklichkeit wären ihre Altäre und Heiligtümer ja längst aller Welt bekannt gegeben, und Fremde, die, wie ich, fern über das große Wasser eigens zum Zwecke, die Moki kennen zu lernen, gekommen seien, wollten und dürften noch diese Gelegenheit ausnutzen, eigene Anschauung zu gewinnen.
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Abb. 8. Skizze des Antelopenaltars. Nach Fewkes.
Zum Beweise verwies er auf die Abbildung des Altars in der Fewkes Publikation, deren Separatabdruck in unseren Händen war. Der Indianer, nunmehr aufs höchste erstaunt, fuhr grollend in seiner Arbeit fort, immer noch Verwünschungen murmelnd. Bald aber stellte sich heraus, daß der Mann, der den Altar zum erstenmale machte, über verschiedene Details, besonders der Farbenzusammenstellung, im Unklaren war, denn er begann plötzlich selbst die Zeichnung unseres Buches zu Rate zu ziehen, was wir natürlich lachend gestatteten. Damit hatten wir gewonnenes Spiel. Wir durften dableiben und in aller Ruhe der Vollendung des Ganzen zuschauen. Die gelbbraune Sandschicht der Unterlage des Ganzen mit dem viereckigen weiß-rot-grün-gelben Rande des Bildes war schon bei unserem Eintritte fertig. Die farbigen Schichten wurden mittels eines Siebkorbes aufgestreut. Es wurden zunächst die vier Reihen Wolkensymbole in Grün, Blau, Rot und Gelb aufgetragen, dann die vier senkrecht herabgehenden Blitzschlangen (vergi, die Abbildung nach Fewkes, Ann. Report. XVI, PI. 73). In den Farben der Blitze war eine Abweichung von Fewkes zu konstatieren, insofern der erste statt in Gelb in Grün gehalten war. Jede Blitzschlange lief in ein Kreuz aus, in dessen Mittelpunkte ein weißer Fleck ausgespart war (Abb. 7 und 8). Als wir um 3 Uhr nachmittags die Kiva wieder betraten, war das ganze Arrangement fertig. Den Hintergrund bildeten eine Reihe in einem Sandhaufen eingepflanzter Federn, durch einen Zwischenraum in zwei Gruppen geteilt. Vor letzterem ein rechteckiges Gefäß mit Bahos. Rechts und links neben diesem die beiden Tiponis (Palladien)14 der AntelopenBrüder. Außerdem zwei in den Boden gepflanzte Bahos. 14 Das Tiponi besteht aus einem Bündel, das einen Maiskolben mit Federn und Bahos in Schaflederumwickelung enthält. Nur diejenigen Priesterschaften, die im Besitze eines solchen Palladiums sind, gelten als die
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An beiden Schmalseiten des Bildes standen in thönernen Piedestalen am Ende hakenförmig gekrümmte Stäbe mit daran befestigten kleinen Federchen und hinter diesen beiderseits eine Reihe kleiner kugeliger Opfergefäße mit Netzschnurumwickelung. Vor den beiden vorderen Ecken des Bildes standen zwei Antelopenköpfe aufgepflanzt, zwischen ihnen ein Opfergefäß mit ausgezacktem Rande, verziert mit dem Regenwolkensymbol und umgeben von convergierend angeordneten Maiskolben, sowie ein Korbteller mit Mehl. Auf allen Blitzschlangen lagen Federopfer (Nakwakwa). Von dem Baho neben dem linken Tiponi zog eine gelbe Schnur quer über das ganze Bild. Zwei Stunden später sahen wir die Schlangenjäger zurückkehren. Sie brachten außer zehn Schlangen auch einige frisch erlegte Hasen mit ein und begannen bald nachher sich zur Teilnahme an der Feier in der Antelopenkiva zu rüsten. Frische Bemalung wurde auf den Körper appliziert und das Haar mit Seifenwurzel direkt abgerieben. Eine lange dünne Schlange wurde aus einem der Säcke hervorgeholt, um später bei der Ceremonie zu dienen. Der Aufenthalt in der Schlangenkiva war um diese Zeit fast unerträglich. Schwärme von Fliegen hatten sich über die Abfälle von Lebensmitteln hergemacht. Mit Urin gefüllte Töpfe standen herum, mephitische Düfte verbreitend. Um 5 Uhr 45 Minuten begann in der Antelopenkiva die feierliche Handlung der sogen, „sixteen songs ceremony", eine Art Dramatisation der Schlangenmythe, gleichsam ein Verbrüderungsfest des Antelopen- und Schlangenordens. An beiden Seiten des Altars hockten rechts die Antelopen-, links die Schlangenpriester, diese hatten Leitfedern (Snake whips) in der Hand, während jene die den Altar einfassenden hakenförmigen Stäbe hielten. Hinter dem Altar an der Wand standen dicht nebeneinander zwei festlich geschmückte Gestalten. Links ein Jüngling als Repräsentant des Schlangenheros Tiyo. Er war bis auf den weißen, am Rande bunt gestickten Festschurz, von dem hinten ein Fuchsbalg herabhing, nackt. Arme und Beine waren mit weißen Zickzackstreifen bemalt. Den Leib umgab außerdem die breite, grün gestickte Festschärpe, die Brust kreuzweise zwei dicke Wollsträhnen. Den Kopfwirbel zierte ein weißer Federbüschel. In der rechten Hand hielt er die erwähnte dünne Schlange, in der linken das Tiponi des Antelopenordens. Neben ihm stand die Schlangen- oder Kornjungfrau mit zwei Festschürzen bekleidet, von denen die eine die Schultern, die andere die Hüften umgab. Als Gürtel diente ihr die breite, weiße, in Knotengehängen auslaufende Ceremonialbinde, an der eine Glocke befestigt war. Das aufgelöste Haar schmückten Sonnenblumen. Das Kinn des Mädchens war schwarz gefärbt. Vor dem Altar saßen einige ältere Priester, darunter der Chef der Antelopen, als Leiter der Ceremonie, und der „Tabaks- oder Feuerhäuptling", dem die Unterhaltung des Feuers und die Sorge für die heiligen Rauchutensilien obliegt. Außerdem befanden sich an der rechten hinteren Ecke des Altars der „Sandsprenger" und der die Libationen ausführende „Wassersprenger". Es erhob sich ein monotoner feierlicher Gesang, wobei die Theilnehmer taktmäßig die in den Händen gehaltenen Federn oder Krummstäbe hin und her bewegten. Häufig kehrten dabei die Worte wieder: Heheyaúa heheyá - heheyaúa heheyá.
eigentlichen Vertreter des betreffenden Kultus. Das Tiponi wird unter besonderen Feierlichkeiten aufgestellt und bei Prozessionen auf dem linken Arme getragen.
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Während des Gesanges machten die beiden kostümierten Darsteller des Schlangenmythos ebenfalls taktmäßig Viertelwendungen nach rechts und links, wobei das Mädchen die Glocke an ihrem Gürtel erklingen ließ, zuweilen wurde das Tempo des Liedes lebhafter, die Stimmen lauter. Der Alte vor dem Altar sprengte ab und zu Wasser auf das Wolkenbild. Nach einiger Zeit trat eine Pause ein. Der Alte zündete eine altertümliche, konische Medizinpfeife an und blies dichte Rauchwolken, als Sinnbild der natürlichen Wolken, über den Altar. Eigentlich liegt das dem Feuerpriester ob, das gerauchte Kraut war kein eigentlicher Tabak, vielmehr irgend ein Gemisch, dessen Hauptbestandteil aromatisch riechende grüne Fichtennadeln bildeten. Unter die Anwesenden wurden gleichfalls Cigarren verteilt. Unter den Antelopenbrüdern befand sich ein Knabe, der der Ceremonie als Novize zum erstenmale beiwohnte. Mit ihm wurde eine Art Initiationsceremonie vorgenommen. Der Chef nahm das heilige Tiponi, berührte damit die Herzgegend des Knaben, bewegte es langsam viermal vor seiner Brust auf und nieder und murmelte dann in abgerissenen Worten ein langes Gebet. Zum Schlüsse berührte er ihn abermals mit dem Tiponi und schwang dasselbe viermal in die Höhe. Hierauf erhob sich von neuem der gemeinsame Gesang, bis endlich nach einer halben Stunde dem Darsteller des Tiyo Palladium und Schlange wieder abgenommen und die Hakenstäbe an ihren Ort gestellt wurden. Zum Schlüsse streuten Alle nochmals Mehl auf den Altar und entfernten sich in der umgekehrten Reihenfolge als sie gekommen waren. Ende des Ganzen 6 3/4 Uhr. Eine heidnische Kultushandlung von mächtiger Wirkung, trotz all ihrer Fremdartigkeit! Der feierliche, wohllautende Gesang, der Ernst und die Hingabe, mit der die Priester ihres Amtes walteten, der fantastische Aufputz der Mitwirkenden, besonders der beiden personifizierten mythologischen Gestalten, die geschmack- und stimmungsvolle Altardekoration in dem düsteren, mysteriösen Halbdunkel des unterirdischen Raumes wird auf jeden Weißen, dem es vergönnt ist, einer solchen Scene beizuwohnen, einen tiefen Eindruck nicht verfehlen. Ob christliche Kultur im stände sein wird, etwas besseres an Stelle dieser echt urwüchsigen, von tiefem religiösem Sinne zeugenden Feier zu setzen, ist zum mindesten zweifelhaft. Da dieselbe Ceremonie sich bis zum Vorabend des eigentlichen Schlangentanzes täglich wiederholte, so beschloß ich in der Zwischenzeit eine Fahrt nach Walpi zu unternehmen, wo gerade die Feier des Flötenfestes ihren Anfang genommen hatte.
IV. Die Flötenceremonie (Flute dance) in Walpi Am 17. August wurde die Fahrt angetreten. Prof. Wharton James und seine beiden Genossen schlossen sich uns an. Als Vehikel diente ihr Stellwagen, so ungeeignet derselbe fur eine längere Wüstenfahrt auf den ersten Blick erschien. Doch bewährte sich auch bei unserem ramponierten Kasten, dessen Oberbau kein ganzes Stück mehr aufwies, die Vortrefflichkeit des amerikanischen Wagenbaues aufs glänzendste. Die auffallend dünnen, aber überaus festen Räder boten allen Terrainschwierigkeiten trotz. Es ging zunächst in nordöstlicher Richtung durch tiefen Sand bis an den Fuß der sogenannten zweiten oder mittleren Mesa und diese sehr steil hinan. Bald ging es abwärts in ein weites Thal, an dessen südlichem Endpunkte die Höhen von Mishongnovi und Shipanlovi hervortraten, während ihnen gegenüber bald auch Walpi auf dem steilen Ausläufer der östlichen Mesa erschien. Nach fünfstündiger Fahrt langten wir um 1 Uhr nachmittags am Fuße des steilen Höhenzuges an.
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Eine ganze Reihe moderner Häuser zieht sich an der Thalwand entlang. Es sind die von der Regierung errichteten Bauten für die Schule, Lehrerwohnungen, Wasserwerke u.s.w., sowie eine Anzahl indianischer Familienhäuser. Da das wohnlichste Gehöft, das des Lehrers, von fremden Lehrern und Missionsfamlien, Beamten, zum Teil zum Gefolge des Agenten Major Williams gehörig, überfüllt war, so quartierten wir uns in einem der Indianerhäuser ein, dessen Besitzer zur Zeit abwesend war. An demselben Nachmittag noch wurde der Marsch nach dem altberühmten Felsennest Walpi, dessen altersgraue Häuserreihen in schwindelnder Höhe am Rande der Mesa sichtbar waren, angetreten. Bis vor wenigen Jahren war der einzige Zugang ein steiler, steiniger Saumpfad an der Südostecke der Mesa, der sich wie ein Hohlweg durch enge Felsmauern hindurchwindet und leicht verteidigt werden kann. Ein neuer bequemer Reitweg führt jetzt in Windungen von der Nordostseite hinauf, die Dörfer Tewa und Sichumovi berührend. Er beginnt bei einer kleinen, von der Regierung hergerichteten Brunnenanlage, die den drei Orten die Hauptzufuhr an Wasser giebt. Man gelangt langsam ansteigend bis zu einem Einschnitt in dem Felsenrücken, von wo aus sich eine weite Aussicht nach Südwesten eröffnet. Nach Osten zu erblickt man ein weites Thal mit einigen Wasserläufen und kleinen Lagunen, an dessen gegenüberliegender Seite ein Bergkegel auffällt, der die Ruinen des sagenumwobenen, im Jahre 1711 von Walpileuten zerstörten Awatobi trägt. An diesem Einschnitte steht ein altberühmtes Heiligtum, eine Art Altar aus anstehendem Fels, auf dem ein großer, spiralig gewundener Steinblock liegt, gewissermaßen das Wahrzeichen der Schlangenbrüderschaft, als deren Hauptsitz die östliche Mesa zu betrachten ist. In einer Viertelstunde gelangt man auf die Höhe zum ersten Dorfe der Mesa der TanoAnsiedelung Tewa (120 m über dem Ausgangspunkte), dessen Bewohner vor zwei Jahrhunderten von New Mexico her einwanderten, gerufen von den Walpileuten als Hülfstruppen gegen die Einfälle der Navaho und Apaches. Die Bewohner, die bis heute ihre eigene Sprache bewahrt haben, galten als die geschicktesten Töpfer von Tusayan. In der That waren hier Arbeiten zu sehen, die den schönsten Leistungen alter Keramik, wie sie die Ruinenplätze, besonders Awatobi, liefern, ebenbürtig sind. Übrigens werden alte Muster und Formen vielfach von den Leuten mit Geschick nachgeahmt. Etwa 100 Schritt weiter südlich liegt das Mokidorf Sichumovi, eine ganze Kolonne Walpi, etwas größer und in seiner Einrichtung modernisiert, während in der Ferne auf dem letzten Ausläufer der Höhe das malerische, einer antiken Akropolis vergleichbare Walpi herüber winkt. Kurz vor dem Orte verengt sich das Plateau der Mesa bis auf wenige Meter (Abb. 9). Die Anlage von Walpi ist unregelmäßig und ganz dem langen, schmalen Räume angepaßt, der auf der Mesa verfügbar bleibt. Auffallend beengt ist der an der Südostseite hart am Rande des Abhanges belegene Festplatz. An seinem südlichen Ende erhebt sich ein 4 m hoher, spitzförmiger Felsen der sogenannten Medicine- oder Dance rock. Er ist, wie alle derartigen phantastischen Naturgebilde, den Göttern geweiht. Seine Nischen bergen ebenfalls schlangen- oder schneckenförmig gewundene Konkremente, denen Federopfer dargebracht werden. Walpi besitzt fünf Kivas, von denen die der Antelopen und Schlangen auf einem zweiten kleineren Hof südlich vom Festplatz liegen. Sie erschienen mir bedeutend kleiner, schmutziger und verwahrloster als die von Oraibi. Die Schlangenkiva besitzt eine Nebenkammer mit interessanten mythologischen Bildern an der Wand.
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Abb. 9. Ansicht von Walpi.
Von dem Festplatze aus fuhrt ein überdeckter Verbindungsweg durch den medianen Häuserblock auf eine zweite Straße, in der sich das Festhaus der Flötengenossenschaft Lenyawympkiya befindet. Der Zutritt zu der hier stattfindenden Altarceremonie ist jedermann gestattet. Alles war mit Vorbereitungen fur dieselbe beschäftigt. Allenthalben sah man halbnackte, abenteuerlich aufgeputzte Gestalten im bunten Festschurze mit herabhängendem Fuchsfell, schweren Silberketten, reicher Bemalung mit Anfertigung von Bahos, Herrichten von Ornamenten und Altarzieraten beschäftigt. Nach einer Stunde war der Altar 15 hinter einem Verschlage des Hauptgemaches fertig. Leider ließen sich bei dem herrschenden Halbdunkel die Einzelheiten des komplizierten Aufbaues nicht recht erkennen. Der Hintergrund bildete ein Holzgestell mit Schlangen, Wolken und Blitzsymbolen. Vor diesen standen mehrere groteske Götterfiguren der Lentiyo als Kultheros der Flötenpriester und sein weibliches Komplement, die Lenyamana, also ganz entsprechend den mythologischen Personen in der Schlangen- und Antelopenkiva. Eine andere Figur ist Müiyiñwu, die Göttin der Unterwelt und Mutter der Kaime. Auf dem Boden vor dem Aufbau lag eine Sandschicht mit aufgestreuten Mehlstreifen, in deren Me15 In Walpi wird nur ein Flötenaltar errichtet, der der Shakwalenyagenossenschaft der sogenannten „blauen Flöte", da die zweite, die Mashilenya, „bunte Flöte", erloschen ist. Beide Priesterschaften, entsprechend den beiden Flöten-Clans der Horn-Phratrie, sind weit vertreten im Mishongnovi, Shipanlovi und Oraibi, wo deshalb auch zwei Altare bestehen.
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dianlinie sechs roh geschnitzte Vogelfiguren, Repräsentanten der Kardinalpunkte, hintereinander aufgestellt, eine lange Schnur mit angebundenen Federn trugen. Das Ganze wurde flankiert von zwei divergierenden Reihen von Korbtellern, mit Bahos gefüllt. Nach vorn bildeten den Abschluß Schüsseln mit nicht erkennbarem Inhalt, federballartige Gegenstände, sowie Bündel kleiner, pfeifenkopfahnlicher Objekte, die angeblich Blumen darstellen sollen16. Von der Decke des Gemaches hing horizontal ein Kreuz herab, dessen vier Arme befiederte Schnüre trugen. Es wurde während der ganzen Ceremonie in Drehung erhalten. In einiger Entfernung vom Altar lag der Rauchplatz unter Aufsicht eines besonderen Priesters; ein großes zerbrochenes Gefäß diente als Spucknapf. Nachdem der Chef der Flötenleute mit einer Feder Weihemehl über den Altar gestreut hatte, begannen die in den Längsseiten des Altars hockenden Priester ihren feierlichen Gesang, in Zwischenräumen begleitet von dem dumpfen, summenden Ton eines Schwirrholzes, das ein Greis auf dem Dache schwingen ließ. Nach einer Stunde war die Feier beendet und es erschienen Frauen mit Brot, Fleisch und Früchten, an denen die Festteilnehmer sich gütlich thaten, während wir selbst, bei dem Mangel an Brennholz und Wasser, auf ungenießbare amerikanische Konserven angewiesen, einen recht trübseligen Abend verbrachten. Als die aufgehende Sonne des 20. August die schroffen Felsen von Walpi mit feuriger Glut übergoß, standen wir bereits wieder auf der Höhe der Mesa, um dem großen ceremoniellen Wettlaufe beizuwohnen, der bei so vielen indianischen Festen zum Programm gehört. Schon bei Sitshumovi saßen Gruppen malerisch, in bunte Decken gehüllter Gestalten am Rande des Plateaus, mit gespannter Aufmerksamkeit in die Ebene hinabschauend. Ein ganzes Rudel wunderlich aufgeputzter Knaben trieb sich dazwischen herum. In ihrer mehr als leichten Bekleidung an dem kühlen Morgen vor Frost klappernd, suchten sie sich bald durch Herumspringen und improvisierte Wettläufe zu erwärmen. Sie waren bis auf den grün und blau gestickten, weißen Festschurz nackt, an Armen und Beinen, Brust und Rücken mit weißen Querstreifen bemalt. Um den Oberkörper trugen sie kreuzweise dicke, schwarze Wollsträhnen. Ein schwarz-gelb-weißer Federbüschel zierte den Kopf. In den Händen trugen sie Maisstauden17 (Abb. 10). Bei der großen Entfernung war leider von den den Wettlauf begleitenden bezw. einleitenden Ceremonieen nichts zu sehen, zumal keiner der fremden Zuschauer über die einzelnen Phasen des ganzen Schauspiels Bescheid wußte. Endlich wurde im Thale westlich von der Mesa die lange Linie der Läufer sichtbar. Sie kam von der Nordwestecke und hatte eben eine Quelle passiert, an der irgendeine Ceremonie stattgefunden hatte. Eine zweite, anscheinend ganz aus Weibern bestehende Reihe bewegte sich parallel mit jener nahe am Fuße der Mesa entlang. Wir eilten schleunigst nach Walpi hinein, um die Ankunft der Sieger zu sehen, hatten aber kaum die engste Stelle der Mesa, die jetzt durch einen Streifen heiligen Mehls mit darüber gelegtem Nakwakwa-Federopfer an langer Schnur gesperrt war, erreicht, als uns auch schon die ersten Läufer schweißtriefend und atemlos entgegenkamen und im Festhause verschwanden. Dort versammelte sich alles zum Frühstück, das die Weiber mittlerweile herbeigeschafft hatten. 16 Nähere Angaben macht Fewkes Journ. of Am. Folkore V, S. 40; VII, S. 13 und IX, S. 245. 17 Fewkes, Journ. of Am. Ethn. II, S. 127.
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Abb. 10. Festknaben. Zeichnung von W. v. d. Steinen nach einer Photographie von P. Ehrenreich.
Nach einiger Zeit spielten sich vor dem Hause sonderbare Scenen von komischer Wirkung ab. Ein Mann stürzt mit gellendem Geschrei heraus, einen Topf unter eigentümlichen Körperverdrehungen bald rechts, bald links in der Hand schwingend. Weiber suchen nun ihm denselben abzujagen, während er sich ihnen mit katzenartiger Gewandtheit zu entziehen sucht. Es entsteht schließlich eine allgemeine Balgerei, bis die Siegerin den erbeuteten Topf in Sicherheit bringt. Ein anderer wiederholt darauf dasselbe Spiel. Den Rückweg nahm ich auf dem alten halsbrecherischen Indianerpfade, der zwischen steilen Felsen im Geröll über primitive Stufen an der Südostecke der Mesa hinabfuhrt. Man gelangt dabei auf eine schräg geneigte Terrasse, die mit zahlreichen einfachen Steinumfriedigungen für das Vieh besetzt ist. Interessant sind hier die ungeheuren Mengen von Abfallen, richtige „Kjökkenmöddinger", die die Hänge von Walpi in ihrer ganzen Ausdehnung in meterdicken Schichten bedecken. Die seit Jahrhunderten hier aufgehäuften Scherben, Knochen, Utensilienreste werden für spätere Forscher noch mancherlei Untersuchungsmaterial bieten, wenn der Ort selbst längst verschwunden sein wird. Um fünf Uhr nachmittags sollte die eigentliche Flötenprozession stattfinden. Lange vorher schon hatten sich zahlreiche weiße und braune Gäste auf der Mesa eingefünden, erstere meist „Indianteachers" beiderlei Geschlechts mit ihren Familien, dazu Major Williams mit den Seinen. Damen waren recht zahlreich vertreten. Unter den Indianern fielen die mit
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Silberschmuck beladenen, in ihre bunten Decken gehüllten Navaho besonders auf. Gegen vier Uhr sah man bereits den langen Zug der Festgenossen im Gänsemarsch den alten, steilen Pfad hinabsteigen und langsam sich der heiligen Quelle am Südostabhange der Mesa nähern. Die daselbst stattfindende Ceremonie, die Weihe der Maisjungfrau (Lenyamana), entging uns natürlich bei der weiten Entfernung völlig. Wie bedauerte ich, keinen sachkundigen Berater, wie Rev. Voth, an der Hand zu haben oder wenigstens die von Fewkes gegebene Beschreibung der einzelnen Phasen der Feier! Mögen doch unsere Nachfolger im Jahre 1900 sich sogleich an die Quelle postieren - wo auch noch ausreichendes Licht für die photographische Aufnahme zur Verfügung stehen dürfte - und dann den Zug auf die Mesa zurückbegleiten! Wir hatten so fast anderthalb kostbare Stunden verloren und die Sonne senkte sich schon stark, als die Spitze des Zuges an der Enge der Mesa erschien. Eine Anzahl jener festlich geputzter Knaben mit Maisstauden in den Händen stand hier zum Empfang bereit. Der Einmarsch selbst gestaltete sich zu einer recht wirkungsvollen, dramatischen Scene. Zur Darstellung kommt die Einwanderung der Flötengens nach Walpi, wie die uralte Tradition sie erzählt. Nach Fewkes ist der Hergang folgender18: In alter Zeit lebten die Bären- und Schlangenleute allein auf Walpi. Da zog von Norden her das Flötenvolk heran und rastete an der Quelle Kwáshtapa. Die Ankömmlinge sandten Kundschafter aus, um zu sehen, ob noch andere Menschen in der Gegend hausten. Das Bergschaf fand Spuren von solchen an dem Walpifelsen. Man brach also in der Frühe dorthin auf. Die Heranziehenden bemerkte der Wächter Alosaka, der einen Mehlstreifen vor dem Thore auf den Boden streute und nach ihrem Begehr fragte. „Wir sind auch vom Geschlecht der Hopi (Moki). Wir bringen den Flötenaltar und mit ihm den Regen", war ihre Antwort. Viermal wurde gefragt und geantwortet, während der Zug hielt, bis endlich Alosaka Raum gab und der Flötenhäuptling auch in Walpi die Häuptlingswürde erhielt. In der That war die erste ins Auge fallende Person an der Spitze des Zuges Alosaka selbst, vollständig weiß bemalt, eine Art Helm mit Widderhörnern auf dem Haupte, am linken Knie eine große Klapper aus Schildkrötenschale. In der einen Hand trug er einen Teller mit Maismehl, in der anderen ein eigentümlich geformtes Brettchen, das ich erst für ein Schwirrholz hielt, während es wahrscheinlich eine besondere Art Baho (corn scab baho η. Fewkes) darstellt. Der Zug der Flötengens wurde eröffnet durch zwei Mädchen, gehüllt in lange, weiße, federbesetzte Festmäntel, deren grün gestickte Ecken in grüne Quasten ausliefen. Den Leib umgab der breite weiße Knotengürtel. Das Haar hing hinten lang herab und war am Scheitel mit einer weißen Feder geziert. An Hals und Ohren prangte reicher Türkisenschmuck. Untergesicht, Hand und Fußrücken waren schwarz gefärbt, während von Ohr zu Ohr eine schmale weiße Linie das Gesicht durchquerte. Zwischen beiden Jungfrauen stand ein Knabe der Lenya-Tiyo im einfachen weißen Schurze. Seine Bemalung war die gleiche, doch kamen noch weiße Zickzacklinien an Brust und Extremitäten dazu.
18 Joum. of Am. Folklore.
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Abb. 11. Alosaka empfangt die Flötengenossenschaft am Thore von Walpi. Zeichnung von W. v. d. Steinen nach einer Photographie von P. Ehrenreich.
Außer Maisähren trugen diese Persönlichkeiten verschiedene sakrale Objekte, wie Federstäbe mit daran befestigten Ceremonialringen und sogenannten Cylindern, die „com scab bahos" (mit Maisenblemen verzierte Brettchen), kleine Wassergefaße u. dergl. 19 . In vier Gliedern geordnet folgten ihnen dann vierzig Flötenleute, in weiße, schwarz und rot geränderte Decken gehüllt, an Stirn und Schläfen mit Sonnenblumen geschmückt, in den Händen Rasseln, Flöten und Maisstauden tragend. Den Schluß machten in einiger Entfernung folgend zwei von Pumafellen umhüllte alte Männer. Mit Bogen und Pfeil gefüllten Köchern bewehrt, schwangen sie abwechselnd Schwirrhölzer. Es sind die Kalektoka, Repräsentanten der „Krieger", einer Brüderschaft, die den „Bogenpriestern" der Zuñi entspricht, in Tusayan aber fast erloschen ist. Ihre ganze Erscheinung war geradezu antik. Unwillkürlich dachte man bei ihrem Anblick an den homerischen Schützen Teukros. Während der Zug einige Minuten vor dem Thore hielt, streute nun Alosaka mit Mehl die Figur des Regen- und Wolkensymbols auf den Boden hin. Beim Ton der Rasseln und Flöten warfen nun die Lenyamanas und der Lenyatiyo ihre heiligen Gegenstände auf das Symbol (Abb. 11). Der Ritus verlangt, daß jedes dieser Dinge an eine bestimmte Stelle des Bildes zu liegen kommt. Endlich nehmen die drei ihre Geräte wieder auf, der Zug geht weiter und es wiederholt sich dieselbe Handlung noch dreimal, bis der Zug vor einer an der Westseite des Festplatzes errichteten, durch ein Tuch verschlossenen Laube, der Kisi, Halt machte, um die sich alle im Halbkreis ordneten. 19 Näheres über diese Objekte siehe Fewkes, Journ. of Am. Ethn. II, S. 130 bis 132.
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Alle Häuser ringsumher waren nun bis auf die Dächer mit Zuschauern dicht besetzt. Ganze Batterien photographischer Cameras waren auf den Zug gerichtet, doch vereitelte die nunmehr rapid sinkende Sonne wohl die meisten Aufnahmen. Gerade der Schlußakt ist von besonderer Wirkung. Nachdem man den beiden Priesterinnen Mehl in die Hand gestreut, begann ein feierlicher überaus harmonischer Gesang unter Flöten- und Rasselbegleitung, der, wie Fewkes mit Recht hervorhebt, zu dem Besten gehört, was bisher von einheimisch amerikanischer Musik beobachtet wurde20. Was nun folgte, ist schwer zu beschreiben. Nicht allein Fewkes Mitteilungen sind über den Schluß der Feier unvollständig, sondern auch Rev. Voth vermochte genaueres nicht zu sagen. Die Indianer verhinderten ängstlich jeden Blick hinter den Vorhang der Kisi. Soviel war indes erkennbar, daß sich ein Mann darin befand, der wohl, wie in Shipanlovi, den Wolkengott Omowuh darstellte. Es wurden allerlei Opfergaben, wie Bahos, „amulets", Gebetcylinder, Weihemehl und Lehm in die Kisi geworfen. Der Mann darin knetete, wie ich erkennen konnte, den Lehm mit Wasser, das ihm ein Weib21 hineinreichte, und bildete damit auf dem Boden einen handhohen, runden Kuchen. Was mit den übrigen Dingen geschah, war nicht zu erkennen. Als endlich gegen halb sieben Uhr die Versammlung sich auflöste, kroch der Mann mit Bahos, Maisblättern und Ringen wieder aus seinem Versteck hervor und eilte den übrigen in das Festhaus nach. Eine besondere Reinigungsceremonie, wie in Shipanlovi, fand nicht statt22.
V. Der Schlangentanz in Oraibi Um Mittag des 21. August trafen wir wieder in Oraibi ein, wo inzwischen auch die Volzsche Gesellschaft angekommen war und 5 km südlich der Mesa bei dem Geschäftshause ein Lager bezogen hatte. Voths Haus, die Schule und die Wirtschaftsgebäude waren mit weißen Gästen belegt. Auch Navahos hatten sich zahlreich eingefunden. Wie in Walpi merkte man auch hier die Anwesenheit der Fremden an dem Benehmen der Einwohnerschaft. Die Leute waren unruhiger und unfreundlicher als sonst. Schmutzige Kattunkleider sah man bei Frauen und Kindern in unheimlicher Verbreitung. Gegen sechs Uhr nachmittags fand auf dem Festplatze vor einer daselbst errichteten Kisi die Vorfeier des Schlangentanzes, der sogen. Mais- oder Korntanz der Antelopenpriester statt. Unter Führung ihres Chefs, der das Tiponi trug, verließen sie, neun an der Zahl, im Gänsemarsch ihre Kiva, um zunächst vor der Ceremoniallaube mehrere Umgänge zu machen. Ihr Kostüm bestand aus dem weißen, mit Wolken- und Regensymbolen in grün, rot
20 Journ. of Am. Ethn. II, S. 147. 21 In Shipanlovi geschah dies, nach Fewkes (a. a. O. II, S. 147), von einem Priester aus Shimopavi mittels eines Ceremonialgefaßes. 22 Für die Einzelheiten der ganzen Ceremonie mit den vorbereitenden Feiern muß auf Fewkes Abhandlung im Journ. of Am. Folklore VII, S. 1 bis 23 verwiesen werden. Fewkes giebt für 1892 die Zeit vom 5. bis 13. August, also neun Tage Gesamtdauer, an. Die von mir geschilderten Vorgänge entsprechen also dem 12. und 13. August. Ein Wettlauf wurde damals nicht beobachtet. Statt dessen sah Fewkes eine Ceremonie an der Kisi in der Frühe des 13. August. Die Ceremonieen der ersten sechs Tage beschränken sich im wesentlichen auf die Anfertigung von Bahos und Verteilung derselben durch Läufer an die verschiedenen heiligen Stätten der Umgegend.
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Abb. 12. Das Trocknen der Schlangen nach der Waschung. Im Vordergrund ein Wächter. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
und blau gesticktem Festschurze nebst der breiten, ebenso verzierten Schärpe und dem vom Gürtel hinten herabhängenden Fuchsfelle. Den Kopf zierte ein weißer Federbüschel, den Hals ein Konvolut von Muschel-, Türkis- und Silberketten, die Brust ein über die rechte Schulter gehängter schwarzwollener Strang. Die Füße steckten in ledernen Mokassins, an die sich nach oben bunte Knöchelbinden anschlossen. In den Händen trugen sie kurze Krummstäbe, eigentümliche, pilzförmige Rasseln und kleine, von Netzwerk umgebene runde Gefäßchen. Der zweite Mann der Reihe, der Libationspriester, unterschied sich von den übrigen durch einen Kranz von Pappellaub (Cotton wood) und ein Ceremonialgefaß mit Stufenrand in seiner Hand. Während des viermaligen Umzuges vor der Kisi stampfte jeder einmal auf eine vor derselben liegende Holzplanke. Diese deckt eine Grube, in der sich Bahos befinden. Es wird dadurch das Sipapu, der Eingang zur Unterwelt, symbolisiert, wo die Ahnen hausen, die durch das Stampfen von der jetzt auf der Oberwelt vor sich gehenden heiligen Handlung benachrichtigt werden. Endlich nehmen die Antelopen hinter einem vor der Kisi aufgeschütteten Mehlstreifen Aufstellung. Jeder legte Stab und Gefäß vor sich hin, während Tiponi und Sakralgefäß auf dem rechten Flügel niedergesetzt wurden. Nunmehr erschienen auch die zwölf Schlangenpriester, nicht im Ornat, sondern im einfachen Festschurze, ohne Bemalung. In der Hand trug jeder ein Säckchen und eine Schlangenfeder. Nachdem auch sie den viermaligen Umgang vollendet hatten, stellten sie sich in einer Linie den Antelopen gegenüber und begannen einen dumpfen, einförmigen Gesang, der ab und zu ein lebhafteres Tempo einschlug. Die Antelopen, die ihre Stäbe und Gefäße wieder Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:00 PM
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Abb. 13. Zuschauer auf den Dächern von Oraibi. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
aufnahmen, begleiteten leicht gebeugt mit ihren Rasseln, während die Schlangenpriester mit tiefer gebeugtem Oberkörper wiegende Kniebewegungen nach vor- und rückwärts machten und mit ihren Federn den Takt schlugen. Nachdem der Libationspriester unter Hersagen einer mystischen Formel Wasser nach den Weltrichtungen gesprengt hatte, trat er zwischen die Reihen, holte aus der Kisi einen Maisbüschel heraus und packte ihn, das untere Ende in den Händen haltend, mit den Zähnen in derselben Weise, wie beim Schlangentanze die Reptilien gehalten werden. Ein Schlangenpriester trat hinter ihn, legte die linke Hand ihm auf die Schulter und strich ihm taktmäßig den Rücken mit der Schlangenfeder. So bewegten sich beide in gleichem Tempo zwei Schritte vor und einen zurück machend zwischen den beiden Reihen mehreremale auf und nieder. Endlich schwieg der Gesang und beide Priesterschaften entfernten sich nach nochmaligen Umgängen in umgekehrter Reihenfolge23. Der 22. August, der lang ersehnte Tag des eigentlichen Tanzes, fand uns schon vor Sonnenaufgang auf der Mesa, um dem Wettlaufe von der heiligen Quelle zur Stadt beizuwohnen. Die Ceremonie an der Quelle, wie überhaupt die Vorgänge am „Start", sind für Oraibi noch nicht beschrieben und dürften wohl erst aus Voths Materialien bekannt werden. Nur soviel brachte ich in Erfahrung, daß Mitte Wegs ein Mann mit einem heiligen Gefäße postiert ist, das ihm der vorderste Läufer zu entreißen sucht, um es dann gegen die übrigen
23 Eine vollständige Serie guter Abbildungen dieser Ceremonie giebt Fewkes im XVI. Ann. Rep., Tafel 74 bis 76.
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Abb. 14. Die Linie der Antelopenpriester vor der Kisi (Laube). Originalaufhahme von Prof. Wharton James aus dem Jahre 1896.
Konkurrenten zu verteidigen. Auch hier erwarteten festlich geschmückte Knaben mit Maisähren in der Hand die Läufer. Als diese atemlos auf der Mesa anlangten, gefolgt von Schwirrholz schwingenden bogenbewehrten Kalektokas, entstand ein wildes Getümmel, indem Scharen von Zuschauern sich jener Maisstauden zu bemächtigen suchten, ein Kampf, nicht unähnlich dem, der in Walpi um die Töpfe geführt wurde. Leider konnte ich die Scene nicht verfolgen, da ich mich auf Voths Rat sofort nach der Antelopenkiva begab, in der der Sieger nach einer kurzen Gebetsfeier von dem Oberpriester empfangen und beglückwünscht wird. Er erhält beim Verlassen der Kiva vor dem Eingange schließlich einige Bahos und ein heiliges Gefäß, das er auf seinem Acker vergraben darf. Besonders reicher Erntesegen steht ihm dann in Aussicht. Wider Erwarten war die ganze Scene überaus unscheinbar, so daß ich bedauerte, dem Kampf um den Mais nicht beigewohnt zu haben. Derselbe wurde übrigens von einem Herrn der Volzschen Partie mit gutem Erfolge kinematographisch fixiert. Einen zweiten Besuch auf der Mesa machte ich mittags, um in der Schlangenkiva der feierlichen Waschung der für das Fest bestimmten Reptilien beizuwohnen. Diese überaus interessante Ceremonie ist bisher nur von Walpi und Mishongnovi beschrieben. In Oraibi hat außer Herrn Voth bis dahin kein Weißer Zutritt erlangen können. Um halb ein Uhr fanden wir in dem unterirdischen Räume neun Mitglieder der Priesterschaft beim ceremo-
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Abb. 15. Die Linie der Schlangenpriester. Originalaufnahme von Prof. Wharton James.
niellen Rauchen beschäftigt. Sie waren bis auf eine Schambinde nackt und hatten die Extremitäten mit grauroten Streifen bemalt. Bald wurde nun in einer Ecke des vertieften Teiles der Kiva rechts vom Fuße der Leiter eine Lage gelben Sandes sorgfältig aufgelegt und mit geweihtem Mehle bestreut. Einer der Männer holte alsdann den Schlangensack hinter den beiden Idolen hervor, öffnete ihn und zog mit ruhiger Hand hinter einander mehrere große Klapperschlangen hervor, die von einem daneben sitzenden Kollegen in ein Gefäß mit Seifenwurzeldecoct getaucht und sorgfältig abgeseift wurden. Jede Schlange wurde dabei wie ein zusammengedrehtes Wäschestück mehrmals durch die Hände gezogen. Die Tiere wanden sich lebhaft, ohne aber durch Rasseln ihr Mißfallen über diese Procedur kund zu geben. Die gewaschenen Schlangen wurden auf die Sandschicht geworfen, wo sie zunächst ruhig liegen blieben. Vier Männer mit Leitfedern (Snake whips) saßen um die Sandlage herum, um die Tiere am Herumkriechen zu verhindern. Wagt sich eine Schlange zu weit vor, so wird sie sofort durch leichtes Betupfen ihrer Nase zum Rückzug genötigt oder aber einfach am Schwänze zurückgezogen. Rollt die Schlange sich zusammen oder giebt sie irgend ein verdächtiges Zeichen von Erregung, so bringt man sie mittels der Feder leicht zum Weiterkriechen und macht sie damit vorläufig unschädlich. So wurden nacheinander einige dreißig Schlangen, worunter etwa zwei Drittel giftige, gewaschen und an der auf den Sand einfallenden Sonne getrocknet (Abb. 12).
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Abb. 16. Die Schlangen- und Antelopenpriester bei Beginn des Tanzes sich gegenüberstehend. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
Instinktmäßig schienen die Tiere selbst sich hier als verehrungswürdige Objekte zu fühlen. Künstlicher Mittel, sie unschädlich zu machen, bedarf der Indianer nicht. Er weiß, daß die Schlange ungereizt überhaupt nicht beißt, wenn sie es thun will, aber sich zusammenringelt, um plötzlich den Kopf zum Bisse vorschnellen zu lassen. Ist sie einmal durch die Berührung mit der Feder zum Ausstrecken und Kriechen gebracht, so kann sie durch einen sicheren und ruhigen Griff gefahrlos gepackt werden. Die Hauptsache ist dabei die kaltblütige Ruhe in allen Bewegungen, die den Indianer keinen Augenblick verläßt. So befand sich unter den Schlangenwächtern auch ein Blinder, dem zwei große Klapperschlangen unter das Gesäß krochen, ohne daß der Mann auch nur einen Moment außer Fassung kam. Mit stoischer Ruhe, ohne eine Miene zu verziehen oder sich gar vom Platze zu bewegen, handhabte er gelassen seine Feder, bis seine Kollegen die gefahrlichen Gäste an den Schwänzen unter ihm hervorzogen. Obwohl diese einfache Waschungsceremonie in Oraibi lange nicht den aufregenden Charakter trägt wie die in Walpi, wo oft über hundert Schlangen zur Behandlung kommen und unter feierlichen, von Rasseln begleiteten Gesängen auf das Sandmosaik des Schlangenaltars geworfen werden 24 , so verfehlt doch auch sie nicht, einen überwältigenden Eindruck auf den Beschauer zu machen. Der Kontrast des geheimnisvollen Halbdunkels des inneren Kivaraumes, aus dem die beiden unförmigen Götzen gespenstisch hervorgrinsten 24 Fewkes, Journ. of Am. Ethn. II, S. 85.
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Abb. 17. Gruppen von Schlangentänzen!. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
mit dem grell von der Sonne beschienenen, wimmelnden Haufen der Reptilien, die wilden, nackten, bemalten Gestalten der Schlangenpriester in ihrer unheimlichen Thätigkeit, alles dies trägt einen so fremdartig abenteuerlichen Charakter, daß man sich in eine Hexenküche der mittelalterlichen Sage versetzt glaubt. Nach einer Stunde wurden die nunmehr trockenen Schlangen wieder in ihren Sack zurückgebracht und die Priester entfernten sich nach einem nochmaligen feierlichen Rauchen. Gegen fünf Uhr nachmittags betrat ich zum drittenmale die Mesa, wo bereits Hunderte von Zuschauern der kommenden Dinge harrten. Alle Dächer, Fenster und Leitern waren von Neugierigen dicht besetzt. Den Moki gesellten sich die zahlreichen Navaho hinzu hoch zu Roß, mit Silberschmuck beladen und von grellbunten Decken umhüllt. Etwa hundert Weiße, Offiziere, Traders, Cowboys, Missionen und Lehrer nebst deren Familien mit photographischen Apparaten aller möglichen Systeme hatten rings um den Festplatz Posto gefaßt. Selbst ein Phonograph und ein Kinematograph standen bereit. Eine der Damen hatte sogar eine Malerstaffelei aufgestellt (Abb. 13). Ich hatte gerade noch Zeit, einen Spaziergang zum südöstlichen Rande der Mesa zu machen, in dessen zerklüfteten Felsen zahlreiche Grabanlagen sich fanden, als gegen halb sechs Uhr die Antelopenpriester im feierlichen Zuge ihre Kiva verließen, geführt von dem Chef, mit dem Tiponi auf dem Arme, und dem laubbekränzten Träger des Sakralgefaßes. Ihr Kostüm war dasselbe wie beim gestrigen Maistanze, nur durch ausgiebige Bemalung vervollständigt. Unterarme und Unterschenkel waren weiß gefärbt, weiße Zickzackstreifen
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Abb. 18. Gruppen von Schlangentänzern. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
zierten Brust, Oberarme und Schenkel und eine weiße Linie zog quer über das Gesicht. Viermal zogen sie langsam im Kreise herum, wiederum auf die das Sipapu bedeckende Planke stampfend, und nahmen endlich in einer Linie vor der Kisi Aufstellung (Abb. 14). Nunmehr erschienen auch die Schlangenpriester, diesmal im vollen, wild aussehenden Ornat. Den Leib umgiebt der braune Schlangenschurz, auf dem ein handbreiter, schwarzer, weiß geränderter Zickzackstreifen mit eingezeichneten weißen Tüpfeln symbolisch die Gestalt der großen mythischen Federschlange andeutet. Die Füße stecken in roten Mokassins, der Hals ist mit Silber- und Muschelketten geschmückt, den Kopf ziert ein roter Federbüschel. Das Gesicht des Tänzers ist geschwärzt, Ober- und Unterschenkel sind graurot gefärbt, breite Streifen derselben Farbe finden sich an Brust, Oberarmen und Schenkeln. Ihre ganze Erscheinung ist somit überaus wild und diabolisch. Man fühlt, daß jetzt eine Scene sich abspielen wird, die an wilder, unheimlicher Wirkung in anderen Teilen der Erde nicht ihresgleichen hat (Abb. 15). Feierlich umschreiten nun die Schlangenleute ebenfalls den Platz in größerem Umkreise als ihre Kollegen. Dann beginnt wiederum der von Rasseln begleitete Gesang der beiden sich gegenüberstehenden Reihen, wie tags vorher. In gebückter Stellung unter taktmäßigem Schwingen der Schlangenfedern wiegen sich die Schlangenpriester rhythmisch bald vorwärts, bald rückwärts schreitend hin und her. Der Libationspriester sprengt Wasser und Mehl nach den Kardinalpunkten aus (Abb. 16).
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Abb. 19. Das Zusammenwerfen der Schlangen. Originalaufnahme von Prof. Wharton James.
Plötzlich teilen sie sich in Gruppen von zwei bis drei Mann, von denen einer als Schlangenträger, einer als Gehülfe und einer nach Bedarf als Schlangensammler sich bethätigt. Der Träger zieht aus der Laube eine Schlange hervor, packt den Hals derselben mit den Zähnen, den Schwanz mit beiden Händen. In dem gleichen Rhythmus, wie er sich weiter bewegt, streicht der hinter ihm gehende Assistent mit seiner Feder den Rücken25. Während das Tempo wilder und wilder wird, bewegt der Träger den Oberkörper bald rechts, bald links. Nach mehrmaligem Umgange läßt der Träger die Schlange fallen, während der nächste schon eine neue ergreift, um dasselbe Spiel zu wiederholen. So blieben stets drei Paare in Thätigkeit (Abb. 17 und 18). Die zu Boden fallenden Reptilien suchen sich zunächst ins Publikum zu retten, das natürlich eiligst Raum giebt. Ungemütlich ist dabei die Situation der Stativphotographen, denen mitten in der Arbeit die giftigen Scheusale zwischen die Beine kommen. Dann sind aber die Schlangensammler bei der Hand. Sie ziehen das entweichende Tier geschickt am Schwänze zurück und nehmen sie durch schnellen Griff am Halse auf, oft mit zornigem oder spöttischem Zurufe an die erschreckt auseinander weichenden Zuschauer, denen sie manchmal die sich windenden Reptilien entgegenschlenkern. Hierbei fühlt der Indianer sich mit gerechtem Stolze dem Weißen überlegen. Die gesammelten Schlangen wurden bündelweise den Antelopenpriestern zum Halten übergeben.
25 Diese Art, die Schlangen zu tragen, ist für Oraibi charakteristisch. Auf den übrigen Dörfern, besonders in Walpi, wird die Schlange in der Mitte des Leibes gehalten und der Assistent steht neben dem Träger, mit seiner Feder die Schlange beschäftigend.
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Abb. 20. Die „Reinigung" der Schlangenpriester. Originalaufnahme von P. Ehrenreich.
Nachdem so alle Schlangen „verbraucht" sind, streut der Oberpriester in eine Ecke des Platzes noch einmal heiliges Mehl nach den Kardinalpunkten und bildet damit auf dem Boden einen Kreis, in dem auf ein gegebenes Zeichen die Schlangen zusammengeworfen werden. Das Gekribbel der Tiere, die sich nun auf einem Haufen durcheinander schlingen, die Geberden der sie umdrängenden abenteuerlichen Gestalten, die gespannte Aufmerksamkeit der Corona, die ihre Blicke voll Neugier und Entsetzen auf diesen Punkt vereinigt, gab einen Schlußeffekt eigentümlichster Art (Abb. 19). Auf ein zweites Zeichen werden nun die Schlangen wieder von den erfahrensten Priestern bündelweise zusammengenommen, sodann vor die Stadt an den Rand der Mesa gebracht und über demselben wieder in Freiheit gesetzt. Beide Priestergenossenschaften ziehen sich während dessen in ihre Kivas zurück, um sich umzukleiden. Nach Rückkehr der Schlangensammler spielt sich eine höchst eigentümliche Scene ab. In Decken gehüllt sitzen die Schlangenleute um den Eingang ihrer Kiva herum. Frauen setzen große verdeckte Gefäße vor sie hin, aus denen die Männer in liegender Stellung eine Erbrechen erregende Flüssigkeit, nach Voths Angabe aus einem Nachtschattengewächs bereitet, einschlürfen. Nach kurzer Zeit lassen denn auch alle ihren Gefühlen freien Lauf. Mit der Entleerung des Magens ist die große Reinigungsceremonie, die trotz ihrer Widerlichkeit gerade auf die anwesenden civilisierten Damen die größte Anziehungskraft auszuüben pflegt, beendet (Abb. 20). Auch das Fasten ist nunmehr aufgehoben und alles labt sich an Speise und Trank, die die Weiber schon bereit halten.
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Paul Ehrenreich
Schnell zerstreuten sich nun auch die fremden Besucher. Ich verabschiedete mich von Herrn Voth, um mich nun für die Rückreise der Volzschen Partie anzuschließen. Leider verfehlte ich dabei die Abfahrtsstelle und mußte den größten Teil des Weges durch tiefen Sand zu Fuß zurücklegen, was nach den Anstrengungen des Tages und fast 14stündigem Fasten keine Annehmlichkeit war. Die uns begleitenden Navaho-Indianer hielten nachts noch ein großes Pow-wow ab mit Bezug auf das bevorstehende Reiterfest.
Quelle: Paul Ehrenreich, Ein Ausflug nach Tusayan (Arizona) im Sommer 1898. Globus 76, 1899: 53-54, 74-78, 91-95, 138-142, 154-159, 172-174. (Die vorliegende Transkription ist um die Seiten 172-174 gekürzt („VI. Ein Reiterfest der Navaho. (Schluß.)").)
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A by Warburg/Fritz Saxl Die Indianer beschwören den Regen Großes Fest bei den Pueblo-Indianern (1926)
Von dem Tafelberge sind sie in die Ebene hinabgestiegen. Dort fangen sie giftige Schlangen ein, die ihnen Bote bei den Göttern sein sollen; denn aus der Erde kommen die Schlangen herauf und drängen sich wieder durch die Spalten hinein in die Unterwelt. Ob der Regen in diesem Jahre ausbleiben wird? Von dieser qualvollen Furcht sind die Indianer jedes Jahr zur Zeit der Ernte beseelt, denn wenn er ausbleibt, müssen sie verhungern. Sie leben ja allein vom Feldbau, und nur einmal im Jahr fallt ausgiebiger Regen. Darum muß wie immer auch in diesem Jahr das Fest begangen werden, das neun volle Tage dauert. Der Höhepunkt des Festes: Die Giftschlangen werden herausgebracht auf einen Tanzplatz, der von weißen und roten Zuschauern dicht umstanden ist. Seltsam maskierte Tänzer teilen sich in Gruppen zu zweien: der eine hat die Schlangen gepackt, der andere hat eine Feder in der Hand zum Ablenken des Schlangenkopfes. Lange hatte man diese den Menschen unheimlichen Tiere für das Fest vorbereitet. In unterirdischen Versammlungsräumen zeichneten die Indianer aus farbigem Sand merkwürdige Gebilde, die Wolken und Blitze darstellen. Auf diese Zauberfiguren wurden die Schlangen geworfen. Tagelang wurden sie unter Gebeten gewaschen und in feierlichen Handlungen für den großen Tag des Festes vorbereitet. Jetzt nimmt einer der Tänzer die Giftschlange in den Mund, sein Begleiter lenkt den Kopf der Schlange mit der Feder ab, damit sie den Tänzer nicht beißen kann. So führen sie einen Rundtanz mit langsamen Schritten auf. Nach der Beendigung nimmt der Tänzer ein Mittel und erbricht das Gegengift, das er vorher eingenommen hatte. Die Schlangen aber werden nicht getötet, sondern nach dem Tanz freigelassen. Sie sollen in die Unterwelt hinabeilen, um dort bei den abgeschiedenen Seelen für die Indianer den Regen zu erflehen.
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Michael Diers
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Michael Diers Warburg für Kinder Den Blitz gestalten - Ein Splitter über das Hopi-Schlangenritual (Kommentar)*
Unter dem Titel „Die Indianer beschwören den Regen - Großes Fest bei den PuebloIndianern" erschien 1926 im vierten Heft des ersten Jahrgangs der kurzlebigen, von Else Hildebrandt betreuten „Jugend Insel. Zeitschrift für Jungen und Mädel" der hier veröffentlichte kleine Aufsatz von Aby Warburg und Fritz Saxl. Bemerkenswert ist dabei nicht zuletzt die Tatsache, daß er überhaupt erschienen ist. Denn der Artikel ist der einzige zu Lebzeiten Warburgs an die Öffentlichkeit gelangte Niederschlag des unter dem Titel „Schlangenritual. Ein Reisebericht" (hrsg. von Ulrich Raulff, Wagenbach-Verlag, Berlin 1988) heute berühmten Lichtbildervortrages, den er am 21. April 1923 im Kreuzlinger Sanatorium Bellevue zum Zeichen seiner Genesung gehalten hatte. Dieser Bericht handelte von den Erfahrungen einer für Warburg persönlich wie wissenschaftlich außerordentlich wichtigen Reise in den Südwesten der Vereinigten Staaten im Jahr 1895/96 und sollte den Zuhörern zentrale Ideen seiner kulturvergleichenden Forschung zu Geschichte und Anthropologie des Bildes vermitteln. Warburg wollte ihn aber nicht veröffentlicht sehen. So blieb der Kreuzlinger Vortrag bis zu der von Fritz Saxl und Gertrud Bing 1938 veranlaßten postumen Publikation in englischer Übersetzung im „Journal of the Warburg Institute" unter Verschluß. Der hier wiederabgedruckte, anonym erschienene Artikel ist die einzige Ausnahme von dem Publikationsvorbehalt. Die gemeinsame Autorschaft von Aby Warburg und Fritz Saxl legte unter anderem ein Überweisungszettel des Berliner Jugendbücher-Verlags mit dem Hinweis „Honorar Aufsatz. ,Die Indianer beschwören den Regen'" nahe. Denn auf dessen Rückseite hat Warburg handschriftlich vermerkt: „15 M. an Saxl, 5 M. f. mich 29/VI 1926". Saxls hoher Anteil am Honorar mag dadurch erklärt sein, daß Warburg möglicherweise nur ideengebender Autor gewesen ist. Die kurzen Sätze könnten diese Vermutung auch stilistisch stützen. Die Veröffentlichung in einem Jugendmagazin ist insofern nicht überraschend, als beide Autoren, Warburg wie Saxl gleichermaßen, ihre Forschungen vielfach mit pädagogischer, auf eine breitere Vermittlung angelegter Ambition verbunden haben, seien dies nun Vortragsveranstaltungen oder Ausstellungsprojekte. Darüber hinaus hatte Warburg bereits auf seiner Amerika-Reise im Frühjahr 1896 in einer Elementarschule der Moki-Indianer Kinderzeichnungen zum Thema Blitz und Gewitter veranlaßt, weil er, wie es in einem Brief an Karl Lamprecht vom 9. Dezember 1915 heißt, sehen wollte, „ob die Kinder den Blitz naturalistisch zeichnen würden oder etwa in der symbolischen Form einer Schlange mit Pfeilspitzenkopf, wie die Indianer sie bei ihren magischen Zusammenkünften in der Kiwa (unterirdischen Versammlungsräumen) in Sandmalerei gewohnt sind; wie Sie sehen, hat ein * Geringfügig überarbeiteter Abdruck von Michael Diers, Warburg für Kinder. Den Blitz gestalten: Ein Splitter über das Hopi-Schlangenritual, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.1999, Nr. 22, N5 (Anm. der Hrsg.).
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Warburg für Kinder
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Junge tatsächlich die Blitze schematisch symbolisch gezeichnet." Die kleine Gelegenheitsschrift ist im übrigen der einzige Artikel, den die beiden durch den Aufbau der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg eng verbundenen Gelehrten gemeinsam verfaßten. Anders als der Kreuzlinger Vortrag, der seinen Höhepunkt in der Analyse des Zusammenwirkens von (Sand-)5/W, (Blitz-)Symbol und (Ritual-)Handlung hat und in diesem mimischmimetischen Zeremoniell eine „Urszene" magisch-mythischen Denkens ausgeprägt findet, setzt der Artikel im Jugendbuch auf die anschauliche Schilderung und faßliche Erläuterung von Verlauf und Funktion des religiösen Brauchs. Er ist eine ethnographische Miniatur in didaktischer Absicht und ausdrucksvoller Sprache. Drei Illustrationen stellen den jungen Lesern, an die sich der Aufsatz wendet, das Geschehen auch bildlich vor Augen und bieten zusammen mit dem Text ein knappes Resümee von Warburgs Forschungen, ohne daß sein Name überhaupt ins Spiel kommt.
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Hans-Ulrich Sanner chlangenpolitik" :
Marginale Notizen zum Schlangentanz der Hopi 1989-1990, nebst einem historischen Katalog
Geheimwissen versus Wissenschaft: Drei Konfliktfälle Im November 1881 traf der Ethnograph John Gregory Bourke mit Nanahe, einem in Zuni lebenden Hopi-Mann, zusammen. Nanahe hatte Bourke zuvor beim Schlangentanz in seinem Heimatdorf Walpi beobachtet. Durch Vermittlung des Zuni-Forschers Frank Hamilton Cushing hatten die Bundpriester Bourke gestattet, die Schlangen- und Antilopenkiva1 von Walpi zu betreten und ethnographische Aufzeichnungen zu machen (siehe Dilworth 1996:41-42). Nach anfanglicher Weigerung erklärte sich Nanahe nun auch bereit, Bourke einige Erläuterungen zu den Ritualen zu geben, die dieser in der Kiva beobachtet hatte. Allerdings hielt es Nanahe für notwendig, Bourke zunächst über die universelle Bedeutung von Geheimwissen in Kenntnis zu setzen. Erfreulicherweise, und ungewöhnlich für die klassische Methode ethnographischer Textualisierung, hat Bourke diese native voice als individuelle Aussage zu Papier gebracht. Zur Bedeutung der religiösen Bünde und zur Tragweite ihres speziellen Wissens (navoti) im Hopi-Universum äußerte Nanahe, laut Bourke: A secret order is for the benefit of the whole world, that it may call the whole world its children, and that the whole world may call it father, and not for the exclusive benefits of the few men who belong to it. But its privileges are the property of its members, and should be preserved with jealous vigilance; since, if they become known to the whole world, they would cease to be secrets, and the order would be destroyed, and its benefit to the world would pass away. (Bourke 1884:183-84) Im August 1898 hielt sich der deutsche Ethnologe und Arzt Paul Ehrenreich im Auftrag des Berliner Museums für Völkerkunde auf der Hopi-Reservation auf. Sein Gastgeber, der deutsche Missionar und Ethnograph Heinrich Voth, verschaffte ihm privilegierten Zugang zu Geheimritualen des Schlangen- und Antilopenbundes von Oraibi2 (Abb. 1-3).
1 Das Huftier, dessen Namen der Antilopenbund (Tsöötsöpt) trägt, ist genau genommen keine Antilopenart. Der Gabelbock (Antilocapra americana, engl, pronghorn antelope) ist die einzige überlebende Art der nur in Nordamerika beheimateten Gabelhorntiere. Um Verwirrung zu vermeiden, behalte ich hier dennoch die Begriffe Antilopenbund, Antilopenkiva etc. bei, wie sie auch in der klassischen Hopi-Ethnographie verwendet werden. 2 Aus Gründen der Konvergenz mit den zitierten älteren Quellen behalte ich im Text die ältere Schreibweise von Hopi-Dorfnamen bei. Die orthographisch korrekten Bezeichnungen der im Text erwähnten Dörfer nach dem Hopi Dictionary (1998) seien an dieser Stelle erwähnt: Orayvi (Oraibi), Songoopavi (Shongopavi), Supawlavi (Shipaulovi), Musangnuvi (Mishongnovi), Hotvela (Hotevilla), Kiqötsmovi (Kykotsmovi).
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Abb. 1. Schlangenplaza von Oraibi, Blick nach Nordwesten. Im Vordergrund links die Schlangenkiva mit den aufgebauten Bundstandarten (naa 'tsi). Dahinter erkennt man die Marawkiva, in gerader Linie dahinter vor der Hauszeile die Powamuykiva, bzw. Hotsitsivi. Etwa zehn Meter rechts davon liegt die Blauflötenkiva (Sakwalenvi), Oraibis Hauptkiva und Zentrum der Aktivitäten der „feindlichen" Fraktion um 1900. Fotograf: George Wharton James, wahrscheinlich August 1898. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
Zwei Jahre zuvor war Voth auch Aby Warburgs Gastgeber und Mittelsmann gewesen (Cestelli Guidi 1998), und Ehrenreich sah nun mit eigenen Augen das, was Warburg versäumt hatte und später nur imaginieren konnte: den Schlangentanz. Mit ethnographischem Entdeckerstolz vermerkt Ehrenreich, dass er an Kiva-Ritualen teilnahm, zu denen außer Voth „kein weißer Zuschauer bisher zugelassen wurde" (Ehrenreich 1899:54). Dazu gehörte das feierliche Ritual der Schlangenwaschung, das am Morgen des Schlangentanzes in der Kiva stattfindet (Ehrenreich 1899:155-157 und Fig. 12). In seiner ausführlichen Monographie der Oraibi-Schlangenzeremonie erwähnt Heinrich Voth (1903:342-43, 271), dass außer ihm nur zwei Weiße jemals Zugang zur Schlangenkiva von Oraibi erhalten hatten, und dies auch nur nach langer zäher Diskussion mit den Bundpriestern: In the case of Professor Ehrenreich I obtained the permission of the priests, but also only after considerable arguing, and after throwing into the balance a message from the Indian Agent to the Chief Snake priest, that he would consider it a personal favor if they would permit Professor Ehrenreich to enter the kiva, as he had come from such a long distance. (Voth 1903:343 Anm. 1)
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,JSchlangenpolitW
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Abb. 2. Heinrich R. Voth (1855-1931), deutscher Missionar und Ethnograph. Fotograf: Karl von den Steinen. Oraibi, Frühjahr 1898 (siehe Sanner 1996b). Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
Auch Ehrenreich erwähnt die Intervention des Regierungsagenten der Reservation, Major Williams, die ihm das Privileg der Teilnahme einbrachte: Im Gegensatze zu der Priesterschaft von Walpi, die neuerdings nicht selten befreundeten weißen Besuchern den Zutritt gestattet hat, sucht diejenige von Oraibi ihre Mysterien noch ängstlich profanen Blicken zu entziehen. Eine Ausnahme wurde nur mit Herrn Voth gemacht, der bereits in alle Dinge eingeweiht war. Major Williams suchte anfangs mit Recht die Indianer in ihrer ablehnenden Haltung zu unterstützen, erwirkte aber schließlich auf Voths Verwendung auch für mich die Erlaubnis, die Schlangen- und Antelopenkiva zu betreten, wogegen er versprach, kraft seiner Autorität jeden anderen Weißen zurückzuhalten. (Ehrenreich 1899:91) Erfreulicherweise hat Ehrenreich die koloniale Konfrontation, die der ethnographischen Beschreibung und fotografischen Abbildung des heiligen Antilopenaltars vorausging, nicht unterschlagen, sondern zu Papier gebracht. Auf dem Hintergrund von Nanahes Erläuterung zum Charakter von navoti, Geheimwissen, beleuchtet Ehrenreichs Schilderung Voths zynische Haltung dazu. Wir erhalten hier nicht nur einen interessanten Einblick in die Argumentation des Missionars gegenüber den Bundpriestern, sondern erkennen auch, dass jene letztlich
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Abb. 3. Paul Ehrenreich (1855-1914), deutscher Arzt und Amerikanist. Fotograf: P. Grundner, Hoffotograf. Berlin 1890. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
nicht wirklich „Erlaubnis" gaben, sondern eher vor der Hartnäckigkeit und Cleverness Voths kapitulierten. Über den Besuch in der Antilopenkiva am 18. August 1898 schreibt Ehrenreich: Wir fanden unten zwei Männer emsig beschäftigt. Einer, der uns ungebetene Gäste mit grimmigen Blicken musterte, war mit Anfertigung der Sandmosaiks für den Antelopenaltar beschäftigt, während der andere Bahos machte, ohne von uns Notiz zu nehmen. Der erstere begann nun energisch Herrn Voth gegenüber gegen unseren Eintritt zu protestieren. Nach langem Hin- und Herreden erwiderte ihm der Missionar schließlich unmutig, seine Landsleute sollten doch nicht solche Geheimniskrämerei treiben, denn in Wirklichkeit wären ihre Altäre und Heiligtümer ja längst aller Welt bekannt gegeben, und Fremde, die, wie ich, fern über das große Wasser eigens zum Zwecke, die Moki (Hopi) kennen zu lernen, gekommen seien, wollten und diirftennoch diese Gelegenheit ausnutzen, eigene Anschauung zu gewinnen. Zum Beweiseverwies er auf die Abbildung des Altars in der Fewkes Publikation, deren Separatabdruck in unseren Händen war. Der Indianer, nunmehr aufs höchste erstaunt, fuhr grollend in seiner Arbeit fort, immer noch Verwünschungen murmelnd. Bald aber stellte sich heraus, daß der Mann, der den Altar zum erstenmale machte, über verschiedene Details, besonders der Farbenzusammenstellung, im Unklaren war,
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,¿Schlangenpolitik"
denn er begann plötzlich selbst die Zeichnung unseres Buches zu Rate zu ziehen, was wir natürlich lachend gestatteten. Damit hatten wir gewonnenes Spiel. Wir durften dableiben und in aller Ruhe der Vollendung des Ganzen zuschauen. (Ehrenreich 1899:94)3 Im April 2001 erhielt ich die Einladung, einen Vortrag bei der Tagung „Schlangenritual" im Hamburger Warburg-Haus zu halten. Rasch kam mir der Gedanke, man sollte meine Perspektive als Feldforscher mit einer indigenen Sichtweise kontrastieren. Sollte bei einer internationalen Tagung über ein Hopi-Thema nicht wenigstens ein einziger Hopi selbst zu Wort kommen? Nun kannte ich einen jüngeren Hopi, der als Angehöriger der USStreitkräfte vor Jahren nach Deutschland gekommen war, wo er seitdem mit seiner deutschen Frau und den gemeinsamen Kindern lebte. Davon abgesehen, dass er keine allzu weite Anreise haben würde, hielt ich ihn für den richtigen Mann für den Zweck, und er reagierte anfangs positiv auf meinen Vorschlag. Ich bedauere es, dass er nach reiflicher Überlegung und nach Rücksprache mit einem Beamten der Stammesbehörde Hopi Cultural Preservation Office von der Teilnahme an der Konferenz absah. Gleichzeitig habe ich vollstes Verständnis fur seine Entscheidung. 4 „Es gibt zwei Dinge", so sagte er mir, „die ich über den Schlangentanz weiß: Der Tanz findet in geraden Jahren in Shongopavi statt, in ungeraden Jahren in Mishongnovi. Die andere Sache, die ich weiß, ist, dass die Schlangenpriester an vier Tagen hinausgehen, um Schlangen aus den vier Himmelsrichtungen zu fangen." Auf dem Hintergrund der Instrumentalität von Geheimwissen als „sozialer Währung" der Hopi-Gesellschaft (Whiteley 1988b, 1998) verstehe ich diese Aussage als Demonstration des Nicht-Wissens, die eine Herausforderung darstellt für weiße „Experten", die sämtliche Monographien über den Schlangentanz studiert haben und frei darüber berichten. Umso mehr, wenn man weiß, dass mein Bekannter aus Shongopavi kommt, dem einzigen Dorf, das noch den kompletten Zeremonialzyklus aufführt, und dass sein eigener Bruder in den Schlangenbund initiiert ist. Es ist eine jener Formeln der Demut, denen man begegnet, wenn man sich mit Hopi-Bekannten über Hopi-Zeremonien unterhält. Sie zeigt, dass trotz des massiven Kulturwandels des 20. 3 Die Monographie von Voth (1903) erlaubt eine Identifikation der beiden Antilopenpriester, die Ehrenreich erwähnt. Bei dem Mann, der „Bahos" (paaho), also heilige Gebetsstäbe, anfertigte, dürfte es sich um Tobéngôtiwa (Tuvengötewa) handeln (Voth 1903:307-08, 282-83; Whiteley 1988a:41, Foto). Er gehörte dem Spinnenklan an und war Oberpriester des Antilopenbundes. Der andere Mann, der das Sandbild für den Altar fertigte und heftig gegen das Eindringen der Weißen protestierte, war mit Sicherheit Kárzhongniwa (Kyarhongniwa) vom Spinnenklan (Voth 1903:308, 283). Er war der Bruder von Lomahongyiwma, dem damaligen Anführer der „feindlichen", also anti-weißen Fraktion in Oraibi. Kyarhongniwa arbeitete auch als Medizinmann (tuuhikya) und war eine Zeitlang für den Altar des Blauflötenbundes zuständig. Im Dorf Hotevilla, das 1906 von der „feindlichen" Fraktion Oraibis gegründet wurde, fungierte er später als Oberpriester des Antilopenbundes (Whiteley 1988b:206). Voths Liste von Bundpriestern belegt, dass Kyarhongniwa im Jahr 1898 tatsächlich zum ersten Mal als Antilopenpriester aktiv war (Voth 1903:283). 4 Anders als beim mündlichen Vortrag in Hamburg verzichte ich für den Zweck der Publikation darauf, den Namen meines Hopi-Bekannten zu nennen. Damit möchte ich ihn vor Verdächtigungen von Seiten der Hopi-Stammesbehörde oder Bewohnern seines Heimatdorfes schützen. Solche könnten zum Beispiel dadurch entstehen, dass Beamte der Stammesbehörde seinen Namen in der vorliegenden Publikation entdecken, ohne den Sinnzusammenhang des deutschen Textes zu kennen. So könnten sie zur irrigen Annahme gelangen, mein Bekannter habe einem deutschen Publikum unbefugterweise Informationen zum Schlangentanz geliefert. Solche Bedenken waren letztlich auch der Grund, warum er von einer Teilnahme an der Tagung absah.
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Jahrhunderts, und trotz der Offenlegung zeremonieller Geheimnisse durch Forscher wie Heinrich Voth, die Definition von Nanahe aus dem Jahr 1881 im Wertsystem der modernen Hopi-Gesellschaft noch immer gültig und wirksam ist.
Ritual, Politik und Geschichte Um das Jahr 1990 erhielt der Konflikt zwischen Geheimwissen und Wissenschaft, also zwischen dem Anspruch der Hopi auf religiöse Privatsphäre und dem westlichen Prinzip der Forschungsfreiheit, eine neue Qualität. Nach mehr als hundert Jahren der kontinuierlichen Erforschung, Repräsentation und Vermarktung ihrer Kultur durch Nicht-Hopi, ergriff die Hopi-Gesellschaft Maßnahmen, die Kontrolle über ihre kulturellen Errungenschaften wiederzugewinnen. Treibende Kraft war dabei das Hopi Cultural Preservation Office, eine Abteilung des modernen Stammesrates, in Abstimmung mit den traditionellen Autoritäten auf Dorf-, Klan- und Geheimbundebene. Die Hopi nutzten dabei den Rückenwind der modernen amerikanischen Gesetzgebung, zum Beispiel des American Indian Religious Freedom Act von 1978, griffen aber auch auf erprobte Mechanismen der Abschottung von der weißen Kultur zurück. Neu war, dass das Hopi Cultural Preservation Office in Reaktion auf den Warencharakter der kapitalistischen Gesellschaft und deren zunehmende Globalisierung Hopi-Kultur zum intellektuellen Eigentum erklärte, das es per Copyright zu schützen und verteidigen gilt (Sanner 1996a; Whiteley 1998:3ff; Brown 2003). Bei meinen eigenen Feldaufenthalten ab 1988 wurde ich Zeuge und Teilnehmer dieses interkulturellen Konfliktes.5 In den Jahren 1989 und 1990 lebte ich insgesamt etwa neun Monate auf der Reservation. Ich sammelte Daten fur meine Dissertation über die Hopi-Clownzeremonie (Tsukulalwa), die dramatische Aufführung jener heiligen Clowns, die Aby Warburg einhundert Jahre zuvor beim Hemiskatsina-Tanz gesehen und mit dem Satyrspiel der antiken Tragödie verglichen hatte (Warburg 1988:36). Was ich hier aus persönlicher Erfahrung zum Thema Schlangentanz beitragen kann, bezeichne ich aus zweierlei Gründen als „marginale Notizen". Erstens hatte ich kein spezielles Interesse am Schlangentanz. Fokus meiner Forschung waren die öffentlichen Katsina-Tänze, die den Rahmen der Clownzeremonie bilden. Mein erster Informant, den ich im Frühsommer 1988 bei einem Vorbereitungsbesuch auf der Reservation kennenlernte, gehörte dem Schlangenklan an und war Mitglied des Schlangenbundes (tsu 'wimkya). Außerdem hatte er als Gl in Vietnam gekämpft und war darüber zum Trinker geworden. Nelson6 fragte mich eines Abends im Rausch, ob er mir das Geheimnis verraten solle, warum die Tänzer von den Schlangen nicht gebissen werden. Ich wollte es nicht wissen. Zweitens konnte ich den Schlangentanz, der heute nur noch auf Second Mesa in den Dörfern Mishongnovi und Shongopavi aufgeführt wird, selbst leider nie verfolgen. Schon im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts hatten die Hopi-Dörfer ein generelles Fotografierverbot bei Zeremonien erlassen, als Reaktion auf die Beeinträchtigungen durch fotografierende Touristen (siehe weiter unten). Die schlimmsten Szenen spielten sich regelmäßig jeden
5 Meinen persönlichen Erfahrungs- und Reifungsprozess dabei habe ich an anderer Stelle beschrieben, siehe Sanner 2000. 6 Die meisten meiner im Text erwähnten Hopi-Gesprächspartner werden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes pseudonym oder anonym erwähnt.
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„Schlangenpolitik"
August beim Schlangentanz ab (vgl. Dilworth 1996:71-72). Ehrenreich, der beim Schlangentanz in Oraibi 1898 selbst eine Reihe von Fotos machte (siehe Abb. 4, 8 und 9), schreibt über das weiße Publikum: Etwa hundert Weiße, Offiziere, Traders, Cowboys, Missionen [sie!] und Lehrer nebst deren Familien mit photographischen Apparaten aller möglichen Systeme hatten rings um den Festplatz Posto gefaßt. Selbst ein Phonograph und ein Kinematograph standen bereit. Eine der Damen hatte sogar eine Malerstaffelei aufgestellt. (Ehrenreich 1899:157) (Abb. 4). Das respektlose Verhalten einzelner Weißer, möglicherweise auch Probleme durch die schiere Masse an Schlangentanztouristen, gaben in den 1970er und 80er Jahren den Anstoß, dass Mishongnovi und Shongopavi den Schlangentanz für Nicht-Indianer schlossen.7 Diese Maßnahme ist bis heute gültig, wird aber von Kontroversen innerhalb der Priesterschaften und der allgemeinen Hopi-Bevölkerung begleitet, die ich weiter unten betrachten werde. Trotzdem hatte ich häufiger Gelegenheit, den rituellen Umgang mit lebenden Schlangen auf der Plaza zu beobachten. Während der Schlangentanz zu den am häufigsten behandelten Themen der Hopi-Literatur gehört (siehe den Index in Laird 1977), ist der rituelle Gebrauch von Schlangen im Rahmen der Clownzeremonie praktisch unbeachtet geblieben. Wenn die Clowns am Ende des Tages von den furchterregenden Krieger-Katsinam für ihre Missetaten zur Rechenschaft gezogen werden, werden sie nicht nur mit Wasser Übergossen und mit Ruten geschlagen, sondern häufig auch mit lebenden ungiftigen Schlangen traktiert. Es gehört zur Dramaturgie dieser Szene, dass die Clowns riesige Furcht vor den Tieren zeigen, die ihnen ins Gesicht gehalten werden oder die man über die Körper der armen Kerle kriechen lässt. Die Zuschauer, vor allem die Frauen, begleiten diese Aktion mit entsetztem Kreischen und Stöhnen. Wenn alles vorbei ist, kommt ein Mann auf die Plaza, um die Tiere einzusammeln. Auf Third Mesa handelt es sich dabei traditionell um ein Mitglied des Schlangenklans, das die Schlangen außerhalb des Dorfes mit einer Segnung entlässt (vgl. Sanner 1992:173-74). Aby Warburgs Deutung der Schlange als „Blitzsymbol" der Pueblo-Indianer (Warburg 1988:16-17, 40ff.) wird durch dieses Ritual zweifellos unterstützt. Denn auf einer Symbolebene ist die Läuterung der Clowns mit Wasser, Ruten und Schlangen eine mimetische Vorwegnahme des Gewitterregens, den die Katsina-Zeremonie zur Absicht hat.8 Wenn die Tiere anschließend eingesammelt und am Dorfrand freigelassen werden, würde dies der Warburgschen Interpretation des Schlangenrituals entsprechen, wonach die Schlange „zum Botschafter umgewandelt und ausgesandt (wird), um zurückgekehrt zu den Seelen der Verstorbenen, dann in Blitzgestalt das Gewitter am Himmel zu erzeugen" (Warburg 1988:42). Auf einer anderen Symbolebene dürfte der aggressive Gebrauch von Schlangen beim Überfall der Krieger-Katsinam auf die Clowns mit der kriegerischen Tradition von Schlangen-
7 In allen anderen Hopi-Dörfern wird die Schlangenzeremonie nicht mehr durchgeführt. Der letzte Schlangentanz in Walpi fand 1969 statt, Shipaulovi folgte Anfang der 1970er Jahre (Lyon 1988:263 Anm. 10). Das Ende der Zeremonie in Shipaulovi war mit einer Kontroverse zwischen zwei Klanen verbunden und entsprach offenbar der Voraussage der Ältesten (Page und Page 1982:74). In Hotevilla auf Third Mesa wurde die Schlangenzeremonie letztmalig im Jahr 1980 durchgeführt. Der betagte Oberpriester des Schlangenbundes war offenbar nicht bereit, sein Amt weiterzugeben (Whiteley 1988b:278). 8 Zur Polysymbolik dieses Rituals der Clownzeremonie siehe Sanner 1992:175-178.
