Satirische Sprache und Sprachreflexion: Grimmelshausen im diskursiven Kontext seiner Zeit 9783110408164, 9783110416770, 9783110416824

The book presents Grimmelshausen’s place in the 17th-century linguistic discourse of patriotism. In analyzing this disco

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German Pages 606 [608] Year 2015

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Table of contents :
Vorwort und Danksagung
Inhalt
1. Einleitung
2. Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext
3. Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse
4. Analyse des sprachpatriotischen Diskurses
5. Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs
6. Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen
Zur Zitierweise
Literaturverzeichnis
Namensregister
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Satirische Sprache und Sprachreflexion: Grimmelshausen im diskursiven Kontext seiner Zeit
 9783110408164, 9783110416770, 9783110416824

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Sebastian Rosenberger Satirische Sprache und Sprachreflexion

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Christa Dürscheid, Andreas Gardt, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger

Band 121

Sebastian Rosenberger

Satirische Sprache und Sprachreflexion

Grimmelshausen im diskursiven Kontext seiner Zeit

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-040816-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041677-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041682-4 ISSN 1861-5651 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort und Danksagung Als germanistischer Sprachwissenschaftler einen der großen Autoren der deutschen Literaturgeschichte zum Forschungsgegenstand zu wählen ist in doppelter Hinsicht ein Wagnis, denn man setzt sich damit einerseits der Kritik von Seiten der Linguistik aus, einen für die Disziplin bestenfalls randständigen Gegenstand zu behandeln und andererseits der von Seiten der Literaturwissenschaft, dem Autor mit den linguistischen Methoden nicht gerecht zu werden. Beiden Seiten ist entgegenzuhalten, dass literarische Texte eben in ihrer Eigenschaft als Texte, als sprachliche Konstrukte, Gegenstand linguistischer Untersuchungen sein können, zumal dann, wenn sie den genuinen Gegenstand jeglicher linguistischer Forschung, nämlich die Sprache, thematisieren. Wenn außerdem noch sowohl die theoretische Reflexion über Sprache und deren Folgen in der Sprachpraxis als auch der für diese sprachreflexiven Diskurse typische Sprachgebrauch untersucht werden, dann kann sich der vorliegende Ansatz meines Erachtens gegen die beiderseitige Skepsis rechtfertigen. Gleichwohl wurde versucht, beiden philologischen Teildisziplinen gerecht zu werden, weshalb in der vorliegenden Arbeit sowohl literaturwissenschaftliche als auch linguistische Methoden angewendet werden, wobei letztere überwiegen. Auf diese Weise sollen die Stärken beider Disziplinen zur Klärung der Ausgangsfrage, nämlich der Frage nach der Positionierung Grimmelshausens zum sprachpatriotischen Diskurs, beitragen. Diese methodische Praxis folgt der Prämisse, dass Linguistik und Literaturwissenschaft durchaus konvergieren können und sollten, zumal beide auf eine lange gemeinsame Tradition zurückblicken. Ihren Ursprung hat die vorliegende Untersuchung einer solchen Konvergenz zu verdanken, nämlich einem Hauptseminar mit dem Titel Sprachkritik und Sprachtheorie in der frühen Neuzeit, das im Sommersemester 2009 am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg von Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann (Literaturwissenschaft) und von Prof. Dr. Jörg Riecke (Linguistik) gemeinsam geleitet wurde. Hier wurden verschiedene sprachreflexive Texte behandelt. Auf der Suche nach einem Dissertationsthema besuchte ich das Seminar als frischgebackener Magister Artium und wurde schließlich bei Grimmelshausens Teutschem Michel fündig. War die Arbeit anfangs noch als Untersuchung ausschließlich zu diesem Text angelegt, zeigte sich bald, dass der Teutsche Michel zu eng mit den diskursiven Kontexten der Zeit, insbesondere mit dem sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts, verwoben ist, als dass man ihn isoliert behandeln könnte, zumal er als satirischer Kommentar zu diesen Diskursen angelegt und ihre

VI � Vorwort und Danksagung

Kenntnis für das Verständnis des Textes eine notwendige Voraussetzung ist. Zudem mussten dessen satirischer Charakter und seine kommunikativen Zwecke berücksichtigt sowie die Frage nach der methodischen Erfassung der Eigenarten von Satiren gestellt und zumindest ansatzweise beantwortet werden. Nach der Erkenntnis dieser erschwerenden Umstände war eine Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes auf die Diskurse, in die der Teutsche Michel eingebettet ist, unerlässlich. Zugleich verschob sich der Fokus der Arbeit, Grimmelshausens Text wandelte sich zum Ziel eines langen Weges, das durch unvermeidliche Umwege zuweilen aus dem Blickfeld, nicht jedoch aus dem Bewusstsein gerät. Wie jede größere Arbeit verdankt auch die vorliegende ihre Existenz zahlreichen Unterstützern, bei denen ich mich herzlich bedanke. Hier ist in erster Linie an meinen Doktorvater, Jörg Riecke, zu denken, der das Dissertationsthema nicht nur vorbehaltlos akzeptierte, sondern mir auch ermöglichte, zunächst als studentische Hilfskraft und dann als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl tätig zu sein. Das Projekt „Digitale Grimmelshausen-Edition“, das in Kooperation mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel von 2010 bis 2012 in Heidelberg angesiedelt war und mir durch die editorische Arbeit eine umfassende Kenntnis des Grimmelshausenschen Gesamtwerks ermöglichte, wäre ohne seine vielseitige Unterstützung als Antragsteller und Projektleiter nicht möglich gewesen. Ebenso viel Dank gebührt Prof. Dr. Jochen A. Bär (Vechta), der nicht nur meine ersten linguistischen Gehversuche wohlwollend und, wenn nötig, auch kritisch begleitete, sondern auch später ein stets willkommener Initiator, Ratgeber und Unterstützer war. Auch er unterstützte das Editionsprojekt sowohl als Antragsteller wie auch als Projektleiter. Darüber hinaus erstellte er dankenswerterweise auch das Zweitgutachten über meine Dissertation. Als Vorsitzender der Disputation fungierte Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, wodurch sich ein Kreis schloss, da ich ihm meine ersten Erfahrungen mit Grimmelshausen in einem Hauptseminar zur „heroischen Frau in der Dichtung der Frühen Neuzeit“ (Wintersemester 2005/06) verdanke. Prof. Dr. Oskar Reichmann und Prof. Dr. Anja Lobenstein-Reichmann danke ich für die Aufnahme in die Arbeitsstelle „Frühneuhochdeutsches Wörterbuch“, die 2013 an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen eingerichtet wurde. Diese berufliche Perspektive schuf den Ansporn und den nötigen Druck, die Arbeit so schnell wie möglich und früher als geplant zu beenden. Oskar Reichmann verdanke ich auch viele Vorschläge zur Verbesserung und zur notwendigen, wenn auch manchmal schmerzhaften Kürzung der Arbeit.

Vorwort und Danksagung � VII

Ihm sowie den anderen Herausgebern, Prof. Dr. Christa Dürscheid, Prof. Dr. Andreas Gardt und Prof. Dr. Stefan Sonderegger, danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Studia Linguistica Germanica“. Den Teilnehmern des Oberseminars von Herrn Riecke, in dem ich die im Entstehen befindliche Arbeit zweimal vorstellen durfte, danke ich für die anregenden Diskussionen. Maren Wagner (Heidelberg) danke ich dafür, dass sie große Teile der Arbeit unter zum Teil erheblichem Zeitdruck Korrektur gelesen hat. Stefanie Krinninger (Göttingen) danke ich für die Satzeinrichtung. Darüber hinaus danke ich meinen früheren Kolleginnen und Kollegen in der linguistischen Abteilung des Germanistischen Seminars Heidelberg, insbesondere den Doktorandinnen und Doktoranden, für eine stets wissenschaftlich befruchtende und persönlich angenehme Atmosphäre, in der ich die oft entbehrungsreiche Arbeit nur selten als solche empfand. Schließlich danke ich auch meiner Familie für ihre Nachsicht, dass ich in der „heißen Phase“, die auch das Weihnachtsfest 2012 betraf, als Gesellschafter nur wenig zu gebrauchen war.

Sebastian Rosenberger Göttingen, im Mai 2015

Inhalt 1

Einleitung � 1

2

Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext � 13 Grimmelshausens Leben und Gesamtwerk � 13 Grimmelshausens Stellung als literarischer Außenseiter � 23 Grimmelshausens Gesamtwerk als ,Autordiskurs‘ � 35

2.1 2.2 2.3 3

Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse � 65 3.1 Zum Korpus � 65 3.1.1 Zur Eingrenzung des Korpus � 65 3.1.2 Textsorten des Korpus � 70 3.2 Der diskursive Rahmen � 72 3.2.1 Zum linguistischen Diskursbegriff � 72 3.2.2 Die sprachreflexiven Diskurse des 17. Jahrhunderts � 80 3.2.2.1 Allgemeines � 80 3.2.2.2 Der Sprachnormierungsdiskurs � 93 3.2.2.3 Der Fremdwortpurismus � 121 3.2.2.4 Kommunikationsorientierung am Ende des Jahrhunderts � 164 3.2.3 Die Bedeutung dieser Diskurse für die Sprachgeschichte des Deutschen � 166 3.3 Grimmelshausen als Satiriker � 188 3.3.1 Zur Theorie der Satire � 188 3.3.1.1 Allgemeines zur Satire � 188 3.3.1.2 Zum Wirklichkeitsbegriff � 191 3.3.1.3 Eine linguistische Theorie der Satire � 197 3.3.1.3.1 Ulrich Gaiers Satiretheorie � 197 3.3.1.3.2 Der zeichentheoretische Status der Satire � 201 3.3.1.3.3 Sprachliche Merkmale der Satire � 206 3.3.2 Satire im 17. Jahrhundert � 217 3.3.3 Satiretheorie und Satiretypen bei Grimmelshausen � 228 3.3.3.1 Grimmelshausens ,Satiretheorie‘ � 228 3.3.3.2 Traumsatire: Continuatio und Verkehrte Welt � 239 3.3.3.3 Phantastische Elemente: Die Vogelnest-Romane � 245 3.4 Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren als Methode linguistischer Diskursanalyse � 253

X � Inhalt 3.4.1 3.4.2

Zur Theorie der diskurssemantischen Grundfigur � 253 Zum Toposbegriff � 262

4 Analyse des sprachpatriotischen Diskurses � 277 4.1 Überblick über die folgende Analyse � 277 4.2 Metaphern � 280 4.2.1 Kleidermetaphorik � 280 4.2.2 Biologistische Metaphorik � 288 4.2.3 Anthropomorphisierende Metaphorik � 303 4.2.4 Rechtsmetaphorik � 308 4.2.5 Knechtschaftsmetaphorik � 315 4.2.6 Muttermilch � 322 4.2.7 Essen und Trinken � 328 4.2.8 Handwerksmetaphorik � 329 4.2.9 Lichtmetaphorik � 332 4.2.10 Münzmetaphorik � 334 4.3 Topoi � 338 4.3.1 Persönlichkeiten � 338 4.3.1.1 Adam � 339 4.3.1.2 Ascenas � 347 4.3.1.3 Karl der Große � 356 4.3.1.4 Rudolf I. � 362 4.3.1.5 Martin Luther � 364 4.3.1.6 Martin Opitz � 370 4.3.2 Ereignisse � 375 4.3.2.1 Sintflut � 375 4.3.2.2 Der Turmbau zu Babel und die Babylonische Sprachverwirrung � 379 4.3.2.3 Reformation � 390 4.3.2.4 Der Dreißigjährige Krieg � 391 4.4 Diskurssemantische Grundfiguren � 396 4.4.1 Alter � 397 4.4.2 Reinheit � 407 4.4.3 Reichtum � 420 4.4.4 Eigentlichkeit � 432 4.4.5 Poetizität � 455 5 5.1

Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs � 459 Schwarz und Weiß � 465

Inhalt � XI

5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 6

Das Alamode-Wesen � 481 Die Orthographie � 490 Fremdwörter � 500 Sprachgebrauch � 509 Wo ist das beste Teutsch zu finden? � 530 Stammwörter � 537 Sprache und Moral � 549 Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen � 557

Zur Zitierweise � 567 Literaturverzeichnis � 571 Namensregister � 591

1 Einleitung Der Titel dieses Buches besteht aus vier Inhaltskomponenten: Sprache und Sprachreflexion; diskursiver Kontext einer bestimmten Zeit; Grimmelshausen; das Attribut satirisch. Diese Schlagwörter umschreiben das Thema der Abhandlung in nuce, weshalb sie im Folgenden erläutert werden sollen. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Sprache wie der Sprachreflexion des 17. Jahrhunderts. Für die Komponente Sprache lassen sich mindestens drei Ebenen unterscheiden: Die Ebene des Sprachgebrauchs (parole), des Sprachsystems (langue) und die Reflexionsebene. Gegenstand dieser Arbeit ist hauptsächlich die dritte, die Reflexionsebene, die auf die beiden ersten Ebenen rekurriert. Diese Ebene ist das, was im Titel Sprachreflexion genannt wird. Unter dem Terminus Sprachreflexion sind im Wesentlichen Äußerungen zu verstehen, die sich metakommunikativ auf theoretische, systematische, pragmatische oder historische Aspekte einer oder mehrerer Sprachen oder Sprachvarietäten beziehen. Dabei interessieren in diesen Zusammenhang hauptsächlich solche sprachreflexiven Äußerungen, die einen gewissen Allgemeingültigkeitsanspruch vertreten, also in sprachnormierender, präskriptiver, deskriptiver oder sprachkritischer Absicht geäußert werden und denen eine gewisse Deontik, in welcher Form auch immer, inhärent ist. In diesem Sinne ist damit nicht jede Äußerung über Sprache als sprachreflexiv zu klassifizieren, sondern nur die Äußerungen, die die genannten Kriterien erfüllen. Da die sprachreflexiven Äußerungen des 17. Jahrhunderts Gegenstand dieser Arbeit sind, bedarf es einer Meta-Reflexion, wie sie Gardt et al. annehmen: In der kommunikativen Realität schwankt der Grad der Reflektiertheit des sprachlichen Handelns außer nach sehr unterschiedlichen individuellen auch nach räumlichen, sozialen, situativen, historischen usw. Gegebenheiten; sie ist in jedem Falle einer der Gegenstände der Sprachwissenschaft. Dialektologie hat demnach die jeweils raumüblichen, Sprachsoziologie die jeweils schichten- und gruppentypischen, Pragmatik die jeweils situationsspezifischen und Sprachgeschichte […] die jeweils epochenüblichen Ausprägungen der Meta-Reflexion zu untersuchen (Gardt et al. 1991, 17).

Die Meta-Reflexion ist demnach die Ebene, auf der sich die Sprachgeschichtsschreibung bewegt, wenn sie die Sprachreflexion früherer Zeiten untersucht. In dieser Arbeit geht es also darum, die Reflexion bestimmter Autoren des 17. Jahrhunderts über theoretische, systematische, pragmatische oder historische Aspekte der Sprache auf der Ebene der Meta-Reflexion zu untersuchen.

2 � Einleitung Klaus J. Mattheier unterscheidet vier Gegenstandsbereiche der Sprachgeschichtsforschung: Die Sprachsystemgeschichte, die Sprachgebrauchsgeschichte, die Sprachkontaktgeschichte und die Sprachbewusstseinsgeschichte. Die Sprachsystemgeschichte untersucht die Entwicklung der Sprache auf allen systematischen Ebenen von den Phonemen und Graphemen bis zur Text-/Diskursebene mit den „strukturalistischen oder auch variationslinguistischen Beschreibungsmethoden“ (Mattheier 1995, 15). Die Sprachbewusstseinsgeschichte untersucht das „systematische und das unsystematische Sprachwissen und die unterschiedlichen Handlungs- bzw. Urteilsmotivationen, die bei einem Sprachgemeinschaftsmitglied bzw. einer Sprachgemeinschaft verbreitet sind“ (ebd., 16). Dazu gehören alle Formen geistiger Auseinandersetzung mit der eigenen und anderer Sprachlichkeit […], also das relativ unreflektierte Alltagswissen über Richtigkeit und Angemessenheit von Sprachhandlungsmustern ebenso wie die differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sprache (ebd.).

Die Sprachkontaktgeschichte hat die Zusammenhänge von Sprachen und Sprachgemeinschaften, die miteinander in Kontakt stehen, zu untersuchen (vgl. ebd., 17). Alle vier Gegenstandsbereiche sind für die vorliegende Untersuchung von Relevanz, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Relativ schwach gewichtet ist die Sprachsystemgeschichte, da die Arbeit nicht die Beschreibung der Objektsprache, sondern die der Metasprache zum Thema hat. Die Sprachsystemgeschichte spielt lediglich bei den Diskussionen um die Normierung eine marginale Rolle. Ähnlich ist es mit der Sprachgebrauchsgeschichte, sie wird nur dann Thema, wenn der Sprachgebrauch im Diskurs explizit diskutiert wird, etwa im Rahmen der Alamode-Kritik. Deutlich stärker liegt der Akzent auf der Sprachkontaktgeschichte, da das Verhältnis der deutschen Sprache zu den drei ,heiligen‘ und den romanischen Sprachen ein wichtiges Thema des Diskurses ist. Bei einer Arbeit, die die Metasprache als Untersuchungsobjekt definiert, ist jedoch der Fokus auf die Sprachbewusstseinsgeschichte gerichtet. Im von Mattheier definierten Spektrum zwischen relativ unreflektiertem Alltagswissen und differenzierter wissenschaftlicher Auseinandersetzung sind die untersuchten Äußerungen am letzteren Ende der Skala anzusiedeln, es handelt sich um Autoren mit großer wissenschaftlicher oder künstlerischer Reputation, einige der Diskursakteure repräsentieren die geistige Elite ihrer Zeit. Daher ist diese Arbeit auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Sprachreflexive Äußerungen sind Komponenten von Diskursen, d.h. von Auseinandersetzungen über kontroverse Themen, die prototypisch aus einer potentiell unendlichen Anzahl von Einzeltexten bestehen und deren Grenzen

Einleitung � 3

nicht fest umrissen sind, die sich in untergeordnete Diskurse aufteilen oder in übergeordnete Diskurse einordnen lassen können, die sich mit Nachbardiskursen überschneiden und wissenschaftliche, künstlerische oder soziale Konflikte widerspiegeln. Im konkreten Fall der Sprachreflexion des 17. Jahrhunderts stehen die Äußerungen im Kontext eines Kulturpatriotismus, der in der Sprache nicht nur ein Ausdrucksmedium, sondern auch ein Objekt kollektiver Identifikation findet. In einem politisch, wirtschaftlich und konfessionell zersplitterten Reich, das durch den Dreißigjährigen Krieg zerrüttet wurde, fanden die Patrioten in der Sprache trotz ihrer starken räumlichen, sozialen und funktionalen Differenzierung einen guten Anknüpfungspunkt für ihr Streben nach kultureller Einheit des deutschen Sprachraums. Natürlich war den Patrioten die enorme Varianz der deutschen Sprache bewusst. Deshalb richteten sie ihr Augenmerk auf ihre Vereinheitlichung. Diese sollte durch Regulierung der Dichtung sowie durch Normierung der Grammatik und Lexik vollzogen werden. Zudem sollte die deutsche Sprache gegen als schädlich empfundene Einflüsse von außerhalb in Form von Fremdwörtern und fremden Redensarten geschützt und von ihnen ,gereinigt‘ werden. Diese Bestrebungen werden von den Patrioten intensiv diskutiert, so dass sich verschiedene Diskurse unterscheiden lassen: Der Normierungsdiskurs, der fremdwortpuristische Diskurs und der poetologische Diskurs. Da alle diese Diskurse zum großen Teil von den gleichen Akteuren getragen werden und sich thematisch überschneiden, können sie zu einem sie umfassenden Diskurs, dem sprachpatriotischen Diskurs, zusammengefasst werden. Dieser ist wiederum Teil des sprachreflexiven Diskurses, der auch andere Diskurse wie den sprachuniversalistischen oder den sprachmystischen Diskurs umfasst.1 Diese Arbeit konzentriert sich auf den sprachpatriotischen Diskurs, dessen Themenspektrum gerade umrissen wurde. Eine hervorstechende Eigenschaft dieses Diskurses ist die hyperbolische Überhöhung der deutschen Sprache, die durch einige Autoren maßvoll, durch andere dafür umso intensiver betrieben wird. Diese Überhöhung dient dem Zweck der Steigerung des Prestiges der deutschen Sprache im Ausland und der Dominantsetzung einer bestimmten Auffassung der Sprachnorm im Inland. Im ersteren Fall geht es darum, die deutsche Sprache auf eine Stufe mit den drei ,heiligen‘ Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein zu setzen, z.T. sogar, sie über diese zu stellen. Damit wird zugleich die Überlegenheit der deutschen Sprache über die kulturell dominanten romanischen Sprachen impliziert. Insbesondere das Französische gilt auf-

�� 1 Zu nennen wären noch weitere Diskurse, etwa der sprachpädagogische (vgl. Gardt 1994a, 438–465). Diese Diskurse werden aus dieser Arbeit jedoch weitestgehend ausgeklammert.

4 � Einleitung grund der politischen und kulturellen Hegemonie Frankreichs seit den 40erJahren des 17. Jahrhunderts als potentiell oder tatsächlich gefährlich für die Integrität und Identität der Deutschen und wird deshalb massiv bekämpft. Dies geschieht zum einen im Bereich der Mode und des Verhaltens, zum anderen im Bereich der Sprache (Alamode-Kritik). Im Inland wird die Überhöhung einer bestimmten Sprachform in Abgrenzung von anderen Positionen betrieben. Hier sind es vor allem die Vertreter des Analogismus, die eine nach den Prinzipien der Analogie, also rein sprachsystematischen Kriterien, normierte Sprache dem Anomalismus entgegensetzen, der den Sprachgebrauch der oberen sozialen Schichten Meißens zur Grundlage der Sprachnormierung machen will. Wie eine solche Überhöhung vollzogen wird, soll am Beispiel des bedeutendsten Sprachwissenschaftlers der Zeit, Justus Georg Schottelius, demonstriert werden. Zu Beginn der Sechsten Lobrede der Ausführlichen Arbeit von der Teutschen HaubtSprache schreibt er: Aber in den Sprachen / in deroselben rechter Kündigkeit / und folgends in dero genoß / stekket ein weit anders / und ein gantz überjrrdisches verborgen / welches nicht unseren Leib / sondern die Seele einnimt / und belustiget. Ja mit den Seelen / in der seeligen Ewigkeit sich verewigen / und unaussägliche Gegenfreude miterwekken wird (Schottelius, 2 Arbeit, 74).

Hier wird die Überhöhung bis ins Metaphysische getrieben. Dies wird an den Ausdrücken überirdisch, Leib, Seele, selig, Ewigkeit, verewigen sowie am hyperbolisierenden Attribut unaussäglich deutlich. Die Sprache, speziell die deutsche, ist demnach Trägerin einer nicht-menschlichen und nicht-irdischen, sondern göttlichen Wahrheit, die in ihr verborgen liegt, so dass sie nicht rational erfasst, sondern nur gespürt werden kann. Die Sprache wird somit zu einem entrückten, dem menschlichen Zugriff letztlich entzogenen Wesen erhöht, das durch biologistische Metaphorik zu einem Organismus oder durch anthropomorphisierende Metaphern sogar zu einem ,menschlichen‘ Wesen konzeptualisiert werden kann. Dieses ,Sprachwesen‘ steht hierarchisch über den einzelnen Varietäten der deutschen Sprache. Es ist die eigentliche, einzig ,richtige‘ Sprachform, während die regionalen, sozialen und historischen Varianten lediglich Fehler sind, die durch Unkenntnis dieses ,Sprachwesens‘ entstanden sind: „Aber woher recht der Laut / die Form und Endung den Wörteren entstehe / wil man auch kein Wort fast zu sagen wissen“ (Schottelius, Sprachkunst, 97). Sie stellen für Schottelius einen Missbrauch der deutschen Sprache dar, aus dem Zerstückelung und Verderbnis entstehen:

�� 2 Zur Zitierweise vgl. den Anhang, S. 567 ff.

Einleitung � 5

Wenn aber stumpff geschlagene oder ungleichstimmende Seiten berührt werden / ist die regende Liebligkeit gleichfalls verstümpffet: Also wann die Teutschen Wörter verderbet / verkehret und durch den harten groben Laut gestöcket und geblöcket sind / künne sie nicht / als mit härtigkeit gehöret oder gelesen werden / wie man solche Bücher hat / da die Teutsche Sprache so hartknarrend / schwer / blöckig und knörrig ist / daß sie in gegenbetracht der außgezierten Lateinischen wol genennet werden […]. Solches mißbräuchliches Wesen aber entstehet daher / daß man so wol die eintzelen Wörter verrucket und verderbet / als deroselben künstliche bindungen gar nicht beobachtet / sondern ein gewerff und gepolter machet / daß die gantze Ordnung nicht anders / als ein unordentlicher wüst-dicker Klumpff ist (ebd., 98 f.).

Ein solcher Missbrauch liegt praktisch in jedem Gebrauch der Sprache vor. Schottelius’ Sprachbegriff ist prinzipiell apragmatisch, ihm schwebt die ideale Sprachform vor, die in der Norm realisiert werden soll. Deshalb ist er der schärfste und konsequenteste Gegner der Anomalisten um Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen und Christian Gueintz. Diese ideale Sprachform ist für ihn unantastbar, da sie metaphysisch begründet ist. Denn die deutsche Sprache hebt sich „auß den gewissesten Gründen / welche Gott und die Natur darinn außgewircket haben / empor“ (ebd., 98). Diese Gründe sind nicht mit der Vernunft zu erkennen, sondern nur durch die Emotion zu erahnen: Eine rechte / kräfftige und nach den kunstmessigen Gründen geordnete Zusammenkunfft der Teutschen Wörter / es sey in gebundener oder ungebundener / starcker oder gelinder Rede / führet mit sich daher gleichfalls eine erregende Bewegung / die sich in das Gemüht setzen / unsere Geistere einnehmen / Zorn und Neid / Gunst und Liebe / ja und nein / wie sie wil / darinn verlassen kan (ebd.).

Mit einem solchen Sprachbegriff gerät Schottelius unweigerlich in innere Widersprüche, denn er kann den historischen Wandel der Sprache nicht leugnen und tut es auch nicht. Im Gegenteil, er unterscheidet insgesamt fünf Epochen (Denkzeiten) der deutschen Sprache, die von den Anfängen in biblischer Zeit bis in die Gegenwart reichen (vgl. Schottelius, Arbeit, 48 f.) und entwirft einen Gründungsmythos der deutschen Sprache, der von der Babylonischen Sprachverwirrung über den mythischen Stammvater Ascenas und Karl den Großen bis zu Luther reicht (vgl. ebd., 33 ff.). Nun stellt sich aber die Frage, wie Schottelius den Widerspruch zwischen dem offensichtlichen Wandel der deutschen Sprache und seinem Konzept einer apragmatischen und damit auch ahistorischen idealen Sprache auflöst. Andreas Gardt beschreibt die Lösung so: Um Sprachwandel und Sprachwesen in Einklang zu bringen, bietet sich diese Argumentation an: Das Sprachwesen wird als eine Art Sprachcharakter, als ein die Sprache leitendes Prinzip konzipiert, das mit keiner historischen Varietät und keinem strukturellen Phänomen völlig identisch ist, aber auf sämtlichen Ebenen der Sprache wirksam wird, von der

6 � Einleitung phonetisch-phonologischen bis zur textuellen. Gibt es auf einzelnen Ebenen Veränderungen, so lassen sie sich entweder als im Einklang mit oder im Widerspruch zu dem Sprachwesen befindlich erklären. Die Sprache geht danach also nicht in ihren historisch-pragmatischen Bezügen auf, sondern enthält eine Art platonische Idee, die unabhängig von ihren jeweiligen Realisierungsformen besteht (Gardt 1994a, 140).

Ziel von Schottelius’ Spracharbeit (zum Terminus vgl. Hundt 2000, 6) ist es unter diesen Umständen, den Sprachgebrauch, soweit es möglich ist, dieser platonischen Idee von Sprache anzunähern. In diesem Bestreben deckt er sich, auch wenn nur wenige Autoren bis zu dieser Abstraktion vordringen, mit den anderen Diskursakteuren. Die meisten von ihnen, auch Schottelius selbst, schlossen sich in literarischen Sozietäten, den so genannten Sprachgesellschaften zusammen, deren wichtigste und größte die Fruchtbringende Gesellschaft ist. Diese Sozietäten schrieben sich Spracharbeit und Sprachpflege durch Grammatiko- und Lexikographie, Fremdwortpurismus und theoretische und praktische Pflege der Poesie auf die Fahnen. „Aus der Postulierung des deutschen Sprachwesens ergibt sich als Aufgabe der Sprachpflege ganz selbstverständlich die Sicherung dieser ursprünglichen Qualität des Deutschen“ (Gardt 1994a, 145). In diesen diskursiven Kontext soll Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen eingeordnet werden. Grimmelshausen ist aus mehreren Gründen ein Außenseiter dieses Diskurses. Erstens publizierte er seine Schriften zu einem Zeitpunkt, als viele Diskursakteure bereits verstorben waren und der theoretische Rahmen der Sprachreflexion bereits im Begriff war, sich zu wandeln (vgl. unten, 3.2.2). Zweitens nimmt er in seinem sprachkritischen Traktat Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (1673) zwar wichtige Aspekte des Diskurses auf, behandelt sie aber auf sehr individuelle Weise und erfuhr von den anderen noch lebenden Diskursakteuren keine Reaktionen. Drittens, und dies ist der entscheidende Faktor, fehlte Grimmelshausen die akademische Bildung, die als Grundlage für die Teilnahme an den literarischen und sprachreflexiven Diskursen angesehen wurde, so dass er trotz enormer autodidaktischer Lernleistungen niemals in einem der gelehrten Diskurse Fuß fassen konnte. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern Grimmelshausen, der nur zur Peripherie des sprachpatriotischen Diskurses zu rechnen ist, für eine Untersuchung dieses Diskurses von Relevanz sein kann. Als Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Frage kann folgende Äußerung Erich Straßners herangezogen werden: Nur einigen poetischen Naturtalenten gelingt es während der Barockzeit, sich über die strengen Vorschriften der Poetik hinwegzusetzen. Eines von ihnen, HANS JACOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN, macht sich in seinem ,Teutschen Michel‘ (1673) lustig

Einleitung � 7

über die ,zierlich redenden Literati‘, verspottet die Worterfindungen Zesens und stellt die Kraft und Würde einer künstlerisch gepflegten Volkssprache dem Schablonisieren entgegen (Straßner 1995, 89; Hervorhebungen im Text).

Straßner spricht hier die spezielle Perspektive an, die Grimmelshausen aufgrund seiner Außenseiterstellung einnimmt. Diese Perspektive ermöglicht es ihm, die Gegenstände mit anderen Augen wahrzunehmen. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass er seinen Alltag nicht mit anderen Gelehrten verbrachte, sondern mit Bauern, Handwerkern, einfachen Menschen, gelegentlich mit Bürgern und Adligen. So konnte er sich, bei allen Möglichkeiten und Begrenzungen, die sein Dasein als Trossbube, Soldat, Regimentsschreiber, Verwalter und Schultheiß mit sich brachte, ein umfassendes Bild vom Sprachgebrauch aller Stände und vieler Regionen machen und kam so zu einer sehr differenzierten Sicht auf die Sprache, die den gelehrten Autoren, denen solche Erfahrungen oft abgingen, fehlte. Die Beschreibung und Analyse von Grimmelshausens Äußerungen zu Sprache und zum sprachpatriotischen Diskurs bietet somit die Möglichkeit, die Positionen des gelehrten Mainstreams mit den Augen eines gebildeten, aber ungelehrten, am Diskurs nicht partizipierenden Literaten3 zu sehen und sie in alternativen Positionen zu spiegeln. Darüber hinaus ist Grimmelshausen unter einem anderen Aspekt relevant. Die Dominanz der protestantischen Fruchtbringenden Gesellschaft (unter den über 890 Mitgliedern finden sich nur zwei Katholiken) im Kunst- und Literaturdiskurs in Deutschland in Folge der Konfessionalisierung (vgl. dazu den Sammelband Macha et al. 2012 sowie Macha 2013) hat auch dazu geführt, dass die süddeutsch-katholischen Beiträge zum Diskurs von der Forschung lange Zeit vernachlässigt worden sind (vgl. dazu u.a. Breuer 2001, 2012 und 2013). Diese Arbeit, die den oberrheinischen Katholiken Grimmelshausen in Beziehung zum dominanten Diskurs setzt, versteht sich deshalb auch als Beitrag zur Aufarbeitung dieses Desiderats.4 Hinzu kommt, dass Grimmelshausen nicht einfach aus der Perspektive des Ungelehrten schreibt, sondern die Perspektive des Satirikers einnimmt, der die Wirklichkeit durch die Satire verzerrt und hinter diesen Verzerrungen eine Norm aufscheinen lässt, die er verwirklicht wissen will. Auch der Teutsche Michel nimmt diese satirische Perspektive ein. Dies hat zur Folge, dass der Text im Hinblick auf seine satirischen Verfremdungen und Zielsetzungen analysiert und interpretiert werden muss. �� 3 Vgl. dazu unten, 2.2. 4 Grimmelshausen schrieb, so Breuer, „ein oberdeutsch überformtes Deutsch, das […] Leser aller Konfessionen zufriedenstellte“ (Breuer 2012, 40).

8 � Einleitung Damit ist der Rahmen für diese Untersuchung gesteckt. Es geht in dieser Arbeit darum, Grimmelshausens Position im sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts herauszuarbeiten, welche die eines Außenseiters ist, der den Diskurs aus satirisch verfremdender Perspektive darstellt. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen mehrere Vorarbeiten geleistet werden: – Zunächst müssen die Umstände, die zu Grimmelshausens Außenseiterstellung geführt haben, beleuchtet werden. Dies geschieht durch eine Kurzbiographie, der eine kurze Skizzierung von Grimmelshausens vielseitigem Gesamtwerk folgt (2.1). Anschließend werden die Merkmale von Grimmelshausens Außenseiterstellung untersucht (2.2). Schließlich wird eine Besonderheit des Gesamtwerks Grimmelshausens beschrieben und begründet, nämlich seine Eigenschaft als ,Autordiskurs‘ (2.3). Dabei wird deutlich, dass Grimmelshausen an zahlreichen weiteren Diskursen partizipiert und seine Texte ein Kaleidoskop bilden, das unterschiedlichste Perspektiven auf vielfältige Weise aufeinander bezieht. – Es muss ein Korpus zusammengestellt und beschrieben werden, das den Aufgaben, die diese Untersuchung stellt, gerecht wird (3.1). Zunächst werden die Kriterien erläutert, nach denen das Korpus zusammengestellt wurde (3.1.1), anschließend wird das Korpus anhand seiner Textsorten vorgestellt (3.1.2). – Der Rest des dritten Kapitels widmet sich den theoretischen Grundlagen der Arbeit sowie der angewandten Methodik; außerdem werden die für diese Arbeit relevanten Diskurse vorgestellt, so dass das Kapitel auch umfassende analytische Elemente enthält. Zunächst wird der Diskursbegriff dargelegt und begründet (3.2.1). Anschließend werden die verschiedenen sprachreflexiven Diskurse des 17. Jahrhunderts beschrieben (3.2.2), wodurch auch der diskursive Rahmen abgesteckt wird, in dem sich die Sprachpatrioten bewegen. Danach wird anhand der einschlägigen sprachgeschichtlichen Forschungsliteratur die immense Bedeutung dieser Diskurse für die Sprachgeschichte des Deutschen dargelegt (3.2.3). – Da Grimmelshausen aus satirischer Perspektive schreibt, muss die satirische Schreibweise für die linguistische Beschreibung operationalisierbar gemacht werden. Da es m.W. hierfür bisher keine handhabbare spezifisch sprachwissenschaftliche Theoriebildung gibt, gehört es zu den Aufgaben dieser Arbeit, eine linguistische Theorie der Satire zu entwerfen (3.3.1). Anschließend werden die Formen der Satire des 17. Jahrhunderts, wie Grimmelshausen sie vorfand, vorgestellt (3.3.2). Schließlich werden Grimmelshausens Satiretheorie, seine Schreibtechniken, mit denen er Satire erzeugt, sowie bei ihm vorzufindende Satiretypen untersucht (3.3.3).

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Danach wird die in dieser Arbeit verwendete Analysemethode, die sich auf im Diskurs vorzufindende Metaphern, Topoi und diskurssemantische Grundfiguren konzentriert, begründet und erläutert, wobei zunächst die Theorie der diskurssemantischen Grundfigur (3.4.1) und danach der Topos als dominantes Argumentationsmittel im Diskurs (3.4.2) vorgestellt und begründet werden. In Kapitel 4 werden die Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren im sprachpatriotischen Diskurs detailliert analysiert. Dabei handelt es sich um insgesamt zehn Metaphern, zehn Topoi und fünf Grundfiguren, deren Gestalt und Funktion im Diskurs anhand zahlreicher Belegstellen aufgezeigt wird. Kapitel 5 widmet sich der eigentlichen Aufgabe dieser Arbeit: Auf der Basis der Ergebnisse aus der vorhergehenden Analyse und der theoretischen Vorarbeiten in den Kapiteln 2 und 3 wird nun der Teutsche Michel im Hinblick auf den sprachpatriotischen Diskurs analysiert und interpretiert. Dabei stehen sprachreflexive wie, auf der Ebene der Meta-Reflexion, diskursive Aspekte im Vordergrund. In diesem Kapitel werden auch die anderen Texte Grimmelshausens berücksichtigt.

Metaphern, Topoi und diskurssemantische Grundfiguren wurden deshalb zur Grundlage der Analyse ausgewählt, weil durch ihren Gebrauch die Anschlussfähigkeit Grimmelshausens an den sprachpatriotischen Diskurs gewährleistet ist. Es wird sich nämlich zeigen, dass Grimmelshausen im Teutschen Michel wie in seinen anderen Werken auf viele der den sprachpatriotischen Diskurs tragenden Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren zurückgreift, was nicht überrascht, da diese stets zum Allgemeingut für den Sprachgebrauch einer Zeit gehören und deshalb häufig in linguistischen Diskursanalysen zum Gegenstand werden. Es gibt noch einen dritten Grund dafür, ausgerechnet Grimmelshausen zum Gegenstand dieser Untersuchung zu machen. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist er als einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller recht gut erforscht. Von Seiten der Sprachwissenschaft ist er jedoch noch ein blinder Fleck, sprachgeschichtliche Untersuchungen, die sich mit sprachreflexiven Themen des 17. Jahrhunderts befassen (etwa Gardt 1994a oder Hundt 2000) behandeln ihn nicht. Grimmelshausens sprachreflexive Schrift Teutscher Michel ist bislang, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum Gegenstand der Forschung gewesen. Binders Arbeit (Binder 1939) ist zu Recht vergessen, ihr Niveau ist niedrig und anhand mancher Formulierungen lässt sich erkennen, in welchem politischen Kontext die Arbeit entstand. Bierbüsses Untersuchung zu Grimmelshausens Quellen ist noch heute wertvoll, seine Aussagen zur sprachli-

10 � Einleitung chen Situation während des 17. Jahrhunderts sind aus sprachhistorischer Sicht jedoch überholt (Bierbüsse 1958; 2014 neu herausgegeben). Monographien aus neuerer Zeit sind mir nicht bekannt. Manfred Koschlig (1939) setzt sprachliche Untersuchungen, die vor allem graphematische und morphologische Aspekte betreffen, zur Datierung der verschiedenen Fassungen der Werke Grimmelshausens ein. Alan Menhennet (1986 und 1995) geht auf die satirischen Aspekte des Teutschen Michel ein, Timothy Sodmann (1973 und 1975) untersucht den Gebrauch einzelner Varietäten in Grimmelshausens Texten und äußert Gedanken zur Erfassung des Wortschatzes Grimmelshausens (Sodmann 2009); jüngst lieferte er erste Ansätze zu einer Wortschatzanalyse im Teutschen Michel (Sodmann 2013, 102 f.). Dieter Breuer (2000) gibt einen Überblick über die wichtigsten Metadaten des Teutschen Michel (Entstehung, Druckgeschichte usw.), eine kurze Inhaltsangabe samt Deutungshinweisen, der Text ist jedoch, abgesehen von geringfügigen Erweiterungen, identisch mit Breuer (1999, 232–239). Im Juni 2013 veranstaltete die Grimmelshausen-Gesellschaft in Oberkirch und Renchen eine Tagung zum Thema Der Teutsche Michel. Kulturpatriotismus und Sprachverhalten im Werk Grimmelshausens und in der oberrheinischen Literatur der Frühen Neuzeit. Die Beiträge zu dieser Tagung sind in Band XXXV der Simpliciana publiziert.5 Von lexikographischer Seite wurde Grimmelshausen in Ansätzen bereits behandelt. Anfang des 20. Jahrhunderts begründete Klara Hechtenberg ein Wörterbuch der Fremdwörter bei Grimmelshausen (Hechtenberg 1901 und 1904). Dieses wurde durch Barbara Molinelli-Stein am Ende des 20. Jahrhunderts in einem Neuansatz weitergeführt (Molinelli-Stein 1988, 1996 und 2010). Ludwig Eichinger (1988) und Ulrich Ernst (2001) schrieben Aufsätze über die Onomastik bei Grimmelshausen und Reinhart Siegert (1995) arbeitete zur Sprachkomik im Simplicissimus. Überblickt man diese überschaubare Liste an Arbeiten, die sich mit Grimmelshausens Sprachbegriff und Sprachgebrauch auseinandersetzen, kann man zwar konstatieren, dass dieses Feld nicht mehr völlig unberührt ist, aber viele wichtige Aspekte überhaupt noch nicht oder nur sehr spärlich behandelt wurden. So müsste etwa Sodmanns (2009) vielversprechender Ansatz zur Erfassung des Grimmelshausenschen Wortschatzes ausgebaut werden. Der angemessene Rahmen dafür wäre ein umfassendes Wörterbuch des 17. und 18. Jahrhunderts nach dem Vorbild anderer groß angelegter Sprachstadienwörterbücher (z.B. das Mittelhochdeutsche Wörterbuch oder das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch), für das Grimmelshausen sehr ergiebiges Quellenmaterial böte. Auf sprachsystema�� 5 Die Beiträge wurden, soweit möglich und sinnvoll, in diese Arbeit integriert.

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tischem Gebiet sind viele Fragen, die Morphologie und Syntax bei Grimmelshausen betreffen, noch nicht erforscht. Die Frage, mit welchen sprachlichen Mitteln Grimmelshausen satirische Effekte erzielt, wird in dieser Abhandlung zwar behandelt, müsste aber in einer eigenen Arbeit noch eingehender untersucht und systematisiert werden; hierfür können an dieser Stelle nur Ansätze geliefert werden. Die Frage, wie Grimmelshausen sich zum sprachpatriotischen Diskurs verhält, ist Gegenstand dieser Untersuchung. Insgesamt muss deshalb Timothy Sodmann recht gegeben werden, wenn dieser feststellt: „Trotz wichtiger Ansätze […] sind wir heute […] in der Frage nach Sprache und Stil des bedeutendsten deutschen Dichters der Barockzeit noch lange nicht dort angekommen, wo wir längst hätten sein müssen“ (Sodmann 2013, 102). Die vorliegende Arbeit soll ein Schritt in diese Richtung sein. Der hier skizzierte Forschungsstand erklärt auch, warum der Teutsche Michel, obwohl er im Mittelpunkt des Interesses dieser Untersuchung steht, von seinem Anteil an ihrem Gesamtumfang her betrachtet, relativ marginal behandelt wird. Die Kapitel 2–4 bilden sozusagen die Prolegomena, welche eine angemessene, die vielfältigen Einflüsse berücksichtigende Interpretation überhaupt erst ermöglichen. Bildlich ausgedrückt wird in den Kapiteln 2–4 das Feld bestellt, bevor in Kapitel 5 die Ernte eingefahren werden kann.

2 Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Dieses Kapitel ist eine erste Annäherung an Grimmelshausen als Person wie als Schriftsteller, an seine Lebensumstände und den Abstand, der ihn von seinen Dichterkollegen trennte, sowie an den zeitlichen und literarischen Kontext, in dem er wirkte. Es soll die Rahmenbedingungen der Satire wie der satirischen Sprachreflexion darstellen, die Thema dieser Arbeit sind. Hier werden die Gründe dafür aufgezeigt, warum Grimmelshausen von den anderen Dichtern seiner Zeit fast völlig isoliert war und warum er unfreiwillig in dieser Außenseiterstellung verharren musste. Es macht aber auch deutlich, dass es gerade diese Außenseiterstellung war, die es Grimmelshausen ermöglichte, mit dem Blick des Satirikers den sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts zu betrachten und ihn mit scharfer Satire zu kommentieren. Im Folgenden wird zunächst ein Streiflicht auf den äußeren Lebenslauf Grimmelshausens sowie seinen keineswegs vorgezeichneten Weg zum Literaten geworfen, zudem wird ein Überblick über sein Gesamtwerk gegeben (2.1). Anschließend wird die Außenseiterstellung Grimmelshausens genauer beleuchtet (2.2). Schließlich wird das Gesamtwerk als ,Autordiskurs‘ beschrieben (2.3)

2.1 Grimmelshausens Leben und Gesamtwerk Alle Darstellungen zu Grimmelshausens Lebenslauf stehen vor dem Problem, dass aus den ersten ca. 20 Lebensjahren des Simplicissimus-Dichters kaum Dokumente überliefert sind. So war die Forschung lange Zeit auf Spekulationen angewiesen und nutzte Grimmelshausens berühmtesten Roman, in welchem man autobiographische Darstellungen voraussetzte, als Ersatzquelle, um die erste Lebensphase Grimmelshausens rekonstruieren zu können. Als aber die Quellenforschung nachweisen konnte, dass selbst Ereignisse, deren vermeintlicher Augenzeuge Grimmelshausen war, etwa die im Simplicissimus geschilderte Schlacht bei Wittstock, kunstvolle Montagen von Passagen anderer Texte wie dem Theatrum Europaeum sind (vgl. Meid 1984, 78), wurde man mit biographistischen Interpretationen des Simplicissimus vorsichtiger. Die quellenkundlichen Arbeiten Gustav Könneckes (1926/28) sowie neuere Forschungen (vgl. die in Breuer 1999 genannte Literatur) ermöglichen jedoch mittlerweile ein einigermaßen rundes Bild von Grimmelshausens Biographie.

14 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Die folgende Darstellung stützt sich wesentlich auf Meid (1984, 76–87), Breuer (1999, 7–22) und Boehnke/Sarkowicz (2011). Demnach wurde Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen im Jahre 1621 oder 1622 in der Freien Reichsstadt Gelnhausen geboren. Das genaue Geburtsdatum ist in keinem erhaltenen Dokument vermerkt (vgl. dazu Breuer 1999, 13). Er stammte aus einem thüringischen Adelsgeschlecht, das seit 1177 urkundlich belegt ist. Die Familie stand als Ministeriale in Diensten der Grafen von Henneberg und seit dem 16. Jahrhundert der Grafen von Isenburg-Büdingen. Der Rentmeister Georg Christoph von Grimmelshausen, möglicherweise der Urgroßvater des Dichters, erwarb in Gelnhausen Grundbesitz (zur Familiengeschichte der Grimmelshausens vor 1600 vgl. Boehnke/Sarkowicz 2011, 88–109). Spätestens seit 1597 war Melchior Christoffel, zünftiger Bäckermeister und Gastwirt, Bürger von Gelnhausen. Weil er einer gewerblichen Tätigkeit nachging, musste er den Adelstitel und damit den Namen Grimmelshausen ablegen, erst seine Enkel Caspar und Hans Jacob, der Simplicissimus-Dichter, nahmen ihn wieder an. Melchior Christoffel hatte zwei Söhne, nämlich Caspar Christoffel, dessen Leben recht gut dokumentiert ist, und Johann Christoffel. Letzterer ist der Vater des Dichters, wie aus dem Kirchenbuch der Pfarrei zum Heiligen Kreuz in Offenburg hervorgeht, wo der Dichter 1649 heiratete. Er wird darin als „Herrn Johannis Christoffen Grhsn.-Burger zu Gelnhaußen hinderl. Ehel. Sohn“ bezeichnet (zitiert nach Meid 1984, 78). Johann Christoffel wurde um 1595 geboren und absolvierte eine Bäckerlehre bei seinem Vater. Er starb 1626 oder 1627, das genaue Todesdatum sowie die Todesursache sind nicht belegt. Seine Ehefrau Gertraud, die Mutter des Dichters, über die sonst so gut wie nichts bekannt ist, heiratete 1627 den Buchhändler Johann Burck und zog mit diesem nach Frankfurt. Hans Jacob Christoffel, damals vermutlich fünf Jahre alt, blieb in der Obhut seines Großvaters in Gelnhausen. Gelnhausen war zu diesem Zeitpunkt eine wohlhabende lutherische Reichsstadt, in der Hans Jacob vermutlich für etliche Jahre die Lateinschule besuchte. Diese Annahme wird durch das Faktum wahrscheinlich, dass Grimmelshausen später als Schreiber in der Offenburger Kanzlei angestellt wurde: „Der Umstand, dass er überhaupt in die Kanzlei aufgenommen wurde, spricht dafür, dass er mehr als nur eine rudimentäre Volksschulbildung mitbrachte“ (Meid 1984, 86). Für diese Grundlagenbildung war Grimmelshausen seinem Großvater offenbar sehr dankbar, schließlich verewigte er ihn in der Zentralfigur seines literarischen Werks, Simplicissimus, den er nach ihm benannte: Dessen wahrer Name lautet Melchior Sternfels von Fuchsheim (auch der Knan trägt den Namen Melchior, vgl. ST, B 480, T 402). Auch der Stiefvater und dessen Vater weckten früh Grimmelshausens Interesse an Bildung und Literatur (vgl. Boehnke/Sarkowicz 2011, 59–74).

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Im Spätsommer 1634 endete Grimmelshausens Bildungsgeschichte zunächst früh und sehr abrupt, die Ereignisse dieser Zeit veränderten sein Leben für immer. Am 5./6. September erlitten die Schweden in der Schlacht bei Nördlingen eine vernichtende Niederlage, die sie die Vormachtstellung im Süden Deutschlands kostete. Die nachrückenden kaiserlichen Truppen rückten um den 15. September in der lutherischen Stadt Gelnhausen ein und plünderten und brandschatzten. Auch in den folgenden Monaten wurde die Stadt immer wieder geplündert und erreichte die alte Einwohnerzahl erst mehr als ein halbes Jahrhundert später wieder. In seinem Simplicissimus lässt Grimmelshausen den Titelhelden durch die verwüstete Stadt kommen (vgl. ST, B 69 f., T 52). Grimmelshausen floh vermutlich wie viele andere Überlebende in die von den Schweden besetzte Stadt Hanau. Der Gouverneur der Stadt war zu dieser Zeit der schottische Generalmajor Jakob Ramsay (1589–1639), den Grimmelshausen zum Onkel seines Simplicissimus machte (vgl. ST, B 480, T 402). Grimmelshausen blieb nur wenige Monate in Hanau. Anfang 1635 wurde er wahrscheinlich von umherziehenden kroatischen Truppen entführt, ähnlich wie Simplicissimus. Zumindest ist urkundlich belegt, dass Kroaten für Hanauer Kinder, die beim Spielen auf dem zugefrorenen Festungsgraben entführt worden waren, Lösegeld verlangt hatten. Für den Waisenjungen Hans Jacob Christoffel zahlte jedoch niemand Lösegeld, so dass er als Trossbube eingesetzt wurde (vgl. Breuer 1999, 12). Was mit Grimmelshausen in den folgenden Jahren geschah und wohin es ihn verschlug, kann nur vermutet werden. Möglicherweise nahm er an der Belagerung der Stadt Magdeburg im Mai 1636 auf kaiserlicher Seite teil, ziemlich sicher verbrachte er eine Zeit seines Lebens im westfälischen Kriegsgebiet, wie die detaillierten Schilderungen im zweiten und dritten Buch des Simplicissimus zeigen. 1637 und 1638 war er wohl Leibdragoner im Regiment des kaiserlichen Feldmarschalls Graf Hans von Götz. Dieses wurde im März 1638 zum Entsatz der Festung Breisach am Oberrhein gesandt, nachdem Bernhard von Weimar Freiburg und Rheinfelden erobert hatte und Breisach belagerte. Grimmelshausen nahm an diesem Feldzug wohl als Musketier teil. Der Entsatz schlug fehl, Breisach fiel am 9. Dezember. In dieser Zeit lernte Grimmelshausen Hans Reinhard von Schauenburg kennen, der ihn als Schreiber in die Regimentskanzlei von Offenburg aufnahm. Seit 1644 sind Schriftstücke in Grimmelshausens Handschrift in dieser Funktion überliefert (vgl. Meid 1984, 78). Diese Tätigkeit übte er bis kurz vor Kriegsende aus, bevor er noch einmal als Sekretär der Regimentskanzlei des Obristen Johann Burkhard von Elter an einem Feldzug nach Bayern teilnahm. Im Juli 1649 endete Grimmelshausens Militärzeit. In dieser Zeit konvertierte er wohl auch zum Katholizismus, um am 30. August 1649 in Offenburg Catharina

16 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Henninger, die Tochter eines Wachtmeisters beim Schauenburgischen Regiment und späteren Ratsherrn in Zabern heiraten zu können (vgl. Breuer 1999, 15). Nur eine Woche nach der Hochzeit, am 7. September 1649, begann Grimmelshausen seine Tätigkeit als Schaffner (Verwalter) für die Vettern Hans Reinhard und Carl Bernhard von Schauenburg in Gaisbach in der Ortenau. In dieser Funktion war er für alle Wirtschaftsangelegenheiten seiner Herren zuständig, was bedeutet, dass er deren Interessen vertreten, Schulden eintreiben und Verhandlungen führen musste (vgl. dazu Boehnke/Sarkowicz 2011, 306–320). Diese Stellung behielt er bis 1660. In dieser Zeit war ihm eine Dienstwohnung gestellt worden, er wurde durch Naturalleistungen und ein Jahresgehalt von 50 Gulden bezahlt (vgl. Meid 1984, 79). Grimmelshausen nutzte seinen bescheidenen Reichtum, um Grundstücke zu erwerben und in den Jahren 1657/58 betrieb er zusätzlich das Gasthaus Silberner Stern, um seine mittlerweile siebenköpfige Familie ernähren zu können. In dieser Zeit war vermutlich an eine literarische oder gar gelehrte akademische Tätigkeit gar nicht zu denken: Mit etwa 28 Jahren wurde Grimmelshausen Schaffner und blieb es elf Jahre lang. Vom späteren Werk aus betrachtet hätte er diese Zeit in den offiziellen Schreibschulen und Hochschulen verbringen müssen; hätte also ein internationales Beziehungsnetz von Kollegen und Autoren knüpfen sollen; hätte Mäzene bei Hofe, einflussreiche Agenten des barocken Literaturbetriebs, Mitglieder von Sprachgesellschaften und gesellig-gebildeten Zirkeln kennenlernen müssen. Das hat er aber alles nicht (Boehnke/Sarkowicz 2011, 319).

Dennoch muss er bereits in dieser Zeit jede freie Minute, die seine Verwaltungstätigkeit, die mit vielen zeitraubenden Reisen in der Umgebung verbunden war, seine Tätigkeit als Gastwirt und seine Verantwortung als Familienoberhaupt ließen, mit Lesen und Exzerpieren verbracht haben, um die Grundlagen für seine späteren literarischen Werke zu schaffen. Seine durch den Krieg abgebrochene Schulausbildung und die fehlende universitäre Laufbahn ersetzte er autodidaktisch durch ungeheuren Fleiß und Hartnäckigkeit. Nur so ist es zu erklären, dass er trotz ungünstigster Voraussetzungen zu einem der wichtigsten Autoren der deutschen Literaturgeschichte werden konnte. Am 7. September 1660, also exakt elf Jahre nach dem Beginn seiner Tätigkeit als Schaffner, wurde Grimmelshausen aus dem Dienst im Hause Schauenburg entlassen. Den Grund dafür machen Boehnke/Sarkowicz (2011, 334 f.) daran fest, dass Grimmelshausen viele seiner Grundbesitzerwerbungen von seinen Herrn bezahlen ließ und auch sonst bei ihnen viele Schulden machte. Diese Schulden wurden mit seinem Lohn nach einem komplizierten System verrechnet. Letztlich hatte er aber eine Gesamtschuld von 272 Gulden angehäuft, die er nach seiner Entlassung, teilweise durch Verkauf und Rückgabe des erworbenen

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Grundbesitzes, zurückzahlen musste. Dennoch blieben seine Beziehungen zum Haus Schauenburg gut, wie seine Widmungen diverser Schriften an Familienmitglieder zeigen. Erst zwei Jahre später, im Oktober 1662, fand Grimmelshausen wieder eine geregelte Arbeit: Er wurde Verwalter und Vogt auf der Ullenburg oberhalb des nahegelegenen Dorfes Tiergarten, die der Straßburger Arzt Johann Küffer (1614– 1674) vom Haus Württemberg als Pfandlehen erhalten hatte (zu Küffer vgl. Schäfer 1992b). Diese Stellung behielt er bis zum Frühjahr 1665. Seine Aufgaben waren ähnlich wie die für das Haus Schauenburg, weil sie sich aber auf die Burg und die nähere Umgebung beschränkten, fand er vermutlich mehr Zeit zum Lesen und Schreiben. Sicher konnte er auch die Bibliothek seines Dienstherrn benutzen. Johann Küffer gilt als Vorbild des M. Canard am Anfang des vierten Buchs des Simplicissimus. Das Porträt, das dort gezeichnet wird, ist nicht unbedingt schmeichelhaft, denn Canard wird als hoffärtiger und ehrgeiziger Mensch beschrieben (vgl. unten, Kap. 3., Anm. 109). Nach Könnecke war Grimmelshausen „am 2. März 1665 noch, aber am 25. Mai 1665 nicht mehr“ Schaffner und Burgvogt im Dienste Küffers (zitiert nach Boehnke/Sarkowicz 2011, 354). Warum und unter welchen Umständen das Dienstverhältnis endete, ist unbekannt. Die Biographen vermuten: „Es war bestimmt kein Vergnügen, als Adliger für einen Arzt zu arbeiten, der selbst nicht adlig war, aber als Lehnsherr und Burgbesitzer als ein solcher auftrat und wahrgenommen werden wollte“ (ebd.). Bis 1667 betrieb Grimmelshausen erneut ein Gasthaus mit dem Namen Zum Silbernen Stern, bevor er sich erfolgreich um die Stelle als Schultheiß in Renchen bewarb. Diese Position hatte er bis zum Ende seines Lebens inne und konnte die Existenz seiner vielköpfigen Familie (bis 1670 wurden ihm zehn Kinder geboren) sichern. Als Schultheiß war es seine Aufgabe, im Verwaltungsbezirk für Ordnung zu sorgen, Befehle des Fürsten zu vollziehen, Abgaben einzutreiben, niedere Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt auszuüben und als Mittler zwischen Herrschaft und Untertanen zu fungieren. In diese knapp zehn Jahre fallen auch alle seine Publikationen (wenn man vom Satyrischen Pilgram und Keuschen Joseph absieht). Gerade die Funktion als Mittler zwischen Obrigkeit und Volk brachte ihn in Konflikte mit seinem Dienstherrn, den Straßburger Fürstbischof Franz Egon von Fürstenberg. Boehnke/Sarkowicz (2011, 384 f.) beschreiben den Bischof als von keinerlei Skrupeln geplagte[n] Machtpolitiker, der zusammen mit seinem Bruder Wilhelm Egon die Interessen des französischen Königs gegen das Reich mit allen Mitteln von Intrige, Verrat und Raffgier vertrat und sich in seinem Bistum äußerst selten blicken ließ.

18 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Er war wegen seiner Trunksucht berüchtigt und Kaiser Ferdinand I. entzog ihm schließlich 1674 alle seine deutschen Besitzungen und seinen Sitz im Reichstag. Als 1673 französische Truppen in die Ortenau einrückten und Kriegsabgaben (Kontributionen) von der Bevölkerung einforderten und der Oberrhein somit wieder Kriegsgebiet wurde, ergriff Grimmelshausen Partei für die Untertanen und schrieb als Schultheiß Petitionen an den Bischof, in denen er darauf hinwies, dass die Bevölkerung die Last der Abgaben nicht länger tragen könne. In dieser Zeit erschien auch seine anonyme Flugschrift Der stoltze Melcher, eine scharfe und kaum verhüllte Kritik an der französischen Expansionspolitik unter Ludwig XIV. und damit auch am Bischof von Straßburg; anonym erschien die Schrift deshalb, weil er es offensichtlich nicht wagen konnte, offen gegen den Bischof Partei zu ergreifen. Er befand sich in dieser Situation in „einem Geflecht sozialer Abhängigkeit und gesellschaftlicher Hierarchien“, denn obwohl er sich für die Bevölkerung einsetzte, war er diesen gegenüber doch Vertreter der Obrigkeit (Meid 1984, 80; vgl. dazu auch Heßelmann 1987, 89 f.). Der Konflikt zwischen dem Reich und den Franzosen sowie dem Straßburger Bischof spitzte sich immer weiter zu (für Details vgl. Boehnke/Sarkowicz 2011, 441–448), so dass Grimmelshausen als vermutlich 54-Jähriger sich noch einmal gezwungen sah, in den Kriegsdienst einzutreten. Ob er tatsächlich noch einmal Waffendienst versah, ist unbekannt. Er starb am 17. August 1676 in Renchen, die Todesursache lässt sich nicht mehr ermitteln. Vergleicht man den Lebenslauf Grimmelshausens mit dem von Justus Georg Schottelius, einem der bedeutendsten Gelehrten der Zeit, so lassen sich frappierende Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen.1 In manchem sind sich die Lebensläufe ähnlich: Beide verloren früh ihren Vater und beide wurden durch den Dreißigjährigen Krieg zunächst an der Entfaltung ihrer Begabungen und Interessen gehindert. Doch gerade die Zufälle des Krieges führen es mit sich, dass ihre Lebensläufe gar nicht unterschiedlicher sein könnten: Während Einbeck, Schottelius’ Geburtsstadt, von der Plünderung verschont blieb und Schottelius sich bald wieder seinen Studien widmen konnte, musste Grimmelshausen die Jahre, die er in Schule und Universität hätte verbringen sollen, als Trossbube und Musketier dienen. Bei Kriegsende 1648 war Grimmelshausen Regimentsschreiber, Schottelius dagegen war promoviert, Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft und der wichtigsten Institutionen des Herzogs von Braunschweig und Lüneburg. Er wurde durch den Herzog gezielt gefördert, hatte Zugang zur größten europäischen Bibliothek der Zeit und unterhielt Beziehungen zu Gelehrten in ganz Eu-

�� 1 Zu Schottelius’ Leben vgl. die Ausführungen in Neuhaus 1991 und Schneider 1995.

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ropa. „All diese Voraussetzungen haben zweifellos dazu beigetragen, sein Werk überhaupt zu ermöglichen“ (Schneider 1995, 77). Grimmelshausen dagegen war, wie oben geschildert, als Verwalter des Hauses Schauenburg und später als Vogt der Ullenburg mit vielerlei Aufgaben betraut, die ihm keine Gelegenheit boten, durch ein Studium die fehlende gelehrte Bildung zu erlangen. Seine vielköpfige Familie verlangte ebenfalls seine Aufmerksamkeit, so dass seine Voraussetzungen mehr als schlecht waren. Umso beeindruckender wirkt dann auch sein umfangreiches und vielfältiges literarisches Werk, für das ihm aber zu seinen Lebzeiten die Anerkennung verweigert wurde. Der Vergleich der Lebensläufe von Grimmelshausen und Schottelius macht deutlich, dass neben der bloßen Begabung noch weitere Faktoren eine Rolle spielten. Schottelius traf immer auf Menschen, die ihn förderten und seine Studien unterstützten. Dieses Glück hatte Grimmelshausen nur mit Abstrichen. Schottelius stand in Diensten eines kulturell äußerst interessierten Fürsten, während Grimmelshausen sich als Schultheiß von Renchen des Öfteren genötigt sah, gegen seinen Dienstherrn zu opponieren. Schottelius hatte für seine lebenslangen Studien fast immer optimale Bedingungen, während sich Grimmelshausen sein Wissen autodidaktisch aneignen musste. Schottelius war Akteur der verschiedensten wissenschaftlichen Diskurse in ganz Europa, während Grimmelshausen mit den anderen Schriftstellern und Gelehrten der Zeit kaum in Kontakt stand. Berücksichtigt man all diese Voraussetzungen und Entwicklungen in den Lebensläufen, so bleibt letztlich nur die ebenso müßige wie interessante Spekulation, was wohl geschehen wäre, wenn 1625 Einbeck geplündert und 1634 Gelnhausen verschont worden wäre. Boehnke/Sarkowicz fassen Grimmelshausens Leben im Hinblick auf sein literarisches Werk so zusammen: Die Lebensgeschichte des Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen ist unter den Verfassern von Weltliteratur einzigartig. Alles in seinem Leben sprach dagegen, dass er den vielleicht wichtigsten Roman der deutschen Literatur schreiben sollte: erst der Dreißigjährige Krieg, dann aufreibende Berufe in der Ortenau, vor allem aber seine vollkommene Distanz zum Literaturbetrieb des Barock. Wie er diese Mängel und Gefahren mit seinem Werk parieren konnte, das prall gefüllt mit Wissen und Lesefrüchten ist, bleibt ein Geheimnis auch dann noch, wenn wir einige Quellen seiner literarischen Arbeit beschreiben können (ebd., 8 f.)

Wenn man auch darüber streiten kann, ob der Simplicissimus (und nur dieser kann gemeint sein) wirklich der wichtigste Roman der deutschen Literatur ist, so muss man den Autoren in einem zustimmen: Kaum etwas in seinem Lebenslauf deutet darauf hin, dass Grimmelshausen zu den bedeutendsten Literaten der Literaturgeschichte gehören könnte. Er genoss für einige Jahre eine Ausbildung

20 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext an der Lateinschule in Gelnhausen, ansonsten hat er auf institutionellem Wege keine höhere Bildung erwerben können. Auch seine Tätigkeiten als Soldat, Schaffner und Schultheiß ließen ihm wenig Zeit und Muße, sich mit Wissenschaften und Literatur zu beschäftigen. Bevor Grimmelshausens Gesamtwerk vorgestellt werden kann, muss daher zunächst der Frage nachgegangen werden, wie dieses vielfältige und umfangreiche Oeuvre (in den Originalausgaben ca. 4 800 Druckseiten, das entspricht ca. 800 000 Worteinheiten, Token) unter diesen Umständen überhaupt entstehen konnte. Ein solches Werk, noch dazu in einem Zeitraum von nur ca. 10 Jahren (1666 bis 1675) zu verfassen, erfordert eine ausgefeilte Schreibtechnik. Gisbert Bierbüsse äußerte die Vermutung, dass Grimmelshausen mit Zettelkästen arbeitete (vgl. Bierbüsse 1958; 2014 16 f.): Demnach exzerpierte er in jahrelanger Fleißarbeit alle potentiellen Quellen, die ihm unter die Finger kamen, ordnete die Exzerpte nach Sachgruppen und legte sie fein sortiert in diesen Zettelkästen ab, so dass er bei Bedarf auf die passenden Textpassagen zugreifen konnte. Zwar ist es nicht beweisbar, dass Grimmelshausen tatsächlich diese Technik anwendete, doch diese Annahme erklärt den großen Reichtum an und die Souveränität im Umgang mit dem Bildungsgut, das der ungelehrte, im Rahmen seiner Möglichkeiten aber außerordentlich gebildete Grimmelshausen in seine Texte einfließen ließ. Grimmelshausen hat nach eigenen Angaben bereits während seiner Militärzeit, als er ein junger Musketier war, Pläne für eine schriftstellerische Tätigkeit gefasst und erste Skizzen für den Simplicissimus entworfen. Dies geht zumindest aus dem Beschluss der Continuatio hervor: [D]ieser Simplicissimus ist ein Werck vom Samuel Greifnson vom Hirschfeld / massen ich nicht allein dieses nach seinem Absterben unter seinen hinderlassenen Schrifften gefunden / sonder er bezeugt sich auch selbst in diesem Buch auff den keuschen Joseph den er gemacht / und in seinem Satyrischen Pilger auff diesen seinen Simplicissimum, welchen er in seiner Jugend zum theil geschrieben / als er noch ein Musquetirer gewesen (Cont, B 699, T 588).

Samuel Greifnson vom Hirschfeld ist niemand anderes als Grimmelshausen selbst, ein Anagramm seines Namens (vgl. dazu unten, 2.3). Doch woher nahm der junge heimatlose Musketier die Motivation, den Krieg, die Missstände der Gesellschaft, die Laster und andere Verwerfungen der Welt in Romanen, Erzählungen und Traktaten satirisch darzustellen? Wenn man die satirischen Texte Grimmelshausens zeichentheoretisch im Sinne der Funktionen des Organonmodells Karl Bühlers (Bühler 1934/1999, 28) versteht, dann ist ihre Symptomfunktion sicherlich die Verarbeitung von Kriegstraumata (von denen Grimmelshausen einige gehabt haben dürfte), die Appellfunktion bezieht sich auf die Besserung der Welt und die Darstellungsfunktion auf die Darstellung der verkehrten Welt. Nach Dieter Breuer (Breuer 1999, 16 f.; vgl. auch Boehnke/Sarkowicz 2011,

Grimmelshausens Leben und Gesamtwerk � 21

364–377) schrieb Grimmelshausen im Ewig-währenden Calender ein Schlüsselerlebnis nieder, das sich um ein Flugblatt mit dem Titel Die verkehrte Welt dreht, auf dem zu sehen ist, wie Ochsen die Metzger schlachten und ein Armer einem Reichen ein Almosen gibt (vgl. EC, 3. Materia, 106/108/110/112). Das Flugblatt2, das der junge Grimmelshausen gesehen hat (oder zumindest von sich selbst behauptet, es gesehen zu haben), führte bei ihm offenbar eine Bewusstseinsveränderung herbei: Vorher hatte er keinen Blick für die Verkehrtheiten der Welt, doch nachdem der Gedanke sich einmal in seinem Kopf eingenistet hatte, wurde die satirische Perspektive der verkehrten Welt zu einer, mit Kleist gesprochen, Kantischen Brille, durch die er die Welt fortan wahrnahm und durchschaute.3 Die Satire wurde ihm nun zum Mittel, Verhältnisse, die mit Heraklit zu beweinen waren, mit Demokrit zu verlachen oder mit Diogenes zu verspotten.4 Sie ermöglicht ihm eine moralisch-ästhetische Ordnung und Bewertung seiner Lebenserfahrung, gibt ihm den ironischen Blick frei durch die Oberfläche der Dinge auf ihren Kern, macht ihn neugierig auf Bestätigungsmöglichkeiten dieses poetischen Modells durch seine realen Erfahrungen und Leseerlebnisse (Breuer 1999, 17).

Grimmelshausens Werk lässt sich in drei Werkgruppen einteilen (für ausführlichere Inhaltsangaben und Bewertungen vgl. Breuer 1999 und Rosenberger 2014a). Den Kern seines Œuvres bildet der simplicianische Zyklus, dessen zehn Bücher (Simplicissimus = Buch 1–5) in vielfacher Weise aufeinander Bezug nehmen und durch zahlreiche Vernetzungen miteinander verknüpft sind, so dass die Romane als ,simplicianischer Diskurs‘ lesbar sind (vgl. dazu 3.2.4). – – – – – –

Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch (1668) Continuatio (1669) Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche (1670) Der seltzame Springinsfeld (1670) Wunderbarliches Vogelnest I (1672) Wunderbarliches Vogelnest II (1675)

�� 2 Vgl. die Abbildung in Breuer 1999, 18. 3 Vgl. das Titelkupfer zu Vogelnest I (vgl. unten, 238). 4 „Jch gedachte / es würde auch ohne diesen Nutzen sonderbahre Ergetzungen setzen / wann ich nemblich hierdurch ein und andere Thorheiten der Welt desto klärer sehen: und entweder mit Democrito verlachen: oder mit Diogene verspotten könte; unangesehen / daß ich seythero mehr Ursachen gefunden solche mit Heraclito zubeweinen“ (EC, 3. Materia, 112).

22 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Die zweite Werkgruppe bildet eine Anzahl meist kürzerer Schriften, die sich unterschiedlichsten Textsorten zuordnen lassen (u. a. Kalenderschrift, Flugschrift, Traktat, Neujahrsgabe, märchenhafte Erzählung) und die verschiedene Einzelthemen aufgreifen (z.B. Geld und Wirtschaft, Aberglaube, Sprache); ihr gemeinsames Merkmal ist ihr satirischer Charakter, zudem taucht Simplicissimus häufig als fiktiver Autor oder als Figur auf (vgl. 2.3): – – – – – – – – – – –

Satyrischer Pilgram (Teil I 1666, vollständig 1667) Anhang und Extract (1666; die Verfasserschaft Grimmelshausens ist umstritten; vgl. Battafarano/Eilert 2001 sowie Rosenberger 2012, 340 f.) Ewig-währender Calender (1670) Der erste Beernhäuter (1670) Simplicissimi wunderliche Gauckel-Tasche (1670) Rathstübel Plutonis oder Kunst reich zu werden (1672) Die verkehrte Welt (1672) Der stoltze Melcher (1672) Bart-Krieg (1673) Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (1673) Galgen-Männlin (1673)

Eine dritte Werkgruppe bilden Texte, die keine primär satirische Absicht verfolgen, sondern der Belehrung und Erbauung der Leser dienen. Sie behandeln biblische Geschichten und christliche Legenden, welche in Romanen sowie einem Traktat mit narrativen Elementen vorgeführt werden: – – – – –

Histori vom Keuschen Joseph (1666) Zweyköpffiger Ratio Status (1670) Dietwalt und Amelinde (1670) Musai (1670) Proximus und Lympida (1672)

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2.2 Grimmelshausens Stellung als literarischer Außenseiter Dass Grimmelshausen sich auch selbst als Außenseiter in den gelehrten Diskursen wahrnahm, belegt folgender Dialog aus dem Ewig-währenden Calender: Simplicissimus, Mein Herr Indagine ich gestehe daß er mir mehr communicirt als ich begehren dörffen; Jch habe die künheit genommen umb dieser Materi Mittheylung den Herrn Zonagrium zubitten: muß aber bekennen / daß ich bey nahe so schwer Filtz als Underrichts bekahm; doch erhielte ich soviel von jhme / daß eines eben so wohl kombt / als grosse Ursach ich hab mich gegen jhm obligirt zuerkennen. Indagines, So grundgelehrte Leuth wie Herr Zonagrius, die gleichsamb aller Wissenschafften voll stecken / glaub ich gern daß sie von dieser Sach mit deines gleichen umb einen guten Tag nicht so viel discuriren / als ich nur umb einen guten Morgen; und giebt mich wunder daß er etwas mit dir darvon zu reden sich bemühet (EC, 5. Materia, 91/93).

Johannes ab Indagines ist die lateinische Namensform des Astrologen Johannes Rosenbach vom Hayn (Haberkamm 1967, 32). Zonagrius ist ein Anagramm für Garzonius. Tommaso Garzoni (1549–1589) war ein italienischer Humanist, dessen Piazza Universale (1619 als Allgemeiner Schawplatz ins Deutsche übersetzt) eine der Hauptquellen für Grimmelshausens Schriften ist. Simplicissimus, der sich von Indagines und Zonagrius in die Geheimnisse der Astrologie einweisen lässt, klagt in der zitierten Passage, dass er von Zonagrius als Schüler nicht ganz ernst genommen werde, offenbar, weil er zu wenig gebildet sei, und Indagines bestätigt indirekt diese Einschätzung. Der Gedanke, an dieser Stelle Simplicissimus mit Grimmelshausen zu identifizieren, liegt nicht fern. Dieses Bewusstsein des Mangels an gelehrter Bildung schlägt sich auch an anderer Stelle nieder. In der ersten Vorrede zum Satyrischen Pilgram muss er sich von Momus, dem griechischen Gott des Spottes und der Tadelsucht, als „unwissender Esel / Ignorant und Idioth“ (SP, T 6) beschimpfen lassen. Momus wirft ihm vor, mit dem Text ein „liederlichs Geplauder“, ein „nichtiges Gewesch und lehres Wortgeplerr“ verfasst zu haben (ebd., 5). Doch man könne von jemandem, der im Alter von zehn Jahren Musketier geworden sei und keine Ausbildung genossen habe, nicht mehr erwarten. Er rät dem Autor, besser Soldat zu bleiben, denn aus einem ungelehrten Soldaten könne kein guter Schriftsteller werden. Grimmelshausen verteidigt sich gegen diese fiktive Kritik mit dem Argument, dass man ihm seine fehlende Bildung nicht zum Vorwurf machen könne, weil er als Soldat hätte dienen müssen. Zudem nutzt er die Gelegenheit, die satirische Absicht seines Textes deutlich zu machen. Auf den Vorwurf, als Ungelehrter literarische Werke zu verfassen, nimmt Grimmelshausen auch später Bezug, etwa indem er den fiktiven Verfasser des Beernhäuters und der Gau-

24 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext ckel-Tasche mit dem Namen Illiteratus Ignorantius, zugenannt Idiota belegt und so direkt auf den Satyrischen Pilgram verweist. Wie oben (2.1) deutlich wurde, nahmen die Ereignisse des Dreißigjährigen Kriegs Grimmelshausen die Möglichkeit, zu studieren und sich so gelehrte Bildung zu erwerben: [D]ie fünfzehnjährige Soldaten- und Sekretärszeit […] füllt genau diejenigen Lebensjahre aus, die im Rahmen der normalen Gelehrtenausbildung für Schulzeit, Universitätsstudium und Bildungsreise zu den Kulturzentren Europas in Frage gekommen wären […]. Grimmelshausen wurde durch die Kriegsumstände um eine gelehrte Bildung betrogen; statt dessen erwarb er einzigartige Kenntnisse der sozialen Verhältnisse der deutschen Gesellschaft im Kriege, die den meisten Gelehrten seiner Zeit abgingen (Ausgabe Breuer, Bd. I, 1, 709).

Es sind wohl gerade die im letzten Satz angesprochenen Kenntnisse, die Grimmelshausens literarische Werke so lebendig und abwechslungsreich machen, dass sie, zumindest was den Simplicissimus betrifft, als einzige literarische Erzeugnisse der Barockzeit noch heute von einem breiteren Publikum gelesen werden. Doch gerade hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen heutiger und zeitgenössischer Literaturauffassung. Im 17. Jahrhundert war gelehrte Bildung die Grundvoraussetzung für literarische Tätigkeit, welche die Poetiken auch unisono von den Poeten einfordern. Opitz etwa hält Menschen, die die klassischen griechischen und lateinischen Dichtungen nicht studieren können (was man mit gelehrter Bildung durchaus gleichsetzen kann), für schlicht nicht in der Lage, gute Dichtung zu verfassen: Vnd muß ich nur bey hiesiger gelegenheit ohne schew dieses errinnern / das ich es für eine verlorene arbeit halte / im fall sich jemand an vnsere deutsche Poeterey machen wolte / der / nebenst dem das er ein Poete von natur sein muß / in den griechischen vnd Lateinischen büchern nicht wol durchtrieben ist / vnd von jhnen den rechten grieff erlernt hat; das auch alle die lehren / welche sonsten zue der Poesie erfodert werden / vnd ich jetzund kürtzlich berühren wil / bey jhm nichts verfangen können (Opitz, Poeterey, 359).

Dass Grimmelshausen die von Opitz eingeforderten natürlichen Anlagen zur Schriftstellerei hatte, bedarf keines Beweises. Doch der Mangel an gelehrter Bildung disqualifiziert ihn trotz aller Begabungen für die Poesie. Auch Harsdörffer stellt hohe Anforderungen an den Dichter: Es ist zwar nicht eines jeden Gelegenheit / Verse zu machen / oder zu lesen / noch weniger kostbare darzu erforderte Bücher zu erkauffen: so stehet es doch wol / und ist fast nohtwendig / daß ein Gelehrter seine Muttersprache gründlich verstehe / und derselben Poeterey nicht unwissend sey; wie auch keiner sich einer Sprache / mit Fug rühmen kan / wann er

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nicht in derselbigen die Verskunst studiret / und zum wenigsten die vornemsten Poeten / als die sinnreichsten Sprachmeister / gelesen hat (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, fol. )( vv).

In die gleiche Kerbe schlägt auch gegen Ende des Jahrhunderts Birken, der mit der Evokation des Stereotyps vom Teutschen Michel möglicherweise auch auf Grimmelshausen anspielen könnte: Man vertheidigt dißorts nicht die faule Teutsche Michel / die kein gut Latein innhaben / und nur ein armes alberes Teutsch daher klecken. Man hält hingegen für gewiß / daß der nichts weniger als ein Poet sei / der nicht die Lateinische und Griechische Poeten gelesen hat / und selbst einen solchen / wenigst in Latein / abgibet: maßen auch die Verse-Zier / von den fremden / in die Teutsche Poesy soll übergetragen werden (Birken, Rede- bindund Dicht-Kunst, fol. ):( ):( xir–xiv).

Den Hintergrund dieser hohen Ansprüche an den Dichter bildet neben dem geringen Ansehen der Dichtung vor allem in der Geistlichkeit5, das einen stetigen Legitimationszwang zur Folge hat und deshalb vom Dichter fordert, ästhetisch gute und moralisch unanstößige Dichtung zu produzieren, vor allem die Anknüpfung der Dichtungstheorie an die Rhetorik. Vom bonus orator wird erwartet, dass er nicht nur moralisch völlig integer, sondern auch durch seine gelehrte Bildung jederzeit in der Lage ist, die für den jeweiligen Redezweck passenden Stilelemente und Argumentationsschemata zu finden und sie wirkungsvoll darzustellen. Dieser Anspruch wurde auch auf den Dichter übertragen, Redner und Poet sind eng miteinander verwandt, wie folgende Stelle belegt: Diesem nach ist die Poeterey und Redkunst miteinander verbrüdert und verschwestert / verbunden und verknüpfet / daß keine sonder die andre gelehret / erlernet / getrieben und geübet werden kan. Wie nun der Redner zu seinem Jnhalt schickliche Figuren / abgemässne Wort und der Sachen gemässe Beschminkung und Beschmuckung anzubringen weiß / seine Zuhörer zubewegen: Also sol auch der Poët mit fast natürlichen Farben seine Kunst gedanken ausbilden / und muß so wol eine schwartze Kohlen aus der Höllen gleichsam zuentlehnen wissen / die abscheulichen Mord-Greuel eines bejammerten Zustandes aufzureisen; als eine Feder aus der Liebe Flügel zu borgen die Hertzbeherrschende Süssigkeit einer anmutigen Entzuckung zu entwerffen (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, fol. )( iiijr– )( iiijv).

�� 5 Ein Topos der Dichterkritik seit Platon (z.B. im 10. Buch der Politeia) ist etwa der Vorwurf, dass die Dichter Geschichten erfinden und somit lügen. Die Theoretiker des 17. Jahrhunderts gehen gegen dieses Argument teilweise recht drastisch vor. So schreibt etwa Birken, dass diejenigen, die den Dichtern Lügen vorwürfen, „grobe ungehirnte Hobelspän-Köpfe“ seien (Birken, Rede- bind und Dicht-Kunst, fol. ):( ):( viijr).

26 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Aus der Rhetorik stammt auch die Dreistillehre, nach der hoher Stil (genus grande), mittlerer Stil (genus medium) und niederer Stil (genus humile) unterschieden wurden. Diese sollten je nach Adressaten und Redeabsicht dazu beitragen, die Angemessenheit (aptum) der rhetorischen Darstellung zu sichern (vgl. dazu Ueding/Steinbrink 2005, 93–97). Am Beispiel der Romantheorie lassen sich die Unterschiede zwischen ,hohem Stil‘ anhand des höfisch-historischen Romans und ,niederem Stil‘ anhand des satirischen Romans wie folgt darstellen6. Das Schema folgt inhaltlich Niefanger (2006, 190–195). Höfisch-historischer Roman Hochrangiges Personal, historische oder biblische Figuren Kombination von Liebeskonflikten und politischen Ereignissen Vermittlung der neostoizistischen Moralphilosophie Verschlüsselung aktueller oder historischer Ereignisse in antiken Stoffen Unterbrechung der Handlung durch gelehrte Einschübe, lyrische Passagen, Streitgespräche usw. Enormer Umfang (Lohensteins Arminius mit ca. 3000 Seiten, die Octavia Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel mit über 7000 Seiten), komplexes Geflecht von Haupthandlung und vielen Nebenhandlungen Homogenität in Erzählstil und Motiven, Konsistenz der Figurenkonzeption und Handlungsräume Beispiel: Lohensteins Arminius (1689/90)

Satirischer Roman Einfaches Personal, erfundene und überzeichnete Figuren Satirische Darstellung in den verschiedensten Lebensbereichen Vermittlung der Tugenden durch Überzeichnung der Untugenden Nur selten Verschlüsselung der Figuren: Objekt der Satire sind Eigenschaften und nicht Personen Unterteilung der Handlung in überschaubare Episoden, die nur lose miteinander verbunden sind Deutlich kürzer und weniger komplex im Aufbau als der höfisch-historische Roman

Unstetigkeit des pikarischen Helden

Beispiel: Grimmelshausens Simplicissimus

Es versteht sich von selbst, dass diese Darstellung holzschnittartig und idealtypisch ist. Gerade Grimmelshausen überschreitet immer wieder die Grenzen zwischen den Genres, etwa im Roman Keuscher Joseph, der Merkmale beider Typen in sich vereint. Die oben zitierten Forderungen nach gelehrter Bildung der Autoren richtet sich gerade auf die Verfassung des ,hohen Stils‘. Damit ist einerseits die Selbstlegitimation verbunden, denn Beschäftigung mit der Poesie, gerade mit der

�� 6 Der ,mittlere Stil‘ wurde kaum theoretisch behandelt.

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deutschsprachigen, musste gerechtfertigt werden.7 Andererseits liegt darin auch eine Abgrenzung gegenüber den als ästhetisch minderwertig empfundenen traditionellen Formen deutschsprachiger Dichtung wie dem Meistersang. Opitz verstand die von ihm propagierte Form deutschsprachiger Dichtung als Anknüpfung an die im Humanismus gepflegte Tradition der lateinischen Dichtung. Sein Ziel war es, die deutschsprachige Dichtung den Normen der internationalen Dichtung, die in lateinischer, französischer oder italienischer Sprache verfasst wurde, anzupassen: Es wird aber bey jhnen nicht stehen / vnd ich bin der tröstlichen hoffnung / es werde nicht alleine die Lateinische Poesie / welcher seit der vertriebenen langwierigen barbarey viel große männer auff geholffen / vngeacht der trübseligen zeiten vnd höchster verachtung gelehrter Leute / bey jhrem werth erhalten werden; sondern auch die Deutsche / zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt / von stattlichen gemütern allso außgevbet werden / das vnser Vaterland Franckreich vnd Italien wenig wird bevor dörffen geben (Opitz, Poeterey, 354).

Das Ziel von Opitz und den anderen Dichtungstheoretikern sowie auch des sprachpatriotischen Diskurses war das Aufholen des kulturellen Rückstands der Deutschen gegenüber den anderen europäischen Kulturnationen. Aus dieser Intention heraus sind die hohen Ansprüche an den poeta doctus verständlich. „In der Barockzeit dominiert also ein ausgesprochen elitäres Literaturbewusstsein“ (Niefanger 2006, 70).8

�� 7 Hierfür nur zwei exemplarische Belege: „Dan daß auch in der Teutschen Spraach man gut poëtisch dichten, vnd reden könne; vnd es nicht bißhero an der Spraach, sondern an poëten, so es einmahl auch im Teutschen wagen dörfften, gemanglet habe; wird der Leser gleich auß diesem Büchlein erfahren. […] Vnd ist die Meinung des Auctors darauff gangen, daß auch Gott in Teutscher Spraach seine Sänger, vnd poëten hette, die sein Lob, vnd Namen eben also künstlich, und poëtisch, als andere in anderen Spraachen, singen, vnd verkünden köndten“ (Spee, Trvtz-Nachtigal, 5); „Dann gleich wie Gott / der dieses sichtbare Weltgebäu / mit allem / was in demselben begriffen / bloß aus seiner unermeßlichen Krafft und Weisheit erbauet / allein ein Dichter / diese aber / die aus einem vorhergehenden Zeuge / etwas verfertiget / zum Unterscheid / Meister benamet worden: Also hat man anfangs die Poeten hoch und herrlich / ja Gott fast selbst gleich / geachtet / in dem man geargwohnet / sie hätten eine heimliche Zusammenkunft und Verbündniß mit den Göttern / weil sie / was niemaln gewesen / als wer es gewesen / fürgestellet“ (Klaj, Lobrede, 388). 8 Weitere Belege für die enge Verbindung von Gelehrsamkeit und Dichtung finden sich bei Klaj und Birken: „Es muß ein Poet ein vielwissender / in den Sprachen durchtriebener und allerdinge erfahrner Mann seyn: Er hebet die Last seines Leibes von der Erden / er durchwandert mit seinen Gedanken die Länder der Himmel / die Strassen der Kreise / die Sitze der Planeten / die Grentzen der Sterne / die Stände der Elementen. […] Er durchkreucht den Bauch der Erden / er durchwädet die Tiefen / schöpffet scharffe Gedanken / geziemende zierliche Worte

28 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Der Mangel an gelehrter Bildung machte Grimmelshausen also zu einem literarischen Außenseiter. Diese Außenseiterstellung prägt sein Verhältnis zur zeitgenössischen Literatur. Dieses ist nicht unkritisch: Die großen Debatten des 17. Jahrhunderts über die deutsche bzw. hochdeutsche Literatursprache, über normative Poetiken, orthographisch verbindliche Regeln oder Regionalsprachen und Dialekte spiegeln sich deutlich erkennbar ins seinen Schriften (Boehnke/ Sarkowicz 2011, 293).

Diese Spiegelungen äußern sich in der Regel als satirische Kritik. Exemplarisch kann eine Stelle im 9. Kapitel des II. Buchs des Simplicissimus angeführt werden, in der Simplicius als Hofnarr in Hanau die Schönheit einer Dame loben soll und dieses Lob zu einer Parodie des petrarkistischen Frauenlobs, das in der Barockliteratur allerorten zu finden ist, umkehrt (vgl. ST, B 147 f., T 118 f.). Die Außenseiterstellung manifestiert sich auch darin, dass Grimmelshausen keine engeren Beziehungen zu den anderen Schriftstellern und Dichtungs- und Sprachtheoretikern der Zeit unterhielt. „Von persönlichen (oder brieflichen) Beziehungen zu zeitgenössischen Literaten ist bis auf geringfügige Ausnahmen nichts bekannt“ (Meid 1984, 84). In keiner der Sprachgesellschaften war er Mitglied, auch nicht in der Straßburger Tannengesellschaft, die zumindest geographisch nahegelegen hätte.9 „Ob der Grund in Grimmelshausens Vorbehalten ge-

�� lebendige Beschreibungen / nachsinnige Erfindungen / wolklingende Bindarten / ungezwungene Einfälle / meisterliche Ausschmükkungen / seltene Lieblichkeiten / und vernünfftige Neuerungen“ (Klaj, Lobrede, 389). Birken dreht den Spieß sogar um, für ihn ist das Dichten Voraussetzung dafür, als Gelehrter anerkannt werden zu können: „Vordessen und noch bei unserem Gedenken / ist die Poesy so beliebt gewesen / daß keiner für gelehrt geachtet worden / wann er nicht ein gutes Carmen schreiben können“ (Birken, Rede- bind- und Dicht-Kunst, fol ):( ):( xr – ):( ):( xv). 9 Ob Grimmelshausen Beziehungen zur Tannengesellschaft hatte, ist in der Forschungsliteratur umstritten. Scholte interpretiert den Teutschen Michel als Sprachsatire gegen den Straßburger Arzt Dr. Johann Küffer, der mit der Tannengesellschaft in Verbindung stand: „Es ist jetzt wohl deutlich, weswegen die Sprachparodie im ,Teutschen Michel‘ sich mit Arzneien beschäftigte und sich auf den Kornmarkt in Straßburg richtet“ (Scholte 1936, 339). Scholz (1924, 79 f.) stellt über Küffer und Johann Michael Moscherosch Verbindungen Grimmelshausens zur Tannengesellschaft her, die aber kritisch distanziert sei. Kühlmann konstatiert, dass Grimmelshausen Küffer kannte und damit zumindest einen Mann, der „in seiner Jugend der Tannengesellschaft nahestand, jedenfalls mit dem Gesellschaftsgründer Jesaias Rompler von Löwenhalt […] gut bekannt war“ (Kühlmann 2003, zitiert nach Kühlmann 2008, 76). Zudem könnte es über Quirin Moscherosch Verbindungen gegeben haben (vgl. ebd., 77). Dass Grimmelshausen Mitglied der Tannengesellschaft war, nimmt aber meines Wissens niemand an. Dafür fehlt auch jeder Beleg.

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gen ,das Hochmütige der Gelehrsamkeitsschriftstellerei‘10 zu suchen ist […] oder auf die Ablehnung eines satirischen Schriftstellers schließen lässt, der den Mangel an formaler akademischer Ausbildung nicht durch eine gehobene gesellschaftliche Stellung auszugleichen in der Lage war, bleibt offen“ (ebd., 84 f.). Zwar suchte er durch Widmungen Kontakt zum in der näheren Umgebung Renchens ansässigen Adel, doch eine finanzielle oder ideelle Förderung erreichte er auf diesem Wege nicht, konnte also, im Gegensatz etwa zu Schottelius oder Gueintz, auch nicht auf adlige Gönner zählen. Im Folgenden sollen nun einige Worte über die von Meid genannten geringfügigen Ausnahmen verloren werden. Diese betreffen eine Äußerung Quirin Moscheroschs über Grimmelshausen sowie die literarischen Fehden des Simplicissimus-Autors mit Christian Weise und Philipp von Zesen. Quirin Moscherosch (1623–1675), ein Bruder Johann Michael Moscheroschs, fungierte als Pfarrer in Bodersweier bei Kehl, etwa 15 Kilometer von Renchen entfernt, und lebte somit in Grimmelshausens Nachbarschaft. Er war Mitglied des Pegnesischen Blumenordens und Autor des Poetischen Blumen-Paradieß (1673). Als solcher hatte er auch Kontakt zu Grimmelshausens Verleger Wolff Eberhard Felßecker. In einem Brief an Sigmund von Birken vom 27. Januar 167411 schrieb Moscherosch auch über Grimmelshausen: Es hat der beruffene Simplicissimus, sonsten mein Nachbar, u. nur ein geringer Dorfschultes, aber ein Dauß Eß, u. homo Satyricus in folio, beÿ H. Felßeckern vor weÿnachten ein Tractätlein trucken lassen, deßen Titel des Teutschen Michels Sprachengepräng, nach art des Mahlers Farben gemäng, darinnen er die Teutschen SprachHelden recht Satÿrisch anzäpfet; möchte wol wünschen, wann Ihm einer nur mit 1. par bögen, das Maul stopfte, wanns mein Amt zuliesse, wolte ichs nicht underlassen. Halte aber er werde in ein wespennest gestochen haben, die sich schon an ihm rechen werden (zitiert nach Spahr 1960, 51).

Dieser Brief ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil aus ihm hervorgeht, dass Grimmelshausen den Teutschen Michel bei Felßecker in Nürnberg drucken ließ und nicht, wie Koschlig (1939, 292–294) annahm, bei Dollhopf in Straßburg, sondern vor allem deshalb, weil er eine der wenigen erhaltenen zeitgenössischen Äußerungen über Grimmelshausen darstellt. Auffällig sind in dieser knappen Passage gleich mehrere Aspekte: Er nennt nicht Grimmelshausens Namen, sondern den seiner bekanntesten Kunstfigur, obwohl ihm der Name des geringen Dorfschultes bekannt gewesen sein dürfte. Der Respekt, der aus den Formulierungen Dauß Eß (›Teufelskerl‹) und Satyricus in folio (›Satriker im �� 10 Meid zitiert hier aus Scholte 1936, 331. 11 Spahr hatte den Brief aufgrund des Eingangsvermerks auf den 27. Januar 1673 datiert. Dass diese Datierung falsch ist, zeigt Fluck 1975, 39 f.

30 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Großformat‹) spricht, scheint die Benennung zu motivieren. Grimmelshausen und Moscherosch kannten sich offensichtlich und im Poetischen Blumen-Paradieß findet sich sogar ein von Grimmelshausen verfasstes Widmungsgedicht (vgl. Fluck 1976, 555 f.). Gleichwohl scheint Moscherosch Grimmelshausen diesen Respekt nur widerwillig zu zollen: Er plädiert dafür, dass jemand seinem Nachbarn das Maul stopfe. Fluck (ebd., 559–561) gibt mehrere Gründe an, die die Ablehnung des Teutschen Michel hervorgerufen haben könnten.12 Zwar scheint ihre Beziehung von „Wertschätzung und Respekt“ geprägt gewesen zu sein (ebd., 561), dennoch bleibt festzuhalten, dass Moscherosch betont, der Autor des Simplicissimus sei nur ein geringer Dorfschultes. Mit diesem Hinweis auf die fehlende gelehrte Bildung und den niedrigen sozialen Stand Grimmelshausens, der wohl konzessiv13 zu verstehen ist, disqualifiziert er indirekt und wohl auch unabsichtlich dessen Dichtungen als minderwertig und bestätigt damit Grimmelshausens Außenseiterstellung.14 Von einseitiger Abneigung geprägt ist Grimmelshausens Verhältnis zu Christian Weise. Dieser greift Grimmelshausen in der Vorrede zu seinem satirischen Roman Die drey ärgsten Ertz-Narren in der gantzen Welt (1673) scharf an: Dieß Buch hat einen närrischne Titul / und ich halte wohl / daß mancher meinen wird / er wolle seine Narrheit daraus studiren. Doch es geht hier wie mit den ApotheckerBüchsen / die haben außwendig Satyros oder sonst Affegesichte angemahlt / inwendig aber haben sie Balsam oder andre köstliche Artzneyen verborgen. Es siehet närrisch aus / und wer es obenhin betrachtet / der meint / es sey ein neuer Simplicissimus oder sonst ein lederner Saalbader wieder auffgestanden (Weise, Ertznarren, 61).15

Der Angriff besteht also darin, dass Weise Grimmelshausen einen Schwätzer nennt, der als Satiriker nichts Wesentliches zur Diskussion beizutragen habe. Weise grenzt damit seinen eigenen Roman deutlich vom Simplicissimus ab.

�� 12 Vgl. unten, Kap. 6. 13 Die Interpretation der Briefstelle als konzessive Verknüpfung würde lauten: Obwohl er nur ein geringer Dorfschultes ist, ist er ein Dauß Eß und Satyricus in folio … 14 Volker Meid interpretiert den Brief anders als Fluck: „Der Brief weist jedoch nicht nur darauf hin, dass sich Grimmelshausen mit seinem Teutschen Michel […] in eine Distanz zum organisierten literarischen Leben seiner Zeit begeben hatte, sondern macht auch deutlich, dass seine gesellschaftliche Stellung […] gegen ihn verwendet werden konnte. Immerhin fehlt es nicht an Anerkennung der menschlichen und literarischen Qualitäten des Simplicissimusdichters“ (Meid 1984, 84). 15 Ein Salbader ist ein ›persönlich langweiliger, alberner Schwätzer‹ (DWB, Bd. 14, Sp. 1681; im Belegblock sind sowohl Weises Angriff als auch Grimmelshausens Reaktion im Teutschen Michel zitiert). Salbaderei ist demnach eine deutsche Entsprechung von lat. ineptiae ›Albernheiten, Dummheiten‹ und nugae ›Kleinigkeiten, Schund, Unsinn‹ (vgl. Breuer 1994, 186).

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Grimmelshausen reagierte zunächst versöhnlich auf diesen Angriff: An zwei Stellen im Teutschen Michel erwähnt er Weises Ertznarren lobend: Wie aber die Sitten und Gebärden eines solchen Phantasten beschaffen / hat meine nahe Baaß Catharin (die mir zwar keine Verwandtschafft gestehet / sonder mich zum Salbader logiert / wiewol sie die drey ärgste Ertz-Narrn in der Welt auff einen Wurff: gleichwie ich den Simplicissimum geborn) in ihrem Kindbeth am 20. Capitel mit lebendigen Farben geistreich genug abgemahlet / allwo sich der großgünstige Leser Berichts erholen mag (TM, T 17).

Hier wird bei der Kritik am Alamodewesen auf Weises Ertznarren verwiesen. Im zweiten intertextuellen Verweis wird der übertriebene Fremdwortpurismus als gemeinsamer Kritikpunkt ausgemacht: [W]orbey ichs dann bewenden lasse / und euch freundlich bitte / ihr wollet euch ohnschwer belieben lassen / das eilffte Capitelgen in dem lustigen Tractätel von den dreyen grösten Ertz-Narren in der gantzen Welt / auffzuschlagen / umbzusehen / ob ihr dorten nit besser / als hier bey der Gevatterschafft mit der Wahl / angesehen und beobacht worden / den Vorzug zuhaben (TM, T 32).

Als Weise auf diese Versöhnungsangebote nicht reagierte, nahm Grimmelshausen die Rede vom ledernen Salbader in der Vorrede zum Vogelnest II erneut auf, diesmal aber deutlich polemischer: [U]nangesehen nun eines solchen auch der neidigen Saturnisten und Maulhenckolischen Köpffe Schmälerey und Mißgunst / die alles ausser ihrem eygenen gemächt / vor Salbaderey halten und außschreyen wollen / ist er [d. i. Grimmelshausen] bey seiner vorigen Art geblieben / die unbehutsame Menschen (auch mit Exempeln) unter dem Schein kurtzweiliger Geschichte / vor dem jenigen treulich zu warnen / was sie / wie gemeldt / gar leicht vom höchsten Gut absondern (WV II, B 458 f., T 149).

Nach Dieter Breuers Einschätzung hat Grimmelshausen mit dem Attribut neidig den Nagel auf den Kopf getroffen: Weises unprovozierter Angriff auf Grimmelshausen könne nur mit der Erkenntnis von Grimmelshausens Überlegenheit in der Konzeption des satirischen Romans und dadurch hervorgebrachtem Neid erklärt werden (vgl. dazu ausführlich Breuer 1994). Während bei Christian Weises Angriff auf Grimmelshausen die Abneigung einseitig bleibt und sich kein Dialog entspinnt, kommt es zwischen Grimmelshausen und Philipp von Zesen zu einer echten Literaturfehde, die, zumindest rudimentär, auch dialogartige Züge zeigt. Den Anfang machte Grimmelshausen mit der Publikation des Keuschen Joseph 1666. Im 19. Kapitel des III. Buchs des Simplicissimus erklärt die Titelfigur, sie sei der Autor des Romans. Im Jahr 1670 erschien Zesens Roman Assenat; das ist Derselben / und des Josefs Heilige Stahts- Lieb- und Lebens-geschicht in Ams-

32 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext terdam. In den Anmerkungen, die fast so umfangreich sind wie der Roman selbst, nimmt Zesen auch mehrfach korrigierend und kritisch Bezug auf das Werk ,Greifnsons‘, also Grimmelshausens. Sein Hauptvorwurf an Grimmelshausen ist mangelnde Quellentreue. Dieser weist wiederum in Vogelnest I in Gestalt des fiktiven Autors Simplicissimus Zesens Kritik zurück. Im Folgenden sollen anhand der Gegenkritik des Simplicissimus Grundzüge dieser Fehde nachgezeichnet werden. Zunächst nimmt Zesen Anstoß am Pharaonamen Tmaus, den Grimmelshausen benutzt hat. Die entsprechende Stelle im Keuschen Joseph lautet so: [I]tem als ihme der Kerckermeister die Geburtstund Pharaonis wie auch der Selichae anzeigte prognosticirte er / daß beyde noch selbiges Jahr sterben würden / ja er nennete so gar den Tag / welches alles eingetroffen / und wurde an statt des Verstorbenen / der hiebevor den Joseph nicht haben wolte / dessen Sohn Tmaus zum König erwöhlet (KJ, B 81 f., T 77).

Zesen kritisiert nun diesen Namen als durch die Quellen nicht zu begründende willkürliche Setzung Grimmelshausens. S a m u e l G r e i f f e n s o h n giebt ihm zwar keinen andern nahmen / als den algemeinen F a r a o . Aber seinen sohn nennet er am 138. bl. in der Geschicht vom J o s e f / woher weis ich nicht / T m a u s : und schreibet / daß dieser T m a u s / nach seines vaters ableiben / eben solte zum könige gekröhnet werden / als er den J o s e f aus dem gefängnüsse hohlen laßen seine treume zu deuten: welches wider alle Geschichtschreiber / die ich hiervon gelesen / auch wider der A s s e n a t geschicht / und die Verfassung des letzten willens J o s e f s streitet. Andere gedenken auch eines Königes / der zu J o s e f s zeiten in Egipten geherschet / den sie K o n c h a r e s heissen. Dieser sol der 25. Egiptische könig / und eben derselbe sein / nach dessen kröhnung im fünften jahre / und nach M i z r a i m im 700 / das oben erwähnte große Sotische jahr sei eingesetzt und begonnen worden […] Weil aber die meisten / auch der A s s e n a t Geschicht selbsten denselben Farao oder König / der damahls herschete / als J o s e f verkauft ward / N e f r e m / oder N e f r e m T o m e s t o r nennen; so haben wir lieber dem meisten hauffen folgen / und den nahmen N e f r e m in unserer geschicht vor allen andern behalten wollen (Zesen, Assenat, 419 f.; Sperrungen im Text).

Simplicissimus kontert in Vogelnest I, dass Zesen stillschweigend (tacitè) zugebe, nicht alle Quellen gelesen zu haben. Damit könne er auch die Quelle, aus der er, Simplicissimus (und damit Grimmelshausen), den Namen Tmaus entnommen habe, nicht kennen: Aber daß dieser Autor mir am 395. Blat meinen Jmaus / und anderen ihren Komhares; und aber einem andern seinen Alrian nicht passiren lassen wil / und anders mehr / um willen es wider die Geschichtschreiber / so er hiervon gelesen / wie auch der Asaneth Geschicht und die Verfassung deß Josephs letzten willens streite; ist mir gar nicht gefällig / dann er ja selbst tacitè gestehet / daß er nicht alle Geschichten hiervon gelesen / mit den meisten

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aber so er gelesen / den zu Josephs Zeiten regierenden Pharaonem Nephrem und auch Tomestor Nemme (WV I, B 404, T 101).

Ähnlich verlaufen die Argumentationen auch bei der Frage, ob Potiphar zu der Zeit, als er Joseph zu sich holte, Witwer war oder nicht. Zesen, der Grimmelshausens Darstellung, Potiphar sei Witwer gewesen, ablehnt, schreibt über diese Frage folgendes: Alles dieses erzehlet J o s e f in seinem letzten Willen, welchem ich alhier / als auch sonsten / gefolget. Darüm wundere ich mich / daß S a m u e l G r e i f f e n s o h n diese gantze begäbnüs / in J o s e f s Lebensbeschreibung / so gar anders anführet: und / ich weis nicht woher / den P o t i f a r zu einem Witwer machet; der die S e f i r a / die er S e l i c h a nennet / und vor der A s s e n a t schwester tochter ausgiebet / erst nach der zeit / als J o s e f schon lange in seinen gewesen / geehliget. Wer lust hat / der kan das 62 / 63 / 66 / 68 69 / und 80 blat bei gemeltem G r e i f f e n s o h n aufschlagen (Zesen, Assenat, 474; Sperrungen im Text).

Auch diesen Vorwurf weiß Simplicissimus abzuwehren. Diesmal ist die Spitze gegen Zesen sogar noch ausgeprägter, denn er verweist auf die oralen Erzähltraditionen, aus denen die Josephsgeschichte entstanden ist und die daraus resultierenden Abweichungen in den einzelnen Versionen. Damit wirft er Zesen nicht nur vor, seine Quellen nicht gründlich genug zu kennen, sondern auch, ihre Entstehungskontexte nicht angemessen zu reflektieren: Daß sich endlich der Autor verwundert an seinem 442. und 443. Blat / daß Potiphar in Josephs Lebens-Beschreibung vor einen Wittwer / dessen Weib Selicha genannt / und vor der Assaneth Verwandte außgegeben werde; da muß ich mich hingegen über seine Verwunderung verwundern / weil er als ein wolbelesener weißt wie unterschiedlich von dieser Geschichte geschrieben wird; wann er aber auch hörete wie seltzam und unterschiedlich die Persianer / Araber und andere hiervon mündlich discurriren / so würde er sich über das was ich diß Orts geschrieben / gar nicht verwundern; zu dem gebrauchen sich dieselbe Völcker noch zur Zeit keines Drucks / darumben dann die geschriebene Exemplaria bey ihnen selten einstimmig gefunden werden; indessen ist es aber viel zu weit und die Sach nicht so gewichtig / daß man jemand persönlich hinweise / selbst zuerfahren / was vor unterschiedliche Sachen selbige Leute von deß Josephs Histori haben (WV I, B 406, T 103).

Das Zugeständnis, dass der Autor der Assenat wohlbelesen sei, erscheint in diesem Kontext fast schon ironisch. Auch dort, wo er sich nicht unmittelbar gegen Zesens Kritik verteidigen muss, schießt Simplicissimus ein paar Pfeile auf seinen Gegner ab. So wirft er Zesen etwa unter Bezug auf Assenat, 433 f. vor, sich selbst zu widersprechen:

34 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Viel / ja die meiste Hebreer halten darvor / Potiphar habe den Joseph seiner Schönheit wegen zum Mißbrauch erkaufft / und seye deßwegen untüchtig worden / ehe er sein sündlichs Vorhaben vollbringen können / solches bezeugt auch die vom Autor am vierhundert und achten Blat angezogene Geschicht der Assenat; Wann nun diesem also wäre / so ist die Verfassung deß Josephs letztern Willens falsch / als welche außdrückenlich meldet / daß Joseph auß Anstalt deß Potiphars Gemahlin erkaufft worden / wie hier bey diesem Autor am 441. 442. 443. Blat und anderswo mehr zu lesen (WV I, B 405, T 102).

In Bezug auf die konstatierte Außenseiterstellung Grimmelshausens in den gelehrten und literarischen Diskursen ist die Einleitung dieser Kritik an Zesens Assenat interessant: „[U]nd als er zum Ende kam / sagte er [Simplicissimus] zum Wirth / ich sehe wol daß der Nachtbar Simplicissimus eben so wol seinen Zoilum hat / als der berühmte Homerus“ (WV I, B 403, T 100). Der Rekurs auf den sprichwörtlich gewordenen antiken Homer- und Platon-Kritiker Zoilus zeigt, wie die gesamte folgende Literaturkritik, das Selbstbewusstsein eines Autors, der sowohl um seine Defizite als auch um seine Stärken weiß. Indem er Zesen vorwirft, seine Quellen nicht genau genug zu kennen und sie ungenügend reflektiert zu haben, dreht er den Spieß um: Nicht mehr wird er selbst wegen seiner mangelnden akademischen Bildung angegriffen, vielmehr ist er es, der dem akademisch Gebildeten Ungenauigkeit und mangelnde Gründlichkeit vorwerfen kann. So wie er noch einen fiktiven Angriff in der ersten Vorrede des Satyrischen Pilgram abwehren kann und durch Darlegung der satirischen Absicht der Schrift zum Gegenangriff übergeht, so spielt er nun, wie auch schon bei Weise, seine vermeintliche oder tatsächliche Überlegenheit gegenüber den formal höher Gebildeten selbstbewusst aus.16 17 Aus dem Kurtzen Zuruff an den Grimmelshäuser im Vorspann von Proximus und Lympida spricht schließlich souveräne Gleichgültigkeit gegenüber den Kritikern im Bewusstsein um die eigenen Fähigkeiten: WAs bringt Er uns wider vor alte Geschichten? | Was zeigt er uns aber vor newe Einfäll? | Will Er nach der Tugend die Sitten einrichten? | Derselben beyfügen die Lieb zum Gesell? | Oder villeichten die Verleumbder nur trutzen? | Den Momum, Zoilum, den wütenden Hauff? | Er thue was Er will / es geschicht uns zum Nutzen! | Er lasse der Feder nur kühnlich ihrn Lauff; | Den Momum, Zoilum fort tadlen und neiden / | Sein Liebsgeschicht

�� 16 Anders Meid 1984, 83: „Sowohl das Werben um Anerkennung als auch die empfindliche Reaktion auf literarische Kritik von seiten ,gelehrter‘ Schriftsteller (Zesen) verweisen auf das Außenseitertum Grimmelshausens in einer von Tradition, Besitz und gelehrter Bildung geprägten Umwelt“. 17 Auch im Teuschen Michel kritisiert Grimmelshausen Zesen scharf, insbesondere dessen Vorschläge zur Orthographie und die Fremdwortverdeutschungen. Er polemisiert vor allem gegen die Verdeutschung Tageleuchter für Fenster (vgl. unten, 5.4).

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wird doch hoch werden beliebt / | Bey denen die gerne die Laster vermeiden / | Bey dem / so der Tugend und Lieb sich ergibt; | Er lasse sie beyde nur immerhin toben / | Sie thun sich doch sonsten umb bessers nicht um: | Hingegen so werden ihn andere loben / | Sein Schrifften becrönen mit ewigem Ruhm (PL, B 517, T 7).

So gesehen muss die Außenseiterstellung für Grimmelshausen nicht zwingend ein Nachteil gewesen sein. Einerseits blieb ihm zwar eine breitere Anerkennung als Schriftsteller zu seinen Lebzeiten verwehrt, andererseits konnte er dieser Außenseiterstellung einige neue Perspektiven abgewinnen, die er raffiniert einzusetzen wusste, so dass er zu originellen Positionen und Einsichten kam, die den gelehrten Autoren wohl gerade wegen deren Gelehrtheit verschlossen blieben. Ähnlich beschreibt Dieter Breuer die Möglichkeiten, die sich Grimmelshausen boten und die er auch auf eindrucksvolle Weise ergriff: Er blieb ein Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit. Im Hinblick auf sein umfangreiches erzählerisches Werk und seine poetischen Verfahrensweisen musste die leidvoll erfahrene Außenseiterrolle indes noch kein Nachteil sein. Indem Grimmelshausen sich der Literatur ,von unten‘, von den einfachen Literaturgattungen des gemeinen Mannes her näherte und seinen literarischen Horizont durch unablässiges Lesen älterer, vergessener Autoren des sechzehnten Jahrhunderts (unter anderem Sachs, Fischart, Garzoni) wie der neuesten Autoren erweiterte, kam er zu einer sehr viel vorurteilsfreieren, produktiveren, lebensnäheren Auffassung von der Aufgabe der Literatur als die akademisch gebildeten Poeten und erfand durch Parodierung und Mischung der Gattungen Darstellungsmöglichkeiten, die seine Einbildungskraft nicht hemmten und die immer noch ,sinnreich‘ den Scharfsinn des Lesers herausfordern (Breuer 1999, 20 f.).

Diese Einschätzung Breuers, dass Grimmelshausen zu einer vorurteilsfreieren, produktiveren und lebensnäheren Perspektive gelangte, gilt es auch für sein Verhältnis zur Sprachwissenschaft und Sprachkritik der Zeit nachzuweisen.

2.3 Grimmelshausens Gesamtwerk als ,Autordiskurs‘ Diskurse bestehen, wie unten (3.2.1) verdeutlicht wird, aus einer Anzahl von Texten, die in thematischer und semantischer Beziehung zueinander stehen. Dort wird auch deutlich werden, dass jeder Text theoretisch mit jedem in eine semantische oder thematische Beziehung gestellt werden kann. Für praktische diskursanalytische Untersuchungen ist es deshalb unerlässlich, die Grenzen des Diskurses, der das Untersuchungsobjekt bildet, festzulegen. Über die Größe und die Grenzen des Diskurses bestimmt im Normalfall derjenige, der ihn untersucht, denn dieser legt den Rahmen der Untersuchung fest. Der Forscher kann zu diesem Zweck Diskurshierarchien postulieren und zeitliche Rahmen span-

36 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext nen. So lassen sich in der deutschen Literaturgeschichte unzählige Einzeldiskurse bestimmen (z.B. die so genannte Reinmar-Walther-Fehde, die Renaissance, den Sturm und Drang, die Romantik, den Expressionismus, die Gruppe 47 usw.), die sich einerseits wiederum in Konstituenten auf niedrigerer Ebene (z.B. früh-, hoch- und spätromantischer Diskurs) unterteilen oder zu Diskursen auf höherer Ebene (z.B. literarischer Diskurs der Goethezeit) zusammenfassen lassen. Mit anderen Worten: Diskurse existieren nicht per se, sondern sie werden durch den Interpreten konstituiert, indem dieser den zeitlichen, räumlichen und thematischen Rahmen festlegt, Textsorten benennt, die zu untersuchen oder nicht zu untersuchen sind und schließlich auch den Fokus bestimmt, auf den die Untersuchung gerichtet sein soll. Dessen Aufgabe ist es auch, die Grenzen der von ihm konstituierten Diskurse transparent zu machen und sie zu plausibilisieren. In seltenen Fällen werden die Diskursgrenzen aber auch von einer anderen Instanz als dem Forscher festgelegt. Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Autor seine Texte bewusst diskursiv anlegt, d.h. unter ihnen Beziehungen herstellt, durch die die Texte aufeinander verweisen. Liegt ein solcher Fall vor, dann hat man es mit einem Autordiskurs zu tun. Wie bereits angedeutet, lässt sich Grimmelshausens Gesamtwerk als ein solcher Autordiskurs beschreiben. Um eine Erklärung des Konzepts vom ,Autordiskurs‘ und um die Begründung für die These, dass es sich bei Grimmelshausens Werk tatsächlich um einen Autordiskurs handelt, soll es in diesem Abschnitt gehen. Beim Konzept des ,Autordiskurses‘ handelt es sich um das Œuvre eines einzelnen Autors, dessen Einzeltexte sich explizit und implizit so aufeinander beziehen, dass der Eindruck entsteht, verschiedene Personen mit verschiedener Perspektive und individuellen Handlungsmotivationen stünden im kontroversen Dialog zueinander. Die Einzeltexte eines Autordiskurses bilden demnach einen Diskurs, einen Mikrokosmos, den ein einziger Autor geschaffen hat. Und dieses Beziehungsgeflecht muss vom Autor als solches intendiert sein. Unter Autordiskurs ist also keine bloße Motivgleichheit zwischen einzelnen Texten eines Autors zu verstehen. So wird etwa im Werk Thomas Manns die Künstlerproblematik in verschiedenen Romanen und Erzählungen thematisiert, manchmal in Auseinandersetzung mit dem Bürgertum (Buddenbrooks, Tonio Kröger), manchmal in Verbindung mit Krankheit und Verfall (Der Tod in Venedig, Doktor Faustus), manchmal werden die drei Motive zusammengeführt (etwa in der Figur Thomas Buddenbrook). Zweifellos lassen sich durch diese Verbindungen die Texte aufeinander beziehen und miteinander vergleichen. Dies allein rechtfertigt es jedoch noch nicht, von einem Autordiskurs zu sprechen. Ein Diskurs konstituiert sich nicht nur dadurch, dass sich die Einzeltexte aufeinander beziehen lassen, sondern dass sie auch nach der Intention des Au-

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tors aufeinander verweisen, wie etwa ein philologischer Kommentar auf einen Primärtext. Diese Beziehungen werden explizit hergestellt. Solche expliziten Beziehungen zwischen zwei oder mehr Texten ein und desselben Autors sind selten, sofern es sich nicht um bloße Fortsetzungen handelt. Beispiele finden sich bei Günter Grass (Oskar Matzerath, der Protagonist der Blechtrommel, wird auch in Katz und Maus erwähnt und tritt in Die Rättin auf) und Uwe Johnson (Gesine Cresspahl ist Nebenfigur in Mutmassungen über Jakob und Hauptfigur in Jahrestage). Aber dieses Merkmal macht weder Grass’ noch Johnsons Gesamtwerk zu einem Autordiskurs. Außerdem sind unter Autordiskurs keine Fortsetzungen oder in sich geschlossene Zyklen zu verstehen wie Thomas Manns Joseph-Tetralogie oder Rilkes Duineser Elegien, denn Autordiskurse umfassen idealiter nahezu das gesamte Werk des Autors und nicht nur einen ausgewählten Teil. All diese Merkmale erfüllt Grimmelshausens Gesamtwerk: Die einzelnen Texte bilden ein komplexes Geflecht von expliziten und impliziten Anspielungen aufeinander und umfassen nahezu alle Texte, die Grimmelshausen verfasste. Unterschiedliche Themen und Probleme werden aus unterschiedlichsten Perspektiven erörtert und nahezu jede mögliche Position kommt zu Wort. All diese Eigenschaften machen Grimmelshausens Gesamtwerk zu einem in der deutschsprachigen Literatur beispiellosen Autordiskurs. Im Folgenden nun soll es darum gehen, die verschiedenen diskurskonnektiven Elemente in diesem Autordiskurs zu benennen und in den Texten nachzuweisen. Zugleich soll eine Typologie dieser diskurskonnektiven Elemente versucht werden. Es lassen sich insgesamt sieben solcher diskurskonnektiven Elemente im Grimmelshausenschen Autordiskurs nachweisen: a) b) c) d) e) f) g)

Autorpseudonyme Fiktive Verfasserschaft Figuren Perspektivität Motive Diskurstranszendente Intertextualität Diskursimmanente Intertextualität

Ad a) Nur drei Texte (die beiden historischen Legendenromane Dietwalt und Amelinde und Proximus und Lympida sowie den Traktat Zweyköpffiger Ratio Status) publizierte Grimmelshausen unter seinem richtigen Namen, einige blieben anonym, für den Rest benutzte er Autorpseudonyme. Fast alle diese Autorpseudonyme sind Anagramme von Christoffel von Grimmelshausen:

38 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext – – – – – – – – – –

German Schleifheim von Sulsfort Melchior Sternfels von Fuchshaim Samuel Greifnson vom Hirschfeld Philarchus Grossus von Trommenheim Michael Rechulin von Sehmsdorff Erich Stainfels von Grufensholm Simon Leugfrisch von Hartenfels Israel Fromschmidt von Hugenfelß Signeur Meßmahl Aceeeffghhiillmmnnoorrssstuu

Lediglich ein Autorpseudonym ist kein Anagramm, sondern ein ironischer Verweis auf die mangelnde gelehrte Bildung des Autors: Illiteratus Ignorantius, zugenannt Idiota. Der Umstand, dass Grimmelshausen unter vielen verschiedenen Pseudonymen publizierte, behinderte lange Zeit die literaturwissenschaftliche Erfassung seines Werks. Erst 1837 konnten die Pseudonyme entschlüsselt und auf Grimmelshausen zurückgeführt werden (vgl. Breuer 1999, 8) und erst mit den Arbeiten Jan Hendrik Scholtes und Manfred Koschligs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte das Grimmelshausen-Korpus einigermaßen gesichert werden.18 Nun stellt sich die Frage, warum Grimmelshausen den Großteil seiner Texte anonym oder unter Pseudonymen publizierte. Hierfür gibt es mehrere Antworten. Ein Grund ist die Zensur. Im 17. Jahrhundert wachten staatliche und kirchliche Behörden über den Buchmarkt. Die Vertreter der einzelnen Konfessionen zensierten und verboten Bücher, die der eigenen Lehre zuwiderliefen. Bereits 1559 hatte die katholische Kirche auf dem Konzil von Trient den Index librorum prohibitorum im Zuge der Gegenreformation zusammengestellt. Die Zensur betraf sowohl die Buchproduktion (also Autoren und Buchdrucker) als auch die Distribution, also den Buchhandel. Verstöße gegen die Zensurgesetze konnten mit drastischen Strafen bis hin zu Gefängnisstrafen geahndet werden. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass der größte Teil der im 17. Jahrhundert publizierten Bücher staats- und religionskonform war (vgl. dazu Czersowsky 1999, 190–195). Besonders satirische Autoren waren von der Zensur bedroht. Grimmelshausens Flugschrift Der stoltze Melcher hatte mit ihrer Kritik an

�� 18 Einige Fälle sind bis heute zweifelhaft. So wurde durch Battafarano/Eilert (2001) in jüngerer Zeit die Echtheit von Anhang und Extract in Zweifel gezogen. Ob Grimmelshausen der Autor oder zumindest der Co-Autor des Europäischen Wundergeschichten-Kalenders ist, wird diskutiert. Vgl. dazu auch Rosenberger 2012, 341.

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der Expansionspolitik der Franzosen und indirekt auch am Straßburger Bischof, immerhin Grimmelshausens Arbeitgeber, so viel politische Brisanz, dass er sie nur anonym veröffentlichen konnte. Dies allein kann jedoch als Erklärung nicht ausreichen. Denn wenn Grimmelshausen seine Identität so sehr schützen musste, warum hätte er dann seine Autorschaft am Simplicissimus, der Courasche, dem Springinsfeld und am Ewigwährenden Calender im Glückwünschenden Zuruff am Schluss von Dietwalt und Amelinde so offen preisgeben sollen?19 Zudem dürften seine Satiren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht als staats- oder religionsgefährdend angesehen worden sein.20 So ist anzunehmen, dass Grimmelshausen noch andere Gründe hatte, Autorpseudonyme zu benutzen. In Bezug auf die ersten Kapitel des Springinsfeld deuten Boehnke/Sarkowicz die Anagrammatik autobiographisch: Simplicianische Literatur entwickelt sich hier aus der dramaturgisch meisterhaft inszenierten Zusammenkunft von literarischen Figuren, die beim Wirtshaustischgespräch neue Literatur anstoßen, in der dieses Gespräch beschrieben wird. Hinzu kommen ein anagrammatisches Figurentheater auf höchstem Grimmelshausen’schem Niveau und das Lüften des schreibtheatralischen Vorhangs für einen Blick auf den Verfasser höchstselbst. Philarchus Grossus von Trommenheim ist ein auch wieder adliges, fast perfektes Anagramm auf Christophorus von Grimmelshausen. Dieser Schreiber des Seltsamen Springinsfeld bewundert Simplicissimus wegen seiner Lebensbeschreibung und zieht ihn mit der Courage auf. Dann ist auch noch der Schaffner von der anderen Rheinseite da. Alle zusammen sind der einzige Grimmelshausen, der sich mangels der Gesprächsmöglichkeiten mit Kollegen, Kritikern, Sprachgesellschaften und Akademien eine Sozietät literarischer Figuren geschaffen hat und noch dazu eine simplicianische Familie, die um 1669/70 zu einem der ersten Geschlechter auf der Landkarte der Literatur wurde (Boehnke/Sarkowicz 2011, 392 f.).

Grimmelshausen inszenierte demnach sein anagrammatisches Figurentheater, um sich sozusagen eine private Öffentlichkeit zu schaffen, auf die er seine literarischen Reflexionen projizieren konnte. Dieser Gedanke ist keineswegs abwegig, doch Boehnke/Sarkowicz fassen ihn an dieser Stelle zu eng: Viel�� 19 Aus diesem Grund kann auch Binders Erklärung für die Anagramme nicht überzeugen: „Bezüglich der Verwendung von Anagrammen ist die gewöhnliche Auffassung die, daß Grimmelshausen jene Werke, deren er sich nicht zu schämen brauchte, mit seinem Namen versah, daß er aber beim Simplicissimus und bei den anderen simplicianischen Schriften sorgfältig bemüht war, seinen Namen geheim zu halten“ (Binder 1939, 1). Vielmehr hat Grimmelshausen diejenigen Schriften, die er unter seinem wahren Namen publizierte, Angehörigen des Adels gewidmet, sie enthalten Widmungsschreiben und Ehrengedichte, was eher darauf schließen lässt, dass Grimmelshausen Anschluss an den Adel in seiner Umgebung suchte (vgl. Meid 1984, 82). 20 Anders in der späteren Rezeption, als etwa 1876 der Simplicissimus wegen einiger moralisch anstößiger Passagen Thema einer Debatte im Preußischen Landtag wurde (vgl. Meid 1984, 226–228).

40 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext mehr könnte er zur Erklärung für die Existenz des gesamten Grimmelshausenschen Autordiskurses dienen. Daher wird auf diese Erwägungen unten zurückzukommen sein. Es ist eher anzunehmen, dass das anagrammatische Verwirrspiel mit Grimmelshausens Satireauffassung zusammenhängt (vgl. dazu unten, 3.3.3.1). Die Leser sollen den Simplicissimus und die anderen satirischen Romane nicht einfach zur Unterhaltung lesen, sondern sie sollen den satirischen Kern und die dahinterstehende Norm erkennen. Satire besteht gerade darin, den Leser am einfachen Konsumieren des Textes zu hindern, indem sie Brüche und Stolpersteine für den Leser einbaut und so den Leser zur Reflexion des Gelesenen zwingt. Grimmelshausens Mittel, solche Lesehemmnisse zu produzieren, sind vielfältig, teilweise sehr subtil (vgl. dazu unten, 3.3.1.3.3, 3.3.3.2 und 3.3.3.3). Die Anagrammatik gehört zu den eher subtilen Mitteln, denn es erfordert Scharfsinn, ihre Problematik überhaupt zu erkennen. An prominenter Stelle, am Schluss der Continuatio, gibt Grimmelshausen jedoch einen expliziten Hinweis, wie seine anagrammatischen Autorpseudonyme zu lesen sind: Hochgeehrter großgünstiger lieber Leser / etc. dieser Simplicissimus ist ein Werck vom Samuel Greifnson vom Hirschfeld / massen ich nicht allein dieses nach seinem Absterben unter seinen hinderlassenen Schrifften gefunden / sonder er bezeugt sich auch selbst in diesem Buch auff den keuschen Joseph den er gemacht / und in seinem Satyrischen Pilger auff diesen seinen Simplicissimum, welchen er in seiner Jugend zum theil geschrieben / als er noch ein Mußquetirer gewesen; auß was Ursach er aber seinen Namen durch Versetzung der Buchstaben verändert / und German Schleifheim von Sulsfort an dessen statt auff den Titul gesetzt / ist mir unwissent; sonsten hat er noch mehr feine Satyrische Gedichte hinderlassen / welche / wann diß Werck beliebt wird / wol auch durch den Truck an Tag gegeben werden köndten; so ich dem Leser zur Nachricht nicht verbergen wollen; diesen Schluß habe ich nicht hinderhalten mögen weil er die erste fünff Theil bereits bey seinen Lebzeiten in Truck gegeben. Der Leser leb wol. dat. Rheinnec den 22. Apprilis Anno 1668. H. J. C. V. G. P. zu Cernhein (Cont, B 699, T 588).

Die Abkürzung in der Unterschrift ist unschwer als Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Praetor (= Schultheiß) zu Renchen zu entschlüsseln. Demnach ist Samuel Greifnson vom Hirschfeld Autor des Keuschen Joseph, des Satyrischen Pilgram und des Simplicissimus samt der Continuatio. Letztere beiden Texte hat er unter dem Namen German Schleifheim von Sulsfort herausgegeben, der Grund für die Namensänderung wird ironisch verschwiegen. Indem im ersten Kapitel des II. Buchs des Simplicissimus die Titelfigur als fiktiver Autor des Satyrischen Pilgram und im 19. Kapitel des III. Buchs als Autor des Keuschen Joseph identifiziert wird, lässt sich auch Simplicius’ Taufname Melchior Sternfels von Fuchsheim, der zugleich fiktiver Autor des Ewig-währenden Calenders ist, in das anagrammatische System einordnen. In Dietwalt und Amelinde gibt sich Grimmelshausen

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zudem als Autor von Courasche21 und Springinsfeld zu erkennen, anhand der Vorrede zu Vogelnest II auch als Autor der beiden Vogelnest-Romane. Auf diesem, hier nicht vollständig verfolgten, sondern nur des Verständnisses halber angedeuteten Weg lässt sich das anagrammatische Verwirrspiel entwirren. Die Spuren, die zur Entwirrung führen, hat Grimmelshausen selbst gelegt. Es war also keineswegs seine Absicht, seine Autorschaft zu verbergen, sondern die Anagramme sind eine Herausforderung an den Scharfsinn des Lesers und auch ein Weg, ihn auf falsche Fährten zu locken. Dadurch, dass der Taufname des Simplicissimus selbst ein Anagramm des Namens seines Schöpfers darstellt und Simplicissimus als fiktiver Verfasser einiger Texte Grimmelshausens auftritt, ist er Hauptfigur, Nebenfigur, fiktiver Verfasser und Alter Ego des Autors zugleich. Verwechslungen zwischen Grimmelshausen und Simplicissimus sind offenbar gewollt. Die literaturwissenschaftliche Praxis, strikt zwischen Autor und Hauptfigur, zwischen Autor und Erzähler zu trennen, lässt sich oft nicht aufrechterhalten, weil an vielen Stellen nicht klar ist, ob nun Simplicissimus spricht, ob er Sprachrohr Grimmelshausens ist oder ob sich Grimmelshausen selbst an den Leser wendet. Die Anagrammatik unterstützt dieses Verwirrspiel und ist zugleich diskurskonnektives Element. Ad b) Wie schon angedeutet, erfüllt Simplicissimus als Figur im Autordiskurs mehrere Funktionen. Eine ist die des fiktiven Autors. Es gehört zu dem anagrammatischen Verwirrspiel, dass Simplicissimus auch als Autor in mehrere Rollen schlüpft und so erheblich zur Kohärenz des Autordiskurses beiträgt. Für den Autor Simplicissimus lassen sich mindestens drei Rollen unterscheiden: Erstens wird er selbst als Schriftsteller tätig. Am Ende der Continuatio berichtet er, wie er seine eigene Lebensgeschichte als Lebensbeichte (durchaus in der Tradition der Confessiones des Augustinus) niederschreibt: Endlich fandt ich / daß ich Praesilien Safft deren es vnderschiedliche Gattung auff dieser Jnsul gibt / wann solche mit Citronen-Safft vermischt werden / gar wol auff eine Art grosser Palmblätter zuschreiben seye / welches mich höchlich erfreute / weil ich nunmehr ordenliche Gebett concipirn und auffschreiben kondte; zuletzt als ich mit hertzlicher Reu meinen gantzen geführten Lebens-Lauff betrachtete / und meine Bubenstück die ich von Jugend auff begangen / mir selbsten vor Augen stellte / und zu Gemüth führete / daß gleichwohl der barmhertzige GOtt unangesehen aller solchen groben Sünden / mich bißher

�� 21 Auf dem Titelblatt der Courasche gibt Grimmelshausen einen deutlichen Hinweis, dass die Autorennamen seiner Schriften (meist) fiktiv und wandelbar sind: „[D]em Autori in die Feder dictirt, der sich vor dißmal nennet PHILARCHUS GROSSUS von Trommenheim / auf Griffsberg“ (Cour, B 11, T 5; Hervorhebung von mir, S. R.).

42 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext nit allein vor der ewigen Verdambnuß bewahrt / […] beschriebe ich alles was mir noch eingefallen / in dieses Buch so ich von obgemelten Blättern gemacht (Cont, B 677, T 569).

Nach eigener Aussage beginnt der „sinnreiche[] Poet“ (ebd., B 683, T 573) jedoch schon früher zu schreiben: An verschiedenen Stellen des Simplicissimus wird der Eindruck erweckt, er sei auch der Autor des Satyrischen Pilgram (= Schwarz und Weiß) und des Keuschen Joseph: JN meinem Gäns-Stall concipirte ich / was beydes vom Tantzen und Sauffen ich im ersten Theil meines Schwartz und Weiß hiebevor geschrieben (ST, B 121, T 96). Jn Summa / es ist nicht außzusprechen / was das liebe Geld vermag / wie ich dann hiebevor in meinem Schwartz und Weiß etwas darvon geschrieben / wenn mans nur recht zu brauchen und anzulegen weiß (ST, B 294, T 244). Als nun nicht nur die Martins-Gäns und Metzelsuppen hin und wieder / sondern auch die H. Weyhnacht-Feyertäge vorbey waren / verehrte ich ihm [dem Pfarrer von Lippstadt] eine Flaschen voll Straßburger Brandtewein zum Neuen Jahr […] und kam darauff hin ihn zu besuchen / als er eben in meinem Joseph lase / welchen ihm mein Wirth ohne mein Wissen geliehen hatte: Jch entfärbte mich / daß einem solchen gelehrten Mann meine Arbeit in die Hände kommen solte / sonderlich weil man darvor hält / daß einer am besten auß seinen Schrifften erkennet werde; Er aber machte mich zu ihm sitzen / und lobte zwar meine Invention, schalte aber / daß ich mich so lang in der Seliche (die Potiphars Weib gewesen) Liebes-Händeln hätte auffgehalten; Wessen das Hertz voll ist / gehet der Mund über / sagte er ferners / wenn der Herr nicht selbsten wüste wie einem Buler umbs Hertz ist / so hätte er dieses Weibs Passiones nicht so wol außführen / oder vor Augen stellen können: Jch antwortet / was ich geschrieben hätte / das wäre mein eigene Erfindung nicht / sondern hätte es auß andern Büchern extrahirt / mich umb etwas im Schreiben zu üben (ST, B 319, T 265).

Auch in der Kritik an Zesens Assenat (vgl. oben, 32 ff.) in Vogelnest I profiliert sich Simplicissimus als Verfasser des Keuschen Joseph. Zweitens ist Simplicissimus fiktiver Autor von Schriften, die er an seinen gleichnamigen Sohn richtet. Dies sind der Ewig-währende Calender und das Galgen-Männlin. In der Vorrede zum Calender heißt es: MEin liebes Kind: Wann du über kurtz oder lang nach meinem Hintritt über diesen Calender kommst / so sey ermahnet / daß ich ihn allein vor dich / und zwar mir und dir zu Nutz geschrieben; Mir / daß ich in so langweiliger Zeit auf meinen solchen einzelen Bauern-Hof den Müssiggang vermitten / und die Wunder Gottes desto besser betrachtet; dir aber / daß du ihn auch zu müssigen Zeiten gebrauchen sollest / in Durchlesung desselben deinen Verstand zu üben und aufzumuntern (EC, Vorrede, 3).

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Beide Texte wurden zur Ermahnung und Erbauung des jungen durch den alten Simplicissimus verfasst. Außerdem erwähnt Simplicissimus in Rathstübel Plutonis, er habe gerade den Roman Proximus und Lympida geschrieben.22 Schließlich taucht Simplicissimus im Titel einiger Texte auf, die inhaltlich nicht zwingend in den simplicianischen Kosmos gerückt werden müssen, was aber gerade durch die Nennung der Zentralgestalt dieses Kosmos dennoch naheliegt. Es handelt sich um folgende Texte: – – – –

Simplicissimi Wunderliche Gauckel-Tasche Des Abenteuerlichen Simplicissimi Verkehrte Welt Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel

Die Motive, die Texte mit Simplicissimus in Verbindung zu bringen, mögen unterschiedlich gewesen sein. Im Falle des Zweyköpffigen Ratio Status, der durch seine im größten Teil des Textes durchgehaltene Ernsthaftigkeit und den Mangel an Verfremdungselementen nicht primär satirisch ist und somit weniger stark mit dem übrigen Werk Grimmelshausens verbunden ist, vermutet Breuer, das Attribut Simplicianisch sei vom Verleger zu Werbezwecken eingefügt worden (Breuer 1999, 227). Beim Teutschen Michel dagegen wird „einmal mehr das für Grimmelshausens Schriften typische fiktive Zusammenspiel von Simplicissimus als Autor und einem sich hinter Pseudonym versteckenden Herausgeber, hier ,Signeur Meßmahl‘“, veranschaulicht (ebd., 232). Simplicissimus verbirgt sich also hinter Autoranagrammen wie Signeur Meßmahl, Simon Leugfrisch von Hartenfels – und Christoffel von Grimmelshausen. Man könnte tatsächlich auf die Idee kommen, dass Grimmelshausen seinen eigenen Namen in die Reihe seiner Autoranagramme eingereiht hat, hinter denen sich sein fiktiver Autor Simplicissimus verbirgt. Der wahre Verfasser – so die kühne, aber nicht auszuschließende Interpretation – von Grimmelshausens Gesamtwerk ist der Suggestion zufolge nicht Grimmelshausen, sondern Simplicissimus. Denn sein Taufname ist ein Anagramm des Namens Christoffel von Grimmelshausens, ebenso wie fast alle anderen Autorpseudonyme, so dass German Schleifheim von Sulsfort oder Samuel Greifnson vom Hirschfeld sowohl auf Grimmelshausen als auch auf Melchior Sternfels von Fuchsheim zurückgeführt werden können. Die Gren-

�� 22 „Jch habe diese schöne Histori erst neulich zu meiner Zeitvertreibung mit allen ihren Umbständen zu Papier gebracht / und werde sie villeicht der gantzen Welt durch den Edlen Truck gemein machen“ (RP, B 702, T 51).

44 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext zen zwischen Autor und Figur, zwischen Realität und Fiktionalität sind nach dieser Konstruktion fließend. Folgende Textpassage soll belegen, dass diese Interpretation zwar kühn, aber kein Hirngespinst ist. In der Widmungsvorrede zum Ratio Status, dessen Verfasser laut Titelseite Grimmelshausen ist, wird das Spiel mit fiktiven Autoren nämlich auf die Spitze getrieben: Weilen mir dann wohlbekannt / daß E. G. solche letztgemelte allerlöblichste Gewonheit an sich haben / mich darneben auch / als ich dieser Tagen under des Samuel Greifnson vom Hirschfeld / hinderlassenen Schrifften gegenwertigen zweyköpffigen Ratio Status gefunden / noch wol erinnert / daß dieselbe ehemahlen dieses Autorn keuschen Joseph zu lesen und zu loben beliebt (RS, T 5 f.).

Der Suggestion nach hat Grimmelshausen im Nachlass Samuel Greifnsons vom Hirschfeld, des Autors u. a. des Keuschen Joseph, den Ratio Status gefunden.23 Greifnson ist auch der fiktive Autor des Satyrischen Pilgram, der nach den oben zitierten Passagen niemand anderes als Simplicissimus selbst ist, der sich hinter einem Pseudonym, bestehend aus einem Anagramm seines Taufnamens Melchior Sternfels von Fuchsheim, verbirgt. Grimmelshausen gibt damit de facto über mehrere Zwischenschritte die Autorschaft des Ratio Status an Simplicissimus ab und wird zum Herausgeber der Schrift. Ähnlich könnte es auch beim Teutschen Michel sein: Der Herausgeber ist Signeur Meßmahl (= Grimmelshaußen). Im Satyrischen Pilgram werden Greifnson und Simplicissimus explizit identifiziert: „[W]ie ich dan hiervon auch von andern Sachen mehr / so hieher gehörten / in meinem Simplicissimo Anregung gethan / als ich dem Gubernator zu Hanau wahrsagte“ (SP, T 121 f.; Hervorhebungen von mir, S. R.). Doch Grimmelshausen wäre nicht Grimmelshausen, wenn er eine solche, scheinbar hinter die Kulissen seines anagrammatischen Figurentheaters blickende Interpretation nicht auch wieder unterlaufen würde. Denn nach der Konstruktion des Grimmelshausenschen Autordiskurses erfährt Simplicissimus auch Widerstand, namentlich durch Courasche und den namenlosen Verfasser des Bart-Kriegs, hinter dem sich möglicherweise, quasi in Opposition zu seiner Kunstfigur, Grimmelshausen selbst verbergen könnte. Die Lebensbeschreibung der Courasche wird durch diese in die Feder des Philarchus Grossus von Trommenheim diktiert, der dann auch die Springinsfelds niederschreibt. Courasche und der Autor des Bart-Krieg wollen sich für frühere Demütigungen an Simplicissimus rächen und verfassen Gegendarstellungen, bilden also in diskursives Element, das sich von Simplicissimus abgrenzt. Der Fiktion des Autordiskurses

�� 23 Darauf weist bereits Achermann (2012, 43 f.) hin.

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zufolge kann Simplicissimus damit nicht der Autor der Courasche, des Springinsfeld und des Bart-Krieg sein. Im Satyrischen Pilgram wird die Fiktion, Simplicissimus sei der Autor dieses Textes, hinterfragt: JCh gestehe gern / daß ich den hundersten Theil nicht erzehlet / was Krieg vor ein erschreckliches und grausames Monstrum seye / dann solches erfordert mehr als ein gantz Buch Papier / so aber in diesem kurtzen Wercklein nich wohl einzubringen wäre / Mein Simplicissimus wird dem günstigen Leser mit einer andern und zwar lustigern Manier viel Particularitäten von ihm erzehlen (SP, T 160).

Im Gegensatz zu der oben zitierten Stelle aus dem Satyrischen Pilgram entsteht hier der Eindruck, Greifnson sei der Autor dieses Textes und, übereinstimmend mit dem Beschluß der Continuatio, mit German Schleifheim von Sulsfort identisch, der den Simplicissimus verfasst hat. Hinter diesen Autorpseudonymen könnte sich dann wieder Grimmelshausen verbergen. Schließlich sei noch der Glückwünschende Zuruff am Schluss von Dietwalt und Amelinde erwähnt, in dem Grimmelshausen explizit als Autor von Simplicissimus, Courasche, Springinsfeld und dem Ewig-währenden Calender genannt wird: SO recht / Herr von Grimmelshausen! so kan man unsterblich seyn / | So kan man ein Lob erjagen / und mit Ehren gehn herein. | […] | Der den Simplicem gemachet ist fürwar ein kluger Kopff | Obs im Obenhin-Betrachten gleich nicht merckt manch tummer Tropff. | […] | Es mag wer liest von dem Knan immerhin das Maul auffreissen / | Und ein lachend Angesicht seinen Cameraden weisen. | Es mag / wer betracht die Meuder / Minen machen voller Lust / | Er betracht auch nur darneben / daß er meid den Laster-Wust. | Aber wo geraht ich hin? Edler Herr von Grimmelshausen! | […] | Mit höchstgierigem Verlangen wart ich was Courage sagt / | Ob sie noch führt schlimmes Leben / und nach Frömmigkeit nichts fragt. | Wie sich Springinsfeld anläst / ob er seye frömmer worden / | Oder sich noch wie zuvor aufhalt in dem schlimmen Orden. | Seinen trefflichen Calender möcht ich sehen gerne bald / | Er entzieh ihn uns nicht länger / sondern treib an mit Gewalt | Daß er ehist werd gedruckt. […] (DA, B 260–262, T 100–103).

Die fiktive Verfasserschaft zeigt sich also als Vexierspiel, in dem Grimmelshausen mal selbst als Autor erscheint, mal sich hinter der Maske des Simplicissimus versteckt.24 Auch hier wird der interpretatorische Fleiß und Scharfsinn des Le�� 24 Im Sonett, das Dietwalt und Amelinde vorgeschaltet ist, wird Grimmelshausen als ein Proteus beschrieben, der sich hinter allerlei Masken verbirgt und sich doch immer gleich bleibt: „DEr Grimmleshauser mag sich wie auch bey den Alten | der alt Protheus thät / in mancherley Gestalten | verändern wie Er will / so wird Er doch erkandt | an seiner Feder hier / an seiner treuen Hand“ (DA, B 151, T 7). Bereits in der Continuatio wird Baldanders von Simplicissimus für Proteus gehalten: „[G]edachte ich der alte Protheus sey wider von den Todten

46 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext sers herausgefordert, die inneren Widersprüche verrätseln das Verhältnis von Grimmelshausen und Simplicissimus, die mal identisch, mal verwechselbar und mal als völlig gegensätzlich erscheinen, so dass eine Doppelbödigkeit entsteht, bei der man als Interpret niemals sicher sein kann, ob man den untersten Boden gefunden hat oder ob der Satyr mit einem spöttischen Lächeln auf die Unsicherheit dieses vermeintlich sicheren Bodens verweist. Ad c) Auch durch die Figuren entsteht Diskurskohärenz, denn eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen tritt in zwei oder mehr Texten auf oder wird zumindest erwähnt. Dies ist insbesondere bei Simplicissimus, der Zentralfigur des Autordiskurses, der Fall: Er ist Protagonist des Simplicissimus und der Continuatio, tritt als Person in Courasche, Springinsfeld, Vogelnest I, Rathstübel Plutonis und im Ewig-währenden Calender auf; letzterer sowie Galgen-Männlin wurden der Fiktion nach von ihm verfasst. Zudem ist er, wenn man obiger Interpretation folgt, fiktiver Autor der Verkehrten Welt, des Satyrischen Pilgram, des Keuschen Joseph, des Musai, des Beernhäuters und der Gauckeltasche sowie des Ratio Status und des Teutschen Michel. In Vogelnest II25 und Bart-Krieg wird er erwähnt. Somit ist Simplicissimus in Grimmelshausens Werk nahezu allgegenwärtig und hält die Einzeltexte unter anderem auch durch diese Präsenz zusammen. Doch nicht nur die Figur Simplicissimus sorgt für Diskurskohärenz, auch andere Figuren weisen eine gewisse Frequenz in ihren Auftritten im Gesamtwerk auf, wenn sie auch nicht so omnipräsent sind wie die Zentralfigur. Springinsfeld etwa ist die Hauptfigur im Springinsfeld und Nebenfigur in Simplicissimus, Courasche und Rathstübel Plutonis. Außerdem findet er Erwähnung in beiden Vogelnest-Romanen.26 Courasche ist Protagonistin der Courasche, sie tritt im Simplicissimus27 und in Rathstübel Plutonis auf und ist durch die Erzählungen des Springinsfeld und des Philarchus Grossus von Trommenheim auch im Springinsfeld präsent. �� aufferstanden / mich mit seiner Gauckeley zuäffen” (Cont, B 605, T 507). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Ulrich Gaier (1967, 329) die Satire als „Proteus“ bezeichnet und so indirekt die Selbstcharakterisierung Grimmelshausens als Satiriker bestätigt (vgl. unten, 3.3). 25 „Der Simplex und der Spring ins Feld / | Die Kerles haben beyd kein Gelt / | Und will ihn auch kein Wirth mehr borgen / | Drumb leben sie all beyd in Sorgen“ (WV II, B 538, T 218). 26 „DEr seltzame Springinsfeld erzehlet in seiner Lebens-Beschreibung / welcher Gestalt seine Leyrerin diß Vogel-Nest / davon ich jetzt zu reden vorgenommen / von einem Baum erhoben / dardurch unsichtbar worden / allerley possirliche Händel angestellt / und endlich umb Leib und Leben kommen“ (WV I, B 301, T 5) sowie Anm. 25. 27 Sie wird allerdings nicht namentlich genannt, ihre Identität erschließt sich erst aus ihrer eigenen Lebensbeschreibung, vgl. unten.

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Philarchus Grossus von Trommenheim berichtet im 4.–6. Kapitel des Springinsfeld, wie diese ihm ihren Lebenslauf diktiert hat. So stammt auch die Zugab des Autors am Ende der Courasche von ihm. Zudem schreibt er die Lebensgeschichte des Springinsfeld nieder. Der namenlose Hellebardier ist der Ich-Erzähler des Vogelnest I, von ihm ist auch in Springinsfeld28 und Vogelnest II29 die Rede. Ebenfalls namenlos ist der Kaufmann, der als Ich-Erzähler des Vogelnest II fungiert. Er wird bereits im Springinsfeld und in Vogelnest I erwähnt. Joseph ist Hauptfigur des Keuschen Joseph und Nebenfigur im Musai. Bei Musai ist es genau umgekehrt. Asaneth, Josephs Ehefrau, tritt in beiden Romanen als Nebenfigur auf. Joseph als biblische Figur und indirekt auch als Figur im Autordiskurs Grimmelshausens wird erwähnt im Satyrischen Pilgram30, Simplicissimus (III, 19) und Ratio Status31. Schließlich treten auch die Mitglieder der simplicianischen Familie in mehreren Texten auf, ohne dass sie jemals über den Status von Nebenfiguren hinauskämen. Der Knan und die Meuder treten gleichermaßen im Simplicissimus, im Springinsfeld, Rathstübel Plutonis und Ewigwährenden Calender auf. Der junge Simplicissimus, der Sohn der Zentralfigur, kommt im V. Buch des Simplicissimus zu Welt und tritt in Vogelnest I als junger Mann auf. Der Ewigwährende Calender sowie Galgen-Männlin sind Texte, die sein Vater für ihn verfasst hat. Eine solche Häufung von Figuren, die mehrfach in verschiedenen Texten ein und desselben Autors auftreten, spricht für absichtlich herbeigeführte Kohärenz. Insbesondere der simplicianische Zyklus weist eine hohe Dichte an immer wiederkehrenden Figuren auf. So kann man sagen, dass die Figuren als diskurskonnektive Elemente fungieren.

�� 28 „[P]otz? antwortet er / das beste und notabelste hätte ich schier vergessen / es ist bey ihrem Todt einer von den Hellebardirern / ein junger frischer Kerl / mit Leib und Seel Haut und Haar Kleidern und allem hinweg kommen / das bißher kein Mensch erfahren wohin er geflogen oder gestoben sey“ (Spr, B 292, T 130). 29 „Und demnach ich das wunderbarliche Vogel-Nest / ein so genanntes Tractätlein in offenem Truck zu meiner Heimkunfft gefunden und gelesen […]“ (WV II, B 650, T 313 f.). 30 „Daß aber die hochbelobte Keuschheit / deren in einem besondern discurs gedacht werden solle / allein durch die Weiber am meisten obseruirt wird / und sie derselben am meisten bey und zugethan seyn; Wissen die Historici als welche Josepho Jacobs Sohn nicht so viel nachfolgen: Als der Lucretiae Nachfolgerinnen werden finden können“ (SP, T 79). 31 „Oder aber / wann andere / so dessen ordentlichen Gewalt haben / einen zum Herren setzen / die Joseph vom Pharaone seinem Egypten ist vorgestellt worden“ (RS, T 8).

48 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Ad d) Eine grundlegende Eigenschaft von Diskursen ist die Multiperspektivität, die Vielstimmigkeit konträrer Meinungen. In den Diskursen findet die Aushandlung der verschiedenen Positionen statt, die im Konsens oder aber im Dissens enden kann. In demokratischen Gesellschaften gehört diese Form öffentlicher Diskussion zu den Grundsäulen des politischen Systems. In Grimmelshausens Werk lassen sich zwar keine demokratischen Züge feststellen, was die politische Sphäre anbelangt, doch in diesem Autordiskurs kommen praktisch alle gesellschaftlichen Stände und Positionen zu Wort, der Adel ebenso wie der Bauernstand, der Klerus, die Kaufleute, Handwerker, Gelehrten, Soldaten, ja auch die Personenkreise am Rande der Gesellschaft wie Bettler, Zigeuner und Juden. Beispielhaft vorgeführt ist diese Multiperspektivität in Rathstübel Plutonis, wo alle Stände gleichberechtigt diskutieren. Dieser Text ist ein Musterbeispiel für die Diskursivität von Grimmelshausens Werk im doppelten Sinne.32 Exemplarisch sollen im Folgenden die unterschiedlichen Perspektiven der Figuren anhand des Streits zwischen Simplicissimus und Courasche beschrieben werden, der im sechsten Kapitel des V. Buchs des Simplicissimus, im ersten und 24. Kapitel der Courasche und in den Anfangskapiteln des Springinsfeld ausgetragen wird. Simplicissimus erzählt im 6. Kapitel des V. Buchs von seiner Begegnung mit Courasche, die nicht mit Namen genannt wird: Es befand sich im Sauerbrunnen eine schöne Dame / die sich vor eine von Adel außgab / und meines Erachtens doch mehr mobilis als nobilis war / derselben Mannsfallen wartet ich trefflich auff den Dienst / weil sie zimlich glatthärig zu seyn schiene / erhielte auch in kurtzer Zeit nicht allein einen freyen Zutritt / sondern auch alle Vergnügung / die ich hätte wünschen und begehren mögen / aber ich hatte gleich ein Abscheuen ab ihrer Leichtfertigkeit / trachtet derhalben / wie ich ihrer wieder mit Manier loß werden könte / dann wie mich dünckte / so gieng sie mehr darauff umb / meinen Seckel zu scheren / als mich zur Ehe zu bekommen / zu dem übertrieb sie mich mit liebreitzenden feurigen Blicken und andern Bezeugungen ihrer brennenden Affection, wo ich gieng und stunde / daß ich mich beydes vor mich und sie schämen muste (ST, B 467 f., T 391 f.).

Diese Beschreibung der Courasche ist alles andere als schmeichelhaft: Sie wird als eher leichtfertig und von unsteter Gesinnung (mobilis) als adlig und tugendhaft (nobilis) geschildert. Zudem klingt in dem Wortspiel eine sexuelle Konnota-

�� 32 Das zeitgenössische Lehnwort Discurs bedeutet ›Gespräch‹, so werden etwa die Materiae 4–6 im Ewig-währenden Calender, in denen sich Simplicissimus durch Zonagrius und Johannes ab Indagines in der Astrologie unterweisen lässt, Discurse genannt. Im anglo-amerikanischen Sprachraum wird die linguistische Gesprächsanalyse als Discourse Analysis bezeichnet.

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tion mit. Ihre Schönheit (glatthärig) nimmt er als Mannsfalle wahr. Aufgrund dieser Schönheit scheint er ihr für einige Zeit zu verfallen, doch das Abscheuen vor ihrer Leichtfertigkeit und der Umstand, dass sie ihr Liebeswerben offensichtlich übertreibt, was er als Ausdruck ihrer brennenden Affection deutet, lässt sein Interesse an ihr schnell erkalten. Zudem glaubt er, sie habe bloß ein sexuelles Interesse an ihm, ihre Lüste zu befriedigen und ihm sein Geld zu stehlen (meinen Seckel zu scheren), aber keine Heiratsabsichten. Simplicissimus heiratet bald danach eine andere Frau, diese Ehe stellt sich als unglücklich heraus. Als die Frau ein Kind bekommt, gebiert gleichzeitig auch die Magd ein Kind. Das Kind der Ehefrau sieht dem Knecht ähnlich, während das Kind der Magd ihm selbst nahekommt, so dass ein doppelter Ehebruch zu vermuten ist. Zugleich aber legt ihm Courasche noch ein drittes Kind vor die Tür, „also daß ich auff einmal drey Kinder zusammen brachte / und war mir nit anders zu Sinn / als es würde auß jedem Winckel noch eins herfür kriechen / welches mir nit wenig graue Haar machte“ (ST, B 481, T 403). Dieser Vorfall hat Folgen: Erstens bekommt er großen Ärger mit seiner Ehefrau, zweitens wird er durch die Obrigkeit mit einer Geldstrafe belegt. Weil er die Magd besticht, muss er die Vaterschaft für deren Kind nicht übernehmen, das Kind seiner Ehefrau stirbt kurz darauf durch deren Schuld, worauf sie sich zu Tode säuft. Das Kind aber, das Courasche ihm vor die Tür gelegt hatte, nimmt er als seinen Sohn an und nennt es nach sich selbst Simplicius. Diese Schilderung der Ereignisse durch Simplicissimus nimmt Courasche zum Anlass, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Im ersten Kapitel ihrer Lebensbeschreibung stellt sie sich als völlig verworfene und gottlose Person dar. Die Frage des Lesers antizipierend, warum sie sich selbst so bloßstelle und ihre Lebensgeschichte aufschreibe, obwohl sie nichts bereue, antwortet sie: „Das thue ich dem Simplicissimo zu Trutz!“ (Cour, B 22, T 16). Dieser habe sie in Sauerbrunnen beleidigt, geschwängert und in seiner Lebensbeschreibung auch noch der Lächerlichkeit preisgegeben. Dafür wolle sie sich rächen. Weil sie aber keine andere Möglichkeit zur Rache habe, wolle sie wenigstens zeigen, „mit was vor einem erbarn Zobelgen er zu schaffen gehabt“ (ebd.). So wolle sie Simplicissimus als Sünder entlarven, da sich gleich und gleich gern zueinander gesellen würden. Die Logik, die hinter ihrer Lebensbeschreibung steckt, ist damit folgende: „Simplicius verspottet mich, weil mein sündhafter Charakter verabscheuenswert ist, aber in der Tat bin ich nicht nur verachtenswert, sondern durch meine widergöttliche Bösartigkeit so sündhaft, dass der Verkehr mit mir unehrlich macht“ (Solbach 2002, 149). Diese Argumentation wird in der Forschungsliteratur als „unstimmig“ (ebd.) und „überaus lächerlich“ (Hillenbrand 1998, 188) bezeichnet. Aus ihrer Darstellung der Sauerbrunnen-Episode im 24. Kapitel lässt

50 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext sich jedoch herauslesen, dass dahinter mehr steckt als nur verletzter Stolz und gekränkte Eitelkeit, die sich in einem absurden Racheplan äußern: Jch war kaum acht Tag in Saurbrunnen gewesen / als Herr Simplicius Kundschafft zu mir machte; dann gleich und gleich gesellt sich gern / sprach der Teuffel zum Kohler; Jch trug mich gantz adelich / und weil Simplicius so toll aufzoge und viel Diener hatte / hielte ich ihnen auch vor einen dapffern Edelmann / und gedachte / ob ich ihm vielleicht das Seil über die Hörner werffen und ihn (wie ich schon zum öfftern mehr practicirt) zu meinem Ehe-Mann kriegen konte; Er kam meinem Wunsch nach mit völligem Wind in den gefährlichen Port meiner sattsamen Begierden angeseegelt / und ich tractirte ihn / wie etwann die Circe den irrenden Ulissem; und alsobald fasste ich eine gewisse Zuversicht / ich hätte ihn schon gewiß an der Schnur / aber der lose Vogel risse solche entzwey / vermittelst eines Funds / dardurch er mir seine grosse Undanckbarkeit zu meinen Spott und einen eigenen Schaden bezeugte; Sintemal er durch einen blinden Pistolen-Schuß und einer Wasser-Spritze voll Blut / das er mir durch ein Secret beybrachte / mich glauben machte / ich wäre verwundet / wessentwegen mich nicht nur der Balbierer / der mich verbinden solte / sondern auch fast alles Volck in Saurbrunnen hinten und fornen beschauete / die nachgehends alle mit Fingern auf mich zeigten / ein Lied darvon sangen / und mich dergestalt aushöneten / daß ich den Spott nicht mehr vertragen und erleiden konnte / sondern ich die Chur gar vollendet / den Saur-Brunnen mit samt dem Bad quittirte (Cour, B 131 f., T 128 f.).

Nach ihrer Darstellung ist das Interesse beiderseits sehr groß. Sie verhält sich wie eine Adlige, weil sie ihn selbst für einen Adligen hält, und weil sie nach einem Ehemann sucht und er eine gute Partie zu sein scheint, beginnt sie, ihn mit ihren erotischen Reizen anzulocken. Dies missversteht er offenbar als Angriff auf seinen (Geld-)Säckel, weshalb er auf ziemlich grobe Weise die Beziehung beendet, indem er sie mit Blut bespritzt und öffentlich bloßstellt. Davon findet sich in seiner eigenen Beschreibung des Ereignisses nichts. Nach eigener Aussage hatte er nur nach Möglichkeiten gesucht, sie mit Manier loszuwerden. Nach ihrer Darstellung aber macht er sie zum Gespött in ganz Sauerbrunnen, so dass sie sich gezwungen sieht, überstürzt abzureisen. Sie berichtet dann noch, wie sie als ersten Teil ihrer Rache das Kind ihrer Magd für ihr eigenes ausgibt und es Simplicissimus als seinen vermeintlichen Sohn, den er mit ihr gezeugt habe, unterjubelt. Zudem habe sie mit Belustigung seine Schwierigkeiten mit seiner Frau und den Behörden beobachtet. Im 5. Kapitel des Springinsfeld erklärt Simplicissimus schließlich, dass er ohnehin mehr bei der Magd als bei Courasche gelegen habe und somit nun sicher sein könne, dass sein Sohn das Kind einer Magd und nicht einer „losen Zigeunerin“ (Spr, B 183, T 29) sei. In der Forschung wird Simplicissmius aufgrund dieser Episode zwiespältig beurteilt. Hildegard Eilert konstatiert, dass Simplicissimus „in Sachen Sexualmoral je nach Geschlechtszugehörigkeit“ bewerte (Eilert 2002, 169) und sein

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Verhalten gegenüber Courasche als „unangemessen [und] geradezu böswillig beurteilt werden“ müsse (ebd., 169 f.). Simplicissimus werfe ihr vor, leichtfertig zu sein und ein zügelloses Sexualleben zu führen, betrüge sie zugleich aber mit ihrer Magd. Auch Dieter Breuer bewertet sein Verhalten kritisch. Er stellt fest, dass er sich „auf niederträchtige Weise von ihr trennt“ und sie danach in seiner Lebensbeschreibung „lächerlich macht“ (Breuer 2002, 234). Um seine in seiner Lebensbeschreibung gezeigte Gottergebenheit als „Heuchelei“ (ebd., 235) zu entlarven, stelle sie sich als besonders lasterhaft dar und benutze vor allem im ersten Kapitel ihrer eigenen Lebensbeschreibung religiöses Vokabular, um ihn bloßzustellen. Es zeigt sich also, dass ein und derselbe Sachverhalt in den beiden Texten sehr unterschiedlich dargestellt und von der Forschung ebenso unterschiedlich beurteilt wird. Da sich in Grimmelshausens Werk keine dritte Meinung zu diesen Vorfällen findet, sind sämtliche Interpretationen der Episode auf die Schilderungen von Simplicissimus und Courasche angewiesen. Hier wird kein Versuch unternommen, das ,tatsächliche‘ Geschehen in Sauerbrunnen zu rekonstruieren und zu untersuchen, ob Simplicissimus vielleicht verharmlost oder Courasche übertrieben hat. Ein solcher Versuch wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt, weil es keine ,objektive‘ Beschreibung des Vorfalls gibt. Vielmehr wird er perspektivisch aus den unterschiedlichen Positionen der beiden Gegenparteien geschildert. Simplicissimus ist die Geschichte offenbar peinlich, er muss sie aber erzählen, um die Herkunft seines Sohnes zu erklären. Courasche dagegen hatte offenbar die ernsthafte Absicht, Simplicissimus zu heiraten und fühlte sich von ihm im Stich gelassen und gedemütigt. Der Streit wird mittels der Lebensbeschreibungen ausgetragen, somit durch Texte, die intertextuell miteinander verbunden sind. Da insgesamt drei Texte für diesen Streit einschlägig sind, kann man bereits von einem kleinen Diskurs sprechen. Die Auseinandersetzung erfolgt diskursiv und endet damit, dass Simplicissimus das letzte Wort behält, weil Courasche im Gegensatz zu ihm offenbar keine Möglichkeit hat, am Diskurs weiter zu partizipieren. Der Streit hat in der letzten Begegnung von Simplicissimus und Courasche in Rathstübel Plutonis noch ein kleines Nachspiel: Die Gesprächsrunde wird durch Zigeuner gestört, doch als sich herausstellt, dass die Anführerin der Zigeuner Courasche ist, lädt Secundatus sie in die Gesprächsrunde ein, mit der Absicht, durch die absehbare Fortsetzung des Streits unterhalten zu werden und ihn schließlich zu schlichten. Simplicissimus weicht jedoch aus, indem er auch Springinsfeld in die Gesprächsrunde einführt, so dass der Streit auf den

52 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Konflikt zwischen diesem und Courasche verlagert wird. Ohne dass es zu einer Lösung käme, wird er endlich von Secundatus beendet.33 Dieser Streit zwischen Simplicissimus und Courasche ist nur ein Beispiel für die unzähligen Meinungen, Positionen und Perspektiven, die in Grimmelshausens Schriften gegenübergestellt, miteinander kombiniert und gegeneinander ausgespielt werden. Ein und derselbe Sachverhalt wird aus unterschiedlichsten Perspektiven geschildert, bewertet und kommentiert. Zu dieser Multiperspektivität tragen die verschiedenen Autoranagramme, das Verwirrspiel der fiktiven Verfasserschaften und das Auftreten einzelner Figuren in verschiedenen Texten bei. Die Perspektivität ist daher ein wichtiger Baustein des Autordiskurses. Ad e) Zum Autordiskurs gehört auch ein dichtes Netz von zahllosen Motiven, Metaphern und Gedankenfiguren. Exemplarisch sollen im Folgenden drei dieser Motive zur Illustration angeführt werden. In den Vorreden des Satyrischen Pilgram muss sich der Autor gegen den Angriff des Momus zur Wehr setzen. Auch Zoilus wird genannt. Die beiden antiken Kritiker und Krittler stehen stellvertretend für die gelehrten Autoren, die Grimmelshausens Texte ablehnen, weil ihr Autor nicht über die Grundvoraussetzung des Dichtens, die akademische Bildung, verfügt, sondern nur ein „rotziger Musquedirer“ ist (SP, T 6). Im Keuschen Joseph richtet sich die Titelfigur direkt an Momus und Zoilus und macht ihnen die Widersprüchlichkeit ihrer Angriffe deutlich: Jhr artliche Gespanen / wann weder Krafft noch Safft an mir ist / so werdet ihr wenig an einem solchen dörren Bein zu nagen finden; Ein Hund thut ja fast närrisch / wann er ligt / und mit Unruhe und auffgesperrtem Rachen nach magern Mucken schnappet / seinen heißhungerigen Appetit zustillen / wann er Gelegenheit hat / ein rechtschaffenes Wild zu seiner Ersättigung zufangen (KJ, B 15, T 7).

Grimmelshausen kehrt damit das Argument der Kritiker praktisch um: Wenn die Kritiker überhaupt die Mühe auf sich nehmen, seine Schriften zu kritisieren, so müssen diese schon mehr Qualität haben, als die Kritiker behaupten, denn sonst hätten sie sie ignorieren können. Grimmelshausen scheint damit jenem Gesetz zu folgen, das auch heute als Topos immer wieder herangezogen wird: Schlechte Publicity ist besser als gar keine Publicity. Zudem lässt er auf diese Weise den Vorwurf mangelnder gelehrter Bildung souverän von sich abperlen.

�� 33 Vgl. dazu ausführlicher Bauer 2009, der ausdrücklich das Fehlen einer „auktorialen Instanz“ (ebd., 119) konstatiert.

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Im kurtzen Zuruff an den Grimmelshäuser in Proximus und Lympida wird dadazu aufgerufen, Momus und Zoilus einfach zu ignorieren. Zu Beginn der Literaturkritik in Vogelnest I nennt Simplicissimus Zesen aufgrund von dessen Kritik am Keuschen Joseph „seinen Zoilum“ (WV I, B 403, T 100). Momus und Zoilus dienen Grimmelshausen damit als Personifikation der zu erwartenden anonymen Kritik an seinen Werken, der er sich selbstbewusst stellt. Als die Kritik dann in Person Philipp von Zesens konkret wird, kann er die Personifikation von der Anonymität auf eine bestimmte, nicht namentlich genannte, den kundigen Lesern aber bekannte Person übertragen. Ein weiteres Motiv in Grimmelshausens Autordiskurs ist das der Prophezeiung und des Wahrsagens. Immer wieder begegnen dem Leser Situationen, in denen Figuren Warnungen oder Prophezeiungen erhalten, die rätselhaft erscheinen, sich aber in der Auflösung als logisch herausstellen und in Erfüllung gehen. So antwortet etwa eine Wahrsagerin in Soest auf die Frage des Simplicissimus, ob er seine Eltern wiedersehen würde, folgendes: „Darauff sagte sie / ich solte alsdann nach meinen Eltern fragen / wann mir mein Pflegvatter unversehens begegne / und führe meiner Säug-Ammen Tochter am Strick daher“ (ST, B 314, T 261). Simplicissimus nimmt diese Prophezeiung nicht ernst, doch im 8. Kapitel des V. Buchs begegnet ihm der Knan wieder, der eine Geiß an einem Strick mit sich führt. Von ihm erfährt er die Identität seiner Eltern und auch, dass er mit Geißenmilch gesäugt wurde (vgl. ST, B 479, T 401). Derartige Weissagungen, die in Erfüllung gehen, sind nicht nur im Simplicissimus ein wichtiges Kompositionselement, sondern auch in anderen Texten, vor allem im Keuschen Joseph und in Proximus und Lympida. Sie dienen vor allem der Bestätigung der göttlichen Vorsehung und als Beweis ihrer übernatürlichen Wahrheit. Gleichwohl werden die Praktiken der Weissagung, etwa Chiromantie, Physiognomie, Astrologie oder Traumdeutung, im Sinne der oben beschriebenen Multiperspektivität auch in Frage gestellt. So sagt etwa der alte Hertzbruder im II. Buch des Simplicissimus für den 26. Juli seinen eigenen Tod voraus. Als dieser Tag gekommen ist, zieht er sich im Heerlager vor Magdeburg in sein Zelt zurück. Da verschafft sich ein Leutnant, der unbedingt eine Weissagung von Hertzbruder erhalten will, gewaltsam Zutritt zu seinem Zelt und fordert die Weissagung. Da antwortet ihm Hertzbruder: „Nun wolan / so sehe sich der Herr dann wol vor / damit er nicht in dieser Stund noch auffgehenckt werde“ (ST, B 203, T 166). Der Leutnant ist über diese Antwort so erzürnt, dass er Hertzbruder tötet und kurz darauf selbst als Mörder gehängt wird. Es drängt sich die Frage auf, ob Hertzbruder dem Leutnant nicht bewusst provokant geantwortet und so die Erfüllung der Prophezeiung selbst konsequent herbeigeführt hat. Würde diese Frage mit ,ja‘ beantwortet, so ergäben sich aus dieser Episode Zweifel an der

54 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext sonst eindeutig positiven Bewertung der Wahrsagekunst des alten Hertzbruders, dessen Prophezeiungen sich allesamt erfüllen. Diese Zweifel werden durch die ironische Überschrift, unter der das Kapitel steht, noch verstärkt: „Zwo Wahrsagungen werden auff einmal erfüllt“ (ST, B 201, T 94). Von anderer Seite wird das Thema in der 6. Materia des Ewig-währenden Calenders beleuchtet, als Simplicissimus Zonagrius bittet, noch etwas zur Chiromantie und Physiognomie zu sagen. Zonagrius hält diese Künste für „Narrenwerck“ (EC, 6. Materia, 77) und macht aus seiner Ablehnung keinen Hehl: [W]iewohl nicht viel besonders […] oder rühmlichs daran ist / als darinnen man nichts anders hat als gar geringe ja nichtige Mutmassungen unnd Conjecturas, welche nicht werth seyn das weder du noch andere ehrliche Ingenia sich darmit schleppen; Ja das liederliche und verächtliche Gesindel der Zügeiner / die von Chus dem Sohn Cham herkommen / und zwischen Egypten und AEthiopia wohnen / oder wie Volateranus vermeinet auß Persia seyn sollen / schämet sich allbereit dieser herrlichen Kunst / damit sie doch hiebevor sich neben dem stehlen ernehrten; Wann sie nemblich den Narren die jhnen nachlieffen / gute Warheit darauß sagten (ebd., 79).

Drittens soll noch das Motiv der Kröte kurz angesprochen werden (vgl. auch 223 f.). Bereits im Simplicissimus wird an mehreren Stellen die Kröte als giftiges Tier, das dem Teufel und den Hexen zugeordnet wird, eingeführt (vgl. ST, B 141, T 113). Die bezeichnendste Stelle aber ist der Hexentanz auf dem Blocksberg, wo eine Kröte zu einem Musikinstrument zweckentfremdet wird: Jn diesem Lermen kam ein Kerl auff mich dar / der hatte ein ungeheure Krott unterm Arm / gern so groß als eine Heerpaucke / deren waren die Därm auß dem Hindern gezogen / und wieder zum Maul hinein geschoppt / welches so garstig außsahe / daß mich darob kotzerte (ST, B 178, T 144).

Im Galgen-Männlin wird die Kröte zu einem Hexenattribut. In Vogelnest I aber steht sie für den sündenbeladenen Menschen, der von der für das Verhängnis stehenden Schlange verschlungen wird. Ihr Anblick motiviert den Erzähler zur Kontemplation und zu einer allegorischen Deutung des Beobachteten: Gleich darauff sahe ich eine grosse häßliche Krott dorther waltzen / welche ich weis nicht / vor übriger Feustigkeit oder vor übrigen Gifft oder umb willen sie den Wanst voller Laich hatte / kümerlich kriechen vielweniger einer ihro nacheilenden Schlange entrinnen konte / die sie grad vor mir erdappte und verschluckte! diese beyde abscheuliche Würme erinnerten mich billich / daß ich meinem Allergütigsten GOtt unauffhörlich zudancken schuldig wäre / umb willen er mich zu keinem solchem Scheusall / sondern zu einer vernünfftigen Creatur / die der ewigen Seeligkeit mit den heiligen Engel fähig wäre erschaffen hatte (WV I, B 434, T 129).

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Diese drei Beispiele mögen als Belege dienen für das dichte Motivgeflecht, das Grimmelshausens Gesamtwerk durchzieht. Dieses Geflecht wirkt diskurskonnektiv, weil sich die Motive stets aufeinander beziehen lassen, einander bestätigen oder auch in Frage stellen. Wie am Beispiel der Prophezeiungen deutlich wurde, tragen sie auch zur Multiperspektivität bei und fügen sich auf diese Weise nahtlos in die Reihe der diskurskonnektiven Mittel ein. Ad f) Unter ,diskurstranszendenter Intertextualität‘ ist eine solche Intertextualität zu verstehen, die über den Autordiskurs hinausverweist. Grimmelshausens Arbeitsweise schließt die kunstvolle Montage heterogener Textbausteine aus anderen Quellen ein. Texte wie Garzonis Piazza Universale oder das Theatrum Eurpaeum waren reichhaltige Quellen. Grimmelshausen ist jedoch kein einfacher Plagiator, sondern er gibt den fremden Textbausteinen durch das Einfügen in einen anderen Kontext neue semantische Beziehungen und schafft so neue Verknüpfungen. Auf diese Weise wird aus dem Simplicissimus ein rätselhafter Bilderbogen, der durch die dissonante Welt des 17. Jahrhunderts führte, ein Narren- und Satyrspiel, das sich zwischen abgründiger Chaotik und Heilsgeschichte bewegte, und schließlich das Produkt einer Erzählkunst, die man angesichts ihrer wuchernden alchimistisch-astrologischen, mythologischen, biblischen, emblematischen und allegorischen ,Intertexte‘ mit einem Begriff Michail Bachtins als ,polyphon‘ bezeichnen könnte (Schmitt 1993, 69).

Durch dieses Verfahren kann Grimmelshausen intertextuelle Bezüge zu den verschiedenen Diskursen seiner Zeit herstellen und so selbst Teil dieser Diskurse werden. Wie unten (3.4.1) deutlich wird, bestehen Texte letztlich aus unzähligen Versatzstücken, die von den Autoren immer wieder neu kombiniert werden. Diskurse lassen sich auch deshalb als Diskurse beschreiben, weil sich diese Versatzstücke in Lexemen, Kollokationen und Phraseologismen, in Topoi, Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren verfestigen. Texte konstituieren sich durch einen intertextuellen Prozess, der die Sinnmuster der anderen Texte absorbiert und verarbeitet, durch eine Bündelung heterogener Textzeichen, Polyvalenzstrategien, Montage- und Textspielverfahren, um ihrerseits das Machen von ,Texten‘ aus ,Fertigteilen‘ der Literatur zu thematisieren (ebd., 70 f.).

Grimmelshausens literarisches Verfahren zeigt, dass der spielerische Umgang mit Zitaten, Anspielungen und intertextuellen Verweisen keine Erfindung der Postmoderne ist. Auf diese Weise verschafft er sich Zugang zu den seine Zeit beherrschenden Diskursen, in denen er auch Position beziehen kann. Das Konzept der diskurstranszendenten Intertextualität soll hier anhand eines einfachen Beispiels vorgeführt werden.

56 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Zu den wichtigen Strängen des politischen Diskurses des 17. Jahrhunderts gehört die Auseinandersetzung mit Niccolò Machiavelli (1469–1527), insbesondere mit dessen Werk Il Principe (gedruckt 1532; vgl. dazu Deupmann 1999, 118–123, Niefanger 2006, 41–43 und Meid 2009, 60–62). Dieser hatte die Anbindung der Politik an die Grundsätze der Moral radikal in Frage gestellt. „Entscheidende Kriterien für das politische Handeln sind vielmehr die an den Realitäten orientierte Notwendigkeit und die Erfahrung, die der Politiker aus seinem Handeln wie aus dem Studium der Kausalitäten der Geschichte gewinnt“ (Meid 2009, 60). Für Machiavelli sind die Menschen prinzipiell an ihrem eigenen Vorteil interessiert, weshalb sie untreu und unmoralisch handeln. Der Fürst kann daher seine Machtstellung nur behaupten, wenn er sich gegen potentielle Konkurrenten zur Wehr zu setzen weiß. Oberstes Prinzip ist für ihn der Erfolg, der sich an der Festigkeit des Herrscherstatus und der Ordnung des Staates, die eine stabile Ordnungsgewalt voraussetzt, misst. „Machiavelli denkt also keineswegs so ruchlos wie viele es seit dem 16. Jahrhundert meinen“ (Niefanger 2006, 42). Dennoch wies die christlich orientierte Staatstheorie der Frühen Neuzeit den Egoismus machiavellistischer Prägung scharf zurück. Machiavellis politische Theorie wurde als Gegenmodell zur christlichen Ethik und Moral konzeptionalisiert, er selbst konsequenterweise zum Atheisten erklärt. Ein Auszug aus einem Gedicht von Laurentius von Schnüffis (1633–1702) mag als Beispiel genügen: Dir wird Machiavell, [Fußnote: Ein Atheist] | Die aller Boßheits-Quell / | Die Quahlen der Höllen | Nicht können abstellen / | Sein Freyheit-erdichten / | Und Tugend-vernichten | Man in der andern Welt | Für gar ungültig hält (zitiert nach Meid 2009, 261).

Grimmelshausen beteiligt sich an diesem Diskurs, indem er an mehreren Stellen seines Werks auf Machiavelli Bezug nimmt. Zwar zitiert er nicht direkt aus dem Principe, doch er bedient sich anderer Quellen, um sich über die zeitgenössische Staatstheorie zu informieren und sie literarisch zu verarbeiten. So greift er etwa für den Zweyköpffigen Ratio Status unter anderem auf den ersten Diskurs Von den Herrschafften / Regenten vnd Tyrannen in Garzonis Piazza Universale, Georg Hornius’ Orbis Politicus (1669) und Schriften von Aegidius Albertinus (Lucifers Königreich und Seelengejaidt und Der Welt Thurnierplatz) zurück (vgl. Breuer 1999, 228). Im Ratio Status stellt er die Staatsraison des „gottlosen Machiauelli“ (RS, T 9) der christlichen Ethik gegenüber und lässt keine Zweifel, welcher Position seine Sympathie gehört. Ähnlich hart geht er mit Machiavelli auch im fünften Satz vom Stand grosser Herren im zweiten Teil des Satyrischen Pilgram um: [D]eswegen dan nicht allein der Haidnische Kayser Julius Caesar sich vernemmen lassen / Treu und Glaub sey um Erlangung des höchsten Gewalts zu brechen / und der Gottlose Machiavellus, der doch ein Christ hat sein wollen / darvor gehalten / es seye auch die

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ewige Seeligkeit umb einer Königlichen Cron willen dahinden zu lassen und in den Wind zu schlagen (SP, T 117).

Wurden im Satyrischen Pilgram und im Ratio Status die politischen Positionen noch argumentativ und theoretisch abgehandelt, so erfolgt ihre Erörterung in den Romanen narrativ. In Dietwalt und Amelinde werden an der christlichen Ethik orientierte Politik und machiavellistische Machtpolitik gegenübergestellt, wobei letztere als intrigant, hinterhältig und grausam dargestellt wird. Beide Konzepte werden aber nicht explizit genannt oder erklärt, sondern sie ergeben sich aus dem Handeln der Personen. Anders verhält es sich in der Olivier-Episode im IV. Buch des Simplicissimus. Olivier rechtfertigt seine amoralischen Handlungen wie Raub, Mord und Betrug durch Berufung auf Machiavelli: [M]ein dapfferer Simplici, ich versichere dich / daß die Rauberey das aller-Adelichste Exercitium ist / das man dieser Zeit auff der Welt haben kan! Sag mir / wie viel Königreich und Fürstenthümer sind nicht mit Gewalt erraubt und zu wegen gebracht worden? Oder wo wirds einem König oder Fürsten auff dem gantzen Erdboden vor übel auffgenommen / wenn er seiner Länder Intraden geneust / die doch gemeinlich durch ihrer Vorfahren verübten Gewalt zu wegen gebracht worden? Was könte doch Adelicher genennet werden / als eben das Handwerck / dessen ich mich jetzt bediene? […] Mein lieber Simplici, du hast den Machiavellum noch nicht gelesen; […] weil ich denn mein Leben in Gefahr setze / so folgt unwidersprechlich / daß mirs billich und erlaubt sey / diese Kunst zu üben (ST, B 406, T 338).

Als Simplicius widerspricht, weitet Olivier unter erneuter Erwähnung Machiavellis seine Rechtfertigungen auf Herrschaftsphantasien aus, die ihn als potentiellen Tyrannen erscheinen lassen: Es ist / wie ich vor gesagt / […] du bist noch Simplicius, der den Machiavellum noch nit studirt hat / könte ich aber auff solche Art eine Monarchiam auffrichten / so wolte ich sehen / wer mir alsdenn viel darwider predigte (ST, B 407, T 339).

Es zeigt sich, dass transdiskursive Intertextualität für innerdiskursive Kohärenz sorgen kann, denn die vier zitierten Texte Satyrischer Pilgram, Ratio Status, Dietwalt und Amelinde und Simplicissimus lassen sich durch den gemeinsamen Bezug auf den politischen Diskurs im Allgemeinen und die Auseinandersetzung mit Machiavelli im Besonderen aufeinander beziehen. Diese Konnexion trägt ebenfalls zur Konstitution des Autordiskurses bei. Dieser zeigt sich als „zum Netzwerk verknüpftes Agglomerat von Büchern, die durch eine bestimmte oder unbestimmte Anzahl von Verweisen auf jeweils andere Bücher miteinander verflochten sind“ (Schmitt 1993, 73). So gesehen sind Grimmelshausens Texte „aus Literatur gemachte[] Literatur“ (ebd.).

58 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext In diese Kategorie gehören auch die oben (2.2) beschriebenen Auseinandersetzungen Grimmelshausens mit Christian Weise und Philipp von Zesen. Ad g) Diskursimmanente Intertextualität dagegen beschränkt sich auf den Autordiskurs. Dieses diskurskonnektive Mittel hat insofern einen etwas anderen Charakter, als es alle bisher beschriebenen diskurskonnektiven Mittel von a–f in sich umfasst. Sie ist somit einerseits den anderen übergeordnet, ihnen andererseits aber auch nebengeordnet, da es Intertextualität gibt, die sich nicht ohne Weiteres unter eine der anderen sechs Kategorien fassen lässt. Diese Intertextualität besteht vor allem in impliziten und expliziten Querverweisen in Grimmelshausens Gesamtwerk, die im Folgenden erläutert werden sollen. Am auffälligsten sind die expliziten Verweise. Diese liegen vor, wenn ausdrücklich auf einen anderen Text Grimmelshausens verwiesen wird. Dies ist etwa der Fall, als am Beginn von Vogelnest I auf das letzte Kapitel des Springinsfeld verwiesen wird, wo über die Tötung der Leyrerin und das Verschwinden des Hellebardiers berichtet wird. Später verweist der Vogelnestträger ausdrücklich auf den Simplicissimus: „Gibt mich dannoch nicht Wunder / daß der alte Simplicissimus in alle Kupfferstück so sich in seiner Lebens-Beschreibung befinden / gesetzt hat: Der Wahn betreugt!“ (WV I, B 373, T 72). Mit der Literaturkritik des Simplicissimus an Zesens Assenat im Vergleich mit dem Keuschen Joseph wird auch auf dieses Werk Grimmelshausens sowie auf Kap. 19 des III. Buchs des Simplicissimus verwiesen. Am Schluss von Vogelnest II ist der erste Teil der Vogelnest-Romane gerade erschienen (vgl. WV II, B 650, T 313 f.). Im Springinsfeld übt Simplicissimus Selbstkritik an seiner eigenen Lebensbeschreibung: JCh sagte zum Simplicio, es wäre schad / daß er dise Histori nicht auch in seine LebensBeschreibung eingebracht hette; er aber antwortet mir / wann er alle seine so beschaffne Begegnussen hinein bringen hetten sollen / so wäre sein Buch grösser worden / als des stumpffen Schweitzer Cronick34; über das reue ihn daß er so viel lächerlich Ding hinein gesetzt; weil er sehe / daß es mehr gebraucht werde / an statt des Eylnspiegels die Zeit dardurch zuverderben / als etwas guts daraus zulernen (Spr, B 175 f., T 21 f.).

In Rathstübel Plutonis berichtet Jungfrau Spes, sie habe die Geschichte von Proximus und Lympida gelesen und gibt eine kurze Inhaltsangabe. Daraufhin erzählt Simplicissimus, er habe gerade selbst diese Geschichte „zu meiner Zeitvertreibung“ (RP, B 702, T 51) zum Roman ausgedehnt, den er zu veröffentlichen gedenke. Danach referiert er die Julus-Avarus-Episode in der Continuatio. Im glei�� 34 Damit ist die Schrift Gemeiner loblicher Eydgenossenschaft Stetten / Land und Völckeren Chronik wirdiger thaaten beschreybung (Zürich 1548) von Johann Stumpf (1500–1578) gemeint, ein weiteres Beispiel für diskurstranszendente Intertextualität.

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chen Text zitiert Courasche aus dem Satyrischen Pilgram, wobei sie Simplicissimus als dessen Autor nennt: „[M]ein alter Buhler gegenwertiger Simplicissimus erzehlet selbst im andern Theil seines Satyrischen Pilgers / im dritten Gegensatz von der Liebe ein gantzen Hauffen Huren […]“ (RP, B 715, T 63).35 Zudem kennen alle Anwesenden außer dem Juden Aaron den Simplicissimus, die Courasche und den Springinsfeld. Zu Beginn der Gauckeltasche wird explizit auf den Simplicissimus verwiesen und die Vorrede des Keuschen Joseph kündigt die Fortsetzung der Geschichte im Musai an. Im Satyrischen Pilgram wird gleich an zwei Stellen der in Vorbereitung befindliche Simplicissimus angekündigt: [W]ie ich dan hiervon auch von andern Sachen mehr / so hieher gehörten / in meinem Simplicissimo Anregung gethan / als ich dem Gubernator zu Hanau wahrsagte (SP, T 121 f.). [G]estehe gern / daß ich den hundersten Theil nicht erzehlet / was Krieg vor ein erschreckliches und grausames Monstrum seye / dann solches erfordert mehr als ein gantz Buch Papier / so aber in diesem kurtzen Wercklein nich wohl einzubringen wäre / Mein Simplicissimus wird dem günstigen Leser mit einer andern und zwar lustigern Manier viel Particularitäten von ihm erzehlen (SP, T 160).

In der 3. Materia des Ewig-währenden Calenders erzählt der Herausgeber der Meuder, dass er die Lebensbeschreibung ihres Sohnes, den Simplicissimus also, gelesen habe und erfährt von ihr, dass dieser gerade auf Reisen sei, was als Hinweis auf die Continuatio verstanden werden kann. Im dem Roman Dietwalt und Amelinde vorgeschalteten Sonett wird explizit auf Simplicissimus und Courasche verwiesen, das Galgen-Männlin setzt den Vorschlag aus dem zwölften Kapitel des Teutschen Michel, alle unbetonten zu synkopieren, in die Tat um (vgl. unten, 5.7). In diese Kategorie gehören auch die Anspielungen auf den Satyrischen Pilgram und den Keuschen Joseph im 1. Kapitel des II. und im 13. und 19. Kapitel des III. Buchs des Simplicissimus, nach denen der Titelheld der Autor dieser Texte ist. Mehr Interpretation erfordern die impliziten Verweise, auch wenn einige von ihnen offensichtlicher sind als andere. Zu den offensichtlichen Verweisen gehört etwa Springinsfelds Reaktion auf die Nennung der Courasche durch Philarchus Grossus von Trommenheim: „Er antwortet ach die Blut Hex! schlag sie der Donner; lebt das Teuffelsvihe noch? es ist kein leichtfertigere Bestia seit Erschaffung der Welt von der lieben Sonnen niemahl beschienen worden!“ (Spr, B 177 f., T 24). Wer die Courasche kennt, kann diese Reaktion nachvollziehen. Philarchus verrät Simplicissimus außerdem, dass er selbst von ihr berichtet �� 35 Auch hier wird damit der Satyrische Pilgram als literarisches Produkt des Simplicissimus dargestellt.

60 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext habe: „[M]ein hochgeehrter Herr wird sich bald müd gehört haben / dann dies ist eben die jenige deren er im sechsten Capitul des fünfften Buchs seiner Lebens-Beschreibung selbst gedacht hat“ (ebd.). Das siebte Kapitel des Springinsfeld, wo Simplicissimus als Gaukler die Gaukeltasche vorführt, weist auf die Gauckeltasche voraus, diese wiederum spielt implizit auf das siebte Kapitel des Springinsfeld an. Am Ende des Springinsfeld werden die Protagonisten der beiden Vogelnest-Romane eingeführt: [D]erowegen gieng ich in meine Herberg und zechte beides mit den Werbern und ihren Neugeworbenen im Brandwein biß in den Mittag hinein / bey welchem Imbis wir von unserem Würth Zeitung bekamen / daß einem reichen Herren in der Stadt vil Gold und Silber von Gelt und Kleinodien außgefischt worden wären / darunder sich tausend Reichsthaler und tausend doppelte Ducaten eines Schlags befanden (Spr, B 278 f., T 117). [J]ch fragte den Wirth / ob sich sonst nichts weiters mit ihr zugetragen; potz? antwortet er / das beste und notabelste hätte ich schier vergessen / es ist bey ihrem Todt einer von den Hellebardirern / ein junger frischer Kerl / mit Leib und Seel Haut und Haar Kleidern und allem hinweg kommen / das bißher kein Mensch erfahren wohin er geflogen oder gestoben sey; und solches sagt man sey ihm widerfahren / als er sich gebuckt ein Naßtüchlein (welches auch zugleich verschwunden) auff zuheben / so disem wunderbarlichen Weibsbilde zuständig gewesen; ho ho / gedacht ich / jetzt weistu auch das dein Nestlein wider einen andern Meister hat / GOtt geb / daß es ihm besser als meinem Weib bekomme (Spr, B 292 f., T 130 f.).

Die Szene, wie der Kaufmann mit Hilfe des buckligen Männleins die Reste des Vogelnests findet, wird in zwei Romanen aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt, nämlich am Ende von Vogelnest I aus Sicht des Hellebardiers (vgl. WV I, B 444–446, T 138–140) und im 3. Kapitel des Vogelnest II aus Sicht des Kaufmanns. Beide Stellen verweisen damit aufeinander. Darüber hinaus berichtet der Kaufmann im 1. Kapitel von Vogelnest II, dass er es sei, den die „Springinsfeldische Leyrerin“ bestohlen habe (WV II, B 466, T 155). Deutlich subtiler ist eine andere Form intertextueller Verweise. In der kurzen Inhaltsangabe des Keuschen Joseph ist davon die Rede, dass die Josephsgeschichte „einfältig erzehlt“ werde (KJ, B 14, T 6). Das Adverb einfältig ist die deutsche Entsprechung des lateinischen simplex und verweist direkt auf Simplicissimus. Die Anspielung kündigt einen Roman im simplicianischen Stil und damit einen satirischen Roman an. Der Bart-Krieg ist die Gegendarstellung eines Mannes, der sich von Simplicissimus beleidigt fühlt. Die Schreibmotivation ist damit die gleiche wie bei der Courasche, so dass diese Texte durch ihre Opposition zu Simplicissimus miteinander verbunden sind. Im Musai spricht Joseph von einer Geheimlehre und kündigt einen Menschen an, der alle Menschen vor dem Tod retten werde. An

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dieser Stelle unterbricht der Erzähler seinen Bericht, um Josephs Worte zu erläutern: Hier redet Joseph ohne Zweiffel von Christo / dem allgemeinen Heiland / und verstehet durch die heilige Geheimnüß nichts anders / als die Göttliche Cabalam, von deren und der verworffenen Cabala ich vielleicht an einem andern Ort zu schreiben Ursach haben werde (M, B 306, T 163).

Hier wird wahrscheinlich auf das vierte Kapitel des Teutschen Michel angespielt, wo von der Kabbala die Rede ist. Im 9. Kapitel des Teutschen Michel zitiert Grimmelshausen aus Vogelnest I nahezu wörtlich und mit exakter Quellenangabe, verschweigt aber, dass beide Texte von ihm selbst stammen (vgl. unten, 5.5): Der Autor des wunderbarlichen Vogelnests hat pag. 72. eine Histori von einen Bauern / der ebenmässig ein dergleichen Sprichwort an sich gehabt / der aber hingegen seinen Renntmeister damit beschlagen gleichwie diser König obgemelten Stattschreiber abgefertigt; vnd weil sie sich hieher schickt / will ich sie auch von Wort zu Wort hieher setzen (TM, T 49).

In der Vorrede zu Vogelnest II schließlich gibt Grimmelshausen explizite Hinweise, dass die fünf Bücher des Simplicissimus, die Continuatio, die Courasche, Springinsfeld und die beiden Vogelnest-Romane als simplicianischer Zyklus zu verstehen sind und so diese Romane eng miteinander zusammenhängen, so eng, dass die einzelnen Bücher nur im Zusammenhang verständlich sind: Sonsten wäre dieses billich das zehende Theil oder Buch deß Abentheuerlichen Simplicissimi Lebens-Beschreibung / wann nemlich die Courage vor das siebende / der Spring ins Feld vor das achte / und das erste part deß wunderbarlichen Vogel-Nests vor das neundte Buch genommen würde / sintemahl alles von diesen Simplicianischen Schrifften aneinander hängt / und weder der gantze Simplicissimus, noch eines auß den obengemeldten letzten Tractätlein allein ohne solche Zusammenfügung genugsam verstanden werden mag (WV II, B 459, T 150).

Nicht zuletzt ist an dieser Stelle auch der ,simplicianische Schreibstil‘ zu nennen, der einen Großteil des Werkes dominiert (vgl. dazu ausführlich Menhennet 1986, 653 und unten, 467 f.). Dieser satirische Stil ist vielleicht sogar eines der auffälligsten diskurskonnektiven Elemente. Die hier vorgestellte Typologie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Exhaustivität. Sie soll lediglich die auffälligsten Mittel der Herstellung von Konnexion im Autordiskurs Grimmelshausens aufzeigen und beschreiben. Es ist nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr wahrscheinlich, dass sich noch mehr Typen der Konnexion finden lassen.

62 � Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext Es zeigt sich, dass das hermeneutische Prinzip, auf das Grimmelshausen im letzten Zitat rekurriert, nach dem aus den Teilen das Ganze und das Ganze aus den Teilen zu verstehen sei, nicht nur auf den simplicianischen Zyklus zutrifft, sondern auf den gesamten Autordiskurs. Man kann zwar die Texte einzeln und für sich genommen verstehen und interpretieren, doch ihre volle Wirkung entfaltet sich erst, wenn sie zu den anderen Texten des Autordiskurses in Bezug gesetzt werden. Mit anderen Worten: Der Teutsche Michel, der in dieser Arbeit hauptsächlich interpretiert werden soll, kann angemessen nur im Kontext von Grimmelshausens Gesamtwerk interpretiert werden, das als Autordiskurs in zahlreichen Beziehungen zu anderen zeitgenössischen Diskursen, etwa dem sprachpatriotischen Diskurs, steht. Die obige Beschreibung der Auseinandersetzung Grimmelshausens mit Machiavelli hat auch die Strukturen demonstriert, die das Verhältnis der verschiedenen Textsorten im Autordiskurs konstituieren. Es zeigt sich, dass kleinere Schriften von eher argumentativ-theoretischem Zuschnitt die Gegenstände als solche beschreiben und bewerten. So widmet sich der Ratio Status der Politik, Rathstübel Plutonis dem Geld, die Verkehrte Welt den menschlichen Lastern, das Galgen-Männlin dem Aberglauben und der Teutsche Michel der Sprache. Die Romane dagegen, die simplicianischen wie die historisch-legendenhaften, widmen sich nicht nur einem Thema, sondern einem Bündel von Themen, zudem erfolgt die Erörterung der Themen nicht auf argumentativ-theoretische Art, sondern narrativ. Man kann daher konstatieren, dass die kleineren argumentativ-theoretischen Schriften das Allgemeine, die Romane das Besondere darstellen.36 Zusammengenommen ergeben sie die Polyphonie und Multiperspektivität des Autordiskurses. Unter Rückgriff auf Grimmelshausens Außenseiterstellung (vgl. oben, 2.2) deuten Boehnke/Sarkowicz die Existenz des Autordiskurses, den sie in seinem Kern beschreiben, ohne ihn als solchen kenntlich zu machen, als Reaktion des Autors auf seine Isolation: Das Simplicissimus-Projekt war Grimmelshausens literarisches Lebenswerk. Er war damit zum Erfolgsschriftsteller geworden, und es leuchtet ein, dass er, der mit den Einrichtungen der literarischen Öffentlichkeit kaum Kontakt hatte, mit diesem Erfolg anders umging als ein versierter Großautor, dem die Verständigung auf dem literarischen Markt vertraut war. Was ihm an Kontakt mit Sprachgesellschaften, Kritikern oder Foren der literarischen Geselligkeit fehlte, das musste er mit sich selbst, allenfalls mit der Familie und engen Freunden abma-

�� 36 Gleichwohl ist diese Trennung eher heuristisch zu verstehen und entspricht nicht unbedingt der tatsächlichen Gestalt der Texte. Auch in den argumentativ-theoretischen Texten finden sich erzählerische Passagen und in den Romanen auch nicht-narrative Stellen.

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chen. Einzig der Verlag dürfte ihn in den Angelegenheiten des Literaturmarktes beraten haben, allerdings vorwiegend in dessen eigenem Interesse. In seiner relativen Isolation, ohne die wohltuenden Wirkungen eines vielstimmigen Echos, schaffte Grimmelshausen sich seine eigene Geselligkeit. Er umgab sich mit einer am Ende unübersichtlich gewordenen Gesellschaft von ,Simplicissimi‘, Kopien, Wiedergängern seiner unglaublich erfolgreichen Erzfigur, des ,seltsamen Vaganten‘ Simplicius (Boehnke/Sarkowicz 2011, 472).

Dieses „simplicianische Kommunikationsprojekt“ (ebd., 337), der Autordiskurs, ist nach Auffassung der Autoren also Grimmelshausens Antwort auf seine ungewollte Außenseiterstellung. Doch wäre es nur das, so könnte man diese Form der literarischen Selbsttherapie zwar für originell, für literaturwissenschaftliche, linguistische und diskursgeschichtliche Forschungen aber relativ uninteressant erachten. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr ist der Grimmelshausensche Autordiskurs ein kühnes und äußerst komplexes Konstrukt, das den Versuch wagt, die gesamte zeitgenössische Gesellschaft, das kollektive Wissen, das kollektive Denken, Fühlen und Wollen als ,Zeitgespräch‘ (Hermanns 1995, 88) darzustellen und die einzelnen Positionen, Theorien, Konzepte und Ideologien diskursiv gegeneinander antreten zu lassen. Dabei bleibt der Diskurs jedoch nicht Selbstzweck, sondern er ist den satirischen Absichten Grimmelshausens untergeordnet (vgl. unten, 3.3.3.1). Gerade unter diesem Aspekt wären weitere Forschungen, die Grimmelshausens Gesamtwerk diskursanalytisch untersuchen, äußerst wünschenswert.

3 Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse 3.1 Zum Korpus 3.1.1 Zur Eingrenzung des Korpus In Anlehnung an Busse/Teubert 1994 unterscheidet Fritz Hermanns drei Ebenen von Korpora: Zunächst ist das imaginäre Korpus zu nennen. Darunter versteht Hermanns ein „schlechterdings immenses Korpus aller jener – mündlichen und schriftlichen – Einzeltexte, die das Thema irgendwie behandelt haben oder auch nur streiften“ (Hermanns 1995, 89). Dieses Korpus ist zum größten Teil nicht mehr existent, da die mündlichen Äußerungen, sofern sie nicht genau mitprotokolliert oder als Tondokument aufgezeichnet wurden, für immer verloren sind. Auch schriftliche Texte haben den Lauf der Zeiten oft nicht überstanden. Im hier interessierenden sprachreflexiven Diskurs betrifft dies etwa briefliche Zeugnisse, von denen viele nicht mehr verfügbar sind. Die zweite Ebene bildet das virtuelle Korpus. Dieses besteht aus allen Texten eines Diskurses, die bis heute erhalten sind. Aus diesem virtuellen Korpus ist für eine Analyse ein konkretes Korpus zusammenzustellen, da jenes trotz der – vermutlich erheblichen – Verluste immer noch viel zu umfangreich wäre. Die Erstellung des konkreten Korpus geschieht durch „gezielte Sammlung, Sichtung und Gewichtung“ (ebd., 90). Nach Busse/Teubert (1994, 14) sind für die Erstellung des konkreten Korpus folgende Kriterien zu beachten: – Texte, die sich mit dem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, untereinander semiotische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen. – Texte, die den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen im Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen. – Texte, die durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden.

66 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Nach diesen Kriterien wurde auch in dieser Arbeit vorgegangen. Die einzelnen Parameter werden im Folgenden erläutert. Das räumliche Kriterium ist für diese Untersuchung von geringer Relevanz, da ,Deutschland‘ im 17. Jahrhundert alles andere als ein homogenes Gebilde war. Auch vom deutschsprachigen Raum zu sprechen erscheint nicht wirklich sinnvoll, erstens wegen der Vorherrschaft des Latein im gelehrten1 und kirchlichen Diskurs (zumindest im katholischen Bereich) sowie des Primats des Französischen an den Höfen, zweitens wegen der großen sprachlichen Varianz im arealen Bereich, die durch die ,Spracharbeit‘ zur Schaffung einer überregionalen Hochsprache gerade überwunden werden sollte. Prinzipiell kann aber gesagt werden, dass deutschsprachige Texte den Kernbestand des Korpus einnehmen, da die Sprachpfleger durch das Verfassen deutschsprachiger sprachwissenschaftlicher Texte gerade den Beweis für die Leistungsfähigkeit der deutschen Sprache liefern wollten. Nur wenige wichtige Texte wurden in fremden Sprachen verfasst, nämlich Opitz’ Aristarchus (1617) auf Latein und Leibniz’ Noveaux Essais sur L’entendement humain (1704) auf Französisch. Diese Texte werden jedoch nur am Rande behandelt, da sie in zeitlicher und/oder thematischer Sicht nicht zum Kern des Diskurses gehören. Zwei Faktoren bestimmen die zeitliche Eingrenzung des Korpus. Der erste Faktor sind die Lebensdaten Grimmelshausens, der wahrscheinlich 1622 geboren wurde und 1676 starb. Den zweiten Faktor bildet der Diskursverlauf. Hier sind die zeitlichen Grenzen schon schwieriger zu setzen, da kein Diskurs ex nihilo entsteht, sondern frühere und ältere Themen und Traditionen fortgesetzt, diskutiert und in Frage gestellt werden. So ist es auch mit dem sprachpatriotischen Diskurs, dessen Wurzeln und Vorläufer im 16. Jahrhundert zu suchen sind. So führte bereits Johannes Turmair (Aventin) im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts den Ursprung der Deutschen auf die Sintflut zurück. Diese �� 1 Gerade diese Dominanz des Lateinischen zumindest bis zur Mitte des Jahrhunderts muss man sich immer vor Augen halten, wenn man über wissenschaftliche Diskurse dieser Zeit arbeitet: „Eine Beschränkung auf die muttersprachliche Produktion hat […] zur Folge, dass weite Bereiche vor allem des diskursiven Schrifttums ausgeklammert bleiben, dass aber auch die übernationalen Zusammenhänge und der historische Ablauf geistiger Auseinandersetzungen einseitig und gegebenenfalls verzerrt dargestellt werden“ (Kühlmann 1982, 7). Aus oben genannten Gründen bleiben die lateinischen Schriften dennoch in dieser Arbeit außen vor. Dies ist auch dadurch zu rechtfertigen, dass im sprachpflegerischen Diskurs ohnehin weitgehend – von genannten Ausnahmen abgesehen – auf die Verfassung fremdsprachlicher Texte verzichtet wurde. Kühlmanns Aussage lässt sich, diese Arbeit betreffend, bestenfalls auf nicht deutschsprachige Autoren beziehen, die von Schottelius oder Zesen häufig zitiert werden, etwa Johannes Goropius Becanus, Simon Stevin oder Julius Caesar Scaliger, die aber allesamt im 16. Jahrhundert lebten und somit aus zeitlichen Gründen aus dem Korpus ausscheiden.

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Geschichtskonstruktion wurde im 17. Jahrhundert zu einer zentralen Figur des sprachpatriotischen Diskurses. Anja Stukenbrock beginnt ihre mehrere Jahrhunderte umfassende Studie zum Sprachnationalismus in Deutschland mit dem Jahr 1617, als erstens Opitz seine Rede Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae hielt, und zweitens in Weimar mit der Fruchtbringenden Gesellschaft die erste sprachpatriotische Sozietät in Deutschland gegründet wurde (Stukenbrock 2005, 1). Allerdings lassen sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, vor 1640 nur wenige sprachpatriotisch motivierte Aktivitäten feststellen. Ab 1640 allerdings nahm die Publikation sprachtheoretischer, sprachpatriotischer, sprachpflegerischer und sprachsatirischer Literatur exponentiell zu. Die intensivste Phase des Austausches über Fragen der Sprachnorm und des Sprachpurismus vor allem innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft währte etwa zehn Jahre, bis zum Tod entscheidender Protagonisten wie Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen oder Christian Gueintz (beide starben 1650). Die Debatte wurde zwar auch in den 50er und 60er Jahren weitergeführt, ebbte aber, bedingt auch durch den Tod weiterer wichtiger Diskursakteure, mehr und mehr ab. Als Grimmelshausen 1673 den Teutschen Michel veröffentlichte, waren die für das 17. Jahrhundert typischen Diskussionen um Sprachtheorie, Sprachnorm und Sprachpurismus fast zum Erliegen gekommen, mit Christian Weise oder Leibniz traten Akteure auf den Plan, deren Theorien bereits als frühaufklärerisch bezeichnet werden können. Da diese Untersuchung das Ziel verfolgt, die Perspektive Grimmelshausens auf den sprachreflexiven Diskurs des 17. Jahrhunderts nachzuzeichnen, konzentriert sie sich auf den Zeitraum von 1640, dem Beginn der Phase intensiven Nachdenkens über Sprache, bis 1673, dem Erscheinungsjahr des Teutschen Michel. Allerdings werden im Hinblick auf die oben angesprochenen Traditionen wichtige und auch häufig zitierte Texte der Zeit vor 1640 berücksichtigt, etwa Aventins Bayerische Chronik (1526–1533) oder die Schriften von Martin Opitz (Aristarch, 1617, Buch von der Deutschen Poeterey, 1624), ebenso Kuriositäten wie die Schriften des Oberrheinischen Revolutionärs (1509). Um weitere Entwicklungen nachzeichnen zu können, wurden auch Texte in das Korpus aufgenommen, die nach 1673 publiziert wurden, etwa Weises Politischer Redner (1684) oder die Schriften Leibniz’. Das Thema, um das sich die Texte des Korpus drehen, ist ebenso schwer einzugrenzen wie der Zeitraum. Im weitesten Sinne geht es bei einer Untersuchung eines sprachreflexiven Diskurses um Sprache. Dennoch ist selbstverständlich nicht jeder Text, in dem der Ausdruck Sprache belegt ist oder sein könnte, für diese Untersuchung von Belang. Vielmehr grenzt sich das Korpus auf jene Texte ein, die sich theoretisch um Wesen, Geschichte, Aufbau und Norm der deutschen Sprache drehen (Traktate, Grammatiken, Wörterbücher etc.) oder den Sprachge-

68 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse brauch anleiten sollen (Poetiken, Rhetoriklehrbücher etc.). Schließlich kommen sprachkritische und sprachpflegerische Texte (z.B. Sprachsatiren) hinzu. Das Korpus besteht also aus Texten, die sich primär2 auf theoretischer, praktischer oder kritischer Ebene mit dem Phänomen Deutsche Sprache beschäftigen. Hinzu kommen, um Grimmelshausens Texte als Satiren besser verstehen und einordnen zu können, auch satirische Werke, die sich nicht primär mit Sprache beschäftigen, die jedoch Grimmelshausen nachweislich beeinflusst haben. Damit hängt die Auswahl der Autoren zusammen. Der sprachreflexive Diskurs des 17. Jahrhunderts, der um die Jahrhundertmitte seinen Höhepunkt fand, wird von etwa einem Dutzend Autoren getragen und mitbestimmt. Die wichtigsten von ihnen (Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen durch seine Funktion als Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft sowie aufgrund ihrer sprachwissenschaftlichen Leistungen Schottelius, Gueintz, Harsdörffer und Zesen) können als Nukleus des Diskurses angesehen werden, um den sich die restlichen Autoren gruppieren. Sie genossen besonders hohes Ansehen und werden am häufigsten zitiert. Hier zeigen sich zwei weitere Faktoren, die helfen, die Diskursakteure zu bestimmen. Den ersten Faktor nennt Jochen A. Bär Zuschreibung (Bär 1999, 33 f.). Bezogen auf den romantischen Diskurs des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts meint er damit „in erster Linie die Eigen- und zeitgenössische Fremdklassifikation, anders gesagt dasjenige, was man hätte zur Antwort bekommen können, wenn man im 19. Jahrhundert einen Autor gefragt hätte: Bist du / ist x ein ,Romantiker‘?“ (Bär 1999, 33; kursiv im Text). Es geht also darum, ob jemand sich selbst explizit oder implizit als zum sprachpatriotischen Diskurs zugehörig erklärte bzw. von anderen als zu diesem Diskurs zugehörig klassifiziert wurde. Diese Klassifikation konnte formal bereits durch die Mitgliedschaft in einer der Sprachgesellschaften, besonders der Fruchtbringenden Gesellschaft3, gewährleistet sein. Leibniz und Weise, beide ohne Mitgliedschaft in einer der barocken Sprachgesellschaften, dagegen distanzierten sich von diesen. Leibniz etwa bemerkte kritisch, dass die Fruchtbringende Gesellschaft „zu weit gangen“ sei (Leibniz, Gedanken, 537). Zudem wirft er ihr vor, ihr Ziel verfehlt zu haben, weil �� 2 D.h., dass der Text auch andere Themen als nur die Sprache behandeln kann. Das ist in der Mehrheit der Texte der Fall, wie diese Untersuchung zeigen wird. Häufig behandeln sie nämlich auch moralische oder kulturelle Aspekte. 3 Das patriotische Bemühen um die deutsche Sprache war bereits in der Satzung der Fruchtbringenden Gesellschaft festgelegt. Jedes Mitglied sei verpflichtet, „unsere hochgeehrte Muttersprache / in ihrem gründlichen Wesen / und rechten Verstande / ohn Einmischung fremder außländischer Flikkwörter / sowol in Reden / Schreiben als Gedichten / aufs aller zier- und deutlichste zu erhalten und auszuüben“ (Hille, Palmbaum, 17).

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sie „sich gemeiniglich nur mit solchen gewächsen beholffen [hätte], welche zwar blumen bringen aber keine früchte tragen“ (Leibniz, Ermahnung, 811). Sie hätte sich, so der Vorwurf, bloß auf die blumen, die Poesie, beschränkt und die früchte, das Deutsche als Fach- und Wissenschaftssprache, vernachlässigt. Das Bild impliziert die Feststellung, dass die Fruchtbringende Gesellschaft ihren Namen zu Unrecht trage. Unabhängig davon, ob der Vorwurf zutrifft oder nicht – Leibniz’ Eigenzuschreibung bewirkt, dass er nicht als zum sprachpatriotischen Diskurs zugehörig angesehen werden kann. Warum wurden trotzdem einige Texte von Leibniz und Weise in das Korpus aufgenommen? Diese Frage lässt sich in Anlehnung an das beantworten, was Bär Denk- und Wertungshaltungen (Bär 1999, 43) bzw. Denk- und Bewertungsmuster (Bär 2011, 160) nennt. Die Denk- und Bewertungsmuster sind der zweite Faktor, der zur Bestimmung der Diskursakteure herangezogen wird. Im Kontext dieser Untersuchung wird auf die Gemeinsamkeit dieser Muster abgehoben: Die Diskursakteure stimmen zu großen Teilen in ihrer Art und Weise, Sprache zu beschreiben, deren Komponenten zu klassifizieren sowie in ihren Bewertungsmaßstäben – trotz unleugbarer Differenzen – grundsätzlich überein, sie nutzen die gleichen oder zumindest ähnliche Topoi oder diskurssemantische Grundfiguren, sind also durch die Verwendung der gleichen Stereotypen verbunden. So erbittert etwa der Streit zwischen den Analogisten und den Anomalisten auch war – grundsätzlich waren sie sich über das Ziel einig, die deutsche Sprache zu einer einheitlichen Schriftnorm zu bringen und sie somit literaturfähig zu machen. Auch der, wie gesehen, kritisch distanzierte Leibniz teilte dieses Ziel, auch er wollte „Reichthum, Reinigkeit und Glantz“ (Leibniz, Gedanken, 550) der deutschen Sprache aufzeigen. Ebenso teilt Leibniz die Auffassung der meisten anderen Diskursakteure, dass die deutsche Sprache uralt sei, älter als das Griechische und das Lateinische (ebd., 546). Somit gehört Leibniz, auch wenn viele seiner Gedanken zu Sprachtheorie und Sprachphilosophie weit über den Horizont des sprachreflexiven Diskurses des 17. Jahrhunderts hinausgehen, in den weiteren Kontext dieses Diskurses. REICHTUM und REINHEIT4 sind zentrale diskurssemantische Grundfiguren, durch die der deutschen Sprache Gütequalitäten zugesprochen werden (vgl. unten, 4.4). Als solche sorgen sie für intertextuelle Bezüge, die die Einheit des Diskurses zusätzlich konstituieren. Neben den Grundfiguren, wesentlich konstituiert durch Topoi und Metaphern, sind es vor allem explizite und implizite Bezugnahmen auf andere Autoren durch Zitate oder Anspielungen, die Intertextualität herstellen. �� 4 Zur Notation vgl. unten, Anm. 133.

70 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Im Folgenden werden noch einmal zusammenfassend die Kriterien zur Erstellung des konkreten Korpus aufgelistet: Das Korpus besteht aus – fast ausschließlich deutschsprachigen Texten, die – zwischen 1640 und 1673 entstanden sind (von älteren und jüngeren Ausnahmen abgesehen), die – primär theoretische und/oder praktische Aspekte der deutschen Sprache behandeln oder sprachpflegerisch bzw. sprachkritisch motiviert sind (von einigen nicht primär sprachkritischen Satiren abgesehen) und die von – Autoren verfasst wurden, die sich selbst explizit oder implizit für zu diesem Diskurs zugehörig erklären oder von anderen als zu diesem Diskurs zugehörig angesehen werden sowie eine bestimmte Denkweise teilen, die den Diskurs trotz aller Differenzen zusammenhält; zudem – sind die Texte durch intertextuelle Beziehungen miteinander verknüpft. Die Einzeltexte des Korpus sind also Repräsentanten eines bestimmten Diskurses, der zeitlich, sprachlich und thematisch verortet ist und der durch Beziehungen zwischen den Autoren, deren Eigen- und Fremdklassifikation, Denkweisen und Begriffs- und Aussagennetze (Busse/Teubert 1994, 23) miteinander verknüpft ist. Unabhängig davon gehört zum Untersuchungskorpus auch das Gesamtwerk Grimmelshausens, das im Zentrum dieser Arbeit steht und das oben (2.3) als Autordiskurs beschrieben wurde.

3.1.2 Textsorten des Korpus Das Korpus wird in zwei Teile gegliedert. Das Primärkorpus bilden die Schriften Grimmelshausens, insbesondere der Teutsche Michel (vgl. oben, 2.1). Im Sekundärkorpus sind unterschiedliche Textsorten repräsentiert. Die wichtigsten von ihnen sind folgende: – Prosasatiren, etwa Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald oder Schupps Streitschriften – Romane, etwa Zesens Assenat oder Weises Die drey ärgsten Ertznarren in der gantzen Welt – Poetologische Schriften, z.B. Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey, Harsdörffers Poetischer Trichter oder Buchners Anleitung zur Deutschen Poeterey – Grammatiken, z.B. Schottelius’ Teutsche Sprachkunst und Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache, Gueintz’ Deutscher Sprachlehre Entwurf oder Morhofs Unterricht von der Deutschen Sprache und Poesie – Rechtschreiblehren, etwa Gueintz’ Deutsche Rechtschreibung

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– – – – –

Sprachtheoretische Abhandlungen, z.B. die zehn Lobreden in Schottelius’ Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache, Zesens Hochdeutsche Spraach-übung und Rosen-mând oder Harsdörffers Schutzschrift für die Teutsche Spracharbeit Sprachpflegerische und sprachkritische Schriften, etwa der anonyme Vnartige Teutsche Sprachverderber5, Hilles Der Teutsche Palmbaum, Neumarks Neu-Sprossender Teutscher Palmbaum, Rists Rettung der Edlen Teütschen Hauptsprache oder Leibniz’ Ermahnung an die Teutsche ihren Verstand und Sprache besser zu üben Sprachphilosophische Werke, etwa Leibniz’ Unvorgreifliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache und Nouveaux Essais sur l’entendement Humain Rhetoriklehrbücher, z.B. Meyfarts Teutsche Rhetorica oder Redekunst oder Weises Politischer Redner Dramen, die sprachsatirische Elemente aufweisen, etwa Horribilicribrifax Teutsch von Gryphius oder Schottelius’ Horrendum Bellum Grammaticale Briefe, v.a. der Ertzschrein mit den wichtigsten Briefwechseln innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft Vorreden zu Gedichtbänden, etwa zu Spees Trvtz-Nachtigal oder die von Julius Wilhelm Zincgref verfasste Dedicatio zu Opitz’ Teutsche Poemata Kompilationen, etwa Jones’ Sprachhelden und Sprachverderber, eine Sammlung fremdwortpuristischer Äußerungen der Jahre 1478–1750 mit deutlichem Schwerpunkt im 17. Jahrhundert, oder Spahrs The Archives of the Pegnesischer Blumenorden

Texte aus diesen Textsorten wurden für diese Arbeit untersucht. Sie wurden einerseits im Hinblick auf die hier thematisierten Diskurse ausgewertet, andererseits sollen aber auch die textsortenspezifischen Besonderheiten in der Behandlung ihrer Gegenstände berücksichtigt werden.6

�� 5 Gardt (1994a, 4) und Arntzen (1989, 237) gehen davon aus, dass Christoph Schorer der Autor dieses Textes sei (vgl. auch Jones 1995, 286 f.). Da Schorers Autorschaft jedoch nicht bewiesen ist, sondern die Zuschreibung nur auf Mutmaßungen beruht, wird der Vnartige Teutsche Sprachverderber hier als von einem unbekannten Autor verfasst angesehen. 6 Johann Heinrich Schills Der Teutschen Sprach Ehren-Krantz (1644), den Grimmelshausen nachweislich als Quelle benutzt hat, ist für die vorliegende Untersuchung von geringerer Relevanz, da ihr Erkenntnisinteresse nicht Grimmelshausens Quellen gilt, sondern dem diskursiven Kontext, in dem sein Teutscher Michel angesiedelt ist. Für diese Fragestellung kann dieser Text kaum von Bedeutung sein, weil er weitgehend eine Kompilation von Zitaten aus den Werken von Opitz, Zeiller, Schottelius, Harsdörffer, Zesen und anderen darstellt und somit „unselb-

72 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse

3.2 Der diskursive Rahmen 3.2.1 Zum linguistischen Diskursbegriff Grimmelshausen war Außenseiter in den sprachreflexiven und literarischen Diskursen des 17. Jahrhunderts. Um diese Außenseiterstellung besser zu verstehen und zudem einen besseren Blick auf Anlage, Methodik und Ziel dieser Arbeit zu gewinnen, soll im Folgenden der hier verwendete Diskursbegriff erläutert werden. Trotz vieler Klagen über das ,Modewort‘ Diskurs (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 5) ist das Konzept des ,Diskurses‘ aus den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht mehr wegzudenken. Jürgen Habermas formulierte in seiner Theorie des kommunikativen Handelns (1981) eine ,Diskursethik‘, die einen konsensorientierten Gedankenaustausch prinzipiell gleichgestellter und gleichberechtigter Gesprächsteilnehmer im herrschaftsfreien Diskurs propagiert. Die amerikanische discourse analysis versteht unter Diskurs eine gesprochene sprachliche Einheit, in der sich bestimmte Muster nachweisen lassen. Die an Michel Foucault orientierte Diskursanalyse dagegen stellt das „handlungsleitende und sozial stratifizierende kollektive Wissen bestimmter Kulturen und Kollektive“ in den Mittelpunkt ihrer Forschung (Spitzmüller/Warnke 2011, 8). Seit den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelte Foucault einen neuen Wissensbegriff, der die traditionellen Konzepte von Wissen radikal in Frage stellte. Wissen und Erkenntnis sind für ihn keine Resultate eines teleologischen und kontinuierlichen Wissenszuwachses bei Individuen und Kollektiven, sondern Produkte der Diskurse ihrer Zeit. „Wissen ist […] nicht Erkenntnissicherung zeitloser, ontologischer Fakten, sondern ein sozial verhandeltes Gut der Vergesellschaftung, das Resultat von Vereinbarungen auf der Grundlage historischer, gegenseitiger Zusagen“ (ebd., 41). Was wir über den ,Klimawandel‘, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die Entstehung von Sonnenfinsternissen, das Verhalten in Restaurants oder über einen bestimmten Schauspieler ,wissen‘ oder zu wissen glauben, ist Resultat von Aushandlungsprozessen. Dies gilt sowohl für das ,Sachwissen‘ als auch für Verhaltensnormen oder Belange des gesellschaftlich-kulturellen Lebens. Die Sachver-

�� ständig“ und „ohne eigenes sprachtheoretisches Profil“ bleibt (Martin 2013, 286). Diese Quelle hatte für Grimmelshausen eine wichtige, wissensvermittelnde Funktion und sollte deshalb zumindest erwähnt werden; doch eine detaillierte Analyse des Ehren-Krantz brächte keinen wesentlichen Zugewinn für diese Arbeit. Aus diesem Grund wurde darauf verzichtet, sie weiter zu berücksichtigen.

