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German Pages 386 [388] Year 1997
Salons der Romantik
Salons der Romantik Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Theorie und Geschichte des Salons
Herausgegeben von
Hartwig Schultz
W DE Walter de Gruyter G Berlin · New York 1997
Im Auftrag des Freundeskreises Schloß Wiepersdorf — Erinnerungsstätte Achim und Bettina von Arnim e. V. als Band 2 der Schriftenreihe Gedruckt mit Unterstützung des Landes Hessen Das Kolloquium wurde gefördert durch das Land Brandenburg Abbildung auf dem Einband: Unbekannter Künsder: Salon in der Wohnung Julius Schoppes in der Leipziger Straße 45, um 1 8 1 6 . Besitzer: Berlin, Stadtmuseum Berlin; Fotografie: Stadtmuseum Berlin.
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Salons der Romantik : Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Theorie und Geschichte des Salons / hrsg. von Hartwig Schultz. [Im Auftr. des Freundeskreises Schloss Wiepersdorf - Erinnerungsstätte Achim und Bettina von Arnim e.V.]. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 ISBN 3-11-014610-X NE: Schultz, Hartwig [Hrsg.]; Wiepersdorfer Kolloquium
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin
Vorwort
Der „Salon" war lange Zeit Thema von Essays und Feuilleton-Artikeln. Für eine wissenschaftliche Untersuchung schien das Thema zu „leicht", die Quellenlage zu vage. Germanisten galt einzig das „Werk" und allenfalls der Brief des Dichters, also der schriftlich überlieferte dichterische Text als Grundlage seriöser Forschungen und Interpretationen, und von den Gesprächen, die bei Dorothea und Caroline Schlegel, Henriette Herz, Rahel Varnhagen oder Bettine von Arnim geführt wurden, gibt es keine verläßlichen Aufzeichnungen, keine „Protokolle", aus denen sich Thematik und Verlauf der Salonkommunikation im einzelnen rekonstruieren ließen. Erst mit der Dissertation von Petra Wilhelmy {Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert, 1989) trat eine Wende ein: Nach einer systematischen Durchsicht der Memoirenliteratur und der (veröffentlichten) Briefwechsel konnte sie umfangreiche Verzeichnisse über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Berliner Salons vorlegen. Zugleich versuchte sie, eine Definition des Salons zu erarbeiten, so daß eine Art Handbuch der deutschen Salon-Forschung entstand. Als Salon galt ihr nur der von einer Frau, einer Salonnière, geleitete Kreis, der zu einem jour fix ohne eine besondere Einladung „zwanglos" zusammentrat, um sich geist- (und folg e n r e i c h über Themen von allgemeinem Interesse zu unterhalten. Eine weitere Arbeit, die den „herrschafts freien Kommunikationsraum" des Salons zu beschreiben versucht, folgte (Peter Seibert: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit ^wischen Aufklärung und Vormärζ, 1993). Beide Arbeiten setzen hohe Maßstäbe, eilen der Forschung aber insofern voraus, da die verläßlichen Materialien zum großen Teil noch gar nicht veröffentlicht waren. Am Beispiel der beiden Autorinnen und Salonnièren, die im Zentrum des Wiepersdorfer Kolloquiums standen Rahel Varnhagen und Bettine von Arnim — wird dies besonders deutlich. Wer den Rahel-Nachlaß in Krakau gesehen hat, kann ermessen, welche Materialmengen hier noch der Erschließung harren. Wer versucht hat, einen Überblick über die umfangreichen Korrespondenzen Bettine von Arnims zu gewinnen, weiß, daß bis heute nur ein Bruchteil ihrer Briefe veröffentlicht ist (und dies oft in endegenen Publikationen des 19. Jahrhunderts). Das bedeutet, die relativ verläßlichste Quelle für die Salon-
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Vorwort
Forschung, die Briefe der beiden Salonnièren, sind zum großen Teil noch gar nicht erschlossen. Die Arbeiten von Wilhelmy und Seibert mußten daher bei den Forschern, die an diesen Quellen arbeiten, auf Widerspruch stoßen. Beide Autoren konnten - bei ihrem weitgespannten Thema und der Neigung, ihre Arbeitsdefinitionen zu verbindlichen „Salon-Kriterien" zu erheben - in die Erforschung der Nachlässe nicht einsteigen. Wie schon die essayistische Literatur zuvor zideren sie etwa den Bericht des Grafen zu Salm über den Salon der Rahel als lebendige und authentische Quelle zum Salon-Geschehen. Was es mit diesem Bericht auf sich hat, den Varnhagen von Ense in seinem Buch des Andenkens veröffentlichte, konnte erst Barbara Hahn — nach umfangreichen Recherchen im Krakauer Nachlaß - in ihrem Wiepersdorfer Beitrag (in diesem Band) erhellen. Das Beispiel zeigt die Notwendigkeit, die allgemeine „Salon-Forschung" durch gründliche Untersuchungen zu den einzelnen Salons und Salonnièren zu ergänzen und zu differenzieren. Was etwas vorschnell durch Definitionen und vermeintlich präzise Memoirenberichte festgeschrieben und verallgemeinert wurde, muß nun hinterfragt und ergänzt, revidiert und präzisiert werden. Im Hinblick auf die Schlegelkreise, auf Rahel Varnhagen und Bettine von Arnim wurde der Versuch in einem Wiepersdorfer Kolloquium (1.—4. Juli 1994) unternommen, dessen Beiträge nun vorliegen. Das Symposion ist das zweite einer Reihe von Veranstaltungen, die der Freundeskreis Schloß Wiepersdorf in zweijährigem Turnus veranstaltet. War die erste Gesprächsrunde den beiden Wiepersdorfer „Hausautoren" Achim und Bettine von Arnim gewidmet (und deren „Erfahrung anderer Länder", so der Titel des Bandes), so wird nun die Bedeutung Bettines im Rahmen der Romantischen Salons erhellt. Dem allgemeinen Teil, der Beiträge zum theoretischen Hintergrund und den Ursprüngen der Salon-„Bewegung" bei den Schlegels (Dorothea und Caroline, Friedrich und August Wilhelm), Schleiermacher und Tieck bietet, folgen Aufsätze zu den Gesprächskreisen der Schlegels (nach Auflösung der Jenaer Gruppe) in Paris und Berlin sowie Beiträge zu Rahel und Bettine, die aus der Sicht von Rahel- und Bettine-Forschern die Salon-Praxis und die Spiegelung der Salonkommunikation in den Werken im einzelnen untersuchen. September 1996
Hartwig Schult\
Inhaltsverzeichnis
Hans Eichner Das Bild der Frau in der Frühromantik. Theorie und Wirklichkeit
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Barbara Becker-Cantarino „Feminismus" und „Emanzipation"? Zum Geschlechterdiskurs der deutschen Romantik am Beispiel der Lucinde und ihrer Rezeption . .
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Andreas Arndt Geselligkeit und Gesellschaft. Die Geburt der Dialektik aus dem Geist der Konversadon in Schleiermachers „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens"
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Kristina Hasenpflug Ludwig Tiecks Darstellung der Salongespräche im Phantasus
63
Irina Hundt Geselligkeit im Kreise von Dorothea und Friedrich Schlegel in Paris in den Jahren 1802 - 1 8 0 4
83
Hannelore Schohι Geselligkeit als Utopie. Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W Schlegel 135 Konrad Feilchenfeldt Rahel Varnhagens ,Geselligkeit' aus der Sicht Varnhagens. Mit einem Seitenblick auf Schleiermacher 147 Ursula Isselstein Die Titel der Dinge sind das Fürchterlichste! Rahel Levins „Erster Salon" 171 Barbara Hahn Der Mythos vom Salon. „Raheis Dachstube" als historische Fiktion 213
VIII
Inhaltsverzeichnis
Ingrid Leitner Liebe und Erkenntnis. Kommunikationsstrukturen bei Bettine von Arnim. Ein Vergleich fiktiven Sprechens mit Gesprächen im Salon 235 Hartwig Schult^ „Euer Unglaube an die Naturstimme erzeugt den Aberglauben an eine falsche Politik". Fiktive Salongespräche in Bettines Königsbuch 251 Ulrike Landfester Jenseits der Schicklichkeit. Bettine von Arnims Armenbuch-Projekt im zeitgenössischen Salongespräch 271 Ursula Piischel „Charakter hat nur der, dem das Land der Ideale keine Chimäre ist". Zum Dämonenbuch Bettina von Arnims 297 Lisabeth M. Hock „Sonderbare", „heißhungrige" und „edle" Gestalten. Konstrukte von Juden und Judentum bei Bettina von Arnim 317 Renate Moering Bettines Melodien als Inspirationsquelle
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Personenregister
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Die Beiträgerinnen und Beiträger
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Hans Eichner
Das Bild der Frau in der Frühromantik Theorie und Wirklichkeit
I. „Der Mann verhält sich zu Gott, wie das Weib zum Manne," schrieb Johann Georg Hamann rund um die Zeit von Friedrich Schlegels Geburt. 1 Und als Johann Michael Stock den jungen Goethe fragte, worin er seine Töchter unterrichten lassen solle, antwortete dieser: „In nichts anderem, als in der Wirtschaft. Laß sie gute Köchinnen werden, das wird für ihre künftigen Männer das beste sein." 2 Mit solchen oder ähnlichen Vorstellungen war auch Friedrich Schlegel aufgewachsen; er überwand sie, als er 1793, als Einundzwanzigjähriger, eine Frau großen Stils kennenlernte, die sich über die Vorurteile ihrer Zeit hinweggesetzt hatte oder man muß sich da vorsichtig ausdrücken — durch ihre Lebensumstände gezwungen worden war, sich darüber hinwegzusetzen. Caroline Böhmer, wie sie damals hieß, war die Tochter des Göttinger Orientalisten Michaelis und genoß, was damals bei Professorentöchtern nicht selten war, eine gute Erziehung: sie lernte Englisch, Französisch und Italienisch, war eine passionierte Leserin und besuchte leidenschaftlich gern das Göttinger Theater. Wie damals üblich, suchten sich die Eltern den Mann für sie aus, den Nachbarssohn Johann Franz Wilhelm Böhmer, Bergarzt in Clausthal im Harz, wo sie 1784-1788 vier ziemlich freudlose Jahre verbrachte. 1788 starb Böhmer, und im Herbst dieses Jahres kehrte Caroline mit der Tochter, die sie dem ungeliebten Mann geboren hatte, nach Göttingen zurück, vorläufig entschlossen, keine zweite Ehe einzugehen, weil sie „frei" sein wollte. 3 August Wilhelm Schle1 2
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Hamann, Versuch einer Sybille über die Ehe, o. O. 1775, S. 9. Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hg. von Ernst Beutler (24 Bde., Zürich und Stuttgart 1949 ff.), 22, S. 16. Caroline an F.J. L. Meyer, 19. 10. 1791, Caroline. Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. von Erich Schmidt (2 Bde., Leipzig 1913), 1, S. 231.
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Hans Eichner
gel, damals Student in Göttingen, machte ihr den Hof und hielt, nachdem er eine Hofmeisterstelle in Amsterdam angenommen hatte, den Kontakt durch einen Briefwechsel aufrecht. Im März 1792 zog Caroline nach Mainz, wo sie eine Freundin hatte, die Frau des Reiseschriftstellers und begeisterten Republikaners Georg Forster. Im Oktober wurde die Stadt von der französischen Armee besetzt, und im Februar 1793 schlief Caroline nach einem festlichen Ball mit einem jungen französischen Offizier. Ende März floh sie mit ihrer Tochter aus der von der preußischen Armee bedrohten Stadt, wurde als vermeintliche Republikanerin von preußischen Vorposten in Haft gesetzt und entdeckte in der Festung Königstein, daß sie schwanger war. Wilhelm Schlegel, der aus Amsterdam herbeigeeilt war, schmuggelte ihr, da sie die Schande nicht überleben wollte, Gift in die Festung, aber ihr Bruder Philipp, der sich direkt an Friedrich Wilhelm II. gewendet hatte, bewirkte ihre Freilassung. Wilhelm fand ihr mit Hilfe des Verlegers Göschen einen Unterschlupf in Lucka bei Leipzig, wo sie in Verborgenheit die Geburt des Kindes abwarten konnte. Da Wilhelm zurück nach Amsterdam mußte, bat er seinen Bruder, damals Student in Leipzig, sich um Caroline zu kümmern. Den Eindruck, den die knapp Dreißigjährige auf den jungen Studenten machte, hat Friedrich Schlegel in seiner Lucinde festgehalten. Sie erscheint dort als eine Frau, „die einzig war" und den Geist des autobiographischen Helden des Romans, Julius, „zum erstenmal ganz und in der Mitte traf' 4 . Friedrichs Briefe zeigen Erstaunen darüber, daß eine Frau so tapfer und selbständig sein konnte. „Der Eindruck, den sie [Caroline] auf mich gemacht hat," schrieb er seinem Bruder, „ist viel zu außerordentlich, als daß ich ihn selbst schon deutlich übersehen und mitteilen könnte." 5 „Die Überlegenheit ihres Verstandes über den meinigen habe ich sehr frühe gefühlt. Es ist mir aber noch zu fremd zu unbegreiflich, daß ein Weib so sein kann, als daß ich an ihre Offenheit, Freiheit von Kunst [d. h. Künstlichkeit, Affektation] recht fest glauben dürfte." 6 Wenn in dieser Briefstelle noch die üblichen Vorurteile mitschwingen, so hat er sie unter dem Eindruck Carolines bald abgestreift. Gegen Ende 1793 faßte er den Plan einer Geschichte der griechischen Poesie, und in 4
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Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe (= KFSA), hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner (Paderborn [u.a.] 1958ff.), Bd. 5: Dichtungen. Hg. u. eingel. von Hans Eichner, S. 47. KFSA 23, S. 111. Ebd., S. 121.
Das Bild der Frau in der Frühromantik
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den Vorarbeiten zu diesem Werk zeichnet sich ein neues und ganz anderes Frauenbild ab. Seine Schrift „Über die Diotima" (1795) ist in erster Linie eine historische Untersuchung, in der gezeigt werden soll, daß „Diotima im Gegensatz zur üblichen Auffassung keine Hetäre war und ihre hohe Bildung sich aus der Tatsache erkläre, daß sie Priesterin des Apollon und eine Pythagoräische Seherin war" 7 . Zugleich protestiert Friedrich aber auch gegen zeitgenössische Auffassungen 8 . Er verweist auf die griechischen Dichterinnen als eine augenfällige Widerlegung von Rousseaus Behauptung, die Weiber seien „der echten Begeistrung und hoher Kunst ganz unfähig" 9 . Er polemisiert gegen die für das Verhältnis der Geschlechter im 18. Jahrhundert grundlegende Annahme, die Frauen seien „um der Männer willen da": das hieße das Gute und Schöne von der weiblichen Bestimmung ausschließen10. Wenn man in „unbedingter Hingebung, und gänzlichem Anschmiegen an den allein selbständigen Mann" die vorzügliche Tugend der Frauen sehe, so fordere man damit Charakterlosigkeit von ihnen. Ihre Bestimmung sei, allen landläufigen Vorurteilen zum Trotz, dieselbe wie die der Männer: „Die Weiblichkeit soll wie die Männlichkeit zur höhern Menschlichkeit gereinigt werden", und der herrschende Kult der Extreme ist daher verwerflich. „Der herrschsüchtige Ungestüm des Mannes, und die selbsdose Hingegebenheit des Weibes, [sind] übertrieben und häßlich. Nur selbständige Weiblichkeit, nur sanfte Männlichkeit, ist gut und schön." 11 Zeichnet sich in dieser Schrift der Gedanke der Gleichberechtigung von Mann und Frau schon deutlich ab, so fehlte jedoch in Schlegels Frauenbild noch die sexuelle Komponente. Der im 18. Jahrhundert in bürgerlichen Kreisen üblichen Auffassung zufolge war der Geschlechtsverkehr tierisch und daher des Menschen unwürdig. So schreibt etwa Friedrich Schlegel 1791 seinem Bruder: „Sinnlich bin ich sehr; [...] indessen habe ich mir vorgenommen diesem Hang nicht zu folgen, da es mir gegen die Würde der Gesinnungen zu sein scheint, sich mit der Kreatur so gemein zu machen." 12 Meist legte man jedoch einen doppelten Maßstab an: Während es den bürgerlichen jungen Männern freistand, ihre
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Ernst Behler, „Einleitung", KFSA 1, S. eli. Vgl. zum Folgenden Hans Eichner, „Einleitung", KFSA 5, S. xxvii f. KFSA 1, S. 97. Ebd., S. 99 f. Ebd., S. 92 f. KFSA 23, S. 18.
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Hans Eichner
Sinnlichkeit mit Prostituierten, Mädchen aus den niederen Ständen oder verheirateten Frauen auszuleben, wünschten sie sich zur Frau ein „unbeflecktes" Mädchen, das seine Sinnlichkeit nach Möglichkeit verleugnete. Um über diese Auffassung des Sexuellen und den damit verbundenen doppelten Maßstab hinwegzukommen, bedurfte Schlegel eines weiteren persönlichen Erlebnisses: Im Sommer 1797 begegnete er in Berlin Dorothea Veit, seiner späteren Lebensgefährtin. Es war ein Gemeinplatz des achtzehnten Jahrhunderts, daß Ehe und Liebe unvereinbar seien. So schreibt zum Beispiel Boileau, „Et quand le nom d'Amant se change en Nom d'Epoux, / L'Amour perd aussitôt ce qu'il a de plus doux"; und Jacobi meinte, jeder „gutgeschaffene Mensch" müsse bei der ersten Regung von Liebe den Gedanken an sinnliche Lust verabscheuen. 13 Die Frau, mit der man schlief — und das heißt doch wohl auch die Gattin - konnte man demnach nicht achten. Zum vollständigen Lebensgenuß brauchte der Mann also erstens eine Frau, die ihm Kinder gebar und den Haushalt führte; zweitens einen Bettschatz, und drittens womöglich auch eine Seelenfreundin für die „höheren", geistigen Genüsse. Solchen Vorstellungen und der für selbstverständlich gehaltenen lebenslangen Unmündigkeit der Frau entsprach es in bürgerlichen Kreisen, daß die Eltern ihre Töchter einem ungeliebten Mann zur Frau gaben, den sie sich aus finanziellen oder gesellschaftlichen Gründen ausgesucht hatten. Das war das Schicksal Dorotheas, die vierzehn Jahre in einer unglücklichen Ehe mit dem grundanständigen, aber ihr geistig nicht ebenbürtigen Berliner Bankier Simon Veit verbrachte. Daß sich Dorothea 1797, fast so bald sie ihn kennenlernte, leidenschaftlich in Friedrich Schlegel verliebte, ist nicht verwunderlich: Friedrich Schlegel war nicht nur brillant, sondern auch körperlich attraktiv. Daß sich Friedrich nicht weniger leidenschaftlich in die um neun Jahre ältere Frau verliebte, die von den Zeitgenossen durchweg als unhübsch beschrieben wird, mag überraschen, aber man muß sich hier umsehen. Wilhelm Schlegel war vier Jahre jünger als Caroline; Schelling, ihr dritter Mann, war zwölf Jahre jünger. Brentano war acht Jahre jünger als Sophie Mereau, Varnhagen von Ense vierzehn Jahre jünger als Rahel. Diese Männer verliebten sich also alle in kluge und gebildete Frauen, die gute Gesprächspartnerinnen, aber auch (mit der möglichen Ausnahme Raheis) 13
Vgl. dazu Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik (2. Aufl., Halle 1931) und meine kurze Zusammenfassung in KFSA 5, S. xxii-xxvi.
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sexuell erfahren waren und, um das Ding beim Namen zu nennen, ebenso gute Partnerinnen im Bett wie im Gespräch. 14 Friedrich Schlegel hat das in seinem Roman thematisiert: „Die üppige Ausbildung ihres schönen Wuchses", heißt es da von Lucinde, „war für die Wut seiner [Julius1] Liebe und seiner Sinne reizender, wie der frische Reiz der Brüste und der Spiegel eines jungfräulichen Leibes. Die hinreißende Kraft und Wärme ihrer Umschließung war mehr als mädchenhaft; sie hatte einen Anhauch von Begeisterung und Tiefe, den nur eine Mutter haben kann." 15 Offensichtlich zeichnet sich hier ein Wandel im Gefühlsleben ab, den wir feststellen, aber, so viel ich weiß, nicht erklären können. Jedenfalls war damit der Konflikt von Seelen- und Sinnenliebe aus der Welt geschafft und der Weg zu einer echten Gemeinschaft von Mann und Frau zwar nicht gesichert, aber zumindest ermöglicht. Öffentlich ausgesprochen hat das neue Lebensgefühl und die damit verbundenen Ansichten Friedrich Schlegel in dem Roman, der seine Liebesbeziehung zu Dorothea unmittelbar reflektiert, Luände, die allerdings so bekannt ist, daß ich mich auf ein paar Sätze beschränken kann. Zunächst: In Schlegels Lucinde wird die Sexualität voll bejaht. Das gab es zwar zum Beispiel schon in Heinses Ardinghello, auf dessen „glückseligen Inseln" Frauengemeinschaft und die sogenannte „freie Liebe" herrschen, aber von eigentlicher Liebe ist da kaum die Rede. Schlegels autobiographischer Held, Julius, findet in Lucinde „zugleich die zärtlichste Geliebte und die beste Gesellschaft [...] und auch eine vollkommene Freundin" 16 . Die Trennung von Seelenfreundin einerseits und Eheweib und Bettgenossin andrerseits, die Jacobi zum Beispiel in seinem Roman Woldemar als unerläßlich dargestellt hatte, ist damit überwunden, und die Frau, die beides zugleich sein kann, ist des Mannes ebenbürtige Partnerin. Das Symbol für diese Ebenbürtigkeit ist in der Lucinde die „schönste Situation", nämlich die, wo Mann und Frau beim Geschlechtsverkehr die üblichen Rollen vertauschen und, wie Schlegel mit einem gewagten Wortspiel schreibt, der Mann der Frau „unterliegt"; sie ist eine „Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und des Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit" 17 . 14
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Bei Novalis und Tieck war das anders; daher Novalis' Ablehnung der Luände und das Unverständnis, auf das Amalie Tieck im Jenaer Romantikerkreis stieß. KFSA 5, S. 55. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12 f.
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Hans Eichner
Schlegel hat sich mit solchen Aussagen gewiß einen Platz in der Geschichte der Frauenemanzipation verdient, aber sie waren ein Schlag ins Wasser. Die Lucinde wurde zwar von vielen jüngeren Zeitgenossen mit Begeisterung aufgenommen, erregte aber vor allem moralische Entrüstung, und zwar nicht bloß, weil man das Werk an sich als obszön empfand, sondern weil man es nicht als Roman, sondern — mit Schleiermachers Worten 18 — als „öffentliche Ausstellung" seines Verhältnisses mit Dorothea las. 19 Dazu kam, daß sich die Feinde, die sich die Brüder Schlegel durch ihre Polemiken gemacht hatten, mit Wonne auf die Blöße stürzten, die sich Friedrich gegeben hatte. Dazu zwei Beispiele. In einem Pamphlet mit dem Titel Drey Briefe an ein humanes Berliner Freudenmädchen über die Lucinde von Schlegel schwört der anonyme Verfasser „ewigen [...] Haß dieser frechen Rotte eingebildeter Gäuche und niedriger Lüstlinge, diesen Verwirrern der Moralität und Kunst, deren Grazien betrunkne Bacchantinnen, deren Apollo ein zügelloser Marsyas ist, die mit Füßen treten Tugend, Scham, Bürgerglück, Fleiß und gute Sitten, der Faulheit, dem Müßiggange und der geilen Liederlichkeit Lobreden halten, um ihre an sich elenden Produkte pikant zu machen" 20 . Das Motto der Schrift lautet, „Whoring is like mathematics, whoever is once initiated into the science, is sure never to leave it". Gleichfalls unter dem Schutz der Anonymität veröffentlichte der Berliner Prediger Daniel Jenisch ein angebliches „Billet-doux der geschiedenen Madam Veit, jüdischer Nation, nunmehr halbverehelichten Friedrich Schlegel, an Herren Friedrich Schlegel, über seinen Roman, Lucinde", in dem es unter anderm heißt: „Wahr ists! Du kennst die geheimen Falten meines Koischen Gewandes, zu teutsch Hemde genannt: ich bin, in so manchen holden Stunden, deine lendennackte Spartanerin. Aber warum dies alles dem Publikum sagen und malen?" 21 18 19
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Siehe Anm. 23. Zumindest die Jüngeren unter Schlegels Anhängern empfanden den Roman offensichtlich nicht als anstößig. Brentano las ihn mit Julie und Minna Reichenbach, Franz Passow mit seiner Braut. Übrigens zählte auch Fichte zu den Bewunderern des Romans. Siehe z. B. seinen Brief vom 8. 9. 1799 an seine Frau: „Schlegels Lucinde ist, einige Unreifheiten abgerechnet, eins der größten Genieprodukte, die ich kenne. Ich lese ihn jetzt zum drittenmale; und mit jeder neuen Lektüre gefällt er mir besser. Ich werde ihn noch oft lesen. Da das Genie, und die Ahndung davon, so äußerst selten sind, so ist notwendig, daß er mehrern mißfalle. Solche Produkte müssen sich erst ihr Publikum bilden." (Fichte, Briefwechsel. Gesammelt u. hg. von Hans Schulz, 2 Bde., Hildesheim 1967, 1, S. 158). Drey Briefe [...] (Frankfurt und Leipzig 1800), S. 4. Diogenes Laterne. Ein satyrisches Taschenbuch für das Jahr 1800. Leipzig [1799], S. 375.
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Die zwei Verteidigungsschriften, die 1800 erschienen, von Friedrich Schleiermacher und dem Jenaer Dozent Johann Bernhard Vermehren, sind ungeschickt. Schleiermacher hatte bei der ersten Lektüre der Lucinde mit Entsetzen reagiert. „Der vertraute Freund eines Predigers", schrieb er am 2. April 1799 an Henriette Herz, „soll so ein Buch schreiben, und dieser soll nicht mit ihm brechen!" 22 In einem Brief an Schlegel fielen Ausdrücke wie „Dilettant" und, wie wir schon gehört haben, „öffentliche Ausstellung"23. Beim Wiederlesen änderte er jedoch seine Meinung; im Frühling 1800 beschloß er, dem bedrängten Freund zu Hilfe zu kommen, und schrieb in wenigen Wochen seine Vertrauten Brìefe über Friedrich Schlegels Ludnde.2A Hier stellt er fest, daß man gemeinhin „aus der Sinnlichkeit nichts zu machen weiß, als ein notwendiges Übel, das man nur aus Ergebung in den Willen Gottes und der Natur wegen erdulden muß" (S. 150), während in der Lucinde die Liebe „vollständig" dargestellt wird, „vom leichtesten Gaukeln des Scherzes, von dem ausgelassenen Mutwillen [...] bis zur heiligsten Anbetung der Menschheit und des Universums in der Geliebten" (S. 151). Er preist die „innige Verwebung" des Sinnlichen „in das Geistige" (S. 164) in Schlegels Roman und die „Verschmelzung und Vereinigung der Hälfte [n] der Menschheit zu einem mystischen Ganzen" (S. 194); er wirbt um Verständnis für die ungewöhnliche Form des Werkes, an das man nicht mit den üblichen Vorstellungen von einem Roman herantreten dürfe (S. 249 f.), und zeigt sich überhaupt als ein gründlicher Leser und kluger Ausleger, der auch vor gelegentlicher Kritik nicht zurückscheut. Seine Schrift ist jedoch von beinahe unerträglicher Weitschweifigkeit und hat sich dadurch um jede Wirkung gebracht. Friedrich und Dorothea waren natürlich erfreut und dankbar 25 . Theodor Bernhardi 22
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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Hans-Joachim Birkner [u. a.], Berlin-New York 1985 ff. (= KGA), 5.3, S. 63. Schleiermachers Brief ist nicht erhalten; siehe jedoch Schlegels Antwort vom 14. April 1799, KFSA 24, S. 267. Schleiermacher, KGA 1.3, S. 141—216. Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. Siehe z. B. Friedrich Schlegel an Schleiermacher, 5. 5. 1800: „Ich kann Dir nicht sagen, wie sehr mir das Ganze recht und lieb ist, ad intra und nebenher auch ad extra, wie es ist und daß es von Dir ist." (Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. Zum Druck vorbereitet von Ludwig Jonas [...], nach dessen Tode hg. von Wilhelm Dilthey, 3, Berlin 1861, S. 173.) Im ganzen finde ich jedoch Schlegels Bemerkungen über die Vertrauten Briefe eher etwas kühl. Schleiermacher konnte nicht sicher sein, daß seine Anonymität gewahrt bleiben würde und mußte daher erhebliche Unannehmlichkeiten befürchten, so daß Schlegel ihm also doppelt für einen außerordentlichen Freundschaftsdienst zu danken hatte.
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Hans Eichner
veröffentlichte eine beifällige, aber unbedeutende Rezension im Archiv der Zeit26. In einer Besprechung von Ernst Theodor Langer in der Neuen Allgemeinen Deutschen Bibliothek wird der Verfasser der Vertrauten Briefe jedoch unwirsch als ein „kahler Apologist" abgetan, „dem es um nichts weiter zu tun ist, als die Begriffe von Scham, Anstand, Zartgefühl u. s. w. noch mehr zu verwirren" 27 . Sonstige Bemerkungen über die Verteidigungsschrift, auch in den Briefen der Zeit, sind selten. 28 Geschickter war Schleiermachers anonyme Rezension der Lucinde im Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks29, die mit dem höchsten und für die meisten Zeitgenossen höchst paradoxen - Lob des Romans endet: Durch die Liebe [...] wird das Werk nicht nur poetisch, sondern auch religiös und moralisch. Religiös, indem sie überall auf dem Standpunkte gezeigt wird, von dem sie über das Leben hinaus ins Unendliche sieht; moralisch, indem sie von der Geliebten aus sich über die ganze Welt verbreitet, und für alle, wie für sich selbst, Freiheit von allen ungebührlichen Schranken und Vorurteilen foderi. Wir gestehen, das Verhältnis der Poesie zur Moral nicht leicht anderswo so rein gefunden zu haben, als hier, wo keine von beiden der andern dient, aber jede in der andern lebt und sie verherrlicht.
Johann Bernhard Vermehren bezeichnet es in seiner Schrift 30 als die „Absicht" Schlegels, in der Lucinde „eine reine, geläuterte Liebe darzustellen, die im Stande der unentweihten heiligen Natur sich über alle Konventen^ wodurch das sogenannte Schickliche erst zur De^en^ wird, erhebt. Der sehr wahre Gedanke, daß Sinnlichheit nicht Liebe sei, sondern daß hinter der Sinnlichkeit immer etwas Höheres, Ewiges stehe, [...] gab dem Verfasser den Pinsel in die Hand." (44-45) Wie das gemeint ist, zeigen spätere Bemerkungen: „Der Verfasser wollte darstellen, daß die Sinnlichkeit nicht das Her.£ ausfüllt [...] Die Idee einer reinen, ewigen Liebe ist der Geist des ganzen Buchs, alles andere, alle wirklich schlüpfrigen, wollüstigen Szenen sind nur Vehikel, um durch diese Entgegensetzung diesen reinen 26
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Juli 1800 (2. Bd., S. 43 f.). Vgl. Friedrich Schlegel an Schleiermacher, Anfang August 1800: „Was Bernhardi über die vertrauten Briefe gesagt hat, ist freilich noch weniger als nichts." (Jonas-Dilthey, 3, S. 209.) NADB, 59. Bd., 2. Stück (1801), S. 349. Vgl. die sorgfaltige Dokumentation von Oscar Fambach, Das große Jahrzehnt in der Kritik seinerzeit (Berlin 1958), S. 510 ff. 6. Bd. (1800), Teilband 2, S. 3 7 - 4 3 ; KGA 1.3, S. 221 - 2 2 3 . Jfohann] B[ernhard] Vermehren, Briefe über Friedrich Schlegels Lurinde %ur richtigen Würdigung derselben (Jena 1800). Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe.
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Geist noch anschaulicher zu machen." (64-65) In der geplanten Fortsetzung des Romans werde also gewiß „ein weiteres Emporsteigen des strebenden Julius" geschildert werden: „Er wird sich immer mehr reinigen von jedem sinnlichen Stoff, und einst mit seiner Gattin die ewige Liebe [...] im ewigen Lichte schauen." (63) Es sei jedoch eine „unverzeihliche Nachlässigheit" (82) Schlegels, daß er diese seine Absicht nicht dem Publikum „in einer klaren Vorrede deutlich" ausgesprochen (70) und „die höhere, ewige Liebe" nicht „so viel wie möglich ohne alle sinnliche Hülle" geschildert habe (91). „Die hohen Charaktere [Julius' und Lucindes] müßten sich ohne straflare Verirrung in Leiden göttlicher Liebe rein gebrannt haben, um als Ideale für das Streben des reinen Jünglings und des schuldlosen Mädchens aufgestellt werden zu können" (91). Vermehren steht also durchaus auf dem Standpunkt der vorromantischen Generation und unterstellt diesen Standpunkt auch Friedrich Schlegel, dessen Absicht es ja war, nicht die Trennung, sondern die Verschmelzung von Seele und Sinnlichkeit, von Körper und Geist darzustellen und zu predigen. Daß Vermehren bei dieser völligen Verkennung von Schlegels Absicht das in der Luände aufgestellte neue Frauenbild nicht zur Kenntnis nimmt, ist selbstverständlich.
II. In der Luände fällt zwar gelegentlich das Wort „Ehe", aber es wird hier meist so verwendet, wie im Athenäums-Fragment 34, wo das Wesen einer „wirklichen Ehe" dahingehend bestimmt wird, daß „mehre Personen nur eine werden sollen"31. In Schlegels Notizheft von damals heißt es bündig: „Ehe ist Liebe und Gegenliebe, beides vollkommen." 32 Von einer Heirat ist im Roman nicht die Rede. In der Wirklichkeit war es so, daß Dorothea ihren jüngeren Sohn, Philipp Veit, nur unter der Bedingung bei sich behalten durfte, daß sie Friedrich nicht heiratete, denn zu dem Zweck hätte sie sich taufen lassen müssen. Überdies war Friedrich, wie er Caroline schreibt, die „Zeremonie" verhaßt33, und er hielt sie auch wohl für unnötig; denn, wie es in seinem Notizheft heißt, „Treu ist man wohl von selbst, 31 32 33
K F S A 2 , S. 170. KFSA 16, S. 222, Nr. 251. Brief vom 27. 11. 1798, KFSA 24, S. 202.
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wenn man gan% liebt" 34 . In der Lucinde heißt es entsprechend: „Ich begreife es durchaus nicht wie man eifersüchtig sein kann [...]. Für mich ist das Glück gewiß und die Liebe eins mit der Treue." 35 Schlegel war aber auch imstande, die Sache viel nüchterner zu betrachten. Er schreibt zwar im November 1798, daß er es nicht für möglich halte, daß ihn und Dorothea „etwas andres als der Tod trenne"; die „Verschiedenheit des Alters" sei aber für ihn „Grund genug" gegen eine Eheschließung; denn „wenn es ihr [Dorothea] nicht länger anständig ist, meine Frau in diesem Sinne zu sein, dann bin ich noch sehr jung, und werde [...] eben so wenig ohne Frau leben als mich mit einer Gesellin begnügen können. Sie würde wahrscheinlich nicht meine letzte Liebe sein, wenn sie auch meine einzige wäre; so wie ihre zu mir nicht ihre erste ist." 36 In der Tat hatte Friedrich schon im Sommer 1800 ein Verhältnis mit Sophie Mereau, der späteren Frau Brentanos. Dieser fühlte sich — mit Recht - hintergangen und hat Schlegel nie verziehen. Dorothea, die von der Liebschaft wußte, fand sich damit ab. Sie hat, berichtet viele Jahre später Helmina von Chézy, der Dorothea von Schlegels Seitensprung erzählt haben muß, „in ihrem still gediegenen Werte den hinreißenden Zauber jenes flüchtigen Taumels nicht ohne Kampf, doch mit Ruhe besiegt." 37 Das ist bezeichnend für Dorotheas Beziehung zu Schlegel, die ihr Lebensglück ausschließlich darin sah, ihm zu dienen und zu helfen. „Dem Friedrich wollen wir nur immer einen Tempel bauen," schrieb sie im Herbst 1799 ihrem alten Freund Schleiermacher, „er ist doch ein Gott wo nicht mehr!" 38 In ihrem Tagebuch notiert sie: „In einer schönen Ehe ist es notwendig, daß die Frau gerade so viel Verstand besitze, um den des Mannes zu verstehen; was darüber ist, ist vom Übel." „Ob mir mein Bestreben wohl gelingen wird, Friedrich sein Geselle zu werden: nämlich das in seinem Sinn auszuführen, was er für mich angelegt?" 39 Sie hat denn auch, was bei Caroline nicht vorstellbar wäre, ihre öffentliche Bloß34 35 36 37
38 39
KFSA 16, S. 220, Nr. 211. KFSA 5, S. 33. Brief vom 27. 11. 1798, KFSA 24, S. 202. Allgemeine Zeitung, 29. 8. 1839, Nr. 241; zitiert in Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner (Berlin 1926), S. 452. Schleiermacher, KGA 5.3, S. 192. Dorothea v. Schlegel geb. Mendelssohn und deren Söhne Johannes und Philipp Veit. Briefwechsel im Auftrage der Familie herausgegeben von Dr. J. M. Raich (2 Bde., Mainz 1881), 1, S. 90 f.
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Stellung in der Lucinde protestlos erduldet. „Was die Lucinde betrifft [...]", schrieb sie im April des Jahres nach Berlin, „oft wird es mir heiß, und wieder kalt ums Herz, daß das Innerste so herausgewendet werden soll — was mir so heilig war, so heimlich; jetzt nun allen Neugierigen, allen Hassern preisgegeben [...]. Ich denke aber wieder: alle diese Schmerzen werden vergehen, mit meinem Leben, und das Leben auch mit, und alles was vergeht, sollte man nicht so hoch achten, daß man ein Werk drum unterließe das ewig sein wird." 40 Im Zusammenhang mit ihrer und Friedrichs Konversion berichtet Helmina von Chézy: „Von Fr. v. Schlegels Beweggründen zu seinem vorhabenden Ubertritt war zwischen mir und Dorothea nie die Rede. Sie sagte ganz einfach, sie würde mit ihm katholisch, weil sie in nichts von ihm verschieden, noch getrennt sein wollte." 41 Auch als Schriftstellerin hat sich Dorothea Friedrich völlig untergeordnet. Sie schrieb ihren Roman, Florentin, und machte ihre Übersetzungen aus dem Französischen, um zum Unterhalt der Familie beizutragen, und auf dem Titelblatt stand jeweils statt ihres Namens bloß „Herausgegeben von Friedrich Schlegel". In den späteren Jahren wird sie vor allem als gute Hausfrau beschrieben, die Hemden nähte und Strümpfe stopfte, obwohl manche Besucher des Ehepaares nun die Konversation der klugen und belesenen Frau anregender fanden als die ihres Mannes, der schließlich für nichts mehr Interesse aufbrachte als für seine abstrusen theologischen Spekulationen. Sie war ein Mensch von Format, und in vieler Beziehung lebenstüchtiger als Friedrich. Nach dessen Tod brachte sie es sogar fertig, die Schulden abzutragen, die Friedrich seit seinen Leipziger Studienjahren verfolgten; aber die selbständige, geistig unabhängige Frau, die Schlegel zur Zeit der Lucinde als Ideal vorschwebte, war sie nicht. Kehren wir nun zurück zu Caroline. Am 3. November 1793 hatte diese ihr Kind zur Welt gebracht; sie freute sich, daß es ein Junge war, vielleicht, 40 41
Brief vom 8. 4. 1799, ebd., S. 71. Helmine von Chézy, „Friedrich und Dorothea in Paris", Der Freihafen. Galerie von Unterhaltungsbildern [...], 3. Jg. 4. Heft (1840), S. 78. Dorothea ließ sich im April 1804 taufen, als sie Schlegel heiratete. Der Ubertritt zum Katholizismus erfolgte erst 1808. Vgl. jedoch Helmines Bemerkung zu den Pariser Jahren 1803 bis 1804, wo sie bei Schlegels wohnte: „Dorothea erschien mir zu jener Zeit viel religiöser als Friedrich, der, hierin schon im voraus Katholik, seine Umwandelung auf den Zeitpunkt des einstigen Übertrittes hinausschob, weil alsdann alles in einem hinginge. Er kannte das unerschöpfliche Gnadenherz der Mutter Kirche, die alles verzeiht, so wie sich nur einer als Sohn in ihren Schoß wirft. Der Richtung, die er 1804 nahm, schien er damals durchaus entgegen." (Ebd., S. 84)
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weil sie nur zu bitter erfahren hatte, daß die Männer es leichter hatten als die Frauen. Anfang Februar fuhr sie zu Freunden nach Gotha und dann weiter nach Göttingen, wo ihr als angebliche „Jakobinerin" der Aufenthalt verboten wurde. Das Kind hatte sie in Lucka in Pflege zurückgelassen, wo es im April 1795, im Alter von 17 Monaten, an den Frieseln starb. Im August 1795 siedelte sie mit ihrer Mutter und ihrer Tochter nach Braunschweig, wo Wilhelm Schlegel, der seine Hofmeisterstelle in Amsterdam aufgegeben hatte und auf dem Weg nach Jena war, noch einmal um sie warb — diesmal mit Erfolg. Wie Caroline zehn Jahre später berichtete, gab sie ihr Jawort, um sich und ihrer Tochter in ihrer zerrütteten Lage einen Beschützer zu geben. 42 Geliebt hat sie Wilhelm nicht. Im Juli zog das junge Paar nach Jena, und damit begannen die großen Jahre der Frühromantik. Carolines Rolle war nun vor allem die der Hausfrau, was, da es immer wieder Gäste gab, keine leichte Aufgabe war. Im September 1799 zum Beispiel war Sophie Tischbein (die Frau des Malers) mit ihren drei Kindern zu Besuch, die Verwandten aus Braunschweig waren in Jena, Friedrich wohnte im Haus und der befreundete Professor Paulus und seine Frau, die gerade keine Köchin hatten, waren Kostgänger. „Damals hatte ich jeden Mittag ein 1 5 - 1 8 Personen zu speisen," berichtet Caroline einer Freundin. „Meine Köchin ist gut, ich aufmerksam, und so ging alles aufs beste." 43 Auch Dorothea bestätigt, daß man im Haus am roten Turm gut aß und daß Caroline „die Wirtin sehr gut und mit leichtem Anstand" 44 machte — obwohl man da auch anderer Meinung sein konnte. Karoline Wilken, die ältere Tochter Tischbeins, schrieb in ihren Erinnerungen: „Im Schlegelsehen Hause in Jena gabs [...] keine Ordnung. Diese Wirtschaft überstieg jede mögliche geniale Unordnung und wurde mir so widerlich, daß ich dadurch erst die Notwendigkeit einer besseren Einrichtung schätzen lernte." Der Mittagstisch „war nicht der beste, vielmehr gab es ein abscheulicheres, ungesunderes Essen als hier wohl selten. Vielleicht wußte Frau Schlegel oft um 12 Uhr noch nicht, was sie kochen lassen wollte. Saure Gurken, Kartoffeln, Heringe und eine unschmackhafte Wassersuppe halfen dann aus." Daß sie das nicht aus „Antipathie" 45 gegen Caroline Schlegel berichtet, zeigt der 42 43 44
45
Caroline 2, S. 355. Caroline 1, S. 561. Brief an Rahel Levin, 18. 11. 1799; zitiert nach Eckart Kleßmann, Caroline. Das Leben der Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling 1763—1809 (München: List, 1975), S. 216. Diese „auffällige Antipathie" behauptet Erich Schmidt, Caroline 1, S. 741.
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Nachsatz: „Die Würze zu diesem Mahl lieferten geistige Bestandteile bei der unnachlassenden Gewandtheit der Wirtin, alle zu beleben und anzureizen, ihren Witz leuchten zu lassen, so daß die Gesellschaft über dem Sprechen das Essen vergaß." 46 In der Tat war es Carolines eigentlicher Beitrag zur Geschichte der Frühromantik, daß sie die Geselligkeit in ihrem Haus und so die Symphilosophie und Sympoesie ermöglichte, die für die junge Bewegung so wichtig waren. Zu welchem Grad sie die kritische und künstlerische Leistung der Bewegung beeinflußte, ist schwer zu ermitteln. Wilhelm Schlegel ließ sich von ihr bei seiner Shakespeare-Ubersetzung beraten47, und sie hat an Aufsätzen und Buchbesprechungen von ihm mitgearbeitet. Ihre bei weitem wichtigste Gemeinschaftsarbeit mit Wilhelm ist der Dialog „Die Gemälde" im dritten Stück des Athenäums, zu dem sie die dort „Louise" zugeschriebenen Gemälde-Beschreibungen und die Ausführungen über Raffael beigetragen hat. Daß Caroline „einzig und allein" bewirkt hat, daß die Schlegels „so sehr auf Goethe setzen und sich in gleichem Maße von Schiller abwenden", wie ζ. B. Kleßmann behauptet48, ist höchst unwahrscheinlich. Ihre Leistung als selbständige Schriftstellerin beschränkt sich auf eine Abhandlung „Uber die Darstellung des Ion auf dem Berliner Theater" sowie eine kleine Anzahl von Rezensionen, die längst vergessen sind.49 Caroline schuf aber nicht nur die praktischen Bedingungen für die geistige Gemeinschaft im Haus am roten Turm, sondern sie trägt auch einen Teil der Schuld an ihrer Auflösung — wenn hier von Schuld überhaupt die Rede sein kann. Anfang September 1799 war Friedrich Schlegel dort eingezogen, Anfang Oktober kam Dorothea nach und wurde freundlich empfangen. Die beiden Frauen, die nun Hausgenossen waren, gefielen einander. „Es geht mir wohl," meldet Dorothea am 11. Oktober nach Berlin. „Caroline ist wirklich sehr liebenswürdig [...]! Sie ist dienstfertig, gefällig, und unermüdlich es einem jeden Recht zu machen [...] Auch daß sie sich so in den Geschäften und im Beruf, und in den Arbei46
47 48 49
„Aufzeichnungen Karoline Wilkens" [geb. Tischbein], in: Adolf Stoll, Der Geschichtschreiber Friedrich Wilken [Cassel 1896), S. 301, 303 f. Von den Gurken ist auch in einem Brief Carolines die Rede; Friedrich liebte sie. Wie Kleßmann (Anm. 44) S. 157 und 289 zeigt, beriet sie ihn schlecht. Ebd., S. 172. Die /»»-Abhandlung: Zeitung für die elegante Welt, 1802, Nr. 7 vom 16. 1. — Zu ihren späten Buchbesprechungen siehe Erich Frank, Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline in der Neuen Jenaischen Literatur-Zeitung, Heidelberg 1912.
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ten des Mannes mischt, ist nicht ganz ihre Arroganz, sondern Wilhelms Schuld, der sie nicht selten gezwungen mit hinein mischt." 50 Es folgt eine hübsche Beschreibung Carolines: „Sie ist nicht schön, aber sehr angenehm und gefällig. [...] Sie hat braunes Haar, das sie kurz und kraus um den Kopf trägt, sie ist so groß als ich, aber ihre Figur ist feiner und graziöser [...]. Sie kleidet sich simpel aber nett, und in einem recht guten Geschmack; so ist auch die Einrichtung, und die Meubles im ganzen Haus, und so der Tisch, nett, reinlich, zierlich und einfach." 51 Caroline ihrerseits schreibt: „Also nun ist [Dorothea] da [...]. Sie hat ein nationales, c'est à dire jüdisches Ansehn, Haltung und so weiter. Hübsch kommt sie mir nicht vor, die Augen sind groß und brennend, der Unterteil des Gesichts aber zu abgespannt, zu stark. Größer wie ich ist sie nicht, ein wenig breiter. Die Stimme ist das sanfteste und weiblichste an ihr. Daß ich sie lieb gewinnen werde, daran zweifle ich keinesweges." 52 Und ein paar Tage später, „Die Veit hatte sich [da es Gäste gab] sehr schön gemacht, wie sie denn uns allen [...] immer besser gefällt." 53 So ging alles gut, bis es offenkundig wurde, daß sich Caroline und Schelling, der bei Schlegels seinen Mittagstisch hatte, ineinander verliebt hatten. Schon im August oder Anfang September bemerkte Sophie Tischbein, „daß sich zwischen Schelling und seiner Wirtin ein Verhältnis entspann, unter dem [Wilhelm] Schlegel sehr litt." 54 Karoline Wilken erzählt, daß „nach einem kleinen Ball bei Schlegels, als alle Gäste schon fort waren und ich in den Saal zurückkehrte, um etwas zu holen, Schlegel und seine Frau in großer Aufregung nebeneinander einherschritten. Er weinte, sie sah sehr entschlossen und erhitzt aus." 55 Nun war zwar Wilhelm gesinnt, dieses Verhältnis zu dulden und mit Caroline zumindest eine Scheinehe weiterzuführen, obwohl er selbst damals in eine Liebesbeziehung mit ei-
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Schleiermacher, KGA 5.3, S. 217-218. Ebd., S. 218. Vgl. die Beschreibung Carolines in Karoline Wilkens Aufzeichnungen (S. 301 f.): „Sie war gar nicht schön, kaum hübsch, aber ihre nette, gewandte, kleine Gestalt war graziös, wie ihr ganzes Wesen, und in dem von Pockennarben etwas beschädigten Antlitz lag so viel Einnehmendes, in ihren Augen leuchtete so viel Geist, und ihre Lippen zeigten, wenn sie sich öffneten, so schöne Zähne, daß man allenfalls die Neigung begreifen kann, welche nicht bloß Schlegel, sondern auch viele andere Männer ihr maßlos widmeten." Brief an Auguste, 6. 10. 1799, Caroline 1, S. 564. Brief an Auguste, 14. 10. 1799, ebd. S. 565 f. Karoline Wilken (Anm. 46), S. 304. Ebd.
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ner anderen Frau, Elisabeth Wilhelmine van Nuys, verwickelt war. 5 6 Aber bald gab es Streit zwischen Wilhelm und Schelling. „Obgleich es à l'ordre du jour ist," berichtet Dorothea am 16. 1. 1800 an Schleiermacher, „daß sich die Menschen hier, wie es in einer Republik von lauter Despoten natürlich ist, immer zanken wie die Buben, so bin ich ganz allein davon verschont, [...] Friedrich aber auch größtenteils." 57 Der Streit breitete sich jedoch aus. Friedrich empfand die Rolle, die Wilhelm als betrogener Ehemann spielte, als Kränkung für ihn und für sich selbst und drängte seinen Bruder, reinen Tisch zu machen. 58 Caroline erfuhr das, nahm es übel und ließ ihre schlechte Laune an Friedrich aus, was Dorothea als unverzeihliche Kränkung empfand. „[Caroline] ist hart, hart wie Stein," schreibt Dorothea am 23. Januar 1800 an Rahel. „In der Kieselhärte sucht sie [...] ihresgleichen." 59 Drei Wochen später meldet sie Schleiermacher, daß „zwischen Caroline und Friedrich sich eine gewisse Antipathie entspinnt." 60 Im März erkrankte Caroline an einem Nervenfieber, von dem sie sich nur langsam erholte, und am 4. April schrieb Dorothea — und hier lohnt es sich, ausführlich zu zitieren: [Carolines] Zustand erfordert die größte Ruhe, und wie sollte sie diese wohl erhalten, bei der angestrengten Aufmerksamkeit, den launigen Trotz, und die trotzige Laune der beiden Männer [Schelling und Wilhelm Schlegel] auseinan56 57 58
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Siehe dazu Josef Körner, „Carolinens Rivalin", Preußische Jahrbücher, Bd. 198 (Okt.-Dez. 1924), S. 27-52. Schleiermacher, KGA 5.3, S. 347. Siehe z. B. Schlegel an Schleiermacher, 14. 2. 1801: „Caroline ist schon seit wir hier sind, von meinem Bruder im Stillen getrennt, und mit einem andern Freund verbunden. Ich habe mich dabei fast diskreter betragen als billig, indessen habe ich doch bei einer neulichen Veranlassung nötig gefunden, W[ilhem]s Partie zu nehmen und dadurch Car[oline]s Freundschaft sehr verscherzt. Das habe ich wohl vorausgesehn, ich will aber das mögliche tun und wagen, um W[ilhelm] frei, ganz frei zu machen." (Ebd., S. 384.) Uber die gute Miene, die Wilhelm Schlegel zum bösen Spiel machte, hatte sich Fichte schon im vorhergehenden Oktober gewundert. „Wegen Schelling, und der Schlegelin nimm Dich doch ja in Acht [...]", schrieb er seiner Frau am 23. 10. 1799 aus Berlin. „Ich bin schon von anderer Seite darüber avertiert, und so, daß ich Dich gar sehr um Diskretion bitten muß. Schelling macht sich einen üblen Namen, und das tut mir sehr leid. [...] Das Übel ist, daß bei dergleichen Gelegenheiten die Akteurs denken, kein Mensch merke etwas, weil ihnen kein Mensch etwas sagt, so lange, bis ein recht öffendiches Skandal entsteht. Macht denn doch der Mann der Sache nicht ein Ende?" (Fichte, Briefwechsel, 2, S. 181) Kleßmann, S. 218 f. Schleiermacher, KGA 5.3, S. 387.
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Hans Eichner derzuhalten, mit all den kleinlichen Absichten und Mühseligkeiten, die ein so schmutziges Verhältnis notwendig macht? [...] Lieber Freund, ich weiß nicht ob Sie mich lieber haben würden, wenn Sie Zeuge wären wie diplomatisch ich mich hier durchwinde, denn Carolinens Krankheit verbietet alles dreiste Reden. [...] Dem Friedrich bin ich nicht grob genug, ob er mir gleich einen guten Teil Vornehmigkeit nicht absprechen kann. Aber gröber kann und darf ich jetzt nicht sein[,] eigentlich habe ich mich selbst über keine Art von Unbill zu beschweren, im Gegenteil, ich habe Carolinen recht viel zu verdanken, sie war die erste, die mich öffendich anerkannte [...] Auch gebe ich ihr bei weitem nicht so viel Absicht schuld, als Friedrich ihr zur Last legt, vielmehr erkenne ich erst jetzt, daß sie ganz unbesonnen, und höchst egoistisch, aber wie ein unverständiges Kind bloß für die Gegenwart bedacht ist, sie ist gar keines weiten Plans fähig. Friedrich begegnet sie aber höchst unwürdig, und ist durchaus nicht im Stande ihn zu begreifen, sie ist ganz übermütig gegen ihn; und dies ist der Punkt worüber ich keinen Scherz verstehe."61
Immerhin war die Beziehung zwischen den beiden Frauen noch so gut, daß Caroline, die zu ihrer Erholung einen Aufenthalt im Kurort Bocklet plante, Dorotheas Begleitung wünschte. 62 Aber dazu kam es nicht mehr. Bevor Caroline im Mai 1800 mit Schelling als ihrem Begleiter Jena verließ, muß es zu ernsten Streitigkeiten zwischen den beiden Frauen gekommen sein; denn von nun an haßten sie einander mit einer Leidenschaft von fast pathologischem Ausmaß. Am 15. 5. 1800 schreibt Dorothea an Schleiermacher: „Von Friedrichs Sachen versteht [Caroline] nichts, von Friedrich selbst gar nichts. Hat sie auch Witz und Geist und Leben, so ist keine Fülle, kein Reichtum da, es strömt ihr Herz nicht davon über. [...] Sie wird mit Schelling gewiß nicht länger glücklich sein als sie mit Wilhelm] war; denn sie hat ihn mit vieler Kunst für sich gewonnen. [...] Ihr Haß auf Friedrich kommt eigentlich daher, weil sie glaubt, er wäre schuld, daß Wilhelm gegen Schelling sei, und darin hat sie ganz recht, er ist auch schuld [...]; hätte W[ilhelm] sich nicht vor Friedrich] geschämt, so wäre zwischen den Dreien alles recht friedlich und aufgeklärt zugegangen, Caroline] hätte heute einem, morgen dem anderen zugehört, und irgendein hübsches Stubenmädchen, oder wohl gar Auguste [Carolines fünfzehnjährige Tochter] selbst, hätte die Ehe en quatre vollständig gemacht." 63 Und nachdem Auguste in Bocklet an der Ruhr gestorben war, machte Dorothea „die heftigen Erschütterungen, die das Kind leiden mußte", also Caroline, für ihren Tod verantwortlich; denn — so Dorothea — „an 61 62 63
Ebd., S. 451 f. Ebd. Kleßmann, S. 221 f.
