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German Pages [100] Year 1991
ARTUR
WEISER
Samuel Seine geschichtliche Aufgabe und religiöse Bedeutung
Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu 1. Samuel 7-12
Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1962
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testamentes Herausgegeben von Ernst Käsemann und Ernst Würthwein Der ganzen Reihe 81. Heft
U m s c h l a g : Christel S t e i g e m a n n © Vandenhoeck & R u p r e c h t in G ö t t i n g e n 1962. — Printed in G e r m a n y . — O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder T e i l e daraus auf foto- oder a k u s t o m e c h a n i s c h e m W e g e zu vervielfältigen. G e s a m t h e r s t e l l u n g : Georg Appl, W e m d i n g 7913
VORWORT Die Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung Samuels hängt davon ab, ob und inwieweit vor allem die verschiedenen in 1. Samuel 7—12 zu einer Erzählungsreihe vereinigten Überlieferungen für den Historiker verwertbar sind, und welche Einzelzüge der Traditionen sich zu einem Bild zusammenfügen, das den erforderlichen Grad geschichtlicher Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann. Angesichts der Verschiedenartigkeit der einzelnen Traditionsstücke, aus denen der Erzählungskomplex 1. Samuel 7—12 zusammengesetzt ist, sollen auf dem Wege einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung die Fragen nach der Entstehung, der Eigenart und Tendenz, dem Ort und den Trägern der jeweiligen Überlieferungen soweit möglich geklärt werden, ehe ihre geschichtlichen Bezüge erkennbar werden, und der Rahmen heraustritt, in den ein Gesamtbild eingeordnet werden kann. Dabei ergibt sich, daß die von der üblichen rein literarkritischen Analyse ausgeschiedenen Stücke mit sog. „königsfeindlicher" Tendenz für die geschichtliche Erkenntnis mehr hergeben, als man ihnen gemeinhin zuzugestehen geneigt war, und daß die geschichtliche Aufgabe Samuels und seine religiöse Bedeutung klarer als bisher erfaßt werden kann. Die Untersuchung über Samuels Philistersieg (1. Sam 7) wurde erstmals veröffentlicht in Zeitschrift für Theologie und Kirche 56 (1959), S. 253272, die über Samuel und die Vorgeschichte des israelitischen Königtums (1. Sam 8) ebenda 57 (1960), S. 141-161. Artur Weiser
Inhalt Samuels »Philister-Sieg« Die Uberliefenmg in 1. Samuel 7
5
Samuel und die Vorgeschichte des israelitischen Königtums 1. Samuel 8
25
Die Uberlieferung von der Erhebung Sauls zum König 1. Samuel 9-12 Verzeichnis der Abkürzungen
46 96
Verzeichnis der A b k ü r z u n g e n Alt I
=
Alt, Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd. I 1953
Alt I I
=
Alt, Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd. II 1953
ANET
=
Ancient N e a r Eastern Texts Relating to the Old Testament, hrsg. von Pritchard* 1955
AOT
=
Altorientalische Texte zum Alten Testament; hrsg. von Greßm a n n , 2. Aufl., Berlin, 1926
ATD
=
Das Alte T e s t a m e n t Deutsch, hrsg. von Weiser, Göttingen
BASOR
=
Bulletin of t h e American Schools of Oriental Research, New Haven (Conn.)
BH
=
Biblia Hebraica hrsg. von Kittel, 5. Aufl.
KKC
=
Kurzer Hand-Commentar zum A T ; hrsg. von Marti, Freiburg, Leipzig, T ü b i n g e n
MT
=
Masoretischer Text
PJB
=
Palästina-Jahrbuch, Berlin
ThI.Z
=
Theologische Literaturzeitung, Leipzig
ThWbNT
=
Theologisches Wörterbuch zum Neuen T e s t a m e n t ; begr. von G. Kittel, hrsg. von G. Friedrich, Stuttgart
ThZ
=
Theologische Zeitschrift; hrsg. von der Tlieol. Fakultät Basel, Basel
VT
=
Vetus Testamentum, Leiden
ZAW
--
Zeitschrift f ü r die alttestamentliche Wissenschaft, Gießen, Berlin
ZThK
=
Zeitschrift f ü r Theologie und Kirche, T ü b i n g e n
Samuels »Philister-Sieg« Die Überlieferungen in 1. Samuel 7
In der Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung Samuels gehen die Meinungen der Gelehrten weit auseinander. Das rührt daher, daß schon das Alte Testament infolge der verschiedenen Überlieferungen über Samuel in sich selbst nicht einheitlich ist und das Bild seiner Gestalt nach verschiedenen Seiten hin entfaltet wird. Gleichgültig, wie man die einzelnen Traditionen hinsichtlich ihrer historischen Zuverlässigkeit zu bewerten geneigt ist - man wird die Tatsache, daß Samuel bald als Priester, bald als Seher oder Prophet oder Richter und auch in seiner Beziehung zum Königtum in verschiedenem Licht erscheint, als Beweis dafür ansehen dürfen, daß ihn die Nachwelt als Mann von überragender Bedeutung eingeschätzt hat, die sich nicht in den fest umgrenzten Rahmen eines einzigen Amts oder Typus einspannen läßt. Eine ähnliche Hochschätzung spricht auch aus Jer 15, 1 und Ps 99, 6, wo Samuel mit Mose in einer Reihe genannt wird. Die Vielfalt der Züge im Samuel-Bild pflegt mein meist darauf zurückzuführen, daß im Laufe der Zeit verschiedene Überlieferungselemente und -reihen zusammengekommen sind, in denen die Perspektive der jeweiligen Tradenten zu Worte kommt, die in Samuel den Vertreter ihrer eigenen Anschauungen und Interessen und das Urbild ihrer Ideale gesehen haben. Diese Erklärung trifft z.B. für l.Chron 6, lOff. zu, wo Samuel in einem Seitentrieb des Leviten-Stammbaums erscheint, obwohl er nach 1. Sam 1, 1 Ephraimit war. Das levitische Interesse der Chronik ist bei dieser Konstruktion 1 mit Händen zu greifen und diese trägt deshalb für die geschichtliche Beurteilung Samuels nichts bei. Auch der Überlieferungsbestand des Samuel-Buches läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß hier Erzählungen zusammengewoben sind, cie unter verschiedenen Blickpunkten stehen und deshalb nicht einheit1
Vgl. daxu RUDOLPH, Chronikbücher, 1 9 5 5 , S. 57.
6
1. Samuel 7
lichen Ursprungs sein können, - wenn auch das Bestreben nicht zu verkennen ist, die Ereignisse und Personen in eine gewisse sachliche und zeitliche Abfolge einzuordnen. Seit WELLHAUSEN hat sich darum die Forschung bemüht, zunächst auf literarkritischem Wege die verschiedenen Überlieferungsschichten auseinanderzuhalten, in denen ζ. B. BUDDE und EISSFELDT die Fortsetzung der Pentateuchquellen in den Geschichtsbüchern wiederzufinden glaubten 1 . Ausgangspunkt und Hauptkriterium solcher Quellenscheidung bildete die verschiedene Beurteilung des Königtums; und die Unterscheidung einer älteren, den Ereignissen näherstehenden sog. königsfreundlichen von einer jüngeren sog. königsfeindlichen Traditionsreihe gilt als fast unbestrittene Voraussetzung der literarischen und historischen Auswertung der Samuel-Erzählungen. Auch für die traditionsgeschichtliche Forschung, die ihr Hauptaugenmerk auf die Entstehung und Geschichte der Einzelüberlieferungen richtet und auf diesem Wege mehr einer Art Fragmentenhypothese zuneigt, ist jene Unterscheidung maßgebende Grundlage geblieben. So geht Ζ. B. NOTH* aus von der Ausscheidung der Erzählungsreihe 1. Sam 7, 2 - 8, 2 2 -(- 10, 1 7 - 2 7 a + 12, 1 - 2 5 und ihrer Charakteristik bei WELLHAUSEN *, die er allerdings nicht der elohistischen Schicht, sondern dem von ihm angenommenen Deuteronomisten als Verfasser zuweist. Nach NOTH verdanken wir die Kenntnis der Geschichte dem um die Mitte des 6. Jahrhunderts schreibenden Deuteronomisten, der ZWEIT ältere - von der literarkritischen Forschung dem L, J, Ε zugeschriebene - Überlieferungen verwendet, aber in den jüngeren Stücken seine eigene, abweichende Beurteilung der Dinge in »freier Kombination« zum Ausdruck gebracht haben soll. Daß unter solchem Aspekt die Darstellung Samuels als des »letzten Richters«, der dem Königtum grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, keinen unmittelbaren Geschichtswert beanspruchen, sondern höchstens als Beweis für eine späte, aus den schlimmen Erfahrungen mit den Königen resultierende Perspektive dienen kann, liegt auf der Hand. Und auch da, wo NOTH vermutet, daß dem Deuteronomisten ältere Samuel-Traditionen - etwa über eine rechtsprechende Tätigkeit des Samuel (1. Sam 7, 6. 15FF.)oderseinerSöhne(8, lf.) - zur Verfügung gestanden hätten, wird man solange Zurückhaltung üben müssen, als unter NOTHS Voraussetzungen nicht der Nachweis erbracht ist, auf welchem Wege solche Überlieferungen sich über ein hal1 B U D D E J und Ε (Die Bücher Samuel, KHC, 1902), E I S S F E L D T L , J und Ε (Die Komposition der Samuelbücher, 1931, S. 6). • Überlieferungsgeschichtliche Studien I, 1943, S. 54f. * Composition des Hexateuch und der historischen Bücher des Alten Testaments, »1899, S. 239 ff.
1. Samuel 7
/
bes Jahrtausend haben erhalten können. Auf alle Fälle bleibt NOTH sich konsequent, wenn er von seiner Voraussetzung aus als Historiker die dem Deuteronomisten zugeschriebenen Partien des 1. Samuel-Buches beiseite schiebt mit der Bemerkung, daß sich der deuteronomistische Geschichtsschreiber seine Ablehnung der Einrichtung des Königtums dadurch leicht gemacht habe, daß er schon Samuel den entscheidenden Sieg über die Philister erringen lasse und damit den wirklichen geschichtlichen Hintergrund für das Aufkommen des Königtums sehr wesentlich entstellt habe 1 . Allein so einfach, wie NOTH meint, liegen die Dinge bei 1. Sam 7 doch nicht; und seine Hypothesen bedürfen einer genaueren Überprüfung. Schon seine Behauptung, daß es sich bei dem Philister-Sieg u m eine Kombination des Deuteronomisten handle, ist nicht ohne Bedenken. Ein derartiges Verfahren entspricht jedenfalls nicht der von NOTH herausgestellten Gepflogenheit des Deuteronomisten, in seinem Traditionswerk gewissenhaft den überkommenen Überlieferungen zu folgen und nur in zusammenfassenden Deutungen selbst das Wort zu ergreifen NOTH muß zugeben, daß es sich hier u m einen »singulären Fall« handle, und sucht diesen zu begründen mit der Annahme, daß der Deuteronomist seine ablehnende Bewertung des Königtums darin zum Ausdruck bringen wolle. Träfe dies zu, dann erhebt sich die Frage, ob er einer derartig plumpen Korrektur der Geschichte bedurfte, diesen Zweck zu erreichen, und damit erst einen offenen Widerspruch zu den überkommenen Überlieferungen zu schaffen - entgegen seinem von NOTH mit Nachdruck hervorgehobenem Grundsatz, die Unstimmigkeiten der vorhandenen Überlieferungen auszugleichen *. Die gewundenen Bemühungen NOTHS 4, diesen Widerspruch zu bagatellisieren, wirken nicht überzeugend* und sind höchstens dazu angetan, die von NOTH anderwärts betonten Fähigkeiten des Deuteronomisten in Zweifel zu ziehen. Wäre 1. Sam 7 und 8 wirklich das Werk des Deuteronomisten, geschaffen u m seine ablehnende Haltung gegenüber dem Königtum zu begründen, dann wäre doch zu erwarten, daß in Kp. 8 das Volksbegehren nach einem König durch einen entsprechenden Hinweis auf den vorausgegangenen Philister-Sieg Samuels zurückgewiesen würde. Statt dessen wird in Kp. 8 die ablehnende Beurteilung des Königtums mit dem Widerspruch gegen das alleinige Königtum Jahwes theologisch begründet. Nichts deutet darauf hin, daß die Erzählung von Samuels 1 Geschichte Israels«, 1959, S. 159 Anm. 2. * NOTH, Überlieferungsgesch. Stud., S. 100. » NOTH aaO S. 98 f. · AaO S. 56 Anm. 4. • Vgl. dazu EISSFELDT, Geschichtsschreibung im Alten Testament, S. 30 f. 39.
1948,
8
1. Samuel 7
Philister-Sieg in Kp. 8 vorausgesetzt sei. Da anderseits in Kp. 7 mit keinem Wort angedeutet ist, daß es in Beziehung stehe zur Ablehnung des Königtums in Kap. 8, hat NOTHS Kombination am Text keine Stütze. Bei der Beurteilung von 1. Sam 7 wird man vielmehr davon ausgehen müssen, daß wir hier ursprünglich selbständiges Überlieferungsgut vor uns haben, das dem Sammler schon vorgelegen hat und an das er sich gebunden fühlte, auch wo es zu anderen Überlieferungen im Widerspruch stand. Auf diese Weise erklären sich die Unstimmigkeiten leichter als bei der Annahme NOTHS, daß die Erzählung von Samuels PhilisterSieg eine freie Schöpfung des Deuteronomisten sei. Dafür spricht auch eine andere Beobachtung: In 7, 2 ist diese Erzählung an die vorausgehende Ladegeschichte durch eine doppelte Zeitbestimmung angeschlossen. Die erste (»es verging eine lange Zeit«) macht gegenüber der zweiten (»es waren 20 Jahre«) den ursprünglicheren Eindruck einer Überbrückung eines Zeitraums, für den andere konkrete Überlieferungen nicht zur Verfügimg standen, während die zweite sich leicht als nachträglich eingefügte Glosse zu erkennen gibt. Da NOTH nun gerade in dem »chronologischen Gerüst«, das hier die Mitte der in Ri 13, 1 auf 40 Jahre begrenzten Philister-Herrschaft im Auge hat. ein charakteristisches Merkmal der Arbeit des Deuteronomisten sieht 1 , ist zu folgern, daß die ursprünglich mit der allgemeinen Zeitangabe eingeleitete Erzählung von Samuels Philister-Sieg nicht von dem Deuteronomisten selbst stammen kann, sondern zu dem vordeuteronomistischen Bestand der Überlieferung gerechnet werden muß. Das bedeutet aber, daß 1. Sam 7 ads eigenständiges Überlieferungsgut zu beurteilen ist. Das Kapitel schließt sich nicht nur stilistisch, sondern auch sachlich an die vorausgehende Erzählung vom Verlust der heiligen Lade an, insofern die durch jene Katastrophe herbeigeführte Lage den Hintergrund und Ausgangspunkt der Darstellung bildet. Auf einen solchen Zusammenhang des Kapitels hat schon WELLHAUSEN 8 mit Recht aufmerksam gemacht, wenn auch seine Folgerung, daß eine ehemalige Geschichtserzählung über die Folgen der Niederlage Israels in Kapitel 7 in einen Sieg Samuels über die Philister umgewandelt sei, von falschen Voraussetzungen ausgeht und auch vom Text her nicht zu begründen ist. Die Ladeerzählung Kp. 4-6 läuft darauf hinaus, zu zeigen, wie Jahwe auch angesichts der Niederlage seine überlegene Macht gegenüber den Philistern und ihren Göttern zur Geltung bringt. In ähnlicher Richtung verläuft auch der Erzählungsfaden im Kp. 7, das offenbar dahin tendiert, jenen theologischen Grundgedanken nach der Seite hin zu entfalten, daß Jahwe 1
AaO S. 22 f.
» AaO S. 2 4 0 .
1. Samuel 7
9
seine Macht auch in der Befreiung Israels von dem Druck der PhilisterHerrschaft erwiesen habe. Anderseits ist das starke Interesse ein der Person des Samuel nicht zu verkennen, über den verschiedene Nachrichten vor allem am Ende von Kp. 7 zusammengetragen sind. Dabei erhebt sich die Frage: Was hat Samuel mit der Befreiung von den Philistern zu tun? Ist die Geschichte von Samuels Philister-Sieg durchweg freie Erfindung des Erzählers ohne jeglichen historischen Anhaltspunkt, oder lassen sich doch gewisse Linien aufzeigen, die den Weg sichtbar machen, auf dem die Entstehung solcher Traditionsbildung aus den geschichtlichen Verhältnissen im Zeitalter Samuels wahrscheinlich gemacht werden kann? Der offene Widerspruch zu anderen Nachrichten, die von einer Fortdauer der drückenden Philister-Herrschaft wissen (1. Sam 9, 16; 10, 5; 13, 2f. 19ff.) läßt kaum einen Zweifel darüber, daß, historisch gesehen, die Erzählung von Samuels Philister-Sieg als Fiktion beurteilt werden muß, die in ihrer Weise das vorwegnimmt und dem Samuel zuschreibt, was unter Saul versucht (1. Sam 14, 1-46; 28, 3 - 2 5 ; 31) und erst unter David vollendet wurde (2. Sam 5, 17-25) Unter diesem Gesichtspunkt scheint die Folgerung unausweichlich, die man schon immer gezogen hat, indem main die gesamte Erzählung in den Bereich der frommen Legende verwies. Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß die Erzählung von 1. Sam 7 in edlen Einzelzügen frei erfunden und daher ohne jeglichen geschichtlichen Bezug sein müsse. Grundsätzlich gilt auch hier, was ζ. B. für die Priesterschrift des Pentateuch allgemein anerkannt ist, daß ein literarisch junger Zusammenhang keineswegs die Verwendung von älteren Traditionen von vorneherein ausschließt. Obwohl das Bemühen des Erzählers, in 1. Sam 7 eine einigermaßen fortlaufende und abgerundete Darstellung zu geben, nicht zu verkennen ist, kann man anderseits nicht übersehen, daß diese Darstellung nicht aus durchweg gleichartigen und gleichwertigen Nachrichten zusammengesetzt ist. So hebt sich zunächst der zusammenfassende Schlußabschnitt 7, 15-17 über die Tätigkeit Samuels als Richter von dem übrigen Bestand des Kapitels ab. Die Nachricht von den jährlichen Besuchen des Samuel in Bethel, Mizpa und Gilgal beruht offenbar auf einer alten Samuel-Tradition 4 ; wenn aber schon die Ortsnamen aus einer älteren Samuel-Tradition stammen, dann ist es 1 HERTZBERG (ATD 10 z. St.) rechnet mit der Möglichkeit, daß ein Versuch der Philister, sich des ihnen unheimlichen Samuel zu bemächtigen, ebenso fehlgeschlagen sei wie ihr Unternehmen gegen die heilige Lade und deshalb der Befreiung vom Druck der Philister »solange Samuel lebte« 7, 15 eine »prägnante historische Bedeutung« zukommen könne. Doch diese Vermutung scheitert an dem unmißverständlichen Widerspruch der oben genannten Stellen. • So auch NOTH bezüglich der Nennung der Ortsnamen; aaO S. 56 Anm. 6.
1. Samui'l 7
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naheliegend, daß auch die damit verbundene Nachricht über die dortige Tätigkeit Samuels als Richters Israels dieser Tradition zuzuweisen ist, und dasselbe auch von der Nachricht über Samuel in Rama 7, 17 zu gelten h a t N a c h d e m schon NOTH mit der Möglichkeit einer älteren Überlieferung über eine »rechtsprechende Tätigkeit Samuels« gerechnet hat, mehren sich neuerdings die Stimmen derer, die den geschichtlichen Samuel als Träger des Amtes der sog. Kleinen Richter beurteilen 2 . Es bleibt zu erwägen, ob nicht gewisse Traditionen über dieses Amt vorliegen, das dem Samuel zum mindesten als Anknüpfungs- und Ausgangspunkt seiner Tätigkeit in der Zeit der Philister-Not gedient haben könnte, wenn auch mit einem solchen Amt der gesamte Tätigkeitsbereich des Samuel kaum umschrieben sein dürfte (s. u.).'Als Übernahme einer alten Tradition erklärt sich die auffallende und nachdrückliche Hervorhebung der Richtertätigkeit Samuels in 1. Sam 7, 6. 15. 16. 17 jedenfalls besser als bei NOTH, der darin lediglich eine Fiktion des Deuteronomisten erkennen will, die »nur von dem durch den Deuteronomisten eingeführten Schema für die Richterzeit aus verstanden werden kann« 3 . Die Gründe, die NOTH für seine Auffassung beibringt, sind nicht zwingend: Daß sich die Richtertätigkeit Samuels auf »Israel« erstreckte, nötigt keineswegs zur Annahme einer unmittelbaren Beziehung zu dem sog. deuteronomistischen Richterschema, sondern ist von der Tatsache aus zu verstehen, daß das Richteramt ein amphiktyonisches Amt des gesamten Stämmeverbands gewesen ist. Und die kaum erfundene Überlieferung, nach der Samuel seine Söhne in Beerseba zu »Richtern über Israel« eingesetzt hat 8, 1 f. (vgl. 12,2) 4 , setzt voraus, daß er selbst Träger dieses Amtes gewesen war, das die Belange von Gesamt-Israel zu vertreten hatte. Gleichzeitig deutet diese Maßnahme auf Befugnisse Samuels hin, die über das hinausgehen, was aus den Listen der sog. Kleinen Richter über die Amtsnachfolge zu erschließen ist. Daß das Auftreten des Samuel in den verschiedenen Samuel-Traditionen fast durchweg im Rahmen von Versammlungen von ganz Israel oder seinen Vertretern dargestellt ist, wird demnach auf geschichtlich zuverlässige Tradition zurückgehen, zu deren Verständnis es nicht erst des Rückgriffs auf das sog. deuteronomistische Richterschema bedarf. Da außer den dürftigen Listen der Kleinen Richter in Ri 10, 1 - 5 ; 1 Daß Letzteres vom Deuteronomisten aus 1. S a m 1, 19; 2, 11 entnommen sein soll (so NOTH aaO), läßt sicli nicht beweisen; wahrscheinlicher ist, daß R a m a als die Heimatstadt Samuels an allen drei Stellen auf alter luverlässiger Tradition beruht. Vgl. dazu 1. S a m 25, 1 • So HERTZBERG, T h L Z 79 (1954), Sp. 285 ff.; VON RAD, Theologie des Alten Testaments I, 1958, S. 42; W'ILDBEHGER, Th7„ 15, 1957, S. 465 ff. 3
A a O S . 5 5 A n m . 3.
4
V g l . d a z u N O T H n a < ) S . 56 A n m . 7.
1. Samuel 7
11
12, 7-15 keine weiteren Angaben über die Stellung und Funktionen des Richteramts zur Verfügung stehen und wir dabei lediglich auf Vermutungen angewiesen sind 1 , erhebt sich die Frage, ob nicht gewisse Züge der Samuel-Überlieferung den Rahmen erkennen lassen, in dem sich die Tätigkeit Samuels als Richters »Israels« entfaltet hat. NOTH wird darin recht haben, daß nicht die gewöhnliche Rechtsprechung, die in den Händen der Sippenältesten lag, zu den Rechten und Pflichten des Richteramts gehört habe, sondern die Verwaltung und Verkündigung des Gottesrechts am Zentralheiligtum des sakralen Stämme Verbands. In dieser Richtung-wird wohl auch die Richtertätigkeit Samuels, von der in 1. Sam 7 die Rede ist, zu vermuten sein; nur mit dem Unterschied, daß nach dem Verlust der heiligen Lade und der wahrscheinlich in Verbindung damit erfolgten Zerstörung des Zentralheiligtums von Silo eine Anpassung sm die veränderte Lage erforderlich wurde. Aus dieser Lage erklärt sich, daß Samuel seine Richtertätigkeit an den lokalen Heiligtümern von Bethel, Gilgal und Mizpa, die er in jährlichem Turnus aufsuchte, und in seiner Heimat Rama ausgeübt hat (1. Sam 7, 15-17). Wenn nun im Rahmen dieser Überlieferung von einem Altarbau Samuels in Rama die Rede ist (7, 17), so geht auch dieser Zug wohl auf die alte Tradition zurück; denn aus formalen und sachlichen Gründen empfiehlt es sich nicht, diese Bemerkung, auf die nirgends mehr Bezug genommen wird, aus ihrem Überlieferungszusammenhang herauszulösen und als deuteronomistische Erfindung beiseite zu schieben. Dann aber ist die Schlußfolgerung kaum zu umgehen, daß der Tätigkeitsbereich des Samuel auch auf das Gebiet des Jahwe-Kultes sich erstreckt hat. Auf Samuels Beziehungen zum Jahwe-Kultus weisen auch andere Nachrichten, die, da sie in ganz verschiedenen literarischen und traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen überliefert sind, nicht in Bausch und Bogen als spätere Ausmalungen des Samuel-Bildes angesehen werden und vom Historiker unbeachtet bleiben dürfen: Die volkstümliche Legende 1. Sam 9, 13. 22 ff. berichtet von Samuels Funktionen am lokalen Heiligtum in einer Szene, die ihn als kultische Autorität noch deutlich erkennen läßt: Die einzelnen Vorbereitungen des gemeinsamen Mahls mit den geladenen Gästen, die Segnung des Opfers als der rituelle Akt, der das Mahl einleitet, werden hier dem Samuel zugeschrieben. Und in 1. Sam 15, 35 vollzieht Samuel eigenhändig den Bann an dem gefangenen Amalekiter-König Agag »vor Jahwe« an der heiligen Stätte von Gilgal. Wenn auch die relativ junge Jugendgeschichte Samuels 1. Sam 1-3 mit novellistisch-legendarischen Zügen ausgestattet ist. so 1
Vgl. NOTH, Geschichte Israels«, S. 98f.
12
1. Samuel 7
wird doch die Tatsache, daß sie den Samuel mit der am Zentralheiligtum des Stämmeverbands in Silo gepflegten Tradition des Jahwe-Bundes in Verbindung bringt, nicht völlig aus der L u f t gegriffen sein 1 ; sie deutet vielmehr darauf hin, daß man nicht ohne G r u n d in Samuel den Hüter der einstigen Jahwe-Kult-Tradition gesehen hat. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt aber auch der kultische Rail men, in den das Auftreten Samuels während der Philister-Not in 1. Sam 7, 3ff. eingebettet ist, an historischem Gewicht. Zwar nicht in dem Sinne, daß diese Darstellung im einzelnen berichten würde, wie es gewesen ist - es handelt sich ja nicht u m eine eigentliche Geschichtserzählung - , wohl aber in der Weise, daß dieser kultische R a h m e n und damit auch gewisse Elemente der Darstellung stärkere Beachtung und traditionsgeschichtliche W ü r d i g u n g verdienen, als mein ihnen bisher hat zuteil werden lassen. Was sich oben aus rein literarkritischen Erwägungen ergeben hat, daß die Erzählung von Samuels Philister-Sieg nicht erst eine Erfindung des sog. Deuteronomisten ist, wird hier von der Sache h e r bestätigt. Wenn, wie N o r a * meint, der Verfasser den Samuel als den letzten Richter in Analogie zu dein deuteronomistischen Richterschema hätte zeichnen wollen, wonach zu dem Richter die »große Rettertat« gehörte, so hätte es dazu weder des kultischen Rahmens der Erzählung und noch viel weniger der konkreten rituellen Einzelzüge bedurft, mit denen die Erzählung in 7, 6. 9f. ausgestattet ist. Z u d e m ist es ganz unwahrscheinlich, daß ausgerechnet ein Verfasser deuteronomistischer H e r k u n f t den sonst nirgends im Alten Testament bezeugten Ritus der Wasserlibation vor Jahwe (7, 6) und das Ganzopfer eines Milchlammes (7, 9f.) aim Heiligtum von Mizpa aus freien Stücken zu diesem Zweck hier eingeführt haben sollte. Überdies ist die Rolle, die Samuel hier spielt, k a u m vergleichbar mit den Rettertaten der Großen Richter. Seine Tätigkeit beschränkt sich auf die E r m a h n u n g des Volkes zur Buße und auf den Vollzug des Opfers und die Fürbitte f ü r Israel in der von i h m einberufenen Kultversammlung zu Mizpa. Auch die Vorstellung von Samuel als Fürbitter kann nicht als freie Schöpfung des sog. Deuteronomisten angesprochen werden; in Jer 15, 1 besitzen wir einen Anhaltspunkt f ü r das relative Alter dieser Tradition; sie ist dort als eine bereits um die Wende vom 7. zum 6. J a h r h u n d e r t bekannte Überlieferung vorausgesetzt, wird aber vermutlich in noch f r ü h e r e , vor allem vordeuteronomistische Zeit hinaufreichen. Wenn sich nach allem die Erklärung von 1. Sam 7 als freies literarisches Produkt des sog. Deuteronomisten nicht empfiehlt, dann gewinnt die Frage nach der 1
Vgl. E.
AUERDACH,
Wiiste und gelobtes Land, 1, (1932), S. 178;
BRINK, Z A W 5 8 ( 1 9 4 0 / 4 1 ) , S . 6 6 f . ; W I L D B E R G E R a a O S . + 6 + A n m .
* Überlieferungsgesch. Slud. S. 55.
52.
MÖHLEN-
1. Samuel 7
13
Herkunft bzw. nach dem Sitz im Leben der dort auftauchenden Traditionen neues Gewicht. Dabei möge das literarische Problem, ob und wieweit 1. Sam 7 einem größeren Erzählungszusammenhang zugehört, den ζ. B . BUDDE 1 und EISSFELDT 1 dem Elohisten zuweisen, auf sich beruhen, da ihm nur von der Gesamtkomposition der Samuel-Bücher her nachgegangen werden kann. Wir beschränken uns auf den Überlieferungsbestand von 1. Sam 7. Man hat schon immer auf den predigtartigen oder erbaulichen Charakter der Darstellung der Philister-Schlacht hingewiesen; das ist jedoch nur insoweit richtig, als wir es nicht mit einem reinen Geschichtsbericht zu tun haben, sondern mit einer Erzählung, in der gottesdienstliche Interessen und Motive stärker zu Worte kommen als die historischen Einzelheiten und Ausblicke. Die Überlieferungsform der Erzählung weist auf den Jahwe-Kult als den Ort ihrer Entstehung und Pflege. Von dort her sind auch die einzelnen Traditionselemente wie die Entfernung der fremden Götter, die Bußriten mit Sündenbekenntnis sowie Samuels Opfer und Fürbitte zu verstehen. Sie spiegeln ähnlich wie in Jos 24 die Art wider, wie man die gottesdienstliche Feier im Jahwe-Bund sich vorstellte und wohl auch zu begehen pflegte. Die Rolle, die dabei Mizpa und die übrigen in der Nähe zu suchenden Ortsangaben einschließlich des ätiologischen Motivs vom »Stein der Hilfe« spielen, legt die Annahme nahe, daß diese Traditionen an dem dortigen Jahwe-Heiligtum beheimatet waren. Die Darstellung der einzelnen rituellen Begehungen und der typisch »heilsgeschichtliche« Stil 3 der Schlachtentscheidung, die durch den unmittelbaren Eingriff Jahwes herbeigeführt wird, sind weniger als erbauliche Predigt denn als Rekapitulation, d. h. Aktualisierung der göttlichen Heilstat im gottesdienstlichen Rahmen zu verstehen und verraten noch deutlich genug den kultischen Mutterboden dieser Art Traditionsbildung. Über das Alter solcher in Mizpa heimischen Tradition enthält die Erzählung keine direkte Angabe. Nach Ri 20, 1 - 3 ; 21, 1. 5. 8 scheint das Heiligtum von Mizpa schon in der Richterzeit Versammlungsort des sakralen Stämmebundes gewesen zu sein. Die in verschiedenen Zusammenhängen überlieferte Verbindung Samuels mit diesem Ort (7, 5. 16; 10, 17) wird wohl auf seine dortige Tätigkeit zurückgehen, die kaum ohne Beziehung zu der amphiktyonischen Vergangenheit dieses Heiligtums vorstellbar ist. Angesichts der schweren Krise, in welche der israe1 K o m m e n t a r z. St. * Die Komposition der Samuelbücher, S. 6, und: Geschichtsschreibung i m Alten T e s t a m e n t , 1 9 + 8 , S. 30fF., Einleitung in das Alte T e s t a m e n t » , 1 9 5 6 , S. 5 2 6 f f . « Vgl. dazu WEISER, Z A W 71 ( 1 9 5 9 ) , S. 8 9 .
14
1. Samuel 7
litische Stämmebund durch den Verlust seines Zentralheiligtums in Silo geraten war, bestand die nächstliegende Aufgabe für einen Mann in verantwortlicher Stellung darin, dem drohenden inneren und äußeren Zerfall des Stämmeverbandes entgegenzutreten und das Erbe des JahweGlaubens und seiner Ordnungen zu retten und, was davon zu retten war, unter den veränderten Verhältnissen zu neuem Leben zu wecken. Dem entspricht, was in 1. Sam 7 über die Tätigkeit Samuels berichtet wird. Nach 7, 2 f. ist das öffentliche Auftreten Samuels durch die Glaubenskrise veranlaßt, die die Niederlage gegen die Philister in Israel heraufbeschworen hatte. Der auffallend starke Ausdruck »sie hielten Totenklage hinter Jahwe her« braucht nicht zu befremden, wenn man diese Trauer auf den Verlust der heiligen Lade bezieht 1 , der im Glauben des Volkes dem Verlust seines göttlichen Helfers gleichkam und zur Folge hatte, daß man sich anderen Göttern zuwandte. Daß die Mahnung Samuels, die fremden Götter abzutun und Jahwe allein zu dienen (7, 3) a n diesem entscheidenden Punkt der Glaubenskrise einsetzt, fügt sich reibungslos in die historische Lage und bedarf nicht erst der Heranzieh u n g des sog. deuteronomistischen Schemas des Richterbuches zur Erklärung. Schon im Debora-Lied ist der Abfall Israels zu anderen Göttern in Verbindung mit dem Verlust der Wehrhaftigkeit und Sicherheit des Stämmeverbandes gerügt (Ri 5, 6-8). Hier wie dort handelt es sich offenbar u m ein wesentliches Anliegen der Jahwe-Religion, das schon frühzeitig in ihrer Kulttradition praktiziert worden ist a . Da das Motiv der Entfernung der fremden Götter in 1. Sam 7 unvermittelt, d. h. ohne daß zuvor über den Abfall Israels zu diesen Göttern berichtet wird, eingeführt ist, ist auch für 1. Sam 7 anzunehmen, daß die Darstellung an diese vorausgesetzte Kulttradition sich anschließt. Möglicherweise spiegelt sich in dem merkwürdigen Umstand, daß die in 1. Sam 7 nicht lokalisierte Szene der Entfernung der fremden Götter von der nach Mizpa einberufenen Versammlung getrennt ist, noch eine Erinnerung daran, daß dieser Ritus ursprünglich an dem Heiligtum von Sichern haftete s . Und der T r e n n u n g der beiden Versammlungen könnte die dem ersten Gebot des Dekalogs entsprechende Auffassung zugrunde liegen, daß der Akt der Entfernung der fremden Götter streng geschieden bleibt von dem durch die Gegenwart Jahwes geheiligten Bereich der Versammlung m Mizpa.
» V g l . 'l-kab6d
1. S a m 4 , 2 2 .
« Zu dieser Kulttradition i m Debora-Lied vgl. WEISER, Z A W 71 (1959), S. 67ff. » Vgl. Jos 24, 4. 14. 2 3 f . und ALT, D i e Wallfahrt von Sichern nach B e t h e l , Kl. Schriften I, S. 8 2 f f .