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halte sind nicht ,objektiv‘ gegeben, sondern Ergebnisse von Interpretationen, die auf der Basis bestimmter Daten (im weitesten Sinne) nach bestimmten Kriterien entwickelt werden. Die Interpretation der Daten hängt dann von den Vorannahmen des Interpreten, von der Wahl und Gewichtung der Kriterien sowie von den Bewertungsschemata ab, die er anwendet. Hinzu kommen gesellschaftspolitische Dispositionen (politische Machtverhältnisse, religiöse oder moralische Wertesysteme, Zensur usw.), welche die Interpretation beeinflussen können. So ist etwa das ,Wissen‘ über Homosexualität in Westeuropa ein anderes als in islamisch geprägten Ländern und auch in Westeuropa ist dieses ,Wissen‘ von verschiedensten Faktoren abhängig, die letztlich die individuelle und kollektive Bewertung des Phänomens beeinflussen. Wenn Wissen diskursiv geprägt ist, dann entsteht es durch Korrelation von Aussagen. Foucault nun geht es um die ,Möglichkeitsbedingungen‘ von Wissen, es geht darum, die Aussage in der Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfassen, die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen, auf das Genaueste ihre Grenzen zu fixieren, ihre Korrelationen mit anderen Aussagen aufzustellen, die mit ihm verbunden sein können, zu zeigen, welche anderen Formen der Aussagen sie ausschließt. […] [M]an muss zeigen, warum [der Diskurs] nicht anders sein konnte als er war, worin er gegenüber jedem anderen exklusiv ist, wie er inmitten der anderen und in Beziehung zu ihnen einen Platz einnimmt, den kein anderer besetzen könnte. Die für eine solche Analyse typische Frage könnte man folgendermaßen formulieren: was ist das also für eine sonderbare Existenz, die in dem ans Licht kommt, was gesagt wird, – und nirgendwo sonst? (Foucault 1981, 43).

Eben weil die Möglichkeitsbedingungen von Wissen sehr unterschiedlich sind, entstehen unterschiedlichste Wissenssysteme, die sehr von dem, was ein mitteleuropäisch geprägter Mensch als ,Wissen‘ versteht, differieren können. Bekannt und häufig zitiert ist das Zitat einer chinesischen Enzyklopädie, das Foucault im Vorwort zu Die Ordnung der Dinge von Jorge Luis Borges übernimmt: Darin heiße es, dass die Tiere sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen (Foucault 1974, 17).

Diese Taxonomie sorgt beim mit den Klassifizierungen Carl von Linnés mehr oder weniger vertrauten Mitteleuropäer für Verwunderung, Gelächter oder Unverständnis. Das Beispiel zeigt aber anhand eines Extremfalls, wie unterschiedliche Kulturen gleiche Entitäten auf völlig unterschiedliche Weise klassifizieren

74 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse können. Die Klassifizierungen, mit denen wir täglich umgehen, sind uns so vertraut, dass Abweichungen oder Infragestellungen dieser Schemata Befremden und unwillkürliche Ablehnung hervorrufen. „Die fundamentalen Codes einer Kultur, die ihre Sprache, ihre Wahrnehmungsschemata, ihren Austausch, ihre Techniken, ihre Werte, die Hierarchie ihrer Praktiken beherrschen, fixieren gleich zu Anfang für jeden Menschen die empirischen Ordnungen, mit denen er zu tun haben und in denen er sich wiederfinden wird“ (ebd., 22). Im Programm einer Archäologie des Wissens geht es Foucault nun darum, solchen fundamentalen Codes, die meist unbewusst und unreflektiert als selbstverständlich vorausgesetzt werden, nachzugehen und ihr Funktionieren aufzudecken. Diese Codes entstehen durch Aussagen, die sie konstituieren und durch die Konstitution stetig perpetuieren, distribuieren oder modifizieren, meist unbewusst, gelegentlich auch bewusst. Die Analyse hat das Ziel, die „Beziehungen der Aussagen untereinander“ zu untersuchen (Foucault 1981, 44). Das komplexe Verhältnis der Aussagen zueinander wird durch die Bedingungen des ,Formationssystems‘ bestimmt. „Das Formationssystem ist die Struktur, die es erlaubt, dass sich eine bestimmte Form von Wissen zu einem gegebenen Zeitpunkt konstituieren kann“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 70). Dementsprechend definiert Foucault den Diskurs als „Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“ (Foucault 1981, 156). Demzufolge ist die Veränderung von Wissen nicht einfach nur ein Wissenszuwachs, sondern eine Änderung des Formationssystems (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 70). Es wäre demnach Unsinn zu behaupten, dass wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehr wissen als die Menschen zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Die Wissensstrukturen und -inhalte sind andere: Im Hochmittelalter wurde manches differenziert, was heute nicht mehr differenziert wird und umgekehrt.7 Mit Foucault gesprochen haben sich die Formationssysteme verändert. Solches Wissen formiert sich in einem Netz von Aussagen. Es hat nach Foucault keinen Sinn, einzelne Aussagen für sich isoliert zu betrachten, sondern sie müssen in ihren Beziehungen zu anderen Aussagen analysiert werden:

�� 7 Im Mhd. etwa wurden der ›Vaterbruder‹ als vetter, die ›Vaterschwester‹ als base, der ›Mutterbruder‹ als oheim und die ›Mutterschwester‹ als muome bezeichnet (nach dem Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer). Während Oheim und Muhme veralteten und durch die französischen Lehnwörter Onkel und Tante ersetzt wurden, erfuhren Vetter und Base eine Bedeutungsverschiebung und stehen in Konkurrenz zu Cousin und Cousine. Die Differenzierung der Geschwister der Eltern nach Vater- und Mutterseite, die für das germanische Rechtssystem bedeutsam war, wurde aufgegeben (vgl. auch Fritz 1998, 109 f.).

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Die Aussage ist also keine elementare Einheit, die den von der Grammatik oder von der Logik beschriebenen Einheiten sich hinzufügte oder sich daruntermengte. Sie kann nicht wie ein Satz, eine Proposition oder ein Akt der Formulierung isoliert werden. Eine Aussage zu beschreiben, läuft nicht darauf hinaus, ein horizontales Segment zu isolieren und zu charakterisieren, sondern darauf, die Bedingungen zu definieren, unter denen sich die Funktion ausgewirkt hat, die einer Serie von Zeichen (wobei diese nicht notwendig grammatisch oder logisch strukturiert ist) eine Existenz gegeben hat, und zwar eine spezifische Existenz (Foucault 1981, 157 f.).

Dies ist in nuce eine Beschreibung der Diskursanalyse, deren Aufgabe es nun ist, „die Struktur dieses ,Netzes‘ und mithin die kontextuell geprägten Bedingungen gesellschaftlichen Wissens sichtbar zu machen. In diachroner Hinsicht will sie zeigen, wie (und warum) sich diskursive Formationen im Verlauf der Geschichte ändern“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 70). Die obige Definition, der Diskurs sei eine Menge von Aussagen, impliziert, dass sich Diskurse wesentlich durch Sprache konstituieren. Hier kommt die Diskurslinguistik ins Spiel. Sprachtheoretische Grundlage der Diskurslinguistik ist die seit Humboldt (vgl. unten, 3.3.1.2) kontrovers diskutierte Frage nach dem Verhältnis von Sprache, Wissen und Wahrheit. Im Anschluss an Kant und Humboldt spricht Gipper vom ,Sprachapriori‘8, womit er die Unhintergehbarkeit der Sprache im Erkenntnisprozess postuliert: Sprache ist Bedingung des menschlichen Denkens, Erkennens und damit auch Wissens.9 Sie ist somit nicht mehr nur Kommunikationsmedium, sondern auch „Mittel zur Konstituierung von Wirklichkeit ganz im Sinne der Foucault’schen Annahme von Praktiken, die die Gegenstände des Sagens erst hervorbringen“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 44). Erst Sprache ermöglicht den referentiellen Zugriff auf die Wirklichkeit, die durch sie überhaupt erst konstituiert werden konnte. Sprache hat somit nicht nur kommunikative und kognitive, sondern auch konstitutive Funktion. Spitzmüller/Warnke (46 f.) unterscheiden drei Typen von Wissenskonstitution:

�� 8 „Die geistig-sprachlichen Voraussetzungen, die es dem Menschen ermöglichen, die leiblichsinnlichen Erfahrungen geistig zu ordnen und zu organisieren, sie damit ,auf den Begriff‘ zu bringen, über sie zu urteilen und sie eigenständig über das Erfahrbare hinaus zu erweitern. Hierfür schlage ich die Kennzeichnung Sprachapriori vor“ (Gipper 1987, 78; Sperrung im Text). 9 Ernst Robert Curtius betont die Funktion der Sprache als Träger kognitiver Informationen in seiner Replik auf Kritik von Seiten der Kunstgeschichte: „[W]ären Platons Schriften verloren, so könnte man sie aus der griechischen Plastik nicht rekonstruieren. Der Logos kann sich nur im Wort aussprechen“ (Curtius 1948, 111993, 26, Anm. 1).

76 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse a) Konstruktion von Wissen: Das gesellschaftliche Wissen ist bedingt durch sprachlich verfasste oder durch Sprache begleitete Äußerungen. Es wird in der Regel nicht durch einzelne Individuen hervorgebracht, sondern durch Akteursnetze wie etwa Forschungs- und Bildungseinrichtungen. b) Argumentation von Wissensakteuren: Es reicht nicht, Wissen nur zu konstruieren, es muss auch argumentativ gerechtfertigt werden. Auf diese Weise setzen die Diskursakteure ihre Geltungsansprüche durch. Zudem übt die Argumentation eine Kontrollfunktion aus. c) Distribution von Wissen: Das Wissen wird durch Medien wie Fernsehen, Internet, Fachzeitschriften oder Blogs präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dabei ist von Belang, wer Zugang zu den Medien hat und wer seine Geltungsansprüche mittels der Medien durchzusetzen vermag: „Hier geht es um die Durchsetzung normativer Geltungsansprüche in semantischen Kämpfen“ (ebd., 47). Auf die Verhältnisse des 17. Jahrhunderts, die in dieser Arbeit hauptsächlich interessieren, übertragen, muss nur Punkt c) etwas modifiziert werden, da die medialen Bedingungen wesentlich andere waren als heute. Der sprachreflexive Diskurs wurde wesentlich durch zwei Medien (neben der nicht mehr nachvollziehbaren mündlichen Kommunikation) getragen, nämlich durch Briefe und Buchpublikationen. Gerade in letzterem Fall waren die Autoren darauf angewiesen, dass sie Verleger und Förderer fanden, die ihre Erzeugnisse druckten und so distribuierten.10 Wer in der Gunst einflussreicher Fürsten und Potentaten stand, hatte damit gute Aussichten, seine Geltungsansprüche durchzusetzen. Die diskursive Konstitution von Wissen erfolgt dadurch, „dass Akteure in medialer Form Aussagen treffen, die für andere Akteure wahrnehmbar sind und auf gedankliche Inhalte auf der Grundlage von verstehensrelevantem sowie geteiltem Wissen bezogen sind“ (ebd., 57).11 Damit wird deutlich, dass die Diskurslinguistik, also die Analyse von Sprache im Bezug auf diskursive Wissenskonstitution, mehr ist als bloß eine Erweiterung der Textlinguistik. Sie geht vielmehr der tiefensemantischen Verknüpfung von Texten nach, durch die gesellschaftliches Wissen konstituiert, diskutiert und distribuiert wird. Diskurslinguistik ist also transtextuelle Sprachanalyse. Viel diskutiert ist aber die Frage, ob man Diskurse letztlich als eine Ansammlung miteinander in �� 10 Zwar gibt es Einzelfälle wie Buchners Anleitung zur deutschen Poeterey, die erst nach seinem Tod gedruckt wurde, jedoch in unzähligen Abschriften kursierte und auf diese Weise distribuiert wurde. Dies ist jedoch mit Buchners großer Popularität und durch einflussreiche Schüler wie Schottelius oder Zesen zu erklären. 11 Zu Dietrich Busses Konzept des verstehensrelevanten Wissens vgl. 3.4.1.

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irgendeiner Weise verbundener Texte, also als Korpora, verstehen muss, oder ob man Diskurse und Korpora voneinander unterscheiden sollte. Von dieser Frage kommen Spitzmüller/Warnke zu einer ausführlichen Diskussion des Verhältnisses von Korpus- und Diskurslinguistik, die in ihren Details hier nicht interessieren muss (vgl. ebd. 25–40). Eine Stelle sei dennoch aufgegriffen und kritisch reflektiert: Da die Diskurslinguistik mit ihren zumeist inhaltsorientierten, qualitativen Ansätzen zunächst fast ausnahmslos mit Verfahren herkömmlicher Textanalyse gearbeitet hat – mit allen Plausibilitätsproblemen hermeneutischer Textinterpretation, der Stilistik und der Rhetorik –, gilt uns die Nutzung feinmaschiger, datengestüzter Korpusanalysen als wichtige Ergänzung und Professionalisierung (ebd., 33).

Dass Kookkurrenz- oder Clusteranalysen auf breiter Datenbasis für wichtige linguistische Erkenntnisse sorgen können, soll hier nicht bestritten werden. Gleichwohl ist die Frage zu stellen, ob die Methoden der Korpuslinguistik wirklich zu einer Professionalisierung führen und ob man die Plausibilitätsprobleme hermeneutischer Textinterpretation damit in den Griff bekommt. Denn auch die computergenerierten Daten müssen vom Forscher interpretiert werden. Er muss die Faktoren berücksichtigen, die dazu geführt haben, dass bestimmte Daten vorliegen (Korpusauswahl, Thema, Textsorten, Adressaten, methodische Generierung der Daten aufgrund bestimmter Suchbefehle usw.), und er muss den Umstand interpretieren, dass etwa Phänomen A gegenüber Phänomen B in signifikanter Häufigkeit auftritt. Die Gründe dafür liegen keineswegs auf der Hand, sondern müssen aufgrund einer konzisen Interpretation der Daten erschlossen werden. Mit anderen Worten: Die Interpretationen der computergestützt erhaltenen Daten sind wieder Gegenstand hermeneutischer Prozesse, so dass sich die benannten Plausibilitätsprobleme nur verschieben. Außerdem – und dies ist noch viel problematischer – suggeriert die Formulierung, es gebe etwas Objektives, das mit den Methoden der Korpuslinguistik besser sichtbar gemacht werden könne als mit der hermeneutischen Analyse. Diese Annahme setzt voraus, dass die sprachlichen Phänomene objektiv vorhanden und nachweisbar seien; dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn gleiche Ausdrücke stets die gleichen Sachverhalte repräsentierten, womit Phänomene wie Polysemie oder Homonymie, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellen (und wiederum nur durch hermeneutische Anstrengungen erfasst werden können), ignoriert würden. Eine solche Annahme führt letztlich zu einer Ontologisierung des Untersuchungsgegenstandes, die den konstruktivistischen Sprachbegriff der Diskurslinguistik unterläuft und somit sich selbst ad absurdum führt. Diskurs wird in dieser Arbeit verstanden als eine Sammlung von Texten, die untereinander in semantischer Beziehung stehen. Darin sind verschiedenste

78 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Textsorten, etwa narrative, argumentative, appellative oder konstitutive12 vereint. Die semantischen Beziehungen entstehen durch die Rekurrenz einer Anzahl von Schlüsselwörtern, die als Autosemantika onomasiologisch vernetzt sind, in beschreibbaren semantischen Beziehungen zueinander stehen, also (partielle) Synonyme, Antonyme, Hypero- und Hyponyme, Metonyme usw. Je stärker sich ein solches Geflecht semantischer Beziehungen in einem Text nachweisen lässt, desto mehr ist er im Zentrum des Diskurses angesiedelt. Texte dagegen, deren Vernetzung weniger dicht ist, sind in der Peripherzone des Diskurses positioniert. Bestimmte Vernetzungen können sich zu Topoi, Metaphernkomplexen oder diskurssemantischen Grundfiguren verdichten (vgl. unten, 3.4.1). Durch sie werden letztlich die Themen konstituiert, um welche die Diskurse kreisen. Die Topoi, Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren sind wiederum untereinander durch semantische Beziehungen vernetzt, die den Diskurs zusammenhalten, zugleich aber an den Rändern unscharf sind und auf benachbarte Diskurse übergreifen, so dass auch die Diskurse untereinander vernetzt sind und zueinander in Beziehungen stehen. So lassen sich Diskurshierarchien (Interdiskurse, Metadiskurse usw.) konstituieren. Diese äußerst komplexen, jenseits der Beschreibungsmöglichkeiten einer Einzelstudie liegenden Diskursbeziehungen umfassen damit theoretisch unendlich viele Äußerungseinheiten und mehr oder weniger die gesamte menschliche Kommunikation.13 Aufgrund dieser diskurssemantischen Beziehungen der Texte untereinander können Diskurs und Korpus nicht identisch sein. Ein Korpus ist letztlich nur eine mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Sammlung von Texten, die in keiner engeren Beziehung zueinander stehen müssen (was in der Korpuslinguistik, abhängig von der forschungsleitenden Fragestellung, keine Seltenheit ist). Durch die semantischen Beziehungen ist der Diskurs daher mehr als nur ein Korpus. Wissenschaftstheoretischer Standpunkt der Diskurslinguistik ist der Konstruktivismus. Dieser geht von der Grundannahme aus, dass die Welt nicht faktisch gegeben ist, sondern durch Individuen und Kollektive konstruiert wird. Es liegt eine Wechselbeziehung zwischen Individuum und Kollektiv vor: „[J]edes Individuum wird schon in eine sinnhaft konstituierte Umwelt hineingeboren und auf sie hin sozialisiert und geht nie mit ,der Realität als solcher‘ um“ (Schmidt 1994, 594). Umgekehrt wirkt auch das Individuum in gewisser Weise auf seine �� 12 Unter konstitutiven Textsorten verstehe ich in diesem Zusammenhang Textsorten, die eine bestimmte Sprachnormenvorstellung konstituieren und vermitteln, etwa Grammatiken. 13 Es erscheint utopisch, einen solchen Superdiskurs in der Praxis auch nur annähernd beschreiben zu wollen. Vgl. dazu auch das Konzept des texte générale Derridas (z.B. Derrida 1974; 1983); vgl. auch Kurz 2000, 214.

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Umwelt ein und trägt zu ihrer tagtäglichen Modifikation und Veränderung bei. Je größer die mediale Vernetzung des Individuums ist, desto größer wird sein Einfluss. Dies gilt gerade für Repräsentanten des öffentlichen Lebens wie Politiker, Journalisten, Wissenschaftler usw. Ihre Wirklichkeitskonstruktion wird durch die Massenmedien verbreitet und so in die öffentlichen Diskurse eingespeist. So entstehen zwei verschiedene Wirklichkeitsebenen: „Eine Ebene der Wirklichkeit, wie sie ,wirklich‘ ist, wie sie autoptisch wahrgenommen und geprüft werden kann und eine zweite Ebene der medialen (fiktionalen) Wirklichkeit, wie sie uns wirklich erscheint (oder: von der wir zu wissen meinen, dass sie wirklich sei)“ (Merten 1999, 252 f.; Hervorhebungen im Text). In modifizierter und noch weiter differenzierter Form wird ein solcher Wirklichkeitsbegriff auch der unten (3.3.1) vorgestellten Satiretheorie zugrunde gelegt. In Auseinandersetzung mit der Forschungsperspektive, die er als metaphysischen Realismus bezeichnet, verdeutlicht Oskar Reichmann, was Konstruktivismus in der Sprachgeschichtsforschung bedeutet: Unter ersterem [dem metaphysischen Realismus, S. R.] soll hier die Auffassung verstanden werden, dass Erkenntnis ein Finden, Entdecken und darauf folgend ein möglichst exaktes Darstellen, Beschreiben, Wiedergeben, Nachzeichnen von etwas vor jeder Erkenntnisoperation und unabhängig von ihr auf irgendeine Weise Vorhandenem, meist von etwas als objektiv Vorausgesetztem, ist. Der Konstruktivismus versteht menschliches Handeln und mit ihm wissenschaftliche Erkenntnis demgegenüber als soziomorphen, ausschließlich in sprachlicher Gestalt existenten Entwurf fiktiver Welten mit gesellschaftlicher Funktion als Existenzmöglichkeit (Reichmann 1998, 2; Hervorhebungen im Text).

Konstruktivismus heißt aber nicht nur, sich des Forschungsgegenstandes als sprachlich konstruierte Entität, die nicht ,real‘ existiert, bewusst zu sein, sondern er impliziert auch die Selbstreflexion des Wissenschaftlers auf der Metaebene: Fakten sind von ihrem Status her in Sprache gestaltete Konstrukte, Ideen, Bilder, Fiktionen, Entwürfe, nicht mehr vom Forschenden bloß affizierte, sondern effizierte Größen, nicht vorsprachliche und vorkognitive Grundlagen einer irgendwie verstandenen Repräsentation von Vorgegebenem, sondern Größen, die ihre Existenz ausschließlich der Sprachgeschichtsschreibung als einem Konstruktionsakt verdanken (ebd.).

Der Wissenschaftler untersucht also nicht nur den diskursiv konstituierten Forschungsgegenstand, sondern ist selbst Teil des Diskurses, er trägt durch seine Arbeit selbst zur Fortführung des Diskurses bei, d.h. er verändert den Diskurs, den er untersucht. Der Forscher ist damit nicht mehr derjenige, der unbeteiligt von außen, also ,objektiv‘ auf den Diskurs blickt, sondern jemand, der selbst in den Diskurs involviert ist:

80 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Da ich selbst betroffen bin, identifiziere ich mich mit meinem Gegenstand; und da ich mich mit ihm identifiziere, wähle ich aus, übergehe, vernachlässige, betone, gewichte, affirmiere, kritisiere, differenziere diejenigen Züge, von denen ich meine, sei seien für die von mir antizipierte Leserschaft von Wert. In Wirklichkeit entwerfe ich ein Bild, das die Sinnstiftung der Autoren meines Gegenstandes verlängert, ablehnt, als für die eigene kulturelle Existenz positiv oder negativ relevant betont. Dies alles tue ich aber – und das macht mich zum Wissenschaftler – unter fortwährender Reflexion meiner eigenen Voraussetzungen (Reichmann 2000, 445 f.).

Der Wissenschaftler ist also auf zweierlei Weise an Diskursen beteiligt. Erstens an dem Diskurs, den er zu seinem Forschungsgegenstand gemacht hat, und zweitens am Metadiskurs, der diesen Forschungsgegenstand erforscht. Jemand, der die sprachreflexiven Diskurse des 17. Jahrhunderts untersucht, nimmt also – in gewisser Weise – selbst an diesen Diskursen teil (weil er bestimmte Teilelemente der Diskurse aufgreift, beschreibt, bewertet und durch seine Arbeit distribuiert) und hat zudem Teil an der sprachgeschichtlichen Forschung, die sich mit den sprachreflexiven Diskursen des 17. Jahrhunderts beschäftigt. Die vorliegende Arbeit trägt also einerseits zur Perpetuierung und andererseits zur Erforschung ihres Untersuchungsgegenstandes bei.

3.2.2 Die sprachreflexiven Diskurse des 17. Jahrhunderts 3.2.2.1 Allgemeines Der Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der deutschen Sprache liegt im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert. In dieser Zeit erschienen die ersten grammatikographischen und lexikographischen Werke, die nicht mehr ausschließlich das Lateinische ins Zentrum stellen (vgl. dazu Gardt 1999a, 52–68). Mit Beginn des europäischen Humanismus, in Deutschland insbes[ondere] seit der Reformation (d.h. sprachhistorisch seit dem späteren Frühneuhochdeutschen) werden der Gebrauch der Sprache, die Einzelsprache und so etwas wie Sprache überhaupt u.a. in Verbindung mit der Neudefinition der Rolle der Volkssprachen gegenüber dem Lateinischen und der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander sowie infolge der protestantischen Worttheologie und der in diesem Zusammenhang relevanten Problematik der Übersetzung kanonischer Texte […] Gegenstand umfänglicher Diskussionen (Gardt et al. 1991, 18).

Diese Diskussionen werden im 17. Jahrhundert ausgeweitet und in Form der Sprachgesellschaften auch institutionalisiert.14 �� 14 Die Dominanz der Fruchtbringenden Gesellschaft und die damit einhergehende Kanonisierung der Opitzschen Literaturreform verdrängten – dies sollte zumindest erwähnt werden –

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In den sprachreflexiven Diskursen des 17. Jahrhunderts lassen sich vier Hauptströmungen unterscheiden.15 Die erste ist die sprachmystische. Sie setzt als gegeben voraus, dass Adam im Paradies das wahre Sein der Gegenstände und Lebewesen bewusst und dass er in der Lage war, diese Gegenstände und Lebewesen nach ihrem wahren Sein zu benennen. Wie die Vertreter des sprachpatriotischen Diskurses gingen die Mystiker von der grundsätzlichen Motiviertheit des sprachlichen Zeichens aus. Während jene allerdings eine ontologische Motiviertheit ansetzten, nach der das ,objektive‘ Sein bzw. das ,Wesen‘ der Dinge sich in den Wörtern widerspiegeln (das Konzept der ,Eigentlichkeit‘; vgl. unten, 4.4.4) sind diese für die Mystiker durch metaphysische Gegebenheiten transzendent motiviert (vgl. Gardt 1994a, 45). Der wichtigste Sprachmystiker, Jacob Böhme, entwickelte aus diesen Voraussetzungen das Konzept der ,Natursprache‘: Aufgrund der adamischen Akte der Namengebung verfügt jeder Gegenstand der Wirklichkeit über eine Bezeichnung, welche die basalen Kräfte, die allem Sein zugrundeliegen, erkennen lässt, und zwar in der Form, in der diese Kräfte in dem bezeichneten Gegenstand wirksam sind. Die phonetischen Spezifika der Bezeichnung dienen dabei als Hinweise – Signaturen – auf die inhärenten Kräfte. Obgleich die Menschheit als ganze die Fähigkeit zum intuitiven Verstehen der Natursprache verloren hat, ist ein solches Verstehen dem erleuchteten einzelnen durchaus möglich. (ebd., 91).

Die ,Signaturen‘ für die im Sein verborgenen göttlichen Kräfte sind nach Böhme sowohl in der Lautstruktur der Wörter als auch im Artikulationsablauf zu finden. Phonetisch relativ exakt beschreibt Böhme die Artikulationsbewegungen und weist diesen eine Position in der Heilsgeschichte zu (vgl. ebd., 95). Ziel dieses recht spekulativen und assoziatorischen Verfahrens16 ist der Nachweis, dass die „Phonie der Wörter nicht nur zu ihrer semantischen Bedeutung führt,

�� zahlreiche alternative Vorschläge zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache und Kultur. So geriet etwa das sprachpflegerische Programm Johann Fischarts und der Straßburger Offizin seines Schwagers Bernhard Jobin Ende des 16. Jahrhunderts für lange Zeit in Vergessenheit (vgl. dazu Brockstieger 2013, 244 f.). Bei Fischart finden sich auch schon zentrale Konzepte des sprachpatriotischen Diskurses des 17. Jahrhunderts, etwa die ,Reinheit‘ der deutschen Sprache oder deren Ursprung im Umfeld Noahs (vgl. ebd., 255 f.). 15 Vgl. neben der in den folgenden Abschnitten angegebenen Literatur auch Martus 1999. 16 Das etymologische Verfahren anderer Autoren, etwa von Schottelius und vor allem von Zesen, aber auch noch von Leibniz, beruht auf ähnlich spekulativen und oft schwer nachvollziehbaren Assoziationen (vgl. etwa die Etymologie der Wörter Geld und Gold in Zesens Rosen-mând (dort 212–216)). Hier zeigt sich deren Nähe zu den Sprachmystikern, zumindest was manche Gedankenkomplexe anbelangt, deutlich. Zur Sprachmystik bei Zesen vgl. auch Gardt 1994a, 58–63.

82 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse sondern […] zu bestimmten metaphysischen Erkenntnissen bzw. Erkenntnissen über die Struktur des Seins“ (ebd., 99). Reste dieser adamischen Ursprache sind nach Böhme in allen Sprachen, also auch im Deutschen vorhanden, wobei er seine Lautdeutungen jedoch ausschließlich an der deutschen Sprache durchführt. Im Gegensatz zu den Vertretern des sprachpatriotischen Diskurses ist für ihn eine mögliche Hierarchie der Einzelsprachen in Bezug auf die Natursprache kein Thema. Die Wörter des Deutschen sind dann Träger einer religiösen Wahrheit, wenn sie jemand wiederentdecken kann, wenn jemand die Signaturen versteht und zu deuten weiß. Ziel der Spracharbeit ist letztlich eine erneute Annäherung an Gott und an das Paradies. Die zweite Strömung ist die des rationalen Universalismus. Grundgedanke dieser Linie (wie aller anderen auch) ist der, dass den Dingen der Primat vor dem Denken und diesem der Primat vor der Sprache gebührt. Im Gegensatz zu den Sprachmystikern gingen die Sprachuniversalisten von der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens aus. Daher wird die Sprache als formbares Gebilde verstanden, das keine transzendente, dem Zugriff des Menschen entzogene Grundlage hat. Gardt (1994a, 260–262) nennt fünf Kennzeichen universalistischer Sprachreflexion: 1. „Das mentale Abbild wird als eigenständiger Faktor in der Bestimmung des Zeichenbegriffs“ verstanden (ebd. 261), welches eine dritte Größe darstellt, die es in der ontologisierenden Sprachreflexion, die von der Motiviertheit des Zeichens ausgeht, nicht geben kann. 2. „Als ideale Relation zwischen den Größen Gegenstand, Abbild und Bezeichung gilt die Eindeutigkeit“ (ebd.), im Falle der künstlichen Universalsprachen die Isomorphie. Diese Eindeutigkeit oder Isomorphie wird mit keiner Einzelsprache verbunden, sprachpatriotische Züge sind dieser Strömung fremd. Stattdessen liegt hier eine „rationale Variante des Natursprachgedankens“ vor (ebd.). 3. „Die Wahrheit wird als objektiv gegeben und in dieser Objektivität erkennbar gesehen“ (ebd.). Diese Objektivität beruht auf der angenommenen Universalität der Erkenntnisprozesse (von der im späten 18. Jahrhundert noch Kant ausging). 4. Zumindest teilweise wird eine Unterscheidung zwischen Oberflächen- und Tiefenstruktur getroffen. 5. Es interessieren nicht nur lexikalische, sondern auch syntaktische Fragestellungen. Die Qualität einer Sprache misst sich nach dieser Konzeption an ihrer Seinsadäquatheit, d.h. an der Übereinstimmung von konkretem Gegenstand bzw. dessen mentalem Konzept im Bewusstsein des Sprechers und dem ihn bezeichnenden Wort (Punkt 2). Die Vertreter des sprachlichen Universalismus stellen in den natürlichen Sprachen eine große Inkongruenz zwischen Sein und Sprache fest und bezweifeln, dass unter diesen Umständen wahre Erkenntnis möglich ist. Im Gegenteil: Ein dem wahren Sein des Gegenstandes nicht angemessenes Wort kann zu Irrtümern und Missverständnissen führen, weil der

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objektiv erkennbare Gegenstand durch eine nicht seinsadäquate oder unpräzise Bezeichnung falsch verstanden oder falsch vermittelt werden kann.17 Dieses präsupponierte Defizit der natürlichen Sprachen führte die Vertreter des Sprachuniversalismus dazu, auf Mathematik und Logik basierende Kunstsprachen zu entwickeln, die in jeder Kultur und von jedem Menschen verstanden werden können. Solche universalgrammatischen Entwürfe legten u.a. die Franzosen Antoine Arnauld und Claude Lancelot in der Grammatik von Port-Royal18 oder Christopher Helwig mit seinen Allgemeinen Sprachkünsten (1619) vor (vgl. Gardt 1994a, 282–288).19 In diesem Konzept schwingt auch der irenische Gedanke mit, dass Streitigkeiten und kriegerische Auseinandersetzungen auf Missverständnissen beruhten, die durch eine Universalsprache beseitigt werden könnten (vgl. Gardt 1994b, 83). Zeichentheoretisch stehen in diesem Diskurs die kognitive und die Darstellungsfunktion im Mittelpunkt, die kommunikative, die Symptom- und die Appellfunktion spielen dagegen kaum eine Rolle (vgl. Gardt 1994a, 263; vgl. auch Hankamer 1926/1965, 145 f.). Da in den Konzepten der Universalsprachen ausschließlich die logischen Strukturen der Grammatik interessierten und „nicht selten in naiver Fehleinschätzung historisch-pragmatischer Zusammenhänge“ (Gardt 1994a, 260) die kommunikativen Aspekte völlig ausgeklammert wurden, wurde außer wenigen Geheimsprachen keiner dieser Entwürfe in die Praxis umgesetzt. Hauptvertreter dieses international ausgerichteten, in ganz Europa verbreiteten Diskurses (u.a. Francis Bacon, John Locke und Johann Amos Comenius) sind in Deutschland Georg Philipp Harsdörffer und Gottfried Wilhelm Leibniz. Da der Sprachpatriotismus als dritte Hauptströmung im Zentrum dieser Arbeit steht, soll er im Gegensatz zum sprachmystischen und sprachuniversalistischen Diskurs, die nur angerissen wurden, ausführlicher dargestellt werden. Er lässt sich wiederum in zwei Diskursstränge gliedern, die jedoch so eng verflochten sind, dass sie nicht strikt getrennt behandelt werden können. Der eine Strang ist der Sprachnormierungsdiskurs, in dem es darum geht, aus der Varietätenvielfalt eine einheitliche Literatur- und Wissenschaftssprache zu extrahieren. Der andere Strang ist der sprachpatriotische Diskurs im engeren Sinne, der insbesondere die deutsche Sprache emporhebt und fremde Einflüsse bekämpft. Sprachpatriotisch sind beide Diskursstränge deshalb, weil ihnen das Ziel gemeinsam ist, die als defizitär empfundene deutsche Sprache auf das gleiche

�� 17 Dies ist noch der Kern der Sprachkritik des frühen Wittgenstein im Tractatus logicophilosophicus. 18 Grammaire générale et raisonnée (1660); vgl. dazu Gardt 1994a, 274–282. 19 Vgl. auch Gardt 1994b und Gardt 1995, 149–154.

84 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Niveau wie die europäischen Kultursprachen Französisch, Italienisch und Spanisch sowie die ,heiligen‘, auch als Gelehrtensprachen fungierenden Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein zu heben. Dieses Ziel steht im Rahmen einer umfassenden, primär vom gebildeten Bürgertum getragenen kulturpatriotischen Bewegung zur kulturellen und sittlichen Erneuerung Deutschlands. Auf der Suche nach einem verbindenden Element im von politischen und religiösen Konflikten und dem Dreißigjährigen Krieg zerrissenen Land wurden die Vertreter des Diskurses bei der Sprache fündig. Sprache und Dichtung wurden zu einem nationalen Kulturgut erhoben, das das deutsche Ansehen in der Welt steigern sollte. Die Dichtungsreform, die Martin Opitz mit dem Buch von der Deutschen Poeterey (1624) eingeleitet hatte, sollte die deutsche Dichtung auf internationales Niveau bringen und zum Ruhm der Nation beitragen.20 Exkurs: Zum Begriff des Sprachpatriotismus und des Sprachnationalismus Es ist Interpretationssache, inwiefern man die entsprechenden Äußerungen als patriotisch oder als nationalistisch versteht. Zunächst ist festzustellen, dass es viele Versuche gibt, die Begriffe der Nation und des Nationalismus zu definieren, aber kaum solche, die sie stringent von dem des Patriotismus abgrenzen. Für die Nation wird folgende Definition von Benedict Anderson zugrunde gelegt: „Sie ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän“ (Anderson 1988, 15). Vorgestellt sind solche Gemeinschaften deshalb, weil die Bevölkerung einer Nation zu groß ist, als dass jedes Mitglied jedes andere kennen könnte; „aber im Kopf eines jeden [existiert] die Vorstellung ihrer Gemeinschaft“ (ebd.). Dies soll aber nicht bedeuten, dass Nationen erfunden seien: Vielmehr „sind alle Gemeinschaften, die größer sind als die dörflichen mit ihren Face-to-face-Kontakten, vorgestellte Gemeinschaften“ (ebd., 16). Souverän sind Nationen, weil sie durch Aufklärung und Revolution die göttlich legitimierten dynastischen Herrschaften in Frage stellten und selbst eine unmittelbare Legitimation von Gott anstrebten, nicht mehr durch einen Herrscher repräsentiert. Begrenzt sind Nationen, weil sich eine Nation nur durch Abgrenzung von einer anderen definieren kann. Die gesamte Menschheit mit der Na�� 20 „Es wird aber bey jhnen nicht stehen / vnd ich bin der tröstlichen hoffnung / es werde nicht alleine die Lateinische Poesie / welcher seit der vertriebenen langwierigen barbarey viel große männer auff geholffen / vngeacht der trübseligen zeiten vnd höchster verachtung gelehrter Leute / bey jhrem werth erhalten werden; sondern auch die Deutsche / zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt / von stattlichen gemütern allso außgevbet werden / das vnser Vaterland Franckreich vnd Italien wenig wird bevor dörffen geben“ (Opitz, Poeterey, 354).

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tion gleichzusetzen, widerspräche der Grundidee der Nation. „Schließlich wird die Nation als Gemeinschaft vorgestellt, weil sie, unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung, als ,kameradschaftlicher‘ Verbund von Gleichen verstanden wird“ (ebd., 17). Kern dieses konstruktivistischen Nationskonzepts ist der Gedanke, dass Nationen nicht per se existieren, sondern durch die Gemeinschaft konstituiert werden. Dies ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass man vor der politischen Gründung einer Nation bereits von einem Nationalismus sprechen kann, der die Nation als Sprachnation, Kulturnation etc. konstituiert und der überhaupt erst die Voraussetzung für die Staatsnation ist. Anja Stukenbrock nimmt diesen Nationsbegriff als Basis, um Michael Freedens wertneutralen Nationalismus-Begriff ihrer Studie zum Sprachnationalismus in Deutschland zugrunde zu legen, der es ermöglicht, entgegen der negativen Konnotation, mit der in Deutschland der Ausdruck Nationalismus belegt ist, das Phänomen des Nationalismus unter Vermeidung einer wertenden Perspektive zu behandeln (vgl. Stukenbrock 2005, 13). Sie reagiert damit auch auf die terminologisch unbefriedigende, weil nicht klare Trennung zwischen Patriotismus und Nationalismus. Andreas Gardt hatte bereits einige Jahre zuvor Kennzeichen sprachpatriotischer und sprachnationalistischer Argumentation herausgearbeitet, wobei er keine explizite Differenz zwischen Sprachpatriotismus und Sprachnationalismus benennt, sondern beide unter dem Terminus Sprachideologie zusammenfasst (vgl. Gardt 1999b, 92): a) „das emphatische Lob der eigenen Sprache und zugleich ihre Vergegenständlichung, d.h. ihre Hypostasierung zu einer Größe jenseits historischer und sozialer Bezüge“ (ebd., 91 f.). Dabei wird die Sprache mit einer von ihren Sprechern unabhängigen Natur, einem Wesen, einem Charakter oder einer Kraft versehen, sie besitzt inhärente Gesetzmäßigkeiten und muss diesen Gesetzmäßigkeiten entsprechend verwendet werden. Sie wird häufig mit organischen Metaphern verbunden und zu ihren charakteristischen Eigenarten gehören hohes Alter, genealogische Reinheit und strukturelle Homogenität. Meist wird von der Motiviertheit des sprachlichen Zeichens ausgegangen. b) Häufig werden Bereiche des Sprachlichen mit anderen Konzepten der Kultur verbunden, so etwa mit ethnischen (Sprache – Volk/Nation), politischen (Sprache – Reich/Land), moralischen (Sprache – Sitte/Moral) oder anthropologischen (Sprache – Rasse/Volk). „Resultat dieses Übereinanderblendens ist die Identifizierung eines Sprachcharakters (bzw. einer Sprachnatur, eines Sprachwesens etc.) mit einem Volks- oder Nationalcharakter“ (ebd., 92). c) Die Überlegenheit der eigenen Sprache wird behauptet, im Zusammenhang mit b) gehört dazu auch die Behauptung der Überlegenheit der eigenen Na-

86 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse tion, des eigenen Volks usw. Dabei wird mehr oder weniger explizit auch die Gefährdung der Integrität oder der Identität des Eigenen durch das Fremde behauptet, was zu einer teilweise aggressiven Abwertung des Fremden führt. Der kultur- und sprachpatriotische Diskurs des 17. Jahrhunderts weist die von Gardt genannten Merkmale auf: Die deutsche Sprache wird zu einer von den Sprechern unabhängigen Größe hypostasiert21, sie wird mit inhärenten Regeln22 versehen und mit biologistischen Metaphern verbunden23. Zu den Kerntheoremen gehören das hohe Alter der deutschen Sprache24, ihre Reinheit25 und ihre Homogenität26. Sie wird mit der Nation bzw. dem Vaterland27 und mit Konzepten von Sitte und Moral28 verbunden und es wird auch die Überlegenheit des Deutschen gegenüber dem Französischen, manchmal sogar gegenüber dem Lateini-

�� 21 „[W]elches dann die rechte unfehlbare uhrankunft und Wurtzel des Teutschen Nahmens ist / nemlich der Nahme des wahren Gottes selbst / daß also Teutisch / so viel heisset / als Göttisch oder Göttlich“ (Schottelius, Arbeit, 36). 22 „Hierbey ist zuerinnern / daß die Sprachlehrer (Grammatici) nicht eignes Willens Gesetze verabfassen und sondern nach der Sprache Eigenschaft solche richten die gewiessen Weg ausbahnen und mit vielen angeführten Exempeln beweisen“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 66). 23 Stammwörter, „welche als stets saftvolle Wurtzelen den gantzen Sprachbaum durchfeuchten / dessen Spröslein / Ast- und Aderreiche Zweige in schönester Reinligkeit / steter Gewisheit und unergründender Mannigfaltigkeit / reumiglich und hoch ausbreiten lassen. Nach dem auch eine Sprache an solchen Stammwörteren kräftig und Wurtzelreich ist / kan sie auch schöne / herrliche und vielfältige Früchte geben; nicht anders wie ein Baum / nach dem saftigen Stande seiner ausgebreiteten Wurtzelen die Früchte reich- oder kärglich machen lässet“ (Schottelius, Arbeit, 50). 24 „[H]aben alle Europeische Sprachen viele Würtzelen / Wörter / Saft / Kraft und Geist aus dieser reinen uhralten Haubtsprache der Teutschen“ (Schottelius, Arbeit, 123). 25 „Wan sie recht rein und nach ihrem natürlichen ursprunge geschrieben wird / so hat sie freilich nichts fremdes. Aber wie in allen sprachen oder mund-ahrten / durch handeln und wandeln der frembdlinge untereinander / fremde wörter einzuschleichen pflegen / so haben sich dergleichen auch in unsere sprache bisweilen mit eingeschlichen / da sie doch von sich selbst reich genug ist / und keine neue wörter lehnen darf“ (Zesen, Rosen-mând, 203). 26 Nach Schottelius bestehen die Stammwörter aus „jhren eigenen Natürlichen / und nicht in frömden Letteren“ (Schottelius, Arbeit, 51). 27 „Einmal sind wir Teutsche schuldig über unseres Vaterlands / und unserer Sprache Freyheit zu halten / selbe zu lieben / zu ehren / und eussersten Vermögens zu handhaben“ (Hille, Palmbaum, 78*). 28 Die deutsche Jungfrau will sich „täglich bemühen / ein teütsches redliches Hertz / ehrbare teütsche Sitten und reine teütsche Sprache zu behalten“ (Rist, Rettung, 145).

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schen und Griechischen behauptet29. Damit ist häufig auch die Abwertung des Fremden verbunden30. Warum wird in dieser Arbeit dennoch vom sprachpatriotischen und nicht vom sprachnationalistischen Diskurs gesprochen? Thorsten Roelcke führt als Unterscheidungskriterium zwischen Sprachpatriotismus und Sprachnationalismus zunächst die Perspektive des jeweiligen Autors ein: Wird prinzipiell von der Gleichwertigkeit der verschiedenen Nationen und Sprachen ausgegangen, so liegt Sprachpatriotismus vor: „Solche Äußerungen gehen zum Teil nicht mit einer ausdrücklichen Abwertung anderer Nationen und Sprachen einher und können somit noch als patriotisch auf der Schwelle zum Nationalismus angesehen werden“ (Roelcke 2000, 149). Andererseits gibt es aber auch Äußerungen, die mit der Aufwertung der deutschen Sprache und Nation „expressis verbis auch eine Abwertung anderer Nationen“ verbinden und somit „der deutsche Patriotismus in eine gefährliche Nähe zu einem deutschen Nationalismus gerät“ (ebd., 150). Manche Autoren, wie etwa Hille, weisen jeden Verdacht des Nationalismus weit von sich: Einmal sind wir Teutsche schuldig über unseres Vaterlands / und unserer Sprache Freyheit zu halten / selbe zu lieben / zu ehren / und eussersten Vermögens zu handhaben. Wir verachten aber hierdurch keineswegs andere fremde Sprachen / sondern bejaen allein / daßselbe mit der unsern nicht zu vermischen / und jede absonderlich in gebürlichem Gebrauch zu halten seye (Hille, Palmbaum 78).

Da die Haltung des Autors alleine noch nicht ausreicht, Patriotismus und Nationalismus voneinander zu trennen (wo wäre die Grenze und wie wäre sie zu bestimmen?), schlägt Roelcke als zusätzliches Kriterium vor, die praktischen Konsequenzen zu berücksichtigen, die sich aus den Äußerungen der Autoren ergeben: Besteht diese Konsequenz nun in der Forderung einer wie auch immer gearteten Förderung der eigenen deutschen Nation und Sprache, so ist dies vielleicht noch als patriotisch

�� 29 „[Die deutsche Sprache] ist Wortreicher als die Ebreische / in der Verdopplung fugsamer als die Griechische / in den Sinndeutungen mächtiger als die Lateinische / in der Ausrede prächtiger / als die Spanische / in der Lieblichkeit anmuthiger als die Frantzösische / in der Verfassung richtiger als die Welsche / wie solche überreiche Vollkommenheit bey allen Teutschgelehrten ausser allem Zweiffel“ (Harsdörffer. Schutzschrift, 358). 30 Vgl. Stieler: Teutsche Sekretariat Kunst (Nürnberg 1681): „[Z]u unsern Zeiten die Türcken grausam / aufgeblasen / gewaltähtig und rachgierig: Die Spanier hochmüthig / und ruhmrätig / wie auch die Pohlen: Die Welsche listig / argwöhnisch und heimlich: Die Franzosen hurtig / weichlich / keck / hitzig und voller Ehrenworte / so man Complimenten auf ihre Sprache nennet: Die Teutsche ernsthaftig / verträglich / getreu / standhaftig ihrer Zusage / und achthaber der Ehre und guten Nahmens“ (zitiert nach Roelcke 2000, 150).

88 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse anzusehen. Wird jedoch aus der Abwertung anderer Nationen und Sprachen die Forderung nach deren Unterdrückung, wenn nicht gar Vereinnahmung durch die deutsche Nation und Sprache laut, so kann dies nicht mehr anders als nationalistisch aufgefasst werden (Roelcke 2000, 150).

Im 17. Jahrhundert sind, auch wenn nur wenige Autoren das gleiche Problembewusstsein aufbringen wie Hille in der zitierten Passage, Forderungen nach Vereinnahmung oder gar Unterdrückung fremder Sprachen und Nationen nicht einmal in Ansätzen zu finden. Den Autoren geht es vielmehr um die Konstitution einer eigenen Sprach- und Kulturnation einerseits und um die Abwehr fremder, diese Konstitution gefährdender Einflüsse andererseits. „Vor diesem Hintergrund darf das Sprachdenken im Umfeld der deutschen Sprachgesellschaften des Barock insgesamt als patriotisch, im einzelnen dabei jedoch als mehr oder weniger nationalistisch geprägt gelten“ (ebd., 151). Und an anderer Stelle: „Das Programm und das Wirken der deutschen Sprachgesellschaften des Barock stellt sich so als eine patriotische Strömung der deutschen Geschichte dar, die nicht vorschnell mit nationalistischen Erscheinungen der darauf folgenden Jahrhunderte in einen unmittelbaren Zusammenhang zu bringen ist“ (ebd., 165). Für Stukenbrock steht hinter Roelckes Ausführungen ein unklare[r] Ideologie-Begriff, der auf einer die Wertedichotomie von ,aufklärerisch‘ versus ,trügerisch‘, ,gut‘ versus ,böse‘ reproduzierenden Dichotomie von ,Ideologie‘ versus ,Theorie‘ gründet und damit einen analytischen Zugriff auf Vorstellungen, Konzepte, Ideologeme von vornherein einer wertenden Perspektive unterwirft, die Theoreme von Ideologemen klar zu trennen vermeint, dabei aber nicht selten eigene Legitimationsbedürfnisse erfüllt (Stukenbrock 2005, 13).

Dennoch halte ich gerade Roelckes Gedanken, die praktischen Konsequenzen, die sich aus den Aussagen der Autoren ergeben, für ein brauchbares, wenn auch zugegebenermaßen nicht immer trennscharfes Instrument zur Klassifizierung von Äußerungen als patriotisch oder nationalistisch.31 Der aus dem angelsächsischen Raum stammende wertneutrale Nationsbegriff Andersons oder Freedens, den Stukenbrock zugrundelegt und der auch sehr attraktiv ist, handelt sich nämlich das Problem ein, Äußerungen sehr unterschiedlicher Qualität in eine Kategorie stellen zu müssen. Wie groß das Spektrum ist zwischen einem gemäßigten und reflektierten Patriotismus, wie ihn Hille in der zitierten Passage vertritt, und einem aggressiven Nationalismus, der explizit zum idealischen

�� 31 Eine Terminologie, die beide Phänomene scharf voneinander zu trennen vermöchte, wäre m.E. ohnehin nicht wünschenswert, da sie immer willkürlich die fließenden Übergänge ignorieren würde.

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Volkshaß aufruft, zeigt folgende Stelle aus Ernst Moritz Arndts Über deutsche Sprache und über das Welschtum bei uns (entstanden wohl um 1815): Und was ist der Haß, was ist denn Abneigung gegen ein fremdes Volk? […] Wenn ich sage, ich hasse den französischen Leichtsinn, ich verschmähe die französische Zierlichkeit, mir mißfällt die französische Geschwätzigkeit und Flatterhaftigkeit, so spreche ich vielleicht einen Mangel aus, aber einen Mangel, der mir mit meinem ganzen Volke gemein ist. Ebenso kann ich sagen: Ich hasse den englischen Übermut, die englische Sprödigkeit, die englische Abgeschlossenheit. Diese gehaßten und verachteten und getadelten Eigenschaften sind an sich noch keine Laster, sie hängen bei den Völkern, die sie tragen, vielleicht mit großen Tugenden zusammen, die mir und meinem Volke fehlen (Arndt, Welschtum, 137).

Derart scharfe Töne, die, wie der letzte Satz zeigt, bestimmten Volkseigenschaften gelten und die den Engländer und den Franzosen verhasst machen, sind den Autoren des 17. Jahrhunderts fremd, allem Willen zur Abgrenzung von den Franzosen zum Trotz ist nirgendwo von Hass die Rede. Nimmt man Roelckes Kriterium der Konsequenz der Aussage als Maßstab, dann ist Arndts Text eindeutig als nationalistisch einzuordnen. Er ist zwar nicht von jedem Text des 17. Jahrhunderts so weit entfernt wie von Hille, dennoch erreichen auch die polemischen antifranzösischen Texte der Barockzeit nicht die Aggressivität, die in Arndts Texten vorhanden ist. Zudem „unterscheiden sich die historischen Motive für die Ideologisierung der Sprachdiskussion erheblich“ (Gardt 2001, 46; vgl. ebd., Anm. 21). Daher halte ich es für sinnvoll, das Gros dieser Texte und den Diskurs als sprachpatriotisch zu bezeichnen und nicht als sprachnationalistisch. Ende des Exkurses. Zum Zweck der Förderung der deutschen Sprache und Dichtung bildeten sich nach dem Vorbild der italienischen Accademia della Crusca und niederländischer Sozietäten mehrere Sprachgesellschaften. Diese sind „über den Bereich von Sprache und Literatur hinaus im allgemeineren Rahmen einer späthumanistisch-frühaufklärerischen Sozietätsbewegung zu sehen, die ein konstitutives Element der Symbiose von absolutistischer Fürstenherrschaft und Bildungsbürgertum darstellt“ (von Polenz 1995, 43). Die größte und wichtigste von ihnen war die Fruchtbringende Gesellschaft (nach ihrem Emblem auch Palmorden genannt). Sie wurde 1617 in Weimar durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen und einige Mitstreiter ins Leben gerufen und die wichtigsten Dichter und Sprachtheoretiker der Zeit zählten zu ihren Mitgliedern, u.a. Martin Opitz, Georg Philipp Harsdörffer, Justus Georg Schottelius, Philipp von Zesen oder Johann Rist. Nach ihrem Vorbild wurden weitere Sprachgesellschaften gegründet, erwähnenswert sind die 1643 von Zesen gegründete Deutschgesinnte Genossenschaft, der 1658

90 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse durch Rist ins Leben gerufene Elbschwanenorden (beide in Hamburg), der PegPegnesische Blumenorden in Nürnberg (1644), dessen Gründer Harsdörffer und Johann Klaj sind, sowie die 1633 u.a. von Jesaias Rompler von Löwenhalt gegründete Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen in Straßburg (zu den Sprachgesellschaften vgl. Gardt 1998, I. Breuer 1999, Otto 1972, Bircher/van Ingen 1978, Engels 1983 und Huber 1984; zur schwierigen Quellenlage bei der Forschung zur Tannengesellschaft vgl. Schäfer 1976 und Bopp 1998). Die ,Sprachgesellschaften‘32 hatten das Ziel, die deutsche Sprache und Dichtung zu fördern und emporzuheben. Vor allem waren sie aber Tugendvereinigungen, die von ihren Mitgliedern nicht nur sittliche und moralische Integrität forderten, sondern diese auch in die deutsche Gesellschaft hinaustragen wollten. Dies wird deutlich an den ersten beiden Punkten der Satzung der Fruchtbringenden Gesellschaft: Zum Ersten. Sollen sich alle Fruchtbr. Gesellschafter / wes Standes oder Religion Sie seyn / Erbar / Verständig und Weise / Tugendhaft und Höfflich / Nützlich und Ergetzlich / Leutselig Mäßig überall erweisen / rühmlich und ehrlich handeln / bey Zusammenkunften sich gütig / frölich und vertraulich / in Worten / Geberden und Werken treulich erweisen / und gleich wie bey angestellten Zusammenkunften keiner dem andern ein wiedriges Wort übel aufzunehmen / höchlich verboten; Also soll man auch dagegen aller ungeziemenden Reden und groben Schertzens / sich zu enthalten / festiglich verbunden seyn. Zum Andern. Soll auch den Gesellschaftern vor allen Dingen obliegen / unsere hochgeehrte Muttersprache / in ihrem gründlichen Wesen / und rechten Verstande / ohn Einmischung fremder ausländischer Flikkwörter / so wol im Reden / Schreiben / Getichten / aufs allerzier- und deutlichste zu erhalten und auszuüben; Auch so viel müglich / insonderheit bey den Mittgesellschaftern / zu verhüten / daß diesem in keinem nicht möge zuwieder gehandelt / vielmehr aber gehorsamlich nachgelebt werden: Wozu dann einem jedweden seine beywohnende Höflichkeit / ohn das vielfältige Anleitung geben wird (Neumark, Palmbaum, 25 f.).

Der erste Punkt behandelt also die Tugenden, die die Mitglieder zu beachten sich verpflichten. Erst an zweiter Stelle steht die Sprachpflege. Somit war die Fruchtbringende Gesellschaft nicht in erster Linie eine ,Sprachgesellschaft‘, sondern eine Vereinigung zur Pflege bestimmter Tugenden. �� 32 Der Terminus ist nicht unproblematisch, da er nicht zeitgenössisch ist, sondern erst im 19. Jahrhundert gebildet wurde (vgl. I. Breuer 1999, 201). Weil er aber in der Literatur etabliert ist, wird er auch hier verwendet.

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Im Umfeld der Fruchtbringenden Gesellschaft entstanden die wichtigsten sprachtheoretischen Arbeiten. Hauptanliegen dieser Studien war die Normierung der deutschen Sprache, die zu diesem Zeitpunkt noch eine breite regionale, funktionale und stratifikatorische Varianz ohne übergeordnete Leitvarietät aufwies. Über die Frage, nach welchen Kriterien die Sprache normiert werwerden sollte, bestand wenig Einigkeit. Neben der Favorisierung von bestimmten Dialekten, sprachlichen Vorbildern (insbesondere Martin Luther) oder der Sprache bestimmter Schichten oder Institutionen (vgl. dazu ausführlich Josten 1976 und unten, 3.2.3) wurden innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft vor allem zwei gegensätzliche Theorien vertreten. Die erste wollte die Norm am ,guten Gebrauch‘ orientieren. Dies ist die anomalistische Linie, die v.a. Fürst Ludwig und Christian Gueintz propagierten. Mit dem ,guten Gebrauch‘ meinten sie vor allem den Sprachgebrauch der oberen Schichten Sachsens (vgl. dazu auch Reichmann 1993a). Dieser genieße die höchste Anerkennung und habe daher die besten Aussichten, allgemeine Verbreitung zu finden. In schroffem Widerspruch dazu steht der Analogismus, der von Harsdörffer und vor allem von Schottelius vertreten wurde. In seiner Ausführlichen Arbeit von der Teutschen HaubtSprache (1663) legt er den gesamten theoretischen Hintergrund der analogistischen Auffassung dar. Da seine Ansichten im Kern für den größten Teil des sprachpatriotischen Diskurses gelten können, sollen sie ausführlicher vorgestellt werden. Für Schottelius ist die deutsche Sprache „eine von den allerwortreichesten / an sich wollautend / rein / dabeneben prächtig und mächtig / und also volkommen“ (Schottelius, Arbeit, 16). Diese Eigenschaften besitze sie deshalb, weil die deutsche Sprache eine der ältesten überhaupt, eine ,Hauptsprache‘ sei, die nahe an der adamischen Ursprache geblieben und nach der babylonischen Verwirrung als ,das Celtische‘ zur Grundlage aller europäischen Sprachen geworden sei. Schottelius führt zur Begründung dieser Ansicht die auffälligen Bezeichnungsähnlichkeiten an, die anderthalb Jahrhunderte später zur Entdeckung der indoeuropäischen Sprachverwandtschaft führten. Für Schottelius sind Beispiele wie Nase (nasus), Vater (pater), Fisch (piscis) oder Wind (ventus) Beweise, dass das Lateinische ein ,celtischer‘ (= deutscher) Dialekt sei: Wer demnach sagt / […] daß Nase / Vater / Fisch / Wind / etc. kommen müsse vom Römischen Nasus, Pater, Piscis, Ventus &c muß zugleich darthun / daß die alten Teutschen keine Nase noch Väter gehabt / noch Fische haben essen mügen / auch daß kein Wind bey jhnen gewehet habe / weil es sonst einer Lügen nicht unähnlich / dz solche Stamm-

92 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse wörter in dieser uhralten Haubtsprache bis zur Römer Zeit weren verborgen geblieben (ebd., 40 f.).33

Die genannten Wörter gehören für Schottelius zu den ,Stammwörtern‘. Diese sind die lexikalische Grundlage aller Sprachen und das Deutsche besitzt besonders viele von ihnen. Aus den Stammwörtern lassen sich durch Komposition und Ableitung viele weitere Wörter bilden, so dass dieses Material für die Funktionsfähigkeit einer Sprache ausreichend ist. Je mehr Stammwörter eine Sprache besitzt, desto reicher ist sie. Da das Deutsche besonders viele Stammwörter besitzt, ist sie eine besonders reiche Sprache und nimmt deshalb eine herausragende Stellung ein. Eine weitere Eigenschaft der Stammwörter ist die völlige Übereinstimmung zwischen der Lautgestalt und dem, was es bezeichnet, also, mit Saussureschen Termini, zwischen Signifiant und Signifié. Schottelius macht dies am Beispiel der Onomatopoesie deutlich (vgl. Schottelius, Arbeit, 59 f.). Das Wort gibt das, was es bezeichnet, ,eigentlich‘ wieder (zur ,Eigentlichkeit‘ vgl. Gardt 1995 und unten, 4.4.4), d.h. es repräsentiert das wahre Wesen des Dings, das es bezeichnet. Bezeichnung und Bezeichnetes fallen also zusammen, man kann von einer Ontosemantik sprechen. Die deutsche Sprache erhält demnach auch deshalb ihren hohen Rang, weil sie die Wirklichkeit so wiedergibt, wie sie wirklich ist. Sie repräsentiert somit die – letztlich göttliche – Ordnung der Welt (zum ordo-Gedanken, der das Denken des 17. Jahrhundert wesentlich mitprägt, vgl. Gardt 1994a, 189–226 sowie Maurer 1999, 72–77). Auch daher bekommt die deutsche Sprache ihre besondere Würde. Von dieser Grundlage her wird verständlich, warum Schottelius eine am Sprachgebrauch orientierte Normierung ablehnt. In seinen Augen ist die deutsche Sprache durch ihr hohes Alter und ihre ontologische Bedeutsamkeit zu vollkommen und rein, als dass sie durch den stetigen Gebrauch abgenutzt werden sollte. Für ihn ist der Sprachgebrauch eine erhebliche Beeinträchtigung der Vollkommenheit. Deshalb propagiert er eine Sprachnormierung aus ihren immanenten Regeln heraus: In Zweifelsfällen soll analog zu vergleichbaren Fällen normiert werden – deshalb wird für diese Denkrichtung der Terminus Analogismus gebraucht. Für Schottelius ist die ,Grundrichtigkeit‘ der deutschen Spra-

�� 33 Zwar referiert Schottelius hier nur die Ausführungen des Niederländers Schrieckius, doch er stimmt ihnen zu, weil sie zu seiner Stammworttheorie und dem Ideologem des hohen Alters passen. Vgl. auch folgende Passage: „Es ist die Teutsche Sprache solcher Wörter / welche dem Grichischen und Lateinischen zustimmen / voll / durch und durch / und treten andere vornehme Leute den Gegenbeweisthum vielmehr an / […] daß aus der uhralten Celtischen oder Teutschen Sprache solche und derogleiche Wörter wehren zu den anderen / als der Grichischen und Lateinischen eingenommen“ (ebd., 140).

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che der entscheidende Faktor für die Normierung (zur ,Grundrichtigkeit‘ vgl. Josten 1976, 177–179). Eng verbunden mit den Konzepten der ,Eigentlichkeit‘ und der ,Grundrichtigkeit‘ ist das der ,Reinigkeit‘. Im Zusammenhang mit den Stammwörtern wurwurde oben bereits erwähnt, dass eine Sprache, die reich an Stammwörtern ist, aus sich selbst heraus genügsam ist. Eine solche Sprache hat fremdes Wortgut nicht nur nicht nötig, dieses verdirbt vielmehr ihre Reinheit. Folgerichtig beklagt Schottelius die „Frömdsucht“ der Deutschen, die immer mehr Fremdwörter in die deutsche Sprache gebracht, und so die „herrliche / prächtige / Majestätische Sprache zur armen hungerigen Bettlerin gemacht“ hätte (Schottelius, Arbeit, 137). Bevor auf den Fremdwortpurismus ausführlicher eingegangen wird, wird aber noch einmal auf den beiden Positionen Analogismus und Anomalismus zurückzukommen sein.

3.2.2.2 Der Sprachnormierungsdiskurs Beiden Positionen ist die Einsicht in die Normierungsbedürftigkeit der deutschen Sprache gemeinsam. Angesichts der großen regionalen und sozialen Varianz erscheint ihnen eine über den Dialekten und Soziolekten stehende gemeinsame Hoch- und Schriftsprache als das primäre Ziel ihrer sprachpatriotischen Bemühungen. Es geht ihnen darum, eine „Deckungsgleichheit von Nationalsprache und politischem Herrschaftsraum“ zu erreichen (Reichmann 1993b, 299). Die Dialekte, die potentiell als konstituierende Elemente von Kleingruppen fungieren, die sich anhand der dialektalen Merkmale nach innen solidarisieren und nach außen abgrenzen, stehen angesichts dieses kulturnationalen Programms auf verlorenem Posten. Sie werden als Sprache des Pöbels in die unteren sozialen Schichten abgeschoben34 und besitzen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kein soziales Prestige mehr. Und die wenigen Ausnahmen bilden nach Auffassung der Anomalisten die Grundlage für die zu bildende Hochsprache, werden also in diesen Fällen über den Dialektstatus erhoben (vgl. dazu ebd. und unten, 3.2.3). Dieses Ziel wird auf unterschiedliche Weise, doch mit dem gleichen Ergebnis, begründet. Christian Gueintz betont, dass die „Hoheit und richtigkeit [der deutschen Sprache] […] lange verborgen gelegen“ sei (Gueintz, Entwurf, fol. )( vir). Die Fähigkeit wie die Anlage zur Normierung werden also als der deutschen Sprache

�� 34 Zesen unterscheidet etwa zweierlei Sprachen in jeder Gegend: „[E]ine hohe oder zierliche / und eine niedrige oder bäurische“. Letztere werde vom „gemeinen manne“ und vom „Landvolke“ benutzt, erstere „bei Hofe / unter gelehrten / unter geschickten und höflichen menschen / und sonderlich unter dem Frauenzimmer“ (Zesen, Rosen-mând, 226).

94 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse inhärent angesehen. Für Gueintz ist die deutsche Sprache eine Hauptsprache, er ist aber davon überzeugt, dass „die Hebräische Sprache die Mutter aller andern sey“ (Gueintz, Rechtschreibung, 2), weil in diesem Land auch die ersten Menschen gewohnt hätten, welche Sprache gebrauchten. Die deutsche Sprache sei aber reicher als die meisten anderen und komme der hebräischen am nächsten. Um dies offenkundig zu machen sei es aber nötig, dass die Deutschen sich bemühten, ihre Sprache „in die gleiche Richtigkeit / so viel müglich / zu bringen“ (ebd., 3). Auch Schottelius verfolgt das Ziel, denjenigen, die an der Fähigkeit der deutschen Sprache, sich in feste Regeln einzufügen, zweifeln, das Gegenteil zu beweisen: „Unsere Teutsche Sprache aber [ist] von vielen also angesehen worden / als ob sie keine richtige Gründe / noch gewißmessige eingeschlossene Hauptheilungen / nach Art einer Sprachkunst / in sich hielte / und deßwegen als etwas rauhes fast unbegriffen geblieben“ (Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( iiijv). Zum Ruhm und zur „Rettung dieser vollkommenen Hauptsprache“ (ebd., fol. ):( vr) habe er die Teutsche Sprachkunst geschrieben, die so explizit als Grundlagenwerk zur Normierung der deutschen Grammatik vorgestellt wird. Verbesserung und Vervollkommnung sind auch die Ziele von Harsdörffers sprachnormierenden Bemühungen. Die wichtigste Frage, die nach seiner Auffassung die Sprachgelehrten zu beantworten haben, ist folgende: „Welcher gestalt die hochteutsche jetzt übliche Haubt- und Heldensprache in ihre höchste Vollkommenheit / übertrefflichen Ehrenstand / kunstrichtige Verfassung / und grundmässige Wortschreibung zu bringen / und völlig einzurichten seye“ (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 124). Neben diesen sprachpatriotischen Motiven lässt sich für die Begründung der Normierung der deutschen Sprache eine zweite Argumentationslinie feststellen, nämlich die, dass die Sprache als Trägerin und Medium der Dichtung deren Inhalten auch formal entsprechen müsse. Nicht nur durch die Regulierung von Akzentsetzung, Betonung und Reimgestaltung soll nämlich die deutsche Sprache zur „Kunstsprache“ (Straßner 1995, 79) werden, sondern auch durch die Sprachnormierung. Recht umfassend äußert sich August Buchner dazu: Zwar gehöre die Beschreibung der Reinheit und Zierlichkeit der Wörter in die Grammatik und nicht in die Poetik, doch weil etliche meinten, es stünde den Poeten frei, wie sie sich ausdrückten und weil sie glaubten, sie seien zwar an die Regeln der Silben und Reime, aber nicht an die Regeln der Sprache gebunden, wolle Buchner diese von diesem „Wahn“ (Buchner, Anleitung, 19) befreien und die Notwendigkeit auch der sprachlichen Regeln in der Dichtung zeigen. Der Poet habe darauf zu achten, „daß seine Rede rein und zierlich sey / und nicht etwas daselbst vorgehe / so zarten / empfindlichen und verständigen Lesern zu wieder / oder unangenehm seyn möge“ (ebd., 20); daher habe die Rede des Poeten mit der „rechten deutschen Grammatic“ übereinzustimmen und

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dürfe „keine Soloecismos“ aufweisen (ebd.). Auch zur Syntax verliert Buchner ein paar Worte: Der Poet habe dafür zu sorgen, „daß die Wörter / daraus eine Rede erwächst / nicht anders gesetzt und gestellet werden sollen / als es die natürliche Ordnung und der gemeine Brauch mit sich bringt“ (ebd., 22). Gemeint ist damit die Stellung der Satzglieder, die im Lateinischen und Griechischen sehr frei, im Deutschen aber relativ streng reguliert sei. Aus diesem Grund spricht sich Buchner auch gegen Inversionen aus: „Nicht aber: Gebauet ist vor hundert Jahren die Stadt / weil es der natürlichen Ordnung zu wider läuft“ (ebd., 24). Diese Strenge begründet Buchner mit der Naturordnung, der das Deutsche folgen solle: „Welches theils auf der Beschaffenheit und Klange der Wörter selbst / theils auf der Ordnung und zusammensetzung derselben bestehet / denn je näher sie der Natur kömmt / je gereimter und füglicher auch wird die Rede“ (ebd., 26). Auch Johann Peter Titz besteht darauf, dass Sprache und Dichtung sich auf gleichem Level befinden sollen, denn es schade der Dichtung, wenn sie sprachlich nicht angemessen ausgedrückt werden könne. Deshalb betont er die Notwendigkeit der Richtigkeit und Kongruenz der Flexion: „Denn es kan keine grössere thorheit vnd vnverstand gefunden werden / als der jenigen Leute / die da meinen / oder gemeinet haben / man dürffe im Deutschen sich nach keinen Gesetzen vnd Regeln der Grammaticke richten / sondern möge die worte ohn alle sorge hinsetzen / wie es einem ins maul kommt“ (Titz, Bücher, fol. Pr). Diese Notwendigkeit begründet er einerseits ästhetisch (dies sei für den Leser unangenehm), andererseits auch kognitiv: Es könne der Sinn verdunkelt werden, so dass man den Satz nur mit großer Mühe oder überhaupt nicht verstehen könne. Besonderes Augenmerk richtet er auf die Kongruenz von Adjektiv und Substantiv und die Pluralbildung, außerdem erwähnt Titz die Verbflexion und die Auxiliare als Fehlerquelle. Dieses alles / vnd was sonst mehr hieher gehöret / muß auß einer guten vnd vollkommenen Grammaticke / welche vns Deutschen noch zu zeit / nicht ohn grossen schaden vnd nachtheil vnserer Sprache / mangelt / erlernet werden (ebd., P ijr).

Mit der Normbildung ist auch ein Teil des Konzepts der ,Reinheit‘ verbunden, nämlich die Reinheit nach innen, d.h. der Ausschluss bestimmter Sprachelemente, vor allem auf lexikalischer Ebene, aus der angestrebten Norm. Titz etwa fordert, dass man hochdeutsch schreiben und Wörter „die gar zu alt vnd verlegen / oder sonst bey vns nicht bräuchlich sind“ (ebd., O vir), also Archaismen, vermeiden solle. Die Beispiele, die Titz anführt, scheinen aber nicht recht passen zu wollen, sie repräsentieren eher lexikalische und morphologische Varianten: Mensch statt Mensche, schändlich statt schändlig oder Leben statt Lebende

96 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse (ebd.). Die Fruchtbringende Gesellschaft fordert von ihren Mitgliedern unter anderem, dass man sich sich „so wol der besten Aussprache im Reden; als der reinsten Ahrt im Schreiben und Dichten befleissige“ (Neumark, Palmbaum, 85). Leibniz schließlich sieht die Schreibrichtigkeit nach den Regeln der Grammatik als Teil der Sprachreinheit an (vgl. Leibniz, Gedanken, 562). Der Anomalismus ist die Gesamtheit jener Sprachtheorien, die einem bestimmten Normvorbild folgen, sei es regional, sozial, institutionell oder personal.35 Dabei wird vom Primat des Gebrauchs ausgegangen, aus dem man Regeln für die Sprachnormierung extrahiert. Der zeitgenössische Terminus Gebrauch steht für ein Konzept, das die gerade zustandegekommene Hochsprache eher durch das historische, regionale und soziale Spiel gesellschaftlicher Kräfte zustandegekommen sah als durch eine nach angenommenen inneren Gesetzen der Sprache erfolgende rational-kritische Steuerung von seiten irgendeiner Wissenschaftlichkeit beanspruchenden personalen oder gesellschaftlichen Instanz. Diesem entwicklungsbezogenen Standpunkt entspricht die synchron funktionsbezogene Auffassung, dass die in Barock und Aufklärung als Aufgabe empfundene Verbesserung der vorhandenen Sprache eher durch Beobachtung der Formen der normalen Verständigung und daran anschließende funktionale Normierung erfolgen könne als durch eine von möglichst wenigen Regeln geleitete und durch möglichst wenige Ausnahmen gestörte, wissenschaftliche Begründung und Systematik heischende Durchgestaltung sowohl des Lexikons wie der Grammatik und der Graphie einer Sprache (Reichmann 1993a, 275).

Gleichwohl heißt das nicht unbedingt, dass der Anomalismus offen für jeglichen Sprachgebrauch sei. Vielmehr wird nur ein bestimmter als vorbildlich angesehener Sprachgebrauch als ,gut‘ anerkannt (vgl. Gardt 1994a, 369). Dieser wird in Regeln gefasst, die dann für das gesamte deutsche Sprachgebiet als Norm gelten sollen. Anomalistische Argumente werden aus unterschiedlichen Gründen herangezogen. Dies geschieht etwa dann, wenn man ein bestimmtes Sprachvorbild propagiert oder anerkennt. Johann Matthäus Meyfart erklärt etwa das meißnische Kanzleideutsch zum Vorbild: „Der Redner sol sich reiner Worte in deutscher Sprach befleissigen: Vnd zwar wie solche in den Hochmeißnischen Cantzleyen vblich seyn“ (Meyfart, Redekunst, Buch I, 63). Johann Peter Titz nennt verschiedene Sprachvorbilder, nämlich die Höfe und Kanzleien, vor allem aber das Meißnische: Diese so genante Hochdeutsche Sprache nun kann sonder zweifel am richtigsten / entweder in vornehmen Höfen vnd Cantzeleyen / oder sonst in solcher Leute Häusern / vnd an

�� 35 Zu den Kategorien vgl. Josten 1976.

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denen orten / da man sie recht vnd unverfälscht redet / erlernet werden. Worinnen man denn billich den Meißnern den Vorzug lässet (Titz, Bücher, fol. O iiijv–O vr).

Weitaus häufiger wird das anomalistische Prinzip aber herangezogen, wenn über Zweifelsfälle entschieden werden muss. So diskutiert etwa Leibniz anhand des Sprachgebrauchs der Reichsgerichte, ob das Substantiv Urteil feminin oder neutral sei. Reichshofrat und Reichskammergericht gebrauchten das Wort feminin, das obersächsische dagegen neutral. Bei der Diskussion dieser Frage verwendet Leibniz die Argumente beider Parteien: Das anomalistische Argument lautet: Die beiden höchsten Reichsgerichte gebrauchen das Wort feminin, aufgrund ihrer Autorität und Vorbildlichkeit ist also Urteil feminin. Das analogistische Argument dagegen besagt, dass Urteil Neutrum sein müsse, weil der Wortstamm teil ebenfalls Neutrum sei. Letztlich entscheidet sich Leibniz für die anomalistische Position: „Doch der Gebrauch ist der Meister“ (Leibniz, Gedanken, 563). Solche Fragen will er aber der künftigen Forschung überlassen. Auch andere Autoren ziehen bei Zweifelsfällen den Gebrauch zu Rate. Bei Zesen etwa wird über die Frage diskutiert, wann das als Dehnungszeichen eingesetzt werden soll und wann Doppelvokale. Auf die Frage, ob es irgendwelche Gesetze gebe, die bei der Entscheidung behilflich seien, antwortet der Gesprächsführer Deutschlieb: „Nein. Wier müssen es nur aus dem Gebrauche und gewohnheit erlernen / weil es in gewisse Regeln nicht wohl kann abgefasset werden“ (Zesen, Spraach-übung, 53). Interessant ist die Diskussion über den Umgang mit Zweifelsfällen bei Titz, der beide Konzepte, Analogismus und Anomalismus, gegenüberstellt und vergleicht. Er referiert die Analogie nach Quintilian: „Durch die Analogiam verstehet er / wenn ein Wort gegen ein oder etlich andere / die ihm gleich sind / gehalten / vnd nach denselben gerichtet wird“ (Titz, Bücher, fol. P viir). Die Analogie wird eng mit der Etymologie verknüpft. „Und mit diesen zweenen Gründen vnd Kennzeichen [Analogie und Etymologie, S. R.] könten wir fast zu frieden sein / wenn sie nur so fest vnd gewiß weren, daß wir vns überall sicherlich drauf verlassen dürfften“ (ebd., P v 6). Der letzte Satz drückt bereits die Zweifel aus, die Titz hegt: Er hält diese Kriterien für zu unsicher, da oft die Analogie nicht klar und die Herkunft fraglich sei. Daher beruft er sich wieder auf Quintilian, der die Kriterien vetustas, autoritas und consuetudo nennt: Das erste bezieht sich auf Üblichkeit und Gebrauch: Unübliche oder wenig gebräuchliche Wörter soll man demnach meiden. Das Autoritätsprinzip verweist auf einen ansehnlichen Autor, von dem man weiß, dass er sauber und gut geschrieben hat. Das letzte Kriterium bezieht sich auf Gewohnheit und Gebrauch. Damit ist aber nicht der Gebrauch des gemeinen Volks gemeint, sondern der der Gebildeten und Hochgestellten (ebd.).

98 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Der wichtigste Vertreter des Anomalismus ist Christian Gueintz. In seinen Publikationen äußert er sich immer wieder zu diesem Thema: Sintemal keine sprache von Natur / sondern alle nach der übung / und durch die gewonheit / aufkommen / geredet / und geschrieben wird (Gueintz, Rechtschreibung, 3). Was bis anhero bey den Deutschen gelobet und vernünftig beliebet worden / das sol man behalten (ebd., 4). Warlich uns ist nicht frey / wie wir reden wollen / sondern wir müssen reden wie andere / so wir wollen von Jhnen verstanden werden (ebd., 7).36 [In Bezug auf das Diminutivsuffix -lein]: Jn recht deutscher Meisnischer sprache: dan ins gemein sie auch auf chen ausgehen: als das Männlein / das Mänchen NiederSächsisch ist / ken / die Schweitzer / Schwaben und andere lassens auch auf lin und le enden / als weiblin / mänle (Gueintz, Entwurf, 28)

Wesentlich grundsätzlicher äußert sich Gueintz in der brieflichen Korrespondenz mit anderen Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft, vor allem mit Schottelius und Harsdörffer. Auf die Kritik Schottelius’ an seinem Werk Deutscher Sprachlehre Entwurf in dessen Gutachten (vgl. unten) antwortete er folgendes: Es ist nun von Anfang der Welt biß anhero mitt gewißen gründen erhärtet, daß die Sprachen, Zumahl die, so von den Müttern vnndt durch tägliche vbung gefaßet worden, auß den Büchern anfangs nicht erlernet; sondern daß die gewohnheit sie gelehret, getrieben, erhalten (Ertzschrein, 253).

Gueintz evoziert hier die Metapher von der Muttermilch, die sonst die natürlich erworbene Volkssprache vom durch Bücher erlernten Latein abgrenzt (vgl. unten, 4.2.6). „Gueintz betont nun einen Aspekt dieser Sprachvermittlung durch die Mütter, die bei der sonstigen Verwendung des Bildes keine Rolle spielt: die Orientierung am Gebrauch anstatt an den Regeln“ (Gardt 1994a, 375). Der Analogismus Schottelius’ bekommt auf diese Weise den Charakter einer Fremdsprache, wodurch Gueintz argumentativ geschickt die naturgemäße Position für sich reklamiert. Auch Schottelius’ Kritik an seinen grammatischen Regeln hält er den Gebrauch entgegen: „Aber warümb soll man waß newes machen, das die Zierlig�� 36 An dieser Stelle spricht sich Gueintz gegen den Gebrauch ungewohnter Wörter und Archaismen aus. Auch an anderer Stelle argumentiert er kommunikationsorientiert: „Wer wolte nun solches veraltete / ausser wo es noht ist / und mit verstande geschehen kan gebrauchen? Der Deutsche würde / von dem Deutschen selbst nicht verstanden werden“ (Gueintz, Rechtschreibung, 5).

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keit nicht Zuleßt, daß die gewohnheit verwirfft, die doch eine richtschnure der Redart ist?“ (Ertzschrein, 255); und etwas weiter unten: „Jch habe den gebrauch, er will aber erst einen machen“ (ebd., 256). Auch Harsdörffer gegenüber vertritt Gueintz konsequent den Anomalismus: Die Gewonheit, die von den meisten beliebet, da auch ein grund ist, ist gewißlich nicht Zu verwerffen, dann wer weiß nicht, daß Sie, wan die meisten gelehrten mit derselben eins sind, aller Sprachen Richtschnur sey (ebd., 365). Wir lieben und loben was üblich, was vernünftig und durfen in keiner Sprache nach vnserm Gefallen etwas ändern. Es hats kein keyser, oder mächtiger Herr iemals thun können, andere werden es auch nicht thun wollen. Die Gewonheit bleibet doch eine Herrscherin aller Dinge, obschon es bißweilen beßer sein könte (ebd., 371).37

Betrachtet man diese Belegstellen, fällt zweierlei auf: Erstens wird der Anomalismus meist als Gegenthese zum Analogismus angeführt (vgl. Josten 1976, 186). Zweitens dominiert, obwohl prinzipiell jede Schreiblandschaft in Frage gekommen wäre, eindeutig das Ostmitteldeutsche bzw. Meißnische als das in den anomalistischen Argumentationen propagierte oder anerkannte Normvorbild. Dies liegt zum einen am hohen Prestige dieser Schreiblandschaft, die durch Luthers Bibelübersetzung und die politische Vormachtstellung Sachsens begründet ist (vgl. unten, 3.2.3). Zum anderen stammen die vehementesten Vertreter des Anomalismus, Gueintz und Fürst Ludwig, aber auch Zesen, aus dem ostmitteldeutschen Raum, sie propagieren also letztlich ihren Heimatdialekt (vgl. ebd., 190). Die Regeln, die Gueintz aufstellt, sind häufig nicht das Ergebnis sorgfältiger sprachwissenschaftlicher Analysen, sondern Systematisierungen des eigenen Gebrauchs. Zudem sind einige theoretische Grundvoraussetzungen des Anomalismus problematisch: Die Annahme der Anomalisten, dass die Sprache erst über Regeln verfüge, wenn diese explizit aus den Parole-Äußerungen abstrahiert wurden, ist nicht minder naiv als das Verfahren der Analogisten, das Sprachsystem hypostasierend vom Gebrauch zu isolieren. Das Einnehmen anomalistischer Positionen liegt für ostmitteldeutsche Autoren einfach deshalb nahe, weil damit de facto Schreib- und Sprechtraditionen bevorzugt werden, die dem heimatlichen Raum entstammen (Gardt 1994a, 376).

Letztlich liegt damit den anomalistischen Positionen ein hohes Maß an Willkür zugrunde. Wie groß diese Willkür werden kann, verdeutlicht Gardt anhand der Orthographievorschläge Kaspar Stielers in dessen SekretariatKunst von 1681: �� 37 Der Topos vom Herrscher, der trotz all seiner Macht keinen Einfluss auf die Sprache hat, wird von beiden Seiten gleichermaßen verwendet, vgl. unten.

100 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Wenn es, wie Stieler feststellt, die vokalische Kürze ist, die in wissen die Doppelkonsonanz notwendig macht, andererseits die vokalische Länge in Riesen die Einfachkonsonanz bedingt, warum sollten dann fliesen, geniesen und erspriesen mit Doppelkonsonant geschrieben werden? An die Basislexeme Fluss, Genuss und Spross im Gegensatz zur Ausgangsform Riese denkt Stieler nicht. Solche Beispiele zeigen, dass die OrthographieVorschläge nicht auf durchgehend systematischen Überlegungen fußen. Ausgangspunkt ist die Unzufriedenheit mit dem frühneuhochdeutschen Variantenreichtum, und es werden ,objektive‘ Gründe für einschneidende Vereinfachungen gesucht. Wo der Gebrauch das gewünschte Ergebnis bereits vorwegnimmt, wird er zitiert. Wo dem Sprachpatriotismus entsprochen werden soll […], werden Verstöße gegen die ,Eigenschaft‘ des Deutschen kritisiert, wo aber solche Verstöße aus pragmatischen Gründen annehmbar erscheinen, wird großzügig verfahren (ebd., 378).

Solche Unstimmigkeiten sowie die fehlende Bereitschaft der Autoren aus dem übrigen Reichsgebiet, die Vorherrschaft des Meißnischen widerspruchslos anzuerkennen, führen zu massiver Kritik am Anomalismus und seinen Grundannahmen. Die zuletzt geschilderte Willkürlichkeit schreckt etwa Georg Neumark vom Anomalismus ab. Es würde eine „erschrekkliche Sprachverwirrung“ (Neumark, Palmbaum, 96) ergeben, wenn jeder Schwabe, Schweizer, Pommer, Thüringer, Schlesier, Franke oder andere seine eigene Mundart schreibe würde: [A]uf solchen fall würde die so herrlich ausgeführte hochteutsche Sprache in wenig Jahren wiederüm in eine solche Barbarey gerahten, daß niemand wüste woran Er sich zu halten. Ja es würde die teutsche Sprache nicht allein den Ausländern / die vor diesem ohne das solche vor ungeschikkt zu einiger Lerahrt gehalten / und zum Theil noch achten; Sondern auch der gantzen Welt / ein großer Spott und Gelächter seyn (ebd.).

Neumark fürchtet also nicht nur um die Einheitlichkeit der deutschen Sprache zu Kommunikationszwecken, sondern auch um ihr Ansehen im Ausland. Seine Kritik am Anomalismus ist damit hauptsächlich patriotisch motiviert. Auch an der Zentrierung auf das meißnische Sprachgebiet wird Kritik geübt. Neumark wirft den Anomalisten außerdem vor, einseitig ihren eigenen Heimatdialekt anderen aufzwingen zu wollen: [A]llein daß man solches Hochteutsche Sprachlehre und Schreibrichtigkeit titulieren / und die unwissenden / dadurch verführen wil / halte ich sehr verantwortlich / zumal keinem Teutschen von Rechtswegen zugelaßen / diese oder jene seine Landessprache / nach eigenem Gefallen auszuüben / und Lehrsätze darüber öffentlich vorzuschreiben und herauszugeben; Sondern es ist jeder / der hierzu geneigt / der hochteutschen Rede / und derselben vorgeschriebenen Sprachkunst sich zu gebrauchen / verbunden (ebd., 95 f.).

Schottelius weist die Erklärung des Meißnischen zur besten Mundart, an der sich alle zu orientieren hätten, zurück: Das Meißnische sei zwar „lieblich und wollautend“ (Schottelius, Arbeit, 159), aber man solle sich hüten, „die Hochteu-

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tsche Sprache / auch in jhrer natürlichen unstreitigen Grundrichtigkeit zuenderen“ (ebd., 158). Schottelius stellt also die analogistische Grundrichtigkeit klar über den anomalistischen Gebrauch. Wesentlich zur Positionierung innerhalb des Diskurses trägt die Attribuierung bei, mit der das Substantiv Gebrauch von den Autoren versehen wird. Entscheidend ist die Dichotomie ,guter Gebrauch vs. schlechter Gebrauch‘, die lexikalisch auf verschiedene Weise gefüllt werden kann (vgl. Reichmann 1993a). Als gut gilt […] all dasjenige, was kultursoziologisch gehoben, darunter literarisch, ist, was ausführlicher, besonders bei der Produktion schriftlicher Texte erforderlicher Überlegung entspringt und was sich in Übereistimmung mit den der Sprache inhärenten oder zugeschriebenen Eigenschaften befindet. Schlecht ist alles, was dem gemeinen Volk eigen ist, einer bestimmten psychischen Disposition des sozialen Menschen oder des Menschen schlechthin entspringt und den Eigenschaften der Sprache, darunter auch den Möglichkeiten deutlichen Ausdrucks der Gedanken, widerspricht (ebd., 291).

Wenn also die These, dass der Gebrauch eine Richtschnur (Gueintz) für die Sprachnormierung liefere, anerkannt wird, dann nur unter der Voraussetzung, dass „der gesunde, vernünftige, gute, durch das institutionelle und bildungssoziologische Autoritätsprinzip bestimmte Gebrauch“ (ebd., 298) den Maßstab bildet. Dies tut er aber nach Meinung der Kritiker meist nicht. Sie werfen dem Gebrauch Unzuverlässigkeit und Fehleranfälligkeit vor, weshalb er nicht als adäquates Vorbild für eine deutsche Hochsprache tauge. Mit dem Bild vom Anomalismus als sich stetig wandelnder Kugel und vom Analogismus als standfestem Würfel spielt Johann Bellin letzteren gegen ersteren aus: Der Grund / auf welchem unsere Deudsche Rechtschreibung beruhet / ist teils die Gewonheit oder gemeiner Gebrauch; teils sind es grundrichtige Ursachen. Jener gleichet sich nicht unfüglich einer runden / geflügelten / oder mit mancherlei farben angestrichenen Kugel: diese aber einem cubo oder Würfel. Dan gleichwie eine Kugel / wan man fäst darauf wil fußen / entweder gar entgleitet / oder sich doch zum wenigsten herumdrehet; also das man keinen gewissen stand darauf fassen kan […]. Gleiche beschaffenheit hats auch mit dem kugelrunden vilfärbigen Gebrauche der Rechtschreibung. Dann hat derselbige ein herliches ansähen / und fündet sich auch bei demselben noch etwas / das […] billig zu behalten wäre: bald aber verleuret sich solcher scheinbarer gebrauch / und entstähet darauf ein ganz ungereimter und ungegründeter misbrauch […]. Hergegen ein Würfel […] alzeit fäste liget […]: und was darauf stähet / oder gebauet würd / wegen seines guten grundes nicht leicht wakkelt oder fället […]. Eben solche bewantnis hats auch in unserer Deudschen Rechtschreibung mit ihren grundrichtigen Ursachen: dieselbigen stähen fäste / und was darauf gegründet ist / kan nicht leicht umgestoßen wärden. […] Daher auch verständige läute ie und allewege dafür halten / das man nicht alleine den Gebrauch herschen / und von demselben ime etwas falsches aufdringen lassen: sondern auch guten Ursachen raum und stat gäben solle (zitiert nach Reichmann 1993a, 297 f.).

102 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Aus diesem Bild lässt sich ein weiteres Problem des Anomalismus ableiten, das Gueintz oder Fürst Ludwig offensichtlich nicht bewusst gewesen ist, welches aber durch Bellins Vergleich deutlich wird: Der Sprachgebrauch in Meißen ist keine ahistorische Größe, die außerhalb der sprachlichen Entwicklungen steht, so dass man die Regeln dieses Sprachgebrauchs einfach nur aufschreiben muss. Vielmehr ist auch das Meißnische dem zeitlichen Wandel unterworfen und es bestehen zudem auf soziolinguistischer Ebene beträchtliche Interferenzen zwischen den oberen und mittleren Gesellschaftsschichten und den unteren, da keine von den jeweils anderen isoliert ist. Diese zeitlichen und soziologischen Faktoren des Sprachgebrauchs werden von den Analogisten einfach ausgeblendet: Die Radikalität der Gebrauchsthese wundert vor allem deshalb, weil Gebrauch erstens, selbst wenn man ihn sozial einschränkt, indem man ihn z.B. an die bildungstragenden Schichten bindet, immer auch Praxis mittlerer und unterer Schichten ist, und weil er zweitens, selbst wenn man ihn festzuschreiben sucht, eine genuin geschichtliche Gegebenheit ist, also der fortwährenden Veränderung unterliegt. In einer Zeit, die stärkstens auf sozialschichtige Differenzierung wie auf Sicherung historischer Konstanz ausgerichtet ist, kann eine entschiedene Vertretung des Gebrauchsprinzips als im Gegensatz zu sonstigen, soziale Unterscheidungen und historische Konstanzen sichernden Instanzen befindlich begriffen werden (Reichmann 1993a, 301).

Vor dem Hintergrund dieser Unstimmigkeit sind die folgenden Belegzitate zu verstehen. Zesen wirft den Verfechtern des Anomalismus Sturheit und Starrköpfigkeit vor, mit der sie am unrechtmäßigen Gebrauch festhielten: [W]eil die meisten so tölpisch und so tum seind / daß sie dem unrechtmäßigen gebrauche / ob er auch schon schnurstraks wider die vernunft / kunst und natur läuffet / wie kletten ankleben / und mit keinen vernunftmäßigen reden und überzeugungen davon können abgerissen werden. O tohrheit! o jammer! o elende gebrechligkeit sothaniger starr-köpfe! (Zesen, Rosen-mând, 145).38

Am schärfsten kritisieren die Vertreter des Analogismus die Orientierung am Gebrauch. Für Harsdörffer gibt es keinen vernünftigen Grund, auf ihm zu beharren, im Gegenteil: Die Gewonheit ist ein Tyrannisches Gesetz / welches nicht deswegen gut / weil es uns von langen Jahren her aufgedrungen / sondern dieweil es fälschlich für gut gehalten worden. […] Eine böse Gewonheit kan kein gutes Gesetz seyn / dessen Seele ist die rechtmessige �� 38 Die Stelle zeigt auch, dass Zesen beiden Lagern zugeordnet werden kann, weil er verschiedene Positionen bezieht. Letztlich tritt er für eine maßvolle Mitte zwischen Grundrichtigkeit und Gebrauch ein, was zeigt, dass er nicht in jeder Hinsicht radikal war.

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Ursach / ohne welche alle Satzung tod und Kraftlos / in ihrer Nichtigkeit beruhet (Harsdörffer, Schutzschrift, 346).

Im gleichen Text lehnt Harsdörffer Vorschläge, die Rechtschreibung am Gebrauch zu orientieren, entschieden ab: Die neuvermeinte Rechtschreibung betreffend / ist zu wissen / daß solche nicht von der kaltsinnigen Gewonheit kan gerechtfertigt werden. Wer sich hierinnen ein wenig zu bescheiden gemeinet ist / wird gewisslich von seinem Wahn abtretten / und auch andere von dem bisher gebrauchten Jrrwege ableiten helffen (ebd., 371).

Gueintz gegenüber stellt Harsdörffer die Normierbarkeit der Sprache durch den Gebrauch grundsätzlich in Frage: „Wan man das wil behaupten, so müßen wir alles, wie es vor 100 und mehr Jahren gewesen, behalten, und hat der Streit ein ende. Es ist aber eben die Frage: Ob die Gewohnheit so oder so Zu schreiben richtig sey“ (Ertzschrein, 374). Gueintz’ Kritik an Unregelmäßigkeiten in einer nach dem analogistischen Prinzip normierten Sprache weist er zurück: „Es ist keine sprache die nicht anomalias habe, solten darümb keine regeln können gemacht werden“ (ebd., 373). In einem Brief an Gueintz vom 31. Januar 1646 schreibt Harsdörffer, dass man, wenn man eine „kunstgründige[] Verfaßung“ der deutschen Sprache anstrebe, bedenken müsse, dass jede Mundart Besonderheiten aufweise. Luthers Schriften könnten als Vorbild nicht gebraucht werden, „denn er dem gebrauch derselben Zeiten nachgehen müßen, und es bey seiner urschrift […] nicht geblieben, sondern durch die Drucksetzer […] nach und nach geendert worden“ (ebd., 350). Daraus leitet Harsdörffer folgenden Schluss ab: Also kan auch der böse gebrauch kein gutes gesetz geben, und nicht anders für angenehm gehalten werden, als wo solcher den eigenschaften unserer haubtsprache beystimmet. Woher sol man dan eine gewisheit in verfaßung der Sprachlehre ergründen? Aus anführung deroselben Stam- oder wurtzelwörter, der Vor- und nachsilben, benebens den beyund fugwörtlein, durch richtige anführung dieser haubtstücke, werden die lehrsätze gemachet, und ist der beste unter denselben, welcher am meisten unter sich begreift. Der Herr Ordnende [= Gueintz] bedencke, ob wir hier unrecht daran sind (ebd.).

Harsdörffer stellt also die Grundlagen des Anomalismus in Frage und lehnt Luther als Sprachvorbild auch wegen der stetigen sprachlichen Überarbeitung seiner Schriften ab. Damit erteilt er dem gesamten Konzept des Anomalismus eine Absage: „Die gewonheit, welche der Hr. Ordnende mit sondern schein vorschützet, sagt Zwar, was Zu geschehen pfleget, darvon die frage nicht ist, sondern was geschehen sol“ (ebd., 351). Harsdörffer wirft Gueintz vor, nur deskriptiv zu verfahren, während die Sprachnormierung nur präskriptiv erfolgen könne.

104 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Gegenüber dem Fürsten Ludwig bestreitet Harsdörffer im Brief vom 16. September 1646 auch die sprachliche Hegemonie des Meißnischen und legt die Willkür dieser Festlegung offen. Zudem konstatiert er, dass auf diese Weise keine Einigung in der Rechtschreibung erfolgen könne: Der Ordnende wil die Gewohnheit Zu einer richtschnur setzen, sie sey gleich gut oder böß, richtig oder nicht: Wann dieses gelten solte, so hat aller Streit ein ende, und muß man in dem alten Trab fort fehlen. Es ist aber die Frage: Welche Gewonheit in dem Reden und Schreiben für gültig anZunehmen? Viele stehen in dem Wahn die Meisnische art Zu reden sey als weibisch, und verzärtelt, der Männischen deutschen Heldensprache gantz entgegen, und loben hingegen die Schlesische, andre halten es mit uns Franken. Wie sich nun in der Mundart nicht Zu vergleichen, also wird sich auch die Rechtschreibung schwerlich lassen ausfündig machen (ebd., 374 f.).

Ähnlich wie Harsdörffer kritisiert auch Schottelius die sprachlichen Grundlagen, auf denen Gueintz die Norm aufbauen will: „Was aus fahrleßigkeit der buchseher, eilfertikeit der scribenten oder eingeschlichener misbräuchligkeit geschicht, daßelbe mus in der Grammatica keine regul geben“ (ebd., 251). Mehrfach hebt er darauf ab, dass der ,schlechte Gebrauch‘ keine Basis für eine Sprachnorm sein könne, z.B. in folgendem Beleg: „Derselbiger Gebrauch / dem ein Hauptgesetz / oder der Grund der Sprachen entgegen laufft / ist kein Gebrauch / sondern eine mißbräuchliche Verfälschung“ (Schottelius, Sprachkunst, 3). Schottelius betont die große Mühe und die Menge an Arbeit, die es ihn gekostet habe, gegen den Gebrauch die richtigen Regeln zu finden: Was aber für Arbeit und steten Fleiß es gekostet / diese / die allerwortreicheste Sprache / darinn bißhero solcher massen keine richtige Bahn / sondern viel dörnichte Krümmen zu finden waren / außzubahnen / zu richten und zu schlichten / und dem blinden Gebrauche augen zu geben / also daß sich auch ein Knabe nun wird finden und recht teutsch wird reden oder schreiben lernen können: solches kan ein verständiger vnd gelahrter / dem was Arbeit heisset / bekannt / leichtlich abnehmen (Schottelius, Sprachkunst, 13).

Für Schottelius ist jedoch nicht der Gebrauch als solcher zu verachten, sondern nur der ,schlechte‘ Gebrauch, während er dem ,guten‘ Gebrauch eine gewisse Berechtigung einräumt. Interessant sind die Unterscheidungskriterien, nach denen der ,gute‘ vom ,schlechten‘ Gebrauch getrennt werden kann und wer überhaupt imstande ist, eine solche Unterscheidung zu treffen. Dies könnten keine Leute sein, die selbst nur wenig von der deutschen Sprache wüssten. Schottelius verdeutlicht dies anhand einiger Beispiele: Eine Bauerndirne könne zwar allerlei dahersingen, doch ein komponiertes Kapellenstück könne sie nicht meistern, weil sie zu wenig von Musik verstehe. Schreiber könnten zwar Schriftstücke aufsetzen, dadurch müssten sie aber nicht zwingend über die Gründe

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und den Aufbau der Sprache Bescheid wissen, weshalb sie auch keine Richter sein könnten. Man könne Goldschmieden auch nicht vorwerfen, dass sie keine Hufeisen schmieden könnten, da dies nicht zu ihren Aufgaben gehöre. Daher könnten nur Gelehrte über die Sprache urteilen. Allerdings käme dafür auch nicht jeder Gelehrte in Frage: Ein Rechtsgelehrter sei ein unerfahrener Arzt und könne auch kein Beichtvater sein. So kommt Schottelius zu dem Schluss: „Unsere Teutsche Sprache […] lest sich auch nicht so gar geschwinde zu urtheilen / zu meistern / beherrschen und nach form einer kaltsinnigen Gewonheit zu rechtfertigen“ (Schottelius, Sprachkunst, 5 f.). Aus diesen Erkenntnissen folgert er schließlich: Es sol und kan keiner nicht über unsere Sprache uhrtheilen / welcher deroselben nicht gewiß und kündig ist: Es kan aber niemand deroselben gewiß und kündig seyn / er muß sie in jhren gründen ersehen / jhre Himmelbreite Gräntze ein wenig mit fleisse durchwandert / und nicht mit blinden griffen hinein getastet haben (ebd., 6).39

Mit diesem Argument begründet Schottelius nicht nur die analogistische Position, da nur jemand sich Urteile über die deutsche Sprache erlauben dürfe, der sie in jhren Gründen ersehen, also ihre Grundrichtigkeit erkannt hat, sondern er erteilt auch dem Anomalismus eine deutliche Absage, gerade weil dieser die Gründe nicht sehe, sondern geschwinde urteile und der kaltsinnigen Gewonheit folge. Letztlich schließt Schottelius mit diesem Argument all jene aus der Erforschung der deutschen Sprache aus, die nicht den Grundannahmen und Theorien des Analogismus folgen. Anhand dieser Argumentationskette lässt sich auch verstehen, was für Schottelius ,guter Gebrauch‘ ist. Wenn nur Forscher, die sich in die Gründe der Sprache eingearbeitet haben, beurteilen können, was ,guter‘ und was ,schlechter‘ Gebrauch ist, dann werden diese aufgrund ihrer Einsichten nur das als ,guten‘ Gebrauch akzeptieren, was den Regeln des Sprachsystems, „den Bedingungen der Analogie entspricht“ (Gardt 1994a, 371). Was den Regeln widerspricht, wird verworfen: [A]lso werden wir auch in einer Sprache dasselbe keine gute Gewonheit und gemeinen Gebrauch nennen können / welches an sich / und nach grundmässigkeit der Sprache ein Mißbrauch und Ungewonheit ist / welches keine andere Ursache hat / als weil es ohne Ursache mißbrauchet wird (Schottelius, Arbeit, 9.).

�� 39 Daraus ließe sich auch eine frühe Forderung nach der Spezialisierung der Sprachwissenschaft herauslesen, die freilich erst in mehreren Schritten im späten 19. und im 20. Jahrhundert vollzogen wurde.

106 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Die vermeintliche Annäherung Schottelius’ an die Position der Anomalisten, die sich in der Rede vom ,guten Gebrauch‘ anzudeuten scheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen damit nicht als „terminologischer Ausgleich“ (Josten 1976, 179), sondern als argumentative Festigung der analogistischen Position. Diese Einschätzung teilt auch Oskar Reichmann: Dann folgt sehr verbreitet ein argumentativer Hakenschlag, indem angenommen wird, der Sprachgebrauch der Schriftsteller sei als Resultat rationaler Einsicht und der Übernahme grundrichtiger Einheiten und Regeln analogisch. Wo diese Annahme in offensichtlichem Widerspruch zu den Fakten des Gebrauchs steht, haben Verbesserungen zu erfolgen. Das dazu benötigte Sprachmaterial muss den Forderungen der Analogie entsprechen; man sucht selbst in den ansonsten nicht besonders geschätzten historischen Sprachstufen, dialektal und sozial geprägten Varianten so lange danach, bis man es irgendwo findet, und dann kann man behaupten, es entspreche dem Gebrauch. In Wirklichkeit belegt das Verfahren den normativen Primat der Grundrichtigkeit oder Analogie selbst vor dem bildungssoziologisch gehobenen Gebrauch (Reichmann 1993a, 298 f.).40

Der Analogismus geht, in der Tradition des von Platon ausgehenden physeiKonzepts stehend, davon aus, dass der Sprache immanente Regeln durch Sprachforschung gefunden werden müssen, damit diese ihre Potenz voll entfalten kann. Er geht von einer vorgegebenen inhärenten, zumindest aber wünschenswerten Regelhaftigkeit des Sprachsystems aus und will all diejenigen Phänomene des Systems, die als Abweichung von dieser Regelhaftigkeit empfunden werden, gemäß der aus den systemkonformen Phänomenen abstrahierten Regeln geordnet wissen (Gardt 1994a, 368).

In einer Fußnote hebt Gardt hervor, dass die Vertreter der analogistischen Position immer schon eine Vorstellung vom Sprachsystem und seinen Regeln haben müssen, bevor sie diese in der Sprache finden können. Denn die Entscheidung für eine bestimmte Variante bei konkurrierenden Varianzen fällt stets aufgrund bestimmter Vorannahmen. „Die Entscheidung darüber, was systemkonform ist und was nicht, hat also letztlich Setzungscharakter“ (ebd., Anm. 2). Die von Schottelius propagierte Grundrichtigkeit der deutschen Sprache beruht auf der Annahme, dass die Sprache als Ausdruck der göttlichen Ordnung das Sein wesenhaft abbildet (vgl. dazu oben, 93 f.). Sie folgt den unverrückba-

�� 40 Hundt (2000, 46) deutet den Primat, den Schottelius trotz aller Annäherung an die Anomalisten dem Analogismus gibt, als sprachtheoretische Konsequenz: „Der Sprachgebrauch durfte prinzipiell nicht oberste Entscheidungsinstanz werden, da dies die Konventionalität der sprachlichen Zeichen theoretisch untermauert hätte.“

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ren Regeln der Naturgesetze und in diesem Sinne beschreibbar. Entsprechend systematisch ist Schottelius’ Forschungsmethode: Um zu der erstrebten Grundrichtigkeit zu gelangen, wird die Sprache (und das einzelne Wort) in die konstitutiven Elemente aufgegliedert und nach der der Sprache eigenen Gesetzmäßigkeit (bei der Wortbildung: Wurzel, Ableitungssuffix, Endung) festgestellt (Josten 1976, 178).

Das Aufzeigen der Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen ist für Schottelius also nicht nur ein Mittel, um den ,Reichtum‘ der deutschen Sprache zu demonstrieren (vgl. unten, 4.4.3), sondern auch ein Weg, die Seinsadäquatheit des Deutschen zu veranschaulichen: Durch den großen Reichtum an Kompositionsmöglichkeiten sei der Deutsche in der Lage, „die Händel der Natur und die Verenderungen des menschlichen Wesens abzubilden / vorzustellen / auszutrükken / und also aus den innersten Geheimnissen der Sprachen mit uns zu reden“ (Schottelius, Arbeit, 88).41 Ein Beispiel dafür findet sich in der Teutschen Sprachkunst. Anhand von Beispielen wie Felsenstürmer, Wolckentreiber, Rathgeber oder Landverderber demonstriert Schottelius die Komposition mit Substantiv und Verb (Zeitnennwort) als Gliedern. Dabei legt er Wert darauf, dass das Verb immer als Determinat steht und niemals Determinant sein kann. Diese Regel begründet er, indem er Sprache und Verstand, die beide denselben Grundregeln folgen, miteinander korreliert: Es laufft dem Verstande und den Grundregulen unserer Sprache gantz zu wider / wenn man wolle das Zeitnennwort verstümlen / und vorn in das Wort bringen: Darumb kan es gar nicht gut geheissen / noch als eine Nachfolge angenommen werden / welcher massen hin und wieder bey den Reimenschmieden / auch wol von den gelarten / und benantlich in etzlichen Teutschen Gebettbüchleinen diese verdoppelungs Art gar mißgeformet ist / als wenn man findet: Tilgesund / Stürmehell / Jagteuffel / Zwingetod / Welches auch ein Teutscher fast nicht verstehen kan / was dardurch gemeynet sey / auß uhrsache / weil es wider den Grund der Teutschen Sprache geredt ist (Schottelius, Sprachkunst, 126).

Gemeint sei jeweils Christus als Sündentilger, Höllenstürmer, Teufelsjäger und Todzwinger. Das Verständnis dieser Wörter, so führt Schottelius weiter aus, beruhe auf dem Verständnis der Verben, die somit der Grund dieser Komposita seien und somit auch das Grundwort sein sollten. An diesem Beispiel sei auch demonstriert, auf welche Weise Schottelius ,schlechten‘ Sprachgebrauch verbessert und die Verbesserung in das System der Grundregeln integriert. �� 41 Ähnlich außert sich auch Harsdörffer: „Zu seltnen Gedanken dienen seltne Wort / welche mehrmals erdacht / und von dero Verfasser nach der Sprache Aehnlichkeit oder Ebenmaß […] erfunden werden müssen“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 18).

108 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Auch andere Autoren verbinden die Wortbildung mit der Analogie.42 Für August Buchner etwa sind Neologismen für die Poesie notwendig, weshalb sie jeder Poet nach seinem Nutzen ersinnen könne; allerdings müsse er darauf achten, dass „sie weich und wolklingen“ (Buchner, Anleitung, 46) und dass sie nicht zu viele Silben haben. Dieses alles aber ist nicht so zuverstehen / als ob einem jeden frey stünde / seinem belieben nach / Wörter zuersinnen / weil dadurch nichts als Unordnung würde eingeführet werden. Sondern es muß vor allen dingen gewisse Masse und Regel / welche die Griechen αναλογίαν nennen / beobachtet werden (ebd., 47).

Auch Buchner gibt sich damit als Anhänger des Analogismus zu erkennen. Harsdörffer zieht die Analogie in Wortbildung und Rechtschreibung dem Gebrauch vor, allerdings nicht mit dem gleichen Absolutheitsanspruch wie Schottelius. Die Analogie, die „durchgehende Gleichstimmung der Sprache“ (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 129), empfehle, dass man Genoßschaft und nicht Genossenschaft schreibe, weil es auch Brüderschaft, Freundschaft, Kaufmannschaft usw. heiße. Fremdwörter sollten die Fremdgraphie behalten, man solle also Nymphe, Phoebus, Prophet schreiben und nicht Nymfe, Febus oder Profet, da man sonst auch Farao, Filip oder Fenix schreiben müsse, „welches sehr fremd / und von andern hochansehnlichen Personen zuvor im Gebrauch gebracht werden muß“ (ebd.). Harsdörffer lehnt also die verdeutschende Schreibung von Fremdwörtern ab, es sei denn, sprachliche Autoritäten würden dazu übergehen. Das Attribut fremd, das in diesem Kontext überrascht, da es im Diskurs sonst antonym zu der hier vorliegenden Verwendung gebraucht wird43,

�� 42 Diese Verbindung führt dazu, dass einige Autoren die Wortbildungsregeln bis zum Letzten ausschöpfen und auf diese Weise auch zu Demonstrationszwecken Wortbildungsprodukte erzeugen, die völlig abseits des Gebrauchs sind. Gardt (2001, 39 f.) schreibt dazu: „Schottelius etwa bildet Wörter wie Un-wieder-ab-treib-lich-keit oder Un-be-leib-zücht-ig-ung, und der Nürnberger Georg Philipp Harsdörffer konstruiert einen sog. ,Fünffachen Denckring der Teutschen Sprache‘ […] – ein aus 264 Einzellauten, Lautkombinationen, Präfixen, Suffixen und Präpositionen bestehendes kombinatorisches System –, mit dessen Hilfe sich 97.209.600 ,deutsche‘ Wörter bilden lassen, was natürlich bedeutet: potentiell deutsche Wörter, die in Anwendung eines sprachinhärenten Analogieprinzips sozusagen hochgerechnet werden, die aber faktisch, d.h. im Sprachgebrauch nicht existieren. Dieser Gedanke mag kurios erscheinen, ergibt sich aber ganz konsequent aus der Überzeugung, dass einer jeden Sprache bestimmte strukturelle Prinzipien inhärent sind, die man nutzen kann, um fremde Lexik zu umgehen: Das Deutsche hält wortbildungsmorphologisch alle Mittel bereit, um ,aus sich selbst heraus‘ allen Bezeichnungsbedürfnissen gerecht zu werden“ (vgl. dazu auch Gardt 1994a, 206–208 sowie 1999a, 123–127). 43 Mit sprachpuristischen Prämissen wäre eher zu erwarten gewesen, dass das Attribut fremd auf die Fremdgrapheme und angewendet wird und nicht auf die deutschen und .

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zeigt erstens, dass Harsdörffer die Fremdgraphie aufgrund der Analogie präferiert und zweitens, dass er es für unwahrscheinlich hält, dass eine verdeutschende Graphie Aussicht auf Etablierung im Sprachgebrauch hätte. Prinzipien der Rechtschreibung sind für Harsdörffer erstens die „aufrichtigen Ursachen“ und zweitens die Gewohnheit der Gelehrten (ebd., 125). Dabei hätten die Ursachen den Primat: „wo man keine Ursachen geben kan / folget man billich der gebräuchlichen Mundart / und lässet die blinde Gewonheit deß unverständigen Pövelvolcks an seinem Ort verbleiben“ (ebd.). Harsdörffer akzeptiert damit den Anomalismus nur als zweites Kriterium, das nur dann herangezogen wird, wenn die Analogie kein überzeugendes Ergebnis liefert. Er grenzt den Sprachgebrauch der gebildeten Stände scharf von dem des ununverständigen Pövelvolcks ab, rekurriert letztlich also auf das Konzept vom ,guten Gebrauch‘. Die Analogie wird von den Autoren als das beste Mittel verstanden, den Hauptzweck der Spracharbeit, nämlich die Vervollkommnung der deutschen Sprache, zu erreichen: Lauffet deshalber das studium Linguae Germanicae eigentlich dahinnaus / wie die / per secula angenommene / mehr und mehr gebilligte / zur werthaltung gerathene und also genante HochTeutsche Sprache […] recht und wol erlernet / in und nach ihrer eigenschaft erweitert / bereichert und zum stande einer vollkommenen Sprache gebracht und erhalten werde / oder werden könne (Schottelius, Arbeit, fol. br–bv; Hervorhebung im Text).

Mit Hilfe der in der Natur begründeten Regeln der Analogie soll das Ziel der Vervollkommnung und damit der Normierung der deutschen Sprache erreicht werden. Die Sprachnorm ist demnach dann erreicht, wenn sich das gesamte Sein der Schöpfung adäquat in der Sprache widerspiegelt. Zugleich wird durch diesen hohen Zweck die Spracharbeit legitimiert: [W]ann alles und jedes was zu unserer Teutschen Sprache gehören wird / allhie nach seinen Gründen und richtigen Hauptregulen befindlich ist; die Hauptregulen aber beydes mit denen bewehrten alten und newen Teutschen Authoren bewiesen / und (wo ein Teutscher nicht wil seinem Verstande gewalt anthun /) in der Teutschen Natur gegründet sind (Schottelius, Sprachkunst, 12 f.).

Auch Harsdörffer benennt als eines der Ziele der Spracharbeit die Normierung der deutschen Sprache anhand der grundgewissen Richtigkeit: Ziel sei es, „[d]aß man die Sprache in ihre grundgewisse Richtigkeit bringe / und sich wegen einer Sprache und Reimkunst vergleiche / als welche gleichsam miteinander verbunden sind“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 362). Im Postskriptum zum Brief vom 17. August 1645 kündigt Harsdörffer eine zweite überarbeitete und erweiterte Auflage von Schottelius’ Teutscher Sprach-

110 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse kunst an. Bei dieser Gelegenheit ruft er Gueintz dazu auf, mit Schottelius zusammenzuarbeiten, damit die deutsche Sprache endlich richtig normiert werden könne. Indirekt fordert er Gueintz damit dazu auf, seine anomalistische Position aufzugeben: Es erinnert der Spielende [= Harsdörffer], aus gesellschaftmäßigem Vertrauen, daß sich viel an der Fruchtbringenden unterschiedlichen Schreibarten ärgern: Solchem unheil Zu steuren, und die Sprache in eine grundfeste, unwidersprechliche richtigkeit Zu setzen, ist der Suchende [= Schottelius] des erbietens, vor wiederauflegung seiner Sprachkunst, welche er an etlich hundert orten geändert und vermehret, mit dem Ordnenden [= Gueintz] oder anderen der Sachen verständigen, die strittigen puncte schriftlich abzuhandeln, und nach eingenommenen bessern Bericht, willig Zu weichen (Ertzschrein, 341).

Er erwähnt beiläufig, dass viele Gesellschaftsmitglieder auf Schottelius’ Seite stünden, aber kaum jemand auf der von Gueintz. Besonders Schottelius kontrastiert die Vorzüge des Analogismus mit den Nachteilen des Anomalismus und lässt an dieser Position kaum ein gutes Haar: Er wolle sich nicht mit „unrichtigen gewonheiten / […] stinckende[m] Mißbrauch / […] [dem] Kinderspiel eines hoffertigen Uhrtheilers und blinden Sternsehers“ (Schottelius, Sprachkunst, 7) aufhalten, sondern hier unter Gottes Leitung die Gründe der deutschen Sprache aufdecken. Die Sprache stehe außerhalb der Entscheidungsgewalt des Einzelnen, selbst ein König mit all seiner Autorität könne gegen die inneren Regeln der Sprache nichts ausrichten.44 Denn eine jede Sprache bestehet in gewismässiger Zahl eigener Stammwörter / davon zwar durch beliebte Ungewonheit / und stillschweigend: lange Nachgebung / eines und anders kan in Abgang / Unbrauch / Vergessenheit und Unwerth kommen / kein neues Unwort aber dazu auch für Gold und Geld also erkauft werden / daß eine rechtmässige Wortstelle / und allgemeiner Deutungsstand demselben künne zugeeignet werden (Schottelius, Arbeit, 98)

Aufgrund ihrer Natürlichkeit und damit ihrer Seinsadäquatheit solle man sich davor hüten, „die Hochteutsche Sprache / auch in jhrer natürlichen unstreitigen Grundrichtigkeit zuenderen“ (ebd., 158). Dies gilt nicht nur für die Grammatik, sondern auch für die Lexikographie. Harsdörffer gibt hier dem Gebrauch den Primat, die Analogie soll aber als Korrektiv wirken, damit nicht allzu viel Willkür im geplanten – doch erst von Stieler ausgeführten – Wörterbuch der Fruchtbringenden Gesellschaft herrsche: „Die muß erlernet und abgesehen werden auß dem Gebrauch, und dan der Sprache

�� 44 Vgl. Anm. 37.

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Ebenmaß oder Analogia. Wan ein ieder nach seinem Hirn grillisieren, und die wort meistern wil, ist er billich nicht Zuhören“ (Ertzschrein, 389). Schottelius erntete bereits nach dem Erscheinen der Erstauflage der Teutschen Sprachkunst viel Lob und Ehre für sein analogistisches Konzept. Exemplarisch sei hier nur das Lobgedicht Hilles zitiert: Der die Teutsche Heldensprach aus den Gründen hat erhoben / | Mit der edlen Versekunst / ist von allen hoch zuloben. | Was noch keiner können finden / hat er erstlich ausgesucht / | Und gebracht in Teutschem Lande tausendfältigschöne Frucht (Hille, Palmbaum, 203).

Schottelius werde von den Gelehrten der „Teutsche Varro“ genannt (ebd.), von dem gesagt wird, dass vor ihm die Römer ihre Muttersprache nicht gekannt hätten. In seiner Teutschen Sprachkunst habe Schottelius wie kein anderer „die Sache so grundrichtig untersuchet“ (ebd., 204) und die Stammwörter und anderen Elemente der deutschen Sprache vorgestellt. In seinen Schriften zeige Schottelius die Vorzüge der deutschen Sprache; durch seine Arbeiten hätten die Deutschen die Niederländer, die einst Opitz dazu bewegten, sie in der Dichtung nachzuahmen, in der Sprachkunst sogar überflügelt (ebd. 204 f.). Ernsthafte Kritik erfuhr Schottelius von seinen Zeitgenossen nur durch Christian Gueintz und Fürst Ludwig, die Hauptvertreter des Anomalismus. Im Folgenden seien einige kritische Äußerungen von Gueintz besprochen. In seiner Erwiderung auf das kritische Gutachten Schottelius’ über seinen Entwurf verteidigt Gueintz seine anomalistische Position, indem er sie als die natürliche gegenüber dem nur durch Bücher zu erlernenden Analogismus profiliert (vgl. oben, 100). Dies führt ihn zu einer Grundsatzkritik an der Analogie: Alles nach einer Regell machen, ist alles eines haben wollen, das doch auch in der Seel der Menschen nicht ist; Alles so wollen, wie man es sich einbildet, ist eine Einbildung; Sprachen können wir nicht machen, sie sindt schon. […] Der Gebrauch aber doch muß den anschlag geben, vnndt nicht die Regel dem gebrauch, wieder aller Sprachen art, vorgeZogen, weil die Regeln aus dem Gebrauch (Ertzschrein, 253 f.).

Gueintz wirft Schottelius also vor, Sprachen nach seinem eigenen Idealbild machen zu wollen, wobei er nicht sehe, dass die Sprachen bereits seien. Schottelius zwinge der deutschen Sprache von außen (wieder aller Sprachen art) Regeln auf, doch die Sprache solle nach dem Gebrauch und nicht nach solchen äußeren Regeln normiert werden. Noch schärfer wird die Kritik, die Gueintz im Brief an Fürst Ludwig vom 29. März 1643 äußert:

112 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Unterdeß habe Jch in eylfertiger beobachtung gemercket, daß Schottelius sich Zuviel Zugetrauet, vnd vnserer arbeit in verdolmetschung der Kunstwörter, auch beschreibung derselben, ohne benennung gebrauchet, auch die Sachsenzunge nach der Meißner Art nicht nicht gewehnet, wie unter vielen daß wort lettern zeiget: Eygensinn vnd vorurtheil hemmet viel gutes, verdirbt daß meiste; die Warheit vnd derer gründe, mit der Erfahrungs Probe muß den Außschlag geben. Gewiß man soll nicht leicht von dem, waß die welt durch gebrauch beliebet, absetzen, damit man einmahl gewiß verbleibe. Auff sothane weise würde keine Sprache biß annoch sich gegründet befinden, weill einem dieß, dem andern ein anders deüchtet (ebd., 260).

Auch drei Jahre später, im Frühjahr 1646 zeigt sich Gueintz nicht gewillt, seine anomalistische Linie aufzugeben. Dem Fürsten schreibt er: Neue Regeln in der deutschen Sprache Zu machen, als von dem Suchenden [= Schottelius], in seiner sprachkunst theils geschehen wollen, stehet nicht in eigener erfindung und meinung, sondern es mus entweder vom alten herkommen, oder durch die erfahrung und gewonheit beyfal haben, dan eines oder Zweyer Menschen einbildung es nicht thun können (ebd., 352).

Auch die Stammworttheorie bleibt von Gueintz’ Kritik nicht verschont. Er bezweifelt, dass der Imperativ stets die Wurzel der Stammwörter sei, wie es Schottelius und Harsdörffer annehmen, weshalb man „unnötige regeln machen“ würde (ebd., 368), wenn man dies verbindlich setze. Außerdem ließen sich nicht alle Substantive von Verben ableiten, Drüm unnötig, das auch dieselben in Eine Sylbe gezogen und gezwungen werden. Kurz, Es hat ein iedere Sprache was sonderliches wo gleichheit ist, und seyn kan, so viel müglich, das ist das beste vnd leichteste, aber gleichheit suchen wo Ungleichheit ist, ist vergebene mühe (ebd.).

Die Wortwahl, mit der Gueintz in den vier zitierten Passagen den Analogismus referiert, ist bezeichnend: alles eines haben wollen; Alles so wollen, wie man es sich einbildet, ist eine Einbildung; Sprachen können wir nicht machen, sie sindt schon; Eygensinn vnd vorurtheil hemmet viel gutes; weill einem dieß, dem andern ein anders deüchtet; Neue Regeln in der deutschen Sprache Zu machen; in eigener erfindung und meinung; unnötige regeln machen; gezogen und gezwungen werden; gleichheit suchen wo Ungleichheit ist

Die in diesem Zusammenhang auffälligen Wörter sind fett gedruckt. Den Substantiven Einbildung, Eygensinn, vorurtheil, erfindung und meinung gemeinsam ist das subjektive Moment, das durch die Bedeutung der Verben einbilden und dünken unterstützt wird. Die übrigen Verben machen, wollen, suchen und vor allem zwingen evozieren den Eindruck der Künstlichkeit: Die Analogisten ma-

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chen Sprachen und Regeln, sie wollen die Sprache in einen bestimmten Zustand bringen, sie zwingen die Stammwörter zur Einsilbigkeit und sie suchen Gleichheit, wo keine Gleichheit vorhanden ist. Gleich zweimal bedient sich Gueintz des Verbs sein in absolutem Gebrauch, d.h. als Existenzaussage und nicht als Kopula. Beide Male erfüllt es die Funktion, die tatsächlichen Verhältnisse dem Konzept des Analogismus entgegenzusetzen und es so als Schein zu entlarven, der dem Sein nicht gewachsen ist. Der gesamte rhetorische Aufwand, den Gueintz hier betreibt, läuft letztlich auf den nicht explizit geäußerten, aber implizit deutlich erkennbaren Vorwurf der Willkür hinaus, mit der die Analogisten ihre Regeln setzen. Damit kontert er zwar den Vorwurf der Gegenpartei, der Gebrauch sei unsicher und fehleranfällig, zugleich übersieht er jedoch, dass auch seine eigene Position durch die einseitige regionale und soziale Ausrichtung seines Sprachvorbilds selbst überaus willkürlich ist. Gueintz’ Attacken auf die Analogisten sind z.T. zwar treffend, doch Theorie und Praxis stimmen auch bei ihm nicht immer überein. In seinen Vorschlägen zur Grammatik und zur Rechtschreibung finden sich immer wieder analogistische Argumente. Exemplarisch seien zwei von ihnen herausgegriffen: So schreibt er z.B., dass die Endung das Genus eines Substantivs festlege: Wörter, die auf -ung, -ur, -nüs, -aft, -ey, -heit und -keit enden, seien immer weiblich (Übung, Natur, Erkentnüs, Manschaft, Abgötterey, Faulheit, Tapfferkeit); als Ausnahmen nennt Gueintz Sprung, Saft, Schaft, Stift. Er scheint nicht zu bemerken, dass diese Wörter morphologisch z.T. verschiedenen Kategorien angehören: Übung ist eine deverbale Substantivderivation mit dem Suffix -ung, während Sprung eine Konversion zu springen ist; Natur ist ein Lehnwort aus lat. natura und passt morphologisch nicht in diese Reihe; auch Saft kann man nicht in eine Reihe mit Manschaft stellen; und wenn Gueintz wenige Zeilen später Wörter auf -nüs (z.B. Gefängnüs) als Neutra deklariert, dann ignoriert er die obige Feststellung, Wörter mit dieser Endung seien Feminina (Erkentnüs) (vgl. Gueintz, Entwurf, 38). Solche und ähnliche Inkonsequenzen machen Gueintz’ Entwurf unübersichtlich45 und letztlich muss man den Vorwurf der Willkür an ihn zurückgeben, denn an dieser Stelle argumentiert Gueintz analogistisch, indem er versucht, das Genus unabhängig von der morphologischen Beschaffenheit der Wörter auf die Endung der Wörter festzulegen (vgl. auch Gueintz, Rechtschreibung, 15).

�� 45 Zu den terminologischen, textstrukturellen und darstellerischen Mängeln des Entwurfs, die schon von den Zeitgenossen kritisiert wurden und seine breitere Rezeption verhinderten, vgl. Hundt 2000, 138–152.

114 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Das zweite Beispiel betrifft die Orthographie. Kein deutsches Wort, so Gueintz, endet auf , es wird immer gesetzt: geschrey, frey, bley; daher wird auch nicht di oder si geschrieben, sondern die und sie. Gueintz weist darauf hin, dass in diesen Fällen das nicht ausgesprochen wird. In der Mitte eines Wortes sei diese Regel unnötig, offenbar der Analogie wegen soll aber trotzdem freywillig oder freygebig geschrieben werden (vgl. Gueintz, Rechtschreibung, 17). Zwar ist Gueintz hier aus analogistischer Sicht konsequent, indem er die einmal eingeführte Schreibung des Wortstamms beibehält, obwohl sie den eigenen Regeln widerspricht, doch es wird nicht ersichtlich, warum deutsche Wörter nicht auf enden dürfen, so dass auch diese Regel sehr willkürlich erscheint. Nach Gardt hat die analogistische Position gegenüber dem Anomalismus drei Vorzüge: 1. Die Frage nach der regionalen Herkunft einer Leitvarietät wäre entschärft; 2. der kontrollierende Zugriff auf Sprache wäre verstärkt, da […] ein vergleichsweise objektives Entscheidungskriterium zur Hand wäre; eine von den barocken Sprachpflegern als Wildwuchs empfundene Zunahme systematischer Varianten wäre auszuschließen; 3. die Normierung würde die Sprache auf den Zustand des ,eigentlich‘ richtigen deutschen Sprachwesens zurückführen (Gardt 1994a, 373).

Gleichwohl handelt sich die analogistische Position auch eine Reihe sprachtheoretischer Probleme ein. Durch die von den Analogisten vorgenommene Hypostasierung zur ontologischen Größe, die das wahre Sein der Dinge und damit die göttliche Weltordnung widerspiegelt, wird die Sprache zu einem ahistorischen und asozialen Objekt gemacht, also seiner zeitlichen und sozialen Bedingtheit enthoben. Historiolektale, soziolektale und auch dialektale Unterschiede werden auf diese Weise nivelliert und gegenüber der erstrebten Hochsprache ins zweite Glied gerückt. Zwar können sich die Vertreter des Analogismus der Erkenntnis nicht verschließen, dass es Sprachwandel und auf diachroner wie synchroner Ebene zahlreiche Varietäten gibt, die nicht mit der Hochsprache übereinstimmen, doch dieser Widerspruch wird mit der Berufung auf die angebliche Grundrichtigkeit beiseite geschoben. Dieser von aller Pragmatik und aller Geschichtlichkeit abgehobene Sprachbegriff ist nicht weniger problematisch als die willkürliche Setzung eines bestimmten Sprachgebrauchs zum Vorbild durch die Anomalisten. An manchen Stellen wird deutlich, dass sich die Autoren bemühen, eine ausgeglichene Haltung zwischen den beiden Extremen einzunehmen. Dennoch ist meist eine Tendenz zu der einen oder anderen Position zu erkennen. Balthasar Kindermann etwa äußert sich gemäßigt, gibt aber dem Anomalismus den Vorzug: „Man muß allhier auf den rechtmässigen Gebrauch / und des Wortes Eigenschaft sehen“ (Kindermann, Poet, 717).

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Zesen diskutiert an mehreren Stellen ausführlich die Prinzipien der Rechtschreibung. Weil er die Kritik an seinen Vorschlägen zur Orthographie kennt, rechtfertigt er sie. In diesem Zusammenhang nimmt er auch zu der Frage Stellung, ob man der ,Grundrichtigkeit‘ oder dem Gebrauch folgen solle; seine Antwort ist zwiespältig: Einerseits erkennt er den Gebrauch an, den man nicht so einfach ändern könne, selbst wenn dieser der Natur der Sprache zuwider laufe; andererseits hält er eine der Natur und Vernunft folgende Sprachnorm für wünschenswert: [U]nd daß das jenige vielmahls für recht / ja für natur-gemäß erkant wird / das die gemeine bewilligung […] in gewohnheit gebracht / ob es schon der Natur und den gesetzen zu wider läufft / und sonst keines weges zu billigen. Wiwohl es zu wündschen / daß man den alten gebrauch / so fern er mehr ein misgebrauch ist / und schnuhrrecht wider natur / vernunft / kunst und alles streitet / algemach / indem er sich doch selbst abnützet / in einen bessern verwandeln könte (Zesen, Rosen-mând, 89).

Für Harsdörffer sind erstens die Analogie und zweitens die sprachlichen Autoritäten die Vorbilder, nach denen die Rechtschreibung zu reglementieren sei. Wenn aber keines dieser Kriterien greife, dann müsse man auf die „gewöhnliche Schreibung“ und die „wol ausgesprochene Rede / od Mundart“ sehen (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 130). Harsdörffer stellt jedoch die Varianz der einzelnen (Schreib-)Dialekte fest und charakterisiert namentlich den schlesischen, den meißnischen und den braunschweigischen. Trotz aller Unterschiede seien sich aber alle einig, „daß die Schrift die Rede bilden soll: gleichwie die Rede die Gedancken: nemlich noch mit zuviel Worten / noch überflüssigen Buchstaben“ (ebd.). Hierin wolle er jedoch den anderen keine Vorschriften machen. Es wird dennoch deutlich, dass die Orientierung an den Dialekten gerade wegen ihrer Varianz für Harsdörffer nur das letzte Mittel ist. Neben Analogie und Anomalie werden im 17. Jahrhundert weitere Normvorbilder diskutiert (vgl. dazu ausführlich Josten 1976 und unten, 3.2.3). Hier sollen exemplarisch nur einige Beispiele präsentiert werden. Für Georg Neumark bilden die Kanzleien das orthographische Vorbild, das gegen die Rechtschreibvorschläge Zesens und Bellins vehement verteidigt wird: [W]ie ingleichen so vielen hochgebohrnen / ädelen und andern hochverständigen Gesellschaftern / in ihren Schriften und denen darin enthaltenen guten Satzungen zu widersprechen / die reine Schreibahrt / welche nunmehro […] in Keyser- Chur- und Fürstlichen Cantzleyen mehrentheils angenommen / frech zu tadeln / und der hochteutschen Mundahrt / so mit Beyfall und Genehmhaltung der berühmtesten Leute teutsches Reichs / die alleinige Lehrmeisterin / der teutschen Ausrede ist und bleibet / ein gantz fremdes ungeräumtes und läppisches Gelispel / aufzubringen / sich gelüsten laßen / zum vermeinten Ehrenlohn / bey der unpartheiischen / und teutschliebenden verständigen Welt / anders

116 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse nichts als Auslachen / Schimpf und Verachtung zugewarten haben (Neumark, Palmbaum, 88; ähnlich ebd., 94 f.).

In einem Brief vom 6. April 1646 an Fürst Ludwig nennt Harsdörffer die Gelehrten als potentielles Sprachvorbild: „Wann sich die Gelehrten in der Schreibrichtigkeit, nach denen allgemeinen durchgehenden Sprachgründen vergleichen solten, wie leichtlich geschehen könte, würden gewisslich alle andern nachfolgen und nicht ein geringes geleistet werden“ (Ertzschrein, 354). Allerdings verhindere die Uneinigkeit der Gelehrten, dass sie tatsächlich Normvorbild sein könnten. Daher bleibt Harsdörffer im Konjunktiv und präferiert die analogistische Theorie. Gueintz vertritt von allen Autoren am vehementesten den sprachlichen Führungsanspruch Meißens. Die Regeln seiner Rechtschreibung stellte er der Vorrede zufolge nach dem Vorbild des obersächsischen und meißnischen Dialekts auf, wie er an den Höfen und in der städtischen Oberschicht gesprochen werde: Derhalben es auch die jenigen / so anderer mundarten gewohnet / und derer sich gebrauchen / nicht übel vermercken werden / das diese rechtschreibung meistentheils nach dieser mundart in dem OberSächsischen / Meisnischen / Magdebürgischen und Anhaltischen Ländern / wie sie an Chur- und Fürstlichen Höfen / auch in etzlichen fürnemen / und wegen jhrer lieblichen ausrede berühmeten städten gebräuchlich / eingerichtet worden (Gueintz, Rechtschreibung, 25).

Auch Zesen erkennt das sprachliche Vorbild Meißens und Obersachsens an, dort werde „das zierlichste deutsch / das man im schreiben gebrauchet“ (Zesen, Rosen-mând, 227) gesprochen. Er vergleicht das Meißnische mit den Leitvarietäten in anderen Ländern: So wie einst in Athen das beste Griechisch und in Rom das beste Latein geredet worden sei und heute die Toskana das Vorbild für die Italiener sei und in Kastilien das beste Spanisch und in Orléans und Paris das beste Französisch gesprochen werde, so sei in Meißen das beste Deutsch zu finden (ebd.). An anderer Stelle nennt Zesen noch weitere Normvorbilder, an denen man sich orientieren könne: Man solle die besten hochdeutschen bücher / als des Großen Luters schriften und sonderlich die übersetzung der h. Schrift / die Reichs-Abschiede / die übersetzung des Frantzösischen Amadieses / von den alten; von den neuen aber für allen Arnds schriften / und dan Buchnern und Opitzen / darnach die zu Köthen ausgefärtigte bücher / weil man sich darinnen sonderlich beflissen / rein und unvermischt deutsch zu schreiben / mit fleis und reiffem uhrteil / ja so reif als es einem verliehen / durch und durch betrachten (Zesen, Rosenmând, 224).

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Zesen empfiehlt also die Lektüre maßgeblicher Schriftsteller wie Luther, Buchner oder Opitz, aber auch das Vorbild der institutionellen Autoritäten wie der Reichsabschiede sowie die Köthener Druckersprache. Die Normierungsbemühungen richten sich vor allem auf die Orthographie und die Grammatik, bei letzterer insbesondere auf Flexion und Wortbildung, während die Syntax nur eine untergeordnete Rolle spielt. Balthasar Kindermann etwa vergleicht verschiedene konkurrierende Flexions- und Ableitungsmorpheme und gibt anschließend bestimmten Formen den Vorzug, z.B.: „[D]as Begräbniß (nicht Begräbnüß: Denn wir in deutscher Sprache / wie Herr Tscherning anführet / von keiner endung / auff ein nuß wissen)“ (Kindermann, Poet, 715). Im Folgenden soll die Darstellung auf die Diskussion um die Rechtschreibung beschränkt werden. Dabei geht es vor allem darum, anhand einiger Beispiele Grundlinien aufzuzeigen. Neumark fordert die anderen Autoren zur Mäßigung in ihren Reformbestrebungen auf und kritisiert insbesondere die Mitglieder des Elbschwanenordens und des Pegnesischen Blumenordens, deren Schreibweise allzu sehr mundartlich geprägt sei: Allein were zu wünschen / daß zum Theil solche in berührten Gesellschaften befindliche Mitglieder / auch bey der reinen Mundart unserer ädlen hochteutschen Sprache / wie ihre andere Herrn Mitgenossene blieben / und ihre sonst herrliche Gabem und Geschikklichkeiten / nicht mit solcher eigensinniger Neugierigkeit / und von allen Sprach-verständigen / biß auf den Tod verhasseten wunderlichen Schreibahrt / beflekketen / auch die unschüldige hochteutsche Jugend / mit solcher elenden Orthographisterey / nicht auf einen so ungewissen Weg und Labirinth führeten / oder vielmehr unverantwortlich verführeten (Neumark, Palmbaum, 51 f.).

Zesen sucht klare Regeln zur Schreibung von Diphthongen, da hier sehr viele Varianten im Umlauf seien. Seine Ausführungen zu den Diphthongen und seien hier referiert: Schreibweisen wie Fraw oder Taw sind nach seiner Meinung unzulässig, weil es im Deutschen nicht erlaubt sei, in einem Diphthong (Doppellauter) mehr als zwei Vokale zu verwenden. Da das aber nichts anderes als sei, befänden sich in Fraw drei Vokale: *Frauu; deshalb sei Frau oder Tau die richtige Schreibweise. Bei Wörtern, die in der Flexion oder in der Ableitung den Laut wechseln, müsste ebenfalls reagiert werden; so bei auge, raub oder frau, da der Umlaut die Kombination aus und sei. Deshalb fielen Formen wie äuglein, räuber oder fräulein ebenfalls unter diese Regel; noch irriger sei dann aber die Schreibweise, in der aus einem Diphthong ein Vierlauter würde, wie Gebäw oder Fräwlein, da hier die Grapheme , , und direkt hintereinander stünden (*Gebaeuu und *Fraeuulein). Daher seien die Schreibweisen

118 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse euglein, reuber und freulein oder gebeu zu bevorzugen (vgl. Zesen, Spraachübung, 40). Diese Argumentation kann man weder als zur anomalistischen noch zur analogistischen Linie zugehörig beschreiben. Sie nimmt weder auf einen Sprachgebrauch Bezug, noch hält sie sich an Grundregeln der Analogie in der Schreibung, denn sonst müsste er Fräulein und nicht Freulein schreiben. Vielmehr setzt er konsequent das Denotat des Terminus Diphthong/Doppellauter um und legt fest, dass Grapheme dieses Typs nur aus zwei Graphen bestehen dürften.46 Mit diesem Verfahren ist er allerdings dem Analogismus näher als dem Anomalismus. Das Verhältnis von Laut und Schrift wird dann zum Thema, wenn es darum geht, Homophone graphisch zu unterscheiden. Gueintz etwa tritt vehement dafür ein, in Fällen wie Meer und mehr eine deutliche Trennung festzulegen, weil sonst Missverständnisse aufkämen. Er berichtet von Klagen von Ausländern über die Vermischungen durch unerfahrene Schreiber, die das Verständnis erschwerten. Daher hätte er versucht, Regeln für die Homophonentrennung aufzustellen. Diese sollten eine „Richtschnur“ sein für „alle andern Mundarten, an orten und enden, da man deren vorhandenen und wolgefasseten grund noch nicht allerdings inne ist“ (Ertzschrein, 275). Seine eigenen Rechtschreibvorschläge orientiert Gueintz am phonographischen Prinzip, nach dem die Schreibung der Lautung entsprechen muss: „Die Rechtschreibung der Deutschen bestehet in deme das ein iedes Wort mit seinen eigentlichen Buchstaben alleine geschrieben werde“ (Gueintz, Rechtschreibung, 9). Er spricht sich daher gegen unnötige Buchstabenhäufungen wie undt statt und aus, aber auch für Doppelkonsonanz, wenn sie notwendig ist, etwa gewissen statt gewisen. Die Buchstaben erfüllen zwei verschiedene Funktionen: Im ersten Fall fordere es die Lieblichkeit der Aussprache, dass die Konsonantenhäufung zu vermeiden sei, im zweiten Fall sei aber die Doppelkonsonanz zum besseren Verständnis notwendig. Gleichwohl solle man die Aussprache achten und keine überflüssigen Buchstaben schreiben: So spreche man almechtig und nicht allmechtig oder götlich und nicht göttlich; nur wenn es Missverständnisse geben könnte, solle man zur Unterscheidung die Doppelkonsonanz des Stammworts übernehmen, etwa bei lasst und last. Das als Dehnungs�� 46 Wie alle anderen Autoren des 17. Jahrhunderts macht auch Zesen zwischen Laut und Schrift keinen Unterschied, der Terminus Laut wird auf beide Ebenen angewandt, so dass an vielen Stellen nicht deutlich wird, ob von Phonemen oder von Graphemen die Rede ist. Dies macht eine angemessene Würdigung der zeitgenössischen Vorschläge zur Rechtschreibung häufig heikel; vgl. zu diesem Problem auch Hundt 2000, 183 ff., der in diesem Zusammenhang von „Graphonemen“ spricht (ebd., 184).

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zeichen solle nur zur Unterscheidung von Homophonen gebraucht werden, sonst sei es unnötig. Dafür gibt Gueintz drei Gründe an: Erstens könne man Doppelvokale verwenden, zweitens ergäbe dies zu viele unnötige Konsonantenhäufungen und drittens könne der Buchstabe dort nicht ausgesprochen werden (ebd., 12). Die Aussprache hat also Vorrang vor der Analogie. Im Brief vom 14. Februar 1644 unterstützt Fürst Ludwig Gueintz’ Orthographieprinzip ausdrücklich. Wenn nicht zu entscheiden sei, wie ein Wort richtig geschrieben werde, müsse man sich nach der Aussprache richten „sonsten were es unverstendlich, sol es nun nach dem reden, so muß es auch nach der besten und anmutigsten aussprache geschehen, und was anders geschrieben wird, unrecht oder ein überflus, und also unnütze sein“ (Ertzschrein, 264). Auch er spricht sich gegen die Verdopplung der Konsonanten aus, weil diese nicht gelesen würden, unnötig das Papier füllten und auch andere Völker sich bemühten, so zu schreiben, wie sie sprechen: Warum wolten dan die Deutschen, die sonsten den Ruhm haben das Rede, wort, aussprache, verstand, wie auch das schreiben eines wie das andre gleich sein sol, deswegen einen nachklang ietzunder erst an sich nehmen, und solche ungeschickte regeln machen, da sie in vernünftiger ausarbeitung ihrer sprache bemüht (ebd., 265).

Das phonographische Prinzip wird vom Fürsten also mit der Strukturanalogie von Verstand, Wort und Aussprache begründet, die letztlich Ausdruck der göttlichen Ordnung ist. Harsdörffer beschreitet einen anderen Weg. Unter Berufung auf Justus Lipsius unterscheidet er zwischen ,gewissen‘ und ,ungewissen‘ oder ,zweifelhaften‘ Buchstaben: ,Gewisse‘ Buchstaben seien solche, die nach dem Grund der Sprache geschrieben würden und von denen man nicht ohne Fehler abweichen könne; ,zweifelhafte‘ Buchstaben seien solche, bei denen unter den Sprachverständigen noch Streitfragen existieren, so dass es Varianten gebe, die nicht als Fehler anzusehen seien. Harsdörffer nennt einige Beispiele für das Lateinische: littera vs. litera, foemina vs. femina, cotidie vs. quotidie oder adfectus vs. affectus (vgl. Harsdörffer, Schutzschrift, 374). Bevor man aber die Streitfälle angemessen untersuchen könne, müsse man sich zunächst über das Phoneminventar im Klaren sein. Zu diesem Zweck systematisiert er die einzelnen Phoneme in einer Baumgraphik (vgl. ebd., 376). Grundsätzlich unterscheidet er zwischen Vokalen (Stimmer) und Konsonanten (Mitstimmer). Die Vokale teilt er in drei Gruppen ein: Langvokale, Kurzvokale und Diphthonge. Zugleich erläutert er die Regeln zur Längenmarkierung der Vokale durch die Graphie (Doppelvokale, Dehnungsh und Dehnungs-e). Die Konsonanten unterscheidet er nach ihrem Artikulationsort: Lippen (/m/, /w/, /b/, /p/, /v/), Zähne (/n/, /d/, /t/, /s/, /z/), Gaumen (/k/,

120 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse /g/, /q/, /h/, /ch/, /j/) und Zunge (/l/, /r/). Auf der Basis dieses Systems entwickelt Harsdörffer seine Rechtschreibvorschläge. Damit gerät er in Konflikt mit den Meißnern. Auslöser des Streits ist Fürst Ludwig, der gegenüber Gueintz am 4. Mai 1645 die Rechtschreibvorschläge von Harsdörffer, Klaj und Schottelius als „sich übel schickende schreibarten“ (Ertzschrein, 271) kritisiert. In einem undatierten Brief an Gueintz (wohl Herbst 1645) konkretisiert der Fürst seine Kritik an Harsdörffer: Seine Vorschläge stimmten nicht mit der Aussprache überein, verstößen also gegen das phonographische Prinzip: „[H]ier muss der gebrauch vorgehen und behalten werden“ (ebd., 301). Besonders Harsdörffers Vorschläge zur Worttrennung, die auf der Trennung von Morphemen beruhen (z.B. sing-en oder kling-en) erregen seinen Widerspruch: Man solle nach der geschlossenen Silbe (sin-gen und klin-gen) trennen. „Dieses solte billich bey dem Spielenden [= Harsdörffer], sich darbey besser in acht Zu nehmen, erinnert werden“ (ebd., 301). Er bittet Gueintz, Harsdörffer darauf hinzuweisen. Dies hat Gueintz offenbar auch getan, denn am 31. Januar 1646 sieht sich Harsdörffer veranlasst, ihm gegenüber seine Trennungsregeln zu erläutern. Beim Verb klingen sei -en die Flexionsendung, weshalb richtig kling-en getrennt werden müsse. Harsdörffer geht zum Gegenangriff über und stellt einige Grundsätze der Normierung, die durch Gueintz genannt wurden, in Frage: Die Aussprache könne nicht gegen die Eigenschaft der Sprache gelten und andere Sprachen, vor allem nicht die lateinische, könnten kein Vorbild für die deutsche sein (vgl. ebd., 351). Gueintz weist in einem undatierten Brief aus dem Frühjahr 1646 diese Kritik zurück und kontert, indem er Harsdörffers Trennungsregeln, die er als „seltzame Sillabirung“ bezeichnet, „die wider den Accent, den thon, und die aussprache gehet“ (ebd., 352), erneut attackiert. Konkreter wird Gueintz in seinem Gutachten über eine nicht näher benannte sprachphilosophische Arbeit Harsdörffers (vermutlich die Specimen philologiae germanicae). Er lehnt Harsdörffers Trennungsregeln ab, weil es 1) wieder die Sprache und Rede [ist] 2) Weil es aus einem Grunde herrühret, der noch nicht Zur Genüge bewiesen ist. 3) Weil es den Lerner, indem Er die Sylben nicht füglich so Zusammen sezen wird, wie sie sonsten ausgesprochen werden, hindert. Und dan 4) weil es in keiner Sprache auch nicht in dem Hebräischen so üblich, da doch die Stambuchstaben eigentlich absonderlich können gemercket werden (ebd., 369).

Er lehnt die Worttrennung nach Morphemen also ab, weil sie erstens ungebräuchlich sei, zweitens auf fragwürdiger Grundlage beruhe, drittens schwer zu erlernen und viertens ohne Vorbild in den anderen Sprachen sei. Diese Kritik weist Harsdörffer am 15. September 1646 vehement zurück. Seinen Standpunkt verdeutlicht er, indem er nochmals auf die morphologischen

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Strukturen der Wörter verweist und außerdem die Orientierung an der Aussprache zu einem Irrtum erklärt: Die Stambuchstaben müßen beysammen bleiben, oder wir werden keinen grund setzen in der gantzen sprache, also theilet man recht auf-dring-lich, schänd-en, herr-lich. Dan lich, le, en, isch seind nachsylben, die an das Stam-wort gefüget, und darvon gesondert werden; die ungegründete aussprache kan nicht richtiger sein (ebd., 374).

Der Streit zwischen Gueintz und Harsdörffer wird fortgeführt, nun spielen jedoch weniger Fragen der Orthographie die Hauptrolle als vielmehr die sprachtheoretische Frage, ob der Analogismus oder der Anomalismus das richtige Mittel zur Sprachnormierung seien. Weil die entsprechenden Belege oben bereits zitiert wurden, wird auf eine Wiederholung verzichtet.47 Analogisten und Anomalisten sind sich grundsätzlich über die Notwendigkeit der Normierung der deutschen Sprache einig. Sie trennt jedoch die Frage nach dem richtigen Weg, dieses Ziel zu erreichen. Während die eine Seite die Sprache zu einer ahistorischen und asozialen Größe hypostasiert und ihr inhärente, objektiv feststellbare Regeln zuschreibt, propagiert die andere Seite eine bestimmte regionale und soziale Varietät zum Normierungsvorbild. Die Analogisten verlieren dabei die historischen, sozialen und kommunikativen Aspekte der Sprache aus den Augen oder marginalisieren sie, die Anomalisten dagegen ziehen Kritik auf sich, indem sie ohne für andere plausible Gründe den eigenen Heimatdialekt zum Vorbild der Standardvarietät erklären. Diese Diskussion betrifft vor allem die Orthographie und die Flexions- und Wortbildungsmorphologie.48

3.2.2.3 Der Fremdwortpurismus Kein Teilbereich der Sprache war im 17. Jahrhundert so massiver Kritik ausgesetzt wie die Fremdwörter. Durch den Dreißigjährigen Krieg und die politische �� 47 In seinem Dichtungsband Nathan und Jotham (1659) zieht Harsdörffer eine Bilanz der Auseinandersetzung zwischen Analogisten und Anomalisten in Bezug auf die Orthographie und gibt letztlich der analogistischen Position den Vorzug: „In dem Federreich der Rechtschreibung ist auf eine Zeit eine grosse Spaltung entstanden. Etliche Federn halten / der Gewonheit zu horsamen / sich mit einander verbunden / und folgten ihr in allen Sachen […] Anders Theils halten sich etliche Federn dem Verstand verpflichtet / und waren bereit wider die Gewonheit zu Papyr […] gezogen […] vermeinend / daß dieser Krieg […] mit guten Ursachen und grundrichtigen Lehrsätzen zu führen / und die unrichtige Gewonheit gar zu vertilgen […] [dabei] hatte die Gewonheit den grossen gemeinen Hauffen / der Verstand aber wenige Gelehrte auf seiner Seiten […] und hat der Streit kein Ende“ (zitiert nach Josten 1976, 202 f.). 48 Vgl. zum Streit zwischen Analogisten und Anomalisten grundlegend Josten 1976, 169–214, Gardt 1994a, 368–385 und Gardt 1999a, 128–135.

122 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse und kulturelle Hegemonie Frankreichs bedingt, wurden zahlreiche Wörter aus dem Französischen entlehnt, vor allem aus den Sachbereichen Militär, Politik, gesellschaftliches Leben, Mode und Essen und Trinken. Manche dieser Wörter sind als Lehnwörter bis heute gebräuchlich, andere verschwanden nach einer bestimmten Zeit wieder. Für die oberen gesellschaftlichen Schichten ist – zumindest zu großen Teilen – von einer deutsch-französischen Zweisprachigkeit auszugehen (vgl. Straßner 1995, 111). Zuvor hatte bereits die Aufnahme französischer Hugenotten Ende des 16. Jahrhunderts die Sprache beeinflusst. Erich Straßner beschreibt – etwas zuspitzend – die sprachlichen Verhältnisse in den oberen Gesellschaftsschichten so: Zu Anfang des 17. Jahrhunderts setzt mit der Übernahme des höfisch-galanten Wesens die sog. Alamode-Zeit ein. Sprachlich werden Anreden wie Monsieur, Madame, Mademoiselle üblich. Französische Verwandtschaftsbezeichnungen ersetzen deutsche: Papa, Mama, Onkel, Tante, Cousin, Cousine. Gesellschaftliche Wertschätzung wird mit Wörtern wie galant, charmant, curiös, nobel, nett, interessant ausgedrückt. Man macht sich Complimente, treibt Plaisir, Coquetterie, oder Conversation. Man amüsiert sich mit Karessieren, Parlieren, Maskieren und logiert im Palais, Hotel, Kabinett, Salon oder in der Etage, mit Möbeln, Sofa, Gobelin, Stuck, Galerie, Balkon, Terrasse usw. Diejenigen, die diese Modesprache nicht beherrschen, werden Parvenüs oder Pöbel benannt (ebd., 110).

Da diese Arbeit nicht die Objektsprache untersucht, sondern die Metasprache, kann es im Folgenden nicht darum gehen, die tatsächlichen Einflüsse des Französischen und anderer Sprachen im 17. Jahrhundert zu untersuchen. Daher konzentriert sich die folgende Darstellung auf die Einstellungen und Wertungen bezüglich der Fremdwörter, die sich aus dem Korpus extrahieren lassen, also das Sprachbewusstsein der Zeitgenossen. Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil gerade das Fremdwort die wechselseitige Beeinflussung von Sprachsystem und Sprachbewusstsein illustriert (vgl. Gardt 2001, 31): „Das Phänomen des Fremdworts belegt wie nur wenige, dass die Geschichte einer Sprache ganz entscheidend auch von den Einstellungen ihrer Sprecher geprägt wird“ (ebd., 32). Denn diese Einstellungen prägen die Behandlung des Phänomens in deskriptiven und normativen Publikationen wie Grammatiken und Wörterbüchern für die Schule, den Hausgebrauch oder für die Wissenschaft, wodurch sie verbreitet und übernommen, diskutiert oder abgelehnt werden. Puristische wie moderate Sichtweisen entfalten bei den Rezipienten eine Wirkung, die sich auf deren Sprachgebrauch auswirkt. So trägt die Diskussion um Fremdwörter zu Systemveränderungen bei, etwa durch puristische Verdeutschungen, die häufig eine semantische Differenzierung zwischen deutschem und fremdsprachlichem Ausdruck einleiteten (vgl. unten). Und im Bereich der Wortbildung bewirkten Lehnaffixe

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und Konfixe eine umfassende Erweiterung des deutschen Wortbildungssystems (vgl. dazu von Polenz 1994, 94–100). In Teilen der Forschungsliteratur ist zu lesen, dass der Fremdwortpurismus in Deutschland eine vergleichsweise junge Geschichte habe: „Seine Entstehung wird um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert angesetzt“ (Eisenberg 2012, 112). Die ,Fremdwortfrage‘ habe so lange eine untergeordnete Rolle gespielt, „wie der Status des Deutschen nicht gesichert war“ (ebd.). Deshalb hätte der Fremdwortpurismus erst zu einer Zeit eingesetzt, als sich das Deutsche als Prestigesprache gegen das Lateinische und Französische durchgesetzt hätte: „Man besann sich auf ihn, als die entscheidenden Schritte zur Etablierung des Deutschen getan waren“ (ebd.). Eisenberg beruft sich hier auf Alan Kirkness (1998) und Peter von Polenz (1999, 266). Aus diesen Aussagen muss gefolgert werden, dass es vor Ende des 18. Jahrhunderts keinen Fremdwortpurismus in Deutschland gegeben habe. Diese Folgerung ist jedoch offensichtlich falsch. Kirkness ordnet vielmehr den barocken Fremdwortpurismus in einen allgemeineren Sprachpurismus ein, dessen Ziel „die Herausbildung einer literatursprachlichen Norm“ ist (Kirkness 1998, 408).49 Im Zuge dieses Sprachpurismus wurde die Vermeidung aller Elemente propagiert, die diesem Ziel entgegenstehen: Archaismen, Dialektismen, Vulgarismen und auch Fremdwörter. Letztere wurden unter Berücksichtigung von Aspekten wie Assimilations-, Verständlichkeits- und Bekanntheitsgrad, Stilebene und Reimzwang meist durchaus differenziert betrachtet, im Prinzip aber negativ bewertet, was zuweilen zu einem extremen Fremdwortpurismus führte (ebd.; vgl. auch von Polenz 1994, 107 f.).

Gerade hier erweist sich die Behauptung, Fremdwortpurismus hätte erst zu einer Zeit entwickelt, als das Deutsche sich von den anderen Prestigesprachen emanzipiert hätte, als zu pauschal: Er ist Teil dieses Emanzipationsprozesses. Der Unterschied, auf den Kirkness und von Polenz abheben, wenn sie den Beginn des Fremdwortpurismus im engeren Sinne erst im späten 18. Jahrhundert ansetzen, liegt damit in der Motivation: Der barocke Purismus ist insgesamt patriotisch-sprachpflegerisch motiviert, während der spätere Purismus deutlich politischer und nationalistischer Natur ist.50 Zudem erreichten die neuzeitlichen Puristen, insbesondere die des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, eine sehr viel größere Außenwirkung als der auf gelehrte Kreise beschränkte Purismus der barocken Sprachpfleger.

�� 49 Vgl. unten, Anm. 69. 50 Zum Verhältnis von Sprachpatriotismus und Sprachnationalismus vgl. oben, 84–89.

124 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Das folgende Kapitel wird anhand einer Reihe von Zitaten zeigen, dass zentrale Topoi des Fremdwortpurismus (z.B. mangelnde Verständlichkeit von Fremdwörtern, angebliche Zerstörung der deutschen Sprache durch Fremdwörter, soziales Balzverhalten und Imponiergehabe durch den Gebrauch von Fremdwörtern usw.) bereits im 17. Jahrhundert vielfach belegt sind und kontrovers diskutiert werden. Diese Konstanz in den Argumentationsschemata ist ein Argument dafür, dass der Beginn des Fremdwortpurismus in Deutschland zu spät angesetzt wird, wenn man ihn auf die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert datiert. Zunächst ist danach zu fragen, was man im 17. Jahrhundert überhaupt unter Fremdwort verstand. Prinzipiell muss konstatiert werden, dass der Ausdruck Fremdwort im 17. Jahrhundert noch nicht existierte (die Erstbelege stammen aus dem 19. Jahrhundert; vgl. Gardt 2001, 36). Auf das Phänomen wird in den Texten mit Nominalphrasen (fremdes Wort, Wort fremder Sprache) und Präpositionalphrasen (aus fremden Sprachen entlehntes Wort) rekurriert (vgl. Gardt 1997, 391). Damit sind Fremdwörter „zunächst die aus einer anderen Einzelsprache übernommenen, dem Deutschen ausdrucksseitig wie inhaltsseitig nicht zugehörigen Wörter“ (Gardt 2001, 36). Diese werden in zweierlei Hinsicht behandelt. Die zitierte Bedeutungserklärung bezieht sich eher auf die strukturelle Variante. Ausdrucksseitig fremd sind sie, wenn sie mit fremden Buchstaben geschrieben werden oder aufgrund ihrer Flexion und Wortbildung (fremdartig gebildete Wörter) nicht in das deutsche Sprachsystem passen. Inhaltsseitig fremd sind sie, wenn sie in der Ausgangssprache eine spezifische, im Deutschen nicht vorhandene Bedeutung aufweisen oder grundsätzliche eine „der Zielkultur fremde[] Sache“ bezeichnen (Gardt 1997, 392; dort auch die zitierten Syntagmen).51 Daneben werden Fremdwörter aber auch hinsichtlich des Sprachgebrauchs behandelt. In diesem Fall gilt als Fremdwort entweder das, was „im Deutschen nicht allgemein verbreitet ist“ oder das, was „sich im Gebrauch bereits durchgesetzt hat“ (ebd.). Im ersten Fall ist das Wort nicht ohne Weiteres verwendbar, in zweiten Fall hat es gute Aussichten, sich aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades und seiner Verständlichkeit gegen Verdeutschungsversuche zu behaupten (vgl. ebd.). In diesen Bereich fallen auch die meisten kritischen Bemerkungen zu Fremdwörtern und zum Fremdwortgebrauch.

�� 51 Die Analyse zeigt, dass das Argument, der Ausdruck Fremdwortpurismus sei erst seit dem frühen 19. Jahrhundert belegt (vgl. Eisenberg 2012, 114), nicht recht überzeugen kann, denn die zeitgenössische lexikalische und syntagmatische Bezugnahme auf das Phänomen legt nahe, dass es sich eher um einen Zufall handelt, dass das Kompositum Fremdwort für das 17. Jahrhundert nicht nachgewiesen werden kann. Der Ausdruck Fremdwort mag in dieser Zeit nicht belegt sein, das Konzept ist jedoch sehr wohl vorhanden.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 125

Den Fremdwörtern, die sich bereits vor langer Zeit durchgesetzt hatten, wird häufig das Bürgerrecht attestiert, d.h., sie erhalten, wenn man heutige rechtssprachliche Terminologie einsetzen will, eine ,Aufenthaltsgenehmigung‘ (zur Rechtsmetaphorik vgl. unten, 4.2.4).52 „In dieser […] seit dem Frühbarock anzutreffenden Gradierung spiegelt sich eine Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort, die sich in den Texten jedoch terminologisch nicht und begrifflich oft nur ansatzweise niederschlägt“ (Gardt 1997, 405). Zudem wird sehr häufig nur die Ausdrucksseite von Fremdwörtern berücksichtigt. Phänomene wie die Lehnprägung, d.h. die nur inhaltsseitige Übernahme fremder Sprachzeichen durch Lehnübersetzung, Lehnübertragung usw., waren im 17. Jahrhundert noch nicht ins Bewusstsein gedrungen (vgl. dazu grundlegend Betz 1974). Wenn also Puristen wie etwa Zesen „glaubten, inhaltlich Fremdes abzuweisen, indem sie ausdruckseitig Fremdes bzw. fremde Wortkörper reinigten, […] blieb u.a. wegen ihres monolateralen Sprachzeichenbegriffs ein selten erkannter Widerspruch, der für den Purismus überhaupt kennzeichnend ist“ (Kirkness 1998, 412).53 Auch ein dritter Punkt ist zu beachten: Was als Fremdwort aufgefasst wird, schwankt von Theorie zu Theorie, von Autor zu Autor, teilweise ändern einzelne Autoren sogar ihre Meinung. So erklärte etwa Schottelius Lehnwörter wie Nase, Fisch, Vater oder Wind kurzerhand zu ,deutschen‘ Wörtern, weil ihre Ursprungssprache, das Lateinische, ein ,celtischer‘ Dialekt sei (vgl. oben, 91 f.). Zesen ersetzte zuerst das lateinische Lehnwort Fenster durch die Neubildung Tageleuchter, um später seine Meinung mit dem Argument zu revidieren, dass die Römer das Wort fenestra aus dem Deutschen entlehnt hätten (vgl. Zesen, Dichterische Jugend-Flammen (1651); in: Jones 1995, 221). So erscheint dasjenige als Fremdwort, „was die Autoren dazu erklären, und diese Erklärungen wandeln sich je nach sprachtheoretischer, gesellschaftlicher, politischer oder ästhetischer Überzeugung“ (Gardt 2001, 32). Damit ist das Fremdwort ein „extrem konsensgebundener und damit relativer Begriff: Er bedarf des Begriffs des Eigenen, um bestimmt zu werden“ (ebd., 34).

�� 52 Nach Jones (1995, 21) findet sich der Erstbeleg für diesen Einsatz der Bürgerrechtsmetapher bei Luther (WA, Bd. 41, 338 f. (1535)): „,Cornu salutis‘ ist gar ein frembder gast in nostra lingua, sed debemus ea uti libenter propter omnes sanctos et Christum, qui usi, tamen Apostoli, Epistel, Euangelistae, Engel sind als geste gewesen in germanica lingua ante Ecclesiam Christianam, iam haben burgerrecht gewonnen. Sicut illis gewonet, sic et hac phrasi assuescamus. ,Fenster‘ latina dictio, et talia multa”. Luther gibt also jenen Wörtern das Bürgerrecht, die vor der Christianisierung in Deutschland bereits in die Sprache integriert waren. 53 „Man bekämpft dem Selbstverständnis nach den fremden Inhalt, indem man den fremden Ausdruck abweist, ein Verfahren, das ein monosemistisches Zeichenmodell impliziert, Bedeutung als sprachinterne Größe und Begriff als außereinzelsprachliche Größe gleichsetzt und vor allem die Möglichkeiten des onomasiologischen Feldes übersieht“ (Reichmann 1978, 408).

126 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Im zeitgenössischen Diskurs werden unterschiedliche Begründungen für Fremdwortgebrauch gegeben. Bereits sehr früh, in der Dedicatio zu seiner Edition von Opitz’ Teutschen Poemata (1624) macht Julius Wilhelm Zincgref den Fremdwortgebrauch an der vermeintlichen Unterlegenheit des Deutschen fest, wobei er konstatiert, dass die meisten die deutsche Sprache unterschätzten. Umgekehrt genieße das Deutsche im Ausland nur wenig Ansehen. Er habe diese poetische Sammlung deshalb drucken lassen, um den Ausländern zu zeigen, dass sie mit der Einbildung falsch liegen, „daß sie die Laiteren, durch welche sie vff die Parnassische spitze gestiegen, hernach gezogen, vnd ihnen also niemandt folgen könne“ (Zincgref, Dedicatio, 1). Zudem wolle er seinen Landsleuten zeigen, wie viel die deutsche Muttersprache vermöge, wenn sie dies nur wollten. Drittens will er „die gewelschte Teutschen dardurch […] vberzeugen, wie vndanckbarlich sie sich an der Muttersprach nit allein, sondern auch an sich selbst vergreiffen“ (ebd.): An der Muttersprache vergriffen sie sich, indem sie lieber in frembden Sprachen stamlen, als in deren, welche jhnen angeboren, zu vollkommener Wohlredenheit gelangen, viel lieber bey den frembden hinden nach, als bey jhren Landtsleuten voran gehen, bey jenen die Thür zu, als bey diesen vffschliessen wollen, vnd also darvor halten, daß in frembder Sprach den geringsten fehler reissen, ein Todsünde, hingegen in ihrer Sprach einen Soloecismum vnd Bachanterey vber die ander begehen, keine Schandt seye (ebd.).

Zincgref wirft den Deutschen also vor, ihre eigene Sprache zu unterschätzen und, statt sich um ihre Verbesserung zu bemühen, auf fremde Sprachen zurückzugreifen. Auch die Orientierung der Fürstenhöfe an der französischen Sprache und Kultur wird für den vermehrten Fremdwortgebrauch verantwortlich gemacht. In Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald verteidigt sich Philander gegen den Vorwurf, fremde Sprachen der eigenen vorzuziehen, mit dem Hinweis auf die Erfordernisse des Fürstendienstes: Es seien die Fürsten, die verlangten, dass ihre Diener ihre Schriften mit Fremdwörtern zieren; wer rein deutsch rede, der werde „für einen vnverständigen Esel gescholten“ oder entlassen (Moscherosch, Gesichte, 170). Während diese Belege eine relativ moderate Kritik am Fremdwortgebrauch erkennen lassen, die Bequemlichkeit und höfische Zwänge als Gründe angeben (letztere werden jedoch scharf verurteilt), werden an anderen Textstellen den Fremdwortbenutzern charakterliche Mängel unterstellt. In folgendem Beleg wird das Fremdwort als Mittel zur Verschleierung verstanden: Denn wenn mancher ungerahtener Teutscher in Franckreich mit einer leichtfertigen Metzen gute Kundtschafft gemachet und offt die edle Zeit und das liebe Geldt mit derselben in

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 127

unzüchtiger Liebe hat zugebracht und verzehret / alsdenn so saget man von ihme / oder er rühmet sich auch wol selber; Er habe die Ehre gehabt von einer braven Damen geliebet / oder (welches a la mode lautet) caressiret zu werden. Dieses aber würde auff guht Teütsch so viel heissen: Er hat sehr grosse Gemeinschafft mit einer leichtfertigen Huren gehalten (Rist, Rettung, 137).

Das Wort Dame klingt demnach positiv, wertet aber ehrbare Frauen ab, weil es auch auf Huren angewendet wird, ohne dass ein Unterschied sichtbar wäre. Die fiktive Briefeschreiberin hatte bereits vorher den Ausdruck Dame als Bezeichnung ehrbarer Frauen abgelehnt, erstens, weil es im Deutschen die Ausdrücke Frau oder Jungfrau gebe und zweitens im Lateinischen das Wort dama ›Gämse‹ oder ›stinkende Bergziege‹ bedeute; somit werde einer ehrbaren Frau schlechte Ehre erwiesen, wenn man sie Dame „schelte[]“ (ebd., 136). Die Identifizierung der Homonyme frz. Dame und lat. dama ist in den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts ein beliebtes Mittel, den Ausdruck Dame lächerlich zu machen, so etwa auch im Sprachverderber (1643): Solte einer erst hören / wie solche Teutsche Frantzosen auffschneiden / wann sie zu Jungfrawen kommen / vnd jhre teutsche vnd keusche Hertzen mit Frantzösischen gaylen Worten bereden wollen / da nennen sie die Jungfrawen Damen auff Teutsch / auff lateinischer Sprach heisset es eine Gämbs oder stinckende Berg-Zieg […] (zitiert nach Jones 1995, 293).

In dieser Passage ist ein weiterer Vorwurf an die Fremdwortbenutzer enthalten, der mit Abstand am häufigsten geäußert wird: die Eitelkeit. Fremdwörter dienten demnach nicht der Darstellung der Wirklichkeit, „sondern nur einem sekundären, symptomfunktionalen Zweck (im Sinne Karl Bühlers) […] – nämlich ihren Benutzer als gelehrt oder modern auszuweisen“ (Gardt 2001, 39). Damit wird deutlich, dass in solchen Fällen weniger die Fremdwörter als solche Ziel des Angriffs sind als vielmehr ein bestimmtes Kommunikationsverhalten (vgl. Gardt 2004, 44 und unten). Dieses ist nach den zeitgenössichen Texten nicht nur in der höfischen Kommunikation anzutreffen, sondern auch im Militärwesen: Vnd thut mirs […] sonderlich wehe / daß eben wir Krieges-Leute / am allermeisten aber wier Befehlichshabere und rittermessig Persohnen so gar närrisch seyn / daß wier fast kein einziges Ding / so zu unserer Kriegs-Kunst und Wissenschafft gehöret auff guht teutsch mehr können hervor bringen / besonder uns immer mit welschen und französischen Wöhrtern und Nahmen schleppen und dadurch ein sonderbares Ansehen machen wollen: Die Hauffen müssen uns Trouppen heissen / arbeiten travailliren / die arme Leut plagen tribuliren […] (Rist, Rettung, 102).

Gerade Rist sucht die Gründe für das vermeintliche Überhandnehmen fremdsprachlicher Ausdrücke in der Eitelkeit der hochrangigen Mitglieder des Militärs, die fast ausschließlich Adlige sind:

128 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse [D]ieweil ich nirgendt grössere Auffschneider alß unter den jtzigen Kriegsleuten gefunden / zu deme auch keine Leute unter der Sonnen sind anzutreffen / die mit frembden Wörtern so häuffig ümb sich werffen alse eben die Herren Cavalliers vnd derogleichen tolle Hummelen zu thun pflegen (ebd., 80 f.).

Die große Bedeutung des Militärs ist durch den Dreißigjährigen Krieg bedingt. So sind für Friedrich von Logau sowohl der Krieg als auch die Eitelkeit der Gelehrten für die Fremdwörter verantwortlich: Das Deutsche Land ist arm; die Sprache kan es sagen, | Die ietzt so mager ist, daß ihr man zu muß tragen | Auß Franckreich, was sie darff, und her vom Tiber-Strom, | Wo vor Latein starb auch mit dir, Unrömisch Rom! | Zum Theil schickts der Iber. Das andre wird genummen, | So gut es wird gezeugt und auff die Welt ist kummen | Durch einen Gerne-Klug, der, wenn der Geist ihn rührt, | Ietzt dieses Prale-Wort, ietzt jenes rauß gebiert | Die Musen würckten zwar durch kluge Tichter-Sinnen, | Das Deutschland solte Deutsch und artlich reden künnen; | Mars aber schafft es ab und hat es so geschickt, | Daß Deutschland ist Blut-arm; drum geht es so geflickt (Logau, Sinngedichte, 68 f.).

Die deutsche Sprache ist demnach arm und wird durch Fremdwörter vor allem aus Frankreich aufgefüllt; dies ist nötig aus zwei Gründen: Erstens aus Eitelkeit und Prahlerei der Gelehrten, zweitens, weil der Krieg (Mars) Sprachpflege und Künste verhindert hat. In einem Epigramm mit dem Titel Parole, versetzt: O Prale greift Logau die Eitelkeit, die den Fremdwortgebrauch anregt, scharf an. Das französische Fremdwort Parole wird dabei durch ein Anagramm zum Inbegriff der Prahlerei und Eitelkeit stilisiert. O prale, Landsmann, pral, in fremder Sprache Schmucke! | Du pralst in fremder Sprach und fremd in deinem Rocke (ebd., 69).

Auch Titz stellt fest, dass viele sich mit dem Gebrauch lateinischer, französischer, spanischer oder italienischer Wörter hervortun und ihre Bildung zeigen wollten; doch unter verständigen Leuten würde solches nur verlacht „vnd nur vor eine närrische ruhmsüchtigkeit“ gehalten (Titz, Bücher, fol. O viir). Dass diese Vorwürfe jedoch nicht nur den Adel und die Gelehrten treffen, sondern nahezu jeden, wird in den ersten Strophen des anonym publizierten Liedes vom Teutschen Michel deutlich: ICh teutscher Michel / versteh schier nichel / | In meinem Vatterland / es ist ein schand. | Man thut jetzt reden / als wie die Schweden / | In meinem Vatterland / pfuy dich der schand. 2. Fast jeder Schneider / will jetzund leyder. | Der Sprach erfahren seyn / vnd redt Latein: | Welsch vnd Frantzösisch / halb Japonesisch / | wann er ist voll vnd doll / der grobe Knoll.

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3. Der Knecht Matthies / spricht Bona dies / | wann er gut morgen sagt / vnd grüst die Magd: | Sie wendt den Kragen / thut jhm Dancksagen / | Spricht Deo gratias / Herr Hippocras (zitiert nach Jones 1995, 140).

Hier wird kritisiert, dass viele Menschen selbst dann Fremdwörter gebrauchen, wenn sie fremder Sprachen überhaupt nicht mächtig sind und zudem keinerlei kommunikativen Anlass haben, fremde Wörter zu benutzen. Sie tun dies, so der Vorwurf, einzig aus dem Grund, um für mehr gehalten zu werden, als sie sind, also aus Eitelkeit. Die Spitze richtet sich damit gegen diejenigen, die sich an den oberen gesellschaftlichen Schichten orientieren, ohne ihnen zuzugehören. Dieser Fremdwortgebrauch aus Eitelkeit führt auf kommunikativ-pragmatischer Ebene zu Verständnisschwierigkeiten, die im ersten Vers des Teutschen Michel bereits anklingen, auf sprachsystematischer Ebene zu Sprachmischung. Die mangelnde Verständlichkeit von Texten mit vielen Fremdwörtern wird vor allem in sprachsatirischen Schriften angeprangert. So klagt etwa eine Jungfrau, an die ein mit alamodischen Fremdwörtern gespickter Brief adressiert war, in ihrer Antwort, dass sie dessen Inhalt nur „mit grosser Mühe [hätte] errahten können“ (Rist, Rettung, 135), teils, weil ihr viele Inhalte noch gar nicht bekannt seien, teils, „weil gedachter Brieff nicht in reiner teütscher noch blosser französischer oder welscher / besonderen in unterschiedenen vermengeten vnd mir zum guhten theil / jedoch nit gahr unbekandten Sprachen ist geschrieben“ (ebd.). Doch für Rist beschränkt sich das Übel nicht auf die private Sphäre, denn die weite Verbreitung von Fremdwörtern in allen Schichten und Ständen störe auch im öffentlichen Leben die Kommunikation extrem: Da verstehet mancher Zuhörer kaum den halben Theil einer Predigt / mancher / der mit Rechts-sachen zu thun hat / ergründet nicht den dritten Theil seiner demühtigen Bittschrifft / mancher der a la mode zu reden nicht gelernet / verstehet nicht das zehende Wort / welches ein teutsch-welsch-französischer Auffschneider in täglichen Gesprächen hervor bringet (ebd., 143).

Diese Unverständlichkeit kann auch beabsichtigt sein, wie der Autor des Sprachverderbers fürchtet: „Ja ich schäme mich mehr zu Gastungen zu gehen / dieweil ich nicht verstehe / was man redet / ob es vor oder wider mich“ (zitiert nach Jones 1995, 292). Er unterstellt also Fremdwortbenutzern, sich bewusst unverständlich auszudrücken, um Absichten, die anderen schaden könnten, zu verschleiern. Ähnliches klingt auch in folgendem Textausschnitt an: „Aber solche frembde Sprachen der Mutter-sprach vorziehen, oder also vndermischen, das ein Bidermann nicht errathen kan, was es für ein Gespräch seye, das ist Verrätherisch vnd muß billig nicht geduldet werden“ (Moscherosch, Gesichte 168).

130 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Das Argument der Unverständlichkeit, das gegen die Fremdwörter vorgebracht wird, kann aber auch umgekehrt werden und als Argument für den Fremdwortgebrauch fungieren. So begründet etwa Logau die Beibehaltung fremder Namen damit, dass Verdeutschungen von Namen und Fremdwörtern „schwerlich so tieff unter den gemeinen Pöfel gerathen […], die neuen deutschen Namen aber noch etwas hart, ungewöhnlich, jo wol mehr unverständlich als die Lateinischen kommen, diese zur Sache sich füglicher schicken wollen, als im Deutschen“ (Logau, Sinngedichte, 1). Dieses Argument wird insbesondere gegen als übertrieben empfundene Fremdwortverdeutschung angeführt (vgl. unten). Die Kritik an der Sprachmischung ist die eigentliche Stoßrichtung des Liedes vom Teutschen Michel; exemplarisch seien drei beliebig ausgewählte Strophen zur Illustration angeführt: 15. Was ist errieren / was excusieren / | Elaborieren / emendieren / | Was excludieren / examinieren / | Effectuieren / expedieren? 16. Was ist fundieren / favorisieren / | was ist factoriren / fallieren? | Was ist florieren / fructificieren / | was ist flangieren / florieren? 17. Was ist das Hauptquartier / ein frässigs wildeß Thier / | was ist die Guarnison / was ein Squadron? | Was ist die gantze Armee / nur lauter ach vnd weh / | was ist der Randefuß / ein Habermuß […] (zitiert nach Jones 1995, 144).

Auch wenn solche satirischen Darstellungen bewusste Zuspitzungen sind, so führen doch nach Wahrnehmung der Sprachpatrioten Unwissenheit und Eitelkeit zu übermäßiger Sprachmischung. Schuld daran sind „etliche halbgelehrte in allen künsten / die / als wan Sie viel von frembden sprachen wüsten / sie mit einmengen“ (Gueintz, Entwurf, 11). Die Sprachmischung hat Folgen für das Ansehen der deutschen Sprache im In- und Ausland. Sigismund Betulius etwa negiert die positiven Attribute, die der deutschen Sprache sonst im Diskurs zugesprochen werden, da diese durch die Sprachmischung nivelliert würden: ES war der Teutsche Ruhm das Teutschland gar hinweggeflogen | Und über Meer gezogen; | Es ward von unserer Sprach mit Wortgemenge gelogen / | Jhr Alterthum betrogen; | Jugend hatte keine Tugend von der Mutterbrust ersogen; | Kein Vertrauen ward gepflogen / | Gottesfurcht auch nicht erwogen / | Weil der Frevel nichts geachtet die goldschönen Himmelsbogen. | Man sah nicht nach dem Himmelsweg / | Man trat nicht auf den Tugendsteg / | Der Teutschen Sinne wurden träg. | Teutschland war jetzt unteutsch worden; seine Zier in Staub gebogen | Wurd verstäubet von den Wogen / | Wo die Teutschen Segel flogen (in: Hille, Palmbaum, 66* f.).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 131

Hille wiederholt Betulius’ Klage in Prosa. Die Sprachmischung bringt er mit dem Kontakt mit anderen Völkern in Verbindung und führt den Verfall des Griechischen und Lateinischen als Negativbeispiele vor. Angesichts des Krieges sei zu sehen, daß bey den angefeurten Unglükskolen die Tugenden zerschmeltzen / die gute Gesetze krebsgängig gemachet / ja die Teutsche Heldensprache endlichen durch Vermischung vieler einbrechenden fremden Völker Zungen / vermenget / in Unacht gebracht / oder wol gantz sprachloß verderben / und ersterben würde, gleicher Massen wie hiebevorn leider dergleichen Sprachverderberey / bey den geführten Kriegen in Griechen- und Welschland zu beobachten gewesen; da dann der ersten Zier / durch Uberwältigen der Türken: der Teutschen aber durch Uberziehung er Gotischen Völker / verunreiniget / und also ihrer natürlichen Lieblichkeit beraubet worden (Hille, Palmbaum, 14 f.).

Leibniz konstatiert, dass die Sprachmischung dem Ansehen des Deutschen im Ausland Schaden zufüge, weil es unter zehn Büchern kaum eines gebe, „so ein frembder ohne lachen, ein Patriot ohne zorn lesen könne“ (Leibniz, Ermahnung, 812). Er berichtet von Franzosen, die sich bemüht hätten, die deutsche Sprache zu lernen, sie aber weder aus Ekel noch aus Patriotismus die Deutschen verachtet hätten, sondern aus Verwunderung über die Sprachmischung. Oft wird die Sprachmischung aus ästhetischen Gründen abgelehnt, insbesondere in der Dichtung füge sie der Schönheit der deutschen Sprache Schaden zu und mache sie lächerlich. Schon der Autor des Sprachverderbers argumentiert ästhetisch, wobei er die Fremdwörter als ,Schmutz‘ konzeptualisiert: „Wie schändlich / wie heßlich dieselbe mit ausländischen vnd frembden Wörtern besudelt / vermischet vnd verunreiniget werde / so gar / daß man kaum drey oder vier Wörter ohn einmischung außländischer Zungen reden kan / ist offenbahr“ (zitiert nach Jones 1995, 289). August Buchner ruft die Dichter auf, Fremdwörter in ihren Dichtungen zu vermeiden, wenn sie das Wohlwollen ihrer Leser nicht verlieren wollten: [D]ie Lust / ob den artigen Erfindungen / und reichem Zufluß schöner Gedancken und Worten wir empfinden / die wird uns alsbald zunichte / und fast zu einem Verdrieß gemacht durch die vielfältig vermengte Reden / da bald ein Lateinisch / bald ein Frantzösisch / bald ein Jtaliänisch oder auch Spanisch Wort zum öfftern mit eingeschoben wird / daß fast kein Bettlersmantel von so vielfältigen Flecken zusammen geflicket ist (Buchner, Anleitung, 13*).

Georg Neumark führt umfangreiche Klagen über die Sprachmischung. Um dem Leser einen Eindruck zu geben, wie schlimm es um die deutsche Sprache stehe, führt Neumark einen alamodischen Brief an, dessen Anfang hier wiedergegeben wird:

132 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Monsieur mon tres honore frere, hochgeehrter Patron, Seine hohe meriten / dadurch er mich à l’extreme ihm verobligiret / causiren mich / demselben mit diesen Zeilen zu serviren. Mein Devoir hätte unlängsten mit adresse gegeben / solches zu effectuiren: aber aus manquement einiger occasion, habe ich bis Dato mein officium re ipsâ nicht praestiren können. […] Jetzige Novellen concernirend, so passiret nichts memorables: nur allein relata refero ob solte unsere ietzige zierliche wol installirte Teutsche Sprache / von den Göttern cassiret, und darentgegen die alte Teutsche (welche von den Fruchtbringenden Gesellschaftern foviret wird) hinwider introduciret und embrassiret werden […] (Neumark, Palmbaum, 133 f.).

Das satirische Element dieses fiktiven Briefes besteht darin, dass darin die Alamodesprache gegen den Purismus verteidigt wird. Neumarks Urteil über diesen Brief ist eindeutig: Wie wol- oder übellautend / diese unteutsche und von Alters hero ungewöhnliche Ahrt / welches weder gehauen noch gestochen / für menschliche Ohren klinget / hierüber wolle ein jedweder vernünftiger Teutscher Biedermann / seiner beywohnenden Vernunft nach / treulich urtheilen / und seine Gedanken darvon eröffnen. Man beobachte nur / wann der Frantzmann / der Welsche / der Römer / ihre an- und zugehörige Wörter / von diesem Brief und Lied absondern / und rechtmässig wieder an sich ziehen solten / was würde wol vor teutsch / überbleiben? wie ungestalt und entblößet würde dieser mit fremden Federn gezierte Vogel dastehen? und könte die Ursach seiner Schande niemand / als seiner unbedachtsamen Gewohnheit beymessen (ebd., 139 f.).

Wenn man einer solchen „Flikkerey und Mischmascherey“ (ebd., 141) also die fremden Elemente entzöge, so bleibe nicht viel übrig. Mit anderen Worten: Produkte der Sprachmischung sind nicht nur ästhetisch hässlich, sondern auch inhalts- und substanzlos. Wer die deutsche Sprache mit fremden mischt, verhält sich nicht nur gegenüber seiner Muttersprache, sondern vor allem gegenüber seinem Sprachvolk und damit seiner Nation untreu: Ariovist verurteilt bei Moscherosch etwa Philanders Praxis der Sprachmischung, um ihm anschließend vorzuwerfen, die eigenen Vorfahren zu verraten, die keine „Mischmäscher“ (Moscherosch, Gesichte, 167) gewesen seien: [I]st euch das Wälsche Gewäsch mehr angelegen als die Mannliche Heldensprach ewrer Vorfahren? was hastu in solchen Gesichten mit Wälschen, Lateinischen, Grichischen, Jtalianischen, Spannischen Worten vnd Sprüchen vmb dich zuwerffen gehabt? meynstu, das man darumb glaube, das du alle solche Sprachen gelernet? warumb legstu dich nicht dieselbe zeit vber auff deine Muttersprach, solche in einem Ruff vnd rechten Gebrauch zubringen, vielmehr, als einer ausländischen Zungen also zu Diensten zu sein (ebd.).

Angesichts der weiten Verbreitung der Sprachmischung, die mittlerweile überall zur Gewohnheit geworden sei, blickt Johann Klaj recht pessimistisch in die

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Zukunft, er prophezeit ein neues Babel, also eine neue Sprachverwirrung, in der keiner mehr den anderen versteht: Noch dennoch bauen wir jetzo ein neues Babel von Welschen Steinen und Frantzösischem Holtzwerk auf den teutschen Boden / daß zu befürchten / ob künftig jemand in Teutschland leben möchte / der uns das Teutsche verteutschete. Ja es ist diese Gewonheit leider albereit so weit eingerissen / daß sie für ein gutes Gesetz gehalten wird / und die Teutsche Freyheit mit der Lateinischen Libertät benamet wird (Klaj, Lobrede, 410).

Über die Gründe, die zu diesem Zustand geführt haben, äußert sich vor allem Leibniz in der Ermahnung sehr differenziert. Einerseits nennt er äußere Ursachen für den „Mischmasch“, der „abscheulich überhand genommen“ habe (Leibniz, Gedanken, 538): die Kriege, der Plurizentrismus des Reiches, das keine feste Hauptstadt hat, an der sich alle orientieren, die geringe Förderung wohlmeinender Leute, das geringe Interesse der Adligen und die religiöse Spaltung. All diese Ursachen hätten jedoch nicht die große Bedeutung, wie man glauben könnte. Leibniz macht dies am Beispiel der fehlenden Hauptstadt klar: Die italienische Sprache hätte ihre Einheit nicht in der Hauptstadt Rom gefunden, sondern in Florenz. Auch an wohlmeinenden Personen hätte es nicht gefehlt, wie die Existenz der Sprachgesellschaften und das Wirken einiger bedeutender Gelehrter innerhalb der Sprachgesellschaften wie Opitz, Schottelius oder Harsdörffer beweise. Er kritisiert allerdings, dass viele dieser Gelehrten ihre Schriften in lateinischer und griechischer Sprache publiziert hätten; dies hätte eine „schädtliche würckung“ (Leibniz, Ermahnung, 809) gehabt. Denn dadurch seien diejenigen, welche des Lateinischen nicht mächtig gewesen seien, von den Wissenschaften ausgeschlossen worden. Und weil Deutsch nicht als Wissenschaftssprache verwendet worden sei, hätte es nicht „wie ein rein polirtes glas gleichsam die scharffsichtigkeit des gemüths befördert, und dem verstand eine durchleuchtende clarheit“ gegeben (ebd.). Weil diese Klarheit der deutschen Sprache fehle, welche die anderen Völker bei ihren Sprachen erreicht hätten, hätten die Deutschen sich nicht zu Hause, sondern im Ausland gebildet und einen „Eckel“ (ebd.) vor dem Deutschen empfunden und nur das Fremde hochgeschätzt. Daher sei der Glaube gekommen, die deutsche Sprache und das deutsche Volk seien zu nichts Besserem fähig. So gerieten die Deutschen in die „Slaverey“ (ebd.) des Verstandes und wurden gezwungen, sich auf fremde Art auszudrücken. Diese sehr scharfsinnige Analyse hat viel gemeinsam mit der oben (128 f.) zitierten Diagnose Zincgrefs, die Deutschen trauten ihrer eigenen Sprache nicht zu, bestimmte Dinge angemessen ausdrücken zu können. Sie gibt

134 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse letztlich den Gelehrten die Schuld an der Sprachmischung, weil diese die deutsche Sprache unterschätzt hätten.54 Um diesem entgegenzuwirken und zu verhindern, dass das von Klaj befürchtete neue Babel Wirklichkeit wird, setzen sich die Sprachpatrioten bei ihrer Spracharbeit das Ziel, „[d]aß die Hochteutsche Sprache in ihrem rechten Wesen und Stande / ohne Einmischung fremder ausländischer Wörter / auf das möglichste und thunlichste erhalten werde“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 361). Hille malt ein positives Bild von der Zukunft der deutschen Sprache, wenn die Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft ihre Ziele erreicht: „Die böse Gewonheit fremde Sprachen einzumischen / stehet errötet und beschämet: ihr Stillschweigen ist eine Bekänntniß des Jrrthums / welchen die lange Zeit nicht kan rechtfertigen“ (Hille, Palmbaum, 209). Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt Rist eine Reihe von Maßnahmen vor: Zur Zeit des Humanismus hätten lobenswerte Männer wie Johannes Reuchlin, Erasmus von Rotterdam, Philipp Melanchthon und andere sich um die Wiederherstellung des guten Lateins gekümmert und es so weit restauriert und verbreitet, dass man sich heute fragen müsste, ob Cicero oder die heutigen Gelehrten das bessere Latein schrieben. Hierzu hätten ihnen satirische Schriften geholfen, die den „ungelehrten Mönchen ihre Grobheit / Faulheit / ungeschickligkeit dermassen in die Nasen“ gerieben hätten, dass sie gezwungen gewesen seien, mit Fleiß zu lernen und ihr „Kindisches / ja offt lächerliches Latein“ (Rist, Rettung, 142) zu verbessern;55 auf diese Weise sei die Lateinische Sprache wieder zu Ehren und Würden gebracht worden. Dieses Verfahren solle auch auf die deutsche Sprache angewendet werden, da es bekannt sei,

�� 54 Wobei man allerdings anmerken muss, dass sich auch Leibniz selbst in diese Riege einreiht, denn seine philosophischen Hauptwerke, die Nouveaux Essais (1704) und die Monadologie (1714) publizierte er in französischer Sprache. Als Vorbild hätte er dagegen Descartes nennen können, der seinen Discours de la Méthode in französischer Sprache und nicht auf Latein publizierte und das wie folgt begründete: „Und wenn ich lieber französisch schreibe, die Sprache meines Landes, und nicht lateinisch, die Sprache meiner Lehrer, so deshalb, weil ich hoffe, dass diejenigen, die sich nur ihrer ganz reinen natürlichen Vernunft bedienen, besser über meine Ansichten urteilen werden als diejenigen, die nur den Schriften der Alten glauben; und hinsichtlich derer, bei denen sich der gesunde Verstand mit Studium verbindet, die allein ich mir als meine Richter wünsche, bin ich mir sicher, dass sie nicht so für das Lateinische Partei ergreifen werden, dass sie es ablehnen, meine Gründe zu hören, weil ich sie in der Volkssprache erkläre“ (Descartes, Bericht, 143). Für Descartes ist die Vernunft also sprachunabhängig und der Gebrauch der Volkssprache stellt für ihn eine Distanzierung von der etablierten lateinischen Gelehrsamkeit dar. 55 Offensichtlich spielt Rist auf die Epistolae Obscurorum Virorum, die Dunkelmännerbriefe (1515) an.

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daß sich eine unzählige Menge lateinischer / frantzösischer / welscher und spanischer Wörter in und mit deroselben bey dieser Zeit haben vermischet und zwar dero gestalt / daß weder bey königlichen und fürstlichen Höfen (woselbst man ehemals das allerbeste teutsch pflag zu holen) noch die teutsche Schulen in Städten und Dörffern / noch die sonderbahre Häuser gelährter und ungelährter Personen / ja auch nicht einmahl die Hütten der armseligsten Bawren davon entfreyet sind geblieben (ebd., 143).

Mit dem Mittel der Satire könne man also die „zusammen geflickte[n] Reden“ (ebd., 143 f.) beseitigen und so die deutsche Sprache von ihrer „böse[n] Krätze“ (ebd., 144) befreien. Diesen Weg beschreitet Rist mit der Rettung, die aus Negativbeispielen der übermäßigen Sprachmischung samt fundamentaler Kritik an dieser besteht. Der Verweis auf Positivbeispiele ist dagegen die Methode Stielers in der Vorrede zu seinem Wörterbuch: Diejenigen, die französische, welsche oder spanische Wörter gebrauchten, seien „Unkinder und Verrähter“ und „Stümmel- und Unteutschteutsche“56 (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijv) „Kein Ungar / Böme / Polak / Moskowit / wird seiner Rede solche bunte und närrische Flicklappen ankleistern / als die schandkützliche Stiefteutsche zuthun pflegen“ (ebd.). Die Auswahl seiner Beispiele ist bezeichnend: Selbst die Völker aus dem, der zeitgenössischen Meinung nach, unkultivierten Osteuropa gehen mit ihrer eigenen Sprache besser um als die Deutschen. Auch die Römer oder Franzosen würden niemals fremde Wörter in einer Weise gebrauchen, wie es die Deutschen täten. Auf diese Weise hält Stieler den Deutschen einen Spiegel vor und versucht, sie zur Reflexion ihres eigenen Sprachgebrauchs zu bringen. Bereits zu Beginn des untersuchten Zeitabschnitts hatte Opitz zur Vermeidung von Fremdwörtern als Mittel gegen die Sprachmischung zumindest in der Dichtung aufgerufen: „So stehet es auch zum hefftigsten vnsauber / wenn allerley Lateinische / Frantzösische / Spanische vnnd Welsche wörter in den text vnserer rede geflickt werden“ (Opitz, Poeterey, 372). Darin sind ihm viele spätere Dichtungstheoretiker nachgefolgt. Philipp von Zesen diskutiert in der Hochdeutschen Spraach-übung die Frage, ob man nicht punktuell doch Fremdwörter zulassen solle. Dieser Gedanke wird jedoch mit einer hymnischen Darstellung der Überlegenheit der deutschen Sprache, die aufgrund dieser Überlegenheit keine anderssprachigen Wörter benötige, vielmehr durch diese nur eingeschränkt würde, verworfen:

�� 56 Die ungewöhnliche reduplizierende Komposition unteutschteutsch dient offensichtlich dem kommunikativen Zweck, Deutsche, die sich sprachlich nicht wie Deutsche verhalten, an ihre Herkunft zu erinnern.

136 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Sollen wir kein Lateinisches / Griechisches oder Hebräisches / da diese doch die übrigen drey haupt- und grund-spraachen seyn / mit einmischen / vielweniger können wier gestatten / daß aus den andern Neben- oder unter-spraachen ein und das ander wort so verrmässentlich in unsere allervollkommneste Haupt- und grund-spraache eingeflikt werde. Zu dem ist auch die Hoochdeutsche Spraache die allerprächtigste und mächtigste Helden-Spraache / die mann unter der Sonnen haben mag / und wird gar deutlich und etwas langsam mit einer sonderlichen ernsthafftigkeit ausgesprochen / daß sie also anderer Spraachen wörter / wegen derselben geschwind- und flüchtigkeit […] nicht dulden kann (Zesen, Spraach-übung, 37).

Der Vorgang der Sprachmischung wird in den zitierten Passagen mit folgenden Verben beschrieben (in alphabetischer Reihenfolge): besudeln, einbrocken, einmengen, einmischen, einschieben, vermengen, vermischen, verunreinigen, zusammenflicken.57 Auf die Sprachmischung als Faktum wird mit folgenden Substantiven referiert: Einmischung, Flickerei, Mischmasch, Mischmascherei, Vermischung, Wortgemenge; hinzu kommt die Nominalgruppe welsches Gewäsch. Diejenigen, die Sprachmischung betreiben, werden als Mischmäscher bezeichnet. Bei der Betrachtung dieser onomasiologischen Felder fällt vor allem eines auf: Wenn man von Ausnahmen, die sich auf Metaphern (Schmutz, Kleider) beziehen, absieht, greifen die Autoren auf ein sehr begrenztes Reservoir an lexikalischem Material und Wortbildungsmöglichkeiten zurück. Lexikalische Grundlage sind die Verben mengen und mischen, die mit den Präfixen ver- und ein- versehen werden. Das erste Präfix drückt semantisch eine Qualitätsverringerung aus, letzteres den Import fremder Komponenten. Die daraus entstehenden Wortbildungsprodukte werden durch die Suffixe -ung und -erei substantiviert, wobei letzteres eine deutliche Abwertung impliziert. Ebenso drückt das Zirkumfix ge-…-e (Gemenge) eine Abwertung aus. Das Substantiv Mischmasch, eine Reduplikation mit Vokalwechsel, wird im Korpus durch Derivation zu Mischmäscher als Bezeichnung für ›jemanden, der Mischmasch produziert‹ ausgebaut, von diesem wird wiederum die Mischmascherei als partielles Synonym zu Vermischung usw. abgeleitet. Nach Auffassung der Sprachpatrioten werden aber nicht nur fremde Wörter in die deutsche Sprache eingebracht, sondern auch fremde Sitten und Gebräuche. Dieser Umstand wird fast ausnahmslos negativ bewertet. Leibniz räumt zwar ein, dass die äußere Lebensqualität in Deutschland gestiegen sei unter dem Einfluss der Franzosen. Doch dies seien Kleinigkeiten und sie machten die Zeit nicht glückselig. Das einzig Positive an der Verfeinerung der Sitten sei es, wenn �� 57 Der Einfachheit halber werden die Ausdrücke in heutiger Orthographie wiedergegeben.

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die Deutschen unter französischem Einfluss weniger saufen würden (vgl. Leibniz, Ermahnung, 817). Hier nimmt Leibniz Bezug auf das seit Tacitus herrschende Vorurteil von der Trinkfestigkeit der Deutschen. Aber auch dies schränkt er sofort wieder ein, denn der Teufel werde mit dem Beelzebub ausgetrieben: „[U]nd bin fast der meinung, daß ein trunckener alter Teutscher in reden und schreiben mehr verstand spüren laßen, als aniezo ein nüchterner französischer Affe thun wird“ (ebd.). Die negative Bewertung des französischen Einflusses wird mitunter recht drastisch ausgedrückt, so etwa bei Logau: Nach der mode Reden führen, | Nach der mode Glieder rühren, | Nach der mode Speise nemen, | Nach der mode Kleider bremen, | Nach der mode Zucht verüben, | Nach der mode Menschen lieben, | Nach der mode Gott verehren, | Wil Morinna alle lehren. | Ob sie, möchte ich gerne wissen, | Nach der mode pflegt zu pissen? (Logau, Sinngedichte, 212).

Die Totalität des Kulturimports, symbolisiert durch die Parallelkonstruktion der ersten sieben Verse, wird hier durch die ironische Schlusspointe auf die Spitze getrieben. Der französische Einfluss beschränkt sich nicht nur auf Sprache und Mode, Speisen und Bewegung, sondern er betrifft auch die Gefühlswelt der Menschen, sowohl die Immanenz als auch die Transzendenz. Indem Logau von dort das Augenmerk auf ebenso fundamentale wie tabuisierte Körperfunktionen lenkt, errichtet er zugleich ein Szenario, in dem die französische Kultur allgegenwärtig ist und der man buchstäblich nicht einmal im stillen Örtchen entgehen kann. Das Französische galt als kulturelles Vorbild, dem man sich nicht entziehen konnte. Birken beklagt insbesondere den Einfluss auf die Dichtung: Noch 50 Jahre zuvor hätte sich auch die deutsche Dichtkunst hervorgetan und man hätte wie in Frankreich oder Italien die Sprache zu zieren angefangen; den anderen Nationen hätte dies zum Ruhm gereicht. Aber unsre Teutschen / gleichwie sie / aus Fremdgierigkeit / ihre Sitten / Reden / Kleider / Haare / Gebärden und alles / aus Frankreich holen / also bleibt ihnen nichts übrig von Beliebung / solche an ihre edle Haupt-Sprache zu verwenden: die doch auf der Canzel und Canzley / in der Raht- und Gericht-Stube / und im ganzen gemeinen Leben / sie nehren und unterhalten muß (Birken, Rede- Bind und Dicht-kunst, fol. ):( ):( xv).

Die Allgegenwart des Französischen bringt eine Zwangsläufigkeit mit sich, die es unmöglich zu machen scheint, die Jugend anders als französisch zu erziehen, wenn diese in der Welt erfolgreich sein soll: Daß Deutschland deutsche Kinder zeugt? Sie haben so nur mehr Beschwerden; | Sie müssen, solln sie gelten was, Frantzosen dennoch alle werden (Logau, Sinngedichte, 520).

138 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Dieser massive Einfluss muss sich notwendig auch auf den Charakter auswirken: Alamode-Kleider, Alamode-Sinnen; | Wie sichs wandelt aussen, wandelt sichs auch innen (ebd., 434).

Hier wird vom Tragen französischer Mode auf den Charakter zurückgeschlossen: Wer französische Kleider trägt, der ändert auch seine Gewohnheiten und seinen Charakter. Implizit ist damit auch ausgesagt, dass man dann auch nicht mehr wirklich deutsch ist, sondern ,fremd‘. Wenn dieser Fall eintritt, dann ist der Verlust der äußeren wie der inneren Freiheit nicht mehr fern. Daher warnen die Autoren häufig vor dem französischen Joch, das metaphorisch für Fremdherrschaft steht (vgl. 4.2.5). Stieler etwa polemisiert gegen die Übernahme der französischen Sprache, Sitten, Gebärden und Diener an den Höfen und evoziert die Gefahr der Fremdherrschaft: „Wo es nur nicht ein Vorspuk des Französischen Joches seyn möchte!“ (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iiijr). Leibniz befürchtet vor allem kognitive und emotive Einbußen für die Deutschen. Ihm ist es deshalb wichtig, ungereimte[,] unnöthige einflicken ausländischer[,] auch nicht einmahl verstandener nicht zwar worte, doch red-arthen, die ganz gleichsam zerfallene säze und abtheilungen, die ganz unschickliche zusammenfügungen, die untaugliche Vernunftsgründe, deren man sich schämen müste, wenn man nur etwas zurückdencken wolte [, zu vermeiden]: Dieß alles ist, was nicht nur unsere sprache verderben sondern auch ie mehr und mehr die gemüther anstecken wird (Leibniz, Ermahnung, 815 f.).

Erheblich weiter geht Zesen. Er wertet den fremden Einfluss als Strafe Gottes, der wegen der Sünden fremde Völker in die Länder schicke und mit ihnen fremde Sprachen, die das alte Volk mit seiner Sprache verdrängten oder es zwängen, die fremden Sprachen und Sitten anzunehmen. Dies sei mit dem Lateinischen geschehen, das einst die Sprache eines Weltreiches gewesen und dann durch andere Völker mit anderen Sprachen überzogen worden sei. Auf diese Weise sei das Lateinische so verändert worden, dass es keine Ähnlichkeit mehr mit dem alten Latein habe. Solcher gestalt pflegt man durch kriege / kaufhandel und dergleichen dinge / da unterschiedner mundarten und sprachen völker durch unter-handlung mit einander ümgehn und gespräche pflegen / die mund-ahrten fremder Länder oder vielmehr gleichviel bedeutende wörter und neue mund-ahrten / die doch gleichwohl immerzu aus der alten sprache / als dem kwel-brunnen / nur in etwas verzwikket / und nach eines ieden volkes eingepflantzter mund-ahrt und aus-sprache verändert flüßen / anzunehmen (Zesen, Rosen-mând, 103).

Ebenso subtil wie perfide ist folgendes Epigramm Logaus:

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Almodad kam von Sem herab, vom Japhet Ascenas; | Daß dann dem Alamode-Stamm der Deutsche so trägt Haß? (Logau, Sinngedichte, 295).

Logau spielt hier auf Genesis 10,26 an, nach dem Almodad ein Nachkomme Sems, des Stammvaters der Juden (Semiten) ist. Logau führt die Herkunft des Ausdrucks Alamode durch anagrammatische Umstellung der Buchstaben auf einen Nachkommen des Stammvaters der Juden zurück. Zudem nimmt er den Ascenas-Mythos auf, der als Stammvater der Deutschen gilt (vgl. 4.3.1.2). In Form einer Frage wird im zweiten Vers der Alamode-Stamm, nach dieser Konstruktion das Judentum, mit dem Alamodewesen verbunden. Damit wird die Frage gestellt, ob der Hass auf das Alamodewesen nicht eigentlich Hass auf die Juden ist. Jedenfalls werden beide, Alamodisten und Juden als fremd, nicht aus dem Stamm des Ascenas stammend, behandelt. Antijudaismus und Alamodekritik gehen hier Hand in Hand, zugleich liefert die Identifikation von Alamodisten und Juden, die hier suggeriert wird, eine Begründung und Rechtfertigung für die Ablehnung, ja den Haß gegen das Alamodewesen. Die Ablehnung des französischen Kultureinflusses ist deshalb so groß, weil mit der Aufnahme französischer Sitten und Wörter ein schädlicher Einfluss auf deutsche Tugenden und letztlich auf die sich gerade konstituierende deutsche Kulturnation verbunden wird. Logau bringt das Empfinden der Sprachpatrioten angesichts der Allgegenwart des Französischen und der deutlich gefühlten kulturellen Minderwertigkeit auf den Punkt: Wer nicht Frantzösisch kan, | Ist kein gerühmter Mann; | Drum mussen wir verdammen, | Von denen wir entstammen, | Bey denen Hertz und Mund | Alleine deutsch gekunt (Logau, Sinngedichte, 344).

Die Sprachpatrioten kritisieren, dass das Fremde oft ohne ersichtlichen Grund, wohl einfach wegen des Reizes des Unbekannten, höher gestellt wird als das Eigene. Im Anhang zu Gueintz’ Deutscher Sprachlehre Entwurf befindet sich ein häufig zitiertes Gedicht von David Crüger, der dieses Suchen nach Neuem in eine anschauliche Metapher fasst: […] Wan wir nur drey / vier worte | Bedürffen / holt man Sie auch von so manchem orte / | Deutsch fangen wir zwar an / Latein springt mit heraus | Welsch bringet sich mit ein / Frantzösisch leuft es naus. | Es kömt mir eben für / Jch liesse mein Haus stehen | Vol guter speis’ und tranck / und wolte betteln gehen | Für andrer Leute thür / doch einem kinde schmeckt | Viel süsser frembdes brot / als das die Mutter beckt. | Wir wollen uns wol gar in ander Volck verwandlen / | Wer itzund bleiben wil bey seiner Deutschen art / | Der ist nicht / sagen Sie / im kopffe wol verwart. | […] | Der Deutsche wil sein knecht / und herscht vor Jhm der frembde / | Der Rock ist uns nunmehr viel näher / als das Hembde (Gueintz, Entwurf, nach 126; Seite unpaginiert).

140 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Die Metapher von der fremden Speise, die der heimischen vorgezogen wird und vom Brot, das in der Fremde besser schmeckt als das der eigenen Mutter, überträgt eine Alltagserfahrung, die jeder schon einmal gemacht hat, auf die Sprache. So wird die Klage für jeden Leser prinzipiell nachvollziehbar. Zugleich macht sie deutlich, dass das fremde Wort nicht deshalb gewählt wird, weil es besser sei, sondern nur aus dem Grund, weil es fremd ist. Dies impliziert den Appell, das Eigene wieder höher zu schätzen. Die Konsequenzen, die andernfalls drohen, werden am Ende angesprochen: Knechtschaft und Fremdherrschaft, ein Szenario, das nicht selten beschworen wird, um den Fremdwortgebrauch einzudämmen (vgl. 4.2.5). Den Gedanken, dass Fremdwörter bloß um ihrer Fremdheit willen gebraucht werden, fasst Schottelius mit dem Ausdruck Frömdgierigkeit zusammen. Im Folgenden wird eine Auswahl der Belegstellen angeführt: Die frömdgierigkeit scheinet durch ein hartes verhengniß sonderlich den Teutschen gar tieff angeboren zu seyn (Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( iijr; ähnlich Arbeit, fol. b iijr). Wollen wir denn selbst / wider den Lauff der gemeinen Natur / und wider alles Geheiß der Warheit / aus schändlicher frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Krafft und Safftreiche / reinlichste / uhralte Stammwörter / zu menglingen / flickstücken / brocken / unwörteren / mißgeburten und Betteldrecke machen? (ebd., 171; ebenso Arbeit, 144).

Die Zitate zeigen zweierlei: Erstens wird die Frömdgierigkeit mit dem Attribut schändlich versehen, wodurch die Ablehnung sichtbar wird. Zweitens wird sie als den Deutschen angeboren konzeptualisiert, wodurch sie zu einer Charaktereigenschaft bzw. einer Charakterschwäche aller Deutschen wird, der Einhalt zu gebieten ist. Eng mit dieser Charakterschwäche verbunden ist eine zweite, nämlich die Selbstverachtung, die Opitz im Aristarch konstatiert: Man könne zwar durch Reisen ins Ausland von Franzosen und Italienern nützliche Sitten und Bildung entlehnen und zur Weiterbildung der eigenen Sprache beitragen. Doch man handle unbedacht, wenn man das Eigene zugunsten des Fremden zurücksetze. Viele jedoch, die auf Reisen gewesen seien, glaubten wohl, sie seien es ihrem Ruf schuldig, alles Mögliche von dort herüberzubringen. „Wir schämen uns jetzt unseres Vaterlandes und bemühen uns gar so zu tun, als verständen wir die deutsche Sprache schlechter als jede andere“ (Opitz, Aristarch, 71).58 Diese Selbstverachtung führe zur Verachtung durch die anderen. Deshalb verurteilt Opitz die Benutzung fremder Wörter scharf: �� 58 „Nunc pudet patriae; et saepe hoc agimus, ne nihil minus quam Teutonicum idioma callere videamur“ (Opitz, Aristarch, 70).

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Indessen verändert sich die reine und bisher von fremder Befleckung unberührte Sprache und entartet zu wunderlichen Redeweisen. Wortungetüme und Krebsgeschwüre schleichen sich ein, bei denen ein ehrlicher Deutscher bald seine Entrüstung oder seinen Ekel nicht mehr zurückhalten kann. Man kann sagen, diese Sprache wird zur Kloake, in die sich wahllos aller Unflat ergießt. Es gibt beinahe keinen Abschnitt, keinen einzelnen Satz, an welchem nicht eine fremde Zutat zu spüren ist. Einmal entlehnen wir von den Römern, dann wieder von den Franzosen und sogar von den Spaniern und Italienern, was unser heimischer Boden viel besser hervorbringt. Ich kenne auch einen, der sich nicht einmal scheute, griechische Worte einzumengen. So sprach er, was man nicht ohne Gelächter anhören konnte: Jungfraw, sie muß auch das τό πρέπον observiren (ebd., 71/73).59

Die Stelle, in der Opitz den griechischen Ausdruck τό πρέπον (›das sich Gehörende, das sich Ziemende‹) in einem deutschen Satz verspottet, wird in der fremdwortpuristischen Literatur recht häufig zitiert. Diese Selbstverachtung führt nach Auffassung der Sprachpatrioten notwendig zur Vernachlässigung der Muttersprache. Genau dies wirft etwa Ariovist Philander in Moscheroschs Gesichten vor: [I]st euch das Wälsche Gewäsch mehr angelegen als die Mannliche Heldensprach ewrer Vorfahren? was hastu in solchen Gesichten mit Wälschen, Lateinischen, Grichischen, Jtalianischen, Spannischen Worten vnd Sprüchen vmb dich zuwerffen gehabt? meynstu, das man darumb glaube, das du alle solche Sprachen gelernet? warumb legstu dich nicht dieselbe zeit vber auff deine Muttersprach, solche in einem Ruff vnd rechten Gebrauch zubringen, vielmehr, als einer ausländischen Zungen also zu Diensten zu sein? (Moscherosch, Gesichte, 167)

Solche Vernachlässigung, die zur unbedachten Aufnahme fremder Wörter führt, ist für Schottelius eine der drei Hauptursachen für Sprachwandel. Während die beiden anderen Ursachen für ihn unvermeidlich oder unschädlich sind, verändert die dritte aber die deutsche Sprache nicht nur, sondern stellt eine ernsthafte Gefahr für sie dar, da sie zur Entfremdung der Sprache wie ihrer Sprecher führt, so dass sie nicht mehr in ihrer wahren Gestalt erkennbar sind: Durch das Einflicken von Fremdwörtern werde die

�� 59 „Interim purissima et â peregrino squalore libera hactenus lingua mutat, et in miras loquendi formulas degenerat. Monstra vocabulorum et carcinomata irrepunt occulte, ad quae genuinus aliquis Germanus quandoque vix indignationem, quandoque nauseam vix tenet. Dicas in sentinam durare hanc linguam, ad quam reliquarum sordes torrente promiscuo deferantur. Nulla ferme periodus est, nulla interpunctio, quae non ascititium quid redoleat. Jam à Latinis, jam Gallis, Hispanis etiam ac Italis mutuamur, quod domi nascitur longe elegantius. Vidi quoque, qui à Graecis quidem se abstineret. Talis illa vox, quae sine risu non excipiebatur: Jungfrau / sie muß auch das τό πρέπον observiren“ (Opitz, Aristarch, 70/72).

142 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse angeborne / vollkommene / reine / wortreichste Muttersprache […] deutlos / wortarm / und zur bettelerischen Sclavinn“ gemacht: „Dadurch also unsere Teutsche Wörter […] zu unwörteren / die Teutsche Sprache sprachlos / der Teutsche Geist erfrömdet / die rechte Art verunartet / verstaltet / und in eine gantz andere Form gegossen wird (Schottelius, Arbeit, 167).

Eine solche Entfremdung stellt auch Neumark fest: Ob nun wol zwar unsere verunziehrte Muttersprache / in großes Abnehmen gerahten / Zeit weis auch in dieser weit-ausschlagenden Sprachverderblichen Flammen / die Rede und der teutsche Geist entfremdet / die rechte Ahrt verunahrtet; Ja in eine heßliche Mißgestalt gegossen und verwandelt worden (Neumark, Palmbaum, 4).

Ein solches Sprachverhalten, das die deutsche Sprache und ihre Sprecher von ihrem eigenen Wesen entfremdet, gereicht sowohl der Sprache als auch den Sitten und der Moral ihrer Sprecher zum Schaden. Exemplarisch für den Schaden, den die Sprache erleidet, kann eine Stelle im Sprachverderber stehen: Aber / eine Schand ist es / vnd zu erbarmen / daß diese vnsere teutsche Haupt- vnd Mutter-Sprach / als welche von Wörtern so schön / so weitläufftig / so rein / prächtig vnd volkommen / so schändlicher weise verunreiniget wird (zitiert nach Jones 1995, 289).

Der Konnex von Sprache und Sitte oder Moral wird von vielen Autoren hergestellt, z.B. durch Neumark: Fürst Ludwig hätte gesehen, dass bey den angefeurten Unglükskolen die Tugenden zerschmeltzen / die gute Gesetze krebsgängig gemachet / ja die Teutsche Heldensprache endlich / durch Vermischung vieler einbrechenden fremden Völkerzungen / vermenget / in Unacht gebracht / oder wol gantz sprachloß verderben / und ersterben würde (Neumark, Palmbaum, 20 f.).

Für Logau bezahlen diejenigen, die fremdes Glas für Gold halten, einen hohen Preis, denn sie geben ihre Tugenden auf: Die sich ihnen selbst beherbergen nicht künnen, | Und denen viel zu eng ihr deutsches Vaterland. | Sie lassen eignen Werth und wehlen fremden Tand, | Erkiesen Glas für Gold und wollen nichts beginnen, | Was diesem ist gemäß, was etwa kümmt von hinnen. | So wie in Kleidern sie nunmehr sind Deutschen nicht, | So soll auch nicht mehr deutsch seyn, was die Zunge spricht. | Wie muß das Hertze seyn? (Logau, Sinngedichte, 273).

Ein solch enger Zusammenhang von Sprache und Moral ist nicht selbstverständlich, sondern er muss erklärt werden. Der Grund für diese Verknüpfung liegt in der Annahme, dass sprachliche Zeichen natürlich mit den Gegenständen, die sie bezeichnen, verbunden sind. Zeichentheoretisch folgen die Autoren der physeiThese. Eine solche natürliche Verbindung zwischen Wort und Sache greift aber letztlich über die Grenzen der Sprachwissenschaft hinaus auf Metaphysik und

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Theologie. So konstatiert schon Paul Hankamer: Der „tapfere Kampf gegen das Fremdwort, wie das 17. Jahrhundert ihn aus Not und Leidenschaft treibt, ist so metaphysisch begründet“ (Hankamer 1926; 1965, 128). Eine solche metaphysische Begründung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Sein wird in der Tat vorgenommen (vgl. oben, 3.2.2.1 und unten, 4.4.4). Sie impliziert einen „hypostasierten, tendenziell ahistorischen Systembegriff“ und eine Sprachnatur, die „durch hohes Alter und genealogische Reinheit gekennzeichnet sowie durch inhärente Gesetzmäßigkeiten geregelt“ ist (Gardt 2001, 41). Diese sozial, historisch und pragmatisch hypostasierte, d.h. dem alltäglichen Gebrauch durch in ihrem jeweiligen sozialen und historischen Umfeld stehenden Sprecher enthobene Sprache wird mit der „kulturellen, moralisch-sittlichen und politischen Identität“ der Sprecher verknüpft (Gardt 1997, 397). Dies läuft auf eine „Identifizierung der deutschen Sprache mit ihren Sprechern“ hinaus (Gardt 1994a, 166; vgl. auch Gardt 1995, 160). Deutsche Sprache und deutsches Sprachvolk sind durch ihr hohes Alter, ihre Reinheit und ihre besonders enge Beziehung zur Natur eng miteinander verbunden und in dieser Verbindung sprachlich, sittlichmoralisch und kognitiv über die meisten anderen Völker gestellt. Dieses „spezifisch deutsche Kongruenzverhältnis von Wirklichkeit, Sprache und Naturell der Sprecher“ (Gardt 1994a, 169) wird durch fremde Einflüsse gefährdet. Wie gesehen, befürchten die Sprachpatrioten eine Entfremdung von den Gegenständen, die nicht nur die Einheit von Wort und Sache, sondern auch die sittlich-moralische Integrität der Sprecher in Frage stellt. Diese Gefährdung wird durch verschiedene Metaphern ausgedrückt. Leibniz etwa spricht davon, dass Deutschland durch den Dreißigjährigen Krieg und die fremden Kriegsvölker „wie mit einer Wasserfluth überschwemmet worden“ sei. Dies habe dazu geführt, dass die deutsche Sprache „in die Rappuse60 gangen“ sei (Leibniz, Gedanken, 539). Nach Harsdörffer hat das Vaterland seine Söhne mit der „Teutschen Tugendlöblichen Haubtsprache“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 352) verheiratet. Wenn sie dieser untreu würden und pflichtvergessen fremde Sprachen hochhielten, so würden sie zu Recht mit Blindheit geschlagen und stürzten in die Unwissenheit und Dunkelheit, zumal auch ihre Reden dunkel und unverständlich blieben. Dieses Unheil verschone niemanden, der fremde Sprachen erlerne und ihrer mächtig werde. Es ergreife aber auch diejenigen, die niemals fremde Sprachen erlernt hätten: „Nein / es ist biß auf den groben Pövelmann herabkommen / dem das Latein bekannt / wie dem Blinden die Farben“ (ebd., 354). Die allerblindesten seien aber diejenigen, die die deutsche Sprache verlachten. Hier kombiniert Harsdörffer gleich zwei Metaphernkomplexe, nämlich die Metapher der �� 60 In die Rappuse gehen bedeutet ›geplündert werden‹, vgl. DWB, Bd. 14, Sp. 123.

144 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Blindheit/Dunkelheit, die sich zu einer Lichtmetapher abstrahieren lässt (vgl. 4.2.9), sowie die der Untreue, die sich im Ehebruch der Söhne mit der deutschen Sprache ausdrückt. Der Fremdwortgebrauch wird auf diese Weise kriminalisiert, wobei die kognitiven Einschränkungen, die er zur Folge hat, als Strafe zu verstehen sind. Ein anderes Mittel, die Schädlichkeit des Fremdwortgebrauchs zu demonstrieren, ist die Satire. Von den nahezu unzähligen zeitgenössischen Sprachsatiren sei nur eine exemplarisch angeführt. Bei dieser Satire handelt es sich um den fiktiven Brief eines alamodischen Verehrers an eine deutsche Jungfrau mit dem sprechenden Namen Adelheit von Ehrenberg. Der Anfang dieses Briefes wird hier zitiert: MEJNe Allerliebste Dame, die grosse perfection, womit der Himmel selber euwre glorificirte Sehle hat erfüllet / zwinget alle amoureuse Cavalliers, daz sie sich für eüwrer hochwürdigen grandesse humilijren vnd alß vnterthänigste gehorsame Schlaven zu den Scabellen eüwrer prachtigen Füesse nieder legen. Sie perdonnire mir allerschönste Dame, daß ich die hardiesse gebrauche / mich jren allerunterthänigsten Serviteur zu nennen: Der grimmige Amor, welchem zu resistiren keine einzige Creatur bastandt ist / hat mich mit einem solchen Titul vnd Nahmen schon lengst privilegiret / deme sich zu opponiren ich mich viel zu schlecht vnd geringe erkenne (Rist, Rettung, 127).