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der Ruhr ist sie wohl nicht eigentlich gestorben, an dieser stirbt man nicht mehr, sagt [der Arzt] Hufeland." 64 Was Caroline über Dorothea schreibt, ist nicht liebenswürdiger. „Gestern beteuerte Schelling wieder [...]," berichtet sie etwa im Herbst 1801, „daß er Friedrichs Freundschaft suchen würde, und an keine Feindschaft mehr denken, wenn die Veit nicht mehr wär. Was hilft das alles? Mir ist selbst oft, als könnt ich nicht ruhig sterben ohne mich mit ihm zu verstehn. Wenn sie nur jemand totschlagen wollte, ehe ich stürbe."65 Und als sie von Friedrichs und Dorotheas Reise nach Paris hörte, schrieb sie an eine Freundin, er gedenke sich dort „republikanisch zu vermählen" und fährt fort: „Das Ersäufen in der Loire hieß unter Robespierre noces républicaines, und der Hälfte dieses Paares möchte ich gern solche Hochzeit gönnen." 66 Ich berichte das alles, weil es für die Literaturgeschichte beträchtliche Folgen hatte; denn es gelang Caroline, Wilhelm gänzlich auf ihre Seite zu ziehen. „Mich hatte [Caroline]", meldet Dorothea Mitte Mai 1800 nach Berlin, „durch ein unliebenswürdiges Betragen auf einige Tage aus ihrem Zimmer entfernt [...], und diese Zeit hat sie benutzt, Wfilhelm] wieder ganz für sich einzunehmen und mit Schelling zu versöhnen, so daß er nun gar nicht mehr zu detrompieren ist." 67 Mündlich und in ihren Briefen hetzte Caroline dann ständig gegen Dorothea und Friedrich und brachte es schließlich zustande, daß es zu einem Bruch zwischen den Brüdern kam, der nie wieder völlig heilte. Nun ist allerdings festzuhalten, daß der Jenaer Kreis auch ohne diesen Bruch zerfallen wäre. Tieck hatte schon Ende Juni 1800 die Stadt verlassen, und im folgenden März starb Novalis. Der seltsame Wandel in Friedrichs Persönlichkeit hatte sich schon 1800 angebahnt: Er litt an Schreibhemmungen, und sein Weinkonsum war erheblich größer, als für ihn gut war. Aber die Brüder brauchten einander. Friedrich lieferte die Ideen, das neue Bild der Literaturgeschichte, das theoretische Fundament; Wilhelm war der Stratege, er hatte den Sinn für das Praktische, er konnte, was er seinem Bruder verdankte oder gemeinschaftlich mit ihm erarbeitet hatte, elegant und gemeinverständlich formulieren. Was sie nach ihrer Trennung 64
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Caroline 1, S. 757. — Kleßmann, der diesen Brief zitiert, macht mit Recht darauf aufmerksam, daß man selbst heute noch an der Ruhr stirbt (S. 228); wenn er aber den ganzen Streit ausschließlich Friedrich und Dorothea in die Schuhe schiebt, so beruht das auf einer sehr einseitigen Auswertung der Quellen. Caroline an A. W Schlegel, 23. 11. 1801; Caroline 2, S. 218. Caroline an Julie Gotter, 15. 6. 1802; ebd., S. 332. Dorothea an Schleiermacher, 15. 5. 1800; Kleßmann, S. 222.
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leisteten, war beträchtlich, hat aber nicht den Glanz ihrer Frühschriften. Wilhelms Wiener Vorlesungen, die seinen Weltruhm begründeten, beruhen zum Großteil auf dem geistigen Ertrag seiner Jenaer Symphilosophie mit Friedrich. Dessen spätere Beiträge zur Literatur- und Kunstgeschichte, zur Sanskritforschung, Philosophie, Historiographie und so vielem anderen sind gewichtig, kommt man aber frisch von der Lektüre seiner Jugendschriften, so wirkt alles Spätere schwammig. — Für Caroline war der Tod Augustes ein Schlag, von dem sie sich nur langsam, und nie völlig, erholen konnte. In ihrer Verzweiflung sah sie diesen Verlust als einen Wink des Schicksals, daß sie in Schelling künftig nur mehr den „Bruder ihres Kindes" sehen dürfe, und es erschien ihr als ein „Verbrechen" 68 , daß sie sich der Liebe zu ihm überlassen hatte. So kam es, daß sie sich erst drei Jahre später zur Scheidung von Wilhelm Schlegel und zur Heirat mit Schelling entschloß. Uber die sechs Jahre, die sie an Schellings Seite verbrachte — sie starb 1809 an der Ruhr, wie ihre Tochter — ist kaum mehr zu sagen, als daß sie ihm eine treue Helferin war. Damit komme ich zu meinem Fazit. Caroline und Dorothea, die, auf sehr unterschiedliche Weise, zum Frauenbild der Frühromantik so entscheidend beigetragen haben, sind aus der deutschen Literaturgeschichte nicht wegzudenken. Und dennoch: ihr Ruhm war nur geborgter Ruhm oder, wie es auf Englisch besser heißt, reflected glory. Wäre Dorothea nicht Friedrichs Geliebte und dann seine Frau gewesen, so hätte sie nicht einmal als eine Fußnote in der Geschichte des Frauenromans weitergelebt; denn sie schrieb ihren Roman nur, weil Friedrich ständig in Schulden stak. Hätte Caroline nicht in den entscheidenden Jahren den Vorsitz über die Jenaer Geselligkeit geführt, was wüßten wir heute von ihr? Sie lebt weiter durch ihre Beziehungen zu Georg Forster, zu den Schlegels, zu Schelling. N u n gab es damals allerdings schon eine lange Reihe von Frauen, die sich im literarischen Leben behaupten konnten. Man denke etwa an Christiane Benedicte Naubert, die nicht unwesentlich zur Geschichte des historischen Romans beigetragen hat, an Therese Huber, die viele Jahre lang Mitherausgeberin des Cottaschen Morgenblatts war, an Karoline Pichler in Wien, deren gesammelte Werke sich auf über vierzig Bände belaufen, an Helmine von Chézy, die sich — und das war damals nicht leicht - als Journalisdn ihr Brot verdiente, und an so viele andere. 68
Caroline an Schelling, wahrscheinlich März 1801; Caroline 2, S. 74; vgl. die ausführliche Darstellung in Kleßmann, S. 229 ff.
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Aber das waren doch alle nur Sterne dritter Größe. Die Ebenbürtigkeit der Frau, von der Friedrich Schlegel geträumt hatte, gab es in der deutschen Literatur noch viele Jahrzehnte nicht - und es gibt sie wohl auch heute noch nicht. Eine soziale Umwälzung, wie sie sich die Frauenrechder von Mary Wollstonecraft an wünschten, braucht Generationen, um sich voll durchzusetzen. Aber warum war das in England anders? Warum gab es dort Jane Austen, die Brontes, George Eliot, die so gute Romane schrieben, wie nur irgendeiner ihrer männlichen Zeitgenossen? Wir wissen es nicht. Wir Literaturhistoriker können nur Tatsachen berichten, und selbst die nicht immer mit Sicherheit. Was wir verstehen, ist wenig.
Barbara
Becker-Cantarìno
„Feminismus" und „Emanzipation"? Zum Geschlechterdiskurs der deutschen Romantik am Beispiel der Lucinde und ihrer Rezeption
Seit seinem Erscheinen 1799 hat Friedrich Schlegels Roman Lucinde wie kaum ein anderer Text der deutschen Romantik unterschiedliche, ja gegensätzliche Reaktionen und Interpretationen hervorgerufen. An diesem Roman, seiner kontroversen Rezeption und der Haltung der Interpreten möchte ich meine Überlegungen zu dem Komplex „Feminismus", „Emanzipation" und deutsche Romantik vorstellen, weil hier grundsätzliche Fragen der aneignenden Sehnsucht, der inhaltlichen Anknüpfungspunkte aber auch der kritischen Auseinandersetzung mit der Romantik, besonders im Geschlechterdiskurs und in der Konzeption des Frauenbildes, aufgezeigt werden können. Seitdem nämlich in den 1970er Jahren die deutsche Romantik und auch der Feminismus in der sogen, „zweiten" Frauenbewegung in Deutschland wieder aktuell waren, wandte sich auch die Germanistik von neuem verstärkt den „romantischen Frauen" und Frauenbildern zu, was dann in den achtziger Jahren zur Spurensuche nach „Weiblichkeit" (oder „weiblichem Schreiben") wurde, 1 zur Diskussion um Geschlechterdifferenz und Analyse des Geschlechterdiskurses in der Romantik. Die traditionelle Germanistik und Literaturgeschichte hatte vielfach die Biographien der bekannten Romantikerinnen („Dorothea", „Caroline", „Rahel" und „Bettina") mit literarischen Entwürfen in fiktionalen Texten bedenkenlos aufeinander bezogen. Dabei wurde der eigene Standpunkt des Interpreten, die eigenen Wünsche und Vorstellungen als „romantische Utopie" (Dischner) in diese Texte oder Biographien hineingelesen, etwa unter dem Aspekt von „Selbständigkeit und Hingabe" 2 oder
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Vgl. die Aufsätze in Weiblichkeit oder Feminismus?, hg. von Claudia Opitz, Weinheim 1984. Selbständigkeit und Hingabe. Frauen in der Romantik, hg. von Wolfgang Böhme, Karlsruhe 1980.
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Barbara Becker-Cantarino
„Die Liebe soll auferstehen". 3 Literaturwissenschaftler und Interpreten hatten bis in die siebziger Jahre hinein völlig unproblematisch von der „Frau im Spiegel romantischen Denkens" gesprochen. Auch eine Studie wie Kurt Lüthis Feminismus und Romantik. Sprache, Gesellschaft, Symbole, ReligionA operiert mit einer Konzeption von Romantik, die vage und unreflektiert die Begriffe Frau, Liebe und Hingabe mit hineinnimmt. Lüthi stellt zwar die Frage, ob die Romantik emanzipatorisch sei, setzt sich aber nicht weiter mit den „rückwärtsgewandten Utopien" 5 seiner Gegenwart, die dem Neo-Konservatismus in der BRD der 1980er Jahre (und auch ähnlichen Strömungen in der literarisch-kulturellen Szene der Vor-Wende DDR) verpflichtet sind, auseinander. Er entwickelt stattdessen „Romantik und die Befreiung von Mann und Frau" und greift Hans Eichners Wertung vom „Markstein in der Geschichte der Frauenemanzipation" 6 zunächst im Hinblick auf Friedrich Schlegels „Über die Diotima" (1795) und „Über die weiblichen Charaktere in den griechischen Dichtern" (1794) auf. Da hier Begriffe wie „Feminismus" und „Frauenemanzipation" ohne Definition, ohne kritische Reflexion und historische und geographische Spezifizierung gebraucht werden, muß eine Reflexion und Analyse dieser unreflektierten, geistesgeschichtlichen Romantik-Forschung bis hin zu Eichner und Lüthi noch einmal versucht werden. Dabei ist einerseits der Standpunkt des jeweiligen Interpreten zu hinterfragen, andererseits unser Text, Schlegels Luände, zu kontextualisieren, um eine identifikatorische Verallgemeinerung bestimmter Textstellen zu vermeiden. Was meint in diesem Kontext „Feminismus"? Was bedeutet „Emanzipation", und können wir bei Schlegel und besonders für die in der Luände dargestellten Ideen, Wünsche und Mythen von „Emanzipation der Frau" sprechen? Ist dieses politische Schlagwort der siebziger Jahre, mit dem Literaturwissenschaftler schnell bei der Hand waren und noch sind, wenn sie (vermeintlich) progressive Frauen und Texte loben wollten, adäquat?
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„Die Liebe soll auferstehen. " Die Frau im Spiegel romantischen Denkens, hg. von Wolfgang Böhme, Stuttgart 1985. Kurt Lüthi, Feminismus und Romantik. Sprache, Gesellschafi, Symbole, Religan, Wien/ Köln/Graz 1985. Lüthi, S. 19. Lüthi, S. 23. Vgl. Hans Eichner, „Einleitung", in: Dichtungen, hg. von Hans Eichner, Paderborn/München/Wien 1962, S. XVII-LXIII {Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe, Bd. 5).
.Feminismus" und „Emanzipation"?
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Zunächst ist eine Begriffsklärung der Worte „Feminismus" 7 und „Emanzipation" als historisch-politische Termini in Ordnung, die keineswegs als Propagierung bestimmter ideologischer Positionen verstanden werden darf, sondern vielmehr als Frage an den jeweiligen Interpreten bzw. an den, der bestimmte Termini gebraucht, seine damit gemeinte und festgelegte Position zu reflektieren und offen zu legen. Die eigentlichen Impulse für einen feministischen Blick auf die eigene Beschäftigung mit der deutschen Literatur kamen vom politischen Feminismus als gesellschaftlichem Phänomen mit provokativen, emanzipatorischen Forderungen gegenüber männlichen Privilegien in der patriarchalen Gesellschaft, dann aber auch als Kritik an Wissenschaft und Universität.8 Die wichtigsten, heute nur teilweise und unterschiedlich verwirklichten Forderungen lauteten: soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann in Familie, (Aus)Bildung und Beruf; legale und liberale Abtreibungsregelung. Opponiert wurde: gegen den Objekt-Status der Frau und gegen ihre Identitätsbestimmung durch den Mann; gegen maskuline Weiblichkeitsprojektionen; gegen die Ontologisierung von Weiblichkeit und Geschlechtergegensätzen; gegen rollenspezifische Sozialisation der Mädchen; gegen frauenspezifische Unterdrückung in der patriarchalen Gesellschaft. Das kulturpolitische Klima forderte geradezu heraus, ein theoretisches Konzept für eine feministische Beschäftigung mit Literatur zu entwickeln. Dabei wurde einerseits ein gesellschaftlich relevanter, so^ialhistorischer Ansat^ versucht, zum anderen die Weiblichkeitsprojektionen der Texte und die Position des Interpreten kritisch beleuchtet und analysiert.
I. Mißverständnisse: Entstehungsgeschichte des Romans im Schlegelkreis unter Mitwirkung der Frauen Die Luände verdankt ihre Entstehung einer komplexen Verflechtung von privat-persönlichen Beziehungen Friedrich Schlegels zu realen Frauen, 7
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Vgl. Luise Pusch, „Feminismus und Frauenbewegung — Versuch einer Begriffsklärung", in: Feminismus. Inspektion der Herrenkultur, hg. von Luise Pusch, Frankfurt 1983, S. 9 - 1 9 . - Zu feministischer Germanistik vgl. u. a. Edda Sagarra, „Recent Feminist Scholarship in the Field of German Studies. Review Essay". Internationales Archiv für So^ialgeschichte der Literatur. 3. Sonderheft: Forschungsreferate (1992). — Zum Begriff Patriarchat: Sylvia Walby, Theorizing Patriarchy, London 1990. Zur feministischen Wissenschaftskritik in Deutschland vgl. Wie männlich ist die Wissenschaft?, hg. von Karin Hausen u. Helga Nowotny, Frankfurt 1986.
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künstlerischen Vorstellungen eines „romantischen" Romans und literarischen Ambitionen. Als Schlegel in Göttingen studierte und dort 1793 die attraktive, gerade verwitwete Professorentochter Caroline MichaelisBöhmer kennengelernt hatte, entstand schon 1794 ein erster Plan zu dem Roman; die Niederschrift erfolgte jedoch erst von etwa Mitte Dezember 1798 bis Mai 1799, die Veröffentlichung sogleich in Berlin bei dem Verleger Frölich (dem Nachfolger Viewegs, welcher vor seinem Umzug nach Braunschweig auch die Rechte am Athenäum an ihn verkauft hatte); die geplante Fortsetzung wurde nicht ausgeführt. Schlegels Liebe zur verheirateten Brendel Veit (ab 1803 Dorothea Schlegel), der ältesten Tochter (des schon 1786 verstorbenen) Moses Mendelssohns, die er im Salon der Henriette Herz im Sommer 1798 getroffen hatte und die sich im Dezember 1798 von ihrem Mann getrennt hatte, gab einen entscheidenden Anstoß zur Ausführung des Romans. Das Werk sollte programmatisch seine romantische Kunstauffassung enthalten und wohl auch mit Goethe und Tieck konkurrieren. Schlegel wollte jetzt sein „zeitliches und ewiges Glück lieber erst mit eignen (geschriebenen) Romanen suchen [...], als mit übersetzten Historien" und „wirklich eine Revolution in meiner Schriftstellerei vor sich gehn" lassen (20. Nov. 1798 an Caroline). 9 Die Lucinde war jedoch nur eins von mehreren Projekten, an denen er gleichzeitig arbeitete. Friedrich Schlegel war damals fünfundzwanzig Jahre alt, ohne bürgerlichen Beruf und, wie er selbst meinte, „durch die häuslichen und literarischen] Verdrießlichkeiten [...] nicht nur an Geld, sondern auch an Credit sehr arm geworden". 10 Als gut verkäufliche literarische Gattung sollte der Roman auch finanziell helfen. Das erwies sich jedoch als Fehlspekulation, denn es blieb bei einer schwerverkäuflichen Auflage - und Spottgedichten und Persiflagen von anderen Autoren. Auch wenn Schlegel durch seine Aufsätze und die Zeitschrift Athenäum (1798-1800) berühmt war, so hatte er sich wegen seiner kritischen Rezensionen und Äußerungen mit vielen Literaten verfeindet (u. a. Schiller, Humboldt, Wieland) und mit seinem unkonventionellen Leben Anstoß erregt. Das sollte die Kritiker ihrerseits reizen, sein mangelndes Kunstvermögen und seinen Lebensstil in Rezensionen des Romans anzuprangern. Leben und Roman wurden aufeinander bezogen, als vielfach verschlungen angese-
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Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel\ hg. von Hans Eichner, Paderborn/ München/Wien, 1987, 1985 {Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 23 und 24), Bd. 24, S. 199. Briefe, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 24, S. 208.
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hen, auch wenn Schlegel mit Allegorien, Symbolen und Sinnbildern dem Roman einen transzendentalen Charakter geben wollte und sich weit vom damals üblichen epischen Charakter eines Romans entfernte. Im Lucinde-Roman, der (abgesehen von dem Mittelstück „Lehrjahre der Männlichkeit") keine lineare Handlung hat, sondern aus kunstvoll aufeinander bezogenen, poetischen und reflektierenden Stücken besteht, sind persönliche Bezüge und Erlebnisse in die Charaktere und Situationen des Romans vielfach eingeflossen, etwa in die Figuren des Julius und der Lucinde, in die „Lehrjahre der Männlichkeit" oder die „Allegorie von der Frechheit". 11 Der Roman trägt im Untertitel das Kennwort „Bekenntnisse" und so wurde er auch im Schlegel-Kreis verstanden; Schlegel ließ Teile vor der Veröffentlichung lesen, kommentieren und korrigieren, wie aus seinen Briefen an Schleiermacher, an August Wilhelm und Caroline Schlegel in Jena und an Novalis hervorgeht. Während Novalis und Bruder August Wilhelm sich reserviert verhielten, zeigte Caroline großes Interesse (Friedrichs Briefe dieser Zeit an sie sind ziemlich vollständig erhalten, ihre Gegenbriefe leider nicht). 12 Caroline las fertige Teile, kommentierte und erbot sich, selbst einige Abschnitte beizusteuern. Friedrich lobte ihre Anteilnahme: „Mit Ihrem Antheil und Urteil über die Lucinde bin ich sehr zufrieden" und vertröstete sie auf den 2. Teil, der, als Gegenstück zu den „Lehrjahren der Männlichkeit", weibliche Ansichten in „vielseitigen Briefen von Frauen und Mädchen verschiedner Art über die gute und schlechte Gesellschaft" enthalten sollte 13 , was aber nie ausgeführt wurde. Vielleicht stammt der Dialog „Sehnsucht und Ruhe" (S. 78 — 80) teilweise von ihr; Carolines Ansichten und Formulierungen flössen in Friedrichs Roman ein, wie auch die erotische Beziehung der beiden wohl ebenso stark gegenwärtig ist wie die Friedrichs zu Dorothea Veit. Dorothea war die sich aufopfernde Muse. Sie schrieb die Manuskripte ab und dürfte auch in Gesprächen und bei der Textredaktion so manches beigesteuert haben; ihre Anteilnahme und Betroffenheit spiegeln sich in der Äußerung an ihren vertrauten Freund Schleiermacher: „Oft wird mir es heiß, und wieder kalt ums Herz, daß das Innerste so herausgewendet werden soll - was mir so heilig war, so heimlich; jezt nun allen Neugierigen, allen Hassern Preiß gegeben." Dorothea opferte sich und ihre Gefühle für das große Werk Friedrichs: „[...] aber die Liebe? - Ich denke ' 1 Zitiert nach Lucinde, in: Dichtungen, hg. von Hans Eichner, S. 1 — 82 (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 5). - Weitere Zitate mit Seitenangaben im Text. 12 Vgl. Briefe, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 23 und 24. 13 Briefe, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 24, S. 252.
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aber wieder: alle diese Schmerzen werden vergehen, mit meinem Leben, und das Leben auch mit, und alles was vergeht, sollte man nicht so hoch achten, daß man ein Werk (drum) unterließe das Ewig seyn wird. [...] man spricht schon jezt von der UNANSTÄNDIGKEIT der Lucinde [...]" (8. April 1799).14 Dorothea stellte ihr eigenes Leben hinter dem Werk Friedrichs zurück; sein romantischer Kunstbegriff erforderte ein solches Opfer, eine Verschmelzung ihres „Romans" mit dem Kunstwerk.
II. Kontroverse Rezeption: „Emanzipation des Fleisches" oder der Frau? „Wahre Ehe," Philosophie der Liebe, „androgyne Geschlechterutopie" oder „Lebenskunstlehre"? Mit ihrer ängstlichen Vorahnung sollte Dorothea Recht behalten, das Erscheinen der Luände löste einen Skandal aus. Das Werk wurde als Erlebnis- und Schlüsselroman von Friedrichs Affairen und seiner Beziehung zu Dorothea gelesen. So lautete der Titel eines satirischen Angriffes „Billet-doux der geschiedenen Madame Veit, jüdischer Nation, nunmehr halbverehelichter Friedrich Schlegel, an Herrn Friedrich Schlegel über seinen Roman Lucinde".15 Allgemein nahm man an der leicht verschleierten Erotik Anstoß, die dem Roman eine Verhöhnung als „Metaphysik des Beischlafs" eintrug. Das Hannoversche Universitätskuratorium verfügte, daß „der durch seine sittenverderblichen Schriften berüchtigte Friedrich Schlegel" sich nicht in Göttingen aufhalten dürfe.16 Im Göttinger Musenalmanach von 1801 erschien das bissige Epigramm des Göttinger Professor Bouterwek: Der Pedantismus bat die Phantasie Um einen Kuß; sie wieß ihn an die Sünde. Frech, ohne Kraft umarmt er die, Und sie genaß von einem todten Kinde, Genannt Lucinde.17 14
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An Friedrich Schleiermacher, 8. April 1799; Briefe, Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe, Bd. 24, S. 266 f. Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik, Halle 1922, S. 416. Kluckhohn, S. 415. Ebd.
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Die Lucinde wurde als frecher Verstoß gegen Moral und Anstand, als mißglückter Kunstversuch verurteilt. Jahrelang verfolgte dieser schlechte Ruf Friedrich Schlegel, der nie eine Anstellung an einer Universität erhalten konnte; Hegel und noch Kierkegaard polemisierten gegen Friedrich Schlegels künsderisches Versagen und gegen seine Darstellung der Sinnlichkeit. Heine spöttelte „Lucinde ist der Name der Heldin dieses Romans, und sie ist ein sinnlich witziges Weib, oder vielmehr eine Mischung von Sinnlichkeit und Witz. Ihr Gebrechen ist eben, daß sie kein Weib ist, sondern eine unerquickliche Zusammensetzung von zwei Abstraktionen, Witz und Sinnlichkeit." 18 Mit dem Wandel in den Vorstellungen von Moral und Ästhetik seit der Romantik ist der Lucinde-Rom&n längst als Kunstwerk rehabilitiert, in der geistesgeschichtlichen Forschung sind Schlegels Liebeskonzeption und Frauenbild sogar als ethisch vorbildlich gesehen worden. Die Lucinde wurde schon in Ricarda Huchs großem Romantik-Buch von 1899/1902 (in der Germanistik seit Kluckhohn, 1919) als romantischer Eheroman, als eine Neubestimmung der Ehe aus Liebe und als Vereinigung von Seelen- und Sinnenliebe gelesen. Heute gilt der Roman als eine „Botschaft der Sinne, der Lust und des Genusses" 19 ; er wird ästhetisch als Beispiel von Schlegels eigener Romantheorie gewertet, als ein Versuch, eine „wahre Arabeske" (die „ursprüngliche Form der menschlichen Phantasie, eine künstlich geordnete Verwirrung") zu gestalten 20 und als eine Schöpfung, geboren aus der Spannung des männlichen und des weiblichen Prinzips.21 Bis in die Struktur hinein wird hier der dualistische Geschlechtsbegriff des Männlichen und des Weiblichen projiziert und die Geschlechterdifferenz der Romantik getragen oder sie wird gänzlich außen vor gelassen, wie in der jüngsten Detailinterpretation als „Lebenskunstlehre" und „Transzendentalroman."22 Umstritten waren dagegen Schlegels gesellschaftskritische Absichten und deren Auswirkung, ob und inwiefern sie einen Beitrag zur „Emanzi18
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„Die romantische Schule", in: Werke, hg. von Martin Greiner, Köln 1962, Bd. 2, S. 253. Lüthi (Anm. 4), S. 88. Karl Konrad Polheim, „Friedrich Schlegels Lucinde", Zeitschrift für deutsche Philologie 88 (1980), Sonderheft, S. 7 3 - 7 4 . Vgl. Ernst Behler, „Friedrich Schlegels Lucinde", in: Romane und Erzählungen der deutschen Romantik, hg. von P. M. Lützeler, Stuttgart 1981, S. 9 8 - 1 2 4 . Vgl. Manfred Engel, Der Roman der Goethen^it. Bd. 1 : Anfange in Klassik und Frühromantik. Transzendentale Geschichten, Stuttgart/Weimar 1993, S. 381-443.
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pation der Frau" 23 oder etwas vorsichtiger ausgedrückt: eine neue Sicht der Geschlechterbeziehungen 24 bedeutet haben. Schlegel habe mit seinem Roman nicht nur künstlerische, sondern gleichzeitig auch soziale Tabus brechen wollen, er habe nicht nur als Dichter, sondern ebenso als Philosoph und sozialer Kritiker geschrieben. 25 Der Roman sei ein Protest gegen die Ungleichheit der Geschlechter und „in der Befreiung der Frauen von der Asche der Vorurteile [Hege] der Kern [von Schlegels] emanzipatorischen Bestrebungen." 26 Dagegen sind in differenzierten Untersuchungen zur Erzählperspektive, zur Bedeutung der Lucinde als Frauenbild, zur Liebesreligion und zu Schlegels Konzeption des Weiblichen sein narzißtischer Begriff von Geschlechterdifferenz und seine männlichen Wunschprojektionen untersucht worden. 27 Wenn wir unter Emanzipation die Befreiung von Abhängigkeit und Bevormundung, das Erlangen der Selbständigkeit und Unabhängigkeit (von männlicher Vormundschaft) verstehen, dann erscheinen Schlegels Konstruktion der Frauenfiguren und sein Begriff des Weiblichen in der Lucinde geradezu emanzipationsfeindlich und rückwärtsgewandt: Im Bild der Priesterin und Lichtbringerin hat Schlegel Geschlechterdifferenz in ein idealisiertes weibliches Wunschbild eingeschrieben, seine männliche Erfahrungswelt als absolute Norm zugrunde gelegt und von daher gesehen diejenigen Eigenschaften, die nicht in diese Norm paßten, ins Mythische erhoben und überhöht. 23
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Vgl. hierzu Ernst Behler (Anm. 21) und ders., „Friedrich Schlegels Theorie der Universalpoesie", Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 1 (1957), S. 211—252; Eugeniusz Klin, „Das Problem der Emanzipation in Friedrich Schlegels Lucinde", Weimarer Beiträge 9 (1963), S. 7 6 - 9 9 ; Kurt Lüthi, Feminismus und Romantik (Anm. 4). Vgl. Gisela Dischner, Friedrich Schlegels Lucinde und Materialien ψ einer Theorie des Müßiggangs, Hildesheim 1980 und Lothar Pikulik, Frühromantik. Epoche - Werk — Wirkung, München 1992, S. 1 7 7 - 1 8 4 . Wolfgang Paulsen, „Friedrich Schlegels Lucinde als Roman", Germanic Review 21 (1946), S. 176. Eugeniusz Klin (Anm. 23), S. 79. Vgl. die Arbeiten von Barbara Becker-Cantarino, „Schlegels Lucinde. Zum Frauenbild der Frühromantik", Colloquia Germanica 10 (1976/77), S. 1 2 9 - 1 3 9 ; Eva Domoradzki, „Und er schuf die Frau nach seiner Sehnsucht. Zum Weiblichkeitsentwurf in Friedrich Schlegels Frühwerk unter besonderer Berücksichtigung des Romans Lucinde", in: Der Widerspenstigen Zähmung, S. 169 — 184; M. Kay Flavell, „Woman and Individualism: A Reexamination of Schlegel's Lucinde and Gutzkow's Wally die Zweiflerin", Modern Language Review 70 (1975), S. 550—566; Sigrid Lange, „Zum Beispiel Luände. Das .Ewigweibliche' im Horizont der bürgerlichen Emanzipation", Weimarer Beiträge 33 (1987), S. 6 1 6 - 6 6 3 .
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Das Neue in dem Roman ist die Aufwertung der Sinnlichkeit in der Liebesbeziehung und eine daran gebundene Ideologie von Geschlechterdifferenz; mit Schlegels (und auch Schleiermachers) Konzept der „romantischen Liebe" wurde die bürgerliche Vernunftehe verinnerlicht, sinnlich begründet und ideell, mit der Abkehr von der Vernunft und der Hinwendung zum Gefühl aufgewertet. Schlegels Vorstellungen vom Androgynen, von der Verschmelzung des Männlichen und Weiblichen, strebten eine höhere Stufe der Menschlichkeit an, so daß die Lucinde auch als „androgyne Geschlechterutopie" gelesen worden ist. 28 Dagegen ist wohl festzuhalten, daß der Roman bildlich und poetisch in den Strukturen der traditionellen Geschlechterbeziehung und bürgerlichen Familie mit herkömmlicher Rollenverteilung, der Frau als Mutter und Gefährtin, dem Mann — nicht als Kämpfer im „feindlichen Leben" wie bei Schiller - sondern als kreativer Künstler, steckenbleibt. So lautet meine These: Schlegels Diskussionsbeitrag zum „Weiblichen", der in der Theorie zunächst emanzipatorisch gemeint war, wurde in der Praxis, in dem Erlebnis sowie in der künsderischen Gestaltung in der Lucinde, zu einem Befreiungsversuch aus den engen gesellschaftlichen und unbefriedigenden menschlichen Bindungen für das männliche Mitglied der Gesellschaft allein, nicht für den Menschen der Romantik.
III. Der Dichter und sein Werk: Julius und die narzißtische „Männlichkeit" Mit dem Untertitel „Bekenntnisse eines Ungeschickten" läßt Schlegel seinen Roman an die Tradition autobiographischer Texte anknüpfen, das religiöse Ich wird zum künsderischen, bezeichnet sich als „Ungeschickten", als einen der „Lehrjahre der Männlichkeit" durchlaufen wird, wobei das epische Mittelstück ein wichtiges Thema des Romans reflektiert: Männlichkeit. Schon der „Prolog" bringt „Männlichkeit" (in der patriarchalen Form Vater —Sohn) ins Spiel, indem er in der Vater—Sohn Metapher den Künstler auf sein Werk, die Liebe auf die Poesie, bezieht: „Aber was soll mein Geist seinem Sohne geben, der gleich ihm so arm an Poesie 28
Vgl. Hannelore Scholz, Widersprüche im bürgerlichen Frauenbild. Zur ästhetischen Reflexion und poetischen Praxis bei Lessing, Friedrich Schlegel und Schiller. Ergebnisse der Frauenforschung, 22, Weinheim 1992, S. 119 ff.
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ist als reich an Liebe?" (S. 3) Die Erzählperspektive, und das ist die als männlich sich identifizierende Stimme des Julius, unterscheidet ständig zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen. Dabei bleibt die wahrnehmende und bedeutungsschaffende Instanz von Anfang an die des Mannes Julius: „Und so sah ich auch mit dem Auge meines Geistes die Eine ewig und einzig Geliebte in vielen Gestalten, bald als kindliches Mädchen, bald als Frau in der vollen Blüte und Energie der Liebe und der Weiblichkeit, und dann als würdige Mutter mit dem ernsten Knaben im Arm" (S. 7). Mädchen, Frau und Mutter sind die (traditionellen) Rollen, in denen Julius die geliebte Frau „mit dem Auge [seines] Geistes sieht," sie imaginiert. Für Julius ist Lucinde „zugleich die zärtlichste Geliebte und die beste Gesellschaft [...] und auch eine vollkommene Freundin" (S. 10). Julius sieht Lucindes „Weiblichkeit [ihrer] Seele" in dem Verschmelzen von Leben und Lieben: „du fühlst alles ganz unendlich, du weißt von keinen Absonderungen, dein Wesen ist Eins und unteilbar [...]. Darum liebst du mich auch ganz und überläßt keinen Teil von mir etwa dem Staate, der Nachwelt oder den männlichen Freunden. Es gehört dir alles und wir sind uns überall die nächsten und verstehn uns am besten. Durch alle Stufen der Menschheit gehst du mit mir von der ausgelassensten Sinnlichkeit bis zur geistigsten Geistigkeit und nur in dir sah ich wahren Stolz und wahre weibliche Demut" (S. 11). In dieser Wahrnehmung des Julius (in der „Dithyrambischen Fantasie über die schönste Situation") erscheint Lucinde als die ideale Begleiterin, mit der Julius sich in Liebe vereint: „Ich kann nicht mehr sagen, meine Liebe oder deine Liebe [...]. Es ist Ehe, ewige Einigkeit und Verbindung unsrer Geister, nicht bloß für das was wir diese oder jene Welt nennen, sondern für die eine wahre, unteilbare, namenlose, unendliche Welt, für unser ganzes ewiges Sein und Leben" (S. 11). Julius ist sich der bedingungslosen, freiwilligen Gefolgschaft von Lucinde gewiß: „Ich weiß, auch du würdest mich nicht überleben wollen, du würdest dem voreiligen Gemahle auch im Sarge folgen, und aus Lust und Liebe in den flammenden Abgrund steigen" (S. 11). Mit der Anspielung auf den Flammentod der indischen Frauen, den die geliebte Frau freiwillig auf sich nehmen würde, wird das religóse Mysterium der Vereinigung (genauer gesagt: der Gefolgschaft der Frau) symbolisiert, ein beliebter literarischer Topos seit Goethes Ballade „Der Gott und die Bajadere." Das Bild signalisiert aber auch die unbedingte Gefolgschaft der Frau und eine Umkehrung — der freiwillige Flammentod des Mannes Julius — wird nicht imaginiert.
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Julius sieht wesenhafte Unterschiede zwischen dem Weiblichen und Männlichen. Der weibliche Geist hat „vor dem männlichen den Vorteil, daß man sich da durch eine einzige kühne Kombination über alle Vorurteile der Kultur und bürgerlichen Konventionen wegsetzen und mit einemmale mitten im Stande der Unschuld und im Schoß der Natur befinden kann" (S. 20); „Weiblichkeit" ist Natur. So richtet die Liebe ihre „Apologie der Natur und der Unschuld" an die Frauen, weil „in deren zarten Herzen das heilige Feuer der göttlichen Wollust tief verschlossen ruht, und nie ganz verlöschen kann" (S. 20). Bei der sinnlichen Liebe schreibt Julius den Frauen (die kollektive Bezeichnung „Frauen" und „Jünglinge" verweist auf das Geschlecht) eine wesentlich andere Begabung zu: „Die Empfindung des Fleisches [...] ist für Jünglinge der erste Grad der Liebeskunst und eine angeborne Gabe der Frauen, durch deren Gunst und Huld allein sie jenen mitgeteilt, und angebildet werden kann" (S. 21). Sinnlichkeit und Lust sind ein angeborenes („natürliches") Geschlechtsmerkmal der Frauen, während der Mann zwar „ein Bedürfnis aber kein Vorgefühl derselben" (S. 21) habe; die Frauen seien von Natur „sinnlich und geistig warm und haben Sinn für Wärme jeder Art" (S. 22). Eine ursprüngliche „Wärme" schreibt Julius den Frauen zu, deshalb habe jede Frau „die Liebe schon ganz in sich" (S. 22). Da der Gefühlskeim schon angelegt ist, so phantasiert Julius weiter, „noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schoß gezündet, und die verschloßne Knospe zum vollen Blumenkelch der Lust entfaltet hat [...], gibt es in der weiblichen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts allgemeines" (S. 22). Julius teilt die Frauen in zwei große Klassen, die eine hängt „unnatürlich" der Prüderie an („ein Laster an das ich nie ohne eine gewisse innerliche Wut denken kann"), die andere hat „wahre innere Unschuld" und achtet und ehrt „die Sinne [...], die Natur, sich selbst und die Männlichkeit" (S. 22, 23). Die Hingabe der Frau an die Natur, an sich und die Männlichkeit in der Liebe — die Verschmelzung von Natur, weiblichem Ich und Männlichkeit ist bezeichnend - wird damit zu ihrer Bestimmung erhoben und in religiösen Bildern gefeiert. Schlegels poetisches Sprachrohr in der Figur des Julius nimmt damit eine Wesensbestimmung der Frau, der Anderen, vor, die der (bespöttelten) Humboldtschen „Weiblichkeit" gar nicht so unähnlich ist. Julius betrachtet es als das höchste Ziel seines „männlichen Ehrgeizes", die „heilige [sie] Funken zu wecken, von der Asche der Vorurteile zu reinigen, und wo die Flamme schon lauter brennt, sie mit bescheidenem Opfer zu nähren" (S. 23). Er sieht sich mit göttlicher Berufung und
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mit „Recht auf die Priesterwürde" (S. 24); ihm ist „um die Objektivität [seiner] Liebe zu tun" (S. 24). Mehr und mehr rückt sich der SchöpferDichter Julius in das Zentrum dieser Liebesreligion, gestaltet sein „Werk" und verleiht ihm Allgemeingültigkeit und Dichtungscharakter, bis in der „Idylle über den Müßiggang" das für Julius so bezeichnende Bild erscheint: „als sollte sich ein Narcissus in der klaren Fläche [des Wassers] bespiegeln und sich in schönen [sie] Egoismus berauschen" (S. 25). Die narzißtische Haltung, die Selbstreflektion und Selbstbespiegelung, charakterisiert denn auch am besten die Perspektive des Julius. Sie findet in den „Lehrjahren der Männlichkeit", dem langen und zentralen Abschnitt des Romans, den abschließenden Höhepunkt in dem Finden der einzigartigen Frau, der Lucinde, in dem Schaffen eines poetischen Werkes.
IV. Geschlechterdifferenz: Lucinde als Muse, Werk und Geschöpf Die Titelfigur Lucinde ist der Mittelpunkt des Romans, sie ist Inbegriff der „Weiblichkeit", die von der „göttlichen Kunst" gesucht und erschaffen, von der Vernunft nicht erkannt werden kann: „kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet" (S. 22). Als Frau ist sie blaß und lediglich als Echo auf die Gefühlsäußerungen des Julius hin gebildet, denn ihre poetische und ontologische Konzeption steht für das Schreiben, die Dichtung; sie ist die Muse und das Werk des Dichters. Als Titelfigur des Romans ist sie Malerin und Mutter, Julius ist ebenfalls Maler und Dichter-Vater. Julius läßt Lucinde erst im Verlaufe des Romans in Phantasien und philosophischen Fragmenten entstehen; eine eigene (von Julius getrennte, sich selbst bestimmende) Stimme hat sie nicht, sie ist vielmehr „die Wunderblume Deiner [Julius'] Fantasie, die du in mir, die ewig Dein ist, dann erblickst, wenn das Gewühl verhüllt ist und nichts gemeines Deinen hohen Geist zerstreut" (S. 78, 79). Lucindes Name erinnert an „lux" (Licht) und an Lucina, die römische Göttin der Geburt; Lucinde steht symbolisch für die „Lichtbringerin" für Julius, seine „Priesterin der Nacht" (S. 79). Nach der Vereinigung mit Lucinde kann Julius von sich sagen: „Es ward Licht in seinem Innern, er sah und übersah alle Massen seines Lebens und den Gliederbau des Ganzen klar und richtig, weil er in der Mitte stand" (S. 57). Die folgenden, größtenteils fragmentarischen Stücke gehen über diesen Zustand nicht
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hinaus. Danach kommt nur Lucindes Mutterschaft als ein neues, jedoch wenig ausgeführtes Thema hinzu. Es bleibt lediglich das Versprechen von ,,frohlockende[n] Lobreden auf den Wert eines eigenen Herdes und über die Würde der Häuslichkeit" (S. 62). Mit dem Dialog der Liebenden über den Liebestod, „Sehnsucht und Ruhe", verklingt der Roman mit den „Tändeleien der Fantasie" in der Beschreibung der einfühlenden Seele, die sich „in dem innern Strom ewig fließender Bilder und Gefühle frei bewegen will" (S. 81). Die von Schlegel geplante Fortsetzung, in der Lucinde als „Weibliches" im Mittelpunkt stehen sollte, wurde nie durchgehend konzipiert. Die wenigen Seiten Bruchstücke aus dem Nachlaß und eine Reihe Gedichte bringen nichts Neues, denn über die Bespiegelung des Julius in seiner Muse und seinem Werk konnte er nicht hinausgehen. Eine Gestaltung der Lucinde als eigenständige Figur konnte oder wollte Schlegel nicht imaginieren, wie denn auch weitere Personen oder gar äußere soziale und gesellschaftliche Umstände ganz außerhalb des Romanhorizontes bleiben. Julius ist keineswegs „ein für soziales Pflichtgefühl und Weltgeschehen empfänglicher Mensch" 29 , denn Umwelt und Gesellschaft rücken in immer weitere Ferne. Nur in einem einzigen Abschnitt erscheint das reale Leben wieder mit dem Kauf eines Landgutes, was jedoch auf Einsamkeit und Naturverbundenheit hinweist, statt auf die Gesellschaft. Auch Schleiermacher vermißte „die äußere Welt gar sehr, deren Abwesenheit Du [F. Schlegel] so schön findest."30 Dagegen lag Schlegels Ästhetik in der eigenen, inneren Welt, nicht in der anderen, äußeren Welt: Der Dichter verliebt und verliert sich in die von ihm geschaffene Poesie. Die Geschlechterdifferenz scheint zunächst aufgehoben zu sein in der Vereinigung der Liebenden, sie ist es in dem Dichter-Narziß Julius und seinem Werk. Anders als der Roman des 18. Jahrhunderts unterschied die Lucinde nicht zwischen sinnlicher und geistiger Liebe, indem er die sexuelle Vereinigung als Ausdruck der Einheit des Sterblichen und Unsterblichen, des Körperlichen und Geistigen feierte: „Die begeisterte Diotima hat ihrem Sokrates nur die Hälfte der Liebe offenbart. Die Liebe ist nicht bloß das stille Verlangen nach dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart. Sie ist nicht bloß eine Mischung, ein Ubergang vom Sterblichen zum Unsterblichen, sondern sie ist eine völlige Einheit 29
Klin (Anm. 23), S. 79.
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Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher: Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde [1800], hg. von Jonas Frankel, Jena 1907, S. 128.
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beider. [...] Jeder gibt dasselbe was er nimmt, einer wie der andre, alles ist gleich und ganz und in sich vollendet wie der ewige Kuß der göttlichen Kinder" (S. 60). Julius und Lucinde verschmelzen in der Liebe, beide sind füreinander bestimmt. Diese „wahre Ehe" 31 ist keine Pflichtgemeinschaft, sondern eine Glücksgemeinschaft. Gleich am Anfang des Romans rückt Schlegel diese Gemeinschaft in das Reich des Religiösen, wenn er Julius sagen läßt: „Alle Mysterien des weiblichen und des männlichen Mutwillens schienen mich zu umschweben, als mich Einsamen plötzlich deine wahre Gegenwart und der Schimmer der blühenden Freude auf deinem Gesicht vollends entzündete" (S. 7). Vage christliche und orientalisch-indische Züge sind in diesen Mysterien erkennbar, es ist eine religiöse Erhöhung der sinnlichen Liebe. Das Erotisch-Sinnliche wird damit in diesem Roman aufgewertet; die Sinnlichkeit wird legitimiert durch die menschliche Beziehung und die seelische und künstlerische Bereicherung, die der Mann in dem Liebeserlebnis durch die Frau erfahren hat. Diese Aufwertung der sinnlichen Liebe hat auch die Jungdeutschen wie Gutzkow an diesem Roman gefesselt, wenn dieser bei der Herausgabe von Schleiermachers Vertrauten Briefen über Friedrich Schlegels Lucinde bemerkte: „Mit dem behaglichsten Gefühle werf ich diese Rakete in die stickende Luft der protestantischen Theologie und Prüderie und weide mich an der Verlegenheit". 32 Ebenso wie für die „Emanzipation des Fleisches" (Gutzkow), der das Christentum entgegenstand, trat Gutzkow auch für das Recht der Frau ein, sich ihr Eheglück frei zu gestalten. Er behandelte die Geschlechterbeziehungen in seinem ebenfalls kontrovers rezipierten Roman Wally die Zweiflerin (1835) mit ähnlicher Kritik an der vorherrschenden bürgerlichen Moral wie Schlegel. 33 Beide lehnten die Konventionsehe ab, beide erkannten die sexuellen Beziehungen an und werteten sie auf. Während Gutzkow jedoch mit psychologischer Motivierung eine gesellschaftliche Frauenproblematik (in den Grenzen seiner Zeit) darstellte, ist in Schlegels Lucinde die Selbstentwicklung der Männlichkeit gestaltet worden. Nach einer Reihe von Liebes- oder Freundschaftssituationen in den „Lehrjahren der Männlichkeit" vom Typ der Virago, der Gesellschaftsdame, der Dirne Lisette, der Freundschaft mit jungen Männern, der schwesterlichen Freundin, trifft Julius die konge31 32
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Vgl. Kluckhohn (Anm. 15), S. 376. Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde, hg. von Karl Gut2kow, Hamburg 1835, S. 11. Vgl. M. Schönfeld, Gutzkows Frauengestalten, Berlin 1933, S. 57.
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niale, ideale Frau in der Malerin Lucinde. Auch hierin äußert sich wieder die ganz auf das eigene und auf das männliche Geschlecht hin angelegte Perspektive. Mit einem Seitenblick auf die bürgerliche Konventionsehe bemerkt Julius, daß die Frau durch die lieblose Ehe „sich selbst und die weibliche Bestimmung verachten" (S. 23) lerne. Wenn Julius die sinnliche und geistige Vereinigung von gleichen Partnern der bürgerlichen Ehe gegenüberstellt, so ist gewiß eine Kritik der vorherrschenden bürgerlichen Moral, die das Erotische als niedrig betrachtete, darin enthalten. Doch bedeutet das keineswegs das Eintreten für eine Entlassung der Frau aus der Vormundschaft des Mannes oder gar die rechtliche und politische Emanzipation der realen, zeitgenössischen Frauen wie sie in Deutschland als einziger Zeitgenosse Theodor Gottlieb Hippel in seiner Schrift Uber die bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792) 34 diskutiert hatte. Politische Rechte und die großen Themen der Französischen Revolution als Emanzipation sparte Schlegel, wenn er von Weiblichkeit und Frauen sprach, völlig aus. Sein Interesse galt einer „Weiblichkeit" als Ergänzung und Station zur eigenen Selbstverwirklichung, zur „Männlichkeit" als Dichter, nicht aber der sozialen Stellung faktischer Frauen. Die wichtigsten Punkte der Analyse des Geschlechterdiskurses lassen sich so zusammenfassen: 1) In der Lucinde ist die erotisch-sinnliche Beziehung im Gegensatz zur Abwertung in der zeitgenössischen Moral zu einem mystisch-religiösen Erlebnis erhöht und damit als zwischenmenschliche Beziehung emanzipiert worden, nicht die Frau. 2) Der Roman ist von einer männlichen Perspektive her konzipiert und darin eine betont männliche Erlebniswelt reflektiert worden. 3) Lucinde ist als Individuum kaum faßbar, als Frau ganz in den traditionellen Rollen von Geliebter, Frau und Mutter dargestellt. 4) Die Frau wird nicht als Individuum, sondern als Gattungswesen gesehen; dabei werden wesenhafte Unterschiede zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen herausgestellt. 5) Das Weibliche erscheint stark idealisiert.
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Hippels Schrift erschien anonym in Berlin, ein Reprint Frankfurt a. Main 1977. Die Schrift entstand im Gefolge der Französischen Revolution und von Mary Wollstonecrafts Vindication of the Rights of Woman (1792).
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V. Schlegels frühe Aufsätze zum Thema „Weiblichkeit" Schlegel hatte sich schon 1794 mit dem Wesen der Frau (nicht aber mit der sozialen Stellung zeitgenössischer oder historischer Frauen) beschäftigt und dabei an dem literarisch-philosophischen Gedankengut der Antike orientiert. In dem Aufsat2 „Uber die weiblichen Charaktere in den griechischen Dichtern", der bezeichnenderweise einem weiblichen Lesepublikum 1794 in der Leipziger Monatsschrift für Damen vorgestellt wurde, hatte Schlegel schon auf den idealisierten Frauentyp in Sophokles' Tragödien, auf eine Ismene, Elektra oder Antigone hingewiesen, deren Harmonie und Vollkommenheit einen Ausdruck höchster Vollendung darstellten. Schlegel bezog sich nicht auf zeitgenössische Vorlagen, sondern benutzte die literarischen Bilder einer fernen — seit Winckelmann vorbildlichen — Epoche. Er meinte, daß das dichterische Ideal des weiblichen Charakters bei Sophokles seine Vollkommenheit erreicht habe; dessen Antigone sei „eine Heldin von göttergleicher Güte"; 35 hier finde sich „das höchste Schöne des weiblichen Charakters, und zwar nicht blos des tragischen, sondern selbst in ganz allgemeinem". 36 Zunächst ist hier wichtig, daß das herkömmlich angenommene Fehlen eines eigenen Charakters der Frau, als sei sie lediglich ein vom Manne gestempeltes oder geprägtes Wesen, von Schlegel energisch zurückgewiesen, dafür deren Selbständigkeit betont wird: „Nur selbständige Weiblichkeit mit sittlicher Stärke vereint, nur sanfte Männlichkeit mit milder Kraft, ist gut und schön. Dieses ist die wahre und gereinigte Idee der sittlichen Schönheit im weiblichen Charakter" 37 (S. 121). Schlegels Grundkonzept der sittlichen Schönheit, ähnlich wie Schillers und Kants, entwirft ein Ideal der Vollkommenheit, ohne jedoch ein in Einzelzügen weiter faßbares Bild zu zeichnen. Er sieht hier lediglich prinzipiell die Möglichkeit daß sich in einer Frau das hohe Ideal von Menschlichkeit und Kunst vereint manifestieren könne. Das ist keineswegs eine neue Konzeption; so war denn auch schon Goethes Priesterin Iphigenie die eigentliche Hüterin
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Friedrich Schlegel, „Über die weiblichen Charaktere in den griechischen Dichtern", in: Studien des klassischen Altertums, hg. von Ernst Behler, Paderborn/München/Wien, S. 58 (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 1). „Über die weiblichen Charaktere", Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 1, S. 57. „Über die Diotima", in: Studien des klassischen Altertums, S. 93 (Kritische FriedrichSchlegel-Ausgabe, Bd. 1).
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und Vermittlerin der Humanität geworden, die segensvollen Einfluß auf die Barbarei auszuüben vermochte und im kritischen Augenblick die Entscheidung zur Wahrheit und Liebe wagte: „Die Stimme der Wahrheit und der Menschlichkeit" 38 wird von jedem Menschen, besonders aber der Frau gehört. Iphigenie ist „so frei geboren als ein Mann" (Vers 1859); sie fragt rhetorisch: „Hat denn zur unerhörten Tat der Mann / Allein das Recht?" (Vers 1892-93) und beweist den Mut im Bekenntnis zur Wahrheit und Menschlichkeit. Diese Erhebung der Frau zur Trägerin der Humanität, wohlgemerkt im antiken, nicht im zeitgenössischen Gewand, versuchte Friedrich Schlegel in dem Aufsatz „Über die Diotima" (1795) 39 weiterzuführen und dabei zu differenzieren. Der Aufsatz war als ein Beitrag zur „weiblichen Erziehung" („Diotima", S. 86) gedacht und gehört in den Zusammenhang der deutschen „Querelles de femme", den kontroversen Geschlechterdiskurs im ausgehenden 18. Jahrhundert. 40 Erklärtes Ziel dieses Aufsatzes war es, „die gewöhnlichen Vorurteile über die griechischen Frauen zu berichtigen, und dadurch über das öffentliche und häusliche Leben der Griechen ein neues Licht zu verbreiten" („Diotima", S. 72). In dieser „Sittengeschichte des weiblichen Geschlechts im griechischen Altertume" („Diotima", S. 70) sah Schlegel in der Gestalt der Diotima eine Frau verkörpert, „in welcher sich die Anmuth einer Aspasia, die Seele einer Sappho, mit hoher Selbständigkeit vermählt, deren edel begeistertes Gemüth uns ein Bild der vollendeten Menschheit darstellt" („Diotima", S. 115). In der Hinwendung zur Platonischen Philosophie wurde hier von Schlegel das Bild einer menschlich (nicht nur moralisch) vollendeten Frau entwickelt, die künstlerisch, sinnlich und geistig zugleich vollkommen ist: Diotima verkörpert als Frau Anmut, Seele, ein heiliges Gemüt, eben „ein Bild vollendeter Menschheit" („Diotima", S. 115). Mit dem Beispiel der Sappho wollte Schlegel auf die zeitgenössische Diskussion über das Weibliche einwirken, denn er wies ausdrücklich „die Meynung, welche Rousseau mit so mächtiger Beredsamkeit vorgetragen hat, daß die Weiber der ächten Begeisterung und hoher Kunst ganz unfä-
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Iphigenie aufTauris. In: Dramen, Bd. 2, Hamburger Ausgabe. Vers 1 9 3 7 - 3 8 . Der Essay erschien in der Berlinischen Monatsschrift. Zitate nach Friedrich Schlegel, „Uber die Diotima", Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 1, S. 70—115. - Weitere Zitate mit „Diotima" und Seitenangabe im Text. Vgl. hierzu Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib, Frankfurt 1991, bes. Kap. 2 und 3.
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hig seyen" („Diotima", S. 97) zurück. Dabei stellte er dann zwei wesentlich verschiedene Arten der Begeisterung, die dramatische und die lyrische, heraus. Die Natur habe „dem weiblichen Geiste wohl jenen Umfang und die Bestimmtheit, welche die dramatische Kunst erfordert, zwar nicht versagt, eine Macht, welche ihr über das freye Gemüth nicht zusteht, aber doch unendlich erschwert" („Diotima", S. 98). Dagegen stimme die Natur der lyrischen Begeisterung mit dem Begriff der Weiblichkeit ganz überein. Auch der systematische Geist fehle der Frau, jedoch nicht aller philosophischer Verstand. Dieser langehin als gültig erachteten Unterscheidung gab Jean Paul die prägnantere Formulierung, wenn er in Levana oder Erçieherlehre (geschrieben 1805) feststellte: „Nach bekannten Grundsätzen ist die männliche Natur mehr episch und Reflexion, die weibliche mehr lyrisch und Empfindung."41 Bis in die Handbücher der Germanistik der 1970er Jahre galt diese geschlechtsbedingte Zuweisung des Lyrisch-Subjektiven für die Frau und „weibliche Dichtung", des Dramatischen und Philosophischen für den Mann, das Drama und die Philosophie als eine (fast ausschließliche) Domäne des Mannes; es ist der poetologisch gewandte Glaube, daß Gefühl der Frau (dem „Weiblichen"), Verstand und Schaffenskraft dem Manne eigne. In Schlegels Diskussionsbeitrag zur „weiblichen Erziehung" weist sein Konzept der „Geschlechterdifferenz" gerade in der Kunst unterschiedliche Bereiche der Frau und dem Manne zu.
