Sammler deutscher Denkmäler: Johann Schilter (1632-1705) und das Edieren volkssprachiger Texte des Mittelalters zwischen Späthumanismus und Historismus 9783111080154, 9783111079776

This volume on medieval Germanist philology around 1700 asks what impact the context in which early modern editions were

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German, German Pages 282 Year 2023

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Table of contents :
Danksagung
Inhalt
1 Einleitung
2 Zur Biografie von Johann Schilter
3 Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher
4 Material. Zur gegenständlichen Dimension des Wissens über das Mittelalter
5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition
6 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit
7 Schluss. Johann Schilter zwischen juristischer Germanistik, germanistischer Philologie und Mittelalterhistoriografie im 18. und 19. Jahrhundert
Abbildungen
Abkürzungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
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Sammler deutscher Denkmäler: Johann Schilter (1632-1705) und das Edieren volkssprachiger Texte des Mittelalters zwischen Späthumanismus und Historismus
 9783111080154, 9783111079776

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Kai H. Schwahn Sammler deutscher Denkmäler

Wissenskulturen und ihre Praktiken / Cultures and Practices of Knowledge in History Herausgegeben von Markus Friedrich, Vera Keller und Christine von Oertzen

Band / Volume 15

Kai H. Schwahn

Sammler deutscher Denkmäler Johann Schilter (1632–1705) und das Edieren volkssprachiger Texte des Mittelalters zwischen Späthumanismus und Historismus

ISBN 978-3-11-107977-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-108015-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-108051-2 ISSN 2568-9479 Library of Congress Control Number: 2023940967 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Kupferstich der „Heilsberger Inschrift“ aus SCHILTER, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, 4° XXXVII : 278. PURL: https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/image/1797875337/76/ Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Danksagung Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich am 31. März 2022 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg eingereicht habe. Ihre Fertigstellung allen Unwägbarkeiten zum Trotz wie eine globale Pandemie, ein Hackerangriff auf die UB Gießen, der zentrale Digitalisate für Wochen unerreichbar machte, ein Blitzeinschlag in die SUB Hamburg und viele andere Hindernisse verdanke ich der Unterstützung der folgenden Menschen. Der Beginn dieser Dissertation geht auf einen Hinweis meines Betreuers Prof. Dr. Markus Friedrich zurück, mich eingehender mit dem dicht überlieferten Nachlass Johann Schilters zu beschäftigen. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit diesem Quellenschatz ist in den folgenden Jahren unter seiner Anleitung und fortwährenden Unterstützung diese Arbeit entstanden. Dafür möchte ich ihm besonders danken. Mein Zweitbetreuer Prof. Dr. Martin Mulsow stellte mir nicht nur sein persönliches Exemplar von Schilters Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum während eines Forschungsaufenthalts in Gotha zur Verfügung, sondern lieferte mir in unseren Gesprächen immer wieder grundlegende und produktive Denkanstöße. Von unschätzbarem Wert war für mich der Austausch mit Dr. Andreea Badea, die stets die richtigen Worte fand und mir dabei half, zahlreiche Probleme und Schreibblockaden zu lösen. Prof. Dr. Norbert Kössinger danke ich für die rege Anteilnahme an meiner Arbeit und den produktiven Austausch. Sven Ballenthin hat mir parallel zu meinem Studium nicht nur grundlegende Kenntnisse der historischen Hilfswissenschaften beigebracht, sondern hatte stets ein offenes Ohr für alle Schwierigkeiten, die sich im Rahmen dieser Arbeit ergaben. Diese Arbeit ist in engem Austausch mit dem Team der Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg entstanden. Hierzu möchte ich insbesondere Jacob Schilling, Judith Lipperheide, Dr. Thomas Throckmorton, Dr. Tom Tölle, Elisabeth Fischer, Dr. Jenny Körber, Maximilian Rose, Kim Breitmoser, Ann-Sophie Hellmich-Schwan, Hannah Boedekker, Franziska Knapp und auch Richard Steinberg (im weitesten Sinne) zählen, die alle auf irgendeine Weise mit Anmerkungen, Diskussionen oder durch die angenehme Atmosphäre am Lehrstuhl bei Sommer- und Weihnachtsfeiern zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Meine Faszination für Johann Schilter teilt vermutlich niemand so sehr wie Dr. Almut Mikeleitis-Winter. Aus den vielen produktiven Telefonaten ist auch der gemeinsame Workshop „Johann Schilter (1632 – 1705) im Kontext seiner Zeit. Forschungsperspektiven interdisziplinär“ an der Universität Hamburg entstanden. In vielerlei Hinsicht wirkte dieser Workshop anregend und weiterführend für meine Dissertation, sodass ich rückblickend noch einmal allen Teilnehmerinnen und https://doi.org/10.1515/9783111080154-001

VI

Danksagung

Teilnehmern für die Diskussion danken möchte. Insbesondere seien Klaus vom Orde und Nora Gädeke genannt, die mir bei Fragen und Problemen immer wieder ihre Expertise zur Verfügung stellten. Zum nötigen Feinschliff dieser Dissertation haben Jacob Schilling, Dr. Joëlle Weis, Judith Lipperheide, Prof. Dr. Norbert Kössinger, Dr. Andreea Badea, Dr. Tom Tölle, Dr. Almut Mikeleitis-Winter, Sven Ballenthin, Raphael Schanz, Jakob Pontius und mein Vater essenziell beigetragen, die jeweils Teile dieser Arbeit gelesen haben. Zu besonderem Dank bin ich dem Leiter der Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Gießen, Dr. Olaf Schneider, und seinem Team für ihre Hilfsbereitschaft und Unterstützung bei der Arbeit mit dem Nachlass Schilters vor Ort aber auch die Versorgung mit Digitalisaten verpflichtet. Ebenso danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archives de la ville et de la communauté urbaine de Strasbourg und des Hauptstaatsarchivs Weimar für ihre Hilfe bei der Archivarbeit. Für die Förderung möchte ich der Fritz Thyssen Stiftung, dem Doktorandenkolleg „Geisteswissenschaften“ und der Nachwuchsförderung der Universität Hamburg danken. Unter den vielen Menschen, die mich auf dem Weg zum Abschluss dieser Arbeit begleitet haben, möchte ich nicht zuletzt auch Laura Haloschan, Eric Osselmann, Lena Wallraff, Dag Levin, Simon Hanl und meinem Bruder Philipp Schwahn für anregende Diskussionen aber auch die notwendige Zerstreuung danken. Schließlich gilt mein Dank auch meinen Eltern, die mich in dieser Zeit auch finanziell unterstützt haben. Ohne die fortwährende Unterstützung meiner Mutter in der Zeit der Pandemie, auch bei der Transkription einiger Gelehrtenbriefe, wäre diese Arbeit vermutlich nicht fertig geworden. Den größten Anteil an dieser Arbeit haben meine Frau und meine beiden Söhne, die während der Arbeit an der Dissertation zur Welt gekommen sind. Sie haben mich in dieser oftmals anstrengenden und belastenden Phase auf das Beste unterstützt, mir Kraft gegeben und mich immer wieder daran erinnert, dass es ein Leben neben und nach der Promotion gibt. Ihnen allen möchte ich dieses Buch widmen. Juni 2022

Kai H. Schwahn

Inhalt 1 a b c d e

Einleitung 1 Auftakt: Die gelehrte Beschäftigung mit dem Mittelalter vor Schilter Fragestellung und Erkenntnisinteresse 8 Forschungsstand 10 17 Quellenlage Aufbau der Arbeit 18

2

Zur Biografie von Johann Schilter

3

Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher 40 Johann Schilter als „Armchair scholar“. Zur Quellenakquisition in lokalen 42 Netzwerken Schüler, Mitarbeiter und Familie. Zur Werkstatt eines 55 Mittelalterforschers Kooperation und Konkurrenz in der Gelehrtenrepublik der Mittelalterforscher 69

a b c

4 a b c 5 a b c

6 a

1

19

Material. Zur gegenständlichen Dimension des Wissens über das Mittelalter 89 Zu Johann Schilters Quellenverständnis 91 115 Zum materiellen Arbeitsumfeld eines Mittelalterforschers Schilters Nachlass als materielle Hinterlassenschaft 131 155 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition Recherchieren. Wie fand sich Schilter in Bibliotheken und Archiven zurecht? 156 Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis 167 mittelalterlicher Texte? Bewerten. Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit eines mittelalterlichen Textes belegen? 179 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit 192 Mittelalterforschung im Dienst der Stadt? Schilters Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis im Kontext der französischen Rekatholisierungspolitik in 194 Straßburg nach 1681

VIII

b c

7

Inhalt

Zwischen konfessioneller Identität und interkonfessioneller Verständigung. 207 Zum Entstehungskontext von Schilters Notker- und Otfrid-Editionen Autorität vor Gericht. Zu Schilters Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels vor dem Hintergrund der Debatte um die Geltung des einheimischen Rechts 219 Schluss. Johann Schilter zwischen juristischer Germanistik, germanistischer Philologie und Mittelalterhistoriografie im 18. und 229 19. Jahrhundert

Abbildungen

239

Abkürzungen

241

Quellen- und Literaturverzeichnis Personenregister

271

243

1 Einleitung a Auftakt: Die gelehrte Beschäftigung mit dem Mittelalter vor Schilter Um 1690 widmete sich Johann Schilter (1632 – 1705), zu dem Zeitpunkt Advokat des Straßburger Stadtrats und bereits bekannt für seine juristischen Werke, mit wachsendem Interesse den volkssprachigen Texten des Mittelalters. Sein Plan einer umfangreichen Edition, die erst postum unter dem Titel Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) erschien, war ursprünglich aus der Beschäftigung mit den einheimischen Rechtsquellen entstanden.¹ Das Werk, mit dem Schilter neben einem Wörterbuch Editionen zentraler Texte wie Notkers Psalterübersetzung, Otfrids Evangelienbuch, die Lex Salica, den Schwabenspiegel oder das Ludwigslied veröffentlichte, wurde von der Nachwelt als „Sammelwerk deutscher Denkmäler“ gewürdigt.² Schilters Bezeichnung als „Sammler“, auf die die titelgebende Formulierung anspielt, war allerdings nicht ausschließlich positiv besetzt, sondern teilweise mit der Kritik einer mangelhaften Sorgfalt oder eines fehlenden „grammatischen Scharfblick[s]“ verbunden.³ In ähnlicher Weise äußerte auch Schilter in Hinblick auf die Editionen vorhergehender Gelehrtengenerationen, die er intensiv rezipierte und teilweise seinen eigenen Ausgaben zugrunde legte, bisweilen harsche Kritik. Als Beispiel für den schlechten Umgang mit den deutschen Altertümern führte er etwa Melchior Goldast von Haiminsfeld (1578 – 1635) an. Anlässlich seiner Recherche nach einem Exemplar der althochdeutschen Benediktinerregel schrieb Schilter in einem Brief an den Historiker und maßgeblichen Begründer der Diplomatik Jean Mabillon OSB (1632 – 1707): Sed quam male actum cum antiquitate nostrae gentis, quod nec Caroli nec Otfridi institutiones Grammaticae, in tanta chartae vilitate & inventa arte Typographica, posteris servatae. […]

1 Johann Schilter, Thesaurus antiquitatum Teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, literarium Tomis tribus. […] Opus diu desideratum, nunc ex Autographis b. Autoris datum e Museo Joannis Christiani Simonis, nach Vorarbeiten Schilters überarb. und erw. hg. von Johann Georg Scherz, Elias Frick und Johann Frick, 3 Bde., Ulm: Bartholomaeus 1726 – 1728. 2 Johann Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch. Text, Einleitung, Grammatik, Metrik, Glossar, Bd. 1: Text und Einleitung, Regensburg: G. Joseph Manz 1856, 18. 3 Heinrich Hoffmann, Fundgruben für die Geschichte deutscher Sprache und Litteratur, 2 Bde., Bd. 1, Breslau: Grass, Barth & Comp. 1830, 43. https://doi.org/10.1515/9783111080154-002

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1 Einleitung

Quam male meruit de republ. Literaria & lingua impr[imis] Alemannica Goldastus, qui maluit istud tale quale glossarium conficere, quam integrum textum imprimi facere.⁴

Goldast hatte sich fast ein Jahrhundert früher in der Vorrede zu seinen Paraeneticorum veterum (Insulae ad Lacum Aecronium [Lindau] 1604) jedoch ganz ähnlich geäußert und von seinen Zeitgenossen gefordert, der Zeit des Mittelalters mehr Aufmerksamkeit zu schenken.⁵ Es erscheint daher zunächst paradox, dass Schilter ausgerechnet Goldast kritisierte. Zwar trennten beide etwa zwei Generationen, ihre Arbeiten und Interessensgebiete weisen jedoch etliche Gemeinsamkeiten auf.⁶ Goldast gehörte zur Generation späthumanistischer Gelehrter, die sich um 1600 erstmals intensiver mit den volkssprachlichen Texten des Mittelalters beschäftigte und diese in Editionen herausgab. Schilters Editionsprojekte, die im Kontext einer um 1700 einsetzenden Germanistik im Sinne des „für die Frühe Neuzeit charakteristischen Zusammenhang[s] von deutschrechtlichen Studien, Mittelalterhistoriographie und germanischer Sprachgeschichte“ entstanden, konnten daher in vielen Punkten an die Arbeiten von Goldast und seinen Zeitgenossen anschließen.⁷ Was war bei allen

4 ‚Aber wie schlecht mit den Altertümern/der Antike unseres Volkes umgegangen worden ist, dass Grammatik-Lehrbücher weder Karls noch Otfrids der Nachwelt bei solch einem geringen Preis des Papiers und der Erfindung der Buchdruckerkunst erhalten wurden. […] Wie schlecht hat sich Goldast um die Republica Literaria und vor allem die alemannische Sprache verdient gemacht, der lieber ein derartig [schlecht?] beschaffenes Glossar fertig stellen wollte, als den vollständigen Text abzudrucken.‘ (Übers. d. Verf.) Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF Paris, Ms. fr. 19657, fol. 53r–54v; fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Johann Schilter, Ἐπινίκιον Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, cum Nortmannos an. DCCCLXXXIII. vicisset. [Ludwigslied] Ex codice ms Monasterii Elnonensis sive S. Amandi in Belgio, per Dominum Johannem Mabillon […] descriptum, interpretatione Latina et commentatione historica illustravit Jo. Schilter, Straßburg: Dulssecker 1696). 5 Ulrich Seelbach, Mittelalterliche Literatur in der Frühen Neuzeit, in: Jörg Jungmayr / Christiane Caemmerer (Hg.), Das Berliner Modell der Mittleren Deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.9.–01.10.1997, Amsterdam / Atlanta: Rodopi 2000, 89 – 115, 103. 6 Die Verbindungslinien waren bei aller Abgrenzungskritik auch für Zeitgenossen unübersehbar. So sah Leibniz seine Scriptores rerum Brunsvicensium „in der Tradition der landesgeschichtlichen Editionen z. B. Goldasts und Lindenbrogs.“ Nora Gädeke, Die Werkstatt des Historikers Leibniz. Quellenbegriff – Quellensuche – Quelleneinsatz, in: Nora Gädeke (Hg.), Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, Wiesbaden: Harrassowitz 2012, 7– 32, 21 f. 7 Martin Mulsow, Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit, Berlin: Suhrkamp 2012, 159. Der Begriff „Germanistik“ soll im Folgenden in diesem umfassenden Sinn verstanden werden. Damit steht er zugleich Claudia Liebs Definition der„Germanistiken“ sehr nahe, die sie „als zusammenhängende Denk- und Arbeitsweisen“ versteht, die „so unterschiedliche Disziplinen wie Linguistik, Literaturwissenschaft inklusive Hermeneutik und anderer Ausprägungen von Literaturtheorie, Mediävistik, Philologie, Rechtswissenschaft (Privatrecht, Öffentliches Recht

a Auftakt: Die gelehrte Beschäftigung mit dem Mittelalter vor Schilter

3

Gemeinsamkeiten also der Anlass für Schilters Kritik? Die kurze Antwort ist, dass der Gelehrte seine Kritik in erster Linie gegen Goldasts Überlieferung der althochdeutschen Benediktinerregel richtete. Schilter, der Zeit seines Lebens vergeblich versuchte, selbst an eine Abschrift des Texts zu gelangen, äußerte hier also prägnant seinen Unmut darüber, dass Goldast diesen nicht als vollständige Edition, sondern in Glossarform veröffentlicht hatte.⁸ Daran anschließend wirft seine Kritik im größeren Kontext aber auch die Frage auf, inwiefern sich hierin grundsätzliche Unterschiede zwischen Schilter und späthumanistischen Gelehrten wie Goldast in ihrem Zugang zum volkssprachlichen Handschriftenbestand des Mittelalters widerspiegeln. Was machte eigentlich die germanistische Mittelalterforschung um 1700 aus? Welche thematischen, sozialen oder methodischen Brüche lassen sich zu früheren Akteuren ausmachen? Wo gibt es Verbindungslinien? Wie wirkte Schilters germanistische Mittelalterforschung in das 18. Jahrhundert und darüber hinaus nach? Diese Fragen stellen den Ausgangspunkt dieser Arbeit dar und sollen im Folgenden anhand von Schilters Editionen untersucht werden. Goldast steht hier repräsentativ für eine Gruppe von Gelehrten, die um 1600 den Grundstein für eine breitere gelehrte Beschäftigung mit den volkssprachlichen Texten der vorreformatorischen Zeit legten. Erste Vorläufer ihrer Arbeiten reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück, als sich Gelehrte im Heiligen Römischen Reich unter dem Vorzeichen des Humanismus zunehmend auch mit mittelalterlichen Zeugnissen aus dem deutschsprachigen Raum befassten. Einen wichtigen Impuls setzte hierfür die Entdeckung von Tacitus’ De Germania durch den italienischen Humanisten Poggio Braccolini (1380 – 1459) sowie die daran anschließende deutungsreiche Tacitus-Rezeption im Heiligen Römischen Reich. In Abgrenzung zum italienischen Humanisten (und späteren Papst Pius II.) Enea Silvio Piccolomini (1405 – 1464), der in seinem Werk De ritu, situ, et conditione Germaniae (3 Bücher, 1457– 1458)

etc.), Rechtsgeschichte und Rechtstheorie“ beinhalten. Claudia Lieb, Germanistiken. Zur Praxis von Literatur- und Rechtswissenschaft 1630 – 1900, Berlin / Heidelberg: Metzler 2022 (Literatur und Recht 4), 4 f. 8 Zu Goldasts Edition vgl. Ulf Wessing, Interpretatio Keronis in Regulam Sancti Benedicti. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zu Melchior Goldasts Editio princeps der lateinisch-althochdeutschen Benediktinerregel, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992, v. a. 58 – 60. Vgl. a. Almut Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben. Neue Funde zu den Entstehungsumständen des „Thesaurus antiquitatum Teutonicarum“ und des „Glossarium ad scriptores linguae Francicae et Alemannicae veteris“ von Johann Schilter, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 132 (2013), 105 – 159, 147. Erst die postumen Bearbeiter des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (Ulm: Bartholomaeus 1726 – 1728) konnten schließlich an eine Abschrift gelangen. Almut Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph. Das Glossarium ad scriptores linguae Francicae et Alemannicae veteris in seinem Entstehungskontext, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 168 (2020), 307– 336, 330 – 332.

4

1 Einleitung

Tacitus’ Bericht verwendete, um die barbarische Vergangenheit des Heiligen Römischen Reichs mit seiner glänzenden humanistischen Gegenwart zu kontrastieren, verwiesen deutsche Humanisten wie Jacob Wimpheling (1450 – 1528) und Konrad Celtis (1459 – 1508) auf Tacitus, um der römischen eine positiv besetzte „deutsche“ Antike gegenüberzustellen.⁹ Mit der Aufwertung dieser „deutschen“ Antike ging auch die Wiederentdeckung mittelalterlicher Autorinnen und Autoren des 9.–12. Jahrhunderts einher, die mit Celtis’ Ausgabe der Schriften Hrotsvit von Gandersheims ihren Anfang nahmen und von seinen Schülern Johannes Aventin (1477– 1534) und Johannes Cuspinian (1473 – 1529) oder Zeitgenossen wie Konrad Peutinger (1465 – 1547) weitergetragen wurden.¹⁰ Die zunehmenden Handschriftenfunde in Klosterbibliotheken führten zur Entwicklung einer humanistisch geprägten Textkritik, die über Jahrhunderte hinweg bis zu Schilter die grundlegenden philologischen Techniken prägte.¹¹ Diese gelehrte oder philologische Mittelalterrezeption bezog sich nicht nur auf die lateinischen, sondern zunehmend auch auf die deutschsprachigen Schriften des Mittelalters.¹² Sie vollzog sich allerdings weniger als ein Bruch mit den vielfältigen traditionsgebundenen Rezeptionsmodi der Texte des Mittelalters, sondern in Abstufungen und im Nebeneinander mit diesen.¹³ Je nach Genre muss hier differenziert werden. So weisen etwa historiographische Texte wie Chroniken eine lange Tradition des Fortschreibens seit dem Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit auf, die

9 Anthony Grafton, Tacitus and Tacitism, in: Ders. [u. a.] (Hg.), The classical tradition, Cambridge, Mass. / London: Harvard University Press 2010, 920 – 924; Dieter Mertens, Die Instrumentalisierung der „Germania“ des Tacitus durch die deutschen Humanisten, in: Heinrich Beck [u. a.] (Hg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanisch – deutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen, Berlin: De Gruyter 2004, 37– 101. Zur langen Tradition der Tacitus-Rezeption seit dem 16. Jahrhundert vgl. Lieb, Germanistiken, 24 – 35. 10 Franz Joseph Worstbrock, Humanismus. B. Deutsches Reich, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Stuttgart: ARTEMIS 1991, 193 – 197, hier: 195. 11 Achim Aurnhammer / Nikolas Detering, Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit. Humanismus, Barock, Frühaufklärung, Stuttgart: UTB 2019, 31 – 33. 12 Norbert Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie. Zur Wiederentdeckung und Edition deutschsprachiger Texte des Mittelalters in der frühen Neuzeit; mit einer Fallstudie zu Johann Schilters ‚Thesaurus antiquitatum Teutonicarum‘ (Ulm 1726 – 1728), in: Wolfgang Haubrichs / Manfred Engel (Hg.), Erfindung des Mittelalters, Stuttgart / Weimar: Metzler 2008, 32 – 51, 36. 13 Nicole Eichenberger [u. a.], Introduction. The German Middle Ages in the sixteenth to eighteenth centuries. Reception and Transformation, in: Dies. (Hg.), The German middle ages in the sixteenth to eighteenth centuries. reception and transformation, Leeds: Maney 2014, 335 – 344. Vgl. a. Wolfgang Harms, Rezeption des Mittelalters im Barock, in: Martin Bircher / Eberhard Mannack (Hg.), Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur. 2. Jahrestreffen des Internationalen Arbeitskreises für Deutsche Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 28.–31. August 1976, Hamburg: Hauswedell 1977, 23 – 52, v. a. 23 f.

a Auftakt: Die gelehrte Beschäftigung mit dem Mittelalter vor Schilter

5

etwa in Bezug auf die Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen erst mit Schilter endete.¹⁴ In der Forschung hat sich daher keine zeitliche Definition, sondern eine Reihe von Kriterien durchgesetzt, um den Beginn einer gelehrten Mittelalterrezeption festzumachen. Grundlegend führte Kipf hierfür neben dem „Bewusstsein sprachlicher Alterität“ und „historischer Distanz“ zum rezipierten Text vor allem die Absicht, „die sprachliche Verfasstheit des rezipierten Textes zu dokumentieren, möglicherweise auch zu erklären“, an.¹⁵ Zu den führenden Protagonisten einer solchen gelehrten Beschäftigung mit der Überlieferung des Mittelalters gehörten um 1600 neben Goldast vor allem Matthias Flacius Illyricus (1520 – 1575).¹⁶ Letzterer lieferte insbesondere mit seiner Erstausgabe von Otfrids Evangelienbuch ein Werk, das von einer intensiven Auseinandersetzung mit der volkssprachigen Vorlage zeugt. In seiner historischen und philologischen Einordnung des edierten Textes hob er sich deutlich von allen vorhergehenden Beschäftigungen mit dem althochdeutschen Text ab.¹⁷ Goldasts Editionen, allen voran seine Paraeneticorum veterum (Insulae ad Lacum Aecronium [Lindau] 1604), womit er zum ersten Mal Teile der Manessischen Liederhandschrift im Druck veröffentlichte, zeichneten sich besonders durch seine systematische Arbeitsweise bei der Annotation und dem Kommentar sowie einen verlässlichen

14 Eichenberger [u. a.], Introduction, 341. Wie Ina Serif in ihrer kürzlich erschienenen Dissertation zur Rezeption und Aneignung spätmittelalterlicher städtischer Geschichtsschreibung anhand der Straßburger Chronik zeigte, muss die Rezeption in ihrem jeweiligen Kontext untersucht und nachgewiesen werden. Exemplarisch kann hierfür die Rezeptionsgeschichte des im Straßburger Frauenwerk aufbewahrten Codex 33 der Straßburger Chronik stehen. Vgl. Ina Serif, Geschichte aus der Stadt. Überlieferung und Aneignungsformen der deutschen Chronik Jakob Twingers von Königshofen, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Kulturtopographie des alemannischen Raums 11), Kap. 4.3.2. 15 Johannes Klaus Kipf, Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption? Vergleichende Beobachtungen zu Rezeptionsweisen volkssprachlicher und lateinischer mittelalterlicher Literatur (ca. 1450 – 1600), in: Mathias Herweg / Stefan Keppler-Tasaki (Hg.), Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 15 – 49. Vgl. a. Ernst Hellgardt, Originalität und Innovation. Konzepte der Reflexion auf Sprache und Literatur der deutschen Vorzeit im 16. Jahrhundert, in: Walter Haug / Burghart Wachinger (Hg.), Innovation und Originalität, Tübingen: Niemeyer 1993, 162 – 174. 16 Vgl. Martina Hartmann, Matthias Flacius Illyricus, die Magdeburger Centuriatoren und die Anfänge der quellenbezogenen Geschichtsforschung, in: Arno Mentzel-Reuters / Martina Hartmann (Hg.), Catalogus und Centurien. Interdisziplinäre Studien zu Matthias Flacius und den Magdeburger Centurien, Tübingen: Mohr Siebeck 2008, 1 – 18; Martina Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters, Stuttgart: Thorbecke 2001. 17 Norbert Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit. Studien zu den Anfängen der deutschen Philologie, Tübingen: Niemeyer 2009, 132 – 161.

6

1 Einleitung

Editionstext aus.¹⁸ Damit übte er einen großen Einfluss auf zeitgenössische wie nachfolgende Gelehrte aus, wie sich etwa anhand der Editio princeps des frühmittelhochdeutschen Annoliedes durch den Barockdichter Martin Opitz (1597– 1639) erkennen lässt.¹⁹ Goldasts Einfluss zeigt sich nicht nur in Opitz’ zahlreichen Verweisen auf dessen Werke, sondern auch in einer ähnlichen Art des Kommentierens. Das ging so weit, dass Opitz in seinem Kommentar zum Teil ganze Passagen von Goldast übernahm.²⁰ Die Edition des Annoliedes von Opitz wiederum erwies sich aufgrund ihres dokumentarischen Charakters ebenfalls als sehr einflussreich. Da die handschriftliche Überlieferung bereits kurze Zeit später verloren ging, stellte der von Opitz überlieferte Text nicht nur für Schilter, sondern auch für alle nachfolgenden Editionen die maßgebliche Grundlage dar.²¹ Etwas anders gestaltete sich die Rezeption einheimischer Rechtsquellen des Mittelalters. Zwar lässt sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts ebenfalls eine zunehmende Zahl an Editionen feststellen, doch eine Dokumentation der sprachlichen Verfasstheit trat immer wieder hinter dem Motiv zurück, das Verständnis der Texte durch eine Anpassung der Sprache zu erleichtern.²² In diesem Fall greifen die von Kipf formulierten Kriterien nur bedingt, da das geringere Interesse an der exakten Wiedergabe der Quelle gerade darauf zurückzuführen ist, dass sie vom Editor einer vergangenen Zeit zugeordnet wurde und in seiner Gegenwart keine Geltung mehr beanspruchen konnte. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erhielt die exakte Wiedergabe der Rechtsquellen im Kontext zeitgenössischer Debatten über

18 Graeme Dunphy, Melchior Goldast und Martin Opitz. Humanistische Mittelalter-Rezeption um 1600, in: Hans-Jochen Schiewer [u. a.] (Hg.), Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen: Niemeyer 2008, 105 – 122, 106 – 110. Vgl. a. Anne A. Baade, Melchior Goldast von Haiminsfeld. Collector, commentator and editor, New York: Peter Lang 1992 (Studies in Old Germanic languages and literature 2); Gundula Caspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus. Melchior Goldast und seine Editionen zur Reichsverfassungsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006; Bernhard Hertenstein, Joachim von Watt (Vadianus) – Bartholomäus Schobinger – Melchior Goldast. Die Beschäftigung mit dem Althochdeutschen von St. Gallen in Humanismus und Frühbarock, Berlin / New York: De Gruyter 1975, 115 – 199. 19 Martin Opitz, Incerti Poetae Teutonici Rhythmus De Sancto Annone Colon. Archiepiscopo Ante L aut Ciciter annos conscriptus, Danzig: Hünefeldius 1639. Zur Edition vgl. a. Ernst Hellgardt, Die Rezeption des Annoliedes bei Martin Opitz, in: Peter Wapnewski (Hg.), Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion, Stuttgart: Metzler 1986, 60 – 79. 20 Dunphy, Melchior Goldast und Martin Opitz, 110 – 113. 21 Kipf, Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption?, 32. 22 Vgl. Frank L. Schäfer, Juristische Germanistik. Eine Geschichte der Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht, Frankfurt a. M.: Klostermann 2008 (Juristische Abhandlungen 51), 39 f.

a Auftakt: Die gelehrte Beschäftigung mit dem Mittelalter vor Schilter

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ihre Geltung vor Gericht eine neue Relevanz, wie sich auch am Beispiel von Schilters Editionen beobachten lässt.²³ Die Abgrenzung der eigenen Gegenwart von der vorreformatorischen Vergangenheit im Rahmen einer gelehrten Mittelalterrezeption begann damit bereits, bevor sich eindeutige Begriffe wie „media aetas“ oder „Mittelalter“ nachweisen lassen.²⁴ Das ist auch bei Schilter nicht anders. Der Begriff „medium aevum“ taucht zwar in Schilters Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) wiederholt auf, allerdings ist er „unspezifisch und dem weiteren Begriff der ‚antiquitas‘ nachgeordnet.“²⁵ Die Bezeichnung „Antiquitas“ bezieht sich in dem Zusammenhang allerdings nicht auf die Antike, sondern in der Regel auf die früheste Aufzeichnung.²⁶ Dementsprechend reichen auch Schilters historische Abhandlungen wie bei Zeitgenossen in der Regel bis zum frühesten nachweisbaren Zeugnis beziehungsweise bisweilen wie in seiner Geschichte zur Entwicklung der deutschen Sprache auch bis auf biblische Ursprünge zurück.²⁷ Von diesem Befund unbenommen sollen in dieser Arbeit eigentlich anachronistische Begriffe wie „Mittel-

23 Auf diesen Befund wies bereits Otto Herding hin. Seine darauf aufbauende Argumentation, Schilter sei kein Humanist, da ihm „das Bewußtsein von der zeitlichen Distanz und der Andersartigkeit der zeitlich entfernten Welt, die man nicht durch Glossen zeitgemäß machen kann, sondern nur in voller Erkenntnis ihrer entfernten Hoheit verehren kann“, fehle, ist jedoch nicht zutreffend. Otto Herding, De Jure Feudali, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 28 (1954), 287– 323, 298. An Schilters editorischem Umgang mit mittelalterlichen Rechtsquellen lässt sich vielmehr zugleich ein Bewusstsein für ihre Andersartigkeit, die der Erklärung mit Hilfsmitteln bedurfte, wie auch die Forderung nach ihrer zeitgenössischen Geltung erkennen. 24 Der Gebrauch des Begriffs „media aetas“ lässt sich bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts sporadisch nachweisen und findet sich um 1600 erstmals auf einem Titelblatt. Stefan Benz, Kontinuität und Kontingenz. Strategien im Umgang mit dem Mittelalter um 1600, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 95 (2015), 213 – 248, 216. Die Bezeichnung „Mittelalter“ taucht dagegen erst zum Ende des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal auf. Kipf, Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption?, 16. Ausführlich hierzu vgl. Uwe Neddermeyer, Das Mittelalter in der deutschen Historiographie von 15. bis zum 18. Jahrhundert. Geschichtsgliederung und Epochenverständnis in der frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 1988, 101 – 202. 25 Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie, 48, Anm. 62. 26 Vgl. etwa Jacob Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 89 (2018), 143 – 157, 145; Jan Marco Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten: ein wissenschaftshistorischer Versuch, Tübingen: Niemeyer 2009 (Frühe Neuzeit 131), 246. 27 Vgl. Johann Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, litterariarum. Tomus Tertius exhibens Glossarium ad Scriptores Linguae Francicae et Alemannicae veteris, nach Vorarbeiten Schilters überarb. und erw. hg. von Johann Georg Scherz, Elias Frick und Johann Frick, Ulm: Bartholomaeus 1728, I–XXIX.

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1 Einleitung

alterforschung“ oder „Mittelalterphilologie“ verwendet werden, da sie in der Forschung feststehende Bezeichnungen darstellen, an die im Folgenden angeschlossen werden soll.

b Fragestellung und Erkenntnisinteresse Die bisherige Forschung zur deutschen Mittelalterphilologie in der Frühen Neuzeit konzentriert sich vornehmlich auf die Zeit um 1600. Damit entgehen ihr allerdings wichtige Erkenntnisse zur Entstehungszeit einer methodisch vielfältigen und anspruchsvollen Germanistik, die zum Ende des 17. Jahrhunderts zum ersten Mal die Zeit des Mittelalters als breites kulturelles Phänomen untersuchte. Die Herausgabe von Editionen mittelalterlicher Texte spielte hierbei eine zentrale Rolle. Neben protonational gefärbten antiquarischen Motiven zur Bewahrung früher deutschsprachiger Textzeugnisse ging es vor allem darum, die Überlieferung der enthaltenen Dokumente zu sichern und sie einem größeren Publikum verfügbar zu machen.²⁸ Zeitgenossen wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) betonten in den Vorreden ihrer Werke wiederholt die Bedeutung von Quellensammlungen für eine glaubwürdige Geschichtsschreibung.²⁹ Darin zeigt sich die hohe zeitgenössische Wertschätzung, die handschriftlichen Texten des Mittelalters als wichtige Referenz historischer Wahrheit entgegengebracht wurde. Es existieren zwar Einzelstudien zu dieser späteren Phase, eine umfassende wissensgeschichtliche Analyse zur protestantischen Mittelalterhistoriographie um 1700 fehlt jedoch, insbesondere in Hinblick auf die vielfältigen zeitgenössischen Editionsprojekte, die sich dem mittelalterlichen Handschriftenbestand widmeten. Hier soll die vorliegende Arbeit ansetzen. Das Ziel der kultur- und wissensgeschichtlich ausgerichteten Untersuchung ist es, Schilters Editionen in ihren zeitgenössischen Entstehungskontext einzuordnen und mit Vorläufern ebenso wie mit Nachfolgern in Beziehung zu setzen. Am Beispiel von Schilter soll so gezeigt werden, wie sich protestantische Gelehrte zum Ende des 17. Jahrhunderts der Sammlung des ältesten deutschen Schriftguts aus einer neuen integrativen und polyhistorisch ausgerichteten Perspektive verschrieben hatten. Damit will diese Arbeit gleichermaßen einen Beitrag zu einer Frühge-

28 Vgl. Stephan Waldhoff, Leibniz’ Quellenakquisition für die Mantissa Codicis juris gentium diplomatici. Möglichkeiten, Zwänge und Grenzen der générosité in der Gelehrtenrepublik, in: Markus Friedrich / Jacob Schilling (Hg.), Praktiken frühneuzeitlicher Historiografie, Berlin: De Gruyter 2019 (Cultures and Practices of Knowledge in History 2), 227– 281, 227. 29 Gädeke, Die Werkstatt des Historikers Leibniz, 20 f.

b Fragestellung und Erkenntnisinteresse

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schichte der Germanistik wie auch zur Historiographiegeschichte um 1700 im Allgemeinen leisten. Methodisch folgt die Untersuchung einer praxeologischen und buchhistorischen Perspektive auf die Entstehung von Wissen.³⁰ Das heißt, der Entstehungsprozess von Schilters Editionen und die zugrundeliegenden Praktiken stehen im Vordergrund. Mittelalterforschung soll also nicht ausgehend von den Drucken als Endprodukten gelehrter Wissensproduktion im Sinne einer klassischen Ideengeschichte gedacht werden. Vielmehr steht die Untersuchung der Praktiken frühneuzeitlicher Mittelalterphilologie im Vordergrund, um zum einen eine teleologisch geprägte Ausrichtung an den Errungenschaften großer Editionen zu vermeiden. Zum anderen soll so die Vielfalt zeitgenössischer Ansätze und Arbeitsweisen zur Vergangenheitskonstruktion ernst genommen werden, die nicht immer erfolgreich oder zielführend im Sinne eines modernen Wissenschaftsverständnisses waren.³¹ Mit dem Fokus auf Johann Schilter als einen zentralen aber bislang in der Forschung deutlich unterbelichteten Repräsentanten der Mittelalterhistoriographie um 1700 verfolgt diese Arbeit zudem einen mikrogeschichtlichen Ansatz. Der Gelehrte bietet sich aus verschiedenen Gründen besonders für eine solche Untersuchung an. Erstens belegen seine Editionen ein vielfältiges Interesse am volkssprachigen Handschriftenbestand des Mittelalters. Schilter war als Mittelalterforscher nicht gleichzeitig, sondern zugleich Historiker, Sprachforscher, Jurist, Kirchenhistoriker und Lexikograph. Das spiegelte sich auch in seinen Editionen mittelalterlicher Texte wider. Zweitens war er sowohl im Heiligen Römischen Reich bestens vernetzt, stand aber auch im intensiven, interkonfessionellen Austausch mit wichtigen Gelehrten seiner Zeit wie Jean Mabillon, Étienne Baluze (1630 – 1718) oder Thierry Ruinart (1657– 1709). Drittens bietet die gute Überlieferungssituation seines

30 Vgl. Peter Burke, What is the history of knowledge?, Cambridge / Malden, MA: Polity Press 2016, 5. Zur Wissensgeschichte in der Frühen Neuzeit vgl. Martin Mulsow, History of Knowledge, in: Marek Tamm / Peter Burke (Hg.), Debating new approaches to history, London: Bloomsbury Academic 2019, 159 – 187. 31 Vgl. Joëlle Weis, Johann Friedrich Schannat (1683 – 1739). Praktiken historisch-kritischer Gelehrsamkeit im frühen 18. Jahrhundert, Berlin / Boston: De Gruyter 2021 (Cultures and Practices of Knowledge in History 8); Markus Friedrich / Jacob Schilling (Hg.), Praktiken frühneuzeitlicher Historiografie, Berlin: De Gruyter 2019 (Cultures and Practices of Knowledge in History 2); Marian Füssel, Praxeologische Perspektiven in der Frühneuzeitforschung, in: Arndt Brendecke (Hg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure, Handlungen, Artefakte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 21 – 33; Arndt Brendecke, Von Postulaten zu Praktiken. Eine Einführung, in: Arndt Brendecke (Hg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure, Handlungen, Artefakte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 13 – 20; Helmut Zedelmaier / Martin Mulsow (Hg.), Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, Tübingen: Niemeyer 2001.

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umfangreichen Nachlasses in der Universitätsbibliothek Gießen ausgezeichnete Voraussetzungen für Fragestellungen einer solchen Mikrostudie. Die dichte Quellenüberlieferung des Nachlasses soll genutzt werden, um Schilters Arbeitsweise anhand von vier Schwerpunkten im Detail nachzuvollziehen: Dazu gehören erstens die Netzwerke, in die er eingebunden war, zweitens das Material wie Handschriften, Objekte oder Monumente, auf das Schilter für seine Mittelalterforschung zurückgriff, drittens die philologischen Techniken, mit denen er sich methodisch um 1700 verorten lässt, und viertens die Kontexte, in die er sein Wissen über das Mittelalter mit seinen Editionen einordnete. Der mikrohistorische Ansatz bedeutet jedoch keine Beschränkung auf einen biographischen Zugang. Vielmehr sollen von Schilter ausgehend immer wieder Querverbindungen zu zeitgenössischen Mittelalterforschern gezogen werden, um so die im Kleinen gewonnen Erkenntnisse zur Funktionsweise der Mittelalterforschung um 1700 an übergreifende zeitgenössische Diskurse und Fragen der Forschung anzubinden.

c Forschungsstand Die Germanistik, wie Schilter sie betrieb, war im Sinne frühneuzeitlicher Polymathie gerade nicht an disziplinären Grenzen ausgerichtet. Vielmehr verband sie aus heutiger Sicht so unterschiedliche Wissensgebiete wie die Rechtswissenschaften, die Historiografie und die Sprachforschung. Als verbindendes Element kam der Philologie eine zentrale Bedeutung zu, wie sie etwa in einzelnen übergreifenden Studien bereits thematisiert wurde.³² Die Wahrnehmung des integrativen Charakters der frühneuzeitlichen Germanistik wurde lange durch ihre spätere disziplinäre Aufspaltung in Literaturwissenschaft, Rechtsgeschichte und Geschichtswissenschaft behindert. Aus diesem Grund fand sie mit wenigen Ausnahmen bislang nur in Teilbereichen in den unterschiedlichen Disziplinen Berücksichtigung.³³ An diese Vorarbeiten soll die folgende Arbeit anschließen, die explizit zwischen den Feldern

32 Vgl. etwa James Turner, Philology. The forgotten origins of the modern humanities, Princeton: Princeton University Press 2015. 33 So geht Claudia Lieb in ihrer grundlegenden Untersuchung zu den „Germanistiken“ beispielsweise auf die „Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten der Problemstellungen und Tätigkeiten germanistischer Literatur- und Rechtswissenschaft“ ein. Lieb, Germanistiken, 2. Für die Verknüpfungen zwischen den Wissensgebieten der Philologie, der Rechtsgeschichte und der Geschichtsschreibung im Frankreich des 16. Jahrhunderts vgl. Donald R. Kelley, Foundations of modern historical scholarship. Language, law, and history in the French Renaissance, New York: Columbia University Press 1970.

c Forschungsstand

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der Historiografie- und Rechtsgeschichte wie auch der Geschichte der Literatur- und Editionswissenschaft angelegt ist.³⁴ In der Historiografiegeschichte haben Forschungen zur gelehrten Mittelalterrezeption zuletzt zugenommen, ein Großteil der Arbeiten konzentriert sich allerdings auf die Zeit um 1600. Dabei geht es einerseits darum, die Anfänge einer gelehrten Beschäftigung mit dem Mittelalter auszuloten, wie sie Martina Hartmann etwa in den Arbeiten von Flacius Illyricus identifizierte.³⁵ Andererseits befassen sich die Arbeiten mit den Auswirkungen der Reformation auf die Geschichtsschreibung und die Ausformung konfessionell verschiedener Sichtweisen auf das Mittelalter.³⁶ In der Schwerpunktsetzung auf die Zeit um 1600 zeigt sich aber auch der Einfluss einer älteren Historiografiegeschichte mit ihrem Fokus auf die Zeit der Renaissance einerseits und der Geschichte der Aufklärung beziehungsweise dem Beginn der modernen Geschichtswissenschaft mit dem Historismus andererseits.³⁷ Die Zeit des Barock wurde dagegen als scheinbare Übergangsphase lange vernachlässigt. Das änderte sich erst in den letzten Jahren verbunden mit einer methodischen Neuausrichtung, die wesentlich aus der neuen Geschichte der Natur-

34 Vgl. hierzu die Feststellung von Hans Gerhard Senger: „Geschichte wie Theorie der historischkritischen Edition können […] nicht aus der Perspektive nur einer Wissenschaft rekonstruiert werden; beide sind vielmehr von den verschiedenen, an der Entwicklung beteiligten Disziplinen her zu umgreifen.“ Hans Gerhard Senger, Die historisch-kritische Edition historisch-kritisch betrachtet, in: Walter Jaeschke (Hg.), Buchstabe und Geist. Zur Überlieferung und Edition philosophischer Texte, Hamburg: Meiner 1987, 1 – 20, 3. 35 Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. 36 Benz, Kontinuität und Kontingenz; Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich, Husum: Matthiesen 2003; Frank Ulrich Prietz, Das Mittelalter im Dienst der Reformation. Die Chronica Carions und Melanchthons von 1532. Zur Vermittlung mittelalterlicher Geschichtskonzeptionen in die protestantische Historiographie, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2014 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe B, Forschungen 192. Band); Harald Bollbuck, Wahrheitszeugnis, Gottes Auftrag und Zeitkritik. Die Kirchengeschichte der Magdeburger Zenturien und ihre Arbeitstechniken, Wiesbaden: Harrassowitz 2014 (Wolfenbütteler Forschungen 138); Uwe Neddermeyer, „Was hat man von solchen confusionibus […] recht und vollkömmlichen berichten können?“. Der Zusammenbruch des einheitlichen europäischen Geschichtsbildes nach der Reformation, in: Archiv für Kulturgeschichte 76 (1994), 77– 110; Dieter Mertens, Mittelalterbilder in der frühen Neuzeit, in: Gerd Althoff (Hg.), Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt: wbg 1992, 28 – 54, 177– 186. 37 Exemplarisch für diesen Forschungsstand kann die Arbeit von Ulrich Muhlack stehen.Vgl. Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München: C.H. Beck 1991. Für eine ausführliche Übersicht vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 5 – 7.

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wissenschaften übernommen wurde.³⁸ Das neue Interesse der Forschung an der Zeit um 1700 zeichnet sich insbesondere durch neue Fragestellungen nach dem Entstehungskontext historiographischen Wissens angesichts methodischer Innovationen aus, die mit der Entwicklung der Diplomatik durch Jean Mabillon verbunden wurden.³⁹ In diesem Zusammenhang entwickelte sich die Urkunde zum zentralen Quellentyp für die zeitgenössische Historiografie, was sich auch in umfassenden Editionsprojekten niederschlug. Diese Entwicklung sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass sich zugleich eine Mittelalterphilologie ausbildete, die zeitgenössische methodische Innovationen auch auf einen größeren Bestand weltlicher und geistlicher Texte des Mittelalters ausweitete. Die zeitgenössische Bedeutung dieser Editionen zur Verfügbarmachung und Bewahrung der edierten Texte fand im Kontext dieser Forschungen erst in Ansätzen Berücksichtigung. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Forschung zu historischen Editionen zwischen der Historiografiegeschichte und der Geschichte der Literaturwissenschaft angesiedelt ist. Daraus ergab sich in der Historiografiegeschichte eine Einengung der Perspektive auf Editionen als historiographische Quellensammlungen, wie sie insbesondere an einzelnen Protagonisten wie Gottfried Wilhelm Leibniz untersucht wurden.⁴⁰ Auf katholischer Seite befasste sich vor allem Jan Marco Sawilla im Rahmen seiner Studie zur Verbindung von Antiquarianismus und Hagiographie anhand der Acta Sanctorum mit der editorischen Praxis der Bollandisten.⁴¹

38 Vgl. exemplarisch Steven Shapin, A social history of truth. Civility and science in seventeenthcentury England, Chicago, Ill. / London: University of Chicago Press 2007; Steven Shapin / Simon Schaffer, Leviathan and the air-pump. Hobbes, Boyle, and the experimental life, Princeton: Princeton University Press 1985. 39 Weis, Johann Friedrich Schannat; Patrick Fiska [u. a.], Historia als Kultur – Einführung, in: Thomas Wallnig [u. a.] (Hg.), Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 1 – 19. Vgl. grundlegend a. Zedelmaier / Mulsow (Hg.), Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. 40 Vgl. exemplarisch Andreas Kraus, Vernunft und Geschichte. die Bedeutung der deutschen Akademien für die Entwicklung der Geschichtswissenschaften im späten 18. Jahrhundert, Freiburg: Herder 1963, v. a. 118 – 135. Zur längeren Tradition in der Erforschung frühneuzeitlicher Editionen in diesem Sinne am Beispiel von Leibniz vgl. Nora Gädeke (Hg.), Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, Wiesbaden: Harrassowitz 2012 (Wolfenbütteler Forschungen 129); Waldhoff, Leibniz’ Quellenakquisition für die Mantissa Codicis juris gentium diplomatici; Alfred Schröcker, Leibniz als Herausgeber historischer Quellen, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 29 (1976), 122 – 142; Horst Eckert, Scriptores Rerum Brunsvicensium. Entstehung und historiographische Bedeutung, Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann 1971. 41 Vgl. Jan Marco Sawilla, Vom Ding zum Denkmal. Überlegungen zur Entfaltung des frühneuzeitlichen Antiquarianismus, in: Thomas Wallnig [u. a.] (Hg.), Europäische Geschichtskulturen um

c Forschungsstand

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Die Geschichte der Literatur- und Editionswissenschaft beschäftigt sich zwar mit einem weiter gefassten Verständnis der Untersuchung historischer Editionen „literarischer“ Texte. Die Auswahl der behandelten Editionen ist zum einen jedoch häufig durch einen anachronistischen Literaturbegriff geprägt. Zum anderen fanden frühneuzeitliche Editionen volkssprachiger Texte lange Zeit entweder nur am Rande Berücksichtigung oder wurden wegen des überlieferten Textes behandelt.⁴² Das liegt auch an dem Schwerpunkt einer älteren Forschung auf der Geschichte der klassischen Philologie, während die Mittelalterphilologie insbesondere in Bezug auf deutschsprachige Texte nur wenig Aufmerksamkeit erhielt.⁴³ Die zeitgenössischen Entstehungsbedingungen frühneuzeitlicher Editionen wurden zudem lange zugunsten einer teleologisch geprägten Disziplingeschichte vernachlässigt, die sich an den herausragenden Editionsprojekten ausgerichtete.⁴⁴ Methodische Impulse aus der Geschichte der klassischen Philologie wie die immer noch grundlegende Arbeit von Edward Kenney fanden dagegen bis heute kaum Berücksichtigung.⁴⁵ Erst in den letzten Jahren wurden neue methodische Ansätze wie die Hinwendung zur philologischen Praxis stärker aufgenommen, womit sich der Fokus von den großen Errungenschaften einzelner Editoren hin zu den alltäglichen Tätigkeiten verschob, die mit der Verfügbarmachung und Aufbereitung von Texten verbunden waren.⁴⁶ Der zeitliche Untersuchungsrahmen beginnt im deutschen Sprachraum jedoch weiterhin in der Regel mit den einflussreichen Editionen Karl Lachmanns (1793 – 1851) zu Beginn des 19. Jahrhunderts.⁴⁷ Frühneuzeitliche Editi-

1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 405 – 446; Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. 42 Klaus Weimar widmet der Zeit um 1700 etwa nur am Rande Aufmerksamkeit, bevor er sich der Etablierung der deutschen Philologie als universitäres Fach widmet. Vgl. Klaus Weimar, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Paderborn: Fink 2003, 213 – 250. Für den letzteren Fall vgl. exemplarisch Wessing, Interpretatio Keronis in Regulam Sancti Benedicti. 43 Dafür kann exemplarisch stehen, dass etwas Vergleichbares wie die Bände 13 – 15 des Neuen Pauly (DNP) zur Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte für die Mittelalterrezeption nicht existiert. 44 Zur Kritik an dieser Forschungstendenz vgl. Anthony Grafton, Correctores corruptores? Notes on the Social History of Editing, in: Glenn W. Most (Hg.), Editing Texts – Texte edieren, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998, 54 – 76. 45 Vgl. Edward J. Kenney, The classical text. aspects of editing in the age of the printed book, Berkeley: University of California Press 1974. Vgl. a. Senger, Die historisch-kritische Edition historischkritisch betrachtet. 46 Vgl. exemplarisch die seit 2005 bei de Gruyter erscheinende Reihe „Bausteine zur Geschichte der Edition“, hg. v. Bodo Plachta und Rüdiger Nutt-Kofoth. 47 Vgl. Bodo Plachta, Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte, Stuttgart: Reclam 32013 (Universal-Bibliothek 17603), 27– 31; Bodo Plachta, Germa-

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onsprojekte vor der universitären Etablierung des Fachs werden damit weitestgehend aus dem Untersuchungszeitraum ausgeschlossen. Grundsätzlich eröffnete die Rezeption praxeologischer Fragestellungen jedoch Perspektiven auf frühneuzeitliche Editionen, die sich von der Fixierung auf die Entstehungsgeschichte der eigenen Disziplin lösen konnten.⁴⁸ So stellte Norbert Kössinger mit seinen praxeologisch ausgerichteten Arbeiten zur deutschen Mittelalterphilologie alte Interpretationsmuster infrage und erschloss eine Sicht auf die Frühe Neuzeit als produktive und folgenreiche Phase einer gelehrten Beschäftigung mit dem volkssprachigen Handschriftenbestand des Mittelalters.⁴⁹ In der Rechtsgeschichte wurden neuere Fragestellungen und Methoden aus der Historiografiegeschichte und der Geschichte der Naturwissenschaften bislang nur in Ansätzen berücksichtigt. Unter dem Ausdruck des „Usus modernus Pandectarum“ interessierten sich Rechtshistoriker lange vor allem dafür, wie sich Juristen im Anschluss an Hermann Conrings (1606 – 1681) De Origine Juris Germanici (Helmstedt 1643) mit der Geltung des weithin rezipierten Römischen Rechts in Auseinandersetzung mit mittelalterlichen einheimischen Rechtstraditionen beschäftigten.⁵⁰ Die

nistische Editionswissenschaft im Kontext ihrer Geschichte, in: Anglia 119 (2001), 375 – 398. Vgl. a. Rüdiger Nutt-Kofoth, Editionswissenschaft, in: Jost Schneider, Methodengeschichte der Germanistik, Berlin / New York: De Gruyter 2009, 109 – 132. 48 Beispielsweise bezieht Erika Thomalla in ihrer Dissertation das Editionswesen des 18. Jahrhunderts stärker mit ein, wenngleich sie dessen relevante Vorgeschichte sowie die damit verbundene Geschichte der Editionen mittelalterlicher volkssprachiger Texte weitestgehend ausspart. Vgl. Erika Thomalla, Anwälte des Autors. Zur Geschichte der Herausgeberschaft im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein Verlag 2020. 49 Vgl. Norbert Kössinger, Philologie in der Frühen Neuzeit. Deutschsprachige Texte des Mittelalters im 16. und 17. Jahrhundert, in: Patrizia Carmassi (Hg.), Retter der Antike. Marquard Gude (1635 – 1689) auf der Suche nach den Klassikern, Wiesbaden: Harrassowitz 2016, 37– 52; Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit; Norbert Kössinger, Sammeln, Edieren und Interpretieren. Matthias Flacius und das Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg, in: Arno MentzelReuters / Martina Hartmann (Hg.), Catalogus und Centurien. Interdisziplinäre Studien zu Matthias Flacius und den Magdeburger Centurien, Tübingen: Mohr Siebeck 2008, 77– 93; Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie; Ullrich Bruchhold / Norbert Kössinger, Fremde Traditionen. Althochdeutsche Literatur in der frühen Neuzeit, in: Das Mittelalter 9 (2004), 87– 102. Erste Ansätze für eine Verortung der Anfänge der deutschen Mittelalterphilologie im 16. Jahrhundert finden sich bereits in den Arbeiten von Ernst Hellgardt. Vgl. Hellgardt, Originalität und Innovation; Ernst Hellgardt, … nulli suo tempore secundus. Zur Otfridrezeption bei Johannes Trithemius und im 16. Jahrhundert, in: Uwe Ruberg / Albrecht Greule (Hg.), Sprache, Literatur, Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen. Wolfgang Kleiber zu seinem 60. Geburtstag gewidmet, Stuttgart: Steiner 1989, 355 – 375. 50 Vgl. Klaus Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, in: Michael Stolleis (Hg.), Hermann Conring (1606 – 1681). Beiträge zu Leben und Werk, Berlin: Duncker & Humblot 1983, 355 – 395; Notker Hammerstein, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an

c Forschungsstand

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Bedeutung der Philologie für die frühneuzeitlichen Rechtswissenschaften insbesondere in Hinblick auf die juristische Germanistik ist zwar allgemein bekannt.⁵¹ Dies resultierte jedoch kaum in einem größeren Interesse an den konkreten Entstehungsbedingungen der frühneuzeitlichen Editionen einheimischer Rechtsquellen, das über die Forschungsüberblicke zu einzelnen Rechtstexten hinaus ging.⁵² Ältere Darstellungswerke wie Roderich von Stintzings und Ernst Landsbergs Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft (3 Abt., 4 Bde., München / Leipzig 1880 – 1910) bleiben inhaltlich betrachtet daher oft weiterhin grundlegend für die Rechtsgeschichte des 17. Jahrhunderts.⁵³ Nur in einzelnen Fällen wird etwa in Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Rechtsanwendung auf die Bedeutung der Editionen einheimischer Rechtsquellen in der zeitgenössischen Rechtspraxis hingewiesen.⁵⁴ Die spätere disziplinäre Aufspaltung der Wissensfelder, die für Schilter ganz selbstverständlich eng beieinander lagen, zeigt sich auch an der Forschung zu seinem Wirken. Während er in den literarhistorischen biographischen Werken des 18. Jahrhunderts noch sehr präsent war,⁵⁵ wurde ihm seitdem mit Ausnahme ei-

deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1972. Kritisch zum Begriff des „Usus modernus Pandectarum“ vgl. Mathias Schmoeckel, Das Märchen vom Usus modernus Pandectarum und die sächsische Rechtswissenschaft der Frühen Neuzeit, in: Frank L. Schäfer (Hg.), Ad fontes! Werner Schubert zum 75. Geburtstag, Berlin: LIT 2015, 1 – 32. 51 Vgl. Schäfer, Juristische Germanistik. 52 Vgl. etwa zur Lex Salica Hans-Achim Roll, Zur Geschichte der Lex Salica-Forschung, Aalen: Scientia-Verlag 1972 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F., 17); Karl August Eckardt (Hg.), Lex Salica, Hannover: Hahn 1969 (Monumenta Germaniae Historica; Leges; Leges nationum Germanicarum; 4, 2), 17– 38. Grundlegend vgl. Ulrich-Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, 4 Bde., Köln / Weimar / Wien: Böhlau 1990 – 1992. 53 Roderich von Stintzing / Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3 Abteilungen, 4 Bde., München / Leipzig: Oldenbourg 1880 – 1910. 54 Vgl. v. a. Peter Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich, Frankfurt a. M.: Klostermann 2002 (Rechtsprechung, Materialien und Studien Bd. 18). 55 Vgl. Johann Friedrich Jugler, Johann Schilter, in: Ders. (Hg.), Beyträge zur juristischen Biographie oder genauere litterarische und critische Nachrichten von dem Leben und den Schriften verstorbener Rechtsgelehrten auch Staatsmänner, welche sich in Europa berühmt gemacht haben, Bd. 6,1, Leipzig: Heinsius 1780, 72 – 104; Nicolaus Hieronymus Gundling, III. Nachricht von Ioannis Schilteri Jcti Leben und Schrifften, in: Neue Bibliothec Oder Nachricht und Urtheile von neuen Büchern Und allerhand zur Gelehrsamkeit dienenden Sachen 20 (1712), 859 – 876; Nicolaus Hieronymus Gundling, Schilterus Illustratus oder Ausführlicher aus dem Natur- und Völcker-Recht, deutschen Alterthümern, und durch merckwürdige Exempel, aus der alten und neuen Historie von Deutschland, durchgehends erläuterter DISCOURS, über Herrn D. Jo. Schilteri Deutsches LehenRecht, worinnen die zu diesem Noblen und illustren Theil der Rechts-Gelahrtheit behörigen Quaestiones und Materien, deutlich vorgetragen und erörtert werden. Aus des hochberühmten

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niger Erwähnungen in juristischen Überblickswerken oder einer akademischen Festrede weitestgehend Desinteresse zu Teil.⁵⁶ Die wenigen Arbeiten, die sich mit Schilter befassten, interessieren sich vor allem für seine deutschrechtlichen Studien. Otto Herding beschäftigte sich etwa mit Schilters lehnsrechtlichen Arbeiten und insbesondere seiner Edition des Schwabenspiegels.⁵⁷ Gunther Wesener arbeitete zu Schilters Rechtsquellenlehre.⁵⁸ Aus literaturhistorischer Perspektive setzten sich vor allem Ulrich Seelbach und Norbert Kössinger eingehender mit Schilters postumen Spätwerk, dem Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728), auseinander. Eine umfassendere Beschäftigung mit dem Gelehrten setzte aber erst mit Almut Mikeleitis-Winters grundlegendem Aufsatz zur Genese von Schilters althochdeutschem Glossar ein, in dem sie auch einen ersten Einblick in seinen handschriftlichen Nachlass lieferte.⁵⁹ Im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnte in Zusammenarbeit mit Almut Mikeleitis-Winter eine erste interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Schilter initiiert werden. Die Beiträge des gemeinsam organisierten Workshops „Johann Schilter (1632 – 1705) im Kontext seiner Zeit. Forschungsperspektiven interdisziplinär“, der am 14. März 2019 an der Universität Hamburg stattfand, erschienen als thematischer Schwerpunkt in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins.⁶⁰ An diese Vorarbeiten soll die vorliegende Arbeit anknüpfen, indem sie auf die Verbindungslinien zwischen den zeittypisch vielseitigen Interessen des Gelehrten hinweist.

Herrn geheimen Raths ehemahls darüber gehaltenen Collegiis, nunmehro dem Publico mitgetheilet, Frankfurt a. M. / Leipzig: Schmidt 1735. 56 Vgl. v. a. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abtheilung, Erster Halbband, Text, München / Leipzig: Oldenbourg 1898, 55 – 62 und Ders., Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abtheilung, Erster Halbband, Noten, München / Leipzig: Oldenbourg 1898, 32 – 38; Charles Joseph Barthélemy Giraud, Concours de 1845. Éloge de Schilter. Discours d’Ouverture, prononcé le 6 Aout 1845, Straßburg: Berger-Levrault 1845. 57 Herding, De Jure Feudali. 58 Gunter Wesener, Zur Methoden-, Rechtsquellen- und Privatrechtslehre Johann Schilters (1632 – 1705), in: Borut Holcman [u. a.] (Hg.), Festschrift für Gernot Kocher zum 75. Geburtstag. „… ich rief dich bei deinem Namen und gab dir Ehrennamen“ (Jes 45, 4), Maribor: University of Maribor Press 2017, 457– 474; Gunter Wesener, Ius Romano-Germanicum. Zur Rechtsquellenlehre des Usus Modernus Pandectarum, in: Fundamina. A Journal of Legal History 20 (2014), 1031 – 1041. 59 Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben. Vgl. a. MikeleitisWinter, Johann Schilter als Lexikograph. 60 Vgl. Almut Mikeleitis-Winter / Kai H. Schwahn (Hg.), Johann Schilter (1632 – 1705) im Kontext seiner Zeit, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 168 (2020), 243 – 349.

d Quellenlage

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d Quellenlage Frühneuzeitliche Gelehrtennachlässe haben in der Regel eine bewegte Überlieferungsgeschichte. Das ist auch bei Johann Schilters Nachlass der Fall, der die Hauptquelle für diese Untersuchung darstellt. Dieser ist weitestgehend geschlossen in der Universitätsbibliothek Gießen überliefert. Die Ordnung des Nachlasses ist allerdings stark durch die verschiedenen Provenienzen geprägt, die das Schriftgut durchlief. Die dichte Überlieferung von Arbeitspapieren, Quellenabschriften, durchschossenen Arbeitsexemplaren und Gelehrtenkorrespondenz ermöglicht es, die verschiedenen Facetten frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit im Detail zu rekonstruieren. Innerhalb des Nachlasses bildet Schilters Korrespondenz die zentrale Quelle. Der Hauptkorpus der Briefe in der Universitätsbibliothek Gießen konnte um einige Funde im Stadtarchiv Ulm, im Freien Deutschen Hochstift Frankfurt, in der Universitätsbibliothek Tübingen, in der Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, in der Staatsbibliothek zu Berlin, in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, in der Forschungsbibliothek Gotha, in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen und der Bibliothèque national de France ergänzt werden. Die Korrespondenz liegt vorwiegend, wie es für frühneuzeitliche Gelehrtenkorrespondenzen oftmals typisch ist, nur in einseitiger Überlieferung der Briefe an den Gelehrten vor. Da ein Konzeptbuch nicht überliefert ist, lässt sich Schilters Seite der Korrespondenz nur in einzelnen Fällen anhand einiger weniger Abfertigungen und Konzepte, die er direkt auf den Briefen notierte oder vereinzelt in seinen Arbeitspapieren ablegte, nachvollziehen. So stehen insgesamt 719 Briefen an Schilter nur 65 Briefe in Konzept und Abfertigung von Schilter gegenüber. In Ergänzung zur Überlieferung des Gelehrtennachlasses wurden noch weitere Quellen hinzugezogen. Zur Rekonstruktion von Schilters administrativer Tätigkeit konnte auf die Protokolle des Straßburger Stadtrats in den Archives de la Ville et de l’Eurométropole de Strasbourg und auf die Verwaltungsakten des Sachsen-Jenaer Hofs aus dem Hauptstaatsarchiv Weimar zurückgegriffen werden. In den Protokollen des Stadtrats taucht Schilter besonders zahlreich in den Akten der Kammer der „Verordneten Herren zu den Bedächten“ auf, deren Laufzeit von 1632 bis 1691 reicht. Die Perspektive anderer Gelehrter bei persönlichen Treffen mit Schilter oder ihre Einblicke in seine Bibliothek konnten durch verschiedene Reiseberichte nachvollzogen werden. Besonders eindrücklich berichten hiervon etwa das Reisetagebuch von Johann Friedrich von Uffenbach (1687– 1769), das in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen überliefert ist, oder der Reisebericht von Thierry Ruinart, der im Druck verfügbar ist.

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1 Einleitung

e Aufbau der Arbeit Nach einem biographischen Überblick in Kapitel zwei, der die grundlegenden Informationen zu Schilters Leben und Wirken liefert, gliedert sich die Arbeit in die Hauptkapitel drei bis sechs, welche die Mittelalterforschung um 1700 aus personeller, materieller, methodischer und anwendungsbezogener Perspektive betrachten. So verortet Kapitel drei Schilter im Kontext der Akteure, mit denen er sich über seine mittelalterbezogene Forschung austauschte, die ihm zuarbeiteten oder mit ihm konkurrierten. Um den Gelehrten herum wird auf diese Weise ein ganzes Netzwerk sichtbar, das sich um 1700 mit den volkssprachigen Texten des Mittelalters befasste. Kapitel vier konzentriert sich auf die materielle Grundlage von Schilters Mittelalterforschung, um zu zeigen, auf welcher Quellenbasis Wissen über das Mittelalter produziert, geordnet und über die Generationen weitergegeben wurde. Im fünften Kapitel geht es darum, wie Schilter humanistische Methoden der Textkritik auf den neuen Quellenbestand der mittelalterlichen volkssprachigen Texte übertrug. Es wird zum einen deutlich werden, wie Recherche, Transkription und Sprachkenntnis die Form und den Inhalt von Schilters Publikationen prägte. Zum anderen zeigt sich, wie der Gelehrte mit diesen Einschränkungen methodisch verfuhr, um gegenüber seiner Leserschaft die Glaubwürdigkeit seiner Quellen abzusichern. Das sechste Kapitel untersucht schließlich, in welchen Kontexten mediävistische Expertise um 1700 zum Einsatz kam und wie sich Schilter in diesen mit seinen Editionen positionierte. Auf diese Weise wird das Mittelalter als alternative Argumentationsressource sichtbar.

2 Zur Biografie von Johann Schilter Johann Schilter wurde am 29. August 1632 im kursächsischen Pegau an der Elster als Sohn des Kaufmanns Marcus und Barbara Schilter (geb. Strauch) geboren.¹ Die Familie lässt sich in und um Leipzig insbesondere in Gelehrtenkreisen bis in das 15. Jahrhundert zurückverfolgen.² Das familiäre Netzwerk, das sich vor allem in Kursachsen konzentrierte, bildete für Johann Schilter nach dem frühen Tod seiner Eltern einen wichtigen Bezugspunkt. Der Vater war noch vor seinem ersten Geburtstag verstorben. Die Mutter floh daraufhin mit ihm vor dem 30-jährigen Krieg nach Leipzig, wo sie den Leipziger Probsteiverwalter Johann Hartmann heiratete. Sie verstarb nur wenige Jahre später, ebenso wie ihr zweiter Ehemann.³ Schilter wurde schließlich von seinem Onkel gleichen Namens aufgenommen, der Beisitzer des Oberhofgerichts und des Konsistoriums sowie Senior des Leipziger Schöppenstuhls war.⁴

1 Zur Biografie von Johann Schilter vgl. Dietmar Peil, Schilter, Johann, in: Killy Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 10, Berlin / New York: De Gruyter 2011, 360; Klaus Luig, Schilter, Johann, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin: Erich Schmidt Verlag 1990, 1405 – 1409; Giraud, Concours de 1845; Friedrich Carl Gottlob Hirsching, Schilter, Johann, in: Historisch-literarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen […], Bd. 11,1, Leipzig: Schwickert 1808, 89 – 106; Jugler, Johann Schilter; Christian Gottlieb Jöcher, Schilter (Jo.), in: Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Bd. 4, Leipzig: Gleditsch 1751, Sp. 269 – 270; Nicolaus Hieronymus Gundling, Vollständige Historie der Gelahrtheit, Oder Ausführliche Discourse, So er, in verschiedenen Collegiis Literariis, sowohl, über seine eigene Positiones, als auch und zwar vornehmlich, über Tit. Herrn Professoris, D. Christoph. Augusti Heumanni, Conspectum Reipublicae Literariae, gehalten. Mit nöthigen Anmerkungen, erläutert, ergänzet und, bis auf ietzige Zeiten, fortgesetzet. Dritter Theil, in sich enthaltende Die Historiam Literariam Sec. XVII, Frankfurt a. M. / Leipzig: Spring 1735, 4570 – 4584; Johann Philipp Bartenstein, [Öffentliche Anzeige der Leichenbegängnis von Johann Schilter], in: De Vita, Obitu et Scriptis Illustris atq[ue] Magnifici Domini Jo. Schilteri […] Commentatio Postuma, Straßburg: Theodoricus Lerse 1711, 1 – 10; Johann Heinrich Feltz, Oratio parentalis consecrandae memoriae V. Cl. Johannis Schilteri JCti consummati, nomine Facultatis Juridicae in Universitate Argentoratensi D. XIV. Maii, MDCCVI, in: Ebd., 19 – 30; Johann Strauch, [Lobrede auf Schilter anlässlich seiner Promotion 1671], in: Johann Schilter, Praxis Iuris Romani in Foro Germanico Iuxta Ordinem Edicti Perpetui et Pandectarum Justiniani. Opus, quo Ius Romanum ad Principia Iuris Naturae & gentium, Civilisque Prudentiae regulas exigitur, cum Iure Germanorum eiusque genuinis principiis confertur, leges insigniores succincta paraphrasi enucleantur, & ius quo utimur, quove uti possumus, observatis monitisque practicis explicatur, Bd. 1, Jena: Birckner 21698. 2 Theresa Schmotz, Die Leipziger Professorenfamilien im 17. und 18. Jahrhundert. eine Studie über Herkunft, Vernetzung und Alltagsleben, Leipzig: Sächs. Akad. der Wiss. 2012 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 35), 455. 3 Bartenstein, [Öffentliche Anzeige der Leichenbegängnis von Johann Schilter], 6. 4 Vgl. „Quittung d Vormundschaft HE J. Schilters betreffend“ (UB Gießen, Hs 1184, fol. 400r–v). https://doi.org/10.1515/9783111080154-003

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Abb. 2.1.: Porträt von Johann Schilter aus seiner Leichenpredigt.

Akademische Ausbildung

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Akademische Ausbildung Schilters Onkel ließ ihn zusammen mit seinem eigenen Sohn Johann Benjamin (1632 – 1684) privat von Theophil Coler (1618 – 1685), dem späteren Generalsuperintendenten in Jena, unterrichten. Durch die gemeinsam verbrachte Kindheit und Jugend entwickelte sich zwischen Johann und Johann Benjamin eine andauernde, vertraute und freundschaftliche Beziehung.⁵ Beide begannen 1651 ihr philosophisches Studium an der Universität Jena, welches sie zwei Jahre später an der Universität Leipzig fortsetzten. Dort traten beide dem Collegium Gellianum bei, einer 1641 gegründeten frühen gelehrten Gesellschaft an der Universität Leipzig, die sich dem Wissensaustausch und der gemeinsamen Diskussion von Lektüre widmete.⁶ Zum Collegium gehörte zu Schilters Zeit unter anderem auch der Mann seiner Cousine, der Jurist David Lindner (1626 – 1683).⁷ Nach dem Abschluss seines philosophischen Studiums in Leipzig kehrte Schilter nach Jena zurück. Hier besuchte er zunächst Vorlesungen an allen höheren Fakultäten, bevor er sich für ein Studium der Jurisprudenz entschied. Während seines Studiums suchte Johann Schilter immer wieder den Bezug zu seiner (größeren) Familie. So widmete er beispielsweise seine Dissertation in Dialektik, mit der er 1654 das Trivium an der Universität Leipzig abschloss, seinem Cousin zweiten Grades, nämlich dem kursächsischen Konsistorial- und Appellationsrat Friedrich Tüntzel von Tüntzelhausen, Sohn von Gabriel und Catharina (geb. Schilter, 1576 – 1628) Tüntzel von Tüntzelhausen.⁸ Nach Erhalt seines Magistertitels 1655 und der Aufnahme eines weiterführendes Studiums an der juristischen Fakultät der Universität Jena widmete er ebenso seine Dissertation De aquisitionibus per hoc (Jena 1658) dem kursächsischen Appellationsrat und Assessor am Leipziger

5 Vgl. die Briefe von Johann Benjamin Schilter an Johann Schilter, in denen sich Johann Benjamin mit vertraulichen Problemen an Schilter wandte. (UB Gießen, Hs 1262). Zur Biographie von Johann Benjamin Schilter vgl. Andreas Günther, Unüberwindlicher Prediger-Schild: unter welchem Christlich gelebet/ Geduldig gelitten/ Selig gestorben/ Der […] Herr M. Joh. Benjamin Schilter/ Wohlverdienter und Treufleißiger Ober-Pfarrer bey allhiesiger Stadt-Kirchen zu St. Wentzel in Naumburg/ und der Schulen Inspector / Als bey seinem […] Begräbniß/ so den 3. Octob. A. 1684. […] geschehen, Zeitz: Hetstädt 1684, 38 – 40. 6 Claudia Tietz, Johann Winckler (1642 – 1705). Anfänge eines lutherischen Pietisten, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, 52. Schilter thematisierte in einem Vortrag 1654 beispielsweise das grammatische Problem der Silbenanzahl des Wortes „Hermundurus“. Maximilian Görmar, Das Collegium Gellianum in Leipzig (1641 – 1679). Ein Beitrag zur Gelliusrezeption im 17. Jahrhundert, in: International Journal of the Classical Tradition 25 (2018), 127– 157, 144 f. 7 Görmar, Das Collegium Gellianum in Leipzig (1641 – 1679), 149, FN 160. 8 Johann Schilter, Analysis Vitae T. Pomponii Attici, a C. Nepote descriptae […] in Disputationem proposita sub Praesidio Dn. M. Friderici Rappolti […] a Johanne Schiltero, Leipzig: Cellarius 1654.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Schöppenstuhl Johann Christoph Marci (1614 – 1672), mit dem er ebenfalls weitläufig verwandtschaftlich verbunden war.⁹ Sowohl Tüntzel als auch Marci spricht Schilter als Förderer oder Patron an. Seine Widmungspraxis lässt mehrere Schlüsse zu: Erstens hatte der junge Schilter offensichtlich eine sehr genaue Kenntnis selbst von den weiter verzweigten Verwandtschaftsgraden in der Schilterschen Familie bis in das 15. Jahrhundert hinein. Zweitens scheint Schilter gute Verbindungen in diesem Familiennetzwerk besessen zu haben, beziehungsweise suchte er zumindest sehr bewusst den Anschluss. Das zeigt sich auch in einer Gratulationsschrift zum gemeinsamen erfolgreichen Magisterabschluss von Johann und Johann Benjamin Schilter, die ihnen die Mitglieder des Collegium Gellianum zueigneten.¹⁰ Die Schrift würdigte nicht nur die Leistung der beiden Absolventen, sondern stellte ebenfalls deren familiäre Verbindungen und verdienstvolle Vertreter der Familie Schilter zur Schau.¹¹ In Jena kam Schilter unter die Obhut seines Onkels mütterlicherseits, dem Professor der Rechte Johann Strauch (1612 – 1679), bei dem er große Teile seines Studiums absolvierte. Dessen historisch-philologische Herangehensweise übte einen großen Einfluss auf Schilter aus.¹² Strauch hatte ebenfalls an der Universität Leipzig studiert, wo er zunächst eine Professur für Latein, später auch für Geschichte bekleidete. In Jena hatte er 1655 promoviert und erhielt kurz darauf eine Professur an der juristischen Fakultät, die er nach einer kurzen Anstellung als Protosyndikus in Braunschweig 1668 wieder aufnahm.¹³ Seine Methode stand unter dem Einfluss von Hermann Conrings De origine iuris germanici (Helmstedt 1643), das die weitverbreitete Vorstellung von der Geltung des Römischen Rechts durch die formelle Einführung Kaiser Lothars III. infrage stellte.¹⁴ Auch nach dem Abschluss von Schilters Studium und seinem Wegzug aus Jena bestand der enge Kontakt

9 Schilter und Marci waren mütterlicherseits über ihre Urgroßeltern verwandt. Johann Christoph Marci war der Sohn von Christoph und Anna Marci (geb. Cramer). Anna Cramers Eltern waren Peter (1554 – 1604) und Catherina Cramer (geb. Hertel) (1568 – 1632), deren Eltern wiederum Hans und Katharina Hertel (geb. Schilter) und Tochter von Matern Schilter und Catherina Teuber waren. 10 Collegium Gellianum, Collegii Gelliani Gratulatoria ad Ivenes ab elegantia ingenii […] Dn. Johannem Benjamin Schilterum Lipsiensem, Dn. Johannem Schilterum, Pegaviens. Fratres Patrueles, Suptremos in Philosophia honores ex merito adeptos, Cal. Febr. MDCLV, Leipzig: Cellarius 1655. 11 Zum Collegium Gellianum vgl. Görmar, Das Collegium Gellianum in Leipzig (1641 – 1679). 12 Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Geschichte der Universität Jena, 1548/58 – 1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum. Band I: Darstellung, Jena: Fischer 1958, 147. 13 Vgl. zu Strauch: August Ritter von Eisenhart, Strauch, Johann, in: Allgemeine Deutsche Biographie 36 (1893), 528 – 531 [Online-Version], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd100632300.html [18.7. 2023]. 14 Vgl. Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte.

Akademische Ausbildung

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zwischen ihm und Strauch fort. Hiervon zeugen die überlieferten Briefe, in denen sehr persönliche Themen wie der frühe Tod eines von Schilters Kindern besprochen werden. Daneben geht es häufig auch um gelehrte Themen und den Austausch von Büchern.¹⁵ Zum Kreis der gemeinsamen Kontakte gehörte auch der Jenaer Geschichtsprofessor Johann Andreas Bose (1626 – 1674), mit dem Schilter über Boses Mutter verwandt war. Beide kannten sich vermutlich bereits aus ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend in Leipzig, wo sie später auch eine kurze Zeit gemeinsam dem Collegium Gellianum angehörten.¹⁶ Ein Briefwechsel zwischen beiden ist zwar nicht überliefert, dies ist angesichts der häufigen Gelegenheit zur Anwesenheitskommunikation aber nicht weiter verwunderlich.¹⁷ Ein Anhaltspunkt für ihren engen Kontakt ist dagegen die gemeinsame Teilnahme an den Sitzungen der Gelehrtengesellschaft Societas Disquirentium, die Bose 1672 nach dem Vorbild des Leipziger Collegium Gellianum gegründet hatte.¹⁸ Schilter gehörte höchstwahrscheinlich zu den Gründungsmitgliedern. Nach Boses Tod übernahm er nicht nur die Leitung der Societas Disquirentium, sondern kümmerte sich ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Bose-Schüler Georg Schubart (1650 – 1701), der ab 1681 die Professor für praktische Philosophie an der Universität Jena übernahm, und im Austausch mit Hermann Conring um die postume Herausgabe von Boses Werken.¹⁹ Auch in diesem

15 Johann Strauch an Johann Schilter, [Jena] 22. November 1669; [Jena] 28. Februar 1670; Jena 2. September 1670 (UB Gießen, Hs 1262, fol. 1483r–1487v). 16 Adolph Clarmund, XXVI. Jo. Andreas Bosius, in: Ders. (Hg.), Vitae Clarissimorum in re literaria Virorum. Das ist: Lebensbeschreibung etlicher Hauptgelehrten Männer so von der Literatur profess gemacht […], Wittenberg: Christian Gottlieb Ludwig 1704, 229 – 242. 17 Zur Anwesenheitskommunikation vgl. Martin Mulsow, Informalität am Rande des Hofes. Anwesenheitskommunikation unter Gothaer Gelehrten um 1700, in: Daphnis. Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur und Kultur der frühen Neuzeit (1400 – 1750) 42 (2013), 595 – 616. 18 Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Geschichte der Universität Jena, 152; Societas disquirentium, Historia societas disquirentium […], Jena: Werther 1683; Hermann Kappner, Die Geschichtswissenschaft an der Universität Jena. Vom Humanismus bis zur Aufklärung, Jena: Fischer 1931, 87 f.; Wilhelm Ernst Tentzel, Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde Von Allerhand Büchern, Leipzig: Fritsch 1689, 79 f.; Felicitas Marwinski, Johann Andreas Fabricius und die Jenaer gelehrten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts, Jena: FriedrichSchiller-Universität 1989, 12. Ein Beleg für Schilters frühe Mitgliedschaft ist seine Rezension zur Neuauflage von Ulrich Velenus’ Schrift zum Beweis, dass Petrus Rom nie betreten habe: Johann Schilter, Recensio zu Ulrich Veleni Libellus, quo Petrum Romanum non venisse demonstratur, Ed recognita 1660, in: Protokoll der Societas disquirentium in Jena 1672 – 1674 (Stabi Hamburg, Hist. litt. 2° 1), 85 – 86. 19 Es handelt sich dabei um Boses zweite Vorlesung aus dem WS 1660, die unter dem Titel „Dissertationes de statu Europaeo“ zusammen mit der „Introductio Generalis in notitiam rerumpubli-

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Zusammenhang zeigt sich die Bedeutung von Schilters Familienbezügen. Anlässlich seines Geburtstages wird er in einem von den Mitgliedern der Societas Disquirentium verfassten Gedichtes nicht nur als ihr Kopf gefeiert, sondern explizit auch auf den Theologieprofessor Zacharias Schilter (1541 – 1604) als seinen Vorfahren verwiesen, dem er in seinen Taten nacheifere.²⁰

Beginn einer höfischen Karriere Trotz seiner engen familiären Verflechtungen waren Schilters finanzielle Mittel zu beschränkt, um im Anschluss an sein fünfjähriges Rechtsstudium in Jena eine akademische Reise folgen zu lassen.²¹ Stattdessen schlug Schilter zunächst eine Laufbahn in der Rechtspraxis ein und übernahm ab 1660 die Advokatur in Naumburg.²² Im selben Jahr heiratete er Anna Sibylla Born (?–1699²³), die Tochter des Saalfelder Stadtrichters und Kaufmanns Heinrich Born.²⁴ Zusammen hatten sie fünf Kinder, von denen allerdings nur seine Tochter Susanna Sibylla (1663 – 1694), die im Februar 1686 den Juristen Conrad Heinrich Overlach heiratete,²⁵ und sein Sohn Johann Gottfried (?–nach 1705) das Erwachsenenalter erreichten. Die Bestallung zum Gerichts- und Kanzleisekretär durch Herzog Moritz von Sachsen-Zeitz markierte nur zwei Jahre später den Beginn einer höfischen Karriere

carum orbis universi“ 1676 in Jena erschien. Außerdem war Schilter an der Herausgabe der zweiten Auflage von Boses Nepos-Ausgabe (Jena/Leipzig 1675) beteiligt. 20 UB Gießen, Hs 1184, fol. 568r–v. 21 Hierauf weist auch seine späte Promotion hin, die er erst 1671 in beiden Rechten an der Universität Jena absolvierte. Vgl. Kai H. Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“. Zur Karriereplanung als gelehrter Praxis am Beispiel Johann Schilters (1632 – 1705), in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 168 (2020), 243 – 265, 250, Anm. 12. 22 Jugler, Johann Schilter. 23 Im August 1699 kondolierte Georg Schubart Schilter anlässlich des Todes seiner Ehefrau. Schubart an Schilter, Jena 10. August 1699 (Stabi Berlin, Autogr. I/4093, fol. 54r–55v). 24 Gundling, III. Nachricht von Ioannis Schilteri Jcti Leben und Schrifften, 861 f. Der Rektor der Universität Straßburg Johann Philipp Bartenstein schreibt in seiner Beschreibung von Schilters Lebenslauf, Heinrich Born wäre in Naumburg Stadtrichter und Kaufmann gewesen. Bartenstein, [Öffentliche Anzeige der Leichenbegängnis von Johann Schilter], 8. Vgl. dagegen a. George Goetze, Solimam Suprenam Oder Das Jerusalem das droben ist. Bey […] Beerdigung Weyland Der […] Frauen Susannen Sybillen Overlachin/ Des […] Conrad Henrich Overlachs/ Beyder Rechten Doct. Hertzliebsten nunmehr seligen Ehefrauen, o.O. 1695, 14 (URL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/ purl?PPN671535714 [18.7. 2023]). 25 Goetze, Solimam Suprenam, 14 – 15.

Beginn einer höfischen Karriere

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für Schilter.²⁶ In der Hofordnung stand Schilter damit an 29. Stelle und wurde mit 150 Reichstalern besoldet. Nach fünfjähriger Tätigkeit wurde er 1668 zum Amtmann im hennebergischen (heute: südthüringischen) Suhl ernannt. Als Amtmann fungierte er als Vertreter des Landesherrn vor Ort. In dieser Funktion übte er in dessen Namen die Gerichtsbarkeit aus und verwaltete die Steuern.²⁷ Für seine Förderung durch seinen Landesherrn bedankte er sich mit der Widmung seiner Dissertatio de iure et statu Obsidum (Rudolstadt 1664).²⁸ Ein Jahr nach seiner Promotion in beiden Rechten (Dr. iur. utr.) an der Universität Jena 1671 erhielt Schilter eine Anstellung als Hof- und Konsistorialrat von Bernhard von Sachsen-Jena.²⁹ Die Bestallung bedeutete für Schilter in mehrfacher Hinsicht einen Aufstieg. Zum einen drückte sich das sowohl im Rang als auch in finanzieller Hinsicht mit einer jährlichen Besoldung von 457 Gulden aus.³⁰ Das reichte offenbar zum Erwerb eines Hauses in Jena, in dem Schilter durch eine Tafel und die Unterbringung von Studenten zusätzliche Verdienste erwirtschaftete.³¹

26 Vgl. die „Hoff- und Fürgangs Ordnung“ von Moritz von Sachsen-Zeitz (UB Gießen, Hs 920, Nr. II, fol. 204r–205v, hier: 205r). 27 In Schilters Nachlass sind etliche Akten aus seiner Zeit als Amtmann überliefert, die einen tieferen Einblick in diese Lebensphase bieten.Vgl. UB Gießen, Hs 919, Hs 920 (v. a. Schatulle 2), Hs 1183 und Hs 1184. 28 Johann Schilter, Dissertatio de iure et statu Obsidum, Rudolstadt: Müller 1664, Widmung. 29 Johann Schilter, Dissertatio de cursu publico, Angariis et Parangariis, Jena: Johannes Nisius 1671. 30 Paul Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1672 – 1690), Jena: Fischer 1940, 33. Hinzu kamen weitere Naturalbesoldungen. Ab 1679 wurde Schilter etwa zusätzlich mit einem Fass Wein bedacht: „Demnach vorweißer dieses abgefertiget, dem hiesigen Fürstl. Sächs.Vormundschaftl. Hoff- Cammer und Justitien wie endes Consistorial Raths, Herrn D. Johann Schildern, Ein Fäßlein Wein von zwey Eimern nacher Salfeld anführen, und von darauß wiederumb Ein zum Haußrath anfort zubringen. Werden dero wegen alle und jede Gleits- und Zollbediente, hiermit gebührend ersuchete, ermelte Fuhrmann nicht allein in Hin, sondern auch rückwege, aller orthen, mit solchem ihme anvertrauten Güthern, gantz frey und ungehindert passiren zu laßen, Solches soll in dergleichen und andern begebenheiten auch also gehalten und verschuldet werden. Uhnkundlichen ist dieser Paß mit dehn Früstl.Vormundschafts Cammer Secret betrüket worden, geschehe[n] […] den 7. Octobris Anno 1679“ (UB Gießen, Hs 1184, fol. 74r–v). 31 Das Haus besaß Schilter auch nach seinem Wegzug aus Jena weiterhin, wie ein Brief seines Sohns belegt, in dem dieser seinem Vater den Verkauf des Hauses aufgrund von baulichen Mängeln nahelegt. Ein Kaufmann bot offenbar bis zu 4.000 Reichstaler dafür. Johann Gottfried Schilter an Johann Schilter, Jena 19. Dezember 1688 (UB Gießen, Hs 142, fol. 133r–134v). Zum Unterhalt von Tischgesellschaften als zusätzliche Einnahmequelle von Gelehrten vgl. Elizabeth Harding, Der Gelehrte im Haus. Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstedt, Wiesbaden: Harrassowitz 2014, v. a. 45 – 53. Zwar betont Harding, der finanzielle Aspekt der Tischgesellschaften solle nicht überschätzt werden, da die Kosten häufig als Kredite gewährt wurden. In Schilters Fall scheint der Unterhalt der Tafel aber durchaus auf finanziellen Profit

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Zum anderen ermöglichte ihm diese Stellung sich von nun an intensiver mit juristisch-gelehrten Themen zu beschäftigen. Ab 1675 begann er einen Pandektenkommentar herauszugeben, der als sein frühes Hauptwerk bezeichnet werden kann und der ihn bis zum Abschluss der letzten Lieferung 1684 beschäftigte.³² Daneben verfasste er zwei moralphilosophische Schriften, ein erfolgreiches Lehrbuch zum kanonischen Recht³³ sowie eine umfangreiche kirchen(rechts)historische Abhandlung zur Freiheit der deutschen Kirchen.³⁴ Ausgehend von seinem Interesse an den einheimischen Rechtsquellen, das sich nicht zuletzt an seinem Debattenbeitrag zur Frage der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland in den Acta Eruditorum zeigte,³⁵ begann er bereits ab 1683 Pläne zur Edition mittelalterlicher deutscher Rechtsquellen zu formulieren. Während es zunächst um eine Edition des Sachsenspiegels ging,³⁶ hatten sich seine Pläne nur wenige Jahre später bereits auf den Schwabenspiegel ausgeweitet. An den klassischen Philologen und Professor für Geschichte und Politik an der Universität Utrecht, Johann Georg Graevius (1632 – 1703), schrieb Schilter im April 1685, er wolle das „Ius Teutonicum“ wiederaufrichten, und zwar „in duabus suis positionibus, Iure Saxonico et Alamannico“.³⁷ Hierzu besitze er selbst das eine oder andere, hoffe aber auch auf Funde in der Bibliothek des Sächsischen Kurfürsten.³⁸ ausgerichtet zu sein. So rechnet sein Sohn Johann Gottfried detailliert nach, warum ein Verkauf des Hauses aufgrund der anstehenden Reparaturen profitabler wäre als die durch die Tafel generierten Einkünfte. 32 Johann Schilter, Exercitationes ad L libros Pandectarum, Jena: Birckner 1672 – 1684. Vgl. a. Kap. 3c. 33 Johann Schilter, Institutiones iuris canonici ad Ecclesiae veteris et hodiernae statum accommodatae, Jena: Birckner 1681. Noch zu Schilters Lebzeiten erschienen 1688 und 1699 zwei weitere Auflagen von dem Werk. Auch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert war das Interesse an dem Werk unvermindert groß, wie sich an etlichen Neuauflagen 1708, 1713, 1718, 1721, 1728, 1733 und 1749 erkennen lässt. 34 Johann Schilter, De Libertate Ecclesiarum Germaniae Libri septem adjectus est de Prudentia Juris Christianorum sive de societate inter deum et hominem ejusque jure et officiis Liber itemque de fatis Ecclesiarum S. Joanni Revelatis Dissertatio, Jena: Bielcke 1683. Ausführlicher hierzu vgl. Klaus vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener. Ein interdisziplinäres Gespräch, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 168 (2020), 267– 284; Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“, 254 – 257. 35 Vgl. Wesener, Ius Romano-Germanicum. Ausführlich hierzu Kap. 6c. 36 Gegenüber Avianus berichtete Schilter zum ersten Mal von seinem Plan für eine Edition des Sachsenspiegels. Avianus an Schilter, Coburg 2. Mai 1683 (UB Gießen, Hs 141, fol. 40 – 41). Vgl. Kap. 3c. 37 Schilter und Graevius kannten sich offenbar aus ihrer gemeinsamen Studienzeit in Leipzig. Vgl. Karl Ritter von Halm, Gräve, Johann Georg in: Allgemeine Deutsche Biographie 9 (1879), 612 – 613 [Online-Version], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd100156991.html [18.7. 2023]. 38 Schilter an Graevius, Frankfurt a. M. 13. April 1685 (Königliche Bibliothek Kopenhagen, Thott 1265. -4°).

Aufgabenbereich als Hofrat

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Parallel zu diesen Plänen und seinen Veröffentlichungen hielt Schilter ab 1678 Vorlesungen und Disputationen an der Universität Jena.³⁹ Es liegt nahe, dass sich Schilter auf diese Weise für eine juristische Professur ins Gespräch bringen wollte, womit er jedoch in Jena keinen Erfolg hatte. Die Besetzung einer Professur zusätzlich zum höfischen Amt war nicht ungewöhnlich und gerade unter Juristen verbreitet.⁴⁰

Aufgabenbereich als Hofrat Parallel dazu bekleidete Schilter als Hofrat in der Regierung Sachsen-Jenas nicht nur eine zentrale Position, sondern begleitete von Beginn an den Aufbau einer zentralen Verwaltung in den zu Sachsen-Jena gehörigen Territorien.⁴¹ Das ging darauf zurück, dass der Hof in Jena zwar bereits mit der Aufteilung Sachsen-Weimars nach dem Tod von Herzog Wilhelm IV. 1662 unter seinen drei Söhnen eingerichtet wurde. Bis zu einer Vergrößerung des Territoriums sollten die unterschiedlichen Landesteile gemäß dem Testament aber gemeinsam regiert werden. Erst das Auslöschen der Altenburger Linie 1672 und der Aufteilung des entsprechenden Fürstentums zwischen der Weimarer und der Gothaer Linie führte zur Übertragung der landesherrlichen Rechte an die jeweiligen Brüder und der Einrichtung einer Regierung in Jena.⁴² Insgesamt war der Hof mit etwas mehr als 100

39 Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Geschichte der Universität Jena, 147. 40 Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“, 260. 41 Zum Fürstentum Sachsen-Jena vgl. Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1672 – 1690); Lothar Frede, Geld- und Münzwesen im Herzogtum Sachsen-Jena, Jena: Fischer 1942; Wolfram Junghans, Das Fürstentum Sachsen-Jena und die Angehörigen seines Herrscherhauses (1662 – 1703), in: Kultur und Geschichte Thüringens. Landeskundliches Jahrbuch für Deutschlands Mitte 7 (1986/87), 6 – 16; Hans Patze / Walter Schlesinger, Geschichte Thüringens, 6 Bde., 9 Teilbde., Bd. 5,1,1, Köln / Wien: Böhlau 1982 (Mitteldeutsche Forschungen 48), 353 – 360; Johann August Christian von Hellfeld, Geschichte der erloschenen Herzoglich Jenaischen Linie Herzog Bernhards II zu Sachsen Jena etc und dessen Sohn Johann Wilhelm, sammt einer kurzen Biographie der einzigen Prinzessin Herzog Bernhards, Charlotte Maria, Jena: Selbstverlag 1828; Ulrich Hess, Geheimer Rat und Kabinett in den ernestinischen Staaten Thüringens Organisation, Geschäftsgang und Personalgeschichte der obersten Regierungssphäre im Zeitalter des Absolutismus, Weimar: Böhlau 1962 (Veröffentlichungen des Thüringischen Landeshauptarchivs Weimar 6), 130 f.; Gerhard Müller, Die Landstände in den ernestinischen Staaten. Zu Varianz und Entwicklung der ständischen Vertretungen im politischen System von Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Gotha-Altenburg 1572 – 1848, in: Frank Boblenz (Hg.), Landstände in Thüringen. Vorparlamentarische Strukturen und politische Kultur im Alten Reich, Weimar: Wartburg-Verlag 2008, 51 – 138. 42 Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1672 – 1690), 1 – 4.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Personen (Stand 1678) im Vergleich zu den anderen ernestinischen Höfen eher klein.⁴³ Anfangs bestand die Regierung nur aus Schilters Onkel Johann Strauch, der die Ämter eines Präsidenten, Hof- und Konsistorialrats bekleidete, und Schilter selbst. Ein Geheimes Ratskollegium existierte aufgrund der geringen Größe des Fürstentums nicht. Erst ab 1675 kam Zacharias Prüschenk von Lindenhofen (1610 – 1678) als Präsident hinzu. Schilters Kompetenzen erweiterten sich zusätzlich, nachdem er ab 1675 auch noch die Aufsicht über die fürstliche Kammer übernahm.⁴⁴ Sein Aufgabenfeld war dementsprechend vielfältig. Zunächst umfasste es das Erstellen von Gutachten zur Vorbereitung von Regierungsentscheidungen.⁴⁵ Dabei handelte es sich um juristische Expertisen, die auf Grundlage bestehender Verträge und Dokumente aus dem Archiv eine Einschätzung etwa zu Streitigkeiten um landesherrliche Rechte liefern sollten. Das war gerade bei der Etablierung einer Zentralregierung in Abgrenzung zu den anderen ernestinischen Fürstentümern von großer Bedeutung. Aufgrund des geltenden Anerbenrechts, das im Erbfall die Aufteilung des Territoriums unter den Söhnen eines Fürsten vorsah, kam es immer wieder zu Aufspaltungen. Jedes Mal musste dabei vertraglich geklärt werden, welche landesherrlichen Rechte einzeln ausgeübt wurden und welche Rechte, wie beispielsweise die Aufsicht über die Universität Jena, in Gemeinschaft verblieben.⁴⁶ Im gleichen Maße führte das Aussterben einzelner Linien wie im Altenburger Fall 1672 zu Verteilungskämpfen, deren Ergebnisse wiederum in Erbverbrüderungen festgehalten wurden. Eine genaue Kenntnis dieser Verträge wie auch der Regionalgeschichte war für Schilters Tätigkeit daher von fundamentaler Bedeutung. Seine intensive Auseinandersetzung mit diesen zeigt sich einerseits in kommentierten Abschriften der Verträge, die sich im Nachlass überlieferten, andererseits in

43 Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1672 – 1690), 24 – 28. Zum Vergleich Rainer A. Müller, Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit, München: Oldenbourg 22004, 30. 44 Schilters Berufung zum Kammerrat ist auf den 11. März 1675 datiert. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Dienersachen, 3003, fol. 1r–2v. 45 Vgl. Martin Mulsow, Wissen am Hof. ‚Gesamternestinische‘ Gelehrte zwischen Weimar und Gotha um 1700, in: Franziska Bomski [u. a.] (Hg.), Mens et Manus. Kunst und Wissenschaft an den Höfen der Ernestiner, Göttingen: Wallstein Verlag 2016, 35 – 54, v. a. 41 – 48. 46 Ein Streitpunkt war beispielsweise die Zensuraufsicht über die Universität Jena, die eigentlich in gemeinschaftlicher Verwaltung von Weimar und Gotha verbleiben sollte. Schilter machte demgegenüber die landesherrlichen Rechte seines Fürsten geltend, der als Oberster Kirchenherr in seinem Territorium ebenfalls die bischöflichen Rechte ausübe, unter welche auch die Zensuraufsicht falle. Vgl. Schilter, Gutachten über jus exigendi Censuram et inhibendi typographis, Jena o.D. (UB Gießen, Hs 919, fol. 711r–717v); Schilter, Gutachten zum Jus Censurae in Typographiis, Jena o.D. (Ebd., fol. 731r–735v).