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Hans-Ulrich Sanner
Abb. 4. „Die Schlangen- und Antelopenpriester bei Beginn des Tanzes sich gegenüberstehend". Fotograf: Paul Ehrenreich. Oraibi, 22. August 1898. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
klan und Schlangenbund in Verbindung stehen (siehe Titiev 1944:152-53; Bradfield 1995:25Iff.). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass verschiedene Typen von Krieger-Katsinam Bemalung und Kostüm der Schlangentänzer tragen.9 Der kriegerische, auf den Schutz der äußeren Grenzen und der inneren Ordnung der Hopi-Gesellschaft gerichtete Aspekt des Schlangentanzes lebt als „Schlangenpolitik" im Umgang mit dem Kulturwandel seit Ende des 19. Jahrhunderts fort. Wenn die Schlangenzeremonie heute von Nicht-Indianern auch nicht mehr beobachtet werden kann und nach Hopi-Auffassung auch nicht mehr erforscht werden sollte, so lässt sich anhand aktueller Diskurse doch ermessen, welch wichtige repräsentative Funktion sie besitzt. Deshalb verweisen meine „marginalen Notizen" vor allem auf politische und „symbolpolitische" Implikationen des Schlangentanzes im Zusammenhang mit Konflikten, die ich in seinem Umfeld wahrgenommen habe. Diese Perspektive mag weniger aufregend sein als das exotistische Emblem des bemalten und kostümierten Tänzers mit der Klapperschlange zwischen den Zähnen, aber sie trägt dem eminent politischen Charakter der Hopi-Gesellschaft Rechnung. Nicht zuletzt soll damit ein historisch-ethnologisches Gegengewicht zur kunsthistorischästhetischen Betrachtung des „Schlangenrituals" durch Aby Warburg und seine Interpreten gesetzt werden. Die Schilderung persönlicher Begegnungen und Beobachtungen, darunter meine Eindrücke vom Antilopentanz in Mishongnovi 1989, soll einen Eindruck davon 9 Dazu gehören zum Beispiel Siitulili, Hiilili, Wuyaqkuytaqa und Hu'katsina (siehe Antes 2000, Katalognummern 204-05, 249-50, 275, 491). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Ti
vermitteln, wie sich die Schlangenzeremonie in den Kontext der modernen, von zahllosen Widersprüchen geprägten Hopi-Gesellschaft einfügt. Die aktuellen Beispiele einer politischen Instrumentalisierung des Schlangentanzes stelle ich in den Kontext eines kleinen Kataloges von historischen Ereignissen um den Schlangentanz. Die Auswahl ist sicher nicht erschöpfend, zeigt aber auf, dass „Schlangenpolitik" eine über einhundertjährige Tradition hat und ein Element der kulturellen Kontinuität darstellt. Die Literaturwissenschaftlerin Leah Dilworth hat in ihrer aufschlussreichen Studie zur Repräsentation des Hopi-Schlangentanzes (durch Nicht-Hopi) auf die Strategie der Enthistorisierung hingewiesen, die den klassischen Schlangentanztexten eigen ist (Dilworth 1996:21-75). Als Beispiel betrachtet sie die vergleichenden Studien von Jesse Walter Fewkes, dessen Texte auch von Warburg und Ehrenreich rezipiert wurden.10 Über seine Suche nach der ursprünglichsten und primitivsten Version des Hopi-Schlangentanzes schreibt Dilworth: Fewkes's search demanded that he elide from his accounts the local politics of the Hopis themselves and their dealings with the world beyond their mesas. This had the effect of dehistoricizing Hopi culture, of isolating it in an imagined past, not in the present, which was full of conflict and .contaminating' influences. (Dilworth 1996:30) Die gleiche, vom evolutionistischen Zeitgeist geprägte romantische Haltung finden wir bei Warburg und Ehrenreich, die leider beide von Dilworth nicht erwähnt werden. Bei Warburg wird der evolutionistisch begründete Isolationsgedanke deutlich, wenn er die Hopi als „Enklave primitiven heidnischen Menschentums" inmitten der technischen Zivilisation Amerikas beschreibt (Warburg 1988:10). Und auch der mit allen ethnographischen Wassern gewaschene Ehrenreich scheint die blaue Blume der Ethnologie in Oraibi gefunden zu haben, dort, wo es möglich war, „den ganzen Kulturbesitz, das geistige Leben, die Religion und Symbolik derselben noch in zwölfter Stunde bis in die Einzelheiten kennen zu lernen, eine Möglichkeit, die uns in gleichem Maße kaum an einem anderen Punkte der Erde noch geboten ist" (Ehrenreich 1899:53). Dennoch ist Ehrenreichs Reisebericht von besonderem Interesse wegen seines politisch-historischen Subtextes, den ich aus heutiger Perspektive für wertvoller halte als seine Beschreibungen esoterischer Rituale.
„Save the Snake Ceremony" Im Frühsommer 1989 erfuhr ich aus Zeitungsmeldungen und Gesprächen von einem aktuellen Konflikt zwischen religiösen Oberhäuptern von Shongopavi und dem Hopi-Stammesrat. Der auf Betreiben der U.S.-Regierung im 20. Jahrhundert nach demokratischem Muster installierte Stammesrat ist trotz anhaltender Kontroversen um seine Legitimität heute de facto das repräsentative politische Organ der Hopi-Gesellschaft. Gleichwohl verweigern 10 Warburg und Ehrenreich trafen an der Ostküste der USA mit Fewkes und anderen prominenten Anthropologen zusammen. Warburg lernte im Oktober 1895 neben Fewkes auch Franz Boas, James Mooney, Frank Hamilton Cushing und James Powell kennen. Mit Fewkes stand er danach in intensivem brieflichen Kontakt (Cestelli Guidi 1998:30ff.). Ehrenreich besuchte zu Beginn seiner Reise im Mai und Juni 1898 unter anderem Boas, Albert Gatschet, W.J. MacGee, Daniel G. Brinton, Fewkes, Cushing und Max Uhle. Ursprünglich plante er, die Hopi zusammen mit Fewkes zu besuchen (Ehrenreich 1898).
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Shongopavi und einige andere Dörfer dieser Zentralregierung nach wie vor ihre Anerkennung, indem sie keine Delegierten entsenden. Ende 1988 hatte der Stammesrat beschlossen, einen guten Hektar Land unterhalb von Second Mesa an eine Straßenbaufirma zu verpachten, zur Einrichtung einer Sand- und Schottergrube. Shongopavi, das dieses Land beansprucht, fühlte sich übergangen und versuchte nun, den Stammesrat zur Rücknahme des Beschlusses zu bewegen - ohne Erfolg. Dieser auf den ersten Blick typische Konflikt zwischen „progressiver" Stammesverwaltung und traditioneller Dorfautonomie bezieht seine Komplexität aus der Verquickung mit einem andauernden Streit zwischen zwei Dörfern. Das umstrittene Stück Land wird nämlich auch vom Dorf Shipaulovi beansprucht. Shipaulovi wurde von Bewohnern Shongopavis als Kolonie gegründet, nachdem die Spanier in der großen Pueblo-Revolte von 1680 vertrieben worden waren. Auf einer steilen Felshöhe errichtet, bot Shipaulovi Schutz gegen die bfürchtete spanische Rückeroberung, während dem dritten Dorf von Second Mesa, Mishongnovi, die Wächterrolle zukam. Falls Shongopavi jemals zerstört würde, so die Überlieferung, sollte Shipaulovi das historische und zeremonielle Wissen bewahren (Conelly 1979:542). Dieses Beziehungsgefiige zwischen den Dörfern gilt bis heute, wird aber dadurch belastet, dass Shipaulovi trotz seiner zeremoniellen Abhängigkeit vom konservativ regierten Mutterdorf Shongopavi den modernen Stammesrat unterstützt und Abgeordnete entsendet. Aus Sicht der Traditionalistenfraktion von Shongopavi steht es der Kolonie Shipaulovi nicht zu, sich an Entscheidungen des Stammesrats zu beteiligen, die den Interessen Shongopavis zuwiderlaufen. Vernon Mansfield, der Sprecher des traditionellen Dorfoberhauptes (Kikmongwi) von Shongopavi, bekräftigte anlässlich des aktuellen Konfliktes das Besitzrecht an dem von Shipaulovi beanspruchten Land, mit Hinweis auf die spirituelle und politische Abhängigkeit Shipaulovis: (T)he land is unquestionably Shongopavi land. It has been used for thousands of years continuously by the Snake Society, the (Wuwtsim) Society, and all the other societies of Shongopavi for religious purposes. Shipaulovi residents still come toShongopavi for their initiation into societies. Shipaulovi knows this and knows they are a satellite village of Shongopavi. We only allow them to use the land they presently occupy as long as they comply with Hopi Tradition. (Anonymus 1989a:3) Als im Frühsommer 1989 die Straßenbaufirma mit der Einrichtung der Sandgrube begann, gingen mehrere religiöse Oberhäupter von Shongopavi in die Offensive. 11 Sie engagierten Frances Jue, eine junge Rechtsanwältin aus Shongopavi, sowie die PR-Managerin Bertha Torres, die vorher pikanterweise für den Stammesrat gearbeitet hatte. Die Kampagne startete mit Pressekonferenzen in Phoenix, der Hauptstadt Arizonas, und in Flagstaff. Dann flog eine Delegation von Shongopavi-Traditionalisten nach Washington, D.C. Am 15. Juni traf die Gruppe unter Führung von Radford Quamahongnewa, einem Schlangenbundpriester und Pädagogen der Hopi Highschool, mit Innenminister Manuel Lujan zusammen, um gegen den Pachtvertrag zu protestieren. Die Shongopavis werteten dieses Treffen und das Engagement des Innenministers als Triumph über den Stammesrat. Zurück aus Washington, beantragten die religiösen Oberhäupter beim Hopi-Stammesgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Straßenbaufirma und den Stammesrat. Zu den insgesamt elf Beschwerde-
ll Die folgenden Informationen stammen überwiegend aus dem Infoblatt Shungopavi News (1989), das vom Shungopavi Village Board anlässlich der Ereignisse herausgegeben wurde.
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punkten gehörten eine fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung sowie Verstöße gegen die religiöse Freiheit und die Stammesverfassung. Der Stammesrichter Lawrence Numkena setzte daraufhin eine befristete einstweilige Verfugung in Kraft, gegen die der Stammesrat postwendend und mit Erfolg Widerspruch einlegte. Die Bauarbeiten konnten zunächst weitergehen. Landstreitigkeiten sind seit jeher ein zentrales Thema der Hopi-Gesellschafit, vom externen Landkonflikt mit ihren indianischen Nachbarn, den Navajo, bis zu den internen Disputen zwischen Dörfern oder Klanen. Die Relevanz des vielschichtigen, von mir hier nur oberflächlich skizzierten Streites für unser Thema „Schlangenritual" liegt darin, dass die Traditionalisten von Shongopavi ihren Protest gegen die Sandgrube unter das Motto „Save the Snake Ceremony" stellten (Anonymus 1989b). Auf dem umstrittenen Gelände überwinterten und brüteten, so hieß es, „die Schlangen, die seit unvordenklichen Zeiten in der heiligen Schlangenzeremonie des Dorfes Shongopavi gebraucht werden". Der profane Missbrauch dieses Stückes Land wird in dem Antrag auf einstweilige Verfügung mit dem Schöpfungsplan und damit unmittelbar mit dem Schicksal der Hopi-Kultur verknüpft: The projects will have a disastrous effect on the sacred Snake Ceremony and may cause the extinction of one of the most ancient and distinct ceremonies of the Hopi. (...) Pursuant to the Creator's instructions, the Plaintiffs must prevent the destruction of the Snake Dance Ceremony which could ultimately lead to the destruction of the Hopi Religion and the Hopi Way of Life. (Anonymus 1989b) Als marginaler Beobachter kann und möchte ich die Ansprüche der Traditionalisten nicht bewerten. Ich weise jedoch darauf hin, dass einige meiner Hopi-Gesprächspartner die vorgebrachte Sorge der Shongopavis um das Schlangenfanggebiet und die Zukunft der Zeremonie für ein vorgeschobenes Argument in dem seit längerem schwelenden Landkonflikt mit Shipaulovi und im Widerstand der Traditionalisten gegen den politischen Vertretungsanspruch des Hopi-Stammesrats hielten.12 Auf jeden Fall verlieh die spektakuläre Kampagne der konservativen, teilweise ausgeprägt anti-weißen Gesinnung eines Teiles der Bevölkerung von Shongopavi beträchtlichen Schub. Ein Freund von mir, der damals als einziger Weißer im Dorf lebte, bekam die Auswirkungen hautnah zu spüren. Auf diese Konfrontation werde ich weiter unten zurückkommen, möchte zunächst aber einen ersten vergleichenden Blick in die Historie vornehmen. Als Paul Ehrenreich im August 1898 die Schlangenzeremonie in Oraibi beobachtete, hatte die Spaltung des damals mächtigsten und größten Hopi-Dorfes in zwei Fraktionen bereits kritische Ausmaße angenommen. Während die sogenannten „Freundlichen" bzw. Progressiven gewisse Anpassungen an die amerikanische Kultur, vor allem die Schulpflicht für Kinder, für notwendig hielten, lehnten die konservativen „Feindlichen" jede Form der weißen Einflussnahme rigoros ab. Zur Fraktion der Feindlichen gehörten auch die Oberhäupter des Schlangen- und Anti12 Der Landkonflikt zwischen Shipaulovi und Shongopavi war ausgebrochen, als Shipaulovi 1974 eine moderne Siedlung in der Ebene unterhalb der Mesa plante. Das auf einer steilen Mesakuppe gelegene alte Dorf bot keinen Platz mehr für die wachsende Bevölkerung. Der Stammesrat entschied nach der Anhörung von Klanältesten im Jahr 1975 im Sinne von Shipaulovi, und die kleine Siedlung wurde gebaut. Für eine persönliche Schilderung der Hintergründe des Konfliktes aus Sicht Shipaulovis siehe Page und Page (1982:29-34). Einen sehr ähnlichen Konflikt um ein Siedlungsprojekt in Mishongnovi 1984 erwähnt Loftin (1991:109). In diesem Fall war der Protest von Traditionalisten und lokalen Klanoberhäuptern gegen den Stammesrat letztlich erfolgreich.
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lopenbundes. Ehrenreich war genau wie Warburg auf der Suche nach Ursprünglichkeit, versäumte es als präziser Beobachter jedoch nicht, die politischen Untertöne der Schlangenzeremonie wahrzunehmen und festzuhalten: Das Ritual von Oraibi ist wahrscheinlich das altertümlichste und deshalb von besonderem Interesse. Das Studium desselben wird erschwert durch die fanatisch abweisende Haltung eines Teiles der Priesterschaft, die von einem Verkehr mit den Weißen nichts wissen will. Die liberaler gesinnten halten sich zum Teil von den Festlichkeiten fern, die deshalb an äußerem Glanz auch schon durch die geringere Zahl der Teilnehmer denen zu Walpi nachstehen. (Ehrenreich 1899:54) Am Morgen des 16. August beobachtete Ehrenreich zusammen mit anderen Teilnehmern der Reisegesellschaft den Abmarsch der Schlangenfanger: Sechs photographische Apparate waren auf den Eingang der Kiva gerichtet, auf dessen Steinvorbau, gravitätisch in eine Decke gehüllt, der fanatische Oberpriester saß, ein mürrisch dreinschauender alter Herr. Zur bestimmten Stunde entstiegen der Öffnung die sechs Schlangenjäger. (Ehrenreich 1899:91) Bei dem mürrischen alten Herrn handelte es sich um Masangöntewa vom Schlangenklan (Abb. 5). Er fungierte mindestens seit 1896 als Oberpriester des Schlangenbundes (Voth 1903:282-83). Nach den Angaben von Whiteley (1988b:205) war Masangöntewa außerdem Kiva-Oberhaupt und Oberpriester des Wuwtsim-Männerbundes der Schlangenkiva sowie Mitglied des Kriegerbundes (Momtsit). Unklar ist, ob er auch Oberhaupt des Schlangenklanes war.13 In jedem Fall war Masangöntewa ein „Feindlicher der ersten Stunde": Im Dezember 1882 hatte er zu einer kleinen Gruppe von hochrangigen Bundpriestern gehört, die den Forscher Frank Hamilton Cushing bei dessen Aufenthalt in Oraibi aggressiv zur Rede gestellt und unter anderem als „Haufen Scheiße auf unseren Plazas" tituliert hatte (Cushing 1922:263; Whiteley 1988b:72-73). Solch offene Worte blieben Paul Ehrenreich sechzehn Jahre später erspart, aber er registrierte, dass Masangöntewa und andere Bundpriester die Anwesenheit der Fremden nur widerwillig duldeten und als Beeinträchtigung der zeremoniellen Konzentration empfanden. Über den Besuch in der Schlangenkiva am Nachmittag schreibt er mit ironischem Unterton: Ein heftiger Gewitterregen zwang uns, die Kiva wieder aufzusuchen. Wir fanden dort die Schlangenjäger ziemlich mißmutig vor. Ihre Ausbeute war sehr gering gewesen, da auf dem erweichten Boden die Spuren der Reptilien nicht erkennbar waren. Natürlich hatte unsere profane Gegenwart den Mißerfolg verschuldet. (Ehrenreich 1899:92) (Abb. 6) Auch bei der zweiten Schlangenjagd am nächsten Tag, dem 17. August, wurden die widrigen Wetterverhältnisse mit der Anwesenheit der Weißen erklärt: Auch diesmal war, wie wir hörten, die Jagd unergiebig, da ein heftiger Sandsturm sich erhob, was den alten Fanatiker wieder zu grimmigen Äußerungen über den bösen Einfluß der Weißen veranlaßte. (Ehrenreich 1899:93)
13 Während Voth (1903:282) Masangöntewa dem Schlangenklan zurechnet, wird er in der Monographie von Mischa Titiev an zwei Stellen als Schlangenklanmitglied bezeichnet, einmal aber auch dem mit geringerem Prestige behafteten Eidechsenklan zugeordnet (Titiev 1944:83, 209, 242). Siehe auch Fußnote 23.
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Abb. 5. „Oberhaupt der Schlangenpriester mit Schlangenpeitschen" (Masangöntewa, Oberpriester des Schlangenbundes). Fotograf: Paul Ehrenreich. Oraibi, Mitte August 1898. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
August 1989: Begegnungen und Impressionen Bei einem Spaziergang traf ich am 18. August 1989 vormittags im Tal von Oraibi auf eine große Schlange. Ich erschrak, da ich das Tier, das quer über den Weg vor seinem Loch lag, erst im letzten Moment wahrgenommen hatte. Die Schlange war träge, und Hopi-Bekannte sagten später auf meine Beschreibung, es sei wohl eine Bullennatter gewesen. Ich machte zwei Fotos, entschuldigte mich für die Störung und kehrte wieder um. Natürlich hielt ich es für bedeutungsvoll, dass sich mir ausgerechnet am Tag vor dem Schlangentanz eine lebende Schlange in den Weg gelegt hatte. Am frühen Nachmittag zeigte mir Leigh Jenkins, Leiter des Hopi Cultural Preservation Office, mit dem ich mich regelmäßig traf, eine Zeitungsnotiz. Die Oberhäupter des Schlangen- und Antilopenbundes von Mishongnovi hatten kurzfristig bekanntgeben lassen, dass Nicht-Indianer beim Antilopentanz zugelassen würden, der Schlangentanz aber geschlossen sei. Nach 16 Uhr fuhr ich nach Mishongnovi hinüber. Ich freute mich über die unverhoffte Gelegenheit zum Besuch des Antilopentanzes, hatte aber ein komisches Gefühl dabei. Waren Weiße wirklich zugelassen? Und wenn ja, wussten das die anwesenden Hopi auch? Ich kannte die bösen Blicke, die wortlose Feindseligkeit mancher Hopi. Oben im Dorf suchte ich mir einen Platz auf einem Hausdach auf der Nordostseite der Plaza, wo ich mich bei Katsina-Tänzen immer hinstellte. Ich war ausgesprochen erleichtert, als ich in der Menge
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Hans-Ulrich Sanner
Abb. 6. „Rückkehr der Schlangenjäger in die Kiva". Fotograf: Paul Ehrenreich. Oraibi, Mitte August 1898. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
der um die Plaza versammelten Indianer ein paar weiße Touristen entdeckte. Dorfbewohner hatten für den morgigen Schlangentanz bereits Plätze reserviert. Auf einem Klappstuhl am Rande des Daches hatte jemand ein Pappschild befestigt mit dem launigen Hinweis „Stay off or I'll kick your ass". Ich genoss den grandiosen Panoramablick über Hopiland. Die Painted Desert zu unseren Füßen, von Mesas und Vulkankegeln durchsetzt. Schwarzblaue Wolken und breite Regenvorhänge im Südwesten, grelle Blitze im Nordosten. Eine Regenwand näherte sich von den San Francisco Mountains, wo die Katsinam ihr Heim haben; ihr wandernder Schatten verschluckte die von der Nachmittagssonne beleuchteten Farben der Painted Desert. Es begann zu regnen. Dann hörte man Leute flüstern: „They are coming!". Die Gespräche der Wartenden und der fröhliche Lärm der spielenden Kinder wichen einer erwartungsvollen Stille. Die Zeremonie begann mit dem Einmarsch von etwa 40 Männern und Jungen des Antilopenbundes. Einer hinter dem anderen kamen sie von ihrer Kiva auf der Südostseite auf die Plaza, die sie im Laufschritt viermal entgegen des Uhrzeigersinns umrundeten.14 Sie wirkten ernst, kon-
14 Meine Darstellung beruht auf den eher atmosphärischen als ethnographisch akribischen Notizen in meinem Feldtagebuch. Für eine ausfuhrliche Beschreibung der Schlangen- und Antilopenzeremonie, wie sie im Jahr 1901 in Mishongnovi stattfand, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen, siehe Dorsey und Voth 1902. Die Beschreibung des Antilopentanzes findet sich auf den Seiten 237-241. Earle Forrest (1961:72-96) liefert eine knappe Beschreibung und Fotos der Zeremonie in Mishongnovi 1907.
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zentriert, in sich gekehrt. Die Älteren von ihnen schienen aus einer anderen Zeit zu stammen. Vor dem kiisi, der heiligen Laubhütte, streute jeder eine Prise Maismehl und stampfte mit dem Fuß kräftig auf ein Resonanzbrett, was ein dumpfes perkussives Geräusch erzeugte. Unter dem Brett befindet sich ein kleines Loch, das sipaapuni, das während der Zeremonie die Verbindung zur unteren Welt darstellt. Durch das Aufstampfen werden die Bewohner der unteren Welt über den Fortgang der Zeremonie informiert. Die Antilopenpriester formierten sich in einer Reihe gegenüber des kiisi und begannen ihre weißen pilzförmigen Rasseln zu schütteln, es klang wie fallender Regen. Dann kamen die rostrot, schwarz und weiß bemalten Schlangenleute mit energischem Schritt auf die Plaza gelaufen und vollführten die gleiche Prozedur. Sie machten einen ziemlich verwegenen Eindruck. Es waren etwa 25 Personen, darunter einige kleine Buben, die sich in allem, was sie machten, an den erfahrenen Älteren orientierten. Trotz der Gesichtsbemalung erkannte ich einen der Männer, Randall, nicht aber Nelson. Nachdem sich die roten Schlangenleute gegenüber von den weißen Antilopen postiert hatten, hakten sich die Tänzer unter, verfielen in einen wiegenden Tanzschritt und begannen zu singen. Erst sehr tief und düster, später dann wundersame Melodien, die mich fast an gregorianische Choräle erinnerten. Die Abendsonne eroberte sich die Painted Desert zurück und schien auch hier oben bald wieder durch einen Kristallvorhang aus sanftem Regen, der nicht aufhören wollte. Unbeschreibliches überweltliches Licht, während sich unten auf der Plaza die Tänzer singend hin- und herwiegten. Ein riesiger Regenbogen überspannte die blauschwarze Wolkenwand hinter uns im Nordosten, aber über der Plaza war der Himmel inzwischen wieder klar. Unerklärlicherweise fiel immer noch ein feiner, kristallklarer Regen. Es war pure Magie, ein perfektes Zusammenspiel von Mensch und Natur, und ich begriff einmal mehr, warum die Hopi den Leuten von Mishongnovi ganz besondere Fähigkeiten im Umgang mit den Kräften der Natur zuschreiben (vgl. Whiteley 1988b:203). Irgendwann löste sich aus jeder der beiden Tanzreihen ein älterer Priester. Der Antilopenpriester legte seine Hand auf die Schulter des Schlangenpriesters, und so trippelten sie gemeinsam zum kiisi. Dort holte der Antilopenmann eine grüne Maisranke hervor, deren Ende er in den Mund nahm und zwischen den Zähnen festklemmte. „Geführt" von dem hinter ihm stehenden Schlangenmann, tanzten die beiden dann mit schlurfenden Schritten zwischen den Reihen der singenden, rhythmisch vor und zurück pendelnden Antilopen- und Schlangenleute auf und ab. Mehrmals kehrten sie zum kiisi zurück, wo der Antilopenpriester die Maisranke ablegte und eine neue aufnahm. Dass es sich dabei, wie manche Hopi und Ethnologen behaupten, um eine „Übung" (natwanta) für den am nächsten Tag stattfindenden Tanz mit lebendigen Schlangen handeln soll, leuchtet mir angesichts der Intensität und Kraft dieser Aufführung nicht ein (vgl. Waters 1980:237). Der Tanz endete so, wie er begonnen hatte. Zum Klang der Antilopenrasseln umrundeten die Schlangenpriester in einer Reihe erneut viermal die Plaza, streuten Maismehl und stampften ein jeder auf das Klangbrett vor dem kiisi. Nachdem sie verschwunden waren, wiederholten die Antilopenleute die Prozedur. Nach einer Dreiviertelstunde war das Ganze vorbei. Meine Ergriffenheit ob dieser totalen sinnlich-ästhetischen Erfahrung lässt sich hoffentlich auch dieser sehr reduzierten Schilderung des Antilopen-Tanzes entnehmen. Ähnlich überwältigt muss Paul Ehrenreich von der Kiva-Zeremonie des Antilopen- und Schlangenbundes am 18. August 1898 gewesen sein. Seine ausführliche Beschreibung endet mit den Worten:
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Eine heidnische Kultushandlung von mächtiger Wirkung, trotz all ihrer Fremdartigkeit! Der feierliche, wohllautende Gesang, der Ernst und die Hingabe, mit der die Priester ihres Amtes walteten, der phantastische Aufputz der Mitwirkenden, besonders der beiden personifizierten mythologischen Gestalten, die geschmack- und stimmungsvolle Altardekoration in dem düsteren, mysteriösen Halbdunkel des unterirdischen Raumes wird auf jeden Weißen, dem es vergönnt ist, einer solchen Scene beizuwohnen, einen tiefen Eindruck nicht verfehlen. Ob christliche Kultur im stände sein wird, etwas besseres an Stelle dieser echt urwüchsigen, von tiefem religiösem Sinne zeugenden Feier zu setzen, ist zum mindesten zweifelhaft. (Ehrenreich 1899:95) Nun war Paul Ehrenreich gewiss kein Träumer. Der Mann hatte im Dienste der Anthropologie des Kaiserreichs im Dschungel Brasiliens vor Angst zitternde Indianer fotografiert und kraniologisch vermessen (siehe Hermannstädter 1996:236ff.). Der Fotograf A. C. Vroman, der 1898 mit der gleichen Reisegesellschaft wie Ehrenreich zum Schlangentanz fuhr, beschrieb ihn mit sanftem Spott als den „Professor aus Berlin, mit seinem gesetzten wissenschaftlichen Ton" (Webb und Weinstein 1973:35). Ehrenreichs Schilderung zeigt einfach, dass von manchen Hopi-Zeremonien eine Power ausgeht, die selbst beim hartgesottenen Positivisten weiche Knie und adjektivische Anfälle verursacht. Am Abend nach dem Antilopentanz war die Atmosphäre voller elektrischer Spannung. In der Dämmerung kam Sturm von Westen auf, Vorbote einer schwarzen Wolkenwand, und dann zog ein schweres Gewitter mit grellen Blitzen und Donnerschlägen über uns hinweg Richtung Second Mesa. Der Regen war so gewaltig, dass das Wasser an mehreren Stellen durch die Rückwand meines Hauses brach und in kleinen Bächen an der Wand herabfloss. Am Abend des 19. August, der Samstag des Schlangentanzes von Mishongnovi, kam mein amerikanischer Freund und Mentor aus Shongopavi zum Essen. Es ging ihm nicht gut. Seine Befürchtungen, die er im Zusammenhang mit der erwähnten Straßenbauaffäre geäußert hatte, hatten sich bewahrheitet. Eine Gruppe von Shongopavi-Hardlinern hatte unter dubiosen Umständen ein Treffen einberufen. Eine Art Tribunal, von dem er mit Fragen bombardiert wurde, während er davor auf einem Stuhl saß. „So etwa", meinte er mit jüdischer Schalkhaftigkeit, „muss es bei der chinesischen Kulturrevolution gewesen sein. Es fehlte nur die Lampe im Gesicht." Es zählte nicht, dass das halbe Dorf hinter ihm stand und dass er mit seiner jahrelangen Arbeit in Institutionen mehr für die Hopi geleistet hatte als jeder Ethnologe. Für die Hardliner zählte allein, dass er weiß war. Deshalb mochten sie ihn nicht. Er beschloss, die Reservation zu verlassen. Am Sonntagnachmittag fuhr ich beim Haus von Randall vorbei, den ich flüchtig kannte. Randall gehörte einer prominenten Hopi-Familie an, war erfolgreicher Geschäftsmann und Rancher einerseits, Schlangenpriester und erfahrener Clowndarsteller andererseits. Ich hatte gehofft, ihn am Ende meines Aufenthaltes noch über die Clowntradition von Second Mesa interviewen zu können, hatte die Hoffnung angesichts seiner Teilnahme an der Schlangenzeremonie aber fast aufgegeben. Er begrüßte mich und bat mich ins Haus. Im Wohnzimmer saßen zwei seiner Töchter und mein Freund Nelson, sein Schlangenklanbruder, den ich lange nicht gesehen hatte. Randall erzählte, dass sie am Morgen zusammen aus der Schlangenkiva gekommen seien. Jetzt sei alles vorbei. Er erzählte von den zwei Wochen in der Kiva, wie schmutzig man wird, weil man immer die selbe Kleidung anhat, bis alles völlig verstunken ist. Aber das gehört sich so, es gehört zur Demut und Selbsterniedrigung der
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Schlangenpriester. Jetzt war er wieder ein normaler Mensch, frisch geduscht, profan. Mehrfach sprach er von der Power der Zeremonie, der Konzentration der Kräfte. Auch die Frauen des Hauses hatten eine anstrengende Zeit gehabt. Sie mussten mitten in der Nacht aufstehen und das Essen vorbereiten, das die Männer in der Frühe abholten, um es zur Kiva zu bringen. Nelson erzählte von einer riesigen Diamantrückenklapperschlange, die sie unterhalb der Mesa in der Nähe der Tankstelle gefangen hatten. Die größte und fetteste Schlange, die sie je hatten. „Boy, I was scared!" meinte er mit einem Lächeln. Aber da sie sie gefangen und in die Kiva gebracht hatten, mussten sie auch mit ihr tanzen. Mutige Männer, Schlangenpriester. Es klopfte an der Tür, und ein älterer Indianer mit Gehstock und langen grauen Haaren kam herein. Ein Bekannter von Randall, wie ich erfuhr, ein Tohono O'odham. Die Tohono O'odham (Papago) sind ein Wüstenvolk in Süd-Arizona, sprachlich verwandt mit den Hopi. Der Mann erzählte von seiner Tätigkeit als traditioneller Heiler und seiner Arbeit mit den jungen Leuten des Stammes. Er war als Gl in Deutschland stationiert gewesen, war durchden Alkohol- und Drogensumpf gewatet und schließlich durch eine heilige Vision auf den Pfad zurückgeführt worden. Er sprach ein paar Brocken Deutsch und kannte sogar meine Heimatstadt. Sympathischer Bursche. Nach einer Weile rief er zwei junge Indianer herein, die offenbar draußen vor der Tür gewartet hatten. Sie traten schüchtern ins Haus und setzten sich zu uns. Sie hatten gute, ernste Gesichter, trugen Jeans, saubere helle Hemden und Cowboystiefel, der eine trug einen schicken Stetson. Randall wollte von ihnen wissen, wie der Schlangentanz auf sie gewirkt habe. Die beiden Jungs, besonders der mit dem Stetson, waren tief beeindruckt von der Reservation und den Tänzen. „Ihr Hopi habt eure ganze Kultur bewahrt, ihr lebt hier friedlich, harmonisch und im Einklang mit den Traditionen." So etwa redete er, und ich dachte bei mir, dass er die Hopi nicht weniger idealisierte als irgendein europäischer Indianerfreak, mit dem Unterschied, dass er selbst ein Indianer war. Als ich Randall später diese Einschätzung vermittelte, gab er mir recht. Der Eindruck des Schlangentanzes hatte die jungen Tohono O'odham überwältigt. Die Hopi schienen noch alles zu besitzen, was ihre eigenen Leute verloren hatten. Was er nicht sah, war die dunkle Seite der Hopi-Gesellschaft und die Tatsache, dass ein großer Teil der Hopi-Jugend den gleichen Weg zu gehen schien. Der Junge war sehr ernsthaft und offen, er beschrieb seine Gefühle präzise und nachvollziehbar. Ich begriff, welche Hoffnungsträger die Hopi für andere indianische Gruppen sind. Und es gibt wohl nichts, womit Hopi ihre indianischen Gäste mehr beeindrucken können, als mit einem Besuch des Schlangentanzes.15 Ermuntert durch die positiven Eindrücke seiner Tohono O'odham-Gäste, hielt uns Randall einen längeren Vortrag über indianisches Denken und Handeln im Kontrast zur Weltauffassung des weißen Mannes. Mir wies er in dieser Runde den Part des exemplarischen „Whiteman" zu, auf den er an passender Stelle immer wieder zeigte, was für allgemeine Heiterkeit sorgte. Ich bat irgendwann um Gnade und verwies darauf, dass ich unmöglich die gesamte historische Bürde der Weißen gegenüber den Indianern auf die Schultern nehmen könne. Verglichen mit den oben erwähnten Erfahrungen meines amerikanischen Freundes war dies ein angenehmes Tribunal.
15 So wurde eine gemeinsame Konferenz des Hopi Cultural Preservation Office mit Stammesvertretem der Zuni und White Mountain Apache über Probleme religiöser Ausbeutung mit einem gemeinsamen Besuch des Mishongnovi-Schlangentanzes beschlossen (Anonymus 1993:3).
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Hans-Ulrich S armer
Ich verbrachte den Rest des Tages mit Randall und Nelson, und nach dem Abendessen lud mich Randall ein, mit ins Dorf zu kommen. Er erzählte mir, dass dort an den vier Abenden nach dem Schlangentanz einiges los sei. Er nannte es Yapahaha und beschrieb es als eine fröhliche, lockere Zeit zwischen (jungen) Männern und Frauen. Während er mit einer Handvoll Vierteldollar-Münzen herumklimperte, die er sich zurechtgelegt hatte, erklärte mir Randall, dass die Männer beim Yapahaha umherlaufen, um Frauen und Mädchen mit Geldmünzen und kleinen Geschenken anzulocken. Wenn die Frauen versuchen, ihnen die Geschenke abzuringen, machen sich die Männer einen Spaß daraus, ihnen an die Geschlechtsteile zu fassen.16 Ich schlug die Einladung aus, da ich müde war und zu Hause noch ein paar Sachen für meine bevorstehende Abreise richten wollte. Nelson nahm ich noch ein Stück mit dem Auto mit. Er wollte das Ende des Schlangentanzes auf andere Weise feiern, mit ein paar Flaschen Thunderbird Wine. Als ich erstaunt anmerkte, er sei doch erst am Morgen aus der Kiva gekommen, lachte er und erzählte, dass er während der neun Tage der Schlangenzeremonie keinen Tropfen angerührt habe. Aber jetzt sei es für ihn in Ordnung, zu trinken; die Zeremonie war beendet.
„Snake Dance near, Hopis feud": Schlangenpolitik 1890-1990 Im Sommer 1990 sorgte das Thema Schlangentanz erneut für Schlagzeilen. Am 12. August fuhren etwa 50 Hopi, darunter der neue Stammesratsvorsitzende Vernon Masayesva und andere Ratsmitglieder, nach Prescott, einer Provinzstadt in Zentral-Arizona. Dort demonstrierten sie gegen den Schlangentanz der Smoki, einer Hobbyisten-Vereinigung amerikanischer Geschäftsleute. Sogar ein U.S.-Präsident, Calvin Coolidge, war Mitglied der Smoki gewesen, und der bekannte Senator Barry Goldwater gehörte ihnen an. Seit 1924 führten die Smoki jährlich den Schlangentanz und andere imitierte Pueblo-Tänze auf.17 Im Hopi Tutu-veh-ni, der offiziellen Stammeszeitung, wurde die Protestaktion als erste jemals vom Hopi-Stamm autorisierte Demonstration gefeiert (Anonymus 1990:1) (Abb. 7). Versuche,
16 Vgl. Hopi Dictionary 1998:775, yappahahä. In der ethnographischen Literatur ist dieses Ritual, das nach dem Schlangentanz und anderen Zeremonien stattfindet, als ngöytiwa bekannt (von ngöyta, „etwas oder jemanden verfolgen"), also etwa „Verfolgungsjagd" (siehe z.B. Titiev 1944:32 Fußnote 12). Dorsey und Voth (1902:254-55 und Tafel CXLVII) bezeichnen die vier Tage nach dem Mishongnovi-Schlangentanz als „Nyöliwa (Wrangling)". Die sexuell lockere Atmosphäre des ngöytiwa gehörte zu den Gründen, aus denen die US-Indianerbehörde ab 1921 den Schlangentanz und andere Tänze unter dem Religious Crimes Codex („Circular 1655") zu verbieten suchte. Seit 1915 waren Agenten in die Pueblos geschickt worden, um Belege für den „extrem pornographischen Charakter" der religiösen Zeremonien und Tänze zu sammeln (James 1974:187-88). Missionare, Lehrerinnen und christianisierte Hopi lieferten zu diesem Zweck ausführliche Affidavits. Ein Hopi-Zeuge berichtete 1921 über die Bräuche von Mishongnovi: "About sundown when the Snake Dance is over, everybody gets supper, and after that the men and boys have things of value (...) and the girls and women run after the men to take the things they have. The man will hold it high, and the girls and women will try to get it. The man or boy will let the girl get it that he wants. When she gets it, it is understood that they are to have sexual intercourse that night." (Duberman et al. 1979:118). 17 Kurze Darstellungen der Smoki und ihrer historischen Rolle im Hobbyismus und Tourismus des Südwestens Nordamerikas finden sich bei Geertz (1994:304-05), Dilworth (1996:73-75 und Abb. 14) und Whiteley (1998:163-65).
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die Smoki zur Aufgabe ihres aus Sicht der Hopi blasphemischen Schlangentanzes zu bewegen, hatte es schon in den 1930er Jahren gegeben. In den 1970er Jahren bemühte sich der damalige Stammesratsvorsitzende Abbott Sekaquaptewa mehrfach, das Touristenspektakel zu stoppen (Geertz 1994:305). Konfrontiert mit den Hopi-Demonstranten vom August 1990, argumentierte der SmokiSprecher Perry Haddon, die Hopi-Delegation repräsentiere nur eine Minderheit, während viele Hopi nichts gegen die Smoki-Tänze einzuwenden hätten. Aber die Aktion des Stammesrats war gut vorbereitet: Im Jahr zuvor hatten Hopi-Beobachter die Aufführung des Smoki-Schlangentanzes in Prescott mit einer Videokamera aufgenommen. Das Video wurde anschließend in den Hopi-Dörfern vorgeführt, verbunden mit einer Fragebogenaktion, in der sich die scharfe Ablehnung des Smoki-Schlangentanzes durch die Hopi-Bevölkerung manifestierte (Anonymus 1990:1; Day 1990). Der Stammesratsvorsitzende Vernon Masayesva fasste diese Haltung in einer Presseerklärung zusammen: We view these dances as religious sacrilege and disrespect of the Hopi religious societies who practice and carry on the Hopi religion. Therefore, in recognition of the serious concerns of the Hopi people, we ask that these dances, which are gross misrepresentations of our sacred ceremonials be immediately stopped, (zitiert in: Anonymus 1990:1) Was die Hopi fast noch mehr verärgerte als der Missbrauch ihrer sakralen Traditionen, war der anmaßend-paternalistische Anspruch der Smoki, mit ihrem Hobbyismus den Schlangentanz der Hopi vor dem „Aussterben" zu bewahren. Tatsächlich brachte die gut organisierte Protestaktion von 1990 den Smoki-Schlangentanz zum Aussterben. Seit 1990 fand keine Aufführung mehr statt, auch wenn die Smoki in anderer Form aktiv bleiben. Alex Moran, ein ehemaliges Mitglied des Smoki-Rates, schrieb 1998 in einem InternetBrief: The Smoki Ceremonial is dead. (...) Smoki's efforts ... were done to understand, promote, and educate. As we have traveled into the Politically Correct 90's, we have learned that we need to be more sensitive. The Smoki stopped performing ceremonials, while archaeologists stopped digging up graves and returned dead ancestors to their tribes. (Moran 1998)18 Gegenüber früheren Versuchen, den Smoki-Schlangentanz zu bannen, wurde die Protestaktion des Stammesrats von 1990 durch ein gewandeltes politisches und intellektuelles Klima begünstigt, in dem indigene Völker wie die Hopi ihre kulturellen Eigentumsrechte mit wachsendem Erfolg einklagen.19 Als Ironie der Geschichte, genauer formuliert: der fotografischen Geschichte des Schlangentanzes, kommt hinzu, dass mit der quasiethnographischen Dokumentation des Smoki-Schlangentanzes per Videokamera ein großes Hopi-Publikum informiert und politisch gegen die Smoki aktiviert werden konnte.
18 Morans Brief enthält außerdem eine interessante Behauptung, die im Zusammenhang mit der heutigen scharfen Verurteilung des Smoki-Schlangentanzes durch Hopi zu überprüfen wäre: „I do feel obliged to mention that in the late 30's or early 40's, the snake dance was taught to the Smoki by, and blessed by, Hopi priests. You would have to contact Danny Freeman, Prescott, AZ, about that." (Moran 1998) 19 Für eine ausführliche Diskussion der Möglichkeiten und Probleme von „kulturellem Copyright" siehe Brown 1998 und 2003.
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Abb. 7. Jim Willoughby: Karikatur über den Smoki-Schlangentanz. Aus: Hopi Tutuveh-ni (1990:4).
Ironisch ist allerdings auch, dass die Aktion des Stammesrats zwar der Haltung wohl aller Hopi gegenüber dem geschmacklosen Smoki-Schlangentanz entsprach, aber dennoch keineswegs den ungeteilten Beifall aller Hopi bekam. Nur wenige Tage nach der Demonstration in Prescott, am 21. August 1990, erschien in der Lokalpresse ein Artikel mit der Überschrift „Snake Dance near, Hopis feud" (Winton 1990). Im Untertitel wird Radford Quamahongnewa, Schlangenbundoberhaupt und eloquenter Sprecher der ShongopaviTraditionalisten,20 mit den Worten zitiert: „They have desecrated the land. I don't think there will be any other ceremony that could replace this ceremony". Nun richtete sich diese Anklage nicht etwa gegen die Smoki, sondern gegen den Stammesrat. Quamahongnewa und verschiedene religiöse Oberhäupter von Shongopavi bezichtigten den Stammesrat der Heuchelei, weil er einerseits gegen die Smoki protestierte, aber andererseits zugelassen hatte, dass eine Straßenbaufirma im Jahr zuvor einen heiligen Schlangengrund zerstören durfte und damit den Fortbestand der Zeremonie bedrohte. Der Konflikt, den ich weiter oben geschildert habe, war keineswegs beigelegt. Anfang Juli hatte Quamahongnewa im Namen von religiösen Oberhäuptern Shongopavis eine Straßenblockade angekündigt, falls der Stammesrat ein neuerliches Straßenbauprojekt an besagte Firma vergeben würde. Ge20 Ein Porträt Quamahongnewas und ein ausfuhrliches Interview mit ihm findet sich in einer Publikation von Alexander Buschenreiter, einem österreichischen Journalisten und langjährigen Unterstützer des Hopi Traditionalist Movement (Buschenreiter 1993:184-204). Darin spricht Quamahongnewa auch über die Bedeutung der Schlangenzeremonie, über die Gründe für die Schließung des Tanzes in Shongopavi und über sein persönliches Paradox, als Traditionalistenführer gegen den Stammesrat zu kämpfen, dessen Angestellter er gleichzeitig ist.
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gen den Straßenbau selbst gab es übrigens keine Bedenken (Payne 1990). Eine Klage Shongopavis gegen die Firma sowie den Stammesrat wegen Zerstörung des Schlangengrundes im Jahr zuvor war noch anhängig. Die aus Sicht der Traditionalisten heuchlerische Haltung des Stammesrats wurde von Eldridge Koinva, dem Oberpriester des Antilopenbundes von Shongopavi, angesprochen: If they were truly concerned about protecting our religion, our culture and our tradition, they should have protested with us against the Blaze contract (the road-building project) instead of voting for it. (Winton 1990:1) Bezeichnenderweise beklagten sich die Shongopavi-Traditionalisten an gleicher Stelle auch darüber, bei der Vorbereitung der Protestaktion vom Stammesrat übergangen worden zu sein. Einer ihrer Sprecher, Ronald Wadsworth, sagte: The protest of the Smoki was conducted without our concurrence and without consultation with our religious leaders. Before the chairman and council protest those type of activities, they should first take care of protecting the Hopi religion at home. (Winton 1990:2) Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Frage der politischen Legitimation und Repräsentation den Kern des aktuellen Konfliktes zwischen den Shongopavi-Traditionalisten und dem Stammesrat bildete, so wie sie generell den Schlüssel zum Verständnis des HopiFraktionalismus liefert.21 Das Dilemma der Traditionalisten besteht darin, dass sie einerseits durch den Boykott des Stammesrates der traditionellen politischen Organisation (Dorfautonomie) treu bleiben wollen, sich dadurch aber gleichzeitig der Möglichkeit begeben, die „Außenpolitik" der Hopi und die Nutzung der eigenen Ressourcen institutionell mitzubestimmen. Daran können auch spektakuläre Aktionen wie der oben geschilderte Besuch beim Innenminister in Washington nichts ändern, da dessen offizieller Verhandlungspartner allein der Stammesrat ist. Umso wichtiger ist es, durch gezielte PR-Arbeit die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Da die Smoki-Protestaktion des Stammesrates in der Presse von Arizona, darunter die fuhrende Arizona Republic, ein deutliches Echo gefunden hatte, mussten die Shongopavis schnell handeln. Der zuerst in der Phoenix Gazette und dann im Gallup Independent erschienene Artikel von Ben Winton (1990) gab ihnen eine Plattform zur Darstellung ihrer Sicht und zur Kritik am Stammesrat. Die politische Instrumentalisierung des Schlangentanzes im Rahmen des strukturellen Konflikts zwischen „konservativen" und „progressiven" Hopi hat eine mehr als einhundertjährige Tradition. In seiner im Jahr 1903 erschienenen Monographie der Schlangenzeremonie von Oraibi schreibt Heinrich Voth: The relation between these two factions is of such a nature that they will very seldom cooperate in a ceremony. (...) Not a single member of the liberal faction has participated in the Snake ceremony in Oraibi for the last ten or twelve years. (Voth 1903.-273)22 21 Eine theoretische Betrachtung des Hopi-Fraktionalismus liefert Geertz (1994:206-210). Die reale Komplexität der Definition von „traditionellen" und „progressiven" Hopi und ihrer Beziehungen zueinander beleuchtet Whiteley (1988b:223-237) am Beispiel von Third Mesa. 22 Siehe auch die oben zitierte Passage aus Ehrenreichs Reisebericht. Das Zerwürfnis zwischen den Fraktionen führte dazu, dass ab 1896/97 zahlreiche Zeremonien doppelt durchgeführt wurden, mit jeweils rein „feindlicher" bzw. „freundlicher" Teilnehmerschaft (siehe Titiev 1944:80ff., und vgl. Whiteley 1988b:89).
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Das heißt, dass die Schlangenzeremonie ab etwa 1890 zunehmend von der Fraktion der Feindlichen kontrolliert wurde. Der Antilopenbund und seine Zeremonie waren im Besitz des Spinnenklans, dem hochrangige Anführer der Feindlichen angehörten (Whiteley 1988b:73). Im Schlangenbund fand nach 1890 ein Führungswechsel zwischen zwei Männern statt, die beide traditionelle Anrechte auf das Amt des Oberpriesters hatten. Kuktiwa vom Schlangenklan, der sich mit den Freundlichen identifizierte, verlor die Führung an den Feindlichen Masangöntewa, den Ehrenreich 1898 als Bundoberhaupt erlebte (Voth 1903:273). Ob sich Kuktiwa in Anbetracht der notwendigen engen zeremoniellen Kooperation mit dem Antilopenbund freiwillig zurückzog, oder ob seine Ablösung von den Feindlichen aktiv betrieben wurde, bleibt unklar. Jedenfalls verzichteten die Freundlichen darauf, eine eigene Schlangenzeremonie in Konkurrenz zu den Feindlichen zu etablieren. Der Ethnologe Mischa Titiev fuhrt den Verzicht darauf zurück, dass Loololma, das Oberhaupt der Freundlichen, die Traditionen nicht verletzen wollte (Titiev 1944:82).23 Auf jeden Fall ermöglichte die Kontrolle über die Zeremonie den Feindlichen schließlich, den öffentlichen Schlangentanz als politische Plattform zu nutzen. Die Anwesenheit von Touristen war ihnen willkommen, da deren Interesse an den Tänzen dem Bemühen der U.S.-Regierung um die Unterdrückung indianischer Zeremonien diametral gegenüberstand. Viele der weißen Besucher, darunter Künstler, Wissenschaftler und Bohemiens, waren an der Erhaltung der indianischen Traditionen interessiert, und selbst einige Missionare unterstützten die Feindlichen gegen die Politik Washingtons. Aus Sicht der Freundlichen nutzten die Feindlichen den Schlangentanz als „Schaufenster", in dem sie ihre Belange darstellten und symbolisch über die Haltung der Freundlichen und der U.S.-Regierung triumphierten (Whiteley 1988a:52; 1988b:93). Zwei aufschlussreiche Beobachtungen von Paul Ehrenreich dokumentieren die spannungsgeladene Atmosphäre im August 1898, am Tag vor dem Schlangentanz und während der Zeremonie selbst (Abb. 8 und 9): Voths Haus, die Schule und die Wirtschaftsgebäude waren mit weißen Gästen belegt. Auch Navahos hatten sich zahlreich eingefunden. Wie in Walpi merkte man auch hier die Anwesenheit der Fremden an dem Benehmen der Einwohnerschaft. Die Leute waren unruhiger und unfreundlicher als sonst. Schmutzige Kattunkleider sah man bei Frauen und Kindern in unheimlicher Verbreitung. (Ehrenreich 1899:154) Die zu Boden fallenden Reptilien suchen sich zunächst ins Publikum zu retten, das natürlich eiligst Raum gibt. Ungemütlich ist dabei die Situation der Stativphotographen, denen mitten in der Arbeit die giftigen Scheusale zwischen die Beine kom23 Cum grano salis: Titievs fundamentale Studie der Oraibi-Gesellschaft ist von den Sichtweisen „freundlicher" Informanten geprägt. Da sämtliche Priester des Antilopenbundes zu den Feindlichen gehörten, wäre es schwer für die Freundlichen gewesen, eine eigene Zeremonie durchzufuhren. Interessant ist in diesem Zusammenhang Voths Hinweis auf einen Konflikt zwischen Bundoberhäuptern der Feindlichen (Voth 1903:273, 283). Demnach musste Masangöntewa das Amt des Schlangenbund-Oberhauptes nach 1898 abgeben, weil er sich mit dem Oberpriester des Antilopenbundes (ergo: Tuvengötewa) überworfen hatte. Der Zeremonie im Jahr 1900 blieb er gänzlich fern. Verwirrend ist Titievs Behauptung, Nachfolger Masangöntewas sei Kuktiwa gewesen (Titiev 1944:209). Falls dies korrekt ist, dann hätte der Freundliche Kuktiwa seinen Führungsanspruch (gegenüber dem Feindlichen Masangöntewa) nie aufgegeben, sondern nur zurückgestellt. Laut Titiev ließ Kuktiwa sein (wiedergewonnenes) Amt (ab 1900 bis 1906) „ruhen" und gestattete einem anderen Bundpriester, Sikyahongnewa, die Führungsrolle. Siehe zum Vergleich Fußnote 26.
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men. Dann sind aber die Schlangensammler bei der Hand. Sie ziehen das entweichende Tier geschickt am Schwänze zurück und nehmen sie durch schnellen Griff am Halse auf, oft mit zornigem oder spöttischem Zurufe an die erschreckt auseinander weichenden Zuschauer, denen sie manchmal die sich windenden Reptilien entgegenschleudern. Hierbei fühlt der Indianer sich mit gerechtem Stolze dem Weißen überlegen. (Ehrenreich 1899:158, meine Hervorhebung) Auch wenn der Tanz mit Giftschlangen auf dem Hintergrund der kriegerischen Aspekte der Schlangenzeremonie die öffentliche Demonstration von Tapferkeit und Macht einschließen mag, so stehen die geschilderten Show-Einlagen der Schlangenfänger doch im Widerspruch zum Prinzip der rituellen Konzentration, das allen Hopi-Zeremonien zu Grunde liegt. Ehrenreichs Beobachtung legt nahe, dass in Oraibi die politische Instrumentalisierung des Schlangentanzes die Oberhand über die spirituellen, der Gewährleistung von Harmonie, Regen und Wachstum gewidmeten Intentionen gewonnen hatte. Der gesellschaftliche Zerfall kulminierte schließlich in der dramatischen Spaltung von Oraibi im September 1906, mit der nach einem geheimen Plan der religiösen Oberhäupter die korrumpierte Zeremonialordnung zu einem Ende gebracht werden sollte. Signifikanterweise lieferte die Schlangenzeremonie den Hintergrund dieses epochalen historischen Ereignisses, das bis heute Stoff für ethnologische Theorien liefert.24 Dem AmateurEthnographen Earl R. Forrest verdanken wir eine Beschreibung und mehrere Fotos vom Schlangentanz in Oraibi 1906 (Forrest 1961:43ff.). Offenbar aufgrund der Streitigkeiten zwischen den verfeindeten Fraktionen wurde die Zeremonie mehrfach verschoben, was schließlich eine ungewöhnlich große Zahl von Zuschauern anlockte, darunter zahlreiche Navajo und Hopi aus anderen Dörfern (Forrest 1961:44-45, 53-54.). Der öffentliche Schlangentanz fand am 5. September statt, also gut zwei Wochen später als üblich. Forrest schreibt, dass sich beide Fraktionen schließlich auf diesen Termin geeinigt hätten, weil es nach einem trockenen August höchste Zeit war, den notwendigen Regen zu beschaffen. Der Tanz habe sogar kurzfristig eine Atmosphäre der Versöhnung geschaffen, die sich dann jedoch als „Ruhe vor dem Sturm" erwies (Forrest 1961:67). Im Lichte anderer Quellen erscheint dieser Anflug von Harmonie fragwürdig. Tawaquaptewa, der Nachfolger Loololmas als Kikmongwi und Anführer der Freundlichen, war bitter entschlossen, eine aus Shongopavi stammende Gruppe von Feindlichen, die sich in Oraibi niedergelassen hatte und den Konflikt anheizte, zu vertreiben. Nach der Darstellung von Mischa Titiev (1944:85) wollte Tawaquaptewa mit der Aktion warten, bis der Schlangentanz vorbei war, da er eine Intervention durch weiße Schlangentanzbesucher fürchtete. Als Datum legte er den dritten Tag nach dem Ende des Tanzes fest. Die Feindlichen wiederum verschoben die von ihnen organisierte Schlangenzeremonie laut Titievs Darstellung mehrfach, um Zeit zu gewinnen. Anders, als es Forrest darstellt, müssen die Tage vor und während der Zeremonie von einer aggressiven Atmosphäre geprägt gewesen sein. Harry C. James (1974:135) spricht von zahlreichen erbitterten Diskussionen und mehreren Handgemengen zwischen Mitgliedern der verfeindeten Fraktionen. Theodore Lemmon, der Direktor der Reservationsschule in Keam's Canyon, berichtet in einem Brief an die Indianerbehörde:
24 Meine Darstellung folgt der Analyse von Whiteley (1988a,b), wonach die Spaltung von den Oberhäuptern gemäß einer Prophezeiung geplant wurde. Zur Diskussion der Thesen Whiteleys und alternativer Erklärungen siehe Rushforth und Upham (1992:123-148) und Clemmer (1995:84-124).
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Abb. 8. „Gruppen von Schlangentänzern" (I). Fotograf: Paul Ehrenreich. Oraibi, 22. August 1898. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
I expected trouble up there at the time of the dance and arranged to be present, the dance taking place on Wednesday. While we were waiting for the dance to come on, Mr. Frederick I. Monsen, who has attended the snake dance here before, remarked upon the tone of Hopi action being so widely at variance with anything he had ever known. (Zitiert in Whiteley 1988b: 107) Die Spaltung Oraibis wurde schließlich am 7. September 1906 vollendet, zwei Tage nach dem Schlangentanz und damit noch innerhalb der viertägigen rituellen Reinigungsphase, die auf den öffentlichen Tanz folgt. Bei dem zwischen den Fraktionen vereinbarten rituellen Kampf, einem unblutigen Wettdrücken, obsiegten die Freundlichen. Die Feindlichen mussten Oraibi verlassen und gründeten ein paar Kilometer nördlich die Siedlung Hotevilla. Welche Folgen hatte die Spaltung für die Schlangenzeremonie? Der „feindliche" Spinnenklan gehörte zu den Abwanderern und nahm die Antilopenzeremonie mit. Zu der Gruppe von Feindlichen, die schon Ende 1906 (vorübergehend) nach Oraibi zurückkehrte, gehörten zwar auch die Antilopenpriester Lomahongyiwma und sein Bruder Kyarhongniwa, aber eine zeremonielle Zusammenarbeit kam für die Freundlichen offensichtlich nicht in Frage.25 Dennoch fand in Oraibi am 21. August 1908 wieder ein Schlangentanz statt, der in 25 Zu Kyarhongniwa siehe Fußnote 3. Die nach Oraibi zurückgekehrten Feindlichen mussten offenbar allerlei Schikanen erdulden und durften nur eine Kiva, die Kojoten-Kiva, für ihre Zeremonien benutzen.
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Abb. 9. „Gruppen von Schlangentänzern" (II). Fotograf: Paul Ehrenreich. Oraibi, 22. August 1898. Ethnologisches Museum, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
seiner Gestaltung allerdings erheblich vom traditionellen Muster abwich (siehe Forrest 1961:97-104, mit Fotos). Die in Oraibi verbliebenen Mitglieder des Schlangenbundes hatten inzwischen einige jüngere Männer in den Bund initiiert. Den Part der fehlenden Antilopenpriester übernahmen vier ältere Männer des Schlangenbundes. Beim „Antilopentanz" am Tag zuvor verwendeten sie anstatt der üblichen Mais- oder Bohnenranken eine kleine Schlange. In der Sicht Whiteleys (1988b: 116, 275), der sich auf Forrest als Quelle stützt, war die Fortfuhrung des Schlangentanzes in Oraibi durch die Freundlichen eine (politische) Demonstration, dass sie die Zeremonie auch ohne die Feindlichen weiterführen konnten. Forrest schätzte den Tanz von 1908 als „Burleske" ein, vermerkte aber auch, dass anschließend lang anhaltender Regen einsetzte. Die Darstellung der Zuständigkeiten für die Schlangenzeremonie bei Titiev (1944:83 Fußnote 127; 209) lässt jedoch Zweifel an der rein profanen Einschätzung des Schlangentanzes in Oraibi 1908 und in den Jahren danach aufkommen. Demnach hatte Kuktiwa, früheres Bundoberhaupt und Anhänger der Freundlichen, die heiligen Paraphernalien des Schlangenbundes nach der Abdankung von Masangöntewa wieder an sich genommen. Allerdings, so Titiev, ließ Kuktiwa sein Amt als Oberpriester
Lomahongyiwma, prominenter Anführer der Feindlichen vor der Spaltung, richtete als „Rückkehrer" 1907 die Blauflötenzeremonie aus (Whiteley 1988b: 116).
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ruhen und erlaubte Sikyahongnewa die Durchführung der Zeremonie. 26 Sikyahongnewa und sein Neffe Puhunömtewa wanderten 1906 mit den Feindlichen nach Hotevilla ab, aber die Schlangenbund-Paraphernalien verblieben in Oraibi und wurden dort von Duweyamptiwa (Tuveyamptewa), dem neuen „freundlichen" Oberpriester des Schlangenbundes, verwendet. 27 Als Duweyamptiwa die Zeremonie nach 1912 aufgab, erbat sich Puhunömtewa die Übergabe der Bundheiligtümer. Jener gab der Bitte statt, und erst dadurch wurde Puhunömtewa zum rechtmäßigen Oberhaupt des Schlangenbundes in Hotevilla (Titiev 1944:209). Wenn Titievs Darstellung korrekt ist, dann war auch der 1908 in Hotevilla erstmals aufgeführte Schlangentanz (Forrest 1961:25) eher politische Show als religiöses Ritual, weil die heiligen Paraphernalien des Schlangenbundes nicht zur Verfügung standen. Auch das ungewöhnlich späte Datum der Aufführung am 2. September, knapp zwei Wochen nach dem Schlangentanz der Freundlichen in Oraibi (!), lässt vermuten, dass es sich um eine politisch motivierte direkte Reaktion auf die Provokation durch den Oraibi-Schlangentanz handelte. Während Hotevilla die Schlangenzeremonie nach 1912 unter Puhunömtewa dauerhaft revitalisierte, wurde sie in Oraibi zum Ende gebracht. Titiev erwähnt das Jahr 1912, aber andere Quellen zeigen an, dass in Oraibi auch 1916 und letztmalig im Jahr 1918 ein Schlangentanz aufgeführt wurde (Parsons 1922:289 Fußnote 14; Forrest 1961:25). Im Jahr 1922 hallten die eschatologischen Hintergründe der Spaltung Oraibis in einem spektakulären Ereignis nach, das sich erneut und nicht zufällig zur Zeit des Schlangentanzes abspielte. Hauptakteur war K.T. Johnson (Tuwaletstiwa), Mitglied des mächtigen Bogenklans und designierter Oberpriester des Zweihornbundes (Λα 'alt) von Oraibi, eines der vier großen Männerbünde der Hopi-Gesellschaft. Johnson war im Oktober 1914 per Taufe der Mennoniten-Kirche beigetreten und hatte unmittelbar danach seine SchlangentänzerAusrüstung verbrannt (Notarianni 1996:602). Am 27. August 1922 baute Johnson auf dem Dorfplatz von Neu-Oraibi (Kykotsmovi) den heiligen Altar des Zweihornbundes auf und brannte ihn vor den Augen zahlreicher Zuschauer nieder. Die ausführlichen Analysen von Peter Whiteley und Armin Geertz haben gezeigt, dass die Altarverbrennung mehr war als die Tat eines eifernden Hopi-Christen, der sich demonstrativ von den Götzen seiner alten Religion trennen wollte. 28 Tuwaletstiwa handelte kraft seiner Autorität als Klanerbe eines bedeutenden zeremoniellen Amtes und in Erfüllung der Überlieferung bzw. Prophezeiung (inavoti), die der Zerstörung der Zeremonialordnung von Oraibi zu Grunde lag. Die Festsetzung der Altarverbrennung auf die Zeit des Schlangentanzes von Hotevilla trug - auf dem Hintergrund des politischen Streits zwischen Progressiven und Konservativen - zur Signifikanz der spektakulären Aktion bei: For the Christian convert, the Snake Dance, condemned by the missionaries but condoned by so many other whites, became a cause célèbre in this conflict of values.
26 Heinrich Voth (1903:273-74) erwähnt nichts von einer Wiedereinsetzung Kuktiwas als Oberpriester nach 1898, was allerdings mit der subjektiven Sicht „feindlicher" Informanten zu tun haben könnte (vgl. Fußnote 23). Als rechtmäßigen Nachfolger Masangöntewas als Oberpriester des Schlangenbundes nennt er Puhunömtewa, der im Jahr 1900 die Zeremonie leitete, zwei Jahre später aber (vorübergehend) durch Sikyahongnewa ersetzt wurde. 27 In ihrer Liste zeremonieller Oberhäupter Oraibis im Jahr 1920 erwähnt Elsie Parsons (1922:290) „Tobeyamtiwa" als Oberhaupt des Schlangenklans. Die Rubrik des Bundoberhauptes („Snake chief') ist vakant. 28 Siehe Kapitel 5, „Burning Culture. Auto-da-fé at Orayvi", in Whiteley 1998; und Kapitel 1, „The Story of the Mysterious Mr. Johnson", in Geertz 1994.
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Johnson himself was a tsu 'wimkya, Snake initiate, who, immediately following his conversion, destroyed his sodality insignia (...). The burning was thus designed as a spectacle for an intercultural audience. (Whiteley 1998:137) Unterstützt wurde Johnson bei der Altarverbrennung durch Otto Lomavitu vom Kaninchenklan, der schon um 1912 konvertiert war und sich zum politisch ambitionierten Progressiven entwickelt hatte.29 Während Johnson in aller Sorgfalt den Altar aufbaute, wandte sich Lomavitu an die versammelten weißen Touristen, die für den Besuch des Schlangentanzes in Hotevilla (am Tag zuvor) auf die Reservation gekommen waren. Den Inhalt seiner Rede hat Lomavitu in einer Denkschrift für die Mennonitenmission festgehalten:30 We, the aborigines, did not take to civilization by choice. In order that you might convert us to your ways of living, you are now paying taxes in order to have money to spend on our education for which we are very thankful. But by your presence in a barbarous ceremony, and especially like the interesting, writhing snake dance, you destroy what you have built just for the sake of a single pleasure. Some of us who have learned better through your benevolence are trying to pay our government our great debt, even though it be in a small degree, by trying to live out before our people what we have learned in school. Your presence in these occasions mean to an uneducated and a savage Indian that after all there must be something in his way of religion so that you, a person gifted with superior intelligence should even spend hundreds of dollars to witness it so that he should better shun civilization and keep his children at home. Shame on you. In order that our people may become fit for this great country they must have Christ and the Bible. If you do not need Christ in civilization do let us have him. (Whiteley 1998:149, meine Hervorhebungen) Vom Überschwang des Konvertiten einmal abgesehen, entlarvt Lomavitu hier auf rhetorisch brillante Weise den Widerspruch der anglo-amerikanischen Gesellschaft zwischen Kolonialismus und Exotismus. Die anwesenden Hopi-Missionare dürften sich über die engagierte Stellungnahme gefreut haben, aber wie Whiteley (1998:137ff.) gezeigt hat, waren Lomavitu und Johnson nicht nur christlich motiviert, sondern engagierten sich beim Aufbau einer säkularen politischen Ordnung anstelle der alten Zeremonialordnung, die gemäß der Prophezeiung im Jahr 1906 bewusst zerstört worden war. Lomavitu wurde später, 1937, zum ersten Vorsitzenden des neu gegründeten Stammesrats. Der Schlangentanz in Hotevilla muss den beiden progressiven Aktivisten ein Dorn im Auge gewesen sein, zumal die Veranstaltung neben der religiösen weiterhin eine politische Dimension besaß, also zur Rekrutierung weißer Unterstützer diente. Die konzertierte Aktion von Altarverbrennung und politischer Rede am Tag nach dem Schlangentanz von Hotevilla richtete sich also bewußt an dessen weißes Publikum. Lomavitus Rhetorik zielte offenkundig darauf ab, a) den Weißen die Absurdität ihrer Haltung vor Augen zu fuhren und sie zu beschämen, und b) die Hotevilla-Konservativen per cleverem Seitenhieb als „unzivilisierte, wilde India29 Siehe Whiteley (1998:138). Eine Rekonstruktion von Lomavitus Rolle und Werdegang in der Mennoniten-Mission von Oraibi liefert Notarianni (1996:603ff.). 30 „A Hopi Indian Finds Christ. The Experience of Mr. Κ. T. Johnson and His Judgment on Idolatry. Prepared by Rev. John P. Suderman, Missionary to the Hopi Indians, Oraibi, Arizona" (o. J.). Peter Whiteley hat das schmale Heft im Archiv der Mennonite Library and Archives ausfindig gemacht und für die Forschung erschlossen.
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ner" zu diffamieren. Ob es ihm gelang, damit die Sympathie der Schlangentanzbesucher für die Konservativen zu untergraben, wissen wir nicht. Aber die Altarverbrennung, geplant und durchgeführt nach dem Muster von Hopi-Zeremonien, beeinflusste gemäß des traditionellen Denkens „in deutlicher Weise die geophysikalische Dynamik" (Geertz 1994:24; Whiteley 1998:152): Von Osten kam ein heftiger Sturm mit Blitzen, aber ohne Regen, auf, der sich in dem Moment legte, als der Altar zu Asche zerfallen war. Ein weiterer Beleg für die Strategie der widerstreitenden Hopi-Fraktionen, das weiße Schlangentanzpublikum für die je eigenen Interessen einzuspannen, findet sich in der Autobiographie von Don Talayesva (Simmons 1942:379-80; Talayesva 1964:396-97). Beim Schlangentanz in Hotevilla 1940 „erinnerte" Dan Qötshongva, Gründervater des Hopi Traditionalist Movement, das weiße Publikum an die Überlieferung vom Weißen Bruder (Pahaana), der zurückkehren werde, um die Bösen zu erschlagen und die Gerechten zu befreien. Ohne Zweifel bezog er das Pahaana-Motiv der Überlieferung hier auf den Kampf der „gerechten" Traditionalisten gegen die Progressiven und deren Stammesrat.31
Die umstrittene Schließung des Schlangentanzes für Besucher Wenn der Schlangentanz um 1900 und danach auf Third Mesa, also in Oraibi und später in Hotevilla, aus politischen Motiven bewusst ein weißes Publikum adressierte, so ist die weitere Geschichte der Zeremonie im 20. Jahrhundert vom zunehmenden Ausschluss der nichtindianischen Öffentlichkeit geprägt. Um die große Zahl der Fotografen und die damit verbundenen Auswüchse einzuschränken, führte der Indianeragent Leo Crane beim Schlangentanz von Walpi 1913 erstmals eine Genehmigungspraxis ein (siehe Lyon 1988:238-245). In diesem Falle traf sich die Abneigung Cranes gegen den alljährlichen Schlangentanzrummel mit dem Bedürfnis der Hopi nach religiöser Privatsphäre bzw. dem Schutz ihrer Zeremonien vor kommerzieller Ausbeutung. Bald darauf erwirkten die Dörfer aller drei Mesas ein vollständiges Fotografierverbot beim Schlangentanz, das in den 1920er Jahren auf sämtliche Zeremonien ausgeweitet wurde und bis heute gültige Praxis ist.32 Im Rahmen des Religious Crimes Codex, der 1921 aktiviert wurde, mussten die Hopi vorübergehend fürchten, dass Fotos als Beweismittel zur Unterdrückung ihrer Zeremonien verwendet werden könnten (Webb und Weinstein 1973:15, vgl. Fußnote 16). Bei seiner Recherche von Fotosammlungen fand Luke Lyon keine Schlangentanzfotos, die später als 1923 datiert sind (Lyon 1988:245). Aus heutiger Sicht stellt das Fotografierverbot für die Hopi - nach einer Phase massiver Unterdrückung durch die Institutionen der dominanten Gesellschaft - einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur Wiedergewinnung ihrer kulturellen Souveränität dar. Deshalb findet das Verbot bis heute die ungeteilte Zustimmung der Hopi-Bevölkerung. Wesentlich komplizierter ist die Frage des generellen Ausschlusses von Besuchern, die ab etwa 1970 im
31 Siehe dazu vor allem Geertz (1994). Laut Don Talayesva hielt Qötshongva zum damaligen Zeitpunkt Adolf Hitler für den erwarteten Weißen Bruder, wenn er dies vor dem anglo-amerikanischen Schlangentanz-Publikum wohlweislich auch nicht explizit erwähnte. Siehe dazu auch Sanner (2004:66-69). 32 Gleichermaßen untersagt sind Tonaufnahmen und das Anfertigen von Zeichnungen und Notizen.
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Zusammenhang mit den Schlangentänzen von Mishongnovi und Shongopavi aktuell wurde.33 In den 1960er Jahren kam es bei öffentlichen Tänzen verstärkt zu Störungen durch auswärtige Besucher. Vor allem kalifornische Hippies fielen auf der Suche nach einem Leben in Frieden mit „Mutter Erde" scharenweise in den Dörfern der Hopis ein und sorgten für reichlich Unfrieden. Ihre spirituelle Sehnsucht war durch das Book of the Hopi des Schriftstellers Frank Waters (1963, dt. 1980) ausgelöst worden, einer vom ethnologischen Standpunkt fragwürdigen Publikation, die in der entstehenden Gegenkultur der 60er Jahre jedoch auf enorme Resonanz stieß. Vom Hopi Traditionalist Movement, den politischen Erben der Feindlichen, wurden die Hippies teilweise hofiert, weil man sich von ihnen Unterstützung im Kampf gegen den progressiven Stammesrat erhoffte. 34 Die Mehrheit der Hopi jedoch empfand die Hippies wegen ihres Aussehens und ihres überwiegend respektlosen Auftretens als Belästigung. Aufgrund schlechter Erfahrungen bei vorangegangenen Tänzen beschlossen die Oberhäupter des Antilopen- und Schlangenbundes von Mishongnovi im Sommer 1971 erstmals, den bevorstehenden Schlangentanz für auswärtige Besucher zu schließen. In den anderen Dörfern löste die Entscheidung anhaltende Diskussionen über den Umgang mit (problematischen) Besuchern aus.35 Als es bei der Niman- und Shalako-Zeremonie in Shongopavi im Sommer 1972 erneut zu Belästigungen durch Hippies kam, wurde auch dort die Schließung des bevorstehenden Schlangentanzes erwogen. Nach eingehender Beratung verkündeten die Oberhäupter des Antilopen- und Schlangenbundes von Shongopavi jedoch, dass alle Besucher zugelassen seien. Diese Entscheidung missfiel allerdings dem Kikmongwi von Shongopavi, Claude Kewanyawma, der dem Hopi Traditionalist Movement nahe stand. Da die dörfliche Autorität für die Dauer einer Zeremonie jedoch vom Kikmongwi auf die Oberhäupter der ausrichtenden Bünde übergeht, hatte er keine Befugnis, einen Ausschluss weißer Besucher vom Schlangentanz durchzusetzen. Stattdessen lud er wenige Tage vor dem Tanz eine Gruppe von Demonstranten ins Dorf ein, die von Thomas Banyacya, dem Sprecher des Hopi Traditionalist Movement gefuhrt wurde. Angeblich bestand die Gruppe aus indianischen Aktivisten unterschiedlicher Stammesherkunfit sowie einigen „indianisch" gekleideten Hippies. Als sich die Demonstranten am 29. August 1972 anschickten, alle
33 Im folgenden beziehe ich mich nur auf die Schließung der Schlangen- und Antilopentänze. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass in einzelnen Dörfern die verantwortlichen Bundpriester aus aktuellem Anlass immer wieder einmal Tänze für Nicht-Hopi oder Nicht-Indianer schließen. Im Jahr 1992 schlossen die meisten Hopi-Dörfer kurzfristig ihre Katsina-Tänze für weiße Besucher. Grund dafür war die Veröffentlichung eines populären Comic-Heftes, in dem Katsinam auf krude und obszöne Weise dar- und bloßgestellt wurden (Whiteley 1998:176-77, 235 Anm. 22; Sanner 2000:63). Besuchern der Reservation sei dringend empfohlen, sich rechtzeitig über die Erlaubnis zum Besuch von Tänzen und die erforderliche Etikette zu informieren. 34 Dies gilt besonders für Hotevilla. Eine ausführliche kritische Darstellung und Analyse der Traditionalisten-Bewegung, ihrer Manipulation von Prophezeiungen und ihrer Allianz mit der westlichen Alternativkultur hat Armin Geertz (1987, 1994) vorgelegt. Eine von Sympathie für die Traditionalisten geprägte Geschichte der Bewegung liefert Richard Clemmer (1995). 35 Ich folge hier der Darstellung von Harry C. James (1974:219). Richard Clemmer (1995:275) liefert eine andere Version von der erstmaligen Schließung des Mishongnovi-Schlangentanzes. Sein Buch enthält allerdings zahlreiche falsche Aussagen und Datierungen, z.B. seine Datierung der letzten Schlangentanze in Walpi und Hotevilla (Clemmer 1995:210). Unzutreffend ist auch seine Behauptung, dass sämtliche Dörfer von Second Mesa ab 1989 alle Zeremonien geschlossen hätten (Clemmer 1995:283).
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weißen Besucher aus dem Dorf zu werfen, kam es zu Handgreiflichkeiten mit Bewohnern Shongopavis: In spite of the marked lack of support by the great majority of the Shongopavi people, the demonstrators continued their harassment. Two Snake priests were dispatched from their kiva to the scene where they apprehended a demonstrator and follower of Banyacya, Earl Pela, on the basis that he was a Snake priest of Shongopavi and had no right to go against the orders of the leaders of the Snake Society. They fashioned a snake kilt around Pela and carried him to the kiva. (James 1974:220) Indem die beiden Schlangenpriester ihren Bundbruder Earl Pela symbolisch einfingen und zur Kiva brachten, gaben sie einen treffenden Kommentar zum Unterschied zwischen Tradition und Traditionalismus ab: Pelas Verpflichtung als Mitglied des Schlangenbundes wog schwerer als sein politisches Engagement für die Traditionalisten um Banyacya und den Kikmongwi Kewanyawma. Wenn wir Richard Clemmer Glauben schenken dürfen (siehe Fußnote 35), ging auch dem Schlangentanz in Mishongnovi 1975 ein Konflikt zwischen traditionellen Bundoberhäuptern und politischen Traditionalisten voraus. Laut Clemmer (1995:283) erschien zunächst eine Ankündigung über die Schließung des Schlangentanzes, kurz darauf aber eine Gegenankündigung des Schlangenbund-Oberhauptes, wonach der Tanz allen Besuchern offenstünde. Wie sich herausstellte, war die Schließung von einer „Gruppe von Dissidenten" verkündet worden, die aus einigen Mitgliedern des Schlangenbundes von Mishongnovi sowie Vertretern des Hopi Traditionalist Movement bestand. Der hintergangene Oberpriester des Schlangenbundes stellte klar, warum er keine Weißen vom Besuch des Tanzes ausschließen wollte: „When you turn people away, it is the same as chasing the rainclouds away" (zitiert in: Clemmer 1995:283). Ob in den folgenden Jahren ein Wechsel an der Spitze des Bundes erfolgte oder ob das erwähnte Bundoberhaupt seine Haltung änderte, ist mir nicht bekannt. Den vorhandenen Quellen ist jedenfalls zu entnehmen, dass der Schlangentanz von Mishongnovi mindestens seit 1983 für Nicht-Indianer geschlossen ist.36 Die Schließung des Schlangentanzes von Shongopavi wurde Anfang August 1986 in einem Brief von Radford Quamahongnewa an den Stammesrat angekündigt (Lyon 1988:263-64, Anm. 10). Der Grund für die Schließung, den Lyon an gleicher Stelle ausführt, ist kurios und wirft einmal mehr ein Licht auf die Beeinflussung der Schlangenzeremonie durch politische Querelen. Die Ankündigung Quamahongnewas erfolgte nur wenige Tage nach einer Hollywood-Pressekonferenz mit dem Schauspieler und „Oscar"-Preisträger Jon Voight am 28. Juli 1986. Voight hatte dabei die bevorstehende Enthüllung einer „die Welt erschütternden Prophezeiung" angekündigt, die ihm der „Spiritualist" Thomas Banyacya zum gegebenen Zeitpunkt mitteilen würde.37 Nachricht von der Pressekonferenz erreichte die Hopi-Reservation in zwei Artikeln der lokalen Navajo Times am 29. und 31. Juli 1986, illustriert mit Photos, auf denen Banyacya, 36 Geertz (1994:303 Fußnote 2) erwähnt einen Artikel in der Stammeszeitschrift Qua ' Töqti vom 4. August 1983, „Snake Dance Closed to Non-Indians". In jenem Jahr fand der einzige Schlangentanz in Mishongnovi statt. Lyon (1988:263-64 Anm. 10) schreibt, dass der Tanz auch 1985 geschlossen war, und: „Mishongnovi announced its Snake Dance, next in 1987, was closed to outsiders forever". 37 Der Wortlaut stammt aus einem Artikel im Star Magazine vom 19. August 1986, zitiert in Geertz 1994:263 Fußnote 4. Geertz erwähnt den Artikel als Beispiel für Banyacyas Medientalent, kannte aber offenbar nicht die Folgen der Aktion für den Schlangentanz.