1. Samuel 7
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Diese durch kultische Vorstellungen und Traditionen bestimmte Denkweise setzt sich auch in der Darstellung der Versammlung zu Mizpa fort. In 7, 5 f. wird das Motiv der Hinwendung Israels zur alleinigen Verehrung Jahwes, das in V. 4 thematisch angedeutet ist, kurz entfaltet. Die einzelnen Riten wie die analogielose Wasserlibation vor Jahwe (s. o.), das Fasten und das gemeinsame Sündenbekenntnis sind keineswegs erst ad hoc erfunden, sondern als Elemente eines schon vorgegebenen kultischen Brauchtums a n z u s p r e c h e n M a n wird demnach die Darstellung der Mizpa-Versammlung nicht n u r in dem Sinne zu verstehen haben, daß ihr Verfasser sich dafiir einer zu seiner Zeit bestehenden Kulttradition bedient hat, sondern daß die von ihm verwendeten Einzelzüge auf eine Überlieferung zurückgehen, die in frühere Zeit - möglicherweise in die Samuel-Zeit selbst- hinaufreichen. I m Sinne des Verfassers ist der die Szene abrundende Satz »und Samuel richtete die Israeliten in Mizpa« 7, 6 in die vorausgehende Darstellung mit einzubeziehen, nach der Samuel die in Frage gestellte Beziehung Israels zu Jahwe wieder in Ordnung zu bringen suchte. Insofern ist seine Rolle an dieser Stelle vergleichbar mit der des Mose in Ex 34, 9ff., und es mag nicht von ungefähr sein, daß er in Jer 15, 1 dem Mose zur Seite gestellt wird. Ob unter dem Begriff des »Richtens« hier außer dem Erzählten noch andere Funktionen Samuels im Sinne des Verfassers mit einbegriffen sind, läßt sich aus dem Text nicht unmittelbar erkennen (s. u.). Jedenfalls ist NOTH J trotz des Einspruchs HERTZBERGS i m Recht, wenn er die Aussage 7, 6 auf eine Tätigkeit des Samuel deutet, f ü r die der Begriff des Rechtssprechers nicht ausreicht. Die Frage ist n u r die, ob diese Ausdehnung der Befugnisse des Samuel auf das kultische Gebiet lediglich auf das Konto des späteren Verfassers zu setzen ist, oder ob sie nicht vielmehr auch ein diesem Punkt einer vorgegebenen Tradition folgt, die dem historischen Sachverhalt wesentlich näher steht, als NOTH annimmt. Daß das in 1. Sam 7 nachdrücklich hervorgehobene »Richten« Samuels im erweiterten, auch kultische Funktionen mit einschließenden Sinn auf ältere Tradition zurückgeht und in dieser Form der geschichtlichen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit näher kommt, als man meist zuzugestehen geneigt ist, wird nicht n u r durch die oben erwähnten verschiedenartigen Nachrichten über Samuels Beziehungen zum Kult gestützt, sondern auch durch die Erfordernisse der geschichtlichen Lage zur Zeit des Samuel zu dem Grade 1 Spuren eines Sündenbekenntnisses finden sich in Ex 54, 9; Jos 24, 19; Ri 5, 6 - 8 im Zusammenhang mit Überlieferungen aus der Feier des Jahwe-Bundes und haben sich bis in späte Zeiten hinein erhalten (vgl. N e h 9, 2. 35 ff. und die Bundeserneuerungsliturgie von Qumran). 1 AaO S. 55 Anm. 5.
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der Wahrscheinlichkeit erhoben, mit dem sich der Historiker angesichts der Dürftigkeit der zu Gebote stehenden Quellen begnügen muH. Wenn Samuel vermutlich von dem Amt des sog. Kleinen Richters ausgegangen ist (s. o.), so wird die nationale und religiöse Krise dazu geführt haben, daß ihm Aufgaben zuwuchsen, die über den sonst vielleicht enger begrenzten Tätigkeitsbereich des Kleinen Richters hinausgriffen und ihm neben den Ordnungen des »Gottesrechts« auch die Wiederbelebung der Traditionen des durch den Verlust des Zentralheiligtums gefährdeten Jahwe-Kultus zur Pflicht machten. Sowohl die jährlichen, wohl durch gewisse Festtermine bestimmten Besuche Samuels an den Heiligtümern von Bethel, Gilgal und Mizpa und sein Altarbau in Rama, als auch die in 7 , 2 - 6 dargestellte Tätigkeit Samuels ids »Richters« läßt eine solche durch die Verhältnisse bedingte Ausdehnung der Funktionen des Richteramts auf die Reorganisation der darniederliegenden Jahwe-Verehrung nach innen und außen bei Samuel erkennen und erklärt sich ungezwungen aus den geschichtlichen Erfordernissen seiner Zeit. Daß das Bild von Samuel, das die Überlieferung in Verehrung und Anerkennung seiner Bedeutung festgehalten hat, den Rahmen dessen sprengt, was wir uns unter einem Kleinen Richter vorzustellen pflegen, ist letztlich darin begründet, daß die Not der Zeit ihn über die Grenzen eines solchen Amtes hat hinauswachsen lassen zu einer Gestalt, die in der Erinnerung als der Retter in der Not lebendig geblieben ist. Ein vergleichbarer Fall, in dem die nationale und religiöse Notlage eine »Richter« gestalt über die routinemäßigen Funktionen ihres Amtes hat hinauswachsen lassen, liegt auch bei Debora vor. In Ri 4, 4. 6 ff. erscheint sie als Prophetin, in Ri 4, 5 hat sie richterliche Funktion, im Rahmen einer Kultfeier wird ihr der Würdetitel »Mutter in Israel« zugesprochen 1 . Diese verschiedenen Charakterisierungen weisen darauf hin, daß ihr Tätigkeitsbereich und ihre Bedeutung mehr umfaßte, als was mit einem der geläufigen Begriffe umschrieben werden konnte. Überhaupt wird mein gegenüber der zunehmenden Neigung, die Geschichte von den Institutionen her verstehen zu wollen, darauf achten müssen, daß dieser Maßstab für die Erfassung der großen Gestalten des Alten Testaments nicht ausreicht. Für Samuel gilt diese Betrachtung zunächst unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung und Wiederbelebung der bedrohten Ordnungen des Jahwe-Kultes an den verschiedenen lokalen Heiligtümern, an denen die Erinnerung an ihn haften blieb, und wo wie im Falle von Mizpa sich in jahwe-treuen Kreisen eine Samuel-Tradition herausgebildet hat in der Art, wie sie in 1. Sam 7, 2 ff. erhalten geblieben ist.
1
Ri 5, 7. - Vgl. W E I S E R , Z A W 71 ( 1 9 5 9 ) , S. 7 7
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Läßt sich auf diese Weise aus 1. Sam 7, 2-6. 15-17 mit einiger Wahrscheinlichkeit der Weg aufzeigen, auf dem diese Tradition über den »Richter« Samuel als den Hüter und Reorganisator der kultischen und sakralrechtlichen Belange der Jahwe-Religion entstanden und weiter überliefert wurde 1 , so ist damit die Frage nach der Stellung Samuels speziell zur Philister-Not noch nicht berührt, und die Entstehung der Überlieferung von dem sog. »Philister-Sieg« Samuels 1. Sam 7, 6-14 bedarf einer besonderen Untersuchung, da hier die Dinge auf den ersten Blick anders zu liegen scheinen als bei den Überlieferungen über die richterliche und kultische Tätigkeit Samuels. Zwar ist unter Berücksichtigung der geschichtlichen Lage und der engen Verbindung der nationalen und religiösen Krise von vorneherein anzunehmen, daß ein Mann vom Rang und der Stellung Samuels an der Philister-Not nicht achtlos vorübergehen konnte und auf die Rettung Israels aus dieser Not bedacht sein mußte, wofür ja auch der ausdrückliche Hinweis in der Geschichte von der Erwählung Sauls 1. Sam 9, 16 spricht; aber gerade diese Stelle schließt, zusammen mit anderen Überliefeningen (1. Sam 15, 5-14. i7ff.), aus, daß schon zu Lebzeiten Samuels Israel einen Sieg über die Philister von solchem Ausmaß und weitreichenden Folgen erfochten hat, wie es in 1. Sam. 7, 7-14 dargestellt wird. Es ist kein Zweifel, daß hier die Erzählung dem wirklichen Verlauf der Geschichte vorgreift und vorwegnimmt, was eigentlich erst durch die kriegerischen Unternehmungen Davids Wirklichkeit geworden ist. Dann aber ist die Frage nicht zu umgehen, wie es zu dieser Geschichtskonstruktion gekommen ist, die nicht nur anderweitiger Überlieferung, sondern auch dem historischen Sachverhalt widerspricht. Die Auskunft von NOTH, daß der Deuteronomist nach dem Vorbild der Richtergeschichten die Erzählung von der großen Rettertat Samuels auf Grund eines Analogieschlusses erfunden habe, u m damit zugleich dem Verlangen des Volkes nach einem König den Boden zu entziehen, ist nicht überzeugend; denn, abgesehen von den bereits genannten Bedenken gegen NOTHS Hypothese, unterscheidet sich die Rolle Samuels bei dem Philister-Sieg von den Rettertaten der charismatischen Richtergestalten dadurch, daß Samuel hier nicht als »Richter«, sondern lediglich als Fürbitter auftritt, der entscheidende Sieg jedoch durch den unmittelbaren Eingriff Jahwes herbeigeführt wird .Ferner: Wäre die Tendenz der Erzählung gegen das Königtum gerichtet, so wäre kaum zu begreifen, warum unter den Voraussetzungen NOTHS derselbe Verfasser in
1 Daß nach 7, 15 Samuel zeitlebens diese Funktion ausgeübt hat (vgl. 1. Sam 12, 23; 15), ist keineswegs unwahrscheinlich.
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1. Sam 8 sich dieses durchschlagende Argument gegen den Wunsch nach einem König hätte entgehen lassen. Stellen wir zunächst einmal die Beurteilung der Tendenz der Erzählung vom Philister-Sieg zurück und beschränken uns zuvor auf die Untersuchung der durch die Erzählung selbst nahegelegten Frage, wie es dazu kommen konnte, daß Samuel als Fürbitter mit der Beseitigung der Philister-Not in Verbindung gebracht werden konnte. Daß in der Gesamtkomposition des Samuel-Buches hier ein Widerspruch zu anderen Überlieferungen unausgeglichen stehen blieb, ist, wie erwähnt, am ehesten darauf zurückzuführen, daß dem Sammler eine Tradition vorlag, die zu ändern er sich nicht f ü r befugt hielt, - eine Erscheinung, die uns aus der Zusammenarbeit der verschiedenen Pentateuchschichten zur Genüge bekannt ist. Aus den verarbeiteten Ortsangaben sowie aus der Verklamm e r u n g der Darstellung mit den kultischen Traditionselementen und Funktionen Samuels dürfte auch f ü r die Erzählung vom Philister-Sieg die Kulttradition des Heiligtums von Mizpa (s. o.) als Ort ihrer Entsteh u n g und Erhaltung in Frage kommen, wo sie sich zunächst einmal unabhängig von anderen Überlieferungen entwickelt zu haben scheint. Die auffallend enge Verknüpfung der Philister-Bedrohung mit der Kultversammlung der Israeli ten in Mizpa wird, traditionsgeschichtlich gesehen, hierin ihren Grund haben. Dann aber ist die Frage dahin zu präzisieren: Wie erklärt sich die Entstehung dieser Tradition eines Sieges über die Philister, die offenkundig eine Fiktion ist, in dem oben erschlossenen Rahmen des Jahwe-Kultes am Heiligtum von Mizpa? In dieser Frage kann ein Vergleich mit Dt 32 weiterführen. Das sog. Mose-Lied ist, wie EISSFELDT 1 wahrscheinlich gemacht hat, ein Dokument, das aus der Zeit der Philister-Not stammt 2 . Es berührt sich an verschiedenen Punkten mit der Erzählung von 1. Sam 7. Über die Untersuchungen EISSFELDTS hinausgehend, der sich im wesentlichen mit der Frage der Frühdatierung des Lieds in Auseinandersetzung mit den üblichen Ansetzungen des Mose-Liedes in spätere Zeit befaßt, ist zunächst festzustellen, daß das Lied nach Form und Inhalt eine kultische Situation voraussetzt. Die verschiedenen Anredeformen an die als Jahwes Volk versammelte Gemeinschaft V. 3. 6. 7. 14. 17. 18, die Aufforderung zum JahweHymnus V. 3 f. sowie zum Nach Vollzug der Überlieferung über Jahwes Heils taten V. 7-14, der Vorwurf des Abfalls zu den fremden Göttern V. 15-18 und der Treulosigkeit V. 20 lassen diesen kultischen Hinter1 Das Lied Moses Dt 32, 1—43 und das Lehrgedicht Asaphs Pr.alm 78 samt einer Analyse der Umgebung des Mose-Liedes. Berichte über die Verhandlungen der Sachs. Akademie d. Wiss. zu Leipzig. Phil.-hist. Kl. Bd. 104, Heft 5, 1958. « Jetzt auch ALBRIGHT, Vet Test IX (1959), S. 559 ff.
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grund des Lieds noch deutlich genug erkennen. Auch die einleitende Anrufung von Himmel und Erde V. 1, die in Jes 1, 2 als Einleitung der prophetischen Gerichtsrede wiederkehrt und auf Vorstellungen beruht, wie sie sich in Ps 50, Iff.; 76, 8f.; 96, 11 ff.; 98, 7ff. in der liturgischen Poesie erhalten haben, hat ihren Sitz im Leben des Kultus 1 . Ebenso sind der Hymnus V. 3 f. und die Rekapitulation der Heilstaten Jahwes an Israel V. 8 - 1 4 kultische Traditionselemente, die nach Ausweis des Debora-Liedes (Ri 5, 5 ff. 11) in der Kultfeier des sakralen Stämmeverbands der vorstaatlichen Zeit belegt sind Von der form- und traditionsgeschichtlichen Seite her gesehen ist demnach das Mose-Lied ein Beweis dafür, daß auch nach dem Verlust des Zentralheiligtums der Lade der Jahwe-Kult nicht ganz damiederlag, sondern auch unter den veränderten Verhältnissen bestimmte Traditionen bewahrt hat. In ähnlichem Rahmen werden wir uns wohl auch die jährlichen Versammlungen vorstellen dürfen, bei denen Samuel nach 1. Sam 7, 16f an den Heiligtümern von Bethel, Gilgal, Mizpa und Rama als »Richter« Israels tätig war. Aber auch auf die beiden Versammlungen, die 1. Sam 7 in unmittelbare Verbindung mit der Philister-Not bringt, wirft D t 32 klärendes Licht insofern, als die tragenden Gedanken des Mose-Liedes sich an den entscheidenden Punkten mit dem berühren, was die Erzählung berichtet. Beide setzen die gleiche geschichtliche Situation voraus und befassen sich m i t der Glaubenskrise, die aus dieser Lage entstanden ist. Natürlich folgt die Erzählung der Hergänge in 1. Sam 7 anderen Gesetzen als die kultische Verkündigung im Lied, die die Problematik der Lage von innen her anfaßt. Aber in ihrer Tendenz, die auf die Befreiung von dem Druck der Philister-Herrschaft hinausläuft, und in der Absicht, unter diesem Blickpunkt die Glaubenskrise überwinden zu helfen, decken sich das Lied und die Erzählung: In 1. Sam 7, 3 stellt Samuel gleich zu Beginn der Versammlung die Errettung aus der Gewalt der Philister in Aussicht; in Dt 32, 2 ist diese tröstliche Absicht des Gedichts in dem Vergleich mit dem Regen und Tau zwar bildhaft umschrieben, aber doch von vorneherein angedeutet, daß das Lied auf dasselbe Ziel zusteuert. Auf dem Hintergrund der Glaubenskrise erklärt sich auch der Hymnus D t 32, 3f., wenn er gegenüber allen Zweifeln Jahwes Walten als untadelig (tamim), seine Wege als recht herausstellt und Gottes Treue ohne Falsch, seine Gerechtigkeit und Lauterkeit als das unerschütterliche Fundament des Glaubens ins Gedächtnis zurückruft; dem entspricht in der Erzählung
1
Vgl. W ü r t h w e i h , Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede, ZThK 49
( 1 9 5 2 ) , S. 1 5 A n m . 2 .
• Vgl. dazu W e i s e r aaO.
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1. Sam 7 die Aufforderung Samuels: »Macht euer Herz fest zu Jahwe!« In die gleiche Richtung weist das Grundmotiv »Jahwe allein!«, das den heilsgeschichtlichen Rückblick Dt 32, 9 - 1 4 , das Scheltwort über den Abfall V. 15-18, die Retrachtung der Philister-Not als Gottes Gericht an Israel V. 19-25 und 28-31, aber auch die Wendung zum Gericht über die Feinde und die Verheißung f ü r Israel V. 3 6 - 4 3 (besonders V. 39) beherrscht. In der Erzählung findet dieser Gedanke seinen Ausdruck in der Aufforderung, Jahwe allein zu dienen (1. Sam 7, 3) und in ihrer Befolgung V. 4 (»Sie dienten Jahwe allein«); u n d auch in dem charakteristischen Zug der Erzählung, daß Jahwe allein durch sein Eingreifen die Niederlage der Philister bewirkt (1. Sam 7, 10), klingt dieses Motiv noch nach. In beiden Stücken ist dieser theozentrische Gedanke des göttlichen Ausschließlichkeitsanspruchs verflochten m i t der Auseinandersetzung mit den fremden Göttern - WEIS hier wie dort auf eine gemeinsame Kulttradition zurückweist (s. o. u n d D t 32, 15-18. 37-39). - In solchen Zusammenhang gehört wohl auch die in 1. Sam 7, 6 beschriebene Bußzeremonie u n d das gemeinsame Sündenbekenntnis. Daß davon im Lied nicht geredet wird, ist angesichts seines kultprophetischen Charakters nicht anders zu erwarten; aber daß die heilsgeschichtliche Betrachtung der Heilstaten Jahwes V. 9-14, des Abfalls des undankbaren Volkes zu den fremden Göttern V. 15-18 und des darauf erfolgten Zornesgerichts Jahwes V. 19-26 daraufhin angelegt ist, das Volk zur Erkenntnis seiner Sünde und zur Ruße zu rufen, kann kaum bezweifelt werden, so daß auch f ü r diesen P u n k t eine Verwandtschaft zwischen Erzählung und Lied angenommen werden darf. Dann aber legt sich die Vermutung nahe, daß der die Bußzeremonie kurz zusammenfassende Satz: »Samuel richtete die Söhne Israels in Mizpa« (1. Sam 7, 6) eine Tätigkeit Samuels im Auge hat, die wir uns nach Analogie der kultprophetischen Verkündigung von Dt 32 im einzelnen vorstellen dürfen 1 . D a ß dabei neben den spezifisch richterlichen und kultischen Funktionen Samuels (s. o.) eine gewisse prophetische Tätigkeit für ihn Einzunehmen ist, erscheint keineswegs unmöglich; weiß doch die Überlieferung sonst von seiner prophetischen Aufgabe als Fürbitter 1. Sam 7, 5. 8 f.; 12, 23, und auch die eindeutige Charakterisierung Samuels als Jahwe-Prophet 1. Sam 3, 20 f. wird kaum
1 EISSFELDT (aaO S. 42) erwagt unter ganz anderen Gesichtspunkten die Möglichkeit, daß Samuel selbst der Verfasser von Dt 32 sein könnte; das ist zwar, wie EISSFELDT selbst betont, eine reine Hypothese, die literargeschichtlich vielleicht nie zu beweisen ist; ganz ausgeschlossen ist sie jedoch nicht. Jedenfalls zeigt der traditions- und kultgeschichtliche Vergleich von Dt 52 mit der Überlieferung von 1. Sam 7, daß hier eine gemeinsame Tradition zugrunde liegt, die vermutlich in denselben Kreisen der Anhänger Samuels in Mittelpaliistina sich erhalten hat.
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aus der Luft gegriffen sein. Überhaupt wird man sich hüten müssen, für die alte Zeit und besonders im Blick auf die außergewöhnliche Lage und ihre besonderen Aufgaben, die einem Manne von der Bedeutung Samuels gestellt waren, die Grenzen zwischen richterlicher, kultischer und prophetischer Funktion zu scharf zu ziehen und die Tätigkeit des Samuel nur auf eine dieser Funktionen beschränken zu wollen. Den verschiedenen Charakterisierungen Samuels scheinen mehr richtige Erinnerungen zugrunde zu liegen, als man unter der neuerdings üblich gewordenen Überbewertung des institutionellen Elements ihnen zuzugestehen geneigt ist. Die Verbindung Samuels mit einem Sieg über die Philister wird wohl auf eine Tradition zurückgehen, nach der Samuel in ähnlicher Weise, wie das in Dt 32 geschieht, Jahwes Gericht über die Philister prophetisch angekündigt hat. Insoweit dürfte der Bericht 1. Sam 7, 2-9 eine geschichtlich richtige Erinnerung bewahrt haben. In diesem Zusammenhang ist nämlich nicht zu übersehen, daß die Erzählung über den Philister-Sieg den Anteil Samuels beschränkt auf seine richterliche, kultische und prophetische Funktion, dagegen nichts berichtet von seiner persönlichen Beteiligung am Kampf, der von Jahwe allein entschieden wird. Diese im Rahmen des Ganzen immerhin auffallende Beschränkung der Tätigkeit Samuels ist wohl ein Zeichen dafür, daß eine ältere SamuelTradition zugrunde liegt, die, was die Rolle Samuels in der Philister-Not betrifft, die Grenzen des geschichtlich Möglichen und Wahrscheinlichen nicht überschritten hat. Mit der kurzen Bemerkung 1. Sam 7, 9: »Da erhörte ihn Jahwe«, kommt die Samuel-Erzählung zu einem gewissen Abschluß; und hier scheint auch das ursprüngliche Ende der auf ältere Tradition zurückgehenden Erzählung gewesen zu sein 1 . Was weiter über die PhilisterSchlacht und deren Folgen erzählt wird, ist demgegenüber traditionsgeschichtlich sekundärer Zuwachs, der sich unter Benützung von lokalen Überlieferungen (V. 11. 12) aus der vorhandenen Kulttradition herausgesponnen hat Die in die Zukunft weisende Andeutung der Erhörung Samuels am Ende von V. 9 mußte geradezu eine Ergänzung nach sich ziehen durch einen Bericht darüber, wie diese Erhörung erfolgt ist. Auf diese Weise scheint aus der Ankündigung des bevorstehenden Gottesgerichts über die Philister die Fiktion des erfolgten Philister-Siegs entstanden zu sein, die dadurch noch verständlicher wird, daß nach alttestamentlichem Glauben der in prophetischer Vollmacht verkündeten Verheißung Samuels 1. Sam 7, 4 (vgl. Dt 32, 34ff.) die Macht ihrer Ver1
V g l . BUBER, Vet. T e s t . V I ( 1 9 5 6 ) , S . 1 1 8 .
* Auch der den Kampfbericht einleitende V. 7 ist diesem Zuwachs zuzurechnen.
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wirklichung innewohnte. Auch diese sekundäre Umwandlung der verheißenen zur erfolgten Befreiung von der Philister-Herrschaft wird ihren Sitz am Heiligtum von Mizpa gehabt haben (s. u.). Darauf deutet die Ätiologie des »Steins der Hilfe«, der nach V. 12 in der Nähe von Mizpa zu suchen ist und wohl relativ frühzeitig mit der dortigen Samuel-Tradition in Verbindung gebracht wurde 1 . Die Darstellung der entscheidenden Niederlage der Philister ist nicht im Stil einer Geschichtserzählung, sondern nach der Art heilsgeschichtlicher Perspektive verfaßt, wobei Jahwe selbst unmittelbar in das irdische Geschehen eingreift und als der eigentliche Gegner der Philister erscheint. Diese ins Mythologische übergreifende Betrachtungsweise mit ihrer Anspielung auf die Epiphanie Jahwes in seiner Donnerstimme, die die Niederlage als Gottes Gericht über seine Feinde (vgl. Dt 32, 40ff.) heraustreten läßt, hat ihren Sitz im Bereich kultischer Traditionsbildung', so daß auch für die sekundäre Ausweitung der älteren Samuel-Tradition von der Verheißung zur Verwirklichung der Befreiung von den Philistern der Jahwe-Kult am Heiligtum von Mizpa als Ort der Entstehung und Pflege in Frage kommt. Bei der Frage nach der Entstehung dieser den geschichtlichen Hergang vorwegnehmenden Fiktion wird man von ihrer Tendenz ausgehen müssen. Daß hier dem Samuel zugeschrieben wird, was in Wirklichkeit erst dem David gelang, verrät eine Spitze gegen Davids kriegerischen Erfolg, dessen Bedeutung dadurch herabgemindert werden soll, daß hier schon Samuel als der eigentliche Befreier aus der Philister-Not gefeiert wird. Der Terminus a quo für die Entstehung einer solchen Tradition dürfte damit in der Zeit nach Davids Philister-Siegen zu suchen sein; ein Terminus ad quem läßt sich nicht bestimmen; doch nötigt nichts, damit in allzu späte Z.eit hinabzugehen. Eine derartige Frontstellung gegenüber David ist in dem mittelpalästinischen Heiligtum von Mizpa nicht undenkbar; mußte doch die Tatsache, daß David die heilige Lade, das einstige Zentralheiligtum des sakralen Stämmeverbands, nach Jerusalem überführt und zu seinem Hofheiligtum gemacht hatte, in den jahwe-
1 Daß der Name 'eben ha 'eser und seine Deutung auf den Philister-Sieg erst vom Deuteronomisten s t a m m e (so NOTH aaO S. 56 Anm. 5), ist nicht zu b e weisen; aus der Tatsache, daß der in seiner Bedeutung keineswegs singulare N a m e nach 1. S a m 4, 1; 5, 1 auch an anderen Orten haftete, kann dies jedenfalls nicht erschlossen werden. E h e r muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß ein derartiger Name als Bezeichnung verschiedener Orte gedient hat. Innerhalb der Samuel-Tradition gewinnt dieser Name im Blick auf den Ort der unheilvollen Niederlage (4, 1; 5, 1) seine besondere Prägnanz dadurch, daU er sinnfällig die Wendung zum Heil bezeugt, die auf Samuel zurückgeführt wird.
• V g l . V . 1 5 b , f e r n e r W E I S E R , Z A V V 7 1 ( 1 9 5 9 ) , S . 9 0 f . ; s. o .
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treuen Kreisen der nördlichen Stammesgebiete Befremden erwecken 1 , und der Aufstand Sebas mit der Losung: »Wir haben keinen Erbteil an David, dem Sohne IsaisI Jeder zu seinen Zelten, Israel!« (2. Sam 20, 1), die bis in die Zeit nach Salomos Tode unvergessen blieb (1. Kön 12, 16), ist Beweis genug dafür, daß in Nord-Israel gegen Davids Dynastie gerichtete Strömungen lebendig waren, auf deren Boden eine derartige tendenziöse Traditionsbildung aufkommen konnte, wie sie in 1. Sam 7, 10-14 vorliegt. Die plerophorische Abrundung der Erzählung in 1. Sam 7, 14, daß Israel in den Besitz der ganzen philistäischen Küstenebene von der nördlichsten bis zur südlichsten Stadt gelangte * und damals Friede zwischen Israel und den Amoritern herrschte, unterstreicht diese Tendenz noch einmal in ihrer Weise. Will man darin eine gegen das Königtum gerichtete Tendenz erblicken, dann gewiß nicht in dem Sinne, in dem in Kp. 8 davon die Rede ist, wo mit keinem Wort darauf Bezug genommen ist (gegen NOTH), sondern in dem Sinne, daß gegenüber dem Königtum der Davidischen Dynastie die Befreiung aus der Philister-Not der Autorität und Vollmacht des Samuel zugeschrieben wurde, was im Süden als das Ruhmesblatt Davidischer Kriegskunst galt. Gewiß ist eine solche Traditionsbildung als Fiktion zu beurteilen, die dem äußeren Hergang der Ereignisse widerspricht; auf die tieferen Zusammenhänge gesehen, haftet ihr jedoch ein gewisses Wahrheitsmoment insofern an, als hier die Bedeutung Samuels erkannt und festgehalten ist, der in der Glaubenskrise der Philister-Not als Richter und Prophet zugleich die Voraussetzungen geschaffen hat, daß auf dem Boden einer neu gefestigten Jahwe-Tradition diese Krise von innen und schließlich nach einigen Fehlschlägen 8 auch von außen her überwunden und vom Jahwe-Glauben verstanden werden konnte. Die Hochschätzung und Verehrung Samuels, von der die Traditionen nord-israelitischer Herkunft in 1. Sam 7 getragen sind, läßt etwas durchblicken von der Bedeutung, die das wohl von Samuel ausgehende und auf ihn sich stützende prophetische Element im Nordreich sich bewahrt hat, wo es stärker als im Süden auf die Struktur und Geschichte des Königstums Einfluß gewann. Daß man aber auch in der judäischen Überlieferung der überragenden Bedeutung Samuels als Propheten die gebührende Anerkennung nicht versagt hat, beweist die verhältnismäßig junge Erzählung von der Erwählung und Salbung Davids durch Samuel 1. Saun 16, 1-13, die dort 1 Ps 132, 1—3 scheint auf solche Spannungen hinzudeuten; Tgl. WEISER, Psalmen, i. St. 1
V g l . B U D D E , Z. S t .
3
Vgl. S. 76 IT.
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kaum entstanden wäre, wetin Samuel nicht wirklich in der PhilisterKrise die hervorragende Gestalt gewesen wäre, die das Erbe der JahweTradition in die neu einbrechende Epoche der Geschichte Israels hinübergerettet und in einer Weise zur Geltung gebracht hätte, die sich in der, wenn auch bruchstückhaften, Tradition über ihn in verschiedenen Farben widerspiegelt.
S a m u e l und die Vorgeschichte des israelitischen K ö n i g t u m s 1. Samuel 8
Obwohl und doch auch gerade weil wir mehrere Überlieferungen über die Entstehung des israelitischen Königtums besitzen, ist es der Forschung erschwert, ein zutreffendes Rild von den geschichtlichen Hergängen und der Rolle zu gewinnen, welche die beteiligten Personen dabei gespielt haben. Man hat zwar durch Aufspaltung der Erzählungen in eine ältere sog. königsfreundliche und eine jüngere »königsfeindliche« Erzählungsreihc — die seit WELLHAUSEN 1 fast unbestritten als literarische Grundlage von l . S a m 7 - 1 2 gilt — geglaubt, die historische Frage dahin vereinfachen zu können, daß man lediglich die erstere - 1. S a m 9, 1 bis 10, 16 und 11, 1 - 1 5 — als Quelle für die Gewinnung des Geschichtsbildes herangezogen hat, dagegen die zweite - l . S a m 7, 1 - 8, 22 und 10. 17 bis 2 7 a und 12, 1 - 2 5 - als nach Gedankengut und Tendenz den Ereignissen fernerstehend beiseite schob. Aber auch damit war nicht allzuviel gewonnen. D e n n trotz der nicht zu verkennenden Bemühung des Sammlers, das Ganze einem zeitlichen und sachlichen Rahmen einigermaßen einzuordnen, gestattet es die Eigenart der auf diese Weise iibriggebliebenen Stücke nicht, den geschichtlichen Ablauf einfach aus ihnen abzulesen; sie hat die Möglichkeit verschiedenartigster Ausdeutungen olfengelassen, so daß z. 15. A L T 2 auf eine Rekonstruktion des geschichtlichen 1 lergangs aus den Quellen von vorneherein verzichtet und sich mit der 1 lerausarbeitung der göttlichen Designation des Königs und seiner Akklamation durch das Volk als der für das israelitische Königtum grundlegenden Elemente begnügt. In der Tat läßt sich auch von der sog. älteren Erzählungsreihe nicht behaupten, daß sie ein klares Rild der geschichtlichen Z u s a m m e n h ä n g e bewahrt hätte; sie setzt sich vielmehr zusammen 1 C o m p o s i t i o n des H e x a t e u c h \uid der historischen B ü c h e r des Alten Testaments ' (18.99), S. 2 5 9 IT. 2 O i e S t a a t e n b i l d i m g d e r Israeliteii in Palästina ( 1 9 3 0 ) , S. 201T. • ; Kl. S c h r i f t e n zur G e s c h i c h t e des Volkes Israel II (195">), S. 1 5 IT.
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aus nach Herkunft, Gattung, Einsatzpunkt und Zielsetzung ganz verschiedenartigen Einzelüberlieferungen, die sich keineswegs reibungslos zu einem Gesauntbild zusammenfügen, das einige geschichtliche Wahrscheinlichkeit beanspruchen könnte. Angesichts dieses Befunds ist der Forschung die Aufgabe gestellt, hinter die literarkritische Quellenscheidung zurückzugreifen und zunächst der Eigenart und Sonderstellung der einzelnen Überlieferungen Rechnung zu tragen, ehe die Möglichkeit ihrer geschichtlichen Auswertung ins Auge gefaßt werden k a n n l . Diesen Weg hatte schon GRESSMANN beschritten und gelangte, hauptsächlich gestützt auf l . S a m 11, zu dem radikalen Ergebnis, daß Samuel ursprünglich Ein der Entstehung des israelitischen Königtums überhaupt nicht beteiligt gewesen sei 2 , worin er neuerdings in S O G G I N einen Nachfolger gefunden hat 3 . Für den merkwürdigen Tatbestand jedoch, daß sämtliche übrigen Traditionen - auch 11, 12 ff. und selbst die sog. königsfeindliche Reihe - dem Samuel eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Königtums zuweisen, hat GRESSMANN allerdings keine befriedigende Erklärung. Daß die verschiedenen Traditionen trotz ihrer Mannigfaltigkeit an diesem Punkt einig gehen, deutet doch wohl darauf hin, daß die Beteiligung Samuels an der Errichtung des israelitischen Königtums auf historische Erinnerung zurückgeht und nicht erst nachträglicher Legendenbildung ihren Ursprung verdankt. Angesichts der Unmöglichkeit, auf literarkritischem Wege allein über die Geschichtlichkeit der dargestellten Vorgänge zu entscheiden, ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, die Sonderüberlieferungen jener Erzählungsreihe einer näheren Prüfung zu unterziehen, die man dein »jüngeren« Erzählungsfaden zuzuweisen pflegt; da jedenfalls die Möglichkeit, daß auch in ihm ältereTraditionen verwertet worden sind, nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann. Auch hierfür wird gelten, was z.B. für die jüngste Schicht des Pentateuch heute allgemein anerkannt ist. Denn, ganz gleichgültig, ob man mit BUDDE4 und EISSFELDT6 die sog. königsfeindliche Schicht dem Elohisten, oder mit NOTH® einem um die Mitte des 6. Jahrhunderts lebenden »deuteronomistischen« Verfasser zuschreibt, trägt in der Tat auch diese Quelle noch deutlich Merkmale einer Komposition aus Traditionen verschiedener Herkunft und 1 Darauf lial ALT, aaO, S. 19, Anm, 4 ( = Kl. Sehr. II, S. 1+, Anm. 5) wieder mit Recht hingewiesen. « Die Schriften des Alten Testaments 2, 1. Bd. ( « 1921), S. 56. +5 f. » T h Z 15 (1959;, S. 406. * Die Bücher Samuel, KHG (1902). * Die Komposition der Samuelbücher (1951), S. 6 f . * Überlieferungsgeschichtliche Studien I (1945), S. 541Ϊ.
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Eigenart, die jeweils eine gesonderte Untersuchung und Auswertung erforderlich machen, wobei es sich erst noch zeigen muß, ob und inwieweit die übliche Ausscheidung dieser Erzählungsreihe für die Rekonstruktion des Geschichtsbilds berechtigt ist oder nicht. Ausgangspunkt und Hauptargument für die Beurteilung von l.Sam 7 - 8, 22 und 10, 17-27a und 12 als literarischer Einheit und zugleich Grund für die Bedenken gegen ihre Verwertbarkeit für eine Rekonstruktion der Entstehung des israelitischen Königtums ist die sog. königsfeindliche Tendenz, die angeblich die genannten Stücke untereinander verbindet und sich damit in Widerspruch setzt zu der positiven Beurteilung des Königtums Sauls in der sog. königsfreundlichen Traditionsreihe. Man hat diese sog. königsfeindliche Tendenz bisher fast edlgemein so verstanden, daß es sich dabei um die grundsätzliche Ablehnung des gesamten Königtums handle, die der späte Verfasser der Erzählungsreihe aufgrund schlimmer Erfahrungen mit dem Königtum dadurch zum Ausdruck bringe, daß er den Samuel (entgegen dem historischen Sachverhalt) zum Wortführer seiner eigenen Gegnerschaft gegen das Königtum gemacht und das Volksbegehren nach einem König als gegen das Königtum Jahwes gerichtet verurteilt habe Aber das ist die Frage, ob dieser in der Hauptsache literarkritische Erklärungsversuch und seine einzelnen Voraussetzungen das einzig mögliche oder auch nur wahrscheinliche Verständnis der verschiedenen Überlieferungen darstellt, und einer erneuten Überprüfung des Überlieferungsbestands, die im folgenden versucht werden soll, standzuhalten vermag. Schon die Einbeziehung von 1. Sam 7 in die sog. königsfeindliche Erzählungsschicht, die am energischsten von NOTH 2 vertreten wurde, erweist sich als unhaltbar 8 . Von einer Ablehnung des Königtums ist in l.Sam 7 überhaupt nicht die Rede; anderseits läßt l.Sam 8 jede Bezugnahme auf Kap. 7 vermissen, die nicht fehlen dürfte, wenn N O T H mit seiner Annahme im Recht wäre, daß der Deuteronomist in beiden Kapiteln seiner königsfeindlichen Einstellung freien Ausdruck verschafft habe. Vielmehr enthält l.Sam 7 - neben einer sekundären Ausweitung 1 Dabei mag es zunächst auf sich beruhen, ob man mit BUDDE an eine V e r wandtschaft mit den gegen das nordisraelitische Königtum gerichteten W o r t e n des Hosea (Hos 8, δ ff.; 1 0 , 1 5 ; 1 3 , lOff.) oder mit NOTH an schlimme Erfahrungen mit dem judäischen Königtum denkt. I m m e r h i n spricht gegen die literarische Voraussetzung der deuteronomistischen Verfasserschaft bei NOTH die Tatsache, daß weder im Deuteronomium noch im deuteronomistischen Königsbuch von einer grundsätzlichen Ablehnung des Königtums die Rede ist. • AaO, S. 54/Γ. 5 Zum Folgenden vgl. S. 5 ff.