Umgang mit sozialer Ungewissheit

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den Konzepten seiner Gutachten, mit denen er immer wieder hierauf Bezug nahm.⁴⁷ Über die innerdynastischen Angelegenheiten hinaus war Schilter aber auch für außenpolitische Fragen zuständig, wenn es beispielsweise um die Frage ging, wie man sich im bevorstehenden Kriegsfall zwischen Frankreich und dem Kaiser positionieren solle.⁴⁸ In seiner Funktion als Konsistorialrat war Schilter außerdem an der Aufsicht über das Kirchenwesen und die geistliche Gerichtsbarkeit beteiligt. Hierzu gehörte unter anderem die Zensuraufsicht. Schilter wurde dementsprechend immer wieder für Zensuraufgaben eingesetzt. Als Hofrat war er aber nicht nur für Bernhard von Sachsen-Jena tätig, sondern insgesamt für die ErnestinerDynastien ein wichtiger Ratgeber. Immer wieder wurde er auch mit Belangen betraut, welche die Dynastie oder zumindest die drei Herzöge von Sachsen-Weimar betrafen.⁴⁹ So nahm er beispielsweise per Mandat der Weimarer Herzöge an den Verhandlungen um die Altenburger Steuerschulden teil. Die Aufteilung des Altenburger Territoriums an die übrigen ernestinischen Linien hatte ebenso die Verteilung der geerbten Schulden zur Folge. Wer welche Beträge übernehmen solle, wurde in den folgenden Jahren auf einer Reihe von Konferenzen verhandelt.⁵⁰ Außerdem nahm er an der Visitation der Universität Jena 1679 teil.⁵¹

Umgang mit sozialer Ungewissheit Mit dem Tod Bernhards von Sachsen-Jena am 3. Mai 1678 geriet nicht nur das Fürstentum in eine Krise, sondern auch Schilters weitere Beschäftigung als herzoglicher Rat stand wiederholt zur Disposition. Die Vormundschaft für Bernhards noch unmündigen Sohn Johann Wilhelm (1675 – 1690) ging auf Johann Ernst von Sachsen-Weimar als ältesten Stammhalter der Dynastie über. Zwischen dem Vormund und der Herzoginnenwitwe kam es vor allem in finanziellen Fragen immer

47 Vgl. etwa den „Vertrag zwischen den Chur und Fürsten zu Sachsen, deroselben Nachbarliche Gebrechen betreffendt, 1567“ (UB Gießen, Hs 919, fol. 3r–116v). 48 Schilter, „Gott mit uns!“ (UB Gießen, Hs 919, fol. 795r–798v). 49 Das konnte immer wieder zu Interessenskonflikten führen, beispielsweise wenn der Herzog gegenüber der Universität aber auch seinen Brüdern die Zensuraufsicht über die Universität geltend machen wollte oder wenn eine Visitation anstand. Ausführlicher zu den Problemen, die sich hieraus für Gelehrte ergaben, vgl. Mulsow, Wissen am Hof. 50 Vgl. LATh – HStA Weimar, Kunst – Wissenschaft – Hofwesen, Vorgänge zwischen Sachsen-Weimar, Sachsen-Eisenach und Sachsen-Jena wegen der Altenburger Landschaftsschulden und der Abteilung der Reichsmatrikel (Vol 2) (A 2067). 51 Vgl. Stefan Wallentin, Fürstliche Normen und akademische „Observanzen“. Die Verfassung der Universität Jena 1630 – 1730, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 118 – 124.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

wieder zu Interessenskonflikten. Während die vormundschaftliche Seite Einsparungen vorantrieb, machte die Witwe mit zunehmendem Alter des jungen Herzogs eine Erhöhung seines Unterhalts geltend. Die Bemühungen um finanzielle Kürzungen betrafen aber nicht nur die Witwe, sondern ebenfalls die vormundschaftliche Regierung. So gab es sehr konkrete Überlegungen, die Regierung in Jena zur Einsparung von Kosten nach Weimar zu verlegen, was ihrer Abschaffung gleichgekommen wäre. Schilter, der in dieser Frage offenbar um eine Stellungnahme gebeten wurde, sprach sich in einem Gutachten deutlich für einen Verbleib der Regierung in Jena aus.⁵² Bezüglich der Regierungsverlegung argumentierte er nicht nur für die Rechte des unmündigen Herzogs, sondern führte ganz offen auch den Schaden an, den die Räte der vormundschaftlichen Regierung, einschließlich seiner Person, unverschuldet bei einem solchen Schritt erleiden würden. Welche Bedeutung seinem Gutachten beigemessen werden kann, ist ungewiss. Die Regierung, der Schilter auch weiterhin angehörte, verblieb zunächst in Jena.⁵³ Die Gefahr einer Verlagerung wurde erneut aktuell, als die Herzoginnenwitwe Maria Charlotte de la Trémouille am 24. August 1682 verstarb.⁵⁴ Infolgedessen wurde der Jenaer Hofstaat aufgelöst und der junge Herzog von Sachsen-Jena nach Weimar gebracht. Die Jenaer Regierungsbehörden blieben nur noch kurz bestehen und Schilter drohte wenige Monate später die Entlassung.⁵⁵ Schilter, der diese Veränderungen am Jenaer Hof mit ihren Konsequenzen für seine Zukunft bereits antizipierte, verfolgte verschiedene Pläne:⁵⁶ vermittelt durch den Coburger Kanzler Johann Jacob Avianus (1635 – 1688), bemühte er sich seit der Nachricht vom Tod der Herzoginnenwitwe einerseits um eine Stelle am Coburger Schöppenstuhl. Herzog Albrecht von Sachsen-Coburg (reg. 1680 – 1699) plante diesen wiederaufzubauen. Obwohl sich die Pläne auf Betreiben von Avianus in der Folge zunehmend konkretisierten und der Herzog Schilter auch noch für eine Professur an der ebenfalls geplanten Universität vorsah, die aus dem Coburger Gymnasium Casimirianum entstehen sollte, scheiterten sie letztlich vor allem aus finanziellen Gründen. Andererseits versuchte der Gelehrte ab Anfang 1683 sich mit geschickten

52 Schilter, Unvorgreiflich untherth. bedenken, Ob die fürstl. vormundsch. Regierung von Jehna nach Weimar zu transferieren? (UB Gießen, Hs 919, fol. 799r–800v). 53 Schilter lässt sich auch in den folgenden Jahren als Hofrat der vormundschaftlichen Regierung nachweisen. Am 26. Juli 1679 taucht Johann Schilter etwa neben Bernhard Pflug und Rudolph Kielbaum als Zeuge bei einer Belehnung durch Johann Ernst von Sachsen-Weimar auf. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, A 5, 501/2. 54 Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1672 – 1690), 65. 55 Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1672 – 1690), 68; Junghans, Das Fürstentum Sachsen-Jena und die Angehörigen seines Herrscherhauses (1662 – 1703), 10. 56 Umfassend zu diesen Plänen vgl. Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“.

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Widmungen seiner Werke für eine Hofratsstelle entweder am Kursächsischen Hof oder am Hof des Herzogs von Sachsen-Eisenach, auf den die Vormundschaft für den jungen Fürsten von Sachsen-Jena im Mai 1683 übergegangen war, ins Gespräch zu bringen.⁵⁷ Bei den Widmungen, die in der Regel mit der Erwartung einer (finanziellen) Gegenleistung verbunden waren, handelte es sich um eine wichtige Einnahmequelle frühneuzeitlicher Autoren.⁵⁸ Auch Schilter setzte die Widmungen seiner Werke wiederholt produktiv für seine höfische Karriere ein.⁵⁹ So richtete er sich in der Widmungsschrift seines kirchenrechtshistorischen Werkes De Libertate Ecclesiarum Germaniae (Jena 1683) zugleich an den Kurfürsten von Sachen und den Fürsten von Sachsen-Eisenach. Während dies am kursächsischen Hof nicht die erhoffte Wirkung erreichte, ging Schilters Kalkül in Hinblick auf den sachsen-eisenachischen Hof offenbar auf. Nach dem Tod von Johann Ernst von SachsenWeimar am 15. Mai 1683 dauerte es nur wenige Monate, bis er bereits am 12. August 1683 durch Johann Georg von Sachsen-Eisenach als wirklicher Rat neu bestallt wurde, der sich vornehmlich um vormundschaftliche Angelegenheiten kümmern solle.⁶⁰ Mit der erneuten Entlassung im März 1684, die vermutlich auf ein Zerwürfnis mit dem Eisenacher Herzog zurückging, setzte bei Schilter ein Umdenken in Hinblick auf seine weitere Karriereplanung ein. Hatte er bisher eine höfische Karriere verfolgt, kamen für ihn nun auch Stellen abseits des Hofes in Betracht, die er zuvor mit einem persönlichen Prestigeverlust verbunden hatte. Hoffnungen auf eine Professur an den Universitäten in Gießen, Wittenberg oder Altorf wurden allerdings nicht erfüllt.⁶¹

57 Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“, 253 – 257. 58 Vgl. Nadezda Shevchenko, Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 234), 176 – 202; Sharon Kettering, Gift-giving and Patronage in Early Modern France, in: French History 2 (1988), 131 – 151; Natalie Zemon Davis, Beyond the Market. Books as Gifts in Sixteenth-Century France, in: Transactions of the Royal Historical Society 33 (1983), 69 – 88; Bollbuck, Wahrheitszeugnis, Gottes Auftrag und Zeitkritik, 425 – 457. 59 So machte er etwa in der Widmungsschrift seiner Institutiones Juris Canonici (Jena 1681) an Johann Ernst II. von Sachsen-Weimar, Johann Georg von Sachsen-Eisenach und Friedrich I. von Sachsen-Gotha konkrete Verbesserungsvorschläge bezüglich der Vorlesungen zum kanonischen Recht, die er aus seinen Eindrücken bei der Visitation der Universität Jena 1679 zog. Dazu gehörte etwa eine Kritik an den veralteten Kirchenrechtsvorlesungen. Vgl. Schilter, Institutiones Iuris Canonici, Widmung. 60 UB Gießen, Hs 142, fol. 338r–339v. 61 Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“, 257– 260.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Das Scheitern dieser Pläne und nicht etwa hauptsächlich seine unglückliche Ehe, wie vor allem in der älteren Forschung zu Schilter oftmals angenommen,⁶² bestärkte Schilter vornehmlich in seinem Vorhaben, im Herbst 1685 als Privatgelehrter endgültig von Jena nach Frankfurt am Main zu wechseln.⁶³ Die Unstetigkeit seiner Anstellung und die damit verbundenen Einschränkungen seiner Editionspläne beförderten Schilters Neuausrichtung offenbar. Wie er Étienne Baluze 1685 berichtete, hatten die Unruhen am Hof von Sachsen-Jena seit dem Tod der Herzoginnenwitwe eine Weiterarbeit an diesem Projekt verhindert.⁶⁴ Erst in Frankfurt am Main konnte er daran weiterarbeiten. Sein Aufenthalt in der Stadt dauerte jedoch kürzer als geplant. Immerhin hatte Schilter gegenüber Avianus zuvor angekündigt, in Frankfurt „sein leben privatim doch in angenehmer Conversation hinzubringen“.⁶⁵ Im Frühjahr 1686 erhielt er dann gleich zwei Stellenangebote: Das eine wurde von Herzog Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar an ihn herangetragen, das andere kam aus Straßburg. Dort war durch den Weggang von Johann Georg Kulpis (1652 – 1698) die Stelle des dritten Advokaten sowie eine Rechtsprofessur freigeworden. Angesichts der Konflikte, die durch die Einnahme der Stadt durch Frankreich 1681 zwischen dem protestantisch geprägten Stadtrat und der französischen Krone entstanden, war der Bedarf an juristischer Expertise groß.⁶⁶ Schilter, der auch von Kulpis empfohlen worden war,

62 Vor allem in der älteren biographischen Literatur wird von Schilters Ehefrau im Allgemeinen ein sehr negatives und von Misogynie geprägtes Bild gezeichnet. Vgl. exemplarisch Jöcher, Schilter (Jo.): „Anfänglich practicirte er zu Naumburg, allwo er eine grund-böse Frau an Hals kriegte.“ oder Jugler, Johann Schilter: „Der Tod seiner Frau, der verworfensten ihres Geschlechts, hatte ihn schon 1699 von dem empfindlichsten Verdrusse befreyt. Sie war die Tochter Heinr. Borns, eines Stadtrichters und Handelsmannes zu Saalfeld, und er ließ sich dieselbe 1660 in einer unglücklichen Stunde antrauen, denn sie war eine sehr unzüchtige Weibesperson.“ 63 Anders als in der biographischen Forschung zu Schilter häufig beschrieben, verließ Schilter Jena nicht direkt nach dem Tod Herzog Bernhards 1678. Vgl. Giraud, Concours de 1845, 11; Jugler, Johann Schilter. 64 „Caeterum meditor adhuc editionem aliquam istius iuris Alemannici iuxta & Saxonici, hactenus post excessum Serenissimae Ducissae nostrae Mariae Tremovilliae variis aulae turbinibus impeditus, nunc vero Jenae laribus privatis unice literis nostris deditus, quamdiu Domino placuerit.“ Johann Schilter an Étienne Baluze, o.O. [Frankfurt a. M.] o.D. [1685], in: Johann Georg Schelhorn, Amoenitates Literariae quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdota et rariora opuscula exhibentur, Bd. 8, Frankfurt a. M. / Leipzig: Bartholomaeus 1728, 635 – 638. 65 Johann Jacob Avianus an Johann Schilter, Coburg 3. Mai 1686 (UB Gießen, Hs 141, fol. 55 – 56). 66 Der große Bedarf des Straßburger Stadtrats an zusätzlichen Advokaten war in der Sitzung vom 25. Mai 1686 Thema im Rat der XIII. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 217– 218.

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schien mit seiner langjährigen juristischen Erfahrung der geeignete Kandidat zu sein.⁶⁷ Schilter hatte möglicherweise bedingt durch seine früheren Erfahrungen als Hofrat eine starke Präferenz für die Straßburger Stelle. Hierin bestärkten ihn auch enge Korrespondenzpartner wie Avianus, der auf Schilters Nachricht hin erklärte: „Zu Weimar ist der status bekant und die angetragene stell non sine magna prudentia, nicht angenommen werden. Die zu Straßburg könte nicht ruhiger nicht einträglicher noch honorabler sein, wenn nur die gewissens Freyheit nicht periclitire, und nur allenfalls das jus emigrandi stattfinden solte. Wenn durch gute Freunde unter Iköniglich. Mayst. […] in specie solche libertas zu erhalten wäre, so hette man es für eine große glückseligkeit zu achten.“⁶⁸ Ähnliche Bedenken zur Religionsfreiheit wie auch die Umstände des Weggangs seines Vorgängers Kulpis trug Schilter in seiner ersten Antwort auf das Angebot auch an den Straßburger Stadtrat heran.⁶⁹ Vor dem Hintergrund der angespannten Beziehung zwischen dem Rat der Stadt und der französischen Verwaltung war das durchaus nachvollziehbar. Das gilt insbesondere im Fall Kulpis, der immer wieder mit der französischen Obrigkeit in Konflikt geraten war.⁷⁰ In einem nicht überlieferten Brief vom 24. Mai 1686 konnte Kulpis Schilters Zweifel aber offenbar zerstreuen, sodass er die Advokatenstelle sowie die Professur schließlich annahm.⁷¹

67 Der Informationsstand zu Schilters Qualifikationen im Stadtrat weist jedoch Unstimmigkeiten auf. Während Ulrich Obrecht berichtete, Schilter habe an der Universität Jena bereits eine Rechtsprofessur ausgeübt, trug er an anderer Stelle vor, Schilter habe nicht nur „bey der Weimarischen Regierung das Directorium geführt“, sondern sei auch „Professor juris zu Württemberg gewesen“. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 291. Keine dieser Informationen trifft allerdings zu. 68 Avianus an Schilter, o.O. 9. Juni 1686 (UB Gießen, Hs 141, fol. 57– 58). 69 Vgl. den Bericht des regierenden Ammeisters Straßburgs Josias Städel (1627– 1700) am 25. Mai 1686 im Rat der XIII. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 219. 70 Vgl. Kai H. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung. Zu Johann Schilters Edition der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen im Kontext der Straßburger Kapitulation (1681), in: Markus Friedrich / Jacob Schilling (Hg.), Praktiken frühneuzeitlicher Historiografie, Berlin: De Gruyter 2019 (Cultures and Practices of Knowledge in History 2), 197– 225, 202 f. 71 Der Inhalt des Briefes wird in den Protokollen des Rats der XIII. erwähnt. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 337.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

In den Diensten des Straßburger Stadtrats Schilter zog daraufhin am 17. September 1686 nach Straßburg und trat am 14. Oktober seinen Dienst als Advokat an.⁷² Als jährliche Besoldung waren etwa 400 Gulden festgesetzt.⁷³ Hinzu kamen weitere Naturalbesoldungen und 100 Reichstaler zur Erstattung der Umzugskosten.⁷⁴ Auch in Straßburg musste Schilter zumindest anfangs seine Editionsprojekte zurückstellen. Etwa ein halbes Jahr nach seinem Umzug schrieb er an den Theologen Philipp Jakob Spener (1635 – 1705), der zu dem Zeitpunkt bereits die Stelle des Oberhofpredigers am kursächsischen Hof in Dresden angetreten hatte, dass er seine Zeit zwischen der Arbeit für die Stadt und der universitären Lehre aufteile. Die geplanten Editionen würden allerdings auf der Strecke bleiben.⁷⁵ Der Grund hierfür lag wohl darin, dass Schilter aufgrund mehrerer Ausfälle, die die juristische Fakultät der Universität Straßburg getroffen hatten, einen größeren Teil der Lehre mit übernehmen musste.⁷⁶ Dass Schilter trotz dieses Mehraufwands nur eine Honorarprofessur anstelle einer ordentlichen Professur bekam, ging in erster Linie offenbar auf Proporzgründe zurück. Als Honorarprofessor durfte Schilter zwar collegia privata, aber keine collegia publica halten und hatte keinen Sitz im Rechtskollegium. Die Professoren des zerstrittenen Rechtskollegiums befürchteten, dass die bestehenden Machtverhältnisse durch eine neue ordentliche Professur gestört werden könnten.⁷⁷ Durch seinen Fleiß in der

72 Der Tag der Ankunft in Straßburg ist in Schilters Bestallungseid festgehalten. AVCUS, Serie III, 30, 1. Seine Vereidigung findet im Rat der XXI am 14. Oktober statt. AVCUS, 1R – Conseil de XXI, 191 – 192. 73 Genau genommen: „zweyhundert Pfund Pfenning ihrer Währung, thut vierhundert gulden, den gulden zu fünfzehen batzen garn thuet, zwantzig pfund“. AVCUS, Serie III, 30, 1. 74 „für hauß zinß, dazu zwantzig viertel früchten halb weitzen und Roggen, undt Sechzehen fuder hart holtz und zwey tausend einwidige wellen[?], deßgleichen alle Rathstage, wann ich bey dem Rath syn würde, den gewohnlichen Rathsschilling, wie der herrn deß Raths einem- und wann meine herren Meister und Rath mich zu gemeinen Stattsachen und Geschäfte verschicken, werden, sollen sie mich jederzeit mit knechten und pferden versehen, und mich und sie biß jeden zu haus in ihren kösten erhalten, uach eines jeden tags das gewohnliche Reisgeld geben, und folgen laßen.“ AVCUS, Serie III, 30, 1. Zur Festsetzung der Zulage anlässlich Schilters Umzugs s. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 292. 75 Schilter an Spener, o.O. 21. März 1687, abgedruckt in: Friedrich Gedicke, Heptas Epistolarum ineditarum celeberrimorum sui saeculi virorum ab b. Phil. Jac. Spenerum, in: Hamburgische Vermischte Bibliothek, Bd. 3, Hamburg: Verlag der Hg. 1745, 693 – 708, 703 – 705. 76 So war 1687 etwa der Straßburger Rechtsprofessor und Stadtadvokat Johann Adam Schrag verstorben. 77 Das berichtete zumindest Obrecht anlässlich der späteren Ernennung Schilters zum ordentlichen Professor. Offenbar hatte der Königliche Prätor geplant, Schilter bereits 1686 mit einer ordentlichen Professur zu versehen. AVCUS, 1 AST 342. Diese Streitigkeiten gingen offenbar so weit,

Editionspläne

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universitären Lehre schaffte es Schilter in den folgenden Jahren, sich im Stadtrat zu profilieren.⁷⁸ Sein Streben nach einer ordentlichen Professur wurde jedoch erst belohnt, als 1699 mit dem Wegzug des Straßburger Professors Friedrich Schrag (1669 – 1718), der eine Stelle als Assessor des Reichskammergerichts übernahm, eine Rechtsprofessur vakant wurde. Daraufhin bat Schilter den Stadtrat, ihm die Professur in Vertretung zu übertragen. Seine neun Punkte umfassende „Unvergreiffliche punctation, welchergestallt die vacirende Stelle in der löbl. Juristen Facultet, wob. der Raths und Advokaten bestallung von mir unterschriebenen zu vertreten“ traf weitestgehend auf Zustimmung.⁷⁹ Wie von Schilter gefordert, wurde ihm der ständige Ratssitz erlassen. Ansonsten war er allerdings weiterhin für den Stadtrat tätig.⁸⁰

Editionspläne Erst in den 1690er Jahren kamen Schilters Editionspläne wieder in Gang. Diese produktivste Schaffensphase Schilters mündete gleich in einer ganzen Reihe von Publikationen. Die bereits in Jena geplante Edition des Lehnsrechts des Schwabenund Sachsenspiegels, die den Ausgangspunkt seines Interesses an den volkssprachlichen Zeugnissen des Mittelalters gebildet hatte, erschien erst 1697.⁸¹ Es lässt sich allerdings beobachten, dass sich Schilters Fokus in Straßburg von einer rechtshistorischen Herangehensweise maßgeblich erweitert hatte. Neben seiner Edition des Ludwigsliedes⁸² lässt sich das am besten an einer Reihe von Specimina beobachten, die der Gelehrte 1698 herausgab. Es handelte sich hierbei um Druckproben der Editionen von Otfrids Evangelienbuch und Notkers althochdeutscher

dass sie den Universitätsbetrieb zu beeinträchtigen drohten.Vgl. den Bericht vom Syndikus Klinglin in der Sitzung des Rats der XIII am 9. Februar 1699. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 97. 78 Der Syndikus Klinglin lobte Schilter explizit für seine Privatkollegien. AVCUS 3R – Conseil de XIII, 97. 79 AVCUS, 1 AST 342. 80 Für die Mehrarbeit, die eine ordentliche Professur mit sich brachte, wurde ihm außerdem jährlich ein Fuder Wein aus dem Stadtkeller bewilligt. AVCUS, 1 AST 342. 81 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis. Prout is in Comitiis Noricis Anno MCCIX. Autoritate Imperiali publicatus, in foro Feudali tritus, anno MDV Argentorati primum typis impressus, a Meichsnero ex MS suo repetito editus, nunc vero ex MSS plurimis plenius emaculatus, auctus, & Interpretatione Latina donatus. Accedit Praefatio de ejusdem Origine, usu & auctoritate, itemque Commentarius, quo hoc jus Feudale cum Communi sive Longobardico & Saxonico confertur, explicatur, & rebus judicatis confirmatur, Straßburg: Spoor 1697. 82 Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

Psalterübersetzung sowie eines Glossars.⁸³ Alle diese Publikationen stellten Vorarbeiten eines größeren Editionsprojekts dar, das als Schilters Spätwerk erst postum erscheinen sollte. In diesem Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) plante der Gelehrte in zwei Bänden zentrale sakrale, juristische und historiographische Schriftzeugnisse des Mittelalters herauszugeben und mit einem dritten Band ein ergänzendes Wörterbuch zu liefern. Bei der einzigen Edition aus dieser Zeit, die neben seiner Edition des sächsischen und schwäbischen Lehnsrechts nicht Schilters Thesaurus-Projekt zuzurechnen war, handelt es sich um die Chronik des Straßburger Kanonikers Jakob Twinger von Königshofen.⁸⁴ Von der Anzahl der Publikationen her dürfte 1698 damit Schilters produktivstes Jahr gewesen sein. Ab 1699 nahm die Zahl von Schilters Veröffentlichungen deutlich ab. Das mag zum einen daran liegen, dass sich sein Gesundheitszustand um 1700 fortschreitend verschlechterte. Zum anderen dürfte er aber weiterhin mit den Arbeiten am Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum beschäftigt gewesen sein. Dagegen trat Schilter vermehrt mit Neuauflagen anderer Autoren hervor.⁸⁵ Inwiefern der Gelehrte hier federführend war oder er nur seinen prominenten Namen zur Verfügung stellte, um neue Käufer anzulocken, müsste im Detail nachvollzogen werden und bleibt einer anderen Untersuchung vorbehalten.

83 Ausführlich dazu: Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 314; Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 136. Almut Mikeleitis-Winter konnte die Probedrucke der Otfrid-Edition (UB Gießen, Hs 1230, fol. 699r–701v), der Notker-Edition (Ebd., Hs 47, fol. 286r–289v) und des Glossars (Ebd., Hs 1228, fol. 216r–217v) im Nachlass Schilters identifizieren. Beim Probedruck des Glossars handelt es sich um das einzige überlieferte Exemplar. 84 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke von Jacob von Königshoven Priestern in Straßburg.Von Anfang der Welt biß ins Jahr nach Christi Geburt MCCCLXXVI., Straßburg: Städel 1698. 85 In Hugonis Grotii Jus Belli et Pacis ad Illustrißimum Baronem Boineburgium Commentatio Jo. Henrici Boecleri. Cum Praefatione Jo. Schilteri, Straßburg: Dulssecker 1704; [Johann Georg Kulpis], Scriptores Rerum Germanicum a Carolo M. usque ad Fridericvm III. […]. Accessit etiam Praefatio Jo. Schilteri, Straßburg: Dulssecker 1702; Tractatus Praecipui De Renunciationibus utopte Huberti Giphani, Andreae Dalneri, Henrici Breulaei, Barth. Kellenbenzii. Cura ac notis itemque cum Praefatione, Jo. Schilteri, Acceßit Index ad omnes tractatus directus, Straßburg: Dulssecker 1701 – 1702; Pauli Matthiae Wehneri JC. Comitis Palatini Caes. Practicarum Juris Observationum Selectarum. Liber Singularis, ad Materiam de Verborum & rerum significatione accomodatus […]. Editio novissima cum novis diversorum JCtorum accuratissimis additionibus, Indicibus & Praefatione Jo. Schilteri, Straßburg: Dulssecker 1701; Nicolai Betsii, JC. De statutis, pactis et consuetudinibus familiarum illustrium et nobilium, illis praesertim quae Jus Primogeniturae concernunt, tractatus nomicopoliticus, ad usum Germaniae potissimum accomodatus; nova praefatione, summariis, notis et indice copiosiori cura Jo. Schilteri., Straßburg: Dulssecker 1699; Jo. Limnaei Jvs Pvblicvm. Quarto Editvm, correctivs et avctivs cvra Johannis Schilteri, Straßburg: Dulssecker 1699.

Aufgabenfeld als Advokat des Stadtrats

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Aufgabenfeld als Advokat des Stadtrats Schilters zentrale Aufgabe als Advokat des Stadtrats lag in der Anwesenheit bei den Ratssitzungen, wie in seinem Bestallungseid festgehalten war: [So habe er] zu gewohnlichen Rathszeit uf der Pfalz in der großen Rathsstuben zu erscheinen, denenselben geschäften ab- und außwarten, zu bey oder enturtheilen, submittirte und beschlossene sachen möglichst befördern, dieselbe nach gemeiner dieser Statt hergebrachten gewohnheiten, municipal statuten und ordnungen oder gemeinen beschriebenen rechten gemäß und aufs trewlichst und unpartheyisch zu entscheiden und zu erörtern, meine räthliche bedencken mündlich oder auch schriftlich nach gelegenheit und wichtigkeit der sachen referiren, auch solche relationes gefährlich nicht aufhalten oder verziehen, sondern so viel immer möglich befördern.⁸⁶

Die Teilnahme an den Ratssitzungen bezog sich auf mehrere Kammern, aus denen der Straßburger Stadtrat bestand. Dieser setzte sich aus einem System von Ratsgremien zusammen, die jeweils unterschiedliche Aufgabenbereiche übernahmen und sich wechselseitig kontrollieren sollten. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatte sich die Regierung zunehmend in der Hand weniger einflussreicher Bürgerfamilien konzentriert und in drei Kammern organisiert. Zu diesen zählte zunächst die Dreizehnerkammer als sogenannte ständige Regierung, die neben der Justizhoheit auch außenpolitische und diplomatische Belange sowie das Inspektionsrecht über die Universität ausübte. Die Fünfzehnerkammer nahm ihr gegenüber eine Kontrollfunktion wahr. Darüber hinaus befasste sie sich mit dem Schutz der städtischen Verfassung und der Verwaltung der städtischen Finanzen. Die Kammer der Einundzwanziger versammelte sich dagegen nur auf Anordnung des Ammeisters, der das höchste politische Amt der Stadt darstellte, zusammen mit den anderen Kammern und dem großen Rat als formell oberste Regierungsbehörde des Rats und der Einundzwanzig. Die Mitglieder der drei Kammern wurden auf Lebenszeit und durch Kooptation, das heißt, durch eine Ergänzungswahl der übrigen Mitglieder ernannt.⁸⁷ Nach dem Dreißigjährigen Krieg war hierzu ein zusätzlicher Ausschuss von zentraler Bedeutung gekommen, in dem Schilter als Advokat eine wichtige Rolle zukam. In diesem Gremium der „zu den bedächten verordnete Herren“ kamen insgesamt sieben Stadträte aus den verschiedenen Kammern mit den fünf städti-

86 AVCUS, Série III, 30, 1. 87 Ingeborg Streitberger, Der Königliche Prätor von Strassburg 1685 – 1789. Freie Stadt im absoluten Staat, Wiesbaden: Steiner 1961, 23 – 26; Paul Greissler, La classe politique dirigeante à Strasbourg 1650 – 1750, Straßburg: Le Quai 1987, 18 – 21.

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2 Zur Biografie von Johann Schilter

schen Advokaten zusammen, um besonders gewichtige Entscheidungen vorzuberaten.⁸⁸ Als einer dieser Juristen war Schilter also an den zentralen Regierungsgeschäften der Stadt beteiligt. Die Bedeutung, die Schilter als einer der fünf juristischen Berater des Stadtrats hatte, dürfte auch der Grund dafür sein, dass in seinem Bestallungseid jegliche Tätigkeiten für andere Parteien außerhalb der Stadt oder versuchte Beeinflussungen explizit ausgeschlossen wurden.⁸⁹ In dieser Funktion fertigte er ähnlich wie in seiner Tätigkeit als Hofrat Gutachten auf der Basis von Archivrecherchen an, um politische Entscheidungen vorzubereiten.

Krankheit und Tod Bereits ein Jahr später finden sich jedoch immer wieder Nachrichten über Schilters schlechter werdenden Gesundheitszustand. Schon zu Beginn des Jahres 1700 war der Gelehrte offenbar schwer erkrankt. Zwar berichtete er im August von seiner Genesung,⁹⁰ diese scheint jedoch nicht von langer Dauer gewesen zu sein. An den Ernestinischen Hofhistoriographen Wilhelm Ernst Tentzel (1659 – 1707) schrieb Schilter 1702, er habe durch die fortschreitende Gicht, Gallensteine, Rückenschmerzen und sein hohes Alter seit zwei Jahren das Haus nicht verlassen können.⁹¹ Seine Leiden wirkten sich also stark einschränkend auf sein Leben und seine Korrespondenzen aus.⁹² Bereits seine Zeitgenossen fanden es allerdings bemerkenswert, dass Schilter trotz seines Zustandes weitestgehend seinen gelehrten Tätigkeiten und universitären Verpflichtungen nachzukommen versuchte. So hielt er seine Vorlesungen weiter von seinem Krankenbett aus.⁹³ Dementsprechend äußerte

88 Peter Hertner, Stadtwirtschaft zwischen Reich und Frankreich. Wirtschaft und Gesellschaft Strassburgs 1650 – 1714, Köln / Wien: Böhlau 1973 (Neue Wirtschaftsgeschichte 8), 53. 89 AVCUS, Série III, 30, 1. 90 Schott an Schilter, Maine 25. August 1700 (UB Gießen, Hs 142, fol. 320). 91 Schilter an Tentzel, Straßburg 1702 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 467r–468v). 92 Immer wieder führte Schilter seine Krankheit als Grund von verzögerten Briefen an.Vgl. Schilter an Thülemeyer, Straßburg o.D. (UBFFM, Ms. Ff. H. G. Thulemeyer, 1029 – 1032). 93 Johann Georg Hermann berichtet in seiner Biografie von Zacharias Konrad von Uffenbach dementsprechend: „Indeß fand [Uffenbach] sich bey den Vorlesungen, welche die Herren Schilter und Feltz angestellet hatten, bisweilen pro hospite, wie man zu reden pfleget, ein. Da er das erstemal in des vortrefflichen Schilters Studierstube trat, gerieth er in Erstaunung. Denn er konnte den Herrn Professor wegen seines schwächlichen und matten Vortrags kaum verstehen. Zudem war er auf allen Seiten seines Lehnsessels, in dem er nicht so sehr saß, als lag, mit Betten umgeben, und darein gleichsam begraben; bisweilen laß er auch im Bette selbst, da er niemals recht gesund, und durch die Glieder-Krankheit ganz entkräftet war. Nichts desto weniger war dieser preißwürdige Mann im Lehren so unermüdet und emsig, daß er fast alle seine Herren Collegen an Fleiß übertroffen.“ Jo-

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sich Schilter auch Tentzel gegenüber, er danke trotz seiner Leiden Gott dafür, dass er weiterhin seinen Arbeiten nachgehen könne.⁹⁴ Sein schlechter Gesundheitszustand mag neben finanziellen Belangen auch einer der Gründe gewesen sein, warum Schilter seine Bibliothek bereits zu Lebzeiten an seinen Schüler Johann Christian Simon (1676 – 1755) verkaufte. Nachdem sich Ende 1703 bereits falsche Nachrichten über Schilters Tod verbreitet hatten, verstarb der Gelehrte schließlich am 14. Mai 1705 in Straßburg.

hann Georg Hermann, Leben Herrn Zacharias Conrad von Uffenbach weyland hochverdienten Schöffens und Rathsherrn der Reichs-Stadt Frankfurt am Mayn, Ulm 1753, 27. 94 Schilter an Tentzel, Straßburg 1702 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 467r–468v).

3 Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher Die Beschaffung von Quellen war in der Frühen Neuzeit eine Gemeinschaftsaufgabe.¹ Das Verständnis von Gelehrten als alleinigen Autoren ihrer Werke weicht in der Forschung daher zunehmend dem Blick auf die Gemeinschaftsleistungen von Gruppen und Netzwerken, die hinter dem Entstehen von Texten stehen.² In Schilters Fall ist es besonders offenkundig, dass er bei der Vorbereitung seiner Editionen auf die Mithilfe einer Vielzahl von Akteuren angewiesen war, um Manuskripte in weiter entfernten Archiven und Bibliotheken ausfindig zu machen, diese abzuschreiben und ihm zukommen zu lassen. Anders als andere Gelehrte wie Leibniz³ oder Mabillon unternahm er nach seinem Umzug nach Straßburg 1686 kaum eigene Recherchereisen.⁴ Seine persönlich durchgeführten Recherchen beschränkten sich daher vor allem auf die umliegenden Bibliotheken, Archive, Kirchen und Klöster. Vermutlich lag dies einerseits an den Reisebeschränkungen durch den Straßburger Stadtrat, der ihn im Bestallungseid verpflichtete, jede private Reise über acht Tage genehmigen zu lassen.⁵ Dass dies auch in der Praxis Anwendung fand, belegt ein Brief des Schilter-Korrespondenten und Kammergerichtsassessors Huldreich von Eyben (1629 – 1699) an Leibniz. Hierin berichtet er, dass Schilter „besonders einer gewißen rechts sache halber, heraus in Teutschland zu reisen, verlanget habe, nun mag er etwa dasieder [d. h.: in der Zwischenzeit] mit nöthiger erlaubniß und

1 Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert, 514 – 576; Waldhoff, Leibniz’ Quellenakquisition für die Mantissa Codicis juris gentium diplomatici; Paul Lehmann, Geisteswissenschaftliche Gemeinschafts- und Kollektivunternehmungen in der geschichtlichen Entwicklung, München: Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1956 (Sitzungsberichte / Bayerische Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse 5). 2 Markus Friedrich / Jacob Schilling, Der ‚Blick über die Schulter‘ in die ‚Werkstatt‘ des Historikers, in: Dies. (Hg.), Praktiken frühneuzeitlicher Historiografie, Berlin: De Gruyter 2019 (Cultures and Practices of Knowledge in History 2), 1 – 18. 3 Matthias Schnettger, Leibniz’ Italienbild und die Bedeutung Italiens für Geschichte und Politik des Welfenhauses, in: Friedrich Beiderbeck (Hg.), Umwelt und Weltgestaltung. Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 527– 550; André Robinet, G. W. Leibniz, Iter Italicum (mars 1689–mars 1690). La dynamique de la République des Lettres, Florenz: Olschki 1988 (Accademia Toscana di Scienze e Lettere „La Colombaria“ 90). 4 Zur Praxis gelehrter Recherchereisen vgl. Hans Erich Boedeker, „Sehen, hören, sammeln und schreiben“. Gelehrte Reisen im Kommunikationssystem der Gelehrtenrepublik, in: Paedagogica Historica 38 (2002), 504 – 532, 506; Markus Friedrich, Die Geburt des Archivs. Eine Wissensgeschichte, München: Oldenbourg 2013, 256 – 260. 5 AVCUS, Série III, 30, 1. https://doi.org/10.1515/9783111080154-004

3 Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher

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sonsten sich zu praepariren begriffen oder gar auff der reise begriffen sein“.⁶ Insbesondere Reisen nach Frankreich wurden durch die steten Bemühungen der französischen Krone, Straßburger Bürger zur Konversion zum Katholizismus zu bewegen, vom Stadtrat mit Misstrauen begegnet. Andererseits kam ab 1698 erschwerend hinzu, dass sich Schilters Gesundheitszustand zusehends verschlechterte. Immer wieder war er durch schwere bis zu seinem Tod fortschreitende Krankheiten an sein Bett gefesselt. Trotz allem war der Gelehrte aber weiterhin publizistisch aktiv und trieb die Vorbereitungen für den Thesaurus voran.⁷ Ausgehend von Schilter als Leiter seiner gelehrten Projekte sollen im Folgenden die vielfältigen Akteure herausgestellt werden, die an der Entstehung seiner Werke beteiligt waren und letztlich zu ihrem Erscheinungsbild beitrugen. Hierbei spielte erstens die Stadt als sozialer Raum und Ressource gelehrten Arbeitens eine wichtige Rolle, wie anhand von Schilters vielfältigen Beziehungen zu verschiedenen städtischen Akteuren gezeigt wird.⁸ Zweitens geraten Schilters Familie und Amanuenses in den Blick. Vor allem die Bedeutung der Letzteren bei der Quellensuche und -beschaffung kann für Schilter als „Armchair-scholar“ kaum überschätzt werden. Schließlich war der Gelehrte selbstverständlich auch auf die Unterstützung der Res Publica Literaria angewiesen. Die schematische Gliederung in unterschiedliche Beschaffungswege von Quellen dient lediglich der Übersichtlichkeit. Dabei soll stets berücksichtigt werden, dass es zwischen diesen häufig zu Überschneidungen kam und etwa Schilters Amanuenses in seinem Auftrag Kontakte zu herausragenden Vertretern der Res Publica Literaria herstellten und pflegten.

6 Huldreich von Eyben an Leibniz, Wetzlar 12./22. März 1695 (A I, 11, N. 236). 7 Zu Schilters Publikationen in Straßburg und seinen Gesundheitszustand ab 1700 vgl. Kap. 2. 8 Die Stadt als Ort der gelehrten Wissensproduktion und -akkumulation rückte zuletzt verstärkt in den Fokus wissensgeschichtlicher Forschungen. Vgl. insbesondere das Projekt zur Wissensstadtgeschichte von Prof. Dr. Schmidt-Funke an der Universität Leipzig. Vgl. Julia Schmidt-Funke, Der Sammler und die Seinigen. Die Frankfurter Brüder von Uffenbach im Kontext städtischer Sammlungspraxis, in: Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 69 – 92; Julia Schmidt-Funke, Die Stadt von den Dingen her denken. Zur Materialität des Urbanen, in: Sabine von Heusinger / Susanne Wittekind (Hg.), Die materielle Kultur der Stadt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 19 – 38.

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3 Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher

a Johann Schilter als „Armchair scholar“. Zur Quellenakquisition in lokalen Netzwerken Im Anhang seiner Notker-Edition kündigte Schilter mit den folgenden Worten die Edition eines weiteren Fundstücks an: „Psalterium in linguam Alemannicam translatum in MS. extat in Monasterio S. Marci, Argentorati, Rubrica est: Hie ist der Psalter von Latine zu Dutsche gemacht, uff daz yn die ungelarten deste baz versten. Diese Psalmen machte David von dem heiligen Geiste.“⁹ Auf die Handschrift war Schilter demnach bei seinen Recherchen im Archiv des Straßburger Klosters St. Marx gestoßen. Dabei handelte es sich nicht um einen Einzelfall. Schilters Werke verweisen immer wieder auf die intensive Nutzung der städtischen, bürgerlichen und kirchlichen Sammlungen Straßburgs. Das gilt in besonderem Maße für die städtischen Archivbestände, auf die der Gelehrte für seine Werke mit Bezug zur Stadtgeschichte oder dem Stadtrecht wie der Edition der Straßburger Chronik (Straßburg 1698) oder der Gutachtensammlung Consilia Argentoratensia (Straßburg 1701) zurückgriff. Für das erste Werk nutzte Schilter aus den Beständen des Stadtarchivs etwa die dorthin gelangte Manuskriptsammlung von Oseas Schade (1586 – 1626), Diakon und Pfarrer an der Kirche Alt-St. Peter.¹⁰ Diese umfasste auch die Kollektaneen des Stadtbaumeisters Daniel Specklin (1536 – 1589), die dieser für eine geplante Chronik Straßburgs in zwei Foliobänden gesammelt hatte.¹¹ Die intensive Nutzung der Bestände zeigt sich aber auch an den im Thesaurus enthaltenen Editionen, von denen mehrere auf Manuskripten aus den Sammlungen von Specklin und Schade beruhen.¹² 9 Johann Schilter, Notkeri Tertii Labeonis Psalterium Davidicum: E Latino in Theotiscam Veterem Linguam Versum, & Paraphrasi illustratum. Opus nunquam alias editum E Manuscripto Codice pervetusto Dn. De la Loubere […], in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, literarium. Tomus primus exhibens Monumenta Ecclesiastica Christiana, Veterum Francorum & Alemannorum vernacula: Edita, Inedita, nach Vorarbeiten Schilters überarb. und erw. hg. von Johann Georg Scherz, Elias Frick und Johann Frick, Ulm: Bartholomaeus 1727, 271 – 274. 10 Vgl. Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 9, § VI, 551. 11 Vgl. Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 9, § II, 548. Zur Überlieferungsgeschichte vgl. Rodolphe Reuss, Les collectanées de Daniel Specklin, chronique strasbourgeoise du seizième siècle, Straßburg: Noiriel 1890. 12 So stammt das Manuskript von Strickers Karl dem Großen, das der Edition in Schilters Thesaurus zugrunde lag, aus Schades Sammlung. Vgl. Johann Georg Scherz, Praefatio [zur Edition von Strickers Karl dem Großen], in: Schilter, Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus. Vgl. a. Johann Schilter, Formulae, quas Daniel Specklin Architectus quondam Civitatis Argentoratensis ex antiquis Ecclesiae Cathedralis Argentoratensis libris excerpsit et in Collectaneas MSS (quae in Archivo Argentinensi asservantur) Tomo I exhibet, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutoni-

a Johann Schilter als „Armchair scholar“. Zur Quellenakquisition in lokalen Netzwerken

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Die Benutzung der städtischen Sammlungen für private gelehrte Interessen in dieser Art und Weise war keineswegs selbstverständlich.¹³ Zwar hatte sich die Stadtbeziehungsweise Universitätsbibliothek bereits ab 1616 einem gelehrten Publikum geöffnet und stand Schilter als Professor somit zur Verfügung,¹⁴ die Regel war jedoch eine andere. Zu den kirchlichen oder bürgerlichen Sammlungen wurde oftmals nur auf besondere Erlaubnis und innerhalb beschränkter Öffnungszeiten Zugang gewährt.¹⁵ Das Stadtarchiv war traditionell sogar nur einmal im Jahr im Rahmen der Öffnung des Straßburger Pfennigturms für Besucher zugänglich, wobei es allerdings nicht um die Benutzung, sondern um die Zurschaustellung der aufbewahrten Kuriositäten und zentralen städtischen Dokumente ging.¹⁶ Wie gelang es Schilter, diese in Straßburg vielfältig vorhandenen städtischen Ressourcen für seine Arbeiten nutzbar zu machen? Um diese Frage zu beantworten, soll im Folgenden zunächst ein kurzer Überblick über die Sammlungslandschaft in Straßburg um 1700 gegeben werden. Anschließend soll gezeigt werden, wie die Geschichte der Stadt oder einzelner Institutionen als Anknüpfungspunkt zwischen Schilter und politischen oder kirchlichen Kreisen fungieren konnte. Das galt einerseits in thematischer Hinsicht in Bezug auf gemeinsame private gelehrte Interessen, andererseits aber auch bezüglich zeitgenössischer politischer Angelegenheiten aus dem Bereich von Schilters Advokatentätigkeit. Amtsgeschäfte und gelehrte Interessen bildeten auf diese Weise für Schilter vor allem im Straßburger Kontext häufig Gemengelagen, die sich kaum voneinander trennen lassen. Straßburg besaß eine reiche Sammlungskultur, deren Ursprünge, wie es für vergleichbare Reichsstädte üblich ist, vor allem in den kirchlichen Sammlungen lagen.¹⁷ Mit der Durchsetzung der Reformation in Straßburg reduzierte sich die

carum […]. Tomus primus, Teil II, 86 – 87. Vgl. hierzu auch Schilters Notizen: UB Gießen, Hs 47, fol. 391r–392v. 13 Vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 195 – 197. 14 Klaus Garber, Elegie auf die Straßburger Stadtbibliothek, in: Wilhelm Kühlmann (Hg.), Literatur und Kultur im deutschen Südwesten zwischen Renaissance und Aufklärung. Neue Studien, Walter E. Schäfer zum 65. Geburtstag gewidmet, Amsterdam: Rodopi 1995, 13 – 74, 25. 15 Axel E. Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit. Kritische Bestandsaufnahme und inhärenter Gegenentwurf in seinen Merkwürdigen Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland, in: Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 125 – 163, 139 – 141. 16 Vgl. Johann Friedrich von Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 201 – 203. 17 Vgl. Charles Schmidt, Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken und der ersten Buchdrucker zu Straßburg, Straßburg: Schmidt 1882, 1 – 27. Alternativ für Hamburg vgl. etwa Axel E. Walter, Privates

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Zahl der Klöster im Verlauf des 16. Jahrhunderts jedoch drastisch.¹⁸ Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nahm in Straßburg auch der private Buchbesitz zu.¹⁹ Dabei spielte auch das Interesse an der Geschichte der eigenen Stadt eine Rolle, das in Straßburgs bürgerlichen Kreisen wie in anderen Reichsstädten traditionell groß war. Das Aufkommen einer städtischen Geschichtsschreibung im Spätmittelalter trug substanziell zur Traditionsbildung und Ausformung eines bürgerlichen Selbstverständnisses bei.²⁰ Das zeigt sich nicht nur an der Praxis des Fortschreibens städtischer Chroniken,²¹ sondern auch an der Entstehung bürgerlicher Bibliotheken insbesondere im Zuge der Reformation.²² Zur gleichen Zeit wurde ergänzend zur Gründung des akademischen Gymnasiums 1531 auch die erste ‚öffentliche‘ Stadtbibliothek in Straßburg eingerichtet.²³ Nach der Umwandlung des Gymnasiums in eine Universität durch den Erhalt des kaiserlichen Privilegs 1621 wurde die Stadtbibliothek zur Universitätsbibliothek umgewandelt.²⁴ Bei aller berechtigten Auf-

Sammeln als kulturelle Gedächtnisarbeit. Zur Entstehung der uffenbach-wolfschen Briefsammlung im Kontext der Hamburger Bibliotheksgeschichte, in: Johann Anselm Steiger / Sandra Richter (Hg.), Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung, Berlin: Akademie-Verlag 2012, 227– 252, 227. Für Frankfurt a. M. vgl. Frank Fürbeth, Privater Buchbesitz in Frankfurt vom Spätmittelalter bis zu Zacharias Konrad von Uffenbach, in: Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 93 – 123. 18 Anna Sauerbrey, Die Strassburger Klöster im 16. Jahrhundert: eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtergeschichte, Tübingen: Mohr Siebeck 2012, 39 – 46. 19 Schmidt, Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken, 28 – 32. 20 Vgl. Susanne Rau, Erinnerungskultur. Zu den theoretischen Grundlagen frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung und ihrer Rolle bei der Ausformung kultureller Gedächtnisse, in: Jan Eckel (Hg.), Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen: Wallstein Verlag 2007, 135 – 170; Susanne Rau, Städtische Geschichtsschreibung in der Frühen Neuzeit als protestantische Traditionsbildung?, in: Joachim Eibach / Marcus Sandl (Hg.), Protestantische Identität und Erinnerung.Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, 85 – 112, 93 – 97; Heiko Droste, Schreiben über Lüneburg. Wandel von Funktion und Gebrauchssituation der Lüneburger Historiographie von 1350 – 1639, Hannover: Hahn 2000. 21 Zur Praxis des Fortschreibens vgl. exemplarisch Peter Schmidt, Historiographie und persönliche Aneignung von Geschichte. Die wiederentdeckte Künastsche Handschrift der Straßburger Chronik des Jakob Twinger von Königshofen, in: Stephen Mossman [u. a.] (Hg.), Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 337– 377. 22 Bernard Vogler, Straßburg, in: Wolfgang Adam / Siegrid Westphal (Hg.), Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 1833 – 1876, 1853. 23 Garber, Elegie auf die Straßburger Stadtbibliothek, 25. 24 Rodolphe Reuss, Lettre de M. Rodolphe Reuss sur les Bibliothèques Publiques de Strasbourg. (Extrait de la Revue Critique d’histoire et de littèrature), in: Bibliothèque de l’École des chartes 32 (1871), 151 – 178, 152.

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merksamkeit, die die Straßburger Stadt- und Universitätsbibliothek in der Forschung zur Geschichte der Straßburger Bibliothekslandschaft erhalten hat,²⁵ sollte die Bedeutung privater Bibliotheken in der Frühen Neuzeit keineswegs unterschätzt werden. Bis ins 18. Jahrhundert hinein kann davon ausgegangen werden, dass der private Buchbesitz den der ‚öffentlichen‘ Bibliotheken deutlich überstieg.²⁶ Das kann auch für die Straßburger Bibliothekslandschaft angenommen werden. Die zahlreichen bürgerlichen Sammlungen und Bibliotheken der Stadt lassen sich aufgrund der schwierigen Überlieferungssituation privater Bibliotheken, die sich durch ihre personengebundene Trägerschaft begründet, häufig nur im Ansatz rekonstruieren.²⁷ Das lässt sich exemplarisch an der Bibliothek im Besitz der Patrizier- und Politikerfamilie Wencker nachvollziehen, von der ein Teil – nämlich 400 – 500 umfangreiche Quartbände mit jeweils etwa 30 bibliographischen Einheiten an politischen und theologischen Schriften aber auch an Kasualschrifttum – später in der Universitätsbibliothek aufging, dort aber bei der Bombardierung der Stadt im deutsch-französischen Krieg 1870 zerstört wurde.²⁸ Bei der lokalen Quellenrecherche in den Sammlungen Straßburgs wie dem Stadtarchiv, der Stadtbibliothek, kirchlichen Bibliotheken aber auch privaten Bibliotheken und Sammlungen profitierte Schilter sehr von seiner prominenten Stellung als Advokat des Stadtrats. Zum einen hatte er durch seine täglichen Amtsgeschäfte Zugang zum Städtischen Archiv, da eine seiner Haupttätigkeiten im Anfertigen juristischer Expertisen für den Stadtrat lag. Hierfür war die Archivrecherche unabdingbar, beispielsweise wenn es galt, strittige Fragen in Rückgriff auf das alte Stadtrecht zu klären.²⁹ Zum anderen knüpfte er auf diesem Weg Kontakte zu den politisch einflussreichsten Kreisen der Stadt. Die Nähe oder sogar Zugehörigkeit zu einer der bedeutenden Straßburger Familien spielte im 17. Jahrhundert nicht nur für die politische Karriere eine entscheidende Rolle.³⁰ Für Schilter bot sich hierdurch auch ein Weg zur Förderung seiner gelehrten Projekte – sei es materiell durch die Nutzung der Sammlungen oder ideell durch den inhaltlichen Austausch

25 Vgl. ausführlich und mit weiteren Literaturangaben Garber, Elegie auf die Straßburger Stadtbibliothek. 26 Walter, Privates Sammeln als kulturelle Gedächtnisarbeit, 230. 27 Dazu am Beispiel der Bibliothek Zacharias Konrad von Uffenbachs vgl. Schmidt-Funke, Der Sammler und die Seinigen. Allgemeiner zum Forschungsdesiderat privaten Buchbesitzes in der Frühen Neuzeit vgl. exemplarisch Walter, Privates Sammeln als kulturelle Gedächtnisarbeit, v. a. 230; Fürbeth, Privater Buchbesitz in Frankfurt vom Spätmittelalter bis zu Zacharias Konrad von Uffenbach; Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit. 28 Garber, Elegie auf die Straßburger Stadtbibliothek, 54. 29 Bis zur Edition des Straßburger Stadtrechts durch Johann Schilter lag dieses ausschließlich in Form mehrerer handschriftlicher Codices im Archiv vor. 30 Greissler, La classe politique dirigeante à Strasbourg 1650 – 1750, 103 f.

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3 Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher

über seine gelehrten Projekte oder gemeinsame Interessen bezüglich der Geschichte Straßburgs. In der Nutzung des Stadtarchivs vermischten sich bei Schilter auf selbstverständliche Art und Weise Amtsgeschäfte und private gelehrte Projekte. Ein Vermerk des ersten Archivars Philipp Kniebs über die Rückgabe einiger Dokumente, die Schilter aus dem Archiv entliehen hatte, belegt, dass der Gelehrte neben Manuskripten und Büchern, die einen offensichtlichen Bezug zu seiner Arbeit als Advokat hatten, auch eine Reihe weiterer Archivalien entnommen hatte.³¹ Insgesamt listete Kniebs in dem Dokument 24 Titel auf, die Schilter am 8. Mai 1700 zurückgegeben hatte. Bei einigen von ihnen lässt sich ein direkter Zusammenhang zu Schilters Editionsprojekten nachweisen. An elfter Stelle steht beispielsweise: Das „alte kays[er]l[iche] Landrecht welchem beygebund[en] d[er] Statt Strassburg statuta de 1270“. Für diesen Codex hatte Schilter gleich doppelte Verwendung. Beim kaiserlichen Landrecht handelte es sich um ein Exemplar des Landrechts des Schwabenspiegels, das Schilter für seine erst postum durch seinen Schüler Johann Georg Scherz (1678 – 1754) fertig gestellte Edition im Rahmen des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) verwendete. Die Statuten der Stadt Straßburg von 1270 waren wiederum Teil seiner Edition der Straßburger Stadtrechte, die Schilter im Auftrag des Königlichen Prätors der Stadt Straßburg, Ulrich Obrecht (1646 – 1701), anfertigte und die nur im Manuskript verbreitet wurde.³² Eine solche Vermischung von alltäglichen Amtsgeschäften und privaten Interessen war nicht ungewöhnlich, da sich eine Trennung erst im Verlauf der Frühen Neuzeit entwickelte. Die Rückgabeliste von Kniebs weist bereits auf eine zunehmende Spannung zwischen einer personengebundenen und institutionalisierten Aufbewahrung von Dokumenten hin.³³ Letztlich legt die Liste aber nahe, dass Schilter bei entsprechender Begründung und mit offizieller Duldung offenbar einen recht freien Zugriff auf die Bestände des Archivs hatte. Immerhin konnte er trotz der Rückgabeaufforderung von Kniebs neben den oben genannten Akten, welche er für die Edition im Auftrag Obrechts benötigte, etliche Gutachten des früheren städtischen Advokaten Marcus Otto behalten. So notierte Kniebs am Ende der Liste, Schilter habe nun aus dem Stadtarchiv nur noch „einen theil der relationen und consilien He[rr] Dr. Otto seel. weilen aber die selbe getruckt wird[en] sollen und von ihme revidirt

31 „Designatio der jenigen actorum und bücher, welche von Herrn Doctor Schilter mir endts benandten extradirt worden“ (1700) (AVCUS, Série I, 24b (94), Nr. 26). 32 Anders als oft angenommen, war das Werk nie für den Druck vorgesehen, sondern sollte nach der Einnahme Straßburgs 1681 vermutlich zur Orientierung der französischen Verwaltung über die Straßburger Stadtrechte dienen. Ausführlich zu dem Werk vgl. Kap. 5c und 6a. 33 Vgl. Friedrich, Die Geburt des Archivs, 143 – 148.

a Johann Schilter als „Armchair scholar“. Zur Quellenakquisition in lokalen Netzwerken

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würden, so könne Er dieselbe anjetzo noch nicht lieffern, doch so b[ald] die sach würde im stand sein, so werde Er dieselbe auch ex tradiren.“ Schilter veröffentlichte die Gutachtensammlung ein Jahr später unter dem Titel Consilia Argentoratensia (Straßburg 1701).³⁴ Auf eine Tolerierung von Schilters Archivnutzung über die Amtsgeschäfte hinaus weist auch die wohlwollende Förderung durch den Stadtrat hin, die Schilter im Gegenzug für zwei Widmungen erfuhr. Schilter hatte seinen Codex Iuris Alemannici Feudalis (Straßburg 1697), eine Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels basierend auf einer Handschrift aus dem Stadtarchiv, mit der Widmung „Deo et Reipublicae Sacrum“ versehen. Obrecht erklärte daraufhin als Königlicher Prätor im Rat der XIII., diese sei auf die Stadt Straßburg bezogen und schlug vor, dem Gelehrten im Gegenzug ein Silbergeschirr mit dem Wappen der Stadt im Wert von 100 Reichstalern zu vermachen.³⁵ Dem wurde explizit auch mit Verweis auf Schilters gute Arbeit als Advokat und Professor entsprochen. Eine ähnliche Überschneidung von tagespolitischen und gelehrten Themen prägte auch Schilters Austausch mit verschiedenen Stadträten. Gerade die mittelalterliche Geschichte Straßburgs erhielt zu Schilters Lebzeiten zusätzliche Relevanz mit der Einnahme der Stadt durch Frankreich 1681, da Ludwig XIV. (1638 – 1715) der Stadt in der Kapitulationserklärung ihre mittelalterlichen Rechte weitestgehend bestätigte. In den Folgekonflikten, die sich aus der französischen Rekatholisierungspolitik ergaben, stellte die Geschichte der Stadt daher einen wichtigen Referenzpunkt bei der Bewahrung der Stadtrechte dar.³⁶ Schilters Interesse an den deutschsprachigen Handschriften des Mittelalters traf im Straßburger Kontext somit auf ein wohlwollendes Umfeld. Zu seinen prominentesten Förderern aus den Ratskreisen gehörte neben Obrecht auch die Politiker- und Patrizierfamilie Wencker. Obrecht hatte sich vor seiner Ernennung zum Königlichen Prätor in Straßburg selbst intensiv mit der Geschichte und dem Recht Straßburgs beschäftigt. Von einer geplanten Geschichte des Elsasses in vier Bänden war letztlich aber nur der erste Band unter dem Titel Alsaticorum Rerum Prodromus (Straßburg 1681) erschienen. Das hatte in erster Linie mit der neuen politischen Situation in Straßburg nach der Einnahme der Stadt durch französische Truppen 1681 zu tun. Obrecht hatte in dem Werk nämlich die französischen Ansprüche auf Teile des Elsass zurückgewiesen, die unter anderem durch die in Ludwigs XIV. Auftrag eingerichteten Reunions-

34 Johann Schilter, Consilia Argentoratensia, vel Illustria Juris Responsa à Marco Ottone, JC. Reipublicae argentorat. Aliorumque Statuum Consiliario celeberrimo, potissimum, Sed & Ab aliis Jurisconsultis Argentoratensibus consignata, Straßburg: Städel 1701. 35 Protokolle des Rats der XIII, Samstag 7. Juli 1696 (AVCUS, 3R – Conseil de XIII, 52 f ). 36 Vgl. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung.

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kammern formuliert worden waren.³⁷ Er passte sich allerdings schnell der neuen Situation an, machte Karriere und konvertierte schließlich für das neu eingerichtete städtische Amt des Königlichen Prätors. In dieser Funktion stand Obrecht faktisch an der Spitze der städtischen Regierung.³⁸ Wenngleich er durch die Abhängigkeit seines Amtes von der französischen Krone in stärkerem Maße deren Interessen in der Stadt wahrnahm, war er doch ebenso auf die Akzeptanz seiner Politik in Ratskreisen angewiesen. Obrecht erwies sich in seiner umsichtigen und auf Ausgleich bedachten Politik offenbar als Glücksgriff für die französische Seite.³⁹ Obrechts Förderung von Schilters Arbeit erscheint zunächst paradox, da beide politisch und konfessionell in den Ratssitzungen unterschiedliche Positionen vertraten. Während Schilter die Interessen der Stadt vertrat, hatte Obrecht zwangsläufig ebenfalls die Belange der französischen Krone im Blick, insbesondere im Rahmen seiner Zensuraufsicht.⁴⁰ Das ging so weit, dass sie sich in konfessionell und stadtpolitisch besonders heiklen Themen wie dem Eherecht eine wenngleich anonyme publizistische Auseinandersetzung lieferten.⁴¹ Ihre politischen und konfessionellen Differenzen hinderten Obrecht und Schilter aber nicht daran, auf gelehrter Ebene einen sehr vertrauten und engen Austausch zu pflegen, in dessen Zentrum ihr gemeinsames Interesse an den Monumenten der deutschen Sprache sowie der Geschichte und dem Recht der Stadt Straßburg standen. Der Ausgangspunkt ihres engen Kontakts dürfte in Obrechts Fürsprache für Schilters Person bei der Besetzung der Advokatenstelle liegen. Das ging offenbar so weit, dass Obrecht Schilter nach dessen Umzug nach Straßburg eine Zeit lang bei sich wohnen ließ.⁴² In den folgenden Jahren intensivierte sich der Austausch zusehends und bezog teilweise auch gemeinsame Bekannte wie den Hofhistoriographen der Ernestiner, Wilhelm Ernst Tentzel, mit ein. Zudem stellte Obrecht den Kontakt zu französischen Gelehrten wie Jean Mabillon her, woraus ein reger Briefwechsel entstand.⁴³ Als Schilter in den 1690er Jahren immer mehr Zeit fand, um an seinen Editionsprojekten zu arbeiten, intensivierte sich auch der Kontakt zu Obrecht. So

37 Vgl. immer noch grundlegend Louis Châtellier, Tradition chrétienne et renouveau catholique dans le cadre de l’ancient diocèse de Strasbourg (1650 – 1770), Paris: Ophrys 1981. 38 Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, New York / Oxford: Oxford University Press 1986, 136. 39 Streitberger, Der Königliche Prätor von Strassburg 1685 – 1789, 90 – 95. 40 Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 201 f. 41 Vgl. Kap. 6a. 42 Darauf weist die Adressierung von Briefen hin, die Schilter in seiner frühen Straßburger Zeit erhalten hat. Vgl. etwa Avianus an Schilter, 5. Dezember 1687 (UB Gießen, Hs 141, fol. 59 – 60). 43 Jürgen Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, in: Karl Hammer / Jürgen Voss (Hg.), Historische Forschung im 18. Jahrhundert. Organisation, Zielsetzung, Ergebnisse, Bonn: Röhrscheid 1976, 334 – 363, 343 f.

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tauschten sich beide 1692 etwa über eine Abschrift des Ludwigsliedes aus, einem althochdeutschen Preislied, das den Sieg des westfränkischen Königs Ludwigs III. über die Normannen 881 besingt. Schilter hatte den bis dahin unbekannten Text von Mabillon erhalten, der ihn einige Jahre zuvor entdeckt hatte. Der Straßburger Gelehrte meinte daraufhin, einige Unstimmigkeiten in der Abschrift erkannt zu haben. Obrecht war offenbar die erste Person, die er diesbezüglich konsultierte, bevor er in der Angelegenheit an Mabillon schrieb.⁴⁴ In einem anderen Fall kam Schilter wiederum einer Bitte Obrechts nach, die dieser beim gemeinsamen Essen geäußert hatte, und bat Mabillon in seinem Namen um die Abschrift einer Handschrift aus der Bibliothek des Klosters St. Armand.⁴⁵ Der Benediktinermönch reagierte auf die Anfrage allerdings erst mit einigem Zögern und nach wiederholten Nachfragen. Die produktive Zusammenarbeit zwischen Schilter und Obrecht wurde auch von Zeitgenossen in der Gelehrtenrepublik wahrgenommen.⁴⁶ Das vertrauensvolle Verhältnis, welches Schilter und Obrecht über konfessionelle und stadtpolitische Differenzen hinweg pflegten, zeigt sich insbesondere in einem Fall: In der Korrespondenz Schilters mit dem Baden-Durchlachschen Hofrat Christian Wilhelm von Eyben (1663 – 1727) diente Obrecht zeitweise als Mittelsmann. Eyben hatte diesen Weg der Übermittlung seiner Briefe gewählt, da er offenbar Sorge vor einer Überwachung des Briefverkehrs durch Frankreich in Zeiten des Pfälzischen Erbfolgekriegs hatte. Unter den Folgen des Kriegs, in dessen Verlauf französische Truppen Durlach verwüsteten und den ansässigen Hof vertrieben, hatte Eyben als Hofrat sehr zu leiden. Hierdurch verlor er nicht nur seine Stellung, sondern auch den Großteil seiner Besitztümer, darunter seine Bibliothek.⁴⁷ Wie er Schilter schilderte, traute er sich erst wieder offener über seine Angelegenheiten zu schreiben, als er den Briefverkehr über Basel nach Straßburg an Obrecht organisiert hatte. Dieser gab die Briefe dann im Auftrag von Eybens an Schilter weiter.⁴⁸

44 Ausführlich hierzu vgl. Kap. 5c. 45 Schilter an Mabillon, Straßburg Kal. Aug. [1. August] 1693 (BNF, Ms. Fr. 19657, fol. 71 – 72v). 46 So schrieb Johann Ulrich Pregitzer 1693 an den Genealogen Jacob Wilhelm Imhoff: „Placuit diatriba nostra Obrechto, qui cum Schiltero id agit, ut ex Archivo Argentoratensi multa Juris publici […] nostri capita illustret, faxit Deus bono animo & successu.“ ‚Unser Werk gefällt Obrecht, der mit Schilter zusammenarbeitet, sodass er aus dem Straßburger Archiv viele Quellen unseres Jus Publicum […] veranschaulicht, gebe Gott gute Zuversicht und Erfolg.‘ (Übers. d. Verf.) Johann Ulrich Pregizer an Jacob Wilhelm Imhoff, 3. November 1693 (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nachlass Imhof III, Nr. 5, fol. 102) Für den Hinweis auf diesen Brief danke ich Markus Friedrich. 47 Für die entsprechenden Berichte von Eyben vgl. Von Eyben an Schilter, o.O. 6. August 1689 (UB Gießen, Hs 140, fol. 246 – 247) und Heilbronn 10. September 1689 (UB Gießen, Hs 140, fol. 248). 48 „Ich schreibe […] etwas sicherer und ungescheuter, da die adresse zwar etwas umb, jedoch auch viel unverdächtiger an H. Artopoeum über Basel und von da an HE. Obrecht gehet, zu belieben stellend, ob man eine gefällige antwort diesen weg wieder zurück gehen lassen wiederumb auch

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Obrecht fungierte hier also explizit als Vertrauensmann, um eine Korrespondenz an den französischen Autoritäten vorbeizulenken. Diese auf dem ersten Blick unerwartete Beziehung entwickelte sich mit der Zeit zu einem Patronageverhältnis. Obrecht setzte sich nicht nur in materiellen Belangen, wie im Fall der bereits erwähnten Widmungen, für Schilter ein. Der Königliche Prätor stellte ihm auch seine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung. Aus diesem reichen Bestand konnte Schilter gleich zwei Manuskripte der Straßburger Chronik Jakob Twingers von Königshofen für seine Edition verwenden. Das eine, in welchem sich auch Eintragungen und Unterstreichungen Schilters finden, hatte Obrecht zuvor vom Ratsbeisitzer Zetzner erworben.⁴⁹ Das andere stammte offenbar aus dem Nachlass des Straßburger Rhetorikprofessors und Druckers Matthias Bernegger (1582 – 1640).⁵⁰ Die Vielzahl weiterer Manuskripte zur Geschichte Straßburgs, die Schilter aus Obrechts Sammlung in der Edition der Straßburger Chronik abdruckte, legen einen regen Austausch zwischen beiden nahe. Schilter dankte dem Prätor dementsprechend ausschweifend im Vorwort der Edition: Uber dieses sind Observationes Historicae und Discurse von den vornemsten Stücken beygethan / darinnen verschiedene alte Diplomata, desgleichen acta und observata ex archivis zu befinden / worzu und auch zu des gantzen Wercks edirung Ihrer Königl. Mayestät hochverordneter Städtmeister / Herr Ulricus Obrechtus das meiste contribuirt / deswegen S[eine]r Excellenz nicht unbillich offentlicher Danck zu erstatten / Und den Allerhöchsten zu bitten / demselben beständige Leibes- und Gemuths-Kräffte ferner viel lange Jahre zu verleihen / damit Se. Excellenz den Ihro vorgesteckten Zweck Salutem Patriae oder der Stadt Straßburg Wolfarth / völlich und rühmlichst erreichen möge.⁵¹

Vermutlich handelte es sich bei etlichen der Stücke um die Vorarbeiten für die geplante aber aus politischen Gründen unvollendet gebliebene Elsässische Geschichte Obrechts. Neben Obrecht pflegte Schilter einen engen Kontakt zur Straßburger Patrizierfamilie Wencker, die politisch zu den ersten Familien der Stadt gehörte. Seit mehreren Generationen hatten Vertreter der Familie regelmäßig das vor der Straßburger Kapitulation höchste politische Amt des Ammeisters besetzt. Der

etwas zuverlässiges neues von ihre zustand erwarten dürfte“.Von Eyben an Schilter, 3. Juni 1689 (UB Gießen, Hs 140, fol. 241 – 242). 49 Möglicherweise handelt es sich hierbei um einen Verwandten des Straßburger Druckers Lazarus Zetzner (1551 – 1616). Für den Hinweis danke ich Louis Schlaefli. 50 Darauf weist Schilters Bezeichnung des Manuskripts „MS. Berneggerianum itzo Obrechtianum“ hin. Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, § XII. 51 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, § XIII.

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mehrfache Ammeister Jakob Wencker d. Ä. (1633 – 1715) besaß nicht nur eine umfangreiche Bibliothek, sondern befasste sich selbst mit der Geschichte Straßburgs. Eine Chronik der Stadt, die sein Vater im Jahr 1637 begonnen hatte, führte er fast bis zu seinem eigenen Tod weiter.⁵² Während die gemeinsame Arbeit im Stadtrat wie in anderen Fällen auch hier sicherlich den Anstoß für den ersten Kontakt gab, vertiefte sich dieser auf Grundlage des gemeinsamen Interesses an der Geschichte Straßburgs. Offenbar stellte Wencker seine Sammlung in der Folge Schilter für seine Arbeiten zur Verfügung. In der oben erwähnten Liste führte der Archivar Kniebs auch einen Bericht vom burgundischen Krieg auf, der mit dem Zusatz „gehört He[rrn] D[octor] Wencker zu“ versehen war. Schilter druckte diesen in seiner Edition der Straßburger Chronik ab.⁵³ Der Austausch erstreckte sich darüber hinaus auch auf die nächste Generation. Wenckers Sohn gleichen Namens, Jakob Wencker d. J. (1668 – 1743), studierte bei Schilter und lässt sich zu seinen engsten Schülern zählen. Auch nach Abschluss des Studiums tauschte er sich mit Schilter weiter über dessen Editionsprojekte aus.⁵⁴ Dass der Kontakt zu Wencker d. J., der 1694 als Gehilfe des ersten Archivars Philipp Kniebs in den Archivdienst eintrat, Schilters Zugang zum Archiv begünstigte, lässt sich allerdings nur vermuten.⁵⁵ Der Kontakt zur Familie Wencker war für Schilter kein Einzelfall. Die vielen Verweise auf die Sammlungen anderer politischer Akteure der Stadt legen nahe, dass der Gelehrte gezielt den Zugang zu den städtischen Sammlungen und ihren Besitzern suchte. Nicht immer war der Sammlungsschwerpunkt jedoch so ergiebig wie bei den Wenckers. So interessierte sich der Straßburger Advokat Philipp Ludwig Künast (1648 – 1717) zwar nicht im gleichen Maße für die Geschichte der Stadt wie sein Vater Balthasar Ludwig Künast (1589 – 1667), hatte aber von diesem eine der bedeutendsten bürgerlichen Kunst- und Kuriositätensammlungen in Straßburg geerbt.⁵⁶ Neben Objekten wie „Mineralien, Fossilien, antiken Münzen, Gemälden, Graphiken und Büchern bis hin zu einer Locke Albrecht Dürers“ umfasste die Sammlung offenbar auch mittelalterliche Manuskripte.⁵⁷ Zwar hatte Künast d. J.

52 Michael Philipp, Bernegger – Schaller – Boeckler. Die Straßburger historische Schule der Politikwissenschaft im 17. Jahrhundert, in: Robert Seidel / Hanspeter Marti (Hg.), Die Universität Straßburg zwischen Späthumanismus und Französischer Revolution, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, 133 – 338, 264. 53 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, 367– 385. 54 Vgl. Kap. 3b. 55 Wilhelm Wiegand, Wencker, Jakob, in: Allgemeine Deutsche Biographie 41 (1896), 710 – 711 [Online-Version], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd117284262.html [18.7. 2023]. 56 Zur Biografie Künasts vgl. Édouard Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes célèbres de l’Alsace, 2 Bde., Bd. 2, Paris: Éd. du Palais Royal 1973, 83 f. 57 Schmidt, Historiographie und persönliche Aneignung von Geschichte, 341.

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einen großen Teil der Sammlung über einen selbst verfassten Katalog verkauft.⁵⁸ Ein Teil davon verblieb aber offenbar in seinem Besitz. Hierzu gehörte auch ein Manuskript der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen, welches Künast Schilter für dessen Edition zur Verfügung stellte.⁵⁹ In einem ähnlichen Fall stellte Elias Brackenhofer d. J. (1669 – 1730), der von seinem Vater Elias Brackenhofer (1618 – 1682) dessen berühmte Kunstkammer und eine umfangreiche Bibliothek geerbt hatte, Schilter ein Manuskript zur Verfügung. Es handelte sich dabei um ein ungedrucktes numismatisches Werk, in welchem der numismatisch interessierte Brackenhofer d. Ä. die Etymologie verschiedener Münznamen bei den unterschiedlichen „Völkern“ der Welt zusammengestellt hatte. Schilter verwendete das Werk beispielsweise bei der Vorbereitung seines Glossars.⁶⁰ Schilter pflegte jedoch nicht nur Kontakte zur politischen Elite der Stadt, sondern auch in kirchliche Kreise. Seine institutionelle Stellung beziehungsweise die Gemengelage aus privaten gelehrten Interessen und Amtsgeschäften dürfte ihm auch den Zugang zu den kirchlichen Sammlungen der Stadt erleichtert haben. Das gilt insbesondere für das Archiv des St. Stephansstift, auf welches er insbesondere in seiner Abhandlung zur Geschichte des Stifts im Kommentar seiner Edition der Straßburg Chronik wiederholt zurückgriff. So ließ ihn die Äbtissin Eva Salome von Fürdenheim (1620 – 1694) am 23. April 1689 eine mittelalterliche Urkunde von Kaiser Ludwig II. aus dem Stiftsarchiv abschreiben: Ludovicus der erste König in Teutschland / des Keysers Ludovici Pii Sohn / hat dem vornehmen alten Stiffte zu St. Steffan allhier in Straßburg ums Jahr Christi ein Diploma oder BefreyungsBrieff ertheilt / in dessen Originali zu lesen Reges Fraemchorum, für R. Francorum, darauß von der alten Außsprache und Schrifft dieses Worts zu judiciren seyn wird. Weil aber solches Diploma, wie es von dem Guillimanno de Episop. Argent. und von dem H. Conringio in seiner censur über das dem Stifft Lindau gegebene Diploma des Keysers Ludovici, in Truck gegeben

58 Wolfgang Braungart, Die Kunst der Utopie. Vom Späthumanismus zur frühen Aufklärung, Stuttgart: Metzler 2016, 138 f. 59 Schmidt, Historiographie und persönliche Aneignung von Geschichte, 341. 60 Das berichtet Johann Friedrich Uffenbach in seinem Reisetagebuch anlässlich eines Besuchs in Straßburg bei Elias Brackenhoffer am Donnerstag, den 29. Juni 1713: „ferner zeigte mir H. Brackenhoffer 3 vol. in folio von des vaters eigner hand geschrieben, welche ein vollständiges werk von allen heutigen münzen ist, nehmlich auch ihren werth, aufkommen, abnehmen, etymologie, explication der alten teutschen und gotischen schriften und viel ander gar curieux dinge mehr, deßen sich He Schilter in sein Glossario sehr bedient haben soll und H. Brackenhoffer 100 rh[eichstaler] vor eine copie offerirt“. Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer ReisDiarium von Frankfurt biss Turin exclusive, (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 206 – 207. Es handelt sich um Brackenhofers Lexicon Rei nummariae, 3 Bde., in Folio.Vgl. Adam Walther Strobel / Heinrich Engelhardt, Vaterländische Geschichte des Elsasses von der frühesten Zeit bis zur Revolution 1789, nach Quellen bearbeitet, 6 Bde., Bd. 5, Straßburg: Schmidt & Grucker 1846, 222, Anm. 3.

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worden / mit dem Originali nicht überall einstimmig / und aber von der vormahligen nunmehro seligsten Frau Aeptissin / Frau Eva Salome von Fürdenheim / mir die Gnade geschehen / solches mit dem wahren Originali zu collationiren / so geschehen den 23. April 1689 als habe dafür gehalten / es würde dem gütigen Leser nicht unangenehm seyn / hingegen sich auch sonsten zu dieser Materie / die hier gehandelt wird / wol fügen / wenn solches in seinem wahren Innhalt hierbey gesetzet würde.⁶¹

Es handelte sich hierbei nicht um einen Einzelfall. Auch an anderen Stellen der Edition führte er Urkunden aus dem Stiftsarchiv an – sei es von Kaiser Lothar I. oder dem Straßburger Bischof Werner I. (975/980?–1028): „Es befindet sich aber dennoch bey dem Stiffts-Archiv eine in der Contractstube allhier Anno 1360 vidimirte Copey / dieses und von des Guillimans in etwas verschiedenen Innhalts“.⁶² Schilters Interesse am Stift beschränkte sich aber nicht auf die handschriftlichen Bestände. In der Edition der Straßburger Chronik führte er auch eine Beschreibung des Umhangs der St. Attala auf oder druckte die Inschrift über dem Portal ab.⁶³ Dies mag das zunächst nicht ungewöhnlich klingen. Auch Jean Mabillon und Thierry Ruinart erhielten bei ihrem Besuch der Abtei im Rahmen ihrer Reise ins Elsass im September 1696 die Erlaubnis, einige Urkunden aus dem Stiftsarchiv zu kopieren. Doch zeugt Schilters Arbeit mit den Beständen von einer anderen Intensität. Das zeigt sich nicht zuletzt an einer Arbeit, die er den beiden Maurinern anlässlich ihres Besuchs zeigte, wie Ruinart berichtete: „Le célèbre jurisconsulte Jean Schilter, qui s’est fait connaître au monde savant par plusieurs ouvrages, nous a donné aussi un catalogue des abbesses de la maison, composé par luimême, d’après les chartes les plus authentiques.“⁶⁴ Dieser Katalog der Äbtissinnen des St. Stephansstifts verdeutlicht, dass sich Schilter eingehender auch mit der Geschichte des Stifts auseinandersetzte. Schilters Interesse für die Geschichte des Stifts verband ihn auch mit dem Stiftsverwalter Johann Spies. Schilter stellte diesem seine Handschrift der Lombardica Historia zur Verfügung, die Spies für seine im Manuskript ver-

61 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, 478. 62 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, 526 – 531, Zitat: 534. 63 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 8, 523. Die Reliquien St. Attalas, die Schilter ebenfalls abbildete, waren bereits Ende 1685 an das Münster und damit in katholische Obhut übergeben worden. Médard Barth, Das Visitandinnenkloster an St. Stephan zu Straßburg 1683 – 1792, in: Archiv für elsässische Kirchengeschichte 1 (1926), 168 – 276, 191 – 193. Ausführlicher dazu vgl. Kap. 4a. 64 Thierry Ruinart, Voyage littéraire en Alsace (1696), traduit en latin, accompagné de notes et de dessins lithographiés; et précédé d’un coup d’ocil historique sur la littérature alsatique du moyen âge, par M. Jacques Matter, Straßburg: Levrault 1829, 100.

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bliebene Beschreibung des uhralten Stifts St. Stephan nutzte.⁶⁵ Spies half dem Gelehrten wiederum bei der Korrektur eines Fehlers in einer alten Übersetzung des oben genannten Befreiungsbriefs, was Schilter an entsprechender Stelle lobend erwähnte.⁶⁶ Zugleich verbanden Schilter und die Äbtissin Eva Salome von Fürdenheim beziehungsweise ab 1694 die Stiftsverwalterin Elisabeth Henriette Vitztum d’Eichstett aber auch politische Interessen.⁶⁷ Denn das protestantische Frauenstift, welches als eine der ältesten kirchlichen Einrichtungen der Stadt gilt, wurde spätestens ab 1694 zum Gegenstand eines Konflikts zwischen Stadtrat und französischer Verwaltung, an dem Schilter in seiner Funktion als Advokat des Stadtrats beteiligt war. Von französischer Seite wurde der Tod von Fürdenheims als letzter Äbtissin zum Anlass genommen, um eine Rekatholisierung des Stifts zu betreiben, wogegen der Stadtrat sich zu wehren versuchte.⁶⁸ Die wiederholten Versuche der katholischen Seite, die Kontrolle über das Stift zu erlangen, beschäftigen aber nicht nur den Stadtrat. Über den persönlichen Kontakt zu Mabillon bei dessen Reise nach Straßburg 1696 suchten Schilter und die Stiftsverwalterin offenbar auch alternative Einflusskanäle nach Paris zu öffnen.⁶⁹ Hiervon zeugen noch einige spätere Briefe zwischen Schilter und Mabillon, die letztlich aber nichts bewirken konnten.⁷⁰ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das städtische Umfeld und die städtischen Sammlungen Schilters Wirken prägend beeinflussten. Das lag zum einen an der vielfältigen Sammlungs- und Bibliothekslandschaft der Stadt, die reiches Quellenmaterial für Schilters Arbeiten zur Mittelalterforschung lieferte. Zum anderen trugen die Auswahl der bearbeiteten Themen sowie seine institutionelle Stellung als Advokat des Stadtrats, die ihn in Kontakt zur politischen Elite der Stadt brachte, grundlegend dazu bei, dass er die städtischen Sammlungen und Bibliotheken nutzen konnte. Schilters deutlicher Fokus auf die (Rechts‐)Geschichte der Stadt bot einen Anknüpfungspunkt und gemeinsames Interesse mit der politischen

65 Médard Barth, Die illustrierte Strassburger Uebersetzung der Legenda aurea von 1362, Cgm 6 in München, in: Archiv für elsässische Kirchengeschichte 9 (1934), 136 – 162, 148 – 149 mit FN 4. 66 „Welches der jetzige wolverdiente Stiffts-Schaffner Herr Johann Spieß wol angemercket hat.“ Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, 481 (s. Anm.). 67 Mit dem Tod von Eva Salome von Fürdenheim als letzter Äbtissin 1694 wurde Elisabeth Henriette Vitztum d’Eichstett als ihre Nachfolgerin von französischer Seite eine ordentliche Äbtissinenwahl verwehrt und nur noch der Titel einer Verwalterin zugesprochen. 68 Vgl. ausführlich zu dieser Episode Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung. 69 Barth, Das Visitandinnenkloster an St. Stephan zu Straßburg 1683 – 1792, 195 f. 70 V. a. Schilter an Mabillon, Straßburg St. Georgstag [23. April] 1698 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 73r–74v) und Mabillon an Schilter, Paris XV. Kal. Mai [17. April] 1698 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 81r).

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Führungsschicht der Stadt.⁷¹ So konnte er sich auf Gelehrtenebene mit dem Königlichen Prätor Ulrich Obrecht oder der Familie Wencker austauschen und auf ihre Förderung hoffen. Gleichzeitig ermöglichte ihm das Feld der Straßburger Geschichte aber auch, beispielsweise im Fall der Edition der Straßburger Chronik, einen wenngleich subtilen Kommentar zur französischen Rekatholisierungspolitik zu veröffentlichen. Der Zugriff auf lokale Quellenbestände wirkte sich aber auch über Schilters Arbeiten zur Straßburger Historie und Rechtsgeschichte hinweg auf die inhaltliche Ausgestaltung seiner Werke aus. Das zeigt sich beispielsweise beim postum veröffentlichten Glossar, in dem seine Einträge auf eine eindeutige inhaltliche Schwerpunktsetzung auf die Elsässische und Straßburger Geschichte hinweisen.⁷²

b Schüler, Mitarbeiter und Familie. Zur Werkstatt eines Mittelalterforschers Im Vorwort zu seiner Edition des Lex Salica, einem Gesetzbuch aus der Merowingerzeit, verwies Schilter auf den Beitrag des ‚fleißigen, hervorragenden und in seinen Studien gut ausgebildeten jungen Mann Johann Gregor Schott‘. Dessen Fund und genaue Abschrift eines sehr alten Manuskripts der Lex Salica in der Königlichen Bibliothek in Paris hätten die Edition in der Form erst möglich gemacht.⁷³ Die Erwähnung Schotts ist zunächst einmal ein verstecktes Eigenlob, denn dieser hatte seine Ausbildung und Studien größtenteils bei Schilter in Straßburg absolviert. Sie ist aber auch insofern bemerkenswert, weil der Verweis auf die Beteiligung von Gehilfen an der gelehrten Wissensherstellung in der Frühen Neuzeit in einer solch offenen und prominenten Weise eher selten war.⁷⁴ Während es üblich war, die Beiträge anderer Gelehrter zu einem Buch im Vorwort dankend zu erwähnen, wurde die Arbeit von Hilfskräften kaum gewürdigt. Dabei führten diese gerade bei der Vorbereitung von Editionen grundlegende Arbeiten wie Transkriptionen oder 71 Zu Geschichte der Stadt als Betätigungsfeld für führende Ratsfamilien vgl. Schmidt-Funke, Der Sammler und die Seinigen. 72 Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 335 f. 73 „praesertim postquam industria Nobilissimi & in his studiis bellè exercitati Juvenis J. Gr. Schotti, J.V.C. in Bibliotheca Regia MS. reperto, accurateque descripto, mihi id transmisit.“ Johann Schilter, Praefatio ad Legem Salicam, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, literariarum. Tomus Secundus, exhibens Monumenta Civilia, Historica, Miscella: Edita, Indedita, hg. von Johann Georg Scherz, Elias Frick und Johann Frick, Ulm: Bartholomaeus 1727, § IX. 74 Zu den vielfältigen Funktionen der Erwähnung von Amanuenses etwa, um die Verantwortung für Fehler zu übernehmen, vgl. Ann Blair, Erasmus and His Amanuenses, in: Erasmus Studies 39 (2019), 22 – 49, 34 – 38.

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Textkollationen aus, die sich nicht nur auf die Ausgestaltung der fertigen Editionen auswirkten, sondern diese häufig erst in ihrer endgültigen Form ermöglichten.⁷⁵ Woher aber kamen diese Gehilfen, wer waren sie und welche Bedeutung hatten sie für Schilters Editionsprojekte? In der Forschung gab es in den vergangenen Jahren zunehmend Bemühungen, den Beitrag dieser meist „unsichtbaren Helfer“ sichtbar zu machen und so auf die kollaborative Natur gelehrter Wissensproduktion in der Frühen Neuzeit hinzuweisen.⁷⁶ Damit gerät auch der Haushalt eines Gelehrten als Produktionseinheit gelehrten Wissens in den Blick. Hierzu gehörten in der Frühen Neuzeit neben der Familie auch Schüler, Gehilfen oder Diener.⁷⁷ Im Kontext des Haushalts muss daher auch die „Werkstatt“ eines Gelehrten verortet werden, das heißt, nicht als isoliertes Arbeitszimmer, sondern als ein Ort der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren.⁷⁸ Das waren neben dem etablierten Gelehrten und Hausvater ebenso Schüler, angestellte Gehilfen oder Familienangehörige. Wenn Gelehrte in der Frühen Neuzeit Hilfe bei ihren Arbeiten benötigten, war es zunächst naheliegend, das direkte familiäre Umfeld einzuspannen. Zum lange Zeit unterschätzten wissenschaftlichen Beitrag der Ehefrauen von Gelehrten existiert mittlerweile eine umfassende Forschung.⁷⁹ Wie in den Arbeiten gezeigt wurde, 75 Vgl. Grafton, Correctores corruptores?, 54 f. 76 Vgl. grundlegend Steven Shapin, The Invisible Technician, in: The American Scientist 77 (1989), 554 – 563; Shapin, A social history of truth, v. a. 335 – 407; Sebastian Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft. Ökonomien und soziale Beziehungen an den Akademien in London, Paris und Berlin um 1700, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 10); Dunja Bulinsky, Nahbeziehungen eines europäischen Gelehrten. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und sein soziales Umfeld, Zürich: Chronos Verlag 2020. Für die Geschichte der Geisteswissenschaften vgl. Blair, Erasmus and His Amanuenses; Ann Blair, Early Modern Attitudes toward the Delegation of Copying and Note-Taking, in: Alberto Cevolini (Hg.), Forgetting machines. Knowledge management evolution in early modern Europe, Leiden / Boston: Brill 2016; Ann M. Blair, Too much to know. managing scholarly information before the modern age, New Haven: Yale University Press 2010; Grafton, Correctores corruptores?; Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler. 77 Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft, 88 – 123. Vgl. a. Harding, Der Gelehrte im Haus; Gabriele Jancke, Gastfreundschaft in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Praktiken, Normen und Perspektiven von Gelehrten, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 15). 78 Friedrich / Schilling, Der ‚Blick über die Schulter‘ in die ‚Werkstatt‘ des Historikers. 79 Vgl. exemplarisch Michaela Hohkamp / Gabriele Jancke (Hg.), Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, Königstein/Taunus: Helmer 2004; Gadi Algazi, „Geistesabwesenheit“. Gelehrte zu Hause um 1500, in: Historische Anthropologie 13 (2013), 325 – 342; Theresa Wobbe (Hg.), Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700 – 2000, Berlin: Akademie-Verlag 2002 (Forschungsberichte / Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 10); Monika

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führten sie zum einen oftmals fachliche Arbeiten aus, zum anderen wurde von ihnen aber auch erwartet, ihrem Ehemann durch die Übernahme des Haushalts und der Kinderfürsorge den Freiraum für seine gelehrten Arbeiten zu schaffen.⁸⁰ Mit dem zunehmenden Alter wurden auch die Kinder für Hilfsarbeiten herangezogen.⁸¹ Eine solche produktive familiäre Zusammenarbeit scheint in Schilters Fall durch seine komplizierte und offenbar unglückliche Ehe beeinträchtigt worden zu sein. Aus Gründen, die sich mangels aussagekräftiger Quellen nicht abschließend klären lassen, entsprach Schilters Frau Anna Sibylla (geb. Born) nicht den von Zeitgenossen gestellten Erwartungen an die Frau eines Gelehrten.⁸² Sicher ist jedoch, dass Schilter sie bei seinem Wegzug aus Jena im Herbst 1685 ebenso wie seinen Sohn Johann Gottfried und seine Tochter Susanna Sibylla zurückließ. In Stellvertretung seines Vaters übernahm Johann Gottfried von Jena aus aber immer wieder verschiedene Aufgaben. So verwaltete er weiterhin das Haus in Jena, womit auch finanzielle Einkünfte durch die Unterbringung von Studenten und den Unterhalt einer Tafel verbunden waren.⁸³ Zudem versorgte er seinen Vater mit Informationen aus Jena oder hielt Geschäftsbeziehungen aufrecht. Anlässlich der überarbeiteten Neuauflage von Schilters Pandektenkommentar, der unter dem Titel Praxis Iuris Romani in Foro Germanico (Jena 1698) erschien, vermittelte er ab 1697 regelmäßig zwischen Schilter und dem Jenaer Drucker Matthäus Birkner (1630 – 1709). Den größten Teil der Hilfsarbeiten in Schilters Werkstatt übernahmen aber seine Schüler, die aus diesem Grund im Fokus der folgenden Betrachtung stehen sollen. Hierunter zählt neben akademisch ambitionierten Studenten vor allem in größeren Städten noch eine weitere Gruppe, die bislang in ihrem Beitrag zur „Werkstatt“ eines Gelehrten in der Forschung kaum berücksichtigt wurde. Es handelt sich um die Söhne der städtischen Oberschicht, deren privilegierte Stellung

Mommertz, Geschlecht, Macht, Wissen. Der Haushalt als Ermöglichungsstruktur frühneuzeitlicher Wissenschaften, in: Anna Becker [u. a.] (Hg.), Körper – Macht – Geschlecht. Einsichten und Aussichten zwischen Mittelalter und Gegenwart, Frankfurt a. M. / New York: Campus Verlag 2020, 15 – 30; Monika Mommertz, Geschlecht als „Markierung“, „Ressource“ und „Tracer“. Neue Nützlichkeiten einer Kategorie am Beispiel der Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Christine Roll (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln: Böhlau 2010, 573 – 592. 80 Algazi, „Geistesabwesenheit“. 81 Blair, Too much to know, 209 f. 82 Ausführliche dazu vgl. Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“, 261 f. Zum Ideal der Gelehrtenfrau vgl. Algazi, „Geistesabwesenheit“. 83 Johann Gottfried Schilter an Johann Schilter, Jena 19. Dezember 1688 (UB Gießen, Hs 142, fol. 133 – 134).