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der „Prophet" der Hopi-Traditionalisten, von Jon Voight und einer strahlenden, bemerkenswert schlanken Liz Taylor eingerahmt wird (siehe Geertz 1994: Frontispiz). Die Nachricht, so schreibt Lyon, sorgte für erhebliche Unruhe unter den Hopi und führte postwendend zur Schließung des Shongopavi-Schlangentanzes für weiße Besucher.38 Mit dem Quasi-Verbot von Feldforschung über religiöse Themen um das Jahr 1990 haben die Hopi den Versuch gestartet, den religiösen Kern ihrer Kultur zu schützen. Wir sollten das respektieren. Die zu Beginn dieses Aufsatzes zitierten Worte von Nanahe aus dem Jahr 1881 definieren sehr deutlich die soziale und spirituelle Bedeutung von Geheimwissen und warnen vor den Folgen der unbefugten Offenlegung. Gleichzeitig impliziert das von Nanahe erläuterte Prinzip eine Auffassung, die ich von Hopi im Zusammenhang mit der Schließung des Schlangentanzes immer wieder gehört habe, nämlich dass jeder Mensch mit gutem Herzen, ungeachtet seiner Herkunft und Hautfarbe, zum Erfolg der Zeremonien beitragen kann. Dies ist das unlösbare Dilemma der Bundoberhäupter, die von Jahr zu Jahr entscheiden müssen, ob sie die öffentlichen Tänze entgegen dieses Prinzips für „NichtHopi" oder „Nicht-Indianer" (wo zieht man die Grenze?) schließen, oder ob sie „ihre Kinder, die ganze Welt" einladen, damit aber die Gefahr von Missbrauch riskieren. Die Erklärung von Peter Whiteley (1998:184), dass die Hopi in jüngerer Zeit Tänze entgegen ihrer religiösen Grundsätze für Besucher geschlossen haben, „einfach weil sie die Missbräuche satt haben", greift zu kurz. Die (kurze) Geschichte der Schließung des Schlangentanzes von Mishongnovi und Shongopavi deutet an, dass die Kontroverse auch von Motiven beeinflusst wird, die mit dem Streit zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen der Hopi-Gesellschaft zu tun haben. Es scheint, als hätten Thomas Banyacya und das Hopi Traditionalist Movement nicht unbedingt weniger Anteil an der momentanen Regelung als respektlose Hippies oder heimlich fotografierende Touristen. Und als eine Art Missbrauch betrachtet es mancher Hopi schließlich auch, wenn Schlangen- und Antilopenpriester, Traditionalisten und Stammesratsmitglieder ihre politische Fehde just zu der Zeit austragen, wenn die Bundmitglieder in den Kivas mit gutem Herzen, also frei von selbstsüchtigen und aggressiven Gedanken „für das gute Leben" (qatsit lomahintaniqat) beten sollen: Regen, Fruchtbarkeit, Harmonie, Erneuerung und Segen für alle Welt. Am 25. August 1990, dem Tag des Schlangentanzes in Shongopavi, peitschte ein garstiger Wind Sand über die Mesa, von morgens bis abends brannte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. In Mishongnovi fand ein schöner Schmetterlingstanz statt, den ich mir mit Freunden ansah. Einige Hardliner aus dem Dorf hatten versucht, den Tanz für Weiße sperren zu lassen, waren damit aber gescheitert. Als ich am späten Nachmittag noch einmal nach Mishongnovi fuhr, um mir die letzte Tanzrunde anzusehen, kam mir auf dem Highway eine Karawane von Pickup-Trucks entgegen, die vom Schlangentanz in Shongopavi zurückkamen. Als mich Hopi-Freunde später fragten, ob ich beim Schlangentanz gewesen sei, machte ich sarkastische Bemerkungen über meine „falsche" Hautfarbe. Einer überlegte scherzhaft, wie man mich als Hopi hätte verkleiden können. Meine Gastfamilie, bei der ich zu Abend aß, hatte dem Schlangentanz beigewohnt. Sie erzählten mir, die Plaza sei so überfüllt mit Zuschauern gewesen, dass sie kaum etwas sehen konnten. Der allgemeine Tenor
38 Radford Quamahongnewa nennt in dem bereits erwähnten Interview mit Alexander Buschenreiter, das 1989 oder 1990 stattfand, allerdings andere Gründe für die Schließung des Shongopavi-Schlangentanzes: die übermäßige Anzahl und das Fehlverhalten von „Nicht-Indianern" bei Hopi-Zeremonien, sowie die respektlose Imitation von Hopi-Tänzen durch die Smoki (Buschenreiter 1993:188ff.).
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war, dass jetzt zwar die weißen Zuschauer fehlen, aber da in jedem Jahr nur noch ein Schlangentanz stattfindet, kommen die Hopi aus allen Dörfern nach Second Mesa, und dadurch sei es jetzt noch voller als früher mit den Weißen. Ketzerisch ausgedrückt, lebt der Schlangentanzrummel unter geänderten Vorzeichen fort. Einige Tage nach dem Schlangentanz besuchte ich einen alten, einfachen Mann in Shongopavi, dem ich gelegentlich eine seiner kleinen, preiswerten Katsina-Figuren abkaufte. Als ich ihn beiläufig fragte, ob er beim Tanz gewesen sei, gab er eine Antwort, die mich überraschte. Vielleicht hatte er ja Mitleid mit mir, jedenfalls sagte er etwa dies: I didn't even go see the dance. Why should I go when they keep people out. I'm no better than anybody else. And you never know, there might be one fellow with the heart who would go see the dance, one joyful person. It could even be a Whiteman, how would they know? You cannot keep out anybody, so I decided not to go. I don't even wanna see the dance, if not everybody can go see it.
Schlussbetrachtung Die Ethnographen des ausgehenden 19. Jahrhunderts betrachteten die Kultur der Hopi durch die romantisch getönten Gläser des unilinearen Evolutionismus. Und unter all den Bräuchen und Zeremonien, die sich in diesem vermeintlichen Relikt einer früheren Stufe menschlicher Evolution erhalten hatten, schien der Tanz mit lebenden Giftschlangen am archaischsten. Am Beispiel dieses „merkwürdigen, echt urwüchsigen barbarischen Festes" (Ehrenreich 1899:54) ließ sich der „Urzustand zeigen, an dessen Verfeinerung und Aufhebung und Ersatz die moderne Kultur arbeitet" (Warburg 1988:55). Um das reine Urbild freizulegen, wurden historische Prozesse und aktuelle politische Aspekte und Konflikte ausgeblendet oder gar nicht erst wahrgenommen. Wenn sie registriert wurden, wie bei Ehrenreich, dienten sie als Mahnung, die noch vorhandenen ethnographischen Lücken alsbald zu schließen, bevor unter dem Ansturm der anglo-amerikanischen Gesellschaft bald „freilich auch hier die letzte Stunde geschlagen haben (dürfte)" (Ehrenreich 1899:53). Die enge Verflechtung spiritueller und politischer Belange und Intentionen ist nachgerade das Charakteristikum des Hopi-Zeremonialsystems. Insbesondere die Arbeiten von Peter Whiteley haben diesen Zusammenhang in seinen verschiedenen Aspekten herausgearbeitet. Esoterisches rituelles Wissen ist die Hauptquelle gesellschaftlicher und politischer Macht, folglich stellt die Offenlegung von religiösem Spezialwissen durch Wissenschaftler, Sammler oder Museen eine elementare Bedrohung dar. Dass die Antilopen- und Schlangenpriester für den Regen arbeiten, der die Reifung der Feldfrüchte vollendet, eröffnet sich auch dem kulturellen Außenseiter auf eindrucksvolle Weise, wenn während oder nach der Zeremonie kräftige Gewittergüsse niedergehen. Im vorliegenden Beitrag ging es mir allerdings darum, den Aspekt der „Schlangenpolitik", das heißt die zielgerichtete Instrumentalisierung des Schlangentanzes zu politischen Zwecken durch Hopi seit Ende des 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Ausgangspunkt waren aktuelle Konflikte, die ich während meiner Feldforschung in den Jahren 1989 und 1990 wahrgenommen und, zusammen mit einigen weiteren Beobachtungen rund um den Schlangentanz, in Form von „marginalen Notizen" festgehalten habe. Im Rahmen eines kleinen historischen Kataloges politisch-religiös motivierter Aktionen, die sich auf dem Hintergrund des Schlangentanzes entfalteten, habe
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ich „Schlangenpolitik" als Element der kulturellen Kontinuität im 20. Jahrhundert dargestellt. An dieser Stelle könnte man einwenden, dass sich die Kontinuität nur auf eine Phase der Modernisierung und vollständigen Eingliederung der Hopi ins „Weltsystem" (Clemmer 1995) beziehe, die auf die fundamentale Erschütterung der „traditionellen" Gesellschaft folgte. Das klassische Paradigma „Tradition versus Modernität" ist inzwischen jedoch überzeugend in Frage gestellt worden. Wie schon der Ethnohistoriker Edward Spicer für den Bereich des indianischen Südwestens (Spicer 1962, 1971), so betrachten die HopiSpezialisten Peter Whiteley und Armin Geertz das Überleben des soziokulturellen Systems unter den komplementären Aspekten von Persistenz und Wandel und heben das dynamische, adaptive Potenzial von „Tradition" hervor (siehe Geertz 1993). Eine Neuinterpretation der Hopi-Sozialgeschichte auf der Basis mehrerer Fallstudien legten der Anthropologe Scott Rushforth und der Archäologe Steadman Upham vor (Rushforth und Upham 1992). Sie legt nahe, dass die soziale und zeremonielle Struktur, wie sie von den klassischen Ethnographen ab 1880 vorgefunden und als „traditionell", „ursprünglich" und „unverändert" beschrieben wurde, das Ergebnis von teilweise radikalen Umwälzungen der früheren HopiGeschichte war. Im Zusammenhang mit den kriegerischen Aspekten von Schlangenklan und -bund stellte Richard M. Bradfield die Hypothese auf, dass Einführung und Blütezeit des „Schlangenkultes" bei den Hopi mit der Ankunft und Dominanz der Navajo, Apache und anderer räuberischer Nomaden im Südwesten korrelierten (Bradfield 1995:252-53). Als die Bedrohung durch diese Feinde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachließ, habe die Kriegerfunktion des Schlangenbundes ihre Bedeutung verloren. Die kriegerischen Konnotationen hebt auch Hamilton A. Tyler (1964:221-249) in seiner kenntnisreichen Synopse der Pueblo-Schlangenverehrung hervor und konstatiert ähnlich wie Bradfield deren historischen Verlust an Bedeutung gegenüber den Belangen von Regen und Fruchtbarkeit. Allerdings hält Tyler die kriegerische Symbolik der Schlange - unter veränderten Bedingungen weiterhin für relevant: While this aspect of the snake (as a fertility spirit) is now uppermost, and the war connotations are dim, he does take on one aspect of the warrior. The enemy of the Hopis is no longer other Indians, but the possibility of losing the Hopi way of life. Against this vague opponent the snake stands as a guardian; he fights at one's side, so to speak, against the invisible enemy. (Tyler 1964:229-30) In Entsprechung zu dieser These legen meine Betrachtungen zur „Schlangenpolitik" nahe, dass die kriegerischen Aspekte der Zeremonie ab Ende des 19. Jahrhunderts eine Transformation erfahren haben: Der öffentliche Schlangentanz wurde zum politischen Forum der Auseinandersetzung mit der dominanten anglo-amerikanischen Gesellschaft, und die Zeremonie an sich spielte eine signifikante Rolle im Streit der „freundlichen" und „feindlichen" Fraktionen von Oraibi um das Jahr 1900 (siehe hierzu auch den Beitrag von Erhard Schüttpelz in diesem Band). Darüber hinaus dient die Schlangenzeremonie bis zur Gegenwart unterschiedlichen politischen Gruppierungen der Hopi-Gesellschaft als Symbol und Instrument in der Auseinandersetzung mit dem Kulturwandel. Und schließlich dürfte im Verhältnis zu den Navajo, Apache und anderen indianischen Nachbarvölkern (die als Zuschauer
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weiterhin zugelassen sind) der Tanz der Respekt einflößenden Schlangenleute ein Ausweis ethnischer Vitalität und Selbstbehauptung sein.39 Die medienwirksame politische Kampagne der Traditionalisten von Shongopavi in den Jahren 1989-90, unter dem Motto „Save the Snake Ceremony", steht in einer Traditionslinie mit der Nutzung des Schlangentanzes als politischer Plattform durch die Feindlichen in Oraibi 90 Jahre zuvor. Der zunehmende und schließlich völlige Ausschluss eines weißen Publikums im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wirft in diesem Zusammenhang jedoch eine Frage auf: Wenn die Feindlichen von Oraibi um 1900 und später in Hotevilla ein vitales Interesse an der Präsenz weißer Sympathisanten beim Schlangentanz hatten, warum waren dann ihre politischen Erben, die Traditionalisten, eine treibende Kraft bei der Schließung der Schlangentänze von Mishongnovi und Shongopavi? Um in der dominanten Gesellschaft Gehör zu finden, sind Hopi-Interessengruppen nicht mehr darauf angewiesen, dass Weiße zur Reservation, also an die „Peripherie" reisen, da sie die „Metropole" längst über die Nutzung der Massenmedien erreichen. Die internen und externen Folgen der systematischen Nutzung von Printmedien durch das Hopi Traditionalist Movement hat Armin Geertz (1994:95-114) analysiert. Um die Schlangenzeremonie zu „retten", engagierten die Traditionalisten von Shongopavi, wie ich geschildert habe, eine PR-Managerin, hielten Pressekonferenzen in Städten Arizonas ab und flogen zum Innenminister nach Washington. Um die Abschaffung des Smoki-Schlangentanzes zu erreichen, demonstrierte der Stammesrat in Prescott und mobilisierte die Hopi-Bevölkerung mit einem Video. Der Prozess der zunehmenden „Ausstrahlung" über die modernen Medien geht wahrscheinlich nicht zufallig im Inneren mit der wachsenden Kontrolle von Forschung, Tourismus und „kulturellem Copyright" einher, zu der auch die (zeitweilige) Schließung von Tänzen oder gar Dörfern gehört. Bleibt die Frage, warum unter all den Zeremonien der Hopi gerade der Schlangentanz immer wieder symbolpolitisch instrumentalisiert wird und einen Hintergrund für den Konflikt zwischen politischen Gruppierungen der Hopi-Gesellschaft um das ökonomische, politische und kulturelle Verhältnis zur dominanten Gesellschaft bildet. Es mag damit zu tun haben, dass auf dem Hintergrund der kriegerischen Tradition die Schlange noch immer ein symbolischer Wächter des „Hopi-Weges" ist, wie es Hamilton Tyler ausgedrückt hat. Mit Sicherheit aber wissen die Hopi um die Faszination des furchtlosen Schlangentänzers im Auge des von biblischer Tradition geprägten Betrachters. „Schlangenritual" ist ein magisches Wort, das die Weißen elektrisiert und öffentliche Aufmerksamkeit garantiert.
39 Das zentrale rituelle Forum der modernen Hopi-Gesellschaft zur Auseinandersetzung mit dem Kulturwandel, zur Verhandlung aktueller Konflikte und zur performativen Definition von Hopi-Identität ist die Clownzeremonie, die im Rahmen der frühsommerlichen Katsina-Tänze aufgeführt wird (Hieb 1972, Sanner 1992). Naheliegenderweise persiflierten Hopi-Clowns mehrfach auch Konflikte um den Schlangentanz, z.B. das Verhalten weißer Zuschauer oder die Imitationen der Smoki (siehe Sanner 2004:53-54; Whiteley 1998:187). Eine strukturelle Parallele der Clownzeremonie zum Schlangentanz sehe ich darin, dass die Clowntradition auf Third Mesa vom Adlerklan gehütet wird, der wie der Schlangenklan kriegerische Funktionen innehatte. Mein Gesprächspartner Abbott Sekaquaptewa machte mich auf die doppelte Kontrollfunktion seines Adlerklanes aufmerksam: Als Krieger die Gesellschaft gegen Feinde von außen zu schützen, und als Clowns die Werte der Gesellschaft im Inneren zu verteidigen (Sanner 1992:51).
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Armin W. Geertz Tsu'ngyam Tradition: Men, Women and Snakes in Hopi Theology
The Hopi Snake Ceremonial (Tsu'wimi) arguably ranks as one of the more dramatic and fascinating religious observances known in the history of religions. It has certainly raised a great deal of interest in the outside world and brought thousands of curious (and unwanted) visitors to Hopi land ever since the end of the 19th century. The plazas became so overcrowded with tourists already around the turn of the 20th century that the Hopis became hostile towards visitors which eventually led to the prohibitions that began during the late 1960s. There are a fairly large number of publications that describe the Snake Ceremonial, but only a few that provide, or even attempt to provide, plausible interpretations. Jesse Walter Fewkes proposed in 1894 that the ceremonial is an elaborate prayer for rain, and three years later he noted that it also involves the growth of com (maize). Furthermore, there is what he calls a tinge of sun worship involved (Fewkes 1894:124; Fewkes 1897:307). Mortuary and militaristic elements were noted at the turn of the 20th century by Henry R. Voth and several decades later by Elsie Clews Parsons. Mischa Titiev picked up on all these themes during the 1930's (Titiev 1992:149-150,152-153; Voth 1903:344; Parsons 1936:577ff.). Richard Maitland Bradfield has convincingly argued that the concern of the ceremonial is that of the garden vegetables rather than the corn crops which are taken care of by the women's Maraw Ceremonial in September (Bradfield 1973:167-168, 180ff.). Characteristically, none of these studies pays much attention to the oral traditions connected with the Snake Clan and its ceremonial, except to support one or more of the above-mentioned themes which, by the way, are fairly self-evident. But if we listen to the oral traditions and dig a little deeper, we are confronted with a dazzling array of themes and figures that move far beyond mundane matters of solar heat and rain for the vegetables. We are confronted instead with fundamental relationships between humans and animals, humans and gods, and men and women. Moreover, these relationships are presented so irresistibly and universally that they constitute intellectual challenges begging for our interpretation.
Snake Clan Mythology There are a number of variants of the myth, most of them from Walpi, First Mesa, where it seems to be the consensus - even in Third Mesa tradition - that the Snake cult originated. Anthropologists Louis A. Hieb and Susan E. Diggle have located 16 narratives, 12 of which are from Walpi, 3 from Second Mesa and 1 from Third Mesa (Hieb and Diggle in press). The earli-
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est recorded myth was related to John G. Bourke in 1881 (Bourke 1884:177).1 Several of the variants from Walpi were told by the same narrator and to the same researcher, but published through various channels by different authors and editors. This particular narrator was Wiki from the Dove branch of the Snake Clan (Tsu'ngyam) and Chief of the Antelope Society (Tsöpmongwi) during the 1880's. The identity of the researcher is intriguing. In his on-going archival research, Hieb has discovered that a surprising number of texts and articles published in other names were in fact recorded and written by Jeremiah Sullivan. One of these authors was Alexander M. Stephen, who lived among the Hopis for some 3 years from 1891 until his death in 1894. An article published posthumously in Stephen's name was written by Sullivan probably in 1886-1887.2 Hieb wrote that "parts of it reflect notes made by Sullivan as early as 1883 as these were used by Stephen (not crediting Sullivan) in his 1884 pottery catalogue (and some were subsequently copied, also, by Cosmos Mindeleff who didn't credit either Stephen or Sullivan)" (personal communication, July 16,2002). One of the myths was published posthumously by Elsie Clews Parsons and attributed to Stephen. But Hieb has pointed out that "all of the early (1883/1884) 'tales' in 'Hopi Tales' (edited by Parsons - who recognized the different 'voices' but didn't consider the different handwriting!) were recorded by Jeremiah Sullivan and this includes the 'Legend of the Snake Order... As Told by Outsiders' (copied from notebooks in Stephen's possession - but in Sullivan's hand - by Washington Matthews who attributed it to Stephen)." (personal communication July 14, 2002; cf. Hieb 2002:85; Hieb 2004). The above-mentioned posthumous Masterkey publication relates that there are three myths about the origin of the Snake Ceremonial. The first is the popular version known to people at all the villages. The second is told by one of the Antelope priests and is only known to the members of the Snake and Antelope fraternities. The third one is only known to the chief priests (Stephen 1939:198). The latter version, told by Wiki, has appeared in several publications (Stephen 1929:35-40; Stephen 1939:198-204; Fewkes 1894:106-119). The other variants are either somewhat different or are shorn of various details.3 A final First Mesa version from Walpi was recorded sometime during the first two decades of the 20th century by Edward S. Curtis (1922:7478). Three versions are from Second Mesa - one collected in 1901 and the other two sometime between 1903 and 1904 - were recorded by Mennonite Henry R. Voth who drove a mission at the foot ofThird Mesa (Dorsey and Voth 1902:255-261; Voth 1905:30-35,35-36). There is only one version from Oraibi, Third Mesa, which was also collected by Voth during the period of 1896-1900 (Voth 1903:349-353). The basic narrative is surprisingly consistent despite variant details. In this paper, I would like to examine the Oraibi version since it introduces two important details missing in the First Mesa myths, and only partly present in the Second Mesa myths. This does not mean that I am claiming that the Oraibi version is more complete or more original than the Walpi versions. If any version could be claimed to be paradigmatic, I would suppose it to be Wiki's, even though he produced several variants himself. But Wiki's version is more concerned with legitimizing the authority and knowledge of his clan and its secret societies than in paying mundane attention
1 Hieb and Diggle seem to have overlooked this version. That would bring the total number of narratives to 17. Bourke drew heavily, by the way, on the assistance and knowledge of Jeremiah Sullivan who lived in Hopi land from 1880 to 1888 (Hieb 2002:80-81). 2 See Stephen (1939/1940). The Snake myth is related in the first of the series (1939:198-204). 3 Stephen 1929:40-43,43-45 (this one is from Wiki too), 45-50 and Stephen 1888:109-114. Another narrative told by an anonymous narrator, simply called "an ancient chieftain" (Wiki?), was published by Keam (1883:1416).
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to the existential journey of the hero of the tale, who, by the way, is a gentle but brave philosopher and explorer named Tiyo, which can be translated as "Youth or Young Man", or more exactly in this case as "Young Bachelor". It is exactly the existential nature of his journey which is given more fuller treatment in the Oraibi version. So please bear with me on this. I hope in the end that you will agree with me. The narrative is a grand one in both time and space, taking us back as it does to the beginning of humanity's emergence to this world and stretching from the Grand Canyon to the western ocean back to the Grand Canyon and east to Hopi land. In the process, the hero even travels underneath the world and around it. Thus great distances require a long story divided into the following themes (see Chart I): 1. Toko'navi (starting point: he has a philosophical problem) 2. Ocean (he sails the Colorado River to the ocean) a. Snake Kiva (he has sexual intercourse with his future wife) b. Huru'ingwuuti (he meets Taawa) 3. Taawa's journey around the world with Tiyo 4. Ocean (he returns to Huru'ingwuuti) a. Huru'ingwuuti (he has sexual intercourse with her) b. Snake Kiva (he becomes initiated) 5. Toko'navi (back home: he gets married and they have snake children) 6. Little Colorado (they must leave: Tiikuywuuti becomes manifest) 7. Hopi land (destination: Snake Clan and Snake Ceremony established) The story begins at Toko'navi, near the Grand Canyon, were some people were living a long time ago. A young man named Tiyo4 often sat at the bank of the Colorado River wondering where the water was flowing to and whether people lived at that place. His father decided to help him find out, and so his father made a floating box, many prayer offerings,5 and stained them red, the distinctive color of the Snake cult. He also made a long prayerstick called tsotsokpf which was to be used to keep the floating box clear of the riverbank. Together with food and the offerings, the young man was sent off floating downstream in a closed box. When the box stopped after a long journey, he discovered that he had landed on the shore of an ocean and that there were many people living there. Out in the water he noticed a hill where, we are told, Huru'ingwuuti, the goddess of hard substances, shells, turquoise, and other valuables lived. Presently a pretty virgin approached him. She told him that her people had heard he was coming, and this made them happy. So she invited him to come to her house. Tiyo and the girl got into a paatuwvota, "a magical flying shield", and rowed to another hill in the ocean where there was a kiva from which protruded a ladder. This was the Snake kiva. The men sitting inside hung their heads gloomily and occasionally raised them but drooped them again until Tiyo gave them some prayer-sticks and prayer-feathers. This livened them up and made them happy. They then placed the offerings on their altar. They recognized that some of the offerings were for Spider Woman, and they told him that he had to deliver them to her house. In almost all of the
4 Voth does not use this term because he has translated it rather than use it as a proper name. 5 Such as paahos, "prayer-sticks" and nakwakwusis, "prayer-feathers". 6 A single black paaho, "seat, perch, resting place", used by the dead spirit waiting to be picked up by the ancestors.
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(great distances = long story) Huru'ingwuuti
Toko'navi
Walpi (Oraibi)
Ocean
Sipaapuni (Grand Canyon)
Hopiland
Periphery
Center
Periphery
Chart I: Snake Clan Myth, © Armin W. Geertz, 2002
other versions, Spider Woman plays a major role in the story as Tiyo's supernatural counselor, but Voth's informant does not return to this motif. That night, Tiyo slept with the virgin and she was now considered to be his wife. During the night all the men turned into rattlesnakes, and when Tiyo awoke, they urged him not to be afraid. They all then went out to greet the rising sun, and, upon returning to the kiva, the Snake men were transformed into men again. Tiyo's wife took him to the kiva of Huru'ingwuuti, after which she returned to her own kiva. In Huru'ingwuuti's kiva, he found a pretty maiden at the altar of the Blue Flute Society.7 Everything was evidently in ritual preparedness for the arrival of the Sun God, Taawa. Huru'ingwuuti asked Tiyo what he wanted, and he told her as he gave her somepaahos, one of which was a gift for Taawa. She told him to go into a side room because a great being would shortly arrive. Presently Taawa, who was a handsome man beautifully painted and dressed as a Flute dancer, came rushing down. He brought with him the prayer offerings he had collected from the good and the bad people on earth. The offerings from the bad people he threw into the fire. He gave the offerings from the good people to Huru'ingwuuti, who placed them on the altar.8 Taawa said he could smell that someone was hidden in the house. Huru'ingwuuti admitted this, and called Tiyo to come out. The young man gave his offerings to Taawa, whereupon Taawa invited Tiyo to accompany him on his journey through the underworld. With Tiyo on his back Taawa descended through the sipaapuni of the kiva behind the altar into the underworld. They traveled towards the east, lighting up the underworld for the people living there, and gathering their prayers. They rose up into the eastern kiva which was shared by "many suns" and the
7 Voth has a long note here stating that there is evidently some confusion because the Flute cult was brought to Oraibi by the Spider Clan and therefore the kiva is most likely that of Spider Woman. But he is wrong. There is probably some confusion here, but there is a more simple explanation. The explanation is that the sun has two houses - one in the east and one in the west - the one in the west is owned by Huru'ingwuuti, but the one in the east is where the Flute Society happens to live and where they ritually help the sun rise in the east every morning. The confusion therefore is that the Flute altar has also been placed in Huru'ingwuuti's kiva. 8 "The good ones asked for old age, good crops, rain, etc., the bad for opportunities to have intercourse with women, etc." (Voth 1903:350). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Flute societies.9 The Flute Society then ritually helped Taawa rise on the eastern horizon of earth and, still carrying the young man on his back, he traveled across the sky of the world towards the west collecting the prayer offerings of the day. Upon arriving again at Huru'ingwuuti's kiva, Taawa went through the same process as the day before with the offerings. After eating he left Tiyo and Huru'ingwuuti and continued on his course to the underworld through the sipaapuni behind the altar. Huru'ingwuuti then requested Tiyo to sleep with her. She was adorned with many beads white, red, and turquoise - wound around her arms. After sleeping with the woman, Tiyo woke up to find an old hag lying next to him. He of course wanted to leave, but Voth notes that in another version, Tiyo was forced to sleep with her for four nights. Huru'ingwuuti awarded him with two of every kind of bead as well as corn and melon seeds and other kinds of seeds. These were put into a sack which was then tied shut, and she charged him not to open the sack until the fourth day after his arrival back home. She also charged him not to have intercourse with his wife while traveling. She then gave him some medicine to spurt with in order to cause a road to appear towards the Snake kiva. Then he left. On the way Tiyo met a large wolf, a panther, a snake and probably a bear.10 He subdued them all by spurting medicine on them, after which he entered the Snake kiva. He was then initiated into the Snake cult by the chief, and the chief showed him how to build the altar, and taught him the songs and various rituals. He also reminded Tiyo to obey the injunctions of Huru'ingwuuti. Tiyo and his wife left to return to Tiyo's home. On the way, the sack of beads and things became heavier each day. Tiyo of course wanted to have intercourse with his new wife, but she compelled him to respect the injunctions of Huru'ingwuuti and the Snake chief. Upon arrival, they put the sack into an inner room, and the young couple commenced the four day marriage ritual. Their hair was washed and bound together in the Hopi way on the morning of the fourth day, and they went outside to have their hair washed by the falling rain that arrived from the direction of the Snake girl's home. They then opened the sack and found it to be brimming with valuables. After the young couple distributed their new-found wealth, the wife prepared food for the people. Then she went to offer prayer to the rising sun. These two were the first Snake people, the man being the Snake chief. By and by, the woman gave birth to a brood of young rattlesnakes. Her father-in-law was very proud of them and loved them very much. He carried them around and showed them to the people. They grew up and became Hopis, but unfortunately they bit the other children, thus causing them to die. So the people became angry and drove the Snake family away. The group then began their migration towards the Little Colorado River, stopping at various places, sometimes for a year, performing their Snake Ceremonial and raising corn crops. At the Little Colorado River, one of the women of the group was about to give birth. Here we will quote the text:
9 By many suns, the narrator probably means Taawa's brothers, who take turns relieving Taawa of his duties pushing the sun disk. This is at any rate what the First and Second Mesa myths relate, but my interpretation finds confirmation in a following sentence: "This time the same sun rose that had brought the young man" (Voth 1903:351). 10 The informant had forgotten what the fourth creature was, but according to the First and Second Mesa versions, it is a bear. The cat mentioned was probably a puma or mountain lion.
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But they proceeded when the child was only partly born, from which she afterwards received the name Tikuiwuhti (woman with the protruding child). She begged to be left behind, and they left her; later some of them returned, but found that the child had never been born. Whether they found the woman, tradition does not say. But it says she is still there, wandering about, dressed in a white ówa (bridal robe), or according to others, in a white large antelope skin. (Voth 1903:352-353) At this point, Voth provides a lengthy footnote: Several Hopis claim to have seen her when hunting on the Little Colorado River. They see her campfire, hear her long-drawn moans, see the horses being frightened at her approach, but when looking for the places where they have seen her fire or for her foottracks they can never find anything. She is considered to be the deity of game, and some say also of children, and in many ceremonies prayer offerings are made for her. It is said that a young man from Shipaulovi once saw her while hunting alone near the Colorado River. Her face and the front part of her body were all bloody. He was so frightened that he became rigid, whereupon the woman had sexual intercourse with him. When he revived again the front part of his body was full of blood. He ran and came upon one of his companions. Both then looked for the woman, but could find no trace of her except a few foot-prints for a short distance. But it is claimed that ever afterward that man was a marvelously successful hunter.11 In Walpi the cult of or for this deity finds expression in the appearance of a personage dressed in a large buckskin at certain ceremonies. My informant says that this personage gets into the houses or kivas unobserved, even if the doors of the houses are closed. Her presence is only detected when she begins to moan. She is also known as Tüwápongtümci (Sand-Altar-Clan-Sister). (Voth 1903:353 n. 1.) The myth ends with the Snake clan arriving at Oraibi. After asking permission to enter the village, they were refused admittance and then moved on to Walpi. Another version says that they stayed at Oraibi.
Interpretation: Male Domestication Thus, the young philosopher-explorer leaves home looking for answers to a more or less geographical question, but ends up receiving insight, wealth, and a wife (see Chart II). The myth obviously concerns more than Tiyo's philosophical musings or even more than the origins of the Snake ceremonial. It concerns more importantly the origins of the Snake Clan, Tsu'ngyam. And the myth clearly shows us the most prominent identity features of any clan, namely geography and knowledge: knowledge of the environment and its inhabitants as well as knowledge of the mysterious workings of the world and the powerful beings that affect it. In order for Tiyo to gain status as a wealthy man, the founder of a clan with specific cultic powers, he must become domesticated. We should take a closer look at the ways he becomes domesticated. Note that he is more or less at the mercy of those who know better, a lot better than he does, anyway. First, his father and mother; second, his future wife and her people; and
111 have also recorded accounts of hunters being raped by Tiikuywuuti.
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journey taming and marriage
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domestication of the male
Chart II: Domestication of Hopi Males, © Armin W. Geertz, 2002
third, the goddess Huru'ingwuuti and the god Taawa. The only characteristics he personally has need of are courage and obedience. Courage to face an unknown future and to face fierce nonhuman creatures, and obedience to almost everyone else in the tale. Clearly we are looking at the taming of a young male, at his domestication and subservience to Hopi ideology. The ideal person in Hopi culture embodies all of the qualities of what it means to be Hopi. The word hopi means 'well behaved, well mannered', and it indicates that the person is humble, hospitable, good humored, helpful, peaceful, diligent, and so on.12 Of such a person it is said, pam loma 'unangway 'ta, "he has a good heart". A good and pure heart is essential to a proper lifestyle and is of central importance in ritual activity. The ideal person participates in a causal chain involving the following sequence of givens: proper attitude and the careful completion of the ceremonies encourage the deities to bring the clouds, which drop their moisture and nourish their children (the corn and vegetation). The crops are harvested and human life is regenerated, the stages of life continue and the Hopi ideal is reached: to become old and die in one's sleep (Geertz 1986:48). The causal chain is dependent on the morals of each individual and on the proper completion of the ceremonies. In order to complete the ceremonies properly, one must be initiated into clan knowledge and tradition. Ritual persons are spoken of as pam qatsit aw hintsaki, 'he/she works for life', in other words, human life is equated with ritual life. If one breaks a link anywhere in the chain, it affects the rest of the chain and society as well. Getting back to Tiyo, note the methods used in domesticating him. First, he must marry - at least pro forma - his Snake wife. Only then are various mysteries of the world revealed to him. Second, he must have sexual intercourse with Huru'ingwuuti despite her hideousness. Third, he must exercise physical and moral discipline in order to gain the rewards of marriage, wealth, and esoteric rituals. What I think is interesting in this aspect of the story is that Tiyo is confronted with women that are closely connected to female liminality. He sleeps with his wifeto-be, who presumably is a virgin. She is at any rate called a maiden and is not married. Huru'ingwuuti represents both virginal and post-menopausal aspects. Thus, in order to gain 12 On Hopi ethics see Brandt 1954; Voegelin and Voegelin 1960:48-78; Geertz 1986:41-56; Geertz and Lomatuway'ma 1987:47.
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Armin W. Geertz
1. Snake myth sexual intercourse with female liminality (virgin & post-menopausal)
power and wealth
violence and death
prolonged birth & death
Chart III: Domestication of Hopi Males part 2, © Armin W. Geertz, 2002
entrance into the single most important institution in Hopi culture, namely marriage, Tiyo is forced to sleep with Huru'ingwuuti and to deny his future wife until they are fully married. After the marriage and other successes, his snake children bring death to the other children, and the Snake Clan is driven out. On their long journey, one of the women in the clan gets caught in the eternal liminality of unfulfilled birth. Her situation is so dramatic and powerful that she becomes transformed into the goddess of the game animals. Tiikuywuuti, meaning "Child-Sticking-Out-Woman" is a mysterious and ancient figure. Ekkehart Malotki has documented her motif in his book on the rock art galleries of Petrified Forest and nearby regions (McCreery and Malotki 1994:138-142). TheHopis seem to equate her with Tuwapongtumasi, "Sand Altar Clan Woman", who is considered to be the wife of tutelary deity Maasaw and the sister of the vegetation deity Muy'ingwa. She is an earth mother as well as a mother of the game. Malotki's Hopi consultants claim that they are the same person: Tiikuywuuti is a being with greater than human powers. She died giving birth when her child did not come out. Hence her name "child-sticking-out woman." She makes her home just about anywhere and is the mother of all the game animals A Hopi who is not a good hunter prays that Tiikuywuuti may have intercourse with him so that he can become a good hunter. Whenever the goddess comes to someone and he is not brave, he freezes with fright. As he is petrified with fear, he is not aware of her coupling with him. Upon coming to again, the man looks for tracks. Occasionally he will find some, but only the tracks of a jackrabbit. Those are the tracks Tiikuywuuti leaves behind. Tuwapongtumasi, "sand altar clan's woman," is another name for the goddess.13 (Malotki 1993:483-485) Some of my Hopi consultants equated Tuwapongtumasi with Taalawtumsi, "Dawn Woman", who owns the crops and is the goddess of childbirth. Obviously, there are overlaps 13 In connection with the publication of her myth, Malotki also pointed out "Men are scared of her horrid appearance. She may grab a man, choke him, and cause him to have a nightmare. Hunters make prayer sticks for her, and it is a Hopi belief that, if she copulates with a man, he will become a successful hunter who will always get his game." (Malotki 1978:208).
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here, and I originally held that Tiikuywuuti was a separate deity, but this is evidently not the case (Geertz and Lomatuway'ma 1987:73 n. 31). So once again, the successful man, in this case, a successful hunter, is forced to have sexual intercourse with a terrifying woman forever caught in the liminality of birth, forever caught in the bloody transition between life and death, and in the midst of death in birth or, as it is more properly termed, still-birth. I will return to this goddess shortly. At this point we can conclude that in order to gain knowledge of the world and its creatures, esoteric knowledge of the powers behind nature as well as wealth and status, the male must be forcibly tamed and domesticated. Thus sexual exposure to female liminality has the following consequences: 1) power and wealth, 2) violence and death, and 3) prolonged birth and death [see Chart III]. One might ask why there is this equation between status and domestication. I pointed out more than a decade ago that it is instructive to look at the terms for men and women in the Hopi language (Geertz and Lomatuway'ma 1987:186ff.). The diagram below indicates status categories in relation to male and female terms. It is clear from the diagram that what constitutes a man is initiation and what constitutes a woman is marriage. The wedding ritual is a woman's initiation into mature life and death, since her marital status influences the way she is treated both during her lifetime as well as in the afterlife. Initiation into a Wuwtsim Society has the same consequences for a man. Status Categories
Male
Female
cradle/babyhood
taqawya 'little man'
mano 'little woman'
boyhood/girlhood
tiyooya 'little boy'
manawya 'little girl'
teenage years
tiyo 'boy'
maana 'girl'
initiated
taaqa 'man'
married
wuuti 'woman'
long-standing single
siwahova 'bachelor'
divorced/widowed
nalqattaqa 'man who lives alone'
siwahopmana 'spinstress' nalqatwuuti 'woman who lives alone'
A somewhat peculiar dimension in Hopi wedding rituals is the significance of the bridal costume. As noted in Children of Cottonwood, receiving the wedding garments from the groom's male relatives is tantamount to ensuring a smooth journey to the world of the dead in the Underworld. For those women who either do not have a bridal costume or who have sold their costumes, they must spend a painful interim on their way to the Underworld by grinding corn for fierce creatures in a large house occupied by deceased Kookop Clan members (Geertz and Lomatuway'ma 1987:187). I bring this detail up, because garments are emphasized in the next myth that I will briefly relate to you.
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The Goddess Tiikuywuuti There are only a few myths concerning this goddess. Two were recorded by Curtis at Walpi narrated by Wisti of the Rabbit division of the Tobacco Clan14 and by Saqistiwa of the Cloud Clan.15 Both myths are concerned with how she created the game animals and how she became Maasaw's wife. But at this point, I wish to concentrate on another myth, narrated by Wikvaya at Oraibi to Henry R. Voth.16 It consists of the following elements: 1. Kwavöhö on his way to the field 2. He is joined by the girl at the field a. They play hide and seek four times b. Kwavöhö is killed and his clothes are taken c. He is buried 3. Kwavöhö's parents worry back home a. They ask the girl where he is b. They get assistance from a female fly 4. At the field a. The fly finds the boy's blood and body b. The fly revives the boy 5. At home a. Kwavöhö confronts the girl b. She turns into Tiikuywuuti in wedding costume c. The stolen clothes turn back into game animals 6. Tiikuywuuti disappears with the game animals The story tells of a youth by the name of Kwavöhö, 'eagle skin or eagle down', living in Oraibi who one day was on his way to the cornfield. On the way out of the village, he passed the house of a maiden (maana) who asked if she could join him. He said yes, thinking that she was only joking, but she turned up at the field with some fresh piki rolls (mùupi). After eating her food, she suggested that they play hide and seek. She said that the one who is found four times shall be killed. Unwisely, Kwavöhö agreed to her proposal. He of course lost all four turns even though he enlisted the help of powerful beings such as Taawa and Spider Woman. He chose to hide at the boundaries of the field (the edges, below ground and above ground), but at each turn, the girl uses magical techniques to expose his hiding places. These include a drop of her breast milk, her own saliva and a quartz crystal. She hid herself, on the other hand, inside or around the cultivated plants of the field on three occasions and once as a tadpole in the ditch next to the field, but he could not find her. Kwavöhö lost the game, and the maiden asked him to take his shirt and beads off. Then she cut his throat and let the blood run into a hole in the ground that she had dug. She then buried him in a grave nearby. His parents began worrying about him back home, and they asked the girl if she hadn't been out to visit him in the cornfield. She replied that she had, but that he had 14 "Tihkûyi Creates the Game Animals" in Curtis 1922:190-191. 15 "Tihkûyi Creates the Game Animals" in Curtis 1922:191-193. 16 Wikvaya's clan affiliation is not mentioned. "The Youth and Maiden Who Played Hide and Seek for Their Life" in Voth 1905:136-141. Malotki has published an almost verbatim bilingual version of this myth in 1978:51-69. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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told her to go away. His parents were sad and couldn't bring themselves to eat supper. But the flies wanted the meat they were eating. When Tiyo's mother tried to shoo them off, one of them - a female fly - said that in return for a meal, she would find their son. After getting her fill, the fly flew out to the cornfield, and found both the hole with the blood and Kwavöhö's grave. She sucked the blood up and injected it into the boy, thus revivifying him. Upon returning home, the fly tells Kwavöhö to confront the girl and demand his shirt and beads back. He is instructed not to accept anything else from her. He is told that as soon as he gets his possessions back, he should shake them at her. At the house of the girl, she invites him in and offers him food, but he refuses and asks for his things. She then entered another room, and Kwavöhö caught a glimpse of a room filled with skins and wealth. We are told that these things were taken from all the youths that she had killed. As soon as Kwavöhö was given his possessions, he shook them at her. The people that were gathered outside her house could hear noise, clapping and shaking in the house. Kwavöhö's action had caused the girl to be transformed into Tiikuywuuti. She went into an inner room and came out dressed in a bridal costume with her hair tied like that of a married woman. But her face and clothes were all bloody. While putting on her costume, the noise and rattling continued in the inner room where all the costumes of the slain youths lay. These costumes were mostly made of buckskins, rabbit skins and other game skins. The noise was being made by the skins that were now assuming the shape of deer, antelope and rabbits. They dashed out of the room and left the house despite Tiikuywuuti's efforts to catch them. In frustration and anger, she grabbed the last antelope and rubbed the odor of her vulva on the face of the animal, twisted its nose, and rubbed its horns and then let him go. Tiikuywuuti then addressed the people outside her house, "After this you shall have great difficulty in hunting these animals. If you had let them alone here they would have remained close by, and you would have had no difficulty in slaying them." (Voth 1905:141). She then left the house and disappeared with the game. The myth ends with the following information: Ever after she lived along the Little Colorado River, where also for a long time the deer and antelope abounded. And this is the reason why it is so difficult to approach and kill this game. The Tihkuy Wuhti having rubbed her own odor over the nose and face of that antelope, these antelopes now smell the odor of people from a far distance, and so it is very difficult to approach them. The Tihkuy Wuhti is said to still live at the Little Colorado River, and the Hopi claim to have seen her, still wrapped up in the white robe, and all covered with blood. She controls the game, and hunters make prayer-offerings to her of turquoise and nakwákwosis stained in red ochre like that used in the Snake ceremony. These prayer-offerings, however, are always deposited in the night. (Voth 1905:141)
Interpretation: Domestication, Life and Death Obviously, this myth is heavy with symbolism. We can see that the youth, Kwavöhö, both in his name, his actions, and the way he is hunted is equivalent to a frightened and harried game animal. Certainly, the fact that his possessions were part of a cache of wealth consisting of the clothes of other slain youths that become transformed into the animals of the hunt, further emphasizes his role as a victim of the hunt. The girl, on the other hand, initiates a subtle marriage ceremony process. First, she offers food to the youth, who accepts it and thus becomes trapped into the process that must be
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brought to completion. Second, her hair whorls - the hairdo of virgins ready for marriage - are mentioned at a point in the story as having fallen down due to her exertions. Third, she uses a drop of her breast milk, which normally is produced by young mothers. Fourth, upon being transformed into Tiikuywuuti, she dresses in the costume and wears the hairdo of a married woman. Another series of symbols in the myth concerns the fact that both of them are in liminal phases of transformation. She is the virgin who becomes a married woman - not just any married woman, but the very woman who is caught forever in a struggle between life and death during the birthing process. The boy, on the other hand, is tricked into a dangerous game that leads to his death. But through the help of a lowly scavenger, he becomes reborn. Furthermore, he gains knowledge and obtains power over his powerful opponent. Thus his death and rebirth are not merely symbolic, as would be the usual case in an initiation into a secret society, for instance. It is literal. As mentioned earlier, Hopi heroes usually start out as bachelors and end up as husbands. But in this case, Kwavöhö does not get a wife. He is, however, incremental in transforming her into a married woman and he does gain status as well. Another set of symbols involves the interesting parallelism between children, animals, life and death. Humans kill Tiikuywuuti's animal children in order to get clothing and food. She tricks human children or youths into eating her food and getting killed by her in order for her to get the animal skins back. Thus, in a way, there was a kind of equilibrium in all its horror. As long as she succeeded in tricking and killing her victims, humans were allowed easy access to her children. But as soon as the balance was disturbed by Kwavöhö, a whole new world order came into effect. Tiikuywuuti became the tragic and harsh goddess of the hunt, and her children became much more elusive. Thus humans would have greater difficulty surviving the harsh environment. Alice Schlegel emphasized in her important article "Male and Female in Hopi Thought and Action" the social roles of men and women as consisting of a balance between women as lifegivers and men as life-givers and life-takers. Male duality is offset, in other words, by female singularity (Schlegel 1977:261). In this myth the balance is turned around. The life-creating mother becomes the life-taking hunter. The life-taking hunter Kwavöhö, on the other hand, loses his life, and thus cannot protect it. So, in this manner, Kwavöhö's lifeblood - which he loses to Tiikuywuuti - becomes equivalent to Tiikuywuuti's birth-blood, which is the cause of death to her and her unborn child. Through the process of losing life, they both cause life to appear in different forms. Kwavöhö's and the other youths' clothes turn into game animals. Kwavöhö is revived and becomes Tiikuywuuti's bane, thus securing life for hapless youths. Tiikuywuuti's eternal death during birth ensures the reproduction of game animals. The Snake myth illustrated the domestication of males in order to gain status, knowledge and wealth. The Tiikuywuuti myth takes us a step further and explores the consequences of domestication [see Chart IV]. The domestic life is highly vulnerable to life and death in its most basic forms. The death of human children and of the game involves risk. Things can go wrong. Children and mothers die in childbirth. Hunters fail to nourish their families. Hunters become the hunted and die. Furthermore, despite the security ensured by the first myth, it also illustrated that relations to supernatural beings do not always ensure rain for the parched fields and vegetable gardens because of the strained relationships between human and non-human beings.
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1. Snake myth sexual intercourse with female liminality (virgin & post-menopausal)
power and wealth
violence and death
prolonged birth & death
2. Tiikuywuuti myth
r
male death
female death
T.'s children
game animals
power and wealth
Chart IV: Domestication of Hopi Males part 3, © Armin W. Geertz, 2002
Conclusion There is much more work to be done on the cosmology and theology of the Snake Ceremony. I have not had time to discuss the many ritual threads connecting the Snake and Antelope societies with Tiikuywuuti and her equivalents, for instance the significance of the figurines on the Snake altar representing Pöqangwhoya and a female (perhaps Tiikuywuuti or Tuwapongtumasi), or the living human couple that move rhythmically behind the Antelope altar during the Antelope rituals. Then there is also the series of relations to the Flute Ceremonial and ultimately to the Women's three ceremonials, Maraw, Lakon, and Owaqöl. One could also examine hunting rituals and the lore surrounding them. I have instead concentrated on the myths connected with the Snake ceremonial. But here, too, there is much more one could do by careful comparisons of the variant myths as well as
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comparisons of important characters in the myths such as Huru'ingwuuti, Spider Woman, Taawa, and the Pöqangwhoya warrior brothers. One could also examine the way domestication permeates Hopi mythology. Most Hopi myths, no matter how wild or untamed the subject may be, are usually cast in terms of families and the familiar. Thus, if the myth is about monsters such as the cannibal So'yoko, there is always a So'yoko family waiting back home. Or if it is about Coyote, there is also a Mrs. Coyote and her children. Myths are also cast in terms of the familiar. Surprise and confrontations with supernatural characters usually occur in terms of the domesticate foresight of fathers and mothers or of the kind Grandmother Spider Woman. Taming the forces of nature require foresight and careful planning. Foresight and planning require knowledge. Knowledge is gained through the domestication process of Hopi matrilineal clans. So there is much more work to do. My humble hope is that you have gained a little insight into the richness of the material at hand and perhaps a little insight into Hopi solutions to fundamental human problems.
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Annin W. Geertz
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Christian F. Feest Das Unverständliche, das Fremde und das Übernatürliche: Schlangen in religiöser Vorstellung und Praxis im indigenen Nordamerika
Ein notgedrungen kursorischer Überblick über Schlangen in den Vorstellungswelten indigener Völker Nordamerikas vor dem Hintergrund von Aby Warburgs Text über das Schlangenritual der Hopi hat wohl zuallererst die Funktion, vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit „dem Indianischen" an sich zu warnen, der nicht unwesentlich auch Warburgs Text selbst betrifft. „Indianer", das sind - um es gleich vorwegzunehmen - imaginierte Völker, deren Existenz sich aus dem Bedürfnis Europas ableitet, eine identitätsstiftende Projektionsfläche für die eigenen Ängste, Wünsche und sonstigen Befindlichkeiten zu besitzen. In diese Imagination wurden und werden Beobachtungstatsachen aus den Lebenswirklichkeiten unterschiedlicher indigener Völker Nordamerikas eingespeist, die gleichzeitig durch die Erwartungshaltung, die aus dieser Imagination gespeist wird, nicht unwesentlich verändert worden sind. Das Universum der Bandbreite kultureller Vielfalt des indigenen Nordamerika wird in diesem Fall zum Selbstbedienungsladen von Legitimationen für alles, was das Herz begehrt - von primitivistischen oder auch fortschrittsgläubigen Lebensentwürfen hin zu mehr oder minder wissenschaftlichen mehr oder minder Theorien. Es ist in diesem Zusammenhang wohl legitim, wenn ich denselben Fundus des Tatsachenmaterials gewissermaßen als Christian Morgensternsches „Museum der Gegenbeispiele" darstelle, um einer allzu einseitigen Fokussierung auf das Hopi-Ritual als „indianisch" entgegenzuwirken. So wie die anderen von mir darzustellenden Phänomene (und vielleicht sogar noch mehr als manche von ihnen) ist das Schlangenritual der Hopi vor allem ein in seinem eigenen kulturellen Kontext zu interpretierendes Phänomen. Was davon in der ebenfalls legitimen vergleichenden Perspektive relevant ist, wird andeutungsweise zu zeigen sein. Vorweg seien Zweifel angemeldet, ob man Aby Warburg einen großen Dienst erwiesen hat, wenn man den von ihm selbst ohne Koketterie als nicht veröffentlichungsreif qualifizierten Text (Warburg 1988:58) des Kreuzlinger Vortrags veröffentlicht hat. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den ihm zugeschriebenen theoretischen Gehalt, aber auch als ethnographisches Dokument. Wie Warburg selbst betont, stellt die mangelnde Kenntnis der Sprache ein bedeutendes Hindernis für ein tieferes Eindringen und Verständnis des Beobachteten dar; wie er weniger klar erkennt, ist sein Mangel an vergleichender Kenntnis des ethnographischen Materials ein Hindernis für die Vergleiche mit der Antike. Weshalb Warburgs Text, seine Fotos und auch seine kleine ethnographische Sammlung interessant und bedeutend sind, ist vor allem ihre Rolle als Dokumente der nichtethnologischen Auseinandersetzung Europas mit „den Indianern", und mithin als Dokumente der europäischen Geistesgeschichte. Allein in Nordamerika, dem Gebiet, das sich von den Küsten des arktischen Eismeers bis zu den Ausläufern der mittelamerikanischen Hochkulturen erstreckt, lebten zum Zeitpunkt des ersten Kontakts mit den europäischen Entdeckern und Siedlern vor 500 Jahren Hunderte von Völkern, die wenig mehr gemeinsam hatten, als die Herkunft ihrer Vorfahren aus Asien, Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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von wo aus sie gegen Ende der letzten Eiszeit in mehreren Schüben eingewandert waren. Der sprachliche Befund stützt die Annahme der Vielfalt der Ursprünge: 57 Sprachfamilien kennt man in Nordamerika, und selbst wenn sich bislang nur vermutete (aber unbewiesene) weitergehende Sprachverwandtschaften bestätigen sollten, so muss man für Nordamerika in jedem Fall mehr solcher Sprachgruppen annehmen als etwa in Europa. In dieser langen Zeit einer weitgehenden Isolation vom Rest der Welt waren die einstigen Einwanderer auch derartigen Veränderungen unterworfen, dass zwischen Sprache und Lebensform so gut wie kein Zusammenhang mehr bestand. Die nordamerikanischen Kulturen entwickelten sich vielmehr in Anpassung an die Lebensräume, die über die Jahrtausende hinweg ebenfalls bedeutenden Änderungen unterworfen waren, in unterschiedliche Richtungen. Völkerbewegungen und kultureller Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen trugen ebenfalls zum bunten und vielschichtigen Bild bei, das die eingeborenen Völker Nordamerikas zum Zeitpunkt des europäischen Kontakts darboten. Die Vielfalt der indigenen Kulturen ist also eine historisch gewachsene, die nicht allein, aber doch auch nicht unwesentlich durch unterschiedliche Formen der Nahrungswirtschaft bestimmt wird. Auch die Lage der Völker zwischen ihrem letztendlichen Herkunftsgebiet in Sibirien und den vor allem in den letzten drei Jahrtausenden blühenden Hochkulturen Mesoamerikas, die nicht ohne Wirkung auf ihre nördlichen Nachbarn geblieben sind, muss hier berücksichtigt werden. Der alt-neuweltliche Kulturvergleich, der sich Warburg angesichts seines Besuchs bei den Hopi aufdrängt, ist natürlich durch seine nicht nur nach heutiger Sicht ungenügende Kenntnis der Ethnographie des indigenen Nordamerikas problematisch, aber die eigentliche Schwierigkeit scheint mir doch noch tiefer zu liegen. Wie schon Ulrich Raulff in seinem Kommentar zum Warburgschen Text ausgeführt hat, steht Warburgs Versuch der wechselseitigen Deutung von europäischer Antike und nordamerikanischer Ethnographie in einer Tradition, die wenigstens bis zu Joseph François Lafitaus Moeurs des sauvages amériquains von 1724 zurückreicht (Warburg 1988:73). Als theoretisches Fundament für seinen damaligen Versuch unterstellte Lafitau die tatsächliche Abstammung der amerikanischen Völker im allgemeinen von den Pelasgern und Hellenen, und der ihm persönlich bekannten Irokesen und Huronen von den Thrakern bzw. Lykiern; ihre Migration aus der Alten Welt in die Neue habe dazu beigetragen, dass sich ihre Lebensweise nicht in dem Maße geändert hätte, wie die der Nachkommen dieser Völker in der alten Heimat, weshalb sich das antike Brauchtum in Amerika gewissermaßen konserviert enthalten habe. Da Warburg eine solche Identität nirgendwo behauptet, muss sein Vergleich auf der Grundlage einer anderen Annahme operieren. Es liegt nahe, Warburg ein in der gebildeten Gesellschaft seiner Zeit (aber auch, wie immer wieder festzustellen ist, in weiten Teilen unserer Gesellschaft noch ein Jahrhundert danach) weit verbreitetes stadiales Modell kultureller Entwicklung zu unterstellen, das man nur im weitesten Sinn als evolutionistisch und keinesfalls als darwinistisch bezeichnen kann; dabei ist aber zweifelhaft, ob die Hopi oder auch die anderen Pueblovölker des nordamerikanischen Südwestens tatsächlich in ihrer soziokulturellen Komplexität mit den antiken Griechen vergleichbar sind, und ob daher ein solcher Vergleich sinnvoll sein könnte; allein schon der Unterschied zwischen schriftlicher gegenüber ausschließlich oraler Überlieferung stellt wohl ein erhebliches Hindernis für eine Gleichsetzung dar. Gerade im Hinblick auf den Symbolcharakter der Schlangen könnte man aber auch vermuten, dass Warburg von einem universalistisch geprägten Archetypendenken ausging, demzufolge gewisse Symbole quasi natürlich und universell seien.
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Dem versprochenen Blick auf die Rolle von Schlangen in religiösen Vorstellungen und Praktiken des indigenen Nordamerika sind nützlicherweise ein paar Worte zu Schlangen in Nordamerika aus zoologischer und - soweit möglich - aus ethnoherpetologischer Sicht voranzustellen.1 Die zoologische Taxonomie - die freilich bis in die jüngste Zeit gerade im Bereich der Schlangen divergierende Auffassungen in den eigenen Reihen ertragen muss, die sich teilweise auch in der Terminologie niederschlagen - sieht Schlangen oder Serpentes als Unterordnung der Reptilienordnung der Squamata (oder Schuppenkriechtiere), die zur Unterklasse der Schuppenechsen (Lepidosauria) zählen. Für den Laien nicht ohne weiteres einsichtig, zählen die Schlangen also zur Klasse der Tetrapoda oder Vierfüßer, obwohl ihr langgestreckter, beinloser Körper ein Charakteristikum der Unterordnung ist und nur gelegentlich und dann ausschließlich von den hinteren Gliedmaßen noch Reste vorhanden sind. Von den 2300 bis 2700 Spezies, deren Länge zwischen 10 Zentimeter und 9 Meter variiert und die zu Lande, unter der Erde, zu Wasser, oder auf Bäumen leben, sind mehr als 80% ungiftig; obwohl auch manche der ungiftigen Schlangen für den Menschen wegen ihrer Bissstärke bzw. Würgefähigkeit gefährlich werden können, zählen die Schlangen wahrscheinlich zu jenen Tierarten, die am meisten unter angstgespeisten menschlichen Vorurteilen zu leiden haben. Das gilt natürlich überwiegend in den Regionen, in denen Schlangen tatsächlich vorkommen, auch wenn sich der schlechte Ruf etwa von Klapperschlangen immer wieder über die Grenzen ihres Vorkommens hinaus verbreitet hat. Da Schlangen ein tropisches und gemäßigtes Klima vorziehen, werden sie nach Norden zu immer rarer; in Nordamerika reicht ihre Verbreitung nur bis zum 60. Breitengrad; außerdem fehlen sie auf vielen Inseln, darunter nicht nur Irland und Neuseeland, sondern auch Vancouver Island an der kanadischen Westküste. Aber wie das mit Verallgemeinerungen so ist - Amerika ist neben Australien der Kontinent mit den meisten Giftschlangen, die trotzdem nur ein vergleichsweise kleinen Prozentsatz an der Gesamtzahl ausmachen. Der große Artenreichtum der Schlangen spiegelt sich in den Hauptuntergruppierungen wider: Die Blind- oder Wurmschlangen (nicht zu verwechseln mit den Blindschleichen, die keine Schlangen, sondern Echsen sind) sind kaum über 20 Zentimeter lange wurmähnliche Tierchen, die in Nordamerika ursprünglich nur mit zwei Arten eines Genus einer Familie vertreten waren. Sie sind ethnologisch kaum von Interesse. Hingegen sind 84% der Spezies Nordamerikas Mitglieder der Familie der Nattern oder Colubridae. Giftschlangen finden sich in der in Nordamerika kleinen Familie der Korallenschlangen und der größeren Gruppe der Vipern, die von älteren Klassifikationen noch als Giftnattern den Colubridae zugezählt wurden. Zu den ungiftigen amerikanischen Nattern zählen unter anderen die diversen Strumpfbandnattern, die Wassernattern, oder die Königsnattern; zu den Vipern Mokassinund Wassermokassinschlangen (oder Coppermouth und Cottonmouth) und endlich die Klapperschlangen (Crotalus) in zahlreichen Arten. Sie stehen im Schlangenritual der Hopi im Vordergrund, auch wenn nur ein Drittel bis die Hälfte der dabei verwendeten Schlangen tatsächlich Klapperschlangen sind, während es sich beim Rest überwiegend um die ungiftigen Zornnattern, Bullenschlangen und Peitschennattern handelt (vgl. Klauber 1932). Ich behandle diese Vielfalt in einiger Ausführlichkeit, weil man als Stadtmensch allzu leicht von „Schlangen" spricht, ohne sich bewusst zu sein, dass Schlange nicht gleich Schlange ist. Das Ausmaß der ethnoherpetologischen Literatur in Nordamerika hält sich in Grenzen (z.B. Klauber 1932, 1956:1084-1187; Speck 1923, 1946; Speck und Dodge 1945; Malkyn 1 Zur Zoologie der nordamerikanischen Schlangen vgl. z.B. Conant and Collins (1991). Insbesondere zu Klapperschlangen siehe die herausragende Monographie von Klauber (1956). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Christian F. Feest
1957, 1962:22-30). Was wir daraus lernen können, ist, dass die Mehrzahl der indigenen Bevölkerungen kaum die Notwendigkeit verspürte, Dutzende oder Hunderte verschiedene Spezies von einander zu differenzieren, weil in einem bestimmten Lebensraum eben nur deutlich weniger Arten vorhanden waren. Es fällt auf, dass zwar meist ein allgemeiner Name für Schlangen vorhanden ist, der manchmal auch andere Tierarten einschließt, dass es aber vielfach eine Fülle spezifischer Bezeichnungen gibt, die nicht von dem Terminus für die Klasse „Schlange" abgeleitet sind; 2 dadurch wird eine Differenzierung der Arten impliziert, die es nicht unproblematisch erscheinen lässt, in diesen Fällen zu unterstellen, das dominante Konzept sei das der „Schlange" an sich (vgl. allgemein auch Berlin 1992). Zu den Extensionen des Überbegriffs Schlange zählt immer wieder die Einbeziehung von Würmern; andererseits finden wir in zahlreichen Algonquinsprachen unterschiedliche Bezeichnungen für „übernatürliche Wesen" (manito, awä. tok, manchmal in diminutiver Form), die auch „Schlange" oder „Wurm" bedeuten (z.B. Baraga 1966, 2:219; Speck 1923:275; Bloomfield 1975:32). Dabei handelt es sich ausdrücklich nicht um mächtige oder giftige Schlangen, sondern um recht unscheinbare Spezies, etwa Strumpfbandnattern. Dass es sich hier nicht um eine zufällige Namensgleichheit handelt, zeigt nicht allein der linguistische Befund, sondern auch die Praxis. William Jones überliefert ein Mesquakie-Gebet eines Jünglings, der einem solchen Manitu ein Tabakopfer darbringt: Oh mein Großvater! Ich verbrenne diesen Tabak als Opfer an Dich mit der Bitte, dass Du Dich meiner erbarmen mögest; mit der Bitte, dass mir ein langes Leben beschieden sei. Ich bitte Dich um eine andere Sache: dass wenn die Zeit für mich kommt, um gegen meine Feinde zu ziehen, dass der Lärm meines Ruhmes mir vorauseilen möge. Und ich bitte Dich um Gesundheit und um was immer ich brauche, um in der Zukunft mein Leben zu unterhalten. Das sind die Gnaden, die ich von Dir erbitte, worum ich Dich ersuche. (Jones 1907:381) Nach Jones handelt es sich hier um kein spontanes Gebet, sondern um einen Text, den Väter ihren Söhnen beibringen. In ganz ähnlicher Weise beten die Fox-Knaben auch zu den Donnerern. Damit kommen wir zu dem ambivalenten Verhältnis von Himmelswesen, repräsentiert durch die oft vogelgestaltigen Donnerer, und Unterwelt oder Unterwasserwesen, repräsentiert durch Schlangen, aber auch Raubkatzen („Unterwasserpanther"), Rotwild und Bären im östlichen Nordamerika. Die Donnerer sind als eine Art Kriegsgötterkollektiv wichtig als Beschützer der Krieger, spenden aber auch Regen, während die Unterweltwesen mit Feuer und Kupfer, aber auch mit Nahrung und Reichtum verbunden gedacht werden (Abb. 8). Ein probates Mittel, um Regen zu erzeugen, bestand darin, Schuppen der großen Unterwelt-
2 Im Cherokee etwa gibt es nach Fradkin (1990:144-149) eine Sammelbezeichnung für Schlangen, der neun wirkliche und drei mythische Arten zugeordnet sind, von denen nur eine mit einem Kompositum bezeichnet wird, das den generischen Ausdruck differenziert; für vier der Arten gibt es synonyme Bezeichnungen. Speck (1946:360) nennt achtzehn wirkliche Arten, davon drei mit abgeleiteten Bezeichnungen. Im Gegensatz dazu sind alle siebzehn Catawba-Termini für Schlangenarten Zusammensetzungen des generischen Terminus (Speck 1946:357). Die Cora unterscheiden zwar sieben Schlangenarten, bezeichnen aber nur drei mit eigenen Termini (darunter Boa und Klapperschlange), während die anderen mit dem zumeist undifferenzierten Sammelnamen bezeichnet werden (Malkyn 1957:76-90). Im Navajo gibt es einen Überbegriff für Reptilien, der auch Schlangen bezeichnet, sowie eine genetische Bezeichnung für Schlangen, von der die Bezeichnungen der Arten abgeleitet werden (Young und Morgan 1993:1059, 997, 1076). Das Hopi scheint hingegen keinen Überbegriff zu kennen (Hopi Dictionary Project 1998:213, 562, 654, 841, 848).
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schlänge sichtbar auf die Erde zu platzieren, um dort den Blitz (und das damit zusammenhängende Gewitter) seitens der Donnerer zu provozieren. Schlangen bilden aber auch die Brücke zum Reich der Totenseelen, über die die Verstorbenen gehen müssen (vgl. Hultkrantz 1967:63-64). Die Tendenz, den Gegensatz oben-unten mit dem von Gut und Böse in Verbindung zu bringen, scheint eine nacheuropäische gewesen zu sein. Dies wird etwa durch eine irokesische Erzählung vom Ursprung der Klapperschlangen illustriert, in der dem zum Teufel mutierten antagonistischen Zwilling des Kulturheros eine zentrale Rolle zukommt (Converse 1908:110-112; vgl. Abb. 10). Die biblisch inspirierte Gleichsetzung der gehörnten und geflügelten Schlange mit dem Teufel findet sich auch in der christlichindianischen Ikonographie der Höllenqualen (Feest 1986:pl. XLIIa). Die Bedeutung der Schlangen im Weltbild nimmt nach Süden hin zu (so wie die Bedeutung der Schlangen in der Neuen Welt selbst). Im Südosten haben große Rassel- und Wasserschlangen den anderen Unterweltwesen oft schon den Rang abgelaufen. Auch die gehörnte und geflügelte Schlange Uktena bei den Cherokee steht im Konflikt zu den anthropomorphen Donnerern, ist zugleich aber ein von diesen in eine Schlange verwandelter Mensch und als solche nicht ganz mit anderen Schlangen vergleichbar (Hudson 1976:131— 132, 144-147, Abb. 45; Fradkin 1990:147-148, 338-340). Bei den benachbarten Creek spielen schlangengestaltige übernatürliche Wesen neben den aus der Zoologie bekannten Schlangen eine wichtige Rolle. Als Wasserbewohner werden sie (und nicht die Donnerer) für Regen oder Trockenheit verantwortlich gemacht, und neben mächtigen unterirdisch wohnenden Schlangen und der mit einem Hirschgeweih ausgestatteten gehörnten Wasserschlange (deren Hörner wichtige Jagdamulette bildeten) kennen die Creek auch die große Himmelsschlange (Swanton 1928:490-495). Dass die Schlange nicht ein Symbol des Bösen, sondern von übernatürlicher Macht ist, wird auch durch das Beispiel der Natchez illustriert, den letzten Nachkommen der Tempelhügel-Kulturen, bei denen der Bruder des göttlichen Herrschers Große Sonne, der den Rang des Kriegshäuptlings einnahm, den Titel „Tätowierte Schlange" trug (vgl. Swanton 1911:118 Anm. b). Diese verschiedenen Konzeptionen von Schlangen im südöstlichen Nordamerika sind wenigstens zum Teil dem voreuropäischen „Südöstlichen Zeremonialkomplex" verpflichtet, der deutliche Bezüge zu den mesoamerikanischen Hochkulturen aufweist (Howard 1968; vgl. Abb. 3, 12, 14). Ähnlich wie im Südosten ist auch bei den bodenbautreibenden Völkern entlang der Flüsse der Plains, die sich ebenfalls zum Teil aus der Tempelhügelkultur herleiten lassen oder von ihr inspiriert wurden, die Schlange und nicht der Donnerer der Blitz- und Regenspender.3 Riesenschlangen, die mythische Heroen über Gewässer transportieren und von ihnen mit Maiskuchen gefüttert werden, erscheinen in mehreren mythischen Ursprungserzählungen von Ritualen bei den Mandan. Die Helden werden zum Teil von Schlangen verschlungen, zum Teil wandeln sie im Inneren der riesigen Reptilien; das weit, aber keineswegs universell verbreitete Tabu des Verzehrs von Schlangenfleisch wird in den Mandan-Mythen durch Schilderung der Verwandlung von Menschen, die Schlangenfleisch konsumiert haben, in Schlangen deutlich gemacht (Bowers 1950:199).
3 Dies erinnert an die blitzförmigen Schlangen in den prähistorischen Wandmalereien der Pueblos und ihrem auch von Warburg (1988:16, 4 0 ) bemerkten rezenten Vorkommen etwa bei den Hopi. Auch bei den Irokesen war offenbar die Schlange eng mit dem Blitz assoziiert (Gagnon 1979:290-291, pl. 13; vgl. Feest 1986: pl. Xc).
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Im ganzen östlichen Nordamerika kommt Schlangen eine Bedeutung nicht nur als Ursache von Krankheit zu, sondern auch als Mittel zu ihrer Bekämpfung. Nach dem modernen Ursprungsmythos der Medizingesellschaft der Ojibwa und ihrer Nachbarn zwang der Kulturheros Nanabozho die Unterweltwesen dazu, ihre heilenden Fähigkeiten zur Genesung und Gesundheitsvorsorge der Menschheit zur Verfügung zu stellen (Vecsey 1983:99). Schlangen erscheinen auf Birkenrindenzeichnungen, die zur Instruktion der Mitglieder der Medizingesellschaft angelegt wurden (z.B. Dewdney 1975:142-143, Abb. 148, 149), aber auch piktographischen Notationen von Liedertexten der Gesellschaft, wo sie als Medizinbeutel interpretiert werden (Hoffman 1888), aber an einer Stelle wie im Schlangentanz in der Hand gehalten werden. In gemäßigten Klimata halten Schlangen einen Winterschlaf, der in den tropischen Gebieten durch einen Trockenzeitschlaf ersetzt wird. Sie sind von den Zeiträumen ihres Erscheinens also bereits dazu prädestiniert, mit Wärme und Feuchtigkeit assoziiert zu werden, den zwei wichtigsten Faktoren für die Feldfruchtbarkeit. Der Aspekt der menschlichen Fruchtbarkeit, der in der Alten Welt eine größerer Rolle spielt, ist in Nordamerika weniger bedeutend,4 obwohl es auch Hinweise auf sympathetisch-magische Bezüge zwischen lebendgebärenden Schlangen und der Erleichterung von Geburtsvorgängen bei Frauen gibt. Eine andere in Nordamerika weit verbreitete Praxis, die mit dem Winterschlaf der Schlangen in Verbindung gebracht wird, ist das Tabu, Mythen an Sommerabenden zu erzählen, weil - so das häufig gebrauchte Argument - auf diese Weise die Schlangen in die Häuser gelockt würden; im Winter bestand diese Gefahr wegen des Winterschlafs nicht. Eine physiologische Eigenheit der Schlangen ist das Fehlen von Stimmbändern, weshalb sie nicht „sprechen" können, sondern nur zischen.5 Diese verminderte Kommunikationsfahigkeit differenziert sie deutlicher als andere Tiere vom Menschen und bildet den Hintergrund für eine in vielen Algonquinsprachen des östlichen Nordamerika verbreitete Metapher. Ein Blick in eines der vielen schlechten Indianerlexika lehrt uns, dass die Bezeichnung „Sioux" für die Dakota aus der Sprache ihrer Algonquin-sprachigen Nachbarn, der Ojibwa, stammt und angeblich soviel wie „Schlangen" bedeutet. Dies ist freilich nicht ganz korrekt, denn natowe.ssiwak bedeutet eigentlich „Sprecher einer unverständlichen Sprache" und wurde etwa von den Südostalgonquin der Küstenländer von Virginia und North Carolina auch auf ihre irokesischsprachigen Nachbarn angewandt, die in der historischethnographischen Literatur als „Nottoway" figurieren (vgl. Goddard 1984:105).6 Metaphorisch bezeichnet dieser Ausdruck freilich auch Schlangen, weil diese eben auch „Sprecher einer unverständlichen Sprache" sind. Das normale Ojibwa-Wort für „Schlange" ist kene.pik, von dem sich die Bezeichnung kine.piko.nini, „Schlangenindianer" ableitet (Baraga 1966, 1:235). Hier handelt es sich wohl um eine Lehnübersetzung aus dem Englischen für die weit von den Ojibwa entfernt lebenden Shoshone, die den ersten euroamerikanischen Pionieren im Westen als "Snake Indians" bekannt waren. Dieser Name, bzw. die Bezeichnung Shoshone, hängen wahrscheinlich mit dem Cheyenne-Ausdruck se'senovotsé-tane, 4 Die Darstellung bei La Barre (1962:88-109), nach der die Schlange als unbewusstes Symbol .jedwede psychosexuelle Modalität des Körpers" (94) ausdrücke, leidet insbesondere im Hinblick auf das nordamerikanische Material unter der Einseitigkeit, mit der der Verfasser die verfügbaren Daten selektiert und einseitig interpretiert. 5 Dass sie auch taub sind, macht sie auch unempfindlich gegen Musik, die häufig zu ihrer „Beschwörung" eingesetzt wird (vgl. Klauber 1956:1155). 6 Hoffman (1893:324) gibt nâ'tâwe als Menominee-Bezeichnung für "Mississauga rattlesnake" (nicht in Bloomfield 1975).
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„Schlangen-Leute", für die nahen Verwandten der Shoshone, die Comanche, zusammen (Northern Cheyenne Language and Culture Center 1976:24). Allerdings ist Vorsicht angebracht bei der Vermutung, auch hier könne eine Gleichsetzung von Schlangen mit Fremden vorliegen, denn die diversen Numisch-sprachigen Untergruppen bezeichneten sich nach dem Überwiegen bestimmter Nahrungsmittel als „Schafesser", „Fischesser", „Büffelbeerenesser", „Reisgrasesser" usw. Da die Shoshone, anders als viele andere indigene Völker Nordamerikas (z.B. Drucker 1951:61; vgl. aber Flannery 1939:25; Curtis 1924:135; Malkyn 1957:75) ohne große Bedenken auch Schlangen verzehrten (mit teilweiser Ausnahme von Klapperschlangen; vgl. Steward 1938:40; Klauber 1956:1185-1187), wäre die Bezeichnung „Schlangenleute" durchaus verständlich - natürlich auch abschätzig gegenüber Leuten, die so etwas Grausiges wie Schlangen essen. Auch andere Nachbarn verwendeten einen entsprechenden Ausdruck, etwa Dakota sintexdawicasa, „Klapperschlangen-Leute" (Williamson 1970:213). Eine andere Schlangenmetapher für Menschen mit bösen Absichten ist allen Karl-MayLesern bekannt: „Die mit gespaltener Zunge reden" - und das sind vor allem die Weißen sind nicht vertrauenswürdig. Der früheste mir bekannte Beleg für diese Phrase stammt aus dem Roman Astoria (1836) von Washington Irving, in der die blumenreiche Sprache der „Indianer" wiedergegeben wird (Mathews 1951:647) - ob Irving sich hier auf Quellen stützen konnte oder die Phrase seiner blühenden Phantasie entsprungen ist, vermag ich gegenwärtig nicht zu sagen.7 Das Hantieren mit lebenden Klapperschlangen, wie es im Schlangenritual der Hopi eine Rolle spielt, wird auch von anderen Völkern Nordamerikas berichtet (Klauber 1956:11091112). Ich will hier nicht näher auf andere Beispiele aus dem Pueblo-Gebiet eingehen (vgl. Beidleman 1956:11; White 1945:237-239; Klauber 1956:1111-1112; und Abb. 16). Aber schon bei den bereits genannten Creek des Südostens wird von Doktoren berichtet, die sich auf die Behandlung von Schlangenbissen spezialisiert hatten und in der Lage waren, gefahrlos mit lebenden Schlangen umzugehen (Swanton 1928:645-646). Es handelt sich dabei um eine eindrückliche Demonstration der vom Heiler kontrollierten übernatürlichen Kräfte, die mit der Praxis anderer Heiler vergleichbar ist, die gefahrlos mit Feuer oder siedend heißen Flüssigkeiten umgehen. Es handelt sich also weder um Schlangen-, noch um Feuerkulte, sondern um die sichtbare Legitimation außergewöhnlicher Fähigkeiten (vgl. Abb. 20). Dies gilt im Übrigen auch für das Hantieren mit Klapperschlangen in den christlichen HolinessKirchen der amerikanischen Südstaaten, über die vor allem in den letzten vierzig Jahren eine erhebliche Literatur zustande gekommen ist (z.B. La Barre 1962; Holliday 1966; Kane 1979; Burton 1993; Covington 1995; Kimbrough 1995; Brown 2000; vgl. Maguire 1980). Ein häufig zitiertes Beispiel für dem Umgang mit lebenden Klapperschlangen wird von den zentralkalifornischen Yokuts berichtet, bei denen Männer, die besondere Kräfte durch Träume von Klapperschlangen erhalten hatten, im Frühjahr Klapperschlangen einsammeln, nach Hause nehmen, und im Rahmen eines öffentlichen Rituals auf die Köpfe der Zuschauer setzen, um diese „Patienten" am nächsten Tag wieder von der dadurch verursachten Krankheit zu heilen. Der Heiler demonstriert dann seine Vertrautheit mit den Schlangen, indem er mit ihnen spielt und sich von ihnen beißen lässt. Schließlich werden die Schlangen in einer Grube platziert, in die die Zuschauer mit hölzernen Stangen hineinstoßen, ohne jedoch die Schlangen zu töten. Am Ende halten alle Teilnehmer ihren rechten Fuß in oder über die 7 In der europäischen Literatur ist das Bild jedenfalls wesentlich älter. Vgl. etwa Shakespeare's A Midsummer Night's Dream (II, ii, 9): "You spotted snakes with double tongue". Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Schlangengrube, um zu bewirken, dass im kommenden Jahr die Klapperschlangen sich durch lautes Klappern melden, statt die Menschen gleich zu beißen. Auch Mitglieder von Verwandtschaftsgruppen, deren „Totem" eine Klapperschlange war, pflegten freundliche Beziehungen zu diesen Tieren (Kroeber 1925:504-506, 517; vgl. Powers 1877:379-380; Curtis 1924:161; Gayton 1948:47^16, 122-124, 152, 207-208, 285-286; Latta 1949:209216; 1977: 647-656; und Abb. 18).8 Eine gewisse Prominenz hat die Vorstellung von einer doppelköpfigen Schlange bei den Bewohnern der pazifischen Nordwestküste vor allem durch die Forschungen des deutschen Begründers der modernen amerikanischen Ethnologie, Franz Boas (den ja auch Warburg nannte) erhalten, noch mehr aber durch eine auf der Grundlage des von Boas gesammelten Materials verfasste niederländische Dissertation von G. W. Locher über die Schlange in der Religion der Kwakiutl von 1932 (Locher 1932). Bei den Kwakiutl galt sisiutl (Abb. 9) als gigantisches Meeresungeheuer mit zwei Schlangenköpfen an den beiden Enden und einem menschlichen Kopf in der Mitte, das allerdings auch in der Gestalt von Fischen oder kleinen Tieren auftritt. Unerwartetes Zusammentreffen mit sisiutl, dem Herrscher über das Meer, kann zu Krankheit, Lähmung oder Tod führen; vor allem Pigmentverlust der Haut wird auf den Kontakt mit s/s/wi/-Spuren zurückgeführt. Andererseits machten sich mächtige Heiler die enormen Wirkkräfte dieses Wesens zu Nutze und versuchten, in den Besitz von Körperteilen wie Schuppen etc. von sisiutl zu gelangen. Auch galten Schuppen der sisiutl als probates Mittel, um Pfeile mit tödlicher Kraft auszustatten (vgl. Boas 1932:181, 192, 222, 228, 235). Einen Kult dieser doppelköpfigen Schlange kann man allerdings nicht feststellen. Der schwedische Religionsethnologe Áke Hultkrantz (1967:63 Anm. 45) fragte sich in diesem Zusammenhang gar, ob nicht die ganze Idee einer Zweiköpfigkeit aus dem Bestreben der Nordwestküstenkunst nach flächenfüllend-symmetrischer Darstellung durch Aufspaltung von Darstellungen in zwei Profile zu erklären sei, obwohl er andererseits auch auf das Vorkommen ähnlicher doppelköpfiger Schlangen bei anderen Völkern des westlichen Nordamerika verweist, während andere Forscher das Vorbild in ostasiatischen Doppelkopfschlangen sehen wollen und dazu voreuropäische transpazifische Kontakte bemühen. Dabei bleibt eine Rezension vergleichsweise unbeachtet, die Franz Boas dem Buch von Locher 1933 in der Deutschen Literaturzeitung zuteil werden ließ und die 1940 Aufnahme in seinen großen Sammelband Race, Language and Culture fand. In ihr kritisiert Boas in erster Linie die Lochers Arbeit unterliegende Vermutung, Mythologie sei etwas Ordentliches, Systematisches, in sich Logisches, das vor allem auch in Bezug zu bestimmten Funktionen im Rahmen des gesamtkulturellen Systems stünde. Eine nähere Analyse der Daten, so Boas, mache aber gerade auch am Beispiel der sisiutl deutlich, dass viele der Elemente nicht Teil eines alten Systems seien, sondern erst relativ kürzlich (nämlich im 19. Jh.) erfolgte Übernahmen von Vorstellungen anderer Völker, die nicht widerspruchsfrei in bestehendes Vorstellungsgut integriert wurden. So ist insbesondere die Vorstellung von sisiutl als Herrscher der Meereswelt ein Missverständnis der Kwakiutl, das auf die Übernahme einer Erzählung ihrer südlichen Nachbarn, der Comox, zurückgeht und alleijüngsten Datums ist (Boas 1940). Es ist auch bekannt, dass Heiler auf der Suche nach stets neuen und besseren 8 Zu ähnlichen Zeremonien mit lebendigen Klapperschlangen und „Klapperschlangenschamanismus" bei anderen Völkern Kaliforniens vgl. Kroeber (1925:199-200 [Yuki], 303 [Shasta], 427 [Maidu]); Powers ( 1877:160 [Pomo], 325 [Nisenan]); und Klauber ( 1956:1111).