VI. Schleiermachers Liebesreligion und die geistesgeschichtliche Interpretation Im Hinblick auf diese Idealisierung des „Weiblichen" ist es aufschlußreich, einen Blick auf Schleiermachers Würdigung der Schlegelschen „Liebesreligion" und der Frau zu werfen. Denn lediglich Schleiermacher, der damals zum Schlegelkreis gehörte und mit Dorothea und Henriette Herz befreundet war, veröffentlichte eine verständnisvolle Würdigung in seinen Vertrauten Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde (1800), die Schlegels Ansichten wesentlich vertiefte, die ethische Seite der Geschlechtsunterschiede weiterentwickelte und die Individualität und Entwicklung der Frau stärker 41
Zitiert nach Antje Kunstmann, S. 93.
Frauenemawypation und Erziehung,
Sternberg 1972,
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betonte. Schleiermacher sah die Gegenseitigkeit der Liebe: „Jede ist Ursache und Wirkung der andern, so gewiß als jede Liebe zugleich Gegenliebe, und jede wahre Gegenliebe zugleich Liebe ist" (S. 117)42. Während Schleiermacher die innere Wirkung der Liebe auf das Werden des Menschen darstellt, hält er doch an dem Konzept fest, daß bei der Frau „die Liebe ursprünglich" ist, daß sie „ihre einzige Kunst" und „einziges Verdienst ist" und „immer sein soll"43 (S. 117), während der Mann auch durch andere Aufgaben in Anspruch genommen ist. Auch Schleiermachers „Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen" (1798 im Athenäum veröffentlicht) ist dem Individualitätsprinzip verpflichtet und bezeugt seine hohe Einschätzung der Liebe. Dennoch wird auch hier die patriarchalisch-belehrende Rolle des Mannes deutlich, der zwar das Rousseausche Ideal der Unterwürfigkeit der Frau bekämpft und in der Hülle der Weiblichkeit die „unendliche Menschheit" verkörpert sieht, zugleich aber die Frau an Liebe, Ehe und Mutterschaft bindet. Die psychische Emanzipation wird - wie bei Schlegel - vollzogen, das Wesen der Frau noch weiter individualisiert und der einseitig männlichen Perspektive entrückt, doch an eine politische Emanzipation in der Gesellschaft ist noch nicht zu denken. Die gesellschaftliche Rolle der Frau bleibt in der persönlichen Sphäre verhaftet und wird auf die Liebesbeziehung zum Mann festgelegt. So wurde eine menschliche und gesellschaftliche Problematik mit einer religiösen, verinnerlichten Konzeption zwischenmenschlicher Beziehungen gelöst, in der die Frau zwar aus der Dienerrolle entlassen, dafür aber in der Erlösungsfunktion einer „Lichtbringerin" verpflichtet wird. Wenn H. A. Korff herausstellte, daß die Lucinde ein „Buch über die wahre Ehe" sei, die nicht „der Legitimation durch die bürgerliche Gesellschaft" bedürfe, so ist die Thematik damit ganz auf eine solche Art zwischenmenschlicher Beziehung verengt worden, für die Korff dann als vorbildlichen Lebensentwurf selbst plädierte: „In solcher Liebesgemeinschaft öffnen sich uns nicht nur alle Quellen unseres Selbst, sondern es öffnet sich uns auch in Wahrheit erst die ganze Welt."44 Wenn das „uns" die Identifizierung Korffs mit Schlegelschen Ideen noch nicht genügend verdeutlicht, so tut es seine Übernahme des Weiblichen: „Denn gerade die Frauen sind ihrem tiefsten Wesen nach der Natur weit näher als der 42 43 44
Vertraute Briefe (Anm. 30), S. 128. Ebd. H. A. Korff, Geist der Goethe^eit, Leipzig 1940, Bd. III, S. 89.
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Mann, und es fällt ihnen so viel leichter, in den (Stand der Unschuld) und (den Schoß der Natur) zurückzukehren". 45 Hier zeigt sich, wie weit Schlegels wesenhafte Trennung des Männlichen vom Weiblichen nachgewirkt hat. Auch wurde bei Korff ausschließlich die männliche Perspektive, die Erlebniswelt des Julius analysiert, ebenso wie bei H. H. Borcherdt, wenn er feststellte: „das Schicksal wird lediglich durch die Frauen bestimmt, die dem Manne [Julius] begegnen" 46 (26). Bei der geistesgeschichtlichen Interpretation der Lucinde wurde zumeist Schlegels idealisierte Auffassung vom Wesen des Weiblichen kritiklos übernommen. Lucinde ist „ganz Weib, dem Leben und Lieben identisch", eine „Priesterin der Natur, aus der geheimnisvollen Verbindung mit dem bewußtlosen Weben der Welt noch nicht gelöst wie der Mann." 47 Schlegels Auffassung des Weiblichen wurde durchgehend den Betrachtungen in Schiers Studie zugrunde gelegt, ebenso wie P. Kluckhohns Liebes- und Eheauffassung in seiner monumentalen Untersuchung, 48 in der die Lucinde detailliert biographisch und ideengeschichtlich aufgeschlüsselt worden ist, ganz von dieser romantischen Sichtweise bestimmt war: „Die unendliche Fülle der Natur, den ganzen Menschen [lieben], menschlicher als das Heiligenbild des Schwärmers und heiliger auch, das ist romantische Liebe." 49 Ganz beiläufig konstatierte Kluckhohn, daß Schlegel Forderungen der politischen Frauenemanzipation nicht erhoben habe, die Gründe aber wurden nicht erörtert. Die Ergebnisse der geistesgeschichtlichen Forschung zur Bedeutung des Frauenbildes in der Lucinde hat E. Behler zusammengefaßt und zugleich Schlegels Ideen zugeordnet: „In den Bildern von Mann und Frau als den tragenden Kräften des Kulturlebens und der damit verbundenen symbolischen Wiedervereinigung der weiblichen Poesie mit der männlichen Philosophie, kurz in der Integration von Seele und Geist, ist Schlegels Luände also doch ein umfassendes Dokument der romantischen Universalpoesie." 50 Mit der Wiederherstellung der natürlichen Ordnungsgesetzlichkeit der Ehe sei auch die Rückkehr des natürlichen Rechtes der 45 46 47
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Korff, Bd. III, S. 94. Ebd. Schier, Die Uebe in der Frühromantik mit besonderer Berücksichtigung des Romans, Beiträge zur deutschen Literaturwissenschaft 20, Marburg 1913, S. 80. Kluckhohn (Anm. 15). Kluckhohn (Anm. 15), S. 28. Ernst Behler, „Friedrich Schlegels Theorie der Universalpoesie" (Anm. 23), S. 244.
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Frau erfolgt. Damit ist zweifellos ein wichtiger Aspekt der zeitgenössischen Bedeutung der Lucinde gewürdigt worden, zugleich sind aber immer noch Schlegelsche Kriterien als „natürliche Ordnungsgesetzlichkeit" unreflektiert übernommen worden.
VII. Erotisierte „Weiblichkeit" als Ästhetik. Frauen als Verheißung romantischer Kunst „Erotisierte Weiblichkeit" wird konstitutiv für das ästhetische Programm Friedrich Schlegels und der Romantik, Frauen werden zur Verheißung romantischer Kunst. 51 In der Lucinde ist die erotisch-sinnliche Beziehung im Gegensatz zur Abwertung in der zeitgenössischen Moral zu einem mystisch-religiösen Erlebnis, zu einer Kunsterfahrung und -Schöpfung des Mannes erhöht und damit als zwischenmenschliche Beziehung emanzipiert worden, nicht die Frau als Individuum. Der Roman ist von einer männlichen Perspektive her konzipiert und darin wird eine betont männliche Erlebniswelt, eine zum Künstlertum führende „Männlichkeit" reflektiert. Lucinde wird in den traditionellen Rollen von Geliebter, Frau und Mutter dargestellt, als Individuum bleibt sie blaß, sie wird Gattungswesen, als „Weiblichkeit" und „Kunst" gesehen; dabei werden wesenhafte Unterschiede zwischen dem „Weiblichen" und dem „Männlichen" in einer sich ergänzenden Geschlechterdifferenz herausgestellt. Die immer mit den sprachlichen Mitteln auf reale Frauen verweisende „Weiblichkeit" als „Kunst" erscheint stark idealisiert und erotisiert, in der „die Frau" zwar aus der Dienerrolle entlassen, dafür aber in der Erlösungsfunktion einer „Lichtbringerin" verpflichtet wird. So wie für Schlegel (und die Romantiker) Kunst und Leben ineinander flössen, so auch Kunst, Weiblichkeit und Frauen. Wenn Behler Schlegels Lucinde als „umfassendes Dokument der romantischen Universalpoesie" 52 bezeichnet, würdigt er einen wichtigen Aspekt der zeitgenössischen Bedeutung, ohne allerdings die romantischen Grenzüberschreitungen und -Verwischungen vom poetischen Bild der Geschlechterdifferenz zur Reali51
52
Vgl. Hannelore Schlaffer, „Frauen als Einlösung der romantischen Kunsttheorie", Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 21 (1977), S. 274—296. Ernst Behler, „Friedrich Schlegels Theorie der Universalpoesie" (Anm. 23), S. 243.
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tät der Geschlechtsunterschiede und der männlichen Perspektive zu reflektieren. Romantisch-Schlegelsche Kriterien werden als „natürliche Ordnungsgesetzlichkeiten" unreflektiert übernommen. Schiller konnte sich nicht mit dem Luände-Roman anfreunden, der ihm beim Lesen „den Kopf taumelig gemacht" hatte, und dessen „höchst seltsame Paarung des Nebulistischen mit dem Characteristischen" ihm „hohles Geschwätz" war. 53 Schiller war zu sehr als Realist in der bürgerlichen Gesellschaft verwurzelt, Schlegel auf das Innenleben des Individuums eingestellt, als daß sie beide die Gemeinsamkeit bemerken konnten, daß sie zwar der Frau als menschlichem Wesen Gleichwertigkeit zugestanden, zugleich aber ihre Andersartigkeit betonten: Schiller in der gesellschaftlichen Sphäre, Schlegel in der persönlichen. Beide waren keineswegs Vorkämpfer für die Emanzipation der Frau, dafür hatten sie weder Verständnis noch Interesse. Beide vertraten ihren eigenen, männlichen Standpunkt in der patriarchalischen Gesellschaft. Schlegel legitimierte die Sinnlichkeit als neue Komponente in der herkömmlichen Rolle der Frau. Das bedeutete zwar eine menschliche Erhebung auf die gleiche Stufe mit dem Mann und eine Befreiung aus dessen Vorherrschaft und Dienerschaft in der Ehe, jedoch fehlte die politische Emanzipation, jegliches Selbstverständnis oder die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Bei Schlegel geriet die Frau wiederum in Fesseln, in die einer emotionellen Bindung, da erst die liebende Vereinigung die Selbstverwirklichung bedeutete. Schlegels Gattungstrennung von Männlichem und Weiblichem wirkte ausgesprochen emanzipationsfeindlich. Der männlichen Kategorie entsprach: aktiv, Bewegung, Verstand, Bewußtheit, Geist, Reflexion, System; der weiblichen: passiv, Ruhe, Phantasie, Wesen, Seele, fruchtbares Chaos. Das war gar nicht so weit entfernt von Schillers und Humboldts Anschauung der weiblichen Psyche, die intuitiv moralische Werte erfassen könne. Besonders die Assoziation des Aktiven, Verstandesmäßigen mit dem Männlichen ließ weiterhin die Frau als passiv, gefühlvoll, als nicht-intellektuell, daher ungeeignet für die politische Sphäre erscheinen. Die Idealisierung ihrer seelischen Eigenschaften als naturhaft, naturnah und ihre Wesenserfüllung durch geistige und sinnliche Liebe bedeutete eine Erlösung für Julius-Schlegel, für Lucinde-Dorothea aber eine Aufgabe, die sie, wenn überhaupt, nur vorübergehend erfüllen konnte, sie trotzdem aber in eine lebenslange emotionelle Abhängigkeit verpflichtete. Die von Schlegel konzipierte Priesterin und Lichtbringerin 53
Brief an Goethe vom 19. 7. 1799. Nationalausgabe, Bd. 30, S. 72, 73.
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verdrängte vollkommen die gesellschaftliche Problematik und legte die Frau auf einen idealisierten Gattungstyp fest, den sie als Individuum nicht erfüllen konnte, und der ihr keine Eigenentwicklung ermöglichte. Statt biblischer Dienerschaft in Ehe und Familie wurde sie von Schlegel zu einer seelisch-sinnlichen Erlöserrolle als „Poesie" für die existentiellen Nöte und schöpferischen Versuche des Mannes verpflichtet. Friedrich Schlegels Interesse am Wesen der Frau, geweckt durch Caroline und Dorothea und genährt von der zeitgenössischen Publizistik zur Psychologie und Charakterologie des Weiblichen, endete mit der patriarchalisch-patriotischen Ermahnung, ihre Mutter- und Freundinnenrolle zu erfüllen. Warum war im ausgehenden 18. Jahrhundert die Entdeckung der Frau als Individuum, wie sie sich in Schlegels Begriff der „Selbständigkeit" äußerte, zum Scheitern verurteilt? Das Interesse an der weiblichen Psyche förderten zunächst die engen, oft unkonventionellen Beziehungen der zumeist bürgerlichen Dichter zu einzelnen bedeutenden Frauen, die vorwiegend aus dem niederen Adel oder Judentum, also einer anderen Gesellschaftsschicht, kamen. In ihnen schien man eine neue Welt zu entdecken, die, wie die Kolonien in Ubersee, vom Manne erschlossen und in Besitz genommen wurde. Diese Frauen entfalteten, wie die Literaturgeschichte längst festgestellt hat, „ihre Haupttätigkeit im Wirken auf andere, im Ausströmenlassen der Persönlichkeit auf die Umwelt und zumal auf den Mann!" 54 Sie hätten im Schöpferischen versagt, und seien auf die „natürliche Formel der Mütterlichkeit rückführbar" 55 geblieben. Dafür, was „natürlich" war, blieb die männliche Welt der Maßstab, das Neuland Frau wurde für ihn nutzbar gemacht. So ließ Dorothea ihren Roman Florentin (1801) von Friedrich Schlegel herausgeben, oder Marianne von Willemers Gedichte gingen im Westöstlichen Divan auf; die Reihe der Seelenfreundinnen und Hausfrauen ist endlos. Was nicht in diese Normen paßte, waren, wie Jean Paul so treffend formulierte, die „weiblichen Krachmandeln, [die] akademischen Kraftfrauen." 56 Diese waren ebenso zu fürchten wie das leidenschaftliche Machtweib des Sturm und Drang, das wie Donna Diana in Lenz' Der neue Menoma forderte: „Laß uns Hosen anziehen und die Männer bei ihren Haaren im Blute herausschleppen." 57 54
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Fritz Giese, Der romantische Charakter. in der Frühromantik, Langensalza 1919, Ebd. Zitiert nach Kluckhohn (Anm. 15), S. Zitiert nach Kluckhohn (Anm. 15), S.
Bd. 1 : Die Entwicklung des Androgynenproblems S. 397 — 398. 256. 215.
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Das geistige Erbe der Aufklärung war die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen; neben den Heiden, Barbaren oder Kindern gehörten schließlich die Frauen auch zu den Gruppen, deren Wesen und Wirkungskreis neu zu bestimmen der Mann sich verpflichtet fühlte. Bei weitgehender Aufwertung im Menschlichen wurden mit Hilfe von altverbürgerten Charaktereigenschaften die Unterschiede zwischen „dem Männlichen" und „dem Weiblichen" herausgearbeitet. Die Ich-Suche und Ich-Bestätigung fand jetzt auf der Grundlage der Geschlechtszugehörigkeit, nicht mehr der Klassen- oder Standeszugehörigkeit, statt; hier konnte der bürgerliche Dichter seine Überlegenheit behaupten und sich beweisen, indem er sich einerseits entschieden gegen eine Invasion in diesen letzten ihm vorbehaltenen elitären Bereich wehrte, und andererseits dem Männlichkeitswahn einen Weiblichkeitswahn entgegensetzte.
Andreas Arndt
Geselligkeit und Gesellschaft Die Geburt der Dialektik aus dem Geist der Konversation in Schleiermachers „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens"
1. Am 14. Februar 1799 begab sich Friedrich Schleiermacher, derzeit reformierter Prediger an der Berliner Charité, nach Potsdam, um dort gemäß königlichem Befehl zeitweilig die Geschäfte des hochbetagten Hofpredigers Bamberger zu übernehmen. Schleiermacher stand damals im Begriff, seinen literarischen Ruhm zu begründen. Aus Berlin hatte er sich das begonnene Manuskript der Reden über die Religion mitgebracht, die er zwei Monate später, noch in Potsdam, vollenden konnte. Wenigstens in Berlin war er aber schon längere Zeit kein Unbekannter mehr. Er galt vor allem als ein gefälliger Kanzelredner, der deshalb auch dazu bestimmt worden war, in der Garnisonkirche vor Friedrich Wilhelm III. zu predigen. Literarisch war er durch die Übersetzung von Predigten hervorgetreten, zuletzt aber auch durch anonyme Beiträge zum Athenaeum der Brüder Schlegel, von denen die „Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen" unter den Fragmenten herausragt. Schleiermachers literarische Produktivität war durch Friedrich Schlegel angeregt worden, mit dem er seit Ende 1797 seine Predigerwohnung vor dem Oranienburger Tor teilte und der ihn fortwährend zum „Machen" drängte. Beide waren sich zuerst in der berühmten „Mittwochsgesellschaft" Ignatius Aurelius Feßlers begegnet und hatten darüber hinaus ein gemeinsames Bezugsfeld im geselligen Leben Berlins, vor allem aber im Salon der Henriette Herz, wo Schlegel auch seine spätere Frau Dorothea kennenlernte. Für Schlegel war Schleiermacher in erster Linie nicht Theologe, sondern Philosoph, und in der Tat hatte dieser sich seit seiner Studienzeit vor allem der Philosophie gewidmet und konnte 1797 bereits auf eine ganze Reihe von unveröffentlichten Abhandlungen und Entwürfen
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Andreas Arndt
zurückblicken, deren kritische Edition jetzt einen starken Band füllt. Ausgehend von der Hallischen Schulphilosophie seines Lehrers Johann August Eberhard hatte Schleiermacher sich vor allem mit Aristoteles und Kant auseinandergesetzt und dabei um die spekulative Grundlegung einer Ethik bemüht. Später kamen Jacobi und Spinoza hinzu, deren kritische Konfrontation mit Kant zu Positionen führte, die weitgehend mit dem zeitgleichen spekulativen Ansatz der frühidealistisch/frühromantischen Philosophie bei Hölderlin, Novalis und Friedrich Schlegel übereinstimmen. Schleiermacher war diesen Weg als einsamer „Selbstdenker" gegangen, aber er hatte dabei inhaltlich den Anschluß an die philosophische Avantgarde seiner Zeit gewonnen. Die philosophische Gemeinschaft mit Friedrich Schlegel war daher mehr als nur ein biographischer Zufall, es war eine Konvergenz gemeinsamer Grundüberzeugungen, die sie zusammenbrachte und zusammenhielt. Beide begegneten sich als Gleichberechtigte, und nur in der literarischen Produktivität war Schlegel dem Freund entschieden voraus. Dem abzuhelfen, war sein ständiges Bemühen, und so drängte er beharrlich und mit Erfolg aufs „Machen". Vor allem erwartete er Beiträge zur Moral, denn Schleiermacher — so schrieb er seinem Bruder August Wilhelm Schlegel am 28. 11. 1798 - „ist ein Mensch, in dem der Mensch gebildet ist [...]. Er ist nur drey Jahre älter wie ich, aber an moralischem Verstand übertrifft er mich unendlich weit. Ich hoffe noch viel von ihm zu lernen. — Sein ganzes Wesen ist moralisch, und eigentlich überwiegt unter allen ausgezeichneten Menschen, die ich kenne, bey ihm an meisten die Moralität allem andern." 1 Tatsächlich sollte Schleiermacher die Erwartungen des Freundes wenigstens zum Teil erfüllen. Auf die Reden über die Religion folgten zum Jahre 1800 als „Neujahrsgabe" die ebenfalls anonym publizierten Monologen, ein individualethisches, poetisch durchgebildetes Manifest, das Spekulation und Leben miteinander verbinden will. 1803 erschienen dann die Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, mit denen Schleiermacher zum Ethiker der Romantik avancierte, indem er versuchte, den frühromantischen Positionen eine systematische wissenschaftliche Form zu geben. Um eine solche Form bemüht war indessen bereits ein Aufsatz, der kurz vor Schleiermachers zeitweiliger Versetzung nach Potsdam anonym im Januar- und Februarheft des von Rambach und Feßler herausgegebenen „Berlinischen Archivs der Zeit und ihres Geschmacks" publiziert worden 1
Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe (= KFSA), hg. von Ernst Behler u. a., Bd. 24, Paderborn 1985, S. 45 f.
Geselligkeit und Gesellschaft
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war. Dieser Aufsatz trug den Titel „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens". 2 Merkwürdigerweise hat dieser Versuch im Briefwechsel Schleiermachers kaum Spuren hinterlassen und wurde offenbar auch im Freundeskreis nicht zur Kenntnis genommen. So geriet er in Vergessenheit und wurde erst am Beginn unseres Jahrhunderts von Herman Nohl wiederentdeckt, wobei die Autorschaft Schleiermachers aufgrund eines Vergleichs mit seinen „Aufzeichnungen für eine Schrift über die gute Lebensart" (Dilthey) 3 in den überlieferten Notizheften zweifelsfrei erwiesen werden konnte.4 Der Versuch blieb Fragment, und daß er Fragment blieb, hat mit dem Thema dieser Abhandlung zu tun. Das im Titel angesprochene „gesellige Betragen" ist auch und in erster Linie die freie Geselligkeit der Berliner Salonkultur, deren Anschauung Schleiermacher den Stoff für sein Vorhaben lieferte. Von dieser Quelle, aus der er die notwendigen Inspirationen bezog, sah er sich in dem militärisch geprägten Leben Potsdams abgeschnitten. „Jeder Mensch", so schrieb er am 23. 3. 1799 seiner Schwester Charlotte, „muß schlechterdings in einem Zustande moralischer Geselligkeit stehn [,..]. Das liegt in dem göttlichen Ausspruche es ist nicht gut daß der Mensch allein sei mehr als irgend etwas anderes." 5 Für solche Geselligkeit konnten die Tee- und Whistabende der Hofpredigerin Bamberger, wo Schleiermacher logierte, keinen Ersatz bieten. Was er hier fand, war Amüsement, aber keine gute Gesellschaft nach seinen ethischen Maßstäben, wie er sie in Berlin gehabt hatte. Das Gegenbild zur moralischen Geselligkeit schildert ein Brief an Henriette Herz vom 4. 4. 1799: „Wie mirs gestern gegangen ist? Ja mein Gott schlecht genug. Whist habe ich gespielt [...]. Dabei bin ich lustig gewesen und habe mich bei Tisch zu drei jungen Mädchen gesetzt und Spaß mit ihnen getrieben; auf der
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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe (= KGA), hg. von H.-J. Birkner u.a., Berlin/New York 1980ff. Abt. I: Schriften und Entwürfe; Abt. V: Briefwechsel und biographische Dokumente (zitiert: Abteilung/Band), 1/2, S. 1 6 5 - 1 8 4 . Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers, erläutert durch kritische Untersuchungen, S. 89 (gesondert paginierter Anhang zu Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers, I. Aufl., Berlin 1870). Herman Nohl, Vorbemerkung %ur Herausgabe des „ Versuchs einer Theorie des geselligen Betragens", in: Friedrich Schleiermacher: Werke. Auswahl in vier Bänden, hg. von O. Braun und J. Bauer, Leipzig 1 9 1 0 - 1 9 1 3 , Bd. 2, S. XXIII; der Text des Versuchs ebd, S. 3 - 3 1 . KGA V/3, S. 49.
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andern Seite hatte ich eine junge Frau, die hatte aber ein bischen Kolik und piepte mir gar zu viel, da habe ich sie sitzen lassen. Übrigens war schlechte Gesellschaft und schlechter Ton. Eine lebhafte kokette junge Postmeisterinn die einen alten Mann hat gabs noch; aber sie hätte dürfen hübscher sein für ihre Koketterie."6 Schleiermacher bedient sich hier gezielt eines Begriffs seiner Theorie des geselligen Betragens, wo er unter dem Ton den „durch den Stoff bestimmten Charakter einer Gesellschaft" versteht.7 Henriette Herz, mit der Schleiermacher als Ersatz für die fehlende Geselligkeit zum Teil mehrmals täglich korrespondierte, war offenbar mit dem Versuch bestens vertraut. Der „Ton" ihres Hauses war es, der Schleiermacher fehlte, um den Aufsatz vollenden zu können. Zu dieser Feststellung kam Schleiermacher bereits am Tag nach seiner Ankunft in Potsdam, als er der vertrauten Freundin schrieb: „ich habe einen Dialog im Plato gelesen, ich habe ein kleines Stück Religion gemacht, ich habe Briefe geschrieben kurz ich habe alles versucht außer die gute Lebensart, und was soll ich mit der ohne Gesellschaft?" 8 Die „gute Lebensart" ist nichts anderes als der Versuch, und die „Gesellschaft" jene „bessere Geselligkeit", die sich - so Schleiermacher „bei uns zuerst unter den Augen und auf Betrieb der Frauen bildet". 9 Dies sei ein „Werk der Noth", der Bindung der Frauen an das häusliche Leben, das bei ihnen unmittelbar mit dem Beruf zusammenfalle. Wenn nämlich der Mann, wie es in (schlechteren) Gesellschaften zumeist der Fall sei, „von seinem Beruf spricht, so fühlt er sich doch von einer Seite noch frei, nämlich von der häuslichen; dagegen die Frauen, bei denen beides zusammenfällt, bei einer solchen Unterhaltung alle ihre Fesseln fühlen. Dies treibt sie dann weg unter die Männer, bei denen sie denn, weil sie mit dem bürgerlichen Leben nichts zu thun haben, und die Verhältnisse der Staaten sie nicht interessieren, [...] eben dadurch, daß sie mit ihnen keinen Stand gemein haben, als den der gebildeten Menschen, die Stifter der besseren Gesellschaft werden." 10 Aus Schleiermachers Sicht sind die Frauen Incitament der freien Geselligkeit, weil sie sich gegenüber den äußeren Zwecken des bürgerlichen und politischen Le6 7 8
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Ebd., S. 67. K G A 1/2, S. 174. K G A V/3, S. 10. Dies ist die einzige Stelle im überlieferten Briefwechsel, die auf die Abhandlung Bezug nimmt; aus ihr Schloß Dilthey, daß Schleiermacher den Plan gar nicht realisiert habe. K G A 1/2, S. 178. Ebd.
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bens gleichsam natürlicherweise indifferent verhalten, zugleich aber auch bestrebt sind, die Beschränkung auf das Hausfrauendasein zu überwinden. Ihre Emanzipation vom häuslichen Leben, wie es die Salonnière verkörpert, stellt nicht die bestehende Diskriminierung der Frauen im öffentlichen Leben in Frage, sondern etabliert, unter Umgehung der männlichen Domäne, eine besondere Sphäre, in welcher der Gegensatz der Geschlechter zugleich mit den Notwendigkeiten des häuslichen und öffentlichen Lebens temporär aufgehoben ist.
2. Der Versuch einer Theorie des geselligen Betragens unternimmt es, „Geselligkeit" auf drei miteinander vermittelten Ebenen zu bestimmen, der des formellen, der des materiellen und der des quantitativen Gesetzes.11 Von dieser deduktiven Folge weicht Schleiermacher in der Ausführung jedoch ab, indem er — wie seinen Aufzeichnungen zu entnehmen ist — das Problem durchaus als ein empirisches behandelt wissen wollte: „Eine Theorie kann auf doppelte Art zu Stande kommen aus dem Mittelpunkt heraus oder von den Grenzen herein[;] bei empirischen Dingen die zweite Art." 12 Entsprechend beginnt der Aufsatz mit dem quantitativen Gesetz und allein dies wird in dem vorliegenden Fragment ausgeführt. Dem sollten sich — in dieser Folge — die Erörterung des formellen und dann des materiellen Gesetzes anschließen. Das formelle Gesetz bezeichnet die allseitige Wechselwirkung, das materielle das durch die Mitteilung von Individualität angeregte freie Gedankenspiel und das quantitative die notwendige Beschränktheit einer bestimmten Gesellschaft, innerhalb derer allein sie als ein Ganzes bestehen kann. Deduktiv betrachtet, d. h. im Ausgang vom formellen Gesetz, ist die bestimmte Gesellschaft die beschränkte Realisierung einer reinen, allseitigen Wechselseitigkeit, in der Geben und Nehmen, Bestimmen und Bestimmtwerden Eins ist und jeder, indem er sich äußert, zugleich den Anderen anerkennt und von ihm anerkannt wird, so daß er darin zugleich bei sich selbst bleibt und dennoch unmittelbar Allgemeinheit gewinnt. Das formelle Gesetz formuliert demnach das romantische Ideal individueller Allgemeinheit, der Indifferenz aller Ent11 12
Ebd., S. 170. Ebd., S. 31, Nr. 120.
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gegensetzungen. Sozialphilosophisch ist dies das Ideal einer rousseauistischen «/^«-Romantik, welche die Ubereinstimmung Aller zu Einem zum Programm der Uberwindung entfremdeter gesellschaftlicher Verhältnisse erhebt. Solche Utopie einer nichtentfremdeten Gesellschaft scheitert jedoch - auch im Bewußtsein der Romantiker - an ihrem Absolutheitsanspruch, der die Uberführung aller Gegensätze in Indifferenz verlangt. Ein solcher Zustand wäre der des Absoluten selbst, in dem die „Sehnsucht nach dem Unendlichen" (F. Schlegel) befriedigt wäre. Als endliche Wesen aber reichen die Menschen mit ihren endlichen Mitteln, so die frühidealistisch-frühromantische Grundüberzeugung, nicht an das Absolute selbst heran. Die Sehnsucht läßt sich weder theoretisch noch praktisch befriedigen, sondern bildet nur die Triebkraft aller Versuche eines menschlichen Fortschritts. Diese haben mit der Realität der Entgegensetzung zu rechnen, die Schleiermacher mit dem materiellen Gesetz bezeichnet wissen wollte. Aus seinen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, daß er hier „Antithesen" wie die von Wesen und Schein, Konventionalität und Humanität, Buchstabe und Geist aufgreifen wollte. Der Kern seiner Überlegungen kommt in einer Notiz zum Ausdruck, in welcher die Unhintergehbarkeit des Gegensatzes der Individuen und damit des Individuellen und Allgemeinen festgehalten wird: „Jede rechte Mittheilung ist ein Zurüktreiben des Eignen nach Innen, und bei jedem Ansprechen giebt man dem Andern ein Gefühl seiner Grenzen. Dies sind die Hauptpunkte im dritten [d. h. materiellen, Verf.] Gesez." 13 Die absolut freie, allseitige Wechselwirkung also scheitert daran, daß in der Mitteilung etwas zurückbleibt, was nicht in die Vermittlung eingeht und dieser Grenzen setzt. Im Angesicht des Absoluten als der Indifferenz aller Gegensätze mögen die Menschen gleich sein und in ihrer Gottebenbildlichkeit gleich gelten; real — in der endlichen Wirklichkeit — bleiben sie unterschieden und unterscheiden sich dadurch, daß sie über einen Individualitätskern verfügen, der sich jeder Vermittlung entzieht. Das Individuum, dem Wortsinne nach ein unteilbares, ist eben deshalb auch nicht mit-teilbar. Wie die Vermittlung nicht an das Absolute heranreicht, so reicht sie auch nicht an das Göttliche in den Menschen heran. Sie bleiben daher - gerade weil sie Darstellungen des Unendlichen sind — einander in ihren vermittelten Beziehungen notwendig fremd. Sozialphilosophisch bedeutet dies: alle gesellschaft-
13
Ebd., S. 38 f., Nr. 171.
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liehen Verhältnisse tragen den Stempel der Entfremdung und können diese bestenfalls minimieren, nicht aber vollständig aufheben. Das materielle Gesetz enthält bereits den Übergang zum quantitativen, sofern die Mitteilung, wie wir gesehen haben, bereits eine Teilung bedeutet und dadurch den Bereich der Wechselwirkung begrenzt. Die bestimmten Grenzen einer Gesellschaft geben ihr das jeweils eigene Gepräge; hier also befinden wir uns bereits auf dem Boden der Empirie. Von hier geht Schleiermacher aus, um dann das Wesen und moralische Ziel der bestehenden Gesellschaften im Rückgriff auf das im formellen Gesetz formulierte Ideal zu bestimmen. Die Vereinigung beider, des formellen und des quantitativen Gesetzes, sollte dann im materiellen Gesetz erfolgen, in dem das Ideal unter den Bedingungen der Realität nicht aufhebbarer Gegensätze reformuliert werden sollte. Schleiermacher kehrt den deduktiven Argumentationsgang vom Allgemeinen über das Besondere zum Einzelnen dahingehend um, daß das empirisch-Einzelne (quantitatives Gesetz) auf das Allgemeine (formelles Gesetz) bezogen und beides als in einem Besonderen (materielles Gesetz) vereinigt gedacht wird. Ausgangspunkt und Ziel ist daher die gesellschaftliche Realität selbst, wodurch die wissenschaftlich-deduktive Behandlungsart des Problems, die im Hintergrund steht, sich dem anschmiegt, was Schleiermacher auch gern „wirkliches Leben" nennt. Damit soll beispielhaft die von ihm immer wieder gestellte Forderung erfüllt werden, den Standpunkt der Spekulation ins Leben zu übertragen. Gleich am Beginn seines Versuchs läßt Schleiermacher keinen Zweifel daran, daß es sich beim geselligen Betragen nicht um ein marginales Thema handelt, sondern daß es dabei um den Kern der Humanisierung von Gesellschaft und die sittliche Vervollkommnung der Menschen geht. „Freie, durch keinen äußern Zweck gebundene und bestimmte Geselligkeit wird von allen gebildeten Menschen als eins ihrer ersten und edelsten Bedürfnisse laut gefordert". 14 Das häusliche und bürgerliche Leben seien durch äußere Zwecke beschränkt und bedürften daher der Ergänzung durch einen dritten Zustand, „den freien Umgang vernünftiger sich unter einander bildender Menschen [...]. Hier ist es nicht um einen einzelnen untergeordneten Zweck zu thun; [...] hier ist der Mensch ganz in der intellektuellen Welt, und kann als ein Mitglied derselben handeln; dem freien Spiel seiner Kräfte überlassen, kann er sie harmonisch weiter bilden, und von keinem Gesetz beherrscht, als welches er sich selbst auflegt, 14
Ebd., S. 165.
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hängt es nur von ihm ab, alle Beschränkungen der häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse auf eine Zeitlang, soweit er will, zu verbannen. Dies ist der sittliche Zweck der freien Geselligkeit". 15 Was hier angestrebt wird, ist das, was Kant unter der Autonomie im Sittlichen verstand. Die Tatsache jedoch, daß die moralische Selbstbestimmung dann, wenn sie im Ergebnis zugleich allgemeine Gültigkeit beansprucht, notwendig abstrakt und formell bleibt, führt hier zu der Einsicht, daß solche Autonomie nicht alle Sphären des sittlichen Lebens zu durchdringen vermag. Sie tritt daher zu den durch äußere Zwecke und Notwendigkeiten bestimmten Sphären des Handelns hinzu und realisiert sich in einer besonderen institutionellen Form der Geselligkeit und nur dort. Es ist, mit Marx zu sprechen, ein Reich der Freiheit, das auf der Basis eines Reichs der Notwendigkeit emporblüht. Seine Voraussetzung ist, wie Schleiermacher es in den Reden über die Religion betonen wird, die Befreiung vom Fluch der Arbeit, ihre Begrenzung durch die Entwicklung der Wissenschaften und mechanischen Künste. 16 Aber auch unter dieser Voraussetzung greift die Welt instrumenteller Zwecke auf die zweckfreie Geselligkeit weiterhin über, sofern diese gezwungen ist, von ihnen ausdrücklich zu abstrahieren. Aufgabe des Theoretikers ist es, die Einheit von freier Geselligkeit und moralischer Tendenz nachzuweisen und dadurch das gesellige Leben im Unterschied zum praktischen Virtuosen und zum sich erbauenden Dilettanten als ein „Kunstwerk" zu konstruieren. 17 Als Selbstzweck steht die Geselligkeit dem Kunstschönen und den Regeln der künstlerisch-poietischen Produktion nahe; sie ist der Ort einer aus der Selbsttätigkeit der Individuen hervorgehenden ästhetisch-moralischen Bildung, wie denn 15 16
17
Ebd. „Jezt seufzen Millionen von Menschen beider Geschlechter und aller Stände unter dem Druck mechanischer und unwürdiger Arbeiten. [...] Das hoffen wir von der Vollendung der Wißenschaften und Künste daß sie uns diese todten Kräfte werden dienstbar machen, daß sie die körperliche Welt, und alles von der geistigen was sich regieren läßt in einen Feenpallast verwandeln werde, wo der Gott der Erde nur ein Zauberwort auszusprechen nur eine Feder zu drüken braucht, wenn geschehen soll was er gebeut. Dann erst wird jeder Mensch ein Freigeborner sein, dann ist jedes Leben praktisch und beschaulich zugleich, über keinem hebt sich der Stekken des Treibers und Jeder hat Ruhe und Muße in sich die Welt zu betrachten" (ebd., S. 290). — Zum Kontext vgl. vom Verf.: Romantik der Arbeit. Aspekte des frühromantischen Arbeitsbegriffs (Novalis, F. Schlegel, Schleiermacher), in: Das Argument 1994, S. 8 8 3 - 8 9 6 . KGA 1/2, S. 167.
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auch die literarisch-ästhetischen Themen vorzüglich den Stoff der Geselligkeit bilden, weil darin bereits äußere Zwecksetzungen getilgt sind. Als Institution steht die freie Geselligkeit in der Nähe zum häuslichen Leben; ihr Zentrum ist das Haus bzw. der „Wirth", aber sie überschreitet denhäuslichen Zirkel, indem sie den oikos unter Umgehung der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates erweitert und idealiter zur oikoumene steigert (entsprechend denkt Schleiermacher in seinen späteren Entwürfen zur Ethik das weltumspannende sittliche Verhältnis der Staaten zueinander als freie Geselligkeit, nicht als Aufhebung der Nationen in einen Staatenbund oder Weltstaat). In beiden Bestimmungen, der Nähe zur ästhetischen und zur erweiterten häuslichen Welt, wird sachhaltig greifbar, daß und wie Schleiermacher seine Theorie tatsächlich am Modell des literarisch gebildeten Salons orientiert. Die freie Geselligkeit ist Gesellschaft im eigentlichen Sinne. Sie steht allen Formen „gebundener Geselligkeit" gegenüber, in denen durch äußere Zwecke Gemeinschaften gebildet werden, deren Teilnehmer sich zueinander instrumenteil und nicht in einer selbstbestimmten Wechselwirkung verhalten. Dies gilt für die durch Notwendigkeiten gestifteten Verbindungen des häuslichen und bürgerlichen Lebens ebenso wie für Formen der Geselligkeit, in denen die Möglichkeit zur allseitigen Wechselwirkung zurücktritt. Als Beispiele nennt Schleiermacher das Schauspiel und die Vorlesung, aber auch das gesellschaftliche Ereignis des Balls, „denn jeder Tänzer steht eigentlich nur mit der, die in diesem Augenblick seine Tänzerin ist, in Verbindung, und beide betrachten alle übrigen als Mittel oder Werkzeuge". 18 Das Spiel komme der freien Geselligkeit noch am nächsten, allein, es sei die Selbstbestimmung hier noch dem Zufall unterworfen, der den dritten oder vierten Mann der Spielrunde bilde. Dagegen gilt für die freie Geselligkeit: „Es soll keine bestimmte Handlung gemeinschaftlich verrichtet, kein Werk vereinigt zu Stande gebracht, keine Einsicht methodisch erworben werden. Der Zweck der Gesellschaft wird gar nicht als außer ihr liegend gedacht; die Wirkung eines Jeden soll gehen auf die Thätigkeit der übrigen, und die Thätigkeit eines Jeden soll seyn seine Einwirkung auf die andern." 19 In diesem Zusammenhang nimmt Schleiermacher eine terminologische Unterscheidung vor, die — wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen - zu einem Grundthema der Gesellschaftstheorien des späten 19. und 18 19
Ebd., S. 169. Ebd., S. 170 f.
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20. Jahrhunderts werden sollte. Durch einen äußerlichen Zweck gebundene und bestimmte gesellige Verbindungen bezeichnet er als Gemeinschaften, koinoniai (in Anlehnung an die aristotelische koinonia politike). Gesellschaft (sjnousia) im engeren Sinne aber sei nur die freie Geselligkeit, denn in ihr sei „eigentlich nichts gemein, sondern alles ist wechselseitig, das heißt eigentlich entgegengesetzt". 20 Seit Ferdinand Tönnies dagegen wird (übrigens nicht unbeeinfluß durch Schleiermachers Ethik) die durch äußere Zwecke konsumierte und demgemäß durch ein gemeinsames Drittes vermittelte Verbindung als Gesellschaft, die unmittelbare Verbindung dagegen als Gemeinschaft apostrophiert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um eine Vertauschung der Vorzeichen. Für Tönnies, Litt und andere bezeichnet die „Gemeinschaft" eine fundamentale, der gesellschaftlichen und politischen Vergesellschaftung vorausliegende Sphäre naturwüchsiger, organizistisch verstandener Gemeinsamkeit. Für Schleiermacher dagegen ist die unmittelbare Wechselwirkung der freien Geselligkeit nicht der Bodensatz der Vergesellschaftung, sondern das Produkt geschichtlicher Entwicklung im Horizont der Universalisierung von Humanität. In diesem Sinne steht der Versuch einer Theorie des geselligen Betragens - wie die Frühromantik insgesamt - in der Kontinuität aufklärerischen Denkens.
3. Diese Kontinuität wird auf den ersten Blick dadurch überdeckt, daß Schleiermachers Aufsatz sich in eine polemische Kontraposition zu Adolph Knigges spätaufklärerischem Bestseller Uber den Umgang mit Menschen begibt, dem er vorwirft, das gesellige Leben instrumentalisieren zu wollen. Im Unterschied zu Knigge geht es ihm nicht um die politische Durchsetzung des Bürgertums, sondern um einen moralischen Zustand, der sich indifferent zur ständischen Gliederung der Gesellschaft verhält. Nicht nur dieser politische Indifferentismus bringt ihn in die Nähe zu Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), deren Rezeption durch Schleiermacher sich zwar nicht belegen läßt, die er aber ohne Zweifel gekannt haben dürfte. Wieweit er von ihnen bei der Niederschrift des Versuchs beeinflußt war, kann nicht mit Sicherheit ermittelt 20
Ebd., S. 169, Fußnote.
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werden, offenkundig sind jedoch die sachlichen Parallelen. Auch für Schiller steht nicht der durch die Französische Revolution eröffnete politische Schauplatz im Vordergrund, sondern der Gedanke einer Bildung zur Freiheit und Humanität mit Hilfe der Schönheit. Diese ist das vermittelnde Dritte zu Natur und Freiheit und damit auch zwischen dem „Naturstaat" und dem „Vernunftstaat", der vollendeten Sittlichkeit. Diese geschichtsphilosophisch-spekulative Konstruktion wird in den Briefen aber bekanntlich nicht durchgehalten. Am Ende kippt die Argumentation um, indem die Schönheit vom Mittel zum Selbstzweck und Ziel gemacht wird. Nicht der „Vernunftstaat", sondern der „ästhetische Staat" ist es, in dem sich die ästhetische Erziehung erfüllt, damit zugleich aber ihren politischemanzipatorischen Anspruch preisgibt. Schillers Apotheose des ästhetischen Staats im 27. Brief liest sich wie eine Vorwegnahme dessen, was Schleiermacher als freie Geselligkeit bezeichnet: „Mitten in dem furchtbaren Reich der Kräfte und mitten in dem heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem dritten, fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins, worin er dem Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt und ihm von allem, was Zwang heißt, sowohl im Physischen als im Moralischen entbindet." 21 Das Grundgesetz dieses Staates sei es, „Freiheit geben durch Freiheit"·, in ihm allein sei die Gesellschaft wirklich, „weil er den Willen des Ganzen durch die Natur des Individuums vollzieht." 22 Die Ausbildung dieser Natur zum „geselligen Charakter" ist es, was durch die Schönheit bewirkt wird; er äußert sich in der „schönen Mitteilung" als dem Vereinigenden der Individuen. Der ästhetische Staat ist demnach ein Reich des schönen Scheins in der moralischen Welt, aber eines Scheins, der Selbstzweck ist und „weder Realität vertreten will, noch von derselben vertreten zu werden braucht." 23 Durch diesen Schein, als dessen Grundform Schiller die „Höflichkeit" bestimmt, werde jenseits aller realen Unterschiede ein geselliges Reich der Gleichheit konstituiert, die auch nur dort Wirklichkeit haben könne: „Hier also, in dem Reiche des ästhetischen Scheins, wird das Ideal der Gleichheit erfüllt, welches der Schwärmer so gern auch dem Wesen nach realisiert sehen möchte; und wenn es wahr ist, daß der schöne Ton in der Nähe des Thrones am frühesten und am vollkommensten reift, so müßte man auch hier die gütige Schickung erkennen, die 21 22 23
Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Stuttgart 1993, S. 125. Ebd., S. 125 f. Ebd., S. 116; zum Folgenden vgl. S. 117.
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den Menschen oft nur deswegen in der Wirklichkeit einzuschränken scheint, um ihn in eine idealische Welt zu treiben." 24 Auch dieses Reich der Freiheit und Gleichheit ist freilich nicht universell, sondern in der Wirklichkeit beschränkt auf „wenige auserlesene Zirkel", wo „eigne schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch [...] weder nötig hat, fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde wegzuwerfen, um Anmut zu zeigen." Schleiermacher stimmt mit Schiller darin überein, daß die Welt des moralischen Scheins in der Geselligkeit nicht bloßer Schein im Sinne eines Unwahren ist, sondern eine eigene Wahrheit und Realität hinter sich hat und daher auch Wirklichkeit begründet, nämlich wirkliche Gesellschaft, die allein diesen Namen verdient. Auch darin, daß diese Wirklichkeit nicht die ganze moralische Welt zu durchdringen vermag, sondern nur in beschränkten Zirkeln hervortritt, die auf dem Boden des Reichs der Notwendigkeit aufblühen, kommt er mit Schiller überein. Im Unterschied zu Schiller jedoch, der eher noch eine idealisierte höfische Geselligkeit vor Augen hatte, die sich um den aufgeklärten Fürsten gruppierte, orientiert sich Schleiermacher an den Salons der vorwiegend bürgerlichen Häuser, die das Erbe der höfischen Gesellschaften angetreten bzw. - gerade in Preußen — das Vakuum einer fehlenden höfischen Geselligkeit ausgefüllt hatten. 25 Gleichwohl verweist das Zusammenklingen von „ H o f und „Höflichkeit" in dem, was Schiller den „schönen Ton" nennt, auf eine historische Tiefendimension auch des Schleiermacherschen Versuchs einer Theorie des geselligen Betragens. Die Aufklärungsphilosophie hatte sich selbst im Gegensatz zu einer theologisch-dogmatisch enggeführten Schulphilosophie verstanden und dabei auf den praktischen Nutzen der Wissenschaften und Künste abgestellt. Sie stand wesentlich im Zeichen der Vereinigung von Theorie und Praxis, von Philosophie und Leben. Im Zuge dieser lebenspraktischen Orientierung gewann auch das antike Verständnis der Philosophie als ars vivendi neue Bedeutung: die Vernunft sollte das Verhältnis der Menschen zueinander durchdringen und ihnen als praktische Lebensklugheit Regeln des Verhaltens an die Hand geben. Dieser Seite nahm sich schließlich die Popularaufklärung an, die bis zum Ende des 18. Jahr24 25
Ebd., S. 128 (auch das folgende Zitat). Vgl. zur Entwicklung der Salonkultur insgesamt und besonders zu den Berliner Salons Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780-1914), Berlin/ New York 1989.
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hunderts ungebrochen fortwirkte; verwiesen sei hier nur auf Johann Jakob Engels Philosoph für die Welt, dem Schleiermacher eine polemisch-ablehnende Rezension widmete. 26 Die Welt, die da gemeint war, war aber frühaufklärerisch die höfische Welt, der Weltmann der gebildete Höfling und die Weltphilosophie Hofphilosophie, philosophia aulica. Diese „galante" Wissenschaft des guten Lebens hatte eine „ritterliche" Bildung zum Ziel und war außerhalb der Universitäten an sogenannten „Ritterakademien" institutionalisiert.27 Christian Thomasius griff in seinem philosophischen Erstling, der Introductio adphilosophiam aulicam (1688), auf diese neben der Schule angesiedelte Tradition zurück, um sie der Universitätsphilosophie zu integrieren. Sie fand dann auch Eingang in seine deutschsprachige „bürgerliche" Philosophie, die bewußt Standes- und Geschlechtsunterschiede beiseitesetzte. Hervorzuheben ist hier der Rurige Entwurff der politischen Klugheit, sich selbst und anderen in allen menschlichen Gesellschaften wohl ^u rathen und ψ einer gescheidten Konduite [Betragen] ψ gelangen (1705). Dieses gescheite gesellschaftliche Betragen vollzieht sich vor allem in der „Conversation", deren Regeln daher einen breiten Raum in der Moralphilosophie einnehmen. Schleiermachers Versuch setzt diese aufklärerische Tradition einer um die gute Lebensart bemühten Philosophie nahezu ungebrochen fort, wobei er der Verschiebung des Bezugspunktes von der Hofphilosophie zur bürgerlichen Philosophie folgt. Mit dieser Tradition verbindet ihn auch der Gegensatz gegen die Schulphilosophie, die ihm jetzt freilich nicht in der Gestalt einer theologisch beschränkten, sondern einer verwissenschaftlichten Philosophie entgegentritt, wie Fichte sie mit seiner Wissenschaftslehre vorgelegt hatte. Vor allem ihm gegenüber beharrt Schleiermacher auf der Verbindung von Philosophie und Leben im Sinne einer gelebten Sittlichkeit, die auch theoretisch konstruiert werden müsse. 28 Während jedoch in der französischen Aufklärung die außeruniversitär, in Aka26 27
28
K G A 1/3, S. 2 2 7 - 2 3 4 . Vgl. hierzu und zum Folgenden Max Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945 (Reprint Hildesheim 1992), S. 27 ff. In seinem Nachwort zu Knigge, Uber den Umgang mit Menschen, Frankfurt/M. 1977, hat Gert Ueding ebenfalls auf die höfische Tradition aufmerksam gemacht, die sich im 18. Jahrhundert mit dem dtoyen-Ideal vereinige. Vgl. z.B. an Carl Gustav von Brinckmann, Ende 1799; KGA V/3, S.313f.: „Fichte [...] habe ich freilich kennen gelernt - er hat mich aber nicht sehr afficirt. Philosophie und Leben sind bei ihm - wie er es auch als Theorie aufstellt ganz getrennt".
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demien und Salons institutionalisierte Philosophie immer mehr auf eine politische Durchsetzung des „guten Lebens" abzielte, blieb Schleiermacher in den Grenzen eines neuhumanistischen Bildungsprogramms befangen, das die gesellschaftliche und politische Freiheit durch die Konventikel freier Geselligkeit ersetzte, um in ihnen das Ideal der Gesellschaft rein anschauen zu können.
4. Die „freie Geselligkeit" im Schleiermacherschen Verständnis ist eine Form moralischer Vergesellschaftung, die durchgängig auf Wechselseitigkeit beruht, also intersubjektiv bzw. kommunikativ konstituiert wird. Sie steht neben einer Welt des instrumentellen Handelns, der äußeren Zwecke, der gegenüber sie die wahre Gesellschaft ist. Um dieser Wahrheit willen ist Schleiermacher (wie Schiller) um den Nachweis bemüht, daß der gesellige bzw. schöne Schein (die Geselligkeit als Kunstwerk) eine eigene Realität habe. Hierbei ist vor allem Kant sein theoretischer Gegner. Eine Notiz Schleiermachers zu Kants Anthropologe in pragmatischer Hinsicht (1798) aus dem Umkreis der Vorarbeiten gibt hierüber näheren Aufschluß. Es heißt dort, Kant sehe „in den geselligen Vollkommenheiten nur schlechten Schein und schäzt sie nur als solchen." 29 Schleiermacher dagegen betrachtet die „gute Lebensart" als einen „Widerstreit des Wesens mit dem Schein", 30 als eine „Antinomie" (d. h., im Kantischen Sinne, als einen Widerstreit zweier Gesetze). Sie beruhe darauf, daß sich jeder „seiner eignen Humanität durch seine freie Thätigkeit", aber auch „der Humanitaet der Andern durch ihre Wirkung bewußt werden soll." 31 Der Schein ist hierbei das Sich-Bestimmenlassen von den Anderen und das Bestimmen der Anderen, während sich in der gelingenden Wechselwir29
30 31
KGA 1/2, S. 39, Nr. 172; die Notiz bezieht sich darauf, daß Kant die Geselligkeit unter dem Titel des erlaubten moralischen Scheins abhandelt (vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Kant, Werke. Akademie-Ausgabe, Bd. 7, S. 1 5 1 - 1 5 3 ) . Kants Schrift hat Schleiermacher im Athenaeum 2, 2 (1799), S. 3 0 0 - 3 0 6 (KGA 1/2, S. 366-369) polemisch-kritisch rezensiert, wobei er u. a. das Fehlen der von Kant für die Anthropologie geforderten Vereinigung des Populären mit dem Systematischen bemängelt. KGA 1/2, S. 26, Nr. 92. Ebd., S. 30, Nr. 116.
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kung der geselligen Individuen in Wahrheit eine Indifferenz von Selbstund Fremdbestimmung realisiere: „Wechselwirkung ist nur da wo jede Thätigkeit des einen Wirkung des andern ist." 32 Die Theorie des geselligen Betragens nimmt also die grundlegende Problematik des Verhältnisses von Freiheit und Notwendigkeit auf, um zu zeigen, wo und mit welchen Mitteln diese Antinomie lebenspraktisch aufgelöst werden kann. Der dialektische Schein der Antinomie hebt sich in die Wahrheit gelebter Wirklichkeit auf. Dies ist zugleich eine Auseinandersetzung mit Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95), wo im § 5 eine auf Dauer unlösbare, sich immer wieder erneuernde „Antinomie im Praktischen" behauptet wird, die sich im Widerstreit von Bestimmtwerden und Bestimmen darstellt. Fichte wollte die Antinomie dadurch entschärfen, daß er den Widerstreit zum Schein erklärte und im Vermögen der Einbildungskraft stillstellte, das die Widersprechenden spielerisch synthetisieren konnte. Damit aber blieb auch die Synthese dem Schein verhaftet, während Schleiermacher ihr dadurch Realität verschaffen will, daß er ihr gleichsam einen Sitz im Leben anweist. In den empirischen Gesellschaften bleibt sie zwar begrenzt und kann sich nur in einem temporären Schwebezustand gelingender Kommunikation durchsetzen, gleichwohl gewinnt sie auf diese Weise gesellschaftliche Wirklichkeit. Das Mittel zur Lösung der Antinomie im Praktischen ist, dem Selbstzweckcharakter der freien Geselligkeit entsprechend, nicht ein auf Außeres gerichtetes Handeln, denn dieses würde - in Fichtescher Terminologie — ein Nicht-Ich voraussetzen und dadurch die Antinomie unendlich machen. Das wahrhaft gesellschaftliche Handeln kann daher nur eines sein, das in sich selbst bleibt und in der Berührung des Anderen nur sich selbst erfaßt. Hier stehen sich nicht Ich und Nicht-Ich, sondern — in der Terminologie Friedrich Heinrich Jacobis und der an ihn anknüpfenden dialogischen Philosophie — Ich und Du, Ego und alter Ego gegenüber. Ihr Verhältnis ist das einer symmetrischen Wechselseitigkeit oder Wechselwirkung, des Sich-Findens im Anderen, der unmittelbaren Einheit, die Indifferenz bedeutet und darin ebenso unmittelbar die gleichgültige Differenz wieder freigibt, sofern Jeder bei sich selbst bleibt. Dieses beständige Oszillieren zwischen dem Selbst und dem Anderen, dem Individuellen und dem Allgemeinen, erscheint als ein beständiges Hin- und Herwenden der entgegengesetzten Bestimmungen, die darin ununterscheid32
Ebd., S. 34, Nr. 146.