Auch der übrige Brief ist nicht nur voller Fremdwörter, sondern wimmelt von rhetorischen Stilfiguren und Periphrasen. Die Jungfrau wird mit dem gesamten zur Verfügung stehenden Register des Petrarkismus gelobt und umworben. Unterschrieben ist der Brief folgendermaßen: „Ma Dame Vostre Esclave jusques à tombeau Liepholdt von Hasewitz Herr zur Leimstangen“ (ebd., 134). Auch dieser Name ist sprechend, die Leimstange ist ein Instrument zur Vogeljagd, mit dem Vögel angelockt und durch den Leim gefangen werden (vgl. DWB, Bd. 12, Sp. 701). In ihrem Antwortbrief übt die Jungfrau umfassende Sprach- und Stilkritik und weist das Ansinnen ihres Verehrers mit scharfen Worten zurück, weil sie als ehrliche deutsche Jungfrau mit „teutschen Sitten vnd von teutscher Sprache vnd Wohrten“ (ebd., 149) leben und sterben wolle. All diesen Satiren ist gemeinsam, dass sie eine durch den Fremdwortgebrauch entstandene Diskrepanz von Sein und Schein konstatieren und anprangern. Zesen macht diese Diskrepanz, die die oben beschriebene Annahme der Wesensgleichheit von Wort und Sache in Frage stellt, am Vergleich von französisch Monsieur und deutsch Herr fest: Als Adelmund sagt, das Wort Monsieur klinge viel lieblicher als das deutsche Herr, antwortet Deutschlieb, dass Monsieur zwar weicher und weniger scharf klinge als Herr, doch das französische Wort stehe „in unser Spraache eben wie ein Kieselstein in Gold eingefasset“ (Zesen, Spraach-übung, 36). Das französische Wort wird als in Gold eingefasster

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Kieselstein bezeichnet, also als Objekt, das scheinbar hohen, tatsächlich aber nur geringen Materialwert besitzt, folglich mehr Schein als Sein ist. Damit ist ein weiterer Aspekt angesprochen, der mit dem Sprachbegriff, der vom engen Konnex von Wort und Sache ausgeht, zusammenhängt: Das Konzept von der ,teutschen Redlichkeit‘. Damit ist eine der zentralen Tugenden gemeint, mit denen sich die Deutschen im Zuge der Eigenzuschreibung selbst versehen, um sich von anderen Völkern abzugrenzen. Im 17. und 18. Jahrhundert wird die teutsche Redlichkeit den den romanischen Völkern zugeschriebenen Charakterzügen wie Geilheit, Lügenhaftigkeit oder Unstetigkeit gegenübergestellt. Auch der frankophile Leibniz schrieb Passagen wie die, in der er es als Tugend der deutschen Sprache ansieht, „dass sie nichts als rechtschaffene dinge sage“, weshalb sie ein „Probierstein der Gedancken“ sei, um den sie die anderen Nationen beneideten (Leibniz, Gedanken, 535). Was sich in der deutschen Sprache ohne entlehnte oder ungebräuchliche Wörter sagen lasse, sei rechtschaffen, was aber „leere Worte [seien], da nichts hinter, und gleichsahm nur ein leichter Schaum müssiger Gedancken“, das lasse sich im Deutschen gar nicht ausdrücken (ebd.). Der Fremdwortgebrauch dient in diesem Zusammenhang nach Meinung der Sprachpatrioten dazu, „die tatsächliche Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit zu verschleiern und die Kommunikation irgendwie unseriös, unaufrichtig, weil nicht mehr in den objektiven Gegebenheiten begründet, zu machen“ (Gardt 2001, 50). Fremdwörter erscheinen somit als die Aufrichtigkeit der Kommunikation gefährdendes Element, da es die für das deutsche ,Stammwort‘ charakteristische referentielle Zuverlässigkeit in der Relation zwischen dem Sprachzeichen und dem außersprachlichen Gegenstand nicht besitzt und zudem von seinen Benutzern nicht mit dem Anliegen der Wahrhaftigkeit sprachlicher Wirklichkeitsdarstellung verwendet wird (Gardt 1997, 393).

Inbegriff für diese Form des ,uneigentlichen‘ Sprechens ist für die Sprachpatrioten das Kompliment. Für Moscherosch sind die romanischen Sprachen „BastartSprachen, auß welchen letztlich die vnehrliche, vnehliche Mißgeburt gezeuget wird, so man Complimenta nennet“ (Moscherosch, Gesichte, 182). Die Herkunft des Wortes wird so erklärt: Die Frantzosen […] wollen das Wort Complementum deuten alß Completamentum, ex Completa Mente, Eine Vollkommene-Gemüts-erklärung. Aber ich wollt es beweißlicher herbringen von Completum Mendacium. Dann es sind ja freylich andersts nichts als grosse Wort ohne Nachtruck, Auffschneidereyen, Lügen (ebd., 184).

Ein Deutscher mache von seiner „art“ her nicht viele Worte und liebe das Geschwätz nicht; daher sei ausgeschlossen, dass er mit solchen „läppischen Babbeleyen“ (ebd.) ehrlich reden könne. Dass gerade das Wort Kompliment aktuell so

146 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse häufig gebraucht werde, sei ein Zeichen dafür, in welchen Zeiten man lebe: „Dann auch in den Worten eine solche heimliche Krafft vnd Nachtruck zu zeiten stecket, das grosse Dinge darauß können ersehen vnnd erkundiget werden“ (ebd.). Gardt (1994a, 170) schreibt über derartige Klagen: Hier wird nicht nur Klage über den Verfall der Werte und den Missbrauch der Sprache geführt, sondern es deutet sich geradezu eine Aufhebung des Primats der Gegenstände vor den sprachlichen Ausdrücken an: Mit dem Wort kommt seine Kraft bedeutet, dass der Ausdruck – das Kompliment – nicht passives Abbild einer vorgegebenen Wirklichkeit ist, sondern auf seine Sprecher und Rezipienten einwirkt, ihr Denken und, als Konsequenz, ihr Handeln in der Welt bestimmt: Das Kompliment hat mittels seiner heimlichen Kraft Treue, Glaube und Redlichkeit vertrieben.

Letztlich führt also der Glaube, fremde Geisteshaltungen wie etwa das Komplimentierwesen durch Bekämpfung der sie bezeichnenden Ausdrücke zu beseitigen, zu Inkonsequenzen im Sprachbegriff der Autoren, weil hier mit der sonst üblichen ontologisierenden Sprachauffassung gebrochen und ein deutlich moderneres, auf die Kognitionsfunktion der Sprache verweisendes Sprachkonzept angedeutet wird, das als solches jedoch nicht durchschaut wird. Erheblich ausführlicher als Moscherosch, aber in manchen Formulierungen sehr ähnlich äußert sich der Autor des Sprachverderbers zum Kompliment: Was soll ich aber sagen von dem Wort Complementen, welches sehr gemein worden. Ich sage / mit diesem Wort sey auch seine Krafft in Teutschland eingeführet worden. Dann Complementen ist so viel als Gepräng (gut teutsch / Auffschneiderey / Betrug / Heucheley /). Wann ist aber bey den Teutschen jemahl mehr Prangens / Auffschneidens vnd Betrugs gewesen / als eben jetzunder / da das Wort Complement auffkommen ist? Ja es ist recht nachdenckliche Krafft in diesem Wort verborgen. Complimenteur, ein prächtiger höfflicher Reder / Großsprecher / ein rechter Auffschneider vnd Lügener. Dann wie kan es immer müglich seyn / daß ein Teutscher / der von Art nicht viel Wort machet / nicht viel Schwätzens vnd Großsprechens achtet / seiner Natur zu wider es mit so läppischen babbeleyen recht meinen solte? Warlich / dieses Wort Complement, dessen Wirckung jetzt im höchsten stehet / gibt zu erkennen / was wir für Zeiten haben: Dann auch in den Worten eine solche heimliche Kraft vnd Nachtruck zu zeiten stecket / daß grosse Dinge daraus können erkündiget vnd ersehen werden (zitiert nach Jones 1995, 290).

Diese Behauptungen werden durch eine Anekdote untermalt, welche den diametralen Gegensatz zwischen der teutschen Redlichkeit und dem französischen Komplimentierwesen zu bestätigen scheint: Es ist ein gleicher Verstand mit diesen reden: Was erlogen ist / das muß mit Complimenten gezieret werden. Vnd / was mit Complimenten gezieret ist / das ist erlogen. Jener / mein bester Freund / den ich im Hertzen kenne / zoge nach Lyon / kehrete zum Güldenen Lö-

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wen ein: Seiner Landsleut einer so seine Ankunfft erfahren / kam jhn zu besuchen vnd anzusprechen / mit diesen Worten: Monsieur & frere, werther / sehr geehrter Herr vnd Freund vnd Landsman / seine glückliche arrivee ist mir fast exoptabel, vnd dancke GOtt / das Er jhn durch so manche perilleuxe occasion vnd Gefahr durchgebracht / als dessen fortune mich von Hertzen also touchirt, ob sie mich leiblich angienge. Weil mir aber auch bewust / daß in der frembde es nicht allemahl a Souhait hergeben kan / sondern offt an neceßitet gerathet / auch wol bey den jenigen / die sonst zu Hause alles in abundantz haben: So erbiete gegen meinen Herrn ich mich / daß / wo er ein Ducat 20/30. benötigt / jhm solche incontinent von mir sollen überschossen werden / vnd conjurire jhn / mir solches ja nicht zu cachiren, &c. Der Redliche Kerl / dem das grosse sprechen etwas vnteutsch vorkam / bedankte sich gleichwol / vnd sprach / daß er seinen Seckel Rathsfragen / vnd solche gönstige Willfährigkeit nicht wolte außgeschlagen haben: Nach dem aber / zu seinem Gefehrten / ich muß / sagte er / probiren / was hinter diesen Worten für nachtruk vnd werke seyn mögen / derwegen begehrte er andern tags dz Gelt durch einen Diener: Aber der Monsieur entschuldigte sich / er hätte selbst kein Gelt / vnd was gestern geschehen were / daß were Ehren halben geschehen / vnd ein Compliment gewesen / so er gegen seim Landsman schuldig were. Ja / sprach der / nun weiß ich was ein Compliment ist: Es ist erlogen gewesen / lasse es für ein Compliment passiren (ebd., 291).

Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind demnach keine Werte mehr, die allgemein als verbindlich gelten. Dieser Werteverfall hat Auswirkungen auf das soziale Miteinander der Menschen: Ja ich schäme mich mehr zu Gastungen zu gehen / dieweil ich nicht verstehe / was man redet / ob es vor oder wider mich. Vor dieser Zeit ist alles getrew vnd ohne gefehr zu gangen / Ja war ja / vnd Nein war nein / jetzunder machet man so viel Wort / vnnd ist doch nichts darhinter / vnnd seithero die Complementen (mich wundert / was es vor ein Thier) auffkommen / so ist die Teutsche Trew / Glaub vnd Redlichkeit auß Teutschland gezogen (ebd., 292).

Für Harsdörffer haben die Fremdwörter sogar noch schwerwiegendere Konsequenzen: Das Wort Gottes sei durch Luthers Bibelübersetzung in deutscher Sprache ans Licht gebracht worden und könne nur durch diese dort erhalten werden, weil mit dem Wechsel in eine andere Sprache der Sinn verloren gehe: „[G]estalt mit dem Wortverstand die Deutung oder Sinnbegrif derselben verlohren / und wir sonsten die Predigten verstehen würden / wie die Nonne als man im Sprichwort sagt / den Psalter“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 359). Die deutsche Sprache dient also als Medium, durch das insbesondere die des Lateinischen nicht Mächtigen das Wort Gottes hören können. Aus diesem Grund habe der Teufel, der „Fürst der Finsterniß“, versucht, „offtermeldte Sprache unterzudrucken und soviel unteutsche Flickwörter“ eindringen zu lassen (ebd.). Harsdörffer begründet demnach den Kampf gegen die Fremdwörter religiös und erklärt

148 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse den Gottesdienst in deutscher Sprache sowie deren Reinheit für notwendig, damit die Menschen nicht vom wahren Glauben abfallen.61 Um den Lesern die Gefahren, die der Fremdwortgebrauch mit sich bringt, vor Augen zu führen, werden von den Autoren verschiedene Untergangsszenarien beschrieben. Die Verben, mit denen diese Szenarien evoziert werden, sind u.a. besudeln, verderben, verfremden, verkehren, vermischen, zerkerben, zerstören, zugrunde gehen, zugrunde richten. Das vorletzte Verb fällt etwas aus dem Rahmen, weil es im Gegensatz zu den anderen nicht transitiv ist, sondern intransitiv. Dies ist insofern bedeutsam, da, abgesehen von dieser Ausnahme, immer ein Agens benennbar wird, dem man die Schuld für die Entwicklung zuschieben kann. Als dieses Agens werden entweder die Sprachverderber oder die Sprachverderbenswörter bzw. Mängelungswörter angesetzt. Wie bereits oben bei Kompliment festgestellt, wird auch in diesem Fall der Sprachbegriff inkonsequent gehandhabt, weil die Sprachverderbenswörter aus sich selbst heraus einen negativen Einfluss auf die deutsche Sprache zu entwickeln scheinen. Der Vorgang wird mit Substantiven wie Barbarei, Verderben und Verwüstung bezeichnet. Diese Schlüsse wurden aus folgenden Belegen gezogen: Jn was für einen verwirrten Zustand vormals / ja auch bey diesen Eisernzeiten / weiland unsere Edele / uralte Teutsche Heldensprache bloß aus beliebtem Vorwitz gerahten / durch Einführung vieler Mängelungswörter / in Verachtung gebracht / und fast zu Grunde gerichtet worden / solches ist unlaugbar jedermänniglichen weltkündig / und erhellet noch leider in tägliche Beobachtung der unartigen gemeinen Reden (Hille, Palmbaum, 2). [Die deutsche Sprache ist] mit fremden Sprachverderbenswörtern bettlerischer Weiß ausgeflikket und damit gespikket worden (ebd., 88). Jch meyne, […] der Ehrliche Teutsche Michel hab euch Sprach-verderbern, Wälschen Kortisanen, Concipisten, Cancellisten, die ihr die alte Mutter-sprach mit allerley frembden, Lateinischen, Wälschen, Spannischen vnd Frantzösischen Wörtern so vielfältig vermischet, verkehret vnd zerstöret, so das sie ihr selbst nicht mehr gleich siehet vnd kaum halb kan erkant werden, die Teutsche Warheit gesagt! (Moscherosch, Philander, 168 f.)

Die „ädle / uhralte und Verstand-reiche Teutsche Helden-Sprache“ sei durch den „Ab- und Untergang“ und „gäntzliches Verderben“ bedroht; aus ihrem schönen Zustand ist sie durch „eigensinnig-beliebtem Vorwitz“ geraten, „durch Einführung vieler ausländischer Mängelungs-Wörter“ sei sie „in Verachtung gebracht / und fast zugrunde gerichtet“ worden (Neumark, Palmbaum, 3). �� 61 Dass sich in dieser Stelle auch eine deutliche antikatholische Spitze befindet, kann hier vernachlässigt werden.

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Die „angenommene Gewohnheit“ von Fremdwörtern ist nach Rist „das rechte Mittel […] / durch welches unsere edle teutsche Sprache endlich gahr in eine Barbarische und Vnteutsche muß verwandelt und wir zu lauteren Französischen / Welschen und Hispanischen Narren werden“ (Rist, Rettung, 139 f.). Das Einlassen fremder Wörter bedeute eine „erschreckliche Barbarey“ und „gäntzliche Verwüstung unserer edlen reinen Sprache“ (ebd., 140). Der „Mischmasch“ bedeutet für Leibniz eine Gefährdung der deutschen Sprache. Er betont, dass es „ewig Schade und Schande“ wäre, wenn die deutsche „Haupt- und Helden-Sprache“ durch solche Fahrlässigkeit zugrunde ginge (Leibniz, Gedanken, 538). Der folgende Beleg ist noch einmal ein Beispiel für eine explizite Korrelation von Sprache und Sitten. Schottelius führt das Unglück, das Deutschland durch die Kriege traf, auf eine Strafe Gottes aufgrund der Vernachlässigung von Sprache und Sitten zurück, wodurch er eine Kausalverbindung von Sprach- und Sittenverderbnis und Krieg konstituiert: Eben so ist es mit dieser Sache auch / weil Sprache und Sitten annoch bey uns unbeflekket waren / hatten wir Teutschen guten Frieden / weil man aber die Sprache und Sitten verfrömdet und verkehret / hat GOtt auch das Wolergehen des Teutschlands rechtschaffen durchfrömdet und verkehret (Schottelius, Arbeit, 137).

In ein interessantes, sonst im Korpus nicht belegtes Bild kleidet Balthasar Kindermann den drohenden Untergang der deutschen Sprache und Sitten durch Fremdwörter: Wegen eines Nagels verliehrt das Pferd ein Hufeisen / wegen des Eisens / geht es zu schaden; wegen des Pferds fällt der Reuter; wegen des Reuters seine Gefehrten / wegen derselben wird die gantze HeersMacht / und mit ihr Land und Leute / in unwiederbringliches Verderben gesetzet (Kindermann, Poet, 721).

Dergleichen könne mit jedem Wort geschehen, das eingebürgert werde. Es zeige sich, dass kleine Ursachen große Wirkungen haben könnten. Für Hille ist die Spracharbeit das richtige Mittel, um der Fremdwörter und ihres verderblichen Einflusses Herr zu werden. Deshalb soll in der Fruchtbringenden Gesellschaft das Teutsche Vertrauen gefördert und erhalten werden. Die Mitglieder sind verpflichtet, nur die Wahrheit zu reden und zu schreiben und die „Larve des Betrugs“ abzunehmen: „Dagegen Teutsch Teutsch / Mann ein Mann / Wort ein Wort seyn / und einem jedwedern Dinge / seinen natürlichen Geruch lasse“ (Hille, Palmbaum, 77).

150 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Johann Rist erklärt die Fremdwortvermeidung für das beste Mittel, die deutsche Sprache und die deutschen Tugenden zu schützen. Daher ermahnt der Briefeschreiber seinen alamodischen Kollegen, dass er vnsere edle teütsche Mutter-Sprache hinführo auffs fleissigste sein befohlen [sei] / er hüte sich daß er künfftiger Zeit dieselbe nicht mehr / wie in seinem Schreiben vnd sonst geschehen ist / mit so vielen frembden ausländischen Wöhrtern und Reden verderbe / zerkerbe vnd besudele (Rist, Rettung, 126).

Denn die zahlreichen Fremdwörter erweckten den Anschein, als währe unsere Muttersprache dermassen arm von Worten und mangelhafft an Sprüchen / daß sie auch in Sachen / die Befestigung gewisser öhrter betreffend / sich frembder und ausländischer Namen und Wörter durchaus gebrauchen müsse (ebd., 98).

Zwar sei es legitim gewesen, dass man sich am Anfang französischer und italienischer Ausdrücke bedient habe, da diese Völker schon früher mit der Befestigung von Städten, Schlössern und Pässen begonnen hätten, doch man hätte die Wörter von den Niederländern übernommen, und diese „unteutsche Ahrt zu reden“ hätte „zu nicht geringer Verkleinerung unserer eigenen Sprache“ geführt (ebd.). Rist wirft denjenigen, die im Militärwesen fremde Wörter gebrauchen, damit Abwertung ihrer Muttersprache vor. Ähnlich äußert sich auch August Buchner: Es sei gantz ungegründet und tadelhaftig / gereichet auch nicht zur geringen Verkleinerung unserer Muttersprache / als wäre dieselbe so arm und unvermögen / daß sie von andern borgen müste / oder so grob und ungeschlacht / daß man nicht etwas so höfflich und nett / als in den andern vorbringen könnte / da sie doch in den beyden keiner Nationen was sonderlichs zuvor zugeben hat / im Fall man sie recht braucht und übt; An Majestät aber und Ansehen denen meisten überlegen ist (Buchner, Anleitung, 33 f.).

Kindermann spricht sich dafür aus, in der Poesie Fremdwörter grundsätzlich zu meiden, weil diese die Poesie und die Sprache abwerteten: „Und weil die Wörter ausländischer Sprachen / nur bloß zum veracht unserer Mutter-Sprache gereichen / so muß man nohtwendig sich derselben / mit allem Fleiß / enthalten. Denn wir sollen uns nicht allein der alten Deutschen Redligkeit / sondern auch ihrer unverfälschten Sprache befleissigen“ (Kinderman, Poet, 720). Fremdwortbenutzer sind für ihn „Phantasten / die sich groß damit düncken / als weren sie vieler Sprachen kündig“ (ebd.). Bei Moscherosch wird Philander nach dem Prozess der alten Könige zwar aus der Haft entlassen, doch zu seinen Bewährungsauflagen gehört es, „die Muttersprach rein vnd vnverfälscht [zu] reden, mit keinen fremden Wörtern [zu] beschmitzen noch [zu] verunehren“ (Moscherosch, Gesichte, 174 f.). Außerdem

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wird ihm auferlegt, „wider solche new vnd wälschsüchtige Sprachverderber vnd Namenflicker in Teutscher sprach […] zu schreiben“ (ebd., 175), also selbst gegen Fremdwörter und ihre Benutzer vorzugehen. Wie schon bei Kindermann zu sehen war, sollen insbesondere in der Poesie Fremdwörter vermieden werden. Unter Berufung auf Opitz fordert etwa Titz zur Vermeidung von Fremdwörtern auf: Jn der Rede hat er auch allen möglichen fleiß angewendet / damit dieselbe rein vnd zierlich / vnd von allen frembden Wörtern / die zuvor hin von vielen überall pflegten eingeschoben zu werden / befreyet seyn möchte: vnd hat gnugsam dargethan / daß vnsere Sprache nicht allein in worten zierlich vnd reich genug sey / vnd von keiner andern etwas betteln dörffe / sondern auch gar wol in Poetische Schrancken könne gebracht werden (Titz, Bücher, fol. B iiv).

Auch Buchner hält es für die reine und zierliche Rede für wichtig, „daß man sich aller Lateinischen / Frantzösischen / Welschen und dergleichen Wörter enthalte“ (Buchner, Anleitung, 33). Wenn man aus Unwissenheit oder Unverstand im Alltag französische statt deutsche Wörter gebrauche, kann man dies nach Rist noch akzeptieren. Daz aber etliche unsere teutsche Poeten und diejenige welche für sonderbahre eiferer ihrer Mutter-sprache wollen gehalten seyn / sich dieser unteutschen Wörter gahr nicht entschlagen / solches ist ja eine gahr zu grosse Schande / und ihnen ümb so viel mehr schimpflich / ümb wie viel sie bemühet seyn den Namen eines aufrichtigen redlichen Teutschen zu erwerben und zu erhalten (Rist, Rettung, 138).

Auch außerhalb der Poesie sollen Fremdwörter nach Möglichkeit vermieden werden. Insbesondere innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft wird dies vehement eingefordert. Hierfür einige Belege: [Hille hätte bei der Verfassung dieser Schrift darauf geachtet,] daß kein fremdes Wort / in dieser Lobschrift / hineingerukkt; sondern das Flikkwerk ausländischer Sprachen / durchaus möchte verhütet / und ausgesetzt verbleiben (Hille, Palmbaum, 76*). Beruhet also der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft Vorhaben erstlich in dem / daß man sich der Weißheit gäntzlichen ergebe, welche zu Beförderung der Teutschen Sprache dienen soll; Nemlichen daß man selbe in ihrem rechten Verstand / ohne Zuthun ausländischer Worte / rein erhalte; und sich sowol der besten Aussprache im Reden; als der reinsten Art im Schreiben / und Dichten befleissige, derentwegen alle fremde Mengwörter / so in beliebtem Mißbrauch bestehen / aus- und absetze (ebd., 75; vgl. Neumark, Palmbaum, 95). [Es ist die Pflicht eines jeden Mitglieds der Fruchtbringenden Gesellschaft, dass] man die Hochdeütsche Sprache in ihrem rechten wesen und stande / ohne einmischung frembder

152 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse außländischer Wort / aufs möglichste und thunlichste erhalte / und sich so wol der besten aussprache im reden / als der reinesten art im schreiben und Reime-dichten befleissige (Fürst Ludwig, Fruchtbringende Gesellschaft, fol. iijr). Soll auch den Gesellschaftern vor allen Dingen obliegen / unsere hochgeehrte Muttersprache / in ihrem gründlichen Wesen / und rechten Verstande / ohn Einmischung fremder ausländischer Flikkwörter / so wol im Reden / Schreiben / Getichten / aufs allerzier- und deutlichste zu erhalten und auszuüben (Neumark, Palmbaum, 26; vgl. Hille, Palmbaum, 17).

Zuweilen wird die Fremdwortvermeidung auch in Metaphern gekleidet. Jesaias Rompler von Löwenhalt etwa nennt Fremdwörter ein ausländisches Gewürz, mit dem er seine Gedichte nicht angereichert habe: „Vil ausländisch lekkerhaftes gewürtz find man dißfals in meiner kuchen nicht; halt am maisten auf gute Teütsche zuberaitung / und leichnüsliche speissen: sonderlich in gaistlichen dingen“ (Rompler, Gebüsch, fol. oooov). Metaphorisch drückt sich auch Stieler aus, wenn er seine Methode zur Fremdwortvermeidung erläutert: „Nur ist daran gelegen / daß man erst den Teutschen Busch wol ausklopfe / und die Brunnqvellen prüfe / ehe man dißfalls verspielet gebe / und vor fremde Türen Brotsuchen gehe“ (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijr–)()()( iijv). Er plädiert also dafür, zunächst in der deutschen Sprache nach passenden Bezeichnungen zu suchen, bevor man fremde übernimmt. Zugleich rekurriert er auf Crügers Gedicht, das Gueintz’ Entwurf angehängt ist (vgl. oben, S. 139). Ein solches Lob der deutschen Sprache und die Aufforderung zu möglichster Vermeidung fremder Wörter könnte den Verdacht der Abwertung anderer Sprachen evozieren. Gegen solche Verdächtigungen verwahren sich aber die Sprachpatrioten. Harsdörffer etwa schreibt: Jn dem wir aber unser Zunge das Lob sprechen / und mit gesammter Hand bemühet sind die guldnen Kunst Staffeln zu legen / selbe auf den Majestätischen Thron der höchsten Vollkommenheit zuerheben / verachten wir keines weges die ausländischen Sprachen / sondern lieben sie mit wolständiger kunstmässiger Gewißheit / und kostbarer Bemühung / gebrauchen sie aber ohne Vermengung mit der unsern / und lassen uns das unteutsche Teutsche von der mißbrauchlichen Gewonheit und ehrfüchtigen [sic!] Neugierigkeit keines weges aufdringen (Harsdörffer, Fortpflanzung, 43).

Deutlicher als die anderen Autoren schlägt Leibniz eine Differenzierung nach Textsorten vor: „[V]ornehme Scribenten mittelst ihres Exempels“ sollten sich dem „einbrechenden Sturm der fremden Worte“ entgegenstellen, bis dieser Sturm vorüber und überwunden wäre die besten Autoren sollten also vorbildhaft für die Vermeidung von Fremdwörtern wirken (Leibniz, Gedanken, 560). Dies gilt jedoch nur für die Fachprosa. In Schriften, die nur zur Zierde angefer-

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tigt würden, also in der ,Belletristik‘, solle man „ein mehrer Ernst […] brauchen“ und Fremdwörter vermeiden oder zumindest reduzieren (ebd.). Diese Forderung konkretisiert er noch: In jedem Gedicht, Roman, in jeder Lobschrift und öffentlichen Rede sei ein französisches Wort ein „Schandfleck“ (ebd.). Deshalb solle man in jeder Schrift, die auf Annehmlichkeit abzielt, Fremdwörter, wann immer nur möglich, vermeiden. Zuweilen wird den Autoren aber auch bewusst, dass die Fremdwortverdmeidung nicht immer möglich ist. Harsdörffer etwa weist auf die Notwendigkeit der Kenntnis fremder Sprachen im internationalen Verkehr, auf die indoeuropäischen Sprachverwandtschaftsverhältnisse sowie die zahlreichen Internationalismen hin, indem er den Sachverhalt in einer Bergbaumetapher ausdrückt: Wie kein Metall ohne Schlacke gewonnen werden könne, so könne auch keine Sprache rein aus ihren Gründen erhoben werden. Es gebe nicht nur Wörter, die in anderen Sprachen gleich seien, sondern auch durch Reisen, Handel und Gemeinschaft solche, die fremde Waren bezeichneten und so kämen fremde Wörter in eine Sprache. Dies sei eine Notwendigkeit: „Ja wie fast kein Metall / ohne deß ander Zusatz dienen kan / also muß man auch solche fremd-eingeschaltne Wörter nothdringlich gebrauchen“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 10). Kaspar Ziegler äußert einen ähnlichen Gedanken unmittelbar nach seiner Kritik an Zesens Verdeutschungsversuchen in seiner Schrift Von den Madrigalen Einer schönen und zur Musik beqvemsten Art Verse Wie sie nach der Italianer Manier in unserer Deutschen Sprache auszuarbeiten / nebenst etlichen Exempeln (1653): Es müssen nun solche Leute entweder von der Vermischung der Sprachen / und wie keine so rein gefunden wird / darein nicht etliche frembde Wort eingeschlichen / nichts wissen / oder sie müssen sich einbilden / es bestehe die Deutsche Sprache ursprünglich in ihrem Gehirne / daraus sie wie die Minerva aus des Jupiters Wunder-Kopfe gesucht werden müste (zitiert nach Jones 1995, 445).

Für Ziegler ist also die Vorstellung, eine Sprache könne absolut frei von fremden Wörtern sein, ein sagenhaftes Hirngespinst. Er macht sich deshalb über Zesens Tageleuchter und Jungferzwinger lustig, weil sie völlig an der Realität der Sprachen vorbeigingen. So einsichtsvoll Harsdörffers und Zieglers Aussagen sind, so sehr sie mit heutigen Kenntnissen über die historische, pragmatische und soziale Befindlichkeit der Einzelsprachen übereinstimmen, im Kontext ihrer Zeit bleiben solche Äußerungen selten. Stattdessen wird nach Möglichkeiten der Beseitigung in der deutschen Sprache bereits vorhandener Fremdwörter gesucht, die deutlich über die bloße Vermeidung hinausgehen. Es ist ein Ziel der Fruchtbringenden Gesellschaft,

154 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse daß wir unsere hochprächtige Muttersprache vor allen Dingen / von dem Unflat bettelerischer Wortbesudelung / so viel jedem müglichen / ausreiten / säubern / auszieren / und keineswegs damit ferner behelligen: sondern dieselbe dagegen in ihrer Grundfeste und rechten Verstand erhalten / behalten / und fortzupflantzen / uns höchlichen angelegen seyn lassen (Hille, Palmbaum, 23; vgl. Neumark, Palmbaum, 31).

Hille spricht auch metaphorisch davon, die Quelle der Fremdwörter zuzustopfen: Die Gelehrten sollen sich innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft zusammentun, damit durch gemeinsame Anstrengung der rechte Brunnquelle der hochteutschen Sprach dermaleins möchte eröfnet / hingegen die Nebenquelle aller Fremdlingswörter zugestopfet / und die jenige / welche der Weisheit und guten Sitten sich widersetzen / einwilliglich ausgeschlossen werden möchten“ (Hille, Palmbaum, 26; vgl. Neumark, Palmbaum, 33).

Selbst Leibniz fordert, dass die deutsche Sprache „von den uberflüssigen fremden Mischmasch gesäubert werde (Leibniz, Gedanken, 555). Wesentlich schärfer im Ton wird Zesen. Er konstatiert, dass Luther zwar die Sprache gereinigt und gesäubert habe und dass sie seither unverändert geblieben sei. Doch die Ereignisse der letzten Jahre hätten dies grundlegend geändert: Aber wie hart es damit gehalten / wissen die jenigen wohl / welche sich mit aller gewalt haben bemühen müssen / die durch den krieg / durch handel und wandel mit fremder sprachen völkern / oder sonst eingeflochtene wörter und redens-ahrten zu vertilgen und auszurotten (Zesen, Rosen-mând, 101).

Während in obigen Zitaten von säubern, ausschließen, ausreiten (›ausreuten, roden‹) und vom Zustopfen der Quelle die Rede ist, so sollen die Fremdwörter nun vertilgt und ausgerottet werden. Die erstgenannten Verben evozieren Bilder aus dem Bereich der Hygiene (säubern) und der Garten- und Landschaftsgestaltung (ausreiten, Quellen zustopfen) oder implizieren eine Exklusion (ausschließen). Zesen jedoch gebraucht Verben, die das semantische Merkmal ›töten‹ beinhalten (vertilgen, ausrotten). Die Radikalität des Bildes gibt den Maßnahmen zur Fremdwortbeseitgung, auch wenn sie sich faktisch nicht von den anderen genannten unterscheiden, eine Radikalität, die erst bei den Verdeutschungsbestrebungen des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins wieder erreicht wird.62 �� 62 Zu Zesens Sprachbegriff, zu seinen Orthographievorschlägen und zu seinen Verdeutschungsversuchen, die ihm viel Spott und Kritik eintrugen und deren Diskussion ein eigenes Kapitel erfordern würde, vgl. Blume 1967 und 1972. Auch heute noch ist Hugo Harbrechts Dissertation (Harbrecht 1912) lesenswert, trotz der stark apologetischen Züge, welche die Arbeit unter dem Einfluss des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins trägt. Hier ist lediglich festzustellen, dass die Auseinandersetzung um Zesen einen eigenen Subdiskurs bildet.

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Sehr viel grundsätzlicher denkt Schottelius: Für ihn bricht in dem Augenblick, in dem die deutsche Sprache ihre Reinheit von fremden Einflüssen zurückerhält, eine neue Sprachepoche an, die letzte der fünf Denkzeiten: Die fünfte und letzte Denkzeit möchte auf die Jahre einfallen / darin das außländische verderbende Lapp- und Flikwesen künte von der Teutschen Sprache abgekehret / und sie in jhrem reinlichen angebornen Schmukke und Keuschheit erhalten […] werden (Schottelius, Arbeit, 49).

Die Bestrebungen zur Beseitigung der Fremdwörter bleiben nicht unwidersprochen. Besonders Leibniz übt Kritik, die er mit der Einseitigkeit der Fremdwortpuristen und der kulturellen Rückständigkeit der Deutschen gegenüber den Franzosen begründet: Was die Logik, Themenwahl, Reinheit der Wörter, Zierlichkeit der Rede und die gesamte Einrichtung des Textes angehe, seien die Franzosen sehr viel weiter als die Deutschen. „Irren dahehr die jenigen sehr, welche sich einbilden, daß die wiederbringung der Teutschen Beredsamkeit nur allein in ausmusterung ausländischer wörther beruhe“ (Leibniz, Ermahnung, 815). In den Unvorgreiflichen Gedanken wird die Kritik am Fremdwortpurismus fundamental: Wer aufgrund einer „abergläubischen Furcht“ vor fremden Wörtern eine „allzugrosse Schein-reinigkeit“ herstelle, der sei wie ein Handwerker, der an seiner Arbeit so lange feile, bis sie schlecht geworden sei. Deshalb solle man die „Perfectie-Kranckheit“ meiden (Leibniz, Gedanken, 537). Um diese Kritik zu untermauern, führt er Beispiele aus anderen Ländern an: In Frankreich hätten die „Rein-Dünckler“ ihre Sprache ärmer gemacht, die Sprache der Puristen sei wie eine „Suppe von Klarem Wasser […] nemlich ohne tadel und ohne Krafft“ (ebd.). Ebenso kritisch beurteilt Leibniz das unmittelbare Vorbild der Fruchtbringenden Gesellschaft, die italienische Accademia della Crusca, die allzu streng Fremdwörter tilgen wollte und „durch allzu eckelhafftes verfahren, ihres Zwecks nicht wenig verfehlet“ (ebd.) habe. Dies hätte zur Folge gehabt, dass man durch die Hintertür Wörter, die man eigentlich aus dem italienischen Wortschatz verbannen wollte, wieder hätte aufnehmen müssen. Er berichtet von einem Florentiner, der sich aus diesem Grund von der Gesellschaft und ihrem „Toscanischen Aberglauben“ (ebd.) losgesagt habe. In Deutschland seien vor allem die Fruchtbringende Gesellschaft, aber auch die anderen Sprachgesellschaften, „zu weit gangen“ (ebd.) und so hätten sie andere ohne Not gegen sich aufgebracht; sie hätten zu viel auf einmal gewollt und „alles Krumme schlecht [d. i. ›glatt, eben, schlicht‹; S. R.]“ machen wollen (ebd.). Doch Leibniz übte seine Grundsatzkritik erst am Ende des Jahrhunderts. In dessen Mitte blieb, von wenigen, teilweise zitierten Ausnahmen abgesehen, der Kampf gegen die Fremdwörter allgemein anerkanntes Ziel der Spracharbeit.

156 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Neben der Säuberung der deutschen Sprache und der Ausrottung der Fremdwörter erschien manchen Autoren auch die Verdeutschung der Fremdwörter als probates Mittel, die Sprache zu reinigen. Einige von ihnen traten für eine maßvolle Verdeutschung ein, so etwa Harsdörffer: Wenn man schon Fremdwörter eindeutsche, dann solle man, um Verwirrung und Missverständnisse zu vermeiden, eingedeutschte Fachwörter noch eine Weile zusammen mit den entsprechenden fremdsprachlichen Wörtern gebrauchen; er spricht sich also für Paarformeln aus. Wenn aber Dinge von Alters her fremd seien und mit einem fremden Wort bezeichnet würden, so würde sich jeder lächerlich machen, der versuche, sie zu verdeutschen; als Beispiele für solche Wörter nennt Harsdörffer Muskete, Trompete und Pandelier. Ähnlich sei es mit Wörtern aus dem Sachbereich Religion, die aus anderen Sprachen stammen, wie Sakrament, Apostel oder Evangelium, „Welche sonder grosse Aergerniß nicht geteutschet werden können / nach dem sie bereit jedermann bekant sind“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 13). Auch Buchner tritt für eine gemäßigte Verdeutschung ein, wobei die Spitze gegen Zesen am Ende des Abschnitts unverkennbar ist: Wie denn neben dem auch keinen vergönnet ist / die jenigen Wörter / welche etwan das Ansehen haben / als wenn sie von dem Lateinischen oder Griechischen hergeleitet wären / und bey uns vorlängst vor gut deutsch gehalten werden / von denen oben gesagt / wegzuwerffen / und an derer stat andere auszusinnen. Denn dieses würde eine Unverständligkeit verursachen. Behalten also billig / Fenster / Thüre / Engel / und dergleichen (Buchner, Anleitung, 47 f.).

Die Position der gemäßigten Verdeutschung gründet sich also auf dem Argument, dass ein Text verständlich sein müsse, was durch übermäßige Verdeutschung nicht mehr gewährleistet sei. Diese Ansicht teilen auch diejenigen, die für die Verdeutschung von Termini aus verschiedenen Fachbereichen eintreten. So schlägt z.B. der Autor des Sprachverderbers folgende Verdeutschungen für Termini des Rechtswesens vor: Ja spricht einer / dieses seyn Worte welche teutsch nicht wol können gegeben werden. Antwort / warumb das nicht? Die meisten können gahr wol vnd gut teutsch übersetzet werden / als Appelliern, sich beruffen an ein höhers Gerichte. Suppliciern, bitten eine Bittschrift einlegen. Concipiern, auffsetzen. Judiciern, vrtheilen. Abcopiern, abschreiben. Mundiern, rein / sauber abschreiben. Receßiern, mündlich etwas vorbringen. Referiern, erzehlen. Purgiern, sich entschuldigen. Urgiern, anhalten / darauff tringen (zitiert nach Jones 1995, 298).

In der Hochdeutschen Spraach-übung macht Zesen mehrere Vorschläge, darunter Vollmacht für Plenipotenz, Erbsatz oder letzter Wille für Testament oder Verpfleger für Curator (vgl. Zesen, Spraach-übung, 39). Diese Verdeutschungen sind

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zu Zesens gelungenen zu zählen, zumindest die Termini Vollmacht und letzter Wille haben sich bis heute gehalten, auch wenn die lateinischen Termini nicht verschwunden sind. Johann Rist führt eine ganze Reihe von Verdeutschungsvorschlägen für Termini aus dem Befestigungswesen vor: Bollwerck für Balvardo, Gesicht-lini für Facien, Haupt-lini für Capital-lini, Vmbkreis für Circumferentz, Schlupfwinkel für Casematten, Wallgang für Terreplain, Fußgang für Banquet, Brustwehr für Parapet usw.63 Dies seien Wörter, die man verstehe und nicht „seltzame[] und uns Teutschen fast gahr unbekandte[]“ Wörter (Rist, Rettung, 99). In seinem Werk Deutscher Sprachlehre Entwurf verdeutscht Gueintz nahezu alle grammatischen Termini. Sämtliche Verdeutschungen sind in einem Index (Gueintz, Entwurf, 122–125) aufgezeichnet, so dass sich der Leser an die noch ungewohnten Termini gewöhnen kann. Einige von ihnen haben sich bis heute gehalten und werden so oder nur leicht verändert im nichtgymnasialen Schulunterricht eingesetzt, z.B. Sprachlehre für Grammatica, Wortschreibung für Orthographia, Selbstlautende und Mitlautende für Vocales und Consonantes, Zeitwort für Verbum oder Geschlecht für Genus. Andere dagegen haben sich nicht durchgesetzt oder werden anders verwendet, z.B. Wortforschung für Etymologia (heute die deutsche Bezeichnung für Lexikologie), unbenamt für Neutrum, Bedeutung für Genus, leidentlich für Passivum oder Anzeigungsweise für Indicativus. Die meisten Autoren, selbst wenn sie sprachtheoretisch anderer Meinung sind, etwa Schottelius, folgen Gueintz in dieser Praxis. Schottelius verteidigt noch zwanzig Jahre später die Verdeutschung grammatischer Termini: Man erinnert hier wolmeinentlich den Leser / er wolle diese Kunstwörter (terminos artificiales) jhm etwa frömd oder unvernehmlich nicht einbilden / zumahl sie gründlich und deutlicher / als Griechische oder Lateinische Wörter alhier tuhn würden / jhr Ding und Meinung andeuten / und einem jeden / auf ein kleines Nachsinnen / klar und deutlich vor Augen legen. Würde man von diphthongis digrammatis, triphthongis impropiis, trigrammatis diphthongis &c. alhier viel Worte machen / dasselbe würde in dem Teutschen wunderliche Fische seyn: Und ist gar unnötig in Teutscher Sprachkunst / etwas aus Griechenland oder Rom zuentleihen / so man doch daheim deutlicher und besser in voller Menge haben kan / wan nur die deutlichen schönen Wörter erst recht bekant gemacht werden (Schottelius, Arbeit 199).

�� 63 Weitere Beispiele von Verdeutschungen (vgl. Rist, Rettung, 103): Geschütz oder Feuerwerk für Artillerie, Wachthaus für Corps de garde, die Flucht nehmen oder sich zurückziehen für retirieren, Fahne für Standarte, Bündnis für Allianz, Festungen schleifen für demolieren, Schlachtordnung für Bataille, Angreifen für chargieren, Besatzung für Garnison, Fütterung für Fourage, ausrüsten für mondieren, befehlen für commendieren, Vorzug für Avantgarde, Nachhut für Arrièregarde oder verzeihen für perdonnieren.

158 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Schottelius’ Argument gründet sich auf seiner Stammworttheorie, nach der die deutschen Stammwörter jhr Ding und Meinung gründlich und deutlicher andeuten als es die lateinischen und griechischen täten. Ihm geht es also, im Gegensatz zu Gueintz, weniger um die Verständlichkeit der grammatischen Darstellung als vielmehr darum, dass die Metasprache der Objektsprache gemäß sein muss. Griechische und lateinische Termini können die deutsche Sprache nicht so adäquat erfassen wie deutsche. Nicht nur in einzelnen Fachbereichen, sondern auch in bestimmten Textsorten sind Verdeutschungen gewünscht und werden auch vorgenommen. Dies gilt besonders für die Dichtung. Nach eigener Aussage hat etwa Rompler in seinen Gedichten versucht, für lateinische und griechische Fremdwörter, die „aigentlich un-Teütsch“ seien (Rompler, Gebüsch, fol. oooo iijv), ein passendes deutsches Wort zu finden: Schule und Kirche bezeichnet er als Lehrhaus bzw. Bethaus, das Opfer als Heiligen-Gabe, säculum als Jahrhundert, Natur als Art usw; er würde gerne sehen, dass die „Haidnischen benännungen“ (ebd., fol. oooo iiijr) durch deutsche ersetzt würden. Rompler hat offensichtlich für die Fremdwortverdeutschung auch religiöse Gründe, was durchaus den an altdeutschen Tugenden orientierten Grundsätzen der Straßburger Tannengesellschaft entspricht. Nicht nur die Lexik, sondern auch die Rechtschreibung ist von diesen Verdeutschungsversuchen betroffen. Nach Zesen sind etwa die Fremdwörter Medicus, Medicin und Patient den hochdeutschen Ohren unerträglich. Da aber diese Wörter ihr „Bürger-recht“ (Zesen, Spraach-übung, 66) schon seit längerer Zeit besäßen (vgl. 4.2.4), könne man sie verwenden. Wenn man sie aber verwende, dann sollten sie der deutschen Schreibweise angepasst werden: Medikus, Medizin, Patzient (ebd.). Stieler plädiert für eine radikale Verdeutschung der Fremdwortschreibung, wie er sie bei den Lemmata seines Wörterbuchs vorgenommen hat. Dabei beruft er sich auf die Praxis in anderen Sprachen: Was die Teutsche Schreibart betrifft / so ist dieselbe mehrenteils der bishero üblichen gemäß und zuförderst auf den Klang und Ausrede iedes teutschen Wortes gerichtet / auch die unnötige Buchstaben / so nicht gehöret werden / insonderheit aber das verdrießliche h bey denen langlautenden Stimmern a / o / u / und denen Duppelstimmern mehrenteils ausgelaßen / die fremde Worte aber / wie sie lauten / sonder Absehen auf ihre Lateinische oder Griegische Ankunft / geschrieben worden / und zwar nach dem Exempel aller andern Sprachen / welche ein fremdes Wort / wie es bey ihnen geredet wird / ohne Betrachtung des ausländischen Ursprungs / iederzeit geschrieben haben (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( ijv).

Das Verfahren der Fremdwortverdeutschung ist bereits bei Zeitgenossen nicht ohne Widerspruch geblieben. Exemplarisch sei Logau herangezogen, der in seinen Gedichten auf die Verdeutschung fremder Wörter und Namen verzichtet, weil „jene schon Bürgerschaft bey den Deutschen gewonnen und gar geläuffig“

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(Logau, Sinngedichte, 1) seien. Verdeutschungen seien auch deshalb unvorteilhaft, „weil doch jede Sprache ihre eigene Art und Geist hat, welcher einer andern Sprache nicht gerne dienen und sich unterwerffen will“ (ebd., 1 f.). Er begründet also seinen Verzicht auf Verdeutschung mit zwei Argumenten: Erstens seien die lateinischen Wörter oft geläufiger und damit verständlicher, zweitens habe jede Sprache ihren Geist, was wohl bedeuten soll, dass Übersetzungen per se sinnentstellend und ungenau wären (für weitere Belege für Kritik an der Fremdwortverdeutschung vgl. Gardt 1997, 403). Die bessere Verständlichkeit fremdsprachiger Wörter gegenüber erfundenen Verdeutschungen ist auch das Hauptargument für moderate Positionen im Fremdwortdiskurs. Als Beispiel kann die oben (S. 160) zitierte Stelle in Harsdörffers Poetischem Trichter gelten: Wörter wie Sakrament oder Apostel zu verdeutschen wäre unsinnig, weil sie zu bekannt seien und sich neue Wörter nicht durchsetzen würden. Dasselbe gelte für phonetisch und morphologisch assimilierte Lexeme: Wörter, die nicht eingedeutscht werden können, sollen nach Harsdörffer erstens mit deutschen Buchstaben, d.h. in Fraktur statt Antiqua geschrieben werden, zweitens mit deutschen Endungen versehen und drittens von jedem verstanden werden können. Denn sonst sorge man beim Leser für Verdruss, weil man ihm seine Unwissenheit vor Augen halte. Solches solle man vielmehr dem Verfasser vorwerfen, „der seine Tracht in einer solchen verdeckten Schüssel aufgetragen / und angesehen seyn will / daß er viel neue Speisen bringe / darnach doch niemand verlanget und gelustet“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 14 f.). Doch nicht nur die Assimilation entscheidet über die Akzeptanz von Fremdwörtern: Ebenso entscheidend ist, inwieweit sich das Fremdwort bereits im Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Ganz pauschal gilt, dass zu allen Zeiten Fremdwörter um so eher akzeptiert werden, je stärker sie im Gebrauch etabliert sind. […] Sehr oft, aber nicht zwingend, schlägt sich das natürlich im Grad ihrer Assimiliertheit nieder, und immer korreliert die Verwendungshäufigkeit mit der Verständlichkeit eines Fremdworts (Gardt 2001, 37).

Häufig gebrauchte und akzeptierte Fremdwörter, die außerhalb der Kritik stehen, erhalten sehr oft das Bürgerrecht. Mit dieser Metapher werden willkommene Fremdwörter von unerwünschten abgegrenzt (vgl. unten, 4.2.4). Relativ groß ist die Toleranz im Fachwortschatz. Wenn Gueintz auch, wie oben gesehen, die grammatischen Termini verdeutscht hat, so erkennt er in anderen Fachbereichen fremdsprachigen Wortschatz an: Ein anders aber ists / wen man die Kunstwörter (Technica) gleich wie auch die Latini die Griechischen behalten / gebrauchet: Wiewol man auch dieselben meistentheils füglich

160 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Deutsch geben kan / wie in Götlichen sachen / im Rechte / und in der Artzeney zu sehen. Jn andern Künsten seind sie gemein / wiewol die meisten / ausser denen / die der Kunst seind / unbekant. Doch hat etliche Satler zusammen gelesen / von der Jägerey / Vogelfang / Fischfang / und andern (Gueintz, Entwurf, 10 f.).

Diese Toleranz gilt jedoch nicht für den Allgemeinwortschatz: Derowegen höchlich zu beklagen ist / das die Deütschen nunmehr aus den andern sprachen so viel wörter gebrauchen / als wan sie fast keine rede mehr führen könten / da nicht bald Frantzösisch / bald Jtaliänisch / bald Spanisch / bald Lateinisch mit untermenget were (ebd., 10).

Während die meisten Dichtungstheoretiker Fremdwörter in der Poesie ablehnen, sieht Buchner in ihnen auch eine Möglichkeit zur Variation: Welche ob man sie gleich auch deutsch geben kann / so dienen sie doch zuweilen zu der Veränderung / und daß man nicht immer auf einer Seite streiche / welches zu mahl verdrießlich ist / da hingegen die Abwechslung angenehm / und dergleichen fremde Wörter zu rechter Zeit gebraucht / der Rede und Verse ein sonderliches Ansehen machen (Buchner, Anleitung, 35).

Für manche lateinischen Wörter, die vor langer Zeit entlehnt wurden und nun wie deutsche gebraucht würden, z.B. Firmament, Regiment, Reverenz, Körper, Port oder regieren gebe es keine gleichwertigen deutschen Entsprechungen. Dies betreffe auch einige französische Wörter wie Kapitän, Soldat oder Prinz. Schließlich könnten Fremdwörter zu satirischen Zwecken eingesetzt werden, wie es Juvenal getan habe: „Wir könten uns ebener Freyheit gebrauchen / und etwa Jtaliänisch oder Französisch […] mit unserm Deutschen vermischen / wenn wir Luft haben so schertzen wollen“ (ebd., 38). Dies gelte aber nur für die Satire: „Jn einem ernsten und wichtigen Wercke aber kann es durchaus nicht geduldet werden“ (ebd., 39). Scharf verurteilt Buchner dagegen den Missbrauch: „Wenn man sie aber nur aus Hofarth und Eckel der Einheimischen / als wäre dieselbe zu schlecht und gemein / brauchen will / ist es eine nichtige Thorheit“ (ebd., 36). Buchner ist beim Fremdwortgebrauch also relativ tolerant und differenziert nach Textsorte und Kommunikationssituation. Es gibt folglich neben dem Purismus auch gemäßigte und tolerante Positionen, stellenweise sogar positive Äußerungen zu Fremdwörtern, wobei diese mit Textsorten und Verwendungssituationen korrelieren. „Kritikwürdig erscheint zu jeder Zeit eine Fremdwortverwendung als Ausdruck des gewollt Modischen, eher großzügig dagegen wird die Fremdwortfrage im Zusammenhang der Fachsprachen gehandhabt“ (Gardt 1997, 394). Die negative Bewertung betrifft im 17. Jahrhundert

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vor allem das alamodische Sprechen, also den bewussten Einsatz vor allem französischer Wörter zur Steigerung des eigenen Prestiges (vgl. ebd., 400). So grenzt etwa Titz akzeptable Fremdwörter von inakzeptablen AlamodeWörtern ab: Man solle nicht alle Fremdwörter, besonders nicht die aus dem Lateinischen und Griechischen, verwerfen und für undeutsch erklären; denn wenn man dies tue, so müsse man die meisten Wörter abschaffen und könne nicht mehr deutsch sprechen: „Denn dergestallt würden wir viel worte außmustern mussen / vnd wenig übrig behalten / damit wir reden könten / weil vnsere Sprache ihre worte guten theils von den Griechen vnd Lateinern entlehnet hat“ (Titz, Bücher S. O viir). Als Beispiele für Fremdwörter, die beibehalten werden können, nennt Titz Acker, Altar, Arm, bitten, Wein, Öl, Pfeffer, mager, subtil. Das Vorbild für diese Praxis seien die Römer, denn diese hätten ihrerseits einen großen Teil ihrer Sprache von den Griechen genommen und den allgemein gebrauchten griechischen Wörtern das Bürgerrecht eingeräumt, „warumb sollten vnsere Deutschen nicht eben dieses zu thun in ihrem Reiche macht gehabt haben?“ (ebd., fol. O viiv). Ähnlich sei es auch bei Wörtern wie Musik, Triumph, Firmament, Regiment, Majestät, Melodie, Kapitän oder Prinz: Diese Wörter seien schon seit langer Zeit in Deutschland üblich, so dass sie „vnter die Zahl der rechten Erbgesessenen sind gerechnet worden“ (ebd.). Daraus folge aber nicht, dass man auch Wörter wie exerzieren, observieren, fortifizieren, persequieren, approchieren oder marschieren und andere Wörter, mit denen die Schreiber „den armen Leser / der es offt weder verstehen noch aussprechen kan / zu qwelen pflegen“ (ebd.) aufnehmen solle. Deshalb solle ein Dichter oder Redner Fremdwörter nur an passenden Orten einsetzen. Prinzipiell räumt Titz der Prosa im Fremdwortgebrauch mehr Freiheit ein als der Lyrik. Für Schottelius können gute Fremdwörter eine Bereicherung des Wortschatzes sein und sogar den Status von Stammwörtern erreichen. Davon schließt er aber die alamodischen Wörter ausdrücklich aus: Deshalber die Ausmusterung unvonnöten; Sonderen wie die Lateinische Sprache viele Unlateinische und Grichische Wörter / die Grichische Sprache gleichfals etzliche barbara Vocabula […] jhres Nachruhms ungeschmelert / behalten / und auf Lateinisch und Grichisch Naturalisiret haben; also können und müssen wir auch sothane / in den Teutschen Sprachbaum nohtwendig (weil ein neu ding benahmet wird) eingepfropfte / oder durch zuleßigen gebrauch eingeimpfte / oder aber durch das Herkommen fest eingezweigte Wörter / Teutschem nachruhm ohn schaden / nunmehr fein behalten und sothane Teutsch genaturalisirte Wörter mehr bekant und beliebt / und die Sprache selbst dadurch Wortreicher werden lassen / sind auch solche unvermeidliche Wörter guten theils unter folgende recht Teutsche Stammwörter / als einverbrüderte mit gesetzet worden. Die ekkelsucht und ausmusterey der jenigen / so kein Teutsch / als was jhren Ohren nur Teutsch klinget / zulassen / müssen bedenken / daß ein anders sey ein Carmen oder eine Oration etwa verfertigen / und ein anders vor der gantzen Sprache Haubtsachlich etwas schreiben. Jedoch

162 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse wird mit nichten das a la modo parliren und die eingeschobene almodo-Lapp-Wörter / oder das unnötig eingemengte Latein hierdurch verstanden (Schottelius, Arbeit, 1272 f.).

Einige Autoren schreiben der deutschen Sprache eine Autarkie zu, die es ihr ermögliche, gänzlich auf fremde Wörter zu verzichten. Sie widersprechen damit Äußerungen wie der obigen von Titz, nach der das Deutsche auf gewisse Fremdwörter angewiesen sei. Diese Qualitätszuschreibung hängt mit der oben angesprochenen Hypostasierung der deutschen Sprache zusammen, durch die sie zu einem dem willentlichen Zugriff des Menschen enthobenen metaphysischen Objekt gemacht wird. Besonders deutlich wird dies in folgender Äußerung Zesens aus dem Sendeschreiben an den Siebenfältigen (Malachias Siebenhaar) (1678): Dan die Deutsche Sprache ist eine solche / die gantz und gar aus sich selbsten / und aus ihren eigenen Wörtern bestehet; also daß sie / ich wil sagen die Uhralte noch unvermischte reine Deutsche Hauptsprache / wie sie bei dem Babelschen Turnbaue / zuerst aus der Ebräischen / als aller Weltsprachen Groß- und Ertz-mutter / gleichsam gebohren / und nach der zeit nur aus sich selbst immer reicher und reicher gemacht / ja sothanig bis auf unsere zeit erhalten worden / von andern Sprachen nichts / ja gantz nichts entlehnet / auch ihres überschwänglich großen Wortreichtuhms / ja ihrer zur Wortbildung so wundergeschikten Angebohrenheit wegen / nicht nöhtig hat ein einiges fremdes Kunst- oder anderes Wort / das man aus ihrem so volüfrigen Sprachbrunnen selbsten nicht bilden könte / zu entlehnen (zitiert nach Jones 1995, 242).

Etwas moderater stellt Schottelius den Sachverhalt dar: Er betont, dass die deutsche Sprache in allen Lebens- und Wissensbereichen reich an eigenen Wörtern sei und deshalb keine fremden Wörter brauche. Allein durch das Mittel der Komposition (Verdoppelung) stünden dem Deutschen Möglichkeiten zur Verfügung, welche die anderen Sprachen gar nicht besäßen (vgl. Schottelius, Arbeit, 100). Am Schluss dieses Kapitels ist nach der Bewertung des Fremdwortdiskurses im 17. Jahrhundert zu fragen. Die Metaphorik und die Vehemenz der Ablehnung der Fremdwörter bei manchen Autoren könnten zu dem Urteil verleiten, dass hier ein deutlicher (Proto-)Nationalismus in seiner negativen Bedeutung vorliegt. Doch angesichts der Differenzierungen und der meist ohne Abwertung des Fremden betonten Aufwertung des Eigenen ist ein solches Urteil problematisch. Will man die Fremdwortdiskussion synoptisch zusammenfassen, darf man drei Faktoren, die sie mitbestimmt haben, nicht vergessen, nämlich, dass auch die Mitglieder der Sprachgesellschaften die allzu scharfen Puristen schon als ,SprachSchindere‘ sahen, […] dass zweitens – damit übereinstimmend – die sprachpflegerische Praxis weit weniger radikal war als die puristische Theorie, und dass drittens bereits die konsequente Hinwendung zum Deutschen einen Bruch mit etablierten Traditionen bedeutete. Sprachpatriotische Argumentationen, die im Dienste eines sich nach außen abgrenzenden Identitätsentwurfs stehen, scheinen in ihrer eigenen Logik auf ahis-

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torische Hypostasierungen von Sprache geradezu angewiesen: Soll die Sprache als Medium stabiler Identitätsfindung dienen, darf sie dem Wandel nicht preisgegeben werden (Gardt 2004, 45).

Der Fremdwortpurismus diente keiner Propaganda nationaler Überlegenheit, sondern wie auch der Normierungsdiskurs der Konstitution einer deutschen Nationalsprache als Symbol kollektiver Identität (vgl. unten, 3.2.3). Angesichts der politischen Zerrissenheit des Reiches und der konfessionellen Spaltung verlegten sich die Patrioten auf die Sprache als identitätsstiftendes Symbol. Zugleich standen sie im Rahmen der europaweiten Emanzipation der Volkssprachen vom Lateinischen während des Späthumanismus, die jedoch in anderen Ländern weiter fortgeschritten war als im Heiligen Römischen Reich. Hinzu kam, dass seit Beginn der Renaissance die Romania kulturelles und später auch sprachliches Vorbild wurde. So erklärt sich der Sprachkontakt, der intensive Entlehnungsprozesse zur Folge hatte, welche von den Patrioten bekämpft wurden. Der Fremdwortpurismus dient also einerseits der Abgrenzung vom Lateinischen und ist andererseits eine Abwehrreaktion gegen den starken kulturellen Einfluss der Romania. Diese Zusammenhänge fasst Kirkness (1998, 408) so zusammen: Es handelte sich darum, eine selbständige deutsche Literatur zu entwickeln, die von einer genormten, überregionalen Hoch- oder Literatursprache getragen wurde, und (dadurch) der Vorherrschaft des Lat[einischen] und des [Französischen], speziell den in Satiren und Parodien gegeißelten Exzessen des Alamodewesens, entgegenzuwirken. Die Pflege des Deutschen war notgedrungen zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Fremden, das aber nicht wie im 19. und 20. Jahrhundert chauvinistisch abgelehnt, sondern vielmehr angeeignet bzw. in verdeutschter Form übernommen wurde: Fremde Vorbilder standen bei der Poetik und bei den Sprachgesellschaften Pate, der Strom der Übersetzungen riss nicht ab, und der niederländische Purismus übte eine nachhaltige Wirkung aus.

Auf längere Sicht war den Fremdwortpuristen kein Erfolg vergönnt. Nur eine Generation später wurde das so heftig abgelehnte Alamodewesen zur vorherrschenden Verhaltensdisposition, was auch ein Umdenken der Sprachtheoretiker bewirkte (vgl. unten, 3.2.2.4). „Durch die Hereinnahme französischer Wörter und Wendungen wird weitgehend der Sprachzustand wiederhergestellt, gegen den die Reformer zu Anfang des Jahrhunderts angegangen waren. Frankreich wird politisch und kulturell wieder als höherwertig angesehen. Seine Sprache überflügelt wieder die deutsche“ (Straßner 1995, 120). Aus heutiger linguistischer Sicht ist aufgrund der häufig nicht mehr nachvollziehbaren Entlehnungsverhältnisse und der komplexen Einflüsse durch die Lehnwortbildung die Unterscheidung zwischen indigenen Wörtern, Lehnwörtern und Fremdwörtern alles andere als eindeutig, die Grenzen sind fließend und lassen sich letztlich nur willkürlich festlegen. Peter von Polenz zweifelt den

164 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Sinn der Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort grundsätzlich an (vgl. von Polenz 1994, 78) und Horst Haider Munske plädiert aufgrund umfassender phonologischer, graphematischer, flexions- und wortbildungsmorphologischer Untersuchungen dafür, die negative Konnotation des Terminus Mischsprache, hinter dem noch „eine gewisse Reinheitsideologie“ stecke, aufzugeben (Munske 1988, 47) und bezeichnet die deutsche Sprache als „Mischsprache“ (ebd., 69). Stimmt man diesem Urteil zu, so dürfte die deutsche Sprachgeschichte damit in den Augen der meisten barocken Sprachpatrioten eine Fehlentwicklung gewesen sein.

3.2.2.4 Kommunikationsorientierung am Ende des Jahrhunderts Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts kam ein Diskursstrang auf, der sich fundamental von den anderen sprachreflexiven Diskursen unterscheidet, der bald Dominanz erlangte und zu einem Teil der das 18. Jahrhundert weitgehend bestimmenden Geisteshaltung, der Aufklärung, wurde. Dieser Strömung waren patriotische oder metaphysische, die Sprache überhöhende Denkrichtungen fremd, für sie war die Sprache vielmehr ein Mittel zum Zweck. Den Vertretern dieses Diskurses ging es darum, Weltgewandtheit und Kultiviertheit in der Sprache auszudrücken. Das Ideal dieser Denkrichtung war der galant homme. Bereits dieser Ausdruck und auch dessen Implikationen zeigen, dass sich das Gesellschaftsbild gewandelt hatte. Während für den sprachpatriotischen Diskurs das Kompliment noch das Paradebeispiel für die verderblichen Einflüsse der ,oberflächlichen‘ und ,lügenhaften‘ französischen Kultur auf die teutsche Redlichkeit war, wird es nun zu einem wesentlichen Instrument des rhetorischen Kalküls64 und als solches unvermeidlicher Bestandteil der Ausbildung und Erziehung. Rhetorische Gewandtheit sollte jungen Leuten helfen, an den Höfen und im diplomatischen Dienst erfolgreich zu sein. Der Kampf der Sprachpatrioten gegen den französischen Einfluss an den Höfen und in der Politik erwies sich letztlich als erfolglos: „Der ,honnéte‘ und ,galant homme‘ tritt endgültig die Nachfolge des ,alten Teutschen‘ an“ (Gardt 1994a, 177). �� 64 „Komplimente akzeptiert [Christian Weise] ganz selbstverständlich als Mittel, den Mangel an wirklichem Interesse und tatsächlicher Neigung im Gespräch auszugleichen; das Ziel jeder Rede ist es, einen Sachverhalt ,Listig zu Marckte‘ zu bringen, auch mittels ,Schmeicheley‘, solange nur ,die Sache recommandirt, und der andern Person ihre Gewogenheit gewonnen wird‘. Schottelius wäre wohl entsetzt gewesen angesichts dieses Prudentismus. Mit seinen Stammwörtern wäre so etwas nicht möglich […]“ (Gardt 1995, 159). Für Schottelius wären Weises Ausführungen wohl eine Bestätigung seiner Befürchtung und der der anderen Sprachpatrioten, dass die Frömdsucht zum moralischen Verfall der Deutschen beitrage.

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Dieser kommunikationsorientierte Diskurs, dessen exponierte Vertreter im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert Christian Weise und Christian Thomasius sind, teilt mit den anderen beschrieben Diskursen nur zum Teil den gleichen Sprachbegriff. „Mit der rationalistisch-universalistisch orientierten Sprachreflexion verbindet ihn die Vorstellung von der absoluten Verfügbarkeit von Sprache durch den Sprecher, mit der einzelsprachlichen Linie der Glaube an die ausreichenden Gestaltungsmöglichkeiten des Deutschen“ (Gardt 1994b, 87). Mit dem Konzept der ,Eigentlichkeit‘ und den anderen ontologisierenden Theoremen des sprachreflexiven Diskurses verbindet ihn dagegen kaum etwas. Während jener dem Traditionsstrang der physei-These folgt, vertritt der kommunikationsorientierte Diskurs einen Sprachbegriff, der Sprache als System konventionalisierter Zeichen versteht, folgt also der Tradition der nomo-These: Das Hochteutsche muß auch verständlich seyn und muß nicht wieder die Natur der Sprache selbst lauffen. Uber dis könte auch eine Eitelkeit grösser seyn / als daß man sich einbildet / es sey ein Wort besser als das ander? Ein Wort ist ein Wort / das ist / ein blosser Schall / der sich vor nichts heist / und nur zu einer Bedeutung gezogen wird / nachdem der Gebrauch und die Gewonheit solches bestätigen. Und also muß man den Gebrauch am meisten herrschen lassen. Ein Tisch heist darum ein Tisch / weil es von den alten Teutschen so beliebet und gebrauch worden. So heist auch ein Fenster / ein Pistol / eine Orgel / etc. das jenige / wozu es von den ietzigen Teutschen ist geleget worden (Weise, Ertznarren, 128).

Es ist kein Zufall, dass diese Beschreibung eines arbiträren Verhältnisses von Ausdruck und Bedeutung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Zesen geäußert wird (vgl. unten, 512 ff.). Die pragmatisch-kommunikativ ausgerichtete Strömung steht konträr zur patriotischen Sprachreflexion und grenzt sich scharf von dieser ab. Ihr geht es nicht mehr um den Nachweis der Überlegenheit der deutschen Sprache oder um eine wie auch immer geartete eigentliche Beziehung des Sprachzeichens zu den Sachen, sondern um erfolgsorientiertes sprachliches Handeln, um das Erreichen kommunikativer Ziele. In der Sprachpraxis wird die Differenz zwischen den beiden Positionen anhand der amplifizierenden Erweiterung einfacher Propositionen65 besonders deutlich. Dabei geht es darum, „kurtze Sachen / durch eine wolständige Weitläufftigkeit“ auszudrücken (Weise, Redner, 3). Zu den Mitteln, die Weise dafür nennt, gehört unter anderem die Variation durch Synonyme, Epitheta und Abstraktionen (vgl. ebd., 4). Der Satz Wer Geld hat / der ist angenehm wird etwa nach mehreren Zwischenschritten zu „Wer von Glücks-Gaben gesegnet ist / dem pfleget alle annehmliche Gunst freywillig nachzufolgen“ (ebd., 6 f.) erweitert �� 65 Dabei handelt es sich um eine Form eines rhetorischen Stilmittels, der Periphrase.

166 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse und aus der Proposition Man muß den Fürsten gehorsam seyn kann folgender Satz abgeleitet werden: „Jndem die Gewalt eines Fürstlichen Haupts von GOTT selbst eingesetzet worden / wird ein iedweder von den Bürgern nicht unbillig dahin vermahnet / daß er allen Gesetzen gehorsames Gehör geben / und was darinn enthalten ist / mit genauer Sorgfalt erfüllen möge“ (ebd., 8 f.; weitere Beispiele finden sich in Gardt 1994a, 181–183 und 1994b, 87 f.). Der semantische Gehalt der einzelnen Paraphrasen hat dabei kaum Relevanz, im Mittelpunkt steht die Partnerzentriertheit der Kommunikation. Indem der Sprecher zeigt, dass er die Technik der Erweiterung beherrscht und damit über eine kultivierte Sprache verfügt, kann er hoffen, den Adressaten günstig zu stimmen und so sein kommunikatives Ziel erreichen. Für die Vertreter des sprachpatriotischen Diskurses ist eine solche Sprachbehandlung letztlich eine Bestätigung ihrer Vorurteile, denn die amplifizierende Erweiterung ist nichts anderes als „grosse Wort ohne Nachtruck, Auffschneidereyen, Lügen“ (Moscherosch, Gesichte, 184). Der Unterschied liegt aber, wie bereits angesprochen, in der Kommunikationsabsicht: Während die Sprachpatrioten Sachbezogenheit anstreben oder behaupten, ist Weises Sprachbegriff partner- und kommunikationsbezogen. Eine solche pragmatische Handhabung der Sprache war andererseits jedoch nichts Neues, denn auch Autoren wie Schottelius oder Zesen mussten in der Kommunikation mit Fürsten und anderen hochgestellten Persönlichkeiten bestimmte Formen wahren. Auf diese Diskrepanz zwischen Sprachideologie und pragmatischer Notwendigkeit wird an mehreren Stellen zurückzukommen sein.

3.2.3 Die Bedeutung dieser Diskurse für die Sprachgeschichte des Deutschen Der Normierungsdiskurs und der sprachpatriotische Diskurs des 17. Jahrhunderts sind, wie gesehen, eng miteinander verflochten. Entwicklungen des 16. Jahrhunderts weiterführend und auf die des 18. Jahrhunderts vorausweisend, bildet die Barockzeit ein Bindeglied zwischen dem Zeitalter des Humanismus und dem der Aufklärung und, sprachgeschichtlich gesehen, zwischen dem Frühneuhochdeutschen und dem Neuhochdeutschen. Es liegt auf der Hand, dass dem 17. Jahrhundert die besondere Aufmerksamkeit der sprachgeschichtlichen Erforschung des Deutschen gelten sollte.66

�� 66 Hundt (2000, 14 ff.) beklagt das Desinteresse, das die sprachwissenschaftliche Forschung dem 17. Jahrhundert lange Zeit entgegengebracht hätte. Die Gründe dafür liegen nach seiner Auffassung u.a. im einseitigen Interesse der Forschung an literarischen Texten, in der Stigma-

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Die Entwicklungslinien, die im 17. Jahrhundert im Hinblick auf größere sprachhistorische Zusammenhänge eine Rolle spielen, lassen sich mit den Schlagwörtern Sprachkultivierung, Sprachnormierung durch Vertikalisierung, Philologisierung und Konstitution einer Nationalsprache und damit einhergehend Sozialdistanzierung benennen. In diesem Abschnitt sollen die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen sprachreflexiven Diskurse vor dem Hintergrund dieser Entwicklungslinien betrachtet werden, wodurch ihre Relevanz für die Geschichte der deutschen Sprache sowie für die Sprachgeschichtsschreibung deutlicher hervortreten soll. Das 17. Jahrhundert markiert den Beginn einer Periode in der Geschichte der deutschen Sprache, die man mit Peter von Polenz als Epoche der ,Sprachkultivierung‘ (von Polenz 1995) bezeichnen kann. Damit ist die Tätigkeit von Sprachgelehrten, Poeten und Übersetzern gemeint, die in einer „geistesgeschichtlichen europäischen Traditionslinie vom Späthumanismus zur Aufklärung“ stehen, „die von Opitz und Schottel über Leibniz bis zu Adelung und Campe deutlich zu erkennen ist“ (von Polenz 1994, 107). Sie wird hauptsächlich vom gebildeten Bürgertum getragen, das sich oft in kulturpatriotischen Sozietäten wie den Sprachgesellschaften organisierte. Zuweilen, wie in der Fruchtbringenden Gesellschaft, beteiligte sich auch der protestantische Adel aus Prestigegründen an dieser Bewegung. Ziel dieser Bemühungen waren – neben der Förderung der Moral und der Tugenden – die Entwicklung und der Ausbau der deutschen Sprache als Wissenschaftsund Dichtungssprache. Aus dem Gefühl der Unterlegenheit des Deutschen gegenüber den drei ,heiligen‘ Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein sowie den kulturell dominierenden romanischen Sprachen Französisch, Italienisch und Spanisch sollte die deutsche Sprache als Medium gelehrter Bildung und Dichtung auf den internationalen Standard gebracht werden. Kernpunkte der Sprachpflege waren damit erstens die Grundlegung der Dichtung im Rahmen der Regelpoetik (Opitz, Buchner, Zesen, Harsdörffer und andere verfassten Poetiken und Dichterlehren zu diesem Zweck, Meyfarth und andere Autoren publizierten umfangreiche Lehrbücher der Rhetorik),67 zweitens die Normierung der deutschen Sprache (v.a.

�� tisierung einzelner Autoren (im Falle von Gueintz etwa durch Jellinek, vgl. ebd., 14) und in der oft nicht hinterfragten Tradierung solcher Urteile. Erst seit den 70er Jahren rückte die Barockzeit stärker in den Fokus der Forschung. 67 Zu einem wenig schmeichelhaften, durch bestimmte ästhetische Vorannahmen geprägten Urteil über die barocke Dichtungssprache als Ergebnis dieser Bemühungen kommt Straßner (1995, 89): „Das führt meist zur Sprachartistik, zur Kunst, die das rein Formale über Gefühle, Eindrücke, oder Expressionen setzt. Konkret zeigen sich Wortfülle, Häufungen, Verstärkungen, Epitheta […], Wiederholungen, Antithesen, Bildhaftigkeit, Wortspiele, die zwar den Stolz der

168 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse durch Grammatiken wie die von Gueintz oder Schottelius) und drittens, mit den beiden ersten Aspekten einhergehend, der Sprachpurismus68, der zum einen, vor allem in der Poetik, gegen Provinzialismen und Vulgarismen,69 zum anderen gegen die Verwendung von Fremdwörtern vorging. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich im Hinblick auf ihr Erkenntnisinteresse auf die Normierung und den Purismus. Die Normierung der deutschen Sprache, worunter vor allem ihre Fassung in begründete und verbindliche Regeln verstanden wurde, wurde bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Desiderat wahrgenommen, wie folgende Stelle in der Teutschen Schreibkunst (1604) des Henricus Caninius belegt: Was die Teutsche Schreibkunst belanget, machens die Gelehrten alle tag anders und anders. Dazu hat ein jedes Land sein eigen art vnd Spraach. Ist auch kein Regel so gewiß, es kan alzeit etwas außgenommen werden. Derohalben kan man in dieser Sachen nit jederman genuog thun noch alles so gewiß haben vnd Schreiben, man werde … getadelt (zitiert nach Straßner 1995, 65).

Caninius beklagt also vor allem die große regionale und personale Varianz sowie die Regellosigkeit, die den Sprachgebrauch und dessen Bewertung willkürlich mache. Dieses Problem wurde bereits im 16. Jahrhundert gesehen. Im Zuge anderer Entwicklungen, die zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache führten (vgl. dazu unten), wurden am Ende des ersten Drittels dieses Jahrhunderts die ersten deutschen Grammatiken verfasst, nämlich Fabian Frangks Orthographia Deutsch (1531) und Valentin Ickelsamers Ain Teütsche Grammatica (um 1534), das „erste deutschsprachige Werk, das sich selbst als Grammatik bezeichnet“ (Gardt 1999a, 56). Nahezu zeitgleich erschienen gegen Ende des 16. Jahr�� Autoren auf ihre Sprache belegen, zum anderen aber als überspannte Darstellungsform zu gelten haben“. 68 Ich folge hier der Unterscheidung von Alan Kirkness. Dieser trennt den Fremdwortpurismus, also den Kampf gegen „aus anderen Sprachen übernommene Wörter, die nicht oder nur partiell den ausdrucksseitigen Strukturen des indigenen, vom Germanischen herrührenden Deutsch angepasst sind, also Wortentlehnungen“ einerseits und Lehnwortbildungen andererseits, von der Scheidung der Sozio- und Dialekte von der Leitvarietät, also innersprachlichem Purismus: „,Rein‘ ist nicht nur mit ,fremdwortfrei‘ wiederzugeben, sondern entspricht eher ,richtig‘ im Sinne von ,gesetzmäßig‘, ,normgerecht‘ o. ä. und zwar im varietätenpuristischen Sinn auf die Leitvarietät bzw. Standardsprache bezogen“ (Kirkness 1998, 407). 69 Z.B. Buchner, nach dessen Poetik sich der Dichter „aller gar zu gemeinen / unsaubern / und unhöfflichen Worte“ enthalten und keine Art zu reden gebrauchen soll, die „bey Erbaren / Verständigen und Vornehmen Leuten im Brauch / denen auch im Lesen etwas zu wieder seyn / und einen Eckel machen kann“ (Buchner, Anleitung, 27).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 169

hunderts drei weitere deutsche Grammatiken, nämlich die Teutsch Grammatick oder Sprachkunst (1573) des Laurentius Albertus, der Underricht der Hoch Teutschen Spraach: Grammatica sev Institvtio Verae Germanicae Linguae (1573/74) von Albert Ölinger und die Grammatica Germanicae Linguae (1578) des Johannes Claius. Es ist bezeichnend, dass diese drei Werke, die ersten vollständigen Grammatiken des Deutschen, in lateinischer Sprache erschienen und das Deutsche nur zur Illustrierung durch Beispiele nutzten. Im Gegensatz zu den Grammatiken Frangks und Ickelsamers, die für den Schulunterricht geschrieben worden waren, richteten sich die Grammatiken von Albertus, Ölinger und Claius an ausländische Deutschlerner (vgl. zur Grammatikographie des 16. Jahrhundert den Überblick in Gardt 1999a, 52–62).70 Bereits in diesen frühen Grammatiken bildeten sich verschiedene Prinzipien der Sprachnormierung aus, die von Dirk Josten systematisiert wurden. Josten (1976, 11) nennt folgende fünf Normierungsprinzipien: – – – – –

sprachlandschaftliche Priorität personales Autoritätsprinzip soziales Autoritätsprinzip institutionales Autoritätsprinzip sprachimmanente Argumentation

�� 70 Dass die Grammatikographie des 17. Jahrhunderts sich teilweise ebenfalls noch am Lateinischen orientierte, beweist ein Blick in Gueintz’ Werk Deutscher Sprachlehre Entwurf. Gueintz nimmt selbstverständlich und ohne dies zu hinterfragen analog zum Lateinischen sechs Kasus für das Deutsche an: Die Nennendung (Nominativ), die Geschlechtsendung (Genitiv), die Gebendung (Dativ), die Klagendung (Akkusativ), die Rufendung (Vokativ) und die Nehmendung (Ablativ). Das Flexionsparadigma für Tisch sieht dann so aus (Gueintz, Entwurf, 45): Der Tisch Die Tische Des Tisches Derer Tische oder Der Tische Dem Tische Denen Tischen oder Den Tischen Den Tisch Die Tische O du Tisch O ihr Tische Von dem Tische Von den Tischen Die Vokativform wirkt zumindest kurios, was auch durch das unglücklich gewählte Beispiel verschuldet ist. Gueintz scheint aber nicht aufzufallen, dass er den Ablativ nicht wie die anderen Kasus behandeln, sondern nur durch eine Präpositionalphrase ausdrücken kann, was gegen die Möglichkeit der Integration dieses Kasus in das deutsche Sprachsystem spricht. An anderer Stelle betont Gueintz, dass es im Deutschen keine passiven Zeitwörter (Deponentia) wie im Lateinischen gebe (vgl. ebd., 63). Auch dies ist ein Indiz für die Orientierung an der lateinischen Grammatikographie. Andererseits muss man Gueintz aber auch zugute halten, dass er nicht allzu viele deutschsprachige Grammatiken des Deutschen zum Vorbild nehmen konnte.

170 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Die sprachlandschaftliche Priorität findet sich in „Äußerungen zum sprachlichen Vorbild eines Dialektgebietes oder einer Sprachlandschaft“ (ebd., 19). Nach dieser Position sollte die Normierung der deutschen Sprache nach dem Vorbild einer bestimmten Sprachlandschaft erfolgen, die Leitvarietät also in Orthographie und Orthoepie, in Morphologie und Lexik besonders viele Elemente dieser favorisierten regionalen Varietät aufweisen. Im 16. Jahrhundert wurden fast alle dialektalen Großräume als Normierungsvorbild genannt, u.a. das Schwäbische, das Alemannische, das Bairisch-Österreichische, das Fränkische oder das Schlesische. Mit weitem Abstand am häufigsten wurde jedoch das Meißnische Deutsch als die beste Mundart genannt und im 17. und 18. Jahrhundert nahm es die alleinige Vorrangstellung ein.71 Das Meißnische, das sein Prestige aus dem Sprachvorbild Luthers und der sächsischen Kanzlei bezog, wurde nicht nur als der Dialekt mit der besten Aussprache angesehen, sondern mehr und mehr auch als „stilistisch angemessene Sprachform der Dichtung“ proklamiert und auf die Sprachform der oberen sozialen Schichten eingegrenzt (ebd., 20).72 Die Autorität, die dem Meißnischen zugebilligt wurde, war so groß, dass selbst Autoren, die ihm kritisch gegenüberstanden, es als Maßstab für die Normverbindlichkeit in Schrift und Aussprache anerkannten, wie folgende Stelle aus Harsdörffers Teutscher Secretarius (1656) zeigt: [U]nd hält man die Meisnische und Obersäsische fur die beste / weil sie lautet / wie man zu schreiben pfleget. Weil man sich aber wegen der Aussprache nicht wird vergleichen / ist zu besorgen / man treffe auch in der Wortschreibung keine durchgehende Vereinigung (zitiert nach Josten 1976, 25).

Unter dem personalen Autoritätsprinzip fasst Josten das Sprachvorbild bestimmter Autoren. Josten weist explizit darauf hin, dass damit nicht das Sprachvorbild der ,besten Autoren‘ gemeint ist, das unter das soziale Autoritätsprinzip gefasst wird, sondern das Vorbild anerkannter einzelner Autoren (Josten 1976, 103). Dies sind für diesen Diskurs lediglich zwei, nämlich Martin Luther und, seit Mitte des 17. Jahrhunderts, Martin Opitz (vgl. unten, 4.3.1.5 und 4.3.1.6). Vor

�� 71 Diese Vorrangstellung war nicht unumstritten. Man denke nur an die analogistische Position von Schottelius und Harsdörffer gegen die Anomalisten, die das Ostmitteldeutsch-Meißnische bevorzugten (vgl. oben, 3.2.2.2 und unten) oder an den Sprachnormierungsdiskurs des 18. Jahrhunderts, in dem Autoren wie Karl Friedrich Fulda oder Johannes Nast das Schwäbische dem dominanten Meißnischen, das von Gottsched oder Adelung propagiert wurde, gegenüberstellten (vgl. dazu Scharloth 2005). Dennoch kann man konstatieren, dass Äußerungen, die nicht das Meißnische als vorbildliche Mundart deklarieren, zur Minderheit gehören. 72 So legte noch Adelung fest, dass das Meißnische, wie es von den ,obern Classen‘ gesprochen wurde, als Normvorbild zu dienen habe (vgl. Adelung, Lehrgebäude, 81–86, bes. 85).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 171

allem in der Dichtersprache wird Luther seit Mitte des 17. Jahrhunderts Martin Opitz hinzugesellt. Schottelius nennt beide personalen Sprachvorbilder in unmittelbarem Zusammenhang neben anderen Normvorbildern: [S]ondern darin wird guten Teihls die rechte Kündigkeit und Kunst mit bestehen / die Teutsche Sprache aus der Teutschen Sprache ferner zuerheben / gestaltsam es offenbar ist / daß der Herr Lutherus / Aventinus / die Abfassere der Reichs Abschiede / Lehmannus in Sp. Kron. Der Herr von Werder / Opitius / und andere sich dieses Mittels [der Wortbildung, S. R.] so rühmlich / als nohtwendiglich gebrauchet haben (Schottelius, Arbeit, 98).73

Über die Darstellung Jostens hinaus lässt sich noch ein weiteres Normvorbild benennen, das jedoch, im Unterschied zu Luther und Opitz, nicht wegen seines Sprachgebrauchs diese Vorbildwirkung entfaltet, sondern wegen seiner Beiträge zur Sprachregulierung. Die Rede ist von Schottelius, und dass er als Vorbild anerkannt wurde, zeigt folgende Stelle bei Johann Rist: Vnter anderen lobwürdigen vnd hochgelahrten Männern hat sich neüwlicher zeit ümb diese so herliche Sprache / ja ümb das gantze teutsche Vatterland trefflich verdienet gemachet der fürtreffliche Justus Georgius Schottelius, in deme er eine newe teutsche Sprachkunst in drei Bücher abgetheilet / an das öffentliche Liecht hat lassen kommen / in welcher er die uhralte Hauptsprache der Teutschen auß jhren Gründen nicht ohne schlecht Mühe erhoben / dero Eigenschafften vnd Kunstücke völlig entdecket vnd also in eine richtige Form der Kunst zum ersten mahl gebracht hat (Rist, Rettung, 66).

Unter das soziale Autoritätsprinzip fasst Josten die Vorbildfunktion von Büchern, Drucken und den ,besten Autoren‘. „Die positive Kennzeichnung dieser Normthesen ist der Bezug auf die soziale Gruppe der Dichter, Schriftsteller, der Gelehrten und Gebildeten bzw. auf ihre Äußerungen und Werke“ (Josten 1976, 131). Häufig wird dieses Prinzip im Zusammenhang mit vorbildlichen Autoren, vor allem mit Luther, oder mit bestimmten Institutionen genannt, so dass ihm eine Zwischenstellung zwischen dem personalen und dem institutionalen Autoritätsprinzip zukommt. Exemplarisch kann dafür folgende Stelle in Zesens Rosen-mând stehen: Erstlich mus man die besten hochdeutschen bücher / als des Großen Luters schriften und sonderlich die übersetzung der h. Schrift / die Reichs-Abschiede / die übersetzung des Frantzösischen Amadieses / von den alten; von den neuen aber für allen Arnds schriften / und dan Buchnern und Opitzen / darnach die zu Köthen ausgefärtigte bücher / weil man sich darinnen sonderlich beflissen / rein und unvermischt deutsch zu schreiben / mit fleis

�� 73 Dieses Zitat zeigt deutlich, dass sich die von Josten benannten Prinzipien nicht strikt trennen lassen, da sie von den zeitgenössischen Autoren häufig vermischt und ohne klare Hierarchie vorgetragen werden. Insofern ist Jostens Typologie, so wertvoll sie aus heuristischen Gründen auch ist, eine Idealisierung.

172 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse und reiffem uhrteil / ja so reif als es einem verliehen / durch und durch betrachten (Zesen, Rosen-mând, 224).

Eine eher untergeordnete Rolle spielt im 17. Jahrhundert das institutionale Autoritätsprinzip, das eine „vorbildliche Sprache in Schulen, Kirchen und Universitäten“ sowie in Institutionen wie den Kanzleien und den Reichsgerichten erkennt (Josten 1976, 143). Wenn überhaupt, dann werden die Schulen und Universitäten neben dem Vorbild der Kanzleien genannt. Allerdings wird die Sprache an den Schulen und Universitäten vielfach heftig kritisiert, was seinen Grund darin hat, dass dort die deutsche Sprache erst spät etabliert wurde, an den Universitäten erst am Ende des 17. Jahrhunderts mit Christian Thomasius als Vorreiter, der 1717 feststellt, „durch GOttes Gnade sei bißher der nützliche Gebrauch der Teutschen Sprache so weit durchgedrungen, daß man nicht allein zu Halle, sondern auch auf anderen Protestirenden Universitäten angefangen, publice und privatim in Teutscher Sprache zu lesen“ (zitiert nach Straßner 1995, 95). Aus dieser Äußerung ist zweierlei ersichtlich: Erstens hat man zu diesem Zeitpunkt erst angefangen, sich der deutschen Sprache in Vorlesungen und im täglichen Umgang zu bedienen, die Substitution des Lateinischen als Sprache der Universitäten war also noch lange nicht abgeschlossen. Zweitens schränkt Thomasius seine Aussage auf die protestantischen Universitäten ein, sie gilt also nicht für katholische Einrichtungen. Sehr viel besser wurden die Kanzleien und die Reichsgerichte sowie die Reichsabschiede bewertet. Damit einher ging die Aufwertung einzelner Druckersprachen in den Orten, wo diese Institutionen ansässig waren, so etwa Augsburg und Nürnberg im oberdeutschen und Worms und Speyer im westmitteldeutschen Raum sowie Mainz als Druckort der Reichsabschiede (vgl. Josten 1976, 145). Eine ganze Reihe verschiedenster Prinzipien und Vorbilder nennt Johann Peter Titz: Diese so genante Hochdeutsche Sprache nun kan sonder zweifel am richtigsten / entweder in vornehmen Höfen vnd Cantzleyen / oder sonst in solcher Leute Häusern / vnd an denen orten / da man sie recht vnd vnverfälscht redet / erlernet werden. Worinnen man denn billich den Meißnern den Vorzug lässet. […] Vnsere Schlesier anbelangend / wie wir nicht in abrede sein können / daß der gemeine Pöfel einen sehr harten vnd übellautenden Idiotismum hat / durch welchen offt auch andere / wegen steter beywohnung von kindheit an / also angesteckt werden / daß sie sich nur wol in acht nehmen / vnd möglichen fleiß anwenden wollen / insonderheit wenn sie etwas aufs Papier setzen / einiger Provintz in reiner vnd zierlicher Rede etwas nachgeben dürffen (Titz, Bücher, fol. O iiijv–O vr).

Während die Hinweise auf die Kanzleien, die Höfe oder die Gerichte häufig stereotyp gegeben werden (vgl. Josten 1976, 145), führt ausgerechnet Grimmelshausen, der Außenseiter in diesem Diskurs, eine detaillierte Begründung an für

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 173

das Vorbild des Reichskammergerichts und der Sprache, die an ihrem Sitz in Speyer gesprochen wird (vgl. dazu unten, 5.6). Als letztes Prinzip nennt Josten die sprachimmanente Argumentation. Im Gegensatz zu den vorherigen Prinzipien will sie die Normierung nicht aufgrund eines bestimmten Sprachgebrauchs festschreiben, sondern auf der Grundlage der Sprache inhärenter Regeln, die nicht notwendig durch den Sprachgebrauch legitimiert sein müssen. Die wichtigste im 17. Jahrhundert virulente Form dieser Argumentation findet sich in der Auseinandersetzung zwischen Analogisten und Anomalisten. Eine Nachzeichnung dieses Streits wurde im vorherigen Kapitel (3.2.2.2) durchgeführt. Hier sei daher nur darauf hingewiesen, dass diese Diskussion eine „sprachtheoretische und eine dialektgeographische Komponente“ besitzt (Gardt 1999a, 128): Eine sprachtheoretische insofern, als beide Ansätze alternative Konzepte der Sprachnormierung darstellen, die auf der einen Seite vom Sprachsystem, von der langue, ausgehen, auf der anderen Seite vom Sprachgebrauch, von der parole. Von der Saussureschen Dichotomie ausgehend, kann man also von einem Streit um den Primat von langue oder parole sprechen. Dialektgeographisch ist die Diskussion insofern, als die Analogisten die grundsätzliche Unterlegenheit der Dialekte gegenüber der Norm ansetzen, während die Anomalisten vor dem Problem stehen, sich für einen bestimmten vorbildlichen Dialekt entscheiden zu müssen. Gueintz und Fürst Ludwig propagieren infolgedessen das Meißnische als normgebende Schreiblandschaft, worin ihnen, mit leicht modifizierter Argumentation, im 18. Jahrhundert Gottsched74 und Adelung75 folgen.

�� 74 Gottsched schränkt allerdings die Vormachtstellung des Obersächsischen ein: „[D]aß man in Obersachsen in der Aussprache gewisser Wörter, ja selbst in der Rechtschreibung des Deutschen nicht vollkommen eins sey. Denn ist man es hier nicht: so wird man es gewiß in andern Provinzen noch weniger seyn. Nach wem wird man sich also richten sollen? Aber es bedarf dieser Frage gar nicht. Ganz Deutschland ist schon längst stillschweigend darüber eins geworden. Ganz Ober- und Niederdeutschland hat bereits den Ausspruch gethan: daß das mittelländische, oder obersächsische Deutsch, die beste hochdeutsche Mundart sey“ (Gottsched, Sprachkunst, 106 f.; Hervorhebung im Text). Für Gottsched ist das Obersächsische also nicht per se die beste Mundart, sondern aufgrund der Anerkennung durch die anderen Dialekträume. 75 „Jn der Folge, da Handlung, Wohlstand, Geschmack und Sitten in Meissen immer blühender wurden, erstreckte sich die immer fortschreitende Cultur auch auf sie, so daß sie bey der Wiederherstellung der Künste und Wissenschaften im sechzehnten Jahrhundert zur Verfeinerung und Ausbildung der rauhen und vernachlässigten Oberdeutschen Mundart gebraucht werden konnte. Meissen und Sachsen blieben noch lange nach der Reformation der vornehmste Sitz des Geschmackes und der Gelehrsamkeit in ganz Deutschland, und daher geschahe es, daß die hier verfeinerte und ausgebildete Sprache, nicht allein die Schriftsprache des ganzen aufgeklärten Theils der Nation, sondern auch die gesellschaftliche Sprache fast aller Personen

174 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Jostens Typologie der Normierungsprinzipien zeigt zweierlei: Alle relevanten Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts äußern sich zu Normierungsfragen, so dass die Sprachnormierung mit Recht als eines der dominanten Themen des Sprachkultivierungsdiskurses angesehen werden kann. Zugleich wird aber auch deutlich, dass es keine einheitliche Linie gab in der Frage, nach welchen Prinzipien die deutsche Sprache normiert werden sollte und wie die normierte Sprache auszusehen habe. Teilweise nennen die Autoren selbst sehr unterschiedliche Prinzipien (vgl. die Belege oben) und geraten so in einen partiellen Selbstwiderspruch. Diese Überlegungen einbeziehend, muss man die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss der Grammatiker auf die Sprachnormierung stellen. Hiroyuki Takada ist genau dieser Frage nachgegangen. In einer detaillierten Untersuchung zum Verhältnis von Grammatik und Sprachwirklichkeit einerseits und Theorie und Praxis der Grammatiker andererseits (Takada 1998) kann er zeigen, dass die Grammatiker in ihrer praktischen Arbeit oft mehr übereinstimmten als es ihre theoretischen Aussagen erwarten lassen. Methodisch ist Takadas Studie dreigeteilt: Im ersten Schritt werden die Auffassungen der Grammatiker zu bestimmten Streitfragen in Orthographie (z.B. initiales vs. initiales , initiales vs. initiales , vs. , vs. , vs. , Doppelkonsonanz vs. Einfachkonsonanz usw.), Wortbildung, Morphosyntax (z.B. Kongruenz in Kasus und Numerus) und Syntax (z.B. Satzrahmen) verglichen. Im zweiten Schritt vergleicht Takada verschiedene Drucke im Hinblick auf die Berücksichtigung der Vorschläge der Grammatiker. Schließlich werden exemplarisch die Revisionen der Druckversionen von Grimmelshausens Simplicissimus vom Erstdruck 1668 bis zur postumen Ausgabe 1713 im Hinblick auf die Grammatiker verglichen. Zusammenfassend kommt Takada zu folgendem Ergebnis: Insgesamt hat sich in unseren Untersuchungen gezeigt, dass die Sprachnormenvorstellungen der gelehrten Theoretiker und der Praktiker im schriftsprachlichen Ausgleichsprozess der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weitgehend übereinstimmen und dass – darüber hinaus – die Grammatiker durchaus auch Einfluss auf die lokale und überregionalallgemeine Praxis ausgeübt haben (Takada 1998, 299).

Die Akteure des sprachpatriotischen und des Sprachkultivierungsdiskurses haben demnach einiges zur Normierung des Deutschen und zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache beigetragen. Die Untersuchungen Jostens und Takadas haben aber auch gezeigt, dass sie nicht die einzigen Faktoren bei diesem komplexen Vorgang waren. Gleichwohl ist gerade die Rolle der Sprach-

�� von Geschmack und Erziehung, besonders in dem mittlern und nördlichen Deutschlande, ward und noch ist“ (Adelung, Lehrgebäude, 82).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 175

gelehrten, Grammatiker und Lexikographen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts von entscheidender Bedeutung bei der Variantenselektion, der Etablierung der Sprachnorm in bestimmten Kommunikationsregistern (und in anderen eben nicht) und der Propagierung dieser Norm als allgemeingültiger, von allen Sprechern und Schreibern anzuwendender Standardvarietät. Dies wird im Folgenden zu zeigen sein. Nach einer wissenschaftlichen Erklärung für die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache sucht die Germanistik seit ihren Anfängen, besonders aber in den letzten 150 Jahren (vgl. dazu den Sammelband Wegera 1986; 2007). Prominent und vieldiskutiert sind die These von der Kontinuität der das Sprachvorbild tragenden Herrscherhäuser durch Karl Müllenhoff (Müllenhoff 1863; 1871), der kulturgeschichtliche Ansatz Konrad Burdachs (Burdach 1884; 1925), die These von Theodor Frings, die neuhochdeutsche Schriftsprache sei aus der Mischung der Dialekte im Zuge der Ostkolonisation entstanden (Frings 1936 und 1956), die These, dass die Faktoren Geltungsareal, Geltungsgrad, strukturelle Disponiertheit und Landschaftskombinatorik zu einer Mischung der Dialekte und so zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache geführt haben (Besch 1967, 1983, 1987, 1998, 2000, 2003), Klaus J. Mattheiers Betonung des Einflusses von Sprachprestige und Sprachbewertung als Kritik an und Ergänzung von Beschs Ansatz (Mattheier 1981) sowie Ingo Warnkes Ansatz, der die Entstehung einer ,Kultursprache‘ als wesentlichen Schritt zur Sprachnormierung ansieht (Warnke 1999). Unter all den hier genannten und nicht genannten Erklärungsansätzen zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache ist im Hinblick auf den Einfluss des sprachreflexiven, vor allem des sprachnormierenden und sprachpatriotischen Diskurses des 17. Jahrhunderts, jedoch die ,Vertikalisierungsthese‘, die Oskar Reichmann in mehreren Aufsätzen (Reichmann 1988, 1990, 2000 und 2003) entwickelt hat, zu beachten. Erstes Indiz der ,Vertikalisierung‘ ist eine Tendenz zur „Monosemierung des auffallend breiten semantischen (und syntaktischen) Spektrums zur neuhochdeutschen Standardsprache hin“ (Reichmann 1988, 155). So setzt das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (FWB) etwa für das Lexem ablas 13 Bedeutungen an, der Duden für Ablass nur noch 3, und das Lexem abenteuer weist im FWB 17 Bedeutungen auf, das Lexem Abenteuer im Duden nur noch 4. Dies sind keine Einzelfälle, vielmehr kann Reichmann ähnliche Entwicklungen für 130 weitere Lexeme allein auf der FWB-Strecke a bis acker nachweisen (vgl. ebd., 154 f.). Für ihn sind mehrere Erklärungsansätze von Relevanz: Die Monosemierung ist dementsprechend nicht ausschließlich als Prozess zunehmender arealer Beschränkung, auch nicht nur als Vorgang der in der Zeit verlaufenden allmähli-

176 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse chen Veraltung innerhalb eines immer enger werdenden arealen Geltungsbereiches zu sehen, sondern mindestens ebenso stark als ein Vorgang sprachsoziologischer Umschichtung (ebd., 169).

So kann etwa die Semreduktion im Falle von abenteuer aus dem „allmählichen Abbruch textlicher Traditionen“ (ebd., 166) erklärt werden: Mit dem Untergang des Rittertums und dem allmählichen Desinteresse an höfischen Ritterromanen wurde nicht nur deren Produktion eingestellt und es gerieten nicht nur die bereits existierenden Romane für mehrere Jahrhunderte fast in Vergessenheit, sondern es verschwanden auch spezifische Wörter und Wortbedeutungen wie etwa abenteuer als ›ritterliche Bewährungsprobe‹. Die Monosemierungstendenz ist letztlich nur ein Teilaspekt eines Gesamtprozesses, der mit einer seit dem späten 15. Jahrhundert greifbaren und immer deutlicher werdenden Veränderung der Sicht der Menschen auf Sprache zusammenhängt. Bis dahin wurden alle Varietäten als grundsätzlich gleichwertig angesehen, ein Zustand, der als ,horizontales Varietätenspektrum‘ beschrieben wird. In dem Maße, in dem eine Leitvarietät fehlt, umgekehrt ausgedrückt: in dem Maße, in dem beim Sprechen und Schreiben jeweils raum-, zeit-, situations-, schichten-, gruppengebundene Normen nebeneinanderstehen und einander ungerichtet, diffus, d.h. ohne Orientierung auf eine übergeordnete Norm beeinflussen, führt dies zu hoher Varianz von Einheiten und Regeln auf allen hierarchischen Ebenen der Sprache (Reichmann 1990, 152).

In diesen Zuständen ging es nicht um die ,Richtigkeit‘ des Sprachgebrauchs, der kaum eine Rolle spielte (vgl. ebd., 153), sondern um Verständlichkeit. Dieser scheint die hohe Varianz für lange Zeit wenig abträglich gewesen zu sein: Die Fähigkeit, intersubsystemare Bezüge zwischen den einzelnen Varietäten herstellen und aufeinander projizieren zu können ist um so entwickelter, je normaler variierendes Sprechen und Schreiben ist, […] je weniger ausgebildet eine einheitliche, überregionale und übersoziale Hochsprache ist. Es ist also die Varietätenkompetenz, die die Verständigung über die Dialekt-, Soziolekt-, überhaupt Varietätengrenzen hinweg garantiert, während die als Einheitssprache konzipierte Hochsprache die Fähigkeit zu varietätenübergreifender Verständigung behindert (Reichmann 2000, 449).

Das veränderte Sprachbewusstsein der Sprecher, das zum einen mit der beginnenden, bis weit ins 18. Jahrhundert anhaltenden Substitution des Lateins als Fach- und Bildungssprache in vielen Bereichen sowie einem Prozess, den Ingo

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Warnke als Philologisierung76 bezeichnet, erklärt werden kann, führte auch zu einer veränderten Bewertung des horizontalen Varietätenspektrums. Die hohe Varianz wurde nicht mehr als Umstand, der durch die prinzipielle Gleichwertigkeit der einzelnen Varietäten bedingt ist, anerkannt, sondern als Mangel angesehen. Es begann die oben beschriebene Orientierung an bestimmten sprachlichen Autoritäten. Mit diesem Prozess ging auch eine Veränderung der Bewertung des Sprachgebrauchs einher: „Das Überregionale und den gehobenen Varietäten Zugehörige wird tendenziell als richtig, das Raumgebundene tendenziell als falsch hingestellt oder vorausgesetzt“ (Reichmann 1988, 174). Zunehmend erhielten die prestigeträchtigen Varietäten unter symptomfunktionalem Gesichtspunkt sozialdifferenzierenden Charakter: Wer konnte, benutzte die prestigehaften Register und grenzte sich von denen, die diese Register nicht beherrschten, ab.77 Diese Entwicklung beschreibt Reichmann als „eine alles umfassende sprachsoziologische Umschichtung der bis ins 16. Jahrhundert auf annähernd gleicher Wertebene horizontal nebeneinander stehenden Vielheit von Varietäten zu einem spätestens seit dem Frühbarock vertikal organisierten, von oben nach unten geschichteten Übereinander“ (ebd., 175). Reichmann bezeichnet diesen Vorgang mit dem Terminus Vertikalisierung (ebd.; vgl. die Graphik in Reichmann 1989a, 32). Die Vertikalisierung hat eine Umschichtung der deutschen Sprache auf mehreren Ebenen zur Folge. Auf sprachsoziologischer Ebene führt sie zur Dis�� 76 Warnke nennt als eines der wichtigen Merkmale einer Kultursprache die Reflexion über sie: „Hier wird davon ausgegangen, dass die Konstituierung von Kultursprachen an die Philologisierung einer Sprache gebunden ist, also an die Existenz von Wörterbüchern, Grammatiken, Stillehren, Editionen etc.“ (Warnke 1999, 21). Mit Beginn des 15. Jahrhunderts, als die ersten Proto-Wörterbücher erschienen, begann man, sich nicht mehr nur aus Gründen der Übersetzung oder der internationalen Verständigung für Sprache zu interessieren, sondern um der Sprache selbst willen. Bald entstanden die ersten Werke zu Lautlehre, Wortschatz und Grammatik der Sprache. In den folgenden Jahrhunderten bis zum Beginn der Barockzeit ist „die wachsende Tendenz zur Sprachreflexion beobachtbar“ (ebd., 22). Zur Philologisierung der Frühen Neuzeit gehört dann auch das wachsende Bedürfnis nach der Edition mittelalterlicher und antiker Texte. Dabei war diese Bewegung nicht auf ,Philologen‘ im heutigen Sinne beschränkt, sondern wurde vor allem von Juristen, Theologen oder Medizinern betrieben, ein Hinweis darauf, „dass die Philologisierung des Deutschen nicht auf frühe Formen des sprachund literaturwissenschaftlichen Interesses zu beschränken ist. Vielmehr umfasst sie die polyfunktional gestreute Gesamtheit der sprachreflexiven und durch Editionen verwirklichten historischen Perspektivierungen auf die eigene Muttersprache“ (ebd.). 77 „Derjenige, der über die oberen Varietäten in der Sprachpyramide verfügt, zeichnet sich damit gegenüber demjenigen aus, der nur über die nunmehr unten stehenden Varietäten verfügt. Oder umgekehrt: Derjenige, der nur im Besitz der unten angesiedelten Varianten ist, erfährt damit eine soziologische Abwertung“ (Reichmann 2003, 41).

178 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse tanzierung der unteren, wenig gebildeten Gesellschaftsschichten, die durch die enorme Steigerung der Komplexität von der Entwicklung ausgeschlossen wird: [E]s sind nicht die Sachbezüge, die zu einem zunehmend kalkülartigen Sprachhandeln führen, sondern es ist die soziale Notwendigkeit richtigen Sprechens und vor allem Schreibens, das Gewicht kultivierter Handhabung der Sprache nach allen Regeln der Kunst, das dahinter steht. Der gesellschaftliche Zwang, durch die Art seines Sprechens seine Bildung zu erkennen zu geben, kann im Extremfall wichtiger werden, als sich klar auszudrücken (Reichmann 1990, 154).

Die Umschichtung wirkt sich auch auf die mediale Sprachgestaltung aus. Die Kluft zwischen Schreibsprache und Sprechsprache wuchs an, sie entwickelten sich zu zwei verschiedenen Sprachsystemen, mediale Schriftlichkeit und Mündlichkeit differenzierten sich zu unterschiedlichen Registern in der Kommunikation. Zugleich näherte man sich im Sprechen in offiziellen Kommunikationssituationen immer mehr der Schriftsprache an: Aus der medialen Schriftlichkeit entwickelt sich nun gestützt durch die sprachsoziologische Vertikalisierung eine konzeptionelle Schriftlichkeit unterschiedlicher sozialer Höhenlage […]. Diese konzeptionelle Schriftlichkeit beeinflusst ihrerseits die Sprechsprache, und zwar in Richtung auf eine schriftsprachlich orientierte, also mit den obigen Kennzeichen ausgestattete gesprochene Hochsprache (Reichmann 2003, 45).

Die Vertikalisierung führte auch zu einer deutlich gesteigerten Komplexität der deutschen Syntax. Exemplarisch seien nur die Zunahme der Hypotaxe und die Grammatikalisierung der Klammerstrukturen genannt (weitere Beispiele ebd., 47). Für den Sprachgebrauch standen dem Benutzer nun mehrere Register zur Verfügung, die er situationsadäquat einsetzen konnte: „Im [sic!] mündlichen Bereichen zwingt die bloße Existenz einer Hochsprache gleichsam jeden Sprecher in jeder Sozialsituation zu einer Wahl zwischen einer Varietät in der Grundschicht der Pyramide (etwa einem Dialekt, dialektnahen Idiom), in mittlerer Höhenlage oder an deren Spitze“ (ebd., 49). Diese Wahlmöglichkeiten sind jedoch nicht frei, sondern bestimmten Akzeptanzregeln unterworfen. Schließlich steht die Vertikalisierung auch in engem Verhältnis zur Ideologisierung in nationalkultureller oder patriotischer Hinsicht: In dem Augenblick, in dem Sprache der Vertikalisierung im Sinne von hoch- und bildungsschichtiger Steuerung, von Bindung an konzeptionelle Schriftlichkeit, von struktureller Veränderung durch Regelverfestigung, durch neue Sprachgebrauchsverhältnisse unterworfen wird, erfährt sie plausiblerweise so etwas wie Philologisierung […], philosophische, linguistische, literarische Sprachpflege […]. ,Philologisierung‘ oder ,Sprachpflege‘ […] setzen schon nach der Motivation dieser Ausdrücke Zuneigung, Liebe, Verehrung voraus; sie äußert sich deshalb geradezu regelhaft darin, dass man der Sprache […]

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besondere Gütequalitäten zuschreibt. […] Die Zuschreibung solcher Gütequalitäten funktioniert am ehesten dann, wenn man eine bestimmte Sprachvariante, de facto ist das die von konzeptioneller Schriftlichkeit her verstandene Hochsprache, gleichsam als Zentrum einzelsprachlicher Existenz, als herausgehobenen Träger ihrer Qualitäten, als Mittelpunkt auch der weiteren Entwicklung ansetzt und wenn man diese ausgezeichnete Variante einmal nach unten, nämlich gegen die Dialekte und unterschichtigen Soziolekte […], und einmal nach außen, nämlich gegen die Nachbarsprachen, abgrenzt, also gegen Varietäten der eigenen Sprache sowie gegen Sprachen, die die angenommenen Gütequalitäten nicht besitzen. Letzteres ist gleichbedeutend mit nationaler […] Instrumentalisierung. Im Maße der Abgrenzung nach unten (gegen die Dialekte) ergibt sich die Möglichkeit, die hohe Variante der Sprache als soziales Unterscheidungsmittel zu nutzen (ebd., 50 f.).

In diesem Zusammenhang ergibt sich schließlich das Konzept der ,Deutschen Nationalsprache‘, das im 17. Jahrhundert besonders virulent wird. In einem früheren Aufsatz unterscheidet Reichmann einen weiten und einen engen Begriff von ,Nationalsprache‘. Der weite Begriff bezieht die Dialekte und andere Subvarietäten in das Konzept mit ein. Da die Sprachpatrioten des 17. Jahrhunderts jedoch die Etablierung einer Standardvarietät jenseits aller Subvarietäten anstrebten, muss hier der enge Begriff von ,Nationalsprache‘ bevorzugt werden. Dieser ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die hier im Detail nicht interessieren müssen (vgl. ebd. 396 ff.). Für den vorliegenden Zusammenhang ist wichtig, dass die ,Nationalsprache‘ wesentlich ein die Subsysteme überlagerndes und deren Entwicklung zusammenhaltendes sprachliches Leitsystem sein muss, die Literatur- oder Schriftsprache: [Die Literatursprache] ist ein als Gegensatz insbesondere zu den Dia- und Soziolekten begriffenes, ihnen gegenüber mit einem höheren Prestige versehenes, sich im weiteren Sinne bildungs-, kultur- und verwaltungssprachlich, im engeren Sinne literarisch-ästhetisch realisierendes, deshalb als Träger höchster nationalkultureller und funktionaler Kennzeichen ausgestattetes idealisiertes sprachliches Leitbild (ebd., 401).78

In der Tat sind sowohl die Normierungsbestrebungen als auch die sprachpuristischen Bemühungen des 17. Jahrhunderts auf eine von den Bildungs- und romanischen Kultursprachen unabhängige und diesen tendenziell als überlegen propagierte allgemeine Sprache aller Deutschen ausgerichtet. Mir ist nicht bekannt, dass in dieser Zeit ein Autor das Meißnische oder das Schlesische gegen fremdsprachliche Einflüsse hätte verteidigen wollen, sondern es wird stets die

�� 78 Vgl. auch Reichmann 2000, 456: „Den eigentlichen Kristallisationspunkt sprachnationaler Argumentation bildet seit der beginnenden Neuzeit und überall in Europa, historisch also außerordentlich konstant, die jeweilige Literatursprache.“

180 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Teutsche Heldensprache (z.B. Neumark, Palmbaum, 20) oder die HaubtSprache der Teutschen (Schottelius, Arbeit, 123) von den anderen Sprachen abgegrenzt. Diese Leitvarietät ist an die oberen und mittleren sozialen Schichten gebunden und wurde dort als sprachliches Ideal formuliert und angestrebt. Dieses im 17. und 18. Jahrhundert formulierte und angestrebte sprachliche Ideal blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein allgemein verbindliches Muster, besonders im Schulunterricht (vgl. Reichmann 1978, 402). Die unteren Schichten dagegen wurden von der Entwicklung der Standardnorm ausgeschlossen und wird erst im Zuge der Pädagogisierung79 im Laufe des 18. Jahrhunderts wieder berücksichtigt (vgl. dazu unten). Die Normierung ist „eine von gebildeten gesellschaftlichen Gruppen getragene, partiell von staatlichen Instanzen, insbesondere dem Schulwesen, unterstützte auf der sozial gehobenen Stufe des literarischen Sprachgebrauchs beruhende, partiell aber auch am Sprachgebrauch vorbeilaufende, präskriptive Kodifikation von Einheiten und Regeln insbesondere der Formseite aller hierarchischer Ebenen der Sprache“ (ebd.). Ihr Schwerpunkt liegt eher auf orthographischem und lautlichem Gebiet und weniger auf grammatischem und lexikalischem. Mit der Normierung einher ging der Wechsel in der Klassifikation von Sprache von ,verständlich – unverständlich‘ zu ,richtig – falsch‘ oder ,oben – unten‘ und damit die Vorstellung von einer ,richtigen‘ Sprache, die man beherrschen musste, um sozial anerkannt zu werden. Normatives Leitbild wurde die Literatursprache, der Zielpunkt der Vertikalisierung: „Die geographisch-horizontale Dimension der Dialekte wird mit dem Aufkommen einer akzeptierten Norm um eine vertikale Dimension ergänzt“ (ebd.). Diese Entwicklung gilt nicht nur für die Schriftsprache, sondern zunehmend auch für sprechsprachliche Register: „Man schreibt nicht mehr, wie man spricht, sondern spricht idealerweise, wie man schreibt, organisiert also den mündlichen Sprachgebrauch von einer als nationalkulturelles Leitbild begriffenen Norm her“ (ebd., 403 f.). Im 17. und 18. Jahrhundert verband sich die Normierung mit einer der „positiven Dialektauffassung entgegengesetzten Wertung der Dialekte als unrichtiger, der Verfeinerung der Sprache zuwiderlaufender Systeme“ (ebd., 404), vor allem bei Schottelius, Gottsched und Adelung. Da die Dialekte dem Sprachgebrauch der unteren Schichten zugerechnet wurden, impliziert auch diese Abgrenzung nach unten Sozialdistanzierung. Schließlich nennt Reichmann noch die Abgrenzung von den Nachbarsprachen als ein Spezifikum der ,Nationalsprache‘. Diese Abgrenzung wurde dadurch vollzogen, dass der eigenen Sprache bestimmte Werte (Alter, Reinheit �� 79 Zur Pädagogisierung vgl. Stukenbrock 2005, 162–170.

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usw.) zugesprochen wurden, die den Nachbarsprachen zugleich abgesprochen wurden. Zudem ist Fremdwortpurismus ein wichtiges Zeichen solcher Abgrenzungsbestrebungen (vgl. ebd., 407 f.). Damit gehen noch weitere Eigenschaften der ,Nationalsprache‘ einher. Denn zunächst muss der neuen Leitvarietät, gerade wenn sie ,Nationalsprache‘ sein soll, breite Akzeptanz verschafft werden, damit die „Homogenitätsfiktion“ (Stukenbrock 2005, 432), die durch sie konstituiert und aufrecht erhalten werden soll, wirksam werden kann. Dies ist nicht selbstverständlich, denn im Zustand des horizontalen Varietätenspektrums war der eigene Dialekt die Varietät, in der sich die Menschen primär verständigten, mündlich wie schriftlich, während die sich herausbildende Leitvarietät unter Umständen als etwas Fremdes wahrgenommen werden konnte, zumal, wie gesehen, die Schriftsprache von den oberen und mittleren Schichten getragen wurde, während die unteren Schichten ausgeschlossen waren. Hinzu kam, dass auch die Trägerschichten der Leitvarietät häufig auf andere Sprachen auswichen, der Adel und später auch das gehobene Bürgertum auf das Französische und die Gelehrten auf das Lateinische. Auch mit einer Leitvarietät infolge der Vertikalisierungsprozesse entsteht damit nicht automatisch eine Sprachgemeinschaft: Dem Ausdruck Sprachgemeinschaft braucht demnach nicht unbedingt eine Realität im Sprecherbewusstsein zu entsprechen. In Gebieten mit einer geringen Mobilität und dem Fehlen von Kontakten mit deutlich Anderssprachigen, auch in einer Konstellation, in der alle Gebildeten außer über eine Volkssprache (etwa Deutsch) über eine Gelehrtensprache wie Latein verfügen, besteht keinerlei Notwendigkeit, die Einzelsprache zur Bildung eines Gemeinschaftsbewusstseins zu nutzen (Reichmann 2000, 433).

In diesem Zusammenhang sei noch einmal an das Nationenkonzept Benedict Andersons erinnert, der die Nation als „vorgestellte politische Gemeinschaft“ definiert (Anderson 1988, 15; vgl. oben).80 Es braucht also eine gemeinsame Vorstellung, die gemeinschaftsstiftend wirken kann, und zwar überregional. In einem Land, das durch sein politisches System81, die konfessionelle Spaltung, �� 80 Diesen Gedanken entfaltet auch Reichmann, ohne allerdings Anderson zu erwähnen: „Betrachtet man Gegebenheiten des Typs ,Gemeinschaft‘, ,Nationalsprache‘, ,Volk‘ als genuin historisch, dann sind sie per definitionem Konstrukte, Entwürfe, Ideen, Bilder, Glaubensinhalte, Zielvorstellungen, Sinnstiftungen geschichtlich Handelnder; sie existieren nur, indem sie von einer Gruppe von Menschen als existent behauptet und behandelt werden“ (Reichmann 2000, 420 f.). 81 Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war letztlich vor allem ein Bund mehr oder weniger unabhängiger Staaten, der durch den Kaiser und andere Verfassungsorgane wie den Reichstag zusammengehalten wurde. Gerade nach dem Westfälischen Frieden, der die Macht des Kaisers entscheidend schwächte und den Territorialfürsten eine „Fast-Souveränität“ (Hartmann 2005, 31) einräumte, war an eine politische Einheit ,Deutschlands‘ (was auch immer man

182 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse wirtschaftliche und kulturelle Vielfalt sowie die Mannigfaltigkeit der sprachlichen Varietäten wenig aufwies, das allen gemeinsam war, erschien den Akteuren offenbar die Sprache als das Element, das am ehesten zu einigen war und zu einem Symbol nationaler Gemeinschaft zu werden versprach: Sprache und über sie das Volk, die Nation bieten nach dieser Auffassung den einzelnen Sprechern und ihren Gruppierungen unter Übergehung ihrer individuellen und sozialen Charakteristica die Zugehörigkeit zu einer Großgruppe an, indem über die lokalen, gruppen- und schichtentypischen, historischen Differenzierungen von Menschen eine diese negativierende bis aufhebende nationale Solidarisierung gelegt wird (Reichmann 2000, 440).

Wie in diesem Zitat bereits zu sehen ist, konnte diese Herausstellung der Leitvarietät als ,Nationalsprache‘ nur durch Reduktion der Binnendifferenzierung erfolgen: Angesichts von ,Volk‘, ,Nation‘ o. ä. ist es nicht nur irrelevant, ob jemand Appel oder Apfel, maken oder machen, Samstag oder Sonnabend sagt, auch alle volks-, nationsinternen Gliederungen, obwohl ihrerseits höchst bedeutsam und die Biographie einzelner wie die Existenz von Gruppen und Schichten fundamental bestimmend, werden einer Relativierung bis zur Bedeutungslosigkeit unterworfen. Sobald es um das Volk, die Nation o. ä. geht, spielt es keine Rolle mehr, ob man unter territorialgeographischem und -geschichtlichem Aspekt Preuße oder Bayer oder Rheinländer ist, unter schichten- und gruppensoziologischem Aspekt Arbeiter, Bauer, Bürger oder Adliger, Privatmann oder Amtsträger, Sozialdemokrat oder Nationalkonservativer, Protestant oder Katholik usw. ist (ebd., 439 f.).

Diese Reduktion der Binnendifferenzierung kann nur geschehen, wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, weil sonst eine gemeinsame ,Nationalsprache‘ gar nicht denkbar wäre. Es ist ohnehin erstaunlich, dass in der langen Geschichte des deutschen Sprachpatriotismus und -nationalismus die Sprache als „ein bereits in sich unter zeitlichen, räumlichen, sozialen, situativen Gesichtspunkten heterogenes, plurizentrisches Gebilde“ mit enger Verwandtschaft zu den Nachbarsprachen „in aller Regel ohne jede Problematisierung als Größe behandelt wird, von deren inneren Gliederungen und offenen Außengrenzen man absieht“ (ebd., 2000, 432). Die Schaffung einer überregionalen Norm mit Reduktion der Binnendifferenzierung kann also alleine noch nicht zu dem Gemeinschaftsgefühl beitragen, die für die Schaffung einer ,Nationalsprache‘ als Konnex einer vorgestellten Gemeinschaft im Sinne Andersons notwendig ist. Hierfür ist die oben erwähnte Zuschreibung von Werten und Gütequalitäten erforderlich. �� in dieser Zeit darunter verstand), nicht zu denken (zur Geschichte des Heiligen Römischen Reichs vgl. den Überblick Hartmann 2005 sowie neuerdings Whaley 2014).

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Doch wie ist es zu verstehen, dass die Zuschreibung von Gütequalitäten wie Alter, Würde, Reinheit, Redlichkeit usw. bei gleichzeitiger Abrede dieser Gütequalitäten bei anderen Nationalsprachen zu einer Identifizierung der Sprecher mit ihrer ,Nationalsprache‘ beitragen kann? Hier kommt eine spezifisch konstruktivistische Theorie ins Spiel, die von Eric Hobsbawm und Terence Ranger so genannte Invention of Tradition: ,Invented tradition‘ is taken to mean a set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted rules and a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of behaviour by repetition, which automatically implies continuity with the past. In fact, where possible, they normally attempt to establish continuity with a suitable historic past (Hobsbawm 1983/2009, 1).

Im Gegensatz zu Anderson, der die Sichtweise, dass es sich bei Nationen um erfundene Gemeinschaften handele, ausdrücklich zurückweist (vgl. Anderson 1988, 16), geht es Hobsbawm gerade um den Aspekt, dass bestimmte Traditionen erfunden sind. Sie sind „a process of formalization and ritualization, characterized by reference to the past, if only by imposing repetition” (Hobsbawm 1983/2009, 4) mit dem Ziel, symbolische Kohäsion zwischen den Mitgliedern einer Gruppe zu etablieren. Auf diese Weise können auch Institutionen oder Herrschaftsansprüche legitimiert sowie Wertesysteme durchgesetzt werden (vgl. ebd., 9). Es handelt sich um ,constructed or invented concepts‘ (vgl. ebd., 14), die vor allem in Politik und Ideologie ihren Platz finden: It is clear that plenty of political institutions, ideological movements and groups – not least in nationalism [!] – were so unprecedented that even historic continuity had to be invented, for example by creating an ancient past beyond effective historical continuity, either by semi-fiction (Boadicea, Vercingetorix, Arminius the Cheruscan) or by forgery (Ossian, the Czech medieval manuscripts). It is also clear that entirely new symbols and devices came into existence as part of national movements and states, such as the national anthem […], the national flag […], or the personification of ,the nation‘ in symbol or image, either official, as with Marianne and Germania, or unofficial, as in the cartoon stereotypes of John Bull, the lean Yankee Uncle Sam and the ,German Michel‘ (ebd., 7).

Erfundene Traditionen schaffen und etablieren also Nationalsymbole, nationale Bräuche und Traditionen, nationale Identifikationsfiguren usw.82 Erst diese Symbole, Traditionen und Identifikationsfiguren schaffen die Kohärenz zwi-

�� 82 Gerade der zuletzt genannte Deutsche Michel ist für diese Arbeit von hoher Wichtigkeit: Es wird zu untersuchen sein, warum Grimmelshausen seiner Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts einen Titel gegeben hat, die deutlich auf diese nationale Identifikationsfigur anspielt (vgl. unten, 463–467).

184 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse schen den Individuen, die die Gemeinschaft bilden. Einen modernen Beleg dafür bilden internationale Sportveranstaltungen, in denen die Athleten für ihre Nation an den Start gehen. Gerade bei populären Sportarten wie Fußball ist die Identifikation der Fans mit ihrer eigenen Nationalmannschaft so groß, dass bei Erfolgen kollektiver Jubel und bei Niederlagen kollektive Trauer ausbricht. Es werden Nationalsymbole wie Fahnen geschwenkt und einzelne Spieler als Identifikationsfiguren geradezu verehrt. Es handelt sich hier um eine (weitgehend) entpolitisierte Übertragung des Konzepts von Ideologie und Politik auf den Sport. Dass der Sport als Substitution und Kompensation des Militärwesens dient, ist bereits anhand einiger Sportarten (z.B. Speerwerfen), der Metaphorik der Fachsprachen des Sports (schießen, angreifen, verteidigen, Torjägerkanone etc.) und einzelnen Spitznamen für Identifikationsfiguren (Bomber der Nation für den ehemaligen Nationalstürmer Gerd Müller) ersichtlich. Bevor der Sport diese Funktion übernehmen konnte, waren es, gerade im 19. und frühen 20. Jahrhundert, häufig militärische Symbole, Traditionen und Identifikationsfiguren, die als Konnex für das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl dienten. Zu diesen Symbolen gehörten die preußische Pickelhaube, später der Stahlhelm (bis heute im Ausland ein wenig schmeichelhaftes Attribut der Deutschen), zu den Traditionen der von Hobsbawm angesprochene Sieg Hermanns des Cheruskers über die Römer im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr., die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813, ein Datum, das bereits Ernst Moritz Arndt zu einem nationalen Feiertag erheben wollte83, oder der im Kaiserreich bis 1918 gefeierte Sedanstag, der an den Sieg über die französischen Truppen bei Sedan am 2. September 1870 erinnern sollte; zu den nationalen Identifikationsfiguren zählten neben Hermann dem Cherusker u.a. Martin Luther, Kaiser Wilhelm I. und II. und nach dem Ersten Weltkrieg Generäle wie Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg. Schon früh wurde auch die Sprache zu einem solchen Identifikationssymbol erhoben, bereits zu Zeiten, in denen an eine standardisierte Leitvarietät nicht einmal ansatzweise zu denken war. Reichmann (2000, 425 f.) nennt u.a. das Faktum, dass Adjektive wie theodiscus, teutonicus oder diutisk, die ursprünglich die Volkssprache im Unterschied zum Latein bezeichneten, „seit �� 83 „Die deutsche Gesellschaft begeht auf das feierlichste heilige Feste des ganzen deutschen Namens, z.B. ein Fest der Hermannsschlacht, ein Fest der Leipziger Schlacht, ein Fest zum Andenken der für das Vaterland gefallenen großen Männer und andere löbliche Feste […]. Die Leipziger Schlacht ist unsere Hermannsschlacht. […] Sie ist ein großes Fest, das drei Feiertage hat, wie an drei Tagen gefochten ward, nämlich den 16., 18. und 19. Oktober. Dieses Fest muß von uns, welche die Schlacht von einem schändlichen Joche erlöste, auf das feierlichste und fröhlichste gehalten werden“ (Arndt, Entwurf, 264).

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spätalthochdeutscher Zeit zur Bezeichnung der Sprechergruppen werden, die diese Verständigungsmittel benutzen“ (ebd., 425). Seit dem Wirken der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts beruhten Sprachpflege und Sprachpädagogik darauf, dass man „durch kritische Arbeit insbesondere an Orthographie, Lexik und Grammatik zur Stärkung des Bewusstseins des nationalen Charakters der Sprache und damit zugleich zur staatlichen Einheit des Sprachvolkes beitragen“ könne (ebd., 426). Im Zuge dieser Bemühungen wurde die Schaffung einer vorgestellten Gemeinschaft durch Erfindung von Traditionen und Gütequalitäten wie Alter, Würde, Reinheit, Redlichkeit etc. angestrebt. Zu diesem Zweck dienten Topoi wie der ,Ascenas‘-Mythos oder die Stammworttheorie, die hohes Alter und Reinheit implizieren (vgl. dazu unten, Kap. 4).84 In diesem Zusammenhang wird vor allem die Symptomfunktion der Sprache wichtig: „Die Symptomfunktion besteht darin, dass jeder Sprecher einer Sprache, hier des Deutschen, jeden anderen Sprecher dieser Sprache als solchen erkennt bzw. von ihm als solcher erkannt wird“ (Reichmann 1978, 392). Erst wenn die ,Nationalsprache‘ diese Symptomfunktion einnehmen kann, wenn sie also als gruppenidentifizierend angesehen und zu einem Schibboleth wird, durch das man Individuen inkludieren und exkludieren kann, ist sie in der Lage, ihre volle Wirkung zu entfalten. Dann kann Sprache „als sprach-, kultur- und staatsnationales Markierungsmittel fungieren, sie kann zum Erkennungszeichen für die sich in diesem Zeichen identifizierende, durch innere Solidarisierung sich stabilisierende, nach außen dagegen sich abgrenzende Gruppe werden“ (ebd., 392 f.). So wurde im 17. Jahrhundert z.B. gegenüber den Franzosen, denen man sich unterlegen fühlte, durch die Betonung des Alters, der Würde und anderer zugeschriebener Charakteristika des Deutschen die eigene Sprache aufgewertet und das Französische abgewertet. Häufig wurde das Eigene wie das Fremde mit nationalen Stereotypen belegt, etwa die Teutsche Redlichkeit positiv vom französischen Komplimentierwesen im 17. und vom

�� 84 Die Sprache wurde durch die Theoretiker des 17. Jahrhunderts bereits explizit als konnektives Element der Nation benannt, besonders durch Schottelius und Leibniz: Schottelius zitiert Elias Hutter, sich dessen Position aneignend: „[D]urch solche löbliche Constitutiones und Ordnung [gemeint sind die Erlasse der Kaiser Rudolf I. und Maximilian I., nach denen Deutsch die Sprache der Reichsakte zu sein habe und die Schriften fremdsprachiger Gesandter ins Deutsche zu übersetzen seien] wird das Heil Römische Reich / Teutscher Nation / nechst GOtt und der Keys. Majest. etc. als mit einer Ketten zusammen gehalten / daß es nicht zerfället“ (Schottelius, Arbeit, 18). Leibniz postuliert mit der Sprach- zugleich eine Sitten- und Wertegemeinschaft: „Das band der sprache, der sitten, auch sogar des gemeinen Nahmens vereinigt die Menschen auf eine sehr kräfftige wiewohl unsichtbare weise, und machet gleichsam eine art der Verwandschafft“ (Leibniz, Ermahnung, 798).

186 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Deutschfranzosen im 18. Jahrhundert (vgl. dazu Scharloth 2003 und 2005) abgehoben (vgl. Reichmann 2000, 429). Der Prozess der Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache durch Vertikalisierung, die Sprachnormierung sowie die Konstitution und Etablierung einer deutschen ,Nationalsprache‘ schloss jedoch, wie bereits mehrfach angedeutet, zumindest im 17. und 18. Jahrhundert nicht alle Bevölkerungsschichten ein und sollte dies auch gar nicht. Die neuhochdeutsche Schriftsprache als Kunstsprache war ein Konstrukt der Gelehrten für Gelehrte. Die unteren Gesellschaftsschichten wurden von dieser Entwicklung ausgeschlossen. Mit Peter von Polenz kann man hier von Sozialdistanzierung sprechen (von Polenz 1995, 55).85 Mit der Herausbildung einer als qualitativ ausgezeichneten Hochsprache in frühneuhochdeutscher Zeit wird zum ersten Mal in der deutschen Sprachgeschichte die Beherrschung der Muttersprache zum Kriterium der gesellschaftlichen Stellung ihres Sprechers (Gardt 2004, 34).

Diese Entwicklung wurde durch Eingriffe der Gelehrten und Grammatiker in das Sprachsystem auf allen Ebenen begünstigt. Im Bereich der Syntax etwa kann man mit Wladimir Admoni (Admoni 1990a, 16; vgl. auch Admoni 1990b) von ,gespannter‘ Satzbautendenz sprechen. Gemeint ist damit der schriftsprachliche Ausbau der Syntax, in der Stellung und Funktion der einzelnen Satzteile relativ strikt festgelegt sind. Zudem wird die Satzklammer immer weiter ausgebaut und immer komplizierter, weil diese zwar systemgerechte, aber bei Mehrwortfüllung der oralen Verständlichkeit abträgliche Variante durch routinierte Verwendung in der Kanzleisprache dadurch tolerierbar werde, dass sie in der auf Repräsentation und Privilegienwesen beruhenden ,Öffentlichkeit‘ im absolutistischen Fürstenstaat sogar einen höheren sozialen Prestigewert erhielt (von Polenz 1995, 55).

�� 85 Bereits Adelung konstatierte diese Entwicklung, für die er die Geistlichen und Gelehrten verantwortlich machte, deren ostmitteldeutscher Sprachgebrauch zum Vorbild wurde. Bezüglich der Verdrängung des Niederdeutschen aus der Schriftlichkeit stellte er eine soziale Spaltung des Sprachgebrauchs in Hochdeutsch bei den Gebildeten und Niederdeutsch beim ,gemeinen Volk‘ fest: „Zur Zeit der Reformation und der Wiederherstellung der Wissenschaften, erhielt Nieder-Deutschland seine Geistlichen und Gelehrten aus Obersachsen, und diese führten nach und nach die hochdeutsche Mundart auf die Kanzeln. in die Hörsäle und Gerichtsstuben ein, und alles, was Geschmack und Sitten haben wollte, fing an, sich dieser Mundart zu befleissigen, und die einheimische Landessprache blieb dem gemeinen Volke überlassen. […] Da man nun die Niederdeutsche Mundart bloß als eine verachtete Volkssprache ansahe, so blieb sie in der Cultur zurück, und man hat wohl mehr als einmal den unbilligen Vorschlag gethan, sie völlig auszurotten, so wenig sie auch dieses Schicksal verdienet“ (Adelung, Lehrgebäude, 78 f.).

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Dadurch, dass die Kanzlei- und Amtssprache von vielen als Sprachvorbild angesehen wurden (vgl. oben), wurde die stark ausgebaute Klammerstruktur auch vom Bildungsbürgertum übernommen und schon bald galt der Grundsatz: „Je komplizierter, desto höher der soziale Rang“ (von Polenz 1995, 55). Sprechen und Schreiben mit anspruchsvollem Satzbau von hoher Komplexität wurde so zu einem Merkmal für Bildung und diente der Steigerung des eigenen Prestiges. Auch hier ist die Distanzierung der weniger gebildeten unteren Bevölkerungsschichten deutlich sichtbar. Auch im Wortschatz, bei der Wortbildung und Fremdwortbildung sind diese Tendenzen nachweisbar (vgl. ebd., 57–61). All diese Entwicklungen, die Normierung, die Vertikalisierung und die Ausbildung der neuhochdeutschen Schriftsprache als Nationalsprache bewirkten, dass „Schriftlichkeit und Mündlichkeit als differente Existenzformen der Sprache angesehen werden“ (Warnke 1999, 14). Dieser Vorgang war einerseits notwendig, weil das „Herauswachsen aus der Oralität als alleiniger Medialisierung durch literale Kommunikationsverfahren immer kultur-konstituierend und conditio sine qua non von Kultursprachen“ ist (ebd.). Auf der anderen Seite war dieser kulturelle Aufschwung den oberen Schichten, dem Adel und dem gehobenen Bürgertum sowie dem Klerus zugänglich. Zwar wurde mittlerweile gezeigt, dass auch die Bauern, niederen Handwerker, kleinen Händler und andere Mitglieder der mittleren und unteren Schichten lesefähig waren und sein mussten (vgl. Knoop 1995),86 von höherer Bildung waren sie dennoch nicht nur durch die bis ins 18. Jahrhundert andauernde Dominanz des Lateinischen in den gelehrten Diskursen ausgeschlossen, sondern auch durch die hochkomplexe deutsche Schriftsprache. All die genannten Entwicklungen begannen im 16. Jahrhundert und intensivierten sich im 17., bevor sie im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten. Der sprachnormierende und der sprachpuristische Diskurs weisen, wie gesehen, zahlreiche Überschneidungen auf durch die beschriebene Verschränkung von Sprachnorm und Nationalsprache, die im 17. Jahrhundert erstmals virulent wird. Sie sind damit eine wichtige Etappe in der Geschichte der deutschen Sprache. Sie liefern Grundlagen und Erklärungen für zahlreiche Entwicklungen der deutschen Sprachgeschichte, die z.T. bis in die Gegenwart reichen. Außerdem dienen sie als Vorbilder für Nachfolgediskurse späterer Zeiten; so bilden einige spezifische Theoreme des Normierungsdiskurses des 17. Jahrhunderts die �� 86 „Das verständigungsintensive Gewerbe ist also die Beschäftigung eines relativ großen Teils der ländlichen Bevölkerung, während die ständischen Bauern ihrerseits solche kognitiven Leistungen erbringen müssen, die den Rahmen einer ortssprachlich orientierten Sprachfähigkeit sprengen. Insbesondere kommen sie in Wahrung ihrer Interessen häufig mit schriftlicher Sprache in Verbindung“ (Knoop 1995, 30).

188 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Grundlage für ähnlich angelegte Theoreme des Normierungsdiskurses des 18. Jahrhunderts (vgl. Scharloth 2005); bestimmte Topoi und Metaphernkomplexe sind auch für spätere sprachpatriotische und sprachnationalistische Diskurse konstitutiv (vgl. Stukenbrock 2005). Im 17. Jahrhundert werden zahlreiche Errungenschaften des Humanismus transformiert, wodurch zahlreiche Signaturen der Moderne eingeleitet werden (z.B. die wurden neuen Standards der Wissenschaftlichkeit, die in humanistischer Zeit auf Latein formuliert und angewandt wurden, im 17. Jahrhundert verstärkt in die Volkssprachen übertragen, so dass Latein als maßgebliche Wissenschaftssprache zunehmend abgelöst wurde). Die sprachpatriotischen Diskurse bilden somit in vielerlei Hinsicht ein Scharnier zwischen Humanismus und Neuzeit.

3.3 Grimmelshausen als Satiriker 3.3.1 Zur Theorie der Satire 3.3.1.1 Allgemeines zur Satire In der Literaturwissenschaft werden üblicherweise zwei Begriffe der Satire unterschieden: Zum einen bezeichnet der Ausdruck Satire eine Gattung mit spezifischen Schreibweisen, die sich wiederum in zwei Typen untergliedert, die ,Lucilische‘ und die ,Menippäische‘ Satire; beide sind römischen Ursprungs (vgl. Wende-Hohenberger 2000, 791 f.). Zum anderen wird unter Satire eine ,Schreibart‘ verstanden, die bestimmte Merkmale aufweist und in allen literarischen Gattungen angewendet werden kann. Wenn im Folgenden von Satire die Rede ist, ist darunter ausschließlich der zweite Satirebegriff zu verstehen. Die satirische Schreibart hat eine Tradition, die bis in die Frühzeit der europäischen Literaturgeschichte zurückreicht. Es ist daher nicht erstaunlich, dass sie im Laufe der Zeit viele Wandlungen erfahren hat. Satire kann in allen drei literarischen Hauptgattungen – Lyrik, Prosa und Dramatik – und sämtlichen Untergattungen verwirklicht werden. Sie kann menschliche Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften ebenso thematisieren wie einzelne Personen, historische Ereignisse oder gesellschaftliche Verhältnisse. Sie kann sich in Form von Ironie, Groteske oder Hyperbolik äußern und sie kann lustig oder ernst sein. Hinzu kommt, dass sie sehr eng mit dem jeweiligen historischen Kontext, mit sprachlichen, kulturellen oder mentalen Besonderheiten der Gesellschaft, in der sie entsteht, verbunden ist. Diese Faktoren machen es nahezu unmöglich, die Vielfalt der satirischen Schreibart synoptisch zusammenzufassen. Neben diesen proteischen Wandlungen weist die Satire jedoch auch über die Jahrtausende hinweg signifikante Konstanzen auf, die es rechtfertigen, von

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der satirischen Schreibart zu sprechen. Die erste Konstante ist der Bezug auf eine außersprachliche Wirklichkeit. Dies unterscheidet die Satire von der Dichtung, die ihren Gegenstand durch sich selbst erst konstituiert. Zweitens hat Satire ästhetischen Charakter, sie ist eine Kunstform. Drittens hat sie agonalen Charakter, sie greift politische, soziale, gesellschaftliche oder ästhetische Zustände oder bestimmte Personen oder Personengruppen mit literarischen Mitteln an; Brummack (1973, 282) definiert Satire demgemäß als „ästhetisch sozialisierte Aggression“. Dieser Angriff wird viertens nicht offen, sondern indirekt geführt. Fünftens schließlich bedient sich die Satire literarischer Methoden der Verzerrung und Verfremdung, um die Indirektheit herbeizuführen. Ulrich Gaier (1967) widmet sich ausführlich den Mitteln der Verzerrung und Verfremdung, die eine Distanzierung zwischen dem Objekt der Satire und dem Rezipienten bewirken sollen. Das durch die Satire Angegriffene wird dabei auf ein bestimmtes Objekt eingeschränkt oder übertragen. Die Einschränkung auf ein bestimmtes Objekt nennt Gaier Synekdoche, die Übertragung Metapher: Der Satiriker schränkt das Wirkliche künstlich auf einen Teil ein, limitiert und definiert es damit, oder er bekämpft das unbekannte Wirkliche über ein Objekt, das primär bekannte oder befreundete oder eigene Bedeutung hat. Das erste Verfahren ist das der Synekdoche, das zweite das der Metapher, der Übertragung aus einem anderen Wirklichkeitsbereich (Gaier 1967, 344).

Das Objekt der Satire wird nach Gaiers Theorie durch Groteske, Ironie, Hyperbel und Emphase verfremdet und verzerrt. Der Satiriker verfasst also einen diskontinuierlichen Text mit Brüchen und Stolpersteinen für den Rezipienten. Diese Verzerrungen sollen sowohl den Verstand als auch die Emotionen des Rezipienten affizieren. Der Rezipient soll das in der Satire Ausgesagte reflektieren, sich über die Missstände und Ungerechtigkeiten empören und Konsequenzen daraus ziehen. Um dies zu erreichen, muss der Satiriker verdeutlichen, dass er mit der Satire bestimmte Absichten verfolgt. Er schreibt seine Satire aus der Perspektive einer bestimmten Normvorstellung, die durch die Satire indirekt vermittelt werden soll. Daher muss der Satiriker Rückübersetzungssignale geben, um es dem Rezipienten zu ermöglichen, hinter dem Objekt der Satire das Gemeinte zu rekonstruieren.87 Ist die Norm nicht erkennbar, so erfüllt die Satire ihren Zweck nicht (vgl. Schwind 1988, 11). Die Satire kann sich deshalb nur im Rahmen soziokulturell bestimmter Codes bewegen (ebd., 12).

�� 87 „Das Objekt der Satire fordert zur Rückübersetzung in die gemeinte Wirklichkeit auf“ (Gaier 1967, 346).

190 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Satire kann „aggressive Kritik gegenüber gesellschaftlichen oder moralischen Missständen, aber auch gegenüber Institutionen oder Einzelpersonen“ (Röcke 2000, 787) sein, sie kann vor bestimmten gesellschaftlichen, politischen oder moralischen Veränderungen warnen, sie kann aber auch als überkommen geltende Normen gegen progressive Tendenzen verteidigen (vgl. ebd.).88 Sie kann bestimmte Personen oder Personengruppen angreifen und ihre intellektuelle oder moralische Integrität infrage stellen, so etwa in der kontroverstheologischen Satire der Reformationszeit (z.B. die Epistolae obscurorum virorum). Sie kann aber auch literarische Gattungen oder Schreibstile parodieren, wie es etwa Cervantes mit dem Ritterroman im Don Quijote getan hat, oder individuelle Schreibweisen variieren und sie so bloßstellen.89 Die Liste wäre erweiterbar. Auch die Wirkungsabsichten beim Rezipienten sind vielfältig. Es kann die Intention des Satirikers sein, seine Leser zum Lachen zu bringen oder in Angst zu versetzen; er kann durch Entlarvung von Lügen Erkenntnis und Einsicht vermitteln; er kann darauf abzielen, beim Leser Empörung und Entrüstung über bestimmte Verhältnisse auszulösen oder ihm die Verwerflichkeit bestimmter Haltungen und Verhaltensweisen vermitteln; schließlich kann er auch, gerade wenn der Leser mit dem Objekt der Satire in Verbindung steht oder gar mit ihm identisch ist, durch das Aufzeigen innerer Widersprüche die Belanglosigkeit des satirischen Objekts hervorheben (vgl. dazu Gaier 1967, 426 f.). Satire und Satiretheorie waren bisher hauptsächlich Gegenstand der Literaturwissenschaft. Eine dezidiert linguistische Satiretheorie gibt es meines Wissens bislang nicht. Dass die Satire von linguistischer Seite ignoriert wird, hängt wahrscheinlich mit der Trennung von Literaturwissenschaft und Linguistik seit dem Zweiten Weltkrieg zusammen. In vielen Gegenstandsbereichen ist diese Trennung jedoch nicht zu rechtfertigen. So können literarische Texte durchaus auch Gegenstand linguistischer Untersuchungen sein und sind es stets auch gewesen. Umgekehrt ist die Analyse sprachlicher Mittel der Konstitution von Literatur ein unentbehrliches Instrument literaturwissenschaftlicher Praxis. Im Folgenden wird sich zeigen, dass Satire wesentlich durch sprachliche Mittel erzeugt wird, die Gegenstand linguistischer wie literaturwissenschaftlicher Analyse sein sollten. Denn Satire ist ohne den Einsatz von Sprache undenkbar.90 Daher soll im Folgenden eine linguistische Theorie der Satire entwickelt wer-

�� 88 In Bezug auf Grimmelshausen zitiert Rolf Tarot Norman Knox zustimmend: „most satirists have been conservatives“ (Tarot 1978, 142). 89 Dies geschieht durch Parodie, Travestie oder Kontrafaktur, vgl. dazu Verweyen/Witting 2000. 90 Selbst ihr Äquivalent in der bildenden Kunst, die Karikatur, setzt meist sprachliche Mittel ein.

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den, mit der es möglich sein soll, die Konstitution der Satire durch Sprache linguistisch zu beschreiben.

3.3.1.2 Zum Wirklichkeitsbegriff Wie oben bereits gesagt, zeichnet sich die Satire durch einen besonderen Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit aus. Das Attribut außersprachlich ist aus Sicht der modernen Linguistik allerdings problematisch. Ausgehend von der Wissenssoziologie (Berger/Luckmann 2010) und den diskurstheoretischen Ansätzen Michel Foucaults (vgl. z.B. Foucault 1974 und 1981) ist in den letzten Jahren die Annahme, die Wirklichkeit sei von der Sprache unabhängig, stark relativiert worden.91 Zwar kann der Mensch durch seine Sinnesorgane die Gegenstände wahrnehmen, doch die kognitive Verarbeitung der Sinnesdaten und die kategoriale Einordnung, die für die Wissensspeicherung unumgänglich ist, ist ohne Sprache kaum möglich. Sprache hat somit die kognitive Funktion der Wissenskonstitution und Wissensspeicherung (vgl. dazu auch Wygotski 1934/1974, der als Kognitionspsychologe bahnbrechende Arbeiten zum Verhältnis zwischen Denken und Sprechen leistete, Felder 1995, 45–50 sowie den Sammelband Felder/Müller 2009). Des Weiteren ist der interaktive Austausch verschiedener Individuen an Sprache gekoppelt. Mit Hilfe der Sprache werden die Begriffe, hier verstanden als mentale Einheiten des Gedächtnisses, lexikalisiert und kontextualisiert. �� 91 Dieser Ansatz ist allerdings schon deutlich älter, Wilhelm von Humboldt hatte ihn bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seiner Theorie von den ,sprachlichen Weltansichten‘ formuliert, v.a. in seiner Schrift Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1830–1835): „In die Bildung und in den Gebrauch der Sprache geht aber nothwendig die ganze Art der subjectiven Wahrnehmung der Gegenstände über. Denn das Wort entsteht eben aus dieser Wahrnehmung, ist nicht ein Abdruck des Gegenstandes an sich, sondern des von diesem in der Seele erzeugten Bildes. Da aller objectiven Wahrnehmung unvermeidlich Subjectivität beigemischt ist, so kann man, schon unabhängig von der Sprache, jede menschliche Individualität als einen eignen Standpunkt der Weltansicht betrachten. […] [U]nd da auch auf die Sprache in derselben Nation eine gleichartige Subjectivität einwirkt, so liegt in jeder Sprache eine eigenthümliche Weltansicht“ (Humboldt, Verschiedenheit, 433 f.). Bemerkenswert ist ferner jener Satz aus der kurzen Skizze Über Denken und Sprechen (1795/96): „Die Sprache beginnt daher unmittelbar und sogleich mit dem ersten Act der Reflexion, und so wie der Mensch aus der Dumpfheit der Begierde, in welcher das Subject das Object verschlingt, zum Selbstbewusstseyn erwacht, so ist auch das Wort da – gleichsam der erste Anstoss, den sich der Mensch selbst giebt, plötzlich still zu stehen, sich umzusehen und zu orientiren“ (Humboldt, Denken, 97 f.). Humboldt postuliert damit die kognitive Unhintergehbarkeit der Sprache, ein Gedanke, der auch den meisten diskurslinguistischen Arbeiten mit konstruktivistischem Ansatz explizit oder implizit zugrunde liegt.

192 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Durch die Wahl einer bestimmten lexikalischen Einheit innerhalb eines Paradigmas (im Sinne de Saussures) gibt der Sprecher seine subjektive Sicht auf die außersprachliche Wirklichkeit und meist auch die Kategorisierung ihrer Objekte intersubjektiv zu erkennen. Dadurch gewährt er auch Einblick in die Bewertungsschemata, die er anwendet. Durch die Wahl sprachlicher Zeichen gibt er aber nicht nur Hinweise auf seine eigene Perspektive, sondern durch die Perspektivität sprachlicher Zeichen und ihrer Verknüpfung konstituiert er auch Sachverhalte (zur sprachlichen Perspektivität vgl. grundlegend Köller 2004). Die Art und Weise, wie lexikalische Einheiten verwendet und durch Konnektoren miteinander verbunden werden, beeinflusst also die Dekodierung durch den Rezipienten. Die Sprache ermöglicht es somit, komplexe kognitive Vorgänge wie Sachverhaltskonstitution, Sachverhaltsverknüpfung und Sachverhaltsbewertung (im Sinne Ekkehard Felders; vgl. etwa Felder 2006, 2009 u.ö.) intersubjektiv mitteilbar zu machen. Wissensaustausch ist ohne sprachliche Interaktion nicht möglich. Doch Sprache dient nicht nur kognitiven und kommunikativen Zwecken, sie hat auch die Funktion der Wirklichkeitskonstitution. Durch Sprache werden in Form von Texten komplexe Wirklichkeiten konstituiert, die außerhalb dieser Texte nicht existieren. Die Dichtung ist ein Beispiel für eine solche Wirklichkeitskonstitution, die allein durch Sprache erfolgt. In ihr wird die Fiktionalität, die bei der sprachlichen Verfassung eines Gegenstandes stets vorhanden ist, zum Selbstzweck, weshalb der Dichtung ein Sonderstatus innerhalb des Spektrums aller möglichen Textsorten und Texttypen zukommt. Doch nicht nur literarische Texte, sondern nahezu alle menschlichen Kulturgüter werden durch Sprache konstituiert. Religion, Wissenschaft, Recht, Philosophie – all dies ist ohne Sprache undenkbar. In diesem Zusammenhang ist es relevant, dass z.B. Rechtsnormen nicht ,in der Welt‘ existieren, sondern das Ergebnis von sprachlichen Aushandlungsprozessen sind, etwa in Form von Parlamentsdebatten und Ausschusssitzungen. Diese Aushandlungsprozesse sind nicht immer friedlich, sondern in der Regel Gegenstand von Auseinandersetzungen. Meist setzt sich die Partei durch, der es gelingt, ihre Geltungsansprüche zu behaupten und durchzusetzen und die Auffassung der Gegenpartei als ,falsch‘ zu deklarieren. So behauptete sich im frühen Mittelalter etwa die katholische (,rechtgläubige‘) Kirche gegen den Arianismus und erklärte dessen Anhänger zu Ketzern. Die sprachlichen Aushandlungsprozesse haben also ago-

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nalen Charakter und werden in der Linguistik mit dem Terminus ,semantische Kämpfe‘ (z.B. Klein 1989, Felder (Hg.) 2006) bezeichnet.92 Alle Formen sprachlicher Aushandlungsprozesse lassen sich unter dem Terminus ,Diskurs‘ subsumieren.93 Jeder interaktionelle Austausch von Informationen, Meinungen oder Dogmen kann als Diskurs aufgefasst werden. Es gibt viele Möglichkeiten, innerhalb von Diskursen seine Meinung dominant zu setzen, etwa durch Besetzung von Fahnenwörtern und Hochwertwörtern, Stigmatisierung der Gegenposition, Herausstellung der Vorteile der eigenen Position oder Widerlegen des Gegenteils. Es scheint evident, dass auch die Satire ein Mittel ist, die eigene Position dominant zu setzen und die Gegenposition herabzuwürdigen. Über die Funktionen der Satire in Diskursen besteht jedoch noch viel Forschungsbedarf.94 Für das 17. Jahrhundert wichtige Diskurse sind z.B. der erkenntnistheoretische Diskurs, der interkonfessionelle Diskurs, der alamodekritische Diskurs oder der Diskurs der politischen Theorie. Die satirischen Texte der Zeit sind Teilelemente der Diskurse. So positioniert sich etwa Grimmelshausen mit dem Teutschen Michel (1673) im sprachreflexiven Diskurs des 17. Jahrhunderts und ordnet sich in verschiedene Teildiskurse ein (z.B. Normierungsdiskurs, alamodekritischer Diskurs, sprachkritischer Diskurs etc.; vgl. dazu Gardt 1994a). Der Text ist durch verschiedene Verfremdungstechniken (Groteske, Ironie, Hyperbel etc.), seinen agonalen und ästhetischen Charakter und durch die Indirektheit der Argumentation als satirischer Text erkennbar (vgl. Kapitel 5). Aus all dem wird ersichtlich, dass man den Bezug der Satire zur ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit relativieren muss, erstens in Bezug auf die Rolle, die sie in den jeweiligen Diskursen einnimmt und zweitens auf die Komplexität der Wirklichkeitsebenen, die sie entfaltet (vgl. auch Schwind 1988, 49). Sowohl Satiriker als auch Rezipient bewegen sich im Kontext von Diskursen und kulturellen Wissensrahmen, die bei der Interpretation von Satire zu berücksichtigen

�� 92 Der Terminus ,semantische Kämpfe‘ suggeriert jedoch, dass es sich ausschließlich um Bedeutungskonkurrenzen handle. Es kann aber auch Bezeichnungskonkurrenzen geben, so etwa im Diskurs um die Atomenergiedebatte, in dem Atomkraftgegner die offizielle fachsprachliche Bezeichnung Kernkraftwerk ablehnten und die laiensprachliche Bezeichnung Atomkraftwerk favorisierten, weil sie hinter der offiziellen Bezeichnung eine verharmlosende, euphemistische Absicht vermuteten (vgl. dazu Jung 1994). 93 Zum Diskursbegriff vgl. oben, 3.2.1. 94 Soweit ich weiß, wurde, zumindest in diskurslinguistischen Studien, die Funktion der Satire in Diskursen noch nicht systematisch herausgestellt. Selbstverständlich wurde aber der Einsatz von satirischen Texten als Mittel, im Diskurs Stellung zu beziehen, erkannt und in die Diskursanalyse einbezogen, z.B. von Scharloth 2005.

194 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse sind. Diese kulturellen Wissensrahmen, die Wertevorstellungen von Satiriker und Rezipient sind diskursiv bestimmt. Die Gemeinsamkeit von Satire und Dichtung ist, dass sie beide eine Wirklichkeit konstituieren, der Unterschied liegt im Bezug zur ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit: Während die Dichtung eine eigene Textwelt erschafft, die mit der ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit zu tun haben kann, aber nicht muss, ist der Bezug zur ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit für die Satire konstitutiv. Zugleich will sie eine Norm vermitteln.95 Daraus ergibt sich, dass der Wirklichkeitsbegriff, der für die Satire zugrunde gelegt werden muss, ein dreifacher ist: – Erstens nimmt die Satire auf die ,außersprachliche‘ Wirklichkeit Bezug. Wie oben deutlich wurde, ist die ,außersprachliche‘ Wirklichkeit wesentlich ein Produkt kognitiver und gesellschaftlich-kultureller Prozesse, an denen Sprache einen bedeutenden Anteil hat und die sich als Diskurse beschreiben lassen. Zudem besteht das hermeneutische Problem, dass die ,außersprachliche‘ Wirklichkeit von jedem anders wahrgenommen und interpretiert wird. Obwohl es intersubjektive Gemeinsamkeiten geben mag und muss (sonst wäre die Möglichkeit des Konsenses völlig ausgeschlossen), scheint es nicht gerechtfertigt, von der ,außersprachlichen‘ Realität zu sprechen. Das Problem verschärft sich für historische Diskurse, bei denen die ,außersprachliche‘ Wirklichkeit nicht mehr präsent ist. Der Wissenschaftler ist hier auf sprachliche Zeugnisse, bzw., v.a. für die Frühgeschichte, auf Artefakte angewiesen. Aus diesen Überlegungen heraus scheint es angemessen, für die ,außersprachliche‘ Wirklichkeit eine in diesem Fall vom Satiriker wahrgenommene Wirklichkeit anzusetzen. Diese konstituiert sich durch den überlieferten gesellschaftlichen Wertekanon, der vom Satiriker affirmiert, modifiziert oder abgelehnt wird, durch seine eigene Disposition, eigene Beobachtungen der Verhaltensweisen anderer Menschen sowie seine Rezeption gesellschaftlicher Diskurse durch eigene Anschauung oder durch Medien vermittelt. Sie ist demnach wiederum diskursiv geprägt. Die erste Wirklichkeitsebene ist also die wahrgenommene Wirklichkeit.

�� 95 „M. E. ist eine eigenständige, mit der ästhetischen Funktion vermittelte ,satirische Norm‘ […] für das Satirische ebenso konstitutiv wie die Aggressivität der Haltung, weil nur durch ihr Vorhandensein ,Satire‘ gegen andere Textsorten abgegrenzt werden kann“ (Schwind 1988, 69). Schwinds Kriterien, satirische Texte von mit ihnen verwandten Textsorten abzugrenzen, sind neben der Norm und der Aggressivität die Ästhetizität und die Verformung: „Fällt die satirische Norm weg, gelangt man in den Bereich von Pasquill oder Pamphlet, ohne Aggressivität etwa u.a. zur Fabel und Lehrdichtung, ohne Norm (bzw. ohne Verallgemeinerungstendenz) und ästhetischem Element zur Invektive, ohne Angriff und Verformung zu Kritik“ (ebd., 70).

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Zweitens stellt der Satiriker der von ihm als defizitär wahrgenommenen Wirklichkeit eine eigene normierte Wirklichkeit gegenüber. Er erachtet diese normierte Wirklichkeit als Potenz, die verwirklicht werden kann und soll und die den Anspruch hat, allgemein nützlich zu sein (vgl. Schwind 1988, 70 f.). Die Intention der Satire ist es, den Rezipienten dazu zu bringen, diese potenzielle Wirklichkeit zu realisieren. Daher kann man hier von einer intendierten Wirklichkeit sprechen. Drittens konstituiert der Satiriker eine Wirklichkeit in seinem Text. In diesem Text fokussiert er die wahrgenommene Wirklichkeit auf bestimmte Aspekte, die ihm wichtig erscheinen. Diese werden mit sprachlichen Mitteln überformt, so dass eine auf der wahrgenommenen Wirklichkeit basierende verzerrte Wirklichkeit entsteht. Dabei wird, quasi ex negativo, die intendierte Wirklichkeit implizit vermittelt. Da diese Wirklichkeit durch den Text konstituiert wird, kann man sie konstituierte Wirklichkeit nennen.

Eine wesentliche Aufgabe, die sich der Analyse satirischen Schreibens stellt, besteht darin, die benannten drei Dimensionen des Wirklichkeitsbegriffs herauszuarbeiten und aufeinander zu beziehen. Ausgangspunkt ebenso wie Zielpunkt des hermeneutischen Prozesses ist dabei die im Text konstituierte Wirklichkeit. Der Zugang zur wahrgenommenen Wirklichkeit ist schwierig, da er, wie schon angedeutet, nur durch die Vermittlung durch zeitgenössische Quellen und Artefakte zugänglich ist. Diese müssen erschlossen, bewertet und eingeordnet werden, bei Texten muss stets die Autorperspektive rekonstruiert werden, usw. Zur wahrgenommenen Wirklichkeit kann man sich also nur durch umfassende hermeneutische Anstrengungen Zugang verschaffen, zudem wird sie durch den zeitlichen, kulturellen oder ideologischen Abstand und die eigene Perspektive des Wissenschaftlers gleich mehrfach gebrochen. Indem man die einschlägige (sozial-)historische Forschungsliteratur zu Rate zieht, kann man sich bis zu einem gewissen Grad auf deren Schultern stellen, muss dann aber natürlich auch deren spezifische Perspektive mit einbeziehen. Man steht in jedem Fall vor dem Problem, dass man bestenfalls den Rahmen rekonstruieren kann, in dem sich der Satiriker bewegt. Über dessen spezifische Sicht auf diese Wirklichkeit sagt dies allein jedoch wenig aus. Die wahrgenommene Wirklichkeit des Satirikers kann daher, und dies macht die Lage umso komplexer, ausschließlich aus dessen Satiren, der konstituierten Wirklichkeit, die verzerrt dargestellt wird, rekonstruiert werden. Aufgabe des Interpreten dieser Satiren ist es also, aus der konstituierten Wirklichkeit die wahrgenommene Wirklichkeit zu extrahieren, d.h., die Brechungen und Verzerrungen des Textes als solche zu isolieren und den Inhalt zu ,entzerren‘.

196 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Und hier kommt die Linguistik ins Spiel. Da die Satire durch sprachliche Verfremdungen entsteht, ist es die Aufgabe des Interpreten, diese Verfremdungen zu benennen, ihre Funktionsweise zu erklären und sie ,zurückzuübersetzen‘. Dies kann nur im Rahmen einer umfassenden Textanalyse mit linguistischen Methoden (z.B. sprachsystematische, pragmatische, textlinguistische Analyse) vollzogen werden. Zudem sind pragmatische und diskursanalytische Studien notwendig, um die soziokulturellen Codes, in welche die Satire eingebettet ist, zu rekonstruieren. Bei der Analyse von Satiren gehen somit sprachund literaturwissenschaftliche Methoden Hand in Hand, beide sind für eine angemessene Interpretation unerlässlich. Die vom Satiriker angesetzte Norm (intendierte Wirklichkeit) muss ebenfalls aus dessen Texten herausgearbeitet werden. Auch hier kommt es wesentlich darauf an, die „Rückübersetzungssignale“ (Gaier 1967, 348) zu erkennen und zu deuten. Sie kann in vielfacher Weise angedeutet oder ausgeführt werden. Ein Beispiel ist etwa die Funktionalisierung bestimmter Figuren zu Exempelfiguren. Im Simplicissimus etwa dienen der junge Hertzbruder als ,guter‘ und Olivier als ,böser‘ Bruder des Simplicius als positive und negative Folie, die zeigt, wie man tugend- und lasterhaft lebt. Solche Normopponenten können in der Satire zu richtigen Projektionsfiguren für den Rezipienten aufgebaut werden, indem sie als grundüble Vertreter des Normwidrigen geradezu dazu einladen, sämtliche Aggressionen und Frustrationen auf diesem ,Sündenbock‘ abzuladen (Schwind 1988, 81).

Olivier dient als solcher ,Sündenbock‘, auf den alle negativen Eigenschaften abgeladen werden, der als amoralischer Anhänger des „gottlosen Machiauelli“ (RS, T 9, vgl. ST B 406, T 339) durch Diebstahl, Raub, Betrug und Mord sein Leben mehr schlecht als recht fristet und ein gewaltsames Ende findet (ST, IV. Buch, Kap. 24). Doch auch der fromme und tugendhafte Hertzbruder führt zumindest von außen betrachtet kein glückliches Leben, er wird von Olivier um eine gute Sekretärsstelle im Heer betrogen (ST, II. Buch, Kap. 22), ihm werden in der Schlacht von Jankau die Hoden abgeschossen (ST, B 460, T 385), schließlich stirbt er an einer rätselhaften Krankheit (ST, V. Buch, Kap. 7) infolge einer durch Neider herbeigeführten Vergiftung. Dieser Lebenslauf zeigt, dass Hertzbruder von Grimmelshausen zwar als besonders tugendhafte, aber nicht als Idealfigur angelegt ist: Er ist nicht in der Lage, sich gegen die Widrigkeiten des Lebens zu behaupten und fällt ihnen schließlich zum Opfer. Simplicissimus dagegen oszilliert zwischen den Polen Hertzbruder und Olivier, wobei er sich auf der Skala zwischen den beiden stets näher bei Hertzbruder befindet. Er ist ein Mann, der negative Erfahrungen macht und moralisch zeitweise tief fällt, der aber seelisch

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gestärkt aus den Verlockungen der Welt hervorgeht und ihnen weder, wie Olivier, völlig anheimfällt, noch an ihnen zugrunde geht wie Hertzbruder. Simplicissimus ist deshalb eine ,realistische‘, d.h. keinem unerreichbaren Ideal nachempfundene beispielhafte Figur, die, trotz aller satirischen Verfremdung als Normvorbild dienen kann, ohne dabei einfach ein moralisches Sprachrohr Grimmelshausens zu sein.96 Im Falle Grimmelshausens ist die intendierte Wirklichkeit schon recht gut erforscht (z.B. Schnitzler 1955, Schäfer 1972 und 1992, Tarot 1978 oder Trappen 1994; vgl. dazu unten, 3.3.3).

3.3.1.3 Eine linguistische Theorie der Satire 3.3.1.3.1 Ulrich Gaiers Satiretheorie Inspiriert wird der im Folgenden vorzustellende Ansatz durch die Satiretheorie von Ulrich Gaier (Gaier 1967, 329–450). Sie wurde deshalb als Basis für eine spezifisch linguistische Satiretheorie ausgewählt, weil sie sprachliche Aspekte der Satire in den Blick nimmt und somit eine große Anschlussfähigkeit für linguistische Ansätze aufweist. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die für den sprachwissenschaftlichen Anschluss wichtigen Teile von Gaiers Theorie. Nach Gaier ist Satire „sprachliche Auseinandersetzung mit einer bedrohlichen Wirklichkeit, in die auch der Leser einbezogen werden soll“ (ebd., 350, im Text kursiv).97 Verschiedene Aspekte der Satire werden hier genannt: – Satire ist eine Sprachhandlung und keine physische Handlung. – Satire erschafft nicht, wie Dichtung, eine eigene, in sich abgeschlossene Textwelt, sondern bleibt mit der ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit verbunden. – Diese ,außersprachliche‘ Wirklichkeit wird als defizitär, als bedrohlich wahrgenommen. – Die Satire spiegelt jedoch die ,außersprachliche‘ Wirklichkeit nicht wider, denn „sie will […] nicht erkennen, sondern bekämpfen; ihr Wort ist nicht formulierte Erkenntnis, sondern Kampfmittel“ (ebd., 335).

�� 96 Rainer Hillenbrand etwa hält Simplicissimus für das „moralische Sprachrohr Grimmelshausens“ (Hillenbrand 1998, 194), was insofern problematisch ist, als er dann die Meinungen Grimmelshausens und Simplicissimus‘, also des Autors und der Figur, identifizieren müsste, „was erst einmal zu verifizieren wäre“ (Schwind 1988, 79). Man kann nur von „mannigfache[n] Interrelationen zwischen dem Produkt des Autors und ihm selbst“ sprechen (ebd.). 97 Unter bedrohlicher Wirklichkeit versteht Gaier das Unbekannte, Abstoßende, Abscheu erregende, das Falsche, Kritisierbare, das Unordentliche, das Verwerflich-Wertlose, Tadelhafte, in sich Unstimmige, kurz: das Chaos (vgl. Gaier 1967, 340 f.).

198 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse –

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Direkte Auseinandersetzung mit dieser ,bedrohlichen Wirklichkeit‘ ist jedoch unmöglich, weil diese nicht wirklich fassbar ist. Gaier vergleicht den Kampf des Satirikers mit der Wirklichkeit mit dem Kampf des Perseus gegen Medusa: Sie kann nicht direkt, sondern nur durch eine List besiegt werden. So muss auch der Satiriker zur List greifen, um die ,bedrohliche Wirklichkeit‘ zu besiegen. Die Satire greift damit ihr Objekt nicht direkt an, sondern indirekt. Diese Indirektheit führt dazu, dass das Objekt der Satire zur Rückübersetzung in die gemeinte Wirklichkeit auffordert (vgl. ebd., 346). Um dem Leser Hinweise für die Rückübersetzung zu geben, bedarf es der Einbeziehung des Lesers. Gaier unterscheidet zwischen ,gelenkter‘ und ,ungelenkter‘ Satire. Bei der gelenkten Satire gibt der Satiriker explizite Rückübersetzungssignale, bei der ungelenkten Satire ist der Leser erheblich mehr gefordert, er muss die Rückübersetzung selbständig leisten. Die meisten Satiren sind Mischformen.

Aufgrund dieser Definition kann Gaier feststellen: „Die Auseinandersetzung der Satire mit der Wirklichkeit vollzieht sich in der Sprache“ (ebd., 352; im Text kursiv). Unter Verweis auf die Wortfeldtheorie erklärt Gaier anhand des Beispiels Hund, dass mit der Nennung bestimmter Ausdrücke bestimmte semantische Felder eröffnet und andere ausgegrenzt werden: Wer von Hunden spricht, meint nicht Füchse oder Wölfe aus benachbarten Feldern; zugleich aktualisiert er bestimmte Eigenschaften des Hundes, die zu den kollektiven Erfahrungs- und Wissenselementen gehören, etwa dass Hunde Haustiere sind. Andere Eigenschaften, etwa die Vierbeinigkeit, werden nicht aktualisiert. Gaier spricht hier davon, dass manche Potenzen nicht aktualisiert werden, sondern „weiterhin um Zustand des Möglichen, der Potenz, eingefaltet bleiben“ (ebd., 354). Die Satire nutzt diese Diskrepanz zwischen Potentialität und Aktualität aus. Indem sich der Satiriker eines unerwarteten Wortes98 bedient, macht er auf die „Diskrepanz zwischen Bezeichnung und Gemeintem, zwischen Benennung und Wirklichkeit“ (ebd., 370) aufmerksam. Er nutzt dafür die im kollektiven Bewusstsein normalerweise nicht aktualisierte Potentialität im Bedeutungsspektrum eines Wortes aus. Allein der ungewohnte Gebrauch eines Wortes kann einen Verfremdungseffekt bewirken. Der Rezipient wird dadurch dazu aufgefordert, den lexikalischen wie kommunikativen Sinn dieser Bezeichnung herauszufinden.

�� 98 Ich vermeide es an dieser Stelle, Gaiers Terminologie zu folgen, der vom „unzutreffenden Wort“ (Gaier 1967, 370) spricht.

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Eine Möglichkeit den Blick des Rezipienten durch die Bezeichnung zu verfremden, ist das Pars pro toto, das sich in der Form der Synekdoche äußert. Das Pars pro toto ist „eine der wirksamsten Waffen der Satire, die es mit einer bedrohlichen Wirklichkeit zu tun hat – das satirische Objekt hat sich ja ebenfalls als pars pro toto gezeigt“ (ebd., 371). Die Metonymie fungiert als spiegelbildliche Ergänzung, als Totum pro parte. Synekdoche und Metonymie verengen bzw. erweitern damit das Gemeinte und beeinflussen so die Perspektive, aus der der Rezipient die konstituierte Wirklichkeit der Satire wahrnimmt. Seine Aufgabe ist es dann, die Bezüge der in der Satire vorgefundenen Wirklichkeit zu der gemeinten herauszufinden. Während Synekdoche und Metonymie das Gemeinte eingrenzen bzw. erweitern, dienen Groteske, Ironie, Hyperbel und Emphase der Verzerrung und Verformung des Gemeinten. Als Beispiel für die Groteske nennt Gaier eine Stelle aus dem Ring Heinrichs von Wittenwiler, in der ein Pferd über eine Erbse stolpert. Es sei möglich, dass ein Pferd stolpert und es sei möglich, dass eine Erbse auf der Straße liegt; es sei jedoch unmöglich, dass ein Pferd über eine Erbse stolpert. Auf diese Weise werde die Szene ins Lächerliche gezogen. „Im Grotesken wird ein Teil der gemeinten Wirklichkeit ins Unmögliche verzerrt“ (ebd., 377). Wichtig ist dabei aber, dass in der konstituierten Wirklichkeit das Groteske als Normalität erscheint. Gehalt und Funktion des Grotesken müssen rückübersetzt werden. Das Groteske will die Unmöglichkeit, und das kann nur dadurch geschehen, dass die unmöglichen Elemente als notwendige in die gemeinte Wirklichkeit eingefügt sind. […] Das Widernatürliche soll ohne Bruch mit dem Gewohnten verbunden sein, in ihm erscheinen und es mitbestimmen: es ist die Verzerrung in das Unbekannte hinein, das dem Alltäglichen gerade durch die notwendige Verbindung um so bedrohlicher wird (ebd., 377 f.).

Die Ironie fängt da an, „wo die Aussage gegenüber dem Gemeinten auf irgendeine Weise falsch ist und den Leser zur Rückübersetzung, zur Erkenntnis des eigentlichen Sachverhalts anregt“ (ebd., 382 f.). Ironie ist in diesem Fall nicht einfach nur das Gegenteil des Gemeinten. Vielmehr ist sie insofern eine Verzerrung, als sie nicht die Wirklichkeit als solche, sondern die Einstellung und Bewertung des Sprechers verzerrt repräsentiert: Dieser sagt bewusst etwas Falsches und gibt dieses Falsche auch klar zu erkennen. Auf diese Weise wird dem Rezipienten klar, dass der die Äußerung nicht wörtlich, sondern als verzerrt zu verstehen hat. Die Ironie ist deshalb für die Satire gut geeignet, weil der Satiriker dem Rezipienten das Gemeinte nicht aufdrängt, sondern ihm dessen Erkenntnis überlässt: „Dadurch wird die Eigentlichkeit des Gemeinten und seine Bedeutung um so kraftvoller, tiefer und wirksamer für den Leser, je mühsamer die Auffindung und Richtigstellung war – die Ironie tendiert zur Reduktion der Rückübersetzungssignale bis zum Äußersten“ (ebd., 387).

200 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Die Hyperbel wirkt dadurch verzerrend, dass „sie einen Teil [der Wirklichkeit] quantitativ steigert und übersteigert“ (ebd., 387). Die Hyperbel ist das Stilmittel der Übertreibung, durch das der Rezipient ebenfalls zur Rückübersetzung aufgefordert wird. Sie kann positiv (z.B. Hyperions himmlische Liebe zu Diotima bei Hölderlin) oder negativ (z.B. unmenschliches Verbrechen) eingesetzt werden. In beiden Fällen muss der Rezipient das hinter diesen Übertreibungen Stehende rekonstruieren. Die Emphase schließlich erfüllt das Gemeinte mit einer Bedeutungsintensität, die es normalerweise nicht hat (vgl. ebd., 388). So wird etwa in der Aufforderung Sei ein Mann nicht dazu aufgerufen, ein Mann zu werden, sondern sich nach bestimmten Stereotypen, die als Attribute von Mann gelten, zu verhalten. Auch in diesem Fall ist der Rezipient aufgefordert, Bedeutung und Gehalt der Emphase herauszufinden. Diese vier genannten Tropen bewirken Verzerrung innerhalb eines satirischen Textes und damit die Distanzierung des Rezipienten vom Rezipierten. Zugleich wirkt die Verzerrung aber auch auf den Rezipienten selbst: Er ist aufgefordert, herauszufinden, warum ein Autor ohne zwingenden Grund zum Mittel der Ironie greift; dies ist ein deutliches Rückübersetzungssignal (vgl. ebd., 394). Der Autor seinerseits muss dem Rezipienten Anhaltspunkte geben, in welche Richtung diese Rückübersetzung gehen muss. Dabei ist nicht gewährleistet, dass der Rezipient bei der Rückübersetzung zum Ausgangspunkt des Autors zurückfindet, sondern er kann neue Bedeutungen herausarbeiten: „[J]e irreführender die Ironie war, als desto gewichtigere, bedeutsamere Erkenntnis oder Erfahrung erscheint dem Leser oder Hörer der Fund, den er bei der Richtigstellung gemacht hat“ (ebd.). Die Ironie wird so zum erzieherischen Mittel. Damit ergeben sich drei Funktionen der Verfremdungsmittel: Die Aufgabe und Wirkung der sprachlichen Verzerrungsprozesse in der Satire ist dreifach: die bedrohliche Wirklichkeit wird geschwächt durch Verzerrung und verwandelt durch die Erfüllung mit Bedeutung; das Bewusstsein des Sprechers befreit sich von der Bedrohung seiner Existenz; der Leser oder Hörer wird durch die Forderung der Rückübersetzung veranlasst, in sich die gemeinte bedrohliche Wirklichkeit mit der bestimmten vom Autor gegebenen Bedeutung intensiv zu verwirklichen und ebenfalls zu bekämpfen (ebd., 397; im Text kursiv).

Zu diesen vier Tropen gesellen sich noch weitere rhetorische Mittel, die mit ihnen kombiniert werden und so satirische Wirkung erzielen können. Gaier nennt vor allem den Vergleich und die Metapher. Kombinationen des Vergleichs oder der Metapher mit Groteske, Ironie, Hyperbel und Emphase „bilden ein unerschöpfliches Waffenarsenal für den Satiriker“ (ebd., 404). Durch sie kann der Satiriker sein sprachliches und bildliches Material immer neu variieren und

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kombinieren und so den Rezipienten vor immer neue Herausforderungen stellen. Diese Variationsbreite ermöglicht es dem Satiriker, einen diskontinuierlichen Text zu bilden, in dem der Bruch der Komposition, der Wechsel der Darstellungsmittel und die ständige Aufforderung an die Mitwirkung des Rezipienten zur Normalität werden. Um die Rückübersetzung durch den Leser oder Hörer zu gewährleisten, muss der Satiriker störende, unlogische, inkonsequente, diskontinuierliche Elemente in die Behandlung des Objekts einführen, die den Leser oder Hörer ständig zur Rückübersetzung anregen und nie in ihm den Gedanken aufkommen lassen, der Satiriker meine wirklich nur das, was er sagt und behandelt (ebd., 424).

Dieser Umstand verhindert allerdings auch, dass die satirische Schreibart jemals in all ihren Ausformungen erfasst werden kann.

3.3.1.3.2 Der zeichentheoretische Status der Satire Dieser Fokus, den Gaier in seiner Theorie, die hier nur in Auszügen referiert werden konnte, auf die sprachlichen Mittel der Satire legt, macht seinen Ansatz für eine Weiterentwicklung in eine spezifisch linguistische Theorie der Satire attraktiv. Nun gilt es, die Satire zeichentheoretisch zu erfassen und die Besonderheiten der satirischen Schreibart in die linguistische Theoriebildung zu integrieren. Dabei wird sich zeigen dass nicht nur die von Gaier besprochenen rhetorischen Figuren Satire konstituieren, sondern dass auch andere sprachliche Mittel zu dieser Konstitution beitragen. Als Folie für das Verständnis des Zeichencharakters der Satire kann das Organonmodell Karl Bühlers dienen.99 Zuvor muss jedoch der Rückgriff auf dieses �� 99 Schwind (1988, 34 ff.) geht in seinem semiotisch orientierten, mit dem hier vertretenen durchaus vergleichbaren Ansatz von der Weiterentwicklung von Bühlers Organonmodell durch Roman Jakobson aus. Attraktiv wird das Modell für Schwind deshalb, weil sich damit die Zwischenstellung der Satire zwischen ästhetischem und Gebrauchstext theoretisch fassen lässt: „[I]n der hierarchisierten Teilhabe der anderen Sprachfunktionen‘ sind einerseits für den satirischen Text außer der poetischen bzw. ästhetischen vor allem die appellative und die referentielle Funktion relevant; die appellative steht in Interrelation mit der expressiven, die für die Satire bestimmt werden sollen als emotionale Funktion der Satirikeraggressivität und des Engagements, welche dezidiert adressatengerichtet, also kommunikativ intendiert sind“ (Schwind 1988, 35 f.; Hervorhebungen im Text). Eine spezifisch linguistische Theorie der Satire interessiert sich jedoch weniger für den ästhetischen Charakter der Satire, als vielmehr für die Relation zwischen dem Satiriker, der Referenz in Form der verschiedenen Wirklichkeitsebenen und dem Rezipienten sowie für die sprachliche Gestaltung der konstituierten Wirklichkeit, der Satire, die als Knotenpunkt die Beziehungen zwischen Satiriker und Rezipient überhaupt erst

202 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Modell begründet werden. Denn in Bezug auf das Problem der Referenz und die daraus resultierende Sprachauffassung ergeben sich Schwierigkeiten, die ausgeräumt werden müssen. Sprachliche Äußerungen verweisen nach diskurslinguistischer Auffassung „in ihrer diskursiven Gebundenheit nicht nur auf so genannte ,außersprachliche‘ Wirklichkeiten, sondern sie bringen diese erst hervor“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 48). Diese Grundannahme steht in Opposition zum Organonmodell Karl Bühlers und dessen Weiterentwicklung durch Roman Jakobson, welche einem ontologischen Realismus verhaftet sind. Beide setzen eine sprachunabhängige Welt, auf die sich sprachliche Zeichen beziehen lassen, voraus: Doch die Diskursanalyse dekonstruiert den Gedanken einer Existenz aussagenunabhängiger Wahrheiten bzw. Wirklichkeiten systematisch, weshalb sie auch für linguistische Fragestellungen von zentraler Bedeutung ist. Ohne dass dies beabsichtigt wäre […], verstellen die prominenten Funktionsmodelle von Bühler und Jakobson also die wissenskonstitutive Funktion von Sprache regelrecht (ebd., 53).

Insbesondere die Komponente ,Gegenstände und Sachverhalte‘ bei Bühler bzw. die ,Referenz‘ bei Jakobson erregt die Kritik der Autoren. Sprache referiere nicht auf Gegenstände und Sachverhalte, sondern konstituiere erst das Wissen. Angesichts der Tatsache, dass Bühlers Organonmodell in der hier entworfenen linguistischen Theorie der Satire dennoch als Ausgangsmodell für die zeichentheoretische Erfassung der als Komponente von Diskursen verstandenen Satire herangezogen wird, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Komponente ,Gegenstände und Sachverhalte‘ sehr wohl in das Sprachkonzept der Diskurslinguistik integriert werden kann, wie die obigen Ausführungen zeigen, wenngleich sie modifiziert werden muss. Das Buch Diskurslinguistik von Jürgen Spitzmüller und Ingo Warnke ist ein sprachliches Konstrukt, dessen Funktion darin besteht, die Theorien und Methoden der Diskurslinguistik darzustellen. Die Darstellungsfunktion nach Bühler lässt sich also nicht nur auf eine – wie auch immer gedachte – außersprachliche Wirklichkeit beziehen, sondern auch auf durch sprachliche Konstitution hergestelltes Wissen, das nach dem Sprach- und Wissensbegriff der Diskurslinguistik ohnehin die einzige relevante Wirklichkeit ist. Daher lässt sich m.E. auch mit dem Organonmodell, so�� konstituiert. Auch die von Schwind angesprochene emotionale Funktion der Satire, mittels derer der Satiriker „durch sprachliche Gestaltung zur ,Wirklichkeit‘ Stellung [nimmt] und […] Beziehungen zum Adressaten [aufbaut]“ (ebd., 63), steht nicht im Mittelpunkt der linguistischen Satiretheorie, weil sich aus den Satiren, den primären Quellen, die emotionale psychische Disposition des Satirikers nicht rekonstruieren lässt und sie zudem nicht Gegenstand spezifisch linguistischer Forschung sein kann.

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fern man es etwas modifiziert und der Auffassung der Sprache als konstitutives Medium anpasst, in die Diskurslinguistik integrieren. Davon unberührt bleibt die Berechtigung der Kritik an einer Sprachauffassung, die ontologische Referenz voraussetzt. Bühlers Organonmodell ist ein Modell des sprachlichen Zeichens, das die Pragmatik des Zeichengebrauchs in den Vordergrund schiebt, im Gegensatz etwa zum bilateralen Zeichenmodell de Saussures. Es erfuhr zahlreiche Modifizierungen und Weiterentwicklungen, die wohl bedeutsamste ist die Roman Jakobsons (vgl. Jakobson 1960; 1971, 146–152; vgl. auch die Kritik an Jakobsons Modell durch Coseriu 1994, 76–92). Bühlers Organonmodell hat also den Vorteil, dass es viele Anbindungsmöglichkeiten enthält.

Abb. 1: Das Organonmodell von Karl Bühler (1934; 1999, 28)

Für die zeichentheoretische Erfassung der Satire ist das Organonmodell als Grundlage deshalb gut geeignet, weil die drei wesentlichen Komponenten, Satiriker, Rezipient und Bezug zur ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit analog zu Sender, Empfänger und Gegenständen und Sachverhalten gesetzt werden können. Wie oben bereits erwähnt, kann die Satire als komplexes sprachliches Zeichen

204 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse angesehen werden, das in mehrfachem Funktionszusammenhang zwischen Satiriker (Sender), Rezipient (Empfänger) und der ,außersprachlichen‘ Wirklichkeit (Gegenstände und Sachverhalte) steht. Die Satire steht als sprachliches Zeichen im Mittelpunkt und ist mit der dargestellten Wirklichkeit identisch. Die Komponente ,Gegenstände und Sachverhalte‘ muss gegenüber Bühler differenziert werden: Sie fächert sich in die oben genannten Wirklichkeitsebenen intendierte Wirklichkeit, wahrgenommene Wirklichkeit und konstituierte oder dargestellte Wirklichkeit auf. Aus den drei Komponenten ergeben sich, analog zum Organonmodell, drei Funktionen: –





Die intendierte Wirklichkeit des Satirikers bezieht sich auf den Rezipienten, der dazu gebracht werden soll, die in der Satire propagierte Norm zu realisieren. Die Satire hat also die Funktion, den Rezipienten zu einer bestimmten Handlung und Haltung zu überreden und ihn von ihr zu überzeugen. Diese Funktion kann man persuasive Funktion nennen. Die wahrgenommene Wirklichkeit bezieht sich auf den Satiriker, der durch die Satire die wahrgenommene Wirklichkeit angreift und ihr die intendierte Wirklichkeit entgegensetzt. Letztere soll vom durch den von der Satire beeinflussten Rezipienten realisiert werden. Der wahrgenommenen Wirklichkeit wird also ein Sollen gegenübergestellt, weshalb man mit Fritz Hermanns (1986, 1989 u.ö.) von einer deontischen Funktion sprechen kann. Die konstituierte oder dargestellte Wirklichkeit ist diejenige, die in der Satire zur Darstellung gebracht wird. In ihr wird durch den Satiriker die wahrgenommene Wirklichkeit verzerrt und überzeichnet zu dem Zweck, den Rezipienten zur Realisierung der intendierten Wirklichkeit zu bewegen. Da hier die Konstitution einer zwischen intendierter und wahrgenommener Wirklichkeit oszillierenden Wirklichkeit im Fokus steht, kann von einer konstitutiven Funktion der Satire gesprochen werden. Konstituiert wird durch die Satire ein diskontinuierlicher Text, der die oben beschriebenen Wirkungen auf den Rezipienten haben soll.

Dieses Modell ist als Heuristik zu verstehen, den überaus heterogenen Begriff der Satire mit linguistischen Methoden zu erfassen. Schematisch kann es folgendermaßen dargestellt werden:

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Abb. 2: Das hier vertretene Modell der Satire

Das Oval in der Mitte repräsentiert die Satire als sprachliches Zeichen, die mit der Komponente ,dargestellte Wirklichkeit‘ identisch ist. Einerseits wird der Satiriker durch die wahrgenommene Wirklichkeit affiziert. Andererseits verarbeitet er die Eindrücke der ,wahrgenommenen Wirklichkeit‘ kognitiv, verknüpft die einzelnen Wahrnehmungen und bildet sich ein Urteil aufgrund seiner eigenen Vorstellungen, der ,intendierten Wirklichkeit‘. Wenn er zu dem Urteil kommt, dass die ,wahrgenommene Wirklichkeit‘ defizitär ist, d.h. wenn er den Schluss zieht, dass die Diskrepanz zwischen seiner wahrgenommenen und seiner intendierten Wirklichkeit zu groß ist, so konstituiert er die Satire als ,dargestellte oder konstituierte Wirklichkeit‘, welche erstens die Funktion hat, eine Wirklichkeit zu konstituieren, welche die wahrgenommene Wirklichkeit in verzerrter Form widerspiegelt und zugleich das Ideal der intendierten Wirklichkeit durchscheinen lässt. Der Rezipient, der die Satire liest, sieht oder hört, hat die Aufgabe, einerseits die dargestellte Wirklichkeit in die wahrgenommene Wirklichkeit zurückzuübersetzen und andererseits die intendierte Wirklichkeit zu erkennen. Die Satire hat zum einen persuasive Funktion, sie soll den Rezipienten von den Mängeln der vom Satiriker wahrgenommenen Wirklichkeit überzeugen und ihn dazu bringen, die Mängel selbst wahrzunehmen und die wahrgenommene Wirklichkeit des Satirikers zu akzeptieren. Zum anderen, und das ist das Entscheidende, hat sie aber auch deontische Funktion: Sie soll den Rezipienten dazu bringen, die intendierte Wirklichkeit zu erkennen, sie als bessere

206 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Alternative zur wahrgenommenen Wirklichkeit anzuerkennen und auf ihre Realisierung hinzuarbeiten. Die beiden Pfeile, die vom Rezipienten ausgehen, sind gestrichelt, um anzudeuten, dass diese Pfade nicht verfolgt werden müssen. Es ist durchaus möglich, dass Satire vom Rezipienten nicht oder nicht mehr als solche verstanden wird. So sind etwa im Laufe der Zeit Jonathan Swifts Gullivers Reisen oder das Tierepos Reineke Fuchs zu Kinderbüchern und Kindermärchen mutiert, weil ihr satirischer Charakter nicht mehr verstanden wurde. Und wenn die satirische Absicht nicht oder nicht mehr verständlich ist, so erfüllt sie auch weder die persuasive noch die deontische Funktion, der Rezipient akzeptiert die wahrgenommene Wirklichkeit nicht als defizitär und versucht auch nicht, die intendierte Wirklichkeit zu realisieren. Hinzu kommt auch die historische Distanz: Wenn die wahrgenommene Wirklichkeit des Rezipienten zeitlich nicht mehr die des Satirikers ist, dann kann die Satire die persuasive und die deontische Funktion ebenfalls nicht mehr erfüllen. Diese, wie dargelegt auf der Satiretheorie Ulrich Gaiers und dem Organonmodell Karl Bühlers aufbauende linguistische Theorie der Satire soll ein Schritt hin zu dem Ziel sein, die Satire zu einem Forschungsgegenstand der Linguistik zu machen. Die bisherigen Ausführungen sollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Satiren Texte sind, die zwar wie jeder andere Text mit linguistischen Mitteln beschreib- und interpretierbar sind, die aber durch ihre spezifische Art, Sprache einzusetzen und Interpretationsanstrengungen des Rezipienten zu provozieren, eine besondere Komplexität aufweisen, die den Versuch einer systematischen Beschreibung verdient. Diese Theorie wurde im Hinblick auf die Satire des 17. Jahrhunderts und speziell im Hinblick auf Grimmelshausen entwickelt. Ob sie auch auf Satiren anderer Autoren und anderer Jahrhunderte anwendbar ist, wird sich zeigen müssen.

3.3.1.3.3 Sprachliche Merkmale der Satire Die sprachliche Konstitution der Satire erfolgt durch verschiedenste Mittel auf allen Ebenen der Sprache oberhalb der Graphemebene. Dabei werden „normalsprachliche lexikalische Einheiten im satirischen Text […] im System des Textes funktionalisiert“ (Schwind 1988, 45 f.). Es wird sich aber zeigen, dass die sprachlichen Mittel zwar primär, aber nicht ausschließlich auf lexikalischer und semantischer Ebene anzusiedeln sind. Auf der Ebene der Wortbildung können durch unübliche und ungewöhnliche Wortbildungsprodukte satirische Effekte erzielt werden. Gerade sprachge-

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wandte Autoren wie Grimmelshausen100 können durch geschickte Kombinationen in der Wortbildung beim Leser Lacheffekte erzielen und zugleich eine satirische Wirkung entfalten. Im Teutschen Michel findet sich hierfür ein interessantes Beispiel: Assa foedita nennen wir wegen seines bösen Geruchs Teuffelsdreck; was gebührt aber hingegen dem Assa dulcis vor ein teutscher neuer Name wegen seiner Lieblichkeit? vielleicht Engelsdreck? Ey pfuy / das wär ja so närrisch und gottloß geredet / als unflätig und schändlich es lautet (TM, T 29).

Hier überträgt Grimmelshausen das lateinische Bezeichnungsmuster auf die deutschen Ausdrücke, wobei das Substantiv Teufelsdreck bereits etabliert war (vgl. DWB Bd. 21, Sp. 282). Das gemeinsame Grundwort der beiden Komposita, Dreck, wird beibehalten, während analog zu den lateinischen Bezeichnungen die beiden Bestimmungswörter in ein Antonymieverhältnis gesetzt werden. Für Komik sorgt dabei die Tatsache, dass die Bezeichnungsmotivation für Teufelsdreck, nämlich der üble Geruch der Pflanze, nur im Bestimmungswort von Engelsdreck ins Positive gewendet wird, während das Grundwort Dreck mit der hier virulenten Bedeutung ›Kot‹ beibehalten wird und es so das Sakrale profaniert und fast schon blasphemisch wirkt. Mit einer Interjektion des Abscheus und negativ wertenden Adjektiven (närrisch, gottloß, unflätig, schändlich) wird diese Bezeichnung sofort wieder verworfen. Die Passage steht im Kontext der Auseinandersetzung mit den Verdeutschungsversuchen der Fremdwortpuristen. Indem er mit der Übersetzung Engelsdreck für assa dulcis die Praxis der Fremdwortverdeutschung ins Lächerliche zieht, stellt er deren Absurdität heraus und greift ihre Verfechter auf indirekte Weise an. Das Kompositum Engelsdreck als Analogiebildung zum nach dem DWB bereits ein Jahrhundert zuvor bei Josua Maaler belegten Teufelsdreck kann als groteske Verzerrung der Verdeutschungsversuche verstanden werden. Damit steht hinter dem Kompositum Engelsdreck eine satirische Absicht. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht, dass das Wortbildungsmittel der Kontamination bereits in der Frühen Neuzeit wirkungsvoll eingesetzt werden konnte. Im Roman Wunderbarliches Vogelnest II nutzt der Ich-Erzähler, ein habgieriger Kaufmann, den Aberglauben der Juden aus, um seine sexuelle Gier an der �� 100 Die folgenden Beispiele sind alle Grimmelshausens Texten entnommen. Dies lag nahe, weil Grimmelshausen der zentrale Autor ist, um den sich diese Arbeit dreht. Die folgende Liste sprachlicher Mittel zur Konstitution von Satire ist daher nicht exhaustiv, da andere Autoren andere Mittel verwendet haben können. Für andere Autoren dürfte das Arsenal sprachlicher Mittel der Satirekonstitution etwas anders ausfallen. Im Übrigen halte ich auch für Grimmelshausen die folgende Aufzählung keineswegs für vollständig.

208 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse schönen Jüdin Esther zu befriedigen. Nach einer längeren Passage, in der der Aberglaube der Juden, ihr Glaube an den künftigen Messias, dargestellt wird101, wird dieser Aberglaube als „Lugenden und Fabelpossen“ (WV II, B 554, T 231) bezeichnet. Lugende ist eine Kontamination aus Legende und Lüge. Beide Ausdrücke sind semantisch eng verwandt. Die Legende ist nach DWB Bd. 12, Sp. 535 eine ›erzählung aus dem leben der heiligen‹. Das Wort konnte dann auch mit der Nuance ›unbeglaubigte, also in ihrem Wahrheitsgehalt nicht gesicherte Erzählungen‹ verwendet werden. So wurde es bereits von Luther negativ umgedeutet: „wer der heiligen lügenden s. Christoff, Georg, Barbara, Catharina, Ursula, und der on zal, mit jren wundern aufbracht“ (Luther, zitiert nach DWB, Bd. 12, Sp. 535; auch die obige Stelle aus Vogelnest II wird als Belegzitat angeführt). Die Kontamination Lugende ist also nicht Grimmelshausens Erfindung, doch er setzt sie ein, um die Geringschätzung des Kaufmanns gegenüber dem jüdischen Glauben zu kennzeichnen. Die satirische Spitze liegt weniger in dem sich hier äußernden Antijudaismus, der im 17. Jahrhundert weit verbreitet war, sondern darin, dass der Kaufmann den jüdischen Aberglauben für unlautere Zwecke ausnutzt und so seine antijudaistische Einstellung als äußerst fragwürdig erscheint, weil er als Christ die Juden aus Gier betrügt und damit das Klischee, die Juden betrügen die Christen aus Geldgier102, konterkariert. Im Bereich der Lexik können Okkasionalismen und Neologismen satirische Wirkungen entfalten. Okkasionalismen sind Gelegenheitsbildungen, die zumeist Wortspielcharakter haben und häufig komische Effekte erzielen. Mit ihnen verwandt und oft nicht klar von ihnen zu trennen sind Neologismen. Während jedoch Okkasionalismen meist Hapaxlegomena bleiben, etablieren sich Neologismen im Sprachgebrauch zumindest einer Gruppe der Sprachbenutzer. Ob eine Neubildung ein Okkasionalismus bleibt oder häufiger Verwendung findet, lässt sich erst ex post feststellen. Ein Indiz zur Unterscheidung ist die Behandlung im DWB. Nicht selten wird im Wörterbuchartikel eine Passage �� 101 Dies ist aus zeitgenössischer christlicher Sicht schon deshalb Aberglaube, weil der Messias längst gekommen ist: „Da verstehen sie / der kleinest auß den Juden werde zu ihres Messiae Zeiten zu vielem Volck werden / und wollen indessen die verblende Leut nicht sehen / daß diese Weissagung an den Jüngern und Aposteln deß HErrn Christi in kurtzer Zeit / und gleichsam in höchster Eyl erfüllet worden“ (WV II, B 553, T 231). 102 Vgl. WV II, B 576, T 250: „Jch habe mir sagen lassen / daß an einigen unteutschen Orten Gewinsichtige Juden etlichen gailen Huren-Hengsten auß den Christen […] Judendirnen zugeführt / als wären solches gemeine Weiber auß Christlichem Geschlecht gewest / und hernach damit glorirt / daß sie solche Sünder so Meisterlich übervortheilt“. Sprachsoziologisch interessant ist folgende Passage: „[E]s ist gefährlich mit den Juden zu handeln / wann sie miteinander anfahen zu Hebraeeln / wie viel mit dem leidigen Teufel / wann man mit ihm in einer unverständlichen Sprach contrahirt“ (WV II, B 641, T 306; vgl. unten, 5.8).

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aus Grimmelshausens Werk als einzige Belegstelle angegeben. Dies spricht dafür, dass das entsprechende Wort im gesamten umfangreichen Korpus des DWB nur dieses eine Mal belegt ist. Ein echter Beweis dafür, dass das Wort tatsächlich ein Hapaxlegomenon ist, liegt dann aber keineswegs vor. Wörter, die nach dem DWB nur bei Grimmelshausen belegt sind, sind u.a. anblümen (WV I, B 364, T 64), feuerfähig (Cont, B 615, T 516), Gespeuk (WV II, B 518, T 200) oder Schenkgelte (WV I, B 303, T 7). Nicht alle diese Bildungen sind vor dem Hintergrund satirischer Absicht entstanden. Oft handelt es sich vermutlich, wie im Falle von Gespeuk, um landschaftliche Ausdrücke, die den Weg in die Schriftsprache nicht gefunden haben und untergegangen sind oder nur in den Dialekten weiter existieren. Ein Okkasionalismus mit eindeutig satirischer Absicht ist jedoch das Substantiv Ehebieger (das ins DWB nicht aufgenommen wurde). Es findet sich im 24. Kapitel des I. Buchs des Simplicissimus. Der Titelheld, nach langem Aufenthalt im Wald und vom Einsiedler gottesfürchtig erzogen, stößt sich am gottlosen Verhalten der Hanauer Bürger. Besonders erbost ist er über das Verhalten eines Ehebrechers, der mit dem Ehebruch prahlt; daraufhin weist ihn ein Zuhörer zurecht, worauf sich folgender Dialog entwickelt: O kahle Rach! antwortet ein ehrbar Gemüt / so dabey stunde / dardurch man sein eigen Gewissen beflecket / und den schändlichen Nahmen eines Ehebrechers überkompt! was Ehebrecher? antwortet er ihm mit einem hönischen Gelächter / ich bin darumb kein Ehebrecher / wenn ich schon diese Ehe ein wenig gebogen habe; diß seynd Ehebrecher / worvon das sechste Gebot sagt / allwo es verbeut / daß keiner einem andern in Garten steigen / und die Kirschen ehe brechen solle / als der Eigenthums-Herr! Und daß solches also zu verstehen seye / erklärte er gleich darauff / nach seinem Teuffels-Catechismo / das siebende Gebot / welches diese Meynung deutlicher vorbringe / in dem es sagt: Du solt nicht stelen / etc. Solcher Wort trieb er viel / also daß ich bey mir selbst seufftzt und gedachte: O Gottslästerlicher Sünder! du nennest dich selbst einen Ehebieger / und den gütigen Gott einen Ehebrecher / weil er Mann und Weib durch den Todt voneinander trennet; meynestu nicht / sagt ich auß übrigem Eyfer und Verdruß zu ihm / wiewol er ein Officier war / daß du dich mit diesen gottlosen Worten mehr versündigest / als mit dem Ehebruch selbsten? (ST, B 87 f., T 67).

An dieser Stelle tritt kaum ein Verfremdungseffekt zutage, die Kritik am Ehebruch selbst wird durch die Kritik an der Prahlerei mit der Sünde überlagert, bevor Simplicius am Schluss der Passage resigniert die weite Verbreitung der Sünde konstatiert. Verfremdungseffekte werden lediglich durch zwei Okkasionalismen hervorgerufen, einmal durch den Teuffels-Catechismus, zweitens eben durch Ehebieger. Der menschliche Ehebieger erscheint harmloser als der göttliche Ehebrecher, der Mann und Frau durch den Tod voneinander trennt. Simplicius hält diesen Gedanken für gotteslästerlich. Diese negative Wertung wird

210 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse durch die Bildung Ehebieger unterstützt. Denn der Andere behauptet bloß, dass er die Ehen biege, das Kompositum Ehebieger als Parallelbildung zu Ehebrecher (beide Komposita haben ein identisches Bestimmungswort, aber verschiedene durch personifizierendes -er-Suffix von Verben abgeleitete substantivische Grundwörter mit enger semantischer Verwandtschaft) stammt von Simplicissimus, der damit einerseits den Gedanken seines Gegenparts konsequent weiterspinnt und ihn andererseits durch die scheinbare Verharmlosung ironisiert. Doch nicht nur Okkasionalismen und Neologismen können satirische Effekte entwickeln, sondern auch im Kontext unerwartete Bezeichnungen. Ein Beispiel hierfür findet sich im Vogelnest II: Der unsichtbare Kaufmann beobachtet seinen geckenhaften Kammerdiener, der verzweifelt versucht, die Gunst der Beschließerin zu gewinnen und schließlich, als alle Bemühungen nicht fruchten, seinen Degen zieht und mit Selbstmord droht. Die Szene wird vom Erzähler so beschrieben: Darauff zoge er seinen grausamen Froschgicker / seinen Blutdurstigen Degen wolt ich sagen / von Leder / den ich billich grausam nenne / weil er seines eygenen Herrn Lebens nicht verschohnen wolte / und stellete sich damit in eine postur, wie Saul etwan gestanden seyn mag / als er in sein eygen Schwerd fiele (WV II, B 486 f., T 173).

Das Verhalten des Dieners wird schon durch die Anspielung auf Sauls Selbstmord in 1 Sam. 31, 4 ironisiert. Vollends lächerlich gemacht wird es aber durch die Kollokationen grausamer Froschgicker und blutdurstiger Degen. Die Adjektivattribute, die zudem gewöhnlich Lebewesen zugeordnet werden, deuten ein schlimmes Ereignis an, werden aber durch die Substantive, zu denen sie attribuiert werden, konterkariert. Der Degen steht für die geckenhafte alamodische Erscheinung des Dieners (die noch durch das in postur stellen unterstrichen wird). Das Substantiv Froschgicker jedoch erscheint unerwartet und ungewöhnlich, was auch durch den metakommunikativen Kommentar wolt ich sagen, durch den sich der Erzähler scheinbar verbessert, bestätigt wird. Nach dem DWB ist ein Froschgicker ›ein kleiner, schlechter degen oder säbel, höchstens vermögend einen frosch zu stechen (gicken)‹ (DWB, Bd. 4, Sp. 252).103 Durch die Bezeichnung des Degens als Froschgicker, also als ,minderwertiger Degen‘, werden Aufzug und Verhalten des Dieners der Lächerlichkeit preisgegeben. Letztlich fügt sich die Passage in die zeitgenössische Alamode-Kritik ein.

�� 103 Zwar wird die hier besprochene Stelle als einziger Belegtext im DWB zitiert, allerdings wird die Symptomwertangabe „noch heute in der Wetterau, in Hessen üblich“ (DWB, Bd. 4, Sp. 252) angeführt, so dass davon auszugehen ist, dass Grimmelshausen als gebürtigem Gelnhausener das Wort durch den heimischen Dialekt geläufig war, er es aber nicht erfunden hat.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 211

Zugleich zeigt dieses Beispiel auch, dass die Wortwahl von entscheidender Bedeutung ist. Es kommt darauf an, welches Element eines lexikalischen Feldes verwendet wird. Unauffällig sind prototypische Verwendungen, in diesem Fall etwa Degen oder Schwert. Dagegen ist die Verwendung des Lexems Froschgicker ungewöhnlich und damit auffällig, da es als Regionalismus zur Peripherzone des Wortfeldes HIEB- UND STICHWAFFE gehört und somit für die meisten Rezipienten erklärungsbedürftig ist. Das ungewöhnliche Wort hemmt also das Verständnis und wirkt so als Aufmerksamkeitssignal für den Leser. Es unterstützt damit speziell an dieser Stelle die komische und letztlich satirische Wirkung der Szene und prinzipiell die Aufmerksamkeitssteuerung auf bestimmte Textstellen. Eine besondere Möglichkeit, in der Figurenrede durch die Lexik für satirische Effekte zu sorgen, sind Verballhornungen. Solche werden häufig gering Gebildeten in den Mund gelegt, die versuchen, ohne Fremdsprachenkenntnisse fremdsprachige Wörter auszusprechen und sich auf diese Weise bloßstellen. Sie werden am Ende des VI. Kapitels des Teutschen Michel als Menschen charakterisiert, die mit einer Bildung prahlen wollen, die sie nicht besitzen (vgl. TM, T 37 sowie unten, 5.5). Als solcher wird etwa der Knan charakterisiert, der in der 3. Materia des Ewig-währenden Calenders sagt: [D]er Bawr antworttet / ich hab mein lebtag gehört ein ehrlicher vom Adel wie ich euch vor einen ansehe / halte sein Wort / darumb will ich eben so mehr uff solche Paloren die Warheit sagen (wann ich deren nur versichert bin) und lebendig darvon kommen / als stillschweigen oder gar ligen und im See versauffen (EC, 3. Materia, 118)

Hier liegt eine einfache Verdrehung der Konsonanten (Parolen zu Paloren) vor. Ähnlichen Zwecken dienen die Verballhornungen von Simplicius’ Namen, der etwa von einem intellektuell offenbar eingeschränkten Dragoner stets Simbrecht genannt wird: „Botz Glück Simbrecht, (dann er konte den Nahmen Simplicius nicht behalten) sagte er unterwegs“ (ST, B 222, T 182). Der Erzählerkommentar unterstützt den satirischen Effekt. Fast ohne Erzählerkommentar kommt folgende Stelle aus: „Fragten auch deßwegen etliche Weiber die zu nechst an unserm Weg Häw dörreten; die berichten uns so gut sie kondten und verstunden / nemblich es wäre der Zimpelsüssus / der auff seiner grossen Klotz-Geige so auffmachte (RP, B 656, T 7). Der Erzähler konstatiert lediglich, dass sich die Frauen so gut ausdrücken, wie sie es kondten und verstunden, ohne daraus weitere Bemerkungen zu ihrem Bildungsstand abzuleiten. Allerdings berichtet er, dass seine Begleiter und auch er selbst über diese merkwürdige Auskunft lachten.

212 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Noch deutlicher wird der satirische Effekt in der Häufung, in der solche Verballhornungen in Rathstübel Plutonis auftreten, als der Knan die anderen Gesprächspartner beurteilt (vgl. RP, B 708–710, T 57–59). An dieser Stelle ist jedoch weniger die mangelnde Bildung des Knans das Ziel des satirischen Angriffs, sondern es sind die beschriebenen Personen, die der satirischen Kritik ausgesetzt werden. Der Adlige Secundatus wird Secundrarus genannt. Hier liegt eine Kontamination der lateinischen Adjektive secundus ›günstig, geneigt‹ und rarus ›selten‹ vor, so dass der Adlige Secundatus als ,selten Geneigter‘ charakterisiert wird (vgl. auch den Stellenkommentar Dieter Breuers in dessen Ausgabe). Am anderen Ende der Ständehierarchie steht die Zigeunerin Courasche, die als Zeugrumerin ›Wäsche-Wegräumerin‹, also ›Wäschediebin‹ bezeichnet wird. Der Kaufmann Collybius wird zu Vollybius verballhornt, ›Voll wirst du gehen‹, und aus dem Wirt Alcmaeon wird „Alckmamon oder Altmammon“, eine Verballhornung, die sich mit ›alter Geizhals‹ übersetzen lässt. Die Verballhornungen des Knans dienen also der satirischen Ständekritik. Doch nicht nur den ungebildeten Bauern werden solche Verballhornungen in den Mund gelegt, Grimmelshausen benutzt sie auch, um die Einstellung seiner Hauptfiguren zu unterstreichen, etwa in folgender Passage: Einsmals kam ein Laquey / der sprach meinen Monsig. Canard an / und bracht ihm meinetwegen ein Brieflein / eben als ich bey ihm in seinem Laboratorio sasse / und reverberirte / (denn ich hatte auß Lust bey meinem Doctor schon perlutirn / resolvirn / sublimirn / coagulirn / digerirn / calcinirn / filtrirn / und dergleichen unzehlich viel Alkühmistische Arbeit gelernet / dadurch er seine Artzneyen zuzurichten pflegte) (ST, B 361, T 300)

Auch hier werden zwei Lexeme kontaminiert, nämlich alchemistisch und Kuhmist, und auch hier entpuppt sich die vermeintliche Verballhornung als Folge der Unwissenheit letztlich als raffinierte Verschleierung der Zweifel, die Simplicissimus offensichtlich an der alchemistischen Praxis hegt. Ein interessanter Fall ist die Form Sandt Nitglaß im Anfangskapitel des Simplicissimus: Seine Fenster waren keiner anderer Ursachen halber dem Sandt Nitglaß gewidmet / als darumb / dieweil er wuste / daß ein solches vom Hanff oder Flachssamen an zu rechnen / biß es zu seiner vollkommenen Verfertigung gelangt / weit mehrere Zeit und Arbeit kostet / als das beste und durchsichtigste Glas von Muran / dann sein Stand macht ihm ein Belieben zu glauben / daß alles das jenige / was durch viel Mühe zu wegen gebracht würde / auch schätzbar / und desto köstlicher sey / was aber köstlich seye / das seye auch dem Adel am anständigsten (ST, B 18, T 10).

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Die Beschreibung des Hauses des Knans ist für den Leser ein erstes Signal, dass er es mit einem satirischen Text zu tun hat (wenn man einmal vom Titelkupfer und der Titelseite absieht). Das grobe und schlichte Bauernhaus mitten im Spessart wird durch die ironische Beschreibung zum Palast eines Adligen gemacht. Letztlich wird der Bauer dem Adligen gleichgestellt. Dieses erste Beispiel einer verkehrten Welt zeigt sich in der zitierten Passage: Das Fenster im Bauernhaus ist wegen des Aufwandes, den es zum Flechten des Hanfs und des Flachses zu ölgetränktem Papier braucht, mühevoller zu bekommen und darum wertvoller als das wertvolle venezianische Glas aus Muran, das in den Fenstern adliger Häuser sitzt. Daher auch der ironische Rat, die Adligen sollten sich solche Fenster zulegen, wie sie in den Bauernhäusern zu finden sind. Die Ironie kulminiert im Wortspiel Sandt Nitglaß, das erstens auf Sand als wichtigen Rohstoff zur Glasherstellung, zweitens auf das fehlende Glas in den Fenstern im Haus des Knans und drittens auf den heiligen Niklas anspielt104. Die Verballhornungen dienen also einerseits der ironischen Charakterisierung des Sprechers, können andererseits aber auch sinnreiche (im Sinne des 17. Jahrhunderts: argute) Mittel der Satire sein, z.B. in den obigen Fällen der Stände- und der Wissenschaftssatire. Die Semantik ist prototypisch der Kernbereich der Konstitution von Satire auf lexikalischer Ebene. Bereits die obigen Erläuterungen zur Wortbildung und Lexik kamen ohne Verwendung semantischer Beschreibungskategorien nicht aus. Satire wird, wie oben festgestellt, durch auffällige Brechung gewohnter Sprachgebrauchsmuster erzeugt. Ungewohnte Wortbildungsprodukte und Okkasionalismen wie Engelsdreck und Ehebieger erzeugen allein durch die durchsichtige, nicht idiomatisierte Wortsemantik (›Kot eines Engels‹ bzw. ›Bieger einer Ehe‹) satirische Effekte. Diese kommen aber erst durch den Kotext zu voller Entfaltung, wenn der Engelsdreck mit dem Teufelsdreck und der Ehebieger mit dem Ehebrecher in Beziehung gesetzt werden. Daher ist auch die satz- und textsemantische Ebene zu beachten. Unter Umständen kann die semantische Extension eines Wortes weit über den Einzeltext hinausgehen, so dass es auch unter diskurssemantischen Kategorien beschreibbar wird.105 �� 104 Einen sachlichen Grund, warum ausgerechnet auf St. Niklas angespielt wird, gibt es m.W. nicht, er wurde wohl ausschließlich wegen des Wortspiels gewählt. 105 Ein interessantes Beispiel hierfür ist das Konzept des ,Tanzes‘. Der Tanz ist an exponierten Stellen in Grimmelshausens Gesamtwerk negativ konnotiert, am deutlichsten im letzten Kapitel des I. Buchs des Simplicissimus (vgl. ST, B 114 f., T 89 f.). An anderen Stellen wird der Tanz als Tugendhemmnis und lasterhaftes Verhalten beschrieben und in den Texten entsprechend sanktioniert, z.B. in der folgenden Anekdote: „Anno 1280. tantzen viel Mann und Frawen zu Massiers vff der Bruck / ein Priester mit dem H. Sacrament passirt vorüber / dem aber von den

214 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Es können aber auch ausdrucksseitig gewöhnliche Wörter satirische Funktion einnehmen, besonders dann, wenn sie in ungewöhnlicher textueller Umgebung stehen und dadurch auffällig werden. Ein Beispiel dafür findet sich in folgender Passage aus dem 13. Kapitel des I. Buchs des Simplicissimus: Da es nun sahe / als ob diese Reuter in ihrer tyrannischen Grausamkeit gantz unsinnig worden wären / kam ein solcher Schwarm bewehrter Bauren auß dem Wald / als wann man in ein Wespen-Nest gestochen hätte / die fiengen an so greulich zu schreyen / so grimmig darein zu setzen / und darauff zu schiessen / daß mir alle Berg gen Haar stunden / weil ich noch niemals bey dergleichen Kürben gewesen (ST, B 52, T 38).

Der junge Simplicius wird Zeuge, wie sich eine Schar Bauern gegen marodierende Soldaten zur Wehr setzt. Er ist von den Grausamkeiten, die er sieht, so entsetzt, dass ihm die Berg gen Haar stehen. Als Grund für dieses Entsetzen gibt er an, dass er noch nie bei einer solchen Kürbe dabei war. Ungewöhnlich ist hier die Verwendung des Substantivs Kürbe, andere Substantive wie Gefecht, Scharmützel oder Schlacht wären ,sachangemessener‘. Statt dieser zu erwartenden Wörter setzt Grimmelshausen hier das semantisch eigentlich unpassende Kürbe ›Kirchweih‹ (vgl. DWB, Bd. 11, Sp. 2796). Er wendet hier ein Verfahren an, das man mit dem Terminus ,semantische Anreicherung‘ erfassen kann: Kürbe bedeutet an dieser Stelle eben nicht ›Kirchweih‹, sondern ›Gefecht, Scharmützel, Schlacht‹. Die Wortbedeutung wird also um ein Semem erweitert. Diese semantische Anreicherung erfährt der Ausdruck Kürbe nur an dieser Stelle bzw. eventuell an anderen Stellen, in denen sich der Autor selbst zitiert, ist also okkasionell. Gleichwohl bleibt die Bedeutung ›Kirchweih‹ dennoch erhalten, zumal nur wenige Zeilen später das Beobachtete mit dem Ausdruck Kurtzweil bezeichnet wird (ST, B 53, T 38), das mit Kürbe in semantischer Beziehung steht. Die Erfahrung der Grausamkeit des Krieges ist jedoch keineswegs eine kurzweilige Veranstaltung wie ein Kirchweihfest, sondern sie erregt bei Simplicius Entsetzen und nimmt ihm „bey nahe den Lust / die Welt zu beschauen“ (ebd.). Die Verwendung der Ausdrücke Kürbe und Kurtzweil ist also letztlich bittere Ironie und

�� Tantzenden kein Ehr widerfuhr / zerbrach die Bruck und ersoffen über 200. Menschen in der Moß“ (EC, 2. Materia, 14; vgl. auch ebd., 18/20). Im Satyrischen Pilgram wird der Tanz explizit als Erfindung des Teufels bezeichnet (SP, T 54) und formal Gott gegenübergestellt, indem über ihn fast nichts Positives gesagt wird, während über Gott nichts Negatives gesagt werden kann. Die negative Bewertung des Tanzes war in der moralsatirischen Literatur weit verbreitet, z.B. bei Sebastian Brant (Narrenschiff, 149 f.), Aegidius Albertinus (Hirnschleiffer, 173) und Christian Weise (Ertznarren, 225 f.), so dass der Tanz als satirisches Konzept diskurssemantisch zu beschreiben wäre.

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hebt als solche die Mängel der kriegerischen Welt hervor. Sie sind es, die an dieser Stelle den satirischen Effekt bewirken. Auch die anderen von Ulrich Gaier genannten Mittel der Satire (Metonymie, Synekdoche, Groteske, Hyperbel, Emphase, Vergleich, Metapher, vgl. 3.3.1.3.1) sind auf semantischer Ebene anzusiedeln. Ihnen allen ist der ungewöhnliche Wortgebrauch, der durch diese Kontextualisierung ungewöhnliche, zu interpretierende Wort-, Satz- und unter Umständen sogar Textbedeutungen bewirkt, gemeinsam. Ein Beispiel für den Einsatz des Grotesken bei Grimmelshausen ist die Darstellung des Hexentanzes auf dem Blocksberg im 17. Kapitel des II. Buchs des Simplicissimus, die in folgender Schilderung ihren Höhepunkt findet: Jn diesem Lermen kam ein Kerl auff mich dar / der hatte ein ungeheure Krott unterm Arm / gern so groß als eine Heerpaucke / deren waren die Därm auß dem Hindern gezogen / und wieder zum Maul hinein geschoppt / welches so garstig außsahe / daß mich darob kotzerte (ST, B 178, T 144).

Die Groteske entsteht dadurch, dass eine Kröte, in der zeitgenössischen Emblematik106 ein Tier, das Teufeln und Hexen sowie der Sünde zugeordnet wird (vgl. die Episode im Galgen-Männlin, B 751 f, T 87 f.), zu einem Musikinstrument gemacht wird, indem ihre Därme zu Saiten zweckentfremdet werden. Dieser Anblick ist für Simplicius so ekelhaft, dass er sich übergeben muss. Doch in dieser Groteske allein liegt noch nicht das eigentlich Satirische. Dieses entsteht dadurch, dass durch die Umfunktionierung der Kröte als Kreatur des Teufels zu einem Musikinstrument auch Musik und Tanz der teuflischen Sphäre zugeordnet werden (vgl. Anm. 105). Grimmelshausen ordnet tatsächlich zumindest die Unterhaltungsmusik dem Teufel zu, ja er behauptet sogar, der Tanz sei vom Teufel erfunden worden. Durch die groteske Zweckentfremdung der Kröte werden also Musik und Tanz semantisch und symbolisch mit dem Teufel verbunden, indem die Kröte hier okkasionell neben der zeitgenössischen Lesern geläufigen Konnotation ›Tier des Teufels bzw. der Hexen‹ der musikalischen Sphäre zugeordnet wird. Dass die Erzählperspektive mit ihrer Differenzierung zwischen erzählender Gegenwart und erzählter Vergangenheit durch variierende semantische Relationen satirische Effekte bewirken kann, wurde an anderer Stelle gezeigt (Rosenberger 2014b, 276 f.).

�� 106 Nach Henkel/Schöne 1967, Sp. 601 ist die Kröte als giftiges Tier und Symbol der Heimtücke bekannt. Im Volksglauben gilt die Kröte u.a. als Verkörperung der Hexen und als Teufelsund Hexentier (vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5, Sp. 608–635).

216 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Auch auf der Ebene der Kollokationen und Phraseologismen können satirische Effekte entstehen. In dem oben bereits zitierten Abschnitt über den Angriff der Bauern auf die marodierenden Soldaten (vgl. 214) findet sich der Phraseologismus Berg gen Haar stehen, eine ironische Variante des noch heute üblichen Phraseologismus jm. die Haare zu Berge stehen ›entsetzt, erschrocken sein‹, in der die einzelnen lexikalischen Elemente vertauscht sind. Der Phraseologismus wird in Vogelnest I noch einmal variiert: „vom Zusehen stunden mir alle Haar gen Berg“ (WV I, B 427, T 122; vgl. auch KJ, B 61, T 56). Auch hier ist er Ausdruck des Entsetzens, denn der Erzähler beobachtet in dieser Situation einen Hirten, der Sodomie zu betreiben im Begriff steht. Es zeigt sich, dass die Komik und der Verfremdungseffekt, der durch das Vertauschen der lexikalischen Elemente entsteht, auch in diesem Fall durch die kindliche Perspektive des Simplicius bedingt sind, der mit der Situation überfordert ist und so den Phraseologismus durcheinanderbringt. Hier wird allerdings weniger die Differenz zwischen Erzähler und Erzähltem virulent als vielmehr die bittere Ironie des retrospektiven Erzählers, die schon bei der Interpretation der Wörter Kürbe und Kurtzweil festgestellt worden war. Die bisherigen Ausführungen zur sprachlichen Konstitution der Satire betrafen die Lexik. Ob es auf der Ebene der Syntax für die Satire spezifische Formen gibt, ist zweifelhaft, wäre aber zu prüfen. Dies kann nicht im Rahmen dieser Arbeit, die primär lexikologisch orientiert ist, geschehen. Denkbar sind aber Mittel wie die Inversion, also die Abweichung von der zu erwartenden Reihenfolge der Satzglieder zur Hervorhebung bestimmter Satzteile. Da dies jedoch ein wichtiges Mittel der Rhetorik und Dichtung ist, sollte ihre spezifische Bedeutung für die Satire nicht überschätzt werden. Erfolgversprechender könnte der Versuch sein, die Übertragung fremdsprachlicher Satzbaumuster (z.B. des lateinischen AcI) auf die deutsche Syntax im Rahmen der Sprachsatire nachzuweisen. Kurz sei noch erwähnt, dass auch ganze Argumentationsstrukturen Satire konstituieren können. So kann etwa das XII. Kapitel des Teutschen Michel, in dem die Stammworttheorie parodiert wird, als sprachsatirisches Element aufgefasst werden: Grimmelshausen nimmt die Betonung der Einsilbigkeit der Stammwörter auf und konstituiert durch Weglassen der unbetonten Nebensilbe eine Reihe einsilbiger Wörter. Diese Möglichkeit, das als am häufigsten verwendeten Buchstaben um eine so große Zahl verringern zu können, ist für ihn dann ein Argument für den Reichtum und die Überlegenheit der deutschen Sprache gegenüber anderen. Hier liegt eine satirische Überzeichnung der Stammworttheorie vor, da das Argument zwar ernst gemeint erscheint, jedoch nicht einmal im Ansatz stichhaltig ist und auch nicht sein soll (vgl. dazu Kap. 5.7) Satire kann sprachlich also mindestens durch Wortbildung, Lexemgebrauch, semantische Anreicherung, rhetorische Figuren (Metapher, Metonymie

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 217

etc.), Phraseologismen und Argumentationsstrukturen konstituiert werden. Dies sind bei weitem nicht alle Mittel. Vielfach kommen zudem Mischformen und gegenseitige Überlagerung und Unterstützung der satirischen Mittel vor. Nicht selten wird die Satire auch einfach durch die Diskrepanz zwischen wahrgenommener und dargestellter Wirklichkeit konstituiert, so etwa im 15. Kapitel des V. Buchs des Simplicissimus, wo der Titelheld dem Sylphenfürsten paradiesische Zustände auf der Erde beschreibt, wo es keine Kriege und Meinungsverschiedenheiten gebe, wo alle tugendhaft, fromm und keusch lebten und wo nur Tugend und Harmonie herrschen würden (vgl. ST, B 507–509, T 426 f.). Hier konnte Grimmelshausen wohl auf den Einsatz satirischer Mittel wie den oben beschriebenen verzichten, wohl mit Ausnahme der Hyperbolie, weil die Utopie, die hier entfaltet wird, von den Zeitgenossen nicht anders als als kritische Bestandsaufnahme der tatsächlichen Zustände und als Beschreibung eines wahren Nicht-Orts verstanden werden konnte. All diese Mittel auf verschiedenen sprachlichen Ebenen berücksichtigend kann die Satire als komplexes sprachliches Zeichen aufgefasst werden, das als solches Gegenstand der Linguistik ist. Auf der niedrigsten Ebene, der Wortbildung und Lexik (auf rein phonologischer oder graphematischer Ebene ist wohl keine Satire möglich) kann Satire ebenso konstituiert werden wie auf Text- und sogar auf Diskursebene: Das Wort Froschgicker wird in Vogelnest II verwendet, um einen Gecken und sein Verhalten lächerlich zu machen. Es ist Teil eines satirischen Textes, der verschiedene menschliche Laster überzeichnet darstellt und kritisiert. Dieser Text wiederum ist Bestandteil eines Autordiskurses, der in den moralsatirischen, alamodekritischen und in weitere Diskurse eingeordnet werden kann. Es zeigt sich also Konstituentenstruktur, in der die einzelnen Bausteine jeweils für sich oder im textuellen oder diskursiven Kontext betrachtet werden können.