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Mitteln sich gerne auch von den Heilmitteln fremder Völker inspirieren lassen, denen, weil diese ja selbst irgendwo am Rand des Menschseins stehen, schon deshalb besondere übernatürliche Wirkkräfte zugeschrieben werden. Für die Betrachtung des Schlangenrituals der Hopi hält die Boassche Kritik an Locher die implizierte Lehre bereit, dass man auch im indigenen Nordamerika nicht vom ungebremsten Überleben archaischer Vorstellungen und Praktiken ausgehen darf, sondern annehmen muss, dass die meisten in historischer Zeit aufgezeichneten Phänomene Resultat einer relativ kurzatmigen Geschichte sind. Vergleiche sind daher nur im Rahmen des Prinzips der begrenzten Möglichkeiten sinnvoll, deren Bandbreite aber vorerst zu bestimmen ist, um das Ausmaß der Signifikanz von Ähnlichkeiten abschätzen zu können. Bei unserer flüchtigen Betrachtung von Schlangen in der Vorstellungswelt der indigenen Völker Nordamerikas haben wir reale und imaginierte Schlangen (darunter vor allem Mischwesen mit Schlangenanteilen) kennen gelernt, wobei allerdings auch den realen (und mitunter unscheinbaren und gänzlich ungefährlichen ebenso wie den gefürchteten Giftschlangen) übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben werden konnten. Unter den symbolischen Funktionen von Schlangen in Nordamerika steht Fruchtbarkeit - sowohl für Kulturpflanzen wie für den Menschen - im Vordergrund. Die vor allem im trockenen Südwesten Nordamerikas im Vordergrund stehende Assoziation mit der Feldfruchtbarkeit leitet sich aus der Affinität von Schlangen und Regen ab, die sekundär auf Blitz, Feuer und Wolken (bzw. Blitzschlangen und Federschlangen) ausgedehnt wird; hierher gehören im weiteren Sinn auch Vorstellungen von Regenbogenschlangen (wie sie sich z.B. bei den Irokesen finden; vgl. Converse 1908:47-48). Die Verbindung mit menschlicher Fruchtbarkeit geht u.a. auf die Beobachtung der Größe der Gelege von Schlangen zurück; der phallische Aspekt (La Barre 1962:98fï) tritt in Nordamerika kaum jemals in den Vordergrund. Mit Reichtum und Jagd werden Schlangen wegen ihrer unterirdischen Lebensweise verbunden gedacht, die sie zu den Herren von Bodenschätzen (wie z.B. Kupfer im östlichen Nordamerika) macht, aber auch der Jagdtiere, als deren Wohnorte ebenfalls häufig unterirdische Höhlen angenommen werden, aus denen sie lediglich an die Oberwelt kommen, um sich vom Menschen jagen zu lassen. Als Ursache tödlicher Vergiftungen haben vor allem Giftschlangen auch einen starken Bezug zur Krankenheilung und Gesundheitsvorsorge. Eine Rolle als Beschützer von Kriegern kommt ihnen im östlichen Nordamerika wegen ihrer martialischen Erfahrungen im beständigen Kampf mit den Donnerern, ansonsten aber auch wegen der Tödlichkeit ihrer Waffen zu. Als Träger übernatürlicher Kräfte sind Schlangen vielerorts auch mit der Legitimation von Macht verbunden.
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Abb. 1. Bildniserdwerk in Form einer Schlange, Peebles, Adams County, Ohio. Adena- oder Hopewell-Kultur, 800 v.^100 n.Chr. Foto: National Anthropological Archives, Smithsonian Institution, Washington, DC.
Die 244 Meter lange schlangenförmige Erdskulptur entlang des Ufers des Brush Creek ist das größte bekannte Bildniserdwerk des voreuropäischen Nordamerika. Während die meisten viel kleineren Bildniserdwerke im westlichen Seengebiet einem späten Ableger der Hopewell-Kultur zugeschrieben werden, gilt der Great Serpent Mound meist als Erzeugnis von deren Vorgängern im Ohio-Tal, den Adena-Leuten, fur die sonst wenig Hinweise auf Herpetographie vorliegen. Die Deutung wird durch Erosion des einst vielleicht gehörnten Kopfteils erschwert, doch scheint es, als würde das geöffnete Maul nach einem Ei schnappen oder es ausspeien. Fantasievolle Interpretationen sehen darin eine Darstellung des Halleyschen Kometen, einer Sonnenfinsternis (Verschlingung der Sonne), der Jagd einer Schlange auf einen Frosch, oder des Gegensatzess zwischen Kräften des Lebens (Ei) und des Todes (Schlange) (vgl. Greenman 1967, Romain 2000).
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Abb. 2. Schlange aus Glimmerschiefer, Turner Mound, Hamilton County, Ohio. HopewellKultur, 100 V.-300 n.Chr. Peabody Museum, Harvard University, Cambridge, MA, Inv.Nr. 29683.
Luxusgüter aus exotischen Rohstoffen wie Kupfer oder dem aus den nahen Appalachen stammenden Glimmerschiefer bildeten Grabbeigaben der unter monumentalen Erdhügeln beigesetzten Standespersonen der Hopewell-Kultur, die wenigstens indirekte Kontakte mit dem mesoamerikanischen Raum pflegte. Erstmals im östlichen Nordamerika treten zur Zeit von Hopewell auch gehörnte Schlangen in Erscheinung, doch spielen sie im Vergleich zu Kulturen des nordöstlichen Nordamerika in historischer Zeit sowie neben der Darstellung von Raubvögeln eine vergleichsweise geringe Rolle (vgl. Willoughby und Hooton 1922).
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Abb. 3. Sandsteinscheibe („Palette") mit zwei verknoteten Klapperschlangen und dem Hand/Auge-Motiv. Mississippi-Tradition, Moundville, Alabama, 1250-1550 n.Chr. Durchmesser 32 cm. Alabama Museum of Natural History, Tuscaloosa, AL.
Schlangen stellen ein wichtiges Motiv im „Südöstlichen Zeremonialkomplex" dar, der die Ikonographie der späten Mississippi-Tradition im Südosten der U.S.A. beherrscht. Manche sind dank ihres Schwanzes eindeutig als Klapperschlangen erkennbar, andere durch Hörner, Flügel oder Gefieder eindeutig als mythische Wesen markiert (vgl. Fundaburk 1957:pl. 21, 26, 34, 35, 37). Das Motiv der verknoteten Klapperschlangen - hier in gehörnter Form findet sich ähnlich auch auf einer vergleichbaren Steinscheibe aus Issaquena County, Mississippi (Fundaburk 1957:pl. 93-94). In Spiro, Oklahoma, erscheinen geflügelte Klapperschlangen auch in Verbindung mit den vier Himmelsrichtungen (Fundaburk 1957:pl. 26).
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Abb. 4. Wandmalerei in einem Zeremonialraum (Kiva) des prähistorischen Pueblo von Kuaua, New Mexico. Anasazi-Kultur (Pueblo IV), ca. 1300-1400 n.Chr. Foto: Christian Feest.
Im Gegensatz zum eher kosmischen Symbolismus der Schlangen im Südosten Nordamerikas symbolisieren sie im trockenen Südwesten in erster Linie die fur das Wachstum der Kulturpflanzen entscheidende Feuchtigkeit und die damit verbundenen Phänomene Regen und Blitz. Insbesondere die große Wasserschlange, manchmal gehörnt, manchmal gefiedert, lässt sich durch Analogien mit den Vorstellungen und Praktiken der historischen Pueblokulturen deuten (vgl. Dutton 1963:99-103). Die vorliegende Darstellung ist Teil einer Darstellung, in der übernatürliche Wesen mit der Kontrolle des Wetters und Zeremonialismus des Wirtschaftslebens beschäftigt sind. Die Schlange, deren rautenförmige Zeichnung und abgesetztes Schwanzende sie eindeutig als Klapperschlange identifizieren, ist über einem der Scherengitterblitze dargestellt, die ebenso wie ein Wasserstrom vom Schnabel eines Adlers ausgehen (vgl. Dutton 1963:122-123, 127-128, Abb. 48, 49, 115, pl. XVI).
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M A S E T T O INHIANOW/M,
Abb. 5. Nach A. Hesselius, Manetta Indianorum. Abbildung aus Tobias Biörcks Dissertation über die Gründung der schwedischen Kirche in America (1731). Nach Nothstein (1943:33).
Eric Biörck war ein schwedischer Missionar, der zwischen 1697 und 1714, lange nach Ende der Kolonie Neuschweden, die verbliebenen schwedischen Siedler in der Gegend des heutigen Wilmington, Delaware, betreute und sich auch um das Seelenheil der benachbarten indigenen Bevölkerung bemühte. Fast zwanzig Jahre nach der Rückkehr aus Amerika bildete sein Sohn Tobias die Zeichnung des Malers Hesselius ab, die dieser von der Haustür eines schwedischen Siedlers kopiert hatte, und die den „Manetto Indianorum" darstellte, der als bösartiger Gegenspieler des gütigen Himmelsgottes charakterisiert wird, dem allein Opfer dargebracht würden. Das schlangenartige Mischwesen hat möglicherweise einen Rasselschwanz und wird durch den aus dem Maul tretenden Rauch mit Feuer in Verbindung gebracht.
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Abb. 6. Zwimbindige Tasche mit Schlangendarstellung, Menominee, Wisconsin, 19. Jh. National Museum of Natural History, Smithsonian Institution, Washington, DC, Inv.Nr. 358,506 (Slg. Evans).
Täschchen aus Indianerhanf (Apocynum) der Menominee und anderer Völker des westlichen Seengebiets zeigen auf beiden Seiten oft Darstellungen von Donnervögeln als Vertretern der Himmelsmächte und ihren unterirdischen Gegenspielern. Neben den häufiger dargestellten Unterwasserpanthern sind dies manchmal auch Schlangen. Bei den Menominee sind die gehörnten Schlangen (me qsekenepik, ,haarige Schlange'; Bloomfield 1975:131) die Bewohner der obersten der vier Schichten der Unterwelt und daher den Menschen am nächsten; ihr Körper ist mit schwarzen oder goldenen Schuppen bedeckt, auf ihren haarigen Köpfen wachsen geweihartige Hörner; manche von ihnen haben Flügel und können daher fliegen; in ihrer unterirdischen Heimat bewachen sie die heilige Medizin, während andere der Unterweltwesen das wertvolle Kupfer hüten und überhaupt für Reichtum und Wohlstand zuständig sind (Skinner 1913:73-83; 1921:28-31). Name und Darstellung legen nahe, dass es sich nicht um Klapperschlangen gehandelt hat (vgl. nesena wsqtam, ,Klapperschlange'; Bloomfield 1975:238). Skinner (1913:81, Anm. 2, 82) verweist auf die ikonographischen und konzeptuellen Ähnlichkeiten mit den gehörnten Schlangen der Irokesen (Converse 1908:41-43; vgl. Abb. 19). Eine Schlangendarstellung auf einem Silberarmband der Menominee (Skinner 1921:129, Abb. 5) weist auf die Beziehung zu Metall und Reichtum hin und suggeriert im Vergleich mit anderen Armbändern den Übergang der gewellten Schlangenkörper zu floralem Rankenwerk.
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Abb. 7. Guadalupe Arenas (Cahuilla, Santa Rosa Reservation, Kalifornien), wulsthalbgeflochtener Korbteller mit Darstellung einer Klapperschlange, um 1910. The Palm Springs Desert Museum, Palm Springs, CA (Slg. James Smeaton Chase).
Grundsätzlich gilt für alle Völker Kaliforniens und des größeren Südwestens das, was McKee et al. (1975:26) für die Havasupai berichten: dass nämlich Schlangen, wiewohl im Lebensraum fast allgegenwärtig, auf Körben grundsätzlich nicht dargestellt wurden. Die Ausnahmen bestätigen nicht nur die Regel, sondern illustrieren insbesondere das Phänomen der Piktoralisierung von Korbmustern unter dem Einfluss des weißen Käuferinteresses ab dem späten 19. Jahrhundert. Dabei galten offenbar im Dunstkreis der Faszination mit dem Schlangentanz der Hopi gerade Klapperschlangen als besonders „typisch" indianisch und finden sich vor allem auf den Körben der Chemehuevi, Cahuilla und der südkalifornischen „Missionsindianer" (Silva und Cain 1976:16, Abb. 12, 21, Abb. 26, 24, Abb. 32, 30, Abb. 42, 32, Abb. 46, Rozaire 1977:50, Abb. 92; Tanner 1983:221-222, Abb. 8.8.; Bibby 1996:92, 109; vgl. Abb. 18).
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Abb. 8. Donnervogel und Wal, flankiert von Seewolf und Blitzschlange, Nootka, British Columbia, um 1850. Tempera auf Holz, Breite 300 cm. American Museum of Natural History, New York, NY. Kat.Nr. 16.1/1892B.
Obwohl es auf Vancouver Island selbst keine Schlangen gibt, spielen diese Tiere als mythische Wesen eine gewisse Rolle in den Vorstellungen der Nootka-sprechenden Bevölkerungen im Südwesten der Insel. Zentrales Thema der zeremoniellen Wandverkleidung ist der Kampf des Donnervogels gegen den Wal, doch ist linker Hand neben dem Donnervogel einer seiner „Hunde", die gefiederte Blitzschlange (hai'I'Lik) zu sehen, deren Schuppen den Nootka als wert- und wirkungsvolles Amulett galten. Unter den verschiedenen Varianten dieser Blitzschlangen gab es neben riesigen Exemplaren auch kleine, doppelköpfige Formen (Drucker 1951:153).
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Abb. 9. „Seelenfänger" in Form einer sisiutl. Ohne Herkunftsangabe [Haida?], 19. Jahrhundert. Knochen, Länge 18 cm. British Museum, London.
„Seelenfänger" wurden an der Nordwestküste von Heilern verwendet, um die Seelen von Patienten einzufangen, deren Krankheit durch Seelenverlust verursacht worden war. Sie haben, auch wenn sie nicht von den Kwakiutl stammen, meist die Form der doppelköpfigen sisiutl.
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Abb. 10. Ernie Smith (Seneca, New York), Tadodaho. Aquarell, um 1950. Rochester Museum & Science Center, Rochester, NY.
Im Gründungsmythos der Irokesenliga wird berichtet, wie der Kulturheros Hiawatha dem mächtigen Onondaga-Häuptling Tadodaho die lebendigen Klapperschlangen aus den Haaren kämmen musste, um seinen Widerstand gegen den neuen Stammesbund zu überwinden. Die älteste bildliche Darstellung dieses Ereignisses stammt von dem Tuscarora-Maler David Cusick (1828). Mehr als zweihundert Jahre zuvor und ein knappes Jahrhundert nach dem vermutlichen Gründungszeitpunkt der Irokesenliga datiert eine Abbildung aus dem Küstenland von Virginia, die einen Ritualisten mit einem Kopfschmuck aus Schlangen zeigt (Smith 1624; vgl. Feest 1967:20-21, 23; 1986:pl. Xlla, b). Dass es sich bei dem mythischen Ereignis nicht lediglich um einen symbolischen Akt gehandelt haben dürfte, sondern dass Schlangen als Kopfschmuck die Beziehung der Ritualisten zu den mächtigen übernatürlichen Wesen verkörperten, bestätigt 1724 auch Pater Joseph François Lafitau (1974-1977, 1:139), der davon berichtet, dass irokesische Ritualisten aus Schlangenhäuten „Kronen und Gürtel" herstellten und sich damit in der Art eines Medusenhaupts schmückten.
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Abb. 11. Nach James Otto Lewis, Wakaunhaka (Snake Skin), 1826. Aus McKenney und Hall (1838-1844).
Ähnlich wie bei den ihnen benachbarten Menominee und Ojibwa steht bei den Winnebago das Wort wak'an sowohl für ,heilig' als auch fur ,Schlange', während wak'andja zugleich ,heilig' und ,Donnervogel' bedeutet. Nach Radin (1923:234) gilt die Schlange als heiliges Tier und Götterbote; zugleich war wak'an auch der Name des Schlangenklans, der zur Erdhälfte zählt, während etwa der Donnervogelklan der Himmelshälfte angehört. Die Klane besitzen einen Fundus von Eigennamen, die sie auf die Klanzugehörigkeit beziehen, wobei das Klantier als Ahne, aber auch als Schutzgeist der gesamten Gruppe gilt; darüber hinaus dient das Klantier als Symbol der Gruppenzugehörigkeit und als Eigentumsmarke (Radin 1923:142-143, 147-150, 202-203). Der aus einer präparierten Schlangenhaut bestehende Kopfschmuck des Wakaunhaka ist daher eigentlich nur eine materielle Ausdrucksform des Eigennamens „Schlangenhaut". Ein anderes von James Otto Lewis gemaltes Bild zeigt entsprechend den Winnebago Wakawn (Snake) mit der Zeichnung einer roten Schlange auf seiner Wange. Um 1910 galt der Schlangenklan als vergleichsweise neue Gruppe, war aber gleichzeitig bereits vom Aussterben bedroht.
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Das Unverständliche, das Fremde und das Übernatürliche
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Abb. 12. Souase Oke-Charinga. Americanischer Printz, 1722. (Nach Kanold und Kundmann 1722).
1722/3 waren in Deutschland Souase Oke Charinga und Tuské Stamiagé, zwei junge Würdenträger der Creek, zu sehen, die von John Pight, einem Hauptmann der Miliz von South Carolina, nach Europa verschleppt worden waren. Einem Bericht aus Leipzig zufolge waren sie am ganzen Körper tatauiert, wobei „unter dem Gesichte ... Schlangen, auf den Brüsten Zeichen der Sonne, als die sie angebetet, und sonst an dem Leibe Drachen-Bilder, auch andere Hieroglyphische Marquen" zu sehen waren (Sicul 1719-1731, 3:441). Neben der Schlange auf dem Gesicht Souase Oke-Charingas sieht man auf seiner Brust zwei ineinander verwickelte gehörnte Schlangen und auf dem Rücken möglicherweise Federschlangen. In dieser Motivik mag man letzte Ausläufer des Südöstlichen Zeremonialkomplexes erkennen.
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Abb. 13. Mann in Schlangenverkleidung. Malerei auf Keramik, Mimbres, New Mexico, 1000-1130 n.Chr. (Nach Cunkle 2000:113 Abb. 327).
Die szenisch bemalten Mimbres-Keramiken aus dem Südwesten der U.S.A. illustrieren die vielschichtige Bedeutung, die Schlangen in dieser Kultur besessen haben müssen. Neben Vögeln, die mit Schlangen kämpfen oder sie in ihren Fängen halten, erscheinen Mischwesen mit menschlichem oder tierischem Oberkörper und dem Schwanz einer Klapperschlange. Darstellungen von Männern im Kostüm einer gehörnten Schlange treten meist in Verbindung mit Abbildungen der Kopijagd auf, die in indigenen Vorstellungswelten oft mit der Idee von Feldfruchtbarkeit verbunden sind. Interpretationen reichen von Vergleichen mit dem mesoamerikanischen Quetzalcoatl zu solchen mit dem Zwillingsmythos der Pueblos, in dem der Ältere Bruder den Jüngeren Bruder zu enthaupten vorgibt, um Leistungen von den Göttern zu erpressen.
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Abb. 14. Zwei Männer im Schlangenkostüm. Nach einer ritzverzierten Schneckenschale, Spiro Mound, Oklahoma, 1200-1350 n.Chr. Höhe 31 cm. National Museum of the American Indian, Washington, DC, Inv.Nr. 18-9085. (Nach Fundaburk 1957:pl. 24)
Männer in Schlangenverkleidungen erscheinen auch in der Bilderwelt des Südöstlichen Zeremonialkomplexes. Hier sind die verschieden gemusterten Leiber der beiden Klapperschlangen umeinander gewunden, während sich die Tänzer in entgegengesetzter Richtung bewegen. Einer von ihnen hält eine Schlange oder einen schlangenförmigen Stab in seiner Hand. Ähnliche Stäbe wurden im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Kalumetritual der Irokesen (vgl. Abb. 19) und als Ausrüstungsgegenstand eines „Indianers aus dem nordwestlichen Louisiana" abgebildet (Fundaburk 1958:110). Unterhalb der Tänzer ist eine eingerollte Klapperschlange zu sehen. Die Kronen der Tänzer erinnern an die Federkronen der Hopi-Palölöqangw (vgl. Abb. 17).
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Abb. 15. Schlangenfbrmige Kupferfeder. Länge 34 cm. Spiro Mound, Oklahoma, 1200-1350 n.Chr. Ohio State Museum, Columbus, OH. (Nach Hamilton et al. 1974:152 Abb. 92B).
Kleine Löcher am Kopfende der kupfernen Feder zeigen an, dass sie wahrscheinlich an einem Textil angenäht und Teil eines komplexen Kleidungs- oder Schmuckgegenstands war.
Abb. 16. Mann mit zwei Klapperschlangen. Malerei auf Keramik, Mimbres, New Mexico, 1000-1130 n.Chr. (Nach Cunkle 2000:110 Abb. 316).
Die ältesten Belege für das rituelle Hantieren mit Klapperschlangen finden sich auf Mimbres-Keramiken des 11. Jahrhunderts. Hier ist neben dem Schlangentänzer ein Behälter zu sehen, in dem noch eine weitere Schlange darauf wartet, in das Ritual einbezogen zu werden (vgl. Carr 1979; Cunkle 2000:110).
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Abb. 17. Kutcahonauhuû (Hopi, Arizona), Macibol, Palülükoñ und Tatcükti. Aquarell, 1893. (Nach Fewkes 1903:pl. XXVI).
Anders als im Schlangentanz wurden bei rituellen Darstellungen der Großen Wasserschlange (Palölöqangw) im Lölöqangwt-Ritual der Hopi animierte Attrappen verwendet, die vom Tänzer mittels eines Stabs, der als Rückgrat der Schlange dient, bewegt werden. Oben ist der Sonnengott Macibol oder Lölöqangwkatsina dargestellt, auf dessen Maske ein Schlangenkörper zu sehen ist, und der die von ihm gehaltene Schlange als Blitz verwendet. Unten ringt ein „Schlammkopf'-Clown mit einer aus einem Topf hervorkommenden Palölöqangw. Das vorwärts gebogene einzelne Horn der Schlange erinnert an die auf Mimbres-Keramiken abgebildeten Schlangenverkleidungen (vgl. Abb. 13).
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Abb. 18. Korb mit Klapperschlangen-Motiv, Yokuts, Südkalifomien. Höhe 14,5 cm. Charles W. Bowers Museum, Santa Ana, CA.
Im Glauben der südkalifornischen Yokuts galt die Klapperschlange als Bote und Spion von Tihpiknits, dem Herrn der Totenwelt, dem sie über die Vergehen der Menschen berichtete, die dann dafür zur Verantwortung gezogen wurden. Der Korb mit dem als „Klapperschlangenmotiv" bezeichneten Rautenmuster und den Schnepfenfedern an den Schultern wird mit einer Legende in Beziehung gebracht, nach der die Schnepfe als Vertreterin der Gerechtigkeit die Bestrafung einer Klapperschlange veranlasste, die Menschen bei Tihpiknits fälschlich angeschwärzt hatten. Körbe dieser Form, nicht notwendigerweise mit diesen Motiven verziert, wurden von den Klapperschlangendoktoren der Yokuts zum Einsammeln und Aufbewahren der Klapperschlangen verwendet, die dann im Ritual zum Einsatz kamen (Latta 1949:210-211; 1977:648-649). Das „Klapperschlangenmotiv" findet sich auch auf den Körben anderer kalifornischer Stämme, die nicht immer einen auf diese Tiere bezogenen Ritualismus kannten (James 1909:210, 241, 254; Klauber 1956:1178).
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Abb. 19. Louis Nicolas, Cayuga mit Schlange, vor 1701. Codex Canadensis, f. 15, Thomas Gilcrease Institute of American History and Art, Tulsa, OK.
Eine Zeichnung des Ex-Jesuiten Louis Nicolas aus dem späten 17. Jahrhundert stellt einen Hinweis auf Schlangenrituale bei den Irokesen dar. Der begleitende Text lautet: „Dies hier ist ein Gesandter der Festung Gannachiouavé, der auf dem Weg ist, die Herren aus Gandaouagahaga einzuladen. Sie glauben, dass die Schlange der Gott des Feuers ist. Sie rufen ihn an, indem sie die Schlange in Händen halten und dabei tanzen und singen" (Gagnon 1979:290-291). Ein Vierteljahrhundert danach berichtet Pater Joseph François Lafitau, das Hantieren mit Klapperschlangen sei bei den Irokesen nicht unüblich und Schlangenhäute seien ein wesentlicher Bestandteil ihrer rituellen Verrichtungen; im Zusammenhang mit dem Kalumetritual bildet Lafitau eine Schlange ab, „als Manitu oder Geist, zu dessen Ehre der Tanz durchgeführt wird" (Lafitau 1974-1977, 1:173; 2:295, pl. XV).
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Abb. 20. Tshi'saqka demonstrieren Schlangentrick. Menominee, Wisconsin, 1890. Nach Hoffman (1893 :pl. VII).
Im Rahmen der Zeremonie der Medizingesellschaft der Menominee beobachtete Walter Hoffman (1893:96-97) den Auftritt „einiger wohlbekannter Mitglieder, die Zauberer oder tshi'saqka waren, und Tricks zur Vorführung brachten, um die Zuschauer mit denen von ihnen besessenen Kräften zu beeindrucken." Anders als bei den Völkern, bei denen Spezialisten mit lebendigen Klapperschlangen hantierten, gingen die auch als Schüttelzeltritualisten bekannten tshi'saqka auf Nummer sicher und verwendeten statt dessen hölzerne Schlangen, die sie mit Hilfe eines sinnreichen Mechanismus aus einer Tasche herauskommen und wieder in ihr verschwinden lassen konnten (vgl. Abb. 17). Die Schlangen haben nichts mit den spezifischen Aufgaben der tshi'saqka zu tun, sondern dienen ausschließlich der Demonstration ihrer übernatürlichen Fähigkeiten.
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Cora Bender A Man Made Matter out of Place: Captain John Gregory Bourke (1846-1896) as a Source for Aby Warburg's "SchlangenrituaF
Introduction The young Aby Warburg came to the American Southwest in 1895/1896 to escape from what he perceived as being the barrenness and emptiness of the urban world of 19th Century coastal America.1 This journey brought him into face-to-face contact with different Pueblo cultures and their ceremonial life. It is known to have left a deep impression on him, and throughout his life it remained an important source for his scholarly work as well as for his personal regeneration in times of crisis (see Schüttpelz, this volume; also Naber 1986). However, his written and oral accounts of the journey and his subsequent re-evaluation of certain strands of European art history center around a ceremony he personally never witnessed, today known as the Hopi Snake Dance (Warburg 1938-39, 1988). This gestalt of the trip as a "journey to the snakes" (Schüttpelz, this volume) has its own, if today still unreflected sources. The single most important of these is the travelogue of a similar journey to the Southwest, published in 1884 under the lengthy title "The Snake-Dance of the Moquis of Arizona. Being a Narrative of a Journey from Santa Fé, New Mexico, to the Villages of the Moqui Indians of Arizona with a Description of the Manners and Customs of this Peculiar People, and Especially of the Revolting Religious Rite, The Snake-Dance; to Which Is Added a Brief Dissertation upon Serpent-Worship in General with an Account of the Tablet Dance of the Pueblo of Santo Domingo, New Mexico". This account is the first monograph by John Gregory Bourke (1846-1896), a captain in the 3rd U.S. Cavalry, whose publications were to become quite popular during his lifetime. At the time of Warburg's youthful trip to the Southwest, Bourke was already on the way to his last journey, so the two men never met in person, even though Warburg contacted a number of North Americanist scholars in New York City and Washington, D.C. who were friends of Bourke, such as Frank Cushing and James Mooney.2 He saw Bourke's book on
1 Different versions of this paper were given at the conference "Schlangenritual", Warburg Haus, Hamburg, April 11-13, 2002; at the Research Colloquium of the Frobenius Institute, J.W. Goethe University, Frankfurt, February 2005; and at the Indigenous Cosmologies Working Group Seminar at NYU's Department of Anthropology, April 2004. I would like to thank Fred Myers, Faye Ginsburg, Terence Turner, Elizabeth Povinelli, Renato Rosaldo, Wolf Heydebrand, Aaron Glass, and students of NYU for a most fruitful discussion. For encouragement, questions and comments on Bourke I am also indebted to Ian Dent, Christian Feest, Karl-Heinz Kohl, Erhard Schüttpelz, and Michael Taussig. David Wigg-Wolf helped with the translation. Sincere thanks also to Marc Rochette for references on snake worship, for feedback on this article, and for productive dis-entanglement. 2 Warburg remained in touch with researchers on both sides of the Atlantic. For example, he contacted with the German scholars Karl von den Steinen and Paul Ehrenreich, and with German-Russian Mennonite missionary Heinrich Voth in connection with the Snake Dance (see Sanner, this volume; Sanner 1996).
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Cora Bender
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the Snake Dance and took notes of its content, but he seems not to have brought it back to Europe and makes no mention of it in his publications.3 This unconscious neglect is symptomatic for the treatment of a writer and researcher who during his life-time fought hard for the acknowledgment and reputation he felt was due to him. Yet, he never appears to have fitted into the disciplinary patterns of the day, struggling in vain and remaining an obscure author on the border between anthropology and culture history. Today, he has become wellknown only among historians for the many years he served as a staff officer on General George Crook's command, for the extensive diaries he kept throughout his life and for his accounts of the "Indian Wars" based on them (Bourke 1886, 1890a, 1891a, 1891g).4 Anthropology however has so far paid little attention to him (Hauschild 1981; Porter 1986; Bender 1993, 1996; Hinsley 1999; Dilworth 1996). Alongside a number of occasional articles in scholarly journals, Bourke also published the first ever study about what he regarded as his "most potent" rivals, "Apache Medicine Men" (1892a), as well as more regular contributions about his extensive comparative historical studies of the use of excrement - his ongoing and most conspicuous obsession (Bourke 1888; Bourke 1891b; Bourke 1913; Laporte 1978). On fresh examination, his works are intriguingly reflective of the implicit knowledge he acquired as a conqueror and researcher of "savages", a vita which forced him to endure much physical and emotional hardship, inflicting on him symbolic injuries and wounds he had to struggle with in later life. His unique - and uniquely ambivalent - contribution to the discipline is, however, already apparent in his first publication, the volume on the ritual he coined "The Snake Dance" (Bourke 1884). The historical context of this book, his life, and some of the parallels to that of Aby Warburg are the concern of the present article.
3 I owe sincerest thanks to the director of the Warburg Archives, Dorothea McEwan, and her staff, Susanne Meurer und Claudia Wedepohl for their generous help during my research at the Warburg Archives. In Warburg's note case "Americana 40" I found an envelope containing notes about references on Southwest cultures, mainly bibliographed from the Journal of American Folk-Lore, and also from the Century Magazine and the American Anthropologist. Warburg wrote comments on some of the references, also on the complete title of Bourke's "The Snake-Dance". For this reason, it is safe to assume that Warburg actually checked the volumes. Under the title "Nord-Amerika, Relig., Local (Pueblo)" Warburg writes, "Katcina Über die Ethnology Fewkes Journal E AII p. 73, the "sitters"? Bourke Snake D. p. 43 Cochino = Pig dance vor der Maske (?)" This refers to an excurse about the Tablita-dance Bourke saw in Santo Domingo, and to Bourke's speculations about the Tablita-dance being a substitute of the Cochino or Pig-dance, a ritual which was forbidden by the Spanish colonial rulers in the Southwest (Bourke 1884:43f.). Warburg seems to ponder the question whether the Cochino-dance is a predecessor of the mask in terms of culture-history. Other notes Warburg took about Bourke read: "Capt. Bourke The snake dance of the Moqui « of Arizona 1884" "J.G. Bourke The Gentile System of the Navajo In. (u. Apache) J. A. Folkl. Ill (1890) p. 89xx" "John G. Bourke Cosmogony and Theogony of the Moqui Indians. J.A. Folkl. II p. 169 ff." Warburg also saw this text: "Wash. Matthews (A.M. Stephen) Legend of the Snake Order of the Moquis as told by outsiders. J. Am. Folkl. I ρ 109" 4 Bourke's diaries were recently published in five volumes (Bourke 2003; Robinson 2003). See also list of reference for Bourke. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
A Man Made Matter out of Place
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Fig. 1. "The mere shadow has still some backbone 'Our Standing Army' stands in spite of political false economy", caricature by Thomas Nast (Harper's Weekly, 8. August 1874). Nast (1840-1902) was a popular caricaturist who also created the modem image of Santa Claus. A Republican and supporter of the military, Nast protested against suggestions by the Democratic Party of reducing the U.S. army (www.nationalcowboymuseum.org, 09.07.2007).
Campaigning the Snakes It was the beginning of August 1881. A group of ten white men traveled fifteen miles from the Hopi Agency at Keams Canyon to the Hopi Villages on First Mesa. Their small team of wagons rumbled down the narrow canyon and across a wide sandy plain, progressing very slowly under the intense heat. They were on their way to a Hopi ceremony which few outsiders had ever seen: a strange dance, it was said, with rattle-snakes. The group was a casual, diverse mixture of people, typical of the small white community found in the Southwest during the late 19th century: In the group were Hopi Agent Sullivan, his son who was also the agency physician, Hopi agency school teacher Taylor, trader Thomas Keam, Navajo Agency physician Dr. Elbert, two trader-ranchers named Williams and Webber, and a young Alexander Stephen who was later to become renowned for his Hopi diaries (Parsons 1936).
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The core of the group, however, was formed by a small army detachment made up of the then First Lieutenant John Gregory Bourke, two soldiers from his command, and an attached artist named Peter Moran. Bourke, who was thirty-five years old at the time, was a hardworn soldier and well-acquainted with the Southwest. Since 1869 he had been part of an initially rather modest U.S. army presence in what was then still the Territory of Arizona. As staff officer to General George Crook he was active in the field continuously for many years, participating in all major military campaigns both in the Southwest and on the Great Plains in the 1870s and early 1880s. Combating the nomad societies of the Plains and the Apache of the Southwest who, under the skilled and charismatic leadership of such as Crazy Horse, Cochise, and Geronimo, were obstructing the conquest of the American West, Bourke had lived an exceptionally arduous, exciting and unsettled life, and had seen and participated in much bloodshed. His initial attitude towards indigenous peoples was no different to that of his contemporaries, let alone the frontier population he was supposed to be protecting. Condescending, prejudiced and deeply convinced of the superiority of the EuroAmerican way of life, the devoted cavalry officer had for many years taken no small personal satisfaction from the military mission of "rendering the savages impotent" and whipping the tribes into surrender (Bourke 1891a:394). In the spring and summer of 1881, we encounter him on his own, touring the villages of the Rio Grande and the Western Pueblos. However, his assignment at the command of Lieutenant-General Sheridan had no direct military purpose. He was on a new mission, ensuing a difficult and at times painful cultural conversion, and now collecting ethnographic field notes and artifacts instead of combat honors. He had started out in late March at the Shoshone reservation of Fort Hall, Idaho, and had then gone to Santa Fe, New Mexico to conduct research among the Navajo in April and May of 1881. He returned north in June to witness the Oglala Sun Dance5 at Pine Ridge (Porter 1986:89; 95-111). After a brief trip to New York City, he returned to the Southwest until November 1881. Between April and November he visited twenty-two Pueblo villages along the Rio Grande and in the West, including Zuni and the three mesas of the Hopi. He initially only heard of the "Snake Dance", which became the major focus of his travelogue published in 1884, as a story from his old friend William Leonard, then a trader at the Navajo Agency, Fort Defiance, Arizona, whom he visited in the middle of May 1881. Although Leonard's account was given at "second hand" from the Navajo people he traded with, it was detailed enough to make Bourke want to go to see the ceremony which was due to take place in the Hopi village of Walpi during the August full moon. En route he met a number of interesting people, including, as already mentioned, Alexander M. Stephen, as well as Washington Matthews, army surgeon at Fort Wingate and a reknowned scholar of Navajo culture (Bourke 1884:61), and Frank Cushing who had lived in Zuni since 1879 on assignment from the Smithsonian Institution. Of Irish descent, as was Bourke, he had already acquired a reputation as an ethnographer, studying Zuni culture by way of mimesis, immersing himself into it as completely as possible (Green 1990). They made an appointment to meet for the Snake Dance, and Bourke also hoped to have General Edward Hatch and his staff officer Captain Woodruff in the party. But Cushing apparently didn't come to Walpi, neither did the two military officers who had to sort out an Apache uprising in the southern part of the district and therefore could not attend - war was still looming in the background (Bourke 1884:5). 5 For research on the sun dance, see Archambault 2001. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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Fig. 2. Graduation photograph of Cadet John G. Bourke, United States Military Academy Class of 1869. Courtesy United States Military Academy (USMA) Archive, West Point, N.Y.
Bourke and Moran left Santa Fe on the afternoon of August 3, intending, as Bourke later wrote: to go as far south as the important Pueblo of Santo Domingo where we should be in time for the grand annual celebration of the Dance of the Tablet and its attendant ceremonies; and this witnessed, could strike the Atchinson, Topeka, and Santa Fé Railroad below the 'wash-out' and readily reach Albuquerque, the initial point of the Atlantic and Pacific Railroad, then just building in the direction of the Arizona boundary, and the shortest line of approach to our goal, the Moqui villages. (Bourke 1884:6) On 11 August Bourke and his party, which had grown along the way, reached Walpi. The group left the two soldiers with the mules at the bottom of First Mesa, while the rest began the arduous climb to the summit, resting frequently and admiring the view while the inhabitants of the village on the mesa top passed by at a brisk pace, driving donkeys laden with green corn or carrying five gallon water jars, "always greeting us with the friendly salutation 'lolamai' (good)" (Bourke 1884:101). Of the many events he witnessed that year, three ceremonies made the strongest impression on Bourke: the Oglala Sun Dance in June, the Snake Dance at Walpi in August, and a urine-ritual he saw together with Cushing in Zuni in November. These three ceremonies,
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although not related, all contained a strong element of testing the participants' courage - and the white onlookers' steadfastness. The Snake and Antelope ceremonies of the Hopi of Arizona used to, and can still take place in alternating years at the beginning of every August to ensure enough rainfall for the crops to ripen. During the Snake Ceremony live snakes, mostly rattle snakes, gathered by members of the Hopi Snake society in the surrounding desert, acquire the role of ritual participants in what has been called by non-native observers an "elaborate prayer for rain" (Fewkes 1894:124; Dorsey 1903:155). After eight days of secret ritual preparations in the kivas, the underground ceremonial chambers, the ceremony culminates in a public performance in front of village inhabitants and outside guests. The snakes are brought out, and men of the Snake Society dance them around the central village plaza in a peculiar and, at least to outsiders, most startling way, by carrying the venomous reptiles in their mouths. Thrown to the ground at the end of the procession and sprinkled with sacred cornmeal, the snakes are picked up and finally set free outside the village. The participants then take an emetic for their own cleansing, before attending the concluding public village festivities. Most outside accounts speak of the deeply disturbing effect the ritual dance with the snakes had on them. This is what Bourke saw in the afternoon of August 12, 1881: As the procession pranced closer and closer to where we were seated we saw that the dancers farther to the rear of the column were holding the slimy, wriggling serpents between their teeth! [...] The spectacle was an astonishing one, and one felt at once bewildered and horrified at this long column of weird figures, naked in all excepting the snake-painted cotton kilts and red buckskin moccasins; bodies a dark greenish-brown, relieved only by the broad white armlets and the bright yellowish-grey of the fox-skins dangling behind them; long elfin locks brushed straight back from the head, tufted with scarlet parrot or woodpecker feathers; faces painted black, as with mask of charcoal, from brow to upper lip, where the ghastly white kaolin began, and continued down over chin and neck; the crowning point being the deadly reptiles borne in mouth and hand, which imparted to the drama the lurid tinge of a nightmare. (Bourke 1884:163; see also Bourke Diary Vol. 44:p.l887-8, August 12, 1881) Ethnohistorical research provides a possible connection between the Snake ceremony and the temporary rising, at a historically recorded time of crisis, of the Snake Clan of Oraibi, who were less important but more warrior like. This was during the first intrusion of Athabascan raiders from the north, shortly before the Spanish conquest of the Southwest began. This connection of the Snake Dance to war, and its symbolic performance of the warrior ideals of courage and fearlessness is hinted at by some accounts. It also seems to be reflected in the split of the village of Oraibi which unfolded during the course of the Snake Dance in 1906, and became manifest shortly thereafter (see Schüttpelz, this volume, footnote 37; Titiev 1944; Bradfield 1973). This would allow an interpretation as a ritual of crisis management. The martial connotation of the Snake Dance might also explain the fascination it held for the military officer Bourke who, when he visited the Hopi in 1881, brought with him a long career of intensive warfare against some of the most skilled indigenous warrior societies in North America.
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Fig. 3. Northern Cheyenne pictograph of a Cheyenne warrior and a wounded soldier, collected by Bourke. Bourke Diary, Vol. 18, Special Collections Division (SCD), United States Military Academy (USMA) Library, West Point, N.Y.
"Dances with Snakes" Bourke's phrase, as well as the image which for the first time appeared on the cover of his volume - the image of the Hopi dancer with the live rattlesnake in his mouth - were soon to become the label and the template for countless representations of the ritual in the newly emerging and widely available media around the turn of the 20th century. They are found in scholarly and journalistic accounts, photographs, drawings, paintings, film and sound recordings, as well as reconstructions in museum show cases. By the time of Bourke's premature death in 1896, the Snake Dance had already become an enormously popular event for researchers, writers and ordinary tourists, "a national ritual for newspapers" (Dilworth 1996:21) which drew crowds of hundreds, even thousands of spectators every year. Visitors came from all over the U.S. on trips organized by railway companies. The Snake Dance was also central to the self-construction of the emerging discipline of American anthropology. Many scholars witnessed and wrote about it.6 This tradition includes names from the early anthropology of the Southwest, such as J. Walter Fewkes (1894; 1897) Cosmos Mindeleff (1886a; 1886b), Alexander Stephen (1888; Parsons 1936), Matilda Cox Stevenson (1892), and the Mennonite missionary Heinrich Voth (1903; Dorsey and Voth 1902). Rooted in a theoretical interest in the origins of man, religion, and culture, accounts of the ritual concerned themselves with classifying it as a form of serpent worship 6 Prof. Christian Feest drew my attention to an extensive bibliography of the Hopi Snake Dance compiled by a professional herpetologist (Klauber 1932). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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and comparing it with other such rituals and myths from all over the world, especially as a form of ritual sacrifice; with its function as a rain-making ritual which was supposed to control the short rainy season in early August to ensure the ripening of the crops; with its historical kinship with Meso-American serpent rituals and mythology; and finally, with the question of how the Hopi dancers handled the venomous reptiles and avoided being bitten (Curtis 1930, XII; Titiev 1943). Bourke's work already contains these key research motifs that were to occupy anthropology for years to come. The Snake Dance can be seen to provide the first paradigmatic case in which American anthropology developed new styles of anthropological writing. On the one hand, the emerging discipline slowly distanced itself from the culture-comparative speculation dominant in European research, by publishing more accurate, detailed and less vivid accounts of the ritual order and course of events.7 On the other hand, American anthropologists used the Snake Dance as a first occasion to address a wider public, a mass urban audience that they felt should be educated about Indians. For example, even though in their publications about the Snake Dance for the Passenger Department of the Santa Fe Railway System, Walter Hough and George A. Dorsey advertise the event as the "most weird, unique and most amazing spectacle to be found in any part of the world" (Dorsey 1903:152; Hough 1901, see also Hough 1915), they also explained the Snake Dance as an elaborate religious ceremony observed by a primitive yet industrious and "cultured" tribe. This comparatively sober, popular style of writing was aimed at urbanités who had never been in contact with the indigenous population, but might still recall the racist press hysteria of the 1870s and early 1880s that was prevalent during the Apache wars in the Southwest. The history of anthropological writing about the ritual thus reflects the professionalization of anthropology around the turn of the century, and while one could speak of an emerging intellectual elite establishing a claim over a field, by doing so at the same time they contributed to its popularization. As an annual pilgrimage the Snake Dance was an occasion for researchers to make acquaintances, and form friendships and clientelistic networks. Bourke and his acquaintances are not the only example. Two of photographer Edward S. Curtis's most important friends and patrons, president Theodore Roosevelt and Yale law professor Robert Clark Morris, also went to see the Snake Dance (Gidley 1998:18-20)8. As a spectacle, however, the Snake Dance also drew its gentlemen-critics who joined in the event with a sense of disdain for the crowd. The writer D.H. Lawrence, for example, who came to see the dance at Walpi in 1924, counted "three thousand people, [...] of all sorts, cultured people from New York, Californians, onward-pressing tourists, cowboys, Navajo Indians, even negroes; fathers, mothers, children, of all ages, colors, sizes of stoutness, dimensions of curiosity" who, his narrative suggests, were there only for the thrill (Lawrence 1924:837). Several economic and technological factors contributed to this "Snake Dance craze" (Sanner, this volume). The arrival of the railroad and the early promotion of tourism in the mid-1880s effected an enormous compression of space and time, and provided safe access to a formerly remote and hostile desert area. A consequence of the rapid urbanization of the coastal areas of the U.S., and of the industrialization of work and the subsequent changes in the rhythms of working life, the concomitant limitation of social experience for the urban masses created voids and desires that could conveniently and profitably be filled by new 7 For a general view of trends in research on indigenous American religions, see Hultkrantz 1983. 8 Klauber mentions an article written by Roosevelt about his experience of the snake washing and the public dance (Roosevelt 1913). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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Fig. 3b. Necklace of human fingers. Bourke was deeply impressed by what he called a "ghastly relic of savagery", a necklace with human fingers said to belong to "the foremost of the medicine-men of a brave tribe", a Cheyenne man named High Wolf (Bourke 1892a:30-33), from whom it was taken during the brutal annihilation of a Cheyenne winter camp by the U.S. army in November 1876. The necklace was sent to West Point and exhibited as a war trophy; later the army transferred it to the National Museum in Washington "where it was believed it could better fulfill its mission of educating students in a knowledge of the manners and customs of our aborigines." (Bourke 1892a:31)
media. In a period which was also a time of intensive nationalization and popularization of patriotic symbols covering the many social and cultural disruptions that were jeopardizing the unification of mainstream American society (O'Leary 1999), the movie theater, the fair, the rodeo and Wild West show, and life group presentations in anthropological exhibits became the new sites, controlled by newly emerging cultural elites, of an encounter of the masses with what was then constructed as the culturally Other. At the same time the invention of the Kodak camera also contributed much to the democratization of the exotic imagery (Dilworth 1996). These developments coincide to some extent in the US and in Europe. This is obvious in the popularization of the Völkerschau in Germany around the time of the "Snake Dance craze" in Arizona. The most prominent organizer of Völkerschauen, the animal trader Carl Hagenbeck, operated from Hamburg, Aby Warburg's Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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home town, where he put together tours of indigenous groups from Northern Europe and North America from 1875 on (Thode-Arora 2002). The Völkerschau, a commercialized encounter with hitherto unknown cultures, was embedded into a public discourse which distinguished between "educational effects", which were thought to benefit the morals of the urban populace, and "entertainment", which was dismissed (Kocks 2002:46-47).
Mimesis at War In its historical context the remoteness and seclusion of the Hopi world and way of life, so fascinating to outside spectators, can be seen as an outcome of the recent history of U.S.Indian relations in which the military, and among them Bourke, had played an ambivalent role. American Indian policy followed the British colonial approach of an entirely nonIndian settler nation driven by the ideology of "Manifest Destiny". Its basic feature was the absence of political guidelines on how to deal with native communities that got in the way of the rapid Anglo-European advance (Prucha 1984; Spicer 1962:343-367). The proposed solution to the conflicts was the removal of the indigenous population to areas west of the Mississippi, or, once this failed, onto reservations where the tribes were supposed to live in isolation. The reservation policy, which was pursued from the mid-1850s, was administered by the Bureau of Indian Affairs (BIA). This had been transferred from the War Department, where it had been since its inception in 1824, to the newly formed Department of the Interior in 1849. After the Civil War, when enough northern capital was mobilized for the final westward expansion, domestication of the Plains and Southwestern tribes began. In 1871, Congress provided that thereafter no tribe was to be recognized as an independent nation with whom the United States could make treaties. The troops in the West were supposed to force the nomadic societies to settle on small parcels cut out of the least desirable portions of their former home territories. The army however, downsized after the Civil War to a mere skeleton, and suffering from a traditionally negative public image, seemed at best rather illsuited to comply with this order (Coffman 1986:245). The Southwest, with its almost four centuries of Indian-White contact, was still largely unexplored and one of the last areas of the United States eventually to be opened to AngloEuropean settlement. Southwestern native peoples had managed to hold their own in the face of European expansion, and had fought hard to remain on their ancestral lands. A large portion of this vast area, including southwest New Mexico and southeastern Arizona, and extending into the Mexican states of Sonora and Chihuahua, was dominated by groups of Apache, the prime target of army operations in the Southwest. "[The] whites lived on the reservations and the Indians occupied the country", as one military officer put it (Thrapp 1967:33). When Second Lieutenant John Gregory Bourke came to the Southwest for the first time in June 1869, he was twenty-three years old and already a veteran of the Civil War. The oldest son of a wealthy Irish bookseller from Philadelphia, he had received a sound if strict education at a Jesuit school. In 1862, three years after his father's premature death, the 16year-old ran away to enlist with the Fifteenth Pennsylvania Volunteer Cavalry, and after the war joined the military academy at West Point, N.Y. The clientelistic structure of the 19th century U.S. Army (Bender 1993) accommodated Bourke's disposition to attach himself firmly to patrons he had sought out and chosen himself. Of these General George Crook was the most influential in his life. Looking back many years later, the aged soldier recalled with Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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Fig. 4. Brigadier General George Crook blending in with the Apache scouts (on his left, Dutchy, a Chiricahua, on his right, Alchise, a White Mountain Apache chief (Porter 1986:241). Courtesy Arizona Historical Society.
little romanticism, but rather a sense of vivid horror his first assignment to a small, remote post in the intimidatingly rugged and impressive landscape: No perfect picture of early days in Arizona [...] could be delineated upon my narrow canvas; the sight was distracted by strange scenes, the ears by strange sounds, many of each horrible beyond the wildest dreams. (Bourke 1891a:97) Fighting off boredom, drink and despair, he took to the habit of writing a journal. He also started to explore the surrounding flora and fauna of which, in his eyes, the native population seemed but the most interesting, if also the most dangerous species. When not on duty tracking down "hostiles", he collected what curious specimens of plant and animal life, ancient ceramic sherds, arrowheads and other interesting indigenous souvenirs he could find. However, it seems that despite his attempts at remaining civilized, "bringing war into the innermost recesses of Apacheria" (Porter 1986:17) had lasting repercussions on him, an impact which made itself noticeable as a creeping brutalization. In 1870, Duran, the Apache scout, presented the scalp and ears of a dead warrior to Bourke, who accepted them. He hung the ears in a frame and used the scalp as a lamp mat. When a friend saw the 'ghastly trophies' and nearly fainted, Bourke realized at once "how brutal and inhuman I had been and ordered them buried."(Porter 1986:10) In 1870 the army in the Southwest emerged suddenly from its defensive position when George Crook assumed command of the military Department of Arizona. He reorganized
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the troops and ignited an energetic anti-guerilla-campaign based on a strategy elsewhere described as "mimesis at war" (Bender 1993:29-38)9. A key element of his strategy was to employ Apache to fight Apache, and to make his men study and imitate their "savage foe". "Each small command moved with eight or ten friendly Apaches, duly enrolled, clothed, equipped, and paid as United States scouts," Bourke explained (Ganoe 1924:329). The ideal of civilization the military was there to implement had to be substituted temporarily with the ideal of a perfect mimesis of the essentially Other. "To fight savages successfully [...] the civilized soldier must be trained down as closely as possible to the level of the savage." (Bourke 1891g:652). Bourke's diary is reflective of his growing personal interest in the ways of life of the Apache he found himself living with. He admired their skills and physical training as warriors, and was both fascinated and repelled by what he got to see of their culture of war. On 16 December 1872 Apache scouts in his unit surprised a hostile camp. After the soldiers and warriors destroyed the food and clothing of the enemy who had fled, the Apache scouts held a victory celebration, part of which was a gender travesty: "Some of the dancers dressed themselves in calico captured in the camp and 'feigning the manners of women received the advances of their male companions'," Bourke noted with a mixture of aversion and longing (Porter 1986:16).10 In the course of the campaigns Bourke began compiling lists of words of the Apache language, and formed friendships with some of the warriors he fought alongside (Porter 1986:17). The strategy of successful cooperation with Apache scouts relying on mimetic imitation was subsequently extended to the war on the Great Plains. In 1875 Bourke, who had been Crook's aide-de-camp since 1871, followed the newly-appointed brigadier general to the Department of the Platte. Fighting the Sioux and Cheyenne who opposed being moved onto reservations, Crook's version of president Grant's "Peace Policy" combined the threat of total destruction with the promise of just peace for anyone who surrendered. Crook sent his troops out on winter campaigns in order to attack whoever of the unsuspecting enemy they could strike in their winter camps. He also enlisted native scouts and auxiliary troops in large numbers. With their help the troops eventually gained some ground against their enemies, as well as a degree of approval from the traditionally anti-military American population along the Frontier and in the East. The last battle Bourke was personally engaged in was the brutal annihilation of a large Cheyenne winter camp in November 1876 (Bourke 1890a). In his narrative of the atrocities, the division of roles he chose for himself as a means of self-protection becomes quite apparent. Walking the killing fields after the surviving Cheyenne had been driven off into the snow, while others from his command were still busy butchering the tribe's large herd of eight hundred ponies, Bourke collected from the burning family homes scalp-shirts, war bonnets, shields, weapons "and many other specimens of dress, art and manufactures" (Bourke 1890a:41). The looting mercenary-scientist was most impressed by a "ghastly relic of savagery", a necklace with human fingers said to belong to "the foremost of the medicine-men of a brave tribe", a man whose name is translated by Bourke as High Wolf (Bourke 1892a:30-33). Later, the necklace was sent to West Point as a war trophy, and then,
9 On the concept of mimesis in anthropology, see Kramer 1987 and Taussig 1993. 10 On aversion, repression and longing for the Other, see Kohl 1987.
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Fig. 5. Geronimo negotiates with Crook at Cañón de los Embudos in 1886 (front row, first on the left, Geronimo; first on the right: Crook; second on the right: John G. Bourke). Arizona Historical Society.
fulfilling a role as a strangely national symbol, transferred to the National Museum in Washington "where it was believed it could better fulfill its mission of educating students in a knowledge of the manners and customs of our aborigines." (Bourke 1892a:31)". Bourke's mimetic rapprochement was the basis for two important turns in his later career, his research into the cultures of and lobbying work on behalf of his former enemies. Over the years of his military service and increasing exhaustion he maintained his habit of collecting, writing, and interviewing individuals of various tribes, who called him "Paper medicine man" (Porter 1986). This helped him to construct for himself an alternative identity as a scientist and anthropologist, as he began increasingly to call into question the legitimation and purpose of his task of subduing the "savage".
A Gun for a Pen Until May 1877 Bourke lived in Camp Robinson. As happy as a young boy, he spent much time conversing with former war leaders in sign language, interviewing old people about their knowledge of tribal history, trying Indian food (including choked puppy), gathering 11 As is apparent in the monograph he later published, Bourke took the "medicine men" serious. Even at the end of the Indian Wars, and after the "deplorable occurrences in the country of the Dakotas" [i.e. the massacre of Wounded Knee in 1890], he lamented "the savage remained a savage", "still under the control of an influence antagonistic to the rapid absorption of new ideas and the adoption of new customs. [...] the 'medicine-man'." (Bourke 1892a:l)
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artifacts for the museum in Washington, and investigating the history of Lakota resistance to European expansion (Porter 1986:59-71). In Omaha, where he lived intermittently from 1875 until 1882, he got involved with the so-called Ponca Commission investigating the case of a group of Ponca who had returned to their home in Nebraska from their forced removal to the Indian Territory in Oklahoma. He also got acquainted with Reverend James O. Dorsey, who had lived among the Ponca for years and spoke their language fluently enough to write letters for them (Dorsey, J.O. 1890). In early 1881 Dorsey referred Bourke to Major John Wesley Powell, director of the newly created Bureau of Ethnology (BAE) at the Smithsonian Institution in Washington, D.C., and a famous one-armed Civil War veteran and adventurer who was the first to venture into the previously unexplored Grand Canyon. Bourke had already compiled four thousand pages of field notes and was interested in conducting ethnographic research as a full-time occupation. He was reluctant, however, to leave the army to seek employment with the BAE (Porter 1986:72-94). He obviously preferred to maintain his double identity as a border crosser, and probably trusted his own knowledge of how to make his way within the limits of typical army clientelism. His eventual assignment to ethnographic fieldwork in the Southwest by General Sheridan in 1881 bears witness to his ability to work the networks. When Bourke returned to the Southwest, the area that had been the scene of war for hundreds of years was still not completely pacified. Only a few weeks after the Snake Dance, at the end of August when Bourke was on his way back to Santa Fe again, army troops set out from Fort Apache to arrest a White Mountain Apache prophet whom the settlers feared was instigating an Apache revolt. This military mission ended in a bloody disaster. The prophet was killed, and as a further result of the events, a number of Apache leaders, among them Geronimo and Cochise's son Naiche, left the San Carlos reservation and disappeared in the Mexican Sierra Madre (Thrapp 1967:224-229). The following year General Crook was reassigned from the Department of the Platte to Arizona to repacify the Apache, and Bourke's last military campaign against them was concluded in May 1883 (Bourke 1886; Porter 1986:150). Geronimo finally surrendered in 1886 (Ball 1988; Debo 1976). Bourke's research trip, though some of its hardships resembled a military campaign, opened up an entirely different way for him to explore native cultures. As a soldier he had experienced encounters with Plains and Apache fellow-warriors with whom he shared enough common ground to enable communication, and for whom he felt a growing respect. However, traveling the Southwest on his own put Bourke into a different position in relation to the many native communities who, as he had to learn, did not welcome his curiosity. While his encounters with warriors of the Plains had always borne some resemblance to a splendid theatrical performance in front of spectacular natural scenery, entering the inaccessible Pueblo villages on foot, sweaty, hungry and exhausted, put him on stage for a change. The Hopi and other Pueblo inhabitants, to stress this image, were the audience whose bewildered, astonished, unwelcoming reaction reflected his ambivalent role as conquerorethnographer: As no one had come up to offer me the freedom of the city, I was compelled to make myself at home. [...] It was an indescribable sensation, that of being a 'stranger in a strange land,' an object of curiosity to the men and of apprehension and fear to the women and children. (Bourke 1884:287-288)
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Fig. 6. Cover and spine of the first edition of John G. Bourkes "Snake Dance of the Moquis of Arizona" (1884).
On the other hand, his encounters with other researchers in the field strengthened his identity as a member of a small community of voluntary border crossers. Thus he formed a lasting Seilschaft in May 1881 at the trading post in Keam's Canyon close to the Hopi villages with Frank Cushing, Washington Matthews, and the journalist Sylvester Baxter, a network that was later to be involved actively in Cushing's conflict with his rival and successor J. Walter Fewkes (Green 1990).12
12 This was as much a conflict about the appropriate forms of ethnographic research and scientific writing as it was about prestige and funding resources. As is especially the case with Frank Cushing, underneath the surface of their self-constructions as homeless and lonely culture heroes, the lives of most, if not all, early American anthropologists reveal the latent structure of clientelistic relationships and connections to a key patron. Cushing's patron was Spencer F. Baird, Secretary of the Smithsonian Institution from 1878 to 1888. "Friend of a Cushing neighbour, Baird had taken an early interest in Cushing, had supplied him with books, had solicited and published his first professional article, written at the age of sixteen (Frank H. Cushing, 'Antiquities of Orleans County, N.Y.,' Annual Report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution, 1874 [Washington, D.C., 1875], pp.375-77), and had appointed him at age nineteen to the Smithsonian staff." (Green 1990:348 n.6).
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Often hiding himself under a shell of arrogance, Bourke's physical and nervous exhaustion nevertheless reveal his growing sense of vulnerability. He energetically insisted on intruding into the secret parts of the ceremony carried out in the kiva of the Snake Society, staunchly ignoring all attempts by members to make him leave.13 Later, they told him: We didn't like to have you down there. No other man has ever shown so little regard for what we thought, but we knew that you had come there under orders and that you were only doing what you ought to do to learn all about our ceremonies. So we concluded to let you stay. (Bourke 1884:182) He had to pay a price, however, for imposing his presence this way. Overwhelming anxiety and trepidation kept a tight grip on him as he spent hours in the small dark chamber, crouching next to countless venomous snakes. He took refuge in mimetic accommodation: The assurance that no harm would come to me down among those Indians so long as I remained perfectly quiet and did just as they did, was strongly fixed in my mind, but hardly strong enough to keep me from running up the ladder in a panic. However, I managed to hold my ground; and if the Indian had counted upon scaring me, my countenance did not betray how completely he had succeeded. (Bourke Diary Vol. 43 :p. 1869, August 12, 1881) Scholars have noted this peculiar mixture of brazen encroachment and faithful accuracy (Porter 1986:95-111; Dilworth 1996:25-27). Bourke's bewilderment surely set the tone for many of the rather bombastic articles by journalists; however, he recorded his observations as accurately as he could, and sought to find explanations for what he saw in terms of the culture he was observing, for example the question whether the Hopi manipulated the rattlesnakes before the public performance. Many years later, Curtis and Titiev contradict the widespread opinion that the Hopi possess a secret technique of taming the snakes (Curtis 1930,XII; Titiev 1943), and both propose to demonstrate, instead, that the Hopi, "at least on some occasions, defang their snakes" (Titiev 1943:46). But Curtis relies on only one informant who disclosed the procedure to him, and Titiev's sources are not entirely reliable, as he himself concedes. Neither of them evaluates Bourke's explanation. Bourke believes that the snakes are tamed by the technique of brushing them with wands made of eagle feathers - their biological enemies. This keeps them from the coiling necessary before striking, and also literally scares them stiff. Bourke's explanation seems to accord with the widespread cultural ambivalence of sky beings (thunder birds) and underwater beings (snakes or panthers) in American Indian mythology (see Feest, this volume). (Curtis 1930, XII; Titiev 1943).
13 In the Pueblo of Santo Domingo, which he had visited some weeks earlier, upon entering a kiva during a ceremony he was grabbed and physically thrown out, amused by what he obviously regarded as a game of tag: "Our note-books were gripped tightly in one hand, and our sharpened pencils in the other, the theory of our advance that, with boldness and celerity, we might gain an entrance and jot down a few memoranda of value before the preoccupied savages could discover and expel us. [...] Before I could count ten I was seized from above by the neck and shoulders, and from below by the legs and feet, and lifted or thrown out of the estufa, the Indians yelling at the tops of their voices, 'Que no entres, amigo, mañana bueno' [...]. There was no disguising the fact; I was 'fired out', as the slang phrase is, and had to make the best of a bad bargain. My tailor had left too much 'slack' in my pantaloons, and thus gave the Indians so much the better purchase when they seized me." (Bourke 1884:22f.)
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Fig. 7. Dancer holding snake in mouth. Illustration by Sergeant A.F. Harmer, U.S. Army, "a student of the Philadelphia Academy of Fine Arts" (Bourke 1884:Plate XIV).
Fig. 8. Attendant fanning snake. Illustration by Sergéant A.F. Harmer (Bourke 1884:Plate XV).
Bourke also obtained a Hopi explanation of the meaning of the rain-making ritual. On the morning of the public dance, while the village inhabitants were attending the ceremonial footrace outside, Bourke again climbed down into the snake kiva and attempted to speak with the few snake members present. They responded to him with a explanatory performance: One of the old men held up a gourd-rattle, shook it, lifted his hands in an attitude of prayer towards the sun, bent down his head, moved his lips, threw his hands with fingers opened downward towards the earth, grumbled to represent thunder and hissed in imitation of lightning, at same time making a sinuous line in the air with the right index finger, and then, seeing that my attention was fixed upon him, made a sign as if something was coming up out of the ground, and said, in Spanish, "muchi maiz" (plenty of corn), and in his own tongue "lolamai" (good). (Bourke 1884:123)
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Fig. 9. Young girl throwing sacred corn meal upon snakes. Illustration by Sergeant A.F. Harmer (Bourke 1884:Plate XVL).
Snake Knowledge The ceremony encompasses a performance of the foundation myth of the snake cult, the story of the Snake Youth and traditional culture hero, Tiyo, who travels to the underworld, gains the knowledge and the paraphernalia necessary for the ritual, wins two beautiful girls and with them founds the snake family (see Geertz, this volume). This is the version of the tale which Bourke recorded from a conversation with a man named Nahi-vehma, translated by the trader Thomas Keam: "Many years ago the Moquis used to live upon the other side of a high mountain, beyond the San Juan River" (in the extreme S.W. corner of Colorado. This is the same mountain which the Navajoes call Notizan [inflection by Bourke]). "The chief of those who lived there thought he would take a trip down the big river to see where it went to. He made himself a boat of a hollow Cottonwood log, took some provisions, and started down. The stream carried him to the seashore, where he found those shells. When he arrived on the beach he saw on top of a cliff a number of houses, in
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Fig. 10. Altar image representing rain clouds and lightning, drawing by John G. Bourke (Bourke 1884:Plate XIX).
which lived many men and women. They had white under their eyes, and below that a white mark." (Query - Is this a reference to prehistoric painting and tattooing? [inflection by Bourke]) "That night he took unto himself one of the women as his wife. Shortly after his return to his home the woman gave birth to snakes, and this was the origin of the snake family (gens or clan) which manages this dance. When she gave birth to these snakes they bit a number of the children of the Moquis. The Moquis then moved in a body to their present villages, and they have this dance to conciliate the snakes, so they won't bite their children." (Bourke 1884:177). The myth soon found its way into many anthropological and popular publications about the Snake Dance. 14 Accounts by journalists, or such aimed at tourists stress the public appearance of the Snake Dancers on the ninth day of the ceremony, whereas anthropologists in the footsteps of Bourke focus much more on the secret journey itself and follow its underground path, as Erhard Schüttpelz has noted. The parallels thus constituted between research and the myth of the hero are that both, researcher and hero, bring back from their journey to the underworld the knowledge of a secret kinship - in this case, of all religions - (see Schüttpelz, this volume). A key feature of the researcher's legitimation is the proof that he 14 Possibly, the versions published by Bourke (1884), Alexander M. Stephen (1888), and Keam (1883) were all collected on the occasion of this voyage (see also Geertz, this volume).
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Fig. 11. Sacred lodge. Partly inaccurate sketch of the shelter used to hide the snakes immediately before their public appearance on the ninth day of the ceremony. Illustration by Sergeant A.F. Harmer (Bourke 1884:Plate XVII).
has been authorized by initiation - hence Bourke's assertions about himself being the first white man ever to enter a snake kiva, and having done so at all costs. What then is the secret, the regenerative knowledge that Bourke brought back to his own, that is American society from his journey underground? Bourke wrote up his notes of the Snake Dance at an isolated post, Whipple Barracks in Arizona, without a good library at his disposal. However, his interpretations most probably also go back to his nightly discussions with Cushing, Stephen, Matthews, and others in Arizona. Compared to later scholarly writing about the Snake Dance, such as that of Heinrich R. Voth (Dorsey and Voth 1902; Voth 1903), or Frank Cushing's arch-rival J.Walter Fewkes, who published several much more technical accounts of the Snake Dance (Fewkes 1894; 1897), Bourke's volume does indeed lack a certain coherence and can be unsystematic. Nevertheless it engages itself with a task that in Fewkes' writing is entirely wanting: speculative cross-culture comparison. It is embedded in a conjectural culture history of the Snake Dance as a performative repetition of Hopi history, and inflected with an excursive review of evidence relating to snake worship, which he thought was "almost uniUnauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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versal" (Bourke 1884:198). Bourke's analyses seem to work by free association rather than methodological rigidity. This way, his interpretation catches many individual features of the ceremony, rather than formulating a single pointed hypothesis. Nevertheless, it has two central motifs: that of sacrifice, and that of secret societies. His analyses are based on the supposition that "Snake worship" was the most widespread, and therefore most basic expression of human religiosity (Deane 1830; Clarke and Wake 1877). They are also reflective of the interest in the origins of religion eminent at the time (Robertson Smith 1886). Bourke is well aware of the ceremony's regenerative function of producing rain by mimetic ritual action and ancestor invocation. Following hints from Hopi informants translated for him by Frank Cushing, he interprets the Snake Dance primarily as a ritual relic of an archaic Meso-American cult of human sacrifice. This, he is told by an informant, had allegedly been practiced in the area until suppressed by Spanish priests; subsequently, says his informant further, the ritual of sacrifice was substituted with the Snake Dance (Bourke 1884:196-198). This was the first attempt to link the ritual to cults of pre-Columbian Meso-America, of which historically the Southwest was a northern margin. Bourke's connection of the snake ceremony with the motif of human sacrifice opens up an entirely new route of interpretation. The substitution, indeed the sublimation of sacrifice under Christianity thus seems to mark both the starting point and the culmination of a teleological culture history. As Erhard Schüttpelz has demonstrated, the motif resurfaced many years later in Aby Warburg's thinking. In his Kreuzlingen lecture, Warburg interpreted the Snake Dance as an essentially non-sacrificial mimetic animal dance, and a non-Christian form of the religious emancipation of blood sacrifice, thereby implicitly calling into question Christianity's claim to superiority as the only true religious liberation from sacrifice15 (see Schüttpelz, this volume). Another important form of "secret knowledge" Bourke brings to light is that about the power of secret societies as owners of this regenerative knowledge. This connection can also be found in some of the earlier writing on snake worship, such as Father Lafitau's "Moers des Sauvages Ameriquains comparées aux moers des premiers temps" (1724) and Hargrave Jennings' inquiries into "ophiolatreia" (Anonymous, n.d. ).16 It was suggested to Bourke in a 15 See for example Girard 1972; 2005. 16 Hargrave Jennings was a British Freemason who during the second half of the 19th century published a number of treatises on comparative religion. The book with the title "Ophiolatreia" was probably written by him. The Jesuit Father Joseph-François Lafitau spent five years, from 1712 to 1717, at the Mohawk mission in what is today known as Kahnawake on the St. Lawrence River. After his return to France, he published his main work in 1724, intended as a systematic comparison of the cultures of "the Americans" with those of "the Ancients" (Lafitau 1724; 1974-1977). Based on his studies of the classics as well as his experience as a missionary and, to some extent on hearsay, Lafitau's study was wellknown among scholars during the 19th century; the author, however, was first recognized as a precursor of anthropology around the turn to the 20th century (Fenton and Moore 1974; Feest 2001). Bourke quotes him on men's cross-gender dressing ("hommes habillés en femme") in his later publication about "Scatalogic Rites" (Bourke 1891b). However, in "The Snake Dance" he does not mention the evidence Lafitau relates concerning snake-handling in native North America: "[...] they are familiar with the art of charming them [the snakes] and it is not unusual to see them handle rattlesnakes whose venom is quite poisonous and carry them in their bosoms as if they had no danger to fear." (Lafitau 1974-1977, 1:173). Without a clear statement about his sources, Lafitau's remark unfortunately does not contribute much to a historiography of native American snake-handling. His reflections, however, seem to have established a pattern for later comparative research into the origins of "Snake Worship". Seeking to contribute to what he called "historical theology", Lafitau disagrees with the views of other scholars of his time that "all the symbols and divinities of paganism" could be traced back to Moses. His primary object is to proove, instead, that Adam and Eve, the first ancestors of mankind, are the
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remarkable conversation interpreted by Frank Cushing. Two Hopi men, one of them known by the name Nanahe, tell them about the history of the Snake Society and its character as a secret order storing some of the regenerative knowledge of Hopi society. "The remarks of these two uneducated Indians", concludes Bourke, gives him "much food for reflection": "A secret order is for the benefit of the whole world, that it may call the whole world its children, and that the whole world may call it father, and not for the exclusive benefit of the few men who belong to it. But its privileges are the property of its members, and would be preserved with jealous vigilance; since, if they became known to the whole world, they would cease to be secrets, and the order would be destroyed, and its benefit to the world would pass away." (Bourke 1884:184) What is actually an explanation of the role of secrecy in maintaining equilibrium in a segmented society, becomes for Bourke an intellectual rationale, as well as a vindication for all types of Männerbünde17 - men's societies - from the Plains warrior society to the Catholic church and the U.S. Army. As a further exemplification of the principle here suggested as the genetic basis of secret societies, let us cite our own young settlements of Durango, Tombstone, Leadville, and other mining districts, where we find civilised man but primitive society, with elements of lawlessness against which the machinery of modern justice is powerless. The organisation of Vigilantes - secret societies emphatically - causes crime and scoundrelism to 'flee like pole-cats before a prairie fire.' (Bourke 1884:185) Transferring his informant's knowledge onto his own society is a thought process which bears a remarkable resemblance with today's understanding of field work as a hermeneutical process (Hauschild 1981). It also marks his departure, if only for the moment, from the delusion of the superiority of his own culture, from the project of Christianization and destruction of traditional Hopi society. Even though there was no direct assault on Hopi religious freedom before 1915, agents and missionaries thought that the best for the Hopi was to destroy their ceremonial organization, and to relieve them off what was seen as total control by a religious theocracy of old men (see Sanner, this volume).18 However, the secret knowledge that dawned on Bourke after he resurfaced from the journey to the snakes was his anticipation of a view on societies that no longer classified them in a hierarchy of moralities. What he saw were entangled social forms which actually appeared to have in common the primitive and civilized elements prevalent among all kinds of societies, independent
first lawgivers and the ones "who are designated in the [pagan] orgies. [...] Indeed, the orgies of the Mother of the Gods are perfectly suitable to [...] Eve." (Lafitau 1974-1977,1:159). Thus, the serpent appears as the central symbol of all "pagan cults" or "mysteries", i.e. "secret societies", the inititation into which "was a practical school of religion and virtue instituted by the ancients to teach men how to live in accordance with the principles of reason and wisdom." (ibid, 1:156) 17 See Volger and Welck 1990; Theweleit 1990. 18 The Mennonite missionary and anthropologist Heinrich Voth, for example, who was certainly the most knowledgeable of all Hopi scholars - he spoke Hopi, he lived close to Oraibi for 10 years, and acted as a political lobbyist on their behalf - was also among the harshest critics of the Snake Dance tourism, fearing it would promote the Hopis' clinging to the "old ways". On the other hand, he was the only person to collect a complete photographic documentation of all major Hopi ceremonies in Oraibi in the 19th century, and much of his published work bears the aggressive stamp of exposing Hopi religious secrets to render them worthless.
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of their complexity, technological advance, or military power. For Bourke this secret knowledge of the kinship of "all nations" is won at the price of massive estrangement from his own society. He sees it as the legitimate property of a secret warrior club, in his case the army, acting on behalf of society as a whole. As his reflections about the city of Tombstone reveal, he is caught between relativism and a primitivistic vision of social regeneration through violence.19
Ritual Reversals When he published his travelogue in 1884, Bourke named the Snake Dance "a revolting religious rite", adding to the interpretation of the Snake Dance a perspective he was probably not fully aware of. The Snake Dance as a ritual of revolting or reversal did much to reverse his own perspective on the history of cultures and mankind. This reversal was completed by another, probably even more revolting ritual, the so-called Urine Dance he was to witness in November 1881 while visiting his friend Frank Cushing in Zuni. The urine ritual was part of the ritual practice of a ceremonial society - a "secret order" in Bourke's terms - of the Zuni named "Nehue-Cue", inuring their members to hardship by inducing them to consume human urine in great quantities. When Bourke and Cushing received the Zuni ritualists on the evening of November 1881 for a special dance to be performed at Cushing's house, they had no idea what was ahead of them. First, the Zuni actors performed a ritual dance of reversal resembling European forms of carnival. Dressed up as an American soldier, a Catholic priest and an American woman, three dancers lined up in front of Bourke and started to revere him in "an outlandish but faithful mockery of a Mexican Catholic congregation at vespers": One bawled out a parody upon the Paternoster, another mumbled along in the manner of an old man reciting the rosary, while the fellow with the India-rubber coat [the "priest"] jumped up and began a passionate exhortation or sermon, which for mimetic fidelity was incomparable. (Bourke 1888:8) Cushing invited the dancers to share a meal of tea and hard-tack. As [the Nehue-Cue dancers] were about finishing this a squaw entered, carrying an 'olla' of urine, of which the filthy brutes drank heartily. [...] I was standing by the squaw as she offered this strange and abominable refreshment. She made a motion with her hand to indicate to me that it was urine, and one of the old mean repeated the Spanish word mear (to urinate), while my sense of smell demonstrated the truth of their statements. The dancers swallowed great draughts, smacked their lips, and, amid the roaring merriment of the spectators, remarked that it was very, very good. The clowns were now upon their mettle, each trying to surpass his neighbors in feats of nastiness. One swallowed a fragment of com-husk, saying he thought it very good
19 On regeneration and violence in the Americas, see also Slotkin 1975 and Taussig 1987 and 2003. Bourke was also with the federal troops ordered to Chicago in 1894 to smash the Pullman strike, which he thought was "the greatest crisis in American history" and called for "prompt and painful bloodletting" (Porter 1986:298).