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bar werden. Was der Form nach als reine, allseitige Wechselwirkung gilt, realisiert sich materiell in der Konversation, dem Wortsinne nach ein Hinund Herwenden. Sie ist Selbstzweck, d. h. es kommt nicht darauf an, welcher bestimmte Stoff ihr içugrundeliegt, sondern ob sich im Ausgang von diesem Stoff eine freie Wechselwirkung entfaltet, deren Inhalte letztlich beliebig sind. Die Konversation ist das Mittel zur Lösung praktischer Antinomien. Mit ihr wird ein Gesprächsraum etabliert, der die Gegensätze des häuslichen und bürgerlichen Lebens ausgrenzt und ebenso das Strittige bestimmter Inhalte beiseitesetzt. Die „Lösung" der Widersprüche besteht daher darin, sie als gleich-gültig zu behandeln, d. h. sie im Horizont einer prinzipiell als möglich unterstellten Einheit in Indifferenz zu überführen. Was dann übrigbleibt, ist nur das Sich-hin-und-her-wenden zwischen den als gleichgültig betrachteten Gegensätzen nach den Regeln der Konversation. Diese selbst aber können von allen als unstrittig angenommen werden, sofern sie überhaupt an dem Gespräch teilnehmen wollen. Dieses Verfahren der Konversation steht dann auch im Hintergrund der späteren Schleiermacherschen Dialektik, worunter er die Kunst der (philosophischen) Gesprächsführung versteht. Hier geht es darum, den Prozeß eines wissenwollenden Denkens oder werdenden Wissens so zu organisieren, daß das Denken des strittigen Wissens unter Regeln gebracht wird, die selbst streitfrei sind und daher auch auf ein streitfreies Denken führen: „sie muß Grundsätze aufstellen, welche dieselben sind für Alle und allem Streit angemessen nicht um vorübergehend den einen Streitenden auf die Seite des andern hinüberzuführen, sondern um das zerfallene Denken zur Einheit des Wissens zu fördern". 33 Der spekulative Fluchtpunkt dieser Einheit ist der transzendentale Grund alles Wissens und Handelns als Indifferenz aller Gegensätze; auf ihn hin läßt sich das Wissen und Handeln so organisieren, daß es zwar den Streit nicht inhaltlich oder material auflöst, aber die entgegengesetzten Seiten als prinzipiell verträglich behandelt, d. h. als gleich-gültige. Die Einheit des Denkens wird nicht im Blick auf dessen bestimmte Inhalte und deren Zusammenhang durchgeführt, sondern durch formale Regeln des Gesprächs gestiftet, welche die strittigen Voraussetzungen unentschieden lassen. Das Reich des philosophischen Wissens konstituiert sich nach den Regeln des geselligen Betragens, indem es die Behandlung der strittigen Inhalte den 33
Friedrich Schleiermacher, Dialektik (1814/15). Einleitung ψτ Dialektik (1833). Hg. von A. Arndt, Hamburg 1988, S. 125.
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besonderen, empirischen Wissenschaften überläßt, die es mit dem äußeren Stoff zu tun haben. Der Dialektiker verhält sich als Teilnehmer einer Konversationsrunde, in der bewußt von den Geschäften des Tages abgesehen wird. Schleiermachers Konstruktion eines idealen, von allen äußeren Zwecksetzungen freien und daher „herrschaftsfreien" Gesprächs als Bedingung der Möglichkeit gesellschaftlicher und philosophischer Selbstverständigung, kann mit Recht in die Nähe von Konzepten kommunikativer Vernunft gerückt werden. Wie diese operiert auch Schleiermacher mit einer Trennung gesellschaftlicher Sphären, der Arbeit bzw. des instrumentellen Handelns einerseits, der Interaktion bzw. des kommunikativen Handelns andererseits. Trotz aller Unterschiede, die etwa zwischen seinen und Habermas' Positionen namhaft zu machen wären: der Blick zurück auf Schleiermacher kann deutlich machen, daß ein sich als „nachmetaphysisch" verstehendes, kommunikatives Denken die metaphysische Voraussetzung einer als Indifferenz hervortretenden Einheit jenseits der Entgegensetzungen noch in Kurs läßt. Und dieser Blick zurück vermag auch deutlich zu machen, welcher Preis für eine Theorie der kommunikativen Vergesellschaftung letztlich zu entrichten ist: sie begibt sich nicht ins Gestrüpp der wirklichen Gegensätze, sondern verhält sich ihnen gegenüber kontrafaktisch, um die wirkliche Sittlichkeit auf einer anderen Ebene — etwa der des herrschaftsfreien Diskurses — behaupten zu können. Solche Sittlichkeit aber kann, ebensowenig wie Schleiermachers Geselligkeit, das Ganze der Gesellschaft übergreifen und die Möglichkeiten eines guten Lebens an deren bestimmten Widersprüchen orientieren. Mit dem Verlust der institutionellen Formen „freier" Geselligkeit, die Schleiermacher als Medium bürgerlicher Selbstverständigung noch vorfand, ist die Idee kommunikativer Vergesellschaftung als das kenntlich geworden, was sie schon immer war: eine Illusion der Epoche, die sich zum transzendentalen Ideal verflüchtigt.
Kristina Hasenpflug
Ludwig Tiecks Darstellung der Salongespräche im Phantasus
Im Vorbericht zur ersten Lieferung seiner Schriften schreibt Ludwig Tieck zum Phantasus·. „Nach verschiedenen Jahren, da ich die Absicht hatte, meine zerstreuten Schriften zu sammeln, kam mir in der Muse des Landlebens der Gedanke, auf ähnliche Weise, wie viele Novellisten getan haben, diese Sammlung durch redende Personen zu beleben. Diese Umgebung, die in Gesprächen mancherlei entwickeln konnte, sollte selbst ein kleiner Roman werden, durch Liebe, Entführung, Zwist und Verlegenheit mancherlei Art, und mit endlicher Versöhnung und Vermählung verschiedener Anwesenden schließen. Sieben poetische Vorleser sollten siebenmal ein Drama oder eine Geschichte vortragen. Mit dem einleitenden Gedicht Phantasus war dann die runde Zahl fünfzig geschlossen." 1 Jedoch blieb der Phantasus Fragment, und es wurden nur 14 der 49 geplanten Binnenwerke realisiert. Die ersten beiden Bände erschienen 1812 bei Georg Andreas Reimer in Berlin und enthielten neben der die Rahmenhandlung exponierenden Einleitung in der ersten Abteilung die Märchen Der blonde Eckbert, Der getreue Eckart, Der Runenberg, Liebes^auber, Die schöne Magelone, Die Elfen und Der Pokal. Der zweite Band mit dem ersten Teil der zweiten Abteilung enthielt die dramatisierten Märchen Rotkäppchen, Blaubart, Der gestiefelte Kater, Die verkehrte Welt und Däumchen. Der dritte Band mit dem Drama Fortunat erschien erst 1816. Der „kleine Roman", den der Rahmen erzählen soll, fallt im Vergleich zu den umfangreichen und bedeutenden Binnenwerken etwas spärlich aus: In einer wild romantischen Gebirgslandschaft treffen zufallig sieben Freunde, die sich lange Jahre nicht gesehen haben, aufeinander und beschließen, einige Zeit auf dem nahegelegenen idyllischen Landgut, auf dem einer der Freunde, Manfred, mit seiner Familie lebt, zu verbringen. Dort vereinbaren sie, da sich die sieben Freunde als Poeten entpuppen 1
Zitiert nach: Ludwig Tieck, Dichter über ihre Dichtungen, hg. von Uwe Schweikert, München 1971, S. 269.
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und auch unerwartet einige Manuskripte bei sich haben, Dichterlesungen zu halten; diese sollen aber nicht die Hauptbeschäftigung des Freundeskreis werden, sondern die Stunden, die „die Musik, oder die Besuche und Spaziergänge übrig lassen" 2 , angenehm ausfüllen. Die Frauen sollen währenddessen die Rollen der Rezensentinnen übernehmen. Da Wilibald ausdrücklich auf einem ordnenden Prinzip besteht, schlägt Lothar — an Boccaccio erinnernd - vor, daß ein jeder von ihnen der Reihe nach die Königswürde übernehmen möge, um für die Zeit seiner Herrschaft die poetische Gattung, der die vorgetragenen Werke angehören sollen, zu bestimmen. 3 Währenddessen nimmt eine Entführungsgeschichte ihren Lauf, und entwickeln sich zwei Liebesgeschichten. Im Vordergrund der Rahmenhandlung jedoch stehen die im romantischen Sinne universellen Gespräche des geselligen Kreises. Schon früh wurde Tieck mit der Salonkultur seiner Zeit bekannt. Tieck stammt aus Berlin, aus einer Sailerfamiüe, der es, vorbereitet durch die wirtschaftlichen Neuordnungen Friedrichs des Großen, gelungen war, ins mittlere Bürgertum aufzusteigen. Sein Vater ermöglichte ihm den Besuch des Friedrichswerder Gymnasiums, einer Schule, die auch von Söhnen des gehobenen Bürgertums und des Adels besucht wurde. Durch seinen Schulfreund Wilhelm Hensler, einen Stiefsohn des Komponisten und zu dieser Zeit Königlichen Musikdirektors Johann Friedrich Reichardt, wurde Tieck in Reichardts Haus eingeführt, wo Berliner Intellektuelle und Künstler zusammentrafen. Reichardt siedelte 1791 nach Giebichenstein über, so daß Tieck, der im darauffolgenden Jahr sein Studium im nahegelegenen Halle aufnahm, diesen Kontakt weiter pflegen konnte. Durch seinen Kommilitonen Wilhelm von Burgsdorff erhielt Tieck erstmals Zugang zu Adelskreisen. Nach weiteren zwei Semestern an der Universität Göttingen kehrte er 1794 nach Berlin zurück, mit dem Entschluß, als freier Schriftsteller zu arbeiten. Hier verkehrte er in den durch Toleranz und Offenheit geprägten Salons, wo er Friedrich Schlegel und bald darauf dessen Bruder August Wilhelm kennen und schätzen lernte. 1799 folgte Tieck mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Dorothea Wilhelms Einladung, nach Jena zu ziehen und mit den Schlegel-Brüdern und deren Frauen Caroline und Dorothea zu leben. Nicht zuletzt durch seine zur Institution gewordenen Vorleseabende wurde Tieck im sogenannten Jenaer Kreis sehr geschätzt. Er ließ sich 2 3
Ludwig Tieck, Phantasm, hg. von Manfred Frank u. a., Frankfurt 1985, S. 90. Ebd., S. 91.
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jedoch nicht völlig in dieses Modell eines poetischen Lebens und der freien Geselligkeit involvieren. So schreibt er an seine Schwester: Das ewige Sprechen über Kotzebue über Literaturzeitung über Merkel, über alle Lausekerls ist so unausstehlich, daß ich oft ganz stumm bin, nun mochte sie [Text verdorben], daß ich jetzt irgendwas schreibe, ich thu es aber nicht, ich will für mich leben, und meinen eigenen [unleserlich] treiben, sie aber machen Ernst daraus. 4
Eine innigere Beziehung entwickelte er zu dem im nahegelegenen Weißenfels lebenden Novalis. Im Juni 1800 verließen die Tiecks Jena wieder. Nach Aufenthalten in Berlin und Dresden folgte die Familie schließlich 1802 einer, unter anderem die drückenden finanziellen Probleme lösenden Einladung Wilhelm von Burgsdorffs auf dessen Landgut Ziebingen, wo sie bis 1819 bleiben sollte. Auf dem benachbarten Gut Madlitz und in engem Kontakt mit Ziebingen lebten die Familie Finckenstein, der Dramatiker Wilhelm von Schütz und der Architekt Genelli. Nach seinem ersten Besuch beschreibt der Berliner Philosoph Karl Wilhelm Ferdinand Solger die Ziebinger Atmosphäre: „Der dortige Aufenthalt war mir ein wahrer Genuß. Schon das prächtige Haus, das man wohl mit vollem Rechte einen Palast nennen kann, giebt eine heitere und würdige Stimmung. Dann ist die Geselligkeit der dort versammelten Familien, ihre Liebe und Übung der Kunst, und der leichte und bequeme Anstand, der unter ihnen herrscht, ausnehmend angenehm." 5 Die im Rahmen des Phantasus dargestellte Geselligkeit ist nicht nach den - von Seibert und Wilhelmy 6 formulierten - formalen Charakteristiken der Berliner Salons konzipiert. Hier öffnet keine gebildete Frau ihr (Stadt-)Haus an einem jour fixe, um „Personen verschiedener gesellschaftlicher Provenienz und Standeszugehörigkeit zu einer Verständigungsleistung in geselligem spezifischem Rahmen" 7 zusammenzuführen. Vielmehr sind die Vorbilder des Phantasus die Zirkel in Jena und Ziebingen. Nicht ohne Grund widmet Tieck die erste Ausgabe des Phantasus
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5 6
7
Zitiert nach Inge Hoffmann-Axthelm, Geisterfamilie. Studien zur Geselligkeit der Frühromantik, Frankfurt 1976, S. 47 f. Solger, Bd. I, S. 213. Vgl. Petra Wühelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert ( 1 7 8 0 - 1 9 1 4 ) , Berlin/ New York 1989. Peter Seibert, Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz, Stuttgart/Weimar 1993, S. 3 f.
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A. W Schlegel. Er erinnert sich dankbar an die „schöne Zeit meines Lebens", als er mit den Brüdern Schlegel und Novalis „für Kunst und Wissenschaft vereinigt" 8 lebte. An Ziebingen erinnert im Phantasus die ländliche, noble Atmosphäre des Landgutes. Der paradiesische Garten ist gewiß den geschmackvollen Parkanlagen des Grafen Finckenstein nachempfunden; und der so begeistert beschriebene Gesang der PhantasusFrauen vermittelt einen Eindruck von den berühmten Liederabenden der Finckensteinschen Töchter. Ohnehin scheinen die Frauen des Phantasus ein Ideal zu verkörpern, das mit der in Jena gelebten — und von Friedrich Schlegel in der Luände und dem Gespräch über die Poesie gefeierten Weiblichkeit wenig gemein hat, die Tieck in einem Brief an seine Schwester folgendermaßen beschrieb: Die Veit ist unbeschreiblich brutal: Musikkennerin, Vertraute der Schlegel, Lucinde in einer Brechpotenz, eine wahre Polychrestpille, zu allen Dingen nutze [...] die [Caroline] Schlegel ist auch mehr listig als klug und mehr klug als verständig und mehr verständig als edel und mehr edel als eine Frau: man ist mit ihr wie mit einem Rhinozeros (hätt ich bald geschrieben), wie mit einem Androgyn oder vielmehr - hols der Teufel, ich kann mich nicht besinnen - wie mit einem Hermaphrodit. Daß die beiden Weiber sind, fällt einem gar nicht ein.9
Den Damen des Phantasus-Kreises schreibt Tieck dagegen als erstes Charakteristikum Anmut zu. Sie sind entweder still, sanft und schön, wie Rosalie, mutwillig, witzig und vorwitzig, wie Clara, oder auch mit kühler und besonnener Vernunft ausgestattet, wie Emilie. Ihre Rolle innerhalb des geselligen Zirkels ist auf die der Fragenden beschränkt. Dabei können sie sich mit einem Thema an die Herren wenden und so den Anstoß zu einem Gespräch geben, wie Manfreds Schwiegermutter Emilie, wenn sie bei Tisch fragt, warum es wohl bei jeder Mahlzeit zu Anfang still zugehe, und damit Lothar zu einem ausführlichen Vergleich zwischen einem Drama und einem Menü ermuntert 10 , oder aber sie werfen Fragen ein, weil sie bestimmte Details des Gesprächs nicht verstanden haben, beziehungsweise einen Widerspruch entdeckt zu haben glauben. Auch haben sie im Vergleich zu den männlichen Figuren Bildungsdefizite, oder aber sie kennen die Materie, um die sich das Gespräch dreht, sind aber nicht in der Lage, das Thema in den ,richtigen' intellektuellen Zusammenhang zu stellen. 8 9
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Phantasus (Anm. 2), S. 9. Zitiert nach Manfred Frank, Kommentar zu Ludwig Tiecks Phantasus, in: Phantasus (Anm. 2), S. 1158. Phantasus (Anm. 2), S. 55.
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Dagegen sind die theoretischen Überlegungen zur Geselligkeit, die von fast allen Frühromantikern angestellt wurden 11 , für den Phantasus nicht ohne Einfluß geblieben. Der frühromantische Begriff der Geselligkeit bleibt jedoch definitorisch ungreifbar, denn es werden Familie, Freundschaft, Liebe und Geselligkeit miteinander verknüpft und durch individuelle Konnotationen verändert 12 . Novalis beispielsweise erweiterte den Begriff Familie um den der Geisterfamilie, die er als eine Gemeinschaft derjenigen versteht, die einander in Denkart, Gesinnung und Geisteshaltung gleichen. Auch Caroline Schlegel teilt diesen transzendierten Begriff der Familie, hält aber auch die Auffassung der traditionellen, bürgerlichen Familie hoch. Wie diese überlegte Tieck die Versöhnung der traditionellen mit einer transzendentalen Familienauffassung; und so ist der PhantasusKreis um die Familie Manfreds organisiert. 13 Allerdings wird das Familienleben von der Geselligkeit separiert, die Kindererziehung wird von Rosalie, Manfreds Frau, „still im Heiligtum eines endegenen Zimmers besorgt" 14 , denn sonst würde „kein Gespräch und keine Ruhe" 15 zustande kommen. Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie kann als Reflex der Art der Gesprächsführung der zeitgenössischen literarischen Geselligkeit aufgefaßt werden 16 , die als literarischer Salon um 1800 zum vorherrschenden Salontypus zu werden schien. 17 Die Gesprächsführung des Schlegelschen Amalia-Kreises ist nicht rational-wissenschaftlich, sondern bleibt auch bei literarhistorischen oder ästhetischen Problemen zwanglos und leicht. 18 Dies trifft auch für die Gesprächsführung des Phantasus-Kreises zu. Hier wie dort steht Poesie im Mittelpunkt des Interesses. Jedoch ist für den Amalia-Kreis - im Gegensatz zu jenem - Poesie der alleinige Anlaß des Treffens und das alleinige Thema. Das Zusammensein des PhantasusKreises motiviert dagegen die Freude mit alten Freunden Erinnerungen aufzufrischen, und — wie Theodor es ausdrückt — die Hoffnung, „daß wir wieder einmal unsre zusammen gewickelten Gemüter durchklopfen 11 12
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Vgl. hierzu Hoffmann-Axthelm (Anm. 4). Vgl. Thomas G. Ziegner, Ludwig Tieck — Studien zur Geselligkeitsproblematik, Frankfürt 1987, S. 26. Vgl. ebd., S. 30. Phantasus (Anm. 2), S. 39. Ebd., S. 39. Vgl. Seibert (Anm. 7), S. 222 f. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 224.
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und ausstäuben können, damit sich keine Motten und anderes Gespinst in die Falten nisten!" 19 Ein ähnliches Konzept des Beisammenseins entwirft auch Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher in seinem Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, der die „freie, durch keinen äußeren Zweck gebundene Geselligkeit" 20 eins der ersten und edelsten Bedürfnisse des Menschen nennt. Nicht zufällig ist der zweiten Fassung des Phantasus, die in den Schriften erschienen ist, eine Widmung an Schleiermacher vorangestellt. Tieck gedenkt darin der Zeit, „als wir uns nahe waren und uns oft bei gemeinschaftlichen Freunden trafen" 21 . Schleiermacher strebt in dem Versuch einer Theorie des geselligen Betragens einen Zustand an, „der die Sphäre eines Individui in die Lage bringt, daß sie von den Sphären Anderer so mannigfaltig als möglich durchschnitten werde, und jeder seiner eigenen Grenzpunkte ihm die Aussicht in eine andere und fremde Welt gewähre, so daß alle Erscheinungen der Menschheit ihm nach und nach bekannt, und auch die fremdesten Gemüter und Verhältnisse ihm befreundet und gleichsam nachbarlich werden können" 22 . Kommunikation mit anderen ermöglicht es also dem Individuum, weitere erdenkliche Facetten des Menschseins kennen zu lernen, und damit auch in anderen den eigenen Potenzen zu begegnen. Auch in der Rahmenhandlung wird diese Auffassung von Geselligkeit offensichtlich geteilt, wenn Lothar ob der Unstimmigkeiten zwischen Auguste und Wilibald traurig konstatiert, daß er statt ruhiger Gespräche nur noch Streit gewahr werde, „welcher die Aufklärung [sie!] mehr hindert als befördert" 23 . Schleiermacher definiert aber in seinem Essay nicht nur, was Geselligkeit sein soll, sondern formuliert auch die dazu notwendigen Bedingungen, die er Gesetze nennt. Um das Ziel der Geselligkeit, nämlich ein freies Spiel der Gedanken und Empfindungen, „wodurch alle Mitglieder einander gegenseitig aufregen und belehren" 24 , zu erreichen, ist ein gewisser Konsens notwendig, den Schleiermacher das Gebot der Schicklich19 20
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Phantasus (Anm. 2), S. 34. Friedrich Daniel Schleiermacher, Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, in: ders., Werke. Auswahl in vier Bänden. Mit Geleitwort v. A. Dorner, hg. u. eingel. von O. Braun u. J. Bauer, 2. Neudr. d. 2. Auflage Leipzig 1927 — 28, Aalen 1981, 2. B d , S. 3. Zitiert nach Frank, Kommentar (Anm. 9), S. 1207. Schleiermacher (Anm. 20), S. 3. Phantasus (Anm. 2), S. 930. Schleiermacher (Anm. 20), S. 10.
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keit nennt, welches „besagt: daß nichts angeregt werden soll, was nicht in die gemeinschaftliche Sphäre Aller gehört"25. Dieses Gebot zu halten, fällt der /%¿z«/&f».r-Geselligkeit recht leicht; wird doch kein Thema angeschnitten, zu dem nicht zumindest die männlichen Mitglieder etwas zu sagen haben oder haben könnten. Die Geselligkeit hört nach Schleiermacher dann auf, ein Ganzes zu sein, „wenn zweie untereinander etwas besprechen, was ihnen zwar gemeinschaftlich, aber den Andern ganz fremde ist"26. Zwar gelingt es dem Kreis des Phantasus meist, seine Gespräche in den Grenzen der gemeinschaftlichen Sphäre Aller zu führen, doch kommt es vor, daß diese Einheit gefährdet wird: Dann zum Beispiel, wenn Friedrich bei der neueren Instrumentalmusik Tendenzen zum Obszönen und Liederlichen feststellt, gesteht Clara, daß sie ihn „hier gar nicht verstehe"27, und provoziert so Friedrichs Scham über seine Äußerung und Manfreds Bemühen, diesem Gespräch eine neue Wendung zu geben, indem er sagt: „Man soll auch eben nicht alles verstehen, du bist zu gut, um jedes Verständnis erringen zu wollen."28 Das Gesetz des Schicklichen ist aber nicht absolut sondern relativ; d. h. das, was in einem geselligen Kreis dessen Einheit gefährdet, kann in einem anderen durchaus zur Mitteilung geeignet sein. So sagt Anton am Ende des siebten Tages, als einige der Freunde schon zu Bett gegangen sind und er seine Gedichte über Pergolese vortragen möchte: „Ich teile sie jetzt lieber und mit weniger Ängstlichkeit mit, [...] da sich die kritischeren und vernünftigeren Zuhörer entfernt haben; denn die kindliche Rührung, die mich oft ergreift, erscheint dem strengeren Sinne leicht schwach und kindisch."29 Schleiermacher verlangt in seinem Essay auch, daß „das Nichthinausgehen aus der gemeinschaftlichen Sphäre [...] zugleich ein näheres Bestimmen derselben sein"30 soll. Damit man aber nicht seine eigentliche gesellige Aufgabe über vergeblichen Versuchen, diese gemeinsame Sphäre näher zu bestimmen, vernachlässigt, sollten „alle gesellschaftlichen Äußerungen [...] eine doppelte Tendenz, gleichsam einen doppelten Sinn haben, einen [...] der sich unmittelbar auf die Unterhaltung bezieht, und 25 26 27 28 29 30
Ebd., S. 12. Ebd. Phantasus (Anm. 2), S. 931. Ebd. Ebd., S. 697. Schleiermacher (Anm. 20), S. 27.
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seinen Zweck notwendig und unfehlbar erreicht, und einen andern gleichsam höheren, der nur aufs ungewisse hingeworfen wird, ob ihn etwa jemand aufnehmen, und die darin enthaltenen Andeutungen weiter verfolgen will" 31 . Die Phantasus-Gespriche werden in diesem Sinne assoziativ fortgeführt. Hierzu ist Lothars Äußerung ein schönes Beispiel, wenn er sagt: Wir sprachen eben von den Ruinen altdeutscher Baukunst, und bedauerten, daß viele Schlösser und Kirchen gänzlich verfallen, die mit geringen Kosten als Denkmale unseren Nachkommen könnten erhalten werden, aber indem ich den Schatten dieser Gänge genieße, erinnere ich mich der seltsamen Verirrung, daß man jetzt vorsätzlich auch viele Gärten zerstört, die im sogenannten Französischen Geschmack angelegt sind [...]. 32 Auch prallen in den Gesprächen des Pbantasus-Kxeiscs nie unversöhnliche Meinungen aufeinander; nicht Widerspruch charakterisiert den Wechsel der Sprecher, sondern Einverständnis und Weiterführung. 33 Nach Schleiermacher soll man sich in der Themenwahl von dem Charakter des Gesprächskreises leiten lassen, die Art jedoch, wie man einen Gegenstand „behandelt, verbindet, ausbildet und mitteilt" 34 , „ist das wesentliche, was ein Individuum charakterisiert" und wird „Manier" genannt. Diese Manier darf in einer Gesellschaft völlig zum Ausdruck kommen, d. h. man darf die in diesem Zirkel schicklichen Themen ganz nach seinem Belieben behandeln und kann so immer seinem Charakter treu bleiben. 35 Im Unterschied dazu wird im Phantasus-Kxeis der Funktion des Einzelnen in der Geselligkeit Rollencharakter zugewiesen. Wenn nämlich Theodor fragt: Wie kommt es nur, [...] daß eine geistreiche Gesellschaft, ohne Rollen auswendig zu lernen, niemals auf den Gedanken verfällt, aus sich selbst unter gewissen angenommenen Bedingungen und Masken ein poetisches Lustspiel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwicklung auszuführen? [...] alle suchten ihrer angenommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiterkeit und Geselligkeit zu erregen und zu befördern. Warum streben wir in unseren Gesellschaften immer das eine ermüdende Bild eines negativen wohlgezogenen Menschen darzustellen, oder uns in hergebrachter Liebenswürdigkeit abzuquälen?" 36 31 32 33 34 35 36
Ebd. Phantasus (Anm. 2), S. 53. Vgl. Ute Schläfer, Das Gespräch in der Erzählkunst Ludwig Tiecks, Augsburg 1969, S. 65. Schleiermacher (Anm. 20), S. 16. Ebd., S. 17. Phantasus (Anm. 2), S. 89 f.
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antwortet ihm Ernst, daß die wahre gute Gesellschaft schon unbewußt solche Rollen spiele und diese auch mit Leichtigkeit wechsele. An anderer Stelle findet es Theodor „natürlich und schicklich, daß in jeder gemischten Gesellschaft, in welcher sich junge Männer und anmutige Frauen und Mädchen befinden, kleine Romane gespielt werden, dies eben erweckt den Witz und belebt und schafft den feineren Geist der Unterhaltung" 37 . Manfred bezeichnet die Situation, in der Friedrich und Adelheid sich befinden, als „poetisch" und als „romantisches Gedicht" 38 ; und wenn Ernst und Theodor zufällig auf Anton treffen, so fällt er in ihre „Haupthandlung" 39 hinein. Die Rahmenfiguren leben ganz in einer dramatisierten Welt; ihre Erfahrungen und ihre sozialen Kontakte werden mit Begriffen aus der Welt des Theaters und der Poesie belebt. Dies verweist auf den der Geselligkeit zugesprochenen Kunstcharakter, den auch Schleiermacher erkennt 40 . Doch auch dieser Anspruch an das Leben und an die zwischenmenschlichen Beziehungen wird von Lothar relativiert, wenn er sagt: Freilich will uns alles überreden, daß das Leben kein romantisches Lustspiel sei, wie etwa Was ihr wollt, oder Wie es euch geföllt, sondern daß es aus diesen Regionen entrinnt, wir möchten es auch noch so gerne so wollen und wenn es uns auch über die Maßen gefiele; der Himmel verhütet auch, daß es selten in ein großes Trauerspiel ausartet, sondern es verläuft sich freilich meist, wie viele unerquickliche Werke mit einzelnen schönen Stellen, oder gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf." 41
Die kunstvolle Harmonie dieses Beisammenseins erfährt jedoch auch Krisen, die das filigrane Gebäude der Geselligkeit zwar nicht zerstören, es aber in den Grundfesten erschüttern. Das Bestreben der Freunde, einen heiteren geselligen Kreis zu bilden, droht dann zu scheitern, wenn die Natur, in Gestalt des Regens, Einfluß nimmt auf die Gemütslage der Menschen. 42 Man flüchtet zum Fortepiano und später zur Lesung der Komödien Der gestiefelte Kater und Die verkehrte Welt, um die melancholische Stimmung zu vertreiben. Wenn die Menschen also gegen die Macht der Natur wehrlos werden, suchen sie die Kunst als geselligkeitsstiftende Kraft. 37 38 39 40 41 42
E b d , S. 45. Ebd., S. 391. E b d , S. 23. Vgl. Schleiermacher (Anni. 20), S. 7. Phantasm (Anm. 2), S. 32 f. E b d , S. 489.
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Ebenso vertraut man auf die Kunst, wenn aufbrechende Gefühle die Harmonie des geselligen Kreises bedrohen. So hofft Manfred, daß die Lesung des Fortunat „jene Heiterkeit wieder geben" 43 kann, die Augustes Ausfälle gegen Wilibald verscherzt hatten. Und als dann selbst die Poesie versagt, verfügt Lothar, „um wenigstens einen Waffenstillstand hervor zu bringen, daß Rosalia uns gütig die Sonate vortragen möge, die sie heute Morgen einübte, damit die orphische Kunst die Leidenschaften zähme" 44 . Die Sprache ist also nicht das allmächtige Mittel, das Geselligkeit aufrecht erhält, das alles auszudrücken vermag, denn „was läßt sich denn überhaupt in Worten sagen? Ist doch für vieles schon der Blick zu ungeistig und körperlich!" 45 Andererseits kann auch die Kunst bisweilen der Eintracht der Freunde gefährlich werden; dann nämlich wenn sie nicht mehr als Fiktion betrachtet wird, sondern als Realität.46 So ist Clara nach der Lesung des Liebes^auber völlig verängstigt und vermutet, „daß aus jedem Busche, aus jeder Laube ein Ungeheuer" 47 hervortreten wird. Erst Manfreds Hinweis auf die grausame Realität, die man ja auch ertragen müsse, und auf die sie nachahmenden Familiendramen, die man oft genug freiwillig ertrage, veranlassen Clara, ihren Entschluß, die Gesellschaft zu verlassen, aufzugeben. Auf einer ähnlichen Verwechslung beruht Augustes Verdrossenheit über Wilibald, dessen Sonett Clara „arglos als Poesie" 48 liest, während Auguste es eifersüchtig als Liebeserklärung an jene auffaßt. Friedrich bietet eine weitere Variante, durch die die Geselligkeit des Phantasus aufs Spiel gesetzt wird: durch die geheime Ankunft Adelheids aufgeregt und nervös, weigert er sich, den zweiten Teil des Fortunat vorzulesen 49 . Daraufhin rügt Manfred: [...] daß du dich nur aus Laune den Gesetzen entziehen willst, denen du dich unterworfen, die du selbst in frohem Sinne hast verfassen helfen. Es ist tadelnswürdige Schwäche, daß du eine Regel brechen willst, die wir alle übernommen haben, um mit einem gewissen nötigen Ernst und mit Ordnung unser Spiel zu treiben, die zu allen ernsten und leichten Dingen notwendig sind, wenn unser Leben nicht zu einem leeren Gespenst verflattern soll. 50
43 44 45 46 47 48 49 50
Ebd., S. 779. Ebd., S. 930. Ebd., S. 26; vgl. hierzu Schläfer (Anm. 33), S. 91. Vgl. auch zum folgenden ebd., S. 85. Phantasus (Anm. 2), S. 240. Vgl. ebd., S. 941. Vgl. ebd., S. 943. Ebd., S. 943.
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Die Selbstdisziplin, zu der Friedrich hier aufgefordert wird, soll also nicht allein die Gemeinschaft fördern, sondern auch seinem eigenen Leben wenn nicht gar Inhalt so doch wenigstens - Konturen verleihen. Er läßt sich davon überzeugen, daß seine Weigerung in diesem Falle die Geselligkeit in ihrer Existenz bedroht, da er ihr eines ihrer konstituierenden Elemente, nämlich die Lesung, vorenthalten will. Danach duldet es Manfred ohne weiteres, daß Friedrich sich am Abend bei den anderen entschuldigen läßt 51 ; wohl weil er, soweit es ihm möglich war, die geforderte Selbstbeherrschung gezeigt hat. Zwar drängen die Emotionen der Rahmenfiguren an den Tag und fordern ihre Wirklichkeit - wie Ute Schläfer formuliert 52 — , Tiecks Gestalten aber finden immer den Weg zurück in die Gemeinschaft, deren Existenz sie freilich bedroht, aber nicht zum Scheitern gebracht haben. Daß die Freunde ihren geselligen Kreis als exklusiv empfinden, zeigen ihre Reaktionen auf Besuch, der zweimal ihre Gemeinschaft stört 53 . Die verlorene Ruhe soll auch hier wieder mit Hilfe einer Lesung wiederhergestellt werden. In diesem Sinne kritisiert Manfred die modernen Gastmähler, Teegesellschaften und kalten Abendmahlzeiten und kontrastiert sie mit Michelangelos „Jüngstem Gericht" und ,,Miniaturbilder[n] alter Gastlichkeit und traulicher Freundschaft" 54 . Die Exklusivität des PhantasusZirkels gründet auf der inneren Verbundenheit seiner Mitglieder, die nicht willkürlich zusammengeführt wurden. Freundschaft und Liebe sind die Grundpfeiler, auf denen die von Tieck in der Rahmenhandlung des Phantasm entworfene Geselligkeit ruht. Dies steht im Gegensatz zu den oben von Seibert formulierten Charakteristiken der Berliner Salons, verweist aber auf den Jenaer Kreis, der auch aus einer Gruppe von Freunden entstanden ist und sich erst allmählich zu einer problematischen Wohngemeinschaft entwickelte. Die Forschungsliteratur verweist immer wieder auf die Wichtigkeit, die Freundschaften für Ludwig Tieck besaßen; Ernst Ribbat bezeichnet Freundschaft sogar als die charakteristische Form seiner sozialen Existenz 55 . Die Rahmenfiguren des Pbantasus sind einander nicht nur freund51 52
53 54 55
Vgl. ebd., S. 1125. Vgl. Schäfer (Anm. 33), S. 85; Ute Schläfer scheint hier falsch zu interpretieren, denn es tun sich in der Rahmenhandlung keine unüberbrückbaren Konflikte auf! Vgl. Phantoms (Anm. 2), S. 361 und 392. Ebd., S. 65. Vgl. Ernst Ribbat, Ludwig Tieck. Studien zur Konzeption und Praxis romantischer Poesie, Kronberg 1978, S. 15.
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schaftlich verbunden, sondern theoretisieren auch über Wesen und Form der Freundschaft, die mit einem „schönen romantischen Park" 56 verglichen wird. In der Freundschaft sollte nicht die Suche nach dem Ähnlichen im anderen im Vordergrund stehen. Obwohl durch diese gleichsam gespiegelte Selbstbetrachtung die Selbsterkenntnis um bislang verborgene, dunkle Seiten erweitert werden kann 57 . Vielmehr sollte das Unbekannte und Geheimnisvolle im anderen geachtet werden, denn das völlige Verstehen entspringt nur eigensüchtigen Absichten, die es so früh wie möglich zu überwinden gilt. Dieser Balanceakt zwischen Vertrauen und Distanz macht Freundschaft aus und begründet ihren Kunstcharakter.58 Die trennende Kluft überwindet der Glaube, der Freundschaft über Ratio und Zeit erhebt. 59 Freundschaft trägt individuellen Charakter, denn „man lebt [...] mit jedem Freunde ein eigenes, abgesondertes Leben" 60 , und jeder „Mensch, der überhaupt das Leben und sich versteht, wird mit jedem seiner Freunde ein eigenes Vertrauen, eine andere Zärtlichkeit fühlen und üben wollen" 61 . In einem Brief an Friedrich Schlegel führt Tieck diesen Gedanken fort: die zu jedem Freund einzigartige Liebe mache den Freund unentbehrlich, weil er einzig sei und weil er „dadurch den Mangel in ihm [dem Liebenden] ergänzt und also dadurch ein Symbol der ewigen Fülle wird" 62 . Die männlichen Rahmenfiguren unterscheiden sich voneinander nur in Nuancen. Solger hat Tieck gestanden, daß er erst nach mehrmaligem Lesen der Rahmengespräche die Verschiedenheit der einzelnen Charaktere bemerkt habe. 63 Sie führen alle die Sprache der gebildeten Stände, ohne individuelle Merkmale. Gemeinsam ist ihnen auch die Mitteilungsfreude und Redelust. Um Spekulationen über mögliche Vorbilder der Rahmenfiguren entgegen zu wirken, sah Ludwig Tieck sich genötigt im Vorbericht seiner Schriften 64 darauf hinzuweisen, daß er in den sieben
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Phantasus (Anm. 2), S. 26. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. Ribbat (Anm. 55), S. 2 1 0 und Schläfer (Anm. 33), S. 79. Vgl. H o f f m a n n - A x t h e l m (Anm. 4), S. 45. Phantasus (Anm. 2), S. 25. Ebd. Tieck an F. Schlegel, 16. 12. 1803, in: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel, Briefe, hg. v o n Edgar Lohner, München 1 9 7 2 , S. 140. Vgl. Percy Matenko (Hg.), Tieck and Solger, The complet correspondence, N e w York/Berlin 1933, S. 270. Vgl. Schweikert (Anm. 1), S. 269.
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Freunden nur die Facetten der eigenen Persönlichkeit habe darstellen wollen. Literatur ist eines der zentralen Themen der Rahmengespräche. Und selbst wenn sich die Unterhaltung um einen anderen Gegenstand dreht, werden Analogien aus der Welt der Poesie gefunden. So beschließt Ernst seinen Exkurs über Gartenkunst mit dem Hinweis, alles was er dazu sagen könne, stehe schon treffender in Jacobis Roman WoIdemar.^5 Die Liste der in der Rahmenhandlung dergestalt angeführten Autoren und Werke ist lang: Sie reicht vom antiken Plutarch über Wolfram von Eschenbach, die Nibelungen, die Helden- und Volksbücher bis zu Hans Sachs. Die italienischen Novellisten wie ζ. B. Boccaccio werden ebenso erwähnt wie Cervantes und das kunsthistorische Werk Vasaris. In witziger Polemik wird der zeitgenössischen Trivialliteratur aus der Feder der Lafontaine, Spieß und Cramer gedacht 66 , und auch der erfolgreiche Kotzebue muß sich einige Spitzen gefallen lassen. Auf Goethe, Schiller, Jacobi, Jean Paul, die Brüder Schlegel, Shakespeare und Novalis werden feierliche Toasts am Ende der ersten gemeinsamen Mahlzeit ausgesprochen. „Tieck stiftet hier gewissermaßen einen eigenen Pantheon für jene Autoren, die auf ihn selbst den größten Einfluß ausübten. Er bemüht sich darum, sie zu kanonisieren, um ihre Wirksamkeit dauerhaft zu machen — und zwar in diesem Ensemble, um in der Vielfalt der Themen und Stilformen die Totalität des Poetischen [...] zu vergegenwärtigen." 67 Jedoch wird diesen Künsdern nicht uneingeschränkt Lob bezeugt. So wird beispielsweise Jean Paul wegen seiner medizinischen Späße 68 getadelt, und seine weiblichen Romanfiguren werden als lebensfremd 69 kritisiert. Darüber hinaus werden einerseits die poetischen Binnenwerke besprochen, andererseits aber auch Werke anderer Autoren und literaturtheoretische Ansichten diskutiert, die dem Leser zudem Beurteilungskriterien für die Binnenwerke an die Hand geben können. 70 Jedoch weist Dieter Stephan zu Recht darauf hin, daß sich „aus dem Geflecht von Leitthemen einer romantischen Dichtungstheorie [...] nur schwer eine Poetik der Erzählung oder des Dramas herauslösen" lasse, „die speziell auf die Einla65 66 67 68 69 70
Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 73. Vgl. ebd., S. 28 ff. Ribbat (Anm. 55), S. 212. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 97. Vgl. ebd., S. 661. Vgl. M. Goldstein, Die Technik der zyklischen Rahmenerzählung. Von Goethe bis Hoffmann. Diss. Berlin 1906/07, S. 52.
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gen zugeschnitten wäre" 71 . Oft kommentieren die Vorleser nur kurz ihre Werke, indem sie auf Entstehungsgeschichte, Quellen etc. hinweisen; oder aber sie lassen ihre Märchen und Dramen für sich sprechen. Die Kritik der Zuhörer erschöpft sich häufig in der einfachen Feststellung von Gefallen oder Mißfallen, wobei „ein distanzierendes Urteil dicht neben emotionaler Parteilichkeit steht"72. Aus diesen Kommentaren entwickeln sich immer wieder literaturästhetische Diskussionen. Beispielsweise wird nach der Lesung des Blonden Eckbert die Frage aufgeworfen, ob dieses Märchen einer anderen Erzählung nachgebildet sei. Anton beansprucht dessen Erfindung für sich, gibt aber in moderner psychologisierender Weise zu bedenken, daß es schwierig sei zu sagen, „aus welchen Erinnerungen der Kindheit, aus welchen Bildern, die man im Lesen, oder oft aus ganz unbedeutenden Mündlichen Erzählungen aufgreift, dergleichen sogenannte Erfindungen zusammengesetzt werden"73. Tieck, dem mehrfach vorgeworfen wurde, dieses Märchen nachgebildet zu haben, mag hiermit auf die eigentliche Entstehung des Blonden Eckbert hinweisen, zu der sicherlich eine Jugendgeschichte seiner Mutter über eine alte unheimliche Dorfbewohnerin beigetragen hat.74 Die Freunde sind sich aber einig, daß die künsderische Bearbeitung eines Stoffes mehr wiege als die ursprüngliche Erfindung. Vor der ersten Lesesitzung entwickelt sich eine gattungstheoretische Diskussion75; an anderer Stelle wird am Beispiel des Orlando furioso von Ludovico Ariost das Problem der Einheit eines Werkes erörtert76. Wenn Ernst und Anton die Ansicht vertreten, daß dieses Werk aus einzelnen „Fragmenten" bzw. Novellen besteht, die allein durch den „gleichförmigen Ton lieblichen Wohllauts" miteinander verbunden sind, und es ihm daher an einer wahren Einheitlichkeit gebricht, so sind sie wie auch Friedrich Schlegel und Novalis der Meinung, daß einzelne Schönheiten aus einer Dichtung noch kein poetisches Kunstwerk machen.77 Lothar hält 71
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Dieter Stephan, Das Problem des novellistischen Rahmenzyklus. Untersuchungen zur Geschichte einer Darbietungsform von Goethe bis Keller. Diss. Göttingen 1960, S. 79 f. Ebd., S. 79. Phantasus (Anm. 2), S. 146. Vgl. Frank (Anm. 9), S. 1266 ff. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 105. Ebd, S. 106 ff. Vgl. Armand Nivelle, Frühromantische Dichtungstheorien, Berlin 1970, S. 123. Zu bedenken bleibt in diesem Zusammenhang aber, daß den Frühromantikern
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dem entgegen, daß gebildete Menschen ein Bedürfnis nach „geselliger Kunst" spüren, die den äußeren Sinn erregt und insofern auch den inneren beschäftigt, ohne jedoch durch ihre Erhabenheit den Rezipienten zu überfordern, eine Gattung der Kunst also, die unser täglicher Begleiter sein kann und der er Ariosts Roman zuordnet. An anderer Stelle fordert Tieck entsprechend, Poesie solle es ermöglichen, „sich an Erzählungen und Darstellungen heiter zu ergötzen und den vom Leben und oft lästigen Geschäften oder schmerzhafter Krankheit erregten Geist auszuruhn" 78 . Ludwig Tieck nutzt die Rahmenerzählung des Phantasus auch, um zu Problemen und Themen Stellung zu nehmen, die für die eigentliche Rahmenhandlung nur geringe Bedeutung haben oder sich gar inhaltlich völlig von dieser lösen. Formal sind diese Meinungsäußerungen in die Unterhaltungen der Freunde integriert, haben allerdings die Tendenz zum Monolog. Auch werden sie nicht im ganzen besprochen, sondern hin und wieder unterbrochen und an anderer Stelle wieder aufgenommen. Schon das erste Gespräch 79 der Rahmenhandlung zwischen Ernst und Theodor trägt diesen essayistischen Charakter, man könnte es Eine romantische Reise durch Deutschland überschreiben. Es beginnt mit einer Landschaftsbeschreibung, die in eine Polemik gegen die aufgeklärten zeitgenössischen Reisebeschreibungen mündet: allein in der Art eines Gedichtes könne man dieser Aufgabe gerecht werden. Im Phantasus wird noch häufiger die Ansicht vertreten, daß die Wirklichkeit nur durch die Kunst, durch Poesie adäquat vermittelt werden kann, denn die Wirklichkeit ist objektiv nicht erfaßbar. Vielmehr muß sie immer im Zusammenhang mit dem gesehen werden, der sie betrachtet. „Jedes Auge, erklärt Tieck, muß sie [die Natur] in einem gewissen Zusammenhang mit dem Herzen sehen, oder es sieht nichts." 80 Alles was ein Mensch erkennt, erkennt er nur „im Lichte einer bestimmten Stimmung oder Absicht [...], die nicht aus dem Objekte selbst erklärt werden kann" 81 . Dies bedeutet aber „keine idealisierende
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gerade der Orlando furioso als vorbildlich galt. Tieck teilt zwar diese Wertschätzung, motiviert sie aber anders. Ludwig Tieck, Vorwort zu Friedrich Launs Schriften, in: Friedrich Laun, Gesammelte Schriften, hg. von Ludwig Tieck, Stuttgart 1843, Bd. 1, S. 10. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 1 3 - 2 0 . Manfred Frank, Das Problem Zeit in der deutschen Romantik, Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantischen Philosophie und in Tiecks Dichtung, München 1972, S. 323. Ebd., S. 323.
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Überhöhung, sondern [...] eine Darstellung des inneren Zustandes" und ist damit einer „ontologischen Fundierung der Poesie" gleichzusetzen. „Erkenntis ist ihrem Wesen nach Poesie" 82 . Dem Dichter fallt daher die Aufgabe zu, Welterfahrung zu vermitteln. 83 Auch das Reisen selbst wird als Kunst angesehen. Glücklich ist, wer in jugendlichem, d. h. empfänglichen und unvoreingenommenen Alter fremde Gegenden besucht. In reiferem Alter wird eine Bildungsreise dann daher zu einer Wallfahrt zu wohlbekannten Stätten der Kunst. Sodann wird das Weltbild der Aufklärung mit seiner Betonung der ökonomischen Interessen dahingehend kritisiert, daß es den überkommenen Denkmälern der vielfältigen deutschen Kultur keinen Wert beimißt. Doch wird gerade im Dürer'schen Zeitalter die Blütezeit der deutschen Kultur gesehen, deren Zeugnisse bewahrt werden müssen. Hier wird der Toleranz und der Förderung mannigfaltiger Interessengebiete das Wort geredet und die Nachteile des Parteiwesens aufgezeigt. 84 Wer die Welt wirklich verbessern will, sollte technischen und ökonomischen Fortschritt und Traditionspflege im Auge behalten. Denn der ,verklärte Blick zurück' eröffnet keine Zukunftsperspektive. Thema des nächsten eigenständigen Gesprächskomplexes ist die Gartenarchitektur85, mit der Tieck durch die Passion des Grafen Finckenstein 86 während seines Aufenthaltes auf Gut Ziebingen konfrontiert wurde und die ein viel diskutiertes Thema seiner Zeit darstellte87. Tieck polemisiert hier ebenso gegen die übertriebenen, zu Schaueranlagen verkommenen, hochmodischen romantischen Parks, wie gegen die mit Künstlichkeit überfrachteten Gärten im barocken holländischen Stil. Er bedauert den mangelnden Sinn für Natur und wünscht sich jede Gartenanlage als ein Individuum, das durch Umgebung und Zweckmäßigkeit seine unverwechselbare Prägung erhält. Auch über den Ursprung des Gartens läßt Tieck seine Figuren referieren und hierbei den geselligen Aspekt betonen, der dem Garten als Erweiterung des Hauses zukommt. 82 83
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Ebd., S. 324. Vgl. hierzu auch Marianne Thalmann, Das Märchen und die Moderne. Zum Begriff der Surrealität im Märchen der Romantik, Stuttgart 1961, S. 45. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 17. Vgl. ebd., S. 53 f , 6 9 - 7 7 , 1 0 8 - 1 1 1 . Der Graf, hier als „Herausgeber der Arethusa" bezeichnet, und seine Gartenanlagen finden innerhalb dieses Gesprächs großes Lob. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 77. So hat ζ. B. A. W Schlegel zu diesem Thema mehrfach Stellung genommen, ζ. B. in: Die Kunsdehre, Stuttgart 1963, S. 178 ff.
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Auch der Musik wird eine dialogisierte Abhandlung gewidmet. 88 Tieck bringt hier seine Hochschätzung der italienischen polyphonen Vokalmusik zum Ausdruck, die er auf Ziebingen durch den Gesang der Finckenstein'schen Schwestern kennenlernte. Ferner werden stellvertretend für die neue symphonische Musik Mozart und Beethoven gewürdigt. Doch sollte man Manfred Franks Hinweis auf die Diskrepanz zwischen „theoretischem Avantgardismus und wirklicher Rückständigkeit im Rezeptionsverhalten" 89 Tiecks bezüglich der Musik seiner Zeit beachten. Wie schon hinsichtlich der Gartenkunst polemisiert er gegen die Verflachung der Musik durch die im Strom der Mode mittreibenden Dilettanten. Das umfangreichste essayistische Gespräch 90 bezeichnet Tieck selbst als „Abhandlung über die sinkende Schauspielkunst" 91 , das in der zweiten Ausgabe des Phantasus (1828) dann auch aneinander gefügt erschienen ist. Tieck zieht hier gegen das zeitgenössische Theater ins Feld. Die enorme Größe der modernen Theater und die übertriebene Tiefe ihrer Bühnen wird ebenso kritisiert wie die Tatsache, daß immer mehr Dekorationen, Kostüme und Requisiten ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, und so die zeitgenössische Bühne zu einem Ausstattungsspektakel verkommt. Auch die ,Personalpolitik' der Schauspielhäuser bleibt von Tadel nicht verschont: die Akteure würden durch quasi lebenslange Engagements zu Bequemlichkeit verleitet. Eine ausführliche Kritik erfahren die Schauspieler Fleck und Schröder, die Tieck als die besten seiner Zeit betrachtet; indessen Iffland und vor allem die ihm anhängende Schule weniger Beifall ernten. Auch Goethes Verdienste um die Weimarer Bühne werden gewürdigt, wenn auch beanstandet wird, daß dort das Vermeiden des Unziemlichen vor dem Erstreben des Höheren stehe. Das Berliner Ensemble der 1790iger Jahre wird hoch gelobt, wie auch die Prager und die Wiener Bühne. Schließlich wirft Tieck einen kritischen Blick in die englischen und italienischen Schauspielhäuser. In diesen essayistischen Gesprächen diskutiert Ludwig Tieck kulturelle Probleme seiner Zeit und stellt mit seiner Polemik wider den Zeitgeist den Bezug zur Realität her, die in der eigentlichen Rahmenfabel ausgeklammert bleibt. Diese Realität hat zwar keinen Einfluß auf den geselligen Zirkel der Rahmenhandlung, aber die Freunde wissen um diese andere 88 89 90 91
Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 3 5 2 - 2 5 6 u. 9 3 0 - 9 3 2 . Frank (Anm. 9), S. 1335. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 6 8 0 - 6 9 4 u. 1 1 2 5 - 1 1 4 0 . Frank (Anm. 9), S. 1506.
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Welt, schließlich kommen sie alle von dort, und sie und ihre poetischen Werke — man denke nur an Der gestiefelte Kater — wären ohne sie nicht denkbar. In ihren Gesprächen betreiben die Rahmenfiguren eine Art Standortbestimmung. Die kulturellen und ästhetischen Phänomene der Welt werden diskutiert und bewertet, verworfen oder für gut befunden, was Marianne Thalmann von einem „Gerichtsverfahren Kultur versus Zivilisation"92 sprechen läßt. Der Angeklagte findet Zugang zum Gerichtssaal durch die poetischen Binnenwerke: hier nimmt der Zeitgeist die Gestalt des Skaramuz oder des Bötticher an; und das Schicksal der Zeitgenossen ist das der Söhne Fortunats, von deren Los Solger schrieb: „Das ist ein wahres, großes Bild des Lebens."93 W von Schütz urteilt daher in einem Brief ganz richtig über die Einheit von Rahmen und Binnenwerken: „Wie sehr mir die Einleitung gefallen, sagte ich Dir schon nach der Vorlesung. Diese aber hatte mir mir noch nicht den Eindruck gewähren können, welcher sich erst davon trägt, wenn man sie und die Unterredungen nicht abgesondert, sondern in ihrem Zusammenhang mit den Dichtungen genießt, zu denen sie gehören."94 Rahmen und Binnenwerke erläutern sich gegenseitig und lenken so die häufig ambige Deutungsperspektive der letztgenannten in eine bestimmte Richtung. Zu Beginn einiger Märchen empfinden deren Protagonisten ihr derzeitiges Leben als unbefriedigend. Ihr Wesen drängt über den gegenwärtigen Zustand seines Seins hinaus.95 Sie sind nicht allein, aber einsam; ihre Umgebung bietet ihnen kein Zuhause. Die Rahmenfiguren des Phantasus dagegen kennen diesen Drang zur Veränderung nicht, sie sind glücklich, denn sie leben in einer ,Geisterfamilie', deren Familienbande Jahre überstanden haben. Die Gleichgesinnten verstehen einander und tolerieren auch die kleinen Eigenarten des anderen. So interpretiert Arnim Giese die Gegensätzlichkeit von Eckart und Tannhäuser als eine Gegenüberstellung zweier Figuren, „in denen sich exemplarisch das Menschenbild alter und neuer Zeit verkörpert"96. An der Figur des getreuen Eckart wird exemplarisch eine Entwicklung vorgeführt, „aus der als vorbildlich erfahrenen 92
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Marianne Thalmann, Ludwig Tieck. Der romantische Weltmann aus Berlin, Bern 1955, S. 55. Matenko (Anm. 63), S. 340. Zitiert nach Thalmann (Anm. 92), S. 54. Vgl. Frank (Anm. 80), S. 271. Armin Giese, Die Phantasie bei Ludwig Tieck. Ihre Bedeutung für den Menschen und sein Werk, Diss. Hamburg 1973, S. 214.