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sich auch auf ihre Beziehungen zu ihrem akademischen Lehrer auswirkte.⁸⁴ Es soll gezeigt werden, wie sich diese unterschiedlichen sozialen Stellungen der Schüler Schilters als Spezifikum einer urbanen Wissenskultur auf die Zusammenarbeit auswirkte. In einem ersten Schritt wird es darum gehen, zu zeigen, woher und auf welche Weise Schilter seine Schüler rekrutierte. Ausgehend von der Annahme, dass die soziale Stellung der Schüler prägend für die Art und Weise der Zusammenarbeit mit ihren akademischen Lehrern war, soll Schilters Schülerschaft dann als soziale Gruppe untersucht werden.⁸⁵ Abschließend geht es um die konkreten Auswirkungen auf die von den Schülern ausgeführten Arbeiten und ihre Bedeutung für Schilters „Werkstatt“. Die Aufnahme von Studenten als Tischgänger oder Hausgenossen war häufig eingebunden in bestehende soziale Beziehungen. Oftmals handelte es sich bei diesen um Söhne von Freunden oder Bekannten.⁸⁶ In bestimmten Fällen konnte die Aufnahme eines Schülers auch die Gegenleistung für eine früher erhaltene Förderung darstellen.⁸⁷ Ein herausragender Ruf als Gelehrter konnte dabei helfen, eine große Zahl an Schülern um sich zu versammeln, wenngleich die Anziehungskraft eines Erasmus von Rotterdam auf junge Studenten in ganz Europa sicherlich als Ausnahmephänomen betrachtet werden muss.⁸⁸ Eine größere Bedeutung kann daneben der Anbindung an eine Schule oder Universität beigemessen werden. Der Unterhalt einer Tischgesellschaft konnte nicht nur die finanziellen Einkünfte verbessern, sondern brachte auch einen stetigen Nachschub an jungen Studierenden, die in Gegenleistung für Unterkunft, Verpflegung und Teilhabe am kulturellen und sozialen Kapital des Tischherren bereit waren, Hilfstätigkeiten zu übernehmen.⁸⁹ Das war möglicherweise ein Grund, weshalb Schilter in Jena neben seinem Hofamt 84 Erste Ansätze für eine Erforschung des Beitrags von Patriziern zur gelehrten Wissensproduktion in der Frühen Neuzeit im Rahmen einer Stadtwissensgeschichte liefert Schmidt-Funke, Der Sammler und die Seinigen. 85 Vgl. Wolfgang Weber, Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zu Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800 – 1970, Frankfurt a. M.: Peter Lang 1984 (Europäische Hochschulschriften Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 216), 71 – 83. 86 Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler; Bulinsky, Nahbeziehungen eines europäischen Gelehrten, 93 – 97; Harding, Der Gelehrte im Haus, 49 f. 87 So beispielsweise im Fall von Johann Christoph Olearius und seinem Lehrer Caspar Sagittarius. Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler, 150 f. 88 Zu Erasmus’ Amanuenses vgl. Blair, Erasmus and His Amanuenses. 89 Harding, Der Gelehrte im Haus, 43 – 53. Zur Überschneidung von Tischgesellschaft und Schülerschaft beim Jenaer Geschichtsprofessor Caspar Sagittarius (1643 – 1694) vgl. Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler.Vgl. a. Martin Mulsow,Von der Tischgesellschaft zum Oberseminar. Zur historischen Anthropologie mündlicher Wissenschaftskommunikation, in: Martin Mulsow (Hg.), Die unanständige Gelehrtenrepublik, Stuttgart: Metzler 2007, 121 – 142.

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über eine Lehrtätigkeit die Anbindung an die Universität suchte und auch eine Tischgesellschaft unterhielt.⁹⁰ Die produktive Atmosphäre an Schilters Tafel blieb seinen Schülern nicht nur nachhaltig im Gedächtnis, sondern konnte sich auch karrierefördernd auswirken. Georg Schubart, der zu Schilters prominentesten Tischgenossen gehörte, erinnerte sich in einem Brief an seinen akademischen Lehrer mit Begeisterung an seine Zeit an Schilters Tafel.⁹¹ Sein überschwängliches Lob des akademischen Austausches an der Tafel einerseits und seiner Unterstützung bei Schilters Studien andererseits muss sicherlich vor dem Hintergrund des freundschaftlichen Austausches der beiden Gelehrten betrachtet werden. Dennoch war Schilters Einfluss auf Schubart offenbar so groß, dass sich dieser nach dem Antritt einer Professur für Poetik und Eloquenz an der Universität Jena 1681 zunehmend juristischen Themen zuwandte. Im Jahr 1685 promovierte er in den Rechtswissenschaften und hielt in der Folge auch juristische Vorlesungen, ohne allerdings je auf eine juristische Professur berufen zu werden.⁹² Die Teilnahme an der Tischgesellschaft hatte in diesem Fall also konkrete Auswirkungen auf den weiteren Karriereverlauf Schubarts.⁹³ Bestenfalls profitierten so beide Seiten: Für Studenten konnten sich durch die Teilnahme an einer Tischgesellschaft die Unterstützung eines Professors sichern, während diese wiederum von den Hilfsarbeiten der Studenten profitierten. Auch in Straßburg funktionierte der Aufbau einer Schülerschaft in ähnlicher Weise über die Anbindung an die Universität. In der Lehre zeigte Schilter von Beginn an großes Engagement, wie in Ratskreisen immer wieder (auch im Vergleich zu den anderen Professoren) gelobt wurde, insbesondere da er bis 1699 nur eine Honorarprofessur ausübte und somit finanziell vergleichsweise wenig von seiner Lehrtätigkeit profitierte.⁹⁴ An Philipp Jakob Spener schrieb er im März 1687 nur wenige Monate nach seiner Ankunft in Straßburg, dass er seine Zeit vormittags den Arbeiten für den Stadtrat und nachmittags dem Unterricht seiner Studenten widme.⁹⁵ Auf diese Weise versammelte Schilter eine ausgewählte Gruppe von Studenten um sich, die ihn bei seinen Projekten zur Mittelalterforschung unterstützten. 90 S. Kap. 2. 91 Schubart an Schilter, Jena 4. September 1684 (Stabi Berlin, Autogr. I/4093, fol. 6r–7v). 92 Richard Hoche, Schubart, Georg, in: Allgemeine Deutsche Biographie 32 (1891), 599 – 600 [OnlineVersion], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd124914632.html [18.7. 2023]. 93 Schubarts Fall bestätigt Martin Mulsows These von der Tischgemeinschaft als Vorläufer des Oberseminars entgegen Elizabeth Hardings Kritik, dass die in Selbstzeugnissen festgehaltene Teilnahme an Tischgesellschaften aufgrund der häufigen Abwesenheit der Professoren eher eine selbstvergewissernde Funktion hatte. Vgl. Mulsow, Von der Tischgesellschaft zum Oberseminar. Zu Hardings Kritik vgl. Harding, Der Gelehrte im Haus, 46. 94 S. Kap. 2. 95 Schilter an Spener, o.O. 21. März 1687, abgedruckt in: Gedicke, Heptas Epistolarum, 703 – 705.

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Diese Gruppe an Schülern war in ihrer Zusammensetzung, das heißt bezüglich ihrer sozialen Herkunft, ihrer Beziehung zu Schilter und den weiteren Karriereverläufen, sehr heterogen. Es lassen sich jedoch grob zwei Gruppen unterscheiden. Den größten Anteil hatten Studenten, die eine akademische oder juristische Karriere anstrebten. Sie wohnten in der Regel als Tischgenossen bei Schilter und werden in der Forschung häufig als Typus des Gelehrtenschülers behandelt.⁹⁶ Ein idealtypisches Beispiel für einen erfolgreichen Karriereverlauf findet sich etwa bei Johann Heinrich Feltz (1665 – 1737) und Johann Georg Scherz, die letztlich beide auf juristische Professuren in Straßburg berufen wurden. Feltz war Sohn eines Kanonikers am Straßburger St. Thomasstift. Er studierte zunächst in Jena bei Schilter und begleitete seinen Lehrer dann über Frankfurt am Main nach Straßburg, wo er selbst im November 1695 auf eine Rechtsprofessur berufen wurde.⁹⁷ Eine ähnlich erfolgreiche akademische Karriere verfolgte Scherz, der mit seinen Schriften und der postumen Herausgabe des Thesaurus als Schilters einflussreichster Schüler gelten kann.⁹⁸ Er stammte vermutlich aus einer Straßburger Handwerkerfamilie und studierte in Straßburg, Halle und Rostock. Sein juristisches Studium in Straßburg absolvierte er weitestgehend bei Schilter und Feltz. Bereits ein Jahr nach seiner Promotion in Straßburg in den Rechtswissenschaften 1701 erhielt er eine Professur für Moralphilosophie an der Universität Straßburg. 1710 wurde er dann auf eine juristische Professur berufen.⁹⁹ Den etwas kleineren, aber für Schilter umso relevanteren Teil machten Studenten aus der Straßburger Oberschicht aus. Es handelte sich um die Söhne aus der städtischen Elite, die in ihrer Bedeutung für die frühneuzeitliche gelehrte Wissensherstellung bislang in der Forschung kaum Beachtung fanden. Für sie bot ein 96 Vgl. etwa Blair, Erasmus and His Amanuenses. 97 Édouard Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes célèbres de l’Alsace, Bd. 1, 479; Oscar Berger-Levrault, Annales des professeurs des academies et univesites Alsaciennes 1523 – 1871, Nancy: Berger-Levrault 1892, 36. 98 Zu Scherz vgl. Johann Gottlob Wilhelm Dunkel, Zu 637. Scherz (Johann George), in: Historischkritische Nachrichten von verstorbenen Gelehrten und deren Schriften, Bd 2, Teil 1, Dessau / Köthen: Cörner 1755, 222 – 223; Johann Georg Meusel, Scherz oder Schertz (Johann Georg), in: Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd 12, Leipzig: Gerhard Fleischer 1812, 140 – 143; Ernst Martin, Scherz, Joh. Georg, in: Allgemeine Deutsche Biographie 31 (1890), 138 – 139 [Online-Version], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd117222267.html [18.7. 2023]; Berger-Levrault, Annales des professeurs des academies et univesites Alsaciennes 1523 – 1871, 202. Weitere Erkenntnisse über Scherz könnte eine Auswertung der Korrespondenz zwischen Scherz und Zacharias Konrad von Uffenbach liefern, die in diesem Rahmen nicht möglich war. Vgl. Commercii epistolaris uffenbachiani selecta variis observationibus observationibus illustravit vitamque B. Zach. Conr. Ab Uffenbach praemisit Jo. Ge. Schelhornius, Ulm / Memmingen: Gaum 1753 – 1756. 99 Berger-Levrault, Annales des professeurs des academies et univesites Alsaciennes 1523 – 1871, 113.

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juristisches Studium einen Anlass, sich intensiver mit der Rechtsgeschichte der eigenen Stadt zu beschäftigen, und komplementierte damit das Streben nach einer potenziellen Ratskarriere.¹⁰⁰ Diese Studenten waren aufgrund ihrer familiären Herkunft in ihrer Karriere kaum auf Schilter angewiesen und suchten vornehmlich den intellektuellen Austausch mit ihm. Für Schilter ordnete sich ihre Förderung wiederum in den Beziehungsaufbau und die Beziehungspflege zu ihren Vätern ein, die in der Regel höhere Ämter in der städtischen Verwaltung bekleideten und für den Gelehrten nicht zuletzt aufgrund ihrer Sammlungen und Bibliotheken relevant waren.¹⁰¹ Ein illustratives Beispiel für einen solchen Karriereverlauf ist Jacob Wencker d. J.¹⁰² Er studierte bei Schilter Recht in Straßburg, wurde von Ulrich Obrecht gefördert und trat 1694 durch dessen Vermittlung in den Archivdienst ein.¹⁰³ Dieser diente häufig, so auch bei Wencker, als ein Trittbrett für eine spätere Ratskarriere.¹⁰⁴ Nebenbei führte er seine rechtshistorischen Forschungen mit einem starken regionalen Fokus im Stile Schilters weiter,¹⁰⁵ wandte sich aber zunehmend auch dem aufblühenden Feld der Archivliteratur zu.¹⁰⁶ Wencker erreichte, wenn auch erst 1730, die Stellung des ersten Archivars. Wenige Jahre später wurde er Dreizehner, Scholarch und schließlich insgesamt sechs Mal zum Am-

100 Die Beschäftigung mit der Geschichte vor allem in Bezug auf die eigene Stadt galt um 1700 als ideale Vorbereitung für eine Ratskarriere. Vgl. Schmidt-Funke, Der Sammler und die Seinigen, 80 f. 101 Vgl. Kap. 3a. 102 Zu Wencker vgl. Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes célèbres de l’Alsace, Bd. 1, 967 f.; Garber, Elegie auf die Straßburger Stadtbibliothek, 51 – 54; Greissler, La classe politique dirigeante à Strasbourg 1650 – 1750, 95 – 100; Eugène und Émile Haag, Wencker (Jean), in: La France protestante ou Vies des Protestants Français qui se sont fait un nom dans l’Histoire depuis les premiers temps de la Réformation jusqu’à la Reconnaissance du Principe de la Liberté des Cultes par l’assemblée nationale, Bd. 9, Paris: Cherbuliez 1859, 538 – 539. 103 Wiegand, Wencker, Jakob, in: Allgemeine Deutsche Biographie 41 (1896), 710 – 711 [OnlineVersion], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd117284262.html [18.7. 2023]. 104 Greissler, La classe politique dirigeante à Strasbourg 1650 – 1750. 105 Vgl. Jacob Wencker, Collectanea Iuris Publici Quibus Res Germanicae Per aliquot Secula illustrantur, deprompta Ex Actis et Documentis Publicis Archivi Argentoratensis Variarumque Bibliothecar. Manuscriptis, Straßburg: Dulssecker 1702. 106 Vgl. Jacob Wencker, Apparatus et instructus Archivorum ex usu nostri temporis, vulgo von Registratur und Renovatur, Straßburg: Dulssecker 1713 und ders. Collecta Archivi et Cancellariae jura, Straßburg: Dulssecker 1715. Im Manuskript verblieben sind: Jacob Wencker, De comitibus provincialibus, seu landgravis Alsatiae; ders., Argentoratensia historico politica, 3 Bde.; ders., Argentoratensia historico ecclesiastica, 3 Bde. Vgl. Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes célèbres de l’Alsace, Bd. 1, 967 f.; Friedrich, Die Geburt des Archivs, 94, 108, 132, 134 – 135.

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meister gewählt.¹⁰⁷ Während Wencker intellektuell also den Anschluss an Schilter suchte, war seine Karriere stets auf die Stadtpolitik ausgerichtet. Mit der französischen Rekatholisierungspolitik verschlechterten sich die Karriereaussichten für die Söhne der städtischen Elite in Straßburg allerdings zunehmend. Durch die Einführung einer sogenannten Alternative, das heißt der wechselseitigen Besetzung städtischer Ämter durch Protestanten und Katholiken, hatten sich die Stellenaussichten für Protestanten in der Straßburger Stadtverwaltung deutlich verschlechtert.¹⁰⁸ Immer wieder kam es daher vor, dass auch Studenten von Schilter wie der junge Philipp Jacob Rehm,¹⁰⁹ der wie Wencker einer einflussreichen Straßburger Bürgerfamilie entstammte, Schilters Rat suchten. So wandte sich Rehm im Oktober 1692 von Paris aus an seinen Professor, um nicht nur die nächsten Stationen seiner Bildungsreise, sondern auch den weiteren Verlauf seiner Karriere außerhalb von Straßburg zu planen.¹¹⁰ Nicht immer lassen sich die beiden Gruppen eindeutig voneinander unterscheiden. Es gab auch Abstufungen, die nicht auf die französische Rekatholisierungspolitik, sondern auf Differenzierungen innerhalb der Ratsfamilien zurückgingen. Das lässt sich am Beispiel von Schilters Straßburger Schüler Johann Philipp Schmid (ca. 1660–vor dem 21.12.1720) veranschaulichen.¹¹¹ Schmid entstammte als

107 Wiegand, Wencker, Jakob, in: Allgemeine Deutsche Biographie 41 (1896), 710 – 711 [OnlineVersion], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd117284262.html [18.7. 2023]. 108 Auch Wenckers späte Ernennung zum ersten Archivar war nicht zuletzt durch seine Konfession bedingt. Sitzmann, Dictionnaire de biographie des hommes célèbres de l’Alsace, Bd. 1, 967 f. 109 Rehm schrieb sich am 17. Oktober 1684 für ein philosophisches Studium in Straßburg ein. Gustav C. Knod (Bearb.), Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 – 1793, Bd. 1: Die allgemeinen Matrikeln und die Matrikeln der Philosophischen und Theologischen Facultät, Straßburg: Karl J. Trübner 1897, 376, Nr. 3275. Dieses scheint er von ca. von 1687– 1689 in Leipzig fortgesetzt zu haben, wie einige gedruckte Dissertationen nahelegen. Im Anschluss schrieb er sich am 25. Januar 1691 wieder in Straßburg an der juristischen Fakultät ein, wo er bei Schilter und Feltz studierte. Gustav C. Knod (Bearb.), Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 – 1793, Bd. 2: Die Matrikeln der Medicinischen und Juristischen Facultät, Straßburg: Karl J. Trübner 1897, 541, Nr. 591. 110 Rehm an Schilter, Paris 20. November 1692 (UB Gießen, Hs 142, fol. 47– 48). 111 Zu Schmid vgl. Malte-Ludolf Babin, „Vous m’avez déja plusieurs fois questionné sur le poinct des nouvelle“. Johann Philipp Schmids k. k. Nachrichtendienst für Leibniz im Jahre 1716, in: Michael Kempe (Hg.), 1716 – Leibniz’ letztes Lebensjahr. Unbekanntes zu einem bekannten Universalgelehrten, Hannover 2016, 177– 201; Margot Faak / Wenchao Li, Leibniz als Reichshofrat, Berlin: Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek 2016; Anonym, Rühmlichst geführter und selig geschlossener Lebens-Lauff/ Weiland des Hoch-Edel/ Vest/ From[m]/ Fürsichtig/ Hochweisen und Hochgelehrten Herrn Johann Philipp Schmiden/ des beständigen Regiments der Herren XV. in der Stadt Straßburg gewesenen hochansehnlichen Beysitzers: Welcher nach einem langwierigen Lager von hohem Alter gantz entkräfftet verwichenen Sonnabend/ den 21. April. 1696. vormittag um 9. Uhren in seinem Erlöser Jesu Christo selig entschlaffen, Straßburg: Spoor 1696.

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Sohn des Straßburger Ratsherrn gleichen Namens zwar der politischen Elite der Stadt und war dank des Vermögens seines Vaters finanziell weitestgehend unabhängig, seine Familie gehörte jedoch noch nicht zu den alteingesessenen Ratsdynastien, da sie nicht über Schmids Vater hinausreichte. Sein Studium begann Schmid offenbar in Straßburg, wo er sich am 6. April 1675 an der Philosophischen Fakultät der Universität einschrieb.¹¹² Bei Schilters Ankunft in Straßburg im Herbst 1686 dürfte er bereits weit in seinem juristischen Studium fortgeschritten gewesen sein. Offenbar besuchte er aber in den letzten Jahren seines Studiums Schilters Veranstaltungen, woraus sich ein enger Kontakt ergab.¹¹³ Seine anschließende Bildungsreise führte ihn auch nach Paris, wo Schmid zwar vornehmlich von seinem Vater finanziert wurde, aber offenbar ebenso darauf angewiesen war, bezahlte Arbeiten für Schilter, den Ammeister Franziskus Reisseissen (1631 – 1710) oder Obrecht auszuführen, wie eine Rechnungsaufstellung für die Jahre 1688 – 1692 nahelegt.¹¹⁴ In gewisser Weise war Schmid hinsichtlich der Aufgaben, die er für Schilter erledigte, modellhaft für dessen Studenten insgesamt. Als erster Schüler Schilters reiste er Ende 1688 in seinem Auftrag nach Paris, um dort, wie fast alle anderen Schüler nach ihm, nach Büchern und Manuskripten zu suchen. Anhand von Schmids Korrespondenz mit Schilter wird aber auch ein Ungleichgewicht in der Überlieferung deutlich. Bezeichnend ist nämlich, dass die Tätigkeiten der Schüler erst in den Quellen sichtbar werden, wenn sich diese außerhalb von Straßburg aufhielten und ihre Arbeiten somit durch Korrespondenz dokumentiert sind.¹¹⁵ Daraus resultiert zwangsläufig ein Ungleichgewicht in der Überlieferung. Zum einen sind einige langjährige Schüler Schilters wie etwa Feltz, der über viele Jahre intensiv mit Schilter zusammenarbeitete, unterrepräsentiert, da von ihm beispielsweise nur zwei Briefe an Schilter überliefert sind.¹¹⁶ Die Zusammenarbeit zwischen Feltz und Schilter lässt sich daher nur sporadisch nachweisen, etwa in den ersten Jahren nach dem Umzug nach Straßburg in ihren gemeinsamen Arbeiten zu dem spätklassischen Juristen Herennius Modestius.¹¹⁷ Zum anderen sind die Ar112 Knod (Bearb.), Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 – 1793, Bd. 1, 370, Nr. 3104. 113 Darauf weist hin, dass Baluze Schmid einen „auditor“ Schilters nennt. Baluze an Schilter, 4. Januar 1689 (UB Gießen, Hs 141, fol. 94). 114 UB Gießen, Hs 142, fol. 236. 115 Zu den grundsätzlichen Schwierigkeiten die Arbeit von Gehilfen in den Quellen zu fassen vgl. Blair, Erasmus and His Amanuenses, 38 – 47. 116 Feltz an Schilter, o.O. 6. Juli 1685 (UB Gießen, Hs 141, fol. 279 – 280) und Paris 24. Februar 1690 (Ebd., fol. 281). 117 Schilter an Spener, 21. März 1687, abgedruckt in: Gedicke, Heptas Epistolarum, 703 – 705. Von Feltz an Schilter sind allerdings nur zwei Briefe überliefert; zwischen Scherz und Schilter lässt sich keine Korrespondenz nachweisen. Vgl. Hermann Schüling, Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter

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beiten in Schilters direktem persönlichem Umfeld kaum nachweisbar. Nur in einem Fall lässt sich die Mitarbeit des anfangs genannten Johann Gregor Schott in Schilters „Werkstatt“ auf Grundlage eines Schriftvergleichs belegen, als er Schilter beim Abschreiben der Otfrid-Edition von Matthias Flacius Illyricus half, auf dessen Ausgabe Schilters Edition basierte.¹¹⁸ Wenn im Folgenden also der Schwerpunkt auf die Arbeiten der Schüler in Paris gelegt wird, wird damit zwar ein Spezifikum von Schilters Schülern betont, das jedoch in den Kontext der einseitigen Überlieferungssituation eingeordnet werden muss. Häufig waren die Studenten durch eine Patronagebeziehung mit ihrem Lehrer verbunden.¹¹⁹ Im Austausch gegen Manuskriptabschriften bezahlte Schilter den Unterhalt, organisierte Stipendien und versorgte sie bei Bedarf noch lange nach ihren Tätigkeiten für ihn mit Empfehlungsschreiben. Das gilt insbesondere für die anfangs skizzierte Gruppe, wie sich am Beispiel Schotts nachvollziehen lässt. Schott stammte aus dem hessischen Idstein und hatte seine akademische Ausbildung an der Universität Gießen begonnen, wo er sich am 2. Mai 1691 einschrieb.¹²⁰ Zwei Jahre später wechselte er dann zum juristischen Studium an die Universität

(1632 – 1705) in der Universitätsbibliothek Gießen (Cod. Giess. 140, 141 und 142). Nach Vorarbeiten von Ortwin Zillgen, Gießen: Universitätsbibliothek 1979, 15. 118 Schott schrieb das von Flacius seiner Edition vorangestellte „Urtheil eines Hochgelehrten Mans von dieser Sprach“ für Schilter ab. UB Gießen, Hs 1230, fol. 447r–448r. Da Schott sich erst im Oktober 1693 an der Universität Straßburg einschrieb, widerspricht seine Mitarbeit an der Edition Schilters Aussage, er habe diese am 24. Juni 1693 fertiggestellt. Vgl. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 14, Anm. 58. Entweder arbeitete Schilter also auch nach diesem Datum noch an der Edition weiter oder aber Schott schrieb sich erst im Verlauf seines Studiums ein, wie es durchaus üblich war. 119 Patronage wird in dem Zusammenhang verstanden als eine persönliche Beziehung zwischen zwei Personen, die durch Ungleichheit, gegenseitig verpflichtenden Austausch von Ressourcen und rechtliche Zwanglosigkeit geprägt ist. Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in SeventeenthCentury France, 4. Vgl. a. Gabriele Jancke, Patronagebeziehungen in autobiographischen Schriften des 16. Jahrhunderts – Individualisierungsweisen?, in: Kaspar von Greyerz (Hg.), Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungsweisen in interdisziplinärer Perspektive, München: Oldenbourg 2007, 13 – 32, v. a. 21 – 29; Birgit Emich [u. a.], Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung 32 (2005), 233 – 265; Saskia Stegeman, Patronage and services in the Republic of Letters. The network of Theodorus Janssonius van Almeloveen (1657– 1712), Amsterdam / Utrecht: APA-Holland University Press 2005; Bruce T. Moran, Patronage and Institutions. Courts, Universities, and Academies in Germany; an Overview: 1550 – 1750, in: Bruce T. Moran (Hg.), Patronage and institutions. Science, technology, and medicine at the European court 1500 – 1750, Woodbridge: Boydell 1991, 169 – 183. 120 Ernst Klewitz / Karl Ebel (Hg.), Die Matrikel der Universität Gießen 1608 – 1707, Gießen: Ricker 1898, 115.

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Straßburg, wo er weitestgehend bei Schilter studierte.¹²¹ Schotts Fall ist besonders interessant, da er zu Schilters wichtigsten Hilfskräften gehörte und seine umfangreichen Arbeiten für den Gelehrten, die er im Anschluss an seine Studien in Paris ausführte, dank der ausführlichen Korrespondenz gut dokumentiert sind. Die Aufgaben, welche Schilters Schüler für ihn ausführten, waren unabhängig von der sozialen Herkunft zunächst sehr ähnlich. Die sozialen Unterschiede zeigen sich aber beim Umfang und bei den Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit sowie vor allem den erwarteten Gegenleistungen. Schotts Aufenthalt in Paris war etwa von Anfang an mit einem konkreten und umfangreichen Auftrag Schilters verbunden: Für das Thesaurus-Projekt sollte er eine Handschrift von Notkers III. althochdeutscher Psalterübersetzung aus dem Besitz von Simon de la Loubère (1643 – 1729) transkribieren, die wiederum eine Abschrift von einem St. Gallener Codex darstellte.¹²² Auch nachdem er die Arbeit sowie die Abschrift einer neuhochdeutschen Benediktinerregel, die der Notker-Handschrift angehängt war, im Dezember 1697 fertigstellt hatte,¹²³ blieben die Recherche und Transkription mittelalterlicher Manuskripte in den Bibliotheken von Paris im Zentrum seiner Arbeit für Schilter. So machte er für ihn außerdem Manuskripte der Lex Salica¹²⁴ in der Königlichen Bibliothek, des Konkordats von Bologna¹²⁵ in der Bibliothek der Abtei St. Victoire und des althochdeutschen Isidor¹²⁶ in der Bibliotheca Colbertina ausfindig. Immer wieder suchte Schott auf Schilters Anfrage auch nach bestimmten Büchern in den Pariser Buchhandlungen. Im November 1697 fragte Schilter beispielsweise Plinius’ Historia Naturalis in der 1685 in Paris erschienen fünfbändigen Edition von Jean Hardouin (1646 – 1729)¹²⁷ sowie eine lateinisch-griechische Psalmenausgabe des englischen Altphilologen Thomas Gale (1635/1636?–1702)¹²⁸ an. Das 121 Schotts Matrikeleintrag datiert auf den 16. Oktober 1693. Knod (Bearb.), Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 – 1793, Bd. 2, 318, Nr. 3727. In einem Empfehlungsschreiben für Schott an Heinrich Günther von Thülemeyer von 1702 berichtet Schilter, Schott habe sein Studium in Straßburg unter seiner Leitung absolviert. Schilter an Thülemeyer, Straßburg o.D. (UBFFM, Ms. Ff. H. G. Thulemeyer, 1029 – 1032). 122 Ausführlich zur Transkription der Notker-Handschrift vgl. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 323 – 329 sowie das Kap. 3c. 123 Beides schickte er am 21. Dezember 1697 an Schilter. Schott an Schilter, Paris 21. Dezember 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 287– 288). 124 Schott an Schilter, Paris 18. Dezember 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 284 – 285). 125 Schott an Schilter, Paris 30. Mai 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 301). 126 Schott an Schilter, Paris 14. Juni 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 302 – 303). 127 Jean Hardouin, Caii Plinii Secundi Naturalis Historiae Libri XXXVII. Interpretatione et notis illustravit Joannes Harduinus Soc. Jesu, Jussu Regis Christianissimi Ludovici Magni, in usum serenissimi delphini, 5 Bde., Paris: Franciscus Muguet 1685. 128 [Thomas Gale], Psalterium. Juxta Exemplar Alexandrinum. Oxoniae: Theatrum Sheldonianum, 1678.

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erste Werk übersandte Schott für 35 Livres, das letztere konnte er„nicht anders als 3 [Livres] [bekommen], weilen es soweit allhier überbracht, und in gantz Paris bey buchführern nicht mehr als das einige Exemplar zu bekommen, in deme alle Buchhänd[ler] ausgefraget“. Vor dem Kauf wollte Schott daher erst auf Schilters Zustimmung warten: „wann nun I[hre] Excellenz dieselbe anständig, haben dieselbe Ihrem Diener [d. h. Schott] zu befehlen.“¹²⁹ Erst auf Schilters Zustimmung in einem Schreiben vom 6. Dezember erwarb Schott das Buch und schickte es nach Straßburg.¹³⁰ In der Korrespondenz zwischen Schott und Schilter wird an mehreren Stellen deutlich, dass der Schüler im Gegenzug für seine Tätigkeiten auf die finanzielle Unterstützung seines Lehrers angewiesen war. Immer wieder verband Schott seine Bitten um eine Förderung oder Finanzierung mit detaillierten Schilderungen der Schwierigkeiten, mit denen er vor Ort konfrontiert war.¹³¹ Schilter schickte daraufhin in unregelmäßigen Abständen Geld. In einem Schreiben vom 25. September 1697 kündigte er an, Schott 20 Reichstaler zukommen zu lassen,¹³² die zwei Wochen später über den Bankier Tourton ankamen.¹³³ An anderer Stelle ließ er Schott an der Erstattung der Kosten für eine Buchsendung teilhaben. Es handelte sich um eine Summe von 10 Reichstalern, die der dänische Gelehrte Frederik Rostgaard (1671 – 1745), welcher sich ebenfalls in Paris aufhielt, Schott im Gegenzug für eine von Schilter erhaltene Sendung gezahlt hatte.¹³⁴ Darüber hinaus setzte sich Schilter mit Empfehlungsschreiben für Schott ein. Auf Bitten des Schülers verwandte er sich etwa beim Königlichen Prätor Ulrich Obrecht und dem städtischen Syndicus Jean Baptiste Klinglin (1657– 1725) für eine Stipendienempfehlung,¹³⁵ die aber erfolglos verlief.¹³⁶ Auf die Anfrage des dänischen Gesandten in Regensburg Detlef Nicolas

129 Schott an Schilter, Paris 27. November 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 280 – 281). 130 Schott an Schilter, Paris 18. Dezember 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 284 – 285). Der verhältnismäßig geringe Preis, zu dem Schott hier Schilters Zustimmung einholte, muss im Verhältnis zu den dahinterstehenden Werken betrachtet werden. Während es sich beim ersten um ein fünfbändiges Werk zu je etwa 1.000 Seiten handelt, ist der Titel von Thomas Gale nur knapp 500 Seiten stark. 131 Vgl. Kap. 5b. 132 Schott an Schilter, Paris 5. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 274 – 275). 133 Schott an Schilter, Paris 22. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 276 – 277). 134 Im Schreiben vom 27. November 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 280 – 281) kündigte Schott an, die Zahlung von Rostgaard erhalten zu haben. Am 22. Januar 1698 (Ebd., fol. 289 – 290) bedankte er sich bei Schilter dafür, ihm einen Teil der Summe überlassen zu haben. 135 Vermutlich handelte es sich um das Ottonianische Stipendium, ein vom Straßburger Advokaten Marcus Otto bei seinem Tod gestiftetes Stipendium zur Finanzierung Straßburger Studenten. Vgl. Johann Heinrich Zedler, Otto (Marcus), in: Großes vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 25, Leipzig / Halle: Zedler 1740, Sp. 2439. 136 Schott an Schilter, Paris 18. September 1699 (UB Gießen, Hs 142, fol. 315 – 316).

b Schüler, Mitarbeiter und Familie. Zur Werkstatt eines Mittelalterforschers

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von Lewencron nach einem geeigneten Kandidaten für eine Stelle als Informator eines dänischen Prinzen schlug Schilter daraufhin Schott vor. Als das Empfehlungsschreiben offenbar mit deutlicher Verzögerung ankam, war die Stelle allerdings bereits besetzt.¹³⁷ Zu Beginn des Jahres 1702 verfasste Schilter ihm erneut ein Empfehlungsschreiben, mit dem Schott dieses Mal mit mehr Erfolg am 25. Februar bei dem Juristen und Reichstagsgesandten Heinrich Günther von Thülemeyer (1654 – 1714) in Frankfurt am Main vorstellig wurde. In seinem Schreiben lobte Schilter die Fähigkeiten Schotts und empfahl ihn in dessen Obhut. Thülemeyer entsprach Schilters Bitte und antwortete am 7. März 1702: wen ich darzu [zu Schotts Beförderung] behülflich seyn kan, werde ich en regard Ew. hochEdelgeb. hochgültigen recommendation die mir nichts erwiedern lassen. es sind aber dergleichen leute der Zeit viel, welche employement suchen, und desweg[en] muß H[err] Schott gedult haben bis sich eine condition für Ihn ereignet. Ich habe Ihn heute nach Wien einen Abgesanten zum Secretarien bester maßen recommendiret, den erfolg wird die Zeit bescheren.¹³⁸

Damit verlieren sich Schotts Spuren. Ob ihm Schilters Fürsprache den gewünschten Nutzen brachte, ist ungewiss. Die Patronagebeziehung zwischen Lehrer und Schüler konnte sich in anderen Fällen zwar durchaus im Sinne einer Gelehrtenkorrespondenz weiterentwickeln, in der Regel war das Verhältnis aber weiterhin von einer gewissen Hierarchie geprägt, die weit über die Studienzeit hinaus andauern konnte.¹³⁹ In Schubarts Fall setzte mit Schilters Umzug nach Straßburg zwischen beiden etwa ein regelmäßiger lateinischer Briefwechsel über gelehrte Themen und nova literaria ein. Trotz seines etablierten universitären Status als Professor der Universität Jena verrichtete Schubart aber auch weiterhin Arbeiten für seinen Lehrer, die im Umfang deutlich über das gewöhnliche Maß im Rahmen eines Gelehrtenaustauschs hinausging. Dazu gehörte beispielsweise in Zusammenarbeit mit Schilters Sohn Johann Gottfried die Aufsicht über den Druck der Neuauflage von Schilters Exercitationes ad L libros Pandectarum (Jena 1672 – 1684). Bezeichnend ist dabei allerdings, dass er eine angebotene Entlohnung dieser Dienste mit dem Hinweis auf die „alten genossenen

137 Detlef Nicolas von Lewencron an Schilter, Regensburg 21./31. März 1699 (UB Gießen, Hs 140, fol. 171); Lewencron an Schilter, Regensburg 2. Juni 1701 (UB Gießen, Hs 140, fol. 170). 138 Thülemeyer an Schilter, Frankfurt a.M. 7. März 1702 (UB Gießen, Hs 142, fol. 453 – 454). Zu Schilters Empfehlungsschreiben s. Schilter an Thülemeyer, Straßburg o.D. (UBFFM, Ms. Ff. H. G. Thulemeyer, 1029-1032). 139 Vgl. insbesondere den Fall Jacob von Melles bei Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler; Bulinsky, Nahbeziehungen eines europäischen Gelehrten, 102 f.

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3 Akteure. Eine Topografie von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher

Wohltaten“ zurückwies, welche er durch Schilter erfahren habe.¹⁴⁰ Damit ordnete er seine Tätigkeiten ausdrücklich in den Rahmen einer Gelehrtenbeziehung und dem Prinzip des „do ut des“ und nicht in Hinblick auf eine Schüler-Lehrer Beziehung ein. Im Gegensatz zur ersten Gruppe von Schilters Schülern griffen die Patriziersöhne rhetorisch zwar die Hierarchie einer Patron-Klient-Beziehung auf, jedoch waren sie zum einen nicht im gleichen Maße auf Schilters Unterstützung besonders im finanziellen Sinne angewiesen. Zum anderen war ihre Förderung für den Straßburger Gelehrten wiederum eingebunden in den Aufbau und den Unterhalt von Patronagebeziehungen zu ihren Vätern.¹⁴¹ Die von Wencker und Rehm durchgeführten Aufgaben, die diese nach Abschluss des Studiums in Paris als erste Station ihrer peregrinatio academica verrichteten, lassen sich von ihrem Umfang daher eher als Gefälligkeiten bezeichnen. Hier besorgten sie für Schilter Bücher, führten kleinere Recherchen durch und hielten zudem den Kontakt zu den lokalen Gelehrten aufrecht. Der Unterschied zur erstgenannten Gruppe zeigt sich vor allem an Details. So besorgten Wencker und Rehm, die sich 1692 zur gleichen Zeit in Paris aufhielten, im Auftrag Schilters zwar einige Bücher, die Rehm in einer Kiste zusammen mit Seidenhosen für seine Schwester nach Straßburg schickte. Gleichzeitig drückte Rehm seine gehobene soziale Stellung dadurch aus, dass er Schilter die gewünschten Bücher im Gegenzug für dessen Förderung im Studium schenkte.¹⁴² Von Schilter wurden die Patriziersöhne in der Regel mit einem Empfehlungsschreiben versehen, welches ihre Einführung in die Gesellschaft der Pariser Gelehrten initiierte und den Zugang zu Bibliotheken und Sammlungen ermöglichte. Teilweise waren sie so in Schilters Korrespondenzen eingebunden. Im Juli 1692 fragte Wencker etwa in Schilters Auftrag bei Jean Mabillon nach, ob der Brief des Straßburger Gelehrten vom 7. März angekommen sei,¹⁴³ in dem dieser die Meinung des Benediktiners zu seiner geplanten Edition des Ludwigsliedes erbeten hatte. Schilters Folgeschreiben vom 18. April, mit welchem er dem Benediktiner seinen Schüler empfahl, übergab Wencker bei der Gelegenheit persönlich.¹⁴⁴ Mabillon

140 Johann Gottfried Schilter an Johann Schilter, Jena 9. März 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 137– 138, hier: fol. 137v). 141 Vgl. Kap. 3a. 142 Rehm an Schilter, Paris 20. November 1692 (UB Gießen, Hs 142, fol. 47– 48). 143 Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 53r–54v), fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum. 144 Schilter an Mabillon, o.O. XIV. Cal. Maii [18. April] 1692, abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

c Kooperation und Konkurrenz in der Gelehrtenrepublik der Mittelalterforscher

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bestätigte Wencker daraufhin den Empfang und versprach bald zu antworten.¹⁴⁵ Für Schilter hatte diese zweite Gruppe von Schülern somit gleich eine doppelte Funktion, indem sie nicht nur Kontakte in die gehobene Straßburger Bürgerschaft ermöglichten, sondern auch eine wichtige Verbindung zu den Gelehrten und den Bibliotheken in Paris bildeten. Für die quellengestützte Mittelalterforschung, wie Schilter sie betrieb, waren seine Studenten daher von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Sie waren die entscheidenden Akteure, die Schilter sein dringend benötigtes Material beschafften, seine Recherchen vorantrieben und Quellen abschrieben. Ohne ihre Arbeit, die sie häufig weit über ihr Studienende hinaus ausübten, und ihre Funktion als Bindeglied zwischen Straßburg und Paris, den dortigen Sammlungen, Buchhändlern und Gelehrten wären Schilters ambitionierte Editionsprojekte kaum umsetzbar gewesen. Es wurde aber auch deutlich, dass sich ein differenzierter Blick auf die Gruppe der Amanuenses lohnt. Je nach sozialer Herkunft der Studenten waren ihre Karriereverläufe in unterschiedlichem Maße von Schilter anhängig, was sich vor allem auf den Umfang und die Rahmenbedingungen der ausgeführten Arbeiten auswirkte. Wenngleich diejenigen Studenten, die selbst eine akademische, juristische oder Verwaltungskarriere anstrebten, in der Regel mehr Arbeiten für Schilter verrichteten, waren die Studenten aus der Straßburger Bürgerschaft für den Gelehrten gleichermaßen relevant. Mit ihnen aktivierte Schilter ein in der Forschung bislang kaum beachtetes soziales Kapital. An ihrem Beispiel lässt sich verdeutlichten, welche Bedeutung die Schüler eines Gelehrten über ihre Funktion als Zuarbeiter hinaus etwa für den Aufbau und Unterhalt von Kontakten haben konnten.

c Kooperation und Konkurrenz in der Gelehrtenrepublik der Mittelalterforscher Als der junge Gelehrte Johann Philipp Palthen (1672 – 1710) sich im Rahmen seiner Studienreise einige Monate in Paris aufhielt, berichtete er Schilter von seinen Beobachtungen zur Verbindung zwischen französischer und deutscher Geschichte: Ego menses hic quosdam exigere et usibus plane meis impendere decrevi, potissimam quidem operam in pernoscenda veteris Galliae historia positurus. Quae tam arcte cum Germanica nostra subinde connectitur, ut difficulter altera alterius ope et conspiratione carere posse videatur.¹⁴⁶

145 Wencker an Schilter, Paris 21. Juli 1692 (UB Gießen, Hs 142, fol. 490 – 491). 146 ‚Ich habe beschlossen, einige Monate hier zu verbringen und zu meinem Nutzen völlig darauf zu verwenden, nämlich die vorzüglichste Mühe anzustellen, die Geschichte des alten Galliens

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Diese enge Verknüpfung zwischen französischer und deutscher Geschichte bezog Palthen vor allem auf sprachgeschichtliche Aspekte.¹⁴⁷ Die Feststellung Palthens lässt sich aber auch auf die personelle Ebene übertragen. Denn mit Schilters wachsendem Interesse an der Geschichte und den Quellen des Mittelalters sowie seinen ausgreifenden Editionsplänen erweiterte sich auch sein soziales Netzwerk insbesondere in Richtung Paris um interkonfessionelle Korrespondenzen etwa mit Jean Mabillon. Das hatte nicht nur praktische Gründe, die sich aus der neuen geographischen Nähe durch den Umzug von Jena über Frankfurt am Main nach Straßburg ergaben. Vielmehr verfolgte Schilter einen strategischen Aufbau seiner Kontakte in enger Verbindung zu seinen editorischen Vorhaben, wie sich auch inhaltlich in den Korrespondenzen erkennen lässt. Der Gelehrte profitierte hierbei von Straßburg als produktivem Wissenschaftszentrum, das in gewisser Weise als eine Schnittstelle zwischen Heiligem Römischen Reich und Frankreich fungierte.¹⁴⁸ Schilters Mittelalterforschung war somit eingebettet in eine quasi proto-transnationale „scientific community“, die sehr von einem wechselseitigen Austausch profitierte. Nicht immer war Schilters Vorgehen von Erfolg gekrönt. Korrespondenzen zwischen Gelehrten, die sich der Erforschung eines gemeinsamen Gegenstandes wie der Historiografie des Mittelalters widmeten, konnten häufig hinter der Fassade gelehrter Freundschaft in Konkurrenz umschlagen.¹⁴⁹ Die Gründe für die Entstehung von Konkurrenzsituationen waren vielfältig. Waren um 1600 konfessionelle Differenzen ein prägender Faktor bei der gelehrten Beschäftigung mit dem Mittelalter, lässt sich das ein Jahrhundert später – zumindest auf der Ebene der

gründlich kennenzulernen. Diese ist immer wieder so eng mit unserer deutschen [Geschichte] verbunden, sodass es schwierig erscheint, dass die eine frei von der Zuhilfenahme und der Übereinstimmung der anderen sein kann.‘ (Übers. d. Verf.) Johann Philipp Palthen an Schilter, Paris 13./ 23. April 1698 (UB Gießen, Hs 47, fol. 119r–120v). 147 Schilter führte die von Palthen beobachteten Verbindungen zwischen deutscher und französischer Sprache auf die gemeinsame Herkunft aus dem Keltischen zurück.Vgl. die handschriftlichen Anmerkungen Schilters auf Johann Philipp Palthen an Schilter, 13./23. April 1698 (UB Gießen, Hs 47, fol. 119r–120v). 148 Vgl. Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert. 149 Zum Verhältnis von gelehrter Freundschaft und Konkurrenz vgl. Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft und die Sektion 11 „Gelehrte Konkurrenzen“ in: Franziska Neumann [u. a.], Konkurrenzen in der Frühen Neuzeit. Aufeinandertreffen – Übereinstimmung – Rivalität, Köln / Wien: Böhlau 2023 (Frühneuzeit-Impulse 5), 521 – 576. Zur negativen Kehrseite der Gelehrtenrepublik vgl. Anne Goldgar, Impolite learning. Conduct and Community in the Republic of Letters, 1680 – 1750, New Haven, Conn. / London: Yale University Press 1995; Martin Mulsow (Hg.), Die unanständige Gelehrtenrepublik, Stuttgart: Metzler 2007.

c Kooperation und Konkurrenz in der Gelehrtenrepublik der Mittelalterforscher

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Reichsgeschichte – weniger stark beobachten.¹⁵⁰ Konkurrenzsituationen konnten aber ebenso abseits der Konfessionen etwa durch die Gesetze des Buchmarktes entstehen. Für die bedeutendsten Texte des Mittelalters entwickelte sich hier um 1700 eine ähnliche Dynamik wie in der Anfangszeit des Buchdrucks, als Humanisten miteinander um die frühere Veröffentlichung, die Editio princeps, konkurrierten.¹⁵¹ Gemeinsame Interessen konnten so zur Konkurrenz um knappe Quellen führen.¹⁵² Wenn im Folgenden Schilters Netzwerk rekonstruiert wird, soll dessen zeitliche Veränderbarkeit somit gleich in doppelter Hinsicht Beachtung finden: Zunächst soll Schilters strategisches Vorgehen beim Aufbau und der Erweiterung von Korrespondenzen verdeutlicht werden. Daran anschließend soll auf die qualitative Entwicklung sozialer Beziehungen eingegangen werden, indem dargestellt wird, wie aus gemeinsamen Forschungsinteressen Konkurrenzsituationen entstehen konnten. Als Schilter 1672 Hofrat in Jena wurde, beschränkte sich sein soziales Netzwerk vornehmlich auf Kontakte aus den protestantischen Territorien des Heiligen Römischen Reiches. Neben früheren Freunden und Bekannten aus seiner Studienzeit in Leipzig und Jena gehörte zu seinen Korrespondenten auch ein ausgeprägtes familiäres Netzwerk mit Schwerpunkt in Leipzig.¹⁵³ Bereits in Jena prägte sein historiographisches Interesse am Mittelalter, das sich anfangs vor allem auf die deutschen Rechtstraditionen richtete, zunehmend auch seine Kontakte und Korrespondenzen. Dabei spielte zunächst sein Plan, einen Pandektenkommentar zu verfassen, eine Rolle.¹⁵⁴ Das Werk zeichnete sich insbesondere durch die Berücksichtigung rechtshistorischer Entwicklungen und die Anpassung an die Bedürfnisse zeitgenössischer Gerichtspraxis aus.¹⁵⁵ Seine thematische Ausrichtung geht zum einen auf das historisch-philologische Studium bei seinem akademischen Lehrer

150 Zum politischen Antiquarianismus um 1600 und dem Entstehen gegensätzlicher Netzwerke, in denen konfessionelle Differenzen unter anderem bezüglich der Macht des Papstes ausgetragen wurden, vgl. Martin Mulsow, Netzwerke gegen Netzwerke. Polemik und Wissensproduktion im politischen Antiquarianismus um 1600, in: Martin Mulsow (Hg.), Die unanständige Gelehrtenrepublik, Stuttgart: Metzler 2007, 143 – 190. 151 Vgl. Klara Vanek, „Ars corrigendi“ in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte der Textkritik, Berlin / New York: De Gruyter 2012, 40 – 43. 152 Vgl. Joëlle Weiss, Das Ringen um die Quellen. Klerikale Streitfälle als Konkurrenzereignisse in der Gelehrtenrepublik, in: Franziska Neumann [u. a.], Konkurrenzen in der Frühen Neuzeit. Aufeinandertreffen – Übereinstimmung – Rivalität, Köln / Wien: Böhlau 2023 (Frühneuzeit-Impulse 5), 533 – 544. 153 Vgl. Kap. 2. 154 Schilter, Exercitationes ad L libros Pandectarum. 155 Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abtheilung, Erster Halbband, Text, 56 – 57.

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und Onkel Johann Strauch zurück.¹⁵⁶ Zum anderen lässt sich der Einfluss der Rezeption von Hermann Conrings De origine Iuris Germanici (Helmstedt 1643) ausmachen. Auch lieferte ein Geschenk von Zacharias Prüschenk von Lindenhofen 1675 hierfür einen wichtigen Anstoß.¹⁵⁷ Lindenhofen, der im gleichen Jahr als Präsident der Regierung Sachsen-Jenas berufen worden war, hatte nicht nur als Jurist an den Ernestinischen Höfen Karriere gemacht, sondern war als Schwiegersohn des Hofrats und Historikers Friedrich Hortleder (1579 – 1640) auch in Besitz von dessen umfangreicher Bibliothek gekommen. Aus ihrem Bestand vermachte er Schilter einen wertvollen mittelalterlichen Codex, der neben der Golden Bulle und dem Schwabenspiegel unter anderem das Oberbayerische Lehnsrecht und das Münchner Stadtrecht enthielt.¹⁵⁸ Von seiner umfassenden Beschäftigung mit dem Manuskript bei der Vorbereitung der Edition des Schwabenspiegels zeugen zahlreiche Marginalia.¹⁵⁹ Prüschenks Geschenk legt nahe, dass sich beide zuvor über rechtshistorische Themen austauschten. Einen tiefergehenden fachlichen Austausch pflegte Schilter darüber hinaus mit dem Jenaer Geschichtsprofessor (ab 1674) Caspar Sagittarius (1643 – 1694). Ihre Korrespondenz ist zwar nur sporadisch überliefert, doch es gibt eindeutige Belege, die neben ihrer freundschaftlichen Beziehung auch ihre fachliche Wertschätzung ausdrücken.¹⁶⁰ Sagittarius stand mehr noch als sein Vorgänger Johann Andreas Bose für die Einführung einer neuen methodisch anspruchsvollen und quellengestützten Lokalgeschichte an der Universität Jena, die sich insbesondere durch die Einbeziehung dinglicher Quellen auszeichnete.¹⁶¹ Als er 1675 seinen Plan zu einer fünfbändigen Geschichte Thüringens skizzierte, widmete er Schilter den entsprechenden Traktat Epistola de Antiquo Statu Thuringiae (Jena 1675)¹⁶² als

156 Vgl. Kap. 2. 157 Die zeitliche Einordnung ergibt sich zum einen aus Prüschenks Berufung nach Jena und zum anderen aus einem Brief Hermann Conrings an Schilter, in welchem der Codex thematisiert wird. Vgl. Hermann Conring an Schilter, Helmstedt 7. Juli 1675, abgedruckt in: Johann Wilhelm Göbel (Hg), Viri quondam Illustris Hermanni Conringii […] Operum, 7 Bde., Bd. 6, Braunschweig: Meyer 1730, 504. 158 Der Codex ist als Hs 996 in der UB Gießen überliefert. Vgl. die Beschreibung der Handschrift durch Ulrich Seelbach im Katalog der deutschsprachigen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Gießen, URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2007/4988/ [18.7. 2023]. 159 UB Gießen, Hs 996, fol. 23r–109v. Vgl. Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis. 160 Vgl. Sagittarius an Schilter, o.O. 26. Juli 1680 (UB Gießen, Hs 142, fol. 78r–79v) und Jena 7. Februar 1686 (Ebd, Hs 919, fol. 663r–664v). 161 Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler, 144 f. 162 Caspar Sagittarius, De Antiqvo Statv Thvringiae Sub Indigenis, Francorum, Germaniaeque Regibus Ut Et Ducibus, Comitibus, Marchionibus, Vsque ad ortum Landgraviorvm: Ad Virum Magnificum & Consultissimum Dominum Johannem Schilterum Consiliarium Aulicum Saxo-Jenensem, Jena: Bielcke 1675.

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fiktiven Brief und verwies darauf, dass er sich bei der Einteilung des Werks einem Vorschlag Schilters entsprechend nach den Verfassungsverhältnissen richten wolle.¹⁶³ Wiederholt wandte sich Sagittarius auch in Zensurfragen an Schilter, der als Sachsen-Jenaer Hofrat auch einen Sitz im Konsistorium inne hatte. In dieser Funktion wollte ihm der Geschichtsprofessor etwa seine Antiquitates Gentilismi Et Christianismi Thuringici (Jena 1685) „zur censur übergeben, vornehmlich weil es was das seculum 6. 7. und 8. betrifft, mit seinem Werck De libertate Ecclesiae Germanicae (Jena 1683) übereinkommen dürfte.“¹⁶⁴ Ähnlich lief es anlässlich der Zensur seiner Geschichte der Grafschaft Gleichen, die zunächst sowohl Schilter als auch dem Eisenacher Hofrat und Jenaer Rechtsprofessor Nikolaus Christoph Lyncker (1643 – 1726) übertragen wurde. Von einer Durchsicht des ersten Teils des Werks durch Schilter zeugen einige auf das Jahr 1685 datierte Notizen.¹⁶⁵ Der Abschluss der Arbeit scheiterte wohl auch an Schilters Wegzug aus Jena Anfang 1685. Noch im Februar 1686 schrieb Sagittarius an Schilter in der Angelegenheit, dass er bedauere, sich nicht auf Schilters Beobachtungen zum Werk stützen zu können. Seine Wertschätzung von Schilters Expertise ging offenbar so weit, dass er sogar anbot, das Manuskript des Werks von Lyncker zurückzufordern, um es Schilter nach Frankfurt zu schicken.¹⁶⁶ Der Austausch funktionierte aber auch andersherum. Als Sagittarius bei seinen Recherchen auf eine Inschrift stieß, die in die Außenwand der Kirche St. Bonifatius in Heilsberg in der Nähe von Rudolstadt eingelassen war, zeichnete er sie sorgfältig ab, um sie Schilter zu schicken.¹⁶⁷ Dieser druckte sie daraufhin in seiner Edition des althochdeutschen Ludwigsliedes ab.¹⁶⁸ In mehreren Fällen lässt sich nachvollziehen, wie Schilter bereits in Jena über seine Beschäftigung mit dem Mittelalter neue Beziehungen zu einschlägigen Gelehrten knüpfte. So hatte er etwa Hermann Conring über den Juristen Petrus Homfeldt (1650 – 1690) ein Exemplar des ersten Teils seines Pandektenkommentars

163 Lotte Hiller, Die Geschichtswissenschaft an der Universität Jena in der Zeit der Polyhistorie: (1674 – 1763), Jena: Fischer 1937, 40 – 42. 164 Caspar Sagittarius an Hans Dietrich von Schönberg, o.O. [nach 1683] (LATh – StA Altenburg, Sammlung Schönberg, Nr. 12, fol. 148r–151v. Bei dem als „materiam de originibus ac incrementis Christianismi wie auch Papistui in Thuringia“ bezeichneten Werk handelt es sich um: Caspar Sagittarius, Antiquitates Gentilismi Et Christianismi Thuringici. Das ist Gründlicher und ausführlicher Bericht von dem Heiden- und Christenthum der alten Thüringer […], Jena: Birckner 1685. Für den Hinweis danke ich Jacob Schilling. 165 UB Gießen, Hs 919, fol. 665r–668v. 166 Caspar Sagittarius an Schilter, Jena 17. Februar 1686 (UB Gießen, Hs 919, fol. 663r–664v). 167 Schilter an Wilhelm Ernst Tentzel, Kal. Junii [1. Juni] 1698 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 452r–453v). 168 Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

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zukommen lassen.¹⁶⁹ Auf diese Weise leitete er einen direkten Briefwechsel mit dem berühmten, zu dem Zeitpunkt bereits 69-jährigen Juristen der Universität Helmstedt ein. Conring reagierte sehr erfreut und lobte insbesondere die Berücksichtigung seiner eigenen Arbeiten in Schilters Werk.¹⁷⁰ Schilter erhoffte sich von der Koryphäe Conring offenbar unter anderem Informationen zu den Handschriften, welche in dem bereits genannten Codex Prüschenks enthalten waren. Besonders der Schwabenspiegel und die Goldene Bulle scheinen sein Interesse geweckt zu haben. Conring antwortete ihm bereitwillig, gab seine Kenntnisse von verschiedenen Editionen weiter und stellte Mutmaßungen über den Verfasser des Codex an.¹⁷¹ In der Folge entspann sich ein kurzer, aber intensiver Briefwechsel, der schnell einen vertrauten freundschaftlichen Ton annahm.¹⁷² Inwiefern Schilter bereits zu diesem Zeitpunkt über eine Edition des Schwabenspiegels nachdachte, lässt sich nicht nachvollziehen. Es ist allerdings naheliegend, dass seine späteren Arbeiten hier ihren Anfang nahmen. Auf die gleiche Weise begann Schilter auch seine Korrespondenz mit dem Gothaer Konsistorialpräsidenten und späteren Kanzler am Coburger Hof (ab 1680) Johann Jacob Avianus. Der Briefwechsel war anfangs zwar stärker vom Austausch über Verwaltungsangelegenheiten oder personelle Veränderungen an den Ernestinischen Höfen geprägt, bezog aber immer wieder auch Schilters Mittelalterforschung mit ein.¹⁷³ Avianus verfolgte mit großem Interesse Schilters Fortschritte bei seinem Pandektenkommentar und bot immer wieder seine Mithilfe an.¹⁷⁴ Mit ihm besprach Schilter auch seine frühen Pläne für eine Edition des Lehnsrechts des Sachsenspiegels, die er erst Jahre später vollendete und seiner Edition des Schwabenspiegels anhängte.¹⁷⁵ Avianus zeigte sich hiervon sehr angetan: „Die vorzielende Edition des Sachsen-Rechts halte ich für sehr löblich;

169 Excerptum ex litteris Hermanni Conringii ad D. Petrum Homfeldt, Helmstedt 26. September 1674, abgedruckt in: Schilter, Praxis Iuris Romani in Foro Germanico. 170 Conring bezog sich insbesondere auf sein Werk De origine Iuris Germanici (Helmstedt: Mullerus 1643). Vgl. Hermann Conring an Schilter, Helmstedt 22. April 1675, abgedruckt in: Schilter, Praxis Iuris Romanis in Foro Germanico. 171 Conring an Schilter, Helmstedt 7. Juli 1675, abgedruckt in: Göbel (Hg.), Conringii […] Operum, 504. Zu Conrings Mutmaßungen s. Conring an Schilter, Helmstedt 6. Dezember 1675, abgedruckt in: Ebd. 172 Conring schreibt Schilter als „mi amice“ an. Conring an Schilter, Helmstedt 7. Januar 1676, abgedruckt in: Göbel (Hg.), Conringii […] Operum, 504 – 505. 173 Umfassender zur Korrespondenz zwischen Avianus und Schilter vgl. Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“. 174 Avianus an Schilter, Coburg 4. Juni 1681 (UB Gießen, Hs 141, fol. 74r–75v). 175 Johann Schilter, Jus Feudale Saxonicum ab Epkowe de Repkaw, Equite Saxon. Sub Impp. Saxonicis compilatum, Ex vetusto codice MS. Bibliothecae Paulinae Lipsiensi descriptum. Edidit Joh. Schilter 1695, in: ders., Codex Iuris Alemannici Feudalis.

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sintemal dadurch die darinnen befindlichen Fehler[?] geändert werden können.“¹⁷⁶ Seine hohe Meinung von Schilters Werken äußerte der Coburger Kanzler offenbar auch in anderen Korrespondenzen, wodurch er nicht nur zur Weiterverbreitung von Schilters Ruf beitrug, sondern gleichzeitig auch dessen weitere Vernetzung förderte. So berichtete er Schilter von seinem Austausch mit einigen Kammergerichtsassessoren im August 1683: „Die Herren Camerales, mit denen ich 6 Wochen lang conversiret, machen großen estime sonderlich von diesem opere und halten davor, daß durch deßen vollige edirung großer nutzen werde geschaffen werden. […] Cammergerichts Assess[or] und Reichs-justiz Rath Herr Eyben hat sich es vor allen merklich gefallen lassen.“¹⁷⁷ Nur wenige Jahre später nahm Schilter mit dem erwähnten Huldreich von Eyben selbst einen Briefwechsel auf. Der vorwiegend regionale Zuschnitt von Schilters Netzwerk in seiner Jenaer Zeit zeigt sich insbesondere in Momenten, in denen Schilter versuchte, weiter entfernte Sammlungen zu erreichen. Im Rahmen seiner Recherche zur Edition des Sachsenspiegels war er bei der Lektüre eines Werks des kaiserlichen Hofbibliothekars Petrus Lambeck (1628 – 1680) auf ein Exemplar in der kaiserlichen Hofbibliothek gestoßen.¹⁷⁸ Mangels eines direkten Kontakts zu Lambeck nutzte Schilter die Gelegenheit, als der Jenaer Hofmarschall Bernhard Pflugk (1637– 1716) als Gesandter der Ernestinischen Fürsten zu Bündnisverhandlungen mit Kaiser Leopold I. nach Wien geschickt wurde.¹⁷⁹ Zuvor hatte bereits Veit Ludwig von Seckendorff (1626 – 1692), den Schilter aus der gemeinsamen Zeit am Hof von Sachsen-Zeitz kannte, angeboten, eine direkte Korrespondenz mit der Übersendung von Schilters neuestem Werk vorzubereiten.¹⁸⁰ Pflugk übergab nun vor Ort in Wien ein Schreiben Schilters an Lambeck und leitete damit den Kontakt zwischen beiden ein.¹⁸¹ In der Folge erklärte sich Lambeck sogar dazu bereit, dem Hofmarschall das gewünschte Manuskript für sechs Monate zur Ausleihe für Schilter auszuhändigen.¹⁸² Von der pünktlichen Rückgabe zeugt ein Brief Lambecks, mit dem er den Empfang des Manuskripts bestätigte und den Leihvertrag zurückschickte.¹⁸³ Zwar konnte Schil-

176 Avianus an Schilter, Coburg 2. Mai 1683 (UB Gießen, Hs 141, fol. 40 – 41). 177 Avianus an Schilter, Coburg 8. August 1683 (UB Gießen, Hs 141, fol. 43 – 44). 178 Schilter an Petrus Lambeck (Entwurf ), o.D. [vor dem 19. Dezember 1675] (UB Gießen, Hs 140, fol. 148r). 179 Vgl. Patze / Schlesinger, Geschichte Thüringens, 356 f. 180 Es handelte sich dabei vermutlich um den 1675 erschienenen zweiten Band von Schilters Pandektenkommentar. Seckendorff an Schilter, Zeitz 28. September 1675, abgedruckt in: Schilter, Praxis Iuris Romani in Foro Germanico. 181 Schilters erstes Schreiben datierte auf den 9. Dezember 1676. Petrus Lambeck an Schilter, 20. Februar 1676 (UB Gießen, Hs 140, fol. 146). 182 Lambeck an Schilter, Wien 20. November 1677 (UB Gießen, Hs 140, fol. 149). 183 Lambeck an Schilter, Wien 16. Juni 1678 (UB Gießen, Hs 140, fol. 150).

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ter also auf sein soziales Kapital durch seine Stellung am Jenaer Hof zurückgreifen, jedoch war die auf diesem Weg geknüpfte Beziehung nicht von Dauer. Mit dem Aufenthalt Pflugks endete auch der kurze Austausch zwischen Schilter und Lambeck. Mit dem Tod des letzteren 1680 dauerte es etwa 20 Jahre, bis Schilter über seinen ehemaligen Straßburger Schüler Johann Philipp Schmid wieder Zugang zu den Beständen der kaiserlichen Hofbibliothek erlangen konnte. Mit Schilters Wegzug aus Jena 1685/1686 über Frankfurt am Main nach Straßburg vergrößerte sich sein soziales Netzwerk nicht nur zahlenmäßig, sondern es erweiterte sich auch räumlich. Zugleich wurden Themen, die seine Mittelalterforschung betrafen, in den Briefwechseln immer präsenter. Der Austausch über mediävistische Themen ging von Frankfurt am Main aus zunächst oft Hand in Hand mit Schilters Bemühungen um eine Finanzierung, da er seine Niederlassung als Privatgelehrter in der Stadt von Beginn an offenbar nur als Zwischenlösung plante.¹⁸⁴ So knüpfte Schilter etwa Beziehungen zu den Assessoren am Reichskammergericht Erich Mauritius (1631 – 1693) und dem bereits erwähnten Huldreich von Eyben, womit er möglicherweise Hoffnungen auf eine Anstellung am Reichskammergericht verband. Insbesondere Huldreich von Eyben sowie dessen Sohn Christian Wilhelm entwickelten sich in den folgenden Jahren zu wichtigen Kontakten, mit denen sich der Gelehrte über rechtshistorische Themen austauschte. Bereits beim ersten persönlichen Treffen in Speyer, wo Schilter vermutlich auf der Durchreise nach Straßburg im Haus der von Eybens wohnte, kamen offenbar Schilters Pläne zu einer Edition des Sächsischen Lehnsrechts zur Sprache, an denen Huldreich von Eyben sehr interessiert war.¹⁸⁵ Die daran anschließende Korrespondenz lief hauptsächlich über den jungen von Eyben, der regelmäßig Nachrichten seines Vaters übermittelte. Immer wieder wandte sich Huldreich von Eyben aber auch direkt an Schilter.¹⁸⁶ Während Schilter so einerseits neue Kommunikationskanäle ins Alte Reich eröffnete, baute er andererseits ab dem Herbst 1686 von Straßburg aus sukzessive seine Kontakte insbesondere nach Paris aus, die bei seinen Publikationsplänen eine zentrale Rolle spielten. Diese Bemühungen waren aber nicht ausschließlich auf die Aufnahme direkter Korrespondenzen ausgerichtet, sondern hatten mindestens im gleichen Maße die Erschließung und den Zugang zu den reichen Beständen der Pariser Bibliotheken im Blick. Das zeigt sich etwa am Beispiel von Étienne Baluze, dem französischen Historiker und Bibliothekar Jean-Baptiste Colberts (1619 – 1683), mit dem Schilter bereits in Jena anlässlich seines Werks De Libertate Ecclesiae 184 Vgl. Schwahn, „Die Hofdienste sind die unbeständigsten…“, 262 f. 185 Christian Wilhelm von Eyben, Speyer 12. September 1686 (UB Gießen, Hs 140, fol. 195). 186 Von Christian Wilhelm von Eyben sind insgesamt 50 Briefe überliefert, von seinem Vater nur 15 Briefe. Vgl. Schüling, Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter (1632 – 1705), 13 f.

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Germanicarum (Jena 1683) wenige Briefe ausgetauscht hatte.¹⁸⁷ Im Januar 1688 hatte Schilter die Korrespondenz nach mehrjähriger Pause wieder aufgenommen. Die geringe Anzahl von acht Briefen, die Baluze zwischen 1688 und 1698 an Schilter schickte, legt jedoch nahe, dass es dem Straßburger Gelehrten dabei weniger um den inhaltlichen Austausch ging.¹⁸⁸ Auch in der Korrespondenz mit seinen Schülern wird immer wieder Schilters großes Interesse an der Bibliothek deutlich, der Baluze vorstand. Es handelte sich dabei um die Bibliothek des königlichen Finanzministers Jean-Baptiste Colbert, der 1683 verstorben war. Der Minister hatte die Sammlung, die um 1700 immer noch zu den größten und ausgesuchtesten der Stadt gehörte, Zeit seines Lebens in enger Verbindung und unmittelbarer Nähe zur Königlichen Bibliothek aufgebaut und damit eine Art Doppelbibliothek geschaffen. Auf diese Weise profitierte Colberts Bibliothek auch vom Reichtum und der Finanzierung der Königlichen Bibliothek. Beim Tod des Ministers umfasste allein dessen Bibliothek 23.000 gedruckte Bücher und 5.100 Manuskripte. Zwar erfuhren die Bibliotheken in der Folge wieder eine stärkere Trennung, die umfangreichen Bestände der Bibliothek Colberts verblieben aber auch Jahre später noch unter der Verwaltung von Baluze.¹⁸⁹ Am Ausbau von Schilters Netzwerk als Mittelalterforscher war also eine Vielzahl an Akteuren beteiligt. Sebastian Kühn hat in seiner Untersuchung zu den

187 Friedrich Benedikt Carpzov leitete die Korrespondenz für Schilter ein. Vgl. Baluze an Carpzov, Paris 1. Januar 1680 (UB Gießen, Hs 141, fol. 84r–86v). Daraus folgte zunächst jedoch nur ein kurzer Briefwechsel, der mit einem nicht überlieferten Brief Schilters begann und dem nur zwei weitere Schreiben folgten. Vgl. Baluze an Schilter, Id. [13.] Dezember 1684 (abgedruckt in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 630 – 634; Teilabdruck auch in: Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis) und Schilter an Baluze, o.O. [Frankfurt a. M.] o.D. [1685], abgedruckt in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 635 – 638. Zu Baluze vgl. Patricia Gillet, Étienne Baluze & l’histoire du Limousin. Desseins et pratiques d’un érudit du XVIIe siècle, Genève: Droz 2008 (École Pratique des Hautes Études, Sciences Historiques et Philologiques 5, Hautes études médiévales et modernes 92); Jean Boutier (Hg.), Étienne Baluze, 1630 – 1718. Érudition et pouvoirs dans l’Europe classique, Limoges: PULIM 2008 (Histoire Trajectoires); Jean Boutier, Stephanus Baluzius tutelensis. Étienne Baluze (1630 – 1718). Un savant tullois dans la France de Louis XIV, Tulle: Éd. de la Rue Mémoire 2007. 188 Es kann davon ausgegangen werden, dass jedem Brief von Baluze ein (nicht überliefertes) Schreiben von Schilter vorausging. Vgl. Baluze an Schilter, Paris 11. März 1688 (UB Gießen, Hs 141, fol. 95), 4. Januar 1689 (Ebd., fol. 94), 1. September 1695 (Ebd., fol. 97), 9. Juni 1696 (Ebd., fol. 93), 24. Mai 1698 (Ebd., fol. 92), 11. Juli 1698 (Ebd., fol. 91), 10. August 1698 (Ebd., fol. 89), 21. Oktober 1698 (Ebd., fol. 90). Die Lücken in der Überlieferung von Baluze’ Korrespondenz dürften dagegen gering ausfallen. So fehlt bspw. ein Brief von Baluze an Schilter aus dem September 1687, den Christian Wilhelm von Eyben überbrachte. Vgl. Von Eyben an Schilter, Paris 9./19. September 1687 (Ebd., Hs 140, fol. 213 – 214). 189 Jacob Soll, The information master. Jean-Baptiste Colbert’s secret state intelligence system, Ann Arbor: University of Michigan Press 2009, 1, 94 – 104.

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Tauschbeziehungen zwischen Naturforschern darauf hingewiesen, dass diese in der Regel nicht als binärer Austausch zwischen zwei Gelehrten funktionierten, sondern häufig Verwandte, Freunde und Bekannte miteinbezogen.¹⁹⁰ Diese Erkenntnis lässt sich auch auf den Austausch innerhalb von gelehrten Netzwerken, die sich mit der Erforschung des Mittelalters befassten, beziehungsweise die Anbahnung neuer Kontakte in diesen Netzwerken ausweiten. Das ist besonders prägnant an der Kontaktaufnahme und Korrespondenz zwischen Schilter und Jean Mabillon nachzuvollziehen. Während Schilter bei Baluze an eine frühere Korrespondenz anschließen konnte, begann der Austausch mit dem Benediktiner zunächst indirekt über Christian Wilhelm von Eyben und Schilters Schüler Schmid, die beide Mabillon während ihrer Aufenthalte in Paris besuchten.¹⁹¹ Baluze spielte hierbei eine wichtige Rolle als „Türöffner“ zur Pariser Gelehrtengemeinschaft. Der Bibliothekar bildete in der Regel die erste Anlaufstelle für Schilters Schüler, was nicht nur der reichen Manuskriptensammlung in der Bibliotheca Colbertina geschuldet war, sondern auch mit seiner Hilfsbereitschaft zu tun hatte, mit der er Schilters Studenten empfing, sie weiterempfahl oder bei Recherchen unterstützte. Auch von Eyben und Schmid besuchten beide zunächst Baluze, bevor sie von Mabillon empfangen wurden.Vermutlich fertigte von Eyben bereits während dieser Reise im Herbst 1687 eine Abschrift des Ludwigsliedes zur Übermittlung an Schilter an, deren Grundlage wiederum eine Abschrift Mabillons darstellte. Wenngleich die direkte Korrespondenz vermutlich offiziell durch den Königlichen Prätor Ulrich Obrecht eingeleitet wurde,¹⁹² lieferte die Abschrift des Ludwigsliedes doch den inhaltlichen Anstoß zum Austausch.¹⁹³ Bei der Anbahnung des Kontakts war also bereits ein ganzes Netzwerk beteiligt. Bestehende Korrespondenzen zu einflussreichen Gelehrten wie Mabillon konnten über die Einbeziehung anderer Gelehrter zudem den Ausgangspunkt für neue Bekanntschaften bilden. So leitete Schilter über eine Anfrage an den französischen Historiker und königlichen Sekretär Charles Bulteau (1626 – 1710)¹⁹⁴ zu den

190 Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft, v. a. 57– 70. 191 Von Eyben an Schilter, Paris 9./19. September 1687 (UB Gießen, Hs 142, fol. 213 – 214) und Schmid an Schilter, Paris 6. Januar 1689 (Ebd., fol. 192 – 193). 192 Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, 343 f. 193 Schilter datiert den Erhalt der Abschrift zwar auf 1689 (Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF Paris, Ms. fr. 19657, fol. 53r–54v; fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum)), das erscheint jedoch unwahrscheinlich, da von Eyben zu diesem Zeitpunkt als Hofrat von Baden-Durlach vor dem Pfälzischen Erbfolgekrieg floh und noch im selben Jahr nach Celle zog. 194 Edouard Frère, Manuel du Bibliographie Normand ou Dictionnaire bibliographique et historique, 2 Bde., Bd. 1, Rouen: Le Brument 1857, 164.

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Beständen der Abteibibliothek von Saint-Germain-des-Prés eine direkte Korrespondenz ein. In diese wurde Mabillon jedoch schnell mit einbezogen, da sich Bulteau zur Beantwortung zwangsläufig an den Benediktiner wenden musste.¹⁹⁵ Da Schilter zu diesem Zeitpunkt bereits eine direkte Korrespondenz mit Mabillon unterhielt, versuchte er vermutlich einerseits auf diesem Weg einen neuen indirekten Kommunikationskanal zu dem vielbeschäftigten Benediktiner zu eröffnen und nutzte andererseits den Austausch mit Mabillon als Anlass zur Kontaktaufnahme mit Bulteau. In der Folge ergänzte der indirekte Austausch über Dritte wie Bulteau immer wieder die direkte Korrespondenz zwischen Schilter und Mabillon.¹⁹⁶ Die geringe Gesamtzahl von etwa 32 direkt ausgetauschten Briefen zwischen März 1692 und November 1701 gibt daher nur ein unvollständiges Bild von der Intensität des Briefwechsels mit dem Benediktiner.¹⁹⁷ 195 Bulteau an Schilter, 24. Juli 1694 (UB Gießen, Hs 141, fol. 115r–116v). 196 Vgl. etwa Bulteau an Schilter, Paris 30. Juni 1697 (UB Gießen, Hs 141, fol. 125) und Paris 5. März 1698 (Ebd., fol. 127– 128). 197 Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF Paris, Ms. fr. 19657, fol. 53r–54v; fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum); Schilter an Mabillon, o.O. XIV. Cal. Mai [18. April] 1692, abgedruckt in: Ebd.; Mabillon an Schilter, Paris Idib [15.] Juli 1693, abgedruckt in: Ebd.; Schilter an Mabillon, o.O. 30. Juli 1693 (Konzept) (UB Gießen, Hs 1184, fol. 650r–v); Schilter an Mabillon, Straßburg Kal. [1.] August 1693 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 71r–72v); Schilter an Mabillon, Straßburg Iden [7.] Juli 1695 (Ebd., fol. 55r–56v); Schilter an Mabillon, Straßburg propridie Oktober [29. September] 1695 (Ebd., fol. 57r–58v); Mabillon an Schilter, Paris VI. Id. [8.] Dezember 1695 (Stadtarchiv Ulm,V 393, Nr. 1); Mabillon an Schilter, Paris VII. Id. [7.] Dezember 1696 (Ebd., Nr. 2); Schilter an Mabillon, Straßburg V. Kal. Februar [28. Januar] 1697 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 59r–60v); Mabillon an Schilter, Paris 3. Non. [5.] Mai (Stadtarchiv Ulm,V 393, fol. Nr. 3); Schilter an Mabillon, Straßburg IX. Kal. Juni [24. Mai] 1697 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 61r–62v); Schilter an Mabillon, Straßburg III. Kal Junii [30. Mai] 1697 (Ebd., fol. 63r–64v); Mabillon an Schilter, Paris V. Kal. Julii [27. Juni] 1697 (Stadtarchiv Ulm,V 393, Nr. 4); Mabillon an Schilter, Paris 30. Juni 1697 (abgedruckt in: Vincent Thullier, Ouvrages posthumes de D. Jean Mabillon et de D. Thierri Ruinart, 3 Bde., Bd. 1, Paris: Babuty 1724, 509 – 514); Schilter an Mabillon, Straßburg 13. Juli 1697 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 65r–66v); Schilter an Mabillon, Straßburg 19. Juli 1697 (Ebd., fol. 67r–68v; abgedruckt in: Thullier, Ouvrages posthumes, 509 – 514); Mabillon an Schilter, VI. Id. [8.] August 1697 (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 5); Schilter an Mabillon, 17. August 1697 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 69r–v); Schilter an Mabillon, Straßburg X. Kal. Mart. [20. Februar] 1698 (Ebd., fol. 70r–v); Schilter an Mabillon, Straßburg St. Georgstag [23. April] 1698 (Ebd., fol. 73r–74v); Mabillon an Schilter, Paris XV. Kal. Mai [17. April] 1698 (Ebd., fol. 81r); Schilter an Mabillon, Straßburg 20. Oktober 1698 (Ebd., fol. 75r–76v); Mabillon an Schilter, 13. Kal. Aug. [20. Juli] 1700 (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 7); Schilter an Mabillon, Straßburg 26. Juli 1700 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 77r–v); Mabillon an Schilter, Paris 15. Oktober 1700 (Ebd., fol. 82r–83v); Mabillon an Schilter, Paris V. Kal. Julii [27. Juni] 1701 (Briefkopie) (Stadtarchiv Ulm,V 393, Nr. 8; Der später angefügte Hinweis, der Brief sei im zweiten Band von Schilters Thesaurus abgedruckt worden, ist falsch!); Mabillon an Schilter, Paris XI. Kal. Sept [20. August] 1701 (Ebd., Nr. 9; abgedruckt in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 638); Schilter an Mabillon, Straßburg III. Id. [11.] September 1701 (Stadtarchiv Ulm, V 159; abgedruckt in: Schelhorn, Amoenitates Literariae,

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Anders als zwischen Mabillon und Schilter verblieb der Kontakt bei anderen Gelehrten teilweise auf der Ebene des indirekten Austausches. Die Gründe dafür konnten vielfältig sein.¹⁹⁸ Häufig waren es auch Schilters Schüler, die regelmäßig verschiedene Pariser Gelehrte besuchten oder diese zufällig in Bibliotheken trafen und gesammelt Neuigkeiten nach Straßburg übermittelten. Schmid berichtete beispielsweise von seinem engen Umgang mit dem einflussreichen französischen Philologen und Lexikographen Gilles Ménage (1613 – 1692), der wiederholt Fragen zu Schilters Sprachforschung übermitteln ließ.¹⁹⁹ Einen besonderen Fall der indirekten Korrespondenz, der sich explizit nicht durch mangelndes Interesse erklären lässt, ist Schilters Austausch mit Gottfried Wilhelm Leibniz. Ähnlich wie bei Bulteau lieferte der Kontakt zu Mabillon hierzu den Anstoß. Auf seine Bitte an Schilter, bei Leibniz die Abschrift einer deutschen Rechtshandschrift anzufragen, die Mabillon ihm einst gesandt hatte, wandte sich der Straßburger Gelehrte wiederum an Christian Wilhelm von Eyben. In diesem Fall bildete Schilter ganz konkret über die Kommunikationskette Mabillon – Schilter – Eyben – Leibniz die Verbindung zwischen französischen und deutschen Gelehrten.²⁰⁰ Die Aufnahme oder Vertiefung von Kontakten zu französischen Gelehrten in Paris wurde durch die geographische Nähe Straßburgs und die Eingliederung der Stadt in die französische Verwaltung seit der Einnahme 1681 zusätzlich begünstigt. Hierbei spielte die Praxis der Gastfreundschaft und der gegenseitigen Besuche eine wichtige Rolle.²⁰¹ Auf diese Weise konnten zum einen Kontakte geknüpft werden, wie etwa zwischen Mabillon und Obrecht, die sich auf der Reise des Benediktiners

Bd. 8, 641); Mabillon an Schilter, Paris IV Kal. Nov. [29. Oktober] 1701 (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 10); Schilter an Mabillon, o.O. 4. November 1701 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 84r–v); Mabillon an Schilter, o.O. o.D. (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 11). 198 Vgl. Nora Gädeke, Aussitôt, que Monsieur Schilter m’aura mandé ses sentiments sur ce sujet, je ne manqueray de Vous en donner part. Zur indirekten Korrespondenz zwischen Johann Schilter und Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 168 (2020), 285 – 305. Vgl. a. Sebastian Kühn, Streiten zu dritt. Über agonale Praktiken des Korrespondierens mit und ohne Leibniz, in: Wenchao Li [u. a.] (Hg.), „Für unser Glück oder das Glück anderer“. Vorträge des X. Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 18. –23. Juli 2016, Hildesheim / Zürich / New York: Olms Weidmann 2016, 509 – 522. 199 Z. B. Schmid an Schilter, Paris 20. Mai 1689 (UB Gießen, Hs 142, fol. 203 – 204) und o.O. [Oktober/ November] 1690 (Ebd., fol. 215 – 216). Zum indirekten Austausch mit Ménage vgl. a. Kap. 5b. 200 Gädeke, Aussitôt, que Monsieur Schilter m’aura mandé ses sentiments sur ce sujet, je ne manqueray de Vous en donner part. 201 Vgl. Gabriele Jancke, „Man leistet uns gu(o)te geselschaft“. Gastlichkeit und Geselligkeit in der Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, in: Kirsten Bernhardt [u. a.] (Hg.), Gastlichkeit und Geselligkeit im akademischen Milieu in der Frühen Neuzeit, Münster: Waxmann 2013, 153 – 174; Jancke, Gastfreundschaft in der frühneuzeitlichen Gesellschaft.

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ins Heilige Römische Reich 1683 in Straßburg kennengelernt hatten.²⁰² Zum anderen boten Gelehrtenbesuche aber auch die Möglichkeit, über differenzierte Behandlungen die Art und Weise der Beziehung zwischen Gelehrten zu inszenieren, um so den Austausch zu vertiefen.²⁰³ Vor diesem Hintergrund müssen die Schilderungen vom Treffen zwischen Schilter und Mabillon im September 1696 in Straßburg verstanden werden. Der Mabillon-Schüler Thierry Ruinart, der diesen auf seine Reise ins Elsass begleitete, berichtete hiervon in seinen Reiseaufzeichnungen: „Le célèbre jurisconsulte Jean Schilter, qui s’est fait connaître au monde savant par plusieurs ouvrages, nous a donné aussi un catalogue des abbesses de la maison [gemeint ist die Straßburger Abtei St. Étienne], composé par luimême, d’après les chartes les plus authentiques. Conduit par le savant Schmidt, j’ai souvent vu le professeur Schilter, qui m’a montré plusieurs ouvrages en ancien allemand, qu’il se propose de publier, et qui m’a lui-même accompagné, autant qu’il a pu, en divers endroits.“²⁰⁴ Ruinarts dichter Bericht gibt uns neben seiner Wertschätzung von Schilters Wirken einen Eindruck davon, welche Möglichkeiten zum Austausch sich im persönlichen Kontakt ergaben. So überreichte Schilter den Benediktinern nicht nur Skizzen und Notizen wie der Liste der Äbtissinnen von St. Étienne, sondern besprach mit ihnen darüber hinaus auch seine noch unabgeschlossenen Werke. Auf diese Weise lieferte er einen Einblick in seine Werkstatt, wie er über Korrespondenz kaum zu vermitteln war. Im anschließenden Briefwechsel bildete der Stand von Schilters Publikationen ein wiederkehrendes Thema. Unter welchen Umständen sich gelehrte Freundschaft – zumindest hinter der Fassade – auch in das Gegenteil verwandeln konnte, welche Motive dahinterstanden und wie Schilter sich in Konkurrenzsituationen verhielt, lässt sich anhand seines Austauschs mit dem jungen dänischen Gelehrten Frederik Rostgaard zu Schilters Otfrid-Edition nachvollziehen. Im November 1697 antwortete Rostgaard auf ein Kooperationsangebot Johann Schilters:²⁰⁵ Die Aufnahme in seine Societas

202 Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, 343. 203 Zu einem solchen Fall vgl. Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft, 64 f. 204 Ruinart, Voyage littéraire en Alsace, 100. Bei dem erwähnten Gelehrten Namens Schmidt kann es sich nicht um den Straßburger Theologieprofessor Sebastian Schmidt handeln, wie Jacques Matter in der Anm. 1 angibt. Dieser verstarb nämlich bereits im Januar 1696. Vgl. Christian Gottlieb Jöcher, Schmid (Sebastian), in: Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Bd. 4, Leipzig: Gleditsch 1751, Sp. 301 – 303. Möglicherweise ist Schilters Schüler Johann Philipp Schmid gemeint. 205 Frederik Rostgaard an Schilter, Paris 13. November 1697 (UB Gießen, Hs 1231, fol. 121r–122v, 116r– 116v). Zu Rostgaard vgl. Martin Mulsow, Johann Christoph Wolf und die verbotenen Bücher in Hamburg, in: Johann Anselm Steiger (Hg.), 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft, Berlin: De Gruyter 2005, 81 – 112,

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Otfridiana. ²⁰⁶ Erst vor wenigen Monaten hatte Schilter über seinen ehemaligen Studenten Johann Ernst Lamprecht aus Paris erfahren,²⁰⁷ dass Rostgaard und ihn gemeinsame Interessen bezüglich der Beschäftigung mit mittelalterlichen Handschriften verbanden.²⁰⁸ Das galt vor allem für Otfrids althochdeutsches Evangelienbuch, dessen Edition Schilter auf Grundlage der Ausgabe von Flacius Illyricus, den Emendationes von Marquard Freher (1565 – 1614) und den Commentarii von Petrus Lambeck vorbereitete.²⁰⁹ Nach eigener Aussage war die Arbeit an der Edition zwar bereits 1693 abgeschlossen,²¹⁰ auch danach bemühte sich Schilter aber um Abschriften von Otfrid-Manuskripten, immerhin hatte er für seine Edition bis dahin keine der Textzeugen selbst einsehen können.²¹¹ Das war zwar gängige Editionspraxis, geriet angesichts neuer methodischer Ansprüche aber zunehmend in Kri-

96 f.; Knud Larsen, Frederik Rostgaard og bogerne, Kopenhagen: Gad 1970; Christian Walther Bruun, Frederik Rostgaard. Liv og Levnet, Kopenhagen: Thieles 1870. 206 Es handelte sich hierbei offenbar nicht um eine formelle Gesellschaft, sondern eher um das, was Martin Mulsow mit dem Begriff einer „Faszinationsgemeinschaft“ bezeichnet hat: Eine Gruppe von Gelehrten, die vornehmlich über ihre Begeisterung (in diesem Fall für die Suche nach OtfridHandschriften) verbunden war. Zu diesen zählten bekannte Namen wie der Ernestinische Hofhistoriograph Wilhelm Ernst Tentzel (1659 – 1707), der Philologe und Orientalist Hiob Ludolf (1624 – 1704) oder der Königliche Prätor in Straßburg Ulrich Obrecht (1646 – 1701), aber auch weniger bekannte Figuren wie Schilters Schüler Johann Philipp Schmid. Zum Begriff der Faszinationsgemeinschaft vgl. Mulsow, Prekäres Wissen. 207 Lamprecht studierte vermutlich als Kriegsflüchtling zunächst in Gießen und nahm dann in Straßburg ein juristisches Studium auf, das er mit einer Promotion bei Schilter 1694 abschloss. Er war der Sohn eines kurpfälzischen Hofrats (vgl. Charles Bulteau an Schilter, Paris 29. August 1695 (UB Gießen, Hs 141, fol. 119 – 120)) und stammte aus Alzey in der Kurpfalz, das im Pfälzischen Erbfolgekrieg durch französische Truppen fast vollständig zerstört wurde. Darauf verweist zumindest sein Matrikeleintrag an der Universität Gießen. Vgl. Klewitz / Ebel (Hg.), Die Matrikel der Universität Gießen 1608 – 1707, 111. Im Verlauf des Jahres 1698 trat Lamprecht dann eine Stelle als Botschaftssekretär des dänischen Königs am Immerwährenden Reichstag in Regensburg an. Lamprecht an Schilter, Regensburg 27. Juni/7. Juli 1698 (UB Gießen, Hs 140, fol. 164r–165v), fol. 165r. Für seine Disputationsschrift vgl. Disputatio Publica, De Natura et Origine Iuris Publice, quam […] Praeside […] Dn. Johanne Schiltero […] ad diem 7. Feb. A.R.S. MDCXCIV. Jo. Ernestus Lamprecht, Straßburg: Spoor 1694. 208 Lamprecht an Schilter, 28. Juni 1697 (UB Gießen, Hs 140, fol. 152 – 153). Zur Kontaktaufnahme zwischen Rostgaard und Schilter vgl. a. Johann Kelle, Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, Grammatik der Psalmen Notkers, Berlin: Weidmann 1889, 2 – 5; Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 325 – 328. 209 Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 164 – 168. 210 Für einen Abschluss der Edition vor 1696 spricht auch, dass Schilter im Kommentar seiner Edition des Ludwigsliedes bereits auf die Vorrede seiner Otfrid-Edition Bezug nahm. Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Commentatio, § II. 211 Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie, 46 f.

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tik.²¹² Rostgaard interessierte sich dementsprechend für die Grundlage der Edition und fragte insbesondere, ob er die Otfrid-Handschrift aus der kaiserlichen Bibliothek in Wien berücksichtigt habe, welche nach seiner Einschätzung für eine Neuedition von entscheidender Bedeutung sei.²¹³ Schilters Suche nach weiteren Textzeugen legt nahe, dass er sich der von Rostgaard angebrachten Kritik bewusst war. Mit seinem Angebot an den dänischen Gelehrten war nun offenbar die Hoffnung verbunden, über ihn an eine Abschrift des besagten Wiener Otfrid-Manuskripts zu gelangen.²¹⁴ Die angebotene Aufnahme in Schilters Societas Otfridiana lehnte Rostgaard im nächsten Schreiben zwar höflich ab, bot aber bereitwillig seine Dienste zur Transkription der Wiener Handschrift an.²¹⁵ Als sich Rostgaard, der am 15. Mai 1698 seine Studienreise über Lyon nach Italien fortgesetzt hatte,²¹⁶ nach einer längeren Pause im Februar 1699 aus Rom erneut an Schilter wandte, hatte sich ihr Verhältnis stark gewandelt.²¹⁷ Aus dem Brief des dänischen Gelehrten wird das nur zwischen den Zeilen deutlich. Vordergründig berichtet er von seiner Arbeit am Otfrid-Codex „Palatino-Vaticanum“, der zusammen mit der Bibliotheca Palatina als Geschenk Maximilians I. von Bayern an Papst Gregor XV. im Zuge der Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg nach Rom gelangt war.²¹⁸ Zugleich wunderte er sich jedoch, dass Schilter noch nicht auf sein letztes Schreiben geantwortet habe, das er immerhin bereits am 14. Mai 1698 an ihn geschickt habe. Rostgaard befürchtete, entweder sei der Brief verloren gegangen oder aber Schilters Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert und eine Antwort verhindert. Beides war offenbar nicht der Fall. Stattdessen hatte Schilter die Korrespondenz einseitig beendet. Was war passiert? Ein Monat nach Rostgaards Abreise aus Paris hatte sich Schilters Amanuensis Schott mit einem aufgeregten Schreiben an Schilter gewandt. Darin berichtete er, dass sich der Däne laut Étienne Baluze widerrechtlich an Manuskripten bereichert habe.²¹⁹ Das betraf auch Schilter, für den Schott zu der Zeit eine Abschrift von Notkers althochdeutschem Psalter vornahm. Die Vorlage, welche die Abschrift eines St. Gallener Codex war, hatte Mabillon eigens für Schilter von ihrem Besitzer Simon

212 Vgl. Kap. 5c. 213 Frederik Rostgaard an Schilter, 27. Juni 1697 (UB Gießen, Hs 1231, fol. 11r–11v). 214 Schilter an Hiob Ludolf, Straßburg 26. Mai 1698 (UBFFM, Ms. Ff. Ludolf, Nr. 631, fol. 1174r). 215 Frederik Rostgaard an Schilter, Paris 13. November 1697 (UB Gießen, Hs 1231, fol. 121r–122v, 116r– 116v). 216 Schott an Schilter, Paris 17. Mai 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 293 – 294). 217 Rostgaard an Schilter, Rom 17. Februar 1699 (UB Gießen, Hs 1231, fol. 114r–115v). 218 Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 55. 219 Schott an Schilter, Paris 14. Juni 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 302r–303v).

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de la Loubère organisiert.²²⁰ Schott hatte nun erfahren, dass Rostgaard über Lamprecht, der in gewisser Weise Schotts Vorgänger in der Angelegenheit der NotkerAbschrift²²¹ war, an die für Schilter bestimmte Abschrift gekommen war und diese unerlaubt für sich kopiert hatte. Schott hatte Lamprecht bereits seit Längerem verdächtigt, unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft unlautere Absichten zu verfolgen. Bereits einen Monat nach seiner Ankunft in Paris schrieb er an Schilter: gebe aber hiermit die ursach dieses schreibens zu vernehmen, nehmlich dass den argwohn, welchen ich biß dahero, weiß nicht ob mit fug, von Mr. Lamprecht geschöpfet, maßen derselbe alle Bogen so bald sie geschrieben bey mir in dem Kloster abholet, unter dem Vorwandt als wolte er dieselbe durchgehen und dann sich der uralten Sprach und die Auslegung derselben bekandt machen, mit angehendter inhibition, daß Mr. Mabillon nicht mögte erfahren.²²²

Erste Zweifel waren Schott gekommen, als seine Transkriptionen jedes Mal verschmiert und ohne die versprochenen Korrekturen zurückgekommen seien. Auch hatte er den Eindruck, dass Lamprecht die Sprache schlechter als Schott selbst verstehe und somit für eine Nachkorrektur gar nicht infrage käme. Nun vermutete Schilters Amanuensis, dass Lamprecht die Bögen heimlich abschreiben lasse, und fühlte sich in seiner Lage zunehmend unwohl.²²³ Einerseits empfand er Schilter gegenüber die Verpflichtung, ihm die alleinige Abschrift zu liefern. Andererseits sah er sich – den Regeln des gelehrten Umgangs unterworfen – nicht in der Position, einer Person wie Lamprecht seine Bitte abzuschlagen. Er ersuchte daher von Schilter Rat, wie er sich zu verhalten habe, bat aber zugleich, dass Lamprecht nichts

220 Der genaue Hergang lässt sich auch dank der umfangreichen Vorarbeiten von Almut MikeleitisWinter weitestgehend rekonstruieren. Vgl. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 323 – 328. 221 Lamprecht hatte anfangs angeboten, den Text für Schilter zu kopieren, knüpfte dies anschließend aber an die Bedingung, den Text mit nach Hause nehmen zu dürfen, und war sogar bereit durch einen Freund (vermutlich den Dänen Frederik Rostgaard) eine Bürgschaft zu hinterlegen. Das lehnte de la Loubère wiederum kategorisch ab. Offenbar traute sich Lamprecht weder zu, die Abschrift allein durchzuführen, noch hielt er die Arbeit aufgrund des Umfangs der Handschrift für lukrativ. Letzteres lässt sich daraus schließen, dass Lamprecht für die verdeckte Abschrift von Schotts Transkription einen Kopisten engagierte. Vgl. Schott an Schilter, Paris 22. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 276 – 277). 222 Schott an Schilter, Paris 21. September 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 272r–273v). 223 Die disparate Form von Rostgaards Notker-Abschrift, an der vier verschiedene Hände beteiligt waren, dürfte eine direkte Folge dieses offenbar häufig von Zeitdruck geprägten Abschreibeprozesses sein. Vgl. Kelle, Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, Grammatik der Psalmen Notkers, 5 – 8.