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Fig. 12. Cover Illustration of Walter Hoügh's "The Moki Snake Dance. A popular account of the unparalleled dramatic pagan ceremony of the Pueblo Indians of Tusayan, Arizona, with incidental mention of their life and customs" (1901), published by the Santa Fe Railroad Passenger Department. American anthropologists used the Snake Dance as a first occasion to address a wider public, an urban audience that they felt should be educated about the indigenous population. Written in a comparatively sober style, however, the booklets utilized vaguely orientalist imagery of snake-charming to appeal to potential railroad customers.
and better than bread; his vis-à-vis attempted to chew and gulp down a piece of filthy rag. Another expressed regret that the dance had not been held out of doors, in one of the plazas; there they could show what they could do. There they always made it a point of honor to eat the excrement of men and dogs. For my own part, I felt satisfied with the omission, particularly as the room, stuffed with one hundred Zunis, had become so foul and filthy as to be almost unbearable. The dance, as good luck would have it, did not last many minutes, and we soon had a chance to run into the refreshing night air. (Bourke 1888:9-10) Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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Fig. 13. Popular travel guide published by the Atchinson, Topeka & Santa Fe Railway in 1903. The booklet was written by George A. Dorsey, anthropologist at the Field Columbian Museum, Chicago. The exlibris belonging to the German traveller Karl von den Steinen is evidence for the weakness of the boundaries separating academic from touristy Snake Dance enthusiasts (see also Sanner, this volume).
Bourke managed to hold his countenance, and took with good humor what he must have perceived as a mortifying satire of Catholic mass and communion. The event was the incentive, however, for his embarking on extensive archival research into the matter, which he undertook while assigned as "resident ethnologist for the secretary of war" in Washington, D.C. with the task of writing an extensive report on his research in the Southwest. It eventually resulted in his first book about the Urine Ritual, which was published in the Transactions of the American Association for the Advancement of Science in 1885 and read at the meeting in Ann Arbor in the same year under the title "Compilation of Notes and Memoranda bearing upon the Use of Ordure and Human Urine in Rites of a Religious or Semireligious Character among Various Nations" (Bourke 1888). In 1890, he published "Scatalogic Rites of All Nations" (Bourke 1891b), which was posthumously translated into German as „Der Unrat in Sitte, Brauch, Glauben und Gewohnheitsrecht der Völker" and supplemented with a preface by Sigmund Freud (Bourke 1913). This fact is particularly telling, and it seems more than coincidental that the year of the publication of "Scatalogic Rites of All Nations" also saw the publication of his "On the Border with Crook" on the occasion of the death of the revered general. The two books leave the impression of a symbolic, that is sublimated riposte to both the American nation and the "savages" for all the injuries inflicted on the author. Written by an army officer who spent his life as a "civilizer" of "savages", the 500 page culture history of the use of excrement is probably not so much an ex-
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Fig. 13. John G. Bourke, already near the end of his life at the age of forty-six or forty-seven, visibly suffering from nervours exhaustion and declining health (Porter 1986:270). Courtesy Nebraska State Historical Society.
ample of evolutionism gone rampant, as might be thought at first glance. It is in fact a thorough study of deviant, insolent behavior in its most revolting, obscene forms, and the author is very clear about his own research interest into power-knowledge.20 "On the Border with Crook" is a congenial account of the violent tales of his arduous work as a conqueror, and has the appearance of an intellectual victory ritual over the recalcitrant of "all nations".
20 Feeling that the anthropologist is compelled to "study man, not alone wherein he reflects the grandeur of his Maker, but like wise in his grosser and more animal propensities" (Bourke 1891b:2) Bourke classifies the rites he deals with as "distinctively religious in origin", and opts for studying before destroying: "[Diego] Duran complains bitterly that the unwise destruction of the ancient Mexican pictographs and all that explained the religion of the natives left the missionaries in ignorance as to what was religion and what was not. The Indians, taking advantage of this, mocked and ridiculed the dogmas and ceremonies of the new creed in the very face of its expounders, who still lacked a complete mastery of the language of the conquered." (Bourke 1891b:26)
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Conclusion: The Final Parody Bourke's relationship with his "savage foe" was deeply ambivalent. Since 1881 he had managed to spend a great deal of his duty as a military researcher conducting ethnographic studies, while still continuing to work on Crook's staff. In 1886 he looked after a delegation of Chiricahua Apache visiting Washington, D.C., taking them to dinner, on guided tours, and to the opera. While this delegation was later deported to military prison in Florida like the rest of Geronimo's group who had surrendered to General Miles, Bourke started a silent lobbying campaign to amend their fate. He had "changed his heart" towards the Indians, as his biographer Joseph C. Porter puts it (Porter 1986:263). His departure from mainstream ignorance of the fate of the vanquished was complete by the mid-1880s. However, American society, on whose behalf Bourke thought he had suffered all his hardships, seemed not very eager to reward him by listening to his suggestions about fair management of American Indian policy. As Bourke's reputation as an anthropologist grew, "his demands for justice for the Indians were jeopardizing his military career" (Porter 1986:59). In 1889, shortly before George Crook's death one year later, he even came into conflicts with the substitute father he had previously so revered over matters of career and questions of Indian policy (Porter 1986:308, 261). He was not the only military officer who felt himself responsible for providing for his former enemies. He regarded General Crook's adversary General Miles as the one responsible for the miserable fate of the Chiricahua war prisoners, and collaborated with Herbert Welsh from the Indian Rights Association to make public the fact that Miles had lied about the conditions of Geronimo's surrender (Porter 1986:225; 236-37). All military officers shared an understanding of "politics" as the tacit working of networks in the background. Bourke approached American Indian politics by symbolically extending his clientelistic networks to include his former enemies.However, he found himself disenchanted and betrayed by his patrons Sheridan and Crook, who failed in helping both the Chiricahua and his own career. Despite his deep disappointment, Bourke made only one, unsuccessful attempt to leave the army and work for the BAE, in 1895. In December 1890, the secretary of war reassigned Bourke to his regiment in Texas, and while Bourke worked hard to finish his books, he tried to reverse the enforced transfer. Finally he had to accept an assignment as commander of Fort Ringgold, a small post in Texas. The last two years of his life he spent in increasing bitterness, appeasing his own emotional disorders and health problems with alcohol and morphine. 1895 also saw him on stage again with his indigenous adversaries from the Plains. He appeared in Buffalo Bill Cody's Wild West Show, in what today looks like a tragic and sad parody of his own past as a conqueror. In March 1896 he embarked on his last journey, a trip to the West prescribed by his doctor. He went accompanied by his father-in-law, a former railroad business man. Obsessively repeating the adventurous conquest forays of earlier days, the ailing military officer and the frail old business man traveled the American continent from Cuba to Canada, exhausting themselves to the verge of self-destruction. Shortly after his return to Philadelphia, Bourke had to be admitted to hospital. There he died on June 8, 1896, from internal bleeding that was the result of an old wound suffered during his military service. Different as they are, the lives and works of both Bourke and Warburg reflect their position of intellectuals "on the border". While Bourke explicitly addressed the unspeakable, Warburg remained silent about the key issue which Charlotte Schoell-Glass has demonstrated had the deepest impact on his work: anti-Semitism (Schoell-Glass 1998). However, Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:05 PM
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both scholars, Bourke, the man made matter out of place who concerned himself with war and excrement, and the Jewish intellectual Warburg can be seen to have chosen, by way of their atypical objects - Bourke: the "Indians", Warburg: the images - the same subject, that is: how to deal, in a society ignorantly progressing towards future disasters, with the resurfacing of irrationality. For both, this work of disclosure and description was probably as much an attempt at taming and banning this primitive element, as it was supposed to bring about their own social inclusion. At the same time, the matters they concerned themselves with - and the way these matters can be said to have taken possession of them - rendered them outsiders to a considerable degree. Both Bourke and Warburg were unable to bridge this gap. They both display in their later years similar symptoms of excessive intellectual work, nervous exhaustion, depression, and paranoia. For both, recourse to past forays into the vast open spaces of the North American continent can be seen as a last, if unsuccessful, indeed impossible attempt at self-healing.
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Erhard Schüttpelz Das Schlangenritual der Hopi und Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag
1. Ein potentieller Amerikanist Im Nachwort der deutschen Erstveröffentlichung von Aby Warburgs Schlangenritual schreibt Ulrich Raulff: ,Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag ist ein Bau mit vielen Eingängen. Je nachdem, welchen von ihnen man wählt, gelangt man auf andere Wege und Abzweigungen, stößt man auf andere Kreuzungen." (1988:63)' Die Beschäftigung mit Warburgs Text und seinen Kontexten gewinnt durch diese Charakterisierung den Verlauf einer irregulären und oft auch verwirrenden Reise, und wie ich im folgenden genauer ausführen werde, liegt dies vor allem daran, daß Warburgs Kreuzlinger Vortrag - oder das, was von ihm als Warburgs Text überliefert worden ist - nicht nur auf eine, sondern auf eine ganze Reihe von Reisen - von Personen, Bildern und Texten - zurückgeht, die sich jeweils an bestimmten Kreuzungen getroffen haben. Kreuzungen, die zu einigen wissenschaftlichen, aber auch politischen Abzweigungen und Gabelungen führten, und Kreuzungen, die in diesem einen Kreuzlinger Text teilweise kenntlich, teilweise unkenntlich geworden sind, so daß man in der Beschäftigung mit diesem Text einer Philologie der verschütteten Erinnerung und der selektiven Erfindung, Zensur und Selbstzensur verschiedener Traditionen und ihrer Reisen zu folgen hat. Eine Reise führte Aby Warburg 1895/1896 in den Südwesten der USA, bis in das Gebiet der Hopi und an jenen Ort, für den von archäologischer Seite in Anspruch genommen wird, er sei die älteste durchgängig bewohnte Siedlung Nordamerikas: nach Oraibi. Bereits während der Reise und danach begann Warburg, seine Fahrt in das Land der Hopi zu einem veritablen Gründungsakt seiner Kunst- und Kulturwissenschaft zu erklären und zu stilisieren. In seinen Kreuzlinger Notizen finden sich drei Motive für diese Reise angegeben: der Wille, „mich etwas mannhafter zu betätigen als es mir bisher vergönnt war", der „Wille zum Romantischen", und die Abwendung von einer „ästhetisierenden Kunstgeschichte". „Außerdem hatte ich vor der ästhetisierenden Kunstgeschichte einen aufrichtigen Ekel bekommen. Die formale Betrachtung des Bildes - unbegriffen als biologisch notwendiges Produkt zwischen Religion und Kunstausübung - ... schien mir ein steriles Wortgeschäft hervorzurufen ..." (Gombrich 1981:118) Durch die Reise zu den Pueblos, so Warburgs spätere Selbsteinschätzung, sei es ihm gelungen, diese Zwischenstellung des Bildes - „zwischen Religion und Kunstausübung", aber auch die Antike und ihre Erneuerung in der Kunst der Renaissance besser zu verstehen.
1 Warburgs Schlangenritual wird im Text mit Seitenzahlen in Klammer zitiert, nach Warburg (1988). - Für Hilfestellungen, Hinweise und Kritik danke ich Dorothea McEwan (London, Warburg Institute), Cora Bender (Bremen), Thomas Hensel (Siegen) und insbesondere Hans-Ulrich Sanner (Berlin).
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In dieser Einschätzung sind ihm viele seiner Freunde, Mitarbeiter und Bewunderer gefolgt, bis heute. So war es insbesondere Fritz Saxl, der während der Kreuzlinger Abwesenheit für die Umwandlung von Warburgs Bibliothek in ein Forschungsinstitut verantwortlich wurde, der diese Reise auf prägnante Art als eine säkulare, eine wissenschaftliche Pilgerfahrt darstellte. Anläßlich eines Empfangs in der Bibliothek zum 24. Internationalen Amerikanisten-Kongreß, der nach Warburgs Tod im September 1930 in Hamburg stattfand, stellte er die Reise unter das Signum einer Begegnung von Antike und Amerika: „Um Einblick in das antike Heidentum zu gewinnen, kann der Historiker nichts besseres tun, als sich in ein heidnisches Land zu begeben", und zwar um „die antiken Texte und den Ursprung der griechischen und römischen Religion mit Hilfe noch existenten Heidentums zu begreifen." (Saxl 1992:318) Und Saxl betonte bei dieser Gelegenheit den Dank, den Warburg Amerika und der Amerikanistik schuldete: „Denn Warburg verdankte es Amerika, daß er lernte, die europäische Geschichte mit den Augen eines Anthropologen zu sehen." (1992:312) Und er verdankte es laut Saxls Darstellung seiner Autopsie der amerikanischen Heiden und ihrer Feste, daß er die heidnischen Mysterien in der Renaissance und ihre Festkultur als eine legitime ästhetische Form des „Nachlebens der heidnischen Antike" erkennen und wissenschaftlich durchdringen konnte. An dieser Gabelung von Warburgs wissenschaftlichem Werdegang gegen Ende des 19. Jahrhunderts sollten nicht nur die Folgen der Reise für Warburgs Sicht der Renaissance bedacht werden, wie es Philippe-Alain Michaud unternommen hat (Michaud 1988),2 sondern auch die weniger bekannten, aber mittlerweile dank der Arbeiten von Hans-Ulrich Sanner und Benedetta Cestelli Guidi genauer erforschten Folgen für die damalige deutsche Ethnologie (Sanner 1999:insbes.42ff; Cestelli Guidi 1998:insbes.ll4f). Kurz nach der Reise hielt Warburg mehrere Dia-Vorträge, in deren Folge zwei Berliner Amerikanisten, Karl von den Steinen und Paul Ehrenreich, kurz nach Warburg in den Südwesten zu den Pueblos reisten - Paul Ehrenreich gelang es 1898 in Oraibi, zwei Jahre nach Warburgs Aufenthalt, den bereits damals weithin bekannten ,Schlangentanz' der Hopi zu sehen, den Warburg 1896 versäumt hatte (Ehrenreich 1899).3 Auf Warburgs Initiative gehen nicht nur diese beiden wissenschaftlichen Reisen zurück, sondern auch der Aufbau von PuebloSammlungen an den heutigen Völkerkundemuseen in Hamburg und Berlin (Sanner 1999; Cestelli Guidi und Mann 1998). Außerdem entwickelte Warburg 1897 in Folge seiner Bekanntschaft mit dem deutschrussischen Missionar Voth, einem zentralen HopiEthnographen und Gastgeber vieler anreisender Wissenschaftler und Künstler in Oraibi, den Plan für ein gemeinsames deutsches Buch - es wäre das erste deutschsprachige Buch über die Hopi gewesen - , in dem Warburg den von ihm beobachteten Hemis-Katsina-Tanz, und Voth das Schlangenritual hätte darstellen sollen (Cestelli Guidi 1895-1896:42).4 Voth ist auf diesen Plan allerdings nicht eingegangen; seine äußerst sorgfältig geschriebenen und fotografierten Ritualbeschreibungen erschienen wenige Jahre später in einer Serie amerikani2 Nach den Pionierarbeiten von Naber (1988:88-97), Settis (1993:139-157), Forster (1992:11-37). 3 Warburg war 1896 mehrmals von Fewkes zum Besuch des Schlangenrituals aufgefordert worden (Briefe vom 21.3. 1896, vom 8. 4. 1896); Ehrenreichs Besuch geschah daher in mehrfacher Hinsicht an Warburgs Stelle (vgl. Ehrenreich zit. bei Sanner 1898:248). 4 Sanner weist anhand der Reisen Warburgs, von den Steinens und Ehrenreichs darauf hin, daß in ihnen die Spur einer deutsch-amerikanischen Hopiforschung gelegt war, da sie vor Ort auf die Deutschamerikaner Volz (als Reiseführer) und Voth (als Ethnographen) trafen. Bei entsprechender wissenschaftlicher (und mäzenatischer) Förderung hätte also durchaus noch mehr aus diesen Verbindungen werden können (Sanner 1996:247f).
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Das Schlangenritual der Hopi und Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag
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scher Museumspublikationen, und fugten sich damit in die Geschichte der amerikanischen und nicht der deutschen Kulturanthropologie ein (Eggan 1979; Voth 1903; Dorsey und Voth 1902). Wenn man diese wissenschaftlichen Kontakte zusammenfaßt, kann man daher sagen, daß Warburg sich Ende des 19. Jahrhunderts und in den Jahren kurz nach seiner Reise nicht nur als Initiator von Reisen und Sammlungen, sondern durchaus als ein potentieller Amerikanist fühlen konnte; oder daß Amerikanistik für ihn sozusagen eine alternative und zwar unerfüllte Existenz bedeuten mußte, denn sein Weg führte ihn nach der Amerikareise nicht mehr zu einem zweiten Aufenthalt in den USA, sondern nach Florenz und in jene kulturwissenschaftliche Umwertung der Renaissance, die Saxl, wie zitiert, unter das Signum eines neu entdeckten Heidentums stellte. Von der abgebrochenen alternativen Existenz bewahrte Warburg Briefkorrespondenzen und Freundschaften mit Amerikanisten wie Franz Boas, Theodor Danzel und Gladys Reichard,5 und eine gewisse Schwäche, also das, was man im Amerikanischen „a soft spot" nennen würde. Erst in einer elementaren Krisensituation, die erstmals Ulrich Raulff (1988) in ihren verschiedenen Hintergründen dargestellt hat, griff Warburg 1923 auf seinen Wunsch und seine unerfüllte Identifizierung, Anthropologe und Amateur-Amerikanist zu sein, zurück. Mit dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs erlitt Warburg, der seine Bibliothek im Ersten Weltkrieg in eine Art private Nachrichtenagentur zur Auswertung der Propaganda und Kriegsnachrichten verwandelt hatte (Heise 1947:43f), einen psychotischen Zusammenbruch, der ihn zur Gefahr für sich und seine Umwelt werden ließ. Nach mehreren Stationen wurde Warburg einer Behandlung durch Ludwig Binswanger im Sanatorium „Belle-Vue" in Kreuzlingen anvertraut; dort hielt er im April 1923 einen Diavortrag, der unter dem Titel „Über die Logik in der Magie des primitiven Menschen" angekündigt wurde6 und seine wiedergewonnene wissenschaftliche Befähigung und mit ihr seine Fähigkeit, das Sanatorium zu verlassen und nach Hamburg zurückzukehren, beweisen sollte (Diers 1979; Königseder 1995). Die vergangene Reise und der Heimkehrwunsch wurden auf diese Weise gekoppelt, und dieser doppelten Nostalgie entsprechend stellten zwei von Warburgs Dias, wie in der amerikanischen Ausgabe des Schlangenrituals dokumentiert, eine Gleichsetzung zwischen den Tafelbergen der Hopi und Helgoland auf. Es handelt sich in dem später als Schlangenritual überlieferten Text daher in mehrerlei Hinsicht um eine halböffentliche Mutprobe und einen Bericht für eine Akademie, denn Warburg mußte sich in jedem Satz seines Vortrags zugleich als Subjekt und als Objekt anthropologischer Forschungen inszenieren, als Subjekt und als Objekt einer wissenschaftlichen Regeneration und einer wissenschaftlichen Travestie - vorgeführt an einem Thema, für das Warburg keine wissenschaftliche, sondern nur eine persönliche und dilettantische Befähigung vorweisen konnte. Und wenn Warburgs Text heute noch Gegenstand einer Auslegung sein kann und auch in Zukunft bleiben wird, liegt dies vermutlich weniger an seinem zweifelhaften wissenschaftlichen Gehalt, als an diesem eigenartig oszillierenden Seitenwechsel vom Forschungssubjekt zum Forschungsobjekt und zurück, dem Warburg in der Zeit seines Kreuzlinger Aufenthalts unterlag, und den er durch seinen Vortrag mit Fritz Saxls Hilfe 5 In der Warburg-Schule entwickelte sich in der Folge kein amerikanistisches Projekt oder transkontinental vergleichendes Projekt, das Amerika mit eingeschlossen hätte. 6 So Dorothea McEwans (erstmaliger) Nachweis des korrekten Titels auf der Konferenz „Schlangenritual" am 12.4.2002 im Warburg-Haus Hamburg. Die bisherigen Titel lauteten , A lecture on serpent ritual", „Schlangenritual", „Bilder aus dem Leben der Pueblo-Indianer" und „Images from the Region of the Pueblo Indians of North America".
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selbst in die Hand zu nehmen versuchte. Der überlieferte Text bleibt daher - und zwar unabhängig davon, welchen Vortrag Warburg wirklich in Kreuzlingen gehalten hat 7 - mehrfach adressiert: an seinen Arzt Ludwig Binswanger, 8 an die Zuhörer und Zuschauer seines Vortrags, an sein Hamburger Forschungsinstitut, in dem bereits Ernst Cassirer auf Vermittlung Fritz Saxls Vorträge zum Thema der „Begriffsform im mythischen Denken" und z u m Vergleich von Pueblogesellschaften und Astrologie gehalten hatte, 9 und nicht zuletzt an sich selbst und an seine wissenschaftliche und persönliche Vergangenheit. D i e s e überbordende Mehrfachadressierung ließ sich vermutlich kaum als ein durchgearbeiteter wissenschaftlicher Text aufrechterhalten, eher schon in Form einer Collage, die zwar wissenschaftliche und philosophische M o t i v e verarbeitet, aber sich von deren N a c h weisbarkeit und korrekter Form immer wieder mit teilweise brüsken Gesten befreit. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Warburg an einer wichtigen Stelle seines Textes auf die C l o w n s der Hopi zu sprechen kommt, und hier aus seinen Reise-Erinnerungen berichtet: Es erschienen sechs Figuren, drei mit g e l b e m L e h m beschmiert, fast völlig nackte Männer, die das Haar hornförmig aufgebunden hatten. Sie waren nur mit einem Schurz bekleidet. Ferner drei Männer in Weibertracht. U n d diese führten, während der Chor mit seinen Priestern ruhig und in ungestörter Andacht seine Tanzbewegung e n weiter vollführte, eine überaus derbe Persiflage der Chorbewegungen auf, über die aber kein M e n s c h lachte. Man empfand diese derbe Persiflage nicht als komische Verspottung, vielmehr als eine Art Beihilfe v o n der Seite der Ausgelassenen her, in d e m Versuch ein fruchtbares Kornjahr zu erhalten. (40) 1 0
7 Nur eine Sache ist sicher: dieser Text wurde in Kreuzlingen nicht von Warburg vorgetragen, an seine Stelle trat eine freie Improvisation, die allem Anschein nach sehr gut ankam. Und für den als Schlangenritual überlieferten Text bleibt außerdem zweifelhaft, inwiefern man hier von einem Text Aby Warburgs sprechen kann; sehr viel plausibler erscheint es nach den Ausführungen Dorothea McEwans, von einer (sieben Wochen langen) Zusammenarbeit Fritz Saxls mit Aby Warburg auszugehen, die zu diesem Text führte. Die berechtigten Zweifel an einer individuellen Autorschaft des Textes, und auch die Tatsache, daß dieser Text nicht vorgetragen wurde, setzen seinen Rang keineswegs herab, mir scheint eher das Gegenteil der Fall. Fritz Saxl gelang es nicht nur, Warburgs Bibliothek in ein Forschungsinstitut umzuwandeln (und später dieses Forschungsinstitut intakt nach England zu retten), sondern anscheinend auch, Warburg durch die Zusammenarbeit am Kreuzlinger Vortrag in eine Situation zu bringen, in der er als Kandidat für eine mögliche Entlassung gelten konnte. Und der aus Saxls und Warburgs Zusammenarbeit entstandene Text des Schlangenrituals bleibt zusammen mit Warburgs Vorarbeiten und anderen Kreuzlinger Aufzeichnungen eines der aufschlußreichsten Zeugnisse dafür, wie ein idiosynkratischer europäischer Exotismus - in einer Situation der Negation persönlicher Zurechnungsfähigkeit - zu einer Sache auf Leben und Tod werden konnte. 8 So übernimmt Warburg (1988:23f) von Binswanger das Motiv des Steigens und Fallens, vgl. Königseder (1995:92). - Außerdem appellierte der (von Dorothea McEwan erstmals nachgewiesene) Vortragstitel „Über die Logik in der Magie des primitiven Menschen" an Binswangers Lektüre von Lévy-Bruhl, der zwar auf Warburgs Seite (soweit bisher nachweisbar) keine eigene Lévy-Bruhl-Lektüre in Kreuzlingen entspricht, aber eine (durch Saxl vermittelte) Auseinandersetzung mit entsprechenden Denkmotiven Ernst Cassirers (die wiederum auf dessen Beantwortung der Motive Dürkheims und Lévy-Bruhls zurückgeht). Ein verschlungener, aber - wenn man die wissenschaftliche Wirkung dieser französischen Denker kennt - mehr als plausibler Weg mehrerer Kreuzungen. (Das Manuskript des als Schlangenritual veröffentlichten Textes verweist im übrigen zweimal auf Lévy-Bruhl und seine „participation".) 9 Auf diese Parallele verweist auch Saxl (1992:321). 10 Wie Hans-Ulrich Sanner feststellt, „war dies eine Momentaufnahme, die über den Charakter der HopiClownerie wenig aussagt. Hopi-Clowns tun alles, um die Leute zum Lachen zu bringen [...]. Warum in der von Warburg beschriebenen Szene nicht gelacht wurde, dürfte mit einer spezifischen Situation zu tun haben, Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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Und Warburg springt zum ersten Mal an dieser Stelle von Oraibi nach Athen, aus Amerika in die Antike: „Jeder, der etwas von der antiken Tragödie weiß, sieht hier die Doppelheit von tragischem Chor und Satyrspiel ,auf einen Ast geimpfet'." Trotzdem steht im Zentrum von Warburgs Vortrag und Text keineswegs die eigene Reise, und nicht der von ihm in Oraibi gesehene und protokollierte Hemis-Katsina-Tanz, sondern vielmehr das von ihm versäumte und unbesuchte Ritual, das sogenannte Schlangenritual der Hopi. Wie soll man diesen Umstand deuten? Die Interpretation kann sich nicht darauf beschränken, Warburgs Vortrag als ein autobiographisches und wissenschaftshistorisches, sie muß versuchen, diesen Text als ein kulturwissenschaftliches Faktum zu betrachten, so wie es Warburg selbst mit Bildern und Texten, Artefakten und Festen der europäischen Renaissance unternahm. Die kulturwissenschaftliche und bisher weitgehend unbeantwortete Frage lautet daher (Warburgs Forschungen entsprechend): Welchen Status haben Warburgs Vortrag und dessen Bilder in der Geschichte des Schlangenrituals der Hopi? Und: Welche Sozialgeschichte und ikonographische Geschichte hatte das Schlangenritual der Hopi in Warburgs Zeit?, also zumindest zwischen Warburgs Reise und seinem Vortrag.
2. The Snake Dance Craze Innerhalb der Zeit zwischen 1890 und 1920 gilt: für die Hopi selbst war das Schlangenritual keineswegs eine zentrale oder auch nur erstrangige Zeremonie innerhalb ihres Zeremonialzyklus; für die Auseinandersetzung der Hopi mit ihrer amerikanischen Außenwelt hingegen schon. Und es war vor allem diese Außenwelt in Gestalt von amerikanischen und europäischen Besuchern, Künstlern, Journalisten, Ethnographen und des sich seit dem Bau der Eisenbahn in Arizona rasant beschleunigenden Tourismus (Weigle 1989; Weigle und Babcock 1996)," die das Schlangenritual und vor allem einen einzigen Tag des Schlangenrituals, den neunten Tag mit seinem öffentlichen „Schlangentanz" zum eigentlichen Ziel der Reise nach Arizona, und die Schlange zum imaginären Zentrum der Hopi-Religion erklärten. Wenn man das Zentrum von Warburgs Text verstehen will, kommt man daher nicht umhin, jene Faktoren zu benennen, die das Schlangenritual zwischen 1890 und 1920 zu einem solch zentralen Phänomen für die Außenwelt und für Arizona gemacht haben. Denn in dieser Zeit findet das statt, was Hans-Ulrich Sanner auf Amerikanisch den „Snake Dance Craze" und auf Deutsch einen veritablen „Rummel" um das Schlangenritual genannt hat (Sanner 1996:249; Sanner 1999; Dilworth 1996:21-76).12 Leah Dilworth hat diesen Rummel und das vorherrschende Image des Schlangenrituals zusammengefaßt, indem sie die verschiedenen Massenmedien durchmusterte, in denen das Schlangenritual repräsentiert wurde: in jedem August erschienen Zeitungsberichte, die den Schlangentanz ankündigten und beschrieben; Dilworth nennt dies ein amerikanisches ,ZeitungsrituaP; es handelte sich von der Erfindung der Kodak-Kamera bis zum 1915 von HopiSeite durchgesetzten Fotografierverbot um das meistfotografierte nordamerikanische Ritual
die sich anhand seiner knappen, ethnographisch ,naiven' Beschreibung nicht mehr rekonstruieren lässt." (Sanner: Brief vom 9. 10. 2002). 11 Die Eisenbahn-Erschließung des Südwestens fällt in die Zeit, in der das bis heute nachwirkende Bild des (Wilden) Westens in den Massenmedien etabliert wird. 12 Eine drastische Veranschaulichung des Rummels der 1910er Jahre gibt eine Beschreibung Leo Cranes (vgl. Geertz 1992:302).
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überhaupt; Anlaß zum Besuch des Schlangenrituals wurden durch den Tourismus nicht nur die Hopi selbst, sondern auch die Berühmtheiten oder ,Celebrities', die es aufsuchten; das Ritual wurde auf Wachszylinder aufgenommen und mehrfach verfilmt; es wurde für Museen in Wachsfigurengruppen nachgestellt; und die Altäre wurden zumindest von Voth minutiös nachgebaut; und es entstand eine solche Nachfrage nach Darbietungen des Schlangenrituals, daß es seit den 20er Jahren von einigen Weißen travestieartig nachgespielt und zu Beginn des Jahrhunderts mehrfach versucht wurde, Hopi-Schlangentänzer in eine Völkerschau oder Wild West Show zu integrieren - diese Anläufe blieben allerdings im Vergleich mit anderen indianischen Darbietungen sporadischer Natur, und gemessen an der Nachfrage eher erfolglos (vgl. Dilworth 1996:23, 46, 69).13 Das zentrale Bild des amerikanischen Medienereignisses, die Vorlage für jede weitere Ikonographie des Schlangenrituals außerhalb der Pueblos war 1884 plakativ durch den Buchumschlag eines Reiseberichts in die Öffentlichkeit getreten. Es handelt sich um das Buch The Snake Dance of the Moquis of Arizona des Offiziers und Ethnographen John Gregory Bourke (1969).14 Dieses Bild zeigt den für Außenstehende spektakulärsten Akt des öffentlichen Schlangentanzes: Tänzer, die lebende Schlangen in den Mund nahmen, um mit ihnen zu tanzen -, und es begleitet jeden weiteren Text zum Schlangenritual, so daß dieses Bild oder diese veritable Pathosformel nicht mehr eigens abgebildet werden muß, um im Zentrum zu stehen. (Sie wurde von Warburg in Kreuzlingen mithilfe dreier Dias vom Schlangentanz in Walpi gezeigt.) Was hat es mit diesem Bild, dem zentralen „Kodak moment" (Dilworth 1996:71) der damaligen touristischen und Bildungsreisen zu den Hopi auf sich? Einerseits kann man mit D.H. Lawrence zu Recht bemerken, daß diese Bildformel das Ritual auf einen spektakulären Zirkusakt reduziert (1924:837) - was aber die Frage nicht erledigt, warum sie damals für Außenstehende eine solche Faszination ausstrahlte. Leah Dilworth hat angedeutet, wie sehr man die Faszinationsgeschichte dieses Bildes auf die damalige Beziehung von Indianern und Nicht-Indianern beziehen kann, wenn nicht muß. Die Indianerkriege, an denen Bourke militärisch teilgenommen hatte, waren vorbei; die zentrale Fragestellung der offiziellen Indianerpolitik war jetzt die Assimilation und Inkorporation der Indianer durch die herrschende Gesellschaft.15 In dieser Situation, bei der Unterwerfung und Erschließung Arizonas, stießen U.S.-Amerikaner mithilfe der Eisenbahn in den Pueblo-Bewohnern nicht mehr auf ihren ehemaligen kriegerischen Feind, sondern auf den 13 Nachbau der Reise als „Cliff Dwellers Exhibit" in St. Louis (Dilworth 1996). Der Bedarf nach Schlangentanz-Darbietungen ging bis zur Gründung einer Geheimgesellschaft, die sich in Anlehnung an die alte (abschätzige) Fremdbezeichnung „Moki" (d.h. „Tote") für die Hopi (d.h. „die Zivilisierten") die „Smokis" nannten, und alljährlich eine öffentliche Schlangentanz-Parade aufführten, bis lokale Hopi gegen sie intervenierten. Den „Smokis" gehörten einflußreiche Geschäftsleute aus Prescott, Arizona, sowie mehrere spätere Präsidenten der Vereinigten Staaten an (vgl. Whiteley 1998:163-187). - Man sieht an dieser bizarren Spiegelung des Hopi-Rituals, wie sehr sich anhand der Hopi-Stellung in der U.S.-Gesellschaft immer wieder Verbindungen zum staatlichen und kulturellen Zentrum der Außenmacht ergeben haben, die ihrerseits durch mimetische Darbietungen eine Hopi-Welt und deren meist imaginäres Zentrum adressierten. - Vgl. zum weiteren Rahmen dieses mimetischen Wunsches: Deloria (1998); sowie zur Bildung einer imaginären HopiWelt, die auf die Beziehungen zwischen Hopi und Nicht-Hopi und zwischen ihren Machtzentren zurückwirkt: Geertz (1992). 14 Zu Bourke vgl. Porter (1986), Bender (1993, 1996/97). Benders Arbeiten wurden verarbeitet durch Hinsley (1999). 15 Dilworth (1996:22): „the ,Indian problem' shifted from the matter of conquest to the question of how to incorporate the region's Native Americans socially and culturally into the nation." Ich werde dieses Motiv hier allerdings etwas anders zuspitzen als Dilworth.
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ungebrochenen und friedlichen Widerstand der Herrschaftsform einer theokratischen Polis, in damaligen evolutionistischen Kategorien: einer „Halbzivilisation", die sie zugleich als Inneren Orient und als Brücke zu den mittelamerikanischen „Hochzivilisationen", also zur spanischen Epoche der Eroberung Mittelamerikas ansahen. Anfang und Ende der amerikanischen Eroberung würden sich in der Unterwerfung und Erkenntnis der Pueblos kurzschließen. Aber in dieser theokratischen Polis - in dieser für die damalige Frontier-Gesellschaft geradezu überzivilisierten Polis aus abweisender Zeremonialkultur und Selbstdisziplin fanden die ersten Besucher in den von ihnen aufgesuchten Festen vor allem ein Bild, in dem sie - wie ihnen schien - eine elementare Bändigung von Wildnis und Feindschaft vorgeführt bekamen. Man könnte daher - wenn man Dilworths Frage nach der „Inkorporation" noch weiter zuspitzt - eine allegorische Deutung der Ikonographie des damaligen Schlangentanzrummels entwickeln. Die bisherige und weiterhin bestehende Indianerphobie, der Wille zur militärischen Extermination und betrügerischen Deportation, von dem das nordamerikanische 19. Jahrhundert bis dahin geprägt war, wurde gebannt, indem jedes Jahr ein bestimmtes indianisches Ritual touristisch und massenmedial gefeiert wurde, das eine analoge Phobie beschwört und bannt - und zwar durch eine vorübergehende, aber zum bleibenden „Kodak moment" gebannte Inkorporation des phobischen Feindes: der Schlange. Man kann auch in den unzuverlässigsten Berichten zum Schlangenritual noch nachlesen, wie in ihnen Schaulust, Phobie und deren kathartische Aufhebung eine intime Verbindung eingegangen sind, und daß diese Schaulust auch ein gewisser patriotischer Stolz auszeichnete, bei den Bewohnern Arizonas eine ganz neue, eine amerikanische Form der Schlangenbändigung gefunden zu haben, die alle populären europäischen und orientalischen Varianten durch religiösen Ernst, eine ausgefeilte zeremonielle Frömmigkeit und ein überlegenes psychosomatisches Wissen der Schlangenbehandlung überbieten konnte.
3. Der Schlangenklan der Hopi Diese Faszinationsgeschichte oder Sensationsgeschichte hat mit der Zeremonialordnung der Hopi, wie sich unschwer nachlesen läßt, sehr wenig zu tun. Trotzdem lohnt die schwierige Frage, wie diese extremen touristischen und ikonographischen Ansprüche von den damaligen Hopi verarbeitet und konterkariert wurden, und was sie mit der Zeremonialordnung der Hopi überhaupt zu tun haben. Alle Pueblos der Hopi standen zwischen 1890 und 1920 in einem fundamentalen politischen Konflikt mit der neuen staatlichen Ordnung, die sie territorial eingegliedert hatte und ihren Gesetzen unterwerfen wollte (vgl. Titiev 1944; Whiteley 1988). Zwischen den Hopi und dem U.S.-Staat entstand ein offener politischer Konflikt, der weniger durch kulturalistische Begründungen verdeckt wurde als anderswo: schließlich betrieben die Hopi einen erfindungsreichen Bodenbau - so daß die evolutionistische Standardbegründung von Siedlerkolonien, die Ureinwohner hätten ihr Land nicht genutzt - d.h. nicht landwirtschaftlich genutzt -, nicht greifen konnte. Die Konflikte entzündeten sich daher weniger an der Subsistenz, als an dem staatlichen Anspruch auf juristische, pädagogische und medizinische Reglementierung, sprich: konkrete Streitfalle waren etwa in Oraibi die Einschulung von Kindern und deren Verweigerung, Zwangsimpfungen aller Einwohner, und die vorgeschriebene Eigentumsbildung durch individuelle Landzuteilungen, die allen bisherigen Rechten und Pflichten widersprach. Hinter diesen Konflikten, die zu wiederholten Verhaftungen und Durchsuchungen führten, standen Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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allerdings noch sehr viel prinzipiellere Drohungen. Seit dem späten 19. Jahrhundert gab es in der Indianerverwaltung wiederholte Forderungen und Anstrengungen, die indianischen Zeremonien insgesamt und die der Hopi zu verbieten, und die Hopi von ihren Pueblos auf den Mesas in die umliegenden Ländereien umzusiedeln, in neue Häuser und Landzuweisungen. Die Erfüllung beider Forderungen zusammen hätte - aufgrund der zeremonialpolitischen Gesellschaft der Hopi - die Zerschlagung der bisherigen Sozialstruktur und vermutlich auch der bisherigen Selbstregierung bedeutet. Seit den 1890ern fanden daher alle Konflikte mit der Außenwelt unter der latenten Drohung einer solchen Zerschlagung statt.16 Dementsprechend bestand ein wesentlicher Schutz der Hopi und ihrer Zeremonien in eben jenem Schlangentanzrummel oder Medienhype, in dessen Schatten sich verschiedene Gruppen von Sympathisanten und Indianeraktivisten als Befürworter der Hopi-Traditionen inszenierten.17 Und dementsprechend waren alle Gouverneure des Hopigebiets, die von staatlicher Seite nach Arizona geschickt wurden, an einer Einschränkung oder an einem Verbot des Tourismus und insbesondere des SchlangentanzTourismus und seiner Fotografien interessiert,18 konnten diese Verbote aber aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Hopi und wirksamer Lobby-Arbeit der Indianeraktivisten nicht durchsetzen. Einer einflußreichen Gruppe von Aktivisten gelang es schließlich 1913, auch Theodore Roosevelt zu einem „Celebrity"-Besuch des Schlangenrituals zu bringen (vgl. James 1974:171-173);19 erst nach dieser - wenn man so weit gehen will - offiziellen Anerkennung der patriotischen Stellung des Schlangentanzes wurde 1915 von Hopi-Seite das Fotografierverbot erteilt. Noch 1926 kam es sozusagen zu einem Gegenbesuch von Hopi in Washington, bei dem ein Schlangentanz oder dessen Abwandlung öffentlich aufgeführt wurde.20
16 Hans-Ulrich Sanner (Brief vom 9. 10. 2002) weist mich daraufhin, daß von einem konkreten versuchten .Anschlag auf die religiöse Freiheit der Hopi" erst sehr spät gesprochen werden kann: „Seit 1915 hatten Agenten bei den Hopi und anderen Pueblo-Gruppen .Affidavits' gesammelt, die den obszönen Charakter vor allem der Clowndarbietungen beweisen sollten. Die Verfolgungen und Interventionen weißer Beamter und Lehrer bei Katsina-Tänzen etc. endeten 1928." - Man kann daher für die Zeit vor 1915 nur von einer latenten Drohung - was die religiöse Freiheit der Hopi betrifft - sprechen. Allerdings, so scheint mir, sollte diese latente Drohung nicht nur an dem politischen Kampf um die Behandlung der Pueblos gemessen werden, sondern auch an den expliziten Verboten und Interventionen, denen zwischen 1890 und 1920 alle religiösen Zeremonien von Ureinwohnern in den USA unterzogen wurden, z.B. der Potlatch an der Nordwestküste, der trotz seiner spektakulären Inszenierungen niemals für eine touristische Rechtfertigung in Betracht gezogen wurde. 17 Bis zur Nachahmung von Hopi-Verhalten und dem Wunsch, an Ritualen teilnehmen zu dürfen (vgl. Whiteley 1988:96f). 18 Insbesondere Charles E. Burton versuchte um die Jahrhundertwende, den Besuch von Wissenschaftlern und Touristen zu verbieten, um die Rekrutierung neuer Sympathisanten zu verhindern. Vgl. die aufschlußreichen Zitate bei Whiteley (1988:92-94). Burton scheiterte in seiner Zielsetzung, die Rituale und Kivas zu zerstören (94), an einer erfolgreichen Pressekampagne (einschließlich der Performance von Mrs. Gates, die am Schmetterlingstanz teilnehmen durfte), die zu Burtons Versetzung führte (96f). 19 Roosevelt sprach sich in einem eigenen Bericht gegen ein Verbot der Zeremonien und gegen eine Umsiedlung aus, handelte also im Sinne der damaligen Aktivisten. 20 Wenn man mit Hans-Ulrich Sanner in Rechnung stellt, daß der administrative Angriff auf die religiöse Freiheit der Hopi erst in den 20er Jahren seinen Höhepunkt erreichte, wird dieser Gegenbesuch und seine direkte Adressierung des Zentrums der (Gegen-) Macht als politischer Schachzug plausibel. - Anscheinend ebenfalls aus dem Jahr 1926 (?) stammt ein (mir unbekannter, und nur ungenügend beschriebener) Film, der in der National Archives and Records Administration archiviert ist; er könnte in Washington gedreht sein. (Vgl. HADDON - the online catalogue of archival ethnographic film.)
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Alle diese Indizien deuten darauf hin, daß der „Snake Dance Craze" von Hopi-Seite zumindest seit 1900 als ein politisches Instrument, ein Kriseninstrument geschätzt und geduldet wurde, das es ihnen und ihren unterschiedlichen Sympathisanten erlaubte, den Instanzenweg der Indianerverwaltung soweit wie möglich zu schwächen und zu umgehen: durch die Medien und durch die direkte Adressierung Washingtons. Und nur eine solche Überlegung erklärt auch, warum es gerade die Oppositionellen - die gegenüber jeder Assimilation feindlichen „Hostiles" - waren, die in Oraibi z.B. das Schlangenritual kontrollierten, aber keinen Schritt unternahmen, um seinen Besuch einzuschränken. Man kann daher davon ausgehen, daß die Zeit des Schlangentanz-Tourismus bereits jene Periode war, in der das entsteht, was man - im Guten wie im Schlechten - die euroamerikanische „Hopiphilie" des gesamten 20. Jahrhunderts nennen kann,21 und in der außerdem vielleicht sogar bereits jene von Armin Geertz analysierte Konstellation entstand, die seitdem über eine fortlaufende Medienpräsenz auf eine Vernetzung von Hopi-Sympathisanten mit den jeweiligen Erben der Fraktion der damaligen „Hostiles", und auf eine Rückkopplung imaginärer Hopi-Bilder mit realen touristischen und religiösen Folgen hinausläuft (vgl. Geertz 1992).22 Wie paßt diese politische Konstellation zwischen 1890 und 1920 zum Inhalt und zur Zielsetzung des aufgeführten Rituals? Zumindest ein Aspekt verdient eine genauere Darstellung, als sie bisher vorliegt. Armin Geertz hat die Motive und Altäre des Schlangenrituals in mehrere Schichten gegliedert: wie in allen Zeremonien der Hopi geschieht eine Bitte um Regen, um als Wüstenbewohner den „Sturzwasserfeldbau"23 der Hopi betreiben zu können. Und da die Wolken mit den Toten identifiziert werden, ist jede Regenbeschwörung auch eine Totenbeschwörung; sie sind in den nichtöffentlichen Riten explizit anwesend. Durch die Augusthitze und ihre abkühlenden Gewitter soll die Reifung der Feldfrüchte vollendet werden, zugleich wird für den September die Jagdsaison vorbereitet; auch daher die Kombination von Antilopen- und Schlangentanz, sowie eine mystische Hochzeit in der unterirdischen Zeremonialkammer, in der Kiva des Rituals (Geertz 1987:26-28; vgl. Bradfield 1973:167-169). Allerdings alterniert der Antilopen- und Schlangentanz jedes Jahr mit dem Flötentanz; alle bis hierhin genannten Motive werden daher auch ohne Schlangen zeremoniell beschworen und inszeniert, sind, so könnte man folgern, nicht schlangenspezifisch.
21 Dies ist daher der passende Ort, um darauf hinzuweisen, daß von Hopi-Seite seit Beginn des Besucherstroms zahlreiche Travestien des unpassenden Verhaltens der Gegenseite und auch der ,Hopiphilie' vorgenommen wurden: der Ethnographen, der Missionare, der umliegenden Fremden, der Händler, und insbesondere der Touristen. Protagonisten dieser Travestie waren oft die Clowns der Hopi (vgl. insb. Sanner 1996). Vgl. Earle und Kennard (1971:38), zu den Clowns: „Sometimes they are Navahos, sometimes they stage a mock Hopi wedding, sometimes they ridicule government officials and school teachers. One of the most humorous that I have seen was a take-off of the behavior of the swarms of tourists who invade the villages for the Snake Dance each year. First several clowns ran into the plaza carrying small black boxes, and then proceeded to ,take pictures' of everything in sight and from every imaginable angle. They even dragged people out of the houses and made them assume ridiculous poses. Then they settled themselves on the housetops, removed their shirts, and exhibited all the manifestations of restlessness seen on such occasions. Finally, a clown entered at the far end of the plaza and immediately called in a loud voice to another sitting at the opposite end. They carried on a conversation in English and at the top of their lungs. The new arrival strode across the plaza, made a great fuss as he clambered up the ladder, and then they indulged in a great deal of hand shaking and back slapping." 22 Zur philologischen Korrektur der imaginären Ethnographie (und Linguistik) der Hopi vgl. die Schriften von Armin Geertz und Ekkehard Malotki. 23 Dieser Terminus nach Cora Bender. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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Eigentlich bleibt in einer solchen Sicht des Schlangenrituals, bei einem Vergleich des alternierenden Flöten- und Antilopen/Schlangentanzes und dessen ausführenden Organs, des Schlangenklans oder der Schlangen-Geheimgesellschaft, nur ein Motiv übrig, das allein dem Schlangenklan eignet, und dieses Motiv war bis zur Befriedung der Hopi und ihrer Nachbarn ein militärisches: es geht im Schlangenritual und inbesondere im Schlangentanz um Tugenden, die sich im Kriegsfalle bewähren müssen, um Tapferkeit, Unerschrockenheit und Bravour.24 So hat Richard Bradfield die historische These aufgestellt, daß die Einführung des Schlangenkults in der Hopi-Geschichte relativ spät geschah und daß seine Blüte mit dem Eindringen der feindlichen nomadischen Plünderer, der Apache, Comanche, Navajos und Ute in den Südwesten zusammenfiel (1973:236); eine Situation, die etwa dazu führte, daß der sonst keineswegs erstrangige, aber kriegerische Schlangenklan in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorübergehend bis in die politische Spitze von Walpi vordrang (vgl. Eggan 1967) also an jenem Ort, der 50 Jahre später aufgrund seines „setting" und seiner ausgefeilten Zeremonie als Lieblingsort des Schlangentanztourismus diente (vgl. Sanner 1996:249). Wenn man diese historische Vermutung Bradfields übernimmt oder für die Frage nach der Motivik des Rituals modifiziert, bleibt festzuhalten, daß insbesondere der neunte Tag des Rituals, der sogenannte Schlangentanz, zu dem die Teilnehmer eine alte Kriegsbemalung anlegen, eine explizite Bravour-Übung und Parade darstellt, die durchaus dazu diente, durch eine gekonnte Mischung von Disziplin und inszenierter Wildheit alle Fremden einzuschüchtern,25 die sie sehen wollten: denn bevor die Touristen kamen, waren die indianischen, mexikanischen und sonstigen nachbarschaftlichen Besucher bei dieser Zeremonie in der Überzahl. Auch dieser kriegerische Aspekt des Schlangenrituals gelangte noch in der Zeit des Schlangentanztourismus zu einer einschneidenden politischen Zuspitzung. 1906, zehn Jahre nach Warburgs Besuch, spaltete sich die älteste und größte Hopi-Siedlung, Oraibi, nach einem jahrzehntelangen Streit zwischen zwei Fraktionen, einer gegenüber der Außenwelt kompromißbereiten und einer unversöhnlichen, zwischen den sogenannten „Friendlies" und „Hostiles".26 Der politischen Spaltung, aus der im Lauf des 20. Jahrhunderts sechs verschiedene Siedlungen anstelle des einen Oraibi entstanden, ging eine zeremonielle Spaltung voraus. Zum letzten Auslöser der Spaltung, von der mittlerweile sehr überzeugend behauptet wird, sie sei als Ritual - oder als Aufführung einer dramatischen Zuspitzung, als ritualpolitische Intrige - von den Zeremonialpolitikern des Ortes geplant worden,27 wurde aufgrund verschiedener Entwicklungen das Schlangenritual von 1906. Zum offenen Konflikt, der aber durch einen friedlichen Wettkampf ausgetragen und entschieden wurde, kam es noch während der viertägigen zeremoniellen Ruhephase, die jedes Ritual beschließt, kurz nachdem die letzten Touristen den Ort verlassen hatten.28 24 Die militärischen Aspekte des Schlangen-Klan und des Schlangentanzes betonen insbesondere folgende Stellen der Überlieferung: Stephen (1936:626, 636f, 714), Voth (1903:334); Parsons (1939:577), Titiev (1944:150ff, 153), vgl. auch Wright (1979:29-32) zur Kleidung der Schlangentänzer. 25 Vgl. Ehrenreich (1899:158), der anschaulich die Imponiergesten und Provokationen festhält, denen die Zuschauer beim Schlangentanz ausgesetzt wurden. 26 Zum Oraibi-Split: Titiev (1944), Whiteley (1988). 27 Diese These stammte von betroffenen Hopi, sie wurde erst sehr viel später durch Krutz dargestellt, und von Whiteley nach Studium aller verfugbaren Quellen historisch durchgeführt. - (Krutz 1973; Whiteley 1988) - Der lokale Terminus für das Vorsätzliche der politischen Handlungsweise lautet „diingavi", er wird von Whiteley leider nicht weiter expliziert als bèreits durch Krutz (1973:85f). 28 Titiev zitiert Bedenken, den Split vor den Touristen auszutragen (1944:85). - Im Jahr 1908 dann richteten Oraibi und die abtrünnige Siedlung Hotevilla zwei Schlangenrituale - in Konkurrenz - aus, und ratifizierten Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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4. Die mythische Parodie Die Reisen zum Schlangenritual und das Ritual selbst sind noch auf andere Weise ineinander verflochten. Die Reise der Schlangentanz-Touristen führte zum öffentlichen Höhepunkt eines Rituals, und sie war selbst ein Ritual geworden, denn die Besucherströme kulminierten jedes Jahr rund um den öffentlichen Schlangentanz und flauten danach für den Winter wieder ab. Aber das Ritual der Hopi beruhte selbst auf einer Reise-Erzählung, die dem Verlauf des Rituals - vom Sammeln der Schlangen und insbesondere dem Bau des Altars,29 und über die unterirdische mystische Hochzeit bis zur Rückkehr ins Tageslicht - zugrundeliegt. Diese Reise-Erzählung ist die Gründungslegende des Schlangenklans.30 Die damalige Faszination für das Schlangenritual führte dazu, daß diese eigentlich geheime Reise-Erzählung des Schlangenklan in einigen Reiseführern zum Schlangenritual abgedruckt wurde, etwa in Houghs Reiseführer für die Santa Fé-Eisenbahn-Gesellschaft (Hough 1898), der sich auch in Warburgs Bibliothek befand. In Kurzform - also für die Eisenbahn-Gesellschaft und andere31 - erzählt dieser Mythos, wie der Kulturheros des Schlangenklans aus Wissensdurst in die Unterwelt zur Quelle des Wassers aufbricht, dort Schlangenmenschen trifft, von denen er ein oder zwei Mädchen mitbringt: für den Schlangenklan und den Flötenklan; mit einem der Mädchen Hochzeit feiert und von einem Schlangenpriester im Schlangenritual selbst unterwiesen und initiiert wird, das er mit seiner Schlangenbraut, aus deren Schoß Schlangen und SchlangenklanMenschen hervorgehen, in die diesseitige Welt mitbringt. Der neunte Tag des Rituals mit seinem Schlangentanz (tsu'ti'kive) feiert - so gesehen - die diesseitige Ankunft des Klans und seines Rituals in der Jetztzeit, die initiierten Schlangen werden wieder an ihre Wohnorte zurückgeschickt; und dementsprechend richten sich fast alle journalistischen und touristischen Texte auf diese Ankunft von Schlangen und Schlangenmenschen aus der Unterwelt und ihre Parade: als eine Ankunft im Bild, dem man bis zu seiner Quelle gefolgt ist, und das man dann als Foto wieder nachhause bringt. Die ethnographischen und ethnologischen Texte, die sich sehr viel stärker auf das geheime und unterirdische Geschehen, oder wie es bei Warburg heißt: die „unterirdischen Indianer" konzentriert, folgen hingegen durch die Reise-Erzählung der Ethnographen und durch die chronologische Ordnung des Ritualablaufs sehr viel stärker der vom Schlangenklan zugrundegelegten esoterischen Reise-Erzählung; und zwar schon deshalb, weil das Selbstverständnis der damaligen Ethnographen und solcher Reisender wie Warburg sehr oft die Stilisierung zum Kulturheroen annahm. Es liegt daher keineswegs nur an Warburgs einmaliger Kreuzlinger Situation, sondern es ist eine Genre-Eigenschaft, daß die touristi-
damit endgültig die Spaltung. Das Ritual in Oraibi trug in diesem Jahr - auch weil der Schlangenklan von den jetzt abwesenden Abtrünnigen beherrscht gewesen war - einen seltsam unemsten Charakter, und enthielt ein neues und anscheinend einmaliges Element: die Zuschauer wurden aufgefordert, Schlangen zu halten. Vgl. die sehr viel spätere Darstellung eines Hopi-Besuchers und Schlangentanz-Fan, der mitten in den damaligen Umbruch hineingeriet, ohne ihn anders als ästhetisch beurteilen zu können. (Forrest 1961:53fF(für Oraibi 1906), 97ff (für Oraibi 1908), 103 (das neue Element)). 29 Zum Zusammenhang des Altarbauens mit den zugrundeliegenden mythischen Erzählungen der Geheimgesellschaften: Geertz (1987:16). 30 Warburg folgt in seiner Darstellung einer abgekürzten Übersetzung von Fewkes: Vgl. Warburg (1998: 276-279), Fewkes (1894:106-124). 31 Eine ausführlichere strukturale Analyse der Versionen des Schlangenklan-Mythos wird Armin Geertz vorlegen (vgl. Geertz in diesem Band). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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sehe, aber auch die ethnographische R e i s e der A u ß e n w e l t z u m Schlangenritual in d e n Kurzdarstellungen, M o n o g r a p h i e n und Interpretationen die Z ü g e einer Travestie oder Parodie d e s z u g r u n d e l i e g e n d e n M y t h o s annimmt. E i n Kulturheros fahrt aus Wissensdurst z u S c h l a n g e n und S c h l a n g e n m e n s c h e n , z u m Ursprung des Schlangenrituals, er steigt hinab in die Unterw e l t (der K i v a ) z u einer authentischen Q u e l l e u n d z u den Schlangen, und er bringt - s o g e s c h a h e s bereits bei Bourke, u n d s o g e s c h i e h t e s auch in der imaginären R e i s e Warburgs Erkenntnisse über e i n e V e r w a n d t s c h a f t und A b s t a m m u n g aller h e i d n i s c h e n R e l i g i o n e n mit ans T a g e s l i c h t - zur „ S o n n e " ( 5 7 ) , w i e in Warburgs Text. U n d dieser Kulturheros d e m o n s t riert, o f t durch äußerst minutiöse Darstellungen, w i e w e i t er durch das Schlangenritual allerdings durch e i n e n v o n H o p i - S e i t e durch nichts z u e n t s c h u l d i g e n d e n Diebstahl und Frev e l 3 2 - autorisiert u n d initiiert w o r d e n ist. 3 3 D i e betreffende Unterwelt der K i v a wird j e n a c h d e m dämonisiert, z u einer faustischen H e x e n k ü c h e , w i e bei Paul Ehrenreich, 3 4 oder z u e i n e m h e i l i g e n G a n g z u d e n Müttern, w i e in Warburgs Kreuzlinger A u f z e i c h n u n g e n , der die Schlangenmutter d e s Schlangenklans durch e i n Wortspiel als eine „mater certa", u n d als e i n e n m a g i s c h e n Ursprung der Kategorie „Kausalität" b e n e n n t ( M i c h a u d 1 9 9 8 : 2 5 9 - aus Warburgs A u f z e i c h n u n g e n ) . 3 5 Erst w e n n m a n d i e s e n unlösbaren K n o t e n z w i s c h e n der R e i s e z u m Schlangenritual und der d e m Ritual z u g r u n d e g e l e g t e n R e i s e wahrnimmt, g e w i n n t man, mit e i n e m Wort Warburgs gesprochen, e i n e n „Maßstab" ( 1 2 ) für die j e w e i l i g e n Texte, die das Schlangenritual darstellen, u n d m a n b e k o m m t a u c h e i n e e t w a s andere Perspektive für die Originalität des warburgschen Textes. D i e s e Originalität liegt k a u m in der D e u t u n g des Hopi-Rituals selbst, die Warburg aus der v o r l i e g e n d e n Literatur, insbesondere v o n F e w k e s übernahm, u n d die 32 Die umstrittenste Figur der Hopi-Ethnographie war und blieb Warburgs Gastgeber, der Missionar H.R. Voth, der nicht nur die Rituale minutiöser als jeder andere protokollierte und fotografierte, sondern - vermittelt durch seinen Erfolg als Arzt und Heiler - alle ihm zugänglichen heiligen Instrumente sammelte, und später sogar ganze Altäre nachbaute, anscheinend um durch eine möglichst vollständige Veröffentlichung ihrer Geheimnisse die gegnerische Religion zu zerstören. Die Absichten der wissenschaftlichen Konservierung und des religiösen Angriffs, aber auch des Schutzes der Hopi vor offener Gewalt waren in seiner Person allem Anschein nach untrennbar ineinander verstrickt (vgl. Eggan 1979:insb.7). Zur politischen Stellung der Geheimhaltung in Pueblokulturen vgl. insb. Brandt (1977). 33 Bereits die Ansprache John G. Bourkes durch seinen Informanten Nanahe faßt den exklusiven Charakter des rituellen Wissens epigrammartig zusammen: „Nobody outside of our order has told you these things, because he couldn't; and no one inside the order has done it, because he wouldn't', it's against our rules." (Bourke 1969:192) - Erste Vorstufen einer Initiation oder eher einer Zulassung in den Vorhof einer eventuellen Kandidatenschaft für eine Initiation waren daher bereits notwendig, um überhaupt etwas von einem Ritual erzählt zu bekommen; und in diesem Sinne lassen sich auch die - korrekten oder übertriebenen - Selbsteinschätzungen von Außenstehenden verstehen, sie seien bereits „initiiert" oder zum „Mitglied" des Schlangen-Klan gemacht worden (vgl. Bourke 1884:192; Stephen 1936:626f). - Eine Initiation geschah durch Erwählung, aber auch infolge eines (unabsichtlichen oder absichtlichen) „Trespassing", etwa indem man den Schlangenfangern bei ihrer Tätigkeit über den Weg lief, und durch Krankheit und erfolgreiche Heilung durch den Schlangenklan. (Bei H.R. Voth geschah vermutlich das Umgekehrte: durch seine Rolle als Arzt gelangte er in den Besitz vieler Paraphernalien und Geheimnisse.) - Die vom Schlangenklan geheilten Krankheiten sind Vergiftungen, „swellings of the body"; für psychische Erkrankungen sind andere Geheim-Gesellschaften der Hopi zuständig. 34 Ehrenreich (1899:157): „alles dies trägt einen so fremdartig abenteuerlichen Charakter, daß man sich in eine Hexenküche der mittelalterlichen Sage versetzt glaubt." (vgl. auch 158). 35 Unmittelbar danach (einen Tag später aufgezeichnet) findet sich jene autobiographische Erinnerung an die Kindheitskrise um die Mutter (die mater incerta), und die Lösung dieser Krise durch Tabufleisch und Indianerromane, die bereits Gombrich (1981:36f) herangezogen hat. Die eigene Kindheit, die imaginären und später besuchten Indianer, Tabu und Phobie und spätere Unzurechnungsfähigkeit werden von Warburg in seinen Aufzeichnungen um mehrere Gründungs-Szenen gruppiert und kombiniert.
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damit auch auf englisch übersetzte Kommentare v o n Hopi für Uneingeweihte zurückgeht. 3 6 D i e Originalität Warburgs liegt wohl auch weniger in der symboltheoretischen Deutung der Schlange des Schlangenrituals und ihren brüchigen Universalitätsannahmen. Aber diese Symboltheorie gibt zumindest eine eigene Verschlüsselung für den Ablauf des Textes vor, die Schlange als Kriseninstrument und Krisensymbol - und in der Geschichte des Schlangenrituals spricht, w i e hier skizziert, alles dafür, den Schlangentanz auch als ein Krisensymbol und Kriseninstrument der Hopi anzusehen. In diesem Sinne behält Warburg also recht: „Die Schlange ist ein internationales Antwortsymbol auf die Frage: Woher k o m m e n elementare Zerstörung, T o d und Leid in die Welt?" Das Kriseninstrument, das Warburg durch seine Hopi-Erzählung gewinnen wollte, bestand darin, daß Warburg v o n einer eher konventionellen Deutung des Hopi-Rituals ausgehend zu einer kursorischen aber rabiaten Sichtung der europäischen Schlangenikonographie überging. In Saxls Zusammenfassung: Er ging dem Schlangenritual von den Zuñis 3 7 über Laokoon bis zur biblischen Geschichte v o n der ehernen Schlange nach, die als Symbol für Christi Opfertod galt. N a c h d e m er über das Blitzsymbol in der Ornamentik der Puebloindianer und v o m Humiscachina-Tanz gesprochen hatte, zeigte er den berühmten Schlangentanz, bei d e m die Indianer während der Kulthandlung lebendige Schlangen in den Mund halten. D i e Schlangen werden hier nicht geopfert. Aber durch Weihung und durch die wirkkräftige Mimikry des Tanzes werden sie in Boten verwandelt, die, zu den Totenseelen ausgesandt, in Blitzform den Gewittersturm am H i m m e l erregen. 38
36 Fewkes (1894:125): „The Snake Dance is an elaborate prayer for rain, in which the reptiles are gathered from the fields, intrusted with the prayers of the people, and then given their liberty to bear these petitions to the divinities who can bring the blessing of copious rains to the parched and arid farms of the Hopi." Bereits seit seinen ersten Hopi-Veröffentlichungen wurde Fewkes verdächtigt, sich aus den Aufzeichnungen von Stephen bedient zu haben, ohne dies kenntlich gemacht zu machen (vgl. Parsons 1936:XXI). - Man kann davon ausgehen, daß die mittelbare Quelle für Warburgs Erklärung der Funktion des Hopi-Rituals in Kopelis Erläuterungen für Stephen (1936:713-716) zu finden ist. Allerdings finden sich in den Erläuterung Kopelis für Stephen sehr viele unterschiedliche Aspekte, die eigentlich erst durch die Interpretationen von Bradfield und Geertz wieder zu einer abwägenden Synthese gelangt sind. (Allerdings, wie mir Hans-Ulrich Sanner mitteilt, nach Vorarbeit durch Hamilton A. Tyler (1964:221-249); lag mir beim Verfassen dieses Textes nicht vor.) Die Erläuterung, es handele sich um ein ,Gebet für Regen', ist bei Kopeli nur ein Aspekt des Rituals, vgl. S. 714; daß dieser Aspekt über Fewkes (und die Deutungsabstinenz der Darstellungen Voths und Dorseys, müßte man vielleicht hinzusetzen) sich in den Vordergrund der Interpretation spielen konnte, und zwar nicht nur bei Warburg, stimmt damit überein, daß diese Erläuterung - es handele sich um ,eine Bitte um Regen' - quasi für jedes Ritual der Hopi zutrifft, also eine unspezifische und damit unverbindliche Erläuterung darstellte, die keine fremden oder eigenen Klan-Geheimnisse verrät und dementsprechend häufig gegenüber Außenstehenden geäußert werden konnte, auch für den .Schlangentanz', der von Außenstehenden aufgrund seiner touristischen Stellung leicht für das zentrale Ritual der Hopi gehalten werden konnte (was er keineswegs war). Soweit eine mögliche Rekonstruktion der Erfolgsgeschichte dieser Deutung. 37 Saxl verwechselt hier die ,Mokis', also die Hopi von Warburgs Text mit den (bei Cassirer im Mittelpunkt stehenden) Zuñis (Cushings). (Diese Verwechslung konnte auch deshalb eintreten, weil Warburg sowohl zu den Hopi als auch zu den Zuñis gereist war.) 38 Cora Benders Forschungen deuten darauf hin, daß Warburg in Washington auf Bourke hingewiesen wurde; und es ist mehr als unwahrscheinlich, daß ihm in Washington ausgerechnet Bourkes Buch, die Gründungsurkunde der Schlangentanz-Forschung (und des Schlangentanz-Tourismus) mit ihrem plakativen Buchumschlag verborgen geblieben sein sollte. - Eine mögliche Genealogie für Warburgs Schlangenmotive liegt daher in Bourkes Buch oder in den Quellen für Bourkes komparative Überlegungen, auch und insbesondere für die Frage der Verbindung von Opfer und Schlangenkult. Vgl. Bourke (1969): Äskulap und die eherne Schlange des Moses (21 Of, vgl. 214), die eherne Schlange in der christlichen Typologese (220),
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Die von Warburg ins Zentrum gestellte „Erlösung vom blutigen Opfer" ist daher bei den Heiden, und zwar bei den Hopi, bereits geschehen; das Zeremoniell der Hopi ist eine bewußte Negation des Opfers, aber auch der Nachahmung, und zwar nicht aus Unkenntnis, sondern aus einer Selbstdifferenz zu beiden, durch Identifikation statt Nachahmung, und durch Initiation der Schlangen zu heiligen Boten statt ihrer Opferung39 - eine Umwertung, die sich im öffentlichen Akt des Rituals durch eine Anverleibung ohne Einverleibung (vgl. Gombrich 1981:121)40 und durch die mündliche Bannung des Verschlingenden der Schlangen ausdrückt.41 Die Schlangenzeremonie in Walpi steht also zwischen nachahmender mimischer Einfühlung und blutigem Opfer, da in ihm die Tiere nun nicht nachgeahmt werden, sondern selbst in der krassesten Form als Mitspieler im Kult eintreten und zwar nicht, um geopfert zu werden, sondern um [...] als Fürbitter für Regen aufzutreten." (41f) (Hvhbg. E.Sch.) Eine solche Entprivilegierung der Erlösung vom Opfer stellt jede evolutionistische Grundlegung der „Entwicklungsgeschichte vom Orient zum Okzident" durch ihre Sicht des primitiven Heidentums in Frage. Zumindest dieses eine Mal, nämlich durch eine kunstvolle Affirmation des unzerstörbaren Heidentums, scheint Warburg - oder jene unbekannte Autorschaft dieses brüchigen Textes, der unter seinem Namen zirkuliert - über den Schatten der „Survivals"-Lehren, die ihm solche „Regressionen" eigentlich verboten, gesprungen zu sein. Und es gibt im übrigen durchaus eine Deutung des Zeremonialzyklus der Hopi, die fünfzig Jahre später zu einer analogen Aussage zur Negation des Opfers bei den Hopi gelangte, nämlich die von Richard M. Bradfield (1973:414ff).42 Trotzdem wird man Warburgs Sicht des Schlangenrituals nicht einfach als eine gelungene oder mißlungene Theorie des negierten Opfers bezeichnen können. Es handelt sich gerade in dieser Schicht des Textes um eine klassische Spielart der modernen Reiseliteratur, nämlich um einen Persischen Brief an und aus Europa, eine unterirdische Reise zurück von der Kiva der Pueblos, über einen imaginären Kult des Asklepios von Kos, in die Krypta der europäischen Geschichte, in deren Zentrum - wie Charlotte Schoell-Glass in mehreren Publikationen gezeigt hat (SchoellGlass 1990, 1998) - für Warburg die jeweilige Uminterpretation der rituellen Ordnung der
Dionysos (210), die gnostische Eucharistie (211), Mexiko und die Pueblos (22Iff), Schlange und Menschenopfer (220). - Warburgs Interesse in seinem Kreuzlinger Vortrag läuft allerdings diametral entgegengesetzt zu Bourkes Durchführung: nämlich einen Schlangenkult ohne und gegen Opfer herauszustellen. 39 Der Schlangentanz der Hopi ist für Warburg weder Mimesis noch Opfer, und bezieht daraus die zentrale Stellung für seine Überlegungen. (Eine Negation dessen, was René Girard wiederholt als die mimetische Gewalt des Opferns dargestellt hat.) 40 Die Figuren der „Verleihung", die Warburg während seiner amerikanischen Reise entwickelte, werden im Kreuzlinger Vortrag nur indirekt zitiert, stehen aber in dessen Zentrum - im Bild vom Hopi-Schlangentänzer. 41 Hans-Ulrich Sanner teilt mir folgenden linguistischen Hinweis mit: „Das Hopi-Wort für .Schlangentänzer' ist tsu'sona bzw. tsutsu'sona, wörtlich: ,einer, der gern Schlangen in den Mund nimmt'. Das Suffix sona impliziert eine (orale) Versessenheit auf etwas, meist Essbares, im Sinne von ,verrückt nach etwas sein'. Vgl. Malotki: Hopi-Raum, S. 367." (eMail vom 30. 3. 2003). 42 Die Verbindung der Pueblogesellschaften mit den untergegangenen mittelamerikanischen Reichen war zu Warburgs Zeit ein Arbeitsgebiet auch und gerade der deutschen Amerikanisten. Entsprechende Verweise auf einen gemeinsamen amerikanischen ,Kulturkreis' finden sich daher zeitgleich mit Warburgs ominösem Verweis zu „den blutigen Wurzeln des Kultes" (40) bei Ernst Cassirer (1956:29f). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
Das Schlangenritual der Hopi und Aby Werburgs Kreuzlinger Vortrag
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Eucharistie stand, die in der europäischen Geschichte seit der Einführung des FronleichnamFestes über das Verhältnis von Christen und Juden mitentschied. Daß Warburg die „Erlösung vom blutigen Opfer" in diesem Kreuzlinger Moment jenseits oder auch diesseits der griechischen und der christlichen Ikonographie ansetzt, vor die Griechen zurückgeht, beweist erneut, wie Saxl feststellte, daß seit 1890 nur die reale oder imaginäre Reise in ein außereuropäisches heidnisches Land einen wirklich universalen Aufschluß zur Theorie des Opfers versprechen konnte, wie bei Robertson Smith, James Frazer oder Marcel Mauss und Emile Durkheim auch. Und wenn ich oben die journalistischen, touristischen und ethnographischen Darstellungen der Reisen zum Schlangenritual - seit John G. Bourkes Buch - als teils gewollte, teils ungewollte Travestien oder Parodien der zugrundeliegenden Schlangenklan-Mythe charakterisiert habe, als kulturheroische Begründungsakte der Gegenseite, so wird man für Warburgs Text sagen können, daß in ihm diese teils gewollte, teils ungewollte Parodie auf die heidnischen und christlichen Genealogien Europas zurückschlägt. Der Gang zu den „unterirdischen Indianern" dient hier weniger zur Begründung als zur Bewertung der europäischen Schlangenmotive aus einem außereuropäischen Ritual. Der Urtext der „Erlösung vom blutigen Opfer" findet sich für dieses Mal in Oraibi, in einem heidnischen Ritual; auf diese Erlösung hin lassen sich Antike und Christentum auslegen.43 Zumindest für diese Figur wird man daher sagen können, daß Warburgs Text innerhalb des Genres der Schlangenritual-Darstellungen eine Innovation darstellt, und zwar eine mythographische und ikonographische Innovation, die auf Bourkes ursprüngliche komparatistische Fragestellung zurückgreift: die kulturheroische Parodie kippt hier um in einen Persischen Brief, der für Europa fragt, ob und wie die „Erlösung vom blutigen Opfer" möglich war oder sein wird. In dem Heiligtum des Asklepios in Kos in Kleinasien stand der Gott in menschlich verklärter Form als plastische Götterfigur, in der Hand den Stab, um den sich die Schlange ringelt. Aber sein eigentlicheres und mächtigeres Wesen war in diesem Heiligtume nicht in einer toten steinernen Maske vorhanden, sondern es lebte als Schlangentier im Innersten des Heiligtums fort und wurde hier im Kultdienst gefüttert, gepflegt und behandelt, wie nur die Mokis die Schlangen pflegen können.
43 Im ersten Entwurf für den Kreuzlinger Vortrag („First Draft with discarded parts in order of dictation", Warburg-Archiv im Warburg Institute, London, Sigle III.93.3.1) findet sich eine längere Passage zur tropologischen Denkweise der mittelalterlichen Theologie. „Der Grundgedanke ist bei dieser Tropologie: Wie schied das blutige Schlachtopfer der heidnischen Vorzeit aus als tägliche, unbedingte Vermittlungshandlung zwischen Gläubigem und Gottheit - und zu diesem Zweck wurden die durch die Bibel vermittelten Tatsachen theoretisch gegliedert." (Ebda., 63) Gegliedert in drei Zustände: sub natura, sub lege, sub gratia (ebda.); entspricht in der Tropologie einer heidnischen, jüdischen und christlichen Welt. - Man kann daher sagen, daß Warburg an diese Frage und ihre ,.Denkweise" ganz bewußt anschließt, und zwar nicht nur, indem er die Typologese der ehernen Schlange für Christi Opfertod kommentiert, sondern indem er durch den Hopi-Schlangentanz ein eigenes typologisches Motiv für dieselbe Frage („Wie schied das blutige Schlachtopfer der heidnischen Vorzeit aus"?) entwickelt, das allerdings der mittelalterlichen christlichen Fassung des Zustands „sub natura" diametral widerspricht. Übrigens hat der einzige deutschsprachige Amerikanist des 20. Jahrhunderts, der zugleich als Renaissanceforscher explizit an die Forschungen Warburgs und Bolls anknüpfte, in einem Beitrag zur Unterscheidung „sub natura - sub lege - sub gratia" darauf hingewiesen, daß erstmals in der italienischen Renaissance der Zustand „sub natura" oder „sub lege naturae", und mit ihm mehrere Textgruppen heidnischer Überlieferungen (für eine sehr kleine Gruppe von Humanisten) zu einer gleichberechtigten Offenbarungsquelle deklariert wurden. Karl Anton Nowotny (1969:insb. 152) (zu Agrippa); zur Stellung der Warburgschule und der Heidelberger Boll, Bezold, Gundel: ebda., 143.
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Warburg behauptet hier und dann durch ein spanisches Kalenderblatt aus d e m 13. Jahrhundert, daß im „Kult v o n K o s Handlungen als Kultakte" geschahen, „die identisch sind mit den drastisch-magischen Annäherungsversuchen der Indianer an die Schlange. D a ist der Tempelschlaf, die Schlange, w i e sie in Händen getragen wird und w i e sie als Quellgottheit verehrt wird." (48) (Hvhbg. E.Sch.) 4 4 D i e mythische Reise zu den Schlangenmenschen und -müttern wird in dieser Version Warburgs zur unterirdischen Reise einer reinen Kunstfigur, nämlich zu einem HopiAsklepios, den Warburg in K o s ansiedelt, und der sich aus antiken Quellen (soweit ich dies rekonstruieren kann) für K o s nicht belegen läßt. Im Wechsel v o m „Mutterrecht" der Hopi zu den männlichen Heiler- und Leidensgestalten Europas geht Warburg zur o f f e n e n Fiktion über - oder zumindest zu einer Aufpfropfung des griechischen Schlangenheilgottes und seiner verstreuten Textstellen durch das g e w o n n e n e Hopi-Bild. Ein neues Bild des griechischen Heilgottes ist entstanden, durch einen unterirdischen Transfer der Schlangen und ihrer Totenseelen v o n Oraibi nach Athen. Oder, w e n n man versucht, die Orte und Quellen dieses Transfers philologisch zu präzisieren: von Walpi und Oraibi nach Epidauros (vgl. Edelstein und Edelstein 1945:360-369, B d . l ) , und v o n F e w k e s und V o t h über die Survivals-Lehren des 19. Jahrhunderts z u m chthonischen Ursprung der griechischen Religion bei Jane Harrison. 4 5 Aber dieser religionswissenschaftliche Transfer gewinnt auf seiner unterirdischen Reise eine eigene heilsgeschichtliche oder heidnisch-messianische Schattierung, denn der von Warburg entworfene Asklepios ist nicht nur der antike Heilergott, sondern auch ein
44 Warburgs Aufzeichnungen lassen keinen Zweifel daran, daß es ihm auf diese Identität von Hopi- und griechischen Zeremonien ankam (vgl. „First Draft", 49). 45 Im Original des Kreuzlinger Vortrags heißt es von Asklepios: „Er findet seine früheste Verehrung * als Schlange. Was sich um seinen Stab ringelt, das ist * er selbst, nämlich die abgeschiedene Seele des Verstorbenen, die in Gestalt der Schlange fortdauert und wieder erscheint." (Ms. des Kreuzlinger Vortrags, Warburg-Archiv im Warburg Institute, London, III.94.1, S. 55; vgl. (48)) Unten auf der Seite steht zur Erläuterung: „* Harrison Prolegomena". Nach Jane Harrison lebten die Seelen von verstorbenen Helden als Schlangen an ihren griechischen Kultorten weiter, Asklepios war ursprünglich ein solcher (Heiler-) Held (vgl. Jane Harrison 1922:325ff (der tote Held als Schlange), 340ff (Asklepios, der Heilerheld in Schlangengestalt), 342f der (von Warburg herbeizitierte) Tempelschlaf bei Asklepios). - Ein doppeltes „Überlebsel", könnte man sagen: das „Überlebsei" des Helden als Schlange, und das „Überlebsel" der matrilinearen Schlangenverehrung in männlicher Gestalt. Vgl. zu Jane Harrisons „von Robertson Smith' Totemismus-Theorie beeinflußte Auffassung vom Theriomorphismus als einem dem Anthropomorphismus vorhergehenden primitiven Stadium der griechischen Götter und Geister - insbesondere ihre Verehrung in Schlangengestalt": Schlesier (1994:130). (Zu Jane Harrison: ebda., 123-192; zur Schlangenfaszination Harrisons vgl. 166f, Anm. 67; zur Schlangengestalt der Erinnyen bei Harrison 171, Anm. 78). Außerdem bleibt zu bedenken, daß Cassirer in seinem Vortrag über die ,Begriffsform im mythischen Denken' den .Totemismus' der Pueblogesellschaften mit der Denkform der Astrologie identifiziert hatte. Warburg konnte sich daher mehrfach legitimiert fühlen, vom mittelalterlichen Asklepios zu schreiben: „Er ist von Schlangen umwunden und gilt nun als Gestirn, unter dessen Einfluß die Propheten und Ärzte geboren werden. Durch diese Verstirnung wird der Schlangengott zum verklärten Totem." (49) D.h. wenn man diese spekulative „Denkform" Warburgs mit ihren gesamten Wolkenbildern rekonstruieren möchte, käme man vermutlich zu folgender Formel: die „ursprüngliche (matrilineare) Denkform" der Schlangenkulte (nach Harrison; und der Hopi in Warburgs Sicht) setzt sich erneut als astrologisch-totemistische Denkform (im Sinne Cassirers) durch, und ist spätestens hier patrilinear und männlich besetzt: „Durch diese Verstirnung wird der Schlangengott zum verklärten Totem. Er ist der kosmische Vater derer, die in dem Monat geboren werden, wenn er die höchste Sichtbarkeit hat." (49f) (Auch die astrologische Verknüpfung von Luthers Geburt mit einem Planetenpaar wird von Warburg bereits (vor Cassirer) „eine fast totemistische Verknüpfung" genannt. Vgl. Heidnisch-antike Weissagung: 267).