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z u r F i k t i o n eines Sieges ü b e r d i e P h i l i s t e r (V. 10 14) - in V. 1 5 - 1 7 u n d 2 - 9 Ü b e r l i e f e r u n g e n , die h i n s i c h t l i c h d e r S t e l l u n g u n d A u f g a b e S a m u e l s i n d e r religiösen u n d ]>olitischen Krise d e r P h i l i s t e r - N o t a l t e , v e r m u t l i c h a i n H e i l i g t u m von M i z p a e r h a l t e n e E r i n n e r u n g e n w i d e r s p i e g e l n u n d d e r h i s t o r i s c h e n W a h r s c h e i n l i c h k e i t w e s e n t l i c h » ü b e r k o m m e n , als m a n bisher g e g l a u b t h a t . Als Bestandteil e i n e r r e l a t i v s p a t e » k ö n i g s f e i n d l i c h e n Erzählungsreihe k a n n d e m n a c h l . S a m 7 jedenfalls nicht angesprochen werden. E r s t m i t Kap. >S t r i t t das T h e m a d e r E n t s t e h u n g des K ö n i g t u m s in das Blickfeld d e r E r z ä h l u n g . Auf d e n e r s t e n Blick e r s c h e i n t dieses Kapitel, als G a n z e s g e n o m m e n , w i e e i n n e g a t i v e s Vorzeichen v o r d e r K l a m m e r , das m i t s e i n e r o f f e n k u n d i g e n K r i t i k a n d e m V o l k s b e g e h r e n n a c h e i n e m K ö n i g sich i n W i d e r s p r u c h zu s e t z e n s c h e i n t m i t d e n f o l g e n d e n Überlief e r u n g e n , d i e d i e E r h e b u n g Sauls z u m K ö n i g [x»sitiv b e u r t e i l e n . A n d i e s e m P u n k t h a t d e n n a u c h die b e k a n n t e A u f s p a l t u n g d e r B e r i c h t e in zwei Erzählungsreihen m i t entgegengesetzter T e n d e n z eingesetzt, die geradezu z u m S c h u l b e i s p i e l d e r L i t e r a r k r i t i k in d i e s e n P a r t i e n des S a m u e l B u c h e s g e w o r d e n ist. I n d e r V e r u r t e i l u n g des V o l k s b e g e h r e n s u n d in i h r e r t h e o l o g i s c h e n B e g r ü n d u n g m i t d e r V e r w e r f u n g J a h w e s als König, d i e in K, 7 ; 10, Ii); 12, 12 e r s c h e i n t , g l a u b t e m a n das c h a r a k t e r i s t i s c h e M e r k m a l e i n e r n a c h i h r e r k ö n i g s f e i n d l i c h e n T e n d e n z u n d i h r e m Verfasser e i n h e i t l i c h e n l i t e r a r i s c h e n K o n z e p t i o n vor sich zu h a b e n , die a n a chronistisch i h r e e i g e n e späte Kritik a m K ö n i g t u m d e n B e r i c h t e n ü b e r dessen e r s t e A n f ä n g e n a c h t r ä g l i c h vorgesi h a l t e t u n d e i n v e r l e i b t h a b e u n d d e s h a l b f ü r d i e E r k e n n t n i s dieser λ η l a n g e historisch belanglos sei. N u n e r h e b e n sich a b e r g e r a d e an d e n P u n k t e n , die m a u als \ e r b i n d u n g s k l a m m e r n u n d als Beweis d e r l i t e r a r i s c h e n E i n h e i t l i c h k e i t d e r sog. k ö n i g s f e i n d l i c h e n S c h i c h t a n z u s e h e n p f l e g t , B e d e n k e n g e g e n diese in i h r e r G e s c h l o s s e n h e i t e i n d r u c k s v o l l e H y p o t h e s e . D i e V e r u r t e i l u n g des Volksbegehrens als V e r w e r f u n g J a h w e s w i r d z w a r au d r e i Stellen ausd r ü c k l i c h e r w ä h n t , a b e r jedesmal in g a n z v e r s c h i e d e n e n , n i c h t m i t e i n a n d e r zu v e r e i n b a r e n d e n Z u s a m m e n h a n g e n : In N, 7 (10) anlülilich d e r V e r s a m m l u n g d e r Ä l t e s t e n Israels bei S a m u e l in K a m a , in 10, I ( ) bei d e r V o l k s v e r s a m m l u n g in Mizpa - b e a c h t e : » I h r h a b t heute e u r e n G o t t verw o r f e n « -, in 12, 12 im Z u s a m m e n h a n g m i t d e r B e d r o h u n g Israels d u r c h d e n A m m o n i t e r - K ö n i g Xahas. Vorschnelle I [ a r m o n i s i e r u n g s v e r s u c l i e , d i e e i n e n reibungslosen Z u s a m m e n h a n g d a d u r c h h e r s t e l l e n w o l l e n , dali sie die g e n a n n t e n D i f f e r e n z e n d e r G e d a n k e n l o s i g k e i t des Hedaktors zus c h r e i b e n ' , s c h e i n e n m i r eine IVlitio priueipii von f r a g w ü r d i g e r Be-
1
\ - Ι . Ϊ. 1!. i;rni»i: /.u K, .'.'Ii ι.π.Ι I J. 1 J.
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weiskraft zu sein. Will man nicht zu einer solch gewaltsamen Vereinfachung der Texte seine Zuflucht nehmen, so wird man aus der Verschiedenheit der drei Versionen, in denen das Motiv der Zurückweisung des Volksbegehrens überliefert ist, den Schluß ziehen müssen, daß diese Überlieferungen in 8, 7; 10, 10; 12, 12 nicht von ein und demselben Autor verfallt sein können, sondern es sich dabei um ältere Traditionsformen handelt, tlie einander anzugleichen auch der letzte Sammler oder Redaktor sich nicht fiir befugt hielt. Angesichts einer derartigen konservativen Überlieferungstreue gegenüber vorgegebenem Traditionsgut wird die Annahme einer relativ jungen, literarisch einheitlichen königsfeindlichen Erzählungsreih»?, deren Verfasser seine eigene Kritik am späteren Königtum in Kap. 8 ; 10, 17ff.; 12 habe zu Worte kommen lassen, in ihren entscheidenden Voraussetzungen und damit in sich selbst problematisch. Dann aber ist die Frage nach Herkunft und Bedeutung der Traditionen über die Ablehnung des Volksbegehrens durch Samuel neu zu stellen. Die Tatsache, daß dieses Motiv in Kap. 8 im Mittelpunkt steht und lediglich dort einer ausführlichen Erörterung gewürdigt wird, erfordert eine gesonderte traditionsgeschichtliche Untersuchung dieses Kapitels. Daß sein Verfasser die Erzählung nicht durchweg frei geschaffen hat, sondern von vorgegebener Überlieferung abhängig ist und darauf zurückgreift, läßt sich außer an dem bereits erwähnten Beispiel auch an anderen Punkten zeigen. Die Einleitung V. 1 »als Samuel alt war« verknüpft zwar lose Kap. 8 mit Kap. 7. Dies hat wohl darin seinen Grund, daß hier wie dort das Hauptinteresse der Gestalt des Samuel gilt, aus dessen Verehrerkreisen die Erzählung stammen wird. Gleichzeitig verrät aber die Form dieser Anknüpfung deutlich genug den sachlichen Abstand zwischen den beiden Kapiteln, den im einzelnen zu überbrücken der Verlässer vermutlich deshalb nicht unternimmt, weil ihm keine weitere Tradition über Samuel zur Verfügung stand. Die Zeitbestimmung bezeichnet demnach auch zugleich den neuen Einsatz eines ursprünglich selbständigen Traditionskomplexes mit eigenem Thema. Die Nachricht 8, 1 - 2 über die Einsetzung der Söhne Samuels als »Kichter fiir israel«, mit der die Erzählung eingeleitet wird, geht wohl auf alte Überlieferung zurück; denn sowohl die Nennung ihrer Namen als auch die Erwähnung von lieerseba als des Ortes ihrer Tätigkeit ist schwerlich erfunden. Sie wird auch im Verlauf der Erzählung nicht weiter ausgewertet 1 . Leider
1 Vgl. auch Ν ο τ ι ι , aaO, S. 5 6 , Anin. 7. i n gewisser Hinsicht erinnert diese t bcrlicf'crung au die Listen der sog. Kleinen R i c h t e r , h o gelegentlich auch die Silin»· (Tochter und l'.nkel), allerdings ohne Namensnennung, erwähnt sind (Ri 10,
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läßt die kurze Angabe nicht erkennen, worin die Tätigkeit der SamuelSöhne als Richter in Beerseba bestand, und ob dabei ein eine Art Erbfolge oder an eine Entlastung des gealterten Vaters gedacht ist 1 . Die Notiz über die Einsetzung der Söhne Samuels als Richter bringt der Erzähler jedoch nicht nur um ihrer selbst willen; er verwendet sie zugleich als Ein- und Überleitung zu seinem Hauptthema, dem Volksbegehren. Diesen Zweck erreicht er dadurch, daß er mit dem Motiv der schlechten Amtsführung der Samuel-Söhne 8, 5 eine plausible Begründung für das Verlangen der Ältesten nach einem König gewinnt (8, 5). Dieser Zug der Erzählung geht wohl kaum auf alte Überlieferung zurück; er spielt im weiteren Verlauf der Darstellung keine Rolle mehr und dient hier lediglich dazu, das Volksbegehren zu motivieren. Auch erfolgt die Erwähnung der Samuel-Söhne in 12, 2 in einem Zusammenhang, der die in 8, 3 genannten Sünden weder voraussetzt noch überhaupt zu kennen scheint. Ist aber das Motiv der Sünden der Samuel-Söhne vom Erzähler in Kap. 8 eingeführt, um den Wunsch des Volkes nach einem König begreiflich zu machen, dann kann von einer das Königtum grundsätzlich ablehnenden Tendenz des Verfassers keine Rede sein. Daß die Motivierung des Volksbegehrens mit den Sünden der Söhne Samuels, zu deren Formulierung Ex 18, 21; 25, 3. 6. 8 zu vergleichen ist, vom Erzähler in einen älteren Überlieferungsbestand eingefügt ist, geht auch daraus hervor, daß sie sich nicht reibungslos dem Rahmen einordnet, in den sie hineingestellt ist. Ihrer inneren Logik würde eher das Verlangen nach einem fähigen Richter entsprechen als der Wunsch nach einem König. Diese Inkonsequenz findet ihre Erklärung darin, daß der Erzähler an die Überlieferung des Volksbegehrens nach einem König als vorgegebene ältere Tradition gebunden war, der er eine Begründung vorgeschaltet hat, in der seine eigene Perspektive zu Worte kommt. Er sieht die Dinge zunächst lediglich in ihrer Wirkung auf Samuel persönlich und bereitet auf diese Weise 5 f . ; 12, 8 f . 1 3 f . ) . Über Samuels mutmaßliches Verhältnis zum A m t des Kleinen Richters vgl. S. 10. 1 Möglicherweise könnte es sich, analog zu 1. Sam 7, 1 5 - 1 7 , um die W i e d e r aufrichtung und Pflege der Jahwe-Tradition an dem weit im Süden gelegenen alten Heiligtum von Beerseba handeln, dem nach dem Verlust des Zentralheiligtums der Lade wieder eine besondere Bedeutung zukam, so daß in der Einsetzung seiner Söhne in Beerseba der Versuch Samuels zu sehen wäre, die alten Beziehungen der mittelpalästinischen Stammegruppen zu dem südlichen Heiligtum wieder aufzunehmen. Vgl. die Verbindung Jakobs mit Beerseba und mit der dort heimischen Isaak-Tradition Gen 28, 10; 46, 1 und die aus A m 5, 5; 7, 9. 16; 8, 1 4 zu erschließenden Beziehungen zwischen den Bewohnern des Nordreichs und dem Heiligtum von Beerseba.
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erzählerisch vor, was in 8, 6 über die erste auch für ihn auffallende Reaktion Samuels auf das Volksbegehren berichtet wird. Darum ist es auch nicht wahrscheinlich, daß die Motivierung des Volksbegehrens mit den Sünden der Samuel-Söhne die eigentlichen Gründe wiedergibt, die zu diesem Schritt geführt haben. Auf dem Weg einer gegen Samuel gerichteten Fronde der unzufriedenen Volksbeauftragten dürfte die Königsfrage in Israel kaum aufgerollt worden sein. Die ältere Tradition, die in 8, 4 und 5b noch durchschimmert, wonach »alle Ältesten Israels« den Samuel in seiner Heimat Rama aufsuchen, um ihm offen ihr Anliegen vorzutragen (8, 4), deutet vielmehr in eine andere, dem wirklichen Sachverhalt näherkommende Richtung: Das Verlangen nach einem König ging zwar vom Volk aus, hat aber zu Verhandlungen mit Samuel geführt 1 , bei denen das Für und Wider unter verschiedenen Gesichtspunkten zur Sprache gekommen ist. Dem Gesamtaufriß von Kap. 8 liegt offenbar ein derartiges Erinnerungsbild zugrunde, gegen dessen Zuverlässigkeit entscheidende Gegengründe kaum geltend gemacht werden können *. Auch über die Gründe, die hinter dem Volksbegehren stehen, scheint Kap. 8 eine richtige Erinnerung bewahrt zu haben, wenn es im Lauf der Verhandlung durchblicken läßt, was man sich im Volk von einem König verspricht: Er soll dem Volk »zum Recht verhelfen« 3 , soll vor dem Volk ausziehen (in den Krieg) und seine Kriege führen, daß es sei »wie alle Völker« (8, 5. 20). Dieses Königswunschbild ist keineswegs unwahrscheinlich, sobald man es ohne literarkritisches Vorurteil auf dem Hintergrund der Zeitgeschichte und ihrer Bedürfnisse sieht 4 . Der Königswunsch ist der Ruf nach dem starken Mann, der überall in der Geschichte laut zu werden pflegt, wo bestehende Ordnungen aus den Fugen geraten und tragende Fundamente brüchig geworden sind. Die Niederlage gegen die Philister und der Verlust des Zentralheiligtums hatte den Stämmeverband in seinen Existenzgrundlagen erschüttert. Der innere und äußere Zusammenhalt des Stämmebundes drohte zusammenzubrechen; und das höhnische Bundesangebot des Amrnoniter-Königs an die Stadt Jabfcsch 1. Sam 11,2 verrät noch deutlich genug, daß das seiner eigenen Aktionsfähigkeit beraubte Israel Gefahr lief, ein Spielball der Eroberungsgelüste seiner Feinde und Nachbarn zu werden. Zwar hatte Samuel, wie aus den in 1. Sam 7 erhaltenen Überlieferungen zu entnehmen ist, dem drohenden inneren und äußeren Zerfall i-ntgegen-
Vgl. W I L D B E H C E I I , ThZ 1 3 (1957), S. 459. Gegen Νοτιι, aaO, S. 57. " Dies ist in der Grundbedeutung der Wurzel BOB' ausgedrückt. 4 Vgl. ALT, aaO, S. 50 = Kl. Sehr. II, S. 24. 1
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gearbeitet und auch die Hoffnung auf eine Befreiung von dein Druck der Philister-Not g e w e c k t a b e r dieser Druck dauerte noch an, und die Sehnsucht nach Befreiung blieb noch unerfüllte Hoffnung 2 . In dieser geschichtlichen Situation ist die Geburtsstunde des Verlangens nach einem König in Israel zu suchen. Die Bestätigung dafür findet sich in l . S a m *). 16, wo in einem ganz anderen Überlieferungszusaminenhang die Befreiung Israels aus der 1 land der Philister als die eigentliche Aufgabe des zu kürenden Königs bezeichnet wird (vgl. 10, 1 [ L X X ] ) . Tatsächlich ist denn auch der Befreiungskampf gegen die Philister die kriegerische Hauptaufgabe des ersten israelitischen Königs bis an sein Lebensende geblieben (1. Sani 15f. 2 8 f . 51). Was l . S a m Η über die Gründe und Erwartungen berichtet, die hinter dem Volksbegehren stehen, fügt sich somit ohne Schwierigkeit in die zeitgeschichtliche L a g e und hat daher Anspruch, von dem Historiker ernst genommen zu werden: Daü der König dem geschlagenen und unterdrückten Israel wieder »zum Recht verhelfe«, indem er mit starker Hand die zersplitterten Kräfte zusainmenfaßt, u m in kriegerischer Entscheidung die an die Philister verlorene Freiheit zurückzugewinnen, entsprach dem Gebot der Stunde. Aber der Vergleich mit den anderen Völkern m u ß t e zugleich den Israeliten zum schmerzlichen Bewußtsein bringen, daß sie ihren Feinden nichts Gleichwertiges an Organisation und Kriegstechnik entgegenzusetzen hatten, um den chronisch gewordenen Druck des philistäischen Herrschaftssystems zu brechen. E i n e Erhebung einzelner S t ä m m e oder Stammgruppen unter der F ü h r u n g eines charismatischen Helden hatte in der vorstaatlichen Zeit ausgereicht, einzelne akute und lokal begrenzte Bedrohungen zu beseitigen; in der Frontstellung gegen die PhilisterHerrschaft wäre ein ähnlicher Versuch von vorneherein aussichtslos gewesen. Aus der richtigen Erkenntnis dieser Lage erklärt sich erst der Wunsch des Volkes nach einem König, »wie die Völker«, als echtes geschichtliches M o t i v 3 . l)a(i die Ältesten »Israels« den Samuel aufsuchen, um ihm ihr Anliegen vorzutragen, fällt nicht aus dem R a h m e n des historisch Möglichen oder Wahrscheinlichen heraus; denn nach dem, was den älteren Stücken 1
Vgl. S. 10.
Zur t r a d i t i o n s g e s c h i c ! ' . l l i c h e n B e u r t e i l u n g tier I .ntsteluing d e r E r z ä h l u n g ü b e r den sog. l ' h i l i s t e r - S i e g u n t e r S a m u e l 1. S a n i 7 , 1 0 - 1 + als s e k u n d ä r a n g e f ü g ter Fiktion vgl. S . 21 ff. 3 Mail wird d e m n a c h in d i e s e m Z u g der D a r s t e l l u n g nii lit. m i t Ai.T ( a a O , S . :>.} Kl. S e h r . I I , S. 2 + ) n u r » p u r e n N a c h a h m u n g s t r i e b « s e h e n und ihn d e s h a l b e i n e m späten S c h r i f t s t e l l e r 'zuweisen d ü r f e n , d e r von den D i n g e n keine r e c h t e V o r s t e l l u n g m e h r gehabt, h a b e . 2
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von 1. Sam 7 zu entnehmen ist, war Samuel bis dahin die führende Autorität, die die sakralen und politischen Belange der israelitischen StämmeAmphiktyonie vertrat; er war somit der gegebene Mann, den mein nicht umgehen konnte noch wollte, wenn es sich u m eine Angelegenheit des gesamten Stämmeverbandes handelte. Die erste Wirkung des Ansinnens der Ältesten auf Samuel ist auffallend; auch der Erzähler scheint dies empfunden zu haben, wenn er glaubte, das Verlangen nach einem König so motivieren zu müssen, daß Samuel zunächst eine gegen ihn persönlich gerichtete Spitze heraushören inußte (»nicht dich haben sie verworfen«, V. 7). Auf diese Weise erreicht der Verfasser, daß der spontane Widerstand Samuels menschlich verständlich wird und zugleich auch, daß durch die zurechtweisende Antwort Jahwes der Verdacht persönlicher Empfindlichkeit nicht an ihm hängen bleibt, sondern das Verhalten Samuels eine viel nachhaltigere sachliche Begründung und Legitimierung auf höherer Ebene erfährt. Natürlich entzieht sich die Darstellung des Zwiegesprächs zwischen Jahwe und Samuel der Kontrolle des Historikers. Aber die Frage ist nicht von der Hand zu weisen, ob und inwieweit die dabei zur Sprache gebrachten Gesichtspunkte nicht in den Verhandlungen zwischen Samuel und den Ältesten Israels eine Rolle gespielt haben können. I m Blick auf die sekundäre Motivierung des Volksbegehrens mit dem Alter Samuels und der Sünde seiner Söhne und angesichts der Zurückweisung des sich daraus ergebenden anfänglichen Widerstandes Samuels wird man traditionsgeschichtlich die Beurteilung des Volksbegehrens als Verwerfung Jahwes nicht erst als ein ganz spätes Theologumenon, sondern als einen Gesichtspunkt einzusehen haben, der in der Überlieferung schon vorgegeben war und den Erzähler veranlaßt hat, seine Darstellung entsprechend auszurichten. Zu dem gleichen Ergebnis f ü h r t auch die schon erwähnte Tatsache, daß in 10, 19 und 12, 12 dasselbe Motiv in zwei verschiedenen Versionen erscheint, die sich n u r dann hinreichend erklärt, wenn es sich dabei um einen älteren festen Traditionskern handelt, der sich in verschiedenen Varianten erhalten hat. Die Entscheidung über diesen Punkt ist jedoch nicht zu trennen von der Frage nach dem Alter der Vorstellung vom Königtum Jahwes, die in 8, 7 als bekannt vorausgesetzt wird. Es ist hier nicht der Ort, dem vielverhandelten Problem im einzelnen nachzugehen Auch die neuerdings
1 Aus d e r z a h l r e i c h e n L i t e r a t u r sei n u r g e n a n n t : VON GALL, Über die H e r l u m t t d e r B e z e i c h n u n g J a h w e s als König ( W e l l h a u s e n - F e s t s c h r i f t [1914·], S. 1 4 5 f f . ) ; CASPARI, D e r H e r r ist König ( C h r i s t e n t u m und W i s s e n s c h a f t [1928], S. 2 5 fF.); ElSS-
KELDT, J a h w e a l s K ö n i g , Z A W 5 0 ( 1 9 2 8 ) , S . 8 1 f f . ; Βυηι·:Κ, K ö n i g t u m G o t t e s » ( 1 9 5 6 ) ,
•S 7!I13 Weiser. Samuel
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vieldiskutierte Frage, ob und inwieweit Einflüsse aus der palästinischsyrischen und weiteren Umwelt und ihrer Kulte auf die Vorstellung vom Gottkönigtum und ihre Ausformung in Israel eingewirkt haben, möge hier auf sich beruhen. Für unsren Zusammenhang genügt es, festzustellen, ob der Gedanke an Jahwes Königtum schon dem vorstaatlichen Israel bekannt gewesen sein kann, so daß er in den Verhandlungen über das Volksbegehren die Rolle spielen konnte, die ihm hier zugewiesen ist. Die Art, wie er in den Samuel-Geschichten erwähnt wird, setzt keineswegs schon eine dogmatisch ausgeprägte Form der Theokratie voraus, wie wir sie aus der Zeit der jüdischen Hierokratie kennen, und kann deshalb nicht von dorther beurteilt werden. Die beachtenswerte Tatsache, daß der Gedanke an Gottes Königtum in der deuteronomistischen Literatur ebensowenig zu belegen ist, wie eine grundsätzliche Ablehnung des irdischen Königtums, schließt aber auch die Annahme von NOTH aus, daß 1. Seim 8 deuteronomistischer Herkunft sei (s. o). Daß die Vorstellung von Jahwes Königtum in Israel älter sein muß und besonders im Zusammenhang des Jahwe-Kultus auftritt, beweisen neben Jes 6, 5 Ps 24, 7-10; 5, 3; 29, 10; 48, 5; 68, 25; 74, 12; 84, 4, gegen deren vorexilische Entstehung kein zwingender Grund besteht. Aber auch die Annahme VON RADS1, daß die Bezeichnung Jahwes als Königs erst nach der Entstehung des israelitischen Königtums aufgekommen sei, läßt sich nicht aufrecht erhalten, mag auch - was aus 1. Sam 8 und ebenso aus Ri 8, 55 zu erkennen ist - der Gedanke des göttlichen Königtums dadurch besonderes Profil gewonnen haben, daß er mit dem eines irdischen Königtums konfrontiert wurde. Daß die Vorstellung von Jahwe als König jedoch schon in die vorstaatliche Zeit Israels hinaufreicht, ist einmal aus dem Namen des Sohnes Sauls Malkischua zu erschließen 2 , zum andern aus X u m 25, 21; Ex 15, 18 3 , ferner aus Dt 53, 5 (Ex 19, 6), wo Traditionen aus der vorköniglichen Zeit verwertet sind. Sie hängt, worauf ALT wieder hingewiesen hat 4 , einerseits mit der Vorstellung der heiligen Lade als Gottesthron zusammen und steht anderseits in Verbindung mit
ό. 3 9 f f . ; VON RAD, T h W b N T I, S. 5 6 5 f f . ; PORTEOUS, T h e Kingship of Adonai in Pre-exilic Hebrew Religion (Lectiones in V . T . et in rebus judaicis ( o . J . ) : ALT, Gedanken über das Königtum Jahwes, Kl. Sehr. I (1953), S. 345 ff.; EICHRODT. T h e o l o g i e des A . T . (1959), S.
122ff.
AaO, S. 5 6 7 f. 1 Vgl. dazu NOTH, Die israelitischen Personennamen (1928), S. 1 1 8 f . • Z u r Datierung des Meerlieds in das 11. J a h r h u n d e r t v. Chr. vgl. FRANK
1
M . CROSS u n d DAVID NOEL FREEDMAN, J o u r n a l of N e a r E a s t e r n S t u d i e s X V I ( 1 9 5 5 ) .
S. 2 3 7 f f . ; doch vgl. WATTS, V . T . 7 Π 9 5 7 ) , S. 578 ff. 4 AaO, S. 350fT.
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dem früh bezeugten Gedanken des himmlischen Hofstaates Jahwes 1 . Damit aber dürfte der Kult des sakralen Stämmeverbands an dessen Zentralheiligtum als der Ort der vorstaatlichen Überlieferung der Vorstellung von Jahwes Königtum in Frage kommen 2 . Da nach 1. Sam 7 elite Tätigkeit des Samuel die Wiederbelebung der durch den Verlust der heiligen Lade erschütterten Tradition des Stämmebundes zum Ziel hatte, kann es nicht befremden, wenn auch bei den Verhandlungen über das Volksbegehren der Gedanke des Königtums Jahwes auftaucht und offenbar dabei eine wichtige Rolle gespielt hat. Die entscheidende Bedeutung des Gesichtspunktes vom Königtum Jahwes, die auch noch in der anderen Version l . S a m 12, 12 erkennbar ist, wird vom Erzähler dadurch hervorgehoben, daß Samuel erst von Jahwe selbst darauf aufmerksam gemacht wird, nachdem seine eigene Auffassung der Dinge zurückgewiesen ist. »Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich, daß ich nicht König über sie sein soll« (8, 7). In diesem Zusammenhang ist dann aber die Aufforderung Jahwes: »Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie zu dir sagen!« nach Sinn und Form dahin zu verstehen, daß Samuel zunächst einmal das Volk anhören soll, anstatt aus persönlicher Gereiztheit heraus die ganze Angelegenheit von vorneherein als undiskutierbar abzulehnen. Die folgende Begründung mit 13 schließt m. E. die verbreitete Übersetzung: »Gehorche der Stimme des Volkes!« aus; denn es ist weder stilistisch noch sachlich sinngemäß, daß Gott zu einer Handlung auffordert und dies im gleichen Atem damit begründet, daß er sie als schwerste Sünde brandmarkt. Dagegen ergibt sich bei V. 7 und V. 9 ein guter Sinn, wenn der Satz als Aufforderung an Samuel verstanden wird, sich auf Verhandlungen mit den Altesten einzulassen, bei denen der in der Begründung genannte Gesichtspunkt zur Geltung zu kommen hat. Stünde am Anfang schon Gottes Gebot, der Stimme des Volkes zu gehorchen, das jede weitere Verhandlung überflüssig machen würde, dann wären auch die folgenden Ausführungen in l.Saiu 8 gegenstandslos. Diese haben nur Sinn, wenn sie noch andere Gesichtspunkte enthalten, die für die Verhandlung von Bedeutung gewesen sind. So stellt V. 8 das Volksbegehren in den weiteren Zusammenhang der Geschichte des Ab1
Vgl. doli k u l t n a m o n J a h w e s als G o t t der heiligen L a d e 1. Sani +, 4 ; 2. S a m
* O b schon der S i n a i - B u n d als Königsbund g c d a c h t war — was durch einen formg e s c h i c h t l i c h e n V e r g l e i c h der l i e t h i t i s c h e n S l a a t s v e r t r ä g e m i t gewissen SinaiTraditionen
nahegelegt
wird
(vgl. a u c h
MARTIN R U B E R , a a O ,
S.
9 3 f f . ; QUELL,
T h W b N T II ( 1 9 5 5 ) , S. 1 2 5 ; IOHRF.R, Z A W 7 1 ( 1 9 5 9 ) , S . 2 1 ) - . möge Iiier auf sich beruhen.
1. Snnniel 8
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falls Israels zu anderen Göttern hinein, der als dunkler Schatten den Lebensweg des Gottesvolkes von seinen Anfängen an begleitet hat. Man hat diesen Vers für einen deuteronomistischen Einschub g e h a l t e n d a er im Gegensatz zu V. 7 das Verhalten des Volkes nachträglich als Undank gegen Samuel auffasse. Allein die Voraussetzung dieser Annahme, daß der Vers nach seinem Stil und seiner Theologie nur von der deuteronomistischen Literatur her zu erklären sei, ist hier ebensowenig zwingend zu beweisen wie etwa bei l . S a m 7, 3-6 2 . Der Gedanke des immer wiederholten Abfalls zu den fremden Göttern ist keineswegs erst deuteronomistischen Ursprungs, sondern hängt zusammen mit der Praktizierung des ersten Gebots und der Abrenuntiation der fremden Götter, die nach Jos 24, 14 f. 20; Ri 5, 8 schon frühzeitig festes Traditionselement in der kultischen Bundesfeier gewesen zu sein scheint 3 und nach 1. Sam 7, 3ff.; Dt 32, 15—18 für den Jahwe-Kult zur Zeit des Samuel zu belegen ist 4 . Daß der Stil in l . S a m 8, 8 ein gewisses formelhaft liturgisches Gepräge verrät, ist im Blick auf die kultische Herkunft seines Gedankenguts nicht verwunderlich und bedarf nicht erst einer Herleitung aus deuteronomistischen Stilgepflogenheiten. In der Gedankenführung des Gesprächs hat der Vers die Aufgabe, den Samuel auf die Größe der Gefahr aufmerksam zu machen, in die sich das Volk mit seinem Wunsch nach einem König begibt und erneut dabei zurückfällt in das alte Grundübel des Abfalls von Jahwe, das für seine Geschichte kennzeichnend ist. Halten wir daneben, daß schon der Verlust der heiligen Lade und die Philister-Not eine schwere Krise des Jahwe-Glaubens in dieser Richtung heraufgeführt hatte, die zu überwinden Samuel als seine wichtigste Aufgabe unternahm 6 , um dem inneren und äußeren Zerfall des Stämmebundes zu wehren, dann gewinnt der Schlußsatz von V. 8, »so tun sie auch dir«, einen ganz konkreten auf die besondere Situation gezielten Sinn, der zu dem »Nicht dich haben sie verworfen« in V. 7 nicht im Gegensatz steht: Mit seinem Wunsch nach einem König, wie ihn die Ältesten vorbringen, befindet sich das Volk im Stadium einer erneuten Krise, die auch den Samuel insofern betrifft, als nun von einer ganz anderen Seite her das mühsam von ihm begonnene Werk des Wiederaufbaus des JahweGlaubens und seines Kultus in Frage gestellt ist. In dieser Perspektive fügt sich V. 8 reibungslos in den literarischen Zusammenhang und in die historische Situation. 1
BUDDE u n d SMITH
z.St.
Vgl. dazu S. 16. » Vgl. dazu WEISER, ZAW 71 (1959), S. 75 f. 1 Vgl. dazu S. 18 ff.
2
5
Vgl. WEISER, S. 14.
1. Samuel 8
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Aus V. 10 (»Samuel redete alle Worte Jahwes zu dem Volk, das von ihm einen König verlangte«) geht mit aller Deutlichkeit hervor, daß der Erzähler auch den letztgenannten Gesichtspunkt ids Gegenstand der Verhandlungen zwischen Samuel und den Volksvertretern angesehen hat, der, weil aus Gottes M u n d kommend, die Position und Autorität Samuels stärken soll. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Verfasser damit auf die Seite Samuels tritt und auch seinerseits die Argumente billigt, die gegen das Volksbegehren sprechen. Bis zum Erweis des Gegenteils wird main deshalb a n n e h m e n dürfen, daß sich im Kreise der Vertrauten Samuels, in dem diese Überlieferung wohl entstanden ist, richtige Erinnerungen erhalten haben, die der Historiker nicht von vornherein vernachlässigen darf. Aber ist dieses Gegenteil nicht längst schon bewiesen und allgemein anerkannt, daß "die Gegnerschaft gegen das Volksbegehren ein Anachronismus ist, der aus späterer Zeit stammt und dem Samuel ein Urteil unterschiebt, das erst aus den schlimmen Erfahrungen mit den israelitischen Königen sich herleitet? Als Beweis dafür gilt die Tatsache, daß alle Berichte über die E r h e b u n g Sauls zum König - auch der sog. königsfeindliche - von einer entscheidenden Mitwirkung Samuels in positivem Sinn wissen, und daß diese Haltung des Samuel, die offenbar einen historischen Sachverhalt widerspiegelt, eine vorausgehende Ablehnung des Volksbegehrens durch Samuel ausschließe. Trotz der fast allgemeinen Zustimmung, die diese Folgerung gefunden hat, wage ich, ihre Richtigkeit zu bezweifeln. Der Sammler, dem wir die Zusammenstellung der verschiedenen Überlieferungen von der Entstehung des Königtums verdanken, hat jedenfalls die Haltung Samuels gegenüber dem Volksbegehren und seine Rolle bei der E r h e b u n g des Saul zum König nicht als unvereinbaren Widerspruch e m p f u n d e n ; sonst hätte er kaum die Berichte in der vorliegenden Form aneinandergereiht. Genau besehen, besteht auch in der Tat kein derartiger Widerspruch zwischen Kap. 8 und 9ff., derrfzufolge Kapitel 8 aus der Reihe der historisch verwertbaren Traditionen auszuscheiden wäre. Dies wird deutlich, sobald mein die Frage dahin präzisiert: wogegen eigentlich die ablehnende Haltung des Samuel und die dahinterstehende Ablehnung des Volksbegehrens durch Jahwe sich richtet. Auch darüber läßt uns der Text nicht im Ungewissen: Am Anfang und Ende der Verhandlung, wo des Volkes Standpunkt zu Worte kommt (8, 5. 20), gibt die Wendung »wie alle anderen Völker« das Ziel an, auf welches das Volksbegehren nach einem König hinsteuert. I m Sinne des Volkes ein durchaus verständlicher Gesichtspunkt! Denn woher sollte es seine Anschauung von einem Königtum nehmen, wenn nicht von den Völkern der Nachbarschaft, deren Herrschaftsform sich überlegen
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i . Samuel 8
erwiesen hat, so daß man nur unter gleichen Bedingungen eine Befreiung vom Druck der Philister glaubte erreichen zu können (s. o.)? Gerade dieser Gesichtspunkt aber, der in 8, 20 noch einmal betont herausgestellt wird (»daß auch wir seien wie alle Völker«), ist es, gegen den sich die Ablehnung des Volksbegehrens als Abfall von Jahwe richtet. Wenn Israel werden will wie die anderen Völker, dann gibt es seine besondere Eigenart, das Volk Jahwes zu sein, auf und verfällt dem Einfluß einer heidnischen Königsideologie, in der es sein Vorbild sieht und seine vermeintliche Rettung sucht. Vor dieser Gefahr das Volk zu warnen und abzuhalten ist die neue konkrete Aufgabe, die dem Samuel in dem kritischen Augenblick zuwächst, ids ihm das Ansinnen, dem Volk einen König zu geben, vorgetragen wird. So gesehen, enthält die Darstellung von Kap. 8 nichts, was gegen ihre Ausdeutung auf die geschichtliche Situation der Verhandlungen über das Volksbegehren spricht. Daß wir uns mit dieser Beurteilung auf dem richtigen Weg befinden, wird durch den folgenden Abschnitt über das »Königsrecht« 8, 9-18 bestätigt. Nach nochmaliger Aufforderung, auf die Stimme des Volkes zu hören, die im gleichen Sinn wie in V. 7 zu verstehen ist (s. o.), folgt in V. 9 die Anweisung Jahwes ein Samuel, das Volk ausdrücklich zu verwarnen und ihm das Recht des Königs kundzutun, der über es herrschen w i r d D i e Einleitung dieser Anweisung mit dem einschränkenden "3 ^K läßt keinen Zweifel, daß das »Hören auf die Stimme des Volkes« auch hier nicht im Sinne einer bedingungslosen Kapitulation vor dem Volkswillen gemeint ist und daß die Verkündung des Königsrechts, wie überdies aus V. 18 und der in V. 19 f. folgenden Antwort des Volkes hervorgeht, ids Warnung verstanden werden muß, das Volk von seinem Vorhaben abzubringen. Bleibt aber noch die Frage: Woher stammt das Anschauungsmaterial, das Samuel als Königsrecht dem Volke vorhält (V. 11-17)? Diese Frage ist um so eher berechtigt, als Israel zu dem Zeitpunkt, den Kap. 8 im Auge hat, noch kein eigenes Königsrecht hatte. Daraus hat man den Schluß gezogen, daß es aus späterer Zeit stammen müsse und die schlimmen Erfahrungen widerspiegele, die das israelitische Volk mit seinen Königen gemacht habe.Weiter hat man gefolgert, daß das »Recht des Königtums«, 1 Möglicherweise schwebt dem Erzähler bei Gebrauch des Verbums TD die aus Ägypten stammende Vorstellung des »Königsprotokolls« vor, für das sich in
2 . K o n 1 1 , 1 2 d e r g l e i c h e W o r t s t a m m (Ρ^ΊΟ) f i n d e t ; v g l . d a z u S I E G F R I E D H E R R M A N N ,
Die Königsnovelle in Ägypten und Israel (Wiss. Zeitschr. der Karl-Marx-Universität Leipzig, 3. Jahrg. [1955/54], Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Heft 1, S. 33 ff.) und VON RAD, Gesammelte Studien zum Alton Testament ( 1 9 5 8 ) , S . 2 0 7 f f . ; F O H R E R , Z A W 7 1 ( 1 9 5 9 ) , S . 3.