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von seinen Anschuldigungen erfahre.²²⁴ Schilter hielt Schott offenbar an, die Angelegenheit diplomatisch zu lösen. Der Amanuensis gab daraufhin gegenüber Lamprecht vor, dass Mabillon ihn dabei erwischt habe, wie er verbotenerweise die abgeschriebenen Bögen aus dem Kloster bringen wollte.²²⁵ Da er Schilters Ruf nicht beschädigen wolle, könne er die Transkriptionen folglich nicht mehr übergeben.²²⁶ Die List ging zwar auf, wie ein darauffolgendes Schreiben Lamprechts an Schilter belegt, in welchem er bedauerte, aufgrund der neuen Situation Schott nicht mehr unterstützen zu können, und seine Abreise aus Paris ankündigte.²²⁷ Dass Lamprecht aber bereits kurze Zeit später wieder Blätter von Schotts Notker-Transkription erhielt, hatte offenbar nur mit Schotts Mitgefühl für Lamprechts Kopisten zu tun, dem er seine mit der Transkription verbundenen Einkünfte nicht verwehren wollte. Er versicherte Schilter allerdings, dass er die Blätter in falscher Reihenfolge weitergebe und erst nach der Rückgabe foliiere, wodurch Lamprecht mit der Abschrift nichts anfangen könne.²²⁸ Mit Lamprechts Weggang Richtung Worms im November 1697 schien sich die Affäre schließlich zunächst aufgelöst zu haben.²²⁹ Als Schott im Juni 1698 dann aber von Rostgaards Beteiligung erfuhr, erhielt die Angelegenheit eine neue Dimension. Anders als Lamprecht war der Däne geübt in den alten Sprachen und hatte auf seiner Studienreise bereits umfangreiche Ex-

224 „Solches [den Verdacht] schreibe nicht aus passion von Mr. Lamprecht, weilen Er mir niemahlen zu wieder gelebet, sondern die cases suspicandi sind hell und clare, und dann mein aufrichtiges Gemüth gegen Ihr. Excellenz zu conserviren, und so Sie meynten Sie hättens das buch allein, leicht an tausendt hände schon herumbeführe; Mögte aber doch, dass Mr. Lamprecht, nichts von dem arg wohn, den ich verhoffentlich gegen ihn mit fug faßte, wißen solte, noch viel weniger IHr. Excellenz davon zu wißen gethan, darumb ich höchstens will gebetten haben, wir bekämen sonst die größte händel, und gebe mord und todtschlag“. Schott an Schilter, Paris 21. September 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 272r–273v). 225 Zuvor war Schott bereits mit der Ausflucht gegenüber Lamprecht gescheitert, Mabillon habe aufgrund von Lamprechts häufigen Besuchen in Schotts Kammer, die ihm zum Abschreiben zur Verfügung gestellt worden war, Verdacht geschöpft. Lamprecht hatte daraufhin offenbar gefordert, Schott solle die abgeschriebenen Bögen zu ihm bringen. Schott an Schilter, Paris 21. September 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 272r–273v). 226 Das P.S. von Schott an Schilter, o.O. o.D. (UB Gießen, Hs 142, fol. 314r–v) gehört vermutlich zum Brief von Schott an Schilter, Paris 5. Oktober 1697 (Ebd., fol. 274 – 275). 227 Lamprecht an Schilter, Paris 11. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 156r–157v). 228 Schott an Schilter, Paris 22. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 276r–277v). Wie sich an Rostgaards Abschrift zeigt, ging dieser Plan jedoch nicht auf. Vgl. Kelle, Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, Grammatik der Psalmen Notkers, 5 – 8. 229 Wie sich Schotts Abschrift im Detail zu der von Rostgaard bzw. dem späteren Druck im Thesaurus verhält, bleibt einer eigenständigen Untersuchung vorbehalten, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Für erste Ansätze vgl. Kelle, Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, Grammatik der Psalmen Notkers, 5 – 8.

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zerpte aus dem Nachlass von Franciscus Junius d. J. (1591 – 1677) angefertigt. In Paris war Rostgaard im Haus des dänischen Gesandten Henning Meyercrone (1645 – 1707) untergekommen, wo er nicht nur mit den gelehrten Größen der Stadt, sondern auch anderen Manuskriptsammlern in Kontakt kam.²³⁰ War es zuvor nur um die Untreue eines ehemaligen Studenten Schilters gegangen, bedeutete Rostgaards Vertrauensbruch eine offene Konkurrenz zwischen dem aufstrebenden jungen Gelehrten auf der einen Seite und dem etablierten Gelehrten Schilter auf der anderen Seite. Hinzu kam, dass auch Lamprechts Wegzug aus Paris offenbar mit seiner Förderung aus dem Umfeld der dänischen Botschaft zusammenhing. Um den Juli 1698 trat er nämlich eine Stelle als Botschaftssekretär des dänischen Königs am Reichstag in Regensburg an.²³¹ Inwiefern hierbei ein Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für Rostgaard bestand, lässt sich nicht abschließend klären. Bei diesem „Generationenkonflikt“ zwischen Rostgaard und Schilter spielte sowohl die Knappheit der Quellen als auch die angemessene methodische Bearbeitung eine Rolle.²³² Mit Schotts nächstem Brief verdichtete sich dieses Bild: Er [Rostgaard] hat sich bis Mr Palthenio verlauten laßen, Er wollen d[en] Otfridum correct ausgeben, wolte I[hre] Excellenz abmahnen, daß Sie d[en] Notk[er] nicht heraus geben, [weilen?] sie sich prostituiren (: d[as] sind seine wort) würden, in summa Er bey demselben [Palthenius] alles vernichtet[?] und sonderlich auch Ihr Specim. gloss. sie noch wenig authores in dessen compilatione und Er viel mehr gedraute sich auch ein mehrers zu praestiren, wann Er daran arbeiten anfangen würde, dieses dienet zur Nachricht und derselbe besser[?] erkennen zu lernen.²³³

In abgeschwächter Form hatte Rostgaard seine Kritik an Schilters Editionspraxis zwar auch direkt geäußert, dennoch scheint die Nachricht, dass der Däne ebenfalls eine Otfrid-Edition plane, Schilter nachhaltig beschäftigt zu haben. Wie ging Schilter also mit der Nachricht um? Er wartete ab und setzte die Ressource ein, welche er im Gegensatz zum jungen Rostgaard reichlich besaß: seine sozialen Kontakte beziehungsweise die Societas Otfridiana. Schilter beschäftigte hauptsächlich, dass er mit Rostgaard seine wichtigste Chance, an den Wiener OtfridCodex zu gelangen, verloren haben könnte und erwog daher, ob er aufgrund der vermuteten Bedeutung der Handschrift eine mögliche Edition des Dänen abwarten solle. Hierzu holte er umgehend den Rat Ulrich Obrechts ein, der den Nutzen der

230 Martin Mulsow, Die drei Ringe. Toleranz und clandestine Gelehrsamkeit bei Mathurin Veyssière La Croze (1661 – 1739), Tübingen: Niemeyer 2001, v. a. 19 – 29. 231 Lamprecht an Schilter, Regensburg 27. Juni/7. Juli 1698 (UB Gießen, Hs 140, fol. 164r–165v), fol. 165. 232 Zur zeitgemäßen Methodik als Gegenstand eines (Generationen‐)Konflikts zwischen Gelehrten vgl. Weiss, Das Ringen um die Quellen. 233 Schott an Schilter, Paris 20. Juli 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 304r–305v).

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Wiener Handschrift im Gegensatz zu Rostgaard offenbar eher gering einschätzte.²³⁴ Wilhelm Ernst Tentzel, den er ebenfalls um seine Einschätzung ersuchte, stimmte mit Obrecht zumindest darin überein, dass Schilter nicht auf eine Publikation Rostgaards warten solle. Schließlich sei es letztlich schöner zuvorzukommen, als überholt zu werden. („Melius saltem est praevenire, quam praeveniri.“)²³⁵ Die Angelegenheit war für Schilter damit aber noch nicht beendet. In der weiteren Korrespondenz mit Tentzel bildet Rostgaard ein wiederkehrendes Thema, bei dem sich Schilter immer wieder versichert, dass die Arbeit Rostgaard keine Bedrohung seiner Edition darstelle.²³⁶ Die Episode illustriert in verdichteter Form zwei Seiten der Gelehrtenrepublik: Zum einen verdeutlicht sie die Konkurrenz zwischen zwei Gelehrten, die wie so häufig bei vergleichbaren Konflikten keineswegs auf Augenhöhe ausgetragen wurde.²³⁷ Schilter war als etablierter Gelehrter offenbar besser vernetzt als Rostgaard, was ihm erst den Zugang zu Handschriften wie Notkers Psalter ermöglichte. Wie es scheint, waren die Verbindungen des Kreises um den dänischen Botschafter zu den Maurinern in Saint-Germain-de-Prés nicht immer so ausgeprägt, wie bisweilen in der Forschung vermutet, sodass Rostgaard zu anderen Mitteln griff, um an die gewünschten Handschriften zu gelangen.²³⁸ Die Geschichte zeigt zum anderen aber auch, wie Schilter angesichts des Verhaltens von Rostgaard seine Kontakte mobilisieren und auf ihre Unterstützung zurückgreifen konnte. Trotz der ungleichen Ausgangsbedingungen endete die Affäre im vorliegenden Fall jedoch mit einem Unentschieden. Sowohl Schilters Otfrid-Edition als auch Rostgaards Emendationes, die er versöhnlich Schilter widmete, erschienen erst mit deutlichem Abstand zum Ausgangskonflikt. Rostgaards bereits im April 1699 abgeschlossene Emendationes wurden 1720 von Johann Georg Eckhart herausgegeben, Schilters Otfrid-Edition erschien postum als Teil des dreibändigen Thesaurus Antiqutiatum Teutonicarum zwischen 1726 und 1728.²³⁹ Die Untersuchung von Schilters Gelehrtennetzwerk liefert abschließend gleich eine Reihe von Erkenntnissen. Erstens spiegeln Schilters Korrespondenzen die 234 Schilter an Tentzel, Straßburg 12./22. August 1698 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 456r–457v). 235 Tentzel an Schilter, Gotha 20. Oktober 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 402r–403v). 236 Schilter an Tentzel, Straßburg 22. März 1700 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 462r–463v) und Schilter an Tentzel Straßburg 1702 (Ebd., fol. 467r–468v). 237 Vgl. Martin Mulsow, Kommentar, in: Franziska Neumann [u. a.], Konkurrenzen in der Frühen Neuzeit. Aufeinandertreffen – Übereinstimmung – Rivalität, Köln / Wien: Böhlau 2023 (FrühneuzeitImpulse 5), 569 – 573. 238 Möglicherweise lag das auch an der Beteiligung Rostgaards und der dänischen Botschaft an Fluchthilfeaktionen für benediktinische Gelehrte aus dem Umfeld Mabillons, die konvertieren und außer Landes gebracht werden wollten. S. Mulsow, Die drei Ringe, 19 – 29. 239 Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 105.

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Entwicklung seiner gelehrten Interessen wider. So war seine Beschäftigung mit der Geschichte und den Quellen des Mittelalters vor allem anfangs stark von seiner juristischen Perspektive geprägt. Das prägte zugleich sein Netzwerk, das in Schilters Jenaer Zeit vor allem andere Juristen umfasste und sich erst nach und nach inhaltlich und räumlich erweiterte. Die Ausweitung seiner Interessen und die Mobilisierung von Korrespondenzen zur Recherche von Textzeugen gingen so Hand in Hand. Zweitens zeigt sich neben der grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft gemäß den Idealen der Res Publica Literaria die Mittelalterforschung auch als umkämpftes Wissensfeld. So konnte vordergründige Kooperation hinter der Fassade schnell in Konflikte um Quellen als begrenzte Ressource umschlagen, die mit verschiedenen Strategien nicht zwangsläufig offen ausgetragen wurden. Abschließend werden aber auch die Lücken in Schilters Gelehrtennetzwerk deutlich. Abgesehen von seinen Kontakten nach Frankreich unterhielt er bis auf vereinzelte Ausnahmen kaum internationale Korrespondenzen. Zwar wurden seine Werke und Projekte durch die Vermittlung von Palthen, Johannes von Stetten und Leibniz auch in England oder Schweden von Sprachforschern wie Johan Gabriel von Sparwenfeld (1655 – 1727) oder George Hickes (1642 – 1715) wahrgenommen, direkte Korrespondenzen kamen jedoch nicht zustande.²⁴⁰ Selbst mit jemandem wie Dietrich von Stade, der im damals schwedischen Stade beispielsweise mit seiner geplanten Edition von Otfrids Evangelienbuch ganz ähnliche Projekte wie Schilter verfolgte, fand kein Austausch statt.²⁴¹

240 Gädeke, Aussitôt, que Monsieur Schilter m’aura mandé ses sentiments sur ce sujet, je ne manqueray de Vous en donner part, 296 f.; Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 138. 241 Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 169. Ausführlich zu Dietrich von Stades Arbeit an einer Edition von Otfrids Evangelienbuch vgl. Ebd., 168 – 184.

4 Material. Zur gegenständlichen Dimension des Wissens über das Mittelalter Wissen über das Mittelalter hatte immer auch eine materielle Seite.¹ Wenn Schilter also Informationen über die Zeit des Mittelalters zusammentrug, bedeutete das nicht nur einen kognitiven Prozess, sondern zugleich ganz konkret das Sammeln unterschiedlicher physischer Objekte wie Bücher, Exzerpte, Abschriften, Notizen oder Zeichnungen. Die Verarbeitung dieser („rohen“) Informationen zu („gekochtem“) Wissen war ein Vorgang, der zutiefst durch die spezifische Materialität der jeweiligen Informationsträger geprägt war.² Diese Materialität beschäftigte Schilter und seine Zeitgenossen auch in Hinblick auf den oftmals prekären Zustand der mittelalterlichen Überlieferung. Die Editionen mittelalterlicher Texte zielten immer auch darauf ab, diese von ihrem prekären Status zu lösen und im Druck für eine breitere Leserschaft zu bewahren. Das bedeutet jedoch nicht, dass Schilter ein besonderes Interesse an der Erhaltung der mittelalterlichen Manuskripte hatte. Vielmehr war es auch zu seiner Zeit gängige Praxis, dass die jeweiligen Handschriften

1 Die Erkenntnis, dass Wissen materiell rückgebunden ist, wurde in den letzten Jahren im Zuge des „material turn“ auch in der Frühneuzeitforschung breiter aufgegriffen. Vgl. exemplarisch Markus Friedrich, Loss and Circumstances. How Early Modern Europe Discovered the ‚Material Text‘, in: Jörg B. Quenzer (Hg.), Exploring written artefacts. Objects, methods, and concepts, Berlin / Boston: De Gruyter 2021, 913 – 932; Stéphane van Damme, When Practices, Places and Materiality Matter. A French Trajectory in the History of Knowledge, in: Journal for the History of Knowledge 1 (2020), 1 – 8; Carla Bittel [u. a.] (Hg.), Working with Paper. Gendered Practices in the History of Knowledge, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press 2019; Peter N. Miller, History and its Objects. Antiquarianism and Material Culture since 1500, Ithaca: Cornell University Press 2017; Marian Füssel, Die Materialität der Frühen Neuzeit. Neuere Forschungen zur Geschichte der materiellen Kultur, in: Zeitschrift für historische Forschung 42 (2015), 433 – 463, 445 – 449; Helmut Zedelmaier, Werkstätten des Wissens zwischen Renaissance und Aufklärung, Tübingen: Mohr Siebeck 2015; Françoise Waquet, L’ordre matériel du savoir. Comment les savants travaillent, XVIe–XXIe siècles, Paris: CNRS Éditions 2015; Maria Marten / Carola Piepenbring-Thomas, Fogels Ordnungen. Aus der Werkstatt des Hamburger Mediziners Martin Fogel (1634 – 1675), Frankfurt a. M.: Klostermann 2015; Lucas Haasis, Papier, das nötigt und Zeit, die drängt übereilt. Zur Materialität und Zeitlichkeit von Briefpraxis im 18. Jahrhundert und ihrer Handhabe, in: Arndt Brendecke (Hg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure, Handlungen, Artefakte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 305 – 319; Roger Chartier, The author’s hand and the printer’s mind, Cambridge / Malden, MA: Polity Press 2014; Mulsow, Prekäres Wissen. 2 Vgl. zum zugrundeliegenden Wissensverständnis Peter Burke, der mit Verweis auf Claude LéviStrauss zwischen Information und Wissen unterscheidet. Während das Erstere „für das, was roh, spezifisch und praktisch ist“, steht, bezeichnet er Letzteres als „das Gekochte […], das gedanklich Verarbeitete oder Systematisierte“. Peter Burke, Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin: Wagenbach 2014, 18. https://doi.org/10.1515/9783111080154-005

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nach der Edition häufig der Makulatur zugeführt wurden.³ Dieser Umgang mit den mittelalterlichen Manuskripten änderte sich erst langsam im Verlauf des 18. Jahrhunderts hin zu einer Wertschätzung des Überlieferungsträgers.⁴ Das zeigt sich nicht zuletzt an einer wachsenden Bedeutung von Gelehrtennachlässen wie dem von Schilter. Die bewahrende Intention gegenüber der mittelalterlichen Überlieferung einerseits und Gelehrtennachlässen andererseits muss allerdings als Selektionsvorgang betrachtet werden. Ihre Tradierung war keineswegs selbstverständlich, sondern stellte eine bewusste Entscheidung dar, welches Material überlieferungswürdig war, und welches aussortiert wurde. Gelehrte wie Schilter waren im Umgang mit ihrem Material also einerseits handelnde Akteure, die Kriterien und Vorstellungen entwickelten, um die materielle Vergangenheit um sie herum begreifbar zu machen und in konkrete Ordnungen etwa von Bibliotheken zu übersetzen. Andererseits strukturierte die Materialität der Dinge immer wieder ihr Handeln.⁵ Im Folgenden soll Schilters materielle Welt als Mittelalterforscher auf mehreren Ebenen beleuchtet werden. Im ersten Teil steht sein Quellenverständnis im Vordergrund und damit die Frage, auf welcher materiellen Basis Schilter sein Wissen über das Mittelalter gründete. Der zweite Teil widmet sich dem materiellen Arbeitsumfeld Schilters. Dabei geht es weniger um eine vollständige Rekonstruktion etwa der Gelehrtenbibliothek, sondern vor allem darum, wie seine mittelalterhistoriographischen Arbeiten sich in dem von ihm akkumulierten Material widerspiegelten, auf welche Weise er dieses ordnete und wie er sich in diesem zurechtfand. Im dritten Teil soll anhand der Überlieferungsgeschichte von Schilters Nachlass zum einen untersucht werden, welche Bedeutung Gelehrtennachlässen um 1700 und danach als Ressourcen und Anknüpfungspunkte weiterführender Forschungen beigemessen wurde. Zum anderen wird an dieser selektiven Wertschätzung der Arbeitspapiere und Manuskripte Schilters erörtert, wie der heute überlieferte Bestand geprägt wurde, und welche Folgen sich hieraus für die heuristische Belastbarkeit des Materials ergeben.

3 Vgl. Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert, 320. 4 Zu Zacharias Konrad von Uffenbachs Kritik an dieser Praxis vgl. Mona Garloff, Zacharias Konrad von Uffenbach und der Buchhandel, in: Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 335 – 360, 342 f. 5 Vgl. Füssel, Die Materialität der Frühen Neuzeit, 452 f.

a Zu Johann Schilters Quellenverständnis

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a Zu Johann Schilters Quellenverständnis Im Juni 1697 wandte sich Jean Mabillon anlässlich seiner Arbeit an den Annales ordinis Sancti Benedicti 480 – 1157 (4 Bde., Paris 1703 – 1707) mit der Bitte um Mithilfe an Schilter.⁶ Bei der exakten Lokalisierung des sogenannten Lügenfeldes, des Austragungsortes innerdynastischer Konflikte der Karolinger zwischen Ludwig dem Frommen und seinen drei Söhnen, schwankte er zwischen mehreren Orten und wollte nun die Einschätzung des Straßburger Gelehrten einholen. Dass Schilter der richtige Ansprechpartner war, zeigt seine ausführliche Antwort: Sed propero ad Campum Mendacii, situs is est utiq[ue] inter Argentoratum & Basileam, & quidam inter Argentoratum & Colmariam, in loco qui dicitur Rotfelth, i[d] e[st] rubeus campus, qui deinde Campus-Mentitus vocatus, ut habent Annales Bertiniani. Vis propius? Situs est inter Argentoratum sive Rhenum & Illum fluvios, imo inter Brisacum & Illum sive Ellum, […]. Inter Brisacum & Illum in Chartis Jansonii & Hondii invenitur locus qui dicitur Hirzfeld, h[ic] e[st] Campus cervorum […]. Hic duabus horis à Birsaco reperitur hodie dictus locus Rotleuble, hic ipse ille campus rubeus censetur etiam ab illustri Obrechto, & indicatis nobis à Syndico nostro Klinglingio […]. Est autem campus ille Rotleuble satis amplus & diversorum territorium, & ter mutavit nomen. Primo enim dictus Rotfeld, campus rubeus, ut est in Bertinianis: postea Lugenfeld, campus mentitus. Hodie Rotleuble, h[ic] e[st] rubeum lobium, hoc est umbraculum in Foresto. […] Neque credendum est nomen Campi Mendacii diu permansisse, sed sub Lothario Imperatore & fratribus ignominiosum id sibi reputantibus […].⁷

6 Mabillon an Schilter, Paris 30. Juni 1697 (abgedruckt in: in: Thullier, Ouvrages posthumes, 509 – 514). Die Bde. 5 und 6 der Annales erschienen erst postum 1713 und 1739. 7 ‚Aber ich eile zum Lügenfeld: dieses ist gewiss gelegen zwischen Straßburg und Basel, und auch zwischen Straßburg und Colmar, am Ort der Rotfelth genannt wird, das bedeutet rotes Feld (Rubeus Campus), welches schließlich Lügendfeld (Campus-Mentitus) genannt wurde, wie es in den Annalen von St. Bertin steht. Du willst es genauer? Es ist zwischen Straßburg oder dem Rhein und den Flüssen der Ille gelegen, ja sogar zwischen Breisach und Ille oder Ellum, […]. Zwischen Breisach und Ille in Karten des [Johann] Janszoon und [Jodocus] Hondius wird der Ort gefunden, der Hirzfeld genannt wird, hier ist das Feld der Hirsche […]. Hier findet sich zwei Stunden von Breisach der Ort, der heute Rotleuble genannt wird, hier wird jenes rote Feld (campus rubeus) auch vom verehrten Obrecht selbst vermutet, und ist uns von unserem Syndikus Klinglin mitgeteilt worden […]. Es ist aber jenes Feld Rotleuble groß genug und von verschiedenen Gebieten, und dreimal hat sich der Namen geändert. Denn zunächst wurde es Rotfeld, campus rubeus, wie bei Bertinian, genannt: später Lugenfeld, campus mentitus. Heute Rotleuble, das ist rote Laube (rubeum lobium), das ist schattiger Gang im Forst (umbraculum in Foresto). […] Und es ist nicht glaubwürdig, dass der Namen des Campi Mendaci lange Bestand hatte, aber unter Kaiser Lothar und seinen schimpflichen Brüdern ist es so genannt worden […].‘ (Übers. d. Verf.; die Unterstreichungen folgen der Vorlage) Schilter an Mabillon, 19. Juli 1697 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 67r–68v). Mit etlichen Fehlern abgedruckt in: Thullier, Ouvrages posthumes, 511 f.

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4 Material. Zur gegenständlichen Dimension des Wissens über das Mittelalter

Schilters Bericht offenbart nicht nur sein enormes Detailwissen zur Geschichte Straßburgs und der umliegenden Umgebung. Die Passage veranschaulicht vor allem sein breites vom zeitgenössischen Antiquarianismus geprägtes Interesse an den Zeugnissen des Mittelalters, das über die textuelle Ebene hinaus geographische Orte, aber auch Inschriften, Monumente oder andere Objekte miteinschloss.⁸ Dieses antiquarisch geprägte Interesse findet sich auch insgesamt in dem Projekt wieder, das Schilter zu jener Zeit verfolgte und in dessen Kontext sich seine Antwort einordnen lässt: Das Glossarium ad scriptores linguae Francicae et Alemannicae veteris (Ulm 1728), das erste große Wörterbuch des Alt- und Mittelhochdeutschen.⁹ In diesem finden sich unter dem Lemma „Rotfeld“ zum Teil wortgleiche Passagen aus Schilters Antwort an Mabillon.¹⁰ Der Anspruch, nicht nur Erklärungen für alte unbekannte Worte, sondern auch für historische Orte, Monumente oder Objekte zu liefern, prägt das ganze Werk.¹¹ Almut Mikeleitis-Winter hat das Glossar daher als „ein Werk mit hybridem Charakter“ beschrieben, das im Stile von du Canges Glossarium ad Scriptores mediae et infimae latinitatis (Paris 1678) das

8 Maßgeblich soll im Folgenden ein weiter gefasstes und quellengestütztes Verständnis von Antiquarianismus und der gelehrten Beschäftigung von Monumenten sein, wie es von Lisa Reggazzoni vertreten wird. Als Gegenstand antiquarischer Beschäftigung fielen diesem zufolge nicht nur Gegenstände, sondern ebenso „immaterielle Relikte, zum Beispiel die bretonische Sprache und weitere dialektale bzw. idiomatische Begriffe, Toponyme und Patronyme.“ Lisa Regazzoni, Geschichtsdinge. Gallische Vergangenheit und französische Geschichtsforschung im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 5), 17. Zum zeitgenössischen Antiquarianismus, der sich seit dem beginnenden 17. Jahrhundert zunehmend auch auf mittelalterliche Quellen bezog, vgl. Sawilla, Vom Ding zum Denkmal, hier: 428 – 432; Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zur Bedeutung der Rekonstruktion historischer Ortsnamen etwa vor dem Hintergrund territorialer Rechtsansprüche vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 239 f. 9 Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 307. Vgl. a. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben; Claudia Lieb, Johann Schilter als Philologe. Literatur und Recht des Mittelalters in Schilters Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, Ecclesiasticarum, Civilium, Litterariarum (1726 – 1728), in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 168 (2020), 337– 349; Lieb, Germanistiken, 92 – 102. 10 Vgl. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 336. 11 So findet sich unter dem Lemma „AICHEL“ etwa eine Erläuterung zum sogenannten Eichelstein, einem antiken Kenotaph zu Ehren des römischen Feldherrn Drusus in Mainz, die auf eine Korrespondenz Schilters mit Tentzel zurückging. Schilter, Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, 17.Vgl. Schilter an Tentzel, Straßburg 15. Januar 1699 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 458r– 459v) und Tentzel an Schilter, Frankfurt a. M. 13. April 1699 (UB Gießen, Hs 142, fol. 404 – 405).

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Konzept eines Wörterbuchs mit „enzyklopädischen wie verstreut editionsartigen Elementen“ verbindet.¹² Mit seinem Interesse an der Historizität mittelalterlicher Gegenstände und Monumente lässt sich Schilter in eine Entwicklung einordnen, deren Anfänge bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen. Im Verlauf des Jahrhunderts begannen deutsche Humanisten, sich nach dem Vorbild italienischer Humanisten stärker mit der antiken Geschichte ihrer eigenen (imaginierten) Vorfahren zu beschäftigen.¹³ Aufgrund der im Vergleich zur klassischen Antike wenigen überlieferten Texte erhielten gegenständliche Quellen dieser protonationalen Vergangenheit eine besondere Bedeutung.¹⁴ Dieser antiquarische Zugang hatte zum einen inhaltliche Implikationen hinsichtlich einer stärkeren Einbeziehung kulturgeschichtlicher Themen.¹⁵ Zum anderen brachte er methodische Innovationen in Bezug auf die Berücksichtigung der materiellen Besonderheiten einer Quelle mit sich.¹⁶ Mit der Zeit wandten sich antiquarisch geschulte Gelehrte nicht nur den gegenständlichen Quellen des Mittelalters zu, sondern bezogen auch die mittelalterliche handschriftliche Überlieferung insgesamt als materiellen Gegenstand in ihre Untersuchungen mit ein.¹⁷ Ein solches antiquarisches Interesse Schilters, das sich in seinem Glossar findet, spiegelt sich auch in seinen Editionen mittelalterlicher Handschriften wider, die

12 Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 336. Zu den Quellen, die Schilter neben den edierten Texten der ersten beiden Bände des Thesaurus heranzog und in einem vorangestellten Catalogus Auctorum Germanicorum abdruckte, vgl. Lieb, Johann Schilter als Philologe, 345. 13 Damiano Acciarino, The nature of renaissance antiquarianism: History, methodology, definition, in: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 57 (2017), 1 – 18, 12. Vgl. a. Bernd Roling, Odins Imperium. Der Rudbeckianismus als Paradigma an den skandinavischen Universitäten (1680 – 1860), Leiden / Boston: Brill 2020 (Mittellateinische Studien und Texte 54); Bernd Roling, Odin, Apoll des Nordens. Der europäische Antiquarismusdiskurs und die Erschließung nationaler Traditionen in der Frühen Neuzeit, in: Herbert Jaumann / Gideon Stiening (Hg.), Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch, Berlin / Boston: De Gruyter 2016, 565 – 634. 14 Peter Burke, Images as Evidence in Seventeenth-Century Europe, in: Journal of the History of Ideas 64 (2003), 273 – 296, 283. 15 Die Annahme eines strikten Gegensatzes zwischen Historikern, die sich in chronologischer Darstellung mit politischer Geschichte befassten, und Antiquaren, die einen kulturgeschichtlichen Ansatz verfolgten, wie er von Momigliano eingeführt wurde, ist in der Forschung allerdings zu Recht zunehmend aufgelöst worden. Vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 6, Anm. 27; Lydia Janssen, Antiquarianism and national history. The emergence of a new scholarly paradigm in early modern historical studies, in: History of European Ideas 43 (2017), 843 – 856, 848; Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert, 248. Vgl. Arnaldo Momigliano, Ancient History and the Antiquarian, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institues 13 (1950), 285 – 315. 16 Janssen, Antiquarianism and national history, 849 – 856. 17 Sawilla, Vom Ding zum Denkmal, 428 – 432.

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seinen wichtigsten Quellenzugang zur Geschichte des Mittelalters darstellten. Zudem fügte der Gelehrte seinen Editionen immer wieder Kupferstiche bei, die entweder Illustrationen der Manuskripte oder aber historisch relevante Objekte wie Münzen, Inschriften oder Monumente im kommentierenden Apparat abbildeten. Im Folgenden soll Schilters Verhältnis zu seinem Quellenmaterial genauer erörtert werden. Mit Blick auf seine Editionen soll zunächst auf die Kriterien eingegangen werden, die ihn bei der Auswahl der zu edierenden Texte leiteten. Anhand der Illustrationen der mittelalterlichen Manuskripte wird dann thematisiert, welche Rolle die materiellen Eigenschaften der Handschriften für Schilter in bestimmten Kontexten spielten. Daran anschließend soll eine Untersuchung der Kupferstiche in Schilters Editionen klären, auf welche Weise der Gelehrte Abbildungen von Objekten in seinen Werken einsetzte. Schließlich soll Schilters materieller Zugang zum Mittelalter in den breiteren Kontext zeitgenössischer Gelehrsamkeit eingeordnet werden. Auf welche Handschriften Schilter vornehmlich zurückgriff,¹⁸ lässt sich insbesondere anhand der edierten Texte in seinem postum erschienen Hauptwerk, dem Thesaurus Antiqutiatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) erkennen.¹⁹ Mit Blick auf die thematische Aufteilung der ersten beiden Editionsbände orientierte sich Schilters Textauswahl weniger an einem aristotelisch geprägten Kanon, wie etwa von Seelbach angenommen,²⁰ sondern es lässt sich mit Kössinger vielmehr eine „(rudimentäre) Gattungssystematik [erkennen], die geistliche und weltliche

18 Es geht an dieser Stelle vornehmlich um Handschriften, nach denen Schilter gezielt suchte. Zur Thematik der Zufallsfunde und des ‚Beifangs‘ bei Recherchen vgl. Kap. 5a. 19 Lange Zeit wurde in der Forschung ein Ordnungsprinzip hinter dem Editionsprojekt generell negiert. Das hatte vornehmlich damit zu tun, dass aufgrund des Umfangs der Edition eine größere übergeordnete Arbeit zu dem Projekt fehlte. So urteilt etwa Mathias Herweg, ein „klares Ordnungsprinzip ist hinter der gewaltigen Materialfülle nicht zu erkennen, nicht einmal eine chronologische Grobstruktur. Interesseleitende Methode scheint allein die archivalische Erfassung der unterschiedlichsten habhaften Rechts- und Geschichtsaltertümer aus der ‚nationalen‘ Frühzeit gewesen zu sein, welche dann in Buchbindersynthese (selbst eine durchgehende Paginierung fehlt) zusammengeheftet wurden. Mit dem Stichwort ‚alt‘ scheint nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner der Texte, sondern zugleich das eigentliche Anliegen der Editoren bestimmt zu sein, hinter dem engere thematische oder ästhetische Kriterien zurückzutreten hatten.“ Mathias Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied. Die deutschen Zeitdichtungen des frühen Mittelalters im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Rezeption und Erforschung, Wiesbaden: Reichert 2002, 307. 20 Seelbach, Mittelalterliche Literatur in der Frühen Neuzeit, 113. Aristoteles’ Poetik, auf die Schilter in seiner Vorrede zur Otfrid-Edition verwies, stellte für den Gelehrten keineswegs ein Vorbild dar, wie etwa Seelbach anführt. Vielmehr dienten ihm die von Aristoteles formulierten Regeln für Dichter als Grund, warum sich germanische und griechische Dichter bezüglich der Tradierung historischer Inhalte unterschieden. Vgl. Johann Schilter, Praefatio ad Otfridi Libros Evangeliorum, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, § VII.

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Texte voneinander trennt: der erste Band beinhaltet demnach die monumenta sacra, der zweite die monumenta civilia.“²¹ So umfasst der erste Band etwa Notkers althochdeutschen Psalter, Otfrids Evangelienbuch, Willirams von Ebersberg Paraphrase des Hohen Liedes, den althochdeutschen Isidor und die althochdeutsche Benediktinerregel. Zeitlich decken diese Texte eine Spanne vom achten bis zum zwölften Jahrhundert ab. Die im zweiten Band enthaltenen Texte werden im Titel noch einmal differenziert in „Monumenta civilia, historica, miscella“.²² Darunter fielen zum einen Rechtshandschriften wie die Lex Salica und das Landrecht des Schwabenspiegels, die mittelhochdeutschen Lehrgedichte König Tirol und Fridebrant, Winsbecke und Winsbeckin, aber auch historiographische Texte, womit sich Schilter explizit auf das althochdeutsche Ludwigslied, das Rolandslied des Pfaffen Konrad und Karl der Große des Strickers bezog.²³ Letzteres mag aus heutiger Sicht zunächst überraschen, spiegelt aber eine zeitgenössische Debatte wider, die sich um die Glaubwürdigkeit mittelalterlicher Lieder und Gedichte als historische Quellen drehte. Schilter, der sich für ihren Quellenwert aussprach, reagierte damit auch auf das Problem der Quellenarmut der germanischen Frühgeschichte. Die Bedeutung, welche das Thema für ihn besaß, zeigt sich daran, dass er es immer wieder aufgriff. Zum ersten Mal führte er das Argument ausführlich in der Vorrede zu seiner Otfrid-Edition aus, die er nach eigener Angabe zwar bereits 1693 fertiggestellt hatte, die aber erst postum 1728 veröffentlicht wurde.²⁴ Seine erste öffentliche Stellungnahme in der Debatte stellte daher sein Kommentar zur 1696 erschienen Edition des Ludwigsliedes dar.²⁵ Nur zwei Jahre später griff er das Thema erneut in der Vorrede zu seiner Edition der Straßburger Chronik auf: Dieses ist zwar nicht zu verneinen / daß Teutschland keine solche Historienschreiber gehabt / auff Art des Herodoti, Thucydidis und anderer bey den Griechen / oder des Livii und Taciti bey den Römern / wie dann auch die Römer und Griechen dieselben auch erst nach etlich hundert Jahren erhalten / Nichts desto minder aber hat bey den alten Celtis, Cimbris und Teutschen eben der auch bey den Griechen / Römern und andern ältern Völckern damahls übliche Gebrauch vorgetrungen / daß ihrer Könige und Helden Leben und Thaten / ihre Kriege und Veränderungen / nicht in prosa, sondern in Verse und Lieder verfasset worden / wie solches Julius Caesar, Tacitus, Jornandes und andere / auch die Nordischen so genannten Eddae bezeugen / deren theils in Truck kommen / theils noch in MSStis enthalten worden. Woraus und

21 Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie, 45. 22 Schilter, Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus. 23 Ausführlich zu Schilters Textauswahl vgl. Lieb, Johann Schilter als Philologe, 342 – 344. 24 Das 1698 erschienene Specimen der Edition enthielt keine Vorrede. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 164 – 166. 25 Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Commentatio, § I, 22.

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anderwerts auch dieses erhellet / daß diese Edden und Gesänge nicht allein der Gedächtnis überlassen / und erstlich von dem ersten Uffsetzer lediglich im Gedächtnis zusammen gesetzt / und hernach andern so lange vorgesungen worden / bis sie es gäntzlich auswendig behalten / und uff ihre Nachkommen wieder also fortgepflantzt hätten / welches fast lächerlich heraus kommt / Sondern sie sind allerdings auch der Schrifft einverleibt worden.²⁶

Texte wie das Ludwigslied waren für Schilter daher maßgeblich als eine historische Quelle und als Beleg einer schriftlichen Tradierung historischer Ereignisse im germanischen Raum interessant. Die Annahme, dass Germanen ihre Geschichte über Lieder und Gedichte weitergaben, ging bis auf Tacitus’ Germania zurück.²⁷ Die Frage, welcher Quellenwert diesen zuzuordnen war, blieb zeitgenössisch aber umstritten. Während einige Gelehrte wie etwa Hermann Conring in seinem Werk De Antiquissimo Statu Helmstadii et Viciniae Coniecturae (Helmstedt 1665) sich dafür aussprachen, die Glaubwürdigkeit dieser Texte nicht höher als die Fabeln der Griechen und Römer einzuschätzen,²⁸ vertrat Schilter im Anschluss an Daniel Georg Morhof (1639 – 1691) die gegensätzliche Position.²⁹ Schilters ausführliche Rechtfertigung seines Standpunkts in der Vorrede zu seiner Otfrid-Edition verrät uns einiges über die Kriterien seiner Textauswahl. So trennte er mit Bezug auf Otfrid zunächst zwei Gruppen von Dichtern: Auf der einen Seite diejenigen, die wie Otfrid die heilige Geschichte in Gedichtform niederschrieben („qui sacram historiam carmine complexi“). Auf der anderen Seite diejenigen, die Fabeln oder Romane verfassten („qui fabulas aut Romanas, quae vocantur, componunt“).³⁰ Während Letztere die „libertas fingendi“ nutzten, sei das für Erstere aufgrund des Gegenstandes undenkbar.³¹ Bezüglich der zweiten Gruppe sieht Schilter jedoch große kulturelle Unterschiede, die explizit gegen Conrings Vergleich sprächen. So unterschieden sich die Poeten der Griechen und Römer auf der einen Seite und der Kelten und Germanen auf der anderen Seite darin, dass die Letzteren in ihren Gedichten auch historische Ereignisse tradierten, wie es im

26 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, § III. 27 Grafton, Tacitus and Tacitism, 923. 28 Hermann Conring, De Antiquissimo Statu Helmestadii et Viciniae Coniecturae, Helmstedt: Mullerus 1665, 17– 18. 29 Daniel Georg Morhof, Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie / deren Uhrsprung / Fortgang und Lehrsätzen. Wobey auch von der reimenden Poeterey der Außländer mit mehren gehandelt wird, Kiel: Reumann 1682, Kap. VI: Von der Teutschen Poeterey / und zwar von der ersten Zeit, 276 – 305. 30 Schilter, Praefatio ad Otfridi Libros Evangeliorum, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, § IV. 31 Seelbach, Mittelalterliche Literatur in der Frühen Neuzeit, 112.

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Übrigen bei den Vorfahren der meisten Völker geschehen sei. Einen gewichtigen Grund für diesen Unterschied sieht Schilter in den strikten Regeln, die Aristoteles in seiner Poetik den griechischen und römischen Dichtern auferlegt habe.³² Schilter vertrat damit aber nicht nur ein weiter gefasstes Verständnis von historiographischen Texten, sondern maß auch Fabeln oder Mythen explizit einen Quellenwert zu. So ordnete er in der Vorrede zu seiner Edition der Straßburger Chronik die methodischen Unzulänglichkeiten des Autors Jakob Twinger von Königshofen folgendermaßen ein: Es benimmt auch ferner dieser Chronicke nichts / daß ein und andere Fabel und Historischer Irrthum darinn befindlich / denn solches nicht dem autor, sondern seinen Vorgängern und Lateinischen Scribenten zuzuschreiben / ja den alten fabelischen Zeiten selbsten / davon auch beym 1. Cap. §115 etwas erinnert wird. Es ist gleichwol nicht gar ohn einigen Nutzen: Inmassen ein groß Stück der Historischen Wissenschafft es ist / daß man auß solchen Schrifften und Büchern dennoch ersiehet / was in iedem hundert Jahren vor Meynungen und Wahne vor Wahrheit gehalten worden / und auß was Anlaß und Gelegenheit man damahls darein gerathen / und wie lange darauff bestanden / auch wie und welcher gestallt die Wahrheit hernach sich dennoch vorgetrungen.³³

Die in der Chronik enthaltenen Fabeln waren für Schilter also kein Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Werks oder des Autors an sich, sondern ließen sich selbst als Quellen nutzen, um etwas über das historische Denken um 1400 zu erfahren.³⁴ Kurz gesagt behandelte er die Chronik also als eine Quelle, die sich auch gegen den Strich lesen ließ. Inwiefern Schilter bestimmte Texte wie die in der manessischen Liederhandschrift enthaltene Minnedichtung Walthers von der Vogelweide von seiner Auswahl ausschloss, wie Seelbach nahelegt, ist schwer zu sagen.³⁵ Dass Schilter diese kannte, belegt ein Hinweis seines Schülers Schott aus dem Juli 1698: „P.S. Ich erinnere mich daß in biblioth. Regio ein MS in fol von cantilenis und hymnis aller hand art in lingua theudisca von Walthern von der Vogelweid zusammen getragen, gesehen mit d[en] Kupfern, ich halte es vor 3 bis 4 seculis, und solte es vielleicht auch etwas contribuiren können, es ist in vers, die gar lustig aber knittel Vers sind.“³⁶ Schilter

32 Schilter, Praefatio ad Otfridi Libros Evangeliorum, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, §§ VI–VII. 33 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, § XXI. 34 In ähnlicher Weise meinte Jacob Perizonius (1651 – 1715), der sich in seinen Animadversiones historicae (1685) mit der Frühgeschichte Roms beschäftigte, aus Fabeln wie der von Romus und Remulus historische Fakten ziehen zu können. Turner, Philology, 62. 35 Vgl. Seelbach, Mittelalterliche Literatur in der Frühen Neuzeit, 113. 36 Schott an Schilter, Paris 20. Juli 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 304 – 305).

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unterstrich zwar „Walter von der Vogelweid“, kam aber nicht wieder darauf zu sprechen. Im Februar 1699 wies ihn Johann Philipp Palthen erneut auf den Codex hin und schickte ihm eine Abschrift des Registers der Autoren der Handschrift.³⁷ Dieses druckte Schilter wiederum in der Vorrede zu seinem Glossar ab.³⁸ Ob dahinter allerdings eine bewusste Auswahl oder eine möglicherweise krankheits- und zeitbedingte pragmatische Entscheidung stand, lässt sich abschließend nicht nachvollziehen.³⁹

Abb. 4a.1. und 4a.2.: Von Schilter angefertigte Bleistiftskizzen der Illustrationen „ad pag. 3“ (oben) und „ad pag. 8“ (unten) aus dem 1870 zerstörten Exemplar des Rolandslieds des Pfaffen Konrad.

Die Texte waren für Schilter aber nicht nur inhaltlich als Quellen interessant, sondern selbst Objekte, die es zu untersuchen, einzuordnen und zu verstehen galt. Das spiegelt sich nicht nur in der Bezeichnung der Texte als Monumente („veteribus Germanorum scriptorum monumentis“) wider,⁴⁰ sondern drückte sich auch auf materieller Ebene aus. Besonders eindrücklich lässt sich dies an seinem Umgang mit illustrierten Handschriften verdeutlichen. Für die Edition des Rolandsliedes des Pfaffen Konrad im Rahmen des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm

37 Palthen an Schilter, Greifswald 2. Februar 1699 (Briefabschrift) (UB Gießen, Hs 47, fol. 123r–126v). 38 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, § XXXV. 39 Ulrich Seelbach vermutet dahinter einen bewussten Kanon Schilters. Vgl. Seelbach, Mittelalterliche Literatur in der Frühen Neuzeit, 112 – 115. 40 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, § XXXVIII. Zum Begriff des Monuments in Bezug auf Schrift- wie auch Sachquellen um 1700 vgl. Regazzoni, Geschichtsdinge, 37– 44. Vgl. a. Sawilla, Vom Ding zum Denkmal, 428 – 432.

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Abb. 4a.3. und 4a.4.: Von Schilter angefertigte Federzeichnungen der Illustrationen „ad pag. 3“ (oben) und „ad pag. 8“ (unten) aus dem 1870 zerstörten Exemplar des Rolandslieds des Pfaffen Konrad.

Abb. 4a.5. und 4a.6.: Kupferstiche der Illustrationen „ad pag. 3“ (oben) und „ad pag. 8“ (unten) aus dem 1870 zerstörten Exemplardes Rolandslieds des Pfaffen Konrad.

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1726 – 1728) nutzte Schilter beispielsweise ein illustriertes Manuskript aus dem Straßburger Stadtarchiv, das 1870 zerstört wurde. Offenbar nahm er zwei der Illustrationen als integralen Bestandteil der Handschrift wahr, ohne ihnen aber einen besonderen Quellenwert zuzuweisen. Darauf verweist, dass er einerseits beide Illustrationen, die Episoden des Textes darstellten, offenbar persönlich abzeichnete und sie der Edition als Kupferstiche anfügte.⁴¹ [Abb. 4a.1., 4a.2., 4a.3. und 4a.4.] Andererseits fehlte eine Einordnung der Kupferstiche in ihrem Verhältnis zum edierten Text völlig. [Abb. 4a.5. und 4a.6.] Dies hatte den ungewollten Nebeneffekt, dass die beiden Kupferstiche in den meisten Exemplaren des Thesaurus mangels eines konkreten Bezugs „irrtümlicherweise der Textausgabe von Strickers ›Karl‹ beigebunden“ wurden.⁴² Schilter betrachtete die Illustrationen offenbar weniger als visuelle Evidenz im argumentativen Sinne, sondern als materiellen Bestandteil der Manuskripte. Indem er auf diese Weise Elemente der mittelalterlichen Buchmalerei bewahrte, verwies er zugleich auf die Authentizität der edierten Handschrift.⁴³ Die Entscheidung, welche Illustrationen als essenzieller Bestandteil einer Handschrift galten, welche aufgrund ihres Quellenswerts interessant waren und welche zu vernachlässigen waren, beruhte angesichts schmuckvoll verzierter mittelalterlicher Manuskripte häufig auf einem bewussten Abwägen. So bemühte sich Schilter etwa bei zwei Illustrationen, die er auf dem Pergamenteinband des Manuskripts des Rolandsliedes gefunden hatte, besonders um die Deutung der unteren Abbildung.⁴⁴ [Abb. 4a.7.] Auf der ausgearbeiteten Federzeichnung sind vier wertvoll

41 Von den Zeichnungen sind jeweils zwei Versionen im Nachlass überliefert, zum einen rudimentäre Bleistiftskizzen (UB Gießen, H 47, fol. 151r und 152r) und zum anderen ausgearbeitete Federzeichnungen (Ebd., fol. 398r und 399r). Für Schilter als Zeichner der Bleistiftskizzen spricht, dass die Blätter mit den Bleistiftzeichnungen (Ebd., fol. 150r–154v) offenbar geschlossen einem durchnummerierten Notizheft entnommen wurden, das sich aufgrund der handschriftlichen Notizen (Ebd., fol. 153r) eindeutig dem Gelehrten zuordnen lässt. Die Federzeichnungen könnten grundsätzlich zwar auch von Scherz stammen, der die Zeichnungen Schilters so möglicherweise für den Druck aufbereitete, die Ausarbeitung einer weiteren Bleistiftskizze (Ebd., fol. 150r) als Federzeichnung auf den Seiten des Notizbuches (Ebd., fol. 153r) spricht allerdings dafür, dass sich auch die Federzeichnungen Schilter zuordnen lassen. Die Vorlage wurde beim Brand der Straßburger Stadtbibliothek 1870 zerstört. 42 Kristina Domanski, Karl der Große. Pfaffe Konrad, ›Rolandslied‹. Handschrift Nr. 66.1.3, in: Ulrike Bodemann [u. a.] (Hg.), Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters (KdiH). Begonnen von Hella Frühmorgen-Voss und Norbert H. Ott, Bd. 7, München: C.H. Beck 2017, URL: http://kdih.badw.de/datenbank/handschrift/66/1/3 [18.7. 2023]. 43 Ausführlich zur Bedeutung von Typographie und Illustrierung zeitgenössischer Editionen für die Bekräftigung der Authentizität der edierten Handschriften vgl. Siân Echard, Printing the Middle Ages, Philadelphia: University of Pennsylvania 2008, v. a. Kap. 1. 44 Über den Fundort der Abbildungen schreibt Schilter: „Pictura in [super: MS] pergameno, quod ligno, [super: quo liber compactas,] affixum, […].“ ‚Das Bild befand sich auf dem Pergamentblatt, das

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gekleidete Menschen zu sehen, die sich um einen Badezuber gruppieren, in welchem eine weitere Person zu sehen ist.⁴⁵ Beim Abzeichnen übernahm Schilter auch die Namen der Menschen, welche über ihren Köpfen notiert waren. Die vermutlich später ergänzte Beschriftung führte den Gelehrten offenbar zu seiner Fehldeutung außerhalb des Kontexts des Rolandsliedes, die er unterhalb der Zeichnung notierte: „An Baptismus Wedekindi Saxonis?“.⁴⁶ Anschließend trug er zu jedem der angegebenen Namen Informationen zusammen, die er mit Literaturverweisen untermauerte. Einen inhaltlichen Zusammenhang zum Rolandslied schloss Schilter damit aus. Er scheint aber generell in der Deutung der Illustration nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen zu sein, da diese an keiner Stelle seiner Werke wieder aufgegriffen oder abgedruckt wird. Tatsächlich dürfte es sich bei der Abbildung allerdings um eine Illustration zur Taufe der Heiden handeln, die als Fragment im vorderen Deckel der beschädigten Straßburger Handschrift eingeklebt war.⁴⁷ Hieran zeigt sich zum einen, wie Schilter versuchte, die Illustrationen der Manuskripte auch als Quellen nutzbar zu machen. Zum anderen werden aber die damit verbundenen Schwierigkeiten deutlich. So stellte die Einordnung von Abbildungen, vor allem wenn sie aus dem Kontext gerissen waren, bisweilen eine unlösbare Aufgabe dar. Ohne Quellenwert oder einen Zusammenhang zu einem edierten Manuskript waren die Illustrationen für Schilter letztlich jedoch nutzlos. Wie die Auswahl der relevanten Illustrationen im Detail ablaufen konnte, lässt sich am Beispiel des Manuskripts von Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex erkennen, auch wenn es sich dabei nicht um eine volkssprachige Handschrift handelt. Als Schmid im Auftrag Schilters die reich illustrierte Handschrift in der Königlichen Bibliothek in Paris ausfindig gemacht hatte,⁴⁸ beauftragte ihn sein Lehrer nicht nur mit dem Abschreiben des Manuskripts, sondern auch mit

an dem Holz, mit dem das Manuskript [des Rolandsliedes] zusammengehalten wurde, befestigt war.‘ (Übers. d. Verf.). UB Gießen, Hs 47, fol. 153r. 45 Von der Abbildung ist ebenfalls eine vorhergehende Bleistiftskizze überliefert. UB Gießen, Hs 47, fol. 150r. 46 ‚Ob es sich um die Taufe Widukinds des Sachsen [handelt]?‘ (Übers. d. Verf.). UB Gießen, Hs 47, fol. 153r. 47 Vgl. hierzu die ähnliche Illustration in der Heidelberger Handschrift des Rolandsliedes des Pfaffen Konrad (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 112, fol. 5r). Die obere Abbildung auf dem Vorderdeckel der Straßburger Handschrift (UB Gießen, Hs 47, fol. 153r) könnte dementsprechend den thronenden Karl den Großen und seine Ratgeber bzw. die Aussendung Rolands nach Spanien darstellen. Vgl. UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 112, fol. 5v. Für den Hinweis auf die Abbildungen in der Heidelberger Handschrift wie auch für die Einordnung und Interpretation in Abgleich mit Schilters Zeichnungen aus der Straßburger Handschrift bin ich Kristina Domanski zu großem Dank verpflichtet. 48 BNF, Département des Manuscrits. Latin 4679.

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Abb. 4a.7.: Federzeichnung zweier Illustrationen aus dem Buchdeckel eines 1870 zerstörten Exemplars des Rolandslieds des Pfaffen Konrad aus dem Straßburger Stadtarchiv.

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dem Abzeichnen der Illustrationen. Neben zwei größeren Illustrationen ließ Schmid durch einen Zeichner auch eine Initiale abzeichnen, was er wie folgt begründete: Tres figurae sunt nuper transmissae, quarum minima Monachi imaginem repraesentans, Literae C. quae primus character Praefationis est, includitur: ideo eam signari curavi, quod hae omnia figurae unâ paginâ subordinatae cernuntur, et quod nullibi amplius toto libro majuscula litera à me deprehensa sit, quae figuram complecteretur num vero descriptoris Monachi cuiusdam, an alii[?] certe non Mincucii ut hominis Civilis, imaginem concludat, sapientioribus relinquo.⁴⁹

Damit traf Schmid bereits eine Vorauswahl der seiner Ansicht nach zentralen Illustrationen des Manuskripts, womit er zugleich allerdings etliche kunstvolle Verzierungen außer Acht ließ, wie ein Blick in das überlieferte Manuskript zeigt. [Abb. 4a.8.] Die Ausführungen zur Initiale legen zudem nahe, dass Schilter bei den Illustrationen offenbar (vergeblich) auf eine Abbildung des Autors hoffte.⁵⁰ Die abschlägige Einschätzung seines Schülers, dass es sich bei der als Mönch ausgestalteten Initiale nicht um ein Abbild von Antonius Mincuccius handeln könnte, teilte Schilter aber anscheinend. Dennoch nahm der Gelehrte die Ausgestaltung der Initiale ebenso wie die übrigen von Schmid gelieferten Abbildungen letztlich offenbar als Beleg ihrer Authentizität in seine Edition auf.⁵¹ [Abb. 4a.9., 4a.10. und 4a.11.] Schilters beziehungsweise Schmids Auswahl der Illustrationen, die Eingang in die Edition fand, verweist allerdings auf grundsätzliche editorische Probleme bei der Übersetzung der materiellen Besonderheiten mittelalterlicher Handschriften etwa hinsichtlich ihres Formats und ihrer Gestaltung in gedruckte Editionen, sodass in der Edition fast zwangsläufig etwas von der materiellen Besonderheit des Manuskripts verloren ging. Diese Probleme lassen sich einerseits auf die technischen

49 ‚Neulich sind 3 Abbildungen überschickt worden, von denen eine kleine das Abbild eines Mönchs darstellt, das die Initiale C der Vorrede umschließt. Weil alle diese Abbildungen auf einer Seite untereinander zu sehen sind und weil mir nirgendwo im ganzen Buch eine ansehnlichere Litera majuscula aufgefallen ist, habe ich mich darum bemüht, dass diese abgezeichnet wird; inwiefern die Abbildung jemanden bestimmten wiedergeben soll – nicht Mincuccius, der Laie („hominis civilis“) war – überlasse ich den Weiseren.‘ (Übers. d. Verf.) Schmid an Schilter, Paris 20. Oktober 1689 (UB Gießen, Hs 142, fol. 210 – 212). 50 Zur langen Tradition, mittelalterliche Autoren anhand des Abdrucks von Buchmalereien für die Leserschaft visuell greifbar zu machen, vgl. Echard, Printing the Middle Ages, 17– 19. 51 Vgl. Johann Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex, ex omni veteri Feudorum jure nova ordinatione collecti. Ad Sacratiss. Principem Sigismundum Romanorum Imperatorem. Nunc primum ex Ms. Cod. Bibliothecae Regiae Parisiensis editi: Dudum vero ab eruditis desiderati, Straßburg 1695, in: ders., Codex Iuris Alemannici Feudalis.

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Abb. 4a.8.: Schmuckvoll illustrierte erste Seite des Manuskripts von Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex.

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Abb. 4a.9. und 4a.10: Schilters editorische Umsetzung der Illustrationen auf der ersten Manuskriptseite von Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex auf mehreren Seiten.

Gegebenheiten des Buchdrucks und andererseits auf die pragmatischen Anforderungen des Buchmarktes zurückführen.⁵² Das konnte im ersteren Fall unüber52 Zu den Schwierigkeiten der typographischen Übertragung einer Handschrift in eine Edition vgl. Karl A. E. Enenkel / Wolfgang Neuber (Hg.), Cognition and the book. Typologies of formal organisation of knowledge in the printed book of the early modern period, Leiden: Brill 2005 (Intersections 4); Joseph A. Dane, Out of sorts. On typography and print culture, Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2011; Echard, Printing the Middle Ages.

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sichtliche Lösungen zur Folge haben, etwa wenn das komplexe Layout einer als Schachtelglosse konzipierten Handschrift wie Antonius Mincuccius de Prato veteris (1380 – 1484) De Feudis Libri sex [Abb. 4a.12.] im Druck in ein Apparatsystem überführt wurde.⁵³ Der Druck besaß dadurch einen doppelten Anmerkungsapparat, der erstens aus Mincuccius’ Kommentar und zweitens aus Schilters textkritischem Apparat bestand.⁵⁴ [Abb. 4a.13.] Ähnliche Probleme ergaben sich auch bei der typographischen Gestaltung der Otfrid-Edition, was sich nicht zuletzt darin äußerte, dass das Herausgeberkollegium des Thesaurus diese für den Druck noch einmal komplett umstellte.⁵⁵ Als typographisch gelungenes Gegenbeispiel lässt sich dagegen Schilters Notker-Edition anführen, die das „Dreischichtenmodell aus Text, Übersetzung und Kommentar, das Notker für die zweisprachige Bearbeitung lateinischer Werke entwickelt hat, entsprechend der Gestaltung in der Handschrift durchgängig abbildet“.⁵⁶ [Abb. 4a.14. und 4a.15.] Bei der gelungenen Notker-Edition dürfte aber auch die Umsetzbarkeit des Dreischichtenmodell im Druck eine Rolle gespielt haben, während ein komplexeres Layout wie eine Schachtelglosse einen wesentlich höheren Aufwand bedeutet hätte.

4a.11.: Schilters editorische Umsetzung der Initiale auf der ersten Manuskriptseite von Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex.

In Bezug auf die Anforderungen des Buchmarktes konnten die Konsequenzen noch sehr viel weitreichender sein, wie das Beispiel von Schilters Otfrid-Edition zeigt. Noch zu seinen Lebzeiten hatte sich der Straßburger Gelehrte um die OtfridHandschrift in der Wiener Hofbibliothek bemüht, die ihn allerdings nur noch in Teilen erreichte. Als die postumen Herausgeber des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum vor der Wahl standen, ob sie die Edition auf Grundlage des mittlerweile vorliegenden Wiener-Manuskripts neu aufsetzen sollten, entschieden sie sich aus pragmatischen Gründen dagegen. Anders als Schilters Edition bestand der Wiener 53 54 55 56

Vgl. BNF, Département des Manuscrits. Latin 4679. Vgl. Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 190 f. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 329.

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Codex aus Langzeilen. Das Problem war, dass Schilter aus seiner auf Kurzzeilen beruhenden Edition bereits vielfach in den anderen Editionen des Thesaurus zitiert hatte und Belegstellen im Glossar angeführt hatte. Eine Neu-Aufstellung der OtfridEdition hätte somit auch eine Überarbeitung der gesamten Otfrid-Verweise erfordert, was einen hohen zeitlichen und somit finanziellen Aufwand bedeutet hätte. Demgegenüber nahmen die Herausgeber lieber eine später vielkritisierte, da nicht mehr dem Stand der Forschung entsprechende Edition in Kauf.⁵⁷ Der Bewahrungsgedanke, der bereits bei Schilters Berücksichtigung von Handschriftenillustrationen mitschwingt, ist auch bei der Aufnahme der Abbildungen in seiner Edition der Straßburger Chronik maßgeblich. In diesem Fall bezog er sich allerdings vor allem auf die Geschichte und die städtischen Traditionen Straßburgs. Dabei fällt auf, dass sich das Werk sowohl in der Nutzung gegenständlicher Quellen als auch in der Zahl der enthaltenen Kupferstiche deutlich von seinen anderen Editionen abhebt. Die mehr als fünfzehn Kupferstiche, die Schilter mit seinen Anmerkungen zum Editionstext abdruckte, reichen von akkuraten Darstellungen zweier Wandteppiche aus dem Straßburger St. Stephansstift bis zu einfachen schematischen Grundrissen des Münsters.⁵⁸ Zudem waren die Kupferstiche von einer außergewöhnlich hohen Qualität. Etliche von ihnen, insbesondere die anspruchsvolleren, gehen auf eine Zusammenarbeit mit dem anerkannten Straßburger Kupferstecher Johann Adam Seupel (1662 – 1717) zurück, wie dessen Signatur ausweist.⁵⁹ Diese Sonderstellung des Werkes unter Schilters Editionen erklärt sich vornehmlich dadurch, dass es sich im Gegensatz zu den meisten anderen Publikationen Schilters ausdrücklich auch an eine nicht-gelehrte bürgerliche Leserschaft vor allem in Straßburg richtete. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Abfassung der Vorrede in deutscher Sprache. Die Illustrationen dienten zur Verbildlichung der gewonnen Erkenntnisse. In dem Sinne lässt sich ein Kupferstich vom Grundriss Straßburgs zur Zeit der Stadtgründung und ihrer ersten Erweiterung einordnen.⁶⁰ Dieser stellte eine Korrektur dreier früherer Stiche dar, die Matthäus Merian (1593 – 1650) in

57 Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie, 47 f.; Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 191. Vgl. a. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, v. a. 314 – 315. 58 Die Abbildungen der Wandteppiche finden sich bei Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anhang, Anmerkung 8, §§ IV– VI. Der Grundriss des Münster findet sich Ebd., Anm. 9, § II, 548. 59 Vgl. Hermann Hieber, Johann Adam Seupel. Ein deutscher Bildnisstecher im Zeitalter des Barock, Straßburg: Heitz 1907, 10. 60 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 12, 604.

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seiner Topographia Alsatiae (Frankfurt a. M. 1663) veröffentlicht hatte,⁶¹ und wurde von einer ausführlichen schriftlichen Kritik Schilters begleitet.

Abb. 4a.12.: Schachtelglosse in Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex.

61 Matthäus Merian / Martin Zeiller, Topographia Alsatiae […], Frankfurt a. M.: Merianus 1663, 51 – 63.

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Abb. 4a.13.: Schilters Umsetzung der Schachtelglosse aus Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex.

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Abb. 4a.14.: Dreischichtenmodell der Psalterübersetzung von Notker dem Deutschen bestehend aus Text (rot), Übersetzung und Kommentar.

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Abb. 4a.15.: Schilter überträgt in seiner Edition das Dreischichtenmodell Notkers mit Hilfe von Kursivierungen in Text (kursiv), Übersetzung (recte) und Kommentar (kursiv).

Über eine reine Edition hinaus verfasste Schilter das Werk aber auch als eine repräsentative Materialsammlung zur Geschichte der Stadt Straßburg und ihrer

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Umgebung. So ließ Schilter bedeutende städtische Insignien aus dem Straßburger Stadtarchiv abbilden, die für viele nur im Zuge der Öffnung der Straßburger Archive für alle Bürger einmal im Jahr zugänglich gewesen sein dürften.⁶² Darunter waren etwa Kupferstiche der Stadthauptfahne oder auch eines Glasgemäldes, welches das städtische Heer mitsamt der Zunftfahnen beritten oder auf Wägen darstellte und damit eine zu Beginn des 14. Jahrhunderts eingeführte Neuerung illustrierte.⁶³ Zudem zeigt sich an den Abbildungen eine bewahrende Intention so zum Beispiel beim Kupferstich der Reliquie von St. Attalas Hand,⁶⁴ erster Äbtissin des St. Stephansstifts, die bereits am 30. November 1685 auf Druck des Generalvikars, des Generalintendanten sowie des Königlichen Prätors an die Jesuiten übergeben werden musste,⁶⁵ und somit einer protestantischen Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung stand. Bei all dem darf aber keineswegs der rein illustrative Zweck unterschätzt werden, der sich in Anmerkungen Schilters etwa zum Kupferstich des Palliums von St. Attala andeutet: „Ist schön zu sehen / und in Kupffer allhier beygefügt.“⁶⁶ Das Oktavformat des Werkes legt allerdings nahe, dass es nicht ausschließlich auf die lokale Straßburger Bürgerschaft abzielte, sondern regt ebenso eine Rezeption als Reiseliteratur an, wie sie sich anhand der Reisebeschreibungen Zacharias Konrad von Uffenbachs (1683 – 1734) nachvollziehen lässt. Bei seinem Straßburger Aufenthalt im Rahmen der Akademischen Reise hatte dieser offenbar stets seinen „Schilter“ zur Hand, um sich über die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu informieren. Bei seinem Besuch des Pfennigturms schloss er seine Beschreibung etwa mit dem Verweis: „was sonsten übrigens von den inscriptionen die hin und wieder in […] der gewölbe stehen, zu sagen wäre, ist nicht nöthig in dem sie all, in des H. Schilters Chronick der statt Strasburg von Königshoffen geschrieben, von wort zu wort. p.

62 Vgl. Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 201 – 203. 63 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anhang, Nr. III, 1107. Zuvor waren die Straßburger Bürger zu Fuß in den Krieg gezogen. Vgl. Paul Martin, Die Hoheitszeichen der Freien Stadt Strassburg 1200 – 1681, Straßburg: Straßburger Druckerei und Verlags-Anstalt 1941 (Veröffentlichung der Städtischen Museen Strassburg), hier: 105 – 125. 64 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 8, 523. 65 Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Louis Schlaefli.Vgl. Louis Schlaefli, Chanoinesses et chanoines de l’abbaye de Saint-Étienne à Strasbourg (XVIIe Siècle). Ungedrucktes Manuskript. Die Abbildung findet sich bei Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 8, 523. 66 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anmerkung 8, 526.

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stehen“.⁶⁷ An anderer Stelle empfahl er, „Zu beßerer Nachforschung aller hiesigen antiquitäten und sehenswürdigen sachen auch zu mehrerer Declaration deßen was etwa in meinem Diario von Strasburg und dem Elsaß gesagt kan Konigshoffens Kronick so Schilter cum comentar edirt nachgeschlagen werden“.⁶⁸ Die Edition fungierte also als auch als eine Art Reiseführer, der zur Vorbereitung eines Besuches der Stadt dienen konnte.⁶⁹ Nur in einzelnen Fällen dienten die Abbildungen dazu, Lücken in der schriftlichen Überlieferung zu schließen.⁷⁰ Die spärlichen Informationen zur Biografie von Jakob Twinger von Königshofen, dem Verfasser der Straßburger Chronik, ergänzte der Gelehrte etwa anhand zweier Epitaphien in Straßburg. Im einen, das Schilter„zu St. Thoman aussen an der Mauer zur lincken Hand des Eingangs zu dem Creutzgange / wann man von der Knoblochs-Gassen hinein gehet / bey des Sigristen Hause“ lokalisierte und im Faksimile abdruckte, sah der Gelehrte mit dem Verweis auf einen Canonicus Namens Jacobus Twinger eine mögliche Bestätigung einer handschriftlichen Notiz auf dessen lateinischer Chronik, dieser sei Kanoniker im St. Thomasstift gewesen. Das nach Schilters Einschätzung späte Todesjahr, welches hier mit 1420 angegeben war, und die fehlende Nennung des Geschlechtsnamens schränkten die Zuordnung allerdings etwas ein. Das andere Epitaphium war in einem „alten Steinhauffen“ entdeckt worden, was Schilter damit erklärt, dass 1554 viele ältere Grabsteine zu St. Thomas als Baumaterial verwertet worden seien. Hier fand sich allerdings nur die Erwähnung eines „FRIDERICUS de KVNIGESHE. SACERDOS CANONICUS SCI PETRI IVNIORIS“ erwähnt. Die angegebene Jahreszahl konnte Schilter nicht mehr entziffern.⁷¹ Auch wenn beide Epitaphien nicht die erhofften eindeutigen Hinweise lieferten, zeigt sich an ihrer Diskussion, wie Schilter auf seine räumliche Umgebung als Quelle zurückgriff. Gerade beim ersten Epitaph lieferte er mit der genauen Beschreibung, wie es zu finden sei, eine überprüfbare Angabe mit, auf deren Grundlage jeder die abgedruckten Informationen nachvollziehen konnte.

67 Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 203. 68 Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 437av. 69 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, 70 – 74. 70 Vgl. dagegen etwa am Beispiel von Leibniz Stephan Waldhoff, Medaillen, Sigilla und andere monumenta. Leibniz als Sammler und Interpret von Sach- und Bildquellen, in: Nora Gädeke (Hg.), Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, Wiesbaden: Harrassowitz 2012, 49 – 118. 71 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, §§ XII–XIII.

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An Schilters Editionen zeigt sich, dass für ihn bei der Aufnahme von Objektabbildungen weniger ihr Evidenzwert als ein Bewahrungsgedanke oder auch ihr Unterhaltungs- und Informationswert eine Rolle spielten. Damit lässt er sich von Zeitgenossen wie Leibniz, Caspar Sagittarius oder der systematischen Beschäftigung mit Inschriften eines Marquard Gude (1635 – 1689) abgrenzen.⁷² Exemplarisch kann hierfür die insbesondere in den mitteldeutschen Fürstentümern erstarkende numismatische Forschung stehen.⁷³ Diese war Schilter zwar durch Korrespondenzen mit Protagonisten wie Sagittarius oder Wilhelm Ernst Tentzel bekannt, spielte für seine Mittelalterforschung allerdings kaum eine Rolle.⁷⁴ Das lässt sich sicherlich zum Teil damit erklären, dass Schilter Zeit seines Lebens nur wenig reiste und somit als „armchair scholar“ auf Berichte anderer angewiesen war. Da es aber auch keine Anzeichen dafür gibt, dass der Gelehrte ihm zugesandte oder anderweitig gesammelte Objekte in größerem Stil auswertete, dürfte die spezifische Ausrichtung seiner Arbeiten den gewichtigeren Grund darstellen. Während etwa Sagittarius vornehmlich historische Abhandlungen verfasste, lag der Schwerpunkt von Schilters Mittelalterforschung eben auf der Edition mittelalterlicher Handschriften beziehungsweise fand diese in den angehängten historischen Kommentaren statt. Der Fokus lag hierbei auf der Verfügbarmachung und Einordnung der edierten Texte in ihrer sprachlichen Alterität, das heißt in möglichst enger Orientierung an der sprachlichen Gestalt der Vorlage, ebenso wie in ihrer materiellen Beschaffenheit.⁷⁵

72 Zu Leibniz vgl. Waldhoff, Medaillen, Sigilla und andere monumenta. Zu Sagittarius vgl. Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler. Zu Gude vgl. Harald Bollbuck, Marquard Gude als Inschriftensammler. Autopsie, Kritik und Evidenz, in: Patrizia Carmassi (Hg.), Retter der Antike. Marquard Gude (1635 – 1689) auf der Suche nach den Klassikern, Wiesbaden: Harrassowitz 2016, 53 – 86. 73 Vgl. insbesondere den hierzu erschienen Themenschwerpunkt Martin Mulsow (Hg.), Antiquarianismus, Numismatik und Mittelalterhistoriographie. Ein mitteldeutsches Gelehrtennetzwerk Jena – Arnstadt – Gotha 1680 – 1720, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 89 (2018), 141 – 237. 74 Vgl. die Korrespondenz mit Tentzel: Schilter an Tentzel, Straßburg 22. März 1700 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 462r–463v); Straßburg 12./22. August 1698 (Ebd., fol. 456r–457v) und Tentzel an Schilter, Frankfurt a. M. 16. Mai 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 396r–397v). Nur indirekt fanden numismatische Forschungen auch Eingang in seine Werke, etwa im Fall eines unveröffentlichten numismatischen Werkes des Straßburger Patriziers Elias Brackenhofer (1618 – 1682), das Schilter vereinzelt für sein Glossarium nutzte. Vgl. etwa das Lemma „PFANT“ in: Schilter, Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, 657. Im textkritischen Apparat zur Edition des Rolandsliedes des Pfaffen Konrad im zweiten Band des Thesaurus zitierte Scherz hieraus gleich einen ganzen Abschnitt zur Erläuterung der Byzantius genannten römischen Goldmünze. Vgl. Johann Schilter, Anonymi Fragmentum de Bello Carolum M. contra Saracenos versibus antiquis Germanicis constans, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus, 4, Anm. uu. Vgl. a. Kap. 3a. 75 Ausführlich hierzu vgl. Kap. 5c.

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An Schilter lässt sich damit exemplarisch veranschaulichen, wie die um 1700 erstarkende antiquarisch geprägte Gelehrsamkeit mittelalterliche Handschriften in ihrer Materialität wahrnahm, welche Aspekte selektiert und schließlich im Druck als Authentizitätsmerkmal aufgenommen wurden.

b Zum materiellen Arbeitsumfeld eines Mittelalterforschers In der Vorrede zum zweiten Band des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) sah sich Johann Frick gezwungen, eine Unstimmigkeit zu erklären. Im Appendix enthielt der Band, in dem ansonsten vor allem juristische und historiographische Texte enthalten waren, mit dem Althochdeutschen Tatian einen Text, der thematisch eindeutig zum ersten Band gehörte, der sich der Edition sakraler Texte widmete.⁷⁶ Das ganze ging darauf zurück, dass die postumen Herausgeber des Thesaurus Schilters Vorarbeiten zu spät in seinen Arbeitsmanuskripten gefunden hätten, wie Frick ausführlich in der Vorrede zur Edition erläuterte: Videlicet, cum primum MSSta Thesauri Schilteriani Volumina nostras in manus tradita accepissemus; Harmonia Evangelica Tatiani nuspiam comparebat; unico solum folio excepto, quod praeter titulum libri Fragmentum coeptae à Schiltero Praefationis, sed non absolutae (quod nostrae nunc praefationi subjecimus) continebat.⁷⁷

Das einzelne Blatt veranlasste die Herausgeber offenbar zu einer intensiven Suche in Schilters überlieferten Manuskripten zum Thesaurus, die durch Hinweise in seiner Korrespondenz mit Palthen auf eine von diesem übersandte Abschrift an-

76 Johann Frick, Lectori, in: Schilter, Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus, VII–VIII. Vgl. a. Anonym, [Rezension des zweiten Bandes des Thesaurus] in: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen auf das Jahr 1728, 7. Juni, Bd. 14, Lieferung 46, 442 – 444. 77 ‚Als wir nämlich zum ersten Mal die MSSta Thesauri Schilteriani Volumina in unsere Hände übergeben empfangen hatten; war die Harmonia Evangelica Tatiani nirgendwo zum Vorschein gekommen; ausgenommen nur ein einzelnes Blatt, das neben dem Titel des Buches einen Teil des Anfangs von Schilters Vorrede, aber nicht vollständig (was wir nun unserer Vorrede beifügen) enthielt.‘ (Übers. d. Verf.). Johann Schilter, Tatiani Syri Harmonia Evangelica, E Latina Victoris Capuani Versione translate In Linguam Theotiscam Antiquissimam Editio post primam Palthenianam Nova Emendatior: Ad Apographa duo MSSta & Curas JO. Schilteri posthumas Studiose recensita, subjectis notulis: Praemissa Praefatione Gemina, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus, Lectori S., I.

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gespornt wurde. Sie verlief zunächst jedoch ohne Erfolg. Dieser stellte sich erst ein, als sich der erste Band bereits im Druck befand, berichtet Frick weiter: „Tandem vero repertus nuper Campoduni Codex geminus inter Schilteriana MSSta. (Volumine alio quam quod talia pollicebatur)“.⁷⁸ Der späte Fund lag also darin begründet, dass sich der Rest von Tatians Evangelienharmonie in einem gänzlich anderen Handschriftenband als die übrigen Vorarbeiten zum Thesaurus befand. Es handelte sich hierbei offensichtlich um ein Ordnungsproblem, das auf Schilter und nicht auf die durchaus bewegte Arbeit des postumen Herausgeberkollegiums zurückging.⁷⁹ Zwar war der Nachlass zu diesem Zeitpunkt bereits mit Simon nach Kempten umgezogen, allerdings gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Simon die Manuskripte Schilters weitestgehend in ihrer Ordnung beließ. Die Episode veranschaulicht zunächst das Ordnen insbesondere handschriftlicher Bestände als ein Problem frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit. Ebenso zeigt sie die Konsequenzen, die sich aus einem Mangel an Ordnung ergeben konnten. So konnte sich eine Unordnung in den eigenen Arbeitsmanuskripten wie im Fall des althochdeutschen Tatian in einer für alle sichtbaren Unordnung des Drucks niederschlagen. Im Umkehrschluss lässt sich daran aber auch festmachen, dass Schilter seine restlichen Arbeitspapiere offenbar so geordnet aufbewahrte, dass das Herausgeberkollegium des Thesaurus darauf aufbauen konnte. Die Frage, wie man solch umfangreiche Wissensbestände in den Griff bekommen könnte, war für Gelehrte um 1700 ein allgegenwärtiges Problem. Die Zunahme der Schriftlichkeit mit der Erfindung des Buchdrucks und die anwachsende Verfügbarkeit von Papier als günstigem Beschreibstoff bestimmten auch den Alltag frühneuzeitlicher Gelehrter. Bücher, Arbeitspapiere, Handwerksbücher, Notizen und Korrespondenzen mussten geordnet, aufbewahrt und zugleich nutzbar und durchsuchbar gehalten werden. Wie Ann Blair gezeigt hat, handelte es sich dabei allerdings nicht ausschließlich um ein praktisches Problem. Vielmehr muss die Akkumulation von Schriftgut in eine breitere kulturelle Entwicklung eingeordnet werden, die dem Sammeln im Allgemeinen (und komplementär dazu dem Ordnen) eine neue Bedeutung einräumte.⁸⁰ Die Lösungen, auf die Gelehrte hierzu zurückgriffen, waren vielfältig.⁸¹ Sie reichten von ausgefeilten Zettelkastensystemen wie

78 ‚Schließlich wurde tatsächlich vor kurzem ein doppelter Codex in Kempten unter den Schilterschen MSSta wiedergefunden (In einem anderen Band als jenem, der dies versprach [erwarten ließ].‘ (Übers. d. Verf.) Schilter, Tatiani Syri Harmonia Evangelica, Lectori S., II. 79 Vgl. Kap. 4c. 80 Blair, Too much to know, 62 – 116. 81 Vgl. exemplarisch Blair, Too much to know; Burke, Papier und Marktgeschrei; Marten / Piepenbring-Thomas, Fogels Ordnungen; Zedelmaier, Werkstätten des Wissens zwischen Renaissance und Aufklärung; Mulsow, Prekäres Wissen.

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sie Joachim Jungius (1587– 1657) oder sein Schüler Martin Fogel (1632 – 1675) ausarbeiteten, über Loci communes-Sammlungen bis zu Überlegungen über technische Lösungen wie die Maschine von Thomas Harrison, die als „erste moderne Suchmaschine“ bezeichnet worden ist.⁸² Hieran anschließend wirft Fricks Bericht von der Arbeit an der Herausgabe des Thesaurus die grundsätzliche Frage auf, wie Schilter sein Wissen über das Mittelalter auf materieller Ebene strukturierte. Dieser Frage soll im Folgenden auf drei unterschiedlichen Ebenen nachgegangen werden. Erstens soll anhand von Schilters Bibliothek und seiner Manuskriptsammlung das materielle Arbeitsumfeld des Gelehrten rekonstruiert werden. Dabei wird aufgezeigt, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen er dieses entsprechend seinem wachsenden Interesse an den Zeugnissen des Mittelalters strukturierte und erweiterte. Daran anschließend soll es zweitens darum gehen, wie Schilter seine Arbeitspapiere ordnete, um einzelne Stücke wiederfinden zu können. In einem dritten Schritt soll an einem konkreten Quellenfund exemplarisch nachvollzogen werden, wie seine Ordnung auch auf die Vorbereitung der gesammelten Schriftstücke für den Druck ausgerichtet war und somit die Arbeitspraxis des Gelehrten widerspiegelt. Es ist zwar keine Beschreibung von Schilters Wohnhaus oder seinem Studierzimmer in Straßburg überliefert, dennoch lassen die Quellen einige Rückschlüsse auf sein räumliches Arbeitsumfeld zu.⁸³ Anhaltspunkte liefert insbesondere ein Bericht von Johann Friedrich von Uffenbach, der die Bibliothek Schilters wenige Jahre nach dessen Tod im Besitz von Johann Christian Simon in Straßburg besuchte und in seinem Tagebuch beschrieb: Strasburg, 28ten Aprill 1713 Diens[super: Frey-]tags nachmittags ließ ich mich bei dem H. Simon, einem advocaten alhier, und vormahls geweßenen famulo des berühmbten Schilters anmelden, zu dem ich auch nachmahls ging, umb seinen von obigen [super: erwehnten] H. Schilter bibliothek und mscta zu sehen, er wohnete in Eines Kauffmanns nahmens Stählings Haus nahe bey des H. de la bartie Wohnung. Ich sah also erstlich seine bibliothek, so nicht gar zahlreich aber von guten büchern bestund, ohngefehr meines erachtens bey 3000 stück. Es waren meistens historica und publicisten, und jederzeit die besten und rahrsten editionen vielfältig mit der Hand des H. Schilters vermehrt und beschrieben, er hatte auch als ein advocat, seine handwercksbücher in großer anzahl, und dabey etliche autores classici. Die art von

82 Zu Harrisons „Ark of Studies“ vgl. Thomas Harrison, The Ark of Studies, hg. von Alberto Cevolini, Turnhout: Brepols 2017; Noel Malcolm, Thomas Harrison and his „Ark of Studies“. An Episode in the History of the Organization of Knowledge, in: The Seventeenth Century 19 (2004), 196 – 232. 83 Zur Rekonstruktion einer Gelehrtenbibliothek um 1700 vgl. Bulinsky, Nahbeziehungen eines europäischen Gelehrten, 42 – 45.

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seinen bücherbrettern hat er nicht unrecht ausgesonnen, indem es lauter schmahle und lange Kasten waren, welche mit einem schieber verschloßen, und also die bücher ohne sie zu […] versezen, transportirt wurden, wie beyliegende figur deutlicher zeigt. Alle dieße kasten hatte er so aufeinander gesetzet, daß man meinte es seien vollkommene bücherbretter, damit er 2 ziehmlich große logiments besezet hatte. In dem 3ten war noch ein bücherbrett mit manuscriptis, davon eine gute Anzahl theils von ungemeiner Güte und Alter, theils von dem H. Schilter selbst zusammengetragen und verfertigt, vorhanden war. Weil er mir einen catalogum davon versprochen, so spahre hier die mühe umb sie zu recensiren.⁸⁴

Uffenbachs umfassender Bericht gibt eine Vielzahl an Hinweisen zum Umfang, zur Aufstellung und zur Ordnung der Bibliothek Schilters.⁸⁵ Die Einschätzung Uffenbachs von der Größe der Bibliothek deckt sich in etwa mit dem Umfang des späteren Auktionskatalogs, der Almut Mikeleitis-Winter zufolge „insgesamt mehr als 5100 bibliographische Einheiten mit einer noch deutlich größeren Zahl an Einzeltiteln“ aufweist.⁸⁶ Da es sich um die zusammengenommenen Bibliotheken von Schilter und Simon handelt, dürfte Uffenbachs Schätzung von Schilters Sammlung auf etwa 3.000 Bücher stimmen. Uffenbachs Urteil, dass es sich um eine kleinere Bibliothek handelte, muss allerdings in den Kontext zunehmend anwachsender Privatbibliotheken gesehen werden.⁸⁷ Noch 1676 hatten die Ernestinischen Herzöge die Gelehrtenbibliothek des Jenaer Geschichtsprofessors Johann Andreas Bose, die einen ähnlichen Umfang wie Schilters Sammlung hatte, für immerhin 2.000 Reichstaler für die Universität Jena erworben.⁸⁸ Für zeitgenössische Maßstäbe handelte es sich also immer noch um eine umfangreiche und – wie Uffenbach betonte – ausgesuchte Sammlung. Dafür spricht nicht zuletzt, dass die Aufstellung der Bibliothek zwei große Räume einnahm. Im Vergleich zur Bibliothek von Johann Friedrichs älterem

84 Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 153 – 154. Der erwähnte Katalog ist nicht überliefert. 85 Zu Uffenbachs besonderem Interesse am zeitgenössischen Bibliothekswesen vgl. Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit. 86 Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 122 f. 87 Frank Fürbeth macht für private Bibliotheken in Frankfurt a. M. vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. Jahrhunderts etwa einen Zuwachs von 156 Bänden in der Bibliothek Ludwig von Marburg zum Paradies (?–1502) bis zu 7.000 Bänden zum Zeitpunkt des Verkaufs der Bibliothek des Patriziers Johann Maximilian zum Jungen (1596 – 1649) aus. Fürbeth, Privater Buchbesitz in Frankfurt vom Spätmittelalter bis zu Zacharias Konrad von Uffenbach. 88 Boses Bibliothek umfasste zum Zeitpunkt des Ankaufs knapp 3.000 Bände und etwa 50 Handschriften. Othmar Feyl, Johann Georg Cummer und Caspar Sagittarius. Bibliothekar und Professor im gemeinsamen Ringen um die erste neuzeitliche Reform der Universitätsbibliothek Jena in der zweiten Hälfte des 17. Jhs., in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Jena / Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 6 (1956/57), 251 – 262, 253.

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Bruder, Zacharias Konrad von Uffenbach, die eine Größe von ca. 18.000 gedruckten Werken und 2.000 Handschriftenbänden erreichte und damit „zu den größten Privatbibliotheken im deutschsprachigen Raum“ gehörte, muss Schilters Sammlung allerdings zwangsläufig überschaubar gewirkt haben.⁸⁹ Die mobile Aufstellung in Bücherkästen, die Schilter speziell für seine Bibliothek hatte anfertigen lassen, legt nahe, dass der Gelehrte die angespannte politische Situation in Straßburg und Umgebung bei seinem Umzug antizipierte. [Abb. 4b.1.] Bereits vor der Annahme der Stelle in Straßburg hatten Korrespondenzpartner Bedenken geäußert, dass sich die Bedingungen für Protestanten dort weiter verschlechtern könnten. Wenige Jahre nachdem mit dem Edikt von Nantes eine massive Verfolgung und Diskriminierung der Hugenotten einsetzte, ist diese Sorge aus protestantischer Sicht durchaus verständlich. Der Verlust der eigenen Bibliothek durch Kriege und Plünderungen war dabei eine reale Gefahr, wie Schilter auch von Korrespondenzpartnern wie Christian Wilhelm von Eyben erfuhr. Dessen detaillierter Bericht über den Verlust seiner Bibliothek im Pfälzischen Erbfolgekrieg nach der französischen Eroberung Speyers dürfte bei dem Straßburger Gelehrten Eindruck hinterlassen haben.⁹⁰ Zwar lehnte Schilter einen Wegzug aus Straßburg entschieden ab, gleichzeitig betonte er in Korrespondenzen aber immer wieder sein mobiles und auf das Nötigste ausgerichtetes Leben.⁹¹ Jakob Ernst Thoman, der in Jena bei Schilter studiert hatte, betonte bereits anlässlich von dessen Umzug nach Straßburg den Vorteil, dass der Gelehrte „nur allein, sond[erlich] [=ohne] dero familiam mitzunehmen, dahin gehen wollen, ist es auch leichter wie[der] hinweg zukommen, in dem man nicht vil Embarras [Gepäck] hat.“⁹² Obgleich Schilter bis zu seinem Lebensende in Straßburg verblieb, behielt er offenbar die Aufstellung seiner Bibliothek in mobilen Bücherkästen bei. Wie Uffenbach hervorhebt, hatten die Bücherkästen über die Mobilität hinaus aber auch eine ordnungswahrende Funktion, da sie einen Transport ermöglichten, ohne die Aufstellung der Bücher durcheinander zu bringen. Da Simon mit dem

89 Garloff, Zacharias Konrad von Uffenbach und der Buchhandel, 336. Allein auf ihrer Reise durch Mittel- und Norddeutschland, die Niederlande und England erwarben die Brüder Johann Friedrich und Zacharias Konrad von Uffenbach etwa 4.000 Bücher. Garloff, Zacharias Konrad von Uffenbach und der Buchhandel, 335. 90 C.W. von Eyben an Schilter, o.O. 6. August 1689 (UB Gießen, Hs 140, fol. 246 – 247) und Heilbronn, 10. September 1689 (Ebd., fol. 248). 91 So schrieb er etwa an Spener: „Ego vero philosophicam vitam hic ago, et omnia mea statim mecum porto“. ‚Ich führe hier ein sehr philosophisches Leben, und trage alle meine (Sachen) unmittelbar bei mir‘. (Übers. d. Verf.) Schilter an Spener, Straßburg 21. März 1687, abgedruckt in: Gedicke, Heptas Epistolarum, 703 – 705, 704. 92 Jakob Ernst Thoman an Schilter, Regensburg 24. August/3. September 1686 (UB Gießen, Hs 142, fol. 438 – 439).

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Abb. 4b.1.: Zeichnung eines der Bücherkästen, mit denen Johann Schilter seine Bibliothek strukturierte.

Ankauf der Bibliothek auch die Aufstellung in den Kisten übernahm, lässt sich vermuten, dass er diese zumindest vor seinem Wegzug aus Straßburg weitestgehend in der Ordnung beließ, in welcher er sie von Schilter übernommen hatte. Darüber hinaus lässt sich bezüglich der Aufstellung von Schilters Bibliothek aus Uffenbachs Beschreibung erstens eine räumliche Trennung der Handschriften von den Drucken erkennen, wie sie allgemein üblich war. Zum anderen wird insgesamt der Status der Bibliothek als eine universal ausgerichtete Gelehrtenbibliothek deutlich, die nicht nur Schilters Arbeitsmanuskripte und „Handwerksbücher“ als

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Advokat, in denen er etwa Dokumente zu seinen Gutachten ablegte, enthielt, sondern auch Arbeitsexemplare bestimmter Drucke, die umfassende handschriftliche Anmerkungen des Gelehrten umfassten. Wir müssen uns Schilters Bibliothek also als eine Arbeitsbibliothek vorstellen, die darauf ausgerichtet war, das vielfältige Material, das er für seine Werke heranzog, zu ordnen und greifbar zu machen. Der thematische Schwerpunkt seiner Drucke auf historische und juristische, genauer genommen reichspublizistische, Schriften, den Uffenbach bemerkt, lässt sich ebenso wie die große Anzahl an Arbeitsexemplaren anhand eines gedruckten Auktionskatalogs bestätigen, mit dem Schilters Bibliothek zusammen mit der von Simon zwischen 1759 und 1762 zum Kauf angeboten wurde.⁹³ Genauso findet sich dort aber auch medizinische oder theologische Literatur, was einerseits Schilters vielfältigen Interessensfeldern entspricht und andererseits auf eine Ausrichtung als Universalbibliothek hinweist. Inwiefern Schilter seine Bibliothek im klassischen Sinne nach der Ordnung der vier Fakultäten (Philosophie, Medizin, Recht und Theologie) oder etwa neueren thematischen Systemen aufstellte, lässt sich mangels Belege nicht mehr nachvollziehen. Ein Hinweis auf die simple Gliederung nach den Formaten der Drucke könnte sich in der Ordnung des Auktionskatalogs finden.⁹⁴ Dessen Aussagekraft ist jedoch insofern eingeschränkt, dass er auch die Bibliothek von Johann Christian Simon enthält, der Schilters Bibliothek noch zu Lebzeiten erwarb. Eine eindeutige Zuweisung der jeweiligen Titel ist (ausgenommen von den Manuskripten) daher nur bedingt möglich beziehungsweise sinnvoll. Auf wen die Ordnung des Auktionskatalogs letztlich zurückgeht, lässt sich nicht feststellen. Was sich allerdings erkennen lässt, ist, dass Schilter seine Bibliothek in Straßburg analog zu einem wachsenden Interesse an den volkssprachlichen Zeugnissen des Mittelalters in Straßburg sukzessive erweiterte. Nachdem Schilter anfangs in Straßburg sowohl von seiner Arbeit als Advokat des Stadtrats als auch in seiner akademischen Funktion so eingebunden gewesen war, dass seine privaten gelehrten Interessen in den Hintergrund treten mussten, änderte sich dies in den folgenden Jahren.⁹⁵ Die 1690er Jahre waren in dieser Hinsicht für Schilter äußerst produktiv. In diese Zeit muss nicht nur der Großteil der Vorarbeiten zum Thesaurus

93 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths welche Weyl. Herr Johannes Schilter Professor zu Straßburg / und Herr Christian Simon Syndicus zu Kempten hinterlassen / und die nun Stückweis / um beygesetzten billichen Preis verkaufft werden bey Jacob Otto Buchhändler, 5 Bde, Lindau am Bodensee 1759 – 1762. Ausführlich hierzu vgl. Kap. 4c. 94 Zum Problem der Rekonstruktion der systematischen Ordnung frühneuzeitlicher Gelehrtenbibliotheken vgl. Marten / Piepenbring-Thomas, Fogels Ordnungen, v. a. 28 – 30. 95 Vgl. Kap. 2.

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verortet werden,⁹⁶ sondern der Gelehrte veröffentlichte darüber hinaus etliche Dissertationen, zwei juristische Lehrbücher⁹⁷ sowie Editionen des Ludwigsliedes, der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen und des Schwabenspiegels.⁹⁸ Die Vielzahl an Publikationen setzte dementsprechend intensive Vorarbeiten voraus, die sich materiell sowohl in seiner Bibliothek wie auch der Handschriftensammlung niederschlugen. Das lässt sich hinsichtlich seiner Drucke anhand gezielter Bücherkäufe nachvollziehen, die Schilter etwa in Bezug zur Arbeit am Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum tätigte. So erwarb er etwa über die Bücherkataloge der in Straßburg ansässigen Buchhändler wie Josias Städel (1627– 1700) oder Johann Friedrich Spoor (?–1709) Literatur zur Sprachgeschichte.⁹⁹ In Schilters Nachlass ist ein entsprechender Katalog Städels mit den Büchern, die dieser zur Frankfurter Buchmesse 1696 führte, überliefert. Die Titel, welche Schilter erwerben wollte, sind jeweils rot markiert. So auch Athanasius Kirchers (1602 – 1680) Turris Babel sive archontologia (Amsterdam 1679), von dessen Kauf schließlich ein ausführlicher Verweis in Schilters Vorrede zum Glossar zeugt, wo er den Einfluss der Sprachverwirrung durch den Turmbau zu Babel auf die Entwicklung der Sprachen diskutiert.¹⁰⁰ Weitere Literatur erhielt Schilter etwa von Korrespondenzpartnern wie Mabillon, der ihm auf Anfrage gleich eine umfassende Liste seiner Werke mit entsprechenden Preisen zuschickte.¹⁰¹ Darunter befanden sich unter anderem seine Acta Sanctorum ordinis S. Benedicti (Paris 1668 – 1688) in 9 Bänden – eine von

96 Annahmen darüber, dass Schilter bereits seit den 1680er Jahren am Thesaurus arbeitete, lassen sich mit Blick auf seine Korrespondenz nicht bestätigen. Vgl. etwa Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 165. 97 Schilter, Institutionum Juris Publici Romano-Germanici Tomi Duo. Quorum priore Jus publicum R.G. Justâ Methodo succincte exponitur. Posteriore Leges fundamentals, Itemque Acta publica atque Responsa & Consilia nondum edita exhibentur, Straßburg: Dulssecker 1696; Ders., Iurisprudentiae totius, Tam Romanae quàm Germanicae privatae Legitima Elementa Duobus Partibus absoluta. Quarum Prior prima Elementa legitimae Scientiae Juris Justinianei, quatenus id usu fori receptum: Posterior Textum ipsum Institutionum Justiniani exhibet, Straßburg: Dulssecker 1698. Beim zweiten Werk handelt es sich um eine Neuauflage unter neuem Titel von Schilter, Institutiones Juris Ex principiis Juris Naturae, Gentium & Civilis, tum Romani, tum Germanici, ad usum fori hodierni accommodatae, Leipzig: Adler 1685. 98 Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum; Ders., Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke von Jacob von Königshoven; Ders., Codex Iuris Alemannici Feudalis. 99 Wiederholt versandte Schilter entsprechende Kataloge auch an Freunde und Korrespondenten. Vgl. Schatz an Schilter, Speyer 28. September 1687 (UB Gießen, Hs 142, fol. 92 – 93). 100 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, § I. 101 Mabillon an Schilter, Paris VI. Id. [8.] August 1697 (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 5).

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den Acta Sanctorum der Bollandisten inspirierte Geschichte der Heiligenviten des Benediktinerordens – ,¹⁰² seine De Re Diplomatica (Paris 1681), seine De Liturgia Gallicana Libri III (Paris 1697) und seine Musei Italici in 2 Bänden (Paris 1687– 1689), von deren Kauf jeweils Einträge im Auktionskatalog von Schilters Bibliothek zeugen.¹⁰³ Während er die Liturgia Gallicana wiederholt zur Kommentierung von Notkers Psalter und Otfrids Evangelienbuch heranzog,¹⁰⁴ konsultierte Schilter Mabillons De Re Diplomatica etwa, wenn es darum ging, Urkunden zu datieren und einzuordnen. Von seiner intensiven Lektüre des letzteren Werks zeugt etwa ein Exkurs über den Unterschied von Leder und Pergament als Beschreibstoffe anlässlich einer auf Pferdehaut geschriebenen Urkunde, den er in den Anmerkungen zur Edition der Straßburger Chronik hieraus zog.¹⁰⁵ Wie sich an Schilters inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Drucken erkennen lässt, war ihr Erwerb also in der Regel mit einem bestimmten Interessensgebiet verbunden. Die Möglichkeit sowohl aus Paris als auch Frankfurt am Main Bücher zu beziehen, die sich ihm aufgrund von Straßburgs geographischer Nähe boten, darf als Faktor einer produktiven Arbeitsumgebung keineswegs unterschätzt werden.¹⁰⁶ In seiner Handschriftensammlung lassen sich Schilters Vorarbeiten ab dem Zeitpunkt nachvollziehen, als seine Schüler für ihn in Paris ab Anfang 1689 begannen Quellenabschriften anzufertigen.¹⁰⁷ Zu einigen mittelalterlichen Sammelhandschriften und umfangreichen Konvoluten mit Verwaltungsschriftgut aus der Zeit an den Höfen von Sachsen-Zeitz und Sachsen-Jena sammelten sich zunehmend Quellenabschriften, Exzerpte, Zeichnungen sowie Korrespondenz an. Dieser Charakter von Schilters Arbeitspapieren als stetig anwachsende lose Zettelsammlung wird mit Blick auf die Art und Weise, wie Schilter die Quellenabschriften von seinen

102 Francois Dolbeau, Les instruments de travail des mauristes, in: Jean Leclant (Hg.), Dom Jean Mabillon. Figure majeure de l’Europe des lettres, Paris: Acad. des Inscriptions et Belles-Lettres 2010, 621 – 708, 624. 103 Catalogus des vortreflich- und raren Bücher-Vorraths, Bd. 2 (= Continuatio 1), passim. 104 Vgl. etwa Schilter, Notkeri Tertii Labeonis Psalterium Davidicum: E Latino in Theotiscam Veterem Linguam Versum, & Paraphrasi illustratum, in: Ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, 28, V. 4 Not.; ders., Otfridi Weissenburgensis Volumen Evangeliorum, in Quinque Libros Distinctum, A Johanne Schiltero […], Latinitate donatum ac eximiis Observationibus exornatum, Collatum autem cum Codice Manuscripto VIndobonensi & Emendationibus ex Codice Manuscripto Vaticano desumtis; ac praeterea Notis auctum a Joh. Georgio Scherzio, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, 238, Ad Cap. II, Anm. 20. 105 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anm. 8, § XXI. Vgl. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 210 f. 106 Vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 197– 199. 107 Johann Philipp Schmid war als erster für Schilter in dieser Hinsicht tätig. Ausführlich hierzu vgl. Kap. 3b.