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erster Heiland des Abendlands: „Seine Züge sind die Züge, die in der klassisch-plastischen Kunst der Weltenheiland trägt." (46) Und dieser messianische Asklepios - der Hopi-Asklepios - dient Warburg zugleich als ein neuer Reiseführer, durch die Offenbarungsreligionen seinen Weg nach Kreuzlingen zurück zu finden: in die Ölbergkapelle der Kirche von Kreuzlingen, in der Warburg (gar nicht weit entfernt von seinem Sanatorium) „über der Kreuzigung" in Gestalt der ehernen Schlange „die Anbetung dieses heidnischen Idols mit einem Pathos, das dem der LaokoonGruppe nichts nachgibt" (54), wiederfindet. Die mythische Reise des Schlangenklans, ihre mythische Parodie und heilsgeschichtliche Wiederholung, und die eigene Reise haben sich auf diesem Wege verschmolzen: in Kreuzlingen laufen sie einander über den Weg.
5. Die theurgische Heilung und das Wesen der Kunst Es fällt heute leicht, Warburgs Persischen Brief und seine zuerst amerikanische, dann europäische Reise wissenschaftlich auseinanderzunehmen. Relativ ungeschützt werden hier Konjekturen hergestellt, wie sie innerhalb der viktorianischen Ethnologie und Altphilologie gängig waren; die entsprechende Denkform ist daher ohne weiteres aus ihren Quellen zu rekonstruieren. Allerdings fehlen die komparative Sättigung und/oder philologische Verdichtung, die ein solches Verfahren (mit besonderer stilistischer und gedanklicher Eleganz in Großbritannien) zu einem wissenschaftlichen Gewinn machen konnten, die davon überzeugen, daß es tatsächlich einen konsistenten Gegenstand gibt, sei es der Imagination, sei es der Geschichtsschreibung, den dieser Text greifbar macht. Und was man den entsprechenden viktorianischen Texten zum Vorwurf gemacht hat, gilt hier erst recht: das Gelingen einer Konjektur wird für die nächste bereits vorausgesetzt, es soll eine Kette von unverbrüchlichen Konjekturen hergestellt werden, die erst bei Gelingen aller Konjekturen eine plausible Geschichte ergeben könnte; aber in Wirklichkeit wird die Schwäche und Unwahrscheinlichkeit durch das freischwebende Verfahren der Konjekturen keineswegs minimiert oder ausgeglichen, sondern multipliziert, bis die Gesamtgeschichte als philologisches Wolkenbild erscheint und sich in Nebel auflöst. Dennoch wird dieser Text Gegenstand einer Auslegung bleiben, und zwar nicht als jener wissenschaftliche Text, an den auch Warburg nicht ganz geglaubt zu haben scheint,46 sondern - wie seine Mnemosyne auch - als eine besondere Form der Bildherstellung im Raum „zwischen Religion und Kunstausübung", zwischen der Religion der Hopi und den Bildern der Kunstausübung Europas, die beide in Warburgs Text beschworen werden. Es gab (und es gibt) das Schlangenritual der Hopi; es gab einen weltweiten touristischen und ethnographischen Transfer der Bilder vom Schlangentanz der Hopi; und es entstand Warburgs Vor46 Vgl. Warburgs Brief an Saxl vom 26. 4. 1923, und seine Einschätzung, daß „dieser Vortrag so formlos und philologisch schlecht fundiert ist, dass nur in dem Zusammensehen einiger Dokumente zur Geschichte des symbolischen Verhaltens ein - auch noch fragwürdiger - Wert vorhanden ist. Um diesen glaubwürdig darzustellen, bedarf es aber einer nochmaligen gründlichen Durcharbeitung." (60) Außerdem die drastische reptilische Selbstaussage: „diese gräuliche Zuckung eines enthaupteten Frosches" (ebda.). - Zu Beginn der vorbereitenden Aufzeichnungen für den Kreuzlinger Vortrag heißt es: „Ich will, daß auch nicht der leiseste Zug blasphemischer Wissenschaftlerei in dieser vergleichenden Suche nach dem ewig gleichen Indianertum in der hilflosen menschlichen Seele gefunden werden kann." (III.93.4,1 B) D.h. vor und nach dem Kreuzlinger Vortrag wurde die Kategorie der zünftigen „Wissenschaftlichkeit" von Warburg als für sein Vorhaben unangemessen empfunden - wenn auch aus verschiedenen Gründen.
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trag mit seinen Lichtbildern. Warum soll man für diesen Transfer und seine historische Begebenheit nicht erst einmal jene Frage stellen, die auch Warburgs Text für seine imaginäre Weltgeschichte stellt: was wird aus dem Symbol des Schlangentanzes und seinem zentralen Bild und „Kodak moment" in der damaligen Reise von A nach B, vom Land der Hopi nach Kreuzlingen, von Arizona bis in Warburgs Text? Man stößt dann nämlich auf eine erstaunliche Konstanz des Symbols, und man stößt auf eine Konfiguration - oder eine ganze Handlungsweise - die nicht mehr in jener literarischen und wissenschaftlichen Diegese aufgeht, die ich oben als wissenschaftliche Travestie einerseits, und als mythische Parodie andererseits gekennzeichnet habe. Warburg orientiert sich durchaus am populärsten massenmedialen Bild vom Schlangentanz und dessen Erfolg in der damaligen westlichen Welt. Seine Reise geht ihrem Anschein nach vom exoterischen Pueblobesuch zum esoterischen Zentrum, dadurch aber zum (damaligen) populärsten Bild der Hopi überhaupt, zurück zum Klischee. Auch bei Warburg steht im Zentrum der Betrachtung: der spektakuläre Tanz mit der Schlange im Mund. Und sollte man für diesen Akt und für seine Bilder nicht sagen können, gerade zwischen Oraibi und Kreuzlingen, von A nach B, ein Teil ihrer symbolischen Valenz habe sich trotz aller Fehldeutungen erhalten? Der kontrollierte Tanz mit der Schlange, zumal mit der giftigen Schlange im Mund bleibt ein Bild für Unerschrockenheit, bleibt eine Bannung von Furcht und Phobie - denn zumindest Furcht und Ekel vor Schlangen sind in diesem Bild und seinem Tänzer sichtlich aufgehoben, und dazu bedarf es, wie jeder weiß, der sich einmal unvermutet einer Schlange gegenübergesehen hat, außergewöhnlicher Fähigkeiten, die durch einen Schlangentanz auf die Probe gestellt werden. Warburg benennt diese außergewöhnlichen Fähigkeiten im „Ersten Entwurf' seines Kreuzlinger Vortrags als ein Gefeit-Sein, und durch diese Eigenschaft sagt er sehr genau, was er von der Symbolkonstanz oder von der „Unzerstörbarkeit" des Schlangensymbols erhoffte. „Wer gefeit gegen die Schlange ist, der ist in den Augen der antiken europäischen wie in denen der indianisch-amerikanischen Welt ein dämonisch Gefeiter." (Warburg: „First Draft", 52) Sei es Asklepios, sei es Paulus, oder sei es der Schlangentänzer der Hopi. Im Text zum Schlangenritual nennt Warburg dies „die Immunität der Glaubensstarken" (51). Was bedeutet diese Hoffnung auf eine solche „Immunität" für den Kreuzlinger Vortrag? Heilung, ihre Personifizierung im Heilgott Asklepios und ihre theriomorphe Gestalt in dessen Schlange, war ein Thema des Vortrags, und das Bild des griechischen Asklepios gewann eine neue Gestalt durch das Schlangenritual der Hopi. Aber Heilung war auch das Ziel dieses Vortrags: Warburg wollte als Geheilter oder zumindest als Genesender aus Kreuzlingen entlassen werden, das war seine große Hoffnung. Zwischen Thema und Zielsetzung des Vortrags - „Heilung" - stand der Vortrag selbst: die Probe des wissenschaftlichen Vortrags, den Fritz Saxl mit Warburg erarbeitete, und der die Befähigung (also die beginnende Heilung) beweisen sollte. Und Warburg war, wie bereits erwähnt, durch diesen Vortrag Subjekt und Objekt anthropologischer Forschungen: Objekt der psychiatrischen Untersuchung, aber auch der anthropologischen Forschungen Binswangers, und Subjekt eines ebenso grundsätzlichen anthropologischen Vortrags. Welches Thema, und welche Operation konnte in Kreuzlingen den Seitenwechsel vollziehen, zwischen entmündigtem Subjekt und wissenschaftlichem Subjekt, zwischen „sujet" (die Pueblobewohner) und Objekt der anthropologischen Wissenschaften? In welcher Figur des Heilers (und seines Patienten) kann eine historische Betrachtung des Kreuzlinger Vortrags das gewinnen oder fixieren, was Warburg in der anthropologischen ,Figur des Heilers' (komplementär zu seinem Status als anthropologischer Patient) damals beschwor? Durch die Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
Das Schlangenritual der Hopi und Aby Werburgs Kreuzlinger Vortrag
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Forschungen Dorothea McEwens ist neues Licht auf diese Fragen gefallen. Der Text des Kreuzlinger Vortrage kann in Zukunft nicht mehr als eine geheimnisumwitterte Selbstheilung Warburgs beschrieben werden, sondern nur noch als das Ergebnis einer siebenwöchigen Zusammenarbeit von Aby Warburg mit Fritz Saxl, und er hieß zuerst weder „Schlangenritual" noch „Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika",47 sondern „Die Logik in der Magie des primitiven Menschen". Das hieß zum einen: es handelte sich um einen Versuch, in der philosophischen Diskussion um das primitive Denken, zwischen Lévy-Bruhl und dem Hamburger Institut mit Ernst Cassirer zumindest probeweise wieder mitzumischen - und zwar insbesondere für die Kategorie der „Kausalität", über die Warburg seit den 1890ern räsonniert hatte, und deren Entstehung Cassirer in seinem Hamburger Vortrag zur „Begriffsform im mythischen Denken" bereits in einer Isomorphic - einer gemeinsamen „Denkform" - zwischen Pueblokosmologien und europäischer Astrologie zu fixieren versucht hatte. Der Kreuzlinger Vortrag fügt dieser Fixierung - ebenfalls zwischen Pueblos und Astrologie - eine gewisse Modifikation zu, die aber für die damalige Zeit keineswegs ungewöhnlich war. „Der Maskentanz ist getanzte Kausalität" (54) - auch der Schlangentanz. D.h. die Kategorie der Kausalität entsteht in diesem Text, wie auf andere Weise in der Durkheimschule bei Mauss und Hubert, aus magischen Tanzbewegungen und deren kosmologischer Verankerung. Magie und deren Logik war das wissenschaftliche Thema dieses Vortrags; und wie ein Brief Saxls an Max Warburg aus der Arbeit am Vortrag berichtet, handelte es sich in der Thematisierung von Magie zugleich um das, was zwischen Subjekt und Subjekt, „sujet" und Objekt der Forschungen vermitteln sollte: es handelt sich ihm darum die Ergebnisse seiner Reise zu den Pueblo-Indianern - die nun bald dreissig Jahre her ist, in sein wissenschaftliches Leben aber die entscheidende Wendung gebracht hat - neu durchzudenken und auf Grund dessen, was er in all den Jahren sich erarbeitet hat, neu zu formulieren. Den Sinn des primitiven, des magischen Denkens, dem er als Kranker wieder verfallen ist, sucht er begrifflich zu fassen. Dieses Ringen um die Erkenntnis der Logik des primitiven Menschen ist ein Einsichtsversuch in das eigene Wesen.48 Warburgs Sicht der Magie war in all seinen veröffentlichten Schriften von Angst geprägt, Magie bedeutete Furcht, Fatalismus und Unfreiheit; Warburgs Sicht von magischen Praktiken kam daher - trotz seiner bahnbrechenden Studien zum Zusammenhang von Astrologie und Kunstgeschichte - über eine Verdammung dessen, was einer Fortschrittsgeschichte zur „Vergeistigung" der Religion als „Aberglaube" erscheinen muß, nicht hinaus. Nur im Schlangenritual und für die Pueblos findet sich die Formulierung einer bei Warburg außergewöhnlich positiven Einschätzung der Magie: „Uns erscheint dieses Nebeneinander von fantastischer Magie und nüchternem Zwecktun als Symptom der Zerspaltung; für den Indianer ist es nicht schizoid, im Gegenteil, ein befreiendes Erlebnis der schrankenlosen Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und Umwelt." (10) Wie kam diese partielle Umwertung der Magie, zumindest der ursprünglichen und totemistischen Magie, zustande? Dorothea McEwans Rekonstruktion der Arbeit am Schlangenritual verweist darauf, daß hier zwei Personen zusammenarbeiteten, die sich im Verlauf mehrerer Wochen „gegenseitig befeuert
47 Dies ist der Titel, den Warburg dem Vortrag in seinem Brief an Saxl am 26. 4. 1923 verleiht (60). 48 Saxl an Max Warburg, Brief vom 8. 4. 1923, Warburg-Archiv im Warburg Institute, London. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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haben",49 bis ein Text entstand, den man vermutlich in Zukunft weder dem einen noch dem anderen wird ganz zurechnen oder absprechen können. Nicht nur Warburgs Sicht der Magie, sondern auch Saxls Sicht ist daher zur Einschätzung der Magie des Schlangenrituals gefordert. Saxl schreibt 1922 - anläßlich seiner großen Hommage an Warburg, einer Zusammenfassung von Warburgs Forschungen - zum Picatrix, „ein magisches Handbuch, wenn nicht das magische Handbuch des späteren Mittelalters" (Saxl 1992:355): Der Zweck eines solchen Zauberbuches ist, Kenntnisse zu vermitteln über die innerste Natur des Kosmos, die dem Menschen, dem Mikrokosmos es gestatten, sich in den Makrokosmos so einzufügen, daß er dessen Kräfte sich nutzbar machen kann. Der Picatrix besteht daher einmal aus ernsthafter theoretischer Kosmologie und dann aus deren Anwendungen, die wir praktische Magie nennen. Ein integrierender Bestandteil dieser Magie ist das Bild. Bilder in Stein graviert und getragen oder an bestimmten Orten angebracht, haben geheime Kräfte. Das Bild zwingt die Kraft Gottes herbei, vorausgesetzt, daß es in bezug auf den Makrokosmos richtig angefertigt ist, d.h. daß das Material, aus dem es angefertigt wurde, der Tag und Stunde [sie] seiner Erzeugung zum Wesen des Gottes passen, dessen Abbild gemacht wird. (Saxl 1992:356) Saxl definiert hier für den Picatrix das, was in der Magietheorie mitunter „Theurgie" genannt wird, und was in jeder Religion, auch und gerade in den monotheistischen Religionen, als irreduzibler magischer Kern erhalten bleibt.50 Theurgische Theorien der Bildherstellung scheinen Saxl in dieser Zeit beschäftigt zu haben; in seinen Briefen findet sich im Jahr 1921 ein sehr aufschlußreicher Gedankenaustausch, der in die entsprechende Picatrix-Passage eingeflossen zu sein scheint.51 Man kann daher davon ausgehen, daß Saxls Sicht der Magie 49 So Dorothea McEwan in einer mündlichen Formulierung, bei einem Gespräch im Warburg Institute, London, am 3.12. 2002; mit herzlichem Dank fiir geschehene Hilfe und gemeinsame Entzifferung zitiert, E.Sch. 50 So Bernhard Lang (1998:316, 313-396). Vgl. zur Korrektur der aktivistischen Sicht Saxls die etwas umsichtigere Formulierung Langs: die Theurgie „erhielt ihren Namen im 3. Jahrhundert n. Chr. von neuplatonischen Philosophen wie Porphyrios [...]. Der Ausdruck bedeutet ,göttliche Handlung' und läßt sich als ,heiliges Ritual' umschreiben. Er soll andeuten, daß jemand ,νοη den Göttern behandelt wird' und nicht umgekehrt, daß jemand an den Göttern handelt oder sie zu etwas zwingt. Theurgische Handlungen zielen darauf ab, eine Gottheit oder übernatürliche Macht in einem materiellen Gegenstand wie beispielsweise einer Statue zu vergegenwärtigen oder deren Herabsteigen in eine in Trance geratende Person zu bewirken." (316). 51 Saxl fragt Adolf Grünwedel in einem Brief vom 8. 8. 1921, „ob es vielleicht aus tibetischem oder indischem Sprachgebiet irgendetwas über das gibt, was wir Kunsttheorie nennen; also über Kunstausübung oder Künstlererziehung". Grünwedel antwortet in einem Brief wenige Tage später: „Kunsttheorien gibt es sowohl bei den Lamas, wie besonders bei den Jainas, aber auch bei den Brahmanas. Die Grundlage ist aber grundweg ritualistisch, die richtige Form sichert die Belebung durch den Gott; insofern enthalten die allen indischen Litteraturen geläufigen Strotras an die Götter und die Beschreibungen der Götter in den Tantras auch die Aesthetik ihrer Darstellungen. Die Zauberlitteratur ersetzt also rein praktisch das, was wir Asthese [sie] nennen." Grünwedel verweist als Referenz auf Laufers Buch Citralaksana; es müsse allerdings überarbeitet werden. - Saxl schickt Grünwedels Brief am 16. 8. 1921 an Junker mit folgendem Kommentar: „Grünwedel hat mich ausgezeichnet verstanden, denn ich hätte ja selbst daran denken können, dass östliche Aesthetik Magie ist. Ich bin nun doppelt gekränkt, das [sie] scheinbar die Texte mir völlig unzugänglich sind." Und Saxl antwortet Grünwedel am 23. 8. 1921, nach Studium von Laufers Buch: am meisten interessiert habe ihn, „dass es die Grundidee der religiös tibetanischen Malerei bildet, dass der Künstler Gottheiten und Dämonen bannt oder in seine Gewalt bringt, indem er sie malt. Es ist zum verzweifeln, dass man für diesen kunstgeschichtlich und ästhetisch so unerhört wichtigen Gedanken keine Belegtexte als Kunsthistoriker
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i m Zeitraum nach 1921 nicht ganz mit Warburgs Sicht übereinstimmte: sie betont die theurgische Aktivität (und mit ihr auch den Optimismus) dessen, der die Götter oder Gottes Kräfte beschwört; und sie erkennt in der M a g i e - zumindest im Briefwechsel von 1921 - kein e s w e g s nur die von Warburg immer wieder betonte magische „Zerstörung des Denkraums" (Warburg 1992:202f), sondern sieht in der magischen Bildherstellung - vermittelt durch eine Kenntnis der außereuropäischen Literatur aus zweiter Hand („nur aus den asiatischen Quellen zu verstehen") - sogar eine Wesensbestimmung , j e d e r echten Kunst", einen Ursprung der Kunstliteratur und der Kunst selbst. Zudem läßt sich in Panofskys und Saxls Studie zu Dürers ,Melencolia I' 5 2 nachlesen, daß hier die magischen Praktiken der Astrologie etwas anders historisiert und differenziert werden, als dies bei Warburg der Fall ist. Sie unterscheiden (mit Recht) zwischen einer antiken und einer neuzeitlichen Auffassung der Astrologie, und historisieren dabei auch die Kategorie der Kausalität, und zwar sehr viel umsichtiger als Cassirer, dem es in den entsprechenden Ausführungen vor allem auf die philosophische Identität dieser Kategorie in allen ihren Verkleidungen ankam (Cassirer 1956:34). 5 3 D a s kausale Moment der Astrologie sei „zunächst anthropomorph-mythologischer Natur" (Panofsky und Saxl 1923:41, Anm. 3). D i e Götter verlieren ihre Handlungsfähigkeit nicht, und sie können miteinander in Konflikt geraten. Sie sind Planeten und Götter. „Es ist bei dieser Doppelnatur der astrologischen Potenzen nicht mehr als folgerichtig, w e n n man die , Planetenherrscher' gleich wirklichen Göttern für erbittlich hielt und mit Gebet und Opfern ihnen huldigte" (Panofsky und Saxl
erreichen kann. Seit Jahren habe ich unpublizierte Texte von Steinbüchem des Mittelalters hier liegen, in denen bekannte antike Kunstwerke zu magischen Zwecken verwendet werden. Aber das ist nur aus den asiatischen Quellen zu verstehen, und die sind dem bescheidenen Kunsthistoriker unzugänglich." - Und in einem Brief an Bruno Adler vom 19. 8. 1921 paraphrasiert Saxl ebenfalls Laufer: „dass die geistige Grundlage der religiösen tibetischen Malerei die Idee bildet, dass der Künstler Gottheiten und Dämonen bannt und in seine Gewalt bringt indem er sie malt. Der gute Laufer ahnt offenbar gar nicht, dass er damit doch nicht das Wesen der tibetischen und chinesischen Kunst bloss kennzeichnet, sondern in unerhörtester Weise das Wesen jeder echten Kunst." (Alle Briefe im Warburg Institute, London.) 52 Bekanntlich hätte Warburg diese Studie schreiben sollen; Saxl und Panofsky schrieben daher in mehrfacher Hinsicht an seiner Statt (vgl. Panofsky und Saxl 1923). 53 Astrologie rühre aus einer „Denkform" mit „Erklärungen", „die, wie unsicher und haltlos sie im einzelnen erscheinen mögen, doch dem allgemeinen Typus des ursächlichen Denkens, des kausalen Folgems und Schließens, angehören." Cassirers Vergleich zwischen Pueblokosmologien und astrologischen Symbolschemata ist dementsprechend vor allem eine Subsumtion unter diesen „Typus" bzw. dessen „Denkform". - Das Grundprinzip der „magischen Kausalität" sei „pars pro toto" (Cassirer 1956:48); Ursache und Wirkung seien darin „konkret" begriffen (36); analog zu Warburgs Einschätzung der Astrologie (52) bewirke die astrologische Denkform eine „Fatalität des Seins" (53). Diese philosophischen Einschätzungen - der Kausalität, der Magie, des Vergleichs von Kosmologien - sind für kulturwissenschaftliche Untersuchungen wenig hilfreich. Das durkheim-mauss'sche Unternehmen der sozialen Historisierung und Heteronomie philosophischer Kategorien soll radikalisiert entsoziologisiert werden (28f), dabei bleibt auch die Historisierung auf der Strecke; an ihre Stelle tritt bei Cassirer die Subsumtion unter einen „Typus" und dessen Dichotomisierung. Auch Lévy-Bruhls verunsichernder Entwurf der prälogischen „participation" wird von Cassirer dahingehend neutralisiert, daß hier in jedem Teil nur noch die Identität des Ganzen zur Geltung komme - bis zu der absurden Zuspitzung: „Unser Verfahren ist daher, wie die Mathematik es charakteristisch bezeichnet, das Verfahren der Integration, des konstruktiven Aufbaus der Erkenntnis des Ganzen aus der Erkenntnis der Teilbedingungen, - ihr Verfahren besteht darin, daß sie es zu .Teilen' des Seins überhaupt nicht kommen läßt, daß sie über alle empirischen Unterschiede und Trennungen hinweg die Identität des Seins mit sich selbst, die Identität seiner reinen Grundgestalt behauptet." (38) Zusammengefaßt: Cassirer schreibt den Primitiven jene ganz besonders starre Identitätsphilosophie zu, die er fur die philosophischen Kategorien (durch eine Spiegelung zwischen mythischen und neuzeitlichen Denkweisen) retten möchte.
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1923:41, Anm. 3).54 Diese Handlungsweise ist daher kein Fatalismus, und sie fuhrt zu jenen Adressierungen göttlicher Erbittlichkeit, die auch im Schlangenritual thematisiert werden: Opfer und Gebet. Erst durch die spätgriechische Naturwissenschaft trete eine andere Kausalität auf, die „energetisch-kosmische": „nun wirken die Sterne als Aussender von pneumatischen Effluvien", sind Emanationen des nous (Panofsky und Saxl 1923:41, Anm. 3). Durch diese Umdeutung der antiken Astrologie entsteht ein ,kosmologischer Dynamismus', der erst in jene neuzeitliche Astrologie führt, die Warburg und Cassirer (philosophisch irreführend) als „Fatalität des Seins" (Cassirer 1956:53) und (historisch ungenau) als „Fatalismus der hellenistischen Kosmologie" (Warburg 1992:202) beschworen. Die Umdeutung von den handlungsfähigen Sternengöttern zu den quasi naturgesetzlichen Effluvien schafft erst jene „Fatalität", von der Warburgs Text zur Heidnisch-antiken Weissagung (darin wieder historisch angemessen) handelte.55 „Vielleicht ist es gerade diese dem astrologischen Denken innewohnende Problematik gewesen, durch die die Astrologie zu Beginn der Neuzeit zu einer so gewaltigen geistesgeschichtlichen Bedeutung gelangt ist - diese eigentümliche Verbindung eines urtümlich-magischen Analogie-Denkens mit einer naturwissenschaftlich-kausalen Erklärung des Weltgeschehens, die auf eine (seit der Spätantike nicht ins Auge gefaßte) Möglichkeit hinwies, das Leben der Welt im Sinne einer naturimmanenten Dynamik zu deuten." (Panofsky und Saxl 1923:41, Anm. 3)56 Aus einem lockeren Verbund indeterministischer magischer Praktiken ist die neuzeitliche Vorstellung eines astrologischen Determinismus geworden. Der astrologische „Aberglaube" ist entstanden. Saxls Sicht magischer Praktiken war daher in mehrerer Hinsicht differenzierter und historisch genauer als Warburgs: Magie war für ihn insbesondere die theurgische Kraft von Bildern, diese war für ihn sogar eine Wesensbestimmung ,jeder echten Kunst"; und der neuzeitliche Fatalismus der Astrologie war ihm als ein unwahrscheinlicher europäischer Sonderweg durchsichtig geworden. Man wird daher eines Tages zu einer anderen Einschätzung des Kreuzlinger Vortrags übergehen können; und die Schwierigkeit wird darin bestehen, das angemessene Vokabular für die Zusammenarbeit von Saxl und Warburg zu finden. Aber ist dieses Vokabular nicht bereits im Kreuzlinger Vortrag überall vorhanden: „Die 54 Saxl teilt 1922 in seiner Zusammenfassung von Warburgs Studien mehrere Gebete an Kronos-Saturn mit (Saxl 1992:230f). 55 Diese verwickelte Lage muß schon deshalb historisch angemessen aufgeknotet werden, um jenen „Denkraum der Besonnenheit" einer „Verknüpfung von Kunstgeschichte und Religionswissenschaft" zu gewinnen, der bei Warburg postuliert und blockiert wird (vgl. Warburg 1992:267). 56 Diese Historisierung wirft ein anderes Licht auf Warburgs eigene Versuche, die auch ihn frappierende astrologische Hybridität der Renaissance und Reformationszeit zu charakterisieren (vgl. Warburg 1992:202f und passim). Man sollte allerdings noch einen Schritt weitergehen, um die ganze historische Ironie der warburgschen Einschätzung der Astrologie zu bergen. Eine wichtige Unterscheidung benennt Fritz Kramer im Vergleich von neuzeitlicher Astrologie und trobriandischer Gartenmagie folgendermaßen: „Europäische und trobriandische Magie unterscheiden sich gemäß der Zeitauffassungen, in deren Horizont sie stehen. Die astrologisch gedeutete Zeit ist gezählt, ein abgemessenes Kontinuum, in dem und gegen das die Idee des magischen Augenblicks ihren Ort hat; dort dagegen bestimmt die magische Zeremonie selbst den Zeitpunkt, da der trobriandische Mondkalender keine allgemein verbindliche Zeitmessung auferlegt." (Analoges gilt für den Jahreszyklus der Hopi-Zeremonien.) (Kramer 1981:423). - Es ist also eher die mathematische Zeitmessung selbst, mit ihrer Klassifizierung der determinierenden Gewalt astraler Kräfte, die aus der performativen und indeterministischen Magie kosmologischer Korrespondenzen - „ein befreiendes Erlebnis der schrankenlosen [aber sozial gebundenen] Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und Umwelt" (10) - den Schicksalsglauben und „Fatalismus" der neuzeitlichen Astrologie erzeugt, deren zugleich privatisierten und massenmedialen Charakter Warburg in Heidnisch-antike Weissagung offenlegte.
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Logik in der Magie des primitiven Menschen"? Dieses Vorhaben verschiebt die Frage der Interpretation: Was ist Magie in säkularer Umschrift, also für Ungläubige, die sich mit dem magischen Glauben anderer konfrontieren und ihn wissenschaftlich erforschen? Bronislaw Malinowski hat in seiner „Theorie des magischen Worts" die bis heute überzeugendste Antwort gegeben: In ihrem Kern, fast könnte ich sagen, in ihrem physischen Kern, ist Magie der Ausdruck menschlicher Hoffnung und Zuversicht, des Bedürfnisses nach einer moralisch vereinheitlichten Haltung gegenüber der Zukunft. [...] Die Kernworte [...] sind Segnungen, antizipierende Versicherungen von Prosperität und Überfluß, Exorzismen des Bösen und mythische Bezüge, die auf die Kraft der Vergangenheit zum Wohl der Zukunft zurückgreifen. Die Worte, auf die wir in der Magie stoßen, entsprechen dem, was in einer informellen Sprache erkennbar wäre als Ausdruck der Hoffhungen des Einzelnen, seines Vertrauens in die Kraft des Magiers, sich selbst und sein Gefolge durch eine schlechte Saison zu bringen, seiner Überzeugung, die Magie sei eine letzte Hilfe gegen Mißgeschick. (Malinowski 1986:180) Und laut Malinowski wird sich jede magische Handlung zumindest auf die kommunikativen Folgen für die Beteiligten richten: eine „Einstimmung" der Gefühlswelt, Konzentration und Optimismus (Malinowski 1986:180-182; vgl. Kramer 1981:422f). Zumindest Teile der Zusammenarbeit Saxls und Warburgs lassen sich daher wie folgt charakterisieren. Weil dieser Vortrag einerseits von Magie handelt, und andererseits eine Heilung bewirken sollte, dies aber tat, indem er auf kunstvolle Weise den griechischen Heilgott im Idiom der damaligen Hopiphilie beschwor, also eine einmalige wissenschaftliche Götterstatue aus Lichtbildern errichtete, kommen im Verlauf dieses Vortrags mehrere Kategorien magischer Heilung ins Spiel. Saxl war die erste dieser Kategorien gut bekannt: die theurgische Macht der Bilder, der Zusammenfall von Ästhetik und Magie in der magischen Bildherstellung. Vielleicht gab Saxl seine etwas differenziertere Sicht der Astrologiegeschichte auch eine Möglichkeit, den neuzeitlichen Fatalismus der Astrologie wieder zu relativieren, und durch die zugleich thematisierte und angewandte Theurgie des Schlangenrituals „ein befreiendes Erlebnis der schrankenlosen Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und Umwelt" zu betonen, das Warburg in seinen Ausführungen zur Magie bis dahin fremd geblieben war. Das Narrativ des Vortrags stellte eine zweite Kategorie her, die sich mit dieser theurgischen Funktion ergänzte, „mythische Bezüge, die auf die Kraft der Vergangenheit zum Wohl der Zukunft zurückgreifen": die Fusion von mythischer und eigener Pilgerfahrt, eine Überkreuzung verschiedener Reiserouten, die aber allesamt zurück nach Kreuzlingen führen: in eine Kirche, die Saxl und Warburg zusammen besucht hatten, und in der ihnen die Typologese der ehernen Schlange wiederbegegnete.
6. Ein Gefangener ist entflohen Warburgs unterirdische Reise hatte außer den Schlangen der Hopi und den von ihm explizit benannten europäischen Schlangen noch eine andere Vorlage, die durch die Kreuzlinger Durchführung vermutlich konterkariert werden sollte. Das Motto des Schlangenrituals zitiert bekanntlich nicht nur Goethes Faust, sondern mit ihm das Motto der letzten wissenschaftlichen Arbeit, die Warburg vor seinem Zusammenbrach fertigstellen konnte: aus „Es ist ein altes Buch zu blättern: / Vom Harz bis Hellas, alles Vettern" wurde „Es ist ein altes Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:07 PM
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Buch zu blättern, / Athen-Oraibi, alles Vettern."57 Der Vortrag des , Schlangenrituals' wurde durch dieses Motto als eine explizite Antwort auf die Arbeit zur Astrologie und Melancholie in der deutschen Reformationszeit und Renaissance plakatiert; „Oraibi" und dessen Regenmagie ersetzten den „Harz" und dessen deutsche Magie und Hexerei.58 An mehreren Stellen greift Warburg ganz explizit auf seinen Weltkriegs-Text zurück. Er schreibt: Stufe und Leiter „sind das Symbol für das erkämpfte Auf und Nieder im Raum, wie der Kreis - die geringelte Schlange das Symbol für den Rhythmus der Zeit ist." (23) Die Schlange zum Symbol fur den Rhythmus der Zeit zu erklären, ruft allerdings noch eine etwas andere Schlange auf, die als Symbol der Zeit diente, die „Zeitenschlange" als Attribut des Saturn, des Kronos in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Drucken, der aufgrund des Gleichlauts von „Kronos" und „Chronos" bereits in der Antike oft zum Gott der Zeitlichkeit erklärt worden war.59 Und es waren Saturn und dessen Saturnkinder, in deren wissenschaftlicher Aufarbeitung und Identifizierung Warburg in den Zusammenbruch des Ersten Weltkriegs und seiner eigenen Person geriet.60 Wenn man diese beiden Bilder nebeneinanderhält, den spätmittelalterlichen Kronos/Saturn mit seiner Zeitenschlange und das stereotype Bild vom Schlangenritual der Hopi, wie es seit Bourke überall in der westlichen Welt verbreitet wurde, hat man einen Schlüssel, zu welcher Bändigung (der Zeitenschlange) oder welcher energetischen Inversion (Saturns) die Ikonographie des Schlangenrituals der Hopi in Warburgs Kreuzlinger Deutung fähig sein sollte. Wenn man den Kreuzlinger Vortrag als einen magischen Akt interpretiert, so
57 Dieser Verweis des einen Mottos auf das andere ist bereits ausgiebig interpretiert worden (vgl. Böhme 1997:147; vgl. Weigel 1995:149-152). - Das Original-Ms. des Vortrage verweist übrigens zweimal explizit auf die Heidnisch-antike Weissagung, mit dem Verfassernamen: Warburg. 58 Bei dieser Umschrift von „Harz und Hellas" durch „Oraibi und Athen" stand übrigens vermutlich niemand anders als Edward Tylor Pate, der im Literaturverzeichnis von Fewkes' Walpi-Abhandlung folgendermaßen zitiert wird: „Tylor, E.B. Snake Dances, Moqui and Greek. ,Athens, like a Moqui village, was accustomed to the spectacle of dancers waving snakes in the midday streets.' Saturday Review. October 18, 1884. (Review of Bourke's Snake Dance.)" (Fewkes 1894:125). 59 Vgl. Panofsky (1961:73ff); zur ,Zeitenschlange' Warburgs, die meistens als ,Drache' bezeichnet wird: 74, Anm. 12. 60 Die Auseinandersetzung und Identifizierung Warburgs mit Saturn ist bisher nur in Bruchstücken überliefert, und verlangte eine eigene Konferenz. Was die persönliche Seite dieser Auseinandersetzung angeht, ist William S. Heckschers Aussage (aus den Erinnerungen anderer) bis heute die markanteste geblieben: „Seit Ende 1918 begann Warburg, sich selbst mit den dämonischen Kräften der alexandrinischen Planeten zu identifizieren. Von seinen Wahnvorstellungen überwältigt scheint er sich mit Kronos identifiziert zu haben. Er trug kleine Stückchen Schokolade in seiner Manteltasche, um sie als magisches Gegengift den kleinen saturnischen Opfern zu geben, denen er möglicherweise auf der Straße begegnete." (Heckscher 1979:122) Aby Warburg hätte im Weltkrieg eine Aktualisierung von Karl Giehlows Kommentar zu Dürers Melencolia übernehmen sollen. In diesem Kontext entstanden die Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten und mehrere Vorträge zum „Zeichen des Saturn". Einen Bericht über einen entsprechenden Vortrag gibt Hildebrandt (1918). - Aufgrund von Warburgs Erkrankung übernahmen Fritz Saxl und Erwin Panofsky die Ausarbeitung des Kommentars zu Dürers Melencolia (Panofsky und Saxl 1923). Hierfür korrespondierten sie mit Warburg auch während der Kreuzlinger Zeit über zentrale Aspekte des Themas, u.a. über die arabisch-aristotelische Prägung und das Thema der „Saturnkindschaft" (Saxl an Warburg, Brief vom 25. 1. 1921). - Zu den „Saturnkindern" vgl. das abschließende Hauptwerk der betreffenden warburgianischen Studien (Klibansky/Panofsky/Saxl 1990) sowie Zafran (1979). - Von Fritz Saxl ist mittlerweile eine entsprechend überdeterminierte Stellungnahme aus dem März 1923, aus seinem Kreuzlinger Aufenthalt, überliefert (bisher nur in italienischer Übersetzung): „Ma mi è ancora difficile pensare che Warburg possa ritornare. Certo, in qualche modo mi considera come suo figlio, ma è un duro padre-Saturno." (Saxl 2005:180) Vgl. Anm. 54.
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wird man durch die V e r w e i s e auf die Heidnisch-antike Weissagung neben der positiven Theurgie (des Asklepios) und der mythischen Charta der Pilgerfahrten auf eine dritte, eine apotropäische Kategorie gestoßen: der Zauber ist hier zugleich ein Gegenzauber, eine Bannung des unheilvollen D ä m o n s (Saturns), unter dessen Ä g i d e Warburg den Weltkrieg und dessen Folgen erfahren hatte. Warburg in Kreuzlingen, der Gefangene des Saturn. Die mündliche Liebkosung der Schlangen heilt v o m saturnischen Biß der Zeitenschlange; die Kindschaft des Schlangenmythos bannt die Kindschaft Saturns. U n d w e n n Warburg - oder wer auch immer diesen Vortrag verfaßt hat - das Schlangenritual der Hopi, F e w k e s folgend, zu einer Bitte oder zu einem magischen Gebet machte, so läßt sich auch sagen: der Wunsch, der diesem Vortrag zugrundeliegt, wird durch eine solche Interpretation des Hopi-Rituals 6 1 k e i n e s w e g s versteckt, sondern bleibt und wird in ihm als Bitte und Wunsch kenntlich. Im Klartext gesprochen, w i e es im Text steht: der Wunsch lautet, kein Opfer zu werden, sondern zum Boten initiiert und freigelassen zu werden, um zurückkehren zu können. Wenn man z w e i und zwei zusammenzählt, kommt man daher am Ende zu einer sehr einfachen Gleichung. Warburgs Zweifel am wissenschaftlichen Gehalt seiner Ausführungen 61 Ich bin durch meine Darstellungsform in jene Falle getappt, die allzu leicht zwischen ethnohistorischer Grundlage und europäischer Deutungsgeschichte zuschnappen kann: ich habe die Religionsgeschichte der Hopi anonymisiert und die Geschichte Warburgs biographisch individualisiert. Glücklicherweise ist in der Ethnographie der Hopi bereits das Gegenteil der Fall: die Geschichte der Hopi, auch die des Schlangenrituals und des Schlangenpriesters von Oraibi, wurde biographisch zurechenbar, und die Geschichte des Hopitourismus und der europäischen Hopideutungen wird zu einer anonymen Geschichte, deren kategoriale Allgemeinheit nicht geringer ist als meine (ganz oberflächliche) Skizze des Schlangenklans und seines Rituals (vgl. Whiteley 1988; vgl. Geertz 1992). Man wird daher vermutlich schon aus Symmetriegründen die Frage stellen: in welche anonyme Geschichte reiht sich dieser singuläre Kreuzlinger Vortrag mit seinen historischen Verwicklungen ein? Die Antwort lautet bei aller Gelehrsamkeit: „Hobbyismus", ein Ausdruck, hinter dem sich eine ähnliche Vielfalt verschiedenster Handlungs- und Denkweisen verbirgt, wie bei anderen Exotismen oder Heiligenkulten. (Zur amerikanischen Seite des „Hobbyismus" vgl. Deloria 1998) „Ich will, daß auch nicht der leiseste Zug blasphemischer Wissenschaftlerei in dieser vergleichenden Suche nach dem ewig gleichen Indianertum in der hilflosen menschlichen Seele gefunden werden kann." (III.93.4, Seite I B) Saxl an Max Warburg: „es handelt sich ihm darum die Ergebnisse seiner Reise zu den Pueblo-Indianern - die nun bald dreissig Jahre her ist, in sein wissenschaftliches Leben aber die entscheidende Wendung gebracht hat - neu durchzudenken und auf Grund dessen, was er in all den Jahren sich erarbeitet hat, neu zu formulieren. Den Sinn des primitiven, des magischen Denkens, dem er als Kranker wieder verfallen ist, sucht er begrifflich zu fassen. Dieses Ringen um die Erkenntnis der Logik des primitiven Menschen ist ein Einsichtsversuch in das eigene Wesen." (Brief vom 8. 4. 1923, im Warburg Institute, London) Es bleibt daher geraten, jene beiden Textstellen im Kreuzlinger Vortrag zu beachten, an denen Warburg selbst auf das Verhältnis von Travestie und tragischem Emst bzw. von symbolischer Ordnung und wissenschaftlicher Unernsthaftigkeit zu sprechen kommt, die auch die Deutung seines Vortrags jederzeit gefährdet. An beiden Stellen wird das Lachen (d.h. das Auslachen) verneint, aber die Provokation des komischen Effekts anerkannt. Die eine Stelle ist jene Beschreibung der „Persiflage" (40), in der Warburg „die Doppelheit von tragischem Chor und Satyrspiel ,auf einen Ast geimpfet'" erscheint. Die andere richtet sich explizit an die Wissenschaft oder Wissenschaftlichkeit, die solche Phänomene beschreibt: „Als ich den AntilopenTanz in San Ildefonso zu sehen bekam, machte er auf mich zunächst einen sehr harmlosen und beinahe komischen Eindruck. Für den Folkloristen, der die Wurzeln der menschlichen Kulturäußerungen biologisch erforschen will, gibt es aber keinen gefahrlicheren Augenblick, als wenn er bei volkstümlich-komisch erscheinenden Gebräuchen lacht. Wer über das Komische in der Volkskunde lacht, hat Unrecht, dem verschüttet sich im selben Augenblick die Einsicht in das tragische Element." (25) Und wie viel mehr gilt dies für dieses Ritual der beiden Folkloristen Warburg und Saxl: die Persiflage, „über die aber kein Mensch lachte". Zur Beziehung Aby Warburgs zur Volkskunde seiner Zeit vgl. Gottfried Korff (2003).
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waren bekanntlich, daß „dieser Vortrag so formlos und philologisch schlecht fundiert ist, dass nur in dem Zusammensehen einiger Dokumente zur Geschichte des symbolischen Verhaltens ein - auch noch fragwürdiger - Wert vorhanden ist." Doch wenn zwei Wissenschaftler wie Warburg und Saxl in Kreuzlingen über Magie und Heilung, oder über „Die Logik in der Magie des primitiven Menschen" sprechen und schreiben, dann greifen sie durchaus formvollendet - teils parodistisch, teils „symbolisch", also durch die Berufung auf Dinge und Prozesse, die sich der bewußten Kontrolle entziehen - auf Operationen und Themen aus der „Geschichte des symbolischen Verhaltens" zurück, die an anderen Orten eine magische Heilung bewirken sollen, und allem Anschein nach eine solche Heilung (wie partiell auch immer) durchaus bewirken konnten. „Da ist der Tempelschlaf, die Schlange, wie sie in Händen getragen wird und wie sie als Quellgottheit verehrt wird." (48) Der Tempelschlaf, enkoimesis, nahm laut Jane Harrison im Asklepion folgenden Verlauf: „The patient who came to be cured must sleep and in a dream the god either healed him or revealed the means of healing." (Harrison 1922:342) Der Kreuzlinger Vortrag und seine siebenwöchige Vorbereitung, in Fußnähe der Ehernen Schlange: ein Tempelschlaf der wissenschaftlichen Vernunft.—
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Spyros Papapetros „ohne Füße und Hände" Historiographische Bemerkungen über die unorganische Bewegung der Schlangen von Philo von Byblos bis Aby Warburg*
1. Eine Schlange aus den Zettelkästen In der Reihe von Aby Werburgs bunt beklebten Zettelkästen, die seine wissenschaftlichen Notizen' enthalten, befindet sich der Kasten Nr. 6 Ikonologie-Synthese. Der Kasten ist leicht an seinem gelblichen Papierbezug mit schlangenhautartiger Textur zu erkennen (Abb. 1). Seine erste Abteilung „(Sage)-Schlange-Baum" enthält sechs Registerkarten voller bibliographischer Hinweise über diese drei Themen (WIA, Zettelkästen 006/002156-61). Eine dieser Karten überschreibt Warburg mit „Baudissin Symbolik d[er] Schlange Semitfische] Studien" (WIA, ZK, 006/002160) (Abb. 2). Aus den folgenden Notizen entnehmen wir, dass sich dieser Titel auf das Kapitel „Die Symbolik der Schlange" im Buch Studien zur Semitischen Religionsgeschichte des bekannten Philologen des 19. Jahrhunderts Wolf Wilhelm Graf von Baudissin bezieht, aus dem Warburg auch in einer früheren Notiz in derselben Abteilung zitiert. Warburg transkribiert ein Zitat dieser Quelle auf die Registerkarte folgendermaßen: Philo v[on] Byblos Phoenikische G[e]sch[ichte]. Fragmfenta] 9 Überschrift] Schl[ange]. Geschwindigkeit ohne Füße u[nd] Hände oder ein anderes Glied .... womit d[ie] anderen Thiere sich fortbew[egen]. Agathodaemon Schlange. Das oben erwähnte Kapitel von Baudissin enthält einen Abschnitt mit dem Titel „Die Schlange bei den Phöniciern", in dem er ausführlich aus Philo von Byblos' Phoenikischer Geschichte zitiert. Baudissins Zitat aus Philo ist über 30 Zeilen lang und führt einige wundertätige Eigenschaften an, die die alten Phönizier Schlangen zuschrieben. Warburg kopiert allerdings nur diesen einzelnen Satz, der sich auf die erstaunliche Fortbewegung der Schlange bezieht.1 Offenbar steckte in dieser unorganischen Bewegung, „ohne Füße und Hände * Diese Studie wurde im Rahmen eines von Dr. Christopher Ligota am Warburg Institute, London, organisierten wissenschaftshistorischen Seminars im Januar 2003 erstmals präsentiert. Sie basiert auf einem Kapitel meiner Doktorarbeit „On the Animation of the Inorganic: Art, Architecture and Life-in-Movement" (University of California at Berkeley 2001). Als Getty Fellow am Warburg Institute 2002/03 konnte ich im institutseigenen Archiv weiteren Forschungen nachgehen. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei Dr. Dorothea McEwan, Dr. Susanne Meurer und Dr. Claudia Wedepohl tür ihre große Hilfe und Unterstützung bedanken. 1 Baudissins Originalzitat weist kleine Unterschiede auf, es lautet: „Geschwindigkeit ohne Füße oder Hände ohne ein anderes Glied zu besitzen womit die übrigen Thiere sich fortbewegen" (Baudissin 1876:268); aber wir können sicher sein, dass Warburg diese Quelle kopiert hat, denn im Text folgen Hinweise auf ,Agatho-
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Abb. 1. Aby Warburg, Zettelkasten Nr. 6 (Ikonographie - Synthese), WIA. Copyright Warburg Institute, London.
oder ein anderes Glied" etwas, das Warburgs Aufmerksamkeit auf sich zog. Warburg war nicht der einzige Autor seiner Zeit, der von dieser Phrase fasziniert war, wie ich anhand einiger Texte aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zeigen werde. Ich werde versuchen, nicht nur die enigmatische Fortbewegung von Schlangen zu erklären, sondern sie auch replizieren, indem ich mich selbst erst durch die Ideen einiger anderer Schlangenhistoriker und beruflicher Ophiologen schlängele, bevor ich zu Warburg und den Serpentinenwegen seines Schlangenrituals zurückkehre.
2. James Fergusson und die indischen Schlangen James Fergusson war nicht nur der Autor der ersten Weltgeschichte der Architektur, er schrieb auch das erste ausführliche Werk (auf Englisch) über ein architektonisches Bauwerk außereuropäischer Herkunft. Sein dickes Buch Tree and Serpent Worship (1868) ist eine detaillierte ikonographische Studie über die Skulpturenornamentik der monumentalen Tore in zwei Buddhistischen topes (Grabstätten) in Sachi und Amravati, Indien, die im ersten bzw. im vierten Jahrhundert n. Chr. erbaut wurden. Wenn Fergussons Leser vom Wort „Schlange" im Titel angezogen war, wird er rasch enttäuscht worden sein. Unter den (genau) 100 Bildtafeln im Buch sind nur wenige Schlan-
daemon' und auf hebräische Quellen zu ,Schlange Weissagung'. Baudissin 1876 befindet sich nicht in der Bibliothek Warburg, was wohl die Erklärung dafür ist, warum Warburg Teile daraus in seine Notizen kopierte. Die Bibliothek besitzt jedoch andere Bücher von Baudissin über die Geschichte antiker Religionen, so auch die Studie „Esmun-Asklepios", in: Orientalische Studien. Theodor Nöldeke zum 70. Geburtstag (1906), die Warburg in seinen Zettelkasten-Notizen erwähnt (WIA, ZK, 006/002157).
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g e n zu finden. D i e Radierungen z e i g e n , dass A n b e t u n g s g e s t e n der G l ä u b i g e n öfter d e m heiligen B a u m galten als d e n N a g a s , den anthropomorphen Gottheiten, d e n e n Schlangenhauben aus d e m Rückgrat w a c h s e n ( N a g a ist Sanskrit für Schlange). W e n n aber seine A b b i l d u n g e n auch v i e l e B ä u m e und w e n i g e S c h l a n g e n z e i g e n , s o dreht sich seine ausfuhrliche Einfuhrung in d i e antike R e l i g i o n fast nur u m S c h l a n g e n und k a u m u m B ä u m e . Es scheint, als o b gerade das fast f e h l e n d e S c h l a n g e n m o t i v das m y t h o l o g i s c h e Prestige erhöhte, das ihr A u f treten und V e r s c h w i n d e n umgibt. 2 Fergusson interpretiert d i e s e n M a n g e l an N a g a - D a r s t e l l u n g e n mit d e m R ü c k g a n g der Schlangenanbetung in F o l g e d e s b e g i n n e n d e n B u d d h i s m u s : D i e R e l i g i o n aus „ a s k e t i s c h e m Geist und m i l d e n Doktrinen" vertrug sich schlecht mit der T e n d e n z z u sinnlicher Freude der Ophiten. 3 A l l e r d i n g s m a c h t er auch d e n Leser darauf aufmerksam, nach S c h l a n g e n m o t i v e n
2 Möglicherweise schrieb Fergusson über Schlangenkulte, weil Carl Boetticher die Anbetung von Bäumen in Griechenland bereits in seinem Buch Der Baumkultus der Hellenen behandelt hatte, das eine Übersicht über Baum- und Waldkulte in den Weltreligionen sowie auch ein kleines Kapitel über Schlangen enthält (vgl. Boetticher 1856:204-211). Fergusson erkennt die Wichtigkeit von Boettichers „elaborate treatise" für sein eigenes Buch an (Fergusson 1868:15). 3 „As a part of the reform that the Buddha introduced [in sixth-century BC] ... serpent worship was repressed and its sister faith of Tree Worship was elevated to the first rank" (Fergusson 1868:62). Die ansteigende Anzahl von Nagas zwischen dem ersten Tope in Sanchi und dem späteren in Amravati ließ Fergusson vermuten, dass Schlangenanbetung in der Zeit zwischen dem ersten und vierten Jahrhundert wieder eingeführt worden war, und zwar durch eine gewisse Sekte von Buddhisten turanischer Abstammung, die eine Neigung zur sinnlichen Freude hatte. Die Schlangenanbetung dieser Gruppe wurde später von den asketischeren Tendenzen des arischen Teils des Kultes unterdrückt. Fergussons Rassentheorien wurden von seinen
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Ausschau zu halten, die nicht sofort als solche erkennbar sind. In seinem Vorwort erzählt Fergusson von seiner persönlichen Erfahrung als Opfer der Camouflage der Schlangen: Ich verbrachte einige Zeit zur Erforschung dieser Höhlen [in Ajanta], aber ich dachte nur an Architektur. Ich maß alles, zeichnete jedes Detail, und lernte die architektonischen Nuancen. Weder damals noch später bemerkte ich irgendwelche Nagas. Aber jetzt, wo meine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist, finde ich in Zeichnungen und Photos vielleicht zwölf oder fünfzehn Darstellungen des siebenköpfigen Naga, und es gibt vielleicht viel mehr. Ich kann mich jetzt auch daran erinnern, in allen Jaina Tempeln in Abu, in Sadree, und anderswo Nagas gesehen zu haben, aber an ihnen vorbeigegangen zu sein. Heute kann ich keine Fotografie eines Tempels der Religionsgruppe, zu der die Buddhisten, Jaina oder Vaishnava gehören, in die Hand nehmen, ohne überall Schlangen zu sehen, und zwar an Orten, wo weder ich noch irgend jemand anderer sie zuvor gesehen hatte.4 Schlangen überall zu sehen, während sie vorher nirgends zu sehen waren: Dieser Übergang von völliger Abwesenheit zu Allgegenwärtigkeit mag für Archäologen und andere Wissenschaftler, die über Schlangen schrieben, ein allgemeines Problem gewesen sein. Dass die Reptilien sichtbar werden, also die Projektion oder Erwartung darauf, ist immer wieder Grund zu prickelnder Überraschung oder ängstlicher Furcht. Einer der Gründe, warum Fergusson die Schlangenmotive zuerst einfach nicht sah, die er später an den indischen Monumenten entdeckte, mag darin liegen, dass die Umrisse durch die Hintergrundornamentik versteckt blieben. Mensch- und Tierformen auf den dekorierten Oberflächen verschwinden im Netzwerk der regelmäßigen Wellen und Bänder, die sich genauso schlängeln wie die verborgenen Schlangengötter. Ein ähnliches Miteinanderverflochtensein von Gestalt und Hintergrund spiegelt sich im Kontext von Fergussons Forschung. Während der Archäologe Schwierigkeiten hatte, die Schlangendarstellungen auf indischen Tempeln zu erkennen, war er im Kontext der zeitgenössisch indischen Forschung buchstäblich von ihnen umringt. Die Schlangen konnten auf den Steinwänden kaum erkannt werden, aber sie führten eine fröhliche Existenz auf den Seiten der Forschungstexte. Es scheint, als ob jedes zweite Buch über Indien, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschien, Hinweise auf Schlangen, Schlangenbisse, Schlangenheiler oder Schlangenbeschwörer enthält. Am wichtigsten hier sind die vielen ophiologischen Studien von britischen Ärzten in Indien, darunter Edward Nicholsons Indian Snakes: An Elementary Treatise on Ophiology (1870) und James Fayrers The Thanatophidia of India (1872).5 Fay-
Zeitgenossen schwer angegriffen. Seine Antwort auf einige dieser Kritiken ist im überarbeiteten Vorwort zur zweiten Auflage von Tree and Serpent Worship (1873) zu finden. 4 „I spent a considerable time in exploring these caves [at Ajanta], but my mind was full of architecture. I measured everything, drew every detail, and familiarized myself with every architectural affinity. But neither then nor subsequently did I note the presence of any Nagas. Now that my attention is turned to it, I find in drawings and photographs twelve or fifteen sculptured representations of the seven-headed Naga, and there may be many more. I now also recollect seeing Nagas in all the Jaina temples at Abu, at Sadree, and elsewhere, but then I passed them over. Now I cannot take up a photograph of any temple belonging to the group of religions which include the Buddhist, Jaina, or Vaishnava faiths, without seeing snakes everywhere, but in places where neither I nor anyone else detected them before." (Fergusson 1868:72) 5 Nicholson, Edward (Assistant Surgeon in the Royal Artillery), Indian Snakes. An Elementary Treatise on Ophiology with a descriptive catalogue of the snakes found in India and the adjoining countries (Madras Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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rer schrieb sein Buch vor allem wegen der jährlich in die Zehntausende gehenden Todesfälle als Resultat von Schlangenbissen; es enthält daher eine ausführliche Klassifizierung aller bekannten Giftschlangen Indiens sowie einen Atlas mit großartigen Farbbildern und Zeichnungen von anatomischen Details, sodass alle Giftschlangen erkannt werden konnten. Wenn man die aufklappbaren Tafeln dieses großen Bandes öffnet, springen einem eine Fülle großartiger lebensgroßer Papierschlangen entgegen. Dass diese Papierschlangen zur gleichen Zeit in die Augen springen, ist natürlich kein Zufall. Abgesehen von der Tatsache, dass beide aus demselben indischen Kontext stammen, teilen Fergussons archäologischer Band und Fayrers ophiologischer Atlas in Inhalt und Methode auch verborgene Ähnlichkeiten. Archäologie und Herpetologie waren am Ende des 19. Jahrhunderts wohl nicht so unterschiedlich. Seit der Entdeckung der Laokoongruppe in Rom 1506 windet sich ein Schlangenthema durch Kunstgeschichte, Naturgeschichte, Archäologie und Naturwissenschaft.6 Mit seiner Kombination von Laokoon und Darwin in seiner Studie über den Ausdruck der Emotionen befindet sich Warburg sozusagen inmitten dieses Kreislaufes.
3. Philo und die phönizischen Schlangen Dies fuhrt mich wieder auf meine ursprüngliche Schlangenspur zurück, die mit Philos Phrase über die Fortbewegung der Schlangen begann. Auf den ersten Seiten seiner Übersicht von Schlangenkulten in Tree and Serpent Worship versucht Fergusson den Grund dafür zu finden, warum die Schlange in so vielen primitiven Kulturen zum Objekt religiöser Verehrung wurde. Seme Erklärung ist ziemlich überraschend: Die Wirkung, die die Schlange ausübt, hat nichts mit Angst oder Furcht vor ihrem Gift zu tun, sondern wird ausgelöst durch die Faszination ihrer Fortbewegung. Fergusson schreibt: Wie auch ein antiker Autor vermerkt: „Die Schlange allein unter allen Tieren, ohne Beine oder Arme, oder irgendwelche der üblichen Fortbewegungsapparate, bewegt sich trotzdem mit einzigartiger Schnelligkeit"' und er hätte auch Grazie hinzufügen können, denn niemand, der eine Schlange langsam über den Boden gleiten gesehen hat, mit erhobenem Haupt, und dem Körper, der anscheinend ohne jede Anstrengung folgt, kann sich der speziellen Schönheit der Bewegung entziehen. Da gibt es keinen Ruck, keine reflexartigen Bewegungen, wie bei allen anderen Tieren, sogar Fischen, sondern ein stetiges Fortbewegen in graziösen Wellen. (Hervorhebungen des Verf.)7
1870). Fayrer, James M.D. (Honorary Physician to the Queen), The Thanatophidia of India being a description of the venomous snakes of the Indian peninsula with an account of the influence of their poison on life; and a series of experiments (1872). Fayrer folgte Patrick Russell M.D., An Account of Indian Serpents, collected on the coast of Coromandel; containing descriptions and drawings of each species together with experiments and remarks on their several poisons (London 1796). 6 Das Standardwerk über die Gemeinsamkeiten zwischen Naturgeschichte und dem Ursprung der westlichen Kunstgeschichte im 16. und 17. Jh. ist die klassische Studie der Kunstkammer von Horst Bredekamp Antikensucht und Maschinenglauben: Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte (Berlin 1993). 7 „As well as remarked by an ancient author, ,The serpent alone of all animals without legs or arms, or any of the usual appliances of locomotion, still moves with singular celerityand he might have added - grace, for no one who has watched a serpent slowly progressing over the ground, with his head erect, and his body following apparently without exertion, can fail to be struck with the peculiar beauty of the motion. There is
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Fergussons Lob der Schlange scheint antike K o s m o g o n i e , Tierphysiologie v o n Funktionalisten des 19. Jahrhunderts und eine Ästhetik w i e v o n Hogarth und dem 18. Jahrhundert in seinem Preis der ,„Grazie, Schönheit und Eleganz'" der Schlangenlinien zusammenzuweben. 8 Verfolgen wir nun diese M i s c h w e l l e n z u m Ursprung. Der antike Autor, der die beinund armlose Fortbewegung der Schlange beobachtet, ist natürlich Philo v o n Byblos, w i e wir bereits in Warburgs N o t i z von Baudissin g e s e h e n haben. In Wirklichkeit ist die Urheberschaft dieses Abschnitts eine kompliziertere Angelegenheit, da es sich nicht u m einen, sondern um mindestens vier Autoren handelt, denn wir haben ein Vierfach-Zitat vor uns. Fergusson übersetzt ins Englische aus einer lateinischen Ausgabe der Praeparatio evangelica des Eusebius v o n Cäsarea, ursprünglich 313 n. Chr. auf Griechisch geschrieben. 9 Im B u c h I, Abschnitt 9 der Praeparatio zitiert Eusebius die Phönikische Geschichte aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., die Philo von B y b l o s zugeschrieben wird. Philo seinerseits gibt an, seine Phönikische Geschichte direkt v o m antiken phönizischen Autor Sanchuniathon übersetzt zu haben, dessen Existenz allerdings recht zweifelhaft ist. 10 In dem Abschnitt über
no jerk, no reflex motion, as in all other animals, even fishes, but a continuous progression in the most graceful curves" (Hervorhebungen des Verf.) (Fergusson 1868:2). 8 Fergusson fahrt fort: „Ihre allgemeine Form ist auch voll Eleganz, und ihre Farben unterschiedlich und manchmal sehr schön, und ihre Augen hell und durchleuchtend. Eine Schlange kann auch für unbestimmte Zeit ohne Futter oder ohne Hunger existieren. Von Zeit zu Zeit wirft sie ihre Haut ab, und in der Antike glaubte man, dass sie so ihre Jugend erneuere. Wenn man dazu ihre Langlebigkeit bedenkt, wenn auch nicht so hoch wie oft vermutet, reicht das immer noch aus, um die Abergläubigen nicht daran denken zu lassen, wie lange ein Individuum verehrt worden ist, um ihm Unsterblichkeit zuschreiben zu können." „Their general form, too, is full of elegance, and their colors varied and sometimes very beautiful, and their eyes bright and piercing. Then, too, a serpent can exist for an indefinite time without food or apparent hunger. He periodically casts his skin, and as the ancients fabled, by that process renewed his youth. Add to this his longevity, which though not so great as was often supposed, is still sufficient to make the superstitious forget how long an individual may have been reverenced in order that they may ascribe to him immortality." (Fergusson 1868:2) 9 Fergussons Notiz lautet: „Sanchuniathon quoting Taatus ap Eusebium, Praep. Evangel. 40." Später im Text liefert Fergusson den gesamten Abschnitt über Schlangen aus der Phönikischeti Geschichte, übersetzt aus zwei griechischen und lateinischen Ausgaben von Eusebius' Praeparatio (Fergusson 1868:10): die eine von Thomas Gaisford (Oxford 1843, Vol. 1:66) und eine zweite, die in Carl Müllers Fragmenta Historicorum Graecorum (1849, 3:572) zu finden ist. Obwohl zu der Zeit zumindest eine englische Übersetzung von Eusebius' Praeparatio vorhanden war (Leaves from Eusebius, selected from the Evangelical Preparations" translated by Henry Street, London 1842), entschloss sich Fergusson zu einer eigenen Übersetzung, die anscheinend auf den zwei lateinischen Texten basiert. 10 Eusebius von Cäsarea (c. 260-339 n.Chr.) war ein berühmter Schriftsteller und Wissenschaftler, der vor allem für seine Bibelkommentare bekannt ist. Seine Werke sind teilweise wegen ihrer Zitate klassischer Historiker von Bedeutung. Philo[n] von Byblos (70-C.160 n.Chr.) ist am besten für sein gelehrtes Werk über die Geschichte der phönizischen Religion bekannt, aus dem Eusebius lange Textbeispiele zitiert. Auch wenn Philo selbst angibt, viel von seinem Material direkt aus den Werken Sanchuniathons übersetzt zu haben, so ist dieser Anspruch eher zweifelhaft, da er seine Bildung der hellenistischen Kultur verdankt. Die Lebensdaten Sanchuniathons können nicht geklärt werden. Philo nennt ihn einen Schriftsteller vor dem Trojanischen Krieg, aber andere Quellen geben Daten, die von 1100-900 v.Chr. bis 700-500 v.Chr. reichen. Sein Werk, das auf Phönizisch geschrieben ist, befasste sich mit Theologie, Kosmogonie und dem Ursprung der Zivilisation (Oxford Classical Dictionary 1996:1168; vgl. Baumgarten 1981). Obwohl Zitate bei Eusebius im allgemeinen als vertrauenswürdig angesehen werden, bezweifeln manche Wissenschaftler, dass diese Passage über Schlangen wirklich Teil der phönizischen Geschichte ist, wie er angibt, und schlagen vor, die Passage einem anderen Werk Philos zuzurechnen oder sogar einem anderen Autor wie z.B. Porphyrios (vgl. Attridge und Oden Jr. 1981:151, sowie die Kommentare über diese Passage in der französischen Ausgabe von Jean Sirinelli und Edouard des Places, Eusèbe de Cesaree, La Préparation Evangélique I, Paris 1974).
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Schlangen jedoch streitet auch der legendenumwobene Sanchuniathon die Urheberschaft für diese Aussagen ab und schreibt sie seinerseits dem Gott Taautos oder Thoth zu. Taautos/Thoth ist der mythische Erfinder des phönizischen Alphabets und nach Baudissin selbst ein Schlangengott (Baudissin 1876:41)." Kurzerhand, wir können einfach nie mit Sicherheit sagen, wer diese bekannte Lobpreisung der Schlange wirklich zuerst gesagt oder geschrieben hat. Die Zitate von Warburg und Fergusson, die wir bis jetzt untersucht haben, beziehen sich nur auf einen einzigen Satz aus einem Text, der aus vielen Quellen gespeist wurde. Sehen wir uns nun einen längeren Teil von Philos anschaulichen Abschnitten an, die Baudissin in den Studien zur Semitischen Religionsgeschichte auf Deutsch übersetzte: Es war wohl die Version, die Warburg gelesen hatte: Taautos hielt die Natur des Drachen und der Schlangen für etwas Göttliches und ihm ahmten darin die Phönicier und Aegypter nach. Er lehrte nämlich, dies Thier sei das geistigste unter allen Reptilien und es sei eine Feuernatur in demselben. Dazu entwickelt es vermöge seiner Geistigkeit eine unübertreffliche Geschwindigkeit, ohne Füße oder Hände oder ein anderes Glied zu besitzen, womit die übrigen Thiere sich fortbewegen. Zudem zeigt es sich in mannichfach wechselnden Gestalten und bewegte sich in Windungen mit beliebiger Geschwindigkeit. Es lebt sehr lange und streift nicht nur das Alter ab, um sich wieder zu veijüngen, sondern erhält [dann] noch einen Zuwachs an Körperkräften, und wenn es die Grenze seines Lebensmaßes erreicht hat, zergeht es in sich selbst.... darum wird dieses Thier in den heiligen Handlungen und in den Mysterien verwendet .... Dies Thier stirbt nicht eines natürlichen Todes sondern nur wenn es von einem gewaltsamen Schlage getroffen wird. Die Phönicier nennen es den guten Dämon (Αγαθόν δαίμονα). (Baudissin 1876:268-269) Philo zitiert auch andere Autoren außer Sanchuniathon über Schlangen und Schlangenkulte. Dabei ist folgendes zu Baudissins Übersetzung von Eusebius' Original wichtig: Die deutschen Worte geistigste und Feuernatur entsprechen Eusebius' (und/oder Philos) griechischen Worten πνευματικοτατος και πυρωδες, was „voll von pneuma und feurig" bedeutet und sich auf die Natur der Schlange bezieht. Da die meisten lateinischen Ausgaben πνευματικός als animantis und πνεύμα als spiritus wiedergeben, verwenden englische wie auch deutsche Übersetzungen das Wort spirit und Geist, obwohl Fergusson Atem wählt. Das griechische χωρίς ποδών τε και χειρών wurde als „ohne Füße oder Hände" übersetzt. Lateinische Ausgaben scheinen die Abwesenheit beider Gliedmaßen zu betonen, indem das „kein" oder „ohne" wiederholt wird: pedum neq, manuum neq oder neque pedum, ñeque manuum,12 Schließlich übersetzt Baudissin Philos άλλου τίνος των εξωθεν als „anderes Glied", d.h., „irgendwelche andere Extremitäten", womit Organe, Gliedmaßen oder andere Körperteile gemeint sind, die die Fortbewegung steuern. Der Begriff allerdings, der in den modernen Übersetzungen am meisten schillert, ist das griechische τάχος, das sich auf die Geschwindigkeit der Bewegung der Schlange bezieht. In lateinischen Ausgaben erscheint dieses Wort als celeritatem, und in der Folge in englischen Übersetzungen, wie bei Fergus11 Der phönizische Taautos ist verwandt mit dem ägyptischen Thoth, dem Vorläufer des griechischen Hermes. Wissenschaftler weisen auch daraufhin, dass in Texten der archaischen phönizischen Tradition Aussagen über religiöse Dinge allgemein einem Gott zugeschrieben werden. 12 Ersteres Zitat aus einer griechisch-lateinischen Ausgabe von Eusebius' Praeparatio in Köln (1688); letzteres aus Carl Müllers Fragmenta (1849, 3:572), s. Anm. 9.
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son, als „celerity" oder „swiftness" und in Baudissins deutscher Version als Geschwindigkeit. Obwohl das deutsche Wort „Geschwindigkeit" das Wort „Wind" enthält, ist natürlich diese etymologische Verwandtschaft falsch. Aber es ist reizvoll, eine Verwandtschaft zu konstruieren, da „Wind" die luftige oder mit Atem erfüllte Schlangenbewegung rezipiert, die der antike Autor der Phönikischen Geschichte beschrieb.13 Wir werden später sehen, dass Aby Warburg 1923 Philos Wort anders verwendete. Unabhängig von der Übersetzungsvariante behält Philos Zitat den Überraschungseffekt bei. Die „pneumatische" Bewegung der Schlange, ausgeführt ohne Füße, Hände oder andere Hilfsmittel zur Fortbewegung, erscheint als etwas, das wir eine unorganische Bewegung nennen könnten, wenn man den Ursprung des Wortes organisch aus dem griechischen organetti oder „Instrument" ableitet. Was diese Art der Fortbewegung so faszinierend macht, ist eben gerade die Tatsache, dass sichtbare Hilfsmittel nicht vorhanden sind. Was auch die motorische Erklärung für die Schlangenbewegung sein mag, es gibt keine offensichtliche äußere Erklärung dafür. Deshalb kann es nicht verwundern, dass der antike Autor sich in seinem Versuch, das Unerklärliche zu erklären, auf die Metaphysik verlegt. Die Antriebselemente für die Schlange, das Feuer und das pneuma, sind zwei der vier Elemente, aus denen das Universum in der Kosmogonie der antiken Phönizier aufgebaut ist. Obwohl beide Elemente körperlos und meist unsichtbar sind, haben sie eine materielle Seite. Es ist allerdings gerade ihre Unsichtbarkeit, die es diesen belebenden Elementen erlaubt, aus einer Materie in die andere überzuspringen. Pneuma und Feuer sind nicht Gründe, was das Organische betrifft. Pneuma ,erklärt' nicht, wie sich Schlangen fortbewegen, sondern verstärkt den feurigen Heiligenschein, der die mysteriöse Bewegung der Reptilien umgibt. Was Schlangen betrifft, so weicht die Erklärung einem ständigen Staunen. Wir wollen aber auch die andere, wissenschaftlichere Seite dieser antiken Geschichte untersuchen. Wenn wir über die ursprüngliche Bedeutung des griechischen organon sprechen, stoßen wir unweigerlich auf Aristoteles, der außer seiner vielbändigen Physik einige kürzere Beiträge zu diesem Thema schrieb, unter anderem Aufsätze über die κινησις, Bewegung, und πορεία, Fortbewegung, von Tieren. Der letztgenannte Text analysiert die Fortbewegungsart, die jeder Tiergattung eigen ist, von Krabben und Fischen bis zu Vierfüßlern und Menschen, unter besonderer Beachtung des Gebrauchs von Händen und Füßen. Der Text enthält auch eine kurze Abhandlung über fußlose Tiere, wie Schlangen und Aale. Dabei versucht Aristoteles zu zeigen, dass sich Schlangen genauso wie Vierfüßler fortbewegen, indem sie an vier Kontaktpunkten den Boden berühren. Obwohl Aristoteles nicht weiter auf die tatsächliche Mechanik der Schlangenbewegung eingeht, erklärt er die Abwesenheit von Füßen in Schlangen und anderen langgezogenen Tieren als rational, da ihre Fortbewegung durch zu viele Kontaktpunkte beeinträchtigt würde, wenn sie wirklich Füße hätten.14
13 Philologen betonen, dass sich pneuma, ein zentrales Element in der phönizischen Kosmogonie, von Luft, Wind oder Atem unterscheidet; pneuma bezeichnet Luft mit Richtung, d.h. in Bewegung (vgl. Ebach 1979:36-38). Hier sei noch bemerkt, dass das griechische Wort paristisis (dia tou pneumatos paristisi) in Eusebius' Original im allgemeinen aus Übersetzungen ausgelassen wird - es bezeichnet eine begründete oder aktive Art der Anwesenheit (vom griechischen paristamai, d.h. anwesend sein). 14 „The reason why snakes are footless is, first, that nature creates nothing without a purpose but always with a view to what is best for each thing within the bounds of possibility, preserving the particular essence and purpose of each; and, secondly ... because no red-blooded animal can move by means of more than four points ... if they [snakes] had two or four feet, they would be practically incapable of any movement at all, so slow and useless would their movement necessarily be." (Aristoteles 1938:505-507)
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Philologen, die Philos Phönikische Geschichte untersuchen, bemerken oft, dass das Zitat, welches er Sanchuniathons mythischer Kosmogonie zuschreibt, zu rational klingt, um so alt sein zu können, wie er angibt. Der allgemeine Konsensus unter den Wissenschaftlern ist, dass, falls Philo wirklich einen alten Text zitiert, dieser wahrscheinlich schon durch andere hellenistische Autoren redigiert worden war (Williams 1968:30-52). Etwas Ähnliches mag mit dem Abschnitt über die Fortbewegung der Schlangen passiert sein: Die Art, in der Sanchuniathon die nicht durch Organe ermöglichte Bewegung der Schlange untersucht, erscheint anachronistischerweise quasi-aristotelisch. Obwohl die dem Text eigene Logik nicht genug Beweis fur eine aristotelische Quelle von Philo ist, kann man durchaus argumentieren, dass die Erklärung über die Abwesenheit von Organen in einem Organismus in einer nach-aristotelischen Welt viel überraschender wäre. Trotz Aristoteles' Versuch einer Integration der Schlange in seine Prinzipien organischer Bewegung blieb dieser Gegensatz unauflösbar. Auf der einen Seite stand der Mensch, der sich rational bewegte und Hände und Füße voll gebrauchte, auf der anderen glitt das sich irrational bewegende Tier am Boden ohne Hände und Füße. Im westlichen Kontext verschwindet die Schlange nicht in einem schlangenhaften gewundenen Hintergrund, wie in den indischen Bauwerken, die Fergusson untersuchte. Die Wand ist jetzt flach und die Schlange springt im Vollrelief als unregelmäßige Schlangenlinie hervor.
4. Evolutionisten und Schlangen mit Füßen und Händen Während Aristoteles in seinen Forschungen zur Naturwissenschaft die Existenz von Füßen in Schlangen logisch ablehnte, wird sie von der antiken Mythologie unterstützt. Sito, die Urschlange der Ägypter, wird traditionell aufrecht auf zwei Beinen gehend gezeigt - ein teratomorphisches Schema, das auf jungsteinzeitliche prädynastische Felszeichnungen zurückgeht.15 Kann es sein, dass Sito und andere gehende Schlangen Produkte von Kulturerinnerung sind, die prähistorische Wahrheit unter dem Mantel mythologischer Fiktion bewahren? Um diese Frage zu beantworten, muss ich die Naturwissenschaft der Antike hinter mir lassen; ich will die Renaissance prähistorischer Reptilien mit Füßen in der Naturwissenschaft zu Warburgs eigener Zeit besprechen. Eines der Hauptthemen in der Evolutionsbiologie der Jahrhundertwende war die Rolle, die die Entwicklung von Extremitäten, wie von Füßen und Händen, im Prozess der natürlichen Auslese spielte. Zum Beispiel konzentriert sich am Ende des 19. Jahrhunderts der Multitheoretiker Carus Sterne (ein Anagramm-Pseudonym von Emst Krause, das auf Astrologie und Naturphilosophie des 18. Jahrhunderts anspielt) in seiner zweibändigen Entwicklungsgeschichte Werden und Vergehen (1900) auf die Organe, die Tiergattungen entweder bewahren und entwickeln (Werden) oder ablegen und verfallen lassen (Vergehen).16 Der erste
15 Diese eigenartige Figur ist im Papyrus von Ani aus der frühen 19. Dynastie zu finden, ca. 1300 v.Chr. (Mundkur 1983:80 Abb. 43). 16 Dieses Buch findet sich nicht in der Bibliothek Warburg. Es gibt jedoch andere Bücher zum selben Thema wie die Aufzeichnungen von Oscar Hertwig Das Werden der Organismen. Eine Widerlegung von Darwins Zufallstheorie (Jena 1916), und Wilhelm Roux Der Kampf der Theile im Organismus (Leipzig 1881). Notizen über diese und andere Werke von Hertwig und Roux finden sich unter Warburgs bibliographischen Notizen im Zettelkasten Nr. 2 über die Themen Naturwissenschaft und Arbeitsteilung.
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Abb. 3. Handwühle (Chirotes canaliculars) von C. Sterne (nach Hayet).
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Abb. 4. Restauriertes Skelett von Platecarpus von C. Sterne (nach Merriam).