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gesellig-freundschaftlichen Situation als einer unmittelbar erfahrenen Möglichkeit, der ungenügenden Realität mittels eines positiven Konzepts gesellschaftlichen Miteinanders und individueller Lebensgestaltung zu begegnen" 97 . Dagegen steht die Entwicklung des Tannhäusers, die als stetig fortschreitende Desozialisation — bis zum Verlust aller Menschlichkeit beschrieben werden kann. Nimmt man die dem geselligen Lebensentwurf eindeutig den Vorzug gebende Rahmenhandlung mit in Betracht, kommt dieser analog zum christlichen Weltverständnis und Mythos von Paradies, Sündenfall und dem wiederkehrenden Reich Gottes ein utopischer Charakter zu. Das in Disharmonie endende Märchen, das den gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand beschreibt, wird durch die Rahmenhandlung des Phantasus um eine harmonische Vision der Zukunft ergänzt. Die vorbildliche synthetische Gesprächsform der Rahmengesellschaft wird durch verschiedene Gespräche in den Dramen kontrastiert. Beispielsweise das ,Gespräch' der betrunkenen Gäste der Parnaß-Brauerei in Die verkehrte Welt hat eine im Grunde gesellige Atmosphäre zur Voraussetzung. Doch der Alkohol lähmt ihren Geist derart, daß sie nicht mehr fähig sind, diese Situation als eine bereichernde zu erfahren. So erschöpft sich die Äußerung des vierten Gastes in widersinnigen Imperativen, in Wiederholungen sinnendeerter Phrasen und in abgedroschenen Allgemeinplätzen und provoziert schließlich einen Streit und gar eine Prügelei.98 Auch das Gespräch der Ritter im ersten Akt des Blaubart kreist ausweglos um sich selbst. Auf Schloß Wallenrod versammeln sich einige Ritter, um wegen einer Fehde gegen Blaubart zu beraten, doch alles was sie zu sagen haben, ist „Krieg! Fehde!' 99 Die Einwände des Narren Claus, der als einziger die verschiedenen möglichen Zukunftsperspektiven gedanklich durchspielt, werden schließlich erleichtert beiseite geschoben, als den Rittern einfällt, „daß der Claus nur ein Narr ist" 100 . Das Gespräch wird also gerade dann abgebrochen, wenn es Erweiterung erfahren soll.101 Die wichtigsten Einflüsse auf den Phantasus stammen also aus Tiecks Jenaer und Ziebinger Zeit. Daß sie nicht ungebrochen wirkten, verdeutlicht die Tatsache, daß die aus persönlichen Differenzen entstandenen 97 98 99 100 101
Ziegner (Anm. 12), S. 156. Vgl. Phantasus (Anm. 2), S. 595 f. Ebd, S. 395. Ebd., S. 398. Vgl. Ziegner (Anm. 2), S. 176.
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Disharmonien den Jenaer Kreis nach kurzer Zeit auseinander fallen ließen, und daß Tieck aus Ziebingen häufig auf ausgedehnte Reisen flüchtete, um Abstand zu den dortigen verworrenen Beziehungskonstellationen zu gewinnen, während der Phantasus-Kscis Krisen zu überwinden weiß, durch Selbstdisziplin die Balance zwischen Individualität und Gemeinschaft zu halten vermag. Überlegungen des Jenaer Zirkels zur Geselligkeit, zu Familie, zu ästhetischen Fragen scheinen in der Konzeption und in den Gesprächen des Phantasus wider, während Tieck hier, was die Rolle der Frauen anbelangt, an seinen persönlichen, wenig progressiven Idealen festhält. Durch die Verbindung mit den Binnenwerken gewinnt die Rahmenhandlung - vor allem die darin geschilderte Form der Geselligkeit — dann neue Aspekte, den der Zeitkritik und einen utopischen.
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Geselligkeit im Kreise von Dorothea und Friedrich Schlegel in Paris in den Jahren
1802-1804* [...] ein solch ewiges Konzert von Wit% und Poesie und Kunst und Wissenschaft [...] kann einem die garnie übrige Welt und besonders was sie Freuden nennt, leicht vergessen machen. Dorothea Veit an Rahel Levin, 23. Januar 1800
Die Geselligkeit oder die literarischen „Sonntage" um die Schlegels in Paris blieben bis heute angesichts der vielen, mitunter verwirrenden Einzelheiten und der immer noch recht verstreuten Quellen- und Publikationslage nur am Rande erwähnt, vorwiegend in Publikationen über Friedrich Schlegels Zeitschrift Europa.1 Das Fehlen spezieller Untersuchungen * Dieser Artikel wurde durch die Förderung der Kommission zur Frauenforschung des Berliner Senats für das Projekt der Autorin „Helmina von Chézy. Vergessene und ungedruckte Publizistik und andere Texte" ermöglicht. — Herzlicher Dank gebührt den Mitarbeitern des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, insbesondere Frau Fanny Braun; Herrn Perk Loesch, Handschriftensammlung, Sächsische Landesbibliothek, Dresden; sowie Frau Dr. Carola Gerlach, Berlin. 1 Rudolf Haym, Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes. 3. Aufl., besorgt von Oskar Walzel, Berlin 1914; Zeitschriften der Romantik. In Verb, mit Oskar Walzel hg. von Heinr. Hub. Houben, B. Behr, Berlin 1904; Johannes Bobeth, Die Zeitschriften der Romantik, Leipzig 1911; Ernst Behler, Europa. Die Geschichte einer Zeitschrift, in: Europa. Eine Zeitschrift. Hg. von Friedrich Schlegel bei Friedrich Wilmans, Frankfurt am Main 1803[—1805]. Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von E. Behler, Stuttgart 1963, S. 1 — 58; Hans Gerhard Ziegler, Friedrich Schlegel als Zeitschriften-Herausgeber. Eine Studie zum literarischen Leben der Goethezeit, Diss., Berlin 1968; Henri Chélin, Friedrich Schlegels Europa. Frankfurt am Main, Bern, Cirencester/U. K. 1981; Ernst Behler, Die Zeitschriften der Brüder Schlegel. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Romantik, Darmstadt 1983 (künftig: Behler, Zeitschriften); Günther Oesterle, Friedrich Schlegel in Paris oder die romantische Gegenrevolution, in:
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kennzeichnet dieses Thema ebenso, wie die berühmten Berliner Salons von Henriette Herz und Rahel Levin Varnhagen oder den Jenenser Kreis um die Brüder Schlegel, Caroline, Novalis, Schelling, Fichte und andere, obwohl die Relevanz der Thematik nicht zu übersehen ist. Die neuesten fundierten Publikationen zum umfassenden Problemkomplex Salon 2 können sich leider meist nur auf Forschungsergebnisse und Quellen stützen, die größtenteils vor 60—100 Jahren publiziert wurden. Deren Wert ist zwar immer noch aktuell, doch bedürfen sie einer weiteren Vertiefung, neuer Sichtweisen bzw. neuer Quellenerschließung. Diesem Desiderat baldmöglich abzuhelfen ist nötig, um in verallgemeinernden Abhandlungen nicht nur Fragen aufzuwerfen, sondern auch einige Antworten geben zu können. Überblickt man die bisherige Salon-Literatur, dann scheint Berlin das Zentrum dieser Erscheinung gewesen zu sein, mit Ableger nach Wien; über die Weimarer, Heidelberger, Dresdner und selbst die Jenenser Geselligkeitskreise findet man kaum etwas, und ein deutscher Salon in Paris oder Rom erscheint danach fast unglaublich, zumal wenn er um 1800 existierte, jener Zeit, die zu Recht als „Kulminationszeit" des Salons (Seibert) bezeichnet wird. Es fällt vor allem auf, daß bisher keine umfassende Untersuchung zur Geselligkeit des Jenenser Kreises und zu dem in Berlin um Ludwig und Sophie Tieck, August Ferdinand Bernhardi u. a. vorliegt 3 , was hier speziell zu bedauern ist, da sie chronologisch und genetisch die unmittelbaren Vorläufer der Pariser Geselligkeit waren. Die Beteiligten an den „literarischen Salons" mieden, wenn sie sich um die Begrifflichkeit ihres Tuns bemühten, das Wort „Salon". „Zirkel", „Teetisch", „Dachstube", „Gesellschaft", „Kränzchen", „Freitag" und sonstige Wochentage - damit ersetzten sie den alten, traditionsreichen Begriff Salon. 4 Dies geschah nicht nur wegen „antifranzösischer Ressentiments" oder aus Gründen der Präzision 5 , sondern es wurde damit ver-
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Les Romantiques allemands et la Révolution française. Die deutsche Romantik und die französische Revolution. Colloque International organisé par le Centre de Recherches „Images de L'Etranger". Actes du Colloque ed. par GonthierLouis Fink [Strasbourg 1989], S. 1 6 3 - 1 7 9 . Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert. Berlin, New York 1989; Peter Seibert, Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz. Stuttgart/Weimar 1993. Vgl. aber Sigrid Damm, Begegnung mit Caroline Schlegel-Schelling. In: Begegnung mit Caroline. Briefe von Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, hg. u. eingel. von Sigrid Damm, Leipzig 1979, S. 45 — 54. Seibert (Anm. 2), S. 8 - 2 4 . Wilhelmy (Anm. 2), S. 21 f.
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sucht, die Besonderheiten und die Vielfalt einer neuen Erscheinung zu artikulieren und sich von äußerlich analogen Formen zu unterscheiden. Die verschiedenen „Salons" um 1800, sowohl in Berlin wie an anderen Orten, so die Abende in Giebichenstein bei Reichardt, die „Dachstube" Raheis in Berlin, der Salon Johanna Schopenhauers in Weimar, die Gesellschaft Karl Friedrich Cramers in Paris, die Salons von Eleonore von Fließ in Wien oder des Prinzen von Sachsen-Gotha in Rom weisen viel Gemeinsames, aber auch viel Différentes auf. Eine besondere Art der Geselligkeit stellt die der Frühromantiker dar, in der bis zu weitgehender Konsequenz der Gedanke einer neuen, „freien, durch keinen äußern Zweck gebundenen und bestimmten Geselligkeit" 6 theoretisch vielfältig entwickelt (Novalis, Schleiermacher, Brüder Schlegel, Schelling) 7 , aber auch versucht wurde, ihn ins Praktische umzusetzen. Sie entstand, objekdv auf den Schultern der Aufklärung stehend, wenn auch diese subjektiv vielfach kritisierend, um die Wende zum 19. Jahrhundert in Zusammenhang mit einem gesamtgesellschaftlichen historischen Aufbruch und führte zur Bildung neuer Formen geistig-kultureller Geselligkeit, die in der feudalen Gesellschaft nicht denkbar gewesen waren und mit der breiteren bürgerlichen Emanzipation, auch solcher bis dahin unerhört benachteiligter Gruppen wie Juden und Frauen, verbunden war. In dieser Form, die Klassen-, Standes- und Geschlechtsschranken zu überschreiten suchte, kam verstärkt der allgemeine bürgerliche Anspruch gegenüber den alten, feudalen Formen zur Geltung, Interessen der ganzen Menschheit zu vertreten, klassenlos zu sein. Der antifeudale Aspekt lag auch darin, daß sie produktiv waren, nicht aus Langeweile zusammenkamen, sondern wirklich etwas geleistet haben. Dieses Aktiv-sein war bürgerlich, war objektiv gegen die „heroische Faulheit des Mittelalters" (Marx) gerichtet, obgleich, aus ganz anderen Gründen und Zusammenhängen, die Romantiker gerade durch ihre Hinwendung zum deutschen Mittelalter charakterisiert sind. Die Geselligkeit der Frühromantiker unterschied sich von den anderen Arten und Formen der „Salons" in dieser Zeit, auch von den „literari6
7
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Versuch einer Theorie des geselligen Betragens. In: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Hans-Joachim Birkner u. a. 1. Abt., Schriften aus der Berliner Zeit. 1 7 9 6 - 1 7 9 9 . Hg. von Günter Meckenstock, Berlin 1984, S. 165 (künftig: Schleiermacher/KG). Vgl. dazu Inge Hoffmann-Axthelm, „Geisterfamilie". Studien zur Geselligkeit der Frühromantik. Diss. [Berlin] 1970.
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sehen", dadurch, daß sie in ihrer Produktivität sehr konkret und höchst ergebnisreich war. Gerade diese „Salon"-Art als „textproduzierende Formation" (Seibert) im Unterschied zu den anderen, die „am ehesten Gestalt in der umfangreichen Korrespondenz" gewannen 8 , erbrachte andere Literaturerzeugnisse, und zwar Vorlesungen, Zeitschriften, Übersetzungen, Dichtungen, wissenschaftliche Abhandlungen usw. Außerdem haben die Frühromantiker „Symphilosophie" und „Sympoesie" nicht nur als Begriffe ausgearbeitet, sondern in Jena, Berlin (Tieck-Bernhardis Kreis) und — wie im Folgenden darzulegen — in Paris, am Ort einer weit zurückreichenden und berühmten, europaweit ausstrahlenden Salon-Tradition, versucht, sie in der Praxis zu verwirklichen. Nicht zu Unrecht sind die Frühromantiker als die „Jakobiner der Poesie" bezeichnet worden. 9 Auch ihre Art der Geselligkeit war jugendlichrepublikanisch-revolutionär. „Von einer streng gegliederten Autoritätsstruktur kann bei den Frühromantikern nicht die Rede sein. Der Wille zu einem Republikanischen' Umgangsstil untereinander ist bei allen Mitgliedern deutlich ausgeprägt, — ja, es erweist sich gerade als ihre Schwäche, daß sie diesen bei sich voraussetzen, statt ihn als einen, in feudalistischer Umgebung erst zu lernenden in ihrem Zusammenleben zu thematisieren." 10 Wenigstens zu einem Teil haben sie im praktischen Leben das theoretische Konzept Schleiermachers verwirklicht, das sich mit „Deutlichkeit von den früheren Formen aristokratischer Soziabilität wie von den späteren, ins nur noch Private regredierenden Verkehrsformen biedermeierlicher Bürgerlichkeit unterscheidet und noch etwas von dem ursprünglich revolutionären Anspruch bürgerlicher ,Lebensart' erkennen läßt". 11 Eine damit verbundene Besonderheit dieser Form frühromantischer Geselligkeit, die damals Außenstehende, bisweilen auch Gäste der „literarischen Salons" schockierte, bestand darin, daß sie den Gedanken freier Entfaltung des Individuums bis auf die Fragen Ehe — Liebe — Sexualität ausdehnte. Man ging auch erotische Beziehungen ein, frei von allen gesellschaftlichen Regeln und Zwängen sowohl der feudalen als auch der späte8 9
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Seibert (Anm. 2), S. 247. Vgl. u. a. Werner Weiland, Der junge Friedrich Schlegel oder Die Revolution in der Frühromantik (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur, Bd. 6), Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1968. Hoffmann-Axthelm (Anm. 7), S. 207. Norbert Altenhofer, Geselligkeit als Utopie. Rahel und Schleiermacher. In: Berlin zwischen 1789 und 1848. Facetten einer Epoche. Ausstellung der Akademie der Künste vom 30. A u g u s t - 1 . November 1981 [Katalog], Berlin 1981, S. 39.
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ren bürgerlichen Zeit. Vor 200 Jahren bedeutete dies ein unerhörtes gesellschaftliches Ärgernis, und teilweise führten solche wechselnden Beziehungen bis zur Zerstörung geselliger Kreise (vor allem in Jena), aber es lag darin auch ein Keim neuer geistiger Produktivität, der prinzipiell selbst über das hinausging, was in dieser Hinsicht etwa mit dem Namen Bertolt Brechts verbunden wird. 12 Die Geselligkeit der Frühromantiker ist weiterhin in einem höchst spezifischen, ihre Tätigkeit weitgehend prägenden Rahmen zu betrachten, und zwar im Zusammenhang mit der Entstehungsphase der nachkantischen klassischen deutschen Philosophie, die ebenso in Jena ihren Zentralpunkt hatte, wie unmittelbar daran anschließend die Frühromantik, zu deren Auslaufphase der hier speziell behandelte Pariser Kreis Friedrich Schlegels gehört. Die Brüder Schlegel waren nicht nur bereits als Literaturkritiker berühmt - und Friedrich durch die Lucinde berüchtigt - , sondern Friedrich gehörte mit Fichte und Forster zu einem Vortrupp des philosophischen Fortschritts, der noch zu Lebzeiten Kants dessen System kritisch weiterzuentwickeln suchte. 13 Er stritt mit Hegel und Fichte, die auf ihn eingingen, über den Begriff der Unendlichkeit 14 , nahm einige Gedanken Schellings vorweg, wobei er hohen Sinn für Dialektik entwikkelte, so in der Definition von Ironie als „stetem Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung". 15 Der Jenenser Kreis um die Brüder Schlegel, Schelling, Novalis, Caroline u. a. baute unmittelbar auf den Kreis um Karl Leonard Reinhold, Friedrich Heinrich Jacobi, Niethammer, Fichte, Hölderlin u. a. in den Jahren 1789-1795 auf, der aus einem ungeheuer dichten Kraftfeld von Beziehungs- und Problemkonstellationen heraus wirkte. 16 Dieses Kraftfeld brachte nicht nur die nachkantische klassische deutsche Philosophie hervor, sondern war auch an der Geburt der frühromantischen Theorien, darunter der Theorie der Geselligkeit, beteiligt. 12
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Vgl. Sabine Kebir, Ein akzeptabler Mann? Streit um Bertolt Brechts Partnerbeziehungen, Berlin 1987. Vgl. Christa Krüger, Georg Forsters und Friedrich Schlegels Beurteilung der Französischen Revolution als Ausdruck des Problems einer Einheit von Theorie und Praxis, Göppingen 1974, S. 2 7 - 8 6 . Vgl. Ernst Behler, Zum Verhältnis von Hegel und Friedrich Schlegel in der Theorie der Unendlichkeit. In: Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie 2, Paderborn 1993, S. 1 1 9 - 1 4 1 . Zit. bei Ernst Behler, Die Theorie des Dionysischen bei den Brüdern Schlegel und bei Friedrich Nietzsche. In: ebd., S. 13. Dieter Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie ( 1 7 8 9 - 1 7 9 5 ) , Stuttgart 1991, S. 2 1 8 - 2 6 3 .
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In Anlehnung an Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95) und tief beeindruckt von den Berliner „Salons" Rahel Levins und Henriette Herz' entwickelte Schleiermacher, Schlegels engster Freund in der Berliner Zeit, seine Vorstellungen über das Wesen der Geselligkeit in seinem 1799 anonym erschienen Versuch einer Theorie des geselligen Betragens}1 Hier wurde der gesellige Kreis zur gesellschaftlichen Utopie, in der Einseitigkeit und Beschränktheit des gewöhnlichen bürgerlichen Lebens überwunden waren. Liest man Schleiermachers kleines Werk, wird man unwillkürlich an jene berühmte, vielfach mißverstandene Stelle des Manifests der Kommunistischen Partei erinnert, die von einer künftigen „Assoziation" spricht, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." 18 Dorothea, Friedrich und wenigstens einige Teilnehmer ihres Kreises kannten zweifellos Schleiermachers Suche nach einem Zustand, „der die Sphäre eines Individui in die Lage bringt, daß sie von den Sphären Anderer so mannigfaltig als möglich durchschnitten werde, und jeder seiner eigenen Grenzpunkte ihm die Aussicht in eine andere und fremde Welt gewähre, so daß alle Erscheinungen der Menschheit ihm nach und nach bekannt, und auch die fremdesten Gemüter und Verhältnisse ihm befreundet und gleichsam nachbarlich werden können." Dies sei möglich „durch den freien Umgang vernünftiger sich untereinander bildender Menschen". „In der freien Gesellschaft ist die ganze Reihe der Thätigkeiten Darstellung der Grundidee des Menschen selbst", und zwar zugleich der Grundidee des Individuellen wie der ganzen Menschheit. Es ging Schleiermacher weder um den Erfolg des einzelnen beim egoistischen Durchsetzen seiner Ziele gegenüber den anderen, noch um konformistische Unterordnung unter konventionell sanktionierte Regeln. Der Schlegelsche gesellige Kreis in Paris kann nur als Versuch einer lebendigen Umsetzung dieser Utopie in die Realität verstanden werden. Ende 1801 - Anfang 1802 hatte sich der Romantikerkreis des Jenenser Löbdergrabens endgültig aufgelöst. Was im Anschluß daran 1802 — 04 in Paris geschah, war das Ende eines großen Aufbruchs. Das Frühjahr 1804 mit der Abreise der Schlegels aus Paris, die Einstellung der Europa, das Verlassen Deutschlands durch August Wilhelm Schlegel, Kants Tod, die langen existenziellen Krisenjahre Hegels, Hölderlins Geisteskrankheit u. v. a. m. 17
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Günter Meckenstock, Einleitung des Herausgebers. Historische Einleitung. 10. Versuch einer Theorie des geselligen Betragens. In: Schleiermacher/KG (Anm. 6), S. LI; vgl. auch Altenhofer (Anm. 11). Marx/Engels: Werke, Berlin 1959, Bd. 4, S. 482 (künftig: MEW).
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markierten im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen eine umstürzende Wende im deutschen Geistesleben. 19 Aber als zwei Jahre zuvor Dorothea und Friedrich in Dresden zur Abreise nach Paris rüsteten, war das alles nicht voraussehbar. Nach dem schmerzhaften und endgültigen Zerfall des produktiven Jenenser Kreises versuchten es einige, auf eigene Faust eine unmittelbare Fortsetzung zu finden. Einer dieser Versuche, die Jenenser Geselligkeit in Hauptdetails zu wiederholen, konzentriert sich um Schlegels Kreis in Paris in der kurzen Zeit von Mitte 1802 bis Frühjahr 1804. In der Form Paris 1 8 0 2 - 0 4 erreichte die Schlegelsche Geselligkeit eine bisher kaum gewürdigte — weil so nicht in den Blick der Forschung geratene - gesellschaftliche Wirkung von wahrhaft europäischer Dimension. Um den kleinen Kreis der Hausgenossen und den etwas größeren der regelmäßigen Vorlesungsbesucher gab es einen noch weiteren aus gelegentlichen Besuchern, Freunden, Wissenschaftskollegen u. a., auf die ebenfalls eine Wirkung ausging und die durch ihre Teilnahme an der Geselligkeit auf sie Einfluß ausübten. Neben Deutschen der verschiedensten Landesteile und Franzosen waren darunter Dänen, Italiener, Schweizer, Portugiesen, Engländer. Es ist - neben der Weitung des Blicks auf Europa - wichtig für die historische Wertung des Schlegel-„Salons" in Paris, daß ein erheblicher Teil dieses weiteren Kreises damals schon oder in späteren Jahren bedeutende wissenschaftliche, ärztliche, künstlerische, kunstsammlerische oder politische Leistungen vollbrachte. Es handelte sich um schöpferische, suchende, vorwiegend sehr junge Zeitgenossen. Die meisten von ihnen kamen nicht aus Sensationsgier oder um andere Landsleute zu treffen in den Schlegel-Kreis in Paris, sondern sie waren als Philologen oder Chemiker, Diplomaten, Bildhauer, Dichter oder Arzte an philosophischen, literaturhistorischen oder jedenfalls fachübergreifenden Fragestellungen stark interessiert, anders formuliert: Sie traten in Verbindung zu Friedrich Schlegel und seinem Kreis aus einem bereits bestehenden, allgemeinen oder fachspezifischen Interesse heraus, das befriedigt und vertieft sein wollte. Aus diesem Prozeß des Gebens und Nehmens ergaben sich ζ. T. noch jahrzehntelang Impulse für ihr Schaffen, auch wenn dies, bis auf wenige Memoiren, keinen offen ausgesprochenen Niederschlag in bisher publizierten Quellen fand. 19
Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. von Joseph Koerner, 2. Aufl., 2 Bde., Bern und München 1969, Bd. 1, S. XIV.
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Alles in allem war dies die Möglichkeit einer europäischen Akademie, als deren Hauptprojekt sich eine neue, eine „romantische" Enzyklopädie anbot. Jedenfalls dachte Schlegel auch in den Pariser Jahren weiter über das Problem des Enzyklopädischen nach. 20 Aber die politischen Verhältnisse, die völlig fehlende finanzielle Grundlage sowie der unstete Geist Schlegels verhinderten selbst erste Ansätze einer praktischen Verwirklichung solcher Möglichkeiten und Pläne - es sei denn, man erkennt im Gesamtbild der europäischen Literaturgeschichte, das er in seinen Vorlesungen entwarf, und in der Gestaltung der Europa, in der Vielseitigkeit ihrer Beiträge erste Elemente einer neuen und europäischen Enzyklopädie. Damit aber folgte man den Intentionen ihres Herausgebers; in einem Brief an Schleiermacher betonte Schlegel, die Europa sei die Enzyklopädie, „wenngleich vor der Hand nur in fließender, progressiver Gestalt." 21 Das gesamte Schaffen Friedrich Schlegels, aus dem die frühromantische Theorie wesentlich hervorging, ist zwar nicht Gegenstand dieses Artikels, aber es ist im Hintergrund stets mitzudenken, weil es — wie vielleicht kein anderes - einen inneren und unmittelbaren Bezug zur Geselligkeit hatte. Nichts, was, auch in Paris, im Schlegelschen Kreise geschah, war ohne innigen Zusammenhang mit der umfassenden romantischen Theorie von Geselligkeit, die persönliches Gespräch, Vorlesungen, publizierte Schriften und auch das Mit- und Weiterdenken der Leser als Teile oder Stufen eines kollektiven schöpferischen Gesamtprozesses ansah, in dem Theorie und Praxis untrennbar miteinander verschmolzen. „So ist im geselligen Zusammensein der Beitrag eines jeden notwendig weil unersetzbar, und doch soll sich jeder mit jedem gleichsam anreichern und alle anderen in sich tragen, was wiederum unerläßlich für das Verstehen ist. Ziel der Geselligkeit ist demnach sowohl das sachliche Ergebnis: geistige Produkte von enzyklopädischer Weite, die untereinander zu einem großen, nie abgeschlossenen Werk verknüpft und deren Autoren alle gemeinsam sind, als auch die ebenso umfassende ,Bildung' aller und jedes einzelnen, die Steigerung des .Lebens' in ihnen durch ihr Zusammensein." 22 „Geselligkeit" bedeutete nicht nur einen bestimmten miteinander kommunizierenden kleinen Personenkreis, sondern ebenso die „Gesellschaft der Lesenden". Es lag ein tiefer Sinn darin, daß Schlegel einem seiner Werke den Titel Gespräch über die Poesie gab. Wenn er und seine Freunde 20 21 22
Behler, Zeitschriften (Anm. 1), S. 6 7 - 8 4 . Schleiermacher/KG (Anm. 6), Bd. III, S. 3 0 0 - 3 0 1 . Hoffmann-Axthelm (Anm. 7), S. 173.
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solchen philosophisch-literarischen Begriffen wie „Witz", „Ironie" oder „Fragment" neue Inhalte verliehen, spielte dabei die geist- und kenntnisreiche Debatte geselliger Zirkel eine tragende Rolle. „Witz ist logische Geselligkeit", definierte Friedrich Schlegel und erhob ihn damit zu einem Werkzeug der Erkenntnis. In dieser Perspektive wird Geselligkeit zur allgemeinen Metapher für einen Verstehensraum, „in dem das dialogische Prinzip herrscht, stets wechselnde Konfigurationen und Konfrontationen erfolgen, Bindendes und Lösendes wirksam werden, ein unvollendbarer Prozeß sich abspielt." 23 Aus dem Gespräch entstand „Theorie", die in Folgegesprächen gemeinsam geprüft, verworfen oder weiterentwickelt wurde. Stets erhob Schlegel „die Forderung nach lebendigem Gedankenaustausch', einer inneren Geselligkeit des Denkens, für die ihm Piatos Gespräche sein ganzes Leben lang beispielhaft blieben." 24 Nicht irgendwo, sondern in seiner in Paris entstandenen Geschichte der europäischen Literatur schrieb er: „Der Dialog als Darstellung des gemeinschaftlichen Selbstdenkens ist zu scharfsinnigen Prüfungen und Untersuchungen vorzüglich geeignet, indem er das ganze Gewebe der Gedanken allmählich entwickelt und aufzeigt." 25 Das Wort „scharfsinnig" signalisiert, daß in dieser Form von Geselligkeit nicht gemütliche Unverbindlichkeit herrschte, sondern gedankliche Anstrengung. Man kam gut vorbereitet, belesen, mit neuen Gedanken und Fragen zum „Teeabend", der wohl, wenigstens gelegentlich, entgegen seiner Bezeichnung die Form einer Akademiesitzung annahm. Dabei waren auch die von den Brüdern Schlegel an allen ihren Aufenthaltsorten gehaltenen Vorlesungen „Gespräche" und wurden ja auch oft gleich anschließend im geselligen Kreise diskutiert. Aus allen diesen, hier nur knapp skizzierten Zusammenhängen heraus ist es daher keineswegs theoriefern, die einzelnen Umstände eines historisch konkreten Schlegelschen geselligen Kreises so weit wie nur irgend möglich zu rekonstruieren, auch wenn sich auf den ersten Blick eine verwirrende Fülle von oft nur „am Rande" handelnder Personen, „unwesentlicher" Fakten und nur weithin vermittelter Zusammenhänge darbie23
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Gerhard Neumann, Ideenparadiese. Untersuchungen zur Aphoristik von Lichtenberg, Novalis, Friedrich Schlegel und Goethe, München 1976, S. 461. Ebd., S. 563. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner, 2. Abt.: Wissenschaft der europäischen Literatur. Vorlesungen, Aufsätze und Fragmente aus der Zeit von 1 7 9 5 - 1 8 0 4 , Bd. 11, München, Paderborn, Wien, Zürich 1958, S. 116 (künftig: Schlegel/KA).
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tet. Jede persönliche Bekanntschaft, jeder Teeabend und jeder seiner Besucher, jeder gemeinsame Museumsbesuch und jede Vorlesung, alle aus diesem Kreise hervorgehende Produktivität ist nicht nur ein Mosaikstein, sondern lebendiger Bestandteil frühromantischen Schaffens. Mit Schlegels Geselligkeit in Paris hängt auch ein anderes historisch wichtiges Problem zusammen, auf das Ernst Robert Curtius schon 1932 in seinem brillanten Artikel Friedrich Schlegel und Frankreich hinwies, indem er verlangte, „eine Phänomenologie des deutschen Frankreicherlebens" durch „eine weitschichtige vergleichende Forschung" auszuarbeiten und „das Verständnis der romantischen Kultur und das Verständnis Frankreichs" in festen Zusammenhang zu bringen. 26 Günstige Voraussetzungen dazu bieten heute die Untersuchungen des interkulturellen Transfers zwischen europäischen Nationen, der gerade um 1800 in anderen Dimensionen als direkt nach 1789 einsetzte und in zwei Richtungen wirkte: „zum einen stellt er einen Offnungs- bzw. Vermittlungsprozeß dar, durch den sich kulturelle Differenzierungen ausgleichen können; zum anderen wirkt er oft auch als Faktor, der die eigene — und durch dieses hindurch auch die ,fremde' - Identität stabilisiert und verfestigt". Dabei gäbe es in den einzelnen Ländern Interdependenzen: „in Deutschland als Reaktion auf und Auseinandersetzung mit der Vorstellung einer gesamteuropäisch dominierenden französischen' Kultur, in Frankreich als Infragestellung und historische Relativierung der eigenen kulturellen Normvorstellungen im Gefolge von Aufklärung und Revolution, wobei sowohl die .englische' wie dann ab 1800 verstärkt die ,deutsche' Kultur als historisch eigenständige ,Gegenbilder' in den Blickwinkel gerieten." 27 Im Rahmen dieses dialektischen Prozesses wird es besser möglich, auch Schlegels umstrittene Position zu Frankreich und sein daraus resultierendes Verhalten in Paris 28 zu verstehen. Es ging also um wesentlich mehr, als nur um Reiselust der „spottlustigen Weltkinder" 29 Dorothea und Friedrich, um mehr als Verbesserung 26
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Ernst Robert Curtius, Friedrich Schlegel und Frankreich. In: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht, Bd. 31, H. 1, Berlin 1932, S. 1 - 3 . Michel Espagne/Michael Werner, Deutsch-französischer Kulturtransfer als Forschungsgegenstand. Eine Problemskizze. In: Transfers. Les relations interculturelles dans l'espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siècle). Textes réunis et présentés par Michel Espagne et Michael Werner, Paris 1988, p. 14. Vgl. dazu: Oesterle (Anm. 1), S. 1 6 3 - 1 7 9 . Heinrich von Treitzschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Teil: Bis zum Pariser Frieden, Leipzig 1927, S. 205.
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ihrer finanziellen Lage, deutschen Nationalismus oder das Pilgern zu Kunstschätzen. In das komplexe Untersuchungsfeld dieses gesamteuropäischen „Wander"-Prozesses der Deutschen sollten auch die von Ausländern, darunter Deutschen, besuchten europäischen Salons, wie ζ. B. von Madame de Staël in Paris, Coppet und Chaumont, Millins Mittwochsgesellschaften in Paris oder die literary breakfasts bei Sir Joseph Banks in London einbezogen werden. Eine dieser zahlreichen noch kaum erforschten Gruppen literarischer Geselligkeit stellen die deutschen Salons um 1800 in Paris dar: von Karl Friedrich Cramer, von Buchhändler Henrichs, von Henriette Mendelssohn, der Familie von Pobeheim, etwas später von Therese aus dem Winkel usw. Und in dieser Reihe ist von besonderem Interesse die Geselligkeit im Kreis um Dorothea und Friedrich Schlegel in Paris in den Jahren 1802 bis 1804. Zusammen mit Dorothea und dem 9jährigen Philipp Veit kam Friedrich Schlegel zwischen 9. und spätestens 29. Juni 1802 in Paris an. In seinem Brief an den Verleger Siegfrid August Mahlmann vom 9. August 1802 schrieb er, er sei „nun schon über einen Monat hier" 30 ; und aus der Datierung des ersten Artikels Helmina von Hastfers für die Europa mit „9ten Messidor 1'anX" 31 , d.h. den 29.Juni 1802, folgt, daß sie schon einige Tage in Paris lebten, in denen sie miteinander bekannt geworden waren und Friedrich sie als Autorin für die Zeitschrift eingeladen hatte. Für den Aufenthalt in der französischen Metropole hegte Schlegel weitgehende Pläne über Studien der orientalischen Sprachen, Herausgabe 30
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Marianne Schuller, Ein früher Literaturbrief Friedrich Schlegels aus Paris. In: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 6, Heft 1, 1974, S. 87. H - a***r., Aus dem Briefe einer Deutschen. A n Adelaide von B. geb. von H. in Berlin. In: Europa (Anm. 1), Erster Band, S. 159. - Die „rätselhafte" Adressatin dieses Beitrages war ihre beste Berliner Freundin und entfernte Verwandte von Madame de Genlis Adelheid Henriette (unter den Freundinnen als Adelaide oder Lida) von Gerlach („H" kann ein Druckfehler sein), die Helmina in Berlin mit de Genlis bekanntmachte. Sie war seit zwei Jahren im Unterschied zu den anderen Freundinnen, darunter auch Helmina, glücklich mit dem Juristen Friedrich Magnus von Bassewitz verheiratet, worauf Helmina anspielte. Vgl. Helmina von Chézy, [Bruchstücke eines Tagebuches in den Briefen an einen Freund in Berlin], In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiearchiv (künftig: BBAWAA), Nachlaß Chézy, Nr. 866; Hans von Müller, E. T. A. Hoffmann und Jean Paul, Minna Dörffer und Caroline Richter, Helmina von Chézy und Adelheid von Bassewitz. Ihre Beziehungen zu einander und zu gemeinsamen Bekannten im Rahmen der Zeitgeschichte. Unter Mitwirkung von Eduard Behrens. Erstes Heft, Köln 1927, S. 89.
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der neuen Zeitschrift, sonstige wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit sowie Arbeitsperspektiven wie etwa Ubersetzungen, die gleichzeitig die ersehnte, dringend nötige Aufbesserung der finanziellen Lage bringen sollten.32 Als sie in Paris eintrafen, schrieb man dort die Tage noch nach dem von den Jakobinern eingeführten Revolutionskalender, an den Wänden klebten nicht völlig vergilbte Plakate mit revolutionären Parolen, die Straßen trugen noch ihre Revolutionsnamen und auf dem place de la Révolution, dem früheren place de la Concorde, thronte auf demselben Sockel statt Louis XV. eine „schreckliche, rosenroth angestrichene, halbnackte Gypsfigur, die Liberté darstellend."33 Wenn noch in einigen anderen äußerlichen Formen und Gewohnheiten die Revolutionsereignisse das Bild bestimmten, so beherrschte doch bereits Napoleon innenpolitisch die Thematik des Tages. Sein Staatsstreich vom 18. Brumaire (Ende 1799) hatte die Zwischenherrschaft des Direktoriums gestürzt, und seitdem errichtete er Schritt um Schritt als Erster Konsul eine Alleinherrschaft. Kurz nach Ankunft der Schlegels, Anfang August 1802, war er zum Ersten Konsul auf Lebenszeit ernannt und die „Verfassung vom 16. Thermidor des Jahres X" erlassen worden. „Gegen das Ende des Jahres 1802", urteilte Mignet, „befand sich alles in den Händen des lebenslänglichen Konsuls, der eine ergebene Klasse an der Geistlichkeit, einen militärischen Orden an der Ehrenlegion, eine Verwaltungsbehörde am Staatsrat, eine Dekretiermaschine an der gesetzgebenden Versammlung, eine Verfassungsmaschine am Senate hatte."34 Schlegel hob es in seiner Europa bereits besonders hervor, daß Napoleon trotz seiner Machtfülle noch keinen äußeren Personenkult forderte; in einer Notiz über das Auftreten Napoleons im Nationalinstitut (frühere Akademie der Wissenschaften) heißt es: „Es war ein imposantes Schauspiel diesen mächtigen Mann in die Versammlung der Wissenschaften eintreten zu sehen, ohne daß dem Anschein nach irgend ein Aufsehen dadurch erregt ward; es ward nichts unterbrochen, man fuhr fort und sein Eintritt ward nur durch eine Stille von einem Augenblicke begleitet."35 32 33
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Chélin (Anm. 1), S. 1 9 - 3 2 . Moritz von Kaisenberg, Die Memoiren der Baronesse Cecile de Courtot, Dame d'auteur der Fürstin von Lamballe Prinzeß von Savoyen-Carignan. Ein Zeit- und Lebensbüd, Leipzig 1898, S. 191. F. A. Mignet, Geschichte der französischen Revolution 1 7 8 9 - 1 8 1 4 , Leipzig (o. J.), S. 461. Buonaparte im Nationalinstitut. In: Europa (Anm. 1), S. 171.
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Aber das war dennoch die Zeit, in der Napoleon zielgerichtet an der Rückverwandlung Frankreichs in eine absolute Monarchie arbeitete 36 und sich auf neue Eroberungskriege vorbereitete. Es war sicher nicht die politisch günstigste Zeit für einen Ausländer, der aus einem Land, dem Frankreich bald kriegerisch gegenüberstehen sollte, mit eigenständigen Ideen kam, deren Tendenz für Napoleons Großmachtpläne unbequem sein konnte, wie sich am vergleichbaren Beispiel der Verfolgung von Madame de Staël bald zeigen sollte. Jedoch besonders günstig war die Zeit in anderer Hinsicht. Zu den ehrgeizigen Plänen des künftigen Kaisers, der noch im akademischen Talar, „in der Uniform der Gelehrten vom Institut" 37 , den Sitzungen des Nationalinstituts beiwohnte und häufig in die Debatte eingriff, gehörte auch Frankreichs geistig-kulturelle Priorität. Der nach der Revolution einsetzende Aufschwung von Technik, Wissenschaft und Kunst, gefördert durch rühm- und beutereiche Siege der noch nach demokratischen Prinzipien aufgebauten französischen Armeen, trug dazu bei, daß Paris zu einer aufblühenden Weltmetropole, zum Mekka für Wissenschafder, Geschäftsleute, Künsder, Techniker, Studenten, Mediziner, Schriftsteller sowie auch anderer Interessenten und Neugierigen aus allen Ländern wurde. Verlage warben unter den Reisenden Korrespondenten für die aktuelle Berichterstattung, Briefe und Reiseberichte aus Paris wurden zu gefragten Publikationen. Es waren noch günstige Zeiten für jenen großen Fremdenzug, „der während des Konsulats und der ersten Jahre des Kaiserreichs von allen Enden Europas nach Paris strömte. Die ersten Kunstschätze der Erde lagen dort aufgespeichert, wie einst im kaiserlichen Rom, und wieder wie in den Tagen des Augustus versammelte sich ein weltbürgerliches Publikum, das mit feinem Urteil aus dem Schönen das Schönste herausfand; erst in der Weltgalerie des Louvre ist die überwältigende Größe Raffaels erkannt worden." Jedoch hätten sich nicht alle Deutschen diesem Rausch hingegeben, und „mitten in dem sinnberückenden Glänze blieb ihnen das Gefühl der eigenen Überlegenheit; sie vergaßen es nicht, daß die Franzosen an dieser zusammengeraubten Herrlichkeit gar kein Verdienst hatten." 38
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Ffriedrich] C[hristoph] Schlosser's Weltgeschichte für das deutsche Volk. Unter Mitwirkung des Verfassers bearbeitet von G. L. Kriegk. Achtzehnter Band, Frankfurt a. M. 1856, S. 41. Europa (Anm. 1), S. 170. Treitzschke (Anm. 29).
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Ihre Reise hatten Schlegel und Dorothea einigermaßen vorbereitet angetreten; es fehlte ihnen nicht an ausführlichen Informationen, Adressen und Empfehlungen, die ihnen Freunde wie Rahel oder Friedrich Tieck mitgaben: an Gustav von Schlabrendorf (1754—1824), den seit der Revolutionszeit in Paris lebenden berühmten deutschen Republikaner, an Franz Michael Leuchsering 39 (1746 — 1827), den ehemaligen Hofmeister des Erbprinzen von Darmstadt, der seit 1792 in Paris lebte und dessen Adresse sich in Dorotheas Einschreibebuch befand 40 , eventuell auch an den berühmten David, in dessen Werkstatt Friedrich Tieck in den Jahren 1 7 9 7 - 1 8 0 1 arbeitete und sich mit seinem Schüler Lorenzo Bartolini ( 1 7 7 7 - 1 8 5 0 ) befreundete. 41 Sie hofften außerdem auf Hilfe einiger ihrer deutschen Freunde und der Geschwister von Dorothea, Henriette und Abraham, die schon seit einiger Zeit in Paris waren. Und in der Tat konnten sie für die erste Zeit bei Dorotheas und Raheis Berliner Freundin Ffanny] von Pobeheim 42 eine Unterkunft finden.43 Weitergehende Hoffnungen zerschlugen sich jedoch bald. Aus allerlei Gründen stießen Friedrich und Dorothea auf verschleierte oder direkte Ablehnung ihrer Landsleute, nicht zuletzt inspiriert von Karoline von Wolzogen, die während ihres viermonadichen Pariser Aufenthalts vehement die Partei ihres Schwagers Friedrich Schiller gegen die Schlegels ergriff. 44 Henriette und 39
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Die Brüder Schlegel. Briefe aus frühen und späten Tagen der deutschen Romantik, hg. von Josef Körner. Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Ges. und eri. durch Josef Körner, Berlin 1926, S. 491. Robert L. Kahn, Fifteen Letters from Friedrich and Dorothea Schlegel to J. G. Schweighäuser, Paris 1 8 0 2 - 1 8 0 4 . In: PMLA Juni 1960, Vol. LXXV, Nr. 3, S. 199. Friedrich Schlegel an Ludwig Tieck, 22. Mai 1802. In: Briefe an Ludwig Tieck. Ausg. und hg. von Karl von Holtei, 4 Bde., Breslau 1864, 3. Bd., S. 323 f. „Pobeheim, F. v., geb. Meyer, vormalige Fränkel (Streütz)" (Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin geord. und verz. von Ludwig Stern, Berlin 1911, S. 598 (künftig: Stern-Katalog). Zu dieser Zeit unterhielt sie auch einen interessanten Salon in der „rue de la Victoire près de celle Montblanc, nro 2", im Hause ihres Mannes, eines Bankiers, in dem viele Deutsche, Franzosen und Schweizer, darunter Pestalozzi, verkehrten. Siehe Johann Friedrich Reichardt, Vertraute Briefe aus Paris. 1802/1803. Hg. und eing. von Rolf Weber, Berlin 1981, S. 259. Schuller (Anm. 30), S. 92. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 15. Januar 1803. In: Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm. Hg. von Dr. Oskar F. Walzel, Berlin 1890, S. 509; auch: Karoline von Wohlzogen an Charlotte von Schiller, 26. Juli und 16. August 1802. In: Charlotte von Schiller und ihre Freunde, hg. von Ludwig Ulrichs, 2 Bde., Stuttgart 1862, Bd. II, S. 77, 83. Zu Friedrich Schlegels Beziehungen zu Schiller vgl. Richard Brinkmann, Romantische Dichtungstheorie
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Abraham betrugen sich „wunderlich", und weder sie noch andere alte Freunde gaben Kredit oder richtige Ratschläge 45 . Das betraf auch die Quartierfrage, so daß die Schlegels zuerst die für ihre Möglichkeiten viel zu teure Wohnung in der „rue Cadet Faubourg Montmartre" 46 mieteten. Erst im September, als sie sich schon selbst umgeschaut hatten, fanden sie eine viel günstigere und schönere Wohnung in der „rue Clichy nro. 19" 47 , einer inmitten von Feldern liegenden, damals noch kaum zugebauten, zum Montmartre ansteigenden Straße, nordwestlich vom Stadtzentrum. Das Haus lag hoch über der Stadt, so daß sich aus seinen Fenstern ein herrliches Panorama der Weltstadt eröffnete. Und hinter ihm erhoben sich die Hügel von Montmartre, eine damals noch mit einer Steinmauer von Paris abgetrennte ländliche Vorstadt. Auf diesen Hügeln stand, neben mehreren Windmühlen und einer „artigen" Dorfkirche, auf einem hölzernen „Türmchen" 48 eine technische Neuheit, der von den Brüdern Chappe ausgebaute optische Telegraph, der mit einem anderen auf dem Louvre korrespondierte und zu einer Linie gehörte, die nach Brüssel ging.49 Weniger als zwanzig Jahre später wurde dieser Telegraph durch den ersten praktischen elektromagnetischen Telegraphen überholt, erfunden von Hans Christian Oersted 50 , der
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in Friedrich Schlegels Frühschriften und Schlegels Begriffe des Naiven und Sentimentalischen. Vorzeichen einer Emanzipation des Historischen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft u. Geistesgeschichte (künftig: DVS), 32. Jg., Heft 3/Juli, 1958, S. 3 4 4 - 3 7 1 . Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802], In: Briefe von Dorothea Schlegel an Friedrich Schleiermacher, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, N. F. 7, Berlin 1913, S. 1 1 9 - 1 2 1 (künftig: Litteraturarchiv). Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 16. September 1802. In: Walzel (Anm. 44), S. 499. Ebd. John Pinkerton, Louis Sébastien Mercier, Carl Friedrich Cramer, Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an. Erstmals erschienen im Jahre 1807, neu hg. u. ausgew. von Klaus Linke, Leipzig 1980, S. 26. J. F. Benzenberg, Briefe geschrieben auf einer Reise nach Paris im Jahre 1804. Erster Theil. Bei den Gebrüdern Mallinckrodt, Dortmund 1805, S. 244 f. Hans Christian Oerstedt (1777-1851), einer der berühmtesten dänischen universellen Naturwissenschaftler, 1806 Professor für Physik an der Universität Kopenhagen, zugleich Lehrer für Naturwissenschaften am Landeskadettenkorps und am Militärinstitut, 1815 Sekretär der Königlichen Dänischen Gesellschaft für Wissenschaft, 1820 Ehren- und dann Korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Verfasser mehrerer naturwissenschaftlicher Werke, Freund von Steffens, Schelling, Niebuhr u. a. Vgl. H. K. Eggers, Aus dem Familienkreise der Eggers: Die Detmering, Nyholm, von Sprewitz, Örsted, Hudtwalker.
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in Paris zu den Hörern von Schlegels Vorlesungen und Stammgästen seiner Teeabende gehörte. In dieser Zeit experimentierte Oersted zu damals aktuellen Fragen des Ubergangs vom Galvanismus zum Beginn der modernen Elektrizitätsforschung, und er publizierte dazu in der Europa.51 Das Haus soll früher dem Baron Paul-Henri Dietrich d'Holbach gehört haben, einem aus der Pfalz stammenden Deutschen, der sein ganzes Leben in Frankreich verbrachte und seit 1751 zu den produktivsten Mitarbeitern der Encyclopédie zählte. Wie bekannt, versammelte sich um Holbach eine Gesellschaft, die den Kern und zugleich den atheistisch-materialistischen Flügel der Enzyklopädisten bildete: Diderot, Helvetius, Baron Grimm, Marmontel und andere, anfangs waren auch Buffon und Rousseau unter den ständigen Gästen, die Voltaire seine „Brüder" nannte. 52 Gewußt haben Friedrich Schlegel und seine Gäste von dieser ruhmvollen Tradition des Hausherrn, allein schon durch den alten Portier, der immer noch derselbe war und den atheistischen Geist seines erst 1789 verstorbenen Herrn bewahrte. 53 Aber dieses Erbe der Aufklärung wollte Friedrich auf keinen Fall antreten, er beabsichtigte im Gegenteil, auf dem traditionsträchtigen Boden von Paris mit den eigenen Ideen der Romantik zu agieren und eine eigene Enzyklopädie der Romantik herauszugeben. 54 Ins „Maison d'Holbach" zogen Dorothea, Friedrich und der kleine Philipp Ende November bzw. Anfang Dezember 1802 um. 55 Aus Doro-
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IV. Die Örsted. In: Vierteljahrschrift für Heraldik, Sphragistik und Genealogie, Berlin 1880, S. 1 0 7 - 1 1 2 ; BBAWAA (Anm. 31), Historische Abt., Abschn. II, Akten der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1 8 1 2 - 1 9 4 5 , Personalia. Mitglieder. II-III, 114, Bl. 136, 137; Die Briefe Barthold Georg Niebuhrs, hg. von Dietrich Gerlach und William Norvin, Bd. II, Berlin 1929; Werner Hartkopf, Die Berliner Akademie der Wissenschaften. Ihre Mitglieder und Preisträger. 1 7 0 0 - 1 9 9 0 , Berlin 1992, S. 266; Dansk Biografisk Leksikon, XXVI, S. 5 7 5 - 5 7 7 . O., Uebersicht der neuesten Fortschritte der Physik. In: Europa (Anm. 1), 1. Bd., H. 2, S. 2 0 - 4 8 . Jean-Francois Marmontel, Erinnerungen an Philosophen und Aktricen, Leipzig 1979, S. 210. Sulpiz Boisserée, Tagebücher 1 8 0 8 - 1 8 5 4 . Hg. von Hans-Joachim Weitz. Bde. 1 - 4 , Darmstadt 1 9 7 8 - 1 9 8 5 , Bd. 1, S. 21. Behler, Zeitschriften (Anm. 1), S. 83. Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802], In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 120; auch aus Dorotheas Brief an Helmina von Hastfer vom 25. August 1802 geht hervor, daß Dorothea und Friedrich noch in der alten Wohnung waren. Vgl. Caroline und Dorothea Schlegel in Briefen. Hg. von Ernst Wieneke, Weimar 1914, S. 353.
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theas Beschreibung in ihrem ersten Brief aus Paris vom 21. November 1802 an Schleiermacher geht hervor, daß die Wohnung gerade für drei Personen passend war: „wir haben in einer der schönsten Straßen in Paris, in einem großen Hotel, wobey ein sehr großer Hof, großer Garten, und orangerie Haus, im zweiten Stockwerk, eine Wohnung von drey Zimmer, und ein Kabinett, für 500 francs jährlich, das sind 125 Rsthl. sächs."56 In dieser Wohnung veranstalteten Dorothea und Friedrich jeden Sonntag einen literarischen Teeabend, wie Friedrich an August Wilhelm schrieb: „nach dem Beispiel Eures Sonnabends".57 Johann Friedrich Reichardt, der in seinen „Vertrauten Briefen" am 5. März 1803 über die Landsleute in Paris berichtete, erwähnte unter anderem, daß „auch unser geistreiches Ehepaar Schlegel-Mendelssohn [...] oft einen kleinen, echt deutschen Zirkel um ihren freundlichen Teetisch" versammelt.58 Eine andere, kaum bekannte Beschreibung gibt uns Carl Gottlieb Horstig59, der sich mit seiner Frau und dem Sohn Eduard Anfang 1803 auf einer Europareise befand und darüber ein interessantes Reisebuch schrieb. „In einer freundlichen Gartenwohnung an der Strasse, die zum Montmartre führt, fanden wir Friedrich Schlegel, der mit der Tochter Mendelsohns, die von ihrem ersten Gemahl ihm zwey erwachsene Söhne zugeführt hat, seit einem halben Jahre sich in Paris aufhält. Er geleitete uns von seiner Wohnung wieder mitten in die Stadt zurück in sein Athenée des étrangers ein geschmackvolles Auditorium, worin der philosophische Aesthetiker den Teutschen und ihren Geschwisterkindern, den Schweizern, Dänen etc. zwanzig bis dreyssig an der Zahl, alle Sonntage eine Vorlesung über die neuesten Fortschritte der Philosophie in Teutschland lieset. Heute 56
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Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802], In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 120. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 16. September 1803. In: Walzel (Anm. 44), S. 501. Damit meinte Friedrich die Geselligkeit im Jenenser Kreis von Caroline und August Wilhelm Schlegel. Reichardt (Anm. 42), S. 260. Carl Gottlieb Horstig (1763-1835), Theologe, Pädagoge, Komponist, Schriftsteller und Mitarbeiter mehrerer Periodika, Erfinder des nach ihm benannten Zweitältesten deutschen Stenographiesystems, auf dessen Grundlage die erste praktische Anwendung der Stenographie in den Kammerverhandlungen der Landtage in Baden, Württemberg, Hessen u. a. beruhte. ADB, Bd. 13, S. 791 f.; Meyers Konversations-Lexikon, 1909, Bd. 18, S. 930-11; Briefe von Carl Gottfried Horstig an Carl August Böttiger, aus den Jahren 1802—1804. In: Sächsische Landesbibliothek Dresden, Handschriftensammlung, Mscr. Dresd. h 37, Bd. 91 (4°), Nr. 7 — 15 (künftig: SL/Dresden).
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sprach er von Leibnitz, Kant, Fichte, Jakobi. Sein Vortrag ist so angenehm und so verständlich, wie es die Natur des Gegenstandes nur immer zulassen kann. Ein feiner Sinn und ein hervorsprechendes Gefühl für Bildung zum Schönen giebt seiner Sprache eine ganz besondere Anzüglichkeit. Viele seine Zuhörer und Zuhörerinnen — denn auch das weibliche Geschlecht findet in Paris Geschmack an strenger Wissenschaft - versammeln sich des Abends oft bey ihm zu einem Thee, und bilden einen angenehmen und lehrreichen Zirkel, worin der Teutsche Fremdling in seiner Muttersprache eine sehr willkommene Unterhaltung finden kann." 60 Im Freundinnenkreis zu verkehren, war schon immer ein Bedürfnis Dorotheas, „das Bedürfnis nach Umgang" 61 . Leseabende in ihrem väterlichen Hause und später im Hause ihres ersten Mannes, „Tugendbund", Salons ihrer Freundinnen Henriette Herz, Rahel, Sara Grothuß u. a., das kannte Dorothea sehr gut, das war ein untrennbarer Teil ihres Lebens in Berlin gewesen. Im Salon von Henriette Herz hatte sie Friedrich kennengelernt, der ebenso öfter Gast in anderen Berliner Salons war. In Jena hatten sie schon eigene Erfahrungen einer produktiven Haus- und Wohngemeinschaft gesammelt, die zwar mit Zerwürfnis endete, aber in vielerlei Hinsicht das bedeutendeste Modell der frühromantischen Geselligkeit bildete. Auch später in Wien versammelten sich Freunde um Dorothea und Friedrich. 62 Aus dieser Zeit vermittelt eine Varnhagensche Notiz von 1815 die lebhafte Diskussion im Schlegelschen Kreis. 63 In Paris empfand Dorothea in erster Linie „die recht schmerzhafte Sehnsucht nach den deutschen lieben Freunden", die sie in Berlin und Dresden zurückgelassen hatte. 64 Das Bedürfnis nach Freundschaft war aber für Dorothea und Friedrich nicht nur eine starke Empfindung, „in der Freundschaft nennt Friedrich 60
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Reise nach Frankreich, England und Holland zu Anfange des Jahres 1803 gemacht und beschrieben von C. G. Horstig, Berlin 1806, S. 91 f. Dorothea an Karoline Paulus, Weihnachten 1805. In: Briefe von Dorothea und Friedrich Schlegel an die Familie Paulus, hg. von Rudolf Unger. (Deutsche Literaturdenkmale, Nr. 146, 3. Folge, Nr. 26), Berlin 1913, S. 76. Caroline Pichler geborne von Greiner, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. Mit einer Einl. und zahlreichen Anmerkungen nach dem Erstdruck und der Urschrift neu hg. von Emil Karl Blümml, 2 Bde., München 1914, Bd. I, S. 329, 596. Irina Hundt, Zur Biographie von Rahel Levin Varnhagen. Aufzeichnungen ihres Mannes Karl August Varnhagen von Ense. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 3, Berlin 1994, S. 345 (künftig: ZfG). Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802]. In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 120.