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Schülern erhielt, besonders deutlich. In der Regel erreichten ihn diese nämlich nicht im Ganzen, sondern sukzessive in mehreren Lieferungen. Das hatte auch damit zu tun, dass Schilters Schüler jede Gelegenheit nutzten, um Porto zu sparen. Schott berichtete dem Gelehrten daher regelmäßig, wenn er wieder einige Bögen abgeschickt hatte. So ergab sich im April 1698 beispielsweise die Gelegenheit, Schmid „4 Bogen ex Cod. MS. L. Salicae mit[zu]geben“.¹⁰⁸ Weitere vier Bögen folgten wenige Wochen später über einen Kaufmann.¹⁰⁹ Einerseits konnte Schilter auf diese Weise bereits mit der Arbeit am angekommenen Material beginnen, andererseits erreichte ihn ein konstanter Zufluss an Schriftstücken, die sich in Konvoluten ansammelten und geordnet werden mussten. Hinzu kamen auch noch Zeichnungen und Abschriften, die Schilter selbst zuweilen anfertigte.¹¹⁰ Nicht immer lässt sich hier ein konkreter Anwendungskontext nachvollziehen. Das legt zumindest nahe, dass Schilter teilweise auch Quellen sammelte, ohne bereits einen konkreten Verwertungszweck vor Augen zu haben. So findet sich in den Arbeitspapieren etwa die Abbildung eines Epitaphs, die von Schilter mit dem Vermerk „dieses epitaphium befindet sich in d. Buchsweyler SchloßCapellen uff einem erhabenen Sarck“ versehen wurde.¹¹¹ Es handelt sich hierbei um die ehemalige Schlosskapelle im heutigen Bouxwiller (Bas-Rhin) in der Nähe von Straßburg. Offenbar zeichnete Schilter das Epitaph auf der Durchreise oder bei einem Besuch ab und verwies später in seinem Glossar darauf. Die Durchstreichungen der Anmerkungen auf der Zeichnung sowie der Vermerk „ad pag. 34“ links oben legen zudem nahe, dass die postumen Herausgeber des Thesaurus die Zeichnung möglicherweise als Kupferstich zur Illustration des Drucks vorgesehen hatten. Die Zeichnung veranschaulicht somit, wie Sammeln als gelehrte Praxis immer auch auf solche Zufallsfunde aufbaute, die entweder in spätere Arbeiten einflossen oder aber als gelehrtes Kapital innerhalb von Korrespondenzen weitergegeben werden konnten. Mit dem aus vielen verschiedenen Quellen eingehenden Material war zugleich das Problem verbunden, es zu ordnen, weiterzuverarbeiten und im besten Fall in Publikationen umzusetzen. Spuren von Schilters ordnenden Eingriffen lassen sich im überlieferten handschriftlichen Nachlass jedoch nur noch sporadisch nachvollziehen. Zwar lässt sich seine Handschriftensammlung anhand des Auktionskatalogs recht zuverlässig rekonstruieren, allerdings schwankt zum einen die Ausführlichkeit der Einträge zu den verschiedenen Manuskripten so stark, dass sie von knappen Bezeichnungen bis hin zur detaillierten Auflistung der enthaltenen

108 109 110 111

Schott an Schilter, Paris 25. April 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 297– 298). Schott an Schilter, Paris 9. Mai 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 299 – 300). Vgl. etwa UB Gießen, Hs 1231, fol. 2r–8v. UB Gießen, Hs 47, fol. 295r.

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Dokumente über mehrere Seiten reichen.¹¹² Zum anderen lässt sich eine bis auf Schilter zurückreichende Ordnung nur noch schwer nachvollziehen, da der Nachlass im Verlauf der Überlieferungsgeschichte bereits mehrfach unter jeweils unterschiedlichen Verwertungsinteressen neu geordnet wurde. Die Manuskripte weisen daher starke Bearbeitungsspuren insbesondere durch das postume Herausgeberkollegium des Thesaurus und durch Heinrich Christian (1704 – 1768) und Renatus Karl von Senckenberg (1751 – 1800) auf.¹¹³ Innerhalb der Konvolute gibt es jedoch immer wieder Hinweise, die einen Einblick in Schilters Ordnungspraktiken gewähren. Einerseits griff der Gelehrte offenbar auf ein rudimentäres Ordnungssystem zurück, das sich nach dem äußeren Erscheinungsbild der handschriftlichen Konvolute – seien es Format oder die Art des Einbands – richtete. Das legt zumindest Fricks Äußerung im Zug der eingangs beschriebenen (Wieder‐)Entdeckung von Schilters Vorarbeiten zur Herausgabe des althochdeutschen Tatian nahe, er habe diese in einem anderen Band wiedergefunden, als er erwartet habe. Andererseits schuf er innerhalb der Konvolute immer wieder kleinere Ordnungszusammenhänge, die er anhand von Inhaltslisten auf Makulaturpapier durchsuchbar machte. In der Handschrift 919, die vor allem Verwaltungsschriftgut, Vertragsabschriften und Gutachten umfasst, findet sich etwa ein kleiner Zettel, auf dem Schilter eine Art Inhaltsverzeichnis über das darauffolgende Konvolut notiert hat.¹¹⁴ [Abb. 4b.2.] Dieses umfasste mit einem durchgestochenen Faden zusammengehalten eine Reihe von Abschriften verschiedener Teilungsverträge der Wettiner darunter auch die Leipziger Teilung von 1485, mit der sich die Dynastie in eine Albertiner und eine Ernestiner Linie aufspaltete.¹¹⁵ Solche „Mikroordnungen“ finden sich immer wieder in Schilters Arbeitspapieren, um inhaltlich zusammengehörige Schriftstücke zusammenzufassen.¹¹⁶ Dass diese Art der Findmittel auch noch nach Schilters Tod Verwendung bei der Arbeit mit seinen Manuskripten fanden, lässt sich anhand von Bleistiftnotizen erkennen, die auf eine Durchsicht Heinrich Christian von Senckenbergs schließen lassen.¹¹⁷ Im Umkehrschluss legt das aber auch die Vermutung nahe, dass Schilter abgesehen von seinen Bücherkästen kein übergeordnetes System nutzte, um sich in seinem Material zurecht zu finden.

112 Vgl. etwa Catalogus des vortreflich- und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (Continuatio 2), 22. 113 Vgl. Kap. 4c. 114 UB Gießen, Hs 919, fol. 193r. 115 UB Gießen, Hs 919, fol. 194r–239v. 116 Vgl. etwa das Deckblatt mit der Aufschrift „Theilungssachen“. UB Gießen, Hs 919, fol. 377r. 117 Senckenberg notierte neben zwei der Verträge „ined.“. Zu seiner Durchsicht der Schilterschen Manuskripte nach unedierten Verträgen vgl. Kap. 4c.

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Abb. 4b.2.: Handschriftliches Inhaltsverzeichnis Schilters über verschiedene nachfolgende Verträge.

Diese „Mikroordnungen“ dienten aber nicht nur der besseren Durchsuchbarkeit des Materials, sondern waren häufig Ergebnis von Schilters Arbeit an seinen Publikationen. Sie lassen uns daher im Kleinen nachvollziehen, wie Schilter sein Material auf konkrete Problemzusammenhänge hin zusammentrug und ordnete. Anhand von mehreren Quellenfunden lässt sich beobachten, dass er thematisch verbundene Schriftstücke innerhalb eines größeren Konvolutes als zusammenhängenden Bestand ablegte, um bei der Weiterverarbeitung und Vorbereitung des eingehenden Materials zum Druck alles zur Hand zu haben. Das lässt sich etwa vermittels seiner Korrespondenz beobachten, die neben Quellenabschriften und Drucken seine wichtigste Informationsquelle dargestellt haben dürfte. Die Bedeutung von Gelehrtenkorrespondenz nicht nur für den Zusammenhalt der Res Publica Literaria, sondern auch für den Austausch von Ideen und Informationen, der häufig in Pu-

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blikationen mündete, ist in der Forschung immer wieder hervorgehoben worden.¹¹⁸ Auch bei Schilter kann nachvollzogen werden, dass er Publikationsideen regelmäßig zunächst in seinen Briefen gegenüber einigen vertrauten Gelehrten offenlegte, bevor er sie in die Tat umsetzte.¹¹⁹ Diese vorbereitende Bedeutung seiner Gelehrtenkorrespondenz lässt sich auch an der Ordnung seiner eingehenden Briefe erkennen. Diese sortierte Schilter zunächst in Verwaltungs- und Gelehrtenkorrespondenz. Während er die Verwaltungskorrespondenz in seinen Geschäftsbüchern oder an den inhaltlich passenden Orten in seinen Manuskripten ablegte,¹²⁰ ordnete er die Gelehrtenbriefe in der Regel offenbar nach Korrespondenzpartnern in separaten Bänden. Von dieser Praxis wich er aber zum einen ab, wenn er den administrativen oder geschäftlichen Teil eines Briefes höher gewichtete als den gelehrten Inhalt wie es bei den frühen Briefen von dem Coburger Kanzler (ab 1680) und Geheimen Rat Johann Jakob Avianus der Fall war.¹²¹ Zum anderen legte er bestimmte inhaltlich besonders einschlägige Briefe zusammen mit seinen entsprechenden Notizen ab. Bemerkenswert ist hierbei, dass es sich nicht um Exzerpte oder Abschriften der Briefe handelte, sondern um die Originale.¹²² Anhand eines kleineren Bestandes, der einige Vorarbeiten Schilters zu seinem Kommentar des Ludwigsliedes enthält, lässt sich zum einen diese pragmatische Ordnung des Materials im Detail nachvollziehen. Zum anderen kann anhand der dichten Überlieferung rekonstruiert werden, wie sich in der Ordnung Schilters Arbeitspraxis widerspiegelt.¹²³ Im Kern drehen sich die Vorarbeiten um die in der Forschung lange Zeit kontrovers diskutierte Frage, welchem König das Ludwigslied gewidmet sei.¹²⁴ Das war deswegen besonders kompliziert, da das Ludwigslied den Sieg eines fränkischen Königs namens Ludwig über die Normannen feierte. Im 9. Jahrhundert gab es jedoch mehrere fränkische Könige mit diesem Namen, die

118 Vgl. Anthony Grafton, A Sketch Map of a Lost Continent. The Republic of Letters, in: The Republic of Letters 1 (2009), 1 – 18, 9. 119 Exemplarisch kann Schilters Korrespondenz mit Wilhelm Ernst Tentzel stehen, mit dem er sich intensiv über seine Otfrid-Edition austauschte. Vgl. Kap. 3c. 120 Vgl. etwa die Korrespondenz Schilters mit dem Reichshofrat Nikolaus Christoph von Hünefeld bezüglich der Grenzziehung zwischen seinem Gut Altenberga und dem Gut Rothenstein (November 1674–März 1675). UB Gießen, Hs 919, fol. 407r–424v. 121 Vgl. Avianus an Schilter, Gotha 3. März 1676 (UB Gießen, Hs 919, fol. 745r–746v) und 26. Januar 1676 (Ebd., fol. 747r–748v). 122 Vgl. etwa Schmid an Schilter, Paris XV. Kal. April [17. März] 1692 (UB Gießen, Hs 1184, fol. 652r– 659v) und Paris 20. April 1692 (Ebd., fol. 660r–661v); Schatz an Schilter, Speyer 26. September 1687 (Ebd., fol. 676r–677v) und Breisach 26. April 1693 (Ebd., fol. 709r–716v); Hermann Conring an Schilter, Helmstedt 24. Juli 1676 (Ebd., fol. 678r–680v). 123 UB Gießen, Hs 1184, fol. 649r–668v. 124 Vgl. Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 53 – 57.

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Schilter jedoch auf zwei eingrenzen konnte: Ludwig III. (835 – 882), König von Ostfranken, Sohn Ludwigs des Deutschen auf der einen Seite und Ludwig III. (864 – 882), König von Westfranken, Sohn von Ludwig dem Stotterer und Enkel von Karl dem Kahlen auf der anderen Seite. Beide hatten gegen die Normannen gekämpft und gesiegt. Um es noch schwieriger zu machen, hatten beide ebenfalls Brüder mit den Namen Karlmann und Karl, die auch im Ludwigslied erwähnt wurden. Außerdem verstarben beide im selben Jahr.¹²⁵ Um diese Zuordnungsproblematik im Kommentar zur Edition des Ludwigsliedes zu klären, griff Schilter auf verschiedene Schriftstücke zurück. Dabei handelte es sich zunächst um zwei Briefkonzepte Schilters an Mabillon, in denen der Straßburger Gelehrte dem Mauriner die Problematik schilderte und ihn um seine Einschätzung bat.¹²⁶ Das erste Konzept lässt sich dem Schreiben vom 7. März 1692 zuordnen, das Schilter vor seiner Edition des Ludwigsliedes abdruckte.¹²⁷ Die Gestaltung des Konzepts legt aber nahe, dass dieses nicht als Grundlage für den Abdruck diente, sondern vielmehr als Notizzettel fungierte, auf dem der Gelehrte seine eigenen im Brief ausformulierten Gedanken noch einmal kondensiert für seinen Kommentar zusammenfasste.¹²⁸ Das zweite Konzept lag Schilters Brief vom 1. August 1693 zugrunde, mit dem er auf Mabillons ebenfalls in der Edition abgedrucktes Schreiben vom 15. Juli 1693 antwortete.¹²⁹ Dass Schilter die Konzepte aus seinem nicht überlieferten Briefkonzeptbuch entnommen hat, um sie mit seinen Notizen abzulegen, legt der Entwurf eines dritten Schreibens an Mabillon vom 30. Juli 1693 nahe. Dieses befasst sich inhaltlich nicht mit dem Ludwigslied und ist offenbar nur zufällig mit überliefert, da es auf der Rückseite des zweiten Briefkonzepts notiert wurde.¹³⁰ Außerdem finden sich in dem Bestand zwei Briefe Schmids an Schilter, in denen der Schüler seine Rolle als Mittelsmann zu Mabillon zum Thema des Ludwigsliedes thematisierte.¹³¹ Diese Briefe legte Schilter aufgrund ihres Inhalts also offenbar bewusst nicht bei den restlichen Briefen ab, die er von Schmid erhalten hatte, sondern trennte sie somit von seiner übrigen Gelehrtenkorrespondenz.

125 Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 54; Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Commentatio, §§ III–VIII. 126 UB Gießen, Hs 1184, fol. 649r–650r. 127 Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF Paris, Ms. fr. 19657, fol. 53r– 54v; fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum). 128 Schilter an Mabillon, [Konzept] (UB Gießen, Hs 1184, fol. 649r–v). 129 Schilter an Mabillon [Konzept], [Straßburg Kal. [1.] August 1693 (UB Gießen, Hs 1184, fol. 650r). 130 Der bislang unbekannte Brief ist nur in diesem Konzept überliefert. Schilter an Mabillon [Konzept], [Straßburg] 30. Juli 1693 (UB Gießen, Hs 1184, fol. 650v). 131 Schmid an Schilter, Paris XV Kal. April [17. März] 1692 (UB Gießen, Hs 1184, fol. 652r–659v) und 20. April 1692 (Ebd., fol. 660r–661v).

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Schließlich finden sich beiliegend ein Exzerpt aus den Annales Fuldenses, einer Sammlung ostfränkischer Annalen, die die Zeit von 714 bis 901 abdecken, sowie verstreute Notizzettel Schilters.¹³² Aus den Annales Fuldenses exzerpierte Schilter genau den Zeitraum, der für seine Untersuchung relevant war, nämlich die Jahre von dem Reichsteilungsplan (821) Ludwigs des Frommen (778 – 840) bis zum Tod Ludwigs III. von Ostfranken (882).¹³³ Die Briefe, Exzerpte und Notizen legte Schilter offenbar nebeneinander, um der Lösung des Problems näher zu kommen. Im zusammengetragenen Material lässt sich Schilters Denkprozess rekonstruieren. Exzerpte aus Werken wie den Annales Fuldenses lieferten dem Gelehrten zunächst die grundlegenden Informationen zu den beiden Ludwigs. Auf dieser Grundlage formulierte Schilter einen ersten Entwurf seines Kommentars, in dem er die Problematik der Zuordnungsfrage darlegte.¹³⁴ Wie der erste Brief an Mabillon vom 7. März 1692 erkennen lässt, tendierte Schilter aufgrund der Sprache des Gedichts zunächst zum ostfränkischen Ludwig, bat den Benediktiner allerdings um seine Einschätzung.¹³⁵ Auf diese erste Anfrage erhielt Schilter aber keine direkte Antwort, sondern die Nachrichtenübermittlung lief indirekt über Schmid, der in Paris regelmäßig Mabillon aufsuchte. Nicht immer ist jedoch eindeutig, welche Anmerkungen zum Ludwigslied von Schmid und welche von Mabillon stammen.¹³⁶ Eine konkrete Einschätzung zur Zuordnungsproblematik erhielt Schilter aber auch auf diesem Weg nicht, obgleich Mabillon Schilters Arbeit offenbar aufmerksam verfolgte und ihm über Schmid sein Wohlwollen und seine Unterstützung bei der Arbeit am Ludwigslied übermittelte.¹³⁷ Seine fortwährende Unsicherheit in der Festlegung spiegelt sich nicht zuletzt in zwei weiteren Schreiben an Mabillon vom 18. April 1692 und 1. August 1693 wider, in denen er wiederholt um dessen Meinung bat. Von Schilters weiterer Beschäftigung mit der Sprache des Ludwigsliedes zeugte zudem eine auf Makulaturpapier notierte knappe Notiz:

132 Etwa UB Gießen, Hs 1184, fol. 654v. 133 UB Gießen, Hs 1184, fol. 656r–657v, 666r. 134 UB Gießen, Hs 1184, fol. 662r–v. 135 Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 54. 136 Vgl. insbesondere Schmid an Schilter, Paris XV Kal. April [17. März] 1692 (UB Gießen, Hs 1184, fol. 652r–659v). 137 Schmid an Schilter, Paris 20. April 1692 (UB Gießen, Hs 1184, fol. 660r–661v).

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Lingua Alem. & Franc. ead. est, sed dialecto diff. Francia est Belgicae […] cognata; Carmen Ludov. II. Alem. Helveticae c[on]finis, durior, Otfrid.¹³⁸

Die Gedanken, welche Schilter hier zu Papier brachte, führten letztendlich zu einem Umdenken in der Zuordnung des Ludwigsliedes. So ordnete er dessen Sprache dem Fränkischen zu, das mit dem Belgischen verwandt sei. Hiervon grenzte er nicht als gänzlich andere Sprache, sondern als härter klingenden Dialekt das Alemannische ab, das an das Schweizerische grenze und in dem Otfrids Evangelienbuch verfasst sei.¹³⁹ Belege „für die Fortexistenz und sogar für ein besonders hohes Ansehen des fränkisch-deutschen Idioms im Westfrankenreich“ führten bei Schilter zusammen mit Hinweisen auf eine frühe Verwaisung des erwähnten Ludwigs und die im Gedicht angeführte Reichsteilung schließlich dazu, dass er sich doch für Ludwig III. von Westfranken als Adressaten aussprach.¹⁴⁰ Das Ergebnis dieser komplizierten Puzzlearbeit findet sich aber nicht nur im Kommentar des Drucks, sondern in kondensierter Form auch in einer Genealogie wieder, die Schilter vor seiner Edition abdruckte, um seine Argumentation zu untermauern.¹⁴¹ [Abb. 4b.3.] Insbesondere zur Verdeutlichung komplexer genealogischer Zusammenhänge führte Schilter wiederholt Stammbäume in seinen Werken an.¹⁴² Er war sich bewusst, dass die Frage, welchem König das Ludwigslied gewidmet sei, für seine Leser verwirrend sein musste. Der Stammbaum stellte daher selektiv nur die für Schilters Argumentation relevanten Informationen dar.Von Karl dem Großen ausgehend führte er die vier ehelichen Söhne Ludwigs des Frommen (778 – 840) und ihre Nachkommen auf. Auf diese Weise war auf dem ersten Blick ersichtlich, warum aufgrund der Parallelen grundsätzlich zwei Könige infrage kamen. Schilters Argumentation für den König von Westfranken ist auch im Stammbaum mit dem Hinweis „De quo praesens Carmen.“ vermerkt.¹⁴³ Die kon-

138 ‚Die alemannische und fränkische Sprache ist dieselbe, aber in einem unterschiedlichen Dialekt. Das Fränkische ist dem Belgischen verwandt; [wie im] Ludwigslied. Das Alemannische grenzt an das Schweizerische, härter, [wie bei] Otfrid.‘ (Übers. d. Verf.) UB Gießen, Hs 1184, fol. 654v. 139 Die genaue Einordnung des Dialekts, in dem das Ludwigslied verfasst wurde, beschäftigt die Forschung bis heute. Vgl. Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 67– 74. 140 Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 55. Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Commentatio, § VI. 141 Stemma Genealogicum LUDOVICI Regis Franciae Occiduae, in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum. 142 Vgl. etwa die Genealogie zur Familie der St. Attala in: Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anm. 8, § III, 514. 143 Stemma Genealogicum LUDOVICI Regis Franciae Occiduae, in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

c Schilters Nachlass als materielle Hinterlassenschaft

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kreten Gründe dafür führte er jedoch nur im Kommentar ausführlich aus. Der Stammbaum ergab folglich nur bedingt alleinstehend Sinn, sondern diente in erster Linie als Ergänzung zum Text. Abschließend lässt sich also von der Makroebene der Bibliothek und Handschriftensammlung bis hin zum ganz Kleinen nachvollziehen, wie Schilter sein materielles Arbeitsumfeld auf sein Interesse an den volkssprachigen Zeugnissen des Mittelalters ausrichtete. Das zeigt sich zunächst an Bücherkäufen oder eingehenden Quellenabschriften. Dieses eintreffende Material legte Schilter allerdings nicht nach einem übergeordneten System ab, sondern ordnete es vielmehr nach konkreten Sinnzusammenhängen, die er immer wieder durch kleinere Findhilfen ergänzte. Diese kleinen Ordnungen spiegeln also weniger eine Systematik Schilters wider, sondern verdeutlichen vielmehr, wie er sein Material auf konkrete Problemzusammenhänge hin ordnete, um wie im Fall des Ludwigsliedes aus verschiedensten Informationsschnipseln historische Zusammenhänge zu erläutern und für seine Leserschaft anschaulich aufzubereiten.

c Schilters Nachlass als materielle Hinterlassenschaft Schilters Gelehrtennachlass, wie er heute in der Universitätsbibliothek Gießen überliefert ist, ist das Ergebnis einer verzweigten Überlieferungsgeschichte, die typisch ist für die Gelehrtennachlässe des 17. und 18. Jahrhunderts. Beim aktuellen Stand der Erschließung umfasst der Bestand insgesamt 42 Handschriftenbände,¹⁴⁴ die sich in Arbeitspapiere, Korrespondenz,¹⁴⁵ mittelalterliche Manuskripte¹⁴⁶ beziehungsweise Abschriften¹⁴⁷ von diesen sowie handschriftlich annotierte Drucke¹⁴⁸ oder Arbeitsexemplare¹⁴⁹ aufteilen lassen. Die Arbeitspapiere können wiederum zumindest schwerpunktmäßig juristischen¹⁵⁰ und sprachgeschichtlichen¹⁵¹ Themen zugeordnet werden. Die verschiedenen Stationen der Überlieferung, die

144 Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich im Bestand der UB Gießen noch weitere Schilteriana finden, deren Erschließung allerdings auf Zufallsfunde angewiesen sein wird. 145 UB Gießen, Hs 140 – 142. 146 UB Gießen, Hs 104, 179, 275 – 280, 284, 642, 693, 778, 957, 965, 996, 1247. 147 UB Gießen, Hs 645, Hs 960. 148 UB Gießen, Hs 183, Hs 213, Hs 903. 149 UB Gießen, Hs 1117a. 150 UB Gießen, Hs 901, 909, 919, 920, 1082, 1083, 1117, 1183 – 1184, 1262. 151 Es handelt sich hierbei größtenteils um Vorarbeiten für Schilters Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum und das zugehörige Glossarium, in welchem selbstverständlich auch juristische Themen behandelt werden (UB Gießen, Hs 47, Hs 96, Hs 1228 – 1232), sowie um eine irische Handschrift (Ebd., Hs 1267).

Abb. 4b.3.: Genealogische Übersicht über die Verwandtschaftsverhältnisse von Ludwig III. (864 – 882), König von Westfranken, Sohn von Ludwig dem Stotterer und Enkel von Karl dem Kahlen aus Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

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die vorgefundene Ordnung des Nachlasses prägen, spiegeln zum einen das große Interesse an seinen Manuskripten und Arbeitspapieren wider, das bereits kurz nach seinem Tod einsetzte. Zum anderen bestimmt die Überlieferungsgeschichte aber auch grundsätzlich, welche Erkenntnisse sich aus dem überkommenen Material gewinnen lassen. Arnold Esch hat mit seinem grundlegenden Aufsatz über die Chance und den Zufall bei der Ausformung der Überlieferung darauf hingewiesen, welche Auswirkungen sich hieraus für die Erkenntnismöglichkeiten von Historikerinnen und Historikern hinsichtlich der heuristischen Belastbarkeit des Materials ergeben.¹⁵² Diese Erkenntnis ist in der Frühneuzeitforschung mittlerweile breiter aufgenommen worden, wie sich zum einen an neueren Arbeiten der Archivgeschichte¹⁵³ und zum anderen an dem beginnenden Interesse an den großen Sammlerfiguren des 18. Jahrhunderts zeigt.¹⁵⁴ An diese Forschungen anschließend sollen im Folgenden die verschiedenen Motive und Kriterien reflektiert werden, die zur Überlieferung der Schilteriana führten. Dabei geht es explizit auch darum, die unterschiedlichen überlagerten Ordnungen im Nachlass zu identifizieren und auseinanderzuhalten. Während die Binnengliederung des Nachlasses zum einen auf Schilter selbst, zum anderen auf seine Schüler und postumen Herausgeber seiner Schriften sowie auf Heinrich Christian von Senckenberg, der große Teile des Nachlasses im 18. Jahrhundert erwarb, zurückgeht, entstand die übergeordnete Gliederung der Bestände erst bei der Aufnahme der Schilteriana zusammen mit der Senckenbergischen Bibliothek in die UB Gießen im 19. Jahrhundert. Im Folgenden soll zunächst die Überlieferungsgeschichte von Schilters Bibliothek nachgezeichnet werden, um im Anschluss daran zu veranschaulichen, wie diese die derzeitige Ordnung des Nachlasses in der Universitätsbibliothek Gießen formte und welche Schlüsse sich daraus für das Erkenntnispotential des überlieferten Materials ziehen lassen.

152 Arnold Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, in: Historische Zeitschrift 240 (1985), 529 – 570. 153 Vgl. exemplarisch Vera Keller [u. a.] (Hg.), Archival afterlives. Life, death, and knowledgemaking in early modern British scientific and medical archives, Leiden / Boston: Brill 2018 (Scientific and learned cultures and their institutions volume 23). 154 Vgl. grundlegend den neuen Sammelband zu Zacharias Konrad von Uffenbach, in dem Monika Müller und Markus Friedrich einleitend „die Sammelleidenschaft von Uffenbach oder Wolf und anderer Zeitgenossen mit ihren Entscheidungen, was zu kaufen war oder nicht“ in Hinblick auf die Erkenntnismöglichkeiten späterer Historikerinnen und Historiker einordnen: Durch ihre Tätigkeit seien „zahlreiche jener Archiv- und Bibliotheksbestände [entstanden], die als umgrenzte Quellenkorpora heute den Zugriff der Historiker strukturieren.“ Monika E. Müller / Markus Friedrich, Einführung, in: Dies. (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 1 – 10, 5.

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Bereits zu Lebzeiten entschloss sich Schilter vermutlich aufgrund seines schlechter werdenden Gesundheitszustands und (nicht näher ermittelbarer) finanzieller familiärer Verpflichtungen zum Verkauf seiner Bibliothek einschließlich der Manuskriptsammlung an seinen Schüler Johann Christian Simon, den späteren Syndicus der Stadt Kempten.¹⁵⁵ Damit enttäuschte er gleichzeitig die Hoffnungen eines anderen Schülers und langjährigen Mitarbeiters, Johann Philipp Schmid,¹⁵⁶ der sich offenbar Hoffnungen auf den Schilterschen Nachlass gemacht hatte.¹⁵⁷ Simon hatte bei Schilter Recht studiert und sich anschließend der Rechtspraxis zugewandt.¹⁵⁸ Als Sohn des Straßburger Chirurgen Johann Conrad Simon war er offenbar wohlhabend genug, um sich eine Bibliothek wie die von Schilter leisten zu können.¹⁵⁹ Simon setzte sich allerdings weniger inhaltlich mit dem Werk seines Lehrers auseinander, sondern stellte das Material einem Bearbeiter- und Herausgeberkollegium zur Verfügung.¹⁶⁰ Es ist möglich, dass Schilter Simon mit dem Bibliotheksverkauf bewusst auch die Fertigstellung seines zu Lebzeiten unvollendet gebliebenen Spätwerks, des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728), überantwortete.¹⁶¹ Schilters Nachlass hatte schon kurz nach seinem Tod das Interesse vieler Gelehrter geweckt.¹⁶² Das galt insbesondere für seine Manuskripte, die zu einem

155 „Simon, Johann Christian (27. 2.1755)“, in: Personen- und Korrespondenzdatenbank der LeibnizEdition, URL: https://leibniz.uni-goettingen.de/persons/view/27714 [18.7. 2023]. 156 Vgl. Babin, „Vous m’avez déja plusieurs fois questionné sur le poinct des nouvelle“, 186. 157 Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, 119. 158 Jugler, Johann Schilter, 76 f. Simon hatte in Straßburg bereits sein Philosophisches Studium absolviert, wie sich an seiner Immatrikulation an der Philosophischen Fakultät der Universität Straßburg am 19. April 1693 erkennen lässt. Knod (Bearb.), Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 – 1793, Bd. 1, 382, Nr. 3444. 159 Vgl. „Simon, Johann Christian (27. 2.1755)“, in: Personen- und Korrespondenzdatenbank der Leibniz-Edition, URL: https://leibniz.uni-goettingen.de/persons/view/27714 [18.7. 2023]. 160 Mit dem Erwerb des Nachlasses und der Herausgabe des Thesaurus verfolgte Simon allerdings handfeste ökonomische Interessen. Vgl. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 144. 161 Ein solches Vorgehen wäre keineswegs unüblich. Ein ähnlicher Fall lässt sich, wenngleich einige Jahre später, bei Zacharias Konrad von Uffenbach beobachten, der einen Großteil seiner Korrespondenz sowie weitere Unterlagen dem Memminger Theologen Johann Georg Schelhorn zur Veröffentlichung einer Lebensbeschreibung vermachte. Helmut Zedelmaier, Zacharias Konrad von Uffenbach. Fünf Schlaglichter auf einen gelehrten Sammler, in: Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 11 – 68, 17. 162 Zum großen zeitgenössischen Interesse an Gelehrtennachlässen vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 211 f.

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großen Teil aus den Vorarbeiten für sein im Manuskript verbliebenes Editions- und Wörterbuchprojekt, den Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, bestanden. Auf ein Gerücht über Schilters Tod Ende 1703 hin, zwei Jahre bevor dieser tatsächlich eintraf, bemühte sich Gottfried Wilhelm Leibniz um Informationen über den Verbleib von Schilters Nachlass.¹⁶³ Leibniz’ Nachrichtenübermittlung aus Straßburg, die üblicherweise über Christian Wilhelm von Eyben und Johann Friedrich Pfeffinger (1667– 1730) lief, war durch den Spanischen Erbfolgekrieg allerdings erheblich erschwert. Entsprechend lange dauerte es, als Schilter im Mai 1705 tatsächlich verstarb, bis Pfeffinger über seinen Bruder verlässliche Informationen beschaffen konnte. Erst in einem Schreiben vom 22. April 1706 berichtet Pfeffinger, Schilter habe seine Bibliothek Simon vermacht und seinen übrigen Besitz seiner Adoptivtochter Susanna Catharina Dieudonné überlassen. Letzteres bezeichnet Pfeffinger als eine Torheit Schilters („folie“). Im Zentrum seines und Leibniz’ Interesses am Schilterschen Nachlass stand jedoch der Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, an dem Schilter bis zu seinem Tod gearbeitet habe. Nun warte dieser nur auf einen Verleger.¹⁶⁴ Im nächsten Schreiben vom 10. Juni 1706 lieferte Pfeffinger noch einen versprochenen Katalog von Schilters Schriften nach.¹⁶⁵ Leibniz’ Interesse an der Herausgabe des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum intensivierte sich in der Folge auch auf Betreiben des Schilter Schülers Johann Philipp Schmid, der für das Projekt im Auftrag Schilters eine (bei dessen Tod noch nicht abgeschlossene) Abschrift der Wiener Otfrid-Handschrift anfertigte.¹⁶⁶ Leibniz aktivierte sogar seine politischen Kontakte in Wien, indem er Prinz Eugen von Savoyen (1663 – 1736) für das Projekt gewann.¹⁶⁷ Simon war für die Pläne durchaus aufgeschlossen. Bereits im Anhang einer 1711 gedruckten Gedächtnisrede auf Schilter hatte er eine kurze Übersicht von Schilters Arbeitsexemplaren und Manuskripten geliefert. An gleicher Stelle bekräftigte er zudem, Schilters Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, so bald wie möglich herausgeben zu wollen.¹⁶⁸ Mit einigem Stolz berichtete Simon im Ok-

163 Johann Friedrich Pfeffinger an Gottfried Wilhelm Leibniz, Lüneburg 6. Dezember 1703 (A I, 22, N. 417). Ausführlich hierzu vgl. Gädeke, Aussitôt, que Monsieur Schilter m’aura mandé ses sentiments sur ce sujet, je ne manqueray de Vous en donner part, 293 f. 164 Johann Friedrich Pfeffinger an Leibniz, Lüneburg 22. April 1706 (A I, 25, N. 491). 165 Pfeffinger an Leibniz, Lüneburg 10. Juni 1706 (A I, 26, N. 61). Dieses findet sich abgedruckt in: Der neu-bestellte Agent von Haus aus / mit allerhand curieusen Missiven, Brieffen / Memorialien, Staffetten, Correspondencen und Commissionen, nach Erforderung der heutigen Staats- und gelehrten Welt 2 (1706), Depeche Nr. 6, 524 – 527. 166 Vgl. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 87– 92. 167 Faak / Li, Leibniz als Reichshofrat, 81. 168 Johann Christian Simon, Catalogus Scriptorum à Famigeratissimo JCto Johanne Schiltero in publicam lucem editorum, ut & denuo Notis MSStis Auctiorum, in: De Vita, Obitu et Scriptis Illustris

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tober 1714 offenbar auch Johann Friedrich von Uffenbach bei dessen Besuch von den hohen politischen Interessen an der Herausgabe des Thesaurus. So vermerkt Uffenbach in seinem Reisetagebuch unter dem 15. Oktober 1714: H. advocat Simon […] erzehlte mir viel von dem Glossario Schilteriano, und deßen baltigen nunmehro auf ansuchen des Prinzen Eugenii und deß Kaysers resolvierten Edition, wie er es nehmlich vermittelst des HE Doctor Schertzen selbst verlegen und trucken laßen wollte. Nachdem ginge auch zu He Doctor Schertz der mir dann auch vieles davon redete, und versicherte, daß er noch etliche gute appendices dazu thun wollte, wie er mir dann verschiedene bogen so er aus der Kayserlichen Bibliothec von einem Strasburger [vermutlich Johann Philipp Schmidt] so sich alda lange aufgehalten und […] laßen copirt communicirt bekomen.¹⁶⁹

Die Pläne über die Herausgabe des Werks scheinen auch in Absprache zwischen Simon und Scherz zu dem Zeitpunkt also bereits fortgeschritten gewesen zu sein. Der Straßburger Buchhändler und Verleger Johann Reinhold Dulsecker hatte Simon zudem offenbar bereits ein Angebot gemacht.¹⁷⁰ Die Herausgabe des Werks verzögerte sich aber vermutlich aufgrund von Simons Vorstellungen in inhaltlicher wie in finanzieller Hinsicht.¹⁷¹ So erschien das Werk erst etliche Jahre später in drei Bänden zwischen 1726 und 1728 in Ulm.¹⁷² Das Interesse an Schilters Person in Gelehrtenkreisen zeigt sich über den Thesaurus hinaus auch an den Anfragen, die Simon zum Nachlass und insbesondere zur Korrespondenz erhielt. Bei seinem Aufenthalt in Straßburg erhielt beispielsweise Johann Friedrich von Uffenbach eine Liste der Manuskripte Schilters, die

atq[ue] Magnifici Domini Jo. Schilteri […] Commentatio Postuma, Straßburg: Theodoricus Lerse 1711, 40 – 44. 169 Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 436. 170 Vgl. den Bericht von Johann Anderson (1674 – 1743), der sich mit Simon zur ähnlichen Zeit wie Uffenbach über die Herausgabe des Thesaurus unterhielt. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 143. 171 Während Margot Faak (Faak / Li, Leibniz als Reichshofrat, 81) Simons „Forderungen nach Handschriften anderer Herkunft“ als Hinderungsgrund nennt, vermutet Almut Mikeleitis-Winter „dass die Verhandlungen mit Johann Reinhold Dulssecker wohl vorrangig an den finanziellen Vorstellungen Simons gescheitert“ seien. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 144. Zu Letzterem würde auch die harsche Kritik des Juristen Nicolaus Hieronymus Gundling (1671 – 1729) an Simon passen: „Es wäre nebst dem zu wünschen, daß des Schilteri Glossarium ad illustranda plurima Juris Feudalis Capita heraus käme; weilen man die Etymologien sonderlich in Jure Feudali nöthig hat: Weilen aber dasselbe nach seinem Tode an einen solchen Erben verfallen, welcher die Natur des Eulenspiegels an sich hat, mit welchem gar kein Handel zu treffen ist; so ists fast zu zweifeln, ob solches einmahl an das TagesLicht kommen werde.“ Gundling, Schilterus Illustratus, Prolegomena, 2. 172 Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 143 – 145.

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vermutlich zur Vorbereitung eines Ankaufs gedacht war: „Samstag d[en] 21ten [Oktober 1713] besuchte mich nachmittags H[err] Advocat Simon, und brachte mir ein schreiben und Liste von den manuscriptis Schilterianis so er besizet, umb selbige meinem Bruder [Zacharias Konrad von Uffenbach] nach FFurt zu zu senden.“¹⁷³ Bislang konnten jedoch keine umfangreicheren Schilteriana im Besitz der Uffenbachs nachgewiesen werden.¹⁷⁴ Das liegt möglicherweise auch daran, dass zumindest Zacharias Konrad von Uffenbach bei der Sammlung von Manuskripten einen starken Fokus auf noch unveröffentlichte Handschriften legte, von denen im Nachlass Schilters neben den Vorarbeiten zum Thesaurus nur wenige vorhanden waren.¹⁷⁵ An diesen Vorarbeiten hatte Simon aber wiederum ein so großes Eigeninteresse, dass er sie sicherlich nicht zum Kauf anbot. Die auf diesem Weg erlangte Kenntnis von den Manuskripten Schilters insbesondere in Hinblick auf die Korrespondenz gab Zacharias Konrad von Uffenbach aber sehr wohl weiter. So wandte sich der Helmstedter Rechtsprofessor Johann Wilhelm Göbel (1683 – 1745) 1727 auf den Hinweis Uffenbachs an Simon, von dem er sich Briefe an Schilter von Hermann Conring erhoffte, die ihm bei seiner geplanten Herausgabe der Werke Conrings nützen könnten.¹⁷⁶ Simon kam der Anfrage nach und schickte die Briefe über Uffenbach an Göbel.¹⁷⁷ Mit einem ähnlichen Anliegen 173 Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 250. 174 Mit Ausnahme zweier Briefe von Johann Nikolaus Hardtschmidt an Schilter. Harschmidt an Schilter, Gießen Juli 1686 (SUB Hamburg, Sup. Ep. 103, fol. 30) und 27. Februar 1687 (Ebd., fol. 28). Das gilt zumindest für den 1720 erschienenen umfangreichen Katalog eines Teils von Zacharias Konrad von Uffenbachs Handschriftensammlung. Bibliotheca Uffenbachiana Mssta seu catalogus et recensio msstorum codicum qui in bibliotheca Zachariae Conradi ab Uffenbach Traiecti ad Moenum adservantur et in varias classes distinguuntur quarum priores Io. Henricus Maius Fil. Prof. Ordinar. Giess. recensuit, reliquas possessor ipse digessit qui omnem etiam hanc suppelectilem literariam suam ad usus publicos offert., Halle 1720. Gleiches gilt für den 1730 erschienenen dritten Band des Verkaufskatalog der Bibliothek Uffenbachs, in welchem seine Manuskripte aufgeführt sind. Bibliotheca Uffenbachiana Universalis. Tomus III. Exhibens Integrum Msstorum tam vet. quam recent, Frankfurt a. M. 1730. 175 Vgl. Markus Friedrich, Von Zürich nach Frankfurt nach Hamburg. Die Reise der Quellenexzerpte Johann Heinrich Otts (1617– 1682) durch Mitteleuropa und Konrad Zacharias Uffenbachs Rolle für die Täufergeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts, in: Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hg.), Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700, Berlin / Boston: De Gruyter 2020 (Cultures and Practices of Knowledge in History 4), 265 – 289, 275 f. 176 Von der Anfrage berichtete Simon in einem Schreiben an den Theologen Johann Georg Schelhorn (1694 – 1773). Simon an Schelhorn, Kempten 18. September 1727, abgedruckt in: Friedrich Braun, D. Johann Georg Schelhorn’s Briefwechsel, München: Verlag der Kommission 1930, 221 – 223. 177 Johann Christian Simon an Johann Georg Schelhorn, Kempten 18. September 1727, abgedruckt in: Braun, D. Johann Georg Schelhorn’s Briefwechsel, 221 – 223. Dass die Briefe ankamen, zeigt sich

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hatte sich 1726 bereits (vermutlich ebenfalls auf Uffenbachs Hinweis) Johann Georg Schelhorn (1694 – 1773), Lehrer an der Memminger Stadtlateinschule und enger Vertrauter Uffenbachs, an Simon gewandt. Er interessierte sich zunächst vornehmlich für die Briefe Speners an Schilter. Simon überließ ihm nicht nur die gewünschten Briefe, sondern bot darüber hinaus an, weitere Schreiben von Schilter an berühmte Gelehrte wie Jean Mabillon, Étienne Baluze oder Friedrich Benedikt Carpzov (1649 – 1699) zu schicken.¹⁷⁸ Schelhorn ging auf das Angebot ein und Simon versorgte ihn daraufhin mit weiteren Briefen an Schilter, die Eingang in Schelhorns literarhistorisches Werk, die Amoenitates Litteraria, fanden.¹⁷⁹ Autographen von Schilter, die Schelhorn ebenfalls anfragte, waren aber offenbar ebenso wie heute nur schwer zu bekommen. Simon schrieb hierzu bedauernd, dass er kaum Antwortbriefe von Schilter besitze, da sich seine Konzepte nur in den seltensten Fällen überliefert hätten.¹⁸⁰ Bis auf Teile der Korrespondenz verblieb Schilters Bibliothek jedoch weitestgehend vollständig im Besitz von Simon. Eine Ausnahme stellte nur Schilters Ausgabe von Goldasts Paraeneticorum veterum (Insulae ad Lacum Aecronium [Lindau] 1604) dar, die Schelhorn offenbar von Simon im Zuge ihrer Korrespondenz erstand.¹⁸¹

zum einen daran, dass Göbel den Briefwechsel zwischen Conring und Schilter im Rahmen seiner Gesamtausgabe von Conrings Schriften abdruckte.Vgl. Göbel (Hg),Viri quondam Illustris Hermanni Conringii […] Operum, 503 – 507. Zum anderen fehlen die Briefe in den Briefbänden Schilters in der Universitätsbibliothek Gießen. Vgl Schüling, Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter (1632 – 1705). 178 Simon an Schelhorn, Kempten 20. Juni 1726, abgedruckt in: Braun, D. Johann Georg Schelhorn’s Briefwechsel, 174 f. 179 Für die Spener-Briefe s. Johann Georg Schelhorn, Amoenitates Literariae quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdota et rariora opuscula exhibentur, Bd. 6, Frankfurt a. M. / Leipzig 1727, 549 – 575. Weitere Briefe von Jean Mabillon, Thierry Ruinart und Étienne Baluze finden sich bei Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 630 – 645. Zwei weitere Briefe an Mabillon sowie ein Schreiben Schilters an Johann Georg Graevius finden sich bei Johann Georg Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie und Literatur in welchen Nachrichten von seltenen Büchern, wichtige Urkunden, merkwürdige Briefe und verschiedene Anmerkungen enthalten sind, Bd. 1, Ulm: Bartholomaeus 1761 und Ulm/Leipzig: Bartholomaeus 1762, 475 – 487. 180 Simon an Schelhorn, Kempten 20. Juni 1726, abgedruckt in: Braun, D. Johann Georg Schelhorn’s Briefwechsel, 174 f. Weiteres dazu im Folgeschreiben: „worbey aber sehr bedaure, daß dessen Original-Schreiben an so viele gelehrte Leute schier durchgehends abgängig seyen, und wann solche von denen Possessoribus, vermittelst publiquen Versprechens, könnten erlanget werden, wolte ich alle annoch bey Handen habende Ew. WohlEhrw. Ad nutum promptissime zustellen, damit dergleichen importante correspondenz conjunctim könte ediret werden, worbey dennoch die nöthige praecaution nicht zu vergessen stünde, umb niemand quovis modo dardurch zu gefährden.“ Simon an Schelhorn, Kempten 18. September 1727, abgedruckt in: Braun, D. Johann Georg Schelhorn’s Briefwechsel, 221 – 223. 181 Es handelt sich um Melchior Goldast, Paraeneticorum Veterum Pars I. In qua producuntur Scriptores VIII. / S.Valerianus Cimelensis. S. Columbanus Abbas. Dinamius Grammaticus. S. Basilius

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Einen detaillierteren Überblick über Schilters Bibliothek bietet erst ein Auktionskatalog, der anlässlich des Verkaufs von Simons Bibliothek nach dessen Tod 1755 erstellt wurde.¹⁸² Simon war vermutlich Ende 1714 nach Kempten gezogen, wo er erfolgreich eine Ratskarriere verfolgte.¹⁸³ Im November 1717 wurde er zum zweiten Syndicus der Stadt bestallt und stieg zwei Jahre später zum ersten Syndicus auf. Da Simons Witwe Elisabetha Catharina (geb. König) nur wenige Wochen nach ihm verstarb, kümmerte sich vermutlich ihr Bruder und Vertreter Johann Friedrich König um den Nachlass.¹⁸⁴ Die Auktion wurde dem in Lindau am Bodensee ansässigen Buchhändler Jacob Otto übertragen. Unter den 5.100 bibliographischen Einheiten, die der Auktionskatalog aufführt, finden sich im dritten Band unter der Rubrik Schilterische Manuscripta auch 105 Handschriftenbände. Nicht alle davon können aber Schilter zugeschrieben werden. Wie Klaus Graf bereits vermutete, erwarb Simon insbesondere Handschriften über oder aus Kempten vermutlich erst nach Schilters Tod.¹⁸⁵ Das ist etwa bei einem Codex aus dem 15. Jahrhundert oder

Episcopus. Anneus Boetius. Tyrol Rex Scotorum. Winsbekius Eq. Germanus. Winsbekia, nobilis Germana. Cum Notis Melchioris Haiminsfeldi Goldasti. Ex Bibliotheca & Sumtibus Bartholemaei Schobingeri IC., Insulae ad Lacum Acronium [Lindau]: Brem 1604. Zu Schelhorns Bericht vom Kauf des Buches aus Schilters Bibliothek s. Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie, 475 – 476. Schelhorn könnte das Werk auch über die Verauktionierung von Simons und Schilters Bibliothek erworben haben. Dagegen spricht allerdings, dass der besagte Titel trotz seiner Seltenheit nicht im Auktionskatalog aufgeführt ist. Auch der Annahme von Hiram Kümper, die Hs 996 der UB Gießen sei von Heinrich Christian von Senckenberg bereits vor der Auktion 1760 von Simon erworben worden, muss widersprochen werden, da sie noch im Auktionskatalog aufgeführt wurde. Eine frühere Nutzung der Handschrift durch Senckenberg ließe sich daher nur durch eine Ausleihe erklären.Vgl. Hiram Kümper, Regimen von der Wehrverfassung. Ein Kriegsmemorandum aus der Giessener Handschrift 996, zugleich ein Beitrag zur städtischen Militärgeschichte des 15. Jahrhunderts, Gießen: Universitätsbibliothek 2005, 20 f. 182 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths. Es ist nur noch ein vollständiges Exemplar in der UB der LMU München (0014/W 8 H.lit. 2917(1 – 5) überliefert. Der erste Band findet sich zudem in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (H: Q 500b.8° Helmst.), in der Stabi Berlin (RLS DP 4189), zwei Mal in der Studienbibliothek Dillingen (Mag/XVIII 2459b und Mag/A 1769) und in der UB Erlangen Nürnberg (H00/BBLGR-IIII 290). Ausführlicher zu Schilters Bibliothek vgl. Kap. 4b. 183 Johann Friedrich von Uffenbach berichtet, dass Simon bei seinem Abschiedsbesuch am 15. Oktober 1714 mitten in den Umzugsvorbereitungen steckte, ohne das Ziel des Umzugs zu benennen. Da Simon nur drei Jahre später bereits hohe politische Ämter in Kempten übernahm, ist es sehr wahrscheinlich, dass er von Straßburg direkt nach Kempten zog. Vgl. Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 436. 184 Vgl. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 122. 185 Klaus Graf, Otto, Jacob: Catalogus des vortreflich- und raren Bücher-Vorraths welche Weyl. Herr Johannes Schilter Professor zu Straßburg, und Herr Christian Simon Syndicus zu Kempten hinterlassen (1759 – 1762), URL: https://archivalia.hypotheses.org/3458 [18.7. 2023].

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einem Manuskript, das sich mit der Herkunft des Namens der Stadt Kempten befasst, der Fall.¹⁸⁶ Den größten zusammenhängenden Teil der Manuskripte Schilters, die im Auktionskatalog aufgeführt werden, erwarb der Reichshofrat und Handschriftensammler Heinrich Christian von Senckenberg für seine Bibliothek in Wien.¹⁸⁷ Darunter fallen mittelalterliche Handschriften ebenso wie Schilters Arbeitspapiere, Korrespondenzen und zum Teil auch mit Anmerkungen versehene Drucke wie ein durchschossenes Exemplar von Johann Georg Kulpis’ Grotiuskommentar (Stuttgart 1697),¹⁸⁸ ein durchschossener Druck des Friedensschlusses von Rijswijk (Den Haag 1697)¹⁸⁹ oder Schilters Arbeitsexemplar seiner Institutiones Juris Canonici (Jena 3 1699).¹⁹⁰ Inwiefern Senckenberg auch größere Bücherbestände kaufte, lässt sich kaum mehr nachvollziehen, da der Bestand an Drucken des 17. und 18. Jahrhunderts der Universitätsbibliothek Gießen, in welcher die Bibliothek Senckenbergs letztlich aufging, am 11. Dezember 1944 zu großen Teilen einem Bombenschaden zum Opfer fiel.¹⁹¹ Ähnlich wie sein Förderer Zacharias Konrad von Uffenbach sammelte Senckenberg eine umfangreiche Menge an Büchern und Manuskripten an. Gerade in seinen späteren Jahren nutzte Senckenberg hierzu immer wieder Auktionen von

186 S. die Einträge: „Ein altgeschribener Codex ex Sec. XV. cum diversis Tractatibus, Epistolis & Sermonibus de Abstinentia, amore Die, proximi & inimicorum, de fide, inferno, juramento &c Doctoris Nuzenbach de An. 1213. quem legavit Anno 1443. Frid. Witnavver pro Jo. Werchmaister, Cappellano S. Magni in Kempten. in fol.“ (Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 4) und „Msct von dem Nahmen der Statt Kempten benebst weitläuffiger Historie“ (Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 14). 187 Das ergibt ein Abgleich des Auktionskatalogs mit den Beständen der UB Gießen. Von den im Auktionskatalog als Schiltersche Manuscripta aufgeführten 105 Bänden kaufte Senckenberg mindestens 32 Bände, vermutlich aber mehr. Senckenbergs Tätigkeit als bedeutender Handschriftensammler des 18. Jahrhunderts ist noch weitestgehend unerforscht und wäre aufgrund der reich überlieferten Quellenlage ein lohnender Gegenstand für zukünftige Untersuchungen. 188 UB Gießen, Hs 903. Zur Praxis des Durchschießens vgl. Arndt Brendecke, ‚Durchschossene Exemplare’. Über eine Schnittstelle zwischen Handschrift und Druck, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 59 (2005), 50 – 64; Petra Feuerstein-Herz, Seitenwechsel. Handschrift und Druck in durchschossenen Buchexemplaren der frühen Neuzeit, in: Kodex. Jahrbuch der Internationalen Buchwissenschaftlichen Gesellschaft 9 „Materialität: Von Blättern und Seiten“ (2019), 9 – 26. 189 UB Gießen, Hs 213. 190 UB Gießen, Hs 1117a. 191 Hermann Schüling, Gießen 1, in: Berndt Dugall (Hg.), Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, 28 Bde., Bd. 5: Hessen A–L, Hildesheim / Zürich / New York: Olms Weidmann 2 2006, 276 – 287, 278 f.

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gelehrten Nachlässen und Bibliotheken.¹⁹² Da sich der Antiquariatsbuchhandel zum Vertrieb von Altbeständen erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu etablieren begann, stellten Auktionen von Gelehrtennachlässen günstige Gelegenheiten speziell zum Erwerb von Handschriften dar.¹⁹³ Schilters Nachlass war also einerseits nur eine Erwerbsmöglichkeit von vielen. Andererseits deutet jedoch vieles darauf hin, dass Senckenberg mit dem Ankauf der Schilteriana seine Handschriftensammlung maßgeblich vergrößerte.¹⁹⁴ Anders als bei Uffenbach, der mit seiner Bibliothek gleichsam ein gelehrtes Programm verfolgte und sie einer gelehrten Gemeinschaft – in seinem Sinne – öffnete,¹⁹⁵ stellte Senckenbergs Bibliothek in erster Linie eine Arbeitsbibliothek dar.¹⁹⁶ Sein Interesse an den Manuskripten Schilters war vornehmlich durch seine juristischen und rechtshistorischen Interessen und weniger literarhistorisch geprägt. Mit seinen umfangreichen Editionen zu den deutschen Rechtsquellen schloss Senckenberg immerhin an den rechtshistorischen Forschungszweig an, zu dessen wichtigsten Wegbereitern Schilter gehörte.¹⁹⁷ Nach Heinrich Christian von Senckenbergs Tod 1768 erbte sein Sohn Renatus Karl die gesamte Bibliothek. Einen Einblick in die Bibliothek, nicht aber die enthaltenen Manuskripte, gibt der in drei Bänden 1770 erschienene Auktionskatalog, mit dem ein Teil der Bücher verkauft wurde.¹⁹⁸ Eine immer noch beachtliche Sammlung inklusive der gesamten Manuskripte gelangte mit Renatus Karl, der wie sein Vater Jurist war, aber nicht im gleichen Maße Bücher und Handschriften sammelte, von Wien nach Gießen, wo er sich seit 1784 als Privatmann niedergelassen hatte. Anders, als bisher angenommen, scheint sich aber auch Renatus Karl von Senckenberg inhaltlich stärker mit den Schilteriana beschäftigt zu haben. So findet sich zu Beginn der in zwei Schatullen aufbewahrten Handschrift 920 192 Georg Ludwig Kriegk, Die Brüder Senckenberg. Eine biographische Darstellung, Frankfurt a. M.: Sauerländer 1869, 31. 193 Annette Pozzo, Bücherauktionen im 18. Jahrhundert. Ihre Funktion beim Aufbau und bei der Erweiterung öffentlicher und gelehrter Bibliotheken, in: Andrea Kaufmann [u. a.] (Hg.), Bibliothek – Forschung für die Praxis. Festschrift für Konrad Umlauf zum 65. Geburtstag, Berlin / Boston: De Gruyter 2017, 579 – 587. 194 Im Signaturensystem, mit welchem Senckenberg seine Handschriftensammlung von A–H sortierte, bestand beispielsweise der überwiegende Teil der Signaturengruppe E aus Schilteriana. UB Gießen, Hs 28ca (1), fol. 44r–45v. 195 Vgl. Zedelmaier, Zacharias Konrad von Uffenbach, 29 – 35. 196 Bernd Bader, Die Handschriften und historischen Buchbestände der Universitätsbibliothek Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 38 (2005), 55 – 68, 58; Kriegk, Die Brüder Senckenberg, 31 f. 197 Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abtheilung, Erster Halbband, Text, 247– 249. 198 Bibliotheca Senckenbergiana, sive Catalogus Selectissimorum ex omni scientia Librorum et Argumento et Forma externa insignium, quorum fiet Auctio Viennae, Nonis Novembris MDCCLXX, 3 Bde, Wien: Officina Schulziana 1770.

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(„Schilteriana, ad Jus Publicum Saxonicum“) ein von Renatus Karl von Senckenberg beschriebener Notizzettel.¹⁹⁹ Bei dem Zettel handelt es sich um eine Liste unveröffentlichter Saxonica, die nach Jahreszahlen dem zweiten Band von Johann Jacob Mosers Familien-Staats-Recht derer Teutschen Reichsstände (Frankfurt a. M./Leipzig 1775) exzerpiert wurde. Offenbar durchsuchte Senckenberg die Bestände in Schilters Nachlass zum sächsischen Recht nach Rezessen, Erbteilungen und ähnlichen Schriftstücken, um sie für eigene Werke zu nutzen.²⁰⁰ Das stellt eine übliche Praxis im Umgang mit Manuskriptbeständen aus Gelehrtennachlässen dar, deren Wert sich nicht zuletzt an ihrer Publizierbarkeit bemaß.²⁰¹ Als Renatus Karl 1800 ohne Erben verstarb, ging die Bibliothek entsprechend seinem Testament in den Besitz der Universitätsbibliothek Gießen über, die sich im Gegenzug jedoch verpflichten musste, die Sammlung räumlich getrennt aufzubewahren.²⁰² Für die Universitätsbibliothek bedeutete das sowohl in Bezug auf den Bestand an Handschriften als auch an Drucken einen enormen Zuwachs. Die Nutzung der Senckenbergischen Bestände wurde durch die im Testament festgehaltene räumliche und verwaltungstechnische Trennung von der Universitätsbibliothek allerdings stark behindert. Da die Senckenbergische Bibliothek sich zum Zeitpunkt von Renatus Karls Tod in einem sehr schlechten Zustand befand und nicht katalogisiert war, konnten erst ab 1815 einzelne Bücher ausgeliehen werden. Versuche, die Bibliotheken zumindest räumlich zusammenzuführen, wurden unter anderem aus finanziellen Gründen wiederholt abgelehnt. Das änderte sich erst 1837, als in einer Einigung mit den Senckenbergischen Erben die Testamentsbestimmungen aufgehoben werden konnten.²⁰³ In der Folge genehmigte das Großherzoglich Hessische Ministerium des Innern und der Justiz die Zusammenführung der Bestände mit der Bedingung, dass „der Transferirung der Senckenbergischen Bibliothek in das Universitäts-Gebäude allerdings eine Revision derselben nach den vorhandenen

199 Dass es sich um eine Notiz von Karl Renatus von Senckenberg handelt, verrät die Rückseite, auf der in durchgestrichener Schrift geschrieben ist: „Das jungst erwähnte Decanatsbuch wollte mir nur auf 24 Stunden zur Einsicht erbitten. v. Seckenberg“ (UB Gießen, Hs 920-I, fol. 4v). 200 Hierauf weisen auch immer wieder eingeschobene Notizzettel und Deckblätter hin. So findet sich etwa ein größerer Umschlag mit der Aufschrift „Hennebergica e Schilterianis“ in der Hs 919. UB Gießen, Hs 919, fol. 936r. 201 Friedrich, Von Zürich nach Frankfurt nach Hamburg, 275 f. 202 Bader, Die Handschriften und historischen Buchbestände der Universitätsbibliothek Gießen, 58. 203 Sabine Wefers, Der Wandel der Gießener Universitätsbibliothek zu einer modernen Gebrauchsbibliothek im 19. Jahrhundert, in: Peter Moraw / Heiner Schnelling (Hg.), Geschichte der Universitätsbibliothek Giessen, Gießen: Ferber 1991 (Studia Giessensia 2), 27– 50, 29; Emil Heuser, Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek, Leipzig: Harrassowitz 1891 (Beihefte zum Centralblatt für Bibliothekswesen 6), 45 – 50.

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Catalogen und späteren Rechnungen insoweit aber diese Cataloge und Rechnungen nicht reichen also auch namentlich hinsichtlich der Manuscripte und Urkunden, eine möglichst kurze Verzeichnung der Werke vorhergehen und daß hieraufhin die Ablieferung gegen Empfangsbescheinigung von dem bisherigen – an den Universitätsbibliothekar erfolgen muss.“²⁰⁴ Für die Handschriftensammlung übernahm diese Verzeichnung der Theologe und Professor für Kirchengeschichte Karl August Credner (1797– 1857), der sich in vielen Belangen für eine Reformierung der Universität Gießen, auch bezüglich der Bibliothek, einsetzte. Credner versah alle Manuskripte mit Titeln und Nummern und verzeichnete diese in einem eigenen Katalog, der im Bestand der Universitätsbibliothek Gießen überliefert ist.²⁰⁵ In den folgenden Jahren nahm der Bibliothekar der Universitätsbibliothek Gießen Johann Valentin Adrian (1793 – 1864) eine grundlegende Neuordnung der Manuskripte vor, die auch heute noch besteht. Dabei ordnete er nach dem Pertinenzprinzip „die Handschriftensammlung völlig neu allein nach thematischen Gesichtspunkten, ohne Rücksicht auf Sprache, Alter und Herkunft der Stücke, und beschrieb sie in einem Katalog, der 1840 erschien und 1.268 Nummern umfasst.“²⁰⁶ Das führte unter anderem dazu, dass Teilbestände der Bibliothek Senckenbergs wie die Schilteriana weiter aufgeteilt wurden und erst spät wieder als ein zusammenhängender Bestand erkannt wurden.²⁰⁷ Im Verlauf der Überlieferungsgeschichte lassen sich folglich drei Momente erkennen, in denen die Manuskriptsammlung Schilters einen stärkeren Eingriff oder eine Neuordnung des Materials erfahren hat: Das ist erstens die Arbeit des Herausgeberkollegiums des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, zweitens der Ankauf und die Neuordnung durch Heinrich Christian und Renatus Karl von Senckenberg und drittens schließlich die Vereinigung mit der Universitätsbibliothek Gießen beziehungsweise die Neuordnung Adrians, welche zugleich die heutige Ordnung darstellt.

204 Das Großherzoglich Hessische Ministerium des Innern und der Justiz an die Gr. academische Administrations- Commission zu Giesen, Darmstadt 9. August 1837. Universitätsarchiv Gießen, Allg H UB 17, fol. 114r–115v. 205 UB Gießen, Hs 28c (1). Zusätze und Ergänzungen hierzu finden sich in Ebd., Hs 28c (2). Auf Credners Autorschaft verweisen dessen handschriftliche Anmerkungen auf den Deckblättern der Kataloge. 206 Bader, Die Handschriften und historischen Buchbestände der Universitätsbibliothek Gießen, 58. Zum Katalog s. Johann Valentin Adrian, Catalogus codicum manuscriptorum bibliothecae academicae Gissensis, Frankfurt a. M.: Joann. Dav. Sauerländer 1840. 207 Eine Identifizierung der Stücke ist häufig nur durch einen aufwendigen Abgleich von Credners Katalog der Handschriftensammlung Senckenbergs mit dem Auktionskatalog der Bibliothek Schilters und Simons möglich. Etliche Handschriften aus dem Besitz Schilters konnten im Rahmen dieser Arbeit als solche identifiziert werden: UB Gießen: Hs 901; Hs 275 – 280; Hs 194; Hs 1110; Hs 599.

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Mit dem Verkauf von Schilters Bibliothek und Handschriftensammlung an seinen Schüler Simon gingen auch die Vorarbeiten zum Thesaurus an diesen über. Simons inhaltliche Auseinandersetzung mit Schilters Handschriftensammlung scheint insgesamt beschränkt gewesen zu sein. Sein Interesse galt vornehmlich der (finanziellen) Verwertbarkeit der Manuskripte für weitere Publikationen. Das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich dürfte ihn der Kauf von Schilters Bibliothek eine größere Summe gekostet haben, die er über die Herausgabe einzelner Werke zu kompensieren versuchte. Neben der Neuauflage von Schilters Kommentar zu Georg Adam Struves Syntagma Juris Feudalis, die Simon 1711 herausgab,²⁰⁸ bereitete er offenbar ebenfalls die Neuauflage von Schilters Institutiones Iuris Publici Romano-Germanici (Straßburg 1696) vor.²⁰⁹ Das Hauptaugenmerk lag aber auf der Herausgabe des Thesaurus auf der Basis von Schilters umfangreichen Vorarbeiten, die nur noch fragmentarisch überliefert sind. Simon betrachtete sich offenbar vor allem als Material- und Ideengeber, wie sich bereits am Austausch mit Göbel und Schelhorn zeigte. Er trat nie selbst als Autor in Erscheinung und übernahm auch bei der Herausgabe des Thesaurus keine größere inhaltliche Rolle. Gegenüber Johann Friedrich von Uffenbach äußerte er dementsprechend, er plane den Thesaurus „vermittelst des HE Doctor Schertzen selbst [zu] verlegen und trucken [zu] laßen“.²¹⁰ Neben Scherz, der vermutlich für einen Großteil der Überarbeitung verantwortlich war,²¹¹ übernahmen die Brüder Johann (1670 – 1739) und Elias Frick (1673 – 1751) weitere zentrale Aufgaben bei der Bearbeitung des Werkes.²¹² Johann Frick, der seit 1712 Professor der Theologie in Münster war und später zum Senior des Ministeriums, Scholarchen und Eherichter aufstieg, übernahm die Aufsicht über die Herausgabe des Werks und verfasste die Vorreden zu jedem der drei Bände sowie zu den Editionen vom Notker und der Lex Salica. Elias Frick, der 1712 von seinem Bruder die Stelle als Prediger am Ulmer

208 Die erste Herausgabe erfolgte Straßburg 1704. 209 Vgl. UB Gießen, Hs 910. 210 Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive (SUB Göttingen, 8 Cod. Ms. Uffenb. 29, Bd. I), 436. Dasselbe hatte Simon bereits anlässlich des Drucks von Schilters akademischen Leichenrede bekräftigt: „Haec omina, ut et Notas […] se optimâ fide nec minori curâ publico commodo editurum promittit. Schilterinae Bibliothecae Possessor Johannes Christianus Simon“. Simon, Catalogus Scriptorum à Famigeratissimo JCto Johanne Schiltero, 40 – 44, hier: 44. 211 Scherz sammelte sogar Material für eine Neuauflage des Glossars, die erst 1781 – 1784 durch Johann Friedrich Oberlin (1740 – 1826) postum unter dem Titel Glossarium Germanicum Medii Aevi in zwei Bänden herausgegeben wurde. Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, 344. 212 Zu Johann und Elias Frick vgl. Albrecht Weyermann, Nachrichten von Gelehrten, Künstlern und andern merkwürdigen Personen aus Ulm. Ulm: Wagner, 1798, 244 – 252.

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Münster übernommen hatte, war für die Herausgabe und Überarbeitung des Glossars verantwortlich. Beide konnte auf ihre umfangreiche Expertise im Bereich der Kirchen- und Gelehrtengeschichte zurückgreifen, die sie für ein Projekt wie den Thesaurus qualifizierte. Auf welchem Weg der Kontakt zwischen Simon und Scherz auf der einen Seite und den Brüdern Frick auf der anderen Seite genau entstand, ist unklar. Die Aufnahme zweier Theologen in den Bearbeiterkreis des Thesaurus war aber sicherlich auch stark von strategischen Überlegungen geprägt. Auf diese Weise konnte bei einem solchen Editionsprojekt, das sakrale wie juristische Texte beinhaltete, die juristische Expertise von Scherz durch die theologische und kirchenhistorische Kompetenz der beiden Brüder ergänzt werden, womit möglicherweise Kritik am Werk vorweggenommen werden sollte. Kleinere Aufgaben wurden auch von Amanuenses der Hauptbearbeiter wie Georg Litzel, einem früheren Studenten von Scherz, sowie Johann Stengel, einem Kandidaten des Predigtamtes in Ulm, durchgeführt.²¹³ Die Arbeitspapiere des Herausgeberkollegiums, die zum großen Teil aus den Vorarbeiten zum Glossarium bestehen, umfassen insgesamt sieben Handschriftenbände, von denen fünf nach der Eingliederung in die UB Gießen in einen hellbraunen Ledereinband gebunden wurde.²¹⁴ Trotz allem dürfte es sich hierbei nur um einen Ausschnitt der Transkripte und Notizen handeln, die Schilter zur Vorbereitung des Thesaurus anfertigte.²¹⁵ Die Papiere sind nur teilweise in der Ordnung überliefert, wie sie aus Simons Nachlass übernommen wurden. Das zeigt sich daran, dass sich zumindest drei der überlieferten Handschriftenbände Einträgen im Auktionskatalog zuweisen lassen.²¹⁶ Diese Handschriften wurden in ihrer Ordnung seit dem Ankauf durch Senckenberg offenbar kaum verändert. Etwas komplizierter ist es mit den übrigen vier Bänden (Hs 1228, 1229, 1231 und 1232). Zunächst einmal suggeriert die Bindung der Handschriftenbände aus dem 19. Jahrhundert eine Einheitlichkeit, die nicht mit ihrer teilweise ungeordneten

213 Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 144 – 148. 214 Es handelt sich dabei um die Handschriften UB Gießen, Hs 1228 – 1232. 215 Einen groben Eindruck gibt die von Simon angeführte Liste der Schilterschen Manuskripte: Simon, Catalogus Scriptorum à Famigeratissimo JCto Johanne Schiltero, 40 – 44, hier: 43 – 44. 216 Die Handschrift 1230 korrespondiert etwa mit dem Eintrag: „Ein dicker Band MScp fol. enthaltend; Joh. Schilteri Interpretationem latinam vestutstae translationis & explicationis Teutonicae Psalmorum. Item Otfridi Volumen Evangeliorum in quinque libros distincum. Letzteres ein sehr laborios-copios und rares Manuskript“. Der Handschrift 47 entspricht „Ein Band in Folio / worinn Schilterische Manuscripta befindlich / als de lege Salica. 2. Tom. I Pars altera excl. Keronis. 3. 5 Bogen alter Wörter. 4. 2 Copiae juris alemannici provincialis.“ Die Handschrift 96 lässt sich dem Eintrag „MScpt in fol. und in engl.Versen mit der Uberschrifft Ludovico orientalium regnorum Regi sit. falus aeterna. Inedita.“ zuordnen. Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 21 – 22.

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Binnengliederung korrespondiert. Beispielsweise ist Schilters Arbeitsexemplar des Glossariums auf die Handschriften 1231 und 1232 verteilt, die darauffolgende Druckvorstufe auf die Handschriften 1228 und 1229.²¹⁷ Im Auktionskatalog werden beide Versionen noch zusammenhängend als „Notae MSCt. ad Glossarium Schilteri alamannicum II. Tom. fol.“ aufgeführt.²¹⁸ Es könnte sich hierbei um einen Fehler des Buchbinders handeln, der versehentlich die beiden Vorstufen zum Glossar trennte. Allerdings weisen die Verzeichnungen im alten Katalog der Senckenbergischen Handschriftensammlung bereits auf eine Verteilung der Manuskripte zum Glossar auf mehrere Bände hin.²¹⁹ Möglicherweise konservierte der Buchbinder durch seine Bindung also nur einen bereits vorher ungeordneten Zustand der aus losen Zettelsammlungen bestehenden Handschriftenbände. Es liegt also nahe, dass sich kleinere Teile der Vorarbeiten zum Glossar auch in thematisch gänzlich anders geordneten Manuskriptbänden finden: etwa in der Hs 1117 („Varia circa Jus sacrum“) und der Hs 1184 („Schilteriana ad Jus privatum“).²²⁰ Die Einträge im Auktionskatalog sind also nur bedingt aussagekräftig und benennen (ausgenommen von einigen wenigen sehr detaillierten Beschreibungen) in der Regel nur Ausschnitte der bezeichneten Handschriften. Somit ist es denkbar, dass sich Teile der Vorarbeiten zum Thesaurus auch unverzeichnet in anderen Bänden von Simons Nachlass befanden, beispielsweise unter vagen Einträgen wie „Ein fasciculus in fol. Manuscriptorum Miscellaneorum Schilt.“,²²¹ und erst Senckenberg sie den übrigen Vorarbeiten zuordnete. Dafür spricht auch, dass die im alten Senckenbergischen Handschriftenkatalog verzeichneten Handschriften B 12 (= Hs 1231) und B 9a „alte RheimChronik“ (= Hs 1228) sich keinen Einträgen im Auktionskatalog zuordnen lassen.²²² Diese (Un‐)Ordnung der Arbeitspapiere zum Thesaurus in Simons Nachlass geht zum großen Teil vermutlich auf die Arbeit des Herausgeberkollegiums zurück. Zum einen verlief diese nicht zuletzt durch eine Krankheit von Scherz kurz vor der Fertigstellung des Werkes im September 1727 und den mit den Verlegern vereinbarten Abgabetermin teilweise chaotisch und unter großem Zeitdruck. Das dürfte sich auch auf die Überlieferung der Arbeitspapiere ausgewirkt haben. Zum anderen

217 Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 130 – 132; Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph. 218 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 22 unten. 219 Neben den Einträgen „B 9b) Schilteri Glossarium ad script. Franciae & aleman. linguae T.I. ad f. ined.“ (= Hs 1232) und „B 10) Gloss. Schilteriani Alemann. T.II.“ (= Hs 1229) findet sich dort auch der Eintrag „B 12) Tatianus, Glossarium Teutonicum & minora“. UB Gießen, Hs 28ca (2), fol. 45r, 79. 220 UB Gießen, Hs 1117, fol. 174r–187v, 198r–200v und Hs 1184, fol. 649r–677v. 221 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 22 unten. 222 UB Gießen, Hs 28ca (2), fol. 45r, 79.

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wurden die nach dem Druck nicht mehr benötigten Vorstufen für gewöhnlich der Makulatur zugeführt. Somit stellt sich die Frage, warum die Arbeitspapiere überhaupt überliefert wurden? Das hat vermutlich weniger mit dem Inhalt als mit ihrem Charakter als Autografen Schilters zu tun. Dieser Respekt vor Schilters Person zeigt sich bereits in der Bearbeitung von Schilters Glossar durch Scherz, der zum Teil Fehler seines akademischen Lehrers aus Achtung vor seiner Autorität mit in den Druck übernahm und diese nur im Kommentar korrigierte.²²³ Heinrich Christian von Senckenbergs Interesse an Schilters Manuskripten war vornehmlich rechtshistorisch geprägt. Das spiegelt sich auch in der Art und Weise, wie er die Schilteriana in seiner Bibliothek ordnete und aufstellte. Friedrich Karl Gottlob Hirsching zufolge, der die Sammlung 1791 im Supplementband von seinem Versuch einer Beschreibung sehenswürdiger Bibliotheken Teutschlands nach alphabetischer Ordnung der Oerter beschrieben hat, umfasste die Bibliothek unter anderem „3) Eine Menge Sachsenspiegel von allerhand Alter und Größe“, „5) Eine Menge Schwabenspiegel“, „6) Verschiedene Codices des Weichbilds“, „23) Eine Menge Bände von Briefen an berühmte Männer, als: Schilter, Portner, Forstner, Hoe von Hoeneg etc.“ sowie „33) Sämtliche Collectanea Joh. Schilter’s, ausser der teutschen Sprache meistens das Sächsische Ius Pub. et priv. betreffend, in vielen dicken Bänden“.²²⁴ Zwar war die Bibliothek zu dem Zeitpunkt bereits an Renatus Karl von Senckenberg übergegangen und nach Gießen transportiert worden, die grundlegende Ordnung dürfte sich aber kaum verändert haben. Das legt auch der alte Katalog der Senckenbergischen Handschriftensammlung nahe, der vermutlich erst nach dem Tod von Renatus Karl erstellt wurde und alle Stücke in acht Reihen mit einem Buchstaben (A–H) und einer fortlaufenden Nummer nach Format geordnet verzeichnet.²²⁵ Die Ordnung des Katalogs offenbart, dass Senckenberg seine Handschriften entsprechend seinen Weiterverarbeitungsplänen sortierte. Unter dem Buchstaben C verzeichnete er beispielsweise juristische Quellen, auf die er in seinen rechtshistorischen Werken zurückgriff. Darunter fielen eine „starcke Samlung, von allen 223 Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 145 – 147. 224 Friedrich Karl Gottlob Hirsching (Hg.), Versuch einer Beschreibung sehenswürdiger Bibliotheken Teutschlands nach alphabetischer Ordnung der Städte, Bd. 4 (Supplementband), Erlangen: Johann Jakob Palm 1791, 246 – 249. Weiter zu Senckenbergs Bibliothek vgl. a. Friedrich Karl Gottlob Hirsching (Hg.), Versuch einer Beschreibung sehenswürdiger Bibliotheken Teutschlands nach alphabetischer Ordnung der Städte, Bd. 1, Erlangen: Johann Jakob Palm 1786, 146. 225 Die Ordnung der Senckenbergischen Handschriftensammlung ist in drei historischen Katalogen dokumentiert. Der älteste von ihnen (im Folgenden auch alter Bibliothekskatalog genannt) trägt den Titel „Catalogus Librorum manuscriptorum Bibliothecae Sencenbergianae“ (UB Gießen, Hs 28ca (2), 61 – 146). Auf dessen Grundlage fertigte Credner bei der Eingliederung der Bestände in die UB Gießen einen neuen Katalog (28c (1)) und einen ergänzenden Katalog mit Nachträgen (28c (2)) an.

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Schwaben, Sachsen Spieglen, Weichbild und alten Statuten und Landrechten“ sowie „meist Osterreich, Böhmen und and. Erbländer Statuta und Verordnungen“.²²⁶ Die mittelalterlichen Handschriften, die aus dem Besitz Schilters stammten, allen voran Hs 957 (Sachsenspiegel), Hs 996 (Schwabenspiegel u. a.)²²⁷ und Hs 965 (Weichbildrecht) wurden dementsprechend nicht nach der Provenienz Schilters aufgestellt, sondern nach thematischen Gesichtspunkten sortiert. Die genannten Handschriften wurden gemäß ihrer Aufstellung fortlaufend mit einer C-Signatur versehen. Die Hs 957 wurde dementsprechend als „C 27“, die Hs 996 als „C 12“ und die Hs 965 als „C 6“ verzeichnet.²²⁸ Das betraf selbst Schilters handschriftliche Edition der alten Straßburger Stadtrechte (Hs 1083), die Senckenberg unter „C 39“ allerdings mit Verweis auf Schilters Autorschaft aufführte.²²⁹ Senckenbergs Arbeit mit den mittelalterlichen Manuskripten lässt sich im Einzelfall auch nachvollziehen: Zum einen finden sich handschriftliche Vermerke von ihm in den Handschriften.²³⁰ Zum anderen nahm Senckenberg etwa in seinen Visiones Diversae de Collectionibus Legum Germanicarum (Leipzig 1765) auf die genannten Handschriften Bezug oder druckte Auszüge ab.²³¹ Den Großteil von Schilters Arbeitspapieren verzeichnete Senckenberg unter der Signatur B, wobei er zum Teil auch eine Neustrukturierung der Binnenordnung vornahm. Das legt nahe, dass Senckenberg die Handschriften nach unpubliziertem und weiterverwertbarem Material durchsuchte,²³² wenngleich sich das im konkreten Fall erst für seinen Sohn Karl Renatus belegen lässt, der diese nach noch unveröffentlichten Saxonica durchsuchte. Die Papiere wurden thematisch grob nach den Rubriken Privatrecht („Schilteriana ad Jus Privatum“: Hs 1183 und 1184), Jus Publicum („Schilteriana ad Jus Publicum in genere“: Hs 909, „Schilteriana ad Jus Publicum Saxonicum“: Hs 920 und „Schilteriana, Varia collecta ad Jus Publicum Saxonicum“: Hs 919), Kanonischem Recht („Varia circa Jus Sacrum, ex bibliotheca

226 UB Gießen, Hs 28c (2), fol. 29r–v. 227 Vgl. Kümper, Regimen von der Wehrverfassung. 228 UB Gießen, Hs 28ca (2), 91. Eine Zuordnung der Handschriften ist nicht zuletzt durch die auf diesen verzeichnete Rötelsignatur möglich. 229 Vgl. 28c (1), fol. 28r–34v. 230 Vgl. die Beschreibungen der Handschriften 957, 965 und 996 durch Ulrich Seelbach im Katalog der deutschsprachigen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Gießen, URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2007/4869/ [18.7. 2023]. Zu Senckenbergs Arbeit mit den Manuskripten aus Schilters Besitz vgl. a. Adrians Beschreibung der Hs 1012. Adrian, Catalogus codicum manuscriptorum, 309 – 310. 231 Heinrich Christian von Senckenberg, Visiones Diversae de Collectionibus Legum Germanicarum, Leipzig: Weidemann & Reichius 1765, 71 (Hs 957), 54 f (Hs 965) und Anhang I, 207 f (Hs 996). 232 Zu einem solchen Umgang mit Gelehrtennachlässen vgl. Friedrich, Von Zürich nach Frankfurt nach Hamburg, 273 – 276.

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Schilteriana“: Hs 1117) und Sprachforschung beziehungsweise Vorarbeiten zu Schilters Glossar („Jo. Schilter’s Sammlungen zur deutschen Sprache“: Hs 47, 96, 1228 – 1232) sortiert. Schilters Arbeitsexemplare beziehungsweise annotierte Drucke wurden unter der Signatur E aufgenommen, Schilters Korrespondenz in drei Bänden sowie eine Abschrift der Benediktinerregel mit frühneuhochdeutscher Übersetzung wurden dagegen der Reihe F zugeordnet, die Briefe und Autographen bedeutender Gelehrter umfasste.²³³ Wie sehr Senckenberg bei der Verzeichnung und Neuordnung der Manuskripte die vorherige Ordnung veränderte, unterscheidet sich sehr von Fall zu Fall. Bei den Arbeitspapieren zeigen sich aber in der Regel deutliche Eingriffe in die Ordnung des Materials. Immerhin handelte es sich hierbei um lose Zettelsammlungen, die erst im 19. Jahrhundert teilweise gebunden wurden.²³⁴ Vermutlich ist die heutige Binnenordnung der überlieferten Handschriftenbände daher häufig das Ergebnis der Neuordnung mehrerer Manuskriptenbände durch Senckenberg. Die Handschriften, die im Auktionskatalog mit den Einträgen „Zwey folio Bänd; darin von verschidenen grossen Gelehrten und Fürsten-Brieffe befindlich: ingleichem allerhand MScpta ad jus publicum spectantia, Consilia, und andere curiose Sachen / so in die Literatur einschlagen.“²³⁵ und „Ein grosser Fascicul in Folio von allerhand gedruckten Ordnungen und Mandaten / Rechnungen / Verträge / Consilia, Lehen-Brief / Testamenta, die Stadt und Academie Jena / Coburg und Weimar betrefend.“²³⁶ verzeichnet sind, korrespondieren in etwa mit den Schriftstücken, die in den Handschriften 920 und 909 überliefert sind.²³⁷ Das gleiche gilt für den Band unter dem Eintrag „Schilteri jus sacrum in Manuscripto folio ein sehr dicker Band wenigst 1 Riß Pappier“, der vermutlich in den Handschriften 1117 und 1262 aufging.²³⁸ Im Detail lässt sich dieses Vorgehen Senckenbergs an der Handschrift, die im Auktionskatalog unter dem Eintrag „MSCt. in Folio Delineatio Juris Publici Provincialis Electoratus Ducatumque Saxonicorum Lineae Electoralis. 2) Vertrag zwischen den Chur- und Fürsten zu Sachsen / deroselben nachbarliche Gebrechen betrefend 1576. [sic!, richtig ist 1567] 3) Vätterliches Churfürstl. Testament. 4) Churund Fürstl. Freund brüderliche NebenRecess. 5) Causa successiones Juliae 1678“

233 Zur Zuordnung der Abschrift der Benediktinerregel (B.S.Ms. 219 = Hs 645) s. UB Gießen, Hs 28ca (1), 17. 234 Einen solchen heterogenen Bestand legen zumindest Einträge im Auktionskatalog wie „Ein fasciculus in fol Manuscriptorum Miscellaneorum Schilt.“ nahe. Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 22. 235 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 21. 236 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 22. 237 Vgl. UB Gießen, Hs 909 und 920. 238 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 22.

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verzeichnet ist, nachvollziehen.²³⁹ Die genannten Schriftstücke verteilte Senckenberg nämlich auf die beiden Handschriften 919 und 920. Während die Nummern 1,3 und 5 in die erste Schatulle der Handschrift 920 eingeordnet wurden, fanden die Nummern 2 und 4 Eingang in die Handschrift 919. Dagegen ist es nur in Einzelfällen möglich, eine Kontinuität in der Binnenordnung zwischen der Verzeichnung der Handschriftenbände im Auktionskatalog und der heute überlieferten Ordnung der Handschriften nachzuvollziehen. Das ist etwa abgesehen von dem oben beschriebenen Eingriff weitestgehend bei der Handschrift 919 der Fall, die vor allem Verwaltungsschriftgut und Verträge der Wettiner Fürstentümer aus Schilters Jenaer Zeit umfasst und in ihrer Ordnung nur sporadisch von Senckenberg verändert wurde. So ist sie weitestgehend deckungsgleich mit der Beschreibung des „Manuscript[s] in fol. darin enthalten […]“ im Auktionskatalog, wenngleich sich die Stücke teilweise in anderer Ordnung befinden.²⁴⁰ Das lässt sich vor allem an der außergewöhnlich ausführlichen Beschreibung des Handschriftenbandes im Auktionskatalog nachvollziehen, die sich über fünf Seiten erstreckt. Insgesamt ist auffallend, dass der Ankauf von Schilters handschriftlichem Nachlass die Manuskriptsammlung von Senckenberg in fast allen Signaturen beträchtlich vergrößerte. Die Reihe E, unter welcher Arbeitsexemplare verzeichnet waren, bestand sogar zum überwiegenden Teil aus Schilteriana. Credner merkte dementsprechend zur Reihe an: „Meist Schilderische Sammlungen und Briefe, nach beyliegender Liste mit dem Buchstaben E bezeichnet“.²⁴¹ Mit der Vereinigung der Senckenbergischen Bibliothek mit der Universitätsbibliothek Gießen gelangten die Schilteriana an ihren aktuellen Aufbewahrungsort. Zum Zeitpunkt der Zusammenführung befanden sich die Bestände der Senckenbergischen Bibliothek allerdings in großer Unordnung, wie durch Credner bemängelt wurde. Die gemäß dem Testament von Renatus Karl von Senckenberg eigens eingesetzten Bibliothekare hatten offenbar die gedruckten Bestände weder systematisch geordnet noch einen Katalog angelegt. Aus diesem Grund war es bis 1815 nicht möglich gewesen, Bücher auszuleihen. Aber auch danach dürfte sich nicht allzu viel geändert haben, da sich bei Nutzern offenbar die Praxis einschliff,

239 Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (= Continuatio 2), 22 – 23. 240 „Manuscript in fol. darin enthalten: (1) wie sich Landgrave Friederich und Balthazar Wilhelm Gebrüdere / Landgraven zu Dühringen Oertern / und es mit solcher Oerterung halten wollen 379 […] (33) Eisenbergischer Vertrag sub dato den 2. Martii An. 1634 fol.“ Catalogus des vortreflich-und raren Bücher-Vorraths, Bd. 3 (=Continuatio 2), 10 – 14. 241 UB Gießen, Hs 28c (2), fol. 29r–v.

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ausgeliehene Bücher aus der Sorge, dass sie beim erneuten Bedarf nicht wieder auffindbar sein würden, möglichst lange zu behalten.²⁴² Die Handschriftensammlung befand sich dagegen in einem etwas besseren Zustand. Sie war in mehreren Handschriftenschränken untergebracht, die Credner im Ergänzungsband seines Katalogs der Senckenbergischen Manuskriptensammlung beschrieb.²⁴³ Sie umfassten einen „hohen gläßer Kasten“, 4 Kästen mit gläserner Tür, einen „neuen Gläßer Kasten“ sowie 2 große Kästen mit Drahttüren. Jeder Kasten beinhaltete weitestgehend eine Signaturengruppe (A–H). Nur die unter G verzeichneten Bestände verteilten sich auf den vierten Kasten mit gläserner Tür sowie den „neuen Gläßer Kasten“. Der Inhalt von jedem Kasten war auf einer beigelegten Liste verzeichnet. Zudem waren die Bestände in einem handschriftlichen Katalog aufgeführt, auf den Credner zurückgreifen konnte.²⁴⁴ Dieser Catalogus Librorum manuscriptorum Bibliothecae Senkenbergianae verzeichnet die Handschriften nach den Signaturen, innerhalb denen wiederum nach Formaten geordnet wurde. Bei dem Katalog scheint es sich um eine Erstverzeichnung der Manuskripte durch verschiedene Hände beziehungsweise Bearbeiter zu handeln, da er nach hinten offen konzipiert wurde, sodass weitere Titel mit aufgenommen werden konnten. Credner übernahm weitestgehend die Ordnung des alten Katalogs, löste aber das Signaturensystem Senckenbergs auf. In einem ersten Schritt legte er zunächst eine überarbeitete und korrigierte Version des Katalogs an.²⁴⁵ Die Korrekturen bei der Verzeichnungsarbeit nahmen offenbar so überhand, dass Credner hierzu noch einen Ergänzungsband anlegte.²⁴⁶ Als nächstes wurde jede Handschrift dann von ihm mit einem Titel sowie einem Stempel mit der Aufschrift „Bibl. Senckenberg. MS No.“ und einer handschriftlich ergänzten fortlaufenden Nummer versehen.²⁴⁷ Schilters juristische Arbeitspapiere, die bei Senckenberg unter den Signaturen B 34 – 39 aufgeführt werden, erhielten beispielsweise von Credner die Nummern 431 – 436.²⁴⁸ Bei der Verzeichnung hatte Credner zumindest bei den Schilteriana noch stärker als Senckenberg vor ihm auch die Provenienz der Handschriften im Blick. 242 Heuser, Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek, 49. Es wurden auch Handschriften ausgeliehen, wie ein Eintrag Credners belegt: „NB da der Cod. Wittolanus [B.S. Ms 49 8°] nach Berlin laut Schein verliehen ist, durch Vermittelung […] Ministerium, so konnte statt des Cod. der die Nr 49 zu tragen hat, nur der Schein abgegeben werden. Crd.“ UB Gießen, Hs 28ca (1), 55. 243 „Verzeichnis deren Kisten, worinnen die Manuscripten Sammlung von mein seel.[?] H. befindl.“ UB Gießen, Hs 28c (2), 29 – 31. 244 Vgl. UB Gießen, Hs 28ca (2). 245 UB Gießen, Hs 28c (1). 246 UB Gießen, Hs 28c (2). 247 UB Gießen, Hs 28ca (1). 248 UB Gießen, Hs 28ca (1), 29.

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Das zeigt sich etwa bei der begonnenen Bezeichnung der Signaturen B 9 – 14 als „Schilteriana vol. 1 – 6“, die jedoch offenbar aufgrund von Schwierigkeiten bei der Zuordnung oder aus Zeitgründen nicht zu Ende geführt wurde.²⁴⁹ Hierbei nahm Credner auch eine Vielzahl bei Senckenberg bislang unverzeichneter Handschriften auf,²⁵⁰ unter denen sich auch Schilteriana befanden.²⁵¹ Einen größeren Eingriff nahm er vor allem bezüglich der Signaturengruppe E in Quarto vor, die nur in Einzelfällen in das neue Signaturensystem aufgenommen wurde. Da es sich hierbei größtenteils um handschriftlich annotierte Drucke handelt, liegt die Vermutung nahe, dass die Titel bei der Zusammenlegung mit der UB Gießen aus der Handschriftensammlung in den Bibliotheksbestand übergingen.²⁵² Die verzeichneten Handschriften übergab Credner dann nach Format geordnet in mehreren Chargen an Adrian.²⁵³ Dieser nahm keine Änderungen an der Binnenordnung vor, teilte aber durch seine systematische Ordnung nach Wissensgebieten, die auf einen Entwurf des Darmstädter Hofbibliothekar Andreas August Ernst Schleiermacher (1787– 1858) zurückgeht,²⁵⁴ nach Provenienz zusammengehörige Bestände auf. Das ist besonders offensichtlich bei den Beständen zur Sprachforschung aus dem Nachlass Schilters und Simons. Es handelt sich hierbei um die Handschriften 1228 – 1232, 47 und 96, die in ihrem Zusammenhang sowohl von Senckenberg als auch von Credner erkannt wurden und auch geschlossen aufgeführt wurden. Adrian ordnete die Handschriften 1228 – 1232 dagegen unter „Codices Miscellanei“ ein, die Handschrift 47 unter „Linguistica“ und die Handschrift 96 unter „Litterae Elegantiores. Codices Gallici, Germanici, Danici et Orien-

249 Schilteriana vol. 1 (B 9 = B.S. Ms. 403 = UB Gießen, Hs 1228); Schilteriana vol. 2 (B 10 = B.S. Ms. 404 = Ebd., Hs 1229); Schilteriana vol. 3 (B 11 = B.S. Ms. 405 = Ebd., Hs 1230); Schilteriana vol. 4 (B 12, B.S. Ms. 406, Ebd., Hs 1231); Schilteriana vol. 5 (B 13 = B.S. Ms. 407 = Ebd., Hs 96); Schilteriana vol. 5 (? = B.S. Ms. 406b = Ebd., Hs 1232); Schilteriana vol. 6 (B 14 = B.S Ms. 408 = Ebd., Hs 910).Vgl. Ebd., Hs 28ca (2), 28. Auf Probleme bei der Verzeichnung weist auch die doppelte Vergabe des Titels „Schilteriana vol. 5“ für Hs 96 und 1232 hin. Möglicherweise teilte Credner hier die Handschrift mit der alten Senckenbergischen Signatur B 12 in zwei Bände oder aber er nahm eine bislang unverzeichnete Handschrift neu auf. 250 Das zeigt sich an der großen Zahl der Handschriften, die ohne eine alte Senckenbergische Signatur neu aufgenommen wurden. Vgl. UB Gießen, Hs 28ca (1). 251 So etwa die bei Senckenberg unverzeichnete Handschrift mit dem Titel „Schilteri de pactionibus divini juris tractatus“, welche Credner mit der Signatur B.S. Ms. 540 (=Hs 1262) versah. Vgl. UB Gießen, Hs 28ca (1), 36. 252 Darauf verweist auch ein Vermerk Credners zum von Schilter handschriftlich annotierten Druck von Justus Lipsius Politicorum sive Civilis Doctrinae libri sex (Antwerpen 1623) (E 1 4° = B.S. Ms. 120 4°): „Lipsii Politic. zu den gedruckten Büchern“. UB Gießen, Hs 28ca (1), 46. 253 Adrian zeichnete bei jeder Entgegennahme von Handschriften im Katalog Credners gegen. Vgl. UB Gießen, Hs 28ca (1), 40, 52, 53 und 58. 254 Schüling, Gießen 1, 279.