3.3.2 Satire im 17. Jahrhundert Während die Satire der Antike sich noch in festen Gattungskonventionen bewegte (Verssatire, Prosasatire), wurde dieses starre System im Mittelalter aufgelockert, so dass sich Satire nicht mehr auf bestimmte Gattungen beschränkte. Seit dieser Zeit kann Satire nicht mehr gattungstheoretisch erfasst, sondern es muss ihre Realisation anhand der Schreibart herausgearbeitet werden (vgl. oben, 3.3.1.1). All den verschiedenen Formen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Satire ist gemeinsam „die aggressive Kritik gegenüber gesellschaftlichen oder moralischen Missständen, aber auch gegenüber Institutionen oder Einzelpersonen, die verspottet u[nd] verhöhnt, verzerrt u[nd] überzeichnet

218 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse werden sollen, um auf diese Weise um so eindringlicher vor ihnen warnen zu können“ (Röcke 2000, 787b). Besonders das 16. Jahrhundert gilt als Blütezeit der Satire, in der sie sich mit bis dahin nie gekannter Vielfalt und Schärfe entfaltete. Geistesgeschichtlicher Hintergrund für diese Blüte sind Reformation und Humanismus, wobei schon bald sowohl von katholischer als auch von protestantischer Seite konfessionelle Polemiken entstanden, in denen häufig Gegner persönlich angegriffen und denunziert wurden. Daneben wurden revueartige Lastersatiren, Entwürfe einer verkehrten Welt, Gesellschaftssatiren oder Narrensatiren verfasst. Röcke (2000, 788) unterscheidet für das 16. Jahrhundert vier Grundtypen der Satire anhand ihrer Funktionsweisen: 1. Die lehrhaft-moralische Satire (divina satyra): Dazu zählen neben Sebastian Brants Narrenschiff (1494) auch Thomas Murners vorreformatorische Satiren Narrenzunft und Narrenbeschwörung (beide 1512). Dieser Typus ist im Prinzip eine Fortführung der mittelalterlichen Moraldidaxe: Unterschiedliche Typen moralisch und intellektuell verwerflichen Verhaltens aller Stände werden durch Aneinanderreihung revuehaft präsentiert, kommentiert und kritisiert. Entscheidend ist hierfür die Figur des Narren, der die Grenzen des Akzeptablen im christlichen und sozialen Leben überschreitet. Dieser Typ der Satire ist ernst, die Texte sind nicht unterhaltend oder gar komisch: „Offensichtlich ist im System moralischen Ernstes kein Platz für das lachende Vergnügen an Lastern u[nd] Fehlern“ (Röcke 2000, 788). 2. Die Gesellschaftssatire bzw. komische Entwürfe einer verkehrten Welt: Darunter fallen das niederländische Tierepos Reynke de vos (1498), das Lalebuch (1597) oder Friedrich Dedekinds Grobianus (1549), auch spätmittelalterliche Schwankromane wie etwa Hermann Botes Ulenspiegel (1510/11). Bei diesem Typ von Satire wird ein Gesamtbild der feudalen Gesellschaft der Zeit entworfen und gleichzeitig komisch in Frage gestellt. Die Gesellschaftssatire deckt die Missstände, die hinter der Fassade der gesellschaftlichen Ordnung stehen, auf und kritisiert Gewalt, Übervorteilung, Betrug usw. Dabei bedient sie sich häufig des Mittels der ,verkehrten Welt‘, das die Indirektheit des Angriffs garantiert. Die Gesellschaftssatire setzt eine aggressive Komik ein, die durch den moralischen Zweck der Satire, die gesellschaftlichen Missstände zu beenden, legitimiert wird. Letztlich bedient sich der Typ der ,verkehrten Welt‘ der „negative[n] Didaxe“ (ebd., 790a). 3. Die kontroverstheologische Satire (satyra illudens): Hier wird der konfessionelle Gegner verhöhnt und seine Riten und Überzeugungen werden ins Lächerliche gezogen. Hierzu gehören die Epistolae obscurorum virorum (1515)

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 219

aus der Vorgeschichte der Reformation, Personensatiren wie Pirckheimers Eckius dedolatus (1520)107 oder Thomas Murners Von dem großen Lutherischen Narren (1522), Ulrich von Huttens Dialoge, etwa Phalarismus (1517) oder Johann Fischarts Konfessionspolemiken wie Die Legende vom vierhörnigen Hütlein (1580). In dieser Form, die in der Reformationszeit zur vorherrschenden Form der gesamten literarischen Produktion wurde, geht es darum, den konfessionellen Gegner nicht nur theologisch, sondern auch persönlich zu verunglimpfen, seine moralische Haltung und seine intellektuellen Fähigkeiten in Frage zu stellen. Dominant wird hier eine Unterart der Satire, das Pasquill. Diesen Satiren geht es nur noch sekundär um theologische oder moralische Normen, ihr primäres Ziel ist „die Denunziation u[nd] Zerstörung des theolog[ischen] Gegners“ (Röcke 2000, 790b). 4. Die satyra ludens schließlich ist die komische Infragestellung überkommener Überzeugungen und Denkmuster, z.B. das Lob der Torheit des Erasmus von Rotterdam (1511) oder Johann Fischarts Geschichtklitterung (1575). Obwohl diese Texte zu den bekanntesten Schriften ihrer Autoren gehören, blieb dieser Typ der Satire ohne Nachfolge. Während die lehrhaft-moralische Satire einen konsequenten Dualismus von Tugend und Laster propagiert, stellt die satyra ludens diesen Dualismus in Frage und verweist auf die Ambivalenz einzelner Tugenden und Laster, wie etwa der Titel von Erasmus’ Schrift bereits zeigt, in der dieser der Torheit auch einen Anteil am menschlichen Glück zugesteht und so weit über die traditionelle Narrensatire hinausgeht.108 Während das Pasquill der kontrovers-theologischen Satire im 17. Jahrhundert mehr und mehr verschwand109 und die satyra ludens keine Nachfolge fand, setz-

�� 107 Pirckheimers Verfasserschaft ist nicht gesichert; vgl. dazu Könneker 1991, 156. 108 Zur Satire des 16. Jahrhunderts vgl. auch Könneker 1991 mit zahlreichen Einzelanalysen. 109 Theoretisch wurde das Pasquill zwar noch behandelt, etwa durch Gerhard Johannes Vossius (1577–1649), der in seinem Commentatorium rhetoricorum (1630) die Gesinnung des Autors als Unterscheidungskriterium ansetzte und zwischen dem ,freundschaftlichen Gemüt‘ (ab amico animo) und dem ,feindlichen Gemüt‘ (ab animo inimico) unterschied. Erstere habe die Absicht zu nützen, letztere zu schaden (vgl. Trappen 1994, 95). Diese Unterscheidung lief darauf hinaus, dass „im Pasquill Personen und in der Satire Laster herabgesetzt werden“ (ebd., 96). Dass diese Unterscheidung nicht so einfach ist und sich in der Praxis der Satire oft nicht aufrechterhalten lässt, war schon den zeitgenössischen Theoretikern klar. Zudem führte die böse Absicht des Pasquills manche Poetiklehrer dazu, es zu verbieten, so etwa Daniel Georg Morhof in seinem Unterricht von der deutschen Sprache und Poesie (1682, 2. Auflage 1700): „Eine Satyre ist ein Gedichte / darinnen die heimlichen Laster / die bey etlichen Personen im Schwange gehen / gestraffet und hönisch auffgezogen werden / und hat zur Endursache / die Verbesserung der Sitten. Jst derohalben von den Pasquillen unterschieden / welche ehrliche Leute anrüchtig ma-

220 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse te die Barockzeit die Tradition der beiden ersten Typen der Satire fort. Lehrhaftmoralische Satire und Gesellschaftssatire traten aber verstärkt in Mischformen auf, so dass die beiden Typen nicht mehr streng voneinander getrennt werden können.110 Autoren wie Aegidius Albertinus und Johann Michael Moscherosch gehören jedoch stärker zum ersten Typ, wenn sie auch Elemente des zweiten Typs mit einbeziehen. Bei Grimmelshausen ist das Verhältnis umgekehrt. Den vorherrschenden Satiretyp des 17. Jahrhunderts kann man mit dem Terminus ,Moralsatire‘ bezeichnen. Das Normsystem, das für die satirische Literatur des 17. Jahrhunderts die Hintergrundfolie bildet, ist das Christentum. Die weltlich orientierte Satire fordert vom Menschen, dass er sich in die gottgewollte Ordnung einfügt.111 Die geistlich orientierte Satire dagegen will den Christen vor dem Verlust seines �� chen / und also billig nicht gelitten werden“ (Morhof, Unterricht, 354). Auch Sigmund von Birken erteilt dem Verfassen von Pasquillen indirekt eine Absage: „[Satiren] müßen nicht zu beißig seyn / sondern mit dem Vorsatz / andere freundlich zu unterrichten und zu bäßern / geschrieben werden“ (Birken, Rede- Bind und Dicht-Kunst, 308). Oft wurden Pasquille auch von der Zensur kassiert, was Autoren wie Christian Reuter mehrfach erfahren mussten (vgl. Trappen 1994, 97). In der Grimmelshausen-Deutung ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Figur des M. Canard (Simplicissimus, IV. Buch, Kap. 2–4) ihr reales Vorbild im Straßburger Arzt Johann Küffer (1614–1674) hat, auf dessen 1661 gekauftem Lehngut, der Ulenburg, Grimmelshausen 1662–1665 Schaffner war, und der offenbar ein ehrgeiziger und nach sozialem Aufstieg strebender Mann war (vgl. Schäfer 1992b). Grimmelshausen zeichnet Canard als hoffärtigen und geltungssüchtigen Mann, der danach strebt, in den Adel aufgenommen zu werden. Bei der Schilderung des M. Canard handelt es sich jedoch um kein Pasquill, da der Arzt letztlich als Repräsentant für das Laster der Hoffart fungiert. „Wäre Grimmelshausen hingegen ein Pasquillant, müssten natürlich auch die angeblich gemeinten Personen hinreichend deutlich erkennbar sein; an genau diesem Punkt scheiterten die Interpretationen, die allein auf die Herausstellung autobiographischer Inhalte aus waren“ (Trappen 1994, 97). 110 Exemplarisch können die Ausführungen Opitz’ herangezogen werden, der beide Typen implizit behandelt und zugleich auf wesentliche Merkmale der Satire (kritische Haltung, Normorientierung, Agonalität, Reflexivität) Bezug nimmt: „Zue einer Satyra gehören zwey dinge: die lehre von gueten sitten vnd ehrbaren wandel / vnd höffliche reden vnd schertzworte. Ihr vornemstes aber vnd gleichsam als die seele ist / die harte verweisung der laster vnd anmahnung zue der tugend: welches zue vollbringen sie mit allerley pfeilen / vmb sich scheußt. Vnd haben alles Satyrische scribenten zum gebrauche / das sie vngeschewet sich vor feinde aller laster angeben / vnd jhrer besten freunde ja jhrer selbst auch nicht verschonen / damit sie nur andere bestechen mögen“ (Opitz, Poeterey, 365). Zwar beschränkt sich Opitz auf die Verssatire (er nennt als Beispiele Horaz, Juvenal und Persius), doch die Darstellung ist auch auf die Prosasatire anwendbar. 111 Zu dem das gesamte 17. Jahrhundert beherrschenden Gedanken der gottgewollten universalen Ordnung, die alle Bereiche des Lebens, also die staatliche, religiöse, soziale, wissenschaftliche, künstlerische usw. Organisation umfasste, vgl. Maurer 1999, 72–77 sowie Gardt 1994a, 189–226.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 221

Seelenheils bewahren, der eintritt, wenn die weltlichen Verhaltens- und Glaubensnormen überschritten werden. Beide Aspekte sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig: Wer ein frommes und tugendhaftes Leben führt, der nützt der Gesellschaft, in der er lebt und bewahrt sein Seelenheil und hat somit Aussicht auf ein erfülltes Leben im Diesseits und einen glücklichen Seelenzustand im Jenseits. Grundlagen für die Moralphilosophie der Barockzeit waren daneben auch die moralphilosophischen Schriften von Aristoteles, Cicero, Seneca, Plutarch, der Stoa und der Patristik, insbesondere des Augustinus (vgl. dazu umfassend Schäfer 1992a). Auf diesen Grundlagen bauten neuere moralphilosophische Werke wie etwa die Ethica des Justus Georg Schottelius auf. Zusammen mit der christlichen Theologie bildeten diese moralphilosophischen Schriften die Grundlage für die Moralvorstellungen der Zeit. Anhand von Argumentationssystemen wie den sieben Todsünden, der Affektenlehre (zur Affektenlehre vgl. Ort 1999) oder der Güterlehre wurden in moralphilosophischen und auch in satirischen Schriften Normenkataloge erstellt und dem Leser vermittelt. Satirische Schriften der Zeit können diese Normenkataloge ex negativo anhand der Darstellung der Laster zum Ausdruck bringen, positiv in Form von Figuren, die in den Satiren die Rolle des Mentors der jungen, die Welt noch nicht kennenden Hauptfigur einnehmen und dieser die Normen durch Einführung in die christliche Ethik vermitteln. Solche Mentoren in satirischen Texten sind etwa Expertus Robertus in Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald, Gelanor in Weises Ertznarren oder der Einsiedler in Grimmelshausens Simplicissimus; im letzten Text bleiben die Einweisungen durch den Tod des Einsiedlers unabgeschlossen, weshalb sich Simplicissimus, die Lehren des Mentors und – wie sich später herausstellt – Vaters vergessend, in die Sünde verstrickt und sich erst spät auf die beim Einsiedler erlernten Normen besinnt. Dichtung erfolgte im 17. Jahrhundert auf der Grundlage einer konventionalisierten Zeichensprache. In Wort und Bild wurden diese konventionalisierten Zeichen in Form von Emblemen eingesetzt (zur Emblematik vgl. das Handbuch von Henkel/Schöne 1967 sowie Osterkamp 1999). Diese Embleme waren im 17. Jahrhundert Allgemeingut und deshalb jedem verständlich. Auch die Satire griff zur Vermittlung der Normen auf die allgemein bekannte Emblematik zurück. Daher waren die Leser der Satire durch das Wissen über die Konventionen in der Lage, die Embleme zu entziffern und in die Normbegriffe und Normkategorien zu übersetzen. Diese Übersetzungsleistung macht auch den aktiven Teil der Leistung des Rezipienten aus, der in die Satire mit einbezogen wird. Für den Rezipienten der Gegenwart wie für den wissenschaftlichen Interpreten heißt das, dass er sich in das heute nicht mehr gültige System von Normen und Kon-

222 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse ventionen der Emblematik einfinden muss, um zu einem adäquaten Verständnis der Satire zu gelangen. Ein Beispiel für den Einsatz der Emblematik auf der Ebene der Text-Bild-Beziehungen ist das Titelkupfer von Grimmelshausens Courasche:

Abb. 3: Titelkupfer der Courasche

Dieter Breuer beschreibt dieses Kupfer unter Rückgriff auf die bekannten Bildsymbole der Zeit: [D]ie Titelillustration dieses Romans ist mit Inschrift (Banderole), Pictura und ,Erklärung des Kupffers‘ auf der Rückseite des Titelblatts allegorisch-emblematisch angelegt. Die Pictura zeigt Courasche auf distelfressendem Esel als Personifikation des Geizes. Sie ist umgeben von saturnischen Kreaturen (Fledermaus, Eule, Basilisk). Geweih und Hirschkäfer stehen ebenso wie die Biene für sexuelle Gier, die Heuschrecke ist biblisch verbürgtes Sinnbild der Strafe Gottes. Die Zigeuner im Hintergrund verweisen auf unstetes Wanderleben, ebenso der Kranich über Courasche. Der junge Zigeuner im Vordergrund steht für

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 223

die ungleiche, sündhafte Liebe, die Gegenstände, die aus Courasches Mantelsack fallen, für Hoffart und Torheit (Breuer 1999, 79).

Diese im Titelkupfer eingesetzten Bildsymbole sind dem heutigen Leser zum großen Teil unverständlich und bedürfen eines Kommentars. Für den zeitgenössischen Leser dürfte jedoch bereits beim Betrachten des Titelkupfers durch die Identifikation der Attribute der avaritia und der Referenz dieser Attribute (vgl. dazu Breuer 1999, 87) klar gewesen sein, dass er es mit einem satirischen Text, der ein „negatives Exempel“ (Hillenbrand 2002, 48) vorstellt, zu tun hat. Dass aber gerade Grimmelshausen mit den Lesererwartungen spielt und Courasche keineswegs einseitig als Negativfigur gezeichnet hat, sondern vielmehr die verschiedenen Perspektiven der Courasche und des fiktiven Autors Philarchus Grossus von Trommenheim gegeneinanderhält, hat die neuere Forschung herausgearbeitet (z.B. Breuer 2002b, Eilert 2002, Heßelmann 2002, Streller 2002 u.a.; vgl. aber auch die Forschungsmeinungen, die Courasche als Negativbild ansehen, u.a. Feldges 1969, Hillenbrand 1998 und 2002 sowie Solbach 1986; vgl. dazu zusammenfassend Breuer 2002a). Folgt man der Forschungsmeinung, die der Figur der Courasche eine gewisse Ambivalenz bescheinigt, die durch verschiedene Figurenperspektiven konstituiert ist, so hat man mit den Beziehungen zwischen dem Titelkupfer der Courasche und dem Text selbst ein instruktives Beispiel für die Vielstimmigkeit im Grimmelshausenschen Autordiskurs und die Vielschichtigkeit von Grimmelshausens Gesamtwerk, die es einer eindeutigen Interpretation zu verschließen scheint. Exemplarisch wird im Folgenden eine der einflussreichsten Satiren des 17. Jahrhunderts etwas ausführlicher besprochen, nämlich Johann Michael Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald (1640 ff.; vollständig: 1650). Es handelt sich dabei um eine deutsche Bearbeitung der Satiren des Spaniers Francisco de Quevedo (gedruckt 1627). Primäres satirisches Mittel ist die Vision, das Gesicht, weshalb es sich um eine Variante der Traumsatire handelt (vgl. dazu unten, 3.3.3.2). In der Vorrede legt Moscherosch die Absichten der Schrift dar: Er beklagt, dass die „Alte Teutsche Redligkeit bey vns nunmehr [wenig] geachtet und befürdert“ und stattdessen „die neüe frembde vntreu hoch erhaben vnd verehret werde“ (Moscherosch, Gesichte, 5). Sein Anliegen ist damit ein patriotisches, der Schutz des Vaterlandes. Hauptfigur und Ich-Erzähler ist der junge Philander von Sittewald, der sich auf eine Reise nach Frankreich macht, um festzustellen, ob dort „Treu vnd Religion, Glauben vnnd Redlichkeit auch also vermummet“ sind wie in Deutschland, oder ob sie dort besser belohnt und geehrt werden (ebd., 11). Im ersten Gesicht, Schergen-Teuffel, werden in einer Art verkehrten Welt die Verdammten in der Hölle als die eigentlichen Teufel dargestellt, die die Satane quälen und pei-

224 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse nigen. In den weiteren Gesichten des ersten Teils folgen Ständesatiren und Satiren über einzelne Berufsstände, etwa über Winkeladvokaten oder die Astrologen. Insgesamt entwirft Moscherosch ein umfassendes Sittenbild seiner Zeit. Das erste Gesicht des zweiten Teils mit dem Titel A la Mode Kehrauß steht mit seiner antifranzösischen Alamode-Kritik in direktem Zusammenhang mit dem zeitgenössischen sprachpatriotischen Diskurs; er nimmt viele Elemente dieses Diskurses auf oder initiiert sie.112 Außerdem ist der Einfluss der Gesichte allgemein auf Grimmelshausen und des A la Mode Kehrauß speziell auf dessen Teutschen Michel vielfach bezeugt (vgl. etwa Breuer 1999, 234, auch Bierbüsse 1958; 2014, 34–36).113 Daher lohnt sich ein genauerer Blick auf diesen Textabschnitt. Philander gerät unfreiwillig auf die Burg Geroldseck, wo sich der Sage nach die alten teutschen Helden wie Ariovist oder Arminius versammeln, um den Deutschen, wenn diese in Not geraten, zu Hilfe zu kommen. Dort wird ihm durch den ,altteutschen‘ König Ariovist vorgeworfen, ein welscher Spion zu sein, ein Verräter, der mit den Feinden Deutschlands zusammenarbeite, die der „Ehrlichen Teutschen Mannheit vnd Dapfferkeit“ verhöhnten und deren „Auffrichtigkeit vnd Trewe“ verspotteten (ebd., 130). In einer Gerichtsverhandlung wird die Frage erörtert, inwiefern Philander als Deutscher anzusehen sei. Nachdem seine gesamte äußere Erscheinung fundamentaler Kritik unterzogen worden ist, wird auch Philanders Sprache nicht verschont: [J]st euch das Wälsche Gewäsch mehr angelegen als die Mannliche Heldensprach ewrer Vorfahren? was hastu in solchen Gesichten mit Wälschen, Lateinischen, Grichischen, Jtalianischen, Spannischen Worten vnd Sprüchen vmb dich zuwerffen gehabt? meynstu, das man darumb glaube, das du alle solche Sprachen gelernet? warumb legstu dich nicht dieselbe zeit vber auff deine Muttersprach, solche in einem Ruff vnd rechten Gebrauch zubringen, vielmehr, als einer ausländischen Zungen also zu Diensten zu sein? (ebd., 167).

Eine solche „Sprach verkätzerung“ (ebd.) sei Zeichen der Untreue gegenüber dem Vaterland, die Vorfahren seien keine solchen „Mischmäscher“ (ebd.) gewesen. Unter Verwendung des Topos vom Uraltertum der Deutschen Sprache und dem der Ableitung des Französischen aus dem Lateinischen verweist Ariovist auf den höheren Wert der deutschen Sprache gegenüber der französischen, weil ja deine werthe Mutter-sprach den andern nicht wirde nachgeben, in dem die Wälsche Sprachen meistentheils ihren Vrsprung von der Lateinischen haben, die vnserige

�� 112 Vgl. dazu auch Kühlmann 1994, 127–132 und neuerdings Hanstein 2013, 342 f. 113 „Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass der T[eutsche] M[ichel] ohne Gr[immelshausens]s Kenntnis des ,Alamode Kehrauß‘ auf weiten Strecken anders ausgefallen wäre“ (Bierbüsse 1958; 2014, 35).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 225

aber von anfang her von vnserem Vranherrn Thuitscho von sich, als eine wahre Haubtvnnd Helden-sprach, selbst bestehet (ebd.).

Er verbindet den Sprachgebrauch mit der Ehrlichkeit und Tugendhaftigkeit des Sprechers: Jch meyne, […] der Ehrliche Teutsche Michel hab euch Sprach-verderbern, Wälschen Kortisanen, Concipisten, Cancellisten, die ihr die alte Mutter-sprach mit allerley frembden, Lateinischen, Wälschen, Spannischen vnd Frantzösischen Wörtern so vielfältig vermischet, verkehret vnd zerstöret, so das sie ihr selbst nicht mehr gleich siehet vnd kaum halb kan erkant werden, die Teutsche Warheit gesagt! (ebd, 168 f.).

Für Ariovist ist die Muttersprache angeboren und damit die natürliche Ausdrucksweise für jeden Menschen. Der Gebrauch fremder Sprachen ist für ihn widernatürlich: Ein Hund fange nicht an zu miauen und eine Katze belle nicht: „Nun sind warhafftig in seiner Natur ein Teutsches festes Gemüth vnd ein Schlipfferiger Wälscher Sinn anderst nicht als Hund vnd Katzen gegeneinander geartet; vnd gleichwohl wollet Jhr vnverständiger als die Thiere Jhnen wider allen danck nacharten?“ (ebd., 169). Philanders Versuche, diesen Sprachgebrauch mit den Gepflogenheiten am Hofe, denen man sich anpassen müsse, zu rechtfertigen, werden von den Königen abgeschmettert. Die Könige, die sowohl als Ankläger als auch als Richter fungieren, konstituieren eine klare Frontlinie zwischen der Teutschen Redlichkeit und Auffrichtigkeit, der Teutschen Dapfferkeit und dem redlichen Teutschen Hertz und der französischen Heucheley, Schmeichelei, Gleißnerey und Auffschneiderey. Deutsche, die den Franzosen in Mode, Verhalten und Lebensart folgen, sind für sie alamodische Weichlinge und Franzosen liebende Teutschlinge. Auffällig ist die mehrfache Korrelation von (Sprach-)Volk und Geschlecht, wobei die Paare deutschMann und französisch-Frau mit eindeutigen Wertungen belegt werden: „[D]u Alte Mannheit, du Alte Teutsche Dapfferkeit vnd Redlichkeit, wo bistu hien verflogen?“ (ebd., 158). Wenn Frauen sich wie die Alamodisten verhielten, so sei dies ihrer „angebohrne[n] Weychheit, Schwachheit vnd Vorwitz“ (ebd.) geschuldet, doch wenn sich Männer so verhielten, würden sie zu „rechten Weibern vnd Mämmen“ (ebd.). Diese Weichheit wird schließlich auch mit körperlicher Schwäche und Krankheit in Verbindung gebracht: Philander sei ein „Tropff“, der vor Schwäche kaum noch stehen könne: „[S]o erweiben, erweychen vnnd erzärteln sie sich mit ihrem vppigen Wesen“ (ebd., 161). Der negative Einfluss des Komplimentierwesens auf die Deutschen wird mit der unnatürlichen Verkehrung der Geschlechter gleichgesetzt, die sprachlich effektvoll im Artikelgebrauch angezeigt wird: „Der Weib will die Hosen anhaben, die Mann will den Rock anziehen“

226 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse (ebd., 182). Der konstatierte sittliche und moralische Verfall Deutschlands wird damit deutlich mit Geschlechterstereotypen verwoben. Die antifranzösische Stoßrichtung des Textes muss wohl kaum näher erläutert werden.114 Sehr viel wichtiger ist die Fülle an Topoi, Motiven und Bildern, die Moscherosch entweder aus dem sprachpatriotischen Diskurs übernommen oder selbst in diesen implementiert hat. Durch ihre weite Verbreitung gewannen die Gesichte enormen Einfluss auf die Zeitgenossen, so dass es wahrscheinlich ist, dass viele Motive und Bilder durch diesen Text distribuiert wurden. Zudem ist er auch auf seinen satirischen Gehalt im Sinne der obigen Theorie abzuklopfen. Philander wird von Ariovist und den anderen germanischen Königen vor allem wegen seiner ,welschen‘ Tracht und seines ,welschen‘ Gebarens, zu dem auch sein Sprachgebrauch gehört, angeklagt. Zunächst ist auffällig, dass niemand, nicht einmal Philander, die Legitimation des Gerichts in Frage stellt, vor das er gezogen wird. Offensichtlich ergibt sich die Legitimation des Tribunals aus dem Gegenstand der Verhandlung: Philander ist Deutscher, verhält sich aber nicht als solcher. Ihm sind diese Verfehlungen auch durchaus bewusst, seine Verteidigungsstrategie richtet sich auf die Notwendigkeit der Orientierung an der französischen Sprache und Kultur. Er zeigt sich letztlich schuldbewusst und nimmt seine Strafe ohne Klage an. Daraus ergibt sich, dass die Satire die Gerichtsverhandlung als konstituierte Wirklichkeit nutzt, um wahrgenommene Wirklichkeit und intendierte Wirklichkeit, die Norm, einander gegenüberzustellen. Dabei sind die Könige als Ankläger und Richter und auch Expertus Robertus als Verteidiger Vertreter der Norm, Philander ist Repräsentant der wahrgenommenen Wirklichkeit, der im Sinne der Norm verändert werden soll. Dies entspricht durchaus dem Aufbau der Gesichte: „Ist im ersten Teil die vanitas der Welt Kriterium der Satire, so wird im zweiten Teil versucht, diese wieder in einem Affirmierten, ja in einer Norm zu fundieren“ (Arntzen 1989, 229). Der Reihe nach werden die äußeren Zeichen der „Wälsche[n] Laster“ (Moscherosch, Gesichte, 140) einer satirischen Kritik unterzogen: Name, Hut, Frisur, Bart, Kleidung, Gebärden, Sprache. Dabei wird vorausgesetzt, dass die äußeren Zeichen mit der inneren Haltung korrespondieren und das Urteil verlangt folgerichtig sowohl eine Veränderung dieser äußeren Zeichen als der inneren Haltung: Philander muss nicht nur seine Kleidung und seinen Bart den deutschen Gepflogenheiten anpassen, sondern auch selbst gegen Fremdwörter

�� 114 Gerade die Betonung der Oberflächlichkeit und der Schwächlichkeit, ja Kränklichkeit der Franzosen verweist bereits auf das in der Spätaufklärung virulente Konzept vom ,Deutschfranzosen‘ (vgl. dazu Scharloth 2003 und 2005, 362–399).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 227

im Deutschen zu Felde ziehen, also die intendierte Wirklichkeit selbst durchsetzen helfen. Philander ist damit einerseits Teil des Gegenstands der Satire, andererseits soll er selbst zum Satiriker gemacht werden. Im Gesicht Soldaten-Leben wird ihm schließlich noch einmal der Prozess gemacht, weil er Satiren verfasst hat: „Satire wird zum Gegenstand der Satire“ (Arntzen 1989, 229). Dass Moscheroschs oben beschriebene ,Genderisierung‘ der Kulturkritik auf Grimmelshausen eingewirkt hat, wird anhand folgender Passage im 19. Kapitel des I. Buchs des Simplicissimus deutlich, das die Ankunft des bis dato ausschließlich im Wald lebenden und entsprechend wild aussehenden Simplicius in Hanau und dessen Konfrontation mit der französischen Tracht schildert und auf engem Raum in nuce den Inhalt des A la Mode Kehrauß wiedergibt: [A]lso betrachtet ich […] ihres Officiers dollen Auffzug / dem ich Red und Antwort geben muste; Jch wuste nicht / ob er Sie oder Er wäre / dann er trug Haar und Bart auff Frantzösisch / zu beyden Seiten hatte er lange Zöpff herunder hangen wie Pferds-Schwäntz / und sein Bart war so elend zugerichtet / und verstümpelt / daß zwischen Maul und Nasen nur noch etlich wenig Haar so kurtz darvon kommen / daß man sie kaum sehen konte: Nicht weniger setzten mich seine weite Hosen / seines Geschlechts halber in nicht geringen Zweiffel / als welche mir vielmehr einen Weiber-Rock / als ein paar Manns-Hosen vorstelleten. Jch gedachte bey mir selbst / ist diß ein Mann? so solte er auch einen rechtschaffenen Bart haben / weil der Geck nicht mehr so jung ist / wie er sich stellet: Jsts aber ein Weib / warumb hat die alte Hur dann so viel Stupffeln umbs Maul? Gewißlich ists ein Weib / gedacht ich / dann ein ehrlicher Mann wird seinen Bart wol nimmermehr so jämmerlich verketzern lassen; massen die Böcke auß grosser Schamhafftigkeit keinen Tritt unter frembde Heerden gehen / wenn man ihnen die Bärt stutzet. Und demnach ich also im Zweiffel stunde / und nicht wuste / was die jetzige Mode war / hielte ich ihn endlich vor Mann und Weib zugleich. Dieses männische Weib / oder dieser weibische Mann / wie er mir vorkam / liesse mich überall besuchen / fande aber nichts bey mir / als ein Büchlein von Bircken-Rinden / darinn ich meine tägliche Gebet geschrieben / […] solches nam er mir; weil ichs aber ohngern verlieren wolte / fiel ich vor ihm nider / faßte ihn umb beyde Knie / und sagte: Ach mein lieber Hermaphrodit, last mir doch mein Gebetbüchlein! Du Narr / antwortet er / wer Teuffel hat dir gesagt / daß ich Herman heisse? Befahl darauff zweyen Soldaten / mich zum Gubernator zu führen / welchen er besagtes Buch mit gab / weil der Phantast ohne das / wie ich gleich merckte / selbst weder lesen noch schreiben konnte (ST, B 71 f., T 54 f.).

Die Vermischung von Mann und Frau bzw. die Unsicherheit und Verkehrung der geschlechtlichen Identität anhand der Kleidung ist bereits bei Moscherosch vorgegeben. Anhand dieser Passage lässt sich jedoch auch der entscheidende Unterschied zwischen Moscherosch und Grimmelshausen festmachen: Während Moscherosch eine satirische Strafrede an die andere reiht, bettet Grimmelshausen seine Satire in eine unterhaltsame Geschichte ein (vgl. 3.3.3.1). Die Unsicherheit und Verkehrung der Geschlechter baut er noch aus zu einem die

228 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Figuren charakterisierenden Witz, indem er den scheinbar wilden und einfältigen Simplicius den Mann vor ihm Hermaphrodit nennen lässt und der scheinbar kultivierte Mann das Fremdwort nicht versteht und glaubt, Simplicius hätte seinen Namen erraten. Neben den religiös-philosophischen Implikationen findet sich in der barocken Moralsatire also häufig auch ein nationalpatriotischer Zug, insbesondere in der Alamode-Kritik, die deutsche Sitten, deutsche Eigenschaften und die deutsche Sprache gegen ausländische Einflüsse verteidigen will. Dabei nimmt sie moralphilosophische Argumentationsmuster in Anspruch, wenn sie deutsche Tugenden betont und vor ausländischen Lastern warnt. Die Alamode-Kritik greift häufig zum Mittel der Satire, etwa zur Sprachsatire, wie in Rists Rettung der Edlen Teütschen Hauptsprache (1642), wo in fingierten Briefen voller fremdsprachlicher Ausdrücke und Redensarten der übertriebene Fremdwortgebrauch parodiert und kritisiert wird. Sprachsatiren sind deshalb auch eine wichtige Textsorte im sprachpatriotischen Diskurs.115

3.3.3 Satiretheorie und Satiretypen bei Grimmelshausen 3.3.3.1 Grimmelshausens ,Satiretheorie‘ Wenn in der Überschrift dieses Kapitels das Wort Satiretheorie in einfachen Anführungszeichen steht, so soll damit angedeutet werden, dass Grimmelshausen keine theoretische Schrift über die Satire geschrieben hat. Sein Satirekonzept lässt sich lediglich aus einigen Bemerkungen in seinen satirischen Schriften, in denen er metatextuell seine Schreibabsichten offenbart und reflektiert, ableiten. Mit dem Simplicissimus etablierte Grimmelshausen den Typus des satirischen Romans in der deutschen Literatur. Der Simplicissimus wurde in der Folgezeit zum Muster des deutschen Schelmenromans. Zwar ist der aus fünf Bü-

�� 115 Aufgrund des Alamode-Kehrauß muss der Eindruck entstehen, dass Moscherosch ein glühender Feind der Franzosen gewesen sei. Als solcher ist er im 19. Jahrhundert auch vielfach verstanden worden, wohl auch deshalb, weil er damit in den Zeitgeist gepasst hätte, der die Franzosen als ,Erbfeind‘ ansah. Tatsächlich lobte Moscherosch Frankreich und Paris in Briefen in höchsten Tönen: „Denn mir ist […] das Glück widerfahren, diese Stadt Paris zu sehen, diese Welt, dieses Universum, dieses irdische Paradies, woher alles kommt, wohin alles geht“ (zitiert nach Verweyen 1997, 82). Verweyen schreibt zu dieser Briefstelle: „Moscherosch ist also nicht bloß auf die in der nationalstaatlich sich orientierenden Literaturgeschichtsschreibung gepflegte ,Rolle eines altfränkischen A-la-mode-Kritikers‘ festzulegen, sondern nicht weniger auch für die reformerischen Interessen einer Sozietät wie der ,Fruchtbringenden Gesellschaft‘ zu veranschlagen“ (ebd., 83).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 229

chern bestehende Roman mit Abstand Grimmelshausens bekanntestes Werk, doch als Satiriker profilierte er sich bereits durch seinen Erstling, den Satyrischen Pilgram. Schon in diesem Traktat gibt er seine satirische Absicht, wenn auch noch etwas verklausuliert, kund, indem er sie in eine Leseanweisung in der dritten Vorrede integriert: Dahero ich dann einer ieden Materi drey Satzstück zugeordnet; Jm Ersten Satz wird erzehlet eines Wesens Lob / Güthe / Nutz Ehr / Nothwendigkeit / Tugend und was des guten Dinges mehr ist; Jm andern Stück oder Gegensatz erzehle ich eben desselbigen Wesens Schädlichkeit / Laster / Mißbrauch und alles schlimm übel so ihme anhängt und mir zu Gedächtniß kommen; Jm dritten Stück oder Nachklang sage ich meine Unmäßliche Meinung auch darzu / Jn allen dreyen aber thue ich alles mit dem Jntent, daß sich der Christliche Leser des guten gebrauchen; und des bösen eüsern möge (SP, T 13 f.).

Ohne dass sie explizit würde, kommt hier die traditionsreiche Bienenmetapher zum Vorschein (zur Bienenmetapher vgl. Schäfer 1992a, 120–126): Der christliche Leser soll wie die Biene aus der Schrift Gutes herausziehen. Dieses soll durch die dialektische Struktur des Textes gewährleistet werden, in der die Gegenstände von ihrer guten und ihrer schlechten Seite aus betrachtet werden, bevor im Nachklang das Urteil des Lesers in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Grundlage der Struktur ist die Erkenntnis, dass [a]ußerhalb GOttes des Allerhöchsten Guths und deme so Göttlich ist. / in der gantzen Welt nichts vollkommenes erfunden wird / daß nicht seine Mängel habe; Also ist auch hingegen kein Creatur noch Ding /. außerhalb des leidigen Teuffels und Anhangs. / so schlimm noch nichts würdig / das nicht etwas sonderbahres an sich hette / so zuloben were (ST, T 13).

Gerade diese Stellung aller Dinge zwischen Gott und Teufel ist Gegenstand der Satire, die, im Gegensatz zu den meisten anderen Werken Grimmelshausens nicht komisch, sondern ernsthafte Moralsatire ist. Der Umstand, dass der Satyrische Pilgram in ernsthaftem Ton gehalten ist, hat manche Interpreten dazu gebracht, den Text – trotz seines Titels116 – nicht �� 116 Der Titel geht auf eine Fabel des Äsop zurück, die durch Hans Sachs bearbeitet wurde: Ein Pilger verirrt sich im Wald und wird von einem Satyr beherbergt, „welcher [diesen] Pilger den Er zuvor freundlich zur Herberg uffgenommen / keiner andern Ursach halber wider außjagte / als weil er zu erwärmung seiner erstarreten Händ warm hauchet: und zur kühlung der heissen Speiß kalt bliesse“ (SP, T 6 f.). Dem Titel liegt die etymologisch falsche, aber zeitübliche Herleitung des Ausdrucks Satire von Satyr zugrunde, wie sie Birken exemplarisch durchführt: „Zu den HirtenGedichten gehören auch die Satyrae oder Straff-Gedichte / als welche von den Hirten ihren ursprung haben: maßen sie / anfangs der Poeterei / wann sie in die Städte gegangen / und das Böse ihnen-ungewöhnliche Leben gesehen / mit dergleichen Gedichten die Bürger

230 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse als satirischen Text anzuerkennen. Exemplarisch für diese Auffassung kann ein Aufsatz von Rolf Tarot stehen. Tarot bezeichnet Texte, die angreifen und Normen vertreten, aber nicht mit ,Lust‘, sondern „in predigthaftem, ernsthaftem Ton und Stil“ vorgetragen werden „nicht als Satiren, sondern als erbauliche Schriften“ (Tarot 1978, 120). Und an anderer Stelle: Man kann die Darstellungsform des Satyrischen Pilgrams eine einfache Form der Dialektik nennen, weil in den knapp formulierten Diskursen die Folgen zweier entgegengesetzter Ansichten in ihrer Wahrheit und Falschheit beurteilt und entschieden werden; ,satirische Dialektik‘ ist das nicht, weil sie nicht lachend, sondern ernsthaft-moralisch die Wahrheit sagt (ebd., 123).

Tarot kommt zu dieser Einschätzung, weil mit der ,Lust‘ eine der Komponenten fehlt, die eine Satire ausmachen: „Angriff, Norm, Nutz (prodesse) und Lust (delectare) also sind die vier Wesenselemente der Satire“ (ebd., 119). Nach der hier vertretenen Satiretheorie (vgl. oben, 3.3.1) ist die Lust, das Lachen, keine notwendige Eigenschaft von Satire. Wäre das so, dann müsste man selbst innerhalb von Einzeltexten Differenzierungen zwischen ,satirischen‘ und ,lehrhaft-moralischen‘ Passagen treffen. So ist etwa Vogelnest I durchaus ein satirischer Roman, der zum größten Teil auch sehr komische Züge trägt. Diese verlieren sich jedoch im letzten Drittel des Romans immer mehr und machen am Schluss einer reuevollen Selbstreflexion des Ich-Erzählers Platz, der aus diesen Reflexionen dann auch notwendige Konsequenzen zieht (vgl. unten, 3.3.3.3). Nach Tarots Definition dürfte man diese Passagen nicht mehr als satirisch ansehen. Die Auffassung, der Satyrische Pilgram sei kein satirischer Text, geht auch an der zeitgenössischen Wahrnehmung vorbei, wie sie sich etwa bei Morhof äußert: Man fasset [die Satire] bald in Gesprächen ab / wie Pasquilli sind / die in etlichen tomis, schon im vorigen seculo hervorgegeben / bald in Briefen / wie in der Frantzösischen Sprache der Secretaire Critique neulich eingerichtet / bald in der Romaine, wie die Argenis

�� auszumachen pflagen. Zweifelsfrei sind sie darum / weil die Ausfilzung jenem wehe gethan / von denselben hinwieder mit den Namen der Satyren beschimpfet worden / davon dann auch diese Gedichte ihren Namen bekommen. Die Satyri waren Wald-Geister / mit behornten Köpfen / haarichten Leibern und BocksFüßen / ohne zweifel WaldTeufel: […] Diese pflegen den Menschen oft zu erscheinen / und sie etwan auszuspotten und zu verlachen“ (Birken, RedeBind und Dicht-Kunst, 307 f.). Nach Schnitzlers Interpretation gibt Grimmelshausen der christlichen Kritik an der Doppelzüngigkeit, die sich in der Fabel ausdrückt, eine entgegengesetzte Bedeutung: „[E]r verkehrt seinen Sinn ins Gegenteil oder umspielt es, so dass der Leser keinen eindeutigen Sinn erkennen kann“ (Schnitzler 1955, 19). Die Zweideutigkeit wird nicht mehr abgelehnt, sondern zum Gestaltungsprinzip erhoben.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 231

Barclaji, bald in einer Reisebeschreibung / wie Greiffensohns [= Grimmelshausens] Satyrischer Pilgram / Mundus alter & idem, und viel andere (Morhof, Unterricht, 356).117

Wilhelm Kühlmann deutet das Verfahren des Satyrischen Pilgrams als ,Syllogismus practicus‘, der gewohnte Bewertungsmaßstäbe aufbricht und die Gegenstände auf ihren Nutzen für den Christen überprüft: „,Satz‘ und ,Gegensatz‘ entsprechen dabei in der kumulativen Sammlung von Exempeln und z.B. Sprichwörtern dem Methodenparadigma ,induktiver‘ Beweisführung“ (Kühlmann 1991; hier und im Folgenden zitiert nach Kühlmann 2008; hier 11). Dabei verbindet Grimmelshausen „die empirische Beweismethode der rhetorischen Topik mit der Technik des logischen Syllogismus“ (ebd., 12). Die Gegensätze werden in diesen Syllogismen gegeneinandergestellt, um „gewohnte Einschätzungen zu problematisieren“, was bedeutet, dass man den „Syllogismus practicus“ anwendet (ebd., 13). „In diesem Schlussverfahren ging es um das handlungsbegleitende und handlungsmotivierende Urteil, in der Frage nämlich, ,was in Ansehung der Natur der Dinge zu tun oder zu lassen sei‘“ (ebd.). Mit dieser Struktur nimmt Grimmelshausen „grundsätzlich Abschied von der einsinnigen didaktischen Funktion der Satire als ,Strafrede‘“ (ebd., 14). Mit dem (für ihn untypischen) Verzicht auf eine narrativ-fiktionale Gestaltung und damit auf eine figurale Perspektivierung des Textes folgt er Teilen der menippeischen Satiretradition (vgl. ebd.). Zudem fungiert der Text als Aufforderung an den ,rechtschaffenen Christen‘, in der Widersprüchlichkeit der Welt, die hier vor Augen geführt wird und die auf das Problem der neuzeitlichen Subjektivität verweist, „die sich in der Konfrontation des Einzelnen mit divergierenden Sinnstrukturen der Lebenspraxis ausbildet“ (ebd., 20), sein Urteilsvermögen auf die christliche Heilslehre auszurichten (vgl. ebd., 19). Die Interpretation Kühlmanns zeigt also wesentliche Merkmale der Satire, wie sie hier verstanden wird, auf und rechtfertigt es, den Satyrischen Pilgram als Satire anzusehen. Die wohl wichtigste Äußerung Grimmelshausens zur Satire findet sich im Anfangskapitel der Continuatio: WAnn ihm jemand einbildet / ich erzehle nur darumb meinen Lebens-Lauff / damit ich einem und anderem die Zeit kürtzen: oder wie die Schalcks-Narrn und Possen-Reisser zu thun pflegen / die Leut zum lachen bewögen möchte; so findet sich derselbe weit betrogen! dann viel lachen ist mir selbst ein Eckel / und wer die edle ohnwiederbringliche Zeit vergeblich hinstreichen läst / der verschwendet die jenige Göttliche Gaab ohnnützlich / die uns verliehen wird / unserer Seelen Hail in: und vermittelst derselbigen zurückwürcken; Warumb solte ich dann zu solcher eytelen Thorheit verholffen: und ohne Ursach

�� 117 Warum Morhof den Satyrischen Pilgram als Reisebeschreibung klassifiziert und den auch damals schon viel bekannteren Simplicissimus überhaupt nicht erwähnt, bleibt allerdings unklar.

232 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse vergebens anderer Leut kurtzweiliger Rath seyn? Gleichsamb als ob ich nicht wiste / daß ich mich hierdurch frembder Sünden teilhafftig machte; mein lieber Leser / ich bedüncke mich gleichwohl zu solcher profession umb etwas zugut zu seyn / wer derowegen einen Narren haben will / der kaufft ihm zween so hat er einen zum besten; daß ich aber zu zeiten etwas possierlich auffziehe / geschiehet der Zärthling halber / die keine heilsame Pillulen können verschlucken / sie seyen dann zuvor überzuckert vnd vergült; geschweige daß auch etwann die aller gravitetischte Männer / wann sie lauter ernstliche Schrifften lesen sollen / das Buch ehender hinweg zulegen pflegen / als ein anders / daß bey ihnen bißweilen ein kleines Lächlen herauß presset; Jch möchte vielleicht auch beschuldigt werden / ob gienge ich zuviel Satyricè drein; dessen bin ich aber gar nicht zuverdencken / weil männiglich lieber gedultet / daß die allgemeine Laster Generaliter durch gehechlet und gestrafft: als die aigne Untugenden freundlich corrigirt werden; so ist der Theologische Stylus beym Herrn Omne (dem ich aber diese meine Histori erzehle) zu jetzigen Zeiten leyder auch nicht so gar angenehm / daß ich mich dessen gebrauchen solte; solches kan man an einem Marckschreyer oder Quacksalber […] augenscheinlich abnehmen / wann er am offnen Marckt mit seinem Hanß Wurst oder Hanß Supp auftritt / und auf den ersten Schray und phantastischen krummen Sprung seines Narren mehr Zulauffs und Anhörer bekombt / als der eyferigste Seelen-Hirt / der mit allen Glocken dreymahl zusammen leuthen lassen / seinen anvertrauten Schäfflein ein fruchtbare heilsame Predig zuthun (Cont, B 563 f., T 472 f.).

Es geht Grimmelshausen also darum, allgemeine Laster zu strafen und zu korrigieren. Zur satirischen Schreibweise greift er, die Metapher von der überzuckerten Pille benutzend118, weil die Menschen die Wahrheit nur dann akzeptierten, wenn sie mit einem Lachen vermittelt werde. Die Satire könne deshalb erheblich mehr erreichen als jede theologische Abhandlung, zumal sie jedem (dem Herrn Omne) verständlich sei. Simplicissimus äußert Ähnliches über seine Lebensbeschreibung in Der seltzame Springinsfeld und kennzeichnet sie so explizit als satirischen Roman: Jenes thät ich […] weil vast niemand mehr die Warheit gern blos beschauet oder hören will / ihr ein Kleid anzuziehen / dardurch sei bey den Menschen angenem verbliebe / und das jenig gutwillig gehöret und angenommen wurde / was ich hin und wider an der Menschen Sitten zu corrigiren bedacht war (Spr, B 172, T 18).

Gleichwohl besteht immer Gefahr, dass die Satire missverstanden und deren Autor dafür verantwortlich gemacht wird. Dieser Möglichkeit baut Grimmelshausen direkt im Anschluss an die eben zitierte Stelle vor: „[U]nd gewislich �� 118 Zu dieser Metapher vgl. auch Schupps Rechtfertigung der Satire: „Jch habe in diesen Tractätlein nicht geredet mit armen Wittben, Wäysen, und andern nach der Barmhertzigkeit Gottes dürstenden Seelen, sondern mit Statisten und Weltkindern, welche nicht hören wollen, wann man ihnen die bittere Warheit nicht mit Zucker überziehet“ (Schupp, Streitschriften 47). Die Metapher von der gezuckerten Wahrheit war in der Frühen Neuzeit weit verbreitet.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 233

mein Freund er sey versichert / daß ich mir offt ein Gewissen drum mache / wann ich besorge / ich seye in eben derselben Beschreibung an etlichen Orthen all zufrey gangen“ (ebd.). Zugleich gibt er explizite Hinweise darauf, dass der Simplicissimus nicht einfach als unterhaltsamer Abenteuerroman gelesen werden soll, mit dem die Leute zum Lachen gebracht werden, sondern sie sollen durch ihn angeregt werden, sich um ihr Seelen Hail zu kümmern. Ziel der simplicianischen Satire ist also die Sorge um das Seelenheil der Menschen. Diese sind so sehr mit irdischen Lastern und irdischem Besitz beschwert, dass sie ihr Seelenheil aus den Augen verlieren. Ihre Triebe und Affekte verhindern, dass sie sich um das Wesentliche kümmern, nämlich um das Heil ihrer Seele. Durch das Mittel der Satire will Grimmelshausen die Menschen von irdischen Lastern wie Geldgier, Geiz, Ruhmsucht, übermäßigem kulinarischen Genuss, übermäßigem und unangemessenem Sexualtrieb oder Aberglauben abbringen, da sie von den wahrhaft wichtigen Gütern, dem Lob Gottes und dem Heil der eigenen Seele, ablenken. Grimmelshausen teilt somit „die primäre Intention in dieser Epoche, die Masse der Menschen von ihrer falschen Einbildung, vom Glauben an den Wert der Güter an sich, zu heilen.“ (Schäfer 1992a, 131 f.). Simplicissimus muss selbst diese Erkenntnis auf bitterem Wege erlangen: Aus Unwissenheit und Verblendung gibt er seiner Habgier und seinen Trieben nach und gelangt zur Selbsterkenntnis, indem ihm seine Glücksgüter (Besitz, Schönheit etc.) genommen werden und er somit gezwungen ist, sein Leben zu reflektieren (vgl. ebd., 112, sowie Bergengruen 2010). Aus dem Zustand seiner Verblendung wird Simplicissimus durch das Unglück herausgeführt. Er wird so zu einem exemplarischen Vorbild für den Leser. Grimmelshausen dekuvriert also die Relativität der irdischen Güter und stellt ihre Wandelbarkeit der Ewigkeit Gottes gegenüber. Simplicissimus charakterisiert sich in der Continuatio, nicht ohne Ironie, selbst als Personifikation dieses stetigen Wandels: „[M]ein Freundt / sagt eurem Herrn widerumb / ich seye ein Ball deß wandelbaren Glücks; ein Exemplar der Veränderung / und ein Spiegel der Unbeständigkeit deß Menschlichen Wesens“ (Cont, B 637, T 534 f.). Grimmelshausens Satire ist letztlich Ausdruck des in der Barockliteratur allgegenwärtigen Vanitas-Gedankens, der vielleicht am eindrücklichsten in den Sonetten von Andreas Gryphius dargestellt wird. Auch Gryphius ist skeptisch bezüglich der Bereitschaft der Menschen, ihre Aufmerksamkeit von den irdischen Gütern auf Gott und die Ewigkeit zu lenken. Während Gryphius jedoch die direkte Form der Poesie wählt, bevorzugt Grimmelshausen die indirekte Form der Satire. Diese Form fordert die Interpretationsleistungen des Lesers heraus, wie der Autor auch deutlich macht: „Also / daß gar keiner gezwungen seyn solle / solches über einmal / oder auff einen Sitz / außzulesen / Es geschehe gleich allein die Zeit zu passiren / oder die Lehren darauß zu erfischen / die der Autor heimlich hinein verborgen“ (WV II, B

234 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse 453, T 145). Auch hier gibt Grimmelshausen den expliziten Hinweis, dass der Leser nicht nur einen unterhaltsamen Roman vor sich hat, sondern dass es auch seine Aufgabe ist, die heimlich verborgenen Lehren des Autors zu finden, zu verstehen und, nach Möglichkeit, auch zu beherzigen. Grimmelshausen realisiert in seinen satirischen Schriften also die horazische Forderung nach der Verbindung von Belehrung und Unterhaltung im literarischen Text. Er schreibt unterhaltsame Romane, Erzählungen und scherzhafte Traktate, doch unter der lustigen Schale steckt ein ernster Kern, die Moral, die der Leser zu verstehen hat. Diesen Stil verteidigt Grimmelshausen auch selbstbewusst: „[M]ein Herr verzeyhe mir / daß ich ihn wieder aller jetzigen Menschen Gewohnheit dutze / dann wer die Wahrheit von mir hören wil / der muß auch den Stylum leyden / durch welchen ich die liebe Wahrheit auff gut Simplicianisch anzuzeigen gewohnt bin“ (RP, B 728, T 75). Gleichwohl ist er sich dessen bewusst, dass die meisten seiner Leser den satirischen Kern der Texte nicht verstehen: Dieser Autor hat zwar in dieser ernstlichen Sach seinen gewöhnlichen lustigen Stylum gebraucht / und viel lächerliche Schwänck mit eingebracht / wie er in deß Abentheuerlichen Simplicissimi Lebens-Beschreibung auch gethan / so / daß unter 17. Lesern kaum einer ist / der da findet / was er ihn unterrichten will / sondern die mehriste glauben / er hab ihnen seine Schrifften nur zur Zeit-Verkürtzung verfertigt / aber das läst er sich nicht irren / immerhin im angefangenen Glaiß fortzufahren; Verständige Leut / denen es gedeyet / werden den Kern schon zu finden / und ihnen zu Nutz zu machen wissen; Man weiß wol / wie ungern die Patienten die bittere / ob gleich heylsame Pillulen verschlucken / dahingegen aber die übergüldte oder verzuckerte leicht zu sich nehmen / deßwegen hat er auch den vorsichtigen Aertzten nachgeöhmt / und seiner straffenden Schrifften scharpffe Bitterkeit dergestalt versüsset / daß sie etliche unbolirte bey nahe vor keine heylsame Artzney / sondern vielmehr vor ungesund Schleckwerck geniessen (WV II, B 458, T 149).

Die Feststellung, dass die meisten Leser seine satirische Absicht nicht verstehen, äußert Grimmelshausen also keineswegs resignativ, sondern er führt sie auf die generell feststellbare Tendenz der Menschen zurück, nicht zu wissen, was für sie gut ist und was ihnen schadet. So wie die Patienten die Einnahme einer bitteren, aber heilsamen Pille verweigern, so weigern sich auch die Leser der Satire, deren Absicht zu erkennen. Daher muss die Pille als ungesund Schleckwerck ,getarnt‘ werden und die Satire hinter der Maske einer unterhaltsamen Geschichte auftreten. Zugleich verteidigt Grimmelshausen in dieser Passage auch die Satire allgemein gegen Kritik, indem er auf ihre Notwendigkeit für die Heilung der menschlichen Seelen hinweist. Auch auf bildlich-emblematischer Ebene gibt Grimmelshausen sein Satirekonzept preis, nämlich in Form der Titelkupfer, die den meisten Werken vorangestellt sind. Das bekannteste Titelkupfer ist das des Simplicissimus, das zu den großen Rätseln der Grimmelshausen-Forschung gehört.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 235

Abb. 4: Das Titelkupfer des Simplicissimus

Walter E. Schäfer fasst die Forschungsfragen, die an dieses Titelkupfer gestellt wurden, so zusammen: Welche Funktion soll nach Grimmelshausens Absicht […] das Titelblatt in bezug auf den sechsteiligen Roman einerseits, den Leser andererseits haben? Ersetzt es das zu erwartende, aber fehlende Vorwort in der Weise, dass es in Themen, Motive, Strukturen des

236 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Romans einführt, also eine Hilfe für das Verständnis des Romans ist, oder weckt es die Lesererwartung nur in der Weise, dass es topische Bild- und Textelemente aus literarischen Traditionen aufnimmt, etwa der der Prosasatiren, um vorläufige, bei der Lektüre überholbare Erwartungen und Einstellungen auszulösen? […] Nach welchem hermeneutischen Modell, dem der rhetorisch-poetischen Allegorie, der aus der Bibelhermeneutik entwickelten Allegorese oder der in der Renaissance rezipierten enigmatischen Hieroglyphik […] müssen die Bildelemente gedeutet werden? Oder ist bereits diese Frage schon zu sehr verengt, muss vielleicht damit gerechnet werden, dass die Zeichen eine Fülle von Bedeutungsschichten in sich bergen, so dass die Verantwortung beim Leser liegt, welche dieser Schichten er gerade aktiviert und auf welche hermeneutische Tradition er zurückgreift? (Schäfer 1992a, 128).

Bereits in einem früheren Aufsatz hatte Schäfer überzeugend gezeigt, dass es sich bei den beiden ausgestreckten Fingern um eine Spottgeste handelt, mit der der Satyr als halb menschliches, halb animalisches Wesen dem Leser höhnisch das Animalische im Menschen aufzeigt (vgl. Schäfer 1972, 219). Mit seinem spöttischen Lachen stellt er die Würde des Menschen in Frage (ebd., 225). Die Titelkupfer hatten im 17. Jahrhundert u.a. die Funktion der Leserwerbung und Leserorientierung. Sie dienten der „Einordnung in ein Genre und [der] Andeutung der an das Genre gebundenen Intentionen und Funktionen“ (Schäfer 1992a, 129). In dieser Funktion konnten sie auch poetologische Signale senden, die vom in den Konventionen der Emblematik bewanderten Leser entziffert werden konnten. Einen solchen Ansatz legt Schäfer (1992a, 129–134) vor: Um emblematische Zeichen handelt es sich vor allem bei den Bildelementen auf den beiden Seiten des aufgeschlagenen Buchs, das der Satyr in der Hand hält. Krone und Kardinalshut gelten als Zeichen weltlicher und geistlicher Herrschaft, die Würfel als Zeichen für die Spiel- und der Pokal als Zeichen der Trunksucht. Der Degen steht für die Ehrsucht, die gerupfte Gans für die Fressbegierde. Das Schiff, die angedeutete Ansiedlung, der Turm und das Wickelkind repräsentieren die Glücksgüter Gold, Silber, Landgüter und gesegneter Ehestand mit schöner und tugendhafter Frau und gehorsamen Kindern; zusammengefasst stehen diese damit für Amt und Ehrenstand, Nachruhm, Ansehen, gute Freunde usw. (vgl. Schäfer 1992a, 130). Biene und Spinne verweisen auf guten und törichten Gebrauch der Schrift. Die Narrenkappe schließlich zeigt an, dass es sich um einen satirischen Roman handelt. Die ethische Ermahnung, die sonst in den Vorreden satirischer, pikaresker, epigrammatischer Schriften an den Leser gerichtet sind, ist hier bildlich dargestellt, das Kupfer übernimmt Vorredenfunktion, ohne dass diese Vorrede nun schon […] auf Thema und Struktur des vorliegenden Romans zu beziehen wäre. Sie erinnert vielmehr den Leser an die primäre Intention von Satire in dieser Epoche, die Masse der Menschen von ihrer falschen Einbildung, vom Glauben an den Wert der Güter an sich, zu heilen (ebd., 131 f.).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 237

Letztlich handelt es sich um eine Ansammlung von konventionalisierten Zeichen, die aus einem „offene[n] Repertoire mit einem immer wiederkehrenden Grundbestand“ stammen (ebd., 130) und die vom kundigen Leser dekodiert werden können. In diesem Fall deutet der Satyr mit höhnischem Lächeln und einer Spottgeste auf weltliche Glücksgüter, er drückt mit ihr seine „Verachtung“ (ebd., 132) gegenüber diesen Glücksgütern aus. Als bildlicher Ersatz für die nicht vorhandene Vorrede gibt das Titelkupfer verrätselt den Inhalt des Romans auf dessen satirischer Ebene wieder: „Der Satiriker behandelt die Degradation des Menschen zum Tier, er zeigt aber auch, bis wohin der Mensch durch die Erkenntnis Gottes und seines Willens gelangen kann“ (Schäfer 1972, 224). Deutlich einfacher zu interpretieren sind die Embleme im Titelkupfer zum Wunderbarlichen Vogelnest I, über das Breuer (1999, 100 f.) folgendes schreibt: [Das Titelkupfer] ist mit Schriftband, Pictura und Subscriptio wiederum emblematisch angelegt. Die Pictura zeigt auf einer weiten, wüsten Ebene einen Satyr, die Allegorie des Satirikers, der durch das Medium des magischen Vogelnests die im Hintergrund auf krummen Wegen zum Horizont fortschreitende Erdkugel beobachtet, das heißt, den Lauf der Welt. Dem Satyr versucht es ein Putto (Allegorie der höheren, nichtsatirischen poetischen Gattungen) mit einem Fernglas bzw. Perspektiv gleichzutun, was ihm aber wegen eines Walls von Masken nicht gelingt. Der Satyr verbirgt gegenüber dem Betrachter sein Hinterteil hinter einer schönen Maske. Das ist möglicherweise ein Hinweis für den Leser, nicht die ,ganze Sprache‘ im Sinne Sorels, also keine obszöne Darstellung, zu erwarten. Doch könnte dieser Satiriker auch darauf hinweisen, dass er selbst hinter einer Maske steckt. Die Subscriptio […] verweist auf die Funktion des Vogelnests: Es macht als Instrument des Satirikers die Verkehrtheiten der Menschenwelt anschaulich. Der Satiriker ist mit Hilfe dieses unsichtbar machenden Mittels anderen Beobachtern überlegen, weil er die Masken, die Oberflächen durchdringt.

Das Titelkupfer veranschaulicht also ein gewisses Selbstbewusstsein des Satirikers, dessen Romanform, in der Romantheorie der Zeit (vgl. dazu Niefanger 2006, 187–189), als ,niederer Roman‘ bekannt ist, als den anderen Romanformen überlegen dargestellt wird: Allein die Satire ist in der Lage, die Masken zu durchschauen, die die Wahrheit über die Menschen und ihre Verhaltensweisen verbergen. Das seinen Träger unsichtbar machende Vogelnest dient als satirisches Requisit dazu, die Fassaden, die die Menschen gegenüber anderen Menschen aufgebaut haben, einzureißen und sie bei dem zu beobachten, was sie tun, wenn sie sich unbeobachtet glauben (vgl. unten, 3.3.3.3).

238 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse

Abb. 5: Titelkupfer zu Wunderbarliches Vogelnest I

In den simplicianischen Schriften delegiert Grimmelshausen seine Aufgaben als Satiriker auf die Hauptfigur des jeweiligen Textes, doch insgesamt laufen alle Fäden bei Simplicius Simplicissimus zusammen, der nicht nur die Hauptfigur des Simplicissimus ist, sondern auch in den meisten anderen Texten als Figur oder fiktiver Autor auftaucht. Er erscheint als pikaresker Held, „der zwar durch seine anfängliche Reinheit die Schlechtigkeit der Welt exponiert, aber schließlich selbst bis zu einem gewissen Grade von der Welt korrumpiert wird“ (Gaier 1967, 446). Dadurch ist Simplicissimus nicht nur Medium der satirischen Kritik, sondern er wird auch selbst zum Objekt der Satire. In Grimmelshausens weiteren Schriften wird Simplicissimus durch ein komplexes Geflecht von Figuren, fiktiven Autorschaften, Pseudonymen und Anagrammen zur Zentralfigur eines simplicianischen Kosmos, auf den sich nahezu alle Schriften Grimmelshausens beziehen lassen (vgl. oben, 2.3). Simplicissimus ist zugleich Hauptfigur, Nebenfigur, fiktiver Autor und Alter Ego Grimmelshausens, er entlarvt gesellschaftli-

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 239

che, soziale und moralische Missstände, an denen er jedoch selbst teilhat und so seinerseits der satirischen Kritik unterzogen wird. Dadurch, dass Simplicissimus zugleich Satiriker und Objekt der Satire ist, ergibt sich eine nicht unproblematische Doppelung, die dadurch aufgelöst wird, dass der alte und gereifte Simplicissimus in ironisch-satirischer Weise auf sein eigenes Leben mit all seinen Lastern und Torheiten zurückblickt. Nach einem langen und wechselvollen Leben, in dem er sich als Hofnarr, Trossbube, Soldat und Kriegsheld, Beau Alman, Gaukler, Ehemann, Weltreisender, Einsiedler, Pilger und schließlich als Eremit versucht hat, erkannte er seine wahre Berufung als satirischer Autor, der nicht nur seine Leser, sondern auch seine früheren Weggefährten, etwa Springinsfeld, zu einem frommen und gottesfürchtigen, dem eigenen Seelenheil dienenden Leben anzuleiten sucht. Simplicissimus ist also nicht nur die Zentralfigur des Autordiskurses, sondern auch der Vermittler zwischen Grimmelshausen und seinem Publikum.

3.3.3.2 Traumsatire: Continuatio und Verkehrte Welt Das Motiv des Traums ist bei Grimmelshausen in mehreren Varianten belegt, stets beeinflusst durch Moscherosch (vgl. oben, S. 223–228), etwa in der Ständebaum-Allegorie (ST, I. Buch, Kap. 15–18). Die Traumerzählung hat den Vorteil, dass man in ihr auch ungewöhnliche und die Alltagserfahrung sprengende Gegenstände und Handlungen darstellen kann, ohne gegen das Gesetz der Wahrscheinlichkeit zu verstoßen. In diesem Kapitel sollen eine Traumsatire aus der Continuatio und eine Variante dieses Satiretyps vorgestellt werden. Eine echte Traumsatire findet sich in den Kapiteln 2–8 der Continuatio: Simplicissimus schläft in „unnützen Gedancken“ (Cont, B 567, T 475) darüber ein, ob die Verschwendung das schlimmste Laster sei oder der Geiz. In seinem Traum befindet sich Simplicissimus in der Hölle. Luzifer beruft eine Versammlung der Höllengeister ein, um zu beraten, wie man nach dem Westfälischen Frieden erneut Böses in die Welt bringen kann. Während der Versammlung kommt es zum Streit zwischen den Höllengeistern Geiz und Verschwendung, wer von den beiden für die Hölle nützlicher sei. Luzifer beschließt, den Streit in einem Wettkampf zu entscheiden: Wer von ihnen den englischen Edelmann Julus und dessen Diener Avarus, beide fromm und gut erzogen, auf bessere Weise der Hölle zuführe, der siege im Wettstreit.119

�� 119 Dieser Handlungsverlauf erinnert frappierend an die Streitschrift In Rufinum des spätantiken Schriftstellers Claudian (um 370–nach 404): „Die Furie Alecto, über den glücklichen Friedenszustand der Welt erbost, beruft alle Laster und Übel zu einer Konferenz in die Unterwelt,

240 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Geiz und Verschwendung beginnen sofort, Herr und Diener zu beeinflussen und schon bald wird Julus zu einem haltlosen Verschwender, während Avarus sich in einen neidischen Geizhals verwandelt. In Paris hält sich Julus einen riesigen Hofstaat, der ihm das Geld aus der Tasche zieht. Für seine Kleidung gibt er sehr viel Geld aus, weil er immer nach der neuesten Mode gekleidet sein will. Avarus dagegen verabscheut die Lebensweise seines Herren, profitiert aber von ihr, indem er immer wieder Geld für sich selbst zur Seite schafft, so dass er bald selbst zu einem ansehnlichen Vermögen kommt. Nachdem Julus sein Vermögen wie einen Großteil seines Erbes verjubelt hat, ist zunehmend in der Spirale von Schulden und Schuldentilgung gefangen: Um seine Schulden tilgen zu können, muss er neue Schulden aufnehmen, dazu schwächen die Unterschlagungen des Avarus seine Finanzkraft. So muss er weitere Güter verpfänden. Sein Vater versucht, die Verschwendungssucht seines Sohnes aufzuhalten, schließlich verstößt und enterbt er Julus. Als dies bekannt wird, erhält Julus keinen Kredit mehr und die Gläubiger fordern ihr Geld ein. In seiner Not wendet er sich an Avarus, von dessen Reichtum er mittlerweile weiß. Dieser jedoch, bereits ganz im Dienste des Geizes, verweigert ihm seine Hilfe, indem er darauf verweist, dass Gott ihm das Geld beschert habe. Schließlich leiht Avarus seinem Herrn doch noch Geld, allerdings gegen hohe Zinsen und ein Adelsgut als Gegenleistung. Nachdem Julus nach dem Tod seiner Eltern nach und nach sein gesamtes Vermögen verschleudert hat, muss er zusammen mit dem ebenfalls verarmten Avarus als Soldat, später als Räuber und Bettler sein Leben fristen, bis sie schließlich beide als Räuber hingerichtet werden. In diesem Augenblick wacht Simplicissimus auf und denkt über seinen Traum nach. Schließlich kommt er zu folgendem Fazit: [H]ielte entlich darfür daß die Freygebigkeit leichtlich zu einer verschwendung: und die gesparsambkeit leichtlich zum geitz werden könne / wann die weißheit nit vorhanden / welche freygebigkeit und gesparsambkeit durch mässigkeit regiere und im Zaum halte. Ob aber der Geitz oder die verschwendung den Preyß darvon getragen / kan ich nit sagen / glaube aber wol daß sie noch täglich mit einander zu Felde ligen / und umb den Vorzug streitten (Cont, B 602 f.. T 505).

Anhand der Julus-Avarus-Episode lässt sich eine Fülle von satirischen Elementen erläutern. Neben dem üblichen Lasterkatalog, der im ersten Teil, in der Hölle, präsentiert wird, zeichnet sich die Julus-Avarus Episode durch eine de�� um Rache zu schmieden. Auf Empfehlung der Megära wird dann Rufinus, der Ausbund aller teuflischen Bosheit, mit der Verstörung der Erde betraut“ (Curtius 1948, 111993, 129). Mit der Höllenversammlung greift Grimmelshausen also auf ein sehr altes Motiv zurück.

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taillierte Schilderung des verderblichen Einflusses des Geldes aus. Julus wird zum Prototyp des Verschwenders, der sein Vermögen sinnlos verprasst, und Avarus wird zum Repräsentanten des Geizes, der als solcher seinen eigenen Anteil am Untergang seines Herrn hat. Die Satire führt vor, wie die beiden eine Tugend nach der anderen einbüßen und immer tiefer dem Laster anheimfallen. Avarus lügt und betrügt seinen Herrn, unterschlägt dessen Geld und betreibt schließlich Zinswucher. Julus verprasst das Geld seiner Eltern und heuchelt bei deren Tod nur Trauer, er wird überheblich und unvorsichtig. Ihre Lebensläufe, die eng miteinander verschränkt sind, stehen exemplarisch für den Tugendverfall, den die einseitige Fixierung auf irdische Güter zur Folge hat. Letztlich finden beide das gleiche Ende, so dass es gleichgültig erscheint, ob jemand der Verschwendung oder dem Geiz anheimfällt. Die Julus-Avarus-Episode ist ein herausragender, aber bei weitem nicht der einzige Beleg für Grimmelshausens zwiespältiges Verhältnis zum Geld. In der Schrift Rathstübel Plutonis, mit dem Untertitel Kunst reich zu werden, nimmt Simplicissimus ausdrücklich auf diese Episode Bezug und gibt ihr eine christlich-moralische Deutung:120 Jedermann weiß auß uns / daß man nicht GOtt und dem Mammon zugleich dienen kan: wil aber einer übereyn und mit Gewalt reich werden / so fällt er in die Strick deß Teufels / alß dessen Knecht er zuseyn begehrt / und alßdann verhengt GOtt / daß ein solcher Geitzhalß / wonicht gar einen guldenen Wagen? doch wenigst ein Rad darvon bekomme / damit aber demnach seine Begierden nicht ersättiger werden (massen ich im letzten Theil meiner Lebensbeschreibung an einem Engelländischen Avaro ein Exempel vorgestellt) bis er endlich darüber stirbt / und besorglich auch an der vorlängst verstorbenen Seelen verdirbt (RP, B 702 f., T 51 f.).

Diese Selbstdeutung erscheint als Schlüssel zum Verständnis des satirischen Gehalts der Julus-Avarus-Episode: Wer Mammon, also dem Geld verfallen ist, kann nicht zugleich Gott dienen. Grimmelshausen eröffnet hier einen Dualismus, der vom Rezipienten eine Entscheidung erfordert: Geld oder Seelenheil, Teufel oder Gott. Tertium non datur.121 Jetzt ist noch die Frage interessant, warum Grimmelshausen für die Vorführung der verderblichen Macht des Geldes das Mittel der Traumsatire gewählt hat. Die Lösung liegt auf der Hand: Durch das Medium des Traums kann Simpli-

�� 120 Eines der vielen Beispiele für die Intertextualität in Grimmelshausens Werk (vgl. oben, 2.3). 121 Daneben scheinen noch andere Themen der zeitgenössischen Satire auf, etwa im Zuge der hohen Kosten, die Julus für seine stets der neuesten Mode entsprechenden Kleider aufbringen muss, die Alamode-Satire. Da diese jedoch dem Wirkungskreis der Satire um Geld und weltliche Güter zugehört, kann sie an dieser Stelle zwar genannt, aber vernachlässigt werden.

242 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse cissimus als unbeteiligter Zeuge das verderbliche Wirken des Geldes genau beobachten und dokumentieren. Als kleiner Roman im Roman erzählt die JulusAvarus-Episode eine in sich abgeschlossene Geschichte, in der die Ursachen des Lasters auf der Welt (das Ziel des Teufels, die Menschen Gott abspenstig zu machen) dargestellt werden können. Zugleich wird durch den ersten Teil in der Hölle die Geschichte von Julus und Avarus zu einer Exempelgeschichte, die Allgemeingültigkeit beanspruchen kann: Ihr Schicksal kann prinzipiell jeden treffen, den die höllischen Geister ausgesucht haben und der für sie empfänglich ist. Drittens bietet der Traum die Möglichkeit, mit allegorischen Figuren, schnellen Ortswechseln, Zeitsprüngen und der Schilderung eines langwierigen Prozesses im ,Zeitraffer‘ die üblichen Gesetze von Raum, Zeit und Wahrscheinlichkeit zu überwinden. So wird der Traum zu einem wichtigen Mittel satirischer Darstellung. Eine Variante zur Traumsatire ist die Höllenfahrt, die in der Julus-AvarusEpisode bereits im Rahmen eines Traums vollzogen wurde. Die Schrift Des Abenteuerlichen Simplicii Verkehrte Welt dagegen schildert ausschließlich eine solche Reise durch die Hölle. Das Motiv der Höllenfahrt findet sich bereits in den ältesten Zeugnissen der europäischen Literatur. Im griechischen Mythos ist der Gang in die Unterwelt eine Mut- und Bewährungsprobe des Helden, der den Tod überwinden kann. So steigen etwa Theseus, Herakles oder Orpheus in die Unterwelt hinab. Eine Variante findet sich im elften Gesang von Homers Odyssee, wo Odysseus nicht den Tod überwindet, sondern sich die prophetischen Gaben der Toten zunutze macht. Ähnlich ist es im sechsten Gesang der Aeneis Vergils. Das Motiv bleibt auch im Mittelalter präsent. In Dantes Inferno122 bietet sich dem Leser eine Fülle von satirischen Bestrafungen für Sünder aller Art (vgl. zum Motiv Frenzel 2008, 700–714). Die Höllenfahrt als Mittel zum satirischen Kampf hatte also bereits eine lange Tradition, als Grimmelshausen die Verkehrte Welt schrieb. Der Text beginnt mit einem Praeambulum, in dem sich der Autor dafür entschuldigt, mit Titelkupfer und Titelblatt beim Leser falsche Erwartungen geweckt zu haben.123 Das Titelkupfer zeigt einen Reichsapfel, der auf dem Kopf schwebt und halb die Klinge eines Messers verdeckt. Darunter weidet ein Ochse einen Metzger aus, ein Soldat trägt eine Sense und ein Bauer die Muskete; ein Hirsch greift einen am Boden liegenden Jäger an und ein Bettler gibt einem reichen Mann ein Almosen. Auf der Titelseite wird das Kupfer in einem kurzen Gedicht erklärt:

�� 122 So bereits Curtius (1948, 111993, 28): „Dantes Commedia ist neben allem anderen auch eine Zeitrüge.“ 123 Zur Geschichte des Motivs der ,Verkehrten Welt‘ vgl. Curtius 1948, 111993, 104–108, bes. 108.

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Der Hirsch den kühnen Jäger legt / | Der Ochs manchmahl den Metzger schlägt / | Der Arm dem Reichen Steuer trägt / | Zur Arbeit der Soldat sich regt / | Der Bauer in Waffen sich bewegt / | Solche Dinge die Welt zu üben pflegt (VW, B 413, T XXI).

Titelkupfer und Titelseite versprechen also die Darstellung einer Welt, die buchstäblich auf dem Kopf steht. Diese Erwartungen werden enttäuscht, denn: „Warumb solte aber ich dergleichen Sachen beschreiben / die wir täglich vor Augen sehen?“ (VW, B 415, T 1). Er beschreibt, wie sich die Weltordnung verschoben hat: [W]ir können ja alle Tag augenscheinlich warnehmen / wieder tapffere Soldat / der ehemahl den Feind gejagt / das Vatterland geschützt / Städ eingenommen / Länder bezwungen / Beuthen gemacht und den Bauren gedruckt / sich jezunder selbst ducket / schmüget / bieget und Baurn-Arbeit verrichtet; Hingegen aber der Bauer oder sein Hansel unter dem Ausschuß in einem lieberey Röcklein pravirt und mit Gewehr sich exercirt. Man siehet ja offt / wie der Edel bettelt / der Unedel dominirt / der Arm dem Reichen gibt / der Grobianus das Prae hat / der kluge Höffling aber dahinden stehet; Jch hab selbst gesehen Lahme tantzen die reich waren / und Bettler auff Krucken sehen gehen / die doch gerade Füß und Schenckel hatten / was bedarffs dann darvon viel schreibens? (VW, B 415 f., T 1).

Viel lieber will der Autor dem Leser eine andere verkehrte Welt zeigen, in der [d]er reiche Prasser aber welcher täglich herrlich zuleben gewohnet gewesen / mit höllischer Pein gequlet wird; Wo die Tyrannen / die etwan zu ihrer Zeit der gantzen Welt zubefehlen hatten / jezunder in ihrem unaussprechlichem Schmertzen sich verwundern / daß die Jenige / deren Leben sie vor ein Thorheit und spöttisch Beyspiel gehalten / und die sie in ihren angestellten persecutionibus grausamlich töden lassen / nunmehr unter die höchste Freund Gottes gerechnet und gesetzt worden (VW, B 416, T 1 f.).

Letztlich geht es also um eine doppelt verkehrte Welt: Die Welt, die wir für real halten, ist in Wahrheit die verkehrte Welt; diese wiederum wird umgekehrt und damit berichtigt. Es liegt hier der Topos des ,mundus perversus‘ vor, in dem, in der Terminologie der hier vertretenen Satiretheorie, die wahrgenommene Wirklichkeit als ,verkehrte Welt‘ dargestellt und dieser die intendierte Wirklichkeit als das Gesollte gegenübergestellt wird. Nirgendwo zeigt sich deutlicher als hier das deontische Moment der Satire. Dieses deontische Moment wird durch die Erkenntnis getragen, dass „je ein Mensch des andern Teuffel“ sei (VW, B 421, T 6).124 Der Mensch erscheint von Grund auf böse, was dadurch bedingt ist, dass hier die Verdammten der Hölle zu Worte kommen, die die Taten schildern, aufgrund deren sie verdammt wurden.

�� 124 Dieses ,homo homini diabolus‘ scheint auf das bekannte ,homo homini lupus‘ im Leviathan von Thomas Hobbes (1651) anzuspielen.

244 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Die Darstellung der Höllenstrafen enthält nicht nur das abschreckende und ,strafende‘ Moment der Traumsatire, wie wir es bei Moscherosch kennen, sondern in besonderer Weise wird die Hölle zu einer Extremform des menschlichen Lebens auf dieser Welt, in der der Mensch als ,des Menschen Teufel‘ erscheint (Schnitzler 1955, 222 f.; Hervorhebung im Text).

Wie auch die Mummelsee-Episode im Simplicissimus (V. Buch, Kap. 10–17) ist die Höllenfahrt als Kunstgriff Grimmelshausens zu einer Satire zu verstehen, die keine Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit oder Glaubwürdigkeit zu nehmen braucht (vgl. Schnitzler 1955, 226 f.). Daher ist diese Technik mit der der Traumsatire verwandt. Der Ich-Erzähler gerät eines Tages durch einen Zufall in die Hölle. Dort begegnet er Sündern verschiedenster Art. Die Darstellung der einzelnen Stationen folgt einem bestimmten Schema: Zunächst wird die Höllenstrafe detailliert geschildert, bevor ein Repräsentant der Sünder dem Erzähler den Grund für die Strafe offenbart. In einem letzten Schritt schildert der Erzähler dem Sünder die Welt der Lebenden, in denen das jeweilige Laster überwunden sei und zeichnet die Verhältnisse als paradiesische Zustände auf Erden. Die Satire entsteht hier klarerweise durch die Ironie, die groteske Übertreibung und durch die Divergenz zwischen Schein und Sein, zwischen der Schilderung des Erzählers und den wahren Zuständen auf der Erde, zwischen konstituierter und wahrgenommener Wirklichkeit. Die Etappen zeigen also eine triadische Grundstruktur auf: Durch der Schilderung der Strafen und der Vorführung des Lasters anhand einer exemplarischen Lebensgeschichte wird das Prinzip der Spiegelstrafe deutlich: Die Sünde fällt auf den Sünder zurück. Anschließend schildert der Erzähler die Zustände auf der Welt, wie sie in der Gegenwart angeblich sind, wobei er aber stets das Idealbild zeigt, das eine große Distanz zu den tatsächlichen Zuständen aufweist. Der Erzähler vermittelt also die intendierte Wirklichkeit, die er der ,verkehrten‘ wahrgenommenen Wirklichkeit entgegenhält. Die Ironie und die grotesken Übertreibungen dienen dabei der Verfremdung und erzeugen die konstituierte Wirklichkeit der Satire. Auf einer Station etwa werden die Geizhälse von einer Art Fruchtpresse ausgepresst, weil sie vom Schweiß und Blut anderer lebten. Das ausgepresste Blut dient wiederum anderen Geizhälsen zur Nahrung, die sich vollsaugen, um dann selbst ausgepresst zu werden. Der Erzähler schildert eine Welt, in der es zwar Sparsamkeit, aber keinen Geiz mehr gebe, weil niemand mehr wegen Geld und Gut seine Seligkeit aufs Spiel setzen wolle. Der Ketzer Arius, dessen Lehre unter anderem Julian Apostata verführt hatte, muss sich gemeinsam mit anderen Ketzern Garne aus den Hirnen ziehen, aus denen sie Drähte spinnen müssen; sie produzieren damit im wahrsten Sinne des Wortes Hirngespinste. Aus diesen

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fertigt der Teufel seine Netze und Käfige, mit denen er leichtgläubige und einfältige Menschen einfängt (vgl. VW, B 452, T 35). Ihnen berichtet der Erzähler vom endgültigen Sieg der katholischen Kirche, die alle Spaltungen überwunden habe, und von den Priestern, die fromm ihre Ämter ausführen. Die Werber, die junge Soldaten für den Krieg anwerben sollen, sind gezwungen, Soldaten für die Armeen des Pyrrhus zu werben, jenes Königs, dessen verlustreiche Siege sprichwörtlich geworden sind. Dabei müssen sie den Krieg entgegen ihrer irdischen Art in den grausamsten Bildern als entbehrungsreiches und todbringendes, aber niemals ruhm- oder ehrenvolles Geschehen beschreiben (vgl. ebd., B 469, T 50 f.). Hier ist das satirische Moment etwas anders gelagert als zuvor: Es wird kein Idealbild gezeigt, sondern es wird die wahrgenommene Wirklichkeit in der konstituierten dargestellt. Die intendierte Wirklichkeit muss an der Ironie abgelesen werden: In diesem Fall ist sie das genaue Gegenteil des Gesagten. Die Ironie besteht auch darin, dass die Werber, die sonst Ruhm und Ehre durch den Kriegsdienst versprechen, ,Antiwerbung‘ betreiben müssen und gezwungen sind, den Krieg so darzustellen, wie er wirklich ist. Zudem besteht die Strafe für die Werber darin, dass ihnen von denjenigen, die sie angeworben haben und die im Krieg gefallen sind, die gleichen Wunden beigebracht werden, an denen jene gestorben sind. Die Verkehrte Welt ist eine von Grimmelshausens schärfsten und eindrücklichsten Lastersatiren, für Schnitzler gar der Höhepunkt in Grimmelshausens Schaffen: „Grimmelshausen erreicht hier eine Vielschichtigkeit des Sprechens wie in keiner seiner anderen Schriften“ (Schnitzler 1955, 231 f.; Hervorhebung im Text). Ob man diesem Urteil zustimmen will oder nicht – kaum ein anderer Text Grimmelshausens ist so ausschließlich und eindeutig als Satire zu erkennen und zu bewerten. Die Satire entsteht aus der grotesken Diskrepanz zwischen intendierter und konstituierter Wirklichkeit auf der einen und der durch den Satiriker und den Rezipienten wahrgenommenen Wirklichkeit auf der anderen Seite.125

3.3.3.3 Phantastische Elemente: Die Vogelnest-Romane Für satirische Zwecke setzt Grimmelshausen auch phantastische Elemente als Requisiten ein. Am deutlichsten und ausführlichsten wird dieser Einsatz in den beiden Vogelnest-Romanen. Das Vogelnest wird bereits am Ende des Springinsfeld eingeführt: Im XXIII. Kapitel wird geschildert, wie die Leyrerin, Springinsfelds tugendlose zweite Ehefrau das Vogelnest findet, bemerkt, dass es seinen Träger unsichtbar macht �� 125 Zur Satire in der Verkehrten Welt vgl. auch Detering 2013, 236–238.

246 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse und erkennt, welche Möglichkeiten für böse Taten darin stecken. Unter wüsten Beleidigungen verlässt sie Springinsfeld und stiehlt sich mit Hilfe des Vogelnests ein stattliches Vermögen zusammen. Zu Beginn des ersten Vogelnest-Romans ereilt sie ihr Schicksal: Sie wird von einigen Soldaten gestellt und getötet, ihr Leichnam wird als der einer Hexe verbrannt. Das Vogelnest jedoch fällt einem jungen Hellebardier in die Hände. Als dieser die Kräfte des Vogelnests bemerkt, macht er sich „allbereit viel höhere Gedancken als Gyges über seinem Ring / da er sich an deß Königs in Lydiae Hof begab“ (WV I, B 301, T 5).126 Zunächst scheint er also wie die Leyrerin das verbrecherische Potential, das im Vogelnest steckt, zu sehen. Dann jedoch, und dies unterscheidet ihn von der vorherigen Vogelnest-Trägerin, reflektiert er die Möglichkeiten dieses Besitzes: Es könne zwar eine schnelle Befriedigung der Bedürfnisse gewährleisten, doch es könne kein dauerhaftes Glück versprechen. Zudem könne man nicht wissen, ob nicht vielleicht der Teufel mit diesem Mittel die Seelen der Menschen verführen wolle. Trotz dieser Gedanken behält er zunächst das Vogelnest. Von nun an zieht der Hellebardier als unsichtbarer Beobachter durch die Welt. Auf seinen zahlreichen Stationen muss er immer wieder sehen, dass die Menschen freundlich und hilfsbereit sind, solange sie von anderen Menschen gesehen werden, aber bösartig und hinterhältig werden, sobald sie sich unbeobachtet glauben. Nach und nach gelangt der Hellebardier zu der Erkenntnis, dass Gott alles sieht und man nichts vor ihm verbergen kann und dass den meisten Menschen dieses Bewusstsein fehlt. Exemplarisch sei hier sein erstes Erlebnis etwas ausführlicher geschildert. Der Hellebardier läuft durch einen Wald, wo er auf einen Adligen mit seinem Diener trifft, deren Gespräch er belauscht. Er erfährt, dass der Adlige eine Jungfrau freien will in der Hoffnung, durch deren Mitgift seine desolate finanzielle Lage aufzubessern. Im Schloss der Mutter der jungen Dame, um die gefreit werden soll, sucht der Hellebardier jedoch vergeblich nach Reichtümern. Schließlich entdeckt er, dass die Mutter selbst all ihr Geld aufgebraucht hat und hofft, durch die Hochzeit ihrer Tochter mit dem Adligen wieder zu Geld zu kommen. Daher wird alles getan, um die finanziellen Mängel zu verbergen, damit sie der Ankömmling für vermögend hält. Damit ist der satirische Rahmen dieser Episode aufgespannt: Sie stellt zwei verarmte Adelsfamilien dar, die durch eine Heirat hoffen, vom vermeintlichen

�� 126 Gyges war ein sagenhafter Hirte in Lydien, der einen unsichtbar machenden Ring fand und dessen Kräfte einsetzte, um die Gemahlin des Königs zu verführen, den König zu töten und sich selbst zum Herrscher über Lydien zu machen.

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Reichtum der jeweils anderen profitieren zu können. Die Satire zielt einerseits auf die höfische Kunst der Verstellung (simulatio/dissimulatio), durch die verhindert werden soll, dass der Andere die eigenen Gedanken durchschaut, andererseits auf die aufwändigen Repräsentationspflichten der Adligen, die viele Adelsfamilien verarmen ließen. Zudem werden höfische Verhaltensweisen wie das Komplimentierwesen als Mittel, schönen Schein zu erzeugen und die Wahrheit zu verschleiern, entlarvt. Am Abend, als er sich in einem Stall ins Heu schlafen legt, denkt der Hellebardier noch einmal über das nach, was er beobachtet hat, und wundert sich, „daß diese Leute / die einander doch heyrathen und zusammen in eine so nahe Blutfreundschafft tretten wollen / einander mit dergleichen gleißnerischen Falschheit / lügerhaffter Betrügerey und pralerischen Auffzügen hinters Liecht zu führen sich nicht scheueten“ (WV I, B 316, T 19). Er wolle nicht wissen, wie sie mit solchen Leuten verfahren, die sie ihrer Verwandtschaft nicht für würdig erachteten (ebd.). Die Satire entsteht auch hier durch die Diskrepanz zwischen Schein und Sein. Diese ist jedoch anders gelagert als in der Verkehrten Welt: Hier werden nicht wahrgenommene und intendierte Wirklichkeit gegeneinandergehalten, sondern die Protagonisten versuchen, den schönen Schein zu wahren und das hässliche Sein zu verdecken. Dies gelingt nur unter großen Anstrengungen, weil der Schein immer wieder gefährdet ist. So blamiert der Diener seinen Herrn und die Jungfrau deckt unabsichtlich die Mittellosigkeit ihrer Mutter auf, indem sie verrät, dass die Bettlaken geliehen seien. Die verzweifelten Versuche, die Situation zu retten, führen nur zu weiteren Peinlichkeiten (vgl. WV I, B 314 f., T 17 f.). Während bereits die Situationskomik satirische Effekte erzeugt, sind es die Kommentare des Hellebardiers, welche die Norm, die intendierte Wirklichkeit, im Hintergrund aufscheinen lassen, die jedoch noch nicht voll entfaltet wird. Der Hellebardier fungiert nicht nur als stiller unsichtbarer Beobachter der heimlichen Handlungen der Menschen, sondern er greift auch, wenn es gar zu sehr gegen seine moralischen Prinzipien geht, aktiv in das Geschehen ein. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit kleinen Diebstählen, die ihm dank seines Vogelnests meist mühelos gelingen. Immer wieder jedoch reflektiert er über sein Handeln und kommt zu der Einsicht, dass er moralisch nicht besser handelt als diejenigen, die er heimlich beobachtet. Da er von niemandem gesehen werden kann, muss er seine Nahrung und auch seine Kleidung mit Diebstählen beschaffen. Mehr noch: „Fieng ich an zuerkennen / daß mein damalige Lebensgattung die ich führete / verdamlich wäre“ (WV I, B 388, T 86). Er fürchtet, dass ihm niemand beistehe, wenn er krank würde und Trost bräuchte. Zudem könnte es sein, dass er eines Tages entdeckt, angezeigt, gefoltert und schließlich als Zauberer wegen seines Vogelnests verbrannt werde (vgl. WV I, B 389, T 87).

248 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Dergleichen Überlegungen, die immer wieder die Romanhandlung unterbrechen, führen ihn letztlich zur Klarheit seiner Gedanken über Moral und Recht. Er begreift, „daß derjenig Gottloß zu nennen / und Gottlos in Wercken wäre / der nicht immer GOtt vor Augen hat und in seinem gantzen Wandel dessen Gegenwart förchtet“ (WV I, B 411, T 108). Er wird sich dessen bewusst, dass es allein das Vogelnest und die damit einhergehende Unsichtbarkeit waren, die die Menschen dazu brachten, in seiner Anwesenheit Sünden zu begehen im Glauben, sie wären alleine. Er zitiert folgende Legende: Jch gedachte an jenen frommen Mönchen / der auff einer leichtfertigen Vettel emsiges Anhalten mit ihr das Werck der Unkeuschheit zu begehen versprach / dafern sie es auff offenem Marck vor aller Menschen Augen mit ihm vollbrächte / die es aber auß Scham solcher Gestalt nicht angehen wolte / sondern ihr verliebtes Rasen in eine heilsame Bekehrung verwandelte (ebd.).

Die Erinnerung an diese Legende bringt ihn auf den Gedanken, dass die Menschen sich scheuen, vor den Augen anderer Menschen zu sündigen, diese Scheu aber verlieren, wenn sie sich unbeobachtet glauben. Dann jedoch sind sie nicht vor Gottes Augen verborgen. Aus diesen Überlegungen kann er eine Morallehre ableiten, deren Kern darin besteht, daß der jenige Mensch alsdann nicht unbillich gottlos und GOttes vergessen zu nennen seye / wann er die continuirliche Gegenwart GOttes auß dem Gedächtnus verliere / oder hindangesetzt seyn lasse; der aber gottsförchtig sey / der solche unläugbare gewisse Gegenwart deß Höchsten unaußsetzlich in allem seinem Handel und Wandel / Thun und Lassen vor Augen habe / observiere und respectire / dieser Weg dunckte mich gar leicht darauff zu einem frommen GOtt wolgefälligen Leben zu gelangen (WV I, B 413, T 109 f.).

Auch hier geht es letztlich um das Seelenheil des Menschen. Dieser moralische Imperativ ist letztlich die intendierte Wirklichkeit, die der dargestellten und der (sowohl vom Satiriker als auch von dessen Hauptfigur) wahrgenommenen Wirklichkeit entgegengestellt wird. Gleichwohl fällt der Hellebardier auch nach dieser Einsicht den Verlockungen der Welt zum Opfer: Hatte er morgens noch den Entschluss gefasst, immer „GOtt vor Augen [zu] haben“, sich zu bessern und fromm zu leben (WV I, B 421, T 117), so kommt er abends in ein Dorf, wo gerade Kirchweih und eine Hochzeit gefeiert werden. Unsichtbar feiert er ausgelassen mit und trinkt dabei so viel, dass er alle Vorsicht verliert. Betrunken torkelt er in das nächstbeste Haus und legt sich, gegen seine Gewohnheit, nicht in eine ruhige Ecke, sondern in ein Bett. Selbstkritisch bemerkt er in der Retrospektive, wie er seinen am Morgen gefassten Entschluss schon wieder ignoriert hat (vgl. WV I, B 426, T 122). Doch dabei bleibt es nicht: Um Mitternacht kommen zwei ebenfalls betrunkene Jungfrauen

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in das Zimmer. Eine von ihnen legt sich halb ausgezogen in das scheinbar leere Bett, in dem der Hellebardier liegt. Immer noch vom Wein benebelt verführt er das Mädchen „wie ein unvernünfftig Viehe“ (ebd.). Da sie offensichtlich glaubt, er sei ihr Liebhaber, lässt sie alles geschehen. Im Morgengrauen lässt der Hellebardier die „gewesene Jungfer“ (WV I, B 427, T 122) zurück und verlässt das Dorf. Diese Episode zeigt, dass der theoretischen Erkenntnis nicht notwendig die praktische Umsetzung folgen muss und dass gute Vorsätze durch ungünstige Umstände zunichte gemacht werden können. Die Erlebnisse mit einem Hirten, dem er gerade das Seelenheil gerettet hat, reflektierend, wird er sich darüber klar, dass es nicht genügt, sich der stetigen Gegenwart Gottes bewusst zu sein; vielmehr müsse man Gott auch um „Hülff / Gnad und Beystand“ bitten (WV I, B 433, T 127 f.), um die Sünde zu vermeiden. Zudem sei es hilfreich, dass man „alle verdächtige Oerter meyde / da [man] besorglich sündigen könte“ (ebd.), denn Gelegenheit mache bekanntlich Diebe. Der Hellebardier zerreißt schließlich das Vogelnest und wirft es weg. Während er beobachtet, wie der Kaufmann, der Protagonist von Vogelnest II, die Reste des Vogelnests findet, entdeckt er in einem hohlen Baum einen Schatz, nämlich die 1000 Dukaten, die die Leyrerin eben diesem Kaufmann gestohlen hatte. Er nimmt sich vor, das Geld als Startkapital für ein neues Leben zu benutzen und in Zukunft seinen Unterhalt mit ehrlicher Arbeit zu verdienen. Zudem will er das Mädchen, das er entjungfert hat, heiraten und so ihre Ehre wieder herstellen. Das Vogelnest dient in diesem Roman also als Maske und demaskiert zugleich. Durch seine Fähigkeit, seinen Träger unsichtbar zu machen, ermöglicht es diesem, als stiller Zeuge die Handlungen der Menschen zu beobachten und satirisch zu kommentieren. Insofern ist das Vogelnest ein wirksames satirisches Requisit. Zugleich jedoch dient es der Selbsterkenntnis des Hellebardiers. Er ist sich bewusst, dass es einerseits als Deckmantel für Sünde und Verbrechen dienen kann, andererseits „erinnerte ich mich auch deß Guten so ich durch selbiges zu lernen und zu begreiffen Anlaß bekommen / seit ichs in Händen gehabt“ (WV I, B 442, T 136), nämlich der Erkenntnis, dass man sich immer Gottes Gegenwart bewusst sein und die Gelegenheit zur Sünde meiden müsse. Die letzte Formulierung der intendierten Wirklichkeit lautet so: [N]ehmlich daß der jenig sicher wandele / der GOttes Gegenwart allezeit vor Augen hielte / böse Gesellschafften fliehe / die possirlich scheinende Ader vor Suspect halte / ihme selbst nimmermehr traute / den überflüssigen Trunck zu besserer Verwahrung seiner Sinnen vermeide / und im übrigen von allen Creaturen / ja von allem dem was ihm vorkommt / was er höret und siehet / etwas guts unterstehen zu lernen / welches ich ihm zur Ehr und dem Dienst GOttes reichet und beförderlich zu seiner Seelen Seligkeit aber ersprießlich seyn mögte (ebd.).

250 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Die Wirkung des Vogelnests ist also ambivalent: Einerseits verführt es seinen Träger zur Sünde und zum Verbrechen, wie die Leyrerin und zeitweise auch den Hellebardier, andererseits vermittelt es demjenigen, der zur Reflexion fähig ist, Einsichten in eine den christlichen Geboten entsprechende Morallehre. Zweiseitig ist auch seine satirische Natur: Es ermöglicht die Entlarvung von Sünden, die dem Menschen, aber nicht Gott verborgen sind und so deren satirisch-kritische Kommentierung. Andererseits dient es auch als Werkzeug der Selbstreflexion des Satirikers, durch die er sich über seinen eigenen Standpunkt und seine eigenen Verhaltensweisen Klarheit verschafft und die Diskrepanz zwischen den eigenen Forderungen und den eigenen Handlungen aufdeckt. Der zweite Teil des Vogelnests knüpft unmittelbar an den ersten an. Im Mittelpunkt steht jener Kaufmann, dem die Leyrerin am Ende des Springinsfeld eine größere Summe Geld gestohlen hat. Er ist immer noch nicht über den Verlust des Geldes hinweggekommen. Im ersten Kapitel des Romans stellt er sich als hochmütigen und wollüstigen Mann vor, der stets um „Ansehen / Ehr und reputation“ (WV II, B 467, T 156) besorgt ist, der um das verlorene Geld trauert wie um eine Geliebte und der bekennt, dass er „wider alle Vernunfft und Billichkeit das Gelt mehr als Gott geliebt“ hat (WV II, B 469, T 158). Ein ,fahrender Schüler‘ beschafft ihm die Reste des Vogelnests, das vom Hellebardier zerrissen worden war. Sofort begreift der Kaufmann, welchen Nutzen ihm die Fähigkeit bringt, sich unsichtbar zu machen. Er mischt sich unter die anderen Geschäftsleute der Stadt, um unbemerkt an Informationen zu gelangen, „damit ich wieder reicher würde / als ich zuvor gewesen“ (WV II, B 480, T 167). Danach kehrt er in sein Haus zurück, wo er unsichtbar seine Ehefrau und sein Gesinde ausspioniert. Es zeigt sich, dass er ein misstrauischer Mensch ist, der nicht einmal seiner Ehefrau vertraut. Auf diese Weise bemerkt er auch, dass seine Frau, die sich von ihrem auf sein Geld fixierten Mann vernachlässigt fühlt, im Begriff ist, ein außereheliches Verhältnis mit einem jungen Arzt zu beginnen. Eifersüchtig rächt er sich auf brutale und demütigende Weise an seiner Frau, nur um gleich darauf mit einer jungen Hausangestellten die Ehe zu brechen, sie zu schwängern und ihr Kind einem Diener unterzujubeln. Rückblickend stellt er selbstkritisch fest, dass er „zugleich ein Ehebrecher und Jungfrauen-schänder worden“ sei (WV II, B 499, T 184). Später nennt er sich selbst einen „Ehebrecher“, „Betrüger“ und „Verleumbder“ (WV II, B 515, T 198). Um Abstand von seiner Frau zu gewinnen, reist er nach Amsterdam. Dort erfährt er vom bevorstehenden Krieg Frankreichs gegen die Vereinigten Niederlande. Die politische Lage interessiert ihn jedoch nur insofern, als er darüber nachgrübelt, wie er sein Vermögen retten kann. Um selbst über Geldmittel zu verfügen, plant er, mit Hilfe des Vogelnests einen reichen Juden auszurauben. Als er in das Haus des Juden Eliezer einbricht und nach dessen Schätzen sucht,

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trifft er auf Eliezers schöne Tochter Esther und sofort wächst in ihm das Verlangen, sie zu besitzen. Dass sie Jüdin ist, stört ihn nur insofern, als dies sein Vorhaben erheblich erschwert. Doch es ist ihm gleichgültig, ob er seine „Viehische Begierden an einem getaufften oder ungetaufften stück Fleisch“ befriedigt (WV II, B 543, T 222). Nachdem er durch den konvertierten Juden Erasmus einiges über den jüdischen Glauben erfahren hat, gibt er sich mit Hilfe des Vogelnests als der Prophet Elias aus, der Esther auserkoren habe, mit ihr den ersehnten Messias zu zeugen. Sein dreister Betrug gelingt und er verbringt drei Nächte mit Esther. In der Rückschau bekennt er, dass ihn hier der „leidige Sathanas“ geführt habe (WV II, B 563, T 239). Zudem fühlt er sich schuldig, die Juden in ihrem Glauben noch bestärkt zu haben, wo es doch die Pflicht eines jeden Christen sei, die Juden auf die Seite des Christentums zu ziehen. Diese Aufgabe habe er „eines schnöden kurtzen Wollusts“ wegen nicht verwirklicht (WV II, B 564, T 240). Wie erwartet wird Esther schwanger und die Juden halten die alten Prophezeiungen für erfüllt. Umso größer ist ihre Verwunderung und Enttäuschung, als Esther „an statt deß Messiae nur eine Schlitzgabel zu Welt brachte“ (WV II, B 575, T 249). Inzwischen hat der Kaufmann seinen Fehler erkannt und versucht, ihn wieder gut zu machen. Er verkuppelt Erasmus mit Esther und bringt sie dazu, zusammen mit ihrer Vertrauten Josanna zum Christentum zu konvertieren. So hofft er, wenigstens einen Teil seiner Schuld abgetragen zu haben. Dann verhilft er dem Paar zur Flucht vor ihrem Vater. Der Kaufmann selbst verbringt seine Zeit zunehmend mit Hexenmeistern und Schwarzkünstlern, von denen er Büchsenbannsprüche, das Festmachen und andere Zauberpraktiken erlernt. Mit diesen Fähigkeiten und dem Vogelnest hofft er, als Soldat Karriere machen und in kürzester Zeit zum General aufsteigen zu können. So meldet er sich freiwillig, als der Krieg ausbricht. Nach anfänglichen Erfolgen wird jedoch der „Großmächtige Goliath“ (WV II, B 621, T 289) verwundet: Er hatte nicht damit gerechnet, dass es auch andere gebe, die seine Festigkeit aufheben könnten. So muss er hilflos auf dem Schlachtfeld liegen und sein Geschick abwarten. Diese Situation empfindet er als „wohlverdiente[] Straffe“ (WV II, B 623, T 291) für seine Vergehen. Er bereut sein Handeln und verspricht, dass er, wenn er überlebe, sein Leben ändern, Gott ehren und die Menschen im Gottesglauben festigen werde.127

�� 127 Hier wie auch in anderen Texten ist es eine lebensbedrohliche Situation, in der der Protagonist sein Leben reflektiert und Besserung gelobt. Vgl. etwa Simplicissimus, IV. Buch, 10. Kapitel, wo Simplicissimus beinahe im Rhein ertrinkt, und Springinsfeld Kap. XVI., als Springinsfeld von Wölfen belagert wird.

252 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Er wird tatsächlich gerettet, doch seine Wunde entzündet sich und er fürchtet zu sterben. Deshalb beichtet er einem Pater „alle meine Ehebrecherische Huren-Hängstereyen / greuliche Zaubermässige Teuffels-Künste / und andere Schelmenstück und Diebsgriff“ (WV II, B 626 f., T 293), die er begangen hat. Der Pater überzeugt ihn davon, dass er durch seine Zauberpraktiken und vor allem durch den Besitz des Vogelnests mit dem Teufel im Bunde war. Dass er in der Schlacht verwundet wurde, sei ein Glück gewesen, denn erst dieses Erlebnis habe ihn zur Selbsterkenntnis gebracht. Die beiden reisen in Richtung der Heimat des Kaufmanns und unterwegs wirft der Pater das Vogelnest in die tiefste Stelle des Rheins. An dieser knappen Rekapitulation wird deutlich, dass die satirische Funktion des Vogelnests hier eine andere ist als im ersten Teil. Hier wird nicht das sündige Verhalten der Menschen thematisiert und auch nicht die Selbsterkenntnis des Protagonisten. Vielmehr dient das „magische Vogelnest […] zur Selbstentlarvung seines Besitzers, der dies erst spät und dann auch nur teilweise erkennt“ (Breuer 1999, 114). Der Kaufmann erscheint als selbstsüchtiger, auf sein Geld fixierter und hochmütiger Mann, für den Frauen lediglich Objekte seiner sexuellen Lust sind, wie die Bezeichnung Schlitzgabel augenscheinlich illustriert. Zur Befriedigung seiner Lust bricht er die Ehe, bestraft gleichzeitig aber seine Frau für einen noch gar nicht vollzogenen Ehebruch. Er macht sich den jüdischen Aberglauben zunutze, um seine Lust zu befriedigen und betrügt auf diese Weise viele Menschen. „Dieser wohlhabende Bürger ist durch seinen Egoismus, seine Gehässigkeit gegenüber den Juden und ihrer Religion, durch die Herabwürdigung der Frauen die hässlichste Gestalt, die Grimmelshausen erfunden hat“ (ebd., 113). Daran ändert auch seine Umkehr am Ende des Romans nichts: „Selbst bei der Erzählung der Lebenswende bleibt der Kaufmann in Urteilen und Vorurteilen seines Standes gefangen, seine religiösen Äußerungen wirken formelhaft, penetrant und aufgesetzt. […] Der Kaufmann ist nicht imstande, seine Borniertheiten zu reflektieren, im Rückblick zu ironisieren; wenn er sich in Ironie versucht, ist er zynisch“ (ebd.). Breuer sieht hier den „Perspektivismus des simplicianischen Zyklus […] auf die Spitze getrieben“ (ebd.). Im Gegensatz zum ersten Teil wird hier das Vogelnest als eindeutiges Instrument des Teufels deklariert128, das die schlechten Anlagen seines Trägers noch weiter verstärkt. Auf diese Weise werden die Laster des Kaufmanns auch ohne aufwändige Interpretation deutlich. In gewisser Weise fungiert das Vogelnest in diesem Roman als Vergrößerungsglas, das zwar seinen Besitzer unsichtbar, dessen Laster dafür aber umso sichtbarer macht. Es stellt die Fixierung auf sein �� 128 Dies zeigen die Beschwörungspraktiken des ,fahrenden Schülers‘ in Kap. III deutlich.

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Geld, die Eifersucht, das Misstrauen und die sexuelle Gier sowie die Intoleranz des Kaufmanns schonungslos bloß. Ohne es zu merken wird der Kaufmann selbst Objekt der Satire. Das Vogelnest als Vergrößerungsglas129 verzerrt die wahrgenommene Wirklichkeit, die Satire als konstituierte Wirklichkeit entsteht durch die unwissentliche Selbstentlarvung des Kaufmanns. Die intendierte Wirklichkeit wird anhand der letztlich halbherzigen Reflexionen des Protagonisten nur indirekt deutlich, nämlich dann, wenn der Rezipient, auch in Kenntnis des ersten Teils, das Fehlende ergänzt. Der Text fordert also das Urteilsvermögen des Rezipienten heraus. So gesehen ist Grimmelshausens letzte Schrift zugleich „auch sein gewagtestes Erzählexperiment“ (ebd., 114).

3.4 Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren als Methode linguistischer Diskursanalyse Wie oben ( 3.2.1) bemerkt, bilden sich Diskurse als eine Anzahl von Texten zu einem bestimmten Thema, die durch semantische Beziehungen untereinander verknüpft sind. Diese Verknüpfung führt dazu, dass ein Einzeltext überhaupt als zu diesem bestimmten Diskurs gehörig angesehen werden kann.130 Sie kann auf zweierlei Art erfolgen, nämlich auf der Ausdrucksseite, in Anlehnung an die Terminologie der Textlinguistik als Kohäsion bezeichnet, und der Inhaltsseite (Kohärenz). Diese intertextuellen diskurskonnektiven Elemente können unter dem Oberbegriff der diskurssemantischen Grundfigur subsumiert werden.

3.4.1 Zur Theorie der diskurssemantischen Grundfigur Die Theorie der diskurssemantischen Grundfigur wurde von Dietrich Busse (Busse 1997) entwickelt. Im Anschluss an die zuerst von Charles Fillmore (z.B. 1976) konzipierte Frame-Semantik geht es ihm um eine ,Diskurslinguistik als Epistemologie‘, in der das ,verstehensrelevante Wissen‘ im Mittelpunkt stehen soll. Unter verstehensrelevantem Wissen ist das Wissen zu verstehen, das für den �� 129 Vgl. das Titelkupfer zu Vogelnest I, S. 246. 130 Das Thema eines Einzeltextes kann von Gegenstand oder Fragestellung her durchaus vom Thema des Diskurses abweichen, jedoch in einer bestimmten Passage dennoch auf dieses bezogen werden. Dies ist umso mehr möglich, je weiter das Thema eines Diskurses gefasst ist, je abstrakter es wird. Für die Eingrenzung des Diskurses, der untersucht werden soll, ist es deshalb notwendig, das Thema nicht zu weit, zu abstrakt werden zu lassen und es andererseits auch nicht zu eng zu fassen.

254 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Sprachbenutzer nötig ist, um einen Text produzieren oder verstehen zu können. Dabei bezieht sich Busse auf Fillmore, dessen Verdienst es war, „die übliche (und seiner Ansicht nach falsche) Frage: ,Was ist die Bedeutung dieser Form?‘ (d.h. dieses Wortes, Satzes) durch die Frage zu ersetzen: ,Was muss ich wissen, um eine sprachliche Form angemessen verwenden zu können und andere Leute zu verstehen, wenn sie sie verwenden?“ (Busse 2008, 66). Dieses verstehensrelevante Wissen kann explizit in der Rede geäußert oder implizit als Implikation, Präsupposition usw. vorausgesetzt werden. Aufgabe der linguistischen Diskursanalyse ist es, das explizit geäußerte, vor allem aber das implizit vorausgesetzte Wissen zu rekonstruieren und darzustellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass weder dem Textproduzenten noch dem Rezipienten das gesamte für die Textproduktion/-rezeption notwendige Wissen bewusst sein muss. Dies gilt etwa für das, was in der linguistischen Semantik Konnotation genannt wird: Bedeutungskomponenten, die mit den älteren Methoden der Semantik, etwa der Semanalyse, nicht zu erfassen sind, weil sie auf denotativer Ebene mit dem Bezeichneten nicht in Verbindung gebracht werden können. Sie sind eher auf der individuellen oder kollektiven Gefühlsebene anzusiedeln. Das verstehensrelevante Wissen bezieht sich also sowohl auf das individuelle Wissen der Sprachbenutzer als auch auf das überindividuelle, kollektive Wissen einer Gesellschaft, das dem einzelnen Sprachbenutzer im Moment des Redeakts nicht notwendig bewusst sein muss.131 „So gesehen ,spricht‘ aus einem Text oder Textbestandteil nicht nur das textproduzierende Subjekt, sondern es spricht eine Tradition des Denkens, ,Fühlens‘, Meinens oder Redens, in welcher das einzelne Subjekt nur die konkret-verwirklichende Instanz einer ,Aussage‘ […] ist, welche historisch gesehen vielmals vorformuliert, vorgedacht und ,vorgefühlt‘ ist“ (Busse 1997, 17 f.). Sprachbenutzer stehen in Traditionen des Denkens, Fühlens, Meinens oder Redens, sie greifen, bewusst oder unbewusst, intendiert oder nicht-intendiert, Gedanken oder Formulierungen von Vorgängern auf. Dabei bevorzugt man, wenn die Rede erfolgreich sein, d.h. von möglichst vielen verstanden und weitertradiert werden soll, solche Formulierungen, die bekannt und durchsichtig sind und ein Bildfeld evozieren, die also große Plausibilität versprechen. Solche Versatzstücke können etwa rhetorische Topoi sein. Diese wurden etwa im 17. Jahrhundert in Topiken gesammelt. In diesen Topiken konnte der Redner oder Autor die für seinen Kommunikationszweck passende Redefigur finden.

�� 131 So erklärt es sich z.B. auch, dass man ,in Fettnäpfchen treten‘ oder jemanden, ohne es zu wissen oder zu beabsichtigen, beleidigen kann, weil man beim Gegenüber Assoziationen oder Konnotationen aufruft, die man selbst nicht oder gerade nicht im Bewusstsein hat.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 255

„Topik in diesem Sinne gewährleistet auf der Grundlage entsprechender Gelehrsamkeit das methodisch gesicherte Anlegen einer Material- oder Stoffsammlung, die ein Thema oder einen Sachverhalt unter allen möglichen Aspekten und Perspektiven abzuhandeln gestattet“ (Hinrichs 1999, 221).132 In der Diskurslinguistik können solche sprachlichen Versatzstücke unter dem Konzept der ,diskurssemantischen Grundfigur‘ gefasst werden. Diskurse zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass die ihnen zuzuordnenden Texte Regelmäßigkeiten im Auftreten bestimmter inhaltlicher Elemente aufweisen; zum anderen Teil schlagen sich zu Regelmäßigkeiten verfestigte inhaltliche Elemente in den einzelne Diskurse bildenden […] Texten nieder. Dies führt dazu, dass Texte (und ihre Bestandteile) nicht […] quasi ab ovo durch die Intentionalität des Produzenten geformte originale Erzeugnisse sind, sondern Versatzstücke verwenden, die zu der epistemisch-kognitiven Grundausstattung der Textproduzenten gehören bzw. von ihnen aus anderen, zuvor rezipierten Texten ad hoc aufgeschnappt worden sind (Busse 1997, 19).

Die diskurssemantischen Grundfiguren dienen in erster Linie dem kognitiven Zweck, dass sie für den Leser einen hohen Wiedererkennungswert haben und so Gedankenkomplexe oder Argumentationsstrukturen in verkürzter, man könnte auch sagen: ökonomischer Form wiedergeben, da dem kundigen Leser die hinter den diskurssemantischen Grundfiguren stehenden Gedanken bekannt sind bzw. als bekannt vorausgesetzt werden können. Dies gilt insbesondere für zentrale Konzepte, etwa das der ,Grundrichtigkeit‘ als Teilkonzept der EIGENTLICHKEIT133 in den sprachreflexiven Diskursen des 17. Jahrhunderts (vgl. dazu unten, 4.4.4). Diskurssemantische Grundfiguren dienen aber nicht nur der zeit- und platzsparenden Anspielung auf Argumentationsstrukturen oder Gedankenfiguren, sondern auch der Textstrukturierung: Diskursive Figuren ordnen textinhaltliche Elemente, steuern u.U. ihr Auftreten an bestimmten Punkten des Diskurses, bestimmen eine innere Struktur des Diskurses, die nicht mit der thematischen Struktur der Texte, in denen sie auftauchen, identisch sein muss, und bilden ein Raster, das selbst wieder als Grundstruktur diskursübergreifender epistemischer Zusammenhänge wirksam werden kann (Busse 1997, 20).

Solche diskurssemantischen Grundfiguren können sich u.a. in Isotopie-Ketten, argumentativen Schlussregeln (Topoi), Präsuppositionen, Namen, angesprochenen Personen, Sachen, Sachverhalten und Gedankenkomplexen oder in der

�� 132 Zu den Topoi vgl. unten, 3.4.2. 133 Hier und im Folgenden werden diskurssemantische Grundfiguren durch Kapitälchen markiert.

256 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse lexikalischen Bedeutung von Sprachzeichen oder Sprachzeichenketten verbergen (vgl. ebd., 20 f.). Dies müssen nicht zwingend Autosemantika sein, sondern es können auch Synsemantika sein. Busse expliziert sein Konzept der diskurssemantischen Grundfigur anhand des Gegenstandes DAS EIGENE vs. DAS FREMDE. Da dieser Gegensatz auch im hier behandelten Diskurs immer wieder eine Rolle spielt, wird darauf immer wieder rekurriert werden (vgl. Kap. 4 und 5). Auch Joachim Scharloth macht sich die Theorie der diskurssemantischen Grundfiguren zunutze. Für ihn sind sie „epistemisch-kognitive Versatzstücke, auf die der Produzent eines Textes meist unbewusst zurückgreift“ und die sich „beispielsweise in einem Repertoire an Argumentations- und Begründungsschemata [manifestieren], das bei der Organisation alltäglichen Wissens zur Anwendung kommt und ihm die Würde der Evidenz verleiht“ (Scharloth 2005, 75). Scharloth geht es vor allem darum, die Mentalitäten herauszuarbeiten, die den Sprachnormierungsdiskurs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts leiten. Die Analyse der diskurssemantischen Grundfiguren dient ihm als Methode, diese Mentalitäten zu rekonstruieren. Er versteht sie als „Repräsentanten des Denkens dieser Gruppen“ (ebd., 76). Ihm geht es zum einen um die Idealtypen der Argumentation, vor allem aber um die implizit vorgetragenen Argumentationsmuster, die durch Präsuppositionen, Implikationen oder Kollektivsymbole realisiert werden. Das Vorkommen dieser Topoi sowie ihre Dynamik werden anhand des Korpus untersucht und interpretiert. Aus den Ergebnissen können schließlich die Mentalitäten abgeleitet werden, die den Rahmen des Normierungsdiskurses bilden. Für Ingo Warnke und Jürgen Spitzmüller sind diskurssemantische Grundfiguren „generelle Strukturelemente von Diskursen, unter die nahezu alles subsumiert werden kann, wonach die linguistische Diskursanalyse in Texten sucht“ (Spitzmüller/Warnke 2011, 85). Für sie ist die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren eine Methode der transtextuellen Analyse (neben der intratextuellen Analyse sowie der Analyse der Diskursakteure), mit der die Funktion und Struktur von Sprache jenseits der Textgrenzen untersucht werden sollen. Im Anschluss an Busse verstehen sie darunter dikursübergreifende epistemische Zusammenhänge, „die Art und Weise der Thematisierung bestimmter Gegenstände und die damit verbundenen Haltungen in Textverbünden“ (Warnke/ Spitzmüller 2008b, 40). Die diskurssemantische Grundfigur wird neben andere Analysekonzepte wie ,Intertextualität‘, ,Frames‘, ,Topoi‘ oder ,Ideologien‘ gestellt (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 187–197) und in den Rahmen des DIMEANModells (,Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse‘) eingeordnet (vgl. dazu Warnke/Spitzmüller 2008b, 23–44 und Spitzmüller/Warnke 2011, 201). Heidrun Kämper analysiert die Demokratie-Konzepte der späten 1960er Jahre mit dem Ziel einer „diskurssemantischen Konzeptgeschichte“ (Kämper 2012, 21).

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Darunter versteht sie die Beschreibung von Konzepten, die als „Summe von Semantiken“ (ebd., 33) komplexe mentale Strukturen repräsentieren. Die Konzepte stehen untereinander die einem Netz von Hierarchien und Beziehungen, das seinerseits analysiert werden muss. Diskurssemantik meint dementsprechend „ein kontextabhängiges, über einen zentralen Gegenstand definiertes vielfältig spezifiziertes und aspektualisiertes Bedeutungsgefüge eines Diskurses“ (ebd., 19). Die Diskurstopik134 verdichtet und manifestiert sich in erster Linie im Wortschatz, der deshalb einen Schwerpunkt in ihrer Arbeit bildet. Die Wörter lassen sich in semantisch eng verknüpfte komplexe Gruppen gliedern, aus denen sich die Konzepte destillieren lassen (vgl. ebd., 32 f.). Konkret wird die die diskursive Grundfigur DEMOKRATIE (vgl. ebd., 23) durch den lexikalischen Zugriff auf diskursive Ereignisse durch die Diskursakteure analysiert und beschrieben. Das Konzept der diskurssemantischen Grundfigur muss in einem Punkt modifiziert werden: Die genannten Ansätze haben bei der Analyse der diskurssemantischen Grundfigur speziell die Versatzstücke im Sinn, auf die die Textproduzenten unbewusst zurückgreifen. So wollen sie diskurskonstituierende Mentalitäten herausarbeiten. Aus diesem Grund arbeiten Mentalitätshistoriker meist mit alltagsweltlichen Textsorten oder literarischen Texten, die nicht zum Höhenkamm oder zur Avantgarde gehören und so „Einblick in die Stereotypen des Denkens und Fühlens geben“ (Scharloth 2005, 49).135 Der sprachpatriotische Diskurs des 17. Jahrhunderts wird jedoch durch die Gelehrtenschicht und damit durch die geistige Elite der Zeit getragen. Männer wie Schottelius, Harsdörffer oder Leibniz genossen als ,Universalgelehrte‘ hohes Ansehen. Gerade bei Autoren dieses Kalibers erscheint es fraglich, ob und inwiefern bestimmte Textbestandteile als Versatzstücke ,unbewusst‘ übernommen worden sind. Da dies auch generell fraglich ist, zumal es an validen Kriterien fehlt, nach denen zu entscheiden wäre, ob ein Textbestandteil ,unbewusst‘ oder ,bewusst‘ in den Text eingefügt wurde, wird hier auf diese Unterscheidung verzichtet, zumal sie

�� 134 Kämpers Topikbegriff ist ein anderer, als er in dieser Arbeit vertreten wird (vgl. dazu unten, 3.4.2). Für Kämper ist die Diskurstopik die „Thematik des Diskurses“ (Kämper 2012, 32). 135 Vgl. auch Hermanns 1995, 77: „[D]eshalb begreift Mentalitätsgeschichte eine Art von Geistes- oder Ideologiegeschichte in sich ein, nur geht es ihm im Unterschied zur hergebrachten Geisteswissenschaft um allgemein verbreitete und deshalb selbstverständliche, wenn man so will: um trivial gewordene Gedanken einer Gruppe; also gerade nicht um das Exzeptionelle, Geniale, Singuläre. Und es geht ihr nicht so sehr um die gedanklichen Gebäude ganzer Dogmen oder Ideologien, sondern um die einzelnen für wahr gehaltenen Gedanken“.

258 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse für die Frage, welchen Status Grimmelshausen im sprachreflexiven Diskurs des 17. Jahrhunderts einnimmt, nicht zielführend zu sein scheint.136 Die diskurssemantische Grundfigur ist letztlich nichts anderes als die Übertragung dessen, was in der Textlinguistik Kohäsion und Kohärenz genannt wird, auf Diskurse, mit dem Unterschied, dass nicht der Autor eines Einzeltextes, sondern viele Akteure als Produzenten vieler Texte, die zu Konstituenten des Diskurses werden, mehr oder weniger unabhängig voneinander für diese Verknüpfungen sorgen; diskurssemantische Grundfiguren konstituieren also Diskurskohärenz (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011, 191). Die Textlinguistik hat verschiedene Formen der Kohäsion und Kohärenz entwickelt. Einige von ihnen spielen auch in dieser Untersuchung auf Diskursebene eine Rolle. Am auffälligsten ist die lexikalische Rekurrenz, also die (partielle) Wiederholung von Wörtern und Phrasen, was auch die Wiederholung in Form von Wortbildungsprodukten mit einschließt (z.B. Sprache – Heldensprache). Mit der Rekurrenz eng verwandt ist die Substitution, durch die an die Stelle der zu ersetzenden Wörter andere, in bestimmter semantischer Beziehung zu diesen stehende, treten (z.B. Sprache – Zunge), also Synonyme, Hyperonyme, Hyponyme, auch Antonyme (etwa teutsch – fremd). Des Weiteren gehören die ProFormen in diese Kategorie, also prototypischerweise Pronomen mit textdeiktischer Funktion (vgl. Linke/Nussbaumer 2000, 310). Ihr Wert für die intratextuelle Analyse ist unbestritten. Für die transtextuelle Analyse scheinen sie aber schon deshalb nicht geeignet zu sein, weil für ihre Verwendung der Bezug auf eine erkennbare Referenz unabdingbar ist. Eine solche kann es intertextuell aber nicht geben, weil in diesem Fall die Referenz völlig unklar wäre. Daher kann die Analyse von Pro-Formen nur intratextuell erfolgen, für transtextuelle Untersuchungen ist sie nur insofern von Nutzen, als man von der intratextuellen Untersuchung zur transtextuellen fortschreitet und somit Ergebnisse von intratextuellen Untersuchungen, die auch Pro-Formen mit einschließen, auf transtextueller Ebene von Relevanz sind. Während Rekurrenz und Substitution auf der ausdrucksseitigen Ebene angesiedelt sind und die hierfür relevanten semantischen Relationen stärker an �� 136 Vielmehr kann man den Vorgang als Invisible-Hand-Prozess beschreiben (vgl. Keller 2003): Die Diskursakteure verwendeten bestimmte Topoi und folgten dabei bestimmten Kommunikationsmaximen, etwa der, den Standpunkt möglichst eingängig darzustellen oder der, sich so auszudrücken, dass man in der gelehrten Welt anerkannt wird; einige dieser Topoi verdichteten sich zu dem, was in der Rückschau als diskurssemantische Grundfigur bezeichnet werden kann. Die Verwendung der Topoi geschah intentional, die Verdichtung nicht-intentional. Auf diesem Wege, so scheint es, kann die schwer nachweisbare Kategorie des ,Unbewussten‘ umgangen werden.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 259

der Textoberfläche virulent werden, bezieht sich das Isotopie-Modell stärker auf die Semantik. Dieses Modell beruht im Kern auf den Arbeiten von Algirdas Julien Greimas, der, von der These ausgehend, „dass das Textverstehen auf dem Erfassen von semantischen Textzusammenhängen basiert“ (Heinemann/Heinemann 2002, 72), feststellte, dass Texte eine Aneinanderreihung von Semrekurrenzen sind, also die stetige Wiederholung einmal im Text etablierter Seme in unterschiedlichen lexikalischen Einheiten: „Wenn man das gleiche Phänomen unter einem etwas anderen Gesichtspunkt betrachtet, stellt man andererseits fest, dass die Manifestation von mehr als einem Sem-Kern in der Rede automatisch die iterative Manifestation eines oder mehrerer kontextueller Seme nach sich zieht“ (Greimas 1971, 45); er stellt fest, „dass […] die kontextuellen Seme den Kommunikationseinheiten – Syntagmen oder Sätzen – korrespondieren, die größer sind als die Lexeme, innerhalb derer sich, grosso modo, die Sem-Kerne manifestieren“ (ebd.; vgl. auch Heinemann/Viehweger 1991, 38 und Heinemann/Heinemann 2002, 73). Diese ausdrucksseitige und inhaltsseitige Rekurrenz ist auch auf Diskursebene festzustellen. Gerade im hier untersuchten sprachpatriotischen Diskurs zeigt sich eine Vielzahl von Metaphern, Topoi, Zitaten und ausdrücklichen Bezugnahmen auf andere Autoren, die diese Texte untereinander vernetzen und die es nahelegen, diese Netze mit textlinguistischen Beschreibungskategorien zu untersuchen. Als theoretischer Überbau bietet sich das Modell der diskurssemantischen Grundfigur an. Dabei ist jedoch einem Missverständnis vorzubeugen. Der Isotopieansatz wurde, wie der Terminus Semrekurrenz zeigt, im theoretischen Rahmen der Komponentialsemantik entwickelt, nach der sprachliche Zeichen als „in sich strukturierte Mengen semantischer Merkmale“ (Busse 2009, 43) aufgefasst werden. Dies impliziert die Annahme, „dass Bedeutungen sprachlicher Zeichen in kleinere Bestandteile zerlegbar seien [und] dass diese Zerlegung restfrei möglich sei, d.h. dass es möglich sei, durch Merkmalsangaben die Bedeutung eines Wortes vollständig zu rekonstruieren“ (ebd., 44; Hervorhebung im Text). Für eine diskursgeschichtliche Untersuchung ist eine solche Auffassung von Semantik weder theoretisch noch methodisch von Nutzen.137 Daher muss in diesem Zusammenhang Isotopie als diskurssemantische Rekurrenz von Topoi, Argumentationsmustern, Metaphern usw. verstanden werden, die in ihrer Gesamtheit unter dem Terminus diskurssemantische Grundfigur gefasst werden.

�� 137 Zur Kritik an Theorie und Methoden der Komponentialsemantik vgl. u.a. Busse 2009, 47–49, 88 f.; Löbner 2003, 210–215.

260 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Mit diesen Überlegungen gehen Hinweise auf die Methodik der empirischen Erfassung diskurssemantischer Grundfiguren einher, zu der die Literatur bisher erstaunlich wenig hervorgebracht hat. Diskurssemantische Grundfiguren ,sind‘ nicht einfach in Texten ,vorhanden‘, sondern sie sind Konstrukte des Wissenschaftlers, Ergebnisse seiner Interpretation, die auf bestimmten Vorannahmen und einem bestimmten methodischen Vorgehen beruhen. Der erste Schritt zur Konstruktion der diskurssemantischen Grundfiguren ist – wie immer – die Lektüre des aus dem Diskurs extrahierten Korpus. Bei der Lektüre werden, abhängig vom Erkenntnisinteresse, bestimmte Aspekte fokussiert, im Falle dieser Untersuchung die Art und Weise, wie die deutsche Sprache, ihre Eigenschaften, die spezifische Rolle, die ihr bei der Gemeinschaftsbildung zugeschrieben wird, sowie ihr Verhältnis zu anderen Sprachen konzeptualisiert werden. Bereits diese knappe Beschreibung zeigt, wie sehr die Konstruktion der diskurssemantischen Grundfiguren vom Untersuchungsinteresse abhängig ist. Bei der Lektüre des Korpus zeigt sich, dass die für die Untersuchung interessanten Konzepte durch ein relativ begrenztes, in sich aber sehr variables Reservoir an Darstellungsmitteln gebildet werden. Es handelt sich dabei um die unten (4.2 und 4.3) beschriebenen Metaphernkomplexe und Topoi. Während die Topoi ausdrucksseitig wenig modifiziert sind, zeigen sich die Metaphern ausdrucks- wie inhaltsseitig als außerordentlich variantenreich. Aus diesem Grund werden die Metaphern unter eine abstrakte Kategorie zusammengefasst (z.B. biologistische Metaphorik), unter die dann bedeutungsverwandte Ausdrücke subsumiert werden können (z.B. Zweig, Reis, Baum, Ast, Blatt, Frucht, Gewächs; Ader; Fortpflanzung, Wachstum, Misswachs; Gärtner, Gartenkunst; wachsen, verdorren, fruchten, entarten, wurzeln; ausreiten (›ausreuten‹), einzweigen, einpfropfen; blutarm, fruchtbringend, saftig, saftreich, wurzelfest usw.). Dabei gilt es, die Beziehungen zwischen Bildspender und Bildempfänger herauszuarbeiten und die Funktion der Metapher für die Argumentation zu bestimmen. In der Analyse wird der Schwerpunkt auf die diskursiven Zusammenhänge gelegt, in denen Topoi und Metaphernkomplexe stehen und welche Rolle sie bei der Konstruktion von diskurssemantischen Grundfiguren spielen (zum Toposbegriff vgl. unten, 3.4.2). Erheblich mehr Interpretationsaufwand erfordert der Nachweis der diskurssemantischen Grundfiguren. Zwar sind auch sie z.T. ausdrucksseitig nachweisbar (die Grundfigur REINHEIT z.B. durch Wortbildungsprodukte mit dem Element rein und partielle Synonyme), häufig sind sie aber als Implikationen, Präsuppositionen oder in Form von Anspielungen nur auf semantischer Ebene präsent. Dann sind tiefgreifendere Interpretationen nötig, in denen weitere Kontexte, Parallelstellen und die Argumentationszusammenhänge, in denen die Belege stehen, berücksichtigt werden müssen. Auch die einschlägige Forschungslitera-

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tur und ein Blick in die relevanten Wörterbücher sind (letzteres mit Einschränkungen138) hilfreich. Zudem unterstützt der offensichtliche Einsatz bestimmter diskurssemantischer Grundfiguren zu bestimmten Kommunikationszwecken deren Identifizierung. So zeigt sich etwa schnell, dass die REINHEIT häufig im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Fremdwörtern steht oder dass mit der EIGENTLICHKEIT auf komplexe sprachtheoretische Probleme wie das Verhältnis von Sprache und Denken oder die natürliche Verbindung von Sprachzeichen und Bezeichnetem Bezug genommen wird. Gerade die EIGENTLICHKEIT lässt sich als wohl wichtigstes und anspruchsvollstes sprachtheoretisches Konstrukt der Zeit oft nur indirekt belegen. Die einzelnen Elemente sind in den Texten durch Aggregation, Konnektoren, Pro-Formen usw. miteinander verknüpft. In einem dritten Schritt werden daher die Korrelationen aufgezeigt, welche die Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren untereinander eingehen können, so dass deutlich wird, welche Elemente andere stützen und deshalb häufig gemeinsam anzutreffen sind. So sind etwa der Topos ,Ascenas‘ und die diskurssemantische Grundfigur ALTER eng miteinander verbunden, weil der Topos ein wesentliches konstitutives Element der diskurssemantischen Grundfigur ist (vgl. unten, 4.4.1). Wenn davon die Rede ist, dass bestimmte Verknüpfungen häufig anzutreffen seien, ist damit zugleich das Problem von Quantität und Qualität angesprochen. Auf quantitativer Ebene ist die Häufigkeit von Korrelationen zunächst nicht mehr als ein Indiz für eine enge Zusammengehörigkeit bestimmter Elemente – aber auch nicht weniger. In der Tat lässt sich auf qualitativer Ebene nachweisen, dass zwischen den Elementen, die häufig miteinander verknüpft werden, enge semantische oder argumentative Beziehungen bestehen. Der Topos ,Ascenas‘ wird z.B. herangezogen, um die hohe Abkunft und das hohe ALTER des deutschen Volkes und seiner Sprache zu begründen und das Deutsche somit im Verhältnis zu den ,heiligen‘ und den romanischen Sprachen aufzuwerten. Die Argumentation zeigt bereits, dass der qualitativen Auswertung des Korpus der Vorzug vor der quantitativen eingeräumt wird. Dies ist v.a. auch im Hinblick auf das primäre Untersuchungsziel, die Interpretation von Grimmelshausens Teutschem Michel, von Belang. Denn für seine Beziehung zum sprachpatriotischen Diskurs ist durchaus von Interesse, auf welche Weise Grimmelshausen Bezug zu bestimmten Äußerungen der Diskursakteure in Form von

�� 138 Der Zeitraum von ca. 1600–1800 ist von der modernen Lexikographie bisher nur partiell durch das FWB (bis ca. 1650) und das DWB (das kein Sprachstadienwörterbuch ist) erfasst. Eine systematische Erfassung des Wortschatzes dieses Zeitraums nach dem Vorbild des FWB ist bisher ein Desiderat.

262 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Zitaten und Anspielungen und durch Übernahme von Topoi, Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren nimmt. So greift er etwa zu einer sehr eigenwilligen Variante der Münzmetapher, die im Korpus nur schwach belegt ist. Diese Variante sagt viel über Grimmelshausens Verhältnis zum Diskurs aus (vgl. unten, 5.5). Zugespitzt lässt sich daraus folgern: Unter rein quantitativen Gesichtspunkten wäre die Münzmetaphorik nicht unbedingt Thema dieser Untersuchung geworden; unter qualitativen Gesichtspunkten war ihre Aufnahme unumgänglich.

3.4.2 Zum Toposbegriff Da Topoi auch im sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen, scheint es nötig, noch etwas ausführlicher auf den Toposbegriff einzugehen, zumal in dieser Arbeit ein anderer Topos-Begriff verwendet wird als in der Diskurslinguistik üblich. Zudem ist das Verhältnis zwischen Topos und diskurssemantischer Grundfigur, so wie es in dieser Arbeit verstanden wird, zu klären. Bereits in der Anfangsphase der deutschsprachigen Diskurslinguistik, Anfang und Mitte der 90er Jahre, stellte Fritz Hermanns die Analyse von Topoi als Methode einer ,Linguistischen Anthropologie‘ dar (Hermanns 1994). Aus der Soziologie und der Vorurteilsforschung übernahm er die Konzepte der Prototypie und der Stereotypie. Ein Individuum, das mehrere solcher Stereotype erfüllt und der mit diesen Stereotypen versehenen Gruppe angehört, gilt als prototypischer Vertreter dieser Gruppe. Methodisch gesehen besteht das Problem, dass solche Stereotypen nur selten verbalisiert werden, weil sie als allgemein Bekanntes und Akzeptiertes vorausgesetzt und so in der Rede nicht explizit gemacht, sondern nur präsupponiert werden. Geschieht eine solche Verbalisierung dann doch, etwa, weil das als bekannt Vorausgesetzte unbekannt ist oder angezweifelt wird, dann geschieht sie in Form von Topoi. Hermanns versteht Topoi als Gemeinplätze (loci communes), die die „allgemein bekannten, sozusagen gebräuchlichen Gedanken“ (Hermanns 1994, 49) repräsentieren. Sie sind gewohnheitsmäßig eingeübte und automatisierte Gedanken, die immer wieder wiederholt werden (vgl. ebd.). Diese Gedanken beziehen sich auf die Stereotypen. Topoi sind die „typsemantische Bedeutung der Vokabel, die den Gegenstand beschreibt“ (ebd., 50). Als Beispiele nennt Hermanns Schwachheit und Geschwätzigkeit als Topoi, die der Frau zugeschrieben werden. Insgesamt ergibt die Summe solcher Topoi den Stereotyp der Frau in der Sprache einer bestimmten Sprachgemeinschaft.

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Sprachlich erscheinen Topoi oft in Form von Attributen, die durch ständige Wiederholung das implizite Wissen immer wieder aktualisieren. Dies kann letztlich zu einem semantischen Wandel des attribuierten Wortes führen, der sich in der Sprachgemeinschaft etabliert. Hermanns führt die Abwertung des Intellektuellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an, die durch Attribute wie blutleer, jüdisch, zersetzend oder großstädtisch herbeigeführt worden sei. Schließlich seien diese Topoi auch ohne explizite Nennung durch einzelne Wörter evoziert worden, die Bedeutungsverschlechterung des Substantivs Intellektueller hätte sich in der Sprachgemeinschaft durchgesetzt: „[S]o wird topisches (stereotypes) Wissen aktiviert und immer wieder aktualisiert“ (ebd.). Dieser durch Hermanns beschriebene Toposbegriff ist bereits sehr nahe an dem Toposbegriff, der in dieser Arbeit verwendet wird. Nach seinem Verständnis sind Topoi Gemeinplätze, die auf implizites Wissen anspielen und es aktualisieren bzw., wie am Beispiel des Intellektuellen gezeigt, es auch etablieren können. Sie sind damit quasi Platzhalter für Stereotype und Denkmuster, die als bekannt vorausgesetztes Wissen, das aus diesem Grund nicht expliziert werden muss, präsupponieren. Anders ausgedrückt: Topoi sind Repräsentanten von Denkschemata und Einstellungen der Individuen und Gruppen, die sie verwenden und zumeist nicht hinterfragen. Sie erfüllen die kognitive Funktion, als Schlagwort oder Stichwort auf diese Denkschemata und Einstellungen zu verweisen.139 Auf sozialer Ebene konstituieren sie Gruppenidentität und Gruppenzugehörigkeit, indem sie alle Personen mit den gleichen Denkschemata und Einstellungen inkludieren, andererseits wirken sie aber auch exkludierend, indem sie bestimmte Personengruppen stigmatisieren, wie am Beispiel des Intellektuellen deutlich wird. Hermanns’ Toposkonzept steht zwar im Zusammenhang seines Programms einer ,Linguistischen Anthropologie‘ und verfolgt damit ganz andere Ziele als diese Arbeit. Dennoch kann dieser Topos-Begriff in den Rahmen der Theorie der diskurssemantischen Grundfigur bruchlos eingefügt werden, wie sich weiter unten zeigen wird. Sehr viel prominenter ist innerhalb der Diskurslinguistik aber das Toposkonzept von Martin Wengeler, das an dieser Stelle kurz vorgestellt und diskutiert werden soll.

�� 139 Man kann auch einen bekannten Vergleich von Leibniz heranziehen, der die Wörter als „zifern, oder als Rechen-pfennige“ an Stelle der Sachen und Bilder bezeichnete (Leibniz, Gedanken, 534). So wären die Topoi Ziffern oder Rechenpfennige für die Denkschemata und Einstellungen der Sprachbenutzer.

264 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Insbesondere Wengelers Arbeiten (u.a. Wengeler 1996, 1997, 2000, 2003, 2006, 2007, 2008) ist es zu verdanken, dass ein methodisches Instrumentarium zur Analyse von Argumentationsstrukturen in Diskursen vorhanden ist und dass die diskursanalytische Toposanalyse „zu den zentralen und erfolgreichen Konzepten der transtextuell orientierten Linguistik“ gehört (Spitzmüller/Warnke 2011, 191). Wengeler fasst Topoi im Anschluss an den Toposbegriff des Aristoteles als Argumentationsstrukturen auf. Für ihn gehört die „Analyse von Argumentationen und die Herausarbeitung wiederkehrender Redeweisen und Aussagen […] zu den Aufgaben und Möglichkeiten einer diskurs- bzw. mentalitätsgeschichtlich interessierten Sprachgeschichtsschreibung“ (Wengeler 2003, 175). Die Analyse von Argumentationstopoi ist für ihn die geeignete Methode zur Erfassung von Argumentationsstrukturen. Ihren Ursprung haben Topoi in der antiken Rhetorik. Aristoteles behandelt sie im Zusammenhang mit der Erörterung der rhetorischen Syllogismen, der Enthymeme. Diese grenzt Aristoteles von den formallogischen Schlussverfahren, den wissenschaftlichen Syllogismen ab, die auf Wahrheit abzielen und deren Schlüsse nicht bestritten werden können. Diesen Wahrheitsanspruch haben rhetorische Syllogismen nicht: Im Ausdruck rhetorischer Syllogismus verweist das Nomen darauf, dass auch diese Schlussverfahren die Struktur des wissenschaftlichen Syllogismus haben, das Attribut rhetorisch darauf, dass es eben nicht formallogisch strenge, auf Wahrheit zielende Schlüsse sind, sondern quasi-logische oder alltagslogische Schlussverfahren, die auf Wahrscheinlichkeiten, auf Plausibilitäten zielen (ebd., 178).

Für diskursgeschichtliche Untersuchungen spielen vor allem die auf Plausibilität abzielenden Argumentationsmethoden eine Rolle. Denn in kontroversen gesellschaftlichen Fragen geht es meist darum, die eigene Position als die richtige zu behaupten. Da es sich in diesen Debatten nicht um Fragen der logischen Wahrheit oder Falschheit handelt, kann auch nicht mit formallogischen Schlüssen operiert werden. Vielmehr kommt es in diesen Auseinandersetzungen auf Plausibilität an. In Aristoteles’ Ansatz ermöglichen Topoi das Finden von Enthymemen. Wie Syllogismen sind Enthymeme dreischrittige Schlussverfahren mit Argument, Schlussregel und Konklusion. „Deren Überzeugungskraft für die Plausibilität der die Konklusion bildenden Aussage wird garantiert durch das, was seit Toulmin Schlussregel […] heißt“ (ebd., 179). Der strittige Übergang vom Argument zur Konklusion wird durch die Schlussregel überhaupt erst möglich. Die Schlussregel sichert die Plausibilität des Arguments und der Konklusion Charakteristisch für Argumentationen in Diskursen ist aber, dass die Schlussregel fast immer fehlt, d.h., dass ihre Bekanntheit und ihre plausibilitäts-

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sichernde Funktion fast immer vorausgesetzt werden. Sie spielen damit auf implizites, präsupponiertes, kollektives Wissen an.140 Dies bedeutet aber auch, dass vom Zuhörer akzeptierte und für plausibel gehaltene Schlussregeln (nur wenn dies nicht der Fall ist, muss die Schlussregel expliziert werden) vom Diskursanalytiker interpretativ erschlossen werden muss. Hier kommen die Topoi ins Spiel: Sie stehen für die Zusammenhänge, die durch die Schlussregel hergestellt, aber fast nie explizit gemacht werden. Daher müssen Topoi analysiert werden. Topoi sind damit Werkzeuge, die Enthymemen zu ihrer Glaubwürdigkeit und Plausibilität verhelfen. Wengelers Toposbegriff konzentriert sich auf diesen Charakter der Topoi als formale Schlussregeln, die in Argumenten gebraucht werden und deren Herausarbeitung daher ein wichtiges Instrument für die Argumentationsanalyse ist. Der andere Aspekt der Topoi, dass sie nämlich zu Gemeinplätzen, zu loci communi gerinnen können, ist für Wengeler daher nicht von besonderer Relevanz: „Topoi werden dem entgegen anhand ihres – allerdings inhaltlich spezifizierten – Schlussregelcharakters bestimmt, der sich konkret auch in sprachlichen Gemeinplätzen realisieren kann“ (ebd., 187; Hervorhebung im Text). Wengeler würdigt Hermanns als denjenigen, der als einziger unter den Sprachwissenschaftlern, die das Toposkonzept aufgreifen, „eine mentalitätsgeschichtliche Zielsetzung verfolgt“ (ebd., 247). Er konstatiert, dass Hermanns zwar das Verständnis des Topos als Argumentationsfigur erwähne, aber das Konzept des Topos als Gemeinplatz favorisiere. Die Stellung des Toposbegriffs in Hermanns’ Konzept der ,Linguistischen Anthropologie‘ charakterisiert Wengeler folgendermaßen: Die Analyse von Topoi dient also als Hilfsmittel für die sprachwissenschaftliche Aufgabe, etwas über die prototypische Bedeutung wichtiger Vokabeln herauszufinden, was bei Hermanns wiederum zu mentalitätsgeschichtlich relevanten Aussagen führen soll. Hermanns versteht dabei Topos als den sprachlich expliziten Ausdruck gewohnheitsmäßiger Gedanken, die im Denken und Sprechen eingeschliffen sind. Das zweite Verständnis von Topos als Argumentationsfigur wird von ihm zwar erwähnt, aber nicht für seine Zwecke übernommen. In diesem Verständnis sind Topoi oft gerade nicht explizit ausgedrückt, sondern in unvollständigen sprachlichen Realisierungen nur impliziert (ebd., 248).

�� 140 Vgl. Kienpointner (1992, 33), der, im Anschluss an Rudi Keller, einen pragmatischen Präsuppositionsbegriff vertritt, nach dem Präsuppositionen kollektives Wissen repräsentieren, „das darin besteht, dass jeder Sprecher ehrlich von sich (und vom jeweiligen Gesprächspartner) behaupten kann: ,Ich weiß, dass p‘ (p = die jeweilige Präsupposition)“.

266 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Wengeler betont, dass er mit Hermanns die mentalitätsgeschichtliche Zielsetzung teile. Beide streben auf sprachwissenschaftlichem Wege gewonnene Aussagen über gesellschaftliches Wissen und Denkmuster an. Hermanns gehe jedoch den Weg über die Analyse von Stereotypen, die sich in bestimmten Vokabeln zeigen, während Wengeler auf ,gewohnheitsmäßige Gedanken‘ bezüglich einer Fragestellung abzielt, wofür der argumentative Toposbegriff vorzuziehen sei (vgl. ebd.). Wengeler konzediert jedoch, dass „Topoi in Hermanns’ Sinn der sprachlich formelhaften Wendungen […] typische sprachliche Realisierungen von Topoi im argumentationsanalytischen Sinn sein“ können (ebd., 248 f.). Letztlich sieht Wengeler den Unterschied darin, dass Hermanns auf das literaturwissenschaftliche und soziologische Konzept von ,Topos‘ zurückgreife. In Wengelers differenzierter Auseinandersetzung mit dem Konzept Hermanns’ liegt auch die Antwort auf die Frage, wie sich der Toposbegriff dieser beiden Autoren zu dem hier verwendeten verhält. Der beiden gemeinsame mentalitätsgeschichtliche Ansatz wird auch in dieser Arbeit vertreten. Zum Verhältnis zwischen dem Verständnis von Topos als ,Gemeinplatz‘ und dem im ,argumentationsanalytischen‘ Sinn ist Wengelers letzter zitierter Bemerkung grundsätzlich zuzustimmen, wenn auch in dieser Arbeit mit anderer Gewichtung: Wengeler sieht Topoi im Verständnis als ,Gemeinplätze‘ als typische sprachliche Realisierungen von Topoi im argumentationsanalytischen Sinn an. Er stellt damit das Verständnis von Topoi als Argumentationsmuster hierarchisch über das Verständnis als ,Gemeinplatz‘. Für die Zwecke einer Analyse des sprachpatriotischen Diskurses des 17. Jahrhunderts in Deutschland muss dieses Verhältnis jedoch modifiziert werden. Dies hängt mit dem spezifischen, rhetorisch geprägten Toposbegriff zusammen, der im 17. Jahrhundert vorherrschte.141 Wie oben bereits festgestellt, hängt die Topik eng mit der Rhetorik zusammen. Sie soll die Wirkung von Reden sichern. Im engeren Sinne ist die Topik die Lehre der Fragestellung und Sachformeln, die zur Findung von Argumenten gebraucht werden können: „Die Topik ermöglicht es, in einer konkret-individuellen Frage […] aus dem Horizont des allgemein Gültigen passende Argumente heranzuführen“ (Pekar 2000, 895a). Pekar konstatiert allerdings bereits für die Antike eine Aufspaltung der Toposkonzepte:

�� 141 Zeichentheoretisch lassen sich Topoi an Bühlers Konzept der apperzeptiven Ergänzung anknüpfen (vgl. Bühler 1934; 1999, 28): Die Laut- und Schriftgestalt des sprachlichen Zeichens sagt immer weniger aus als gemeint ist. In diesem Sinne sind Topoi, bildlich gesprochen, der oberhalb der Wasseroberfläche sichtbare Teil des Eisberges, dessen weitaus größerer Teil, der aus Präsuppositionen, Implikationen, Konnotationen, Ideologien, Mentalitäten, Argumentationszusammenhängen usw. besteht, nur dann sichtbar wird, wenn man in die Tiefe eintaucht.

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Ist die aristotel[ische] Topik in erster Linie für die problemaufschließende dialektische Argumentation gedacht, so steht sie bei Cicero im Zusammenhang mit der Gerichtsrede u[nd] verändert sich dementsprechend zur Fundgrube der moralischen Emphase, des wortgewaltigen Plädoyers für Recht u[nd] Ordnung, Sitte u[nd] Tradition, des Appells an Bürgersinn u[nd] guten Menschenverstand (ebd., 895b).

Fortan entwickelte sich die Topik in zwei Traditionssträngen fort. In den religiösen Auseinandersetzungen diente sie der Wahrheitssuche, ebenso in juristischen oder poetischen Texten, folgte also eher der aristotelischen Tradition. Andererseits wurde sie in der Rhetorik zur Affektsteigerung eingesetzt, was eher der Tradition Ciceros entspricht. Im Laufe des lateinischen Mittelalters nahm allerdings die Bedeutung der Rhetorik so stark ab, dass die Topik im rhetorischen Sinne kaum noch eine Rolle spielte. Mit dem Beginn der Renaissance und des Humanismus erlangte die Rhetorik und damit die rhetorische Topik wieder größere Bedeutung. Die topica universalis wurde bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts ein „universales Wissenschafts- u[nd] Ordnungsmodell“ (ebd.). Der Höhepunkt dieser Entwicklung liegt in der Barockzeit. Hier verstärkte sich die Suche nach neuen topischen Orientierungsprinzipien, zudem wurde „das bislang in der Rhetorik verankerte System der Topoi zum festen Bestandteil der Poetik, zum Textherstellungsverfahren“ (ebd.; zur Bedeutung der Rhetorik für die Literatur des 17. Jahrhunderts vgl. zudem Niefanger 2006, 73–77142 und Meid 2009, 73–76). Der Einfluss der Rhetorik auf die Poetik war vor allem deshalb so groß, weil der perfectus orator im Verständnis der Zeit zugleich ein poeta doctus zu sein hatte, ein Gelehrter, der in der Lage war, das unüberschaubar gewordene Wissen, das durch die Erfindung des Buchdrucks beliebig vermehrt und distribuiert werden konnte, für seine rhetorischen Zwecke zu nutzen und das für ihn relevante Wissen zu ordnen und für andere verständlich zu präsentieren. Dazu

�� 142 „Die Rhetorik erscheint als eine Art Leitdisziplin des 17. Jahrhunderts. Sie ermöglicht das Zurechtfinden in der Gesellschaft, hilft Positionen im Staat einzunehmen und sie erleichtert schließlich sie Sicherung der erworbenen sozialen Position oder den sozialen Aufstieg. Aus der Sicht des Staates festigt die rhetorische Ausbildung das eigene Funktionieren: Der Beamtenapparat kann mit Hilfe der rhetorischen Normen leichter miteinander kommunizieren; ein angemessenes sprachliches Verhalten mindert die Konflikte mit der Obrigkeit. Außerdem bieten die rhetorischen Ordnungs- und Denkmodelle […] vielfältige Anschlussmöglichkeiten für angrenzende Disziplinen (Verhaltenslehre, Politik, Poesie, Architektur, Homiletik usw.) und Diskurse“ (Niefanger 2006, 73; Hervorhebung im Text).

268 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse gehörte auch, dass er wusste, woher er das Wissen und die Argumente für sein Thema nehmen kann (vgl. dazu und zum Folgenden Hinrichs 1999, 219–221).143 Die Topik hatte ihren festen Platz in der inventio, also in der Planung und Gliederung der Rede bzw. des Textes. Es gehörte zu den grundlegenden Aufgaben des Redners, mit Hilfe der Topik Stoff und Material für seine Reden und Texte zu sammeln. Der Redner suchte den passenden Topos aus umfangreichen Exzerptensammlungen heraus und arbeitete ihn in seinen Text ein. „Aus dem Denkprinzip wird das Stichwort, u[nd] die Topik insg[esamt] wird zu einem Einteilungsschema für gesammelte geistige Vorräte“ (Pekar 2000, 896a). Dies galt auch für die Gemeinplätze, obwohl diese bald diskreditiert wurden. „Topik in diesem Sinne gewährleistet auf der Grundlage entsprechender Gelehrsamkeit das methodisch gesicherte Anlegen einer Material- und Stoffsammlung, die ein Thema oder einen Sachverhalt unter allen möglichen Aspekten und Perspektiven abzuhandeln gestattet“ (Hinrichs 1999, 221). Die Qualität eines Redners oder Dichters bemaß sich demnach nicht nach seinem Einfallsreichtum, sondern nach seiner Fähigkeit, die für seine Zwecke passenden Topoi zu finden und wirkungsvoll einzusetzen. Bestimmte Begriffe wurden durch ein Arsenal von „einzelnen Wörtern, Syntagmen, ganzen Sätzen, darunter Sentenzen und Zitaten, paraphrasiert, attributiv erweitert oder durch Synonyme ergänzt“ (Gardt 1995, 156). Nachschlagewerke wie Michael Bergmanns Poetische Schatzkammer (1675) dienten einzig diesem Zweck: „Hier werden poetische Versatzstücke angeboten; die im Gedicht darzustellende Sache wird nicht durch Sprache konstituiert, sondern die sprachliche Fassung dient dem Nachvollzug von bereits Gegebenem und kann deshalb auf fertige Sprachelemente zurückgreifen“ (ebd., 156 f.).144 Diese Verwendung der Topoi, deren Anfänge in die Spätantike zurückreichen, hatte weitreichende Folgen: Weil die Topoi nicht mehr auf die Prunk-, die Gerichts- und die politische Rede als dem engeren Gegenstandsbereich der Rhetorik beschränkt waren, wurden sie zu „Klischees, die literarisch allgemein verwendbar sind, sie breiten sich über alle Gebiete des literarisch erfassten und geformten Lebens aus“ (Curtius 1948; 111993, 79 f.). Im Zuge der Genieästhetik in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-

�� 143 Auch deshalb war die mangelnde akademische Bildung ein Grund dafür, dass Grimmelshausen die Anerkennung seiner Dichterkollegen verweigert blieb (vgl. oben, 2.2). 144 Dieses Beispiel zeigt auch, wie weit die barocke Sprachauffassung von der des Konstruktivismus entfernt war: „Durch Sprache kann keine Wirklichkeit geschaffen werden; der Sprechende ist einer bereits existierenden Ordnung verpflichtet und vollzieht sie in der Rede lediglich nach, indem er jene Wörter und Weisen des Formulierens sucht, die diese Ordnung bestätigen“ (Gardt 1995, 157). Die Gegenstände existieren vor der Sprache und werden durch diese nicht konstituiert, sondern lediglich in passende Worte gekleidet.

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hunderts, die den Fokus gerade auf die Originalität legte, verlor diese Form der Topik schlagartig ihre Bedeutung (Pekar 2000, 896a). Dieser spezifische Toposbegriff des 17. Jahrhunderts scheint zwischen den beiden Konzepten von Hermanns und Wengeler zu stehen. Mit Hermanns’ Konzept hat er gemeinsam, dass Topoi stärker als Ausdrucksformen des gemeinsamen, nicht explizit gemachten Wissens verstanden werden, als ,Gemeinplätze‘, die eingesetzt werden, um gemeinsames Wissen zu aktivieren und so zu kommunizieren. Allerdings ist im Toposkonzept des 17. Jahrhunderts auch die von Wengeler stark gemachte Komponente als Argumentationsschema enthalten, denn die Topoi dienten ja gerade der eigenen Argumentation im Rahmen der Rhetorik und Dichtung. In der Tat können die Topoi des 17. Jahrhunderts auch als Schlussregeln von rhetorischen Syllogismen verstanden werden. Wenn etwa Schottelius zu den Eigenschaften der Stammwörter zählt, dass „ihre Zahl völlig und gnugsam sey“ (Schottelius, Arbeit, 51), so spielt er auf den Topos des ,Reichtums‘ der deutschen Sprache an: Wenn eine Sprache viele Wörter aufweise, mit denen die Dinge ,eigentlich‘145 wiedergegeben werden können, dann ist sie nach diesem Konzept reich und in sich abgeschlossen. Mit diesem Argument kann Schottelius schließlich implizit begründen, dass die Entlehnung von Fremdwörtern unnötig sei. Diese Konklusion wird jedoch nicht explizit gemacht. Die gesamte Argumentation sieht in aller Explizitheit so aus: Eine Sprache ist dann besonders reich, wenn sie sehr viele Stammwörter aufweist, mit denen die Gegenstände sachadäquat ausgedrückt werden können. Wenn die deutsche Sprache nun ein vollständiges und genugsames Repertoire an Stammwörtern besitzt, dann erfüllt sie das Kriterium für Reichtum, dann ist sie eine reiche Sprache. Wenn das Deutsche eine reiche Sprache ist, dann ist die Entlehnung fremder Wörter unnötig. Von diesem Syllogismus samt der Konklusion ist bei Schottelius nur die oben zitierte Feststellung übrig. Den Rest muss man interpretativ rekonstruieren, indem man Parallelstellen vergleicht, die einander ergänzen.146 Für die Zeitgenossen dürften jedoch die Anspielung auf die Topoi und die daraus folgenden Schlüsse klar und deutlich gewesen sein.

�� 145 ,Reichtum‘ wird unter den diskurskonstitutiven Elementen auf höherer Ebene angesiedelt, da er durch andere Metaphern und Topoi seinerseits konstituiert wird. Daher wird er in dieser Arbeit als diskurssemantische Grundfigur behandelt. An dieser Stelle geht es nur um die Verdeutlichung des Prinzips anhand eines Beispiels. 146 Zur Erläuterung der Feststellung, dass die Zahl der Stammwörter „völlig und genugsam“ sei, führt Schottelius die Wortbildung durch Komposition und Derivation an, mit der die Anzahl der deutschen Wörter erheblich erweitert werden könne (Schottelius, Arbeit, 65). Diese Ausführungen implizieren, dass Fremdwortentlehnung unnötig sei, zumal die Verwendung von Fremdwörtern die „angeborne / vollkommene / reine / wortreichste Muttersprache […]

270 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Das Beispiel zeigt, wie sich die Konzepte Hermanns’ und Wengelers im barocken Topikkonzept verschränken. Die Topoi sind Gemeinplätze und weisen als solche eine deutliche präsupponierte argumentative Struktur auf, die vom heutigen Wissenschaftler durch Interpretation rekonstruiert werden muss. Topoi sind im 17. Jahrhundert damit zu Gemeinplätzen oder, mit Leibniz (s.o.) gesprochen, Rechenpfennigen erstarrte und verkürzte Argumentationsmuster, die zugleich die Funktion der Aktivierung gemeinsamen Wissens haben. Ein solcher Toposbegriff scheint auch in die Diskursanalyse nach Foucault integrierbar zu sein. Hierauf weist bereits Pekar hin: Als noch zu leistende Aufgabe wäre die Toposforschung zu einer historisch übergreifenden u[nd] interdisziplinär arbeitenden ,Archäologie‘ im Sinne Foucaults zu entwickeln, die nach den ,fundamentalen Codes einer Kultur‘ fragt; auch wäre die Topik im Zusammenhang mit Wissensspeicherung u[nd] Wissensvermittlung zu betrachten, da ,Topik‘ immerhin der älteste Begriff für Speicherung u[nd] Reproduktion von Wissen ist (Pekar 2000, 896b).

Gerade der letztgenannte kognitive Aspekt der Topoi kommt in Wengelers Konzept zu kurz. An dieser Stelle ist an Wengelers Auseinandersetzung mit dem Konzept der ,diskurssemantischen Grundfigur‘ Dietrich Busses anzuknüpfen. Wengeler stellt zunächst fest, dass Busse den Begriff der diskurssemantischen Grundfigur von dem des Topos absetze, was er mit Busses Orientierung am juristischen, literaturwissenschaftlichen und rhetorischen Toposverständnis begründet. Busse charakterisiert demnach die Topoi als statisch und für gelehrte Menschen jederzeit abrufbar. Daher seien sie auf der Ebene der Oberflächensemantik anzusiedeln. Dagegen bildeten diskurssemantische Grundfiguren eine Tiefenebene der Textsemantik, deren Vorhandensein das Erscheinen bestimmter diskursiver Elemente erkläre und die wesentlich zur Textbedeutung beitrügen, dabei jedoch nicht auf der Oberflächenebene nachgewiesen werden könnten. Wengeler folgt dieser Argumentation nur zum Teil: „Dieser Entgegensetzung liegt zum einen ein verengter Topos-Begriff zu Grunde, und zum zweiten wird mit ,diskurssemantischer Grundfigur‘ ein Terminus eingeführt, der den Topoi einer relativ hohen Abstraktionsebene und relativ großer Kontextabstraktheit entspricht“ (Wengeler 2003, 249). Für Wengeler ist das �� deutlos / wortarm / und zur bettelerischen Sclavinn“ mache (ebd., 167). Vgl. dazu auch Roelcke, der die Argumentation folgendermaßen paraphrasiert: „Der Reichtum an deutschsprachigen Wörtern und Wendungen macht den Gebrauch fremdsprachlicher Einheiten zunächst einmal gar nicht erforderlich; vor dem Hintergrund der tendenziellen Eigentlichkeit dieser deutschen Wörter und Wendungen erscheint darüber hinaus der Gebrauch von tendenziell uneigentlichen fremdsprachlichen Einheiten nicht allein als unnötig, sondern sogar als verständniserschwerend“ (Roelcke 2000, 159).

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 271

Konzept der diskurssemantischen Grundfigur damit ein Parallelkonzept zu seinem Toposbegriff. Es sei ein geeignetes Instrument zur tiefensemantischen Analyse, die topische Argumentationsanalyse sei „eine andere Möglichkeit, solche ,Tiefensemantik‘ zu praktizieren“ (ebd.). Letztlich gebe es zwischen beiden Konzepten viele Übereinstimmungen, die Topoi bewegten sich aber auf einem niedrigeren Abstraktionsniveau. Zum Zeitpunkt der Entstehung seiner Habilitationsschrift konnte Wengeler die Entwicklung des Konzepts des ,verstehensrelevanten Wissens‘ (Busse 2008) noch nicht kennen. Wie oben (3.4.1) ausgeführt, können beide Konzepte Busses, das der diskurssemantischen Grundfigur und das des verstehensrelevanten Wissens, verbunden werden in der Berücksichtigung des barocken Toposbegriffs: Im 17. Jahrhundert waren Topoi Speichermedien des verstehensrelevanten Wissens, die sich in sprachlichen Versatzstücken, die oben als diskurssemantische Grundfiguren beschrieben wurden, äußern. Dies lässt sich am obigen Beispiel erläutern: Das Konzept des ,Stammworts‘ beinhaltet neben dem ,Reichtum‘ auch das hohe ,Alter‘ und damit die besondere Würde der deutschen Sprache, ihre Seinsadäquatheit, die vielfältigen Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung durch Wortbildung und so das Nichtangewiesensein auf fremdes Wortmaterial und damit insgesamt die Überlegenheit der deutschen Sprache gegenüber den romanischen Konkurrenzsprachen sowie dem Lateinischen und (teilweise) dem Griechischen. Das Konzept des ,Stammworts‘ repräsentiert damit in nuce einen Großteil der Ideologeme des sprachpatriotischen Diskurses des 17. Jahrhunderts, seine bloße Nennung ruft bei in den Diskurs Eingeweihten das Wissen über die diskursiven Zusammenhänge auf. Damit verweisen die Stammwörter auf wesentliche diskurssemantische Grundfiguren in diesem Diskurs. Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Topoi sind einerseits sprachliche Gemeinplätze, die stellvertretend für Stereotypen, kollektive Meinungen und Einstellungen innerhalb einer Gesellschaft stehen können. Sie haben in diesem Zusammenhang gemeinschaftskonnektive wie exkludierende Funktion. Andererseits können sie als zu Schlagwörtern oder Phraseologismen geronnene Verkürzungen von Argumenten und Wissenselementen fungieren. Als solche haben sie sowohl argumentative als auch kognitive Funktion. Auf abstrakterer Ebene können sie sich durch Invisible-Hand-Prozesse zu diskurssemantischen Grundfiguren verfestigen, die, ohne an bestimmte Topoi gebunden zu sein, kollektives Wissen repräsentieren können, das zur Produktion und Rezeption von Texten unerlässlich ist. Sie sind ausgreifender und grundlegender als Topoi und repräsentieren, wie anhand des obigen Beispiels ersichtlich wird, nicht nur kollektives Wissen, sondern Sprechereinstellungen, das Denken, Fühlen und Meinen der Sprachbenutzer, kurz: deren Mentalitäten. Dies scheint mir der entscheidende Unterschied zwischen Topos und diskurssemantischer Grundfi-

272 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse gur zu sein. Nach diesem Konzept sind Topoi wie etwa auch Metaphern Konstituenten von diskurssemantischen Grundfiguren. Topoi sind sprachliche Ausdrücke, die auf bestimmte Inhalte verweisen. Aus zeichentheoretischer Sicht haben Topoi daher eine Ausdrucks- und eine Inhaltsseite, sie sind sprachliche Zeichen und verhalten sich als solche. In Anlehnung an das bilaterale Zeichenmodell de Saussures (de Saussure 1931; 2001, 76–79) lassen sich Topoi so darstellen (T = Topos):

Abb. 6: Der Topos als sprachliches Zeichen

Topoi sind als Repräsentanten kollektiven Wissens zugleich Konstituenten diskurssemantischer Grundfiguren. Sie sind, wie oben festgestellt, nicht die einzigen, aber sie sind von großer Wichtigkeit für die Analyse verstehensrelevanten Wissens. Ihre konstitutive Funktion wird in folgendem Schaubild veranschaulicht (T = Topos, DG = Diskurssemantische Grundfigur, A = Ausdruck, I = Inhalt):

Abb. 7: Topoi als Konstituenten der diskurssemantischen Grundfigur

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 273

Dieses Schaubild suggeriert, dass sich Topoi eindeutig diskurssemantischen Grundfiguren zuordnen ließen bzw. dass diskurssemantische Grundfiguren eindeutig durch bestimmte Topoi konstituiert werden. Die Realität, die sich in den Diskursen spiegelt, ist jedoch weit komplexer: Sie ist abhängig von dem Wissenschaftler, der die Topoi interpretiert und welchen übergeordneten Konzepten er sie zuordnet. Auf den Rahmen dieser Arbeit übertragen heißt das, dass Topoi keineswegs Konstituenten nur einer diskurssemantischen Grundfigur sein müssen, sondern dass sie sich verschiedenen diskurssemantischen Grundfiguren zuordnen lassen, die dann untereinander eine Art ,Topos-Isotopie‘ aufweisen und so in Relation zueinander stehen. Im Schema lässt sich das (vereinfacht) so darstellen (die Bilateralität der Topoi ist in diesem wie auch im folgenden Schaubild mit zu berücksichtigen):

Abb. 8: Topoi als Konstituenten mehrerer diskurssemantischer Grundfiguren

Aus diesen Überlegungen lässt sich auch eine Hierarchie von den Topoi und Metaphern zu den diskurssemantischen Grundfiguren begründen. Diese Hierarchie ergibt sich aus dem Abstraktionsgrad. Auf der untersten Stufe stehen die rhetorischen Topoi (Turmbau zu Babel, Ascenas, Karl der Große etc.) und Metaphern (Pflanzenmetaphorik, Kleidermetaphorik, die Metapher der Muttermilch etc.). Diese bilden diskurssemantische Grundfiguren auf niedrigerem Rang (ALTER, REINHEIT, EIGENTLICHKEIT etc.). Durch diese wiederum werden Konzepte wie ,Nation‘, ,Tugend‘ oder ,Hauptsprache‘ konstituiert, die jeweils miteinander korrelieren. Durch die Topoi und Metaphern werden diesen Konzepten besondere Qualitätsmerkmale bzw. Makel zugeschrieben, abhängig davon, wie sie bewertet werden. So korrespondiert etwa mit der ,deutschen Redlichkeit‘ das ,französische

274 � Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischen Diskursanalyse Komplimentierwesen‘, letzteres dient als Negativfolie für die deutsche Tugend. Diese Konzepte können als ,Diskurssemantische Grundfiguren höherer Stufe‘ bezeichnet werden. Das folgende Schaubild versucht, diese komplexen Zusammenhänge vereinfacht und schematisch darzustellen. Die Indices ,n‘ sollen dabei ausdrücken, dass sich auf der Basis beliebig vieler Topoi theoretisch eine unendliche Anzahl von diskurssemantischen Grundfiguren errichten lässt. Die Überlappungen der Kreise sollen andeuten, dass die Grenzen offen sind, d.h. Topoi und diskurssemantische Grundfiguren erster Stufe auch auf andere diskurssemantische Grundfiguren höherer Stufe angewandt werden können.

Abb. 9: Die Hierarchie der Topoi und der diskurssemantischen Grundfiguren

Topoi, Metaphern und diskurssemantische Grundfiguren bilden also ein dichtes Netz147 von sprachlichen Zeichen auf ausdrucksseitiger wie oberflächen- und tiefensemantischer Ebene. In Analogie zu Jochen A. Bärs Konzept der ,Wortverbünde‘ (vgl. Bär 2015), nach dem komplexe Zeicheneinheiten als „relational miteinander verknüpft erscheinen“ (Bär 2011, 166), kann man das Geflecht von Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren als komplexes Netz von semantischen Beziehungen sprachlicher Zeichen beschreiben, deren Knoten so eng geknüpft sind, dass man kein Einzelelement für sich betrachten kann, sondern im Zusammenhang mit den anderen Konstituenten analysieren muss. Konkret: Es genügt nicht, das Konzept der ,Reinheit‘ der deutschen Sprache zu untersuchen, weil es untrennbar mit anderen Konzepten wie ,Uraltertum‘, ,Reichtum‘ oder ,Eigentlichkeit‘ verbunden und ohne diese nicht angemessen zu verstehen ist. �� 147 Man könnte auch im Sinne Fillmores von Frames sprechen. Vgl. dazu auch Konerding 1993, der das Frame-Konzept u.a. auch mit dem Stereotypenkonzept Putnams in Verbindung bringt.

Die Analyse diskurssemantischer Grundfiguren � 275

Auf höchster Abstraktionsstufe, gleichsam alles andere überwölbend und im Subtext stets implizit vorhanden, wenn auch nicht immer explizit ausgesprochen, steht die diskurssemantische Grundfigur DAS EIGENE UND DAS FREMDE: Die eigene ,Sprache‘, ,Nation‘, ,Tugend‘ wird im sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhundert umrissen, konstituiert und verteidigt und gegen das Fremde abgegrenzt. Mit Busses Konzept des ,verstehensrelevanten Wissens‘ formuliert, kann man also konstatieren: Wer den sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhundert verstehen will, muss etwas über das Selbst- und das Fremdbild der Diskursakteure wissen; oder anders formuliert: Er muss die im Diskurs vorkommenden Sprach-, Nations- und Tugendfiktionen als Konstitution kollektiver Identität auf der Folie einer negativen Alteritätskonzeption interpretieren. Die diskurssemantische Grundfigur ,das Eigene und das Fremde‘ ist also diskurskonstitutiv und diskurskonnektiv und kann deshalb als die in der Hierarchie der diskurssemantischen Grundfiguren auf höchstem Rang stehende angesehen werden.148

�� 148 Eine solche Hierarchisierung wird implizit auch von Gardt et al. (1991, 26) angenommen: „Kennzeichnend für die im 17. Jahrhundert in den Sprachgesellschaften institutionalisierte Reinheits-Ideologie […], die den Austausch fremder Wörter durch einheimische […] bzw. ihre Verdeutschung propagierte, […], ist die Koppelung der sprachpflegerischen Aussagen an solche zur deutschen Ehre/Tugend/Tapferkeit und Sittlichkeit. Dabei steht einer die deutsche Sprache personifizierenden Sicht als reine und keusche Jungfrau, die durch Aufnahme fremdsprachiger Elemente geschändet werde, das Bild von der mannhaften teutschen Heldensprache gegenüber, die, vom fremddrückenden Sprachenjoch befreit und von fremdvermischtem Schaum gereinigt, Spiegel des ehrlichen (deutschen) Wesens ist, solange Teutsch Teutsch / Mann ein Mann / Wort ein Wort ist […]“. Die Metaphern Jungfräulichkeit, Knechtschaft (Sprachenjoch) usw. konstituieren als solche die Reinheits-Ideologie, eine der wesentlichen diskurssemantischen Grundfiguren.

4 Analyse des sprachpatriotischen Diskurses 4.1 Überblick über die folgende Analyse In diesem Kapitel werden die Metaphern und Topoi, die im Diskurs als relevant für die Konzeption der verschiedenen Sprachtheorien und Sprachbegriffe erkannt werden, analysiert. Dabei stehen zunächst die Metaphern im Mittelpunkt, die einzeln auf ihre sprachliche Gestalt und ihre Funktion hin untersucht werden (4.2). Im zweiten Abschnitt werden die Topoi auf ähnliche Art und Weise analysiert, wobei diese in zwei Gruppen aufgeteilt werden, nämlich in Personen (4.3.1) und in Ereignisse (4.3.2). Anschließend werden die durch die Metaphern und Topoi konstituierten diskurssemantischen Grundfiguren analysiert und ihr diskurskonnektiver Charakter herausgearbeitet (4.4). Zunächst wird untersucht, in welcher lexikalischen Form und in welcher syntagmatischen Umgebung eine Metapher auftreten kann. Hier wird onomasiologisch verfahren. Im semasiologischen Teil der Analyse wird dagegen untersucht, auf welche Gegenstände und Sachverhalte die Metaphern angewandt werden und welche semantischen Konsequenzen sich aus der Korrelation von Bildspender und Bildempfänger ergeben. Zugleich können ggf. Gebrauchsvarianten untersucht und ihr Verhältnis zueinander aufgezeigt werden. Außerdem werden Korrelationen zu anderen Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren aufgezeigt. Von diesem Schema weicht die Darstellung der Topoi etwas ab. Da hier meist Eigennamen oder singuläre Ereignisse als Topoi fungieren (Anthroponyme wie Ascenas, Toponyme wie Babel oder Ereignisse wie der Dreißigjährige Krieg), wäre die Analyse der ausdrucksseitigen Gestalt wenig ergiebig. Lexikalische Variationen der Bezeichnung von Ereignissen (z.B. Sündenrächerfluten für die Sintflut (Hille, Palmbaum, 91)) sind eher den Besonderheiten lyrischer Sprache zuzurechnen. Daher werden bei den Topoi nur die Anwendungsbereiche sowie die Korrelationen zu anderen Topoi, Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren systematisch analysiert. Bei den Metaphern werden folgende Komponenten untersucht: Auf ausdrucksseitiger Ebene die Lexeme, welche die Metapher bezeichnen, und die syntagmatische Umgebung, in welche die Metaphern eingebettet sind, und auf inhaltsseitiger Ebene die Anwendungsbereiche der Metaphern, also die Bildempfänger, sowie die Korrelationen zu anderen Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren. Bei den Topoi beschränkt sich die Analyse

278 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses auf die Anwendungsbereiche und die Korrelationen. Die Angabe der Korrelationen dient dazu, den Wissensrahmen (Frame) sichtbar zu machen, das Bezugnetz von Wissenselementen, in denen sich der Diskurs bewegt. Die Angaben sind der Einfachheit halber nach den heute üblichen Regeln der Orthographie wiedergegeben, die syntagmatische Umgebung wurde ggf. leicht umformuliert. Die Angaben werden mit Ordnungszahlen versehen. Diese sind den Belegstellen zugeordnet, die der Analyse zugrunde liegen; die Reihenfolge ergibt sich aus sachlichen Kriterien1 sowie Autoren und Textbeziehungen.2 Im Anschluss daran werden die Belegstellen interpretiert. Während die Belegstellen der Metaphern fast vollständig zitiert und zum großen Teil interpretiert werden, beschränkt sich die Interpretation der Belegstellen für Topoi auf ausgewählte Beispiele. Daher sind den schematischen Darstellungen der Topoi Indices angehängt, in denen die Belegnummern mit den entsprechenden Belegstellengaben versehen werden. Die Belegnummern beziehen sich jeweils nur auf die jeweilige Metapher und den jeweiligen Topos, d.h. sie beginnen in jedem Unterkapitel von vorne. Von dieser Darstellungsweise unterscheidet sich die der diskurssemantischen Grundfigur. Hier bietet sich ein solches Verfahren nicht an. Zwar sind diese auch anhand lexikalischen Materials im Korpus zu orten (z.B. uralt bei ALTER, rein bei REINHEIT, zierlich bei POETIZITÄT), doch der Zweck dieser Analyse liegt gerade darin, die Konstitution der diskurssemantischen Grundfigur durch Metaphern und Topoi sowie ihre argumentativen Zwecke im Diskurs herauszuarbeiten. Daher wird die Analyse der diskurssemantischen Grundfiguren deren Korrelationen mit Metaphern, Topoi und anderen diskurssemantischen Grundfiguren in den Vordergrund rücken. Dies geschieht durch die Interpretation der Belegstellen auf der Basis der vorherigen Ergebnisse aus der Untersuchung der Metaphern und Topoi. Zur ersten Orientierung sei anhand des folgenden Zitats gezeigt, dass Topoi, Metaphern und diskurssemantische Grundfiguren stets Konstrukte des Interpreten sind, der sie aus heuristischen Gründen voneinander scheidet, um sie getrennt analysieren zu können. Tatsächlich aber können sie auf engstem Raum

�� 1 Die häufigsten und wichtigsten Anwendungsbereiche stehen vorne, die weniger wichtigen oder selteneren hinten. Die Belege werden, so gut es bei den mannigfachen inhaltlichen Überschneidungen möglich ist, dementsprechend sortiert. 2 So ist etwa Schottelius’ Ausführliche Arbeit (1663) eine erweiterte Neuauflage seiner Teutschen Sprachkunst (1641), weshalb sich viele Formulierungen gleichen und sich Belegstellen in den beiden Werken oft nur geringfügig voneinander unterscheiden. Ähnlich verhält es sich mit Hilles Palmbaum (1647) und Neumarks Neu-Sprossendem Teutschem Palmbaum (1668).

Überblick über die folgende Analyse � 279

nebeneinander stehen. In Fällen wie diesen stützen und erläutern sie sich gegenseitig, so dass sie in engem Verhältnis zueinander stehen: [J]n dem Beinbetrübten Würg- und Todenjahr .M.DC.XVII als die Rache zum erstenmal den unauslöschlichen Brand der stoltzen Uneinigkeit / unserm lieben Vaterland in den Rachen gestossen / und die gantze Felder mit Harnisch und Todenbeinen überleget / bey einer traurigen / doch hochfürstlichen und Adelichen Zusammenkunft / zu Ergetzung vorwerfenden Leides / und Anreitzung hoher Tugenden ihren quellreichen Anfang / in dem gelobten Ascanier Land / der alten Teutschen ersten Ansitz: da allezeit rein Teutsch geredet / und auch zierlichst ausgesprochen worden / genommen; da hiebevorn gewesen edle Früchte vom Himmel / vom Tau und von der Tiefen / die unten liget. Da gewesen edle Früchte von der Sonne / und edle reiffe Früchte des Monden / daß bey dem bluttrieffenden Kriegsjammer / unsere uralte unvollkommene Teutsche Muttersprache / so uns gantz rein in der ersten Milch gleichsam eingetreuffelt / nachmals aber durch fremdes Wortgepräng / wässerig und versaltzen worden / hinwieder in uralte gewöhnliche und angeborne Teutschen Reinlichkeit / Zierd und Aufnehmen eingeführet / einträchtig fortgesetzet / von dem fremddrukkenden Sprachenjoch befreyet / durch alte und neue Kunstwörter befestiget / und also endlichen in dem glorwürdigen Ehrenthron versetzet werden möchte (Hille, Palmbaum, 6 f.).

In diesem Zitat sind die Metapher der Muttermilch (in der ersten Milch eingetreuffelt) und der Knechtschaft (Sprachenjoch), die Topoi Ascenas (Ascanier Land)3 und Dreißigjähriger Krieg (Kriegsjammer) sowie die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER (uralte teutsche Redlichkeit) und REINHEIT (reines Teutsch, Reinlichkeit) vertreten. Zusammengenommen ergeben sie die kämpferische Einstellung der Fruchtbringenden Gesellschaft, die sich gegen die den deutschen Tugenden und der deutschen Sprache abträglichen Einflüsse wie Krieg und Fremdwörter auflehnt und ihnen die Verheißung eines besseren, schöneren und reineren Landes samt einer gereinigten und geeinten Sprache entgegensetzt.

�� 3 Hier wird auf die Trauerfeier für Dorothea Maria von Anhalt, die Schwester Fürst Ludwigs von Anhalt, am 24. August 1617 in Weimar angespielt, die den Rahmen für die Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft bildete. Im Diskurs wird der Fürst des Öfteren mit Ascenas in Verbindung gebracht (vgl. unten, 4.3.1.2).

280 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses

4.2 Metaphern 4.2.1 Kleidermetaphorik Die Kleidermetapher wird insbesondere gegen Fremdwörter ausgespielt, wie die folgende schematische Darstellung belegt. Nur selten wird sie zu anderen Zwecken gebraucht. Lexeme: Bettlersmantel (1,6), zusammenflicken (1,6), Lumpen (2,3), verkleiden (2,3), zusammenlumpen (4), (aus-/ein-)flicken (5,10,11), Feder (7,8,9), (be-)kleiden (9,14,16,20), zieren (9), Kleid (12,13,14,15,17,22), Gewand (12), Mantel (12), Kleidung (18), Rock (19), Tracht (20), Flickstück (21), Habit (23). Syntagmatische Umgebung: die Sprache wie ein Bettlersmantel zusammengeflickt sein (1,6), die Sprache in Lumpen stecken und verkleiden (2,3), das Deutsche aus vielen fremden Sprachen zusammenlumpen (4), die deutsche Sprache mit fremden Sprachverderbenswörtern ausflicken (5), ein Brief als mit fremden Federn gezierter Vogel (7,8), sich mit Hahnen-, Raben- und Gauchsfedern bekleiden und zieren (9), der böse Fremdlingsmann etw. [in die Sprache] einflicken (10), die deutsche Sprache durch ein Gewand entstellt sein (12), deutsches Kleid (13), den deutschen Wörtern das Kleid ausziehen (14,15), die deutschen Wörter in eine andere Gestalt kleiden (14), die deutsche Sprache mit neukunstzierlichen Wörtern bekleiden (16), die Kleider den Sinn eines Menschen offenbaren (17), in fremder Sprache und in fremdem Rock prahlen (19), sich gerne nach der neuen Tracht kleiden (20), Stammwörter aus Fremdgierigkeit zu Menglingen/Flickstücken machen (21), in Kleidern Deutsche sein (22), ein Habit jm. (z.B. Königen) gebühren (23). Anwendungsbereiche: Fremdwörter (1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13), deutsche Wörter (14,15,16), Charakter (17,18), fremde Sprache (19), Neues in der Sprache (20), Stammwörter (21), Volkszugehörigkeit (22), Stilhöhe (23). Varianten: Kleider als Zeichen (17,22), Kleider als Stilart (23). Korrelationen: REINHEIT (1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,12,13,14,15,21), anthropomorphisierende Metaphorik (1,2,3,4,5,11,12), ALTER (3,20,21), REICHTUM (7,8,10,11,16,), biologistische Metaphorik (10,13,16), Rechtsmetaphorik (13), EIGENTLICHKEIT (14, 15,21), POETIZITÄT (16,23), Babel (18).

In mehr als der Hälfte der Belege werden Fremdwörter mit der Kleidermetapher belegt. Ein dafür typischer Beleg ist der folgende, der die Kleidermetapher zugleich mit der anthropomorphisierenden Metapher (vgl. 4.2.3) im Ausdruck Bettlersmantel kombiniert:

Metaphern � 281

4

(1) [A]lle die Lust / ob den artigen Erfindungen / und reichem Zufluß schöner Gedancken und Worten wir empfinden / die wird uns alsbald zunichte / und fast zu einem Verdrieß gemacht durch die vielfältig vermengte Reden / da bald ein Lateinisch / bald ein Frantzösisch / bald ein Jtaliänisch oder auch Spanisch Wort zum öfftern mit eingeschoben wird / daß fast kein Bettlersmantel von so vielfältigen Flecken zusammen geflicket ist (Buchner, Anleitung, 13*).

Fast deckungsgleich ist folgende Stelle bei Rist: Die Dame bedauert, dass ein Deutscher „sich einer eigenen Sprache schämen vnd seine Rede mit tausendterley frembden Nahmen vnd außländischen Wöhrteren gleich einem BettlersMantel muste zusammen flicken“ (Rist, Rettung, 135 (6)). Hille legt dar, wie weit „unsere jetzige / von der uralten Teutschen / als unser ersten angebornen rechten Muttersprache abgewichen / verwandelt und hinwider in altneue Lumpen bettlerischerweise gestekket / verkleidet“ werde (Hille, Palmbaum, 124 (3); ähnlich Neumark, Palmbaum, 133 (2)). Auch an anderen Stellen beklagt Hille, wie weit von der ursprünglichen reinen deutschen Sprache abgewichen werde und sie „dagegen mit fremden Sprachverderbenswörtern bettlerischer Weiß ausgeflikket […] worden“ sei (Hille, Palmbaum, 88 (5)) und Neumark fragt: „[S]oll das Teutsch heissen / was aus so vielen fremden Sprachen / ohne Noht zusammen gelumpet ist“ (Neumark, Palmbaum, 141 (4)). Die Lumpen, aus denen in diesen Belegen der Bettlersmantel zusammengeflickt ist, sind die Fremdwörter, die damit pejorativ bewertet sind. Die zeitübliche Stigmatisierung gesellschaftlicher Außenseiter durch die Kleidung wird hier auf die Sprache übertragen.5 Während bisher die Fremdwörter selbst Gegenstand waren, wird in den nächsten Belegen der Fremdwortgebrauch angesprochen: (7) Man beobachte nur / wann der Frantzmann / der Welsche / die Römer / ihre an- und zugehörige Wörter / von diesem Brief und Lied absondern / und rechtmässig wieder an sich ziehen solten / was würde wol überbleiben? wie ungestalt und entblösset würde dieser mit fremden Federn gezierte Vogel dastehen? und könte die Ursach seiner Schande niemand / als seiner unbedachtsamen Gewohnheit beymessen (Hille, Palmbaum 135; ähnlich Neumark, Palmbaum, 139 f. (8)). (9) die Thorheit sitzt euch im Hertzen vnd lehrt sich, wie du siehest, von sich selbst gar leicht; wie schön es Euch aber ziere, das kanstu hier auß vnschwer erachten: alldieweil es ja kein Wohlstand den Adler sein wirde wann Er sich mit Hanen, Raben vnd Gauchsfedern bekleiden vnd zieren wolte (Moscherosch, Gesichte, 171)

�� 4 Die Zahlen vor den Belegen bzw. hinter der bibliographischen Angabe entsprechen der Nummerierung der Angaben in obigem Schema. Sie sind stets durch Fettdruck hervorgehoben. 5 Zur Semiotik der frühneuzeitlichen Kleiderordnungen und zur damit einhergehenden Sozialdifferenzierung vgl. Reich 2005, Simon-Muscheid 2010 und Mentges 2010.

282 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses In allen drei Belegen wird die Kleidermetapher variiert: Die deutsche Sprache wird als mit fremden Federn geschmückter Vogel dargestellt, der, wenn man ihm diese Federn wegnimmt, im wahrsten Sinne des Wortes bloßgestellt wird. In deutlichem Bezug auf den Phraseologismus sich mit fremden Federn schmücken wird der Fremdwortgebrauch, insbesondere der alamodische, als Prahlerei und Scheinhaftigkeit kritisierte Gebrauch französischer Wörter, als leere und dem wahren Sein nicht standhaltende Art zu Reden beurteilt. Dazu passt auch die Anspielung auf den gallischen Hahn, das nationale Symbol Frankreichs, in Beleg (9). Als Hauptursache für das Eindringen fremder Wörter machen einige Autoren den Krieg aus. Am Ende eines längeren Gedichts Hilles, in dem die Folgen des Krieges für die Menschen und die Länder und Städte geschildert werden, heißt es: (10) Halt / behalt die Muttersprach / die so rein und züchtig | Und zu allen Sinnbegreiffherrlich / reich und tüchtig. | Was der böse Fremdlingsmann / bey uns eingeflikket | Teutscher Geist und Teutsches Hertz wiederüm zerstükket. | Ey der Adler sey verjungt / Redlichkeit und Trauen | Endlich wieder wachsen wird. Dann wir wollen schauen | Fremder Zungen Niderfahrt; unser Neider Fall | Und der Teutschen Sprache Blüt fruchten überall (Hille, Palmbaum, 13 f.).

Es sind also nicht nur Soldaten und Waffen, die den teutschen Geist und das teutsche Hertz zerstükken, sondern auch die fremden Wörter, die der böse Fremdlingsmann einflikket. Doch die Verse benennen auch das Mittel, mit dem Abhilfe geleistet werden kann: Die Redlichkeit und das Vertrauen sind die Tugenden, die die fremden Wörter beseitigen und der deutschen Sprache zu neuer Blüte verhelfen (zur biologistischen Metaphorik vgl. 4.2.2). Auch für Logau ist der Krieg eine der Hauptursachen für das Vorhandensein von Fremdwörtern in der deutschen Sprache, doch nicht die einzige: Auch das Bedürfnis der Gelehrten und Möchtegern-Gelehrten nach sozialer Anerkennung durch den Gebrauch von Fremdwörtern wird in einem Gedicht mit dem Titel Deutsche Sprache angesprochen: (11) Das Deutsche Land ist arm; die Sprache kan es sagen, | Die ietzt so mager ist, daß ihr man zu muß tragen | Auß Franckreich, was sie darff, und her vom Tiber-Strom, | Wo vor Latein starb auch mit dir, Unrömisch Rom! | Zum Theil schickts der Iber. Das andre wird genummen, | So gut es wird gezeugt und auff die Welt ist kummen | Durch einen GerneKlug, der, wenn der Geist ihn rührt, | Ietzt dieses Prale-Wort, ietzt jenes rauß gebiert | Die Musen würckten zwar durch kluge Tichter-Sinnen, | Das Deutschland solte Deutsch und artlich reden künnen; | Mars aber schafft es ab und hat es so geschickt, | Daß Deutschland ist Blut-arm; drum geht es so geflickt (Logau, Sinngedichte, 68 f.).

Metaphern � 283

Die anthropomorphisiert konzeptualisierte deutsche Sprache ist so arm, dass sie, wenn man das Bild weiterspinnen will, der Spende in Form fremder Wörter bedarf. Damit wird eine Gegenthese zu Behauptung des REICHTUMS der deutschen Sprache aufgestellt (vgl. unten, 4.4.3). Nicht nur die Pseudogelehrten sind schuld an der Misere, die Versuche der Dichter, die deutsche Sprache zu verbessern, werden auch durch den Krieg (Mars) erschwert. Wegen dieser Gründe ist Deutschland blutarm und es müssen fremde Wörter eingeflickt werden. Die Kleidermetapher dient nicht nur der Kritik am Vorhandensein fremder Wörter in der deutschen Sprache und an den mutmaßlichen Gründen für diesen Zustand, sondern auch an der Art und Weise, wie diese Fremdwörter eingesetzt werden. Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Diskurs weitet Opitz die Kleidermetapher zu einer Allegorie aus, um Kritik an der Vermischung von Wörtern aus verschiedenen Sprachen zu üben: (12) [Die Sprache] ist geschändet und entstellt durch ein Gewand, das ihr nicht passt. Stellt euch eine Jungfrau von edlem Antlitz vor, deren Keuschheit noch nicht einmal durch die Hoffnung auf eine Liebesnacht vermindert ist. Bindet ihr Haar zusammen, kräuselt es in Wellen, türmt es hoch auf und umschließt den Gipfel gleichsam mit einem von Juwelen glänzenden Ring. Nun ist der Kopf römisch. Dann umspannt ihre Schultern mit einem langärmeligen spanischen Mantel wie bei italienischen Weibern aus dünnem Leinen, mit einem Bande seien die schwellenden Brüste umschlossen. Den Leib umhüllt mit einem weiten französischen Kleide, wie eine winzige Fliege mit einer Elefantenhaut, und endlich werft ihr einen athenischen Mantel über: Wird sie am Ende nicht eher einer rasenden Mänade als einer züchtigen Nymphe ähnlich sehen? Nichts passt zusammen, alles ist fremd und nichts natürlich als das, wonach man die Frauen bestimmt. Dasselbe Geschick, dasselbe Verhängnis ist über unsere Sprache hereingebrochen, aber nicht durch 6 ihre Schuld, sondern durch die der eigenen Leute (Opitz, Aristarch, 73 / 75).

Der letzte Satz enthält ein deontisches Moment: Wenn die Deutschen selbst schuld daran sind, dass die Sprache, anthropomorphisierend als schöne Jungfrau konzipiert, mehr einer rasenden Mänade als einer züchtigen Nymphe gleicht, dann können sie diesen Zustand auch selbst wieder ändern. Dies geschieht durch Spracharbeit, durch Dichtung, Sprachnormierung und Sprach�� 6 „[D]erturpata cultu non suo et deformata. Fingite vobis adesse liberalis faciei virginem, castam hactenus et ne spe quidem noctis imminutam. Colligite ipsi fractam in gradus comam, aedificate superne, anulo gemmeo cacuminis (ut sic dicam) extremitatem includite. Jam caput Romanum est. Sit humeros manuleato Hispaniae amictorio, sit mulierum Italarum è nebula linea strophio surgentes cincta papillas. Ventrem cyclade Gallica, hoc est, exiguam muscam elephanti corio, circuntendite. Jam Atheniense peplum illi injiacitur. Nonne Maenadi insanae, quam decenti nymphae erit similior? Omnia disparia, peregrine omnia, neque quicquam genuinum. praetor id quo foeminae censentur. Eadem fortuna linguam nostrum, idem casus obruit: non sua, sed suorum culpa“ (Opitz, Aristarch, 72 / 74).

284 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses reinigung. Die implizite Aufforderung wurde 1617 ausgesprochen und ihr folgten die Diskursakteure in den späteren Jahrzehnten. Die Verbindung von Kleider- und Rechtsmetaphorik zeigt einen reflektierten Umgang mit fremdem Wortmaterial an. Ein solcher liegt in folgendem Beleg vor: (13) [S]olcher und derogleichen Wörter sind nicht wenig in gantz Teutschland bekant / haben sich in die gemeine Rede als gleichsam mit Landwörter so tief eingeschoben / werden von Jugendauf mit angehört und der altageskundigkeit miteingewurtzelt / daß sie gleichsam Teutsches Statrecht erlanget und ein Teutsches Kleid / Anspruch und Endung überkommen haben (Schottelius, Arbeit, 1248).

Hier wird das sozialdifferenzierende Moment der Kleidung virulent: Fremdwörter, denen das Statrecht zuerkannt wird (zur Rechtsmetaphorik vgl. 4.2.4), erhalten ein deutsches Kleid und sind damit nicht mehr abgesondert, sondern sie werden in die Gemeinschaft aufgenommen und als vollwertige Mitglieder behandelt. Sie hören dann auf, Fremdwörter zu sein. Dieser Aspekt ist wohl gerade im Hinblick auf Schottelius’ Stammworttheorie wichtig, denn nur auf diese Weise kann er kommunikativ notwendige Fremdwörter wie die genannten akzeptieren, ohne der Grundfigur der REINHEIT, die ein wichtiger Teil seiner Sprachtheorie ist, Abbruch zu tun. Die Kleidermetapher wird jedoch nicht nur auf Fremdwörter angewendet, sondern sie dient auch der kritischen Beurteilung von Sprachreformen, vor allem der Orthographie und der Verdeutschungen Zesens. Schottelius etwa äußert sich zu diesem Thema so: (14) Philippus Caesius hat in Trukk kommen lassen viele und mancherley Poetische Tractätlein […] ins Hochteutsche übergesetzt / woraus wol abzunehmen / daß er der Teutschen Sprache mechtig / und sonderlich in Poesi eine fertige nicht unliebliche Art habe: Alles aber so vorhin entweder Teutsches Herkommens ist / oder Teutsches Verstandes seyn kan / in anderweites Unteutsches Teutsch zusetzen; oder auch die Teutschen Worte / der Schreibung und offenem Ansehen nach / in eine andere Gestalt kleiden / oder jhnen das Kleid / worin sie überall kennlich und hergestammet / ohn gründliche Uhrsach ausziehen / ist ein Werk eigener Einbildung / so sich verständigen Beyfals wenig versicheren kan (Schottelius, Arbeit, 1201).

Offensichtlich diese Stelle zitierend, schreibt Neumark, dass in den letzten Jahren einige „widerspenstige und wunderseltzame Orthographisten“ versucht hätten, dieses herrliche und grundfeste Sprachengebäude durch ihr unzeitiges Critisiren / und gantz abgeschmakktes Grübeln / zu unterbrechen / und frevelhaft ümzustoßen / auch wie itzt wolbesagter Herr Suchende [= Schottelius] neulicher Zeit unter andern schreibet / unseren ehrlichen teutschen Worten / ihr herrliches teutsches Kleid und Kennzeichen wie-

Metaphern � 285

der auszuziehen / und nach Phantastischer Ausrede / ohne allen Grund wunderlich zu bilden / sich bemühen (Neumark, Palmbaum, 87 (15)).

Hier wird der in der Diskussion von Beleg (13) angesprochene Vorgang praktisch umgekehrt: Indem deutschen Wörtern durch die Veränderung ihrer äußeren Gestalt durch Orthographie und Neologismen das teutsche Kleid ausgezogen wird, wird ihnen das Merkmal, das sie als deutsche Wörter kenntlich (worin sie überall kennlich hergestammet) macht, entzogen, sie werden zu fremden Wörtern. Für Schottelius und Neumark fügen Sprachreformer wie Zesen damit der deutschen Sprache erheblichen Schaden zu und nützen ihr nicht im Geringsten. Doch die Kleidermetapher kann auch positiv gewendet werden: In den letzten 30 Jahren wurde nach Hille die deutsche Sprache durch die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft „mit alten / als neukunstzierlichen Wörtern / wunderweise bekleidet / bereichet / und in erwünschten Wachsthum gelanget“ (Hille, Palmbaum, 88 (16)). Gute und angemessene Neologismen schaden also der deutschen Sprache nicht, sondern sie kleiden sie besser ein, bereichern sie und tragen zu ihrem Wachstum bei (biologistische Metaphorik). In den bisherigen Belegen wurde die Kleidermetapher auf fremde und deutsche Wörter angewandt. Doch im sprachpatriotischen Diskurs konnte sie sich auch auf den Charakter der Sprachbenutzer beziehen. Dies wird anhand dreier Epigramme Logaus deutlich. Das erste trägt den Titel Kleider: (17) Pferde kennt man an den Haaren; | Kleider künnen offenbaren, | Wie deß Menschen Sinn bestellt, | Und wie weit er Farbe hält (Logau, Sinngedichte, 273).

Hier wird der Zeichencharakter der Kleidung reflektiert: Man erkennt anhand der Kleider den Charakter der Menschen. Dies lässt sich auch alamodekritisch wenden: Wer sich betont französisch kleidet, der zeigt, dass auch sein Sinnen der französischen Kultur gilt. In einem Diskurs, welcher das Alamodewesen als Gefährdung der eigenen Kulturnation ansieht und daher dessen Anhänger scharf kritisiert, muss ein solches Verhalten als grober Charakterfehler angesehen werden. Im Epigramm Der Babylonische Thurm verknüpft Logau nicht nur die Kleidermetapher mit dem Babel-Topos, sondern er bringt, im Gegensatz zum eben behandelten Gedicht, die Alamodekritik mit der Sprache in Verbindung. (18) Da die Sprache ward verwandelt, ward der Thurm nicht außgebaut. | Weil die Kleidung sich so wandelt, wird kein deutscher Sinn geschaut (ebd., 472).

Im ersten Vers wird auf die Babylonische Sprachverwirrung angespielt, aufgrund derer der Bau des Turms nicht vollendet werden konnte. Im zweiten Vers

286 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses wird das Fehlen eines deutschen Sinns auf den Wechsel der Kleidung zurückgeführt. In beiden Versen liegen kausale Zusammenhänge vor. Durch die Kausalverbindungen und die Reime sowohl in der Zäsur als auch am Versende werden beide Verse verknüpft: Die Verwandlung der Sprachen führt dazu, dass das Bauwerk nicht beendet werden kann, der Wechsel der Kleidung entfremdet den Träger von seinem Volk. Das Tragen fremder Kleider wird mit der Katastrophe der Sprachverwirrung gleichgesetzt: Wer fremde Kleider trägt, entfremdet sich von seinem Volk und fügt ihm durch diese Verwirrung Schaden zu, denn aufgrund des semiotischen Gehalts der Kleidung sind Deutsche bald nicht mehr von Fremden zu unterscheiden, so dass auch nicht mehr klar ist, wer der Gemeinschaft angehört und wer nicht. Fungieren Kleider gemeinschaftskonstituierend, so tragen fremde Kleider gleichwohl zur Degeneration der Gemeinschaft bei. So wie bei der Babylonischen Verwirrung keiner mehr den anderen verstehen konnte, so kann nun keiner mehr den anderen seinem Platz in der Gemeinschaft zuordnen. Damit ist die soziale und letztlich, dem ordo-Gedanken der Zeit entsprechend, auch die göttliche Ordnung gefährdet. Explizit wird die Verbindung von Alamode-Kritik und Sprache im dritten Epigramm mit dem Titel Parole, versetzt: O prale: (19) O prale, Landsmann, pral, in fremder Sprache Schmucke! | Du pralst in fremder Sprach und fremd in deinem Rocke (ebd., 69).

Im Mittelpunkt dieses Zweizeilers steht die Eitelkeit, die zum Gebrauch von Fremdwörtern anregt. Das französische Fremdwort Parole wird durch ein Anagramm zum Inbegriff der Prahlerei und Eitelkeit stilisiert. Zu den Kennzeichen des Landsmanns, der sich an der französischen Kultur orientiert, gehört neben dem Gebrauch von Fremdwörtern auch das Tragen fremder Kleidung. Beides, Sprache und Kleidung, sind die Hauptmerkmale des Alamodisten, durch beide Zeichensysteme gibt er sich als seinem eigenen Selbstverständnis nach nicht der eigenen Gemeinschaft zugehörig, sondern als ihr überlegen zu erkennen, er prahlt mit Kleidung und Sprache. Dies wird als Zeichen der Abgrenzung von den eigenen Landsleuten verstanden und entsprechend von den Patrioten konzeptualisiert. Die Infragestellung der Volkszugehörigkeit ist auch Thema des folgenden Gedichts: (22) Sie lassen eignen Werth und wehlen fremden Tand, | Erkiesen Glas für Gold und wollen nichts beginnen, | Was diesem ist gemäß, was etwa kümmt von hinnen. | So wie in Kleidern sie nunmehr sind Deutsche nicht, | So soll auch nicht mehr deutsch seyn, was die Zunge spricht. | Wie muß das Hertze seyn? (ebd., 273).

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Die Kleidermetapher wird auch auf Vorgänge in der Sprache selbst angewendet. In Zesens Rosen-mând wird etwa die „neu-gierigkeit“ als eine der Ursachen für den Sprachwandel ausgemacht: Die Menschen wollten ständig etwas Neues, selbst wenn es schlechter als das Alte sei. Zur Illustration verwendet Zesen die Kleidermetapher: „[W]ie er sich gerne nach der neuen tracht kleidet / seine häuser nach der neuen art bauet / ja alles immer neue und wieder neue haben wil / weil ihm die älte / die doch vielmahls besser / als die neue / anstünket; so wil er auch immer was neues in seiner sprache haben“ (Zesen, Rosen-mând, 102 (20)). In der Ausführlichen Arbeit setzt Schottelius die Kleidermetapher auch in Bezug auf die Stammwörter ein, wenn er davor warnt, „wider den Lauf der gemeinen Natur / und wider das Geheiß der Warheit / aus schändlicher Frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Kraft- und Saftreiche / reinlichste / Uhralte Stammwörter / zu Menglingen / Flickstükken / Brokken / Unwörteren / Misgeburten und Betteldrekke machen“ (Schottelius, Arbeit, 144 (21)). Indem er biologistische (kraft- und saftreich) und Kleidermetaphorik (Flickstükke) mit den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT und ALTER mischt, evoziert Schottelius ein Bedrohungszenario, nach dem durch die Frömdgierigkeit die Stammwörter als Grundlagen und „Wurzeln“ (ebd., 50) der deutschen Sprache degenerieren und so die ganze deutsche Sprache untergeht. Auch hier ist das deontische Moment deutlich zu sehen, es wird durch die Kleidermetapher mitkonstituiert. Eine völlig andere Verwendung der Kleidermetapher liegt im Buch von der Deutschen Poeterey von Opitz vor. Er illustriert seine die Epoche prägende Dreistillehre anhand dieser Metapher: (23) Denn wie ein anderer habit einem könige / ein anderer einer priuatperson gebühret / vnd ein Kriegesman so / ein Bawer anders / ein Kauffmann wieder anders hergehen soll: so muß man auch nicht von allen dingen auff einerley weise reden; sondern zue niedrigen sachen schlechte / zue hohen ansehliche / zue mittelmässigen auch mässige vnd weder zue grosse noch zue gemeine worte brauchen (Opitz, Poeterey, 382).

Auch hier wird noch einmal die sozialdifferenzierende Funktion der Kleidung offenbar, sie ist den Zeitgenossen so geläufig, dass sie die Differenz der drei Stile einsichtig macht. Die Kleidermetapher dient also hauptsächlich der Kritik an Fremdwörtern und Fremdwortgebrauch sowie am Alamodewesen, gelegentlich auch an als übertrieben empfundenen Sprachreformen. Gerade im Bereich der Fremdwortkritik eignet sie sich zur Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem durch die vielfältigen Funktionen der Kleidung auf sozialer Ebene. Sie ermöglicht die Trennung von Erwünschtem, dem man das Statrecht (Beleg (13)) verleihen kann, und Unerwünschtem. Sprache und Kleidung werden einerseits von den Alamodisten zur Abgrenzung von den Landsleuten benutzt und dies wird

288 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses andererseits von den Patrioten gegen die Alamodisten verwendet. Sie fungieren somit als Zeichensystem beiderseitiger Abgrenzung. Kleidung und Sprachgebrauch werden so zu Codes, die die Volkszugehörigkeit sowohl in der Eigen- als auch in der Fremdklassifikation bestimmen. Um diese Funktionen erfüllen zu können, wird die Kleidermetapher bevorzugt mit der anthropomorphisierenden, gelegentlich auch mit der Rechtsmetapher und der biologistischen Metaphorik verbunden. Durch ihre Funktion bei der Konzeptualisierung der Fremdwörter ist sie mit den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT und REICHTUM und ALTER eng verbunden. Sie trägt damit zu deren Konstitution bei.

4.2.2 Biologistische Metaphorik Die biologistische Metaphorik, die sich vor allem in Form von Pflanzenmetaphorik äußert, ist der meistbelegte und mit Abstand vielfältigste Metaphernkomplex im Korpus. Sie erfüllt viele Funktionen und bezieht sich auf verschiedenste Bildempfänger, teilweise sogar innerhalb eines Belegs, so dass eine differenzierte Betrachtung dieses Metaphernkomplexes notwendig erscheint. Das folgende Schema demonstriert insbesondere die große Varianz dieses Metaphernkomplexes. Lexeme: Zweig/Zweiglein (1,3,4,5,6,8,9,11,12,26), (Sprach-)Baum (1,3,4,5,16,20,28), Reis/Reislein (1,5,8), (Baum-/Wörter-)Stamm (1,2,5), Ast (1,2), Ast-Wort (1), Nebensprössling/Nebensprösslein (1,34), Krebs(-geschwür) (1,18), Gärtner (1,16), Baumgärtner (1), Fortpflanzer (1), Reiniger (1), Zacken (1), Sprössling/Sprösslein (1, 3,4,8), Sprußen (1), Raubreis (1), verdorren (1), selbsteingepflanzt (1), aussaugen (1), Mark (1,5), Saft (1,6,26), Rinde (1), Borke (1), Frucht (2,3,4,5,6,9,11,12, 16,19,26,28,38), Blatt (2,28), Wurzel (3,4,5,33), aderreich (3,4,8), astreich (3,4,8), wurzelreich (3, 4), durchfeuchten (3,4), saft- (und kraft-)reich (5,10,11,12,33), (be-/ ein-)pfropfen (5,20,27), (aus-/ heraus-/hervor-/zu-)wachsen (5,6,9,38), Ader/Äderlein (5, 14), Kunst-Bewächs/-Gewächs (5,26), fruchtreich (5,7), fruchtbar (5), saftig (5), Kern (5), Baumwurzel (6), saftlos (7), (bei-/ein-)pflanzen (8,21,32,33,35), Misswachs (8), Apfel (11,12), Blüte (13,19), fruchten (13), Fortpflanzung (14, 39), Wachstum (15,19,27), fruchtbringend (16,29), Gartenzucht/-kunst (16), blutarm (17), entarten (18), ersticken (19,29,37), dorniges Gebüsch (19), Gestrüpp (19), einimpfen (20), einzweigen (20), naturalisieren (20), Unkraut (22), Lustgarten (22), ausrotten (22), Lustseuche (23), Krätze (23), Pflanze (24), fortpflanzen (25,27,31,35), ausreiten (›ausroden‹; 25), wurzelfest (26), Laub (26), Gedeihen (substantiviert; 27,28), Ersprießen (substantiviert; 27), anbauen (27), wurzeln (V.; 28), Sprachgarten (29,30,31), Baumquelle (36), Blume (37). Syntagmatische Umgebung: der Stamm eines wohlausgebreiteten Baumes (1), der Stamm sich in Äste, Zacken, Zweige, Sprösslinge ausbreiten (1), das Stammwort sich in blutsverwandte Astwörter und verwandte Zacken, Reiser und Sprußen ausbreiten (1), die Äste vom Stamm, die Zacken von den Ästen, die Reiser von den Zacken, die Sprösslinge von den Reisen den Ursprung

Metaphern � 289

nehmen (1), das bei dem Stamme nächste ihm ähnlicher und gleicher sein (1), ein Wort von der Ähnlichkeit des Stammes entfernt sein (1), die Raubreiser (Subj.) durch Unachtsamkeit der Gärtner an den Baumstämmen nebenaus schießen, den Reisern und Zacken die Kraft benehmen (1), die Raubreiser (Akk.) wegen ihrer geilen Bast-Art kennen (1), die Reiser und Zacken verdorren (1), die Wörter-Stämme viele Raubreiser und Nebensprösslinge gewinnen (1), die Verwahrlosung und Unachtsamkeit der Baumgärtner, Fortpflanzer und Reiniger (1), die Wörter-Stämme die Raubreiser und Nebensprösslinge nicht aus der selbsteingepflanzten und angeborenen Ähnlichkeit, sondern aus fremden Sprachen gewinnen (1), der geile französische Krebs rücklings in die Sprache hineinkriechen und ihr Mark und Saft aussaugen (1), die goldgelbe Rinde der Stammwörter mit räudiger Borke überziehen (1), die Zacken und Zweige verdorren (1), der Stamm von Ast, Blatt und Frucht unterschieden sein; die Stammbuchstaben nicht mit Vor- und Nachsilben vermengen (2), etw. (z.B. der Palmbaum, die deutsche Sprache, die Fruchtbringende Gesellschaft) Frucht/Früchte bringen/geben/tragen (3,4,11,12,26,28), die Stammwörter als saftvolle Wurzeln den ganzen Sprachbaum durchfeuchten (3,4), die Sprösslein und ast- und aderreichen Zweige des Sprachbaums sich ausbreiten (3,4), Sprache an Stammwörtern kräftig und wurzelreich sein (3,4), das Kunstgewächs der Hauptsprache sich einem fruchtbaren Baum vergleichen; der Baum seine saftreichen Wurzeln im Erdboden ausstrecken und das Mark der Erde mit seinen Äderlein an sich ziehen, seine Wurzeln durch ein fruchtreiches und saftiges Nass durchhärten, sich selbst in die Natur einpfropfen (5), die Wurzeln und Stammwörter der Sprache den Kern und das Mark aus der Vernunft saugen (5), die Stammwörter ihren Stamm emporragen, ihre Zweige und Reiser herauswachsen lassen (5), die Früchte der Stammwörter (5), ein Zweig nicht auswachsen noch Frucht bringen können, aus den Baumwurzeln Saft und Kraft ziehen (6), das Stammwort sich Verstand und Deutung zuwachsen lassen (6), ein fruchtreiches grünes Feld von steinigem saftlosem Boden unterscheiden (7), die deutsche Sprache in von Gott eingepflanzten Hauptgründen ruhen (8), die Stammwörter ihre Sprösslein und aderreichen Zweige ausbreiten (8), [Fremdwörter] die Reislein zerbrechen und Misswachs machen (8), eine Frucht aus einem Zweiglein wachsen (9), kraft- und saftreiche Stammwörter (10), die deutsche Sprache saft- und kraftreich sein (11,12), Worte goldene Äpfel, honigsüße Früchte sein (11,12), die Zweige jm. Hülle und Fülle geben (11,12), die Blüten der deutschen Sprache überall fruchten (13), die Fortpflanzung der deutschen Sprache (14), die brunnenquellenden Adern der deutschen Sprache (14), die deutsche Sprache durch Wörter zu Wachstum gelangen (15), die Gartenzucht fruchtbringend strahlen und die deutsche Sprache malen (16), den guten Baum an den Früchten erkennen (16), die Ehre vieler Sprachen eine Frucht sein (16), Deutschland blutarm sein (17), die deutsche Sprache entarten (18), Krebsgeschwüre sich einschleichen (18), Früchte und grünende Blüte der Muttersprache (Subj.) ersticken (19), die Muttersprache nicht in Wachstum geraten können, ein dorniges Gebüsch und zertretenes Gestrüpp bleiben müssen (19), in den deutschen Sprachbaum eingepfropfte und eingeimpfte Wörter, fest eingezweigte Wörter (20), genaturalisierte Wörter (20), fremde Wörter in die deutsche Sprache einpflanzen (21), fremdes Unkraut aus dem Lustgarten der deutschen Sprache ausrotten (22), gegen Lustseuche vorgehen, die böse Krätze beseitigen (23), gute Redensarten als fremde Pflanzen (24), Sprache vom Unflat der Wortbesudelung säubern, ausreiten (25), rechten Verstand fortpflanzen (25), [der deutsche Palmbaum] das Laub seiner Zweige in die Lüfte schwingen, wurzelfest stehen (26), die Frucht vollen Saft ziehen (26), das verwelkte Laub (26), die Fruchtbringende Gesellschaft mit reicherem Gedeihen, reicherem Ersprießen, gesegnetem Wachstum bepfropfen, forpflanzen und anbauen (27), die Fruchtbringende Gesellschaft wurzeln und Frucht tragen (28), die Frucht des Mundes (28), das Gedeihen der Frucht (28), an den Früchten merken, wie der Baum gewartet wird (28), jn. an seinen Früchten erkennen (28), Früchte zur Speise und Blätter zur Arznei dienen (28), der niedergedrückte und fast in Blut erstickte deutsche Palm-

290 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses baum (29), der kunstprächtige Sprachgarten (29,30), Mitglieder [Akk.; der Fruchtbringenden Gesellschaft] im deutschen Sprachgarten fortpflanzen (31), [den deutschen Präpositionen] etwas höhreres und unbekanntes einpflanzen (32), die Wörter von Wurzeln der Vorwörter entstehen, die Vorwörter saftreich und kraftvoll sein (33), die eingepflanzte Wirkung der Vorwörter, die den Wörtern beigepflanzt wird (33), die Grundrichtigkeit in die deutsche Sprache einpflanzen (35), Zier, Kunst, Lob, Pracht und Vollkommenheit in der deutschen Sprache fortpflanzen (35), [Lehnwörter] aus den deutschen Baumquellen ziehen (36), die Blumen und die Wörter (Subj.) veralten, alte Wörter durch neue ausdringen und ersticken (37), Wörter als Grund und Boden der Sprache, aus den Wörtern Redensarten als Früchte hervorwachsen (38), Fortpflanzung der Sprache (39). Anwendungsbereiche: Stammwörter (1,2,3,4,5,6,7,8,9,10), Fremdwörter (1,8,18,20,21,22,23, 24,25), deutsche Wörter (1,11,12,20,32,33), Sprachpfleger (1,16), Deutschland/(hoch-)deutsche Sprache/Muttersprache (5,11,12,13,14,15,16,17,18,19), Flexionsmorpheme (6,7,9,34), Fruchtbringende Gesellschaft (11,12,26,27,28,29,30,31), Weisheit, Ehre, Künste, Redlichkeit (16), Grundrichtigkeit (25,35), Poesie (35), Lehnwörter (36), Sprachwandel (37), Redensarten (38), Spracharbeit (39). Varianten: Krankheitsmetapher (1,17,18,23,28). Korrelationen: REINHEIT (1,3,4,8,10,13,14,18,22,23,24,25), REICHTUM (3,4,5,7,8,10,11,12,15,20,24,33), EIGENTLICHKEIT (3,4,5,25,35), Lichtmetapher (7), Kleidermetapher (10,13,15,17), Babel (10,37), POETIZITÄT (16,30,35,39), Dreißigjähriger Krieg (17,26,29), Rechtsmetaphorik (21), Essen und Trinken (28).

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Vielseitigkeit der biologistischen Metapher ist folgende Stelle in Zesens Rosen-mând: (1) Die herstammung aber der wörter in unserer sprache kan mit keinem dinge besser vergleichen als mit dem stamme eines wohlausgebreiteten baumes. Dan wie solcher stam sich in äste / zakken / reiser und sprößlinge ausbreitet: so breitet sich auch das stammwort unserer sprache erstlich in seine bluhtsverwanten äst-wörter / darnach was weiter darvon in seine verwante zakken / und endlich noch was weiter in reiser und sprußen aus. Oder / damit ich deutlicher gebe / wie vom stamme die äste / von den ästen die zakken / von den zakken die zweige / von den zweigen die reiser / von den reisern die jüngsten sprößlinge / ihren uhrsprung gemach und gemach nehmen: und wie das nächste bei dem stamme / ihm allezeit ähnlicher und gleicher ist / als das andere / das ie mehr und mehr etwas von des stammes ähnligkeit verlieret: Eben also ist es auch mit der herstammung unserer wörter beschaffen / und ie weiter ein wort von seinem stamme ist / ie weiter ist es von des stammes ähnligkeit entfernet. Wie nuhn ferner / durch unachtsamkeit der gärtner / an den baum-stämmen bisweilen raub-reiser neben aus schießen / die man / ihrer gäulen bast-ahrt wegen / straks kennet / welche den andern reisern und zakken die kraft benehmen / daß sie endlich gar verdorren; so hatten auch freilich unserer sprache wörter-stämme eine zeit her / aus verwahrlosung und unachtsamkeit der Baum-gärtner / d. i. fortpflantzer und reiniger derselben / viel raub-reiser und nebensprößlinge / nicht aus ihrer eignen selbsteingepflantzten und angebohrnen ähnligkeit / bildung und art / sondern aus fremden sprachen / gewonnen / welche als der

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gäule Französichte krebs rüklings in die sprache hinein krochen / und ihr mark und saft so aus-sogen / daß die schöne gold-gälbe rinde der stamm-wörter mit einer räudichten borke schohn überzogen / und die zakken und zweige endlich gar verdorren / das ist / unsere eigene wörter gantz vergehen / verschwinden und in vergeßlichkeit gerahten müssen / ja eine gäule verbasterte huren-art / so zu reden / sich eingeschlichen hätte / wo man solchem unheil nicht bei zeiten / und mit aller macht fürgekommen und gesteuret (Zesen, Rosen-mând, 204 f.).