Band enthält das Kapitel „Vom Vielfüßler zum Sechsfüßler", in dem Sterne daraufhinweist, dass alle wirbellosen Organismen anfangs einige Dutzend Füße hatten. Über eine lange Zeitstrecke verkümmerten diese Füße und transformierten sich zu fast vegetalen Auswüchsen, wie Greifarmen oder Fühlern, oder wurden völlig abgestoßen, sodass schließlich den wichtigsten Tierorganismen sechs Füße verbleiben. Sterne demonstriert anhand einer Reihe von Krustentieren, Spinnen und anderen tausendfüßlerartigen Würmern und Insekten, dass die Eliminierung von überflüssigen Fußpaaren einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung von Tierorganismen darstellt (Sterne 1900, 1:378-420). Etwas Ähnliches lag bei Reptilien vor. In Werden und Vergehen zeigt Sterne im Kapitel über Reptilien, das „die Unheimliche" betitelt ist, in einer Abbildung eine Wurmechse aus Südkalifornien, die als Handwühle ([bi]chirotes canaliculatus) bekannt ist, und die ein einziges Paar von Gliedmaßen dicht an ihrem Hals besitzt (Abb. 3). Obwohl diese Gliedmaßen sehr klein sind, sind sie voll ausgeformt mit fünf Zehen und vier Klauen und sind mehr Hände als Füße, da sie zum Graben von Höhlen in der Erde und nicht zum Gehen verwendet werden (Sterne 1900, 2:83). Weitere herpetologische Studien aus derselben Zeit über Reptilien aus den südlichen Vereinigten Staaten und von Nordmexiko zeigen eine ähnliche Art von Echsen (Skinks) mit winzigen und fast unbrauchbaren Gliedmaßen, die sogar noch dünner als jene der Handwühle sind und nur drei Zehen aufweisen (Hemicherotes). Wenn sich diese Echsen schnell bewegen, so legen sie ihre Füße an ihre Seiten an, um wie Schlangen
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gleiten zu können.17 Sterne argumentiert, dass die nur teilweise funktionierenden Gliedmaßen dieser amerikanischen Echsen nicht eine Unterentwicklung darstellen, sondern den Abbau von vormals voll funktionellen Gliedmaßen. Diese reptilischen Atavisten haben dadurch, dass sie ihre Füße aufgegeben haben, ihre Chance wahrgenommen, sich anders als ihre vierfüßigen Verwandten zu bewegen. Schlangen gingen auf diesem schlüpfrigen Pfad weiter. Im selben Kapitel beschreibt Sterne eine ausgestorbene Gattung amphibischer Reptilien namens Protopythonschlangen, Riesenschlinger oder Pythonomorphen, die von Cuvier 1795 anhand von Fossilienrekonstruktionen eingehend studiert worden waren. Diese Urreptilien hatten einen Kopf mit Schnabel, einen erweiterten Brustkorb und zwei Paare ziemlich großer voll entwickelter Füße, die durch zwei breite Handgelenksknochen mit dem Rückgrat verbunden waren (daher ist diese Gattung auch als Platecarpus bekannt) (Abb. 4). Da diese Reptilien Füße, aber keine Beine hatten, muss Fortbewegung sehr schwierig für sie gewesen sein, woraus sich erklärt, warum ihre schlecht funktionierenden Anhängsel später abfielen. Die Anatomen des 19. Jahrhunderts stellten die These auf, dass prähistorische Protopythonschlangen die Vorfahren der modernen Schlangen waren. Sterne vertritt auch die Meinung, dass diese ausgestorbenen Reptilien den Schlangen näher verwandt sind als Echsen oder Krokodile (Sterne 1900:84-88). Das bedeutet, dass vor Jahrmillionen Schlangen Füße hatten, die schließlich im Evolutionsprozess aufgegeben wurden. Unter den heute lebenden Gattungen weisen nur die Riesenschlangen noch Spuren auf (Pythons werden auch Stummelfüßler genannt). Das einzige Fußpaar der Riesenschlangen ist im Innenkörper der Schlange, nur die Klauen stehen in Form dünner hornartiger Sporen (Hinterfußstummel) am unteren Teil des Schwanzes einer Python vor, wie allen Ophiologen bekannt ist: der einzige äußerliche Rest der großen Hinterfüße der (Proto)Python. In Anbetracht dieser weitgehenden Verluste von Organen schließt Sterne: Die religiöse Symbolik ist deshalb vielleicht vom naturhistorischen Standpunkte aus gerechtfertigt, wenn sie dieses „ganz in einen Schwanz aufgelöste Thier" als ein Bild des Abfalls vom Wege der Natur, als den im dunklen lauernden Feind alles Fortschrittes betrachtete. (Sterne 1900:88) Es scheint, dass der Grund für Sternes religiöse Verdammung der Schlangen die Willkür ist, mit der diese Apostaten die Füße, die sie sehr wohl haben, wegwünschen, womit sie sich gegen die natürliche Entwicklung stellen („der Feind alles Fortschrittes"). Sternes naturwissenschaftliche Forschungen stützen nicht nur die biblischen Ansprüche zur Verdammung der Schlange, sondern auch Schopenhauers philosophische Doktrin vom Willen in der Natur. Aber moderne Naturwissenschaft zeigte, dass der Schlangenkörper mehr als „fast nur ein Schwanz" war und nicht das Produkt göttlicher Verdammung. Es war eine Auswahl, die die Schlangen selbst getroffen hatten - eine unnatürliche Selektion. Füße waren nicht das einzige, was Schlangen im Laufe ihrer Evolution ablegten: sie verloren auch ihre Augenlider und eine Lunge. Die Augen der Schlange sind auch dann offen, wenn sie schläft, weshalb die alten Griechen sie akoimitoi (niemals schlafend) nannten und zum Symbol der Wachsamkeit erkoren. Der vorstehende Brustkorb, der eine Behinderung beim Gleiten darstellte, verkümmerte, sodass den Schlangen nur eine Lunge und winzige Nüstern blieben. Schlangen atmen sehr wenig. Wenn sie sich fortbewegen, atmen sie alle 17 Am untersten Ende der Skala dieser Gattungen ist die amerikanische „glass snake" - eine Echse ohne externe Gliedmaßen (Ditmars 1907:191-192).
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sieben Sekunden ein, aber bewegungslos oder schlafend atmen sie einmal pro Stunde, ein fast vegetatives Stadium erreichend (Gillespie 1937:17-20). Philos Behauptung, dass sich Schlangen nur durch ihre Atembewegung fortbewegen, kann daher nicht stimmen, wenigstens nicht exakt wissenschaftlich. Im 19. Jahrhundert war Anatomen durchaus klar, dass die Schlangenbewegung nicht durch feurigen Atem beschleunigt wird, sondern auf ihre einzigartige Struktur, ein außerordentlich biegsames Rückgrat, zurückzufuhren war. Die Wirbelsäule der Schlange hat zwischen zwei und vierhundert bewegliche und drehbare Wirbel, die wie ein Kugelgelenk rotieren. Jeder Wirbel, mit Ausnahme der Schwanzwirbel, ist mit einem halbkreisförmigen Rippenpaar verbunden, das den Drehungen der Wirbelsäule folgt. Um sich fortzubewegen, gleitet die Schlange auf den Enden dieser Rippen, fast so, als ob sie Hunderte unsichtbare Füße wären (Sterne 1900:87).18 Plötzlich entdecken wir, dass keine Rede davon sein kann, dass Schlangen keine Füße haben, sie sind vielmehr „ganz Fuß". Durch diese gelenkige Wirbelsäule bewegen sich Schlangen auf zwei verschiedene Arten fort: Wenn sie sich langsam fortbewegen, schlängeln sie sich in einer ununterbrochenen welligen Bewegung, durch die alle Teile ihres Körpers vorwärts kommen. Wenn sie sich aber schnell bewegen, kommt nicht der ganze Körper gleichmäßig voran; der vordere Teil zieht sich nach hinten zusammen und schnellt dann weiter vor wie ein Akkordeon. Diese Bewegung wird von Ophiologen eine „Ziehharmonika"-Bewegung genannt (ein musikalisches Echo auf Philos „pneumatische" Bewegung).19 In seinem Buch Esthétique du Mouvement, eine Hauptquelle für Warburgs Beobachtungen der Bewegungspsychologie, beschrieb Paul Souriau die Schlangenbewegung als die „Weiterentwicklung einer Welle, die vom Kopf ausgehend bis zum Schwanz läuft". Die Schlangen-Welle stellt eine Kombination von Weiterentwicklung in bestimmten Teilen, und Rückbildung in anderen dar: Um nun die der Länge nach gehende Kriechbewegung in eine seitliche Bewegung umzuändern, ein Schlängeln in ein Rollen, genügt es, dass das Tier den Teil der Welle leicht anhebt, von dem aus die Bewegung in die neue Richtung gesteuert wird.20 Insofern als die Schlange durch teilweises Zusammenziehen vorschnellt, ahmt die Ziehharmonikabewegung die Evolution der Schlange nach. Durch diese Rückentwicklung und den Verlust ihrer Füße gewannen Schlangen eine Schnelligkeit, die im Tierreich ihresgleichen sucht - es ist vielleicht die einzige Spur einer fischartigen Bewegung an Land. Das Phänomen von Fortschritt durch (teilweisen) Rückschritt war ein Beispiel für das, was die Naturwissenschaftler der Jahrhundertwende als évolution régressive bezeichneten - eine Ergänzung oder vielmehr eine Alternative zu Darwins Theorie eines linearen evolutionären Fortschritts. So argumentierten die Naturtheoretiker und Soziologen Demoor, Massart und Vandervelde in ihrem Buch L'évolution régressive en biologie et en sociologie (1897), dass es nie Fortschritt ohne teilweisen Rückschritt gebe. Für sie war dieses Doppelprinzip nicht nur für die Entwicklung von individuellen Tierorganismen, sondern auch von kollektiven sozialen Organisationen gültig. Indem sie wie Sterne Beispiele aus der Pflanzenwelt und 18 Vgl. auch Hopley 1882, wo eine Zeichnung eines Schlangenskeletts aus Owens Anatomy of the Vertebrates reproduziert ist. 19 Gillespie über „How they [snakes] move" (1937:28-32). 20 „Pour transformer ainsi la reptation longitudinale en reptation transversale, le glissement en roulement, il suffit que l'animal soulève un peu la partie de l'onde où le mouvement s'opère dans le sens où il veut aller." (Souriau 1889:125-126) Dieses Buch existiert in der Bibliothek Warburg und wird in den Anmerkungen Warburgs über Ästhetik erwähnt.
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verschiedenen Krabbenarten verwendeten, beschrieben die drei belgischen Wissenschaftler die Entwicklung sowie den durch sie bedingten Verlust von wesentlichen Auswachsungen in Pflanzen- und Meeresorganismen. Mehr als das, sie dokumentierten auch die Umformung von Fingern und Zehen (wie zum Beispiel das berühmte gros orteil) in der Entwicklung der Vierfüßler, an dessen Endpunkt die Schaffung des menschlichen Zweifüßlers steht. Die Schlussfolgerung war, dass ein Organismus zumindest einen Schritt nach rückwärts machen musste, um zwei nach vorne machen zu können. Anders als Sterne sahen die belgischen Wissenschaftler Regression nicht als eine Abweichung vom Pfad der Natur, sondern als mögliche Vorstufe für Fortschritt an. Die Prozesse von Werden und Vergehen schlossen einander nicht aus, sondern waren miteinander verknüpft. Um etwas zu gewinnen, mussten Lebewesen etwas anderes aufgeben - was Warburg als die Tragödie vom „Gewinnen und Verlieren" (oder besser, Gewinnen durch Verlieren) bezeichnen sollte. Eines der aufschlussreichsten Beispiele in L'évolution régressive en biologie et en sociologie ist das einer bestimmten Gattung von Lungenfischen, die sich von lethargischen Fischen zu einer schnellen Wasserschlange entwickelten, indem sie allmählich ihre großen Flossen verloren (Demoor et al. 1897:38-43). Genauso wie die kurzfüßigen SchlangenEchsen, die wir besprochen haben, haben diese Fische immer noch winzige Flossen. Was allerdings ursprünglich Organe mit Funktionen waren, ist nun bloßes Beiwerk: halborganische Auswüchse, vor allem träge, aber trotzdem in Bewegung, was an die flatternden Gewänder und wehenden Haare in Warburgs bewegtem Beiwerk erinnert. Das Buch von Demoor, Massart und Vandervelde steht in der Bibliothek Warburg. Warburg selbst verwendete die Phrase évolution régressive in seinen ersten Entwürfen für den Kreuzlinger Vortrag, um die regressiven Formen zu beschreiben, die die eingeborenen amerikanischen Kulturen im Unterbewusstsein der westlichen Literatur annehmen.21 Vielleicht bedeuten die verlorenen Füße der Schlange oder die verkümmerten Flossen des Lungenfisches das fehlende Glied zwischen Warburgs früherer Arbeit über das bewegte Beiwerk im Florenz des 15. Jahrhunderts - die nicht funktionalen, aber vibrierend überlebenden Accessoires, die den Meeresorganismus von Botticellis Venus umgeben - und seinen Beobachtungen über die Pflanzen- und Tiersymbole, die die Puebloindianer während ihrer Schlangentänze und anderer Rituale tragen. Sowohl das bewegte Beiwerk in Florenz als auch der indianische Schlangentanz sind primitive Überbleibsel. Beides sind Organe oder Rituale, die ihren ursprünglichen funktionalen Wert verloren haben. Trotzdem sind beide Arten des Beiwerks mehr als bloße ornamentale Kuriositäten oder spielerische Anachronismen. Welche Rolle spielen daher diese rückgebildeten, aber weiterhin vorkommenden Raritäten? Können sie ihre Vollexistenz wieder erlangen? Demoor, Massart und Vandervelde betonen, dass diejenigen Gliedmaßen, die verschwunden sind, nicht wieder nachwachsen können - allerdings, wenn sie nicht verschwunden, sondern nur rückgebildet sind, können diese Glieder nicht nur die ursprüngliche Funktion wiederaufnehmen, sondern sogar eine neue dazu gewinnen. Das stark reduzierte Überbleibsel ist daher nicht nur ein Teil der Vergan21 „Diese .evolution regressive [sie]' hat im Rahmen einer technisch beruhigten, künstlerischen Ausprägung in unserer Zeit in Slevogt ihren Nährboden und Impfstoffträger gegen das schauerlich - romantisch Zerstörende gefunden, wie es der gebildete Durchschnitt braucht. Er ist zugleich der Illustrator der Ilias und des Lederstrumpf und des Don Juan. Von diesem Interesse an der Lederstrumpf-Romantik war ich, als ich die Reise zu den Indianern machte, frei ..." (WIA, III.93.4., 23) Dieses Zitat folgt dem bekannten Abschnitt (zitiert in Gombrichs Intellectual Biography) über Warburgs gleichzeitiges Verschlingen von Wurst und Indianer-Romanen als Kind. Als Beispiel eines solchen Indianer-Romans vgl. W. Ciaire Coranna: eine Indianergeschichte (mit Zeichnungen von Max Slevogt, Berlin 1910), das in der Bibliothek Warburg steht.
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genheit, sondern auch das verbindende Glied in der Kette zu einer zukünftigen Umformung. Warburgs Hauptinteresse war es nicht, wie Kulturüberbleibsel überleben und gleich bleiben, sondern wie sie sich zu etwas anderem entwickeln. Die Erneuerung bezeichnet einen Prozess, der über das Nachleben hinausgeht.
5. Erich Küster und die abstrakten Schlangen Demoors, Massarts und Vanderveldes Buch hat uns bereits mit der Bibliothek Warburg bekannt gemacht und mit einigen Reptilien, die sich darin verstecken. Aus den über siebzig Büchern, die sich mit Schlangen beschäftigen (von denen etwa dreißig aus Warburgs eigener Zeit stammen), habe ich nur eines zur Untersuchung gewählt22: die wenig bekannte, aber außerordentlich bemerkenswerte Dissertation von Erich Küster Die Schlangen in der griechischen Kunst (1913), die erweitert im selben Jahr als Die Schlangen in der griechischen Kunst und Religion herauskam.23 Warburg hatte mit Sicherheit letzteres Buch gelesen. In seinem Exemplar in der Bibliothek Warburg strich er eine Fußnote an, die den Moki Schlangentanz erwähnt, und wenn man im Index unter dem Buchstaben M nachschaut, so findet man das Stichwort „Moki" als Hinweis zu dieser Fußnote in Warburgs Handschrift, eingefügt zwischen „mykenischer Stil" und „Mysterien".24 Küsters Fußnote über den Moki-Schlangentanz ist nicht der einzige Hinweis in seinem Buch auf die größere Schlangengeschichte. Im Abschnitt über den Ursprung der Schlangenanbetung in der griechischen Religion zitiert er auf Griechisch den Abschnitt von Philo, den Eusebius aufgenommen hatte (Küster 1913:147). Es ist aber spannender, Küsters eigenen Bemerkungen zur Bewegung von Schlangen in seinen Beschreibungen von Schlangenmotiven in der griechischen Kunst, und im Besonderen in der archaischen Töpferkunst, zu folgen. Wir machen damit den Schritt von der Textübersetzung zur Bildübersetzung des Abschnitts bei Philo. Küsters Abhandlung untersucht den Übergang vom Naturalismus zur geometrischen Stilisierung in der Kunst,25 von der naturalistischen Abbildung von Schlangen auf steinzeitlichen Knochengravierungen bis zu den Zickzack Schlangenmotiven auf verzierten Werkzeu-
22 In Warburgs Klassifizierungsschema kommen die Bücher über Schlangen (Signatur BFC 805) nach den Büchern über Drachen und Adler, und vor denen über die Symbolik des Kreises. Die Schlangenthemen haben folgende interessante Abfolge: pneuma, Geist, Symbol, sexuelle Symbolik, Phallus und Baumsymbolik. Die meisten davon scheinen sowohl in Philos Texten auf (wie z.B. pneuma und der Adler) wie auch in den Aufsätzen von Fergusson und Warburg. 23 Küster scheint nichts außer seiner Dissertation publiziert zu haben, die 1913 an der Ruprecht-KarlsUniversität in Heidelberg vorgelegt wurde. Warburgs Freundschaft mit Franz Boll, Professor in Heidelberg, erklärt auch, warum die Bibliothek Warburg zusätzlich zu einer Ausgabe des Buches, die von Warburg angezeichnet ist, auch noch eine Kopie von Küsters Dissertation mit einer handgeschriebenen Widmung („In aufrichtig. Verehrung") des Autors an Franz Boll besitzt. 24 Küsters Fußnote bezieht sich darauf, dass bei den Schlangentanzritualen der Hopi, fälschlich Moki genannt, die Tänzer die Schlange im Mund tragen. Küster zitiert zwei Artikel des Anthropologen Konrad Th. Preuss in Globus (vgl. Küster 1913:143 und 161 des Exemplars in der Bibliothek Warburg). Das Erscheinungsdatum des Buches gibt möglicherweise die Zeit an, zu der Warburg die oben erwähnten Notizen über Schlangen in seinen Zettelkästen machte. 25 Die Polarität zwischen „Natur" und „Stil" bei Küster erinnert an eine ähnliche Auseinandersetzung zwischen den organischen Kurven der klassischen Kunst und den anorganischen Winkeln der Gotik in Worringers Abstraktion und Einföhlung (1908). Küsters genetische Linienführung der Schlangenformen hat auch
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Abb. 5. Altgriechische Schlangenmotive nach Erich Küster.
gen der Stämme Zentralamerikas und Ozeaniens (Küster 1913:7), von den Kurven- und Spiralmotiven der minoischen und mykenischen Kunst zu den geradlinig stilisierten Mustern des dorischen Stils: Küster sah eine Entwicklung, die wiederholt zur Geometrisierung führte (Abb. 5a). Die Schlangenform ist zum Teil deswegen signifikant, weil ihr Umriss flexibel jede Form oder Gestalt annehmen kann, indem sie sich der organischen Kurve ebenso gut anpassen kann wie dem konstruierten Winkel. Ein anschauliches Beispiel für eine solche geometrische Transformation war die Entwicklung des griechischen Mäanders, den Küster in einem diagrammatischen Fries von links nach rechts arrangierte: die einfache Spirale, die doppelte Spirale, die sich fortbewegende Spirale (auch als laufender Hund' bekannt), und schließlich der Spiralmäander. Der „Geometrisierung aller Rundornamente" folgend wurden dieselben Spiralen geradlinige Mäander (Küster 1913:10) (Abb. 5b).
Anklänge an die spekulative Methode von Riegls Analyse von dekorativen Ornamenten in seinen Stilfragen (1893), auch wenn Riegl sich strikt geweigert hätte, den Ursprung irgendeines Ornamentes in einer Pflanze oder einem Tier zu suchen. Trotzdem wiederholt sich dieselbe formale Konfrontation zwischen Spiralkurven und rechtwinkeligen Zickzacklinien über die Kunstgeschichte hinaus in den künstlerischen Debatten zu Küsters eigener Zeit: zum Beispiel in dem Kampf zwischen den amöbischen Kurven des kurzlebigen Jugendstils und den sich herauskristallisierenden Vielecken der expressionistischen Bewegung.
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Im Prozess der Umwandlung zu geometrischen Mustern wird es immer schwieriger, die Schlangen zu erkennen. Küster erklärt, dass am Höhepunkt dieser geometrischen Umwandlung das Schlangenmotiv zu abstrakten Wellenbändern oder einfachen Wellenlinien umgeformt wird. Anstelle einer Figur, die zusammen mit anderen Tier- und Pflanzenmotiven von einem Rahmen umschlossen ist, wird die Schlange selbst zum Rahmen, der andere Tier- und Pflanzenmotive einschließt (Abb. 5c). Einer Python gleich verschlingt die Schlangenform alle Objekte, die auf der verzierten Oberfläche still stehen. Das war das überraschendste Argument von Küster. Die Schlange war unheimlich geworden, sie war unsichtbar und zur selben Zeit allgegenwärtig, nicht mehr ein konkreter Körper, sondern ein angsterregender Unkörper. Er konnte nicht gesehen werden, aber er war überall; er konnte nicht verstanden werden, weil alles darin war; wo immer man stand, lief man Gefahr, auf den Schwanz einer Schlange zu treten, die, wie es schien, am Rande ihren Winterschlaf hielt. Man mag nun zu dem Schluss kommen, dass Küster sich derselben Gefahr wie Fergusson aussetzte, dass auch er überall Schlangen sah, besonders dort, wo sie vorher niemand entdeckt hatte. Während Fergusson anfanglich die Schlangenabstraktion vor dem mit Schlingen übersäten Hintergrund entdecken konnte, so wird bei Küster die Schlange unsichtbar, indem sie sich selbst in den Hintergrund verwandelt. Eine solche abstrakte Bedrohung würde ohne figurative Sicherheitsnadeln unerträglich. Küster zeigt, dass sogar im Stadium höchster Abstraktion gewisse Züge die versteckte Schlange verraten. Viele der scheinbar abstrakten Wellenlinien verdicken sich zu einem großen Punkt, der den Schlangenkopf darstellt. Die Wellenlinie kann sich auch in ein offenes Maul teilen oder mit einem Ring aufhören, in dem ein Punkt das Schlangenauge anzeigt. Beim Verfolgen derselben Linien zum anderen Ende stellte Küster fest, dass sie sich immer mehr zu etwas verdünnten, das Schlangenschwanz genannt werden kann (Abb. 5d). Es war, als ob das figurale Unbewusste der Abstraktion endlich seinen Tierkopf zeigte - und der war passenderweise archaisch. Küster wunderte sich darüber, dass Schlangen in der dorischen Keramik zu einem hohen Grade abstrakt gemalt waren, während Schlangen auf Skulpturen völlig naturalistisch blieben. So sind zum Beispiel Schlangen und andere Tierfiguren, die auf archaischen attischen Vasen gemalt sind, stilisiert, während jene Tonschlangen, die die Griffe derselben Vasen bilden, in Vollrelief und mit allen Naturdetails dargestellt sind.26 Das bedeutete, dass kein einheitliches Kunstwollen die Darstellung der Schlange in der archaischen griechischen Kunst bestimmte. Die Schlange schlängelte sich weiterhin zwischen Abstraktion und Bildlichkeit, symbolischer und dekorativer Verwendung, zwischen Figur und Rahmenwerk dahin. Man mag Küsters Hypothesen als formalistischen Hokuspokus verwerfen, typisch für die deutsche Kunstwissenschaft des späten 19. Jahrhunderts. Mögen sie auch fehlerhaft sein, Küsters Erklärungen sind durchschlagend. Küster erklärt den rechtwinkeligen Mäander nicht zur Schlange, weil er wie eine Schlange aussieht, sondern weil er sich wie eine Schlange bewegt. Der Mäander ist ein Dynamogramm von schlangenhafiter Energie. Eine Linie muss nicht kurvig sein, um eine Schlange darzustellen. Die äußere Morphologie ist nicht mehr wichtig - was zählt, ist innere Energie, Kraft und Bewegung. Der geradlinige 26 Küster schrieb die figurative Gestalt dieser Reliefschlangen der Bestattungsfunktion der Vasen zu. In der antiken griechischen Religion repräsentierte die Schlange die Seele des Verstorbenen, die aus dem Boden emporkroch, um die Nahrung, die in der Vase angeboten wurde, aufzunehmen, und wieder in die Erde zurückkehrte (Küster 1913:41-42, 62-72).
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Mäander verstärkt die Energie der Schlange, indem er die Kraft der Schlange in einzelne Abteilungen unterteilt. Jeder Winkel und jedes Hindernis ermöglichen mehr Wachstum. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Küster, den materialistischen Theorien der Nachfolger von Gottfried Semper folgend, die Geometrisierung von Schlangen- und anderen Tiermotiven der in der Bronzezeit steigenden Massenproduktion von dekorierten Artefakten wie Keramik zuschreibt.27 Schlangen waren beliebt, weil ihr Zickzackmuster in die grundlegende Struktur der hergestellten Objekte passte. Von diesem Gesichtspunkt aus könnten die Schlangenmäander der archaischen Keramik als Dynamogramme gesehen werden, die die steigende Energieproduktion beschreiben. Dies ist wahrscheinlich die größte ,graphische' Ähnlichkeit zwischen Küsters griechischen Schlangenmotiven und Warburgs amerikanischen Schlangensymbolen. Egal, ob sie als Regenmacher in den Ritualen der Puebloindianer verwendet werden oder als Energieleiter in die verkabelten Schaltnetze der westlichen Metropolen verwandelt sind - in Warburgs heidnischer Antike und der abermals heidnischen Moderne arbeiten die Schlangen. Niemals sind sie die untätigen Reptilien der Bibel. Zusätzlich zu inhaltlichen Aspekten bieten Küsters Diagramme der Schlangenmotive auch einen alternativen Methodologieansatz zum Studium von Warburgs Schlangenritual. Küster argumentiert, dass in bestimmten Schlangendarstellungen der archaischen Keramik rein geometrische Muster wie Quadrate, Dreiecke und Kreuze, die die schlangenhafte Wellenlinie umgeben, Details der Schlangenhaut darstellen, die allmählich selbständig werden (Küster 1913:35) (Abb. 5e). Es scheint, als ob die elastische Röhre des Schlangenkörpers in sich eine Energie trägt, die das Fassungsvermögen ihres Durchmessers überschreitet. Die Reptilgestalt erscheint als Planet, der seine Masse auf Satellitendarstellungen verteilt, genauso, wie es die Planetengötter und Dekane in Warburgs astrologischer Ikonographie tun. Mit Küsters Schlangenillustrationen als Modell beabsichtige ich die Substanz von Warburgs Schlangenritual aufzuschlüsseln, indem ich nicht den Hauptteil seines Vortrags untersuche, sondern die peripheren Beweisstücke, die sich im Umkreis des Vortrags finden. Notizen und Zeichnungen aus den Zettelkästen sowie handgeschriebene Randbemerkungen und durchgestrichene Sätze aus den unveröffentlichten Entwürfen sind hier die Quadrate, Dreiecke und Kreuze, die wie Satelliten um den Schlangenpfad Warburgs zwischen Amerika und Kreuzlingen kreisen.
6. Warburg und die amerikanischen Schlangen Vorangestellt seien einige Bemerkungen über implizierte Verknüpfungen zwischen Warburg und den vorher genannten Schlangenautoren. Fergussons Tree and Serpent Worship findet sich nicht in der Bibliothek Warburg und wird auch nicht in Warburgs Notizen zitiert. Die Schlangenaufsätze der beiden Autoren weisen jedoch auffallige Parallelen im Kontext auf: das von Großbritannien kolonisierte Indien des späten 19. Jahrhundert bei Fergusson, und das Reservat der Puebloindianer der Jahrhundertwende bei Warburg, das aggressiv in den Kulturbereich der „nordamerikanischen Erziehung" gebracht wurde. In beiden Fällen
27 „Der Grund aber, warum wir diese, den Gesetzen der Kunst folgende Formenentwicklung von der naturalistischen Zeichnung zum Ornament in der paläolithischen Zeit nicht vollzogen finden, liegt, wie Grosse und Hömes erkannt haben, in dem Mangel an industrieller Tätigkeit, da jede Ornamentik eben nur in der vervielfältigenden, praktischen Ausübung und in der Technik überhaupt ihre .stoffliche Voraussetzung' hat." (Küster 1913:7)
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erscheint die Schlange als Symbol des eingeborenen Widerstandes: ein lebendes kulturelles Fossil, sowohl verehrt als auch furchterregend. Die Reaktion der beiden Autoren gegenüber diesem Kontext ist hingegen ganz entgegengesetzt: Während Fergusson konsequent seine Verachtung für die „faulen und wollüstigen" indischen Ophiten zeigt, so war Warburg viel schwankender in seiner Sicht der amerikanischen Ureinwohner, die die Schlangen anbeteten. Fergusson sucht in seiner Einleitung nach einer radikalen Unterscheidung zwischen turanischen Ophiten und arischen Schlangentötern. Im Gegensatz dazu schlägt Warburg Ähnlichkeiten zwischen den heidnischen Elementen der Kulturen der alten Griechen und der Puebloindianer vor, indem er auf symbolische Parallelen zwischen den entsprechenden Formen der Schlangenanbetung hinweist. Obwohl Warburg auf diese Parallelen hinweist, spekuliert er doch nie über eine mögliche .Wanderroute' des antiken Schlangenkultes zwischen dem Osten und dem Westen, wie Fergusson das in seiner Übersicht tut.28 Abgesehen von diesen Unterschieden gibt es weitere Ähnlichkeiten in den intellektuellen Milieus, in denen Fergussons und Warburgs Texte entwickelt wurden. So wie sich in Fergussons Indien Archäologen und Ophiologen für Schlangen interessierten, gab es in Warburgs Neu-Mexiko eine ähnliche facherübergreifende Expertengruppe. Die beiden Forschergruppen, die sich zur Jahrhundertwende in Arizona und Neu-Mexiko einfanden, bestanden einerseits aus Ethnographen und Anthropologen, die die Hopi erforschen und ihren Schlangentanz sehen wollten, und andererseits aus Naturwissenschaftlern und Herpetologen, die die widerstandskräftige Fauna der südlichen Vereinigten Staaten und Nordmexikos untersuchen wollten, mit besonderer Berücksichtigung der verschiedenen Gattungen von Reptilien, die in der Wüste lebten (vgl. Ditmars 1907). Manchmal deckten sich diese zwei Felder, wie im Falle des Werks von Alfred Kroeber und anderer um 1920, deren Forschung von den Trustees des American Museum of Natural History finanziell unterstützt und in den Anthropological Papers des Museums veröffentlicht wurde.29 Die letzten überlebenden Echsen wurden zusammen mit den letzten überlebenden Puebloindianern studiert. Warburg selbst verfolgte eine ähnliche naturgeschichtliche Forschung. Unter seinen bibliographischen Notizen im,Americana' Zettelkasten findet sich die vom Smithsonian Institute herausgegebene ophiologische Studie The poisonous snakes of North America (1895) von Leonhard Stejneger.3 Auch Warburgs Reisetagebücher seiner amerikanischen Reise enthalten nicht nur Zeichnungen von amerikanischen Tiersymbolen, sondern auch Skizzen von wirklichen Tieren, wie zum Beispiel einer Spinne und einer Eidechse, die zwei Seiten des puebloindianischen Vokabelheftes schmücken, das Warburg während seiner Feldforschung angelegt hatte (Abb. 6). Schließlich bezieht sich noch eine Gemeinsamkeit zwischen Warburg, Fergusson und Küster auf das etablierte Muster, „überall Schlangen zu sehen, wo anfangs keine waren". War-
28 Fergusson spekuliert, dass der Schlangenkult vom Nahen Osten über das Mittelmeer nach Griechenland getragen wurde und sich dann bis zu den druidischen Wäldern Europas ausbreitete (Fergusson 1868:20). Später sieht sich der Historiker allerdings vor einer unlösbaren Frage, wenn er gezwungen ist, die gleichzeitige Blüte des Schlangenkultes in Asien und Amerika, Kambodscha und Mexiko zu erklären: „Is it possible that it [i.e., snake worship] might have crossed the Pacific (via China and the islands of America Eastern Pacific) and landed on the Western coast of America, and from there finally, bloomed in Mexico's Anahuac?" (Fergusson 1868:37-38). Falls dies zuträfe, „how did the Pelasgoi come to North America?" (Fergusson 1868:74) 29 Siehe Alfred Kroeber, 1917, „Zuni Kin and Clan", Anthropological Papers of the Museum of Natural History 18 (1). 30 Warburgs Notiz findet sich in WIA, Zettelkasten 040/020591.
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19 und 78. Copyright Warburg Institute, London.
bürg gesteht, dass er nie den Hopi Schlangentanz gesehen, sondern nur darüber gelesen hatte. Es ist zweifelhaft, ob Warburg überhaupt jemals eine lebende Klapperschlange sah, obwohl er viele auf Hopi-Kunstwerken und in den ethnographischen Studien, die er in amerikanischen Bibliotheken las, dargestellt gesehen haben musste. Wenn die Schlange auch dem Fangnetz des Historikers entschlüpfte, so rückte sie doch immer wieder in den Blickpunkt Warburgs, seines kunsthistorischen Bilderarchivs oder Mnemosyneatlas. In der zweiten Hälfte seines Schlangenvortrags unterbricht Warburg seine amerikanische Photodokumentation, um eine eigentlich separate Diavorführung von Schlangenbildern in der westlichen Ikonographie zu zeigen: Jane Harrisons Mänaden, die Schlangen als Diademe tragen, Asklepios mit der heilenden Schlange um seinen Stab geschlungen, Moses und seine eherne Schlange am Kreuz, Giulio Romanos Verkäufer von Mitteln gegen Schlangenbisse (Theriakverkäufer), der Schlangen um seinen Hals trägt, und natürlich Laokoon. Das sind die Erinnerungsbilder, die die Vater- (und manchmal Mutter-) Figur der Schlange darstellen. Wenn man dieses breite Sortiment der Bilder betrachtet, möchte man schließen, dass Warburgs Schlangenritual weniger ein Vortrag über die Schlange an sich als über Warburgs Methodologie der Schlangenverbindungen ist, der im Verborgenen existierenden Assoziationen von Gegebenheiten, die auf nicht miteinander verknüpften Ort- und Zeitebenen stattfinden: archaisches Griechenland und modernes Amerika, Athen und Oraibi, Florenz und San Francisco. Es ist, als ob die sich immerwährend gabelnden Bahnungen in Warburgs Wanderkarte der Ideen die Schlangen seiner ständig wachsenden psychologischen Erregung bildlich umsetzen. Diese schlangenhaft gewundenen Affinitäten reichen über das Gebiet der Bilder hinaus. Warburg war ein Historiker des Bildes und des Wortes, und daher sind auch die Hinweise auf Texte in einem Vortrag mit dem Titel ,ßilder (aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer)" von Bedeutung. Beim genauen Lesen des Schlangenrituals (sowohl der veröffentlichten Version als auch der verschiedenen Entwürfe) entdeckt man in der Tat, dass jede zweite Phrase in Warburgs Text mit einem anderen Text verbunden ist. Die Werke von Jane Harrison, Vignoli, Lactantius, Goethe, Hans Vaihinger und seine Philosophie des Als-Ob sind nur einige wenige Beispiele dieser unterirdisch vorhandenen Anklänge. Da Warburg während der Vorarbeiten zu seinem Vortrag keinen Zugang zu den Spezialwerken in seiner Bibliothek hatte, musste er viel aus dem Gedächtais zitieren. Nach dem eigentlichen Vortrag fugte er zwar einige bibliographische Verweise in die handschriftlichen Einfügungen zum Typoskript ein, aber da die letztendlich veröffentlichte Version des Vortrags fast ohne Fußnoten erschien, verbleiben diese Gedächtniszitate uneingestanden, manchmal sogar von Warburg selbst.
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6.1. Die Erneuerung der phönizischen Antike Das trifft auch im Falle des Zitats über die Schlangenbewegung aus Philos Phönikischer Geschichte zu. Von Warburgs wissenschaftlichen Notizen aus schlängelt es sich über die Entwürfe des Kreuzlinger Vortrags, um schließlich in der Druckausgabe des Schlangenrituals zu landen. Ein verteufelter Zufall wollte es, dass das Zitat aber nicht im Text, sondern in einer Fußnote der Herausgeber des Journal of the Warburg Institute erscheint. Die Herausgeber fugten diese Fußnote in den Absatz ein, in dem Warburg die Schlange das „natürlichste Symbol der Unsterblichkeit und der Wiedergeburt aus Krankheit und Todesnot" nennt und der der Diskussion von Asklepios und Heilung vorangeht (Warburg 1938-39:289).31 An dieser Stelle schrieben die Herausgeber: „In a first draft of this passage, Professor Warburg explained the symbolic power of the snake-image in the following way," und obwohl der ganze Artikel auf Englisch übersetzt wurde, erschien der folgende Abschnitt auf deutsch: Welche Eigenschaften bringt die Schlange mit, um sich als verdrängender Vergleicher in Literatur und Kunst einzustellen? 1. Sie durchläuft mit dem Jahr den Lebenskreislauf vom tiefsten Todesschlaf bis zum stärksten Leben. 2. Sie wechselt die Hülle und bleibt dieselbe. 3. Sie ist nicht imstande, auf Füßen zu laufen und besitzt trotzdem ein Maximum von sich vorwärts bewegender Schnellkraft in Verbindung mit der absolut tödlichen Waffe des Giftzahns. 4. Für das Auge bietet sie dabei ein Minimum an Sichtbarkeit, besonders wenn sie sich in der Farbe nach den Gesetzen der Mimikry der Wüste anpaßt, oder aus dem Erdloch, in dem sie verborgen liegt, herausschnellt. 5. Phallus. Das sind Qualitäten, die sie für das, was in der Natur >ambivalent< ist, tot und lebendig, sichtbar unsichtbar, (ohne vorheriges Warnzeichen und rettungslos beim Anblick verderblich) als verdrängendes Symbol unvergeßlich machen. (Warburg 1938-39:289 und Warburg 1996:57; Hervorhebung des Verf.) Die erste Hälfte der dritten Eigenschaft über „Schnellkraft" ohne „Füße" bezieht sich offenbar auf Philos „Geschwindigkeit ohne Füße", wie Warburg bei Baudissin gelesen hatte, obgleich man anmerken muss, dass Warburg die wie ein Wunder anmutende Bewegung der Schlange mit ihrem tödlichen Giftzahn verbindet. Das ist eine Beziehung, die frühere Autoren, wie auch Fergusson, der zweifelsohne von der „Grazie" und „Schönheit" der Schlange geblendet war, nicht gesehen hatten. Bei Warburg ist es so, als ob die irrationale Fortbewegungsart der Schlange selbst tödlich sei. Die Schlange ist ein „phobisches Objekt" und nicht ein schönes Tier. Andere Eigenschaften, die Warburg erwähnt, betonen dieses angsterregende Element. Die Mimikry in der vierten Eigenschaft taucht später wieder auf, wenn Warburg die Schlange als „sichtbar unsichtbar" beschreibt. Es gab tatsächlich einige wissenschaftliche Untersuchungen über Tiermimikry um die Jahrhundertwende, die sich spezifisch mit Schlangen
31 Dieser Band des Journal of the Warburg Institute (JWI) enthält einige Artikel über ähnlich heidnische Themen: unter anderem Rudolf Wittkowers Tree and Serpent Worship: a study in the migration, denen Warburgs Vortragstext direkt nachgestellt ist, und andere Artikel über den Lebensbaum, heidnische Opfer und orphische Segnungen (vgl. auch Warburg 1996:46).
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beschäftigten. 32 Schließlich ist die fünfte Eigenschaft, die Identifizierung der Schlange mit dem Phallus, nicht wirklich ein Verweis auf Freud (wie Leser heute denken mögen), 3 3 sondern auf die wissenschaftlichen (und auch unwissenschaftlichen) Abhandlungen über die Beziehung zwischen Schlangenanbetung und Phallusverehrung in der Antike. 3 4 Es ist jedoch interessant, w i e für Warburg schließlich die Elastizität der sich windenden Schlange mit der Steifheit des permanent steifen Phallus zusammengefasst wird. 35 Im maschinenschriftlichen Original ist derselbe Abschnitt, datiert v o m 26. März 1923, ein paar Zeilen länger, die von den Herausgebern des JWI nicht in die Fußnote aufgenommen wurden. Wenn sich Teile dieses Abschnitts auch wiederholen, so ist dieser Rest, der die Schlange als „Urelement" beschreibt, doch wichtig: Alles, was rätselhaft und schnell. Ein Complex maximaler Bewegungsfahigkeit bei minimaler Angriffsfläche. Dabei dem Todes-ähnlichen Schlaf periodisch ausgesetzt und der Metamorphose ihrer Haut unterworfen. Darum ist sie der gegebene verdrängende Vergleicher für Ereignisse, bei denen der Mensch eine kausal unerklärliche, organische oder anorganische Veränderung erfahrt oder sieht. Ewigkeits-Symbol (Zrwân). Die Schlange als Wandlungs-Symbol. (WIA, III.93.4., 96) Diese wenigen zusätzlichen aphoristischen Aussagen, und besonders Warburgs doppelte Antithese im Ausdruck „eine kausal unerklärliche, organische oder anorganische Veränderung" kann als weiteres Echo von Philos Phrase der rätselhaften Schnellkraft der Schlange aufgefasst werden. Diese beiden dynamischen Polaritäten - organisch/anorganisch und kau32 Vgl. Anderson 1897: Anderson beschreibt hier, dass manche ungiftige Schlangengattungen im Aussehen den giftigen ähneln, um sich zu schützen. Anderson unterscheidet auch zwischen defensiver und aggressiver Mimikry. Vgl. auch das Kapitel über „Reptiles and Amphibians" im bekannteren Buch von Thayer (1909:172). Diese Bücher befinden sind nicht in der Bibliothek Warburg, die Bibliothek verzeichnet jedoch zwei Ausgaben der Studie von M.C. Piepers, Mimicry, Selektion, Darwinismus. Biologische Studien (Leiden 1907 und 1903). 33 Freuds Quellen für die Verbindung zwischen Schlange und Phallus unterscheiden sich kaum von denen Warburgs. In The Interpretation of Dreams schreibt Freud: „Many of the beasts which are used as genital symbols in mythology and folklore play the same part in dreams: e.g. fishes, snails, cats, mice (on account of the pubic hair), and above all those most important symbols of the male organ - snakes." (Freud 1965:391392). Hätte Warburg eine der späteren Ausgaben der Traumdeutung gelesen, hätte es ihn vielleicht amüsiert zu sehen, dass Freud die Schlange/Phallus mit einem Kleidungsstück, wenn auch einem männlichen, nämlich der Krawatte, assoziierte. In einer Fußnote, die er 1914 einfugte, zitiert Freud die Zeichnung eines 19jährigen manischen Patienten, die „represents a man with a necktie consisting of a snake which is turning in the direction of a girl", eine Skizze, die Freud in einem Artikel von Rorschach im Zentralblatt fiir Psychoanalyse (1912) gesehen hatte. 34 Otto Weinreich, eine von Warburgs klassizistischen Quellen, verweist auf den Schlangen/PhallusKomplex als „Schlange gleich Phallos"-Gleichklang von Symbolen und erwähnt seine apotropäische Funktion gegen das Böse [αλεξικακος] in der Religion der griechischen Antike (Weinreich 1909:93, 108). Vgl. auch, auf einem weniger wissenschaftlichen Niveau, die anonyme Publikation Ophiolatreia (1889:10-16) über die phallischen Ursprünge des Schlangenkultes. In der Bibliothek Warburg gibt es mehrere Druckwerke derselben Serie, unter anderem eines über Phallism. 35 Man könnte einen weiteren Aufsatz über die Komplexität schreiben, die die geschlechtliche Assoziation der Schlange mit sowohl männlichen als auch weiblichen Figuren impliziert. Das grammatikalisch weibliche Geschlecht der Schlange ergibt natürlich einen Kontrast zum Phallus, in den sie sich verwandelt. Für eine Einführung zur Ikonographie von Bildern von „Schlangenfrauen" zur Jahrhundertwende siehe Bram Dijkstra, Idols of Perversity. Fantasies offeminine evil in fin-de-siècle culture (London 1986). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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sal/unerklärlich - beschreiben exakt die eigentliche Verblüffung, die durch die unbeständige Natur der Schlange ausgelöst wird. Es ist, als ob Warburg hier bestätigt, dass trotz der Fortschritte in der zeitgenössischen Tierphysiologie die Ursache für die unorganische Bewegung der Schlange unerklärlich bleiben würde. Es ist nun allerdings der Mensch, der durch seine einfühlende Identifizierung mit der Schlange diesen organischen/anorganischen Prozess der Veränderung an sich selber „erfahrt oder sieht". Laokoon und der Indianer „erfahren" beide die anorganische Veränderung, die durch die Schlange ermöglicht oder aufgezwungen wird. Laokoons Söhne erkennen, dass sie in den anorganischen Schlangenzustand hineingezwungen werden, wenn die sie umwindenden Schlangen ihre Arme und Beine abschnüren. Warburg „erfährt" oder „sieht" diese Schlangenpassion: Er fungiert einmal als Zuschauer, dann als Leidensgenosse. Im Kreuzlinger Vortrag fasst er die beiden Haltungen in einer zusammen: Er ist Zuschauer bei seiner eigenen Passion. Warburg verstand die Schlange nicht nur als Symbol, sondern auch als abstraktes Dynamogramm der Energie, die durch eine Reihe von Objekten, menschlichen Figuren und Naturvorgängen übertragen wurde. An einer anderen Stelle des maschinenschriftlichen Originals erklärt eine ähnliche Formulierung über die unerklärliche Bewegung der Schlange die Assoziation zwischen Schlange und Blitz, d.h. die Blitzschlange der amerikanischen Ureinwohner:36 Die Schlangenformation des Blitzes, das Rätselhafte seiner Bewegung, ohne deutlich feststellbaren Anfangs- und Endpunkt seiner Bewegung, seine Gefährlichkeit teilt er mit der Schlange, die ein Maximum der Bewegimg und ein Minimum der Angriffsfläche bietet.37 Wenn man sie in ihren gefahrlichsten Formen in den Händen hält, nämlich in der Klapperschlange, wie der Indianer es tatsächlich tut, sich von ihr beißen lässt und sie nachher nicht etwa tötet sondern wieder in die Wüste hinausbringt, so hat Menschenkraft durch handmäßiges Erfassen eben zu begreifen versucht, was sich in Wirklichkeit seinen Hantierungskünsten entzieht. (WIA, III.93.4., 18) In diesem letzten Satz liegt die Betonung weniger auf der Bewegung der Schlange als auf deren Einfangen durch bloße Menschenhand. Wie Vignoli verstand Warburg die Bewe-
36 Interessanterweise bedeutet in der Sprache der Zuni das Wort für Blitz die Bewegung der Schlange und nicht die Schlange an sich. Cushing schreibt: „For instance, lightning is often given the form of a serpent, with or without an arrow pointed tongue, because its course through the sky is serpentine, its stroke instantaneous and destructive; yet it is named Wì-lo-lo-a-ne, a word derived not from the name of the serpent itself, but from its most obvious trait, its gliding, zigzag motion. For this reason, the serpent is supposed to be more nearly related to lightning than man; more nearly related to man than is lightning, because mortal and less mysterious." (Green 1979:195; nach Cushing 1893:9-45) 37 Der Ausgangspunkt für sowohl diese Stelle als auch für die oben zitierte über die maximale Bewegung und minimale Angriffsfläche der Schlange mag ein Aphorismus sein, den Warburg in Grundlegende Bruchstücke für eine monistische Kunstpsychologie über die Schlange geschrieben hatte - Aphorismus Nr. 354 (datiert 27.III.97 und in Berlin geschrieben): „Wenn das Tierbild als ausgeprägterer und eindeutiger Eigenschaftsträger die causale Zurückbeziehung von Bewegungsveränderungen erleichtert, so muß die Schlange deshalb besonders geheimnisvoll wirken, weil hier ein Maximalmaaß der Bewegungsmöglichkeit mit einem Minimalmaaß der Angriffsfront bietet" (WIA, III.43.2., 37 [Ms] und III.43.2.2., 144 [Ts]). Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob Warburg eine der handschriftlichen Kopien seiner Bruchstücke in Rreuzlingen hatte, oder ob er einige seiner Formulierungen lediglich aus dem Gedächtnis abrief (für weitere Information über schriftliches Material, das Warburg geschickt wurde, vgl. den Aufsatz von Dorothea McEwan in diesem Band).
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gung als eine giftige Bedrohung, die verhindert werden musste, nie als eine Ursache mitfühlenden Genusses, der nachgeahmt oder nachvollzogen werden konnte.38 Wie oben erwähnt, war der Abschnitt mit den fünf Ureigenschaften der Schlange nicht Teil des Textes von Warburgs Kreuzlinger Vortrag. Die maschinenschriftliche Unterlage dieser Vorlesung, die vor dem Heilanstaltspublikum am 21. April 1923 gehalten wurde, ist im Warburg Archiv in drei maschinenschriftlichen Kopien überliefert (WIA, III.93.1., 93.2. und 93.3.1.), von denen jede andere handgeschriebene Anmerkungen von Warburg und/oder Saxl aufweist. Die erste Kopie (WIA, III.93.1.) enthält Vermerke von Warburg selbst sowie eine relativ große Anzahl an Verweisen und Zusätzen, die nicht in der veröffentlichten Ausgabe im JWI vorhanden sind. Das maschinenschriftliche Typoskript, das von Gertrud Bing und anderen Herausgebern zusammengestellt wurde (WIA, III.93.3.2.) und auf dem W. F. Mainlands englische Übersetzung für das JWI basiert, hat keine Fußnoten. Die fünf Fußnoten, die im JWI veröffentlicht wurden - vor allem bibliographische Hinweise auf Emil Schmidt, Jesse Walter Fewkes, Jane Harrison und Lactantius - sind wohl nach der Übersetzung eingefügt worden, was auch erklärt, warum die einzige Fußnote, die nicht ein bibliographischer Hinweis ist, auf Deutsch blieb. An der Textstelle, wo diese Fußnote eingefugt wurde, weist Warburgs Original keinen Einschub auf. Das Thema des betreffenden Abschnitts, in dem die Schlange ein „Symbol der Unsterblichkeit und der Wiedergeburt" (Warburg 1996:46) genannt wird, muss die Herausgeber bewogen haben, diese Fußnote einzufügen, die einen Abschnitt über die Schlange als „Urelement" und „Ewigkeitssymbol" aus einem früheren Entwurf Warburgs enthält.39 Der betreffende Abschnitt stammt aus dem Entwurf seiner Beschreibung der amerikanischen Reise Reise-Erinnerungen aus dem Gebiet der Pueblos (WLA, III.93.4.), wahrscheinlich zwischen dem 13. und 29. März 1923 in Vorbereitung der Vorlesung geschrieben. Der Text unterscheidet sich allerdings weitgehend vom Vortragstext einen Monat später. WIA, III.93.4. scheint tatsächlich als persönliche Erinnerungen gedacht, was vielleicht erklärt, warum so wenig davon in Warburgs öffentlicher Vorlesung verwendet wurde.40 Wenn dieser Abschnitt auch etwas konfus und manchmal verwirrend ist, so ist diese Erinnerung doch von großer Bedeutung. Da Warburg keinen druckfertigen Text verfassen musste, führte er einen inneren Monolog, der seine „Wanderkarte der Ideen" in nicht vorherzusagende Richtungen lenkte. Von den bellenden Hunden Darwins und der nilpferdartigen Lokomotive Heinz Werners zu den indianischen Heldinnen billiger deutscher Taschenbücher und den Getreidespeichern in der Wüste Arizonas: Die Erinnerungsbilder aus Warburgs Leben und wissenschaftlicher Erfahrung fließen ohne Hemmung mit der Geschwindigkeit einer Filmkamera oder einer Dampflokomotive. Von Kreuzlingen aus wiederholt Warburg seine Reise mit der amerikanischen Eisenbahn vorbei an den früheren Haltestellen. Gerade in diesem ungeordneten Erinnerungsfluss versucht Warburg eine Art von Ordnung herzustellen, indem 38 Eine ähnliche Problemstellung zwischen Bewegung und Stillstand findet sich in Warburgs Dissertation über Botticelli. Darin stellte Warburg das frei bewegte weibliche Beiwerk (Gewand und Haare) dem Thema der amourösen Verfolgung, Entführung und Raub (amor fugitivus) gegenüber, wobei die verfolgte weibliche Gestalt von einem Kentaur oder männlichen Gott bewegungsunfähig gemacht wird, genauso wie die Schlange vom Puebloindianer gefangen („mit der Hand gepackt") wurde. 39 In einem Plan für diesen Entwurf steht dieser Abschnitt unter dem Titel „Schlange, warum als Urelement?" (WIA, III.93.4., 7) 40 WIA 93.4. wurde erstmals veröffentlicht in einer französischen Übersetzung als Appendix zu PhilippeAlain Michauds Buch A by Warburg et l'image en mouvement, mit einem Vorwort von Georges DidiHuberman (1998:248-280).
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er seine nummerierten Thesen über die Schlange formuliert. Ähnlich der Aufgabe, die sich Fergusson in seiner Übersicht der Schlangenverehrung setzte, war sein Ziel, die scheinbar unerklärliche Faszination der Schlangen zu erklären. Die durchnummerierte Liste stellt auch Warburgs Versuch dar, seine eigene irrationale Ambivalenz zu erklären, d.h. seine gleichzeitige Faszination durch und Angst vor Schlangen. Im gesamten Schlangenritual wird die Schlange entweder als kakodaemon (böser Dämon) - ein „verdrängender Vergleicher", der „ins Feuer gehört" (WIA, III.93.4., 95-96) - oder als agathodaemon (guter Geist) - der sich um den Äskulapstab schlingende Heilbringer - charakterisiert. Warburg gestattet dem Abbild des Asklepios nur allmählich und fast zögernd den Vortritt vor den Mänaden. Er brauchte 27 Jahre, um zu erkennen, dass für die Indianer die Schlange nicht notwendigerweise ein „phobisches Objekt" ist. Es ist eine Tatsache, dass sich die Hopi respektvoll um die Schlange als hilfreiche Mitarbeiterin kümmern und nicht angsterfüllt sind, als ob sie eine rachsüchtige Gottheit wäre. Die Schlange „als phobische Reaktion" auf die feindliche Umwelt überlässt langsam der Schlange als existentieller Verbindung mit der Natur ihren Platz - ein Beispiel für das „befreiende Erlebnis der schrankenlosen Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und Umwelt" (Warburg 1996:10) bei den Puebloindianern. Man könnte das Schlangenritual als ein Zeichen für Warburgs zögernden Entschluss lesen, die Schlange als Heiltier und nicht nur als zerstörenden Dämon anzuerkennen (durch die wohlwollende Ermunterung Binswangers - des Asklepios Kreuzlingens). Vielleicht lernte Warburg in Kreuzlingen, dass es manchmal besser ist, mit dem eigenen Drachen tanzen zu lernen, wie die bescheideneren Hopi mit der Schlange, anstatt das ganze Leben damit zu verbringen, ihn wie der ritterliche Hl. Georg erschlagen zu wollen. Beide Begriffe, agathodaemon und kakodaemon, die Warburg im Schlangenritual verwendete, wurden schon von Baudissin verwendet - und wie wir gesehen haben, notierte sich Warburg das Wort agathodaemon in seinen Bemerkungen zu Baudissins Kommentar zu Philos Phönikischer Geschichte. Das schließt den Kreis und bringt uns zurück zum Anfangspunkt: Warburgs philologische Notizen aus seinen Zettelkästen über Heilung. Die meisten dieser Bemerkungen sind bibliographische Hinweise über die therapeutischen Eigenschaften von Schlangen, und einige Quellen können in der entsprechenden Abteilung über Pharmakopoen im vierten Stock der Bibliothek im Warburg Institute nachgesehen werden. Warburg erwähnt in seinen Notizen besonders die folgenden Bücher: Baudissins EsmunAsklepios (1904) und Semitische Studien (1876); Otto Weinreichs Antike Heilungswunder (1909), mit Notizen auf Seite 47 über „Heilkraft gegen Schlangen" und „Psyller in Afrika, Marser in Italien, Ophiogenesis in Pariai auf Kypros"; A[ugust] Marx' Griechische Märchen (1889:124); [Salomon] Reinachs Cultes [mythes et religions] (S. 23); Jacob Maehlys Die Schlange im Mythus und Cultus der classischen Völker (Basel 1867); [J. L.] Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage (8 Bände, 1865-73), mit einer Notiz über Schlangen Weissagung; [Friedrich Leberecht Wilhelm] Schwartz' Die [Alt-] griechischen Schlangengottheiten (Berlin 1858, 1897); und [Immanuel] Benzingers Hebräische Archäologie, mit einer Notiz über „Schlange in Geza gefunden S. 328." (WIA, 006-002157-60).41
41 Ein weiteres anekdotisches Beweisstück der Warburgforschung findet sich in der Bibliothek im Warburg Institute in einer von drei Ausgaben von Immanuel Benzingers Hebräischer Archäologie (Leipzig 1894, Tübingen 1907, Leipzig 1927). Die Ausgabe von 1907 hat noch immer ein gelbliches Lesezeichen auf Seite 328 vor der Abbildung der Bronzeschlangen, die in Geza gefunden wurden (dieselbe Seite, die Warburg in Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Viele dieser Bücher, unter anderem jene von Baudissin, Uhland und Maehly, sind nicht in der Bibliothek Warburg, was erklären mag, warum Warburg sich Notizen machte. Obwohl diese Notizen nicht eindeutig zu datieren sind (die Handschrift scheint auf ein frühes Datum zu deuten, aber sie müssen nach dem Erscheinen von Weinreichs Antike Heilungswunder 1909 entstanden sein), können wir annehmen, dass sie in Verbindung zu Themen stehen, die Warburg lange Zeit studierte, wie Mittel gegen Schlangenbisse und Verkäufer dieser Mittel, da die meisten im Zusammenhang mit Heilung stehen. Gertrud Bing und Fritz Rougemont, Herausgeber der Gesammelten Schriften von 1932, veröffentlichten Teile dieser Forschung in Form eines ausführlichen Anhangs an eine Synopsis von drei Kulturgeschichtlichen Beiträgen Warburgs (1929) - einer davon verweist auf Giulio Romanos Rundbild eines Verkäufers von Mitteln gegen Schlangenbisse. Der Anhang enthält einen langen Verweis auf die Herstellung von Theriak (Warburg 1932d:301-303, 439-440). Diese weniger bekannten verschlungenen Fäden in Warburgs wissenschaftlichen Notizen beweisen, dass Warburg noch lange nach seiner Rückkehr aus Amerika weiter über das Thema der Ophiolatrie forschte und, was wichtiger ist, weiterdachte - und dass die Schlangen daher nicht plötzlich 27 Jahre später in Kreuzlingen aus dem Nichts wieder auftauchten. Eine Frage, die diese Notizen aus den Zettelkästen aufwerfen, bleibt unbeantwortet: Warum transkribierte Warburg das Zitat von Philo über die Fortbewegung von Schlangen mitten unter diesen Verweisen, in denen es vor allem um Heilung geht? Es mag sein, dass er Philos (und Baudissins) Verweise auf die Schlange als agathodaemon in der ägyptischen Religion betrachtete (was mit dem Ursprung von Asklepios in der semitischen Theologie zusammenfiel) und nur durch glücklichen Zufall über die Textstelle zur Fortbewegung der Schlange „ohne Füße und Hände" stolperte. Ist es aber nicht auch möglich, dass Warburg in diesem gliedlosen Mäandern etwas erkannte, was ebenso therapeutisch war, aber eine Alternative - eine Bewegung, die in sich selbst eine Art von Heilung war, wie der Schlangentanz der Hopi? Nach Paul Souriau stellt Bewegung das „beste Betäubungsmittel gegen den Schmerz dar."42 Warum wird dann allerdings diese therapeutische Bewegung in den Kreuzlinger Erinnerungen giftig, als Warburg der Schlange „Schnellkraft" „ohne Füße und Hände" mit „der absolut tödlichen Waffe des Giftzahns" verbindet? Obwohl die Gründe der Warburgschen Ambivalenz der Schlange gegenüber komplex sind, ist sein echtes Interesse an Philos Formulierung leicht zu verstehen. Von dem Zeitpunkt an, als er erstmals das Thema für seine Dissertation über bewegtes Beiwerk in der Malerei des Quattrocento in groben Zügen umriss, faszinierten Warburg Körper, die sich scheinbar von selbst und ohne rationale Begründung bewegten. Eines von Warburgs Hauptbeispielen war eine manieristische Haarlocke an einigen Frauengestalten aus der Schule Botticellis, die schlangenartig flatterte, „ohne durch die Körperbewegung begründet zu sein" (Warburg 1932e:47). Wenn man dazu Albertis Anweisung in De Pictura nimmt, dass Maler menschliches Haar „come serpe (serpantum)" darstellen sollten,43 so scheint sich der
seinen Notizen erwähnt). Warburg unterstrich außerdem die Seitenzahl im Index dieses Buches unter dem Wort Schlange, wie auch andere Hinweise auf Schlangen. 42 „Le mouvement est le meilleur des anesthésiques." (Souriau 1889:12) 43 Warburg zitierte in seiner Dissertation den ganzen Abschnitt über die bildliche Darstellung von bewegten Objekten aus Albertis De Pictura aus Janitscheks zweisprachiger italienisch-deutscher Ausgabe (vgl. Janitschek 1877:128-131).
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Kreis von Warburgs Ikonographie der bewegten Schlange zu schließen - und immer weiterzudrehen.44 Während der Kern der Warburgschen philosophischen Problemstellung über die Bewegung relativ beständig bleibt, ändert sich die äußere Form im Laufe der Jahre. Dies zeigt sich an einem „verteufelten" Detail in Warburgs nicht dokumentiertem Verweis auf Philo. Das Zitat von Baudissin, das Warburg in seinen Zettelkästen-Notizen transkribierte, lautet folgendermaßen: „Geschwindigkeit ohne Füße und Hände ... womit die anderen Thiere sich fortbewegen." In seiner eigenen Formulierung, die in Kreuzlingen verfasst wurde, schrieb Warburg: „Sie ist nicht imstande, auf Füßen zu laufen und besitzt trotzdem ein Maximum von sich vorwärts bewegender Schnellkraft." Da Warburg den Großteil seiner Notizen nicht zur Hand, und nur wenige Bücher zur Verfügung hatte und daher Gedanken nur niederschreiben konnte, wie sie ihm einfielen, ist es verständlich, dass Verweise auf Texte, die er vor langer Zeit gelesen hatte, ungenau sein würden. In diesem Fall allerdings weist das als unrichtig erinnerte Zitat einen bemerkenswerten Vorzug auf. Warburgs Schnellkraft ist etwas ganz anderes als die Geschwindigkeit bei Baudissin. Beide Begriffe beziehen sich auf Philos griechisches τάχος, was die Schnelligkeit oder, wie wir heute sagen, Geschwindigkeit der Schlange konnotiert. Schnellkraft hat allerdings nicht die fließende Eigenschaft von Geschwindigkeit, sie bezieht sich eher auf etwas weniger Kontinuierliches und mehr Mechanisches: explosiv, ruckartig, einem Druck gehorchend. Sie beschreibt eine latent mächtige Energieform anstelle einer aktiven fortlaufenden Bewegung. 45 Zudem wurde das Wort Schnellkraft nicht nur zur Beschreibung von Bewegungen lebender Organismen wie von Menschen oder Tieren verwendet, sondern auch für Maschinen wie Züge und Automobile. Vielleicht war der Grund für diese mechanische Wiedergabe von Philo einfach darin zu suchen, dass zwischen dem Zeitpunkt, als Warburg die Philo-Textstelle aus Baudissin kopierte, und 1923, als er die Entwürfe für seinen Vortrag schrieb, Autos und ihr pneumatisches Beiwerk überall zu finden waren. Das bringt mich zu einer anderen Schlange in Verbindung mit Warburgs Amerikareise, deren Bewegung auch der Schnellkraft näher steht als der Geschwindigkeit. Ich meine die Lokomotive in der Karikatur von Gelett Burgess, die Warburg als Illustration zu seinem kurzen Aufsatz „Amerikanische Chapbooks" (1897) (Abb. 7) aussuchte.46 Burgess' Schlussvignette zeigt einen Zug, der schlangenartig in einer symmetrischen Verflechtung mit welligen Rauchbändern und den Kabeln von Telegraphenmasten in die Luft springt. Sowohl Lokomotive als auch Eisenbahn tauchen in Warburgs frühen Beschreibungen seiner Puebloreise immer wieder auf und spielen auch in seinen Fotografien der amerikanischen Grenze eine
44 Die Schlange tritt in Warburgs Ikonographie versteckt auch in seinem Aufsatz über Luther auf, wo er bemerkt, dass der Kapuzenzipfel eines der beiden Mönche, die den Teufel auf der Schulter tragen „schlangenartig" zu Boden fallt. Wieder einmal begleitet die Schlange Satan. Warburg fällt allerdings auch auf, dass der Mönch aus dem 16. Jahrhundert mit dem schlangenartigen Kapuzenzipfel der Figur des ÄskulapSchlangenträgers, die in mittelalterlichen illuminierten Kalendern fortlebte, verwandt ist (vgl. Warburg 1932b:515). 45 Warburgs wissenschaftliche Notizen in den Zettelkästen enthalten einige Abteilungen über Naturwissenschaft, Mechanik und Energetik. In einer seiner Notizen zur Energetik zitiert Warburg aus der Lehre von der Energie (Leipzig 1887) des Physikers Georg Helm eine Textstelle, in der Helm zwischen kinetischer und potentieller Energie unterscheidet: Kinetische Energie hat mit Bewegung zu tun, potentielle Energie mit Organisationsmethode (vgl. Notizen zur Energetik in WIA Zettelkasten Nr. 4). 46 „... Schnellzug, Telegraphenstangen und Rauchwolken zu einem launigen Ornament zusammenfügen" (Warburg 1932a:573). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Abb. 7. Gelett Burgess, Schlussvignette mit Lokomotive, The Lark, San Francisco 1896.
wichtige Rolle. Lokomotive, Eisenbahn und natürlich Pferdewagen waren die Haupttransportmittel durch die Wüste in den südlichen Vereinigten Staaten um die Jahrhundertwende. In seinen Erinnerungen erwähnt Warburg den Vergleich der Lokomotive mit dem Pferd oder dem Nilpferd in den Augen der unwissenden Eingeborenen als ein Beispiel für „objektiven Biomorphismus".47 Die Schlangenlokomotive des kalifornischen Vignettenkünstlers ist ein Beispiel für den tierischen Biomorphismus der Maschinen. Neben Geschwindigkeit ist ein weiteres wichtiges Wort aus Philos Text πνευματικός (pneumatisch) und der zugehörige Superlativ πνευματικοτατος (von Baudissin als geistigste übersetzt). Zu Warburgs Zeit hatte das Wort pneumatisch eine ganz andere Bedeutung als zu Baudissins Zeiten. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es sowohl auf Französisch als auch auf Englisch am häufigsten als Hauptwort benutzt, um verschiedene Mittel im Bereich der Telekommunikationstechnologie zu bezeichnen.48 Pneu war auch das allgemeine Wort, das für Fahrrad- oder Automobilreifen zu der Zeit verwendet wurde (im Französischen pneu oder pneumatique. Zu dieser Zeit waren Michelin und Goodyear in Europa bzw. Amerika führend in der pneumatischen Technologie). Vielleicht haben deshalb die bekannten Fotos aus den Büchern von Jesse Walter Fewkes und Heinrich R. Voth über den HopiSchlangentanz, die Schlangen übereinander gehäuft zeigen, von denen die kiva gleichsam übergeht, nicht nur eine formelle sondern auch eine linguistische Verwandtschaft mit dem Foto in Moholy-Nagys von material zu architektur, das einen stetig anwachsenden Opferhaufen von gebrauchten Autoreifen zeigt - ein Anblick, der seit Anfang der Zwanzigeijahre
47 Diese Stelle ist wegen eines kreativen Fehlers Warburgs interessant: „Oder wenn der Indianer (durchgestrichen und durch Bafiote ersetzt) die Lokomotive einem Nashorn (durchgestrichen und durch Flusspferd ersetzt) vergleicht, so ist das für ihn ein aufklärerischer Rationalismus in dem Sinn, dass er dieses unbekannte, gewaltsame Tier einfangt in das ihm bekannte Geschöpf, das er zu jagen und zu erlegen gewohnt ist." Diese Korrekturen sind nicht in Warburgs Handschrift ausgeführt, genauso wenig wie eine Fußnote, die den bibliographischen Verweis auf die Flusspferd-Lokomotive Assoziation gibt, die lautet „Heinz Werner, Die Ursprünge der Metapher (Leipzig 1919) s.17" (WIA, III.93.4., 26). Später scheint allerdings derselbe Vergleich zwischen Flusspferd und Lokomotive im maschinengeschriebenen Text auf: „Wenn z.B. die rätselhafte Lokomotive als Flusspferd angesehen wird, so gewinnt sie für den Wilden einen für seine Kampftechnik abwehrbaren Charakter." (WIA, III.93.4., 28) Gleich darauf folgt ein weiterer Tiervergleich in einem europäischeren Kontext: „Als die ersten Locomotiven durch Mecklenburg fuhren und an der Station hielten, warteten die Bauern, wann denn nun ein frisches Pferd in die Lokomotive getan werde - ein wesengleicher, aber durch die umfriedete Zivilisation gedämpfter Biomorphismus (WIA, III.93.4., 28). 48 Warburg erwähnt „Telegramm und Telephon" im letzten Absatz in der veröffentlichten Version seines Vortrags (Warburg 1996:56). Vgl. den Artikel von Thomas Hensel in diesem Band.
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Abb. 8. „häufung (faktur) alte autoreifen" von Lazio Moholy-Nagy aus von material zu architektur.
im industrialisierten Westen immer häufiger wurde (Abb. 8).49 Der antike Autor der Phönikischen Geschichte hatte vielleicht recht, als er schrieb, dass die Schlange nie eines natürlichen Todes stirbt. Die moderne Schlange stirbt, wenn ihr die Luft ausgeht. Nach dieser kulturübergreifenden Gegenüberstellung von Bildern pneumatischer Objekte erscheint Warburgs Umweg von den Wüsten Neu-Mexikos zu den Straßen San Franciscos in seinem Onkel Äzm-Finale des Vortrags weniger überraschend. Das größte Reptil schlechthin war die pneumatische Schlange der modernen Kommunikationstechnologie die Wiedererweckung der ozeanischen Urschlange, die in antiken Kosmogonien den Erdball umschlingt - „Franklin und die Gebrüder Wright". Die Schlange verwandelt sich wieder aus einer abstrakten Kraft in eine Person, einen modernen Schlangengott (Franklin). Bei Fergusson war die Schlange eine konkrete Tierdarstellung einer vielköpfigen Gottheit. Bei Küster war der Schlangengott auf ein bloßes Ornament reduziert, jedoch handelte es sich um ein dekoratives Motiv, das sich letztendlich auf ein alles umschließendes allmächtiges Rahmenwerk erweiterte. Bei Warburg ist die Schlange Gott und Ornament zugleich, Symbol und Motiv, konkrete Figur und sich ständig erweiterndes Netzwerk von abstrakten Kräften. Die Darstellungen der Schlange bei den drei Autoren stellen gleichzeitig einen sich schließenden Kreis und eine geradlinige Entwicklung
49 Dieses Foto war von Laszlo Moholy-Nagy aus der Illustrierten Weltspiegel (eine von mehreren populären Illustrierten der Zeit mit demselben Namen), mit dem Titel „häufung (faktur) alte autoreifen" nachgedruckt worden (Moholy-Nagy 1929:48 Abb. 32). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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en n i c i a t
Abb. 9. Aby Warburg, Typoskript mit Addendum, WIA, III.93.1, 79. Copyright Warburg Institute, London.
Warburgs Verständnis der unendlichen Wandlung des Schlangenikons wird am besten durch seine berühmte Phrase „der unendlichen Wellen" im Schlangenritual ausgedrückt. „Die Naturgewalten werden nicht mehr im anthropomorphen oder biomorphen Umgang gesehen, sondern als unendliche Wellen, die unter dem Handdruck dem Menschen gehorchen." (Warburg 1996:56, Hervorhebung des Verf.). In den Ergänzungen zu seinem maschinenschriftlichen Typoskript setzt Warburg die Phrase „kleinste unsichtbare Theile" vielleicht ein Verweis auf Mikrophysik - neben das Wort „Wellen", ebenso ein unleserliches Wort als Randbemerkung, das mit makro [?] beginnt. Dieses Wort könnte „makroskopisch", sein, obwohl „mikroskopisch" dem vorhergehenden Text besser entsprechen würde. (WIA, 93.1., 79) (Abb. 9). Es wäre auch möglich, dass Warburg hier eine dynamische Polarität zwischen mikroskopischen und makroskopischen Weltanschauungen über einfache Physik hinausgehend ausdrücken wollte.50 Gerade die Auflösung der Schlange in diese „kleinsten unsichtbaren Theile" wird mit der Umfangsbestimmung der Weltanschauung der modernen Zivilisation in Verbindung gebracht und der alten Kosmologie der nordamerikanischen Kultur gegenüber gestellt. Die Schlange erhebt sich wieder in die Wolken des kosmologischen Weltenhauses, aus dem sie herabgestiegen war. Wie bei Küster ist Warburgs Schlange nicht mehr ein tierischer Organismus oder ein natürliches Objekt, sondern ein unsichtbares Energiefeld, das andere tierische und menschliche Organismen, natürliche und künstliche Objekte auflädt. Die moderne Schlange ist fußlos, hat aber unzählige Füße. Themen in der Moderne entwickeln sich regressiv zum Stadium eines Polypen - einer schwebenden Amöbe, die ihre schlangenhaften Pseudofüße in unendliche Richtungen ausstreckt. Philos Zitat erlebt in der Moderne ein gewandeltes Schicksal ein weiterer Beweis, dass das Nachleben ähnlich, aber nie dasselbe sein kann wie das antike Leben. Die Faszinationsgeschichte unterscheidet sich von der Rezeptionsgeschichte. Die letztere konzentriert sich auf die kritische Rezeption eines Textes oder eines Bildes, die erstere auf die unkritische Rezeption. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man sich sowohl mit Schlangen als auch mit Schlangenphilologie beschäftigt. Der Grad der Faszination, die Schlangen ausüben, bleibt ungeschmälert. Die Formen, die von dieser Faszination geschaffen werden und sie schaffen, ändern sich - nicht immer auf rationale Weise.
50 Warburg war nicht der einzige Kunsthistoriker seiner Zeit, der über Mikrophysik nachdachte. Sowohl Alois Riegl in den Schlussbemerkungen seiner Spätrömischen Kunstindustrie (Wien 1901) als auch Panofsky in seinem großen Aufsatz „Die Perspektive als symbolische Form" (Hamburg 1927, KBW Vorträge 1924-25) schrieben Wandlungen zwischen antiker, mittelalterlicher und moderner Weltanschauung der entsprechenden Auffassung von Materie in der zeitgenössischen Physik zu, mit besonderem Hinweis auf neue Fortschritte in Atom- und Zellentheorie.
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7. Drei mögliche Abschlüsse Mit dieser didaktischen Schlussbemerkung sollte meine Geschichte wohl enden, die das moderne Schicksal der antiken Phrase über die unorganische Bewegung der Schlangen von Philo von Byblos bis zu Aby Warburg verfolgt. Ein Text, der mit Aby Warburg zu tun hat, kann jedoch nicht nur ein einfaches Ende haben. Warburgs Kreuzlinger Vortrag hatte in der Tat zumindest drei. Es muss immer eine Koda geben, die die Eindeutigkeit eines jeden Schlusses unterminiert. Dem Kreismuster von Warburgs fruchtbarer (und manchmal selbstzerstörerischer) Unschlüssigkeit (oder eher Vielschlüssigkeit) folgend, schlage ich vor, mit drei alternativen Schlüssen zu enden, drei kleineren Schlingen, die an den größeren Kreis, den ich entworfen habe, anschließen. Um bei dem methodologischen Modell von Küsters archaischen Schlangenmotiven zu bleiben, sind diese drei möglichen Schlüsse die Satelliten, die die Schlangenform von Warburgs Weg von Amerika nach Kreuzlingen umkreisen. Diese unterschiedlichen Stücke sind zwar nur tangential, aber doch auch Teil der ursprünglichen Schlangenhaut. Ich beginne mit einem Verweis auf ein anderes Tier, einen Verwandten der Reptilien sowohl in den Taxonomien der westlichen Naturwissenschaft als auch in der Religion der Hopi.
7.1. Die Schlange und der Frosch Warburgs „Americana"-Zettelkasten (Nr. 40) enthält Material seiner Amerikareise, einschließlich dreier taschenbuchgroßer ledergebundener Notizbücher, die Warburg mit Notizen und Zeichnungen füllte. Darunter sind einige Seiten mit Skizzen von Tieren und Insekten, die Warburg während seiner Feldstudien zeichnete. Zwei Seiten zeigen ein schlangenartiges Tier, das mit einer welligen Zickzacklinie gezeichnet ist und einen knollenförmigen Kopf hat (Abb. 10 und 11).51 Wie Warburg jedoch neben einer Zeichnung vermerkt, handelt es sich nicht um eine Schlange, sondern um ein Wassertier, genauer gesagt, um eine Kaulquappe (Abb. 10). Philo erinnernd fällt dazu ein, dass die Kaulquappe eines der seltenen Tiere ist, das Gliedmaßen erst nach der Geburt entwickelt und eine geraume Zeit am Anfang ihres Lebens in einem unorganischen Zustand, „ohne Füße und Hände", verbringt. Kaulquappen kommen gerade aus dem Grund häufig im Biologieunterricht in Grundschulklassen vor, weil sie als Lehrmodell verwendet werden, um westlichen Schulkindern beizubringen, wie Arme und Beine wachsen. Warburg hatte vielleicht selbst als Kind solche Lehrveranstaltungen mit Kaulquappen oder völlig entwickelten Fröschen miterlebt. Neben diesen zwei Kaulquappen finden sich andere Froschlurche in Warburgs Notizbüchern, unter anderem Frösche, „gehörnte" Frösche und Kröten (Abb. 12) (WIA, ZK, 040/020723). In einem Entwurf, der sich zweimal unter Warburgs Notizen findet, steht eine menschliche Figur von drei Tieren umgeben (einem Frosch, einer Antilope und einem unbekannten Säugetier). Sie sind in einem Kreis, der wie ein Totemkreis aussieht, unter einem Pueblo-Sonnensymbol angeordnet, das von zwei Schlangen flankiert wird [mit der Beschriftung gegenüber d.ferj Eingangswand (WIA, ZK, 40/020742)] (Abb. 13).52
51 WIA, „Americana"-Zettelkasten, 040/020433-4 no. 4, fol. 58 verso und fol. 57 verso. 52 Eine fast identische Zeichnung, die andere kosmologische Symbole zeigt, findet sich in WIA, ZK, 040/020434. Man könnte die Hypothese aufstellen, dass Warburg zu irgendeinem Zeitpunkt in seiner späteren Forschung über astrologische Themen diesen „Thier-Kreis" mit dem Kreis von Tieren, die im westlichen
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Abb. 10. Aby Warburg, Skizze: Libelle, Frosch und Kaulquappe, WIA, 040-020433-4 no. 4, fol. 58 verso. Copyright Warburg Institute, London.
Abb. 11. Aby Warburg, Skizze: Libelle und Kaulquappe, WIA, 040-020433-4 no. 4, fol. 57. Copyright Warburg Institute, London.
Warburgs Forschung über primitive Religionen hatte auch einen linguistischen Aspekt. Ich verweise hier auf die Indianischen Vokabulare, die Warburg zusammenstellte, wobei er den Richtlinien des Smithsonian Institutes für die Aufnahme von verschiedenen Dialekten in den Pueblos folgte. Jede Gebietsgruppe der Vokabulare enthält eine ausführliche Liste von Tiernamen, die den Puebloindianern bekannt waren (unter anderem Bär, Kojote, Antilope, Schlange, Eidechse, Frosch, Kröte, Kaulquappe und Spinne), die sich in den verschiedenen Dialekten unterscheiden. Diese Gruppierungen sind nicht bloße Namenslisten. Die meisten Tiernamen waren auch Clannamen, die eine Gruppe von Eingeborenen repräsentieren, die nach Tier- oder Pflanzsubstanzen klassifiziert wurden, wie zum Beispiel Schlange, Kranich, Frosch, Tabak oder Gelbholz. Zu der Zeit, als Arthur Kroeber seine Feldforschung bei den Zuni machte, gab es zum Beispiel in den Zuni-Pueblos noch zehn Froschhäuser, verglichen mit nur vier Antilopen- und Rotwildhäusern (Kroeber 1917:108).
astrologischen Tierkreis vorkommen, verband. Vgl. z.B. die Abbildung in Warburgs Aufsatz über die astrologische Dekoration im Palazzo Schifanoia in Ferrara, die das Planisphaerium Bianchini (Musée du Louvre) zeigt. Dieser Entwurf zeigt einen Drachen in der Mitte, der von drei Kreisen von Tieren, unter anderem Schlangen und Skorpionen, umgeben wird (Warburg 1932c: Tafel LXI Abb. 109).