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tales“.²⁵⁵ Einige der Handschriften ließ Adrian in einen hellbraunen Ledereinband binden.²⁵⁶ Während dies naheliegend (wenngleich aufgrund der engen Bindung und der unterschiedlichen Briefformate konservatorisch ungünstig) für die drei Korrespondenzbände Schilters (Hs 140 – 142) war, um einem Verlust einzelner Briefe vorzubeugen, erscheint die Entscheidung zur Bindung anderer Handschriftenbände wie die äußerst umfangreiche etwa 30 cm starke Sammelhandschrift Hs 1262 schwer nachvollziehbar. Möglicherweise war ursprünglich eine Neubindung aller Handschriften geplant, die aber nicht in Gänze umgesetzt wurde. Welche Erkenntnisse ergeben sich also abschließend aus der Überlieferungsgeschichte für die Arbeit mit den Schilterschen Manuskripte? Erstens wird deutlich, dass die Einheitlichkeit der Bände, wie sie durch Credners Verzeichnung in Schilteriana 1 – 6 suggeriert wird, trügerisch ist. Offenbar merkte Credner bei der Verzeichnung der Schilteriana bereits, dass sich der Bestand nur schwer auf diese oberflächliche Weise identifizieren lässt und stoppte die Verzeichnung vielleicht auch aus Gründen der Zeitknappheit. Der Großteil des Bestands an Schilteriana in der UB Gießen ließ sich jedoch durch einen genauen Abgleich der verschiedenen Verzeichnungsstufen von Auktionskatalog, altem Senckenbergischen Handschriftenkatalog, Credners Katalogen und Adrians bis heute gültigen Katalog von 1840 rekonstruieren. Aufgrund der zum Teil oberflächlichen Verzeichnung der Handschriften im Auktionskatalog ist die Identifizierung weiterer Schilteriana aber nur bis zu einem gewissen Grad möglich und wird in Zukunft verstärkt auf Zufallsfunde angewiesen sein. Zweitens lassen sich die Umstände und Motive, welche den Zustand und die Ordnung des überlieferten Materials bedingten, nachvollziehen. Für die Arbeit mit den Manuskripten zum Thesaurus bedeutet das auch, ihren Fragmentcharakter zu berücksichtigen, da sie nur ausschnittweise Einblicke in die Vorarbeiten zu dem Werk geben. Zudem ist die Auswahl des Materials vermutlich durch einen Fokus auf Autographen Schilters geprägt. Die überlieferten Vorstufen zum Glossar geben zwar Aufschluss über Schilters Arbeitsweise, lassen die Arbeit des Herausgeberkollegi255 Vgl. Adrian, Catalogus codicum manuscriptorum, Inhaltsverzeichnis. 256 Dazu gehören die UB Gießen, Hs 140 – 142, 1117, 1228, 1229, 1231, 1232, 1262 und 1267 (s. alter Einband). Die Hs 1230 war ursprünglich vermutlich in gleicher Weise eingebunden, hat mittlerweile allerdings einen modernen Einband erhalten, wobei der alte Einband anders als bei der Hs 1267 nicht überliefert wurde. Die Vermutung, dass die Einbände auf Adrian und nicht etwa auf Credner zurückgehen, lässt sich daran festmachen, dass die Handschriften UB Gießen, Hs 47 und 96 nicht entsprechend eingebunden wurden. Credner ordnete diese aber mit der Bezeichnung „Schilteriana vol. 1 – 6“ thematisch eindeutig den Handschriften 1228 – 1232 zu. Erst Adrian wies die Handschriften jeweils thematisch unterschiedlichen Ordnungen zu. Für seine Hinweise zu den Einbänden der Handschriften der UB Gießen im Allgemeinen und denen der Schilteriana im Besonderen danke ich Olaf Schneider.

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ums um Scherz und die Brüder Frick aber tendenziell in den Hintergrund treten. Dennoch wird bei der Durchsicht des Materials deutlich, dass es sich nicht um eine „originale“ Schilter-Ordnung handelt, sondern die Manuskripte stark durch die Arbeit des Herausgeberkollegiums geprägt wurden. In Bezug auf Schilters juristische Arbeitspapiere lassen sich dagegen vor allem die Eingriffe von Heinrich Christian und Renatus Karl von Senckenberg erkennen, die sich an ihren Weiterverarbeitungsplänen des Materials ausrichteten. Die Verzeichnung der Manuskripte im Auktionskatalog legt zwar nahe, dass bereits zuvor eine grundlegende thematische Trennung nach Jus Sacrum, Jus Publicum Saxonicum und Sprachforschung beziehungsweise Vorarbeiten zum Glossar vorlag. An einzelnen Beispielen lässt sich aber nachvollziehen, dass Senckenberg bei seiner Arbeit mit dem Material teilweise stark in die Binnenordnung eingriff. Schilters Ordnung seiner Arbeitspapiere, sofern Simon sie unverändert beibehielt, verschwindet somit weitestgehend hinter Senckenbergs thematischer Einteilung der Handschriften. Schließlich finden sich im überlieferten Material aber dennoch Hinweise auf Ordnungen, die auf Schilter zurückgehen. Das ist vor allem bei der Handschrift 919 der Fall, wie nicht nur die wenigen Eingriffe Senckenbergs in die Ordnung der Handschrift, sondern auch die Binnengliederung nahelegen. So sind dort immer wieder thematisch geschlossene Bestände aus Verwaltungsschriftgut und -korrespondenz von Schilter aus seiner Jenaer Zeit zu finden wie etwa Briefe und Gutachtenentwürfe zur Zensur der Geschichte der Grafschaft Gleichen von Caspar Sagittarius, die Schilter übertragen werden sollte.²⁵⁷

257 UB Gießen, Hs 919, fol. 661r–704v.

5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition Als deutsche Humanisten begannen, volkssprachige Handschriften des Mittelalters zu entdecken und als Editionen einem größeren Leserkreis verfügbar zu machen, griffen sie dabei auf Techniken zurück, die bereits von früheren Gelehrtengenerationen entwickelt und geschärft worden waren. Sie schlossen damit an eine lange Tradition der humanistischen Textkritik an, die bis auf Lorenzo de Valla (1405/07– 1457) zurückreicht und sich maßgeblich im Verlauf des 16. Jahrhunderts ausformte.¹ Großen Einfluss übte dabei die Erfindung des Buchdrucks aus, die zumindest in der Frühphase nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der edierten Texte führte, sondern „lediglich eine Stabilisierung, eine Übersichtlichkeit und Homogenisierung, ja gewissermaßen eine Einlinigkeit der Überlieferung“ schuf. Zugleich wurde dadurch aber auch eine neue Kontrolle der in Drucken überlieferten Textgestalt im Rahmen der Res Publica Literaria möglich.² Die Arbeit humanistischer Philologen begann jedoch nicht erst mit der kritischen Auseinandersetzung mit dem überlieferten Text, sondern setzte bereits die Fähigkeiten und Kenntnisse zur Beschaffung von Handschriften voraus. Wie Edward Kenney in seiner grundlegenden Studie ausführt, sollten diese Umstände der Quellenbeschaffung, das heißt ihre Recherche und Transkription, in ihrer Bedeutung als Entstehungskontext frühneuzeitlicher Editionen keineswegs unterschätzt werden.³ Mit der Anwendung dieser humanistischen Methoden auf den Bestand der volkssprachigen Texte waren zugleich neue Herausforderungen verbunden. So bedurfte die Erschließung dieses neuen Handschriftenbestandes der Aneignung neuer Fertigkeiten und Kenntnisse etwa in Bezug auf das Verständnis von Schrift und Sprache. Die grundlegenden Methoden der Textkritik blieben zwar weitestgehend die gleichen,⁴ zugleich lassen sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts aber auch neue Entwicklungen in der philologischen Methode ausmachen. So nahm etwa zum einen die Bedeutung einer systematischen Sammlung und Kollation der Textzeugen

1 Vgl. Anthony Grafton, Joseph Scaliger. A study in the history of classical scholarship. I: Textual Criticism and Exegesis, Oxford: Clarendon Press 1983 (Oxford-Warburg studies). Zur Textkritik im 16. Jahrhundert vgl. Vanek, „Ars corrigendi“ in der frühen Neuzeit. 2 Herbert Jaumann, Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius, Leiden / New York / Köln: Leiden 1995, 127. 3 Kenney, The classical text. 4 Vgl. Kössinger, Philologie in der Frühen Neuzeit. https://doi.org/10.1515/9783111080154-006

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zu.⁵ Zum anderen stand mit der maßgeblich durch Jean Mabillon entwickelten sogenannten Diplomatik zum Ende des Jahrhunderts ein neues methodisches Instrumentarium zur Beurteilung antiker und mittelalterlicher Manuskripte zur Verfügung. Anhand von Schilters Arbeitstechniken, Methoden und Strategien als Editor mittelalterlicher Texte soll im Folgenden gezeigt werden, wie die deutsche Mittelalterphilologie in der Frühen Neuzeit zwischen humanistischen Traditionen und neuen methodischen Ansprüchen situiert war. Das Kapitel folgt dabei in buchgeschichtlicher Perspektive der Entstehung einer Edition von der Recherche bis zum Druck. Im ersten Abschnitt sollen der Ablauf und die Bedingungen von Schilters Suche nach mittelalterlichen Handschriften rekonstruiert werden. Dabei wird veranschaulicht, dass die Recherche von Handschriften nicht als eine Geschichte der erfolgreichen Funde, sondern mindestens im gleichen Maße als eine der Misserfolge, falscher Fährten oder Zufallsfunde geschrieben werden muss. Anschließend soll gezeigt werden, wie Schilter mit dem Problem umging, als „Armchair scholar“ beim Abschreiben und Abzeichnen von mittelalterlichen Handschriften und anderen Objekten von der Sorgfalt, den Kenntnissen und Fähigkeiten seiner Schüler oder anderer Gelehrter abhängig zu sein. Dabei werden insbesondere die vielfältigen Techniken und Kenntnisse deutlich, die zum Verständnis und zur Transkription als grundlegend erachtet wurden. Schließlich soll darauf eingegangen werden, wie Schilter die Glaubwürdigkeit der edierten Handschriften in seinen Werken gegenüber seiner Leserschaft methodisch absicherte. So soll Schilter im Spannungsfeld zwischen humanistischen Traditionen, den wachsenden methodischen Ansprüchen seiner Zeit und den frühneuzeitlichen Bedingungen der Quellenbeschaffung verortet werden.

a Recherchieren. Wie fand sich Schilter in Bibliotheken und Archiven zurecht? Im Februar 1687 wandte sich Christian Wilhelm von Eyben mit einer besonderen Bitte an Schilter. Ein Freund aus Wien suchte nach einem Schriftstück, das unter dem Namen Bulla Raymundi bekannt war, und da von Eyben bislang selbst nichts darüber in Erfahrung bringen konnte, holte er nun Schilters Rat ein. Das Problem war, dass niemand genau über den Inhalt oder den Ausstellungszeitpunkt der Bulle

5 Michele C. Ferrari, Mutare non lubuit. Die mediävistische Philologie der Jesuiten im frühen 17. Jahrhundert, in: Filologia mediolatina: Studies in medieval latin texts and their transmission 8 (2001), 225 – 248.

a Recherchieren. Wie fand sich Schilter in Bibliotheken und Archiven zurecht?

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Bescheid wusste. Einziger Anhalts- und Ausgangspunkt für die Recherche war die Erwähnung in den Reichskammergerichtsordnungen von 1521 und 1555, wo bei der Vollziehung der Reichsacht mit Verweis auf die Bulle die zusätzliche Exkommunikation geregelt wurde.⁶ Schilters Interesse war geweckt. Er lieferte von Eyben in seiner Antwort nicht nur einige biographische Informationen zum Titelgeber der Bulle, dem Bischof von Gurk Raimund Peraudi (1435 – 1505), sondern aktivierte auch sein Recherchenetzwerk. Dazu gehörte der junge Gelehrte Johann Jacob Schatz, der aus Speyer für Schilter die Korrespondenzen zu einigen Assessoren am Reichskammergericht verwaltete. Schatz erkundigte sich daraufhin bei dem mit der Materie vertrauten Juristen Johann Deckherr (1650 – 1694). Von diesem berichtete Schatz anschließend, er sei selbst auf der Suche nach der Bulle und hoffe, diese durch „den CHur Trierischen geheimen Secretarium, mit welchem er sehr vertraute correspondenz führet, aus den Churmaintzischen archivo zuweg zubringen“.⁷ Die Spur erwies sich jedoch als Sackgasse, wie Schatz bereits zuvor mutmaßte, da er von einem Freund, dem Stadtschreiber Fuchs, informiert wurde, dass das kurfürstliche Archiv „so sehr mit dergleich[en] schriften u. monumenten nicht versehen ist“.⁸ In der Zwischenzeit hatte von Eyben ebenso vergeblich das Archiv des Reichskammergerichts durchforstet. Für den ausbleibenden Rechercheerfolg machte er entweder die Nachlässigkeit der Archivare oder die Verschickung des Stücks nach Frankfurt am Main verantwortlich. Einen neuen Anhaltspunkt lieferte daraufhin der Assessor am Reichskammergericht Mauritius, der gegenüber von Eyben die Vermutung äußerte, die Anfangsworte der Bulle müssten „Rymundi relatu etc“ lauten, da „die bullae Papales, bevorab in vorigen Zeiten, mit ihren Anfangsworten allegiret zu werden pflegten“.⁹ Die Suche, an der schließlich auch Leibniz beteiligt war, verlief jedoch im Nichts.¹⁰ Ob die Bulle, wie Deckherr abschließend vermutete, der französischen Besetzung von Mainz und der

6 Von Eyben an Schilter, Speyer 9./19. Februar 1687 (UB Gießen, Hs 140, fol. 203 – 204). Der in der Leibniz-Edition (A I, 10, N. 261, Anm. zu Z. 23) geäußerten Vermutung, es handele sich um die Bullen Gregors XI. in Bezug auf die Schriften Raimundus Lullus, muss widersprochen werden. Das gilt insbesondere, da diese Bullen zum Teil bereits im 14. Jahrhundert nicht mehr auffindbar waren und daher kaum für die Reichskammergerichtsordnungen von 1521 und 1555 herangezogen worden wären. Vgl. Heinrich Denifle, Zur Verdammung der Schriften des Raimund Lull, in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 4 (1888), 352 – 356. 7 Schatz an Schilter, Speyer 8. Februar 1688 (UB Gießen, Hs 141, fol. 80 – 81). 8 Schatz an Schilter, Speyer 25. Februar 1688 (UB Gießen, Hs 141, fol. 84 – 85). 9 Von Eyben an Schilter, Speyer 3. April 1687 (UB Gießen, Hs 140, fol. 201 – 202). 10 Vgl. Huldreich von Eyben an Leibniz, Wetzlar 8./18. Mai 1694 (A I, 10, N. 261).

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Verwüstung des Archivs im Pfälzischen Erbfolgekrieg zum Opfer gefallen war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.¹¹ Wie die Episode veranschaulicht, war die Recherche nach mittelalterlichen Manuskripten in der Frühen Neuzeit eine herausfordernde, zeitraubende und bisweilen auch unlösbare Spurensuche. Die Informationslage war häufig dürftig. Eine erfolgreiche Recherche war deshalb zum einen auf die Mithilfe anderer angewiesen – sei es durch Hinweise oder die Gewährung von Zugang zu Archiven und Bibliotheken.¹² Zum anderen brauchte sie Zeit, etwa um verschiedene Institutionen zu durchsuchen. Die Suche nach einem bestimmten Manuskript oder seltenen Druck war um 1700 also nur bedingt planbar und strukturiert durchführbar. Das Nicht-Finden einer Handschrift gehörte ebenso zum Arbeitsalltag eines Gelehrten wie der erfolgreiche Quellenfund. Während dieser Umstand in der Geschichte der Geschichtswissenschaft zuletzt vermehrt Berücksichtigung fand,¹³ werden die Auswirkungen der frühneuzeitlichen Recherchebedingungen auf die Editionsherstellung in der Geschichte der Editionswissenschaft weiterhin nur selten behandelt.¹⁴ Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, wie sich die Praktiken des Suchens und (Nicht‐)Findens im Erscheinungsbild von Schilters Publikationen widerspiegeln. Hierzu soll zunächst untersucht werden, woher Schilter sein Wissen über den Aufbewahrungsort von Manuskripten oder Drucken bezog und welche Strategien er oder seine Schüler verfolgten, um sich in aufbewahrenden Institutionen zurechtzufinden. Abschließend wird dann skizziert, wie die Recherchepraxis die Form und den Inhalt der Editionen mitprägte. Am Beginn einer Recherche lag wie bei der Bulla Raymundi in der Regel ein erster Hinweis – sei es in einer Fußnote oder von einem Korrespondenten. Die Aufbewahrungsorte von Manuskripten waren in der Frühen Neuzeit aber selten statisch, sondern wechselten als Kriegsbeute, durch Erbteilungen, Verkauf oder auch Diebstahl immer wieder den Besitzer und damit auch den Aufbewahrungsort.¹⁵ Die Aufbewahrung in einer ‚öffentlichen‘ Bibliothek bot davor nur bedingt Schutz, wie etwa das Schicksal der Bibliotheca Palatina zeigt, die im Dreißigjährigen 11 Vgl. Johann Deckherr, Monumenta Lectionis Cameralis Antiquae, Wetzlar: Winckler 1720, Teil 3, Tit. 48, 393. 12 Vgl. Weis, Johann Friedrich Schannat, 195 – 197; Friedrich, Die Geburt des Archivs, 140 – 143. 13 Vgl. etwa den Aufsatz von Stephan Waldhoff zu den sozialen Praktiken der Quellenbeschaffung von Leibniz Waldhoff, Leibniz’ Quellenakquisition für die Mantissa Codicis juris gentium diplomatici. 14 Die Diagnose Norbert Kössingers in seiner Studie zur frühneuzeitlichen Otfrid-Rezeption, mit der er eine lobende Ausnahme darstellt, besitzt somit noch Gültigkeit. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 12 – 20. Für einzelne Ausnahmen vgl. Grafton, Correctores corruptores?; Ferrari, Mutare non lubuit; Kenney, The classical text. 15 Kenney, The classical text, 75.

a Recherchieren. Wie fand sich Schilter in Bibliotheken und Archiven zurecht?

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Krieg als Kriegsbeute nach Rom gelangte.¹⁶ Informationen zum Aufbewahrungsort von Manuskripten mussten also immer wieder aktualisiert werden. Das zeigt sich etwa im Fall der Suche nach dem Frankfurter Otfrid. ¹⁷ Schilter, Tentzel und Hiob Ludolf (1624 – 1704), zu dem Zeitpunkt kursächsischer Resident in Frankfurt am Main, gingen dabei einem Hinweis auf ein Otfrid-Manuskript in der Frankfurter Bibliotheca Senatoria nach, den Johann Gottfried Olearius (1635 – 1711) in seinem Abacus patrologicus (Jena 1673) lieferte. Im Mai 1698 waren Tentzel und Ludolf vermutlich auf eine Anfrage Schilters hin dem Hinweis in Frankfurt nachgegangen. Sie waren jedoch weder in der Bibliotheca Senatoria noch in der Bibliothek des Bartholomäusstifts fündig geworden, wie Tentzel anschließend Schilter berichtete. Daher hatte sich Tentzel an den Hinweisgeber gewandt, um von ihm Näheres über den Aufbewahrungsort des besagten Manuskripts zu erfahren.¹⁸ Olearius konnte sich aber offenbar an keine Details erinnern und schloss zudem eine Verwechslung mit einem anderen Manuskript nicht aus. Das veranlasste Tentzel schließlich dazu, noch im selben Jahr die Ergebnisse der vergeblichen Suche nach dem Frankfurter Otfrid in den Monathlichen Unterredungen zu publizieren.¹⁹ Für Schilters Projekt der Otfrid-Edition war die Korrektur von Olearius’ Hinweis vor allem deshalb wichtig, weil Tentzel bereits einige Jahre zuvor in derselben Zeitschrift eine Liste von Handschriften veröffentlicht hatte, die bei einer Neuedition von Otfrids Evangelienbuch berücksichtigt werden müssten.²⁰ Diese Vorgaben wurden von Zeitgenossen insbesondere in Bezug auf den Wiener Codex wiederholt als methodischer Maßstab an Schilter angelegt. Trotz des vordergründigen Misserfolgs war so zumindest die Existenz eines Frankfurter Otfrid-Manuskripts widerlegt. Das Beispiel zeigt aber auch, wie Hinweise aus der Literatur in der Gelehrtenrepublik zirkulierten, zum Ausgangspunkt von Recherchen wurden, deren Ergebnis anschließend wieder in Publikationen aufgenommen und verbreitet wurde.²¹

16 Vgl. Walter Berschin, Die Palatina in der Vaticana eine deutsche Bibliothek in Rom, Stuttgart / Zürich: Belser 1992; Elmar Mittler [u. a.] (Hg.), Bibliotheca Palatina. Katalog zur Ausstellung vom 8. Juli bis 2. Nov. 1986, Heiliggeistkirche Heidelberg; Ausstellung der Universität Heidelberg in Zusammenarbeit mit der Bibliotheca Apostolica Vaticana; 600 Jahre Universität Heidelberg 1386 – 1986. Textband, Heidelberg: Edition Braus 41986 (Heidelberger Bibliotheksschriften 24). Mittlerweile ist die Bibliothek als Ergebnis einer virtuellen Rekonstruktion zumindest digital wieder geschlossen nachvollziehbar. Vgl. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/de/bpd/index.html [18.7. 2023]. 17 Für eine umfassende Einordnung der Episode vgl. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 74 – 76. 18 Tentzel an Schilter, Frankfurt a. M. 16. Mai 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 396 – 397). 19 Vgl. den Abdruck bei Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 75 f. 20 Wilhelm Ernst Tentzel, Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde Von Allerhand Büchern, Leipzig: Fritsch 1691, 721, Anm. Z. 21 Zur Bedeutung der sozialen Vernetzung bei der Quellenbeschaffung vgl. Kap. 3.

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5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition

Gedruckte Bibliothekskataloge gewannen in diesem Zusammenhang als Rechercheinstrumente im Verlauf des 17. Jahrhunderts an Bedeutung. Schilter wurde etwa von Johann Philipp Schmid wiederholt mit den Katalogen verschiedener Pariser Bibliotheken versorgt.²² Obwohl zunehmend auch Manuskripte darin Eingang fanden, waren diese aber oftmals ungenügend oder nur unvollständig verzeichnet.²³ Gerade in privaten Bibliotheken standen zudem oftmals wenn überhaupt nur handschriftliche Kataloge vor Ort zur Verfügung.²⁴ Der erwartete Nutzen eines Katalogs und die Realität gingen dementsprechend häufig auseinander. Welche zeitgenössischen Hoffnungen mit der Anfertigung von Bibliothekskatalogen verbunden waren, verdeutlicht ein Bericht Christian Wilhelm von Eybens nach einem Besuch bei Baluze: „Dieser treffliche man [Baluze] ist anitzo herausgebung Nicolai Specialis rerum sucularum beschäfftiget, […] womit er gleichwol binnen wenig wochen fertig zu seyn gedencket, und alßdan ohne mehrern anstand den längst im sinngefuhrten catalogum der Colbertischen Bibliothec heraußzugeben wol[?] gegeben, dadurch man noch viele erfahren wird, so man etwa längst pro deperditis gehalten“.²⁵ Die Erschließung solcher verlorener Schätze dürfte in der Realität jedoch eher die Ausnahme gewesen sein. In der praktischen Benutzung der Bibliothekskataloge finden sich dagegen immer wieder frustrierte Erfahrungsberichte. So wandte sich Frederik Rostgaard 1697 enttäuscht an Schilter, als er Marquard Frehers Emendationen zu Otfrids Evangelienbuch im Katalog der Königlichen Bibliothek in Paris unter den verloren gegangenen Büchern aufgeführt fand.²⁶ Die Bibliothekskataloge aktuell zu halten und auf zeitgenössische Nutzerbedürfnisse auszurichten war ein viel diskutiertes zeitgenössisches Problem.²⁷ Allzu oft bildeten die Kataloge nur einen ungenügenden Erschließungsstand ab oder dokumentierten etwa wie in Rostgaards Fall, was nicht mehr verfügbar war. Das „Zusammenspiel von gelehrtem Netzwerk und Bibliothekskatalogen“ hat Joëlle Weis treffend als „Suchmaschine der Frühen Neuzeit“ bezeichnet.²⁸ Zugleich

22 Schmidt an Schilter, Paris 10. Juli 1689 (UB Gießen, Hs 142, fol. 205 – 206) und 2. August 1689 (Ebd., fol. 207– 208). 23 Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit, 147– 151. 24 Kenney, The classical text, 86 – 91. 25 Von Eyben an Schilter, Paris 9./19. September 1687 (UB Gießen, Hs 140, fol. 213 – 214). Zu den Erwartungen der Gelehrtenrepublik an die Anfertigung von Bibliothekskatalogen vgl. a. Weis, Johann Friedrich Schannat, 204 f. 26 Von Schilter erhoffte er sich daraufhin zu erfahren, ob das Buch noch auffindbar sei und wie er dessen Qualität einschätze. Rostgaard an Schilter, 13. November 1697 (UB Gießen, Hs 1231, fol. 121 – 122, 116 – 117). Auch abgedruckt in: Frick, Lectori, in: Schilter, Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus, VIII. 27 Vgl. Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit, 147– 151. 28 Weis, Johann Friedrich Schannat, 206.

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sollte aber nicht in den Hintergrund treten, dass zum einen der mühsamere Teil einer Recherche häufig erst innerhalb der aufbewahrenden Institution begann. Zum anderen war die Recherche vor Ort in der Regel keine systematische oder besonders präzise Tätigkeit, sondern glich gerade bei Handschriften zuweilen der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Das lag maßgeblich an dem ungeordneten Zustand der Bibliotheken. Als Jacob Wencker d. J. von seiner Studienreise im Sommer 1692 aus Paris an Schilter schrieb, hatte der Patriziersohn von den lokalen Bibliotheken nicht nur Gutes zu berichten. Ausgerechnet über die Königliche Bibliothek, die im Umfang ihresgleichen suchte, urteilte er: „Est autem Bibliotheca, haec [dis]persim collocata et plane absq[ue] ordine et methodo, id quidem loci angustis adscribus, quoniam in aedibus Colbertinis ad interim custoditur, usque dum locus Bibliotheca huic destinatus sit aedificatus.“²⁹ Wenngleich Wencker die ungünstige übergangsweise Unterbringung der Bücher entschuldigend als Ursache des Problems angab, sprach er mit der fehlenden Ordnung ein Problem an, das Zeitgenossen in Hinblick auf den Zustand vieler Bibliotheken ähnlich sahen. Häufig waren die Bestände nur ungenügend über gedruckte oder handschriftliche Kataloge erschlossen und der Zugang durch kurze Öffnungszeiten oder in Abhängigkeit vom Wohlwollen des zuständigen Bibliothekars stark eingeschränkt. Die oftmals schlechte finanzielle Ausstattung kam erschwerend hinzu.³⁰ Die Suche nach bestimmten Manuskripten war bis zum erfolgreichen Fund daher eine langwierige und arbeitsintensive Tätigkeit, wie sich beispielsweise an der Recherche nach einem Manuskript der Lex Salica, einem Gesetzbuch aus der Merowingerzeit, zeigt. Im Brief vom 5. Oktober 1697 kündigte Schott offenbar auf eine vorhergehende Anfrage Schilters an: „Wegen des Codices MS. lexio salicae wollen wir in allen bibliothecen nachforschen, und dann bericht erstatten.“³¹ Die Suche nach dem Manuskript zog sich allerdings zunächst ohne Erfolg hin. Am 22. Oktober schrieb Schott: „Von dem Cod. Ms. legis Salicae haben wir bis dato nichts angetroffen, und bemühen uns noch tägl[ich]“.³² Erst durch eine Empfehlung Charles Bulteaus gelang im Dezember des Jahres endlich der Fund zweier Manuskripte. Bulteau, mit dem Schilter seit Juli 1694 in unregelmäßiger Korrespondenz

29 ‚Diese Bibliothek ist aber vereinzelt und völlig frei von Ordnung und Methode aufgestellt; das ist sicherlich dem Platzmangel zuzuschreiben, weil sie ja im Haus Colberts übergangsweise verwahrt wird, solange bis ein endgültiger Ort für die Bibliothek erbaut worden ist.‘ (Übers. D. Verf.) Wencker an Schilter, 23. Juni 1692 (UB Gießen, Hs 142, fol. 488 – 489). 30 Vgl. hierzu insbesondere die Beschreibungen des zeitgenössischen Bibliothekswesens von Zacharias Konrad von Uffenbach bei Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit, v. a. 135 – 154. 31 Schott an Schilter, Paris 5. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 274 – 275). 32 Schott an Schilter, Paris 22. Oktober 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 276 – 277).

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stand, versorgte den Straßburger Gelehrten immer wieder mit Büchern aus Paris oder recherchierte Manuskripte für ihn. Im Gegenzug schickte ihm Schilter Exemplare seiner Werke. Im vorliegenden Fall hatte Bulteau Schott mit einem Empfehlungsschreiben an den Unterbibliothekar der Königlichen Bibliothek Nicolas Clement (1647– 1712) verwiesen. Von seinem Besuch bei Clement berichtete Schott daraufhin freudig, dieser habe ihm „zwey Codices MS Salica gezeigt, unter welchen der eine gar nicht mer zu lesen in dem die buchstaben gantz verblichen, am andern habe einen Halbtag in der Königl[ichen] Bibliothec studirt biß d[as] prologum und die contenta et connexionem ma[teri]ae herausbracht, welche hier eingeschlossen, aber nicht alles, überschicke“.³³ An Schotts Beispiel zeigt sich nicht nur der mitunter desaströse Zustand der Manuskripte vermutlich aufgrund unsachgemäßer Lagerung oder von Desinteresse, sondern vor allem, wie sehr der Rechercheerfolg zum einen vom sozialen Kapital und zum anderen vom Expertenwissen der zuständigen Bibliothekare abhängen konnte. Dieses Experten- oder Standortwissen, das auf der täglich gesammelten Arbeitserfahrung basierte, beschränkte sich jedoch nicht auf den jeweiligen Archivar oder Bibliothekar. Im Gegenteil konnte eine gute Vorbereitung und angeeignetes ‚Insiderwissen‘ auf Nutzerseite für einen leichteren Zugang zu Beständen führen und den Rechercheerfolg begünstigen.³⁴ Davon zeugen handschriftliche Notizen Schilters, wie er sie etwa neben einem Exzerpt aus Georg Spalatins Vita von Friedrich dem Weisen notierte, das er im Rahmen der Arbeit an seinem kirchenrechtgeschichtlichen Werk De Libertate Ecclesiarum Germaniae (Jena 1683) angefertigt hatte: „Stehet unter denen historicis in IVto neben dem vita Alberti, Saxonicae Ducis. Hierbei ist noch in absondern bünden Eiusdem Spalatini de vita Maximiliani I, Caroli V, Ferdinandi I, Philippi Regis Hispanici. Item, historia S. Elisabethae, welche in folio.“³⁵ Die genaue Kenntnis und der Rückgriff auf die Ordnungssystematik einer Bibliothek konnten von entscheidender Bedeutung sein, um ein Buch beim nächsten Bibliotheksbesuch wiederzufinden. Darüber hinaus enthielt die Notiz den Verweis auf weitere Manuskripte Spalatins, auf die bei zukünftigen Recherchen zurückgegriffen werden konnten. Der Fund eines einschlägigen Manuskripts war aber nicht immer das Produkt einer zielgerichteten Suche wie bei der Lex Salica.Vielmehr zeigt sich, dass Gelehrte bei der Suche nach einem bestimmten Exemplar stets die Augen nach anderen potenziell relevanten Manuskripten offenhielten. Das hatte wiederum mit der häufig uneindeutigen Verzeichnung der Handschriften zu tun. Diese waren oftmals 33 Schott an Schilter, Paris 18. Dezember 1697 (UB Gießen, Hs 142, fol. 284 – 285). 34 Vgl. Friedrich, Die Geburt des Archivs, 250. 35 UB Gießen, Hs 909, fol. 328r. Zur entsprechenden Stelle vgl. Schilter, De Libertate Ecclesiarum Germaniae Libri septem, Kap. 2, 837.

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in Sammelhandschriften zusammengebunden, sodass sich unter dem Titel einer Handschrift noch eine Reihe weiterer unverzeichneter Manuskripte befinden konnten. Bei der Durchsicht der Rechtsbücher Straßburgs im städtischen Archiv stieß Schilter in einem Codex etwa auf ein vorangestelltes „Calendarium Alemannicum“, bei dem es sich um eine Gegenüberstellung eines mittelhochdeutschen und des römischen Kalenders handelte.³⁶ Das kurze Manuskript, welches er auf das 13. Jahrhundert datierte, nahm er daraufhin in den ersten Band des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum auf, ohne aber auf die Umstände des Fundes hinzuweisen.³⁷ Die Bedeutung solcher Zufallsfunde als Beiwerk der Recherche nach anderen Handschriften sollte keineswegs unterschätzt werden. Immer wieder berichteten Schilters Korrespondenten von Handschriften, auf die sie gestoßen waren, ohne explizit danach gesucht zu haben. So schrieb Johann Philipp Palthen in einem Brief an Schilter vom zufälligen Fund eines Codex in der Königlichen Bibliothek in Paris, der eine große Anzahl an Gedichten und Liedern in deutscher Sprache aus dem 12. Jahrhundert enthalte.³⁸ Wie Palthen selbst vermutete, handelte es sich höchstwahrscheinlich um den Codex Manesse, den bereits Goldast für seine Paraeneticorum veterum (Insulae ad Lacum Aecronium [Lindau] 1604) verwendet hatte.³⁹ Aber nicht nur Manuskripte, sondern auch seltene Drucke setzten immer wieder langwierige Recherchen in Gang. Das widerspricht zunächst der auch unter Zeitgenossen verbreiteten Annahme von der bewahrenden Funktion des Buchdruckes, der die Verbreitung einer Publikation in Auflagen von hunderten oder

36 Johann Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis ex Collectione Johannis Schilter, [Straßburg ca. 1700], Vorrede, § XII, 27. 37 Johann Schilter, Kalendarium Alemannicum, Ex Cod. MS. Seculi XIII. Descriptum, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, Teil II, 70 – 74. 38 „In Bibliotheca Regia Parisiensi incidi in Codicem MSS. quem postquam penitius inspexi, nisi omnia me fallunt, eundem e[ss]e [marg.: rectè] existimo cum eo cuius possessor olim Schobingerus fuit, quo Goldastus in edendis paraeneticis suis Teutonicis usus fuit. Continet ille magnum numerum poematum et Cantiorum Vernacularum seculi XII.“ ‚In der Königlichen Bibliothek in Paris bin ich auf ein handschriftlichen Codex gestoßen, den ich anschließend genauer untersucht habe, wenn mich nicht alles täuscht, denke ich tatsächlich, dass derselbe mit dem übereinstimmt, dessen Besitzer einst Schobinger war, den Goldast beim Edieren seiner Paraenetici Teutonici benutzt hat. Jener enthält eine große Zahl an volkssprachigen Gedichten und Liedern aus dem 12. Jahrhundert.‘ (Übers. d. Verf.) Palthen an Schilter, Greifswald 2. Februar 1699 (UB Gießen, Hs 47, fol. 123 – 126). Vgl. zur Episode Johann Philipp Palthen, Tatiani Alexandrini Harmoniae Evangelicae antiquissiama Versio Theotisca, hg. v. Peter F. Ganz, Amsterdam: Atlanta 1993 (Early studies in Germanic philology 2). 39 Zum Codex Manesse vgl. Michael Wolbring, Melchior Goldast und der ‚Codex Manesse‘. Mit besonderer Berücksichtigung seiner ‚Hypomnemata in aulicorum Poetarum Carmina amatoria‘, Heidelberg: Heidelberg University Publishing 2019; Baade, Melchior Goldast von Haiminsfeld.

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tausenden Exemplaren möglich machte, während Handschriften wenn überhaupt nur in wenigen Abschriften vorlagen.⁴⁰ Die Seltenheit eines Druckes konnte jedoch vielerlei Gründe haben, wie sich beispielhaft an Goldasts bereits erwähnten Paraeneticorum veterum (Insulae ad Lacum Aecronium [Lindau] 1604, in 4°) zeigt, nach dem Schilter und Zeitgenossen lange Zeit vergeblich suchten.⁴¹ Der Kirchenhistoriker Johann Georg Schelhorn (1694 – 1773) begründete die geringe Verbreitung des Werks zunächst damit, dass es nicht von einem Buchhändler, sondern von Goldasts Förderer Bartholomäus Schobinger (1566 – 1604) verlegt wurde, der sich aus mangelndem finanziellem Interesse nicht um den Vertrieb des Werks kümmerte, wie es ein Buchhändler getan hätte. Hinzu komme, dass als Druckort statt Lindau „Insula ad Lacum Acronium“ angegeben wurde, „so daß vermuthlich manche auswärtige Gelehrte nicht einmal den Ort des Druckes recht gewußt haben“. Da es zum Zeitpunkt der Herausgabe „wenige Liebhaber dergleichen, zumal alt- Teutscher Schriften, und also auch wenige Käuffer derselben gegeben“ habe, seien die meisten Exemplare nicht verkauft worden. Dazu habe langfristig auch die mangelhafte Einschätzung des Werkes unter Gelehrten beigetragen, die sich durch den Umstand begründete, dass von mehreren geplanten Bänden nur der Erste erschien. Schelhorn schließt mit der Vermutung, dass der Großteil der Exemplare aufgrund der fehlenden Nachfrage wohl der Makulatur anheimgefallen sei.⁴² Die späte Wertschätzung von Goldasts Paraeneticorum veterum knapp hundert Jahre später steht in starkem Kontrast zur zeitgenössischen Nachfrage. Sie geht vor allem auf die vielen im Werk enthaltenen Ersteditionen zurück, mit denen erstmals „große Texte der alt- und mittelhochdeutschen Lyrik und Geschichtsschreibung aus verschiedenen Bibliotheken und Archiven einer breiteren, gelehrten Öffentlichkeit zugänglich gemacht“ wurden.⁴³ Wie Schelhorn bereits mit Hinblick auf den ungewöhnlichen Druckort von Goldasts Paraeneticorum veterum hinweist, war die Kenntnis der bibliographischen Daten eines Werks bei der Recherche von grundlegender Bedeutung. Häufig waren die Werke in Bibliothekskatalogen etwa nach Formaten geordnet, was wiederum Rückschlüsse auf die Aufstellungspraxis zulässt. Die genaue Kenntnis des Formats

40 Vgl. Elizabeth Yale, The Book and the Archive in the History of Science, in: ISIS 107 (2016), 106 – 115, 110. Die Kehrseite bestand in dem Wertverlust und der häufigen Zerstörung von Manuskripten nach ihrer Edition, die etwa der Handschriftensammler Zacharias Konrad von Uffenbach immer wieder kritisierte. Garloff, Zacharias Konrad von Uffenbach und der Buchhandel, 342 f. 41 Goldast, Paraeneticorum Veterum. Zu den Gründen für die Seltenheit von Drucken in der Frühen Neuzeit vgl. Friedrich, Loss and Circumstances, 919 – 922. 42 Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie, 477. 43 Caspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus, 32. Vgl. zur Zusammensetzung des Werks a. Wolbring, Melchior Goldast und der ‚Codex Manesse‘, 235 – 263; Hertenstein, Watt (Vadianus), 139.

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konnte die Suche daher bereits stark eingrenzen.⁴⁴ Als Schilter das Werk in Frankfurt auf einem Schmierzettel einer Kaufliste von Goldasts Büchern notierte, gab er das Werk dementsprechend mit allen Informationen an, die ihm bekannt waren: „Goldasti Paranetici veteres. 4. 1604“.⁴⁵ Wie sehr der Erfolg einer Recherche von den bibliographischen Daten abhing, legt ferner ein Brief nahe, den der Schwede Johann Riddarstierna (?–1695) an Dietrich von Stade (1637– 1718) bezüglich des gleichen Goldast-Werks verfasst hatte: „Verlange von dem Hn. Secretario einige Nachricht, wo doch des Goldasti Paraenetici Veteres zu finden, und wann sie gedruckt, qua forma, an separatim, an vero iunctim cum aliis Goldasti Operibus. Denn ich sie tausendmahl gesucht in Bibliothecken und nachgefraget, aber niemahls können zu sehen bekommen.“⁴⁶ Dieses Wissen konnte dabei helfen, das Werk in Bibliotheken zu identifizieren oder zumindest die Suche einzugrenzen. Die Seltenheit des Druckes war aber nur eine Seite des Problems. Die andere lag in der Besonderheit des deutschen Buchmarktes begründet. Der Vertrieb gebundener Bücher war traditionell dem Gewerbe der Buchbinder vorbehalten. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts etablierte sich auch im Heiligen Römischen Reich ein Antiquariatsbuchhandel, wie er etwa in England üblich war. Infolgedessen konnte Schilter ältere Drucke wie Goldasts Paraeneticorum veterum (Insulae ad Lacum Aecronium [Lindau] 1604) kaum über den Buchhandel erwerben.⁴⁷ Nachdem er vergeblich versucht hatte, das Werk in Frankfurt am Main zu erstehen, weitete er seine Suche auf Buchmärkte außerhalb des Reichs aus. Hier wandte er sich zunächst an den Philologen und Professor in Utrecht Johann Georg Graevius, den er noch aus dem gemeinsamen Studium in Leipzig kannte. Da er das Werk weder in Straßburg noch in Deutschland beziehen konnte, bat er nun Graevius, in Utrecht nach dem Buch Ausschau zu halten.⁴⁸ Erst 1696 wurde Schilter in Paris fündig. Charles Bulteau hatte den Druck in seiner Bibliothek gefunden und war bereit, ihn Schilter zu überlassen: „Je vous envoye les parainetici de Goldast que je vous prie

44 Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit, 147. 45 Die durchgestrichene Notiz findet sich auf einem Brief an den Frankfurter Pfarrer Johann Starck. Schilter an Starck, o.O. o. D. (UBFFM, Ms. Lat. Qu. 9, fol 1r). 46 Johann Riddarstierna an Dietrich von Stade, Hamburg 19. Dezember 1694, abgedruckt in: Johann Heinrich von Seelen, Memoria Stadeniana, sive de Vita, Scriptis ac Meritis Diederici a Stade Commentarius, varia simul Historica, Philologica, et inprimis Teutonica complectens, Hamburg: Felginer 1725, 188. 47 Garloff, Zacharias Konrad von Uffenbach und der Buchhandel, 339. 48 Schilter an Johann Georg Graevius, Straßburg pridie Kal. Maii [30. April] 1692 (Königliche Bibliothek Kopenhagen, Thott 1265, 4°). Die fehlende Datierung des Briefes wie auch zahlreiche Abweichungen beim Abdruck des Briefes bei Schelhorn gehen darauf zurück, dass hierbei nur das Konzept Schilters vorlag. Vgl. Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie, 475 – 480. Das Konzept ist in der UB Gießen überliefert. Schilter an Graevius, o.O. o. D. (UB Gießen, Hs 140, fol. 23).

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d’avoir agreables je les ay pris de ma bibliotheque. Je les retrouveray bien ici et outre cela ils sont a la bibliotheque de icy[?] et on les void[?] quand on veut voila l’avantage d’estre dans une ville ou il y a des grandes bibliotheques.“⁴⁹ Bulteaus Erklärung ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zunächst einmal lässt sie ein Bewusstsein dafür durchscheinen, welche Vorteile der Aufenthalt in einem Wissenszentrum wie Paris bei der Literaturbeschaffung haben konnte. Der Verweis auf die Verfügbarkeit des Werks in lokalen Bibliotheken, die dessen Besitz für ihn obsolet machen, zeugt von einem Vertrauen, das um 1700 angesichts kurzer Öffnungszeiten und eingeschränkten Zugangsbedingungen erstaunlich ist. Andererseits veranschaulicht Bulteaus Bemerkung aber auch, wie die Literatur- und Quellenbeschaffung in gelehrte Tauschbeziehungen eingebunden war, da der Königliche Sekretär sein Buchgeschenk wiederum mit der Nachfrage nach einem anderen Titel verband.⁵⁰ Anhand von Schilters Recherchepraktiken wird zum einen deutlich, wie die Umstände und Einschränkungen der Handschriftensuche das Erscheinungsbild und den Inhalt seiner Editionen prägten. Zum anderen zeigte sich aber auch, welche Strategien und Ressourcen der Gelehrte hierbei einsetzte. Die Recherche nach Manuskripten wird so als Gemeinschaftsprojekt sichtbar, das auf der Zirkulation von bibliographischen Informationen oder Hinweisen auf Standorte einschlägiger Manuskripte aufbaute. Neben der gezielten Suche gehörte dazu aber auch die Mitteilung von Zufallsfunden und ‚Beifang‘ zur Recherche. Immer wieder wurden so gefundene Handschriften aus einer konservatorischen Motivation in den Druck aufgenommen wurden, insbesondere wenn die Stücke noch unveröffentlicht waren. Aus heutiger Sicht wirken die zeitgenössischen Editionen zuweilen wie ungeordnete Materialsammlungen.⁵¹ Diese Recherchepraxis lässt sich allerdings nicht als unstrukturierte Sammelleidenschaft abtun. Vielmehr bediente die Motivation der Bewahrung und Verfügbarmachung von Manuskripten ein zeitgenössisches Nutzerbedürfnis. Wie sehr die Sorge um die Bewahrung von Manuskripten oder Objekten angesichts frühneuzeitlicher Überlieferungsbedingungen berechtigt war, zeigt sich immer dann, wenn Stücke verloren gingen. So kam es beispielsweise immer wieder vor, dass Monumente und Inschriften wetterbedingt erodierten und dadurch für die Nachwelt unlesbar wurden beziehungsweise Manuskripte einem

49 Bulteau an Schilter, Paris 22. Dezember 1696 (UB Gießen, Hs 141, fol. 123). 50 Dass Schilter tatsächlich anders als viele Zeitgenossen in den Besitz von Goldasts Paraeneticorum veterum gelangte, belegt der Hinweis von Schelhorn, dass er Schilters Arbeitsexemplar besitze. Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie, 476. 51 So wurde Schilters Thesaurus in der Forschung immer wieder ein zugrunde liegendes Ordnungsprinzip abgesprochen. Vgl. Kap. 4a.

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte?

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Feuer, einem Diebstahl oder etwa der Makulatur zum Opfer fielen.⁵² Selbst die Edition und Veröffentlichung einer Handschrift im Druck konnte nicht in jedem Fall eine sichere Überlieferung garantieren, wie am Beispiel der Suche nach Goldasts Paraeneticorum veterum gezeigt werden konnte. In der Regel sammelte Schilter daher weniger „den zeitgenössischen Stand des Wissens“, sondern eher das ihm konkret verfügbare Wissen.⁵³

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte? Der Weimarer Bibliothekar und Schriftsteller Christian August Vulpius (1762 – 1827) veröffentlichte 1816 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Curiositäten der physisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt einen ungewöhnlichen Aufruf. Kurz zuvor war er auf eine Inschrift in der Außenwand der Dorfkirche St. Bonifacius in Heilsberg gestoßen, die er für eine „der ältesten Steinschriften in Teutschland“ hielt. Sein Fürst und Dienstherr Carl August von Sachsen-WeimarEisenach teilte offenbar seine Einschätzung vom Wert der sogenannten Heilsberger Inschrift und hatte sie zum Schutz vor der Witterung abtragen und in die Großherzogliche Bibliothek bringen lassen.⁵⁴ [Abb. 5b.1.] Nun rief Vulpius öffentlich zur Mithilfe beim Entziffern der Inschrift auf: „Den Forschern im Gebiete der Teutschen Literatur und Sprache sey es überlassen, der Inschrift selbst die Erklärung abzugewinnen, und dann, – ist unsere Bitte, – zum Besten der Leser, uns dieselbe und ihre Meinungen darüber, mitzutheilen.“⁵⁵ Daraufhin beschäftigten sich in den fol-

52 Zu Lebzeiten Philippe-André Grandidiers (1752 – 1787) waren etwa viele Monumente der gallischen Vergangenheit, die von Ruinart, Alliot, Mabillon, Montfaucon und Martin beschrieben wurden, „bereits abhandengekommen: zerstört, zerstreut, als Baumaterialien weiterverwendet.“ Regazzoni, Geschichtsdinge, 283. 53 Kössinger, Die Anfänge der Mittelalterphilologie, 47. 54 Zur Entzifferungsgeschichte der Heilsberger Inschrift vgl. Hans-Helmut Lawatsch, Goethe und die Inschrift von Heilsberg, in: Rudolstädter Heimathefte 43 (1997), 22 – 23; Horst Fuhrmann, „Sind eben alles Menschen gewesen“. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert; dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter, München: C.H. Beck 1996, 21 – 23; Heinz Deubler, Heilsberg und die „Heilsberger Inschrift“, in: Rudolstädter Heimathefte 25 (1979), 178 – 186; Ingeborg H. Solbrig, Die Inschrift von Heilsberg. Ein nicht abgeschlossenes Projekt Goethes und Hammers, in: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins 75 (1971), 14 – 28. Die Heilsberger Steintafel ist bis heute in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek überliefert. Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek PI 2007/3. 55 Christian August Vulpius, Eine sehr alte Steinschrift (nebst Abbildung auf 20), in: Curiositäten der physisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt 5 (1816), Nr. VI, 507– 509.

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genden Jahren Gelehrte wie Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), der österreichische Hofrat und Orientalist Joseph von Hammer (‐Purgstall) (1774 – 1856) oder mit einigen Jahren Abstand auch der Frankfurter Sprachforscher Georg Friedrich Grotefend (1775 – 1853) mit der Deutung. Je nach Verständnis der Inschrift, welche aus einem Haupttext und einer Randschrift besteht, variierten die Interpretationen zum Teil stark. Den meisten Deutungsversuchen war jedoch gemein, dass sie auf einer Abbildung basierten, die bereits dem ersten Anlauf, die Inschrift zu entschlüsseln, zugrunde lag. Es handelt sich um einen Kupferstich, den Schilter seiner Edition des Ludwigsliedes (Straßburg 1696) beigefügt hatte.⁵⁶ [Abb. 5b.3.] Dieser basierte auf einer Zeichnung der Inschrift, die der Gelehrte wiederum von Caspar Sagittarius erhalten hatte.⁵⁷ Von Schilters Versuchen, die Inschrift zu entziffern, zeugt eine Zeichnung in seinem Nachlass, in der er den einzelnen Zeichen Buchstaben zuordnete. [Abb. 5b.2.] Während Schilter in der Inschrift einen Zusammenhang zum Reichsteilungsplan von Ludwig dem Frommen 817 gesehen hatte,⁵⁸ modifizierte von Hammer diese Sichtweise dahingehend, dass zwar der Haupttext aus der Zeit Ludwigs des Frommen stamme, die Randschrift jedoch als lateinische Grabschrift auf Kaiser Lothar I. zu lesen sei.⁵⁹ Grotefend kritisierte dagegen den Umstand, dass die meisten der Entschlüsselungsversuche, die Vulpius’ Aufruf angeregt hatte, mit Schilters Kupferstich auf einer Abbildung fußten, die zu diesem Zeitpunkt bereits über hundert Jahre alt war. Da er in Schilters Abbildung Fehler zu erkennen glaubte, ließ er sich daraufhin von Goethe neue Zeichnungen anfertigen.⁶⁰ Mittlerweile war insbesondere die Randschrift jedoch so verwittert,⁶¹ dass Grotefend hier schließlich sogar selbst Schilters Abdruck gegenüber den neueren Zeichnungen vorzog. Grotefend datierte die Inschrift anhand des Schriftbildes zwar

56 Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum. Von dem Kupferstich ist in Schilters Nachlass auch eine Druckvorstufe überliefert. UB Gießen, Hs 1184, fol. 651v. 57 Schilter an Wilhelm Ernst Tentzel, Kal. Junii [1. Juni] 1698 (FB Gotha, Chart B 200, fol. 452r–453v). 58 Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 53r–54v), fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum. Zu Schilters Entzifferungsversuchen s. UB Gießen, Hs 1184, fol. 663v. 59 Joseph von Hammer-Purgstall, Die Inschrift von Heilsberg, Weimar: Frommann und Wesehöft 1818; Ders., Die Entzifferung der uralten Steinschrift von Heilsberg, in: ISIS oder encyclopädische Zeitung von Oken 2 (1819), Nr. X, Sp. 1641 – 1652. 60 Georg Friedrich Grotefend, Heilsberg, in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Sektion 2, Teil 4, Leipzig: Gleditsch 1828, 170 – 174, 171. 61 Einen Eindruck hiervon können Fotos der Inschrift vermitteln, die derzeit im Kellergeschoss des historischen Bibliotheksgebäudes der Herzogin Anna Amalia Bibliothek aufbewahrt wird. S. Abb. 5b.1

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte?

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frühestens auf das 14. Jahrhundert, eine abschließende Deutung steht jedoch bis heute aus.⁶²

Abb. 5b.1.: Fotografie der „Heilsberger Inschrifttafel“ von 2018 an ihrem aktuellen Standort im Kellergeschoss des historischen Gebäudes der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.

Die Episode zur Heilsberger Inschrift verdeutlicht nicht nur die Wirkmächtigkeit der Arbeiten von Schilter bis in das 19. Jahrhundert hinein, sondern illustriert zudem beispielhaft ein gängiges Problem beim Entziffern mittelalterlicher Texte und

62 Erst vor kurzem erneuerte die Klassik Stiftung Weimar den Aufruf von Vulpius in digitaler Form. Vgl. https://www.klassik-stiftung.de/startseite/digital/sammlungshighlights/heilsberger-stein/ [18.7. 2023].

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Abb. 5b.2.: Handschriftliche Notizen Schilters auf einer Federzeichnung der „Heilsberger Inschrift“.

Inschriften in der Frühen Neuzeit und darüber hinaus. Die Interpretation eines Textes kann nur so gut sein, wie die Abschrift oder Zeichnung, auf der sie basiert.⁶³ Die Arbeit mit Abschriften muss in der Frühen Neuzeit jedoch als Regelfall betrachtet werden, während die Ausleihe gerade älterer Manuskripte die Ausnahme darstellte.⁶⁴ Das mag im Fall von Steintafeln selbstverständlich erscheinen, lässt sich aber ebenso auf mittelalterliche Manuskripte übertragen. Die Gelehrten arbeiteten also häufig mit Abschriften von Handschriften oder Inschriften, die sie wohlmöglich nie im Original gesehen haben. Das gilt insbesondere für Schilter, der einen Großteil seiner Quellenabschriften über seine Amanuenses oder Korrespondenzpartner akquirierte. Davon ausgehend, dass jeder Transkriptionsprozess gerade bei unbe-

63 Vgl. Kenney, The classical text, 75. 64 Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass eine Ausleihe immer wieder mit dem Verlust eines Manuskripts gleichgesetzt wurde. Johann Jacob Schatz, über den Schilters Korrespondenz nach Speyer lief, übermittelte beispielsweise von dem Kamergerichtsassessor Mauritus: „sonsten hat Er mich von verschiedenen MSCtis antiquis, so Er guten freunden geliehen u[nd] also verlohrn[!], entretenirt [d. h. erzählt/informiert].“ Schatz an Schilter, 17./27. August 1687 (UB Gießen, Hs 142, fol. 88 – 89, hier: 88v).

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte?

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Abb. 5b.3.: Kupferstich der „Heilsberger Inschrift“ aus Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

kannter Schrift, althochdeutscher Sprache oder beschädigtem Schreib- und Beschreibstoff Interpretationsspielraum bot und so Fehler produzieren konnte, war die Frage nach der Zuverlässigkeit der Abschriften ein drängendes Problem.⁶⁵ Schilters Bewusstsein hierfür zeigt sich immer wieder, wenn er sich bei zweifelhaften Lesarten einzelner Worte an seine Amanuenses zur erneuten Überprüfung wandte.⁶⁶ Im Folgenden soll anhand von Schilters Praktiken der Quellenbeschaffung der Frage nachgegangen werden, wie ein „Armchair-scholar“ wie er versuchte diesem Problem zu begegnen und welche Kenntnisse hierbei eine Rolle spielten. Dazu sollen zunächst die Umstände des Abschreibens skizziert werden, um dann auf die Techniken und Kenntnisse einzugehen, die zum Transkribieren mittelalterlicher

65 Vgl. etwa die anthropomorphen Darstellungen der Merkurfiguren auf dem Berg Donon durch Dom Alliot und seine Mitarbeiter bei Regazzoni, Geschichtsdinge, 285 f. 66 Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 328 f.

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5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition

Texte notwendig waren beziehungsweise von Schilter und seinen Zeitgenossen als grundlegend erachtet wurden. Das Abschreiben von Quellen lässt sich allgemein als Teil einer gelehrten Manuskriptkultur in der Frühen Neuzeit beschreiben, in der das Exzerpieren von Texten eine alltägliche Tätigkeit darstellte.⁶⁷ Exzerpieren war Teil einer bestimmten Form des „gelehrten Lesens“ – ein Thema, zu dem eine Vielzahl an Leitfäden erschien.⁶⁸ Die Praxis des Exzerpierens folgte einerseits einer humanistischen Tradition zur „Einübung antiker Vorbilder“ anhand von Loci Communes-Sammlungen.⁶⁹ Gelehrte trugen auf diese Weise Zitate und Ausschnitte aus gelesenen Büchern zusammen, um bei Gelegenheit auf die entsprechenden Textpassagen zurückgreifen zu können. Andererseits ging es dabei aber auch um die Selektion und Verfügbarmachung von Wissen.⁷⁰ Drucke und Manuskripte waren oftmals in Archiven und Bibliotheken nur mit Einschränkungen zugänglich und konnten ausschließlich vor Ort eingesehen werden. Das Abschreiben relevanter Textstellen war häufig daher die einzige Möglichkeit, um die Quellen für die tägliche Arbeit verfügbar zu machen. Je nach Umfang und Zustand einer Handschrift konnte eine solche Transkription nicht nur viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen, sondern fand häufig auch unter ungünstigen Bedingungen statt. Das galt insbesondere für mittelalterliche Manuskripte. Ihre Transkription war aufgrund ihres materiellen Zustands, der ungewohnten Sprache und Schrift mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden. Zudem führte ihr besonderer Wert dazu, dass Handschriftensammler oder die zuständigen Bibliothekare den Zugang zu diesen Manuskripten immer wieder mit Einschränkungen oder Vorbedingungen wie Empfehlungsschreiben

67 Vgl. Elisabeth Décultot (Hg.), Lesen, Kopieren, Schreiben. Lese- und Exzerpierkunst in der europäischen Literatur des 18. Jahrhunderts, Berlin: Ripperger & Kremers Verlag 2014. 68 Helmut Zedelmaier, De ratione excerpendi. Daniel Georg Morhof und das Exzerpieren, in: Françoise Waquet (Hg.), Mapping the world of learning. The Polyhistor of Daniel Georg Morhof, Wiesbaden: Harrassowitz 2000, 75 – 92, 78. Zur Lektürepraxis in der Frühen Neuzeit vgl. Ann Blair, Reading Strategies for Coping with Information Overload ca. 1550 – 1700, in: Journal of the History of Ideas 64 (2003), 11 – 28; Helmut Zedelmaier, Lesetechniken. Die Praktiken der Lektüre in der Frühen Neuzeit, in: Helmut Zedelmaier / Martin Mulsow (Hg.), Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, Tübingen: Niemeyer 2001, 11 – 30; Anthony Grafton, Commerce with the classics. Ancient books and renaissance readers, Ann Arbor: University of Michigan Press 1997 (Jerome lectures 20); Roger Chartier, Lesewelten. Buch und Lektüre in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M.: Campus Verlag 1990 (Historische Studien 1). 69 Zedelmaier, De ratione excerpendi, 84. 70 Markus Friedrich, Vom Exzerpt zum Photoauftrag zur Datenbank. Technische Rahmenbedingungen historiographischer Forschung in Archiven und Bibliotheken und ihr Wandel seit dem 19. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 22 (2014), 278 – 297, 280.

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte?

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versahen.⁷¹ Ein Schreiben von Schilters Schüler Schott, in dem er die widrigen Umstände der Notker-Transkription schilderte, verdeutlicht diese Bedingungen in kondensierter Form. Kurz nach seiner Ankunft in Paris schrieb er an Schilter: „Wann aber in Abschreibung dieses Buches viel zeit und müh erfordert wird, in dem solches ziemlich dick und groß. Überdieses auch viel Kosten für Lebensmittel drauff gehen, weilen mann des tages vor ordentliche Preise zum wenigsten 6 s[chilling] ohne Kammer, darvor ich 3 f[lorin] monatlich zahle, anwenden muß, dann auch das werck muß beschleuniget werden in dem der winter herbey nahet, da mann in den Cammern, wenn der Carmin schon angefewert nicht schreiben kann, dann auch Mr. Mabillon nicht wißen kann, wie lang Er das Buch von dem Eigenthumbs Herrn behalten kann“.⁷² Schott stand also gleich aus mehreren Gründen unter Zeitdruck. Nicht nur war der Zugang zum Manuskript durch den Eigentümer zeitlich eingeschränkt, die Kälte des nahenden Winters erschwerte trotz beheizter Räume zunehmend das Schreiben bis hin zum Gefrieren der Tinte.⁷³ Schließlich steigerte die Dauer einer Abschrift auch den Preis ihrer Anfertigung, wie Schott anhand seiner laufenden Kosten für Unterkunft und Verpflegung aufzeigte.⁷⁴ Der Zusammenhang zwischen dem Zeitaufwand einer Abschrift und den damit verbundenen Kosten bedeutete, dass die Entscheidung zur Transkription einer Handschrift gut bedacht werden musste. Das galt insbesondere für „Armchair scholars“ wie Schilter, der für Transkriptionsarbeiten mangels eigener Archiv- und Bibliotheksreisen zumindest in seiner Straßburger Zeit hauptsächlich auf die Arbeit seiner Studenten oder anderer Gelehrter zurückgriff.⁷⁵ Hierbei kam es immer wieder zu langen Korrespondenzwegen, sodass zwischen Quellenfund und abgeschlossener Abschrift nicht nur Wochen, sondern sogar Monate oder wie im Fall der Transkription einer Handschrift des Sächsischen Lehnsrechts aus der Leipziger Universitätsbibliothek (Bibliotheca Paulina) sogar Jahre liegen konnten. Im Fall des besagten Manuskripts hatten sich im Herbst 1686 erst Christian Wilhelm von Eyben, der sich in der Angelegenheit für Schilter und seinen Vater einsetzte, und etwas

71 Die Kritik an dieser Praxis, die sich von Goldast bis Uffenbach nachweisen lässt, ist ein Indiz für die Ausmaße dieses Problems. Vgl. etwa Baade, Melchior Goldast von Haiminsfeld, 24; Walter, Zacharias Konrad von Uffenbach und das Bibliothekswesen seiner Zeit. 72 Schott an Schilter, Paris 31. August 1697 (UB Gießen, Hs 142, 270 – 271). 73 Friedrich, Die Geburt des Archivs, 183. 74 Es lassen sich noch weitere Kosten wie das Porto für die verschickten Bögen der Transkriptionen ergänzen. So schrieb Schott im September 1697 entschuldigend an Schilter: „Ihr. Excellenz werden in dem Gedanken stehen, als wolte Ihre Güter durch Briefwechsel ausschöpfen, sintemahlen kein Post fast vergehet, da nicht ein gutes porto vor meine Brieffe zu zahlen“. Schott an Schilter, Paris 21. September 1697. (UB Gießen, Hs 142, fol. 272r–273v). 75 Zur Delegierung von Schreibarbeiten in der Frühen Neuzeit vgl. Blair, Early Modern Attitudes toward the Delegation of Copying and Note-Taking.

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5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition

später auch der Straßburger Gelehrte persönlich an den Theologen Adam Rechenberg (1642 – 1721) gewandt.⁷⁶ Auf Rechenbergs Hinweis schrieb Joachim Feller (1638 – 1691), Professor der Poesie und zuständiger Universitätsbibliothekar, daraufhin den Anfang der Handschrift ab und schickte das Exzerpt zusammen mit einem Brief über von Eyben an Schilter.⁷⁷ Dieser verglich die Abschrift nun mit seiner Ausgabe der Edition des Sächsischen Lehnsrechts von Christoph Zobel (1499 – 1560)⁷⁸ und entschied sich aufgrund des angenommenen Alters der Handschrift, eine Abschrift anfertigen zu lassen.⁷⁹ Seit der ersten Anfrage waren so zwar bereits mehrere Monate vergangen, dafür erlaubten die übersandten Textproben Schilter aber auch aus der Ferne eine fundierte Einschätzung des Wertes der Handschrift. Mangels eines kompetenten Abschreibers vergingen jedoch noch mehrere Jahre, bis Schilter schließlich an die Abschrift des Sächsischen Lehnsrechts gelangte.⁸⁰ Von Fellers Fähigkeiten war Schilter, der in dessen Exzerpt an mehreren Stellen Fehler angestrichen hatte, anscheinend nicht überzeugt. Dabei handelte es sich um ein zeitgenössisches Problem, das immer wieder in den Quellen auftaucht.⁸¹ Schließlich garantierte die Kompetenz eines Abschreibers mit der Qualität einer Abschrift auch für die heuristische Belastbarkeit des Materials. Dass dieser Zusammenhang auch von Zeitgenossen wahrgenommen wurde, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Schilter in einzelnen Fällen wie etwa bei seiner Edition von Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex (Straßburg 1697) auf die gute Ausbildung und Sorgfalt seiner Abschreiber verwies: „Schmidius, Argentora-

76 Vermutlich handelt es sich um die juristische Sammelhandschrift UB Leipzig, Ms 946. 77 Das Exzerpt „Initium juris feudalis Saxonici, ex vetustissimo Paulinae codice membraneo“ (UB Gießen, Hs 141, fol. 153 – 154) war zusammen mit einem Briefs Fellers an Schilter (Ebd., fol. 276r–v) Beilage des folgenden Briefs: Von Eyben an Schilter, Speyer 14./24. November 1686 (Ebd., Hs 140, fol. 198r–v). 78 Vermutlich handelt es sich um die mit Marginalien versehene postume Ausgabe von 1589, die in der Kantonsbibliothek Graubünden überliefert ist. Kantonsbibliothek Graubünden, KBG-0857. Den Hinweis verdanke ich Prof. Dr. Jan-Andrea Bernhard. Zur Überlieferung eines Teilbestandes von Schilters Bibliothek in der Kantonsbibliothek Graubünden vgl. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 123 f. 79 Vgl. Schilters Annotation auf dem Exzerpt Fellers „[…] also ist op[er]a pretium [es ist der Mühe wert] gantz abschreiben zu lassen, u[nd] sondern mit den recentioribus zu c[on]ferieren“. (UB Gießen, Hs 141, fol. 153 – 154). 80 Vermutlich schrieb Friedrich Benedikt Carpzov schließlich die Handschrift für Schilter ab. Carpzov an Schilter, Leipzig 30. November 1693 (UB Gießen, Hs 141, fol. 151 – 152) und 1. Juli 1695 (Ebd., fol. 157– 158). Schilter druckte das Sächsische Lehnsrecht daraufhin im Anhang seines Codex Iuris Alemannici Feudalis (Straßburg 1697) ab. 81 Vgl. Anthony Grafton, Jean Mabillon invents Paleography, in: Ders. (Hg.), Inky fingers. The making of books in early modern Europe, Cambridge, Mass. / London: Harvard University Press 2020, 78 – 104, 84 f.

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte?

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tensis, Parisiis tunc studiorum & omnis politioris literaturae gratia commorans, accurate omnino & retentis literarum ductibus & anfractibus depinxit potius, quam descripsit nobisque transmisit.“⁸² Das Lob der Arbeit seines Schülers Schmid funktionierte also wie eine Art ‚Qualitätssiegel‘. Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ein guter Abschreiber beherrschen sollte, werden nicht nur in den Vorreden und auf den Titelblättern von Schilters Werken angeführt, sondern regelmäßig auch in seiner Korrespondenz thematisiert. Die Anforderungen umfassten nicht nur Übung im Lesen alter Handschriften, sondern darüber hinaus auch ein inhaltliches Verständnis der jeweiligen Texte. Die Fähigkeit, mittelalterliche Schriften entziffern zu können, war sowohl in historiographischen wie auch in juristischen Kontexten relevant, etwa wenn es um das Verständnis mittelalterlicher Rechtsbegriffe ging. Das zeigt sich auch an der großen Anzahl von zeitgenössischen Veröffentlichungen zu diesem Thema.⁸³ Mabillon verfasste mit seiner De Re Diplomatica (Paris 1681) etwa einen der ersten Texte zur Paläographie, der Kupferstiche mit Schriftproben alter Alphabete lieferte und so einen Leitfaden zum Entschlüsseln unbekannter Schriften an die Hand gab.⁸⁴ Zugleich war das Studium der historischen Hilfswissenschaften aber in keiner Weise im universitären Curriculum eingebunden.⁸⁵ Wer also das Lesen mittelalterlicher Handschriften erlernen wollte, musste sich dies entweder im Selbststudium aneignen, wie es sich etwa am Beispiel Zacharias Konrad von Uffenbachs beobachten lässt,⁸⁶ oder war auf die Initiative eines einzelnen Professors angewiesen. Ob Schilter seine Schüler bereits im Studium in der Paläographie anleitete, wie das etwa Caspar Sagittarius getan hat, lässt sich mangels Quellen kaum nachvollziehen.⁸⁷ Einerseits scheinen diese zwar mit gewissen Vorkenntnissen zum Transkribieren nach Paris geschickt worden zu sein. Bereits kurz nach Schotts Ankunft in Paris lobt Mabillon seine Fähigkeiten beim Abschreiben.⁸⁸ Andererseits zeigt sich aber auch, dass die Studenten während des Abschreibens ihre Kenntnisse häufig noch erweitern konnten. Nach der erfolgreichen Transkription von Antonius Mincuccius de Prato veteris De Feudis Libri sex schickte Schmid etwa wiederholt

82 Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex. 83 Friedrich, Die Geburt des Archivs, 130 f. 84 Vgl. Grafton, Jean Mabillon invents Paleography. 85 Weis, Johann Friedrich Schannat, 181 – 183. 86 Vgl. Konrad Franke, Zacharias Conrad von Uffenbach als Handschriftensammler. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 7 (1967), Sp. 1 – 208, Sp. 16 – 22 87 Zu Sagittarius vgl. Schilling, Caspar Sagittarius und die Numismatik seiner Schüler. 88 Mabillon an Schilter, [8. August 1697] (Stadtarchiv Ulm, V 393, fol. 11r).

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5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition

Listen mit Korrekturen, die vermutlich beim erneuten Lesen entstanden waren.⁸⁹ Das war im Grunde nicht ungewöhnlich. Auch Mabillon betonte in der zweiten Auflage seiner De Re Diplomatica (Paris 1681), dass nur Übung am Objekt zur notwendigen Erfahrung im Transkribieren führe.⁹⁰ Etwas deutlicher zeigt sich Schilters Einfluss auf seine Studenten in Hinblick auf ihre sprachlichen Kenntnisse. Der Straßburger Gelehrte hatte sich mit der Ankündigung seines Glossariums auch in Frankreich einen Ruf als Experte für die mittelalterliche deutsche Sprache erarbeitet, der offenbar auch auf seine Studenten abfärbte. So wandte sich etwa der französische Philologe und Lexikograph Gilles Ménage im Rahmen der Arbeit an der zweiten erweiterten Auflage seines Dictionaire Etymologique ou Origines de la Langue Francoise (Paris 1694) wiederholt mit etymologischen Fragen zu althochdeutschen Vokabeln zunächst an Schmid.⁹¹ Dieser konnte meistens offenbar zufriedenstellende Antworten liefern, gab in Einzelfällen aber auch Fragen wie die nach der Bedeutung der Silbe „bast“ in dem Wort „bastart“ an Schilter weiter.⁹² In einzelnen Fällen lässt sich belegen, dass Ménage die entsprechenden Antworten in seinem Werk aufnahm.⁹³ Welche Vorgaben Schilter seinen Studenten beim Abschreiben mittelalterlicher Handschriften gab, lässt sich nur indirekt über deren Antwortschreiben rekonstruieren. Schott gab beim Abschreiben von Notkers althochdeutscher Psalterübersetzung immer wieder an, dass er sich eng am Schriftbild der Vorlage orientiere. Gleich zu Beginn seiner Transkriptionstätigkeit beteuerte er: „mann wird mir aber keine schuld einiger nachlässigkeit beymessen, dass über gleiche wörter vielmahls virgulas geschrieben, vielmahl aber aus gelassen, dann auch die Orthographicam, wie sie heut in lateinischen üblich, nicht observiret, maßen alles wie es im buch selbsten nach befehl Hen. Lamprechten, welcher mit mir revidirt, geschrieben.“⁹⁴ Die Bedeutung, die Schilter einer genauen Abschrift beimaß, lässt sich

89 Schmid an Schilter, Paris 10. Juli 1689 (UB Gießen, Hs 142, fol. 205 – 206) und 2. August 1697 (Ebd., fol. 207– 208). 90 Grafton, Jean Mabillon invents Paleography, 91. 91 Damit lässt sich der Austausch zwischen Schilter und Ménage belegen, den bereits Almut Mikeleitis-Winter annimmt. Vgl. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 141. 92 Schmid an Schilter, o.O. [Oktober/November] 1690 (UB Gießen, Hs 142, fol. 215 – 216). 93 In der zweiten Auflage von Ménages etymologischem Wörterbuch, das zwei Jahre nach seinem Tod durch Simon de Valhébert herausgegeben wurde, tauchte Schilter etwa mit einem Vermerk zum Lemma „PANTOUFFLE“ auf. Mikeleitis-Winter, Wo nur ein Schilter steht / da ligt ein Schatz vergraben, 141.Vgl. a. Gilles Ménage, Dictionaire Etymologique ou Origines de la Langue Francoise, hg. v. Simon de Valhébert, Paris: Jean Anisson 1694, 551. Der Austausch lief aber durchaus wechselseitig. Vgl. etwa Schmid an Schilter, Paris 23. Februar 1692 (UB Gießen, Hs 142, fol. 218 – 219, hier: 219r). 94 Schott an Schilter, o.O. o.D. [8. August 1697] (Stadtarchiv Ulm, V 393, fol. 11r–12v [unfol.]).

b Abschreiben. Welcher Kenntnisse bedarf es zum Verständnis mittelalterlicher Texte?

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daran erkennen, dass er offenbar nicht nur Schott, sondern auch Lamprecht in der Sache instruiert hatte. Lamprecht meldete dementsprechend pflichtbewusst zurück: „ich hab ihm gesagt, das er es solle expressis in eben dem format schreiben, ich will auch gern die Mühe machen undt es mit ihm conferiren, damit er ja in keinem worth fehle.“⁹⁵ Schott setzte die Vorgaben offenbar zur Zufriedenheit um und lieferte eine qualitativ hochwertige Abschrift.⁹⁶ Während er sich damit als gute Wahl erwies, lässt sich dasselbe kaum für Lamprecht sagen, der seinen ehemaligen Lehrer anscheinend nicht nur bezüglich seiner paläographischen Fähigkeiten täuschte.⁹⁷ Wie sich bereits bei Lamprecht und Schott andeutet, war das Abschreiben mittelalterlicher Handschriften keineswegs eine isolierte Tätigkeit. Zuweilen waren zur erfolgreichen Abschrift nicht nur die Fähigkeiten eines Einzelnen von Bedeutung, sondern auch die Vernetzung vor Ort mit anderen paläographisch geschulten Gelehrten oder Bibliothekaren. Das zeigt sich insbesondere im Fall von Manuskripten, die besonders schwer zu lesen waren, wie ein Bericht Schotts von der Transkription des Konkordats von Bologna veranschaulicht.⁹⁸ Es handelte sich dabei um eine Vereinbarung zwischen dem Papst und dem französischen König aus dem Jahr 1516, die die jeweiligen Zuständigkeiten in Bezug auf die gallikanische Kirche klären sollte.⁹⁹ Schott hatte das Manuskript in der Bibliothek der Abtei St. Victoire in Paris ausfindig gemacht. Die Handschrift war allerdings so schwierig zu lesen gewesen, dass das Abschreiben zunächst nur sehr langsam vorangeschritten war. Schott berichtete zwar, dass ihm der zuständige Bibliothekar D’Herannal „in legendo ritterlich geholffen, [bis] daß mir der Kopf davon so weh thäte und dem guten H[errn] Canonico die Mühe nicht mehr geben mogte“. Da sie aber auch nach sechs Stunden noch nicht über das Prologomenon hinausgekommen waren, hatte er sich erst an Baluze gewandt, der ihm einen kompetenten Abschreiber vermitteln wollte.¹⁰⁰ Als Schott im Folgeschreiben den erfolgreichen Abschluss der Transkription meldete, hatten sich noch der Sprachforscher Palthen und zwei weitere Bekannte an dem Manuskript versucht. Schließlich hatte Ruinart auf Schotts Bitten die Abschrift in einem halben Tag vollendet. Aber selbst Ruinart hatte „in allem nicht fortkommen können, weswegen platz[?] gelassen und die wörter worann er

95 Lamprecht an Schilter, Paris 4. September 1697 (UB Gießen, Hs 140, fol. 154 – 155). 96 Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 329. 97 Vgl. die entsprechende Passage in Kap. 3c. 98 Schott an Schilter, Straßburg 14. Juni 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 302 – 303). 99 Zum Konkordat von Bologna vgl. Robert Jean Knecht, The Concordat of 1516. A Reassessment, in: University of Birmingham Historical Journal 9 (1963), 16 – 32. 100 Schott an Schilter, Paris 30. Mai 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 301).

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5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition

gezweiffelt mit einem strich unterzeichnet“.¹⁰¹ Schotts Bericht verdeutlicht, dass Transkribieren keine isolierte Tätigkeit sein musste, sondern im Gegenteil häufig eine kollektive Praxis war. Das ist bei Schilters Abschreibern kein Einzelfall. Immer wieder unterstützten sich Schüler gegenseitig bei schwierigen Textstellen oder fragten wie Schott andere Gelehrte um Hilfe. Oftmals, so muss angenommen werden, führte wie im Beispiel des Konkordats von Bologna erst die vereinte Expertise verschiedener Gelehrter zum Abschluss einer Transkription. Neben paläographischen Fähigkeiten bedurfte es zum Abschreiben mittelalterlicher Handschriften aber auch des Verständnisses ihres Inhalts. Von Eyben, der sich zunächst offenbar selbst an der Transkription des Sächsischen Lehnsrechts in der Bibliotheca Paulina versucht hatte, schrieb daraufhin beispielsweise an Schilter: daß dero geehrtestes nicht sofort schuldigst bedienet, ist keine andere ursache, als weil das zu communiciren befohlene Leipzigische MStum gern alsobald in glaubwürdiger copey mit geschicket hätte, so stünden aber verschiedene specimina vorzuzeigen, wie übel es mir damit dieses orthes gangen, daß billich scheu trage es ferner ungeschickten händen zu untergeben, oder eine abschrift alhier bewercken zu lassen; insgemein wird ein solcher geist eines Scribenten verschlagen [das heißt: erfindungsreich] genug gehalten, wan er nur seine generalia contra und repeto priora p auf dem schnürchen herzubethen weiß, und bekummert sich also wenig umb daz alde lenrecht p. Mein Patron wolle nur jemanden bevollmächtigen, der es sicher überlieffern könne, so solles zu freyer disposition ohnverzüglich abgefolget werden.¹⁰²

Von Eybens Bericht zeugt von einem deutlichen Bewusstsein für die Fehleranfälligkeit des Transkribierens, indem er insbesondere vor dem Erfindungsreichtum eines ungeschulten Abschreibers warnt. Das Abschreiben volkssprachiger Handschriften des Mittelalters zeigt sich an Schilters Beispiel als voraussetzungsreiche Tätigkeit. Eine qualitativ hochwertige Abschrift erforderte gleich eine ganze Reihe an Fähigkeiten, die von paläographischen Grundkenntnissen über ein Verständnis der alt- und mittelhochdeutschen Sprache bis hin zu einem Einblick in den Inhalt einer Handschrift reichten. Um die Qualität seiner Quellenabschriften aus der Ferne sicherzustellen, vertraute Schilter zum einen seiner eigenen Ausbildung, indem er hauptsächlich seine Studenten mit Transkriptionen beauftragte. Zum anderen griff er über zugeschickte Specimina oder Handschriftenbeschreibungen aber auch immer wieder kontrollierend ein. Der Vorgang des Abschreibens darf so also nicht als isolierte Tätigkeit verstanden werden, sondern geschah häufig im Austausch mit anderen Gelehrten oder wie im Fall des Konkordats von Bologna sogar im Kollektiv.

101 Schott an Schilter, Paris 14. Juni 1698 (UB Gießen, Hs 142, fol. 302 – 303). 102 Von Eyben an Schilter, Speyer 15. Januar 1688 (UB Gießen, Hs 140, fol. 224 – 225, 224).

c Bewerten. Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit eines mittelalterlichen Textes belegen?

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c Bewerten. Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit eines mittelalterlichen Textes belegen? Als Johann Schilter 1689 eine Abschrift des Ludwigsliedes von Jean Mabillon, Benediktiner und Autor des einflussreichen Buches De re diplomatica (Paris 1681), erhielt, war er begeistert.¹⁰³ Das Ludwigslied, ein althochdeutsches Preislied, das den Sieg des westfränkischen Königs Ludwigs III. über die Normannen 881 besingt, war bis dahin unbekannt gewesen. Mabillon, war darauf bereits 1672 bei seinen Recherchen in der Bibliothek der Abtei St. Amand in Nordfrankreich gestoßen und sah in Schilter nun offenbar einen würdigen Bearbeiter.¹⁰⁴ Für Schilter bedeutete das Ludwigslied einen ausgezeichneten Quellenfund für sein aktuelles Projekt: Den Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, ein umfangreiches Editionsprojekt, das in zwei Bänden mittelalterliche sakrale und juristische Texte umfassen sollte, die um ein Glossar ergänzt wurden. Aus Schilters Perspektive hatten die deutschsprachigen Texte des Mittelalters bislang nicht die gebührende Aufmerksamkeit bekommen. Seine Edition sollte dies ändern. In den folgenden Jahren arbeitete der Straßburger Gelehrte an einer Edition des Ludwigsliedes. Er übersetzte es ins Lateinische und ergänzte es durch einen historischen Kommentar. Allerdings sah er sich bald mit einem grundlegenden Problem konfrontiert: Er zweifelte an der Genauigkeit seiner Abschrift. Der Stil des ersten Verses schien ihm ungewöhnlich zu sein, der gleiche Name tauchte in verschiedenen Schreibweisen auf und manche Worte wirkten anachronistisch. Schilter nahm daher an, dass einige Textstellen aufgrund von Verständnisproblemen beim Abschreiben freier ausgelegt worden waren.¹⁰⁵ Die Umstände, unter welchen Schilter die Abschrift des Ludwigsliedes erhalten hatte, näherten seine Zweifel weiter: Nachdem Mabillon seine Abschrift am Original vorgenommen hatte, kopierte Christian Wilhelm von Eyben von der Abschrift Mabillons. Schilter schrieb also bereits von der zweiten Kopie ab. Was, wenn einer von ihnen Fehler gemacht

103 Davon zeugt Schilters Brief an Mabillon einige Jahre später: Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 53r – 54v), fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum. 104 Mathias Herweg, Ludwigslied, in: Rolf Bergmann (Hg.), Althochdeutsche und Altsächsische Literatur, Berlin / Boston: De Gruyter 2013, 241 – 252. Ausführlich zur Entdeckung des Ludwigsliedes durch Mabillon und Schilters Erstedition im Speziellen sowie zur Editionsgeschichte im Allgemeinen vgl. Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 49 – 61. 105 Schilter an Mabillon, Straßburg Nonis Martiis [7. März] 1692 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 53r–54v), fälschlicherweise auf den 9. März datiert abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

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5 Techniken. Der (lange) Weg von der Quelle zur Edition

hatte? Oder war möglicherweise die Vorlage korrumpiert?¹⁰⁶ Schilter teilte seine Zweifel daraufhin mit Mabillon, den er in einem Brief vom 7. März 1692 bat, Schilters Edition mit dem Original oder zumindest mit Mabillons eigener Transkription abzugleichen. Außerdem fragte er nach einer materiellen Besonderheit der Vorlage, die ihre Echtheit belegen könne. Der Benediktiner brauchte mehr als ein Jahr, um zu antworten. In seinem Schreiben aus dem Juli 1693 entschuldigte er sich und erklärte, dass ein Erdbeben die Bibliothek der Abtei St. Amand verwüstet habe. Das Manuskript sei daher nicht mehr aufzufinden.¹⁰⁷ Damit stand Schilter vor einem Problem. Wie konnte er die Glaubwürdigkeit der edierten Abschrift gegenüber seiner Leserschaft belegen, wenn er selbst Zweifel hatte? Einerseits erhielt Schilters Edition mit dem Verlust des einzig bekannten Manuskripts eine zusätzliche Relevanz, andererseits stand das Werk unter einem besonderen Druck, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des edierten Textes zu zerstreuen. Schilter wählte hierzu eine doppelte Strategie. So legte er zwar die Zweifel an der Echtheit des verlorenen Manuskripts offen, indem er den Briefwechsel mit Mabillon vor dem Vorwort seiner Ausgabe abdruckte. Zusätzlich kontextualisierte er das Manuskript aber in einem umfassenden Kommentar, der historisch für dessen allgemeine Glaubwürdigkeit argumentierte. Das Beispiel des Ludwigsliedes illustriert gleich eine Reihe von Problemen, mit denen sich Schilter als Editor mittelalterlicher Texte auseinandersetzen musste: Erstens erforderte die häufig unsichere Überlieferung eine Einschätzung der Authentizität eines Manuskriptes. Während Schilter manche Texte wie das Ludwigslied nur in unikaler Überlieferung vorlagen, standen ihm bei anderen Editionen mehrere Textzeugen zur Verfügung, die bewertet und in Beziehung zueinander gebracht werden mussten, um einen Arbeitstext für ihre Edition zu erstellen. Zweitens galt es hierbei zwischen Fehlern, die dem Manuskript eigen waren, und solchen, die beim Abschreiben entstanden waren, zu differenzieren. Drittens bedurfte die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Manuskripts auch dessen historischer Einordnung im Kommentar. Eine Untersuchung von Schilters editorischer Arbeitsweise soll den Gelehrten zunächst in die methodischen Debatten seiner Zeit einordnen. Dabei soll insbesondere auf den in der Forschung immer wieder angeführten Widerspruch zwi-

106 Da das verlorene Manuskript 1837 wiederentdeckt wurde, lässt sich mittlerweile nachvollziehen, dass Schilter die Qualität seiner Abschrift durchaus zu Recht in Frage stellte. Das Manuskript befindet sich in der Stadtbibliothek von Valenciennes. Bibliothèque Municipale de Valenciennes, Cod. 150, fol. 141v–143r. 107 Als Beleg schickte Mabillon einen Brief des zuständigen Bibliothekars mit, den Schilter vor der Edition abdruckte. Vgl. D.R. de Los an Jean Mabillon, Tournay 9. März 1693, abgedruckt in: Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum.

c Bewerten. Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit eines mittelalterlichen Textes belegen?

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schen hohen editorischen Ansprüchen und deren mangelhafter praktischer Umsetzung eingegangen werden.¹⁰⁸ Vor diesem Hintergrund werden anhand eines bislang kaum beachteten Quellenfundes Schilters Kriterien bei der Bewertung und Kollation verschiedener Textzeugen beleuchtet, um aufzuzeigen, inwiefern sich die methodischen Debatten um 1700 in der editorischen Praxis nachweisen lassen. Die Kritik, die Schilter in seiner Edition des Sächsischen Lehnsrechts an der letzten Edition von Christoph Zobel (Leipzig 1589) äußerte,¹⁰⁹ ist für die Beschäftigung mit seiner philologischen Methode sehr aufschlussreich: Cum perpetuo in hoc opere Jus Feudale Alemannicum cum Saxonico contulerim, Jus autem Saxonicum ab ultimo editore Lipsiensi, Jo. Zobelio,¹¹⁰ minus ad veteres codices, prout debebat, collatum & emendatum, etsi novum & veterem aliquem textum ediderit, ibique facillimum fuisset codices MSS in Bibliotheca Academica plures extantes, sed & eos, qui in Archivo Electorali inveniuntur, conferre, & textum in integrum restituere: igitur operae pretium arbitratus, ex optimo codice laudatae bibliothecae vetustius exemplar Juri nostro Alemanico adjicere.¹¹¹

108 So fällt etwa Alfred Schröcker über die Qualität von Leibniz’ Editionen nur ein begrenzt positives Urteil: „Leibniz’ Editionstätigkeit zielte auf zuverlässige Quellenausgaben, die man annähernd kritisch nennen könnte. Aber seine Ausgaben blieben hinter dem gesteckten Ziel zurück.“ Die Unzulänglichkeiten der Editionen führt Schröcker darauf zurück, dass die „Fülle des Stoffes, die umfassende Ambition und die geforderte Genauigkeit […] einander nicht verträglich“ waren. Schröcker, Leibniz als Herausgeber historischer Quellen, 140 – 141. Vgl. a. Eckert, Scriptores Rerum Brunsvicensium. Nora Gädeke verweist unter Berufung auf Andreas Kraus dagegen berechtigterweise auf die „editorische Wirklichkeit“ der Frühen Neuzeit: „die Edition nach Abschriften, ohne eigene Kollation ist durchaus üblich, philologische Exaktheit ist, bei allem Bekenntnis dazu, nachrangig.“ Gädeke, Die Werkstatt des Historikers Leibniz, 22 f. Vgl. a. Kraus, Vernunft und Geschichte, 118 – 135. 109 Christoph Zobel, Sächsisch Lehenrecht vnndt Weichbilt, Auffs new vbersehen / mit Summariis, schönen newen Additionibus vnd Concordantien, Leipzig: Steinmann 1589. 110 Schilter verwechselt hier offenbar Christoph Zobel (1499 – 1560), den Autor der Edition, mit seinem Sohn Johann. 111 ‚Weil ich in diesem Werk das alemannische Feudalrecht mit dem Sächsischen verglichen habe, das sächsische Recht aber vom letzten Herausgeber in Leipzig, Jo[hann] Zobel, weniger auf die alten Codices, so wie es müsste, abgeglichen und verbessert worden ist, auch wenn er irgendeinen neuen und alten Text herausgegeben hat, und es dort sehr leicht wäre, die in der Universitätsbibliothek vorhandenen handschriftlichen Codices, aber auch diese, die im kurfürstlichen Archiv gefunden wurden, zu vergleichen, und den Text in den unversehrten Zustand wiederherzustellen: also wurde es der Mühe wert erachtet, aus dem besten Codex der gelobten Bibliothek die ältere Version des Rechts unserem Alemannischen anzufügen.‘ (Übers. d. Verf.) Schilter, Jus Feudale Saxonicum ab Epkowe de Repkaw.

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Es war zwar ein gängiger Topos, die Bedeutung der eigenen Edition kritisch von früheren abzugrenzen, worin sich auch ökonomische Interessen widerspiegeln.¹¹² Darüber hinaus verrät Schilters Begründung aber einiges über seine eigenen methodischen Ansprüche, die er entsprechend ebenfalls bei seiner Leserschaft erwartete. Maßgeblich war für Schilter bei der Anfertigung einer Edition demnach zunächst der sorgfältige Abgleich mit anderen Codices, um so einen verbesserten Text wiederherzustellen („textum in integrum restituere“). An Zobels Edition störte Schilter aber nicht nur dessen mangelnde Sorgfalt und seine Unfähigkeit, die aus seiner Sicht ausgezeichnete Überlieferungssituation in Leipzig für seine Edition zu nutzen, sondern auch die Anpassung der Sprache für den zeitgenössischen Leser. Von Zobel zu Schilter lässt sich somit eine Entwicklung von einer stärker auf Zugänglichkeit und Verständlichkeit ausgerichteten Arbeit mit den deutschen Rechtsquellen hin zu einem größeren Respekt für die sprachliche Verfasstheit der Quelle ausmachen.¹¹³ Mit seiner Wertschätzung für den sprachlichen Zustand der Quelle lässt sich Schilter in eine längere Entwicklung einordnen, mit der sich ab 1600 eine neue Perspektive auf den mittelalterlichen Manuskriptbestand herausbildete. Diese ging von einem Bruch zwischen der Entstehungszeit der Texte und der jeweiligen Gegenwart aus und hob sich von bisherigen traditionsgebundenen Rezeptionsformen ab.¹¹⁴ Dieser Prozess verlief allerdings nicht eindimensional, sondern je nach Genre unterschiedlich. Ansätze einer solchen von Kontingenz geprägten Wahrnehmung des Mittelalters lassen sich bereits bei Johannes Trithemius (1462 – 1516) ausmachen, der Otfrids Evangelienbuch explizit einer anderen als seiner eigenen Zeit zugehörig ansah.¹¹⁵ Erst bei einer Gruppe von Gelehrten um die Jesuiten Jean Roberti (1569 – 1651) und Heribert Rosweyde (1569 – 1629) lässt sich jedoch ein neuer Respekt für den überlieferten Text belegen, der in möglichst unveränderten Editionen dokumentiert werden sollte.¹¹⁶ Diese philologische Exaktheit war allerdings kein Selbstzweck, sondern sollte einen methodisch unangreifbaren Text herstellen, der als Grundlage in konfessionellen Auseinandersetzungen mit den Protestanten dienen konnte.¹¹⁷ Erst solch ein distanzierter und dokumentierender Blick auf das

112 Jan Bloemendal / Henk J. M. Nellen, Philology: Editions and Editorial Practices in the Early Modern Period, in: Brill’s Encyclopaedia of the Neo-Latin World Online, URL: http://dx.doi.org/10. 1163/9789004271296_enlo_B9789004271012_0016 [18.7. 2023]. 113 Ingo Warnke, Umbrüche in Recht und Sprache der Frühen Neuzeit, in: Ulrike Haß-Zumkehr (Hg.), Sprache und Recht, Berlin / New York: De Gruyter 2002, 255 – 265, 260 f. 114 Vgl. Kipf, Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption?. 115 Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 3 – 6. 116 Ferrari, Mutare non lubuit, 241. Vgl. a. Sawilla, Vom Ding zum Denkmal. 117 Ferrari, Mutare non lubuit, 247. Vgl. a. die Einleitung in Kap. 6.

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Mittelalter, wie er sich auch in Schilters Editionen zeigt, ermöglichte „Beobachterpositionen, die ein neues, quellengestütztes Bild vom Mittelalter ‚erfinden‘ können.“¹¹⁸ In Schilters Fall lässt sich das besonders anschaulich anhand seiner Edition der volkssprachlichen Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen illustrieren, die seit ihrer Entstehung um 1400 vor allem im elsässischen Raum wie viele Stadtchroniken vielfach fortgeschrieben wurde.¹¹⁹ So wurde die Chronik zwar bereits vor Schilter mehrfach gedruckt – in Augsburg erschienen insgesamt fünf Drucke durch Johann Bämler (1425/1430 – 1503), die auf Twingers Chronik basierten – allerdings lassen sie sich aufgrund der Bearbeitung des Textes und der nur ausschnittweisen Veröffentlichung stärker einer traditionsgebundenen Rezeption zuordnen.¹²⁰ Schilter räumte hingegen in der Vorrede seiner Edition der Straßburger Chronik zwar ein, dass eine angepasste und modernisierte Sprache der Lesbarkeit zuträglich sei, da dies allerdings „von den Gelehrten nicht für gut gesprochen“ wurde, habe er davon abgesehen.¹²¹ Obgleich sich die Chronik in der Sprache und der Methodik nicht mehr auf der Höhe der Zeit befand, schätzte der Gelehrte sie weiterhin als eine wichtige Quelle zur Geschichte Straßburgs und des Elsass.¹²² Zugleich bedeutete die Chronik für ihn aber weit mehr als das. In der alten Sprache, die Schilter bewusst beibehalten hatte, sah der Gelehrte beispielsweise einen Nut-

118 Kössinger, Philologie in der Frühen Neuzeit, 49. 119 Vgl. Schmidt, Historiographie und persönliche Aneignung von Geschichte; Serif, Geschichte aus der Stadt; Norbert Warken, Mittelalterliche Geschichtsschreibung in Strassburg. Studien zu ihrer Funktion und Rezeption bis zur frühen Neuzeit, Saarbrücken: Universität des Saarlandes 1995. Umfassend zu Schilters Edition vgl. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung. 120 Serif, Geschichte aus der Stadt, 81 – 88. 121 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, § XX. Die Passage verdeutlicht Schilters Bewusstsein dafür, dass er sich gerade bei einer Publikation wie der Straßburger Chronik, die sich vor allem an eine bürgerliche Leserschaft richtete, auf einem schmalen Grat zwischen methodischen Ansprüchen und Lesbarkeit bewegte. Das zeigt sich insbesondere daran, dass er sich in einem anderen Fall für das Gegenteil entschied. Als er 1691 mit Hilfe von Philipp Jakob Spener eine Schrift des Straßburger Reformators Martin Bucer aus dem Straßburger Archiv anonym herausgab, erreichte diese in der ersten sprachlich unveränderten Auflage offenbar nur eine kleine Leserschaft, was Schilter auch auf die ungewohnte Sprache zurückführte. Als Schlussfolgerung brachte Schilter eine zweite dieses Mal sprachlich angepasste Auflage heraus. Vgl. a. Kap. 6b. 122 „Ob nun wol seithero in den drey hundert Jahren / nachdem diese Chronicke geschrieben / das edle studium historicum durch viel herrliche ingenia weit mehr und beständiger außgearbeitet worden ist / So hat doch diese Chronick wegen ihres Autors und der Materie insonderheit Straßburg / Elsaß und benachbarte Lande betreffendt / bald anfangs einen grossen applausum erlanget“. Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, § XVIII.