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sich ,eine unersättliche Bestie' " 6 5 , sondern bildete einen unverzichtbaren Bestandteil seiner Theorie der Geselligkeit. In den drei „Bereichen" Freundschaft, Liebe und Gesellschaft erblickte er „die Möglichkeiten zur Kommunikation, deren Notwendigkeit" er „nicht nur unmittelbar als Bedürfnis fühlt, sondern auch für das Zustandekommen von ,Bildung' anerkennt: ,Nur der Mensch unter Menschen kann göttlich dichten und denken und mit Religion leben'". 6 6 Sie schafft „geselligen Genuß" und ebenso Anregung und Schaffenskraft. Es ist gewiß zutreffend, wenn über Friedrich geurteilt wurde: „Wo ihm das Zusammensein selbst als primärer Zweck realisiert erscheint, da fühlt er sich am meisten ,zu Hause'; und dort fallen ihm auch seine Arbeiten am leichtesten, wo sie nicht direkt angestrebt werden, sondern wie nebenbei aus der lebendigen Atmosphäre der Gemeinsamkeit hervorzugehen scheinen." 67 Die Verflechtung von Studien, Arbeit und Publikation mit dem gemeinsamen Wohnen von Freunden war ein von den Frühromantikern öfter praktiziertes Modell, eines der von ihnen entwickelten Ideale menschlicher Verbindungen, einer idealen Gesellschaft, in der Toleranz und Aufgeschlossenheit die Grundgedanken bildeten. Dorothea schrieb einmal: „man sollte nicht so spröde seyn, wenn es Menschen giebt, die sich gern am Guten anschließen, und an dem Guten mit Herzhaftigkeit Theil wollen" 68 . Schon nach einigen Wochen des Pariser Aufenthalts boten sie ihrer neuen Freundin Helmina von Hastfer an, mit ihnen zusammenzuziehen, und Dorothea träumte von einem Zusammenleben im Freundeskreis: es „ließe alles gut sich einrichten, wenn wir mit lieben Freunden zusammen seyn, wenn uns der häusliche Zirkel, und ein gemeinschaftliches Leben und Wirken Luft und Muth zu Entbehrungen verlieh." 69 Dieses Zusammenleben konnten sie aber erst im Sommer bzw. im Frühherbst 1803 organisieren, als es Dorothea gelang, zur Verbesserung ihrer sehr schwie65 66 67 68
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Hoffmann-Axthelm (Anm. 7), S. 163. Ebd., S. 162 f. Ebd., S. 170 f. Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802]. In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 124. Dorothea Schlegel an Helmina von Hastfer, 25. August 1802. In: Wieneke (Anm. 55), S. 355. Dorotheas Einladung für Helmina, zusammenzuziehen, klang fast so, wie zwei Jahre zuvor an Rahel. Vgl.: Dorothea an Rahel Levin, 23. Januar 1800. In: Dorothea v. Schlegel geb. Mendelssohn und deren Söhne Johannes und Philipp Veit. Briefwechsel im Auftrage der Familie Veit hg. von J. M. Raich, 2 Bde., Mainz 1881, 1 Bd., S. 28.
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rigen materiellen Lage 70 eine der damals in Paris üblichen kleinen Pensionen zu eröffnen und einige gute Freunde als Pensionäre zu gewinnen. 71 Mit diesen teilten sie nun in der rue de Clichy 19 eine ganze Etage: ein Zimmer für Helmina von Hastfer, der Salon mit Kamin für Alexander Hamilton, ein Zimmer für Gottfried Hagemann, einige Zimmer für die Brüder Boisserée und ihren Freund Bertram, und für sich „ein großes Zimmer mit einer Art Alkoven und einem Kabinet, wo Friedrich zu arbeiten pflegte." 72 Die Pensionäre wurden nicht zufällig genommen, sondern in erster Linie nach gegenseitiger Sympathie und gleichen Interessen ausgewählt: eine vertraute Freundin, ein Sprachlehrer und ein Sprachschüler, drei Zuhörer von Friedrichs Vorlesungen. Uber die heitere und belehrende Geselligkeit unter den Hausgenossen schrieb Sulpiz Boisserée in seinen Tagebüchern: „Was haben wir nicht den Tischgesprächen, was den vertraulichen Abendunterhaltungen am Kamin, durch Aneignung oder durch Widerspruch zu verdanken." 73 Mit der Einrichtung der Pension/Hausgemeinschaft, die bis zu Friedrichs Abreise in Begleitung der Brüder Boisserée und Johann Bertrams Ende April 1804 nach Köln bestand, nahm die Schlegelsche Geselligkeit ihre abschließende „mehrschichtige" Gestalt an: Angehörige der Hausgemeinschaft, einige besonders nahe Freunde, Zuhörer der Vorlesungen und sonstige Gäste der Teeabende. 74 Diese „Schichten" waren nicht ab70
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Über Dorotheas Verzweiflung an ihrer Situation in Paris spricht ihr Brief an Schleiermacher Ende 1802 oder Anfang 1803. In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 126 f. Dorothea an Simon Veit in Berlin, 15. Oktober 1803. In: Raich (Anm. 69), S. 116. Boisserée (Anm. 53), S. 20, 22. Ebd., S. 22. Neben dem engeren Kreis der Hausgenossen und Freunde gab es eine größere Zahl von Gästen, die die literarischen Abende bei Dorothea und Friedrich am Sonntag besuchten. Einige kamen öfter, andere nur selten, und es gab auch eine Anzahl zufalliger Gäste aus Deutschland, die nach Paris kamen, um dessen Sehenswürdigkeiten zu bewundern, und es auch für wichtig hielten, den Salon ihres berühmten Landsmannes zu besuchen. Einer der ersten war der preußische Offizier Georg Ulrich Ludwig Joachim Freiherr von Otterstedt (1769-1850), damals noch ein guter Freund Raheis, der sich seit 1801 in Paris befand (Aurikeln. Eine Blumengabe von deutschen Händen, hg. von Helmina von Chézy geb. Freyin von Klencke, Berlin 1818, S. 138; künftig: Aurikeln. Rahel-Bibliothek. Rahel Varnhagen. Gesammelte Werke, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Uwe Schweikert und Rahel E. Steiner. 10 Bde., München 1983, Bd. 10, S. 257; künftig: Rahel-Bibliothek. ADB, Bd. 52, S. 731—733). Unter den „fleisigsten Zuhörern" befand sich der aus Peterburg kommende Otto Böthlingk mit seiner Frau, gute Bekannte von Johann
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solut getrennt, sondern vermischten sich miteinander durch teilweise gemeinsame Studien und Arbeiten. Die Zusammensetzung der Hausgemeinschaft in der rue de Clichy sowie des Kreises der Freunde und Bekannten, die zu den Teeabenden kamen, war in erster Linie durch die Persönlichkeit Friedrich Schlegels, seine Interessen und die enorme Vielfalt seiner Beschäftigungen bedingt: Studien der orientalischen Sprachen, Herausgabe der Zeitschrift Europa, Vorlesungen usw. Man kann Feilchenfeldt 75 und Seibert 7 6 kaum folgen, wenn sie schreiben, daß Dorothea als Salonnière auftrat. Die Umstände ihres Zusammenlebens mit Schlegel als zunächst konventionell nicht anerkannte Frau, zudem stark beeinflußt durch die Persönlichkeit ihres Mannes, bedrückten ihr Selbstgefühl wenigstens so weit, daß sie jegliche betonte Hervorhebung ihrer Person vermied und sich äußerlich in den Schatten Friedrichs und seiner Interessen und Beschäftigungen zurück-
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Ludwig von Knorring. (Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 1. April 1803. In: Walzel, wie Anm. 43, S. 510). Außerdem besuchten die Schlegelschen Vorlesungen Carl von Muralt aus der Schweiz, später Bürgermeister in Zürich (Helmine von Chézy, geb. Freiin Klencke, Ueberlieferungen und Umrisse aus Napoleon's Tagen: 3. Friedrich und Dorothea von Schlegel in Paris. In: Der Freihafen. Galerie von Unterhaltungsbildern aus den Kreisen der Literatur, Wissenschaft und Kunst, hg. von Theodor Mündt, Altona 1840, IV, S. 53; künftig: Freihafen. Helmina von Chézy, Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben von ihr selbst erzählt. 1. und 2. Theil, Leipzig 1858, 1. Theil, S. 247; künftig: Unvergessenes). Vermutlich war es Hans Konrad Muralt (1779 — 1869), später ein bedeutender schweizer Politiker (ADB, Bd. 23, S. 54); Graf von Hardenberg (Unvergessenes, ebd., S. 247). Vermutlich war es der damalige preußische Außenminister Fürst Karl August von Hardenberg (1750-1822), ADB, Bd. 10, S. 572); Baron von Revendow mit seiner Frau geb. von Reizenstein (Freihafen, ebd., S. 67 und Unvergessenes, ebd., S. 247); Graf Hans von Bülow (1770—1825), späterer preußischer Staatsminister (Unvergessenes, ebd., S. 247); Graf Georg Friedrich Wilhelm von Platen (Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 26. März 1804. In: Krisenjahre, wie Anm. 19, S. 67) u. a. Der Kreis wurde auch dadurch erweitert, daß Schlegel in manchen Fällen selbst die Gäste einlud, um sie miteinander bekanntzumachen; so bat er de Villers zu sich, um ihm den Comte Escherny vorzustellen (Briefe von Karl von Holtei, aus dem Goethekreis, von Jacob Grimm, den Humboldts, Schlegels, Chr. F. Krause, Baggesen, Overbeck u. a. Mitgeteilt von M. Grunwald, Hamburg. In: Nord und Süd, Bd. 84, 1898, S. 109). Konrad Feilchenfeldt, Geselligkeit: Salons und literarische Zirkel im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 1. Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Hg. von Gisela Brinker-Gabler, Berlin 1988, S. 410. Seibert (Anm. 2), S. 357.
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zog. Ihre Übersetzungen und andere Arbeiten erschienen unter seinem Namen. Doch durch ihren Geist und Charakter war sie im Kreise der Freunde eine glückliche Ergänzung ihres Mannes und verlieh der Atmosphäre dieser Geselligkeit durchaus einige ihrer Eigenschaften. Innerlich war sie von ihrem Wert und ihrer Rolle durchaus überzeugt, wie einige Stellen aus ihrem in Paris geführten Tagebuch belegen: „Je grösser der Einfluss ist, den eine Frau über das Urtheil ihres Mannes hat, desto vorsichtiger sei sie, ihn zu bestimmen, desto gewissenhafter muss sie sein; denn nun hat sie für zweie Rechenschaft abzulegen. Zu einer rechten, ächten Ehe gehört nothwendig, dass die Frau sich auch für die Geschäfte des Mannes interessirt und soviel möglich daran Theil nimmt. Es giebt kein Fach und keinen Stand, in welchem sie dies nicht mit Anstand, ja mit Anmuth zu thun vermöchte. [...] Es ist die einzige Art, sich auf eine dauerhafte und gründliche Weise die Anhänglichkeit des Mannes und die Herrschaft des Hauses zu versichern. Der letzten muss die Frau gewiss sein, aber nie sich darauf stützen oder Gebrauch davon zum Nachtheil oder zur Vernachlässigung und Erniedrigung des Mannes machen." 77 Etwa im Sommer 180 3 7 8 zog Helmina (eigd. Wilhelmina Christiana) von Hastfer (1783-1856) aus dem Hause des Buchhändlers Henrichs in die rue de Clichy um. Sie war eine junge Urberlinerin, Enkelin von Anna Luisa Karschin und Tochter der heute vergessenen Dichterin Caroline Luise von Klencke - also eine Schriftstellerin in 3. Generadon, oder, wie Engels ein halbes Jahrhundert später, halb spöttischer Literaturkritiker, halb „Macho", formulierte: deutscher „Erbblaustrumpf in der dritten Generation." 79 Helmina war auf Einladung von Felicitas de Genlis im Juni 1801 nach Paris gekommen und hatte eine journalistische Laufbahn eingeschlagen. Es gab mehrere Gründe für eine Einladung zum gemeinsamen Wohnen. Dorothea kannte Helminas Großmutter, eine Freundin ih77 78
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Aus Dorotheas Tagebuch. In: Raich (Anm. 69), S. 124 f. J. F. Reichardt, der in Paris vom 4. November 1802 bis zum 9. April 1803 weilte, erwähnte Helmina als Mieterin beim deutschen Buchhändler Henrichs. Vgl. Reichardt (Anm. 42), S. 92. A m 10. Juni 1803 schrieb Achim von Arnim aus Calais einen Gedicht-Brief an sie und adressierte ihn an Henrichs Adresse in der rue de la Loi 1231. Vgl. Hermann F. Weiss, Unveröffendichte Briefe Achim von Arnims nebst anderen Lebenszeugnissen. I. In: Literaturwissenschafdiches Jahrbuch. Im Auftrage der Görres-Gesellschaft hg. von Hermann Kunisch, Theodor Berchem und Franz Link. Neue Folge, 21. Bd., 1980, S. 119 f. Friedrich Engels, Von Paris nach Bern. In: M E W (Anm. 18), Bd. 5, S. 468.
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res Vaters. 80 Ein Anklang an diese Freundschaft fand in Paris statt, als Dorothea und Friedrich im Sommer 1802 Helmina in Versailles besuchten, die bei einem alten Bekannten und Verehrer der Karschin und von Moses Mendelssohn, dem Grafen Franfois-Louis d'Escherny, einige Zeit gewohnt hatte 81 . Außerdem war Helmina in dieser Zeit mit Johann Gottfried Schweighäuser, in Deutschland bereits als Philologe und Journalist bekannt, verlobt, den sie in der Bibliothek des Arsenals kennengelernt hatte und der sie zu Dorothea und Schlegel mitnahm 82 . Sie und Schweighäuser waren es, von denen, unerwartet für Dorothea und Friedrich, in ihren ersten schwierigen Pariser Tagen großzügige, auch materielle 83 Hilfe kam, als alle anderen Verwandten und Freunde sie in dieser Hinsicht enttäuschten 84 . Das schätzten Dorothea und Friedrich besonders hoch 8 5 . Helmina hatte in Paris keine vertraute Freundin gehabt, auch Dorothea vermißte die zu dieser Zeit etwas abgekühlte Freundschaft von Karolina Paulus 86 und fühlte sich in Paris allein, so daß sich trotz des 20jährigen Altersunterschieds beide Berlinerinnen schnell und leicht befreundeten. 87 80 81
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Unvergessenes (Anm. 74), S. 258. Ebd., S. 240. - François-Louis d'Escherny comte du St-Empire (1733-1815) war Historiker, Philosoph und politischer Schriftsteller, vertrauter Freund d'Alemberts, Diderots, Rousseaus, Kannitz', Herzbergs u. a. Biographie Universelle (Michaud), 13 torn, p. 14-17. Unvergessenes (Anm. 74), S. 258. Helmina von Chézy [Über Pariser Aufenthalt], In: BBAWAA (Anm. 31), auch Unvergessenes (Anm. 78), S. 295 f. Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802]. In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 119 f. In dieser Hinsicht besonders bezeichnend ist Friedrichs Verteidigung Helminas gegenüber seiner Schwester, als die „Frivolität" ihrer Artikel und ihres Benehmens in Deutschland bekannt geworden waren. Vgl. dazu: Friedrich und Dorothea Schlegel an Charlotte Ernst, 10. April 1804. In: Krisenjahre (Anm. 19), S. 73. Unger (Anm. 61), S. XII. Vgl. Carola Stern, „Ich möchte mir Flügel wünschen". Das Leben der Dorothea Schlegel, Reinbeck bei Hamburg 1990, S. 182. Diese Freundschaft blieb trotz mancher zeitweiliger Verstimmungen bis in die späten 1820er Jahre erhalten, und nach Dorotheas Tod 1839 setzte ihr Helmina in der „Allgemeinen Zeitung" (Augsburg) in Form eines Nekrologs ein Denkmal, in dem sie versuchte, Dorotheas beste Zeit und ihre emanzipatorische Leistung der Vergessenheit zu entreißen, sie vor der Heiligsprechung durch die „Partei der Obskuranten" zu retten und auf die Notwendigkeit der Herausgabe ihrer Werke und Briefe hinzuweisen. Dieser Nekrolog rief eine wütende Erwiderung hervor, merkwürdigerweise von einer Frau, Caroline von Schaden. Daraufhin verteidigte Helmina ihre Position. Als die Polemik sich auszudehnen schien, wurde sie auf Verlangen von Dorotheas
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Und nicht die letzte Rolle spielte es, daß Helmina eine eifrige Zuhörerin von Friedrichs Vorlesungen war 88 und sofort in die gemeinsame Arbeit einbezogen wurde. Mit ihrer leicht und fröhlich entworfenen journalistischen Arabeske Aus dem Briefe einer Deutschen gehörte sie zu den ersten Autoren der Europa. Nach Schlegels Plan sollte sie damit der Belebung der Zeitschrift und dem Amusement ihrer Leser dienen89, was sie auch tat. Aber sie leistete mehr, indem sie ζ. B. durchaus kritisch zum Thema „Geselligkeit" reflektierte. In diesem Artikel schildert sie voller Ironie einen Abend „im Hause einer Pariser Dame", „Sammelplatz der hiesigen Gelehrten und Künstler", an dem „die schönen Geister" die Unterhaltung nach vorher abgesprochenen und sogar vornotierten Texten sowie nach bestimmter Subordination führten 90 . Im Auftrage Friedrichs beteiligte sie sich zusammen mit Dorothea an Ubersetzungen aus altfranzösischen Romanen91, und Dorothea unterstützte sie bei den von ihr herausgegebenen Französischen Miscellen92 und bei der Ubersetzung der Romane von Felicite de Genlis wie La Duchesse de la Valiere und von Julie von Krüdeners Valérie ou lettres de Gustave de Linar à Ernest de G.93 Auch erlaubte Dorothea Helmina, ihren Brief aus Köln vom 19. September 1804 über den Besuch Napoleons in Köln für ihren Beitrag zu den Miscellen94 und für das Werk Leben und Kunst in Paris95
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Familienangehörigen beendet (AAZ, Nr. 241 vom 29. 8. 1839, Beilage; Nr. 275 vom 2. 10. 1839 und Nr. 302 vom 29. 10. 1839). Briefe von der Wanderung und aus Paris von Carl Benedict Hase, hg. von 0 . Heine, Leipzig 1894, S. 103. Friedrich Schlegel an Friedrich Wilmans, 13. August 1802. In: Körner, 1926 (Anm. 39), S. 42. Europa (Anm. 1), S. 161-163. Franz Deibel, Dorothea Schlegel als Schriftstellerin im Zusammenhang mit der romantischen Schule. In: Palaestra, XL, 1905, S. 117; Liselotte Dieckmann, Einleitung. In: Friedrich Schlegel/ΚΑ (Anm. 25), 3. Abt.: Editionen, Übersetzungen, Berichte. Bd. 33. Sammlung von Memoiren und romantischen Dichtungen aus altfranzösischen und deutschen Quellen. Eingel. und hg. von Liselotte Dieckmann, Paderborn, München, Wien 1980, S. VII-XXV. D., Die französischen Denkmäler. Im Kloster der petits Augustine. Nach dem Französischen von Mercier. In: Französische Miscellen, Tübingen 1803, IV. Bd., 1. Heft, S. 1 2 - 1 7 (künftig: Miscellen). Deibel (Anm. 91), S. 135 - 1 3 9 ; vgl. auch: Friedrich Schlegel an Friedrich Wilmans, 3. Februar 1804. In: Krisenjahre (Anm. 19), S. 64. Wienecke (Anm. 55), S. 370 f.; Miscellen (Anm. 92), VIII. Bd., 1. Heft, S. 1 0 - 1 4 . Helmina von Hastfer geb. von Klenk, Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten, 2 Theile, Weimar 1805-1806, 1. Th., S. 4 0 - 4 6 .
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zu benutzen. Die Zusammenarbeit der beiden Frauen hatte drei Jahre später eine gewisse Fortsetzung, indem Dorothea Madame de Staëls Roman Corinne, ou de l'Italie übersetzte, der 1 8 0 7 / 0 8 unter dem Namen Friedrichs erschien, und Helmina ihn rezensierte. 96 Durch ihr Leben im Hause von Madame de Genlis, durch ihre Wißbegier, die sie in den Pariser Bibliotheken, v o r allem in der Nationalbibliothek und der Bibliothek des Arsenals, sowie in öffentlichen Vorlesungen, die im Nationalinstitut gehalten wurden, zu befriedigen suchte, schließlich durch ihre Tätigkeit als Redakteurin einer Zeitschrift wurde sie mit vielen französischen Persönlichkeiten bekannt, die das geistige Leben von Paris bestimmten und teilweise auch zum Hof des Ersten Konsuls gehörten: Madame Fanny de Beauharnais 97 , Juliette Récamier 98 , Vivant D e n o n " , Aubin-Louis Miliin 1 0 0 , Josef-Marie Degérando 1 0 1 und seine Frau sowie 96
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H. C , Ueber Corinna von Frau von Staël. An eine Freundin. Paris im August 1807, in: Journal des Luxus und der Moden, hg. von F. J. Bertuch und G. M. Kraus (Nachdruck von Werner Schmidt, Hanau 1967-1970), S. 138-144. Comtesse Fanny de Beauharnais geb. Marie Anne Françoise Mouchard (1738-1813), berühmte und einflußreiche Schriftstellerin, Verwandte von Josephine, Napoleons Gattin, unterhielt einen bedeutenden Salon. Michaud (Anm. 81), 3 tom, p. 372-374. Jeanne-Franpoise-Juliette-Adélaïde Récamier geb. Bernard (1777-1849), eine der schönsten und geistreichsten Frauen in Paris, unterhielt einen berühmten Salon, Gegnerin Napoleons, Freundin Madame de Staëls, bei der sie nach der Verbannung aus Paris durch Napoleon im Jahre 1811 eine zeitlang lebte. Erst nach der Restauration kehrte sie nach Paris zurück, lebte von 1819 an wegen des Bankrotts ihres Mannes, des Pariser Bankiers Jacques R. Récamier, zurückgezogen in der säkularisierten Abtei Abbaye-aux-Bois in St.-Germain. Michaud (Anm. 81), 35 torn, p. 296-300. Dominique Vivant Denon (1747-1825), Zeichner, Radierer, Kunstgelehrter, der Napoleon bei seiner Expedition nach Ägypten begleitete und 1804 zum Generalinspektor der Pariser Museen ernannt wurde. Michaud (Anm. 81), 10 tom, p. 420-424. Aubin-Louis Miliin (1759-1818), Botaniker, Archäologe, Antiquar, Professor der Antike und Herausgeber des Magasin encyclopédique, ouJournal des sdences, des lettres et des arts, das auch durch zahlreiche Beiträge über deutsche Kultur, Literatur, Kunst und Wissenschaft den französischen Leser informierte. Er leitete das antiquarische Kabinet an der Nationalbibliothek und wohnte in demselben Gebäude. Hier versammelte sich jeden Mittwoch von sieben bis zehn Uhr eine Abendgesellschaft, die von mehreren Deutschen besucht wurde. Vgl. Reichardt (Anm. 42), S. 40 f.; Horstig (wie Anm. 60), S. 3 9 - 4 5 , 1 0 6 ; Michaud (Anm. 81), 28 tom, p. 304-306. Josef-Marie Degérando (1772-1842), philosophischer Schriftsteller, Mitarbeiter und Redakteur mehrerer einflußreicher französischer Periodika, Freund Madame de Staëls, Bruder des Innenministers und selbst hoher Beamter; gehörte zu denje-
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viele andere standen gut zu der jungen, aufgeweckten und unkonventionellen Deutschen, die durchaus Charakterzüge einer Französin hatte, und luden sie in ihre Salons, zu Spazierfahrten, ins Theater oder zum gemeinsamen Besuch der öffentlichen Vorlesungen ein. 1 0 2 Auch zu den vielen in Paris lebenden Deutschen vermochte Helmina freundschaftliche Kontakte zu pflegen, ζ. B. zu Henriette Mendelssohn oder sogar zu Karoline von Wolzogen, die sie bei ihrem Gang durchs Musée de National begleitete 103 . Gustav von Schlabrendorf, der sonst ein Eremitenleben führte, kam zu ihr, um eine Enkelin seiner Freundin Karschin kennenzulernen 104 . Freundschaftliche Beziehungen unterhielt Helmina auch zum Pastor an der schwedischen Botschaft Christian Karl Gambs 1 0 5 , den sie im Frühjahr 1802 kennenlernte. 106 Diese Bekanntschaft vermittelte Helmina Dorothea und Friedrich, als Friedrichs Abreise nach Köln feststand; Gambs bereitete Dorotheas Taufe vor und wurde dann am 6. April 1804, wie elf Jahre zuvor für Madame de Staël, auch für sie der Trauvater. 107 Helmina war ebenso öfter Gast in anderen deutschen Salons bzw. Geselligkeitskreisen, wie im Hause des preußischen Gesandten in Paris, des Grafen Girolamo Lucchesini 108 (1751 - 1 8 2 5 ) , oder beim bekannten deut-
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nigen Franzosen, die sich für die Verbreitung der deutschen Kultur und Wissenschaft in Frankreich einsetzten. Mit seiner aus dem Elsaß stammenden Frau war Helmina innig befreundet. La Grande Encyclopédie, 3 torn, p. 1137 f.; Chélin (Anm. 1), S. 45 f., 49. Unvergessenes (Anm. 74), S. 233-235, 278, 296 f.; BBAWAA (Anm. 31), Nachlaß Chézy, Nr. 13, „Michaelis"; Josef-Marie De Gerando à Madame d'Astfer, 7 Vind. an 12 [1. Oktober 1803]. In: ebd., Nr. 333. Unvergessenes (Anm. 74), S. 271. Ebd., S. 242. Der Kaplan an der schwedischen evangelischen Gesandtschaftskapelle Christian Karl Gambs stammte aus dem Elsaß, war Gelehrter, Dichter und Verfasser vieler Predigtsammlungen und religiöser Werke. 1786 vollzog er die Trauung des Schwedischen Gesandten in Paris Erik Magnus von Staël-Holstein mit der Tochter Jacques Neckers, Anna Louise Germaine. Als jahrelanger Privatsekretär von Madame de Staël genoß er ihr volles Vertrauen und weckte ihr Interesse für die deutsche Literatur. Vgl. August Wilhelm Schlegel und Frau von Stael. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange, Hamburg 1940, S. 17 f. BBAWAA (Anm. 31), Nachlaß Chézy, Nr. 12, „Pastor Gambs". Aus Dorothea's Tagebuch 1802-1804. In: Raich (Anm. 69), S. 130. Unvergessenes (Anm. 74), S. 229.
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sehen Buchhändler Henrichs 109 , der mit einer Französin verheiratet war, einer guten Musikerin. Seine Abende wurden von vielen Deutschen, aber auch von zahlreichen geistreichen Franzosen besucht. 1 1 0 Es sind relativ wenig direkte Hinweise überliefert, daß Friedrich und Dorothea außer d'Escherny, Gambs, Henrichs und Miliin 1 1 1 andere Gesellschaften besuchten. Jedoch existierten zwischen dem Schlegelschen Kreis und den anderen „Salons" Verbindungen und Kontakte, die nicht zuletzt durch Helmina hergestellt wurden. 1 1 2 109
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Henrichs (b2w. Hinrichs) diente als Leutnant zusammen mit Friedrichs ältestem Bruder, August Schlegel, in einem Regiment in Diensten der englisch-ostindischen Companie und war bei dessen Tode am 9. September 1792 in Madras anwesend. Uber die Bekanntschaft mit ihm berichtete Friedrich seinem Bruder. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 15. Januar 1803. In: Walzel (Anm. 44), S. 509 f. Reichardt (Anm. 42), S. 260; Unvergessenes (Anm. 74), S. 242. Im Frühsommer 1802 bat Schlegel Johann Gottfried Schweighäuser, ihn zu Miliin mitzunehmen. Kahn (Anm. 40), S. 205. Auf Helminas Rolle in dieser Zeit als Vermittlerin zwischen zwei Kulturen sei hier besonders hingewiesen. Mit ihren geringen Kräften und wie es ihr möglich war, zuerst unbewußt, um den Lebensunterhalt zu verdienen, setzte sie eine Entwicklung fort, die vor ihr schon seit Ende des 18.Jhs. von Friedrich Melchior Grimm, Heinrich Meister, Karl Viktor von Bonstetten, Friedrich Heinrich Jacobi, Christian Karl Gambs, Charles Dominique de Villers, Charles Vanderbourg, Johann Gottfried Schweighäuser u. a. begonnen worden war: die gegenseitige Information und in gewissem Grade das Propagieren der deutschen Wissenschaft, Literatur und Kultur in Frankreich. Ihren ersten Auftrag erhielt sie schon 1801 (d. h. mit 18 Jahren) vom Berliner Verleger Friedrich Maurer, ihre Pariser Eindrücke für die von Ignaz Aurelius Feßler in Verbindung mit wechselnden Mitarbeitern herausgegebene Zeitschrift Eunomia aufzuschreiben und einige Ubersetzungen aus dem Französischen zu machen. 1803 begann sie, für Cotta Französische Miscellen herauszugeben, deren erklärten Zweck sie so formulierte: „die Fortschritte der schönen Künste und praktischen Wissenschaften in Frankreich anzuzeigen, und ein vollkommenes Gemälde des Zustandes der Sitten, Gebräuche und Lebensart der Nation darzustellen" (Anm. 92, I. Bd., 1. Heft, [Ankündigung]). Nach einem Jahr mußte sie aber unter dem Druck Cottas, dem ihre Selbständigkeit in der Beurteilung politischer Themen mißfiel (vgl. dazu Helminas Artikel: Gespräch einer jungen Preussin mit einem französischen General beym Anblicke des Exercirens der muntern Dragoner Brigade, vom Obrist Horaz Sebastiani kommandiert. In: Miscellen [wie Anm. 92], I. Bd., 1. Heft, S. 16-23; und Cottas Reaktion darauf in: BBAWAA [wie Anm. 31], Nachlaß Chézy, Nr. 13, „Michaelis") und nach Überredung durch Schlegel, der ihr eindringlich empfohlen hatte, nur unter Pseudonym zu dichten und keine Prosa in den öffentlichen Blättern unter eigenem Namen zu schreiben (vgl. Unvergessenes, wie Anm. 74, S. 248, 317 f.), die Redaktion der Zeitschrift niederlegen, blieb aber weiterhin für sie mit gelegentli-
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An einer Stelle ihrer späteren Erinnerungen spricht sie von ihrem Salon, der „vom Sommer 1803 an der abendliche Vereinigungspunkt für Schlegels und ihre Besuche" 113 war. Da aber diese Tatsache durch die Aussagen anderer nicht bestätigt wird, sondern sie nur vom Kreis um Schlegel sprechen, kann man ihr kaum zustimmen. Außerdem besaß sie, bei allen ihren Talenten, nicht die Eigenschaften einer Herz oder Helwig, geschweige denn einer Rahel, Menschen um sich zu sammeln. Aus ihren uns zugänglichen Lebensquellen geht hervor, daß sie nie einen eigenen Salon hatte und lediglich zu den gefragten (vor allem in ihrer frühen Zeit) und aktivsten Salonbesucherinnen gehörte. 114 Neben Dorothea und Helmina gab es unter den Besuchern der Schlegelschen Vorlesungen und Teilnehmern der abendlichen Unterhaltungen und Diskussionen viele Frauen, auf derer relativ große Zahl Carl Gottlieb Horstig und auch Achim von Arnim („Die Weiber sollen die Diarrhoe von seinen Vorlesungen bekommen und sich der Tintenfässer bedienen" 115 ) hinweisen. Aus den Erinnerungen Helminas, den Briefwechseln Dorotheas und Friedrichs sowie ihrer Bekannten kennen wir einige Frauen, die Zuhörerinnen und Teilnehmerinnen der Teeabende waren: die nach Friedrichs Worten „sehr verständliche" Frau Böthlingk 116 , Frau von Poppenheim, geb. Kersdorf 117 , Gattin eines reichen Hamburger Ban-
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chen Beiträgen tätig. Neben den Englischen und Italienischen Miscellen desselben Verlages blieben die Französischen Miscellen jahrelang eine der wichtigsten Informationsquellen aus dem Ausland und waren die Vorläufer des berühmten Cottaschen Morgenblattes für gebildete Stände. Sie schrieb einige Beiträge über deutsche Kultur für das französische Publikum in Millins Magasin encyclopédique und über französische Kultur für das Journal des Luxus und der Moden und London und Paris von Friedrich Justin Bertuch, und 1808 gab sie die Zeitschrift Thalie et Melpomene für Deutschland mit den aktuellsten französischen Stücken heraus, die auf den Pariser Bühnen aufgeführt wurden. Auch später blieb sie mit der französischen Literatur und Kultur und ihren Vertretern, wie George Sand, Degérando, de Sacy u. a. verbunden. 4. Friedrich und Dorothea von Schlegel und ihr Uebertritt zur katholischen Kirche. In: Freihafen (Anm. 74), 1841, I, S. 181. Die Angabe Seiberts (Anm. 2), S. 236, Helmina hätte in Berlin vor ihrer Abreise nach Paris einen Salon gehabt, erscheint uns als nicht belegt. Ludwig Achim von Arnim an Clemens Brentano, 26. Januar 1803. In: Ernst Beutler, Briefe aus dem Brentanokreis. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1934/35, S. 425. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 1. April 1803. In: Walzel (Anm. 44), S. 510. Freihafen (Anm. 74), S. 67.
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kiers, Frau von Reventlow 118 und, trotz gewisser Abkühlung der Beziehungen, Dorotheas Schwester Henriette 119 (1775-1831). Signifikant für den Schlegelschen Kreis in Paris war ebenso wie für die Salons von Rahel oder Henriette Herz in Berlin ein hoher Anteil zuhörender und mitdiskutierender Frauen, die auf ihre eigene Art nach Gleichberechtigung mit den Männern strebten, Frauen, deren emanzipatorisches Engagement und fragwürdige bürgerliche Stellung ein lebhaftes öffentliches Interesse auf sich zogen, oft mit der Folge einer gewissen sozialen Ausgeschlossenheit. In dieser Hinsicht erwies sich die Schlegelsche Geselligkeit als ein freier Artikulations- und Kommunikationsraum, in dem weibliche Persönlichkeit ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Liebesbeziehungen oder sonstigen Neigungen akzeptiert wurde und sich mitwirkend und mitunter sogar bestimmend entfalten konnte. Durch die Teilnahme an den Konversationen in diesem Kreise wurden von Frauen neue literarische, kunstgeschichtliche, philosophische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Frühromantik rezipiert („Friedrich wies mir den Weg zu reichhaltiger Beschäftigung. Nicht ruhmlos habe ich ihn durchwandelt!" - schrieb später Helmina 120 ), die dann von ihnen auf eigenständige Weise weitervermittelt wurden, wie es auch Jahre zuvor bei der Rezeption und Verbreitung des aufklärerischen Gedankengutes geschehen war. 121 Eine bedeutende weibliche Erscheinung im Schlegelschen Kreise war gewiß Dorothea von Rodde, geb. von Schlözer 122 (1770-1825), die erste deutsche promovierte Philosophin, die durch ihren Geist und ungewöhnliche Ausbildung, zuerst durch ihren Vater, den berühmten Geschichts1.8 1.9 120
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Ebd. Ebd., S. 52. Unvergessenes (Anm. 74), S. 250. Helmina gehörte zu den Wenigen, die trotz Schlegels Wendung zum Katholizismus und zur Reaktion, die sie keinesfalls billigte, an seiner universellen Größe und seiner Bedeutung nie zweifelte: „Friedrich Schlegel war, wie alle, die berufen sind, einen Fortschritt zu begründen, seiner Zeit vorausgeeilt, und hatte nicht Kraft genug, sie mit sich vorauszubringen. [...] Eine so kolossale überströmende Natur [...] Friedrich Schlegel wurde der Welt und seiner Zeit unbeschreiblich mehr, als sie je anerkannt hat, doch wird sie es in der Folge noch anerkennen." Ebd., S. 259 f. Inge Baxmann, Der frühaufklärerische „Feminismus". In: Frauen in der Geschichte III. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Beiträge zur Geschichte der Weiblichkeit vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Anette Kuhn und Jörg Rüsen, Düsseldorf 1983, S. 1 1 8 f. Boisserée (Anm. 53), S. 22.
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professor August Ludwig von Schlözer, dann an der Göttinger Universität, auch in Frankreich berühmt war und gefeiert wurde. Nach Paris kam sie im November 1803, um ihren Mann, den Gesandten der Freien Stadt Lübeck, bei seinen Repräsentationspflichten zu unterstützen. 123 In der rue de Clichy erschien sie jedoch in Begleitung Charles de Villers, der eigentlich ihr Mann und der Vater ihrer zwei jüngsten Kinder war. Sie „verherrlichte oft Schlegel's Kreis durch ihre Gegenwart", schrieb Helmina in ihren Erinnerungen. „An diesen Abenden las Schlegel nichts vor; sein Gespräch mit diesen beiden Gästen [de Villers und Frau von Rodde — I. H.] war unser Genuß. Madame Rodde war schön, edel, großartig und gedankenreich. Man wußte, welche Richtung ihr Vater ihrer Erziehung gegeben. [...] Mit siebzehn Jahren ihres Alters krönte der Doctorhut ihr rosiges Haupt. Man bewunderte sie als das gelehrteste und zugleich das bescheidenste der weiblichen Wesen." 124 Neben Dorothea von Rodde und der ebenfalls schriftstellerisch tätigen Frau Horstig 125 (1768-1845) besuchten die rue de Clichy drei interessante Repräsentantinnen der Berliner Salons, die für ihr ebenso geistreiches wie unkonventionelles Auftreten bekannt waren: die Freundinnen Raheis und Dorotheas Karoline von Schlabrendorf, Pauline Wiesel und Wilhelmine von Boye. Karoline Gräfin von Schlabrendorf, geb. von Kalckreuth 126 (1761-1833), weilte in Paris vor Oktober 1803. 127 Als Nichte des seit längerer Zeit in Paris lebenden Grafen Gustav von Schlabrendorf, der zu den ersten deutschen Jakobinern zählte, teilte sie dessen republikanische Gesinnung. Sie war eine der ersten Frauen, die Männerkleidung trug, auch im Schlegelschen Kreise. Die langjährige und zeitweilig sehr enge Freundin Raheis hob Varnhagen vor den anderen adligen Freundinnen hervor:
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Leopold von Schlözer, Dorothea von Schlözer, der Philosophie Doctor. Ein deutsches Frauenleben um die Jahrhundertwende 1770—1825, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1923, S. 224 — 228. Uber die Beziehungen zwischen Villers und Dorothea von Schlözer vgl.: Bärbel Kern/Horst Kern, Madame Doctorin Schlözer. Ein Frauenleben in den Widersprüchen der Aufklärung, München 1988, S. 148 — 170. Unvergessenes (Anm. 74), S. 247 f. Susanne Christiana Horstig (Susette) geb. d'Aubigny von Egelbronner war Ubersetzerin und Schriftstellerin, schrieb u. a. für das Journal des Luxus und der Moden. Vgl. Elisabeth Dietrichs, Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon, Stuttgart 1981, S. 104; sowie SL/Dresden, ebd. Freihafen (Anm. 74), S. 66. Raich (Anm. 69), S. 116.
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„Eine große, starke Frau, von entschiedenem Charakter und freier Geistesart; [...] Sie ging in allen Stücken unmittelbar auf die Wahrheit aus, auf die nackte, meist mißfällige Wahrheit, und litt zu deren Bekleidung auch nicht die mindeste Poesie. Sie hatte den harten Mut, nach solcher Wahrheit immer zu forschen, und den kühnen und oft gefährlichen, sie unter allen Umständen zu sagen. [...] sie verteidigte in Preußen die französische Revolution, in Paris das Recht der Emigrierten und des Hofes f...]" 1 2 8 . Paulina Wiesel, 1 2 9 geb. Cesar ( 1 7 7 9 - 1 8 4 8 ) , eine von allen reputierten Gesellschaften strikt gemiedene, aber unerhört lebensvolle femme fatal, die Schleiermacher sich „nur als eine frivole Grazie denken" konnte, „da sie den Gesellschaften nur Scherz und Witz und Laune giebt, und mit dem Höheren gar keine hetärische Verschwendung ausübt" 130 , war die vertrauteste Freundin und lebenslange Briefpartnerin Raheis, die deren menschlichen Wert ebenso hoch wie Dorothea zu schätzen wußte. 1 3 1 Die „schöne Helene von Berlin" kam nicht oft zu Besuch, aber brachte dann Erheiterung und Überraschung in die Gesellschaft. Sie beteiligte sich auch an den gemeinsamen Museumsbesuchen, und mit Friedrich teilte sie seine damals noch heimliche Leidenschaft zu gutem und reichlichem Essen. 1 3 2 Eine andere vertraute Freundin Raheis, Wilhelmine von Boye 1 3 3 ( 1 7 7 2 - 1 8 3 9 ) , verbrachte ab Dezember den Winter 1802/03 in Paris. Aus 128
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Rahel von Varnhagens Freundeskreis. Galerie von Bildnissen aus Raheis Umgang und Briefwechsel hg. von K. A. Varnhagen von Ense. Für die Deutsche Bibliothek ausg. und eing. von Kurt Martens. Deutsche Bibliothek in Berlin, (o. J.), S. 96. Friedrich Schlegel an Rahel, 3. Mai 1803. In: ebd., S. 89. Schleiermacher an Brinkmann, 24. März 1804. In: Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. 4. Bd. Vorb. von Ludwig Jonas, hg. von Wilhelm Dilthey, Berlin 1863, S. 95. Uwe Schweikert, Korrespondentenverzeichnis, Pauline Wiesel (1779-1848). In: Rahel-Bibliothek (Anm. 74), S. 427-435. Marlis Gerhardt, Absage ans Bürgerliche Trauerspiel. In: Rahel Varnhagen/Pauline Wiesel. Ein jeder machte seine Frau aus mir wie er sie liebte und verlangte. Ein Briefwechsel. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Marlis Gerhardt, Darmstadt und Neuwied 1987, S. 102—122; Barbara Hahn, „Antworten Sie mir!" Rahel Levin Varnhagens Briefwechsel, Basel, Frankfurt a. M. 1990, S. 101-127; eine vollständige Edition des Briefwechsels zwischen Rahel und Pauline wird von Barbara Hahn vorbereitet. Freihafen (Anm. 74), S. 4 7 - 5 2 . Johanna Hedwig Wilhelmina von Boye geb. Bernhard (Hitzel Zülz) war Enkeltochter des Berliner Seidenfabrikanten Isaak Bernhard (Berman Zülz), dessen Angestellter, Lehrer seiner Kinder und späterer Kompagnon Moses Mendelssohn war, Tochter von Isaaks ältestem Sohn, Moses Bernhard (Moses Zülz). Sie trat Ende 1789 zum Christentum über. Zuerst verheiratet mit Dr. Madie Fließ, dann mit dem Major Freiherr von Boye aus Stralsund und nach dessen Tod (1836) mit
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Rahels Briefen an sie erfahren wir, daß sie von ihr gebeten wurde, sämtliche Berliner Bekannten in Paris zu besuchen und sie zu grüßen; Friedrich Schlegel sollte sie an eine versprochene Antwort erinnern. 134 Die Zusammenlegung der öffentlichen Vorlesungen - die Friedrich, eine Stunde wöchentlich für 2 Carolin, im Sommer 1802 „über Aesthetik und über den neuesten Zustand der Deutschen Literatur" 135 in einem speziell dafür gemieteten Saal136, der sich im Eckhaus zwischen der rue de Traversière und der rue de la Loi befand 137 , zu halten begonnen hatte, um „das Evangelium auf meine Weise zu verkünden" 138 — und des Teeabends auf einen Tag, nämlich Sonntag (mittags die Vorlesungen, abends der Freundeskreis 139 ), könnte nicht nur aus Gründen der Zeitersparnis entstanden sein, sondern auch aus der Überlegung, die in den Collegia vorgetragenen Gedanken gleich anschließend in ungezwungener Atmosphäre zu besprechen oder durch das Vorlesen von Werken der Frühromantiker, in erster Linie die seiner engsten Freunde Novalis und Tieck, zu ergänzen. Wenn aus irgendwelchen Gründen die Teeabende am Sonntag ausfielen, veranstaltete Friedrich zusätzliche Lesungen, wie aus einer Einladung an Schweighäuser vom Winter 1803 hervorgeht: „Wir haben, werthester Freund, auf den Freitag Nachmittag (von 6 Uhr an) eine gemeinschaftliche Leetüre verabredet, etwa die Genoveva oder den Ofterdingen, oder sonst etwas neues." 140 Neben den Werken von Tieck und Novalis las Friedrich oft aus Shakespeare in der Übersetzung von Caroline und
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dem schwedischen Generalleutnant Graf Bengt Erland Franc von Sparre, war sie mit Rahel sehr früh befreundet und stand mit ihr längere Zeit in Briefwechsel unter ihren verschiedenen Namen. Öfter weilte sie in Berlin und unterhielt freundschaftliche Beziehungen in Theater- und Literaturkreisen, u. a. mit Friederike Unzelmann-Bethmann, Fichte, Karl August Varnhagen von Ense, Friedrich Schlegel, Jean Paul. Sammlung Varnhagen, Biblioteka Jagiellonska, Krakow, Kasten 121, Mappe „Moses Mendelssohn"; Kasten 237, Mappe „Sparre". Rahel an Frau von Boye in Paris, 10. December 1802. In: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Erster Theil, Berlin 1834. In: Rahel-Bibliothek (Anm. 74), Bd. I, S. 2 5 6 - 2 5 8 . Hase (wie Anm. 88). Ebd., S. 8. Ebd., S. 103; Plan Routier de la Ville et Faubourg de Paris divisé en 12 Municipalités. 1804. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 16. September 1802. In: Walzel (Anm. 44), S. 501. Vgl. oben S. 99 f.; auch Freihafen (Anm. 74), S. 65. Kahn (Anm. 40), S. 211.
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August Wilhelm, und seltener, wenn Friedrich im Nebenzimmer an seinem Schreibtisch arbeitete, getraute sich auch Dorothea, aus dem von beiden hochgeschätzten Trauerspiel Tiecks Leben und Tod der heiligen Genoveva vorzulesen.141 Nach Helminas Meinung beherrschte Friedrich die Kunst des Vorlesens nicht minder als der dafür besonders berühmte Ludwig Tieck. In den von Rudolf Köpke aufgeschriebenen Erinnerungen Tiecks findet sich eine kleine Beschreibung eines geselligen Abends im Herbst 1799 in Jena, die eine Vorstellung davon vermittelt, wie es auch in Paris gewesen sein könnte: „Tieck laß etwas Dramatisches vor, jeder theilte mit, was er eben vollendet hatte, oder worüber er den Rath, das Urtheil der Freunde zu vernehmen wünschte. Poesien, Studien und Entwürfe, Meinungen und Ansichten kamen zur Besprechung."142 Im Kreise Schlegels verkehrten zu jeder Zeit genügend ideenreiche und wortgewandte Literaten, die zu Ähnlichem fähig waren und ihre literarische Produktion und eigenen Standpunkt in kontroversen Diskursen erfolgreich auch gegen Schlegel vertreten konnten.143 Von besonderer Bedeutung waren Schlegels Beziehungen bis zur Auseinandersetzung im Frühjahr 1804 zum Philologen Johann Gottfried Schweighäuser (1776-1844). Er stammte aus der Familie eines anerkannten Straßburger Altertumsforschers, ging schon mit 13 Jahren an die Universität und beteiligte sich an den archäologischen Forschungen seines Vaters. 1792 meldete er sich freiwillig zur republikanischen Armee, wurde jedoch wegen seiner schlechten Gesundheit bald entlassen und lebte seitdem in Frankreich. Er schrieb für mehrere französische Zeitungen Beiträge über deutsche Literatur, darunter zu Goethes und Schillers Werken, zu Wissenschaft und Kunst, dichtete in deutscher Sprache und publizierte in deutschen Zeitschriften, darunter in Schillers Hören. Von Dezember 1798 bis Juni 1799 war er Hauslehrer bei Wilhelm von Humboldt und blieb danach noch einige Jahre sein und Karolina von Humboldts vertrau141 142
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Freihafen (Anm. 113), S. 181 f., 187. Ludwig Tieck, Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen von Rudolf Köpke. Zwei Theile, Leipzig 1855, Erster Th., S. 250. Diese Art der Geselligkeit beschreibt Tieck auch in seinen Novellen. Hans Christian Oersted erinnerte daran, wie Achim von Arnim heftig mit Schlegel über den Physiker Ritter stritt (Chélin, wie Anm. 1, S. 55), auch Helmina bezeugt öftere Auseinandersetzungen zwischen den beiden (Unvergessenes, wie Anm. 74, S. 246).
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ter Freund; er verkehrte im Kreis von Madame de Staël und hatte viele Freunde unter namhaften französischen Gelehrten, mit denen er Schlegel bekannt machte. 144 Zusammen mit Helmina war er seit Sommer 1802 einer der ersten Hörer bei den öffentlichen Vorlesungen Schlegels. 145 Für die Europa lieferte er drei Beiträge. 146 Während seines Aufenthalts in Paris war sehr oft Johann Friedrich Reichardt 147 (1752-1814) ein Gast der Schlegels. Von Friedrich II. als Berliner Hofkapellmeister berufen und von dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm II. wegen Sympathien für die Französische Revolution entlassen, siedelte er auf sein Anwesen am Giebichenstein über, das zu einem literarisch-geselligen Treffpunkt nicht nur für Goethe und Herder wurde, sondern auch für die jungen Romantiker. Novalis, Tieck, Fichte, Brentano und die Brüder Schlegel waren seine Gäste. Neben seinen Vertonungen von Gedichten Goethes und Schillers wurde er durch seine publizistische und editorische Tätigkeit bekannt. Mit Friedrich Schlegel war er seit 1794 bekannt und gewann ihn als wichtigen Mitarbeiter für die von ihm herausgegebenen Zeitschriften Deutschland und Lyceum,148 Reichardt kam am 4. November 1802 nach Paris, um Material für seine Arbeit über das französische Theater zu sammeln und um einen Auftrag zum Komponieren einer Oper zu bekommen; er blieb bis zum 9. April 1803, so daß seine Besuche in der rue de Clichy in der Zeit zwischen 10. November 1802 149 und 8. April 1803 stattfanden. Für die Europa lieferte er einen Beitrag über den Zustand der Pariser Musik, den Dorothea mit Hilfe von Paul Thieriot überarbeitete. 150 Etwa Ende Januar 1803 kam Achim von Arnim, der sich zusammen mit seinem Bruder Carl Otto auf einer „Kavaliersreise" in Paris befand. 151 144 145 146 147 148
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Kahn (Anm. 40), S. 197 f. Hase (Anm. 88), S. 103 f. Chélin (Anm. 1), S. 160 f. Freihafen (Anm. 74), S. 53. Vgl. dazu Samuel Paul Capen, Friedrichs Schlegel's Relations with Reichardt and his Contributions to „Deutschland". In: Publications of the University of Pennsylvania. Series in Philology and Literature. Vol. IX, Nr. 2, Philadelphia 1903. In seinem Brief an Ludwig Tieck vom 10. November 1802 schrieb Friedrich, daß er ihn noch nicht gesehen habe. Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe mit Einleitung und Anmerkungen hg. von Hfenry] Lüdeke, Frankfurt a. M. 1930, S. 130. Chélin (Anm. 1), S. 158 f.; Dorothea an Paul Emil Thieriot, 10. Februar 1803. In: Körner, 1926 (Anm. 39), S. 52. Helene M. Kastinger Riley, Ludwig Achim von Arnims Jugend- und Reisejahre. Ein Beitrag zur Biographie mit unbekannten Briefzeugnissen, Bonn 1978, S. 87;
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Er hatte bereits vorher von der Popularität der Schlegelschen Vorlesungen gehört und wollte sie schon am 27. Januar besuchen, fand sie dann jedoch „sehr langweilig", wie er Clemens Brentano am 17. Februar berichtete: Schlegel „liest sehr langweilig eine Geschichte der neuern Philosophie und Poesie und macht die Deutlichkeit noch deutlich; er hat ungefähr 25 Zuhörer und einen sehr unaufmerksamen, der bin ich, ein Schüler, der seine Vorlesung, weil sie des Sonntags ist, wie einen Kirchengang behandelt." 152 Er besuchte auch den „literarischen Thee", wurde von den Bewohnern der rue de Clichy sehr freundlich empfangen 153 und korrigierte seine durch Brentanos Einfluß voreingenommene Meinung. 154 Das führte dazu, daß Arnim für die Europa einen Dialog aus dem zweiten Teil seines Ariel als Erzählungen von Schauspielen lieferte, den Schlegel mit einer ausführlichen Vorerinnerung des Herausgebers versah, in der er seine Sicht des Geschehens auf den Pariser Bühnen darlegte. 155 Für Helminas Miscellen steuerte Arnim sein Poem Aloys und Rose bei 156 . Zu den kühnen Entwürfen der Frühromantik und speziell Friedrich Schlegels gehört der Beitrag zur Begründung der vergleichenden Sprachwissenschaft. Ihm gelang zuerst „die faszinierende Beobachtung der Verwandtschaft der heute als indoeuropäisch bezeichneten Sprachen, zu der ihm seine Studien des Persischen und des Sanskrit sowie seine Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen verholfen hatten." 157 Wenn auch sein Buch Uber die Sprache und Weisheit der Indier, in dem er seine Erkenntnisse
vgl. auch Ingrid Oesterle, Achim von Arnim und Paris, in: Die Erfahrung anderer Länder. Beiträge eines Wiepersdorfers Kolloquiums zu Achim und Bettina von Arnim, hg. von Heinz Härd und Hartwig Schultz, Berlin 1994, S. 3 9 - 6 2 . 1 5 2 Achim von Arnim und die ihm nahe standen. Hg. von Reinhold Steig und Herman Grimm, Stuttgart 1894, I. Bd. Achim von Arnim und Clemens Brentano. Bearb. von Reinhold Steig, S. 67. 153 Vgl Wilhelmina von Chézy, Dorothea und Friedrich Schlegel an Arnim, 4. April 1804. In: Unbekannte Briefe von und an Achim von Arnim aus der Sammlung Varnhagen und anderen Beständen, hg. und komm, von Hermann F. Weiss, Berlin 1986, S. 1 5 1 - 1 5 4 . 1 5 4 Riley (Anm. 151), S. 92 f. 1 5 5 Europa (Anm. 1), Bd. II, S. 1 4 6 - 1 9 2 . 1 5 6 Aloys und Rose. Französische Miscellen aus Wallis. Aus dem Tagebuche eines hypochondrischen Reisenden, herausgegeben von Archim von Arnim, A . . . d. Mittags. In: Miscellen (Anm. 92), 3. Bd., S. 1 - 1 8 und S. 7 3 - 9 4 . 1 5 7 Ursula Struc, Zu Friedrich Schlegels orientalischen Studien, in: Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. 88, 1969, Sonderheft: Friedrich Schlegel und die Romandk, S. 115.
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entwickelte, erst 1808 in Heidelberg erschien, war es doch ganz das Produkt seiner Pariser Zeit. Das Erlernen des Persischen und des Sanskrit hatte von Beginn an zu den Hauptzielen des Aufenthalts an der Seine gehört; bedeutende Sprachlehrer und Philologen waren in Paris seine Lehrer, aber auch Teilnehmer der von ihm angeregten Geselligkeit gewesen, und insofern ist es ganz in seinem Sinne, diese Geselligkeit der Jahre 1802 - 04 als „Symautor" seiner wegweisenden sprachtheoretischen Überlegungen zu sehen. In der Vorrede des Werkes bedachte Schlegel neben dem Orientalisten Louis-Mathieu Langlès ( 1 7 6 3 - 1 8 2 4 ) mit dankbaren Worten seine beiden Sprachlehrer, mit denen ihn besonders freundschaftliche Beziehungen verbanden: Alexander Hamilton, 1 5 8 der eventuell schon im Sommer 1803 als einer der Hausgenossen in die rue de Clichy einzog, 159 und Antoine-Léonard de Chézy, der zukünftige Mann Helminas. 1 6 0 Hamilton und Chézy gehörten schon damals zu den bedeutenden europäischen Orientalisten, von deren sprachlich-wissenschaftlichen Kenntnissen außer Friedrich auch andere Beteiligte profitieren konnten.