1. Samuel 8
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das nach 10, 25 bei der Erhebung Sauls zum König von Samuel dem Volke vorgetragen, aufgezeichnet und im Jahwe-Heiligtum von Mizpa deponiert wurde, nicht zu trennen sei von dem Königsrecht, das in Kap. 8 erwähnt wird 1 . Diese letztere Annahme ist methodisch anfechtbar, da sie Nachrichten aus ganz verschiedenen Traditionseinheiten verkoppelt, ohne zuvor über deren Sinn in ihrem jeweiligen Zusammenhang klar geworden zu sein. Sie wird auch schon dadurch widerlegt, daß das Königsrecht von Kap. 8 nach seinem gesamten Inhalt und nach der Rolle als Abschreckungsmittel nicht mit dem Recht des israelitischen Königtums zusammen gesehen werden kann, das vermutlich die Rechte und Pflichten des israelitischen Königs regelte und, wie seine Aufbewahrung im sakralen Raum nahelegt, durch göttliche Autorität sanktioniert war. Demgegenüber stellt das Königsrecht von Kap. 8 eine Größe sui generis dar, die eine Betrachtung für sich erfordert. Dabei ergibt sich, daß auch die übliche Beurteilung dieses Königsrechts als Reflex späterer Erfahrungen mit den israelitischen oder judäischen Königen (s. o.) nicht aufrecht zu erhalten ist. Denn das, was wir über die Struktur und die Rechte des israelitischen und judäischen Königtums dem Alten Testament entnehmen können, deckt sich, aufs Ganze gesehen, keineswegs mit dem, was hier als Königsrecht beschrieben wird. So hat man schon längst gesehen, daß der Königsherrschaft Sauls andere und weit bescheidenere Verhältnisse zugrunde lagen und engere Grenzen gesteckt waren, die mit dem Königsrecht in Kap. 8 — selbst bei der Annahme tendenziöser Übertreibung - nicht vergleichbar sind. Allenfalls könnte das, was über die Haltung von Wagen, Pferden, Trabanten und Bedienungspersonal in 8, 11 gesagt wird, verglichen werden mit Stellen wie 2. Sam 15, 1; l.Kön 1, 5; 5, 6; 2. Kön 9, 20; 10, 16; Dt 17, 16; das besagt jedoch nicht, daß dieser Punkt des Königsrechts die späteren israelitischen Verhältnisse widerspiegle; in den kanaanäischen Herrschaftsgebilden wax der Gebrauch von Wagen und Pferden längst bekannt, ehe diese Sitte in Israel Eingang gefunden hat (vgl. z.B. Ri 4, 3; 5, 22). Jedenfalls ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Anschauung in 8, 11 aus den zeitgenössischen Verhältnissen der kanaanäischen Nachbarstaaten entnommen ist. Daß dem Königsrecht in Kap. 8 nicht israelitische Gegebenheiten zugrunde liegen, wird durch V. 12a zur Wahrscheinlichkeit erhoben. Die Ernennung von Obersten über Tausend und über Fünfzig nimmt sich als Warnung seltsam genug aus, da es sich offenbar um jedenfalls für die Betroffenen begehrenswerte Stellungen handelt. Sie kann
1 V g l . BUDDE ZU 1 0 , 2 5 ; NOTH, a a O , S . 5 8 ; B U B E R , F e s t s c h r i f t f ü r L o l i m e y e r ( 1 9 5 1 ) , S . 6 1 f.
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1. Samuel 8
im Zusammenhang des Ganzen nur dann als Warnung verstanden werden, wenn hier von Privilegien des Königs die Rede ist, die in Israel fremd sind und daher als Eingriff in die demokratische Struktur und Freiheit des israelitischen Heerwesens vom Volk empfunden werden müssen. Wie die wiederholte Hervorhebung des Verbums npb (»er wird nehmen«) V. 11. 13. 14. 16 erkennen läßt, ist der gewaltsame Eingriff in die Rechte und Freiheiten der Israeliten überhaupt das tragende Motiv der Warnung, das in V. 17 unmißverständlich in den Satz zusammen gefaßt ist: »und ihr werdfit ihm zu Sklaven«. D a nach l . K ö n 9, 20ff. Israeliten von der Heranziehung zur Fronarbeit im königlichen Dienst ausgenommen sind 1 , und da nach Jer 22, 13 die Vorenthaltung des verdienten Arbeitslohnes durch Jojakim als »Ungerechtigkeit« und »Unrecht« verurteilt wird, können die entsprechenden Beispiele in 1. Sam 8 nicht aufgrund eigener Erfahrungen mit einem späteren israelitischen »Königsrecht« gewählt sein. Dasselbe gilt auch von dem, was über den Erwerb und die Verwendung der königlichen Krongüter in 8, 14 gesagt ist: Wenn hier behauptet wird, daß der König die guten Felder, Weinund Obstgärten den Israeliten nehmen und sie seinen Sklaven geben wird, so steht dies nicht im Einklang mit dem, was über die Entstehung der Krongüter israelitischer Könige dem Alten Testament entnommen werden kann. ALT, der diese Frage einer eingehenden Untersuchung unterzogen h a t 2 , kommt zu dem Ergebnis, daß der Erwerb der Krongüter nicht unter Hinwegsetzung über das altisraelitische Bodenrecht erfolgt ist, sondern durch Kauf kanaanäischen Grundbesitzes oder durch Aneignung herrenlos gewordener Familiengüter beim Dynastien Wechsel oder auf dem Rechtsweg, wenn das Erbgut (wie im Falle des Naboth nach dessen Ausstoßung aus der Ortsgemeinde und Hinrichtung) dem König de iure verfällt ( l . K ö n 21, 8ff.). Gerade die Naboth-Geschichte zeigt in ihren Einzelzügen mit aller Deutlichkeit, daß es einem israelitischen König verwehrt war, ein begehrtes Grundstück einfach zu » n e h m e n « , wenn sie den König zunächst ein für Naboth günstiges Tausch- oder Kaufangebot machen und erst nach dessen Zurückweisung die Isebel auf die teuflischen Machenschaften verfallen läßt, einen fragwürdigen Rechtsgrund für den Erwerb des herrenlos gewordenen Grundbesitzes zu schaffen. Auch die Kritik der Propheten wendet sich, wie ALT betont, nicht gegen die Erweiterung der königlichen Krongüter, sondern vor-
1 Gegenüber 1. Kön 5, 27ff. scheint diese Nachricht im Recht zu sein; vgl. NOTH, P J B 30 (1934), S. 34, Anm. 1. * Der Anteil des Königtums an der sozialen Entwicklung, Kl. Sehr. III (1959), S. 3 4 8 - 3 7 2 .
1. Samuel 8
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nehmlich gegen die aristokratischen Machthaber, die unter Umgehung der alten Rechtsbestimmungen ihren Grundbesitz vergrößerten. Nach alledem kann die Formulierung des Königsrechts an diesem Punkt in l.Sam 8, 14 weder aus den schlimmen Erfahrungen mit den israelitischen Königen noch aus der späteren Kritik der Propheten abgeleitet werden 1 . Die hier vertretene Anschauung m u ß demnach anderer Herk u n f t sein 2 . Aufgrund eines Vergleichs des Königsrechts von 1. Saun 8 mit den aus dem 18.-15. Jahrhundert stammenden Tafeln vonAlalak und ugaritischen Texten hat I. MENDELSOHN3 den Nachweis erbracht, daß die einzelnen Angaben des Königsrechts von 1. Sam 8 »eine authentische Beschreibung der halbfeudalen kanaanäischen Herrschaftsgebilde« darstellen, die vor und während der Zeit Samuels existierten und somit das Anschauungsmaterial f ü r das »Königsrecht« geliefert haben können. l . S a m 8, I I b bis 12a spielt an auf die kleinen Armeen der kanaanäischen Stadtkönige, bestehend aus ausgehobenen Fußsoldaten und aristokratischen Berufskriegem (marjannu), welch letztere als privilegierter Stand in leitenden Stellungen fiir ihre Equipierung und ihren Dienst Kronländereien ( l . S a m 8, 1+) und bewegliches Eigentum wie Schafe, Ochsen, Esel und Sklaven ( l . S a i n 8 , 17) erhielten, die der König durch Kauf oder Enteignung oder durch Zehnten ( l . S a m 8, 15. 17) und Taxen in seinen Besitz gebracht hatte. Für den Straßen-, Festungs- und Tempelbau und zur Landbestellung der Krondomänen wurde das gemeine Volk zu Frondiensten herangezogen ( l . S a m 8, 12b-15. 16). Es kann demnach kaum bezweifelt werden, daß das Königsrecht in l . S a m 8 nicht israelitische Verhältnisse i m Auge hat, sondern solche, wie sie bei den benachbarten kanaanäischen Stadtstaaten herrschten. Dann aber ist es unwahrschein-
1 Damit entfällt aber auch die Annahme, daß die sog. kouigsfeindliche Tradilionsreihe erst einem den Propheten nahestehenden elohistischen Verfasser ihre Entstehung verdanke. * Dasselbe gilt auch von der in 1. Sam 22, 7 zugrundeliegenden Auffassung, die man heranzuziehen pflegt, um 8, 14 aus israelitischen Verhältnissen abzuleiten. Wenn dort Saul eine Verschwörung seiner Stammesgeuossen und einen drohenden Abfall mit der Frage abzuwenden sucht: »Wird euch allen zusammen der Sohn Isais Felder und Weingärten geben »und euch< (LXX) als Oberste von Tausend und als Oberste von Hundert einsetzen, daß ihr euch alle gegen mich verschworen habt?«, dann hat diese Frage im Zusammenhang nur Sinn, wenn weder Saul noch David in der Lage sind, ein solch verlockendes Angebot zu machen. Das bedeutet aber, daß auch hier auf eine Möglichkeit angespielt wird, deren Anschauung nicht aus israelitischen Verhältnissen gewonnen ist, sondern anderswoher stammen muß. • BASOR 145 (1956), S. 17-22.
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1. Samuel 8
lieh, daß dieses Königsrecht eine antimonarchische Tendenz späterer Zeit verkörpern soll. Eis läßt sich vielmehr ohne weiteres aus der geschichtlichen Situation der Samuel-Zeit verstehen. I m Zusammenhang der Erzählung von 1. Sam 8 ist es als W a r n u n g gegen den Wunsch des Volkes gerichtet, das einen König »wie alle Völker« begehrt (V. 5, s. o.). I n dieser konkreten und begrenzten Zuspitzung ist i m Sinne der Erzählung auch die Frontstellung Samuels und des hinter ihm stehenden Gottes zu verstehen, die die Gefahr abzuwenden versucht, daß Israel auf die Stufe der Heiden absinkt und dabei seiner Eigenart i m Verhältnis zu Jahwe verlustig geht. Eine derartige H a l t u n g Samuels steht im Einklang mit dem, was über seine Bemühungen u m die Wiederaufrichtung und Erhaltung des Jahwe-Kultus in der Zeit der Philister-Not aus 1. Sam 7 zu e n t n e h m e n i s t s o daß auch von dah6r dasWiderstreben Samuels bei den Verhandlungen über das Volksbegehren verständlich wird, und das, was 1. Selm 8 darüber berichtet, auch von Seiten des Historikers weit größeres Vertrauen verdient, als m a n i h m bisher zuzugestehen geneigt war. Von einer grundsätzlichen Ablehnung des Königtums überhaupt, die jede andere Möglichkeit einer Königsherrschaft a limine ausschließt, ist in l . S a m 8 nicht die Rede. N u r unter Absehimg von der konkreten Form, in der der Wunsch nach einem König vom Volk vorgebracht und von Samuel abgelehnt wird, hat mein (m. E. zu Unrecht) dem Kapitel eine grundsätzlich antimonarchische Tendenz unterstellt und daraus die bekannten weitreichenden literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Folgerungen gezogen. Die Tatsache, daß sich Samuel bei den Verhandlungen dem Volksbegehren, nach dem Vorbild »der Völker« einen König zu erhalten, widersetzt hat, scheint auf zuverlässiger Überlieferung zu beruhen und berechtigt nicht zur Annahme einer sog. königsfeindlichen Quellenschicht, mit der die alttestamentliche Wissenschaft seit Jahren zu rechnen pflegte. Sieht m a n die Gegnerschaft des Samuel in ihrer Beschränkung auf ein Königtum »wie die Heiden«, dann löst sich auch der vermeintliche Widerspruch, aufgrund dessen m a n sich zur Unterscheidung einer älteren »königsfreundlichen« von einer den Ereignissen angeblich femerstehenden »königsfeindlichen« Erzählungsreihe gezwungen glaubte. Solange m a n die Ablehnung des Volksbegehrens auf eine umfassende antimonarchische Tendenz snrückführte, m u ß t e der Auftrag Jahwes an Samuel, dem Volk einen König zu geben (8, 22), als Beweis dafür gelten, daß der Erzähler von 1. Saun 8, entgegen seiner angeblich antimonarchischen Einstellung, den in Kap. 9 - 1 1 enthaltenen Überlieferungen Rechnung tragen mußte,
1
Vgl. S. 14 ff.
1. Samuel 8
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nach denen die Entstehung des israelitischen Königtums nach dem Willen Jahwes unter positiver Mitwirkung Samuels erfolgt ist. In dieser Perspektive hat man dem Verfasser von Kap. 8 die Meinung unterschoben, daß er das Königtum als.Strafe Gottes betrachte 1 . Dafür findet sich jedoch nirgends ein entsprechender Hinweis. Ist es an sich schon wenig wahrscheinlich, daß der auf die Respektierung Jahwes bedachte Erzähler (8, 7 f.) ohne weitere Begründung von einem Widerspruch im Verhalten Jahwes berichtet hat, der zuerst das Volksbegehren scharf tadelt, um ihm schließlich doch nachzugeben, so verschwindet dieser angebliche Widerspruch, sobald man unterscheidet zwischen einem Königtum nach dem Vorbild der Völker, wie es das Volk will, und dem israelitischen Königtum, wie es dann nach Jahwes Willen wirklich geworden ist. Die Ablehnung durch Jahwe und Samuel richtet sich nur gegen das erstere; sie schließt die Möglichkeit nicht aus, sondern ein, daß Jahwes Willen und Samuels Mitwirkung auf eine andere Art Königtum ausgerichtet war, in dem Jahwes Herrschaftsanspruch zur Geltung kam, wodurch es sich grundlegend von einem Königtum »wie die Völker« unterschieden hat. Eine solche Unterscheidung scheint auch dem Erzähler vorgeschwebt zu haben, da er einerseits den Wunsch des Volkes nach einem König durch eine eigene vorgeschaltete Begründung begreiflich zu machen sucht (s. o.), anderseits jedoch die besondere Form eines Königtums »wie die Völker« verwirft. Tatsächlich ist das friihisraelitiscbe Königtum, worauf ALT mit Nachdruck hingewiesen hat 2 , in seinen Wurzeln und seiner Struktur etwas anderes gewesen als das Königtum der benachbarten kanaanäischen Herrschaftsgebilde. Das heißt aber im Blick auf l . S a m 8, daß der Wille des Volkes in diesem Punkt sich nicht gegen Jahwe und Samuel durchgesetzt hat. Dies und nichts anderes will der Erzähler in V. 22 a andeuten, wenn er seinen Bericht über die Verhandlungen kurz abschließt mit dem Auftrag Jahwes an Samuel, auf die Stimme des Volkes zu hören und ihnen einen König zu geben. Er scheint auch darin eine zuverlässige Erinnerung bewahrt zu haben. Was daraufhin weiter geschah, ist in 1. Sam 8 nicht mehr berichtet; wahrscheinlich weil über die Entstehung des israelitischen Königtums andere Überlieferungen zur Verfügung standen, die der Sammler in Kap. 9-12 angeschlossen hat. Jedenfalls beschränkt sich das Interesse des in Kap. 8 erhaltenen Berichts auf die entscheidenden Punkte der Verhandlung, die der eigentlichen Entstehung des israelitischen Königtums voraufgegangen sind. Die Schlußbemerkung 8, 22 b, daß Samuel die Männer
1 1
Z.B. ALT, Staatenbildung, S. 22 = Kl. Sehr. II, S. 17. AaO, passim.
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1. Samuel 8
Israels nach Hause geschickt habe, läßt (wenn man sie nicht als redaktionelle Klammer verstehen will, die den Anschluß der folgenden Geschichten ermöglichen soll) freilich die Möglichkeit offen, daß es noch weiterer Verhandlungen bedurft hat, bis Samuel in der Lage war, die Einsetzung eines Königs nach dem Willen Jahwes in die Wege zu leiten. Doch dies liegt außerhalb des Gesichtskreises von Kap. 8 und ist auch anderwärts nicht berichtet. Das Interesse an der Person und Haltung Samuels in der Verhandlung mit den Volksvertretern, das sich darum bemüht, seine Stellungnahme in der Königsfrage bis in ihre letzten religiösen Motive zu verfolgen und vom Willen Gottes her zu legitimieren, legt die Vermutung nahe, daß der Bericht von 1. Sam 8 aus den Kreisen Gleichgesinnter Vertrauter des Samuel in R a m a stammt, wo sich im ganzen zuverlässige Erinnerungen an die äußeren und inneren Schwierigkeiten, die der E i n f ü h r u n g des Königtums in Israel voraufgingen», erhalten haben. Bei aller sachlichen Berechtigung des Volksverlangens nach einem König, wofür auch der Verfasser von l . S a m 8 Verständnis zeigt (s. o.), bedeutete doch die an sich naheliegende Absicht, einen König.nach d e m Vorbild der kanaanäischen Nachbarvölker .zu schaffen, eine erneute schwere Krise, die die bisherigen Bemühungen Samuels u m die Wiederbelebung und Aufrechterhaltung des Jahwe-Glaubens in Israel von einer neuen Seite her zunichte zu machen drohte. Für Samuel stand das Werk seines Lebens, f ü r Israel die Existenz als Jahwes Volk auf dem Spiel, wenn es nicht gelang, das aus der geschichtlichen Notwendigkeit erwachsene Volksbegehren nach einem König zu vereinigen mit dem Grundsatz der Herrschaft Jahwes, mit der Israels Eigenart auf Gedeih und Verderb verknüpft war. Von daher erklärt sich die Gegnerschaft gegen das Volksbegehren und die starken religiösen Akzente, die in der Auseinandersetzung zwischen den Volksvertretern, Samuel und Jahwe dem Kapitel das Gepräge geben. Daß, wie aus Kap. 9 - 1 1 und vor allem aus Kap. 12 erschlossen werden kann, es Samuel gelungen ist, auch diese Krise zu überwinden und ohne religiösen Substanzverlust ein israelitisches Königtum eigener Prägung zu schaffen, das nicht dem heidnischen Vorbild folgte, darauf beruht die geschichtliche Bedeutung des Samuel f ü r die Entstehung des Königtums, die zwar in den übrigen Traditionen überall noch durchschimmert, aber in ihrer tieferen Motivierung erst daraus ganz deutlich wird, was in 1. Sam 8 als Präludium den verschiedenenen Erzählungen über die Erhebung Sauls zum König vorangestellt ist. D e r Wert von 1. Sam 8 als Geschichtsquelle erschöpft sich jedoch nicht darin, daß es einen Einblick in die keineswegs reibungslose Vorgeschichte der Entstehung des Königtums in Israel gibt und dabei die Bedeutung
1. Samuel 8
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Samuels in schärferen Konturen heraustreten läßt. E r liegt besonders auch darin, daß hier die Motive und Faktoren erkennbar werden, die den Sorudfircharakter dieses Königtums, aber auch seine innere Problematik von Anfang an bestimmt und sich in seiner weiteren spannungsreichen Geschichte in verschiedener Weise ausgewirkt haben.
Die Überlieferungen von der Erhebung Sauls zum König 1. Samuel 9 - 1 2
Die Erzählung über die Entstehung des israelitischen Königtums umfaßt zwar die Kapitel 8 - 1 2 des 1. Samuel buches, aber das eigentliche Thema der Erhebung Sauls zum ersten König in Israel setzt erst mit Kapitel 9 ein. Das hat seinen Grund zunächst darin, daß in Kapitel 8 die Auseinandersetzungen zwischen Samuel und den Volksvertretern über das Volksbegehren nach einem König in einer Sonderüberlieferung zusammengefaßt den Berichten über die Entstehung des israelitischen Königtums vorangestellt sind und so als eine Art Vorspiel erscheinen, in dem die Fronten sich abzeichnen und die Motive sichtbar werden, die in den Verhandlungen zwischen Samuel und den Volksbeauftragten zur Sprache gekommen sind 1 : Dem Wunsch des Volkes nach einem Königtum » w i e alle Völker« (8, 5. 20) steht der Anspruch Jahwes entgegen (8, 7), den Samuel als der Hüter der Jahwetradition vertritt. Auf dem Hintergrund der durch diese beiden entgegengesetzten Tendenzen gegebenen Spannung zwischen Volkswillen und Gotteswillen verläuft die Entstehungsgeschichte des ersten israelitischen Königtums. Dies ist offensichtlich die Meinung dessen, der Kapitel 8 den Berichten über die Entstehung des Königtums vorgeschaltet hat und so das Folgende unter diesem Gesichtspunkt verstanden wissen will. Denn die Aufforderung Jahwes an Samuel, »auf des Volkes Stimme zu hören und ihnen einen König zu geben«, in die Kapitel 8 über sich selbst hinausweisend ausmündet (8, 22), kann im Zusammenhang des Ganzen nur den Sinn haben, daß hier die Aufgabe Samuels angedeutet ist, dem Wunsch des Volkes nach einem König zwar nachzukommen, aber doch in einer Weise, daß der Herrschaftsanspruch Jahwes dabei unangetastet bleibt. Es besteht kein 1 Zur Beurteilung von 1. Sam 8 als Quelle f ü r die »Vorgeschichte« des Königtums in Israel vgl. WEISER, ZThK 57 (1960), S. 1 4 1 - 1 6 1 ( = oben S. 25-45).
1. Samuel 9-12
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Grund, daran zu zweifeln, daß in dieser Thematik, die den eigentlichen Berichten über die Entstehung des Königtums vorgesetzt ist, die Aufgabe des Samuel im Ganzen richtig gesehen und in ihrer inneren Problematik erkannt ist, wenngleicji der Verfasser von Kapitel 8 vorwegnehmend in einen einzigen Verhandlungsgang zusammengezogen hat, was sich vermutlich erst im Laufe eines längeren Zeitraums vollzogen hat. Insofern bietet Kapitel 8 doch noch mehr als nur eine Vorgeschichte der Entstehung des Königtums, die im historischen Sinn lediglich als Auftakt zu den in den folgenden Erzählungen berichteten Geschehen zu verstehen wäre. Im Gesamtaufriß der Darstellung hat es zugleich die Aufgabe eines Vorzeichens, das die Richtung andeutet, in der die folgenden Erzählungen verstanden sind. Ob und inwieweit ein solches Verständnis zutreffend ist und dem historischen Sachverhalt entspricht, muß die nähere Untersuchung der Einzelüberlieferungen ergeben, die in Kap. 9—12 sich mit der Erhebung Sauls zum König befassen. Auf den ersten Blick lassen sich in Kap. 9—11 mindestens drei Traditionskomplexe unterscheiden, die sich deutlich voneinander abheben, aber alle auf das gleiche Ziel zusteuern. In dieser Tatsache, daß die Entstehung des israelitischen Königtums Gegenstand mehrfacher Erörterung und Traditionsbildung geworden ist, spiegelt sich noch das verschiedenartige Interesse und die Bedeutung, die dem ersten Königtum in Israel zukam. Zwar läßt sich nicht verkennen, daß der Sammler bemüht war, die einzelnen Überlieferungen in eine erzählerische und zeitliche Abfolge einzuordnen : Er beginnt mit der Geschichte von der Salbung des jungen Saul 9, 1-10, 16, um daran die Erzählung von der Loswahl in Mizpa 10, 17—27 anzuschließen; mit einer Zeitbestimmung 10, 27b (G) verknüpft er die Episode der Befreiung von Jabesch 11, 1—11 und bringt die Erhebung Sauls zum König als »Erneuerung« des Königtums (11, 14) damit in Verbindung, um schließlich sachgemäß in Kapitel 12 die Erzählungsreihe mit der sakralen Szene enden zu lassen, wo in Rückblick und Ausblick die Neuordnung der Verhältnisse zur Sprache kommt. Daß diese Zusammenordnung der Stoffe jedoch nur sehr äußerlich und notdürftig gelungen ist, hat man längst erkannt und dahin verstanden, daß der Sammler vorgegebene Überlieferungsstücke verwendet hat, die ursprünglich selbständig ohne gegenseitigen Bezug tradiert waren. Von einer Salbung des jungen Saul weiß keine der übrigen Traditionen in Kapitel 9 - 1 2 ; ja, die Loswahl schließt sie direkt aus. Auch die Erzählung von Sauls Befreiungstat 11, 1-11 setzt weder die Kenntnis der Salbung noch die der vorhergegangenen Loswahl voraus. Das Gleiche gilt von dem, was wir in 11, 15 über die in Gilgal erfolgte Erhebung. Sauls zum König erfahren. Auch in 11, 12 f. scheint eine Vorstel-
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lung von dem Zusammenhang der Dinge zugrunde zu liegen, die nicht ohne weiteres mit der Darstellung der vorausgehenden Kapitel in Einklang zu bringen ist. Das scheinbare Nacheinander der Erzählungsreihe löst sich bei kritischer Betrachtung auf in ein Nebeneinander einzelner Überlieferungsstücke, die ζ. T., ohne zur Deckung zu kommen, einander parallel laufen, ζ. T. sich zeitlich und sachlich überschneiden oder ausschließen und es somit dem Historiker verwehren, entweder die ganze Erzählungsreihe oder auch nur den einen oder anderen Traditionskomplex in ein lückenloses Bild der Ereignisfolge zu transponieren. Bevor man die geschichtliche Auswertung der Erzählungen oder der in ihnen erhaltenen Einzelzüge ins Auge faßt, empfiehlt es sich, der F r a g e nach ihrer Herkunft, Entstehungszeit und -ort und ihrem Anliegen näher zu treten. Denn so g e w i ß diese Überlieferungen in ihrem jetzigen literarischen Zusammenhang auf die F r a g e Antwort geben sollen, w i e Samuel sich des göttlichen Auftrags, Israel einen König zu geben (8, 22), entledigt hat, und ausnahmslos in der Person des Saul den von J a h w e erwählten oder anerkannten König sehen 2 , so unterscheiden sich die einzelnen Traditionskomplexe nach ihrer Anlage, Form und inhaltlichen Abzweckung in einer Weise, die nur in ihrer verschiedenartigen Herkunft und Zielsetzung ihre Erklärung findet.
1. Die Salbung.
1. Sam 9, 1-10,
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Daß die Geschichte von der Salbung des jungen Saul die Reihe der Traditionen über dessen Erhebung zum König eröffnet, entspricht dem Bemühen des Sammlers um eine zeitliche Ordnung und ist durchaus sachgemäß. Gegenüber Kapitel 8 bedeutet freilich dieser Rückgriff auf einen f r ü h e r e n Zeitpunkt eine Unterbrechung des chronologischen Ablaufs des Geschehens, die in Kauf genommen werden mußte, und beweist, daß der Sammler sein eigenes Ordnungsstreben dem sachlichen Gewicht der überkommenen Einzeltradition untergeordnet hat. Über den literarischen Charakter, die Form und Gattung der breit angelegten Erzählung von der Salbung des jungen Saul hat schon H . GRESSMANN das Wesentliche gesagt 3 und die volkstümliche Eigenart der mit Märchenmotiven durchwobenen Sage überzeugend herausgearbeitet. Im Blick auf die Gestalt des Samuel, der als Gottesmann und ! Von einer grundsätzlich königsfeindlichen Traditionsreihe, zu der man 10, 17S. und 12, Iff. zu rechnen pflegt, kann hier ebensowenig die Rede sein wie
bei Kapitel 8. Vgl. dazu WEISER, ZThK 57 (1960), S. 1 4 1 - 1 6 1 ( = oben S. 25-45)
und s. u. 3 Die Schriften des AT II. 1. Bd. 19212, S. 51 fi.
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Seher neben Saul die H a u p t r o l l e spielt, w i r d man aber auch die Gesetze der LegendenhilAung zur E r k l ä r u n g seines Verhältnisses zu J a h w e und seiner F u n k t i o n am Ortsheiligtum heranziehen müssen. Auf der souveränen Beherrschung der Stilmittel dieser verschiedenen G a t t u n g e n b e r u h t die f a r bige Anschaulichkeit der E r z ä h l u n g und ihre zu dramatischen S p a n n u n g e n gesteigerte Zielstrebigkeit. Es k a n n k a u m einem Zweifel unterliegen, d a ß dieses Ziel a n dem P u n k t erreicht ist, w o die S p a n n u n g e n sich lösen u n d die beiden zunächst auf verschiedenen E b e n e n verlaufenden u n d doch aufeinander zustrebenden W e g e - Sauls Suche nach den verlorenen Eselinnen u n d Jahwes A u f t r a g a n Samuel, den Saul zu salben - z u s a m m e n t r e f f e n : N ä m lich in der S a l b u n g Sauls 10, I f . , w o trotz der vorhergehenden M i t t e i l u n g Samuels 9, 2 0 die Nachricht von der A u f f i n d u n g der Eselinnen noch einmal ausdrücklich mit der Salbung v e r b u n d e n ist. Vermutlich h a t hier oder in dem sachlich u n m i t t e l b a r anschließenden Gespräch zwischen Saul u n d seinem V e r w a n d t e n 1 0 , 1 4 - 1 6 , w o die beiden G r u n d m o t i v e der Darstellung abschließend zusammengefaßt sind, die ursprüngliche E r z ä h l u n g i h r E n d e g e f u n d e n 4 . Die Salbung Sauls ist K e r n p u n k t u n d H a u p t m o t i v der E r z ä h l u n g ; sieht m a n von i h r ab, so bliebe ein z w a r farbiger, aber nach seinem I n h a l t ziemlich belangloser R a h m e n übrig. V o n diesem Ziel her, auf das h i n die E r z ä h l u n g angelegt ist, u n d dem sie langsam aber konsequent zusteuert, m u ß sie auch verstanden w e r d e n . An i h r e r ursprünglichen E i n h e i t zu zweifeln, besteht kein G r u n d , w e n n m a n sich h e w u ß t bleibt, d a ß sie den Gesetzen der erzählfreudigen volkstümlichen Sage folgt, die anders zu beurteilen sind als die einer Geschichtserzählung. Dazu gehört die Tatsache, d a ß die Stadt, in welcher der »Gottesmann« w o h n t (9, 6), u n d in deren Gebiet der Akt der Salbung vollzogen w i r d , namenlos ist, u n d auch der Gottesmann u n d Seher® nicht mit N a m e n 4 Zur Beurteilung des Abschnitts über die »Zeichen« 10, 5-15 als sekundärer Zuwachs siehe unten. Abwegig erscheint mir, wenn STOEBE (VT 7 [1957], S. 562 ff. eine »unauflösliche Spannung« zwischen dem Motiv der Suche nach den verlorenen Eseln und der Salbung feststellen zu müssen glaubt und den ursprünglichen Skopus der Erzählung dadurch rekonstruiert, daß er den Verlust der Esel kombiniert mit dem Ausgehen des Brotes (9, 7) und die Nachricht von der Auffindung der Esel (10, 2) und das in 10, 5-4 erzählte Angebot von zwei Broten durch die Betelpilger auf die Ausstattung des Kriegers mit dem notwendigen Kriegsbedarf deutet, so daß die Geschichte ursprünglich darauf hinausgelaufen wäre, den Saul in höchster Not als Krieger und Retter zu bestätigen. Ein solcher Deutungsversuch verkennt die erzählerischen Qualitäten der Darstellung und ist nur möglich durch Verschiebung der Motive - nicht Saul, sondern sein Vater ist der Besitzer der Eselinnen und der gibbor hajil - und überspitzte Symbolik, die in bedenkliche Nähe allegorischer Auslegung gerät. Auf die reichlich phantastische kultmythologische Ausdeutung des Motivs der Suche nach den verlorenen Eselinnen durch Bic (VT 7 [1957], S. 92 ff.) einzugehen, lohnt sich nicht. 5 10, 9 erweist sich nach Form und Inhalt als spätere Glosse.
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genannt wird bis zu dem Augenblick, da er mit Saul zusammentrifft und zum Träger der Handlung wird (9, 14). Daß sich die Exposition erst im Laufe der Erzählung entfaltet, erhöht den Reiz ihrer dramatischen Spannung. Demselben Zweck dient ;auch der Zug, daß der »Gottesmann«, an dessen Identität mit Samuel nicht zu zweifeln ist, in den Augen Sauls und seines Begleiters als Wahrsager erscheint, dem man für seine Auskunft eine Vergütung schuldet; dies entspricht'einer volkstümlichen Auffassung*, die nur das zum Ausdruck bringt, worauf es in diesem Stadium der Erzählung gerade ankommt, die aber die sonst bekannte weit umfassendere Bedeutung Samuels keineswegs ausschließt. Es gehört mit zu den Feinheiten der Darstellung, daß Samuel in seiner vollen Autorität und Bedeutung erst da hervortritt, wo er selbst entscheidend in das Geschehen eingreift. Und wenn die Mädchen erzählen, daß der »Seher« kurz vor Saul in die Stadt gekommen sei, um bei der Opfermahlzeit auf dem Höhenheiligtum zugegen zu sein, (9, 12), so steht das nicht im Widerspruch zu der aus 9, 6. 25 ff. zu entnehmenden Tatsache, daß Samuel dort seinen Wohnsitz hatte, wenn man im Blick auf 7, 15 f. sich die Situation so vorstellt, daß Samuel von seiner jährlichen Runde an den übrigen Heiligtümern an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist, um an der dortigen Kultfeier teilzunehmen. Daß Saul unter diesen Umständen gerade im rechten Augenblick in die Stadt kommt, w i l l verstanden werden als eine jener verborgenen glücklichen Fügungen, durch welche die schicksalsschwere Begegnung zwischen Samuel und Saul zustande kommt. HERTZBERG 7 verkennt die gattungsmäßige und künstlerische Eigenart der Erzählung, wenn er aus den erwähnten Punkten Spannungen und Widersprüche herausliest, aus denen er zwei verschiedene Vorstufen der Überlieferung erweisen will. Nicht zu übersehen ist der eigenartig geheimnisvolle Ton, der die gesamte Erzählung durchzieht. Er ist nicht zu verwechseln mit dem erzählerischen Stilmittel, das die Spannung dadurch erhöht, daß es das anfängliche Dunkel, das über den Personen und dem eigentlichen Ziel des Geschehens schwebt, erst allmählich Zug.um Zug erhellt; er erklärt sich auch nicht nur von dem verborgenen Hintergrund des göttlichen Plans und Auftrags her, der sich in 9, 15 f. dem Samuel enthüllt und sein Handeln in der Folge bestimmt. Um dieses Geheimnis wissen nur Samuel und schließlich auch S a u l ; allen Übrigen bleibt es verborgen: Weder Sauls Begleiter noch die geladenen Teilnehmer am Opfermahl erraten den Sinn dieses Vorgangs und der vorweggenommenen Ehrung des in Aussicht genommenen Königs. Ohne Zeugen vollzieht Samuel die Salbung des Saul (9, 27); und auch dieser wahrt seinem neugierigen Verwandten gegenüber das Geheimnis von »der « Vgl. Am 7, 12. 7 ATD 10 (I960 2 ) S. 61.