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zen zur Erklärung ungebräuchlicher Begriffe, etwa bei der Erläuterung alter Urkunden im Kontext von Gerichtsverhandlungen.¹²³ Für eine systematische Durchsicht der Chronik in diesem Sinne sprechen die vielen Belegstellen, die Schilter in seinem Glossarium aufnahm. Dabei ging es ihm keineswegs nur darum, die Ansprüche eines gelehrten gegenüber einem ungelehrten Publikum zu bedienen. Textliche Genauigkeit war für Schilter ebenso wie bei Roberti vielmehr essenzielle Grundlage für übergeordnete Argumentationen. Das gilt in besonderem Maße für die einheimischen Rechtsquellen, für deren Anwendung vor Gericht sich Schilter einsetzte.¹²⁴ So diente der Abdruck des Sächsischen Lehnsrechts im Anhang seiner Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels nicht zuletzt dem Abgleich beider Texte, um Schilters These einer älteren Einschätzung und damit Vorrangstellung des Letzteren gegenüber dem Ersteren zu stützen.¹²⁵ Während die Erkenntnis um die Bedeutung des handschriftlichen Befundes, die hier bei Schilter anklingt, im Grunde nicht neu war, scheiterte die praktische Umsetzung, das heißt eine umfassende Berücksichtigung der bekannten überlieferten Textzeugen, nicht zuletzt am eingeschränkten Zugang zu einer breiteren Überlieferung.¹²⁶ Um einen verlässlichen und verbesserten Editionstext zu erstellen, wandten humanistische Editoren im Umgang mit abweichenden oder mutmaßlich korrumpierten Lesarten im Allgemeinen daher zwei Techniken an: Einerseits die emendatio ope ingenii, das heißt, die Korrektur auf Grundlage einer persönlichen Einschätzung, die im intensiven Studium des jeweiligen Editors begründet lag; andererseits die emendatio ope codicum, womit die Verbesserung einer früheren Edition anhand anderer Textzeugen gemeint war.¹²⁷ Beide Techniken brachten allerdings Probleme mit sich. Vor der Beliebigkeit, die insbesondere eine exzessive Anwendung der ersten Methode bedeuten würde, wurde von Philologen wie etwa Isaac Casaubon (1559 – 1614) wiederholt gewarnt. Dass sie dennoch integraler Bestandteil der humanistischen Textkritik und darüber hinaus war, lag nicht zuletzt daran, dass die Textverbesserung per Handschriftenvergleich etwa in Fällen

123 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede, §§ XVIII – XIX. 124 Vgl. Kap. 6c. 125 Vgl. Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, §§ XVI – XVII. Der sogenannte Prioritätsstreit um das Verhältnis von Sachsenspiegel und Schwabenspiegel klärte sich endgültig erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung des Deutschenspiegels. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abtheilung, Erster Halbband, Noten, 34 – 35. Ausführlich dazu in Kap. 6c. 126 Vgl. Kenney, The classical text, 75 – 104. Ausführlich hierzu s. Kap. 5a. 127 Kenney, The classical text, 25 – 27. Vgl. a. Anthony Grafton, Philologists Wave Divining Rods, in: Ders. (Hg.), Inky fingers. The making of books in early modern Europe, Cambridge, Mass. / London: Harvard University Press 2020, 56 – 77.

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singulärer oder verderbter Überlieferung schlichtweg nicht durchführbar war. Zugleich war auch die emendatio ope codici mit Schwierigkeiten verbunden, da selbst die besten Handschriften fehlerhaft seien, wie etwa Caspar Schoppe anmerkte.¹²⁸ Zwar setzte im Verlauf des 17. Jahrhunderts langsam eine systematischere Recherche der Textzeugen und Berücksichtigung der verschiedenen Lesarten ein.¹²⁹ Das bedeutete jedoch nicht, dass eine textkritische Methode von der anderen abgelöst wurde. Das Edieren handschriftlicher Codices bildete daher auch um 1700 ein Wissensfeld, das von Methodenvielfalt geprägt war. Das gilt umso mehr angesichts einflussreicher zeitgenössischer Debatten, die sich aus juristischer und historischer Perspektive mit der Bewertung mittelalterlicher Urkunden beschäftigten. Jean Mabillon hatte mit seinem 1681 herausgegebenen Werk De Re Diplomatica eine Methodik zur Beurteilung der Echtheit mittelalterlicher Urkunden anhand von materiellen Kriterien erarbeitet. Damit reagierte er auf ein Traktat des Jesuiten Daniel Papebroch (1628 – 1714), der als Teil einer Gruppe an einer umfassenden historisch-kritischen Überarbeitung von Heiligenviten arbeitete: Den Acta Sanctorum. Im Gegensatz zu Papebroch, der die Echtheit der meisten mittelalterlichen Urkunden in Frage gestellt hatte, unterstützte Mabillon eine gemäßigtere Position. Anhand einer Vielzahl von Urkunden diskutierte er systematisch deren materielle Aspekte wie Handschrift, Tinte, Beschreibmaterial oder Siegel. Mit der innovativen Aufmachung des Buches, das Faksimiles von Urkunden oder Muster von Handschriften umfasste, stieß Mabillon in Gelehrtenkreisen auf ein reges Interesse und trug zur Etablierung einer einheitlichen Methodik bei der Bewertung mittelalterlicher Urkunden bei.¹³⁰ Obwohl zeitgenössische Gelehrte wie Leibniz die Übertragung der Erkenntnisse aus der Diplomatik auch auf die Bewertung handschriftlicher Codices forderten, ist in der Forschung diesbezüglich lange von einer zurückhaltenden Rezeption ausgegangen worden.¹³¹ Kenney führte dies beispielsweise auf einen seit dem 15. Jahrhundert andauernden „lack of contact between strict textual philology and historical studies“ zurück.¹³² Von einer fehlenden Rezeption von Mabillons Diplomatik kann bei Schilter allerdings kaum gesprochen werden. Der Gelehrte beschäftigte sich selbst intensiv mit den zeitgenössischen Debatten zur Authentizität histori-

128 Vanek, „Ars corrigendi“ in der frühen Neuzeit, 293 – 298. 129 Ferrari, Mutare non lubuit, 230 f. 130 Grafton, Jean Mabillon invents Paleography; Mark Mersiowsky, „Ausweitung der Diskurszone“ um 1700. Der Angriff des Barthélémy Germon auf die Diplomatik Jean Mabillons, in: Thomas Wallnig [u. a.] (Hg.), Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 447– 484. 131 Gädeke, Die Werkstatt des Historikers Leibniz, 22. 132 Kenney, The classical text, 46.

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scher Dokumente.Von seiner Auseinandersetzung mit Mabillons De Re Diplomatica, das er offenbar erst 1697 von ihm persönlich erwarb,¹³³ zeugen zahlreiche Verweise in seinen Werken.¹³⁴ Zur Vorbereitung der zweiten Auflage des Werkes bat Mabillon ihn persönlich nicht nur um seine kritische Rückmeldung, sondern auch um Material, das sein Argument stützen könne.¹³⁵ Der Umstand, dass Schilter häufig nur Abschriften der Textzeugen vorlagen, dürfte die Anwendung der von Mabillon entwickelten Kriterien allerdings erschwert haben. Wenngleich Schilter, wie in Kapitel 5b ausgeführt, seine Schüler anhielt, sich beim Abschreiben eng an die Vorlage zu halten, waren die ihm vorliegenden Abschriften weit von den Faksimiles entfernt, die etwa Mabillon in seinem Werk lieferte. Das war beim Umfang der edierten Texte oder aber im Fall von Abschriften, die wiederum auf einer Abschrift basierten, entweder kaum umsetzbar oder wenig sinnvoll. Bei der Edition von Handschriften, die Schilter persönlich einsehen konnte, zeigt sich jedoch, dass der Gelehrte auch materielle Kriterien im Sinne von Mabillons Diplomatik stärker zur Einordnung der Textzeugen heranzog. Ein besonders illustratives Beispiel hierfür ist Schilters Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, eine Edition der Straßburger Stadtrechte, die aufgrund ihrer Verbreitung in handschriftlicher Form bislang in der Forschung kaum Beachtung fand.¹³⁶ In dem Werk lieferte Schilter auf knapp 1.000 Seiten und unterteilt in drei Bücher eine chronologisch geordnete Sammlung der wichtigsten Rechtstexte der Stadt Straßburg beginnend mit den ersten Aufzeichnungen des Straßburger Stadtrechts bis zum zeitgenössischen Rechtszustand.¹³⁷ Das erste Buch enthielt dementsprechend das erste Stadtrecht, dessen Entstehung auf den Zeitraum zwischen 1129 und dem Ende des 12. Jahrhunderts datiert wird, sowohl in mittelhochdeutscher als auch in lateinischer Sprache.¹³⁸ Schilter hielt den mittelhochdeutschen Text für älter und

133 Von dem Kauf zeugt eine von Schilter angefragte Preisliste der Bücher Mabillons. Vgl. Stadtarchiv Ulm, V 393, fol. 11r–12v. 134 Z. B. in Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke. 135 Mabillon an Schilter, Paris V. Kal Julii [27. Juni] 1701 (Briefkopie) (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 8). Der spätere handschriftliche Vermerk, es handele sich hierbei um einen der Briefe, die vor der Edition des Ludwigliedes im zweiten Band des Thesaurus abgedruckt wurden, ist falsch! 136 Die letzte ausführliche Behandlung findet sich bei Aloys Schulte, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 4, 2: Stadtrechte und Aufzeichnungen über bischöflich-städtische und bischöfliche Ämter, Straßburg: Trübner 1888 (Urkunden und Akten der Stadt Straßburg 1), v. a. 47– 56. 137 Vgl. Diether Haacke, Die Romplersche Handschrift des Straßburger Stadtrechts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 109 (1961), 21 – 87, 22, Anm. 8. 138 Der Titel des ersten Buchs lautet: „Leges continent, quae a fundatione Civitatis Argentoratensis obtinuerunt, et tam Latino quam Germanico Idiomate ex Codd. Mss expressae sunt, et extensae usque seculum XIII“.

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ursprünglicher (authentischer), die lateinische Version dagegen für eine spätere Übersetzung.¹³⁹ Das zweite Buch umfasste das Straßburger Stadtrecht in den Fassungen IV und V, die zwischen 1270 und 1322 entstanden.¹⁴⁰ Erst 1322 entschied sich der Straßburger Stadtrat für eine umfassende Kodifikation der Rechtsstatuten, die Schilter zusammen mit späteren Änderungen und Erweiterungen im dritten Buch wiedergab.¹⁴¹ In der Regel erläuterte Schilter sein editorisches Vorgehen in den Vorreden seiner Editionen nur sehr knapp, wie es durchaus auch bei anderen Philologen seiner Zeit etwa bei Nicolaus Heinsius (1620 – 1681) üblich war,¹⁴² sodass diese zusätzlich aus der angewandten Praxis rekonstruiert werden muss. Lagen Schilter wie in dem Fall mehrere Textzeugen vor, begann er zunächst damit, das beste Exemplar auszusuchen. Maßgeblich war für ihn dabei die Authentizität („authentia“) des jeweiligen Textzeugen.¹⁴³ Der Begriff, dessen Verwendung sich bis auf das Abschreiben römischer Liturgie- und Rechtsbücher unter den Karolingern zurückverfolgen lässt,¹⁴⁴ bezog sich vor allem auf das Alter und die Vollständigkeit der Handschriften, konnte sich aber ebenso auf die sichere Autorschaft eines Textes beziehen.¹⁴⁵ Die Kriterien, die Schilter hierfür heranzog, konnten sich je nach

139 Über das Verhältnis der unterschiedlichen Überlieferungen des ersten Straßburger Stadtrechts entstand um 1900 eine intensive Debatte, in der Schilters These schließlich revidiert wurde. Ausführlich dazu vgl. Haacke, Die Romplersche Handschrift des Straßburger Stadtrechts. Zum Entstehungskontext des ersten Straßburger Stadtrechts vgl. Yūko Egawa, Stadtherrschaft und Gemeinde in Straßburg vom Beginn des 13. Jahrhunderts bis zum Schwarzen Tod (1349), Trier: Kliomedia-Verlag 2007 (Trierer historische Forschungen 62), 41 – 51; Wilhelm Wiegand, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 1: Urkunden und Stadtrechte bis zum Jahre 1266, Straßburg: Trübner 1879 (Urkunden und Akten der Stadt Straßburg 1, 1), 467– 476. 140 Vgl. Schulte, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 4, 2: Stadtrechte und Aufzeichnungen über bischöflich-städtische und bischöfliche Ämter, zu Stadtrrecht IV: 3 – 14 und zu Stadtrecht V: 15 – 46. Der Titel des zweiten Buchs lautet: „Comprehendit Leges et Statuta a tempore Henrici Episcopi de Stahleck usque ad reformationem Juris hujus Anno MCCCXXII“. 141 Vgl. Schulte, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 4, 2: Stadtrechte und Aufzeichnungen über bischöflich-städtische und bischöfliche Ämter, 47– 186. Der Titel des dritten Buchs lautet: „Exhibet sequentem Legumlationem de anno MCCCXXII. Usque in seculum XV. sed juxta seriem Materiarum et Titulorum cum Concordantiis Legum Anteriorum“. 142 Zu Heinsius vgl. Kenney, The classical text, 57– 59. 143 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, § XIX. 144 Die Formulierung „ex authentico libro“ bürgte in dem Kontext etwa für eine in Übereinstimmung mit der Urhandschrift vorgenommene Abschrift. Felix Heinzer, „Ex authentico scriptus“. Zur liturgiehistorischen Stellung des karolingischen Sakramentars Cod. Donaueschingen 191 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, in: Ders. (Hg.), Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten, Leiden / Boston: Brill 2008, 32 – 63, 40 f. 145 Bloemendal / Nellen, Philology: Editions and Editorial Practices in the Early Modern Period. Zu Dietrich von Stades Bezeichnung der Wiener Otfrid-Handschrift als „Codex authenticus“ vgl.

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Überlieferungssituation und Inhalt einer Handschrift unterscheiden. So begründete Schilter in der Edition der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen, die schlichtweg in zu vielen Abschriften und Fortschreibungen existierte, seine Auswahl neben dem Alter vornehmlich durch den Aufbewahrungsort innerhalb der Stadt und die Provenienz im Kontext der städtischen Elite.¹⁴⁶ Insbesondere Archiven wurde als Aufbewahrungsort von Urkunden und Akten um 1700 – wenngleich nicht unumstritten – eine besondere Authentifizierungsfunktion zugeordnet.¹⁴⁷ Bei Schilter klingt damit auch die zeitgenössische Debatte um das sogenannte Ius Archivi an, in deren Mittelpunkt die Frage stand, wer zur Unterhaltung eines Archivs berechtigt sei und welche Konsequenzen der Aufbewahrungsort auf die verwahrten Dokumente hatte. Schilter sprach sich in dem Zusammenhang für eine sehr weite Auslegung des Ius Archivi aus. Das bedeutete, er sprach auch Urkundenkopien eine Authentizität zu, sofern sie im richtigen Archiv aufbewahrt wurden und sich ihr Alter bestätigen lasse.¹⁴⁸ In Hinblick auf handschriftliche Codices scheint der Aufbewahrungsort jedoch deutlich weniger relevant gewesen zu sein. Demgegenüber spielten die materiellen Besonderheiten der verwendeten Manuskripte etwa im Fall von Schilters Edition der Straßburger Stadtrechte eine größere Rolle. Schilter räumte der Erläuterung seiner editorischen Vorgehensweise auch sehr viel mehr Platz als gewöhnlich ein. Mehr als 17 Seiten seiner Vorrede widmete der Gelehrte einer genauen Beschreibung der überlieferten Codices. Als Begründung führte er an: „Ut vero Authentiam harum Legum eo luculentius demonstremus, operae pretium est, ante omnia eos Codices describere, ex quibus haec bona fide hausta ac transcripta fuerunt.“¹⁴⁹ Diese Ausführlichkeit mag nicht zuletzt an dem politisch relevanten Gegenstand gelegen haben. Im Kontext stadtpolitischer Konflikte mit der französischen Obrigkeit seit der Eroberung Straßburgs 1681 spielten die Stadtrechte, die in der Kapitulationsschrift durch den französischen

Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 174. Vgl. a. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 209. Das Verständnis von ‚Authentizität‘ und die Auslegung des Begriffs unterlagen allgemein einer historischen Entwicklung von theologisch-kirchlichen zu sprachlichkulturellen Maßstäben. Vgl. Jaumann, Critica, 126 – 137. 146 Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 209. 147 Friedrich, Die Geburt des Archivs, 234 – 238. 148 Randolph C. Head, Documents, archives, and proof around 1700, in: The Historical Journal 56 (2013), Nr. 4, 909 – 930, 920. Ausführlich zu Schilters strikter Auslegung des Ius Archivi s. Schilter, Institutionum Juris Publici Romano-Germanici Tomi Duo, Tom. I, lib. IV, tit.VI.: De Archivo Imperii et Statuum, 367– 371. Vgl. a. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 210 f. 149 ‚Doch damit wir die Authentizität jener Rechte umso klarer beweisen, ist es die Mühe wert, vor allem diese Codices zu beschreiben, aus denen diese (Rechte) in gutem Glauben ersehen und transkribiert wurden.‘ (Übers. d. Verf.) Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § XI, 24.

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König mit Einschränkungen bestätigt worden waren, häufig eine zentrale Rolle.¹⁵⁰ Schilters Rechtssammlung, die er vor diesem Hintergrund vermutlich als Auftragsarbeit verfasste, stand daher unter einem besonderen Druck, die Glaubwürdigkeit der enthaltenen Rechte zu belegen. Das schlägt sich auch in Schilters methodischen Ausführungen nieder. Jedem der Codices widmete Schilter in der Vorrede eine längere Beschreibung, wobei er unter anderem auf Beschreibstoff, Unterscheidung und (ungefähre) Datierung der Hände, Ausführung, das heißt Reinschrift, Zusätze oder Durchstreichungen, Format und Inhalt eingeht. Die Arbeit gründet auf der Durchsicht von insgesamt 17 Codices aus dem Straßburger Stadtarchiv.¹⁵¹ Darunter waren 12 Codices, die je mit einem Buchstaben von A fortlaufend bezeichnet waren. Von den eigentlich 14 Exemplaren waren zwei (Codex B und C) Schilter zufolge einem Brand zum Opfer gefallen. Zusätzlich führt Schilter noch eine Pergamenthandschrift (Codex R) an, die der Barockdichter Jesaias Rompler von Löwenhalt (1605 – 1672) 1660 der Stadt geschenkt hatte, eine Papierhandschrift in Folio minori (Codex Maj.), eine Pergamenthandschrift in Form einer Urkunde („Charta Pergamena in forma patente“ = HS O), eine Papierhandschrift von jüngerer Hand mit Verbrennungsspuren, die in Annalenform die Veränderungen der Straßburger Stadtverfassung von 1332 bis 1499 enthielt, und eine Pergamenthandschrift, die mit späterer Hand als „das Heimliche Buch“ bezeichnet wurde.¹⁵² Bei der Einschätzung der Authentizität der Codices spielten ihre materiellen Spezifika eine wichtige Rolle. Das begann beim Beschreibstoff, der bei Schilter als erster Faktor bei der Einordnung der Überlieferung auftaucht. Schilters allgemeine Einschätzung: „Sunt porro alii et vetustiores pergameni, recentiores chartacei“, zeigt sich insgesamt in der Auswahl der berücksichtigten Codices.¹⁵³ Bei einer Verteilung von 8 Handschriften auf Pergament (A, D, E, F, G, R, „das Heimliche Buch“, Charta Pergamena in forma patente), 8 auf Papier (H, Ia, Ib, L, M, N, Maj., Codex mit Verbrennungsspuren) und einer weiteren ohne Angabe (Codex K) ließ Schilter die Papierhandschriften zwar nicht vollständig außer Acht. Während er aber alle 150 Vgl. Kapitel 6a. Mittelalterforschung im Dienst der Stadt? Schilters Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis in den Konflikten zwischen Straßburger Stadtrat und französischer Krone nach der Kapitulation 1681. 151 Für eine (allerdings unvollständige) Übersicht über die von Schilter verwendeten Codices vgl. Schulte, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 4, 2: Stadtrechte und Aufzeichnungen über bischöflich-städtische und bischöfliche Ämter, 16 f. Zu den Bezeichnungen der Codices in der Forschung vgl. Ebd., 3. 152 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, §§ XVI – XVII, 38 – 41. Ausführlich zum „Codex R“ vgl. Haacke, Die Romplersche Handschrift des Straßburger Stadtrechts, hier: 25. 153 ‚Weiterhin sind die einen und älteren aus Pergament, die jüngeren aus Papier.‘ (Übers. d.Verf.). Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § XI, 24.

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Pergamentcodices für seine Edition heranzog, fanden nur vier von den Papierhandschriften (H, Ia, Ib, Maj) Berücksichtigung. Die Schrift der Manuskripte erwähnt Schilter dagegen nur, wenn entweder verschiedene Hände in einer Handschrift auftauchen, die in ein zeitliches Verhältnis gebracht werden müssen, oder bei der Kollation verschiedener Textzeugen. Zwar beschreibt Schilter die Schrift der Manuskripte nicht im Detail, es wird aber deutlich, dass er aufgrund der Schriften eine recht präzise Datierung vornahm, wenngleich sich seine zugrundeliegenden Kriterien nicht im Einzelnen nachvollziehen lassen. So lag ihm die erste vollständige Kodifikation des Straßburger Stadtrechts von 1322, das den Haupteil des dritten Buches ausmachen sollte, etwa gleich in drei Ausführungen vor: Den Codices D, E und F. Um diese in ein zeitliches Verhältnis zu bringen, verwies Schilter auf die Schrift: Im Codex F hatte er beispielsweise zwei zeitlich verschiedene Hände ausgemacht. Alles, was von der ersten Hand geschrieben oder beglaubigt wurde, sei ohne Zweifel älter als die Schrift des Codex E. Die Passagen, welche von jüngerer Hand angefügt wurde, seien dagegen deutlich jünger als Codex E. Auch im Codex D identifizierte Schilter eine jüngere Hand, wodurch er die Handschrift im Vergleich zu E als neuer einstufte.¹⁵⁴ Den endgültigen Vorrang von E belegte Schilter aber anhand einer anderen Beobachtung über den materiellen Zustand des Manuskriptes, die vermutlich als eine Besonderheit bei der Bewertung juristischer Handschriften einzuordnen ist:¹⁵⁵ „Nihil in illo cancellatum, sed omnia eleganti literâ descripta, et usu fori satis trita apparent.“¹⁵⁶ Neben der Reinschrift schloss Schilter vor allem an den Gebrauchsspuren auf den regen Gebrauch der Handschrift in der städtischen Rechtspraxis. Die Autorität der Handschrift als echtes Gerichtsbuch („genuinus liber Iudicialis“) sah der Gelehrte zusätzlich bekräftigt durch den abschließenden Vermerk: „Diese vorgeschriben Recht und Sazunge hant Meister und Rat gesworen zu haltende und zu richtende. […] Actum feria tertia ante Martini Episcopi Anno Domini MCCC. Vicesimo secundo.“¹⁵⁷ Die materiellen Besonderheiten einer Handschrift nutzte

154 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, §§ XII – XIII, 27– 29. 155 Im Urkundenbuch der Stadt Straßburg widerspricht Schulte dieser Einschätzung Schilters auf Grundlage von Hegel. Während Schilter anhand der Bearbeitungsspuren D und F als überarbeitete Versionen von E ausmachte, sah Schulte zumindest in D eine ältere Vorstufe zu E. Insbesondere die Gebrauchsspuren von E belegten, „daß E noch benutzt wurde, als D bereits in Abgang gekommen war. Es ist aber nicht anzunehmen, daß man den jüngern Codex beseitigte und den ältern in Gebrauch behielt.“ Schulte, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 4, 2: Stadtrechte und Aufzeichnungen über bischöflich-städtische und bischöfliche Ämter, 48. 156 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § XII, 28. 157 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § XII, 28.

c Bewerten. Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit eines mittelalterlichen Textes belegen?

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Schilter also in vielfältiger Hinsicht, um diese historisch einzuordnen und so Aussagen über ihre Authentizität zu treffen. Bei Schilters philologischer Vorgehensweise lässt sich abschließend ein Zusammenhang mit den unterschiedlichen Herausforderungen beobachten, die sich einerseits aus der allgemeinen Überlieferung eines Textes und andererseits aus seinen persönlichen Möglichkeiten und Grenzen der Beschaffung bestimmter Textzeugen ergeben. Während Schilter etwa im Fall der Straßburger Chronik von Jakob Twinger auf eine so große Anzahl an Textzeugen zurückgreifen konnte, dass er nur eine sorgfältige Auswahl in der Edition berücksichtigte, lagen ihm in anderen Fällen nur eine einzelne Handschrift oder wie bei Otfrids Evangelienbuch frühere Drucke und spätere Emendationen vor. Die beste Version eines Textes konnte zuweilen daher wie bei Otfrid auch nur den besten erreichbaren Text bedeuten, den er im Druck von Flacius ausmachte. Wie wir bereits gesehen haben, bemühte er sich allerdings weiterhin um ihm bekannte Textzeugen wie den Wiener Codex, den er zu Lebzeiten jedoch nur in Teilabschriften erhielt. Dass die postumen Herausgeber des Thesaurus an Schilters Otfrid-Edition festhielten, verdeutlicht allerdings auch, dass die editorischen Entscheidungen bisweilen weniger durch gelehrte Interessen, sondern durch pragmatische Erwägungen bezüglich des Buchmarktes beziehungsweise der Gesamtkonzeption eines Werkes geprägt waren.

6 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit Die Berufung auf mittelalterliche volkssprachige Texte als Ressource in zeitgenössischen Deutungskonflikten lässt sich nicht erst um 1700 beobachten, sondern zeigt sich bereits im frühen 16. Jahrhundert. Grundlegend war hierfür die Entwicklung einer distanzierten Perspektive auf das Mittelalter, die sich je nach Genre und Kontext zu unterschiedlichen Zeiten herausbildete.¹ Das lässt sich insbesondere in Editionen beobachten, die sich zwar häufig klassischen Topoi wie Neutralität und Unparteilichkeit verpflichteten, zugleich aber die edierten Texte aufbereiteten, kommentierten und so einordneten. Diese Verbindung von kritisch gelehrter beziehungsweise methodisch anspruchsvoller Philologie mit einer konkreten konfessionellen oder politischen Positionierung war für das 16. und 17. Jahrhundert keineswegs ungewöhnlich.² Bereits Heribert Rosweyde, der Ideengeber der Acta Sanctorum, plädierte in seinen Vitae Patrum (Antwerpen 1615) dafür, mit dem „Text in seiner ursprünglichen Gestalt, die man in keiner Weise zur Verschönerung und Verbesserung ändern dürfe, der katholischen Kirche eine unanfechtbare Grundlage im Kampf gegen die Protestanten [zu] liefern.“³ Auch wenn die methodischen Anforderungen an Editionen im Verlauf des 17. Jahrhunderts parallel zu den methodischen Innovationen in der Historiografie stiegen, hatte das nicht zwangsläufig eine Entwicklung zu einer neutraleren Geschichtsschreibung zur Folge.⁴ Zugleich lassen sich frühneuzeitliche Editionen aber ebenso wenig von Vornherein als voreingenommen oder etwa durch den Auftrag- und/oder Geldgeber gefärbt beschreiben.⁵ Historiographische Produkte wie Editionen müssen daher in

1 Eichenberger [u. a.], Introduction. 2 Ferrari, Mutare non lubuit, 238 f. Vgl. a. Ralph Häfner, Synoptik und Stilentwicklung. Die PindarEditionen von Zwingli/Ceporin, Erasmus Schmid und Alessandro Adimari, in: Helmut Zedelmaier / Martin Mulsow (Hg.), Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, Tübingen: Niemeyer 2001, 97– 121. 3 Ferrari, Mutare non lubuit, 247 f. 4 In besonderem Maße gilt dies für die Zeit um 1700, die auf der einen Seite in methodischer Hinsicht von einer stärkeren Betonung historischer Faktizität gegenüber der klassischen pädagogischen Funktion von Geschichte geprägt war. Vgl. Fiska [u. a.], Historia als Kultur – Einführung; Anthony Grafton, What was history? The Art of History in Early Modern Europe, Cambridge / New York: Cambridge University Press 2007. 5 Diese Einsicht ist in der Neueren Historiografiegeschichte mittlerweile breiter aufgenommen worden. Vgl. exemplarisch Weis, Johann Friedrich Schannat; Philipp Müller, Geschichte machen. Historisches Forschen und die Politik der Archive, Göttingen: Wallstein Verlag 2019; Friedrich / https://doi.org/10.1515/9783111080154-007

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ihrer Vielschichtigkeit betrachtet in ihren konkreten Entstehungskontext eingeordnet werden, um die zeitgenössische Bedeutung und Aussagekraft einer Edition nachvollziehen zu können.⁶ Wie und auf welche Weise eine Edition den herausgegebenen Text einordnete oder vereinnahmte oder welche Einflüsse sich hierbei beobachten lassen, muss folglich im Detail rekonstruiert werden. Schilter steht mit seinen Editionen für eine erste Hochphase der Beschäftigung mit mittelalterlichen Texten verschiedener Genres, die sich durch eine durchgehend gelehrt-distanzierte Perspektive einerseits und einen Fokus auf volkssprachige Texte andererseits auszeichnete. Einige der von ihm edierten Texte hatten nie ihre Aktualität für die jeweilige Gegenwart verloren wie etwa die mittelalterlichen Stadtrechte Straßburgs. Zu Schilters Lebzeiten gewannen diese angesichts ihrer Bedrohung durch französische Eingriffe in das Straßburger Stadtregiment nach der Kapitulation der Stadt 1681 allerdings eine neue Bedeutung. Andere wie Notkers Psalter wurden von Schilter zum ersten Mal in solch umfassender Weise als Monumente einer von seiner Gegenwart unterschiedlichen Zeit ediert und eingeordnet. Ausgehend von Schilters Perspektive auf die Texte soll anhand seiner Editionen im Folgenden schlaglichtartig auf ihre komplexen und oftmals spannungsgeladenen Entstehungskontexte hingewiesen werden. So soll exemplarisch gezeigt werden, in welche größeren Deutungszusammenhänge er die edierten mittelalterlichen Texte einordnete und wie er so mit den Errungenschaften des Humanismus das Mittelalter als Argumentationsressource etablierte und verwendete. In einem ersten Schritt soll vor allem anhand von Schilters Edition der Straßburger Stadtrechte untersucht werden, wie er sich mit seiner Mittelalterforschung im Verhältnis zur Obrigkeit beziehungsweise den Obrigkeiten im Straßburger Kontext verortete. Anhand des ersten Bandes von Schilters postum erschienenen Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) wird anschließend gezeigt, wie der Gelehrte die edierten Texte konfessionell einordnete. Im letzten Abschnitt geht es darum, wie sich Schilter mit seinen Editionen einheimischer

Schilling (Hg.), Praktiken frühneuzeitlicher Historiografie; Fiska [u. a.], Historia als Kultur – Einführung; Susanne Rau [u. a.] (Hg.), Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350 – 1750), Berlin: Akademie-Verlag 2010; Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. 6 Die Erforschung des Mittelalters in der Frühen Neuzeit lässt sich folglich nicht vom jeweiligen historischen Kontext trennen. Kössinger hat in dem Zusammenhang betont, dass das „wissenschaftliche Arbeiten stark zeitgebunden und kontextabhängig ist und ‚implizite […] Argumentationsstrategien‘ verwendet, die je entschlüsselt werden wollen.“ Kössinger, Philologie in der Frühen Neuzeit, 39. Vgl. a. Nora Gädeke, Im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges. Leibniz bringt seine historischen Kollektaneen zum Einsatz, in: Thomas Wallnig [u. a.] (Hg.), Europäische Geschichtskulturen um 1700 zwischen Gelehrsamkeit, Politik und Konfession, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, 485 – 511, 510.

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mittelalterlicher Rechtsquellen in der zeitgenössischen Debatte über ihr Verhältnis zum fremden Recht positionierte.⁷ Auf diese Weise soll auf die vielfältigen Kontexte hingewiesen werden, in denen mittelalterliche volkssprachige Texte in der Frühen Neuzeit rezipiert und eingeordnet wurden.

a Mittelalterforschung im Dienst der Stadt? Schilters Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis im Kontext der französischen Rekatholisierungspolitik in Straßburg nach 1681 En patrias Leges! Turpe est, licet omnia noris, si nescis Patriae Jura recepta tuae.⁸

Der Ausspruch, den Schilter auf seiner persönlichen Ausgabe der Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, einer handschriftlichen Edition der Straßburger Stadtrechte, notiert hatte, verweist auf den lokalen Patriotismus, der in der ehemaligen Reichsstadt Straßburg auch fast zwei Jahrzehnte nach ihrer Eingliederung in die französische Verwaltung noch nachwirkte.⁹ Schilter, der erst seit 1686 in Straßburg lebte, hatte sich diesen lokalen Patriotismus der ehemaligen Reichsstadt offenbar schnell zu eigen gemacht. An dieser Stelle lässt sich aber auch Schilters Anspruch erkennen, mit seiner Edition zu einer besseren Kenntnis der mittelalterlichen Straßburger Stadtrechte beizutragen. Mit der Geschichte und dem Recht der Stadt Straßburg berührte die Edition ein Wissensfeld, das Schilter bei seiner täglichen Arbeit als Advokat des Stadtrats begegnete, das ihn aber auch aus seinem gelehrten Interesse heraus beschäftigte. Seit 1690 hatte er immer wieder über Teilgebiete des

7 Zum Problem der Begrifflichkeit bei der Bezeichnung von Rechtsbeständen in der Frühen Neuzeit aufgrund der existierenden Mischformen und zum grundsätzlichen Vorzug des Begriffspaars „einheimisch/fremd“ gegenüber„deutsch/römisch“ vgl. Schäfer, Juristische Germanistik, 22 – 30, v. a. 28. 8 ‚Siehe die vaterländischen Gesetze! Es ist schändlich, obgleich du alles weißt, wenn du die empfangenen Rechte deines Vaterlandes nicht kennst.‘ (Übers. d. Verf.) Notiz Schilters auf dem Deckblatt seiner Ausgabe des Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, [Straßburg ca. 1700] (UB Gießen, Hs 1083, fol. 29r). 9 Vgl. André Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Zum politischen Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt: wbg 2006 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne).Vgl. a. Alexander Schmidt, Ein Vaterland ohne Patrioten? Die Krise des Reichspatriotismus im 18. Jahrhundert, in: Elisabeth Müller-Luckner / Georg Schmidt (Hg.), Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität?, München: Oldenbourg 2016, 35 – 63, 37 f.

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Stadtrechts disputieren lassen.¹⁰ Zudem hatte er sich bereits im Kommentar seiner Ausgabe der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen eingehender mit der Rechtsgeschichte der Stadt befasst und dort auch eine Edition der ersten Straßburger Stadtrechte beigefügt.¹¹ Zwei Jahre später folgte die erwähnte umfassende Edition der Stadtrechte, die nur in handschriftlicher Form und in wenigen Exemplaren verbreitet wurde. Dass sich gelehrte Interessen und die Tätigkeit für den Stadtrat auf diese Weise berührten, war grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Alle diese Werke erschienen aber zu einer Zeit, in der sowohl die mittelalterliche Geschichte als auch das Stadtrecht in Straßburg hart umkämpft waren. Angesichts wiederholter Eingriffe der neuen französischen Verwaltung in die Kompetenzen und die Verfassung der Stadt wurde das mittelalterliche Stadtrecht zur zentralen Argumentationsressource des Stadtrates gegen die unerwünschte Rekatholisierungspolitik. Schilters Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis ist vor diesem Hintergrund in doppelter Hinsicht interessant. Zum einen belegt die Edition die Bewahrung der zentralen (volkssprachigen) Rechtstexte der Stadt als Kern seiner Tätigkeit für den Stadtrat.¹² Zum anderen war es offenbar eine Auftragsarbeit für den Königlichen Prätor Ulrich

10 Vgl. Dissertatio de bonis laudemialibus, quae Ehrschätzige Güter vocamus, occasione Constitutionis de anno 1322. In hac Repub. Editae, conscripta. Quam D.T.O.M.A. sub Praesidio Viri Nobilissimi, […] Dn Johannis Schilteri, […]. Publico Eruditorum Examini ventilandam Proponit Die Apr. A.S.R. MDCXC. Paulus Gothofredus Gambs, Straßburg 1690; Dissertatio Juridica de Curiis Dominicalibus vulgo Von Dinckhöffen / Quam sub Praesidio Viri […] Dn. Joh. Schilteri, […]. Solenni Eruditorum Examini subjicit Die Octobr. A.S.R. MDCXCI. Philippus Jacobus Rehm, Straßburg 1691; Commentatio Iuridica, ad Constitutionem Argentoratensem de Emponematum Jure vulgo vom Schauffel-Recht / Quam Sub Praesidio VIRI Nobilissimi, Amplissimi, Consultissimi atque Excellentissimi, Dn. Joh. Schilteri, JCti famigeratissimi, […], Dn. Patroni, Praeceptoris & Promotoris ui omni obsequii genere colendi. Solenni Eruditorum Examini submittit Johannes Casparus Bitsch, Straßburg, 1697. 11 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Kommentar, § XII, 715 – 728. Ausführlicher auch mit einer Übersicht der älteren Forschung zur Überlieferung des ersten Straßburger Stadtrecht vgl. Haacke, Die Romplersche Handschrift des Straßburger Stadtrechts. 12 Bereits anlässlich von Schilters Anwerbung für den Posten hatten sich die Scholarchen, die vom Stadtrat mit der Aufsicht über die Universität betraut waren, mit der folgenden (vom Königlichen Prätor Obrecht vorgetragenen) Begründung für Schilter ausgesprochen: „Da doch sehr nöthig, daß man bey dem juri Communi und Statutario genau bleibe, und hierin dem Conseil de Brisac nichts nachgebe, es werde Ihre Königl. Mayest. Und der H. Cantzler die Statt gern bey ihren Juribus conserviren und mainteniren wollen. Wann nun die nöthige Reformation und Revision einmahl solle vor die Handt genommen werden, so gehöre dazu ein Mann von Authorithät und Experienz. Zu welcher Qualität die H. H. Scholarchen obgedachten H. Schiltern MgEhh. Vorschlagen und recommendiren.“ Protokolle des Rats der XIII, 29. Juni 1686 (AVCUS, 3R – Conseil de XIII, 291).

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Obrecht.¹³ Dieser bildete zwar das faktische neue Oberhaupt der städtischen Regierung, allerdings war er von der französischen Herrschaft eingesetzt worden, weshalb er notgedrungen als parteiisch betrachtet werden muss. Eine Untersuchung von Schilters Werken zur Geschichte und zum Recht Straßburgs kann offenlegen, wie sein Verhältnis zur Obrigkeit oder besser zu den Obrigkeiten in Straßburg und deren Förderung seiner Arbeiten die Stellungnahme in seinen Werken beeinflusste. Deshalb wird im Folgenden zunächst Schilters Position in der Straßburger Politiklandschaft sowie innerhalb der oftmals komplizierten Konflikte zwischen Stadtrat, französischer Verwaltung und deren Vertretern in Straßburg beleuchtet. Zwangsläufig schlägt sich seine eigene Haltung in seinen Werken zum Straßburger Stadtrecht nieder. Daher soll anschließend der Auftragscharakter des Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis im Gegensatz zur Edition der Straßburger Chronik untersucht werden. Die Hierarchien in der Straßburger Politik waren seit der Kapitulation der Stadt vor der französischen Krone 1681 durcheinandergeraten. Der Stadtrat, für den Schilter seit 1686 als Advokat tätig war, bestand zwar bestätigt durch die Kapitulationserklärung zunächst einmal weitestgehend unverändert weiter, durch die Einführung neuer Ämter und aufgrund einer konsequenten Rekatholisierungspolitik von französischer Seite verschoben sich dennoch die Regierungskompetenzen. Darüber hinaus wurde die Stadt in die französische Verwaltung integriert und unterstand nun neuen Instanzen, die Einfluss auf die Stadtpolitik nahmen. Bereits im November 1681 hatte Ludwig XIV. mit einer königlichen Verordnung das Amt eines königlichen Syndikus in Straßburg eingeführt, der als oberster Direktor der Kanzlei an allen Ratssitzungen teilnehmen sollte, um Entscheidungen gegen das königliche Interesse vorzubeugen. Noch einen Schritt weiter ging die Schaffung des Königlichen Prätorenamts im März 1685. Faktisch war es das neue höchste städtische Amt und es stand weitestgehend unter französischer Kontrolle. Anders als der Königliche Syndikus hatte der Prätor Stimmrecht in den Ratskammern und war mit

13 Auf eine Auftragsarbeit Obrechts weist eine abschließende Notiz des ersten Archivars Philipp Kniebs in einer Liste hin, mit der er die Ausleihe einiger Akten aus dem Straßburger Stadtarchiv durch Schilter dokumentierte. Dort führte er mit den folgenden Worten einige Stücke aus dem Archivbestand auf, die sich weiterhin in Schilters Besitz befanden: „Sonsten hett Er auch noch in handen einige Extracten, welche aus den alten articul büchern auff begehren H. Praetoris Regii [Ulrich Obrecht] von ihme gezogen worden, es beständen dieselbe zum theil in den alten bischoffl[ichen] Rechten, deren sich die Stadt vor diesem bedient, und begreiffen zum theil diejenige recht welche die Statt nach und nach bekommen, und sich selbsten gegeben, und dann 3. diejenige jura nach welchen anjetzo die sachen bey dieser Statt decidirt zu […] pflegen.“ Diese Stücke lassen sich eindeutig der Edition der Stadtrechte zuordnen. „Designatio der jenigen actorum und bücher, welche von Herrn Doctor Schilter mir endts benandten extradirt worden“ (1700) (AVCUS, Série I, 24b (94), Nr. 26).

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Kompetenzen „auf dem Gebiete der Polizei, der Rechtsverwaltung und der Finanzen“ ausgestattet. Obrecht schaffte es als erster Amtsinhaber allerdings, sein Zuständigkeitsfeld in den folgenden Jahren sukzessive auszuweiten.¹⁴ Nach der Kapitulation unterstand die Stadt als erobertes Gebiet dem französischen Kriegsminister als oberstem Bevollmächtigten des Königs. Dieses Amt übte bis Juli 1691 François Michel Le Tellier de Louvois (1641 – 1691) aus. Sein Sohn Louis François Le Tellier, Marquis de Barbezieux, (1668 – 1701) übernahm es nach seinem Tod. Das wichtigste französische Amt für die Stadt stellte allerdings der Intendant des Elsass dar. Zwar galten die Bestimmungen des Intendanten ursprünglich nur für die umliegende Provinz, durch seinen Wohnsitz in Straßburg übte er dennoch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Stadtpolitik aus. Dazu trug auch sein Kontrollrecht über die Einkommen der Stadt aus deren ländlichen Besitzungen bei. Die Straßburger Garnison wiederum unterstand dem französischen Gouverneur, der darüber hinaus etwa auch das Jagdrecht im Straßburger Umland kontrollierte.¹⁵ Zwischen der städtischen Regierung und den Vertretern der französischen Verwaltung kam es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Allerdings lassen sich nicht immer klare Fronten ausmachen. Zudem kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die französische Verwaltung in Straßburg durchwegs abgelehnt worden sei.¹⁶ Vielmehr überlappten sich die Interessenslagen je nach Streitgegenstand. Ulrich Obrecht stand dem Stadtrat daher in der Regel nicht konfrontativ gegenüber, sondern war Teil eines Aushandlungsprozesses, in dem er nur eine unter mehreren Parteien neben dem König, dem städtischen Syndikus, den Ammeistern, den Advokaten und den anderen Mitgliedern des Rats war.¹⁷ Zugleich ergaben sich auch zwischen den von der französischen Seite neu geschaffen Ämtern des Königlichen Syndikus und des Königlichen Prätors immer wieder Kompetenzstreitigkeiten.¹⁸ So zeigt sich immer wieder der Handlungsspielraum des Stadtrats. Er konnte mit Erinnerungen an die Kapitulationserklärung, welche der Stadt weitreichende Rechte zugesichert hatte, mit Memorialen an den Kriegsminister, den Intendanten oder den Gouverneur sowie durch die Nutzung verschiedener Kom-

14 Streitberger, Der Königliche Prätor von Strassburg 1685 – 1789, 31 – 36. 15 Streitberger, Der Königliche Prätor von Strassburg 1685 – 1789, 25 f. 16 Vgl. Franz Bosbach, Der französische Erbfeind. Zu einem deutschen Feindbild im Zeitalter Ludwigs XIV., in: Franz Bosbach (Hg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln: Böhlau 1992, hier: 120. 17 Zur Oberherrschaft als Aushandlungsprozess vgl. etwa Jürgen Heyde, Oberherrschaft als multipolarer Aushandlungsprozess. König, Adel und jüdische Eliten in Polen-Litauen im 16. Jahrhundert, in: Stephan Wendehorst (Hg.), Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien. Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation, Berlin: De Gruyter 2015, 227– 244. 18 Vgl. Streitberger, Der Königliche Prätor von Strassburg 1685 – 1789, 67– 79.

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munikationskanäle in strittigen Fragen Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen. Es gab aber auch Momente, in denen deutlich wurde, dass in bestimmten Fragen gerade kein Spielraum bestand. Schilter zeigt sich in diesen vielfältigen Konflikten als Experte im Abwägen und Aushandeln zwischen den Positionen der unterschiedlichen Parteien. Mit dieser vermittelnden Einstellung verschaffte er sich im Stadtrat offenbar den Respekt beider Seiten. Seine Fertigkeiten konnte er unter Beweis stellen, als er sich 1687 für den Theologieprofessor Isaac Faust (1631 – 1702) einsetzte. Faust hatte eine Gegenschrift zur polemischen Schrift La Reunion des Protestans de Strasbourg a l’Eglise Romaine (Straßburg 1687) des Jesuitenpaters Jean Déz (1643 – 1712) geplant und musste zwangsläufig mit Konsequenzen bei der Veröffentlichung rechnen. Schilters Einsatz garantierte ihm allerdings die offizielle Unterstützung des Stadtrats – einschließlich des Königlichen Prätors – die der Theologe nun in seiner Vorrede anführen durfte.¹⁹ Dass Schilters Wort im Stadtrat Gewicht hatte, zeigt sich in den Ratsprotokollen immer wieder. So formulierte er etwa eine umfangreiche Schrift, die dem Kriegsminister Louvois anlässlich seines Besuchs in Straßburg in Hinblick auf mehrere strittigen Fragen überreicht werden sollte. Nach längerer Diskussion wurde Schilters vorläufige Fassung weitestgehend unverändert übernommen.²⁰ Obwohl der Gelehrte also erwartungsgemäß die Belange der Stadt vertrat, pflegte er enge Beziehungen nicht nur zu bedeutenden Vertretern der städtischen Elite, sondern auch zum Königlichen Prätor. Schilter und Obrecht konnten dabei offenbar klar zwischen ihren gegensätzlichen Positionen auf konfessioneller und stadtpolitischer Ebene und ihrem gelehrten Austausch trennen.²¹ In einem Schreiben an Veit Ludwig von Seckendorff führte Schilter etwa den heftigen Widerspruch Obrechts anlässlich einer Disputation nicht auf dessen persönliche Antipathie („odium personae“), sondern die Anwesenheit der Theologieprofessoren zurück, denen eigentlich die Reaktion des Königlichen Prätors gegolten habe.²² Wie Anselm Schubert gezeigt hat, war eine solche Koexistenz von gelehrter Freund-

19 Rodolphe Reuss, Louis XIV et l’église protestante de Strasbourg. Au moment de la révocation de l’édit de Nantes (1685 – 1686). D’après dees documents inédits, Paris: Fischbacher 1887, 252 f. Vgl. a. Isaac Faust, Wahrer Christen Vereinigung In Christo Jesu […], Straßburg: Spoor 1688, Vorrede, 4. 20 „Seye das memoire nach anleytung H. Schilters concept dergestalten einzurichten“. Protokolle der Kammer „Verordnete Herren zu den Bedächten“, 6. Mai 1687 (AVCUS, 4R 31, 69). Vgl. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 204 f. 21 Ausführlich hierzu vgl. Kap. 3a. 22 Schilter an Veit Ludwig von Seckendorff, Straßburg Idib. Junii [13. Juni] 1687 (LATh – StA Altenburg, FA Seckendorff, Nr. 1070, fol. 438r–439v).

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schaft und konfessioneller Konkurrenz in der Res Publica Literaria keineswegs ungewöhnlich.²³ Die Akzeptanz gegensätzlicher Positionen hatte aber auch Grenzen. Dies traf besonders auf konfessionell und stadtpolitisch besonders heikle Themen wie das Eherecht zu.²⁴ Schilter vermied in solchen Fällen allerdings eine direkte Konfrontation, sondern führte die Auseinandersetzungen anonym auf publizistischer Ebene weiter.²⁵ So hatte etwa das Thema der Ehescheidung politische Relevanz erhalten, als Ludwig XIV. diese im Zuge der französischen Rekatholisierungspolitik 1690 mit einer Verordnung in der Stadt unter Strafe verbot. Im protestantischen Straßburg war die Scheidung einer Ehe wie auch in anderen protestantischen Territorien möglich. Sie konnte in Ausnahmefällen wie etwa bei Ehebruch eingefordert werden. Die katholische Kirche hingegen verbot die Scheidung und in der Konsequenz auch eine erneute Eheschließung. Der Stadtrat hatte nach der Einnahme Straßburgs durch Frankreich weiterhin Ehen aufgelöst, da Ludwig XIV. mit der Kapitulationserklärung die Autorität des Rates in konfessionellen Angelegenheiten bestätigt hatte.²⁶ Der Konflikt um die neue Verordnung war aufgrund des starken Widerstands des Rates gegen diesen schwerwiegenden Eingriff in seine Befugnisse noch ungeklärt, als Obrecht unter dem Titel Deß Heil. Kirchenlehrers Aurelii Augustini zwei Bücher von Ehe-brecherischen Heurathen an Pollentium (Straßburg 1691) anonym eine deutsche Übersetzung von Augustinus’ De adulterinis coniugiis libri duo ad Pollentium veröffentlichte.²⁷ In der Schrift hatte sich der Kirchenvater gegen die Ehescheidung ausgesprochen. Schilter reagierte seinerseits in Zusammenarbeit mit Georg Schubart mit der ebenfalls anonymen Herausgabe eines Kommentars des gleichen Augustinus-Texts auf Latein, in welcher er für die protestantische Ausle-

23 Anselm Schubert, Kommunikation und Konkurrenz. Gelehrtenrepublik und Konfession im 17. Jahrhundert, in: Kaspar von Greyerz (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003, 105 – 131. 24 Auch innerhalb der Konfessionen war das Eherecht im 17. Jahrhundert allerdings keineswegs geklärt. Zu den inter- und binnenkonfessionell bedingten unterschiedlichen Positionen vgl. Dagmar Freist, Glaube – Liebe – Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston: De Gruyter 2017, 39 – 64. 25 Vgl. Adolf von Scheurl / Emil Sehling, Eherecht, in: Realencyclopädie für protestantische Theologie, Bd. 5, Leipzig: J.C. Hinrichs 31898, 198 – 227. 26 Reuss, Louis XIV et l’église protestante de Strasbourg, 268 – 270. 27 [Ulrich Obrecht], Deß Heil. Kirchenlehrers Aurelii Augustini zwei Bücher von Ehe-brecherischen Heurathen an Pollentium, Straßburg: Dolhopff 1691.

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gung eintrat.²⁸ Ein Bezug zu Obrechts Schrift und der politischen Situation in Straßburg war für Zeitgenossen ebenso wie Schilters Autorschaft auch ohne eine direkte Erwähnung ersichtlich.²⁹ Ein Grund dafür dürfte darin gelegen haben, dass sich der Gelehrte bereits einige Jahre zuvor mit der Stellung der Alten Kirche zur Ehescheidung beschäftigt hatte.³⁰ Diese Episode verdeutlich Schilters Bewusstsein dafür, bis zu welchem Grad eine Äußerung und Einflussnahme im stadtpolitischen Rahmen möglich war und welche Themen besser nicht unter seinem Namen erschienen. Schilter profitierte immer wieder von der Art und Weise, wie er sich mit den Zuständen in Straßburg arrangierte. Das lässt sich etwa im Fall der ordentlichen Rechtsprofessur nachvollziehen, die durch den Weggang Friedrich Schrags (1699 – 1718) vakant war und Schilter auf sein Bitten hin 1699 übertragen wurde.³¹ Schrag gehörte zu denjenigen Gelehrten, die Straßburg nach dem Rijswijker Frieden von 1697 verließen, um ihr Glück im Heiligen Römischen Reich zu suchen. Sie alle waren nicht bereit, sich der nun dauerhaften französischen Herrschaft unterzuordnen. Dass es sich im Fall von Schrag um eine Gewissens- und nicht um eine Karriereentscheidung für eine Stelle als Assessor des Reichskammergerichts handelte, legen nicht zuletzt die anonymen Schriften nahe, mit denen er noch Jahre später gegen die Reunionen Ludwigs XIV. anschrieb.³² Interessant ist aber, dass aus dem Reich sogar gezielt nach fluchtwilligen Gelehrten gesucht wurde. So fragte Hiob Ludolf

28 [Johann Schilter], D. Aurelii Augustini Episcopi Hipponensis Libri Duo De Adulterinis Coniugiis Ad Pollentium cum Notis Iurisconsulti Celeberrimi Iuridicis ac Moralibus quibus Dogma Ecclesiaede Matrimonii Dissolutione illustratur, Jena: Bielcke 1698. 29 S. die kurze Ausführung und namentliche Erwähnung Schilters in: Bibliotheca librorum novorum collecta a L. Neocorio & Henrico Sikio, Bd. 2, Utrecht Januar/Februar 1698, 630. Schilter hatte bereits 1687 ein gegen Obrecht gerichtetes Traktat über Spener an Rechenberg geschickt. Vgl. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 202.Vgl. a. Martin Mulsow, Wissenspolizei. Die Enstehung von Anonymen- und Pseudonymen-Lexika im 17. Jahrhundert, in: Martin Mulsow (Hg.), Die unanständige Gelehrtenrepublik, Stuttgart: Metzler 2007, 217– 245. 30 Vgl. Schilter, Herennivs Modestinvs, sive Fragmenta Libri Singularis […]. Accessit Dogmatis Ecclesiae Christianae de Dissolvtione Matrimonii quoad vinculum. Cujus obiter cap. IV § XV mentio facta fuerat, Straßburg: Spoor 1687. 31 Zu Friedrich Schrag vgl. Ernst Landsberg, Schrag Friedrich, in: Allgemeine Deutsche Biographie 32 (1891), 440 – 441 [Online-Version], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd100265499.html [18.7. 2023]. 32 [Friedrich Schrag], Nullitas iniquitasque reunionis Alsatiae, sive revisio actorum praeparatoria etc., o.O. 1707 und [Friedrich Schrag], Libertas Argentoratensium stylo Rysvicensi non expuncta, sive jura libertatis, cum in Ecclesiasticis, tum in Politicis, Inclytae Argentoratensium civitatis per Capitulationem cum Corona Gallica Anno 1681 initam, conservata etc., o.O. 1707.

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Ende 1697 bei Schilter an, ob er ihm ausreisewillige Theologen vermitteln könne, die bereit wären, eine Professur in Jena anzunehmen.³³ Schilters vermittelnde Ausrichtung, die sich in seiner Tätigkeit für den Stadtrat zeigt, spiegelt sich auch in seinen Werken zur Geschichte und zum Recht Straßburgs wider. Als Hauptwerke lassen sich vor allem hinsichtlich des Umfangs sein Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis und die Edition der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen hervorheben. Letztere war bereits 1698 erschienen und zeigte im umfangreichen Anhang bereits Schilters intensive Auseinandersetzung mit dem Recht und der Rechtsgeschichte Straßburgs. Auf knapp 150 Seiten zeichnet er dort eine Entwicklung von der Stadtgründung bis zur Bestätigung der Stadtrechte durch die Kapitulationserklärung, die er mit dem Abdruck etlicher Quellen ergänzte.³⁴ Das gleiche Thema griff er etwa zwei Jahre später ausführlich in der Vorrede seines Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis wieder auf. Dies ist eine Arbeitshilfe für den Straßburger Stadtrat, die den Gang ins Archiv zur Klärung strittiger Fragen zum Stadtrecht abkürzen sollte. Anders als Gutachten, die bereits eine offensichtliche Aufbereitung und Einordnung des Archivmaterials leisteten, lieferte Schilter mit dem Werk eine methodisch anspruchsvolle Edition, das heißt eine möglichst genaue Wiedergabe der wichtigsten Rechtstexte der Stadt.³⁵ Das Werk gliedert sich in drei Bücher, die der chronologischen Entwicklung des Stadtrechts folgen.³⁶

33 Ludolf an Schilter, Frankfurt a. M. 25. November 1697 (UB Gießen, Hs 140, fol. 173r–174v). Schilter beantwortete die Bitte Ludolfs abschlägig, da er zwar entsprechende Theologen kenne, aber nicht für ihren Wegzug und den entstehenden Mangel an der Universität Straßburg verantwortlich sein wolle. Schilter an Ludolf, Straßburg 4./14. Dezember 1697 (UBFFM, Ms. Ff. H. Ludolf I Nr. 630, fol. 1172 – 1173). Zur gleichen Zeit spielte er aber anlässlich einer vakanten Professur an der Universität Helmstedt offenbar selbst mit dem Gedanken, aus Straßburg wegzuziehen, setzte dies aus verschiedenen Gründen aber nicht in die Tat um. Gädeke, Aussitôt, que Monsieur Schilter m’aura mandé ses sentiments sur ce sujet, je ne manqueray de Vous en donner part, 302 – 303, v. a. Anm. 101 und 103. 34 Ausführlich hierzu vgl. Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 217– 219. 35 Vgl. Haacke, Die Romplersche Handschrift des Straßburger Stadtrechts, 22, Anm. 8. 36 Das erste Buch deckte die Zeit bis ins 13. Jahrhundert ab, das zweite Buch umfasste die Rechte und Statuten seit der Zeit des Straßburger Bischofs Heinrich von Stahleck (1238 – 1260) bis zur Reformation des Straßburger Stadtrechts im Jahr 1322 und das dritte Buch enthielt die Gesetzgebung von der ersten umfassenden schriftliche Kodifikation des Straßburger Stadtrechts 1322 bis ins 15. Jahrhundert, ergänzt um weitere jüngere Rechtstexte. Die lokale Überlieferung der relevanten Codices im Straßburger Stadtarchiv ermöglichte es Schilter, diese persönlich einzusehen. Es handelt sich hierbei um eine allgemeine Angabe der Inhalte, die allen Exemplaren gemein sind. Der handschriftlichen Verbreitung des Werks entsprechend finden sich in den Ausgaben mehr oder weniger große Abweichungen. Vgl. zu dem Werk a. Kap. 5c.

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Mit beiden Editionen veröffentlichte Schilter zentrale mittelalterliche Texte zur Stadtgeschichte, die er in den Paratexten oder in seinen Kommentaren historisch einordnete. Sie wirken daher wie die Teile eines gemeinsamen Programms. Sein Arbeitsziel dabei umriss er in einem Brief an seinen Schüler Jacob Wencker d. J., den dieser vor der überarbeiteten Neuauflage seiner Dissertation über die sogenannten Pfahlbürger im Straßburger Kontext abdruckte. In dem Brief betonte Schilter die große zeitgenössische Relevanz von Untersuchungen zur Geschichte und zum Recht der Stadt. Er teilte darin seine Überzeugung mit, dass der zeitgenössische rechtliche Zustand der Stadt nur über das Studium der Altertümer bewahrt und angemessen beurteilt werden könnte.³⁷ Seine beiden Werke bedienten allerdings sehr verschiedene Gattungen, die sich jeweils an ein gänzlich unterschiedliches Publikum richteten. Mit der Edition der Straßburger Chronik bereitete Schilter die zentrale Quelle zur mittelalterlichen Stadtgeschichte und darüber hinaus auf und richtete sich mit volkssprachigen Übersetzungen lateinischer Passagen im Kern an ein möglichst großes bürgerliches Straßburger Publikum.³⁸ Hingegen zielte er mit dem nur handschriftlich vervielfältigten Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis eine sehr viel kleinere Leserschaft an. Diese kontrollierte Verbreitung des Werks legt den arkanen Charakter nahe, den das Stadtrecht angesichts der zeitgenössischen Konflikte zu der Zeit besaß.³⁹ Schilters Edition war als Auftragsarbeit für Obrecht in erster Linie zum Ge-

37 Schilter an Wencker, Straßburg 24. Mai 1697, in: Jacob Wencker, Dissertatio de Pfalburgeris Ad Cap. XVI. Aur. Bull. Revisa & aucta ex actis & documentis publicis Archivi Argent. Accesserunt Disquisitiones dua de Usburgeris & Glevenburgeris, Straßburg: Dulssecker 1698. Die Dissertation war zum ersten Mal bereits 1692 (noch ohne Abdruck von Schilters Brief ) erschienen: Jacob Wencker, Disputatio Inauguralis Iuridica de Pfalburgeris Von Phalburgern / Occas. Cap. XVI. Aureae Bullae. Quam Annuente Divina Clementia, ex decreto et Autoritate Magnifici JCtorum Ordinis In Inclyta Argentoratensium Universitate, Pro Summis in Utroque Jure Honoribus & Privilegiis Doctoralibus rite obtinendis, Solenni Eruditorum Examini submittit Jacobus Wencker Argent. Ad D. 27. Martii MDCXCII, Straßburg: Welperus 1692. Ein weiterer Nachdruck erschien 1702: Wencker, Collectanea Iuris Publici. 38 Ausführlich zur Leserschaft vgl. Kap. 4a. 39 Anders als von Diether Haacke (Haacke, Die Romplersche Handschrift des Straßburger Stadtrechts, 22, Anm. 1) angegeben existieren von dem Werk nicht drei, sondern insgesamt vier Exemplare: Schilters persönliche Ausgabe (UB Gießen, Hs 1083), Reinform für den Königlichen Prätor Ulrich Obrecht (AVCUS, AA 2667), ein Exemplar im Straßburger Stadtarchiv (AVCUS, 6R 22 Nr. 851) und ein weiteres im Archiv des französischen Außenministeriums in Paris (Archives du Ministère des Affaires Étrangères, Mémoire et Document – France, 53MD/1465). Schilters persönliche Ausgabe scheint die Vorlage für das Exemplar des Königlichen Prätors gewesen zu sein. Das lässt sich etwa an der handschriftlichen Korrektur von Fehlern in Schilters Exemplar nachvollziehen, die in den anderen berichtigt wurden. Obrechts Exemplar war dann vermutlich die Vorlage für die Abschrift des Stadtrats, da sich in beiden identische Abschreibfehler einschließlich ihrer Korrektur finden, die in

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brauch in der Stadtpolitik und Verwaltung gedacht. Sowohl der Stadtrat als auch die Vertreter der französischen Verwaltung hatten ein Interesse daran, die Rechte der Stadt auf eine formale Grundlage zu stellen. Schilter bediente damit nicht nur ein allgemeines Orientierungsbedürfnis, sondern vereinfachte auch praktische Abläufe.⁴⁰ War davor stets eine Recherche in den im Stadtarchiv überlieferten Codices nötig, um die französische Verwaltung über eine bestimmte Rechtslage zu informieren, so schaffte Schilters Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis eine neue Übersichtlichkeit und ermöglichte den leichteren Zugriff und die schnellere Information über die Rechtslage in der Stadt. Auf diese Weise wurde zum einen der häufig langwierige Prozess, mit dem der Stadtrat in Streitfällen das in der Stadt geltende Recht gegen Eingriffe verteidigte, abgekürzt, da dieses nun auch in Paris vorlag und im Bedarfsfall eingesehen werden konnte. Dass die Manuskripte auch entsprechend verwendet wurden, lässt sich nicht nur an den Benutzungsspuren der Exemplare erkennen, sondern etwa auch an der nachträglichen individuellen Anlage von Findhilfen, wie sich am Ende des Exemplars des Königlichen Prätors erkennen lässt.⁴¹ Zum anderen sicherte Schilter durch die Verbreitung mehrerer Abschriften die Überlieferung des Stadtrechts bis heute, zumal die zugrunde liegenden originalen Codices bei der Bombardierung der Stadt im deutsch-französischen Krieg 1870 vielfach zerstört wurden. In der Einleitung seines Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis sowie im Exkurs zur Geschichte des Straßburger Rechts in der Edition der Straßburger Chronik lieferte Schilter zwei unterschiedliche Erzählungen von der Rechtsgeschichte Straßburgs, die sich im Kern zwar ähneln, aber in der Darstellungsweise stark unterscheiden. Er bereitet das gleiche Thema somit für zwei unterschiedliche Leserschaften und jeweils unterschiedliche Anwendungsgebiete auf. In der populärgelehrten und an eine bürgerliche Leserschaft gerichteten Edition der Straßburger Chronik bildeten die Freiheit und Unabhängigkeit der Stadt die prägenden Themen einer Erzählung, die Schilter von der Stadtgründung bis zur Kapitulationserklärung spannte. Die gleichen Inhalte lesen sich in Schilters Einleitung zur Edition der Stadtrechte sehr viel gemäßigter beziehungsweise nüchtern-gelehrter.

Schilters Exemplar richtig sind. So etwa die Korrektur von „stat“ zu „exstat“. AVCUS, AA 2667, 83 und Ebd., 6R 22, 851, fol. 40v. In Schilters Exemplar: UB Gießen, Hs 1083, fol. 42r. [NB: Die nachträgliche Foliierung des Werks ist fehlerhaft und beginnt nach 48v wieder bei 40r]. 40 Vgl.Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, 344. Vergleichbare zeitgenössische Projekte, die die Unübersichtlichkeit und z.T. schwerfällige Zugänglichkeit von Archiven abzukürzen versuchten, gab es viele. Vgl. Friedrich, Die Geburt des Archivs, 194 – 203. 41 So findet sich im Exemplar des Königlichen Prätors ein später angefügtes Register. Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis (AVCUS, AA 2667).

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Das beginnt bereits in der Art und Weise, wie die Stadtgründung thematisiert wird. In der Edition der Chronik behandelte er der Gattung des edierten Textes entsprechend ausführlich den Gründungsmythos der Stadt, dem zufolge der babylonische Königssohn Trebeta Trier, Köln, Mainz, Worms, Straßburg und Basel erbaut habe. Alle diese Städte seien Trier als mächtigster Stadt tributpflichtig gewesen. Diesen Mythos dekonstruierte der Gelehrte im Anschluss nicht nur aus historisch-kritischer Perspektive, sondern stufte ihn auch als schädlich ein, weil er „der Stadt Straßburg ihre angebohrne Freiheit“ unterdrücke und somit Raum für gefährliche Interpretationen biete. Tatsächlich sei Straßburg gerade nicht als zinspflichtige römische Kolonie gegründet worden, sondern habe als unterworfene Stadt ihr eigenes deutsches Recht behalten.⁴² In der Einleitung der Edition der Stadtrechte führte Schilter die Stadtgründung als ein Römisches Castrum auf den römischen Kaiser Marcus Aurelius Severus Alexander (208 – 235) zurück.⁴³ Einen Hinweis hierfür sah er auch in der volkssprachlichen Bezeichnung „Burgi“ im Namen der Stadt. Anschließend sei die Herrschaft über Straßburg von den Römern auf einen Comes Argentoratensis übergegangen.⁴⁴ Erst deutlich später und ohne Zusammenhang zur Stadtgründung kam Schilter darauf zu sprechen, dass Straßburg bereits in römischer Zeit sein eigenes Recht besessen habe.⁴⁵ Während er im ersten Werk also eine klare prostädtische Position vertrat, hatte seine Darstellung im zweiten eher informativen Charakter, der sich nicht zuletzt in präziseren zeitlichen Angaben ausdrückte. Die verschiedenen Darstellungsweisen sind zwar zum Teil gattungsbedingt, dennoch zeigen sich auch deutliche inhaltliche Unterschiede. Das lässt sich besonders anschaulich an einem nicht nur für Straßburg zentralen Thema der mittelalterlichen Stadtgeschichte veranschaulichen, nämlich dem Verhältnis der Stadt zum Bischof von Straßburg als ihrem Stadtherrn. Das hatte für Straßburg eine besondere zeitgenössische Relevanz, da der Bischof ab 1680 Lehnsnehmer des französischen Königs war und das Lehnsverhältnis einen potenziellen Weg darstellte, um Eingriffe in städtische Rechte zu rechtfertigen.⁴⁶ Daher sprach sich

42 Schwahn, Zwischen Widerstand und Unterordnung, 217 f. 43 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § I, 3. 44 Zumindest mit der Rückführung der Stadtgründung auf eine römische Militärsiedlung und der späteren Übertragung der Stadt an einen römischen Kommandeur entspricht Schilters Darstellung weiterhin dem Stand der Forschung. Vgl. Karl Weber, Die Formierung des Elsass im Regnum Francorum. Adel, Kirche und Königtum am Oberrhein in merowingischer und frühkarolingischer Zeit, Ostfildern: Thorbecke 2011, 17 und 30. 45 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § IX, 20. 46 Albert Metzenthin, Ulrich Obrecht und die Anfänge der französischen Prätur in Strassburg (1684 – 1701), Straßburg: Heitz 1914, 8 f.

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Schilter im Anhang der Chronik vehement gegen die Annahme aus, der Straßburger Bischof hätte auch nur zeitweise die völlige Gerichtsbarkeit über die Stadt ausgeübt. Zwar gestand er ein, dass der Bischof zeitweilig die vier zentralen städtischen Ämter (Schultheiß, Burggraf, Zöllner und Münzmeister) eingesetzt hatte. Aus den einzelnen Regalien leitet sich jedoch keine völlige Superiorität des Bischofs beziehungsweise seiner Reichshoheit ab. Dementsprechend dementierte er auch, dass der Bischof von Straßburg per königlichem Erlass die Herrschaft über die Stadt ausübe. Aus historischer Perspektive beschäftigte er sich allerdings nur mit der vermeintlichen Herrschaftsübertragung durch König Dagobert an Bischof Amandus, die allerdings nie stattgefunden hatte. Die tatsächlich nachweisbare Übertragung durch Kaiser Otto II. 982 verschwieg er hingegen lieber.⁴⁷ Im Gegensatz dazu zeigt sich, wie Schilter seine Darstellung in der Edition der Stadtrechte anpasste. Hier verwies er sogar ausdrücklich auf die Urkunde, mit der Kaiser Otto II. im Jahr 982 Erkanbald, Bischof von Straßburg, die ausschließliche Gerichtsbarkeit über Straßburg bestätigt hatte.⁴⁸ Obwohl er davon ausging, dass die Macht des Bischofs noch unter den Ottonen bald wieder zu Gunsten eines stärkeren kaiserlichen Einflusses zurückgedrängt worden war, ist dieses Eingeständnis bischöflicher Oberherrschaft bemerkenswert.⁴⁹ Erst an diesem Punkt beginnt der Gelehrte seine Erzählung von den Freiheiten der Stadt mit dem Privileg Lothars III. von 1129, mit dem dieser das Recht bestätigte, dass sich Straßburger Bürger nur vor den städtischen Gerichten verantworten mussten.⁵⁰ Sie führt bis zur Urkunde, mit der König Richard der Stadt am 21. November 1262 in Hagenau alle Freiheiten und Privilegien bestätigte und sie unter seinen Schutz genommen hatte.⁵¹ Den mehrjährigen Krieg zwischen Stadt und Bischof, welcher der Urkunde vorausging, sparte er allerdings weitestgehend aus. Während die Abhandlung in der Vorrede der

47 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anm. 12, §§ XVII – XXV. Zur Übertragung der alleinigen Gerichtsbarkeit über die Stadt auf Bischof Amandus vgl. Hans-Peter Sütterle, Die Salier und das Elsass. Studien zu den Herrschaftsverhältnissen und zu den politischen Kräften in einer „Randregion“ des Reiches (1002 – 1125), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2009 (Europäische Hochschulschriften Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 1058), 157. 48 Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § VII, 13. Vgl. Wiegand, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 1: Urkunden und Stadtrechte bis zum Jahre 1266, 36 f. 49 Schilter schreibt von der Herrschaft der Sachsen, d. h. in dem Fall die Liudolfinger bzw. die Ottonen. Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, §§ VII–VIII. 50 Vgl. Egawa, Stadtherrschaft und Gemeinde in Straßburg vom Beginn des 13. Jahrhunderts bis zum Schwarzen Tod (1349), 45. 51 Egawa, Stadtherrschaft und Gemeinde in Straßburg vom Beginn des 13. Jahrhunderts bis zum Schwarzen Tod (1349), 118; Wiegand, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 1: Urkunden und Stadtrechte bis zum Jahre 1266, 386 f.

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Edition der Stadtrechte anschließend mit den knappen Worten „Neque denique obstat his.“ schließt,⁵² schlug er im Kommentar der Edition der Straßburger Chronik mit dem Abdruck der Kapitulationserklärung Straßburgs den Bogen bis zum aktuellen rechtlichen Zustand der Stadt.⁵³ Mit seinem Kommentar zur Straßburger Rechtsgeschichte in der Edition der Straßburger Chronik lieferte Schilter also eine prostädtische Erzählung, die anschlussfähig für das protestantisch geprägte Straßburger Bürgertum war, an die sich das Werk richtete. In vielerlei Hinsicht knüpfte er damit an Themen an, die Ulrich Obrecht bereits in seinem noch vor der Straßburger Kapitulation erschienenen Alsaticarum rerum Prodromus (Straßburg 1681) behandelt hatte.⁵⁴ Bei Obrecht war es noch um die Verteidigung Straßburgs gegen mögliche territoriale Ansprüche gegangen, die Ludwig XIV. im Rahmen seiner Reunionspolitik durch eigens eingerichtete Kammern formulieren ließ. Die andauernde Relevanz des Werks zeigt sich nicht nur in seiner Konfiszierung nur kurze Zeit nach der Eroberung Straßburgs,⁵⁵ sondern auch in der Zirkulation von gedruckten Auszügen nach Obrechts Ernennung zum Königlichen Prätor, die ihm seine eigene Inkonsistenz vorwarfen.⁵⁶ In der Edition der Straßburger Stadtrechte, die Schilter in Obrechts Auftrag anfertigte, zeigt sich dementsprechend, wie der Gelehrte seine Erzählung an seinen Auftraggeber anpasste. Unbenommen von Unterschieden im Ausdruck und in der Darstellungsweise lässt sich dies am Auslassen von Dokumenten oder Informationen, an einer entsprechenden Quellenauswahl und der Umdeutung ganzer Passagen wie der zur Oberherrschaft des Bischofs festmachen. Schilters konziliante Einstellung als Advokat legt nahe, dass diese Anpassung nicht auf Druck hin vorgenommen wurde, wie es sich in anderen Fällen beobachten lässt.⁵⁷ Vielmehr geht

52 ‚Und nichts steht letztlich jenen [Rechten] entgegen.‘ (Übers. d. Verf.) (Schilter, Ius Statutarium Civitatis Argentoratensis, Vorrede, § VIII, 19). 53 Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Anm. 12, § XXVI. 54 Ulrich Obrecht, Alsaticarum Rerum Prodromus, Straßburg: Paulli 1681. 55 Andreas Beck, Die Straßburger Eide in der Frühen Neuzeit. Modellstudie zu vor- und frühgermanistischen Diskursstrategien, Wiesbaden: Harrassowitz 2014 (Gratia: Tübinger Schriften zur Renaissanceforschung und Kulturwissenschaft 52), 82 – 84. 56 Vgl. Ulrici Obrechti Praetoris Regii Argentoratensis Resolutio Quaestionis. In quas Alsatiae partes, Coronae Francicae, per Pacem Westphalicam jus concessum sit? An eae partes totam Alsatiam complectantur? Ex ejusdem Prodromo Rerum Alsaticorum, Vol. I. Cap. VIII. desumta. o.O. o.D. [nach 1685]. 57 Vgl. Harald Bollbuck, Wahrheitsanspruch, Quellenkritik und Auftragswerk. Vergangenheitsrekonstruktionen lutherischer Theologen im 16. Jahrhundert, in: Markus Friedrich / Jacob Schilling (Hg.), Praktiken frühneuzeitlicher Historiografie, Berlin: De Gruyter 2019 (Cultures and Practices of Knowledge in History 2), 43 – 84.

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sie höchstwahrscheinlich auf Schilters Erfahrung und Einfühlungsvermögen zurück, was in welchen Kontexten sagbar war und welche Äußerungen möglicherweise sanktioniert würden. Immerhin musste er davon ausgehen, dass das Werk auch in Paris gelesen werden würde. Abschließend lässt sich also eine gewisse Zwiespältigkeit der Edition konstatieren: Einerseits eröffnet er mit der Edition der mittelalterlichen Stadtrechte ein Argumentationsreservoir im Sinne der Stadt. Andererseits passte er seine Einordnung der Rechtsgeschichte der Stadt an seinen Auftraggeber an. So zeigt sich, welchen Einfluss der politische Entstehungskontext und das Verhältnis des Autors zur jeweiligen Obrigkeit auf konkrete Wissensinhalte und ihre Auslegungen haben konnte.

b Zwischen konfessioneller Identität und interkonfessioneller Verständigung. Zum Entstehungskontext von Schilters Notker- und Otfrid-Editionen Mit seinen Editionen sakraler mittelalterlicher Texte, die postum im ersten Band des Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) erschienen, schloss Schilter an protestantische Deutungsmuster der vorreformatorischen Vergangenheit an. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts hatte die Kirchengeschichte eine neue Relevanz als Austragungsort konfessioneller Konflikte erhalten. So hatten sich zunehmend unterschiedliche konfessionell geprägte Vergangenheitsdeutungen der vorreformatorischen Zeit ausgebildet.⁵⁸ Prägend war hierfür auf protestantischer Seite vor allem das monumentale kirchengeschichtliche Werk der Magdeburger Zenturien, das exemplarisch für das reformatorische Bedürfnis nach einer historiographischen Neuorientierung auf eine „Ur-Kirche“ in Abgrenzung von der päpstlichen Kirche steht.⁵⁹ Das Bearbeiterkollegium der Zenturien um Matthias Flacius Illyricus (1520 – 1575) zielte in innovativer, nach Jahrhunderten gegliederter Darstellung darauf ab, eine Abfolge von Wahrheitszeugen zu rekonstruieren, die die kontinuierliche Tradition eines unverfälschten protestantischen Glaubens mithilfe historischer Belege nachweisen sollten. Auf katholischer Seite provozierten die Magdeburger Zenturien gleich mehrere Antworten, aus denen vor allem Cesare Baronios (1538 – 1607) Annales ecclesiastici a Christo nato ad annum 1198 (Rom

58 Benz, Kontinuität und Kontingenz. Vgl. a. Prietz, Das Mittelalter im Dienst der Reformation; Mertens, Mittelalterbilder in der frühen Neuzeit, v. a. 42 – 45. 59 Vgl. Bollbuck, Wahrheitszeugnis, Gottes Auftrag und Zeitkritik; Hartmann, Matthias Flacius Illyricus, die Magdeburger Centuriatoren und die Anfänge der quellenbezogenen Geschichtsforschung; Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik.

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1588 – 1607) herausstechen. In zwölf Bänden entwarf Baronio mit dem Werk eine auf einem intensiven Quellenstudium basierende Kirchengeschichte, die zwar nicht als direkte Reaktion, wohl aber als Gegenentwurf zu den Zenturien verstanden werden kann.⁶⁰ Die methodische Überprüfbarkeit der eigenen Darstellung entwickelte sich in den konfessionellen Deutungskonflikten über die vorreformatorische Zeit zu einem zentralen Element. Eine über methodische Zweifel erhabene Quellengrundlage sollte zur Festigung der konfessionellen Autorität beitragen. Das lässt sich bereits in den Magdeburger Zenturien anhand intensiver Methodenreflektionen nachvollziehen.⁶¹ Im Verlauf des 17. Jahrhunderts erhielt dieser Aspekt aber zusätzliche Bedeutung, wie sich etwa am historiographischen Großprojekt der Acta Sanctorum erkennen lässt, einer umfassenden Revision katholischer Heiligenviten durch ein Bearbeiterkollegium, die auf den Anstoß des Jesuiten Jean Bolland (1596 – 1665) zurückging.⁶² Sowohl die Tradition der protestantischen Historiografie als auch die hohen methodischen Anforderungen stellten wichtige Voraussetzungen für Schilters Editionen sakraler mittelalterlicher Texte dar, aus denen vor allem Otfrids Evangelienbuch und Notkers althochdeutsche Psalterübersetzung als zentrale Texte herausragten. Seit dem Erscheinen der Magdeburger Zenturien hatte sich einiges getan. Während Flacius Illyricus vornehmlich papst- beziehungsweise kirchenkritische mittelalterliche Texte zur Edition ausgewählt hatte, positionierte sich Schilter mit seinen Editionen deutlich moderater.⁶³ Um zu verstehen, wie Schilter die von ihm edierten Texte einordnete, soll der Gelehrte zunächst konfessionell verortet werden. Daran anschließend wird gezeigt, wie er in seinen Editionen an protestantische Deutungsmuster anschloss beziehungsweise Stellung zu ihnen bezog. Von Zeitgenossen wurde Schilter als frommer Mensch wahrgenommen. So berichtete der Biograph von Zacharias Konrad von Uffenbach, Johann Georg Hermann (1720 – 1793), Uffenbach habe sich ein Beispiel an Schilters religiöser Praxis genommen: „Er beschäftigte sich an demselben [Sonntag], wie sein gottseliger Lehrer in Straßburg, der berühmte D. Schilter, gethan hatte, auf eine Art, die seiner Religion Ehre macht. Denn Schilter hatte sich am Sonnabend und Sonntage aller anderer weltlichen Geschäfte entschlagen, und solche nur mit geistlichen Uebungen zugebracht.“⁶⁴ Die Beschreibung deckt sich mit Schilters religiöser Selbstdarstel-

60 Benz, Zwischen Tradition und Kritik, 38. 61 Vgl. Bollbuck, Wahrheitszeugnis, Gottes Auftrag und Zeitkritik, v. a. Kap. V. 62 Vgl. Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. 63 Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 116. 64 Hermann, Leben Herrn Zacharias Conrad von Uffenbach weyland hochverdienten Schöffens und Rathsherrn der Reichs-Stadt Frankfurt am Mayn, 181.

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lung, wie er sie ein halbes Jahr nach seiner Ankunft in Straßburg gegenüber Spener schilderte. Demzufolge führe er dort ein zurückgezogenes, gottgefälliges Leben ohne viele Kontakte oder Besitztümer.⁶⁵ Auskunft über seine konfessionelle Position gibt nicht nur die intensive Korrespondenz mit Spener, sondern auch der Kontakt zu dem Theologen Johann Wilhelm Petersen (1649 – 1727), der offenbar über Spener zustande kam. Eine Korrespondenz zwischen Petersen und Schilter ist zwar nicht überliefert, allerdings nannte Petersen den Straßburger Gelehrten als Zeuge des 1.000-jährigen Reichs in seinem Werk Nubes Testium Veritatis (Frankfurt a. M. 1696) und druckte dort ein von diesem kürzlich zugesandtes Gedicht ab.⁶⁶ Diese Hinweise auf eine große Nähe zu Petersens radikaleren Positionen wird auch in der Korrespondenz mit Spener bestätigt.⁶⁷ Dieser Austausch kam zustande, als Schilter sein kirchenrechtsgeschichtliches Werks De Libertate Ecclesiarum Germaniae (Jena 1683) vorbereitete, und er belegt immer wieder sein Interesse für pietistische Themen: „In der Reihenfolge ihrer Behandlung innerhalb der Korrespondenz sind dies Fragen nach der Zukunft der Kirche und in diesem Zusammenhang der Deutung der Apokalypse Johannis, einschließlich der Diskussion zum Chiliasmus, Fragen rund um die (Wieder‐)Vereinigung der christlichen Kirchen – zumindest im Alten Reich – und Fragen nach einer angemessenen Beschreibung der Rechtfertigungslehre.“ Prägend für die Korrespondenz war, dass Schilter in vielen Themen weiter ging als der Theologe. Das zeigt sich etwa an seiner optimistischeren Einschätzung der Möglichkeit einer (Wieder‐)Vereinigung mit der gallikanischen Kirche, während Spener immer wieder vor überzogenen Hoffnungen warnte.⁶⁸ In Straßburg gehörte Schilter mit seiner Nähe zu pietistischen Positionen zu einer Minderheit. Bisweilen wird er neben Johann Artopoeus (1626 – 1702), Professor für Eloquenz, als einer der wenigen Vertreter des Pietismus zum Ende des 17. Jahrhunderts in Straßburg gezählt. Der Stadtrat und die theologische Fakultät der Universität lassen sich vornehmlich dem orthodoxen Luthertum zurechnen. Seit der Kapitulation der Stadt 1681 war das theologische Klima jedoch „nicht durch den Gegensatz von Pietismus und Orthodoxie geprägt, sondern durch den zwischen Protestantismus und Katholizismus“. Niemand wollte vor dem Hintergrund der

65 Schilter an Spener, o.O. 21. März 1687, abgedruckt in: Gedicke, Heptas Epistolarum, 703 – 705. 66 vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 283, Anm. 87; Stephan Goldschmidt, Johann Konrad Dippel (1673 – 1734). Seine radikalpietistische Theologie und ihre Entstehung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, 97. 67 vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 283. 68 vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 275 – 279. Vgl. a. Heike Krauter-Dierolf, Die Eschatologie Philipp Jakob Speners. Der Streit mit der lutherischen Orthodoxie um die „Hoffnung besserer Zeiten“, Tübingen: Mohr Siebeck 2005, 154 – 157.

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französischen Rekatholisierungspolitik durch binnenkonfessionelle Streitigkeiten unter den Protestanten unnötige Angriffsfläche bieten.⁶⁹ In diesen Zusammenhang muss Schilters Fund einer Schrift des Straßburger Reformators Martin Bucer (1491 – 1551) im Stadtarchiv und deren Veröffentlichung als Parteinahme für die Sache des Pietismus eingeordnet werden.⁷⁰ Von der Schrift, in welcher Bucer Gemeinschaftsversammlungen im Sinne der Collegia pietatis verteidigte, berichtete der Straßburger Gelehrte zunächst Spener. Dieser vermittelte wiederum den anonymen Druck in Frankfurt am Main im Herbst 1691. Entgegen früheren Annahmen scheint das Werk jedoch nicht auf größeres Interesse gestoßen zu sein. Wallmann führt das auf das eher randständige Thema der Collegia pietatis in den innerprotestantischen Streitigkeiten zurück. Zudem sei Bucer wegen seiner kritisierten Unbeständigkeit in der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts nur geringe Autorität beigemessen worden. Die schnelle zweite Auflage lasse sich demnach nicht durch ihren großen Anklang erklären, sondern dadurch, dass sich Schilter mit einer sprachlich angepassten Form eine größere Wirkung erhoffte.⁷¹ Das geringe Interesse an dem Werk dürfte allerdings nicht nur an der Sprache oder am Thema, sondern im Allgemeinen auch an dem schwierigen Umfeld gelegen haben, das Straßburg als Austragungsort innerprotestantischer Konflikte bot. Zugleich suchte Schilter immer wieder gezielt den Kontakt zu französischen katholischen Gelehrten, um mit ihnen konfessionelle Themen zu besprechen und an Gemeinsamkeiten anzuschließen. Dabei spielte seine optimistische Einschätzung der Möglichkeit einer Union der christlichen Kirchen, insbesondere in Hinblick auf die gallikanische Kirche, eine wesentliche Rolle, wie er sie etwa in seinem Werk De Libertate Ecclesiarum Germaniae (Jena 1683) geäußert hatte.⁷² So bildete der Papst als gemeinsamer Antagonist in der Korrespondenz mit Étienne Baluze einen zentralen Anknüpfungspunkt. Immerhin signalisierte Schilter seine Sympathie für einen starken Gallikanismus, in dem er durchaus ein Vorbild für die deutschen Kirchen sah. Mit Baluze verband ihn zudem die Überzeugung, dass die Uneinigkeit der Fürsten im Heiligen Römischen Reich die Macht des Papstes ge-

69 Goldschmidt, Johann Konrad Dippel (1673 – 1734), 96 f. Vgl. a. vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 282. 70 Ausführlich hierzu vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 281 – 283; Johannes Wallmann, Martin Bucer und der Pietismus, in: Ders. (Hg.), Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze 2, Tübingen: Mohr Siebeck 2008, 88 – 104, 98 – 102. 71 Wallmann, Martin Bucer und der Pietismus, 99 – 102. 72 vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 278 f.

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genüber dem Kaiser etwa hinsichtlich des Einberufungsrechts der ökumenischen Konzile stärke.⁷³ Das Edikt von Fontainebleau 1685 scheint Schilters Einstellung kaum beeinträchtigt zu haben. Während einige seiner Korrespondenzpartner wie Spener oder Ludolf in der Folge anderen ihrer Kontakte in Straßburg den Wegzug nahelegten, entschied sich Schilter nicht nur für die Annahme einer Advokatenstelle in Straßburg, sondern bekräftigte wiederholt seinen Entschluss, trotz aller drohenden Einschränkungen für Protestanten in der Stadt bleiben zu wollen.⁷⁴ Vor diesem Hintergrund war seine Nähe zu katholischen Gelehrten bemerkenswert und dürfte die seit dem Frühjahr 1698 kursierenden Gerüchte um seine Konversion genährt haben.⁷⁵ Die große Aufmerksamkeit, die der konfessionellen Ausrichtung bedeutender Straßburger Politiker in der Öffentlichkeit zuteilwurde, erklärt sich dadurch, dass ein zentrales Element der französischen Rekatholisierungspolitik darin bestand, durch Vorbildkonversionen herausragender Persönlichkeiten Nachahmer zu gewinnen.⁷⁶ Ulrich Obrecht stellte das Paradebeispiel für den Erfolg dieser Strategie dar. Allerdings barg dieser Zugriff auch die Gefahr in sich, Märtyrer zu produzieren. Dies war der Fall beim Straßburger Patrizier und mehrfachen Ammeister Dominikus Dietrich (1620 – 1692), der trotz kontinuierlichen Druckaufbaus und schließlich sogar seiner Verbannung aus Straßburg nicht konvertierte. Die Sorge unter den Protestanten in Straßburg, bedeutende Bürger an die Katholiken zu verlieren, war jedoch real und zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Dietrichs Standhaftigkeit und sein Vorbildcharakter ebenso wie die Chancen seiner Konversion auch in Schilters Korrespondenzen wiederholt thematisiert werden.⁷⁷ Die mittelalterliche Geschichte als Zeit der Christianisierung Europas und der Ausbildung christlicher Lehrmeinungen bot immer wieder Anknüpfungspunkte in Schilters interkonfessionellen Korrespondenzen. Im Benediktiner Mabillon fand Schilter in dieser Hinsicht einen offenen Gesprächspartner, der auch den Austausch über heiklere theologische Fragen nicht scheute. War der Austausch zunächst von

73 Baluze an Schilter, Id. [13.] Dezember 1684, in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 630 – 634 und Schilter an Baluze, o.O. [Frankfurt a. M.] o.D. [1685], in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 635 – 638. 74 Vgl. Kap. 2. 75 Diese wurde im April 1698 von Johann Christoph von Limbach, dem hannoverschen Gesandten in Regensburg, an Leibniz herangetragen, der es vermutlich an Christian Wilhelm von Eyben zur Überprüfung weitergab. Gädeke, Aussitôt, que Monsieur Schilter m’aura mandé ses sentiments sur ce sujet, je ne manqueray de Vous en donner part, 293, v. a. Anm. 43. 76 Châtellier, Tradition chrétienne et renouveau catholique dans le cadre de l’ancient diocèse de Strasbourg (1650 – 1770), 111. 77 Vgl. etwa Spener an Schilter, Dresden 11. Februar 1687 (Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Dresdner Zeit, Bd. 1, Johannes Wallmann [u. a.] (Hg.), Tübingen: Mohr Siebeck 2003, Nr. 73, 282 – 285).

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gemeinsamen historiographischen Interessen etwa bezüglich des Ludwigsliedes geprägt, tastete sich Schilter bald auch an konfessionelle Themen heran.⁷⁸ So tauschten sich beide in einer Reihe von Briefen etwa über die französische Liturgie und die historischen Ursprünge der Transsubstantiationslehre aus. Gerade letzteres bildete eine der grundlegenden Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten und war ein gängiges Thema zeitgenössischer (protestantischer) kontroverstheologischer Abhandlungen, die auch in Mabillons Umfeld gelesen wurden.⁷⁹ Der Benediktiner lässt sich somit einerseits in einem Umfeld verorten, das einem interkonfessionellen Austausch offen gegenüberstand. Andererseits war er zweifellos mit der potenziellen Brisanz solcher Themen angesichts zeitgenössischer Debatten über den Jansenismus vertraut. Als Anstoß für den Austausch nutzte Schilter die Herausgabe von Mabillons De Liturgia Gallicana Libri III (Paris 1697), in dessen Vorwort der Straßburger Gelehrte auf eine unklare Passage gestoßen war. Unter dem § IX hatte Mabillon festgehalten, dass in alten gallikanischen Messbüchern der Begriff der Transformatio häufig synonym mit dem späteren Transsubstantiatio verwendet wurde.⁸⁰ Schilter fragte Mabillon deshalb, ob dies ein Anhaltspunkt dafür sein könnte, dass das Dogma der Transsubstantiation jünger sei als die erwähnten Messbücher. Um sein Argument zu untermauern, verwies der Gelehrte auf Baluzes Vita von Papst Clemens V.,⁸¹ in welcher dieser geschrieben hatte, dass das Dogma der Transsubstantiation 1305 in Paris noch unbekannt gewesen war. Daher erwog Schilter, ob der Begriff der Transformatio nicht eigentlich das bezeichne, was römische Rechtsgelehrte Specificatio (‚Verarbeitung‘) genannt hatten, wenn sie die Entstehung einer neuen Sache („nova species“) oder Form („forma“) durch die Verbindung zweier Sachen beschreiben wollten. Schilter versuchte also die Transsubstantiation mit dem römischrechtlichen Begriff der Verarbeitung in Verbindung zu bringen, der sich auf das Eigentumsrecht bezog.⁸² Dieser bezeichnete den Prozess der Herstellung eines

78 Zum ersten Mal vgl. Schilter an Mabillon, Straßburg Kal. Aug. [1. August] 1693 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 71r–72v). Das Konzept des Briefes ist ebenfalls überliefert: UB Gießen, Hs 1184, fol. 650r. 79 So etwa von Maturin Veyssière de La Croze (1661 – 1739), Mabillons Ordensburder in Saint-Germain-de-Prés, der 1696 aus Frankreich floh und zum reformierten Glauben konvertierte. Mulsow, Die drei Ringe, v. a. 10 – 15. 80 Jean Mabillon, De Liturgia Gallicana Libri III. In quibus veteris Missae, Quae ante annos mille apud Gallos in usu erat, forma ritusque eruuntur ex antiquis monumentis, Lectionario Gallicano hactenus inedito, & tribus Missalibus Thomasianis, quae integra referuntur. […], Paris: Robustel 1697, Praefatio, § IX. 81 Vgl. Étienne Baluze, Vitae Paparvm Avenionensivm, Hoc est, Historia Pontificvm Romanorvm qui in Gallia federunt ab anno Christi MCCCV. Usque ad annum MCCCXCIV. […], 2 Bde., Bd. 1, Paris: Franciscus Muguet 1693. 82 Schilter an Mabillon, Straßburg IX. Kal. Juni [24. Mai] 1697 (BNF, Ms. fr. 19657, fol. 61r–62v).

b Zwischen konfessioneller Identität und interkonfessioneller Verständigung

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neuen Gegenstandes durch die Bearbeitung eines Stoffes wie beispielsweise bei der Bemalung einer Leinwand. Damit war zugleich die strittige Frage verbunden, inwiefern durch die Bearbeitung Eigentum an der Sache erworben werden konnte.⁸³ Mabillon lehnte die Anwendung römischrechtlicher Begriffe auf einen liturgischen Text, den er auf den Benediktinermönch Paulus Diaconus (720/24 – 799) zurückführte,⁸⁴ in seiner ersten Antwort höflich, aber bestimmt ab, da hierdurch der Vorgang der Transsubstantiation nicht adäquat beschrieben werden könne. Er erwiderte dagegen mit Berufung auf das Konzil von Trient, dass bei der Eucharistie Brot und Wein zwar in eigener Gestalt verbleiben, zugleich aber in Fleisch und Blut Christi verwandelt würden.⁸⁵ In einem Folgebrief äußerte er sich noch umfangreicher auch zur Geschichte der Transsubstantiationslehre. So sei der Begriff der Transsubstantiation vor dem 12. Jahrhundert nicht in Gebrauch gewesen und habe auch nicht zur kirchlichen Lehre gehört. Wer von den Kontroversen über das Thema schreibe, zähle die Sache an sich aber bereits zu den katholischen Dogmen, bevor die Bezeichnung aufgekommen sei. Hier zog Mabillon eine Parallele zum Begriff der Konsubstantiation, auf den das protestantische Verständnis der Realpräsenz des Leibs und Bluts Christi bei der Eucharistie zurückging.⁸⁶ Dieser sei in ähnlicher Weise nicht vor dem Konzil von Nicäa in der katholischen Kirche aufgenommen worden und erst danach zur Lehre gezählt worden. Den mit dem Begriff der Transsubstantiation beschriebenen Vorgang führte Mabillon daher mit Paulus Diaconus deutlich vor die spätere Bezeichnung zurück. Seine Schlussfolgerung fasste er in der rhetorischen Frage zusammen: „At quid de voce litigare juvat, quando res ipsa constat?“⁸⁷ Damit verwies er Schilters Überlegungen auf eine rein begriffsgeschichtliche Ebene, die er von dem bezeichneten Phänomen löste. Seine Ausführungen zu diesem Kernthema konfessioneller Differenzen beendete Mabillon schließlich mit den versöhnlichen Worten: „ceterum haec non studio

83 Herbert Hausmaninger / Walter Selb, Römisches Privatrecht, Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2001, 163. 84 Paulus Diaconus war Benediktinermönch in Montecassino, Berater am langobardischen Hof, verfasste eine Geschichte der Langobarden und hielt sich eine Zeit lang am Hof Karls des Großen auf. Vgl. Hubertus Seibert, Paulus Diaconus, in: Neue Deutsche Biographie, 20 (2001), 131 – 133 [Online-Version], URL: www.deutsche-biographie.de/pnd118789961.html [18.7. 2023]. 85 Mabillon an Schilter, Paris V. Kal. Julii [27. Juni] 1697 (Stadtarchiv Ulm, V 393, Nr. 4). 86 Gemeint ist hier offenbar der zweite Abendmahlsstreit, in dem ab dem 11. Jahrhundert die Realpräsenz des Leibs und Bluts Christi gegenüber einer symbolischen Gegenwart bei der Eucharistie verhandelt wurde. Åke V. Ström [u. a.], Abendmahl, in: Theologische Realenzyklopädie Online: Aaron – Agende. Berlin, New York: De Gruyter, 2010, URL: https://doi.org/10.1515/tre.01_043_1 [18.7. 2023]. 87 ‚Aber was nützt es, über den Begriff zu streiten, wenn die Sache selbst feststeht?‘ (Übers. d.Verf.) Mabillon an Schilter, Paris 30. Juni 1697 (abgedruckt in: Thullier, Ouvrages posthumes, 509 – 514).