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Boisserée (Anm. 53), S. 22. Der Schotte Alexander Hamilton (1765-1824), ein zu dieser Zeit in Paris lebender Indologe, gab Friedrich „täglich von zwei bis fünf Uhr" außer den Sonntagen Unterricht in indischer Sprache und im Sanskrit. Er hatte einige Jahre als Offizier der britischen Marine und Mitglied der Asiatic Society in Kalkutta verbracht, wo er altindische Sprache gelernt hatte, geriet in französische Gefangenschaft und blieb bis 1807 in Paris, um die durch die republikanische Armee eroberten indischen Manuskripte zu ordnen und ein Verzeichnis dazu herzustellen. Nach der Rückkehr in seine Heimat wurde Hamilton Professor für persische und indische Sprachen. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Schlegel wurden nicht unterbrochen, sie sahen sich 1817 in Frankfurt a. M. wieder. Freihafen (Anm. 74), S. 86; Struc (Anm. 157), S. 121. Friedrich Schlegel an Antoine-Léonard de Chézy [Sommer 1803]. In: Körner, 1926 (Anm. 39), S. 54. Antoine-Léonard de Chézy (1773-1832). Republikanisch gesinnt (er lehnte z. B. seine Adelsangehörigkeit ab) war er zugleich ein glühender Verehrer und Kenner der deutschen Sprache und Literatur; Friedrich nannte ihn „den besten gefühlvollsten und Poesie-empfanglichsten von allen Franzosen". (Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 2. Mai 1806. In: Krisenjahre [Anm. 19], S. 325) Durch seine pädagogische und wissenschaftliche Tätigkeit, erst als Privadehrer, dann als Professor am Collège de France, war Chézy Lehrer und Förderer der neuen orientalistischen Schule nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland. Anfang 1806 heiratete er Helmina. Zwar dauerte das Zusammenleben beider nur bis Herbst 1810, als Helmina Frankreich verließ, aber sie wurden nie geschieden und bewahrten ihre freundschaftlichen Beziehungen, wovon ein umfangreicher, bisher nicht veröffentlichter Briefwechsel zeugt.
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Etwa im Sommer oder im Frühherbst 1803 kam als Vollpensionär zur Hausgemeinschaft ein junger Hannoveraner, Gottfried Ernst Hagemann161, der in Göttingen Philologie studierte und nach Paris gekommen war, um seine Kenntnisse in den orientalischen Sprachen zu vervollkommnen. Schlegel war er sehr sympathisch162 wegen seiner Kenntnisse der persischen Sprache sowie wegen seiner Art der Anhänglichkeit und Bewunderung für die romantische Schule, aber auch wegen seiner Widerstände gegenüber den Einflüssen anderer (vor allem Brentanos). Für die Europa lieferte Hagemann eine Ubersetzung der Geschichte von Bachram Gur von Ferdusi.163 Zusammen mit ihm wollte Schlegel eine persische Grammatik schreiben, jedoch nach vier Jahren ging die Freundschaft auseinander, da Schlegel einige kritische Töne in der Rezension zu seinem Werk Ueber die Sprache und Weisheit der Indier nicht verzeihen konnte. Kurz darauf starb Hagemann im März 1809 in Rom, wo er als Lehrer der Kinder des Königs Joachim zu Neapel unterwegs war.164 Carl Benedict Hase (1780—1864), ein junger Student aus Jena, kam zu Fuß im Oktober 1801 nach Paris, um die „Hauptstadt der Welt" mit ihrer blühenden Kunst und Wissenschaft kennenzulernen.165 Er besuchte fleißig „alle Sonntage" im Herbst und Winter 1802/03 die Collegia von Schlegel, wie er in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Erdmann schrieb: Ich „setze mich neben Schlegel's Frau an das lodernde Kaminfeuer und bilde mir ein, ich sei noch Student, und die Rue de Traversière sei die Saalgasse."166 Und am Kamin neben der mütterlich-fürsorglichen Dorothea wird er auch bei seinen Besuchen am Abend in der rue de Clichy gesessen haben. Diesen jungen sprachtalentierten Studenten gewann Schlegel für seine Zeitschrift, indem er für das zweite Europa-Heft einen Bericht über den Kurs der neugriechischen Sprache lieferte, den Prof. Jean Baptist Caspar de Villoison an der „Specialschule für den Unterricht in den morgenländischen Sprachen"167 hielt. Hase wurde später Mitarbeiter in der Abteilung der orientalischen Handschriften an der Bibliothèque Nationale, 1815 Professor für Neugriechisch und Paläographie 161 162
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Raich (Anm. 69), S. 116. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 14. August 1803. In: Walzel (Anm. 44), S. 519. Chélin (Anm. 1), S. 1 4 4 - 1 4 6 . Körner, 1926 (Anm. 39), S. 105, 112, 487, 493 und 690. Hase (Anm. 88), S. 48 und V i f . Ebd., S. 103. Europa (Anm. 1), 1. Bd., 2. Heft, S. 150.
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an der Ecole des Langues Orientales, nach dem Tode Chézys dessen Nachfolger als Leiter der Abteilung der orientalischen Handschriften, schließlich Direktor der Bibliothèque und Mitglied der französischen Akademie. 168 Friedrich Schlegels Bestrebungen auf den verschiedensten Gebieten seines Wirkens waren zugleich von philosophischen Fragestellungen durchdrungen, wobei er nicht einfach rezipierte, sondern selbst am philosophischen Diskurs seiner Zeit mitwirkte. Mit Schelling, Fichte und Hegel war er von Jena her bekannt, teilweise befreundet; der greise Kant in Königsberg blieb, trotz aller Kritik, ein wichtiger Bezugspunkt, auch in Paris, da einer der namhaften Zuhörer der Vorlesungen und Gäste der Teeabende Charles François Domenique de Villers 169 (1765 — 1815) war, der zu den ersten begeisterten Propagandisten der Kantschen Philosophie in Frankreich zählte. Der aus Lothringen stammende Philosoph wurde 1791 wegen der Schrift Uber die Freiheit aus Frankreich verbannt und lebte seitdem in Deutschland, zu dessen Kultur und Wissenschaft er sich sehr hingezogen fühlte. De Villers korrespondierte mit Goethe, Görres, Klopstock, J. H. Voß, Schelling u. a.; er war jahrelanger Korrespondent und Freund von Madame de Staël. Uber ihn schrieb Goethe an Karl von Reinhard: „Er ist eine wichtige Person durch seinen Standpunkt zwischen den Franzosen und Deutschen, und es wäre mir bedeutend zu erfahren, wie er die Sache nimmt, da er wie eine Art von Janus bifrons herüber und hinüber sieht." 170 Sein 1801 erschienenes Buch Philosophie de Kant, in dem er die Kantsche Philosophie den Franzosen bekanntzumachen versuchte, löste eine heftige Polemik in Frankreich aus, da er neben seiner Begeisterung für die neueste deutsche Philosophie und Literatur auch Kritisches über französische Wissenschaft und Kultur zu äußern wagte. Sogar sein Philosophie-Kollege Degérando, der zu den französischen „Germanophilen" zählte und im Herbst und Winter 1802/03 zu den aufmerksamsten Zuhörern Schlegels gehörte, trat mit einer Kritik gegen ihn auf. 171 Obwohl Schlegel der Meinung war, daß de Villers weder Kant noch die anderen modernen deutschen Philosophen ganz verstanden hatte, war er von ihm fasziniert als einem Mann, der die Vordringlichkeit der Vermitt168
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Ebd., S. III —XII; sowie: Karl Alfred von Hase, Unsere Hauschronik. Geschichte der Familie Hase in vier Jahrhunderten, Leipzig 1898, S. 7 7 - 1 1 1 ; ADB, Bd. X, S. 7 2 5 - 7 2 7 . Boisserée (Anm. 52), S. 22. Zitiert nach Pange (Anm. 105), S. 27. Chélin (Anm. 1), S. 37 f., 45 f. und 49.
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lung deutschen und französischen Geistes für eine künftige europäische Einigung mit seinem mutigen Buch über Kant vollauf erkannt hatte, was er in seiner für die französischen Leser bestimmten, unveröffentlicht gebliebenen Rezension Observations sur l'ouvrage de Charles de Villers zum Ausdruck brachte.172 Es gab also genügend Gründe für ihn, bei den gemeinsamen Besuchen de Villers und Dorothea von Roddes das Vorlesen zu beenden und die Unterhaltung zu suchen.173 Besondere Verdienste auf philosophischem Gebiet aber erwarb die Frühromantik in der Naturphilosophie. Sie brachte nicht nur eine eigene Poesie und Literaturkritik hervor, sondern auch eine eigene Naturphilosophie sowie eine von dieser beherrschte oder zumindest beeinflußte romantische Naturforschung. „Vor allem unter dem Einfluß der Naturphilosophie SCHELLINGS, aber ebenfalls anderer philosophischer wie theologischer Positionen der Vergangenheit breitet sich in Deutschland im Ubergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eine metaphysische Form der Naturforschung aus, die auch die anderen Wissenschaften wie Künste nicht unberührt läßt und derzugleich ein besonderes Selbstverständnis des Menschen entspricht."174 Novalis, Oken, Kieser, Steffens, der junge Nees von Esenbeck, nicht zuletzt Oersted sind einige der hier entscheidenden Namen. Schelling war führend an der Jenenser Geselligkeit beteiligt gewesen, und sein Einfluß wirkte weiter, auch nachdem es zum persönlichen und philosophischen Bruch gekommen war. Mit dem dänischen Chemiker und Physiker Hans Christian Oersted, der 1801 in Berlin Fichte und Schlegel kennengelernt hatte, war die romantische Naturphilosophie und -forschung nicht nur gedanklich vermittelt, sondern persönlich unmittelbar im Pariser Kreise vertreten. Es waren auch Gedanken aus Gesprächen in der rue de Clichy, die in seine Betrachtungen über die Geschichte der Chemie einflossen, wonach Natur und Geist identisch seien, „Keime einer gemeinschaftlichen Wurzel."175 Es ist hier nicht zu untersuchen, welche positiven oder negativen Folgen die Verwurzelung in solchen Anschauungen für Oersteds naturwissenschaftliche Experimente hatte, aber unbestritten ist ihre Wirkung für seine Studien zur 172 173 174
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Schlegel/ΚΑ (Anm. 25), S. 546. Vgl. oben S. 112. Dietrich von Engelhardt, Quellen und Zeugnisse zur Wechselwirkung zwischen Goethe und den romantischen Naturforschern. In: Acta histórica Leopoldina Nr. 20, 3 1 - 5 5 (1992), S. 32. H. C. Oersted, Betrachtungen über die Geschichte der Chemie. In: Journal für die Chemie und Physik, H. 3 (1807), S. 230.
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Geschichte und Systematik der Naturwissenschaften, die sich bei ihm in echt romantischem Geiste einander stark näherten, ja ineinander aufgingen. 176 Folgerichtig sah die spätere positivistische Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts in Oersted einen ihrer Gegner. Aber nicht nur durch Oersted und dessen elektromagnetische Forschungen war der Schlegel-Kreis mit den damals modernsten und zukunftsweisendsten Wissenschaftszweigen verbunden, sondern durch den Anatom und Gynäkologen Ludwig Friedrich von Froriep 177 (daneben durch Schlegel selbst und durch Schweighäuser) auch mit der Biologie, konkret der Entwicklungslehre Georges Cuviers, 178 des Begründers der modernen Wissenschaft von den fossilen Organismen, dessen Mitarbeiter Froriep in der von Cuvier geleiteten Anatomischen Sammlung im Jardin des Plantes wurde. 179 Und sogar der genius loci des Montmartre spielte wieder mit — diesmal nicht als Telegraph, sondern als Steinbruch, der neben dem Kalk für den raschen Aufbau der Metropole Paris auch Fossilien lieferte, die Cuvier zusammen mit anderen Mitarbeitern ordnete und für die Erforschung der Anatomie wirbelloser Tiere sowie Untersuchungen zur Entwicklung und Systematik der Lebewesen benutzte. Welch große Bedeutung die von Cuvier initiierte Forschungsrichtung für Froriep gewann, aber auch, in welchem Ausmaß die im Pariser Schlegelkreis diskutierten Fragen weiterwirkten, zeigt die Propagierung der Cuvierschen Theorie durch Froriep in Deutschland. 1807 hielt er in der Preußischen Akademie der Wissenschaften Vorlesungen über vergleichende Anatomie 180 , und zwar parallel zu denen Fichtes über die Lage der Nation und 176
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Vgl. Dietrich von Engelhardt, Historisches Bewußtsein in der Naturwissenschaft von der Aufklärung bis zum Positivismus, Freiburg/München 1979. Ludwig Friedrich von Froriep ( 1 7 7 9 - 1 8 4 7 ) hatte 1802 in Jena schon mit 23 Jahren eine Professur innegehabt, später unterrichtete er an den Universitäten Halle und Tübingen. Als Schwiegersohn des berühmten Weimarer Verlegers Bertuch führte er nach dessen Tod den Verlag weiter. Er war Verfasser mehrerer medizinischer Lehrbücher und Herausgeber einer Zeitschrift für Natur- und Heilkunde. Chélin (Anm. 1), S. 144; ADB, Bd. 11, S. 552. A n Georges Cuvier ( 1 7 6 9 - 1 8 3 2 ) , der eine deutsche Erziehung genossen hatte und wie Miliin und de Villers alle geistigen und literarischen Fortschritte in Deutschland würdigte, zudem durch seine enorme Vielseitigkeit dem romantischen Persönlichkeitsbild nahestand, hatte sich Friedrich Schlegel bereits kurz nach seiner Ankunft in Paris mit seiner Idee einer Akademiegründung gewandt. Chélin (Anm. 1), S. 30. Horstig (Anm. 60), S. 104. Karl August Varnhagen von Ense, Werke in fünf Bänden, hg. von Konrad Feilchenfeldt. Bd. I, Frankfurt am Main. Denkwürdigkeiten des eignen Lebens. Erster Band ( 1 7 8 5 - 1 8 1 0 ) , S. 498.
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Schleiermachers über Ethik; diese Vorlesungen gehören zur Vor- und Gründungsgeschichte der Berliner Universität. Die fünf Bände von Cuviers Leçons d'anatomie comparée, die von 1800 bis 1805 in Paris erschienen und seinen Weltruhm begründeten, kamen in der deutschen Ubersetzung von Froriep und Meckel 1 8 0 8 - 1 8 1 0 in vier Bänden in Leipzig heraus. Es ist bei alledem kaum vorstellbar, daß die Cuvier'sche Entwicklungstheorie in den Diskussionen des Schlegel-Kreises in Paris keine Rolle gespielt haben sollte, zumal Froriep für die Europa einen Beitrag über den Zustand der anatomischen Wissenschaft in Paris beisteuerte.181 Übrigens ist auch Friedrich Schlegel selbst dem Kreis der romantischen Naturforscher zuzuzählen, da er sich mit mathematischen (wie Schleiermacher) und medizinischen Studien beschäftigt hatte. Der Medizin kam in der romantischen Theorie große Bedeutung zu; in Hegels Naturphilosophie bildete sie den Abschluß, da mit dem Komplex Gesundheit/Krankheit/Tod die Natur sich vollende und in die Welt des Geistes übergehe. Von solchen Auffassungen waren die Arzte im Pariser Kreise durchdrungen. Zu ihnen gehörten neben Froriep Franz Joseph Harbauer182, Philipp Franz von Walther183 und A. Wallenberg/Meyer184. 181 182
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Chélin (Antn. 1), S. 144. Boisserée (Anm. 53), S. 21; Freihafen (Anm. 74), S. 52; Unvergessenes (Anm. 74), S. 247. Der Elsässer Franz (François) Joseph Harbauer (auch Harbaur) (1776-1824) studierte in Jena, war 1799 und 1800 Arzt Schillers, lebte seit 1801 in Paris und war dort Arzt von vielen Deutschen, darunter 1814 auch Karl August Varnhagens (Varnhagen, Denkwürdigkeiten, wie Anm. 180, Zweiter Band, S. 565), 1818 Kurator an der 1817 wiederhergestellten Universität in Leuven, später Leibarzt des Königs der Niederlande. Jakob Minor, Briefe an Schiller. Aus dem Schillerarchiv. In: Euphorion, Bd. 12, 1905, S. 763/6; Körner, 1926 (Anm. 39), S. 461. Boisserée (Anm. 53), S. 22 und Freihafen (Anm. 74), S. 53. Philipp Franz von Walther (1782—1849) begann mit 15 Jahren in Heidelberg das Medizinstudium und wurde schon nach 6 Jahren zum ordentlichen Professor in Bamberg berufen. 1804 machte er eine Studienreise nach Paris und danach baute er eine bald berühmt gewordene Augenklinik in Landshut auf. Schon damals wurde er als erster unter den lebenden Chirurgen und Augenärzten anerkannt. Seine umfangreiche Praxis unterstützte er durch zahlreiche theoretische Abhandlungen und gewann großen Einfluß auf die Entwicklung der Medizin. Er war auch ein erfolgreicher Lehrer, zeichnete sich durch breite allgemeine und philosophische Bildung aus und gehörte zu den Freunden und Anhängern Schellings. In den Jahren 1806-1807 veröffentlichte er mehrere Beiträge zur Geschichte von Naturwissenschaft und Medizin Frankreichs. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker hg. von August Hirsch, 3. unveränd. Aufl., Bd. 5, München und Berlin 1962, S. 838-841; ADB, Bd. 41, S. 121 f. Freihafen (Anm. 74), S. 53, und Unvergessenes (Anm. 74), S. 247. Der aus Berlin stammende Arzt und Pharmazeut Meyer (1782 — 1813) war Bruder von Fanny
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Ein weiteres wichtiges Thema und gemeinsame Beschäftigung war gewiß die Kunst. Die in dieser Zeit aus Ägypten, Griechenland und Italien nach Paris gebrachten Kunstschätze, die „Lastwagen [...] aus dem Vatikan, den Palästen der Pitti, der Este [...] voll aufgehäuft" 185 , erdrückten die Neuankömmlinge geradezu: „Gemähide und Antiken allein haben mich eine Zeitlang ganz absorbirt", schrieb Friedrich an seinen Bruder und rechtfertigte damit sein langes Schweigen. 186 Und Dorothea gestand gegenüber Schleiermacher, daß sie „die schönsten Stunden" in den Museen und Galerien verbrachten. 187 Oft gleich nach der Vorlesung gingen die Zuhörer mit ihrem Referenten ins Museum, und dort setzte Schlegel seine Ausführungen fort. 188 Daß solche Exkursionen, z. B. zur Antike, nicht nur streng akademisch, sondern locker verliefen, erfahren wir aus Helminas Erinnerungen, in denen sie beschreibt, wie die freche Berlinerin Pauline Wiesel - Philine, wie Dorothea sie nannte — öfter „Kirschen oder Zwetschen im Sack" ins Museum mitnahm, dort eine verspeiste und „dann zum höchsten Entsetzen zitternder, im stummen Ingrimm erbleichender Aufseher den Kern zwischen den Fingern gegen den Apoll" hielt (den berühmten von Belvedere — I. H.), „hinauf, als wollte sie ihn eben dem Gott auf die Nase schnellen, doch ruhig ließ sie ihn niederfallen, nachdem sie sich eine Zeitlang an ihrer Angst geweidet." 189 Mit drolligem Witz, als „Schlangenpastete", verspottete sie ebenso das aus dem Vatikan gebrachte berühmte Werk der Bildhauer von Rhodos Agesandros, Polydoros und Athenodoros, die Laokoon-Gruppe, die Gegenstand lebhafter Diskussionen in der rue de Clichy war. Die LaokoonGruppe war von Lessing als ein Grundpfeiler seiner Kunsttheorie verwendet worden, die Schlegel und seine Freunde von Jugend an kannten. Nun aber standen sie erstmals vor diesem Kunstwerk selbst. Ihre Debatten entzündeten sich nicht nur an der Darstellung der Gruppe und an
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von Pobeheim, als Schriftsteller publizierte er unter dem Pseudonym A. Wallenberg, er starb als Bataillonsarzt in Annaberg bei der Pflege Verwundeter. SternKatalog (Anm. 42), S. 865. Helmine von Chézy, geb. Freiin Klencke: 1. Frau von Genlis und Napoleon. In: Freihafen (Anm. 74), 1840, III, S. 177. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 16. September 1802. In: Walzel (Anm. 44), S. 495. Dorothea an Schleiermacher, [21. November 1802]. In: Litteraturarchiv (Anm. 45), S. 119. Freihafen (Anm. 74), S. 69. Ebd., S. 47.
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der antiken Kunst überhaupt, sondern, von Lessing ausgehend, stießen sie auf Grundprobleme der romantischen Kunsttheorie. Sulpiz Boisserée erinnerte sich später, daß ebenso oft über die Werke Johann Joachim Winckelmanns gesprochen wurde, die Schlegel seinen Schülern als in jeder Hinsicht „lehrreich und musterhaft" 190 empfahl. Diese Empfehlung vergaß ζ. B. Helmina fünf Jahre später nicht und stellte den französischen Lesern die von Karl Ludwig Fernow begonnene Winckelmann-Werkausgabe in Millins Magasin encyclopédique mit hoher Wertschätzung vor. 191 Zwischen 10. und 14. Oktober 1803 192 wurden zu Hausgenossen die Brüder Sulpiz (1783-1854) und Melchior (1786-1851) Boisserée, zusammen mit Johann Baptist Bertram (1776-1841) aus Köln. 193 Die drei jungen Männer befanden sich auf einer dreiwöchigen „Ferienreise" in Paris, mußten aber wegen einer Erkrankung von Sulpiz die Weiterreise nach Jena verschieben. Sie beschlossen, den Winter in Paris zu verbringen und schlugen Schlegel vor, für sie Vorlesungen zu halten und sie in seine Wohnung aufzunehmen. 194 Die auf Wunsch der Brüder Boisserée gehaltenen 45 „Privatissima" über die Geschichte der europäischen Literatur, die Literatur „der gebildeten Völker alter und neuer Zeit" sowie über die Geschichte der griechischen Philosophie 195 , an denen außer den drei Kunstreisenden Helmina und Gottfried Hagemann teilnahmen, fanden ab 25. November 1803 bis zum 11. April 1804 im Wohnhaus statt und bildeten später einen „Grundriß der Literatur, eine vollständige Geschichte oder Charakteristik derselben von Homer bis auf die neueste Zeit, die Geschichte der Philosophie mit eingeschlossen." 196 Die Freundschaft mit Boisserée und Bertram erwies sich gegenseitig als besonders fruchtbar. Die jungen Leute nahmen mit großem Eifer die
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Boisserée (Anm. 53), S. 23. H., Œuvres de Winckelmann, publiés par C. L. Fernow, in: Magasin encyclopédique, ou Journal des sciences, des lettres et des arts; rédigé par A. L. Miliin, Paris 1808, Tome VI, p. 445 - 450. Raich (Anm. 69), S. 116. Über ihren ersten Besuch in der Rue de Clichy vgl. Unvergessenes (Anm. 78), S. 256 ff. Boisserée (Anm. 53), S. 20. Ebd., S. 21; vgl. auch: Ernst Behler, Editionsbericht. In: Schlegel/ΚΑ (Anm. 25), Bd. 11, S. X X I X - X X X V I . Friedrich Schlegel an Georg Reimer, 14. Juli 1805. In: Körner, 1926 (Anm. 39), S. 68.
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Schlegelschen Gedanken über die Geschichte der alten und neuen Literatur, über die Entwicklung der Kunstgeschichte und Kunsttheorie in sich auf, und andererseits waren die Ausführungen Bertrams über die Besonderheiten der gotischen Architektur der rheinischen Klöster und Kirchen für Schlegel sehr willkommen und lenkten seine Aufmerksamkeit auch auf französische architektonische Denkmale.197 Die Studien in Paris waren für die Brüder Boisserée insofern nicht umsonst, als sie ihr Kunstverständnis prägten und ihre Tätigkeit zur Rettung von Kunstschätzen aus den säkularisierten Klöstern und Kirchen im Rheinland sowie zum Sammeln deutscher Gemälde aus dem Mittelalter förderten. Es war schon nicht zufällig, daß Schlegel dabei war, als sie im Jahr darauf auf dem Kölner Neumarkt das erste Gemälde ihrer für die Kunstgeschichte Deutschlands bedeutenden Sammlung kauften.198 Unter den ständigen Gästen, die von Schlegel als „das Beste"199 bezeichnet wurden, befanden sich einige Maler, darunter Heinrich Christoph Kolbe aus Düsseldorf 200 , der Schweizer Ludwig Lombach, der, wie Henri Chélin feststellte, der eigentliche Verfasser der drei Beiträge über die Pariser Kunstausstellung in der Europa war 201 , Ferdinand Jagemann202 aus 197 198
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Boisserée (Anm. 53), S. 24. Eduard Firmenich-Richartz, Die Brüder Boisserée. Erster Band. Sulpiz und Melchior Boisserée als Kunstsammler. Ein Beitrag zur Geschichte der Romantik, Jena 1916, S. 56. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, 16. September 1802. In: Walzel (Anm. 44), S. 501. Boisserée (Anm. 53), S. 22. Heinrich Christoph Kolbe (1771-1836) bekam seine Ausbildung an der dortigen Kunstakademie, war tätig am mechanographischen Institut von Johann P. Langer, erhielt 1799 einen Preis der „Weimarer Kunstfreunde" und knüpfte Verbindungen zu Goethe. Ende 1800 kam er nach Paris und malte in der Werkstatt von Davids Schülern Vincent und Gérard, später wurde er durch Bildnisse Goethes berühmt. Allgemeines Lexikon der bildenden Künsder von der Antike bis zur Gegenwart. Begr. von Ulrich Thieme und Felix Becker, 37 Bde., Leipzig 1907-1950, Bd. 21, S. 230 f. Der in Bern geborene Maler und Zeichner Ludwig Lombach (1772—1821) besuchte in den Jahren 1797-1798 Rom, bevor er nach Paris kam. Er war mit Karoline und Wilhelm von Humboldt, Friedrich Tieck sowie mit Schweighäuser bekannt. Chélin (Anm. 1), S. 154-157. Freihafen (Anm. 74), S. 52 f. Ferdinand Jagemann (1780-1820) war Schüler von Georg Melchior Kraus und setzte sein Studium 1802-1804 in Paris fort, wo er mehrere Bilder Raffaele kopierte. Eines von ihnen wurde von Schlegel für das letzte Heft der Europa als Titelbild gewählt. Als freiwilliger Jäger beteiligte er sich an den Befreiungskriegen und wurde später in Weimar einer der bekanntesten
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Weimar, sowie Bildhauer: der Florentiner Lorenzo Bartolini 2 0 3 und Johann Martin v o n Wagner 2 0 4 aus München. Der unmittelbare Verkehr mit so zahlreichen Künstlern war insofern von großer Bedeutung, als bei Schlegel und seinen Gästen die Malerei einen weiten Raum einnahm, sowohl in den Heften der Europa als durch die gemeinsamen Museumsbesuche und die anschließenden Diskussionen. Es ist anzunehmen, daß die anderen Künstler im wesentlichen dieselben Ansichten vertraten wie Schlegel selbst und die anderen EuropaAutoren, August Wilhelm Schlegel, Lombach, von Arnim und Helmina, wonach wichtiger als das Thema eines Bildes und die Maltechnik Geist und Gesinnung seien, mit welchen das gewählte Thema behandelt wurde. Dabei spielten, v o r allem zunehmend bei Schlegel, religiöse Motive eine bedeutende Rolle, und die Tendenz der Urteile lief auf den Vorschlag hinaus, zu Stil und Themen der alten christlichen, und in erster Linie altdeutschen Malerei zurückzukehren. Demzufolge lobte man Altdorfer und Massys, betrachtete schon kritischer die Werke von Dürer und Raffael, verspottete man die von Rubens und lehnte die moderne französische Schule (David u. a.) rundweg ab. 2 0 5 Andererseits gab es bestimmt
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Maler, besonders durch seine Porträts von Schiller, Wieland und vor allem von Goethe. Thieme-Becker (Anm. 200), Bd. 18, S. 338 f. Boisserée (Anm. 53), S. 22. Lorenzo Bartolini (1777-1850) lebte seit 1797 in Paris und war Schüler von David und Freund von Ingres sowie von Ludwig Tiecks Bruder Friedrich. Er hatte sein Atelier im Louvre, das von Helmina und eventuell auch von Schlegel und anderen aus seinem Kreise besucht wurde. Von Napoleon hochgeschätzt, fertigte er für ihn mehrere Portraits, Medaillen, den Fries auf der Vendöme-Säule usw. Er war nach Canova der gepriesenste italienische Bildhauer des 19. Jahrhunderts und galt als theoretischer Reformer des Klassizismus. Thieme-Becker (Anm. 200), Bd. 2, S. 556 f. Boisserée (Anm. 53), S. 22. Johann Martin von Wagner (1777-1858) gehörte zu den bedeutenden Künstlern Süddeutschlands; er war Maler, Bildhauer, Zeichner, Archäologe, Kunstsammler; bevor er im September 1803 nach Paris kam, war er erster Preisträger von zwei Wettbewerben 1802 in Wien und 1803 in Weimar und Inhaber einer Professorenstelle in Würzburg; im Mai 1804 ging er nach Rom, wo er mehrere Jahre verbrachte, auch die letzten seines Lebens; er war u. a. Briefpartner von Goethe und Schelling, Freund und Kunstberater von Ludwig von Bayern, wirkte in den 30er Jahren als Sekretär der Kunstakademie und 1841 als Direktor der Gemäldegalerie in München. Thieme-Becker (Anm. 200), Bd. 35, S. 44 f. Chélin (Anm. 1), S. 8 1 - 9 4 . In diesem Sinne verfaßte Helmina 1812 und 1818 ihre umfangreichen Kunstartikel. Vgl.: Gemälde der Herren Boisserée und Bertram in Heidelberg. In: Die Musen. Eine norddeutsche Zeitschrift. Hg. von Friedrich Baron de la Motte Fouqué und Wilhelm Neumann. Zweites Quartal, Berlin 1812, S. 87 —132; Die altdeutsche und altniederländische Malerkunst. Geschichtliche
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Differenzen zu Schlegelschen Auffassungen, die besonders im späteren Schaffen dieser Künsder zum Ausdruck kamen. Auf jeden Fall blieben die Pariser Jahre im Schlegel-Kreis für diese Künsder nicht ohne Nachwirkung. Pädagogische Probleme unter dem Zeichen Rousseaus gehörten zum Diskussionsstoff romantischer Geselligkeit. In Schlegels Sicht war die wahre, frühromanüsche Persönlichkeit als Einheit des „Philologen" und Künsders Träger eines göttlichen Prinzips, mußte naturgemäß auch zum „Lehrer" werden und dabei die sokratische Tradition wiederherstellen. 206 In praktischer Hinsicht wirkten täglich pädagogische Fragestellungen, die mit der Erziehung und Ausbildung von Dorotheas Sohn verbunden waren. Philipp Veit besuchte eine besondere Schule, die sich in derselben Straße befand, eine sog. Polymatische Schule (Ecole Polymatique), eine Art privater Vor-Universität mit Pensionat für junge Männer zwischen 15 und 25 Jahren, 1799 von Pierre-Roland Butet de la Sarthe (1769 bis 1825) 207 mit dem Ziel gegründet, einige pädagogische Ideen Rousseaus zu verwirklichen und den jungen Leuten eine allseitige Erziehung zu vermitteln. Hier wurde in zahlreichen Fächern, „in allen Arten von Wissen und Kunst" 208 unterrichtet: Mathematik, Chemie, Physik, Astronomie, Naturgeschichte, Philosophie, Geschichte, Altertumskunde, Literatur, Kunst, Musik, Altsprachen und neuere Sprachen, und auch gymnastische Übungen wurden nicht vergessen. Die Lehrer waren vorwiegend namhafte französische Wissenschafder wie La Place, Cuvier, Delambre, Sicard u. a., aber auch einige deutsche. Dorothea und Friedrich imponierten diese Einrichtung und ihr Direktor 209 , und es gab das Vorhaben, daß Friedrich dort auch unterrichten könnte. In den Erinnerungen eines Gastes 210 von Dorothea und Friedrich, Georg Bernhard Depping (1784-1853), der seit Neujahr 1804 als Lehrer an der Schule angestellt
Uebersicht alter Gemälde, im Besitz der Herren Fochem in Cöln, Wallraf ebendaselbst, Boißeree in Heidelberg, Freiherr von Mehring und Lieversberg in Cöln, Bettendorf in Aachen, Obrist Rühle und Lilienstern in Berlin, und einiger Gemälde in der Schloßgallerie zu Aschaffenburg. In: Aurikeln (Anm. 74), S. 3 0 0 - 3 6 2 . 2 0 6 Neumann (Anm. 23), S. 489. 2 0 7 A. J. Mahul, Annales bibliographiques etc, 2 torn, 1827, S. 28. 2 0 8 Europa (Anm. 1), 1. Bd., 2. Stück, S. 164. 209 Ygj ¿ a Z u Friedrichs Notiz: Polymathische Schule, in: ebd., S. 1 6 4 - 1 6 7 . 2 1 0 G[eorg] B[ernhard] Depping, Erinnerungen aus dem Leben eines Deutschen in Paris, Leipzig 1832, S. 98.
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war, finden wir eine Episode mit dem Schlegelschen Plan, im großen Garten der Schule unter schattigen Bäumen in einem Gartenpavillon seine Vorlesungen über deutsche Literatur fortzusetzen. 211 Alljährlich wurden an der Schule in allen Fächern Preise verliehen, und Begeisterung und Stolz rief in der rue de Clichy der hochbegabte Philipp hervor, als er im Sommer 1803 die ersten Preise in fast allen Fächern gewann. 212 Dorothea war eine leidenschaftliche Musikliebhaberin, wie die meisten Mitglieder der Familie Mendelssohn. Sie trug dazu bei, daß die Musik zu den wichtigsten Beschäftigungen des Freundeskreises wurde. Es gab regelmäßige Besuche der Morgenkonzerte im Konservatorium, wo Werke von Cherubini, Mozart, Haydn, Durante und Pergolese gespielt wurden. Man besuchte auch gemeinsam Theateraufführungen von Corneille und Racine sowie die Oper von italienischen Komponisten oder von Gluck. 213 Auch dieses Interessengebiet spiegelte sich in der Zeitschrift wider, wobei vorwiegend Dorothea als Autorin wirkte, in einem Falle214 gemeinsam mit Reichardt mit der Unterstützung eines anderen schreibenden Berufsmusikers, des Philologen und Violinvirtuosen Paul Emil Thieriot (1780-1831), der zu dieser Zeit in Paris erfolgreich Konzerte gab und die Schlegels besuchte. 215 Und selbstverständlich war die Politik eines der Gesprächsthemen. 1815 ging im Schlegelschen Salon in Wien die Rede „von dem künftigen Schicksale Frankreichs" 216 nach der Zerschlagung der napoleonischen Armee, jetzt in Paris ging es um eine noch brisantere politische Situation. 1800 war Österreich geschlagen und Italien erobert, 1801 vom schon völlig maroden Deutschen Reich die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich erzwungen worden. Im Mai 1803 bereitete Napoleon mit dem 211 212
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Ebd., S. 97. Dorothea an Simon Veit, 15. October 1803. In: Wieneke (Anm. 55), S. 360 f. Helmina berichtete über die Preisverleihung auch in: Miscellen (Anm. 92), 4. Bd., 1. Heft, S. 47 f.: Polymatische Schule. Boisserée (Anm. 53), S. 23. D. R., Ueber den Zustand der Musik in Paris. An E. In: Europa (Anm. 1), 1. Bd., 2. Heft, S. 1 2 6 - 1 3 1 . Dorothea an Paul Thieriot, [10. Februar 1803], In: Körner, 1926 (Anm. 39), S. 51 f. und ebd., S. 461 und 721; Dorothea an Paul Emil Thieriot, [Mitte Februar 1803], In: Krisenjahre (Anm. 19), S. 38; Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexikon der Tonkunst, Stuttgart 1838, Bd. 6, S: 639. ZfG (Anm. 63), S. 245 f.
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Einmarsch in das damals englische Kurfürstentum Hannover zugleich einen neuen Krieg mit England und einen Schlag gegen Preußen vor. Es bestand also genügend Anlaß für einen preußischen oder deutschen Patrioten, besorgt in die Zukunft zu blicken. Innenpolitisch zeichnete sich weiter ein rascher Abbau demokratischer Errungenschaften der Revolution durch Napoleon ab. Die Niederschlagung der Verschwörung der letzten führenden Republikaner gegen den Ersten Konsul im Winter 1803/04 und die Ermordung des Herzogs von Enghien waren direkte Schritte zu der bereits von den Zeitgenossen als Epochenwende verstandenen Kaiserkrönung Napoleons vom Dezember 1804. Die Stadt wurde mit Soldaten überfüllt, die sogar in den öffentlichen Vorlesungen der berühmten französischen Gelehrten Cuvier, Geoffroy, La Place, Mercier u. a. am Nationalinstitut „mit bloßem Seitengewehr, oder mit aufgepflanztem Bajonette" zu sehen waren. 217 Die Freiheit der Presse wurde stark beschnitten, Ausnahmegerichte ersetzten mehr und mehr die Volkstribunale der Revolutionstage. Damals schuf Fouché seine berüchtigte Geheimpolizei, und auch die Mitglieder des Schlegelschen Kreises rechneten damit, daß ihre Post kontrolliert wurde. Diese Entwicklung ging bis hin zu machtpolitisch erzwungenen jähen Änderungen in der Mode und in Formen des geselligen Verkehrs, was Helmina in den Artikeln ihrer Französischen Miscellen aufmerksam registrierte. Wie stark die Geselligkeit in der Stadt überhaupt und um Schlegel insbesondere durch diese Entwicklung beeinflußt war, erfahren wir aus dem Tagebuch von Sulpiz Boisserée, der mit Bedauern feststellen mußte, daß die Abendgesellschaft nicht regelmäßig zusammenkam und mit den ersten Monaten des Jahres 1804 sich auf einen ganz engen Kreis der Beteiligten einschränkte: „Die Ungewißheit und die gewaltsame Spannung, worin die Bevölkerung während dieser Zustände gehalten wurde, drückte auf alle Verhältnisse; die Fremden verloren sich immer mehr, die Theater und Spaziergänge waren wenig besucht, und wenn der mächtige Herrscher mit seinem finstern Blick erschien, gab sich selten ein Beifall kund. Da zog sich jeder auf seinen vertrauten Kreis zurück, und wer mit öffentlichen Dingen nichts zu schaffen hatte, freute sich, die äußere, überall verkümmerte Freiheit einigermaßen noch in seinem häuslichen Leben genießen zu können." 218 217 218
Benzenberg (Anm. 49), S. 224 f. Boisserée (Anm. 53), S. 23.
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Es handelte sich also um alles andere als eine ruhige Zeit. Von außen war jedenfalls keine Ruhe, keine Voraussetzung zu wissenschaftlicher Sammlung zu erwarten. Um so mehr mußte man sich bewußt und konsequent in sich selbst versenken, seiner inneren Stimme folgen, der Entwicklung seiner eigenen Fähigkeiten Raum geben. Darin war Friedrich Schlegel gewiß ein Vorbild. Und man mußte seinen Freundeskreis nicht nur erhalten, sondern in vielfältiger Funktion nutzen. Ein kurzfristiges Wiederaufleben der Geselligkeit um Schlegels fand bei späteren Aufenthalten Friedrichs und August Wilhelms in Paris statt: Ende November 1804 und Ende Oktober/Anfang November 1806. Helmina war wieder dabei. 219 Die Pariser Geselligkeit im Kreise von Dorothea und Friedrich Schlegel war eine typisch frühromantische mit ähnlichen Merkmalen wie die Jenenser oder Berliner. Jedoch unterschied sie sich von diesen, weil sie außerhalb Deutschlands, in Frankreich, in Paris, im damaligen Zentrum der europäischen Politik, Wissenschaft und Kunst praktiziert wurde. Diese Auslandsstellung schuf besondere Bedingungen für die Geselligkeit, die in erster Linie durch die politische Situation erheblich auf die gesamte „Programmatik" des Schlegelschen Kreises einwirkte, auf die dort vertretenen Studienrichtungen und nicht zuletzt auf die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises. Die Gesellschaft war zwar relativ begrenzt, trug aber nicht den elitären Charakter ihrer Vorgängerinnen in Jena und Berlin; in größerem Maße waren alle Richtungen der Kultur und Wissenschaft vertreten, insbesondere der Naturwissenschaft. Der Kreis der Schlegelschen Geselligkeit in Paris war so universell, daß er den Ideen der offenen Salongeselligkeit und der romantischen Enzyklopädie sehr nahe kam; in dieser Hinsicht ging er weit über Jena hinaus. Die Dialektik des zu dieser Zeit einsetzenden komplizierten Prozesses des internationalen kulturellen Transfers zeigt sich am Beispiel der Schlegelschen Geselligkeit mit voller Deutlichkeit. Die in ihrem Kreise vertretenen verschiedenen Nationen korrespondieren völlig mit dessen damaligen Auffassungen von der geistigen Einheit Europas. Gerade in der in Paris vorgetragenen Form seiner Vorlesungen spiegelte sich, deutlicher als vorher oder gar später in Wien, die Idee eines gesamteuropäischen Kulturbewußtseins wider, eines „europäischen Patriotismus" und der da219
Pange (Anm. 105), S. 132; Unvergessenes (Anm. 74), S. 268.
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für vorrangigen Verständigung Deutschlands und Frankreichs. 220 Diese bei Schlegel nur zeitlich begrenzt vorhandene Sicht war auch ein Produkt der Geselligkeit. Die mit dem romantischen Salon verbundene Emanzipation von Bürgern, Frauen, Juden trat unter den fortgeschrittenen Verhältnissen von Paris weniger gravierend hervor als im zurückgebliebenen Deutschland. Die Schlegelsche Geselligkeit war im wesentlichen nicht durch eine Frau, sondern durch einen Mann geprägt, der jedoch am meisten von allen Romantikern zur Herausbildung einer neuen Weiblichkeit beitrug, was insofern positiv auf den frauenemanzipatorischen Impetus der Pariser Geselligkeit wirkte, als die unkonventionellsten Frauen dort vollkommen frei verkehren und mitwirken konnten. Jedoch fanden die Schlegelschen Emanzipationsgedanken, die ihrer Zeit im Ganzen weit vorauseilten, ihre Grenze, indem er, wie es sich am Beispiel von Dorothea und Helmina zeigte, das öffentliche Auftreten der Frauen ablehnte. 221 In dieser Hinsicht stand Paris gewiß hinter Jena zurück, wo es durch das Wirken Carolines, aber auch August Wilhelm Schlegels, Schellings und anderer zu viel komplizierteren Konstellationen gekommen war, die noch näher zu untersuchen wären. Die in den meisten Salons übliche Diskussion über bereits vorliegende Publikationen wurde in der Schlegelschen Geselligkeit in Paris durch unerhört konzentrierte geistige Arbeit ergänzt. Es entwickelte sich eine besonders intensive Art der Produktivität auf verschiedenen Wissensgebieten: Philosophie, Ästhetik, Physik, Geschichte, Literaturgeschichte und Literaturkritik, Anatomie, Kunstgeschichte, Publizistik, Sprachwissenschaft, und dies in verschiedenen Formen: Vorlesungen, Quellen-, Sprach- und Kunststudien, Herausgabe einer Zeitschrift, Übersetzungsbüro. Der Briefwechsel mit Blick auf spätere Publikation, der sonst bei den Salons stark ausgeprägt war, trat in den Hintergrund, da sich aktivere Formen gesellschaftlicher Produktivität eröffneten. Die direkt an die Geselligkeit geknüpften Aktivitäten erschöpften nicht die individuelle Tätigkeit der Beteiligten: Schlegel arbeitete an seinen Sprachlehrbüchern und der Edition von Lessings Werken, Helmina gab ihre Zeitschrift heraus, die Brüder Boisserée setzten ihre Kunststudien
Schlegel/ΚΑ (Anm. 25), S. X X V I I I - X X X I I I . 221 Ygi Hannelore Scholz, Widersprüche im bürgerlichen Frauenbild. (Reihe: Ergebnisse der Frauenforschung, Bd. 26), Weinheim 1992, S. 112, 141.
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fort, Oersted seine chemo-elektrischen usw. Es gab keineswegs eine völlige Vereinnahmung der Individuen durch die Geselligkeit. Friedrich Schlegel stand ohne Frage im Zentrum jenes Phänomens. Er hat es in Paris ein letztes Mal versucht, seine hochfliegenden Pläne zu verwirklichen, und ist gescheitert. Einer der besten Kenner der Materie, der Herausgeber der kritischen Schlegel-Ausgabe Ernst Behler, hat diese Pariser Zeit daher als „die entscheidende Zäsur im Leben Schlegels" bezeichnet.222 Im Grunde offenbarte sich dieses Scheitern schon kurz nach der Ankunft, als sein Vorschlag zur Gründung (d. h. Finanzierung) eines deutschen Nationalinstituts als Keimzelle einer romantischen europäischen Akademie bzw. einer europäischen Universität von den zuständigen französischen Gremien nicht einmal diskutiert wurde. Schlegels tiefe Bedrücktheit und Unzufriedenheit spricht aus vielen Dokumenten dieser Zeit. In dieser Perspektive erscheint die gesamte Pariser Geselligkeit nur als kleiner Notbehelf. Dennoch handelt die Geschichte des Kreises um die Schlegels in jenen fast zwei Jahren keineswegs nur von Scheitern, finanziellen Sorgen und existentiellen Nöten. Glücklich, wer aus einer objektiven Niederlage — bezogen auf die eigentlichen Pläne — so viel zu machen weiß: Es liegt aus dem Pariser Kreis von 1802-1804 an vielgestaltigem und weiterwirkendem Werk und besonders an Ideenfülle mehr vor, als manche Akademie in einem Jahrzehnt vorzuweisen hat. Dem Inhalt der Schlegelschen Vorlesungen tat es keinen wesentlichen Abbruch, wenn sie nicht vor einem großen und glanzvollen, im Lichte staatlicher Aufmerksamkeit und Förderung stehenden Publikum gehalten wurden, sondern vor einer Handvoll Interessierter in einem privat gemieteten Saale, schließlich vor nur fünf Freunden in der eigenen Wohnung. Inge Hoffmann-Axthelm, die unter dem Eindruck der 1968er Bewegung ihre Untersuchung in den so nicht haltbaren Schluß münden ließ, alle großen frühromantischen Theorien der Geselligkeit seien in der Praxis notwendig gescheitert, hielt dennoch fest, „daß die im Schlegelkreis und seiner Umgebung aufgetauchten Denkweisen im Lauf des 19. Jahrhunderts und bis in die unmittelbare Gegenwart auf allen Gebieten sich weiter entwickelt, verbreitet und sichtbar ausgewirkt haben."223 Die unbestreitbare Nachwirkung war ganz sicher nicht nur auf Theorien gegründet, sondern auch auf gelebter Geselligkeit, genauer: auf der Einheit beider. 222 223
Schlegel/ΚΑ (Anm. 25), S. XXXI. Hoffmann-Axthelm (Anm. 7), S. 206.
Hannelore Schokζ
Geselligkeit als Utopie Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W Schlegel
„Hausvaters=Rechte und Hausvaters Freuden sind größtentheils verschwunden; Die Gesinde werden nicht als Theile der Familien angesehen, sondern als Miethlinge betrachtet, die wir nach Gefallen abschaffen, so wie sie uns verlassen können, sobald sie sonst irgendwo mehr Freyheit, mehr Gemächlichkeit, oder reichere Bezahlung zu finden glauben." 1
Diese soziale Mobilität findet in Adolph Freiherr von Knigges berühmtem Buch „Über den Umgang mit Menschen" von 1788 eine bemerkenswerte Beachtung. Angedeutet wird damit einer der folgenreichsten sozialgeschichtlichen Vorgänge am Ende des 18. Jahrhunderts - die endgültige Auflösung der Sozialstruktur des „ganzen Hauses". Die Folgen sind u. a. die Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, die die Frauen und Männer in eine Arbeitsteilung mit entsprechenden Rollen drängte. In diesem Zusammenhang ergaben sich fundamentale Veränderungen der geistigen Signatur und der Mentalitäten, die als enorme Mobilität bemerkbar wurden. Die sozialen Mobilitäten waren nicht unerheblich die Konsequenz einer durch die Aufklärung bewirkten geistig-gesellschaftlichen Modernisierung, die keinen Lebensbereich unberührt gelassen hatte. Das beweisen die ökonomischen Grundsätze der Reformen z. B. in Preußen mit ihren großen quantitativen Auswirkungen auf die Gesellschaft ebenso wie die längst überfallige Verbesserung der Rechtsstellung kleinerer gesellschaftlicher Gruppen, z. B. der Juden, die von zahlreichen Aufklärern gefordert wurde. Als Protagonist wirkte seit 1781 der preußische Beamte Christian Wilhelm Dohm. In seiner Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" vertrat er die konsequenteste Form der Judenemanzi1
Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, 1788, zitiert nach Horst Möller, Epoche — sozialgeschichtlicher Abriß, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, hg. von Horst Albert Glaser, Bd. 5, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 14.
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Hannelore Scholz
pation. Hippels Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" hatte hier ihr Vorbild. Dieser sozialgeschichtliche Umbruch des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist vielfach dokumentiert, sowohl als „Strukturwandel der Öffentlichkeit" (Habermas) wie auch als ökonomisch-technologischer Modernisierungsprozeß. Die Veränderungen der sozialen Stellung der Frau in diesem Wandel des Volkes vom allgemeinen Untertanenstand zur „Staatsbürgergesellschaft" (W. Conze) zeigten sich in vielfaltigen Formen der Organisation, der Lesegesellschaften, der Geselligkeitskreise. In den romantischen Salons war Geistesverwandtschaft, nicht Standeszugehörigkeit oder Geschlecht charakteristisch. Diese Vermischung von adliger und bürgerlicher Geisteskultur führte zur geistigen Emanzipation der Frauen und ließ diese Art der Geselligkeit als Utopiemodell erfahrbar werden. Für viele Frauen war der Austausch in den Salons Anregung für eigene Schreibversuche und die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften, der Kunst und der Philosophie. Während aber die Orden, die Berliner Mittwochsgesellschaft und Clubs durch die Auswirkungen der Französischen Revolution eine starke Politisierung erfuhren, wurde die Utopie einer Geselligkeit von Geistesverwandtschaften durch die zunehmende soziale Desintegration, die sich über weite Strecken als Generationskonflikt vollzog, mehr und mehr als Illusion erfahrbar. Die Salonatmosphäre, die soziale, religiöse und Geschlechtsdifferenzen zugunsten einer geistig-kulturellen Gemeinschaft zu nivellieren schien, war eine kurzzeitige Utopie. A. W Schlegels und Fichtes Privatvorlesungen in Berlin möchte ich als eine Ubergangsform von der offenen Salonkultur der Frauen in Richtung einer „gebundenen Geselligkeit" charakterisieren.2 Der Begriff „gebundene Geselligkeit" ist aus Schleiermachers „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens". „Diejenigen, welche [...] gemeinschaftlich einer Vorlesung beiwohnen, machen untereinander eigentlich keine Gesellschaft aus, und jeder ist auch mit dem Künsder eigendich nicht in einer freien, sondern in einer gebundenen Gesellschaft begriffen, weil dieser es nur auf irgendeine, bestimmte Wirkung angelegt hat, und jener nicht gleichförmig auf ihn zurückwirken kann, sondern sich eigentlich immer leidend verhält". 3 2
3
Diese Auffassung vertritt Renata Buzzo Margari: Schriftliche Konversation im Hörsaal. „Raheis und Anderer Bemerkungen in A. W Schlegels Vorlesungen zu Berlin 1802", in: Rahel Levin Varnhagen. Die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, hg. von Barbara Hahn und Ursula Isselstein, Göttingen 1987. Friedrich Schleiermacher: „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens", in: Varnhagen, Rahel-Bibliothek, Bd. X, S. 2 5 3 - 2 7 9 , S. 258.
Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W. Schlegel
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Für die geistig-kulturelle Emanzipation der Frauen war es ein Vorzug, daß Berlin erst im Rahmen bildungspolitischer Vorgänge 1810 eine Universität erhielt. Ihre Teilnahme an Privatvorlesungen war dadurch möglich, aber auch nur dann, wenn der Vortragende es zuließ. So hatte ζ. B. der sehr erfolgreiche Spätaufklärer Franz Horn (1781 — 1837) in seinen nach Gattungen gegliederten Bänden „Umrisse zur Geschichte und Kritik der schönen Litteratur Deutschlands während der Jahre 1790-1818", „Geschichte und Kritik der deutschen Poesie und Beredsamkeit" (1805), den Grundsatz aufgestellt, daß alle Dichtungen zu verwerfen seien, die den Frauen gefielen. 4 Und der berühmte Nicolai konnte sich bei der Ankündigung der Berliner Vorlesungen von A. W Schlegel in der „Neuen Allgemeinen Deutschen Bibliothek" seiner bissigen Kritik nicht enthalten: „Er (Schlegel, H. S.) schmeichelt sich nicht bloß Zuhörer, sondern auch zahlreiche Zuhörerinnen zu finden".5 Er fand sie, und die Vorlesungen wurden ein aufsehenerregendes Ereignis. Sie fanden „vor einer glänzenden Versammlung" statt, wie Caroline an ihre Freundin schrieb.6 Im August 1801 erwähnt A. W Schlegel zum ersten Mal in einem Brief an Sophie Bernhardi sein Vorhaben. Er äußert sich zunächst skeptisch darüber. „Daß ich zu meinen Vorlesungen das gehörige Publikum finde, glaube ich zwar nicht recht, allein sie hängt ja auch nicht ganz davon ab". 7 Er hatte bei seinem Besuch in Berlin dieses Projekt vorbereitet und kehrte nur kurz nach Jena zurück. „Ich sehe jetzt alles Arbeiten als ein Wegräumen an, um meine Rückkehr nach Berlin zu beschleunigen." 8 Den Bernhardts meldete er, daß Caroline den Plan mit den Vorlesungen in Berlin gebilligt habe, ihn aber nicht begleiten werde. Dennoch richte er all sein „Sinnen und Trachten" auf dieses Projekt, da sie ihm „das Mittel verschaffen sollen, den Winter mit seinen berlinischen Freunden zu ver4
5
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Vgl. Ludwig Geiger, Berlin (1688 — 1840), Geschichte des geistigen Lebens der preussischen Hauptstadt, Bd. 2, Neudruck, Aalen 1957, S. 1 1 6 f. Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek, hg. von Friedrich Nicolai, Berlin und Stettin ( 1 8 0 1 - 1 8 0 5 ) , Nr. 63/1801. Brief an Luise Gotter, zitiert nach Jochen Minor (Hg.): A. W. Schlegels Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst, Deutsche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, Heilbronn 1884, Bd. 1, S. VII. Im weiteren zitiert als „Minor". A. W Schlegel an Sophie Bernhardi, in: Krisenjahre der Frühromantik, hg. von Josef Körner, Brünn, Wien, Leipzig 1936, Bd. 1, S. 130. Ebd.