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Sache des Königtums« (10, 16) 8 . Der Grund für das Geheimnis, das über der Salbung Sauls lagert, ist auch nicht in den politischen Verhältnissen zu suchen, die eine vorläufige Geheimhaltung geraten sein ließen', sondern ergibt sich einfach aus der Eigenart der Sagenbildung, ihren Entstehungsverhältnissen und ihrem Anliegen. Die Sage von der Salbung Sauls ist nach Anlage und Tendenz in gewisser Hinsicht mit der Geschichte von der Salbung Davids durch Samuel 1. Sam 16 verwandt. Eine direkte Abhängigkeit ist jedoch weder auf der einen noch auf der anderen Seite festzustellen. Beide Erzählungen stimmen darin überein, daß sie die Salbung bereits in die Jugendzeit des späteren Königs verlegen. D a ß eine solche Rückdatierung der Salbung in die Jugendzeit des Herrschers eine traditionsgeschichtlich späte Erscheinung ist, kann man für die Davidsgeschichte am Vergleich mit anderen Überlieferungen, die den Ereignissen näher stehen und den historischen Sachverhalt zutreffender wiedergeben, einwandfrei erkennen 10 . 8 WimBE&GER (ThZ 13 [1957] S. 455f. 458f.) liest zuviel »zwischen den Zeilen«, wenn er behauptet, daß die Geladenen und der Koch »durchaus im Bilde« seien und dann die Versammlung am Höhenheiligtum in Parallele zu der in Kapitel 8 erwähnten Versammlung als eine geheime »Konspiration« verstehen will, bei der die Bedingungen zur Übernahme des Königtums durch Saul zwischen den Beteiligten ausgehandelt worden seien. Davon ist im Text mit keinem Wort die Rede. Wenn WILDBERGER dazu bemerkt, daß hier nicht viel gesprochen wird, sei nur natürlich, über der Versammlung liege die Atmosphäre der »Konspiration«, so ist damit der entscheidende Punkt des Textbestandes überhaupt nicht getrofien. Wäre WILDBERGERS Annahme richtig, daß »ein geheimer Rat von Vertretern Israels unter Führung Samuels versammelt sei, um über das Königtum zu verhandeln, dem Samuel den vorstelle, den er f ü r den gegebenen Anwärter der hohen Würde betrachtet«, dann bliebe immer noch unverständlich, daß Samuel in der nächsten Szene, in der WILDBERGER mit Recht den Höhepunkt der ursprünglichen Erzählung sieht, den Saul unter vier Augen zum Fürsten über Jahwes Volk salbt. Wozu dann dieses Geheimnis, wenn die geladenen Vertreter, wie WILDBERGER meint, »durchaus im Bilde sind« und dieser Akt der Designation zum nagid als historische Voraussetzung f ü r einen noch folgenden Bericht über die Erhebung Sauls zum König zu beurteilen ist? Abgesehen davon, daß WILDBERGER auf seinem Versuch zu einem historischen Kern der Erzählung vorzudringen, ungeachtet ihres geschlossenen zielstrebigen Aufbaus diese in ein kompliziertes Gebilde mit einer Reihe von sekundären Erweiterungen aufzulösen sich gezwungen sieht, trennt er einen integrierenden Bestandteil der Erzählung aus seinem Zusammenhang heraus und unterschiebt ihm in einer μετάβασις είς δλλο γένος einen historischen Bezug, der weit über das hinausgeht, was der Text selbst hergibt.
• G e g e n HERTZBERG, a a O S . 65. 10 Nach 2. Sam 2, 4 wurde David in Hebron zum König von Juda, nach 2. Sam 5, 5 zu einem späteren Zeitpunkt zum König von Israel, und zwar vom Volk ohne Mitwirkimg Samuels gesalbt. Die Anspielung auf eine vorausgegangene Verheißung Jahwes, nach der David zum nagid über Israel bestimmt ist, die 1. Chr 11, ^ f. mit einem Wort Samuels in Verbindung bringt, weiß von einer Salbung Davids nichts. Vgl. dazu RUDOLPH, Chronikbücher, 1955, S. 97.
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Ob die Traditionsverhältnisse bei der Geschichte von Sauls Salbung ähnlich liegen, läßt sich nicht mit derselben Sicherheit feststellen. Dies wäre der Fall, wenn die Nachricht der Septuaginta (1. Sam 11, 15), daß Samuel den Saul im Jahweheiligtum von Gilgal zum König gesalbt habe, gegenüber dem M T »sie machten dort den Saul zum König vor J a h w e in Gilgal« den Vorzug verdiente. Ob jedoch die Septuaginta an dieser Stelle eine historisch zuverlässigere Nachricht bewahrt hat, bleibt angesichts ihrer Neigung zu glätten (s. u.) fraglich. Aber auch abgesehen davon ist nicht daran zu zweifeln, daß die Erzählung von Sauls Salbung (1. Sam 9, 1 ff.) ein relativ junges Stadium der literarischen Traditionsbildung darstellt, die in die Jugendzeit Sauls zurückträgt, was historisch frühestens mit seiner Erhebung zum König aktuell geworden sein könnte. Denn die übrigen Traditionen von der Entstehung des Königtums setzen nirgends die Bekanntschaft mit der Erzählung von der Salbung Sauls voraus. Und der Erzähler verfährt durchaus folgerichtig, wenn er die Geschichte von der Salbung des jungen Saul vom Geheimnis umwoben sein läßt und aus dem gleichen Grund die Bezeichnung nagid — den von J a h w e »Kundgegebenen« — wählt (1. Sam 9, 16; 10, 1, vgl. 2. S a m 5, 2) 1 1 . Trotzdem wäre es voreilig, in der Erzählung von Sauls Salbung eine freie Erfindung ihres Autors erblicken und ihr jeden historischen Bezug absprechen zu wollen. Wenn auch die vorhandenen Texte nicht ausreichen zur Feststellung, ob und unter welchen Umständen eine Salbung Sauls zum König tatsächlich stattgefunden hat, so gibt es doch indirekte Hinweise f ü r die Entstehung der Tradition von der Salbung Sauls. Die Vorstellung von der Salbung als charakteristischem Merkmal des Königs war, wie ihre Verwendung in der Jotamfabel (Ri 0, 8. 15) ausweist, schon im vorstaatlichen Israel geläufig und muß von außen her eingedrungen sein, ehe noch Israel selbst einen König hatte 1 2 . Dann ist es naheliegend, daß Saul, einmal König geworden, nach verbreiteter Auffassung im Volk als »Gesalbter« galt und so auch tituliert wurde. E i n e solche volkstümliche Auffassung, verbunden mit der an magische Bereiche grenzenden Vorstellung von der Unantastbarkeit des Gesalbten spiegelt sich noch in dem Verhalten Davids gegenüber Saul 1. S a m 24, 7. 1 1 ; 26, 9. 11. 16. 2 3 ; 2. Sam 1, 14 ff. Bei der engen Beziehung, in der das israelitische 11 Da der Erzähler in 10, 16 rückblickend von der »Angelegenheit des Königturas« redet, trifft man schwerlich den Sinn der Erzählung, wenn man mit HEMPBERG (aaO, S. 64) den Unterschied zwischen nagid und melek überbewertet und darin die Wiederherstellung einer vorgegebenen Ordnung erkennen will. 18 Die Bezeichnung »Gesalbter« als Titel des Königs findet sich in der Titulatur der hethitischen Könige. Vgl. KNUDTZON, Die El Amamatafeln VAB 2, S. 319; NORTH, ZAW 50 (1922) S. 14 f. Zur Salbung der hethitischen Könige siehe noch ANET S. 355 und GURNEY, Hittite Kingship, Myth and Ritual and Kingship, hrsg. von Hooke, S. 118.
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Königtum zur Jahweverehrung stand, und angesichts der Bedeutung, die dem Samuel gerade in dieser Hinsicht zukam, kpnnte es nicht ausbleiben, daß dann ihm der Vollzug des Aktes der Salbung zugeschrieben wurde und zu einer Traditionsbildung geführt hat, die, wie 1. Sam 15, 1 lehrt, die besonderen Verpflichtungen des israelitischen Königs aus der Salbung ableitete. Hier wird man die traditionsgeschichtlichen Ansatzpunkte suchen dürfen, von wo aus sich die volkstümliche anschauliche Erzählung in 1. Sam 9 f. mit ihrer Rückverlegung der Salbung in die Jugend Sauls nachträglich herausgesponnen hat. Doch gleichviel, wo man solche Ansatzpunkte für die Entstehung der Salbungsgeschichte annehmen mag, sie allein geben noch keine hinreichende Erklärung der Motive einer derartigen Traditionsbildung. Die Eigenart der volkstümlichen Sage verbietet zwar, aus ihr ohne weiteres den geschichtlichen Vorgang rekonstruieren zu wollen, aber anderseits geht es ebensowenig an, im Ganzen und Einzelnen nur das freie Spiel dichtender Volksphantasie sehen zu wollen, deren Ursprung einzig in der Liebe und Begeisterung für den jugendlichen Helden zu suchen sei und deshalb keinerlei historische Einsichten vermittle. Die Erzählung von der Salbung Sauls hat noch ein weiteres Anliegen und dient einem weitergreifenden Zweck, der ihre letzten Motive und zugleich auch den Grund ihrer Aufnahme in den Überlieferungskomplex von 1. Sam 9—12 erkennen läßt: Ähnlich wie die späte Tradition von der Erwählung und Salbung des jungen David 1. Sam 16, hat auch die Geschichte von Sauls Salbung die Tendenz, die Legitimität seines Königtums zu rechtfertigen und nachträglich zu unterbauen. Was die Erzählung über das glückhafte Zusammentreffen von Ereignissen und Personen im einzelnen anschaulich und spannend zu berichten weiß, dient letztlich der Illustration der geheimnisvollen Führungen Gottes, die in der Erwählung der Person des Saul ihren Grund haben und mit seiner Salbung ihr Ziel erreichen. Dadurch ist Saul als König in einer Weise legitimiert, die jede menschliche Einmischung von vorneherein ausschließt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine solche Tendenz auch gegen Zweifel gerichtet ist, die der Person Sauls gegenüber in gewissen Kreisen bestanden haben (vgl. 10, 27; 11,12 f.). Aber der Gedanke, die Macht und Autorität des Königs durch seine göttliche Erwählung zu fundamentieren, ist nicht erst israelitischen Ursprungs. Er ist Gemeingut altorientalischer Königsideologie und seit Schulgi von Sumer und Gudea bis Kyros zu belegen 1 '. Die Art, wie Thutmosis III von seiner Erwählung als Knabe durch den Gott Amon redet, oder daß Nabonid l s In Nordsyrien beruft sich sowohl der legitime dynastische Thronfolger Bar Rekub» als auch der Usurpator Zakir auf seine göttliche Erwählung (vgl. GRESS-
ΜΛΓΙΝ, A O T S . 4 4 5 . 4 4 5 .
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sich als den bezeichnet, den Sin und Nergal zum Herrscher bestimmt haben, als er noch im Schöße seiner M u t t e r war, erweckt den Eindruck, als ob damit ihre anfechtbare Legitimität nachträglich gerechtfertigt werden sollte. Da die Erzählung von Sauls Salbung sowohl in ihrem Anliegen, die Legitimation Sauls als König nachträglich noch stärker zu unterbauen, als auch in der Verwendung des Motivs der in die Jugend zurückverlegten göttlichen E r w ä h l u n g durch die geheime Salbung, sich mit dem deckt, was aus der Umwelt Israels allgemein bekannt war, ist die Folgerung nicht zu umgehen, daß beides von dorther übernommen und den besonderen israelitischen Verhältnissen dadurch angepaßt worden ist, daß es hier J a h w e ist, der sich seines bedrückten Volkes erbarmt und ihm einen König als Befreier vorausbestimmt, den Samuel in seinem Auftrage zu salben hat. Dann aber erscheint es fraglich, ob der Gedanke der charismatischen Führerschaft, der nach Ausweis des Richterbuches in der vorstaatlichen Periode Israels wirksam gewesen war, hier von Anfang an die maßgebende Rolle eines in Israel selbst vorgegebenen Elements politischer Gestaltung gespielt hat, die ALT ihm f ü r die Entstehung des Königtums zuzuweisen geneigt ist 14 , zumal da nicht übersehen werden kann, daß durch die E r w ä h l u n g und Salbung des Saul hier sein Königtum als dauernde Institution begründet werden soll, was sich wesenhaft unterscheidet von dem Charisma eines durch Jahwe zu einmaliger Tat berufenen und begabten Führers 1 5 . Traditionsgeschichtlich gesehen sind es im Grunde zwei Motive verschiedener H e r k u n f t , die in der Erzählung von Sauls Salbung zu einem Kompromiß vereinigt sind: Die aus der altorientalischen Umwelt stammende Vorstellung von der göttlichen E r w ä h l u n g und Salbung des Herrschers, die in gewisser Weise dem Wunsch des Volkes nach einem König »wie die Völker« entgegenkommt (vgl. 1. Sam 8, 5. 20) und dem volkstümlichen Interesse der Erzählung entspricht, und andererseits die starke Betonung der alleinigen Initiative Jahwes, die Samuel zum Vollstrecker seines Willens macht. Geschichtlich gesehen wird man deshalb aus der Entstehung der Tradition von 1. Sam 9 f. entnehmen dürfen, daß jener Gegensatz zwischen dem Willen des Volkes und dem von Samuel vertretenen Willen Jahwes, der nach 1. Sam 8 in der Frage des Königtums aufgebrochen ist, auch nach der E i n f ü h r u n g des Königtums, bei der sich Samuels Standpunkt offenbar im wesentlichen durchgesetzt hat 1 6 , noch keineswegs ganz ausgeglichen war, sondern als latente Spannung " Staatenbildung der Israeliten in Palästina (1930) S. 22 f. 29 = Kl. Schriften zur Geschichte des Volkes Israel II S. 17 f. 23. 15 Vgl. auch BUCCELATI, Da Saul a David, Bibbia e Oriente I 4 - 5 (1959), S. 102 f. In 1. Sam 11, 1-11, wo der Vergleich mit der charismatischen Führerschaft naheliegt, ist Saul noch nicht als König gedacht. 16 Vgl. WEISER, ZThK 57 (1960), S. 141-161 ( = oben S. 25-45).
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weiterbestanden hat und sich in der Geschichte des Königtums und deren Überlieferungen da und dort geltend gemacht hat. Das bedeutet freilich nicht, d a ß solche Spannungen immer zu offenem Konflikt gegensätzlicher miteinander unvereinbarer Standpunkte f ü h r e n mußte, wie dies in 1. Sam 8 dargestellt ist; die Erzählung 1. Sam 9, 1 ff. läßt erkennen, daß es in der israelitischen Königsfrage Punkte gab, an denen ein Ausgleich zwischen der am Vorbild der Umwelt gewonnenen volkstümlichen Vorstellung vom König u n d dem von Samuel vertretenen Herrschaftsanspruch Jahwes sehr wohl möglich war und in der Tradition von der Salbung Sauls auch tatsächlich stattgefunden hat. Dann aber drängt sich die Frage auf, ob nicht auch an anderen Punkten der Überlieferung über das erste Königtum Spuren eines ähnlichen Zusammentreffens verschiedener Strömungen, Anschauungen und Interessen sich feststellen lassen, die in der Ausgestaltung der einzelnen Traditionen und des Bildes vom Königtum Sauls wirksam geworden sind. Die Erzählung 1. Sam 9 , 1 ff. enthält eine Reihe von Zügen, die aus volkstümlichen Vorstellungen oder Interessen h e r r ü h r e n und das Erscheinungsbild des Königs nach außen hin geprägt haben: Das ins Superlativische gesteigerte Ideal des jungen Mannes, der an Körpergröße und Schönheit »alles Volk« überragt (9, 2), dessen liebenswürdigem Eindruck man sich schwer entziehen kann, was die Erzählung durch das bereitwillige und gesprächige Eingehen der Mädchen auf seine Frage anmutig illustriert (9, 11-13); ein M a n n ausgezeichnet durch seine H e r k u n f t aus vornehmer, angesehener und begüterter Familie (9, 1), der bei allem doch bescheiden bleibt (9, 21), ein treuer Sohn, der seinem Vater in Gehorsam und Liebe zugetan ist (9, 3 f. 5), mit dem Sklaven seines Vaterhauses auf freundschaftlichem F u ß e verkehrt (9, 5—8) und, wo es gilt, auch schweigen kann (10, 16); alle diese menschlich sympathischen Züge im Bilde Sauls sind inspiriert von der Liebe, mit der das Volk das Wunschbild seines Königs gezeichnet hat. W i l l man die Kreise noch näher bestimmen, in denen dieses Bild entstanden u n d weiter überliefert wurde, so könnte man an die benjaminitischen Stammesgenossen des Königs denken. Darauf deutet die Bemerkung Samuels 9, 20 »Wem gehört alles Kostbare in Israel?« hin, wobei die höflich bescheidene Antwort, mit der Saul das Lob abwehrt, den benjaminitischen Stammesstolz eher verrät als verbirgt. Daneben sind jedoch noch andere Züge in die Erzählung verwoben, die sich nicht unmittelbar aus dem volkstümlichen Königsbild herleiten lassen. Bei ihnen w i r d man wohl an Kreise in Rama denken müssen, die als Träger der Samueltradition in Frage kommen. Die genaue Ortskenntnis der Stadt, in der Samuel wohnt, und ihrer Umgebung legt die Annahme von Rama als Entstehungsort nahe. Was über den Auftrag zur Salbung, den Jahwe dem Samuel erteilt, und die einzelnen M a ß n a h m e n Samuels am Orts-
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heiligtum berichtet ist, setzt eine nähere Kenntnis von Zusammenhängen voraus, die in ihren letzten Wurzeln bis in den Kreis der Vertrauten Samuels zurückzugehen scheint und sich in einigen Reflexen niedergeschlagen hat, aus denen Rückschlüsse auf die Stellung Samuels in der Königsfrage gezogen werden können. Schon an dem Punkt, wo in der Erzählung Samuel zum erstenmal mit Namen genannt und aktiv in die Handlung eingeschaltet wird, ist eine Tradition vorausgesetzt, die den geschichtlichen Hintergrund der Rolle Samuels in der Königsfrage durchblicken läßt: Wenn in 9, 16 der Entschluß Jahwes, dem Volk einen König zu geben, damit begründet ist, daß »das Geschrei« des Volkes zu ihm gedrungen sei, dann ist hier wohl eine Tradition vorausgesetzt, wie sie die Volksklage von 1. Sam 7, 2 im Auge hat und die Königsfrage im Zusammenhang mit der Aufgabe sieht, die dem Samuel während der Philisternot zugewachsen ist 17 . Auf den gleichen sachlichen Zusammenhang führt auch die Aufgabe, die dem zu kürenden König zugedacht ist, »Israel aus der Hand der Philister zu befreien« (9. 16). Daß darin eine historisch zutreffende Erinnerung bewahrt ist, die bis in die Zeit der Ereignisse selbst hinaufreicht, ergibt sich nicht nur aus den unmittelbaren Erfordernissen der geschichtlichen Lage, sondern auch aus der traiitionsgeschichtlichen Erwägung, daß dieses Motiv nicht erst hatte aufkommen können, nachdem offenkundig geworden war, daß Saul in Wirklichkeit dieser Aufgabe sich nicht gewachsen gezeigt hat 18 . Wenn man den in der Erzählung als glücklichen Umstand hervorgehobenen Zug, daß Samuel gerade im rechten Augenblick in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist (9, 12) mit seinen alljährlichen Besuchen an den verschiedenen Heiligtümern (7, 16f.) in Verbindung bringt (s.o.), dann bewegt sich auch an diesem Punkt die Erzählung auf dem Boden geschichtlich zuverlässiger Samueltradition 19 . Aus der Samuelüberlieferung und dem Rahmen, in dem sich seine Tätigkeit entfaltet hat, scheint auch die Terminologie zu stammen, die in der Erzählung für das Volk gebraucht wird. Schon der Name »Israel« (9, 20), noch deutlicher aber »mein Volk« und »mein Volk Israel« im Munde Jahwes (9, 16) und »sein (Jahwes) Erbbesitz« (10, 1) weisen hier nicht auf politischen, sondern auf den sakralen Sprach- und Denkbrauch als ihren Ursprungsort. Das aber ist gerade der Bereich, in dem, wie wir aus 1. Sam 7 wissen, Samuels Bemühungen um die Erhaltung der durch die Krise der Philisternot gefährdeten Jaliwevereh17 Zu den historischen Hintergründen von 1. Sam 7, 2-6 vgl. WEISER, ZThK 56 (1959), S. 262ff. ( = oben S. 5-24). 18 Diesem Umstand hat die Sep.tuaginta in einem Zusatz zu M T Rechnung getragen, wenn sie die Aufgabe Sauls entsprechend modifiziert hat und von den »Feinden ringsum« statt von den Philistern spricht. " Vgl. WEISER, aaO, S. 259 ( = oben S. 11).
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rung wirksam gewesen sind20. Auch das gemeinsame Mahl mit Samuel und den von ihm geladenen Gästen im Höhenheiligtum, bei dem Saul der Ehrenplatz und -anteil vorbehalten ist, deutet in seiner noch geheim gehaltenen Symbolik die Richtung an, die Samuel bei der Einführung des Königtums verfolgt hat: Nämlich es einzubauen in die schon bestehenden Formen des Jahwebundes und es zu binden an den göttlichen Herrschaftsanspruch21. Man wird auch kaum fehlgehen, wenn man das Opfermahl nach Analogie von Ex 24, 11 als Bundesmahl versteht (vgl. auch Gen 51, 44. 54). Und wenn es in 9^24 heißt »da aß Saul mit Samuel an jenem Tage«, nachdem unmittelbar zuvor von dem Mahl in Gemeinschaft mit den Geladenen die Rede war, so meint wohl diese merkwürdige Hervorhebung Samuels, daß Samuel hier gewissermaßen in der Rolle als Bundesmittler mit besonderer kultischer Autorität fungiert hat. Für die Entstehung der Erzählung von Sauls Salbung ergibt sich demnach folgendes traditionsgeschichtliches Bild: Nebeneinander haben sich volkstümliche Vorstellungen, die ζ. T. benj amini tischen Stammesinteressen entspringen, ζ. T. auf fremde Vorbilder zurückgehen, und sakrale Elemente der in den Kreisen um Samuel bewahrten Erinnerungen erhalten und sind einander angeglichen, so daß die Salbungsgeschichte trotz ihres sagenhaften und legendären Charakters eine Reihe von Zügen enthält, die je an ihrem Ort der Beachtung des Historikers wert sind und Aufschluß geben über die verschiedenen Tendenzen, die an der erzählerischen Ausformung der Tradition über die geheime Designation des Saul beteiligt waren. Einer gesonderten traditionsgeschichtlichen Betrachtung bedarf der Rest der Erzählung 10, 2—13, der in 10, 7. 9 unter dem Thema »Zeichen« zusammengefaßt ist. Dadurch werden die drei Weissagungen Samuels, die ihn als Propheten mit seherischer Gabe erscheinen lassen, obwohl sie erzählerisch unmittelbar an die Salbung angeschlossen sind, von ihr deutlich abgehoben. Das hat vermutlich seinen Grund darin, daß es sich um Ergänzungen handelt, die die in sich abgerundete Geschichte von der Salbung nach sich gezogen hat. Darauf führt zunächst der merkwürdige Umstand, daß erst nachträglich am Schluß in 10, 7 von »Zeichen« die Rede ist, obwohl man diese Bezeichnung schon gleich am Anfang vor 10, 2 erwarten sollte22. Schon daraus, ist zu folgern, daß das Zeichenmotiv sekundärer «® Vgl. WEISER, a a O , S . 2 6 1 - 2 6 9 ( = oben S. 1 5 - 2 1 .
Vgl. WEISER, ZThK 57 (1960), S. 141-161 ( = oben S. 25-45). Die Septuaginta hat offenbar dies empfunden und einen glatteren Fluß der Erzählung dadurch hergestellt, daß sie schon in IQ, 1 auf die Zeichen hinweist. Aus diesem Grund hat man vielfach ihre Lesart für ursprünglich gehalten. Da jedoch die wortreiche griechische Ergänzung besonders auch durch die oben erwähnte Korrektur, die von der Befreiung des Volkes aus der Hand seiner Feinde 81
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Zuwachs zur Salbungsgeschichte ist. Aber auch von der Sache her legt sich diese Annahme nahe, sobald man nach dem Sinn und Zweck der Zeichen im Zusammenhang der Erzählung fragt. Die Antwort, daß die Weissagungen Samuels der »Beglaubigung seiner göttlichen Vollmacht« dienen sollen, um »das verwunderte Staunen und fragende Zweifeln des jungen Bauernsohnes zu überwinden« 2 3 , unterschiebt dem Text eine Deutung, für die er nicht den geringsten Anhaltspunkt bietet**. Im Sinne des Erzählers und seiner Leser ist der durch einen Mann von der Autorität eines Samuel vollzogene Akt der Salbung und das sie begleitende Gotteswort in sich selbst genug und bedarf nicht erst der Bestätigung durch weitere »Zeichen«. Das Zeichenmotiv hat demnach sachlich mit der Salbung nichts unmittelbar zu tun, sondern ist aller Wahrscheinlichkeit nach eingeführt, um die verschiedenen an die Salbungsgeschichte angeschlossenen Traditionselemente unter einem neuen Gesichtspunkt zuammenzufassen und sie wenigstens erzählerisch mit ihr zu verknüpfen. Dann aber ist eine gesonderte traditionsgeschichtliche Untersuchung dieses Zuwachses zur Salbungsgeschichte nötig. Die drei unter dem Begriff Zeichen zusammengefaßten Weissagungen Samuels sind nicht gleicher Art. Die Ankündigung 10, 2, daß die Eselinnen gefunden sind, ist, nachdem in 9, 20 Samuel selbst schon den Saul darüber beruhigt hat, sachlich überflüssig. Daß dieses Motiv trotzdem hier wieder aufgegriffen wird, soll wohl dem Erzählungsstrang, mit dem die Darstellung begonnen hat, eine noch deutlichere erzählerische Abrundung verleihen. Anders ist die Begegnung Sauls mit den Betelpilgern (10, 3 f.) zu beurteilen. Ob die beiden Brotlaibe, die Saul aus ihrer Hand empfängt, als Ersatz für das nach 9, 7 ausgegangene Brot und als Zeichen der Fürsorge Gottes gedacht sind 25 , ist mir fraglich. Da die Gäbe ursprünglich für den Gott von Betel bestimmt w a r (10, 3), scheint dieses Geschenk eine gewichtigere Bedeutung zu haben als die einer einfachen Wegzehrung. Man wird es als Ehrengabe verstehen müssen, die ähnlich w i e in der Opferszene am Heiligtum eine unbewußte Huldigung gegenüber dem verborgenen Thronanwärter gedacht ist 26 und diese indirekt in Verbindung mit dem Heiligtum von Betel bringt. Die Tendenz, auf diese Weise der geheimnisvollen Huldiringsum redet, den Verdacht erweckt, daß die Septuaginta absichtlich geglättet hat, ist es methodisch nicht geraten, ihr vor dem M T den Vorzug zu geben. 23
S o G R E S S M A N N , a a O , z. S t .
Anders liegen die Dinge in der Berufungsgeschichte Gideons Ri 6, 12 ff., wo dessen Zweifel durch die erbetenen Zeichen überwunden werden. Aber was dort in der Erzählung ausführlich begründet ist, darf hier nicht einfach ohne Stütze im Text unterschoben werden. 24
25
S o BUDDE, HERTZBERG U. a .
"
V g l . WILDBERGER, a a O , S . 4 5 5 .
1. Samuel 9 - 1 2
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gung eine breitere Basis zu verschaffen, könnte auf spätere Beziehungen des Königtums zum Heiligtum von Betel zurückgehen, die ihrerseits wieder aus der früheren Verbindung Samuels mit den Lokalheiligtümern sich herleiten würde (vgl. 7, 16 f.)· Doch wird man mangels weiterer Unterlagen bei solchen Vermutungen Zurückhaltung üben müssen. Wieder in andere Richtung weist die dritte Weissagung über die Begegnung Sauls mit den Propheten (10, 5—7), deren Erfüllung als einzige ausführlich erzählt wird (10, 10-13) 27 . Im Grunde geht es hierbei um die Frage nach dem Königscharisma bzw. der Geistbegabung des Saul. Ähnlich wie bei der Salbungsgeschichte ist auch hier in die Jugend des Saul verlegt, was erst später sich zur Tradition verdichtet hat. Das geht schon daraus hervor, daß in 10, 11. 13 das Sprichwort »Ist auch Saul unter den Propheten?« zitiert wird, das Saul als einen bekannten Mann — möglicherweise schon als König — wie in der Parallelversion 1. Sam 19, 18—24 voraussetzt. Vielleicht ist um dieses Sprichwortes willen überhaupt erst die Erzählung in 10, 10-13 eingeschaltet worden. Denn die abschließende Bemerkung (10, 9) »Da trafen alle diese Zeichen ein an jenem Tage« macht eine derartige Erzählung eigentlich überflüssig, zumal der Erzähler verständlicherweise es nicht für nötig gehalten hat, über den zusammenfassenden Hinweis von V. 9 hinaus von der Erfüllung der beiden ersten Weissagungen zu berichten. Auch fügt sich das abfällige Urteil über die prophetische Ekstase Sauls, worauf das Sprichwort unverkennbar hinausläuft, schlecht in den Gesamtzusammenhang, nachdem in der Weissagung Samuels 10, 6f. die Geistergriffenheit Sauls durchaus positiv beurteilt war. Beim Thema des dritten Zeichens handelt es sich ebenfalls um die Zurückdatierung eines Problems, das erst nach der Erhebung Sauls zum König akut geworden ist. Es fällt auf, daß in der Frage des Königscharismas bzw. der Geistbegabung Sauls die in 1. Sam 10 enthaltenen Überlieferungen keine einheitliche und eindeutige Vorstellung haben. Nebeneinander und nur teilweise miteinander verknüpft stehen verschiedene Auffassungen über diesen Punkt. Und merkwürdigerweise ist die Geistbegabung an keiner Stelle zu dem Akt der Salbung in unmittelbare Beziehung gesetzt, so daß im Unterschied zur Salbungsgeschichte Davids 1. Sam 16, 13 hier die Geistbegabung nicht als Folge der Salbung angesehen werden kann. Unabhängig von der Salbung und erzählerisch deutlich von ihr abgehoben ist in 10, 9 berichtet, daß erst beim Abschied Sauls von Samuel Gott dem Saul »sein Herz in ein " 10, 8 wird allgemein als redaktionelle Klammer angesehen, die jetzt die Voraussetzung und Brücke bildet zu der in 1. Sam 13, 8 - 1 4 berichteten Verwerfung S&uls in Gilgal. Ob hier ursprünglich von einer anderen Beziehimg Sauls zu Gilgal die Rede gewesen ist, die der Redaktor dann ersetzt hätte, kann man fragen, aber nicht beantworten.
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1. Samuel 9 - 1 2
anderes verwandelt hat«. Eine ähnliche, aber doch wohl nicht dieselbe Vorstellung erscheint in der Weissagung Samuels »du wirst in einen anderen Mann verwandelt werden« 10, 6 (10), wo sie an die andere Auffassung angeschlossen ist, daß Jahwes Geist auf Saul »überspringen« wird, die nach Analogie der prophetischen Ekstase gedacht ist. Wieder eine andere Vorstellung, die vom Erzähler deutlich von der vorausgehenden abgesetzt wird, findet sich in 10, 7, daß »Gott mit Saul ist«, und dieser deshalb tun soll, »was seine Hand findet« 8 8 . Dieses Nebeneinander der verschiedenen Vorstellungen über die Geistbegabung des Königs sind vielmehr ein Beweis dafür, daß mit der Institution des Königtums von Anfang an noch keine klare Vorstellung vom Königscharisma verbunden war, sondern daß man noch nachträglich auf verschiedenen Zugangswegen erst darum gerungen hat. Aus dem Schwanken der Überlieferung an diesem Punkt ist deshalb zu folgern, daß ein abgerundetes Vorstellungsbild von der göttlichen Designation des Saul und seinem Königscharisma nicht von vorneherein als geltende Norm vorhanden war, und daß man sich verschiedenen bereitliegenden Vorstellungsmaterials bediente, um die den König auszeichnende Lebensmacht und Autorität näher zu definieren 2 ·. Insofern gibt 1. Sam 10 einen Einblick in die Auseinandersetzung und Entstehungsgeschichte der israelitischen Anschauung vom Königscharisma, die traditionsgeschichtlich gesehen sich erst nachträglich und allmählich herausgebildet hat und deshalb nicht ohne weiteres als historische Grundlage f ü r die Entstehung der besonderen Form des israelitischen Königtums gelten kann. Ein gewisses Endstadium der 1 8 Die verschiedentlich gemachten Vorschläge, die eine oder andere Aussage zu streichen, um einen glatten Fluß der Erzählung herzustellen, scheinen mir methodisch ebenso bedenklich zu sein wie der Versuch, die Unterschiede zu verwischen und die Aussagen zu vereinerleien. ** An das Vorbild der Uberlieferungen vom charismatischen Führertum der sog. großen Richtergestalten eririViert 10, 7b (vgl. Ri 6, 13) und das Uberspringen des Gottesgeistes 10, 6 (10) (vgl. Ri 6, 5 4 ; 11, 2 9 ; 13, 2 5 ; 14, 6. 1 9 ; 15, 14). Aber sowohl das Vorbild des Richtercharismas als auch die prophetische Geistergriffenheit boten keine ausreichenden Analogien f ü r die Illustration des Königscharismas, da es sich dort um vorübergehende (10, 13) und zu begrenztem Zweck erfolgte Geisteswirkungen handelt, während das Königscharisma einen Dauerzustand bzw. eine Dauerwirkung des Geistes umschließt, die erst wieder durch Entzug aufgehoben werden kann (vgl. 1. Sam. 16, 14). (Vgl. jetzt BEYERLIN, Z A W 73 (1961), S. 186 ff.) Diesem Wesen des Königscharismas entsprechen weit eher die beiden Vorstellungen in.. 1 0 , . 6 , daß Saul in einen anderen Mann verwandelt wird, und in 10, 9, daß sich sein Herz in ein anderes verwandelt hat. Daß aber gerade diese beiden Vorstellungen in merkwürdig farblosen Aussagen ohne direkten Bezug zu Jahwes Eingriff formuliert sind, läßt vermuten, daß diese Ausdeutung des Königscharismas fremden Ursprungs ist (vgl. FRANKFORT, Kingship and the Gods (ο. J. 1948, S. 246), und deshalb hier nicht zu gleicher Ausreifung gelangen konnte wie in Mesopotamien.
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Herausbildung einer festen Tradition über das Königscharisma begegnet in der späten Davidsüberlieferung 1. Sam 16, 13, wo die Geistbegabung als unmittelbare Folge der Salbung erscheint. Daß in 1. Sam 10 beides von einander abgehoben und getrennt berichtet wird, stellt eine Art Vorstufe der Traditionsbildung dar, die vielleicht damit zu erklären ist, daß man in gewissen dem Samuel und dessen Tendenzen nahestehenden Kreisen im Bewußtsein des fremden Ursprungs der Königssalbung (s. o.) darauf bedacht war, ihre Bedeutung dadurch einzuschränken, daß man das Zustandekommen des israelitischen Königscharismas nicht aus ihr direkt ableitete, sondern auf andere Weise zu motivieren suchte. Auf eine gewisse Reserve gegenüber der .Salbung und dem mit ihr eng verbundenen magischen Vorstellungskreis, die in dem Glauben an die Unantastbarkeit des Gesalbten weiterlebte (1. Sam 24, 7. 11; 26, 9. 11. 2 3 ; 2. Sam 1, 14ff.; 10, 22; Ps 105, 15), weist auch die Tatsache, daß es der Erzähler in 1. Sam 10 offensichtlich vermieden hat, solche Anschauungen mit der Salbung Sauls in Verbindung zu bringen oder überhaupt an irgendeiner Stelle der Samuel-Saul Erzählung sie zu Worte kommen zu lassen. Dahinter steht wohl die Auseinandersetzung zwischen der von Samuel angestrebten und der durch fremde Vorbilder genährten volkstümlichen Vorstellung vom König (s. o.). Der volle Ausgleich zwischen beiden ist, wie die verschiedenen Uberlieferungen von der Salbung Davids beweisen (2. Sam 2, 4 ; 5, 3 ; 1. Sam 16,17), erst relativ spät zustandegekommen in der Verbindung von Salbung und Geistbegabung, die darauf hindeutet, daß die im Volk lebendige Auffassung von der Salbung und ihrem institutionellen Gewicht dabei an Boden gewonnen hat. Durch ihren Charakter als Sage und Legende verwehrt zwar die Erzählung 1. Sam 9, 1-10, 16 dem Historiker den Einblick in die tatsächlichen ersten Anfänge des israelitischen Königtums; wohl aber gibt ihre traditionsgeschichtliche Analyse die Möglichkeit, die spätere Traditionsentwicklung und die ihr zugrundeliegenden Vorstellungen und Tendenzen zu erkennen, die an der Ausformung des israelitischen Königsbildes beteiligt waren. Der in 1. Sam 8 thematisch in seinen Extremen herausgestellte Gegensatz zwischen der Auffassung des Volkes und der Samuels war mit der Einführung des Königtums noch nicht beigelegt. Er hat als in der Sache selbst liegende Spannung weiter bestanden, die nicht nur die Uberlieferung vom ersten israelitischen Königtum, sondern auch das Wesen dieses Königtums selbst bestimmt hat.