Im ersten Teil der Passage bezieht sich die Metapher, zunächst als Vergleich gekennzeichnet, auf die Stammwörter. Diese breiten sich als Äste, Zacken, Reiser und Sprußen aus, in Sprösslinge und Reiser. Je näher sich ein Wort beim Stamm befindet, desto näher ist es mit ihm verwandt. Ein zweiter Anwendungsbereich wird im Anschluss daran eröffnet, der zugleich einen dritten und einen vierten mit sich bringt: Aus Unachtsamkeit der Gärtner bzw. Baumgärtner, die als Fortpflantzer und Reiniger der Sprache bezeichnet werden, schießen bisweilen Raub-Reiser aus dem Stamm, die den anderen Reisern und Zacken die Kraft rauben, so dass diese verdorren. Diese erkenne man ihrer gäulen Bast-Art wegen sofort. Diese Raub-Reiser und Nebensprösslinge sind nicht selbsteingepflanzt und angeboren, sondern kommen aus fremden Sprachen. Gemeint sind die Fremdwörter, die als ,Parasiten‘ den deutschen Sprachbaum befallen und den Stammwörtern die ,Nährstoffe‘ streitig machen. In der Folge geht die Pflanzenmetaphorik zur Krankheitsmetaphorik über: Die Fremdwörter kriechen als gäuler französischer Krebs rücklings in die Sprache hinein, saugen ihr Mark und Saft aus und befallen den Baum, so dass aus seiner gold-gelben Rinde schnell eine räudige Borke wird und Zacken und Zweige verdorren. Auf diese Weise verschwinden die deutschen Stammwörter und geraten in Vergessenheit. Es bleibt nur eine Redeweise, die als gäule verbasterte Hurenart bezeichnet wird. Die biologistische Metapher zeigt in diesem Beispiel mehrere Anwendungsbereiche: Die Stammwörter werden zunächst als Sprachbaum mit Stamm, Ästen, Zweigen und Sprösslingen metaphorisiert. Durch Unachtsamkeit der Sprachpfleger, der Gärtner, befallen Parasiten in Form von meist aus dem Französischen stammenden Fremdwörtern den Baum, machen seine Zweige und Sprösslinge, die deutschen Wörter, krank, lassen diese verdorren und treten an ihre Stelle. Auf engstem Raum werden also Stammwörter, Fremdwörter und im Gegensatz dazu die deutschen Wörter und die nachlässigen Sprachpfleger durch eine konsequente Durchführung der biologistischen Metaphorik miteinander verbunden. Zugleich zeigt das Beispiel, wie Pflanzen- und Krankheitsmetaphorik ineinander übergehen können. Auch andere Autoren wenden die Pflanzenmetaphorik auf die Stammwörter an. Harsdörffer etwa unterteilt die Silben nach dem Vorbild von Schottelius in Stammwörter, Ableitungen oder Hauptendungen und Verdopplungen, was er

292 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses mit der Baummetapher illustriert: „Wie nun der Stamm von Aesten / Blätern und Früchten unterschieden ist / so sollen auch die wesentlichen Stammbuchstaben mit den Vor- und Nachsylben nicht vermenget werden“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 379 (2)). Die wohl bekannteste Anwendung der Pflanzenmetaphorik auf die Stammwörter stammt aber von Schottelius: (3) [E]iner jeglichen Sprache Kunstgebew bestehet gründlich in jhren uhrsprünglichen natürlichen Stammwörteren: welche als stets safftvolle Würtzelen den gantzen Sprachbaum durchfeuchten / dessen Sprößleine / Ast- und Aderreiche Zweige in schönster Reinligkeit / steter Gewißheit und unergründender Mannigfaltigkeit / reumiglich und hoch außbreiten lassen. Nach dem auch eine Sprache an solchen Stammwörteren kräfftig und Würtzelreich ist / kan sie auch schöne / herrliche und vielfältige Früchte geben / nicht anders wie ein Baum nach dem safftigen Stande seiner außgebreiteten Würtzelen die Früchte reich- oder kärglich wachsen lässet (Schottelius, Sprachkunst, 74 f.; ebenso Arbeit, 50 (4)).

Während die Sprache am Anfang als Gebäude konzeptualisiert wird (zur Handwerksmetaphorik vgl. unten, 4.2.8), geht die Darstellung schnell in die Pflanzenmetapher über. Die Stammwörter erscheinen als Wurzeln, die dem Sprachbaum einerseits Standfestigkeit geben, ihn andererseits mit Nährstoffen versorgen, damit die Sprösslinge, Äste und Zweige desto besser wachsen können. In dieser Form, wenn also, um auf Zesen zurückzugreifen, keine Raubreiser den Baum befallen, kann sich der Sprachbaum in schönster Reinligkeit, steter Gewissheit und unergründeter Mannigfaltigkeit entfalten. Damit ist auf drei zentrale Theoreme angespielt, die in Schottelius’ Systematik eine wichtige Rolle spielen und die in dieser Arbeit als diskurssemantische Grundfiguren verstanden werden: auf die REINHEIT, die EIGENTLICHKEIT und den REICHTUM. Sie sind Grundeigenschaften der deutschen Sprache, doch sie sind darauf angewiesen, dass die Stammwörter als Grundlage der deutschen Sprache fungieren. Die Metaphorik, die sie als Wurzeln deklariert, veranschaulicht diese Funktion und trägt damit wesentlich zur Konstitution der Grundfiguren bei. Diese Funktion der Stammwörter wird auch an einer anderen Stelle in der Teutschen Sprachkunst deutlich: (5) Das Kunstgewächs unserer Hauptsprache vergleichet sich einem ansehenlichen fruchtbaren Bawme / welcher seine safftreiche Würtzelen tieff in den Erdboden / und darinn weit und räumig außgestreckt / also daß er die Feuchtigkeit und das Marck der Erden / vermittelst seiner äderleinen an sich zeucht / seine Würtzelen durch ein fruchtreiches safftiges naß durchhärtet und thawrhafft machet / und sich selbst in die Natur einpfropffet. Denn die Würtzelen und safftige Stammworter unserer Sprache haben nach obgesetztem Beweißthume den Kern und das Marck auß der Vernunfft gesogen / und sich auff die Hauptgründe der Natur gestammet: jhren Stamm aber lassen sie hoch empor ragen / jhre Zweige und Reiserleine in unaußsäglicher Menge / in steter Gewißheit / wun-

Metaphern � 293

dersamer Mannigfaltigkeit und ansehnlicher Pracht heraus wachsen / also daß die erlustigung an diesem Wunderstücke künne stets völlig / und die geniessung dero süssesten Früchten unendlich seyn (Schottelius, Sprachkunst, 99 f.).

Hier wird insbesondere die Figur der EIGENTLICHKEIT sichtbar: Die Stammwörter haben als Wurzeln des Sprachbaums den Kern und das Mark aus der Vernunft gesogen und sich auf die Hauptgründe der Natur gestemmt. Der Sprachbaum zieht seine Nahrung aus der Vernunft und gründet sich auf der Natur. In beiden Fällen ist er auf die Stammwörter angewiesen. Erneut wird die fundamentale Bedeutung der Stammworttheorie für Schottelius’ Sprachkonzept deutlich. Der Rückgriff auf die Pflanzenmetaphorik ermöglicht es ihm, das Konzept anschaulich zu machen. Die Analogie von Sprachsystem und Baum, von Stammwort und Wurzel dient ihm darüber hinaus als Begründung seiner Sprachtheorie. An dieser Stelle baut er die Analogie noch weiter aus, denn aus dem Sprachbaum wachsen weitere Reiser und Nebensprosse, die den Baum umso schöner machen; diese Nebensprosse sind die Hauptendungen (Affixe), mit denen die Ableitungen gebildet werden. Wer diese Hauptendungen und ihre Wirkungen genau beobachtet, der versteht den strukturellen Unterschied zwischen ihnen und den Stammwörtern. Auch diesen Unterschied zwischen, in moderner Terminologie, Wortstamm und Affix demonstriert Schottelius anhand der Baummetapher: Ein Zweiglein kan nicht außwachsen noch Frucht bringen / es habe dann auß den Baumwürtzelen safft und krafft in sich gezogen / also vermag keine dieser Hauptendungen ichtwas andeuten / es sey dann / daß das vorstehende Stammwort jhm den Verstand und die Deutung gleichsam zuwachsen liesse (ebd., 101 (6); ebenso Arbeit, 70 (9)).

Hieraus leitet Schottelius die besondere Leistungsfähigkeit der deutschen Sprache gegenüber anderen ab: (7) [N]ehme man nur das eintzig Wörtlein Mann / vir, ανηρ, zum Exempel / und besinne sich doch / wie unbekant die Teutschen künstlichen Sprachstücke / in frömden Sprachen seyn: Denn wer wil ableiten künnen von vir oder ανηρ, was wir von Mann künnen / als Mannschafft / Mannbar / Mannlich / Männlein / Mannhafft / Mannheit / (zu geschweigen von Verdoppelung als: Manngeld / Mannlehn / Mannrecht / etc. Kriegsmann / Dorffmann / Spielmann / Bawrsmann / Unmann / Hauptmann / etc. samt häuffig andern / davon in den Verdoppelungsarten zu sehen) warlich / er muß blind oder eines sandichten Gehirnes seyn / der nicht ein fruchtreiches / grünendes lustiges Feld von einem steinigten / safftlosen Boden unterscheiden wolte / oder künte (Schottelius, Sprachkunst, 104).

Die Grundfigur des REICHTUMS wird hier gleich auf zweifache Weise hervorgehoben: Einerseits durch die Beispiele der Derivationen und Kompositionen, die sich mit dem Lexem Mann bilden lassen. Durch die Aussage, dass dies im Lateinischen und Griechischen nicht in dieser Form möglich sei, wird zugleich die

294 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Überlegenheit der deutschen Sprache behauptet. Zweitens wird die Grundfigur des REICHTUMS durch eine biologistische Metapher illustriert, wenn nämlich die Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen als fruchtreiches, grünendes lustiges Feld bezeichnet und von dem steinigen, saftlosen Boden in anderen Sprachen abgegrenzt werden. In seinem Gutachten über Gueintz’ Deutscher Sprachlehre Entwurf referiert Schottelius das Vorurteil im Ausland, dass die deutsche Sprache keine innere Gleichförmigkeit habe, sondern die Stimmigkeit ihrer Schreibweisen von anderen Sprachen abschauen müsse, dass sie wortarm sei und keine festen Regeln besäße. Diese Behauptung, die er durch Gueintz nicht hinreichend widerlegt sieht, weist er mit bereits bekannten pflanzenmetaphorisch geprägten Argumenten zurück: (8) Es ist nicht so, die Teutsche Sprache ruhet fest und unbeweglich in ihren, von Gott eingepflanzten haubtgründen, welche lautere, reine, deütliche, meist-einsilbige Stammwörter sind, die ihre spröslein, ast- und aderreiche Zweige in schönster reinlikeit, steter gewisheit und unergründter mannigfäligkeit reümig und weit ausbreiten, das es gar nicht nötig mit frembden Leütteton darunter Zu werfen; umb die reislein Zu Zerbrechen und Zu miswachs Zu machen (Ertzschrein, 247).

Hier wird außerdem die grundsätzlich ahistorische Sichtweise der Diskursakteure, besonders aber von Schottelius, deutlich: Es gibt „kein Anzeichen für einen historischen Sprachbegriff“ (Gardt 1994a, 364), stattdessen wird die deutsche Sprache als Objekt konzeptualisiert, das fest und unbeweglich in ihren von Gott eingepflanzten Hauptgründen ruht. Das sich in zahlreichen Äußerungen andeutende Organismuskonzept, sprachlich in der Botanik und Genetik entliehene Metaphern gekleidet, sieht Sprache als sich mehr oder weniger aus sich selbst heraus entwickelnde, gleichwohl in ihrem ,Wesen‘ nicht verändernde Größe (ebd., 364 f.).

Darauf wird noch zurückzukommen sein. Schließlich können, wie bereits bei Zesen gesehen, die aus Babel stammenden Stammwörter von außen durch Fremdwörter gefährdet werden. Schottelius warnt davor, dass die Deutschen wider den Lauf der gemeinen Natur / und wider das Geheiß der Warheit / aus schändlicher Frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Kraft- und Saftreiche / reinlichste / Uhralte Stammwörter / zu Menglingen / Flickstükken / Brokken / Unwörteren / Misgeburten und Betteldrekke machen (Schottelius, Arbeit, 144 (10)).

Durch die Biologisierung werden die Stammwörter zu Objekten der Natur und damit der göttlichen Schöpfung gemacht; auf diese Weise sollen sie unantastbar

Metaphern � 295

für den Menschen werden. Die Wortwahl legt nahe, dass die Frömdgierigkeit als widerrechtlicher Eingriff in die Schöpfung verstanden wird. Die Pflanzenmetapher ist nicht zuletzt deshalb die meistbelegte und vielseitigste Metapher im Diskurs, weil die wichtigste der literarischen Sozietäten, die Fruchtbringende Gesellschaft, die Palme zu ihrem Emblem und zentralen Symbol erwählt hat. Die Gründe für diese Wahl erläutert Neumark: (11) Jst demnach zu wissen / daß vielerley Geschlechte der Palmbäume gefunden werden / darunter dieser der treflichste / welcher Nüsse träget / und von den Arabern Maro, von den Jndianern Teugamara und Lanha, von den Portugisen Kokko genennet wird / so in den Ost- und Westindischen Jnsuln befindlich. […] Dieser Baum ist sehr hoch / und nicht gar dikk / hat seine Aeste in der Höhe / welche sittiggrün sind / eine aschenfarbe Rinde / und gleichsam etliche Wülste herüm / an welchen man leichtlich kan hinauf steigen (Neumark, Palmbaum, 56 f.).

Neumark beschreibt anschließend die Wurzeln und Kokosnüsse. Von diesen Bäumen allein / kan man ein gantzes Schiff machen / und rüsten mit Balken / Masten / Kielen / Seilen / Segeln und ander Zugehör: Ja / das Schiff kan mit allerhand Kaufmanschaft / von eben diesen Bäumen beladen werden / als da ist / Oel / Wein / Essig / schwartzer Zukker / Früchten / Scheidwasser / etc. Das Holtz hat ferners allerhand sonderlichen Nutzen. Die Zweige dienen an stat der Ziegel / zu Bedachung der Häuser / und Schiffe / wann sie in dem Winter auf das Land gezogen werden. Aus dem Saft dieses Palmbaums machen die Jndianer mancherley Getränke / welches sie theils Salza nennen / und ist dem Most nicht ungleich: theils Fula / welches mit unserm Brandewein eine Verwandschaft hat (ebd., 57 f.).

Aus den Kokosnüssen kann Öl, Milch und anderes gewonnen werden, die Rinde dient dazu, Seile und Stricke zu fertigen, die auch im Salzwasser nicht faulen oder zerreißen; aus der inneren Rinde kann man Schüsseln, Becher und andere Gefäße machen. Schließlich dient die Rinde auch als Brennholz. Nun zieht Neumark den Vergleich: Dieser „Wunderbaum“ bringe viel Nutzen, „so bringet doch unsere teutsche Sprache nicht weniger übertrefliche Früchte“ (ebd., 63). Einige davon zählt Neumark auf: Die Rede ist ein Band menschlicher Gesellschaft, das sie von den Tieren unterscheidet, weil sie vernünftig ist; die Sprache ist (12) Kraft- und saftreich / Sinn- und Wortreich / Geist- und Lehrreich / maßen das seligmachende Wort Gottes / aus den Hebräischen Gründen in unsere Sprache vernemlichst und nachdrükklichst übersetzet / und gedolmetschet worden. Unsere Worte sind die göldenen Apffel in silbern Schalen / Milch / und honigsüße Früchte unserer Lippen: Ein Trostöhl in Traurigkeit: Ein Freudenwein in der Glükkseligkeit: Die Gefäße unserer Gedanken: die Zweige / welche uns in geistlich- und weltlichem Stande Hülle und Fülle ge-

296 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses ben / und im Ende zu sagen / dienet in unserer Sprache / alles zu Nutzen (ebd.; ähnlich Hille, Palmbaum, 63).

Die Palme wurde zum Emblem gewählt, weil sie sich vollständig verarbeiten lässt und jeder ihrer Teile genutzt werden kann. So passt dieser Baum zum von Neumark zitierten Wahlspruch der Fruchtbringenden Gesellschaft: Alles zu Nutzen. Die Sozietät soll im Bereich der Tugenden wie der Sprachpflege nützlich sein und Früchte tragen, auf den Bereich der Sprache beschränkt heißt das, sie soll zur Erhebung der Dichtung, zur Normierung der deutschen Sprache und zu ihrer systematischen Beschreibung beitragen. Jeder Teil, jedes Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft soll seinen Beitrag dazu leisten. Doch die Metapher beschränkt sich nicht nur auf die Fruchtbringende Gesellschaft, sie wird auch auf die deutsche Sprache angewandt: Auch bei ihr ist jeder Teil von Nutzen: Sie dient als anthropologische Konstante, die den Menschen vom Tier unterscheidet, und durch sie wird – unter Bezugnahme auf Luthers Bibelübersetzung, worin eine deutliche Parteinahme für den Protestantismus gegenüber dem Katholizismus steckt (vgl. Verweyen 1997, 73–77) – das Wort Gottes den Menschen vermittelt. In Form von Dichtung sind die Worte Äpfel, Milch und honigsüße Früchte, an denen man sich erfreuen kann. Die Sprache hat als Gefäß unserer Gedanken auch kognitive Funktionen und die Wörter als Zweige geben den Menschen und Dingen eine sprachliche Gestalt. Es ist der Zweck der Fruchtbringenden Gesellschaft, diesen Nutzen der deutschen Sprache wieder uneingeschränkt herzustellen: (13) Ey der Adler sey verjungt / Redlichkeit und Trauen | Endlich wieder wachsen wird. Dann wir wollen schauen | Fremder Zungen Niderfahrt; unser Neider Fall | Und der Teutschen Sprache Blüt fruchten überall (Hille, Palmbaum, 14).

Zur Sprachpflege ist jedes Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft verpflichtet. Ihre Notwendigkeit wird mittels einer organischen Metapher verdeutlicht: (14) Vors ander / daß man die gute Satzungen von der Teutschen Sprache Erhaltung und derselben Fortpflantzung / stets vor Augen stellt; darauf unaussetzlich besteh / und mit einem solchen Eifer / daß gleichwie nunmehro / GOtt Lob / die Brunnenquellende Adern der reinen hochteutschen Sprache durch Hülffe der Fruchtbringenden Gesellschafter eröfnet: dieselbe nicht hinwieder durch Nachlässigkeit möge gestopffet und zugescharret: sondern von Zeiten zu Zeiten reinlicher ausgearbeitet werden (ebd., 76).

Die Sprachpfleger sind hier keine Gärtner wie bei Zesen, sondern sie werden als Bader oder Ärzte konzeptualisiert, die die Adern der hochdeutschen Sprache öffnen und so die notwendigen Flüssigkeiten wieder zum Fließen bringen. Ihnen obliegt es auch, nicht nachlässig zu sein, sondern zu verhindern, dass die Adern

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nicht wieder zugestopft oder zugescharrt werden. Dies geschieht vor allem durch alamodische Fremdwörter. Wenn dies geschieht und die Dichtung zugleich durch sinn- und kunstvolle Archaismen und Neologismen die Sprache bereichert, so steht ihr eine gute Zukunft bevor. Hille nimmt den Optimismus aus den ersten 30 Jahren der Fruchtbringenden Gesellschaft, in denen deren Mitglieder die deutsche Sprache „mit alten / als neukunstzierlichen Wörtern / wunderweise bekleidet / bereichet / und in erwünschten Wachsthum gelanget“ (ebd., 88 (15)). Auch in diesem Beleg wird die biologistische Metapher mit der Kleidermetapher verbunden. Es ist also letztlich Aufgabe der Sprachpfleger der Fruchtbringenden Gesellschaft als Gärtner, den Sprachgarten zum Blühen zu bringen: (16) Diese schönste Gartenzucht / so Fruchtbringend stralet / | Mit der reinsten Wunderzier unsre Sprache mahlet: | Hat zu ihrer Gärtner pfleg’ hoher Fürsten Hand / | Und ist diese Gartenkunst / Tugendfleiß genannt: | Soll man jeden guten Baum aus den Früchten kennen / | Kan man diese Tugendschar wol fruchtbringend nennen. | Weißheit / vieler Sprachen Ehr / vieler Künste Zucht / | Als auch Teutsche Redlichkeit / nennt sich unsre Frucht (ebd., 74).

Zugleich wird hier auch die Fruchtbringende Gesellschaft als Tugendgesellschaft angesprochen: Einen Baum erkenne man an seinen Früchten; die Früchte, die der Palmorden hervorbringen soll, sind Tugenden wie Weisheit, Ehre, Zucht und die Teutsche Redlichkeit. Dies wird aber durch den Krieg und fremden Spracheinfluss gefährdet: (17) Mars aber schafft es ab und hat es so geschickt, | Daß Deutschland ist Blut-arm; drum geht es so geflickt (Logau, Sinngedichte, 69).

Auch hier werden Kleider- und biologistische Metapher miteinander verknüpft: Durch das Einflicken der Fremdwörter ist die deutsche Sprache blutarm, also krank geworden. Bereits Opitz hatte den verstärkten Gebrauch von Fremdwörtern mit einer biologistischen Metapher ausgedrückt. In seinem Aristarch schrieb er: „Indessen verändert sich die reine und bisher von fremder Befleckung unberührte Sprache und entartet zu wunderlichen Redeweisen. Wortungetüme und Krebsgeschwüre schleichen sich ein, bei denen ein ehrlicher Deutscher bald seine Entrüstung oder seinen Ekel nicht mehr zurückhalten kann“ (Opitz, Aristarch, 71/73 (18)).7

�� 7 „Interim purissima et â peregrino squalore libera hactenus lingua mutat, et in miras loquendi formulas degenerat. Monstra vocabulorum et carcinomata irrepunt occulte, ad quae genuinus aliquis Germanus quandoque vix indignationem, quandoque nauseam vix tenet“ (Opitz, Aristarch, 70 / 72).

298 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Für Schottelius ist auch der Schulunterricht an der Misere schuld. Den Status der deutschen Sprache im jetzigen Schulunterricht beschreibt er mit einer botanischen Metapher: Dadurch denn alle Früchte und die grünende Blüte unserer Muttersprache / in jhrer ersten Geburt wird ersticket / also daß sie zu keinem vollen Wachsthume gerahten kan / sondern ein dörnichtes Gebüsche und zertretenes Gestrütticht verbleiben muß (Schottelius, Sprachkunst, 19 (19)).

Es mangle nicht an den Anlagen der deutschen Sprache, sondern am Verstand ihrer Benutzer: Was die Natur verstehen lassen wolle, das könne man in deutscher Sprache nachreden, das deutsche Gemüt sei so „genaturet / daß es solche teutsche Wörter leichtlich vernehmen / und Krafft derer / die tausenterley Verenderungen des jrrdischen Wesens in seine Bildung gar vernemlich bringen kan“ (ebd., 20). Um aus dem Gestrüpp der deutschen Spache einen sauberen Organismus zu machen, der zu seinem vollen Wachstum kommen und Früchte hervorbringen kann, bedarf es also keiner Verbesserung der Sprache als solcher, sondern einer Veränderung der Sprachbenutzer, deren Gemüt so genaturet ist, dass es leicht der deutschen Sprache zur Blüte verhelfen kann. Der Sprachbaum stellt kein in sich geschlossenes Gebilde dar, er kann auch fremde, aber sinnvolle und notwendige Elemente aufnehmen und integrieren, indem diese eingepfropft oder eingeimpft werden: (20) [A]lso können und müssen wir auch sothane / in den Teutschen Sprachbaum nohtwendig (weil ein neu ding benahmet wird) eingepfropfte / oder durch zuleßigen gebrauch eingeimpfte / oder aber durch das Herkommen fest eingezweigte Wörter / Teutschem nachruhm ohn schaden / nunmehr fein behalten und sothane Teutsch genaturalisirte Wörter mehr bekant und beliebt / und die Sprache selbst dadurch Wortreicher werden lassen / sind auch solche unvermeidliche Wörter guten theils unter folgende recht Teutsche Stammwörter / als einverbrüderte mit gesetzet worden (Schottelius, Arbeit, 1273).

Mit dem Hinweis, dass die deutsche Sprache auf diese Weise reicher wird, verbindet Schottelius die Pflanzenmetapher zugleich mit der diskurssemantischen Grundfigur REICHTUM. Auch Leibniz sieht in der Entlehnung fremder Güter und Wörter, wenn sie der eigenen Lebensqualität zuträglich sind, keine Schwierigkeit, sondern begrüßt „einige gute Redens-Arten, als fremde Pflantzen“ (Leibniz, Gedanken, 540 (24)). Während diese „miteingepflanzte[n]“ Wörter (Schottelius, Arbeit, 1272 (21)) für Schottelius keinen grundsätzlichen Widerspruch zu seinem Sprachkonzept bedeuten, soll für Rist „ein jeder auffrichtiger Liebhaber seines Vatterlandes dahin trachten […] daß solches schädliches frembdes Vnkraut aus den herrlichen köstlichen Lustgahrten teutscher Sprache gäntzlich möge ausgerottet werden“ (Rist, Rettung, 141 (22)). Hier wird das fremde Un-

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kraut dem eigenen köstlichen Lustgarten gegenübergestellt, Fremdwörter sind somit störende Elemente, die die eigene Sprache am Wachstum hindern und die deshalb ausgerottet werden müssen. Rist bleibt nicht bei der Pflanzenmetapher, sondern er steigert sie zur Krankheitsmetapher, bevor er die Sprachmischung zu einem grausamen Wundertier erklärt: Ein deutscher Vorfahr, der reines und gutes Deutsch geredet hätte, würde unter dem heutigen Sprachengemisch und diesen „zusammen geflickte[n] Reden“ (ebd., 143 f. (23)) kaum etwas verstehen. Rist fordert in Gestalt einer ehrbaren deutschen Briefeschreiberin die deutschen Gelehrten auf, gegen diese „Lust-Seuche“ (ebd., 144) durch gute und nützliche Bücher vorzugehen und die „selbsteingebildete[n] Welsche[n] und Frantzösische[n] Auffschneider“ (ebd.) durch scharfe Satiren anzugreifen, um diese „böse Krätze“ (ebd.) zu beseitigen und das grausame Wunder-Thier der vermischten Sprachen an den Ketten der teutschen Kunst und Zierligkeit gefangen [zu] halten / und also die allerschönste / edelste und reineste Teütsche Sprache für ihrem gäntzlichen Vntergange mit macht [zu] erretten / ja von deroselben endlichen Verderben [zu] befreyen / loß und ledig [zu] machen (ebd.).

Es ist auch das Ziel der Fruchtbringenden Gesellschaft, (25) daß wir unsere hochprächtige Muttersprache vor allen Dingen / von dem Unflat bettelerischer Wortbesudelung / so viel jedem müglichen / ausreiten [›ausroden‹] / säubern / auszieren / und keineswegs damit ferner behelligen: sondern dieselbe dagegen in ihrer Grundfeste und rechten Verstand erhalten / behalten / und fortzupflantzen / uns höchlichen angelegen seyn lassen (Hille, Palmbaum, 23).

Oben wurde bereits dargestellt, wie die Ziele der Fruchtbringenden Gesellschaft mit Hilfe der Pflanzenmetapher beschrieben wurden (Belege (11) und (12)). Diese Metapher kann auch auf die Sozietät selbst angewendet werden. Harsdörffers Lobrede des Geschmacks wird etwa mit einem Sonett eingeleitet, in dem es heißt: (26) Der Deutsch Palmenbaum kont wenig Früchte bringen / | und seiner Zweige Laub kaum in die Höhe schwingen: | Weil ihn die Kriegesbürd’ ein felsenschweres Pfund / | berucket und gedruckt. Nun / zu der Friedens-Stund | beginnt er / Lastes frey / fast Wolckenan zu bringen! | Er stehet Wurtzelfest erneurend seine Kraft: | Die Frucht ist wohlgeschmack / und ziehet vollen Saft | weil ihn ein Deutscher Held erhält / und wil beschutzen. | Das edle Kunst-Bewächs / liegt in dem Deutschen Held / | mit nie verwelckten Laub behagend in der Welt | Dem höchsten GOTT zu Ruhm / und zu gemeinen Nutzen (Harsdörffer, Fortpflanzung, 26).

Der Krieg hat demnach den deutschen Palmbaum, die Fruchtbringende Gesellschaft, am ,Wachstum‘ gehindert. Nun, im Frieden, kann er seine Kraft erneuern und steht wieder wurzelfest. Nun kann er Früchte bringen und sein Laub verwelkt

300 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses nie, sondern er dient Gott zum Ruhm und zu gemeinem Nutzen. Es könne, so Harsdörffer an späterer Stelle, kein Zweifel sein, dass die Fruchtbringende Gesellschaft nun in den Friedensjahren desto mehr blühen werde, „mit viel reicherem Gedeyen / mit viel reifferem Erspriessen / mit viel gesegneterm Wachsthum / von dem hochmögenden Schmackhaften bepfropfet / fortgepflantzet und angebauet“ werde (ebd., 40 (27)). Der ,Schmackhafte‘ ist Wilhelm IV. Herzog von Sachsen-Weimar (1598–1662), ab 1651 Fürst Ludwigs Nachfolger als Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft. Er wird hier als oberster Gärtner konzeptualisiert, der den Palmbaum bepfropft, fortpflanzt und anbaut und ihm so zum Gedeihen verhilft. Nicht nur die Spracharbeit oder die deutsche Sprache werden also durch die Pflanzenmetapher ins Bild gesetzt, sondern auch die institutionelle Organisation dieser Spracharbeit. Die Spracharbeit bringt die Früchte, an denen man den Erfolg der Fruchtbringenden Gesellschaft erkennen kann: (28) Solches kan mit Grund gesagt werden / […] von der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft / welche untersich gewurtzelt / und übersich Frucht getragen / in dem sie erstlich GOtt Frucht zu bringen / und zu Erhalt- und Handhabung der Teutschen Heldensprache / als der Frucht unsers Mundes gewidmet worden. Das Gedeien der Frucht ist von dem HERRN kommen. An den Früchten merket man / wie des Baumes gewartet ist: also merket man an der Rede / wie das Hertz geschickkt ist. An ihren Früchten sol man sie erkennen: sie werden zur Speise und ihre Blätter zur Artzney dienen (Hille, Palmbaum, 37*).

Bemerkenswert an dieser Passage ist, dass die Früchte des Palmordens sowohl als Speise als auch als Arznei dienen sollen. Durch letzteres wird die Pflanzenmetapher zu einer positiven Variante der Krankheitsmetapher gewendet, ersteres spielt auf die Metapher des Essens und Trinkens an (vgl. dazu unten, 4.2.7). Auch sich selbst versteht Hille als Gärtner, der den durch den Krieg darniederliegenden Palmbaum wieder aufrichten soll: Nach einigen Übersetzungsarbeiten erhielt er nach eigenen Angaben den Auftrag, der Fruchtbringenden Gesellschaft eine Lobschrift zu verfassen und den bishero von allen Ungewittern nidergedrukkten / und fast in Blut erstikkten Teutschen Palmbaum / in den kunstprächtigen Sprachgarten / des fast zu Grund gerichteten Teutschen Reichs / hinwider fruchtbringend nach wolmeinendem Vermögen / aufzurichten und denselbigen als einen waaren Tugendspiegel der erbaren Welt gleichnisweise darzustellen (ebd., 5 (29); ebenso Neumark, Palmbaum, 6 f. (30)).

Doch nicht nur die Fruchtbringende Gesellschaft wird mit biologistischen Metaphern versehen, auch das Lob anderer Sprachgesellschaften wird von Neumark in eine Pflanzenmetapher gekleidet:

Metaphern � 301

Und muß ich bekennen / daß in solchen beyden ietzt erwehnten Gesellschaften / unterschiedliche statliche gelehrte Köpfe / in unserer Muttersprache das ihrige mit großem Lobe gethan / dahero wol würdig / daß Sie in dem teutschen Sprachgarten / besser fortgepflantzet / erhaben und begnadiget würden (Neumark, Palmbaum, 50 f. (31)).

Insbesondere lobt er Harsdörffer und Klaj von den Pegnitzschäfern und die Mitglieder des Elbschwanenordens. Wie bereits in einigen Belegen zu sehen war, wird die Planzenmetapher auch auf die deutschen Wörter angewendet (vgl. Belege (1), (11), (12) und (20)). Schottelius benutzt sie, um den Reichtum und die Überlegenheit der deutschen Sprache gegenüber anderen Sprachen zu demonstrieren: Den deutschen Präpositionen sei „ein noch anderes / höheres und den frömden gar unbekantes […] eingepflantzet / welches [die Griechen und Lateiner] nur / wie die Kuh ein Seitenspiel anhören / aber mit keinem Worte den Teutschen Verstand erreichen mögen“ (Schottelius, Sprachkunst, 130 (32)). Als Beispiele für Wortbildungen, die im Lateinischen und Griechischen nicht möglich seien, nennt Schottelius u.a. Erheiraten, Loßklemmen, Mißwerffen, Gezisch, Gesäusel. Zur Beschreibung dieser Wörter verwendet Schottelius wieder die Pflanzenmetapher: [E]ntstehen sie von den Würtzelen der Vorwörter / welche safftreich und krafftvoll seyn / sich erstreckend weit und breit / und jhre eingepflantzete Wirckung und Eigenschafft alle denen Wörteren mittheilend / welche vermög deß Teutschen und deutlichen Verstands / jhnen künnen beygepflantzet werden (ebd., 131 (33)).

Die Derivationssuffixe bezeichnet Schottelius als „Neben-Spröslein“ (Schottelius, Arbeit, 68 (34)), es werden also auch Morpheme mit der Pflanzenmetapher versehen (vgl. Belege (6), (7) und (9)). Schottelius benutzt die Pflanzenmetaphorik außerdem, um sein Konzept der ,Grundrichtigkeit‘, die mit der diskurssemantischen Grundfigur EIGENTLICHKEIT aufs Engste zusammenhängt, zu erläutern: Also daß […] die mehrgemelte Hochteutsche Mundart die jenige eintzig seyn wird / kan / und muß / darin die Grundrichtigkeit gepflantzet / kunstmessige Ausübung gesetzet / und alle wahre Zier / Kunst / Lob / Pracht und Vollkommenheit gesuchet / behalten / und fortgepflantzet werden muß (ebd., 175 (35)).

Dem Hochdeutschen ist also die ,Grundrichtigkeit‘ eingepflanzt, sie ist ihr inhärent und hält in sich alle POETIZITÄT (Zier und Kunst) und alle Pracht und Vollkommenheit. Diese muss durch weitere Spracharbeit gefördert (fortgepflanzt) werden. Dieser Beleg kann exemplarisch für die Art und Weise stehen, wie diskurssemantische Grundfiguren durch Metaphern konstituiert werden können.

302 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Kaspar Stieler drückt seine Auffassung, dass bestimmte Lehnwörter erwünscht sind, mit einer Baummetapher aus: Lateinisch- und griechischstämmige Wörter, die schon sehr lange in der deutschen Sprache vorhanden sind, wie Bischof, Exempel, Kirche, Natur, Opfer, Priester, Regieren oder Schule, auch einige französische Wörter wie Ballett, Galerie oder Maskerade seien „aus den Teutschen Baumqvellen / nicht allein heraus zuziehen / sondern auch zubejahen“ (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iiijr (36)). Im Rosen-mând nennt Zesen mehrere Gründe für Sprachwandel. Einer von ihnen ist der, dass seit der Babylonischen Verwirrung alles der Veränderung, der Unbeständigkeit und der Verwesung unterworfen sei. Um diesen Gedanken zu untermauern verwendet Zesen die Pflanzenmetapher: Wie die bluhmen täglich veralten / und an der veralteten stat neue entstehen; so veralten auch unsere wörter / wan sie eine zeitlang im schwange gegangen / und kommen gemach und gemach in abgang; nachdem die alten durch die neuen ausgedrungen und gleichsam erstikket werden (Zesen, Rosen-mând, 102 (37)).

Alte Wörter werden demnach von neuen verdrängt, die ihren Platz einnehmen. Leibniz vergleicht ,Redens-Arten‘, also die Phraseologismen, mit Früchten: Diese sollen als „Grund und Boden einer Sprache […] daraus die Redens-Arten gleichsahm als Früchte herfür wachsen“ bezeichnet, aufgelistet und untersucht werden (Leibniz, Gedanken, 541 (38)). Opitz verfasst sein Buch von der Deutschen Poeterey auch „zue beßerer fortpflantzung vnserer sprachen“ (Opitz, Poeterey, 343 (39)). Die biologistische Metaphorik hat nach den Ergebnissen dieser Analyse vier Hauptanwendungsbereiche: Stammwörter, Fremdwörter, die deutsche Sprache und deutsche Wörter samt Flexionsmorphemen und Phraseologismen. Häufig wird sie auf die Sprachpfleger als Personen (Gärtner etc.) oder Institutionen (Fruchtbringende Gesellschaft) angewandt. Vereinzelt steht sie im Zusammenhang mit Lehnwörtern und Sprachwandel. Meist äußert sie sich als Pflanzenmetapher, seltener wird sie zur Krankheitsmetapher ausgeweitet, in Einzelfällen auch zur Tiermetapher. Sie wird häufig mit den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT und REICHTUM verbunden. Auch mit der EIGENTLICHKEIT und der POETIZITÄT kann sie verknüpft werden. Die biologistische Metaphorik erweist sich damit als überaus flexibel einsetzbar, gehört zu den dominierenden rhetorischen Mitteln im Diskurs und ist von enormer Bedeutung für die Konstitution der diskurssemantischen Grundfiguren.

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4.2.3 Anthropomorphisierende Metaphorik Die anthropomorphisierende Metaphorik erscheint im Korpus in zweierlei Gestalt: Einmal als Jungfrau, das andere Mal als Bettlerin, gelegentlich auch als Hure. Auffällig ist, dass beide Male die Sprache und auch die anderen Anwendungsbereiche in weiblicher Gestalt metaphorisiert werden, offenbar in Analogie zum Genus des Substantivs Sprache, denn dies gilt auch für Toponyme wie Deutschland und neutrale Substantive wie Wort. Lexeme: Jungfrau (1,2,3,4,5), Jungferschaft (6,8,9), Reinlichkeit (7), Keuschheit (7), Hure (10), Bettlerin (10,11), Findling (10), Hurenkind (10), erbetteln (12, 16), Bettelsack (12), bettlerisch (13), bettlerischerweise (14,15,19), Dürftigkeit (17), Bettelarmut (17), Bettlersmantel (18), Betteldreck (20). Syntagmatische Umgebung: Jungfrau, deren Keuschheit noch nicht vermindert ist (1), (die Sprache eine) keusche/reine/unbefleckte/unberührte Jungfrau sein (2, 3,4,5), unbefleckte Jungferschaft der Sprache (6), deutsche Sprache bei ihrer Reinlichkeit und Keuschheit halten (7), Deutschland die reine Jungferschaft rauben (8,9), die deutsche Hauptsprache zur Hure und Bettlerin machen (10), die deutsche Hauptsprache zum Findling und Hurenkind verstalten (10), die deutsche Sprache durch fremde Wörter zur armen hungrigen Bettlerin machen (11), [die deutsche Sprache] als Bettelsack begreifen (12), [die deutsche Sprache] sich alles erbetteln müssen (12), der Unflat bettlerischer Wortbesudelung (13), die Muttersprache bettlerischerweise in Lumpen stecken (14), [die deutsche Sprache] mit fremden Sprachverderbenswörtern bettlerischerweise ausflicken und spicken (15), die deutsche Sprache nichts erbetteln müssen (16), die Dürftigkeit und Bettelarmut der Muttersprache (17), kein Bettlersmantel von so vielfältigen Flecken zusammengeflickt sein (18), fremde Sprachverderbenswörter bettlerischerweise in die deutsche Sprache kommen (19), die Stammwörter zu Betteldreck machen (20). Anwendungsbereiche: deutsche Sprache (1,2,3,4,5,6,7,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19), Deutschland (8,9), Stammwörter (20). Korrelationen: REINHEIT (1,2,3,4,11,12,13,15,19,20), Kleidermetapher (1,14,15,18,20), Knechtschaftsmetaphorik (3), REICHTUM (5,11,16,18), Babel (5,6,20), Muttermilch (7,12), Lichtmetaphorik (7), Dreißigjähriger Krieg (8,9), Biologistische Metaphorik (13,20), EIGENTLICHKEIT (13), ALTER (14), POETIZITÄT (17).

Martin Opitz verbindet die Metapher der Jungfrau eindrucksvoll mit der Kleidermetapher und kritisiert auf diese Weise die Mischung heterogener Fremdwörter in die deutsche Sprache ((1); vgl. das Zitat auf Seite 283): Bildempfänger ist hier die deutsche Sprache, der, als Kleider metaphorisiert, Fremdwörter ,angezogen‘ werden, was zu einer in den Augen des Autors geschmacklosen Mischung verschiedener Kleidungselemente, also zur Sprachmischung führt. Die Kombination der beiden Metaphernkomplexe bewirkt damit

304 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses eine ebenso anschauliche wie scharfe Kritik nicht an den Fremdwörtern prinzipiell, wohl aber an der Einmischung fremder Wörter in die deutsche Sprache. Nicht selten wird die deutsche Sprache als Jungfrau mit dem Attribut rein versehen. Dies ist im folgenden Beleg der Fall: „Dan da die andere mit frembden wörtern dermassen vermischet / das sie wegen derselben menge schwerlich zu lernen: Aber die Deütsche alleine kan sich als eine reine Jungfrau von frembden sprachen enthalten / und mag deswegen desto leichter gefasset werden“ (Gueintz, Entwurf, 10 (2)), ebenso auch in diesem: Die Reinigkeit, die Zier und Pracht der deutschen Sprache kommen daher, weil sie noch eine „reine unberührte Jungfrau“ und deshalb von fremder Macht nicht bezwungen worden und nicht mit fremden Sprachen vermischt worden sei (Klaj, Lobrede, 403 (3)). Beide Belege konzeptualisieren die deutsche Sprache als reine Jungfrau, die nicht mit Fremdwörtern vermischt sei, sondern ihre REINHEIT bewahrt habe. Insbesondere bei Klaj mit dem zusätzlichen Attribut unberührt gewinnt die Metapher zusätzlich eine sexuelle Komponente. Unterschiedliche Aspekte setzen die beiden Autoren aber in der Bewertung: Während bei Klaj ein patriotisches Moment deutlich zu sehen ist, betont Gueintz die leichtere Erlernbarkeit der deutschen Sprache, weil sie nicht so sehr mit anderen vermischt sei wie andere, hebt also eher pädagogische Aspekte hervor. Zesen leitet aus der Annahme, dass unter allen Sprachen allein das Hochdeutsche „so eine reine jungfrau von so viel tausend jahren her geblieben [sei] / und ihre erste natur so wunderlich behalten“ hätte (Zesen, Rosen-mând, 244 (4)), während alle anderen „vom rechten grund-stamme der Deutschen“ abgewichen und teilweise sogar verdorben wären, die Überlegenheit des Deutschen gegenüber den anderen Sprachen ab. „[D]ie deutsche sprache / die ihre unbeflekte jungferschaft […] von dem Babelschen turne her bis auf diesen tag / für allen andern / allein fürzeugen kan / hat sich mit den alten Deutschen zugleich so weit ausgebreitet“ (ebd., 238 (6)). Auch Schottelius bringt die deutsche Sprache als „keusche unbeflekte Jungfrau“ (Schottelius, Arbeit, 21 (5)) mit Babel in Verbindung. Bei Harsdörffer wird die deutsche Sprache nicht direkt personifiziert, ihr werden aber menschliche Eigenschaften wie die Keuschheit zugesprochen. Er kritisiert diejenigen, welche die deutsche Sprache verlachten, „die ihnen doch die Natur mit der Geburt zugesellet / die Mutter mit erster Milch eingetreuffelt / die Noht vorgeschwätzet“; sie hassten diejenigen, die sich um die deutsche Sprache bemühten, sie bei ihrer „Reinlichkeit und Keuschheit halten wollen“ und sie merkten nicht, dass sie dadurch selbst beschimpft und benachteiligt würden (Harsdörffer, Schutzschrift, 354 (7)). In diesem Beleg werden nicht nur Korrelationen zur diskurssemantischen Grundfigur REINHEIT hergestellt, sondern letztere wird wiederum sexuell aufgeladen: Die deutsche Sprache ist rein und keusch. Mehr ist nicht nötig, um das Bild der deutschen Sprache als Jung-

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frau zu evozieren. Mit dieser sexuellen Komponente erscheinen fremde Elemente als diejenigen, die diese Reinheit und Keuschheit zerstören, als potentielle Vergewaltiger. So weit geht Harsdörffer aber nicht. Bei Hille tritt zwar nicht die deutsche Sprache als reine Jungfrau auf, wohl aber Deutschland, das auf diese Weise personifiziert wird. In einem Gedicht wird die Teutschinne durch den Krieg ihrer „reine[n] Jungferschaft“ beraubt (Hille, Palmbaum, 10 (8)), indem die Menschen getötet und die Dörfer, Höfe, Städte und Länder verbrannt werden; das Gedicht ruft den Patrioten auf, sich auf sein Vaterland zu besinnen, das Schwert zu nehmen und mit Gottesfurcht die Gefahr zu vertreiben. Neumark wiederholt das Gedicht wörtlich: (9) Armes Teutschland! Du empfindest itzt den Hertzenstoß. | Deine reine Jungferschaft / die du stets erhalten / | Jst geraubet mit Gewalt / Treu’ und Zier der Alten / | Hat die junge Welt verkehret / und den Heldenmuht | Stirbend zaplend / weil kein Segen weder Gut noch Blut (Neumark, Palmbaum, 21 f.).

Hier kann man davon ausgehen, dass die Assoziation mit einer Vergewaltigung beabsichtigt ist. Das negative Pendant zur Jungfrauenmetaphorik ist die Konzeptualisierung der Sprache als Bettlerin, häufig in Verbindung mit dem Bild von der Sprache als Hure. Prototypisch dafür kann folgender Beleg stehen: (10) Wordurch nicht allein niemand gedienet / auch die Sprache mit nichten befodert / sonderen dieses nur unterstanden wird / unsere reine / Edele / Königliche Teutsche HaubtSprache zu einer algemeinen Huren und Bettlerin zumachen / die von jedem Ausländer bald hier bald dar ein bißlein Brot / damit sie gleichwohl jhr SprachLeben erhalte müsse annehmen / auch die man allerwegen beklauben und berauben begreiffen und abkneiffen / und mit jhr also umgehen und gebehrden könne und dürfe / biß sie nach einer sich umdrehenden SprachKlaub Lust zum misgebornen Fündling und Hurenkinde verstaltet werde (Schottelius, Arbeit, 1246).

Wichtig ist, dass die deutsche Sprache nicht als solche Bettlerin oder gar Hure ist, sondern dass ihre Benutzern durch die Frömdsucht die „herrliche / prächtige / Majestätische Sprache zur armen hungerigen Bettlerin gemacht“ haben (ebd., 137 (11)). Statt ihrer Muttersprache die Ehre zu erweisen, die ihr als „natürliche Milch- und Nahrungsreiche Mutter“ zustehe, würde sie „als eine Bettelsakk begriffen / die gar armseliger weise das wenige / was sie noch sprechen sollen / von anderen / als erbettelt / und unrein nur behalten müssen“ (ebd., 141 (12)). Hier wird die deutsche Sprache nicht als Jungfrau, sondern als Mutter (vgl. unten, 4.2.6) angesehen, der man den ihr gebührenden Respekt verweigert, so dass diese sich das, was sie braucht, erbetteln muss. Übersetzt man die Metapher zurück, so wirft Schottelius den Deutschen die Vernachlässigung der

306 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Muttersprache vor, die dazu führt, dass diese, selbst wenn sie wollen, keine deutschen Wörter für das finden, was sie bezeichnen wollen, sondern sich fremder Wörter bedienen müssen, die ihnen, so das Bild, von den anderen Sprachen als ,Almosen‘ gewährt werden. Frömdsucht hat damit zwei Seiten, die untrennbar miteinander verbunden sind: Die Orientierung am Fremden bringt die Vernachlässigung des Eigenen mit sich. Dementsprechend ist es auch das Ziel der Fruchtbringenden Gesellschaft, (13) daß wir unsere hochprächtige Muttersprache vor allen Dingen / von dem Unflat bettelerischer Wortbesudelung / so viel jedem müglichen / ausreiten / säubern / auszieren / und keineswegs damit ferner behelligen: sondern dieselbe dagegen in ihrer Grundfeste und rechten Verstand erhalten / behalten / und fortzupflantzen / uns höchlichen angelegen seyn lassen (Hille, Palmbaum, 23).

Die deutsche Sprache wird in diesem Beleg nicht selbst als Bettlerin dargestellt, sie wird aber vom Unflat bettlerischer Wortbesudelung geschädigt. Das Betteln wird hier mit Schmutz in Verbindung gebracht, gemeint sind auch die Fremdwörter. Während die Metapher hier mit der Pflanzenmetaphorik verknüpft wird, dominiert in den beiden folgenden Belegen die Verbindung mit der Kleidermetapher: [W]ie weit unsere jetzige / von der uralten Teutschen / als unser ersten angebornen rechten Muttersprache abgewichen / verwandelt und hinwider in altneue Lumpen bettlerischerweise gestekket / verkleidet / und der Teutschen Sprache / eine solche unverantwortliche Unehr angethan / und zugefüget; daß es mehr zu beklagen als zu gedenken stehet (ebd., 124 (14)).

Es sei die Frage, wie weit von der ursprünglichen reinen deutschen Sprache abgewichen wurde und sie „dagegen mit fremden Sprachverderbenswörtern bettlerischer Weiß ausgeflikket und damit gespikket worden“ (ebd., 88 (15); ähnlich Neumark, Palmbaum, 112 (19)). In beiden Fällen werden die Fremdwörter durch die Kleidermetapher wiedergegeben, durch das Adverb bettlerischerweise kommt die anthropomorphe Komponente hinzu. Ins Positive wendet Neumark die Metapher: Er betont den REICHTUM der deutschen Sprache, die sich keine fremden Wörter erbetteln muss: „[W]ie unsere ädle Teutsche Sprache / so reich an Worten und Redensahrten / daß sie nicht das geringste von andern zu erbetteln / von nöhten“ (Neumark, Palmbaum, 141 (16)). Ähnlich hatte es ein halbes Jahrhundert zuvor bereits Opitz gesehen. Im Aristarch listet er einige Gegenbeispiele auf, die als Widerlegung

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der Behauptung, von der „Dürftigkeit“ und „Bettelarmut unserer Muttersprache“ (Opitz, Aristarch, 77 (17))8 dienen. Insgesamt überwiegt jedoch der negative Gebrauch der Metapher, wie auch bei August Buchner, der mit dem Bild vom Bettlersmantel ebenfalls die Kleidermetapher mit der anthropomorphen verbindet: (18) [A]lle die Lust / ob den artigen Erfindungen / und reichem Zufluß schöner Gedancken und Worten wir empfinden / die wird uns alsbald zunichte / und fast zu einem Verdrieß gemacht durch die vielfältig vermengte Reden / da bald ein Lateinisch / bald ein Frantzösisch / bald ein Jtaliänisch oder auch Spanisch Wort zum öfftern mit eingeschoben wird / daß fast kein Bettlersmantel von so vielfältigen Flecken zusammen geflicket ist (Buchner, Anleitung, 13*).

Vereinzelt wird die Metapher auch auf die Stammwörter angewandt: (20) Wollen wir denn selbst / wider den Lauff der gemeinen Natur / und wider alles Geheiß der Warheit / aus schändlicher frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Krafft und Safftreiche / reinlichste / uhralte Stammwörter / zu menglingen / flickstücken / brocken / unwörteren / mißgeburten und Betteldrecke machen? (Schottelius, Sprachkunst, 171).

Die anthropomorphisierende Metapher wird also in allen untersuchten Belegen auf Deutschland, die deutsche Sprache und einzelne Elemente der deutschen Sprache angewandt. Ihre beiden Erscheinungsformen ergänzen sich: Während die Jungfrauenmetapher positiv die REINHEIT und den REICHTUM der deutschen Sprache evoziert und sie von den anderen abhebt, wird mit der Bettlerinnenmetapher die Gefährdung der deutschen Sprache durch fremde Einflüsse hervorgehoben; man könnte auch sagen: Die Bettlerin ist das, was aus der Jungfrau wird, wenn ihre Jungferschaft angetastet wird. Jungfrau und Bettlerin sind also zwei Seiten derselben Medaille: Jene ist für das z.T. emphatische Lob der deutschen Sprache reserviert, diese wird zur Abwehr der Fremdwörter und zum Loyalitätsaufruf an die Landsleute der eigenen Sprache gegenüber verwendet. Beide werden oft mit der Kleidermetapher verbunden, seltener mit der Metapher der Muttermilch oder der biologistischen Metaphorik. Daneben werden gelegentlich die Topoi Babel und Dreißigjähriger Krieg mit ihr verknüpft.

�� 8 „[…] inopia […] egestate patrij sermonis“ (Opitz, Aristarch, 76).

308 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses 4.2.4 Rechtsmetaphorik So wie sich die anthropomorphisierende Metaphorik auf die deutsche Sprache bezieht, wird die Rechtsmetaphorik hauptsächlich auf Lehnwörter angewandt. Beide verhalten sich somit komplementär zueinander. Während jene zur Abwehr fremden Wortguts eingesetzt wird, wird diese herangezogen, wenn es um die Integration von Lehnwörtern geht. Lexeme: Bürgerrecht (1,2,3,4,5,12,17), borgen (1), (erb-/an-/ein)gesessen (2,3,7), ausmustern (3), dulden (4), Stadtrecht (6,8), Einkömmling (7), Landeskind (7), einheimischgeboren (7), Pfahlbürger (7), Schutzverwandte (7), Freund (7), einverbrüdern (9), einschleichen (10), Mit-/Nebenbürger (11), eingeboren (11), ehelich (11), Bürger (11), einbürgern (13), ausbannen (13), erbeuten (14), Bürgerschaft (15,19,20), Einbürgerung (16), Recht (16), Hurenkind (18). Syntagmatische Umgebung: das Bürgerrecht, die Bürgerschaft erhalten/erlangen/gewinnen (1,2,4,19), eingesessen sein (2), Wörtern das Bürgerrecht einräumen/gewähren (3,12,17), Worte ausmustern (3), Wörter unter die Zahl der rechten Erbgesessenen rechnen (3), Wörter dulden (4), der Kaiser den (fremden) Wörtern das Bürgerrecht/Stadtrecht verleihen (5,6), Einkömmlinge [Lehnwörter] keine Einheimischgeborene/Landeskinder sein (7), Lehnwörter angesessene Freunde/Pfahlbürger/Schutzverwandte sein (7), Lehnwörter deutsches Stattrecht erlangen (8), [Lehnwörter] unter Stammwörter einverbrüdern (9), Fremdlinge und fremde Wörter sich einschleichen (10), Lehnwörter deutsche Mit-/Nebenbürger sein (11), Lehnwörter keine eingeborenen deutschen Bürger und ehelichen deutschen Kinder sein (11), eingeborene deutsche Wörter (11), eingebürgerte Worte abschaffen (13), erbeutete Lehnwörter (14), den Kern des alten Deutschen mit von den Franzosen erbeutetem Schmuck ausstaffieren (14), das Recht der deutschen Bürgerschaft (15), nützliches Recht auf Einbürgerung fremder Wörter (16), Französisch ist Hurenkind des Latein [damit nicht ehelich geboren] (18), dem Latein die Bürgerschaft gelingen (20). Anwendungsbereiche: Lehnwörter (1,2,3,4,5,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17), Analogismus/ Anomalismus (6), französische Sprache (18), Alamode-Wesen (18), lateinische Namen (19), lateinische Sprache (20). Korrelationen: biologistische Metaphorik (8,9), Kleidermetapher (8), REINHEIT (10,11,13), REICHTUM (10,12).

Im fremdwortpuristischen Diskurs wird die Rechtsmetapher vor allem angewandt, um akzeptierte oder gar als notwendig angesehene Lehnwörter von dem Verdikt auszunehmen. So spricht sich etwa Gueintz gegen die Abschaffung alter griechischer oder lateinischer Wörter aus: „[W]eil die Deutschen selbst keine dergleichen gehabt / von ihnen genossen / und in ihrer sprache behalten / und das diese durch solchen gebrauch gleichsam das Bürgerrecht bey uns Deutschen erlanget“ (Gueintz, Rechtschreibung, 5 f. (1)). Er begründet die Akzeptanz dieser Lehnwörter durch den Gebrauch. Außerdem hätten auch viele Völker

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deutsche Wörter „geborgt“ (ebd., 6) und in ihre Sprache einverleibt, weshalb es in sehr vielen Sprachen sehr ähnliche oder gleiche Wörter gebe. Die Rechtsmetapher dient also der bildlichen Darstellung der Annahme guter fremder Wörter, die das Bürgerrecht erhalten nach Prüfung ihrer Eignung und Tauglichkeit. August Buchner will in Dichtungen keine fremden Wörter dulden. Davon sind aber diejenigen Wörter ausgenommen, die man nicht entbehren kann, weil es keine angemessenen deutschen Wörter für sie gibt, oder die „bey uns das Bürgerrecht erlanget / und eingesessen seyn“ (Buchner, Anleitung, 39 (2)). Buchner hebt also ebenfalls auf die Gewohnheit ab, denn eingesessen ist man, wenn man an einem Wohnort seit längerer Zeit lebt. Ähnlich wie Buchner urteilt auch Titz. Wenn er den übermäßigen Gebrauch alamodischer Fremdwörter verurteile, heiße dies nicht, dass man alle Fremdwörter, besonders die aus dem Lateinischen und Griechischen, verwerfen und für undeutsch erklären solle. Denn wenn man dies tue, so müsse man die meisten Wörter abschaffen und könne nicht mehr deutsch sprechen: „Denn dergestallt würden wir viel worte außmustern mussen / vnd wenig übrig behalten / damit wir reden könten / weil vnsere Sprache ihre worte guten theils von den Griechen vnd Lateinern entlehnet hat“ (Titz, Bücher, fol. O vijr (3)). Als Beispiele nennt Titz u.a. Acker, Altar oder bitten. Die Römer hätten ihrerseits einen großen Teil ihrer Sprache von den Griechen genommen und den allgemein gebrauchten griechischen Wörtern das Bürgerrecht eingeräumt, „warumb sollten vnsere Deutschen nicht eben dieses zu thun in ihrem Reiche macht gehabt haben?“ (ebd., fol. O vijv). Ähnlich sei es auch bei Wörtern wie Musik, Triumph, Firmament, Regiment, Majestät, Melodie, Kapitän oder Prinz; diese Wörter seien schon seit langer Zeit in Deutschland üblich, so dass sie „vnter die Zahl der rechten Erbgesessenen sind gerechnet worden“ (ebd.). Daraus folge aber nicht, dass man auch Wörter wie exerzieren, observieren, fortifizieren, persequieren, approchieren oder marschieren und andere, mit denen die Schreiber „den armen Leser / der es offt weder verstehen noch aussprechen kan / zu qwelen pflegen“ (ebd.), aufnehmen solle. Titz unterscheidet also zwischen alten, vor langer Zeit entlehnten Wörtern, die graphisch und morphologisch in die deutsche Sprache integriert sind, und modischen neuen Wörtern, die erst vor kurzer Zeit im Deutschen in Gebrauch gelangt sind. Nur erstere sind für ihn zu akzeptieren. Selbst Zesen, der mit seinen Verdeutschungen ein radikaler Purist zu sein scheint, erklärt mittels der Rechtsmetapher bestimmte Lehnwörter für annehmbar. Damit versucht er sich auch gegen die Angriffe auf seine Verdeutschungen zu verteidigen: (4) Jedoch wil ich hierinnen eines andern meinung (der fohrgäben würde / wie ich ehmals auch getahn habe / daß die jenigen wörter / welche das bürger-recht in unserer sprache

310 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses schohn fohr-längst erhalten hätten / als Poet / natur / udg. noch wohl könten gedultet wärden) nimmermehr tadeln (Zesen, Sendeschreiben Nr. 3 an Bellin (1647); zitiert nach Jones 1995, 219).

Opitz kehrt die Bürgerrechtsmetapher um: „Und ebenso mutig war das Wort, welches ein anderer zu einem Kaiser sprach: Kaiser, du kannst wohl fremden Menschen das Bürgerrecht verleihen, aber nicht fremden Worten. Danach sollten wir uns richten“ (Opitz, Aristarch, 75 (5)).9 Opitz zeigt sich hier radikaler als die anderen Autoren, die die Bürgerrechtsmetapher verwenden, denn ihm sind auch alte Lehnwörter nicht willkommen: Selbst der Kaiser kann ihnen kein Bürgerrecht verleihen. Ausführlicher behandelt Harsdörffer diesen Aspekt der Metapher: Die Reden für den täglichen Gebrauch lerne man von den Ammen. Der Alltagsmann könne die hohen Worte nicht gebrauchen, weil diese von hohen Sachen handelten, die er nicht verstehe. Diese Worte dienten Gedanken, die nur selten gedacht würden, und sie würden durch Ähnlichkeit und Ebenmaß der Sprache (Analogie) gebildet. Allerdings könne kein Kaiser oder Fürst deutsche Stammwörter erfinden und in allgemeinen Gebrauch bringen, weil „der Käiser zwar den Leuten das Stattrecht als solches aber mit nichten den Wörtern geben könne“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 18 (6)). Hier geht es, anders als bei Opitz, nicht um Lehnwörter, sondern um den Gegensatz von Analogismus und Anomalismus, die Rechtsmetapher drückt die Schwierigkeit aus, Wörter und Redewendungen gegen den allgemeinen Gebrauch durchsetzen zu wollen. Harsdörffer nimmt zwar die Position des Analogismus ein, erkennt aber widerwillig den Primat des Gebrauchs in der Alltagssprache an. Deshalb beschränkt er die ‚hohen Worte‘ auf die dichterische Sprache. Harsdörffer differenziert damit zwischen verschiedenen Domänen des Sprachgebrauchs, die verschiedene Stilebenen erfordern. An anderer Stelle wendet Harsdörffer die Rechtsmetapher auf die Lehnwörter an. Seiner Meinung nach sind „solche Einkömmlinge / nicht zwar für LandsKinder und Einheimischgeborne / jedoch aber für angesessne Pfalbürger / Schutzverwandte und wolbekante Freunde zuhalten / und keines Weges auszuschaffen“ (ebd., 13 (7)). Harsdörffer unterscheidet demnach analog zur juristischen Unterscheidung zwischen drei Kategorien von Wörtern: Indigene Wörter sind für ihn Landeskinder oder Einheimischgeborene, also Alteingesessene; Fremdwörter kommen in dieser Aufzählung nicht vor, doch durch die Analogie können sie durchaus als Ausländer bezeichnet werden, wenn man im Bild �� 9 „Neque timidior alterius ad Imperatorem vox: Tu quidem, Imperator, peregrinis hominibus dare civitatem potes, verbis non potes. Id nos imitemur“ (Opitz, Aristarch, 74).

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bleibt. Lehnwörter, die übernommen werden, werden als Pfahlbürger, Schutzverwandte und wohlbekannte Freunde bezeichnet. Die ersten beiden Ausdrücke sind mittelalterliche Rechtstermini mit klarer juristischer Verwendung. Pfahlbürger sind ›auszerhalb der stadtmauern, aber innerhalb der aus pfählen (palisaden) und gräben bestehenden landwehr der auszenwerke wohnende bürger, die unter dem schutze der stadt standen, dafür eine eigene steuer zu entrichten hatten und bei der eidesleistung nicht bewaffnet, sondern mit dem pfahl in der hand erschienen‹ (DWB, Bd 13, Sp. 1598 f.).10 Ein Schutzverwandter ist ›ein einwohner, der weder unterthan noch bürger, sondern nur in schutz aufgenommen um gewisse erkänntlichkeit und schutzgeld‹ (DWB, Bd. 15, Sp. 2139). In beiden Fällen erhalten also die Betroffenen bestimmte Rechte und Pflichten, gehören aber nicht eigentlich zur Gemeinschaft. Ähnlich stellte sich Harsdörffer offenbar auch den Status der Lehnwörter in der deutschen Sprache vor. Schottelius äußert sich vergleichbar über Lehnwörter: (8) Einmahl so müssen in Teutscher Sprache behalten werden alle die jenigen Worte / die da andeuten solche Sachen / welche vorhin den Teutschen unbewust und mit der Zeit neu eingeführet seyn / als Sacrament / Litaney / Jnstrumentist / Componist / Scotist / Realist / Bischof / General / Armada / etc. solcher und derogleichen Wörter sind nicht wenig in gantz Teutschland bekant / haben sich in die gemeine Rede als gleichsam mit Landwörter so tief eingeschoben / werden von Jugendauf mit angehört und der altageskundigkeit miteingewurtzelt / daß sie gleichsam Teutsches Statrecht erlanget und ein Teutsches Kleid / Anspruch und Endung überkommen haben (Schottelius, Arbeit, 1248).

Lehnwörter müssen nach Schottelius drei Bedingungen erfüllen, um das Stadtrecht zu erlangen: Sie müssen in ganz Deutschland bekannt sein, sie müssen im allgemeinen Gebrauch sein und die Kinder müssen sie von Anfang an durch tägliches Hören erlernen können. Auffällig ist, dass Schottelius die Rechtsmetaphorik mit der biologistischen wie der Kleidermetaphorik verbindet. Für die erste gilt das auch für diesen Beleg: (9) [A]lso können und müssen wir auch sothane / in den Teutschen Sprachbaum nohtwendig (weil ein neu ding benahmet wird) eingepfropfte / oder durch zuleßigen gebrauch eingeimpfte / oder aber durch das Herkommen fest eingezweigte Wörter / Teutschem nachruhm ohn schaden / nunmehr fein behalten und sothane Teutsch genaturalisirte Wörter mehr bekant und beliebt / und die Sprache selbst dadurch Wortreicher werden lassen / sind auch solche unvermeidliche Wörter guten theils unter folgende recht Teutsche Stammwörter / als einverbrüderte mit gesetzet worden (Schottelius, Arbeit, 1273).

�� 10 Vgl. FWB, Bd. 4, Sp. 22; dort wird der pfalbürger in der Bedeutungsangabe umschrieben als ›Bürger, der außerhalb der Stadtmauern, aber innerhalb der aus Pfählen und Gräben bestehenden Landwehr der Außenwerke wohnt‹.

312 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Das Verb einverbrüdern ist im DWB nicht gebucht, doch die Interpretation liegt nahe, dass das Verb im Sinne von ›Fremde zu Brüdern, Genossen, Verbündeten machen‹ gebraucht wird. Die Rechtsmetapher muss jedoch nicht ausschließlich dazu angewandt werden, die Akzeptanz von Lehnwörtern auszudrücken. Dies wurde bereits in Beleg (5) deutlich. Zesen formuliert den Gedanken noch schärfer. Im Rosenmând erklärt Marhold, dass die deutsche Sprache in ihrem natürlichen Zustand nichts Fremdes in sich habe; allerdings haben sich doch einige fremde Elemente eingeschlichen: (10) Wan sie recht rein und nach ihrem natürlichen ursprunge geschrieben wird / so hat sie freilich nichts fremdes. Aber wie in allen sprachen oder mund-ahrten / durch handeln und wandeln der frembdlinge untereinander / fremde wörter einzuschleichen pflegen / so haben sich dergleichen auch in unsere sprache bisweilen mit eingeschlichen / da sie doch von sich selbst reich genug ist / und keine neue wörter lehnen darf (Zesen, Rosen-mând, 203).

Erneut wird auf den REICHTUM der deutschen Sprache verwiesen, aufgrund dessen die Entlehnung von Fremdwörtern unnötig sei.11 Ziel ist es deshalb, die deutsche Sprache in ihrer REINHEIT zu belassen und die Fremdlinge auszuschließen. Gleichwohl ist auch Zesen bereit, unter Umständen bestimmte Lehnwörter zu akzeptieren, doch gleichzeitig verteidigt er auch seine Verdeutschungspraxis als bessere Alternative zur Assimilation der Fremdwörter: (11) Was diejenigen Worte betrift / die aus der Lateinischen / oder andern Sprachen / schier durch niemand anders / als die Gelehrten selbst […] in unsere Hochdeutsche Sprache schon vor etlichen hundert jahren eingeführet worden; diese können zwar als Deutsche Mit- oder Neben-bürger / weil ihnen die länge der Zeit und der Gewonheit die Ehre gegönnet / nicht aber als eingebohrne Bürger oder als Ehliche Deutsche kinder / zuweilen geduldet / doch keines weges den Eigenen eingebohrnen Deutschen Wörtern gleich gehalten werden (Zesen, Sendeschreiben an den Siebenfältigen (Malachias Siebenhaar) (1678); zitiert nach Jones 1995, 241).

Lehnwörter können als Mit- und Nebenbürger geduldet weren, doch sie können niemals eingeborene Bürger oder eheliche deutsche Kinder werden. Zesen benutzt hier andere Elemente als oben Harsdörffer, hier stehen geburtsrechtliche und damit gleichsam natürliche Aspekte im Vordergrund. Recht häufig greift Leibniz in den Unvorgreiflichen Gedanken auf die Rechtsmetapher zurück. Bei seiner Analyse des lexikalischen Materials der deutschen Sprache stellt er fest, dass diese zwar im Bereich der Konkreta, etwa im Berg�� 11 Das Verb dürfen wird hier, wie auch an einigen anderen Stellen im Korpus, in der alten Bedeutung ›etw. brauchen, e. S. bedürfen‹ verwendet.

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werks- und Jagdwesen reicher sei als die anderen Sprachen, dass sie dafür aber im Bereich der Abstrakta, bei Wörtern, die sich „auf das Sitten-Wesen, Leidenschafften des Gemüths, gemeinlichen Wandel, Regierungs-Sachen, und allerhand bürgerliche Lebens- und Staats-Geschäffte“ beziehen, Nachholbedarf habe (Leibniz, Gedanken, 536). Dieser Mangel werde besonders bei der Übersetzung aus fremden Sprachen deutlich. Man solle hier versuchen, diese Wörter durch Neubildungen oder vergessene Wörter zu ersetzen; wo dies nicht möglich sei, solle man „einigen guten worten der Ausländer das bürger-Recht“ gewähren (ebd. (12)). Leibniz kritisiert die Sprachreformer des 17. Jahrhunderts wegen ihres Bestrebens, selbst „eingebürgerte Worte[] ausbannen“ zu wollen (ebd., 538 (13)). Zwar fordert auch Leibniz eine Rückbesinnung auf die alten deutschen Tugenden. Doch diese Forderung geht einher mit einer im Korpus einmaligen Variante der Rechtsmetapher: Wenn man sich auf die alten deutschen Tugenden besinne, dann könne man aus der Situation sogar Nutzen schöpfen, indem man „den kern des alten ehrlichen Teutschen“ mit den von den Franzosen und anderen „erbeuteten“ Errungenschaften verbinde (ebd., 540 (14)). Leibniz stellt den Blick auf die Verhältnisse auf den Kopf: Elemente der französischen Kultur und Sprache werden den Deutschen nicht aufgezwungen, sie schleichen sich nicht ein etc., sondern sie werden von den Deutschen bewusst übernommen und gewaltsam aus Frankreich entfernt, erbeutet. Frankreich ist hier nicht mehr die kulturelle Hegemonialmacht, sondern es wird von den Deutschen, dem Bild folgend, ,geplündert‘. Mit dieser Umkehrung der Perspektive äußert Leibniz ein kulturelles Selbstbewusstsein der Deutschen, das den früheren Diskursakteuren abgeht. Leibniz betont, dass man bestimmten fremden Wörtern das „Recht der Teutschen Bürgerschafft“ (ebd., 561 (15)) durchaus anerkennen könne, denn auch Römer, Holländer und vor allem die Engländer hätten von der von der „Einbürgerung“ von Fremdwörtern profitiert (ebd., 554 (16)). Zwar hätten die Deutschen dies weniger nötig als andere Sprachen, doch man solle auf dieses Recht nicht verzichten (ebd.). Gleichwohl solle man bei der Einbürgerung gewisse Stufen beachten: Holländische Wörter könnten wegen ihrer engen Verwandtschaft zur deutschen Sprache besser übernommen werden als lateinische oder solche aus dem heutigen romanischen Raum (ebd.). Für Leibniz ist die Einbürgerung fremder Wörter damit kein notwendiges Übel mehr wie für die meisten anderen Diskursakteure, die auf die Rechtsmetapher zurückgreifen, um deren Akzeptanz auszudrücken, sondern ein Recht, auf das die Deutschen nicht verzichten sollten, wenn die Entlehnung die deutsche Sprache bereichere. Schließlich hätten schon die alten Deutschen diese Praxis durchgeführt und Wörtern wie Fenster von lat. fenestra und Abenteuer von frz. aventure das „Bürger-Recht“ gewährt (ebd., 561 (17)). Damit repräsentiert Leibniz bereits eine neue, veränderte Sichtweise, die für die Mitte des 17. Jahrhunderts undenkbar erscheint.

314 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Zum Abschluss seien noch einige Belege bei Friedrich von Logau für andere Verwendungsweisen der Rechtsmetapher vorgeführt. In einem Gedicht mit dem Titel Die frantzösische und deutsche Sprache wird die Metapher auf das Alamode-Wesen angewandt: (18) Wer zu einer, die nicht ehlich ist geboren, sich verfreit, | Dieser macht, daß ihn bey Zunfften kein in ihrem Mittel leidt. | Weil frantzösisch, wie man saget, ist, Latein, dein Huren-Kind, | Wie dann, daß um sie bey Deutschen so viel tolle Freyer sind? (Logau, Sinngedichte, 515)

Das Epigramm lässt sich in Form eines Syllogismus paraphrasieren: Wer eine Frau, die unehelich geboren ist, freit, der riskiert, dass er seine Ehre verliert. Französisch ist eine vom Latein abgeleitete Sprache, damit ein Huren-Kind und somit unehrlich geboren. Logau fragt statt einer Konklusion, wie es sein könne, dass das Französische trotz seiner unehrlichen Herkunft so hoch angesehen ist, dass ihm jeder nacheifert. Die Rechtsmetaphorik wird damit gebraucht, um das Alamode-Wesen als unehrenhaften Rechtsverstoß zu brandmarken. Toleranter ist Logau bei lateinischen Lehnwörtern. In der Vorrede zu den Sinngedichten schreibt er, dass er die lateinischen Namen beibehalten hätte, weil „jene schon Bürgerschaft bey den Deutschen gewonnen und gar geläuffig“ (ebd., 1 (19)) seien. Dem Lateinischen räumt Logau in seinem Epigramm Die lateinische Sprache einen Sonderstatus ein: (20) Latein hat keinen Sitz noch Land wie andre Zungen; | Ihm ist die Bürgerschaft durch alle Welt gelungen (ebd., 414).

Latein ist demzufolge eine Sprache, die keinem Volk mehr zugeordnet werden kann, sondern von vielen Völkern als Zweitsprache gesprochen wird. Daher kann Logau die Bürgerrechtsmetapher auf sie anwenden: Die lateinische Sprache ist überall zu Hause, daher ist die Entlehnung lateinischer Wörter unproblematisch und erlaubt; Logau zieht hier die logische Konsequenz aus dem Status des Lateinischen als paneuropäische Lingua franca. Oben ist schon deutlich geworden, dass nicht alle Diskursakteure lateinischen Wörtern dieses Sonderrecht einräumen wollen. Die Rechtsmetapher wird also fast immer auf Lehnwörter angewandt, meist, um ihre Akzeptanz zu begründen, seltener aber auch, um ihre Ablehnung auszudrücken. Gegen Ende des Jahrhunderts zeigt sich bei Leibniz im Zuge einer veränderten Sicht auf Sprache und den französischen Kultureinfluss eine Variante der Rechtsmetapher, die den vorherigen Urteilen diametral entgegengesetzt ist: Die Entlehnung von Wörtern ist kein notwendiges Übel mehr, sondern ein Recht, das die Deutschen wahrnehmen sollten. Vereinzelt kann die Rechts-

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metapher außerdem auf das Alamode-Wesen und die lateinische Sprache angewandt werden. Die Korrelationen der Rechtsmetapher mit anderen Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren sind spärlich. Manchmal wird sie mit der biologistischen Metapher und mit der Kleidermetapher verbunden, relativ häufig finden sich Anknüpfungspunkte zur Frage des Verhältnisses der Sprachen zueinander. Auch die diskurssemantischen Grundfiguren REICHTUM und REINHEIT spielen eine Rolle.

4.2.5 Knechtschaftsmetaphorik Die Knechtschaftsmetaphorik steht wie kein anderer Metaphernkomplex für den Gegensatz von Eigenem und Fremdem. In allen untersuchten Belegen wird das Fremde als potentielle Gefährdung des Eigenen angesehen. Diese Gefährdung wird durch eine Bildhaftigkeit ausgedrückt, die Untertänigkeit und Abhängigkeit impliziert. Die deutsche Sprache und / oder ihre Sprecher erscheinen als Knechte oder Sklaven, die Übermächtigkeit des Fremden wird als Verlust der Freiheit, als Dienstbarkeit oder als Joch konzeptualisiert. Dies macht die Knechtschaftsmetaphorik, obwohl sie nur einen begrenzten Anwendungsbereich aufweist, zu einem vielgebrauchten Darstellungsmittel. Lexeme: Freiheit (1,2,3,17,18,21,22), Dienstbarkeit (1,4,6,7,15), gefangen (1), gebunden (1), Joch (3,4,8,9,10,13,15), Peitsche (4), Knecht (5,17), Sprachenjoch (11, 12), Sklaverei (14), Sklave/Sklavin (15,16,19), beherrschen (15), tyrannisieren (15), Magd (17), Libertät (18), Knechtschaft (20). Syntagmatische Umgebung: die Welschen die [deutschen] Herzen gefangen und gebunden halten/lenken (1), der Hut ein Zeichen der Dienstbarkeit/Freiheit sein (1), in fremde Dienstbarkeit fallen (7), die angeborene Freiheit (2), nach der Freiheit stellen/trachten (2), die Freiheit unter das Joch bringen (3), die Peitsche/das Joch fremder Zungen (4), die Dienstbarkeit welscher Sprachen (4), der Deutsche ein Knecht sein wollen (5), Sprache und Volk von fremder Dienstbarkeit befreien (6), die Sprache in fremde Dienstbarkeit fallen (7), der Vorspuk des französischen Joches (8), die Muttersprache vom fremddrückenden Sprachenjoch befreien/erledigen (9,11,12), die deutsche Heldensprache vom ausländischen Joch befreien (10), das geringe/schnöde Joch (13,15), die Sklaverei des Verstandes (14), von einer ausländischen Sprache/Nation beherrscht/tyrannisiert werden (15), sich zu Sklaven fremder Dienstbarkeit machen (15), ein armer Sklave der fremden Prahlerei sein (16), Gott jm. Ehre und Freiheit nehmen (17), die Sprache zur Magd machen (17), Knecht werden (17), die deutsche Freiheit (18), der Verlust der Freiheit (18), das undeutsche Wort Libertät (18), die Muttersprache zur bettlerischen Sklavin machen (19), das Zeichen der Knechtschaft (20), die Deutschen schuldig über die Freiheit der Sprache sein (21), die deutsche Freiheit (22).

316 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Anwendungsbereiche: Fremdherrschaft (1,2,3,4,5,6,7,8), Fremdwörter (9,10,11,12,13,14), Alamodisten (15,16,17,18), deutsche Sprache (17,19), fremde Buchstaben (20). Varianten: Hut als Zeichen der Dienstbarkeit (1), Aufruf zur Bewahrung der Freiheit der deutschen Sprache (21), Umkehrung der Metapher: deutsche Freiheit (22). Korrelationen: REINHEIT (6,9,10,11,12,19,20), Muttermilch (11,12), ALTER (11,12), Dreißigjähriger Krieg (11), REICHTUM (12,20), EIGENTLICHKEIT (12,15,20).

Angesichts der kulturellen und politischen Hegemonie, die sich Frankreich während und vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg erstritt, erschien die Angst vor der Fremdherrschaft durch die Franzosen nicht nur als Bedrohungsszenario der Patrioten, sondern als ernsthafte Angelegenheit, mit der man sich auseinandersetzen musste. Von patriotischer Seite geschah dies durch die bereits mehrfach thematisierte Alamode-Kritik. In diesem Zusammenhang wird der Gegensatz von Freiheit und Dienstbarkeit bildlich vor Augen geführt, etwa anhand der Hutmode: Vnd wie zu vnsrer zeit der Hut ein Zeichen war der Freyheit, also ist es nun zu eweren zeiten dahin gerathen, daß der Hut ist ein Zeichen der Dienstbarkeit. Dann warlich, mit solchen newen Trachten halten die Wälsche ewre Hertzen gefangen vnd gebunden vnnd lencken sie, wohien sie wollen (Moscherosch, Gesichte, 143 (1)).

Ein Teil dieser Alamode-Kritik ist auch die Kritik an der alamodischen Sprache. Folgerichtig wird Philander gefragt, ob er sich nicht schäme so viele Wörter einer Sprache (dem Französischen) zu benutzen, deren Sprecher so sehr nach der Zerstörung der deutschen Freiheit trachteten: Wer wolte nicht Vrsach genug haben zu schelten, das du dieses Werck […] also mit allerhand frembden Sprachen (vnd darzu der jenigen Völcker, die euch so listig vnd grausamlich nach ewerer alten Teutschen durch mich vnd ewre Vorfahren erhaltener angeborner Freyheit stellen vnd trachten) verderbet? (ebd., 167 (2)).

Es wird also den Franzosen unterstellt, nicht nur kulturelle und politische Hegemonie auszuüben, sondern auch mit Absicht die Unterwerfung des Heiligen Römischen Reiches vorzubereiten und die alamodisierenden Deutschen – wenn man sich in militärischer Metaphorik ausdrücken will – als Vorposten zu gebrauchen. Genau dies meint Widukind in seiner Anklage gegen Philander: „Ja, mit solcher Völcker Sprachen, die doch anderst nichts als vnsere Freyheit vnter ihr Joch zu bringen sich bemühen, vnd deme Tag vnd Nacht mit list und trug nachsinnen“ (ebd., 171 (3)). Letztlich sei es das Ziel der Welschen, die Deutschen unter ihre Herrschaft zu bringen.

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Auch an anderer Stelle wendet sich Moscherosch gegen das Alamode-Wesen und warnt vor französischer Fremdherrschaft. In einem Widmungsgedicht in Hilles Palmbaum heißt es u.a.: (4) Der Gesellschaft / die den Teutschen | Treibet von dem Rukken weit / | Fremder Zungen Joch und Peutschen / | Welscher Sprachen Dienstbarkeit: | Ohne Schwertstreich / ohne Kriegen / | Können wir jetzt obesiegen. | […] | Jhr Griechähnliche Frantzosen / | Jhr Allmonatneue-Welt / | Volk lang-kurtz-weit-spitzer Hosen / | Fort! fort! fort! gebt Fersengeld! | Menglings Witz ist nun gezähmet / | Eure Sprach ligt da beschämet (Hille, Palmbaum, 57* f.).

Moscherosch nimmt hier unter anderem die französische Sprache, die Mode und die Neuerungssucht (Allmonat12-neue-Welt) aufs Korn. Die Fruchtbringende Gesellschaft ist für ihn die Organisation, die die Dienstbarkeit beendet und das Joch und die Peitschen der fremden Zungen vom Rücken der Deutschen nimmt. Im Unterschied zu den Gesichten wird hier die Fremdherrschaft im Bereich der Sprache als bereits vorhanden angesehen, die durch die Aktivitäten des Palmordens beseitigt werden soll. Auch andere Autoren evozieren die Gefahr der Fremdherrschaft. David Crüger sieht aber, im Unterschied zu Moscherosch, die Schuld an diesem Zustand bei den Deutschen selbst: (5) Der Deutsche wil sein knecht / und herscht vor Jhm der frembde / | Der Rock ist uns nunmehr viel näher / als das Hembde (Gueintz, Entwurf, nach 126; Seite unpaginiert).

Dies sind die beiden letzten Verse eines Gedichts, das Gueintz’ Deutscher Sprachlehre Entwurf angehängt ist. Crüger wirft den Deutschen vor, selbst Knecht sein zu wollen, die Fremdherrschaft durch ihr Verhalten also zu begünstigen. Unverkennbar spielt er auf das Alamode-Wesen an, wie an diesen Versen deutlich wird: Deutsch fangen wir zwar an / Latein springt mit heraus | Welsch bringet sich mit ein / Frantzösisch leuft es naus. | Es kömt mir eben für / Jch liesse mein Haus stehen | Vol guter speis’ und tranck / und wolte betteln gehen | Für andrer Leute thür / doch einem kinde schmeckt | Viel süsser frembdes brot / als das die Mutter beckt (ebd.).

Dies läuft letztlich auf eine Verkehrung der Verhältnisse hinaus: Der (französische) Rock, der normalerweise über dem Hemd getragen wird, ist dem Deutschen nun näher als dieses Hemd. Crüger verbindet hier also Knechtschaftsund Kleidermetapher.

�� 12 Hier scheint auch ein ironisches Anagramm vorzuliegen: Allmonat = Alamode.

318 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Harsdörffer kombiniert die Knechtschaftsmetapher mit der diskurssemantischen Grundfigur REINHEIT und erhebt die deutsche Sprache, die niemals anderen Sprachen untertan gewesen sei, über die romanischen Sprachen: „[W]ird nur dieses zu betrachtet erwähnet / daß unsere Sprache und unser Volk aller fremder Dienstbarkeit / durch des Höchsten Gnade und ihre Tapferkeit / jederzeit befreyet gewesen“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 357 (6)), zumal die Besiegten von den Siegern Wort, Sprache und Sitten übernähmen. Aus diesem Grund sei die französische Sprache eine Mischung aus dem Keltischen, dem Griechischen und dem Lateinischen, das Welsche aus dem Lateinischen und Gotischen, das Spanische aus dem Gotischen, Arabischen und Lateinischen. Diese grenzt er von der deutschen Sprache ab: „Unsere Teutsche in allein ist ihrer Reinlichkeit von vielen tausend Jahren hero / bis auf unsere letzte Zeit / unbeflecket verblieben“ (ebd., 358). Der Mischsprachencharakter der romanischen Sprachen wird als Indiz für deren Abhängigkeit und damit, dem Bild zufolge, Knechtschaft, gewertet, die vermeintliche REINHEIT der deutschen Sprache als Zeichen für deren Unabhängigkeit. Die Knechtschaftsmetaphorik kann also auch umgekehrt werden. Leibniz ist gegenüber Fremdwörtern relativ tolerant, sie können den Sprechern geläufiger sein als die deutschen und geben zudem die Möglichkeit zur Variation im Ausdruck. Zudem bleibe bei Autoren, die schnell schreiben müssten, oft keine Zeit zur Suche nach besseren deutschen Wörtern. Dieses Argument gilt nach Leibniz aber nicht für diejenigen, die nicht aus Zeitnot, sondern aus Fahrlässigkeit sich nicht bemühen, ein reines Deutsch zu schreiben. Als der Dreißigjährige Krieg begann, sei „die teutsche sprache und die teutsche ruhe zugleich übern hauffen gangen“ (Leibniz, Ermahnung, 814). Durch die ausländischen Kriegsheere sei das „teütsche blut“ den Ausländern „aufgeopfert“ (ebd.) worden. Die Sprache sei in die fremde Dienstbarkeit gefallen; er bittet Gott, dass er diese „Ahndung“ von den Deutschen nehme und nicht die deutsche Freiheit wie die Sprache zugrunde gerichtet werde (ebd., 815 (7)). Leibniz, der die Knechtschaftsmetaphorik mit dem Topos Dreißigjähriger Krieg verbindet, wendet die Metapher also auf die kriegsbedingte Vermehrung fremder Wörter in der deutschen Sprache an, die jenseits seines Toleranzbereiches liegt. In der Vorrede zu seinem Wörterbuch polemisiert Stieler vor allem gegen französische Wörter: „So toll und töricht gehet der arme verfürte Teutsche mit sich selber üm / und seine so geraume Sprache vor eine Landspracherin gehalten werden muß“ (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iiijr). Insbesondere die Übernahme der französischen Sprache, Sitten, Gebärden und Diener an den Höfen kritisiert Stieler scharf und evoziert die Gefahr der Fremdherrschaft: „Wo es nur nicht ein Vorspuk des Französischen Joches seyn möchte!“ (ebd. (8)).

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Nicht nur vor der Gefahr der französischen Fremdherrschaft wird durch die Knechtschaftsmetapher gewarnt, sondern auch vor Fremdwörtern. Klaj lobt die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft, welche „die Teutsche Verskunst von dem fremddrükkende Joch erlediget / verbessert und ausgearbeitet wird / daß die Verse nunmehr gänger / fertiger und lieblicher daherfliessen“ (Klaj, Lobrede, 396 (9)). Diese hatten gefordert, dass die Dichtung von fremden Wörtern frei zu bleiben habe. Klaj ruft die Deutschen dazu auf, es ihnen gleichzutun und die deutsche „Heldensprache“ vom „Außländischen Joche“ zu befreien und sie zu retten (ebd., 407 (10)). Denn diese ist nach Hille durch den Dreißigjährigen Krieg in Knechtschaft geraten. Durch die Arbeiten der Fruchtbringenden Gesellschaft könne sie aber von dem „fremddrukkenden Sprachenjoch befreyet“ werden (Hille, Palmbaum, 7 (11); ebenso Neumark, Palmbaum, 13 (12)). Doppeldeutig ist folgende Stelle bei Rist: Die umworbene Dame wirft ihrem Verehrer vor, er habe Briefe mit vielen Fremdwörtern verschickt, um Frauen auf diese Weise unter das „schnöde Joch der leichtfertigen Liebe zu bringen“ (Rist, Rettung, 147 (13)). Doppeldeutig ist die Stelle deshalb, weil sie einerseits in den weiteren Zusammenhang der Alamode-Kritik gehört, andererseits aber auch in den engeren Zusammenhang der Fremdwortkritik. Denn die Dame wirft dem Kavalier vor, die alamodischen Wörter als Lockmittel einzusetzen, um sie unter das Joch der leichtfertigen Liebe zu bringen, also zu einer oberflächlichen, rein sexuellen Form der Liebe, die für deutsche Jungfrauen ehrenrührig sei. Die Knechtschaftsmetaphorik bringt also neben der Alamode- und Fremdwortkritik auch sittlich-moralische Implikationen mit sich. Die Fremdwortkritik bleibt aber nicht ohne Widerspruch. Leibniz liefert eine scharfsinnige Analyse der Gründe für den Fremdwortgebrauch: Weil Deutsch nicht als Wissenschaftssprache verwendet wurde, hätte es nicht „wie ein rein polirtes glas gleichsam die scharffsichtigkeit des gemüths befördert, und dem verstand eine durchleuchtende clarheit“ gegeben (Leibniz, Ermahnung, 809). Weil diese Klarheit der deutschen Sprache fehle, welche die anderen Sprachen erreicht hätten, hätten die Deutschen sich nicht zu Hause, sondern im Ausland gebildet und einen „Eckel“ (ebd.) vor dem Deutschen empfunden und nur das Fremde hochgeschätzt: Daher sei der Glaube gekommen, die deutsche Sprache und das deutsche Volk seien zu nichts Besserem fähig. So seien die Deutschen in die „Slaverey“ (ebd. (14)) des Verstands geraten und dazu gezwungen worden, sich auf fremde Art auszudrücken. Leibniz bestreitet also die Vorwürfe, die Franzosen wollten die Deutschen zunächst sprachlich und dann politisch unterjochen: Durch die Vernachlässigung der Muttersprache gerade im wissenschaftlichen Bereich seien die Deutschen selbst schuld an ihrer Situation. Nach der Fremdherrschaft und den Fremdwörtern sind die Alamodisten der dritte größere Anwendungsbereich der Knechtschaftsmetaphorik. Diesen wirft

320 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Zincgref vor, sich selbst Schaden zuzufügen, „in dem sie sich muthwillig zu Sclaven frembder Dienstbarkeit machen, sintemahl es nicht ein geringeres Joch ist, von einer ausländischen Sprach, als von einer ausländischen Nation beherrschet vnd Tyrannisiret werden“ (Zincgref, Dedicatio, 1 (15)). Durch diesen Wahn provozierten sie es, dass sie durch ihre eigenen Landsleute zu Recht gehasst und verachtet würden. Zincgref baut die Metapher konsequent aus mit zahlreichen zum entsprechenden Wortfeld gehörigen Lexemen. Bemerkenswert ist, dass er von einer ausländischen Nation spricht, durch die man tyrannisiert werde, denn neben der negativen Wertung des Zustands ist vor allem der Gebrauch des Substantivs Nation auffällig, weil dies ein früher Beleg für diese Verwendung des Wortes zu sein scheint. In seinem Gedicht Fruchtbringende Gesellschafft stellt Logau die Bemühungen des Palmordens den Alamodisten entgegen: (16) Ich bin zwar auch ein Theil und denen beygestellet, | Die ihres Geistes Hoch zusammen hat gesellet | Zu treffen einen Bund, zu würcken tapffre Frucht, | Daß deutsches Hertz und Mund von neuem auffgesucht | Und seiner Würd und Zier sey wieder übergeben, | Und dürffe ferner nicht ein armer Sclave leben | Der fremden Pralerey (Logau, Sinngedichte, 273).

Johann Jacob Fuhrmann verknüpft in seinem Widmungsgedicht an Neumark die Klage über den schlechten Zustand der deutschen Sprache mit den Topoi Dreißigjähriger Krieg und Ascenas, mit der diskurssemantischen Grundfigur ALTER sowie mit der Knechtschaftsmetapher. An der für diesen Abschnitt interessanten Stelle heißt es: (17) Wie man mög seine Sprach in hohem Wollstand wissen; | Die doch ist iung / und nur verkrüppeltes Latein: | Und unsre Heldensprach soll nicht so würdig sein? | Pfuy / Teutscher! schäm dich doch! Und wilst du dich nicht schämen: | So wird Gott dir die Ehr und deine Freyheit nehmen: | Machst du die Sprach zur Magd: So wirst du werden Knecht | Der Fremden / weil dir ist dein Vaterland zu schlecht. | Nicht also / Patriot / ach nein; bedenk dich besser. | Wird deine Nation / so wirst du selber grösser | An Ehren und an Ruhm. Hilf alte Teutsche Treu / | Hilf Teutscher Sprache Zier / mein Teutscher; mache neu (Neumark, Palmbaum, 27*).

Hier kommt es vor allem auf den fünften und sechsten zitierten Vers an: Wer seine Muttersprache vernachlässigt und andere Sprachen bevorzugt, der macht seine Sprache zur Magd. Weil Gott dies nicht duldet, sondern ihm Ehr und Freiheit nimmt, macht sich der Alamodist durch sein Handeln selbst zum Knecht. Auch hier wird also die Knechtschaftsmetaphorik eingesetzt, um das Fehlverhalten der Alamodisten zu verdeutlichen, das nicht nur diesen, sondern der gesamten Sprachnation schadet.

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Eine überaus interessante Variante der Knechtschaftsmetapher legt Rist vor: Die Dame konstatiert, dass sich die Deutschen über den Zustand der von vielen Fremdwörtern durchsetzten Sprache beklagen und deshalb, wie sie behaupten, blutige Kriege führen, um ihre Freiheit zu verteidigen. Sie glaube dies nicht: Die Alamodisten wollten nicht, dass Franzosen, Spanier oder Welsche über sie herrschten und ihre Länder einnähmen; doch wenn das so sei, warumb liebet ihr denn solcher Völcker Sprachen so häfftig / warumb lernet ihr denn so gern von ewren Feinden reden / also gahr / daß ihr euch / so offt es nur immer müglich / euch befleissiget / bald hie / bald da eines oder etliche ihrer Wörter mit ewrem Teutschen zu vermengen / gerade als wehre es euch eine Schande / wann ihr ewre Meinung in guhtem reinem unverfälschetem Teutschen sollet herfür geben (Rist, Rettung, 144).

Diese Prahlerei mit fremden Sprachen brächte sie dazu zu glauben, dass die Behauptung, man verteidige die deutsche Freiheit, ein Scherz sei. Ironisch bemerkt sie, dass diese das Wort Freiheit nur selten gebrauchen und stattdessen die Libertät vorzögen: O wie viel tausend leben heut zu Tage in unserem Vaterlande / die nicht einmahl wissen / was die teütsche Freyheit / welcher Verlust sie so hefftig beklagen / etwa für ein Thier seyn möge / dieweil sie das unteütsche Wohrt Libertet sogahr nicht verstehen können (ebd., 145 (18)).

Rist benutzt also das französische Äquivalent zu Freiheit, Libertät, um den Alamodisten erstens ihre Heuchelei und zweitens ihre Abhängigkeit von der fremden Sprache vor Augen zu halten. Auf diese Weise wird aus dem Heteronym praktisch ein Antonym. Die deutsche Sprache kann auch direkt mit der Metapher belegt werden, so etwa durch Schottelius: Durch das Einflicken von Fremdwörtern werde die „angeborne / vollkommene / reine / wortreichste Muttersprache […] deutlos / wortarm / und zur bettelerischen Sclavinn“ gemacht. „Dadurch also unsere Teutsche Wörter […] zu unwörteren / die Teutsche Sprache sprachlos / der Teutsche Geist erfrömdet / die rechte Art verunartet / verstaltet / und in eine gantz andere Form gegossen wird“ (Schottelius, Arbeit, 167 (19)). Im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren fügt Schottelius auch eine Erklärung an, was er sich darunter vorstellt, wenn er die deutsche Sprache als bettlerische Sklavin bezeichnet. Zesen bezieht die Metapher auf fremde Buchstaben, die das Graphemsystem der deutschen Sprache verwirrt hätten: Die Deutschen hätten „als ein zeuchen der knechtschaft“ (Zesen, Rosen-mând, 166 (20)) die Buchstaben von den Römern übernommen. Die Metapher kann eingesetzt werden, um die Notwendigkeit hervorzuheben, die Freiheit des Vaterlandes zu bewahren. Nach Hille ist die Sorge für das

322 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Vaterland eine der wichtigsten Aufgaben der Deutschen: „Einmal sind wir Teutsche schuldig über unseres Vaterlands / und unserer Sprache Freyheit zu halten / selbe zu lieben / zu ehren / und eussersten Vermögens zu handhaben“ (Hille, Palmbaum, 78* (21)). Darin ist der Kampf gegen die Fremdwörter und das Alamode-Wesen impliziert. Der rege Gebrauch der Knechtschaftsmetapher zieht auch Kritik auf sich. Leibniz wirft den patriotischen Autoren vor, den Deutschen zu schaden, indem sie ihnen den drohenden Verlust der Freiheit suggerieren. Leibniz lobt stattdessen die „Teütsche Freyheit“ (Leibniz, Ermahnung, 800 (22)), das deutsche Reich sei das freieste der Welt. Wer etwas anderes behaupte und sage, dass durch den Kaiser oder die Landesfürsten Knechtschaft entstünde, sei wie einer, der einem Gesunden einrede, er sei krank. Man solle ihn hassen wie die, welche die Brunnen vergiften. Die Knechtschaftsmetapher wird also hauptsächlich in der Auseinandersetzung mit dem Fremden, vor allem mit dem Französischen, eingesetzt. Sie wird zur Warnung vor der drohenden Fremdherrschaft angewandt, außerdem gegen Fremdwörter und Alamodisten. Vereinzelt können auch die deutsche Sprache selbst oder fremde Buchstaben Bildempfänger sein. Außerdem kann mit der Metapher zur Verteidigung der eigenen Freiheit aufgerufen werden. Infolgedessen steht die Metapher vor allem mit den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT, ALTER und REICHTUM sowie der EIGENTLICHKEIT in Korrelation. Mit anderen Metaphern oder Topoi wird sie nur selten verknüpft.

4.2.6 Muttermilch In den sprachreflexiven Texten der Frühen Neuzeit taucht immer wieder die Gedankenfigur der von der Mutter erlernten Muttersprache auf. Sie wird „immer dort verwendet, wo die Überlegenheit der Volkssprache gegenüber dem Lateinischen betont werden soll“ (Gardt 1994a, 375). Zumeist äußert sie sich in der Metapher von der Muttermilch, mit der die Muttersprache eingesogen wird. Die folgende Analyse zeigt aber, dass sie sich erstens in mehreren Varianten äußert und sie zweitens auf mehrere Bereiche angewendet werden kann. Lexeme: erste Milch (1,3,4), Mutter (2,6), Muttermilch (5,11,12), Amme (7,8,9,10), Wiege (8), Brüste der Mutter/Mutterbrust (9,13,14), Milchbrünnlein (10). Syntagmatische Umgebung: die Natur (Subj.) die Sprache den Menschen zugesellen (1), die Mutter (Subj.) die (Mutter-)Sprache/das Deutsche mit der ersten Milch einträufeln (1,3,4), die natürliche milch- und nahrungsreiche Mutter (2), das Deutsche mit der Muttermilch einsaugen (5), die Sprache von den Müttern/Ammen, der Wiege fassen/lernen (6,7,8,10), die Sprache der Natur,

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von den Ammen lernen (9), die Sprache aus den Brüsten der Mutter saugen (9), die mütterlichen Milchbrünnlein (10), die deutsche Sprache angeboren, mit der Muttermilch eingeflößt sein (11,12), die Tugend von der Mutterbrust ersaugen (14). Anwendungsbereiche: deutsche Sprache (1,2,3,4,5,6,7,8,9), Dichtkunst (10), Wortbildungsregeln (11,12), Geschmack (13), Tugend (14). Varianten: Gegensatz zu fremden Sprachen (1,2,3,4,5), Gegensatz zur Büchersprache (6,7,8, 9,10), Natürlichkeit der Muttersprache (13). Korrelationen: REINHEIT (1,3,4), anthropomorphisierende Metaphorik (1,2), ALTER (3,4,14), Knechtschaftsmetaphorik (3,4), Dreißigjähriger Krieg (3,14), Ascenas (3), Essen und Trinken (3), REICHTUM (4), EIGENTLICHKEIT (4), Babel (8).

Harsdörffer kritisiert diejenigen, welche die deutsche Sprache verlachen, „die ihnen doch die Natur mit der Geburt zugesellet / die Mutter mit erster Milch eingetreuffelt / die Noht vorgeschwätzet“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 354 (1)) habe. Er wendet sich hier gegen die, die fremde Sprachen hoch halten und die eigene vernachlässigen. Die Muttersprache sollte, so die Aufforderung, stets an erster Stelle stehen. Dafür benutzt Harsdörffer die positiv besetzte Liebe des Kindes zur Mutter, die als selbstverständlich gesetzt wird und die ebenso selbstverständliche Nähe der Mutter zum Kind, um einerseits die Liebe zur Muttersprache und andererseits deren Nähe zu ihren Sprechern gegenüber den fernen fremden Sprachen zu begründen. Harsdörffer ist keineswegs der Einzige, der so verfährt. Auch Schottelius wirft den Deutschen vor, die deutsche Sprache zu verachten und wie eine Bettlerin zu behandeln, statt ihr die Ehre zu erweisen, die ihr als „natürliche Milchund Nahrungsreiche Mutter“ zustehe (Schottelius, Arbeit, 141 (2)). Schottelius verbindet die Muttermilch-Metapher also mit der anthropomorphisierenden Metaphorik. Hille klagt, „daß bey dem bluttrieffenden Kriegsjammer / unsere uralte unvollkommene Teutsche Muttersprache / so uns gantz rein in der ersten Milch gleichsam eingetreuffelt / nachmals aber durch fremdes Wortgepräng / wässerig und versaltzen worden“ sei (Hille, Palmbaum, 6 (3)). Die Grundfiguren REINHEIT und ALTER werden mit der hier besprochenen Metapher eng verknüpft. Hille richtet sich, indem er außerdem die Metapher des Essens und Trinkens (vgl. unten, 4.2.7) verwendet, gegen Fremdwörter, durch die die mit der Muttermilch eingeträufelte Muttersprache wässrig und versalzen, also ungenießbar werde. Von diesem Beleg abhängig ist folgende Stelle bei Neumark: Er hat sie in seiner erweiterten Neuauflage von Hilles Palmbaum übernommen, jedoch leicht verändert (vgl. oben, 279):

324 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses (4) […] und damit bey dem Blut-trieffenden Kriegsjammer / unsere ädle Muttersprache / welche so wol an Alter / schönen und ziehrlichen Reden / als auch an Uberfluß eigendlicher und wolbedeutlicher Worte / so jede Sachen besser / als die Fremde recht zu verstehen geben können / einen nicht geringen Vorzug hat / welche / sag ich / Uns gantz rein in der ersten Milch / gleichsam eingeträuffelt / nachmals aber durch fremdes Wortgepräng / wässerig und versaltzen worden / hinwieder in ihre uhralte gewöhnliche und angebohrne Teutsche Reinikeit / Zierde und Aufnehmen eingeführet / einträchtig fortgesetzet / von dem fremd-drukkenden Sprachenjoch befreyet / durch alte und neue Kunstwörter befestiget / und also endlich in den glorwürdigsten Ehrenthron versetzet werden möchte / auch solch ein hochnützlicher Orden gestiftet würde (Neumark, Palmbaum, 13).

Prinzipiell übernimmt Neumark die gleichen Metaphern, Topoi und Grundfiguren, erweitert sie jedoch um die Grundfiguren REICHTUM und EIGENTLICHKEIT (Überfluss eigentlicher und wohlbedeutlicher Worte), so dass das Netz diskursiver Verknüpfungselemente nocht dichter wird als bei Hille. Kaspar Stieler wirft den Ungelehrten, die ihre deutsche Muttersprache alltäglich benutzten, vor, dass sie diese nicht pflegten, weil sie für ihre Zwecke ausreiche: Der Nichtgelehrte vermeinet / es lange das Teutsche / so er mit der Muttermilch eingesogen / und zu seiner Notdurft durch den alltäglichen Gebrauch gefaßet / zu seinem Auskommen überflüßig hin / daß er einer weiteren Anfürung zum Reden nicht benötiget wäre (Stieler, Stammbaum, fol. )()()(r(5)).

Den Gelehrten dagegen würde erst dann der Wert ihrer Muttersprache bewusst, wenn sie eine hochgestellte Persönlichkeit würdigen müssten und merkten, dass keine Sprache dafür besser geeignet sei als die deutsche. Stieler wirft also sowohl den Gelehrten als auch den Ungelehrten vor, aus verschiedenen Motiven die Muttersprache zu vernachlässigen. Um das Versäumnis noch mehr zu betonen, wird die Muttermilch-Metapher herangezogen. Während bisher die deutsche Sprache im Gegensatz zu fremden Sprachen im Vordergrund der Darstellung dieses Metaphernkomplexes stand, betonen die folgenden Belege einen anderen Aspekt der Metapher, nämlich den Gegensatz der von der Mutter erlernten Sprache und der Büchersprache. Hier wird also eher die Opposition zwischen Alltagssprache und Schriftsprache hervorgehoben. Exemplarisch kann hierfür die Antwort stehen, die Gueintz dem Gutachten von Schottelius über seinen Entwurf gegeben hat. Darin betont er den Vorzug der natürlich erlernten gegenüber den aus den Büchern erlernten Sprachen: „Es ist nun von Anfang der Welt biß anhero mitt gewißen gründen erhärtet, daß die Sprachen, Zumahl die, so von den Müttern vnndt durch tägliche vbung gefaßet worden, auß den Büchern anfangs nicht erlernet; sondern daß die gewohnheit sie gelehret, getrieben, erhalten“ (Ertzschrein, 253 (6)). Letztlich geht es hier um

Metaphern � 325

die Frage, ob die deutsche Sprache nach den Vorstellungen der Analogisten oder der Anomalisten normiert werden soll (vgl. oben, 3.2.2.2), wobei Gueintz eindeutig für letztere Position plädiert und zu deren Bekräftigung die Erlernung der ersten Sprache durch die Mutter ins Spiel bringt.13 Wie Stieler unterscheidet auch Fürst Ludwig zwischen dem Sprachgebrauch der Gelehrten und dem der Ungelehrten. Jene könnten die Sprache der Ungelehrten verbessern. Der Fürst bevorzugt allerdings eine Orientierung am Gebrauch, weil aus fremden und abgestorbenen Sprachen, die man nicht von der Amme, sondern aus Büchern lerne, nichts herausgeholt werden könne, das zur Verbesserung der Sprache der Ungelehrten wichtig wäre. Auch hier dient die Metapher der Unterscheidung zwischen natürlich erworbener und Büchersprache: (7) Wo fehler im aussprechen sind, sollen sie die gelehrten weisen und bessern, auch nicht verhehlen, sonsten behielten sie die kunst alleine im kopfe, und würde andern nicht mitgetheilet, wo man aber der natur, und dem gemeinen gebrauche nachgehet, da können sie es aus frembden und theils abgestorbenen sprachen, die nicht mehr von der Amme, sondern aus büchern gelernet werden, nichts thun (Ertzschrein, 265 f.).

Diese Unterscheidung zwischen bei der Mutter / Amme erworbener Muttersprache und fremder Büchersprache wird bei Gueintz zur Dichotomie verschärft: WJewol unsere Muttersprache bis anhero nicht aus den Büchern ersuchet; sondern gleichsam aus der Natur genommen: nicht von Lehrern erlernet; sondern von den Ammen: nicht in der Schulen: sondern in der Wiegen / nach dem Exempel der tapfern wolgebornen Gracchen zu Rom (Gueintz, Entwurf, 7 (8)).

Bei dieser Dichotomie werden Bücher, Lehrer und Schulen auf der einen Seite negativ und Natur, Amme und Wiege auf der anderen Seite positiv besetzt. Auch hier ist deutlich der Primat des Anomalismus zu erkennen. Die folgende Passage bei Johann Matthäus Meyfart bildete mutmaßlich die Vorlage für die Stelle bei Gueintz: (9) Dann ob zwar die Teutschen ihre Sprach nicht aus den Büchern suchen / sondern aus der eingepflantzen Natur nehmen: Nicht von dem Meister studiren / sondern von den Ammen lernen: nicht in den Schulen aus dem Munde der Lehren fassen / sondern in der Wiegen aus den Brüsten der Mutter saugen / nach dem dapffern Exempel der Wolgebornen Gracchen zu Rom: Jst sie doch darumb nicht zuverschmehen / aber zubeklagen / daß Leute seyn / welche / wenn sie die Heroische Rede nicht bringen können aus den vngeschickten Rachen / dieselbige verfolgen mit dem grawsamen Händen (Meyfart, Redekunst, 2).

�� 13 Für eine ausführlichere Interpretation dieser Stelle vgl. Gardt 1994a, 374–376.

326 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Johann Klaj bezieht die Metapher nicht auf die deutsche Sprache, wie die bisherigen Belege, sondern auf die Dichtkunst: Die Dicht- und Reimkunst käme nicht vom Menschen, sondern durch „sonderbare Himmelsgnade“ (Klaj, Lobrede, 403). Sie werde nicht von einem Meister gelehrt, sondern durch das Geschwätz der Ammen; man lerne sie nicht von den Lehrern in der Schule, sondern „aus den mütterlichen Milchbrünlein“ (ebd. (10); auch hier ist Meyfarts Einfluss deutlich sichtbar). Für Schottelius sind jedem Deutschen die Wortbildungsregeln angeboren: (11) Auß diesem nun / was kürtzlich erzehlet / entstehet anfänglich die Gewißheit und liebliche Art zu verdoppelen in unserer Teutschen Sprache / daß man nemlich zu erst und sonderlich auff den Grund oder das Grundwort achtung geben / und nach anleitung der beygefügten Wörter / jenes andeutung recht vernehmen müsse: welches dann einem Teutschen gar nicht schwer noch undeutlich / sonderen angeboren und mit der Muttermilch eingeflösset ist (Schottelius, Sprachkunst, 112; vgl. auch Arbeit, 76 (12)).

Auch jenseits des unmittelbaren Sprachbezugs kann die Muttermilch-Metapher angewendet werden. Harsdörffer etwa bezieht sie auf den Geschmack: In der Ontogenese ist der Geschmack der erste Sinn, der mit der Nahrung schon im Mutterleib angeregt wird; die anderen Sinne folgen erst später. Der Geschmack hilft – hier bezieht sich Harsdörffer auf Aristoteles’ De Anima, Drittes Buch –, das Gesunde vom Schädlichen und das Gute vom Schlechten zu unterscheiden: (13) So nohtwendig dem Menschen Speiß und Getranck ist / so nohtwendig ist ihm auch der Geschmack / welcher […] das Gute von dem Bösen / das dienliche von dem undienlichen / das gesunde von dem schädlichen unterscheidet / und solches nach angeborner Eigenschaft / wie wir bey den Säuglingen sehen / daß sie ihrer Mutter Brüste / wann sie solcher einmal genossen / durch den Geschmack / von fremden Weibsbildern / zu unterscheiden wissen (Harsdörffer, Fortpflanzung, 32 f.).

Erst sehr viel später kommt Harsdörffer auf die Sprache zu sprechen. Doch man wird wohl kaum fehlgehen, wenn man auch diese Stelle bereits auf die Sprache bezieht. Wenn Säuglinge anhand der Milch ihre Mutter von anderen Frauen unterscheiden können und damit zugleich auch das Gute vom Bösen, das Gesunde vom Schädlichen, dann liegt der Schluss nahe, dass die positiven Eigenschaften der deutschen, von der Mutter erlernten Sprache zugesprochen werden und die negativen den fremden Sprachen. Auch hier ist letztlich eine Aufwertung der Muttersprache durch die Muttermilch-Metapher angestrebt. Wie in folgendem Gedicht von Sigismund Betulius, publiziert in Hilles Palmbaum, zu sehen ist, kann aus der Mutterbrust auch die Tugend gesogen werden:

Metaphern � 327

(14) ES war der Teutsche Ruhm das Teutschland gar hinweggeflogen | Und über Meer gezogen; | Es ward von unserer Sprach mit Wortgemenge gelogen / | Jhr Alterthum betrogen; | Jugend hatte keine Tugend von der Mutterbrust ersogen; | Kein Vertrauen ward gepflogen / | Gottesfurcht auch nicht erwogen / | Weil der Frevel nichts geachtet die goldschönen Himmelsbogen (Hille, Palmbaum, 66* f.).

Diese Verse sind Teil eines längeren Gedichts, das vom Niedergang Deutschlands, durch den Krieg verschuldet, handelt, und von der Erneuerung durch die Fruchtbringende Gesellschaft. Hier steht die Metapher in Nachbarschaft zur diskurssemantischen Grundfigur ALTER. Andreas Gardt betont, dass die „Postulierung einer besonderen Nähe der Sprecher zur Muttersprache […] ein Topos der Sprachreflexion seit frühester Zeit“ ist, die jeder ideologischen Auslegung vorangehe (Gardt 2001, 44). Als Beispiel nennt er die Muttermilch-Metapher, bei der die „mit der Muttermilch aufgenommene[] Muttersprache Deutsch im Gegensatz zum gelehrten Lateinischen, das aus rationaler Distanz erlernt wird“ (ebd.), gesehen wird. Die vorherige Analyse zeigt, dass die Reichweite dieser Metapher noch größer ist: Sie dient nicht nur der Darstellung der Nähe der Muttersprache gegenüber dem Lateinischen, sondern auch der Abgrenzung der Anomalisten gegenüber der analogistischen Position durch die Dichotomie von natürlich erworbener und Büchersprache. Außerdem wird sie vereinzelt auf die Dichtkunst, die Wortbildungsregeln und die Tugend angewandt. Gemeinsam ist aber allen diesen Anwendungen, dass mit der Metapher die Nähe einer Sprache oder Sprachform in Abgrenzung von einer anderen Sprache oder Sprachform betont wird. Die Korrelationen sind eher spärlich. In selteneren Fällen wird die Muttermilch-Metapher mit der anthropomorphisierenden oder der Knechtschaftsmetaphorik verknüpft. Einige Male bestehen Verbindungen zu den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT, REICHTUM und ALTER.14

�� 14 Dass die Muttermilch-Metaphorik noch über Jahrhunderte produktiv blieb, zeigt folgende Stelle aus Ernst Moritz Arndts Über deutsche Art und über das Welschtum bei uns (entstanden um 1815): „Darin ist das Leichte, Flatternde, Eitle, Bewegliche, Leidenschaftliche in allen Farben und Gestalten bloß für den äußeren Schein Spielende und diesen äußeren Schein Darstellende endlich das Klanglose und Gemütlose vorherrschend, woraus wohl hin und wieder ein ganz leidlicher Franzos hervorgehen kann, woraus aber, wenn es bei uns mit der Muttermilch eingeflößt wird, ein halbierter, verzierter, verfratzter und, wann es am besten geht, in den Grundtiefen seines innigsten Gemütes und Lebens gestörter, verwirrter und geschwächter Deutscher hervorgehen muß“ (177 f.).

328 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses 4.2.7 Essen und Trinken Die Metapher Essen und Trinken ist im Korpus nur spärlich belegt und weist ein sehr heterogenes Anwendungsfeld auf. Lexeme: Tracht (›Speise‹; 1), Speise (1,3), Suppe (2), Brocken (2), übelgekocht (2), Milch (2), Gewürz (3), Küche (3), Zubereitung (3), wässrig (4), versalzen (4). Syntagmatische Umgebung: die Tracht in einer verdeckten Schüssel auftragen (1), neue Speisen bringen (1), den deutschen Magen mit spanischen, welschen und französischen Suppen/Brocken, mit übelgekochter deutscher Milch verschleimen (2), in einer Küche sich ausländisches leckerhaftes Gewürz finden (3) die deutsche Zubereitung (3), die leichtnüssliche [›genießbare‹] Speise (3), die Muttersprache durch fremdes Wortgepräng wässrig und versalzen werden (4). Anwendungsbereiche: Lehnwörter (1), Fremdwörter (2,3), deutsche Gedichte (3), Muttersprache (4). Korrelationen: biologostische Metaphorik (2), Lichtmetaphorik (2), Dreißigjähriger Krieg (4), Ascenas (4), Muttermilch (4), Knechtschaftsmetaphorik (4), ALTER (4), REINHEIT (4).

Harsdörffer wendet die Metapher auf Lehnwörter an. Diese sollen, sofern sie nicht eingedeutscht werden können, erstens mit deutschen Buchstaben geschrieben werden, zweitens mit deutschen Endungen versehen und drittens von jedem verstanden werden können. Denn sonst sorge man beim Leser für Verdruss, weil man ihm seine Unwissenheit vor Augen halte. Solches könne man dem Verfasser vorwerfen, „der seine Tracht in einer solchen verdeckten Schüssel aufgetragen / und angesehen seyn will / daß er viel neue Speisen bringe / darnach doch niemand verlanget und gelustet“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 14 f. (1)). Die verdeckten Schüsseln sind die für viele nicht verständlichen Fremdwörter, die den Eindruck der Bildung und des Neuen erwecken sollen, woran aber außer dem Sprecher niemand Interesse hat. Um die Verdienste von Schottelius hervorzuheben, benutzt Rist eine kulinarische Metapher: (2) Fürwahr unser ellende teutsche Magen / die nicht allein mit so vielen spanischen / welschen vnd französischen Suppen vnd Brocken; besondern / auch mit einer so übelgekochten teutschen Milch gantz hefftig verschleimet waren / musten nothwendig durch eine so treffliche Artzney gereiniget vnd also daz gute vom bösen / die sprewer von dem Weitzen vnd das helle Liecht von der tuncklen Finsternisse abgesondert werden (Rist, Rettung, 77).

Fremdwörter sind demnach schwer verdauliche Suppen und Brocken, die übelgekochte Milch scheint auf die Metapher von der Muttermilch anzuspielen, die,

Metaphern � 329

so Hille, versalzen ist (vgl. Beleg (4)) und deshalb den Magen verdirbt. Schottelius’ Spracharbeit sei dafür eine gute Medizin gewesen. Rist setzt zur Illustration die biologistische sowie die Lichtmetaphorik ein, welche die dominierende kulinarische Metapher unterstützen. Rompler beschreibt seine eigenen Gedichte mit einer Metapher des Essens und Trinkens: Sie seien wie Speisen, die, auch wenn sie ärmlich seien, doch jedermann schmecken könnten. „Vil ausländisch lekkerhaftes gewürtz find man dißfals in meiner kuchen nicht; halt am maisten auf gute Teütsche zuberaitung / und leichnüsliche speissen“ (Rompler, Gebüsch, fol. oooov (3)). Romplers Gedichte kommen ohne fremde Elemente (Gewürze) aus, sie sind auf rein deutsche Art und Weise verfasst (Zubereitung) und deshalb leicht bekömmlich (leichtnüslich). Auch Rompler wendet sich somit gegen Fremdwörter in der deutschsprachigen Dichtung.15 Schließlich sei noch einmal auf die bereits mehrfach zitierte Stelle bei Hille hingewiesen: […] daß bey dem bluttrieffenden Kriegsjammer / unsere uralte unvollkommene Teutsche Muttersprache / so uns gantz rein in der ersten Milch gleichsam eingetreuffelt / nachmals aber durch fremdes Wortgepräng / wässerig und versaltzen worden […] (Hille, Palmbaum, 7 (4)).

Es zeigen sich bei den Anwendungsbereichen und auch bei den Korrelationen in den vier Beispielen für die Metapher vom Essen und Trinken wenige Gemeinsamkeiten. Sie wird gleichermaßen auf Lehnwörter wie auf Fremdwörter, auf deutsche Gedichte und die Muttersprache angewandt. Sie wird mit der biologistischen Metaphorik ebenso verbunden wie mit der Muttermilch-, Licht- und Knechtschaftsmetaphorik und den diskurssemantischen Grundfiguren ALTER und REINHEIT. Dieser Befund zeigt aber auch, dass dieser Metaphernkomplex sehr flexibel anwendbar ist.

4.2.8 Handwerksmetaphorik Die Handwerksmetaphorik ist relativ selten belegt. In der Hälfte der untersuchten Belege wird sie auf die Stammwörter angewandt, hauptsächlich durch Schottelius.

�� 15 Vgl. das Gedicht Romplers, das Kühlmann (2013, 312 f.) auszugsweise zitiert und interpretiert.

330 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Lexeme: Grundsäule (1), Sprachgebäude (1), Gebäu/Kunstgebäu (2,3,4,5), wohlbepfählt (2,3), Grund (3,4,5), wackeln (4), Sprachbau (6), Bahn (7), ausbahnen (7), richten (7), schlichten (7), Gerätschaft, Steine, Balken (8). Syntagmatische Umgebung: Stammwörter als Grundsäule des deutschen Sprachgebäudes (1), jedes standfeste Gebäu auf wohlbepfählten Gründen beruhen (2,3), das Kunstgebäu der Sprache auf den Stammwörtern beruhen (2,3), das Gebäu auf wohlgelegtem Grund fest stehen (4), die Sprache ohne Stammwörter wackeln (4), den Grund in der deutschen Sprache setzen (5), das Gebäu rütteln (5), der hochrühmliche Sprachbau (6), die Sprache ausbahnen/richten/schlichten (7), die Sprache eine Bahn aufweisen (7), Balken (8), Gerätschaft (8), Steine (8). Anwendungsbereiche: Stammwörter (1,2,3,4), Spracharbeit (5,7), deutsche Sprache (6), Wörterbuch (8). Korrelation: biologistische Metaphorik (2,3), EIGENTLICHKEIT (4), REICHTUM (7).

Für Schottelius sind die Stammwörter die „grundseulen zu allen darauf erhöhten Teutschen Sprach-Gebäuden“ (Schottelius, Arbeit, 1272 (1)). Die Grundsäulen in der Handwerksmetapher korrespondieren mit den Wurzeln in der biologistischen Metaphorik: In beiden Fällen ist die fundamentale Bedeutung der Stammwörter für die Sprache hervorgehoben. Aufgrund dieser Analogie ist es nicht verwunderlich, dass Schottelius beide Metaphernkomplexe auch miteinander verbindet: EJn jedes standfestes Gebew beruhet auff seinen unbeweglichen wolbepfälten Gründen: Also einer jeglichen Sprache Kunstgebew bestehet gründlich in jhren uhrsprünglichen natürlichen Stammwörteren / welche als stets safftvolle Würtzelen den gantzen Sprachbaum durchfeuchten (Schottelius, Sprachkunst, 74 (2); ebenso Schottelius, Arbeit, 50 (3)).

Eine ähnliche Sichtweise gibt der folgende Beleg, hier wird allerdings die Situation umgekehrt, denn Schottelius benennt die Konsequenzen, wenn es keine oder nicht genügend Stammwörter in einer Sprache gibt: „Jst ein Grund wol gelegt / so stehet das Gebäu fest; sind keine richtige Stammwörter in einer Sprache aufgezeignet / wakkelt dieselbe und endert sich immer fort“ (Schottelius, Arbeit, 1276 (4)). Schottelius setzt demnach Sprachwandel mit Sprachverfall gleich. Wegen ihres Mangels an Stammwörtern seien das Griechische und das Lateinische dem Wandel unterworfen, während das Deutsche stetig gleich bleibe. Erneut zeigt sich damit eine ahistorische Sicht auf die Sprache, welche das Deutsche zu einem überzeitlichen und unwandelbaren, dem menschlichen Zugriff enthobenen Objekt machen will. Dies verweist auf die diskurssemantische Grundfigur EIGENTLICHKEIT. Nicht nur die Stammwörter, sondern auch die Spracharbeit kann mit der Handwerksmetapher erfasst werden:

Metaphern � 331

(5) Sol man aber etwas gutes auffbringen / muß man zuvor das ungute hinweg schaffen: sol man den grund recht und fest in teutscher Sprache setzen / das löcherichte vollstampen / und dieselbe in etwas andeuten / welche aus unbedacht das schöne Gebew gerüttelt / und so viel an jhnen / grundfellig haben machen wollen. Viel und offt unrecht gehen / machet darumb den Weg nicht recht (Schottelius, Sprachkunst, 165).

Bevor man anfängt, die Sprache weiterzubilden, muss demnach zuerst das Fundament gelegt werden, wozu auch gehört, dasjenige, was sich als instabil erweisen könnte (das ungute), wegzuschaffen und die Löcher zu stopfen (vollstampen). Schottelius betont, welche Mühen solche Grundlagenarbeit bereitet, wobei er die Handwerksmetapher variiert: (7) Was aber für Arbeit und steten Fleiß es gekostet / diese / die allerwortreicheste Sprache / darinn bißhero solcher massen keine richtige Bahn / sondern viel dörnichte Krümmen zu finden waren / außzubahnen / zu richten und zu schlichten / und dem blinden Gebrauche augen zu geben / also daß sich auch ein Knabe nun wird finden und recht teutsch wird reden oder schreiben lernen können: solches kan ein verständiger vnd gelahrter / dem was Arbeit heisset / bekannt / leichtlich abnehmen (ebd., 13).

Hier wird nicht das Bild eines Sprachgebäudes evoziert, sondern das einer krummen und unwegsamen Bahn, die begradigt, gerichtet und geschlichtet16 wird. Zudem klingt die diskurssemantische Grundfigur REICHTUM an. Harsdörffer betont ebenfalls die Mühen, welche die Arbeit am Sprachbau mit sich bringt. Bei ihm bezieht sich die Metapher aber eher auf die Sprache selbst: (6) Wie nun der weise König Salomo / zu seinem Tempelbau / die kostbare Gerätschaft von entlegenen Landen mit langer Zeit herbey geschaffet / und mit übertrefflicher Klugheit / mancherley Arbeit / und getreueiferigen Beyhülffe nach und nach aufgeführt / also wird zu diesem hochrühmlichen Sprachbau geraume Zeit / gesamte Handanlegung aller Teutschliebenden Gemüter / aller Lehrbegierigen Sorgfalt / aller Kunstfähigen Nachsinnen / und dann grosser Herren gnädige Handbietung erfordert (Harsdörffer, Schutzschrift, 363).

Am Ende des Jahrhunderts legt Stieler sein Wörterbuch vor, mit dem er die unausgeführten Pläne von Schottelius und Harsdörffer in die Tat umsetzt. In der Vorrede betont er aber, dass noch immer ein hoher Berg zu überwinden sei. Deshalb habe er mit seinem Wörterbuch „einige Gerätschaft an Steinen und Balken“ beisteuern wollen (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( ijr (8)). Das Wörterbuch soll nach Stieler also als Werkzeug und Baustoff zu weiteren Forschungen dienen.

�� 16 Vgl. DWB, Bd. 15, Sp. 668: schlichten ›gerade machen‹.

332 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Die Handwerksmetaphorik wird nur von wenigen Autoren explizit gebraucht. Vor allem Schottelius nutzt sie als Alternative und Ergänzung zur biologistischen Metaphorik, besonders für die Beschreibung der Stammwörter. Auch die Spracharbeit und die deutsche Sprache können mittels der Handwerksmetaphorik dargestellt werden. Schließlich wird auch Stielers Wörterbuch von diesem mit einer entsprechenden Metapher belegt. Gegenüber der biologistischen Metaphorik impliziert die Handwerksmetaphorik stärker den Aspekt der Unbeweglichkeit der Sprache und damit ihre Ahistorizität. Damit unterstreicht das Ergebnis der Analyse dieser Metapher den Befund, „dass Sprache nicht als offenes, heterogenes, aus zahlreichen Varietäten bestehendes Gesamtsystem, sondern als ein in sich ruhendes, in einem unveränderlichen Zentrum der Zeitlichkeit enthobenes Gebilde betrachtet wird“ (Gardt 1994a, 145).

4.2.9 Lichtmetaphorik Die Lichtmetaphorik wird im Korpus hauptsächlich eingesetzt, um Gegenpositionen anzugreifen. So wirft Schottelius denjenigen, die den REICHTUM der deutschen Sprache nicht zu sehen scheinen, Blindheit vor: „[W]arlich / er muß blind oder eines sandichten Gehirnes seyn / der nicht ein fruchtreiches / grünendes lustiges Feld von einem steinigten / safftlosen Boden unterscheiden wolte / oder künte“ (Schottelius, Sprachkunst., 104). An anderer Stelle setzt der die Analogie gegen den „blinden Gebrauch[]“ (ebd., 13). In diesem Abschnitt soll jedoch vorgeführt werden, wie aus einer Exempelgeschichte eine Metapher gewonnen wird, die der dann folgenden Argumentation zugrunde gelegt wird. Dies ist am Beginn von Harsdörffers Schutzschrift der Fall. Der Text beginnt mit einer Erzählung: Der griechische Gesetzgeber Seleukus verordnete, dass Ehebrechern die Augen ausgestochen werden sollten, weil sie durch „Luftspiegel“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 351) zu solchen Sünden veranlasst würden. Durch eine Fügung wurde aber sein eigener Sohn wegen dieses Vergehens vor seinen Richterstuhl gezogen. Seleukus befand sich nun im Widerstreit zwischen Pflichterfüllung und Vaterliebe, so dass er verfügte, dass seinem Sohn das rechte, ihm selbst aber das linke Auge ausgestochen werde, was auch geschah. Harsdörffer kritisiert dieses Urteil: Es sei nicht zu akzeptieren, dass der unschuldige Vater das Lastermal seines Sohnes tragen müsse und dem Sohn die Bürde seiner gerechten Strafe erleichtert würde. Nun überträgt Harsdörffer die Geschichte auf das Thema seiner Schrift: Das Vaterland erweise den untreuen Söhnen mehr Gerechtigkeit als Seleukus, denn es habe seine Söhne mit der „Teutschen Tugendlöblichen Haubtsprache“ (ebd.)

Metaphern � 333

verheiratet. Wenn sie dieser untreu würden und pflichtvergessen fremde Sprachen hochhielten, so würden sie zu Recht mit Blindheit geschlagen und stürzten in die Dunkelheit und Unwissenheit: Das Aug des Ehebrechers liebet das Tunkle / in dem sie nemlich an ihrer Landssprache brüchig / sich den ihren gantz unvernemlich / offtermals auch verächtlich machen / massen sie so tunkle Reden führen / welche ohne Erkundigung ausländischer Sprachen nicht mögen verstanden werden (ebd., 353).

Dieses Unheil verschone niemanden, der fremde Sprachen erlerne und ihrer mächtig werde. „Nein / es ist biß auf den groben Pövelmann herabkommen / dem das Latein bekannt / wie dem Blinden die Farben“ (ebd., 354). Die allerblindesten seien aber diejenigen, die die deutsche Sprache verlachten. Hier werden zwei Metaphernkomplexe kombiniert, zum einen die Lichtmetapher, zum anderen die Rechtsmetapher. Ausgehend von der Exempelgeschichte wird die Blindheit als gerechte Strafe für Menschen angesehen, die ihre Augen falsch gebrauchen. Dabei wird stillschweigend das jeweilige Vergehen umgekehrt: Während die Ehebrecher bestraft werden, weil sie zu sehr auf die Schönheit anderer Frauen achten, werden die Verächter der deutschen Sprache mit Blindheit geschlagen, weil sie deren Vorzüge nicht sehen oder sehen wollen und stattdessen fremde Sprachen bevorzugen. Sie begehen ebenfalls Ehebruch, weil sie mit der deutschen Sprache verheiratet wurden. Ihre Strafe liegt nicht in physischer Blindheit wie im Exempel, sondern in einer Art kognitiver und kommunikativer Blindheit, wenn sie nämlich in Unwissenheit und Dunkelheit stürzen und nicht mehr verstanden werden, weil sie ihre Rede mit fremden Wörtern mischen. Harsdörffer empfindet das Urteil des Seleukus als ungerecht, weil der Vater unschuldig bestraft und dem Sohn ein Teil seiner Strafe erlassen werde. Auf das Thema der Schutzschrift übertragen heißt das, dass es ungerecht wäre, wenn alle Deutschen für den Ehebruch einiger Weniger, die fremde Sprachen bevorzugen, mit Blindheit gestraft würden, also in kognitive und kommunikative Dunkelheit gerieten. Dies geschähe aber, wenn man zu viele Fremdwörter in die deutsche Sprache aufnehmen und das Eigene vergessen sollte. Davor soll die Spracharbeit schützen, der sich die Schutzschrift widmet. Harsdörffer bereitet somit die Argumentation seiner Schutzschrift sorgfältig durch die Verknüpfung der Licht- mit der Rechtsmetapher vor und trägt dadurch zugleich auch zu deren Legitimation bei. Es geht ihm um den Schutz der Muttersprache, die den Deutschen „doch die Natur mit er Geburt zugesellet / die Mutter mit erster Milch eingetreuffelt / die Noht vorgeschwätzet“ hat (ebd., 354). Die Vorzüge der deutschen Sprache sind für Harsdörffer eigentlich unübersehbar, es

334 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses sei denn, man ist blind. Indem er diesen Gedanken mit dem des Ehebruchs kombiniert, wirft er denjenigen, die übermäßig Fremdwörter gebrauchen, vor, nicht nur kognitiv blind zu sein, sondern auch dem Vaterland untreu zu werden. Damit wird die Lichtmetapher zu einem Teil der Alamode-Kritik.17 18

4.2.10 Münzmetaphorik Von der Münzmetaphorik wird im Korpus nur selten Gebrauch gemacht. Dies ist wohl auch darin begründet, dass die Anwendungsbereiche der Metapher als sehr beschränkt aufgefasst werden. Belegt ist sie lediglich bei Moscherosch und vor allem bei Leibniz, bei letzterem in zeichentheoretischem Zusammenhang. Lexeme: Münze (1), Kipper-Jahr (1), Ziffer (2), Rechenpfennig (2), Wechselzettel (2). Syntagmatische Umgebung: Verba ut nummi (1), die Sprache in ein Kipper-Jahr geraten (1), die leichte Münze (1) Wörter als Rechenpfennige/Ziffern (2) Wörter als Wechselzettel des Verstandes (2). Anwendungsbereiche: Komplimente (1), Wörter (2).

Im Alamode-Kehrauß in Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewald wird der Sprachgebrauch als Zeichen für die Zeitläufte angesehen: „Wie die Zeiten sind, so sind die Wort; vnd hinwiderumb, wie die wort sind, so sind auch die zeiten“ (Moscherosch, Gesichte, 184). Expertus Robertus vergleicht die mit dem alamodischen Komplimentierwesen verbundenen Wörter mit Münzen und zieht Parallelen zur rapiden Münzverschlechterung der Kipper- und Wipperzeit: (1) Verba ut Nummi. Es ist vnsere Sprach bißmahlen in ein recht Kipper-Jahr gerathen; Jeder beschneidet, bestimmelt dieselbe, wie er will, gibt ihr einen Halt vnd Zusatz, wie er will. Vnd wie solche leichte Müntzen, wie weiß sie auch gesotten sind, dannach anderst nichts in sich haben als Kupffer am Halt, also alle solche heutige Auffschneidereyen, wie schön sie äusserlichem Thon nach lauten, sind im Hertzen doch nicht eins drecks werth: vnd wan sie am besten sind, vnnd du meynest, du habest nun alles, was du begehrest, so weissestu im außkehren weder daß, was du begehret, noch daß, was man dir geben, vor einander zu erkennen, dann der Wind führet die Wort darvon; vnd so wenig, als du den

�� 17 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Lichtmetapher nicht, wie in der Aufklärung üblich, positiv gebraucht wird. Harsdörffer und Schottelius benutzen nur ihre negative Seite, die Blindheit, die sie der aus ihrer Sicht falschen Position vorwerfen. 18 Eine völlig andere zeitgenössische Verwendung der Lichtmetapher findet sich bei Quirinus Kuhlmann (vgl. Riecke et al. 2004).

Metaphern � 335

weg eines Vogels wirst finden können in der Lufft, so wenig wirstu den Nachtruck solcher Auffschneidereyen spühren mögen (ebd., 184 f.).

Die Komplimente sind so viel wert wie die gefälschten Münzen der Kipper- und Wipper-Zeit, nämlich gar nichts. Wie diese setzen sie auf den äußeren Schein, ohne dass etwas dahintersteckt. Die Münzmetapher wird von Moscherosch also zur Sprach- und insbesondere Alamode-Kritik benutzt. Die umfassendste und konsequenteste Verwendung der Münzmetapher findet sich bei Leibniz. Am Anfang der Unvorgreiflichen Gedanken (§§ 5–7) wird sie zur theoretischen Bestimmung des sprachlichen Zeichens angewandt: Leibniz geht von der Prämisse aus, dass die Wörter nicht nur Zeichen der Gedanken, sondern auch der Dinge seien. Durch die Zeichen werden nicht nur die eigenen Gedanken anderen mitgeteilt, sondern sie helfen auch dem eigenen Verstand. So wie man beim Handel Marken und Zettel verwende, um Geschäfte abzurechnen, so verwende man die Wörter, um sich eine Sache nicht jedes Mal neu überlegen zu müssen. Wenn man eine Sache einmal erfasst habe, setze man ein Wort an die Stelle dieser Sache und verwende dieses Wort in jeder Rede und bei jedem Gedanken, der diese Sache betrifft. Damit vollzieht Leibniz die Abkehr von der ontosemantischen Sichtweise des 17. Jahrhunderts und bestimmt das sprachliche Zeichen als Stellvertreter für das Referenzobjekt sowie für das mentale Konzept. Mit letzterem fügt Leibniz dem Verhältnis von Wort und Sache eine weitere, seinen Vorgängern noch unbekannte Komponente hinzu, so dass man bei ihm bereits von einem semiotischen Dreieck sprechen kann. Wenn ein Rechenmeister ständig an den Fingern abzählte, so Leibniz weiter, so würde er eine Rechnung niemals beenden; ebenso würde man, wenn man sich jedes Mal beim Denken oder Sprechen ein neues Bild von der Sache machen wollte, überaus langsam sprechen und denken. Ohne die Wörter würde man beim Denken und Sprechen also nicht weit kommen. Die Wörter und damit letztlich auch die Sprache sind als Gedächtnisstütze eine kognitive Voraussetzung für menschlichen Fortschritt. Daraus folgert Leibniz, dass man die Wörter als „zifern, oder als Rechen-pfennige“ an Stelle der Sachen und Bilder gebrauche (Leibniz, Gedanken, 534 (2)). Erst beim „Vernunfft-Schlus“ gelange man zur Sache selbst; daher seien die Wörter „Wechsel-Zettel des Verstandes“ (ebd.). Wörter sind für Leibniz als Rechenpfennige „beliebig einsetzbar und von konventionell festgelegtem Wert“ (Gardt 1995, 154). Dies impliziert, wie bereits angedeutet, eine fundamentale Abkehr von den zeichentheoretischen Annahmen der Barockzeit, die Wort und bezeichnete Sache mehr oder weniger gleichsetzte und ontologisierend einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Komponenten ansetzte. Der Mensch spielt in diesem System keine nennenswerte Rolle, beide Bereiche, die Sprache wie die Dinge, sind seinem unmittelba-

336 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses ren Zugriff enthoben, er kann Sprache lediglich gebrauchen, nicht aber aktiv gestalten. Idealerweise sind Sprachsystem und göttlich-weltliche Ordnung im Zuge des ordo-Gedankens kongruent. Daher bedarf es nicht des Menschen als Vermittler zwischen Zeichen und Bezeichnetem. All dies verdichtet sich in der diskurssemantischen Grundfigur EIGENTLICHKEIT (vgl. unten, 4.4.4). Leibniz dagegen entwickelt eine rationalistische Zeichentheorie, die – letztlich in unmittelbarer Nachfolge des cartesianischen Cogito ergo sum – den Menschen als Zeichenbenutzer in den Mittelpunkt stellt und nicht von einer festen Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem ausgeht. Um dies zu verdeutlichen, seien an dieser Stelle einige Passagen in den Nouveaux Essais interpretiert, in denen der beschriebene Grundgedanke von den Wörtern als konventionell festgelegten Rechenpfennigen aufscheint, ohne dass die Münzmetapher zur Anwendung kommt. Zu Beginn des Dritten Buches Von den Worten diskutieren Philalethes und Theophilus über die Frage, welche Funktion die Sprache in der menschlichen Gemeinschaft habe. Theophilus stellt die These auf, dass es der Wunsch, sich verständlich zu machen, gewesen sei, der den Menschen zur Ausbildung der Sprache gebracht hätte. Die Wörter seien das Mittel, sich an Gedanken und Ideen zu erinnern und sie anderen mitzuteilen. Es sei nämlich viel zu aufwändig und zeitraubend, jedes Mal die Definitionen an Stelle der Termini zu benutzen (vgl. Leibniz, Abhandlungen, 5 (3)).19 Anhand einer exemplarischen Beschreibung gibt Philalethes einen Eindruck dessen, was damit gemeint ist: (4) [G]enügt es, dass wir den Zweck der Sprache und den Gebrauch der Worte festhalten, der darin besteht, unsere Gedanken abgekürzt anzuzeigen. Wenn ich zu jemandem über eine Vogelart von drei oder vier Fuß Größe sprechen will, deren Haut von etwas bedeckt ist, was die Mitte zwischen Federn und Haaren hält, dunkelbraun und flügellos, und an die Stelle der Flügel zwei oder drei kleine Zweige hat, ähnlich den Zweigen des Ginsters, die ihnen vom Unterkörper herabhängen, mit langen und dicken Beinen und mit Füßen, die nur von drei Krallen bewehrt sind, ohne Schwanz – so bin ich gezwungen, die Beschreibung zu geben, durch welche ich mich anderen verständlich machen kann. Wenn man mir aber gesagt hat,

�� 19 „Je crois qu’en effect sans le desir de nous faire entendre nous n’aurions jamais formé de langage; mais estant formé, il sert encor à l’homme à raisonner à part soy, tant par le moyen que les mots luy donnent de se souvenir des pensées abstraites, que par l’utilité qu’on trouve en raisonnant à se servir de characteres et de pensées sourdes; car il foudroit trop de temps, s’il falloit tout expliquer et tousjours substituer les definitions à la place des termes“ (Leibniz, Abhandlungen, 4).

Metaphern � 337

dass der Name dieses Tieres Kasuar ist, kann ich mich alsdann dieses Namens bedienen, um 20 im Gespräch diese ganz zusammengesetzte Idee zu bezeichnen (ebd., 137).

Wörter dienen nach Leibniz also vor allem der Zeitersparnis im Reden und der Verdeutlichung der Gedanken, sowohl für den Sprecher als auch für den Hörer, denn die Beschreibung hätte auch auf einen anderen Vogel passen können. Das Wort Kasuar aber, mit dem die Vogelart bezeichnet ist, macht es für alle am Gespräch Beteiligten deutlich, worauf sich der Sprecher bezieht. Diese Interpretation wird wenig später durch den Text bestätigt: (5) Die Worte sind ebensowohl Merkzeichen (Notae) für uns (wie es die Zahlen oder die algebraischen Zeichen sein können) als auch Zeichen für die anderen. Und die Worte werden als Zeichen sowohl dann gebraucht, wenn es sich darum handelt, allgemeine Vorschriften für die Lebenspraxis oder für Individuen zu geben, als auch dann, wenn es sich darum handelt, diese Vorschriften zu finden oder zu verifizieren. Der erste Gebrauch der 21 Zeichen ist der bürgerliche, der zweite ist der philosophische (ebd., 167).

Während Moscherosch die Münzmetapher also zur Alamodekritik verwendet und auf einen konkreten Fall von Münzfälschung (die Kipper und Wipper) verweist, ist sie für Leibniz das zentrale Bild, mit dem er das Verhältnis von sprachlichem Zeichen, konkretem Objekt und menschlicher Kognition beschreibt. Sie steht außerhalb aller feststellbaren Korrelationen mit anderen Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren. Es wird sich aber zeigen, dass Grimmelshausen die Münzmetapher auf eigenständige Weise einsetzt.

�� 20 „[C]’est assés que nous obtenions le but du langage et l’usage des mots, qui est d’indiquer nos pensées en abregé. Si je veux parler à quelqu’un d’uneespece d’oiseaux de trois ou quatre pieds de haut dont la peau est couverte de quelque chose qui tient le milieu entre la plume et le poil, d’un brun obscur, sans ailes, mais qui au lieu d’ailesa deux ou trois petites branches, semblables à des branches de genets, qui luy descendent au bas du corps avec de longues et grosses jambes, des pieds armés seulement de trois griffes et sans queue; je suis obligé de faire cette description par où je puis me faire entendre aux autres. Mais quand on m’a dit que Cassiowaris est le nom de cet animal, je puis alors me servir de ce nom pour designer dans le discours toute cette idée composée“ (Leibniz, Abhandlungen, 136). 21 „[L]es paroles ne sont pas moins de marques (Notae) pour nous (comme pourroient estre les caracteresdes nombres ou de l’Algebre) que des signes pour les autres: et l’usage des paroles comme des signes a lieu tant lorsqu’ils’agitd’appliquer les precepts generaux à l’usagede la vie, ou aux individus, que lorsqu’ils’agitde trouver ou verifier ces preceptes; le premier usage des signes est civil, et le second es philosophique“ (Leibniz, Abhandlungen, 166).

338 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses

4.3 Topoi Justus Georg Schottelius unterscheidet fünf Sprachepochen (Denkzeiten): – – – – –

Ursprung und Bildung der Sprache Die Regierungszeit Karls des Großen Die Regierungszeit Rudolfs I. Die Bibelübersetzung Luthers Die künftige Zeit, in der die deutsche Sprache frei von Fremdwörtern ist (vgl. Schottelius, Arbeit, 48 f.).

Die drei mittleren Epochen orientieren sich am Wirken historischer Persönlichkeiten, die im Diskurs eine solch große Rolle spielen, dass der Hinweis auf sie zum Topos geronnen ist. Karl der Große steht für die Sprachpflege im frühen Mittelalter, Kaiser Rudolf I. für die im Hochmittelalter und Martin Luther durch seine Bibelübersetzung für die Erneuerung und Anhebung der deutschen Sprache in der Frühen Neuzeit. Außer diesen werden in diesem Kapitel drei weitere Persönlichkeiten behandelt, auf die so stereotyp verwiesen wird, dass sie im Diskurs einen toposartigen Charakter annehmen: Adam, Ascenas und Martin Opitz. Die beiden ersten sind biblische Figuren, die im Gegensatz zu den übrigen als historische Personen nicht greifbar sind. Insbesondere um die Figur Ascenas ranken sich im 16. und 17. Jahrhundert viele Legenden. Des Weiteren sind für diese Arbeit vier Topoi von Bedeutung, die auf biblische oder historische Ereignisse verweisen. Der Sintflut werden wichtige Einflüsse auf die Entstehung der Völker zugewiesen, der Turmbau zu Babel samt der Sprachverwirrung ist das Schlüsselereignis für die Entstehung der verschiedenen Sprachen. Der Topos Reformation ist mit der sprachlichen Erneuerung durch Luther untrennbar verbunden und der Dreißigjährige Krieg wird von fast allen Diskursakteuren als ernorme Beeinträchtigung der Entwicklung der deutschen Sprache wahrgenommen.

4.3.1 Persönlichkeiten In diesem Teilkapitel werden die Topoi analysiert, die sich auf biblische oder historische Persönlichkeiten beziehen. Dies sind, in chronologischer Reihenfolge, Adam (4.3.1.1), Ascenas (4.3.1.2), Karl der Große (4.3.1.3), Kaiser Rudolf I. (4.3.1.4), Martin Luther (4.3.1.5) und Martin Opitz (4.3.1.6). Bei jedem dieser Topoi, wie auch unten bei den Topoi, die sich auf Ereignisse beziehen, werden die

Topoi � 339

Anwendungsbereiche und die Korrelationen mit anderen Topoi, mit Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren genannt, ähnlich wie bei den Metaphern. Auf die Analyse der Ausdrucksseite wird aber verzichtet (vgl. oben, 4.1). Dafür werden in Indices die Belegstellen nachgewiesen, einige von ihnen werden anschließend genauer analysiert und interpretiert.

4.3.1.1 Adam Nach Genesis 1, 27 schuf Gott den Menschen als sein Ebenbild. Der erste Mensch war Adam. Er wird im 17. Jahrhundert als der Mensch angesehen, der vor dem Sündenfall in engstem Kontakt mit Gott stand und deshalb Zugang zu Wahrheiten hatte, die dem Menschen heute verschlossen sind. Die zeitgenössischen Sprachtheoretiker interessiert vor allem diese Stelle (Genesis 2, 19 f.): Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes.

Aus der Sichtweise des 17. Jahrhunderts gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten, wie diese Stelle interpretiert werden kann: eine metaphysische und eine säkulare. Die Bezeichnungsakte durch Adam können aufgrund eines intuitiven bis mystischen Wissens um das innere Wesen der bezeichneten Gegenstände vollzogen worden sein […], oder aber Adam hat die Gegenstände völlig willkürlich bezeichnet, aus einem Bewusstseinsstand der tabula rasa heraus (Gardt 1994a, 341).

Die metaphysische Interpretation ist vor allem beim sprachmystischen und auch beim sprachpatriotischen Diskurs zu finden, die säkulare dagegen verweist bereits auf die Aufklärung und findet sich vor allem in rationalistischen Theorien. Aufgrund dieser Verteilung dominiert im hier bearbeiteten Korpus die erste Interpretationsweise. Zur metaphysischen Interpretation des Bezeichnungsaktes gehört es, dass die Namen der Tiere nicht arbiträr sind, sondern dem ,Wesen‘ des jeweiligen Tieres entsprechen. Dies bedeutet, dass „Bezeichnung und bezeichneter Gegenstand in einem nicht näher bestimmten, von der Mystik jedenfalls mit dem Natursprachgedanken erklärten Isomorphieverhältnis standen“ (ebd., 345). Weil Adam vor dem Sündenfall noch „um Substanz und Qualitäten der Dinge intuitiv wusste“ (ebd.), konnte er die ,richtigen‘ Bezeichnungen für die Tiere und Gegenstände finden.

340 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Bei der Frage, in welcher Sprache Adam diese Bezeichnungsakte vornahm, herrscht weitgehend Einigkeit: Es war das Hebräische, das damit als ,Ursprache‘ angesehen wird. Daher wird das Hebräische auch mit dem Adamischen oder der Adamischen Ursprache gleichgesetzt. Wie sich das Hebräische nach der Babylonischen Sprachverwirrung weiterentwickelte, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen (vgl. dazu unten, 4.3.2.2). In diesem Abschnitt soll es jedoch nur um Adam und die ,Ursprache‘ gehen. Anwendungsbereiche: Adamische oder Hebräische Ursprache als Ursprung aller Sprachen (1,2,3,4,5,6,10), in der Sprache Adams stimmen Lautung und Schriftgestalt überein (5), Adams Sprache blieb bis zur Babylonischen Sprachverwirrung und auch danach unverändert (6), Adam sprach die vollkommene Sprache, die alles nach seinem Wesen bezeichnet (7,8,9,10), Adam hat die Dinge nach ihrer Natur benannt (10,11,12), die Adamische Erzsprache ist gottgegeben (11,12), die Adamische Erzsprache wurde in der Babylonischen Sprachverwirrung zerteilt (11,12), das Deutsche hat mehr der Adamitisches als die meisten anderen Sprachen (9,13), der Name Adam als etymologische Grundlage für den Ausdruck Mensch (14), die deutsche Sprache ist der Adamischen überlegen (15), Polysemie der Adamischen Sprache (15), mit dem Schall der deutschen Sprache wurden Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben (16). Korrelationen: ALTER (1,4,6,9,13,14), EIGENTLICHKEIT (3,5,7,8,9,10,11,12,15), Babel (6,11,12), Sintflut (11,12), Ascenas (11,12), biologistische Metapher (1,15). Belegstellen: (1) Zesen, Rosen-mând, 99; (2) ebd., 204; (3) ebd., 234; (4) Gueintz, Entwurf, fol. )( vr; (5) Zesen, Rosen-mând, 201 f.; (6) ebd., 105; (7) ebd., 104; (8) ebd., 107; (9) Harsdörffer, Schutzschrift, 357; (10) Zesen, Rosen-mând, 111; (11) Schottelius, Sprachkunst, 59–62; (12) ders., Arbeit, 33; (13) Leibniz, Abhandlungen, 21; (14) Schottelius, Sprachkunst, 67; (15) Zesen, Rosen-mând, 202; (16) Klaj, Lobrede, 406.

Der Grund dafür, warum sich die Sprachpatrioten gerne des Topos Adam bedienten, kann anhand einiger Stellen in Zesens Rosen-mând verdeutlicht werden. Dort zeigt sich Marhold überzeugt, dass alle Sprachen im grunde ihrer natur eine sprache / oder eigendlich mund-arten der ersten seind; das ist / aus der allerersten / als der einigen hauptsprache / nähmlich der Adamischen oder Ebreischen […] mit den andern vieren / als der Deutschen / Griechischen / Lateinischen und Schlavonischen / welche ins gemein auch für hauptsprachen gehalten werden / entsprossen (Zesen, Rosen-mând, 99 (1)).

Das Deutsche wird hier für gleichursprünglich mit den anderen ,Hauptsprachen‘ Griechisch, Latein und Slavisch erklärt: Es sei mit diesen Sprachen aus dem Hebräischen entsprossen. Damit wird dreierlei bezweckt: Erstens wird das hohe

Topoi � 341

ALTER der deutschen Sprache behauptet, es gibt nur eine Sprache die älter ist als das Deutsche, nämlich das Hebräische, zweitens kann auf diese Weise das Deutsche als unabhängig von griechischen oder lateinischen Einflüssen konzeptualisiert werden. Drittens schließlich kann die deutsche Sprache als direkt aus dem Adamischen oder Hebräischen entsprossene ,Hauptsprache‘ als den vom Lateinischen abgeleiteten romanischen Sprachen überlegen angesehen werden. An anderer Stelle bezeichnet Zesen das Hebräische als die „rechte[] Mutter“ der deutschen Sprache, so dass bei Untersuchung der „Adamischen oder Ebreischen / als der rechten sprachen-mutter / aller Europeischen / auch wohl andrer sprachen oder vielmehr mund-ahrten“ der „rechte[] ursprung und [die] eigendliche bedeutung“ der deutschen Wörter herausgefunden werden kann (ebd., 234 (3)). Zesen räumt ein, dass das Lateinische und Griechische, weil sie in ihrem Ursprung deutsch seien, eine Hilfe für das Verständnis der Herkunft und Bedeutung deutscher Wörter sein können, da diese mit der Zeit oft verdunkelt worden seien. Abweichend von Beleg (1) wird hier angedeutet, dass die deutsche Sprache sogar älter als das Griechische und Lateinische und damit auch diesen überlegen sein könnte. Die damit erst recht implizierte Überlegenheit über das Französische wird anhand des Phonem-Graphem-Verhältnisses verdeutlicht: Ein Merkmal, das die deutsche Sprache besonders auszeichne, sei der Umstand, dass man die Wörter ohne Verdunklung des Stamms so schreiben könne, wie sie ausgesprochen werden. Das Negativbeispiel sei das Französische, in dem die Schreibung nicht der Aussprache entspreche. Exemplarisch führt Zesen dies beim Wort temps vor, das [tâm] ausgesprochen werde: (5) Ja eben dieses kan uns ein währtes zeugnüs sein / damit wier beweisen können / daß unsere sprache oder mundahrt / nicht so wie die Französische / oder andere dergleichen / aus fremden mund-ahrten geflossen / und die erste Adamische sprache allein für ihre mutter erkennet / und daher eine der ersten mund-ahrten sei; weil sie […] ohne sonderliche verdunkelung der uhr-buchstaben eben so kan geschrieben werden / wie sie ausgesprochen wird (ebd., 201 f.).

Die Kongruenz im Phonem-Graphem-Verhältnis ist für Zesen ein Beweis, dass das Deutsche eine der ersten Mundarten des Hebräischen sei. Der Topos dient hier also der Behauptung der Überlegenheit der deutschen Sprache gegenüber dem Französischen. Das Hebräische ist nicht nur die ,Ursprache‘ für Zesen, sondern auch heute noch allen anderen überlegen: Die Heilige Schrift bezeuge eindeutig, dass die Adamische Sprache bis zur Babylonischen Sprachverwirrung unverändert geblieben und auch danach nicht mehr verändert worden sei, wodurch sie sich von allen anderen aus ihr „entsprossenen sprachen / oder vielmehr mund-ahr-

342 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses ten“ (ebd., 105 (6)) unterscheide. Die Hebräische oder Adamische Sprache sei nicht nur die älteste aller Sprachen, sondern auch die vollkommene und ebenmäßige. Dies sei sie durch Gottes Eingebungen: (7) GOtt hatte ihm [Adam] solche folkommene weisheit eingeschaffen / daß er ein iedes ding / was ihm zu gesichte sties / straks / und nicht von ohngefähr oder oben hin / sondern nach angebohrner art und eigenschaft der geschöpfe / mit besondern / füglichen und eignen unterschiedlichen nahmen nennen / und eigendlich beschreiben mögen / wie uns Gott selbst durch Mosen solches geoffenbahret (ebd., 104).

Was Zesen in Beleg (7) beschreibt wird unten (4.4.4) als die diskurssemantische Grundfigur EIGENTLICHKEIT behandelt. Hier zeigt sich, dass diese Grundfigur wesentlich durch den Topos Adam mitkonstituiert wird. Gott hat Adam die Fähigkeit verliehen, jedes Geschöpf in seiner angeborenen Art und Eigenschaft zu sehen und ihm den einen, ihm entsprechenden Namen zu geben. Den Wörtern der ,Ursprache‘ ist demnach das Wesen dessen, was sie bezeichnen, inhärent, sie sind dessen ureigenster Ausdruck. Durch die Zeitläufte und die Babylonische Sprachverwirrung wurde dieses Verhältnis, mit Ausnahme des Hebräischen (jedenfalls in Zesens Version) zerstört. Da das Deutsche aber, wie den Belegen (1), (3) und (5) zu entnehmen ist, aus dem Hebräischen geflossen ist, hat es noch relativ viel von der inneren Wahrheit der hebräischen Sprache behalten und ist deshalb dem Sein näher als die meisten anderen Sprachen. Daraus ergibt sich die Überlegenheit des Deutschen gegenüber den meisten anderen Sprachen, das Hebräische ausgenommen. Damit erweist sich der Topos Adam auch als Überlegenheitstopos. Die Vollkommenheit der hebräischen Sprache leitet Zesen auch aus der seit Platon bestehenden Diskussion, ob zwischen den Wörtern und den sie bezeichnenden Dingen ein natürliches (physei-These) oder ein künstliches Verhältnis (nomo-These) bestehe, ab. In dieser Frage gebe es unter den Gelehrten keine Einigkeit. Manche leiten, so Zesen, aus der stetigen Veränderung der Sprachen her, dass die Benennung der Dinge willkürlich und zufällig und auf die Zustimmung der Menschen angewiesen sei; andere wiederum sagen, dass die Wörter Werkzeuge seien, mit denen die Dinge bezeichnet werden und da diese sich nicht veränderten, veränderten sich auch die Wörter nicht; daher folge die Sprache der Natur der Dinge. Manche seien von dieser These sogar so überzeugt, dass sie das Wesen der Dinge aus den Eigenschaften der sie bezeichnenden Wörter ableiten wollten. Zesen selbst lässt beide Meinungen zu, jeweils aus einer bestimmten Sichtweise. Dies begründet er durch einen Rückgriff auf Adam: Daß Adam zuerst allein aus natürlichem antrieb und nach den eigenschaften der dinge / (deren folkommene in- und äusserliche erkäntnüs im von Got verliehen war / und sotha-

Topoi � 343

nig / daß er die gantze natur-sprache […] lesen / vernehmen und verstehen konnte / ) die geschöpfe benahmet / ist allezeit war (ebd., 107 (8)).

Genauso wahr sei es aber, dass man die Dinge auch anders benennen könnte; dennoch neigt Zesen eher der physei-These zu: [A]ber nichts deszu weniger flüßet solches nenn-wort nicht allein aus dem rechten grunde der alten sprache / sondern auch aus dem grunde der natur und eigenschaft des benennten dinges selbst: welche dem benenner im sinne schwebet / und ihn gleichsam unvermärkt antreibet / daß er das ding so und so / fast ohne sein wissen / daß ers thut / benahmet (ebd.).

Im Folgenden deutet sich eine Theorie der Motiviertheit an, die jedoch vage bleibt: [N]ämlich / daß das ding warm oder kalt / groß oder klein / lang oder breit / schwartz oder weis / kräftig oder schwach / stehe oder gehe / schwebe oder fliege / gesund oder kranck / oder von dergleichen unzählichen eigenschaften / zufälligkeiten und gestaltungen eine an sich habe / darnach es genennet worden (ebd., 108).

Daran knüpft Zesen eine recht abenteuerliche Herleitung der Bezeichnungen für die Himmelsrichtungen an: Ost sei eine Zusammenziehung des Wortes Urstand oder Ohrstand; Osten sei die Richtung, in der am Morgen die Sonne auf die Urstelle komme und aus der Nacht hervorbreche; das Fest zu Jesu Auferstehung werde deshalb auch Ostern genannt. Auch die anderen Himmelsrichtungen werden durch solche Etymologien erklärt. Nach Zesen folgen sie aber dem „grunde der sprache“ (ebd., 109).22 Die Adamische Ursprache ist aufgrund ihrer EIGENTLICHKEIT demnach auch der Schlüssel zur Erkenntnis der Dinge. Die Bezeichnungen sind durch die Eigenschaften der Dinge motiviert und mittels der Methode der Etymologie ist nach Zesen der Kundige in der Lage, dem Urgrund der Dinge auf die Spur zu kommen. Der Nachweis der relativen Nähe des Deutschen zur Adamischen Ursprache ist daher für Zesen der Weg, das Deutsche zu einer für Wissenschaft, Theologie und Dichtung relevanten Sprache zu machen. Diesem Zweck dient letztlich der Topos in Zesens Rosen-mând. Auch in anderen Texten wird Adams Rolle bei der Benennung der Dinge reflektiert. Harsdörffer geht von der Naturnähe der deutschen Sprache aus, aus der er weitreichende Folgerungen zieht, was den Ursprung, die Geschichte und das Verhältnis der deutschen Sprache zu anderen Sprachen betrifft: Die Natur redet in allen Dingen / welche ein Getön von sich geben / unsere Teutsche Sprache / und daher haben etliche wähnen wollen / der erste Mensch Adam habe das Geflügel

�� 22 Zu Zesens Etymologien vgl. Kap. 3, Anm. 16.

344 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses und alle Thier auf Erden nicht anderst als mit unseren Worten nennen können / weil er jedes eingeborne selbstlautende Eigenschafft Naturmässig ausgedruket (Harsdörffer, Schutzschrift, 357 (9)).

Daher dürfe man sich nicht wundern, dass die Stammwörter des Deutschen zum größten Teil mit der heiligen Sprache des Paradieses gleichstimmig seien. Harsdörffer geht damit sogar noch einen Schritt weiter als Zesen. Während für diesen die Vorrangstellung des Hebräischen unbestreitbar ist, scheint für jenen die Nähe des Deutschen zur ,Ursprache‘ so groß zu sein, dass er nahe daran ist, das Deutsche mit der Ursprache zu identifizieren. Allerdings bleibt er hinter der Radikalität zurück, mit der der so genannte Oberrheinische Revolutionär 1509 diesen Gedanken äußert.23 Dagegen repräsentiert, wie für Zesen, für Schottelius die hebräische Sprache die vollkommene Sprache, in der die EIGENTLICHKEIT restlos realisiert ist, und die durch die Babylonische Sprachverwirrung zerspalten wurde: (11) Es ist aber zu mercken / daß es eine Verwirrung / und nicht eine Erschaffung newer Sprachen gewesen / denn dieselbige allervollenkommenste Ertzsprache / welche dem Adam gegeben / und nach welcher der Adam alle dinge / und zwar nach jhrer rechten Eigenschafft benahmet hat / und die biß auf dieselbe Zeit der Noa und seine Nachkommen behalten hatten / dieselbige eintzige Welt-Sprache ist durch Göttliche Allmacht also zerworren / verdorben und zertheilet in vielerley dialectûs und idiomata, daß sie sich untereinander gar nicht verstanden (Schottelius, Sprachkunst, 61 f.).

In seinen Nouveaux Essais identifiziert Leibniz die ,Ursprache‘ mit keiner der bekannten Sprachen. Er stellt weitreichende Sprachverwandtschaften fest, auf denen große Übereinstimmungen unter den Sprachen beruhen. Dieser Befund führt ihn zu der Annahme, dass es einen gemeinsamen Ursprung aller Völker und aller Sprachen geben müsse. Diese ,Ursprache‘ sei stark verändert und das Arabische und das Hebräische kämen ihr vielleicht am nächsten. Das Deutsche habe mehr Natürliches oder, hier verweist er auf Jacob Böhme, Adamitisches als die meisten anderen Sprachen. Leibniz bedauert, dass über diese ,Ursprache‘ nur wenig bekannt sei: Wäre das Wissen um sie größer, dann könnte man die Gründe für die vielen Verknüpfungen zwischen den Sprachen, seien sie nun von physischer oder willkürlicher Ursache, besser erkennen; zumindest sei aber erkennbar, dass die heutigen Sprachen nicht willkürlich seien, sondern auf den

�� 23 „Darus kan alman warlich verston, daß Adam ist ein tuscher man gewesen; darumb heissen wir tuschen in allen sprochen ,almans‘, wan for der zerstorung was tusch almans sproch. […] der sproch, den Adam sproch, das ist almantz sproch, darumb die tuschen hiessen in latin ,almani‘“ (Revolutionär, 127).

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alten Sprachen beruhen (vgl. Leibniz, Abhandlungen, 21 (13)). Was Leibniz hier beschreibt, ist letztlich ein Vorgriff auf die ein knappes Jahrhundert später erfolgte Entdeckung der indoeuropäischen Sprachverwandtschaft, wobei das Indoeuropäische, wenn es dieses als eigenständige Sprache jemals gegeben haben sollte (was mit guten Gründen bezweifelt werden kann), mit der ,Ursprache‘, wie Leibniz sie annimmt, zu identifizieren ist. Er geht damit sprachtheoretisch weit über die anderen Diskursakteure hinaus, denn für diese ist letztlich vor allem der Ursprung des Deutschen, der so früh wie möglich angesetzt wird, von Relevanz. Im Zuge seiner Etymologie der Wörter deutsch und Mensch setzt Schottelius Adam mit Mann gleich: Teut sei der Name, den viele Völker Gott gegeben hätten. Nach ihm hätten sich die Vorfahren benannt, aus dem Adjektiv teutisch sei schließlich teutsch entstanden. Das gleiche Wortbildungsprinzip wendet Schottelius auch bei Mensch an: (14) Denn durch Teut haben die Barden oder alte Teutsche Poeten den Schöpffer aller Menschen / und durch Mann den ersten Sohn deß Schöpffers den Adam verstanden / und darumb einen jeden / von dem Manne / Männisch oder Mensch genant / eben wie man von Rom ableitet Römsch / Pol Pölnisch oder Polsch / also Mann Mennisch oder Mensch / der von dem ersten Manne herkommen: Sind also nemlich Teut und Mann die rechten Würtzelen der Wörter Teutsch und Mensch (Schottelius, Sprachkunst, 67).

Dass der Topos Adam zur etymologischen Herleitung des Substantivs Mensch gebraucht wird, zudem in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Herleitung der Bezeichnung deutsch aus göttlichem Ursprung, ist ein Indiz für das hohe Prestige, das der Topos genießt; daher wird er häufig zur Begründung des besonderen Status der Deutschen und ihrer Sprache im Vergleich zu den anderen Völkern und Sprachen herangezogen. Vom Nachweis der Nähe zum Hebräischen und damit zur Adamischen Ursprache soll das Deutsche profitieren. Gelegentlich wird der Topos überdreht und sogar die Überlegenheit der deutschen Sprache über das Hebräische behauptet, weil sie stärker dem Ideal der EIGENTLICHKEIT entspreche. Am eindrucksvollsten ist dies im Rosen-mând Zesens der Fall: „Darüm darf ich wohl sagen / daß unsere itzige sprache bedeutlicher / eigendlicher / unterschiedlicher und ausgearbeiteter / ja daher folkomner ist als die erste Adamische oder Ebreische“ (Zesen, Rosen-mând, 202 (15)). Hier dient sogar das Hebräische als Negativfolie: Dort sei man nicht so weit, dass man die Buchstaben zu mehr Wörtern kombinieren könne, um die Polysemie abzubauen. Aufgrund der Polysemie seien noch viele Wörter undeutlich und stifteten Verwirrung; genau diese Polysemiereduktion sei „in der unsrigen [Sprache] geschehen“ (ebd.). Zesen dreht also die oben beschriebenen Gütequalitäten des Hebräischen, aufgrund derer sie (auch und vor allem von Zesen!) als höchste

346 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses und vollkommenste gepriesen worden war, um 180 Grad und erklärt diese Gütequalitäten zu Mängeln, aufgrund derer die deutsche Sprache ihr überlegen sei. Der Deszendenz von der vollkommenen ,Ursprache‘ zu den weniger vollkommenen ,Hauptsprachen‘ wird in diesem Beleg eine Aszendenz von der weniger vollkommenen ,Ursprache‘ zur vollkommenen deutschen Sprache gegenübergestellt.24 Zum Abschluss des Kapitels sei noch ein Kuriosum erwähnt, das sich bei Klaj findet, als er die Vorurteile referiert, die der deutschen Sprache entgegengebracht werden: Einem Spanier am Kaiserhof sei die deutsche Sprache „schwer und rauh“ vorgekommen, weshalb er gesagt habe, dass die Deutschen nicht redeten, sondern donnerten und er glaube, dass Gott, als er Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben habe, in dieser „grausamlautenden Sprache“ gesprochen habe (Klaj, Lobrede, 406 (16)); daraus könne man sehen, dass der bloße Schall der deutschen Sprache den Menschen Furcht einjage. Hier wird der Topos also nicht verwendet, um das Prestige der deutschen Sprache zu steigern, sondern dazu, ihr schlechtes Ansehen im Ausland zu illustrieren. Natürlich ist Klaj nicht dieser Meinung, sondern er versucht, die Meinung des Spaniers, so die Geschichte wahr ist, zu widerlegen. Die Analyse hat gezeigt, dass hinter dem Topos Adam etwa folgender Argumentationsgang steckt: Nach biblischem Zeugnis hat Gott Adam nach seinem Ebenbild erschaffen. Aufgrund der Nähe Adams zu Gott vor dem Sündenfall war er in der Lage, die Gegenstände nach ihrem inneren Wesen zu benennen. Diese Fähigkeit ging nach dem Sündenfall und insbesondere nach der Babylonischen Sprachverwirrung verloren. Die Sprache, in der Adam die Dinge benannt hat, ist nach allgemeinem Konsens das Hebräische, das damit den Status der ,Ursprache‘ erhält. Aufgrund seiner Naturnähe ist das Hebräische auch als vollkommene Sprache anerkannt. Nach der Sprachverwirrung entwickelte sich eine – je nach benutzten Quellen und Autor unterschiedliche – Anzahl von Sprachen. Eine von diesen ist nach allgemeiner Auffassung das Deutsche, dem damit der Status einer ,Hauptsprache‘ zukommt. Weil Adam die Dinge nach ihrem Wesen benannt hat, sind die hebräischen Wörter dem Ideal der EIGENTLICHKEIT, das die Seinsadäquatheit der Sprache annimmt, überaus nahe. Diese Eigenschaft hat sich auf die deutsche Sprache mehr übertragen als auf alle anderen Sprachen, was insbesondere mit der Anzahl der Stammwörter (vgl. unten, 4.4.4) begründet wird. Aufgrund ihres ALTERS und ihrer EIGENTLICHKEIT ist

�� 24 Solche Widersprüche, die Zesens Werk wie ein roter Faden durchziehen, sind m.W. noch nicht systematisch aufgearbeitet worden. Dies wäre ein interessantes Forschungsgebiet, zu dem an dieser Stelle nicht mehr beigetragen werden kann.

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die deutsche Sprache allen anderen Sprachen überlegen, weil sich in ihr die göttliche Ordnung mehr widerspiegelt als in den anderen. Daher sollte sie als Sprache der Dichtung und der Wissenschaften erheblich mehr Anerkennung finden als bisher. Der Topos Adam ist damit ein grundlegender Topos für die sprachideologische Konstruktion, die den sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts maßgeblich bestimmt.

4.3.1.2 Ascenas Sämtliche Versuche, die Herkunft des deutschen Volkes und der deutschen Sprache auf Ascenas zurückzuführen, beziehen sich auf folgende Stelle in der Völkertafel (Genesis 10, 2 f.): „Die Söhne Jafets sind Gomer, Magog, Madai, Jawan, Tubal, Meschech und Tiras. Die Söhne Gomers sind Aschkenas, Rifat und Togarma“. Ascenas ist damit ein Urenkel Noahs und stammt in direkter Linie von Adam ab. Diese Herkunft ist es wohl, die ihn als mythischen Stammvater der Deutschen attraktiv machte. Seit der Wiederentdeckung der Germania des Tacitus Mitte des 15. Jahrhunderts wurde der Ursprung der Deutschen mit dem sagenhaften Tuisco oder Tuisto verbunden. Tacitus schreibt diesbezüglich: „In alten Liedern, der einzigen Art ihrer geschichtlichen Überlieferung, feiern die Germanen Tuisto, einen erdentsprossenen Gott. Ihm schreiben sie einen Sohn Mannus als Urvater und Gründer ihres Volkes zu, dem Mannus wiederum drei Söhne“ (Tacitus, Germania, 5 / 7; übersetzt von Manfred Fuhrmann).25 Nach Arno Borsts Interpretation wollte Johannes Turmair (Aventin) diesem römisch-heidnischen Herkunftsmythos einen alttestamentarischen Ursprung der Deutschen entgegensetzen: Nachdem Aventin zahlreiche Namen der mosaischen Völkertafel aufgenommen hatte, wollte er wohl auch den Deutschen neben dem berossisch-taciteischen Tuisco einen genuin alttestamentlichen Ahnherrn geben und wählte dafür […] Ascanius-Aschkenaz, Gomers Sohn. Aventin ist also der Vater dieser bald allgemein anerkannten Genealogie. Bei ihm war Aschkenaz der jüngere Verwandte des Tuisco (Borst 1957–1963, 1059).

Ein Blick in Aventins Bayerische Chronik (1526–1533) lässt jedoch Zweifel an dieser Interpretation aufkommen. Im 5. Kapitel der Chronik berichtet Aventin von der Aufteilung der Welt nach der Sintflut und der Rolle des Tuisco:

�� 25 „Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum. ei filium Mannum, originem gentis conditioremque, Manno tris filios assignat“ (Tacitus, Germania, 4 / 6).

348 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Und da Noah die beschreibung und außtailung […] pêder, land und leut, in zehen jaren verpracht hete, kert er wider in Armeniam, erwelt im seines suns des Tuitschen oder Teutschen, (im latein und kriechischen Tuischon genant, den er nach der sindflueß geport het und der Teutschen erster vatter und künig ist) nachkommen zu sünen, darauß der Teutschen manhait und tapferkait über ander völker bezeugt wirt; und vermaint er, der Noah, disen Tuitschen oder Teutschen, seinen sun, in Europam zu schicken, richt und verordnet alles zu solcher rais dienent und notturftig, zueaigenet ietzgemeltem seinem sun dem Tuitschen alle land und gegent von dem Rein piß an den wasserflueß Don, so in dem mosquitischen herzogtum entspringt, durch die Tartarei rinnet, Asien von Europa tailet. Dises land haissen die alten Großgermanien (Aventin, Chronik, 52 f.).

Tuisco ist demnach nicht der Urenkel, sondern der Sohn Noahs, und er wurde nach Europa geschickt, um dieses mit den Seinen zu besiedeln. Diese Version der Geschichte ist nicht durch die Bibel zu belegen, der letzte Teil der zitierten Passage deutet aber die Motive an, die hinter dieser Konstruktion stehen: die Rückführung der Deutschen auf biblische Ursprünge und die Legitimation ihres Anspruchs auf die Vorherrschaft in Europa. Mit diesem unverkennbar patriotischen Impetus ist Aventins Geschichtskonstrukt ein schönes Beispiel für eine Erfindung von Tradition (vgl. Hobsbawm 2011 und oben, 183 f.), ein sehr erfolgreiches dazu, wie dieses Teilkapitel zeigen wird. Nahezu gleichzeitig mit Aventin, der den Ursprung des deutschen Volkes auf Tuisco zurückführt, schreibt Martin Luther den Ursprung der deutschen Sprache Ascenas zu: Mundus est divisus in tres partes, et quamlibet inhabitarunt filii unius filii Noe, et Moses dicit Iaphet cum suis geraten gegen Mitternacht, et nos de hoc filio prognati sumus: germani, poloni, reusschen etc. moschabiter, Medai medi, Cythium puto macedoniam esse etc. Assanas germanicam linguam docuit (Luther, WA Bd. 14, 209 [1523]).

Wie verhalten sich nun Tuisco und Ascenas zueinander? Diese Frage zu klären ist äußerst kompliziert, weil im 16. Jahrhundert mehrere Versionen der Geschichte diskutiert werden. Andreas Gardt (1994a, 351 f.) beschreibt die Sachlage so: 1498 veröffentlichte der Dominikaner Giovanni Nanni (lat. Annius) ein Werk, das die angebliche babylonische Urgeschichte eines gewissen Berossos aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert kommentiert. Nach diesem Werk hat Noah einen Sohn namens Tuyscon gehabt, den Annius mit dem germanischen Gott Tuisto, von dem Tacitus (vgl. oben) berichtet, identifiziert. Aventin bezieht sich offenbar auf Annius. „Der Name Tuyscon bzw. Tuisto begegnet dann in den Varianten ,Tuison‘, ,Tuisco‘, ,Duisko‘, ,Tuitscho‘ etc., und man sieht, dass sich eine etymologische Verbindung zu ,deutsch‘ ohne allzuviel Phantasie anbietet“ (ebd., 351). 1538 stellt Melanchthon die Verbindung her, indem er „die Ascanes etymologisch zu Tu–iscones werden lässt, was den heidnischen Gott letztlich zu einer

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Art Personifizierung des biblischen Ascenas macht“ (ebd.). Andere Autoren identifizieren Tuisco und Ascenas einfach, ohne auf einen – biblisch nicht belegten – zusätzlichen Sohn Noahs oder auf heidnische Götter zurückzugreifen. Kompliziert wird der Sachverhalt außerdem durch Behauptungen der Art, dass Tuisco lediglich ein anderes Wort für lat. ,deus‘ sei oder dass die ,Askanier‘ zwar von Ascenas, die ,Germanier‘ aber von To-Garma, einem Bruder des Ascenas, abstammen. Deutungen dieser Art scheinen in den zeitgenössischen Texten in geradezu unbegrenzter Zahl vorhanden zu sein (ebd., 352).

Wie kann der Topos angesichts eines solchen Durcheinanders von Spekulationen und Etymologien sinnvoll beschrieben werden? Für den Rahmen dieser Arbeit bietet sich folgende Lösung an: Weil in den meisten Belegen von Ascenas die Rede ist, wird dieser Name auf der Metaebene als Bezeichnung für den Topos verwendet. Auf der Objektebene werden die verschiedenen mythischen Stammväter der Deutschen unter dieser Bezeichnung zusammengefasst, wobei keine Rücksicht auf das Verhältnis von Tuisco und Ascenas – sofern es überhaupt thematisiert wird – genommen wird. Anwendungsbereiche: Ascenas als Stammvater der Deutschen (1,2,3,4,5,6,7,8), Ascenas brachte die deutsche Sprache nach Deutschland (1,2,4,9,10,11,12,13,14), Ascenas’ Nachkommen breiten sich in Deutschland aus (15), Fürstentum Anhalt als Land der Ascanier (4,7,10, 16,17), Ascenas als erster deutscher König (6,18), Herleitung der Bezeichnung deutsch von Tuisco / Ascenas (19,20), Ascenas als Urheber der deutschen Sprache (3,20,21), Ascenas als Erfinder der deutschen Buchstaben (6,22,23,24,25), Ascenas als Urahn Karls des Großen (4), Ascenas als Tugendvorbild (26,27), Prophezeiung des Ascenas vom Untergang der Deutschen (21). Korrelationen: Babel (1,2,4,7,9,10,11,19,20), Karl der Große (2,3,4,6,11), Sintflut (2,6), Rudolf I. (3), ALTER (7,8,12,14,16,18,20,21,24,25), Adam (9,10), Pflanzenmetapher (13), REINHEIT (15,16), Knechtschaftsmetaphorik (16,21), Dreißigjähriger Krieg (16), Muttermilch (16). Belegstellen: (1) Klaj, Lobrede, 391; (2) Hille, Palmbaum, 91 f.; (3) ebd., 39* (4) Neumark, Palmbaum, 113–115; (5) Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 124; (6) Zesen, Rosen-mând, 127; (7) Schottelius, Sprachkunst, 64; (8) Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijr; (9) Schottelius, Sprachkunst, 62 f.; (10) ders., Arbeit, 34; (11) ebd., fol. br; (12) Zesen, Rosen-mând, 230 f.; (13) Stieler, Stammbaum, fol. )()()()(r; (14) ebd., fol. )()()()(r–)()()()(v; (15) Neumark, Palmbaum, 115 f.; (16) Hille, Palmbaum, 6 f.; (17) Neumark, Palmbaum, 27* f.; (18) Gueintz, Entwurf, 8 f.; (19) ebd., 2 f.; (20) Ertzschrein, 267; (21) Moscherosch, Gesichte, 168; (22) Zesen, Spraach-übung, 18; (23) ebd., 44; (24) Hille, Palmbaum, 118; (25) Neumark, Palmbaum, 128; (26) Logau, Sinngedichte, 295; (27) Neumark, Palmbaum, 33.

350 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Nach Johann Klaj ist Ascenas nicht nur der Stammvater der Deutschen, sondern aller europäischen Völker: (1) Dann / aus Vbereinstimmung Göttlicher und Weltlicher Geschichten / auch der Gelehrten fast durchgehenden Meinung / merkwürdig: Daß / nachdem den stoltzen Thurnbauern zu Babel / durch Verwirrung der Sprachen / das Handwerk geleget worden / ist Ascenas / des Ertzvaters Noe Nef / durch klein Asien in Europen gezogen / sich daselbst nidergelassen / die Länder angebauet / getheilet / bewohnet / und ein Vater aller Celtischen Völker worden: Nemlich der Völker / welche hernach gewohnet in denen Ländern / die wir jetzund Teutschland / Frankreich / Spanien / Engeland / Schotland / Norwegen / Schweden und Dennemark heissen (Klaj, Lobrede, 391).

Dies ist allerdings eher die Ausnahme, meist wird Ascenas als Stammvater nur der Deutschen angesehen. Als solcher genießt er vor allem im Umkreis der Fruchtbringenden Gesellschaft große Verehrung. Hille widmet ihm etwa ein Lobgedicht, in dem er eine Tradition von der Sintflut bis zu Karl dem Großen konstruiert: Nach den Sündenrächerfluten hätten Noahs Nachkommen den Babylonischen Turm gebaut, weshalb Gott ihre Sprache verwirrte. Danach trat Ascenas auf den Plan. (2) Japhet / Noae / ältster Sohn / wie dieselben Schriften melden / | Hat den Gomar erst erzeugt / Gomar Ascenas, den Helden. | Und bey diesem ist geblieben unsre Teutsche Heldensprach / | Die Geschlechter seines Stammes / haben sie geredet nach. | Dieser hat das Teutschland erstlich in Besitz genommen / | Von dem auch / in kurtzer Zeit / grosse Völker sind gekommen. | […] | Der Tuiscon ists / von dem wir uns alle Teutsche nennen / | Den wir für des Stammes Haubt aller Teutscher Völker kennen / | Diesem haben unsre alten Heldenlieder ausgedacht / | Womit sie sein Lobgerüchte aller Welte kund gemacht. | Welcher Lieder Heldenruf hat von Jahr zu Jahr getönet / | Bis den wunder tapffern Carl die Käiserkron gekrönet (Hille, Palmbaum, 91 f.).

Im Vorspann zum Palmbaum stellt Harsdörffer Ascenas in eine Reihe mit den anderen großen Pflegern und Förderern der deutschen Sprache, mit Karl dem Großen und Rudolf I. (vgl. unten, 4.3.1.3 und 4.3.1.4): (3) AsCenas | Der Großvater | TeVtsCher HeLDen / | VnD | Ihrer SpraChe Vrheber (Hille, Palmbaum, 39*).

Die Zahlwerte des Chronogramms ergeben 1866. Dies ist das Jahr nach Erschaffung der Welt, um welches Ascenas gelebt haben soll. Hier wird Ascenas nicht nur als Gründer des deutschen Volkes, sondern explizit auch als Urheber der deutschen Sprache angegeben. Es wird allerdings nicht ganz deutlich, ob dieses Urheber vielleicht sogar als Schöpfer zu verstehen ist.

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Während Harsdörffer an anderer Stelle Ascenas als „der Teutschen Stammvatter“ bezeichnet (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 124 (5)), bezieht sich Zesen auf Tuisco, den er explizit als Erfinder der deutschen Schrift benennt, die damit älter sei als die griechische: „[D]aß die alten Deutschen Griechische buchstaben gehabt / als wan man schriebe / daß sie ihre eigne gebraucht / welche des Nohe sohn oder vielmehr Neffe Duisko oder Deut / der algemeinen Detschen vater und könig / erfunden“ (Zesen, Rosen-mând, 127 (6)). Schottelius nutzt den Topos, um den Deutschen einen göttlichen Ursprung zu verleihen. Dabei greift er sogar auf das Hebräische zurück: Die Juden nennen die Deutschen Aschenasim, weil Ascenas „ein Vater der Ascanier oder der Teutschen“ sei (Schottelius, Sprachkunst, 64 (7)). Indem er den Namen der Grafschaft Askanien im Fürstentum Anhalt auf Ascenas zurückführt, erweist er zudem Fürst Ludwig von Anhalt, dem Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, Ehre (vgl. auch Belege (16) und (17)). Auf diese Weise leitet Schottelius den „allerherrlichsten / den allerruhmwürdigsten“ (ebd.) Ursprung der Deutschen her, den jemals ein Volk gehabt habe. Für Kaspar Stieler sind das Deutsche und das Griechische gleichursprünglich und stammen aus derselben Familie; davon grenzt er das Lateinische ab, das erst viel später entstanden sei: (8) Daß die Lateinische und Griegische Sprache mit der unsern ofters übereinklinge / ist kein Wunder / weil Javon / von dem die Griechen stammen / und Aszenas / der Teutschen Erzvater / zweyer Brüder Kinder gewesen: Rom aber vierzehnhundert Jahr / nachdem die die Teutsche schon ihre Könige / Regiment und Sprache vollkommen gehabt / erst gebauet / und der Anfang zu ihrer Flicksprache gemacht worden (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijr).

Auffallend oft wird betont, dass Ascenas mit den Seinen nach Europa gezogen sei und den Kontinent besiedelt habe. Schottelius etwa beschreibt Ascenas als Stammvater aller keltischen Völker: (9) Nach dem nun also die einige allgemeine Sprache zertrennet / und die Menschen über die gantze Welt her zerstrewet worden / ist Ascenas / als ein Oberhaußvater seines Geschlechts mit seinem gantzen Geschlechte durch klein Asien in Europen gezogen / sich daselbst niedergelassen / die Länder ausgetheilet / dieselbe gebawet / allerhand Ordnungen gemacht / und ist also ein Vater aller Celtischen Völcker geworden: Nemlich aller Völcker / welcher hernacher gewohnet in den Länderen / die wir jetzund Teutschland / Franckreich / Spanien / Engelland / Schottland / Norwegen / Lapland / Schweden / Dennemarck / Thranien [sic!; gemeint ist Thrakien] und Jllirien heissen (Schottelius, Sprachkunst, 62 f.; vgl. auch Schottelius, Arbeit, 34 (10)).

Zesen benutzt den Ascenas-Topos, um das höhere ALTER der deutschen Sprache gegnüber dem Lateinischen und dem Griechischen zu erweisen. Es stehe fest,

352 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses daß Jafets kinder und nachkommen / die uhralten Deutschen / oder wie man sie sonst genennet / sich durch gantz Europe / auch selbst mit der zeit in andere teile der welt ausgebreitet / und in sonderliche völker geteilet / welche ihnen auch sonderliche nahmen erwählet (Zesen, Rosen-mând, 230).

Aus der Nachgeschichte der Sintflut leitet Zesen dann ab, dass die Deutschen und ihre Sprache vor den Griechen und Lateinern da gewesen seien: (12) Weil nun auch / allem ansehen nach / vermuhtlich / daß die kinder Jafets eine solche sprache gehabt / die nachmahls vom grössesten und mächtigsten volke unter ihnen / den Deutschen / auch die Deutsche genennet worden: und man gewis weis / daß solche Deutschen / (als der Askanier / welche vom Askenas herkommen / und der Germanier / die vom To-Garma vielleicht entsprossen / kinder / oder brüder / oder Vettern / ) eher gewesen / als die Griechen und Lateiner (ebd.).

Mit etymologischen Argumenten versucht Zesen anschließend zu beweisen, dass die Lateiner von den Tusziern oder Toskaniern abstammten, die ihren Namen von den To-Askaniern hätten, also von Ascenas „oder nach itziger deutschen aussprache / des Aschens nachkommen“ (ebd.). Daraus müsse, so Zesen weiter, gewis folgen / daß die Deutsche sprache eher gewesen sei / als die Griechische und Lateinische; welche nuhr mund-ahrten der Deutschen seind / und aus der Deutschen sprache / eben wie das Griechische und Lateinische volk von dem Deutschen volke / entsprossen und so seind die Griechen und Lateiner dem uhrsprunge nach Deutsche / und haben auch eigendlich eben daher eine Deutsche sprache oder mund-ahrt / nuhr daß sie den nahmen und ihre gestalt / wie es zu geschehen pfleget / von jahren zu jahren verändert (ebd., 230 f.).

Die Konstruktion, die Zesen hier entwickelt, soll also nicht nur das höhere Alter der deutschen Sprache gegenüber dem Lateinischen und Griechischen belegen, sondern sie soll auch beweisen, dass Griechen und Römer tatsächlich von den Deutschen abstammen. Dieser kühne Gedankengang, der sich in abgeschwächter wie in verschärfter Form auch bei anderen Autoren findet26, zielt letztlich auf

�� 26 Ein Beispiel für die verschärfte Form findet sich bei Christoph Besold (1577–1638), der behauptete, in Babel seien zwei Kernsprachen aus der gottgegebenen Stammsprache Hebräisch entstanden, nämlich Latein und Deutsch als Mütter der romanischen und der germanischen Sprachen. Er hielt damit am Konzept der drei ,heiligen‘ Sprachen fest, ließ aber das Griechische zugunsten des Deutschen fallen. „Besold vermutete sogar, man könne vielleicht in Indianer-Dialekten Reste des Kimbrischen oder des Altdeutschen finden, da Amerika, mit der Insel Atlantis identisch, nach der Sintflut von japhetitischen Skythen besiedelt worden sei; im Hintergrunde, nicht namentlich genannt, tauchen also Gomer und Aschkenas als Väter der deutschen Sprache und der halben Welt auf“ (Borst 1957–1963, 1345).

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die Steigerung des Prestiges des deutschen Volkes und der deutschen Sprache sowohl im In- als auch im Ausland ab. Für Kaspar Stieler ist die Geschichtskonstruktion von Ascenas als Stammvater der Deutschen so selbstverständlich, dass er ihren Beweis für nicht notwendig erklärt. Im Gegenteil liegt die Beweispflicht bei denen, die sie bezweifeln: (13) Wer demnach die in dem Teutschen durchaus bekante Wörter / aus Rom / Atehn oder Paris herholen will / der muß entweder leugnen / daß die Teutsche Sprache mit dem Aszenas / als eine Haubtsprache aus dem Lande Sinear / nacher Teutschland gebracht / und darinnen / nach underschiedlichen Mundarten / von deßen Nachkommen fortgepflanzet worden / oder beweisen / daß die Teutsche von den Griechen / Lateinern oder Franzosen ausgegangen / oder aber zu ihnen / die Sprache zuerlernen / gereiset / oder so lange stumm verblieben / bis ein Römer / Griech oder Franzose Sie / was diß und jenes bedeute / und wie es zu nennen sey / angewiesen hätte (Stieler, Stammbaum, fol. )()()()(r).

Stielers Version der Geschichte vom Ursprung des deutschen Volkes ist folgende: (14) Man weis ja aus der Zeitkunde oder Chronologia, daß erst im Jahr 3212. nach Erschaffung der Welt / Rom erbauet / und von allerhand zusammen gelaufenen Völklein / derer Sprachen vielerley gewesen / bewohnet worden / auch die Lateinische Sprache under ihnen etliche hundert Jahre lang ungewiß und barbarisch gewesen; da hingegen im Jahr 1780. nach der Welt Anfang die Teilung der Erde von dem Erzvater Noa vorgangen / und Aszenas sich nacher Europa und Abendwärts gewendet / auch mit seinem Volke 1432. Jahr Teutsch geredet / ehe noch ein einziger Stein an den Mauren der Stadt Rom geleget worden (ebd., fol. )()()()(r–)()()()(v).

Wie es nach der Besiedelung Europas weiterging, kann man von Neumark erfahren, der die Frühgeschichte der Deutschen mit biblischen und historischen Figuren und Herrschen verbindet, um sie auf diese Weise zu datieren (vgl. Neumark, Palmbaum, 117 (15)). Auffällig ist die Lücke, die zwischen Arminius und Karl dem Großen klafft und die etwa 800 Jahre beträgt. Während Neumark vorher eine kontinuierliche Linie von Ascenas zu Arminius zu ziehen versucht, mit dem Zweck, das hohe ALTER der Deutschen zu belegen, kann er offenbar die Linie nicht direkt zu Karl dem Großen fortführen. Offenbar um den Riss zu kaschieren, verschweigt er einfach die Zeitspanne von einem knappen Jahrtausend. Im Gegensatz zu Neumark, der Mannus zum ersten deutschen König erklärt, nimmt bei Gueintz bereits Ascenas selbst diese Rolle ein: (18) Weil die Geschichtschreiber genugsam bezeügen / das Tuisco der erste Deutsche König zu Abrahams zeiten gelebet / und im Jahre nach erschaffung der Welt 1787. und also 2168. Jahr vor Christi geburt regieret habe / so ist leichtlich zu schliessen / das sie viel älter / und demnach fürtreflicher sey / als die ienigen / so von der Lateinischen sprache zur Römer zeit / und hernach ihren ursprung gewonnen: Ja sie ist gleiches alters ausser der Hebraischen mit den andern / in dem sie mit ihnen entstanden (Gueintz, Entwurf, 8 f.).

354 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Anhand der genannten Jahreszahlen lässt sich damit eine deutsche Geschichte von etwa 3800 Jahren errechnen, womit Gueintz auch eine viel längere Tradition des Deutschen als des Lateinischen und der romanischen Sprachen behauptet. Über den Ursprung der Deutschen und ihrer Sprache schreibt Gueintz folgendes: Die deutsche Sprache stamme größtenteils von der hebräischen ab, da jede Sprache nach der Babylonischen Sprachverwirrung aus der hebräischen Sprache entstanden sei. Das Wort deutsch leitet er ab von Tuiscone / welches wort vom Ascane herkommen / wie auch Ascanien / davon die Fürsten zu Anhalt annoch ihren Titul haben: und ist dieser / welchen Noe mit seinem weibe Araza nach der Sündfluht gezeüget haben sol / hierauf in Europen und in die Lande / die man anitzo Deutschland nennet / kommen (ebd., 2 (19)).

Über die Zwischenschritte, die von Ascenas zu Tuisco führen, sagt Gueintz nichts. Ascenas ist für ihn aber auch nicht die entscheidende Figur: Manno sei der Sohn des Tuisco gewesen und habe zur Zeit der Semiramis am Rhein regiert; er sei der „Vater aller Deutschen“ (ebd.). Da er den Deutschen die Gesetze gegeben habe, sei er der Deuter genannt worden, woher sich auch das Wort deuten herleite. Er habe dort gewohnt, wo heute Köln liegt, woher der Flecken den Namen Deutsch behalten hätte. Gueintz berichtet auch von anderen Überlieferungen. Demnach sei Thogarma ein Sohn des Gomer und Bruder des Ascenas (vgl. den Beginn dieses Kapitels). Durch eine kühne Etymologie leitet Gueintz die Bezeichnung deutsch von Ascenas her: Dessen Namen sei das Vornennwort (Pronomen) du vorangestellt worden, wodurch der Name Duascan entstanden sei; daraus hätten sich Duatsch und Deutsch entwickelt. Daher würden die Deutschen von den Juden noch heute Ascenazim genannt, also die, die von Ascenas abstammen.27 Diesem stimmt Fürst Ludwig zu: Das Lateinische und das Deutsche seien sehr weit voneinander entfernt. Daher nimmt er an, dass es jünger als das Etruskische sei. Es könne nicht bewiesen werden, „daß die Lateinische, mit der verwirrung der sprachen Zu Babel, angefangen, welches von der Deutschen

�� 27 Zu derartigen Etymologien vgl. auch Gardt 1994a, 363 f. Gardt referiert etwa die Herleitung in Clüvers Germaniae Antiquae libri tres: „Während sich in manchen dieser Kommentare noch Richtiges findet, ist die Rückführung von deutsch auf Ascenas ausgesprochen abenteuerlich. Ausgegangen wird vom Namen desjenigen Volkes, dessen Stammvater Ascenas war, also Ascanes. Dem wird der Artikel thi vorgesetzt, so dass sich thi Ascanes oder auch, entsprechend den deutschen Kasusendungen, thi Ascanen (,die Ascanier‘) ergibt. Durch Apokope des i entsteht th’Ascanen. Im Laufe der Zeit habe man nun angenommen, es handele sich dabei um ein einziges Wort, so dass erneut ein bestimmter Artikel vorangestellt wurde: thi Thascanen, was schließlich zu die Deutschen wurde“ (ebd., 364).

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eher kan gesagt werden, als von Ascenas, so deutsch heisset, herrürende“ (Ertzschrein, 267 (20)). Der Fürst nennt also bloß Anfang und Ende der Argumentationskette, was offensichtlich ausreicht, weil die etymologischen Zusammenhänge keiner Erläuterung oder gar Rechtfertigung bedürfen. Auch Moscherosch gebraucht den Topos, um das hohe ALTER der deutschen Sprache zu begründen, in seinem Fall aber gegen das Französische. Das Deutsche sei älter, weil ja deine werthe Mutter-sprach den andern nicht wirde nachgeben, in dem die Wälsche Sprachen meistentheils ihren Vrsprung von der Lateinischen haben, die vnserige aber von anfang her von vnserem Vranherrn Thuitscho von sich, als eine wahre Haubtvnnd Helden-sprach, selbst bestehet (Moscherosch, Gesichte, 167 (21)).

Daran anschließend wird eine Prophezeiung zitiert, die Tuitscho an seine Nachkommen weitergegeben haben soll: Eines Tages werde das deutsche Reich zugrunde gehen, die Deutschen werden sich gegenseitig ermorden und ihr Herz an fremde Dinge hängen, ihre Muttersprache verachten und das Welsche höher schätzen; vnd alsdan wird das Reich, das mächtigste Reich, zu grunde gehen vnd vnder derer hände kommen, mit welcher Sprach sie sich gekützelt haben, wo GOtt nicht einen Helden erwecket, der der Sprach wider ihre maß setze, Sie durch Gelehrte Leut auffbringe vnd die 28 Wälschlende Stimpler nach verdienst abstraffe (ebd., 168).

Diese Zeit sieht er offenbar mit dem Dreißigjährigen Krieg gekommen. Zesen nennt Ascenas explizit als Erfinder der deutschen Schrift (vgl. Beleg (6) sowie (22) und (23)). Ähnlich sieht es auch Neumark: „Sondern es ist auch mit mehrem / nach dem Alterthum / aus denen Buchstaben (welcher unser Stammvater Ascenas sich gebraucht und deren von Anfang nur 16. gewesen) ausführlich zu verspüren (Neumark, Palmbaum, 128 (25)). Mit diesen 16 Buchstaben hätten Ascenas und seine Nachkommen geschrieben. Nach und nach seien noch weitere Buchstaben, die notwendig geworden seien, eingeführt worden. Der Topos Ascenas dient hauptsächlich dazu, das hohe Alter des deutschen Volkes und der deutschen Sprache, womit diese ein besonderes Prestige gewinnen sollen, durch einen Mythos zu begründen und abzusichern. Weil Ascenas durch die Bibel mit Adam und Noah und durch Tacitus mit einem Gott in Verbindung gebracht werden kann, wird durch ihn auch die hohe Abkunft des

�� 28 Vgl. dazu auch Borst 1957–1963, 1354. Zudem kann die Stelle bei Moscherosch als Beispiel für die Feststellung Borsts gelten, dass der Topos auch zum Kampf gegen die Franzosen eingesetzt wurde (vgl. ebd., 1353).

356 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Deutschen sichergestellt. Dabei bezieht sich der Topos in der Mehrzahl der Belege stärker auf seine Funktion als Stammvater des deutschen Volkes, doch in einigen Belegen wird er auch explizit als Gründer der deutschen Sprache oder der deutschen Schrift benannt. Mit diesen Funktionen korrespondieren auch die Topoi, Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren, die damit korreliert werden. Ascenas steht häufig in Verbindung mit den Topoi Babel und Karl der Große, seltener mit Rudolf I. und Adam. Der Topos trägt wesentlich zur Konstitution der diskurssemantischen Grundfigur ALTER bei und dient der Abgrenzung von anderen Sprachen, primär vom Griechischen und Lateinischen, oft auch vom Französischen.

4.3.1.3 Karl der Große Karl der Große ist nach Ascenas die zweite Herrscherfigur, die mit der Sprachpflege verbunden wird, im Gegensatz zu diesem ist er auch historisch greifbar. Die Spachpatrioten des 17. Jahrhunderts haben mehrere Gründe, warum für sie gerade Karl der Große zu einem Topos wurde, der für fürstliche Sprachpflege steht. Erstens war er der erste poströmische Kaiser in Westeuropa, ihm wird auch die karolingische Bildungsreform zugeschrieben, die zu einer einheitlichen Schriftform, der karolingischen Minuskel führte sowie zu einer Förderung der Volkssprachen. Zweitens legte er ein Verzeichnis der germanischen Bezeichnungen für Monate und Winde an, „ein erstes Zeugnis für staatliche Sprachregelung“ (von Polenz 1978, 38). Außerdem fallen in seine Zeit die ältesten Schriftzeugnisse in althochdeutscher Sprache sowie die Übersetzung wichtiger rechtlicher und religiöser Texte in die Volkssprachen (zur Kulturpolitik Karls des Großen und ihren Auswirkungen auf die deutsche Sprache vgl. ebd., 37–41). Drittens diente Karl der Große als Vorbild für und Aufforderung an die gegenwärtigen Fürsten, es ihm bei der Förderung der Muttersprache gleichzutun. In der Person Karls verbindet sich die ins Mythische reichende Vorstellung von einem starken Reich und dessen mächtigem Kaiser – so ganz anders als die Realität des im Dreißigjährigen Krieg zwangsweise ,europäisierten‘ Deutschland – mit dem Wunsch der Sprachgelehrten nach Herrschenden, die um die Bedeutung der Sprachpflege für die gesamte Gesellschaft und damit auch um die Bedeutung ihrer Vermittler wissen (Gardt 1994a, 359 f.).

Aus diesen Gründen gehört Karl der Große zu den häufig belegten und vielfach vernetzten Topoi im Diskurs. Anwendungsbereiche: Karl der Große als Förderer der deutschen Sprache (1,2,3,4,5,6,7,8,9, 10,11,12,13,14,15), Karl der Große als Grammatikograph (1,11,16,17,18,19,20,21,22), Grammatikographie zur Zeit Karls des Großen (8), Karl der Große als Sprachreiniger (1,13,14,23,24), Karl der

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Große schrieb mit griechischen Buchstaben (25), deutsche Lettern gehen auf Karl den Großen zurück (26), Poesie zur Zeit Karls des Großen (1,27), Karl der Große als Dichter (1,18), Zeit Karls des Großen als Sprachepoche (7), Reich und Sprache Karls des Großen sind die ältesten in Europa (28,29), Karl der Große als Tugendvorbild (18,28,30,31), Karl der Große als Nachkomme des Ascenas (12,32), ideales Hofleben bei Karl dem Großen (2). Korrelationen: Babel (1,5,32), ALTER (1,28,29), Rudolf I. (3,4,6,7,9,10,19,20,23), Ascenas (5,11,12,19, 24,32), Luther (7,8), REINHEIT (10,12,22), Pflanzenmetapher (10), POETIZITÄT (10), REICHTUM (23), Sintflut (24). Belegstellen: (1) Klaj, Lobrede, 392; (2) Zincgref, Dedicatio, 3; (3) Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( iiijr; (4) ebd., 31 f.; (5) ders., Arbeit, S. br (6) ebd., 17 f.; (7) ebd., 48; (8) ebd., 173; (9) Hille, Palmbaum, 25; (10) Neumark, Palmbaum, 32 f.; (11) Hille, Palmbaum, 92–96; (12) Neumark, Palmbaum, 117 f.; (13) Gueintz, Entwurf, fol. )( iijr; (14) Zesen, Spraach-übung, 18; (15) Klaj, Lobrede, 415 f.; (16) Ertzschrein, 243*; (17) Harsdörffer, Fortpflanzung, 43; (18) Harsdörffer, Schutzschrift, 385; (19) Hille, Palmbaum, 40*; (20) Neumark, Palmbaum, 99 f.; (21) Schottelius, Sprachkunst, 10; (22) Leibniz, Gedanken, 562; (23) Zesen, Spraach-übung, 38; (24) Ders., Rosen-mând, 127; (25) Gueintz, Entwurf, 4; (26) Schottelius, Arbeit, 52; (27) Titz, Bücher, fol. A viijv–Br; (28) Schottelius, Sprachkunst, 56; (29) Ders., Arbeit, 30; (30) Moscherosch, Gesichte, 147 f.; (31) Neumark, Palmbaum, 27; (32) ebd., Palmbaum, 115.

Johann Klaj benutzt den Topos von Karl dem Großen, um zu zeigen, dass die Deutschen die Schrift schon seit sehr langer Zeit kennen. Dieser wird als der erste große Schutzherr der deutschen Sprache beschrieben. Als „Halbgöttliche[r] Weltheld[]“ (Klaj, Lobrede, 392 (1)) hätte er sich, obwohl er zur Ehre Gottes viele Kriege bestreiten musste, der deutschen Sprache angenommen, selbst eine ,Sprachkunst‘ geschrieben und Verse geschmiedet, alte Gedichte sammeln lassen, damit sie nicht vergessen würden und die Namen der Winde und Monate verdeutscht; in dieser Zeit sei auch die Bibel ins Deutsche übersetzt worden. Klaj beruft sich, wie alle anderen, die Karls sprachpflegerisches Engagement beschreiben, auf dessen Biographen Einhard. Dieser schrieb in seiner Vita Caroli Magni (entstanden zwischen 830 und 836), dass Karl alle ungeschriebenen Gesetze der beherrschten Stämme sowie alte Sagen und Königsgeschichten sammeln und aufzeichnen ließ.29 Zudem ließ er die Monatsnamen und Windbezeichnungen verdeutschen. „Außerdem begann er mit einer Grammatik seiner Muttersprache“ (Einhard, Vita, 55; übersetzt von Evelyn Scherabon Firchow).30 �� 29 „Omnium tamen nationum, quae sub eius dominatu erant, iura quae scripta non erant describere ac litteris mandari fecit. Item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum regum actus et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit“ (Einhard, Vita, 54). 30 „Inchoavit et grammaticam patrii sermonis“ (Einhard, Vita, 54).

358 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Die Herausgeberin betont aber, dass Karl die Sprachpflege wohl nicht um ihrer selbst willen betrieb, sondern aus praktischen Gründen, nämlich um die Verwaltung seines großen Reiches besser organisieren zu können (ebd., 92). Dies tut seiner Verehrung als Sprachpfleger im 17. Jahrhundert aber keinen Abbruch. Auch Zincgref lobt neben dem vorbildlichen Hofleben Karls Sprachpflege: Männer seien zu verehren, die sich um die deutsche Sprache verdient gemacht haben, indem sie sich bemühten, solche zu poliren, zuerheben, berümbt vnnd perfect zumachen, vnd also vns ihren Nachkömmlingen vmb ein gutes vorzuarbeiten: und dieses schon von Caroli Magni zeiten hero, sonderlich in den letzten 500. Jahren, in welchen sie, nach weise der Römer und der Griechen diese dreyfache Exercitia oder Ubungen zu Hoff im schwang geführet, Ritterspiel, Fechtkunst und die Music (Zincgref, Dedicatio, 3 (2)).

Die ersten beiden hätten der Übung der Geschicklichkeit und der Benutzung von Waffen gedient, die letzte zur Schärfung der Sinne, der Erhöhung des Verstands, der Tugenden und des Gemüts. Die Mittel dazu seien die Poesie und die Rhetorik gewesen; zuweilen seien an den Höfen auch poetische Wettkämpfe ausgerichtet worden. Für Schottelius ist Karl der Große eine so wichtige Figur, dass er seine Regierungszeit zum Beginn der zweiten Sprachepoche (Denkzeit) macht: (7) Die andere Denkzeit künne umb die Regierung des grossen Käyser Caroli des Ersten einfallen / weil aus unterschiedlichen Schriften bekant / daß der Käyser selbst sich der Muttersprache also angenommen / daß er bemühet gewesen eine Grammattic darin zuverfertigen / und die alten Reimen samlen lassen / dieselben selbst abgeschrieben / den Winden / Monaten etc. eigentliche nach der Doppelkunst formirte Namen gegeben / und den Teutschen einen Weg zeigen wollen / wie des Vaterlandes Geschichte von dem Untergange zubehüten. Es haben auch zu seiner Zeit drey gelahrte Männer Kaban, Harmo und Strabo, die heilige Schrift in die Teutsche Sprache gebracht: Welches gleichfals lange zuvor Vlphilas ein Gotischer Bischof sol getahn haben. Auch hat Otfridus damals die Evangeliae in Teutsche Reime gebracht / welches Buch noch verhanden (Schottelius, Arbeit, 48).

Dieser Beleg kann exemplarisch für die Leistungen stehen, die Karl dem Großen und seiner Kulturpolitik zugeschrieben werden: Sprachpflege durch eigene Arbeit wie durch Förderung des Schrifttums in der Volkssprache. Oben wurde erwähnt, dass der Topos den Fürsten als Vorbild und Aufforderung dienen sollte, selbst durch eigene Arbeit oder ihre Förderung sprachpflegerisch aktiv zu werden. Dieser Aspekt wurde besonders in der Fruchtbringenden Gesellschaft betont, dessen Mitglieder zum größten Teil Adlige und damit oft auch Landesherren waren. Hille (Beleg (9)) und Neumark heben Fürst Ludwig von Anhalt als positives Beispiel hervor, er sei durch Übersetzungen und

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eigene Dichtungen in die „löbliche[n] Fußstapfen Käiser Carls des Großen / Käiser Carls des Vierdten und fünften / Otto des andern / Heinrich des dritten / Friederich des andern / und Rudolph des ersten getreten“ (Neumark, Palmbaum, 32 f. (10)). Hille widmet Karl dem Großen ein Lobgedicht, in dem dessen politische Leistungen gewürdigt werden. Durch die Anspielung auf das Konzept der Translatio Imperii wird zudem die Kontinuität des Heiligen Römischen Reiches in die Zukunft beschworen: (11) Daß es auch geblieben ist allbereits vor hundert Aehrn / | Und wird bleiben / weil noch wird Teutscher Nam genennet wärn. | Nach des Daniels Gesichte / und nach der Propheten Wort / | Wird es / bis die Welt zerfället / also bleiben fort für und fort (Hille, Palmbaum, 95).

Hier steht weniger Karl der Große als Sprachpfleger im Vordergrund – auch wenn auf seine kulturellen Leistungen eingegangen wird –, vielmehr wird er als derjenige gefeiert, der das von Ascenas gegründete Deutschland vergrößert, gefestigt und gegen äußere Feinde verteidigt hat. Der Topos wird also über den engeren sprachpatriotischen Rahmen hinaus für politische Zwecke eingesetzt: Er dient, vor dem Hintergrund der Entstehungszeit des Textes (1647 erschienen), der Aufforderung an die deutschen Fürsten, es ihm gleichzutun und das deutsche Reich von äußeren Feinden zu befreien und Frieden und Wohlstand wiederherzustellen (vgl. auch Neumark, Palmbaum, 117 f. (12)). Christian Gueintz beginnt die Vorrede zu seiner Grammatik mit einem emphatischen Lob Karls des Großen, dessen sprachpflegerische Leistungen er pointiert, indem er sie als Fragen formuliert, die er danach selbst beantwortet: „Jhr Monden wer hat euch deutsche nahmen gegeben? Wer hat die Deutsche sprache zu geistlichen sachen / zu weltlichen verrichtungen zu gebrauchen befolen? Gewis der grosse Deutsche Käyser Carl“ (Gueintz, Entwurf, fol. )( iijr (13)). An die oben zitierte Einhard-Stelle anschließend wird Karl der Große im Diskurs auch als Grammatikograph gewürdigt. In einem Brief an Fürst Ludwig vom 5. November 1638 fordert etwa Gueintz eine Normierung der deutschen Sprache nach dem Vorbild Julius Caesars und Karls des Großen: Größer ist Carolus der Große, der von den Griechen des Reichs Scepter vnd deßen hoheit auf die Deutschen gebracht; vnd hat dennoch von seiner sprach den Deutschen eine Grammatic oder vnterweisung selbsten, wie die Geschichtschreiber melden, neben der Poesy, verfertiget; den tagen in der wochen, vnd den Monaten, wie bekant, Deutsche Namen gegeben (Gueintz, Ertzschrein, 243 (16)).

360 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Er kündigt an, selbst eine deutsche Sprachlehre zu verfassen, die 1641 als Deutscher Sprachlehre Entwurf erschien. Daher ist es kein Wunder, dass Gueintz in der Vorrede (Beleg (13)) wieder auf diesen Topos zurückgreift. Harsdörffer reiht Karl den Großen ein in die Reihe großer Staatsmänner, die dichterisch tätig waren, etwa Alexander den Großen, Julius Caesar, Kaiser Claudius, Augustus, Varro oder Cicero. Karl der Große hat, so Harsdörffer, nicht gedichtet, doch er verfasste eine große Sprachkunst. Wenn man diese Beispiele betrachte, so werde offensichtlich, „in was Stand und Ehre Jhn GOtt gesetzet / wann er seine zu der Teutschen Sprache reitzende Lust vergnüget / und sich bemühet seinem Vaterland besten Vermögens / auch hierinnen bedienlich zu seyn“ (Harsdörffer, Fortpflanzung, 43 (17)). Die gleiche Aufzählung findet sich auch in der Schutzschrift (385 (18)). Im Vorspann zu Hilles Palmbaum widmet Harsdörffer Karl dem Großen wie Ascenas und Rudolf I. ein Widmungsgedicht, in dem, als Chronogramm verschlüsselt, ein zentrales Jahr für die Sprachpflege angegeben wird: (19) KarL | Der Grosse | Vnsrer TeVtsChen SpraChe PfLeger (Hille, Palmbaum, 39*).

Die Zahlwerte ergeben hier 810. In diesem Jahr nach Christi Geburt habe Karl der Große, „dieser erste Teutsche Käiser“ (ebd., 40*), das Christentum eingeführt und begonnen, die deutsche Sprache in eine „lehrartige Verfassung zu bringen“ (ebd.). Schottelius und Leibniz loben zwar, dass Karl in der Grammatikographie des Deutschen einen Anfang gemacht hätte, doch danach sei in dieser Disziplin nicht mehr viel geleistet worden. Schottelius begründet damit seine Anlage der Teutschen Sprachkunst als Grammatik (Beleg (21)) und Leibniz bedauert, dass seit der Zeit Karls des Großen alle Grammatiken des Deutschen unzulänglich seien (Beleg (22)). Zesen sieht Karl den Großen vor allem als Sprachreiniger. Bereits in der Hochdeutschen Spraach-übung deutet er an, dass schon Kaiser Karl der Große viele deutsche „Kunst-wörter“ erfunden habe (Zesen, Spraach-übung, 38 (23)). Dies wird im Rosen-mând durch die Reinigung des Schriftsystems, die Karl unternommen haben soll, erweitert. (24) Hernach hat auch ein teil der Deutschen / als es sich durch krieg und kauf-handel oder sonst mit den Röhmern bekant gemacht / die Lateinischen buchstaben nicht allein angenommen / sondern auch seine sprache gar mit Lateinischen wörtern zu vermischen angefangen: welche aber nachmahls Karl der Große / als er die sprache mit dem reiche erhub / wieder vertilget (Zesen, Rosen-mând, 127).

Topoi � 361

Konkret auf die karolingische Minuskel nimmt Gueintz Bezug, wenn er sagt, dass Karl der Große das Schreiben in deutscher Sprache erst aufgebracht habe. Er hätte mit griechischen Buchstaben geschrieben, eine Praxis, die man bis zum Jahr 1200 beibehalten hätte. Obwohl sich die deutsche Sprache seither sehr verändert habe, habe sie sehr viel vom Griechischen behalten: „Die Natur und geltung der buchstaben / die eigenschaft und zahl der Doppeltlautenden / die aussprechung der Sylben / die Geschlechtwörter und dergleichen viel / wie auch sehr viel Deutsche an Laut und bedeütung übereinkommen“ (Gueintz, Entwurf, 4 (25)). Genau das Gegenteil nimmt Schottelius an: Er leitet die deutsche Schrift aus dem Keltischen ab, aus dem auch das Lateinische und Griechische ihre Schriftsysteme übernommen hätten. Schottelius lehnt deshalb die Auffassung, die Deutschen hätten vierhundert Jahre zuvor die Schrift von den Römern übernommen, mit dem Argument ab, dass die deutschen Lettern sehr viel älter und bereits von Karl dem Großen benutzt worden seien (vgl. Schottelius, Arbeit, 52 (26)). Auf die Tatsache, dass Karl der Große der erste nachrömische Kaiser in Westeuropa ist, hebt Schottelius zu Beginn der Dritten Lobrede seiner Sprachkunst ab: In dem, was die Gewalt der Zeiten durchbreche und lange dauere, befinde sich etwas Göttliches und Ewiges. So gebe es kein älteres Kaiserreich als eben dasselbige Reich / welches auff den Carolum M. und also auff die Teutsche / als eine Grundseule der Trew und Gerechtigkeit und ein Trotz aller Welt / sich gelehnet / und in einer richtigen Teutschen Keyserordnung biß auff gegenwertige Zeit erhalten ist (Schottelius, Sprachkunst, 56 (28); vgl. Schottelius, Arbeit, 30 (29)).

Daher könne auch keine Landessprache in Europa älter sein als die, die von Karl dem Großen gebraucht worden sei, nämlich das Deutsche, dessen Wurzeln, Hauptgründe, Wörter und Bindung noch vorhanden seien. Der Topos Karl der Große wird im Diskurs also hauptsächlich als Bild des idealen Herrschers und Sprachpflegers benutzt, um den zeitgenössischen Herrschern ein Vorbild zur Nachahmung zu geben. Daher ist dem Topos ein deontisches Moment inhärent. Diese Rolle kann Karl aufgrund der durch seinen Biographen Einhard bezeugten Sprachen- und Kulturpolitik einnehmen. Zudem werden die Hinweise, er sei selbst als Grammatikograph tätig gewesen, aufgenommen. Von manchen Autoren wird ihm die Erfindung der karolingischen Minuskel zugeschrieben und gelegentlich wird er auch als Sprachreiniger angesehen. Zudem diente die Idealisierung seiner Herrschaft als Gegenbild zur gegenwärtigen Schwäche des Reiches infolge des Dreißigjährigen Krieges. Weil Karl der Große oft in eine Reihe mit Ascenas und Rudolf I. gestellt wird, sind Korrelationen mit diesen Topoi sowie Babel recht häufig. Daneben steht er

362 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses in Verbindung zu den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT und ALTER, weil der Topos zu deren Konstitution beiträgt.

4.3.1.4 Rudolf I. Kaiser Rudolf I. von Habsburg (geb. 1218, regierte 1273–1291) wird im sprachpatriotischen Diskurs ausschließlich als vorbildlicher Sprachpfleger angesehen. Dementsprechend eng ist der Anwendungsbereich des Topos Rudolf I.: Anwendungsbereiche: Kaiser Rudolf I. als Förderer der deutschen Sprache (1,2,3,4,5,6,7,8,9, 10,11), Zeit Rudolfs als Sprachepoche (5), Fruchtbringende Gesellschaft als Nachfolger Rudolfs in der Sprachpflege (10,11). Korrelationen: Karl der Große (1,2,3,4,5,6,8,9,10,11), Luther (5,6), Opitz (6), Ascenas (8). Belegstellen: (1) Zesen, Sprach-übung, 38 f.; (2) Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( iiijr; (3) ebd., 31 f.; (4) ders., Arbeit, 17 f.; (5) ebd., 48; (6) Klaj, Lobrede, 394; (7) Harsdörffer, Schutzschrift, 360; (8) Hille, Palmbaum, 40*; (9) ebd., 25; (10) Neumark, Palmbaum, 32 f.; (11) ebd., 99 f.

Als sprachpflegerisches Vorbild wird Rudolf I. vor allem deshalb angesehen, weil er in seiner Regierungszeit „den Geltungsbereich der Muttersprache zumindest partiell auf öffentliche Bereiche wie das Gerichtswesen ausdehnte“ (Gardt 1994a, 360). Zesen legt dies etwa in der Spraach-übung dar: „Keyser Rudolff der Erste hatt durch öffentlich ausschreiben gebohten / daß alle für Gericht schwebende Händel in Deutscher und nicht Lateinischer Spraache solten ausgeübet werden. Über das ist auch in den Reichs-Abschieden beschlossen worden / daß kein Uhrteil in den Gerichten in anderer als Deutscher Spraache soll ausgesprochen werden“ (Zesen, Spraach-übung, 38 f. (1)). Schottelius setzt mit der Regierungszeit Rudolfs eine neue Sprachepoche an, die dritte: (5) Die dritte Denkzeit darin die Teutsche Sprache beginnen fortzukommen / ist zusetzen in die Regierung Käysers Rudolphi Primi, welcher höchstlöblicher Käyser einen eigenen Reichstag wegen der Teutschen Sprache zu Nürnberg gehalten / darin verabschiedet / daß hinfüro die Teutsche Sprache an statt der Lateinischen / überall solte gebrauchet werden in Gerichten / und alle Mandata, edicta, privilegia, pacta dot alia &c. […] darin aufgezeiget und beschrieben werden (Schottelius, Arbeit, 48).

Nach Harsdörffer leistete Rudolf damit einen Beitrag zur Friedenssicherung. In geistlichen wie weltlichen Dingen entstünde durch die Sprachmischung nämlich nur Unheil: „Haß / Feindschaft / Zank und Zwietracht solte verbleiben / wann das

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Latein den Gerichtshändlen / Schuldschriften und Vergleichen nicht eingeflochten würde“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 359). Er zählt eine ganze Reihe lateinischer Rechtstermini auf, die den Deutschen durch den bösen Gebrauch, aber ohne Not aufgedrängt worden seien; sie könnten leicht durch für jeden verständliche deutsche Wörter ausgetauscht werden. Als positives Beispiel dafür nennt er Kaiser Rudolf I., der in der Reichsversammlung zu Nürnberg verfügt hätte, dass in den Kanzleiurkunden nur deutsch geschrieben werden sollte (ebd., 360 (7)). Harsdörffer nennt in Hilles Palmbaum insgesamt fünf deutsche Herrscher, die sich um die Muttersprache besonders verdient gemacht hätten. Dies sind Ascenas, Karl der Große, Rudolf I., Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen und August Herzog von Braunschweig-Lüneburg. Allen fünf Herrschern sind Chronogramme zugeordnet, das für Rudolf I. lautet so: (8) RVDoLphVs Der I. | Vnsrer KVnstspraChe | SChVtzherr (Hille, Palmbaum, 40*).

Die Chronogramme ergeben die Zahlwerte 1276. Dies ist das Jahr, in dem der Kaiser den Reichstag mit dem Beschluss beendet hat, „daß man alle Ausschreiben / Freyungsbriefe und Handlungen in Teutscher Sprache verfassen solte“ (ebd.).31 Rudolf wird damit in die Reihe der großen Sprach- und Kulturpfleger unter den Herrschern eingeordnet, zugleich wird er mit den Topoi Ascenas und Karl der Große eng verknüpft. Neumark stellt das Wirken der Fruchtbringenden Gesellschaft in die Nachfolge Kaiser Rudolfs I. Nach dem zweiten Punkt der Satzung sollen die Mitglieder die Muttersprache von dem Unflat bettlerischer Wortbesudelung / so viel jedem müglich / ausreüten / säubern / auszieren / und keineswegs damit ferner behelligen: Sondern dieselbe dagegen in ihrer Grundfeste und rechtem Verstande erhalten / behalten / und fortzupflantzen bemüht sein (Neumark, Palmbaum, 31).