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concertandi, sed amico animo ad te scribo, quae aequi bonique pro tua humanitate consulis. Utinam panis ille divinus nos unum corpus omnes efficeret & non ab invicem divideret.“⁸⁸ In ähnlicher Weise äußerte sich auch Schilter in seinem nächsten Brief. Zugleich wiederholte er aber einerseits seine Vermutung, dass der Begriff der Specificatio oder Species in den Formulierungen von Paulus Diaconus auf einen römischrechtlichen Einfluss zurückzuführen sei. Andererseits beendete er das Thema mit der Bemerkung, dass nun von beiden genug Seiten über die französische Liturgie gefüllt worden seien. Hier werden gleich zwei Punkte deutlich: Zum einen, dass Schilter konfessionelle Probleme immer wieder aus juristischer Perspektive zu lösen versuchte.⁸⁹ Es zeigt sich aber zum anderen auch, dass es den beiden Gelehrten beim Austausch über kirchengeschichtliche Themen nicht darum ging, Differenzen zu betonen, sondern darum, über die Diskussion der historischen Ursprünge religiöser Praktiken zueinander zu finden. Das Mittelalter diente in gewisser Weise als common ground, um sich mit Distanz auf gelehrter Ebene über konfessionelle Differenzen auszutauschen. Denn bei allen Unterschieden waren sich beide offenbar in ihrem Anliegen einer Wiedervereinigung der Konfessionen einig. Der Wunsch nach einer Aufhebung der konfessionellen Grenzen blieb bis zum Schluss ein wiederkehrendes Motiv in der Korrespondenz.⁹⁰ Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass beide diesem Ziel nur zu ihren jeweils eigenen Konditionen zustimmten. In seinen kirchenhistorischen Arbeiten thematisierte Schilter immer wieder seine Sichtweise auf den Zustand der zeitgenössischen Kirche. Seine frühen Publikationen unterschieden sich jedoch in verschiedenen Punkten von den späteren Editionen. So war das kirchenrechtsgeschichtliche Werk De Libertate Ecclesiarum

88 ‚Im Übrigen schreibe ich dir nicht im Interesse an einer Auseinandersetzung, sondern als Freund im Geiste, welchen du wegen deiner Güte über die Gleichbehandlung und Tugend befragst. Hoffentlich vereinigt uns jenes göttliche Brot alle in einen Körper und trennt uns nicht voneinander.‘ (Übers. d. Verf.) Mabillon an Schilter, Paris 30. Juni 1697 (abgedruckt in: Thullier, Ouvrages posthumes, 509 – 514). 89 Vgl. vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener. 90 In diesem Sinne äußerte sich Mabillon nicht nur Schilter, sondern auch seinem Schüler Schott gegenüber. Dieser berichtete an Schilter, der Benediktiner habe ihn anlässlich eines Zusammentreffens gefragt, ob er wie Schilter Protestant sei. Als Schott dies bejahte, habe er ausgerufen: „utinam nos eiusdem essemus!“ [‚wenn wir wir doch nur derselben angehören würden!‘ (Übers. d. Verf.)]. Schott an Schilter, o.O. o.D. (Stadtarchiv Ulm,V 393, fol. 11v–12r [unfol.]). In der Korrespondenz lebte das Thema intensiver noch einmal anlässlich der Übersendung von Schilters De Pace Religiosa (Straßburg 1700) wieder auf. Mabillon an Schilter, Paris XI. Kal. Sept. [20. August] 1701 (Stadtarchiv Ulm,V 393, Nr. 9; abgedruckt in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 638); Schilter an Mabillon, Straßburg III. Id. [11. September] 1701 (Stadtarchiv Ulm, V 159; abgedruckt in: Schelhorn, Amoenitates Literariae, Bd. 8, 641).

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Germaniae (Jena 1683) stärker universalgeschichtlich ausgerichtet und zeichnete eine Entwicklung von den Anfängen der christlichen Kirche in Deutschland (beziehungsweise „Germania“) bis zur Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Konfessionen.⁹¹ Als Quellen verwendete er hauptsächlich Werke von Autoren, die durch Augen- oder Zeitzeugenschaft von den Ereignissen berichten konnten.⁹² Bei Schilters Spätwerk, dem Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, setzte Schilter dagegen einen deutlichen Fokus auf die Entstehungsgeschichte der deutschen Sprache. In der Vorrede zum dritten Band des Thesaurus, der das Glossar umfasste, führte er etwa eine Herkunftsgeschichte der deutschen Sprache seit der biblischen Schöpfungsgeschichte aus. Damit schaltete er sich einerseits in zeitgenössische Sprachursprungsdebatten ein.⁹³ Mit der anschließenden mittelalterlichen Geschichte der deutschen Sprache lieferte er aber andererseits den übergeordneten Deutungsrahmen für das gesamte Editionsprojekt. In dem Zusammenhang hat Claudia Lieb völlig zurecht auf den engen Zusammenhang zwischen den edierten Schriften des ersten und zweiten Bandes des Thesaurus hingewiesen, den Schilter in seiner Vorrede herstellte. Während Lieb die Edition allerdings unter dem Vorzeichen der Verknüpfungen zwischen Literatur und Recht betrachtet,⁹⁴ soll mit der folgenden Untersuchung gezeigt werden, dass Schilter die Schriften des ersten Editionsbandes weniger als literarische Texte, sondern in erster Linie als Monumente einer von Karl dem Großen angestoßenen volkssprachigen Missionierung deutete.⁹⁵

91 vom Orde, Johann Schilter und Philipp Jakob Spener, 270. 92 Bollbuck, Wahrheitszeugnis, Gottes Auftrag und Zeitkritik, 198. 93 Lieb, Johann Schilter als Philologe, 342. Weiterführend dazu vgl. Gerhard F. Strasser, Von der Lingua Adamica zur Lingua universalis. Theorien über Ursprachen und Universalsprachen in der Frühen Neuzeit, in: Herbert Jaumann (Hg.), Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, Berlin / New York: De Gruyter 2011, 517– 592, 522 – 538; Wolf Peter Klein, Die deutsche Sprache in der Gelehrsamkeit der frühen Neuzeit. Von der lingua barbarica zur HaubtSprache, in: Herbert Jaumann (Hg.), Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, Berlin / New York: De Gruyter 2011, 465 – 516, 473 – 507; Lieb, Germanistiken, 35 – 55; Detlef Döring, Johann Georg Wachter in Leipzig und die Entstehung seines Glossarium Etymologicum, in: Rudolf Bentzinger / Ulrich-Dieter Oppitz (Hg.), Fata Libellorum. Festschrift für Franzjosef Pensel zum 70. Geburtstag, Göppingen: Kümmerle 1999, 29 – 64, 31 f. 94 Lieb, Johann Schilter als Philologe, v. a. 347– 349. Vgl. a. Lieb, Germanistiken, 99 – 101. 95 Darauf verweist bereits der Untertitel des ersten Bandes: „Tomus Primus, exhibens Monumenta Ecclesiastica Christiana Veterum Francorum & Alemannorum vernacula“. Zur Auswahl der Handschriften für Schilters Thesaurus vgl. Kap. 3a. Zur Missionierung unter Karl dem Großen vgl. Horst Brunner, Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Überblick, Stuttgart: Reclam 2013, 43 f.; Sebastian P. Brock [u. a.], Bibelübersetzungen, in: Theologische Realenzyklopädie Online: Bibel – Böhmen und Mähren. Berlin, New York: De Gruyter, 2010, URL: https:// doi.org/10.1515/tre.06_160_48 [18.7. 2023].

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Die Volkssprache ist hier zentrales Element, um konfessionelle Inhalte zu transportieren und für einen breiteren Personenkreis zugänglich zu machen. Der Gelehrte führte seine Abhandlung bis zum Konzil von Tours (813) zurück, in dessen Forderung an die Bischöfe, Predigten zum besseren Verständnis der vermittelten religiösen Inhalte in der (gallo-)romanischen oder germanischen Volkssprache („in rusticam Romanam Linguam, aut Theutiscam“) zu halten, Schilter einen grundlegenden Impuls zur Verbreitung des christlichen Glaubens einerseits und der Pflege der deutschen Volkssprache andererseits ausmachte.⁹⁶ Daran anschließend betonte er insbesondere die Bedeutung von Karl dem Großen (768 – 814), dessen Einsatz für die Pflege der Volkssprache andere gelehrte Männer wie Otfrid (um 790 – 875), Walahfrid Strabo (807– 849) oder Notker III. (um 950 – 1022) inspiriert hätte. Diese frühen Bemühungen um das Althochdeutsche verknüpfte Schilter eng mit der Ausbreitung des Christentums im deutschen Sprachraum. So habe sich Otfrid mit seiner Bibelübersetzung dafür eingesetzt, Laien und in der lateinischen Sprache Unkundigen die christliche Religion näher zu bringen.⁹⁷ Zugleich habe der St. Gallener Mönch Kero mit seiner althochdeutschen Übersetzung der Benediktinerregel auf die Unkenntnis der lateinischen Sprache im deutschen Klerus reagiert.⁹⁸ An diese Hochphase der althochdeutschen Sprachkultur schließt bei Schilter eine Zeit des Niedergangs an, die er wesentlich auf die hemmende Wirkung des italienischen Klerus zurückführt, der seinen Einfluss in den Kirchen und an den Höfen im Heiligen Römischen Reich ausbaute. Darin klingen zeitgenössische Diskurse an, die das Mittelalter als Verfallszeit der lateinischen Sprache betrachteten. So vertrat der protestantische Theologe Adam Rechenberg (1642 – 1721) in dem Werk De ineptiis clericorum Rom. Litterariis (Leipzig 1690) die These, dass die römische Kurie im Verbund mit den Mönchen des Mittelalters Grammatik, Philosophie und Theologie gleichermaßen und fast planmäßig im Stile einer großen Verschwörung korrum-

96 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, § XXXII. Vgl. Wolfgang Haubrichs / Herwig Wolfram, Theodiscus, in: Germanische Altertumskunde Online, Berlin / New York: De Gruyter 2010, URL: www.degruyter.com/ database/GAO/entry/RGA_5710/html [18.7.2023]. Schilter datiert das Konzil von Tours fälschlicherweise auf das Jahr 513. 97 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, §§ XXXII–XXXIV. 98 Die fehlerhafte Zuordnung an einen Mönch namens Kero übernahm Schilter von Goldast. Die im Thesaurus abgedruckte Edition der althochdeutschen Benediktinerregel geht allerdings nicht auf Schilter, sondern auf Johann Georg Scherz zurück, da es Schilter zu Lebzeiten nicht gelang, an eine entsprechende Abschrift zu gelangen. Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 330 – 332.

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piert hatten.⁹⁹ Schilter differenzierte diese These offenbar für seine Zwecke, um zu begründen, warum ursprünglich in der Volkssprache verfasste Texte ins Lateinische übersetzt wurden, wie es etwa mit der ersten Stufe der Straßburger Stadtrechte geschehen sei.¹⁰⁰ Mit dieser Verbindung von Volkssprache, Laienbildung, der Verbreitung religiösen Wissens und dem katholischen Klerus als Antagonisten griff Schilter nicht nur zentrale reformatorische Themen auf,¹⁰¹ sondern bekräftigte auch die protestantische Deutungshoheit über die edierten Texte. Das wird insbesondere an der Einordnung von Texten wie Otfrids Evangelienbuch und Notkers Psalterübersetzung in den jeweiligen Vorreden deutlich.¹⁰² In der Vorrede zur Otfrid-Edition schließt er zunächst an die Deutung von Flacius Illyricus von 1571 an, auf dessen Ausgabe seine Edition basierte. Das zeigt sich bereits darin, dass Schilter in seiner Edition auch dessen Paratexte mit abdruckte. Hierdurch erhielt Otfrids Evangelienbuch gleich eine doppelte Rahmung. Flacius hatte Otfrid in seiner Vorrede für dessen althochdeutsches Evangelienbuch insbesondere deshalb gewürdigt, weil er mit diesem „die Legitimität volkssprachiger Bibelübersetzungen aus ihrer jahrhundertealten Tradition heraus“ bewiesen habe. In seiner Editio princeps bezeichnete er diesen sogar als Wahrheitszeuge eines unverfälschten protestantischen Glaubens.¹⁰³ Schilter knüpfte mit seinem Lob für Otfrids Übersetzung des Evangeliums als missionarische Errungenschaft in der fränkischen und germanischen Kirche daran an. Die Beschäftigung mit dem Evangelienbuch empfiehlt sich daher nicht nur wegen seines hohen Alters, sondern auch wegen seines hehren Anliegens. So lasse sich das Studium der Altertümer anhand des Untersuchungsgegenstands in heilige („Res Sacrum“) und zivile Angelegenheiten („Res Civile“) einteilen. Die Bedeutung des Studiums der „Res Sacrum“, zu dem Schilter auch Otfrid zählte, schätzte er dabei ungleich größer ein, da es die Nachwelt in ihrem Glauben bestätige und zum Verständnis der Offenbarung beitrage. Eine Edition des Evangelienbuchs war für den Gelehrten daher bedeutsamer als alle anderen volkssprachigen Texte des Mittelalters.¹⁰⁴ 99 Bernd Roling, Die Geburtswehen der mittellateinischen Philologie. Polycarp Leyser IV. und das Mittelalter, in: Günther Frank / Volker Leppin (Hg.), Die Reformation und ihr Mittelalter, Stuttgart: frommann-holzboog 2016, 303 – 326, 307. 100 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, § XXXIV. Vgl. Lieb, Johann Schilter als Philologe, 347. 101 Vgl. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik, 43 – 45. 102 Eine entsprechende Kontextualisierung fehlt zwar im Einzelnen für die übrigen Editionen, der zugrunde liegende Deutungsrahmen bleibt davon aber unbenommen. 103 Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 130 – 132. 104 Schilter, Praefatio ad Otfridi Libros Evangeliorum, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, §§ II–III.

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6 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit

In der Vorrede zur Edition von Notkers III. althochdeutscher Psalterübersetzung griff Schilter das Thema der Bibelübersetzungen ausführlicher in historisch vergleichender Perspektive auf.¹⁰⁵ Dort betont er zunächst die allgemeine Bedeutung solcher Übersetzungen der Heiligen Schrift, die er als Vermittlungsleistung der Offenbarung Gottes zu den größten Geschenken der Menschheit zählte. Daraufhin ordnete Schilter Notkers althochdeutschen Psalter in eine Geschichte der Bibelübersetzungen ein, die er ausgehend von der ersten Aufzeichnung der Heiligen Schrift in der vorsintflutlichen Zeit über die Septuaginta – die erste Übersetzung des Pentateuch ins Griechische – bis zu den abendländischen Übersetzungsleistungen beschrieb. Hier hob er insbesondere Hieronymus’ Übersetzungen des Alten Testaments aus dem Hebräischen und des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Lateinische hervor, die als Grundlage der einflussreichen Vulgata-Übersetzung eine Vielzahl an unterschiedlichen früheren lateinischen Übersetzungen abgelöst hätte.¹⁰⁶ Erst im Anschluss kam er auf Hieronymus’ dreifache Übersetzung des Psalters und kurz auf Notker zu sprechen.¹⁰⁷ Der narrative Bogen, den Schilter spannt, macht nicht nur deutlich, welche Bedeutung er Notkers Psalterübersetzung zuwies, sondern stellte zugleich Bibelübersetzungen durch die historische Einordnung als Normalität der Überlieferung der Heiligen Schrift dar. Über die Einordnung Otfrids und Notkers wird so immer wieder Schilters inhärente protestantische Perspektive deutlich. So unterstrich er Otfrids zentrale Rolle für die volkssprachige Missionierung zur Zeit der karolingischen Erneuerung, indem er ihm auch die ursprüngliche Autorschaft an Notkers Psalterübersetzung zuschrieb. Die Grundlage dafür lieferte Petrus Lambeck mit seiner Annahme, Otfrid sei der Autor der Wiener Notker-Handschrift,¹⁰⁸ des sogenannten Wiener Notker. ¹⁰⁹ Darauf aufbauend schlussfolgerte Schilter anhand eines Abgleichs von Auszügen der Wiener Handschrift mit seiner Abschrift des St. Gallener Textzeugen (Sangallensis 21),¹¹⁰ dass Notker im letzteren nur Otfrids ursprünglichen Text einer Revi-

105 Vgl. Brock [u. a.], Bibelübersetzungen, URL: https://doi.org/10.1515/tre.06_160_48 [18.7. 2023]. 106 Johann Schilter, Praefatio ad Psalterivm Notkeri, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, §§ I–VI. Zu Hieronymus vgl. Pierre Nautin, Hieronymus (347 o. 348 – 420), in: Theologische Realenzyklopädie Online: Heinrich II. – Ibsen. Berlin, New York: De Gruyter 2010, URL: https://doi.org/10.1515/tre.15_304_21 [18.7. 2023]. 107 Schilter, Praefatio ad Psalterivm Notkeri, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, § VI. 108 Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 2681. 109 Den Anstoß für diese Annahme gab möglicherweise Johann Philipp Schmid. Hierzu und zur falschen Zuweisung durch Lambeck vgl. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 114 – 115, v. a. Anm. 155. 110 Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 21.

c Autorität vor Gericht

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sion unterzogen hätte.¹¹¹ Dabei hätte Notker aber nicht nur mittlerweile unverständliche Worte erläutert und ersetzt, sondern den Text auch an eine lateinische Leserschaft angepasst, die Schilter in den in seiner Rahmenerzählung angesprochenen italienischen Klerikern identifiziert.¹¹² In der Einordnung seiner Editionen schloss Schilter folglich einerseits an Themen der nachreformatorischen protestantischen Kirchengeschichtsschreibung an. Notker und Otfrid waren für Schilter zugleich Monumente einer volksprachigen wie auch einer christlich-missionarischen Entwicklung und waren daher besonders anschlussfähig für eine protestantische Erzählung. Andererseits fiel seine Darstellung in Hinblick auf ihre antikatholische Stoßrichtung vor allem im Kontrast zu den Magdeburger Zenturien einige Generationen zuvor eher moderat aus. Lediglich an einer Stelle erscheint die katholische Kirche in Form eingewanderter italienischer Kleriker als unter protestantischen Zeitgenossen beliebter Gegenspieler, die in sprachlicher Hinsicht einen Rückfall bewirkt hätten. Den zeitgenössischen Anforderungen entsprechend verfasste Schilter in erster Linie aber eine methodisch anspruchsvolle Edition, die auf konfessionellen Ausgleich bedacht war. Hieran zeigen sich gleich zwei parallellaufende Entwicklungen auf dem Feld der Kirchengeschichtsschreibung um 1700. Sie war weiterhin elementar für die konfessionelle Identitätsbildung, zugleich bot sie aber auch Anknüpfungspunkte für eine interkonfessionelle Verständigung, wie es die Korrespondenz mit Mabillon zeigt.¹¹³

c Autorität vor Gericht. Zu Schilters Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels vor dem Hintergrund der Debatte um die Geltung des einheimischen Rechts Im Jahr 1682 erschien in der Acta Eruditorum, der gerade erst von Otto Mencke (1644 – 1707) in Leipzig neu gegründeten gelehrten Zeitschrift, eine anonyme Rezension des frisch erschienenen Werks Civis Germani, de Germanicarum Legum

111 Schilter, Notkeri Tertii Labeonis Psalterium Davidicum: E Latino in Theotiscam Veterem Linguam Versum, & Paraphrasi illustratum, in: Ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, 90. Schilters Notizen hierzu sind in seinen Vorarbeiten zur Notker-Edition unter dem Titel „Variae Lectiones Psalmorum ex versione Germanica Otfridi, idemque Notkeri, in Psalmo quadrogesimo primo“ überliefert. UB Gießen, Hs 1230, fol. 68r–v. 112 Schilter, Praefatio ad Psalterivm Notkeri, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus primus, § IIX. 113 Anthony Grafton, Past Belief: The Fall and Rise of Ecclesiastical History in Early Modern Europe, in: Philip Nord [u. a.] (Hg.), Formations of Belief. Historical Approaches to Religion and the Secular, Princeton: Princeton University Press 2019, 13 – 40, 244 – 254, 16.

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6 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit

Veterum, ac Romani Juris in Republica nostra origine, autoritateque praesenti. ¹¹⁴ Johann Georg Kulpis hatte es unter dem Pseudonym Conrad Sincerus herausgegeben. Er sprach sich im Kern für den Vorrang des einheimischen vor dem römischen Recht aus und stellte dessen Geltung als gemeines Recht sogar grundlegend infrage, indem er ihm die sogenannte fundata intentio absprach.¹¹⁵ Der anonyme Rezensent, hinter dem sich niemand Geringeres als Johann Schilter verbarg, entwickelte in dem Text eine ganz eigene Position zu dem behandelten Thema.¹¹⁶ Dabei handelte es sich bereits um eine Entgegnung. Anders als häufig dargestellt war der erste Debattenanstoß nicht von Schilter, sondern von Kulpis ausgegangen.¹¹⁷ Ohne explizite Namensnennung hatte dieser in seinem Werk eine Darstellung aufgegriffen und verworfen, die Schilter in seinem Früh-

114 [Johann Georg Kulpis], Conradi Sinceri Civis Germani, de Germanicarum Legum Veterum, ac Romani Juris in Republica nostra origine, autoritateque praesenti Dissertatio Epistolica, [Frankfurt a.M./Leipzig] 1682. Die Rezension erschien in: Acta Eruditorum 1682, Nr. XI: Cal. Novembris, 366 – 368. 115 Schäfer, Juristische Germanistik, 62 – 64. Schäfer zitiert allerdings aus der von Thomasius postum neu herausgegebenen Ausgabe von Kulpis’ Werk, die zwar anscheinend im Haupttext unverändert blieb, aber mit einer neuen Ordnung des Textes in Paragraphen versehen wurde. [Johann Georg Kulpis], Conradi Sinceri, Civis Germani De Germanicarum Legum Veterum, ac Romani Juris in Republica Nostra Origine, Auctoritateque Praesenti Dissertatio Epistolica. Accesserunt huic Editioni Notae & Exceptiones Adversus Responsiones Schilteri. In usum Auditorii Thomasiani, in: Christian Thomasius (Hg.), Notae ad Institutiones Justinianeas, varias juris Romani antiquitates imprimis usum eorum hodiernum in foris Germaniae ostendentes in usum auditorii Thomasiani […], Halle/Magdeburg: Renger 1712. Schäfer, Juristische Germanistik, 62, Anm. 18. Der Begriff „fundata intentio“ bezieht sich auf die Annahme der grundlegenden Geltung eines Rechts, das nicht im Einzelfall bewiesen werden muss. Vgl. Wolfgang Wiegand, Zur Herkunft und Ausbreitung der Formel „habere fundatam intentionem“. Eine Vorstudie zur Rechtsquellen- und Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit und des usus modernus, in: Hermann Krause [u. a.] (Hg.), Festschrift für Hermann Krause, Köln / Wien: Böhlau 1975, 126 – 170. 116 Gunter Wesener stellte bereits die Zuordnung fest, verweist aber fälschlicherweise auf die Seiten 369 f. Schilter lässt sich vor allem deswegen als Autor annehmen, da er den Wortlaut der Rezension fast unverändert in seiner Neuauflage der Exercitationes ad L libros Pandectarum aufnahm, die 1698 in Jena unter dem Titel Praxis Iuris Romani in Foro Germanico Iuxta Ordinem Edicti Perpetvui et Pandectarum Ivstiniani in drei Bänden erschien. Schilter, Praxis Iuris Romani in Foro Germanico, Tom. I, Exercit. II Additamentum ad § XII, 39 – 41. Wesener, Ius Romano-Germanicum, 1033. Der Verweis auf Schilter fehlt dagegen in Liste der Rezensenten der Acta Eruditorum. Vgl. Augustinus Hubertus Laeven / Lucia Johann Maria Laeven-Aretz, The authors and reviewers of the Acta Eruditorum 1682 – 1735, 2014, URL: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-138484 [18.7. 2023], 13. 117 Vgl. etwa Schäfer, Juristische Germanistik, 62 – 66; Wesener, Ius Romano-Germanicum. Ausführlicher und in richtiger Chronologie dagegen Roderich von Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Zweite Abtheilung. München / Leipzig: Oldenbourg 1884, 185 – 188.

c Autorität vor Gericht

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werk, den Exercitationes ad L libros Pandectarum (Jena 1672 – 1684) verfasst hatte.¹¹⁸ Dort hatte sich Schilter für die Geltung des Römischen Rechts im Heiligen Römischen Reich durch dessen Rezeption ausgesprochen. Sein Argument basierte auf der Annahme, dass die Zulassung des Rezeptionsvorgangs durch Kaiser und Stände eine stillschweigende Zustimmung erkennen lasse. Kulpis hatte vor allem die vage und unkonkrete Argumentation kritisiert.¹¹⁹ Dabei stand Schilter Kulpis’ Position gar nicht völlig ablehnend gegenüber, sondern vertrat einen Mittelweg, wie er in seiner Rezension ausführte. Dieser zeichnete sich einerseits dadurch aus, dass er Hermann Conring in dessen Ablehnung der Lotharischen Legende folgte. Der Legende zufolge sei das Römische Recht durch Kaiser Lothar III. im Jahr 1135 im Heiligen Römischen Reich eingeführt worden. Andererseits ging ihm der Standpunkt von Kulpis, dem römischen Recht den Status als gemeines Recht vollkommen abzusprechen, aber zu weit. Konkret vertrat Schilter einen Dualismus, der sowohl das römische als auch das einheimische Recht als gemeines Recht duldete. Der unklare Rechtszustand, der sich hieraus ergebe, könne nur von den Gerichten geklärt werden. Als Aufgabe der Juristen betrachtete er es daher, die Prinzipien und Grundlagen beider Rechte sorgfältig zu erschließen, um zu erkennen, was den deutschen Sitten und Verhältnissen entspreche.¹²⁰ Schilters Position in der Debatte erwies sich als richtungsweisend für deutsche Juristen. In den Urteilen des Reichskammergerichts entfaltete der Einsatz für die Geltung des deutschen Rechts, für den Schilter – wenn auch in abgeschwächter Form in Vergleich zu Kulpis – stand, zwar nur begrenzte Wirkung. Der Einfluss der Debatte zeigt sich jedoch deutlich daran, dass Advokaten ihre Argumentationen in Prozessen vor dem Reichskammergericht zunehmend auf deutsche Rechtsbestände aufbauten.¹²¹ Hierbei spielten die Editionen relevanter Rechtstexte eine zentrale Rolle, indem sie das Quellenmaterial erst zugänglich machten.¹²² Auch wenn die Entscheidungen des Reichskammergerichts sich häufig gegen die Anwendung

118 Die in der rechtshistorischen Forschung z.T. stark variierenden Angaben zum Erscheinungsjahr des Werks gehen auf den langen Zeitraum zwischen 1672 und 1684 zurück, in dem das Werk stückweise, d. h. in einzelnen Dissertationen, erschien. Diese in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnliche Erscheinungsform ist gut in Schilters Korrespondenz mit Avianus dokumentiert. Vgl. etwa Avianus an Schilter, Gotha 4. Januar 1687 (abgedruckt in: Schilter, Praxis Iuris Romani in Foro Germanico) oder Coburg 25. August 1683 (UB Gießen, Hs 141, fol. 45). Das fertiggestellte Werk wurde bereits 1684 unter demselben Titel wie dem der zweiten überarbeiteten Auflage, die erst 1698 erschien, veröffentlicht. 119 Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Zweite Abtheilung, 185 f. 120 Wesener, Ius Romano-Germanicum. 121 Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht, 632 – 635. 122 Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht, 347.

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6 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit

deutschrechtlicher Argumentationen richteten, ging dies nicht etwa auf Desinteresse zurück. Ganz im Gegenteil war das Gericht „mit den Lehren der germanistischen Rechtsantiquare gut vertraut.“¹²³ In diesem Kontext der Verfügbarmachung und Erklärung einheimischer Rechtsquellen müssen nicht nur Schilters privatrechliche Arbeiten wie die Neuauflage der Exercitationes ad L libros Pandectarum (Jena 1672 – 1684)¹²⁴ sowie seine Editionen der Lex Salica und des Landrechts des Schwabenspiegels im Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) eingeordnet werden.¹²⁵ Auch in Bezug auf das Lehnsrecht zielte Schilter darauf ab, dieses aus deutschen Rechtsquellen zu rekonstruieren. Bereits 1695 hatte er eine kurze Abhandlung zum einheimischen und langobardischen Lehnsrecht veröffentlicht.¹²⁶ Zwei Jahre später folgten dann Editionen des Lehnsrechts des Schwaben- sowie Sachsenspiegels in seinem Codex Iuris Alemannici Feudalis (Straßburg 1697).¹²⁷ Schließlich lässt sich auch sein Glossar als Rechtswörterbuch diesem Anliegen zuordnen, da ein gewichtiger Nutzen des Werks in der Erläuterung unverständlicher und ungebräuchlicher Rechtsbegriffe liegen sollte.¹²⁸ Im Folgenden soll zunächst die Debatte um das Verhältnis von einheimischem und fremdem (römischen) Recht in einen reichspolitischen Kontext eingeordnet werden. Daran anschließend wird exemplarisch an Schilters Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels gezeigt, wie der Gelehrte die einheimischen Rechtsquellen in seinen Editionen argumentativ aufbereitete und vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten Debatte deutete. Die Debatte um die Geltung einheimischer Rechtsquellen fand vor dem Hintergrund statt, dass die nach dem Dreißigjährigen Krieg gestiegene Macht des Kaisers vielen protestantischen Juristen zunehmend suspekt wurde. Zu Beginn des Jahrhunderts war das noch anders gewesen. Als zum Ende des 16. Jahrhunderts die

123 Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht, 634. 124 Schilter, Exercitationes ad L libros Pandectarum. 125 Johann Schilter, Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, literariarum. Tomus Secundus. 126 Johann Schilter, Ad Jus Feudale utrumque Germanicum et Longobardicum Introductio sev Institutiones ex genuinis principiis succincte concinnatae & ad Fori Feudales hodierni usum directae, Straßburg: Spoor 1695. 127 In der Vorrede der Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels schreibt Schilter dementsprechend, er habe das Jus Feudale Alemannicum aus Dreck und Schmutz nun sauberer und in Hinblick auf das Katheder [d. h. die universitäre Lehre] und die Gerichte ediert. („Jus Feudale Alamannicum, ex situ & squalore reductum, lautius atque ad cathedram pariter & ad tribunalia accomodatius edituro“). Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, § I. 128 Mikeleitis-Winter, Johann Schilter als Lexikograph, 312 f.

c Autorität vor Gericht

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Konflikte zwischen den konfessionellen Lagern auf Reichsebene zunahmen,¹²⁹ bemühten sich protestantische Juristen wie Goldast darum, die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens auf rechtlicher Ebene durchzusetzen. Das spiegelte sich auch in der zeitgenössischen Mittelalterrezeption wider. Mit seiner Monarchia Sancti Romani Imperii (3 Bde, Frankfurt a. M. 1612 – 1614) bediente Goldast einerseits ein „überall im Reich entstandenes Bedürfnis nach Information über die konkreten Rechtsgrundlagen.“¹³⁰ Andererseits nahm die bereits in den Magdeburger Zenturien anklingende Darstellung eines starken deutschen Kaisertums gegenüber dem römischen Papsttum einen prominenten Platz bei Goldast ein und der Investiturstreit wurde zum zentralen Ereignis. Mit dem Einsatz für einen starken Kaiser gegen den Papst war die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage der Protestanten im Heiligen Römischen Reich unter dem Schutz des Kaisers verbunden.¹³¹ Mit dem Dreißigjährigen Krieg und der in den zwanziger Jahren manifestierten kaiserlichen Übermacht geriet diese Wertschätzung eines starken Kaisertums aus protestantischer Perspektive jedoch ins Wanken. In der Folge begannen Juristen im Heiligen Römischen Reich stärker, sich mit der Erforschung territorialer Freiheiten im Verband des Heiligen Römischen Reichs zu beschäftigten.¹³² Conrings historische Dekonstruktion der Lotharischen Legende in seinem Werk De Origine Ivris Germanici (Helmstedt 1643) war in diesem Kontext für die anschließende gelehrte Beschäftigung mit den einheimischen Rechtsquellen grundlegend. Er vertrat die Position, das römische Recht sei „nicht verknüpft mit der Autorität des römischen Kaisertums, sondern es ist auf Grund des freien Ermessens der einzelnen Rechtsstände rezipiert worden – und diese sind auch nur durch ihren freien Willen daran gebunden.“¹³³ Damit stellte er nicht nur infrage, dass das römische Recht mit der Translatio Imperii Geltung als Kaiserrecht beanspruchen konnte, sondern stellte auch die Gesetzgebungskompetenz des Kaisers infrage.¹³⁴ Darüber hinaus argumentierte er entschieden für die andauernde Geltung des einheimischen Rechts, das eben nicht durch kaiserliche Rechtsprechung abgeschafft worden sei.¹³⁵

129 Barbara Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806, München: C.H. Beck 62018 (Beck’sche Reihe 2399), 63 – 73. 130 Caspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus, 185. 131 Caspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus, 185. 132 Hammerstein, Jus und Historie, 38 – 41. 133 Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, 376. 134 Hammerstein, Jus und Historie, 38 f.; Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte; Karl Kroeschell [u. a.], Deutsche Rechtsgeschichte. Band 2: 1250 – 1650, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 92008 (UTB Rechtsgeschichte 2735), 27. 135 Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, 374 f.

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6 Positionierungen. Edieren als einordnende Tätigkeit

In Bezug auf die Editionen einheimischer Rechtsquellen hatte Conring damit einen grundlegenden Bedeutungswandel ausgelöst.¹³⁶ Für Sebastian Meichsner, der den Schwabenspiegel zuletzt vor Schilter in mehreren Editionen 1561, 1566 und 1576 herausgebracht hatte, konnte das Rechtsbuch kaum eine rechtliche Geltung beanspruchen. Er sah dessen Wert vornehmlich darin, eine Quelle zur Geschichte der deutschen Sitten und Bräuche zu sein.¹³⁷ Waren die Umstände der Entstehung der verschiedenen mittelalterlichen Rechtsquellen – ihre Datierung, ihr zeitliches Verhältnis zueinander und ihre Vorlagen – von vornehmlich informativem Charakter für Meichsner gewesen, konnten sie mit Conring nun eine hohe Relevanz für das zeitgenössische Recht erlangen. Für Schilter war das Studium und die Edition der einheimischen Rechtsquellen daher mit dem konkreten zeitgenössischen Anliegen verbunden, diese auf eine Ebene mit dem römischen Recht zu stellen. Dieser Bedeutungswandel wirkte sich auch auf die Editionspraktiken aus, die folglich stärker auf Respekt vor der sprachlichen Verfasstheit der Quelle ausgerichtet waren. Die Verständlichkeit des mittelalterlichen Textes konnte so nicht mehr durch die Anpassung an den zeitgenössischen Sprachgebrauch, sondern durch ein erklärendes Wörterbuch wie Schilters Glossar erreicht werden.¹³⁸ Schilter ordnete die von ihm edierten einheimischer Rechtsquellen an verschiedenen Stellen in seinen Werken in eine Geschichte der deutschen Rechtssprache ein. So führte er in den Vorreden zu seinem Glossar und zur Edition der Straßburger Chronik etwa ein bereits in Kapitel 6b beschriebenes historisches Narrativ über den Ursprung der deutschen Sprache und des deutschen Rechts

136 Vgl. Lieb, Germanistiken, v. a. 52 – 54. 137 „Wie lustig, nutzlich und notwendig aber nun mehr dis Buch uns Teutschen seyn wirt, das wirdt ein jeder, so es gelesen, bey im selbsten befinden, Welches aber hiermit dismaln underschiedlichen anzuzeygen darumben underlassen, damit ein jeder desto begieriger seye solches selbsten zu erfahren, wie er auch sich alsdann verwundern wirt, warumb solch Buch bis dahero hinderhalten, und nicht belder ausgetheilet worden, als dardurch etwan viel streitige sachen vermitten worden weren, und gesetzt aber, das solches Buch zugleich andern gemeinen Reichs Constitutionen je nicht allerdings wol anzunemmen, so solte es doch zum wenigsten zu erklärung der andern Satzungen, und so wol als anderen Historien von der Teutschen Sitten und Breuchen, gelesen werden“. Sebastian Meichsner, Kayserlich vnd Königlich Land vnd Lehenrecht, Satzungen, Sitten vnd Gebreuch, wie die vnsere Teutsche Vorfahren lang wol herbracht vnd erhalten, auch durch Röm. Keyser vnd König weyters erklärt vnd gebessert worden sind, Frankfurt a. M.: Feyerabend 1576, Vorrede. Schilter druckte in seiner Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels einen Auszug aus der Widmungsvorrede von Sebastian Meichsner ab. Allerdings wird die Widmung dort statt auf den 20. Januar 1561 fälschlicherweise auf den 20. Januar 1590 datiert. Vgl. Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis. 138 Ausführlich dazu vgl. Kap. 5c.

c Autorität vor Gericht

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aus.¹³⁹ Dabei ging es ihm in Bezug auf die deutsche Rechtssprache vor allem darum, die Bedeutung der Verständlichkeit der Rechtsquellen für breitere Bevölkerungskreise hervorzuheben, was er zugleich als ein Anliegen seines Thesaurus darstellte.¹⁴⁰ Etwas ausführlicher breitet er seine Darstellung einer Geschichte der deutschen Rechtssprache in der Vorrede zu seiner Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels aus. Dabei wird deutlich, wie die größere Debatte um die Geltung des einheimischen und fremden Rechts im Kleinen in in einzelne (historische) Probleme mündete. Das begann bei der Frage nach schriftlichen Traditionen bei den Germanen und daran anschließend nach der Tradierung volkssprachiger Rechte. Schilter ging von der allgemeinen Feststellung aus, dass kein Volk ohne Recht existieren könne. Darauf aufbauend argumentierte er, auch das Volk der Alemannen, auf das er die Rechtstradition des Schwabenspiegels zurückführte, habe seit seiner Entstehung ein eigenes Recht gehabt. Dieses habe Theoderich der Große (451/56 – 526), König des Ostgotenreichs, als erster aufgeschrieben. Von den fränkischen Königen Childebert I. (497– 558) und Chlotar II. (584 – 629/639) sei die Rechtstradition fortgeführt worden. Schließlich habe Dagobert I. (608/610 – 639) als König der Franken dieses 630 erneuert und den Kapitularien der fränkischen Könige zugeordnet. Wenngleich sich diese Rechte nur auf strafrechtliche Fragen bezogen, habe zu der Zeit auch schon ein Feudalrecht existiert.¹⁴¹ Damit betonte er die Kontinuität der Rechtstradition des Schwabenspiegels trotz der schwierigen Quellenlage zur vorkarolingischen Zeit. Das war erstens wichtig, da der Nachweis eines fortwährenden Rechtsgebrauchs ein zentrales Argument für dessen zeitgenössische Geltung darstellte. Zweitens konnten nur „diejenigen alten Rechtsquellen, die von römischrechtlichen Einflüssen völlig frei waren, […] über ein urtümlich deutsches Recht Auskunft geben.“¹⁴² Der zweite Punkt führte zum nächsten Problem, und zwar zur Isolierung einer „unverfälschten“, das heißt von römischen Einflüssen freien, Tradierung des Rechts. Hiermit war zugleich der Nachweis einer deutschen Rechtssprache verbunden, die eine solche Überlieferung belegen und garantieren konnte. Schilter widersprach

139 Vgl. Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius; Schilter, Die Alteste Teutsche so wol Allgemeine Als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke, Vorrede. 140 Schilter, Praefatio ad Glossarium Alamannicum, in: ders., Thesaurus antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Tertius, v. a. §§ XXXII, XXXIV-XXXVI, XL. Vgl. a. Lieb, Johann Schilter als Philologe, 348; Lieb, Germanistiken, 102 f. 141 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, § V. Die genaue Zuordnung der Könige bleibt bei Schilter vielfach uneindeutig. So wird Theoderich etwa als „Rex Francorum“ bezeichnet. 142 Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht, 633.

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der verbreiteten Annahme, dass sich der Gebrauch einer deutschen Rechtssprache nicht bereits zur Zeit Karls des Großen, sondern erst unter Kaiser Friedrich II. durchgesetzt hätte.¹⁴³ Das machte er am Beginn seines Exemplars des Schwabenspiegels fest, der mit den Worten „Hie hebt sich an Kaiser Karls lehenrecht puch“ anfing.¹⁴⁴ Mit seiner Position stand Schilter im Widerspruch zu Gelehrten wie etwa Hermann Conring. Dieser ging davon aus, dass der Gebrauch des Deutschen als Schriftsprache für Karls Zeit notgedrungen eine Fabel sein musste, da schließlich keine entsprechenden Schriftstücke in deutscher Sprache überliefert wären. Eine Passage aus der Vita Karls des Großen des fränkischen Gelehrten Einhard (770 – 840), in der dieser berichtete, von Karl dem Großen besiegte Völker hätten ihr nichtschriftliches Recht in der Folge aufgeschrieben und ihm übergeben, lehnte Conring als Beleg hierfür ab.¹⁴⁵ Schilter sah dies anders und hielt Einhards Bericht für einen adäquaten Beleg, dass einheimische Rechte in deutscher Sprache ins Lateinische übertragen worden seien. Wer Carmina in deutscher Sprache aufschreiben könne, der könne schließlich erst recht Gewohnheiten und Rechte der Germanen in der eigenen angeborenen Sprache aufzeichnen.¹⁴⁶ Um seine Position zu stützen, führte Schilter gleich eine Reihe von Argumenten an. Erstens beschrieb er zwei Berichte über die Bekanntmachung von Verordnungen, die von dem westgotischen Könige Rekkeswinth (?–672) und dem fränkischen König Ludwig dem Frommen (778 – 840) beschlossen worden waren. Beide Herrscher hatten bestimmt, dass die Beschlüsse in allen Teilen des Reiches öffentlich zur Schau gestellt und vorgelesen werden sollten. Für Schilter war es deshalb eindeutig, dass die Verordnungen in der Volkssprache verfasst worden waren. Wurden sie einer breiten Masse vorgelesen, so musste man zwangsläufig davon ausgehen, dass dies in der Muttersprache der Zuhörerschaft geschah. Zweitens hätten Lehnsgerichte nicht aus Klerikern bestanden, sondern aus Laien und Rittern („milites“), die in der lateinischen Sprache unerfahren waren. Daher war es nötig, dass auch die Lehnsrechte in der Volkssprache verfasst waren.¹⁴⁷

143 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, § IX. Vgl. Warnke, Umbrüche in Recht und Sprache der Frühen Neuzeit, 263. Nach neuesten Erkenntnissen ist die Entstehungszeit des Schwabenspiegels auf die Zeit zwischen 1268 und 1272 vorzudatieren. Vgl. Christa BertelsmeierKierst, Kommunikation und Herrschaft. Zum volkssprachlichen Verschriftlichungsprozeß des Rechts im 13. Jahrhundert, Stuttgart: Hirzel 2008, v. a. 135. 144 UB Gießen, Hs 996, fol. 89r. 145 Hermann Conring, De Origine Iuris Germanici. Liber unus, Helmstedt: Mullerus 21649, Cap. XIII, 34. Zu Conrings Position vgl. a. Lieb, Germanistiken, 47– 55. 146 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, § IX. 147 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, §§ X–XI.

c Autorität vor Gericht

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Die Ausgaben germanischer Rechtsquellen in lateinischer Sprache betrachtete Schilter dagegen als Übersetzungen, wie er am Beispiel der Lex Salica und mit Verweis auf Antoine Dadin de Hauteserre (1602 – 1682) ausführte.¹⁴⁸ Aus der Existenz dieser Übersetzungen ergebe sich allerdings nicht, dass genaue Editionen der volkssprachigen Versionen wie die von ihm vorgelegten verzichtbar seien, wie manche Gelehrte annehmen würden.Vielmehr hielt Schilter die Übersetzungen der Rechtstexte für hoch problematisch, da viele der eigentümlichen Bedeutungen volkssprachiger Begriffe bei dem Vorgang verloren gingen.¹⁴⁹ Eine „unverfälschte“ Tradierung und exakte Edition der einheimischen Rechtsquellen war für ihre Auslegung somit von zentraler Bedeutung. Das gleiche galt hinsichtlich des Verhältnisses der Rechtsquellen zueinander, wie die Debatte um die Chronologie und Genese des Sachsen- und Schwabenspiegels zeigt, die Juristen bis in das 19. Jahrhundert beschäftigte.¹⁵⁰ Im 17. Jahrhundert hatten sich zu dem Thema vor allem Goldast und Conring für die Sache des Sachsenspiegels und Petrus Lambeck für den Schwabenspiegel geäußert. Während Goldast und Conring den Sachsenspiegel – wie noch heute üblich – als Vorlage für den Schwabenspiegel ansahen,¹⁵¹ schlug sich Schilter mit seiner Annahme eines höheren Alters des Schwabenspiegels auf Lambecks Seite. Das machte er zum einen an der Sprache des Sachsenspiegels fest, deren Stil er für fragmentierter („diductius“) und jünger hielt. Zum anderen identifizierte er im Reichstag von 1208, den er fälschlicherweise in Nürnberg statt in Frankfurt a. M. vermutete, einen zentralen Moment. Während Kaiser Otto IV. dort das Jus Saxonicum nur teilweise bestätigte, habe das Jus Alamannicum als Rechtssammlung bereits volle öffentliche Geltung erlangt. Als Beleg diente ihm der Verweis auf einen solchen Reichstag als Entste148 Vgl. a. Antoine Dadin de Hauteserre, Rerum Aquitanicarum. Libri Quinque, In quibus vetus Aquitania illustratur, Toulouse 1648, Lib. 3, Kap. IX, 197– 201. 149 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, § XIII. Vgl. Okko Behrends, Die Eindeutschung der römisch-rechtlichen Fachsprache. Erfolge, Fehlschläge und Methoden. Eine Bestandsaufnahme aus Anlaß einer neuen Übersetzung der Institutionen Justinians, in: Jörn Eckert / Antonio Alvarez de Morales (Hg.), Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg: Müller Jur. Verl. 1991, 3 – 24. 150 Für eine ausführliche Übersicht der Debattenbeiträge vgl. Otto Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen. Erste Abtheilung, Braunschweig: Duncker & Humblot 1860, 352 – 355. 151 Melchior Goldast, Reichssatzung deß Heiligen Römischen Reichs / Kayser / König / Rescript und Außschreiben / auff den gehaltenen Reichstagen und Keyserlichen Höffen statuirt und außgangen / so weder in gemeinen ReichsAbschieden / noch in allbereyt außgegangnen Lateinischen und Teutschen Constitutionen und Reichshandlungen / gefunden werden, 2 Bde., Bd. 1, Hanau: Kopff 1609, Praefatio; Ders., De Bohemiae Regni, Incorporatumque Provinciarum, Iuribus ac privilegiis; necnon de hereditaria Regiae Bohemorum familiae succeßione, Commentarii in libros VI divisi, & Inde a prima usque origine ad praesentem aetatem quam diligentissimè& accuratissimè deducti, Frankfurt a. M.: Porsius 1627, Lib. 3, Kap. 2, 269 – 273; Conring, De Origine Iuris Germanici, Cap. XXX, 169 – 176.

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hungsort eines Exemplars des Lehnsrechts des Schwabenspiegels, das er in einem nicht näher benannten älteren handschriftlichen Codex in Straßburg gefunden habe. Die im Codex offensichtlich korrumpierte Datierung des Reichstags auf das Jahr 1008 emendierte Schilter in 1208.¹⁵² Im Kern konnte das Verhältnis von Sachsen- und Schwabenspiegel zu Gunsten des Ersteren erst mit der Entdeckung des Deutschenspiegel im 19. Jahrhundert geklärt werden. Schilters Argumentation erschien jedoch bereits der folgenden Juristengeneration vor allem in Bezug auf den Reichstag von 1208 unglaubwürdig.¹⁵³ An Schilters Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels wird so deutlich, wie die Debatte über die Geltung von einheimischem und fremdem Recht in unterschiedliche Problemfragen zerfiel, die einzeln bearbeitet und diskutiert wurden. Das Ziel der Aufbereitung der Texte für die Anwendung vor Gericht war dabei prägend, auch wenn der Einfluss juristischer Argumentationen, die auf den einheimischen Rechtsquellen basierten, zumindest vor dem Reichskammergericht letztlich begrenzt blieben. Obwohl sich Schilters grundsätzliche Position in der Debatte zwar als einflussreich erwies, galt das weniger für seine einzelnen Argumentationen. Das hatte möglicherweise auch damit zu tun, dass Schilter seine Position mit der Zeit angepasst hatte. So vertrat er ab 1685 sowohl in seinen Institutiones Juris (Leipzig 1685) als auch in der stark erweiterten Neuauflage seiner Exercitationes ad L libros Pandectarum, die 1698 unter dem Titel Praxis Iuris Romani in Foro Germanico (Jena) erschien, die Geltung des einheimischen Rechts vor dem fremden römischen aufgrund des höheren Alters des Ersteren.¹⁵⁴ In der Forschung wurde das bislang als Inkonsistenz bewertet, ohne aber die zeitliche Distanz zwischen den Publikationen zu berücksichtigen.¹⁵⁵ Wahrscheinlicher ist, dass Schilter sich im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit den einheimischen Rechtsquellen neu positionierte, womit er sich schließlich Kulpis’ Linie annäherte. So standen Schilters Editionen zeitgenössisch zwar für ein hohes methodisches Niveau, bei seiner historischen Argumentation wird aber immer wieder deutlich, dass seine Perspektive sehr viel stärker als bei Conring durch Fragen der zeitgenössischen Rechtsanwendung geprägt war, deren Notwendigkeiten er seine Erzählung unterordnete.¹⁵⁶

152 Schilter, Codex Iuris Alemannici Feudalis, Vorrede, §§ XV–XVII. 153 Vgl. Gundling, Schilterus Illustratus, 19 f.; Friedrich von Lassberg, Der Schwabenspiegel oder Schwäbisches Land- und Lehenrecht-Buch, Tübingen: Ludwig Friedrich Fues 1840, XVIII. 154 Hierzu Schäfer, Juristische Germanistik, 65 f.Vgl. Schilter, Institutiones Juris Ex principiis Juris Naturae, Gentium & Civilis, Lib. I, Tit. II, § 10, 17; Ders., Praxis Iuris Romani in Foro Germanico, Bd. 1, Exercitatio ad Pandectas I de Iure Scripto, 6, § XI, Anm. a. 155 Vgl. Schäfer, Juristische Germanistik, 65. 156 Vgl. Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, 375 – 377.

7 Schluss. Johann Schilter zwischen juristischer Germanistik, germanistischer Philologie und Mittelalterhistoriografie im 18. und 19. Jahrhundert Schilter und Scherz hatten mit den im Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) und darüber hinaus edierten mittelalterlichen Texten der Nachwelt einen Schatz hinterlassen, darin waren sich die Urteile in der Rezeption des 18. und 19. Jahrhunderts einig.¹ Es war somit unbestritten, dass Schilter mit seinen Editionen eine bis dahin unerreichte Zahl an volkssprachigen Texten des Mittelalters zugänglich machte. Die technische Qualität der Editionen wurde dagegen sehr unterschiedlich bewertet. Die gemischten und zum Teil widersprüchlichen Kritiken verdeutlichen, wie sehr die Anforderungen an Editionen zeitgebunden waren und in den jeweiligen historischen Rezeptionskontext eingeordnet werden müssen. So sahen Johann Jakob Bodmer (1698 – 1783) und Johann Jakob Breitinger (1701 – 1776) in Schilters Edition des Annoliedes einen deutlichen methodischen Rückschritt gegenüber den Ausgaben von Goldast und Opitz.² Dagegen schätzte Johann von Kelle (1828 – 1909) fast hundert Jahre später die Otfrid-Edition von Schilter und Scherz als deutlichen Fortschritt im Vergleich zur Ausgabe von Flacius ein, wenngleich er vor allem Scherz gemessen an den verfügbaren Mitteln für seine mangelnde Sorgfalt kritisierte.³ Die eingangs gestellte Frage nach den Verbindungslinien und Brüchen zwischen Goldasts und Schilters Generation wurde in der Rezeption von Schilters Editionen also ganz unterschiedlich beantwortet. In Anschluss daran lässt sich das Verhältnis zwischen den Arbeiten Schilters und denen von Goldast und seinen Zeitgenossen durchaus als ambivalent beschreiben. Mit Schilter setzte, wie in der durchgeführten Untersuchung gezeigt werden konnte, eine Konsolidierung der gelehrten Beschäftigung mit dem volkssprachigen Handschriftenbestand des Mittelalters von protestantischer Seite ein. Das äußerte sich nicht nur in einer breiteren Quellenbasis und der Anwendung neuer methodischer Forderungen, sondern auch in einer integrativen Perspektive auf das Mittelalter, die Rechtsquellen ebenso wie historiographische oder geistliche Texte miteinschloss. Die Textbasis, die Schilter mit seinen Editionen zugänglich

1 Vgl. exemplarisch Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, 18. 2 Vgl. Johann Jakob Bodmer / Johann Jakob Breitinger, Martin Opitzens von Boberfeld Gedichte. Erster Theil, Zürich: Conrad Orell und Comp. 1745, 155 – 170, hier: 167. 3 Vgl. Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, 126. https://doi.org/10.1515/9783111080154-008

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machte, war somit ungleich größer als zu Goldasts Zeiten. Damit lieferte der Gelehrte ein breiter aufgestelltes Bild von der Zeit des Mittelalters. In vielerlei Hinsicht führten Schilter und seine Zeitgenossen die Arbeiten fort, die von Gelehrten um 1600 begonnen worden waren. Das zeigt sich daran, dass Schilter einigen seiner Editionen frühere Ausgaben von Goldast, Flacius und Opitz zugrunde legte. Außerdem schloss er immer wieder ausdrücklich an protestantische Deutungstraditionen der herausgegebenen Texte an. Zugleich waren die konfessionellen Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten insbesondere in Hinblick auf Schilters Sympathien für einen starken Gallikanismus, den er als Vorbild für die deutschen Kirchen betrachtete, für seine Mittelalterforschung weniger prägend als noch zu Goldasts Zeiten. Deutliche Unterschiede zeigen sich dagegen in Hinblick auf den Umgang mit einheimischen Rechtsquellen. Während diese im späten 16. Jahrhundert vornehmlich als historische Quellen betrachtet wurden, erhielten sie in Anschluss an Hermann Conrings De Origine Ivris Germanici (Helmstedt 1643) zunehmende Relevanz für das zeitgenössische Recht. Maßgeblich für diese Entwicklung war, dass unter Protestanten die Wertschätzung eines starken Kaisertums im Verlauf des dreißigjährigen Krieges abnahm. Dieses hatte bei Goldast noch als Gegengewicht zum Papst Hoffnungen auf eine Verbesserung der Situation der Protestanten geweckt. Die in den 1620er Jahren manifestierte kaiserliche Übermacht löste später Forschungen zu den territorialen Freiheiten im Heiligen Römischen Reich aus. In Hinblick auf die Editionen einheimischer Rechtsquellen, für deren Anwendung vor Gericht sich Schilter maßgeblich einsetzte, bedeutete dies, dass die Dokumentation der sprachlichen Verfasstheit eine zentrale Bedeutung erhielt. Bei der Editionserstellung waren um 1700 weiterhin die Prinzipien einer humanistischen Textkritik grundlegend, zugleich lieferten zeitgenössische methodische Debatten aus der Diplomatik aber neue Impulse zur Bewertung der Textzeugen anhand materieller Kriterien. Anhand von Schilters editorischer Praxis wurde nicht nur deutlich, dass er bestens über diese aktuellen Debatten Bescheid wusste, sondern auch wie sich die theoretischen Ansprüche an Editionen stets an ihrer zeitgenössischen Umsetzbarkeit messen mussten. Bei Schilter zeigt sich immer wieder ein klares Bewusstsein dafür, dass editorische Entscheidungen nicht nur durch gelehrte, sondern auch durch pragmatische Erwägungen geprägt waren. In seiner Textkritik lässt sich dementsprechend ein pragmatischer Umgang mit den unterschiedlichen Herausforderungen erkennen, die die oftmals komplexe Überlieferungslage mittelalterlicher Texte und die Umstände der Quellenbeschaffung darstellten. Dieser Zwiespalt äußerte sich in einer zeitgenössischen Differenz zwischen Anforderungen an den Zustand von Editionen und dem tatsächlichen Edieren. Ein Scheitern an diesen hohen editorischen Ansprüchen wurde in der Forschung des

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Historismus im späteren 18. und 19. Jahrhundert und darüber hinaus häufig fälschlicherweise als Unzulänglichkeit der Gelehrten um 1700 wahrgenommen. Unter Berücksichtigung des Entstehungskontextes frühneuzeitlicher Editionen werden auch jene Faktoren deutlich, die einen erfolgreichen Abschluss erst möglich machten oder zumindest begünstigten. Angesichts ambitionierter Editionsprojekte um 1700 wie Schilters Thesaurus war dieser keineswegs selbstverständlich. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund ersichtlich, dass einige germanistische Arbeiten von Zeitgenossen wie etwa Dietrich von Stade nie zur Veröffentlichung gelangten.⁴ Besonders eindrucksvoll zeigte sich etwa, wie Schilter die Wissenskultur Straßburgs produktiv für seine Arbeit zu nutzen wusste, Kontakte zu den politischen Eliten aufbaute und mit ihrer Hilfe Gelehrtennetzwerke in Paris erschloss und unterhielt. Der Wechsel Schilters von den kleineren mitteldeutschen Höfen der ErnestinerDynastie zur ehemaligen Reichsstadt mit guten Verbindungen nach Frankreich eröffnete so erst die Rahmenbedingungen für Projekte wie den Thesaurus. Darüber hinaus ist die Bedeutung einer produktiven Schülerschaft ersichtlich. Sowohl in Jena als auch in Straßburg suchte der Gelehrte die Anbindung an die Universität und schaffte es auf diese Weise einen Schülerkreis aufzubauen. Da Schilter selbst kaum Recherchereisen unternahm, kam seinen Schülern bei der Materialbeschaffung und zur Pflege von Kontakten in Paris eine zentrale Rolle zu. Das gilt ebenfalls für ihren Beitrag als Nachlassverwalter ihres Lehrers. Insbesondere Simon und Scherz trugen mit der Herausgabe des Thesaurus maßgeblich zu Schilters postumer Wahrnehmung bei. Die germanistische Mittelalterforschung, wie Schilter sie betrieb, wirkte so in vielen Bereichen bis in das 18. und auch 19. Jahrhundert nach. Seine Werke, die in der modernen Forschung lange Zeit kaum Beachtung fanden, wurden zum Teil bis ins 19. Jahrhundert hinein rezipiert. Anhand der andauernden Auseinandersetzung mit Schilters handschriftlichen Hinterlassenschaften im Kontext der aufblühenden Historia Literaria und seinen Werken im Allgemeinen lassen sich exemplarisch die weiteren Entwicklungen der Germanistik im 18. Jahrhundert verdeutlichen. Was bei Schilter noch eng beieinander lag, bildete sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend disziplinär aus. Diese Entwicklung lässt sich ausgehend von Johann Georg Eckharts (1674 – 1730) Urteil über Schilters Editionen des Ludwigsliedes, des Lehnsrechts des Schwabenspiegels und der Straßburger Chronik beobachten. Während Eckhart diese 1711 ebenso wie den bereits vorangekündigten Thesaurus Antiquitatus Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) gesammelt dem Anliegen einer

4 Vgl. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 179 – 184.

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7 Schluss

Erforschung der Ursprünge der deutschen Sprache zuordnete,⁵ verteilte sich die Schilter-Rezeption später vor allem auf die Fächer der juristischen Germanistik, der Deutschen Philologie und der Historiografie. Das weitere Konzept einer Germanistik, die Juristen, Historiker und Philologen umfasste, hielt sich allerdings bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, wie etwa an den Arbeiten Jacob Grimms (1785 – 1863) oder an den Germanistenversammlungen ab 1846 zu sehen ist.⁶ Anders als bei Schilter waren darunter jedoch jeweils anerkannte Einzeldisziplinen als gesellschaftspolitisches Projekt im Kontext der Ereignisse des Vormärz zusammengefasst. Erst mit dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung setzte eine zunehmende Differenzierung in Einzeldisziplinen einerseits und die Vereinnahmung des Begriffs „Germanistik“ für die Disziplin der Deutschen Philologie andererseits ein.⁷ Für die juristische Germanistik, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend auch universitär manifestierte, bildete Schilter einen wichtigen Anknüpfungspunkt.⁸ Das zeigt sich zum einen an den Neuauflagen seiner Werke. Schilters Praxis Iuris Romani in Foro Germanico wurde ergänzt durch eine Vorrede von Christian Thomasius (1655 – 1728) 1713 in Frankfurt am Main und Leipzig und 1733 in Frankfurt am Main herausgegeben. Die Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels veröffentlichte Johann Georg Scherz 1728 parallel zum Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum (3 Bde., Ulm 1726 – 1728) in einer erweiterten, verbesserten und durch eine Vorrede ergänzten zweiten Auflage. Zum anderen erschienen zahlreiche Kommentare zu Schilters Werken etwa von Friedrich Karl Buri (1702 – 1767) Ausführliche Erläuterung Des in Teutschland üblichen Lehen-Rechts (Gießen 1733, 2. Aufl.: 1738, 3. Aufl.: 1769)⁹ oder von Nicolaus Hieronymus Gundling (1671 –

5 Johann Georg Eckhart, Historia Stvdii Etymologici Lingvæ Germanicæ Hactenvs Impensi; Vbi Scriptores Pleriqve Recensentvr Et Diivdicantvr, Qvi In Origines At Antiqvitates Lingvæ Tevtonicæ, Saxonicæ, Belgicæ, Danicæ, Svecicæ, Norwegicæ Et Islandicæ, Veteris Item Celticæ, Gothicæ, Francicæ Atqve Anglo-Saxonicæ Inqvisivervnt, Avt Libros Stvdivm Nostræ Lingvæ Criticvm Promoventes Alios Edidervnt, Hannover: Förster 1711, Cap. XXXVII: De Schilteri studio circa origines linguae nostrae, 307– 313. 6 Lieb, Germanistiken, 5 – 8. Vgl. a. Jutta Strippel, Zum Verhältnis von Deutscher Rechtsgeschichte und Deutscher Philologie, in: Jörg Jochen Müller (Hg.), Germanistik und deutsche Nation. Zur Konstitution bürgerlichen Bewußtseins, Stuttgart: Metzler 1974, 113 – 166. 7 Johannes Janota, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Eine Wissenschaft etabliert sich 1810 – 1870, Tübingen: Niemeyer 1980, 1 – 60, 7– 10. 8 Vgl. Schäfer, Juristische Germanistik, 91 – 101. 9 Friedrich Karl Buri, Ausführliche Erläuterung Des in Teutschland üblichen Lehen-Rechts, Oder: Anmerckungen Uber Johannis Schilteri Institutiones Iuris Feudalis Germanici & Longobardici: Worinnen alle zu diesem Theil der Rechts-Gelahrtheit gehörige, so wohl theoretische als practische Materien aus denen Gesetzen, Alterthümern, Historie, Recht der Natur [et]c. erötert und beurtheilet werden, Gießen: Krieger 1733.

7 Schluss

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1729) Schilterus Illustratus (Frankfurt a.M./Leipzig 1735), die sich ebenso kritisch wie würdigend mit Schilters Rechtsquellenlehre auseinandersetzten.¹⁰ Die von Schilter erhoffte Wirkung seiner Editionen mittelalterlicher Rechtsquellen auf die Rechtspraxis lässt sich zwar nur bedingt beobachten. Ihre Relevanz lässt sich in diesem Zusammenhang aber an der bisweilen scharf geäußerten Kritik erkennen, die der Hofrat der Fürsten zu Liechtenstein (ab 1716) Stephan Christoph Harpprecht (1676 – 1735) besonders prominent verkörperte. Im Rahmen eines lehnsrechtlichen Prozesses über das reichsunmittelbare Lehen der Grafschaft Rietberg stellte er in Auseinandersetzung mit Schilters Edition des Lehnsrechts des Schwabenspiegels grundlegend dessen Thesen zur Geltung einheimischer Rechtsquellen infrage. Den Prozess und seine Positionierung dokumentierte er umfangreich in seinem Werk Speculi Suevici et Praesertim Iuris Feudalis Alamannici in Foris Vicariatus Suevo Franconico Palatini Non usus Modernus (Kiel 1723).¹¹ In dem Juristen Heinrich Christian von Senckenberg (1704 – 1768) fand Schilter dagegen nicht nur einen Nachlassverwalter, sondern auch einen großen Fürsprecher. Zwar kritisierte er wie Harpprecht vor ihm im Allgemeinen eine fehlende Sorgfalt Schilters. Zugleich betrachtete er Schilter aber auch als wichtigen Vorbereiter einer juristischen Germanistik, wie er sie selbst verfolgte, da er „zuerst die Teutsche Lehens-Gesetze wieder auf die Bahn gebracht, die zwar denen Sachen nach immer bekannt gewesen, sie selbsten hingegen unter dem Joch derer dem Leibe nach in Teutschland gegenwärtigen, mit der Seele hingegen in die Lombardey oder gar Elisäische Feder […] verzucketen Rechtsgelehrten, geseufzet.“¹² Im Kern schloss er damit an Schilters Position von der ununterbrochenen Geltung des einheimischen Rechts an, die er an anderer Stelle explizit auch gegen die (nach seiner 10 Gundling, Schilterus Illustratus. 11 Stephan Christoph Harpprecht, Speculi Suevici et Praesertim Iuris Feudalis Alamannici in Foris Vicariatus Suevo Franconico Palatini Non usus Modernus, Kiel: Reuther 1723, v. a. Kap. X: Wahrhaffte Beschreibung deren beeden, in der Wienerischen Kayserlichen Bibliothec vorhandenden Codicum, Speculi Suevici & Iuris Feudalis Alamanici, neben gründlicher Widerlegung deren von dem Lambecio und Schiltero der gelehrten Welt vorgemahlten falschen Erfindungen und Tituln, von Kayserlichen und Königlichen Land- und Lehen-Rechten, 211 – 218. Zur Auseinandersetzung Harpprechts mit Schilter vgl. Herding, De Jure Feudali, 311 – 316. Ausführlich zu Harpprechts Werk vgl. Schäfer, Juristische Germanistik, 253 – 257. 12 Heinrich Christian Senckenberg, Corpus Juris Feudalis Germanici Oder Vollständige Sammlung derer Teutschen Gemeinen Lehens-Gesetze Welche aus allen Teutschen und Longobardischen Lehen-Rechten, samt vielen Reichs-Urkunden, bestehet, Frankfurt a. M.: Krieger 1740, Vorrede, § XI, 14. In Hinblick auf Schilters lateinische Übersetzung des Lehnsrechts des Schwabenspiegels, die Senckenberg seiner eigenen Ausgabe zugrundelegte, bemängelt er etwa: „Wenigstens etliche hundert Fehler sind ausgebesseret, da doch Schilter die beste Bücher gehabt zu haben vorgiebet. Ich glaube Harprechten de non usu Speculi Suevici p. 211. Sqq. daß besagte des Schilters Bücher eben nicht die kostbareste genennet werden mögen.“ Ebd.

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7 Schluss

Ansicht unzulänglichem) Ausführungen Harpprechts verteidigte.¹³ In der Streitfrage um die Geltung einheimischer Rechtsquellen setzte sich so einerseits eine Debatte fort, die Schilter grundlegend mit angestoßen hatte. Andererseits werden die Differenzen und die Abgrenzungsrhetorik zwischen sogenannten Romanisten und Germanisten deutlich, die bis in das 19. Jahrhundert hinein prägend sein sollten.¹⁴ Schilters Bedeutung für die Philologen der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert verdeutlicht sich, wie gezeigt wurde, maßgeblich an dem großen Interesse, das dem Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum entgegengebracht wurde. Die darin enthaltenen Editionen waren vielfach bis zum Ende des Jahrhunderts grundlegend und bildeten den Ausgangspunkt für weitere Arbeiten. Sowohl Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766) als auch Breitinger und Bodmer als einige der wichtigsten Vertreter einer Philologie der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert griffen immer wieder auf den Thesaurus zurück.¹⁵ Insbesondere Bodmer und Breitinger bemängelten jedoch anlässlich ihrer Ausgabe des Annoliedes, die auf der Editio princeps von Opitz basierte, ein fehlendes Gespür Schilters für die Poesie der Vorlage, das sie besonders an der lateinischen Übersetzung festmachten.¹⁶ In der Kritik spiegelten sich zwei Tendenzen der deutschen Philologie, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts vollzogen, wider. So klingt zum einen der längere Prozess einer Ablösung des Lateinischen durch das Deutsche als Gelehrten- und Universitätssprache an. Zum anderen zeigt sich aber auch eine Verschiebung des gelehrten Interesses auf die mittelhochdeutsche Dichtung, wie sich an den Editionen Bodmers und Breitingers erkennen lässt.¹⁷ Diese basierten maßgeblich auf der Manessischen Liederhandschrift, die Schilter bereits bekannt war. Seine Editionen einiger Texte hieraus gingen allerdings nicht auf die Einsicht der Originalhandschrift, sondern auf die Ausgabe von Goldast zurück. Ob dieser Entscheidung eine bewusste Auswahl oder schlicht Pragmatismus aufgrund von Zeitmangel zugrunde

13 Heinrich Christian Senckenberg, Gedanken von dem jederzeit lebhaften Gebrauch des uralten deutschen Burgerlichen und Staatsrechtes in denen nachherigen Reichsgesetzen und Gewohnheiten; sonderlich auch bey denen Lehren von Königswahlen und Erzherzogthümern, Nach Anleitung des Schwabenspiegels und beygelegter ungedruckter Urkunden, Frankfurt a. M.: Garde 1759, v. a. 96 – 99. 14 Vgl. Schäfer, Juristische Germanistik, 576 – 616. 15 Vgl. Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunft durchgehends mit den Exempeln unserer besten Dichter erläutert, Leipzig: Breitkopf 41751, 71, 479, 519. 16 Bodmer / Breitinger, Martin Opitzens von Boberfeld Gedichte, 155 – 170, hier: 167. 17 Weimar, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, 31 – 38, 136. Vgl. a. Felix Leibrock, Aufklärung und Mittelalter. Bodmer, Gottsched und die mittelalterliche deutsche Literatur, Frankfurt a. M.: Peter Lang 1988 (Mikrokosmos 23).

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lag, lässt sich nicht abschließend klären. Allerdings dürfte eine Rolle gespielt haben, dass Goldasts Ausgabe zu Schilters Lebzeiten bereits eine Rarität darstellte. Dem negativen Urteil von Bodmer und Breitinger zum Trotz wurden viele der Editionen des Thesaurus erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgelöst. Die Rezeption von Schilters Editionen reichte bisweilen auch über gelehrte Kontexte hinaus. So lernte Friedrich Gottlieb Kloppstock (1724 – 1803) offenbar nicht nur mit Schilters Otfrid-Ausgabe Althochdeutsch, sondern griff auf den gesamten Textbestand des Thesaurus wie auch das Glossarium zurück, um seine Begeisterung für das germanische und keltische Altertum zu befriedigen. Dieses äußerte sich nicht zuletzt in einigen Gedichten, die Kloppstock auf Althochdeutsch verfasste.¹⁸ In ähnlicher Weise nutzte offenbar auch Novalis (1772 – 1801) Schilters Glossar als Nachschlagewerk für seine Romane.¹⁹ Für diese freiere dichterische Form der Auseinandersetzung mit dem volkssprachigen Handschriftenbestand des Mittelalters als protonationales Kulturgut erwies sich Schilters Werk als „wahre Fundgrube“.²⁰ Erst mit der Etablierung der Deutschen Philologie als universitäre Disziplin zu Beginn des 19. Jahrhunderts verloren Schilters Editionen durch Neuausgaben zunehmend an Aktualität.²¹ Grundlegend waren dafür neue methodische Forderungen insbesondere von Karl Lachmann (1793 – 1851), der mit der Übertragung einer altphilologischen Methodik auf den Textbestand des Mittelalters zur Editionserstellung eine möglichst vollständige Rekonstruktion des Bestands an Textzeugen forderte.²² Daran anschließend setzten umfangreiche Recherchen nach verschollenen oder bislang unbekannten Manuskripten ein. So machte sich etwa Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874) auf die Suche nach der Vorlage für Schilters Edition des Ludwigsliedes, die er schließlich 1837 erfolgreich abschließen konnte.²³

18 Katrin Kohl, Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur, Berlin / New York: De Gruyter 2007, 532, Anm. 73; Karl Heinz Borck, Hexameter so zierlich nach Otfrids Klange, in: Harald Weigel (Hg.), Festschrift für Horst Gronemeyer zum 60. Geburtstag, Nordhausen: Traugott Bautz 1993, 287– 304, 290, Anm. 8. 19 Döring, Johann Georg Wachter, 58. 20 Borck, Hexameter so zierlich nach Otfrids Klange, 301. Zur lyrischen oder poetischen Auseinandersetzung mit Otfrid vgl. Kössinger, Otfrids ‚Evangelienbuch‘ in der frühen Neuzeit, 211 – 213. 21 Vgl. Weimar, Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, 218 – 222. Vgl. a. Lothar Bluhm, Die Brüder Grimm und der Beginn der Deutschen Philologie eine Studie zu Kommunikation und Wissenschaftsbildung im frühen 19. Jahrhundert, Hildesheim / Zürich: Weidmann 1997 (Spolia Berolinensia 11). 22 Thomas Bein, Textkritik. Eine Einführung in Grundlagen germanistisch-mediävistischer Editionswissenschaft. Lehrbuch mit Übungsteil, Frankfurt a. M.: Peter Lang 2011, 77– 81; Janota, Einleitung, 33 – 38; Nutt-Kofoth, Editionswissenschaft, 110 f. 23 Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied, 61. Zu den Umständen der Wiederentdeckung vgl. Ebd., 31 – 33.

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7 Schluss

Von Kelle gründete seine neue Ausgabe von Otfrids Evangelienbuch (Regensburg 1856) auf einer grundlegenden Beschäftigung mit den überlieferten Textzeugen.²⁴ An der Ausgabe von Schilter und Scherz kritisierte er zwar ähnlich wie Bodmer und Breitinger etwa hundert Jahre vor ihm vor allem die schlechten Übersetzungen und verderbten Lesarten Schilters, welche Scherz aus Respekt vor seinem Lehrer übernommen habe. Von Kelles Unzufriedenheit begründete sich aber vornehmlich durch die Diskrepanz zwischen der Zuverlässigkeit der Edition und den verfügbaren Hilfsmitteln, die seinem Ansehen nach Scherz fast vollständig vorlagen. Im Vergleich zur Ausgabe von Flacius, auf der die Edition von Schilter und Scherz beruhte, betrachtete er sie aber dennoch als „wohl unendlich besser“.²⁵ Maßgeblich wurden die Recherchen nach bislang unbekannten Textzeugen auch von staatlicher Seite durch die Einrichtung national ausgerichteter großer Editionsprojekte angetrieben, die sich auf die Herausgabe historischer Quellen des Mittelalters konzentrierten.²⁶ Die Erforschung des Mittelalters war im 19. Jahrhundert in der deutschen Philologie, der juristischen Germanistik und der Historiografie insgesamt zunehmend von einem nationalen Bewusstsein geprägt. Der Zeit des Mittelalters kam dabei eine starke identitätsbildende Bedeutung zu. Hierbei waren zunächst nationale Vorstellungen im Sinne des Vormärz maßgeblich, die sich erst mit der Reichsgründung 1871 auf einen „preußisch-deutschen Nationalismus“ verengten.²⁷ Neben der Monumenta Germaniae Historica, die in verschiedenen Abteilungen zum Teil bis heute weitergeführt wird, gehörte hierzu das Editionsprojekt zur Herausgabe der Chroniken der deutschen Städte (32 Bde., 1862 – 1917).²⁸ In diesem Rahmen widmete sich der Historiker Karl Hegel (1813 – 1901) einer Neuedition der Straßburger Chronik von Jakob Twinger von Königshofen, die auf einem Schilter noch unbekannten Autografen des Autors basierte.²⁹ Hegel würdigte Schilters Edition bei aller Kritik an mangelnder Sorgfalt in der Textwiedergabe als „für ihre Zeit […] bedeutende und sehr verdienstliche Leistung, wie sich einer

24 Vgl. Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, 165 – 167. 25 Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, 126. 26 Vgl. Daniela Saxer, Monumental Undertakings. Source Publications for the Nation, in: Ilaria Porciani (Hg.), Setting the standards. Institutions, networks and communities of national historiography, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, 47– 69. 27 Janota, Einleitung, 3 – 7. 28 Zu den Anfängen der Monumenta Germaniae Historica vgl. Hartmut Hoffmann, Die Edition in den Anfängen der Monumenta Germaniae Historica, in: Rudolf Schieffer (Hg.), Mittelalterliche Texte. Überlieferung – Befunde – Deutungen, Hannover: Hahn 1996, 189 – 232. 29 Vgl. Karl Hegel, Die Chroniken der oberrheinischen Städte, Bd. 1, Leipzig: Hirzel 1870 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 8), 155 – 498; Karl Hegel, Die Chroniken der oberrheinischen Städte, Bd. 2, Leipzig: Hirzel 1871 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 9), 499 – 920.

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ähnlichen nicht leicht eine andere deutsche Stadt rühmen konnte“. Zudem hob er ihre Bedeutung für die Überlieferung der nicht mehr vorhandenen sogenannten „Originalabschrift A“ der Chronik hervor.³⁰ Die Handschrift wurde zwar zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Bibliothèque du Grand Séminaire in Straßburg wiedergefunden,³¹ in einigen wenigen Fällen bleiben Schilters Editionen als Überlieferungsträger verlorener Manuskripte aber bis heute maßgeblich. So ist seine Edition der Straßburger Stadtrechte, auf die der Historiker und Archivar Aloys Schulte (1857– 1941) für seine Neuausgabe im Urkundenbuch der Stadt Straßburg zurückgriff, immer noch eine der zentralen Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt, da die abgedruckten Manuskripte bei der Bombardierung der Stadt im deutschfranzösischen Krieg 1871 weitestgehend zerstört wurden.³² Abschließend veranschaulicht die Rezeption der Editionen Schilters, dass sich das Bild der germanistischen Mittelalterforschung um 1700 in ihrer Vielfältigkeit kaum in eine disziplinäre Fortschrittsgeschichte einfügt. Ihre Bedeutung zeigt sich aber nicht zuletzt in der Nachwirkung eines weiteren Germanistikkonzepts, das unterschiedliche Disziplinen wie die juristische Germanistik, die Deutschen Philologie und die Historiografie umfasste, bis in das 19. Jahrhundert hinein.

30 Hegel, Die Chroniken der oberrheinischen Städte, Bd. 1, 226 f. 31 Bibliothèque du Grand Séminaire, Straßburg, Cod. 33. Vgl. Serif, Geschichte aus der Stadt, 30, Anm. 138. 32 Vgl. Schulte, Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 4, 2: Stadtrechte und Aufzeichnungen über bischöflich-städtische und bischöfliche Ämter.

Abbildungen Abb. Cover: Kupferstich der „Heilsberger Inschrift“ aus Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, 4° XXXVII : 278. PURL: https://haab-digi tal.klassik-stiftung.de/viewer/image/1797875337/76/ [18. 7. 2023] Abb. 2.1: Johann Adam Seupel, Porträt von Johann Schilter d.J. (Kupferstich), um 1705, Straßburg, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A 19135. PURL: http://diglib.hab.de/varia/por trait/a-19135/start.htm?image=000001 [18. 7. 2023] Abb. 4a.1: Johann Schilter, Bleistiftskizze „ad pag. 3“ (Vorzeichnung für den späteren Kupferstich), undatiert, UB Gießen, Hs 47, fol. 151r. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: hebis:26-digisam-103840 [18. 7. 2023] Abb. 4a.2: Johann Schilter, Bleistiftskizze „ad pag. 3“ (Vorzeichnung für den späteren Kupferstich), undatiert, UB Gießen, Hs 47, fol. 152r. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: hebis:26-digisam-103840 [18. 7. 2023] Abb. 4a.3: Johann Schilter, Federzeichnung „ad pag. 3“ (Ausarbeitung für den späteren Kupferstich), undatiert, UB Gießen, Hs 47, fol. 398r. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: hebis:26-digisam-103840 [18. 7. 2023] Abb. 4a.4: Johann Schilter, Federzeichnung „ad pag. 3“ (Ausarbeitung für den späteren Kupferstich), undatiert, UB Gießen, Hs 47, fol. 399r. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: hebis:26-digisam-103840 [18. 7. 2023] Abb. 4a.5: Illustration „ad pag. 3“ aus Schilter, Anonymi Fragmentum de Bello Carolum M. contra Saracenos versibus antiquis Germanicis constans, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus (Bayerische Staatsbibliothek, 2 L.germ. 6 – 2). URN: https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10495886-3 [18. 7. 2023] Abb. 4a.6: Illustration „ad pag. 8“ aus Schilter, Anonymi Fragmentum de Bello Carolum M. contra Saracenos versibus antiquis Germanicis constans, in: ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […]. Tomus Secundus (Bayerische Staatsbibliothek, 2 L.germ. 6 – 2). URN: https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10495886-3 [18. 7. 2023] Abb. 4a.7: Johann Schilter, Federzeichnung (Ausarbeitung) mit handschriftlichen Notizen, undatiert, UB Gießen, Hs 47, fol. 153r. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:26-digisam103840 [18. 7. 2023] [18. 7. 2023] Abb. 4a.8: Antonius Mincuccius de Prato veteri, De Feudis Libri sex, BNF, Latin 4679, fol. 7r. ARK: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b10038573g [18. 7. 2023] Abb. 4a.9: Illustration „ad Mincuccius pag. 1“(a) aus Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Rk 62 (3)). PURL: http://di glib.hab.de/drucke/rk-62-3s/start.htm?image=00026 [18. 7. 2023] Abb. 4a.10: Illustration „ad Mincuccius pag. 1“(b) aus Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Rk 62 (3)). PURL: http://di glib.hab.de/drucke/rk-62-3s/start.htm?image=00027 [18. 7. 2023] Abb. 4a.11: Initiale aus Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Rk 62 (3)), S. 2. PURL: http://diglib.hab.de/drucke/rk-62-3s/ start.htm?image=00030 [18. 7. 2023] Abb. 4a.12: Antonius Mincuccius de Prato veteri, De Feudis Libri sex, BNF, Latin 4679, fol. 8r. ARK: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b10038573g [18. 7. 2023]

https://doi.org/10.1515/9783111080154-009

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Abbildungen

Abb. 4a.13: Schilter, Antonii Mincuccii de Prato veteri de Feudis Libri sex, in: Ders., Codex Iuris Alemannici Feudalis (Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 Feud. 49), S. 7. URN: https://mdznbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10894714-3 [18. 7. 2023] Abb. 4a.14: Translatio barbarica psalterii Notkeri tertii (Althochdeutscher Psalter Notkers des Deutschen), 12. Jh., Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 21. DOI: http://dx.doi.org/10.5076/ecodices-csg-0021 [18. 7. 2023] Abb. 4a.15: Schilter, Notkeri Tertii Labeonis Psalterium Davidicum, in: Ders., Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […], Tomus primus (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Germ.g. 110 – 1), S. 1. URN: https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10938076-6 [18. 7. 2023] Abb. 4b.1: Zeichnung eines Bücherkastens, 1713. In: Uffenbach, Uffenbachs Reisetagebuch, Band 1: Elsasser und Schweitzer Reis-Diarium von Frankfurt biss Turin exclusive, SUB Göttingen, 8° Uffenb. 29, Bd. I, ad pag. 154. PURL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?DE611-HS-3568340 [18. 7. 2023] Abb. 4b.2: Johann Schilter, Handschriftliches Inhaltsverzeichnis, undatiert, UB Gießen, Hs 919, fol. 193r. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:26-digisam-103889 [18. 7. 2023] Abb. 4b.3: Stemma Genealogicum LVDOVICI Regis Franciae Occiduae aus Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, 4° XXXVII : 278. URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10028921439 [18. 7. 2023] Abb. 5b.1: Hannes Bertram, [Inschrifttafel Aus Heilsberg] (Fotografie), 2018, Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, PI 2007/3. URN: http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:gbv:32-1-10028956915 [18. 7. 2023] Abb. 5b.2: Schilter, Federzeichnung der „Heilsberger Inschrift“ mit handschriftlichen Notizen, Ende 17. Jh., UB Gießen, Hs 1184, fol. 663v. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:26digisam-105151 [18. 7. 2023] Abb. 5b.3: Kupferstich der „Heilsberger Inschrift“ aus Schilter, Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, 4° XXXVII : 278. URN: https://nbn-resolv ing.org/urn:nbn:de:gbv:32-1-10028920856/fragment/page=76 [18. 7. 2023]

Abkürzungen A

Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Hrsg. von der Preußischen (später: Berlin-Brandenburgischen und Göttinger) Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Darmstadt (später: Leipzig, zuletzt: Berlin) 1923 ff. Zitiert nach Reihe, Band, Nummer/Seite. AVCUS Archives de la ville et de la communauté urbaine de Strasbourg (bis 2004: Archives Municipales de Strasbourg) BNF Bibliothèque nationale de France FB Gotha Forschungsbibliothek Gotha LATh – HStA Weimar Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar LATh – StA Altenburg Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg Stabi Berlin Staatsbibliothek zu Berlin SUB Hamburg Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg SUB Göttingen Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen UBFFM Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg Frankfurt am Main UB Leipzig Universitätsbibliothek Leipzig

https://doi.org/10.1515/9783111080154-010

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Literatur und gedruckte Quellen

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Personenregister Adrian, Johann Valentin 143, 152 f. Albrecht von Sachsen-Coburg 30 Amandus, Bischof von Straßburg 205 Aristoteles 97 Artopoeus, Johann 209 Attala von Straßburg, Äbtissin von St. Stephan 112 Augustinus 199 Aventin, Johannes 4 Avianus, Johann Jacob 30, 32 f., 74, 127, 221 Bämler, Johann 183 Baluze, Étienne 9, 32, 76 – 78, 83, 138, 160, 177, 210, 212 Barbezieux, Louis François Le Tellier de 197 Baronio, Cesare 207 f. Bernegger, Matthias 50 Bernhard von Sachsen-Jena 29 Birkner, Matthäus 57 Bodmer, Johann Jakob 229, 234 – 236 Bolland, Jean 208 Born, Heinrich 24 Bose, Johann Andreas 23, 72, 118 Braccolini, Poggio 3 Brackenhofer, Elias d. Ä. 52, 114 Brackenhofer, Elias d. J. 52 Breitinger, Johann Jakob 229, 234 – 236 Bucer, Martin 183, 210 Bulteau, Charles 78 f., 161 f., 165 f. Buri, Friedrich Karl 232 Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach 167 Carpzov, Friedrich Benedikt 77, 138, 174 Casaubon, Isaac 184 Celtis, Konrad 4 Childebert I., fränkischer König 225 Chlotar II., fränkischer König 225 Clemens V., Papst 212 Clement, Nicolas 162 Colbert, Jean-Baptiste 76 f., 161 Coler, Theophil 21 Conring, Hermann 14, 22, 72 – 74, 96, 137, 221, 223 f., 226 – 228, 230 https://doi.org/10.1515/9783111080154-012

Cramer, Catherina (geb. Hertel) 22 Cramer, Peter 22 Credner, Karl August 143, 150 – 153 Cuspinian, Johannes 4 Dagobert I., fränkischer König 205, 225 Deckherr, Johann 157 Déz, Jean 198 Dietrich, Dominikus 211 Dieudonné, Susanna Catharina 135 Dulsecker, Johann Reinhold 136 Eckhart, Johann Georg 87, 231 Eichstett, Elisabeth Henriette Vitztum d’ 54 Einhard 226 Erkanbald, Bischof von Straßburg 205 Eugen von Savoyen 135 f. Eyben, Christian Wilhelm von 49, 76, 78, 80, 119, 135, 156 f., 160, 173 f., 178 f., 211 Eyben, Huldreich von 40, 75 f. Fallersleben, Heinrich Hoffmann von 235 Faust, Isaac 198 Feller, Joachim 174 Feltz, Johann Heinrich 60, 63 Flacius, Matthias 5, 11, 64, 82, 191, 207 f., 217, 230, 236 Friedrich II., Kaiser des HRR 226 Fogel, Martin 117 Freher, Marquard 82, 160 Frick, Elias 144 f., 154 Frick, Johann 115 – 117, 125, 144 f., 154 Friedrich der Weise 162 Fürdenheim, Eva Salome von 52, 54 Gale, Thomas 65 f. Göbel, Johann Wilhelm 137, 144 Goethe, Johann Wolfgang von 168 Goldast, Melchior 1 – 3, 5 f., 163 – 167, 173, 216, 223, 227, 229 f., 234 Gottsched, Johann Christoph 234 Graevius, Johann Georg 26, 138, 165 Grandidier, Philippe-André 167

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Personenregister

Gregor XI., Papst 157 Gregor XV., Papst 83 Grimm, Jacob 232 Grotefend, Georg Friedrich 168 Gude, Marquard 114 Gundling, Nicolaus Hieronymus 136, 232 Hammer (‐Purgstall), Joseph von 168 Hardouin, Jean 65 Harpprecht, Stephan Christoph 233 f. Harrison, Thomas 117 Hartmann, Johann 19 Hauteserre, Antoine Dadin de 227 Hegel, Karl 236 Heinsius, Nicolaus 187 Herodot 95 Herrmann, Johann Georg 208 Hertel, Hans 22 Hertel, Katharina (geb. Schilter) 22 Hickes, George 88 Hieronymus 218 Hirsching, Friedrich Karl Gottlob 147 Homfeldt, Petrus 73 Hondius, Jodocus 91 Hortleder, Friedrich 72 Hünefeld, Nikolaus Christoph von 127 Janszoon, Johann 91 Johann Wilhelm von Sachsen-Jena 29 Johann Ernst II. von Sachsen-Weimar 29 – 31 Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar 32 Johann Georg von Sachsen-Eisenach 31 Jordanes 95 Julius Caesar 95 Jungen, Johann Maximilian zum 118 Jungius, Joachim 117 Junius d. J., Franciscus 86 Karl der Große 130, 213, 215 f., 226 Karl der Kahle 128, 132 Kelle, Johann von 229, 236 Kircher, Athanasius 122 Klinglin, Jean Baptiste 66, 91 Kloppstock, Friedrich Gottlieb 235 Kniebs, Philipp 46, 51, 196 König, Johann Friedrich 139

Königshofen, Jakob Twinger von 5, 36, 50, 52, 97, 113, 122, 183, 188, 191, 195, 201, 236 Künast, Balthasar Ludwig 51 Künast, Philipp Ludwig 51 f. Kulpis, Johann Georg 32 f., 140, 220 f., 228 Lachmann, Karl 13, 235 Lambeck, Petrus 75 f., 82, 218, 227 Lamprecht, Johann Ernst 82, 84 f., 176 f. La Croze, Maturin Veyssière de 212 Leibniz, Gottfried Wilhelm 2, 8, 12, 40, 80, 88, 114, 135, 157, 181, 211 Leopold I., Kaiser des HRR 75 Lewencron, Detlef Nicolas von 66 f. Limbach, Johann Christoph von 211 Lindenhofen, Zacharias Prüschenk von 28, 72, 74 Lindner, David 21 Lipsius, Justus 152 Litzel, Georg 145 Llull, Ramon 157 Löwenhalt, Jesaias Rompler von 189 Lothar I., fränkischer König 53, 91 Lothar III., Kaiser des HRR 22, 168, 205, 221, 223 Loubère, Simon de la 65, 83 f. Louvois, François Michel Le Tellier de 197 f. Ludolf, Hiob 82, 159, 200 f. Ludwig III., westfränkischer König 49, 128, 130, 132, 179 Ludwig III., ostfränkischer König 128 f. Ludwig der Deutsche 52, 128 Ludwig der Fromme 52, 129 f., 168, 226 Ludwig der Stotterer 128, 132 Ludwig XIV. von Frankreich 47, 196, 199 f., 206 Lyncker, Nikolaus Christoph 73 Mabillon, Jean 1, 9, 12, 40, 48 f., 53 f., 68, 70, 78 – 81, 83 – 85, 91 f., 122 f., 128 f., 138, 156, 173, 175 f., 179 f., 185 f., 211 – 213, 219 Marburg zum Paradies, Ludwig von 118 Marci, Anna (geb. Cramer) 22 Marci, Christoph 22 Marci, Johann Christoph 22 Mauritius, Erich 76, 157, 170 Maximilian I. von Bayern 83 Meichsner, Sebastian 224

273

Personenregister

Ménage, Gilles 80, 176 Mencke, Otto 219 Merian, Matthäus 107 Meyercrone, Henning 86 Mincuccius de Pratio veteri, Antonius 106, 174 f. Modestius, Herennius 63 Morhof, Daniel Georg 96 Moritz von Sachsen-Zeitz 24 Moser, Johann Jacob 142

101, 103,

Notker der Deutsche 1, 35 f., 42, 65, 83 – 85, 87, 95, 106, 110 f., 123, 144, 173, 176, 193, 208, 216 – 219 Novalis 235 Oberlin, Johann Friedrich 144 Obrecht, Ulrich 33 f., 46 – 50, 55, 61, 63, 66, 78, 80, 82, 86 f., 91, 195 – 200, 202, 206, 211 Olearius, Johann Gottfried 159 Opitz, Martin 6, 229 f., 234 Otfrid von Weißenburg 1, 2, 5, 35 f., 64, 81 – 83, 86 – 88, 94 – 96, 106 f., 123, 127, 130, 135, 158 – 160, 182, 187, 191, 208, 216 – 219, 229, 235 f. Otto II., Kaiser des HRR 205 Otto, Jacob 139 Otto, Marcus 46, 66 Overlach, Conrad Heinrich 24 Overlach, Susanna Sibylla (geb. Schilter, Tochter) 24, 57 Palthen, Johann Philipp 69 f., 86, 88, 98, 163, 177 Papebroch, Daniel 185 Paulus Diaconus 213 f. Peraudi, Raimund, Bischof von Gurk 157 Petersen, Johann Wilhelm 209 Peutinger, Konrad 4 Pfeffinger, Johann Friedrich 135 Pflugk, Bernhard 75 f. Piccolomini, Enea Silvio 3 Rechenberg, Adam 174, 200, 216 Rehm, Philipp Jacob 62, 68 Reisseissen, Franziskus 63 Rekkeswinth, westgotischer König 226

Richard von Cornwall, König des HRR Riddarstierna, Johann 165 Roberti, Jean 182, 184 Rostgaard, Frederik 66, 81 – 87, 160 Rosweyde, Heribert 182, 192 Ruinart, Thierry 9, 17, 53, 81, 177

205

Sagittarius, Caspar 72 f., 114, 154, 168, 175 Schade, Oseas 42 Schatz, Johann Jakob 157, 170 Schelhorn, Johann Georg 134, 137 – 139, 144, 164 f. Scherz, Johann Georg 46, 60, 136, 144 f., 147, 154, 216, 229, 231 f., 236 Schilter, Anna Sibylla (geb. Born, Ehefrau) 24, 57 Schilter, Barbara (geb. Strauch, Mutter) 19 Schilter, Johann (Onkel) 19, 21 Schilter, Johann Benjamin 21 f. Schilter, Johann Gottfried (Sohn) 24 – 26, 57, 67 Schilter, Marcus (Vater) 19 Schilter, Matern 22 Schilter, Zacharias 24 Schleiermacher, Andreas August Ernst 152 Schmid, Johann Philipp 62 f., 76, 78, 80 – 82, 101, 103, 123 f., 128 f., 134 – 136, 160, 174 – 176, 218 Schmidt, Sebastian 81 Schobinger, Bartholomäus 163 f. Schoppe, Caspar 185 Schott, Johann Gregor 55, 64 – 67, 83 – 85, 97, 124, 161 f., 173, 175, 177 f., 214 Schrag, Friedrich 35, 200 Schrag, Johann Adam 34 Schubart, Georg 23, 59, 67, 199 Seckendorff, Veit Ludwig von 75, 198 Senckenberg, Heinrich Christian von 125, 133, 139 – 141, 146 – 152, 154, 233 Senckenberg, Renatus Karl von 125, 141 – 143, 147 f., 150, 154 Seupel, Johann Adam 107 Severus Alexander, Marcus Aurelius 204 Simon, Elisabetha Catharina (geb. König) 139 Simon, Johann Christian 39, 116 f., 119, 121, 134 – 139, 143 – 146, 152, 231 Simon, Johann Conrad 134 Spalatin, Georg 162

274

Personenregister

Sparwenfeld, Johan Gabriel von 88 Specklin, Daniel 42 Spener, Philipp Jakob 34, 59, 119, 138, 183, 209 – 211 Spies, Johann 53 f. Spoor, Johann Friedrich 122 Stade, Dietrich von 88, 165, 187, 231 Städel, Josias 122 Stahleck, Heinrich von, Bischof von Straßburg 201 Stengel, Johann 145 Stetten, Johannes von 88 Strauch, Johann 22, 28, 72 Struve, Georg Adam 144 Tacitus 3 f., 96 Tentzel, Wilhelm Ernst 38, 48, 82, 87, 92, 114, 127, 159 Teuber, Catherina 22 Theoderich der Große, ostgotischer König 225 Thoman, Jakob Ernst 119 Thomasius, Christian 220, 232 Thülemeyer, Heinrich Günther von 65, 67 Thukydides 95 Titus Livius 95 Trémouille, Maria Charlotte de la 30 Trithemius, Johannes 182

Tüntzelhausen, Catharina (geb. Schilter) 21 Tüntzelhausen, Friedrich Tüntzel von 21 Tüntzelhausen, Gabriel Tüntzel von 21 Uffenbach, Johann Friedrich von 17, 52, 117 – 121, 136, 139, 144 Uffenbach, Zacharias Konrad von 38, 45, 60, 90, 112, 119, 121, 133 f., 137 f., 140 f., 161, 164, 173, 175, 208 Valla, Lorenzo de 155 Vulpius, Christian August

167 f.

Walahfrid Strabo 216 Walther von der Vogelweide 97 Wencker (Familie) 45, 47, 50, 55 Wencker, Jakob d. Ä. 51 Wencker, Jakob d. J. 51, 61 f., 68, 161, 202 Werner I., Bischof von Straßburg 53 Widukind, Herzog der Sachsen 101 Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar 27 Williram von Ebersberg 95 Wimpheling, Jacob 4 Zetzner, Ratsbeisitzer 50 Zobel, Christoph 174, 181 f.