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Abb. 12. Aby Warburg, Zeichnung: gehörnter Frosch und andere Symbole, WIA, 040-020723. Copyright Warburg Institute, London.
Das macht noch klarer, dass es sich bei Warburgs Skizzen nicht um lebendige Tiere, sondern um religiöse Tiersymbole handelt, welche er während seiner Besuche in den Pueblos von Zuni-Kunstwerken wie Zeremonialvasen oder Kirchenwänden kopiert haben mag.53 Einige dieser Symbole waren in die ethnographischen Studien über die Puebloindianer aufgenommen worden, wie zum Beispiel die Kataloge von Frank Hamilton Cushing und die Studien von Adolph Bandelier, der acht Jahre mit Forschungen zu eingeborenen Kulturen in den 1880er Jahren in Mexiko verbrachte.54 In einer atlasartigen Farbzeichnung Bandeliers von Tehuasymbolen werden Sonne, Erdhaus, Wolke, Regen, Donner und Blitzschlange mit einer Gruppe von vier Tiergestalten gezeigt, die als Frosch, Kaulquappe, Forelle und ein fliegendes Insekt namens Wassernymphe oder Libella (Libelle) identifiziert worden sind (Abb. 14).55 Bandeliers Frosch, Kaulquappe und Libelle sehen denen in einer Zeichnung Warburgs auffallend ähnlich (Abb. 10). Laut Bandelier sind diese vier Tiere Mittlertiere, die mit dem Element Wasser in Zusammenhang gebracht werden. Wie die Schlange vermitteln sie als Regenmacher zwischen Himmel und Erde: „Der Frosch quakt, wenn Regen kommt, daher betet er zum Himmel um Feuchtigkeit."56 Das ist mit europäi53 Warburg kopierte auch einige Zeichnungen aus Büchern, die er in amerikanischen Bibliotheken gelesen hatte, wie z.B. die Studien von Adolph Bandelier, und fügte später Namen und andere Beschreibungen neben den dargestellten Objekten oder Tieren ein. Für Informationen über den ethnographischen Inhalt von Warburgs Skizzen habe ich Hans-Ulrich Sanner zu danken. 54 Bandeliers gesammelte Schriften (auf Französisch verfasst) wurden in zwei Bänden veröffentlicht: A History of the Southwest. A study of the civilization and conversion of the Indians in Southwestern United States and Northwestern Mexico from the earliest times to 1700, hrsg. von Ernest J. Burrus (Vatican 1969, 1987). 55 Vgl. zur Beschreibung der Symbole Bandelier 1969:117. 56 „Ainsi la libelle, la grenouille et sa forme embryonnaire, et le poisson, sont autant des bêtes aquatiques qui doivent être en rapport avec les esprits des eaux. La grenouille crie quand la pluie approche, donc elle prie le ciel pour l'humidité. La libelle vole au-dessus des mares stagnantes à l'époque des chaleurs qui précèdent la saison pluvieuse: donc, étalant ses reflets au soleil, elle prie pour demander l'eau. Le poisson vit dans l'eau, il en a besoin avant tout, donc il doit prier pour que sa patrie ne se dessèche pas. Ces quatre types
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Abb. 13. Aby Warburg, Zeichnung des kosmologischen Symbols gegenüber d.[er] Eingangswand, WIA, 040020742. Copyright Warburg Institute, London.
schem Volksglauben vergleichbar - so ist etwa bei Konrad Preuss und Wilhelm Mannhardt zu lesen: „Wenn Frösche geköpft werden, entsteht nach dem europäischen (germanischen) Volksglauben Regen, den sie lebend durch ihr Geschrei hervorbringen."57 (Preuss 1904a: 118, 1904b:325) Es gibt jedoch eine weitere wichtige symbolische Funktion, die die Puebloindianer dem Frosch zuschreiben. Wir erfahren aus verschiedenen ethnographischen Berichten, dass Frösche heilende Wirkung haben sollten. Für die Hopi war Medizin der ,Same des Wassers', daher hatten alle Tiere, die mit dem Wasser in Verbindung standen, Heilkräfte. Auch Schlangen wurden von den Puebloindianern medizinische Eigenschaften zugeschrieben (Bandelier 1987:188), so wie das die alten Griechen taten. Vielleicht verstärkte gerade Warburgs Forschung über antike Heilungswunder in Verbindung mit Tieren die Athen-OraibiLinie mit einem lebenswichtigen tierischen Faden. Frosch und Schlange konnten heilen, konnten mit ihren begrenzten physischen Mitteln Wunder an menschlichen Körpern vollbringen. Aber was passiert, wenn diese Heiltiere selbst erkranken? du règne animal peuvent donc, aux yeux de l'Indien, intercéder aussi pour lui a fin que le ciel lui envoie l'eau dont il a besoin. Pour cela, il peint leur images sur les vases sacrés, confectionne des petites fétiches qui les ressemblent, les jette dans la rivière avec des invocations." (Bandelier 1987:189) 57 Siehe auch Mannhardt (1904, 1:354/355 Anm. 2). Mannhardts Buch befindet sich in der Bibliothek im Warburg Institute.
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Abb. 14. Adolph Bandelier, Farbzeichnung von Tehua-Symbolen (datiert 1885) aus A history of the Southwest Vol.1 (1969): Anhang, Tafel II.
Jene flüchtigen Skizzen in Warburgs Notizbüchern aus den Jahren 1895-96 waren nicht das letzte Mal, dass ein Froschlurch in Verbindung mit den amerikanischen Erfahrungen des Wissenschaftlers auftauchte. Der enthauptete Frosch sollte in Zusammenhang mit einem Heilungswunder wieder erscheinen, d.h. mit Warburgs eigenem unvollständigen und ziemlich schmerzhaften Heilungswunder durch seinen Rreuzlinger Vortrag aus dem Jahre 1923. Ich spiele hier auf einige Bemerkungen an, die Warburg in einem Brief an Fritz Saxl in Hamburg machte, den er am 26. April 1923 in Bellevue schrieb. Er schloss eine Kopie des Typoskripts des Schlangenvortrags ein, den er fünf Tage davor gehalten hatte. Der Inhalt dieses Briefes ist gut bekannt, da er in der veröffentlichten Ausgabe des Schlangenrituals von Ulrich Raulff und späteren Herausgebern enthalten ist. Gegen die Veröffentlichung dieses „so formlos und philologisch schlecht fundiert(en)" Vortrags eingestellt, gibt Warburg Saxl die folgende Anweisung: „Gezeigt werden diese gräuliche Zuckung eines enthaupteten Frosches nur meiner lieben Frau, mit Auswahl Dr. Embden und meinem Bruder Max, und Professor Cassirer." (Warburg 1996:58) Warburgs lebendige Hinweise in diesem Brief auf den „enthaupteten Frosch" und seine „gräuliche Zuckung" stammen aus Charles Darwins einleitenden Worten über Reflexbewe-
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gungen in Expression of the Emotions in Man and Animals.58 Darwin zitiert hier das „vielzitierte Beispiel des enthaupteten Frosches, der natürlich weder fühlen noch sich bewußt bewegen kann" (Darwin 1998:36) aus Henry Maudsleys bekannter psychiatrischer Abhandlung Body and Mind; an inquiry into their connection and mutual influence, specially in reference to mental disorders (1870). In seinen Exzerpten aus Darwins Buch beschreibt Warburg das Experiment folgendermaßen: „Husten u[nd] Niesen Refl.[ex] Bew[egung] (ohne Bewußtsein). Enthauptete Frosch der sich mit den Beinen u.[nd] Säure (acid) tropfen abzuwaschen sucht, Pflüger" (WIA, ZK, 001/00050). In der Textstelle, die Darwin ausgewählt hat, zitiert Maudsley wiederum aus Beschreibungen von Experimenten an Fröschen, die Pflüger ausführte (Maudsley 1870:16-17). Diese wissenschaftlichen Experimente an Fröschen wurden von Wissenschaftlern im 18. und 19. Jahrhundert häufig mit sowohl lebendigen als auch leblosen Materien durchgeführt. Die bekanntesten darunter sind Galvanis bioelektrische Experimente, die erstmals 1792 veröffentlicht wurden, aber im 19. Jahrhundert wieder aufgelegt und vielfach übersetzt wurden.59 In Galvanis relativ einfachem Experiment wurde ein Frosch enthauptet und seine Organe nacheinander entfernt, bis nur noch ein nacktes Rückgrat und zwei Beine übrig blieben. Manuelle Stimulation der Nerven der Wirbelsäule bewirkte, dass sich die Füße des eliminierten Organismus zusammenzogen und hoben, was bewies, dass solche „elektrisch-biologischen" Funktionen nicht vom Vorhandensein eines Gehirns abhingen. Maudsleys (und Pflügers) Experiment, von dem Warburg in Darwins Buch gelesen hatte, war weitaus fortschrittlicher oder, wie Maudsley es beschrieb, „eindrucksvoller und lehrreicher". Ein Tropfen Säure wurde auf den Schenkel eines enthaupteten Frosches getropft, und die kopflose Kreatur schaffte es langsam, diesen mit dem Fußrücken desselben Beines abzuwischen. Das Bein wurde dann am Knie amputiert und ein weiterer Tropfen Säure auf den übrig gebliebenen Schenkel aufgetragen. Der Frosch versuchte nun vergebens, mit dem nicht mehr vorhandenen Fuß die Säure abzuwischen. „Nach einigen fruchtlosen Versuchen hört er daher auf, das zu probieren, er erscheint unruhig, als ob er, sagt Pflüger, eine andere Lösung suche, und schließlich verwendet er den Fuß seines anderen Beines und schafft es, die Säure wegzuwischen", schrieb Maudsley. Darwin bemerkte daraufhin: „Wir haben hier offensichtlich nicht nur Muskelkontraktionen, sondern kombinierte und harmonisierte Kontraktionen in Verfolgung eines bestimmten Zwecks. Dies sind Handlungen, die von Intelligenz gesteuert und von einem Willen in einem Tier verursacht zu sein scheinen, dessen allgemein anerkanntes Organ der Intelligenz und des Willens entfernt worden war." (Darwin 1998:36). Mit anderen Worten, diese anscheinend automatischen Handlungen scheinen viel gezielter, als man erwarten würde. In dem hirnlosen Tier ist immer noch etwas, das nicht nur Handlungen in Gang setzen, sondern auch Entscheidungen treffen kann. Es „sucht eine andere Lösung", wie Pflüger sagt. In diesem Versuch ist das Thema des Experiments das Experimentieren selbst. Obwohl er keinen Kopf mehr hat, denkt der Frosch immer noch nicht mit dem Hirn, sondern mit den Füßen !
58 Tatsächlich sind diese Bemerkungen über Reflexbewegungen unter den Textstellen, die Warburg aus Darwins Buch kopierte, als er es erstmals 1889 in einer Bibliothek in Florenz las (WIA, ZK 1, Ausdruckskunde, WIA, ZK, 001/000038-62). 59 Luigi Galvani, De Viribus Electricitatis in Motu Musculari Commentarius (Bologna 1792). Siehe auch die deutsche Übersetzung von A.J. von (Dettingen (Hrsg.) Abhandlung über die Kräfte der Electricität bei der Muskelbewegung (Leipzig 1894).
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Zwischen Warburgs Exzerpten aus Darwin in Florenz und dem Brief, den Warburg von Kreuzlingen schickte, liegen fünfunddreißig Jahre; trotzdem hatte die Erinnerung an den enthaupteten Frosch Bestand. Nach dem Lesen dieser grauenhaften Beschreibungen wird Warburgs nachdrückliche Identifikation mit der ,,gräuliche[n] Zuckung eines enthaupteten Frosches" noch ergreifender. Genauso wie Darwins verstümmelter Froschlurch suchte auch Warburg in Kreuzlingen „eine andere Lösung", mit der er auf sein Leiden reagieren konnte; es war dies die Aufgabe, seinen Vortrag zu schreiben, zu vollenden mit den wenigen Kräften, die ihm geblieben waren. Das Schlangenritual ist auf eine gewisse Weise der bittere Triumph eines heldenhaften, aber qualvollen Unterfangens - eine Pathosformel, die nicht mit dem Arm sondern mit dem Bein ausgeführt wurde. Letztendlich ist aber Warburgs Vortrag nicht nur die laut Darwin „gräuliche Zuckung" des enthaupteten Frosches, sondern auch der Gebetsruf des heilenden Frosches, der von den Zuni angebetet wird. Diesmal brachte das Quaken des Frosches wirklich den Regen. Es ist ein echtes Heilungswunder, als Heilungstragödie aufgeführt, die die notwendige Szene der Katharsis einschließt.60 Darwins enthaupteter Frosch, der versucht, sich ohne Hände und mit nur einem Bein zu bewegen, kommt einer Karikatur der feurigen Schlange gleich, die die Phönizier zur Gottheit machten. Aber während das Tier, das der phönizische Autor preist, von Natur aus keine Füße oder Hände hatte (oder, wie die Evolutionisten argumentieren, weil es die Auswahl traf, diese nicht zu haben), erreicht der enthauptete Frosch diesen unorganischen Zustand erst nach aggressiver Intervention seitens des Menschen. Der Unterschied ist klar - die Bewegung der Schlange zeigt einen gleichmäßigen Fluss (Geschwindigkeit), während die Zuckungen des „galvanisierten" Frosches nur eine ruckartige erratische Anstrengung darstellen {Schnellkraft). Anders als der phönizische Autor, der die Bewegung der Schlange in Feuer und pneuma auflöst, sieht es die Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert als ihre Aufgabe, diese schwer fassbare Bewegung zu sezieren, zu hemmen, abzuschneiden und zu zerstückeln, bis der pneumatischen Kraft der Atem ausgeht, bevor sie ihr Geheimnis preisgibt. Die von Natur aus gliedmaßenlose Kaulquappe, die von den Zuni verehrt wird, steht dem unnatürlich verstümmelten Frosch gegenüber, den die westliche Wissenschaft untersucht. Die Wasserbewegung der Kaulquappe stellt eine alternative Form der Heilung dar weniger schmerzhaft als die Elektrotherapie, die am enthaupteten Frosch ausgeübt wird. Wie die Schlange ist der keimhafte Frosch ein unorganischer Organismus - eine bloße Zickzacklinie mit einem Kopf, der die Freiheit der Intrauterinexistenz bis zur Grenzlinie der wirklichen Welt ausdehnt.
7.2. Anorganisch, Unorganisch, Überorganisch Während seiner gesamten Amerikareise arbeitete Warburg weiter an der , Monistischen Kunstpsychologie', seinem Projekt über psychologische Ästhetik in der Form einer Sammlung von Aphorismen zu verschiedenen Themen.61 Warburg begann dieses Projekt im Jahr
60 Vgl. Warburgs Manuskript namens „Katharsis", geschrieben am 28. April 1923 in Kreuzlingen (WIA, III, 93.6.). 61 Vgl. den unnummerierten Zettelkasten namens Aphorismen, sowie die Manuskript- und getippten Versionen unter dem Sammeltitel „Grundlegende Bruchstücke fur eine Monistische Kunstpsychologie (Pragmatische Ausdruckskunde)" (WLA, III.43. und 44.).
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1888 als Student in Bonn und arbeitete bis 1892 intensiv daran, dann nahm er nach zwei oder drei Jahren Muße die Arbeit knapp vor seiner Abreise nach Amerika im Juni 1895 wieder auf. Während seines Auslandsaufenthaltes schrieb er ungefähr 30 Aphorismen (Nr. 284307),62 und da jeder einzelne mit Ort und Datum seines Entstehens versehen ist, kann man den Fortschritt des Projekts in Amerika nachvollziehen. Es ist aber genauso wichtig, dass Warburg bis 1903 neue Aphorismen schrieb (es gibt insgesamt 439), von denen sich viele ausdrücklich auf die Beobachtungen beziehen, die er während seiner Amerikareise machte und seine Erfahrungen bei den Eingeborenen der Pueblos in Erinnerung rufen. Um im Rahmen dieser Arbeit zu bleiben, werde ich nur einige wenige Aphorismen untersuchen, die direkt mit dem Thema anorganisch oder unorganisch zu tun haben. Warburg verwendet beide Begriffe in verschiedenen Formulierungen seiner Kunstpsychologie. Das deutsche Wort „anorganisch" wird im Allgemeinen verwendet, um feste Materie wie Mineralien und Kristalle zu beschreiben. Der Begriff „unorganisch" ist das Gegenteil von organisch, die Abwesenheit von Organen in einem Organismus. Deshalb ist die Schlange ein unorganisches Thier. Wie gewöhnlich bleibt Warburg allerdings nicht bei diesen linguistischen Unterschieden und beschlagnahmt beide Worte in seiner „konsequent idiosynkratischen" Fassung. Kehren wir zur Phrase der Kreuzlinger Entwürfe zurück: „Bei denen [d.h. Schlangen] der Mensch eine kausal unerklärliche, organische oder anorganische Veränderung erfährt oder sieht." (WIA, III.93.4., 96, Hervorhebung des Verf.). Hier nähert sich anorganisch der Bedeutung von unorganisch, die Abwesenheit von Organen, anorganisch ist allerdings auch mit einem Veränderungsprozess verbunden, einer dauernden quasi alchemistischen Transformation, durch die ein Körper in etwas anderes umgewandelt wird. Ein ähnlicher Veränderungsprozess findet durch Warburgs Gebrauch beider Worte, anorganisch und unorganisch, in seinen Bruchstücken statt: „unorganische Angleichung erfordert organische Ausgleichung".63 Organisch und unorganisch vermischen sich. Beide erleichtern den Übergang in den jeweils anderen Zustand, ohne aber dasselbe zu werden. Das Vermittlerobjekt, das den Übergang erleichtert, ist in diesem Fall nicht ein lebendiges Tier wie die Schlange, sondern etwas, das Warburg als Gerät bezeichnet: der leblose Apparat von Gewand, Masken, Waffen und anderem Beiwerk, mit denen die Indianer ihre organischen Körper bedecken. Aphorismus 328, geschrieben im August 1896, lautet: „Wodurch verliert der primitive Mensch das Gefühl der Einheit (Identität) zwischen seinem lebendigen Ich und seinem jeweiligen thatsächlichen räumlichen körperlichen Umfang: durch das Geräth, den Schmuck, die Tracht - schmerzlose Körpertheile - durch den Besitz, Eigenthum, Schenkung".64 Der Eingeborene gleicht seinen organischen Körper dem anorganischen Zustand seiner Kleidung und seiner Gerätschaften an. Dabei verliert er seine Einheit mit der Natur und seinem lebendigen Wesen, erweitert aber den dominierenden räumlichen Umriss seines Körpers durch die Vergrößerung, die das leblose Gerät bietet. Schmuck und Tracht bilden eine künstliche Natur, einen zweiten Umfang, der über den organischen Körper gelegt wird. Aphorismus 330, am selben Tag geschrieben, lautet: „Aneignung durch Be-
62 Zu diesen müssen mehrere Aphorismen gezählt werden, die im März 1896 in San Francisco geschrieben wurden und eine separate Gruppe unter dem Titel „Symbolismus als Umfangsbestimmung" bilden (WIA, III, 45.). Warburg erwähnt den Beginn dieser neuen Arbeit in einem Tagebucheintrag vom 18. Februar, Coronado Beach, Kalifornien (McEwan 1998:153). 63 Aphorismus, datiert 23. April 1900 (WIA, III.43.1.1., 168). 64 Aphorismus, datiert 21. August 1896, Berlin (WLA, III.43.1.1., 133).
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Abb. 15. Aby Warburg, Zeichnung von indianischen Gewändern und Beiwerk, WIA, 040/020434, 30 verso, und WIA, 040/020949 folio. Copyright Warburg Institute, London.
schützung (Schutz)" und wird durch ein Diagramm von zwei parallelen Bögen illustriert (WIA, III, 43.1.1., 133). Diese zwei gebogenen Linien stellen die Erweiterung dieser zweiten künstlichen Schicht dar, die das Gerät zur Verteidigung oder zum Schutz bildet. Diese doppelte Schicht ist doppelt zweideutig: Sowohl defensiv als auch aggressiv erweiternd, wirkt sie sowohl als Schutz vor der äußeren Welt als auch als Mittel zur Expansion durch Aneignung. Kleidung und Beiwerk verbessern die organische lebendige Oberfläche auf anorganische Weise.65 Diese aphoristischen Formulierungen mögen zu abstrakt klingen, sie werden jedoch anschaulicher, wenn wir Warburgs Skizzen vom Gerät der Puebloindianer ansehen, die er während seiner amerikanischen Reise an Ort und Stelle zeichnete, zu ungefähr derselben Zeit, als diese Aphorismen geschrieben wurden. In seinen Zeichnungen schenkt Warburg jedem Kleidungsstück und jedem Utensil, das von den Eingeborenen getragen wurde, die größte Aufmerksamkeit, ebenso wie den Namen, die Dingen wie Kopfschmuck, Knieschützern und Armbändern gegeben wurden (WIA, ZK, 040/020434, fol. 30 verso, und 040/020949 folio) (Abb. 15a und b). Er zeichnete auch ihre Handwerkzeuge, Jagdinstrumente wie Messer, Äxte und Pfeile, d.h. das Werkzeug oder die Organe des anorganischen Geräts (WIA, ZK, 040/020435, fol. 57 recto und 56 verso) (Abb. 16a und b). Der Körper des Puebloindianers übernimmt letztendlich die peripheren Erweiterungen seiner Kleidung und Waffen als die zweite Schicht von Beschützung, die in Warburgs Aphorismus erwähnt wird. Auf diese Weise wandelt sich schrittweise das anorganische Utensil zu einem funktionierenden Organ. So wird „organische Ausgleichung" durch „unorganische Angleichung" ermöglicht.
65 Für seinen Rat beim nochmaligen Lesen dieser Aphorismen bin ich Erhard Schüttpelz zum Dank verpflichtet. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Abb. 16. Aby Warburg, Zeichnung von Jagdgeräten, WIA, 040/020435, 57 recto und 56 verso. Copyright Warburg Institute, London.
An dieser Stelle sollten wir uns natürlich Warburgs Beschäftigung mit anorganischem Beiwerk in seinen verschiedenen Studien über den Faltenwurf in der Renaissance ins Gedächtnis rufen. Die Utensilien der Puebloindianer unterscheiden sich allerdings von den Florentiner Stoffen grundsätzlich. Ihre Kostüme und Masken versuchen nicht, Leben zu simulieren und belebt wie lebende Organismen zu wirken, sondern sie passen im Gegenteil den lebenden dem anorganischen Zustand an. Es gibt allerdings ein Spiel des Ausgleichs zwischen dem Organischen und dem Anorganischen in Form einer Bewegung von beiden Polaritäten zur Mitte. Das Anorganische wird auch „organisiert" oder „in ein Organ verwandelt", indem es letztendlich ein Organon wird, ein Instrument, ein organisches Glied des menschlichen Körpers. Organisch und anorganisch sind zwar immer noch zwei verschiedene Regionen, aber es gibt eine Linie, die beide verbindet. Dies ist der vorläufige epistemologische Monismus von Warburgs Kunstpsychologie, die sich vollkommen von jener Haeckels unterscheidet. Die meisten indianischen Gewänder, die Warburg skizzierte, zeigen die Pueblotänzer von Kopf bis Fuß so bedeckt, dass man nicht glaubt, dass ein Mensch in den Gewändern steckt (Abb. 15a und b). Der archaische Puebloindianer wird zu einem futuristischen Übermenschen, der seine organische Schwäche mit der Allmacht ausgleicht, die die anorganische Schicht des Geräts bietet. Eine Zeichnung Warburgs zeigt einen Eingeborenen mit einer kurzen Schürze oder einem Rock, der über den Hüften mit einer Schlange geschmückt ist (WIA, 040/020434) (Abb. 17). Es scheint, als ob in diesem körperlosen Tänzer die Schlange die einzige Spur organischen Lebens sei. Das Bild der Schlange und die sie umgebende Ge-
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Abb. 17. Aby Warburg, Zeichnung von indianischem Gewand mit Schlange, WIA, 040/020434, 44. Copyright Warburg Institute, London.
räteausstattung bilden eine dynamische Polarität: Im Zentrum bewegt sich die Schlange ohne Hände und Füße, ein unorganisches Tier; an der Peripherie steht der voll ausgestattete Tänzer, seine Hände und Füße durch alle möglichen Prothesenkrücken erweitert. Der eingeborene Schlangentänzer ist nun ein überorganischer Organismus am Rande der Stofflichkeit des Anorganischen. Unorganisch, anorganisch, und (über)organisch erscheinen als konzentrische Kreise. Die Schlange auf der Schürze des Tänzers befindet sich im Mittelpunkt, d.h. im Ursprung dieses Kreislaufs: Sie ist der lebende Kern, der von toten Häuten schichtweise umgeben ist. Ein früher Aphorismus Warburgs über die Funktion von Beiwerk lautet: „Das Erinnerungsbild wird als Glied gefühlt". 66 Wenn man dazu Philos Phrase über die beinlose Bewegung der Schlangen in Betracht zieht, könnte man daraus schließen, dass es umgekehrt auch stimmen könnte: Die Abwesenheit eines Körperteils wird als Erinnerungsbild gefühlt, das dann als nichtorganischer, unbeweglicher Teil getragen wird. Das ist der Teil der Schlange, der sich nicht fortbewegt. Das Schlangenbild ist Teil eines imbeweglichen begrifflichen Geräts geworden: Über den vier Füßen der Säugetiere und den zwei Füßen der Menschen wird 66 Dieser frühe Aphorismus (Nr. 87, datiert 22. September 1890) ist tatsächlich den Aphorismen über das Gerät der Puebloindianer verwandt, die wir bereits kennengelemt haben: „Kleidungsstücke sind eine unorganische Erweiterung des Individuums, dieselben werden jedoch als schmerzliche Organe gefühlt - man sieht sie nicht, muß aber mit ihnen bei jeder Bewegung rechnen. Man erteilt den Dingen das Praedikat der unbedingten Zugehörigkeit. Das Erinnerungsbild wird als Glied gefühlt" (WIA, III, 43.1.1., 40).
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es immer den Freiraum der Schlange „ohne Füße und Hände" geben. Es ist gerade dieses leere Erinnerungsbild, das einen Ausgleich für alle Organe und möglichen Erweiterungen bietet, die wir im Laufe der regressiven Evolution von amphibischen Polypen zu terrestrischen Zweifüßlern verloren haben. Sowohl in den Entwürfen seines Lutheraufsatzes wie in den unveröffentlichten Abschnitten des Schlangenrituals zitiert Warburg das folgende Motto aus Goethe: „Der Mensch begreift nie, wie anthropomorph er ist" (WIA, 93.1., 76).67 Anthropomorphismus und Theriomorphismus scheinen in diesem Satz ihre Plätze vertauscht zu haben. Der Mensch bleibt im Wesentlichen ein Tier, das danach strebt, die menschliche Gestalt nachzuahmen. Anthropomorphismus zeigt sich als eine Maske, die unheimlicher ist als jede Tiermaske oder jeder Teil des Geräts, weil der Mensch „nie begreift", dass er sie überhaupt trägt. Der Puebloindianer trägt seine Tiermaske nur zu besonderen Anlässen. Der Mensch aber trägt immer seine „menschliche Maske". Man kann sich nur fragen, warum dieses Zitat nie in irgendeinen Text Warburgs aufgenommen wurde. Es stellt ein weiteres „grundlegendes Bruchstück" dar - nicht eine andere ScWw.M'variante, sondern einen alternativen Ausgangspunkt, von dem aus man anders über das Schlangenritual nachdenken kann.
7.3. Die Füße und die Treppe Nach der Kaulquappe und dem Gerät ist meine dritte und letzte Schlussvariante eine Bemerkung zu Warburgs eigenen drei Schlussmöglichkeiten. Während zumindest zwei davon implizit von Goethe beeinflusst sind, so unterscheiden sie sich doch im Ton von dem obigen anthropomorphen/theriomorphen Ausgangspunkt. Warburgs ursprüngliches Typoskript liefert uns drei verschiedene Abschnitte, die alle als „Schluss" gekennzeichnet sind. Jener Schluss, der im JWI veröffentlicht ist und der mit dem Bild von „Onkel Sam" in den Straßen von San Francisco beginnt, ist tatsächlich jener, den Warburg am 21. April 1923 in Kreuzlingen ziemlich sicher nicht vortrug. Diese Vermutung basiert auf folgender handschriftlichen Notiz in Warburgs Schrift auf der Seite des Typoskripts, die mit „Uncle Sam, S[an] Francisco]" gekennzeichnet ist: „am 21 April nicht gezeigt; sollte aber dazu gehören als ganz wesentliches Stück." (WIA, III.93.1., 78). Demzufolge wurde der „Onkel Sam"-Schluss am 14. April verfasst, während die beiden anderen auf den 20. April datiert sind, also einen Tag vor dem Vortrag. Die erste dieser beiden anderen Schlussbemerkungen besteht aus einem längeren Kommentar zu dem Foto „Die Indianischen Schulkinder vor einer Höhle". Warburg sagt über sie, ganz im Gegensatz zu den Zweifeln, die er vorher über die „dritte Schicht nordamerikanischer Erziehung" (Warburg 1996:10) geäußert hatte, dass das „Heraufbringen zum Licht ... die Aufgabe nicht bloß der Amerikanischen Schule, sondern der Menschheit überhaupt [ist]." (WIA, 93.1., 77 und Warburg 1996:54). Das Typoskript endet zwar hier, aber es folgt ein langer handgeschriebener Exkurs in einem ähnlich moralisierenden Ton, der schließlich mit Goethes „Mehr Licht!" und dann „Diskussion" endet. Man kann sich Warburg fast als Regisseur vorstellen, der dramatisch nach mehr Licht ruft, um die halberleuchteten indiani-
67 Im Kreuzlingen-Entwurf schreibt Warburg weiter: „So bleibt doch das übrig was der Erdgeist sagt: Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir." (WIA, 93.1., 76) Die Gestalt des Erdgeistes weist natürlich auf Goethes Faust hin.
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sehen Kinder heller zu beleuchten, woraufhin die Lampen des Speisesaals in der Heilanstalt Bellevue unter tosendem Applaus der Zuhörer aufflammen. Das Schlangenritual hat unter Warburgs Vorlesungen und Texten vielleicht am ehesten die Struktur einer Theatervorfiihrung: in diesem Fall sowohl Tragödie als auch göttliche Komödie mit einer Fegefeuerszene als Finale. Der Hintergrund ergab sich bereits durch die Heilanstalt Bellevue in Kreuzlingen. Was fehlte, war der Hauptdarsteller, ein dionysischer „Thyrsos-Träger", der diesen Chor von verlorenen Seelen, der sich aus indianischen satirischen Tänzern und tragischen Choristen in Bellevue zusammensetzte, wieder zum Licht zurückfuhren konnte. Warburg selbst nahm diese Rolle wahr und polte das Selbstgespräch über seine persönliche Katharsis in eine (halb)öffentliche Zurschaustellung um.68 Wie auch immer wir versuchen, die disparaten Stücke des geschriebenen Drehbuchs wieder zusammenzusetzen, das einzigartige Ambiente von Warburgs „Live-Auftritt" kann nie ganz rekonstruiert werden.69 Diese „Regieanweisungen" lassen vermuten, dass der Schluss mit den „Indianischen Schulkindern" durchaus das Finale sein könnte, das Warburg am 21. April vortrug.70 Es gibt jedoch eine dritte Schlussbemerkung in einer weiteren Kopie des Typoskripts, die ähnlich ermutigend endet (WIA, III.93.3.1., 107). Obwohl dieses Finale weniger ausgearbeitet ist als die beiden vorherigen, ist es das für meine Zwecke interessanteste, da Warburg hier zum Thema Füße und ihrem Verhältnis zur menschlichen Evolution, sowohl im körperlichen als auch im kulturellen Sinn, zurückkehrt. Die Textstelle beginnt mit einer Verdammung der Schlangenverehrung, die auf das biblische Thema der ehernen Schlange verweist: „aus einem greifbaren und ergriffenen lebendigen Tier, wie die Schlange, das mit den Händen gepackt wird, wird ein Sinnbild, das man im ehernen Abbild verehrt. Und auch darüber hinaus wird die Schlange zum Sinnbild der Sünde, d.h. des nicht erlaubten götzendienerischen Kultes der niedrigen giftigen Reptilien".71 Mit dem Eifer eines modernen Moses schließt Warburg dann: „Und dabei soll es bleiben. Der Mensch soll nicht im Gottesdienst vierfüßige Antilope sein müssen, soll nicht 68 Die ganze Vorlesung hindurch nennt Warburg die eingeborenen Tänzer den „Chor". In einem Teil werden ausdrückliche Vergleiche zwischen dem Korntanz der Eingeborenen und antiker Tragödie oder satirischer Komödie gezogen: „Jeder, der etwas von der antiken Tragödie weiß, sieht hier die Doppelheit von tragischem Chor und Satyrspiel, auf einen Ast geimpfet" (Warburg 1996:36). 69 Ulrich Raulff verweist auf diesen theatralischen Aspekt von Warburgs Vorlesung in seinem überaus prägnanten Artikel „The seven skins of the snake. Oraibi, Kreuzlingen and back: Stations on a Journey into Light" (Raulff 1998). Raulffs Artikel konzentriert sich ebenfalls auf die Gestalt der Schlange und zitiert die oben erwähnte Textstelle über die fünf Ureigenschaften der Schlange. 70 Wir sollten natürlich die Augenzeugenberichte von Saxl und Warburgs Sohn Max Adolf berücksichtigen, die in ihren Briefen an Mary Warburg beide versichern, dass Warburg frei sprach, wie ein Dirigent, der ohne Noten auftritt, und nur stellenweise in seine Notizen blickte. Das bedeutet, dass wir nie sicher sein können, ob Warburg eine dieser drei Schlussbemerkungen verwendete, oder ob er etwas anderes improvisierte. Vgl. den Artikel von Dorothea McEwan, „Zur Entstehung des Vortrages über das Schlangenritual" in diesem Band. 71 Vielleicht sollte dieses Finale ein Bild der Wandmalerei aus der Kapelle in Kreuzlingen einfassen, das Moses und die eherne Schlange zeigt, mit dem Warburg ursprünglich seine Vorlesung beenden wollte, damit die Schlangenanbetung der Indianer der jüdischen Tradition der Schlangenaustreibung gegenüberstellend. In der Liste der Lichtbilder, die in Warburgs Entwurf enthalten ist (WIA, III, 93.4., 4), hat das letzte Bild (nach „Onkel Sam") den Titel „Kreuzlingen" und meint anscheinend die Wandmalerei der ehernen Schlange der Kapelle in Kreuzlingen (vgl. wiederum den Artikel von Dorothea McEwan in diesem Band). Schließlich wurde eine ähnliche Formulierung über die „Überwindung" der Schlangenverehrung zwischen das Bild der eingeborenen Kinder und dem Onkel Sam-Finale in den publizierten Text eingefügt (Warburg 1996:54-55).
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ein Tier sein müssen, wenn er sich dem Unendlichen nähern will. Er soll nur von seinen zwei Füßen Gebrauch machen, die Stufen hinangehen und den Kopf erheben zum Himmel"72 (WIA, III.93.3.1., 107). Solch ein positivistischer Eifer verleitet einen zu glauben, dass die JfJ7-Herausgeber mit Recht das skeptischere „Onkel Sam"-Finale wählten, mit seinen glorreich pessimistischen Untertönen des Regenmachens und seinem elektrisierenden Gewitter am Ende, wo Warburg seine eigenen verbalen Blitzschlangen loslässt. Darum geht es hier jedoch nicht. Die Frage, die sich aus Warburgs Abschätzung der menschlichen Entwicklungen ergibt, ist: Wie viele Füße braucht die Menschheit, um sich vorwärts oder rückwärts zu entwickeln? Die Zahl der Füße, d.h. der notwendigen Kontaktpunkte mit dem Boden, wird der Maßstab, an dem die Entfernung der menschlichen Organismen vom Himmel gemessen wird. Eine ähnliche Problemstellung über die notwendige Anzahl von Füßen findet sich in einem Entwurf, der auf den 5. April datiert ist und sich auf Warburgs Foto ,,[Korn]speicher mit Leiter" bezieht: „Der Mensch, der nicht vierfiißig mehr sich bewegt, sondern aufrecht und dadurch freilich des Hilfsgerätes der Treppe bedarf, um die Schwerkraft, wenn er nach oben schaut, zu überwinden - hat eben in der Treppe das Instrument erfunden, um seine Minderbegabung dem Tier gegenüber zu adeln" (WIA, 93.1., 26). Die Textstelle wandelt sich dann zu einer kulturellen Meditation über die Bedeutung der Treppe, die die Puebloindianer verwenden, um ihre Häuser vom ersten Stock aus zu betreten: „Stufen, ihr meine Lieblinge sagt der kleine Spitteier. Der Mensch, der im zweiten Jahre sich aufzurichten lernt, empfindet das Glück der Stufe ebenso, daß er als Wesen, das gehen lernt, lernen muß [„zugleich" ausgestrichen] die Gnade des aufgerichteten Kopfes empfangt. Das Himmelbeobachten ist Gnade und Fluch der Menschheit"73 (WIA, 93.1., ibid.). Warburg wird hier wieder zweideutiger. Füße, Stufen und die Treppe: Es ist klar, dass Warburgs Treppe nicht nur die architektonische Treppe der Hopi meint, mit ihrer kosmologischen Bedeutung als Symbol für das Weltenhaus, sondern auch die Treppe der physischen und kulturellen Evolution, die von der westlichen Wissenschaft konstruiert wird (die letztgenannte Treppenbedeutung wird durch eine Fotografie erhärtet: vor einer Landschaft mit Holztreppe steht ein Hund).74 Die Treppe als „das Instrument ... um seine [d.h. des Menschen] Minderbegabung dem Tier gegenüber zu adeln" (Warburg 1996:20) ist die Beinprothese, die die Beine und anderen Auswüchse ersetzt, die die Menschen in ihrer regressiven Evolution von Vierfüßlern zu Zweifüßlern verloren hatten.
72 Dieser Verweis auf die Antilope ist möglicherweise Warburgs Antwort auf die Frage, die ein amerikanischer Eingeborener Cushing stellte: „Warum soll denn der Mensch höher stehen als das Tier?", die Warburg im Schlangenritual zitiert (Warburg 1996:26). Einer der Beweise, die der amerikanische Ureinwohner fur die Überlegenheit der Tiere gegenüber dem Menschen brachte, war die Schnelligkeit der Antilope und die Stärke des Bären, die beide größer als die des Menschen sind. Es scheint auch, dass auf dem Foto vom indianischen ,Antilopen-Tanz in San Ildefonso" (Warburg 1996:Abb. 10) die eingeborenen Tänzer auf allen Vieren gehen, indem sie Stöcke in den Händen halten und ihre Köpfe dem Boden zuwenden - ganz im Gegensatz zu Warburgs Beschwörung „Er [der Mensch] soll nur von seinen zwei Füßen Gebrauch machen, die Stufen hinangehen und den Kopf erheben zum Himmel." 73 Dieselbe Textstelle über die Treppe erscheint geändert in der veröffentlichten Ausgabe (Warburg 1996:20-21). 74 Die Seite im Typoskript mit der obigen Textstelle hat den Titel „Scheuer mit Leiter" (WLA, III, 93.1., 26), was sich auf Warburgs Foto einer Landschaft mit einem Kornspeicher der Puebloindianer in Arizona bezieht (vgl. Cestelli Guidi und Mann 1998:Abb. 51; Warburg 1996:Abb. 9).
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In seiner Suche nach „aufrechter" Entwicklung und „Himmelbeobachten" versäumt es Warburg jedoch zu bemerken, dass die Hopi-Treppe immer aus zwei Teilen besteht - einer fuhrt hinauf und der andere hinab. Vom ersten Stock führt eine Außentreppe hinauf zur Terrasse und zum Himmel, während eine Innentreppe hinunter in die Dunkelheit der kiva fuhrt. Die Treppen sind angelehnt und aus Holz, und meist so steil, dass man sich fast vorstellen kann, dass die Hopi sich wieder auf alle Viere zurückentwickeln müssen, um sie zu benutzen. Die Chronofotografie der Hopi-Treppe zeigt eine Zickzacklinie, die den Schlangendarstellungen im Kunsthandwerk der Hopi ähnelt. Die Treppe schwingt wie eine „ewige Wippe": ein Apparat, der sich ständig auf und ab bewegt, vor und zurück, wie er in Warburgs theoretischen Bruchstücken skizziert ist.75 Die Hopi-Treppe steht genau auf der Schwelle zwischen Licht und Dunkel wie die „Indianischen Schulkinder vor einer Höhle". Es sieht so aus, als wären sie unsicher, in welche Richtung sie sich drehen sollen. Weder Warburg noch einer seiner aufklärungshörigen Biographen haben das Recht, diese Entscheidung für sie zu treffen. 76 Vielleicht ist der einzige Schluss, den man mit einer gewissen Berechtigung aus diesen drei alternativen Schlüssen ziehen kann, dass Warburg selbst eben nicht zu einer Schlussbemerkung fand. Das Schlangenritual war ein weiteres Beispiel des immerwährenden Auf und Ab der ewigen Wippe, die zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und magischem Rückschritt pendelt. Die Suche nach der „Logik in der Magie" hatte begonnen, war aber noch nicht beendet. Die drei Schlussfassungen scheinen aber doch eine gewisse Abfolge zu haben: Kulturpessimismus bei „Onkel Sam", Ambivalenz und Schwanken bei den „Indianischen Schulkindern" und schließlich die aufrechte Treppe bis hin zur Aufklärung in dem nicht verwendeten Finale der ehernen Schlange. Während Aristoteles' Schlange sich geradlinig fortbewegt, bewegt sich Warburgs Schlange seitwärts und hält sich viele Optionen offen. Zusätzlich zur biblischen Geschichte von Moses und der ehernen Schlange gibt es auch die Schlangenlegende vom Mosesstab: Von einem Moment zum anderen verwandelt sich ein aufgerichteter toter Holzstab zu einem mit Sinnen begabten lebendigen Reptil, das sich am Boden windet.77 In Warburgs Augen erlebt die Schlange andauernd eine ähnliche Verwandlung: Einmal ist sie der geradlinige „Maßstab für die Entwicklung" (Warburg 1996:11), dann wieder die wellenförmige Schlange der évolution régressive. In der Gestalt eines Maßstabs misst das erstarrte Reptil die Entfernung zu einem klar definierten Ziel. Die lebendige Schlange ist eine optische Täuschung, ein wirbelndes Dynamogramm einer bewegten Verzweiflung, die Verkörperung einer aporia, die entweder nirgendwohin oder zur gleichen Zeit in unendlich viele verschiedene Richtungen führt.
75 Vgl. Warburgs Skizze als Illustration zu Aphorismus Nr. 113, datiert 23. November 1890, im Zettelkasten namens Ae (Aesthetik) - Aphorismen. Für die Gestalt der ewigen Wippe in Warburgs Werk siehe Brosius (1997:29) und meine Rezension von Didi-Hubermans L'image survivante unter dem Titel „The Eternal Seesaw: Oscillations in Warburg's Revival". 76 Warburgs Foto von den indianischen Schulkindern, das in den neueren Ausgaben des Schlangenrituals stark beschnitten wiedergegeben ist, zeigt eigentlich, dass die Jugendlichen nicht nur vor einer Höhle stehen, sondern anscheinend auch am Rande eines Abgrunds. Die Kinder sind also zwischen der Höhle und dem Abgrund gefangen (vgl. Abb. 27 in Warburg 1996 mit Abb. 90 in Cestelli Guidi und Mann 1998). 77 Zum Schlangenstab-Motiv in der antiken ägyptischen Kunst siehe William Brede Kristensten, De slangenstaf en het spraakvermogen van Mozes en Aäron (Amsterdam 1953). Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Obwohl die Gestalt von Moses' Schlangenstab in Warburgs Entwürfen nicht vorkommt, zeigen viele seiner Darstellungen Schlangen, die sich um einen Stamm oder um einen Stab winden, wie den Stab des Asklepios. Manchmal ersetzt der Stab die Gliedmaßen eines Menschen, wie zum Beispiel bei dem lebendigen Schlangenarmband, das die Mänaden tragen. Die Schlange umschlingt den lebendigen oder leblosen Stamm in einer Weise, als ob die sich windende Bewegung nach einem Mittelpunkt suche - wie die Ranke einer Pflanze, die einen Haltepunkt braucht, um sich weiterwinden zu können. Betrachten wir den geraden Stamm und die spiralförmige Windung der Schlange als Symbole für geradlinige Begründung und krummlinige Verwirrung, so ist die Kombination der beiden Bilder ein Beweis ihrer Untrennbarkeit. Das eine braucht das andere, um sich fortzubewegen und weiterzuentwickeln. Mein letztes Bild ist eine weitere graphische Darstellung einer ähnlichen Symbiose.
7.4. Die Hand und die Schlange. Eine letzte Schlange aus den Zettelkästen Mein letzter Schlangenweg nimmt ebenfalls in Warburgs Zettelkästen seinen Anfang, genauer gesagt in jenen Zettelkästen, die Warburg aus früherem Material zusammenstellte, um sie nach seiner Rückkehr aus Kreuzlingen auf seine letzte Romreise mitzunehmen. Unter anderem findet sich in einem Kasten eine Abteilung Eherne Schlange hinter einer anderen über Laokoon (WIA, Zettelkasten Nr. 12, 066/039056, 61, 62). In dieser Abteilung befinden sich drei Karteikarten mit undeutlichen Skizzen. Das verwackelte Gekritzel scheint menschliche Körper darzustellen, die Umrisse sind jedoch so zittrig, dass man meinen könnte, Warburgs Feinmotorik hätte zu diesem Zeitpunkt gelitten (Abb. 18). Aus den begleitenden bibliographischen Notizen erfahren wir, dass das Gekritzel Warburgs entmutigender Versuch ist, Teile von Bronzinos Fresko zum biblischen Thema „Die Eherne Schlange (il serpente di Bronzo)" im Palazzo Vecchio in Florenz wiederzugeben (Abb. 19).78 Warburg kopiert jene Teile der komplexen Komposition, die ihm am wichtigsten sind: das Kreuz mit der ehernen Schlange und zwei Gestalten Bronzinos, eine Frau und einen Mann. Warburgs Zeichnungen konzentrieren sich insbesondere auf den Mann, der mit einer Schlange kämpft, die sich um seinen Arm schlingt - die Hauptfigur in Bronzinos Gruppe. Der Arm des Mannes ist ausgestreckt im Bemühen, die Schlange von seinem Kopf fernzuhalten, den sie anzugreifen sucht. Der ausgestreckte Arm läuft parallel zum Türrahmen unter dem Fresko, als ob die sich darum windende Schlange das fehlende Ornament über der Tür darstellte. In zwei groben Skizzen versuchte Warburg mit geringem Erfolg dieses Detail von Hand und Schlange darzustellen. In einer weiteren Version, die mehr einem Diagramm ähnelt, abstrahierte er die Schlange und die Hand zu einer wellenartigen Linie, die von einer geraden Linie durchkreuzt wird, als ob der Arm des Mannes ein bloßer Stock wie der Stab des Asklepios wäre. Wiederum bildet sich die Spirallinie der Schlange um die Achse eines
78 Warburgs Notiz lautet: „Bronzino und Flor[enz]. Pal.[azzo] V.[ecchio]" und enthält den bibliographischen Verweis „F. Goldschmidt Abb. IX.". In der Ausgabe von Fritz Goldschmidt (1911) in der Bibliothek Warburg findet sich unter besagter Tafel IX mit Bronzinos Gemälde der ehernen Schlange tatsächlich ein Kreuz (Abb. 19). Dorothea McEwan verweist in ihrem Artikel in diesem Band auf einen Brief von Saxl an Warburg, in dem Saxl Bronzinos Fresko als „den jüngsten Sohn aus der Laokoongruppe" bezeichnet, was Bronzinos Werk mit der zeitgenössischen Entdeckung der Laokoongruppe in Verbindung bringt (vgl. Dorothea McEwan in diesem Band).
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•i Abb. 18. Aby Warburg, Zeichnungen von Bronzinos Die eherne Schlange, WIA, Zettelkasten no. [12] 066/039061 und 62. Copyright Warburg Institute, London.
Abb. 19. Bronzino, Die Eherne Schlange, Palazzo Vecchio, Florence, nach der Illustration aus Goldschmidt (1911) in der Bibliothek Warburg.
geraden Stammes - krummlinige Verwirrung kämpft mit geradliniger Begründung. In Bronzinos Fresko ist der „Äskulapstab" allerdings ein lebendiges Glied: die Hand eines Menschen. Die Schlange „ohne Füße und Hände" eignet sich die Hand eines menschlichen Organismus an, wodurch sie die Hand zum Erstarren bringt und entkräftet. Das stellt die endgültige Rache der Schlange dar: Das unorganische Tier lähmt jenes Organ, das in der menschlichen Evolution am wichtigsten ist, gerade jenes Organ, das das „niedrigste der Reptilien" abfallen ließ. Wenn wir uns an Warburgs Kommentar über „die Schlange, die mit den Händen gepackt wird" (WIA, III, 93.3.1., 107) erinnern, also daran, wie die Puebloindianer die Schlange manipulieren, fällt uns auf, dass in Bronzinos Fresko die Situation umgekehrt ist: Hier ist es die menschliche Hand, die von der Schlange „gepackt" wird. Ist das nun ein Zufall, oder ist es ein Teil der Rache der Schlange, dass Warburgs eigene Hand gerade an dieser Stelle gepackt wurde und er sich außer Stande sieht, die Zeichnung zu vollenden? (Aus dem Englischen übersetzt von Erika Klingler und Dorothea McEwan.)
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Dorothea McEwan Zur Entstehung des Vortrages über das Schlangenritual: Motiv und Motivation/Heilung durch Erinnerung
Einleitung und Quellenlage Eine Einschränkung vorweg: Ich halte mich an Warburg und Warburgs und Saxls Texte und gebe damit einigen Zurechtrückungen Raum, was das Schreiben des Textes des Vortrages in Kreuzlingen anbelangt, die Arbeitsweise, sowohl Methode wie Ziel, aus der Sicht von Originaldokumenten.1 Mehrere Entwicklungen trafen zusammen, dass Warburg an die Arbeit eines Vortrages in Kreuzlingen2 schreiten konnte. Ich beschränke mich im Folgenden auf eine methodologische Interpretation, mit deren Hilfe ich versuchen will, das intellektuelle Milieu in Kreuzlingen sowie die Projekte, die Saxl in Hamburg auf die Beine gestellt hatte, nebeneinander laufen zu lassen, ohne eine falsche Einheit vorzuspiegeln. Mir ist dabei die Bedeutung des Fragmentarischen wichtig, gerade weil der Informationsfluss so breit, aber durch die Briefform wieder auf enge persönliche und nicht zum öffentlichen Gebrauch gedachte Grenzen zurückgeschraubt ist. Auch versiegt die Korrespondenzquelle zwischen beiden Wissenschaftlern für die Wochen, in denen Saxl bei Warburg in Kreuzlingen war, also die wichtigen Wochen und Tage vor dem Vortrag im April 1923; andererseits haben wir aus dieser Zeit Briefe von Saxl an Mary Warburg und Freunde, die das Mycel des von außen nicht sichtbaren Wachsens des Themas und wissenschaftlichen Verwachsenseins der beiden Forscher an die Oberfläche bringt. Die Korrespondenz ist daher eine wichtige Quelle, aber eben nur ein Ausschnitt zur Ausleuchtung der Entstehung des Vortragstextes und der Zusammenarbeit zwischen Saxl und Warburg sowie der Vorbereitung Warburgs auf seinen Vortrag. Diese Komponenten - und ich wiederhole das - können das intellektuelle Milieu nicht vollständig und umfassend rekonstruieren, die Wichtigkeit des Fragments muss überzeugen, aber auch die Wichtigkeit der Integration, der Verschmelzung der Aufgabe mit ihrer Ausführung und ihren Ausfuhrenden. Ich kenne kein schöneres Beispiel dafür als das Gedicht Among School Children von William Butler Yeats, des großen irischen Dichters, der diese Verschmelzung in die Worte gießt: „how can we know the dancer from the dance?".3 Er beschwört ein Bild totaler Integration, ein Bild der Vielfalt der Ideen, Ereignisse, Eindrücke, die das Selbst zurechtschleifen und formen. In diesem Sinne sehe ich Warburgs Arbeit an seinem Vortrag: Die Erfahrungen, die er auf der amerikanischen Reise sammelte, bekamen 1 Ich möchte hier auch Claudia Wedepohl und Erika Klingler für das Durchlesen des Typoskriptes und für zahlreiche wichtige Verbesserungen und Anmerkungen herzlich danken. 2 Für Informationen über das Sanatorium Bellevue und die Ärztegenerationen Ludwig, Robert und Otto Binswanger vgl. Hermann Strauss in Kreuzlinger Mosaik (Stadtrat Kreuzlingen 1991). 3 Yeats schrieb das Gedicht nach einer Schulinspektion und verband seine Eindrücke mit seinen Gedanken über die Entwicklung der Kinder und darüber hinaus der Welt. Es schloss mit dem Bild der völligen Verschmelzung des Tänzers, durch den Tanzrhythmus vorbeigewirbelt, mit dem Tanz.
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für seinen Aufenthalt in Kreuzlingen wieder und neue Gültigkeit, die Erfahrung und die Erfahrungsreflexion, also Erinnerung und daraus abgeleitete Forschung, flössen ineinander über. Die amerikanische Reise als Tanz und Warburg als Tänzer, ein schönes Bild, das Motiv und Motivation zur Verarbeitung integriert. Warburg konnte im Jahre 1923 zwei große Erfolge verbuchen: Am 21. April hielt er im Sanatorium vor den Ärzten und Schwestern sowie Patienten und Freunden einen Vortrag über „Die Logik in der Magie des primitiven Menschen", den wir den Vortrag über das „Schlangenritual" nennen, und im Herbst konnte er endlich seinen Vortrag vom Oktober 1912 in Rom gedruckt in Händen halten. Beide Vorträge sind Höhepunkte seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Der Vortrag über das Schlangenritual wurde erst 1938, neun Jahre nach Warburgs Tod, in einer gekürzten Version auf Englisch im Journal of the Warburg Institute unter dem Titel „A Lecture on Serpent Ritual" herausgegeben und auf Deutsch sogar erst 1988 unter dem Titel Schlangenritual. Ein Reisebericht. Der römische Vortrag „Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoia zu Ferrara" erschien in L'Italia e l'arte straniera, Atti delX. Congresso internazionale di Storia dell'Arte, Roma 1922,4 war aber erst im Herbst 1923 erhältlich. Sowohl der Vortrag in Kreuzlingen als auch die Veröffentlichung des Vortrages in Rom wurden durch Saxls aktive Mithilfe ermöglicht und zeigten Warburg und seinen behandelnden Ärzten wie seiner Familie und seinen Freunden, dass er sich auf dem Weg der Besserung befand. Der Anteil, den Saxl an seiner Heilung und Reintegration in seine Arbeit in Hamburg hatte, wurde noch Jahre später dankbar von Warburg verzeichnet.5 Die intellektuelle Spannungslage zwischen beiden Daten müsste einmal gesondert untersucht werden, wozu die Textgenese des Vortrages in Kreuzlingen einen Baustein beitragen kann.
Amerikanische Eindrücke In seinem 30. Lebensjahr reiste Warburg im September 1895 zur Hochzeit seines Bruders Paul Moritz mit Nina Loeb nach New York. Nach Einladungen und Gesellschaftsverpflichtungen besuchte er das Smithsonian Institute in Washington, wo er indianische Ausstellungsstücke sah. Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben an Militärbehörden und Familienfreunde brach er kurz danach in den Westen auf, um mit eigenen Augen die Malereien und Ornamente der Hopi und Zuni zu sehen.6 Es war für den in einer Großstadt aufgewachsenen Europäer eine Begegnung mit Kulturen, die seinem Erfahrungshorizont diametral gegenüberlagen. Ländliche, kleine Gemeinschaften, in denen Missionare und Lehrer seit Jahren gewirkt hatten, befanden sich in einer Übergangsphase von traditionellem Kulturleben zur Erosion desselben durch ,moderne' Einflüsse. Im Tagebuch von 1896 notierte Warburg: „Die Geschichte Stevensons von Dr. Jekyll u. Mr. Hyde gelesen. Tief symbolisch. Jeder hat so einen Mr. Hyde."7 Er fühlte sich durch seine Reisen und Eindrücke in eine Situation versetzt, die er nicht oder noch nicht ausloten konnte.
4 Sowie 1932 in: A. Warburg, Gesammelte Schriften 2:459-484. 5 Vgl. Warburg Institute Archive, General Correspondence, (abgekürzt in der Folge mit GC), A. Warburg an L. Binswangen 18.11.1924, file W24; A. Warburg an F. Saxl, 08.12.1928, W/S file; A. Warburg an F. Saxl, 01.06.1929, W/S file. 6 Family Correspondence (in der Folge abgekürzt mit FC), A. Warburg an Felix Warburg, 18.12.1895. 7 WIA, III.10.1, Tagebuch 1896,7. April, 52. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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Ein Gefühl der Entfremdung, Verfremdung, Transformation schwingt hier mit. Die Reisen in Arizona, New Mexico und Kalifornien waren körperlich anstrengend, aber Warburg nahm dies auf sich: Die Resultate, also seine Berichte, Fotografien, Kunst- und Gerätesammlung, sollten von bestimmender Wichtigkeit für ihn werden. Er stellte seine eigenen Wortlisten8 zusammen, um mit den Indianern sprechen zu können (Abb. 1), er klagte über Kälte, schlechtes Essen, schlechte Unterkunft, schlechte Strassen, nahm dies alles in Kauf, denn: „ich lerne hier mehr für die Geschichte der menschlichen Seele als in jahrelangem Stubenhocken in Europa".9 In einem Brief an seine zukünftige Frau gestand er, dass er mit einem „unsterblichen Werke" begonnen hätte: „,Symbolismus aufgefaßt als Function der Schwerkraft im geistigen Haushalt'. Eigentlich sollte ich keinen Unsinn über das Elaborat machen, denn es ist factisch die Quintessenz meines Nachdenkens (...) Meine Erfahrungen in America geben mir für den religiösen Symbolismus lebendige Erfahrungen, aber im ganzen habe ich noch lange zu warten bis das Dings complet ist".10 Er kaufte einen Fotoapparat, um die Totemtänze zu fotografieren, er kaufte Töpfe, Gerätschaften, Kleidung, die er nach Hamburg schickte" und dort 1902 als Dauerleihgabe im Museum für Völkerkunde deponierte.12 Er las aber auch moderne amerikanische Zeitschriften wie The Lark und Chap Books, über die er nach seiner Rückkehr nach Europa Artikel schrieb.13 Seine Schwester Olga kopierte in ihrem Willkommensbrief an Warburg eine Nietzschestelle aus Die Morgenröte über Aberglauben, Furcht und Kulturgeschichte in der Hoffnung, dass sie ihn interessieren würde.14 Nach seiner Rückkehr bereitete er Lichtbildervorträge über seine Reise vor, wie aus seinem Tagebuch hervorgeht: „Indianertanz habe ich mit Hilfe der Stenographin Marta Martens glücklich niedergeschrieben, bin aber jetzt wieder an einem toten Punkt angekommen". Er hielt zwei Vorträge in Hamburg und einen in Berlin 1897.16 Da er den sogenannten Hopi- Schlangentanz nicht gesehen hatte, wurde er vom Offizier William H. Bean zum Jahresende 1896 eingeladen, nach Amerika zurückzukommen, da er eine Fahrt zum Schlangentanz für Warburg organisieren würde.17 Wir wissen, dass er in seinen letzten Lebensjahren an eine zweite Amerikareise dachte, die aber nicht zustande kam. Trotz seiner intensiven Beschäftigung mit Indianerkultur während seines Aufenthaltes im Südwesten der USA kommt er sowohl in den Tagebüchern wie in seiner Korrespondenz bis 1922 kaum
8 Vgl. WIA, Zettelkasten .Americana', Moki Vokabelheft 040/020435. 9 FC, A. Warburg an Charlotte und Moritz Warburg, 12.01.1896. 10 FC, A. Warburg an Mary Hertz, 03.03.1896. M/H file. 11 FC, A. Warburg an Charlotte und Moritz Warburg, 31.01.1896. 12 GC, K. Hagen an A. Warburg, 03.01.1902. 13 ,Amerikanische Chap-Books', in: A. Warburg 1998 [1932], 2:569-577; Erstdruck im April 1897 in Pan 2
(4). 14 FC, Olga Warburg an A. Warburg, 01.08.1896. 15 WIA, III. 10.1, Tagebuch 1896, 63, 11.10.1896. 16 Warburg sprach am 21. Januar 1897 in der Gesellschaft zur Förderung der Amateur-Photographie in Hamburg'. Darüber wurde unter dem Titel,Projektionsabend - A. Warburg, Eine Reise durch das Gebiet der Pueblo-Indianer in Neu-Mexiko und Arizona', in Photographische Rundschau. Zeitschrift fiir Freunde der Photographie 1897, 11:38 berichtet. Warburg hielt einen zweiten Vortrag am 10. Februar 1897 in Hamburg im ,Amerikanistenclub'. Berichte darüber, etwa in einer Tageszeitung, sind mir nicht bekannt. Warburg sprach ein drittes Mal über das Thema am 16. März 1897 in Berlin. Franz Goerke berichtete darüber unter dem Titel ,Projektionsabend - A. Warburg, Bilder aus dem Leben der Pueblo-Indianer in Nordamerika', in Photographische Rundschau. Zeitschrift fiir Freunde der Photographie 1897, 11:61. 17 GC, W. H. Bean an A. Warburg, 30.12.1896. Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:03 PM
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f—U.. ¿yu«. '7 ,ί Abb. 1. Tagebuch der K.B.W., Band 6, Seiten 56-57 mit Einträgen von Aby Warburg und Gertrud Bing. Die Fotos aus dem Tagebuch der K.B.W, sowie die Tafel des Bilderatlas wurden mit freundlicher Erlaubnis des Warburg Institute, London (Copyright), im Zuge der Edition gemacht.
Ich beginne mit denjenigen Textmarkierungen im Tagebuch der K.B. W., die in der einen oder anderen Weise auf das Schreiben selbst reflektieren, und es mit Ort, Zeit und anderen Aktivitäten in Zusammenhang bringen. Die gerade zitierte Bemerkung, beginnend mit: „Ich bin kein Meister der Feder [...]", enthält einen Hinweis auf diejenige Art von Schreiben, die, anders als die Tagebuchnotizen, Geltung beansprucht. „Meister der Feder" ist ja eine ironische Wendung; wer sich dazu bekennt, kein Meister der Feder zu sein, benennt damit zwar einen Mangel, lässt aber zugleich durchblicken, dass er sich dafür keineswegs schämt. Das Schreiben wird hier aufgelöst in zwei voneinander geschiedene Aktivitäten: „klären" und „formulieren", zwei Tätigkeiten, die in dem Kontrast, in den sie gestellt sind, den Beiklang von Handwerk, von bodenständiger Arbeit gewinnen; übrigens eine sehr deutsche Einstellung zur Rhetorik und zum leichten Stil - mindestens in Frankreich wäre ein solcher Satz wohl nicht zu erwarten. Dass die Arbeit des Schreibens bei aller unermüdlicher Schreibarbeit Warburg nie leicht gefallen ist, wissen wir nicht nur aus dem Tagebuch der K.B. W. : Hinweise haben sich in der Korrespondenz erhalten und finden sich auch an anderen Orten des Nachlasses. Erst nach dem Erscheinen der Tagebuch-Edition konnte ich eine einschlägige Episode, die dort berichtet wird, durch einen Hinweis Wolfgang Kemps entschlüsseln, nachdem ich zuvor langwierig im Bereich der Pharmakologie nach einer Auflösung des Gemeinten gesucht hatte, aber nicht fündig geworden war. Man wird gleich verstehen, wie ich auf den Unauthenticated Download Date | 6/11/16 5:04 PM
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.Contakt bekommen": Warburg schreibt
Apothekenabweg geraten konnte: „21 Juli 927 Gestern Vormittag Brauer gesprochen den ich doch besser fand, als ich furchten mußte. Habe ihm 2 halbe Kotimoor 2 B. gegeben weil ich ernsthaft glaube, daß das eine kleine Hülfe gegen derartige Hemmungen ist." (Warburg 2001:121). Die zwei halben Kotimoor sind tatsächlich zwei halbe Kohinoor, und der Name des weltberühmten persischen Diamanten im britischen Kronschatz war lange Zeit auch als Name für eine Bleistiftmarke gebräuchlich. Wir erfahren also in Wahrheit, dass Warburg dem Studenten und späteren Doktoranden Panofskys (er promovierte über Bernini) Heinrich Brauer zwei gebrauchte Bleistifte der Stärke 2 Β gab, weil er sie für eine Remedur bei Schreibhemmungen hielt. Dass „derartige Hemmungen" sich auf Arbeitsprobleme beziehen, geht aus anderen Stellen des Tagebuchs hervor, wo berichtet wird, Saxl arbeite mit Brauer an einem Referat, von dem dieser habe zurücktreten wollen. Von den Umständen des schwierigen Anfangs eines jungen und begabten Kunsthistorikers einmal abgesehen, interessiert mich besonders die bisher unbekannte Kur für die bekannte Krankheit writer 's block. Auch hier ist eine eigentümliche Mischung pragmatischer und beinahe magischer Ingredienzien zu verzeichnen. Irgendwie leuchtet es ein, dass ein bereits vielgebrauchter Bleistift dem Schreibenden suggerieren könnte, es gehe einfach weiter, man müsse nicht um den Anfang ringen; 2 Β ist tatsächlich eine Mine, die besonders schön und weich schreibt; zwei halbe Bleistifte ergeben einen ganzen, und können deshalb ein vollgültiges Geschenk eines erfahrenen Mentors an den mit Schwierigkeiten kämpfenden jungen Wissenschaftler sein. Womöglich spielt sogar der exotische Name Kohinoor eine Rolle. Neben dem therapeutischen Aspekt scheint aber auch das Bewusstsein über den materialen Anteil des Schreibens deutlich präsent: mit Tinte Geschriebenes steht fest, Bleistift kann man radieren. Mit Bleistift geschrieben, behält ein Text für eine Weile noch den Charakter des Vorläufigen, Flüchtigen, ist dem Sprechen um eine winzige Nuance näher. Eine solche Nähe zum Sprechen, ein gewisses „Schriftmündlich"5 eignet auch dem Tagebuch, das ja im wesentlichen eine dialogische Struktur hat (Warburg 2001:IX-XVI). Damit ist keinesfalls so etwas wie sprachliche Nachlässigkeit gemeint, sondern eher die schreibende Kommunikation, die nicht mit einer Distanz rechnet, die zu überwinden wäre, sondern mit einer Alltagsnähe, die es zu transzendieren gilt. Man schreibt einander etwas auf, doch in den Zwischenräumen wird gesprochen. So erklären sich die kleinen Warn- und Aufmerksamkeitsfigurinen, die hochfliegende Ideen und merksatzartige Äusserungen begleiten: sie ironisieren den hohen Ton, ohne ihn zurückzunehmen, sie reflektieren das Schreiben als eine Denkwerkstatt (Abb.2 und 3). Warburg erwähnt etwa ein knappes Dutzend Mal, ein Eintrag im Tagebuch sei sehr früh am Morgen, um vier oder fünf Uhr, geschrieben worden.6 Am 5. Dezember 1927 heißt es:
5 So formuliert im Zusammenhang mit neuen Kommunikationsformen im Internet, siehe Reinhold Grether, in: netzwissenschaft.de. 6 Warburg 2001:77: Morgens: 30 März 927 Vorbereitung für Donnerstag Vormittag. Morgens 3 Uhr Einfalle. Warburg 2001:82: 13. IV. morgens 4. Warburg 2001:361: 5. November 928 Morgens 4 Uhr die Stellung des Tempio zwischen (Pimandres) Gnosis und Intermezzo 1589 formuliert (Baschage 4°, Tafel). Warburg 2001:499: 12. VIII 29 Morgens (3) Wer kann es mir, angesichts dieser gnadenlos bedrohlichen Belastungstabelle, die unsere mysteriös-schöpferische Zweisamkeit zerstören will, verdenken, daß ich Tag und Nacht für mich uns ein besseres Signalsystem für den Ueberdruck des realen Lebens leidschaftlich herauszufinden versuche? Leichtsinnige Selbstverschwendung und zartsinnigster Altruismus sind eben in tragischer Polarität auf einem Stamm geimpfet. 12. VIII 929 Morgens 3% Im Hintergrund aber, alles überschattend, (wie damals der festgefahrene „Imperator" vor Altona) der flammende Eis- und Magnetberg: Giordano Bruno. Warburg 2001:523: Morgens 3!4 10 IX 929. Großenheyner in der Frankfurter Zeitung („Kaleidoskop") findet endlich
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Charlotte Schoell-Glass
Abb. 2. Der Genius des Tiefsinns mit erklärender Auflösung, Tagebuch der K.B.W., Band 8, Seite 10.
„(Morgens 5. 2 Stunden geschrieben 3 Stunden laut gesprochen. Kreuzlingen ruft)" (Warburg 2001:155). Schreiben, aber vor allem das monologische Sprechen, sind hier als Zwangshandlungen beschrieben, Überfalle des Morgengrauens, die bedrohlich und krankhaft erscheinen. In dieser Situation sind Schreiben und Sprechen gleichermaßen unkontrollierbare Handlungen, das Selbstgespräch die noch unheimlichere der beiden. In anderen Situationen erscheint gerade das Schreiben als ein Seil, das den Schreibenden sichert: „Ich bedaure, daß Saxl kein richtiges Tagebuch geführt hat: gerade, was der Tag an unauffälligem Geschehen bringt ist eine .organische Funktion' für das schaffende Gedächtnis; ich brauche es absolut notwendig, um Contakt zu bekommen." (Warburg 2001:148 [Eintrag vom 29. November 1927]). Ich habe mich immer wieder gefragt, was dieses „Contakt bekommen" bedeuten mag. Kontakt haben, aufnehmen und „bekommen" bedarf streng genommen der Ergänzung durch ein Objekt, das hier ja fehlt. Das Objekt, so glaubt etwa Karen Michels, ist das Selbst. Ich habe aber daraus geschlossen, dass „Contakt bekommen" objektlos in einem anderen, umfassenden Sinn zu verstehen ist. Es würde hier also meinen, überhaupt in Verbindung zu treten mit der Mitwelt der Menschen - „Sich dem Chaos der Mitwelt zuzuwenden, war für mich immer eine antaeische Bewegung" (Warburg 2001:332 [Eintrag vom 18. August 1928]) - und der Umwelt der Dinge. Die Voraussetzung dafür wäre die Vorstellung einer grundsätzlichen Isolation, aus der allein das Schreiben herausführt. Und zwar hier das Schreiben zur Aufzeichnung unauffälligen Geschehens, das eine „organische Funktion" für das „schaffende Gedächtnis" sei. Die „organische Funktion" ist
den richtigen Tonfall des Luftberichterstatters. Eckener sagt: „Wer die Gefahr der Luft Reise nicht kennt den sollte man nicht mitnehmen, der ist zu dumm dazu" Das Ueberfliegen von Sibirien, dieser unwiderleglichen Hölle auf Erden hat der Reportergeschwätzigkeit vom Comfort in den Lüften das Maul verschlagen. Möchte im „Luther" einen Anfang: „Von Reymann bis Eckener" geben. Von Karl dem Kühnen mit der Kanone bis zu Hugo dem Unerschrockenen" mit dem Barometer. Warburg 2001:555: 26 Oktober 29 Morgens 4. „Perseus" oder „Energetische Aesthetik als logische Funktion im Geschäfte der Orientierung bei Giordano Bruno" - dazu gehört die Entwicklungstypentafel „Perseus".
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„Contakt bekommen": Warburg schreibt
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Abb. 30. Aby Warburg, Zeichen eines im Schwingen begriffenen Pendels als Symbol von Warburgs Theorie und ihren Gegenständen, in: WIA, III.43.2.1. „Grundlegende Bruchstücke zu einer pragmatischen Ausdruckskunde (monistischen Kunstpsychologie)", Bd. 2: 1896-1903, S. 67 [Eintrag vom 13. April 1900] Copyright: The Warburg Institute, London.
und mit einem als ,Arizona" identifizierten Westen. Florenz und Arizona sind hier aufïalligerweise durch ein geschlängeltes Lineament über einer Geraden miteinander verbunden, was auf eine Korrektur oder aber vielmehr auf ein dem im „Schlangenritual" verhandelten Gegenstand kongeniales Graphem hindeuten könnte, zumal in jenem Essay genau diese Verbindung zwischen Florenz und Arizona aufgezeigt wird. Es verlockt, dieses mapping mit der Karte zu vergleichen, die dem Artikel in der „Hamburger Illustrierte" beigegeben ist und das Netz der damals bestehenden europäischen Bildtelegraphiestationen aufzeigt (Abb. 28 und 32). Nicht nur konnte Warburg hierin eine Bestätigung seiner eigenen ,Schaltungen' Hamburg, Straßburg - finden; auch könnte die Schlangenlinie zwischen Florenz und Arizona als eine Anspielung auf die technizistischen „unendlichen Wellen" betrachtet werden, von denen Warburg im Epilog seines „Schlangenritual"-Textes schreibt.61
61 Womöglich wurde Warburg zu dieser Kartographie, die energiegeladene Wanderungsbewegungen aufzeichnet (vgl. auch Abb. 40), angeregt durch eine Hinweistafel, die auf der Frankfurter Elektrotechnischen Ausstellung an exponierter Stelle deren weltweit beachtete Hauptattraktion visualisierte: die Fernübertragimg von elektrischem Strom über die damals sensationelle Distanz von 175 Kilometern zwischen Lauffen am Neckar und dem Ausstellungsgelände in Frankfurt. Zur Demonstration dieser so große Distanzen überwindenden Kraft wurde eigens eine Tafel mit einer Karte installiert, auf der die Trasse der Stromleitung den staunenden Besuchern durch 1.000 brennende Glühbirnchen angezeigt wurde (Abb. 34) (siehe Lauer 1991). - Daneben findet jenes geschlängelte Lineament über einer Geraden ein sowohl formal als auch gehaltlich adäquates Vorbild in dem bereits erwähnten „launigen Ornament" von Burgess (Abb. 33) (siehe Anm. 24). Zu Warburgs „Wanderkarten" allgemein siehe McEwan (2006:243-268).
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Thomas Hensel
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Abb. 31. Warburgs persönliche Kulturgeographie, 1928 - Copyright: The Warburg Institute, London.
Abb. 32. Netz europäischer „Bildstationen", in: Hamburger Illustrierte 11 (36), 07.09.1929, S. 3, Detail - Archiv des Verfassers.
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Abb. 33. Gelett Burgess, Vignette, „in der sich Schnellzug, Telegraphenstangen und Rauchwolken zu einem launigen Ornament zusammenlügen" (Warburg), 1895/96 - Copyright: The Warburg Institute, London.
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Abb. 34. Kraftübertragung Lauffen - Frankfurt 175 km. Secundärstation Ausstellung Frankfurt a. M. 100 HP Drehstrommotor mit Centrifugalpumpe. Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Berlin. Internationale Elektrotechnische Ausstellung, Frankfurt a. M. 1891, Lichtdruck, 1891 - Wiedergabe nach Steen (2001:43).
Blättert man in besagtem Artikel der „Hamburger Illustrierte" weiter, fällt auf Seite 4 ein Bilderpaar ins Auge, mit folgender Bildunterschrift (Abb. 35): „Mehr als alle Worte beweist ein Vergleich zwischen einem Original und einem telegraphierten Bild die Qualität unseres neuen Bildtelegraphen-Apparates. Das Original und das übertragene Bild einer Tanzgruppe im Freien". Wie diese Tanzgruppenformation wurden in der einschlägigen Literatur über Bildtelegraphie immer wieder Abbildungen regelrechter Pathosformeln als Beispiele erfolgreich übertragener Bilder aufgerufen, so etwa auf einer Tafel des im Jahr 1923 erschienenen Standardwerks „Bildtelegraphie" von Arthur Korn (Abb. 37).62 De facto waren dies exakt
62 Es ist bemerkenswert, dass Korn diese Bildserie im letzten Kapitel seines Buchs unter der Überschrift „Das Problem des elektrischen Fernsehens" verhandelt. Hier führt er aus: „Die telegraphische Übertragung von Photographien ist eine Vorstufe des elektrischen Fernsehens; wir können ja jetzt in der Tat an irgend einem Orte eine photographische Aufnahme machen, dieselbe telegraphisch an einen entfernten Ort senden und dort wieder sichtbar machen, ζ. B. durch einen Projektionsapparat auf einen Schirm entwerfen, dann ist uns in der Tat das Sehen eines fernen Gegenstandes durch die telegraphische Übertragung ermöglicht worden. [...] man kann noch weiter gehen, man kann auch kinematographische Aufnahmen machen und telegraphisch übertragen; ich zeige Tafel VIII (Fig. 56) einen Teil einer Serie kinematographischer Aufnahmen, welche ich telegraphisch übertragen habe, die Geste eines bekannten Berliner Schauspielers; wenn man die übertragenen Aufnahmen im Kinematographen vorüberziehen läßt, wird man tatsächlich einen Vorgang, der sich an einem fernen Orte abgespielt hat, nach einer telegraphischen Übertragung wieder sichtbar machen können." (Kom 1923:129). Warburgs Denken in Bildem war auch durch die Kinematographie beeinflusst, was hier nicht näher ausgeführt werden kann (siehe Anm. 5 und 7).
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Thomas Hensel
Abb. 35. Tanzgruppe im Freien, in: Hamburger Illustrierte 11 (36), 07.09.1929, S. 4 - Archiv des Verfassers.
Abb. 36. Musenreigen auf dem Parnaß. Aby Warburg, Bilderatlas Mnemosyne, Tafel „50" und „51", Detail - Copyright: The Warburg Institute, London.
diejenigen Pathosformeln, denen auch Warburg zeitgleich in seinem Bilderatlas nachging (Abb. 36).63 Darüber hinaus wird mit der fur die Bildtelegraphie so maßgeblichen Vergleichung von Original und mitunter gestörtem Empfangsbild eine methodische Grundlage und Kernkompetenz der Kunstwissenschaft wesentlich untermauert, die des vergleichenden Sehens nämlich. In einem Feld formaler und genealogischer Verweisungen, wie es ebenfalls im Fall des Bilderatlas gegeben ist, wurde das ,Original' zu einer Episteme (Abb. 38), die formale und, mit Blick auf den Atlas, auch typologische Zusammenhänge erst eigentlich begreifbar macht. Tatsächlich haben im Dispositiv der telegraphischen Bildübertragung viele im Zuge der Herausbildung von Kunst- respektive Bildwissenschaft aufgeworfene und seitens Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus attackierte Fragen wie die nach dem „Original", dem „Ursprung", dem „Einfluß", der „Homogenität" oder „Heterogenität" wirksame Materialität gewonnen.
63 Siehe auch die Tafeln „2" Abb. 3 und 6°, „4" Abb. 1B, „32" Abb. 19, „39" Abb. 1 I a sowie „53" Abb. 8 und 9. Die Abbildungsnummern beziehen sich auf die Notation der Edition des Bilderatlas (siehe Warburg 2003a: 16-17, 20-21, 54-55, 68-69 sowie 96-97).
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A b b . 37. B i l d t e l e g r a p h i s c h ü b e r t r a g e n e , P a t h o s f o r m e l ' , in: K o r n ( 1 9 2 3 : T a f e l V I I I F i g . 56).
Verwendung gelangen, und zwar wird das Bild zunächst in vergrößertem Maßstal) zusammengesetzt und dann zur Reproduktion entsprechend ver-
Fift. 161. Kmp&ngAild. kleinert. Ascoli und B o r t i n i bezeichnen ihren Apparat als T e l e i c o n o g r a p h . l>ie Resultat«, welche sie bei Zerlegung und Zusammensetzung nach ihrem System erreicht haben, sind recht gute und A b b . 38. V e r g l e i c h e n d e B e t r a c h t u n g v o n O r i g i n a l u n d E m p f a n g s b i l d , in: K o r n u n d G l a t z e l ( 1 9 1 1 : 3 0 7 ) .
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Thomas Hensel Em*r AiweímilL Ii* Konii r^Wrai^hf-:.
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