Um noch weitere anzureizen, es ihm gleichzutun, hätte Fürst Ludwig mehrere Bücher ins Deutsche übersetzt und andere selbst geschrieben und sei so in die „löbliche Fußstapfen Käiser Carls des Großen / Käiser Carls des Vierdten und fünften / Otto des andern / Heinrich des dritten / Friederich des andern / und Rudolph des ersten getreten“ (ebd., 32 f. (10)). �� 31 Die Autoren widersprechen einander, was die Datierung dieses Reichtags betrifft: Nach Klaj fand der Reichstag im Jahr 1273 statt (Beleg (6)). Tatsächlich fand unter dem Vorsitz Rudolfs von Habsburg der Reichstag 1273 in Speyer und nicht in Nürnberg statt, woraus zu schließen ist, dass entweder die Angaben äußerst ungenau sind oder – wahrscheinlicher – die Autoren Rudolf I. zur Legendenbildung benutzen.

364 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Kaiser Rudolf I. steht damit als Topos für vorbildliche Sprachpflege von herrschaftlicher Seite. Meist wird er gemeinsam mit Karl dem Großen genannt, nur selten alleine. Er steht damit in dessen Schatten und ist von diesem abhängig. Mit den Topoi Luther, Opitz und Ascenas wird er nur gelegentlich verbunden. Verknüpfungen mit Metaphern oder diskurssemantischen Grundfiguren bestehen nicht in nennenswerter Form. Dieses Lob für die Sprachpflege ist in früheren Würdigungen des Kaisers kaum zu finden. Exemplarisch sei die Charakterisierung von dessen Herrschaft durch Sigmund Meisterlin in der Chronik der Reichsstadt Nürnberg von 1488 zitiert: Es starb dieser Rudolphus in großer macht und het groß fürsten auß seinen kindern und freunden gemacht und was umbsetzt mit großer magschaft der fürsten. er regiret wol und gab sant Gilgen closter freiheit, da noch Schotten woneten. het er das römisch reich gefunden, daß ihm zu helfen wer gewesen, er het es nit minder gepeßert dann der groß Carolus oder Otto.; aber die zeit und stand gab es nit, wann große zwitrechtigkeit der bebst und der kaiser und aigner nutz, den die kurfürsten suchten, hetten das reich verderbt (zitiert nach Zotz 2003, 358 f.).

Kaiser Rudolf wird hier als guter und gerechter Herrscher geschildert, der jedoch aufgrund der Zwietracht unter den Kurfürsten, deren eigener Interessen und des Machtstrebens der Päpste das Reich nicht in seinem Sinne ordnen und verbessern konnte. Von den im 17. Jahrhundert gepriesenen Leistungen als Sprachpfleger erwähnt Meisterlin aber nichts. Dafür steht Rudolf auch hier im Schatten Karls des Großen.

4.3.1.5 Martin Luther Luther genießt, zumindest bei den protestantischen Akteuren des sprachpatriotischen Diskurses – die weit in der Überzahl sind –, wegen seiner theologischen, in diesem Zusammenhang jedoch vor allem wegen seiner sprachlichen Leistungen, insbesondere wegen seiner Bibelübersetzung, höchstes Ansehen; es gibt aber auch kritische Stimmen. Dementsprechend groß ist der Anwendungsbereich, den der Topos Luther umfasst. Anwendungsbereiche: Luther als Sprachvorbild (1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14), Bibelübersetzung als besondere sprachliche Leistung (4,6,15), Luther hat der deutschen zu Glanz verholfen (9,11), wenn alle so geschrieben hätten wie Luther, stünde es um die deutsche Sprache besser (16), Ansehen Luthers im Ausland (1,2,3), Luther als Vorbild für gute Neologismen (17, 18), Luther als Motivation zur Spracharbeit (19), Gottes- und Naturerkenntnis nach Luther durch die Sprache (20), Luther als Sprachreiniger (21), Luther als Sprachvorbild im religiösen Bereich (7), Luthers Bibelübersetzung als Sprachepoche (22), Luthers Werke als

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Quellentexte für das Wörterbuch (23), Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft hundert Jahre nach Luthers Bibelübersetzung (15,24), Fehler Luthers (25), Veralterung einiger Wörter aus Luthers Bibelübersetzung (26), Kritik am Sprachvorbild Luthers (27,28). Korrelationen: REINHEIT (2,3,7,22), Opitz (4,10,12,16,17,18,19), Rudolf I. (4,22), EIGENTLICHDreißigjähriger Krieg (13), Knechtschaftsmetaphorik (13), Reformation (15), Babel (21), Karl der Große (22).

KEIT (11,12),

Belegstellen: Titz, Bücher, fol. O vr–O vv; (2) Kindermann, Poet, 717 f.; (3) Buchner, Anleitung, 40 f.; (4) Klaj, Lobrede, 395; (5) Ertzschrein, 352; (6) Gueintz, Entwurf, 6; (7) ders., Rechtschreibung, 4 f.; (8) ebd., 21 f.; (9) Zesen, Spraach-übung, 25; (10) ders., Rosen-mând, 224; (11) Schottelius, Arbeit, fol. b iiijv; (12) ebd., 60; (13) Leibniz, Ermahnung, 814; (14) ders., Gedanken, 553; (15) Neumark, Palmbaum, 18; (16) Zesen, Rosen-mând, 229; (17) Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 19; (18) Schottelius, Arbeit, 98; (19) ders., Sprachkunst , 9; (20) ders., Arbeit, 74; (21) Zesen, Rosen-mând, 101; (22) Schottelius, Arbeit, 49; (23) Ertzschrein, 388; (24) Hille, Palmbaum, 9; (25) Zesen, Rosen-mând, 228; (26) Leibniz, Gedanken, 558; (27) Ertzschrein, 269; (28) ebd., 350.

Der Topos wird sehr häufig angewandt, um anderen ein Sprachvorbild zu nennen oder die eigenen Arbeiten zu rechtfertigen. Titz empfiehlt etwa eine Orientierung an den ,besten Autoren‘, vor allem an Luther: (1) [S]o wird man sich in den Schrifften vnd Büchern derjenigen / die rein vnd zierlich Hochdeutsch geschrieben haben / erholen / vnd aus denselben die besten ihm bekandt machen / vnd fleissig durchblättern mussen. Vnter welchen vor allen andern Lutherus vmb vnsere Muttersprache sich höchst verdient gemacht hatt. Dessen Schrifften vmb dieser ursache willen auch von Außländern / vnd anderer Meinung zugethanen / gerühmet werden (Titz, Bücher, fol. O vr–O vv).

Der Hinweis auf das hohe Ansehen Luthers im Ausland fungiert dabei als besonderes Qualitätsmerkmal. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Orientierung am Sprachvorbild Luthers der Sprache und Dichtung wie dem einzelnen Autoren Ruhm und Anerkennung im In- wie im Ausland verspricht. Sehr ähnlich schreibt auch Balthasar Kindermann: „Nun ist ja der theure Wundermann Lutherus eben der jenige / der sich zuförderst um die Reinligkeit und Ausbreitung unsrer Muttersprache / vor dieser Zeit / treflich verdienet / daß Er auch deßwegen / bey den Außländern selbst / hochgerühmet worden“ (Kindermann, Poet, 717 f. (2)). Nach Buchner hat sich Luther „zuvörderst üm die Reinligkeit und Ausarbeitung unserer Muttersprache vor dieser Zeit trefilch verdienet / daß er auch deswegen bey den Ausländern selbst hochberühmt worden“ (Buchner, Anleitung, 40 f. (3)). Im Beleg (2) und (3) wird der Topos mit der diskurssemantischen Grundfigur REINHEIT verbunden.

366 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Klaj vermengt Luthers theologische und sprachliche Leistungen, hebt dessen Dichtungen und die Bibelübersetzung hervor und spart auch mit Spitzen gegen den Katholizismus nicht: (4) Mit hereinbrechendem Liechte des heiligen Evangelii hat Lutherus S. G. alle Lieblichkeit / Würde und Beweglichkeit in unsere Sprache gepflantzt / alle rauhe knarrende Wörter ausgemustert / hingegen dero Vermögen mit allerhand anmutigen Gesängen und geistreichen Liedern bereichert / viel fromme Hertzen dadurch erreget und beweget / daß sie dem aberglaubischen Papstthum gute Nacht gegeben / und sich zu der Evangelischen Warheit bekennet / massen unsere Widersacher solches / wider einigen ihren Dank / nicht in Abrede seyn können (Klaj, Lobrede, 395).

Luthers Sprachpflege besteht nach Klaj besonders im Ausmustern rauer knarrender Wörter. Damit sind offensichtlich Regionalismen gemeint. Klaj spricht damit einerseits die immer wieder eingeforderte innersprachliche REINHEIT an und nennt damit zweitens Luthers Bemühen um eine überregionale Schriftsprache, durch das der Reformator einen wichtigen Beitrag zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache leistete (vgl. oben, 3.2.3). So nennt auch Gueintz Luther unter den vorbildlichen Autoren, auf deren Grundlage eine Sprachnormierung nach anomalistischen Grundsätzen erfolgen kann: „Als Lutherus / unter dessen schriften in seiner Bibel das beste Deutsch zu finden / so noch zur zeit in dergleichen verdolmetschung ausgegangen. Dazu Paracelsus, Reichsabschiede Theurdanck“ (Gueintz, Entwurf, 6 (6)). In seiner Deutschen Rechtschreibung wird Gueintz konkreter: Er spricht sich gegen eine Orientierung an früheren Zeiten aus, vielmehr solle man sich am Höhepunkt der Sprache orientieren. Daher setzt Gueintz folgende Richtschnur: „Was bis anhero bey den Deutschen gelobet und vernünftig beliebet worden / das sol man behalten“ (Gueintz, Rechtschreibung, 4). Darunter versteht er folgendes: Lutherus ist billich der Deutschen sprache in KirchenSachen Urheber / die ReichsAbschiede in Weltlichen dingen die Haubtbücher / Wie wol bey beyden / weil sie von eintzelen Personen aufgesetzet / auch zu der Zeit / so wol als ietzo / die Schreiber und Drucker oftmals gefehlet / noch viel erinnerungen / was die Rechtschreibung betrifft / zu thun seind (ebd., 5 (7)).

Gueintz differenziert also das Sprachvorbild nach den Domänen. In der weltlichen Sphäre sind die Reichsabschiede das Vorbild für die Schrift, im geistlichen Bereich ist es Luther. Er schränkt aber ein, dass auch Luther und die Schreiber der Reichsabschiede nicht unfehlbar gewesen seien. Deshalb fordert Gueintz auch eine Anpassung der Sprachvorbilder an die Gegenwart, um zu einer leistungsfähigen und adäquaten Sprachform zu kommen.

Topoi � 367

Ein Beispiel für die Anwendung dieser Sprachvorbilder findet sich etwas später im gleichen Text, nämlich bei der Frage, ob man oder schreiben solle. Die Grundregel, die Gueintz aufstellt, lautet: „Jm rechtschreiben hat man auch auf den zierlichen wollaut acht zu geben“ (Gueintz, Rechtschreibung, 21). Gueintz spricht sich für die Schreibung mit aus, wofür er vier Gründe angibt: Erstens klinge das zu hart; zweitens sei deuten von deutsch abgeleitet und deuten bedeute etwas anderes als teuten ›ins Horn blasen‹; drittens schrieben Luther und die Reichsabschiede deutsch und nicht teutsch; viertens schließlich seien niederdeutsche Städte wie Duisburg vom sagenhaften König Deutsch gegründet worden und würden auch mit geschrieben (vgl. ebd., 21 f. (8)). Es fällt auf, dass Luther und die Reichsabschiede erst an dritter Stelle genannt werden, nach dem phonologischen und dem etymologischen Kriterium. Hier zeigt sich, dass Gueintz in der Praxis sprachimmanente Kriterien bevorzugt und von der analogistischen Position weniger weit entfernt ist in seinen theoretischen Äußerungen. Bei der Begründung der Schreibweise statt beruft sich auch Zesen auf Luther (vgl. Spraach-übung, 25 (9)). Er empfiehlt verschiedene Autoren als Sprachvorbilder, darunter auch Luther: Man soll die (10) besten hochdeutschen bücher / als des Großen Luters schriften und sonderlich die übersetzung der h. Schrift / die Reichs-Abschiede […] und dan Buchnern und Opitzen / darnach die zu Köthen ausgefärtigte bücher / weil man sich darinnen sonderlich beflissen / rein und unvermischt deutsch zu schreiben / mit fleis und reiffem uhrteil / ja so reif als es einem verliehen / durch und durch betrachten (Zesen, Rosen-mând, 224).

Schottelius führt die diskurssemantische Grundfigur EIGENTLICHKEIT anhand der Onomatopoesie aus. In dieser Passage zitiert er neben Opitz auch Luther, der in der deutschen Sprache „Wunderdinge“ (Schottelius, Arbeit, fol. b iiijv (11)) vollbracht habe: (12) Lutherus sagt von dem Wort Liebe also: Jch weis nicht / ob man auch das Wort Liebe so hertzlich und gnugsam in Lateinischer / oder einiger anderen Sprache reden müchte / daß also dringe und klinge in das Hertze / und durch alle Sinne / wie es thut in Teutscher Sprache […]. Und solche Kunst stekket durch und durch in den Teutschen Wörteren / welche aus denen / also von der innersten Natur und unseren Vorfahren geordneten Letteren / so lebhaftiglich geboren werden (ebd., 59 f.).

Luther kann auch für einzelne Teilbereiche der Sprache als Vorbild angesehen werden. Leibniz schlägt eine Bereicherung der Lexik des Deutschen durch Reaktivierung von Archaismen vor. Zu diesem Zweck sollen Schriften aus dem 16. Jahrhundert systematisch durchsucht werden. Als Quellen nennt er die Schriften Luthers und anderer Theologen, die Reichsakten, die Landesordnun-

368 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses gen und Ordnungen der Städte, die Notariatsbücher, und weitere geistliche und weltliche Schriften (vgl. Leibniz, Gedanken, 553 (14)). Hatte Leibniz Luthers Schriften für die Bereicherung der deutschen Lexik durch Archaismen empfohlen, ist er für Harsdörffer neben Opitz ein Vorbild für gute Neologismen (vgl. Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 18 f. (17)). Harsdörffer will Luthers Schriften als Quellen für sein geplantes, jedoch nie realisiertes Wörterbuch auswerten (vgl. Ertzschrein, 388 (23)). Georg Neumark stellt die Fruchtbringende Gesellschaft in die Tradition Luthers und der Bibelübersetzung, da diese exakt hundert Jahre nach dem Beginn der Reformation gegründet worden sei, als „die heilige Schrift / unter der Bank / hervorgezogen und in unsere Teutsche Sprache / von dem theuren Manne Gottes Doctor Martin Luthern / wolvernehmlich und kunstgründig gedolmetschet worden“ (Neumark, Palmbaum, 18 (15); vgl. Beleg (24); vgl. unten, 4.3.2.3). Luthers Bibelübersetzung wird damit als seine sprachliche Meisterleistung betrachtet. Neumark stellt die Fruchtbringende Gesellschaft damit praktisch als Nachfolgeorganisation Luthers und seiner Mitstreiter dar. Demnach hat Luther auf religiösem Gebiet für eine Erneuerung gesorgt. Der Palmorden setzt dessen Arbeit auf den Gebieten Tugend und Sprache fort. Der Topos Luther dient in diesem Fall der Legitimation der sprachpflegerischen Bemühungen der Fruchtbringenden Gesellschaft. Zesen lobt Luther auch als Sprachreiniger: Die deutsche Sprache habe sich seit dem Turmbau von Babel sehr verändert. Zwar habe Luther die Sprache gereinigt und gesäubert und seither sei sie unverändert geblieben. Aber wie hart es damit gehalten / wissen die jenigen wohl / welche sich mit aller gewalt haben bemühen müssen / die durch den krieg / durch handel und wandel mit fremder sprachen völkern / oder sonst eingeflochtene wörter und redens-ahrten zu vertilgen und auszurotten (Zesen, Rosen-mând, 101 (21)).

Es gilt für Zesen also, den vorbildlichen Sprachzustand zur Zeit Luthers wiederherzustellen. Das Wirken Luthers markiert für Schottelius den Beginn der vierten Sprachepoche: (22) Die vierdte Denkzeit wird mit Herrn Luthero einfallen / der zugleich alle Lieblichkeit Zier / Ungestüm und bewegenden Donner in die Teutsche Sprache gepflantzet / die rauhe Bürde in vielen jhr abgenommen / und den Teutschen gezeiget / was jhre Sprache / wenn sie wolten / vermögen könte (Schottelius, Arbeit, 49).

Für Schottelius ist Luther damit ein ebenso wichtiger Meilenstein der deutschen Sprachgeschichte wie Karl der Große und Rudolf I. (vgl. auch Gardt 1994a, 360).

Topoi � 369

Es gibt innerhalb des Diskurses aber auch Kritik am topischen Verweis auf das Sprachvorbild Luthers. Zesen schreibt, dass auch Luther nur ein Mensch und kein Gott und als solcher auch der Unvollkommenheit unterworfen gewesen sei. Deshalb verweist er auf Opitz, auch wenn seine Dichtungsregeln ergänzt werden müssten (vgl. Zesen, Rosen-mând, 228 (25)). Während Zesen seine Kritik am Sprachvorbild Luthers noch vorsichtig formuliert, werden andere Autoren deutlicher. Leibniz will zwar einerseits den Wortschatz des Deutschen durch Archaismen ergänzen, die er auch bei Luther zu finden hofft, andererseits weist er auf veraltete Wörter in der Bibelübersetzung hin, die aus dem Gebrauch gekommen seien, etwa Schächer (›Mörder‹) oder Kogel (›Kopfbedeckung‹) (vgl. Leibniz, Gedanken, 558 (26)). Solche Wörter kann man nach seiner Auffassung nicht mehr verstehen, sie sollten deshalb vermieden werden. An dieser Stelle könne Luther kein Sprachvorbild sein. Nicht so sehr wegen der veralteten Wörter lehnt Fürst Ludwig in einem Brief an Gueintz vom 13. März 1644 das Sprachvorbild Luthers ab. Vielmehr kritisiert er die vielen Druckfehler in den Bibelausgaben, die der deutschen Sprache zuwiderliefen. Er bemängelt etwa, dass es in Luthers Bibel heiße: Du solt keine fremden Götter neben mir haben statt sollst, denn es sei die zweite Person und nicht die erste oder dritte (vgl. Ertzschrein, 269 (27)). Der Fürst lehnt Luther als Sprachvorbild also aufgrund morphologischer Unterschiede zum aktuellen Sprachgebrauch ab. Unterstützung erhält Fürst Ludwig durch Harsdörffer. Dieser schreibt am 31. Januar 1646 an Gueintz, Luthers Schriften könnten als Vorbild nicht gebraucht werden, „denn er dem gebrauch derselben Zeiten nachgehen müßen, und es bey seiner urschrift […] nicht geblieben, sondern durch die Drucksetzer […] nach und nach geendert worden“ (ebd., 350 (28)). Für Harsdörffer sind also Sprachwandelerscheinungen der Grund für die Ablehnung Luthers als Sprachvorbild. Zudem sei Luther der Cicero der deutschen Sprache gewesen, aber nicht ihr Varro, d.h. ein guter Redner, aber kein Sprachlehrer. Harsdörffer lehnt Luther nicht nur wegen des Sprachwandels oder wegen sprachsystematischer Unterschiede ab, sondern er sieht in Luther prinzipiell kein Sprachvorbild, weil er kein Sprachwissenschaftler gewesen sei, sondern ein Theologe und Redner. Harsdörffer unterscheidet damit strikt zwischen Grammatik und Rhetorik, beide sind für ihn unterschiedliche Fächer. Aus seinen Worten lässt sich der Schluss ziehen, dass ein guter Redner noch lange kein guter Grammatiker sein muss und umgekehrt. Damit liegt ein früher Beleg vor für die Forderung nach der Sprachwissenschaft als eigenständiger Disziplin, unabhängig von der Rhetorik oder der Poetik. Der Topos Martin Luther wird somit meist angewandt, um einen bestimmten Sprachgebrauch als vorbildlich zu erklären und die eigene Spracharbeit, sei sie

370 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses nun theoretischer oder praktischer (dichterischer) Art, zu rechtfertigen. Damit ist dieser Topos eng mit dem Topos Martin Opitz verwandt. Entsprechend häufig werden sie auch miteinander korreliert. Seltener wird er mit den Topoi Karl der Große, Rudolf I., Babel oder Reformation in Verbindung gebracht, dafür mit den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT und EIGENTLICHKEIT. Es zeigt sich aber auch, dass der Topos nicht unumstritten ist. Zwar hat Luther noch viele Anhänger und genießt wegen seiner sprachlichen Leistungen hohes Ansehen32, doch aus unterschiedlichen Gründen wird seine Eignung als Sprach- und damit auch Normvorbild in Zweifel gezogen. Am schwersten wiegen wohl die Einwände, die das Veralten des Lutherischen Idioms hervorheben, und die durch Harsdörffer festgestellte Klassifizierung Luthers als Redner, nicht als Grammatiker. Dennoch ist Luther ein wichtiger und zentraler Topos, der zur Konstitution des sprachpatriotischen Diskurses beiträgt.

4.3.1.6 Martin Opitz Martin Opitz ist zwar selbst Diskursakteur, doch sein umfangreiches Gesamtwerk sowie seine schmale, aber die Literaturepoche prägende Poetik Buch von der Deutschen Poeterey (1624), seine zahlreichen Gedichte und Übersetzungen, die dem Programm einer „Nationalisierung der humanistischen Poesie durch Erfindung einer deutschen Kunstdichtung“ folgten (Alewyn 1926, 12), machten ihn, wohl auch begünstigt durch seinen frühen Tod, schnell zum sprachlichen und literarischen Vorbild, so dass der Hinweis auf ihn bald zum Topos wurde. Dementsprechend dominiert im Korpus die Verwendung des Topos als Verweis auf das Vorbild, um die eigene Arbeit, sei sie sprachtheoretischer, sprachkritischer oder dichterischer Art, zu legitimieren.33 Anwendungsbereiche: Opitz als Sprach- und Dichtungsvorbild (1,2,3,4,5,6,7,8,9), Opitz zeigte, dass die deutsche Sprache zur Poesie fähig ist (10,11,12,13), Opitz widerlegt Vorurteile aus dem Ausland von der Armut der deutschen Sprache (11), gute Neologismen durch Opitz (4,14), Weiterführung von Opitz’ Dichtungsreform (13), Opitz und Weckherlin (15), Opitz verspottet im Aristarch eitle Fremdwortbenutzer (16), Opitz ruft zur Sprachpflege auf (17), Opitz motiviert zur Sprachpflege (18), Opitz als Kenner der französischen Sprache (19), Verehrung für Opitz (20,21,22).

�� 32 Seine Verdienste im Bereich der Religion sind in diesem protestantisch geprägten Diskurs unumstritten. Hier geht es ausschließlich um die Beurteilung seiner sprachlichen Leistungen. 33 Zu Opitz vgl. grundsätzlich Kühlmann 2001.

Topoi � 371

Korrelationen: Knechtschaftsmetaphorik (1), REICHTUM (2,11), Luther (3,4,5,13,14,18), EIGENT(3), Rechtsmetaphorik (8), POETIZITÄT (10,11), ALTER (12), REINHEIT (16), Babel (17), anthropomorphisierende Metaphorik (17), Dreißigjähriger Krieg (21). LICHKEIT

Belegstellen: (1) Klaj, Lobrede, 396; (2) Schottelius, Sprachkunst, 47; (3) ders., Arbeit, 59; (4) ebd., 98; (5) Zesen, Rosen-mând, 224; (6) Rist, Rettung, 78; (7) Leibniz, Gedanken, 553; (8) ebd., 560; (9) ebd., 564; (10) Zincgref, Dedicatio, 2; (11) Titz, Bücher, fol. Bv–B iir; (12) Rist, Rettung, 120– 124; (13) Zesen, Rosen-mând, 228; (14) Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 18 f.; (15) Rompler, Gebüsch, fol. ooo ijv–ooo iijr; (16) Kindermann, Poet, 720; (17) Schottelius, Arbeit, 22 f.; (18) ders., Sprachkunst, 9; (19) ebd., 136; (20) Harsdörffer, Schutzschrift, 345; (21) Rist, Rettung, 79 f.; (22) Hille, Palmbaum, 198.

Johann Klaj lobt die Leistungen der Fruchtbringenden Gesellschaft. Neben dem Fürsten Ludwig zu Anhalt, Herzog August von Braunschweig-Lüneburg und anderen Fürsten werden verschiedene Mitglieder, vor allem Opitz, Werder, Buchner, Harsdörffer, Schottelius und Gueintz namentlich genannt, welche „die Teutsche Verskunst von dem fremddrükkenden Joch erlediget / verbessert und ausgearbeitet wird / daß die Verse nunmehr gänger / fertiger und lieblicher daherfliessen“ (Klaj, Lobrede, 396 (1)). Wie hier bei Klaj wird Opitz nicht selten in einer Aufzählung der Sprach- und Dichtungsvorbilder genannt. Mit Opitz geschieht dies jedoch, wie sich zeigen wird, so häufig, dass man von einem Topos sprechen kann. Hier wird der Topos mit der Knechtschaftsmetaphorik kombiniert. Die Verweise auf Opitz können auch durch Zitate erfolgen. Schottelius zitiert etwa aus Opitz’ Aristarch und folgert daraus: „Auß erwehnten vielen herrlichen Zeugnissen nun kan ein jeder Teutscher unfehlbarlich ermessen / was für außbündige Schätze und überglückliches Wesen in seiner Muttersprache müsse verborgen seyn“ (Schottelius, Sprachkunst, 47 (2)). Hier wird der Topos mit der diskurssemantischen Grundfigur REICHTUM in Verbindung gebracht. Ähnlich verfährt Schottelius bei der Beschreibung der Onomatopoesie, mit der er die EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache belegen will. In dieser Passage zitiert er Opitz wie folgt: Also wenn Opitz sagt: da eine siedende Flamme mit solchem Krachen und schreklichem Getöhn heraus führ: Welcher Teutscher vernimt alhie nicht anfangs ein flammendes siedendes Gemäng / darauf durch die folgende hartbrechende Wörter ein krachen auf uns losbricht (Schottelius, Arbeit, 59 (3)).

Kurz darauf wird auch Luther zitiert, so dass auch diese beiden Topoi assoziiert werden können: Beide werden als Sprachvorbilder angesehen.

372 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses In Zesens Rosen-mând wird die Frage erörtert, wie man eine „guhte flüßige rede“ (Zesen, Rosen-mând, 224) schreiben könne, die so gut wie keine Mängel habe. Marhold empfiehlt als Sprachrohr Zesens ein Lernverfahren in drei Schritten, von denen hier nur der erste Schritt von Belang ist: Man soll die (5) besten hochdeutschen bücher / als des Großen Luters schriften und sonderlich die übersetzung der h. Schrift / die Reichs-Abschiede / die übersetzung des Frantzösischen Amadieses / von den alten; von den neuen aber für allen Arnds schriften / und dan Buchnern und Opitzen / darnach die zu Köthen ausgefärtigte bücher / weil man sich darinnen sonderlich beflissen / rein und unvermischt deutsch zu schreiben / mit fleis und reiffem uhrteil / ja so reif als es einem verliehen / durch und durch betrachten (ebd.).

Zesen empfiehlt also die Lektüre der Autoritäten, wobei insbesondere – nach der Typologie Jostens (Josten 1976; vgl. oben, 3.2.3) – die personale Autorität (Luther, Buchner, Opitz), aber auch die institutionelle Autorität (Reichsabschiede) sowie die Köthener Druckersprache eine Rolle spielen. Auch hier ist Opitz also einer von vielen Autoren, die als Vorbilder genannt werden. Dass Opitz auch gegen Ende des Jahrhunderts noch als Sprachvorbild anerkannt wird, zeigt diese Stelle bei Leibniz: Die deutsche Poesie sei der „Glantz der Sprache“ (Leibniz, Gedanken, 564), doch er hätte bemerkt, dass einige Poeten die Verse etwas zu hart schreiben würden und so von „des Opizen angenehmer Leichtflüssigkeit alzuviel abweichen“ (ebd. (9)). Dem solle man vorbauen, damit die deutschen Verse nicht fallen, sondern höher stiegen. Opitz wird auch deshalb als sprachliches und dichterisches Vorbild anerkannt, weil er, so der Konsens der Zeit, gezeigt habe, wozu die deutsche Sprache fähig sei. Dies betont bereits sein Förderer Julius Wilhelm Zincgref in der Dedicatio zu Opitz’ Teutschen Poemata: Opitz hätte den Deutschen den Unterschied gezeigt zwischen einem Poeten und einem Reimeschmied, zudem hätte er „das Eiß gebrochen“ und den „ankommenden Göttinen“, also den Musen, eine Furt durch den „Strom Menschlicher Urtheil“ gebahnt (Zincgref, Dedicatio, 2 (10)), so dass sich gezeigt hätte, dass hohe Dinge auch mit der deutschen und nicht nur mit fremder Sprache ausgedrückt werden können. Somit könne die deutsche Sprache die Nachkommen auf diese Weise von den Lastern abhalten und sie zur Tugend und Geschicklichkeit führen. Ähnlich äußert sich wenige Jahre nach Opitz’ Tod Johann Peter Titz: Niemals seien so schöne Gedichte in deutscher Sprache geschrieben worden wie seit der Zeit, als Martin Opitz auf den Plan trat. Dieser nämlich sei dem Vorurteil entgegengetreten, „daß jhrer viel / ja fast die meisten / gäntzlich dafür hielten / man köndte in vnserer Sprache kein rechtschaffenes vnd rühmliches Poetisches Werck zuwege bringen / weil sie theils an Worten arm were / theils in keine Poetische Regeln sich wolle einschliessen lassen“ (Titz, Bücher, fol. Bv). Bei der Formulie-

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rung seiner Regeln habe sich Opitz am Griechischen und Lateinischen orientiert; dem Vorbild dieser Sprachen folgend hätte „vnser Poet“ (ebd., fol. B iir (11)) gesehen, dass man „bey den Alten fleissig in die Schule gehen / vnd von jhnen den rechten Griff wol absehen müste“ (ebd.). Opitz hätte auch bemerkt, dass man nicht alles vom Lateinischen und Griechischen übernehmen könne, sondern den spezifischen Anforderungen der jeweiligen Sprache folgen müsse. Die Formulierung unser Poet zeigt, welche Verehrung Opitz genoss. Noch weiter als Titz geht in seinem Lob für Opitz’ Leistungen Johann Rist. Er verteidigt ihn vehement gegen seine Kritiker, indem er dessen Verdienste aufzählt: „[D]ie Verbesserung vnserer alten vnd fast gar vnter die Füesse getretene[] Mutter-Sprache / benebenst denen herrlichen so wohl geist- als weltlichen Gedichten vnd poetischen Erfindungen“ (Rist, Rettung, 120 (12)). Es sei „grober Esel-stoltz“ und „gifftiger Schlangen-neid“ (ebd.), der die Kritiker gegen Opitz aufbringe. Er klagt über die „Lumpen-Verse“ der „Sprachen-verderber“ und „Verse-schinder“ (ebd.) und über die „Eseley“ (ebd., 121) derer, die das Deutsche für eine für die höhere Dichtung untaugliche Sprache halten. Vielmehr sei das Dichten in der deutschen Sprache so anspruchsvoll, dass man „ein gebohrner Poet“ sein und über „eine große Wissenschafft“ verfügen müsse (ebd., 124). Dass die lateinische Dichtung höher angesehen sei als die deutsche, habe seinen Grund einzig und allein in der Tatsache, dass bereits seit Jahrhunderten in lateinischer Sprache gedichtet werde und es das Vorbild der großen antiken Dichter wie Ovid, Vergil oder Horaz gebe, während die deutschsprachige Dichtung noch jung sei. Rist wehrt also die offensichtlich von lateinischen Humanisten kommende Kritik an der volkssprachlichen Dichtung, die durch Opitz wesentlich gefördert worden war und die sich deshalb auch gegen diesen richtete, ab. Leise Kritik wird jedoch auch von Seiten derjenigen geübt, die Opitz’ Dichtungsreform folgen. Zesen lobt zwar ausdrücklich die Neuorientierung der deutschsprachigen Dichtung, die Opitz angeregt habe, doch auch seine Regeln für die Poetik seien noch nicht vollkommen und müssten deshalb weiterentwickelt werden (vgl. Zesen, Rosen-mând, 228 (13)). Rompler, allerdings selbst literarischer Außenseiter, gibt sogar Georg Rodolf Weckherlin (1584–1653) den Vorzug: Dieser hätte 1618 zwei Bände mit deutschsprachigen Oden und Gesängen herausgegeben und so „ein groses stuck amm eiß gebrochen“ (Rompler, Gebüsch, fol. ooo ijv (15)), Opitz hätte viel von diesem gelernt.34

�� 34 Diese Zitate zeigen, dass es in der Diskussion um Opitz auch darum ging, wer dessen Nachfolge als sprachliche und poetologische Autorität antreten sollte (vgl. dazu Niefanger 2013, 148; zur Rivalität zwischen Opitz und Weckherlin vgl. Haberkamm 2013).

374 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Harsdörffer lobt Opitz vor allem als Erfinder vorbildlicher Neologismen: Neue Wörter entstehen nach Harsdörffer dadurch, dass aus natürlicher Krafft und würckender Eigenschafft der Stammwörter fernere ungewöhnliche Ableitungen und Doppelungs-Arten entstehen / und nach deroselben rechtmässigen Leitung / ein Sprachkündiger fortfahret / und einen klaren / jedermann bekanten und vernemlichen Wortverstand vernünfftig bildet (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 18 f. (14)).

Als Meister der Kunst, neue Wörter zu bilden, gelten Philosophen und Poeten wie Pindar, Hesiod, Euripides, Luther, Opitz oder Schottelius. Harsdörffer zitiert einige französische, lateinische und italienische Autoren, um zu zeigen, dass die Poeten die Berechtigung hätten, neue Wörter zu bilden, weil sie sich mit höheren Gedanken und Dingen beschäftigen, die mit gemeinen Wörtern nicht vorzustellen seien. Die Stelle belegt, dass die Erfindung von Neologismen auch in der Dichtung der Rechtfertigung bedurfte. Harsdörffer bedient sich des Beweises durch Autoritäten, zu denen auch Opitz gehört. Opitz gilt auch als Autorität für den Fremdwortpurismus, vor allem in der Dichtung. Kindermann referiert seinen Standpunkt, indem er auf den Aristarch verweist und zuvor schreibt: Und weil die Wörter ausländischer Sprachen / nur bloß zum veracht unserer Mutter-Sprache gereichen / so muß man nohtwendig sich derselben / mit allem Fleiß / enthalten. Denn wir sollen uns nicht allein der alten Deutschen Redligkeit / sondern auch ihrer unverfälschten Sprache befleissigen (Kindermann, Poet, 720 (16)).

Fremdwortbenutzer sind für ihn „Phantasten / die sich groß damit düncken / als weren sie vieler Sprachen kündig“ (ebd.). Diese hätte Opitz im Aristarch genügend verspottet. Zum Abschluss der Analyse soll noch ein Beleg für die Verehrung, die Opitz zuteil wurde, angeführt werden. Bei Hille heißt es in einem Gedicht: (22) Der Granaten schöne Frucht wird sich zu den Lorbeern halten: | Beeder Blätter werden nicht / weil die Erde steht / veralten. | Er wird stets genennet werden der Gekrönte Musen Sohn / | Den Apollo selbst geschmukkt / mit der Kunst- und Tugendkron (Hille, Palmbaum, 198).

Der Granatapfel ist das Fruchtsymbol von Diederich von dem Werder in der Fruchtbringenden Gesellschaft, der Lorbeer das von Martin Opitz, der den Gesellschaftsnamen ,Der Gekrönte‘ trug. Beide Dichter werden somit gemeinsam gelobt, Opitz wird anschließend noch ein eigenes Lobgedicht gewidmet (vgl. ebd., 199 f.). Der Topos Martin Opitz wird also vor allem herangezogen, damit seine sprachliche und dichterische Autorität die eigenen sprachkritischen und dichte-

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rischen Erzeugnisse legitimiert. Dies geschieht auch durch Autoren, die selbst als Autorität zitiert werden, etwa durch Schottelius. Opitz kam eine Verehrung zu wie keinem anderen zeitgenössischen oder historischen Dichter und Dichtungstheoretiker. Als Sprachvorbild wird Opitz sehr oft neben Luther genannt, so dass diese beiden Topoi eng zusammenhängen. Auch als Zeugnis für die POETIZITÄT der deutschen Sprache im Verhältnis zu anderen Sprachen wird er oft genannt. Seltener sind dagegen Zusammenhänge mit der Knechtschafts- oder der anthropomorphisierenden Metaphorik. Andere Topoi und diskurssemantische Grundfiguren tauchen in diesem Zusammenhang nur vereinzelt auf.

4.3.2 Ereignisse In diesem Teilkapitel werden die Ereignisse, auf die toposartig verwiesen wird, in chronologischer Reihenfolge behandelt: Die Sintflut (4.3.2.1), der Turmbau zu Babel samt der Sprachverwirrung (4.3.2.2), die Reformation (4.3.2.3) und der Dreißigjährige Krieg (4.3.2.4). Die Darstellungweise ändert sich gegenüber der im vorigen Teilkapitel nicht.

4.3.2.1 Sintflut In Kapitel 6–8 des Buchs Genesis wird geschildert, wie Gott, um die Sünden der Menschen zu bestrafen, eine große Flut schickte, die alle Länder überschwemmte und alle Menschen tötete. Nur der gottesfürchtige Noah mit seiner Familie überlebte dank einer Arche, die er auf Gottes Befehl baute und in die er, ebenfalls auf Gottes Befehl, zwei Exemplare von jeder Tierart aufnahm, damit diese erhalten blieben. Dieses Ereignis hat auf den ersten Blick wenig mit Sprache zu tun. Dennoch kann es den Status eines Topos für sich beanspruchen, wird jedoch anderen, durch die Sintflut bedingten Topoi untergeordnet. Anwendungsbereiche: Sintflut als Gottesstrafe (1,2,3), nach der Sintflut verteilen sich die drei Söhne Noahs über die Welt (3,4,5), Japhet wandte sich nach der Sintflut und der Sprachverwirrung nach Norden und zog nach Europa (6), die Sprachverwirrung geschah nach der Sintflut und gleichzeitig mit der Völkertrennung (7,8,9), die deutsche Schrift wurde von Noahs Neffen Tuisko erfunden und geht in ihrem Ursprung damit auf die Zeit kurz nach der Sintflut zurück (10), die Sibylle Babels war Noahs Ehefrau und überlebte in dessen Kasten die Sintflut; von ihr wird die Kabbala hergeleitet (11). Korrelationen: Babel (1,2,3,4,5,6,7,8,9), Adam (1,2), Ascenas (3,10), ALTER (7,8, 9,10), Karl der Große (10).

376 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses

Belegstellen: (1) Zesen, Rosen-mând, 99 f.; (2) ebd.,. 100; (3) Hille, Palmbaum, 91; (4) Schottelius, Sprachkunst, 59 f.; (5) ders., Arbeit, 32; (6) Neumark, Palmbaum, 104; (7) Ertzschrein, 268; (8) ebd., 268 f.; (9) ebd., 366; (10) Zesen, Rosen-mând, 127; (11) ebd., 124 f.

Nach Zesen ist die Sintflut eine der drei Hauptstrafen, die Gott dem Menschen verhängt hat. Die erste Strafe sei die Vertreibung aus dem Paradies gewesen, womit Gott die Vorwitzigkeit des Menschen, der vom verbotenen Baum gegessen hat, gestraft habe, indem er ihn Leid und Tod unterwarf. Die dritte Hauptstrafe sei die Sprachverwirrung gewesen, mit der Gott den Stolz und den Hochmut des Menschen bestraft hätte (vgl. dazu unten, 4.3.2.2). Dazwischen lag die Sintflut als zweite Hauptstrafe. Sie ist aber, wie der folgende Beleg zeigt, der Babylonischen Verwirrung untergeordnet: (2) [D]a hat Gott solches hochmuhts und solcher trotzigen worte wegen ihre wörter und ihre gantze sprache verwürret / das ist / zu vielen mund-ahrten gemacht / so / daß die heilige sprache / die schönste sprache / die folkomneste sprache / die zwar noch bei wenigen / nähmlich den kindern Ebers / erhalten worden / von dem nun an (wie der mensch der sterbligkeit / und verwesung / ja wie der Erden-kreis nach der Sünd-fluht dem verderblichen überlauffe der wasser) dem zeitlichen untergange oder veränderung immerzu unterworfen sein muste (Zesen, Rosen-mând, 100).

In einem Ascenas, dem Stammvater der Deutschen (vgl. oben, 4.3.1.2), gewidmeten Gedicht wird die Geschichte der Entwicklung der deutschen Sprache und des deutschen Volkes erzählt. Es beginnt mit der Sintflut: (3) Als die Sündenrächerfluten / jene böse Welt ersäufft / | Und die Wasser nicht mehr wurden an die Wolken aufgehäufft / | Als der Wasser Strom nicht mehr Taurus Gipfelhaar benetzet / | Und des Noae Tannenbaum / seine Bürger ausgesetzet: | Sah man bald nach solchen Zeiten / eine neugeborne Welt / | Der von Noae dreyen Söhnen / Ahnen / würden zugezehlt (Hille, Palmbaum, 91).

Auch hier wird die Sintflut vor allem im Hinblick auf die Gottesstrafe betrachtet. Die Geschichte wird weitererzählt über den Turmbau zu Babel und die Sprachverwirrung, Ascenas bis hin zu Karl dem Großen, so dass anhand einer Verkettung verschiedener Topoi eine Kontinuitätslinie konstruiert wird. Der Topos kann aber auch auf die Entstehung der Völker angewandt werden, zugleich als Erklärung dafür, dass die Deutschen, obwohl ihre Ursprünge, der zeitgenössischen Geschichtskonstruktion nach (vgl. 4.3.1.2), im Nahen Osten liegen, nach Mitteleuropa zogen. Schottelius beginnt seine Erzählung vom Ursprung der deutschen Sprache mit diesem Ereignis: Nach der Sintflut vermehrten sich die Nachkommen Noahs so schnell und zahlreich, dass das Land-

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stück am Tigris, wo sie sich niedergelassen hatten, nicht mehr alle ernähren konnte, weshalb Noah die Welt unter seinen drei Söhne Sem, Japhet und Ham und ihren Nachkommen aufteilte. Diese zogen nach der Sprachverwirrung aus und besiedelten die Welt. Der Topos Sintflut markiert also den Anfang der Siedlungsgeschichte in Europa, die wesentlich von den Deutschen ausgegangen sei (vgl. Belege (4) und (5)). Neumark präzisiert diesen Aspekt, indem er Japhet als denjenigen nennt, der nach der Sintflut mit den Seinen nach Europa gezogen sei (Beleg (6)). Innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft wurde ein aus heutiger Sicht kurioses Problem diskutiert, nämlich die Frage, ob die Lateiner oder die Deutschen das ältere Volk seien. In dieser Diskussion griffen die Teilnehmer auch auf den Topos Sintflut zurück. Gueintz weist Einwände anderer Mitglieder zurück, deren Argumente voraussetzten, dass die Alten anders hätten reden und schreiben müssen, da man dieses doch von ihnen erlernt und es somit der gemeine Gebrauch sei: „Zwar ist in andern auch viel geendert, doch helt man von denen am meisten, die es mit den alten halten, wie derer Schrifften, so in Händen, außweisen“ (Ertzschrein, 268 (7)). Paraphrasiert bedeutet dies: Wenn, nach den Vorstellungen der anderen Mitglieder, die Deutschen älter wären als die Lateiner, dann hätten sie nicht Deutsch sprechen dürfen, was aber nicht anzunehmen sei, weil man von den Alten die Sprache übernommen hätte. Daher seien die Deutschen erst nach den Lateinern gekommen, denn wenn Deutschland zur Zeit der Babylonier besiedelt gewesen wäre, dann hätten die Deutschen bei der Sintflut umgekommen sein müssen. Diese Argumentation hält Fürst Ludwig (zu Recht) für nicht stichhaltig: (8) Dieses einwenden mag nicht begriffen werden, dan das die Sündflut lange für erbauung des Babilonischen Thurmes hergangen, und nach verwirrung der sprachen die völcker sich erst Zertheilet und fortgewendet ist unleugbar. Und von der Zeit an müssen sich so die nationen nach den unterschiedenen sprachen angefangen haben, wie solches in den geschichtschriften sonderlich dem Aventino klärlich Zu finden, und vermutlich das die Völcker nach dem festen lande in Deutschland eher, als über das Meer in Jtalien mit schiffen gekommen (ebd., 268 f.).

Am Trojanischen Krieg hätten viele Deutsche teilgenommen, von Lateinern sei bei Homer nichts zu finden. Der Fürst begründet seine Meinung also mit dem Hinweis darauf, dass die Sintflut vor der Babylonischen Sprachverwirrung stattgefunden habe. So wird die Sintflut zu einem Topos, der in der Diskussion sowohl von der einen wie von der anderen Seite eingesetzt werden kann.35 �� 35 Die Diskussion wurde hier nur exemplarisch wiedergegeben. Dass aus heutiger wissenschaftlicher Sicht beide Positionen nicht mehr vertretbar sind, muss nicht weiter erläutert

378 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Zesen diskutiert die Frage, ob die deutsche Schrift aus der griechischen abgeleitet sei. Er ist der Meinung, dass die Deutschen das ältere Volk seien, aus dem das griechische entsprossen sei. Viele behaupteten, daß die alten Deutschen Griechische buchstaben gehabt / als wan man schriebe / daß sie 36 ihre eigne gebraucht / welche des Nohe sohn oder vielmehr Neffe Duisko oder Deut / der algemeinen Deutschen vater und könig / erfunden (Zesen, Rosen-mând, 127 (10)).

Die deutsche Schrift sei also viel älter als die griechische und gehe schon auf die Zeit kurz nach der Sintflut zurück. Zesen greift also auf den Topos Sintflut zurück, um seine Meinung, die deutsche Schrift sei älter als die griechische, weil Tuisco / Ascenas sie kurz nach der Sintflut erfunden habe, zu bekräftigen. Zudem wird damit abermals, wenn man Schrift als Metonymie zur deutschen Sprache versteht, das höhere ALTER der deutschen Sprache behauptet. Zesen bringt auch die Entstehung der Kabbala mit der Sintflut in Verbindung: Er verweist auf eine Überlieferung, nach der die Sibylle Babels sagt, sie sei zusammen mit ihrem Ehemann Noah im Kasten37 vor der Sintflut gerettet worden. Da die Heilige Schrift nichts davon berichte, dass Noah zur Zeit der Sintflut verheiratet gewesen sei, nimmt Zesen an, dass damit die Kabbala gemeint sei, die Noah in seinem Gedächtnis bewahrt habe. Anhand der griechischen und hebräischen Wortwurzeln behauptet er, Sibylle und Kabbala hätten die gleiche Wurzel. Später hätte man die von den Alten übernommenen Gebräuche, Erzählungen und Geheimnisse Kabbala genannt. Zesen benutzt also den Topos Sintflut, um einen Entstehungsmythos der Kabbala zu konstruieren (vgl. Beleg (11)). Dieser Topos besitzt im vorliegenden Korpus kaum Eigenständigkeit. Er wird letztlich nur zur Unterstützung anderer Topoi (Babel, Adam, Ascenas) eingesetzt. Die Sintflut markiert den Anfangspunkt in der Geschichte der Entstehung der deutschen Sprache und der Entwicklung der Völker. Mit den diskurssemantischen Grundfiguren steht der Topos somit kaum in Verbindung.

�� werden. Bemerkenswert ist aber, dass Gueintz auf seiner Position beharrt, obwohl er, den Quellen zufolge, die im Ertzschrein aufgeführt sind, keine Unterstützer fand, auch, weil seine Argumentation wenig überzeugt. 36 Duisco oder Tuisco wird mit Ascenas identifiziert, vgl. oben, 4.3.1.2. 37 Kasten verhält sich im Frühneuhochdeutschen partiell synonym zu Arche (vgl. FWB, Bd. 8, Sp. 679). Letzteres Lexem ist heute nur noch in der Bedeutung ›Schiff, in dem Noah mit seiner Familie und den Tieren die Sintflut überlebte‹ vorhanden (vgl. auch FWB, Bd. 2, Sp. 55–57; als Bedeutung 6 von arche wird angegeben: ›Kiste, Kasten, Truhe, Behälter; Schatzkiste; Kaste, Schrein, Schrank‹).

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4.3.2.2 Der Turmbau zu Babel und die Babylonische Sprachverwirrung Dieses Ereignis wird in Genesis 11, 1–9 beschrieben: Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte. […] Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.

Die theologische Frage, warum Gott die Menschen für ihren Hochmut ausgerechnet damit bestraft, dass er ihre Sprache verwirrt, muss hier nicht interessieren.38 Jürgen Trabant interpretiert dies aus sprachwissenschaftlicher Sicht so: Hier wird nun erneut im Miteinander-Sprechen das Unerhörte geplant, um an Gott heranzureichen oder Gott ähnlich zu werden […]. Die Menschen können das unerhörte Projekt verabreden und in Angriff nehmen, weil sie ,einerlei Sprache‘ haben und deswegen miteinander sprechen können (Trabant 2006, 20).

Zudem war bereits die Erbsünde erst durch die Sprache ermöglicht worden, die Frau hatte Adam überredet, vom verbotenen Baum zu essen. Trabant interpretiert den Sündenfall als den Beginn des Ressentiments gegen das weibliche ,Geschwätz‘ wie gegen die Verführungskünste der Rhetorik, das das europäische Sprachdenken wie ein roter Faden durchziehe (vgl. ebd., 21). Auf jeden Fall aber gibt der Sündenfall den schon aufs Negative vorbereitenden Hintergrund für die Babel-Geschichte ab, den zweiten, expliziten Mythos über die Sprache nach der adamitischen Namengebung. Das erneute verwerfliche Miteinander-Sprechen wird dann an der Quelle bestraft, an der Einheit der Sprache, die das ja erst ermöglicht hat (ebd.; Hervorhebung im Text).

�� 38 Martin Luther etwa nennt explizit in deutscher Sprache furwitz, trutz und hochmut als Gründe für die Strafe, die Gott über die Menschen in Babel verhängt hat: „Videmus hic den furwitz, qui et hodie multos occupat, studium aedificandi: quod tamen minus error est, sed hoc culpandum, quod non volebant desistere, nisi consumassent, quod fuit ein trutz und hochmut, ut in suis studiis gloriarentur, non in deo. Sinear fuit campus, in quo sita fuit Babylon, electissimus locus ad urbem, cum qua postea multi reges rem egerunt“ (Luther, WA Bd. 14, 212).

380 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Nach Trabant ist der Turmbau zu Babel einer der beiden Pfeiler der ,europäischen Sprachideologie‘, der andere ist die semiotische Sprachauffassung des Aristoteles (ebd.). Aus der einheitlichen Adamischen Ursprache wird durch den Akt Gottes sprachliche Verschiedenheit. „In diesem Mythos wurzelt die tiefste europäische Vorstellung von der Sprache: Einheit der Sprache ist gut, paradiesisch, Vielfalt der Sprache ist schlecht, sie ist Strafe und Verlust, Verlust der ursprünglichen richtigen Wörter“ (ebd.; Hervorhebungen im Text). Im vorliegenden Diskurs lässt sich eine vielfältige Auseinandersetzung mit diesem Mythos feststellen. Zum einen fungiert er als topische Erklärung für die Verschiedenheit der Sprachen. Zum anderen werden einige Sprachen in ihrem Ursprung auf Babel zurückgeführt, was als besondere Auszeichnung der Sprache gilt. Deshalb bemühen sich die Sprachpatrioten, den Ursprung der deutschen Sprache auf die Sprachverwirrung zurückzudatieren und damit zugleich ihr hohes ALTER und ihre EIGENTLICHKEIT zu beweisen. Meist wird der Babel-Topos mit dem Ascenas-Topos verbunden (vgl. oben, 4.3.1.2). Aus diesen beiden Topoi werden unterschiedliche Gründungsmythen des deutschen Volkes und der deutschen Sprache konstruiert. Diese Mythen dienen der „genetisch-strukturellen Abgrenzung des Deutschen von verwandten Sprachen, verbunden mit einer im Patriotismus fußenden Aufwertung“ (Gardt 1994a, 342). Innerhalb dieses Rahmens entfaltet sich ein breites Feld von Anwendungsbereichen und Korrelationen, wie aus folgendem Schema ersichtlich wird: Anwendungsbereiche: das Hebräische bestand schon vor der Verwirrung (1,2,3,4,5), das Deutsche entstand bei der Babylonischen Sprachverwirrung (aus dem Hebräischen) (3,4,7,8, 9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,27), deutsche Sprache entstand nach der Sprachverwirrung durch göttliche Vermittlung (11), die deutsche Sprache blieb seit der Babylonischen Verwirrung unverändert (19), die deutsche Sprache hat sich seit der Sprachverwirrung verändert (18), Sprachverwirrung als Gottesstrafe (7,8,18,20,21,22,23,24), Sprachverwirrung schuf keine neuen Sprachen, sondern verwirrte die Adamische Erzsprache (7,18), Zerteilung der Völker nach der Babylonischen Sprachverwirrung (2,21,23,25,26), Babylonische Sprachverwirrung zerstörte Vertrauen und Gemeinschaft (20,23,24), Babylonische Sprachverwirrung verdunkelte die Erkenntnis Gottes (23,24), Sprachverwirrung bewirkte Mühen und Zeitverlust beim Erlernen fremder Sprachen (20), das Griechische entstand bei der Babylonischen Verwirrung (15), das Lateinische entstand erst lange nach der Babylonischen Sprachverwirrung (15, 16), Babylonische Verwirrung geschah nach der Sintflut und bevor Japhet nach Europa zog (27), wer versucht, Veränderung zu verhindern, dem geht es wie denen, die versuchten, den Babylonischen Turm zu bauen (28), Gegenstück zur Verwirrung ist das Pfingstwunder (29), terminologische Vielfalt und Verwirrung in den Wissenschaften als Turm von Babel (30), Alamodekritik (31), Fremdwörter machen aus dem Deutschen ein neues Babel (32). Korrelationen: Sintflut (2,7,8,14,18,20,21,26,27), Adam (3,7,8), ALTER (4,9,11,13,15,16,17,19, 25,26,27), Ascenas (6,7,8,11,14,16,17,21,22,23), EIGENTLICHKEIT (7,8,30), REINHEIT (9,10, 32), Kleidermetapher (9,10,31), biologistische Metaphorik (9,10), Karl der Große (11),

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anthropomorphisierende Metaphorik (12,19), Opitz (12), REICHTUM (12), Dialektvielfalt des Deutschen (13), Knechtschaftsmetaphorik (17), Luther (18). Belegstellen: (1) Hille, Palmbaum, 79; (2) Neumark, Palmbaum, 104; (3) Zesen, Rosen-mând, 105; (4) ders., Spraach-übung, 13; (5) ebd., 15 f.; (6) Neumark, Palmbaum, 114; (7) Schottelius, Sprachkunst, 59–62 ; (8) ders., Arbeit, 32 f.; (9) ders., Sprachkunst, 171; (10) ebd., 144; (11) ebd., fol. br; (12) ebd., 21; (13) ebd., 152; (14) Gueintz, Entwurf, 2; (15) Ertzschrein, 266; (16) ebd., 267; (17) Neumark, Palmbaum, 27* f.; (18) Zesen, Rosen-mând, 100 f.; (19) ebd., 238; (20) ebd., 100; (21) Hille, Palmbaum, 91; (22) Klaj, Lobrede, 391; (23) Schottelius, Sprachkunst, 64 f.; (24) ders., Arbeit, 35; (25) Gueintz, Entwurf, fol. )( iiijv – )( vr; (26) Ertzschrein, 268 f.; (27) ebd., 365 f.; (28) Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 2; (29) Neumark, Palmbaum, 107 f.; (30) Leibniz, Abhandlungen, 173; (31) Logau, Sinngedichte, 472; (32) Klaj, Lobrede, 410.

Exemplarisch für die angesprochenen Geschichtskontruktionen kann die stehen, die Hille im Palmbaum erzählt: Nach Erschaffung der Welt hätte es nur eine Sprache gegeben, nämlich die hebräische. Nach Auskunft der Bibel habe diese sich im Jahr 1717 nach der Schöpfung infolge der Erbauung des Turms von Babylon verändert und in die Welt ausgeteilt. Das Hebräische hätten die Nachkommen Abrahams beibehalten. In dieser Sprache hätten Moses und die Propheten die göttliche Offenbarung niedergeschrieben und im Alten und im Neuen Testament hinterlassen (vgl. Hille, Palmbaum, 79 (1); vgl. auch Neumark, Palmbaum, 104 (2)). Hier geht es vor allem darum, zu zeigen, dass das Hebräische die älteste Sprache der Welt und dass sie bei der Babylonischen Verwirrung in verschiedene Sprachen aufgeteilt worden sei. Daher nimmt das Hebräische in der Sprachenhierarchie die höchste Stelle ein. Auch Zesen sieht das Hebräische als die älteste Sprache an. Die Heilige Schrift bezeuge eindeutig, dass die Adamische Sprache bis zur Babylonischen Sprachverwirrung unverändert geblieben sei; sie sei auch danach nicht mehr verändert worden, wodurch sie sich von allen anderen aus ihr „entsprossenen sprachen / oder vielmehr mund-ahrten“ (Zesen, Rosen-mând, 105 (3)) unterscheide. Nach dem Zeugnis der Bibel hätten die Menschen vor der Babylonischen Verwirrung von keiner Sprache als der Hebräischen gewusst, schon deshalb könne die deutsche Sprache nicht älter sein. Die ursprüngliche hebräische Sprache sei durch das von Gott gesegnete Volk zumindest zum Teil erhalten und werde noch von ihnen gesprochen (Zesen, Spraach-übung, 13 (4)). Dass das Hebräische die Ursprache sei, will Zesen anhand des hebräischen Wortes sak belegen, das Entsprechungen im Deutschen, Griechischen, Lateinischen, Chaldäischen, Niederländischen, Englischen, Französischen, Portugiesischen, Italienischen und Spanischen hätte. Dies sei ein sicheres Zeichen für die Babylonische Verwirrung: Die Arbeiter beim Turmbau hätten in Säcken Kalk und Steine getra-

382 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses gen, daher sei es kein Wunder, dass sie dieses Wort, weil es ihnen so geläufig gewesen sei, in die anderen Sprachen übernommen hätten (ebd., 15 f. (5)). Diese argumentativen Bemühungen sind Ausdruck des Bestrebens, einen möglichst frühen Entstehungszeitpunkt der deutschen Sprache zu finden, der aber nicht vor der Babylonischen Verwirrung angesetzt werden kann, weil sonst der Bibel widersprochen würde. Die wohl bekannteste und am systematischsten ausgearbeitete von Babel ausgehende Geschichtskonstruktion stammt von Schottelius. Bei ihm stellt sich die Sprachgeschichte bis zur Verwirrung so dar: 1780 Jahre nach Erschaffung der Welt und 124 Jahre nach der Sintflut hatten sich die Nachkommen Noahs so stark vermehrt, dass es in ihrem angestammten Landstück jenseits des Tigris zu eng wurde. Daher wurde Noah von Gott ermahnt, die Erde unter seine Söhne aufzuteilen und jeden nach dem ihm zugeteilten Land auszusenden, damit die Welt auch dort wieder aufgebaut und bevölkert werde. So teilte Noah die Erde unter seine drei Söhne auf: Sem erhielt Asien, Japhet Europa und Ham Afrika. Nachdem diese Teilung geschehen war, beratschlagten sich die Nachkommen Noahs und kamen überein, dass sie vor ihrer Trennung noch ein großes Andenken für alle kommenden Generationen schaffen wollten und beschlossen, eine große Stadt mit einem so hohen Turm zu bauen, dass dessen Spitze den Himmel berühren sollte. Gott jedoch war dieser Plan zuwider und als die Menschen trotz seiner Aufforderung den Turmbau nicht abbrachen, verwirrte er ihre Sprachen, so dass sie einander nicht mehr verstehen und den Bau nicht mehr weiterführen konnten. Die Stadt, in der diese Verwirrung geschehen war, wurde Babel genannt, woher die Nachkommen Japhets die Wörter babbeln, gebabbel und herbabbeln hätten. Schottelius besteht darauf, dass bei der Sprachverwirrung keine neuen Sprachen entstanden, sondern die eine bereits existierende zerteilt wurde (vgl. dazu auch Reichmann 1993b, 294): (7) Es ist aber zu mercken / daß es eine Verwirrung / und nicht eine Erschaffung newer Sprachen gewesen / denn dieselbige allervollenkommenste Ertzsprache / welche dem Adam gegeben / und nach welcher der Adam alle dinge / und zwar nach jhrer rechten Eigenschafft benahmet hat / und die biß auf dieselbe Zeit der Noa und seine Nachkommen behalten hatten / dieselbige eintzige Welt-Sprache ist durch Göttliche Allmacht also zerworren / verdorben und zertheilet in vielerley dialectûs und idiomata, daß sie sich untereinander gar nicht verstanden: eben wie ein Frantzos / Spanier und Welscher keiner den andern verstehen / wiewol jhre Sprache fast auß der Lateinischen genommen / oder wie ein Däne / Schotte / Schwede und Engelländer einer vor den andern nichts fast vernehmen müchte / da doch derselben Sprache im grunde Teutsch ist (Schottelius, Sprachkunst, 61 f.; vgl. Schottelius, Arbeit, 32 f. (8)).

Der Grund dafür, warum Schottelius darauf so vehement insistiert, liegt in der Stammworttheorie und in der diskurssemantischen Grundfigur EIGENTLICHKEIT.

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Die Adamische ,Ursprache‘ gab die Dinge so wieder, wie sie wirklich sind, den Wörtern war das ,Wesen‘ des Dinges, das sie bezeichneten, inhärent: Sie waren nach ihrer rechten Eigenschaft benamt. Diese in jeder Hinsicht vollkommene Sprache wurde in Babel in verschiedene Sprachen zerteilt, unter anderem auch in die deutsche. Nimmt man das zerteilt wörtlich, so existieren in der deutschen Sprache noch Bruchstücke, Teile der ,Ursprache‘, die seit Babel in nahezu unveränderter Form weitertradiert wurden. Dies kann man noch an den Stammwörtern erkennen, die „jhr Ding eigentlich ausdrükken“ (Schottelius, Arbeit, 51). Die Stammworttheorie und mit ihr die EIGENTLICHKEIT sind damit für Schottelius die Beweise für die herausgehobene Stellung des Deutschen in der Sprachenhierarchie; es muss sich nur dem Hebräischen unterordnen. Wären in Babel allerdings neue Sprachen erschaffen worden, dann könnte keine der noch existierenden Sprachen mehr die EIGENTLICHKEIT und damit Anteil an der göttlichen Schöpfung für sich beanspruchen. Schottelius’ Versuch, das nationale und internationale Ansehen der deutschen Sprache auf diese Weise zu verbessern, würde in sich zusammenbrechen. Folgerichtig spricht sich Schottelius dafür aus, dass die Deutschen selbstbewusster ihre Sprache vertreten und den Ursprung ihrer Wörter nicht bei anderen Sprachen suchen sollen; diese Aufforderung wird mit Fremdwortkritik mittels der biologistischen Metapher und der Kleidermetaphorik untermauert: (9) Weil demnach in unser Teutschen Sprache die Würtzelen einlautend / klar / hell / deutlich / vollkommen / ja solche seyn / darin die Natur jhr Meisterstück gethan / und jre Verborgenheit lassen dadurchs auffs gründlichste außbilden; Auch weil unsere uhralte Vorfahren bey Babylon sie erlernet / wie solches droben ist erwiesen / ey lieber / warumb wollen wir denn so unbesonnene unleute gegen unsere Vorfahren seyn / und jhnen eine Zunge ohn Sprache zueygnen? Wollen wir denn selbst / wider den Lauff der gemeinen Natur / und wider alles Geheiß der Warheit / aus schändlicher frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Krafft und Safftreiche / reinlichste / uhralte Stammwörter / zu menglingen / flickstücken / brocken / unwörteren / mißgeburten und Betteldrecke machen? (Schottelius, Sprachkunst, 171).

Die äußere Gestalt der durch Ascenas aus Babel importierten, mit dem Keltischen identifizierten deutsche Sprache bleibt dabei jedoch schemenhaft und nur grob umrissen. Die Rede vom Deutschen als einer unmittelbar von Babel abstammenden Sprache ist nur dann möglich, wenn man die Bedeutung des Wortes unbestimmt lässt: Zwar ist im Grunde eine Sprachenfamilie gemeint, doch wird durch die Wahl eines spezifischen Sprachnamens suggeriert, dass die strukturellen und sonstigen Qualitäten der Sprachenfamilie am deutlichsten in dieser einen Sprache realisiert sind (Gardt 1994a, 355).

384 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Möglicherweise ist hierin der Grund für den Umweg über das Keltische zu sehen, den Schottelius von Clüver und Scrieckius übernahm (vgl. Borst 1957–1963, 1357): So kann er die Brücke schlagen zum Englischen und den skandinavischen Sprachen, die er zu vom Deutschen abgeleiteten Sprachen erklärt.39 Zudem kann Schottelius die offensichtliche Diskrepanz zwischen der hochdeutschen Sprache seiner Gegenwart und der deutschen Sprache 800 Jahre zuvor mit dem Konstrukt einer in Babel entstandenen keltisch-deutschen Ursprache erklären. Denn in aller Kürze skizziert er Ursprung und Geschichte der deutschen Sprache so: Durch göttliche Vermittlung habe sich nach der Babylonischen Sprachverwirrung die keltische Sprache gebildet, die durch Ascenas und seine Nachkommen nach Europa kam: Diese keltische „ErtzSprache“ habe sich in verschiedene Dialekte unterteilt, nachdem sich einzelne Völker gebildet hatten. Das Gotische, das Dänische, das Kimbrische, das Isländische, das Angelsächsische und die nordischen Sprachen seien Dialekte dieser keltischen Ursprache. Auch die alte „Tuitische oder Teutische Sprache“ gehöre dazu. Nach langer Zeit hätte sich die „Teutische Sprache“ in zwei Hauptdialekte aufgeteilt: Das Altsächsische, aus dem das Niederdeutsche entstand, und das Fränkische; das Fränkische entwickelte sich nach der Zeit Karls des Großen und seiner Sprachpflege zum Hochdeutschen weiter, die von den Kanzleien zu einer allgemeinen hochdeutschen Sprache ausgebaut wurde (Schottelius, Arbeit, fol. br (11)). Diese Entwicklung vom Keltischen zum Hochdeutschen wird an anderer Stelle noch genauer erläutert: Aus dem Keltischen entstanden Dialekte, als die Völker sich ausbreiteten. Auch das Deutsche, das ja bis in die babylonische Zeit zurückreicht, spaltet sich in Dialekte auf. Am deutlichsten wird dies, wenn man die sächsische (= niederdeutsche) Sprache mit der fränkischen (= hochdeutschen) Sprache vergleicht: (13) Wer in antiquitate Germanica, und was insonderheit das Sprachwesen betrift / nicht unerfahren / wird dieses erspüren / daß die Lingua Teutonica, in den allerältisten monumentis und Schriften sich begunnen zusondern in Teutiscam Linguam, in Teutsche und the ho-tietsche (Hochteutsche) Sprache oder Mundart / welches aus dem Otfrido Willeramo, und vielen anderen wahrzunehmen / wie dieselbe / als anfängere des alten Fränkischen (hernach per secula nach gerade ausgeschliffenen / und genanten Hochteutschen) Dialecti, sich des zz / tz / ß / an stat des t / oder d / wie auch on und an an stat en

�� 39 Die Identifizierung des Deutschen mit dem Keltischen hält sich bis ins frühe 18. Jahrhundert. Johann Conrad Wack schreibt noch 1713: „Dann sie [die deutsche Sprache] ist der ersten / die uns GOtt durch Adam gegeben / erstgebohrnes Kind / nemlich Chaldäisch / oder Celtisch / so der nechste Dialect vom Ebräischen / und durch gantz Teutschland gemein ist. Biß auf die Bayern und Oesterreicher / so der Sprach nach / so wol im Reden / als Schreiben Syrer sind“ (zitiert nach Gardt 1994a, 349).

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und derogleichen haben angefangen sich zubedienen / und dem eusserlichen Laute nach / vielen Teutschen Worten eine mehr fliessende / zischende art / und nach jhrer Meinung besseren und höheren Klang / und also eine Hochteutsche Ausrede beginnen zugeben / da hergegen die alten Sachsen jhre alte rechte Ausrede / Ausspruch und Andeutung der Wörter behalten (Schottelius, Arbeit, 152).

Was Schottelius hier beschreibt, ist das, was wir heute als die 2. oder hochdeutsche Lautverschiebung kennen. Es war wohl seine niederdeutsche Herkunft, die Schottelius zu einem guten Beobachter lautgeschichtlicher Zusammenhänge machte, auch wenn er sie anders interpretierte als man es heute zu tun pflegt. Der Topos Babel wird auch dazu verwendet, die deutsche Sprache von der lateinischen abzugrenzen. In einem Brief an Gueintz schlägt Fürst Ludwig vor, dass man sich im Zweifelsfall eher an der griechischen als der lateinischen Sprache orientieren solle, „weil die deutsche sprache mit der Griechischen als einer Haubtsprache bey der verwirrung Zu Babel Zugleich auffkommen, die Lateinische aber lange darnach“ (Ertzschrein, 266 (15)). Gueintz’ Vermutung, das Lateinische sei älter als das Deutsche, wird damit zurückgewiesen: Die Lateiner seien sehr wohl nach Deutschland gekommen, sie hätten ja Teile davon besetzt und sicher einige Wörter übernommen, was man auch am Französischen und Italienischen sehen könne. Das Lateinische und das Deutsche seien aber zu weit voneinander entfernt, als dass man sich zur Normierung des Deutschen am Lateinischen orientieren könne. Das Lateinische sei wohl jünger als das Etruskische und es könne nicht bewiesen werden, „daß die Lateinische, mit der verwirrung der sprachen Zu Babel, angefangen, welches von der Deutschen eher kan gesagt werden, als von Ascenas, so deutsch heisset, herrürende“ (ebd., 267 (16)). Für Zesen ist die Babylonische Sprachverwirrung das große Verhängnis, das Gott über die Sprachen gesandt hat: Weil Hams Kinder damit prahlten, einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reiche, damit sie sich einen Namen machen würden, wurden sie bestraft: (18) [D]a hat Gott solches hochmuhts und solcher trotzigen worte wegen ihre wörter und ihre gantze sprache verwürret / das ist / zu vielen mund-ahrten gemacht / so / daß die heilige sprache / die schönste sprache / die folkomneste sprache / die zwar noch bei wenigen / nähmlich den kindern Ebers / erhalten worden / von dem nun an (wie der mensch der sterbligkeit / und verwesung / ja wie der Erden-kreis nach der Sünd-fluht dem verderblichen überlauffe der wasser) dem zeitlichen untergange oder veränderung immerzu unterworfen sein muste (Zesen, Rosen-mând, 100).

Da also nun auch die Sprachen dem Tod und der Veränderung unterworfen waren, mussten sie sich stets weiter verändern. Daher sei es abwegig zu glauben, dass eine Sprache unter diesen Umständen seit dem Turmbau zu Babel bis heute unverändert geblieben sein könne. Deshalb dürfe man sich auch nicht

386 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses einbilden, „daß unsere itzige Hoch-deutsche sprache / so / wie sie ist / bleiben werde“ (ebd., 101). Zwar habe Luther positiven Einfluss auf die deutsche Sprache ausgeübt; aber wie hart es damit gehalten / wissen die jenigen wohl / welche sich mit aller gewalt haben bemühen müssen / die durch den krieg / durch handel und wandel mit fremder sprachen völkern / oder sonst eingeflochtene wörter und redens-ahrten zu vertilgen und auszurotten (ebd.).

Dies wird später zurückgenommen, die deutsche Sprache habe sich eine REINHEIT bewahrt, die sie vor allen anderen Sprachen auszeichne, denn „die deutsche sprache / die ihre unbeflekte jungferschaft […] von dem Babelschen turne her bis auf diesen tag / für allen andern / allein fürzeugen kan / hat sich mit den alten Deutschen zugleich so weit ausgebreitet“ (ebd., 238 (19)). Dieser Widerspruch ist nur aufzulösen, indem man annimmt, dass Zesen zwar das Faktum des Sprachwandels nicht leugnete, diesen aber als ihr inhärenten Wandel ansah, der unabhängig von äußeren Einflüssen, mit einer biologistischen Metapher gesprochen, organisch stattfindet. Diesen unvermeidlichen und notwendigen inneren Wandel grenzt Zesen scharf vom Wandel durch äußere Einflüsse ab, die es zu bekämpfen gilt. Der innere Wandel zeigt sich aber erst seit Babel, denn er ist die dritte der drei Gottesstrafen, mit denen der Mensch belegt wurde: Die erste war die Vertreibung aus dem, die zweite war die Sintflut. Die dritte „haupt-züchtigung“ (ebd., 100) schließlich war die Veränderung der Sprachen. Sie sei deswegen schädlich gewesen, (20) weil sie große verwürrung und uneinigkeit nicht allein der zungen / sondern auch dem mänschen selbst veruhrsachet / und viel ja fast vergebliche mühe schaffet / indem man so vielerhand sprachen lernen mus / wan man miteinander / als fremde mit fremden / ümgehen / und ihre Bücher lesen wil; und solches alles mit großem verluste der zeit, die man sonst auf andere künste und wissenschaften anwenden könte (ebd., 100).

Nach Zesen ist damit nicht der innere Wandel als solcher schädlich, sondern dessen Folgen: Wegen der verschiedenen Sprachen entstand unter den Menschen Uneinigkeit und damit auch Streit, weshalb einige von Zesens Zeitgenossen sich auch um eine Universalsprache bemühten. Zudem muss man nun viel Zeit und Mühe aufbringen, um fremde Sprachen zu erlernen, durch die man mit Fremden kommunizieren kann. Dies schließt an Genesis 3, 17–19 an, wonach der Mensch nach der Vertreibung aus dem Paradies sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen müsse. Zesen bringt damit, wie eingangs Trabant, den Sündenfall mit der Sprachverwirrung in Verbindung.

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Ähnlich fatale Folgen für die Menschheit durch die Sprachverwirrung sieht auch Schottelius, auch wenn er die Folgen für die menschliche Gemeinschaft heraushebt, während die Erkenntnis des einen und wahren Gottes verdunkelt, aber nicht ausgelöscht sei: (23) Nachdem durch die Babylonische Sprachverwirrung / als durch das allergrösseste jrrdische Unheil / die Menschen unter sich also grewlich zertrennet / Vertraulichkeit / Liebe und Gemeinschafft unter jhnen guten theils auffgehoben / ein jedes Geschlecht zu seinem bestimmeten Landorte abgesondert / und also nicht allein / den natürlichen Band jhrer Verwandtschafft zimlich zerrissen / sondern auch die rechte Erkenntniß deß einigen wahren GOttes sehr verdunckelt worden (Schottelius, Sprachkunst, 64 f.; vgl. Schottelius, Arbeit, 35 (24)).

Die Gottesstrafe ist für ihn also keine Abwendung Gottes von den Menschen, sie können seine Wahrheit trotz der Verschiedenheit der Sprachen erkennen, allerdings nicht mehr uneingeschränkt, wie es noch bei der ,Ursprache‘ der Fall gewesen war. Durch die Babylonische Sprachverwirrung haben sich die Völker nach Gueintz zerteilt, doch während das Griechische und das Lateinische ihre besten Zeiten hinter sich haben, erfreut sich das Deutsche nach wie vor der Anwesenheit der Künste und Wissenschaften. Gueintz betont aber, dass alle Sprachen von der Adamischen ,Ursprache‘ abhängen. (25) Wie auch neben den Künsten und wissenschaften ein jegliches Volck / so nach der Babylonischen verwirrung abgesondert / seine Sprache geliebet / geübet / erweitert / und nach begebenheit gezieret Vornemlich aber diß Volck / so den Freyen künsten hold / und mit denselben von GOTT beseeliget worden. Griechenland was rühmest du dich sonsten vor andern? Jst es nicht / daß nach den Morgenländischen Völckern du deßwegen mit deiner Herligkeit Hoch zu halten / wie vorhin andere? Du Sinreiches tapferes Rom / dich machten hoch die Heldenthaten; aber berühmt die Künste und deine Sprache. Also ist zwar gewis / das Deutschland von anfang der welt / wen man den ort betrachtet / gewesen; aber gleichwol seind zum ersten nicht mehr als zweene Menschen erschaffen / von welchen alle andere / und von denen auch die Rede entstanden (Gueintz, Entwurf, fol. )( iiijv– )( vr).

Wie Schottelius und Zesen hebt also auch Gueintz die deutsche Sprache gegenüber den anderen hervor und versucht so, ihr Prestige zu erhöhen. Im Jahr 1646 kritisiert Gueintz Harsdörffers These, die Deutschen seien an Babylon nicht beteiligt gewesen, weil Japhet und die Seinen ihre Mitarbeit am Projekt des Turmbaus verweigert hätten, wodurch die deutsche Sprache nicht in Babylon entstanden sein könne: (27) Ob Japhet sampt seinem damaligen Geschlecht bey dem Bau des Babylonischen Thurmes vnd also bey verwirrung der Sprachen gewesen, ist wol Zu betrachten, der es vernei-

388 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses net, hat eine neue meinung, vnd gibt anlaß Zu folgern alß wan entweder nicht alle Völcker einerley Sprache gehabt hätten, oder das die Mannichfaltigkeit nicht durch die Babylonische verwirrung entstanden (Ertzschrein, 365 f.).

Dies widerspreche aber der Meinung der Kirchenlehrer und der Heiligen Schrift. Er schließt seine Ausführungen mit diesem Fazit: Bey der theilung ist Japhet gewiß gewesen, die theilung aber hat die Sprache nicht verändert. Wie nun die Verwirrung nach dem Zeitregister, geschehen nach der Sündfluth, also ist auch Zurselben Zeit die abtheilung der Länder beschloßen, Und ehe sie sind von einander gezogen haben sie den Thurm, Zum Gedächtnüß angefangen (366).

Japhet war also anwesend, seine Sprache wurde aber nicht verwirrt, weil er am Bau nicht teilgenommen hatte.40 Der Topos Babel kann im Diskurs auch zu völlig anderen Zwecken eingesetzt werden. So benutzt ihn Harsdörffer, um das Faktum des stetigen Wandels, der jeden Versuch, die Sprache unveränderlich zu halten, zwecklos macht, zu verdeutlichen: (28) Etliche Unberichte wollen dieses flüchtige Quecksilber mit einem Diamantnem Nagel anhafften / und dem Fluß der der Vergessenheit / welches mit Verlauff der Zeiten / alles überschwemmet / einen berghohen Damm setzen; werden aber darüber zu Schanden / wie dorten die Bauleute / welche nach der Bleywaage ihres Unverstandes / den Babilonischen Thurnbau frevelich unternommen / und mit Schanden unterlassen müssen (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 2).

Der Topos kann schließlich auch auf gegenwärtige sprachliche Verhältnisse angewandt werden. Leibniz stellt in den Nouveaux Essais vier Schwierigkeiten bei der Terminologisierung fest: a) wenn die Ideen sehr komplex zusammengesetzt sind; b) wenn die Ideen, die zusammen neue Ideen bilden sollen, keine natürliche Verknüpfung zueinander aufweisen; c) wenn das Vorbild nicht leicht zu erkennen ist und d) wenn die Bedeutung eines Wortes und die reale Wesenheit des Dinges nicht genau gleich sind (vgl. Leibniz, Abhandlungen, 167). Diese Schwierigkeiten gilt es wenigstens in der wissenschaftlichen Sprache zu überwinden: „Denn es hängt von uns ab, die Bedeutungen, wenigstens in der Sprache der Wissenschaft, festzulegen und sich darüber zu einigen, um diesen Turm von Babel zu zerstören“ (ebd., 173 (30)).41 Leibniz verwendet also den Topos Babel, um die Vielfalt der gegenwärtigen wissenschaftlichen Terminologie zu kritisieren.

�� 40 Zu dieser Diskussion vgl. auch Gardt 1994a, 349. 41 „Car il depend de nous de fixer les significations, au moins dans quelque langue savante, et d’en convenir pour detruire cette tour de Babel“ (Leibniz, Abhandlungen, 172).

Topoi � 389

Im Epigramm Der babylonische Thurm bezieht Logau den Topos auf das Alamode-Wesen: (31) Da die Sprache ward verwandelt, ward der Thurm nicht außgebaut. | Weil die Kleidung sich so wandelt, wird kein deutscher Sinn geschaut (Logau, Sinngedichte, 472).

Eine Abwandlung des Topos findet sich in der Klage über das neue Babel. Bereits Zincgref „wetterte seit 1626, dass die Deutschen sich ihrer Sprache schämten und Fremdsprachen vorzögen, sei ein newes Babel, eine Sprachverwirrung und Verirrung“ (Borst 1957–1963, 1347). Auch Klaj zeigt sich eher pessimistisch: (32) Noch dennoch bauen wir jetzo ein neues Babel von Welschen Steinen und Frantzösischem Holtzwerk auf den teutschen Boden / daß zu befürchten / ob künftig jemand in Teutschland leben möchte / der uns das Teutsche verteutschete. Ja es ist diese Gewonheit leider albereit so weit eingerissen / daß sie für ein gutes Gesetz gehalten wird / und die Teutsche Freyheit mit der Lateinischen Libertät benamet wird (Klaj, Lobrede, 410).

Die zeitgenössische Sprachsatire bemühte sich auch, das moderne Babel zu zeigen. Eindrucksvoll ist dies in Gryphius’ Lustspiel Horribilicribrifax Teutsch gelungen. Exemplarisch sei daraus eine Partie zitiert. Hier versucht Sempronius, laut Personenverzeichnis ein „alter verdorbener DorffSchulmeister von grosser Einbildung“ (Gryphius, Horribilicribrifax, 13), durch eingebaute lateinische und griechische Wörter und Phrasen zu glänzen: Daß man mir nicht in die Rede falle! O ihr durchlauchtigsten und unüberwindlichsten Heroës, welcher unvergleichliche Stärcke sich nicht aufhalten lässet in den alten und gedrangen Gräntzen / Montium Pyreneorum, Alpium, Atlanticorum, Apenninorum und Sarmaticorum, sondern weit über die Gräntzen / in welchen Calisto nicht auffgehet / sese penetrat, und herum fähret durch den zwölffthierigen Kreis des Titanis, penetrans die beschwärtzten Aethiopes, streiffet um das Vorgebirge bonae Spei, floret durch die wolrichenden Moluccas, henget sich an die bepfefferte Bengala, gehet fürüber bey denen / ihrer Einbildung nach zwey-äugichten Chinesern, und hält Mittags Ruh in Japan. Jch der ich nicht bin der andere Marcus Tullius Cicero, der nicht erreichen kan lactifluam eloqventiam Titi Livii, qvi non adspiro ad gravitatem Salustianam, neqve asseqvor Cornelii Taciti divinam Majestatem. Jch / sage ich / der ich gleichwol diese Discursus vor die treflichsten halte / οίτινες περί μεγίστων τυγχάνουσιν όντες, καί τούς τε λέγοντας μάλιστα επιδεικνύουσι, will euch mit vielen Worten nicht auffhalten / cùm alias die Zeit kurtz / & jus sit in armis: Remittire mich also auff die / die bißanher geschwiegen haben / und noch de facto schweigen. Dixi (ebd., 70 f.).

Der Topos Babel wird also primär zu dreierlei Zwecken eingesetzt. Erstens wird behauptet, das Hebräische sei die älteste aller Sprachen und habe bereits vor der Verwirrung bestanden. Über sein Schicksal sind die Autoren unterschiedlicher Meinung, mal geht man davon aus, es sei unverändert geblieben, mal sagt

390 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses man, es sei in verschiedene Sprachen zerteilt worden. Einig ist man sich weitgehend, dass die deutsche Sprache bei der Babylonischen Verwirrung zumindest in Grundzügen entstanden sei. Auf dieses Ereignis wird zweitens der Ursprung der deutschen Sprache zurückgeführt, was ihr einerseits ein hohes Alter und andererseits einen gewissen Anteil an der göttlich inspirierten Adamischen ,Ursprache‘ zukommen lässt. Diese Annahme der Entstehung des Deutschen in Babel wird dann als Argument für die Überlegenheit der deutschen Sprache gegenüber den modernen romanischen Sprachen, teilweise auch über das Lateinische und Griechische, gebraucht. Schließlich wird der Topos auch zur Sprachkritik eingesetzt, indem er zum Topos des neuen Babel erweitert wird. Aufgrund dieser Verwendungsweisen sind Korrelationen zu den Topoi Sintflut, Adam und Ascenas und zu den diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, EIGENTLICHKEIT und REINHEIT reich belegt. Seltener sind Beziehungen zur Kleidermetapher, zur biologistischen oder zur anthropomorphisierenden Metaphorik.

4.3.2.3 Reformation Da der Topos Reformation aufs Engste mit der Person Martin Luther, die im Diskurs ebenfalls zum Topos geronnen ist, zusammenhängt, gibt es nur wenige Belege, die primär die Reformation als Topos anführen. Dementsprechend klein ist auch das Anwendungsgebiet. Anwendungsbereiche: Bezug zur Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft (1,2), Beginn der Spracharbeit (1), Zur Zeit der Reformation wurde noch ziemlich reines Deutsch gesprochen (3). Korrelationen: Luther (1,2), REINHEIT (3). Belegstellen (1) Neumark, Palmbaum, 18; (2) Harsdörffer, Fortpflanzung, 39; (3) Leibniz, Gedanken, 538.

Innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft konstruierte man einen „Zusammenhang zwischen geistlicher Reformation und muttersprachlicher Reform“ (Verweyen 1997, 77), indem man in einer etwas gewollten Geschichtskonstruktion betonte, dass die Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft (1617) exakt hundert Jahre nach dem Beginn der Reformation (1517) stattfand. So beschreibt etwa Neumark den Beginn der Reformation als die Zeit, in der „die heilige Schrift / unter der Bank / hervorgezogen und in unsere Teutsche Sprache / von dem theuren Manne Gottes Doctor Martin Luthern / wolvernehmlich und kunst-

Topoi � 391

gründig gedolmetschet worden“ (Neumark, Palmbaum, 18 (1)). Die Bibelübersetzung wird als Beginn der deutschen Sprachpflege angesehen und die Fruchtbringende Gesellschaft in diese Tradition eingeordnet, wobei allerdings der Umstand ignoriert wird, dass Luther mit der Bibelübersetzung erst 1522 begann. Zugleich ist damit auch eine antikatholische Spitze der protestantisch dominierten Fruchtbringenden Gesellschaft verbunden. Bei Harsdörffer steht der Topos im Zusammenhang mit einem emphatischen Lob der deutschen Sprache, in das durch ein Zitat auch Luther eingebaut ist: (2) [D]ie Sprachen sind die Scheiden / in welchen das Schwert des Geistes geführet wird / daher auch die erste Gnadengabe des Neuen Testamentes gewesen / daß die Apostel mit feurigen Zungen gesehen / und aller Sprachen kündig worden; massen auch hundert Jahre vor Stiftung dieser hochlöblichen Geselschaft / das Liecht des H. Evangelii / mit der Deutschen Sprache Aufnehmung und Ausbreitung herfürbrechen müssen (Harsdörffer, Fortpflanzung, 39).

Auch hier dient der Topos der Legitimation der Fruchtbringenden Gesellschaft durch die Bezugnahme auf die religiöse Erneuerung, Der dritte Beleg ist etwas anders geartet. Leibniz betont anhand der Reichsabschiede, an denen man die Entwicklung der Sprache ablesen könne, dass im Jahrhundert der Reformation ein noch „zimlich rein Teutsch“ gesprochen worden sei, von wenigen italienischen und spanischen Wörtern abgesehen, die durch einige Diener des kaiserlichen Hofes benutzt worden seien (Leibniz, Gedanken, 538 (3)). Leibniz bringt mit der Reformation also nicht die Fruchtbringende Gesellschaft in Verbindung, sondern eine bestimmte als gut empfundene Sprachform, nämlich eine mit nur wenigen fremden Elementen. Damit korreliert hier der Topos mit der diskurssemantischen Grundfigur REINHEIT. Der Topos Reformation dient somit entweder der Analogisierung der sprachreformerischen Bemühungen der Fruchtbringenden Gesellschaft mit der geistigreligiösen Reform ein Jahrhundert zuvor, oder er dient der Feststellung einer bestimmten Sprachform. Im ersten Fall ist er untrennbar mit dem Topos Martin Luther verbunden.

4.3.2.4 Der Dreißigjährige Krieg Der Dreißigjährige Krieg, der als religiös motivierter Krieg zwischen Katholiken und Protestanten begann, sich zum Machtkampf zwischen Kaiser und Reichsständen wandelte und sich schließlich zu einem Krieg um die politische Hegemonie in Europa ausweitete, wurde von den Zeitgenossen unisono als trauma-

392 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses tisch empfunden.42 Die (Sprach-)Patrioten befürchteten den Verlust der Eigenständigkeit des Reiches aufgrund der ausländischen Mächte, die sich am Krieg beteiligten und die zeitweise die Vorherrschaft in bestimmten Regionen erlangten. Damit einher ging auch die Furcht vor dem Verlust der eigenen kulturellen Identität durch Einflüsse insbesondere aus Frankreich. Diese Furcht motivierte die Alamode-Kritik, die häufig auch zur Sprachkritik erweitert wurde. Denn durch den vermehrten Gebrauch militärischer Fachtermini, die aus dem Französischen oder Italienischen stammten, wie zahlreicher Wörter aus anderen Fach- und Lebensbereichen, fürchteten sie eine Vermischung der Sprachen, was in ihren Augen zum Verlust der kulturellen Identität führte. Aus diesem Grund wurde die Sprache von den Patrioten überhöht und mit Gütequalitäten wie Reinheit, Eigentlichkeit oder hohem Alter ausgestattet, die sich im Diskurs zu diskurssemantischen Grundfiguren verdichteten, da sie den Diskurs auf tiefensemantischer Ebene zusammenhalten (vgl. 4.4). Aus diesen Gründen wird der Verweis auf den Dreißigjährigen Krieg und seine Folgen zu einem Topos, der zur Legitimation der Spracharbeit und Sprachkritik eingesetzt wird. Anwendungsbereiche: Krieg als Ursache für den Verfall Deutschlands (1,2,3,4,12,14), Krieg als Ursache für den kulturellen Rückstand Deutschlands (5), Krieg als Hindernis der Künste und Wissenschaften (6,7), Krieg als Ursache für Sprachverfall und Fremdwörter (1,3,4,8,9,10, 11,12,13), erfolgreiche Spracharbeit trotz des Krieges (10,14,15,16,17,18), Beginn des Krieges gleichzeitig mit Gründung der Fruchtbringenden Gesellschaft (9,16). Korrelationen: Opitz (3), Knechtschaftsmetaphorik (4,9), Luther (4), biologistische Metaphorik (6,8,10,15), REINHEIT (9,11,12), ALTER (9), Muttermilch (9), Ascenas (9), REICHTUM (11,17), anthropomorphisierende Metaphorik (11), POETIZITÄT (14,16,17,18). Belegstellen: (1) Rompler, Gebüsch, fol. oo ijr–oo ijv; (2) Klaj, Lobrede, 385; (3) Rist, Rettung, 79 f.; (4) Leibniz, Ermahnung, 814 f.; (5) ebd., 807; (6) Harsdörffer, Fortpflanzung, 26; (7) Leibniz, Abhandlungen, 221; (8) Hille, Palmbaum, 14 f.; (9) Hille, Palmbaum, 6 f.; (10) ebd., 68* ; (11) ebd., 2; (12) Rist, Rettung, 80 f.; (13) Leibniz, Gedanken, 539; (14) Titz, Bücher, fol. B iiv; (15) Harsdörffer, Fortpflanzung, 40; (16) ders., Schutzschrift, 363 f.; (17) Hille, Palmbaum, 24*; (18) ebd., 191 f.

Den kriegsbedingten Verfall Deutschlands veranschaulicht Rompler im Jahr 1647 sehr drastisch, wobei er mit der Schilderung eine kritische Bestandsaufnahme der Zeit vorlegt: Seit fast dreißig Jahren sei Deutschland Schauplatz eines großen �� 42 Einen Überblick über die Ursachen und den Kriegsverlauf gibt Schmidt 2003; eine Dokumentation von zeitgenössischen Augenzeugenberichten bietet Jessen 2012.

Topoi � 393

Krieges, den „die entstandene zwitracht des Gottesdiensts“ (Rompler, Gebüsch, fol. oo ijr (1)) verursacht hätte. Die Gräuel dieses Krieges werden mit reicher Metaphorik beschrieben: Mars hätte „mit seinem mort-schwert“ (ebd., fol. oo ijv) den ersten Hieb auf Böhmen ausgeführt, die „Höll-funcken“ danach ganz Deutschland angezündet, die Brunst hätte sich über ganz Europa ausgebreitet. Rompler schildert die Hungersnöte, Seuchen und anderen Übel als Folgen des Krieges. Deutschland sei ein näst viler tausend raubvögel / eine khot-pfütz der wüstesten laster / ein plan tägliches mätzelens / ein schlukkender und zugleich rach-schreiender schwam übel-vergossenen Christenbluhts / ein lustbad der bösen gaister / ja schier gar eine Gotlose Höll worden (ebd.).

Rompler konstatiert neben dem physischen Verfall durch Kriegsverluste, Hungersnöte und Seuchen auch einen moralisch-sittlichen Verfall, der sich in Raub und Gemetzel äußert und mit Ausdrücken wie wüste Laster und gottlose Hölle bezeichnet wird. Nach Klaj liegt Deutschland in seinen letzten Zügen, „unser durch die zergliederung des Reiches gelähmtes Teutschland / unser durch die blutigen Mordwaffen ausgemergeltes Teutschland“ (Klaj, Lobrede, 385 (2)). Für Klaj sind die Gründe für den jetzigen schlechten Zustand des Reiches nicht nur im gegenwärtigen Krieg anzusiedeln, sondern vor allem in der politischen und wohl auch in der religiösen Zersplitterung. Den Konnex von politischem und sprachlichem Verfall stellt Rist her. In der Vorrede zu seiner Satire Baptistae Armati, Vatis Thalosi rechtfertigt er deren Abfassung damit, dass das Buch Ausdruck sei für die schüldige Liebe meines Vaterlandes / die hertzliche neigung zu unserer teutschen Hauptsprach / der abschew für deroselben muthwilligem Verderben vnd schändlichem Mißbrauche / die Begierde des süssen vnd edlen Friedens / der Haß des welt-verderblichen Krieges vnd die Gedechtnisse meines hochgeliebten Herren Opitzen (Rist, Rettung, 79 f. (3)).

Noch gegen Ende des Jahrhunderts fasst Leibniz die Kriegswirren als nachhaltigen Schaden für die kulturelle Entwicklung Deutschlands und für die deutsche Sprache auf. Vorher sei Deutschland, auch durch Luthers Bibelübersetzung, auf einem guten Weg gewesen. Doch als der Dreißigjährige Krieg begann, seien „die teutsche sprache und die teutsche ruhe zugleich übern hauffen gangen“ (Leibniz, Ermahnung, 814 (4)). Durch die ausländischen Kriegsheere sei das „teütsche blut“ den Ausländern „aufgeopfert“ (ebd.) worden, die Sprache sei in die fremde Dienstbarkeit gefallen. Er bittet Gott, dass er diese „Ahndung“ (ebd., 815) von den Deutschen nehme und nicht die deutsche Freiheit wie die Sprache zugrunde

394 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses gerichtet werde. Leibniz verbindet den Topos hier mit der Knechtschaftsmetaphorik, um das Ausmaß des Schadens zu verdeutlichen. Für Leibniz ist der Krieg allerdings nicht die einzige Ursache für den kulturellen Rückstand des Reiches: Er nennt, wie Klaj, den Plurizentrismus des Reiches, das keine feste Hauptstadt hat, an der sich alle orientieren können ebenso als Ursache wie das geringe Interesse der Adligen am Reich in seiner Gesamtheit und die religiöse Spaltung. Viele Gelehrte hätten zudem gemeint, ihre Lehren in Latein und Griechisch publizieren zu müssen (Leibniz, Ermahnung, 807 f. (5)). Leibniz differenziert also zwischen verschiedenen Ursachen für den politischen und kulturellen Verfall und bevorzugt ein multikausales Erklärungsmodell: Keine dieser Ursachen ist alleine für die Verhältnisse verantwortlich, doch sie alle tragen zu dem Ergebnis bei, dass Reich und Sprache in der nahezu kollektiven Wahrnehmung der Zeit am Boden liegen. An anderer Stelle nennt Leibniz den Krieg als das große Hindernis wissenschaftlicher Forschung und übt zugleich deutliche Kritik an den Fürsten: (7) Ohne die Kriege […] wäre man weiter gekommen und wäre schon in der Lage, aus unseren Arbeiten Nutzen zu ziehen. Meistens erkennen die Großen aber deren Bedeutung nicht, noch sehen sie ein, welcher Güter sie sich berauben, indem sie die Förderung gründlicher Kenntnisse vernachlässigen. Außerdem sind sie gewöhnlich durch die Vergnügungen in Friedenszeiten oder durch die Sorgen des Krieges zu sehr abgelenkt, als dass sie die Dinge schätzen würden, die ihnen nicht unmittelbar in die Augen springen 43 (Leibniz, Abhandlungen, 221).

Für Leibniz’ Vorgänger war der Konnex von Krieg und Sprachverfall nahezu selbstverständlich. Hille etwa stellt fest, dass angesichts des Krieges (8) bey den angefeurten Unglükskolen die Tugenden zerschmeltzen / die gute Gesetze krebsgängig gemachet / ja die Teutsche Heldensprache endlichen durch Vermischung vieler einbrechenden fremden Völker Zungen / vermenget / in Unacht gebracht / oder wol gantz sprachloß verderben / und ersterben würde, gleicher Massen wie hiebevorn leider dergleichen Sprachverderberey / bey den geführten Kriegen in Griechen- und Welschland zu beobachten gewesen; da dann der ersten Zier / durch Uberwältigen der Türken: der Teutschen aber durch Uberziehung der Gotischen Völker / verunreiniget / und also ihrer natürlichen Lieblichkeit beraubet worden (Hille, Palmbaum, 14 f.).

�� 43 „Sans les guerres […] on seroit allé loin, et on seroit déja en estat de profiter de nos travaux; mais les grands pour la pluspart n’en connoissent pas l’importance, ny de quels ils se privent en negligeant l’avancement des connoissances solides; outre qu’ils sont ordinairement trop derangés par les plaisirs de la paix ou par les soins de la guerre, pour peser les choses qui ne les frappent point d’abord“ (Leibniz, Abhandlungen, 220).

Topoi � 395

Hille zieht Parallelen zum Verfall des klassischen Griechischen und Latein, die durch den Einfall fremder Völker zugrunde gerichtet worden seien und befürchtet für Deutschland ein ähnliches Schicksal. Auch an anderer Stelle beklagt Hille, dass die deutsche Sprache durch den Krieg und dabei eingeführte Fremdwörter fast völlig zugrunde gerichtet worden sei, was durch die Verwendung der Knechtschaftsmetapher und Anspielung auf die Grundfiguren ALTER, REICHTUM und REINHEIT noch untermauert wird: (11) Jn was für einen verwirrten Zustand vormals / ja auch bey diesen Eisernzeiten / weiland unsere Edele / uralte Teutsche Heldensprache bloß aus beliebtem Vorwitz gerahten / durch Einführung vieler Mängelungswörter / in Verachtung gebracht / und fast zu Grunde gerichtet worden / solches ist unlaugbar jedermänniglichen weltkündig / und erhellet noch leider in tägliche Beobachtung der unartigen gemeinen Reden (ebd., 2).

Auch für Rist ist der Krieg und mit ihm das Kriegswesen und die daran beteiligten Menschen hauptverantwortlich für den Sprachverfall, „dieweil ich nirgendt grössere Auffschneider alß unter den jtzigen Kriegsleuten gefunden / zu deme auch keine Leute unter der Sonnen sind anzutreffen / die mit frembden Wörtern so häuffig ümb sich werffen alse eben die Herren Cavalliers vnd derogleichen tolle Hummelen zu thun pflegen“ (Rist, Rettung, 80 f. (12)). Nach Leibniz ist Deutschland durch den Dreißigjährigen Krieg und die fremden Kriegsvölker „wie mit einer Wasserfluth überschwemmet worden“ (Leibniz, Gedanken, 539 (13)) und die deutsche Sprache „in die Rappuse gangen“ (ebd.).44 All dies ist für die Sprachpatrioten aber kein Grund, ihre Muttersprache aufzugeben. Im Gegenteil: Sie setzen den in ihren Augen verderblichen fremden Einflüssen die eigene Spracharbeit entgegen, so dass Titz konstatieren kann, dass die Deutschen sich glücklich schätzen könnten, weil eben zu der zeit / da vnser liebes Vaterland durch den vnglückseligen Krieg so erbärmlich außgesogen vnd verwüstet wird / die Musen / solchen Schaden gleichsam zu ersetzen / daselbst einziehen / vnd jhren Helicon dahin verlegen wollen (Titz, Bücher, fol. B iiv (14)).

Harsdörffer sieht im Wirken der Fruchtbringenden Gesellschaft das entscheidende Gegengewicht, das dem Krieg entgegengesetzt wird, weshalb kein Zweifel daran bestehen könne, dass die Fruchtbringende Gesellschaft nun in den Friedensjahren desto mehr blühen, „mit viel reicherem Gedeyen / mit viel reifferem Erspriessen / mit viel gesegneterm Wachsthum / von dem hochmögenden Schmackhaften [= Wilhelm Herzog von Sachsen] bepfropfet / fortgepflantzet und angebauet“ werde (Harsdörffer, Fortpflanzung, 40 (15); vgl. auch Beleg (16)). Die �� 44 Vgl. Kap. 3, Anm. 60.

396 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses biologistische Metaphorik unterstützt das Bild des Wiederauferstehens nach der Beseitigung der widrigen Bedingungen. In dieser Hoffnung dichtet auch Hille: (18) Mitten in den Kriegsflammen / werden Friedenskünste blühen / | Und erleuchte Geister Scharen / zu derselben Pflege ziehen: | So / daß auch der Musen Berg in der Teutschland versetzt |Und das edle Heldenvolk ihrer Sprache Frucht ergetzt (Hille, Palmbaum, 191 f.).

Von den Sprachpatrioten wird also hauptsächlich der Dreißigjährige Krieg für den politischen und kulturellen Verfall des Deutschen Reiches verantwortlich gemacht. Sie konstatieren einen kulturellen Rückstand, der durch den Krieg noch vergrößert wird, weil er die Ausübung und Förderung der Künste und Wissenschaften behindert. Auf die Sprache nimmt der Krieg insbesondere durch die vermehrte Anzahl von Fremdwörtern negativen Einfluss, die Sprachpatrioten befürchten eine politische wie kulturelle Überfremdung und den Verlust ihrer Identität. Deshalb setzen sie dieser Entwicklung ihre eigene Spracharbeit entgegen, die sich in Normierungsbestrebungen, Sprachkritik, v.a. Fremdwortkritik und eigenen Dichtungen und Übersetzungen äußert. Besonders die Fruchtbringende Gesellschaft schreibt sich beachtliche Erfolge in diesem Streben auf die Fahnen. Der Topos wird nicht besonders oft mit anderen Topoi oder Metaphern korreliert. Einige Male sind aber Bezüge zur Knechtschaftsmetaphorik und zur biologistischen Metaphorik zu beobachten. Dafür trägt er wesentlich zur Konstitution der diskurssemantischen Grundfiguren bei, vor allem der Figuren REINHEIT, REICHTUM und POETIZITÄT.

4.4 Diskurssemantische Grundfiguren Wie oben (3.4) dargelegt wurde, werden diskurssemantische Grundfiguren durch das Zusammenwirken von Metaphern und Topoi konstituiert. Die Analysen in 4.2 und 4.3 dienten daher, neben ihrem Eigenwert für die empirische Erfassung des sprachpatriotischen Diskurses, der Vorbereitung dieses Abschnitts. Hier nun werden die diskurssemantischen Grundfiguren, die vorher bereits genannt und aus den Metaphern und Topoi herausgearbeitet wurden, systematisiert. Insgesamt werden fünf Grundfiguren behandelt: ALTER (4.4.1), REINHEIT (4.4.2), REICHTUM (4.4.3), EIGENTLICHKEIT (4.4.4), und POETIZITÄT DER DEUTSCHEN SPRACHE (4.4.5). Das Analyseschema der vorigen Kapitel wird grundsätzlich beibehalten. Es wird anhand ausgewählter Belege zu untersuchen sein, wie die Grundfiguren konstituiert werden, wie sie mit anderen Grundfiguren

Diskurssemantische Grundfiguren � 397

korrelieren und zu welchem argumentativen Zweck sie verwendet werden. In einer Übersicht werden auch hier die feststellbaren Anwendungsbereiche und die Korrelationen dargestellt. Anschließend werden ausgewählte Einzelbelege analysiert und interpretiert. Die für die Analyse nicht verwendeten Belege werden am Schluss des jeweiligen Kapitels in einem Belegblock zusammengefasst.

4.4.1 Alter Als Fabian Frangk 1531 die erste deutsche Grammatik publizierte, etablierte er damit auch eine neue Sichtweise auf die deutsche Sprache. Er kritisiert die Vorherrschaft der lateinischen Sprache in der Grammatikographie, wodurch diese für die Laien unverständlich sei. Daher erklärte er das Deutsche zu einer der ,Hauptsprachen‘, während die romanischen Sprachen vom Lateinischen abgeleitet seien. „Dieser Vorzug wird von allen Neuhumanisten bis zu Schottel und weiter als Waffe gegen die fremden Verächter der ,teutschen Haubtsprache‘ genutzt“ (Hankamer 1926; 1965, 72). Die humanistische Sprachbetrachtung, die auf die Gegenwart bezogen oder überzeitlich ausgerichtet war, wurde von einer Sichtweise auf die Sprache abgelöst, die die Vergangenheit mit einbezog. Damit werden auch das Alter und die Geschichte der deutschen Sprache zum Thema (vgl. ebd.). Dies heißt aber nicht, dass im 17. Jahrhundert historische Sprachwissenschaft im heutigen Sinne betrieben worden wäre. Es ging nicht darum, ältere Sprachstufen synchron zu beschreiben oder sprachsystematische Entwicklungen diachron darzustellen. Vielmehr diente der Blick in die Vergangenheit dem Nachweis des vermeintlich hohen ALTERS der deutschen Sprache, deren Ursprünge bis zur Babylonischen Sprachverwirrung zurückverfolgt wurden. Mit dem ALTER wurde eine besondere Würde der deutschen Sprache verknüpft, mit der sich auch die anderen Grundfiguren REICHTUM, REINHEIT und vor allem die EIGENTLICHKEIT verbanden. Durch diese Gütequalitäten wurde dann die deutsche Sprache in der Sprachenhierarchie weit nach oben gesetzt, lediglich das Hebräische steht bei den meisten Autoren auf noch höherer Stufe. Der Blick in die Vergangenheit ist für die Sprachpatrioten des 17. Jahrhunderts demnach kein Selbstzweck, sondern er ist auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtet, auf Ansehen und Prestige der deutschen Sprache im In- und Ausland. Anwendungsbereiche: Würde des Alters (1), hohes Alter der deutschen Sprache (2,3,4,5, 6,7,8,9,10,11,12,13,14,15), Herkunft der deutschen Sprache von der Adamischen ,Ursprache‘ (16,17, 18,19), Herkunft von Babel (20,21,22,23,24,25,26), Herkunft von Ascenas (27,28,29,30,31,32),

398 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Beständigkeit der deutschen Sprache (33), Etymologie als Beweis für hohes Alter (34,35,36), Herkunft der Bezeichnung deutsch (37,38), Deutsch als älteste Sprache Europas (39,40,41,42,43). Korrelationen: POETIZITÄT (1,13,15,29), Adam (2,16,18,19), REINHEIT (3,4,5,6,7,8,9,11,26,33), Karl der Große (3,13), Rudolf I. (3), Luther (3), biologistische Metaphorik (5,8,22,33), anthropomorphisierende Metaphorik (5,11), EIGENTLICHKEIT (6,9), Ascenas (8,20,23,27,28,29,30,31,32), Knechtschaftsmetaphorik (8,9,23,30), Dreißigjähriger Krieg (8,11,35), Muttermilch (8,9,10), REICHTUM (11,26), Babel (13,20,21, 22,23,24,25,26), Opitz (14), Sintflut (20,24,28), Kleidermetaphorik (22).

Eine der Grundannahmen in den Diskursen des 17. Jahrhunderts ist die Vergänglichkeit alles Irdischen im Gegensatz zur Ewigkeit des Göttlichen. Wenn daher etwas eine lange Zeitspanne überdauert und nur eingeschränkt dem ständigen Wandel unterworfen scheint, dann muss es nach zeitgenössischer Interpretation etwas Göttliches in sich haben. Genau dies nimmt Johann Klaj von der deutschen Poesie an: Da sie so viele Jahre fortbestanden habe, „müsse etwas Göttliches und ewigwährendes darinnen verborgen seyn / dadurch wir näher zu GOtt dem Anfang aller Dinge schreiten“ (Klaj, Lobrede, 397 (1)). So erklärt es sich, warum die Autoren so viel Wert auf das hohe ALTER der deutschen Sprache legen: Nur dann kann sie als irdisches Abbild der Ewigkeit und der wahren Natur der Dinge angesehen werden, als das sie durch die diskurssemantische Grundfigur EIGENTLICHKEIT konzeptualisiert wird. Zudem wird durch die Behauptung des Ursprungs der deutschen Sprache in Babel eine Schöpfung quasi von göttlicher Hand zugesprochen, auf deren Basis dann ihre Überlegenheit gegenüber den ,abgeleiteten‘ romanischen Sprachen begründet werden kann. Ein Indiz dafür ist nach Ansicht der Sprachpatrioten die semantische Konstanz, die die Stammwörter ausmacht. Nach Schottelius sind etwa die Sprachwurzeln oder Stammwörter „kurtz / rein / fest und kräftig […] loß und frei von aller Fromdheit / und bedeuten annoch ins gemein / was sie bei jhrer Uhrankunft bedeutet haben“ (Schottelius, Arbeit, 42 (4)). Es gibt allerdings drei Einschränkungen: Erstens seien viele Stammwörter ungebräuchlich geworden, so dass man sie nur noch in Eigennamen finden könne. Zweitens seien sie durch dialektale Aussprache vielfältig verändert worden. Drittens wurden in alten Zeiten wegen des Reimes „unhingehörige Buchstaben bey die Wörter gesetzet / und anders / als sie solten / geendiget“ (ebd., 43). An dieser Stelle zitiert Schottelius eine Passage aus einem Text Otfrids von Weißenburg, um seine Aussage zu belegen. Hier zeigt sich sehr deutlich die trotz des Blicks in die Vergangenheit ahistorische Sichtweise: Das Bewusstsein, dass das Althochdeutsche eine ältere Sprachstufe ist, ist nicht vorhanden, in Schottelius’ Augen benutzt Otfrid unhingehörige Buchstaben und falsche Flexionsendungen.

Diskurssemantische Grundfiguren � 399

Auf dieser Basis kann er Schlüsse ziehen wie die folgenden: (5) Es haben unsere uhralte Teutsche Vorfahren eiferig in acht genommen jhre MutterSprache / dieselbe frey und reinlich gebraucht / behalten / und jhre Kinder gelehrt / mit nichten […] von jhren Feinden jhre Rede erbettelt: Sondern vielmehr haben alle Europeische Sprachen viele Würtzelen / Wörter / Saft / Kraft und Geist aus dieser reinen uhralten Haubtsprache der Teutschen (ebd, 123). (6) Erhellet also aus angeführten verhoffentlich / daß die uhralte Teutsche Sprache jhre Wurtzelen und Gründe weltweit ausgebreitet / und bis auf diese Stunde erhalten habe / dero Uhraltertuhm / Reinligkeit / deutreichste Kraft und Wirkung / an Worten und Letteren / man vielmehr erkennen und annehmen / als eines vermeinten Zulauts halber / der albern schmaklosen abgaukeley […] beypflichten muß (ebd., 134).

An diesen beiden Belegen wird deutlich, wie formelhaft die Beschwörung der Gütequalitäten im Diskurs erscheint: In beiden Fällen wird deutsche Sprache bis auf den heutigen Tag behalten oder erhalten, sie ist uralt, rein und besitzt Kraft. In beiden Belegen wird versichert, dass die deutsche Sprache keiner Wörter aus anderen Sprachen bedürfe. Hinter diesen Formeln stehen die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, REINHEIT und EIGENTLICHKEIT, unterstützt werden sie durch biologistische Metaphorik. Ähnlich hatte sich bereits Opitz im Aristarch geäußert: (7) Diese edle, vornehme Sprache, die den Geist ihres Volkes atmet, haben sie uns lauter und rein, frei von jeder fremden Befleckung, lange Jahrhunderte hindurch bewahrt, und ich möchte zu behaupten wagen, dass keine Sprache die Zeit, welche ihr, wie allem Irdischen, nach unserer Erfahrung das Schicksal gesetzt hat, so weit über die Kräfte und das 45 Los des Alters hinaus ausgedehnt hat (Opitz, Aristarch, 65 / 67).

Das hohe Alter der deutschen Sprache rechtfertigt auch die Beschäftigung mit ihr sowie mit Dichtung in dieser Sprache. So schreibt etwa Birken, dass „die Teutsche auch eine von den uralten HauptSprachen / und ja so alt als das Latein ist / und daher wol verdient / hervor gezogen zu werden“ (Birken, RedeBind und Dicht-Kunst, fol. ):():( xir (15)). Die Konzeption des hohen ALTERS dient nicht nur zur Überhöhung der deutschen Sprache, sondern auch zu ihrer Legitimation als Sprache der Dichtung.

�� 45 „Eam tam generosam, tam nobilem ac patriam suam spirantem linguam, per ita prolixam tot seculorum seriem, puram nobis et ab omni externa illuvie mundam tradiderunt. Et confirmare ausim, nullam reliquarum linguarum, fatalem suam periodum, quam in omnibus humanis rebus experimur, per tantum tempus vires ultra sortemque senectae produxisse“ (Opitz, Aristarch, 64 / 66).

400 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Die Sprachpatrioten sind sich somit weitgehend einig, dass die deutsche Sprache eine der ältesten der Welt sei. Eine andere Frage ist aber, wie alt sie tatsächlich ist und wie sie sich zu den anderen als uralt angesehenen Sprachen verhält. Viel diskutiert wurde die These von Goropius Becanus, nach der das Deutsche die älteste Sprache überhaupt sei. Zesen hält von dieser These nichts. Er erinnert daran, dass außer der Hebräischen alle Sprachen aus der Adamischen ,Ursprache‘ entsprossen seien. Zesen erklärt Versuche des Beweises, dass andere Sprachen als das Hebräische die ,Ursprache‘ gewesen sein könnten, für unsinnig. Um diese Einschätzung zu belegen, erzählt er die Geschichte eines ägyptischen Königs, der wissen wollte, welche die ,Ursprache‘ sei und deshalb zwei seiner Söhne einem Hirten zur Erziehung gegeben habe, mit der Auflage, dass er nichts mit ihnen reden dürfe. Der König war davon überzeugt, dass die Kinder dann die Natursprache sprechen würden. So hatten die Kinder keinen anderen Spielgefährten als eine Ziege und sie hätten, als der Hirte einmal kam, um ihnen Essen zu bringen, wie eine Ziege „bäk, bäk“ geblökt; da aber in der phrygischen Sprache bek ›Brot‹ bedeute, hätten alle das Phrygische für die ,Ursprache‘ gehalten. Zesen schließt aus dem Ergebnis, dass das Experiment nicht gelungen sei. Ebenso lächerlich sei es, die Ursprache von den Sprachen der wilden Völker abzuleiten (vgl. Zesen, Rosen-mând, 105 f. (16); zu dem Experiment vgl. Gardt 1994a, 348). Trotz dieser Einschränkung ist die deutsche Sprache für Zesen göttlichen Ursprungs: „Dan gewis in der Ebreischen und Hochdeutschen sprache buchstaben ist etwas gantz göttliches verborgen / das mänschen müglich nicht ergründen können“ (Zesen, Rosen-mând, 86 (17)). Dies sei besonders in den ,Urlauten‘ zu sehen. Zesen zeigt sich überzeugt, dass in „unsern vier selblautern a / e / u / o / und in ihren vier mitgehülfen b / d / l / s / ein unerschöpfliches meer voller verborgenheiten und geheimnüsse webet und lebet; ja daß aus diesen allein / als aus den grund-stämmen die starke macht unserer gantzen sprache flüßet“ (ebd., 86 f.). Nach einem weiteren hebräisch-deutschen Sprachvergleich stellt Zesen abschließend fest: „Hier siehet man / was für eine tüffe unaussprechliche krafft in der Ebreischen sprache lieget und wie alles aneinander hanget / und auseinander flüßet / eben wie in der unsrigen: Ja ich sage / daß uns ein iedes wort dieser sprache ein stamwort sein kan“ (ebd., 88). Aus dieser hebräischen Sprache seien die vier ,Hauptsprachen‘ hervorgegangen. Zesen ist überzeugt, dass alle Sprache „im grunde ihrer natur eine sprache / oder eigendlich mund-arten der ersten seind; das ist / aus der allerersten / als der einigen hauptsprache / nähmlich der Adamischen oder Ebreischen […] entsprossen“ (ebd., 99 (18)). Dieser Umstand sowie die Kongruenz von Phonem und Graphem grenzt die deutsche Sprache entscheidend von der französischen ab:

Diskurssemantische Grundfiguren � 401

(19) Ja eben dieses kan uns ein währtes zeugnüs sein / damit wier beweisen können / daß unsere sprache oder mundahrt / nicht so wie die Französische / oder andere dergleichen / aus fremden mund-ahrten geflossen / und die erste Adamische sprache allein für ihre mutter erkennet / und daher eine der ersten mund-ahrten sei; weil sie […] ohne sonderliche verdunkelung der uhr-buchstaben eben so kan geschrieben werden / wie sie ausgesprochen wird (ebd., 201 f.).

Hier wird deutlich, wie Zesen aus der göttlich inspirierten Adamischen ,Ursprache‘ die deutsche Sprache abzuleiten versucht, um daraus dann die Überlegenheit des Deutschen über die jüngeren Sprachen zu schließen. Für ihn steht lediglich das Hebräische, das er mit der Adamischen ,Ursprache‘ gleichsetzt, über dem Deutschen. Die Frage, welche Sprache die älteste sei, ist für Schottelius nicht entscheidend. Er zitiert zwar auch einige Autoren, von denen manche sagen, es sei das Hebräische, während andere das Skythische für älter halten. Schottelius entscheidet sich nicht für eine bestimmte Auffassung, hält aber für sicher, dass die deutsche Sprache uralt, „eygen / rein und Welträumig ist“ (Schottelius, Arbeit, 32 (20)). Er erzählt die Geschichte vom Ursprung der deutschen Sprache: Nach der Sintflut habe Ascenas, der „ein Altvater der Teutschen“ sei, „die alte Celtische oder Teutsche Sprache von Babel“ mit sich nach Deutschland gebracht (ebd., 34; vgl. oben, 356). Schottelius leitet die Herkunft der deutschen Sprache und des deutschen Volkes von Babel her, als Verbindungselement dient ihm Noahs Urenkel Ascenas, der nach Europa zog, es mit den Seinen besiedelte und so auch die deutsche Sprache im heutigen Deutschland etablierte. Neben Adam sind somit auch die Topoi Babel und Ascenas wichtige Konstituenten der diskurssemantischen Grundfigur ALTER. Ausführlich beschreibt Schottelius die Aufspaltung der bei der Babylonischen Verwirrung entstandenen ,keltischen Ursprache‘ in den fränkischen (= hochdeutschen) und den sächsischen (= niederdeutschen) Dialekt, wobei er auf Lautentwicklungen verweist, die man heute als 2. Lautverschiebung kennt (vgl. auch Beleg (31)): (21) Wer in antiquitate Germanica, und was insonderheit das Sprachwesen betrift / nicht unerfahren / wird dieses erspüren / daß die Lingua Teutonica, in den allerältisten monumentis und Schriften sich begunnen zusondern in Teutiscam Linguam, in Teutsche und the ho-tietsche (Hochteutsche) Sprache oder Mundart / welches aus dem Otfrido Willeramo, und vielen anderen wahrzunehmen / wie dieselbe / als anfängere des alten Fränkischen (hernach per secula nach gerade ausgeschliffenen / und genanten Hochteutschen) Dialecti, sich des zz / tz / ß / an stat des t / oder d / wie auch on und an an stat en und derogleichen haben angefangen sich zubedienen / und dem eusserlichen Laute nach / vielen Teutschen Worten eine mehr fliessende / zischende art / und nach jhrer Meinung besseren und höheren Klang / und also eine Hochteutsche Ausrede beginnen

402 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses zugeben / da hergegen die alten Sachsen jhre alte rechte Ausrede / Ausspruch und Andeutung der Wörter behalten (ebd., 152).

Schottelius nutzt die Rückführung der deutschen Sprache auf Babel auch zur Kritik am Sprachverhalten seiner Landsleute, denen er vorwirft, die eigene Sprache nicht genug zu pflegen und andere aus Frömdgierigkeit zu bevorzugen: (22) [W]eil unsere uhralte Vorfahren bey Babylon sie erlernet / wie solches droben ist erwiesen / ey lieber / warumb wollen wir denn so unbesonnene unleute gegen unsere Vorfahren seyn / und jhnen eine Zunge ohn Sprache zueygnen? Wollen wir denn selbst / wider den Lauff der gemeinen Natur / und wider alles Geheiß der Warheit / aus schändlicher frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Krafft und Safftreiche / reinlichste / uhralte Stammwörter / zu menglingen / flickstücken / brocken / unwörteren / mißgeburten und Betteldrecke machen? (Schottelius, Sprachkunst, 171).

Nicht nur Schottelius sieht den Ursprung der deutschen Sprache in Babel, auch Zesen führt ihn auf dieses Ereignis zurück. Für ihn ist aber, im Gegensatz zu Schottelius, nicht die Einsilbigkeit der Stammwörter das entscheidende Kriterium, denn die Wörter der Sinenser (= Chinesen) seien auch fast ausschließlich einsilbig und mehrdeutig, sondern die Nähe des Deutschen zum Hebräischen: (25) Diß kann ich zwar zugeben / daß die Deutsche Spraache […] die vornehmste und erste unter den andern Spraachen sey und mit der Hebräischen nach der Babilonischen Verwirrung / zugleich im gange und schwange gewesen und eher fortgepflantzet worden als andere / wie aus glaubwürdigen Geschichten zu erweisen / aber weiter gehe ich nicht. Solches schließ ich auch daraus / weil die Deutsche Spraache / sonderlich die uhralte / der Hebräischen so gar gleich / daß ihr keine unter den andern letzten zwo Hauptspraachen / der Griechischen und Lateinischen / so nahe kömmt an der Ausrede / gebrauch der Wort / Sylben und Buuchstaben / als eben selbige (Zesen, Spraach-übung, 13 f.).

Diese Annahme macht Zesen am Phonem /sch/ fest, den das Deutsche mit dem Hebräischen gemeinsam habe und der in den romanischen Sprachen kaum vorkomme. Auch hier dient das ALTER also dem Nachweis der Überlegenheit der deutschen Sprache. Im Rosen-mând bringt Zesen, ähnlich wie Schottelius, Ascenas als Zwischenschritt ins Spiel: (27) Weil nun auch / allem ansehen nach / vermuhtlich / daß die kinder Jafets eine solche sprache gehabt / die nachmahls vom grössesten und mächtigsten volke unter ihnen / den Deutschen / auch die Deutsche genennet worden: und man gewis weis / daß solche Deutschen / (als der Askanier / welche vom Askenas herkommen / und der Germanier / die vom To-Garma vielleicht entsprossen / kinder / oder brüder / oder Vettern / ) eher gewesen / als die Griechen und Lateiner (Zesen, Rosen-mând, 230).

Diskurssemantische Grundfiguren � 403

Die Lateiner dagegen stammten von den Tusziern oder Toskaniern ab, die ihren Namen von den To-Askaniern, also von Ascenas, „oder nach itziger deutschen aus-sprache / des Aschens nachkommen“ (ebd.) hätten. Daraus müsse gewis folgen / daß die Deutsche sprache eher gewesen sei / als die Griechische und Lateinische; welche nuhr mund-ahrten der Deutschen seind / und aus der Deutschen sprache / eben wie das Griechische und Lateinische volk von dem Deutschen volke / entsprossen und so seind die Griechen und Lateiner dem uhrsprunge nach Deutsche / und haben auch eigendlich eben daher eine Deutsche sprache oder mund-ahrt / nuhr daß sie den nahmen und ihre gestalt / wie es zu geschehen pfleget / von jahren zu jahren verändert (ebd., 230 f.).

Anhand der gewagten Herleitung der Lateiner von Ascenas geht Zesen also noch einen Schritt weiter: Das Deutsche sei nicht nur älter als das Griechische oder das Lateinische, sondern beide Völker und Sprachen seien aus der deutschen Sprache entsprossen, nur Mundarten des Deutschen. Ähnliches behauptet auch Schottelius (vgl. 72 f.). Auch andere Autoren nutzen die Verbindung der Grundfigur ALTER mit dem Ascenas-Topos, um die deutsche Sprache auf- und andere, vor allem die französische, abzuwerten. Im Alamode-Kehrauß stellt etwa Ariovist das Deutsche über das Französische, weil ja deine werthe Mutter-sprach den andern nicht wirde nachgeben, in dem die Wälsche Sprachen meistentheils ihren Vrsprung von der Lateinischen haben, die vnserige aber von anfang her von vnserem Vranherrn Thuitscho von sich, als eine wahre Haubtvnnd Helden-sprach, selbst bestehet (Moscherosch, Gesichte, 167 (30)).

Auch Stieler stellt das Deutsche weit höher als das Griechische und das Lateinische. Er lehnt Etymologien, die deutsche Wörter auf griechische oder lateinische Wurzeln zurückführen, ab, „weil kein Teutscher nach Atehn oder Rom iemals gereiset / dergleichen Wörter von daselbsten abzuholen / und dieselbe dem grausam weiten Teutschlande aufzudringen“ (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijr). Denn die deutsche Sprache sei gleichzeitig mit der griechischen entstanden, die lateinische erst viel später. Dies erläutert Stieler mit Hilfe des Ascenas-Mythos: (32) Daß die Lateinische und Griegische Sprache mit der unsern ofters übereinklinge / ist kein Wunder / weil Javon / von dem die Griechen stammen / und Aszenas / der Teutschen Erzvater / zweyer Brüder Kinder gewesen: Rom aber vierzehnhundert Jahr / nachdem die die Teutsche schon ihre Könige / Regiment und Sprache vollkommen gehabt / erst gebauet / und der Anfang zu ihrer Flicksprache gemacht worden (ebd.).

Aus diesem Grund könne kein deutsches Stammwort aus dem Lateinischen stammen, im Gegenteil: Deren nächste Nachbarn, die Etrusker, hätten „im Grunde Teutsch geredet“ (ebd.). Vielmehr seien lateinische Wörter erst mit neu-

404 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses artigen Gewächsen, Kleidern, Instrumenten, Arzneien, Ämtern, Künsten oder Tieren eingeführt worden. Die Behauptung des hohen ALTERS der deutschen Sprache impliziert auch Beständigkeit und Kontinuität von den Anfängen bis zur Gegenwart. Dabei stehen die Autoren vor der Schwierigkeit, den nicht zu leugnenden Sprachwandel in das Konzept zu integrieren. Hille löst das Problem, indem er, sich auf Schottelius beziehend, die Stammwörter zur Konstante erklärt, durch die die deutsche Sprache ihre Identität seit den Anfängen behalte: „[D]ann wiewol unsere Teutsche Sprache nicht mehr wie vor 800. Jahren geredet wird; So bleibt sie doch in ihren Stammwörtern beständig“ (Hille, Palmbaum, 76 (33)). Diese Ansicht wird von Schottelius jedoch etwas differenziert, denn nicht jedes Volk habe die deutsche Sprache rein erhalten: Alle von Ascenas abstammenden Völker, welche von den Griechen und Römern Kelten genannt worden seien, hätten Deutsch geredet, so dass die Wurzeln und Stammwörter des Deutschen in allen Ländern noch vorhanden seien. Durch Änderungen, Verwirrungen und Entwicklung von Mundarten sowie durch Vermischung der Völker sei die Sprache aber „zerrücket und verdorben“ worden (Schottelius, Sprachkunst, 63). Es gebe jedoch noch heute viele Namen von Bergen, Flüssen und Städten, nicht nur in Europa, sondern auch in Asien, die eigentlich deutsche Wörter seien. Schottelius zieht folglich die Etymologie von Toponymen heran, um seine Ansicht zu belegen. „Jst also diese uhralte Sprache bey den freyen Teutschen vornemlich geblieben / auch jhren Nahmen von den Teutschen / als den Vornehmsten Hauptgeschlechte der Celten / hernachmals behalten“ (ebd., 64 (34)). Auch andere Autoren ziehen die Etymologie heran, um das hohe ALTER der deutschen Sprache zu belegen. Harsdörffer steuert zu Klajs Lobrede ein Gedicht bei, in dem sich das lyrische Ich als ein Witdod inszeniert. In einer Fußnote erklärt er, dass Witdod ein keltisches Wort sei: Wit bedeute ›weise‹, „das t wird in alten Schrifften für ein s gefunden wie auch die Niderländer sagen: Wat / dat / waeter / für was / das / das Wasser“ (Klaj, Lobrede, 384 (35)).46 Dod sei ein hebräisches und deutsches Wort und bedeute ›Freund‹; Witdod bedeute also ›Freund der Weisheit‹, was die alten Griechen Philosoph genannt hätten. Auf diese Weise versucht Harsdörffer, das etablierte griechische Lehnwort durch ein keltisches und damit deutsches Wort zu ersetzen, wobei er offensichtlich eher das im Blick hat, was man mit dem Ausdruck Druide bezeichnet.47 Dieser Ver-

�� 46 Auch Harsdörffer bezieht sich auf die Auswirkungen der zweiten Lautverschiebung. 47 Gleichwohl finden sich, vor allem in der Antike, Philosophen, die ihre Lehren in Lehrgedichten wiedergaben, also dichterisch tätig waren, etwa Parmenides. Auch Platons Dialoge können dazu gerechnet werden.

Diskurssemantische Grundfiguren � 405

such war allerdings nicht von Erfolg gekrönt, dafür war das Wort Witdod wohl zu ungewöhnlich. Wahrscheinlich kursierte es nur unter den Pegnitzschäfern. Von besonderer Relevanz für die Sprachpatrioten war die Herkunft des Wortes deutsch als Bezeichnung sowohl für das Volk als auch für die Sprache. Zesen leitet es vom altdeutschen Wort Diet her, was so viel bedeute wie ›Gott‹, ›Herr‹, ›Besitzer‹, ›Herrscher‹, ›Reichtum‹ oder ›vornehmes Amt‹. Er weist auf Entsprechungen zwischen lateinischen und deutschen Namen hin, z.B. Dietrich und Theoderich oder Dietbald und Theobald sowie auf Entsprechungen zwischen diet, lat. deus und griech. θεός. Aus diet leitet er auch die Wörter deuten, Deutung und verdeutschen ab (vgl. Zesen, Spraach-übung, 22 f. (37)).48 Wie Zesen versucht auch Schottelius, deutsch etymologisch mit lat. deus und griechisch θεός in Verbindung zu bringen. Diese leitet er von der gemeinsamen Wurzel teut her und beruft sich auf Platons Phaidros (274 c–d), nach dem die alten Ägypter jenen Gott, der ihnen die Schrift brachte, Teut genannt hätten. Das Urvolk wollte, so Schottelius weiter, überall seine Verehrung für den einen Gott andeuten und nannte sich selbst nach diesem Gott Teutisch. Das -isch deutet er als Derivationssuffix, das an ein Stammwort teut angehängt wird. Durch Synkope wurde aus Teutisch bald Teutsch, „welches dann die rechte unfehlbare uhrankunft und Wurtzel des Teutschen Nahmens ist / nemlich der Nahme des wahren Gottes selbst / daß also Teutisch / so viel heisset / als Göttisch oder Göttlich“ (Schottelius, Arbeit, 36 (38)). Derartige Etymologien geben den Bemühungen, das hohe Alter der deutschen Sprache zu beweisen, eine neue Qualität. Hier wird der Versuch unternommen, der deutschen Sprache eine göttliche Herkunft zu geben und sie damit noch weiter über die anderen Sprachen zu erhöhen. Denn welches andere Volk kann schon behaupten, dass seine Sprache nach Gott benannt worden sei? Zudem sind Zesens und Schottelius’ etymologische Herleitungen in diesen Fällen vergleichsweise moderat und nachvollziehbar, was ihnen eine zusätzliche (scheinbare) Plausibilität verleiht. Für Leibniz ist es offensichtlich, dass die Franzosen, Spanier, Italiener und Engländer viele Wörter von den Deutschen übernommen haben, weshalb diese Sprachen ihren Ursprung in der deutschen suchen müssten (vgl. Beleg (40)). �� 48 Tatsächlich liegt Zesen mit der Rückführung von deutsch auf diet gar nicht mal so daneben. Nach Bär (2009, 65) geht deutsch auf ahd. diutisc, mhd. diutsch zurück, das etymologisch mit diot, diet ›Volk, Volksstamm‹ zusammenhängt. Aus diot wird die germanische Form *þeoda erschlossen, aus diutisc *þeodisk, was so viel bedeutet wie ›volkhaft, nach Art des Volkes, dem Volk zugehörig‹. Das Wort deutsch ist ursprünglich also nichts anderes als die Bezeichnung der Volkssprache im Gegensatz zum Latein als überregionaler Sprache der Mönche. Vgl. auch ebd., Anm. 10 sowie Duden Herkunftswörterbuch 216 f.

406 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses „Stecket also im Teutschen Alterthum, und sonderlich in der Teutschen uralten Sprache, so über das Alter aller Griechischen und Lateinischen Bücher hinauf steiget, der Ursprung der Europäischen Völcker und Sprachen, auch zum theil des uralten Gottes-Dienstes, der Sitten, Rechte und Adels; auch stecket offt unter den alten Nahmen die beschaffenheit der Sachen, Örther und Leute“ (Leibniz, Gedanken, 546 (41)). Deshalb fordert Leibniz die Erarbeitung eines etymologischen Wörterbuchs des Deutschen, weil es näher am ,Ursprung‘ sei als jede andere europäische Sprache und deshalb durch dieses Wörterbuch auch die anderen Völker ihre „Grund-Wurtzeln“ (ebd., 548) besser erkennen könnten. Kritik an dieser Konzeption wird durch Christian Gueintz in den Diskussionen innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft formuliert. Er räumt zwar ein, dass die in Babel entstandene Sprache anhand der Stammwörter die deutsche gewesen sein könne, doch was Mundart und Rechtschreibung betreffe, sei sie weit von heutigen Verhältnissen entfernt gewesen. Er weist Harsdörffers und Schottelius’ Meinung zurück, das lateinische littera stamme vom deutschen Letter her (vgl. Schottelius, Arbeit, 52 f.). Es gebe keinen Beweis, dass Letter anfänglich für Buchstabe gebraucht worden sei, vielmehr sei die Abstammung umgekehrt: „Hat man aber nun von den Lateinern schreiben lernen, so hat man auch den nahmen Literas, das ist Buchstaben von ihnen bekommen, ist also nicht Deutsch, sondern Lateinisch“ (Ertzschrein, 367 (42)). Gueintz stellt auch die behauptete Kontinuität der deutschen Sprache seit Babel (vgl. Beleg (33)) in Frage: Die deutsche Sprache sei zwar wahrscheinlich älter als das Griechische oder Lateinische, doch sei damit nicht bewiesen, dass die heutige deutsche Sprache mit der alten identisch sei. „Was von den Griechen vnd Lateinern, der sachen nach herkommen vnd bey den deutschen vorhin nicht gewesen daß ist auch nothwendig mit deren Nahmen Zu nennen wie dan in dergleichen die andern Sprachen Auch gethan“ (ebd., 370 (43)). Gewürze wie Pfeffer oder Ingwer könnten keine deutschen Namen haben, weil sie nicht in Deutschland wachsen und so von den Deutschen auch nicht benannt worden sein könnten. Ähnlich sei es mit vielen anderen Kulturgütern, die die Deutschen aus dem Ausland übernommen hätten. Weitere Belegstellen: (2) Leibniz, Abhandlungen, 21 / 23; (3) Schottelius, Arbeit, 48 f.; (8) Hille, Palmbaum, 6 f.; (9) Neumark, Palmbaum, 13; (10) ebd., 66* f.; (11) ebd., 2; (12) Neumark, Palmbaum, 131; (13) Klaj, Lobrede, 392; (14) Rist, Rettung, 120; (23) Neumark, Palmbaum, 27* f.; (24) Ertzschrein, 268 f.; (26) Zesen, Sendeschreiben an den Siebenfältigen, zitiert nach Jones 1995, 242; (28) ders., Rosen-mând, 127; (29) Klaj, Lobrede, 390 f.; (31) Neumark, Palmbaum, 110 f.; (36) Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 5; (39) Zesen, Rosen-mând, 240 f.; (40) Leibniz, Gedanken, 545.

Diskurssemantische Grundfiguren � 407

Die diskurssemantische Grundfigur ALTER dient dazu, der deutschen Sprache einen möglichst frühen Ursprung zu verleihen. Dieser wird meist bei der Babylonischen Sprachverwirrung angesetzt, woran sich die Konzeption anschließt, dass Ascenas sie nach Europa transportiert habe. Manchmal wird er auch bis zur Adamischen ,Ursprache‘ zurückverfolgt. Etymologische Herleitungen insbesondere der Bezeichnung deutsch sollen die These vom hohen ALTER der deutschen Sprache unterstützen. Mit dem höheren ALTER soll zugleich deren Überlegenheit gegenüber den romanischen Sprachen, nicht selten auch über das Lateinische und Griechische nachgewiesen werden. Nur vereinzelt wird diese Konzeption in Frage gestellt. Die Ergebnisse aus den Analysen der Metaphern und Topoi mit einbeziehend, wird die Grundfigur ALTER durch die Knechtschaftsmetaphorik, die Kleidermetaphorik und die Muttermilch-Metapher, stärker aber durch die Topoi Adam, Ascenas, Babel, Sintflut und Karl der Große konstituiert. Durch ihre Funktion beim Ziel der Aufwertung der deutschen Sprache korreliert sie mit den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT, REICHTUM und EIGENTLICHKEIT. Da die Aufwertung der deutschen Sprache zumeist mit einer Abwertung anderer Sprachen verbunden ist, dient die Grundfigur zudem der Klärung des Verhältnisses des Deutschen zu anderen Sprachen. Schließlich wird das ALTER auch als Argument für die POETIZITÄT der deutschen Sprache verwendet.

4.4.2 Reinheit Neben dem ALTER ist die REINHEIT die zweite der zentralen diskurssemantischen Grundfiguren, die zur Konnexion des Diskurses beitragen. REINHEIT meint mehrere Aspekte: Am bekanntesten und auffälligsten ist die Forderung nach Reinheit der Sprache von Fremdwörtern. Der Ausdruck Reinheit (mit den Varianten Reinigkeit und Reinlichkeit) bzw. das Adjektiv rein und semantisch verwandte Ausdrücke wie sauber können sich aber auch auf innere Reinheit beziehen und auf die Vemeidung povinzieller, unterschichtiger oder sittlich anstößiger Ausdrücke. „,Rein‘ ist nicht nur mit ,fremdwortfrei‘ wiederzugeben, sondern entspricht eher ,richtig‘ im Sinne von ,gesetzmäßig‘, ,normgerecht‘ o.ä., und zwar im varietätenpuristischen Sinn auf die Leitvarietät bzw. Standardsprache bezogen“ (Kirkness 1998, 407). Dieser Aspekt wird insbesondere in poetologischen und sprachnormierenden Texten virulent. Letztere fordern auch eine grammatische Reinheit. Damit geht ein Ausschluss der unteren sozialen Schichten einher, die diese Forderungen nach Sprachreinheit nicht zu erfüllen imstande waren:

408 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Die untere Schicht bildet die durch starke räumliche und situative Variabilität gekennzeichnete Sprechweise des insbesondere bäurlichen, aber auch städtischen sog. Pöbels; die obere Schicht wird in den Städten von den sprachbewussten Teilen des gehobenen Bürgertums, darunter den Gelehrten und den guten Schriftstellern, sowie des Adels entsprechend kritisch-gelehrten Programmen zur Verbesserung der Sprache gebraucht (Reichmann 1993b, 299). Anwendungsbereiche: Reinheit von Fremdwörtern (1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17, 18,19,20,21,22), Kritik am Fremdwortpurismus (23,24), grammatische Reinheit (25,26,27,28,29, 30,31,32,33,34), Reinheit der Sprache (35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,45,46,47,48), Ursprung des Deutschen (49,50,51), Stammwörter (52), reinster Dialekt (53,54,55), Reinheit von Regionalismen, Vulgarismen etc. (56,57,58,59), Reinheit der Sitten (60). Korrelationen: REICHTUM (2,9,13,17,22,35,38,39,44,45,48,49), biologistische Metaphorik (4,5,6, 8,10,11,26,33), Babel (5,49), Kleidermetaphorik (5,8), ALTER (9,10,36,50,51,60), anthropomorphisierende Metaphorik (9,11,12,37,41), Knechtschaftsmetaphorik (10,13,14,15,17,37,43), Muttermilch (10,14,42), Ascenas (10, 51), Dreißigjähriger Krieg (10), Luther (22,40), EIGENTLICHKEIT (31,47,50,52), Karl der Große (40), Rudolf I. (40).

Exemplarisch für die Forderung nach umfassender REINHEIT im beschriebenen Sinn kann ein Abschnitt in Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey stehen, in dem er für poetische Texte verlangt, dass sie elegant und zierlich in der Zusammensetzung und im Ansehen sein sollen. Was er damit meint, führt er weiter aus: Demnach müssen die Wörter „reine vnd deutlich“ sein (Opitz, Poeterey, 371 (1)). Dies bedeutet, dass man sich nach bestem Vermögen des reinen Hochdeutschen bedienen und „nicht derer örter sprache / wo falsch geredet wird“ (ebd.); es sind also Regionalismen zu vermeiden. Opitz, selbst aus niederdeutschem Gebiet (Schlesien) stammend, gibt also dem Hochdeutschen den Vorzug, das wohl eher areal als sozial zu verstehen ist. Zudem spricht er sich gegen die Benutzung von Fremdwörtern aus: „So stehet es auch zum hefftigsten vnsauber / wenn allerley Lateinische / Frantzösische / Spanische vnnd Welsche wörter in den text vnserer rede geflickt werden“ (ebd., 372). Fremde Eigennamen sollen deutsch flektiert werden. Hier macht Opitz allerdings Konzessionen: Solange die deutschen Flexionsformen noch ungewohnt seien, könne man die lateinischen Formen verwenden. August Buchner fordert für die reine und zierliche Rede, „daß man sich aller Lateinischen / Frantzösischen / Welschen und dergleichen Wörter enthalte“ (Buchner, Anleitung, 33 (2)). Obwohl es immer mehr üblich werde an den Höfen und unter den Soldaten, dass man aus Eitelkeit als groß und gebildet angesehen werden wolle, „als were er vieler Sprachen kündig“ (ebd.), empfindet Buchner vermehrten Fremdwortgebrauch als große Unhöflichkeit vor allem der Muttersprache gegenüber. Es sei doch

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gantz ungegründet und tadelhaftig / gereichet auch nicht zur geringen Verkleinerung unserer Muttersprache / als wäre dieselbe so arm und unvermögen / daß sie von andern borgen müste / oder so grob und ungeschlacht / daß man nicht etwas so höfflich und nett / als in den andern vorbringen könnte / da sie doch in den beyden keiner Nationen was sonderlichs zuvor zugeben hat / im Fall man sie recht braucht und übt; An Majestät aber und Ansehen denen meisten überlegen ist (ebd., 33 f.).

Buchner bringt damit die üblichen Topoi des Fremdwortpurismus vor, nämlich den Vorwurf der Herabsetzung der Muttersprache und die Betonung ihrer vermeintlichen Überlegenheit. Außerdem wird auf die diskurssemantische Grundfigur REICHTUM rekurriert. In vielen Belegen wird die REINHEIT der deutschen Sprache als Faktum vorausgesetzt, das keiner Begründung bedarf. Vielmehr wird Fremdwortbenutzern vorgeworfen, mit Absicht die REINHEIT der deutschen Sprache zur beschädigen. Um diesen Vorwurf zu bekräftigen, werden häufig die Grundfiguren ALTER, REICHTUM und EIGENTLICHKEIT samt der Kleider- oder der biologistischen Metapher und Topoi wie etwa Babel aufgefahren. Der folgende Beleg ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die einzelnen diskurskonnektiven Elemente gegenseitig unterstützen: (5) Weil demnach in unser Teutschen Sprache die Würtzelen einlautend / klar / hell / deutlich / vollkommen / ja solche seyn / darin die Natur jhr Meisterstück gethan / und jre Verborgenheit lassen dadurchs auffs gründlichste außbilden; Auch weil unsere uhralte Vorfahren bey Babylon sie erlernet / wie solches droben ist erwiesen / ey lieber / warumb wollen wir denn so unbesonnene unleute gegen unsere Vorfahren seyn / und jhnen eine Zunge ohn Sprache zueygnen? Wollen wir denn selbst / wider den Lauff der gemeinen Natur / und wider alles Geheiß der Warheit / aus schändlicher frömdgierigkeit unsere wunderreiche / unsere Krafft und Safftreiche / reinlichste / uhralte Stammwörter / zu menglingen / flickstücken / brocken / unwörteren / mißgeburten und Betteldrecke machen? Was hat man doch für Uhrsachen / als gar keine rechte Uhrsache? (Schottelius, Sprachkunst, 171).

Ähnlich äußert sich Schottelius auch an vielen anderen Stellen. Oft lobt er das Vorbild der Vorfahren (vgl. auch Beleg (3)) und betont die Abhängigkeit aller anderen Sprachen von der deutschen, wieder durch eine biologistische Metapher: Es haben unsere uhralte Teutsche Vorfahren eiferig in acht genommen jhre Mutter-Sprache / dieselbe frey und reinlich gebraucht / behalten / und jhre Kinder gelehrt / mit nichten […] von jhren Feinden jhre Rede erbettelt: Sondern vielmehr haben alle Europeische Sprachen viele Würtzelen / Wörter / Saft / Kraft und Geist aus dieser reinen uhralten Haubtsprache der Teutschen (Schottelius, Arbeit, 123 (6)).

Innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft wurde auf die REINHEIT großer Wert gelegt. In den Texten wird sie als durch die Fremdwörter stetig gefährdet angesehen, wobei die Mitglieder des Palmordens sich selbst als Retter der deutschen

410 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Sprache wie der deutschen Tugenden inszenieren. Exemplarisch kann dafür folgendes Gedicht angeführt werden. Auch hier spielen biologistische Metaphern und die Grundfiguren REICHTUM und EIGENTLICHKEIT eine Rolle. Zudem scheint mit dem Attribut züchtig in Verbindung mit rein eine ethisch-moralische, ins Sexuelle spielende Note durch, die anthropomorphisierend wirkt: (8) Halt / behalt die Muttersprach / die so rein und züchtig | Und zu allen Sinnbegreiffherrlich / reich und tüchtig. | Was der böse Fremdlingsmann / bey uns eingeflikket | Teutscher Geist und Teutsches Hertz wiederüm zerstükket. | Ey der Adler sey verjungt / Redlichkeit und Trauen | Endlich wieder wachsen wird. Dann wir wollen schauen | Fremder Zungen Niderfahrt; unser Neider Fall | Und der Teutschen Sprache Blüt fruchten überall (Hille, Palmbaum, 13 f.).

Doch die deutsche Sprache soll nicht nur rein erhalten werden, sondern sie soll auch, wenn dies notwendig wird, gesäubert werden. Dies ist der Fall, wenn sie Opfer des Unflats bettlerischer Wortbesudelung wird. Ziel der Fruchtbringenden Gesellschaft ist es deshalb, daß wir unsere hochprächtige Muttersprache vor allen Dingen / von dem Unflat bettelerischer Wortbesudelung / so viel jedem müglichen / ausreiten / säubern / auszieren / und keineswegs damit ferner behelligen: sondern dieselbe dagegen in ihrer Grundfeste und rechten Verstand erhalten / behalten / und fortzupflantzen / uns höchlichen angelegen seyn lassen (ebd., 23 (11)).

Hier wird die diskurssemantische Grundfigur REINHEIT als Metapher entfaltet. Für Gueintz ist die REINHEIT der deutschen Sprache der Grund, warum sie leichter zu erlernen sei als andere Sprachen: „Dan da die andere mit frembden wörtern dermassen vermischet / das sie wegen derselben menge schwerlich zu lernen: Aber die Deütsche alleine kan sich als eine reine Jungfrau von frembden sprachen enthalten / und mag deswegen desto leichter gefasset werden“ (Gueintz, Entwurf, 10 (12)). Umso mehr sei der zunehmende Gebrauch von Fremdwörtern zu beklagen: „Derowegen höchlich zu beklagen ist / das die Deütschen nunmehr aus den andern sprachen so viel wörter gebrauchen / als wan sie fast keine rede mehr führen könten / da nicht bald Frantzösisch / bald Jtaliänisch / bald Spanisch / bald Lateinisch mit untermenget were“ (ebd.). Dabei spricht sich Gueintz nicht grundsätzlich gegen Fremdwörter aus: Ein anders aber ists / wen man die Kunstwörter (Technica) gleich wie auch die Latini die Griechischen behalten / gebrauchet: Wiewol man auch dieselben meistentheils füglich Deutsch geben kan / wie in Götlichen sachen / im Rechte / und in der Artzeney zu sehen. Jn andern Künsten seind sie gemein / wiewol die meisten / ausser denen / die der Kunst seind / unbekant (ebd., 10 f.).

Diskurssemantische Grundfiguren � 411

Gueintz kritisiert den Fremdwortgebrauch aus sprachpraktischen Gründen. Er verficht die REINHEIT der deutschen Sprache in der Überzeugung, dass allein sie die leichte Erlernbarkeit einer Sprache garantiert. Um das Argument zu stützen, bedient er sich einer anthropomorphisierenden Metapher und konzeptualisiert die deutsche Sprache als reine Jungfrau. Neumark sieht es als Aufgabe der adligen Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft, vor die teutsche Freyheit zu fechten“ (Neumark, Palmbaum, 177). Die Aufgabe der gelehrten Mitglieder sei es, durch „Schriftwerke der kunstliebenden Welt mit zu theilen / dadurch denn der wehrten Muttersprache Reinikeit und deroselben Ausübung befördert / und der rechte Zwekk erreichet wird (ebd., 178 (15)).

Neumark setzt innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft eine Verteilung der Aufgaben an, die strikt an der Ständeordnung orientiert ist. Mitgliedern des adligen und des bürgerlichen Standes wird ihre je spezifische Aufgabe zugeteilt. Verbindungselement ist die REINHEIT: Der Adel soll die deutsche Freiheit erhalten und damit die politische REINHEIT, und das Bürgertum soll die kulturelle REINHEIT sichern. Für Harsdörffer bedeutet Reinligkeit, dass die Sprache „ohne Vermischung mit andern fremden Wörtern zierlichst gebrauchet“ wird (Harsdörffer, Fortpflanzung, 41 (16)). Zesen behauptet, dass die deutsche Sprache in ihrem natürlichen Zustand nichts Fremdes in sich habe. Auch er stützt die Grundfigur REINHEIT mit dem REICHTUM: (17) Wan sie recht rein und nach ihrem natürlichen ursprunge geschrieben wird / so hat sie freilich nichts fremdes. Aber wie in allen sprachen oder mund-ahrten / durch handeln und wandeln der frembdlinge untereinander / fremde wörter einzuschleichen pflegen / so haben sich dergleichen auch in unsere sprache bisweilen mit eingeschlichen / da sie doch von sich selbst reich genug ist / und keine neue wörter lehnen darf (Zesen, Rosen-mând, 203).

Leibniz ist Fremdwörtern gegenüber vergleichsweise aufgeschlossen, er hält sogar Lehnwörter aus dem Deutschen sprachverwandtschaftlich nahe stehenden Sprachen wie dem Niederländischen für eine Bereicherung der deutschen Sprache. Weniger ratsam ist nach seiner Auffassung die Entlehnung lateinischer, italienischer, französischer oder spanischer Wörter, denn diese würden die REINHEIT der deutschen Sprache gefährden und verhindern, dass das Deutsche „von den uberflüssigen fremden Mischmasch gesäubert werde“ (Leibniz, Gedanken, 555 (20)). Daher sollten sich „vornehme Scribenten mittels ihres Exempels“ (ebd., 560), um dessen REINHEIT zu erhalten, dem „einbrechenden Sturm der fremden Worte“ entgegenstellen (ebd. (21)). Die besten Autoren sollen als Vorbilder bei der Vermeidung von Fremdwörtern fungieren.

412 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Leibniz steht für einen moderaten Purismus. Der extreme Fremdwortpurismus, den Teile der Fruchtbringenden Gesellschaft betrieben (nicht nur Zesen), ist dagegen Gegenstand der Kritik. Im gleichen Text nennt Leibniz als negatives Beispiel die Wirkung der „Rein-Dünckler“ (ebd., 537 (23)) in Frankreich, die ihre Sprache durch ihren Purismus ärmer gemacht hätten. Die Sprache der Puristen sei wie eine „Suppe von Klarem Wasser […] nemlich ohne tadel und ohne Krafft“ (ebd.). Leibniz macht den Sprachreformern zum Vorwurf, dass sie alle Fremdwörter, sogar die eingebürgerten, auf einmal abschaffen wollten. Sein Gegenargument kleidet er in eine technische Metapher: Wie ein zu steifer Damm durch die Wasser-Schüsse breche, so hätten diese es übertrieben und sich dem Spott der Gelehrten ausgesetzt. Besser wäre es gewesen, gelinder und nachgiebiger zu verfahren, so wie ein Damm, der zunächst nachgibt, sich dann aber allmählich verfestigt und nicht bricht (ebd., 538 (24); vgl. dazu auch Gardt et al. 1991, 26 f.). Betrachtet man die Implikationen der Metapher, so stellt man fest, dass Leibniz zwar, wie oben bemerkt, moderat verfährt und übertriebenen Fremdwortpurismus ablehnt, gleichwohl jedoch am Konzept der REINHEIT festhält. Fremdwörter sind für ihn Wasser-Schüsse, die eine Bedrohung darstellen, wenn sie nicht kontrolliert werden. Als Kontrollmechanismus soll ein flexibler Damm dienen, der zuverlässiger ist als ein steifer Damm, der dem Druck der Fremdwortmassen nicht standhalten könnte. Damit gibt Leibniz eine Empfehlung für wirksameren Schutz gegen unerwünschte Fremdwörter. Die REINHEIT bezieht sich aber nicht nur auf die Vermeidung des Gebrauchs von Fremdwörtern, sondern auch auf grammatische Regelmäßigkeit. Gemeint ist die Beachtung der sich allmählich verfestigenden Normen des Sprachsystems, über die sich die Autoren trotz der oben geschilderten Differenzen über die Normierungsprinzipien grundsätzlich einig sind. In diesem Sinne entspricht Reinheit „weitgehend der latinitas der antiken Rhetorik“ (Gardt et al. 1991, 27). Balthasar Kindermann etwa schreibt, dass der Dichter sich „für allen dingen / reinlicher / zierlicher und deutlicher Worte befleissigen“ müsse (Kindermann, Poet, 713 (25)). Reinlich sind nach seiner Auffassung die Wörter dann, wenn sie erstens die feinsten möglichen sind und zweitens richtig flektiert werden. Er diskutiert verschiedene Varianten der Flexion einzelner Wörter und lehnt bestimmte Suffixe ab: „das Begräbniß (nicht Begräbnüß: Denn wir in deutscher Sprache […] von keiner endung / auff ein nuß wissen)“ (ebd., 715). Für Leibniz besteht REINHEIT einer Sprache darin, dass man die Rede nach den Regeln der Grammatik bilde

Diskurssemantische Grundfiguren � 413

und sich im Reden vor unanständigen, „ohnvernehmlichen“49, fremden oder „Unteutschen“ Wörtern hüte (Leibniz, Gedanken, 557 (27)). Grammatische REINHEIT wird nicht nur im Sprachgebrauch angestrebt, sondern auch in der Grammatikographie. Fürst Ludwig formuliert das Ziel der Fruchtbringenden Gesellschaft, sich der „ferneren ausarbeitung unserer Deutschen Mutter- und Landsprache mehreren nutzen, reinligkeit, einhelligkeit, deutligkeit und richtigkeit“ zu widmen (Ertzschrein, 276 (29)). Er konstatiert, dass in Schottelius’ Teutsche Sprachkunst viel Gutes stehe, kritisiert aber, dass dieser „die gantze richtigkeit und klarheit auch reinligkeit der deutschen Sprache“ noch nicht erreicht habe (ebd., 324 (30)). An anderer Stelle formuliert der Fürst ein umfassendes Programm der Pflege der deutschen Sprache, das nicht nur die REINHEIT des Deutschen als Ziel ausgibt, sondern, die Grundfiguren ALTER, REICHTUM und EIGENTLICHKEIT mit einbeziehend, ein Gesamtkonzept der Spracharbeit entwirft: (31) Darbey aber ferner erwogen worden / weil unsere weitgeehrte Hochteütsche Muttersprache so wol an alter / schönen und zierlichen Reden / als auch am überflusse eigentlicher und wolbedeütlicher Wort / so iede sachen besser / als die frembden recht zuverstehen geben können / einen nicht geringen vorzug hat: Das ebener gestalt darauf möchte gedacht werden / wie eine sothane Geselschaft zu erwecken und anzustellen / darinnen man in gut rein deütsch reden / schreiben / auch anders / so bey dergleichen zusammensetzung und erhebung der Muttersprache / (darzu ieder von Natur verpflichtet) gebrauchlich und dienlich / vornemen möchte (Fürst Ludwig, Fruchtbringende Gesellschaft, fol. ijr).

Reinheit bezeichnet in diesem Falle offenbar sowohl Fremdwortvermeidung als auch grammatische Reinheit. Ersteres ist aus der Betonung des Überflusses an eigenen eigentlichen und wohlbedeutlichen Wörtern zu erschließen, letzteres aus der Feststellung des REICHTUMS an schönen und zierlichen Reden. Zudem wird anhand des Beleges deutlich, dass im sprachpatriotischen Diskurs zwar immer wieder die REINHEIT der deutschen Sprache betont wird, aber offenbar keiner Rechtfertigung bedarf. Vielmehr ist jeder (die Verwendung des Indefinitpronomens ist bezeichnend) dazu verpflichtet, die Muttersprache zu erheben. Dass die Sprachpatrioten nicht nur Wert auf möglichst fremdwortfreies Sprechen und Schreiben legen, sondern auch auf größtmögliche Reinheit der Sprache im grammatisch-systematischen wie auch im stilistischen Bereich, vor allem aber in der Gesinnung, geht aus folgendem Epigramm Logaus hervor:

�� 49 Darunter versteht Leibniz Wörter, die veraltet und nicht mehr im Gebrauch sind (vgl. Leibniz, Gedanken, 558).

414 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses (34) Was hilffts, daß deutscher Mund das Deutsche redet rein, | Hingegen wann der Sinn gleichwol wil grichisch seyn? (Logau, Sinngedichte, 579).

Für Logau kommt es nicht darauf an, nur deutsch zu reden, man muss auch mit dem Herzen und dem Verstand deutsch sein. Er richtet sich offensichtlich an die Gelehrten, die sich mehr Gedanken um fremde Sprachen, hier beispielhaft das Griechische, machen und sich um das Deutsche wenig kümmern. Aufgrund ihres mangelnden Interesses können sie auch nicht an der Weiterentwicklung der deutschen Sprachnorm arbeiten und sind damit, trotz der REINHEIT ihrer eigenen Sprache, für diese wenig hilfreich. Logaus Epigramm ist also sowohl Forderung nach sprachlicher REINHEIT als auch Kritik an den Gelehrten. Außerdem ist es ein Eingeständnis, dass REINHEIT alleine nicht zur Sprachnormierung ausreicht. Die Grundfigur REINHEIT wird nicht nur auf eine bestimmte herausragende Varietät bezogen, sondern auch auf die deutsche Sprache als langue im Sinne de Saussures, also auf das Sprachsystem. Schottelius rekurriert in seinem Sprachlob meist auf das Sprachsystem, so etwa in folgender Stelle, in der wieder mehrere Grundfiguren eine Rolle spielen: (36) Erhellet also aus angeführten verhoffentlich / daß die uhralte Teutsche Sprache jhre Wurtzelen und Gründe weltweit ausgebreitet / und bis auf diese Stunde erhalten habe / dero Uhraltertuhm / Reinligkeit / deutreichste Kraft und Wirkung / an Worten und Letteren / man vielmehr erkennen und annehmen / als eines vermeinten Zulauts halber / der albern schmaklosen abgaukeley […] beypflichten muß (Schottelius, Arbeit, 134).

An anderer Stelle lobt Schottelius die „prächtige[] / wortreiche[] und reine[] Hauptsprache“ (ebd., fol. b iijr (38)) und erklärt, dass die deutsche Sprache „eine von den allerwortreichesten / an sich wollautend / rein / dabeneben prächtig und mächtig / und also volkommen sey“ (ebd., 16 (39)). Auch andere Autoren beziehen die Grundfigur auf das Sprachsystem. Klaj leitet die Reinigkeit, Zier und Pracht der deutschen Sprache von ihrer Eigenschaft als „reine unberührte Jungfrau“ her (Klaj, Lobrede, 403 (41)) und Harsdörffer verteidigt diejenigen, die die „Reinlichkeit und Keuschheit [der deutschen Sprache] halten wollen“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 354 (42)), gegen ungerechtfertigte Angriffe. Er erklärt die REINHEIT zu einem Alleinstellungsmerkmal der deutschen Sprache: „Unsere Teutsche in allein ist ihrer Reinlichkeit von vielen tausend Jahren hero / bis auf unsere letzte Zeit / unbeflecket verblieben“ (ebd., 358 (43)). Zesen konzeptualisiert das deutsche Sprachsystem in einer militärischen Metapher als reines und reiches Zeughaus, in dem genug Material vorrätig sei, so dass man auf die Entlehnung fremden Wortguts verzichten könne:

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(44) Und eben darüm were es freilich besser / wan man / an solcher fremden Wörter stat / aus dem reinen und reichen Zeughause der Hochdeutschen Sprache selbst eigene Deutsche Wörter bildete / und dieselben / neben jenen / so lange gebrauchte / bis sie so bekant würden / daß sie die fremden / als Uneignen und uneingebohrnen / mit der zeit ausstiessen / und wir also unsere Sprache gantz rein und unvermischt haben könten (Zesen, Sendeschreiben an den Siebenfältigen (Malachias Siebenhaar) (1678); zitiert nach Jones 1995, 241).

Die beiden Konzepte REINHEIT und REICHTUM werden also auch herangezogen, um die Eigenständigkeit, Autarkie und Funktionalität des Sprachsystems hervorzuheben. Rist hält die Vorzüge der deutschen Sprache für so offensichtlich, dass es kaum notwendig sei, sie hervorzuheben: WJe wortreich / prächtig / rein vnd vollkommen vnsere teutsche Hauptsprache an jhr selber sich befinde / solches kan demjenigen / der sich in deroselben Königlichem Pallast etwas fleissiger vnd ernstlicher alß der gemeine Pöbel zu thun pflegt / hat ümmegesehen / nicht leicht seyn verborgen (Rist, Rettung, 76 (45)).

Auch hier erscheinen REINHEIT und REICHTUM als Zwillingspärchen. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die das Konzept der REINHEIT für nicht realisierbar halten und die Vorstellung von einer reinen deutschen Sprache für illusorisch erklären. Harsdörffer tut dies, indem er die Sprachen mit Metallen vergleicht: Kein Metall könne ohne Schlacke gewonnen werden, ebenso könne auch keine Sprache rein aus ihren Gründen erhoben werden. Es gebe nicht nur Wörter, die in anderen Sprachen gleich sind, sondern auch durch Reisen, Handel und Gemeinschaft viele Wörter, die fremde Waren bezeichneten und so kämen fremde Wörter in eine Sprache. Dies sei eine Notwendigkeit: „Ja wie fast kein Metall / ohne deß ander Zusatz dienen kan / also muß man auch solche fremd-eingeschaltne Wörter nothdringlich gebrauchen“ (Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 10 (46)). Harsdörffer erklärt damit bestimmte Lehnwörter für unentbehrlich, um die Funktionalität der deutschen Sprache zu sichern. Doch Harsdörffer ist eher die Ausnahme. Kontrastiv zu seiner Einschränkung der REINHEITS-Figur verhält sich Stielers emphatisches Sprachlob. Er leitet aus der Einsilbigkeit der Stammwörter die Überlegenheit der deutschen Sprache vor allen anderen ab: (47) Und hierinnen thut es die Teutsche Sprache allen Sprachen in der Welt / ja auch so gar ihrer Eltermutter / der Hebraeischen / vor / und ist hierüm billig vor die vornemste und fürtrefflichste Haubtsprache zubeehren / als welche einfach / selbsteigen / lauter und rein ist / und nicht allein alles / was die Welt begreifet / ohne Beyhülfe einer andern Sprache / deutlich und vernemlich nennen / sondern auch denjenigen Dingen / so noch täglich anderer Orten erfunden oder erdacht werden / solch einen beqvemen Namen geben

416 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses kan / der so bald von dem geringsten Menschen / Weibern und Kindern / wann sie denselben nur einmal hören / verstanden werden mag (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijr).

Zuweilen bezieht sich die Grundfigur der REINHEIT in Kombination mit denen des REICHTUMS, des ALTERS und der EIGENTLICHKEIT auch auf die Ursprünge des Deutschen: (49) Dan die Deutsche Sprache ist eine solche / die gantz und gar aus sich selbsten / und aus ihren eigenen Wörtern bestehet; also daß sie / ich wil sagen die Uhralte noch unvermischte reine Deutsche Hauptsprache / wie sie bei dem Babelschen Turnbaue / zuerst aus der Ebräischen / als aller Weltsprachen Groß- und Ertz-mutter / gleichsam gebohren / und nach der zeit nur aus sich selbst immer reicher und reicher gemacht / ja sothanig bis auf unsere zeit erhalten worden / von andern Sprachen nichts / ja gantz nichts entlehnet (Zesen, Sendeschreiben an den Siebenfältigen (Malachias Siebenhaar) (1678); zitiert nach Jones 1995, 242).

Der historische Rückgriff dient offenbar zur Begründung der Behauptung der REINHEIT des Deutschen. Mit dem Hinweis darauf, dass die deutsche Sprache nach ihrem Entstehen in Babel unvermischt und rein gewesen sei und auch danach ganz nichts entlehnt habe, wird eine kontinuierliche REINHEIT behauptet, durch die das Prestige der deutschen Sprache gesteigert und zugleich die Unnötigkeit der Entlehnung von Fremdwörtern aufgezeigt werden soll. Auch Schottelius ist überzeugt, dass die deutsche Sprache uralt, „eygen / rein und Welträumig ist“ (Schottelius, Arbeit, 32 (50)). Die REINHEIT wird von Schottelius auch auf die Stammwörter angewandt, er beschreibt sie als „kurtz / rein / fest und kräftig […] loß und frei von aller Fromdheit“ (ebd., 42 (52)). Da die Stammwörter als die Grundlage, als Wurzeln (vgl. oben, 4.2.2) der deutschen Sprache konzeptualisiert wurden, stehen sie hier metonymisch für das Deutsche, so dass sich die Reinheit letztlich auch an dieser Stelle auf die langue der deutschen Sprache bezieht. Die REINHEIT wird innerhalb der deutschen Sprache auch auf einzelne Dialekte bezogen. Buchner empfiehlt eine Orientierung am Meißnischen und nicht am Sächsischen, indem er jenes mit den Substantiven Reinligkeit und Zierde verbindet (vgl. dazu auch Gardt et al. 1991, 28): (53) Jm übrigen bestehet die Reinligkeit und Zierde einer hochdeutschen Rede zuforderst darauf / daß man sich guter Meißnischer / und itziger Zeit gebräuchlichen Wörter / und Arten im Reden gebrauche / andere aber und sonderlich Sächsischer / weil die gemeiniglich etwas hart / und nicht zu gar lieblich fallen wollen / sich enthalte (Buchner, Anleitung, 42).

Für die Rhetorik legt Johann Matthäus Meyfart die dialektalen Vorbilder relativ ausführlich fest. Auch er präferiert das Meißnische. Andere Dialekte sind für ihn in der Rede nicht akzeptabel.

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(54) Der Redner sol sich reiner Worte in deutscher Sprach befleissigen: Vnd zwar wie solche in den Hochmeißnischen Cantzleyen vblich seyn: Dargegen mit embsiger Sorge sich hütten vor dem Lateinischen / Griechischen / Frantzösischen vnd Jtalienischen / wofern nicht sonderbahre Vrsachen ein anders erfordern. Den Poeten ist erlaubet / bißweilen einen Thüringischen / Fränckischen / Sächsischen Dialectum oder Mundart zugebrauchen: Denn Rednern ist es verbotten (Meyfart, Redekunst, I 63 f.).

Insbesondere in der poetologischen Literatur wird auf die lexikalische REINHEIT in der Dichtung Wert gelegt. Dabei folgen die Autoren im Wesentlichen den Vorstellungen, die bereits Opitz im Buch von der Deutschen Poeterey dargelegt hatte. „Von der im engeren Sinne grammatischen Regelgemäßheit unterscheidet sich die stilistische durch die Vermeidung bestimmter Wortschatzelemente wie Archaismen, Neologismen, Dialektismen, Fremdwörter […], als derb und vulgär empfundener Wörter sowie von Wörtern, die widrige und unangenehme Nebenbegriffe haben“ (Gardt et al. 1991, 27). So fordert etwa Buchner vom Poeten, dass er sich „aller gar zu gemeinen / unsaubern / und unhöfflichen Worte“ enthalte und keine Art zu reden gebrauche, die „bey Erbaren / Verständigen und Vornehmen Leuten […] im Lesen etwas zu wieder seyn / und einen Eckel machen kann“ (Buchner, Anleitung, 27 (56)). Denn der Poet habe die Aufgabe, den Leser zu belustigen. Mit dieser Forderung geht die Sozialdistanzierung einher: Der Poet solle sich nicht am „gemeinen Pöbel / der nichts verstehet / und Unflath oft mehr / als Reinligkeit liebet“ (ebd.) orientieren, sondern an denen, die etwas wissen und ein gutes Urteil fällen können. Er solle niedrige Wörter vermeiden und nicht die Wörter der Bauern benutzen, zumal wenn in seiner Dichtung keine Bauern vorkämen. Dies erläutert Buchner anhand einiger Beispiele: Das Wort Dirnste etwa sei zu bäurisch, es würde beim Hofmann nur Ekel erregen; das Wort Stube sei nicht schlecht, doch wenn man einen Ort bezeichnen wolle, in dem ein ehrenwerter Mann sich aufhalte, dann solle man lieber die Wörter Gemach oder Zimmer benutzen. Buchner macht also klare Angaben zur stilistischen Markiertheit von Wörtern. Zur REINHEIT gehört für Buchner auch die Vermeidung von Vulgarismen: Damit die Rede auch sauber / rein und höfflich seyn möge / ist von nöthen / daß man sich derer Wörter enthalte / die etwas bedeuten / das zwar vor sich nicht unehrlich und schandbar / doch aber so beschaffen ist / darob ein reinlich und schamhafter Mensch einen Eckel und Unwillen fassen könnte (ebd., 29 f. (57)).

Das Gebot zur Vermeidung von Vulgarismen begründet Buchner zeichentheoretisch: Durch das Setzen der Wörter werden beim Leser auch die Vorstellungen von dem, was sie bezeichnen, hervorgerufen; daher könne ein Wort, das einen Gegenstand bezeichne, der einen ehrbaren Menschen erröten lasse, selbst kein angenehmes Wort sein. Daher solle man, so Buchner weiter, das Verb schmieren

418 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses nicht gebrauchen, weil es zwar für sich selbst nichts Schändliches oder Unehrbares bedeute, doch der Reinlichkeit zuwider sei. Zudem solle man auf zweideutige Wörter achten. Das Substantiv Gemach etwa bedeute einerseits ›Zimmer‹, andererseits ›Abort‹ (letzteres wird schamhaft verschwiegen); wenn man das Wort leichtfertig verwende, könne es sein, „daß / wenn ein vorwitziger Leser darüber kömmt / uns eine solche Meinung angedichtet werde / darob sich ein Gelehrter erröthen / und etwas Schimpfs uns zugezogen werden muß / davor man sich billig hüten soll“ (ebd., 31). Wenn eine solche Zweideutigkeit drohe, dann solle man das Wort vermeiden und lieber eine verdeckende Umschreibung benutzen. Ähnlich argumentiert Johann Peter Titz: „Letztlich sollen die Worte allesammt Ehrbar vnd höflich sein / die unzüchtigen vnd unhöflichen aber gäntzlich vermieden werden“ (Titz, Bücher, fol. P iijv (58)). Man dürfe in der Dichtung „die grentzen der Zucht vnd Ehrbarkeit“ nicht überschreiten (ebd., fol. P iiijr). Titz schreibt allerdings deutlich weniger über Vermeidungsstrategien als Buchner, denn die deutsche Sprache träget […] gleichsam von natur eine abschew vor allen unehrbaren Worten / so daß auch die dinge / bey welchen etwas unsauberkeit ist / entweder gar keinen eigenen Nahmen bey vns haben / oder ja von schamhafftigen gemüthern lieber höflich vmbschrieben / als außdrücklich genennet werden (ebd., fol. P iiijr–P iiijv).

Nach seiner Auffassung kann sittlich Anstößiges in der deutschen Sprache also gar nicht ausgedrückt werden, sie trägt damit gewissermaßen eine innere REINHEIT in sich. Etwas eigenwillig im Vergleich zu anderen Autoren ist Rompler. Zwar folgt er in seinen Dichtungen dem Gebot, Regionalismen zu vermeiden: „Wörter / die nicht ferner / als iergend nur in ainem platz des Teütschlands gäng-und-gäb seyn / hab ich vermieden / so vil ich gekönt“ (Rompler, Gebüsch, fol. oooo iijr (59)). Im Bereich der Archaismen weicht er aber von seinen Zeitgenossen ab: Alte Wörter, die die Sachen gut bezeichnen, aber „durch lüderliche unachtsamkeit in den abgang kommen“ seien (ebd.), hätte er wiederbelebt, ebenso solche, die missbräuchlich verwendet würden. Beispiele dafür sind Wat ›Kleidung‹, Minne ›geistliche und weltliche Liebe‹, Magd ›Jungfrau‹, Recke ›Held, Kämpfer‹ oder Mär ›Nachricht, Botschaft‹. Im Bezug auf das letzte Beispiel betont Rompler die Wichtigkeit der Restitution, da das Weihnachtslied Vom Himmel hoch da komm ich her sonst nicht mehr verstanden werden könne. Nur noch erwähnt sei, dass auch von der REINHEIT der Sitten auf die Sprache geschlossen werden kann. Opitz’ Aristarch etwa beginnt mit einem Lob der germanischen Vorfahren, die ihr Land tapfer gegen die Römer verteidigt hätten und weniger auf den Schutz ihrer Städte aus gewesen seien als vielmehr auf den

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Schutz ihrer Gesinnung. Ihnen werden viele Tugenden zugeschrieben wie Sittenreinheit, Scham, Ehrlichkeit oder Unverdorbenheit. Die Sprache sei Ausdruck ihrer „erhabenen Gesinnungen“ (Opitz, Aristarch, 65 (60))50 gewesen, die sie ohne Umschweife ausdrückten. „Diese edle, vornehme Sprache, die den Geist ihres Volkes atmet, haben sie uns lauter und rein, frei von jeder fremden Befleckung, lange Jahrhunderte hindurch bewahrt“ (ebd.).51 Weitere Belegestellen: (3) Opitz, Aristarch, 69 / 71; (4) ebd., 71 / 73; (7) Schottelius, Arbeit, 144–146; (9) Hille, Palmbaum, 2; (10) ebd., 6 f.; (13) Neumark, Palmbaum, 3 f.; (14) ebd., 13; (18) Rist, Rettung, 99; (19) ebd., 143 f.; (22) Klaj, Lobrede, 395; (26) Ertzschrein, 247; (28) Buchner, Anleitung, 40 f.; (32) Hille, Palmbaum, 75; (33) ebd., 76; (35) Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( ijr – ):( ijv; (37) ebd., 153; (40) ders., Arbeit, 49; (48) Zesen, Rosen-mând, 186; (51) Neumark, Palmbaum, 117; (55) ebd., 98 f.

Die diskurssemantische Grundfigur REINHEIT konstituiert sich durch die Anwendung des Konzepts auf mehrere Aspekte. Sie bezieht sich sowohl auf die Reinheit von Fremdwörtern als auch auf grammatische und stilistische Reinheit der deutschen Sprache, womit meist eine Aufwertung einzelner Dia- und Soziolekte und umgekehrt eine Abwertung anderer Dia- und Soziolekte einhergeht. Letzteres steht im Zusammenhang mit der Normierung der deutschen Sprache und der Propagierung der Hoch- oder Nationalsprache. Die REINHEIT von Gestalt und Verwendung der deutschen Sprache setzt einen Zustand voraus, „dessen konkret-historische Existenz durch den tatsächlichen Sprachgebrauch im Verlauf der Sprachgeschichte negativ beeinträchtigt worden ist und weiterhin werden kann“ (Gardt et al. 1991, 25). Diese Beeinträchtigung soll durch die Spracharbeit verhindert werden. „Gefordert wurde die Richtigkeit der Formen-, weniger der Satzlehre, die Vermeidung alles Anstößigen und Zweideutigen und die Ausscheidung vom Veralteten, rein Dialektalen und bes[onders] von Wörtern und Wendungen fremdsprachlicher Herkunft“ (Kirkness 1998, 408). Aufgrund dieser Anwendungsbereiche und Aufgaben hängt die diskurssemantische Grundfigur REINHEIT sehr eng mit den anderen diskurssemantischen Grundfiguren REICHTUM, ALTER und EIGENTLICHEIT zusammen, mit ersterer bildet sie häufig eine Paarformel. Konstituiert wird sie durch biologistische und anthropomorphisierende Metaphorik, Kleider-, Knechtschafts- und MuttermilchMetaphorik sowie – seltener – durch die Topoi Babel, Ascenas oder Luther. �� 50 „Hac excelsae suae mentis sensa libere et nullo ambitu explicabant“ (Opitz, Aristarch, 64). 51 „Eam tam generosam, tam nobilem ac patriam suam spirantem linguam, per ita prolixam tot seculorum seriem, puram nobis et ab omni externa illuvie mundam tradiderunt“ (Opitz, Aristarch, 64).

420 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses 4.4.3 Reichtum Meist eng mit der Grundfigur REINHEIT verknüpft ist die Grundfigur REICHTUM. Wie jene richtet sich auch diese sowohl nach außen als auch nach innen, sie wird sowohl zur Abgrenzung von anderen Sprachen als auch zur Charakterisierung der eigenen Sprache angewandt, wobei sie allerdings im Gegensatz zur REINHEIT keine Exklusion von Varietäten und Schichten ausdrückt. Denn eine „potentiell positive Bewertung der Mundart wird dort möglich, wo den Dialekten eine gegenüber dem Hochdeutschen zumindest partiell eigene Wortcopia zugeschrieben und als Mittel für die Erhöhung von dessen lexikalischem Reichtum erkannt wird“ (Reichmann 1993b, 304). Dafür zeigen sich im 17. Jahrhundert erste Tendenzen, die im Laufe des 18. Jahrhunderts verstärkt werden. Anwendungsbereiche: Reichtum der deutschen Sprache (1,2,3,4), Wortreichtum allgemein (5,6, 7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28), Wortreichtum als Argument gegen Fremdwörter (29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,39,40), Beispiele für Wortreichtum (41,42), Reichtum an Wortbildungsmitteln (43, 44,45,46,47,48,49,50,51,52,53), Reichtum an Lauten (54), Reichtum an EIGENTLICHKEIT (55), Armut an Abstrakta (56). Korrelationen: POETIZITÄT (4), biologistische Metaphorik (5,7,9,11,31,38,45), EIGENTLICHKEIT (7,16,17,18,28,40,55), anthropomorphisierende Metaphorik (8,30,32,38,39), REINHEIT (10, 11,12,13,15,16,26,27,29,32,34,38,40,50,54), ALTER (12,23,26, 31,40), Handwerksmetaphorik (14), Babel (26,31), Kleidermetapher (31), Rechtsmetaphorik (37), Dreißigjähriger Krieg (38), Muttermilch (40), Knechtschaftsmetaphorik (40), Karl der Große (52).

Der REICHTUM ist für die meisten Autoren ein besonderes Qualitätsmerkmal der deutschen Sprache. Daher wird die Grundfigur häufig eingesetzt, um das Deutsche positiv von den anderen Sprachen, die als arm oder ärmer als dieses konzeptualisiert werden, abzugrenzen. Exemplarisch kann dafür folgende Stelle bei Harsdörffer angeführt werden: (1) [Die deutsche Sprache] ist Wortreicher als die Ebreische / in der Verdopplung fugsamer als die Griechische / in den Sinndeutungen mächtiger als die Lateinische / in der Ausrede prächtiger / als die Spanische / in der Lieblichkeit anmuthiger als die Frantzösische / in der Verfassung richtiger als die Welsche / wie solche überreiche Vollkommenheit bey allen Teutschgelehrten ausser allem Zweiffel (Harsdörffer, Schutzschrift, 358).

Die Auswahl der genannten Sprachen ist vielsagend. Mit der Überlegenheit des Deutschen in den verschiedenen Kategorien, die grammatisch durch den wiederholten Gebrauch des Komparativs kenntlich gemacht wird, werden zugleich den anderen Sprachen spezifische Gütequalitäten zugeschrieben, in denen die deutsche Sprache sie übertreffe. Dem Hebräischen wird Wortreichtum konzediert, dem Griechischen eine reiche Wortbildung, dem Lateinischen Vorzüge in

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der Semantik. Indem Harsdörffer behauptet, die deutsche Sprache sei lexikalisch, wortbildungsmorphologisch und semantisch reicher als diese, wird sie zugleich als den drei ,heiligen‘ Sprachen überlegen konzeptualisiert. Parallel verhält sich die deutsche Sprache zu den drei genannten romanischen Sprachen, die sonst als kulturelle Vorbilder gelten. Diese betreffen aber eher grammatisch-stilistische Aspekte. Mit diesen Zuschreibungen zeichnet Harsdörffer das Bild einer den anderen Kultursprachen in allen sprachsystematischen, pragmatischen und stilistischen Belangen überlegenen deutschen Sprache und stellt sie damit in der Sprachenhierarchie an die oberste Stelle. Eine etwas andere Strategie verfolgt Meyfart. Er konstatiert zunächst die Gleichwertigkeit der deutschen Sprache mit dem Griechischen und Lateinischen, die er an bestimmte Voraussetzungen, nämlich eine gewisse Bildung bindet, um dann in einem zweiten Schritt die Überlegenheit der deutschen Sprache unter anderem aufgrund des REICHTUMS zu behaupten: Als dann wird ein gelehrter Student mit Hertzenlust sehen / wie die deutsche Sprach / an Kunst / Reichthumb / Geschicklichkeit der Lateinischen vnd Griechischen nicht in dem wenigsten weiche / aber diese beyde an adelicher Dapfferkeit / vnd Heroischer Großmächtigkeit vbertreffe (Meyfart, Redekunst, II 54 (2)).

Schottelius formuliert die Bedeutung des REICHTUMS für die Qualität einer Sprache allgemeiner und vermeidet, zumindest an dieser Stelle, die Behauptung der prinzipiellen Überlegenheit des Deutschen: „Welche Sprache die nothwendigen völligen Sprachstükke hat / dieselbe ist völlig“ (Schottelius, Arbeit, 146 (3)). Hier wird die Qualität einer Sprache an ihrer Funktionalität für die praktischen Erfordernisse gemessen. Schottelius sagt hier lediglich, dass die deutsche Sprache alles besitze, was sie für diese Erfordernisse benötige. An anderer Stelle wertet Schottelius die Fähigkeit des Deutschen, Anagramme zu bilden, als Beispiel für den besonderen REICHTUM der deutschen Sprache. Als Belege zitiert er einige Anagramme aus Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspiele, die zeigen sollen, dass nicht nur einzelne Wörter, sondern ganze Verse durch Anagramme verändert werden können, z.B.: „Vereinigtes RömischTeutsches Reich“ wird zu „So es trew einig / schirmet es sich recht“ (ebd., 972 (4)) oder „Die höchstlöbliche und rühmlichste Fruchtbringende Geselschaft“ wird zu „Gleich dem Friedenberge / schaft uns Teutschen herlich Lob und hoches Licht“ (ebd., 973). Das Bilden von Anagrammen geht aber über die notwendigen Erfordernisse sprachlicher Kommunikation hinaus und ist eher ein Beleg für die Kunstmäßigkeit und POETIZITÄT der deutschen Sprache. Der REICHTUM der deutschen Sprache wird hauptsächlich am Wortreichtum festgemacht. Dieser kann sich erstens auf den Wortschatz des Deutschen im

422 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Allgemeinen beziehen und zweitens auch als Argument gegen die Entlehnung von Fremdwörtern gebraucht werden. Hille etwa fügt an die sachliche Beschreibung des Palmbaums, der Symbolpflanze der Fruchtbringenden Gesellschaft, eine emblematische Beschreibung an, die das Bild des Baumes mit der Sprache verbindet: „Ob nun wol dieser Wunderbaum viel und mancherley Nutzen hat; so bringet doch unsere Teutsche Sprache nichtweniger übertreffliche Früchte“ (Hille, Palmbaum, 63). Der REICHTUM konstituiert sich wesentlich durch die Biologismen, welche die gesamte Passage durchziehen. Begründet wird er durch die sprachliche Leistung der Bibelübersetzung durch Martin Luther: Die Sprache sei ein Band, das die menschliche Gesellschaft verbinde und sie von den Tieren absondere. „So ist doch unsere Sprache vor allen andern Kraft und Saftreich / Sinn- und Wortreich / Geist- und lehrreich“ (ebd. (5)). Durch die Parallelität der Wortbildungsmuster und der syntaktischen Konstruktion sowie durch den Dreischritt, der an die klassische Trinität von Körper, Geist und Seele erinnert, bekommt die Evokation des REICHTUMS eine besondere Intensität und trägt wesentlich zur Erhöhung der deutschen Sprache bei. Ähnlich wie Meyfart geht auch Hille vor, wenn er die Ebenbürtigkeit oder gar Überlegenheit des Deutschen unter anderem am Wortreichtum festmacht, auch hier unter Verwendung der biologistischen Metaphorik. Zunächst konstatiert er, dass die Vernunft an keine bestimmte Sprache gebunden sei, womit er der Abwertung des Deutschen gegenüber den drei ,heiligen‘ Sprachen zunächst einen Riegel vorschiebt, bevor er es in Beziehung zu diesen Sprachen setzt: (7) [A]lle Zungen können verständige Gedanken ausreden […]. [U]nsere Teutsche Haubtsprache ist so wortreich in ihren Wurtzeln / so prächtig in der Ausrede / so mächtig in der Deutung / so vollkommen in ihren Kunstfugen / so grundrichtig in ihrer Lehrart / daß kein Sinnbegrief zu finden / welcher nicht wolvernemlich / und wunderschikklichst solte können verabfasst werden. An den Stammwörtern ist sie der Hebräischen überlegen / an der Verdopplung der Griechischen gleichbürdig / an der Lieblichkeit übertrifft sie die Lateinische mit allen denen Zungen / die von ihr entsprungen (Hille, Palmbaum, 136 f.; vgl. Beleg (9)).

Schottelius hebt in seinen Schriften den REICHTUM des Deutschen besonders hervor. Aufschlussreich ist vor allem die Einleitung der Vorrede zur Teutschen Sprachkunst, die die kulturelle und sittliche Disposition sowie die technischen Errungenschaften der Deutschen heraushebt: (12) Wenn man dem Wesen der Teutschen eygentlich nachdencket / so wol was deroselben uhraltertuhm / Räume der Länder / Macht der Völcker / gewaltige Außzüge / Glück der Waffen / Eiffer zur Tugend / Vermeidung der Laster / strenge Haltung der rechten Adelschafft und derogleichen von langen Zeiten her / betreffen mag; als auch noch / daß sie endlich durch Göttliche Vorsehung das letzte Weltreich / und damit den höchsten Eh-

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renstand und das Haupt der Christenheit auff sich gebracht haben; daß sie an Ruhm der Trew und Tapferkeit / an Anzahl derer großmächtigsten / tapffersten und tugendreichsten Helden / an vollester Menge der gelahrtesten Leute / an reichem Zuwachse tausenterley Künsten / an Anzahl der berühmten hohen Schulen / und festen Stäten / an habung einer so prächtigen / wortreichen und reinen Hauptsprache und derogleichen / einen ansehnlichen Vortrit haben; ja / daß Sie die Welt durch erfindung der Truckerey gelahrt und geschickt / wie auch durch erfindung der Büchsen- und Pulverkunst tapfer und zum Kriegsmanne gemacht haben; man müchte die Gedancken gar wol von Ost biß Westen / von Suden biß Norden herumb jrren lassen / umb solcher der Teutschen Würdigkeit jrgends bey einem Volcke eine volle gleichheit hierinn auffzusuchen (Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( ijr– ):( ijv; vgl. Beleg (13)).

Neben dem ALTER und der REINHEIT spielt hier auch der REICHTUM eine wichtige, vielleicht sogar die dominante Rolle. Die positiv wertenden Adjektive, die nicht selten in den Superlativ gesetzt werden, vermitteln den Eindruck von großem kulturellem und technologischem REICHTUM, zu dem auch der Wortreichtum der Sprache gehört. Die diskurssemantische Grundfigur ist also nicht auf die Sprache beschränkt, sondern sie spielt auch in anderen Sachbereichen eine Rolle. Den Superlativ gebraucht Schottelius auch im engeren Bezug auf die Sprache, so ist etwa davon die Rede, dass das Deutsche die „allerwortreicheste Sprache“ sei (Schottelius, Sprachkunst, 13 (14); vgl. auch Belege (15) und (17)). In diesem Fall liegt durch das Präfix aller- sogar ein hyperbolischer Superlativ vor. Diese Setzung dient zur Rechtfertigung dafür, dass Schottelius nicht die lateinischen und griechischen grammatischen Termini verwendet, „dann man von Teutscher Sprach teutsch und nicht Griechisch oder Lateinisch reden soll“ (ebd., 15). Er wolle nichts aus Athen oder Rom erbetteln, wo es doch im Deutschen „schöner / safftiger und dem Teutschen Verstande deutlicher und kräfftiger“ (ebd.) ausgedrückt werden könne. Die Überlegenheit des Deutschen gegenüber den klassischen Sprachen im Bereich der Terminologiebildung macht Schottelius am REICHTUM fest: Da es für jedes lateinische oder griechische Wort eine deutsche Entsprechung gebe (aber nicht umgekehrt), sei die deutsche Sprache die „allerwortreicheste“, die „vollkommenste“ (ebd., 16 (16)). REICHTUM bedeutet aber nicht nur das Gegenteil von Armut, sondern es ist auch Genügsamkeit gemeint, also eine Abwehr des Übermaßes. Dies kann anhand der Stammwörter verdeutlicht werden, denen als Eigenschaft zugeschrieben wird, dass ihre Anzahl „völlig und genugsam“ sei (Schottelius, Arbeit, 51 (18)). Dies besagt, dass die deutsche Sprache über eine ausreichende Zahl von Stammwörtern verfüge, die benötigt wird, damit ihre kommunikativen Zwecke erfüllt werden können. Auf dieser Basis kann der Wortschatz durch Wortbildung erweitert werden (vgl. unten). Implizit erklärt Schottelius damit auch die Entlehnung von Fremdwörtern für unnötig. Den REICHTUM des Deutschen an Stammwörtern

424 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses verdeutlicht er auch mit Zahlen, entnommen von Simon Stevin, der für die deutsche Sprache 2170 Stammwörter zählt, für das Griechische nur 265 und das Lateinische 163 (vgl. ebd., 61 (19)). Das Deutsche hat damit achtmal mehr Stammwörter als das Griechische und sogar 13-mal mehr als das Lateinische, ist diesen Sprachen also an Wortreichtum weit überlegen. Dieser REICHTUM soll nach Schottelius’ Willen durch ein vollständiges Stammwörterbuch illustriert werden (vgl. ebd., 166 (20)). Harsdörffer fordert, dass ein Poet sich in seiner Muttersprache gut ausdrücken und die Wörter meistern können solle. Die deutsche Sprache sei für gebundene Rede gut geeignet, weil „unsre Sprache mächtig / weil sie wortreicher als keine andere / die einsylbigen Stammwörter zierlich verdopplen und einigen kan“ (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 17 f. (21)). Harsdörffer spielt hier klarerweise auf Schottelius, die Stammwörter und die Wortbildung an. Auch er konzipiert ein Stammwörterbuch und legt eine Liste von, nach eigener Auskunft, 2 653 Stammwörtern vor (ebd., Zweiter Teil, 119–183), an der die „wunderreiche Anzahl unsre [sic!] Teutschen Wörter“ (ebd., 117 (22)) erkennbar sei. Für den von der Mystik beeinflussten Zesen erreicht die Sprache ihre Grenzen dort, wo sie trotz allen REICHTUMS versagt: Er habe so tief in die Geheimnisse der Sprachnatur geblickt, „daß meine sprache / wie wort-reich und kräftig sie auch ist / gleichwohl allhier so machtloß sich befindet / daß sie fast das tausentste / darinnen die Natur sich mier so mildiglich geoffenbahret / nicht austrükken kan“ (Zesen, Rosen-mând, 88 (25)). Die Geheimnisse Gottes und der Natur entziehen sich somit nicht zwingend menschlicher Erkenntnis, sehr wohl aber menschlicher Ausdruckskraft. Gleichwohl ist die deutsche Sprache durch ihren Ursprung und ihren REICHTUM, den sie sich im Laufe der Jahre erworben hat, im Vergleich zu den meisten anderen Sprachen vorzüglich: (26) Dan die Deutsche Sprache ist eine solche / die gantz und gar aus sich selbsten / und aus ihren eigenen Wörtern bestehet; also daß sie / ich wil sagen die Uhralte noch unvermischte reine Deutsche Hauptsprache / wie sie bei dem Babelschen Turnbaue / zuerst aus der Ebräischen / als aller Weltsprachen Groß- und Ertz-mutter / gleichsam gebohren / und nach der zeit nur aus sich selbst immer reicher und reicher gemacht / ja sothanig bis auf unsere zeit erhalten worden / von andern Sprachen nichts / ja gantz nichts entlehnet / auch ihres überschwänglich großen Wortreichtuhms / ja ihrer zur Wortbildung so wundergeschikten Angebohrenheit wegen / nicht nöhtig hat ein einiges fremdes Kunst- oder anderes Wort / das man aus ihrem so volüfrigen Sprachbrunnen selbsten nicht bilden könte / zu entlehnen (Zesen, Sendeschreiben an den Siebenfältigen (Malachias Siebenhaar) (1678); zitiert nach Jones 1995, 242).

Im Gegensatz zu Schottelius besteht für Leibniz REICHTUM darin, dass ein Überfluss an bequemen und nachdrücklichen Wörtern vorhanden sein müsse, damit

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alles „kräfftig und eigentlich“ vorgestellt werden könne (Leibniz, Gedanken, 551 (28)). Der REICHTUM sei die wichtigste Eigenschaft einer Sprache. Auf den REICHTUM der deutschen Sprache wird häufig rekurriert, um ein Argument gegen die Fremdwortentlehnung vorweisen zu können. So hält es Buchner für (29) gantz ungegründet und tadelhaftig / gereichet auch nicht zur geringen Verkleinerung unserer Muttersprache / als wäre dieselbe so arm und unvermögen / daß sie von andern borgen müste / oder so grob und ungeschlacht / daß man nicht etwas so höfflich und nett / als in den andern vorbringen könnte / da sie doch in den beyden keiner Nationen was sonderlichs zuvor zugeben hat / im Fall man sie recht braucht und übt; An Majestät aber und Ansehen denen meisten überlegen ist (Buchner, Anleitung, 33 f.).

Nach Buchners Vorstellung gehen also diejenigen, die Fremdwörter einführen und gebrauchen, davon aus, dass die deutsche Sprache arm sei und nicht in der Lage, die kommunikativen Zwecke zu erfüllen, weshalb sie von außen Ersatz holen. Der Hinweis auf den REICHTUM der deutschen Sprache dient letztlich zur Entkräftung dieses Vorwands und die diskurssemantische Grundfigur wird damit zu einem wichtigen Argumentationsmittel. Ähnlich schreibt auch Titz, dass die deutsche Dichtung ohne fremde Wörter auskommen könne: (30) Jn der Rede hat [Opitz] auch allen möglichen fleiß angewendet / damit dieselbe rein vnd zierlich / vnd von allen frembden Wörtern / die zuvor hin von vielen überall pflegten eingeschoben zu werden / befreyet seyn möchte: vnd hat gnugsam dargethan / daß vnsere Sprache nicht allein in worten zierlich vnd reich genug sey / vnd von keiner andern etwas betteln dörffe / sondern auch gar wol in Poetische Schrancken könne gebracht werden (Titz, Bücher, fol. B iiv).

Im Gegenteil wird nach Deutung der Sprachpatrioten die deutsche Sprache gerade durch übermäßige Entlehnung wortarm, was schließlich sogar zu Sprachwandel und einer Gefährdung der deutschen Sprache führen kann, wie Schottelius auch durch die Knechtschaftsmetapher suggeriert: Durch das Einflicken von Fremdwörtern werde die „angeborne / vollkommene / reine / wortreichste Muttersprache […] deutlos / wortarm / und zur bettelerischen Sclavinn“ gemacht: „Dadurch also unsere Teutsche Wörter […] zu unwörteren / die Teutsche Sprache sprachlos / der Teutsche Geist erfrömdet / die rechte Art verunartet / verstaltet / und in eine gantz andere Form gegossen wird“ (Schottelius, Arbeit, 167 (32)). Christian Gueintz rekurriert auf die Grundfigur REICHTUM mit dem Ausdruck Völligkeit:

426 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses (34) Die Völligkeit der Deutschen sprache ist so gros / daß auch fast nichts kan gefunden werden / welches man in dieser sprache nicht nennen könte: dan sie die wortreicheste und in diesem die glückseligste / daß auch einer aus drey stammwörtern über vier hundert gute / reine / bedienliche und stets etwas anders anzeigende Deütsche wörter zusammen gebracht. Dahero sie anderer frembden wörter nicht bedarf / und deswegen mit andern sprachen unverworren bleiben / und von denselben wol unterschieden werden kan (Gueintz, Entwurf, 11).

Selbst für das, so Gueintz weiter, was mit gebräuchlichen Wörtern nicht ausgedrückt werden könne, gebe es viele alte, jetzt nicht mehr gebräuchliche Wörter, die vielleicht in einer anderen Sprache noch gebraucht würden. Gueintz schlägt also eine Rückentlehnung von Archaismen vor, durch die Sprachmischung vermieden werden könne. Auch bei Rist findet sich das Bild von der vermeintlichen Armut der deutschen Sprache, das widerlegt werden soll. Angesichts der Fremdwörter hätte es den Anschein, als währe unsere Muttersprache dermassen arm von Worten und mangelhafft an Sprüchen / daß sie auch in Sachen / die Befestigung gewisser öhrter betreffend / sich frembder und ausländischer Namen und Wörter durchaus gebrauchen müsse (Rist, Rettung, 98 (35)).

Er stellt die rhetorische Frage: „Jst das nicht eine übergrosse Thorheit etwas bey einem frembden entlehnen / welches man selber zu hause viel besser und reichlicher kan finden?“ (ebd., 102 (36)). Zuweilen versuchen die Autoren, den REICHTUM der deutschen Sprache durch die Präsentation onomatopoetischer Beispiele zu demonstrieren. So führt etwa Logau in seinem Epigramm Die deutsche Sprache eine Reihe auditiver Verben vor und stellte diese als Qualitätsmerkmal der deutschen Sprache dar: (41) Kan die deutsche Sprache schnauben, schnarchen, poltern, donnern, krachen, | Kan sie doch auch spielen, schertzen, liebeln, gütteln, kürmeln, lachen (Logau, Sinngedichte, 521).

Das Deutsche sei dazu in der Lage, natürliche Laute wiederzugeben (erster Vers), doch es könne auch spielerische und lustige Dinge ausdrücken (zweiter Vers), eine Eigenschaft, die normalerweise dem Französischen zugesprochen wird. Erheblich ausführlicher führt Klaj in einer Kaskade von Lautmalereien vor, dass die deutsche Sprache nahezu jeden beliebigen Naturlaut nachahmen könne: (42) Sie blitzet erhitzet / sie pralet und stralet / sie sauset und brauset / sie rasselt und prasselt / sie schlosset erbosset / sie wittert und zittert / sie schüttert zersplittert / sie brüllet und rüllet / sie gurret und murret / sie qwaket und kaket / sie dadert und schnadert / sie girret und kirret / sie schwirret und schmirret / sie zitschert und zwitschert / sie lis-

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pelt und wispelt / sie zischet und knirschet / sie klatschert und platschert und tausend anderen Stimmen der Natur weis sie meisterlich nachzuahmen (Klaj, Lobrede, 402).

Klaj stellt die Onomatopoesie als innere Eigenschaft der deutschen Sprache dar. Der REICHTUM ist demnach kein Zufall, sondern Ausdruck ihres eigenen Charakters. Weil das Konzept ,Reichtum‘ für Schottelius so zentral ist, findet man es auch in Nebenbemerkungen. So erwähnt er an einer Stelle, dass es im Deutschen viele Buchstabenkombinationen gebe, die in anderen Sprachen nicht möglich seien, woraus sich viel mehr Möglichkeiten der Bildung einsilbiger Wörter ergäben (vgl. Schottelius, Sprachkunst, 93 f. (43)). Außerdem stellt er fest, dass durch die Wortbildung mit einer endlichen Menge von Stammwörtern eine nahezu unendliche Menge neuer Wörter gebildet werden könne, wodurch die ungeheure Vielfalt der Welt auch abgebildet werden könne (ebd., 94; vgl. auch Schottelius, Arbeit, 65 (44)). Der REICHTUM an Wortbildungsmitteln ist für Schottelius neben der EIGENTLICHKEIT der entscheidende Faktor, durch den sich die deutsche Sprache als die am höchsten ausgebildete Sprache hervortut. Dies macht er etwa am Beispiel des Wortstamms Mann fest: (45) [N]ehme man nur das eintzig Wörtlein Mann / vir, ανηρ, zum Exempel / und besinne sich doch / wie unbekant die Teutschen künstlichen Sprachstücke / in frömden Sprachen seyn: Denn wer wil ableiten künnen von vir oder ανηρ, was wir von Mann künnen / als Mannschafft / Mannbar / Mannlich / Männlein / Mannhafft / Mannheit / (zu geschweigen von Verdoppelung als: Manngeld / Mannlehn / Mannrecht / etc. Kriegsmann / Dorffmann / Spielmann / Bawrsmann / Unmann / Hauptmann / etc. samt häuffig andern / davon in den Verdoppelungsarten zu sehen (Schottelius, Sprachkunst, 104).

Dem Argument, dass man diese Ableitungen und Komposita in den anderen Sprachen umschreiben könne, hält Schottelius entgegen, dass eben dies im Deutschen auch möglich sei: „[U]nd bleibet uns doch dieser Grund / daß die Außländer die Krafft / Art / Füglichkeit / Begriff und Reichthum der Teutschen Wörter nicht fassen / begreiffen noch außreden künnen“ (ebd.). Auch durch die Möglichkeit, beliebig viele Stammwörter durch Verdopplung zu kombinieren, ist für Schottelius die deutsche Sprache den meisten anderen überlegen: (46) Allhie ist davon zu wissen / daß sie / für eins / auß zweyen Stammwörteren entstehen / als: Landtag / Schutzherr / Nothwehr / Hauptmann / etc. Nemlich also / daß zwey Stammwörter in eines gefüget / und deroselben Laut / Schreibung und Außspruch / wie ein eintzeles unzertheilendes Wort gebrauchet werde da alsdenn auß krafft der geschehenen verdoppelung / die verdoppelten Stammwörter jhre eigentliche Krafft und Deutung verlieren / sich verbrüderen / umb einen newen Verstand jhres Tohns zu bilden / und also beyderseits zu der Deutung sich schicken / daß doch der vornemste theil / oder der Grund

428 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses desselben die hinderste Stelle im Worte einnehme / gestalltsam davon kurtz zuvor meldung geschehen. Es künnen dieses die Lateiner gar nicht / (die Griechen aber in wenigen) nachthun / als wenn ein Teutscher sagt: Schiffholtz / Bawholtz / Lauffholtz / Brawholtz / welches / so es ein Lateiner sagte / Lignum navis, lignum aedificij, lignum currens, lignum coquendi, ist solches kein Latein / und haben solche Lateinische Wörter keine rechte Deutung (ebd., 114 f.).

Es lassen sich im Prinzip beliebig viele Stammwörter miteinander kombinieren, Schottelius nennt viergliedrige Komposita wie etwa Oberberghauptmann oder Ertzhauptbößwicht sowie Adjektiv-Substantiv und Adjektiv-Adjektiv-Komposita (z.B. ehrsüchtig, glückselig; armselig, großmütig). Schottelius weist auch darauf hin, dass es durch die ,Verdopplung‘ möglich sei, scheinbar gegensätzliche Wörter zu kombinieren; als Beispiele nennt er Wasserfeuer, ›im Wasser zubereitetes künstliches Feuer‹, Schönböser, ›Wolf im Schafspelz‹, seichttief als Bezeichnung für eine Kunst, die nur scheinbar tiefgründig ist, sowie bittersüß, gallensüß, sauersüß und Freudenpein (vgl. ebd., 115 f.). Diese Wörter könnten, wenn sie angemessen gebraucht werden, eine Rede zieren. Auch hier sei das Deutsche anderen Sprachen überlegen: „Die Griechen künnen allhie in etwas die Teutsche Kunst erreichen / der Römer aber weiß fast nichts davon“ (ebd., 117). In der deutschen Sprache kann prinzipiell jedes Wort sowohl Grundwort als auch Beifügung (Bestimmungswort) sein, was nach Schottelius in den meisten anderen Sprachen nicht möglich ist. Seine Beispiele dafür sind die Wörter Lust, Frey und Hauß und er lässt diese zunächst Grundwort und dann Beifügung sein; so kommt eine Wortliste heraus, die Schottelius mit lateinischen Bedeutungserläuterungen versieht (vgl. ebd., 118–120). Schottelius hebt auch die Möglichkeit hervor, Adjektive sowohl als Attribute als auch als Grundwörter einzusetzen, z.B. Klar Silber – Silberklar oder Blawer Himmel – Himmelblaw (vgl. ebd., 120 f.; vgl. auch Beleg (48)). Nicht nur die langen Listen von Wortbildungsprodukten werden von Schottelius zur Demonstration des morphologischen und lexikalischen REICHTUMS genutzt, sondern auch exemplarische morphologische Analysen, etwa am Ende der fünften Lobrede in der Ausführlichen Arbeit: Das Wort unverantwortliches (Beginnen) setzt sich folgendermaßen zusammen: Stammwort oder Wortwurzel ist wort; an dieses wird die ,Hauptendung‘ -lich angehängt; die Endung -es deutet auf neutrales (unbenahmtes) Geschlecht hin. ant- ist ein „unabsonderliches Vorwort“, also ein gebundenes Morphem, in diesem Fall ein Präfix. Genauso verhält es sich mit un- und ver-. Schottelius führt außerdem vor, wie man mit Komposition und Derivation beliebig lange Wörter bilden kann, z.B. Un-fruchtbar-lich-keit oder Un-be-reit-will-ig-keit (Schottelius, Arbeit, 70 f. (47)). Schottelius geht auch auf Semantik und Funktion von Affixen ein, z.B. bedeutet das Präfix ge- eine „Vermengung / Vielfältigkeit / Versammlung / etc. eines

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Dinges“ (ebd., 95), etwa Gebäu, Geknall oder Gewölk. Umgekehrt führt er vor, mit welchen Affixen bestimmte semantische Gehalte ausgedrückt werden können, z.B. das ›Wegnehmen oder Befreien von etwas‹ wird mit den Affixen -los, -frei, weg-, ver-, ent- oder ab- ausgedrückt (gottlos, Freikauf, wegtun, versetzen, entreißen, abzwingen). Vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, geht Schottelius hier semasiologisch und onomasiologisch vor und nimmt damit wesentliche Methoden der Lexikologie vorweg. Auch diese Beispiele sollen den REICHTUM der deutschen Sprache zeigen: Mit „grundrichtiger vernunftmässiger Leitung“ könne jeder Deutsche diesen „Springbrunnen“ leicht ausschöpfen (ebd., 97 (51)). Ein solcher REICHTUM an Stammwörtern und Wortbildungsmitteln macht die deutsche Sprache vor allem zur Abbildung und zum Ausdruck der Geheimnisse der Natur und des Menschen besser geeignet als alle anderen Sprachen. In dem Anspruch, dass eine Sprache diese Dinge abbilden können müsse, wird zugleich der ontosemantische Charakter der zeitgenössischen Sprachtheorie deutlich. (49) Uber das / ist nicht allein die Anzahl solcher verdoppelten Wörter in unserer Sprache so trefflich groß / und gewißlich die aller grösseste; Sonderen / welches das vornemste ist / die andeutung deroselben begreifft in sich eine solche ungemeine wunderkünstliche Art und Krafft / die Händel der Natur und die Verenderungen deß Menschlichen Wesens abzubilden / vorzustellen / außzutrücken / und also auß den jnnersten Geheimnissen der Sprachen mit uns zu reden / daß ein Teutscher / der es verstehet / sich nicht gnugsam über diese Teutsche Wörterleine verwunderen / und in gegenstellung der anderen Sprachen einen lauteren Mangel daselbst erspüren kan (Schottelius, Sprachkunst, 129).

Schottelius grenzt das Deutsche ob seines REICHTUMS an Stammwörtern und Wortbildungsmitteln nicht nur positiv vom Griechischen und Lateinischen ab, sondern auch vom Französischen. Diesem wirft er, das Deutsche als Ursprung aller europäischen Sprachen präsupponierend, vor, sich von diesen Ursprüngen entfernt und sich so deutlich verschlechtert zu haben. Denn jeder könne sehen, (50) wie rein vnd reinlich / wie reichlich und deutlich die Teutschen Stammwörter sich finden / sich fügen / sich brauchen lassen / bald in diesem / bald in jenem / dann forn / dann mitten / dann hinten / und allemahl einen verenderten Sinn mit sich daher führen […]. Hergegen die Frantzosen haben nur Stückweis / bald eines / bald ein anderes aus der Teutschen doppelungskunst behalten / welches sie zwar in etwas nach jhrer Außrede bilden; aber im grunde nicht wissen / was es sey oder recht bedeute (ebd., 157).

Nicht nur Schottelius hebt den lexikalischen und wortbildungsmorphologischen REICHTUM der deutschen Sprache hervor, auch andere Autoren führen diese Möglichkeiten vor. Johann Klaj etwa greift das von seinem Nürnberger Dichterkollegen Harsdörffer aufgebrachte Substantiv Witdod (vgl. oben, 413) auf und demonstriert anhand dieses Beispiels den Wortbildungsreichtum des Deut-

430 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses schen: Witdod (›Philosoph‹), Wortdod (›Philologe‹) und Witdodschaft (›Philosophie‹). Durch diese Wortbildungen könne man die heidnischen Ausdrücke vermeiden (vgl. Klaj, Lobrede, 416 (52)). Die deutsche Sprache ist nach Ansicht der Sprachpatrioten nicht nur reich an lexikalischen Elementen und morphologischen Kombinationsmöglichkeiten, sondern auch an Lauten. Diesen Punkt hebt Zesen in seiner Theorie der deutschen Laute hervor. Auf komplizierten Wegen leitet er eine Menge von insgesamt 22 Vokalen und 118 Konsonanten her, woraus sich insgesamt 140 deutsche Laute ergeben. Diese Menge ist für ihn das Argument, warum das Deutsche auf fremde Buchstaben nicht angewiesen ist und daher auch auf ,undeutsche‘ wie , und verzichten kann. (54) Diese zwo und zwantzig arten des lebendigen lautes beleben und beseelen die 118 ahrten des toden und stummen lautes / der aus den mitlautern […] entsprießet / so folkömlich und so reichlich / daß daraus unsere so folkommene / reine / mächtige / prächtige / liebliche und schöne Hochdeutsche sprache gantz und gar ohne einige fremde hülfe entspringet (Zesen, Rosen-mând, 186).

Doch nicht in allen Bereichen konstatieren die Autoren den Reichtum der deutschen Sprache. Leibniz etwa differenziert zwischen Fachbereichen. Bei den Konkreta, im Handwerkswesen oder im Bergwerks- und Jagdwesen sei die deutsche Sprache reicher an geeigneten Wörtern als andere Sprachen. Das Gegenteil sei aber im Bereich der Abstrakta der Fall. In den Wissenschaften, insbesondere in der Philosophie und Metaphysik (Denck-Kunst und Wesen-Lehre) solle die deutsche Sprache vieles aus anderen Sprachen übernehmen, weil es auch in anderen Wissenschaften zu gebrauchen sei. Leibniz nennt als Beispiele die theoretischen Bereiche ,Begrenzung‘, ,Einteilung‘, ,Schlussform‘, ,Ordnung‘, ,Grundregeln‘ sowie ‚Gleichheit‘ und ,Unterschied‘, ,Vollkommenheit‘ und ,Mangel‘, ,Ursache‘ und ,Wirkung‘, ,Zeit‘, ,Ort‘ und ,Umstände‘, also Kategorien und kognitive und logische Operatoren. In diesen Bereichen habe die deutsche Sprache großen Mangel (vgl. Leibniz, Gedanken, 535 (56)). Die größte Weisheit liege aber in der Erkenntnis Gottes, der Seele, des Geists und der Natur. Diese der Theologie und Metaphysik zugeschriebenen Wissenselemente legen nach Leibniz einen „unbeweglichen Grund“ (ebd., 536) unter die gesamte Rechtslehre, sowohl des Natur- als auch des Staatsrechts. Auch in diesen Punkten sei die deutsche Sprache unvollkommen und müsse verbessert werden. Leibniz relativiert also die Behauptung, die deutsche Sprache sei lexikalisch reicher als alle anderen Sprachen und weist Schottelius’ oben (Beleg (49)) zitierten Anspruch, das Deutsche erfasse die Geheimnisse der Natur und des Menschen besser als die anderen Sprachen, zurück. Gerade im Bereich der Wissenschaften, der Theologie, der Logik und Metaphysik fehlt

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nach seiner Auffassung eine grundlegende Terminologie, die es erlaubt, in diediesen Fachbereichen in deutscher Sprache zu publizieren. Wohl auch aufgrund dieser Kritik an der deutschen Sprache verfasste Leibniz seine philosophischen Hauptwerke Nouveaux Essais sur l’Entendement Humain und Monadologie in französischer Sprache. Weitere Belegstellen: (6) Hille, Palmbaum, 24*; (8) Neumark, Palmbaum, 112; (9) ebd., 141 f.; (10) Fürst Ludwig, Fruchtbringende Gesellschaft, fol. ijr; (11) Ertzschrein, 247; (13) Schottelius, Arbeit, fol. b iijr; (15) ebd., 16; (17) ders., Sprachkunst, 28 f.; (23) Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 5; (24) Klaj, Lobrede, 397; (27) Rist, Rettung, 76; (31) Schottelius, Sprachkunst, 171; (33) ders., Arbeit, 100 f.; (37) Zesen, Rosen-mând, 203 f.; (38) Hille, Palmbaum, 2; (39) Neumark, Palmbaum, 3 f.; (40) ebd., 13; (48) Schottelius, Arbeit, 79–88; (51) ebd., 91–97; (53) Hille, Palmbaum, 176; (55) Gueintz, Rechtschreibung, 2 f.

In der diskurssemantischen Grundfigur REICHTUM bündeln sich die Argumente der Diskursakteure, mit denen einerseits die deutsche Sprache auf- und andere Sprachen abgewertet werden. Entweder wird allgemein auf den REICHTUM des Deutschen verwiesen, oder er wird mit Verweis auf den lexikalischen oder wortbildungsmorphologischen REICHTUM des Deutschen präzisiert. Zesen behauptet darüber hinaus auch ihren phonologischen REICHTUM. Diesem wird die angebliche lexikalische Armut des Griechischen, Lateinischen oder Französischen gegenübergestellt, was zuweilen auch durch Belege und Beispiele untermauert wird. Systematische Vergleiche zwischen dem Deutschen und den kritisierten Sprachen sind aber kaum zu finden. Wie auch beim ALTER und der REINHEIT geht es den Autoren nicht um einen systematisch belegbaren Beweis und schon gar nicht um Deskription, sondern um Steigerung des Prestiges der deutschen Sprache. Die Grundfigur REICHTUM wird wesentlich durch wie Kleidermetapher, die biologistische und die anthropomorphisierende Metapher konstituiert. Gelegentlich tragen auch die Handwerksmetapher, die Knechtschafts- und die Muttermilch-Metapher zu ihr bei. Die Topoi sind an ihrer Konstitution kaum beteiligt. Dafür steht sie in vielfältiger Korrelation zu den diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT, ALTER und EIGENTLICHKEIT. Diese Vernetzung und ihre wichtige Funktion insbesondere für die übergeordnete diskurssemantische Grundfigur EIGEN–FREMD machen den REICHTUM zu einer wichtigen Größe im sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts.

432 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses 4.4.4 Eigentlichkeit Die bisher besprochenen diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, REINHEIT und REICHTUM kulminieren in der Grundfigur EIGENTLICHKEIT, die diese drei umfasst und ihnen deshalb hierarchisch übergeordnet ist. Die EIGENTLICHKEIT ist eines der grundlegenden Theoreme barocken Sprachdenkens und mit Abstand das anspruchsvollste. Daher verdient sie in dieser Darstellung eine ausführliche Würdigung, zudem werden hier die komplexen Korrelationen zwischen Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren und die Bezüge der diskurssemantischen Grundfiguren zueinander exemplarisch aufgezeigt. Grundsätzlich wird mit der EIGENTLICHKEIT eine besondere Nähe der Sprache zur Wirklichkeit behauptet. Dies geschieht lexikalisch einerseits durch das Adjektiv eigentlich und das Substantiv Eigentlichkeit, andererseits durch partielle Synonyme aus dem gleichen Wortfeld wie Grundrichtigkeit, Deutlichkeit usw. (vgl. Gardt 1994a, 132 und 1995, 145 f.). Aus diesen und anderen Bezeichnungen lässt sich ersehen, dass das Verhältnis von Sprachzeichen und Bezeichnetem als nicht willkürlich und nicht arbiträr, sondern als natürlich und jenseits menschlicher Eingriffsmöglichkeiten angesehen wird. Die einschlägigen Bildungen von eigen führen nämlich in ihrem semantischen Umfeld außer ,deutsch‘, ,Sprache‘ und ,Wort‘ die Ausdrücke ,Grund‘, ,grundrichtig‘, ,Natur‘, ,natürlich‘ mit sich, ferner ,Ding‘, ,Sache‘, ,Wesen‘, verschiedene Bildungen mit dem Präfix ,ur-‘ sowie das Bild einer durch Geburt gegebenen Verwandtschaft ,der‘ Sprache, ihrer lexikalischen Einheiten und der außersprachlichen Gegebenheiten (Gardt 1995, 147).

Der Gedanke der ,Eigentlichkeit‘ findet sich in fast allen barocken Sprachtheorien. Sowohl in den sprachuniversalistischen Ansätzen als auch in der Sprachmystik und im Sprachpatriotismus begegnet das Konzept einer natürlichen Verbindung von Wort und Sache. Der Grund für diese Gemeinsamkeiten liegt im die gesamte Epoche durchziehenden ordo-Gedanken, nach dem die ganze Welt durch eine göttliche und natürliche Ordnung durchwoben ist.52 Den taxonomischen, mittels logischem Denken und exakter Naturbeobachtung erstellten Hierarchien der Universalsprach-Modelle liegt ebenso die Annahme einer definitiven Ordnung der Dinge zugrunde wie dem Konzept der Eigentlichkeit. Wie sich komplexe Materie und Vorstellungen aus je einfacheren Komponenten zusammensetzen, so setzen sich auch

�� 52 So spielt das ordo-Konzept etwa für Harsdörffer eine wichtige Rolle, wenn er die kognitiven und sensorischen Fähigkeiten des Menschen in der ordo mundi und in der Humoralpathologie verortet (vgl. Harsdörffer, Fortpflanzung, 30).

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die Stammwörter aus ihren Konstituenten zusammen, obgleich sie als ganze wiederum ausdrucksseitig und semantisch eine unauflösliche Einheit bilden sollen (ebd., 155 f.).

Zudem wird allgemein angenommen, dass Dinge und mentale Konzepte vor der Sprache existieren und die Wörter nur Abbildungen der Dinge und mentalen Konzepte sind (vgl. ebd., 156). So schreibt etwa Harsdörffer, dass die Schreibung nichts anderes sei als „eine Abbildung der Wörter / wie die Wörter Abbildungen sind unserer Gedanken: Diese können auf mancherley Art verfasset / wie jene mit linderen und härteren / gleichen oder gehöbelten Buchstaben ausgedrucket werden“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 373). In der Grundfigur EIGENTLICHKEIT liegt damit auch die theoretische Basis für die bereits mehrfach festgestellte Ontosemantik, die in den barocken Sprachkonzepten angenommen wird. Durch ihren Abbildcharakter sind die Wörter nichts anderes als lautliche und schriftliche ,Kopien‘ der realen Gegenstände und der mentalen Konzepte, die dann nur auf diese außersprachlichen Gegenstände angewandt werden dürfen. Daher stammt auch die im 18. Jahrhundert noch verstärkte Forderung nach Vermeidung und Abbau der Homonymie, der Polysemie und nach Monosemierung. Durch die Polysemiereduktion sollen nicht nur Missverständnisse und Zweideutigkeiten vermieden, sondern es soll auch die durch Sprachwandel und Sprachgebrauch korrumpierte Seinsadäquatheit der Wörter, die EIGENTLICHKEIT, wiederhergestellt werden. Auch von dieser Seite her ist die tiefe Kluft zwischen der barocken Sprachtheorie und der spätbarock-frühaufklärerischen rhetorischpragmatischen Sprachtheorie Weises oder Thomasius’ erklärbar (vgl. oben, 3.2.2.4 und Gardt 1995, 158–160). Anwendungsbereiche: Sprache und Denken (1,2,3,4,5), Naturgemäßheit der Sprache (6,7,8, 9,10,11,12,13,14), Wort und Sache (15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35), Deutlichkeit (36,37,38,39,40,41,42,43,44), Grundrichtigkeit (45,46), Schreibung (47), Urlaute (48, 49,50,51,52). Korrelationen: REICHTUM (3,4,8,20,25,40,41,43), biologistische Metaphorik (4, 41,46), Knechtschaftsmetaphorik (5,40), Adam (6,8,17,18,22,51), ALTER (11,16,20,25,40,42,47), Opitz (13), Luther (13), REINHEIT (15,16,25,26,36,37,38,40,41,42,51), Babel (22,23,30), Lichtmetaphorik (33), Muttermilch (40), POETIZITÄT (45).

Grundlegend für die Auffassung der EIGENTLICHKEIT ist ein enger Konnex von Sprache, Denken und Sein, wobei die ontologische Reihenfolge umgekehrt verläuft, vom Sein zum Denken zur Sprache. In diesem Komplex soll zunächst der Zusammenhang von Sprache und Denken, wie ihn sich die Sprachpatrioten vorstellen, untersucht werden. Sprache wird als eine Entität aufgefasst, die dem Menschen spezifisch ist. So wird in Zesens Rosen-mând die Frage diskutiert, ob die Stimmen der Tiere als

434 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Sprache anzusehen seien. Marhold legt dar, dass die Sprache mit der Vernunft allein dem Menschen gegeben sei, „als dem fürnehmsten und volkommenen thiere“ (Zesen, Rosen-mând, 97 (1)). Sprache und Vernunft seien das Kennzeichen, das den Menschen vom Tier abhebe.53 Sie seien Zeichen der Gottesebenbildlichkeit, Gott habe dem Menschen die Vernunft darum gegeben, damit er die göttliche Lehre fassen und durch die Rede verbreiten und ihn loben und preisen könne. „Daher dan erhellet / daß die vernunft ohne die rede nicht sein kann“ (ebd.). Ohne Sprache könnte man anderen keine Gedanken oder Gefühle mitteilen und müsste wie die Tiere blöken oder mit Gesten versuchen, sich zu verständigen. Zesen führt somit theologische und anthropologische Argumente für die Existenz von Sprachen überhaupt und für die Begrenztheit der Sprachfähigkeit auf den Menschen an. Zugleich ist damit ein Ansatz sprachlicher Relativität verbunden, nach dem der Verstand an keine spezifische Sprache gebunden ist, sondern in allen menschlichen Sprachen zur Geltung kommt. Das primäre Ziel, das die Sprachpatrioten mit dieser Feststellung verbinden, ist die Relativierung des Absolutheitsanspruchs des Lateinischen und Griechischen als Sprachen der Dichtung und Wissenschaft. Sie sind der Auffassung, dass sich alles Vernünftige auch in der deutschen Sprache ausdrücken lässt. So fragt etwa Harsdörffer: „Wie solte das Himmelweite Nachsinnen der hohen Geister mit einer Sprache ümschrenket und eingefangen werden können?“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 370 (2)). Schon aus diesem Grund könne die deutsche Sprache nicht minderwertig sein: „Solcher gestalt were niemand / als auf Griechisch / Lateinisch / Welsch oder Frantzösisch verständig / und auf Teutsch ein Gauch“ (ebd.). Das Deutsche sei nicht an sich mangelhaft, bestenfalls müsse man für durch die Spracharbeit neu gebildete Wörter das lateinische Heteronym zur Erklärung beifügen:

�� 53 Dieser Gedanke ist ein Gemeinplatz der Sprachphilosophie wie der philosophischen Anthropologie über Jahrhunderte hinweg. So bestimmt etwa René Descartes im Discours de la Méthode (1637) den Menschen als das Wesen, das Sprache vernünftig gebrauchen kann; dies unterscheide ihn grundsätzlich von jeglichem Tier: „Denn es ist ein sehr bemerkenswerter Sachverhalt, dass es – die Verrückten nicht ausgenommen – keine so stumpfsinnigen und dummen Menschen gibt, die nicht fähig wären, verschiedene Worte zusammenzustellen und daraus eine Rede zu bilden, durch die sie ihre Gedanken verständlich machen; und dass es umgekehrt kein anderes Tier gibt, das, so vollkommen und so glücklich veranlagt es auch sein mag, Ähnliches leistet“ (Descartes, Bericht, 107; Übersetzung durch Holger Ostwald). Descartes erwähnt auch die Papageien und Spechte, die menschliche Laute erlernen könnten, diese aber ohne Verstand gebrauchen (vgl. unten, 472).