II. Die Loswahl.
1. Sum 10, 17-26™
Auf die Salbungsgeschichte läßt der Sammler die Überlieferung von der Loswahl und Erhebung Sauls zum König folgen. Sie setzt mit 10, 17 völlig neu ein ohne Andeutung des zeitlichen Abstands, der zwischen den Ereignissen liegt. Daß der Sammler keinen Versuch gemacht hat, diese zeitliche Distanz in irgendeiner Form zu überbrücken, rührt wohl daher, daß ihm f ü r die Zwischenzeit keine weitere Tradition zu Gebote stand. Zweifellos ist dem Sammler auch nicht die sachliche Spannung zwischen den Geschichten von der Salbung und der Loswahl entgangen, die sich auf den ersten Blick aufdrängt: Nach der Salbung ist eine Loswahl eigentlich überflüssig; anderseits schließt die Loswahl eine vorhergehende Erwählung und Salbung aus. Das führt zu dem Schluß: Die Loswahlerzählung ist als selbständige Tradition zu werten, die eine Erzählung von der Salbung des jungen Saul weder voraussetzt noch gekannt hat und deshalb ihre eigene Traditionsgeschichte gehabt haben muß. Daß der Sammler weder die zeitliche Distanz überbrückt noch die sachliche Diskrepanz der beiden Erzählungen a b z u g l e i c h e n unternommen hat, spricht f ü r seine Treue gegenüber_der. Überlieferung, der w i r es verdanken, daß die Erzählung von der Loswahl Sauls sich in ihrer Eigenart von den umgebenden Stücken deutlich abhebt. M a n hat dies natürlich schon längst beobachtet und dafür die bekannte literarkritische Erklärung gegeben, daß 1. Sam 10, 17-26 der sog. königsfeindlichen Erzählungsreihe zuzuweisen sei und die Erzählung über das Volksbegehren 1. Sam 8 unmittelbar fortsetze. Das Hauptargument für diese übliche literarische Einordnung von 10, 17-27 in den sog. königsfeindlichen Erzählungsstrang sieht man in 10, 19, wo die Verurteilung des Volksbegehrens nach einem König als V e r w e r f u n g Jahwes jene königsfeindliche Tendenz von Kapitel 8 wieder aufzugreifen und darin den gleichen Verfasser zu verraten scheint. Aber abgesehen davon, daß die sog. königsfeindliche Tendenz in Kapitel 8 einer stark einschränkenden Korrektur bedarf 3 1 , kann auch in 10, 17 ff. von einer grundsätzlichen Ablehnung des Königtums nicht die Rede sein; die Königswahl Sauls durch das Los. in der Jahwes W i l l e n sich kundtut, läuft dem direkt zuwider. Auch wenn man beides berücksichtigt, könnte man auf den ersten Blick immer noch geneigt sein, in 10, 19 die literarische Verbindungsklammer zu Kapitel 8 zu sehen, die auf denselben Verfasser hinzuweisen scheint. Genau besehen läßt sich auch dies nicht aufrecht erhalten. Denn die Vorstellung vom Volksbegehren nach einem König ist in beiden Kapiteln verschieden: In Kapitel 8 30 31
Zu dieser Abgrenzung s. u. Vgl. WEISER, ZThK 57 (I960), S. 1 4 1 - 1 6 1 ( = oben S. 25-45).
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wird der Königswunsch von den Ältesten dem Samuel in Rama vorgetragen, in 10, 19 ist vorausgesetzt, daß dies bei der von Samuel einberufenen Versammlung des Volkes zu Mizpa geschehen ist (»heute«). Hinsichtlich des Orts, der Zeit und der Art des Ausbruchs des Konflikts zwischen Volkswillen und Gotteswillen 82 liegt hier eine andere Vorstellung vor. Es handelt sich demnach in Kapitel 8 und in 10, 19 um zwei verschiedene Traditionen, die zwar auf das gleiche Faktum eines Konflikts in der Königsfrage zurückgehen, aber schwerlich von derselben Hand verfaßt sein können. Daraus ergibt sich, daß die Erzählung von der Loswahl des Saul als eine selbständige Tradition zu beurteilen und zu werten ist. Darauf führt auch die Form der Erzählung. Obwohl sie in 10, 21 b-23, wo der durchs Los erkorene Saul erst aus seinem Versteck hervorgeholt werden muß, ein Motiv verwendet, das volkstümlicher Überlieferung entstammt®3, unterscheidet sich die Darstellung, die sich im Unterschied zu volkstümlicher Erzählungsweise nicht gerade durch Anschaulichkeit auszeichnet, in ihren wesentlichen Punkten von der Volkssage. Nicht nur der Umstand, daß sich das gesamte Geschehen, von dem sie berichtet, am Jahweheiligtum zu Mizpa abspielt, charakterisiert sie als eine Art Heiligtumslegende, sondern auch die einzelnen Traditionselemente und Vorstellungen, die sie voraussetzt, verweisen die Erzählung in den Bereich sakraler Überlieferung. Die Funktionen des Samuel bei der Einberufung des Volkes »zu Jahwe nach Mizpa« V. 17, bei seiner einleitenden Rede und bei der Durchführung der Loswahl V. 18-20. 20 f., bei der Proklamation des Königs V. 24, bei der Verkündigung, Aufzeichnung und Deponierung des »Rechts des Königtums« an heiliger Stätte bewegt sich ganz im kultischen Rahmen, der seinen Worten und Handlungen sakrale Weihe und entsprechendes Gewicht verleiht. Auf der anderen Seite erscheint das Volk in seiner Eigenschaft als Stämmeverband in militärischer Gliederung (Tausendschaften V. 19, Krieger V. 26) in einer Situation, die in gewisser Weise an die aus dem Deboralied erkennbare Kultversammlung erinnert®4 und darin wohl ihre Analogie hat. ALT war auf dem richtigen Weg, wenn er, von anderen Erwägungen ausgehend, obwohl das Wort in der Erzählung nicht fällt, an den »Bund« erinnert®5. Tatsächlich verläuft die Geschichte von der Loswahl Sauls in den Bahnen der sakralen Tradition des Stämmeverbands, deren Einfluß bis in die Einzelheiten hinein nachweis3 2 Die in mehreren Handschriften und G, S, V überlieferte Lesart statt 1*7 scheint nach dem Text von 8, 19, wo sie allein sinngemäß ist, geändert zu sein. 83 Vgl. die Parallelen bei GRESSMANN, aaO, S. 42. " Vgl. dazu WEISE«, Z A W 71 (1959), S. 7 0 S . 3 4 Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina (1930) S. 29 = Kl. Schriften zur Geschichte des Volkes Israel II (1953), S. 23.
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bar ist. Gleich die dem eigentlichen Wahlakt vorausgeschickte Rede Samuels verrät nach Form und Inhalt die Abhängigkeit von einer vorgegebenen Überlieferung, die in der kultischen Tradition des Stämmeverbands Israel ihren Sitz hatte. Angeredet sind die Anwesenden als »Söhne Israels«. Die Rede Samuels ist in die Form des Botenspruchs gekleidet und führt »Jahwe, den Gott Israels« feierlich ein mit dem Namen, der wie in Jos 24, 2 ; Ri 5, 3 sein besonderes Verhältnis zur Kultversammlung »Israel« im Auge hat. Auch der Aufbau der einleitenden Rede Samuels folgt einem vorgegebenen Schema: Der geschichtliche Rückblick — hier wie in Ex 20, 2, Jos 24, 2-13 in der Form göttlicher Selbstprädikation - entspricht dem Stil des Bundesformulars, der sich bis zum Dekalog und darüber hinaus zu hethitisAen Vasallenverträgen zurückverfolgen läßt s e und unter entsprechender Neugestaltung des Inhalts seit den Anfängen des israelitischen Jahwekultes normgebend geblieben ist. Seinem Inhalt nach enthält dieser geschichtliche Vorspruch die Heilstaten Jahwes an Israel als Voraussetzung und Fundament, aus dem sich die besonderen Verpflichtungen Israels seinem Gott gegenüber ableiten. Bald in gedrängter Kürze wie hier, bald in breiter ausgeführter Form wie in Jos 24, 2 f f . ; Dt 32, 7-14 3 7 dienten solche Rekapitulationen der Heilstaten Jahwes der kultischen Vergegenwärtigung seines Heilshandelns an Israel und daraus folgend der Weckung der Gefühle der Dankbarkeit und der Erneuerung der Treu Verpflichtung des Bundesvolkes. Dieser mit dem Wesen des Jahwebundes von Anfang an gegebene Zusammenhang zwischen den göttlichen Gnadenerweisen und der daraus abgeleiteten Verpflichtung des Gottesvolkes zur Bundestreue ist auch in 1. Sam 10, 18 f. vorausgesetzt, wenn Samuel im Anschluß an die Rekapitulation der Heilstaten Jahwes dem Volk vorhält, daß es mit seinem Verlangen nach einem König Gott verworfen habe (V. 19). Da sich im Fortgang der Erzählung diese Kritik an dem Volksbegehren nicht weiter auswirkt und auf sie kein Bezug mehr genommen wird, ist sie von dem Einfluß des Rituals her zu verstehen, das hier offenbar Modell gestanden hat. Oer Sache nach handelt es sich um die Verurteilung des Abfalls von Jahwe, die das Grundgebot des Jahwebundes voraussetzt und sich auf derselben Ebene bewegt, wie anderwärts die Absage an die fremden Götter oder ein ähnliches Sündenhekenntnis. Aus Jos 24, 19 ff.: Ri 5, 8; I)t 32, 15-18 ist zu entnehmen, daß ein derartiges Traditionselement schon frühzeitig zur Kultpraxis des sakralen Stämmeverbands gehörte, deren prägender Einfluß auch in 1. Sam 10, 18 f. erkennbar ist. TraditionsgeM Zum Einzelnachweis vgl. die Untersuchung von BEYERLIN, Herkunft und Geschichte der ältesten Sinaitraditionen, 1961; weiter KOROSEC, Hethitische Staatsverträge, Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, Heft 60 (1931).
"
V g l . d a z u WEISER, Z T H K 5 6 ( 1 9 5 9 ) S . 2 6 7 ( = o b e n S . 1 9 ) .
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schichtlich ist demnach festzustellen, daß der Verfasset der Erzählung die Versammlung zu Mizpa sich nach dem Vorbild der Kultpraxis des Bundesrituals vorgestellt hat. Daß die kultische Szene in ihren Einzelheiten nicht noch deutlicher heraustritt, ist wohl die Folge der gedrungenen Kürze der Darstellung, der es auch an anderen Punkten nicht auf plastische Anschaulichkeit ankommt. Vermutlich soll die Kritik Samuels an dem Volksbegehren, die eine Art Gericht über die Untreue des Volkes mit einschließt, dem naheliegenden Mißverständnis wehren, als ob in der folgenden Szene Jahwe doch schließlich vor dem Volkswillen kapituliert habe, wenn er durchs Los dem Volk einen König bestimmt. Aber dies wird nirgends ausgesprochen, da es dem Verfasser offenbar genügt, wenn das Volksbegehren als Verwerfung Jahwes gebrandmarkt ist. So kommt es, daß der Bericht über die Loswahl des Königs ziemlich unvermittelt sich anschließt und abrupt einsetzt. Daß jedoch die neue Szene im Zusammenhang mit dem Vorausgehenden verstanden werden soll, ist in der Einleitungsformel ΠΓΙ51 (»und nun«) angedeutet, auf deren typische Verwendung in den »Bundesformularen« M U I L E N B U R G jüngst hingewiesen hat 88 . Woher das Motiv der Erwählung des Saul durchs Los stammt, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Daß die Kürung Sauls in Wirklichkeit auf dem Wege der Loswahl erfolgte, ist nicht gerade wahrscheinlich. Das Loswahlmotiv soll dartun, daß Sauls Wahl zum König jeder menschlichen Beeinflussung entzogen und allein durch die Willensäußerung Jahwes bestimmt war. Das legt die Annahme nahe, daß es sich hier um eine nachträgliche Traditionsbildung handelt, die ein ähnliches Anliegen vertritt wie die Erzählung von der Salbung des jungen Saul und vielleicht gegen mißgünstige Stammesrivalitäten gerichtet war. Letzteres könnte daraus erschlossen werden, daß die Erzählung trotz ihrer Kürze bemüht ist, zu zeigen, daß alle Stämme unter gleichen Bedingungen ordnungsmäßig zur Wahl gestanden haben89. Dessen ungeachtet möchte man der Darstellung des Vorgangs der Loswahl größere Anschaulichkeit wünschen. Ihr.Interesse gilt mehr dem »Daß« als dem »Wie«., so daß sich nicht einmal sagen läßt, ob der Erzähler den Modus der Wahl als bekannt voraussetzt, oder ob er selbst keine klare Vorstellung davon gehabt hat 40 . Es » VT 9 (1959), S. 560 ff. ' · Zu anderen Bedenken gegen die Wahl Sauls s. u. bei Kapitel 11. 40 Thutmosis III berichtet in einer Inschrift des Amontempels zu Kamak, wie er durch ein göttliches Orakel zum König bestimmt wurde (ANET, S. 446). Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese oder eine ähnliche Art nachträglicher Legitimierung des Herrschers auch in Palästina bekannt war und in entsprechender Abwandlung auf das Königtum Sauls übertragen wurde. Daß Jos 7, 16 ff. dem Verfasser als literarisches Vorbild für die Verwendung des Loswahlmotivs gedient habe (NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien [1943], S. 58), ist eine unbe5
7913 Weiser, Samuel
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genügt ihm zu zeigen, w i e Jahwes AVille den rechten Mann zu finden w u ß t e . Durch die Einschaltung des wohl aus volkstümlicher Tradition entlehnten Motivs, daß der Erwählte nicht gleich zu finden ist, sondern durch eine erneute Gottesbefragung ausfindig gemacht und aus seinem Vorst eck herabeigeholt werden m u ß (10, 21 b-25), gewinnt die Erzählung an dramatischer S p a n n u n g ; und zugleich wird, ähnlich w i e in der Salbungsgeschichte Davids (1. S a m 16), durch dieses retardierende Moment die Unbeirrbarkeit der göttlichen E r w ä h l u n g des Saul unterstrichen 4 1 . Die überragende Körpergröße des Saul gilt der volkstümlichen Überlieferung als Bestätigung dafür, daß Jahwes W a h l auf den rechten M a n n gefallen ist (vgl. 9, 2). Und der Königsjubel, mit dem das versammelte Volk den Saul begrüßt, als Samuel ihm den von J a h w e Erkorenen präsentiert, ist die freudige und ehrfurchtsvolle Zustimmung zur göttlichen Loswahl 4 8 . M i t 10, 24 hat das Loswahlmotiv seinen natürlichen Abschluß erreicht. W e n n die Erzählung trotzdem in V. 15 w e i t e r f ä h r t und von der Verkündigung, Aufzeichnung und Deponierung des »Rechts des Königtums« berichtet, w i r d daran deutlich, daß ihr Interesse sich nicht auf die Erw ä h l u n g der Person Sauls beschränkt, sondern auch noch einem weiteren sachlichen Punkt g i l t : Im Sinne der Erzählung ist erst durch die Proklamierung und Feststellung des Königtumsrechts der Punkt erreicht, an dem das israelitische Königtum zur rechtlichen Ordnung geworden und damit seine besondere Eigenart vollgültig unischrieben ist. Die ursprüngliche Erzählung ist mit V. 25 f. abgeschlossen. Nachdem im Rückblick auf ihren Anfang berichtet ist, d a ß Samuel das ganze Volk nach Hause entlassen hat, weisbare und angesichts der Verschiedenheit der Situationen unwahrscheinliche Vermutung, die nur unter den anfechtbaren literarkritischen Voraussetzungen der NoTfischen Hypothese der Erwägung Avert wäre. 4 1 Ob der Versuch von EISSFELDT (Die Komposition der Samuelisbücher [1931], S. 7 f.) die ursprüngliche Gestalt dieses volkstümlichen Uberlieferungselements dahin zu rekonstruieren, daß die W a h l denjenigen treffen sollte, der die anderen um Haupteslänge überragt, das Richtige trifft, mag dahingestellt bleiben. Ich sehe jedoch keinen Grund zu einer literarkritischen Ausscheidung des Stücks und Zuweisung an eine andere Quellenschicht, zumal ein Unterschied in der Beurteilung von Sauls Königtum, auf den EISSFELDT neben anderem seine literarische Analyse aufbaut, nicht besteht. 4 2 Angesichts der auffallend passiven Rolle, die das Volk in der Erzählung von der Loswahl spielt, dürfte die neuerdings verbreitete Auffassung jedenfalls nicht im Sinne des Erzählers sein, die in der »Akklamation« des Volkes eine Art selbständigen Akt von rechtlicher Wirkung sieht, dessen es erst bedurft hätte, damit der von Jahwe Erwählte als rechtmäßiger König gegolten habe (gegen HERTZBERG, aaO, S. 70 u. a.). Eine derartige weittragende Uberbewertung der vox populi würde dem Grundgedanken der göttlichen Loswahl und damit dem Anliegen der Erzählung direkt zuwiderlaufen. Zum Ruf »Es lebe der König!« siehe DE BOER, VT 5 (1955), S. 225 ff.
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und auch Saul mit seiner Begleitung heimgekehrt ist, gibt sich V. 27 deutlich als sekundäres und nicht gerade glücklich angeschlossenes Stück zu erkennen, das sich nach Form und Inhalt schlecht in den Zusammenhang der in sich geschlossenen Erzählung von der göttlichen Loswahl fügt 4 3 . Es gehört ursprünglich in einen anderen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang (s. u.). Die näheren Umstände, unter denen das Recht des Königtums in 10, 25 erwähnt wird, schließen die verbreitete, meist auf literarkritischem Vorurteil beruhende Meinung aus, daß es mit dem in 8, 9. 11 ff. genannten »Recht des Königs« gleichzusetzen sei. Dort handelt es sich um das Recht eines Königs nach dem Muster der heidnischen Könige 44 , dessen Verkündigung den Zweck hat, das Volk, das einen König » w i e die anderen Völker« begehrt, zu warnen; in 10, 25 dagegen ist ein am Jahweheiligtum deponiertes Rechtsdokument gemeint, das aller Wahrscheinlichkeit nach die Belange des israelitischen Königs unter dem Gesichtspunkt des Herrschaftsanspruchs Jahwes im Sinn einer positiven Ordnung geregelt hat. Auch wenn w i r über den Inhalt dieses Rechts des Königtums nichts weiter erfahren, so ist doch die Tatsache und die Form seiner Erwähnung im Zusammenhang mit der Versammlung am Heiligtum von Mizpa insofern aufschlußreich, als sich die Darstellung hier erneut im Rahmen vorgegebener sakraler Tradition bewegt. Denn die Verkündigung, Aufzeichnung und Deponierung des Königrechts am Jahweheiligtum entspricht dem, was in Jos 24, 26, aber auch schon in Ex 24, 4. 7 über frühere Stufen der kultischen Bundesüberlieferung berichtet ist, die offenbar auch hier wieder durchschlägt. W a s sich für den Anfang der Geschichte von der Loswahl Sauls ergeben hat, bestätigt sich auch f ü r ihren Schluß: .Die .Erzählung von der Loswahl Sauls ist eingebettet in den Rahmen einer Versammlung Israels am Jahweheiligtum zu Mizpa, f ü r die dem Verfasser in wesentlichen Zügen der Rahmen der sakralen Bundestradition als normgebendes Vorbild gedient hat. Daraus ergibt sich zunächst einmal unter traditionsgeschichtlichem Aspekt, daß die prägende Kraft der sakralen Bundestradition f ü r den Kreis, in dem die Erzählung einst geschaffen und tradiert wurde, aktuelle Bedeutung gehabt haben muß. Mit einem solchen allgemeinen und farblosen Ergebnis wird sich der Historiker allerdings kaum zufrieden geben. Denn es erhebt sich an diesem Punkt sofort die weitere Frage, ob man die Traditionsgeschichte der Erzählung nicht noch einen Schritt weiter zurückverfolgen und dabei auf historische Fundamente stoßen kann, die ihrerseits geeignet sind, den Gang der Traditionsgeschichte weiter zu erhellen. Als Ort, an dem diese Tradi45 44
Beachte unter anderem auch den Widerspruch zwischen 10, 27 und 10, 24! Vgl. WEISER, ZThK 57 (I960), S. 1 4 1 f f . ( = oben S. 25 ff.).
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tion entstanden und weitergepflegt worden ist. wird man das Jahweheiligtum von Mizpa annehmen dürfen, an dem vermutlich auch das Dokument über das Recht des Königtums einmal aufbewahrt war. Die Tendenz des LosiKahlrnotivs, die Legitimation des Königtums Sauls jeder menschlichcn Kritik und Einflußnahme zu entziehen, deutet wohl auf einen Kreis benjaminitischer Stammesgenossen des Königs als Uberlieferungsträger, deren Stammesinteressen durch die Königsfrage unmittelbar berührt waren. Andererseits dürfte die geradezu souveräne Stellung, die dem Samuel in der Erzählung zugewiesen ist, nahelegen, daß die Traditionsträger gleichzeitig als Verehrer Samuels anzusprechen sind, die sich die Pflege der Samnpliiherlieferung am Heiligtum von Mizpa angelegen sein ließen. Von anderen Samueltraditionen, die ihren Sitz am Jahweheiligtum von Mizpa hatten, wissen w i r aus 1. Sam 7, 3 ff., die sehr wahrscheinlich historisch zuverlässige Nachrichten über seine dortige Tätigkeit während der Philisternot bewahrt haben 45 . Nun weist auch die Darstellung der Kultszene in Mizpa, von der 1. Sam 7 berichtet, eine Reihe von Zügen auf, die der Kulttradition des sakralen Stämmeverbands entstammen und sich dort erklären als bewußter Rückgriff Samuels auf vorgegebene Normen bei seinen Bemühungen, nach dem Verlust des Zentralheiligtums der Lade der darniederliegenden Jahweverehrung und ihrer Überlieferung zu neuem Leben zu verhelfen. Von da aus fällt auch Licht auf die in 1. Sam 10, 17 ff. festzustellenden Elemente vorgegebener Jahwekulttradition. Sie besagen nicht nur, wie sich der Erzähler den Verlauf der Volksversammlung in Mizpa vorgestellt hat, sondern gehen auch hier wahrscheinlich auf Samuel selbst zurück, dem es auch bei der Einführung des Königtums daran gelegen sein mußte, in konsequenter Fortführung seiner früheren Bemühungen um die Erhaltung der Jahweverehrung, die neue Institution des Königtums in Israel einzuordnen in den Rahmen, der durch ihre Traditionen gegeben war. An diesem Punkt läßt sich die Betrachtung der Traditionsgeschichte von 1. Sam 10, 17 ff. zurückverfolgen bis zu ihrem historischen Grund, der f ü r die Entstehung und besondere Ausgestaltung des ersten Königtums in Israel von entscheidender Bedeutung w a r : Es ist wohl den Bemühungen Samuels zuzuschreiben, daß das israelitische Königtum bei seiner Entstehung mit der Jahweverehrung und ihrer amphiktyonischen Überlieferung in enge Beziehung gebracht und von dort her seine Ordnungen, seine Impulse, aber auch seine Problematik empfangen hat. Auch aus dem Befund von 1. Sam 10, 17 ff. ist zu ersehen, daß die beim Konflikt zwischen Samuel und den Volksvertretern über das Volksbegehren nach einem König zutagegetretene Grundhaltung Samuels als Vertreter des " Vgl. dazu
WEISER,
ZThK 56 (1959), S. 253 ff. ( = oben S. 5 ff.).
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Herrschafts-Anspruchs Jahwes, worauf 10, 9 ausdrücklich Bezug nimmt 4 ·, sich durchgesetzt und auch die Traditionsbildung über die Entstehung des Königtums mitbestimmt hat, was sich auch in der Verwertung und Tendenz des aus volkstümlicher Überlieferung entnommenen Loswahlmotivs, das sich natürlich der Kontrolle des Historikers entzieht, zu erkennen gibt. Wenn auch der konkrete Vorgang der Erhebung Sauls zum König im Dunkel bleibt, so rechtfertigt doch die Uberlieferung von seiner Loswahl 1. Sam 10, 17-26 nicht die radikale Skepsis, mit der man ihr üblicherweise unter der Voraussetzung ihrer literarkritischen Zuweisung an eine sog. königsfeindliche Erzählungsreihe gegenübertritt. Eiiie. traditionsgeschichtliche Untersuchung der Überlieferung zeigt nicht nur die Unhaltbarkeit der Hypothese eines meist einem deuteronomistischen Geschichtsschreiber zugeschriebenen königsfeindlichen Erzählungstrangs, sondern deckt an verschiedenen Punkten Traditionselemente auf, die wesentlich mehr der Beachtung und des Vertrauens der Historiker wert sind, als man ihnen bislang zuzugestehen geneigt war.
III. Saul wird König
in Gilgal. 1. Sam 10, 27—11, IS
Auf die Geschichte von der Loswahl Sauls und der Einrichtung des Königtums in Mizpa 1. Sam 10, 17-26 folgt eine Erzählung, die auf die Erhebung Sauls zum König vor Jahwe in Gilgal hinausläuft und sich damit offenkundig als Paralleltradition über die Entstehung des israelitischen Königtums erweist, die wahrscheinlich am Jahweheiligtum von Gilgal entstand und dort tradiert wurde. Aus dem Nebeneinander der beiden konkurrierenden Traditionen hat der Sammler ein Nacheinander gemacht, indem er eine notdürftige zeitliche und sachliche Verknüpfung der beiden Uberlieferungen hergestellt hat: Mit einer Zeitbestimmung »Es geschah nach ungefähr einem Monat« (10, 27) verbindet er die beiden Erzählungen 47 ; die Einsetzung Sauls zum König in Gilgal bezeichnet er in 11, 14 mit Rücksicht auf 10, 17ff. als Erneuerung des Königtums 48 und schließt mit 44
Vgl. Zur historischen Wertung dieser Tradition: WEISER, ZThK 57 (1960),
S . 1 4 1 - 1 6 1 ( = oben S. 2 5 - 4 5 . 47 Daß die Lesart TPI sprachlich und sachlich bedenklich und durch die im griechischen Text bezeugte Zeitbestimmung zu ersetzen ist, wird seit THENIUS fast allgemein angenommen; für Beibehaltung der masoretischen Lesart
treten neuerdings wieder BUBER, VT 6 (1956), S. 146 und HERTZBERG, aaO, S. 68
ein.
48 Ob der Sammler diesen immerhin merkwürdigen Gedanken frei erfunden oder unter dem Einfluß eines späteren (kultischen) Vorbilds geprägt hat, läßt sich nicht entscheiden.
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Kapitel 12 die Erzählungsreihe von der Einrichtung des israelitischen Königtums in Rückblick u n d Ausblick ab. Diese Bemühungen des Sammlers, die Erzählungen an einem fortlaufenden Faden aufzureihen, lassen seine Überlieferungstreue erkennen, der es d a r u m zu t u n war, auch eine Tradition festzuhalten, die sich mit anderen von ihm gebrachten Überlieferungen stößt und deshalb n u r durch einen, allerdings nicht ungeschickten eigenen Eingriff in seinen Gesamtaufriß einfügen ließ. Sieht man zunächst einmal von der Tatsache ab, daß es offenbar in Mizpa und Gilgal verschiedene Überlieferungen von der Erhebung Sauls zum König gegeben hat, die ihrerseits eine E r k l ä r u n g fordert (s. u.). so ist es damit allein noch nicht getan, daß man sich mit der Feststellung begnügt, daß in 1. Sam 11 eine ursprünglich selbständige Gilgaltradition vorliegt, um, wie es mehrfach geschehen ist, sie sofort auf ihre geschichtliche Verwertbarkeit zu befragen. D a ß Kapitel 11 weit mehr als die übrigen Traditionen über die Entstehung des israelitischen Königtums die Beachtung der Historiker gefunden hat, ist bekannt. Meist hat man dabei durch Ausscheidung einiger den glatten F l u ß der Erzählung störender Zusätze (so vor allem V. 12-15) einen möglichst geschlossenen Bericht herauszuschälen versucht, den man dann als ziemlich getreues Spiegelbild des geschichtlichen Ablaufs der Ereignisse ansah. G'RESSMAN.N und neuerdings S O G C I N 4 9 gehen auf diesem Wege so weit, alle den Samuel betreffenden Aussagen aus Kapitel 11 zu eliminieren, und kommen dadurch zu dem Ergebnis, daß die Erhebung Sauls zum König in Wirklichkeit ausschließlich Sache des Volkes gewesen und ohne M i t w i r k u n g Samuels erfolgt sei. Allein es fragt sich, ob man auf diese Weise durch Ausscheidving vermeintlich störender Elemente zu dem ürbestand der Überlieferung und von dort ohne weiteres zur Rekonstruktion des geschichtlichen Hergangs zu gelangen vermag. Denn der Überlieferungsbestand von 1. Sam 11 f ü g t sich keineswegs in seiner Gesamtheit dem Wunschbild einer in sich geschlossenen »Geschichtserzählung«. Traditionsgeschichtlich gesehen ist das Kapitel keine Einheit, sondern setzt sich zusammen aus verschiedenartigen Überlieferungselementen, die einer gesonderten Betrachtung bedürfen, ehe man ein Gesamtbild gewinnen und daraus die historischen Folgerungen ziehen kann. Als umfangreichstes Stück hebt sich zunächst der Komplex von 11. 1 - 1 1 mit eigenem Thema von seiner ü m g e b u n g ab. Die Erzählung von der Bedrohung der Stadt Jabesch durch den Ammoniterkönig Nahas und ihrer Befreiung durch Saul ist nach F o r m und Inhalt als Geschichtserzählung anzusprechen. In folgerichtiger und geschlossener Darstellung berichtet sie über ein eng begrenztes geschichtliches Ereignis und hat formal und sach«» ThZ 15 (1959), S. 401 ff.
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lieh ihr Ende erreicht in der Nachricht von dem vollständigen Sieg Sauls über das Heer der Ammoniter (V. 11). In dieser Erzählung, die dem berichteten Geschehen verhältnismäßig nahesteht, haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach richtige Erinnerungen aus der Umgebung Sauls niedergeschlagen, die schon immer von den Historikern entsprechend verwertet wurden. Leicht erkennbarer Zusatz ist das nachhinkende und unmotivierte »und hinter Samuel« (V. 7); die in V. 8 genannten Zahlen der gemusterten Krieger sind zu hoch gegriffen, und auch die Erwähnung eines judäischen Aufgebots am Ende von V. 8 steht im Verdacht, spätere Auffüllung zu sein 50 . Sonst aber scheint der alte Bericht unversehrt erhalten zu sein. Für das relative Alter des Ammoniterkriegsberichts spricht auch die Tatsache, daß in der Erzählung selbst mit keinem Wort auf die übrigen Traditionen von der Entstehung des Königtums Bezug genommen wird. Saul ist der einfache Bauer, der von seiner Feldarbeit heimkehrend gleichsam durch Zufall auf Umwegen von der Bedrohung der Stadt Jabesch erfährt; weder ist er den hilfesuchenden Boten als Mann von besonderer Autorität bekannt, noch handelt er selbst als verborgener oder gar offenkundiger König. Spontan, vom Geiste Jahwes erfaßt, was der Erzähler sehr menschlich als gewaltigen Zornausbruch versteht (V. 6) 51 , nimmt er die Zügel des Geschehens in die Hand und bietet nach amphiktyonischem Brauch (V. 7) 52 den israelitischen.Heerbann auf, mit dem er die Ammoniter besiegt. Man hat denn auch schon längst beobachtet, daß diese Geschichte den Heldenerzählungen des Richterbuchs darin gleicht, daß Saul hier, ähnlich wie einer der Richter als charismatischer Führer erscheint, der die Entscheidung in einer örtlich und zeitlich begrenzten Notlage herbeiführt. Nur darin besteht ein Unterschied zwischen den Richtergeschichten und 1. Sam 11, 1—11, daß es sich im Ammoniterkrieg Sauls nicht wie dort um die Angelegenheit eines einzelnen Stammes, sondern des Stämmeverbands handelt, dessen scheinbare Wehrlosigkeit von dem Ammoniterkönig höhnisch bedroht wird (V. 2 b), der sich aber unter Sauls Führung in seiner hergebrachten kriegerischen Struktur dennoch bewährt hat. Nötigt die äußere und innere Geschlossenheit der Erzählung dazu, die Tradition von Sauls Ammonitersieg zunächst aus sich selbst heraus zu verstehen, so erhebt sich 5 0 Auch als Saul König geworden war, scheint der judäische Süden nicht in demselben Sinne wie die mittelpalästinischen Stämme zu seinem Machtbereich gehört zu haben; vgl. ALT, aaO, S. 2 5 Anm. 19 = Kl. Sehr. II, S. 19 f. Anm. 3. 5 1 EISSFELDT, aaO, S. 8 sieht in der doppelten Aussage ein Anzeichen einer zweiten literarischen Erzählungsreihe und will 1 1 , 6a α mit 13, 36 ff. verbinden. Seine recht weithergeholte Beweisführung ist jedoch nicht zwingend. " Zu dem Ritus der in Stücke zerteilten Rinder als Bundesbrauch vgl. Ri 19, 2 9 ; auf außerisraelitische Parallelen weist WALLIS ( Z A W 64 [1952], S. 57 ff.) hin.