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Uns ermangelt nicht ein Wort alles und jedes / was man nur durchdenken kan / wolverständig auszureden / ob man gleich noch bey Anfang oftbesagter Spracharbeit / wegen der Leser oder Zuhörer / das Latein zu einem Dolmetscher gebrauchen muß / damit das noch unbekante Ding durch ein bekantes Wort erlernet werde (ebd.).

Dass der Gedanke der sprachlichen Relativität patriotisch motiviert ist, wird bei Hille deutlich. Auch er bemerkt, dass die Vernunft an keine bestimmte Sprache gebunden sei: „[A]lle Zungen können verständige Gedanken ausreden“ (Hille, Palmbaum, 136 (4)). Dennoch tut sich die deutsche Sprache unter allen besonders hervor: [U]nsere TeutscheHaubtsprache ist so wortreich in ihren Wurtzeln / so prächtig in der Ausrede / so mächtig in der Deutung / so vollkommen in ihren Kunstfugen / so grundrichtig in ihrer Lehrart / daß kein Sinnbegrief zu finden / welcher nicht wolvernemlich / und wunderschikklichst solte können verabfasst werden. An den Stammwörtern ist sie der Hebräischen überlegen / an der Verdopplung der Griechischen gleichbürdig / an der Lieblichkeit übertrifft sie die Lateinische mit allen denen Zungen / die von ihr entsprungen (ebd., 136 f.).

Leibniz teilt zwar diese Auffassung der sprachlichen Relativität, bestreitet aber die von Hille genannten Vorzüge der deutschen Sprache und nimmt das Gegenteil an: Weil die meisten Gelehrten ihre Werke in lateinischer und griechischer Sprache publiziert hätten, hätte man in Deutschland dem Lateinischen und der Kunst zuviel, dem Deutschen und der Natur aber zu wenig zugetraut, was eine „schädtliche würckung“ (Leibniz, Ermahnung, 809 (5)) gehabt hätte. Denn dadurch seien die, welche des Lateinischen nicht mächtig sind, von der Wissenschaft ausgeschlossen worden. Und weil Deutsch nicht als Wissenschaftssprache verwendet worden sei, hätte es nicht „wie ein rein polirtes glas gleichsam die scharffsichtigkeit des gemüths befördert, und dem verstand eine durchleuchtende clarheit“ gegeben (ebd.). Weil diese Klarheit der deutschen Sprache fehle, welche die anderen erreicht hätten, hätten die Deutschen sich nicht zu Hause, sondern im Ausland gebildet und einen „Eckel“ (ebd.) vor dem Deutschen empfunden und nur das Fremde hochgeschätzt. Daher sei der Glaube gekommen, die deutsche Sprache und das deutsche Volk seien zu nichts Besserem fähig. So seien die Deutschen in die „Slaverey“ (ebd.) des Verstands geraten und gezwungen worden, sich auf fremde Art auszudrücken. Leibniz beschreibt hier nicht nur, unterstützt von der Knechtschaftsmetapher, die Ursachen der Sprachmengerei, sondern er weist auch die von den barocken Sprachpatrioten propagierte EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache zurück, hält sie aber bei entsprechender Pflege durchaus für in der Lage, diese zu erwerben, was er dadurch andeutet, dass er das Deutsche und das Lateinische in eine Äquivalenzbeziehung zu Natur und Kunst setzt. Leibniz wendet damit das Prinzip der sprachlichen Relativität

436 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses konsequenter an als die früheren Autoren, denn den logischen Schritt von der Annahme der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Sprachen zur praktischen Umsetzung dieses Konzepts vollziehen sie nicht, sondern beharren auf der Überlegenheit der deutschen Sprache – wohl um durch die Hyperbolik zunächst die prinzipielle Aufwertung des Prestiges der deutschen Sprache zu erreichen.54 EIGENTLICHKEIT im engeren Sinne bedeutet in erster Linie, dass der Sprache eine besondere Nähe zur Natur zugeschrieben wird. Zesen sieht den Grund dafür in der Adamischen ,Ursprache‘, in der nach biblischem Zeugnis die Dinge nach ihrem Wesen benannt worden seien. So wie es keine Erfindung aus sich selbst heraus geben könne, sondern alles seinen Ursprung habe, „so ist auch kein neues wort iemahls erfunden / oder gebildet und gemacht worden / das nicht seinen uhrsprung aus den ersten / natürlichen und alten Wörtern genommen / und von anbegin schon in der natur der sprache verborgen gelegen“ (Zesen, Rosen-mând, 111 (6)). Wenn es etwas neues gebe, müsse der Mensch das passende Wort „ausfündig“ machen: [W]an man anders darvon sprechen sol / so mus solcher nahme / oder solches neue nennwort nach des dinges eigenschaft / d. i. in- oder äusserlichen gestalt und würkung / aus der natur der sprache / oder aus dem natürlichen / ersten brunn-kwälle der worte gebildet

�� 54 Ein prinzipiell anderes Konzept von sprachlicher Relativität nimmt Andreas Gardt an. Er greift auf die Theorie von der sprachlichen Weltansicht bzw. vom sprachlichen Weltbild zurück, die durch Humboldt und seine Nachfolger entwickelt wurde. Demnach wirkt nicht nur das Sein auf die Sprache, sondern die Sprache wirkt auch auf ihre Sprecher zurück. Die Sprache kann positiven Einfluss auf ihrer Sprecher ausüben und so zu dessen sittlich-moralischer Disposition beitragen. Gardt schränkt diese Feststellung aber ein: Erstens seien entsprechende Äußerungen eine Ausnahme. „Zweitens ist lediglich derjenige Aspekt der Weltbildthese in diesen Äußerungen präsent, der auf die Spiegelung bestimmter nationalkultureller Spezifika im lexikalischen Inhaltssystem einer Einzelsprache abhebt; die erkenntnistheoretischen Implikationen einer konsequent zu Ende gedachten Weltbildthese aber, wonach die Einzelsprache die Kategorien erst bereitstellt, mittels derer Wirklichkeit überhaupt erst wahrgenommen werden kann, Wirklichkeit ,als solche‘, d.h. sprachungebunden gar nicht verfügbar ist, – diese erkenntnistheoretischen Annahmen aber sind bei keinem der hier diskutierten Autoren auch nur in Ansätzen erkennbar. Dies ändert sich erst mit der Sprachtheorie der Romantik bzw. mit ihren Vorläufern“ (Gardt 1995, 158). Mir scheint es, dass sich Gardts Interpretation und meine nicht ausschließen, sie nehmen lediglich unterschiedliche Aspekte der Weltbildtheorie auf. In dieser Arbeit wird der Aspekt stärker in den Vordergrund gerückt, dass alle Sprachen grundsätzlich gleich und in der Lage sind, das Sein und die mentalen Konzepte zu erfassen. Auch für diese Perspektive gelten die von Gardt genannten Einschränkungen: Die Konsequenz, die sich aus dem Gedanken ergibt, nämlich dass Sprachen bei ihren Sprechern spezifische Weltansichten (mit Humboldt gesprochen) erzeugen und so jede Sprache eine bestimmte Weltansicht hervorbringt, die mit der anderer Sprachen nicht identisch ist, wird nicht einmal andeutungsweise vollzogen.

Diskurssemantische Grundfiguren � 437

und gemacht werden / eben wie solches neue werk aus den natürlichen schohn geschaffenen dingen kunstgemäß gebildet ist (ebd.).

Adam habe die Dinge nach ihrer Natur benannt, seine Kinder haben die Erzeugnisse ihres Fleißes durch „kunst-reiche vernunft und vernunft-reiche kunst“ benannt, so dass diese Benennungen „kunst-natürlich“ seien (ebd.). „Indessen liegt alles / was durch kunst erfunden wird / und noch kan ausgefunden werden / im reichen und unerschöpflichen schatzkasten der Natur alwege verborgen und versenket“ (ebd., 111 f.). Diese Natürlichkeit zeigt sich auch in der Artikulation einzelner Wörter. Harsdörffer etwa bringt die Bewegungen der Zunge und der Lippen, die bei der Aussprache des Wortes Geschmack vollzogen werden, mit einem der semantischen Aspekte des Wortes in Verbindung, um diese dann zu verallgemeinern: (7) Dieses Wort Geschmack ist ein Deutsches Stammwort / und hat / nach meinen wenigen Erachten / eben die Bewegung der Zungen und der Lippen / welche wir zu Kostung / Prüfung und Schmeckung einer Speise zugebrauchen pflegen / daß also unser Deutsche Sprache / wie in allen andern Sachen / der Natur gemässen Füglichkeit / und dem schmatzenden / lispelnden / zischenden / rauschenden / brummenden / murmelnden / etc. Getön wunderartig nachzuklingen scheinet (Harsdörffer, Fortpflanzung, 31).

Die deutsche Sprache „redet mit der Zungen der Natur / in dem sie alles Getön und was nur einen Laut / Hall und Schall von sich giebet / wolvornemlich ausdrucket“ (Harsdörffer, Schutzschrift, 355). Dies demonstriert Harsdörffer anhand einer längeren Aufzählung von Onomatopoetika, wobei er vom Wetter über das Geschütz zu Tierlauten kommt: (8) Sie donnert mit dem Himmel / sie blitzet mit den schnellen Wolken / stralet mit dem Hagel / sausset mit den Winden / brauset mit den Wellen / rasselt mit den Schlossen / schallet mit dem Luft / knallet mit dem Geschütze / brüllet wie der Löw / plerret wie der Ochs / brummet wie der Beer / becket wie der Hirsch / blecket wie das Schaaf / gruntzet wie das Schwein / muffet wie der Hund / rintschet wie das Pferd / zischet wie die Schlange / mauet wie die Katz / schnattert wie die Gans / qwacket wie die Ente / summet wie die Hummel / kacket wie das Huhn / klappert wie der Storch / kracket wie der Rab / schwieret wie die Schwalbe / silket wie der Sperling / und wer wolte doch das wunderschickliche Vermögen alles ausreden (ebd.).

Es folgt ein kurzes Gedicht mit weiteren motivierten Tierlauten, in dem Harsdörffer die lautmalerische Flexibilität der deutschen Sprache zu veranschaulichen sucht (z.B. „Die Lerche titirieret ihr tiretilier“ (ebd., 356)). Er fordert diejenigen, die meinen, andere Sprachen seien der deutschen überlegen, auf, dieses Gedicht in eine andere Sprache zu übersetzen; sie müssten schnell ihr Scheitern erkennen.

438 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Aus dieser Naturnähe zieht Harsdörffer weitreichende Folgerungen, was den Ursprung, die Geschichte und das Verhältnis der deutschen Sprache zu anderen Sprachen betrifft: Die Natur redet in allen Dingen / welche ein Getön von sich geben / unsere Teutsche Sprache / und daher haben etliche wähnen wollen / der erste Mensch Adam habe das Geflügel und alle Thier auf Erden nicht anderst als mit unseren Worten nennen können / weil er jedes eingeborne selbstlautende Eigenschafft Naturmässig ausgedruket (ebd., 357).

Auch wenn andere Autoren in ihren Schlüssen nicht so weit gehen wie Harsdörffer, so bedienen sie sich ebenfalls der Onomatopoesie, um die Naturgemäßheit der deutschen Sprache zu beweisen. Besonders Schottelius tut sich in dieser Hinsicht hervor. So sei es eine wichtige Eigenschaft der Stammwörter, dass sie „wollauten / und jhr ding / dessen Nahmen sie sind / eigentlich außtrücken“ (Schottelius, Sprachkunst, 90 (9)). Die Onomatopoesie vereinfacht nach seiner Auffassung kognitive Prozesse und hilft deshalb beim Erlernen und Verstehen der Gegenstände und Sachverhalte: Es stelle einer die dinge / so außzusprechen / seinen Gedancken bedachtlich für / beobachte dabeneben wol den Tohn / Schall und die Außbildung der Wörter: Jst mir sonst recht / es wird ein brüllen eines mutigen Ochsen das Schafblecken übertöhnen / und die hellstimmende Nachtigal das zwitteren und gekirre der Waldvögel überschallen: Die Teutsche Beweglichkeit / meyne ich / die prächtige Art / das zwingende Getöhn der Außrede wird das frömde Wesen gegen sich danieder legen (ebd., 91).

Diese „ontologische Qualität“ (Gardt 1995, 148) der deutschen Sprache ermögliche es also demjenigen, der sie beherrsche, die Dinge ihrem Wesen nach zu begreifen, weil die deutsche Sprache sie besser abbilde als die meisten anderen. Diese Qualität weise sie deshalb auf, weil sie uralt sei und sich seit ihrer Entstehung in Babel kaum verändert habe: (11) Darumb dieses gewißlich folgen muß / daß / gleich wie das jetzige Teutschland annoch dasselbe Teutschland ist / welches vor etzlichen tausend Jahren gewesen / ob es schon jetzo besser bebawet / herrlicher außgeschmückt / mit den besten Stätten gezieret / von den gelahrtesten bewohnt / und von dem Haupte der Christenheit beherrschet wird: Also ist gleichfalls unsere jetzige Teutsche Sprache / eben dieselbe uhralte weltweite Teutsche Sprache / ob sie schon durch mildesten Gegen des Himmels / zu einer mehr prechtigen Zier und außbündigen Vollkommenheit gerahten ist: denn / wie das Land / Teutschland bleibet / also müssen die Stammwörter Teutsche Wörter bleiben / die denn jhre natürliche Eigenschafften […] so lange sich samt jhrer Deutung gehabt haben / so lange sie in rerum natura gewesen (Schottelius, Sprachkunst, 72 f.).

Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel für die Bedeutung der Onomatopoesie zum Beweis der großen Naturnähe der deutschen Sprache findet sich in der

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Ausführlichen Arbeit, wo Schottelius anhand der phonetischen Struktur der Wörter einen Ausdruck der bezeichneten Naturlaute zu erkennen versucht: (13) Durch die natürlich-bekandte Unmüglichkeit ist es schlecht unmüglich eine leichtere / gründlichere und wundersamere Art der Letteren oder Buchstaben und Wörter / als die Teutschen sind / aufzubringen; Sie sind nicht allein einlautend / die durch einen natürlichen Zufall den gehörigen Laut veruhrsachen / sonderen jhr einstimmiger Laut ist so wunderreich / und jhre Zusammenstimmung so überkünstlich / daß die Natur sich hierin völlig und aller dinges ausgearbeitet hat. Denn / ein jedes Ding / wie seine Eigenschaft und Wirkung ist / also muß es vermittelst unserer Letteren / und kraft derer / also zusammengefügten Teutschen Wörter / aus eines wolredenden Munde daher fliessen / und nicht anders / als ob es gegenwärtig da were / durch des Zuhörers Sinn und Hertze bringen. Zum Exempel nehme einer nur diese Wörter: Wasser fliessen / gesäusel / sanft / stille / etc. wie künstlich ist es / wie gleichsam wesentlich fleust das Wasser mit stillem Gesäusel von unser Zungen? Was kan das Geräusch des Fliessenden Wassers wesentlicher abbilden? Was kan stiller / sanfter und lieblicher uns zu Gemüthe gehen als diese geordnete Letteren stille / sanft und lieblich? Wolan / last uns ein Gegenexempel nehmen / last uns sagen Donner / brausen / krachen / Blitz / etc. Man durchsinne doch den kräftigen Tohn dieser Wörter / und die Eigenschaft des Dinges / so sie andeuten; Lieber / was bricht mächtiger zu uns herein als das Donneren und krachen und brausen? Was fleucht mit einer mehr erschrekkenden Schnelligkeit dahin / als der Blitz? […] Und solche Kunst stekket durch und durch in den Teutschen Wörteren / welche aus denen / also von der innersten Natur und unseren Vorfahren geordneten Letteren / so lebhaftiglich geboren werden (Schottelius, Arbeit, 59 f.).

Zwar gebe es auch im Lateinischen und Griechischen Beispiele von gelungener Tierstimmenimitation und Onomatopoesie, doch nirgends sei dies so kunstvoll wie im Deutschen. Beispielhaft nennt Schottelius u.a. das Brüllen des Löwen, das Brummen des Bären, das Blöken des Schafs, das Bellen des Hundes, das Zischen der Schlange, das Grunzen des Schweins und das Klappern des Storchs (ebd., 60; zur Onomatopoesie vgl. auch Gardt 1995, 154). Gerade Schottelius’ Äußerungen zur EIGENTLICHKEIT können als repräsentativ für diese Grundfigur angesehen werden (vgl. ebd., Anm. 57). Es wird deutlich, dass die Phänomene der Onomatopoesie nicht als Selbstzweck angeführt werden, sondern um die Naturgemäßheit der deutschen Sprache zu demonstrieren. Zugleich verfolgt Schottelius das Ziel, die Sprache in diesem Zustand zu bewahren. So gesehen haben die Listen von Onomatopoetika auch deontischen Charakter: Sie sollen auf den REICHTUM und die Naturnähe der deutschen Laute und Wörter aufmerksam machen und verhindern, dass sie durch Gebrauch verändert und verunstaltet werden. EIGENTLICHKEIT in diesem Sinne heißt dann Folgendes: Die deutsche Sprache verfügt auf einer Art Tiefenebene – auf der Ebene des ,Sprachgrundes‘ – über besondere Nähe zum natürlichen Sein der Dinge; regelwidriger,

440 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses ,undeutscher‘ Sprachgebrauch ist nicht einfach nur falsch, sondern gleich ,der Natur zuwider‘. Um den Zustand der natürlichen Richtigkeit der Sprache zu wahren, müssen die Wörter die Gegenstände nicht nur eindeutig, d.h. zur Identifizierung hinreichend bezeichnen, sondern ,wesentlich‘, ,gründlich‘ erfassen. Letztlich sind solch eigentliche Bezeichnungsvorgänge ohne ,Göttliche Mithülffe‘ [Schottelius, Arbeit, 58; S. R.] nicht möglich. Mit all dem ist ein Sprachwesen des Deutschen impliziert, eine Art der Zeitlichkeit enthobener sprachlicher Urzustand, in dem die Sprache in sich und in der Relation ihrer Wörter zur Wirklichkeit ganz und gar stimmig ist. Die Darstellung des Verhältnisses zwischen Sprache und Wirklichkeit in absolut gesetzten, weiterer Differenzierung scheinbar nicht zugänglichen Ausdrücken wie ,ur‘-, ,Grund‘, ,Natur‘ zeigt, dass dieses Wesen der Sprache dem Zugriff des Menschen entzogen ist (Gardt 1994a, 135 f.).

Diese besondere Naturnähe hat aber nicht zur Folge, dass die deutsche Sprache alles Natürliche auszudrücken imstande ist. Zesen etwa behauptet, er habe so tief in die Sprachnatur geblickt, „daß meine sprache / wie wort-reich und kräftig sie auch ist / gleichwohl allhier so machtloß sich befindet / daß sie fast das tausentste / darinnen die Natur sich mier so mildiglich geoffenbahret / nicht austrükken kan“ (Zesen, Rosen-mând, 88 (14)). Dennoch ist für ihn die EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache jenseits allen Zweifels: Ich zeuge dir allhier / lieber Deutscher / was du für eine mächtige / prächtige / allernaturgemäßeste sprache hast; woher ihre gantze macht entsprüßet; woher ihre gantze zier flüßet; woher sie / mit höchster billigkeit und rechte / das recht der entfrembdungs-rache […] suchet; woher sie die richtigkeit ihrer schreib-ahrt nimmet / welche du bester maßen nach deinem gesunden urteil / zu befördern geruhen wollest (ebd., 88 f.).

Die Naturgemäßheit der deutschen Sprache impliziert auch eine wesentliche Adäquatheit von Wort und Sache. „Eigentlichkeit meint den Zustand der Kongruenz von Sprache und Wirklichkeit, nicht jedoch einer künstlich hergestellten Kongruenz. Der Bezug zwischen Wort und Sache ist nicht arbiträr, sondern die Wörter sind den Sachen in einer rational letztlich nicht nachvollziehbaren Weise der inneren Entsprechung zugeordnet“ (Gardt 1995, 163). Dies ist für die Sprachpatrioten zugleich die Beschreibung des idealen Zustands der Sprache als auch Aufforderung, den eigenen Sprachgebrauch diesem Ideal anzupassen. Denn nur in diesem Fall ist die Kongruenz von Sprache, Welt und Sprecher gewährleistet. Auch von diesem Aspekt her erklärt sich die Kritik am alamodischen Sprachgebrauch, denn diesem wird vorgeworfen, inhaltslos und nicht ehrlich zu sein, so dass Gesagtes und Gemeintes nicht zusammenpassen. In der idealen deutschen Sprache gibt es eine quantitative wie qualitative Entsprechung zwischen Wort und Gemeintem und damit zwischen Wort und Sache. Das aus dem Zustand dieser Entsprechung heraus gesprochene Wort ist selbstverständlich wahr, ist zugleich Manifestation der sittlichen Integrität der Sprachbenutzer; Sprache, Welt und Spre-

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cher korrelieren in vollendeter Weise. Wird Sprache verwendet, ohne dass sie durch WirkWirklichkeit gedeckt wäre […], wird dieses Verhältnis gestört (ebd., 160).

Wie bereits erwähnt, wird die EIGENTLICHKEIT am Ursprung der deutschen Sprache festgemacht. Hier spielen die Topoi Adam, Babel und die diskurssemantische Grundfigur ALTER eine wesentliche Rolle. Für Zesen ist die EIGENTLICHKEIT letztlich göttlichen Ursprungs, von der Adamischen ,Ursprache‘ wurde sie in Babel auf das Deutsche übertragen. Sie entstand, als Adam durch göttliche Eingebung die Dinge nach ihrer angeborenen Art und Eigenschaft bezeichnete: (17) Ja GOtt hatte ihm [Adam] solche folkommene weisheit eingeschaffen / daß er ein iedes ding / was ihm zu gesichte sties / straks / und nicht von ohngefähr oder oben hin / sondern nach angebohrner art und eigenschaft der geschöpfe / mit besondern / füglichen und eignen unterschiedlichen nahmen nennen / und eigendlich beschreiben mögen / wie uns Gott selbst durch Mosen solches geoffenbahret (Zesen, Rosen-mând, 104).

In diesem Zusammenhang diskutiert Zesen die alte Frage, ob die Wörter in natürlichem oder künstlichem Verhältnis zur Wirklichkeit stehen, also die auf Platon zurückgehende Alternative zwischen physei- und nomo-These. Er konstatiert, dass es in dieser Frage unter den Gelehrten keine Einigkeit gebe. Zesen gibt beiden Theorien aus aus ihrer jeweils spezifischen Sichtweise recht: Daß Adam zuerst allein aus natürlichem antrieb und nach den eigenschaften der dinge / (deren folkommene in- und äusserliche erkäntnüs im von Got verliehen war / und sothanig / daß er die gantze natur-sprache […] lesen / vernehmen und verstehen konnte / ) die geschöpfe benahmet / ist allezeit war (ebd., 107 (18)).

Auch wenn man, wie er zugibt, die Dinge auch anders benennen könnte, stimmt Zesen insgesamt eher der physei-These zu: [A]ber nichts deszu weniger flüßet solches nenn-wort nicht allein aus dem rechten grunde der alten sprache / sondern auch aus dem grunde der natur und eigenschaft des benennten dinges selbst: welche dem benenner im sinne schwebet / und ihn gleichsam unvermärkt antreibet / daß er das ding so und so / fast ohne sein wissen / daß ers thut / benahmet (ebd., 107).

Nicht in Bezug auf Zesen, sondern auf Schottelius zeigt Gardt (1995, 153 f., Anm. 61), wie einseitig und perspektivisch gebunden die zeitgenössische Interpretation von Platons Kratylos ist: Doch was für Eigennamen gilt – und dies auch nur vielleicht und nur für einige, wie Sokrates hinzufügt, eine Einschränkung, die Schottelius übergeht –, muss nicht in gleicher Weise auf Appellativa zutreffen. Hinzu kommt, dass der zitierten Bemerkung andere gegenüberstehen: Es sei der Verstand, der für die Benennung verantwortlich ist, erklärt Sokrates

442 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses an anderer Stelle und vergleicht den Rekurs auf die Götter als Schöpfer der ,ursprünglichen Wörter‘ mit den bequemen Lösungen mancher Tragödiendichter, die, wenn sie sich nicht mehr zu helfen wüssten, rasch einige Götter ,ex machina‘ erscheinen ließen. Schließlich, und dies ist der entscheidende Einwand, ist Motiviertheit nicht gleich Motiviertheit; während Platon ein ganzes Spektrum unterschiedlichster Erscheinungsformen ausbreitet, geht es den Vertretern barocker Stammwortkonzeption letztlich nur um die lautmalende bzw. lautsymbolische Motiviertheit der Simplizia. Die lautmalende Verankerung der Wörter in der Natur ist aber nur der letzte Schritt in der Diskussion um die Motiviertheit, und Platon verhält sich den einzelnen dieser Schritte gegenüber kleineswegs gleich.

Nichtsdestotrotz beziehen sich die Sprachpatrioten sehr häufig auf Platon, um die Sachangemessenheit der deutschen Sprache mit dieser Autorität zu beweisen. Mit der Behauptung der EIGENTLICHKEIT ist einerseits ein zuweilen emphatisches Lob der deutschen Sprache, andererseits eine Abwertung anderer Sprachen, die über diese Sachadäquatheit angeblich nicht verfügen, verbunden. Zesen zufolge ist die gründliche Erforschung der deutschen Sprache sogar eine notwendige Voraussetzung dafür, dass andere Sprachen untersucht werden können, weil man sich erst über das ,richtige‘ Verhältnis von Wort und Sache klar werden müsse, das allein in der deutschen Sprache gegeben sei: (19) Ach! es ist nicht zu schreiben / noch mit worten auszutrükken / was die Hochdeutsche sprache für eine edele / natürliche / künstliche / und über alle andere folkommene / sprache sei. Ja man hat sich zum höchsten zu verwundern / daß ihre art zu schreiben der natur noch so nahe kömmet / und weit weit näher / als alle andern sprachen: die gleichsam gantz eine verwürrete schreibart haben / welche den ursprung der wörter so gar verdunkelt / daß man nicht sehen könte / aus was für einem stamme sie geflossen / wo man die hochdeutsche sprache nicht hätte / und aus derselben natürligkeit von jenen urteilen könte (Zesen, Rosen-mând, 176).

Die EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache wird insbesondere an den Stammwörtern festgemacht. Weil in der Stammworttheorie die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, REINHEIT, REICHTUM und EIGENTLICHKEIT sowie verschiedene Topoi ineinanderspielen und sich gegenseitig stützen, sollen in diesem Abschnitt exemplarisch die Korrelationen vorgeführt werden, in denen diese stehen. Zunächst ist zu klären, wie die Stammworttheorie hier aufgegriffen wird. „Das Stammwort wird in den Texten nicht nur formal bestimmt, in einigen Fällen nimmt seine Charakterisierung geradezu ideologische Züge an. Daneben ist es Gegenstand nüchterner, formalgrammatischer Betrachtung“ (Gardt 1994a, 160). Im Zusammenhang dieses Abschnitts spielt vor allem das Stammwort als ideologische Größe eine wichtige Rolle. Welche Bedeutung die Stammwörter etwa für die Dichtung haben, wird an Harsdörffers Äußerung deutlich, dass die deutsche Sprache aufgrund ihrer einsilbigen Stammwörter besonders gut zur Dichtung und gebundenen Rede

Diskurssemantische Grundfiguren � 443

geeignet sei, weil „unsre Sprache mächtig / weil sie wortreicher als keine andere / die einsylbigen Stammwörter zierlich verdopplen und einigen kan“ (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 17 f. (20)). Der entschiedenste Verfechter der Stammworttheorie ist jedoch Schottelius. In der Ausführlichen Arbeit bereitet er diese vor, indem er lateinische Lehnwörter wie Nase, Vater, Fisch oder Wind kurzerhand zu deutschen Wörtern erklärt, die ins Lateinische entlehnt worden seien. Sein Argument erscheint kurios: Wenn dies nicht so wäre, müsste man annehmen, dass die Deutschen keinen Fisch, keine Nase, keinen Vater und keinen Wind gekannt hätten, bevor sie mit den Römern in Kontakt kamen, was ziemlicher Unsinn sei. Kurios ist das Argument deshalb, weil Schottelius es umgekehrt für wahrscheinlich zu halten scheint, dass die Lateiner vor dem Kontakt mit den Deutschen diese Dinge nicht gekannt hätten. Er benutzt diese Umkehrung der Entlehnungsverhältnisse, um Nase, Vater, Fisch und Wind zu alten deutschen Stammwörtern zu erklären (vgl. Schottelius, Arbeit, 40 f. (24)), die den Deutschen schon bekannt gewesen seien, bevor die Römer überhaupt die Alpen überquert hätten. Zu Beginn der Vierten Lobrede nennt Schottelius fünf Eigenschaften, die zur Vollkommenheit der Stammwörter gehören: 1. Sie bestehen aus „jhren eigenen Natürlichen / und nicht in frömden Letteren“. 2. Sie sind wohllautend und drücken ihr Ding „eigentlich“ aus. 3. Ihre Anzahl ist „völlig und genugsam“. 4. Sie lassen sich „reichlich außwachsen und herleiten“ und 5. sie leiten allerlei Verbindungen, Zusammenfügungen und Doppelungen (ebd., 51 (25)). Dass bei diesem Stammwortkonzept die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, REINHEIT, REICHTUM und EIGENTLICHKEIT zusammenwirken und in ihrer Gesamtheit zur nationalkulturellen Überhöhung der deutschen Sprache beitragen, wird im Folgenden zu zeigen sein. Im ersten Punkt wird verlangt, dass die Stammwörter ausschließlich aus den eigenen und nicht aus fremden Buchstaben bestehen sollen. Um dies zu zeigen, geht Schottelius in zwei Schritten vor: Zunächst behauptet er, dass die deutschen Lettern im Gegensatz zu den griechischen und hebräischen einlautend und diesen deshalb überlegen seien. Was das bedeutet, macht er an einem Beispiel klar: Zum Exempel / wenn ein Lesenlernender sagen wil Dal / muß er nach dem Hebraischen Buchstabieren / Daleth, Aleph, Lamech, und daraus muß er erzwingen lernen / im Aussprechen nur die ersten Buchstaben zubehalten D. A. L. also ein Grieche muß sprechen Delda, Alpha, Lamda, und das muß heissen D. A. L. Da hergegen der Teutscher nach seinen Teutschen Letteren saget De, A, eL, woraus die natürliche Folge leichtlich fleust dal / und also in allen (ebd.).

444 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Im zweiten Schritt versucht er nachzuweisen, dass die Deutschen nicht lateinische Buchstaben schreiben, sondern vielmehr die Lateiner deutsche Buchstaben. Diese Ansicht untermauert er, indem er Letter zu einem deutschen und das lateinische littera zu einem aus dem Deutschen stammenden Lehnwort erklärt: „Es ist das Wort / Letter / nach guter Andeutung / ein altes Teutsches / und nicht eben ein Lateinisches Stammwort“ (ebd., 52). Implizit ergibt sich aus dieser Argumentationsreihe, dass die deutschen Buchstaben sehr alt, älter jedenfalls als die lateinischen sein müssen. Diese Annahme wird durch die Behauptung der langen Kontinuität der deutschen Stammwörter, deren Konstituenten sie sind, verstärkt: Unsere so wol alte / als jtzige Teutsche Sprache hat allemahl geruhet / und ruhet festiglich annoch in jhren eigenen einlautenden Stammwörtern / Ableitungen und Doppelungs-arten / welche man in den allerältesten Schriften und Reimen / und in allen Mundarten der Teutschen Sprache finden kan / tieffer oder weiter kan man in Teutscher Sprache nicht gelangen / als auf die einlautende Wurtzelen / oder grundfeste Stammwörter / welche aus jhren eigenen uhralten Letteren zusammen gefügt seyn (ebd., 41).

Hier wird deutlich, dass die Stammwörter samt den Buchstaben, aus denen sie bestehen, uralt sind, so dass man einen deutlichen Beleg für die Wirkung der diskurssemantischen Grundfigur ALTER findet. Mit der Forderung, dass Stammwörter nicht aus fremden Lettern bestehen dürfen, wird zugleich auf die Grundfigur REINHEIT rekurriert. Die zweite Eigenschaft der Stammwörter ist, dass sie die Sache, die sie bezeichnen, eigentlich ausdrücken sollen. Damit ist die oben beschriebene Naturgemäßheit und Sachangemessenheit gemeint, die hier nicht noch einmal erläutert werden muss. Die diskurssemantische Grundfigur REICHTUM spielt in den Punkten drei bis fünf eine entscheidende Rolle. Wie oben (vgl. 423) gezeigt wurde, kann die Feststellung, dass die Anzahl der Stammwörter völlig und genugsam sei, als ausreichend im Sinne von ,nicht zu viele und nicht zu wenige‘ Stammwörter verstanden werden. Der REICHTUM der Deutschen Sprache besteht auch in ihrer Genügsamkeit und darin, dass sie fremder Wörter nicht bedarf. In Punkt vier fällt mit dem Adverb reichlich der Hinweis auf den REICHTUM sogar explizit aus und in Punkt fünf wird auf den REICHTUM der Wortbildungsmöglichkeiten der deutschen Sprache Bezug genommen (vgl. oben, 293). In der Stammworttheorie treffen sich also die vier wichtigsten diskurssemantischen Grundfiguren des sprachpatriotischen Diskurses. Erstens dient sie als Grund für die „kulturpatriotische Erhöhung der deutschen Sprache“, die unter anderem „im Alter, in der Herkunft und in der Geschichte der Sprache wurzel[t]“ (Straßner 1995, 68). Diese Herkunft wird in der Sprachverwirrung

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infolge des Turmbaus von Babel gesehen, in der die Adamische ,Ursprache‘ geteilt wurde und bei der unter anderem die deutsche Sprache entstand. Von diesem hohen ALTER zeugen noch die deutschen Buchstaben und die Stammwörter. Zweitens soll mit der Betonung der REINHEIT die „Korrumpierung“ der ursprünglich „reinen Sprachnatur“ verhindert werden (Gardt et al. 1991, 25). Durch den lexikalischen und wortbildungsmorphologischen REICHTUM wird die deutsche Sprache positiv von den anderen, ärmeren Sprachen abgegrenzt. Mit ihrer EIGENTLICHKEIT schließlich „bezeichnen die Stammwörter des Deutschen […] ihren jeweiligen außersprachlichen Gegenstand und Sachverhalt in ontologischer Zuverlässigkeit“ (Gardt 2004, 43). Diese ontologische Zuverlässigkeit wird durch die anderen Komponenten ALTER, REICHTUM und REINHEIT begünstigt: Wären die deutschen Stammwörter jünger als die der anderen Sprachen, wären sie durch fremde Grapheme und Lexeme in ihrer REINHEIT eingeschränkt und wären sie in geringerer Anzahl und mit weniger ausgeprägten Wortbildungsmitteln ausgestattet, könnte die deutsche Sprache aus Sicht der Sprachpatrioten keine Ausnahmestellung in der Sprachenhierarchie für sich beanspruchen, weil die enge Verbindung von Wort und Sache nicht gewährleistet wäre. Dies ist damit gemeint, wenn vorhin die Rede davon war, dass die EIGENTLICHKEIT die drei anderen Grundfiguren umfasst und ihnen hierarchisch übergeordnet ist. Erst im Zusammenspiel tragen sie zur ideologischen Überhöhung der deutschen Sprache bei. Dies sei noch einmal anhand eines zusammenhängenden Zitats illustriert. Die diskurssemantischen Grundfiguren sind durch Fettdruck hervorgehoben: (26) Und hierinnen thut es die Teutsche Sprache allen Sprachen in der Welt / ja auch so gar ihrer Eltermutter / der Hebraeischen / vor / und ist hierüm billig vor die vornemste und fürtrefflichste Haubtsprache zubeehren / als welche einfach / selbsteigen / lauter und rein ist / und nicht allein alles / was die Welt begreifet / ohne Beyhülfe einer andern Sprache / deutlich und vernemlich nennen / sondern auch denjenigen Dingen / so noch täglich anderer Orten erfunden oder erdacht werden / solch einen beqvemen Namen geben kan / der so bald von dem geringsten Menschen / Weibern und Kindern / wann sie denselben nur einmal hören / verstanden werden mag (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijv).

Stieler schreibt der deutschen Sprache also hohes ALTER, REINHEIT, Einfachheit, REICHTUM und Sachadäquatheit (EIGENTLICHKEIT) zu und damit einhergehend auch leichte kognitive Erfassbarkeit. Damit ist sie allen anderen Sprachen, sogar dem Hebräischen, überlegen. Exkurs: Das Verhältnis von Wort und Sache in Leibniz’ Nouveaux Essais Leibniz’ Nouveaux Essais gehören nicht zu den Texten, die den sprachpatriotischen Diskurs konstituieren, weder, was das Erscheinungsjahr (1704), noch was

446 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Thematik und Sprachkonzept betrifft. Vielmehr gehören sie zu denen Texten, die den Gedanken der Kongruenz von Wort und Sache universalistisch fassen und sich „am Eindeutigkeitsideal der aufkommenden Naturwissenschaften“ orientieren (Gardt 1995, 149). Damit verhält sich der Text kontrastiv zu demjenigen, was bisher behandelt wurde. Dieser Kontrast soll das bisher Erarbeitete weiter verdeutlichen. Bereits oben (4.2.10) wurde darauf hingewiesen, dass für Leibniz die Wörter keine Abbilder der Gegenstände sind, sondern „Rechen-pfennige“ (Leibniz, Gedanken, 534), auf die man bei Bedarf zurückgreifen kann und deren Beziehung zu den bezeichneten Gegenständen durch Konvention festgelegt ist. Leibniz’ Konzeption des sprachlichen Zeichens ist also weit entfernt von der EIGENTLICHKEIT, wie sie bisher besprochen wurde. Sie schlägt sich auch auf die Darstellung in den Nouveaux Essais nieder. Leibniz nimmt eine ursprüngliche Einheit von Wort und Sache an. Es seien die Bedürfnisse des Menschen gewesen, die ihn gezwungen hätten, die natürliche Ordnung der Ideen aufzugeben. Der Grund dafür liege darin, dass der Mensch den Gelegenheiten und Zufällen unterworfen sei und sich deshalb eine eigene Ordnung hätte schaffen müssen. Und „diese Ordnung gibt uns nicht den Ursprung der Begriffe, sondern sozusagen die Geschichte unserer Entdeckungen“ (Leibniz, Abhandlungen, 9 (27)).55 Diese Feststellung gilt aber nur für den lexikalischen Bereich, im phonetischen Bereich versucht Leibniz mittels der Onomatopoesie die Naturnähe der Laute nachzuweisen. Dabei geht es ihm aber nicht um eine Einzelsprache, seine Beispiele stammen aus dem Griechischen, Lateinischen, Deutschen, Spanischen, Italienischen und Französischen (vgl. ebd., 23 / 25 / 27 (28)). Die Aussprache habe sich jedoch mit der Zeit weit von der ursprünglichen Bedeutung entfernt, was dazu geführt habe, dass das „unwissende und ungebildete Volk“ (ebd., 121 (29))56 die Einteilung der Arten vorgenommen habe. Die Gelehrten hätten die „volkstümlichen Vorstellungen“ (ebd.)57 korrigiert und die wissenschaftliche Terminologie, die den Gegenständen angemessener sei, eingeführt. Für Leibniz ist der konstatierte Sprachzustand, in dem Wörter und Sachen nicht übereinstimmen, ein großer Mangel. Die von den Sprachpatrioten behauptete EIGENTLICHKEIT ist für ihn wünschenswert, aber, und hier unterscheidet

�� 55 „[E]t cet ordre ne donne pas l’origine des notions, mais pour ainsi dire l’histoire de nos decouvertes“ (Leibniz, Abhandlungen, 8). 56 „[L]e peuple ignorant et sans lettres“ (Leibniz, Abhandlungen, 120). 57 „[L]es notions populaires“ (Leibniz, Abhandlungen, 120).

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sich Leibniz grundsätzlich von Schottelius, nicht vorhanden. Deshalb übt er grundsätzliche Sprachkritik: (31) Ich antworte aber, dass die Worte sich derart zwischen unseren Geist und die Wahrheit der Dinge einschieben, dass man die Worte mit dem Medium vergleichen kann, durch welches die Strahlen der sichtbaren Gegenstände hindurchgehen und das oft Nebel vor unseren Augen ausbreitet. Und ich bin versucht zu glauben, dass der größte Teil aller Streitigkeiten den Unvollkommenheiten der Sprache zur Last fiele, wenn man diese gründlicher untersuchen würde, und dass der Weg zur Erkenntnis und vielleicht zum 58 Frieden den Menschen dann in höherem Maße offenstünde (ebd., 179).

Diese Mängel haben viele Gründe. Für Leibniz liegen sie nicht nur im Gebrauch der Ungebildeten, sondern auch die Gelehrten tragen Schuld an diesen Verhältnissen. Er unterscheidet mehrere Formen des Missbrauchs (abus) der Wörter. Der deutlichste Missbrauch der Wörter sei es, wenn man mit ihnen keine klare Idee verbinde. Von diesen Wörtern gebe es zwei Klassen: Die erste seien solche, die weder in ihrem Ursprung noch in ihrem gewöhnlichen Gebrauch eine bestimmte Idee hätten; dies seien oft Wörter, die Sekten, Philosophien oder Religionen verwenden, um eine seltsame Meinung aufrechtzuerhalten oder einen Schwachpunkt im System zu verbergen. Die zweite Klasse seien Wörter, die in ihrem ersten und allgemeinen Gebrauch einer klaren Idee entsprächen, dann aber oft auf Gegenstände angewandt würden, ohne ihnen eine Idee zuzuordnen; als Beispiele nennt er die Wörter Weisheit, Ruhm oder Gnade. Im ersten Fall ist offenbar der Ideologiewortschatz gemeint, im zweiten Fall sind es Abstrakta mit nicht klar umrissenem semasiologischem Feld. Auch hier dringt das gleichermaßen barocke wie aufklärerische Ideal der Monosemie durch. Der zweite Grund, warum die EIGENTLICHKEIT zwar wünschenswert, aber nicht verwirklicht ist, liegt nach Leibniz in der Unbeständigkeit im Gebrauch der Wörter (l’usage des mots est […] inconstant): Oft werden Wörter unwissentlich oder absichtlich falsch gebraucht. Im ersten Fall lägen schlechte Angewohnheit und Unaufmerksamkeit (mauvaise costume et inadvertance), im zweiten Dummheit oder Bosheit (tromperie, malice) vor (vgl. ebd., 184 / 185). Als dritten Missbrauch nennt Leibniz die „angenommene Dunkelheit“ (obscurité affectée; ebd., 186 / 187 (33)). Diese liege vor, wenn jemand einem Wort

�� 58 „[M]ais je reponds que les mots s’interposent tellement entre nostre esprit et la verité des choses, qu’on peut comparer les mots avec le milieu, au travers duquel passent les rayons des objets visibles, qui repant souvent des nuages sur nos yeux; et je suis tenté de croire, que si l’on examinait plus à fonds les imperfections du langage, la plus grande partie des disputes tomberoient d’elles mêmes, et que le chemin de la connaissance et peutestre de la paix seroit plus ouvert aux hommes“ (Leibniz, Abhandlungen, 178).

448 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses eine ungewöhnliche Bedeutung gebe oder neue Begriffe (termes nouveaux) einführe, ohne sie zu erklären. Diese seien etwa bei den antiken Sophisten zu finden gewesen, die auf diese Weise „ihre Unwissenheit mit dem Schleier der Dunkelheit ihrer Worte“ bedeckten (ebd., 187).59 Der vierte Missbrauch liegt nicht primär darin, dass man Wörter und Dinge gleichsetze, sondern darin, dass man etwas für wahr halte, was gar nicht sei. Wenn man etwas annehme, dessen Existenz man nicht rechtfertigen könne, sei das viel schwerwiegender (vgl. ebd., 189 (34)). Für Leibniz ist also gerade die Ontosemantik, die den barocken Sprachtheorien zugrunde liegt, ein Grund dafür, dass die Sprache nicht EIGENTLICH ist, wie sie sein sollte. Größer könnte damit der Gegensatz zwischen Leibniz und Autoren wie Schottelius, Harsdörffer oder Klaj gar nicht sein (vgl. dazu auch Straßner 1995, 91–94). Dieser kursorische und relativ grobe Überblick über das Verhältnis von Wort und Sache, wie es in Leibniz’ Nouveaux Essais konstituiert wird, zeigt, obwohl er nur einzelne Facetten aufgreifen konnte, deutlich die Unterschiede zwischen der EIGENTLICHKEIT in der barocken Sprachkonzeption, wie sie oben exemplarisch anhand der Stammworttheorie Schottelius’ aufgezeigt wurde, und Leibniz’ Sprachtheorie. Gemeinsam ist ihnen das Ideal der EIGENTLICHKEIT, das in der Seinsadäquatheit von Wort und bezeichneter Sache sowie – tendenziell – in der Monosemie besteht. Bei der Einschätzung des realen Vorhandenseins der EIGENTLICHKEIT unterscheiden sich beide Konzeptionen jedoch diametral: Während sie für Schottelius gegeben und einer der Hauptvorzüge der deutschen Sprache ist, kritisiert Leibniz die Umstände, die ihre Verwirklichung verhinderten. Dazu gehört auch eine der grundsätzlichen Annahmen barocker Sprachtheorie, die Ontosemantik. Ende des Exkurses. Eng verbunden mit der Forderung nach der Kongruenz von Wort und Sache ist die nach der Deutlichkeit. Diese ist nach Auffassung der Sprachpatrioten durch den „besonders direkten Zugang zu den Sachen“ (Reichmann 1992, 453), den das Deutsche ermögliche, eine grundlegende Eigenschaft dieser Sprache. Denn durch die EIGENTLICHKEIT könne man im Deutschen erheblich klarer und deutlicher die Dinge erfassen und ausdrücken als in jeder anderen Sprache. Die Deutlichkeit ist damit eine der zentralen Gütequalitäten, die der deutschen Sprache zugeschrieben werden, was sich auch in der Anzahl der Zuschreibungen und der dichten paradigmatischen Vernetzung zeigt (vgl. ebd., 448–451).

�� 59 „[C]ouvroient leur ignorance sous le voile de l’obscurité des paroles“ (Leibniz, Abhandlungen, 186).

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Zentral für das Deutlichkeitskonzept ist das, was Reichmann Eineindeutigkeit nennt: Positiv ausgedrückt wird Deutlichkeit durch den Reichtum einer Sprache an eigentlichen, ferner durch figürliche Ausdrucksmittel erreicht; zu ersteren zählen vor allem lexikalische Einheiten (Wörter und Redensarten), zu letzteren Tropen (insbesondere die Metapher) und Figuren (Gleichnisse, Bilder usw.). Eigentliche Ausdrücke sind genetisch primär und werden synchron gegenüber den figürlichen hinsichtlich der Direktheit ihres Sachbezuges als überlegen hingestellt: Je höher ihre Anzahl ist, desto unproblematischer kann Deutlichkeit erzielt werden. […] Diesem Zustand möglichst nahe zu kommen, werden im einzelnen unterschiedlich weitgehende Kompromisse mit der Anerkennung von Fremdwörtern, Neologismen, Archaismen und Provinzialismen gemacht. Alle diese Worttypen erhöhen die Menge der Einheiten (den Reichtum), damit die Deutlichkeit, und verdienen insofern Aufnahme in die Copia zu Verfügung stehender Sprachmittel; sie stehen aber in Konflikt mit anderen Forderungen der Zeit, insbesondere der Reinigkeit und der allgemeinen Üblichkeit des Sprachgebrauchs und erfahren deshalb eine eher negative Beurteilung (ebd., 455).

Die von Reichmann beschriebene Öffnung zu Fremdwörtern, Archaismen, Neologismen und Provinzialismen ist stärker ein Zug der Aufklärung, in der Barockzeit steht die Grundfigur REINHEIT noch im Vordergrund, die Autoren folgen weitgehend Opitz, der von den in der Dichtung verwendeten Wörtern fordert, dass sie elegant, zierlich, „reine vnd deutlich“ (Opitz, Poeterey, 371 (36)) sein sollen. Zu diesem Zweck soll man sich nach bestem Vermögen des reinen Hochdeutschen bedienen und „nicht derer örter sprache / wo falsch geredet wird“ (ebd.). Es sind also Regionalismen zu vermeiden. Zudem spricht sich Opitz gegen die Benutzung von Fremdwörtern aus: „So stehet es auch zum hefftigsten vnsauber / wenn allerley Lateinische / Frantzösische / Spanische vnnd Welsche wörter in den text vnserer rede geflickt werden“ (ebd., 372). Das Ideal der barocken Dichtungs- und Sprachtheoretiker ist der REICHTUM an von fremden wie innersprachlichen ,schlechten‘ Einflüssen REINEN, durch eineindeutigen (monosemen) Sachbezug (EIGENTLICHKEIT) beglaubigten Stammwörtern, durch die Klarheit und Deutlichkeit im Ausdruck, also eine unzweideutige und leicht verständliche, d.h. nicht dunkle oder unverständliche Darstellung der durch die Stammwörter bezeichneten Gegenstände möglich wird. Dieses Ideal meint etwa Fürst Ludwig, wenn er als Ziel der Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft verlangt, dass sie sich der „ferneren ausarbeitung unserer Deutschen Mutter- und Landsprache mehreren nutzen, reinligkeit, einhelligkeit, deutligkeit und richtigkeit“ (Ertzschrein, 276 (37)) widme. Hille formuliert den gleichen Gedanken so: Jedes Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft soll sich bemühen, „unsere hochgeehrte Muttersprache / in ihrem gründlichen Wesen / und rechten Verstande / ohn Einmischung fremder außländischer Flikkwörter / sowol in Reden / Schreiben als Gedichten / aufs aller

450 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses zier- und deutlichste zu erhalten und auszuüben“ (Hille, Palmbaum, 17 (39); vgl. Beleg (40)). Auch Schottelius macht die besonderen Vorzüge des Deutschen an REINHEIT, EIGENTLICHKEIT und Deutlichkeit fest: (41) [D]ieselbe Sprache / welche die dinge und dero Eigenschafften / auch sonsten das / was GOtt und die Natur dem Verstande offenbart hat / kan auffs eygentlichste / deutlichste und reinlichste außdrücken / außsprechen / außbilden / dieselbe Sprache ist ohn allen zweiffel die Wortreichste / die beste: weil sich deroselben Wörter durch Krafft eingepflantzter Schicklichkeit können der Natur gleich strecken / und alles was die Natur wircket / in unseren Verstand legen (Schottelius, Sprachkunst, 16 f.).

Deutlichkeit ist für Stieler neben REICHTUM sogar eine der wichtigsten Anforderungen, die an Künstler und Wissenschaftler zu stellen sind: (44) Da gehöret zu einer Kunstrede ein reicher Wortvorraht / eine kluge Wahl auserlesener / wolklingender Redarten / eine ungezwungene / leichtfließende Deutlichkeit in Ausdrückung hoher Gedancken / samt einer mannigfaltigen Durchschießung geschicklicher Worte / und ist ie einem Gelehrten allerdings unverantwortlich und höchstnachteilig / wann er mit der Sprache / so ihm angeboren / beßer nicht / als der gemeine Pöfel / ümzugehen gelernet hat (Stieler, Stammbaum, fol. )()()(v ).

Die Deutlichkeit ist damit ein wichtiger Teilaspekt der EIGENTLICHKEIT, da sie die in der diskurssemantischen Grundfigur theoretisch angenommene und geforderte Sachadäquatheit in die Tat umsetzt. Dabei tendiert sie zur Eineindeutigkeit, zur Monosemie, um den Bezug zwischen Wort und Sache möglichst klar und unmissverständlich darstellen zu können. Den Deutlichkeitsbegriff der Epoche fasst Reichmann in aller Ausführlichkeit so zusammen:60 Deutlichkeit ist […] eine allen abstrakt-virtuellen und konkreten Existenzformen der Sprache, allen ihren hierarchischen Rangebenen und medialen Vorkommensformen, ferner der Sprech- und Schreibtätigkeit und ihren Phasen, weiterhin den diese Tätigkeit ermöglichenden sinnlichen und kognitiven Vermögen, Einheiten und Ergebnissen, dem Sprachund Textverstehen und schließlich den Sachen potentiell zukommende Qualität. Sie besteht […] erstens in der genauen Unterscheidung, eindeutigen Bestimmung und Umreißung, damit gleichzeitig der Abgrenzung von Sachen, dafür wird distinktiv auch Klarheit gebraucht […]. Sie besteht darüber hinaus und speziell ferner in der exakten Unterscheidung derjenigen unterscheidbaren Qualitäten an den Sachen, durch die wir uns letztere konstituiert vorstellen, und schließlich in der Feststellung der zwischen Sachen und Sachqualitäten bestehenden Relationen. […] Von der sprachlichen Tätigkeit her betrachtet �� 60 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Reichmann von einem erheblich weiter gefassten Korpus ausgeht als diese Arbeit, da er auch Texte aus dem Zeitalter der Aufklärung ausgewertet hat. Diese sind jedoch in seiner Darstellung nicht strikt von den barocken Texten getrennt.

Diskurssemantische Grundfiguren � 451

ist Deutlichkeit die bereits für die isolierte Spracheinheit und die Sprachregel zu erstrebende, auf jeden Fall für die textliche Äußerung angestrebte Eineindeutigkeit der Zuordnung des Ergebnisses mentaler Tätigkeit zu abstrakt-virtuellen Einheiten des Sprachsystems sowie eine daran anschließende so geartete Umsetzung in akustische oder schriftliche Zeichenverwendung, dass ein Rezipient über deren Wahrnehmung die vom Sprecher oder Schreiber gemeinte (abstrakt-virtuelle) Zeichengestalt, die mit ihr bezeichnete mentale Einheit und schließlich die dieser zugrundeliegende Sache in den sie konstituierenden Eigenschaften treffend, präzise, wohlunterschieden, genau, klar, richtig erkennen kann (Reichmann 1992, 451 f.; ausführlicher dazu ders. 1996).

Für die Vertreter des Analogismus, namentlich für Schottelius, ist auch die Grundrichtigkeit der Sprache ein Aspekt ihrer EIGENTLICHKEIT. Er konstatiert „eine gründliche Gewißheit und kunstmeßige Grundrichtigkeit“ der deutschen Sprache (Schottelius, Arbeit, fol. b iiijv (45)), durch die sie sich von den anderen Sprachen abhebe. Die Vehemenz, mit der Schottelius im Sprachnormierungsdiskurs auf seiner analogistischen Position beharrt (vgl. oben, 3.2.2.2), erklärt sich auch aus seiner Auffassung der EIGENTLICHKEIT: Diese kann nur dann vorliegen, wenn die Grundrichtigkeit, d.h. die innere Kongruenz von Wort und Sache und deren lexikalischer Ausdruck durch Stammwörter und Wortbildung, also durch lexikalische Angemessenheit und grammatische Korrektheit, hergestellt ist. In einer durch den Gebrauch korrumpierten Sprache ist eine solche Grundrichtigkeit nicht mehr möglich.61 Deshalb fordert Schottelius, dass im Hochdeutschen „die Grundrichtigkeit gepflantzet / kunstmessige Ausübung gesetzet / und alle wahre Zier / Kunst / Lob / Pracht und Vollkommenheit gesuchet / behalten / und fortgepflantzet werden muß“ (ebd., 175 (46)). Die EIGENTLICHKEIT spielt damit auch für den Sprachnormierungsdiskurs eine wichtige Rolle. Auf die Grundrichtigkeit berufen sich einige Autoren auch in Fragen der Rechtschreibung. Mit diesem Argument lehnt etwa Neumark die Orthographievorschläge Zesens und Bellins mit Hinweis auf Schottelius’ Ausführliche Arbeit ab: Jn diesem Buche ist der angenommene hochteutsche Gebrauch zu förderst in Obacht / der Schreibung nach / behalten: Denn ob wol von dem Alten und Uhralten teutschen Sprachwesen / hin und wieder mit gehandelt wird / so betrifft dennoch die Grundrichtigkeit /

�� 61 „Die Vorstellung, Sprache als Produkt ihres Gebrauchs zu begreifen und jede Variation und Entwicklung zu akzeptieren, wenn sie der Kommunikation dient, widerspricht völlig dem Anliegen, das Deutsche in einen idealen Zustand zu versetzen und darin zu fixieren. Dementsprechend ist der Gebrauch fast ein Feind der eigentlichen Sprache“ (Gardt 1995, 161). Schottelius schreibt dazu: „Derselbiger Gebrauch / dem ein Hauptgesetz / oder der Grund der Sprachen entgegen laufft / ist kein Gebrauch / sondern eine mißbräuchliche Verfälschung“ (Schottelius, Sprachkunst, 3). Er akzeptiert also nur den Gebrauch, der den grundrichtigen Regeln nicht zuwiderläuft.

452 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses und Hauptausschmückung / deshalben man bemühet ist / nur das hochteutsche (Neumark, Palmbaum, 93 (47)).

Die Stelle belegt auch die sprachliche Autorität, die Schottelius zugesprochen wurde. Ein Sonderfall in der Diskussion um die EIGENTLICHKEIT ist Zesen, der, erheblich ausführlicher als Schottelius, diese Grundfigur im Phonemsystem der deutschen Sprache verortet. Grundlage sind die vier ,Urlaute‘, die mit den vier Elementen verbunden werden: (48) Kurtz: gleich wie in dem gantzen wesen der dinge nicht mehr als vier uhrwesen seind / wasser / erde / feuer / luft: daraus alles / was einen leib hat / in der gantzen welt entstehet: so findet man auch in der menschlichen sprache nur viererlei uhr-klang / oder uhr-laut / daraus alle das andere geläute / durch vermischung des uhr-geläutes / wie auch die vernehmliche stimme oder sprache selbst entstehet: Dieser vierfältige uhrklang nuhn wird durch a / e / u / und o abgebildet und geschrieben (Zesen, Rosen-mând, 153).

Dem [a] wird das Wasser zugeordnet, dem [e] die Erde, dem [u] die Luft und dem [o] das Feuer. Das [i] ist für Zesen kein ,Urlaut‘, es sei nur eingeführt worden, um Homophone unterscheiden zu können. Es werde von allen Vokalen am seltensten gebraucht und könne oft durch [ü] ersetzt werden, etwa in fünden und süngen statt finden und singen. Die Verbindung der vier menschlichen ,Urlaute‘ mit den vier Elementen ist nur der Auftakt einer kosmischen Überhöhung der Sprache. Es gebe vier Tageszeiten (Morgen, Mittag, Abend und Nacht), vier Jahreszeiten, vier Zeiten des menschlichen Lebens (Kindheit, Jugend, Mannbarkeit, Alter), vier Erdteile (Europa, Afrika, Asien und Amerika), vier Himmelsrichtungen und vier Weltreiche (das Syrische, das Persische, das Griechisch-Mazedonische und das Römische). Zu höherer Vollkommenheit als der Vierheit könne es also nicht kommen und nach dem Ende des jetzt noch andauernden Römischen Weltreichs werde ein neues Zeitalter beginnen. Durch die Einbettung in die kosmologisch-anthropologische Symbolzahl vier werden die ,Urlaute‘ und damit die Sprache in untrennbaren Bezug zum Sein, zum Kosmos und zur Weltgeschichte gesetzt. Sie sind Ausdruck der Vierheit, die der Weltordnung zugrunde gelegt wird (vgl. ebd., 188 (50)). Für Zesen ist diese enge Nähe zur Natur besonders bei der deutschen Sprache gegeben, sie komme „der natur so gar nahe“ (ebd., 200 (51)). Das Merkmal, das die deutsche Sprache besonders auszeichne, ist nach Zesen, dass die „zeugemutter“ (›Natur‹) ihr eine solche „götlichkeit“ (ebd., 201) eingepflanzt habe, dass man die Wörter ohne Verdunklung des Stamms so schreiben könne, wie sie ausgesprochen werden. Dadurch unterscheide sie sich von allen anderen Sprachen und übertreffe aufgrund reduzierter Polysemie sogar das Hebräische:

Diskurssemantische Grundfiguren � 453

Darüm darf ich wohl sagen / daß unsere itzige sprache bedeutlicher / eigendlicher / unterschiedlicher und ausgearbeiteter / ja daher folkomner ist als die erste Adamische oder Ebreische / welche als die erste und der anfang der sprachen / ja daher noch unfolkommener / auch wohl folkommener würde sein gemacht worden / wan man sie noch weiter fortgepflantzet (ebd., 202).

Die EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache beeinflusst für Zesen sogar die Konventionen der Grammatikographie, die neu zu definieren seien. Die vier Urlaute samt den Urkonsonanten seien der Stamm der gesamten deutschen Sprache. Dabei bestimmen die Verben die Bedeutung der Substantive: Wier können in unserer sprache / da sie dem gesetze der natur folget / kein nenn-wort / vor-zu-füge- oder anderes wort nimmermehr recht nach seiner eigendlichen bedeutung als nuhr oben hin und nur von ohngefähr / verstehen; wofern wier nicht das zeit-wort betrachten / das uns erst beschreibet / andeutet und erklähret / was des nenn-worts eigendliche bedeutung sei (ebd., 212 (52)).

Daher bestimmen die Verben den Stamm der meisten Wörter. Auch dies wird kosmologisch begründet: Die Zeit sei eher da als die Dinge, die erst in der Zeit geschaffen werden könnten; „so mus nohtwendig folgen / wan man der natur nachgehen wil / daß die wörter / so die zeit bezeuchnen / wo sie nicht eher gewesen seind / gleichwohl eher müssen betrachtet werden / als die jenigen / welche die dinge bedeuten“ (ebd.). Die Verben müssen in der Grammatik also vor den Substantiven stehen. Wie die hebräische „folget unsere sprache […] der natur“ (ebd., 213). Weitere Belegstellen: (3) Harsdörffer, Trichter, Dritter Teil, 5; (10) Schottelius, Arbeit, 62; (12) ebd., 60; (15) Buchner, Anleitung, 29–31; (16) Fürst Ludwig, Fruchtbringende Gesellschaft, fol. ijr; (21) Klaj, Lobrede, 398; (22) Schottelius, Sprachkunst, 61 f.; (23) ders., Arbeit, 33; (30) Leibniz, Abhandlungen, 171 / 173; (32) ebd., 181 / 183; (35) ebd., 207; (38) Ertzschrein, 324; (40) Neumark, Palmbaum, 13; (42) Schottelius, Arbeit, 134; (43) Leibniz, Gedanken, 551; (49) Zesen, Rosen-mând, 179.

Die EIGENTLICHKEIT ist, wenn man das in diesem Kapitel Herausgearbeitete zusammenfasst, das Grundtheorem der barocken Sprachauffassung. In ihm kulminieren viele der besprochenen Metaphern (v.a. die Kleider-, die biologistische und die Knechtschaftsmetaphorik) und Topoi (Babel, Adam) unmittelbar und, vermittelt durch die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, REINHEIT und REICHTUM, mit denen die EIGENTLICHKEIT, wie oben gezeigt, in vielfachen Korrelationen steht, mittelbar. Die EIGENTLICHKEIT garantiert die für die deutsche Sprache besondere Kongruenz von Wort und Sein und damit Naturgemäßheit, Sachangemessenheit, Deutlichkeit und Grundrichtigkeit. Kristallisationspunkt der Grundfigur sind die deutschen Laute bzw. Buchstaben und vor allem die

454 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses Stammwörter, an denen die Vorrangstellung der deutschen Sprache wesentlich festgemacht wird. Die EIGENTLICHKEIT dient damit primär der Aufwertung der deutschen Sprache und ihrer Abgrenzung: „Einem Prinzip des Fremden wird ein Prinzip des Eigenen als des schlechthin Richtigen, Ursprünglichen, mit der Natur der Dinge in Einklang Befindlichen und daher Bewahrenswerten gegenübergestellt“ (Gardt 1997, 396). Das EIGENTLICHE, das dem Fremden gegenübergestellt wird, sind die Stammwörter. Mit der Idealisierung, die in der Deutlichkeit und vor allem in der Grundrichtigkeit impliziert ist, schwingt auch eine Setzung mit, die charakteristisch für das Sprachdenken des 17. Jahrhunderts ist. Oben (405) wurde bereits festgestellt, dass die Sprachpatrioten zwar in die Vergangenheit blicken, dabei jedoch nur die Gegenwart und die Zukunft im Auge haben. Die Rückführungen der deutschen Sprache auf die Adamische ,Ursprache‘, auf Babel, Ascenas, Karl den Großen oder Luther sind nicht Ausdruck eines Bewusstseins historischer sprachlicher Entwicklung, sondern sie dienen lediglich dem Nachweis des ALTERS, der REINHEIT, des REICHTUMS und der EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache und damit der Prestigesteigerung. Der in diesem Zusammenhang zum Ausdruck kommende Begriff von Sprachgeschichte ist letztlich ahistorisch und in sich unstimmig. Sprachgeschichte ist im Bewusstsein zahlreicher Autoren entweder als Wissen um die Existenz einzelner historischer Sprachzustände gegeben oder als Bewusstsein vom organischen Wachsen und Vergehen von Sprachen, nicht aber als selbstverständlicher Niederschlag kommunikativer Interessen und allgemeiner gesellschaftlicher Bewegungen. Die gesamte Begrifflichkeit in den einschlägigen sprachreflexiven Arbeiten, die Rede vom ,Wesen‘, vom ,Grund‘, vom ,Eigentlichen‘, die der Sprache hypostasierend zugeschriebenen Qualitäten wie ,Grundrichtigkeit‘, ,Reinheit‘, ,Aufrichtigkeit‘, ,Natürlichkeit‘ usw., all dies lässt das Statische, Ahistorische des Sprachbegriffs erkennen“ (Gardt 1995, 162).

Nach Gardt ist der Sprachbegriff deshalb unstimmig, weil zwar einerseits auch die Sprache als der Vergänglichkeit und Veränderung unterworfen dargestellt wird und das Bewusstsein existiert, dass es Sprachwandel gibt (Schottelius etwa unterscheidet fünf Sprachepochen), andererseits jedoch auf einem statischen, den Bedürfnissen des Gebrauchs enthobenen sprachlichen Ideal beharrt wird. „Der Sprachkontakt wird eben nicht als Bereicherung, sondern meist als Zerstörung der eigenen Sprache gesehen“ (ebd.). Die EIGENTLICHKEIT der deutschen Sprache ist dem Wandel der Zeiten enthoben, sie kann aber durch ,schlechten‘ Gebrauch empfindlich beeinträchtigt werden. Deshalb lehnt Schottelius den Gebrauch als Grundlage für die Normierung der deutschen Sprache ab und propagiert eine auf der Analogie beruhende, EIGENTLICHE, grundrichtige ideale Sprache, die URALT, REIN und REICH ist.

Diskurssemantische Grundfiguren � 455

4.4.5 Poetizität Die letzte zu untersuchende diskurssemantische Grundfigur ist die POETIZITÄT. Damit ist die seit Opitz’ Dichtungsreform immer wieder propagierte Tauglichkeit der deutschen Sprache zu hoher Dichtung nach lateinischem Vorbild gemeint. Dementsprechend ist sie hauptsächlich – aber, wie sich zeigen wird, nicht nur – in poetologischen Texten zu finden. Ihre Anwendungsbereiche wie die Korrelationen, in denen sie zu finden ist, sind begrenzt. Anwendungsbereiche: Aufholen des kulturellen Rückstands durch Pflege der Poesie (1), Poesie Kriegszeiten (2), Tauglichkeit der deutschen Sprache zur Poesie (3,4,5,6,7,8,9,10), POETIZITÄT aufgrund der EIGENTLICHKEIT (11,12,13), POETIZITÄT aufgrund des REICHTUMS (14). Korrelationen: Dreißigjähriger Krieg (2), Martin Opitz (3,5), EIGENTLICHKEIT (11, 12,13), REICHTUM (5,14).

Im Buch von der Deutschen Poeterey, am Ende des dritten Kapitels, formuliert Opitz den Anspruch der deutschen Sprache auf den Status als Literatursprache etwas verklausuliert: (1) Es wird aber bey jhnen nicht stehen / vnd ich bin der tröstlichen hoffnung / es werde nicht alleine die Lateinische Poesie / welcher seit der vertriebenen langwierigen barbarey viel große männer auff geholffen / vngeacht der trübseligen zeiten vnd höchster verachtung gelehrter Leute / bey jhrem werth erhalten werden; sondern auch die Deutsche / zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt / von stattlichen gemütern allso außgevbet werden / das vnser Vaterland Franckreich vnd Italien wenig wird bevor dörffen geben (Opitz, Poeterey, 354).

Es geht ihm also darum, den kulturellen Rückstand der Deutschen gegenüber den anderen Kulturnationen aufzuholen. Dafür empfiehlt Opitz paradoxerweise die Orientierung an der antiken und humanistischen lateinischen Dichtung. Er greift damit auf die „gemeineuropäische Literaturtradition“ zurück (Verweyen 1997, 69) und versucht auf diese Weise, Anschluss an diese zu finden. Die „selbstbewusst formulierte Apologie der Literaturfähigkeit der deutschen Sprache“ wird so zu einer „Imitatio veterum“ (ebd., 70). Opitz’ Ziel also nicht die Erfindung oder Etablierung einer deutschen Literatursprache, sondern die Steigerung der Literaturfähigkeit der deutschen Sprache, damit sie sich nicht mehr vor der französischen und italienischen Dichtung verstecken muss. Dieser Anschluss an internationale Standards ist für ihn die einzige Möglichkeit, der deutschen Sprache mehr Prestige zu verschaffen. Der Dreißigjährige Krieg stellte allerdings ein Hindernis dar für die Etablierung einer deutschsprachigen Poesie. Die Kriegsereignisse beutelten das Reich

456 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses so sehr, dass man andere Sorgen hatte als die Dichtkunst. Unter diesen Umständen sei es, so Rompler, eine Gnade Gottes, dass die schönen Künste, insbesondere „die hoch-ädle Poësie oder Tichtkunst“ und die Muttersprache, die „durch scharpfsinnige wolgegründete verbässerung / in vortreflichere übung und höhreren schwang gebracht“ (Rompler, Gebüsch, fol. ooo ijr (2)) worden sei, eine Blüte erlebten. Doch während die Nachbarn Frankreich, Italien, Spanien, England oder Niederdeutschland (gemeint sind wohl die Niederlande) sich um ihre Sprache und Dichtung sehr bemüht hätten, sei sie in Hochdeutschland lange Zeit vernachlässigt worden. So erklärt er den kulturellen Rückstand. Das Verdienst, den Abstand zu den europäischen Kulturnationen verringert zu haben, wird allgemein Martin Opitz zugesprochen. So schreibt Zincgref, dass Opitz den Deutschen den Unterschied gezeigt hätte zwischen einem Poeten und einem Reimeschmied, zudem hätte er „das Eiß gebrochen“ und den „ankommenden Göttinen“, den Musen, eine Furt durch den „Strom Menschlicher Urtheil“ gebahnt, so dass sich gezeigt hätte, dass hohe Dinge auch mit der deutschen und nicht nur mit fremder Sprache ausgedrückt werden können (Zincgref, Dedicatio, 2 (3)). Noch größer ist das Lob, das Titz Opitz entgegenbringt. Niemals seien so schöne Gedichte in deutscher Sprache geschrieben worden als seit der Zeit, als Martin Opitz auf den Plan trat. Dieser nämlich hätte sich durch das Vorurteil nicht anfechten lassen, daß jhrer viel / ja fast die meisten / gäntzlich dafür hielten / man köndte in vnserer Sprache kein rechtschaffenes vnd rühmliches Poetisches Werck zuwege bringen / weil sie theils an Worten arm were / theils in keine Poetische Regeln sich wolle einschliessen lassen (Titz, Bücher, fol. Bv (5)).

Dabei erkennt Titz Opitz’ Orientierung an der lateinischen Dichtung an: Dem Vorbild dieser Sprachen folgend hätte „vnser Poet“ (ebd., fol. B iir) gesehen, dass man „bey den Alten fleissig in die Schule gehen / vnd von jhnen den rechten Griff wol absehen müste“ (ebd.). Dabei hätte er auch bemerkt, dass man nicht alles vom Lateinischen und Griechischen übernehmen könne, sondern den spezifischen Anforderungen der jeweiligen Sprache folgen müsse. Dies ist für Titz eine der besonderen Leistungen, wegen denen Opitz großen Ruhm verdient habe. Titz fordert seine Landsleute auf, es Opitz gleichzutun und sich für die deutschsprachige Dichtung einzusetzen. Die Verächter der Muttersprache warnt er vor Ansehensverlust: Wer aber nichts desto weniger noch darüber halten / vnd die Poeterey in vnserer einheimischen Sprache gäntzlich verachten will / den muß man nur bey seiner meinung lassen:

Diskurssemantische Grundfiguren � 457

jedoch wird er zu bedencken haben / daß er auch seine meinung vernünfftiger Leuthe vrtheil vnterwerffen müsse (ebd., fol. B iiijv–B vr (6)).

Opitz und Titz zweifeln wie auch Rompler nicht an der Tauglichkeit der deutschen Sprache zur Poesie. Dasselbe gilt für Meyfart. Zwar sei diese Fähigkeit noch verborgen, doch durch Spracharbeit könne sie ans Licht gebracht werden: „Die Majestet der Teutschen Sprach ist ein geraume Zeit verborgen gelegen / aber niemahls in dem Elende vmbgeschweiffet: Sie ist verschwiegen blieben / aber noch niemahls verstummet / Jnmassen aus angemeldeter Poëterey zuspüren“ (Meyfart, Redekunst, 3 (7)). Die POETIZITÄT der deutschen Sprache wird demnach als „eine Art noch unrealisiertes platonisches Ideal der deutschen Sprache postuliert, [es] wird versucht, die Not des Mangels an hochwertigen poetischen Sprachdenkmälern in die Tugend des Besitzes einer vollkommenen ,Sprache an sich‘ zu wenden“ (Gardt 2004, 41). Die POETIZITÄT der deutschen Sprache zu erweisen ist auch für Schottelius ein wichtiges Anliegen. In seiner Ausführlichen Arbeit geht es deshalb auch darum, „[den] Ausländern [die] den groben / klotzigen / ungehobelten teutschen Wörteren keine Zier beymessen […] einige angenehme liebliche Rede in teutschen Worten [zu] verstatten“ (Schottelius, Arbeit, 6 (9)). Stieler zeigt sich davon überzeugt, dass den Gelehrten dann bewusst würde, was gutes Deutsch nütze, wenn er eine hochgestellte Person würdigen müsse und merke, „daß die Teutsche Sprache die einzige und gröste Künstlerin sey / durch deren Anleitung er dem gemeinen Wesen hinlänglich vorzustehen habe“ (Stieler, Stammbaum, fol. )()()(r (10)). Es zeigt sich, dass die Propagierung der POETIZITÄT der deutschen Sprache einen wesentlichen Teil der sprachpatriotischen Literatur ausmacht. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn grammatische und poetologische Spracharbeit gehören zusammen: Ohne eine normierte und REINE Sprache kann Dichtung nach den Vorstellungen der Zeit nicht möglich sein. Umgekehrt trägt erst die Dichtung zur Verbreitung der Sprachnorm bei und ist zugleich ein Prüfstein ihrer Leistungsfähigkeit. Deshalb ist es in der Fruchtbringenden Gesellschaft die Pflicht eines jeden Mitglieds, sowohl die Dichtung als auch die deutsche Sprache selbst zu erhalten und zu fördern. Auffällig häufig wird die POETIZITÄT in unmittelbarem Zusammenhang mit Ausdrücken genannt, die bereits für die EIGENTLICHKEIT eine wichtige Rolle spielten. Schottelius etwa will mit seiner Ausführlichen Arbeit das „grundrichtige[] / kunstmeßige[] Vermögen“ der deutschen Sprache fördern (Schottelius, Arbeit, fol. b iiijv (11)). Auch bei Klaj klingt die EIGENTLICHKEIT an, wenn er von der POETIZITÄT spricht: Die deutsche Sprache sei besonders gut zur Dichtung geeignet, weil es kein Wort in ihr gebe, das „nicht das jenige / was es bedeute / worvon es handle / oder was es begehrt / durch ein sonderliches Geheimniß ausdrükke“

458 � Analyse des sprachpatriotischen Diskurses (Klaj, Lobrede, 398 (12)). Klaj spielt hier auf die Gleichsetzung von Ausdruck, Inhalt und Referenz an, die Ontosemantik: „Es bemerke einer die Dinge / so er aussprechen wil / halte selbe seinen Gedanken mit Nachsinnen vor / beobachte darneben den Hall und Schall der Wörter / ob sie selben nicht artlich auß- und abbilden“ (ebd.). Auch Harsdörffer spricht davon, dass bestimmte systematische Eigenschaften „unsrer Sprache zu der Poeterey eine unzweiffeliche / grundrichtige Füglichkeit“ geben (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 27 (13)). Dies spricht dafür, dass der EIGENTLICHKEIT eine wichtige Funktion für die POETIZITÄT der Sprache zuerkannt wird: Sie garantiert den direkten Bezug des Wortes zum Gegenstand und sorgt damit für Wahrhaftigkeit in der Dichtung. Zudem dient die EIGENTLICHKEIT, die durch die verschiedenen Topoi, Metaphern und die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER, REINHEIT und REICHTUM konstituiert wird, als Argument dafür, dass die deutsche Sprache wegen ihrer Naturnähe nicht nur zur Dichtung gut geeignet ist, sondern sogar keine bessere Sprache für die Poesie denkbar wäre als die deutsche. Somit ist die Konstruktion des Zusammenhangs mit der EIGENTLICHKEIT notwendig zur Legitimation der deutschsprachigen Dichtung. Nicht nur die EIGENTLICHKEIT dient diesem Zweck, auch der REICHTUM wird dafür eingesetzt. Klaj zitiert Auszüge aus Gedichten von Opitz, Harsdörffer, Buchner, Rist, Fleming und Tscherning, um die große Nähe der deutschen Sprache zu den Gegenständen und damit die Plastizität der Dichtung zu zeigen; schließlich konstatiert er: „Woraus die Meinung der Ausländer zu nichte gemachet wird / in dem sie ihnen eingebildet / sie hätten die Leiteren / durch welche sie auf die Parnassische Spitze gestiegen / nach sich gezogen / daß ihnen niemand folgen könte“ (Klaj, Lobrede, 402 (14)); die deutsche Dichtung habe demnach internationales Niveau erreicht. Weitere Belegstellen: (4) Titz, Bücher fol. A vijv–A viijr; (8) Schottelius, Arbeit, fol. b iijv.

Der Nachweis der POETIZITÄT der deutschen Sprache dient für die Sprachpatrioten zugleich ihrem Prestige. Zu diesem Zweck evozieren die Autoren auch andere diskurssemantische Grundfiguren. Durch die POETIZITÄT wird die deutsche Sprache gegenüber den anderen Sprachen aufgewertet, denn eine Prestigesteigerung ist nur in Kontrast und Konkurrenz zu anderen Sprachen möglich. Dementsprechend fallen auch die Beziehungen zu anderen Grundfiguren und deren Konstituenten, den Metaphern und Topoi aus.

5 Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Als Grimmelshausens Traktat Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel 1673 erschien, war der sprachpatriotische Diskurs bereits so gut wie beendet, die meisten Diskursakteure waren verstorben oder konzentrierten sich, wie etwa Schottelius, auf andere Gegenstände. Auch deshalb blieb der Text weitgehend unbeachtet, rief aber immerhin die Reaktion Quirin Moscheroschs hervor, von der unten noch zu sprechen sein wird (vgl. auch 2.2). Dennoch wird sich zeigen, dass der Text auf vielfache Weise in den sprachpatriotischen Diskurs eingebettet ist, auch wenn er sich, wie ebenfalls deutlich hervorzuheben sein wird, nicht ohne Weiteres dem Sprachpatriotismus, wie er im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurde, zugesellen lässt. Dies beginnt bereits beim Titel. Im Rahmen des Autordiskurses ist der weltberuffene (›weltberühmte‹) Simplicissimus der fiktive Autor des Traktats, wie aus dem Genitiv hervorgeht. Pralerey ist das ›Aufschneiden, Wichtigtun‹ (vgl. DWB, Bd. 13, Sp. 2059 f.), Gepräng verhält sich dazu synonym (vgl. ebd., Bd. 5, Sp. 3537), so dass im Titel ein Pleonasmus entsteht. Simplicissimus schneidet also mit seinem Teutschen Michel auf. Um zu verstehen, was mit dem Hinweis auf den Teutschen Michel gemeint ist, muss man sich darüber klar werden, was mit diesem Bild im 17. Jahrhundert verbunden wurde. Tomasz Szarota untersuchte die Entwicklung dieses Autostereotyps1 von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Er setzt den deutschen Michel in Bezug zu anderen nationalen Autostereotypen: Der deutsche Michel spielte und spielt nach wie vor die gleiche Rolle wie der britische John Bull, der amerikanische Onkel Sam und zum Teil auch wie die französische Marianne, das heißt, er war und ist eine nationale Personifizierung. […] Zugleich ist der deutsche Michel jedoch etwas mehr als seine eben genannten Partner, denn als sprachliche Wendung (Wortsymbol) enthält er einen reichen semantischen Inhalt: die Vorstellungen der Deutschen über die Merkmale ihres eigenen nationalen Charakters. Daher rührt die Funktion des deutschen Michels als nationales Autostereotyp, eine Funktion, die weder John Bull noch Onkel Sam und schon gar nicht Marianne innehaben. Große Bedeutung hat auch die Tatsache, dass die Bezeichnung ,der deutsche Michel‘ schon 1541 erstmals �� 1 Mit dem Terminus ist ein kollektives Selbstbild bezeichnet. Das Gegenstück dazu ist das Heterostereotyp, das Bild, mit dem Fremde dieses Kollektiv versehen.

460 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs aufgetaucht war, während die Nationalfiguren John Bull 1712 und Onkel Sam 1813 entstanden sind (Szarota 1998, 10).

Bereits Hobsbawm hatte auf die große Bedeutung aufmerksam gemacht, die der deutsche Michel für die kollektive Identität der Deutschen hatte und hat (vgl. oben, 183 f.): It is also clear that entirely new symbols and devices came into existence as part of national movements and states, such as the national anthem […], the national flag […], or the personification of ,the nation‘ in symbol or image, either official, as with Marianne and Germania, or unofficial, as in the cartoon stereotypes of John Bull, the lean Yankee Uncle Sam and the ,German Michel‘ (Hobsbawm 1983 / 2009, 7).

Die Ursprünge dieser volkstümlichen Verkörperung der Deutschen sind bislang nicht geklärt. Entgegen der älteren Forschung ist Szarota nicht der Meinung, dass der deutsche Michel sich vom Erzengel Michael ableitet: Dafür gebe es keine Belege, es sei zudem nicht erklärbar, warum die positiv besetzte Figur des St. Michael sich zur negativen des deutschen Michel gewandelt haben sollte. Stattdessen leitet er die Figur von dem Namen ab, den die Franzosen den deutschen Pilgern nach Mont-Saint-Michel in der Normandie gegeben haben: In den Jahren 1457 und 1458 pilgerten tausende von Kindern in religiöser Ekstase von Deutschland nach Mont-Saint-Michel; was diese Welle von kindlichen Wallfahrern auslöste, ist umstritten, doch es ist belegt, dass die Kinder, die „Michaelsbrüder“ oder „Michaelskinder“ genannt wurden (Szarota 1998, 49), von der französischen Bevölkerung nicht wohlwollend aufgenommen wurden, da sie bettelten und die Menschen deshalb Unterhalt kosteten. Der Überlieferung nach sangen die Kinder ein Kirchenlied, in dem folgende Zeile vorkam: „Nun singen wir: Alman kuck kuck, den Deutschen immer hold“ (zit. nach ebd., 50). Der Kuckuck galt als Sinnbild der Dummheit und der französische Ausdruck coucou bedeutet so viel wie ›hau ab, scher dich zum Teufel‹; so könnte für die Franzosen der Ausdruck Alman coucou gleichbedeutend geworden sein mit ›deutscher Tölpel‹ (vgl. ebd., 51). Bald wurde das Wort miquelot auf deutsche Pilger, später auf Landstreicher allgemein angewandt, die ihren Lebensunterhalt erbettelten; so könnte sich das Bild verselbständigt haben, aus dem miquelot wurde Michel. Michel war bereits während des 16. Jahrhunderts zu einem Spottnamen geworden. In der Bedeutungsangabe zum Lemma Michel heißt es im DWB: „volksmäszige kürzung des namens Michaël, als bauernname häufig; an appellative verwendung streifend, wenn man einen dummen menschen dummer Michel nennt“ (DWB, Bd. 12, Sp. 2168). An gleicher Stelle wird folgender Beleg aus der Zimmerschen Chronik (Mitte 16. Jahrhundert) zitiert: „[E]r het ain narren, war ain lauters kindt, man nampt in unsern Michel“ (ebd.). Dementsprechend ist der

Schwarz und Weiß � 461

deutsche Michel „ein biederer, gutmütiger, aber unbeholfener, unwissender, geistig beschränkter mensch“, die Bezeichnung ist „altherkömmlich“ (DWB, Bd. 2, Sp. 1046). In den Sprichwörtern Sebastian Francks (1541) heißt es: „Wolt einen groben dölpel vnd fantasten damit anzeygen. […] Ein rechter dummer Jan / Der teutsch Michel / Ein teutscher Baccalaureus“ (Franck, Sprichwörter, Teil 2, fol. 49b). Georg Henisch schreibt in seinem Wörterbuch Teütsche Sprach vnd Weißheit (1616): „Ein einfeltiger vnd deutscher Michel / richt kein kezerey an“ (Henisch, Teutsche Sprach, Sp. 684). Auch im hier untersuchten Korpus finden sich Äußerungen, die in diese Richtung weisen; der Ausdruck erhielt jedoch eine weitere Bedeutungsnuance, indem man mit ihm Menschen bezeichnete, die keine Fremdsprache beherrschen. Für Sigmund von Birken ist der deutsche Michel ein Mensch, der des Lateins nicht mächtig ist, sondern nur die deutsche Sprache, und das mehr schlecht als recht, beherrscht: „Man vertheidigt dißorts nicht die faule Teutsche Michel / die kein gut Latein innhaben / und nur ein armes alberes Teutsch daher klecken“ (Birken, Rede- bind und Dicht-Kunst, fol. ):( ):( xjr). Stieler schreibt in seinem Wörterbuch im Artikel zum deutschen Michel: „Teutscher Michel – idiota, indoctus, qui nullam aliam linguam callet praeter vernaculam suam. Sic dictur“ (Stieler, Stammbaum, Bd. 2, Sp. 2277).2 Und auch bei Grimmelshausen erscheint das Phrasem in dieser Bedeutung: [E]ndlich entwischte einer / der damahl kein grösser Anligen und Begierde hatte / als das Wasser zulassen / und weil es ihn ohnzweiffel gewaltig trängte / lieffe er wie ein Hund aus der Kuchen / der mit haissem Wasser gebrühet worden / in welcher eyl er mir zu seinem und meinem Unglück begegnete / fragende / kleiner / wo ist das Secret? Jch wust damahl weniger als der Teutsche Michel was ein Secret war / sonder vermeinte er fragte nach unserer Beschliesserin welche wir Gred nanten / die sonst aber Margretha hiesse / und sich eben damahls beym Frauenzimmer befand / dahin sie die Jungfer rueffen lassen; ich zeigte ihm hinten am Gang das Gemach / und sagte dort drinnen; darauff rennete er darauff los / wie einer der mit eingelegter Lantzen in einem Turnier seinem Mann begegnet / er war so fertig / daß das Thür auffmachen: das hinein tretten: und der Anbruch des strengen Wasserflusses in einem Augenblick miteinander geschahe / in Ansehung und Gegenwart des gantzen Frauenzimmers; was nun beyde Theil gedacht / und wie sie allerseits erschrocken / mag jederbey sich selbst erachten; Jch kriegte stösse / weil ich die Ohren nit besser aufgethan; der Officier aber hatte Spott darvon / daß er nicht anders mit mir geredet (Spr, B 174 f., T 21).

Bereits an dieser Stelle erscheint das Bild vom deutschen Michel im Zusammenhang mit Sprache: Einem Offizier unterläuft ein peinliches Missgeschick, weil er �� 2 „Deutscher Michel – Idiot, ein ungebildeter Mensch, der keine andere Sprache spricht als seine eigene. So sagt man“ (Übersetzung nach Szarota 1998, 71).

462 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs ein Fremdwort gebraucht, das der Ich-Erzähler nicht versteht und deshalb falsch interpretiert. Doch an dieser Stelle ist nicht die ins Komische gewendete Kritik am situationsunangemessenen Fremdwortgebrauch entscheidend, sondern die Selbstcharakterisierung des Ich-Erzählers, der weniger als der Teutsche Michel weiß, was ein Secret ist. Grimmelshausen verwendet das Bild in der gleichen Bedeutung wie Birken und Stieler in den zitierten Belegen. Wie kann es aber sein, dass sich eine solch negative Charakterisierung als ,dummer, ungebildeter Mensch, der nur seine Muttersprache spricht‘ zu einem Autostereotyp entwickeln kann, das zudem auch mit positiven Konnotationen versehen wird? Die Antwort liegt in der Umdeutung: Bei einigen Sprachpatrioten wird die mangelnde Kenntnis fremder Sprachen als Redlichkeit und Ehrlichkeit umgedeutet, der deutsche Michel wird zur Verkörperung der teutschen Redlichkeit. So heißt es etwa im Alamode-Kehrauß: Jch meyne, […] der Ehrliche Teutsche Michel hab euch Sprach-verderbern, Wälschen Kortisanen, Concipisten, Cancellisten, die ihr die alte Mutter-sprach mit allerley frembden, Lateinischen, Wälschen, Spannischen vnd Frantzösischen Wörtern so vielfältig vermischet, verkehret vnd zerstöret, so das sie ihr selbst nicht mehr gleich siehet vnd kaum halb kan erkant werden, die Teutsche Warheit gesagt! (Moscherosch, Gesichte, 168 f.).

Und das anonym publizierte Flugblatt vom Teutschen Michel beginnt mit den Versen: ICh teutscher Michel / versteh schier nichel / | In meinem Vatterland / es ist ein schand. | Man thut jetzt reden / als wie die Schweden / | In meinem Vatterland / pfuy dich der schand (zitiert nach Jones 1995, 140).

Die genannten Charakteristika des deutschen Michels werden zu Tugenden umgedeutet, die dem Alamodewesen entgegengesetzt werden. Es ist jedoch fraglich, ob dies auch für Grimmelshausen gilt. Der einzige weitere Beleg – sieht man vom Titel des Textes ab – findet sich im sechsten Kapitel des Teutschen Michel: Gleich wie nun dise Lateinische Handwercks-Kerl ihre Brieff hin und wider so dick mit frembden Wörtern: als wie die Köch ihre Haasen / die jetzt an Spiß gejagt werden sollen / mit Speck spicken / also thun auch die albere unwissende teutsche Michel / wann sie schon sonst nichts als Teutsch können reden und verstehen (TM, T 35).

Auch hier wird also der deutsche Michel als ungebildeter, nur seine Muttersprache verstehender Dummkopf charakterisiert, aber nicht aufgewertet. Szarotas Einschätzung kann an dieser Stelle nur bejaht werden: „Man kann annehmen, dass der deutsche Michel, der sich nur in seiner Muttersprache verständigen

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und nur die Muttersprache lesen kann, aufgehört hat, ein erstrebenswertes Vorbild zu sein“ (Szarota 1998, 70). Im Untertitel des Textes heißt es: Jedermänniglichen / wanns seyn kan / ohne Lachen zu lesen erlaubt Von Signeur Meßmahl. Dass der Autorenname ein Anagramm Grimmelshausens ist, braucht nicht erläutert zu werden (vgl. zu diesem Namen Gaede 1993). Wichtiger ist die Erwähnung des Lachens. Es handelt sich nicht um einen ernsten Traktat, sondern um einen witzigen Text, über dessen Inhalt nichts gesagt wird. Meint der Autor diesen Text also gar nicht ernst, legt er also nur einen reinen Unterhaltungstext vor? Nach allem, was oben (3.3.3) zu Grimmelshausens Schreibabsichten herausgearbeitet wurde, muss man davon ausgehen, dass hinter dieser Einladung zum Lachen mehr steckt, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Alan Menhennet (1986, 649) weist darauf hin, dass sie bereits deshalb auffällig ist, weil Simplicissimus dem Lachen nicht unbedingt hold ist, wie folgende Stelle vom Anfang der Continuatio zeigt: Wann ihm jemand einbildet / ich erzehle nur darumb meinen Lebens-Lauff / damit ich einem und anderem die Zeit kürtzen: oder wie die Schalcks-Narrn und Possen-Reisser zu thun pflegen / die Leut zum lachen bewögen möchte; so findet sich derselbe weit betrogen! dann viel lachen ist mir selbst ein Eckel (Cont, B 563, T 472).

Die unterhaltsame Erzählform ist ihm nur Mittel zum Zweck, eine überzuckerte Pille, um dem Leser seine Satire schmackhaft zu machen (vgl. oben, 232). Ernste Schreibabsicht und unterhaltsamer Erzählstil bewirken einen stetigen Wechsel zwischen Ernstem und Komischem: „Since the overall scheme is a still satirical, these shifts are more often from the didactic to the entertaining, as a corrective against staid solemnity and formality“ (Menhennet 1986, 651). Dieses Schreibprinzip des stetigen Wechsels vom Ernsten zum Komischen und zurück ist für Menhennet der grundlegende Schreibstil Grimmelshausens, der „Simplician style“ (ebd.). Ein Beispiel dafür ist jene Stelle im Teutschen Michel, in der Grimmelshausen analog zu Teufelsdreck das Wort Engelsdreck erfindet und die entstehende Komik sofort durch Ernsthaftigkeit abwürgt (vgl. oben, 207). Diese Stelle ist für Menhennet „a classic example of the Simplician oscillation, the mood immediately switches to the opposite pole“ (ebd., 652). Daraus ergibt sich eine Zwitterhaftigkeit des simplicianischen Stils: „The Simplician style creates an atmosphere in which two apparently mutually contradictory attitudes can coexist“ (ebd.). Überträgt man Menhennets Ausführungen auf den oben (2.3) beschriebenen Grimmelshausenschen Autordiskurs, so muss man, wenn man ihm folgt, den simplicianischen Stil als wichtiges diskurskonnektives Element ansehen: „The Simplician style is a very important unifying factor in the

464 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Simplician corpus as a whole, more important than the recurrence of characters, and it provides the foundation for another such factor, the tendency to internal cross-reference, even self-quotation, within the corpus“ (ebd., 653). Das grundsätzliche Vorhandensein des Autordiskurses hat demnach bereits Menhennet gesehen, er dachte aber noch nicht daran, ihn als solchen zu beschreiben. Vor diesem Hintergrund muss auch das Lachen im Titel des Teutschen Michel interpretiert werden. Hier sei noch einmal an den Wortlaut erinnert: wanns sein kan / ohne Lachen zu lesen erlaubt. Der Satz ist in doppeltem Sinne lesbar: Zum einen kann dieser lauten: ›es ist möglich, aber schwierig, den Text ohne Lachen zu lesen‹, oder: ›man soll versuchen, hinter der Unterhaltung den ernsthaften Sinn zu entdecken‹. Die zweite Lesart ist die von Grimmelshausen intendierte. Das Lachen markiert den Text als satirisch.3 Auch das Titelkupfer kündigt einen satirischen Text an. Die Titelillustration zeigt in einem gefliesten Innenraum einen tänzelnden Narren, kenntlich am Narrenkostüm und am Kolben, der im Gürtel steckt, mit Pinsel und Palette vor einer Staffelei. Er hat soeben einen Spruch auf den aufgespannten Malgrund aufgetragen: ,Wie deß Mahlers Farb-gemeng So ist unser Sprach-gepräng‘. Im Vordergrund rechts liegen auf einem Tisch weitere Malutensilien. Zu erwarten ist also eine närrische Wahrheit, das heißt Satire auf Bemühungen der Zeit um die Sprache (Breuer 1999, 232).

Vorlage dieses Kupfers könnte eine Passage im Epilog des ersten Teils der Gesichte Philanders von Sittewald von Moscherosch sein. Dort heißt es: Ein Mahler / so er einen Narren mahlete / vnd gäbe jhm die gestalt vnd farb eines Klugen / das wäre nicht ein Meisterlich stuck. Der ist aber ein Meister / der einen Narren auff das aller Närrischte mahlet. Man gäbe eim jeden ding seine Natürliche farbe / so ist es zuerkennen (zitiert nach Verweyen 1997, 84).

Der Meister wäre in diesem Fall der Satiriker, selbst getarnt als Narr. Menhennet stellt fest, dass in diesem Titelkupfer einiges nicht stimmt: Die Verbindung von Künstler und Narr durch Pinsel, Staffelei und Kleidung sowie die Tatsache, dass auf der Leinwand kein Bild, sondern ein Spruch zu sehen ist, fordern zur Reflexion des Kupfers heraus. But there is something odd about the whole thing: the painter is dressed as a Fool, or jester. Jesters, we feel, do not paint, at least not in uniform, and painters do not dress themselves up as jesters. And then, the canvas contains not a picture, but words, and not

�� 3 So auch Zeller, die den Text nicht als sprachpatriotisch, sondern als satirisch einstuft (vgl. Zeller 2013, 81).

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the short title of the book, as one might expect from seventeenth-century practice, but a message in verse. The ,Erklärung des Kupfers’ has been located, as it were, within the engraving itself. It is as if the subscriptio had been placed inside the pictura: and even, perhaps, occupies the position which should belong to the inscriptio, which has to be extrapolated from the following title-page (Menhennet 1995, 279 f.; Hervorhebungen im Text).

Noch merkwürdiger ist für Menhennet die Körperhaltung des Narren: Er steht auf dem linken Fuß, den rechten hat er angehoben und schwingt ihn zur Seite, so dass es ausieht, als würde er tänzeln. „This painter is not only dressed as a Fool, he is capering like the kind of clown whose function is to amuse his audience by himself doing ridiculous things and adoptin ridiculous attitudes“ (ebd., 281). Auch hier scheint auf den ersten Blick ein reiner Unterhaltungstext angekündigt zu werden. Auch in diesem Fall ist von der Zwitterhaftigkeit der Narrenfigur auszugehen. Einerseits steht sie für die satirische Sprachkritik, wie sie in der Inscriptio angekündigt wird. Andererseits erscheint sie als Clown, dessen Aufgabe es ist, sein Publikum zu unterhalten (vgl. auch Menhennet 1986, 650). Wie bereits das Lachen auf der Titelseite, so weist auch die Figur im Titelkupfer auf die Funktion des Komischen in der Satire Grimmelshausenscher Prägung hin: Sie soll die ernste, höhere Wahrheit dem Leser durch Belustigung ,heimlich‘ verabreichen, so dass dieser nichts davon bemerkt, weil er belustigt und nicht belehrt sein will. „The role of the engraving in the Teutscher Michel is […] to help prepare the reader for a work on current linguistic usage in Germany which is both satirically useful and comically entertaining, both ,nützlich‘ and ,lustig‘ without mutual inhibition between the two“ (Menhennet 1995, 283). Bereits Titelseite und Titelkupfer zeigen also an, dass es sich beim Teutschen Michel um einen satirischen Text handelt, der seine Leser einerseits unterhalten, andererseits ihnen aber auch die Satire mit all ihren Komponenten nahebringen soll, mit der kritisierten wahrgenommenen und der propagierten intendierten Wirklichkeit. Wie für Grimmelshausen die wahrgenommene und die intendierte Wirklichkeit aussehen und wie die konstituierte Wirklichkeit diese beiden vermittelt, soll im Folgenden gezeigt werden.

5.1 Schwarz und Weiß Die beiden ersten Kapitel des Teutschen Michel widmen sich dem Lob und Tadel der Sprachkündigen. Strukturell erinnert dies an den Satyrischen Pilgram, in dem von verschiedenen Gegenständen die guten und die schlechten Seiten in Satz und Gegensatz dargestellt werden, bevor es im Nachklang zu einer Konklu-

466 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs sion kommt (vgl. oben, 229). Im Untertitel wird u.a. das Gegensatzpaar Schwarz und Weiß genannt, auch Grimmelshausen selbst zitiert die Schrift unter diesem Titel (z.B. ST, B 121, T 96). Daran orientiert sich der Titel dieses Teilkapitels. Anders als im Satyrischen Pilgram kommt es im Teutschen Michel aber nicht explizit zur Konklusion. Das erste Kapitel trägt den Titel Lob der Sprachkündigen. Grundsätzlich seien diejenigen zu loben, die auf ihren Reisen viele Sprachen gelernt haben und diese Kenntnisse zum Nutzen sowohl des Vaterlandes als auch des Nächsten einsetzen (vgl. TM, T 7). In Parenthesen behauptet Grimmelshausen, dass dies nur für Männer gelte, „die Weibsbilder werden billich von diesem Geschäfft in seiner gewissen Maaß ausgeschlossen / weil nicht viel auf die geraiste Frauen und erfahrne Jungfern gehalten wird“ (ebd.). Diese Äußerung scheint eher ein Reflex auf das Frauenbild der Zeit zu sein, auch wenn der Autor dieser Einschätzung explizit (billich) zustimmt. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen stellt Grimmelshausen die Fähigkeit zu sprechen als anthropologische Grundtatsache dar, durch die sich der Mensch vom Tier abhebt. Ohne die Sprache aber wäre er den Tieren hoffnungslos unterlegen: Der Elephant und das Naßhorn übertreffen den Menschen mit der Grösse: die Hirsch kommen ihm zuvor mit ihrem schnellen Lauff / die Ochsen mit ihrer Stärck: die Lüchse mit ihrem Gesicht: die Löwen mit ihrer hertzhafftigen Großmütigkeit / die Affen mit der Geschwindigkeit / die Hunde mit ihrem Geruch / etc. Aber der Mensch gehet ihnen allen vor mit der Sprach! (ebd.).4

Es gebe zwar einige Vogelarten, die scheinbar das Sprechen lernen könnten, doch dies sei mit der menschlichen Sprache nicht vergleichbar. Der Unterschied liege in der Korrelation von Sprache und Vernunft, die spezifisch für den Menschen sei und den Tieren abgehe. Als Beweis für diese These führt Grimmelshausen die Polysemie des griechischen Wortes λόγος an, das unter anderem ›Sprache‹ und ›Verstand‹ bedeuten könne, wodurch beide untrennbar in einem Wort verbunden würden:

�� 4 Große Teile dieses Kapitels, so auch diese Stelle, hat Grimmelshausen z.T. wörtlich aus Garzonis Piazza Universale entlehnt (vgl. Bierbüsse 1958; 2014, 177 ff.). Der Umstand, dass Grimmelshausens Text maßgeblich von denen anderer Autoren abhängig ist, wird im Folgenden nur insofern berücksichtigt, als dies generell eine Grundeigenschaft von Texten ist (vgl. dazu 3.2.1 und 3.4). Für den Ansatz dieser Arbeit ist weniger von Interesse, woher Grimmelshausen bestimmte Gedanken oder Versatzstücke übernommen hat, als vielmehr, wie er sich zum Diskurs verhält.

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Man liset zwar / daß etliche Raben / Atzlen und Staaren geredet / höret es auch noch täglich an den Papegeyen / und ich selbst hab eine Dole abgerichtet / daß sie unterschiedliche Wörter ausgesprochen; Aber es ist ein grosser Unterscheid zwischen ihrer und der Menschen Red / bey dieser erzeiget sich Vernunfft und Verstand / welches allerdings bey ihnen manglet; Die Häher / die man auch Schecken nennet / öhmen der Hunde bellen / der Geissen und Schaafe plecken / der Hüner gacksen und andern Thiern mehr dergleichen Dings nach / sie wissen aber drumb selbst nicht warumb? Also lernen zwar etliche Vögel einige deutliche Wörter aussprechen / wissen und verstehen aber nicht / was sie gelernet und geredet haben / wie im Gegentheil der Mensch thut; Dannenher ohn Zweifel die Griechen beydes die Red und den Verstand mit einem Namen λόγος genennet / weil sie mit einem unzertrennlichen Band zusammen gebunden / zumahlen eine Red ohne Verstand vor keine Red zu halten (ebd., 7 f.).

Peter Hess weist darauf hin, dass Grimmelshausen diese Thematik bereits im Simplicissimus behandelt hat. Zu Beginn des Romans kennt Simplicius den Unterschied zwischen wörtlichen und übertragenen Wortbedeutungen nicht, weshalb er insbesondere in Hanau auf Unverständnis stößt und deshalb schon bald für einen Narren gehalten wird. Als ihm am Anfang des zweiten Buchs die Kalbshaut übergestreift wird, kehren sich die Vorzeichen um: War er vorher ein Tier in Menschengestalt, so ist er nun ein Mensch in Tiergestalt. Mit der Kalbshaut ist er nun kein Narr mehr, sondern ein wortgewaltiger und scharfsinniger Hofkritiker (vgl. Hess 2013, 109–112). Deshalb wertet Hess den Teutschen Michel auch als „Leseanleitung“ für die literarischen Texte Grimmelshausens (ebd., 120). Diese Hervorhebung der Sprache als anthropologisches Spezifikum, durch das sich der Mensch vom Tier grundsätzlich unterscheidet, findet sich auch bei anderen Autoren. So heißt es etwa bei Harsdörffer: GOTT hat dem Menschen die Rede zur Dolmetscherinn des Verstandes gegeben / den unvernünfftigenThieren ein Brumm- und knarrendes Geplerr / jedoch ohne Wissenschaft / die durch unsere Stimme allein kan erlernet und gelehrtet werden: in anderen allen sind wir fast dem Viehe nicht ungleich (Harsdörffer, Schutzschrift, 390 f.; vgl. auch Harsdörffer, 5 Trichter, Dritter Teil, 17).

Leibniz benutzt den Vergleich mit den Tieren, um die Herkunft der menschlichen Sprache im Sinne seines funktionalen Sprachbegriffs zu veranschaulichen. Philalethes stellt diesen Vergleich auf: Wie die Orang-Utans und andere Affen die Organe haben, ohne Worte zu bilden, so kann man sagen, dass die Papageien und andere Vögel Worte haben, ohne Sprache zu haben, denn man kann diese und manche andere Vögel dressieren, hinreichend klare Laute zu bilden; indessen sind sie keineswegs der Sprache fähig. Nur der Mensch ist in der Lage,

�� 5 Vgl. dazu oben, S. 434 f.

468 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs sich dieser Laute als Zeichen für innere Begriffe zu bedienen, damit diese dadurch anderen offenbar werden können (Leibniz, Abhandlungen, 5).6

Sein Gesprächspartner Theophilus antwortet mit einer sehr pragmatischen und kognitionspsychologischen Theorie vom Ursprung der Sprache: In der Tat glaube ich, dass wir ohne den Wunsch, uns verständlich zu machen, niemals die Sprache ausgebildet hätten. Nachdem sie aber einmal gebildet war, dient sie dem Menschen auch, Überlegungen für sich anzustellen, sowohl dadurch, dass die Worte ihm das Mittel geben, sich abstrakter Gedanken zu erinnern, als auch, durch die Nützlichkeit, die man beim Überlegen darin findet, sich der Zeichen und tauben Gedanken zu bedienen. Es würde nämlich viel Zeit in Anspruch nehmen, wenn man alles erklären und immer die Definitionen an die Stelle der Termini setzen wollte (ebd.).7

Dass die ,Sprache‘ der Tiere für Leibniz nichts als unvernünftiges Geschwätz ist, wird auch an einer anderen Stelle deutlich, als Philalethes beklagt, dass sich die Menschen mehr den Worten als den Dingen zuwenden würden, weil sie diese gelernt hätten, bevor sie die Dinge kennengelernt hätten; daher gebe es „nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, die oft wie Papageien schwätzen“ (ebd., 35).8 Auch für Zesen ist die Sprache das entscheidende Trennungsmerkmal von Mensch und Tier. Im Rosen-mând stellt er fest, dass der Gesang der Vögel „nur ein verwürreter / ungegliederter und unverständlicher klang und hall“ sei (Zesen, Rosen-mând, 96). Auch er nimmt auf die ,sprechenden‘ Vogelarten Bezug: Die einzigen Vögel, die man sprechen gehört habe, seien solche gewesen, die man abgerichtet habe, die Menschensprache zu sprechen. „Aber es ist ihnen nicht angebohren / und hat keine ahrt / weil die menschliche folkomne vernunft ihnen mangelt“ (ebd., 97); die äfften die Menschen nur nach oder seien dazu abgerichtet. �� 6 „Comme les Ourang-Outangs et autres singes ont les organes sans former des mots, on peut dire que les perroquets et quelques autres oiseaux ont les mots sans avoir de langage, car on peut dresser ces oiseaux et plusieurs autres à former des sons assés distincts; cependant ils ne sont nullement capables de langue. Il n’y a que l’homme, qui soit en estat de se servir des ces sons comme des signes des conceptions interieuses, afin que par là elles puissent estre manifestées aux autres“ (Leibniz, Abhandlungen, 4). 7 „Je crois qu’en effect sans le desir de nous faire entendre nous n’aurions jamais formé de langage; mais estant formé, il sert encor à l’homme à raisonner à part soy, tant par le moyen que les mots luy donnent de se souvenir des pensées abstraites, que par l’utilité qu’on trouve en raisonnant à se servir de characteres et de pensées sourdes; car il faudroit trop de temps, s’il falloit tout expliquer et tousjours substituer les definitions à la place des termes“ (Leibniz, Abhandlungen, 4). 8 „[…] il y a non seulement des enfans, mais des hommes faits qui parlent souvent comme des perroquets“ (Leibniz, Abhandlungen, 34).

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Zesen diskutiert in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob denn die TieTiere keine Stimme hätten, mit denen sie sich untereinander verständigen könnten. Die Sprache sei mit der Vernunft allein dem Menschen gegeben, „als dem fürnehmsten und volkommenen thiere“ (ebd.). Sprache und Vernunft seien das Kennzeichen, das den Menschen vom Tier abhebe. Von der Anthropologie steigert sich Zesen nun zur Theologie: Sprache und Vernunft seien Zeichen der Gottesebenbildlichkeit. Gott habe dem Menschen die Vernunft darum gegeben, damit er die göttliche Lehre fassen und durch die Rede verbreiten und ihn loben und preisen könne. „Daher dan erhellet / daß die vernunft ohne die rede nicht sein kan“ (ebd.). Es zeigt sich also, dass sich Grimmelshausen mit der Bestimmung des Menschen als animal loquens durchaus im Rahmen des allgemeinen Konsenses der Zeit bewegt. Sie dient ihm dann zum nächsten Argumentationsschritt: „Wann nun der Mensch umb seiner vernünfftigen Sprach willen allen Thiern vorzuziehen / umb wieviel höher ist dann der jenig zu halten und zu ehren / der unterschiedlicher Sprachen kündig / und damit beydes die unvernünfftige Thier und andere Menschen / die nur ihre Mutter-Sprach reden können / übertrifft?“ (TM, T 8). Der vielsprachige Mensch ist also dem einsprachigen Menschen überlegen. Auch wenn auf den Titel an dieser Stelle noch nicht hingewiesen wird, kann man doch annehmen, dass der vielsprachige Mensch vom deutschen Michel unterschieden wird, der nur seine Muttersprache beherrscht. Dazu passt eine Stelle in Moscheroschs Philander von Sittewald: Philander wird bei seiner Ankunft auf Schloss Geroldseck von allen Seiten angesprochen und befragt. Weil er die Menschen nicht verstehen kann, sagt er immer wieder, er sei „ein gebohrner Teutscher Michel, könte kein andere Sprach als dieselbe“ (ebd.). Der polyglotte Mensch ist das genaue Gegenteil des deutschen Michel. Auch für den weit in der Welt herumreisenden Simplicissimus gehört die Beherrschung von Fremdsprachen zu den Herausforderungen, die er zu meistern hat. Als er als Kind von den Kroaten entführt wird, ist ihm deren Sprache so fremd, dass er sie wörtlich zitiert, um sie zu dokumentieren: Zwar stunden sie erstlich im Zweiffel / ob sie mich mit nehmen wolten oder nicht? biß endlich einer auff Böhmisch sagt: Mih weme daho Blasna sebao, bo we deme ho gbabo Oersto wi: Dem antwort ein anderer / Prschis am bambo ano, mi ho nagonie possadeime, wan rosumi niemezki, won bude mit Kratockwille sebao (ST, B 168, T 136).

Auf sein Paris-Abenteuer ist er auch deshalb schlecht vorbereitet, weil er die französische Sprache nur unzureichend beherrscht. Der höfische Zeremonienmeister sieht diesen Mangel als Problem für die geplante Orphée-Aufführung, in der Simplicissimus die Hauptrolle übernehmen soll: „Es wäre immer Schad /

470 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs daß ich nit die Frantzösische Sprach könte / er wolte mich sonst trefflich wol beym König und der Königin anbringen“ (ST, B 357, T 297). Diese Zweifel kann Simplicius noch zerstreuen: [J]ch antwortet ihm / wann man mir sagt / was vor eine Person ich präsentiren / und was vor Lieder ich in meine Lauten singen solte / so könte ich ja beydes die Melodeyen und Lieder außwendig lernen / und solche in meine Laute Singen / wenn sie schon in Frantzös. Sprach wären / es möchte ja leicht mein Verstand so gut seyn / als eines Schülerknaben (ST, B 358, T 297).

Als er jedoch durch seine Krankheit ganz auf sich gestellt ist, werden seine mangelhaften Französischkenntnisse zu einem lebensbedrohlichen Problem: „Und über das alles so war ich in fremden Landen / kante weder Hund noch Menschen / ders treulich mit mir meynte / verstund die Sprach nicht / und hatte allbereit kein Geld mehr übrig“ (ST, B 374, T 311). Simplicissimus wird mit der Tatsache konfrontiert, dass es nicht genügt, nur seine Muttersprache zu beherrschen. „Er kann zwar das Deutsche so schön reden, als wenn die Orthographia selbst es ausspräche, aber er bleibt dennoch ein Tor; die Sprache hilft ihm nicht durchs Leben“ (Borst 1957–1963, 1360). In der Continuatio zeigt er aber, dass er aus diesen Erfahrungen gelernt hat. Räuber hatten ihn im Nahen Osten entführt und stellen ihn nun als ,Wilden‘ auf Jahrmärkten aus. Als Simplicissimus eines Tages im Publikum einige Europäer bemerkt, erkennt er sie an ihren Landessprachen und spricht sie auf Latein an, um sie zu bitten, ihn aus dieser Lage zu befreien: [J]edoch schwige ich noch so lang still / biß ich etliche auß ihnen hoch: und nider Teutsch / etliche Frantzösisch und ander italiänisch reden hörte; als nun einer diß und der ander jenes Vrthel von mir falte konte ich mich nicht länger enthalten / sonder brachte noch so vil verlegen Latein (damit mich alle Nationes in Europa auff einmal verstehen söllen) zusammen / daß ich sagen konnte […] (Cont, B 653 f., T 548).

In dieser Episode ist es also seine Vielsprachigkeit, die Simplicius aus einer schlimmen Situation rettet. Er hat damit am eigenen Leib den Nutzen der Mehrsprachigkeit erlebt. Auch diese Erkenntnis ist es, die ihn – als fiktiven Autor des Teutschen Michel – veranlasst, die Mehrsprachigkeit zu loben. Im Eingangskapitel des Teutschen Michel fällt das Lob der Mehrsprachigkeit jedoch nicht wegen seiner persönlichen Erfahrungen, sondern wegen des Nutzens für die Allgemeinheit so überschwänglich aus. Es seien nämlich gerade die Sprachkündigen gewesen, die den kriegerischen rohen Vorfahren verschiedene Einrichtungen der Kultur gebracht hätten: So ist auch der Nutz / den man von den Sprachkündigen hat / an sich selbsten sehr nahe unaussprechlich / und zwar / wann man nur schlechthin bedenckt / was vor Künste und

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Wissenschafften unsere gelehrte liebe Teutsche durch Ubersetzung frembder Bücher ihrem Vatterland beygebracht und mitgetheilet haben! (TM, T 8).

Grimmelshausen greift hier auf das seit der Wiederentdeckung der Germania des Tacitus zum Topos geronnene Bild von den rohen unkultivierten Germanen zurück, die durch den Kontakt mit den Römern zu Bildung und Kultur gelangt seien. Durch ihre Schrift seien Ägypter, Hebräer, Griechen und Römer den Deutschen überlegen gewesen, doch durch die Erlernung dieser Sprachen hätten einige der Germanen deren Kenntnisse kennen gelernt und sie mit in die Heimat genommen. Die wichtigste in diesem Zusammenhang erworbene Kenntnis ist für Grimmelshausen der christliche Glaube: „[J]a nicht nur dieses / sonder auch / daß wir durch sie die Erkandtnus GOttes und seines heiligen Worts und Willens empfangen / wannenhero wir die seelige Ewigkeit zu hoffen / in deren Ermanglung wir hingegen der Verdambnus nicht entrinnen möchten“ (ebd.). In dieser Passage wird erstmals die zeitgenössische Diskussion um das Verhältnis des Deutschen zu anderen Sprachen präsent: Grimmelshausen vergleicht den früheren Zustand der deutschen Sprache mit den anderen und konstatiert, dass in dieser Zeit das Deutsche in allen kulturellen Belangen Impulse von außen brauchte, um sich kultivieren zu können. Bei ihm ist also nichts zu sehen von der Konstanz des Deutschen als ,Hauptsprache‘ seit biblischen Zeiten, die hierarchisch über den meisten anderen steht, wie sie etwa Schottelius postuliert. Zugleich widerspricht er jenen Autoren, die das lateinische Schriftsystem vom deutschen abzuleiten suchen, vielmehr haben die Deutschen, so kann man aus Grimmelshausens Ausführungen schließen, die Schrift aus diesen Sprachen übernommen. Wie die anderen Autoren geht Grimmelshausen aber davon aus, dass alle Sprachen aus einer ,Ursprache‘ hervorgegangen sind. Doch im Gegensatz zu diesen bleibt er dabei weder stehen noch erklärt er die deutsche Sprache einfach zu einer der besten und REINSTEN Sprachen, die aus der babylonischen Sprachverwirrung hervorgegangen seien, sondern er verweist auf das Pfingstwunder (Apg. 2, 1–4), das die Sprachverwirrung zumindest teilweise rückgängig gemacht hätte: Dann gleichwie GOtt zu Nimbrods Zeiten durch Zertheilung der Sprachen die Menschen voneinander trennet / daß sie den vorhabenden gewaltigen Thurn zu Babylon nicht auszubauen vermöchten; Also hat Er nach der Himmelfahrt unsers Erlösers durch Sendung seines H. Geists den Aposteln die Gab geben mit mancherhand Zungen zu reden / damit sie durch solches Mittel die Menschen wieder in Einigkeit zusamen bringen: und Jhme also die Christliche Kirch aufferbauen könten (ebd.).

472 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Der Topos Babel ist für ihn also nur der erste Teil einer zweiseitigen Angelegenheit. In der christlichen Kirche werden die in Babel geschaffenen Differenzen aufgelöst. Während Grimmelshausen mit Babel einen Topos aufgreift, der im Diskurs häufig verwendet wird, sind Hinweise auf das Pfingstwunder äußerst rar gesät. Dies hat vermutlich seinen Grund darin, dass die Rückführung der deutschen Sprache auf die babylonische Verwirrung Teil der Invention of Tradition (Hobsbawm) war, mit der das Prestige der deutschen Sprache gesteigert werden sollte. Das Pfingstwunder lässt sich in diese Geschichte nur schwer einfügen, weshalb es von den sprachpatriotisch gesinnten Autoren in der Regel übergangen wird. Dieser Befund ist bereits ein Hinweis dafür, dass Interpretationen, die den Teutschen Michel als reichspatriotisch orientierten Text verstehen, zu kurz greifen. Zur ,Ursprache‘, die vor der babylonischen Verwirrung bestanden haben soll, sagt Grimmelshausen an dieser Stelle nichts. Doch in der MummelseeEpisode im V. Buch des Simplicissimus findet sich eine interessante Aussage. Dort heißt es: Als er auch sahe / daß ich mich über ihn und alle die so mit ihm waren / verwunderte / daß sie als Peruaner / Brasilianer / Mexicaner und Jnsulaner de los latronos auffgezogen und dannoch so gut teutsch redeten / da sagte er / daß sie nicht mehr als eine Sprach könten / die aber alle Völcker auff dem gantzen Umbkreiß der Erden in ihrer Sprache verstünden / und sie hingegen dieselbe hinwiderumb: welches daher komme / dieweil ihr Geschlecht mit der Thorheit so bey dem Babylonischen Thurn vorgangen / nichts zu schaffen hätte (ST, B 511 f., T 429).

Die Sylphen, die auf dem Grund des Mummelsees leben und über diesen mit den Gewässern der ganzen Welt verbunden sind, sprechen also nur eine Sprache, in der aber alle anderen Sprachen enthalten zu sein scheinen, so dass sie sich mit jedem menschlichen Wesen in aller Welt verständigen können. Dies ist deshalb der Fall, weil ihre Sprache in Babel nicht verwirrt wurde. Auf dieser Basis scheint es nicht verwegen, anzunehmen, dass die Sylphen die ,Ursprache‘ in ihrem Zustand vor der Verwirrung sprechen, deren Grundzüge sich in den Einzelsprachen erhalten haben. Stimmt diese Vermutung, so wäre das eine kühne Abweichung vom im sprachpatriotischen Diskurs verbreiteten Konsens, dass die lingua Adamica das Hebräische gewesen sein müsse; in Grimmelshausens Version wäre sie eine nicht näher bestimmte Sprache, die in irgendeiner Weise den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Sprachen der Welt bildet. In der Mummelsee-Episode entführt Grimmelshausen damit „den Leser in eine Traumwelt des Glücks und Friedens, in der die Geschichte aufgehoben ist, in der eine Ur- und Natursprache alle Menschen versöhnt“ (Borst 1957–1963, 1360).

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Aus der partiellen Vereinigung der Sprachen durch das Pfingstwunder folgert Grimmelshausen, dass „die Gab unterschiedliche Sprachen zu reden / nicht allein eine nutzliche und höchstnothwendige: sonder auch eine Göttliche Gab [sei] / ohne welche die hiebevor barbarisch gewesene Völcker immerhin im Finstern leben / und wie das Viehe sterben müssten“ (TM, T 8 f.). Darüber, dass die Mehrsprachigkeit eine göttliche Gabe sei, müsse sich jeder, der über sie verfüge, bewusst sein; daher solle er sie „zu seines Schöpffers Ehr: zu seiner Seelen Heyl / und zu seines Nächsten und Vaterlandes Nutz wol“ anlegen (ebd., 9). Hier wird zum ersten Mal deutlich, worum es Grimmelshausen in diesem Text eigentlich geht, was die intendierte Wirklichkeit der Satire ist: Der Einsatz der Sprache zum Lob Gottes, zum eigenen Seelenheil und zur Förderung des Zusammenlebens im Vaterland sind die obersten Ziele jedes Sprachgebrauchs und allen theoretischen Nachdenkens über Sprache. Im Folgenden führt Grimmelshausen, im Lichte dieser Zielvorgabe, den Nutzen der Mehrsprachigkeit für die einzelnen Fachbereiche vor. Der erste Bereich ist die Theologie. Grimmelshausen beruft sich hier auf zwei Stellen in Texten des Augustinus. In den Confessiones (I, 13 f.) beklagt sich dieser, dass er in seiner Jugend die Sprachen nicht besser gelernt hätte, da er diese nun zur Erklärung der Bibel benötige. In De doctrina Christiana (II, 11) behauptet er, dass die Lateiner der hebräischen und griechischen Sprache zum Verständnis der Heiligen Schrift bedürftig seien. Wichtiger als diese Zitate erscheint aber der letzte Teilsatz in diesem Abschnitt: „[U]nd scheinet / daß Christus selbst diese drey Sprachen hierzu am H. Creutze geheiligt / allwo sie auff seinem Sieghafften Titul gestanden“ (TM, T 9). Grimmelshausen scheint sich aber nicht, wie Tarot in der Fußnote zu dieser Stelle anmerkt, auf Lk. 23, 38 zu beziehen, wo nur die Tafel und der Text auf der Tafel, nicht aber die Sprachen erwähnt werden, sondern auf Joh. 19, 19 f.: „Pilatus ließ auch ein Schild anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazareth, der König der Juden. […] Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst.“ Davon, dass Jesus diese drei Sprachen geheiligt habe, steht aber auch an dieser Stelle nichts. Dennoch rekurriert Grimmelshausen auf den Status des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen als ,heilige‘ Sprachen. Die folgende Stelle in Hilles Palmbaum weist deutliche Parallelen zum bisher Besprochenen auf:9 Diß sind […] die drey Haubtsprachen / darinnen alle Wissenschaft / Künste / Göttliche und menschliche Weißheit / gleichsam eingewikkelt und verwahret liegen: welche auch �� 9 Möglicherweise teilen sich Hilles Palmbaum und der Teutsche Michel die gleiche Quelle: Den 48. Discurs in Garzonis Piazza Universale (vgl. Bierbüsse 1958; 2014, 180).

474 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs durch den Anschlag an dem Creutze unsers Erlösers und Heligmachers JESU CHRJSTJ / als des einigen Erhalter der Fruchtbringenden Gesellschaft / gleichsam geweihet und geheiliget worden (Hille, Palmbaum, 81 f.).

Daher müssten alle drei Sprachen erlernt und die nützlichen Bücher in diesen Sprachen ins Deutsche übersetzt werden. Als einer der wenigen Diskursakteure bezieht sich Hille auch auf das Pfingstwunder: Die erste Gabe des Heiligen Geistes sei es gewesen, dass die Apostel in vielen Sprachen reden konnten, „gleichwie die Völker / durch Verwirrung der Sprachen zerstreuet worden / sie durch die Predigt des Evangelii widerum zu der Christlichen Kirchen versamlet würden“ (ebd., 82; vgl. auch Neumark, Palmbaum, 106 f.). Auch Juristen, Mediziner und Mathematiker müssten viele Sprachen beherrschen, weil wichtige Schriften wie der Codex Justinianaeus oder die Bücher von Isaak Rabbi Levi, Avicenna, Averroes, Hippokrates oder Galen in verschienen Sprachen geschrieben seien. Neben den Wissenschaften sei auch in den Wissensbereichen, die das praktische Leben betreffen, Vielsprachigkeit von größter Bedeutung. Im politischen Leben müssten die Regenten die Sprachen der Nachbarländer beherrschen, um Zwistigkeiten zu vermeiden, die zu Kriegen führen könnten. Hier blitzt der irenische Gedanke auf, der einen guten Teil jenes Teildiskurses des sprachreflexiven Diskurses ausmacht, dessen Anliegen die Friedenssicherung durch Vereinheitlichung der Sprache, etwa in Form von Universalsprachen ist. Dieser geht von der Prämisse aus, dass Meinungsverschiedenheiten und Kriege wesentlich durch Missverstehen und Nichtverstehen ausgelöst werden (vgl. oben, 3.2.2.1). Auch innerhalb des sprachpatriotischen Diskurses wird die Einheit der Sprache den Wirrnissen des Dreißigjährigen Krieges entgegengesetzt. In der Fruchtbringenden Gesellschaft wird zudem die grundsätzliche Gleichheit aller Mitglieder propagiert. Diese Egalität, zumindest innerhalb der Gesellschaft, wird anthropologisch begründet: Der Mensch habe keine scharfen Zähne und Klauen, mit denen er sich verteidigen könne, weshalb er auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sei: „Er wird geboren ohne Waffen / ohne Schutz / und Schirm / zur Freundlichkeit und Sanftmuht / und erlernet mit zuwachsenden Jahren / die Rede von Anhörung seiner Muttersprache / damit er in Gesellschaft (ohne welche er der Worte nicht von nöhten hat) leben / und sich anderer Beyhülffe bedienen möge“ (Neumark, Palmbaum, 146). Dies wird auch für die Gegenwart zu einer anthropologischen Konstante erhoben, die alle Standesunterschiede egalisiert: „[J]a kein Mensch ist so prächtig und mächtig / so herrlich und gewaltig / so klug und verständig / daß er anderer Menschen Raht und That nicht bedürftig seyn solte“ (ebd.). Daher solle innerhalb der Gesellschaft der „hörere / in

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Gesellschaftssachen / den Kleinern / und der kleinere dem Höhern gleich“ sein (ebd.). Falls es doch zum Krieg kommt, sollen die Heerführer die Landessprache des Feindes beherrschen, „als nötig ihnen Gewehr und Waffen / Vivers und Munition immer seyn mag“ (TM, T 10). Soll also die ausreichende Versorgung mit Waffen, Kriegsgerät und Nahrung gewährleistet sein, so muss ein Heerführer vielsprachig sein. Gleiches gilt auch für die Wirtschaft: Wer Handel treiben will, muss die Sprachen seiner Handelspartner verstehen und sprechen können. Nur mit Zeichensprache sei kein vernünftiges Geschäft zu tätigen. War bisher die Darstellung recht ernsthaft gehalten, so wird das Kapitel nun durch eine lustige Anekdote abgeschlossen, ganz im Sinne des simplicianischen Stils, den Menhennet als Grundprinzip des Grimmelshausenschen Schreibens ausgemacht hat (vgl. oben). Er erzählt die Geschichte eines Franzosen, dem aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse ein Malheur passiert: Man sagt von einem Frantzosen / welcher sich von seiner Gesellschafft in Cöln verirret / und so lang herumb gelauffen / biß ihne der Hunger dermassen im Magen vexiert / daß er allerdings krafftloß darvon worden / weil er auff teutsch weder Speiß noch Tranck fordern / viel weniger nach seiner Herberg fragen können / biß ihm endlich einer von seinen Landsleuten / den er an der Kleydertracht erkant / auffgestossen / welchem er seine Noth geklagt / der ihn in eine Gasse gewiesen / und gesagt / er werde dort ein Hauß finden mit einem ausgehenckten rothen Schild / alwo man ihm gnug Essen und Trincken umbs Geld geben würde; Der gute Kerl folgt / gerath aber in eines Balbiers Hauß / das auch einen rothen Schild hatte […] und deutet damit ins Maul / als hätte er sprechen wollen / man solte ihme etwas zu fressen hergeben: Der Barbierer aber verstehet / er solte ihm einen Zahn ausbrechen / sucht derowegen seine Jnstrumenten hervor / das Werck anzugehen / dem sich aber der Welsche von allen Kräfften widersetzte / aber es halff nichts / dann weil der Balbier vermeinte / er entsetzte sich vor dem Schmertzen / nahm er seine beyde Gesellen zuhülff / und riß dem Tropffen wider seinen Danck und Willen einen Zahn auß / vor welche Mühe er ihm noch darzu lohnen muste (TM, T 10 f.).

Bemerkenswert ist hier zweierlei. Erstens wird durch den Hinweis auf die Kleidertracht auf das Alamodewesen angespielt, von dem im dritten Kapitel ausführlicher die Rede ist. Zweitens findet sich diese Andekdote in sehr ähnlicher Form bereits bei Johann Klaj. Dort wird sie so erzählt: Es durchreise einer Engelland / Schotland / Norwegen / Dennemark / Niderland / Preussen / Liefland / Kurland / Littau / Böhmen / Siebenbürgen / Wallachey / Vngarn und andere Länder / er wird sich nirgend des befahren dürfen / was jenem Frantzosen bey uns in dem Wirthshause begegnet / welcher / als ihn gehungert / auf die Zähne gedeutet / da denn der Wirth / der Sprachen unkündig / nach den Barbierer geschikket / üm dem Gast die Zähne auf zubrechen / und ihm an Statt des Hungers den Schmertzen zu stillen (Klaj, Lobrede, 403).

476 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs

Vergleicht man die beiden Versionen der Geschichte, so fällt auf, dass Klaj sie äußerst knapp und nicht zwingend auf die Pointe ausgerichtet erzählt. Grimmelshausens Version ist ausführlicher und hebt stärker die Ursachen des fatalen Missverständnisses hervor. Es stellt sich die Frage, wie sich die beiden Versionen zueinander verhalten. Kannte Grimmelshausen Klajs Lobrede und baute er das, was er beim Nürnberger Pegnitzschäfer vorgefunden hatte, aus, oder stützen sich beide unabhängig voneinander auf eine weitere Quelle? Oder waren Geschichten wie diese Allgemeingut, das in den Wirtshäusern erzählt wurde, ohne dass sich eine Quelle angeben ließe? An dieser Stelle wären weitere Forschungen hilfreich. Mehrsprachigkeit ist also in vielerlei Weise von Vorteil sowohl für diejenigen, die über sie verfügen, als auch für die, die von ihr profitieren, indem sie fremde Güter durch Übersetzung annehmen. Sie ist für die wissenschaftliche, politische, militärische und wirtschaftliche Kommunikation unentbehrlich, sie gereicht sowohl dem Einzelnen als auch der Gemeinschaft zur Ehre. Daher fällt das Lob der Sprachkündigen sehr hoch aus. Das zweite Kapitel widerspricht dem ersten. Es trägt den Titel Daß einem drumb an der Vollkommenheit nothwendig nichts abgehen müste / wann er gleich nur seiner Mutter Sprach redet / und verstehet. Grimmelshausen beginnt es mit der allgemeinen Feststellung, dass Gott jeder Tugend eine Gefahr beigegeben habe, um den Menschen die „Schrancken der Demuth“ zu zeigen (TM, T 11). So sei die Keuschheit der schönsten Frauen besonders gefährdet, der Heiligste werde vom Teufel am meisten versucht und die tapfersten Helden müssten die größten Gefahren überstehen. Schließlich kommt er auf die Gelehrten und ihre Mehrsprachigkeit zu sprechen: „Man sagt / je gelehrter je verkehrter; und weiß noch nicht / ob Demosthenes und Cicero mit ihrer Witz und Wolredenheit dem gemeinen Nutz mehr geschadet oder genutzet haben?“ (ebd., 12). Grimmelshausen wirft vielen Gelehrten vor, eitel zu sein und mit ihren Fremdsprachenkenntnissen zu prahlen, indem sie sie auch dann einsetzen, wenn keine Notwendigkeit dafür besteht: Also bilden sich theils Sprachkündige ein / wollen auch andere Leuth so bereden / sie allein hören das Graß wachsen; Jst aber ein irriger Wahn und grosser Fehler unserer Zeit / wann man ungezweiffelt darvor halten will / es müsse ein jeder Teutscher Weltmann nothwendig Latein: Frantzöß: und Sclavonisch: Ein jeder Geistlicher aber neben seinen Latein auch Griechisch und Hebraeisch verstehen / reden und schreiben können / soll man anders jenen vor klug und erfahren: diesen aber vor gelehrt genug halten; gleichsam als wann GOtt Weißheit und Verstand / ja alle Kunst und Wissenschafften nur in die fremde Sprachen verborgen / und eines jeden Muttersprach / oder vielmehr die jenige / so nur ein Sprach reden / allein lähr gelassen hätte (ebd.).

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In dieser Passage, in der der Text erstmals deutlich satirisch wird, knüpft Grimmelshausen an eine Gedankenfigur an, die bereits besprochen wurde: Die Betonung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Sprachen. Alle Künste und Wissenschaften können gleichermaßen in der lateinischen wie der deutschen Sprache ausgedrückt werden. Damit wird Stellung bezogen gegen die Geringschätzung des Deutschen. Zur Erinnerung sei noch einmal Harsdörffer zitiert: Solcher gestalt were niemand / als auf Griechisch / Lateinisch / Welsch oder Frantzösisch verständig / und auf Teutsch ein Gauch. Uns ermangelt nicht ein Wort alles und jedes / was man nur durchdenken kan / wolverständig auszureden / ob man gleich noch bey Anfang oftbesagter Spracharbeit / wegen der Leser oder Zuhörer / das Latein zu einem Dolmetscher gebrauchen muß / damit das noch unbekante Ding durch ein bekantes Wort erlernet werde (Harsdörffer, Schutzschrift, 370).

Das Deutsche ist also auch für Grimmelshausen mindestens gleichwertig im Verhältnis der Sprachen zueinander. Mit dieser Feststellung bekommt der vorherige Tadel des prahlerischen Fremdsprachengebrauchs überhaupt erst Substanz. Indem aber Grimmelshausen herausstellt, dass die deutsche Sprache mit den anderen gleichwertig sei, wird der demonstrative Gebrauch fremder Sprachen zur leeren Prahlerei, denn die Mehrsprachigen haben den Einsprachigen nichts Grundsätzliches voraus. Die im ersten Kapitel noch hervorgehobene exponierte Stellung der Mehrsprachigen wird damit teilweise zurückgenommen. Gleichwohl bleibt der Respekt vor denjenigen, die ihre Sprachkenntnisse sinnvoll einsetzen, bestehen. Grimmelshausen beschwichtigt nämlich jene, die über diese Kenntnisse nicht verfügen, aber gerne den Anschein erwecken. Dazu gebraucht er die Münzmetapher auf eigenartige Weise, wie sie im Korpus sonst nicht zu finden ist: Wir können nicht eitel Mirandulani, Scaligeros, Salmasii, Vossios, Grotii, Heinsii, Birckheimer / und dergleichen Sprachkündige Wundermänner seyn / welche ohn das unter allerhand Ständen so dünn gesäet / als die annoch verhandene gewichtige Rosenobel / die ehemahlen auß Raimundi Lullii Kunstgold gemüntzt worden seyn sollen (TM, T 12).

Die genannten Gelehrten und Humanisten werden als Vielsprachige genannt, die als positives Vorbild gelten können und mit dem Attribut Wundermänner versehen. Raimundus Lullus, im 17. Jahrhundert für seine Ars combinatoria berühmt (vgl. dazu Gardt 1999, 139–149), wird hier in seiner Eigenschaft als Alchemist bemüht, der Rosenobel ist eine alte englische Goldmünze. Die Metapher besagt, dass vielsprachige Wundermänner wie die genannten Humanisten so zahlreich, oder besser: so selten sind wie die alte englische Goldmünze, wenn sie aus durch alchemistische Künste hergestelltem Gold besteht. Das heißt: Männer wie Pico della Mirandola, Scaliger oder Heinsius sind Ausnah-

478 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs meerscheinungen, die mit übermenschlichen Gaben ausgestattet wurden. Mit diesen Fähigkeiten sind sonst nur dazu berufene Wesen ausgestattet: „Der Engel ist diese Gab eigen / und den heiligen Dienern GOttes wird sie bißweilen zu Außbreitung seines allerheiligsten Nahmens Ehr verliehen / wie wir von den Aposteln und andern mehr lesen“ (TM, T 13). Dies heißt aber nicht, dass es deshalb einen „Mangel an erfahrnen / weisen / tapffern / kunstreichen / und allerhand geschickten Leuten“ gebe (ebd., 12 f.). Diese seien nur nicht mit der großen Mehrsprachigkeit ausgestattet. Es sei zwar, so könne man annehmen, eine gewisse Gedächnisleistung, wenn jemand mehrere Sprachen behalten könne, dies beweise, dass er kein Dummkopf sei. Doch Grimmelshausen entlarvt diese Annahme als Täuschung, er benutzt dafür die in mehreren Texten belegte simplicianische Formel „dieser Wahn betreugt“ (ebd., 13). Zum Beleg erzählt er eine weitere Exempelgeschichte von einem Vielsprachigen, der aber außer seinen Sprachkenntnissen keine weiteren Fähigkeiten besitzt und deshalb für praktische Zwecke untauglich ist: [N]eulich war ich dabey / als sich ein Sprachheld bey einem vornehmen Obristen umb Dienst anmeldet; er wurde gefragt / was er könte / und was vor Dienste er zuversehen getraute? Seine Antwort war / ich rede meine Sprachen / Latein / Frantzösisch / Jtalianisch / Spanisch und Böhmisch! mit den Geberden aber gab er genugsamb zuvernehmen / daß er entweder wenig bey rechtschaffnen Leuthen gewesen / oder daß ihm sonsten durch Einladung so vieler Sprachen die Hirnkammer dermassen angefüllt worden / daß kein Winckel mehr übrig / noch etwas nutzlichs hinein zu packen; Kurtz gesagt / er sahe auß / wie einer / dems ins Tach regnet. Der Obrist antwortet ihm / die Atzlen können auch schwätzen / aber die losen Vögel können auch sonst nichts anderst / als das Gelt vertragen; Und damit hatte der gute Kerl seine Abfertigung; hätte er aber darneben auch Pulver schmecken können / und auff den Nothfall die Hand mit an den Degen zu legen getraut / welches viel Einspracher geschwind lernen / so wäre er ohn Zweiffel bey diesem Herrn willkommner gewesen / wann er gleich ein par Sprachen weniger gekönt (ebd.).

Der polyglotte Sprecher, der für seine Fähigkeiten keine praktische Nutzanwendung findet, wird mit einer Reihe von Lexemen und Syntagmen lächerlich gemacht: die Hirnkammer wird durch die Einladung vieler Sprachen angefüllt, so dass kein Winkel mehr für etwas Nützliches bleibt; er sieht aus wie einer, dem es ins Tach regnet. Die Komik entsteht, indem man sich diese Metaphern und Vergleiche bildlich vorstellt, als wäre das Gehirn des Menschen ein Speicher mit begrenztem Speicherplatz. Die Ironie der Passage wird durch das Lexem Sprachheld komplettiert. Helden werden Attribute wie Tapferkeit oder Tatkräftigkeit zugeschrieben. Dieser Sprachheld ist aber weder tapfer noch tatkräftig, sondern ein „Narr“ (ebd), der für praktische Erfordernisse ungeeignet ist.

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Grimmelshausen leitet aus den vier Grundsprachen Latein, Hebräisch, Slavisch und Deutsch Sprachfamilien ab, die, wie Borst (1957–1963, 1361) bemerkt, an Abraham Mylius und Christoph Besold angelehnt sind: [D]ann auß dem Hebraeischen kombt Syrisch / Chaldaeisch / Arabisch / Persisch / Medisch / Türckisch / aus dem Sclavonischen Polnisch / Böhmisch / Russisch / Croatisch / Wendisch etc. Auß dem Lateinischen / Jtalianisch / Spanisch / Französisch / und mancherley Rebsteckenwelsch / gleichwie auß dem rechten Teutschen Holländisch / Englisch / Dänisch / Schwedisch / Nordwegisch etc. entsprungen (TM, T 13 f.).

Diese Aufzählung erinnert an verschiedene andere Stemmata von Sprachverwandtschaftsbeziehungen, z.B. bei Schottelius (Schottelius, Arbeit, 153 f.) oder an die Neumarks, der neben den ,Hauptsprachen‘ Hebräisch, Griechisch und Latein zwei weitere europäische Grundsprachen ansetzt, nämlich Deutsch und Slavisch (vgl. Neumark, Palmbaum, 110). Vor diesem Hintergrund, so bemerkt Grimmelshausen ironisch, sei es kein Wunder, wenn solche Leute wie der obige Sprachheld zu „Narren“ (TM, T 13) würden: „Wann nun einer alle Kräffte seines Verstandes anlegt / diese Sprachen zulernen / massen viel Witz in einem guten Kopff hierzu erfordert wird / Lieber / was wird ihme übrig verbleiben / solches zu andern Sachen zugebrauchen?“ (ebd., 14). Nun geht die Darstellung zu einer ersten expliziten Alamode-Kritik über: Die Beschäftigung mit anderen Sprachen hätte einige wohl zu viel von ihrem Kopf gefordert. „Sehen wir doch täglich / wie geckisch sich theils der Unserigen beydes in Kleidung / Sitten und Geberden stellen! wann sie auß Franckreich kommen / und kaum anderthalbe Sprachen gelernet / wie wurden sie ererst thun / wann sie deren noch mehr könten?“ (ebd.). In einem Gedankenexperiment spielt Grimmelshausen den Fall durch, dass jemand all diese Sprachen und dazu noch Malaiisch, Chinesisch, Japanisch und andere Sprachen beherrsche. Er nennt sagenhafte Männer, die zu Ähnlichem in der Lage gewesen sein sollen: Mithridates etwa beherrschte angeblich 22 Sprachen und der Römer Crassus konnte angeblich mit jedem seiner Untergeben in fünf verschiedenen griechischen Dialekten reden. Unabhängig davon, ob diese Geschichten wahr sind, stellt Grimmelshausen eine ganz andere Frage: „[A]ber waren dise beyde Sprachkündige drumb besser / edler / weiser / klüger / und was das meiste ist / glückseliger als andere Menschen ihrer Zeit / die nur ihre eintzige Mutter-Sprach geredet?“ (ebd.). Dies ist eine rhetorische Frage, Grimmelshausen gibt gleich darauf selbst die Antwort: Erscheinungen wie der Kirchenvater Hieronymus, der Hebräisch, Chaldäisch, Persisch, Medisch, Arabisch, Griechisch und Latein gekonnt haben soll und ein gottgefälliges Leben und einen seligen Tod hatte, seien die große Ausnahme. Vielmehr bestehe bei vielen die irrige Meinung, die Kenntnis vieler Sprachen „mache die Menschen

480 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs allein vollkommen / gescheid / klug / und besser als andere“ und sie sei nötig, um zum höchsten Gut zu gelangen (ebd., 14 f.). Dies sei aber ein Irrtum. Der Einsiedler Antonius hätte nur seine Muttersprache gesprochen und sei zudem illiterat gewesen, trotzdem hätte er höchstes Ansehen genossen. Für Grimmelshausen ist also die Vielsprachigkeit kein erstrebenswertes Ziel, weil es nicht zum Seelenheil und zur Erkenntnis Gottes beitrage, sondern im Gegenteil die Gefahr berge, durch Hochmut und damit einhergehende mangelnde Demut das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Daher fasst Grimmelshausen das zweite Kapitel so zusammen: Jst und verbleibt demnach ein blinder Wahn / deren die darvor halten / und andere Leuthe auch also zu glauben bereden wollen / man könne nicht recht verständig seyn / noch vor vollkommen gnug gehalten werden / man habe sich dann zuvor durch Begreiffung frembder Sprachen darzu bequemt und einen Weeg zur Witz gemacht; der Verstand dardurch erhöhet; die Vernunfft geschärpfft! die Sinne erleuchtet / und in Summa alle gute Gaben (die aber / wie man in meinem Heimet sagt / von oben herab kommen) durch die Thür der frembden Wörter erhascht / und sich zugeaignet; dannenhero kombts / daß sich bißhero noch kein verständiger Teutscher zu todt gegrämt / vil weniger sich gar erhenckt / umb willen er keine andere als seiner Mutter Sprach begreiffen mögen; wirds auch fürterhin noch keiner thun / weil er keine sonderbare grosse Ursach darzu hat (ebd., 15).

Eine Synopse der beiden inhaltlich entgegengesetzten Eingangskapitel des Teutschen Michel ergibt folgendes Bild: Mehrsprachigkeit ist nützlich, wenn sie dort angewandt wird, wo sie notwendig ist: In den Wissenschaften und im politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Austausch mit anderen Völkern. Dann kann sie der Allgemeinheit Nutzen und demjenigen, der sie besitzt, Ruhm und Anerkennung bringen. Wenn man aber mit seiner Mehrsprachigkeit prahlt und sich deshalb über andere erhebt oder die nötige Demut verliert, dann ist Mehrsprachigkeit kein Segen mehr, sondern eine sowohl für die Allgemeinheit als auch für das Individuum nutzlose Ansammlung von Wissen, die die Mühe ihres Erwebs nicht wert war. Mit der Andeutung der Alamode-Kritik, die im folgenden Kapitel voll entfaltet wird, gibt Grimmelshausen einen Hinweis, wer in erster Linie durch diese Kritik getroffen werden soll. Man kann also die Parallele von den besten Dichtern zu den guten Sprachkündigen ziehen. Die besten Dichter sind nach dem Satyrischen Pilgram nämlich folgende: [V]ornemlich aber unsere Teutsche Poeten / welche ihre Muttersprach / die beynahe alle Ausländer vor hart und unärtig gehalten und ausgeschrihen / durch ihre Sinnreiche Köpffe dermassen auspoliert / daß sie keiner fremden im geringsten nichts nachgiebt; die allervorderste Ehrenstelle aber gebührt den jenigen / die des Lobs am allermeisten würdig seyn; nemlich denen / die ihre Gaben zu den Ehren Gottes anlegen / und aus Krafft der infliessenden himlischen Gaister / die sie beleichten und antreiben / solche andächtige und

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Gottseelige Gesänge machen / dardurch auch andere in das Lob Gottes entzuckt werden; Also daß sie an allen Orthen und Enden dasselbige mit vollem Hals in ihren Versen gantz freudenreich erschallen lassen (SP, T 91 f.).

5.2 Das Alamode-Wesen Kapitel drei des Teutschen Michel trägt den Titel Von absonderlicher Hoffart etlicher Sprach-Helden / die ihnen wol übrig verbleiben könnte. Hier weist Grimmelshausen zunächst, die Quintessenz der beiden vorherigen Kapitel wiederholend, Spott und Tadel für diejenigen, die ihre Mehrsprachigkeit gut einsetzen, zurück. Umso schärfer wird seine Kritik am Missbrauch der Sprachkenntnisse: Also ist mir hingegen unmöglich das Lachen zu verhalten / wann ich sehe / wie hochtrabend ein Teutscher herein tritt / so bald er nur ein wenig von unserer Nachbarn zusammen geflickten Sprachen verstehen und daher lallen kan! ob sie gleich unserer vollkommenen in / an / und vor sich selbst bestehenden Teutschen Helden-Sprach weder an Güte noch Alterthumb das Wasser nit zu bieten vermögen (TM, T 16).

Hier nimmt Grimmelshausen drei wichtige Elemente des sprachpatriotischen Diskurses auf: Die Rede von der an und vor sich selbst bestehenden deutschen Sprache, der die Attribute vollkommen und Güte zugeschrieben werden, erinnert an das hyperbolische Sprachlob, das insbesondere die diskurssemantische Grundfigur EIGENTLICHKEIT prägt. Sie wird durch den Hinweis auf das hohe ALTER noch unterstützt. Dadurch entsteht das Bild einer einheitlichen, in sich homogenen deutschen Sprache, die den zusammengeflickten Sprachen der Nachbarn gegenübergestellt wird. Hier übernimmt Grimmelshausen den kulturpatriotischen Sprachbegriff, den viele seiner Zeitgenossen vertreten. Die folgende Passage erinnert in Teilen an den Alamode-Kehrauß: Dann Lieber wer wolte nicht lachen (er wolte dann mit aller Gewalt sich zwingen ein Heraclites zu seyn) wann er sihet / daß ein solcher Phantast auch durch närrische Veränderung der Sitten und Kleydungen sich verlarven: mit allem fleiß zum Unteutschen machen: und seine redliche Landsleut verachten will / weilen sie nit so meisterlich als er auff Böhmisch zu stehlen: auff Cretisch zu lügen / auff Jtalianisch zu lefflen: auff Spanisch zu schmeichlen und zu betriegen: auff Russisch zu prallen / und auff gut Frantzösisch zu potzmartern wissen; welches dann bey theilen gemeiniglich die schöne Tugenden und siben Sachen zu seyn pflegen / die sie neben den erlernten Sprachen umb ihr gut Teutsch Gelt in der Frembde begriffen / und mit sich nach Hauß gebracht haben; es wäre dann sach / daß der ein oder ander gelehrnige Kopff auch erfahren / was neben einem bösen Gewissen die Spanische Blattern: Frantzösische Grätze und Jtalianische Driesen vor grausame Thier seyen (ebd.).

482 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Nach dem intertextuellen Hinweis auf Heraklit, der traditionell als der ,weinende Philosoph‘ bekannt ist, im Gegensatz zu Demokrit als ,lachender Philosoph‘ (vgl. oben, 21), werden die üblichen Topoi der Alamode-Kritik aufgefahren, die sich auf Kleidung und Sitten beziehen. Auffällig ist hier vor allem die Front, die zwischen den redlichen Landsleuten und dem Unteutschen aufgebaut wird. Die fremden Völker werden allesamt mit negativen Eigenschaften versehen, wobei Grimmelshausen sichtlich gängige Völkerstereotype anführt: Die Böhmen stehlen, die Kreter lügen,10 die Italiener löffeln (›buhlen‹), die Spanier schmeicheln und betrügen, die Russen prahlen und die Franzosen potzmartern (›fluchen‹). Den Vorwurf, dass die Alamode-Deutschen das Geld ins Ausland abführen für Kleider, Essen und modische Gegenstände, findet sich auch bei Moscherosch. Schließlich werden sogar für die Völker angeblich typische Krankheiten ins Spiel gebracht: die spanischen Blattern, die französische Krätze und die italienischen Driesen. Den anderen Satiren Grimmelshausens ist zu entnehmen, dass es aus seiner Sicht mit der teutschen Redlichkeit nicht weit her ist. Umso mehr muss die Vehemenz überraschen, mit der auf sie gepocht wird, zu deren Zweck sogar, für Grimmelshausen untypisch, andere Völker diffamiert werden. Bei Betrachtung der Illokution und Perlokution dieser Passage wird aber der Grund für diese Darstellungsweise ersichtlich: Es liegt hier eine Satire vor, deren wahrgenommene Wirklichkeit sich auf die Alamodisten bezieht, die sich verlarven und ihre Landsleute verachten. In der intendierten Wirklichkeit gibt es solche Unteutsche nicht mehr. Die konstituierte Wirklichkeit übertreibt damit bewusst die Tugenden des Eigenen und die Laster des Fremden. Grimmelshausen reiht sich hier in der Auffassung vom Verhältnis des Deutschen zu anderen Sprachen also nur scheinbar in den sprachpatriotischen Diskurs ein. Grimmelshausen vergleicht die Alamode-Kavaliere mit Pfauen und Truthähnen, die mit ihrem Gefieder und ihren Schwänzen prangen. Dieser Vergleich wird ebenfalls ins patriotische gewendet, indem ihm das teutsche Geflügel entgegengesetzt wird. Von diesem Vergleich wechselt er wieder ins Grundsätzliche wobei er erneut die alamodekritischen Topoi verwendet: Wann aber unsere eingeborne Lands-Kinder so auffziehen / und in unnöthiger Herweisung der erlernten Sprach / der närrischen Gebärden: der frembden Kleyder-Tracht und erst kürtzlich angenommener ausländischen Sitten sich auszuärtlen scheinen; was thuen sie anderst / als daß sie ihre ernsthaffte redliche Landsleuth / die nicht gleicher Thorheit mit ihnen ergeben / verachten? soviel an ihnen ist / ihr Vatterland verläugnen: und sambt

�� 10 Offensichtlich nach dem aus der Antike überlieferten Paradoxon Der Kreter sagt: Alle Kreter lügen.

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seinen Einwohnern verschmähen wollen? in und vor sich selbst aber sich ihres Herkommens unwürdig machen (ebd., 17).

Grimmelshausen verweist damit auf die Notwendigkeit, bei der Erziehung den Kindern deutsche Sitten, deutsche Sprache und deutsches Verhalten näherzubringen. Dies impliziert erneut eine Abwertung des Fremden. Um dies zu bekräftigen, verweist er auf das 20. Kapitel der Drey ärgsten Ertznarren Christian Weises. Dort begegnet die Reisegruppe einem „Teutsche[n] Franzoß[en]“ (Weise, Ertznarren, 169), der französische Lieder trällert, ständig an seinen modischen Kleidern herumfingert, damit sie immer richtig sitzen und mit den Händen in den Salat greift. Er benehme sich, so erklärt dessen Begleiter, deshalb so „liederlich“ (ebd., 166), weil er gerade von einer Reise nach Frankreich zurückkehre. Des Weiteren erfahren die Reisenden, dass „dieser Sausewind in keiner Sache beständig wäre / als in seiner Unbeständigkeit“ (ebd., 167). Damit werden einige negative Stereotype, die den Franzosen im 17. und auch im 18. Jahrhundert (vgl. dazu Scharloth 2005) angehängt werden, benannt: Eitelkeit, Liederlichkeit, ungehobeltes Benehmen, Unbeständigkeit, die Bezeichnung Sausewind, die bildlich für die letzte Eigenschaft steht.11

�� 11 Grimmelshausen hätte auch auf eine andere Stelle in den Ertznarren verweisen können, an der ein Alamode-Kavalier beschrieben wird. Die Hyperbolik der Darstellung wird vor allem in der Passage deutlich, in der der Degen beschrieben wird: „Als sie aber an die Thüre kamen / sahen sie in dem Hause gegen über einen jungen Menschen, der allen umbständen nach wolte vor einen Stutzer angesehen seyn / er war etwas subtil und klein von Person / doch hatte er eine Parucke über sich hencken lassen / die fast das gantze Gesichte bedeckte / daß man eine artige Comoedie vom Storchsneste hätte spielen können. Uberdiß waren in den Diebs-Haaren wohl ein Pfund Buder / und etliche Pfund Pomade verderbet worden / und auß solchem Gepüsche guckte das junge Geelschneblichen mit einem paar rothen Bäckgen herfür / als wenn er das Gesichte mit rothem Leder oder mit Leschpappier gestrichen hätte. […] Auf den Ermeln / absonderlich auf den Lincken / der von Hertzen geht / war ein gantzer Kram von allerhand liederlichen Bändergen aufgehefft / welche / weil sie keine accordirende Farben hatten / sich ansehen liessen / als wären sie von bändersüchtigen Personen zum Almosen spendiret worden. Zur Kappe baumelten wohl sechs Trodelchen vom Schnuptuche herauß / die Schuh waren mit so viel Rosen besetzt / daß man nicht wuste / ob sie von Corduan / oder von Englischen Leder waren. Der Degen gieng so lang hinauß / daß sieben Dutzent Sperlinge drauff hätten Platz gehabt / und im Gehen schlug er so unbarmhertzig an die Waden / daß wenn die Kniebänder nicht etwas aufgehalten / er ohn Zweiffel in acht Tagen hätte dem Vulcanum agiren können. […] Mit den Händen legte er sich in schöne Positur, daß er gleichen Weg in den Schiebsack und auf den Hut haben könte. Die Füsse setzte er so außwerts / daß man augenscheinlich abnehmen muste / der Mensch wäre über vier Monden zum Tantzmeister gegangen. Mit einem Worte / das Muster von allen perfecten Politicis stund da“ (Weise, Ertznarren, 91 f.).

484 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Dieses Verhalten ist für Grimmelshausen nichts anderes als eine Sucht, eine Krankheit, eine Thorheit und eine Narrheit, durch die die Alamodisten zu den Affen der Franzosen werden: Es ist aber schon vorlängst eine allgemaine Sucht eingerissen / der Art / daß die jenige / so daran kranck ligen / weit von ihrem Vatterland gebürtig zu seyn wünschen; diese wurde so hefftig / daß auch aus selbiger ungereimten Thorheit ein Sprichwort entsprungen / welches man zu denen gesagt / die man verachten wollen; (nemblich) Du bist nit weit her! Wann nun eine Narrheit die andere entschuldigen könte / so müste diese denen / welche aus Teutschgebornen zu der ausländischen Nationen Affen worden / umb etwas wenigs zum besten gedeyen / (vornemblich weil ohnedas kein Prophet in seinem Vatterland etwas gilt) also daß man sie noch neben andern Blödhirnigen gedulten möchte (TM, T 17).

Ironisch beschreibt Grimmelshausen das Selbstbild der Alamode-Kavaliere und stellt es damit schonungslos bloß: Doch behüte mich mein GOtt / daß ich einen / der gelerniger als ich / klüger als ich / erfahrner als ich / höflicher als ich / geschickter als ich / verständiger als ich / kunstreicher als ich / etc. darumben unter die Narren zehlen solte / weil ich selbst ein Ignorant und grober / ungeschickter / unwissender Esel zuverbleiben prędestinirt seyn: und nicht zum tausendsten Theil so vil Witz haben möchte / mich / wie sie es können / durch die läuffige mode unserer Zeit bey jederman beliebt und angenehm zu machen (ebd., 17 f.).

Die Ironie entsteht durch einen Reflex auf den Autordiskurs, auf den in dieser Arbeit bereits mehrfach hingewiesen wurde: In der ersten Vorrede des Satyrischen Pilgram beschimpft Momus den Autor als „grober Schlingel / unwissender Esel / Ignorant und Idioth“ (SP, T 6), diese Formulierung greift Grimmelshausen in anderen Texten variantenreich wieder auf. Oben (24; 53 f.) wurde gezeigt, dass Grimmelhausen diese Beschimpfung durch den fiktiven Momus benutzt, um sich gegen potentielle Angriffe von Seiten der gelehrten Autoren zu verteidigen. Hier wird auf diesen Zusammenhang rekurriert. Ironisch stellt er sich wieder als Ignorant und grober, ungeschickter, unwissender Esel dar, der der Klugheit und Erfahrung der Alamodisten nicht das Wasser reichen könne. Für denjenigen, der den Satyrischen Pilgram und andere Texte Grimmelshausens kennt, wird allein durch diese Formulierung deutlich, dass auf die vermeintliche Selbsterniedrigung sofort ein Gegenangriff erfolgt. In der Tat bleibt dieser nicht aus. Denn die Passage setzt sich so fort: Nein so weit treibet mich der Neyd und Mißgunst nicht! Aber gleichwol erinnert mich der Eyfer vor die ehemahls so hochberühmte teutsche Standthafftigkeit / die jenige Wanckelmüthige / so auß obiger Kranckheit angetriben / ihrem Vatterland frembd werden wollen / zu dem weisen Thale in die Schul zuschicken; welcher dem Glück eben so hoch ge-

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danckt / daß er ein Griech und kein Barbarus: als daß er kein Weib: sonder ein Mann / ja kein unvernünfftig Thier / sonder ein Mensch geboren worden! und hierzu veranlast mich vornemblich diß / daß ich täglich sehe / wie etliche unserer Landsleuthe sich selbst verderben / und ihrer teutschen Art absterben / wann sie sich neben Ergreiffung frembder Sprachen / auch frembder delicater Speisen / prächtiger Kleydungen Gebrauchs: und im übrigen durchauß ein zärtlich Weibisch / ja schier Viehisches Leben angewöhnet: und sich also ihres Herkommens / Standes und Namens entwürdigt haben (ebd., 18).

Wenn man sich die Entgegensetzungen anschaut, die Thales von Milet in den Mund gelegt werden, dann könnte die satirische Kritik kaum schärfer formuliert werden. Wenn man davon ausgeht, dass Grieche durch Deutscher ersetzt werden kann, ergeben sich die beiden folgenden Reihen: Deutscher – Standhaftigkeit – Mann – Mensch Barbar – Wankelmütigkeit – Weib – unvernünftiges Tier Durch die Setzung der Negationspartikel und negierenden Artikel wird deutlich, dass die erste Reihe positiv, die zweite aber negativ besetzt ist. Auch dies erinnert stark an den Alamode-Kehrauß, wo die „alamodische[n] Weychlinge“ der „Alte[n] Mannheit, […] Teutsche[n] Dapfferkeit vnd Redlichkeit“ entgegengesetzt werden (Moscherosch, Philander, 158), wo die Alamode-Kavaliere als verzärtelt dargestellt werden, als „rechte[] Weiber[] vnd Mämmen“ (ebd., 160), was schließlich in der Verkehrung der Geschlechter gipfelt: „Der Weib will die Hosen anhaben, die Mann will den Rock anziehen“ (ebd., 182; vgl. oben, 225). Dies ergänzt Grimmelshausen durch die Tiermetaphorik: Waren zuvor schon die Alamode-Kaveliere als Pfaue und Truthähne sowie als Affen charakterisiert worden, so sind sie nun unvernünftige Tiere, die ein viehisches Leben führen. Man erinnere sich an das erste Kapitel, wo Sprache und Vernunft als spezifische Qualitäten des Menschen angeführt werden. Grimmelshausen steigert damit die Abwertung zu einer Klimax: Aus Barbaren werden Wankelmütige, also unzuverlässige, unbeständige (hier ist an den Hinweis auf die Stelle in Weises Ertznarren zu denken) und damit tugendlose Menschen, die verweichlicht sind (was, wenn man Moscherosch heranzieht, mit der Verweiblichung impliziert ist) und schließlich dehumanisiert werden. Grimmelshausen fährt also schwere Geschütze auf, was seine sprachlichen Strategien angeht. Diese sind zu einem großen Teil bereits in der Alamode-Satire vorgezeichnet, erhalten aber hier eine neue Qualität.12 �� 12 In diesem Licht erscheint das Verhalten Courasches noch tadelnswerter, als sie bei ihrem Aufenthalt in Wien lernt, sich zu kleiden, zu frisieren und zu schminken und sich aus dem Amadis das Complimentieren abschaut, um als Prostituierte möglichst viele Männer anzulo-

486 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Grimmelshausen setzt hier eine Forderung Rists in die Tat um, nach der gegen diese „Lust-Seuche“ durch gute und nützliche Bücher vorzugehen und die „selbsteingebildete[n] Welsche[n] und Frantzösische[n] Auffschneider“ durch scharfe Satiren anzugreifen, um diese „böse Krätze“ zu beseitigen und „das grausame Wunder-Thier der vermischten Sprachen an den Ketten der teutschen Kunst und Zierligkeit gefangen [zu] halten / und also die allerschönste / edelste und reineste Teütsche Sprache für ihrem gäntzlichen Vntergange mit macht [zu] erretten / ja von deroselben endlichen Verderben [zu] befreyen / loß und ledig [zu] machen“ (Rist, Rettung, 144).13 Als Beispiele für richtiges Verhalten nennt Grimmelshausen erstens einen Spruch des Orakels von Delphi, das Aglaus Psaphidius zum glückseligsten Menschen erklärte, weil er niemals sein Bauerngut verlassen oder eine Fremdsprache gelernt hätte, und zweitens die Spartaner, da sie das Gemeinwohl ihres Staates für das höchste Gut erachtet und diejenigen verachtet hätten, die ihn „mit fremden Sitten befleckt“ hätten (TM, T 18). Grimmelshausen erklärt also den ungebildeten Bauernstand und das Staatswesen von Sparta zu idealen Vorbildern. Auch hier ist nach der Adäquatheit der Beispiele zu fragen, wenn sie wirklich kulturpatriotisch motiviert sein sollen. Denn Simplicissimus kehrt gerade nicht in den Bauernstand zurück, aus dem er einst kam, sondern überlässt sein Bauerngut dem Knan und der Meuder und widmet sich anderen Dingen. Und seine Abneigung gegen den Krieg dürfte auch die militärische Organisation des spartanischen Staates nicht als vorbildlich erscheinen lassen. Die Beispiele scheinen also auch hier nicht ohne ironische Implikationen gewählt worden zu sein. Um deutlich zu machen, dass man sein Deutschtum nicht einfach ablegen kann, wie es die Alamode-Kavaliere zu glauben scheinen, gebraucht Grimmelshausen die Kleidermetapher auf eine Weise, wie man sie im Diskurs sonst nicht findet: Und zwar ihr neugierige verderbte Landsleuthe / machts wie ihr wolt / so könnt ihr euch selbst doch nicht anderst machen; ihr müsset ein: vor allemal geborne Teutsche seyn und verbleiben / und solt ihr gleich die Vorhäut auff Jüdisch oder Türckisch / eben als wie die Bärt auff Frantzösisch / Spanisch oder Croatisch beschneiden lassen; ja wann ihr gleich Tartarisch reden: mit den Jndianern nackend gehen: oder euch gleich den Novazemblern in Beltzwerck biß über die Ohren verkleyden würdet (ebd., 19).

�� cken und ihre sexuelle Lust zu befriedigen (vgl. Cour, B 36 f., T 30 f.). Sie lernt somit, den Schein für Sein auszugeben und erzeigt sich so als weibliche Version des Alamode-Kavaliers. 13 Zum Verhältnis von Rists Rettung zum Teutschen Michel vgl. Niefanger 2013.

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Erstens weitet er die Kleidermetapher auf die Bartmode und die angebliche Nacktheit der indianischen Völker, schließlich auch auf das im Judentum und Islam gebräuchliche Ritual der Beschneidung aus, zweitens verneint er die Möglichkeit, durch Kleidungswechsel einen Identitätswechsel vollziehen zu können: Man kann sich kleiden, wie man will, im Kern bleibt man als geborener Deutscher immer Deutscher. Die nationale Identität wird auf ein nicht näher benanntes kollektives Merkmal verschoben, das sich auch durch Kleidung oder Bartschnitt, nicht einmal durch Beschneidung kaschieren lässt. Grimmelshausen richtet an die Alamode-Kavaliere die rhetorische Frage: „[W]isset ihr dann nicht / daß ihr von den Teutschen der Allerdapffersten: der Alleredelsten: der Allerältisten Nation unter der Sonnen entsprungen?“ (ebd.). In dieser Frage wird durch die hyperbolischen Superlative erneut das Deutsche überhöht, was letztlich auf die diskurssemantische Grundfigur ALTER hinausläuft. Die Aufwertung des Deutschen führt zur Abwertung des Fremden, indem Grimmelshausen die Behauptung aufnimmt, die Franzosen stammten von den Deutschen ab: Seyd ihr dann so unwissend / oder wolt ihrs sonst nit achten / daß die jetzige Frantzosen selbst von den Teutschen abkommen; deren unteutschen Sitten (die sie vielleicht von den alten Gallis, welche ihre alte teutsche Vorfahren ritterlich überwunden / erlernet und angenommen) ihr jetzo nachöhmet? und vermittelst solcher Nachäffung euerem Vatterland zum Spott und Hohn euch dem einen oder anderen zum Schlaven macht (ebd.).

Im letzten Teilsatz rekurriert der Autor auf die Knechtschaftsmetapher und damit auf ein weiteres Bild aus dem sprachpatriotischen Diskurs. Wie im Alamode-Kehrauß wird auch hier den Franzosen unterstellt, dass die Alamodisten gleichsam als Vorhut in die umbliegende Länder geschickt worden / damit sie euch künfftig / wie jetzt vor Augen zu sehen / Gesätze vorschreiben: und euch lernen solten / wie ihr euch die in Kleydungen / in Geberden / in Essen und Trincken etc. etc. etc. und was das allermeiste ist / in Beobachtung euer und eures Vatterlands selbst Erhaltung stellen und anlassen sollet (ebd.).

Grimmelshausen nimmt damit die weit verbreitete Angst vor französischer Fremdherrschaft auf, die angesichts des außenpolitischen Gebarens Ludwigs XIV. mit dem Krieg gegen die Vereinigte Niederlande und der Besetzung der Ortenau gerade aus der Perspektive des Renchener Schultheißen keineswegs abstrakt war (vgl. dazu oben, 2.1). Darauf kommt er am Ende des Traktats noch einmal zu sprechen. Über den Gedanken der Translatio imperii, nach dem das Heilige Römische Reich die Rechtsnachfolge des antiken römischen Reiches angetreten hat, spielt er erneut die eigene Sprache gegen das zusammengestückelte Französisch aus:

488 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Wisset ihr nicht daß die alte kluge Egyptier / und ihr gewaltiges Königreich / die ihres gleichen in der Welt nit gehabt / zu Grund gangen? Wisset ihr nicht / daß die alte Phoenicier abgangen / die ehemals wegen so vieler sinnreichen Erfindungen dem gantzen Erdboden mit ihrem annoch unsterblichen Lob durchstralet? Wisset ihr nicht / daß die Herrlichkeit und Majestät deß Römischen Volcks von euren Edlen Vorältern gedemütigt: und der Adler von ihnen auß seinem Nest zu uns Teutschen gehollet worden? Worüber sie dann auch ihre aigne Sprach das reine Latein nit behaupten mögen / sonder sich mit einer zusammen gestickelten / sowol als die Frantzosen / von ihren Müttern / beschlagen lassen müssen (ebd., 20).

Auch von den Griechen sei wenig Glanz übrig geblieben, sie seien ebenso „Sclaven“ anderer Völker geworden (ebd.). Damit setzt Grimmelshausen die deutsche Sprache positiv ins Verhältnis zu den anderen Sprachen. Zu diesem Zweck bedient er sich des Ascenas-Topos sowie der diskurssemantischen Grundfigur REINHEIT: Wohingegen euere liebe Vorfahren nicht allein seit unsers Großvatters deß Aschenatz Zeiten ihr Vatterland unvermischt und rein erhalten / beständig bewohnet / und gegen alle andere Außländer beschützt / sonder noch darzu dasselbe mit der frembden Künsten / Wissenschafften: (geschweige hier ihrer aignen Erfindung / als der Zeig- und Schlag-Uhren / der Druckerey / deß Büchsen-Pulvers) ja was noch mehr ist / so gar mit der Römischen Monarchia illustrirt und geziert: und in Summa es so weit gebracht haben / daß nunmehr zufragen stünde / was guts und nutzlichs doch immermehr jetziger Zeit die Außländer noch übrig hetten / daß wir nit so wol als sie vorlängst besessen (ebd.).

Ascenas wird hier als Großvater der Deutschen bezeichnet, was an die Formulierung Schottelius’ erinnert, er sei der Altvater der Deutschen (vgl. Schottelius, Arbeit, 34). Die Kenntnis des Mythos, in dem Ascenas nach dem Turmbau zu Babel und der Sprachverwirrung die deutsche Sprache nach Europa gebracht hat, wird offenbar als bekannt vorausgesetzt, Grimmelshausen geht jedenfalls nicht näher darauf ein. Stattdessen hebt er die Erfindungen hervor, die in Deutschland gemacht wurden (Uhren, den Buchdruck und das Schießpulver), um zu zeigen, dass Deutschland sehr wohl eine Kulturnation sei, die sich nicht vor anderen zu verstecken brauche. Insofern ist Borsts Interpretation, Grimmelshausen „begnügte sich mit dem Stolz auf eine Babelsprache, weil ihm die Unvollkommenheit alles Getrennten stets bewusst blieb“ (Borst 1957–1963, 1361), schief. Stattdessen ist auf Parallelstellen hinzuweisen, die ebenfalls die kulturellen Errungenschaften Deutschlands hervorheben, um die Orientierung an der Romania einzudämmen und eine Rückbesinnung auf das Eigene zu bewirken. So schreibt etwa Schottelius im Vorwort seiner Teutschen Sprachkunst: Wenn man dem Wesen der Teutschen eygentlich nachdencket / so wol was deroselben uhraltertuhm / Räume der Länder / Macht der Völcker / gewaltige Außzüge / Glück der Waffen / Eiffer zur Tugend / Vermeidung der Laster / strenge Haltung der rechten Adelschafft und

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derogleichen von langen Zeiten her / betreffen mag; als auch noch / daß sie endlich durch Göttliche Vorsehung das letzte Weltreich / und damit den höchsten Ehrenstand und das Haupt der Christenheit auff sich gebracht haben; daß sie an Ruhm der Trew und Tapferkeit / an Anzahl derer großmächtigsten / tapffersten und tugendreichsten Helden / an vollester Menge der gelahrtesten Leute / an reichem Zuwachse tausenterley Künsten / an Anzahl der berühmten hohen Schulen / und festen Stäten / an habung einer so prächtigen / wortreichen und reinen Hauptsprache und derogleichen / einen ansehnlichen Vortrit haben; ja / daß Sie die Welt durch erfindung der Truckerey gelahrt und geschickt / wie auch durch erfindung der Büchsen- und Pulverkunst tapfer und zum Kriegsmanne gemacht haben; man müchte die Gedancken gar wol von Ost biß Westen / von Suden biß Norden herumb jrren lassen / umb solcher der Teutschen Würdigkeit jrgends bey einem Volcke eine volle gleichheit hierinn auffzusuchen (Schottelius, Sprachkunst, fol. ):( ijr– ):( ijv; vgl. auch Schottelius, Arbeit, fol. b iijr).

Ähnlich äußert sich auch Hille: Wie nicht ohne sondere Vorsehung die Erfindung der Uhren / der Geschütz / der Drukkereykunst / der Gebrauch des Magnets / bey diesen letzten Zeiten hervorkommen: also ist die Erhaltung der Teutschen Sprache nicht so eine schlechte Sache / als bey vielen das verächtliche Ansehen haben will (Hille, Palmbaum, 9; vgl. Neumark, Palmbaum, 20).

Aus all dem schließt Grimmelshausen, daß nunmehr zufragen stünde / was guts und nutzlichs doch immermehr jetziger Zeit die Außländer noch übrig hetten / daß wir nit so wol als sie vorlängst besessen; was es wäre / daß der Mühe noch lohne / daß umb dessentwillen ein teutscher Sinn durch Lernung frembder Sprachen den Kopff zerbreche? Es nehme dann der eine oder andere der Schacherey halber die Müh auff sich / darvon er aber wenig Ruhm und Ursach zu pralen haben wird (TM, T 20).

Diese Stelle schließt an Kapitel zwei an: Angesichts des hohen kulturellen Niveaus in Deutschland gebe es keinen Grund, sich mit Fremdsprachen zu beschäftigen außer der Schacherey und der Pralerey. Das erste bezieht sich auf den Handel, wobei die Wortwahl diesen Vorgang deutlich negativ konnotiert, das zweite auf das Alamode-Wesen, das, nach dem Bisherigen, kaum positiver gewertet wird. Mit anderen Worten: Für Grimmelshausen gibt es keinen nützlichen Grund, mehr als die eigene Muttersprache zu beherrschen. Auch hier kann man sich aber, wenn man an seine Ausführungen im ersten Kapitel erinnert, des Eindrucks nicht erwehren, dass die Schlussfolgerung keineswegs so apodiktisch gemeint ist, wie sie auf den ersten Blick wirkt. Im Fazit zu diesem Kapitel fordert Grimmelshausen die Deutschen auf, sich nicht mit den vermischten Sprachen der Nachbarn zu beschäftigen, sondern mit der einzigen noch übrig verbliebenen ,Hauptsprache‘, dem Deutschen, da die Sprachen der Hebräer, Griechen und Römer ihre besten Zeiten hinter sich hätten.

490 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Hier wird erneut das Deutsche ins Verhältnis zu den anderen Sprachen gesetzt. Nachdem er wiederum auf das Pfingstwunder angespielt hat, beendet Grimmelshausen das Kapitel mit einer erneuten Betonung der REINHEIT, die das Deutsche als einzige der ,Hauptsprachen‘ erhalten hätte, die aber durch das Alamode-Wesen gefährdet sei. Zugleich leugnet er den direkten Zusammenhang von Sprache und kognitiven Fähigkeiten und sittlich-moralischen Dispositionen: [W]ann Witz / Weißheit und Verstand oder Tugend / und Dapfferkeit allein in den frembden Sprachen verborgen läge / so würden beydes Hebraeer / Griechen und Lateiner die Herrlichkeit ihrer Reiche im Flor: und ihre so glückselige und wolgesegnete Sprachen bey ihrer Reinigkeit erhalten haben; welche aber sie selbsten jetzunder bey ihnen so schlim antreffen lassen / als wann sie sich ihrer schämten (ebd., 21).

Grimmelshausen ist an dieser Stelle allerdings inkonsequent, weil er einen solchen Zusammenhang für das Deutsche gerade voraussetzt (vgl. auch unten, 6.8).

5.3 Die Orthographie Der Titel des vierten Kapitels lautet: Noch von einer anderen Art Sprach-Verbesserer / oder wahrhaffter zu reden / Teusch-Verderber. Diesmal sind allerdings nicht diejenigen gemeint, die sich übermäßig an fremden Sprachen und Kulturen orientieren, sondern die übereifrigen Sprachreformer. Auch sie werden wenig schmeichelhaft als Sprach-Helden bezeichnet und damit auf die gleiche Stufe gestellt wie die Alamodisten (vgl. TM, T 21). Grimmelshausen wirft ihnen vor, dass sie die deutsche Sprache zu sehr lieben „wie die Affen ihre Junge“ (ebd.), weshalb sie durch Neologismen oder eine „zuvor unerhörte Orthographiam“ versuchten (ebd.), diese zu erhöhen, wie die Alchemisten, die aus einem unvollkommenen Metall ein hochwertiges machen wollten. Damit verhelfen sie aber der deutschen Sprache nicht zu mehr Prestige, sondern suchen nur „ihr aigne Ehr“ (ebd.). Das Ergebnis ihrer Bemühungen seien so närrische Ding / so lächerliche Fratzen / so lahme Zotten / so elende Mißgeburten […] daß ich mich kühnlich versichert halten kan / wann ich meinem Schulmeister mit dergleichen Grillen auffgezogen kommen wäre / wie sie zu thun pflegen / daß er mich dermassen zerfitzt hätte / daß ich gumpen müssen wie ein Esel / dem irgends einer eine Hand voll scharpffer Distel oder Brenn-Nessel unter den Schwantz gelegt (ebd., 21 f.).

Mit diesen beiden Arten von Teutschverderbern, den Erfindern neuer Schreibweisen und den Erfindern neuer Wörter, beschäftigen sich die Kapitel vier und fünf des Teutschen Michel.

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Diese Tropffen (ebd., 22) überschätzen sich nach Grimmelshausens Ansicht, indem sie einerseits ihre Väter lehren wollen, wie sie die Sprache zu gebrauchen haben und andererseits die Mütter zwingen, „an statt der wahren und rechten natürlichen Muttermilch“ eine durchsauerte den Nachkommen zu geben (ebd.). Die Muttermilch-Metapher, die hier, mit dem sprachpatriotischen Diskurs konform, für die ,natürlich‘ erworbene Muttersprache gegen eine sekundär angeeignete Sprache eingesetzt wird, bekommt an dieser Stelle eine neue Wendung, indem sie nicht die deutsche Sprache gegen fremde oder den Anomalismus gegen den Analogismus ausspielt (vgl. oben, 4.2.6), sondern indem sie die Muttersprache gegen ein Zerrbild der Muttersprache, wie es den Sprachreformern vorschwebt, repräsentiert. Grimmelshausen greift die Metapher auf, wendet sie aber autonom an. Nach Grimmelshausens Auffassung wollen die Sprachreformer ihr eigenes Prestige steigern. Geht es nach ihm, bleiben diese Bestrebungen erfolglos: Warhafftig ihr dauret mich / wann ihr durch solche Thorheit und vergebliche Mühe hoffen wollet / bey der allerlobwürdigsten Frucht-bringenden Gesellschafft euern Banner anzubringen / und euerer Teutschverderberey wegen an selbigem höchstrühmlichsten Ort einen Ehren-Platz zu finden; allwo man euch billicher mit Ruthen zu stäupen: als mit Ehr und Lob zu becrönen befugt (ebd.).

War Grimmelshausen bisher allgemein geblieben, so deutet er nun an, wen er konkret meint, ohne allerdings Namen zu nennen: Betrachtet doch / ich bitt euch umb GOttes willen! betrachtet doch selbst; was ein rechtschaffner / ehrlicher alter Teutscher gedencken und sagen möchte? wann er sihet / daß ihr Fader für Vatter: slächt vor schlecht: entslagen vor entschlagen: Kwäll vor Quell: fon für von: sleichen vor schleichen: fer vor ver: fil vor viel: ädel vor edel: fäst vor vest: Kwaal vor Quahl / und so fortan schreibet? därfft ihr euch wol einbilden / er werde vermeinen / solches seye recht und wol geschrieben? (ebd.).

Anhand der kritisierten Schreibweisen (insbesondere für und für sowie für und für ) ist deutlich zu erkennen, dass die Rechtschreibvorschläge Zesens und seiner Anhänger, vor allem Johann Bellins, Gegenstand der Kritik sind.14 Grimmelshausen greift damit Schreibweisen auf, die auch andere Zeitgenossen angriffen. So schreibt etwa Neumark:

�� 14 Die ältere Forschung vermutete, dass Grimmelshausen mit dieser Kritk auch auf die Straßburger Tannengesellschaft zielt. Dies kann in Einzelfällen plausibel sein, nichtsdestotrotz richtet sich Grimmelshausen primär gegen Zesen (vgl. Bierbüsse 1958; 2014, 87, Anm. 97).

492 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs [W]ie ingleichen so vielen hochgebohrnen / ädelen und andern hochverständigen Gesellschaftern / in ihren Schriften und denen darin enthaltenen guten Satzungen zu widersprechen / die reine Schreibahrt / welche nunmehro […] in Keyser- Chur- und Fürstlichen Cantzleyen mehrentheils angenommen / frech zu tadeln / und der hochteutschen Mundahrt / so mit Beyfall und Genehmhaltung der berühmtesten Leute teutsches Reichs / die alleinige Lehrmeisterin / der teutschen Ausrede ist und bleibet / ein gantz fremdes ungeräumtes und läppisches Gelispel / aufzubringen / sich gelüsten laßen / zum vermeinten Ehrenlohn / bey der unpartheiischen / und teutschliebenden verständigen Welt / anders nichts als Auslachen / Schimpf und Verachtung zugewarten haben (Neumark, Palmbaum, 88).

Den Schluss dieser Passage könnte Grimmelshausen gekannt und ins SatirischKomische umformuliert haben. Neumarks Beispiele dieser inakzeptablen Orthographie ähneln denen, die auch Grimmelshausen anführt: Denn da kommen Sie aufgezogen / und wollen die unschuldige hochteutsche Jugend weiß machen / es gehöre niemals ein sch. vor einen Mitlauter sondern nur ein S. und müsse man schreiben / lesen und reden: Smertz / Slüssel / Swartz / etc. und nicht Schmertz / Schlüssel Schwartz etc. bald treten Sie herein und bringen / wie in der Relation aus dem Parnasso mit mehrerem zu sehen / gantze Säkke voll ch. getragen / schütten Sie vor des Apollo Thron aus / und begehren unverschämt / Er solle allen Schulmeistern befehlen / die Jugend zu unterrichten / daß sie nicht mehr lachen / machen / fluchen etc. Sondern lachchen / machchen fluchchen etc. schreiben sollen. Bald kehren sie den Pikkelheringshuht üm / und verwerfen das ch fast gar / wollen die Leute bereden / man müsse schreiben Maght (potestas), Zeighen (Signum) Eintraght (Concordia) Toghter (Filia) etc. und nicht Macht / Zeichen / Eintracht / Tochter / etc. Und nach dem ihnen geträumet / es gehöre das tz. auch nicht in die teutsche Schreiberey / schreiben sie Gesätse / Schwatsen / metsen / etc. und nicht Gesätze / schwatzen / metzen etc. (ebd., 89).

Desgleichen wollten sie das verbannen und nicht mehr , , , und schreiben, sondern , , , oder . „Andere wollen sich nicht an den 24. Buchstaben unseres so alt-redlichen teutschen Alphabets vergnügen lassen; Sondern wollen […] noch vielmehr Buchstaben so wol an Selbst- als Mitlautenden / darunter werfen“ (ebd., 90). Für Grimmelshausen sind solche Schreibweisen untragbar, weshalb er sie ins Lächerliche zieht: Nachkommen, die die Schriften dieser Sprachreformer lesen, würden ihre Autoren für Weiber oder A-B-C-Schützen, also Grundschüler halten, die gerade das Schreiben lernen oder niemals richtig gelernt haben. Möglicherweise könnte man sie auch für Narren halten. „oder der unschuldige Setzer und Corrector in der Druckerey wären hinlässige Hudler und ungelehrte

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Tropffen gewesen“ (TM, T 22). In jedem Fall hält er es für ausgeschlossen, dass solche Schreibweisen jemals ernstgenommen würden.15 Grimmelshausen referiert Zesens Reformvorschläge für das deutsche Alphabet, nach dem die Buchstaben , , und nicht mehr dessen Bestandteile sind und beklagt, dass in diesem Falle das Wort teutsch nicht mehr geschrieben werden könne, wie es gesprochen werde. Tatsächlich fehlen die genannten Buchstaben im deutschen Alphabet, wie es Zesen im Rosen-mând (186) vorschlägt. Grimmelshausen antizipiert, wie sehr die Orthoepie darunter leiden könnte, wenn die Reformvorschläge umgesetzt würden: Jhr mögt es aber gestehen oder nicht / so wird doch ein jeder Verständiger / der sein gesundes Gehör noch hat / wann er slagen vor schlagen: oder Slagt vor Schlacht lesen und aussprechen höret / urtheilen / es lauthe / als wann ein Kind lallet / dem die Zung nicht recht gelöset worden! (TM, T 22 f.).

Im Folgenden referiert er einige Reformversuche des Humanismus für die lateinische Sprache, namentlich wird Girolamo Ruscelli genannt, der bestritt, dass das ein lateinischer Buchstabe sei und es deshalb aus dieser Sprache entfernen wollte. Anhand von Beispielen zeigt Grimmelshausen die Widersprüche dieser Reformversuche, etwa wenn einige das und andere das aus dem Lateinischen entfernen wollen, so dass unterschiedliche Schreibweisen entstehen wie für , für oder für (vgl. ebd., 23). Danach kehrt Grimmelshausen zu den Reformern der deutschen Sprache zurück und unterzieht deren Bemühungen einer satirischen Kritik, indem er die diskurssemantische Grundfigur REINHEIT ironisch wendet: Nun wolan / von Hertzen geliebte Herren Landleuthe / ich ehre euch billich von wegen euers Eyfers / und deß Fleisses / den ihr erzeigt / vnsere teutsche Heldensprach durch euere wolgeschliffene Hirn / gleichwie das Gold durchs Feur / von aller Unrainigkeit und frembden Ankleibungen zu säubern; aber ich bitte euch darneben / ihr wollet doch in Abschaffung etlicher Buchstaben auch nur ein wenig achtung geben / wie schändlich es stehet / wann ihr Kaspar vor Caspar: Zizero vor Cicero: Joseff vor Joseph: Jakof vor Jacob: Sofokles vor Sophocles, und dergleichen ausländische Namen gantz falsch: ja so gar Kristus vor Christus schreibet! und wofern ihr dessen nit müssig stehet / so will ich euch versichern / daß ihr nicht allein bey andern des barbarismi bezüchtigt: sonder gar vor Haeretici gehalten und ausgeschryen werden sollet (ebd.).

�� 15 In der Tat hat sich von all jenen Beispielen, die Grimmelshausen zitiert, in der neuhochdeutschen Schriftsprache nur statt gehalten, alle anderen wurden verworfen.

494 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Hier klingt das an, was Leibniz „Schein-reinigkeit“ (Leibniz, Gedanken, 537) nennt: Die Sprachreformer glauben demnach, durch den Verzicht auf bestimmte, angeblich undeutsche Buchstaben, die Sprache von fremden Einflüssen zu säubern. Die Ironie wird auch anhand der Betonung des Eifers und des Fleißes, den diese anwenden, sowie des Syntagmas wolgeschliffenes Hirn deutlich (möglicherweise eine Anspielung auf Aegidius Albertinus). Die Darstellung nimmt jedoch in dem Augenblick eine ernste Wendung, als die Schreibweise Christus durch Kristus ersetzt wird. Hier scheint Grimmelshausen eine Tendenz zur Blasphemie zu wittern: Die Sprachreformer sind nicht mehr nur Urherber von Barbarismen, sondern sie könnten aufgrund solcher Schreibweisen für Häretiker und – zwei Zeilen später – Ketzer gehalten werden. Hier liegt eine der oben beschriebenen plötzlichen Wendungen des simplicianischen Stils vor, wie sie Menhennet beschreibt (vgl. oben, 463 f.). Exemplarisch soll nun die kritisierte Schreibweise oder statt anhand der Ausführungen in Zesens Hochdeutscher Spraach-übung überprüft werden. Dort kritisiert Zesen etwa die Schreibung mit : Da das kein deutscher Buchstabe sei und auch in den anderen Hauptsprachen nicht vorkomme, sollte man es wie das streichen; für die Schreibung von empfiehlt er , z.B. erwekken. Dann greift er auf den Ascenas-Topos zurück: Da Tuisco, Noahs Neffe, die deutschen Buchstaben erfunden habe und die Deutschen sich vorher am Griechischen orientiert hätten, sei es falsch, sich nach dem Lateinischen zu richten; zudem arte die deutsche Sprache mehr dem Hebräischen „alß aller andern Spraachen grund und brunnquell nach“ (Zesen, Spraach-übung, 44). Sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen würde geschrieben, also solle man nicht Cain, Calender oder Nectar schreiben, sondern Kain, Kalender oder Nektar. Da sich die Schreiber aber am Lateinischen orientierten, würden sogar ursprünglich deutsche Wörter nach lateinischem Vorbild mit geschrieben statt mit , z.B. clagen oder crantz. Zesen schlägt daher für das lateinische folgende Schreibungen im Deutschen vor: krantz, krohne, kammer, Zizero, Zaesar, Zitrone, Zepter. Zesen antizipiert den Einwand, dass es vielen seltsam vorkommen würde, lateinische Eigennamen wie Cicero oder Caesar als Zizero und Zaesar zu schreiben. Dies sei nicht von der Hand zu weisen, weshalb er vorschlägt, übergangsweise noch die Schreibweise mit beizubehalten, bis die neue Praxis ein wenig bekannter sei. Zur Begründung dieser Praxis greift Zesen bis ins Mittelhochdeutsche zurück: Die alten Deutschen hätten noch das für gebraucht, z.B. dehein für kein, aber auch dies hätte abgeschafft werden können. Warum also, so die rhetorische Frage, sollte nicht auch das abgeschafft werden können? Das sei, wenn es alleine stehe, kein deutscher Buchstabe. Im Deutschen sei es nur akzeptabel, wenn es vor einem stehe, also ,

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weil das dem griechischen χ (Chi) entspreche. Deshalb solle weiter bach, gleich oder falsch geschrieben werden. Außerdem sei das bei Fremdwörtern am Wortanfang zu gebrauchen wie Cherubin, Christall oder Christus, weil hier im Griechischen ebenfalls χ stehe. Es gebe zwar manche, die Kristus oder Kristall schreiben, weil der Laut als /k/ ausgesprochen werde und dieses täten auch die Franzosen, aber nur, wenn ein folge und weil sie diese Wörter von den Lateinern und Griechen entlehnt hätten (vgl. ebd., 45 f.). Anhand dieser Passage lässt sich zweierlei feststellen: Einerseits bestätigt es sich, dass Zesen das für einen ,undeutschen‘ Buchstaben hält. Andererseits ist die Kritik Grimmelshausens im vierten Kapitel des Teutschen Michel nur teilweise auf Zesen zu beziehen, zumindest was die Spraach-übung betrifft: Auch Zesen hält an der Schreibweise deutsch fest, die Schreibweise Kristus statt Christus wird sogar ausdrücklich abgelehnt. Andererseits verwendete er sie in anderen Texten trotzdem, so dass eine Divergenz zwischen Theorie und Praxis entsteht. So schreibt Zesen an anderer Stelle: Es wäre führwahr höhst-nötig / daß die von den Heiden erfundene Götter-nahmen zusamt ihrer ganzen Lehr-dichterei / bei uns Kristen abgeschaffet / und an deren stat eine andere / eben wie die ihrige / aus der wesentlichen beschaffenheit der unterschiedlichen dinge erfunden und aufgebracht würde (zitiert nach Jones 1995, 221; Hervorhebung von mir, S. R.).

Das Ausmaß der Verfehlung durch die Schreibung Kristus statt Christus macht Grimmelshausen in folgender Passage deutlich: Führet doch selber ohne meiner Wenigkeit geringfügiges Erinnern zu Gemüt / wieviel vnterschiedliche Ketzer sich an der Person vnsers Heylands so erschrecklich vergriffen: wann nemblich der eine seine allerheiligste Geburt / der ander seine wahre Menschheit; der dritte seine ungezweiffelte Gottheit: der vierdte und der übrige gantze Schwarm sonst etwas wider des allgemeinen Christlichen Glaubens Lehr bestritten; warunter sich aber gleichwol bißhero noch keiner gefunden / der sich so kecklich unterstanden / auch seinen allerheiligsten Namen mit Verzwack- und Verwechslung einiger Buchstaben anzufechten und zu verunehren / wie ihr thut / wann ihr nemblich das C mit dem K vertauscht / und das H gar hinwerfft! (TM, T 23 f.).

Die Begründung für die Behauptung, dass die Ersetzung des durch eine Sünde sei, erfolgt durch einen längeren Exkurs zur hebräischen Kabbala. Nach dieser Lehre wird jedem der hebräischen Buchstaben ein bestimmter Zahlenwert zugeordnet, so dass Namen und Wörter durch die Schreibung bestimmte Zahlen ergeben, die dann metaphysisch interpretiert werden. Grimmelshausen führt dies, nicht ohne ironische Spitzen, anhand der Ausführungen bei Philon von Alexandria vor:

496 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Philo (den ihr Filo schreiben wollet) hat in seinem Hexamero und Erklärung der zehen Gebott / es seyen in dem Namen GOttes Jehova, wann er mit Hebraischen Buchstaben recht geschrieben wird / drey Zahlen begriffen / nemblich 10. im Jod, sechs im Vau, und in zweyen He zweymal fünff / so auch zehen macht; aus welchem er zu GOttes Ehren schleust und die Auslegung hervor gibt / daß durch Zehen / so ein Begriff ist aller Zahlen / die genugsame Fülle aller Weisheit und Wissenschafft: durch Sechse aber die Vollkommenheit aller Ding bedeutet und angezaigt werde (ebd., 24).

Nachdem Grimmelshausen die Zahlenwerte der einzelnen hebräischen, griechischen und lateinischen Buchstaben erläutert hat,16 stellt er fest, dass sich in jedem Namen, der in der Bibel vorkomme, ein besonderes Geheimnis verberge. Er stellt die rhetorische Frage, wer die „naßweise Spätling“ so kühn mache, hier etwas zu verändern (ebd., 25). Die Formulierung spielt bewusst auf Zesen an, der sich mit dem Syntagma naseweise klüglinge häufig gegen Gegner verteidigt (z.B. Rosen-mând, 163); hier wird der Stoß pariert und zurückgegeben. Grimmelshausen legt es als Eingriff in Gottes Ordnung aus, wenn man an der Schreibung der biblischen Namen mutwillig etwas ändern wolle: [V]ermeinet ihr Herren wol / es sey nur umb der Gänse willen / oder ungefähr und vor die lange Weil geschehen / daß GOtt selbst dem Abram mit Zuthuung eines Buchstabens seinen Namen verlängert / als er ihn Abraam: seiner Sarai aber einen hinweg nahm / und sie Sara nennet? oder als Er den Namen Jacob gantz in Jsrael verändert? Jhr möchtet mir villeicht antworten und vorhalten / diß zeug Judaee nach Hebraischer Phantasey der Talmuthisten und Cabalisten! müst mir aber hingegen auch gestehen / daß Christus selbst nit umbsonst dem H. Petro seinen Namen verwechslet / so den Apostel Paulo / der ehebevor Saul hiesse / gleichfahls widerfahren (TM, T 25).

Die alttestamentlichen Namensveränderungen könnte man demnach noch als jüdische Phantasien abtun, doch eine von Christus persönlich vorgenommene lässt sich für Grimmelshausen nicht wegdiskutieren. Angesichts der Autorität, die Gott und sein Sohn und Stellvertreter ausstrahlen, komme keinem Menschen eine mutwillige Veränderung der Namen zu, vor allem keine „neuerfundene verlachens würdige Orthographiam“ (ebd.). Grimmelshausen zitiert mehrere Stellen des frühenglischen Theologen Beda Venerabilis und des Augustinus, die dem Namen Jesu eine heilsgeschichtliche Bedeutung zukommen lassen. Auch der Name Adams wird Gegenstand mehrerer kabbalistischer Auslegungen, etwa in folgender:

�� 16 Nebenbei stellt er sich auf die Seite derer, die das deutsche Alphabet vom griechischen ableiten, stimmt also Autoren wie Schottelius oder Zesen, die die deutschen Buchstaben auf biblische Zeiten zurückführen, nicht zu: „[D]ahingegen die Lateiner und wir Teutsche so die Buchstaben ohne zweiffel von ihnen empfangen […]“ (TM, T 24).

Die Orthographie � 497

[A]uß den Buchstaben / damit diser Name geschriben wird / erweisen; daß die Erde / darauß Adam erschaffen / von den vier Enden der Welt hergenommen worden; dann / sagen sie / das erste A bedeute Anatolin, das ist orientem, gegen Auffgang oder Osten; D bedeut Disin, das ist occasum, gegen Nidergang oder West / das zweyte A bedeute Arcton, id est, gegen Nord oder Mitternacht / und M bedeut Mesimbriam, Meridiem, gegen Mittag oder Sud (ebd., 26).

Für Grimmelshausen ist diese Interpretation glaubwürdig, weil er sie heilsgeschichtlich deuten kann: Und ist diß Vorbringen billich zu glauben / weilen deß ersten Menschen Nachkömling sich in alle vier Winckel der Welt solche zubewohnen / außgetheilt / und ein jeder an seinem Orth nach seinem Todt der Erden das ihrig wider gibt / so daselbst von ihr in der Schöpffung genommen / oder vilmehr entlehnet worden (ebd.).

Dieses Verfahren ist für ihn auch durch die Bibel beglaubigt. Er verweist auf das letzte Buch, die Offenbarung des Johannes, wo vor dem Antichrist gewarnt wird, der die Namenszahl 666 trägt.17 Nach diesem Exkurs kehrt Grimmelshausen zu der Frage zurück, warum die Schreibung Kristus statt Christus so verwerflich sei. Wer die Namen auf diese Weise „radbrechen, verstümplen / verkehren und verketzeren“ (TM, T 27), will, der entzieht erstens „GOTT selbst seine Ehr“, verdunkelt dessen „Verwunderungswürdige“ Geheimnisse, die durch die Kabbala offenbart werden können, und wird drittens „verursachen, daß man ins künfftig an der Namens-Zahl die abscheuliche Bestia, darvor uns die H. Schrifft so treulich warnet / nit erkennen: noch die vorgesagt 666.“ finden kann (ebd.). Die Orthographiereform Zesens und seiner Anhänger wird also letztlich aus heilsgeschichtlichen Gründen abgelehnt. Aus heutiger Sicht wirkt diese Argumentation, die aus der jüdischen Mystik Rechtschreibprinzipien ableiten will, hanebüchen. So schreibt etwa Rosmarie Zeller zu Recht: [U]m die Orthographiereform kritisieren zu können, begibt sich [Grimmelshausen] auf ein ganz anderes Feld und behauptet damit, dass die deutsche Sprache gleich der Hebräischen in ihren Buchstaben weitere Geheimnisse verberge, was selbst die radikalsten Sprachpatrioten in Deutschland nie behauptet haben. Das würde ja implizieren, dass die Schreibung eines Wortes ein für allemal festgelegt sei und so richtig sei, weil darin ein Geheimnis verborgen sein könnte (Zeller 2013, 78).

�� 17 „Hier braucht man Kenntnis. Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens, seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig“ (Offb. 13, 18).

498 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Gisbert Bierbüsses Bewertung dieses vierten Kapitels des Teutschen Michel ist negativ: „Es verlohnt nicht, auf die Ungereimtheiten in den kabbalistischen Spekulationen einzugehen. Sie wirken in diesem Zusammenhang sehr deplatziert, lassen sich auch nicht einfach von der hebräischen, lateinischen und griechischen Sprache auf die deutsche übertragen“ (Bierbüsse 1958; 2014, 93). Dazu setzt er eine Fußnote: „Gerade die Überzeugung von der Bedeutsamkeit dieser kabbalistischen zahlensymbolischen Argumente ließ Gr[immelshausen] das Gefühl für ihre Beweiskraft in diesem Zusammenhang und für die Kompositionsgesetze des T[eutschen] M[ichel] verlieren“ (ebd., Anm. 105). Daher sei das vierte Kapitel „sachlich und künstlerisch wohl das schwächste des T[eutschen] M[ichel]“ (ebd.). In Bezug auf Zesen legt er nach: Dieser stehe trotz seiner Fehler über den „kleinlichen Angriffen Gr[immelshausen]s“ und „[w]ie nötig auch Gr[immelshausen] einer reformierten Orthographie bedurft hätte, beweist ein Blick in die verworrene Rechtschreibung seiner Werke“ (ebd., 94). Diese Bewertung ist inhaltlich schief: Bierbüsse geht von neuzeitlichen orthographischen Idealen aus und reflektiert zudem die Tätigkeit der Setzer und Drucker nicht mit. Aus diesen Gründen kann man keineswegs von einer verworrenen Rechtschreibung bei Grimmelshausen sprechen. Wichtig ist aber, wie diese Argumentation erstens von den Zeitgenossen aufgenommen worden sein könnte und wie ernst es zweitens Grimmelshausen selbst damit war. Da es zu beiden Fragen keine unmittelbar belegten Zeugnisse gibt, ist ihre Klärung auf Indizien angewiesen. Dafür sei zunächst noch einmal Zesen herangezogen, der im Rosen-mând eine sehr spekulative Version von der Entstehung der Kabbala vorlegt: Im Text wird diskutiert, wann die Schrift erfunden worden sei. Marhold, Zesens Sprachrohr in diesem Text, erklärt, dass es bis zur Sintflut keine Buchstaben gegeben habe, denn sonst hätten sich Noah und seine Vorfahren mit der Kabbala (Kabel), oder, wie Zesen übersetzt: „Glaubens-entfängnüs“ [›Glaubensempfängnis‹] (Zesen, Rosen-mând, 123) geholfen. Die Kabbala wird so definiert: „Die Kabel […] ist eigendlich eine bewilligte und beglaubigte annehmung oder vielmehr eine Glaubens-entfängnüs und gefasseter glaube aus Göttlicher offenbahrung / zur heilsamen betrachtung Gottes und der unsichtbahren gestalten mitgeteilet“ (ebd.). Sie sei den Erzvätern, Moses und den Buß-verkündigern (›Propheten‹) durch Gott ungeschrieben mitgeteilt und dann mündlich weitertradiert worden. Zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft hätte sie aber der Schreiber Esdras in sieben Büchern aufgeschrieben, weil er befürchtete, sie könnte in dieser schweren Zeit, in der viele Hebräer entführt und abgeschlachtet wurden, verloren gehen, wenn sie nicht aufgeschrieben würde. Ihre Entstehung wird durch einen Mythos erklärt: Nach einer Überlieferung sagt die Sibylle Babels, sie sei zusammen mit ihrem Ehemann Noah im Kasten

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vor der Sintflut gerettet worden. Da die Heilige Schrift nichts davon berichte, dass Noah zur Zeit der Sintflut verheiratet gewesen sei, nehme er an, dass damit die Kabbala gemeint sei, die Noah in seinem Gedächtnis bewahrt habe. Anhand der griechischen und hebräischen Wortwurzeln behauptet Zesen, Sibylle und Kabbala hätten die gleiche Wurzel: Kybilla, Kabula, Cabala. Später hätte man die von den Alten übernommenen Gebräuche, Erzählungen und Geheimnisse Kabbala genannt; daher könne man die Gesänge der Alten in Deutschland, als es noch keine Schrift gab, Kabbala nennen: Dan sie waren anders nicht als mündliche erzählungen der tahten ihrer helden / ihrer kriege / oder andrer begäbnüsse / dadurch ihr gedächtnüs zu allen zeiten unterhalten / und von munde zu munde / von den ältern auf die kinder und kindes-kinder fortgepflantzet ward (ebd., 124 f.).

Unabhängig davon, was man aus heutiger Sicht von dieser Herleitung halten mag, scheint sie für Zesen so glaubwürdig zu sein, dass er ausführlich von ihr berichtet. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, dass zumindest bei von der Mystik geprägten Autoren, wie Zesen es sicher war, die Kabbala großen Respekt genoss. Auch Grimmelshausen selbst scheint der jüdischen Geheimlehre nicht abgeneigt gewesen zu sein. Im V. Buch des Simplicissimus beschäftigt sich die Hauptfigur mit allerlei Wissenschaften und Künsten, darunter mit der Kabbala: NAch meiner Heimkunfft hielte ich mich gar eingezogen / mein gröste Freud und Ergetzung war / hinter den Büchern zu sitzen / deren ich mir dann viel beyschaffte / die von allerhand Sachen tractirten / sonderlich solche / die ein grosses Nachsinnens bedorfften; das was die Grammatici und Schulfüchse wissen müßten / war mir bald erleidet / und eben also wurde ich der Arithmeticae auch gleich überdrüssig / was aber die Musicam anbelangt / haßte ich dieselbe vorlängst wie die Pest / wie ich dann meine Laute zu tausend Stückern schmisse; die Mathematica und Geometria fand noch platz bey mir / so bald ich aber von diesen ein wenig zu der Astronomia geleitet wurde / gab ich ihnen auch Feyerabend und hieng dieser sampt der Astrologia ein zeitlang an / welche mich dann trefflich delectirten / endlich kamen sie mir auch falsch und ungewiß vor / also daß ich mich auch nicht länger mit ihnen schleppen mochte / sondern griffe nach der Kunst Raymundi Lullii, fande aber viel Geschrey und wenig Wollen / und weil ich sie vor eine Topicam hielte / ließ ich sie fahren und machte mich hinter die Cabalam der Hebreer / und Hieroglyphicas der Egyptier / fande aber die allerletzte und auß allen meinen Künsten und Wissenschafften / daß kein besser Kunst sey / als die Theologia, wann man vermittelst derselbigen Gott liebet und ihm dienet (ST, B 523 f., T 439 f.).

Die Kabbala wird hier also im Zusammenhang mit den septem artes liberales der traditionellen Universität, der Kombinatorik des Raimundus Lullus und der Hieroglyphik genannt, ohne dass sie diesen gegenüber ab- oder aufgewertet würde. Da zumindest die sieben freien Künste hohes Prestige besaßen, kann man davon

500 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs ausgehen, dass Simplicissimus die Kabbala ebenfalls hoch schätzt und sie, wie die anderen genannten Wissenschaften, nur der Theologie unterordnet. Auch eine andere Stelle untermauert die Vermutung, dass Grimmelshausen die Kabbala hoch schätzte. Im Musai prophezeit Joseph die Ankunft des Messias, davon wir etwas wenigs aus den H. Geheimnüssen / die GOtt unseren Voreltern zu ihrem Trost anvertrauet / und wir auch von ihnen mündlich empfangen / daher stamlen können; Hier redet Joseph ohne Zweiffel von Christo / dem allgemeinen Heiland / und verstehet durch die heilige Geheimnüß nichts anders / als die Göttliche Cabalam, von deren und der verworffenen Cabala ich vielleicht an einem andern Ort zu schreiben Ursach haben werde (M, B 305 f., T 163).

Die angekündigte Schrift hat Grimmelshausen nicht geschrieben, so dass nicht klar wird, was die göttliche von der verworfenen Kabbala unterscheidet,18 doch das Attribut, mit dem die positive Version der jüdischen Geheimlehre versehen wird, zeigt, dass Grimmelshausen ihr großen Respekt entgegenbrachte. Dieser Befund macht deutlich: Obwohl Grimmelshausen, wie Bierbüsse gezeigt hat, große Teile des vierten Kapitels des Teutschen Michel aus dem 4., dem 29. und dem 30. Discurs in Tommaso Garzonis Piazza Universale übernommen hat, muss konstatiert werden, dass er hier eine eigenständige Position einnimmt, in der er die Reformversuche Zesens und seiner Anhänger einer satirischen Kritik unterzieht. Möglicherweise kannte er Zesens Sympathie für die Kabbala, so dass er sie bewusst als Argumentationsmittel gegen ihn verwendete. So würde Zesen mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Grimmelshausen hatte Respekt vor der Kabbala, wie sich an den Belegen zeigte. Doch er nutzte sie als Mittel zur Konstitution der satirischen Wirklichkeit, mittels der die wahrgenommene Wirklichkeit, die abgelehnten Reformorthographien, kritisiert wird. Die scheinbar abseitige Begründung der Ablehnung durch die Kabbala wird so zum satirischen Mittel. Wenn man das Kapitel so interpretiert, dann erweist sich Bierbüsses scharfe Kritik als Fehldeutung.

5.4 Fremdwörter Das fünfte Kapitel des Traktats trägt den programmatischen Titel Daß es wider der alten Teutschen Gewonheit: und bey ihnen nit herkommens: sonder vilmehr sehr unbequem und beschwerlich: ja gleichsamb unmüglich sey / allen frembden

�� 18 Es sei denn, man versteht das vierte Kapitel des Teutschen Michel als die angekündigte Schrift; vgl. oben, 2.3.

Fremdwörter � 501

Dingen teutsche Namen zu geben. Es geht hier also wesentlich um Fremdwortverdeutschung und damit um einen weiteren Aspekt der sprachreformerischen Bemühungen. Grimmelshausen sieht in den Bestrebungen der Sprachpolierer, ein „pur teutsch“ zu schaffen (TM, T 28), eine Thorheit. Denn es sei nahezu unmöglich, alle jemals aus fremden Sprachen entlehnten Wörter zu verdeutschen und so der deutschen Sprache zu mehr REINHEIT zu verhelfen. Die Problematik wird anhand von Wörtern deutlich gemacht, die Öffnungen in Häusern oder Begrenzungen bezeichnen, wobei das Signalwort Tageleuchter eindeutig auf Zesen verweist, der auch in diesem Kapitel Hauptadressat der Kritik ist:19 Wann ihr ein Fenster / darumb daß es lateinisch klingt / nit mehr Fenster: sonder einen Tagleuchter benahmet / warumb nennet ihr dann nicht auch die Pforten und Thüren anders / deren Namen ebenmässig von den Lateinern und Griechen herstammen? Wie solte man aber wol eine Thür oder Pforten auff euer nagelneu rein Teutsch tauffen müssen? Soll man sie den Eingang oder den Ausgang: die Beschliessung oder die Oeffnung des Hauses / Hoffs / Stalls oder Gartens nennen? dann man braucht ja dieselbe Schlupfflöcher / und das / was sie zuthut / und eine vollkommene Thür macht / zu allen den Geschäfften / das sonst von euerem reformirten Teutschen einen absonderlichen aignen Namen erfordert; wie wolte sich dann ein Name allein schicken? Unsere alte Teutsche Vorfahren seyn warlich keine Kinder: sonder denen / die im Anbegin die Teutsche Sprach geredet / viel näher gewesen als ihr; welche auch den Wörtern Fenster / Thür und Pforten / das Burgerrecht bey ihrer Sprach freywillig geschenckt / als sie auffhöreten in Hütten zuwohnen / darinnen weder Fenster / Thüren noch Pforten niemahls gesehen worden; Nachdem sie nemblich die Nothwendigkeit und den Gebrauch solcher Ding bey den Lateinischen Römern wahrgenommen / und selbige nennen hören (ebd.).

�� 19 Jedoch nicht Zesen allein. Angesprochen fühlen dürfen sich alle, die Fremdwortpurismus zum Zweck der REINHEIT der deutschen Sprache fordern und praktizieren. Exemplarisch darf dafür ein Text stehen, dessen Autor nicht bekannt ist, der Vnartige Teutsche Sprachverderber. Kurz nach Beginn des Textes heißt es nämlich: „Aber / eine Schand ist es / vnd zu erbarmen / daß diese vnsere teutsche Haupt- und Mutter-Sprach / als welche von Wörtern so schön / so weitläufftig / so rein / prächtig vnd volkommen / so schändlicher weise verunreiniget wird. [Absatz] Ein jedes Land befleissigt sich seine Sprach rein vnd lautet zu erhalten / aber die arme Teutsche / welche ohne das bey nahe jhre grosse Freyheiten / Haab vnd Güter verlohren / achten nicht hoch / auch jhre herrliche Sprach zu verlieren / in dem sie nicht allein selbige nicht lauter vnd rein fort pflantzen / sondern auch mit fleiß frembder Wörter sich gebrauchen / vnd mit dem Teutschen vermischen“ (Sprachverderber, zitiert nach Jones 1995, 289). In diesem Zusammenhang ist auch der Reichspatriotismus der ,Altdeutschen Bewegung‘ am Oberrhein zu nennen (z. B. Rompler und weitere Mitglieder der Straßburger Tannengesellschaft), deren Vertreter sich durch Grimmelshausens Kritik angesprochen fühlen durften (vgl. dazu unten, 560 f., sowie Kühlmann 2013, 324; zur ,Altdeutschen Bewegung‘ vgl. u.a. auch Kühlmann 2003 mit weiterer Literatur; zu Grimmelshausens Kritik an der Bewegung vgl. auch, mit einigem Vorbehalt [vgl. dazu Zeller 2013, 78–80], Grimm 1998, 59–63).

502 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Grimmelshausen wirft also Zesen erstens Inkonsequenz vor, weil er zwar Fenster (von lat. fenestra) verdeutschen wollte, aber Pforte (lat. porta) und Tür (griech. θύρα) unangetastet gelassen hatte. Sodann macht er einige nicht ernst gemeinte Vorschläge zur Verdeutschung von Pforte und Tür, wobei deutlich wird, dass es sehr schwierig ist, eine passende deutsche Bezeichnung zu finden, zumal, wie Grimmelshausen zu Recht betont, eine offene Frage ist, welcher Aspekt eines Gegenstandes die Bezeichnung letztlich motivieren soll. Auf zwei weitere Auffälligkeiten soll nur kurz hingewiesen werden: Erstens bedient sich Grimmelshausen der Rechtsmetaphorik (Bürgerrecht), die sich aber weder ausdrucksseitig noch in der Anwendung vom Gebrauch im übrigen sprachpatriotischen Diskurs unterscheidet. Zweitens klingt in dieser Passage implizit die diskurssemantische Grundfigur ALTER an, wenn nämlich darauf verwiesen wird, dass die alten teutschen Vorfahren diese Wörter von den Römern übernommen hätten. Grimmelshausen zeigt sich hier aber wesentlich moderater als andere Autoren, von denen einige vermutlich versucht hätten zu beweisen, dass Tür und Pforte ursprünglich deutsche Wörter gewesen seien (vgl. dazu oben, 443). Ein zweites Gegenargument gegen die Verdeutschung ist die pure Menge. Grimmelshausen verdeutlicht dies anhand der Pflanzennamen. Er listet zahlreiche Pflanzen auf, deren Namen aus dem Lateinischen eingedeutscht wurden, z.B. Osterlucey von aristolochia, Buxbaum von Buxus, Pfeffer von Piper oder Kirsche von Cerasa. Angesichts der riesigen Anzahl von Pflanzen aller Art wäre die Verdeutschung eine Aufgabe, die weder personell noch finanziell zu bewältigen wäre. Die Unmöglichkeit wird in einer Reihe von rhetorischen Fragen noch mehr verdeutlicht: HErr GOtt wie würde es ein seltzames misch masch abgeben? Wo wolte man genugsame Gevatterleut nehmen? wer würde sie hierzu erbitten? auff wessen Uncosten müste man die neue Namen in den weitläuffigen Gräntzen unsers grossen Teutschlands außbraiten und verkündigen? und wer weiß / ob alsdann des einen und andern frembden Dings neuersonnene Namen allen Teutschen genehm seyn würden oder nicht? ob ihnen allen auch die Tauffpaten beliebten oder nicht? (ebd., 29).

Allerdings trifft dieser Vorwurf Zesen nur wenig. Zwar hatte er sich an der Verdeutschung einiger Pflanzennamen versucht, doch weil er erstens Gefahr gelaufen wäre, nicht mehr verstanden zu werden und weil zweitens eine große Uneinigkeit unter den Ärzten bestehe, wie man eine Pflanze benenne, habe er dieses nicht weitergeführt. Dies geht aus der Wohlgegründeten Bedenkschrift über die Zesische Sonderbahre Ahrt Hochdeutsch zu Schreiben und zu Reden […] hervor, die Andreas Daniel Habichthorst 1678 publizierte und die eine Verteidigungsschrift in Zesens Namen darstellt:

Fremdwörter � 503

Daß wir auch alhier die fremden Namen der Ausländischen Gewächse / und anderer Dinge zuweilen behalten / das haben wir aus Noht tuhn müssen; damit uns der Leser üm so viel eher und besser verstehen möchte. Sie hetten zwar / ihrer Eigenschaft nach / alle miteinander sehr wohl verdeutschet werden können; wie es auch in etlichen geschehen. Aber die meisten seind dannoch / mit vorbedacht / in ihrer Grundsprache gelaßen worden; weil sie darinnen schon / und allein bekant waren. In den Nahmen der Kreuter kommen die Hochdeutschen Aertzte nicht überein; sondern der eine nennet oftmahls ein Kraut so / der andere anders. Gleichergestalt verfahren sie auch mit den Nahmen vieler Krankheiten. Damit wir nun von allen Hochdeutschen Völkern üm so viel besser möchten verstanden werden / so haben wir zuweilen die in Meissen und anderwärts gebreuchlichen Nahmen beide beieinander gefüget (Habichthorst, Bedenkschrift, zitiert nach Jones 1995, 539; Hervorhebung im Text).20

Nichtsdestotrotz zieht Grimmelshausen die Verdeutschung fremder Pflanzennamen ins Lächerliche: „Assa foedita nennen wir wegen seines bösen Geruchs Teuffelsdreck; was gebührt aber hingegen dem Assa dulcis vor ein teutscher neuer Name wegen seiner Lieblichkeit? vielleicht Engelsdreck? Ey pfuy / das wär ja so närrisch und gottloß geredet / als unflätig und schändlich es lautet“ (TM, T 29).21 Würde man versuchen, alle fremden Pflanzennamen zu verdeutschen, würde für Grimmelshausen ein Kauderwelsch und eine zweite Babylonische Sprachverwirrung folgen: Wird demnach schwer und schier ohnmüglich fallen / wann man allen frembden Gewächsen und Materialien / die jetziger Zeit aus der Frembde zu uns gebracht werden / und ihre aigne Namen selbst mit sich bringen / anders nennen müste; wie eine kauderwelsche Sprach würden wir bekommen? was würde es nur vor eine neue Babylonische Verwirrung in den Apotecken darvon setzen? (ebd., 29 f.).

Diese Verwendung des Topos Babel war bereits bei Johann Klaj aufgetaucht. Dieser befürchtete angesichts der großen Anzahl von Fremdwörtern aus Italien und Frankreich ein neues Babel: „Noch dennoch bauen wir jetzo ein neues Babel von Welschen Steinen und Frantzösischem Holtzwerk auf den teutschen Boden / daß zu befürchten / ob künftig jemand in Teutschland leben möchte / der uns das Teutsche verteutschete“ (Klaj, Lobrede, 410). Grimmelshausen verwendet den Topos prinzipiell in gleicher Weise, variiert jedoch die Kernaussage, indem er den Anwendungsbereich verschiebt. Während Klaj sich über die zunehmende Zahl der Fremdwörter beklagt, fordert Grimmelshausen im Gegenteil deren Beibehaltung, weil eine Verdeutschung erst recht babylonische Zustände auslösen würden.

�� 20 Vgl. dazu auch Harbrecht 1912, 58. 21 Zur Interpretation dieser Textstelle vgl. oben, 207.

504 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Grimmelshausen gibt zu, dass die fremden Namen oft auch wegen der Patienten beibehalten würden, da sie exotischen Pflanzen mehr Heilkraft zuschrieben als einheimischen: Jch kan auch nimmermehr glauben / daß dieselbe gute Herrn eine solche reformation zugeben würden / weilen ihnen dran gelegen / daß die jenige Maulaffen / so ihrer Wahr bedörfftig / einen stärckern Glauben dran haben / wann sie mit Arabischen und sonst frembden Namen genennet werden / wie die herrliche Zedel an ihren Büchsen / Gläsern und Schachteln ausweisen / ob sie gleich in unserm teutschen Erdboden: vielleicht zu nächst vorm Thor oder gar in der Statt hinter der Maur gewachsen (TM, T 30).

Doch hier gehe es um etwas anderes: Die Aufgabe, die Patienten zu heilen, sei wichtiger, als sich deutsche Namen für allerlei fremdartige Pflanzen auszudenken. Dieser Gedanke wird wieder satirisch überspitzt vermittelt: „[B]iß man Tutia, Aloe, Turbith, Rhabarbara, Myrrha, Alkikenga, opium, laudanum, Jujuba, Opopanacum, Scabiosa, Rhapontica, und noch wol 77. dergleichen Namen vergisst und teutsch darvor lernet / könten wol 1700. Krancke schlaffen gehen und verwahrloset werden“ (ebd.).22 Genau das Gegenteil behauptet der Autor des Sprachverderbers in seiner Anekdote von der Frau, die bei einem Arzt wegen eines Magenleidens ihres Mannes vorstellig wird (in: Jones 1995, 300 f.). Der Arzt verschreibt ihm sieben Pillulen (›Pille, Tablette‹), die er alle auf einmal einnehmen solle. Die Frau, die das Wort Pillulen nicht kennt, versteht Pullulen, das dialektal gebräuchliche Wort für junge Hühner. Weil sie zu Hause etliche Hühner besitzt, geht sie, um Geld zu sparen, nicht zur Apotheke, sondern direkt nach Hause, schlachtet sieben junge Hühner, brät sie und setzt sie ihrem Mann vor. Der Mann, der weiter über seine Magenschmerzen klagt, isst mit großer Mühe sechs der Hühner auf, das siebte schafft er nicht mehr. „Wie es ferner ergangen / ist nicht auffgeschrieben“ (ebd., 301). Man kann sich aber vorstellen, dass der Magen des Mannes durch diese Behandlung sicher nicht besser geworden ist. Der Autor zieht folgendes Fazit aus dieser Geschichte: „Allein ist hiebey zu mercken / daß dieser krancke Mann an diesen Pullulen hätte ersticken können / daran dann der Artzt schuldig gewesen / weil er nicht teutsch geredet / hätte er gesagt / es seyn sieben Kügelein / so hätte jener keine Pullulen geschlucket“ (ebd.). An Beispie-

�� 22 Ähnlich argumentiert noch anderthalb Jahrhunderte später Georg Friedrich Grotefend (1818–1824): „In wissenschaftlicher Hinsicht ist es nicht nur schwer, bei Vermeidung aller fremden Ausdrücke verständlich zu bleiben; sondern es kann sogar, besonders in arzneiwissenschaftlicher Hinsicht, gefährlich seyn, die einmahl üblich gewordenen fremden Ausdrücke mit heimischen zu vertauschen“ (zitiert nach Gardt 2001, 39).

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len wie diesen wird ersichtlich, dass Grimmelshausen und der Autor des Sprachverderbers inhaltlich weit voneinander abweichen. Anhand einiger Heteronyme für Tabak führt Grimmelshausen vor, wie sich der Internationalismus schließlich gegen einzelsprachliche Bezeichnungen durchsetzt. Es gehört zum simplicianischen Stil, dass auch diese Passage mit einer ironischen Pointe endet: Einmal / ihr Herrn / der Tabac ist und bleibt Tabac, hat auch diesen feinen Namen bißher bey allen Völckern behalten / ob er gleich von den Frantzosen anfänglich Nicotiana, Herbe de la Royne mere, Herbe du grand Priour, und L'herbe de l'Ambassadeur, bey den Jtalianern aber Herba Sancta: und bey theils Teutschen und Teutschinen / die seinen Rauch nicht gedulten mögen / Teuffelsgestanck genannt worden: wäre ihm dieser letztere Name geblieben / so dörffte er wol nicht so gemein worden seyn / als er jetzunder ist (TM, T 31).

Von hier geht der Autor zur Gelehrtensatire über: Wenn man unbedingt verdeutschen müsse, so solle man einfältige Bauern mit der Verdeutschung beauftragen, denn wenn man die Gelehrten damit betraue, dann komme dabei nur eine babylonische Sprachverwirrung heraus, die diesmal implizit anklingt: Aber es ist meines Darvorhaltens viel an den Tauffpaten gelegen / und solte ich Gevatterleuthe gewinnen / so wolte ich warhafftig keine Sprachhelden: sonder nur einfältige Bauren nehmen / einem und andern frembden Ding neue teutsche Namen zu schöpffen; dann solte man euch (da GOtt vor sey) gewähren und also fortfahren lassen / wie ihrs angefangen / geschweige gar beypflichten und zu Tauffpaten hierzu erwählen / so würdet ihr in kurtzer Zeit einen solchen ungeheuren: mit allerhand närrischen Rätherschen [›Rätseln‹] verworrnen labyrinthum aus der tapffern Teutschen Helden-Sprach machen und aufferbauen / daß sich niemand mehr hinein finden oder heraus wickeln: ja endlich weder der Teuffel noch seine Mutter verstehen: noch einiger Oedipus, ja die Sphinx selbst nit errathen könte / was ein Teutscher von dem andern haben wollte (ebd.).

Die Bauern seien an solchen Aufgaben meist aber gar nicht interessiert. Grimmelshausen erzählt zum Abschluss des Kapitels die Anekdote von einem Bauern, der hartnäckig auf der verballhornten Bezeichnung für ein bestimmtes Kraut beharrt: [V]or etlichen Tagen spatzierte (potz! lustwandelte solt ich auff neu Teutsch gesagt haben) ich mit einem solchen in seinem Krautgarten herumber / worin ich die Angelicam schön blühen fande; ich fragte ihn / wie er dasselbe Gewächs nenne? Er antwortet Kahillika; ich sagte / es heist Angelica, er aber hielt mir Widerpart und antwortet / alle meine Nachbarn die dises Kraut haben / sagen ihm Kahillika / auch der hats so genennet / von dem wirs bekommen haben? solte ich ihnen dann nicht mehr glauben als euch? der ihr mir allein einen andern Namen fürschwätzen wollet! (ebd., 31 f.).

506 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Grimmelshausen hält diese Anekdote für lehrreich und nimmt sie zum Vorbild für die richtige Reaktion auf alle Sprachreformer: „[E]ben also dörffts euch Sprachsäuberern auch gehen / so fern ihr zu der angeregten Gevatterschafft erkohren werden soltet“ (ebd.).23 In dieser Passage steckt noch eine weitere Spitze gegen Zesen: Dieser verdeutschte das Verb spazieren durch lustwandeln. Mit dem Einschub in Parenthesen rückt Grimmelshausen Zesen erneut in die Lächerlichkeit. Hugo Harbrecht nimmt ihm diesen Spott sehr übel: „Seine Gegnerschaft gegen Zesen treibt ihn soweit, eine seiner guten Bildungen zu verspotten. Ich meine das Wort ,lustwandeln‘, das zweifelsohne eine Schöpfung Zesens ist“ (Harbrecht 1912, 78). Gleichwohl verspottet Grimmelshausen Zesens Verdeutschungen bereits früher und nicht ganz so auffällig: So giebts auch etliche / und zwar nicht wenig / die sich als Sprachhelden unterstehen / gantz Nagelneue Wörter uff die Bahn zu bringen / deren sie sich nicht allein in ihren Schrifften gebrauchen / sonder auch in ihren täglichen Reden vernemmen lassen; und ob sie zwar deßwegen offt so kahl damit bestehen / daß sie auch die Wald-bauern verlachen und corrigiren, so vermeinen sie iedoch / das Vaterland sey ihnen umb solcher ihrer närrischen Witz halber hoch verbunden; Andere wollen eine neue Grammatica und Orthographiam der teutschen Sprach vorschreiben / die so Phantastisch beschaffen / daß die Schüler Knaben / wann sie darmit ufgezogen kämen / bey den Schulmeistern übel anlauffen würden; und dennoch schämen sie sich nicht / sich solcher Thorheit halber zu rühmen (SP, T 93).24

Dies ist ein erneuter Hinweis auf die Kohärenz des Grimmelshausenschen Autordiskurses: Der Spott für die Sprachhelden, der erst im Teutschen Michel voll entfaltet wird, taucht schon in der Erstlingsschrift, dem Satyrischen Pilgram, auf. Diese Intertextualität stützt die These, dass mit dem Satyrischen Pilgram das Themenspektrum des Autordiskurses bereits vorgezeichnet wird, so dass die Schrift eine Art Vorhabensbeschreibung darstellt, die durch das weitere Werk voll entfaltet wird. Zum Schluss verweist Grimmelshausen noch einmal auf Weises Ertznarren, diesmal auf das elfte Kapitel (vgl. TM, T 32). Hier bietet ein Schreiber der Reisegesellschaft um Florindo und Gelanor seine Dienste an und Gelanor lässt ihn zur Probe einen Brief schreiben, in dem er einem Freund zur Hochzeit gratulieren will. Der Brief hat folgenden Wortlaut:

�� 23 Vgl. zu dieser Passage auch Zeisberg 2013, 137–139. 24 Grimm (1998, 57) weist darauf hin, dass Grimmelshausen diese Passage, im Gegensatz zu ihrer unmittelbaren Umgebung, nicht aus Garzonis Piazza Universale übernommen hat; dafür spricht auch ihre Aktualität.

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Hochgeneugter und Follkommen liebender Freund. Daß seine sich-so plötzlich fergnügenwollende Jugend / in das lüstrende und augenreizende Lachchen der holdreuchesten Fenus angefässelt worden / haabe ich wohl fernommen / lasse auch den Preißwürdigsten Einladungs-Brieff deswegen in dem Tageleuchter liegen / dahmit ich das Ahndänkken der forstehenden Lustbarkeit nicht auß den Lichtern meines Haubtes ferlihren möhge. Die Fakkel des Himmels wird nicht fihlmahl umm den Tihrkreuß lustwandeln fahren / so wird die gänzzlich herfor gekwollen seynde Süssigkeit der freundlichsten Libinne / sein gantzes Läben erkwikkend beseligen. Und da müste Zizero sälbst ferstummen / ja dem Firgilus und Horazius ingleichen dem Ofidius würde es an gleichmässigen Glückwünschungs-Wohrten fermangelbahren. Bei so angelaassenen Sachchen / solte ich schweugen / umb meine in der Helden sprachmässiger Wohlsäzzenheit gahr wänig außgekünstelt habende / und nicht allzu woortsälig erscheunende Schreibrichtigkeit / oder daß ich bässer vernünfftelte / umb meine sich unwissend erkännende Gemüths Gebrächchen nicht zu ferblössen. […] Gegäben mit flüchtiger Fäder den 10. deß Rosenmonds im 1656. H. Jahre (Weise, Ertznarren, 126 f.).

Orthographie, Wortwahl und manieristischer Stil lassen den Brief eindeutig als Parodie auf Zesens Schriften erkennen. Dafür sprechen auch Signalwörter wie Tageleuchter, Rosenmond und das Syntagma der Helden sprachmässiger Wohlsäzzenheit, das auf Zesens Gesellschaftsnamen in der Fruchtbringenden Gesellschaft (,Der Wohlsetzende‘) verweist. Gelanor liest den Brief ratlos durch und fragt den Schreiber, was das heißen solle und warum er „die gantze Schreib-Art so liederlich verderbet hätte“ (ebd., 127). In seiner Antwort nimmt der Schreiber deutlich Bezug auf die Ablehnung und den Spott, den Zesen für seine Verdeutschungsversuche erhielt: Man solte dem Himmel mit gefalteten Händen dancken / daß nunmehr etliche vornehme Männer mit unbeschreiblich grosser Müh / der Teutschen Helden-Sprache zu der alten Reinligkeit geholffen: So müssen die stattlichen Leute vor die saure Arbeit nichts als Spott und Verachtung einnehmen. […] Er schlage nur die Schrifften vieler Weltberühmten Poeten auf / und erwege / was sie vor Fleiß gethan / die unreinen Wörter auß der HeldenSprache außzumustern / und hingegen schöne / reine und natürliche an die Stelle zu schaffen. Was soll ich den Lateinern die Ehre gönnen / daß ich ihnen zugefallen sagen soll Fenster: Ich mache lieber ein Teutsch Wort Tageleuchter. Und fragt iemand / was ein Fenster in der Nacht heist / so sag ich / ebenso wohl Tageleuchter / wie ein Nachtkleid in dem Tage auch ein Nachtkleid / und die Sonntagshosen in der Woche auch Sontagshosen heissen. So ist es mit andern Wörtern auch beschaffen. Wundert sich ferner iemand über die neue Schreibrichtigkeit: So muß ich sagen / daß derselbe noch nicht Teutsch versteht. C. ist kein Teutscher Buchstabe / V. auch nicht / Y. auch nicht / ja auch das Q. Warumb solt ich nun falsch schreiben / da ich es besser wüste? Gesetzt auch / daß die Gewohnheit nun im Gegentheil eingerissen wäre: So folgt es nicht / daß die Menge der Irrenden die Sache deswegen gut machen müste (ebd., 127 f.).

508 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Gelanor hört dieser „Thorheit“ (ebd., 128) mit großer Geduld zu, dann widerspricht er ihm heftig. Die Argumente, die er anbringt, sind einerseits pragmatischer, andererseits zeichentheoretischer Natur. Zunächst sagt er, dass Sprache in erster Linie verständlich sein müsse: Das Hochteutsche muß auch verständlich seyn und muß nicht wieder die Natur der Sprache selbst lauffen. Uber dis könte auch eine Eitelkeit grösser seyn / als daß man sich einbildet / es sey ein Wort besser als das ander? Ein Wort ist ein Wort / das ist / ein blosser Schall / der sich vor nichts heist / und nur zu einer Bedeutung gezogen wird / nachdem der Gebrauch und die Gewonheit solches bestätigen. Und also muß man den Gebrauch am meisten herrschen lassen. Ein Tisch heist darum ein Tisch / weil es von den alten Teutschen so beliebet und gebrauch worden. […] Ich frage auch / ist diß nicht der eintzige Zweck von allen Sprachen / daß man einander verstehen will? Nun wird es niemand leugnen / daß dieselben Wörter / die ihr außmustert / von iederman besser verstanden werden / als euere neue Gauckel Possen. Nehmet ein Exempel. Wann ein Soldat seinen Lieutenant wolte einen Hr. Platzhalter / den Quartiermeister Hr. Wohnungs- oder Herbergenmeister nennen. Oder wenn einer die Pistolen haben wolte / und forderte die Reit-Puffer […]. Es ist nicht bald geschehen / daß andere Leute errathen können / was ihr haben wollet (ebd., 128 f.).

Gelanor wirft dem Schreiber und denen, die mit ihm einer Meinung sind, Oberflächlichkeit vor, denn sie dringen nach seiner Auffassung nicht zum eigentlichen Problem vor. Daher seien ihre Bemühungen vollkommen nutzlos: „Lesebengel und Papierverderber seyd ihr. Wäre es euer Ernst der Welt nütze zu seyn / so würdet ihr nicht an den blossen Schalen kleben / und den Kern gantz dahinden lassen“ (ebd.). Als sich der Schreiber uneinsichtig zeigt, gibt Gelanor ihm einen halben Taler als Schreibgebühr und schickt ihn mit folgendem Gedanken fort: „[E]s wäre doch alles Zureden vergebens / wann ein Mensch allbereit in die süsse Thorheit so tief eingelassen hätte“ (ebd.). Unverkennbar repräsentiert der Schreiber Zesen, während Gelanor als Sprachrohr für Weise selbst fungiert. Weises Kritik an Zesen ist von seiner pragmatischen und kommunikationsorientierten Sprachauffassung getragen. Für ihn dient Sprache in erster Linie praktischen Zwecken, sie ist ein Werkzeug im gesellschaftlichen Umgang. Daher legt er Wert auf ein reibungsloses Funktionieren dieses Werkzeugs und hat deshalb für Theorien, die Sprache zu einem ahistorischen und apragmatischen Sein hypostasieren, wenig übrig. Zesens Reformversuche stören nach seiner Ansicht nur die Kommunikation und sind deshalb zu verwerfen.

Sprachgebrauch � 509

5.5 Sprachgebrauch Die Kapitel sechs bis zehn des Teutschen Michel bilden einen Block, der sich mit dem Sprachgebrauch der verschiedenen Stände sowie mit individuellen Sprachtorheiten auseinandersetzt. Sie können daher in einem Abschnitt zusammengefasst werden. Das sechste Kapitel trägt den Titel Von einer dritten Gattung Sprach-Helden / so zwar in zweyerley Sorten bestehen; von welcher wegen noch niemahl kein Gebott außgangen / daß man sie bey hoher Straff keine Narren schelten soll. Das Kapitel schließt an die Kapitel vier und fünf an, durch die Konzentration auf den Sprachgebrauch ist es aber auf einer anderen Ebene angesiedelt. Der Abschnitt beginnt mit einer Münzmetapher, die wieder auf völlig andere Weise gebraucht wird als bei den anderen Diskursakteuren: GLeichwie der Müntzen ohne die Kupfferne zweyerley pflegen zuseyn / Gülden und Silberne / darauß aber auch wegen der Mixturen der Metallen eine dritte Gattung entstehet; Also befinden sich auch vornemblich zween Orden artlicher Leuthe / die mit frembden Sprachen prangen; gelehrte und ungelehrt; warzwischen sich die dritte finden / die weder Hund noch Fuchs (von Haasen sag ich nichts) weder unter die Gelehrte noch Ungelehrte zurechnen seyn; und ist unter ihnen (gleich wie unter der Schiedmüntz / darunter sich sechzehnerley löthig Silber befindet) ihrem Valor und Gehalt nach / auch ein grosser Unterscheid (TM, T 32).

Grimmelshausen parallelisiert also die verschiedenen Arten von Münzen (Goldmünzen, Silbermünzen und Legierungen) mit verschiedenen Arten des Gebrauchs fremder Sprachen: Gelehrte, Ungelehrte und solche, die weder das eine noch das andere sind. Diese werden mit der Scheidemünze, also einer Münze von geringem Wert verglichen, von der es viele verschiedene Sorten gebe. Von den verschiedenen Typen dieser dritten Art handelt dieses Kapitel. Die erste Gattung sind diejenigen, die im ersten Kapitel gelobt wurden; sie können mit den Goldmünzen verglichen werden und verdienen keinen Tadel. Doch wie es unter den Dukaten auch solche gebe, die zu leicht, gelötet oder falsch seien, so gebe es auch unter den gelehrten Sprachverständigen einige, „die nit allerdings so rein seyn / wie das Venedische Glaß“ (ebd., 33). Diese hätte er im zweiten Kapitel getadelt. Von der Münzmetapher geht Grimmelshausen nun zur Metapher Essen und Trinken über, indem er sagt, dass dieses zweite Kapitel für diese zweite Sorte ein Frühstück gewesen sei, das er ihnen aufgesetzt habe. Die Metapher führt er dann weiter: „Wolte sie auch besser tractirn, wanns nur thunlich wäre / einem jeden von so unterschidlichen Leuthen auff einmahl über einer Taffel / wie es seine Meriten erfordern / dienstlich auffzuwarten“ (ebd.). Er wolle nun erzählen, wer zu seinem Tisch gehöre, „kriege ich dann Gäst / so

510 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs kriege ich verhoffentlich auch einen guten Trunck / ihnen beydes beym Jmbs und Confect tapffer einzuschencken“ (ebd.). Auch die Metapher Essen und Trinken wird also in anderer Weise eingesetzt als bei den anderen Diskursakteuren. Die Meriten, die sich die Angehörigen dieser dritten Gattung verdient haben, sind offenbar Ausdruck der Ironie, vielmehr bekommen sie das, was sie wirklich verdient haben, nämlich Spott und satirischen Tadel. Dies sind die Speisen und Getränke, die der Satiriker Grimmelshausen ihnen vorsetzt. Es zeigt sich hier bereits, dass die Münz- und die kulinarische Metaphorik die Leitmetaphern dieses Kapitels sind, die weitgehend die Bildlichkeit des Abschnitts tragen. Zu diesen Gästen gehören erstens diejenigen, die aus reiner Eitelkeit unnötig viele Fremdwörter gebrauchen: Dise nun seynds die hieher gehören / welche / damit jeder Bänne [›Geselle‹] wisse / was sie vor gelehrte / erfahrne und viler Sprachen kündige Leuth seyen / oder daß sie wenigist jederman darvor halten / ehren und ansehen soll / beydes ihre Reden und Schrifften / wann es gleich gantz ohnnöthig / dermassen mit fremden Wörtern anfüllen / verbremen und außstaffiren / daß Calepinus selbst nit genugsamb wäre / den jenigen mit ihnen conversiren oder correspondiren müssen / vor einen Dolmetschen zudienen (ebd.).

Calepinus (1435–1511) ist der Verfasser eines lateinischen Wörterbuchs mit Erläuterungen in mehreren Sprachen. Grimmelshausen wirft den Gästen also vor, so viele Fremdwörter zu gebrauchen, dass selbst ein polylinguales Wörtbuch nicht ausreicht, um deren Texte zu verstehen. Er knüpft damit an Hilles rhetorische Frage an, mit der dieser solchen Sprachgebrauch kritisiert: „Wer teutsches uns das Teutsche? es ist ohne einen Dolmetscher / der etlicher Sprachen mächtig ist / nicht zu verstehen / wie diese reden“ (Hille, Palmbaum, 136; vgl. auch Neumark, Palmbaum, 141). In dieser Passage setzt Grimmelshausen auch die Kleidermetapher ein, um den Gebrauch fremder Elemente im deutschsprachigen Text zu beschreiben (verbrämen und ausstaffieren), wodurch sich Grimmelshausen beim Einsatz der Metapher nicht von den anderen Diskursakteuren unterscheidet. Von den tractamenten (hier: ›Gastmahl‹, die kulinarische Metaphorik wird also fortgeführt) will Grimmelshausen die nicht ausschließen, „die ihre aigne angeborene teutsche Tauff- und Zunamen verlateinisiren oder gantz Griechisch dargeben“ (TM, T 33). Diese stehlen, so Grimmelshausen weiter, dem Vaterland die Ehre und geben sie anderen Nationen, weil man, wenn man ihre Bücher liest, sie niemals für einen Deutschen, sondern für einen Lateiner oder Griechen halten müsse. Grimmelshausen meint hier einerseits Zeitgenossen wie Schottelius, der als Schottel geboren wurde, aber zeit seines Lebens die lateinische Form seines Namens gebrauchte, andererseits die humanistische Mode, den

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eigenen Namen ins Lateinische oder Griechische zu übersetzen. So hieß etwa der Reformator Philipp Melanchthon (1497–1560) mit seinem Taufnamen Schwartzerdt, Heinrich Kramer (1430–1505), einer der Autoren des Malleus Maleficarum, nannte sich Institoris, der Baseler Verleger Johannes Oporinus (1507–1568) hatte eigentlich den Nachnamen Herbst und der Universalgelehrte Joachim Camerarius (1500–1574) hieß in Wirklichkeit Kammerherr. Indem Grimmelshausen diese an seinen Tisch versammelt, entsteht dort ein Kauderwelsch, das wiederum mit der kulinarischen Metapher veranschaulicht wird: Ach wie wird es alßdann so schön und herrlich lauten / und so lustig zuhören seyn / wann alle Discurs und Gespräche so bund über meiner Taffel fallen / wie die edle Schecken / Bayrische Katzen und Tygerhund! wann es ein solch Gehack untereinander gibt / daß es nit gleich jeder Jdiot verstehen: noch wissen kan / ob es in Knack- oder Leberwürst gefüllt werden soll (ebd., 34).

Daran schließt er eine erneute Spitze gegen die Fremdwortverdeutscher an: „Aber da müssen wir keine Alles-teutsch-geber hinzu kommen lassen / sie euch möchten sonst nach ihrer so vilfältigen Abzwagung auch außreiben wollen; dann ihr handelt hierinnen ihrer Mainung allerdings zuwider“ (ebd.). Die Fremdwortverdeutscher würden also seine Tafel und ihm seinen Spaß verderben. Dennoch sind diejenigen, die in übermäßiger Zahl Fremdwörter gebrauchen oder ihre Namen latinisieren oder gräzisieren, noch zur Kategorie der Goldmünzen zu rechnen, wie Grimmelshausen unter erneuter Weiterführung der Münzmetapher ausführt: „[U]nd diß sey von denen Ducaten geredet / welche zwar an ungewisser Schuld anzunehmen: gleichwol / aber wegen einiger Mängel zutadlen / und bey weitem nicht so gut als die vollkommene“ (ebd.). Während Grimmelshausen diesen noch konzediert, dass ihre Schriften auf eine bestimmte Art sinnvoll mit fremden Wörtern versetzt seien, hält er jene für lächerlich, die Fremdwörter einfach um ihrer selbst willen gebrauchen, um mit ihren Kenntnissen zu prahlen. Diese bilden die zweite Gattung: Das andere Geschlecht / so Zwickdärm oder Zwitter / seynd die / an welchen man die allergröste Kurtzweil und Ergetzung haben kan / wann nemblich die vorderste auß ihnen außländische Wörter / sie mögen sich gleich schicken: und ihre Persohn: ihre Reden und Schrifften zieren oder nicht / sie könnens gleich besser teutsch geben oder nicht? mit den Haaren herbey ziehen / ja beynahe von unseren Antipodibus herauff hollen / vermeindlich dardurch groß zuscheinen; Wil bey ihnen Spanisch / Jtalianisch / Frantzösisch und dergleichen nit fort / so behelffen sie sich auffs wenigst allein deß Lateinischen / und stellen sich daß man vermeint es seye nun bald an ihnen / das Teutsche gantz zuverschweren; da wird man dann der allerartlichsten Auffzüg gewahr / und kan das Lachen kaum verhalten / wann man sihet / wie alles so Ertz-Petantisch hinauß laufft (ebd.).

512 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Daran schließt sich eine Sprachsatire an, wie Grimmelshausen sie vielfach in der satirischen und sprachkritischen Literatur der Zeit finden konnte: Neulich sagte einer auß diser Gattung zu mir / banus vesper Domine Simplicè, ich bin advertirt worden / er werde Morgen in deß Römischen Imperii Lilien Statt abripirn, habe ihn derowegen depraecariren wollen / ohnschwer gegenwärtig Misiv in das aromatorium an der Cerere Marck zu praesentirn: die medicamenta / die man ihme daselbst praestarirn wird / zu acceptirn / vnd mir großgünstig zu deferrirn / welches ich reciproce auff alle begebende occasiones hinwider remeritirn werde (ebd., 34 f.).

Wie die meisten anderen Akteure des sprachpatriotischen Diskurses verurteilt Grimmelshausen diese Art von Sprachmischung scharf. Hier knüpft er direkt an die entsprechenden Texte an und bringt, einen ontosemantischen Zeichenbegriff voraussetzend, Bezeichnung und Bezeichnetes in untrennbare Verbindung: Von diesen kompt die Einmischung so viler frembten Wörter unter die teutsche Sprach / warwider unsere Sprach-Helden so hefftig schmählen; und billich! dann neue frembde Wörter bringen selten etwas guts / sonder bedeuten je und allweg etwas böses; Wie grausamb / wie erschröcklich? wie landverderblich ist uns nur das eintzige damahls gantz neue uns ungewöhnliche Wort Contribution in verwichenen 30. jährigen Teutschen Krieg gewesen? das eintzig Wort marchiren brachte damahls zwar bißweilen unseren Landsleuthen einen unglaublichen Hertzens-Trost / aber Lieber wivil Millionen Gelts: wievil tausend schöner Flecken und Dörffer: und (was am allermaisten zubejammern) wie viler hundert tausend Christen-Menschen Leben hat es gekostet / die durch Hunger / Pest und Waffen umbkommen / biß es unser Teutschland gelernet / recht verstanden / und nach dem Frieden-Schluß mit Freuden völlig ins Werck setzen sehen? (ebd., 35).

Oben (4.3.2.4) wurde dargelegt, dass einige Autoren dem Dreißigjährigen Krieg die Schuld am schlechten Zustand der deutschen Tugenden und der Sprache geben. So schreibt etwa Hille, es sei angesichts des Krieges zu sehen, daß bey den angefeurten Unglükskolen die Tugenden zerschmeltzen / die gute Gesetze krebsgängig gemachet / ja die Teutsche Heldensprache endlichen durch Vermischung vieler einbrechenden fremden Völker Zungen / vermenget / in Unacht gebracht / oder wol gantz sprachloß verderben / und ersterben würde, gleicher Massen wie hiebevorn leider dergleichen Sprachverderberey / bey den geführten Kriegen in Griechen- und Welschland zu beobachten gewesen; da dann der ersten Zier / durch Uberwältigen der Türken: der Teutschen aber durch Uberziehung der Gotischen Völker / verunreiniget / und also ihrer natürlichen Lieblichkeit beraubet worden (Hille, Palmbaum, 14 f.).

Wie Grimmelshausen macht auch der Autor des Vnartigen Teutschen Sprachverderbers die Kriegsterminologie als Hauptursache der moralischen Verwilderung der Deutschen aus, die mit den fremden Wörtern verknüpft wird:

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Fangen sie an vnd reden von dem jtzigen Kriegs-wesen / erzählen / daß ein Schlacht vorgangen / obs der Frantzos oder Spanier gewonnen / vnnd wie es hergangen / weiß nicht / was Cavalliers, Infanterie, Bataglie, Artollerire vor ein Thier / damit man die Stätt vnd Feld-Schlachten gewinnen kan: Bey meiner Zeit / wann man Fuß-volk / Reuterey / in rechter Ordnung gehalten / vnd Geschütz gehabt / so hat man Stätt vnd FeldSchlachten gewonnen / ich kan mich nicht darein richten / was das vor sachen seyn / welche Cavallerie vnd so fort an genennet werden (Sprachverderber, zitiert nach Jones 1995, 292).

Den moralischen Verfall der Deutschen unter fremdsprachlichem Einfluss macht der Autor des Sprachverderbers vor allem am Wort Kompliment fest: Was soll ich aber sagen von dem Wort Complementen, welches sehr gemein worden. Ich sage / mit diesem Wort sey auch seine Krafft in Teutschland eingeführet worden. Dann Complementen ist so viel als Gepräng (gut teutsch / Auffschneiderey / Betrug / Heucheley /). Wann ist aber bey den Teutschen jemahl mehr Prangens / Auffschneidens vnd Betrugs gewesen / als eben jetzunder / da das Wort Complement auffkommen ist? (ebd., 290).

An dieser Stelle wird die Untrennbarkeit von Wort und Sache besonders deutlich (mit diesem Wort sey auch seine Krafft in Teutschland eingeführet worden). Grimmelshausen übernimmt nun nicht einfach die Beispiele des Sprachverderbers und kopiert auch nicht von Hille, sondern er findet, wohl auch aufgrund eigener Erfahrungen, eigene Beispiele und zieht eigene Schlüsse daraus. Dies sind zum einen die Kontribution, also die Kriegsabgaben, die die Bevölkerung zum Unterhalt der Heere zu zahlen hatte und die häufig gewaltsam eingetrieben wurden. Diese Praxis prangert der junge Simplicius am Hanauer Hof im Schutze seines Narrenkostüms an: Uber das mustu bedacht seyn / daß kein Mangel an Geld / Munition / Proviant und Volck im Posten erscheine / deßwegen du dann das gantze Land durch stetiges exequiren und tribuliren in der Contribution erhalten must; Schickest du die Deinige zu solchem End hinauß / so ist rauben / plündern / stelen / brennen und morden ihre beste Arbeit / sie haben erst neulich Orb geplündert / Braunfels eingenommen / und Staden in die Asche gelegt (ST, B 155, T 124).

Zum anderen führt Grimmelshausen die übliche Weise der Fortbewegung der Kriegsheere an, das Marschieren. Auch dies wird in Grimmelshausens Schriften meist in militärischem Kontext gebraucht und negativ bewertet: „[W]aren die Kerl so schwacher baufälliger Natur / wie die Frantzösische Britanier / daß sie also das Marchirn und ander Ungemach / das ein Soldat im Feld außstehen muß / nit erleiden konten“ (ST, B 397, T 330). Gerade anhand dieser Beispiele tritt die Schwäche des ontosemantischen Konzepts deutlich zutage, die jedoch, selbst von Autoren, die ein anderes Zeichenkonzept vertraten, nicht kritisch reflektiert wurde: Was Grimmelshausen

514 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs hier kritisiert, sind die Begleiterscheinungen und die Auswirkungen des Krieges, die aber weder durch die sie bezeichnenden Wörter ausgelöst wurden noch durch deutsche Bezeichnungen an deren Stelle verhindert worden wären. Dies gilt auch für das Kompliment. Dennoch muss man konstatieren, dass im Denken der Zeit die Kritik an den Wörtern sich mit der Kritik an den Sachen, die diese bezeichnen, decken kann. Gerade wegen der Kriegserfahrungen ist es für Grimmelshausen offenbar schwer zu akzeptieren, dass der Krieg auch sprachlich Spuren hinterlassen hat. Dies stellt er am Beispiel des Verbs marschieren fest, das von der deutschen Bevölkerung aus dem militärischen Kontext herausgelöst und so allgemein gebräuchlich wurde. Nun ists so gemain worden / daß es auch die Mägd brauchen / wann sie in das Graß gehen wollen; aber ein Bauern-Knäblein legts anderst auß / dann als sein Vatter gen Wald fahren wolte / und zu seinem Knecht sagt / Hannß spann an / wir wollen marchiren; antwortet ihm der Knab / Vatter marschiren heist nit Holtz hollen / sondern die Schelmen wollen fort (TM, T 35).

Hier wird wieder die simplicianische Wendung deutlich, diesmal zum Komischen. Zugleich liefert Grimmelshausen hier eine plausible Erklärung, warum das Verb marschieren sich in der deutschen Sprache gehalten hat, im Gegensatz zur Kontribution. Grimmelshausen kritisiert hier letztlich diejenigen, die niemals eine fremde Sprache gelernt haben, aber dennoch immer wieder den Anschein geben wollen, sie seien einer oder mehrerer Fremdsprachen kundig. Diese dritte Gattung nennt er die „albere unwissende teutsche Michel / wann sie schon sonst nichts als Teutsch können verstehen“ (ebd.), ihre Briefe aber mit Fremdwörtern spicken wie Köche die Hasen mit Speck. Erneut verwendet Grimmelshausen hier die kulinarische Metapher. Dies macht er am Beispiel der Briefe von Kaufleuten fest: [D]a muß das Laus Deo bey den Apoteckern / Kauffleuthen und Krämern in allen Conten obenan stehen / eben als wie bey theils Gelehrten das Griechisch alpha und omega, unten muß sichs mit Göttlicher Protection Empfehlung nechst freundlicher Salutation: mit datum, Anno, post scriptum, manu propria und Lateinische Nennung der Monats-Täge schliessen; der jenig / an den der Brieff abgeben wird / mag solches gleich verstehen oder nicht? verstehet ers nicht / so mag ers versitzen / oder sich umb einen Dolmetschen umbschauen; hats doch offt der jenig nicht verstanden / der es geschriben! sonder es ist ihm genug / wann man ihms nur zutrauet / weßwegen alleinig ers dann auch in seinem Brieff gemahlet / und diß seynd die dritte (ebd., 35 f.).

Sprachgebrauch � 515

An dieser Stelle wird deutlich, dass Grimmelshausen den übermäßigen Gebrauch von Fremdwörtern nicht, wie die meisten anderen Akteure des sprachpatriotischen Diskurses, um Größen wie der REINHEIT willen oder aus Gründen des ALTERS, des REICHTUMS oder der EIGENTLICHKEIT ablehnt und somit keine Überhöhung der deutschen Sprache anstrebt. Vielmehr führt er kommunikative Aspekte an: Diejenigen, die er kritisiert, benutzen Fremdwörter, die sie oft selbst nicht verstehen, ohne die Adressaten zu berücksichtigen. Ihnen gilt der Vorwurf, sich durch den Gebrauch der Fremdwörter das Ansehen höherer Bildung zu geben. Grimmelshausen ist also pragmatischer ausgerichtet als viele seiner Zeitgenossen. Nach einer Exempelgeschichte, in der ein Diener von der Kaiserin aufgrund eines italienischen Fluchs entlassen wurde, und weiteren Spötteleien gegenüber Leuten, die Fremdwörter falsch aussprechen und durch solche Fehler „hoffärtige Esels-Ohren“ (ebd., 36) sichtbar werden lassen, wendet Grimmelshausen die Darstellung zur Selbstreflexion des Satirikers: Hier möchte mir nun jemand entweder heimlich ins Ohr / oder offentlich ins Gesicht / oder hinterrucks nachsagen / Simplex nimb dich selbst bey der Nasen; Mein Freund / du thätest mir ererst recht; aber wisse / daß ichs mache wie die gute Prediger / die in Bestraffung der Laster kein Blat vors Maul nemmen / sonder nicht stillschweigen können / wann sie gleich wissen / daß sie sich selbsten offt / ja mehr als offt treffen; und wol einem solchen / der beflissen ist / auff diese Weiß sowol sich selbsten als seine Zuhörer zu bessern (ebd., 36 f.).

Diese Selbstreflexion zeigt, dass Grimmelshausen keineswegs aus der Position des über den anderen Stehenden schreibt, sondern seine eigenen Schwächen kennt und sich selbst als Teil der wahrgenommenen Wirklichkeit ansieht, die durch die Satire gebessert werden soll. Der Satiriker steht nicht außerhalb der Gesellschaft und der Verhältnisse, die er kritisiert, sondern er ist deren Mitglied und steht mitten in ihnen. Er ist damit zugleich Urheber der Satire und deren Objekt. Diese Selbstreflexion ist auch einer der Gründe dafür, dass Grimmelshausen in seinem Autordiskurs seine Kunstfigur Simplicissimus so facettenreich und vielfältig ausgestattet hat als fiktiven Autor, der sowohl sein eigenes Leben wie das seiner Zeitgenossen reflektiert und auf diese Weise auch die eigenen Torheiten herausstellt. Simplicissimus fungiert in diesem Fall als Spiegelbild für den Autor selbst. Schließlich nennt er noch eine vierte Art, nämlich die „groben Knollfincken / die weder in die Schuel; noch ihr Lebtag weiter als ein Mühlkarch kommen“ (ebd., 37), und die trotzdem irgendwo aufgeschnappte Fremdwörter verwenden, wobei sie sich durch fehlerhaften Gebrauch lächerlich machen. Solche Menschen prangert bereits Hille an:

516 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Ein Verständiger und in fremden Sprachen Erfahrner kan sich nicht sattsam verwundern / daß auch die jenigen / so nicht über den Schatten ihres Kirchturns gewandert / und nie kein welsches / lateinisches oder frantzösisches Wort vorsetzlich gelernet; sondern je eines etwan ohne Verstand erschnappt / nicht sechs Wörtlein zusammenfügen / darunter nicht etliche unteutsche mit eingeflochten weren (Hille, Palmbaum, 135; vgl. auch Neumark, Palmbaum, 141).

Mit einer erneuten ironischen Wendung beendet Grimmelshausen dieses Kapitel aus dem Grund, weil es „seine Grösse schon erlangt“ habe (TM, T 37). Im siebten Kapitel will er weitere Beispiele von solchen „gEsellen“ und „Sprachgecken“ bringen (ebd.). Die Kontamination gEsell (aus Geselle und Esel) ist ein mehrfach belegtes Beispiel für die satirischen Effekte, die Wortbildung auslösen kann (vgl. oben, 207 f.). Das siebte Kapitel ist demnach die Fortsetzung des sechsten, der Titel lautet: Vermeldet noch unterschiedliche Geckereyen / deren / die sich durch die Sprach auff verschiedene Weiß groß und ansehnlich machen wollen. Das Kapitel beginnt mit einigen Beispielen für die letztgenannten Narrheiten, also für Leute, die niemals eine Fremdsprache gelernt haben, aber immer wieder aufgeschnappte Fremdwörter, meist aus Unverständnis verballhornt, anbringen, sie mögen nun passen oder nicht. So erzählt er von einem Bauern, dem er seinen Blumengarten gezeigt hatte. Dieser täuscht Kenntnisse vor, indem er die Anlage der Beete sowie die Pflanzen mit ihren vermeintlichen fremden Namen versieht, wobei jedoch nur Unsinn herauskommt. Zum Schluss bietet ihm der Erzähler noch einen Trunk an: Jch botte ihm einen Trunck Kräuter-Wein an / der im Magen nüchtern getruncken / nicht ungesund seyn soll / er aber antwortet / er hätte noch keinen Appetick darzu; wann aber ein guter Accafick vorhanden wäre / wolte er ihn gern atcettiren; Was er aber dem einen und andern Gewächs vor seltzame Namen geben / hab ich seither vergessen (ebd., 38).

Anhand dieses kurzen Ausschnitts wird deutlich, wie sehr sich der Bauer lächerlich macht: Aus Appetit macht er Appetick, aus Aquavit Accafick und aus akzeptieren atcettieren. Demonstrativ legt der Autor daher über den Rest den Mantel des Schweigens. Über eine andere Äußerung des gleichen Bauern will er aber nicht schweigen, sondern er zitiert sie und verbessert spöttisch einige der Fehler: „Eben derselbig klagte mir / er hätte gester etliche Bazienten (hat Gäst heissen sollen) revidirt (heist auff teutsch eingeladen) und mit denselben so waidlich in den Bantsch hinein schlampampt gehabt / daß ihm noch heut das Capritollium gantz mallatter darvon seye“ (ebd.). Capritollium ist offenbar eine Verballhornung von Kapitol, gemeint ist aber caput (›Haupt, Kopf‹); mallatter ist verballhornt für frz. malade (›krank‹).

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Grimmelshausens Spott wird noch stärker: Diese Sprachmeister würden bei hohen Herren einen „kurtzweiligen Tischrath“ abgeben (ebd.), und so mancher würde einen „solchen Stockfisch“ (ebd.) lieber hören als Harfen, Geigen und Lauten. Nach DWB, Bd. 21, Sp. 518 ist ein Tischrat ein ›kurzweiliger Ratgeber bei Tisch‹, eine Bedeutungsangabe, die die Bedeutungsextension nur unzureichend wiedergibt, wie aus folgender Stelle im Simplicissimus zu sehen ist: „Solches verursachte einen allgemeinen Schluß zu meinem Untergang / welcher war / daß man mich dapffer agiren solte / so würde ich mit der Zeit einen raren Tischrath abgeben / mit dem man auch den grösten Potentaten von der Welt verehren / und die Sterbende zu lachen machen könte“ (ST, B 129, T 103). Ein Tischrat ist demnach nichts anderes als ein ›Hofnarr‹, der die Zeit des Herrn beim Essen verkürzt und ihn unterhält. Diese Funktion übte Simplicissimus selbst am Hanauer Hof und bei Obrist Corpes im Lager der Kroaten aus, eine Tatsache, durch die der Spott ein wenig abgemildert wird. Grimmelshausen verspottet auf diese Weise aber nicht nur die Sprachmeister, sondern er benutzt diese Vorstellung auch zu einer satirischen Spitze gegen das Bild, das man sich über das Verhältnis der deutschen Sprache zu anderen macht: Jhre Discurs seynd nicht allein lustig zu hören / sonder man könte auch daraus aigentlich sehen / welcher gestalten vor diesem aus dem Lateinischen durch die Gothen und Lamparter das Jtalianisch: und durch die teutsche Francken das Frantzösisch umbgegossen worden; welche geradbrechte Sprachen unsere jetzige Teutsche zu können wünschen / und ihnen vor die gröste Ehr halten / wann sie etwas darvon verstehen und daher lallen; das Spannisch hat gleichen Ursprung / wie jeder Sprachkündige erachten kan (TM, T 39).

Diese Stelle enthält gleich mehrere Spitzen. Neben der genannten werden auch diejenigen attackiert, die eine solche geradbrechte Sprache der deutschen bevorzugten. Zudem wird der Anschein erweckt, dass das Italienische, Französische und Spanische durch Verballhornungen entstanden seien, wodurch erstens die Sprachmeister, zweitens diese Sprachen und drittens diejenigen, die diese Sprachen hochhalten, lächerlich gemacht werden. Grimmelshausen montiert also geschickt mehrere satirische Objekte in eine Passage, diese werden gleichermaßen durch die bewusste Anknüpfung an die zeitübliche Abwertung der romanischen Sprachen verspottet. Eine weitere Sprachtorheit sieht Grimmelshausen in einer bestimmten Form des gravitätischen, gespreizten Sprechens. Dieses sei in allen Ständen und Gesellschaftsschichten zu finden. Es geht dabei um Leute, die jede Silbe einzeln betonten und dabei noch einige hinzusetzen. Exemplarisch zitiert er einen jungen Mann, der einer Jungfer folgenden Antrag macht: „Jch wollete von Hertzenn gerne meiner vielgeliebetenn Jungenfrauenn dises kaleine Galäseleinn mit Weine zubringenn. Welchem die Jungfer antwortet: Wann ihrs eurer Jungen

518 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Frauen wolt zubringen / so dörfft ihr zu mir nicht kommen!“ (ebd.). Die abweisende Antwort der Jungfer wird mit Anspielung auf die Muttermilch-Metapher kommentiert: „Hätte er geredet / wie ers von seiner Mutter gelernet / so wäre er villeicht so hönisch nit abgewisen worden“ (ebd.). In diese Kategorie gehören für ihn auch Leute, die an die Wörter Silben anhängen, die diese so „wenig als der Wagen deß fünfften Rads nöthig“ haben (ebd.). Dies erläutert Grimmelshausen anhand einiger Beispiele: „Als da sie recht sagen könten und solten / Mann / Weib / Kind / Knecht / Magd / Herr / Narr / und dergleichen / sie hingegen auß Hoffart: und der Meinung sie machen es vil besser / zusprechen pflegen / Manne / Weibe / Kinde / Knechte / Magde / Herre / Narre / etc.“ (ebd., 39 f.). Dies widerspricht der – ironischen – Forderung nach Einsilbigkeit der Wörter, die im zwölften Kapitel aufgestellt wird (vgl. unten, 5.7). Grimmelshausen berichtet noch von einer weiteren Art Sprach-Herren, über die er sich aber nicht lustig machen wolle. Es handelt sich um „gelehrte Leuthe / welche über ein jedes Wort oder Silbe disputiren, ethymologisirn, streitten / fechten und zancken können“ (ebd., 40). Indem er besonders betont, dass er diese nicht ins Lächerliche ziehen wolle, bewirkt Grimmelhausen genau das Gegenteil: Gerade die besondere Betonung dieser Absicht bewirkt, dass jene lächerlich wirken. Dazu trägt auch die erneute Essen-und Trinken-Metapher bei: „[V]on diesen / sag ich / behüt mich GOtt / daß ich mich in ihre Händel legen: geschweige sie verlachen: oder ihren Meinungen (welche zwar so unterschidlich als die vilfältige Brühen zuseyn pflegen / so die Wirth und Garköch über das alt verschimmelt Gebratens wissen zumachen) widersprechen solte“ (ebd.). Dass Grimmelshausen hier aber, anders als bei Kenntnis des sprachpatriotischen Diskurses zu erwarten, nicht die Etymologien Zesens oder Schottelius’ ins Lächerliche zieht25, sondern die Sprachfehler zweier Franzosen, bei denen der eine �� 25 Stattdessen liefert Grimmelshausen im Galgen-Männlin eine umfangreiche Etymologie des Wortes Alraune, welche das Etymologisieren im sprachpatriotischen Diskurs ironisch nachzuahmen scheint, zumal der Text in einem ähnlichen Zeitraum entstanden ist wie der Teutsche Michel. Hier kann nur eine Kostprobe für einen sehr viel längeren Abschnitt wiedergegeben werden: „Ein neues unerhörtes so mir jetzt erstlich einfällt / und den eigentlichen Ursprung des Allraunmänlins belanget; es heist Allraun: Solte das nicht herkommen von arca, loculus? Jch meine ja! Nidersächsisch (als welches der ältiste und also edelste (wann gleich nicht so hoch / als ihn der Joan. Gorop. Becanus de Cimbr. Ling. steigern wollen) Dialectus ist) sagt man noch Alruhn / da man anfänglich Aruhn gesprochen; Weil aber den Vorfahren Ruhn ist significativum in ihrer Sprach gewesen / in dem es mit rühnen / raunen etc. übereinstimmet / und A / als alterapars compositi, hat bey ihnen so keinen sonderlichen Verstand gewonnen / (dann ein jedes Volck torquiret und maceriret die peregrina vocabula mit seiner Zungen dermassen / daß sie domestici werden / oder einen unerfahrnen Originisten zu seyn scheinen; und daher hat man so lang aus Mißverstand das Wort Alruhn von rühnen / her derivirt, da es

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den anderen ,verschlimmbessert‘, verstärkt die Ironie der Passage zusätzlich, weil hier vielsagend von denen abgelenkt wird, welche die Kritik eigentlich treftreffen soll. Grimmelshausen will nach eigener Aussage diejenigen verlachen, „welche frembde Sprachen mehr als die / so sie von ihrer Mutter gelernet / lieben und verehren / und durch solche läppische Affection sich allerdings stellen / als wann sie ihr Herkommen verleugnen: das Teutsch verschwören und ihre Nation mit Fleiß in ein andere verändern wolten“ (ebd.). Hier kommt er wieder auf die Alamode-Kritik zurück, wobei er erneut auf die Muttermilch-Metapher rekurriert, um den Kavalieren ihre Herkunft in Erinnerung zu rufen. Grimmelshausen wirft diesen Untreue gegenüber der Muttersprache und dem Vaterland vor, dem sie abschwören (verschwören). Dies macht er, und hier folgt das Neue in dieser Passage, an der Namensgebung fest: Die Eltern tauften ihre Kinder mit fremdsprachigen Namen, die sie künstlich verdeutschen, so dass aus Viacrius Viox, aus Quirinus Kyri, aus Dominicus Sonntag und aus Cyriacus26 Zilliox wird. Grimmelshausen macht das Bedürfnis, den Kindern fremdsprachige Namen zu geben, aber auch an anderen Völkern und Kulturen fest, wobei er sich auf Flavius Josephus beruft, der berichtet, dass die Juden zur Zeit des Herodes von Ascalon ihren Kindern griechische Namen gegeben hätten, weil ihnen die hebräischen nicht mehr gut genug gewesen seien. Die Katholiken hätten ihren Heiligen lateinische Namen gegeben und die Calvinisten hätten ihre Kinder mit hebräischen Namen getauft, deren sich die Juden geschämt hätten. Letzteres belegt Grimmelshausen mit einer Anekdote, die das Kapitel beschließt: Jch habe einsmals im Winter-Quartier neben meinem Losament einen Calvinischen Nachbarn gehabt / dessen drey Söhne von ungefähr 8. biß in 12. Jahren alt / nach der Ordnung ihres Alters Abraham / Jsaac und Jacob geheissen / wann nun die Knaben / wie die Jugend �� doch dem Verstand nach nichts ähnlichs hat; dann rühnen heisset einem heimlich was ins Ohr reden oder murmeln etc. das thut ja das Allrünigen nicht / es hats auch niemand von ihm begehrt / sondern es ist ein Bildnus das in einem Kästlein still ohne reden ligt) so haben sie Al drauß gemacht / weil nemlich ein anders fast ähnlichs Wort vorhanden gewesen / als Ahlraup […]“ (GM, B S. 742 f., T S. 80 f.). In seinem Simplicissimus (IV, 13) erklärt er die Herkunft des Ausdrucks Merode-Bruder, die kurze Schrift Der erste Beernhäuter dient der Klärung der Herkunft des Ausdrucks Bärenhäuter (B, B 323, T 3). Angesichts solcher Etymologien macht Grimmelshausen sich hier auch selbst zum Gegenstand der Kritik. 26 Vgl. folgende Parallelstelle: „[A]ls ich zu solchem End meinen Nahmen / nemlich Simplicius Simplicissimus angab / der Musterschreiber (welcher Cyriacus genant war) solchen aber nicht orthographicè schreiben konte / sagte er: Es ist kein Teuffel in der Höll / der also heist; und weil ich ihn hierauff geschwind fragte / ob dann einer in der Höll wäre / der Cyriacus hiesse? er aber nichts zu antworten wuste / ob er sich schon klug zu seyn dünckte / gefiel solches meinem Hauptmann so wol / daß er gleich im Anfang viel von mir hielte“ (ST, B 225 f., T 185).

520 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs zuthun pflegt / auff der Gasse herumb strolte / und die Mutter ihrer manglete / stund sie unter die Thür und schrye auß vollem Halß / Abraham / Jsaac / Jacob! das ermahnete mich allzeit / als wann eine Judin den GOtt ihrer Vätter angeruffen; und wann ich nit gewüst / daß sie eine Christin gewesen wäre / so hette ich glauben müssen / daß sie mehr von der Beschneidung (zwar wider aller Weiber Art) als von dem Tauff gehalten; Es hat auch eben damahls / als wir das Winter-Quartier anfänglich bezogen / ein Soldat / nach dem er diese Namen vom Weib offt rueffen hören / den Haußwirth vor ein Juden gehalten / und ihme etwas zuverschachern gebracht / er wäre aber übel angangen / und eben so übel abgefertigt worden / dafern wir damahls nit Meister am selbigen Orth gewesen wären (ebd., 41 f.).

Anhand der Judenstereotype (schachern) wird hier einerseits auf den gängigen Antijudaismus rekurriert, andererseits wird die Namengebung dieser Calvinisten lächerlich gemacht.27 Die Andekdote ist ein weiterer Beleg für die Sprachkomik, durch die Grimmelshausen satirische Effekte erzielt. Das achte Kapitel setzt das siebte fort, was auch am Titel deutlich wird: Continuation voriger Materi / sampt Erzehlung der lächerlichen Kurtzweil / welche zween Welsche anzustellen veranlaßt. Zunächst verspottet Grimmelhausen diejenigen, denen es völlig an Kenntnis anderer Sprachen gebricht und trotzdem davon ausgehen, dass ihre Sprache die schönste von allen sei. Diese versieht er mit einem Narrenattribut, wenn er ihnen unterstellt, sie streiten, wessen Kolb der schönste sei (ebd., 42). Er imitiert einige Dialekte und zeigt so, dass ihm diese nicht fremd sind: „[D]a foppt man die Schweitzer mit ihrem Kilcha gho und garind rühra / weil es thonet / als wann sie es noch mitten im Halß auff Hebraeisch gebären müsten. Die Schwaben mit ihrem Aun Aun la mi gaun; die Wetterauer mit ihren Naut im Schanck28: und andere mit etwas anders“ (ebd.). Weil sich die Aussprache von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt ändere, glaube jeder, der andere spreche falsch; daraus entstünden „Wort Krieg“, aus denen viele „blutige Köpff“ hervorgingen (ebd.). Am weitesten trieben es dabei die Österreicher, die jeden, der nicht zu ihnen gehöre, einen Schwaben nennten und dabei die „Mängel und Kranckheiten“ (ebd., 43) ihrer eigenen Aussprache nicht sähen. Hier klingt die biologistische Metapher in ihrer übersteigerten Form als Krankheitsmetapher an. Diese Behauptung untermalt Grimmelshausen mit einer weiteren Anekdote: Er sei einmal in Österreich bei einem Wirt gewesen, der die Aussprache der auswärtigen Gäste kritisierte und sich selbst bemühte, „alles Orthographicè außzusprechen“ (ebd.). Eines Nachts hätte sich aber folgende Begebenheit zugetragen:

�� 27 Vgl. auch Macha 2013, 24–26. 28 Vgl. ST, B 107, T S. 84: „[J]n Gestalt vieler 100. vertriebener Wetterauer / denen der Hunger zu den Augen herauß guckte / vor unsern Thüren verschmachtete / weil naut im Schanck war“.

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Jch schlieffe neben seiner Schlaff-Cammer da man vermittelst einer dünnen Wand alles was in der einen geredet würde / in der andern hören köndte; einsmahls kam sein Weib zu ihm mit einem Rausch beladen / dann sie war bey einer Kindsschencke oder Hochzeit gewesen / die bewillkombte er mit diesen Worten / Pfoich Taiffel Wey! d'stinckst holt wia Niltsbolg / vermahn d'hobst ins Heemat gschissn? Sie antwortet / ha! may Ma / ich hob holt a tlans Pfaisirl wolln lassn aussa straichn / da is ma d'Treeck mittananda ausse gepfitzt / ihns Heembt und auff d'Stögen / ich must lachen daß die Bethladen zittert / und wie mein Wirth und Wirthin vernommen / daß ichs gehöret und verstanden / wie sauber sein rein Oesterreichisch Teutsch gegen meinem Schwäbischen sey / liesse er mich nicht allein fürterhin zufriden / sondern ich krigte auch hinfort so magere Suppen / daß ich mein Kosthauß verändern muste (ebd.).

Mit dem Verweis auf das reine österreichische Deutsch erhält die Anekdote zugleich eine Spitze gegen die Ideologie der REINHEIT.29 Lächerlich sind für Grimmelshausen auch diejenigen, die ihre Rede nicht kurz und „Spartanisch“ (ebd.) halten können, sondern weitschweifig werden und selbst einfache Zusammenhänge wortreich umschreiben müssen. Als Beispiel nennt er einen Stadtschreiber, der „auch ein sonderbar neu Teutsch welches gar zier- und höfflich seyn solte / auffbringen wollen / vielleicht wann es auffkäm daß es mehr Schreibtax ertragen: und ihme also besser als eine laconische Art in die Kuche tragen möchte“ (ebd.). Im Folgenden werden mehrere Beispiele für diese Narrheit angeführt (vgl. ebd., 43–45). Von diesen sei hier nur das erste zitiert: Seinem Jungen gab er einsmahls disen Befelch; höre mein lieber getreuer weniger als ich / bequeme dich vermög deiner gehorsamen Schuldigkeit mit den dienstbaren Gliedern deines Leibs zu der Persohn deines eintzigen lieben Gebieters / und entledige dieselbe von denen zur Züchtigung verfertigten Tribulirern seines Pferds! ebenmässig auch von dem zwar beschwerlichen doch rittermässigen Zierrad / wardurch die Säulen / worauff der Pallast deß irrdischen Gebäus seiner Seelen Wohnung ruhet / vor Regen und Wind: vor Kält und Hitz; vor Unreinigkeit / Schnee und allem Ungewitter beschirmt werden; Alle diese Umbständ waren keines andern Jnnhalts / als Jung / zeuch mir Sporren und Stiffel ab (ebd., 43 f.).

Diese Passagen lassen sich als Parodie auf die rhetorische Technik der Amplifikation interpretieren. Bei dieser Technik geht es darum, einfache Propositionen durch attributive Erweiterung und Periphrase aufzublähen, um so die Rede zierlicher zu gestalten und sich selbst als weltgewandt darzustellen (vgl. dazu oben, 3.2.2.4). Die Parodie besteht vor allem in der Komik der Erweiterungen,

�� 29 Eine konzise Analyse der Dialektismen im Teutschen Michel bietet Sodmann 2013, 93–99.

522 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs durch die sie unangemessen lang, umständlich und mehr lächerlich als zierlich wirken.30 Des Weiteren wird von einer Gartengesellschaft erzählt, in der sich die Leute zur Unterhaltung Geschichten erzählen, in denen „das hinterst zum vördersten“ gemacht wird (ebd., 45). Dabei werden die Wörter bewusst vertauscht, so dass komische Effekte erzielt werden. Die erste dieser Geschichten lautet so: Der Erst sagte: Also befahl neulich eine Bäurin ihrer Magd / Hör Kettu / wir haben viel Richten zu vermorgen / darumb must du better auß dem Frühe / wird aber noch Haan genug seyn / wann die Zeiten das zweyte mal krähen; Alsdann heb das Bett auß dem Hintern / taige den Knett: und mach Bachofen ins Feur / Jch schaudere am Empfinden / daß ich den Halß am Rothlauff hab; lige derowegen / ich werde schwitzenfrüh sorgen bleiben müssen / biß ich ein wenig ausgemorgt habe; wanns aber auffstehen kan / so will ich müglich seyn; wo nit? so melcke die Hüner / greiffe den Säuen / und geb den Kühen die Tränck; und mach daß die Hirten bey Zeiten vor das Viehe getrieben werden; Jch will dir vor deinen Marck künfftigen Fleißtag einen Kram haarschnüren (ebd.).

Der Reiz dieser Erzählungen besteht nun darin, die Wörter in die richtige Reihenfolge zu bringen. Nachdem er insgesamt fünf solcher Geschichten vorgebracht hat, wird Grimmelshausen schlagartig wieder ernst: „Welche thorechte Freud uns wol nit ankommen wäre / wann wir von Gottseligen Dingen / oder wenigst von ernsthafften und nutzlichen Sachen discurirt hätten“ (ebd., 47). Er spricht damit aber auch eine seiner grundlegenden Erkenntnisse an, aufgrund derer er seine Satiren unterhaltsam gestaltet: Der Mensch sucht seinen Spaß und er ist viel empfänglicher, wenn man ihn unterhält, als wenn man ihm eine Predigt halten will (vgl. oben, 3.3.3.1). Erst durch den Bezug auf die Satiretheorie, die Grimmelshausen vor allem zu Beginn der Continuatio entfaltet und auf die er zu rekurrieren scheint, wird der argumentative Sinn dieser Passagen, die Bierbüsse (1958; 2014, 75) als „Fabulierfreude“ abtut, verständlich.31 Das neunte Kapitel handelt Von denen so sich unwissend eigne Sprichwörter angewehnen / und was sich deßwegen offt für lächerliche Schick zutragen. Grimmelshausen führt seine Kritik an bestimmten Formen des Sprachgebrauchs also fort, indem er sich nun individuelle Redewendungen vornimmt, die in Kontexte gesetzt werden, in denen sie lächerlich wirken. Diese sind gewissermaßen eine Sonderform dessen, was Harald Burger Autorphraseologismen nennt. Er meint damit Phraseologismen in literarischen Texten, die für diese Einzeltexte spezi�� 30 Nach Bierbüsse (1958; 2014, 44; vgl. dort auch 196 f.) benutzte Grimmelshausen die Schriften Balthasar Schupps als Quelle für diese Anekdote. 31 Vgl. zu dieser Stelle auch Sodmann 2013, 92.

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fisch sind. „Innerhalb eines Textes kann ein polylexikalischer Ausdruck zu einer Art fester Wendung werden, die nur innerhalb dieses Textes ihren konkreten Sinn hat“ (Burger 2010, 48). Allerdings muss man einschränken, dass ein wesentliches Merkmal der Phraseologismen, die Idiomatizität, in diesen Fällen nicht vorliegt. Grimmelshausen leitet das Kapitel so ein: ES seynd ihrer vil / die nehmen unvermerckt sonderbare Wörter und Sprüch an sich / welche sie ihnen dermassen angewehnen und in ihrem Maul so läuffig machen / daß sie selbige endlich in allen ihren Reden vorbringen / sie mögen gleich dahin taugen und sich schicken oder nicht! darauß entstehen dann offt so artliche Begebenheiten daß man darüber lachen muß / man wolle oder woll nicht (TM, T 48).

Diese Gewohnheiten seien kein Mangel, sondern ein Überfluss. Sie stünden demjenigen, der sie sich angewöhnt habe, schlecht an, sei jedoch weniger aus Unverstand als vielmehr aus Unachtsamkeit entstanden. Danach führt er einige Beispiele dafür vor. Das erste Exempel handelt von einem Stadtschreiber, der in jeden seiner Sätze das Syntagma nit viel besonders einbaut und sich so Spott zuzieht. Mit dem zweiten Beispiel zitiert sich Grimmelshausen selbst, indem er eine Episode aus seinem Roman Wunderbarliches Vogelnest I wörtlich übernimmt, allerdings ohne sich selbst als dessen Autor zu erkennen zu geben: Der Autor des wunderbarlichen Vogelnests hat pag. 72. eine Histori von einen Bauern / der ebenmässig ein dergleichen Sprichwort an sich gehabt / der aber hingegen seinen Renntmeister damit beschlagen gleichwie diser König obgemelten Stattschreiber abgefertigt; vnd weil sie sich hieher schickt / will ich sie auch von Wort zu Wort hieher setzen. Mein Nachbar Velte / der unnachbarlich Narr (sagt der Baur zum Renntmeister) wie es dann auch wahr ist / hat mich gezyhen ich hab ihm seinen Holtzschlegel gestohlen / wie es dann auch wahr ist / und hat mich und meine Frau einen Schelmen vnd einen Dieb / eine Hur und eine Hex gescholten / wie es dann auch wahr ist; so hab ich wollen gar gnädiglich fragen / wie ich mich gegen ihm verhalten soll? Bitt derohalben der gestrenge Herr Renntmeister als meine liebe Obrigkeit / wie es dann auch wahr ist / wolle mir ein Rath mittheilen; der Renntmeister antwortet / wann es wahr ist (wie du sagst) so gib ich dir den Rath daß du ihn nicht verklagest! Mein gestrenger und gnädiger Herr Renntmeister (antwortet der Laur) Baur wolt ich sagen / ihr verstehet den Handel noch nicht recht / wie es dann auch wahr ist / wann euch einer einen Schelmen und einen Dieb hiesse / wie es dann auch wahr ist / und hiesse euer Weib ein Hur und eine Hex / wie es dann auch wahr ist / und zyhe euch ihr hättet gestohlen / wie es dann auch wahr ist / woltet ihrs von ihm leyden? Mein Baur das wär ein anders / sagte der Renntmeister / und hiesse ihn damit fort ziehen / und sambt seinen Gegentheil vor künfftigem Ampt-Tag erscheinen (ebd., 49 f.; vgl. WV I, B 338 f., T 39 f.).

524 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Mit der Formel wie es dann auch wahr ist bestätigt der Bauer, und hierin besteht die Komik dieses Abschnitts, unabsichtlich die Vorwürfe des Bauern, der ihn beklagt. Der Rentmeister scheint dies zu durchschauen, enthält sich einer Entscheidung und verweist den Bauern auf den nächsten Gerichtstag. Solche Beispiele, so fährt Grimmelshausen fort, seien noch lustig und unterhaltsam. Nicht zu akzeptieren sei es aber, wenn leichtfertige Menschen sich Verwünschungen wie der Teufel soll ihn holen oder der Hagel soll ihn erschlagen angewöhnen. Wenn man nichtige Dinge durch Eidesformeln wie bei Gott bekräftige, dann begehe man gleich dreierlei Vergehen: Man nutze die heilige Formel ab, man verklebe seinem Nächsten die Augen, weil man Dinge, die es nicht wert seien, so hoch ansetze, und, was das Schlimmste sei, man setze damit Gott herab und gefährde damit sein Seelenheil. Hier schwenkt Grimmelshausen einmal mehr unvermittelt von der lustigen zur ernsthaften Satire. Grimmelshausen knüpft hier an eine Passage aus der Verkehrten Welt an, in der die Höllenstrafen geschildert werden, die diese Sünde nach sich zieht (vgl. oben, 3.3.3.2): Denen aber / so den allerköstlichsten Schatz / das teure und allerheiligste Blut des liebreichsten Erlösers […] in ihrem zeitlichen Leben Gottslästerlicher und Unchristlicher Weisse immer im Mund geführt / Wurden von den bösen Geistern die Mäuler auf gerissen und so viel stinckender unflädiger gantz glühender Materia (dergleichen abscheulichen Dings ich bishero in der gantzen Höll noch nicht gesehen) hinein geseicht / daß sie darvon mit höchster Qual zerbersten musten / und wie in der Höll der Gebrauch ist / doch nicht darvor ersterben könden; […] Und die sonst mit allerhand Ungewitter und unglückseeligen Verfluchungen umb sich gestralet hatten / wurden nunmehr mit erschrecklichen Hagel / Donner / Plitz und höllischen Flammen der Gestalt getroffen / daß sie gleichsam wie durchlöchert schienen / jedoch einer mehr als der ander / ja nach dem er solche freventliche Wünsche und Flüge gegen seinem Neben-Menschen von Hertzen gemeinet / und nach dem selbige erschrecklich oder andern zuhörenden ärgerlich gewesen; Alsofortan nun wurden andere Gottesläster und Flucher auch nach gestaltsame ihrer gewöhnlichen Flüche oder Schwür abgestrafft (VW, B 473 f, T 54 f.).

Im letzten Absatz des Kapitels wechselt Grimmelshausen ebenso unvermittelt wieder in den lustigen Modus und erzählt die Geschichte eines Schwaben, der eine unwahre Erzählung durch einen Trunk beteuern wollte, indem er Gott anrief und beteuerte, dass der Wein vergiftet sein solle, wenn er die Unwahrheit gesprochen haben sollte. Weil in dem Becher Wermut gewesen sei, habe der Wein bitter geschmeckt und der Schwabe habe geglaubt, vergiftet zu sein und sterben zu müssen. Daher habe er Abbitte geleistet. Grimmelshausen kommentiert diese Geschichte mit einer Warnung: „[S]o solte es billich allen gehen wie disem Schwaben / welche auch wie er eine Gewonheit haben / ob sie sich villeicht besserten“ (TM, T 51).

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Kapitel zehn trägt den schlichten Titel Was gehey ich mich drumb? Es geht hier um das Verb geheyen, dessen Semantik sehr schwierig zu fassen ist: Als Verb mit anstößiger Bedeutung wurde es tabuisiert. Nach dem DWB ist es ein „altes wort mit überaus merkwürdiger geschichte. […] bedeutungen, die, so weit sie zum theil aus einander liegen, sich an dem faden des weiten wortes und begriffes aufgereiht haben, theilweis unerquicklich bis ins ekelhaft abscheuliche, aber tief eingewachsen in die sprache, und auch wieder zum harmlosen zurückgekehrt“ (DWB, Bd. 5, Sp. 2340). Das DWB setzt neun Bedeutungen mit z.T. mehreren Nuancierungen an, das Spektrum reicht von ›heiraten, die Ehe vollziehen‹ im Ahd. (gihîwan mit der gleichen Stammsilbe wie Heirat) und Mhd. bis hin zu groben Beleidigungen mit sexueller Konnotation seit dem 15. Jahrhundert. In einer längeren Passage wird aus dem zehnten Kapitel von Grimmelshausens Teutscher Michel zitiert: Dieses sei ein „wertvolles zeugnis“ (ebd., Sp. 2346), das zeige, dass „von einem rohen worte der eigentliche sinn verschwinden, der abscheu aber bleiben kann (wie ein gestank länger bleibt als das stinkende)“ (ebd.). Es folgt ein kommentierendes Referat dieses Kapitels. Bei Grimmelshausen ist das Verb außerhalb des Teutschen Michel einige Male belegt, auch hier zeigt sich ein breites Bedeutungsspektrum. Schematisch lassen sich die Verwendungsweisen in diesem Korpus so zusammenfassen: 1. ›sich um etw. kümmern, scheren, sich für etw. interessieren‹; mit unpersönlichem Subjekt als Teil einer rhetorischen Frage: ›was geht es x an?‹. ST, B 114, T 90: darauff ists angesehen / und da geheyen sie sich den Teuffel darumb. ST, B 320, T 266: bedanckte mich zumal auch sehr vor seine erwiesene Treuhertzigkeit / und versprach / mich auff sein Einrathen zu bedencken / gedachte aber bey mir selbst / […] was es den Pfaffen geheye / wie ich mein Leben anstelle. ST, B 491, T 412: ihr machts wie alle verwegene Buben / die sich nichts drumb geheyen / wann gleich die gantze Welt untergieng. Spr, B 193, T 39: Ach das GOtt walt / antwortet Simplicius, ich versichere dich / wann du nicht anders thust als so / daß ich umb die Wahl / die sich zwischen deiner und ihrer Seeligkeit findet / keine Stige hinunder fallen wolte; Springinsfeld sagte darauf / was geheits mich? Spr, B 210 f., T 54 f.: wohl nein […] bey derselbigen hatte ich ein güldene Herrnsach / ohnangesehen sie mir gleichsamb / offentlich aus dem Geschirr schlug; aber was geheyte es mich / sie war doch nicht meine Ehefrau. WV I, B 335, T 36 f.: zerrieb ihr mit den Nesseln den Hindern dermassen / daß sie blitzet und gumpet wie ein Esel / sie schrie zwar / als hätte man sie ermorden wollen / aber ich gehye mich nichts drumb / sondern richtet ihr Ars und Schenckel dermassen zu / daß sie wol eine weil an das Käse-Beseigen gedencken wird.

2. ›jn. bekümmern, jm. Sorgen schaffen‹; auch: ›jn. stören, belästigen‹. ST, B 156, T 125: wenn du gedenckest / wie du dir einen noch grössern Nahmen und Ruhm zu machen / […] und in Summa fast alles zu thun / was andere Leut geheyet / und deiner Seelen schädlich / der Göttlichen Majestät aber mißfällig ist! ST, B 266, T 220: da fieng das Lumpengesind an / mich zu geheyen / daß ich sie / wie ihr gesehen habt / wieder abschaffen

526 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs müssen. WV I, B 346, T 46: und als sie nicht auffhöret ihme zu zusprechen / sprach er endlich laß mich ungeheyet.

3. derbe Aufforderung an jn., er solle sich wegscheren, weggehen, abhauen. ST, B 273, T 225: sagte demnach / er solte sich auß dem Trog geheyen / das thät er / und gieng mit mir so nackend / wie ihn GOtt erschaffen hatte. Spr, B 277, T 116: ja! ja! du alter Hosenscheisser / gehey dich nur hin und brühe deine Mutter.

4. ›jn. in Angst und Schrecken versetzen, einschüchtern‹. ST, B 251, T 207: Zu jenen Zweyen aber sagte er / warumb sie sich nur so von mir geheyen liessen / und mich nicht nider schlügen.

Es fällt auf, dass das Wort fast immer auf derbe und zuweilen obszöne Art und Weise gebraucht wird. Im Springinsfeld etwa beschimpft die Leyrerin die Titelfigur mit den Worten „gehey dich nur hin und brühe deine Mutter“ (Spr, B 277, T 46). Dies ist nichts anderes als eine Aufforderung, mit der eigenen Mutter zu schlafen (brühen < mhd. briuten ›freien; beiliegen‹; vgl. DWB, Bd. 2, Sp. 333 und 425). Außerdem ist es ausschließlich in den simplicianischen Romanen belegt, wird also auf eine bestimmte Textsorte eingegrenzt. Das breite semasiologische Feld des Verbs, das im DWB und auch in den Belegen bei Grimmelshausen dokumentiert ist, spricht dafür, dass es meist tabuisiert war und kaum schriftlich – schon gar nicht in höherer Schriftlichkeit – verwendet wurde. So konnte sich ein breites, durch die Schriftlichkeit wenig kodifiziertes Bedeutungsspektrum bilden, das sich aus Gebrauchsweisen verschiedenster Art in verschiedensten Kommunikationssituationen extrahieren lässt. Diesem Verb mit äußerst komplizierter Geschichte widmet sich dieses Kapitel. Zu Beginn des Kapitels erinnert Grimmelshausen noch einmal an die Kapitel drei bis fünf und lässt die dortigen Inhalte Revue passieren, wobei er auf wichtige diskurskonnektive Elemente des sprachpatriotischen Diskurses zurückgreift. Die Sprach-Helden, die sich um die Reinigkeit der Sprache bemühen, könnten als rechtschaffene Teutsche angesehen werden, doch die ungereimbte Quackeley der Sprachreformer sei nicht zu akzeptieren. Damit meint er diejenigen, die entweder das alt Teutsch mit Verwechslung der Buchstaben reformiren: Nagelneue von ihnen selbst erfundene / oder die alte verlegene vor 1000. Jahren abgangene Wörter mit Gewalt wider einführen: theils Buchstaben gar deß Teutschlands verweisen (alwo sie doch durch Verjährung so langer Zeit einen unstreitbaren Sitz erlangt) wann sie nemblich Kwal für Qual / Fader für Vatter / Mieder für Mutter uff stoltz Straßburgisch / und dergleichen schreiben wollen / wannenhero an statt zierlicher Wörter eytel Mißgeburten erscheinen müssen / oder es wenigst das Ansehen hat / als wolte sich das dapffer Teutsch wie die Narren in der Faßnacht verkleyden / dieselbe naßweise Stümpler mögen obenangeregte

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lobwürdige Teutsche zu den klugen Chinesern verweisen / die in ihrer gantzen Sprach das R nicht brauchen (TM, T 51).

In dieser Passage rekurriert Grimmelshausen auf das vierte und fünfte Kapitel, in dem die Sprachreformer verspottet werden. Er spielt auf die Rechtsmetaphorik an (verweisen, Verjährung, Sitz erlangen) und die Kleidermetapher (verkleiden). Er nennt das Ziel der Sprachreformer, die REINHEIT und die Mittel, mit denen diese erreicht werden soll, nämlich Restitution von Archaismen und Reform der Schreibung, wobei er einerseits auf die Reformen Zesens, andererseits wohl auch auf die Straßburger Tannengesellschaft anspielt (uff stoltz Straßburgisch). Das satirische Element dieser Passage besteht in dem ironischen Hinweis auf die Chinesen, die angeblich kein /r/ sprechen können und deswegen diesen Laut aus ihrer Sprache entfernt hätten; mit der Aufforderung, die lobwürdigen Teutschen sollten sich diese zum Vorbild nehmen, unterstützt er nur scheinbar die Bestrebungen der Sprachreformer. Nun schwenkt die Darstellung um, nicht mehr die Sprachreformer sind das Thema, sondern die Alamode-Kavaliere, die im dritten Kapitel kritisiert wurden. Auch diese sollte man nach China schicken, die ein Handwerck darauß machen / der vollkommenen Teutschen Sprach allerhand frembde Wörter beyzuflicken / und durch solche unnöthige Ankleybung dieselbige mehr verstellen / als zieren; ja ihr gleichsamb die Schand anthun / als wann sie in und vor sich selbst unvollkommen: und so mangelhafftig sey / daß sie frembde Wörter nit entberen könte / sonder das ein und andere von den Außländischen entlehnen / oder wol gar erbettlen müste (ebd., 51 f.)

Hier wird die diskurssemantische Grundfigur REICHTUM evoziert, die Argumentation, die deutsche Sprache sei reich genug, sie müsse keine fremden Wörter entlehnen. Der Entlehnungsvorgang wird mit der anthropomorphisierenden Metapher (erbetteln) veranschaulicht. Insgesamt wirkt dieser Absatz wie eine, teilweise ironische, Zusammenfassung ausgewählter Teile des sprachpatriotischen Diskurses. Grimmelshausen greift nämlich einige wesentliche Themen des Diskurses heraus und benutzt einige der dort verwendeten Metaphern in gleicher Weise. Zudem sind bei ihm die diskurssemantischen Grundfiguren REINHEIT und REICHTUM zu finden und damit zwei zentrale Elemente, die den Diskurs konstituieren. Dies spricht dafür, dass Grimmelshausen zumindest Teile des Diskurses kannte und auf sie in dieser Weise Bezug nehmen konnte. Nun kommt Grimmelshausen, ohne Übergang, zum Verb geheyen und legt zu Beginn die Grundproblematik dar: Das Wort Gehey ist bey uns Teutschen so verhasset / das sichs ein ehrlicher Mann schämbt außzusprechen / und wann es jemand ungefähr im Zorn oder sonst entwischt /

528 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs so wirds einem vor eine schändliche Red gerechnet / dahero es etliche verzwicken wann sie es jemand also nachsagen / was geschneids mich? (ebd., 52).

Das Wort ist also tabuisiert und wer es benutzt, zieht Verachtung auf sich. Grimmelshausen erwähnt auch Vermeidungsstrategien. Dann jedoch kommt die Wende: Kaum ein Deutscher verstehe mehr, was das Wort eigentlich bedeute, weshalb seiner Verwendung eigentlich nichts im Wege stehe. Als Beleg referiert er eine – ob fiktive oder tatsächlich stattgefundene, lässt sich nicht mehr sagen – Gerichtsverhandlung, in der ein Priester jemanden vor der Obrigkeit anklagt, weil dieser ihn mit den Worten was gehey ich mich umb den Pfaffen geschmäht hätte (vgl. ebd.). Der Beklagte verteidigt sich, indem er etymologisiert und auf diese Weise die Herkunft des Wortes darlegt: Das alte Wort Ey oder Hey sei eine alte, auch bei den Griechen und Römern bekannte Interjektion, die so viel bedeute wie ein „seufftzendes Ach“ (ebd.). Seine Worte seien nun keine Missachtung des Pfarrers gewesen, denn sonst hätte er nicht zu seufzen brauchen, denn der Pfarrer sei nicht sein Seelsorger. Das Verb geheyen bestimmt er semantisch näher, indem er seine onomasiologische Vernetzung aufzeigt: „Wann ich mich nun nichts umb den Priester oder seine Wolfahrt kräme / bekümmere / geeye / oder seinetwegen ächtze“ (ebd.). Demnach wäre das Wort semantisch im Umfeld von ›kümmern, sich um etwas scheren‹ einzuordnen. Er referiert die Klage des Pfarrers: Es sei im Land bekannt, dass das Wort geheyen nicht gebraucht werde, außer um jemanden zu beschimpfen, weshalb ehrliche Leute es nicht in den Mund nähmen. Zudem habe der Beklagte den Pfarrer einen Pfaffen genannt, was Beleidigung genug sei. Auf diesen Vorwurf antwortet der Beklagte, das Wort geheyen sei nicht so garstig oder unhöflich, dass man sich schämen müsse, es zu gebrauchen, sonder gleich wie auß dem Grund der Sprach erscheine / das geeyen oder geheyen wider ehrlichen Wolstand und die Höfligkeit nit lauffe / und nichts anders heisse / als sich mit Aechtzen und Grämen / hertzlich bekümmeren / oder innigklich betrüben (als wann man sagt / was geheyts mich / heists / was kränckts mich; was gehey ich mich umb ihn / heists / was hab ich mich umb ihn zu quelen und so fortan:) (ebd., 52 f.).

Das Wort sei damit an sich nicht schlecht. Er räumt aber ein, dass die Gesinnung, die mit dem Wort mitschwingt, keine christliche Haltung repräsentiere, weshalb andächtige Christen es als unchristlich, nicht aber als unhöflich verworfen hätten. Das Wort Pfaffe dagegen sei einst ein Ehrenname gewesen, der sich aus dem Wort Papa oder Vater abgeleitet hätte (was etymologisch auch zutrifft). Er belegt auch anhand eines alten Pergaments, dass das Wort Pfaffe früher in allgemeinem Gebrauch gewesen sei.

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Die Obrigkeit folgt in ihrem Urteil der Argumentation des Beklagten und spricht ihn frei, da ihm bei seinen Worten keine Absicht nachzuweisen sei, dass er den Priester hätte schänden wollen. Gleichwohl sei aber angemerkt worden, „daß er in Betracht- oder Beobachtung deß Gebotts der Christlichen Liebe / welches wil / daß wir über unsers Nächsten: wie über unser eigen Ungefäll trauren und Mitleyden tragen sollen / zu wenig gethan“ (ebd., 53). Erneut wendet Grimmelshausen die Aufmerksamkeit des Lesers auf christliche Verhaltensweisen und offenbart damit die Absicht, die er mit diesem Kapitel verfolgt. Nicht die vermeintliche Beleidigung des Pfarrers sei das Vergehen, sondern die Haltung, die aus den Worten des Beklagten zu erkennen sei: Wer sich um andere nicht geheyt, sich also um sie nicht kümmert, der handelt wider das Gebot der Nächstenliebe. Hinter der Sprachkritik, die in diesem Fall sogar als unbegründet erwiesen wird, verbirgt sich also letztlich eine Gesinnungskritik. Zeichentheoretisch ist das Kapitel deshalb bedeutsam, weil hier die ontosemantische Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem aufgelöst wird: Das Verb geheyen ist nicht per se eine Beleidigung, selbst dann nicht, wenn man die Argumentation des Beklagten zurückweist, sondern es wird erst dann zu einem Schimpfwort, wenn man die Implikationen, die sein Gebrauch aufgrund seines Bedeutungsspektrums mit sich bringt, mit einbezieht. Hier deutet sich eine Einbeziehung pragmatischer Zusammenhänge an, wenn auch natürlich noch keine kommunikationsorientierte Sprachtheorie vorliegen kann. Grimmelshausen schließt das Kapitel mit einer Aufforderung an die Leser. Diese könnten dem Kapitel entnehmen, dass es genug deutsche Wörter gebe, viele aber aus Unkenntnis oder Hoffart fremde Wörter gebrauchten. Diese müsse man nicht gleich nach China schicken, sondern sie auf Wörter wie geheyen hinweisen, die vielen unbekannt seien. Der Autor evoziert damit die Grundfigur REICHTUM und gleich darauf auch die EIGENTLICHKEIT: Aber die jenige welche auß Hoffart / und damit sie gesehen seyn möchten / einen Hauffen unteutsche Wörter einzumischen pflegen / welche weder sie selbsten noch andere die mit ihnen sprächen / verstehen / geschweige recht reden können / wollen wir den Sprachkündigen und Gelehrten (als deren Affen sie ohnedas seynd) zu gefallen im Land lassen / nicht allein selbst ihre Kurtzweil an ihnen zuhaben / wann sie so werckliche Wörter vorbringen / sonder auch sich in ihren Reden zu spieglen und wahrzunehmen / wie närrisch es stehe / wann ein Teutscher mit Fleiß und ohn alle Noth frembd redet / da er die Sach in seiner aignen Muttersprach viel verständlicher und zierlicher vorbringen könte (ebd., 54).

Damit wird die Diskussion des Verbs geheyen auch als Satire gegen das AlamodeWesen begründet und somit die Verbindung zum Kapitelanfang hergestellt. Wenn man sich die in diesem Abschnitt interpretierten Kapitel sechs bis zehn noch einmal vor Augen hält, dann fällt auf, dass hinter der Kritik an ver-

530 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs schiedensten Formen des Sprachgebrauchs häufig eine andere Absicht steckt als Sprachkritik: Grimmelshausen nutzt vielmehr den Aufweis von Sprachtorheiten, um auf Torheiten im individuellen oder kollektiven Verhalten aufmerksam zu machen. Die satirische Absicht ist nur vordergründig die Kritik an ungelehrten Bauern, die Fremdwörter gebrauchen, die sie selbst nicht verstehen, an Schreibern, die sich gespreizt und umständlich ausdrücken oder an sprachlichen Gesellschaftsspielen, die die Wörter verdrehen. Für Grimmelshausen ist vielmehr der Sprachgebrauch ein Indiz für die innere Haltung der Menschen. Er kritisiert letztlich diese inneren Haltungen und nicht die Sprache selbst. Dies wird vor allem anhand des Kapitels über das Verb geheyen deutlich. Dennoch ist die Sprachkritik nicht belanglos. Sie ist erstens – aus sprachhistorischer Sicht – eine Fundgrube für die Erforschung des ansonsten kaum von Zeitgenossen reflektierten Sprachverhaltens der verschiedenen Stände, vor allem der unteren. Sie ist zweitens eine Metakritik am sprachpatriotischen Diskurs, indem sie Sprachregister aus Dialekten und Umgangssprache thematisiert, die dieser nicht berücksichtigt; sie weist damit auf die Einseitigkeit des Diskurses hin. Drittens schließlich ist sie ein Beleg für die Vielfalt des sprachlichen Repertoires, über das Grimmelshausen verfügte und das von Verweyen treffend beschrieben wird: Sie umfasst Dialekte und skaz, zitierte Erbauungsrede und Briefsteller-Stil, genus grande und skatologische Register, Makkaronisches und Sprache des Schwanks, Barbarolexis und gelehrten Stil der laus stultitiae, Bibelsprache und Folkloristisches und viele andere mehr. Auch in dieser ,künstlerisch organisierten Redevielfalt‘ wird von der im Namen der Herrschaftsnormen angestrebten Einheits- und Hochsprache abgewichen. Wichtige Schreibweisen und Verfahren sind dabei parodistische, travestierende, polemische, ironische Formen und sonstige Mittel der ,Intonation‘ des Vorbehalts. Im Konstitutionsrahmen solcher absichtsvoller Abweichungen aber ist ein Beitrag für die Herausbildung einer Nationalsprachen- und Nationalliteraturbewegung kaum zu erwarten (Verweyen 1997, 81).

Nimmt man Verweyens Befund auf, kann man das Verhältnis Grimmelshausens zum sprachpatriotischen Diskurs vorläufig so zuspitzen: Diesem geht es um Einheit und Einheitlichkeit, um die Normierung und Erhebung der deutschen Schrift-, Kunst- oder Nationalsprache; jenem geht es um die sprachliche Vielfalt, die vor allem die mündliche Kommunikation bestimmt.

5.6 Wo ist das beste Teutsch zu finden? Nachdem Grimmelshausen Vor- und Nachteile der Mehrsprachigkeit (Kapitel eins und zwei) dargestellt hat, das Alamode-Wesen (Kapitel drei), die Sprachre-

Wo ist das beste Teutsch zu finden? � 531

former (Kapitel vier und fünf) und verschiedene Formen des Sprachgebrauchs (Kapitel sechs bis zehn) einer satirischen Kritik unterzogen hat, widmet er sich im elften Kapitel der Frage, Wo das beste Teutsch zu finden sei. Diese Frage betrifft nur indirekt den Sprachnormierungsdiskurs. Zwar will die anomalistische Linie die Sprachnorm auf der Basis des Meißnischen etablieren, das damit zwangsläufig zum besten Dialekt erklärt wird (vgl. dazu oben, 3.2.2.2), doch die Frage, wo das beste Deutsch gesprochen wird, ist davon relativ unabhängig, da mit ihr nicht notwendigerweise ein bestimmter Dialekt verbunden werden muss. In der Tat geht es Grimmelshausen zwar auch um räumliche, wie sich aber zeigen wird, auch um soziale Aspekte. Letztlich stellt er die Frage, welche räumlichen und sozialen Dispositionen erfüllt sein müssen, damit man vom besten Deutsch sprechen kann. Schottelius weist darauf hin, dass die Frage, welcher Dialekt der beste sei, vor allem aus methodischen Gründen kaum zu beantworten ist: Wann nur jemand fragen würde / welcher Dialectus, oder welche Mundart die beste / zierlichste / reinlichste / und an Worten und Redarten die reicheste ist / so ist unschwer zuerachten / daß kein Volk unter diesen Teutschen sich für die schlimsten / gröbsten und ärmsten wolle achten lassen / auch der jenige / welcher andere Dialectos wil tadelen / arm / unrein und grob schetzen / muß des Dinges kundig und erfahren seyn / sonst ist es ein Ausspruch von unerkundigter Sache / so nohtwendig fehltrift: Und gleich wie es eine über die maase weitleuftige / schwere und fast unmögliche Arbeit seyn möchte / von jedem Dialecto oder Mundart ausführlich / und worin eigentlich eine Mundart der Teutschen von der anderen in allen unterschieden sey / recht und zulanglich zuschreiben; Also ist es an dem / daß es eine lautere Ungewisheit und irrige Kündigkeit sey / von den Dialectis, ausser gründlichen Schrifften davon / haubtsachliche Meinungen zubehaupten. Wer nur von einem Dialecto der Sprache handelt / der handelt nicht von der gantzen Sprache selbst: wer nur seiner angebornen Mundart kündig ist / verbleibt billig in den Schranken solcher seiner Kundigkeit (Schottelius, Arbeit, 152).32

Dies hat, wie gesagt, auch Grimmelshausen nicht vor. Er will auch nicht ermitteln, wo das Deutsche am besten ausgesprochen werde, wo also „einem der Halß mit Speck geschmiert wäre“ (TM, T 54). Ihm geht es nur darum, „wo vnd durch welche das beste und zierlichste Teutsch geredet werde“ (ebd.).

�� 32 Für Schottelius sind, wie oben (3.2.2.2) bereits herausgearbeitet wurde, grundsätzlich alle Dialekte defizitär, weshalb aus ihnen auch keine Sprachnorm extrahiert werden kann. Ähnlich hatte sich bereits Fabian Frangk in seiner Orthographia Deutsch (1531) geäußert: „[W]iewol diese sprach an jr selbs rechfertig vnd klar / so ist sie doch in viel puncten vnd stücken / auch bej den Hochdeutschen nicht einhellig / Denn sie in keiner jegnit odder lannde / so gantz lauter vnd rein gefuhrt / nach gehalden wirdt / das nicht weilannds ettwas straffwirdigs / oder misbreuchiges darinne mitlieff / vnd gespürt würde“ (zitiert nach Knape 2000, 126).

532 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Früher gebührte, so Grimmelshausen, dieser Ruhm der Stadt Mainz, doch heute komme eher anderen Städten und Regionen dieser Status zu. Namentlich nennt er Speyer und Baden-Durlach. Dies macht er anhand des Sitzes des Reichskammergerichts und des bischöflichen Hofes in Speyer sowie des Fürstenhofes in Durlach fest. Seine Wahl begründet Grimmelshausen mit den Gelehrten, die sich dort versammeln: [D]ann diß ist gewiß / wer mehr lißt und schreibt als er mit Leuthen die nicht recht Teutsch reden / mündlich conversirt / der lernet unvermerckt eins und anders also aussprechen / wie ers zu lesen und zu schreiben pflegt; wann dann zween oder mehr zierlich redende literati von andern gehöret werden / die gleichwol ungelehrt oder wol gar nur Weiber oder Kinder seyn / so öhmen sie jenen alsobalden entweder ohngefehr oder auch wol mit Fleiß ihre Sprach nach; dahero es dann kompt / daß Speyr und seine Benachbarte wegen der vilen Gelehrten beständigen Beywohnung je länger je besser teutsch machen (ebd., 55).

Das Sprachvorbild der Gelehrten und die Nachahmung durch die Bewohner bewirken also nach dieser Konstruktion, dass in Speyer und in Durlach das beste Deutsch gesprochen werde. Legt man die Kategorien Jostens (Josten 1976) zugrunde, so erklärt sich das Sprachvorbild Speyers aus einer Mischung aus institutionellem (Reichskammergericht) und sozialem (Gelehrtenschicht) Autoritätsprinzip. Damit ist jedoch die Sache für Grimmelshausen noch nicht erledigt. Dafür, dass auch in Prag sehr gutes Deutsch geredet werde, macht Grimmelshausen soziale Gründe verantwortlich. Denn in den umliegenden Dörfern lebten keine Bauern, die die Sprache verdürben. Dies sei in anderen Städten anders: In Frankfurt würde die Sprache durch die Wetterauer verdorben, in Straßburg durch die Kochersberger, in Tübingen durch die Schwaben, in Regensburg durch die Bayern, in Marburg durch die Hessen und in Leipzig durch die Meißner. Überall würden die Sprachen die Unzierden von den „grobteutschredenden Nachbarn“ (ebd.) übernehmen. Bei dieser Aufzählung fällt auf, dass es sich mehrheitlich um Universitätsstädte handelt, in denen sich also, genau wie in Speyer, die Gelehrten tummeln. Doch die Tatsache, dass sie dort „vil zimblich gelehrte Leuth; ja sogar Academien voller junger Studenten“ hätten (ebd.), würde nichts helfen, „Sintemal das Volck mehr mit denen Bauern als mit den Gelehrten zu handlen hat“ (ebd.). Am schlechtesten unter allen namhaften deutschen Städten sei es aber in Köln, „dessen Sprach sonst niemand besser anstehet als dem Weibervolck“ (ebd.). Mit dem Argument, dass die Sprache der Gelehrtenschicht dem sprachlichen Einfluss der Bauern weichen müsse, zieht Grimmelshausen auch die obige Feststellung, das beste Deutsch werde in Speyer gesprochen, massiv in Zweifel. Über den sprachlichen Einfluss der dortigen Bauern äußert er sich nicht, doch

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man kann zu Recht fragen, warum diesbezüglich die Verhältnisse in Speyer besser sein sollten als in Frankfurt, Regensburg oder Leipzig. Insofern disqualifiziert das zweite, soziolinguistische Argument das erste. Nun charakterisiert der Autor einzelne Dialekte anhand bestimmter Merkmale, wobei er diese zumindest teilweise phonetisch treffend beschreibt: An den Schweitzern scheinet als ob sie ihre Wörter wie die welsche Hanen hinten im Rachen oder oben im Gaumen formirten; die Schwaben möcht einen beduncken / brauchen die Naase auch zu ihrer Aussprach; die Francken nehmen das Maul gar zu voll wann sie reden; die Bayern vnd Oestreicher ziehen etliche Wörter länger als der Schuster das Leder / und etliche stutzen sie so kurtz ab wie die Frantzosen die Schwäntz an ihren Pferden; die Niderländer und was gut alt Sächsisch Teutsch oder Westphalisch redet / verfertigen ihre Wörter gleichsamb vornen im Mund zwischen den Lefftzen vnd vordern Zähnen; die Meissner und ihre Nachbarn brauchen zuvil überflüssige Wörter und Buchstaben (ebd., 55 f.).

Die Passage erinnert an den Schluss des Renners Hugos von Trimberg (um 1300): Swer tiutsche will eben tihten, | der muoz sîn herze rihten | ûf manigerleie sprâche | […] | Swâben ir wörter spaltent, | die Franken ein teil si valtent, | die Beier si zerzerrent, | die Düringe si ûf sperrent, | die Sahsen si bezückent, | die Rînliute si verdrückent, | die Wetereiber si würgent, | die Mîsener si vol schürgent, | Egerlant si swenkent, | Oesterrîche si schrenkent, | Stîrlant si baz lenkent, | Kernde ein teil si senkent. | […] | ein ieglich mensche sprichet gern | die sprâche, bi derz ist erzogen. | sint mîniu wort ein teil gebogen | gên Franken, nieman daz sî zorn, | wan ich von Franken bin geborn (V. 22 253–22 335; zitiert nach Hartweg/Wegera 2005, 15 f.).

Hugo stellt in diesen Versen die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Dialekte heraus, um den Gebrauch seines eigenen Dialekts, des Fränkischen, zu rechtfertigen. Der Text ist ein Zeugnis, das das horizontale Varietätenspektrum des späten Mittelalters dokumentiert (vgl. oben, 3.2.3). Grimmelshausen dagegen verfolgt mit seiner Aufzählung andere Zwecke. Er fährt nämlich fort: [U]nd wann man aus jeder Art diser Sprachen einen nehme und sie zusammen sperrete / so würden sie mit der Zeit entweder ein recht mittelmässig Teutsch zusammen bringen / oder allesammen dem jenigen nachöhmen / der eintweder die leichteste Aussprach hat / oder dem / der am allermehristen papplet (TM, T 56).

Er spricht sich damit deutlich als Gegner der anomalistischen Position aus: Weder aus einem einzelnen noch aus allen Dialekten zusammen lässt sich ein gutes Deutsch hervorbringen, im Gegenteil, eine Mischung aus allen Dialekten würde ein mittelmäßiges Deutsch ergeben. Auch wenn sich einer der Dialekte durchsetzte, so wäre nicht garantiert, dass dieser der beste sei, sondern es sei derjenige mit der leichtesten Aussprache oder einfach der des Geschwätzigsten.

534 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Daraus geht hervor, dass man bei den Dialekten das beste Deutsch nicht suchen darf. Insofern bestätigt sich, was bereits oben festgestellt wurde: Das beste Deutsch wird nicht räumlich bestimmt, damit ist auch die Behauptung, dass in Prag das beste Deutsch gesprochen werde, zurückgenommen. Nachdem die Suche nach regionalen Kriterien offenbar erfolglos war, kehrt Grimmelshausen zum soziologischen Argument zurück: Das beste Deutsch sprächen und schrieben die Gelehrten, weil sie viel mit Sprache umgehen müssten. An zweiter Stelle stünden diejenigen, die viel reisen, also Kaufleute33 und Soldaten. Vor allem die Nennung der Soldaten überrascht, denn dieser Stand wird von keinem anderen Autor im Zusammenhang mit der Frage nach einem Sprachvorbild genannt. Grimmelshausen geht aber darauf nicht weiter ein. Nachdem er die fürstlichen Kanzleien (und damit erneut dem institutionalen Autoritätsprinzip folgend) das beste Deutsch attestiert hat, schweift er nun scheinbar ab und geht zu einer scharfen Kritik an den Sprachreformern und am Alamode-Wesen über: [D]as allerbeste aber / beydes in Reden und Schreiben wird hin und wider in den Fürstlichen Cantzleyen gefunden / allwo man einen weit andern und ansehenlichern Stylum findet / als bey etlichen Sprachhelden / die zwar darvor gehalten werden wollen / ob wissten sie allein die Teutsche Sprach zu reformirn / und sie von aller Unsauberkeit / gleichwie der Drescher den Waitzen zu läutern / da sie doch ihre aigne Sitten nit corrigirn; diese vermeine ich / welche das Teutsch von allen frembden Wörtern gerainiget und geläutert wissen wollen; ihre Leiber und Gemüther aber nichts desto weniger mit Frantzösischen Kleydungen / Barüquen und kleinen wintzigen Knöbelbärtgern (wann sie nichts mehrers vermögen) gleich den natürlichen Frantzosen verstellen / zieren und tragen; ja wanns nur seyn könte / wol was anders mehr auff Frantzösisch thun: und dardurch / soviel an ihnen ist / das allergottsbeste Teutsch (welches da ist ohne alle Gefährden / Falschheit / Un-

�� 33 Simon Zeisberg (2013, 131) weist darauf hin, dass Kaufleute im sprachpatriotischen Diskurs vor allem für den Input von Fremdwörtern verantwortlich gemacht wurden, was er mit einem Zitat aus Harsdörffers Teutschem Secretarius belegt (vgl. ebd., 132). Der Grund für die Aufwertung der Sprache der Kaufleute im Teutschen Michel liegt nach Zeisberg darin, dass Grimmelshausen offensichtlich den Handel, also den internationalen Austausch von Waren, als Grund für wirtschaftliche Prosperität ansieht, wie sie in Philipp Hannibal von Schauenburgs Teutschem Friedens-Rath, den Grimmelshausen redaktionell überarbeitete (vgl. dazu Breuer 1999, 240–243), vorgeführt wird. Diese Einsicht wird mit dem Import fremden Sprachguts parallelisiert, wodurch sich Grimmelshausen „dezidiert gegen die statischen, schematischen Konzepte der älteren Sprachpatrioten“ in Stellung bringt (Zeisberg 2013, 133; Hervorhebung im Text). Sprache wird damit zu einem „Medium des Tausches und Austausches“ (ebd.). Diese Interpretation passt zu Grimmelshausens ambivalentem Verhältnis zum Geld wie zu den Ausführungen in den ersten drei Kapiteln im Teutschen Michel: Wo das Gemeinwohl über dem Eigennutz steht, sind Geldwirtschaft und fremdes Sprachgut positiv bewertet; wo nicht, werden sie Gegenstand satirischer Kritik.

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treu / und Argelist / fein redlich / auffrichtig / treu- und offenhertzig / unerschrocken / ernst-Mann- und standhafft / gerecht / etc. und was vor dergleichen Teutscher Aigenschafften mehr sich finden / seyn und leben) verderben helffen möchten und dörfften; Jener Weise sagt recht und wol / gegenwertiger Zeit Wörter soll man sich gebrauchen / und der Alten Sitten nachfolgen (ebd., 56 f.).

Diese Kritik wirkt zunächst wie ein Fremdkörper, widerlegt jedoch erstens die obigen Bestimmungen über das beste Deutsch und führt zweitens zur Lösung der Frage. Eine Widerlegung der Annahme, die Gelehrten und die Kanzleien gäben das beste Deutsch wieder, erfolgt durch den Verweis auf die Sprachreformer und die Alamodisten. Erstere – man denkt natürlich zuerst an Zesen, dieser ist aber nicht der einzige – gehören dem Gelehrtenstand an, zu dem auch die Kanzleischreiber gehören, die am Hofe ihren Dienst tun und sich in das zunehmend von der französischen Kultur und Sprache bestimmte Hofleben einfügen müssen (vgl. dazu oben, 3.2.2.4 u.ö.). Grimmelshausen wirft ihnen damit einen Widerspruch zwischen Worten und Taten vor. Der vermeintliche Fremdkörper in diesem Kapitel entpuppt sich damit als wichtiges Glied in der Argumentationskette. Zugleich verweist die Passage auf die Lösung der Frage, wo das beste Deutsch zu finden sei. Dazu muss man sich die Attribute vor Augen halten, die dem Deutschen zugesprochen werden: redlich, aufrichtig, treuherzig, offenherzig, unerschrocken, ernsthaft, mannhaft, standhaft, gerecht, die Laster Gefährde, Falschheit, Untreue und Arglist werden ihm explizit abgesprochen. Einerseits knüpft Grimmelshausen damit an die zeitüblichen Tugend- und Lasterzuschreibungen an das Eigene und die fremden Völker an, doch er tut damit viel mehr: Er schreibt die genannten Tugenden nämlich den Deutschen nicht einfach zu, sondern er fordert seine Landsleute auf, ihnen zu folgen: „Jener Weise sagt recht und wol / gegenwertiger Zeit Wörter soll man sich gebrauchen / und der Alten Sitten nachfolgen“ (ebd.; 57; Fett von mir, S. R.]. Die durch Fettdruck markierten Stellen sind die entscheidenden: Das Modalverb impliziert eine Deontik, die Tugenden sind nicht gegeben, sondern man muss sich ihnen gemäß verhalten. Als Vorbilder dienen die Alten, die Vorfahren. Wenn man die enge Verbindung von Sprache und Tugend, die Grimmelshausen hier behauptet, nachvollzieht, dann kommt die endgültige Auflösung der Frage, um die sich das Kapitel dreht, nicht mehr überraschend: „Jst diesemnach der jenige der allerbeste Teutsche / welcher der alten Teutschen Tugenden übet und liebet / wann er gleich nit besser oder zierlicher redet als ein kropffiger Pingauer / und bey einem solchen ist auch das beste Teutsch zu finden“ (ebd.). Oder, um es mit einem Epigramm Logaus zu sagen:

536 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Deutsche mühen sich ietzt hoch, deutsch zu reden fein und rein; | Wer von Hertzen redet deutsch, wird der beste Deutsche seyn (Logau, Sinngedichte, 365).

Mit der Formulierung kropffiger Pingauer knüpft Grimmelshausen vermutlich an jene Stelle in Sebastian Francks Sprichwörtern an, in der sich auch der oben zitierte frühe Beleg für das Phrasem deutscher Michel befindet; im Zusammenhang lautet die Stelle nämlich folgendermaßen: Cescos ist ein stat Pamphilie / da so grobe leut woneten / wie inn Teutschland die Bintzger kröpffeten baurn / daß dauon ein sprichwort entstuond: Du bist ein mann von Cescon / wie mans auff der Alb hat / gleich wie man spricht: Es ist ein stat wie Heubach / da frassen die wolff den schultheiß auff dem marckt / Wolt einen groben dölpel vnd fantasten damit anzeygen. Wir brauchen die oberzelten / Jtem / Ein grober Algewerbauer / Ein blinder Schwab etc. Ein rechter dummer Jan / Der teutsch Michel / Ein teutscher Baccalaureus“ (Franck, Sprichwörter 2, fol. 49b).

Mir scheinen die Syntagmen Bintzger kröpffeten baurn und kropffiger Pingauer nicht allzu weit auseinander zu liegen, die Vermutung liegt nahe, dass Grimmelshausen die Stelle dem oberdeutschen Sprachgebrauch angepasst hat. Bei Franck werden die Phraseme Bintzger kröpffeten baurn, blinder Schwab, dummer Jan, teutscher Michel und teutscher Baccalaureus synonym gebraucht mit der Bedeutung ›Tölpel, Dummkopf, einfältiger Mensch‹. Es spricht viel dafür, dass Grimmelshausen diese Stelle kannte und dass sich die Phraseme teutscher Michel und kropffiger Pingauer synonym zueinander verhalten. An dieser Stelle scheint die oben (466 f.) herausgestellte Doppeldeutigkeit des Stereotyps vom deutschen Michel virulent zu werden: Er dient keineswegs als Sprachvorbild, aber in seiner Schlichtheit, der Charakterisierung Moscheroschs (vgl. ebd.) eingedenk, als Tugendvorbild, das die genannten Vorzüge in sich vereint. Der teutsche Michel steht bei Grimmelshausen damit für die Ambivalenz seiner eigenen Einschätzung über die Sprache, ihre Träger und die Sprachdiskurse der Zeit. Grimmelshausen geht es in diesem Kapitel also nur vordergründig um die Frage, wo nun das beste Deutsch zu finden sei. Er sucht letztlich nicht die beste deutsche Sprache (Varietät), er sucht den besten Deutschen, wie aus dem letzten Absatz des Kapitels hervorgeht. Dabei geht er methodisch nach dem Prinzip Trial and Error vor: Zunächst wendet er räumliche und soziale Kriterien an, die jedoch für nicht ausreichend befunden werden. Vermeintlich gefundene Lösungen wie Speyer, Prag oder die Gelehrten als diejenigen Orte und Stände, in denen das beste Deutsch zu finden sei, werden wieder verworfen. Dadurch entlarvt er diese Lösungen als Scheinlösungen und die angewandten Kriterien als nicht ausreichend. So führt Grimmelshausen schließlich ein Kriterium an, das mit Sprache wenig zu tun hat: die innere Einstellung des Sprechers. Die Fragestel-

Stammwörter � 537

lung verschiebt sich unvermittelt von der nach der besten Varietät des Deutschen zu der nach den Charaktereigenschaften, die ein Deutscher besitzen muss. Besitzt er diese Tugenden, dann ist die Zierlichkeit seiner Sprache nicht mehr entscheidend.34 Nun ergibt sich diese Änderung der Fragestellung samt ihrem Ergebnis weder logisch aus der Argumentation, noch ist dadurch erkennbar, warum Grimmelshausen überhaupt diesen Umweg über die Suche nach dem besten Deutsch nimmt, wenn er ohnehin etwas anderes finden wollte. Was rechtfertigt also diesen argumentativen Sprung? Die Antwort auf diese Frage scheint in der Satiretheorie zu liegen. Im ersten Kapitel der Continuatio hatte Grimmelshausen festgestellt, dass man dem Leser bittere Wahrheiten nicht direkt, sondern mittels einer überzuckerten Pille einflößen muss (vgl. oben, 3.3.3.1). Der satirische Angriff muss also immer indirekt erfolgen. Indem Grimmelshausen nun an die Teildiskurse des sprachpatriotischen Diskurses anknüpft, die Sprache und Moral im Zusammenhang mit der Alamode-Kritik eng verbinden (zu denken ist an Moscheroschs Gesichte oder an Rists Rettung, aber auch an den Sprachverderber), kann er einerseits diesen Diskursstrang mit satirischer Kritik bloßstellen, indem er dessen Voraussetzung, die Verbindung von Sprache und Moral, untergräbt und betont, dass die Sprache eben kein Indiz für moralischen Verfall sei (was die genannten Autoren und Texte behaupten), und andererseits die Alamodisten attackieren und ihnen den tugendhaften alten Teutschen gegenüberstellen. Kapitel elf des Teutschen Michel ist, so interpretiert, ein Musterbeispiel für die Doppelstrategie der Satire, die sich zwischen die Konfliktlinien stellt und beide Seiten gleichermaßen angreift. So macht Grimmelshausen auf die Kurzschlüsse der Sprachpatrioten wie auf das wenig loyale Verhalten der Alamodisten aufmerksam.

5.7 Stammwörter Das zwölfte Kapitel trägt den Titel Der Teutschen Sprach sonderbare Art und Aigenschaft / sambt Anregung deren Reichthumb von vielen überflüssigen Wörtern. �� 34 An dieser Stelle ist die Nähe Grimmelshausens zur ,Altdeutschen Bewegung‘ wohl am größten, wie auch Breuer feststellt: „Damit stellt sich Grimmelshausen in die Tradition der ,Teutschen Bewegung‘, die für die Stärkung von Kaiser und Reich und dessen Institutionen eintritt und das Denken in konfessionellen Lagern für ebenso schädlich hält wie das Paktieren einzelner Fürsten mit fremden Mächten und nachfolgender kultureller, auch sprachlicher Überfremdung“ (Breuer 2012, 42). Dies ändert jedoch nichts an Grimmelshausens kritischer Einstellung gegenüber dieser Bewegung, wie sie oben konstatiert wurde.

538 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Das Attribut überflüssig ist hier nicht im heute üblichen Sinne verwendet, sondern im Sinne von ›mehr als notwendig, überreich‹ (vgl. DWB, Bd. 23, Sp. 223 f.). Bereits im Titel des Kapitels spielt Grimmelshausen damit auf den lexikalischen REICHTUM der deutschen Sprache an, ein Ideologem, das vor allem Schottelius vertritt und verbreitet. Das Kapitel beginnt mit einem Zitat aus dem Teutschen Raißbuch Martin Zeillers (Ulm 1662) mit exakter Quellenangabe. Demnach besitze die deutsche Sprache 2170 einsilbige Stammwörter. Für Grimmelshausen ist dies keine sonderlich bemerkenswerte Feststellung, da es „der Teutschen Sprach aigne Art“ sei, dass fast alle Stammwörter einsilbig seien (TM, T 57). Dies gebe es bei keiner anderen Sprache der Welt. Er hält es sogar für möglich, dass „vor Alters her“ (ebd.) die deutsche Sprache ausschließlich aus einsilbigen Wörtern bestanden hätte. Hier wird die diskurssemantische Grundfigur ALTER virulent. Dies versucht Grimmelshausen zu belegen, indem er eine ganze Reihe von einsilbigen Wörtern aus dem Frame ,Bauernhof‘ aufzählt: [W]ir wollen nur auff einen Baurnhof gehen / dann finden wir gleich Hauß / Hof / Gart / Scheur / Stall / Pferd / Kuh / Kalb / Ochs / Schwein / Haan / Henn / Ganß / Aendt / Pflug / Wagn / Karch / Graß / Heu / Oehmbt / Holtz / Stroh / Mist / Baum / Laub / Blat / Schaaf / Lamb / Hund / Katz / Mauß / Mensch / Mann / Weib / Kind / Knecht / Magd / Bueb / Berg / Thal / Matt / Feld / Tisch / Stuhl / Banck / Härd / Thür / Korn / Frucht / Waitz / Speltz / Linß / Erbß / Bohn / Saam / Kraut / Rub / Blum / Ros / Gilg / und dergleichen (ebd., 57 f.).

Schon in dieser Aufzählung wird die später zum Prinzip erhobene Praxis, das unbetonte zu entfernen, deutlich, etwa bei Wagn oder Henn. Grimmelshausen behauptet sogar, dass es die Schuld etlicher „Sprachvererber“ (ebd., 58) sei, dass es nicht noch mehr einsilbige Wörter in der deutschen Sprache gebe. Explizit verweist er auf das siebte Kapitel, namentlich auf die Narren, die jedem Wort ein überflüssiges anhängen (vgl. oben, 517 f.). Diese gingen mit dem „mehr verschwenderisch / als freygebig“ um (ebd.). Bereits dieser erste Absatz des Kapitels verweist deutlich auf Schottelius’ Stammworttheorie. Dieser Verweis beginnt schon mit dem falschen Zeiller-Zitat. Gisbert Bierbüsse konnte zeigen, dass Grimmelshausen hier nicht Zeiller, sondern die Ausführliche Arbeit (61) zitiert. „Seine Angaben entsprechen zwar im Wortlaut der Wahrheit, bedeuten aber durch die Ablenkung von der eigentlichen Quelle eine offenbare Irreführung“ (Bierbüsse 1958; 2014, 19; vgl. ebd., 17 f. sowie 40). Es bestehe ein „begründeter Verdacht, daß er seine Quellen durch unvollständige oder falsche Angaben zu verschleiern sucht“ (ebd., 18). In der Tat stellt sich die Frage, warum Grimmelshausen eine offenbar falsche Quelle angibt. Diese Frage wird umso drängender, als auch die Aufzählung einsilbiger Wörter ihr Vorbild bei Schottelius findet:

Stammwörter � 539

Hand / Hauß / Kopff / Welt / GOTT / Geist / Mensch / Bein / Leib / Schuh / Tisch / Thier / Wolff / Fuchs / Löw / Saltz / Huhn / Hahn / Kuh / Mann / Fraw / Weib / Kind / Fleisch / Bier / Brot / Speck / Worst / Wein / Korn / etc. item geh / steh / lauff / nim / treib / sag / kauff / komm / setz / sitz / thu / trag / schlag / schlacht / gib / zahl / deck / schlaf / schreib / iß / trinck / etc. (Schottelius, Sprachkunst, 89).

Schottelius merkt an, dass bei den Verben der Imperativ das Stammwort oder die Wurzel sei.35 Manche Stammwörter hätten zwei Silben, wobei die letztere Silbe meist ein /e/ in sich habe, welches von den alten Deutschen wohl noch voll ausgesprochen worden sei. Es sei jedoch heute üblich, dieses /e/ im Sprechen und Schreiben zu übergehen. Grimmelshausen übernimmt einige dieser Beispiele, bleibt aber im Gegensatz zu Schottelius in einem bestimmten Frame, während die Liste bei letzterem etwas willkürlich wirkt. Die Antwort auf die Frage, warum Grimmelshausen Schottelius als Quelle verschweigt und Zeiller vorschiebt, könnte wiederum mit der satirischen Schreibart zusammenhängen. Wie schon in seinen Auseinandersetzungen mit Weise und Zesen (vgl. oben, 2.2, 5.3 und 5.4) ist auch hier zu sehen, dass Grimmelshausen auffällig bemüht ist, die Namen seiner Kontrahenten nicht zu nennen. Dies hat vermutlich seinen Grund darin, dass er es vermeiden will, für einen Pasquillanten gehalten zu werden und nicht für einen Satiriker. Während die Satire nämlich Allgemeines kritisiert, greift das Pasquill Einzelne persönlich an und wird deshalb im 17. Jahrhundert zunehmend geächtet (vgl. Kap. 3, Anm. 109). Die irreführende Literaturangabe könnte damit primär dem Selbstschutz gedient haben. Wahrscheinlich war aber für die zeitgenössischen Leser Schottelius als hinter Zeiller stehende eigentliche Quelle deutlich erkennbar. Dies wäre ein Beispiel für das verstehensrelevante Wissen, das zu bestimmten Zeitpunkten vorausgesetzt werden kann, zu anderen aber nicht mehr (vgl. oben, 253). Grimmelshausen entfaltet nun seine Methode, die ursprüngliche Einsilbigkeit der deutschen Stammwörter wieder herzustellen. Diese ist verblüffend einfach: Er schlägt vor, in allen mehrsilbigen Wörtern das unbetonte zu synkopieren, so dass aus bitter, betten, Mangel, gewesen, getragen, beschimpffet und betrogen bittr, bettn, Mangl, gwesn, gtragn, bschimpfft und btrogn wird (TM, T 58).36 Diese �� 35 Vgl. auch die folgende Stelle: „Jn Teutscher Sprache haben die Zeitwörter (Verba) jhren Stamm oder Wurtzel in der Gebietungsweise (Modo Imperativo) […] / ist derohalben unnötig / daß man das e / an dieselbe Stamm-Zeitwörter […] setzet / also schreibt und redet man recht: Schau / trau / trink / geneuß / hör / schaff etc. und wann ein e / wird hinan gehengt / als schaue / trinke / geneuße etc. ist dasselbe überflüssig / dann ich schaue / ich trinke / ich schaffe etc. ist die Anzeigungsweise (Modus Indicativus)“ (Schottelius, Arbeit, 209 f.). 36 Diese Methode wurde möglicherweise durch Fabian Frangk angeregt, der in seiner Orthographia Deutsch (1531) folgenden Vorschlag machte: „Es soll bey ettlichen die sich im schreiben

540 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Maßnahme verschaffe dem Deutschen nicht nur eine deutlich größere Anzahl an einsilbigen Wörtern, sondern trage auch zur Verbesserung der Aussprache bei: Keiner würde nun auf die Idee kommen, das unbetonte zu betonen und bitterr, bettenn oder Mangell zu sagen ([bittér], [betén], [Mangél]; vgl. ebd.).37 Die Einsilbigkeit ist für Grimmelshausen ein Zeichen für das hohe ALTER der deutschen Sprache, die von Ascenas vor dem Bau des Turms von Babel und damit vor der Babylonischen Sprachverwirrung nach Deutschland gebracht worden sei. Hier beruft sich Grimmelshausen wieder auf Zeiller und damit eigentlich auf Schottelius (Arbeit, 33–35): Wanns nun die Teutsche Sprach adelt / und ihr zu sonderbahrem Ruhm geraicht; zumahlen ihr Alterthumb: und daß Aschenatz vor Erbauung deß Babylonischen Thurns in Teutschland kommen / daraus erwiesen wird (wie gedachter redliche Teutsche Zeiler an bemeldtem Orth erinnert) sofern sich viel einsylbige Wörter in derselben befinden (TM, T 58 f.).

Doch nicht nur die Topoi Ascenas und Babel werden in diesem indirekten Zitat evoziert, sondern auch die diskurssemantischen Grundfiguren ALTER und REINHEIT. Denn weiter heißt es: „[S]o wolte ich unsern Sprachhelden / die so ernstlich für ihr Vatterland eyffern / und dasselbe bey der Reinigkeit seiner in ihr selbst bestehenden Sprach zu erhalten sich angelegen seyn lassen / getreulich gerathen haben / sie wolten Fleiß anlegen / sich mehr solcher einsybigen Wörter / als ihrer neuerfundenen Fratzen zu gebrauchen“ (ebd., 59). Erneut gibt Grimmelshausen also eine Spitze gegen die Sprachreformer ab. Diese Spitze wird anschließend konkretisiert: [D]ann werden sie nit nur 2. oder 3000. derselbigen zusammen bringen / sonder gar nahe mehr als noch soviel: wird auch besser teutsch klingen / wann sie Fenstr vor Tagleuchtere schreiben / etc. Ja es werden ihnen gleich alle Baurn nachöhmen / sonderlich die Preißgauer / die vorlängst gewohnt seyn mit 3. Sylben zu sagen / welchs wengr haun? da hingegen die hoffärtige Sprachhelden mit 7. Sylben sprechen / welches wollet ihr haben? und alsdann werden die gute Haußhälter mit dem Papyr auch besser hinauslangen mögen! (ebd.).

Das durch Synkope einsilbige Wort Fenstr wird gegen das viersilbige Wort Tagleuchtere ausgespielt; unverkennbar wird auch hier auf Zesen verwiesen. Damit ist neben dem erneuten Seitenhieb die vermeintliche Überlegenheit der einsil�� […] der kürtze bevleissigen / viel gelten vnd für künstlich angesehen sein / Wenn sie ettwan einen Stimmer / offt auch ein ganntz wort vbergehn / welche doch nothalben gefordert werden / als hie / John fladn gebn bsehn gschen / für Johan fladen geben etc.“ (zitiert nach Bierbüsse 1958; 2014, 125, Anm. 156). 37 Es ist anzumerken, dass der Ausfall des unbetonten der Aussprache in vielen obd. Dialekten entspricht.

Stammwörter � 541

bigen Wörter, die den Ideologemen der REINHEIT und des ALTERS mehr entsprächen, aufgezeigt. Zugleich wird wieder eine Formulierung Zesens gegen ihn selbst gerichtet. Denn in der Hochdeutschen Spraach-übung hatte dieser geschrieben, die Konsonantenhäufung im Wort vnndt sei eine Erfindung der Schreiber: „Das thun sie nur bloß üm geldes willen / weil sie also ein blatt bald vollschmieren und üm etliche groschen oder schillinge verkauffen können“ (Zesen, Spraach-übung, 33).38 Wenn alle deutschen Wörter einsilbig gemacht worden seien, dann könnten die Deutschen „mit dem Reichthum und Adel unserer Heldensprach prangen“ (TM, T 59) und den Ausländern beweisen, dass die deutsche Sprache den gebräuchlichsten aller Vokale vielfach entbehren könne (vgl. ebd.). Erneut evoziert Grimmelshausen also die Grundfigur REICHTUM. Auch die Kleidermetapher wird verwendet: „[W]ird der Teutschen Sprach auch besser anstehen / als wann man deren eben sovil so hinten als vorn wie an einem Bettlers-Mantel ohnnöthig anflickt“ (ebd.). An dieser Stelle ist zu fragen, worauf Grimmelshausen mit seiner Betonung der Einsilbigkeit der Stammwörter eigentlich Bezug nimmt. Hierzu muss noch einmal auf das Stammwortkonzept eingegangen werden, wie es im sprachpatriotischen Diskurs entwickelt wird. Zunächst ist festzustellen, dass die Einsilbigkeit bereits von Opitz zu den Grundeigenschaften der Stammwörter gezählt wird: „Es siehet nicht wol auß / wenn ein Verß in lauter eynsylbigen wörtern bestehet. […] Wiewol wir deutschen / wegen der menge der einsylbigen wörter die wir haben / es zuezeiten kaum vermeiden können“ (Opitz, Poeterey, 379). Einsilbigkeit und einlauten dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Für Schottelius sind dies zwei verschiedene Konzepte, die aber zusammenhängen. Die Stammwörter sind „einlautende Wurtzelen“ (Schottelius, Arbeit, 41), die die „grundseulen zu allen darauf erhöhten Teutschen Sprach-Gebäuden“ (ebd., 1272) �� 38 Vgl. die folgende Passage: „Hieraus folget nun erstlich / weil der Buchstaben Amt und Eigenschaft eigentlich diese ist / den Laut und Tohn der wol ausgesprochenen Wörter / deutlichst und vernemlichst zubilden und auszuwirken; daß in Teutschen Wörteren / alle die jenige Buchstabe / welche der Rede keine Hülfe tuhn / und also überflüssig seyn / sollen und mussen ausgelassen und nicht geschrieben werden / also schreibet man nicht recht umb / darumb / warumb / kommpt / nimbt / Käiserthumb / Lammb / unndt / daßz / nutzt / butzt / Frauw / trauw / itzundt etc. dann die gröberen Letteren b / p / n / z / t / w / sind alhier gantz überflüssig / gehören nicht zur Ausrede / geben und nehmen auch dem Worte an sich selbsten nichts / und werden solche / und viel andere derogleichen / nur wegen eingebildeter misbräuchlicher Freyheit also geschrieben“ (Schottelius, Arbeit, 188). Schottelius lehnt die Konsonantenhäufungen, wegen denen die Ausländer die deutsche Sprache für „hart / schwär und blökkig“ hielten (ebd.), also in erster Linie ab, weil sie das Verständnis erschweren.

542 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs darstellen. Mit einlautend meint Schottelius aber, dass die Buchstaben als KonstiKonstituenten der Stammwörter in ihren Bezeichnungen nur einen Laut aufweisen, im Gegensatz zum Hebräischen oder Griechischen: Zum Exempel / wenn ein Lesenlernender sagen wil Dal / muß er nach dem Hebraischen Buchstabieren / Daleth, Aleph, Lamech, und daraus muß er erzwingen lernen / im Aussprechen nur die ersten Buchstaben zubehalten D. A. L. also ein Grieche muß sprechen Delda, Alpha, Lamda, und das muß heissen D. A. L. Da hergegen der Teutscher nach seinen Teutschen Letteren saget De, A, eL, woraus die natürliche Folge leichtlich fleust dal / und also in allen (ebd., 51).

Durch die einlautenden Buchstaben bekommen die Stammwörter eine besondere Qualität, die sie vor denen anderer Sprachen auszeichnet. Zudem verhält sich das Konzept der einlautenden Buchstaben analog zu dem der einsilbigen Stammwörter (vgl. ebd., 61). Die Einsilbigkeit der Stammwörter begründet Schottelius mit zwei Argumenten: Erstens mit dem Spracherwerb des Kindes, das zuerst einsilbige Wörter hervorbringe. Zweitens mit dem kognitiven Aspekt, dass die Sprache den Inhalt des Gedächtnisses ausdrücken solle und die Wörter deshalb dem Gedächtnis anpassen müsse, das „kurtz und schnell“ sei, weshalb auch die Wörter kurz und schnell auszusprechen sein müssten: Also hat die mildreiche allgemeine Mutter / die gütige Natur / auch dieses sonderlich den Teutschen verliehen / daß sie durch Behülff der Lippen / Zungen / Zähnen und Kehle / fast unendlich-viele einsilbige Wörter können ausreden / darunter auch die Stammwörter / als eines einzigen Dinges einlautende Anzeigungen seyn (ebd.; vgl. auch Schottelius, Sprachkunst, 87 f.).

Aus der großen Anzahl einsilbiger Stammwörter leitet Schottelius die Überlegenheit des Deutschen über das Französische ab. Dieses habe zwar auch viele einsilbige Wörter „aber alles verdrehet und verzogen / halb geredt / halb verschwiegen / darinn gar nichts befindlich / welches einige Vergleichung der Kunst / neben den Teutschen Stammwörteren haben kündte“ (Schottelius, Arbeit, 61). Fast euphorisch hebt Stieler die Vorzüge der deutschen Sprache aufgrund ihrer einsilbigen Stammwörter hervor: Und hierinnen thut es die Teutsche Sprache allen Sprachen in der Welt / ja auch so gar ihrer Eltermutter / der Hebraeischen / vor / und ist hierüm billig vor die vornemste und fürtrefflichste Haubtsprache zubeehren / als welche einfach / selbsteigen / lauter und rein ist / und nicht allein alles / was die Welt begreifet / ohne Beyhülfe einer andern Sprache / deutlich und vernemlich nennen / sondern auch denjenigen Dingen / so noch täglich anderer Orten erfunden oder erdacht werden / solch einen beqvemen Namen geben kan /

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der so bald von dem geringsten Menschen / Weibern und Kindern / wann sie denselben nur einmal hören / verstanden werden mag (Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iijv).

Wie sehr sich in Schottelius’ Stammwortkonzept die verschiedensten Metaphern und diskurssemantischen Grundfiguren komprimieren, zeigt das folgende Zitat, in dem auch die Einsilbigkeit betont wird: Es ist nicht so, die Teutsche Sprache ruhet fest und unbeweglich in ihren, von Gott eingepflanzten haubtgründen, welche lautere, reine, deütliche, meist-einsilbige Stammwörter sind, die ihre spröslein, ast- und aderreiche Zweige in schönster reinlikeit, steter gewisheit und unergründter mannigfäligkeit reümig und weit ausbreiten, das es gar nicht nötig mit frembden Leütteton darunter Zu werfen; umb die reislein Zu Zerbrechen und Zu miswachs Zu machen (Ertzschrein, 247).

Von Schottelius übernahmen viele andere Autoren das Konzept von den Stammwörtern und damit auch die Forderung nach der Einsilbigkeit, so etwa Harsdörffer (vgl. Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 21). Hille knüpft wie Schottelius in Simon Stevin an und leitet aus der Anzahl der Stammwörter die Überlegenheit der deutschen Sprache ab: So ist auch unsere geliebte Teutsche Muttersprache; unter andern Haubtsprachen nicht die geringste; sondern die prächtigste; ja die nechste der Hebräischen: wie solches die glaubwürdige Geschichtschreiber bezeugen / auch aus den viel einsylbigen Stammwörtern / deren allein Simon Stavin bey die 2170. Aus den Teutschen zusammengelesen: in der Lateinischen Sprache hat er 163. und in der Griechischen 265 gefunden (Hille, Palmbaum, 78 f.).

Er betont auch, dass die „Füglichkeit der Zusammensetzung“ (ebd., 176), also die Wortbildungsmöglichkeiten, durch die Einsilbigkeit der Stammwörter des Deutschen entstehe und begünstigt werde. Logau verweist auf die besondere Bedeutung, die einsilbige Wörter für Vers und Reimschema hätten. Im Vorwort zu seinen Sinngedichten schreibt er, dass er nur einheimische Silbenmaße gebraucht habe und „daß die einsylbigen oder eingliedrigen Worte, welche in der deutschen Sprache fast das meiste außmachen, ich bald lang, bald kurtz gesetzet“ und er die Reime nach dem Bezugswort gesetzt hätte (Logau, Sinngedichte, 1). Für Harsdörffer macht die hohe Anzahl einsilbiger Wörter sogar einen großen Anteil an der POETIZITÄT der deutschen Sprache aus: Sie sei für gebundene Rede gut geeignet, weil „unsre Sprache mächtig / weil sie wortreicher als keine andere / die einsylbigen Stammwörter zierlich verdopplen und einigen kan“ (Harsdörffer, Trichter, Erster Teil, 17 f.). Nun stehen die Autoren häufig vor dem Problem, dass einige Wörter sich nicht in die Einsilbigkeit fügen wollen. Stieler behilft sich bei Wörtern wie Gnade, Sache, Löwe oder Käse damit, dass das unbetonte von den Hochdeutschen

544 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs ohne Grund hinzugefügt worden sei (vgl. Stieler, Stammbaum, fol. )()()( iiijr). DaDamit ist er fast auf einer Linie mit Grimmelshausen, die Apokope wäre der nächste Schritt. Auch Schottelius stellt fest, dass es im Hochdeutschen Stammwörter gebe, die zweisilbig sind, wie Adler, Vater, Mutter, Himmel oder Leber. Er versucht aber zu zeigen, dass diese Wörter ursprünglich ebenfalls einsilbig gewesen seien: „Arndt / Vaer / Moer / Himl / Lefr“ (Schottelius, Arbeit, 62). Daher könne dieser Hinweis der Auffassung von der Einsilbigkeit der Stammwörter nicht widersprechen. Diese zweisilbigen Substantive sind ein Grund dafür, dass die Behauptung von der Einsilbigkeit der Stammwörter nicht unwidersprochen blieb. Es fällt auf, dass sie vor allem von Verfechtern des Analogismus vertreten wird (Schottelius, Harsdörffer). Somit ist es nicht überraschend, dass der Widerspruch von Seiten der Anomalisten, namentlich von Gueintz, kommt. Er lehnt die Behauptung der Einsilbigkeit samt den Folgerungen, die Schottelius und andere daraus ziehen, kategorisch ab: Ja […] es wird nicht zugegeben / das was einsylbig ist auch das erste sey; Dan sonsten müsten die Vorwörter und nicht die Zeitwörter / die Stammwörter seyn / weil mehr einsylbige darinnen / als in den Zeitwörtern; Viel mehr ist der warheit ähnlich / das die Stammwörter aus den Nen- und Zeitwörtern herrüren. Endlich ist nicht so wol auf die sylben / als auf die bedeutung zusehen (Gueintz, Rechtschreibung, 20 f.; vgl. auch Ertzschrein, 254).

In einem undatierten Brief an Gueintz zählt Fürst Ludwig zahlreiche zweisilbige Wörter auf, die nicht in das Schema der Einsilbigkeit passen wollen: Es Zeiget gleichwol die erfarung das alle deutsche Stamwörter nicht einsilbig sein können, Als neben vielen andern, Vater, mutter, bruder, schwester, messer, wasser, feder, apfel, nagel, nebel, regen, donner, hagel, finger, ader, flügel, hammer, fenster, haspel, Zucker, mangel, teller, offen, thüre, und dergl. Ob dan auch der radix oder Stam der Zeitwörter in der gebitungsweise ist, solches ist auch sehr Zweiffelhaftig, ja das die andere person drinnen alleZeit einsilbig sein solte (ebd., 300; vgl. ebd., 352).

Allerdings zeigt sich der Fürst kompromissbereit und verweist auf die Notwendigkeit weiterer Forschungen: „Ob die Stamwörter alle einsilbig sind in gut, hoch ungeZwungen oder verZwickt deutsch, Zu setzen seyen, das wird sich nach ihrer erforschung in dem geschlechte, ihrer verwandelung und aussprache bald finden, wiewol ihrer sehr viel, und mehr, als in andern sprachen, einsilbig sind“ (ebd., 395). Philipp von Zesen kommt in seiner Auseinandersetzung mit Goropius auch auf die Einsilbigkeit zu sprechen. Dieser behaupte, dass die deutsche Sprache „unleugbar“ (Zesen, Spraach-übung, 13) die meisten einsilbigen Wörter, welche Stamm- oder Wurzelwörter genannt werden, aufweise. Daraus hätte er ge-

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schlossen, dass alle anderen Sprachen aus ihr abgeleitet seien. Zesen wendet dagegen ein, dass das Chinesische fast nur einsilbige und vieldeutige Wörter aufweise, die sich nur durch Ton und Aussprache unterschieden; daraus könne man aber nicht ableiten, dass das Chinesische die erste Sprache gewesen sei (ebd.; das Argument wiederholt Zesen in Rosen-mând, 210). Zesen lehnt also die Folgerung, dass eine Vielzahl an einsilbigen Wörtern automatisch hohes ALTER und damit besonderes Prestige für eine Sprache bedeute, ab. Grimmelshausens Vorschlag der Synkope und Apokope wäre bei Zesen auf heftigen Widerstand gestoßen, wie aus dem Rosen-mând hervorgeht. Manche wollten, so Zesen, das Deutsche an das Hebräische und damit an die Adamische ,Ursprache‘ angleichen und hätten aufgrund dieses Irrtums zweigliedrige Wörter eingliedrig gemacht, indem sie das letzte Glied abgelöst hätten mit der Behauptung, dass dies die Wurzeln der Sprache seien; dies hätte aber nur dazu geführt, dass die Wörter „verstümlet / die sprache verhärtet / und der laut wider die natur der aus-sprache verfälschet worden“ seien (Zesen, Rosen-mând, 209). Es ergebe einen „unlieblich[en]“ Klang, wenn man schreibe „d i e S o n n / d er f r i e d / d i e s p r ac h / uam. für d i e s o n n e / d er f r i ed e / d i e s p r a c h e“ (ebd.; Sperrung im Text). Dieses habe keinen anderen Nutzen, „als daß es den ungereimten Reim-schmieden und pranklern unserer Dichterei wohl zu statten kommet / und die liebligkeit / ja den gantzen flus der sprache hämmet“ (ebd., 210). Die Einsilbigkeit wird damit von einigen Sprachpatrioten zu einer der Grundeigenschaften der Stammwörter aufgebaut und als Zeichen des hohen ALTERS der deutschen Sprache ideologisch aufgeladen. Vor allem Schottelius und Harsdörffer propagierten die Theorie der Einsilbigkeit, obwohl sie erkannten, dass sie sich nur mit einiger Gewaltsamkeit halten ließ.39 Diese Ungereimtheiten führten dazu, dass andere Autoren, vor allem die Vertreter des Anomalismus, erhebliche Zweifel an der grundsätzlichen Einsilbigkeit der Stammwörter äußerten. Nach diesem Exkurs kann nun die Frage beantwortet werden, wie ernst Grimmelshausen der Vorschlag ist, Einsilbigkeit durch Synkope und Apokope zu erhalten. Bierbüsse scheint Grimmelshausens Ausführungen ernst zu nehmen, glaubt aber, dass dieser die Stammworttheorie nicht wirklich verstanden habe: „Die Untersuchung der Entlehnungen Gr[immelshausen]s für den T[eutschen] M[ichel] aber zeigt, daß er seine Lektüre nicht immer mit Verständnis betrieben hat, was z.B. an den halbverstandenen zahlensymbolischen Erörterungen in Cap. IV [...] und der gleichfalls halbverstandenen Stammworttheorie in Cap. XII [...] deutlich wird“ (Bierbüsse 1958, 10 f.). Seine Kenntnis der

�� 39 Selbst Schottelius lehnt eine „gesuchte Einsilbigkeit der Wörter“ ab, wenn durch ihre Häufung ein Satz „schwer und klörtig auszureden“ sei (Schottelius, Arbeit, S. 781).

546 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Theorie sei nur „oberflächlich“ gewesen (ebd., 123), und seine Methode, Stammwörter herzustellen, entspreche nicht der Schottelius’, da dieser das Stammwort bei Verben durch die Bildung des Imperativs finde, z.B. trag zu tragen, während Grimmelshausen einfach das unbetonte bei den Partizipien streiche: gtragn von getragen (ebd.). Er konstatiert aber, dass der Vorschlag, das unbetonte zu streichen, „nicht ohne ironischen Unterton“ sei (ebd., 122 f.). Es ist sehr fraglich, ob Bierbüsse in der Ansicht zuzustimmen ist, dass Grimmelshausen die Stammworttheorie nur halb verstanden hätte. Er greift lediglich einen Aspekt der Stammwörter heraus, der zudem innerhalb des sprachpatriotischen Diskurses umstritten ist. Die anderen Eigenschaften, die den Stammwörtern zugebilligt werden (z.B. dass sie mit ,deutschen‘ Buchstaben gebildet werden müssen oder dass sie die Grundlage für Wortbildungen darstellen), ignoriert Grimmelshausen dagegen. Daher regt sich auch hier der Verdacht, dass es Grimmelshausen gar nicht um die Stammworttheorie ging, sondern um etwas anderes. Dass Grimmelshausen mit seinen Vorschlägen etwas anderes bezweckt als seine Vorstellungen von Sprache durchzusetzen, ist schon an der Versicherung erkennbar, dass er keiner „so hohen Einbildung“ sei, daß ich mich unterstehen dörffte / unsere Sprach zu reformirn / sondern war nur des Sinns / solche zu loben und zuerinnern / daß sie ihren Landskindern / wann sie gleich keine Außländischen kündig / genugsamb sey / in ihr zu lernen und zu begreiffen / so vil immermehr einem Menschen zu wissen vonnöthen (TM, T 59).

Grimmelshausen will also keinesfalls mit den Sprachreformern, die er mehrfach angegriffen hat, verwechselt werden. Doch der Zweck, den er nennt, ist nur vorgeschoben. Dies wird deutlich, als er auf das Galgen-Männlin verweist, das „mit disem wider neu-zugerichteten Simplicianischen Stylo ausmondirt“ wird (ebd.). Tatsächlich ist in einigen Passagen des Textes der Vorschlag, das unbetonte zu synkopieren bzw. zu apokopieren, in die Tat umgesetzt. Exemplarisch sei eine Stelle zur Illustration zitiert: Was nun erst-lich das gmein Volck dvon sagt / und gar-nah glaubt / ist dis mit eim Wort: man find und grab sie untrm Galgn; dis wär nun ein ab-scheu-lich Her-kunfft / ab der sich ein jeds ehr-lich Gmüht ohn-zweiffl ent-setzt / odr doch bil-lich ent-setzn solt. Dann (sagn die Leuth) wann man ein Erb-dieb / das ist / ein solchn Dieb ghenckt /dem das stehln angborn / ent-wedr weil sein Muttr / in dem sie mit ihm schwangr gangn / auch gstohln / odr we-nigst zum stehln Lust ghabt / und der-selb sein Jungfr-schafft noch habend / das Wassr lauffn laß / so wachs ein solchs Galgn-Mänl draus / so auch Alraun gnannt wird / welchs hernach zu gwissr Zeit / und mit sondr-barn Ceremonien allr-dings wie die Wurtzl Baraas beym Josepho mit Auffopff-rung eins schwartzn Hunds / der an statt des Gräbrs sterb / aus-ge-grabn werdn muß; Als dann werd es in rohtm Wein gwaschn / in zarth lein-

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und seidn Tüchl gwickelt / solch Bad all Frey-tag mit ihm widr-holt / er in ein Lädl gthan / und ihm all Nacht ein stück Geld zu-glegt / da vor man am morgen früh zwey finde; man müß es abr nit übr-ladn / es steh sonst ab / odr sterb (GM, B 736 f., T 74).

Dieser Schreibstil wird an zwei Stellen kommentiert: DAß der Autor sich eines ungewöhnlichen newen styli hierinnen gebraucht / geschicht / weil er solches in seinem Gepräng mit dem Teutschen Michel zu thun versprochen; mehr einige Sprach-helden / sonderlich seinen Sohn Simplicissimum damit zu schertzen / als vor sich selbst etwas newes und seltzams auff die bahn zu bringen. Massen ihm der jenige stylus wie er in den Teutschen Fürstlichen und andern vornehmen Cantzleyen üblich / am allerbesten beliebt / er auch einen solchen zum Gebrauch zu haben wünschet (ebd., B 737, T 75).40 Diß hab ich dir mit wörtern von einer Silb schreibn wolln / auff das du ab-nembst / wie läpsch es steh / wann man das an ihm selbst schön teutsch umb-gießn und ver-bessrn will / abr wedr schappl noch gbänd dar-zu hat / weil ich in deim Brieff gmerckt / daß du auch ein Sprach-held werdn wilst; steht mir abr dis wol an / so folg mir auch nach / wo nicht? so laß auch dein neu Teutsch im Schreibn und Redn seyn (ebd., B 771, T 105).

Aus beiden Passagen geht hervor, wie wenig ernst es Grimmelshausen mit dem Vorschlag der Beseitigung des unbetonten ist. Es ging ihm darum, die Sprachhelden zu schertzen und etwas newes und seltzams auff die bahn zu bringen. Dieser neue Stil sei ein abschreckendes Beispiel, das zeige, wie läpsch die Sprache werde, wenn man als Sprachreformer die Sprache umgießen und verbessern will. Grimmelshausen benutzt also die Einsilbigkeit, um die Bestrebungen der Sprachreformer zu parodieren und zu verspotten.41 Dafür spricht bereits die obige Bezeichnung Simplicianischer Stylus. Er verweist auf die satirische Absicht des Vorschlags. Der Gedanke, er habe jemals ernsthaft das unbetonte beseitigen wollen, erscheint somit absurd. Damit erübrigt sich auch die Frage, inwiefern Grimmelshausen die Stammworttheorie verstanden oder missverstanden hat, weil sie für die Interpretation des zwölften Kapitels weder von Belang ist noch anhand des Textes zufriedenstellend beantwortet werden kann. Es ist nur zu konstatieren, dass einige der Silbenreduktionen im Galgen-Männlin gewollt und bemüht wirken (z.B. Jungfrschafft).

�� 40 Mit dem letzten Satz widerspricht Grimmelshausen ein Stück weit seinen eigenen Ausführungen aus dem XI. Kapitel des Teutschen Michel (vgl. oben). Gleichwohl bleibt dieser Hinweis so unspezifisch, dass sich schwerlich eine bestimmte Kanzlei als Sprachvorbild ausmachen lässt. 41 Zeisberg ist zuzustimmen, wenn er bemerkt, dass „die Unfähigkeit des gelehrten Sprachdiskurses, auf die Grenzen der eigenen Beobachtung zu reflektieren“ das Ziel der satirischen Kritik, zumindest an dieser Stelle, ist (Zeisberg 2013, 142).

548 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Im letzten Absatz des Kapitels wird noch einmal eine besondere Form des REICHTUMS der deutschen Sprache vorgeführt. Es geht um die hohe Zahl an Synonymen in der deutschen Sprache. Dabei bezieht Grimmelshausen klar Stellung gegen Bestrebungen nach der Reduktion synonymer Ausdrücke. Anhand einiger Beispiele zeigt er nämlich semantische Differenzierungen auf (die Bedeutungsangaben passen sich der heutigen Beschreibungssprache an): Gaul ›großes Pferd‹; Roß ›Arbeitspferd‹; Pferd ›schönes und zierliches Pferd‹; Frau ›Herrscherin‹; Weib ›verheiratete Frau‹; Knabe ›wohlerzogener adliger Junge‹; Bube ›schlecht erzogener Junge aus unterer Schicht‹; Junge ›Diener‹; Jüngling ›junger Erwachsener‹; Butter ›rohe Butter‹; Anken ›gesottene Butter‹; Schmalz ›Fett, mit dem man Speisen schmälzt‹ (vgl. TM, T 60 f.).

Anhand dieser Beispiele versucht Grimmelshausen deutlich zu machen, dass „unter diesen und mehr solchen Wörtern […] keine Außwürffling“ seien, sondern dass diese vielmehr bezeugten, „wie vollkommen reich und nett das Teutsch in und an sich selbst sey; eins und anders fein austrücklich zu unterscheiden / so daß man auch gantz keiner frembden Wörter bedürfftig / wann man diese und andere nur recht gebraucht“ (ebd., 60). Zumindest in diesem Bestreben deckt sich Grimmelshausen mit den anderen Autoren. Zesen etwa weist darauf hin, dass ein Gegenstand durch mehrere verschiedene Ausdrücke bezeichnet werden könne, zum Beispiel das Pferd, das in bestimmten Kontexten als Klepper, Ross, Fohlen, Hengst oder Gaul bezeichnet werden könne (vgl. Zesen, Rosen-mând, 110). August Buchner verlangt, dass der Poet auf „Reinlichkeit und Zierde“ (Buchner, Anleitung, 26 f.) achten und sich auch „aller gar zu gemeinen / unsaubern / und unhöfflichen Worte“ (ebd., 27) enthalten soll. Damit darf er keine Art zu reden gebrauchen, die „bey Erbaren / Verständigen und Vornehmen Leuten im Brauch / denen auch im Lesen etwas zu wieder seyn / und einen Eckel machen kann“ (ebd). Deshalb solle der Poet niedrige Wörter vermeiden. Das Wort Stube sei z.B. nicht schlecht, doch wenn man einen Ort bezeichnen wolle, in dem ein ehrenwerter Mann sich aufhalte, dann solle man lieber die Wörter Gemach oder Zimmer benutzen. Buchner benutzt die partielle Synonymie also zur stilistischen Markierung der Wörter. Auch Schottelius betont den Reichtum an Synonymen, etwa am Beispiel des Wortfelds sterben: Das kummerhafte Leben enden; den Weg aller Welt gehen; die Hütte des Fleisches ablegen usw. (vgl. Schottelius, Arbeit, 118). Bei allem „Stolz“

Sprache und Moral � 549

auf die Möglichkeiten der deutschen Sprache nimmt „Schottelius den Widerspruch zum ansonsten energisch vertretenen Gedanken einer klaren und eindeutigen Zuordnung von Gegenstand und Ausdruck nicht wahr“ (Gardt 1994a, 154).

5.8 Sprache und Moral Das dreizehnte und letzte Kapitel des Teutschen Michel steht unter der Überschrift Daß es nicht jederzeit rathsamb sey / sich mit seinen frembden Sprachen an den Laden zu legen / auch von den allerärgsten Teutschverderbern. Der Text schließt sowohl an die Kapitel zwei und drei als auch an die Kapitel sechs bis zehn an, er befasst sich noch einmal mit dem Gebrauch fremder Sprachen und mit Formen des schlechten Sprachgebrauchs, wobei, durch den Superlativ, mit einer Steigerung in der Kategorie der Teutschverderber zu rechnen ist. Das Kapitel beginnt mit der Geschichte eines Stadtschreibers, der in einer Ratsversammlung seine Meinung auf Latein kundgibt. Der Bürgermeister, obwohl er selbst ein literatus, also ein Lateinkundiger ist, sagt ihm, er solle „das Maul halten / oder teutsch reden“ (TM, T 61). Der Stadtschreiber glaubt, der Bürgermeister lehne seinen Beitrag inhaltlich ab und beginnt, seinen Standpunkt weiter auszuführen, da er weiß, dass auch die übrigen Anwesenden das Lateinische verstehen können. Erneut unterbricht ihn der Bürgermeister, erläutert aber diesmal ausführlich seine Beweggründe. In der Rede des Bürgermeisters erhält die Exempelgeschichte ihre Bedeutung, die für das gesamte Kapitel zur Voraussetzung wird. Er verbindet nämlich Sprache und Moral und unterstellt demjenigen, der bewusst in fremden Sprachen spricht, unlautere Absichten: Es ist nit umb mich / dich und andere Sprachkündige Rathsfreund allein: sonder umb die jenige zu thun / die kein Latein verstehen / und dannenhero nicht zu verdencken seyn würden / wann sie argwohnen möchten / wir gebrauchten dasselbe wie die Juden ihr Hebraisch / welche selbige Sprachen gemeinigklich zu reden anfangen / wann sie einen Christen der sie nit verstehen kan / in der Handlung zu betrügen beschlossen: damit nun dise ehrliche Rathsfreund / die das Latein nit gelernet / keine Gedancken machen köndten / du und andere seyen solche Maußköpff wie die Juden / so bleib ein andermal mit deinem Latein vom Rathhauß; es sey dann daß du wollest / ich soll auch deiner Persohn gar die Rathstuben-Thür versperren (ebd., 61 f.).

Der Bürgermeister verbietet also dem Stadtschreiber, Latein zu reden, damit diejenigen, die ihn nicht verstehen, nicht annehmen müssten, er wolle sie betrügen. Zur Bekräftigung bedient er sich antijudaistischer Stereotype, die den Juden unterstellen, ins Hebräische zu verfallen, wenn sie Christen betrügen wollen. Die Quintessenz dieser Anekdote heißt damit: Wer sich einer fremden

550 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Sprache bedient, obwohl er auch die Muttersprache anwenden könnte, der tut dies, damit seine unlauteren Absichten von den Zuhörern nicht verstanden werden. Grimmelshausen steigert damit die vorherige Kritik am unnötigen Gebrauch fremder Sprachen: Dahinter liegen nicht nur Eitelkeit oder Verachtung des Eigenen, sondern potentiell kriminelle Absichten. „Für Grimmelshausen ist der Sprachkundige nicht ein Mensch, der möglichst viele Sprachen beherrscht, sondern einer, der die Sprache seinem Stand in der Gesellschaft und seinem eigenen Wesen gemäß einsetzt und sich im Sprachgebrauch nach ethischen Prinzipien richtet“ (Hess 2013, 116). Im sprachpatriotischen Diskurs ist die enge Verknüpfung von Sprache und Moral häufig zu finden. So wirft etwa Rist den alamodischen Frauen und Männern vor, dass sie in ihren Brieffen von nichts anders als von Complementen, Courtosien, recommendiren, obligiren, perfection, amoureux, Favor, Cavallier, Serviteur und Damen wissen zu sagen / zu schweigen / daß man auch sonst aus solchen ihren gar zu weltlichen Brieffen kan spühren und urtheilen / daß sie / […] offt mehr in dem verbuhleten Amadyß als in Herren Johann Arends geistreichen Paradyß haben gelesen (Rist, Rettung, 146).

Aus dem Sprachgebrauch wird also geschlossen, dass sich die Briefeschreiber mehr über weltliche als über geistliche Dinge, repräsentiert durch die beiden genannten Bücher, Gedanken machen. Die fiktive Briefeschreiberin wirft dem alamodischen Verehrer vor, lediglich auf amouröse Abenteuer aus zu sein, was sie aus dessen Sprachgebrauch schließt: Was Lieben eigentlich sey / verstehe ich zwahr noch zur Zeit nicht / das weiß ich aber wol / daß der Herr vnd seines gleichen müssige Gesellen nicht viel anders thun / als daß sie redlichen Weibern vnd Jungfrawen tausenterley Netze vnd Fallstricke stellen / dieselbe in jhrer Einfalt zuberupfen / ja so gahr jhres allerhöhesten zeitlichen Kleinohts zu berauben (ebd., 146 f.).

Sie wirft ihm vor, ein „mit so mancherley Sprachen verbrehmtes“ Brieflein an mehrere Frauen verschickt zu haben, um diese unter das „schnöde Joch der leichtfertigen Liebe zu bringen“ (ebd., 147). Auch hier werden anhand des Sprachgebrauchs dem Sprachbenutzer unlautere Absichten unterstellt, hier verbunden mit der Knechtschaftsmetaphorik. Daher lehnt sie das Ansinnen ihres Verehrers mit aller Deutlichkeit ab: Sie bittet ihn, sie mit sollichen vnd derogleichen Schreiben gäntzlich [zu] verschonen / denn ich mit denen falschen / außländischen / verkehrten vnd gefehrlichen Liebes- vnd Lobes-Händlen durchaus nichts mag zu schaffen haben / besondern wiederhole hiemit nochmahls / was ich zum öfftern erwehnet habe / daß ich mich durch die Gnade Gottes treüwfleissigst bemühen

Sprache und Moral � 551

wolle / eine redliche Jungfraw von teutschem Hertzen / von teutschen Sitten vnd von teutscher Sprache vnd Wohrten / zu seyn / zu bleiben / zu leben vnd zu sterben (ebd., 149).

Grimmelshausen ist also mit der Korrelation von Sprache und Moral ganz auf der Höhe seiner Zeit. Der Geschichte des Stadtschreibers lässt Grimmelshausen eine Exempelgeschichte folgen, in der das genaue Gegenteil vorgestellt wird, einer, der zum Vorteil seines Dorfes seine Bildung verbirgt: Er sei der Sohn wohlhabender Eltern und habe Bildung genossen. Nach dem Tod der Eltern sei er aber Bauer geworden und unterscheide sich in Kleidung und Auftreten nicht von den anderen Bauern. Wegen seiner Bildung sei er aber Stabhalter geworden, der Stellvertreter des Landrichters. In dieser Funktion hätte er während des Krieges mit dem Kriegskommissar der nahegelegenen Garnison wegen der Kontributionen verhandeln müssen, die sein Dorf zu zahlen habe. Dort sei er als Bauer empfangen und behandelt worden und die Kommissare hätten auf Latein beraten, wie sie ihn am besten betrügen und möglichst hohe Summen herausschlagen könnten. Der Stabhalter habe nicht zu erkennen gegeben, dass er sie verstanden hätte, dieses Wissen aber in den Verhandlungen geschickt eingesetzt, so dass er „unter dem Schein der puren Einfalt die Summ der Gelder nach Wunsch auff ein leydenlichs brachte“ (TM, T 63). Grimmelshausen führt seinen Erfolg auf sein bescheidenes Auftreten zurück: „[W]elches ihm wol nimmermehr so leichtlich gelungen wäre / wann er sich vor ein weisen Sprachkündigen Mann dargestellt hätte“ (ebd.). Diese Geschichte verweist zurück auf das zweite Kapitel, in dem es heißt, es sei „ein blinder Wahn / […] man könne nicht recht verständig seyn / noch vor vollkommen gnug gehalten werden / man habe sich dann zuvor durch Begreiffung frembder Sprachen darzu bequemt und einen Weeg zur Witz gemacht“ (ebd., 15). Der Stabhalter ist zwar des Lateinischen mächtig, doch gerade weil er diese Kenntnisse geheimhält, hat er mehr Erfolg, als wenn er mit den Kommissaren auf Latein verhandelt hätte. Hier wird noch einmal deutlich: Grimmelshausen hat nichts gegen das Erlernen fremder Sprachen einzuwenden, er kritisiert nur den unangemessenen Gebrauch fremder Sprachen, sei es aus Eitelkeit oder aus anderen Motiven. Dem Zweck, dieses zu vermitteln, dienen die beiden gegensätzlichen Exempelgeschichten. In einem Nachtrag wird noch erzählt, dass der gelehrte Bauer durch den Obristen höchsten Respekt erfuhr, als der merkte, wie er betrogen worden war. Dieser Schluss soll illustrieren, dass man nicht nur durch Zurschaustellung seiner Sprachkenntnisse zu Ehre und Ansehen kommen kann, sondern auch durch geschicktes Sprachverhalten und nutzbringenden Einsatz der eigenen Sprachkenntnisse. Grimmelshausen nutzt diese scheinbare Nebensächlichkeit,

552 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs um eine erneute Spitze gegen die Alamodisten und sonstigen Prahler anzubringen. Er empfiehlt allen, sich die Vorfahren zu Vorbildern zu nehmen: Darumb soll man nicht allweg ohne Noth so geschwind mit den erlernten Sprachen heraus wischen / wie ein Gauckler mit seinen Bechern aus der Taschen / umb groß und verständig zu scheinen; die Alte haben nicht umbsonst gesagt / Thue nicht alles was du kanst / Red nicht alles was du weist / etc. geschweige das Schweigen eben so offt nutzlich: als Reden gefährlich ist (ebd., 63).

Für die Unterstellung, dass derjenige, der „bey einer auffrichtigen / teutschgesinnten und verträulichen Gesellschafft die Sprach verändert“ (ebd.), böse Absichten haben kann, beruft sich Grimmelshausen auf ein Sprichwort der Vorfahren: „Ein jeder hab Sorg zu seinem Beutel!“ (ebd.). Dem möglichen Einwand, dass die Deutschen hier zu misstrauisch seien – dieser wird einem „Ausländer“ oder einem „aufgeblasene[m] Sprachkündige[n]“ (ebd.) in den Mund gelegt, was einiges über dessen Bewertung aussagt – begegnet Grimmelshausen, dass die Deutschen gute Gründe hätten, anderen zu misstrauen. Zwar sei das „Mißtrauen […] gantz wider die Art der auffrichtigen redlichen Teutschen“ (ebd.), doch dies würde allzu oft ausgenutzt. Dabei meint er nicht nur die Ausländer, sondern auch die „Bettler / Landsknecht / Strolchen / Zigeuner und andere Maußköpffe“ (ebd., 64), die sich „keiner andern Ursachen halber deren von ihnen selbst ersonnenen so genannten Rothwelschen Sprachen gebrauchen / als andere ehrliche Leuth / die solche nicht verstehen / zu betriegen / zu hintergehen / zu übervortheln und gar zu bestehlen“ (ebd.). Hier werden zwei Arten des Sprachgebrauchs gegenübergestellt: Auf der einen Seite steht die Teutsche Redlichkeit, nach der die Deutschen zu List und Betrug geradezu unfähig sind. Dies wird in den satirischen Schriften der Zeit immer wieder herausgestellt, die Teutsche Redlichkeit wird dem französischen Komplimentierwesen, das flatterhaft sei und nichts ernst meine, entgegengestellt, etwa durch Moscherosch im Alamode-Kehrauß oder durch den anonymen Autor des Sprachverderbers. Aber auch Leibniz hebt die Redlichkeit als besondere Tugend der Deutschen hervor: „Gott hat den Teutschen stärcke und muth gegeben, und es reget sich ein edles bluth in ihren adern[,] ihre aufrichtigkeit ist ungefärbet, und ihr herz und mund stimmen zusammen“ (Leibniz, Ermahnung, 800); dagegen sei das Laster in Deutschland fremd, es gebe keine Morde, Lügen und Verleumdungen. Dies überträgt er auch auf die Sprache: Was sich in der deutschen Sprache ohne entlehnte oder ungebräuchliche Wörter sagen lasse, sei rechtschaffen; was aber „leere Worte [seien], da nichts hinter, und gleichsahm nur ein leichter Schaum müssiger Gedancken“, das lasse sich im Deutschen gar nicht ausdrücken (Leibniz, Gedanken, 535).

Sprache und Moral � 553

Auf der anderen Seite steht die Sprache der Bettler, Landsknechte, Strolche und Zigeuner. Diese hätten als Geheimsprache das Rotwelsch erfunden, um ehrliche Leute zu betrügen (zum Rotwelsch allgemein vgl. Wolf 1956; zum Rotwelschen bei Grimmelshausen vgl. Sodmann 1975 und 2013, 100–102). Dieses hatte Grimmelshausen bereits im Gegensatz Von Bettel und Bettlern im Satyrischen Pilgram erwähnt: Die Bettler „haben auch ihre besondere Sprache / damit sie einander zusprechen / und andere dieselbige nicht verstehen / verrathen und verkauffen können“ (SP, T 148). Er gibt im Teutschen Michel eine Kostprobe des Rotwelsch: Doch gehen offt solche Dockmäuser gewaltig an / wann man ihnen die Hand im Sack erwischt / wie jene zween Landsknecht / die im Wirthshauß ein Halbs trancken / da einer zum andern sagt / dort stehet ein Bleysack (Kandel) und paar Trittling (Schuch) ich wills bracken (stehlen) dem aber die Magd antwortet / Jhr Lenninger (Soldaten) lassts bracken seyn / oder der Schächer (Wirth) soll euch grandige Kuffen stecken / das ist / schwere Schläg geben (TM, T 64).

Leibniz unterscheidet in den Nouveaux Essais drei Arten von Sprachen: Künstliche Sprachen, natürliche Sprachen und solche, die auf der Basis natürlicher Sprachen zu bestimmten Zwecken ersonnen wurden. Unter letztere siedelt er das Rotwelsch und ähnliche Gruppensprachen in anderen Ländern an: So verhält es sich mit den Sprachen, die die Diebe ersonnen haben, damit sie nur von den Mitgliedern der Bande verstanden werden und die man im Deutschen Rotwelsch, im Italienischen Lingua Zerga, und im Französischen das Narquois nennt, die aber gewöhnlich auf den ihnen bekannten gängigen Sprachen beruhen, sei es, dass sie die allgemein angenommene Bedeutung der Worte durch metaphorischen Gebrauch verändern, sei es, dass sie auf ihre Weise neue Wörter durch Zusammensetzung oder Ableitung schaffen (Leibniz, Abhandlungen, 15).42

Diese Passage zeigt, dass das Rotwelsch als eigenständige Varietät durchaus anerkannt war, wenn auch nicht die Zwecke, zu denen es erfunden wurde. Leibniz bestätigt außerdem Grimmelshausens Meinung, dass das Rotwelsch in erster Linie als Geheimsprache erfunden wurde, um die Menschen zu betrügen. Dass er auch etwas zum systematischen Aufbau der Varietät zu sagen vermag,

�� 42 „Il est ainsi de celles, que les voleurs ont forgées pour n’estre entendus que de ceux de leur bande, ce que les Allemands appellent Rothwelsch, les Italiens lingua Zerga, les François le Narquois, mais qu’ils forment ordinairement sur les langues ordinaires qui leur sont connues, soit en changeant la signification reçue des mots par des metaphores, soit en faisant des nouveaux mot par une composition ou derivation à leur mode” (Leibniz, Abhandlungen, 14).

554 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs zeigt, dass die Gaunersprache auch in gelehrten Kreisen thematisiert wurde. Im sprachpatriotischen Diskurs ist sie aber kein Thema. Noch einmal kommt Grimmelshausen auf die Alamodisten zu sprechen, die für ihn die „allerärgste und schädlichste Teutschverderber“ sind (TM, T 64), weil „deren Sinn / Sitten / Geberden und Klaidungen gantz außländisch seyn / ob sie wol kein eintzig frembd Wort reden oder verstehen können; an welchen sonst nichts Teutsches mehr übrig ist / als blößlich ihre Muttersprach“ (ebd.). Diesen wünscht er, dass es ihnen ergehe wie einem „Teutschen Frantzosen“ (ebd.), den „natürliche Frantzosen“ (ebd.) mit Komplimenten in ihrer Sprache begrüßten, weil sie ihn aufgrund seiner Kleidung für einen Landsmann hielten. Als er nicht antworten konnte, hätten sie ihm seinen französischen Rock „zimlich hart ausgestäubt“ (ebd.). Aus dieser Geschichte schließt er: „Jst ein schlimm omen, wann ein Nation den Ausländern nachöhmet“ (ebd.). Die Geschichte wie die kritischen Äußerungen zum Komplimentierwesen erinnern an den Sprachverderber, mit dem französischen Rock wird auch auf die Kleidermetapher angespielt. Erneut zeigt sich, dass die Übereinstimmungen Grimmelshausens mit dem sprachpatriotischen Diskurs in der Kritik am Alamode-Wesen am größten sind. „Human pride and folly are […] so rampant in the modern world that the German language (and in parallel, German society in general) is in danger of becoming polluted and twisted by a wide variety of ,Teutschverderber‘ in all walks an condition of life” (Menhennet 1995, 287). Für keinen Bereich, den Grimmelshausen kritisiert, gilt diese Feststellung so sehr wie für das Alamode-Wesen. Grimmelshausen führt diese Kritik noch weiter, an dieser Stelle ist sie deutlich vom Alamode-Kehrauß Moscheroschs beeinflusst: Ja es ist ein Schand / wann ein sonst von Art hartes / ernsthafftig und gravitätisch Volck allerley läppische Uppigkeiten annimbt / und mitten in dem Vatterland seiner mannlichen Vorfahren / so zärtlich wie die Weiber zu leben anfängt; So bald Scipio die Asiatische niedliche Wollustbarkeiten nach Rom gepflantzt / geriethe die Herrlichkeit und Majestät der grossen Weltbeherrscherin ins Abnehmen / biß sie endlich zum Raub vieler Völcker wurde; Wie übel dem Hanibal sein fettes Quartier zu Capua bekommen / hat er mit Schmertzen beklagt; aber wann man ein Volck mit Waffen nit zwingen noch im Zaum halten kan / so muß man Seitenspiel gebrauchen (TM, T 64 f.).

An die Gesichte Philanders von Sittewald erinnern besonders folgende Aspekte in dieser Passage: Die Gegenüberstellung von Eigenem und Fremdem, wobei das Eigene mit den Attributen ernsthafftig, gravitätisch und mannlich belegt wird, das Fremde mit den gegensätzlichen Attributen läppische Uppigkeit und zärtlich wie die Weiber. Im Alamode-Kehrauß war das Welsche mit ähnlichen Attributen belegt worden (vgl. oben, 225 f.). Als historisches Negativbeispiel

Sprache und Moral � 555

wird Rom genannt, das durch den Einfluss des Asiatischen, den Scipio zu verantworten habe, so verzärtelt und verweichlicht worden sei, dass es sich gegen äußere Angriffe nicht mehr verteidigen konnte. Das zweite Negativbeispiel ist Hannibal, dem ein luxuriöses Winterquartier geschadet habe. Der letzte Satz im zitierten Abschnitt rekurriert auf die Behauptung in Kapitel drei, nach der das Alamode-Wesen die Vorhut sei, die in die umbliegende Länder geschickt worden / damit sie euch künfftig / wie jetzt vor Augen zu sehen / Gesätze vorschreiben: und euch lernen solten / wie ihr euch die in Kleydungen / in Geberden / in Essen und Trincken etc. etc. etc. und was das allermeiste ist / in Beobachtung euer und eures Vatterlands selbst Erhaltung stellen und anlassen sollet (ebd., 19).

Diesmal steht das Saitenspiel metonymisch für die Verweichlichung, die Grimmelshausen befürchtet und die die Deutschen angreifbar machen. Er unterstellt den Franzosen, mit dem Alamode-Wesen eine Kriegslist ausgeheckt zu haben, mit der man einen Gegner, den man militärisch nicht besiegen könne, verweichlichen wolle. Als positives Vorbild nennt er die Russen, die zu Hause blieben und sich gegen fremde Einflüsse abschotteten, auch auf die Gefahr hin, für „grobe Barbaren“ gehalten zu werden (ebd., 65). Der Text endet mit der Diskussion der Frage, ob man unter diesen Umständen überhaupt fremde Sprachen erlernen oder besser ein „unwissender gEsell bleiben“ soll (ebd.). Grimmelshausen zufolge wäre es ein Missverständnis, anzunehmen, dass fremde Sprachen als solche schädlich seien. Schädlich seien vielmehr die „angenommene mit eingeschlichene Sitten“ (ebd.). Das Verb einschleichen impliziert widerrechtliches Eindringen und fällt damit unter die Rechtsmetaphorik (vgl. oben, 4.2.4). Auch diese Aussage wird mit einer Exempelgeschichte unterstützt: Als einsmals ein Schmied mit neuen Aexten durch einen Wald zu Marckt gieng / erschracken alle Bäum und avisirten ihren König / was vor eine grosse Mäng ihrer Feind und Verderber vorhanden wäre! Der König fragte / ob auch jemand aus ihnen bey den Feinden sich befände? das ist / ob die Aext auch Helm [›Axtstiel‹] hätten? Und als ihm darauff mit Nein geantwortet wurde / sagte er / so hats noch lang keine Noth mit uns (ebd.).

Nicht die Äxte als solche sind die Gefahr für die Bäume, sondern sie werden es erst, wenn sie durch die Stiele benutzbar werden. Übertragen auf die Sprache heißt das: Solange die Sitten und Bräuche der Vorfahren, ihre Standhaftigkeit und Tugend (ebd.) geachtet werden, können die fremden Sprachen zu keiner ernsthaften Bedrohung werden. Gefährlich wird es nur dann, wenn „uns ein Volck bekriegen und unser Freyheit unter sich zwingen wolte / dessen Sprache wir schon reden / dessen Lebens-Art uns wolgefält / dessen Kleidung wir bereits tragen / dessen Thun und Wandel wir lieben und ihme in allem nachäffen“ (ebd.). Der

556 � Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs Gebrauch des Konjunktivs zeigt aber an, dass Grimmelshausen, im Gegensatz etwa zu Moscherosch, trotz der unverkennbaren Expansionsbestrebungen des französischen Königs Ludwig XIV. (vgl. oben, 18 u.ö.) eine solche Entwicklung für wenig wahrscheinlich hält – wohl auch, weil er die Beachtung der „Alten Sitten“ (ebd.) unter den Deutschen in signifikanter Häufigkeit zu erkennen scheint.

6 Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen Diese Untersuchung hatte zunächst das Ziel, Grimmelshausens Denken über Sprache, wie es sich im Teutschen Michel zeigt, herauszuarbeiten. Relativ schnell wurde deutlich, dass dieses Ansinnen nur dann Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn die zahlreichen Anspielungen und Implikationen, die in diesem Text auf nahezu jeder Seite zu finden sind, angemessen berücksichtigt werden können. Dafür müssen die diskursiven Formationen, in die sie eingebettet sind, rekonstruiert werden. Mit dieser Erkenntnis verlagerte sich auch die Fragestellung. Nun lag der Fokus auf der Frage, wie sich Grimmelshausen zu diesen diskursiven Formationen verhält, auf welcher Position er sich selbst sah und wie er von anderen Diskursakteuren positioniert wurde, schließlich, welche Konsequenzen sich aus diesen Positionierungen ergeben. Durch diese neuen Leitfragen wurde eine Veränderung der theoretischen und methodischen Anlage dieser Arbeit notwendig. Mit den Mitteln der Diskurslinguistik sollte nun Grimmelshausen Stellung in den Diskursen seiner Zeit herausgearbeitet werden. Da ein solches Unterfangen jedoch in einer Einzelstudie nicht zu verwirklichen ist, wurden lediglich der moralsatirische (soweit erforderlich) und hauptsächlich der sprachpatriotische Diskurs als Hintergrund zur Erschließung von Grimmelshausens Gesamtwerk untersucht. Auf letzterem Diskurs lag ein besonderes Augenmerk, weil der Teutsche Michel erkennbar als zu diesem Stellung beziehend angelegt ist, wodurch er zu einer Konstituente dieses Diskurses wird. Dementsprechend wurde der Text im Hinblick auf den sprachpatriotischen Diskurs interpretiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Teutschen Michel um einen Traktat mit deutlich satirischer Absicht handelt. Um die Implikationen, die sich durch die satirische Perspektive ergeben, angemessen in die Interpretation integrieren zu können, ist es vonnöten, sich über Grimmelshausens satirische Konzepte und die sprachlichen Mittel, mit denen diese Konzepte umgesetzt werden, klar zu werden. Nur so kann der satirische Blick, den Grimmelshausen auf den sprachpatriotischen Diskurs wirft, nachvollzogen werden. Aus diesen Überlegungen leitete sich die Anlage der Arbeit ab. Zunächst wurde Grimmelshausens Stellung in den literarischen und sprachtheoretischen Diskursen der Zeit aufgrund seiner Biographie als die eines Außenseiters bestimmt. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Besonderheit von Grimmelshausens Werk herausgearbeitet: Nahezu alle Texte sind Konstituenten eines

558 � Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen dichten Netzes von Beziehungen auf ausdrucksseitiger wie semantischer Ebene. Aufgrund dieser Feststellung wird das Gesamtwerk als Autordiskurs interpretiert, was auch bedeutet, dass das gesamte Werk bei der Interpretation eines Einzeltextes berücksichtigt werden muss, nach dem alten hermeneutischen Prinzip, dass sich der Teil aus dem Ganzen und das Ganze aus dem Teil erklärt. Nach einigen theoretischen Erläuterungen zum Diskursbegriff ging es in einem zweiten Schritt darum, den diskursiven Hintergrund für Grimmelshausens sprachreflexive Äußerungen zu skizzieren. Dafür wurden die verschiedenen sprachreflexiven Diskurse des 17. Jahrhunderts in knapper Weise vorgestellt, nur der Schwerpunkt der Untersuchung, der sprachpatriotische Diskurs, erfuhr eine ausführlichere Würdigung. Es wurde gezeigt, dass der sprachpatriotische Diskurs sich in zwei Hauptstränge unterteilen lässt, in den Sprachnormierungsdiskurs und den fremdwortpuristischen Diskurs, die von den gleichen Akteuren getragen werden und daher eng miteinander verknüpft sind.1 Um Grimmelshausens satirisches Konzept besser in die Untersuchung integrieren zu können, wurde zunächst eine Methode entwickelt, durch welche die satirische Schreibart mit sprachwissenschaftlichen Methoden erfassbar gemacht werden kann. Danach wurden Grimmelshausen in den moralsatirischen Kontext seiner Zeit eingeordnet sowie sein Satirekonzept und die bei ihm nachzuweisenden Mittel zur Konstitution von satirischen Effekten vorgestellt. Sodann verlagerte sich die Konzentration der Untersuchung auf den sprachpatriotischen Diskurs, der mit Methoden der Diskurslinguistik auf die diskursive Kohärenz hin analysiert wurde. Dabei erwies es sich als brauchbar, die Diskurskohärenz anhand der im Diskurs verwendeten Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren nachzuweisen. In der nachfolgenden Analyse des Teutschen Michel, die den Abschluss der Arbeit bildet, zeigte sich nämlich, dass die meisten der Metaphern, Topoi und diskurssemantischen Grundfiguren auch bei Grimmelshausen nachzuweisen sind. Durch deren Verwendung, die teilweise mit der bei anderen Diskursakteuren konform geht, teilweise in der Verwendung wie in der Semantik dieser diskurskonnektiven Elemente eigene Akzente setzt, fügt sich Grimmelshausen in den sprachpatriotischen Diskurs ein. Die Einzeltexte, die den sprachpatriotischen Diskurs konstituieren, nehmen im diskursiven Zusammenhang mindestens vier Funktionen ein: �� 1 Streng genommen müsste ein dritter Hauptstrang beschrieben werden, der poetologische Diskurs, in welchem theoretische und praktische Fragen der Kunstdichtung diskutiert werden. Dieser wurde jedoch, da er für die skizzierte Fragestellung von untergeordnetem Interesse ist, weitgehend ausgespart und nur berücksichtigt, wenn er die beiden anderen Diskursstränge tangiert.

Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen � 559

a) Konstitution und Etablierung einer wie auch immer gearteten Sprachnorm; Unterstützung und Ablehnung anderer Vorschläge bezüglich dieser Norm. b) Benennung und Begründung herausragender Eigenschaften der deutschen Sprache, die zu einer starken Idealisierung der Sprache führen; Abgrenzung der Idealnorm nach innen von abweichenden Varietäten und nach außen gegen Einflüsse von anderen Sprachen. c) Damit einhergehend Überhöhung der deutschen Sprache zum Zweck ihrer Etablierung als mit den anderen Kultursprachen gleichwertige Sprache für Kunst und Wissenschaft. d) Selbstlegitimation der Sprachpatrioten und ihrer Spracharbeit. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, inwiefern Grimmelshausens Teutscher Michel diese Merkmale aufweist und inwiefern er sich auf dieser Basis als Konstituente des sprachpatriotischen Diskurses interpretieren lässt. Der Teutsche Michel lässt sich in vier Teile von unterschiedlicher Länge gliedern. Der erste Teil umfasst die Kapitel eins bis drei und beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu sprechen, von Nutzen oder Schaden ist. Grimmelshausen stellt sich auf den Standpunkt, dass man Sprachkenntnisse sinnvoll einsetzt, wenn man ihn zum Nutzen aller gebraucht, etwa um wissenschaftliche, juristische und vor allem theologische Texte, die in anderen Sprachen verfasst sind, auch für diejenigen, die nur ihrer Muttersprache mächtig sind, zu erschließen, oder um in Politik, Handel und Verkehr mit den Anderssprachigen kommunizieren zu können. Missbrauch der Sprachkenntnisse liegt allerdings vor, wenn man sie zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit einsetzt, seine Landsleute verachtet und dem eigenen Vaterland damit Schaden zufügt. Diese Kritik trifft vor allem die Alamode-Kavaliere, denen das dritte Kapitel gewidmet ist. Zu diesem Zweck versucht Grimmelshausen auch zu zeigen, dass es zur Erlangung von Ansehen nicht notwendig sei, fremde Sprachen zu beherrschen, dazu genüge ein gottgefälliges und frommes Leben. Hier scheint zum ersten Mal die eigentliche Absicht des Traktats durch. Der zweite Teil betrifft die sprachreformerischen Bemühungen des sprachpatriotischen Diskurses und nimmt die Kapitel vier und fünf ein. Dabei wurden vor allem die Sprachreformen Zesens als Hauptgegenstand der Kritik ausgemacht. Es könnte allerdings auch die altdeutsche Bewegung um die Straßburger Tannengesellschaft mitgemeint sein, auch wenn auf diese explizit erst im zehnten Kapitel angespielt wird. Davon geht jedenfalls die ältere Forschung aus

560 � Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen (Scholz 19242, Scholte 19363 und Petersen 1962). Für Fluck ist diese Kritik an den Straßburgern, zu denen Johann Michael Moscherosch wahrscheinlich Kontakt hielt, der Grund dafür, warum dessen Bruder Quirin Moscherosch den Teutschen Michel inhaltlich ablehnte (vgl. Fluck 1976, 560; zu Quirin Moscherosch vgl. oben, 2.2). Auf diese Linie wurde aus mehreren Gründen nicht weiter eingegangen: Erstens ist die Quellenlage zur Tannengesellschaft schwierig (vgl. Schäfer 1976 und Bopp 1998), so dass außer Romplers Gebüsch kein Text aus dem unmittelbaren Umfeld der Tannengesellschaft ins Korpus aufgenommen werden konnte, zweitens ist die patriotische Bewegung der Tannengesellschaft ohnehin ein Teildiskurs, der sich in den sprachpatriotischen Diskurs eingliedern lässt, so dass eine stärkere Berücksichtigung der Straßburger wohl nur Nuancen verschoben hätte, und drittens erscheinen mir die diskursiven Beziehungen, die sich aufgrund des Materials herausarbeiten ließen, stärker an den sprachpatriotischen Diskurs anzuschließen als man bisher glaubte.

�� 2 „Nimmt man diese Spur auf, so führt das Büchlein [der Teutsche Michel, S. R.] zur ,Aufrichtigen Tannengesellschaft‘“ (Scholz 1924, 81). Für Scholz ist der Ehrenkrantz von Johann Heinrich Schill, der aus Hilles Palmbaum und Schottelius’ Teutscher Sprachkunst Anleihen nimmt, die Hauptquelle Grimmelshausens für diesen Text (ebd., 81–87). „Befindet sich Grimmelshausen am Ausgangspunkt ganz auf dem Boden der Sprachgesellschafter, so bricht schon auf der zweiten Stufe, wo er den Kampf gegen das Kranke und Unharmonische, für das Ursprüngliche, für die Schöpferkraft führt, sein unüberbrückbarer Gegensatz zu diesen Männern hervor; wir sehen ihn im Grunde wie gegen alles Gelehrte, so auch gegen sie gerichtet. Die Erreichung der dritten Stufe, der inneren Form, unterstreicht nur noch diese Fremdheit“ (ebd., 96). Scholz’ Interpretation ist ein typisches Beispiel für das Grimmelshausen-Bild der älteren Forschung, die ihn als ungelehrten, volkstümlichen Schriftsteller ansieht, der gegen die Gelehrten Position bezieht; so jedoch auch noch Grimm 1998, 54–63. 3 Nach Scholte war die Zielsetzung der Tannengesellschaft „rein patriotisch und betont ethisch“ (Scholte 1936, 326). „Die Abneigung gegen das Exotische verband Grimmelshausen, wenn er sich dessen auch nicht bewusst war, mit den Tannengesellschaftlern. Er sah in ihnen aber vor allem das Hochmütige der Gelehrsamkeitsschriftstellerei, das seinem autodidaktischen Wesen widersprach. So ist denn auch im ,Michel‘ der Ton seines Spottes schärfer, unmittelbarer. Man fühlt das Verhältnis böser Nachbarn heraus. Straßburg war für ihn Inbegriff der Großstadt, Zentrum eines überkultivierten, unnatürlichen Gesellschaftslebens“ (ebd. 330 f.). Am Ende seines Aufsatzes interpretiert Scholte die Tatsache, dass im fünften Kapitel des Teutschen Michel immer wieder Pflanzennamen und die Arzneimittelkunde eine Rolle spielen, als satirische Kritik am Straßburger Arzt Johann Küffer, mit dem Grimmelshausen in Beziehung stand (vgl. oben, 2.1 und Kap. 3, Anm. 109): „Die literarischen Anklänge dürften so zu verstehen sein, dass Grimmelshausen das, was er am Gesellschaftswesen als Geschraubtheit und Unnatur auszusetzen hatte, zum Teil bei Küffer angetroffen haben mag, vielleicht auch von anderen auf ihn übertrug. […] Es ist jetzt wohl deutlich, weswegen die Sprachparodie im ,Teutschen Michel‘ sich mit Arzneien beschäftigte und sich auf den Kornmarkt in Straßburg richtete“ (ebd., 338 f.; zur Kritik an diesem Ansatz vgl. Bierbüsse 1958; 2014, 100–109).

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Der dritte Teil erstreckt sich auf die Kapitel sechs bis zehn. Hier werden verschiedene Formen des Sprachgebrauchs lächerlich gemacht, seien es nun falsch gebrauchte Fremdwörter, individuelle Redensarten, über die kommunikativen Bedürfnisse erweiterte Ausdrucksweisen ohne semantischen Mehrwert oder geckenhafte Überbetonung von Nebensilben. Immer wieder klingt implizit an, dass nicht dieser Sprachgebrauch als solcher Gegenstand der satirischen Kritik ist, sondern die innere Haltung der Sprecher. In der Terminologie der in dieser Arbeit entwickelten Satiretheorie heißt das: Die wahrgenommene Wirklichkeit stellt einen Mangel an einer sittlichen und moralischen Disposition dar, die dem Ideal des christlichen Weltbildes und der althergebrachten Tugenden entspricht, die mit den deutschen Vorfahren konzeptionell verbunden werden. Daher richtet sich die satirische Kritik auch vornehmlich gegen die Alamodisten, die insbesondere französische Sprache und Lebensart bevorzugen und so, aus patriotischer Sicht, ihr Vaterland verraten. Diese wahrgenommene Wirklichkeit wird durch Kritik am Sprachgebrauch dargestellt, das sittliche und moralische Fehlverhalten wird in sprachliche Verhältnisse übersetzt. Dabei ist es aber wichtig, dass Grimmelshausen sich nicht auf das Alamode-Wesen beschränkt, sondern dass er Vertreter aller Stände, auch die ungelehrten Bauern, die dem Fremden nacheifern, kritisiert. Allerdings ist Grimmelshausen dabei jegliche Deutschtümelei fremd, wie Kapitel zehn zeigt, bindet er die alten deutschen Tugenden an die christliche Lebensweise, mit denen sie übereinstimmen müssen. Letztlich wirft er allen durch seine Satire Angegriffenen die Vernachlässigung der christlichen Tugenden vor. Die intendierte Wirklichkeit der Satire ist dementsprechend die Wahrung der sittlichen und moralischen Normen, die das Christentum vorschreibt und zu denen Ehrlichkeit, Redlichkeit, Verantwortungsbewusstsein oder Standhaftigkeit gehören, Eigenschaften, die von den Sprachpatrioten dem Eigenen zugeschrieben und prototypisch den Vertretern des Alamode-Wesens abgesprochen werden. Letztlich ist der Teutsche Michel, so verstanden, Zeugnis für die dem gesamten sprachpatriotischen Diskurs zugrundeliegende diskurssemantische Grundfigur auf höchster Ebene, die Gegenüberstellung von EIGENEM und FREMDEM. Den vierten Teil bilden die Kapitel elf bis dreizehn. Diese werden durch ihren satirischen Gehalt miteinander verknüpft, der unter der Textoberfläche sichtbar wird: In Kapitel elf geht es nur vordergründig um die Frage, wo das beste Teutsch zu finden sei, in Kapitel zwölf wird nur ironisch ein Vorschlag zur Generierung einsilbiger Wörter gemacht und in Kapitel dreizehn geht es nicht nur darum, ob jeder, der ohne äußeren Anlass fremde Sprachen gebraucht, wirklich böse Absichten hegt. Vielmehr wird die Sprache desjenigen zur besten erklärt, der die alten Tugenden bewahrt, er rede auch wie ein „kropffiger Pingauer“ (TM, T 57); die Parodie der Stammworttheorie ist eine Spitze insbesondere gegen Schottelius, dem

562 � Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen Grimmelshausen offenbar einen gewissen Gelehrtendünkel vorwirft, er steht aber stellvertretend für die gesamte Gelehrtenzunft; die Kritik am unangemessenen Fremdwortgebrauch zielt erneut auf die Bewahrung der Tugenden ab. Im Teutschen Michel geht es damit zwar in gewisser Weise um Sprache und um die verschiedenen Diskurse über Sprache sowie um Sprachgebrauch, doch das eigentliche Thema des Textes scheint das der meisten anderen Grimmelshausenschen Satiren zu sein: Die Kritik an bestimmten gesellschaftlichen Zuständen, die er in diesem Fall an der Sprache festmacht, sowohl am Sprachgebrauch als auch an diskursiven Äußerungen über Sprache. Sprachkritik und Sprachkritik-Kritik sind damit Gesellschaftskritik, der Teutsche Michel ist ein wesentlicher Bestandteil des Grimmelshausenschen Autordiskurses, da er durch einzelne Motive wie durch die Grundaussage auf die anderen Texte dieses Autordiskurses verweist. Legt man der Analyse des Teutschen Michel die drei Funktionen zugrunde, die Karl Bühler der Sprache zuschreibt (Darstellungs-, Ausdrucks/Symptomund Appellfunktion; vgl. Bühler 1934/1999, 28), so stellt man fest, dass für Grimmelshausen die Darstellungs- und die Appellfunktion der Sprache kaum eine Rolle spielen, zumindest nicht in der Argumentation dieses Textes. Sprache dient ihm als Symptom für die innere Haltung und Gesinnung ihres Sprechers. Wer situationsangemessen die eigene Sprache oder Fremdsprachen gebraucht, von übertriebenen Reformansätzen der Sprache wenig hält und verschiedene Weisen des als mangelhaft, defizitär oder unangemessen elitär kritisierten Sprachgebrauchs vermeidet, der ist im Sinne dieses Textes ein Mensch, dessen Charakter der intendierten Wirklichkeit der Satire entspricht. Sprachgebrauch dient ebenso wie das Denken und die Äußerungen über Sprache als Zeichen für die sittliche und moralische Integrität des Menschen. Damit liegt Grimmelshausen, zumindest zeichentheoretisch, auf einer Linie mit den Sprachpatrioten: Legt man an das […] Konzept des Sprachwesens die Kategorien von Karl Bühlers Organonmodell an, so wird deutlich, dass bei diesem Konzept die Appellfunktion von Sprache, also ihre kommunikative Dimension unberücksichtigt bleibt. Auch die Darstellungsfunktion ist von untergeordneter Bedeutung […]. Dominierend im Bühlerschen Sinne wäre jedenfalls die Ausdrucks- bzw. Symptomfunktion von Sprache, und zwar je stärker das sprachpatriotische Moment in den zeitgenössischen Kommentaren in den Vordergrund tritt: In den Momenten des heftigsten Sprachpatriotismus gerät jeder Akt des Redens und Schreibens zur Manifestation des ,Deutschtums‘ der Sprachbenutzer und trägt dazu bei – aufgrund der Kongruenz von Sprache und Naturell der Sprecher –, die kulturelle und politische Identität dieser Sprecher zu sichern (Gardt 1994a, 151).

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Diesen patriotischen Sprachbegriff teilt Grimmelshausen mit den anderen Diskursakteuren, was die Ablehnung der Alamodisten betrifft. Bezüglich der Symptomfunktion ist sein Sprachbegriff allerdings differenzierter als der der anderen Akteure, denn er reduziert sie nicht auf das ,Deutschtum‘ der Sprecher, sondern er nimmt die Sprache als äußeres Kennzeichen für die ethisch-moralische Gesinnung der Sprachbenutzer, fasst seinen Sprachbegriff also allgemeiner und weniger verengt. Insofern bedarf folgendes Urteil Hankamers einer Revision: „Bezeichnend […] ist vor allem Grimmelshausen, der größte deutsche Dichter des Barock und als Theoretiker der Sprache ganz in der zeitgemäßen Lehre befangen oder auf plane Gebrauchsfragen beschränkt“ (Hankamer 1926; 1965, XI). Wendet man die oben (vgl. 204) unterschiedenen Funktionen der Satire auf den Teutschen Michel an, so ergibt sich folgendes Bild: Der Text hat das Ziel, bestimmte ethische und moralische Normen, die hier am Sprachgebrauch festgemacht werden, dem Leser zu vermitteln, ihn von ihrer Richtigkeit zu überzeugen und ihn zu einem diesen Normen entsprechenden (Sprach-)Verhalten zu bringen. Dies ist seine persuasive Funktion. Grimmelshausen bedient sich der Satire, um seinen Lesern bestimmte Normen zu vermitteln. Seine Intention liegt darin, dass der Leser den Text als Satire erkennt und seine Aussagen reflektiert, die Perlokution besteht darin, dass der Leser den vermittelten Normen auch nachfolgt. Der Teutsche Michel ist damit als Handlungsanleitung intendiert. Darin besteht seine deontische Funktion. Die konstitutive Funktion schließlich äußert sich im Sprachgebrauch (Wortbildung, Lexik etc., vgl. oben, 3.3.1.3.3), in Übertreibungen, Metonymien, Metaphern, in der ironischen Variante der Stammworttheorie usw. Diese verzerrenden Elemente sollen bewirken, dass der Text als Satire erkennbar wird und dass der Blick auf die unterhalb der Textoberfläche befindlichen satirischen Absichten gelenkt wird. Diese Funktionen machen den Teutschen Michel zu einem doppelbödigen Text: Er ist einerseits als satirischer und ironischer Kommentar zum sprachpatriotischen Diskurs lesbar, andererseits ist er ein moralsatirischer Text mit deutlich erkennbarem Gehalt an ethischen Normen. Dies macht ihn zu einem Verwandten der sprachsatirischen Texte wie des Sprachverderbers, Rists Rettung und Moscheroschs Gesichte. Doch die deutlichen Anspielungen auf Schottelius und Zesen zeigen, dass auch jenseits der Sprachsatire der sprachpatriotische Diskurs im Teutschen Michel mehr als nur Spuren hinterlassen hat. Oben (3.2.2) wurde der sprachpatriotische Diskurs in zwei miteinander zusammenhängende Teildiskurse zerlegt, in den sprachnormierenden und den fremdwortpuristischen Diskurs. Wenn es stimmt, dass der Teutsche Michel Konstituente des sprachpatriotischen Diskurses ist, dann muss er mit wenigstens einem der beiden Teildiskurse verknüpft sein.

564 � Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen Der Sprachnormierungsdiskurs klingt im vierten und z.T. im elften Kapitel an. Im vierten Kapitel werden Zesens orthographiereformerische Bestrebungen kritisiert. Grimmelshausen rekurriert damit auf einen Teilaspekt der Sprachnormierung. Er argumentiert jedoch jenseits der im Diskurs üblichen Beurteilungsschemata (Anomalismus vs. Analogismus), indem er die Kabbala auf die Reformvorschläge anwendet und diese auf der Basis der jüdischen Geheimlehre ablehnt. Oben (5.3) wurde festgestellt, dass dieser Einsatz der Kabbala als Argumentationsgrundlage satirische Effekte erzielen soll. Es bleibt aber zu konstatieren, dass Grimmelshausen dadurch, dass er die Frage nicht mit sprachsystematischen oder sprachpragmatischen Argumenten behandelt, nicht wirklich an den Sprachnormierungsdiskurs anknüpft. Dasselbe gilt für das elfte Kapitel und die Frage, wo das beste Teutsch zu finden ist; diese Frage bildet, wie gesehen, ohnehin nicht den Mittelpunkt seines Interesses. Man kann damit Verweyen zustimmen, der schreibt, dass Texte wie die Grimmelshausens und Moscheroschs „schon aufgrund ihrer Machart, der satirischen Schreibweise als Verfahren indirekter Darstellung und Kritik, Beiträge zur linguistischen und literarischen Sprachnormierung im Kontext der zeitgenössischen Reformunternehmungen nicht sein“ können (Verweyen 1997, 86). Damit fällt der oben beschriebene Punkt a) bereits aus. Zu Fremdwörtern äußert sich Grimmelshausen im Teutschen Michel häufiger. In den ersten drei Kapiteln, im fünften, sechsten und dreizehnten Kapitel finden sich Äußerungen, die den Gebrauch fremder Sprachen und Wörter betreffen. Seine Position ist allerdings gemäßigter als die der meisten Akteure des fremdwortpuristischen Diskurses: Die Kenntnis fremder Sprachen schätzt er für viele Kommunikationszwecke nützlich ein, lediglich der Fremdwortgebrauch aus Eitelkeit oder zur Verschleierung schlechter Absichten verdient Tadel. Gegen den radikalen Fremdwortpurismus Zesens polemisiert er und weist auf dessen innere Widersprüche hin. Grimmelshausen teilt diesbezüglich die Position von Autoren wie Buchner oder Schottelius. Die Punkte b) und c) sind damit nur unter Vorbehalt erfüllt. Damit kann auch Punkt d) nicht erfüllt sein, da er die Punkte a–c voraussetzt. Der Teutsche Michel ist also in den Sprachnormierungsdiskurs nicht und in den fremdwortpuristischen Diskurs nur teilweise zu integrieren. Weite Teile des Textes repräsentieren jedoch weder den einen noch den anderen Diskursstrang. Für manche Punkte der satirischen Sprachkritik finden sich im sprachpatriotischen Diskurs keine Vorbilder. Diese Passagen sind nur schwer mit diesem zu verbinden. Gleichwohl zeigen zahlreiche gemeinsame Metaphern, Topoi und diskurssemantische Grundfiguren den grundsätzlichen Konnex des Textes mit dem Diskurs; damit sind Rekurrenzen feststellbar, die sich teils in Isotopie, teils aber auch in individuelle Erweiterung des semantischen Spektrums auffächern.

Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen � 565

Der Teutsche Michel verhält sich also zum sprachpatriotischen Diskurs wie Grimmelshausen zu den Diskursakteuren: So wie dieser ein Außenseiter ist, ist jener an der Peripherzone des Diskurses angesiedelt und verweist auf andere Diskurse, etwa auf den moralsatirischen. Es wäre die Aufgabe weiterer Forschungen, weitere diskursive Verknüpfungen des Teutschen Michel herauszuarbeiten. Aus Sicht der Sprachgeschichtsschreibung ist der Teutsche Michel von Relevanz für Fragen nach dem zeitgenössischen Sprachgebrauch vor allem in der Mündlichkeit. Die zahlreichen Beispiele und Anekdoten sind eine Fundgrube für diesbezügliche Studien. Die Analyse der semantischen Differenzierungen in Kapitel zwölf kann die Basis für Wortfeldstudien bilden wie sie Sodmann (2013, 102 f.) andeutet. Spannend ist außerdem die Frage, ob die Ausführungen zu Sprache und Sprachgebrauch in diesem Text eher eine progressive Tendenz zur Vertikalisierung im Sinne Reichmanns und damit zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache als einheitlicher Sprachnorm oder eher eine retardierende Tendenz zur Erhaltung der regionalen und sozialen Varietäten enthalten (vgl. dazu oben, 3.2.3). Letzteres scheint wahrscheinlicher, müsste jedoch systematisch untersucht werden, wobei auch Grimmelshausens eigener Sprachgebrauch zu berücksichtigen wäre. Diese Studie müsste graphematische, morphologische, lexikalische, syntaktische und pragmatische Aspekte mit einbeziehen. Zum Abschluss sei darauf hingewiesen, dass mit der vorliegenden Untersuchung nicht behauptet wird, Grimmelshausen hätte alle in dieser Arbeit analysierten Texte gekannt und für den Teutschen Michel verwendet. Vieles dürfte er aus zweiter Hand, vermittelt über Texte wie Schills Ehrenkrantz, gekannt haben, ob er jemals Zesens Rosen-mând oder Gueintz’ Deutsche Rechtschreibung gelesen hat, ist mehr als ungewiss, die Diskussionen innerhalb der Fruchtbringenden Gesellschaft, die im Ertzschrein dokumentiert sind, kannte er sicher nicht. Doch um solche quellenkundlichen Fragen geht es in dieser Arbeit nicht. Es ist nur zu konstatieren, dass vieles im Teutschen Michel mit den anderen Texten aus dem Diskurs metaphorisch, topisch oder inhaltlich zuweilen bis zur Formulierung übereinstimmt. Der Schluss liegt nahe, dass Grimmelshausen in irgendeiner Weise über die diskursiven Zusammenhänge informiert gewesen sein muss. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine Art eingeschränkt ,kollektives‘ Wissen, das in der literaten Bevölkerung auf ,populärwissenschaftlichem‘ Niveau diskutiert wurde. Dies wäre ein Ansatzpunkt für mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen.

Zur Zitierweise Die Texte Grimmelshausens werden nach folgendem Schema zitiert: Der Sigle, die den zitierten Text anzeigt, folgen die Seitenzahlen der verschiedenen Editionen, die ebenfalls mit einem Kürzel versehen sind. Die Kürzel der Editionen sind B = Ausgabe von Dieter Breuer T = Ausgabe von Rolf Tarot Beispiel: ST, B 69 f., T 52 Einige Texte (Satyrischer Pilgram, Ratio Status und Teutscher Michel) sind in der Ausgabe Breuers nicht enthalten, sie werden nur nach der Ausgabe Tarots zitiert. Der Ewig-währende Calender fehlt in Tarots Ausgabe, in Breuers Edition sind nur Auszüge aus der Dritten Materia enthalten. Daher wird der Text nach der Faksimileausgabe Klaus Haberkamms mit Angabe der jeweiligen Materia zitiert. Für Grimmelshausens Texte werden folgende Siglen verwendet: AE

B

BK

Cont

Cour

Anhang | Etlicher wunderlicher Antiquitä- | ten / so der fliegende Wandersmann | Zeit seiner wehrenden Reiß in einer abgelege- | nen Vestung an dem Meer gelegen / und von | den Türcken bewohnet / gesehen und | verzeichnet. EXTRACT. Der ansehlichen Tractamenten | samt deren Expens, welche den Herrn von | Hirschau in vergangener Fastnacht auf- | gesetzt / und von denselben ritu so- | lenni verzehret worden. Der erste | Beernhäuter / | Nicht ohne sonderbare darun- | ter verborgene Lehrreiche Geheimnus / | so wol allen denen die so zuschelten pflegen / und | sich so schelten lassen / als auch sonst jedermann (vor diß- | mal zwar nur vom Ursprung dieses schönen Eh- | ren-Tituls) andern zum Exempel | vorgestellet / | Sampt Simplicissimi Gauckeltasche. | Von | Illiterato Ignorantio, zugenannt Idiota. | Gedruckt im Jahr / 1670. Bart-Krieg / | oder | Des ohnrecht genanten | Roht-Barts | Widerbellung | gegen | den welt-beruffenen | Schwartz-Bart | deß | SIMPLICISSIMI | Darinnen er zu Erhaltung der | reputation aller zwar fälschlich Roht- | genanten Bärt die Goldfarb / wie billich / | dem Kühnruß / das frewdenreiche Gelb / des | Teuffels Leibfarb vorziehet; | und | Allen seines gleichen redlichen / uffrech- | ten Roht-bärten neben Wünschung eines | glückseeligen Neuen-Jahrs / dardurch einen | tröstlichen Meßkram verehret. | Mit außtrücklicher Freyheit Barbarossae, | von keinem Schwartzbart nachzu- | trucken. | De dato 1673. | Den ersten Jenner S. N. Continuatio | des abentheurlichen | SIMPLICIS- | SIMI | Oder | Der Schluß desselben. | Durch | German Schleifheim | von Sulsfort. | Mompelgart / | Bey Johann Fillion / 1669. Trutz Simplex: | Oder | Ausführliche und wunderseltzame | Lebensbeschreibung | Der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin | Courasche / | Wie sie anfangs eine Rittmei- | sterin / hernach eine Hauptmännin / ferner | eine Leutenantin / bald eine Marcketente- | rin / Musquetirerin / und letztlich eine | Ziegeunerin abgegeben /

568 � Zur Zitierweise

DA

EC

GT

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KJ

Meister- | lich agiret und ausbündig | vorgestellet: | Ebenso lustig / annemlich und nutz- | lich zu betrachten / als Simplicissimus selbst. | Alles miteinander | Von der Courasche eigner Per- | son dem weit und breitbekanten Simpli- | cissimo zum Verdruß und Widerwillen dem | Autori in die Feder dictirt, der sich vor | dißmal nennet | PHILARCHUS GROSSUS von Trom- | menheim / auf Griffsberg / etc. | Gedruckt in Utopia / bey Felix Stratiot. Dietwalts und Amelinden | Lieb- und Leids- | Beschreibung / | Sampt erster Vergrösserung des | Weltberühmten Königreichs | Franckreich. | Den Gottseeligen erbaulich | Den Curiosen lustig | Den Historicus annemlich | Den Betrübten tröstlich | Den Verliebten erfreulich | Den Politicis nützlich | und der Jugend ohnärgerlich zulesen. | Zusammen gesucht und hervor- | gegeben von | H. J. Christoffel von Grimmels- | hausen / Gelnhusano. | Nürnberg / | Verlegt und zu finden bey Felßeckern / | Jm Jahr Christi 1670. Des Abenteurlichen Simplicissimi | Ewig-währender Calender / | Worinnen ohne | Die ordentliche Verzeichnus der unzehlbar | vieler Heiligen Täge auch unterschiedliche | Curiose Discursen von der Astronomia, Astro- | logia, Jtem den Calendern / Nativitäten / auch allerhand Wunderbarli- | chen Wahr- und Vorsagungen / mit untermischter Bauren-Practic / | Tag- und Zeitwehlungen / etc. | Viel Seltzame / jedoch Warhaffte Wunder-Geschichten / | und andere Merckwürdige Begebenheiten / samt Beyfügung etlicher | Künst- und Wissenschafften befindlich. | Woraus ein Jeder / der nur Lesens und Schreibens kündig / | nicht allein Jedes Jahr die bewegliche Fest und dergleichen Ding / so zu | Einem Calender nohtwendig erfordert werden / leichtlich finden: | Sondern auch lernen kan / Jhm und andern die Nativität zu stellen / | und aus fleissiger observation künfftig Gewitter / Krieg / Kranckheit / | Frucht- und Unfruchtbarkeit vorzusagen. | Der sIMpLICIo geVVogen / | Kan seIn stetIg Vnbetrogen. | Jn Nürnberg / 1670. | Verlegt und zu finden bei Wolf Eberhard Felßecker. Simplicissimi wunderliche | Gauckel-Tasche | Allen Gaucklern / Marckschrey- | ern / Spielleuten / in Summa allen de- | nen nöhtig und nützlich / die auf offenen Märck- | ten gern einen Umbstand herbey brächten / oder | sonst eine Gesellschafft lustig zu machen | haben. | Verwunderlich und lustig zusehen. | Entworffen / | durch obigen Autorem. | Gedruckt im Jahr / 1670. Simplicissimi | Galgen-Männlin / | Oder | Ausführlicher Bericht / woher | man die so genannte Allräungen oder | Geldmännlin bekompt / und wie man ihrer | warten und pflegen soll; auch was vor Nu- | tzen man hingegen von ihnen eigent- | lich zugewarten. | Erstlich durch Simplicissimum selbsten | seinem Sohn und allen andern / so die Reich- | thum dieser Welt verlangen / zum besten | an tag geben. | Nachgehends mit nutzlichen Anmerck- | und Erinnerungen erläutert | durch | Israël Fromschmidt | von Hugenfelß. In EIner harten ZeIt / So Das GeLd / | WIe EInIge LeIIth CLagten / Ohn- | gLeiCh GetheILt : DoCh ALLen Ihr GebIIhr Geben Hat. Exempel | Der unveränderlichen Vor- | sehung Gottes . | Unter einer anmutigen und | ausführlichen Histori | vom | Keuschen Joseph | in Egypten Ja- | cobs Sohn. | Vorgestellt | So wol aus Heiliger als anderer | Hebreer / Egyptier / Perser und Araber | Schrifften und hergebrachter Sag / erstlich | Teutsch zusammen getragen | durch den | Samuel Greifnson vom | Hirschfeld. | Daselbst druckts | HIERONIMUS GRISENIUS. | Beym Autore und Verleger zu | finden. | M. DC. LXVII.

Zur Zitierweise � 569

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Des | Grundfrommen keuschen Jo- | sephs getreuen Dieners und | Schaffners | Musai / | Denck und Leswürdige | Lebens-Erzehlung / | Aus Uhralten Hebräischen / | Persischen und Arabischen | Scribenten | Mit unausgesetztem Fleiß / auf nutz- | liche annehmliche und erbauliche Art / | zu Papier gebracht; | Und jetzo erstesmals / auf inständiges An- | suchen / zum Druck übergeben / | Von | Samuel Greifnson von | Hirschfeld. | Gedruckt / Jm Jahr Christi 1670. Des Durchleuchtigen | Printzen Proximi, | und | Seiner ohnvergleichlichen | Lympidae | Liebs-Geschicht- | Erzehlung. | Vornemlich den vorhandenen | Alten und Jungen: AEltern und Kindern / | zur Richtschnur / Lehr / und Nachfolgung: den | Betrübten und Verliebten zum tröstlichen Beyspiel: | den Curiosen und Müssigen zur Ergetz- und Ehrlichen | Zeitvertreibung: sonst jedermänniglichen aber zum | Nutzen / und Christlicher Auferbauwung sei- | ner selbsten / an Tag gegeben | von | H. J. Christoffel von Grimmelshausen / | Gelnhusano. | Gedruckt im Jahr 1672. Rathstübel Plutonis | Oder | Kunst Reich | zu werden. | Durch vierzehen underschiedli- | cher namhafften Personen richtige | Meynungen in gewisse Reguln ver- | abfasset / und auß Simplicissimi Brunn- | quell selbsten geschöpfft / auch auffrecht | Simplicianisch beschrieben | von | Erich Stainfels von | Grufensholm / | Sambt | Simplicissimi Discurs, Wie | man hingegen bald auffwannen: | und mit seinem Vorrath fer- | tig werden soll. | Getruckt in Samarien / | Jm Jahr 1672. SATYRIscher | Pilgram / | Das ist: | Kalt und Warm / Weiß | und Schwartz / Lob und Schand / | über guths und böß / Tugend und | Laster / auch Nutz und Schad | vieler Ständt und Ding | der Sichtbarn und Unsicht- | barn der Zeitlichen und | Ewigen Welt. | Beydes lustig und nützlich zulesen / | von Neuem zusammen getragen | durch | SAMUEL GREIFNSON, vom Hirschfeld. | Daselbst druckts | HIERONYMUS GRISENIUS, | und in Leipzig | Bey Georg Heinrich Frommannen | Buchhändlern zufinden | Anno 1667. Der seltzame | Springinsfeld / | Das ist | Kurtzweilige / lusterweckende und | recht lächerliche Lebens-Be- | schreibung. | Eines weiland frischen / wolver- | suchten und tapffern Soldaten / | Nunmehro aber ausgemergelten / | abgelebten doch dabey recht | verschlagnen | Landstörtzers und Bettlers / | Samt | seiner wunderlichen Gauckeltasche. | Aus Anordung des weit und | breit bekanten Simplicissimi | Verfasset und zu Papier gebracht | Von | Philarcho Grosso von | Tromerheim. | Gedruckt in Paphlagonia bey | Felix Stratiot. Anno 1670. Der Abentheurliche | SIMPLICISSIMUS | Teutsch / | Das ist: | Die Beschreibung deß Lebens eines | seltzamen Vaganten / genant Melchior | Sternfels von Fuchshaim / wo und welcher | gestalt Er nemlich in diese Welt kommen / was | er darinn gesehen / gelernet / erfahren und auß- | gestanden / auch warumb er solche wieder | freywillig quittirt. | Uberauß lustig / und männiglich | nutzlich zu lesen. | An Tag geben | Von | GERMAN SCHLEIFHEIM | von Sulsfort. | Monpelgart / | Gedruckt bey Johann Fillion / | Jm Jahr M DC LXIX. Der stoltze Melcher / | Sambt einer Besprecknuß | Von das | Frantzoß Krieg | Mit der | Holland. | Welches | Durch Veranlassung eines Saphoyers der | Fridenssatten-und gern-kriegenden Teut- | schen Jugend zum Meßkram verehret wird. Deß Weltberuffenen | SIMPLICISSIMI | Pralerey und Gepräng | mit seinem Teutschen Michel / | Jedermänniglichen / wanns seyn | kan / ohne Lachen zu lesen erlaubt | Von | Signeur Meßmahl. | Gedruckt unter der Preß / in dem | jenigen Land / darinnen dasselbe lobwürdig | Geschirr erstmahls erfunden | worden / | ALs seIne

570 � Zur Zitierweise

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LIebe Innwohner neben anDern | VöLCkern anfIengen / Den Iahren Vnsers | HeILs naCh / In gLeICher ZahL | zV zähLen. Des | Abenteuerlichen Simplicii | Verkehrte Welt. | Nicht / wie es scheinet / | dem Leser allein zur Lust und | Kurtzweil: Sondern auch zu des- | sen aufferbaulichem Nutz an- | nemlich entworffen | von | Simon Leugfrisch von Hartenfels. Das wunderbarliche | Vogel-Nest | Der Springinsfeldischen | Leyrerin / | Voller | Abentheurlichen / doch Lehrreichen | Geschichten / auff Simplicianische Art | sehr nutzlich und kurtzweilig zu lesen | außgefertigt | Durch | Michael Rechulin von | Sehmsdorff. | Monpelgart / | Gedruckt bey Johann Fillion / | Jm zu Endlauffenden 1672. | Jahr. Des Wunderbarlichen | Vogelnests Zweiter | theil | An tag geben von | Aceeeffghhiillmmnnoorr | ssstuu. Simplicianischer | Zweyköpffiger | RATIO STATUS, | lustig entworffen | Unter der Histori des waidlichen Kö- | nigs Saul / des sanfftmütigen König Davids / | des getreuen Printzen Jonathae / und deß tapf- | fern Generalissimi Joabi, | von | Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen | Gelnhusano. | NURNBERG / | Gedruckt / und zu finden bey Wolf Eberhard | Felßeckern / im Jahr Christi 1670.

Die anderen Quellentexte werden nach folgendem Schema zitiert: Name des Autors, Kürzel des Titels, Seite, z.B. Rist, Rettung, 145. Aus den Quellensammlungen von Spahr (1960) und Jones (1995) wird wie im Falle der Forschungsliteratur nach den üblichen Prinzipien zitiert. Quellentexte werden leicht modernisiert zitiert: Die Unterscheidung zwischen Schaft-s und rundem s sowie der verschiedenen -Varianten wird aufgegeben, die Grapheme werden einheitlich mit und wiedergegeben. Nasalstriche und Ligaturen wurden aufgelöst, das überschriebene bei Umlauten wird durch die heute üblichen Diakritika ersetzt. Ansonsten wurden Wortschreibung und Interpunktion beibehalten.

Literaturverzeichnis Quellen

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Namensregister Fiktive oder biblische Namen sind kursiviert.

Aaron 59 Adelmund 144 Adelung, Johann Christoph 167, 170, 173, 180, 186 Albertinus, Aegidius 56, 214, 220, 494 Albertus, Laurentius 169 Alcmaeon 212 Ariovist 132, 141, 224, 225, 226, 403 Aristoteles 221, 264, 326, 380 Arminius (Hermann der Cherusker) 183, 184, 224, 353 Arnault, Antoine 83 Arndt, Ernst Moritz 89, 184, 327 Asaneth 32, 47 Ascenas (Tuisco, Tuitscho) 5, 139, 185, 261, 273, 277, 279, 320, 323, 328, 338, 340, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 356, 357, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 375, 376, 378, 380, 383, 384, 385, 390, 392, 397, 398, 401, 402, 403, 404, 407, 408, 419, 454, 488, 494, 540 Äsop 229 Augustinus, Aurelius 41, 221, 473, 496 Avarus 58, 239, 240, 241, 242 Aventin, s. Turmair, Johannes Bacon, Francis 83 Beda Venerabilis 496 Bellin, Johann 101, 102, 115, 310, 451, 491 Bergmann, Michael 268 Bernhard von Weimar 15 Besold, Christoph 352, 479 Betulius, Sigismund 130, 131, 326 Birken, Sigmund von 25, 27, 28, 29, 137, 220, 229, 399, 461, 462 Böhme, Jacob 81, 82, 344 Bote, Hermann 218 Brant, Sebastian 214, 218 Buchner, August 70, 76, 94, 95, 108, 116, 131, 150, 151, 156, 160, 167, 168, 171, 307, 309, 365, 367, 371, 372, 408,

409, 416, 417, 418, 425, 458, 548, 564 Burck, Johann 14 Burkhard von Elter 15 Campe, Joachim Heinrich 167 Caninius, Henricus 168 Cervantes, Miguel de 190 Christoffel, Caspar (von Grimmelshausen) 14 Christoffel, Gertraud 14 Christoffel, Johann (von Grimmelshausen) 14 Christoffel, Melchior (von Grimmelshausen) 14 Cicero, Marcus Tullius 134, 221, 267, 360, 369, 389, 476, 493, 494 Claius, Johannes 169 Comenius, Johann Amos 83 Courasche 44, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 59, 212, 222, 223, 485 Crüger, David 139, 152, 317 Demokrit 21, 482 Descartes, René 134, 434 Deutschlieb 97 Diogenes 21 Dorothea von Anhalt 279 Einhard 357, 359, 361 Erasmus von Rotterdam 134, 219 Erich Stainfels von Grufensholm (Pseudonym Grimmelshausens) 38 Esther 208, 251 Expertus Robertus 221, 226, 334 Felßecker, Wolff Eberhard 29 Ferdinand I., Kaiser 18 Fischart, Johann 35, 81, 219 Flavius Josephus 519 Florindo 506 Franck, Sebastian 461, 535, 536 Frangk, Fabian 168, 169, 397, 531, 539 Fuhrmann, Johann Jacob 320

592 � Namensregister Fürstenberg, Franz Egon von, Fürstbischof von Straßburg 17 Garzoni, Tommaso 23, 35, 48, 54, 55, 56, 466, 473, 500, 506 Gelanor 506, 507, 508 German Schleifheim von Sulsfort (Pseudonym Grimmelshausens) 38, 40, 43, 45 Goropius Becanus, Johannes 66, 400, 544 Gottsched, Johann Christoph 170, 173, 180 Götz, Hans Graf von 15 Grimmelshausen, Catharina (geb. Henninger) 16 Grimmelshausen, Georg Christoph von 14 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von passim Gryphius, Andreas 71, 233, 389 Gueintz, Christian 5, 29, 67, 68, 70, 91, 93, 94, 98, 99, 101, 102, 103, 104, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 116, 118, 119, 120, 121, 139, 152, 157, 158, 159, 167, 168, 169, 173, 294, 304, 308, 317, 324, 325, 353, 354, 359, 360, 361, 366, 367, 369, 371, 377, 378, 385, 387, 406, 410, 411, 425, 426, 544, 565 Ham 377, 382, 385 Harsdörffer, Georg Philipp 24, 68, 70, 71, 83, 89, 90, 91, 94, 98, 99, 102, 103, 104, 107, 108, 109, 110, 112, 115, 116, 119, 120, 121, 133, 143, 147, 152, 153, 156, 159, 167, 170, 257, 291, 299, 300, 301, 304, 305, 310, 311, 312, 318, 323, 326, 328, 331, 332, 333, 334, 343, 344, 350, 351, 360, 362, 363, 368, 369, 370, 371, 374, 387, 388, 391, 395, 404, 406, 411, 414, 415, 420, 421, 424, 429, 432, 433, 434, 437, 438, 442, 443, 448, 458, 467, 477, 534, 543, 544, 545 Heinrich von Wittenwiler 199 Helwig, Christopher 83 Henisch, Georg 461 Heraklit 21, 482 Hertzbruder, Ulrich (Sohn) 196, 197

Hertzbruder, Ulrich (Vater) 53, 54 Hille, Carl Gustav von 71, 87, 88, 89, 111, 131, 134, 149, 151, 154, 278, 281, 282, 285, 297, 300, 305, 317, 319, 321, 323, 324, 326, 329, 350, 358, 359, 360, 363, 374, 381, 394, 395, 396, 404, 422, 435, 449, 473, 474, 489, 510, 512, 513, 515, 543, 560 Hobbes, Thomas 243 Homer 34, 242, 377 Horaz 220, 373, 507 Hornius, Georg 56 Humboldt, Wilhelm von 75, 191, 436 Hutten, Ulrich von 219 Ickelsamer, Valentin 168, 169 Illiteratus Ignorantius (Pseudonym Grimmelshausens) 24, 38 Israel Fromschmidt von Hugenfelß (Pseudonym Grimmelshausens) 38 Japhet 139, 350, 375, 377, 380, 382, 387, 388 Jobin, Bernhard 81 Joseph (Sohn Jakobs) 32, 33, 34, 40, 47, 60, 61, 493, 500, 546 Julus 58, 239, 240, 241, 242 Juvenal, Decius Junius 160, 220 Karl der Große, Kaiser 5, 273, 338, 349, 350, 353, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 368, 370, 375, 376, 380, 384, 398, 407, 408, 420, 454 Kindermann, Balthasar 114, 117, 149, 150, 151, 365, 374, 412 Klaj, Johann 27, 90, 120, 132, 134, 301, 304, 319, 326, 346, 350, 357, 363, 366, 371, 389, 393, 394, 398, 404, 414, 426, 427, 429, 448, 457, 458, 475, 476, 503 Küffer, Johann 17, 28, 220, 560 Kuhlmann, Quirinus 334 Lancelot, Claude 83 Leibniz, Gottfried Wilhelm 66, 67, 68, 69, 71, 81, 83, 96, 97, 131, 133, 134, 136, 137, 138, 143, 145, 149, 152, 154, 155, 167, 185, 257, 263, 270, 298, 302, 312, 313, 314, 318, 319, 322, 334, 335, 336, 337, 344, 345, 360, 367,

Namensregister � 593

368, 369, 372, 388, 391, 393, 394, 395, 405, 406, 411, 412, 413, 424, 430, 431, 435, 445, 446, 447, 448, 467, 468, 494, 552, 553 Lipsius, Justus 119 Locke, John 83 Logau, Friedrich von 128, 130, 137, 139, 142, 158, 282, 285, 314, 320, 389, 413, 414, 426, 535, 543 Lohenstein, Daniel Casper von 26 Ludwig XIV., König von Frankreich 18, 556 Ludwig, Fürst von Anhalt-Köthen 5, 67, 68, 89, 91, 99, 102, 104, 111, 116, 119, 120, 142, 173, 279, 300, 325, 351, 354, 358, 359, 363, 369, 371, 377, 385, 413, 449, 544 Lullus, Raimundus 477, 499 Luther, Martin 5, 91, 99, 103, 116, 125, 147, 154, 170, 171, 184, 208, 296, 338, 348, 357, 362, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 374, 375, 379, 381, 386, 390, 391, 392, 393, 398, 408, 419, 422, 433, 454 Maaler, Josua 207 Machiavelli, Niccolò 56, 57, 62 Marhold 312, 340, 372, 434, 498 Maximilian I., Kaiser 185 Melanchthon, Philipp 134, 348, 511 Melchior Sternfels von Fuchsheim (Pseudonym Grimmelshausens) 14, 38, 40, 43, 44 Meyfart, Johann Matthäus 71, 96, 167, 325, 326, 416, 421, 422, 457 Michael Rechulin von Sehmsdorff (Pseudonym Grimmelshausens) 38 Momus 23, 52, 53, 484 Monsieur Canard 17, 212, 220 Morhof, Daniel Georg 70, 219, 230, 231 Moscherosch, Johann Michael 28, 29, 30, 70, 126, 132, 141, 145, 146, 150, 220, 221, 223, 224, 226, 227, 228, 239, 244, 317, 334, 335, 337, 355, 464, 469, 482, 485, 536, 537, 552, 554, 556, 560, 563, 564 Moscherosch, Quirin 28, 29, 459, 560 Murner, Thomas 218, 219 Musai 47

Neumark, Georg 71, 100, 115, 117, 131, 132, 142, 278, 281, 284, 285, 295, 296, 300, 305, 306, 320, 323, 324, 353, 355, 358, 363, 368, 377, 390, 411, 451, 479, 491, 492 Noah 81, 347, 348, 349, 350, 355, 375, 376, 377, 378, 382, 401, 494, 498, 499 Ölinger, Albert 169 Olivier 57, 196, 197 Opitz, Martin 24, 27, 66, 67, 70, 71, 84, 89, 111, 116, 125, 133, 135, 140, 141, 151, 167, 170, 171, 220, 283, 287, 297, 302, 303, 306, 310, 338, 362, 364, 365, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373, 374, 375, 381, 392, 393, 398, 399, 408, 417, 418, 419, 425, 433, 449, 455, 456, 457, 458, 541 Otfrid von Weißenburg 358, 398 Philalethes 336, 467, 468 Philander von Sittewald 126, 132, 141, 150, 223, 224, 225, 226, 227, 316, 469 Philarchus Grossus von Trommenheim (Pseudonym Grimmelshausens) 38, 39, 41, 44, 46, 47, 59, 223 Philon von Alexandria 495 Pirckheimer, Willibald 219 Platon 25, 34, 75, 106, 342, 404, 405, 441, 442 Plutarch 221 Potiphar 33, 34, 42 Proteus 45, 46 Quevedo, Francisco de 223 Quintilian, Marcus Fabius 97 Ramsay, Jakob 15 Reuchlin, Johannes 134 Rist, Johann 71, 89, 90, 127, 129, 134, 135, 149, 150, 151, 157, 171, 298, 299, 321, 328, 329, 373, 393, 395, 415, 426, 486, 537, 550, 563 Rompler von Löwenhalt, Jesaias 28, 90, 152, 158, 329, 373, 392, 393, 418, 456, 457, 501, 560 Rudolf I., Kaiser 185, 338, 349, 350, 356, 357, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 368, 370, 398, 408

594 � Namensregister Sachs, Hans 35, 229 Samuel Greifnson vom Hirschfeld (Pseudonym Grimmelshausens) 20, 32, 33, 38, 40, 43, 44 Saul 210, 496 Scaliger, Julius Caesar 66, 477 Schauenburg, Carl Bernhard von 16 Schauenburg, Hans Reinhard von 15 Schauenburg, Philipp Hannibal von 534 Schill, Johann Heinrich 71, 560, 565 Schnüffis, Laurentius von 56 Schorer, Christoph 71 Schottelius, Justus Georg 4, 5, 6, 18, 19, 29, 66, 68, 70, 71, 76, 81, 86, 89, 91, 92, 93, 94, 98, 100, 101, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 120, 125, 133, 140, 141, 149, 155, 157, 158, 161, 162, 164, 166, 168, 170, 171, 180, 185, 221, 257, 269, 278, 284, 285, 287, 291, 292, 293, 294, 298, 301, 304, 305, 311, 321, 323, 324, 326, 328, 329, 330, 331, 332, 334, 338, 344, 345, 351, 358, 360, 361, 362, 367, 368, 371, 374, 375, 376, 382, 383, 384, 385, 387, 398, 401, 402, 403, 404, 405, 406, 409, 413, 414, 416, 421, 422, 423, 424, 425, 427, 428, 429, 430, 438, 439, 441, 443, 447, 448, 450, 451, 452, 454, 457, 459, 471, 479, 488, 496, 510, 518, 531, 538, 539, 540, 541, 542, 543, 544, 545, 546, 548, 549, 560, 561, 563, 564 Schupp, Johann Balthasar 70, 232, 521 Sem 139, 382 Seneca, Lucius Annaeus 221 Signeur Meßmahl (Pseudonym Grimmelshausens) 38, 43, 44, 463 Simon Leugfrisch von Hartenfels (Pseudonym Grimmelshausens) 38, 43 Simplicissimus (Sohn) 47 Simplicius Simplicissimus 14, 15, 22, 23, 28, 29, 32, 33, 34, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 57, 58, 59, 60, 63, 196, 197, 209, 210, 211, 212, 214, 215, 216, 221, 227,

228, 232, 233, 238, 239, 240, 241, 242, 251, 459, 463, 467, 469, 470, 486, 500, 513, 515, 517, 519, 525 Spee, Friedrich von 71 Springinsfeld 45, 46, 47, 51, 59, 239, 245, 246, 251, 525 Stevin, Simon 66, 424, 543 Stieler, Kaspar 99, 100, 110, 135, 138, 152, 158, 302, 318, 324, 325, 331, 332, 351, 353, 403, 415, 445, 450, 457, 461, 462, 542, 543 Tacitus, Publius Cornelius 137, 347, 348, 355, 471 Theophilus 336, 468 Thomasius, Christian 165, 172, 433 Titz, Johann Peter 95, 96, 97, 128, 151, 161, 162, 172, 309, 365, 372, 373, 395, 418, 425, 456, 457 Tscherning, Andreas 117, 458 Tuisco, Tuitscho, s. Ascenas Turmair, Johannes (Aventin) 66, 67, 171, 347, 348, 377 Vossius, Gerhard Johannes 219, 477 Wack, Johann Conrad 384 Weckherlin, Georg Rodolf 370, 373 Weise, Christian 29, 30, 31, 34, 58, 67, 69, 70, 71, 164, 165, 166, 214, 221, 433, 483, 485, 506, 508, 539 Werder, Diederich von dem 171, 371, 374 Widukind 316 Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar 300 Zeiller, Martin 71, 538, 539, 540 Zesen, Philipp von 6, 29, 31, 32, 33, 34, 42, 53, 58, 66, 68, 70, 71, 76, 81, 89, 93, 97, 99, 102, 114, 115, 116, 117, 118, 125, 135, 138, 144, 153, 154, 156, 157, 158, 162, 165, 166, 167, 171, 284, 285, 287, 290, 292, 294, 296, 302, 304, 309, 312, 321, 340, 341, 342, 343,344, 345, 346, 351, 352, 355, 360, 362, 367, 368, 369, 372, 373, 376, 378, 381, 385, 386, 387, 400, 401, 402, 403, 405, 411, 412, 414, 424, 430, 431, 433, 434, 436, 440, 441, 442, 451, 452, 453, 468, 469, 491, 493, 494, 495, 496, 497, 498,

Namensregister � 595

499, 500, 501, 502, 506, 507, 508, 518, 527, 535, 539, 540, 541, 544, 545, 548, 559, 563, 564, 565 Ziegler, Kaspar 153

Zincgref, Julius Wilhelm 71, 125, 126, 133, 320, 358, 372, 389, 456 Zoilus 34, 52, 53 Zonagrius, s. Garzoni, Tommaso