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von da aus die weitere F r a g e , wie diese in sich abgerundete Geschichte, die sich völlig außerhalb des Gesichtskreises des K ö n i g t u m s bewegt, in ihren jetzigen literarischen Z u s a m m e n h a n g gekommen ist, der die Entstehung des K ö n i g t u m s als Ziel i m A u g e hat. Die seit WELLHAI:SEN 55 i m m e r wiederholte A u s k u n f t , daß sich 1. S a m 10, 2 7 b ; 11. I f f . unmittelbar an die E r zählung von 9, 1 - 1 0 , 16 anschließe und die dortige Traditionsreihe fortsetze, übersieht die Tatsache, daß 11, 1 - 1 1 mit keinem W o r t auf Sauls K ö n i g t u m hindeutet und nirgends einen Gedanken erkennen läßt, der eine solche V e r b i n d u n g rechtfertigt; im Gegenteil unterscheiden sich die verschiedenen A u f f a s s u n g e n von der Geistbegabung des S a u l in 10, 5 ff. (s. o.) von dem, w a s über die Geistergriffenheit Sauls in 11, 6 f. berichtet ist, so d a ß es nicht ohne weiteres angeht, mit ALT 5 4 die E n t s t e h u n g des israelitischen K ö n i g t u m s i m Blick auf 1. S a m 11 in der L i n i e eines Ü b e r g a n g s von der charismatischen F ü h r e r s c h a f t zu einem institutionell verfestigten D a u erzustand zu sehen. D e n n einerseits liegt es im Wesen der charismatischen F ü h r e r s c h a f t , d a ß von ihr aus kein W e g zu einer institutionellen Verf e s t i g u n g f ü h r t , w i e ALT 5 5 selbst erkannt h a t ; und andererseits verbietet die Tatsache, d a ß 1. S a m 11, 1 - 1 1 von einem K ö n i g t u m S a u l s noch nichts weiß, von seiner charismatischen F ü h r e r s c h a f t aus eine direkte L i n i e zur E i g e n a r t seines K ö n i g t u m s zu ziehen. WILDBERGER, der die Schwierigkeit, die Kapitel 11 in dieser Hinsicht bietet, gesehen hat 5 ·, sucht sie dadurch zu beheben, daß er die dort geschilderten Ereignisse in eine Zeit zurückverlegt, die sich » J a h r e , w e n n nicht gar J a h r z e h n t e vor der E r h e b u n g Sauls z u m K ö n i g abgespielt h a b e n « . D i e F r a g e aber, w i e dann Kapitel 11, 1 - 1 1 in den jetzigen E r z ä h l u n g s z u s a m m e n h a n g gekommen ist, wird von WILDBERCER weder gestellt noch beantwortet. Sie w ü r d e bei seiner V e r m u t u n g nur noch dringlicher. D a ß der S a m m l e r , der sonst bemüht w a r , die Uberlief e r u n g e n in eine zeitliche A b f o l g e einzuordnen (s. o.), hier u m den Zeitabstand der Geschehnisse sich überhaupt nicht g e k ü m m e r t haben sollte, ist w e n i g wahrscheinlich. V i e l näher liegt die Annahme, daß er auch hinsichtlich der A n o r d n u n g der S t o f f e an diesem Punkt von einer U b e r l i e f e r u n g a b h ä n g i g w a r , die ihm schon vorgelegen hatte, m. a. W . daß die von ihm v o r g e f u n d e n e Ü b e r l i e f e r u n g von einem Z u s a m m e n h a n g des in 11, 1 - 1 1 erzählten Geschehens mit der K ö n i g s f r a g e w u ß t e und den Bericht über S a u l s Ammonitersieg in solchem R a h m e n tradiert hat. N u n ist die E r z ä h l u n g von Sauls Rettertat (1. S a m 11, 1 - 1 1 ) tatsächlich D,er Text der Bücher Samuelis (1872), S. 77. " AaO, S. 28 f. = Kl. Sehr. II, S. 22 f. " AaO, S. 9 = Kl. Sehr. II S. 6. μ ThZ 13 (1957), S. 466 ff.
ss
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in einem R a h m e n eingebettet, der auf eine Tradition hindeutet, nach der zwischen dem Ammonitersieg Sauls und der Königsfrage eine Beziehung bestanden hat. Diesen Rahmen bilden 10, 27 und 11, 12 f. M a n hat diese Verse als R a h m e n von 11, 1 - 1 1 deshalb nicht erkannt, weil man, ausgehend von dem Wunschbild einer in glattem F l u ß durchlaufenden Erzählung 11, 12 f. als störenden redaktionellen Zusatz voreilig streichen zu müssen glaubte und die Berechtigung dazu in 10, 27 fand, der in seiner jetzigen an 10, 17-26 angeschlossenen Gestalt - wohl schon frühzeitig - als Abschluß der Loswahlgeschichte gelesen und verstanden wurde und dadurch seinen ursprünglichen traditionsgeschichtlichen Hintergrund verwischt hat. Auf diese Weise w a r der völligen Isolierung der Ammoniterkriegserzählung und deren Folgerungen bei W I L D B E R G E R Vorschub geleistet. D a ß sich 10, 27 jedoch nach F o r m und Inhalt nur schlecht mit der vorausgehenden Loswahlerzählung verbinden läßt, wurde oben schon gezeigt. Das Motiv der gegen Saul gerichteten Gegnerschaft gewisser Kreise gehört offensichtlich in einen anderen Traditionszusammenhang und hatte ursprünglich mit der Mizpaüberlieferung von 10, 17—26 nichts zu tun S 7 . Freie Erfindung eines Redaktors kann es nicht sein angesichts der durchlaufend saulfreundlichen Tendenz der Berichte, die auch in der F o r m zu Worte kommt, in der das Motiv verwendet wird (» Nichtsnutze« [10, 27] und die Absicht des Volkes, sie zu töten [11, 12]). Wenn nun die Wiederaufnahme dieses Motivs in 11, 12 f. eine geradlinige Fortsetzung der Erzählung zu unterbrechen scheint, so spricht dies nicht f ü r einen freien Eingriff eines Redaktors, sondern deutet auf ein bereits vorgegebenes Traditionselement hin, an das der Sammler in diesem Zusammenhang sich gebunden wußte 5 8 . Hat dem Sammler die Ammoniterkriegserzählung 1. Sam 11, 1—11 schon in Verbindung mit ihrem Rahmen vorgelegen, so lassen die beiden kurzen E r w ä h nungen der Gegner Sauls 10, 27 und 11, 1 2 f . die F r a g e offen, oh die ihnen zugrundeliegende Tradition ursprünglich nicht ausführlicher gewesen w a r und inwieweit diese noch im Wortlaut erhalten ist; in 10, 27 sind jedenfalls Spuren einer sekundären Angleichung an die vorausgehende Szene erkennbar, die mit dem nachträglichen Anschluß an 10, 17-26 zusammenhängen5®. Soviel aber dürfte zunächst deutlich sein, daß 10, 27 und 11, 12 f. aufeinander bezogen sind wie eine offen gebliebene F r a g e und die darauf "
G e g e n HERTZBERG, a a O , S. 73 f.
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I n A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t BUDDE h a t s c h o n CORNILL ( Z A W 1 0 [ 1 8 9 0 ] , S .
96 ff.), wenn auch unter anderen Voraussetzungen sich für das Alter dieser Uberlieferung eingesetzt. s > Das schließt nicht aus, daß die Heldengeschichte von Sauls Sieg als selbständiges Traditionselement eigener Prägung schon im Umlauf war, ehe 1. Sam 11, 1-11 in seiner jetzigen Umrahmung überliefert wurde.
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erfolgende Antwort: Die Gegner Sauls bezweifeln seine Möglichkeit »zu helfen« ( 3P8hn ) (10, 27) und Samuel 60 stellt nach dem Ammonitersieg Sauls fest, daß Jahwe mit diesem Sieg »Hilfe ( Γ) ) in Israel geschaffen hat«. In diesem Rahmen soll demnach die Erzählung von Sauls Sieg verstanden werden. Sie ist nicht um ihrer selbst willen überliefert, sondern im Zusammenhang mit der Bedeutung, die das berichtete Geschehen in der Krise hatte, die durch die Gegner Sauls heraufbeschworen und schließlich durch Samuel überwunden wurde. AVenn, wie allgemein anerkannt 11, 1 - 1 1 auf guter geschichtlicher Erinnerung f u ß t , dann wird man wohl Ähnliches auch f ü r den Rahmen annehmen dürfen, in dem sich diese Erzählung erhalten hat, und den Zusammenhang der durch Sauls Gegner hervorgerufenen Krise mit dessen Feldzug gegen die Ammoniter als historische Frage in Erwägung ziehen müssen. Das ist zunächst insofern nicht ohne weiteres einleuchtend, als durch die literarische V e r k n ü p f u n g von 10, 27 mit der Loswahlszene der Eindruck entsteht, als ob sich die Gegner Sauls von ihm als dem schon erwählten König abwenden, während in 11, 1 - 1 1 Saul noch nicht König ist. Da sich aber der literarische Anschluß von 10, 17-26 als sekundäre Verbindung erwiesen hat, und die Zweifelsfrage der Gegner »was soll dieser uns helfen?« auf die in 11, 1 - 1 1 dargestellte Rettungstat Sauls als Antwort zugeschnitten ist, so wird man der Tradition doch so weit folgen dürfen, daß die Gegnerschaft gegen Saul mit der Bedrohung durch die Ammoniter und zugleich mit der Königsfrage »soll Saul über uns König sein?« (11, 12) zusammenhängt. Diese Frage 6 1 setzt voraus, daß Saul zu dem Zeitpunkt, der hier ins Auge gefaßt ist. noch nicht König war, wohl aber, daß er König werden sollte. 11, 12f. steht also an der richtigen Stelle der Überlieferung, die in 11, 1 - 1 1 Saul noch nicht als Konig kennt, sondern erst in V. 14f. von seiner Einsetzung zum König in Gilgal berichtet. W i e man sich den Gang der Ereignisse im einzelnen vorzustellen hat, wobei die Rettungstat Sauls, seine Anwartschaft auf das Königtum und eine dagegen gerichtete Bewegung irgendwie zusammengehören, ist aus der dürftigen und nicht mehr ganz intakten Überlieferungsform von 10. 27 und 11, 12 f. nicht mehr deutlich zu ersehen. N u r so viel ist klar, daß Saul durch seinen Sieg vor dem Volk als Anwärter auf das Königtum legitimiert erscheint, und eine dagegen gerichtete Opposition zum Schweigen gebracht wird, deren Vertreter n u r dadurch der drohenden Lvnchjustiz des Volkes 60 In 11, 13 ist nach V. 12 mit Ι,ΧΧΒ »Samuel« statt »Saul« zu lesen; da Samuel in V. 12 der G e f r a g t e ist, mul) er es auch sein, der in V. 15 die Antwort gibt. tl Das in verschiedenen Versionen eingefügte X1? entstellt den ursprünglichen Sinn der Frage.
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entgehen, daß Samuel sich dem blutigen Austrag des Zwistes im eigenen Volk entgegenstellt. Wenn Samuel hierbei als der Mann bezeichnet ist, an den das Volk in diesem Konflikt sich wendet, und er ihn mit einer bedeutsamen religiösen Begründung beilegt, so dürfte dies auf guter geschichtlicher Erinnerung beruhen. E s entspricht seiner Stellung und Autorität im Volk, von der auch andere Überlieferungen f ü r die Zeit der Philisternot (s. l . S a m 7) und in der F r a g e des Königtums ( l . S a m 8ff.) zu berichten wissen. Der Vorschlag, die Gestalt des Samuel aus 11, 12 f. zu entfernen, um eine stilistisch glattere Darstellung zu gewinnen, die ein historisch einfacheres Bild vermitteln solle, ist demnach eine gewaltsame Vereinfachung, die sich von den historischen Hintergründen eher entfernt als ihnen nahekommt. D a die eigentliche Geschichtserzählung den Horizont des Ammoniterkriegs nirgends überschreitet und nur einen Punkt berührt, an dem dieser Sieg f ü r die Lösung der Königsfrage Bedeutung gewann, läßt die Überlieferung von Kapitel 11 verschiedene Fragen über die geschichtlichen Zusammenhänge offen: Da nach dem geschichtlich im Ganzen zuverlässigen Bericht 1 1 , 1 - 1 1 Saul weder als König noch als Anwärter auf ein Königtum handelt, vermißt man eine klare Auskunft darüber, in welchem Zusammenhang sowohl die Aufmerksamkeit Samuels als auch die des Volkes überhaupt erstmals auf die Person des Saul als des geeigneten Thronanwärters fiel, und wie die Gegnerschaft einer gewissen Gruppe gegen Saul in der Königsfrage konkreter vorstellbar ist. Von einem Zusammenhang der Königsfrage mit der Ammoniterbedrohung weiß eine in 1. S a m 12, 12 erhaltene singuläre Tradition, wonach das Volksbegehren nach einem König mit jener geschichtlichen Notlage in Verbindung gebracht ist 8 2 . Trotz ähnlicher Beurteilung des Volkswunsches nach einem König läßt sich 1. S a m 12, 12 nicht auf die in Kapitel 8 berichteten Verhandlungen beziehen; daraus wird man folgern dürfen, daß hier eine richtige Erinnerung an einen Zusammenhang zwischen dem Ammoniterkrieg und der Königsfrage vorliegt. Dann legt sich die Vermutung nahe, daß das Verlangen des Volkes nach einem König sich in der Ammoniternot mit erneuter Dringlichkeit wieder gemeldet hat, und die Königsfrage durch den Sieg Sauls in ein neues Stadium insofern eingetreten ist, als nun die bei den in Kapitel 8 berichteten Verhandlungen überhaupt noch nicht angeschnittene Frage, wer denn König werden soll, durch den Gang der Ereignisse sowohl f ü r Samuel als auch f ü r die Masse des Volkes entschieden wurde: Saul, der sich der geschicht62
HERTZBEUG, der im allgemeinen der Hypothese von NOTH folgt, hat gesehen,
daß hier nicht eine freie Kombination des sog. deuteronomistischen Verfassers, sondern ein »originaler Zug älterer Uberlieferung·« vorliegt. Wenn BUDDE 1. Sam 12, 12 als Gedankenlosigkeit eines Redaktors erklären will, so ist dies nicht mehr als eine methodisch fragwürdige Verlegenheitsauskunft.
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lieh begrenzten Notlage gewachsen gezeigt hatte, galt von da ab als der rechte Mann, dem man die Würde und Bürde des Königtums anvertrauen konnte. W i e immer in der Geschichte ist es auch hier der Erfolg gewesen, der für den Mann entschieden hat und ihm das Vertrauen breiter Schichten g e w a n n " . Daß die Erzählung über Sauls Siegestat 11. 1 - 1 1 in ihrer ganzen Ausführlichkeit aufgenommen ist, mag ihren Grund darin haben, daß bei den Tradenten die geschichtliche Bedeutung dieser Tat für die Kürung Sauls zum König nicht vergessen war. Allerdings haben w i r gerade über diesen Punkt keine hinreichend klare Nachricht; das rührt wohl daher, daß spätere Legenden- und Sagenbildung sich seiner bemächtigt und in 9, 1—10, 16 und 10, 17-26 Uberlieferungen von der göttlichen Erwählung Sauls geschaffen hat, die die eigentlichen Zusammenhänge verdunkeln und für eine ausführliche geschiehtstreue Darstellung keinen Kaum mehr boten. Unter diesem Aspekt gewinnt auch die Tradition von der mit dem Ammoniterfeldzug in Verbindung gebrachten Gegnerschaft gegen Sauls Königtum .und deren Überwindung an historischer Wahrscheinlichkeit. Sie wird sich geltend gemacht haben in dem Augenblick, als durch Sauls Sieg die Königsfrage in ein neues akutes Stadium getreten ist. Dies dürfte der historische Hintergrund der kurzen, aber in ihrer Bedeutung thematischen Erwähnungen der Gegner Sauls im Zusammenhang mit 11, 1 - 1 1 sein, daß kurz vor Erreichung des Ziels eine erneute Krise in der Königsfrage zu überwinden war. Ziehen w i r noch einmal die in 1. Sam 12, 12 aufbewahrte Tradition heran, so wird man sich die Sache so vorstellen dürfen, daß der alte Gegensatz zwischen dem Volkswillen und Gottes Willen in der Königsfrage, der in der ersten Verhandlung Samuels mit den Ältesten Israels zutage trat (Kapitel 8), erneut aufgebrochen ist, nachdem Saul durch seinen Sieg die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und für die Mehrheit des Volkes als der gegebene Anwärter auf die Königswürde in Frage kam. Mag sein, daß gewisse Stammesmißgunst bei den Gegnern eine Rolle gespielt hat; daneben aber wird man in diesen Kreisen, deren Zahl wir zwar nicht kennen, aber doch wohl auch nicht unterschätzen sollten, das alte Wunschbild eines Königs » w i e die Völker« (8, 5. 20) noch nicht vergessen haben, das die israelitische Königsfrage überhaupt erst ins Rollen gebracht und im Stillen trotz Samuels Einwänden nachgewirkt hat. Was Saul als charismatischer Führer des israelitischen Heerbanns in der Art der früheren »Richter« geleistet hatte, bewegte sich in althergebrachten Bahnen und entsprach .keineswegs dem Königsideal dieser Leute und bot ihnen auch e s Ob f ü r Samuel Sauls äußerer Erfolg allein den Ausschlag gegeben hat, wird man fragen können. Da er in 11, 13 Sauls Sieg als Heilstat Jahwes in Israel bezeichnet, mögen tiefere religiöse Gründe f ü r ihn mitbestimmend gewesen sein.
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nicht die Gewähr, daß er es erreichen werde* 4 . Sieht man die an verschiedenen Stellen erhaltene alten Traditionselemente zusammen, so ergibt sich ein Bild der Zusammenhänge, das einige geschichtliche Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen darf. Auch der Zug der Überlieferung verdient die Beachtung der Historiker, daß Samuel in dem Augenblick, da die W u t des durch Sauls Sieg beeindruckten Volkes sich gegen die unbelehrbaren Vertreter des heidnischen Königideals wendet und sie kurzweg beseitigen möchte, mit einer vielsagenden Begründung sich vor diese Leute, die doch auch seine Gegner in der Königsfrage sind, stellt, um dem drohenden Ausbruch eines Revolutionsterrors zu w e h r e n ; menschliche Größe und ein die Affekte beherrschender religiöser und politischer Weitblick, die aus der in 11, 12 f. festgehaltenen Uberlieferung sprechen, kennzeichnen treffend den Mann, dessen überragende Autorität und geschichtliche Bedeutung sämtliche über ihn erhaltenen Überlieferungen nicht ohne Grund herausgestellt haben. L ä ß t sich auf diese Weise aus 10, 27-11, 13 ein historisch glaubwürdiges Bild gewinnen von den Ereignissen, durch welche Samuels und des Volkes Aufmerksamkeit auf die Person des Saul als den gegebenen Anwärter auf die Königswürde gelenkt und ein letzter Widerstand dagegen überwunden wurde, so stand einer Erhebung Sauls zum König nichts mehr im Wege. Davon berichten die beiden letzten Verse von Kapitel 11. Aus der auf dieses Ziel hinauslaufenden Erzählung geht jedoch keineswegs hervor, daß sich die Versammlung des Volkes in Gilgal unmittelbar an den errungenen Sieg angeschlossen habe und, wie vielfach angenommen das siegreiche Heer spontan dorthin gezogen sei. Dagegen spricht schon die weite Entfernung vom Schlachtfeld nach Gilgal und vor allem der Text selbst, der ausdrücklich von dem vorausgehenden deutlich abgesetzt von einer Einberufung des Volkes durch Saul weiß 6 5 . Die prägnante und zielstrebige Darstellung, die sich nicht bei konkreten Einzelheiten aufhält, läßt sowohl f ü r die in V. 12 f. erwähnte Episode als auch für die nun einsetzende Initiative Samuels genügend Spielraum, um beides in einem glaubwürdigen Geschichtsbild unterzubringen. Daß Samuel nach Überwindung der letzten Hemmungen die Zügel des Geschehens in die Hand nimmt, um die Lösung der Königsfrage herbeizuführen, entspricht durchaus der Bedeutung, die ihm auch die anderen Traditionen in der Königsfrage beimessen, und dürfte auf richtiger geschichtlicher Erinnerung beruhen. Auch die Wahl des benjaminitischen 64 Tatsächlich hat Saul das nächstliegende Ziel der endgültigen Befreiung von der Philisterherrschaft nicht erreicht. •5 War schon die Entfernung der Gestalt des Samuel aus V. 12 f. (s. o.) eine petitio principii, um einen vermeintlichen glatten Fluß der Erzählung zu gewinnen, so gilt dasselbe auch für V. 14.
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Heiligtums von Gilgal für die E r h e b u n g Sauls zum König erklärt sich rh aus den besonderen geschichtlichen Verhältnissen der damaligen Zeit. W a s as l a g näher, als den Benjaminiton Saul in seiner eigenen Stammesheimat zi zum König auszurufen, wo ihm der Rückhalt bei seinen Stammesgenossen sicbicher w a r ? U n d zudem konnte das Heiligtum von Gilgal. das einem unmittiittelbaren Zugriff der Philister weniger ausgesetzt war8®, auf eine alte a: amphiktyonische Bundestradition zurückblicken® 7 .Dies mochte den Bestrebisbungen Samuels entgegenkomme):, der schon in der ersten Glaubenskrise ce der Philisternot regelmäßige Beziehungen zum Heiligtum von Gilgal gepflrflegt hatte, u m dort die Verbindung mit der alten Jahwetradition aufrecht lit zu halten· 8 , und in er Königsfrage f ü r die E r h a l t u n g des Herrschaftsansprmruchs J a h w e s eingetreten war 8 9 . Die Beschreibung des Aktes der E r h e b u n g S a S a u l s zum K ö n i g ist nüchtern und kurz, vielleicht deshalb, weil der S&mmlmler, nachdem er den ausführlichen Bericht von 10, 1 7 - 2 6 gebracht hatte, d, den V o r g a n g in Gilgal als E r n e u e r u n g des Königtums darstellt, der er nicht at das gleiche erzählerische Gewicht beimaß wie den vorausgegangenen Tra''raditionen 7 0 . Immerhin unterläßt er nicht, den kultischen R a h m e n der K) Krönungsfeier noch hervorzuheben, was d a f ü r spricht, daß auch die Gilgilgaltradition, auf die er hier zurückgreift, ihren Sitz im K u l t des dortigtigen Jahweheiligtums gehabt hat. Dort haben sich anscheinend die ältestesteö Überlieferungen über die Einsetzung Sauls zum König erhalten, die .e im Vergleich mit den anderen in K a p . 9 und 10 verarbeiteten Traditiononen dem historischen Geschehen am nächsten stehen und wenn auch nicht übiiberall mehr mit der gleichen Deutlichkeit ein im ganzen zuverlässiges B ; Bild davon vermitteln. D a ajn Ort des Geschehens die E r i n n e r u n g daran a am ehesten und zähesten zu haften pflegt, darf die E r h e b u n g Sauls zum Köi.önig am Heiligtum von Gilgal als gesichertes historisches Ergebnis gelten. D a n n aber bleibt die m. E . noch nicht genügend geklärte F r a g e , wie si· sich daneben die anderen Traditionen von der Salbung Sauls (9, 1 - 1 0 , 16) u; und von seiner W a h l durchs L o s (10, 17-26) bilden konnten, die, obwohl sl sie sich im G r u n d e mit demselben T h e m a befassen, sich viel weiter von de dem geschichtlichen Sachverhalt entfernen und untereinander in unauflöslich eher ββ Die genaue Ortslage ist immer noch nicht ganz gesichert; doch wird es 3s in nicht allzu weiter Entfernung des Jordan zu suchen sein.
"
Vgl. ALT, a a O , S. 27 Anm. 22 =
KL. Sehr. II S . 21, ANM. 2 und KRAUS,
VT
1(1951), S. 193 ff. Vgl. WEISER, ZThK 56 (1959), S. 262ff. ( = oben S. 14 ff.). »» Vgl. WEISER, ZThK 57 (1960), S. 141 ff. ( = oben S. 25 ff.). 70 Die Septuaginta glaubte dieser farblosen Darstellung etwas Farbe geben ·η 7.u müssen und hat die bündige Aussage »sie machten dort den Saul zum König« e< ersetzt durch »Samuel salbte dort den Saul zum König«.
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Spannung stehen. Es hat sich gezeigt, daß beide genannten Überlieferungen nachträglich entstanden sind, wobei in dem Maße ihrer Distanz von den Ereignissen die Erinnerungen daran zu verblasser pflegen. Da es sich um spätere Sagen- und Legendenbildung handelt, steht in ihnen nicht mehr das historische Interesse an dem, wie es gewesen ist, im Vordergrund, sondern ist überwuchert von gewissen einseitigen Perspektiven und Tendenzen, die ihre eigenen Motive und Deutungen in den Mittelpunkt rücken. Ferner kommt hinzu, daß diese Überlieferungen nicht nur in zeitlicher und sachlicher Distanz zu einander stehen, sondern auch an verschiedenen Orten entstanden und tradiert worden sind. Die auffallende Tatsache des ursprünglichen Nebeneinanders der in Rama, Mizpa und Gilgal beheimateten Traditionen, das vom Sammler mühsam genug in ein zeitliches Nacheinander umgewandelt wurde, und sich der Gewinnung eines Bildes des historischen Ablaufs hemmend entgegenstellt, hat ihren Grund wohl darin, daß in der Zeit seit dem Verlust der heiligen Lade bis zu deren Einholung nach Jerusalem durch David in Israel kein Zentralheiligtum existierte, an dem sich eine einheitliche Tradition über die Entstehung des.Königtums hätte bilden und durchsetzen können. Die Jahweverehrung und deren Uberlieferung fand damals, wie wir aus 1. Sam 7, 16 f. wissen, vielmehr an den verschiedenen Lokalheiligtümern von Betel, Gilgal, Mizpa und Rama ihre durch Samuel geförderte Pflege; und an diesem Zustand wird sich auch während der Regierung Sauls nichts Wesentliches geändert haben. Er erklärt hinreichend die Tatsache, daß sich an diesen Orten verschiedene voneinander abweichende Traditionen unabhängig voneinander gebildet haben, und daß diese Traditionen längere Zeit für sich bestanden und jeweils an ihrem Ort Geltung beansprucht haben, so daß es nicht zu einer einheitlichen Ausformung der Überlieferung über die Entstehung des Königtums kommen konnte. Daraus folgt aber nicht nur die Berechtigung, sondern auch die Notwendigkeit einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung der Einzelüberlieferungen, die mit den historischen und kultgeschichtlichen Hintergründen der verschiedenen Traditionsbildungen zu rechnen hat.
IV.
Die Neuordnung.
1. Sam
12
Es ist kein Zufall, daß 1. Sam 12 am Ende der Uberlieferungen steht, die von der Entstehung des israelitischen Königtums handeln. Das Kapitel, das in der sog. Abschiedsrede des Samuel die bereits erfolgte Einsetzung des Königs - merkwürdigerweise wird Saul dabei nicht mit Namen genannt voraussetzt und in Rückblick und Ausblick daraus die Folgerungen für die Stellung Samuels, des Volkes und des Königs zieht, ist von Hause aus als
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80
Abschluß gedacht und vom Sammler so verstanden worden, w e n n er das Stück ans E n d e der Erzählungsreihe über die E i n f ü h r u n g des Königtums gestellt hat. Die literarkritische Forschung ist sich fast ausnahmslos d a r ü b e r einig, d a ß 1. Sam 12 der sog. königsf< indlichen Erzählungsschicht zuzuweisen sei, zu der m a n 7. 8. 10, 17-27 zu rechnen pflegt. Es sei aber h i e r schon vermerkt, d a ß in der F r a g e , w o i n n e r h a l b dieser Reihe dann d e r sachg e m ä ß e Anschluß von Kapitel 12 zu suchen sei, die M e i n u n g e n auseinandergehen 7 0 *. Den H a u p t g r u n d f ü r diese Zuweisung sieht man in der theokratischen Tendenz, von der aus in V. 12. 17. 19 das Volksbegehren nach einem König als S ü n d e gegen J a h w e verurteilt w i r d . Aus der Tatsache, d a ß in 1. Sam 8 u n d 1 0 , 1 9 die gleiche Beurteilung des Volksbegehrens vert r e t e n ist, hat m a n auf den gleichen Verfasser zurückgeschlossen, d e r a u f g r u n d von schlimmen E r f a h r u n g e n mit dem Königtum sein eigenes späteres Urteil in die Ü b e r l i e f e r u n g e n von dessen A n f ä n g e n zurückgetragen u n d dadurch diese d e r a r t entstellt habe, d a ß sie f ü r die geschichtliche E r k e n n t nis des Königtums jedenfalls nichts beitragen könnten. Dieses allgemeine schon fast zum Dogma erstarrte Urteil scheint mir auch f ü r 1. Sam 12 einer Revision zu bedürfen 7 1 . Es unterliegt keinem Zweifel, d a ß die vorliegenden Aussagen ü b e r des Volkes Wunsch nach einem König in ihren verschiedenen Z u s a m m e n h ä n g e n sich auf die gleiche Sache beziehen. Dies besagt jedoch nicht, d a ß sie alle von dem gleichen Verfasser stammen müssen. Ja, die verschiedenen Z u s a m menhänge, in denen das Volksbegehren e r w ä h n t w i r d (in 1. Sam 8 a n l ä ß lich der Demarche der Ältesten bei Samuel in R a m a ; in 10, 19 bei der Volksversammlung in M i z p a ; in 12, 12 im Zusammenhang mit der Bed r o h u n g durch den Ammoniterkönig, in 12, 17. 19 bei der nicht n ä h e r lokalisierten V e r s a m m l u n g Israels [s. u;]), schließen die Annahme des gleichen Verfassers geradezu aus. Zudem macht die Situation, in der die S ö h n e Samuels (12, 2) g e n a n n t w e r d e n , den Eindruck, d a ß der Verfasser die i n 8, 3 e r w ä h n t e n Sünden w e d e r voraussetzt noch ü b e r h a u p t gekannt h a t , u n d demnach mit dem Verfasser von Kapitel 8 nicht identisch sein k a n n . V o n da aus ergibt sich die Notwendigkeit, Kapitel 12 unabhängig von solchen Zusammenhängen zunächst f ü r sich zu betrachten u n d auf seine traditionsgeschichtlichen u n d gegebenenfalls geschichtlichen H i n t e r g r ü n d e h i n zu untersuchen. O b w o h l in dem Kapitel auf vorausgegangene Ereignisse Bezug g e n o m SCHULZ und EISSFELDT, Einleitung in das Alte Testament (1956 2 ), S. 526: hinter 10, 27; BUDDE, LÖHR: hinter 10, 24; NOTH, aaO, S. 59: hinter 10, 2 5 a . 71
Zur Kritik der üblichen literarkritischen Einstufung von 1. Sam 7 und 8
v g l . WEISER, Z T h K 5 6 ( 1 9 5 9 ) S. 2 5 5 - 2 7 2 ( = S. 1 4 1 - 1 6 1 ( = o b e n S. 2 5 - 4 5 ) .
o b e n S. 5 - 2 4 ) u n d Z T h K 5 7 ( 1 9 6 0 ) ,
1. Samuel 9-12
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men wird, bietet es sich als ein in sich abgerundeter überlieferungskomplex dar, der durch die Einheit des Ortes (eine Versammlung von ganz Israel in Gegenwart des neuen Königs) und die Einheit der Handlung (eine Szenenfolge im kultischen Rahmen) zusammengehalten, und ganz beherrscht wird von der Person Samuels, dessen Reden breiter Raum und gewichtige Bedeutung zugemessen ist. Von Letzterem ausgehend hat man sich daran gewöhnt, das Kapitel als »Abschiedsrede Samuels« zu betiteln. Ob damit jedoch das Anliegen seines Verfassers richtig getroffen und umschrieben ist, erscheint mir fraglich. Den Gedanken an einen Abschied Samuels könnte man allenfalls aus der ersten Szene V. 1-5 herauslesen und auch dies nicht einmal in dem Ausmaß und Sinn, den man ihr gewöhnlich unterstellt, als ob Samuel von seinem bisherigen »Amt« zurückgetreten und sich sozusagen in den Ruhestand begeben habe. Im Gesamtaufriß des Kapitels bildet die erste Szene eine Art Introduktion, die als Voraussetzung für das Folgende dient (s. u.). Von einer Amtsniederlegung Samuels ist dabei mit keinem Wort die Rede. Wenn der König und das Volk 74 dem Samuel auf seinen Wunsch die einwandfreie Führung seiner bisherigen Tätigkeit feierlich bestätigen, so besagt dies noch nicht, daß damit seine Aufgabe erloschen sei. Im weiteren Verlauf des Kapitels spielt er eine Rolle, die eher das Gegenteil beweist. Nach Ausweis von V. 23 beansprucht Samuel auch weiterhin die Verantwortung, der Fürbitter und Lehrer des rechten Wandels für das Volk und seinen König zu bleiben, als eine Verpflichtung, die er Gott gegenüber hat. Gerade dies aber sind die Funktionen, die dem Samuel schon in der Versammlung von Kapitel 12 obliegen, wo er dem Volk und König als Mahner, Warner und Fürbitter gegenübertritt. Kapitel 12 handelt demnach nicht von dem Abschied Samuels von seinem »Amt«, sondern von seinem Auftreten in dem Augenblick, wo durch die Einführung des Königtums eine Neuordnung bzw. eine neue Konsolidierung der Verhältnisse hinsichtlich der Stellung des Königs, des Volkes, aber auch Samuels selbst notwendig geworden war. Zu zeigen, wie Samuel diese Neuordnung in die Wege geleitet hat, das ist das eigentliche Anliegen der in 1. Sam 12 erhaltenen Tradition. Selbst wenn wir darüber keinerlei Nachricht besäßen, müßte postuliert werden, daß eine Neuregelung und Festlegung der Ordnung mit der Einführung des Königtums verbunden gewesen ist. Doch es gibt außer Kapitel 12 noch eine solche Überlieferung in 10, 25, wonach Samuel im Anschluß an die Loswahl Sauls das »Recht des Königtums« im Heiligtum von Mizpa vor dem Volk verkündet, es aufgezeichnet und vor Jahwe deponiert hat. Trotz aller Unterschiede in der Darstellung handelt es sich in 10, 25 und 72
6
Lies V. 5 b den gut bezeugten Plural statt Singular.
7913 Weiser, Samuel
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Kapitel 12 insofern um eine Art paralleler Überlieferungen, als beide auf das kaum bezweifelbare Faktum einer Neuordung bei der Einrichtung des Königtums zurückgehen, mit dem der Historiker zu rechnen hat. Die nicht unbeträchtlichen Unterschiede erklären sich hinreichend aus der Traditionsgeschichte: 10, 25 gehört zu der am Heiligtum von Mizpa entstandenen und gepflegten Überlieferung (s. o.); Kapitel 12 ist zwar nicht ausdrücklich lokalisiert, dürfte aber vom Sammler, der es an der sachlich richtigen Stelle nach der Einsetzung Sauls im Heiligtum von Gllgal bringt, als Fortsetzung der Gilgaltradition von Kapitel 11 verstanden sein, wogegen kaum ein triftiger Einwand geltend gemacht werden kann 73 . Darin aber stimmen beide Uberlieferungen überein, daß bei der durch die Einführung des Königtums erforderlich gewordenen Neuregelung der sakralen Ordnung Samuel eine maßgebende Stellung eingenommen und eine entscheidende Rolle gespielt hat. Daß auch an diesem Punkt ein historisches Fundament durchblickt, wird man nach allem, was in ganz verschiedenen Traditionskomplexen über Samuels Stellung im Volk und besonders in der Königsfrage berichtet ist, schwerlich bezweifeln können. Ob und inwieweit der Darstellung von Kapitel 12 geschichtliche Erinnerungen zugrundeliegen, ist eine andere Frage. Eine Antwort kann natürlich nicht in der Richtung gesucht werden, daß man den Wortlaut der Samuelreden auf die Möglichkeit seiner Authentizität prüft. W i e bei den in antiken Geschichtswerken überlieferten Reden kann überhaupt nicht gefragt werden, ob sie je so gehalten wurden, w i e sie aufgezeichnet sind. Sie geben nur wieder, w i e der Schriftsteller sich vorgestellt hat, daß sie so hätten gehalten sein können. Aber schon diese Erkenntnis ist für die Beurteilung von 1. Sam 12 nicht belanglos. Sie kann weiterführen, auch wenn es offen bleiben muß, ob sie in größerem oder geringerem zeitlichen Abstand von den Ereignissen entstanden sind. Alles, was in 1. Sam 12 gesagt wird und geschieht, vollzieht sich im Rahmen einer Kultversammlung von »ganz Israel« (V. 1); das bedeutet, daß es als Heiligtumsträdition gedacht ist und wohl auch so verstanden werden muß. Aber nicht nur der Rahmen, auch die Form und der Inhalt von Kapitel 12 verraten eine Gebundenheit an kultische Traditionsformen, die der verbreiteten Auffassung entgegenstehen, daß der Verfasser nach eigenem Gutdünken seinen Gedanken hier freien Lauf gelassen und eine »Predigt« dem Samuel in den Mund gelegt habe, die seine persönlichen Anschauungen widerspiegle. Damit aber ver, s Die von verschiedenen Seiten ganz oder teilweise vorgeschlagene Zuweisung von Kapitel 12 zur Mizpaüberlieferung beruht meist auf fragwürdigen literarkritischen Erwägungen, scheitert aber an den oben berührten Differenzen zwischen 10, 25 und Kapitel 12.
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dichtet sich das Problem zur Frage nach der Gattung, dem Sitz und der H e r k u n f t der in 1. Sam 12 verarbeiteten Kulttradition. F ü r die Bestimmung der in Kapitel 12 vorliegenden Gattung ist mit den gängigen Bezeichnungen wie »Abschiedsrede« oder »Legende« (GRESSMANN) oder »Predigt« (HERTZBERG) wenig geholfen, solange nicht Klarheit herrscht über die F o r m und Zusammensetzung der einzelnen Strukturelemente, die mit Hilfe vergleichbarer Texte zu erkennen ist. M a n hat zwar schon längst Jos 2+ zum Vergleich herangezogen; aber erst MUILENBURG74 hat den Vergleich von E x 19, 3—6; Jos 2+ und 1. Sam 12 zu einer formgeschichtlichen Untersuchung von Terminologie, Stil, Hauptmotiven, Stichw o r t e n usw. ausgebaut mit dem Ergebnis, daß hier überall ein festes Schema der von ihm sogenannten »Bundes-Gattung« vorliegt, die ihren Sitz in der amphiktyonischen Kulttradition hatte und sich als durchgängiger Traditionsstrang bis in die Anfänge der Jahweverehrung in Israel zurückverfolgen läßt. Es erübri'gt sich, den Beweisgang MUILENBURGS hier zu wiederholen. N u r einige P u n k t e seien b e r ü h r t und ergänzt, soweit sie f ü r das traditionsgeschichtliche Verständnis von Kapitel 12 und f ü r die Möglichkeit seiner geschichtlichen Auswertung in Frage kommen. Die Stellung, die Samuel in den einzelnen Abschnitten des Kapitels einnimmt, ist gekenn J zeichnet durch den kultischen R a h m e n der Versammlung, in der Samuel als »Repräsentant« des Jahwe-Bundes fungiert. W e n n er sich dabei zunächst seine untadelige F ü h r u n g durch König und Volk feierlich bestätigen läßt, so ist dies kaum zu verstehen als eine Art Indemnitätserklärung, die er benötigt, u m ordnungsgemäß von einem Amt (etwa wie meist angenommen als Richter) zurückzutreten. Abgesehen davon, daß er in V. 7 sofort wieder eine richterliche F u n k t i o n ( DBB?) ausübt, sind die einzelnen Punkte, von denen er entlastet zu w e r d e n wünscht (V. 3), keineswegs typisch f ü r eine besondere Standesmoral der Richter. Vielmehr handelt es sich um Gebote der Bundesordnung, die jedem Israeliten gelten (Aneignung f r e m den Besitzes: vgl. E x 20, 17; Bedrückung u n d M i ß h a n d l u n g : vgl. Ex 22, 20—23; Annahme von Bestechungsgeschenken, die blind machen gegen die W a h r h e i t u n d das Recht: vgl. E x 23, 8 ; 21, 30). W a s dem Samuel bezeugt werden soll, ist einfach die Tatsache einer einwandfreien, bundesgemäßen Lebensführung. Und w e n n der König u n d das Volk ihm dies vor Jahwe feierlich bestätigen sollen, d a n n bedeutet dies, d a ß Samuel auch unter den neuen Verhältnissen als Repräsentant des Jahwebundes aufzutreten berechtigt und ermächtigt zu sein wünscht. N u r w e n n die erste Szene auf die Sicherung der Autorität Samuels dem König und dem Volk gegenüber hinausläuft, w i r d ihre Stellung u n d ihr Zusammenhang innerhalb der dem 74
VT 9 (1959), S. 347-365.
1. Samuel 9-12
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Kapitel zugrundeliegenden Versammlung sichtbar, während bei der üblichen Deutung als Abschiedsrede Samuels bei der Niederlegung seines Amtes eine nach F o r m und Inhalt unüberbrückbare und unerklärliche Kluft zwischen der ersten und den folgenden Szenen bestehen bliebe. D a ß der Wunsch Samuels nach einer feierlichen Bezeugung seiner untadeligen Lebensführung nicht verstanden werden soll aus dem Bedürfnis eines amtsmüden alten Mannes, der sich damit einen guten Abgang verschaffen will, sondern als ein kluger Schritt vorwärts, der die Vertrauensbasis schafft für die durch die Einführung des Königtums notwendig gewordene Neuordnung, wird bestätigt durch die zielbewußte Energie, mit der Samuel im weiteren Verlauf die Leitung der Kultversammlung in der Hand behält und durchführt. Auch für die der ersten Szene folgenden Abschnitte von Kapitel 12 hat MUILENBURG die form- und gattungsgeschichtliche Vorarbeit geleistet und erkannt, daß sowohl die einzelnen Traditionselemente wie die Rekapitulation der göttlichen Heilstaten und die daraus sich ergebenden Mahnungen und Warnungen als auch einzelne Wendungen und Motive sowie die Struktur des Ganzen dem »Bundes«-Schema folgen, das als normgebendes Vorbild die Darstellung bestimmt hat. Von MUILENBURG abweichend glaube ich den eigenartig formulierten V . 6 als bekenntnisartige Prädikation Jahwes und als Einleitung zum folgenden Abschnitt verstehen zu sollen 7 5 . Die grundlegenden Daten des Jahwebundes (Moses, Aaron, und die Herausführung aus Ägypten) werden in einem hymnischen Glaubenssatz thematisch vorweggenommen; dadurch soll der die ganze Versammlung verpflichtende Charakter dieses Bekenntnisses zum Ausdruck gebracht werden 7 8 . Dies wird bestätigt durch die folgende Szene, in der Samuel — wiederum beginnend mit Mose, Aaron und der Rettung aus Ägypten (V. 8) 7 7 — die Heilstaten Jahwes von den Anfängen bis zur Gegenwart der Versammlung vorhält und sie zum Gegenstand und Ausgangspunkt einer Gerichtsrede verwendet 7 8 . M i t der Rekapitulation der Heilstaten Jahwes in Verbindung mit dem Gericht über die mangelnde Bundestreue und den Abfall des Volkes von J a h w e (V. 10) folgt die Darstellung einem festen 75 Lies mit EHRLICH, Randglossen zur hebräischen Bibel III (1910), S. 207 hinter ΠΊΓΡ ein Κ1Π. Die der Septuaginta folgende beliebte Ergänzung durch ein T S vor ΠΊΓΡ scheitert daran, daß nach V. 4 f. eine Wiederholung der Anrufung Jahwes als Zeuge im Munde Samuels völlig aus dem Rahmen fällt. 7 6 Ein Bekenntnis zu Jahwe in ähnlicher sakraler Situation ist auch in Ri 5, 3 überliefert; vgl. dazu WEISER, ZAW 71 (1959), S. 73 f. 77 Lies mit WELLHAUSEN, Der Text der Bücher Samuelis, W ä i v j und ΟΤΒΡΊ 78
In diesem Sinn wird man die eigenartige Wendung ' » V EDFlK HDDWK
ΓΠΓΡ m r r nip"71t _l ?3 n s (V. 7) verstehen können, ohne daß es nötig wird, sich der erleichternden Ergänzung der Septuaginta DD1? ΠΤ5Κ1 zu bedienen.
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Schema der Bundestraditionen, das ähnlich in Jos 24; Ri 5, 6. 11; Mi 6, 1 ff. bis hin zum Bundesritual der Sekte von Qumran zu belegen ist. Im Rahmen der kultischen Szene bedeutet der liturgische Vortrag der göttlichen Heilstaten in diesem Zusammenhang Vergegenwärtigung des Vergangenen in ein aktuelles Geschehen, das die Kultgemeinde im Guten wie im Bösen selbst betrifft. M. a. W. Samuel tritt hier auf als der bevollmächtigte Richter 7 ·, der vom göttlichen Gericht redet und es gleichzeitig vollzieht. Die summarische Form, in der dabei die Nöte der jüngst vergangenen (Richter)Zeit (V. 9) und merkwürdigerweise getrennt davon auf die einzelnen Rettergestalten dieser Epoche (V. 11) eingegangen wird, hat zu allerlei Vermutungen und Textänderungsvorschlägen Anlaß gegeben. Eine sachliche Entsprechung in der Reihenfolge der Bedrückungen und der Retter besteht nicht. Schon die Septuaginta ist der naheliegenden Versuchung erlegen, einzelne Namen nach dem Richterbuch zu korrigieren und hat in dieser ihrer Methode immer wieder Nachfolger gefunden in der Voraussetzung, daß das Richterbuch dem Verfasser als Vorlage gedient habe. Der Text selbst bestätigt diese Voraussetzung in keinem Fall 80 und sollte vor methodisch fragwürdigen harmonisierenden Änderungen auch bei dem für uns nicht weiter erklärbaren Namen Bedan (V. 11) warnen. Bleibt man, was immer noch das sicherste ist, beim vorliegenden Textbestand, dann gibt es kaum eine andere Auskunft, als daß hier der Verfasser entweder nach dem Gedächtnis zitiert oder auf eine für uns nicht mehr klar erkennbare mündliche Tradition zurückgreift, die sich aber nicht auf das jetzige Richterbuch stützt. Daß Samuel hierbei in der Reihe der Rettergestalten genannt wird, fällt in der Rede Samuels auf; vielleicht ist dabei auf die in 1. Sam 7 erhaltene Samueltradition angespielt, die ihn mit der Rettung aus der Philisternot in Verbindung bringt 81 . Der Darstellung der Richterzeit liegt weder ein statistisches noch ein eigentlich geschichtliches Interesse zugrunde; ihr liegt vielmehr daran, die Doppelseitigkeit des göttlichen Gerichts der Geschichte zu vergegenwärtigen, das sich in der Not als Gottes Strafe für die 78 Die gleiche Auffassung von der Richtertätigkeit Samuels im sakralen Raum der Kultversammlung zu Mizpa ist in 1. Sam 7, 3fE. 6 b bezeugt. 80 Jedenfalls kann der Verfasser nicht identisch sein mit dem sog. Deuteronomisten im Richterbuch. Auf die Frage nach dem sog. deutemonmistischen Stil in 1. Sam 12, die meist in der Form einer äußerlichen Wortstatistik verhandelt wird, näher einzugehen, versage ich mir; so lange über das Wesen die Herkunft und Geschichte dieses »Stils« keine Klarheit gewonnen ist, kann er nicht als Beweismittel für das literarkritische Problem dienen. 81 Daß 1. Sam 7, 10-14 als sekundärer Nachtrieb der älteren Uberlieferung beurteilt werden muß (siehe WEISER, ZThK 56 [1959], S. 269 f. [ = oben S. 21 f.]), ist kein Grund, mit der Datierung von Kapitel 12 in ganz späte Zeit herunterzugehen.
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Untreue des Volkes auswirkt (V. 9) und andererseits in seinen Heilstaten, die das Volk nach bußfertiger Umkehr (V. 11) wieder hat erfahren dürfen. Dieser auf dem Urgrund der Bundestradition beruhende Gedanke wird im Folgenden fruchtbar gemacht für den gegenwärtigen Augenblick und angewandt auf die Situation, in der die Königsfrage in Israel akut geworden ist (V. 12). Daß dieser merkwürdige Vers, der das Auftauchen der Königsfrage mit der Bedrohung durch den Ammoniterkönig in Verbindung bringt, nicht aus Kapitel 8 zu erklären ist, sondern auf eine alte Tradition zurückgeht, und welche geschichtliche Situation dahinter steht, wurde oben bei 11, 12 f. aufgezeigt. Wenn im Rahmen der kultischen Verkündigung das Volksbegehren nach einem König noch einmal mit derselben Begründung wie in Kapitel 8 als Auflehnung des Volkes gegen Jahwes Herrschaftsanspruch verurteilt wird, so bedeutet das in diesem Zusammenhang, daß, nachdem das Volk nun einen König erhalten hat, das definitive Urteil über die Tendenzen gesprochen ist, die in dem Volksbegehren das Volk in Gegensatz zu Jahwes Willen gebracht haben 82 Die apodiktische Feststellung am Ende von V. 12 »und Jahwe ist doch euer König« bedeutet konkret, daß der Herrschaftsanspruch Jahwes unverrückbar weiter besteht, auch nachdem das Volk nun einen irdischen König hat. Dies ist das Fundament der neuen Ordnung, die von da ab für König und \ r olk verbindlich ist. Nur von dieser Voraussetzung her haben die folgenden Mahnungen und Warnungen Samuels überhaupt erst einen Sinn. In V. 13 stellt Samuel den König vor (beachte das doppelte Π5Π !) als den, den das Volk erwählt hat 83 , und gleichzeitig als den, den Jahwe dem Volk gegeben hat. Das Erste scheint auf die alte Gilgaltradition von 11, 15 zurückzugehen : der zweite Satz dieser Königsproklamation hat programmatisches Gewicht; er leitet sich ab aus der unmittelbar vorausgehenden grundsätzlichen Feststellung, daß Jahwe der König des Volkes ist (V. 12 b), und umschließt sowohl die von Gott verliehene Autorität des Königs dem Volk gegenüber als auch seine Verantwortung Gott gegenüber. Von dieser Basis der neuen Ordnung aus folgen, wiederum im Rahmen des Bundesschemas, in V. 14 die Mahnung zur alleinigen Verehrung Jahwes in Gottesfurcht und Gehorsam f ü r König und Volk und die Verheißung göttlicher Führung und Fürsorge 84 und in V. 15 die W a r n u n g vor Ungehorsam und Drohung mit der Strafe Gottes 85 . Zum einzelnen vgl. WEISER, ZThK 57 (1960), S. 141 ff. ( = oben S. 25 ff.). Der zweite Relativsatz »den ihr verlangt habt«, der in LXXB fehlt, scheint nachträgliche Milderung zu sein. 84 So wird man wohl den Satz D r r f r N m r r i n s · . · o r r m verstehen dürfen, ohne daß eine weitere Ergänzung nötig ist. 85 Zum Schluß von V. 1 5 , den man mit W E L L H A U S E N zur Not »wie eure Väter« verstehen könnte, vgl. BH »und gegen euren König, u m euch zu vernichten«. es
1. Samuel 9-12
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Aber damit, daß Samuel für König und Volk richtungweisende Perspektiven in die Zukunft eröffnet, ist die kultische Szene noch nicht zu Ende. Der Verwirklichung der Verheißung Jahwes steht die ungesühnte Schuld des Volkes hemmend im Wege, das mit seiner Forderung nach einem König »wie die Völker« (vgl. 8, 5. 20) sich gegen Jahwes Herrschaftsanspruch aufgelehnt hatte. Auf die Bereinigung dieser Schuld läuft der in V. 16-19 beschriebene Akt hinaus, wo das Volk unter dem Eindruck der im Wunder sich manifestierenden unmittelbaren Gegenwart Jahwes seine Schuld erkennt und bekennt und den Samuel anfleht, durch seine Fürbitte die verdiente Strafe abzuwenden. Die Darstellung nimmt hier dramatische Form an; das hängt damit zusammen, daß in dem durch Samuels Bitte vermittelten Gotteswunder die Tradition von der Theophanie nachklingt, die letztlich auf die Sinaitheophanie zurückgeht und in der sakralen Feier als kultdramatische Aktualisierung der göttlichen Gegenwart ihren Sitz hatte 8 ·. Daß es erst eines gesteigerten Naturwunders, in dem die Farben der alten Theophanietradition noch durchschimmern (vgl. Ri 5, 4 f.), und Jahwe im Donner seine Stimme erschallen läßt (vgl. Am 1, 2), bedarf, um das durch Jahwes Gegenwart in Schrecken versetzte Volt zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seiner Schuld zu bewegen, läßt noch deutlich genug erkennen, daß die Darstellung auch an diesem Punkt nicht frei erfunden ist, sondern einem überlieferten kultischen Vorbild folgt und dessen Traditionselement verwertet. Durch das Schuldbekenntnis des Volkes ist der Weg frei geworden für die Heilszusage, die Samuel in der Rolle des Bundesmittlers dem Volk zu künden befugt ist (V. 2 0 - 2 2 ) : Jahwe wird Israel nicht verstoßen, sondern es »um seines großen Namens willen« wieder als »sein Volk« annehmen. Auch diese Heilszusage bewegt sich nach Form und Inhalt in den Bahnen der vorgegebenen Bundestradition. Das für die Theophanie charakteristische »fürchtet euch nicht!« (vgl. E x 20, 20), die Mahnung zur ungeteilten Gefolgschaftstreue, in die das traditionelle Motiv der Abrenuntiation und Verspottung der fremden Götter (vgl. Jos 24, 14. 23 f., Ri 5, 8) eingeflochten ist, und schließlich das Ziel »Israel, das Gottesvolk« machen das Vorbild sichtbar, nach dem die Darstellung in Kapitel 12 auch an diesem Punkt geformt ist. Zum Schluß umreißt Samuel die Aufgabe, die ihm selbst unter den neuen Verhältnissen von Gott zugewiesen ist, so daß er ihre Vernachlässigung als »Sünde an Jahwe« betrachten müßte (V. 23): Er bleibt der Fürbitter und der Lehrer des Volkes zum guten und rechten Wandel. Und M Vgl. WEISER, Die Darstellung der Theophanie in den Psalmen und im Festkult, Festschrift Bertholet, 1950, S. 513 ff.
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wenn er abschließend gegenüber dem König und dem Volk seine frühen· Mahnung und Warnung kurz und eindringlieh wiederholt (V. 24—25), dann kann dies im Zusammenhang des Ganzen nicht als Abdankung verstanden werden, sondern im Gegenteil: er wird seiner früheren Aufgabe treu bleiben und die Funktionen, die er soeben ausgeübt hat, auch weiterhin nach Jahwes Willen beibehalten. Die traditionsgeschichtliche Betrachtung von 1. Sam 12 hat ergeben, daß das Kapitel nicht als freie Schöpfung eines späten Verfassers — etwa des sog. deuteronomistischen Geschichtsschreibers - gelten kann, sondern auf dem Hintergrund der Bundestradition zu verstehen ist, die dem Verfasser als Vorbild f ü r seine Darstellung gedient hat. Das ist mehr als nur ein Rückgriff auf eine antiquierte amphiktyonische Stilform. Die Bindung der Darstellung an die sakrale Bundestradition setzt vielmehr voraus, daß diese dort, wo Kapitel 12 entstanden ist, aktuelle Bedeutung gehabt hat und wahrscheinlich auch im Jahwekult praktiziert wurde. Dafür kommt aber nur eines der Jahweheiligtümer in Frage, an denen gleichzeitig die Erinnerungen an Samuel und seine Verdienste um die Lösung der Königsfrage lebendig waren. Mizpa wird es deshalb nicht sein, weil dort eine Paralleltradition über die Neuordnung der Verhältnisse durch »das Recht des Königtums« (10, 25) heimisch war, die mit dem Inhalt von Kapitel 12 nicht zur Deckung zu bringen ist. So bleibt nur das Jahweheiligtum von Gilgal als Entstehungsort und Sitz der in 1. Sam 12 verarbeiteten Traditionen übrig (s. o.). Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Sammler, der das Kapitel im unmittelbaren Anschluß an die Erzählung von der Erhebung Sauls zum König in Gilgal bringt, und es offenbar als deren Fortsetzung verstanden hat, es schon im Zusammenhang mit der Gilgaltradition vorgefunden hat. In dieser traditionsgeschichtlichen Perspektive ist nun aber auch die Frage nach der geschichtlichen Verwertbarkeit der in Kapitel 12 erhaltenen Uberlieferungen neu zu stellen. Da die in 1. Sam 11 niedergelegte Gilgalüberlieferung von der Entstehung des Königtums unter allen den Verhältnissen am nächsten steht und deshalb mit Recht sich des Vertrauens der Historiker erfreut, dürfte dies von vorneherein kein schlechtes Omen für das in diesem Rahmen erhaltene Kapitel 12 sein. Selbstverständlich kann das nicht heißen, daß der Historiker dem Kapitel dasselbe M a ß an Vertrauen entgegenbringen kann, das er einem authentischen Protokoll zu schenken bereit ist. Mit einem solchen hat 1. Sam 12 nicht das Geringste zu tun. Aber die Frage scheint mir nicht unberechtigt, ob auf dem Hintergrund der Darstellung einige Grundlinien sichtbar werden, die sich in den geschichtlich erkennbaren Rahmen einordnen und sich zu einem Geschichtsbild verdichten, das einige Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen darf. Da ist zunächst einmal die Tatsache, daß in Kapitel 12 von einer Abdan-
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kung Samuels nicht die Rede ist, sondern daß er auch nach der Einsetzung des Königs eine führende Stellung eingenommen und sich Funktionen vorbehalten hat, die die geläufige Deutung seiner Worte als »Abschiedsrede« ausschließen. Mag sein, daß einige seiner bisherigen Obliegenheiten auf den König übergegangen sind; doch darüber wissen w i r nichts Genaues. Daß jedoch Samuel — ob in Ausübung eines festumrissenen »Amtes« oder in freier Auswirkung seiner persönlichen Autorität, ist dabei gleichgültig auch dem König gegenüber weiterhin seine Vollmachtstellung gewahrt hat, beweist die Geschichte von der Verwerfung Sauls in 1. Sam 15, die auf zuverlässige Gilgalüberlieferung zurückgeht. Dazu stimmt die Notiz 7, 15, daß Samuel zeitlebens Israel gerichtet habe. Was man sich darunter vorzustellen hat, wird durch 12, 7 illustriert, wo Samuels Funktion als Bundesmittler im Kult mit dem Wort »richten« umschrieben wird 87 . Daß Samuels öffentliche Tätigkeit mit der Einführung des Königtums nicht erloschen ist, wird demnach von verschiedenen Seiten her bestätigt. Da die Gesamtkonzeption von Kapitel 12 auf der gleichen Voraussetzung beruht, dürfte sie an diesem Punkt eine richtige Erinnerung bewahrt haben. Auch die Formen, in denen das Auftreten Samuels in Kapitel 12 dargestellt wird, fügen sich in den Rahmen dessen, was aus anderen Uberlieferungen über seine Tätigkeit zu entnehmen ist. In seiner durchgehenden Anlehnung an die Formen und Gehalte der Bundestradition als maßgebende Norm steht Kapitel 12 nicht allein, sondern begegnet sich mit ähnlichen formgeschichtlichen Merkmalen der Überlieferungen von 7, 3 f . ; 9, 22ff.; 10,18f., die, weil sie aus ganz verschiedenen Kreisen stammen, auf die geschichtlich kaum anfechtbare Überlieferung zurückgehen müssen, daß Samuels Tätigkeit sowohl in der Zeit der Philisternot 88 , als auch in der Königsfrage auf die Erhaltung der Jahwe Verehrung im Rahmen der überkommenen Bundestradition abgestellt war 8 ·. Es wäre verwunderlich, wenn Samuel dieses sein Hauptanliegen nicht auch zur Geltung gebracht hätte, als es galt, nach der Einführung des Königtums die Verhältnisse unter diesem Gesichtspunkt neu zu regeln. Damit aber gewinnen die form- und traditionsgeschichtlichen Ergebnisse der Untersuchung von Kapitel 12 auch für den Historiker insofern Interesse, als die dort feststellbaren Beziehungen zur Bundestradition und ihren einzelnen Elementen zurückweisen auf das Fundament, von dem aus die geschichtliche Wirksamkeit und Bedeutung Samuels überhaupt erst verständlich wird. Insbesondere auf den Anteil 87 Daß der Begriff des Richtens schon in 7, 15 auf eine Tätigkeit Samuels im sakralen Bereich des Jahwekultes angewandt ist, lehrt der dortige Zusammenhang 7, 16 f.
Μ Siehe dazu WEISE«, ZThK 56 (1959), S. 265 ff. ( = oben S. 15 ff.). «' Dazu WEISER, ZThK 57 (I960), S. 141 ff. ( = oben S.25ff.).
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Samuels an der Lösung der Königsfrage fällt von da aus deutlicheres Licht. Gleich zu Beginn seiner Rede faßt Samuel rückblickend diesen seinen Anteil zusammen in den Worten »Ich habe auf eure Stimme gehört in allem, was ihr mir gesagt habt, und einen König über euch eingesetzt«. Damit ist deutlich Bezug genommen auf die Verhandlung, über die in 1. Sam 8 berichtet ist 90 . Schon bei Kapitel 8 legte sich die Vermutung nahe, daß es außer dem, was dort erwähnt wird, noch weiterer Verhandlungen bedurfte, um die Königsfrage vorwärts zu treiben; in die gleiche Richtung scheint auch die Formulierung von 12, 1 »in allem, was ihr zu mir gesagt habt« zu weisen. Daß Samuel in 12, l b für sich den entscheidenden Anteil an der Lösung der Königsfrage beansprucht und dafür die Verantwortung übernimmt, ist ein Zug, der nach Ausweis sämtlicher übrigen Traditionen auch von dem Historiker kaum bezweifelt werden kann. Dagegen spricht nicht, wenn in V. 13 vom König behauptet wird, daß das Volk ihn erwählt habe. Diese Aussage scheint die Gilgaüberlieferung (11, 15) »sie machten dort den Saul zum König vor Jahwe in Gilgal« im Auge zu haben, die, wenn sie auch die Einzelheiten des Vorgangs verschweigt, doch auch von der entscheidenden Initiative des Samuel zu berichten w e i ß (11,14). Auch die in 12,15 unmittelbar folgende Feststellung, daß Jahwe einen König über das Volk gesetzt habe, steht dazu nicht im Widerspruch; sie enthält die religiöse Deutung des Geschichtsvorgangs, die möglicherweise schon von Samuel selbst ausgegangen ist (s. o.), und um so eher verständlich wird, als der Akt der Einsetzung des Königs sich im sakralen Raum des Jahweheiligtums im Rahmen seiner überkommenen Bundestradition vollzogen hat. Auch den späteren Ausformungen der Überlieferung in Kapitel 9. 10, 17 ff. liegt die gleiche religiöse Konzeption des Königtums zugrunde. Die Stelle in Kapitel 12, an der diese f ü r die Beurteilung des Königtums wesentliche Glaubensaussage steht, nämlich am Ende der Rekapitulation der göttlichen Heilstaten, legt die Annahme nahe, daß die Einsetzung des Königs als jüngste Heilstat Jahwes verstanden und in den Rahmen der sakralen Uberlieferung aufgenommen wurde. Die hierin sichtbare traditionsgeschichtliche Linie läßt sich noch weiter zurückverfolgen bis zu den Punkten, an denen der geschichtliche Hintergrund der Gesamtkonstruktur von Kapitel 12 ins Blickfeld gerückt >° Der wörtliche Anklang an 8, 7 ist noch kein Beweis f ü r den gleichen Verfasser beider Kapitel. So wenig wie in 8, 7. 22 kann SOtf mit »gehorchen« übersetzt werden, als ob Samuel in allen Punkten vor dem Volkswillen bedingungslos kapituliert hätte; sonst könnte er nicht in 12, 12. 17 das Volksbegehren mit unerbittlicher Schärfe verurteilen und müßte eigentlich auch in das Schuldbekenntnis des Volkes (V. 19) mit einbezogen sein. »Hören auf die Stimme des Volkes« bedeutet vielmehr »anhören dessen, was es vorzubringen hat« im Sinne einer Bereitschaft zur Verhandlung; vgl. WEISER, ZThK 57 (1960), S. 141 ff. ( = oben S. 25 ff.).
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werden kann. Die Verwendung von Elementen der Bundestradition und des sog. Bundesformulars, das den Gesamtaufriß von Kapitel 12 beherrscht, deutet zunächst darauf hin, daß Kapitel 12 seine Prägung erfuhr nach dem normgebenden Vorbild der Jahwebundestradition, die an den Heiligtümern, an denen es entstand, praktiziert wurde. Die sich daraus ergebende Frage, was die Neuordnung der Verhältnisse, von der Kapitel 12 handelt, mit der normgebenden Bundestradition zu tun hat, führt unmittelbar an das geschichtliche Problem heran. Denn die einfachste und nächstliegende Antwort dürfte darin zu suchen sein, daß hier eine geschichtlich richtige Erinnnerung vorliegt, und die Verbindung von Königtum und Bundestradition auf Samuel selbst zurückgeht. Daß Kapitel 12 diese Auffassung vertritt, wäre an sich noch kein genügender Grund dafür; wenn aber sämtliche Samueltraditionen ihn in engster Verbindung mit den Belangen der Jahweverehrung wissen, die in der Jugendgeschichte bis zu seiner Beziehung zum alten Zentralheiligtum in Silo zurückverfolgt wird, und wenn in der Philisternot seine Bemühungen der Erhaltung des gefährdeten religiösen Erbes gegolten haben und er beim Auftauchen der Königsfrage f ü r den Herrschaftsanspruch Jahwes eingetreten ist, dann wäre es verwunderlich, wenn diese klar erkennbare Grundlinie seiner Position nicht auch bei der Einrichtung und Neuordnung des Königtums sich durchgesetzt hätte. Die Einordnung des iraelitischen Königtums in den Rahmen der altüberlieferten Jahwetradition, von der Kapitel 12 auf seine Weise berichtet, wird man geradezu als die Krönung des Lebenswerks des Samuel ansprechen können und dürfte sich mit diesem Urteil kaum allzuweit von der geschichtlichen Wahrheit entfernen. Auch die Rolle, die die Verurteilung des Volksbegehrens im Zusammenhang von Kapitel 12 spielt, fügt sich ohne besondere Schwierigkeit in das so gewonnene Geschichtsbild ein. Nach der Uberlieferung von 1. Sam 8 waren zwar die beiden Fronten in der Königsfrage klar herausgetreten: Hier das Volk mit seinem Wunsch nach einem König wie die Völker (8, 5. 20), dort Samuel als der Vertreter des Herrschaftsanspruches des hinter ihm stehenden Jahwe. Aber der Gegensatz blieb unausgeglichen. Nicht nur nach dem Wortlaut von Kapitel 8, sondern auch historisch gesehen ist es ganz unwahrscheinlich, daß er gleich beim ersten Auftauchen der Königsfrage zum Schweigen gekommen und das Volk sein Wunschbild eines Königs nach heidnischem Vorbild ohne weiteres aufgegeben habe. Darin mag der Grund liegen, daß in einem ganz anderen Überlieferungszusammenhang auf jenen Gegensatz abgehoben wird (10, 19), und daß er vermutlich auch bei der Kürung Sauls in gewissen Kreisen noch eine Rolle gespielt hat (s. o. zu 10, 27; 11,12). Der von der realpolitischen Beurteilung der Lage her durchaus verständliche Wunsch nach einem König wie die
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anderen Völker, von deren Druck er Israel befreien sollte (8, 20. 9, 16), bedeutete in der religiösen Perspektive Samuels eine latente Krise und chronische Gefahr, die auch durch die Erhebung Sauls keineswegs beseitigt w a r und, w i e die spätere Geschichte lehrt, an diesem oder jenem Punkt tatsächlich w i e d e r aufgebrochen ist 91 . Es w ä r e befremdlich, w e n n Samuel bei der Einrichtung des Königtums in Erkenntnis dieser Gefahr nicht versucht haben sollte, sie zu bannen und zu verhindern, daß sie in irgendeiner Weise w i e d e r aufbreche. So d ü r f t e doch wohl auch hinter der Verurteilung des Volksbegehrens, auf die in Kapitel 12 ein entscheidendes Gewicht in besonders eindrücklicher kultischer Ausformung gelegt w i r d , ein Zug stehen, der der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit nahe kommt. G e w i ß verbietet die Eigenart von 1. S a m 12, das Kapitel als unmittelbare Geschichtsquelle zu w e r t e n ; aber auf dem U m w e g über die form- und traditionsgeschichtliche Betrachtung gibt es f ü r die Erfassung der geschichtlichen Bedeutung Samuels und des Wesens des ersten israelitischen Königtums wesentlich mehr her, als man ihm bislang entnehmen zu können glaubte. Die f ü r den Historiker begrüßenswerte aber doch auch seine Arbeit erschwerende Tatsache, d a ß mehrere teilweise weit auseinandergehende Traditionen über die Entstehung des Königtums existieren, beweist, daß man schon frühzeitig die epochale Bedeutung dieses Einschnitts in der Geschichte Israels erkannt hat. Trotz aller Verschiedenheiten i m einzelnen gehen alle Ü b e r l i e f e r u n g e n darin einig, daß sie der Person des Samuel in allen Phasen des Übergangs von der vorstaatlichen Epoche zum Königtum einen entscheidenden E i n f l u ß auf die Gestaltung der Verhältnisse zuweisen und darin wohl eine zutreffende Erinnerung wiedergeben. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Erzählungen erklären sich daraus, daß die Traditionen an verschiedenen Orten und Heiligtümern (Gilgal, Mizpa, Kama) entstanden sind und dort ihre eigene Geschichte hatten. Dies geht seinerseits w i e d e r zurück auf die W i r k s a m k e i t Samuels an jenen Orten (7, 15), w o die Kreise seiner Anhänger als T r ä g e r der lokalen Samueltraditionen zu suchen sind. G e w i ß spricht aus den Samuelüberlieferungen die Verehrung f ü r den Meister, die zur Vorsicht mahnt in der geschichtlichen Auswertung einzelner Züge; aber anderseits bietet gerade diese Herkunft der Samueltraditionen eine gewisse Gewähr dafür, daß die Leistung und Bedeutung dieses M a n n e s im wesentlichen richtig beurteilt ist. Der hervorstechendste und allen Erzählungen gemeinsame Zug im Bilde Samuels ist seine unbedingte Bindung an die überkommene J a h w e v e r ehrung, deren Belange er i n verschiedenen Situationen mit unerbittlicher " Ich denke dabei vor allem an 1. Sam 15 und an die Aufstellung einer Söldnertruppe durch Saul; vgl. dazu WEISER, ZAW 54 (1936), S. 2 f f . und die obigen Ausfülirungen zu 10, 1 ff.
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Konsequenz vertreten hat: als es galt, in der durch die Niederlage und den Verlust des Zentralheiligtums heraufbeschworenen Glaubenskrise, den Bestand der Jahwereligion an den verschiedenen Lokalheiligtümern wieder zum Leben zu erwecken (Kapitel 7), als durch das Volksbegehren nach einem König »wie die Völker« der kaum wieder gefestigte Herrschaftsanspruch Jahwes Gefahr lief, dem Wunschbild einer heidnischen Institution geopfert zu werden, (Kapitel 8. 10, 19; 11,12f.; 12,12. 17ff.). Waren aller Wahrscheinlichkeit nach bei Samuel nach dem Ammonitersieg Sauls nicht nur dessen äußerer Erfolg, sondern religiöse Motive maßgebend, daß er in Saul den gegebenen Anwärter auf den Königsthron erkannte (s. o.), so war er sowohl bei der Erhebung Sauls zum König als auch bei der Einrichtung und Ordnung des Königtums die leitende Figur und treibende Kraft, die das Königtum samt dem Volk in den Rahmen der Tradition des Jahwebundes eingeordnet und gegen die Gefahr eines Abgleitens in fremde Bahnen gesichert hat. Samuel ist es gewesen, der für die besondere Stellung und Eigenart des ersten israelitischen Königtums verantwortlich ist, so daß es, wie außer Kapitel 12 die sekundäre Traditionsbildung in Kapitel 9 f. erweist, von seiner Bindung an die Jahwetradition her verstanden wurde und auch von dem Historiker verstanden werden muß. Daß Samuel getreu seiner ihm zugefallenen Aufgabe nach der in Kapitel 12 erhaltenen Uberlieferung diese seine Verantwortung gegenüber König und Volk auch nach der Einsetzung des Königs beibehalten und betätigt hat, ist ein Zug, der die Samueltradition zu einem in seiner Geschlossenheit eindrucksvollen Bild abrundet, das trotz der Mannigfaltigkeit seiner Einzelzüge in seinen Grundlinien der geschichtlichen Wirklichkeit mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nahekommen dürfte: Als Repräsentant des alten Jahwebundes steht Samuel mitten in der Wende zweier Geschichtsepochen. Die Konsequenz und Energie der Bundestreue, mit der er in den Krisen der Zeitwende die gefährdeten religiösen Uberlieferungen zu erhalten suchte, kennzeichnen den konservativen Grundzug seiner Aufgabe, das Erbe der Vergangenheit in die neue Zeit hinüberzuretten, und es fruchtbar zu machen. Daß ihm dies gelungen ist, und er die Wege zu einer Überwindung der Krisen und Neuordnung der Verhältnisse gefunden hat, zeigt ihn als Mann mit aufgeschlossenem Sinn für die Erfordernisse der veränderten Lage, der die Kraft besaß, das für richtig Erkannte auch gegen Widerstände durchzusetzen. Es ist gewiß kein Fehlurteil, wenn die Tradition nach 1. Sam 12, 11 den Samuel in die Reihe der gottgesandten Rettergestalten aufgenommen hat. In Wirklichkeit überragt er alle jene »Richter«, die vor ihm waren und in Kapitel 12 genannt sind. Und auch die den Historiker leicht irritierende Tatsache, daß Samuel in den verschiedenen Überlieferungen bald als Richter, bald als Seher oder Gottesmann oder Priester oder Prophet er-
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scheint, ist ein Zeichen dafür, daß man von ganz verschiedenen Seiten her einen Zugang zum Verständnis Samuels gesucht hat, aber daß ebenso die herkömmlichen Begriffe lind Institutionen nicht ausreichten, die ganze Fülle seines Lebenswerkes zu umreißen, das jeden engenden Rahmen eines »Amtes« sprengen mußte. Samuels Beitrag zur Geschichte weist gleichzeitig nach rückwärts und in die Z u k u n f t : Samuel selbst ist die lebendige Brücke zwischen der vorstaatlichen Stämmeaphiktyonie und dem Königtum das durch i h n seine in den religiösen Traditionen Israels verankerte Autorität und Verantwortung erhielt und in seiner weiteren Geschichte durch diese Bindungen bestimmt wurde. Samuels Weg bezeichnet aber nicht nur den Übergang von der Richterzeit zum Königtum in Israel; dadurch daß er selbst neben und über dem König seine bisherige Aufgabe beibehalten hat, gab er den Anstoß zu einer religionsgeschichtlichen Erscheinung, die seinem Vorbild folgend die gesamte Geschichte des israelitischen Königtums begleitet h a t : dem alttestamentlichen Prophetismus. In der neueren Prophetenforschung hat die Erkenntnis immer breiteren Boden gewonnen, die die Propheten von ihren Beziehungen zur Jahwetradition verstehen lehrt. Das ist aber auch f ü r die Beurteilung Samuels insofern von Belang, als die Linien sichtbar werden, die ihn mit den späteren Prophetengestalten verbinden. Samuel steht zugleich am Anfang der Geschichte des alttestamentlichen Prophetismus. Auch das Problem Prophet-König-Volk, dessen Spannungen Israels Geschichte durchziehen und in einem guten Teil der alttestamentlichen Literatur zu Worte kommen, geht im Grunde auf Samuel zurück und auf die Ordnung, durch die er in einem kritischen geschichtlichen Zeitraum der Jahwetradition den W e g in die Zukunft geöffnet hat.