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bringen". 9 Schlegel hatte also zunächst gar nicht die Absicht, für längere Zeit in Berlin zu bleiben. Allerdings gab es genügend Gründe, Jena zu verlassen. Immer mehr hatte sich die Krisensituation zugespitzt. Da war der Mißerfolg seiner Vorlesungen. Er hatte sich mit großem wissenschaftlichen Eifer diesen Ästhetik-Vorlesungen gewidmet, ohne gegen Schütz und dessen Anhang ankommen zu können. Im Sommer 1799 wurde sie nur noch von 5 Studenten besucht. 10 Diese akademische Niederlage sah er zu recht im Zusammenhang mit dem sogenannten „Atheismusstreit" um Fichte. Eine politische Entscheidung wurde in dieser Frage offenkundig, da es um die Einschränkung der Lehr- und Schreibfreiheit in Jena ging.11 Berlin wurde aus verschiedenen Gründen für Schlegel ein wichtiger Ort neuer Wirksamkeit. Hier war das „Athenäum" erschienen, und es gab einen zuverlässigen Kreis von Freunden, die für den Besuch der Vorlesungen warben. 1798 hatte Schlegel schon einmal längere Zeit die preußische Hauptstadt besucht und Verbindungen mit „Gelehrten, Künstlern, Jüdinnen, Geheimräten und Schauspielern" 12 geknüpft. Berlin und Friedrich Wilhelm III hatten ihn bewegt, das Gedicht „Am Tage der Huldigung" zu verfassen. In Preußen sah Schlegel wie viele andere auch noch einen Staat im damaligen Deutschland, der eine festgefügte Ordnung besaß, der wie ein „ew'ger Tempel steht ... Hier waltet Ruh, stürzt schon, verflucht, bewundert / In seine Gruft mit Krachen das Jahrhundert". 13 Nicht unerheblich für seine Entscheidung war die Liebesbeziehung zu Bernhardis Frau und Tiecks Schwester Sophie Tieck-Bernhardi. Um 1800 wurde Berlin zum kulturellen Zentrum der Romantik. Kulturgeschichtlich ist interessant, aus welchen Gründen der frühromantische Kreis sich in Jena auflöste und sich dessen größter Teil in Berlin einfand. A. W. Schlegel wurde hier — wie schon in Jena - der führende Kopf. 14 9 10 11 12
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14
Holtei, Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten, Bd. III, S. 68 f. Vgl. Rudolf Haym, Die romantische Schule, S. 765. Ebd, S. 36. A. W. Schlegel an Goethe, 10. Juni 1789, in: Romantiker und Klassiker. Die Brüder Schlegel in ihren Beziehungen zu Schiller und Goethe, hg. von Josef Körner, Berlin 1924, S. 69. A. W Schlegel, Sämtliche Werke, hg. von Eduard Böcking, 12 Bde, Leipzig 1946/ 47, Bd. I, S. 162. Vgl. weiterführend Hannelore Scholz, Zur Herausbildung romantischer Kunstauffassungen bei A. W. Schlegel von 1789-1804, Berlin 1982, S. 157 ff.
Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W. Schlegel
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Seine Berliner Vorlesungen bestehen aus drei Zyklen: der „Kunstlehre", der „Geschichte der klassischen Litteratur" und der „Geschichte der romantischen Literatur". Da Schlegel zu Beginn seiner Vorlesungen den Erfolg nicht absehen konnte, legte er den Vorlesungszyklus so an, daß jeder Teil in sich abgeschlossen und folglich auch aus sich heraus verständlich ist. Dennoch muß betont werden, daß erst aus der Gesamtheit der Teile eine angemessene Würdigung und Wertung des Schlegelschen Kunstprogramms möglich ist. Der erste Teil „Die Kunstlehre" entstand 1801/1802 und ist im wesentlichen ein theoretischer Teil. Hier wird der Literatur im Ensemble der Künste nur ein begrenzter Raum zugemessen. Schlegel beginnt seine Vorlesungen mit einer Einleitung, in der er zunächst die Gegenstände: Theorie, Geschichte und Kritik der schönen Künste nennt und seine Methode verständlich macht. Er erklärt seinen allgemeinen Standpunkt, eine philosophische Theorie der Kunst darstellen zu wollen. Wilhelm v. Humboldt hatte in seinen beiden großen Horenaufsätzen und in seinen Rezensionen ein Frauenbild entworfen, das den Bereich der Philosophie aussparte. Damit argumentierte er wie Schiller und Goethe, die den Frauen zwar schriftstellerische Talente bescheinigten. Da sie jedoch zur Philosophie ungeeignet seien, können sie nur dilettantische Produktionen liefern und keine vollendeten Kunstwerke schaffen. Schon Friedrich Schlegel hatte in seinem Aufsatz „Über die Philosophie. An Dorothea" widersprochen. Bei A. W Schlegel ist dieser Widerspruch in sein System integriert. Bei der Erarbeitung stieß er immer wieder auf das Problem der Abwesenheit von Schriftstellerinnen und Dichterinnen in der Kunstgeschichte, fand allerdings keine Begründung dafür.15 Die Berliner Vorlesungen sind bedauerlicherweise in Lehre und Forschung wenig präsent. Schlegel legt hier eine erste systematisch geordnete Kunstgeschichte vor, die Theorie, Geschichte und Kunst in wechselseitige Beziehung setzt. Da es ihm hauptsächlich um die Rechtfertigung der modernen Poesie ging, beabsichtigte er, historisch und kritisch die ausgezeichnetsten Werke der Poesie von Homer bis in seine Gegenwart zu charakterisieren und zu beurteilen. Dabei stellte er die Antinomie von klassisch und romantisch auf. Das führte zu einer Wertung der Moderne, die nicht von der Norm der Antike abhängig war. Den Berlinern und Berlinerinnen war die moderne Literatur Goethes und der Romantik noch keineswegs zum vollen Bewußtsein gekommen. 15
Ebd.
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Noch immer waren viele mit Nicolai der Meinung, daß der Wilhelm Meister „ein Werk der nachlässigen Laune sei, noch immer hielten viele mit Garlieb Merkel Engels ,Lorenz Stark' für den eigentlich mustergültigen Roman der Deutschen, noch immer gab es eine große Partei, der das goldene Zeitalter der deutschen Litteratur mit Klopstock, Lessing und Wieland abgeschlossen schien." 16 So gesehen führte A. W Schlegel seinen Kampf auch im Einverständnis mit Goethe und Fichte. Für das Berliner Publikum waren der Romantikerkreis und Goethe, Schiller, Fichte eine einheitliche moderne Literaturpartei. Die Vorträge begannen im November 1801. Zu Anfang waren höchstens sechzig Zuhörer anwesend. Bald aber waren die Vorlesungen eine solche Sensation, daß im letzten Sommer 1803/1804 die Auditorien, die mit jedem Kursus wechselten — Privatwohnungen von Bekannten oder dem Hotel de Paris - die Teilnehmer kaum fassen konnten. 17 Die Frage scheint angebracht, worin die ungeheure Ausstrahlungskraft dieser Vorlesungen auch für Frauen bestand. Dabei ist nicht zu übersehen, daß Schlegels rhetorisches Talent durch Gegenstände, die man sonst nur in der Einsamkeit akademischer Hörsäle erörterte, auf ein gemischtes Publikum eine Wirkung zeigte, die das politisch-nationale Empfinden ansprach. Die Konstellation um die Jahrhundertwende zeigte immer deutlicher, daß die Durchsetzung von Frieden und Freiheit - ein optimistischer Traum des 18. Jahrhunderts - nicht möglich war. „Deutschland ist kein Staat mehr", schrieb Hegel 1802 als Einleitungssatz seiner Studie „Die Verfassung Deutschlands" und wies damit auf die politischen Zustände hin, in deren Gefolge sich auch auf dem Gebiet der Kultur eine Revolutionierung andeutete. Schon das „Athenäum" und die Romane „Lucinde" und „Florentin" hatten die Auseinandersetzungen in Berlin wesentlich verschärft. In dieser Situation mußte August Wilhelm Schlegel sehr daran gelegen sein, in einer systematischen Übersicht die nicht ausreichend gewürdigte Literaturpartei zu rechtfertigen. Ein Besucher seiner Vorlesungen, Varnhagen von Ense, beschreibt die damalige Atmosphäre in Berlin: „Wer es nicht erlebt hat, wird sich kaum vorstellen können, welche Gärung damals in Berlin war, wie alle Begriffe, Ansichten und Urtheile schwankten 16 17
Vgl. Rudolf Haym (Anm. 10), S. 790. Schlegel begann 1801 im Saal Bölkes in der Französischen Straße Nr. 43, wechselte dann in das Hotel de Paris (Brüderstraße). Als auch in diesem Raum nicht Platz genug für die schnell anwachsende Zahl der Besucher war, las er in der Privatwohnung des Justiz-Kommissarius Grattenauer.
Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W Schlegel
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und wütheten". Die Brüder Schlegel sieht er als „ein paar ächte Revolutionsmänner. Die damals in Deutschland mögliche Umwälzung haben sie versucht, und, gestehen wir es nur, zum Theil bewirkt. Ihr Witz, ihre Gelehrsamkeit, ihr Tiefsinn folgten ganz dieser Richtung, die in Frankreich so furchtbar auf die Staatsverhältnisse wirkte, und in Deutschland die gesamte Literatur erschütterte. Mit welchem Erstaunen sah man ihr gewaltsames Verfahren mit Schriftstellern und Werken, die eines königlichen Ansehens genossen! Ihr kühner Muth bot jeder verjährten Anmaßung Trotz, ihre umgestaltende Kraft drang in alle Zweige menschlichen Bildens und Forschens; man glaubte sie hinlänglich mit dem Aufräumen dichterischer Aftererzeugnisse beschäftigt, allein diese Feinde genügten ihnen nicht, sie erklärten jeder hohen Gemeinheit den Krieg, und ihre gerüsteten Schaaren drangen auf allen Seiten vor . ,." 1 8
Die Emanzipation der Romantik wurde durch Schlegels Vorlesungen wesentlich vorangetrieben. „Während viele Berliner Literaten in voller Harmlosigkeit ihrem Dichtervergnügen nachgingen, höchstens den politischen und wissenschaftlichen Zeichen der Zeit lauschten, indem sie ihr Verhältnis zur französischen Revolution oder zu Kant's Umsturz der Philosophie klarlegten, bereitete sich eine literarische Revolution vor, die in Berlin ganz anders geführt wurde, als ,Sturm und Drang' dreißig Jahre früher die Romantik." 19
Die Auswirkungen dieser „literarischen Revolution" waren enorm. Es entstand nach dem 3. Zyklus der „Nordsternbund", zu dem Fouqué, Chamisso, Hitzig, Varnhagen von Ense, Neumann, Koreff u. a. zählten. Die Zeitschrift „Grüner Allmanach" (1804-1806, 3 Jahrgänge) wurde ihr Organ. Auf der Basis der Berliner Vorlesungen erarbeitete Schlegel auch seine „Wiener Vorlesungen" von 1808, die publiziert zum meist gelesenen Buch der europäischen Romantik wurden und sehr rasch ins Englische, Französische, Italienische übersetzt wurden. Die Wirkung auf die russische und polnische Romantik ist belegt. Die Vorbereitung der Berliner Vorlesungen beweist, daß Schlegel von Beginn an ein gemischtes Publikum im Auge hatte. Sein Pränumerationspreis ist günstig (2 Louisd.); die Zeiten für Frauen kommunikationsfördernd. Er hatte neben Sophie Tieck seine Berliner Freunde Bernhardt und Schleiermacher um Rat und Hilfe bei der praktischen Organisation gebeten. Die Buchhändler Frölich und Sander sollten sich um den Druck der Ankündigung und um die Probleme mit der Zensur kümmern. Sophie
18
19
Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften, Berlin 1830, Bd. 8, S. 6. Ebd.
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bat er, 200 Exemplare außerhalb des Freundeskreises zu verteilen. Ausdrücklich erwähnt er Frau v. Berg, Mad. Limann, Dr. Meyer, M'lle Krayn, M.me Herz, Rahel Levin, den Diplomaten Brinckmann. Schlegels außerordentlicher Erfolg ermutigte auch andere, ζ. B. Fichte, Vorlesungen anzubieten. Fichte begann ebenfalls im Winter 1802 Vorlesungen über die Wissenschaftslehre zu halten. Sie wurden nur von ca. 20 Personen besucht und fanden wenig Anklang. Erst im Jahre 1804/05 mit seiner Vorlesung „Uber die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" gelang es ihm, auch eine Anzahl von Frauen zu gewinnen. Im Gegensatz zu seinen philosophischen Kollegien hatte er diese inhaltlich und rhetorisch auf Popularität angelegt, ohne den Ruhm und die Wirkung Schlegels zu erreichen. Hervorzuheben ist dennoch, daß Frauen an philosophischen Diskursen teilnehmen konnten. Dies bedeutete insofern eine Sensation, als nicht nur Rousseau den Frauen Philosophie und echte künstlerische Produktivität abgesprochen hatte, sondern auch der schon erwähnte W. von Humboldt, der in Berlin in den Salons häufig präsent war. Überliefert ist, daß Rahel Varnhagen und Henriette Herz Fichtes Vorlesungen mit großem Gewinn besuchten. 20 Noch im Wintersemester 1802/03 wurden zwei Vorlesungen über Ästhetik und eine über Pädagogik für Damen angekündigt. Im Wintersemester 1804/05 füllten die Ankündigungen bereits zwei Seiten der „Neuen Deutschen Bibliothek". Da Schlegels Vorlesungen zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt vorlagen, ist der direkte Zitatnachweis bei schreibenden Frauen kaum möglich. Allerdings gibt es eine Reihe von Bezügen in Briefen, Selbstaussagen, Tagebüchern von Frauen. Die Durchsetzung der romantischen Poesieauffassung und Philosophie in Berlin war insgesamt eine wichtige Ermutigung für schreibende Frauen. Schon im Jenaer Haus um August Wilhelm Schlegel „symphilosophierten" und „poetisierten" Männer und Frauen gemeinsam. Die Dresdner Gemäldegespräche, publiziert im „Athenäum", sind Gemeinschaftsproduktionen. A. W. Schlegel hat in seinen zahlreichen Rezensionen für die „Jenaer Allgemeine Literaturzeitschrift" den Anteil von Carolines Arbeiten, die unter seinem Namen erschienen waren, genau bezeichnet. Er wird der wichtigste Berater von Sophie Tieck,
20
Vgl. Friedrich Kohlrausch, Erinnerungen aus meinem Leben, in: Johann Gottlieb Fichte, Ruf zur Tat, Sein Leben in Briefen und Berichten verbunden mit einer Auswahl aus seinen allgemeinverständlichen Schriften, Berlin 1956, S. 194 ff.
Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W. Schlegel
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M. de Staël - fördert Caroline, Dorothea und andere und macht sich um die Werke von Frauen durch Vorworte und Besprechungen verdient. Abschließend soll hier ein Beispiel der Rezeption seiner Vorlesungen vorgestellt werden. Im Kasten 203 der Varnhagen-Sammlung in Krakau fand sich ein Heft mit folgender Aufschrift von Varnhagens Hand: „Raheis und Anderer Bemerkungen in A. W Schlegels Vorlesungen zu Berlin 1802. Hierin Handschriftliches von Prinz Louis Ferdinand und Gentz". In diesem Kasten hat Varnhagen Raheis Mitschriften mit den launigen Anmerkungen ihrer Freunde gesammelt. Sie sind auszugsweise ausgewertet, kommentiert und mit Schlegels Vortragstext verglichen, den Minor nach dessen Tod herausgab. Renata Buzzo Margari 21 verweist darauf, daß diese Mitschriften grundsätzlich parallel zum Schlegelschen Text verlaufen. Bemerkenswert ist, wie komprimiert und kompetent Rahel Schlegels Rede ergänzt und kommentiert. Gleichzeitig finden sich schriftliche Gesprächsnotizen Rahel-Gentz und Rahel-Gentz-Prinz Louis. Diese schriftlichen Gespräche haben viele Bezüge zum geselligen Leben Berlins, aber auch zum Vortragstext. Die Themen wie Zeitereignisse, Personenbeschreibungen, Geschehnisse der realen Welt in Berlin sind im spielerisch unterhaltsamen Konversationston gehalten, der den Wechsel von Thema zu Thema ermöglichte. Der stark subjektive Stil tritt direkt in textuelle Beziehung zum wissenschaftlichen Kommentar. Dieser besondere weibliche Text kann als ein Beispiel für Raheis Auffassung vom „Bild des Augenblicks" gelesen werden. Zweifelsohne ist die Entstehung dieses Textes an besondere Bedingungen gebunden; er sprengt aber das Beispiel von Schleiermachers „gebundener Geselligkeit" dadurch, daß die Rezipientin sich nicht „leidend" verhält. Sie notiert während der Vorlesungen nicht nur den Text und ihre Reflexionen, sondern pflegt den Austausch. Der Konversationston der Salons wird hier im akademischen Hörsaal (allerdings keiner Universität) möglich. Der gemischte, intellektuell höchst unterschiedlich ausgerichtete Kreis, der sich in Raheis und H. Herz' Salon traf, war hier wohl der Nährboden für eine Geselligkeitskultur, die genau zu diesem Zeitpunkt eine enge akademisch patriarchalische Welt sprengen konnte. Die Privatvorlesungen boten eine Chance, einerseits die Zensur zu umgehen und andererseits eben nicht in einer „gebundenen Geselligkeit" der Universität nur unter Männern zu sein. 21
Vgl. Renata Buzzo Margari (Anm. 2).
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Hannelore Scholz
In Raheis Heftchen spiegeln sich ästhetische, philosophische und kulturpolitische Interessen wider. Es ist ein Verdienst von Margari, eine erste Sichtung präsentiert zu haben. Ein gründlicher Vergleich mit Raheis Mitschriften und Schlegels Text bleibt eine lohnende Aufgabe der Rahel- und Romantik-Forschung. Die ersten 14 Blätter sind fast nur Produkt geselliger Unterhaltung. Auf dem Blatt 15 werden Mitschrift und spaßiger Austausch gemischt. Bei den folgenden Blättern gibt es nur noch sporadische Glossen, Hinweise auf Bekannte, Stellungnahmen zu Gehörtem. Frau Margari hat die Notizen der Blätter 1 — 36 in Beziehung zu Schlegels Text gesetzt. Ich möchte mich in Ergänzung zu ihrer Kommentierung auf eine Interpretation von Schlegels Poesiebegriff durch Rahel beschränken. Schelling bat Schlegel um sein Manuskript, um es für die Ausarbeitung seiner Philosophie zu benutzen, was Schlegel gern tat. Er hatte Schellings naturphilosophische Grundsätze berücksichtigt und hervorgehoben. Nach der Lektüre schreibt Schelling an Schlegel, er habe „vorzüglich die reinen und objektiven Züge bewundert, mit denen er (Schlegel, H. S.) so viele Ideen gleichsam in einer allgemein gültigen Form auch für die Reflexion ausgesprochen habe". Er lobt die Überlegungen zur Architektur, die Ableitung der griechischen Formen „aus der Analogie mit dem Bauen mit Baumstämmen und die gotische Baukunst". Schelling fügt kritisch hinzu, „am wenigsten hat mir genügt, was Sie von der Poesie vorgetragen. Ich bin dadurch aufs neue in meiner Meinung von den bewußtlosen Antheilen an der Poesie bestärkt worden". Den Grund dafür sah Schelling in der „Beschaffenheit des Auditoriums", die den Redner „beschränkt" habe. 22 Hier wird ein Differenzpunkt zwischen Schelling und Schlegel bezeichnet, der gerade für die Zuhörerin Rahel von besonderem Belang war. Genau was Schelling lobt, die Erörterungen über Architektur sind es, die sie langweilen und zur scharfen Kritik veranlassen. „Wozu dies alles / Endlich / Ich glaube er liest / für Maurer: Er verliert / sich in Seulen". (Blatt 31) Dagegen stellen eine Reihe von Blättern (insbesondere Nr. 27 — 29) ihre qualifizierte Aufnahme und Zustimmung mit Schlegel unter Beweis. Auf Blatt 27 schreibt Rahel: „Poesie. Uebernatürlich aber nicht aüssernatürlich".
22
Zitiert nach Minor (Anm. 6), S. XI.
Weiblicher Dialog in den Privatvorlesungen von A. W Schlegel
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Bei Schlegel liest sich das so: „Die Phantasie kann in ihren kühnen Flügeln zwar übernatürlich aber niemals außernatürlich werden; die Elemente ihrer Schöpfungen, wie sie auch durch ihre wunderbare Tätigkeit verwandelt sein mögen, müssen immer aus einer vorhandenen Wirklichkeit entlehnt sein." 23 Hier finden wir ein exemplarisches Beispiel dafür, wie Rahel einen längeren Gedankengang Schlegels kurz und prägnant notiert. Auch für Schlegel war der Anteil der Phantasie = Poesie in jedem echten Kunstwerk gegeben. Poesie war innerhalb von Schlegels Programm aber nicht nur ein abstrakter ästhetischer Begriff, sondern gleichzeitig schöpferischer Bestandteil jedes Menschen. Damit war künstlerisch-wissenschaftliche und philosophische Tätigkeit auch für Frauen und die sozial unteren Schichten möglich geworden. Diese Position vertritt Schlegel auch in der Schiller-Bürger-Debatte um Volkspoesie.24 Aus diesem Grunde kritisierte er auch Kants Geniebegriff. Raheis Interessen für die Kategorien Natürlichkeit, Kunst und Nachahmung sind ebenfalls in diesem Kontext zu sehen. Schlegel erörtert sie - gemäß seiner Geschichtsphilosophie - historisch konkret und kann dadurch innerhalb des zeitgenössischen Kontextes wichtige Impulse geben. „Zwischen der Kunst und der Nachahmung steht also notwendig etwas mitten inne, was sie auseinander hält. Diese heißt [...] Stil, wenn es nicht den Rechten von beiden, der Kunst und der Natur zu nahe tritt, welches nicht anders möglich ist als durch die den Werken selbst gleichsam eingeprägte Erklärung, es sei nicht Natur und wolle sich nicht dafür ausgeben." 25
Mit dieser Definition hatte Schlegel innerhalb der Kunstautonomiedebatte den Stilbegriff nicht hierarchisch festgelegt (wie Goethe beispielsweise, der den Frauen nur Dilettantismus zuschrieb). Für Frauen, und in unserem Fall für Rahel, bedeutete diese Auffassung das Verständnis für literarische und existentielle Probleme weiblicher Autorschaft. Rahel notiert, „dem Werke die Nachricht angehängt, daß es Natur seyn soll." (Blatt 33 und 34). Mit diesem Unterschied konnte sie auf Anerkennung ihrer eigenen Auffassung von Autorschaft und Werk hoffen. 23 24
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Ebd., S. 89. Vgl. Hannelore Scholz, August Wilhelm Schlegels frühe Volkspoesieauffassung im Kontext mit der Schiller-Bürger-Debatte, in: Germanistisches Jahrbuch für die Volksrepublik Bulgarien. Beiträge aus Lehre und Forschung 1985, Sofia 1985, S. 8 5 - 9 5 . Zitiert nach Minor (Anm. 6), S. XI.
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Ihr starkes Selbstbewußtsein, sie sei eine Autorin wie andere, besser als manch anderer, flöß in ihrem Poesieprogramm zusammen mit ihrer Meinung, daß der Stoff der Dichtung das Leben sei, ganz so, wie Schlegel es in seinem kunsttheoretischen Konzept dargelegt hatte. „Ich bin einzig, als die größte Erscheinung dieser Erde. Wir sind vom selben Element. Im selben Rang und gehören zusammen ... Mir aber war das Leben zugewiesen." 26 Leben, Natur, Mensch — betrachtet sie als gleichrangige adäquate Stoffgrundlage für die Kunst, und Schreiben wird dadurch wichtige Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung. Diese Auffassung entsprach dem romantischen Poesieprogramm A. W. Schlegels und fand hier seine ästhetisch-theoretische Legitimierung. Diese Auffassung teilte Rahel und konnte dadurch ihre Ausdrucksformen wie Brief, Tagebuch, Aphorismus, Essay finden und den bewußt subjektiven Dialogstil weiterentwikkeln. In Abweichung von Schlegels Text notiert sie deshalb auf Blatt 23: „Es gibt kein reines Auffassen der Welt, alles was man Episch nennt, ist schon subjektiv, also das allgemeine grad das lyrische." Schlegel dagegen hatte eine Gattungshierarchie mit spezifischen Merkmalen vorgetragen. Für Rahel sind nicht Gattungen entscheidend, sondern „Leben schreiben" (Christa Bürger) 27 wird vorrangig, und das bedeutet die Anwesenheit der Schreibenden im Text. Die Dialogform als Textstruktur erscheint als wirksamste Strategie weiblichen Schreibens. Diese wiederum ist Teil der Individualitätskonzeptionen 28 , die in der Frühromantik entwickelt wurden und ebenfalls Räume für weibliches Schreiben eröffneten.
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Brief an David Veit vom 16. Februar 1805, in: Varnhagen, Rahel-Bibliothek, Bd. VII, S. 260. Christa Bürger, Leben Schreiben. Die Klassik, die Romantik und der Ort der Frauen, Stuttgart 1990. Vgl. Hannelore Scholz, Hamlet und Romeo als „romantische" Helden. Zur Individualitätskonzeption in A. W. Schlegels Shakespeare-Aufsätzen, in: einen Stein für den großen Bau behauen", Studien zur deutschen Literatur, Wroclaw 1993, S. 155-170.
Konrad Feilchenfeldt
Rahel Varnhagens ,Geselligkeit' aus der Sicht Varnhagens Mit einem Seitenblick auf Schleiermacher
Inzwischen ist es auch bei den Intellektuellen in Deutschland keine Neuheit mehr, auch wenn man weiß, wie schwer es ist, einmal gefaßte Vorurteile aufzugeben, daß Varnhagen von Ense der charakterlose Diplomat, der lästermäulige Zeitkritiker und vor allem der notorische Geschichtsverfalscher nicht gewesen ist, als den ihn zeitgenössische Gegner und spätere Leser und Leserinnen immer wieder dargestellt haben.1 Am 6. Mai 1994 schrieb nämlich das repräsentative Hamburger Wochenblatt ,Die Zeit' in einer Glosse: „Etiketten, einmal angeklebt, sind schwer loszuwerden. August Philipp Varnhagen von Ense" — der Vorname Karl ist dabei allerdings verloren gegangen - „ist nicht nur als der Ehemann Raheis in die Geschichte eingegangen - jener geistreichen Berliner Salonière und Schriftstellerin aus jüdischer Familie —, sondern vor allem als Zensor und Verfälscher des Nachlasses." Doch in erklärtem Widerspruch zu dieser zunächst typisch negativ besetzten Aussage über Varnhagen heißt es in der zitierten Informationsquelle weiter: „Ein ungerechtes Urteil wie sich zeigt, je mehr aus den unzähligen Kästen, in denen die Krakauer Jagiellonska-Universität den Rahel-Nachlaß hütet, ans Tageslicht kommt. In der Zeitschriftfür Geschichtswissenschaft (3/1994) veröffentlicht die Historikerin Irina Hundt erstmals vollständig Dokumente aus Krakau, in denen Varnhagen Raheis Eltern und Geschwister schildert, vermischt mit Erinnerungen an seine Frau. Nur wenige Monate nach ihrem Tod geschrie1
Daß dieses Umdenken jedoch immer noch wieder Einbrüche erlebt, zeigt die Erwähnung und Apostrophierung Varnhagens als „eines seelenlosen Hampelmannes" bei Michele Cometa, „Ein Herumgehen um das Unaussprechliche". Das Bild Goethes in den .Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik", in: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik" Hegels Berliner Gegenakademie, hg. von Christoph Jamme, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994 (Spekulation und Erfahrung. Abteilung II: Untersuchungen, Bd. 27), S. 3 4 7 - 3 7 6 , hier S. 357.
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ben, berührt trotz manchem romantischen Überschwang der unverstellte Ton, die Mischung aus unerschütterlicher Zuneigung und einem Sinn für komische Details."2 Varnhagens Einfluß auf das postume Rahel-Bild ist seit seiner Edidon des Rahel-Nachlasses im Jahr 1833/34, der nach Raheis Tod mit ihrem Vornamen im Titel gekennzeichneten Veröffentlichung ,Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde', immer wieder kritisiert worden; seine Textauswahl und seine Texteingriffe wurden als tendenziös und für die Dokumentation von Raheis Identität und Persönlichkeit - wie es die zitierte Glosse aus der ,Zeit' noch in Erinnerung bringt — als geradezu verfälschend gewertet, nicht zuletzt in der für Raheis Nachruhm und Verbreitung repräsentativen Monographie von Hannah Arendt. 3 Gegenauffassungen zu dieser Tendenz wissenschaftlicher Meinungsbildung sind anfänglich nur sporadisch hörbar geworden; schon die grundsätzliche Kritik an Hannah Arendts Buch äußerte sich nur zaghaft und endegen; 4 erst vergleichsweise spät wurde durch die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers sichtbar, daß das Bild der Jüdin' in Hannah Arendts Rahel-Monographie tatsächlich nicht
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Die ,Glosse' erschien in einer Rubrik Judaica' unter der Überschrift .Schätze aus Krakau', in: Die Zeit vom 6. Mai 1994, Nr. 19, S. 39. Vgl. Irina Hundt, Zur Biographie von Rahel Varnhagen. Aufzeichnungen ihres Mannes Karl August Vamhagen von Ense, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 42 (1994), H. 3, S. 238-249. — Eine polemische, aber teilweise bemerkenswert scharfsinnige Rehabilitierung Varnhagens veröffentlichte kürzlich erst Dieter Kuhn, Varnhagen und sein später Schmäher. Uber einige Vorurteile Arno Schmidts. Mit Seitenblikken auf weitere Personen und einem dokumentarischen Anhang, Bielefeld 1994. Dem Untertitel dieses Buches verdankt sich übrigens auch die Titelformulierung des vorliegenden Beitrags. Vgl. Hannah Arendt, Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. Mit einer Auswahl von Rahel-Briefen und zeitgenössischen Abbildungen, München 1959. Vgl. die Rezension von Terry Pickett, in: Germanic Notes, 11 (1980), S. 7 —9. — Einen entscheidenden, noch jüngeren Beitrag zu einer philologischen Neubewertung von Varnhagens Rahel-Editionen veröffentlichte zuletzt Ursula Isselstein, Raheis Schriften I. Karl August Varnhagens editorische Tätigkeit nach Dokumenten seines Archivs, in: Rahel Levin Varnhagen. Die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, hg. von Barbara Hahn und Ursula Isselstein, Göttingen 1987 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Beih. 14), S. 16 — 36; jetzt auch unter dem Titel ,Überliefern. Die Varnhagensche Schreib-, Sammel- und Editionswerkstatt', in: Ursula Isselstein, Der Text aus meinem beleidigten Herzen. Studien zu Rahel Levin Varnhagen, Torino 1993, S. 185—210.
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so sehr den historischen Rückblick auf eine Zeitgenossin der Romantik eröffnen sollte, sondern die Erinnerung an Rahel im aktuellen Nachkriegsdeutschland unter Adenauers Restaurationspolitik vielmehr ein Stück geistiger Wiedergutmachung und Erinnerung an die Anfänge deutsch-jüdischer Symbiose darstellte, wenn nicht sogar einen Versuch zu deren tatsächlicher Wiedergutmachung und Wiederherstellung.5 Trotz aller Vorbehalte und vor allem trotz ihrer erklärten Rückkehr zum Judentum kurz vor ihrem Tod — „eine aus Ägypten und Palästina Geflüchtete bin ich [.. .]" 6 - sollte sich Rahel Varnhagen aus der Sicht von Jaspers als Exponentin einer traditionell deutsch-jüdischen Symbiose erweisen, und, auch wenn dafür nach den Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus und mit seinen Folgen kaum noch Uberlebenschancen vorhanden zu sein schienen, konnte sich umgekehrt in ihrer zum Programm erklärten Negation sogar noch eine intellektuelle Nachwirkung dieser Idee tradieren. 7 So neu, wie es die Entstehungs- und Verlagsgeschichte des Buchs von Hannah Arendt nahelegen könnte, ist jedoch die Auseinandersetzung mit der Problematik deutsch-jüdischen Zusammenlebens damals nicht gewesen. Ihre Einstellung zur Jüdischen Gemeinde' und zu ihrer Jüdischen Herkunft' war bei Rahel Varnhagen schon zu ihren Lebzeiten ein umstrittenes Thema; vor allem aber wurde es dies nach ihrem Tod aufgrund der bereits zitierten Veröffentlichung ihres schriftlichen Nachlasses in einer
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Vgl. Hannah Arendt/Karl Jaspers, Briefwechsel 1 9 2 6 - 1 9 6 0 , hg. von Lotte Köhler und Hans Saner, München und Zürich 1985; dazu Konrad Feilchenfeldt, Jüdische Frauen im Urteil über Rahel Varnhagen, in: Jahrbuch des Archivs Bibliographia Judaica, 2/3 (1986/87), [1990], S. 1 2 7 - 1 4 0 , hier S. 136 ff. Über weitere Einzelheiten zur Verlagsgeschichte der Arendtschen Rahel-Monographie vgl. Claudia Schulze, „Melodie eines beleidigten Herzens" Zum Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Klaus Piper über Rahel Varnhagen, in: Literatur in Bayern, (1993), Nr. 34, Dez., S. 4 9 - 5 0 . Zur „Erfahrung der Adenauerschen Restauration" im literaturwissenschaftlichen Selbstverständnis der fünfziger Jahre vgl. Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1 8 1 5 - 1 8 4 8 , Stuttgart 1971, Bd. 1, S. IX.
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Vgl. Rahel-Bibliothek. Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Rahel E. Steiner und Uwe Schweikert, München 1983, Bd. 1: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, S. 43. Auf die Zitatstelle verweist auch Arendt (Anm. 3), S. 15. Zur Diskussion über das Fordeben der deutsch-jüdischen Symbiose nach 1945 vgl. neuerdings Alfred Bodenheimer, Die Verewigung der deutsch-jüdischen Symbiose, in: Jüdischer Almanach 1994 (1993), S. 1 3 1 - 1 4 0 .
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öffentlichen Literaturdebatte, an der sich auch Varnhagen publizistisch beteiligte. Anlaß dazu war eine von Gabriel Riesser in seinen Jüdischen Briefen' 1842 veröffentlichte Kritik an Raheis Abkehr und Distanzierung vom Judentum, nicht zuletzt wegen ihrer Taufe und Eheschließung mit Varnhagen, und als Antwort auf diesen öffentlichen Angriff gegen seine Frau veröffentlichte Varnhagen einen an ihren Bruder Ludwig Robert gerichteten Brief Raheis aus dem Jahr 1819, in dem sie sich mit den in den sogenannten Hep-Hep-Krawallen bedrohten und verfolgten jüdischen Menschen in Deutschland solidarisch erklärte. 8 Auch bei der Erörterung der deutsch-jüdischen Symbiose im Lichte von Hannah Arendts Rahel-Monographie zeigt es sich daher, daß die editorische Aufbereitung von Raheis schriftlichem Nachlaß nicht nur in diesem Sinn als das Werk Varnhagens gewürdigt werden sollte, sondern daß er damit überhaupt eine ganz gezielte Informationslenkung betrieben hat, 9 über die nicht nur aus der Sicht von Raheis Judentum nachgedacht werden kann, sondern auch in den folgenden, Raheis ,Geselligkeit' gewidmeten Bemerkungen nachzudenken sein sollte.
Quellenkundliche Voraussetzungen Die Geschichte deutscher Geselligkeitskultur um 1800 ist in den letzten Jahren unterschiedlich erforscht und interpretiert worden. Sie reicht von der Personenkunde, die mit einzelnen Namen arbeitet und deren besseren oder schlechteren Klang in entsprechende Tableaux umzusetzen versucht, bis zur Dokumentation historischer Quellenzeugnisse und sogar zu psycho-sozialen Theorien. Augenzeugenberichte von Zeitgenossen wechseln 8
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Vgl. Gabriel Riesser, Jüdische Briefe. Zur Abwehr und zur Verständigung, Berlin 1842, Zweites Heft, S. 100 ff.; wiederabgedruckt in: Gabriel Riesser, Gesammelte Schriften, hg. von M. Isler, Frankfurt am Main und Leipzig 1868, Bd. 4, S. 253 ff. Ferner Varnhagens Erstveröffentlichung des Briefs von Rahel, in: Zur Judenfrage in Deutschland, hg. von Wilhelm Freund, Berlin 1843, S. 180 ff. Dazu Konrad Feilchenfeldt, Rahel Varnhagens Ruhm und Nachruhm, in: Rahel-Bibliothek (Anm. 6), Bd. 10, S. 1 2 8 - 1 7 8 , hier S. 146 f. Wolfgang Frühwald, Antijudaismus in der Zeit der deutschen Romantik, in: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, hg. von Hans Otto Horch und Horst Denkler, Tübingen 1989, Tl. 2, S. 7 2 - 9 1 , hier S. 72 f. Vgl. Feilchenfeldt (Anm. 8), S. 148 ff. Isselstein (Anm. 4), S. 16 f f , bzw. 185 ff.
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sich in der Auswertung durch Historiker und Literaturwissenschaftler ab mit anderen zeitgenössischen Quellentexten, von denen vor allem die literarische Gattung ,Briefwechsel' unter den Mitgliedern eines geselligen Kreises inzwischen besondere Aufmerksamkeit genießt. 10 Insofern nämlich Geselligkeit ihre Bestimmung einem kommunikativen Verhalten verdankt, hat es sich analog zu dieser Einsicht als methodisch hilfreich erwiesen, von der dialogischen Beschaffenheit des Briefwechsels Rückschlüsse auf die Gesprächssituation im Salon zuzulassen. Daß dabei dem Briefwerk und überhaupt dem Briefwechsel Rahel Varnhagens die Bedeutung eines exemplarischen Textkorpus zukommt, hat sich mittlerweile in zahlreichen, diesem Briefwerk gewidmeten Einzelstudien immer wieder aufs neue bestätigt; 11 nur ist in den wenigsten Fällen dem Anteil und vor allem dem gestalterischen Einfluß, den Varnhagen an der archivalischen Konservierung und an der editorischen Aufbereitung dieses Briefwerks
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Vgl. den Artikel ,Salon' mit weiterführender Literatur von Konrad Feilchenfeldt, in: Literatur Lexikon, hg. von Walther Killy, Bd. 14: Begriffe, Realien, Methoden, hg. von Volker Meid, Gütersloh und München 1993, S. 323-327. - Sie saßen und tranken am Teetisch. Anfange und Blütezeit der Berliner Salons 1789-1871, hg. von Rolf Strube, München und Zürich 1991 (Serie Piper, Bd. 1204). - Peter Seibert, Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz, Stuttgart und Weimar 1993. — Zur ,Interaktion in Oberschichten' als sozialgeschichtlicher Voraussetzung für die Entstehung des bürgerlichen Salons im 18. Jahrhundert vgl. Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1980, Bd. 1, S. 72 ff. Den Hinweis auf diesen in der Salon-Forschung bisher unbeachtet gebliebenen Text verdanke ich Ulrich Schulz-Buschhaus. — Den „Salon als soziale Funktion" und seine „spezifischen literarischen Funktionsweisen" diskutierte erstmals Peter Seibert, Der Salon als Formation im Literaturbetrieb zur Zeit Rahel Levin Varnhagens, in: Hahn/Isselstein (Anm. 4), S. 164—172.
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Vgl· Jutta Juliane Laschke, Wir sind eigentlich, wie wir sein möchten, und nicht so wie wir sind. Zum dialogischen Charakter von Frauenbriefen Anfang des 19. Jahrhunderts, gezeigt an den Briefen von Rahel Varnhagen und Fanny Mendelssohn, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris 1988 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I, Bd. 1072). - Barbara Breysach, „Die Persönlichkeit ist uns nur geliehen" Zu Briefwechseln Rahel Levin Varnhagens, Würzburg 1989 (Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 44). - Barbara Hahn, „Antworten Sie mir!" Rahel Levin Varnhagens Briefwechsel, Basel und Frankfurt am Main 1990. — Karin Zimmermann, Die polyfunktionale Bedeutung dialogischer Sprechformen um 1800. Exemplarische Analysen: Rahel Varnhagen, Bettine von Arnim, Karoline von Günderrode, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris 1992 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I, Bd. 1302). Vgl. auch Seibert (Anm. 10), S. 247 ff.
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seiner Frau genommen hat, eine ausreichend differenzierende und überhaupt angemessene Bewertung zuteil geworden. Wie uneinsichtig im Gegenteil bei der nach wie vor immer wieder spür- und hörbaren Bekrittelung und Herabsetzung Varnhagens als Ehemann und Herausgeber von Raheis Briefen vorgegangen worden ist, zeigt in jüngster Zeit wohl am scheinbar scharfsinnigsten Werner Fuld, wenn er Hannah Arendts Vorbehalte gegen Varnhagen eine, wenn auch „unerwartete Unterstützung und Fortführung" der „antisemitischen Angriffe Treitschkes gegen Varnhagen" nennt; 12 Fulds Kritik an Hannah Arendt richtet sich daher nicht nur gegen ihre latent feministische Varnhagen-Kritik, sondern auch gegen einen ihr allerdings von ihm nur angedichteten Antisemitismus in der Nachfolge Treitschkes, möglicherweise in stillschweigender Anspielung auf das Phänomen Jüdischer Selbsthaß', während Varnhagen selbst bei dieser Betrachtungsweise erneut in den Hintergrund der Diskussion zurücktritt und seine gestalterische Rolle bei der Rahel-Überlieferung auf eine ausschließlich materiell-archivalische reduziert wird. Auf dieser nach der anscheinend raffiniert kombinierten Vorgabe letztlich aber doch banalen Grundlage stehen jedenfalls Fulds Apologie für Varnhagen und seine gleichzeitige Anklage gegen Hannah Arendt, wenn er abschließend gegenüber ihrer Varnhagen-Kritik bemängelt: „Solche Polemik ignoriert, daß Hannah Arendt ihre Rahel-Studie einzig deswegen schreiben konnte, weil Varnhagen nach Raheis Tod alle ihre Briefe von Bekannten und Freunden auslieh, sie abschrieb, in mehreren Auswahlbänden veröffentlichte und nur dadurch erreichte, daß wir heute noch etwas von dieser Frau wissen." 13 Zunächst ist es nichts anderes als eine glückliche Konstellation, daß eine der bedeutendsten Vertreterinnen deutscher Salongeselligkeit auch eine der bedeutendsten Briefautorinnen ihrer Zeit gewesen ist. Was Varnhagen als Herausgeber von Raheis Briefen und sonstigen Aufzeichnungen für Rahel bewirkt hat, ist jedoch nicht nur quantitativ von folgenreicher 12
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Vgl. die .Einleitung' zu Karl August Varnhagen von Ense, Schriften und Briefe, hg. von Werner Fuld, Stuttgart 1991 (Universal-Bibliothek, Nr. 2657), S. 5 - 6 3 , hier S. 16. Dazu auch die Rezension von Konrad Feilchenfeldt, in: Heine-Jahrbuch, 31 (1992), S. 294—297. - In der Tradition einer Varnhagen gegenüber besonders in seinem Verhältnis zu Rahel nicht nur kritischen, sondern auch abschätzig formulierten Einordnung seiner Person steht auch die Bemerkung, Rahel habe bei „ihrer Eheschließung mit Varnhagen [...] ihren Kopisten geheiratet", bei Hahn (Anm. 11), S. 17. Vgl. Fuld (Anm. 12), S. 17 f.
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Wirkung gewesen, sondern auch qualitativ. Die Geschichte seiner RahelDeutung ist noch nicht geschrieben, 14 und dies hängt damit zusammen, daß sie zwischenzeitlich durch die Geschichte neuerer Rahel-Deutungen überlagert worden ist, deren Urheber und Urheberinnen vor allem ihren eigenen Deutungsansatz immer wieder in erklärter Opposition gerade zu Varnhagen entwickelt haben. Das Interesse an Varnhagen als Rahel-Editor hat bisher nur wenige sichtbare Manifestationen hervorgebracht, nämlich 1. die zehnbändige Ausgabe ,Gesammelter Werke' Raheis, die unter dem Reihen-Titel ,Rahel-Bibliothek' in acht von zehn Bänden die von Varnhagen bereits herausgegebenen oder von ihm zur Edition erst vorbereiteten Briefausgaben als fotomechanischen Nachdruck zusammengestellt hat, 15 2. die von Ursula Isselstein aus dem wiederaufgetauchten VarnhagenNachlaß mitgeteilten, von Varnhagen selbst schriftlich niedergelegten editorischen Erläuterungen seiner Rahel-Ausgaben, 16 3. die von Irina Hundt ebenfalls aus dem Varnhagen-Nachlaß mitgeteilten Aufzeichnungen Varnhagens zur Biographie Rah eis.17 Daß Varnhagen bei Inangriffnahme seiner Edition aus Raheis Nachlaß bereits über langjährige, herausgeberische Erfahrungen verfügte und daß sein publizistischer Weg als Herausgeber durch eine repräsentative Liste und Auswahl geselligkeitsgeschichtlich bedeutsamer Buchtitel anschaulich gemacht werden kann, dokumentieren bereits früheste Veröffentlichungen wie der sogenannte grüne ,Musenalmanach' aus den Jahren 1804—6, die anonym erschienenen .Testimonia Auctorum de Merkelio das ist: Paradiesgärtlein für Garlieb Merkel' (Köln 1806), die .Erzählungen und Spiele' (Hamburg 1807) und der sogenannte „Doppelroman der Berliner Romantik" ,Die Versuche und Hindernisse Karls' (Berlin und Leipzig 1808). Was diese Veröffentlichungsliste nämlich in geselligkeitsgeschichtlicher Hinsicht kennzeichnet und was ihren Titeln gemeinsam ist, ist ihre Veranlassung aus dem Freundeskreis des sogenannten ,Nordsternbunds' (τό του πολύ άστρου), in dem sich Varnhagen nachweislich als der Initiator zusammen mit seinen literarisch ambitionierten Freunden in einem Auto14
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Erste Ansätze dazu entwickelte Konrad Feilchenfeldt, Varnhagen von Ense als Historiker, Amsterdam 1970, S. 211 ff. Vgl. Rahel-Bibliothek (Anm. 6), Bd. 1 - 8 . Vgl. Isselstein (Anm. 3). Vgl. Hundt (Anm. 2).
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renkollektiv konstituiert hatte. 18 Die literarische Ausrichtung dieser schwerpunktmäßig in Berlin situierten Gruppe junger Dichter und Schriftsteller zeigt in ihrer Auseinandersetzung mit dem ,Wilhelm Meister', insbesondere in der Konzeption des ,Doppelromans', eine Fixierung auf Goethe, die auch in der späteren durch die Begegnung mit Rahel ausgefüllten Phase in Varnhagens Leben das bestimmende Merkmal bleibt. 19 Wenn in der Folgezeit Varnhagen und Rahel eine geselligkeitsgeschichtlich bedeutsame Freundschaft, Beziehung und schließlich Lebensgemeinschaft aufbauten, so stand dieses Bemühen entscheidend unter dem Einfluß einer gemeinsamen Goetheverehrung, die auch in den zahlreichen schon zu Lebzeiten Raheis durch Varnhagen veranlaßten, wenn auch anonymen, Veröffentlichungen aus Raheis Briefen zum Ausdruck gekommen ist. 20 Sie findet ihren Höhepunkt 1823 in der von Varnhagen zusammengestellten und herausgegebenen Dokumentation ,Goethe in den Zeugnissen seiner Mitlebenden' (Berlin 1823), und sie beleuchtet in der Existenz einer Verehrergemeinde im Zeichen des sogenannten Goethe-Kults eine wiederum in Berlin situierte geselligkeitsgeschichtlich bedeutsame Gruppenbildung. 21 Im Umkreis Goethes und seines gesellschaftsgeschichtlichen Einflusses sind aber auch die folgenden, nicht unmittelbar mit seinem Namen verknüpften weiteren Dokumentationen aus Varnhagens herausgeberischer Tätigkeit einzuordnen. Goethe ist eine Bezugsperson auch in Varnhagens Verhältnis zur Hegeischen ,Sozietät für 18
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Vgl. Josef Nadler, Die Berliner Romantik 1 8 0 0 - 1 8 1 4 . Ein Beitrag zur gemeinvölkischen Frage: Renaissance, Romantik, Restauration, Berlin 1921. Friedrich Römer, Varnhagen von Ense als Romantiker, Diss. Berlin 1934. Zur Bibliographie der zitierten Varnhagen-Titel vgl. Karl Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, 2., ganz neu bearb. Aufl., Leipzig, Dresden, Berlin 1898, Bd. 6, S. 178 f.; Bd. 14, hg. von Herbert Jacob, Berlin 1959, S. 805. Vgl. zum Salon als Autorenkollektiv auch Seibert (Anm. 10), S. 277 ff. Vgl. Klaus F. Gille, „Wilhelm Meister" im Urteil seiner Zeitgenossen. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte Goethes, Assen 1970, S. 201 ff., 306 ff. Dazu Ursula Wiedenmann, Karl August Varnhagen von Ense. Ein Unbequemer in der Biedermeierzeit, Stuttgart und Weimar 1994, S. 86 ff. Vgl. Lieselotte Kinskofer, „... das ganze Lebensbild glücklich erneuen helfen!" Karl August Varnhagen von Ense als Herausgeber der Werke seiner Frau Rahel, Unveröff. Magisterhausarbeit, München 1984. Vgl. Ludwig Geiger, Einundzwanzig Briefe von Marianne Eybenberg, acht von Sara von Grotthuss, zwanzig von Varnhagen von Ense an Goethe, zwei Briefe Goethes an Frau von Eybenberg, in: Goethe-Jahrbuch, 14 (1893), S. 2 7 - 1 4 2 , hier S. 132 ff. Ferner Seibert (Anm. 10), S. 417 ff.
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wissenschaftliche Kritik' und sogar zu Hegel selbst. Varnhagen schätzte an Hegels Kritiksozietät aber umgekehrt nicht nur deren Beteiligung und Präsenz bei den Veranstaltungen der Berliner Goethe-Gemeinde vor allem bei Goethes Geburtstagsfeiern; vielmehr schätzte er an Hegel ganz persönlich dessen Besprechungen der Hamann-Briefausgabe und der Edition des Nachlasses von Karl Ferdinand Solger. Namentlich Hegel als Experten für die kritische Beurteilung repräsentativer Nachlaß-Editionen widmete Varnhagen bezeichnenderweise auch seine nächste Edition, die ,Denkwürdigkeiten des Philosophen und Arztes Johann Benjamin Erhard' (Stuttgart und Tübingen 1830). 22 Darüber ist Goethe aber noch lange nicht vergessen, sondern bleibt auch in der nur drei Jahre später folgenden Edition des Rahel-Nachlasses 1833/34 eine maßgebliche Autorität, auch wenn diese Veröffentlichung als geselligkeitsgeschichtliches Ereignis nicht mehr im Zeichen des Goethe-Kults rezipiert wurde, sondern durch ihre begeisterte Aufnahme vor allem im Jungen Deutschland den Beginn des Rahel-Kults bezeichnet; 23 daß Varnhagen 1834 dem Fürsten Metternich die Gründung einer Goethe-Gesellschaft vorschlug, zeigt jedoch, daß der Rahel-Kult die Goethe-Verehrung in seinen Geselligkeit stiftenden Aktivitäten nicht verdrängte. 24 Geselligkeitsgeschichtlich kam es bereits mit Goethes Tod zu einer ersten Zäsur und unmittelbar danach mit Raheis Tod zu einer zweiten. 25 Unter diesen Gegebenheiten hatte die Herausgeberschaft geselligkeitsgeschichtlich relevanter Lebenszeugnisse keinen aktuellen Realitätsbezug mehr, sondern allenfalls noch den Effekt, an ehemalige inzwischen vergangene Geselligkeitspflege zu erinnern. Daß Varnhagen als Herausgeber unveröffentlichter Nachlaß-Papiere unmittelbar oder auch nur mittelbar den Tod der von ihm durch die Edition dokumentierten Persönlichkeiten als konzeptionelles und gestalterisches Prinzip und Kriterium seiner Veröffentlichung betrachtete, 26 begann sich in den dreißiger Jahren auch auf 22
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Vgl. Konrad Feilchenfeldt, Karl August Varnhagen von Ense und Hegel, in: Jamme (Anm. 1), S. 1 4 7 - 1 7 6 . Vgl. Feilchenfeldt (Anm. 8), S. 132 ff. Vgl. Karl August Varnhagen von Ense, Werke in fünf Bänden, Bd. 4: Biographien/Aufsätze/Skizzen/Fragmente, hg. von Konrad Feilchenfeldt und Ursula Wiedenmann, Frankfurt am Main 1990, S. 7 5 5 - 7 6 4 . Vgl. Konrad Feilchenfeldt, Bettine, Rahel und Varnhagen, in: Herzhaft in die Dornen der Zeit greifen ... Bettine von Arnim 1 7 8 5 - 1 8 5 9 , Frankfurt am Main 1985 (Ausstellungskatalog des Freien Deutschen Hochstifts), S. 2 3 3 - 2 4 3 . Vgl. Konrad Feilchenfeldt, Zwischen Textkritik und Traditionsbewußtsein. Zur Editionsgeschichte neuerer deutscher Autoren in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
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die Niederschrift seiner ,Denkwürdigkeiten des eignen Lebens' auszuwirken. 27 Zu jenen Persönlichkeiten, mit deren Tod Varnhagen damals konfrontiert wurde und deren Tod ihn auch in seinem dokumentarischen Interesse bestärkte, 28 gehörte — in chronologischer Folge — neben Erhard (1827), Hegel (1830), Arnim (1831), Goethe (1832) und Rahel (1833) auch der 1834 verstorbene Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher, und gerade mit ihm setzte sich Varnhagen im Zusammenhang mit Raheis Salongeselligkeit grundlegend in seinen .Denkwürdigkeiten' auseinander.
Varnhagens ,Denkwürdigkeiten' als Quelle Schon von Raheis Lebzeiten her und aufs neue aus der Zeit des beginnenden postumen Rahel-Kults datiert eine Diskussion der .Geselligkeitsformen' im Spiegel unterschiedlicher und zugleich rivalisierender geselligkeitsgeschichtlicher Autoritäten, für die Varnhagens ,Denkwürdigkeiten' eine in der ,Salon-Forschung' noch nicht systematisch ausgewertete Quelle erschließen. Die folgenden Beobachtungen gehen dabei im besonderen von einer zunächst auf „1807, Frühjahr" angesetzten, später aber wohl korrekt ins Jahr 1808 umdatierten Textstelle aus, die in ihrer erstmaligen Veröffentlichung durch Varnhagen 1833/34 innerhalb des Buches ,Rahel' Schleiermacher sogar noch persönlich bekannt geworden sein konnte; jedenfalls ist in dieser Erstveröffentlichung sein Name noch rücksichtsvoll mit dem Buchstaben „S." verschlüsselt, im Unterschied zum namentlich genannten Studienfreund Harscher, und Henriette Herz heißt hier unverbindlich, aber ebenfalls getarnt: „Die Dame des Hauses, wo wir zusammen kamen"; dadurch ist die an dieser Stelle von Varnhagen zum Ausdruck gebrachte Kritik an Schleiermacher nur eingeweihten Lesern verständlich, 29 und es ist darüber hinaus die geselligkeitsgeschicht-
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hunderts, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, NF 12 (1971), [1973], S. 2 0 5 - 2 3 9 , hier S. 234 ff. Vgl. Cornelia Fuhrmann, Varnhagen von Enses Denkwürdigkeiten als .Dichtung und Wahrheit', Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1992 (Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Bd. 1322), S. 32 ff. Vgl. zu seinem Nachruf auf Arnim Varnhagen (Anm. 24), S. 286—289. Vgl. Rahel-Bibliothek (Anm. 6), Bd. 1, S. 7 ff. Die zitierte Textstelle befindet sich typographisch seitengleich auch in einem von Varnhagen als Privatdruck herausgegebenen Einzelband seiner Edition ,Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre
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liehe Bedeutung Raheis in der damaligen Sicht Varnhagens erst im weiteren Zusammenhang seiner ,Denkwürdigkeiten' - d. h. zugleich als Quelle seiner Schleiermacher-Rezeption — zu diskutieren. Wenn Varnhagen bereits 1833/34 seine ersten Erinnerungen an Rahel und an ihre Geselligkeit stiftenden Qualitäten im Zusammenhang mit Schleiermacher zur Sprache bringt, so ist damit außerdem aber auch ein Stück dieser Geselligkeit selbst im Spiel, indem er dafür einen seiner damaligen Studienfreunde, den bereits erwähnten Nikolaus Harscher, als Gewährsmann zitiert: „Hier ist, sagt Harscher von Rahel, alle Tiefe der Schleiermacher'schen Ethik, was sag' ich? hier ist mehr als Schleiermacher, denn hier ist die Wissenschaft in Form des Lebens selbst!" 30 Varnhagen überliefert aus den Jahren 1807/08 den zeitgenössischen Beleg für eine Deutung Raheis, die das Wirken dieser Frau sozialgeschichdich in den Einflußbereich Schleiermachers und seiner Morallehre, wenn nicht seiner Theologie einordnet. Der Text der ,Ethik' Schleiermachers erweist sich dabei als eine in den Denkwürdigkeiten' mehrfach angegebene Quelle, und es zeigt sich außerdem, daß die Vermitdung dieser Quelle nicht in Buchform, sondern als mündliche Vorlesungsreihe ein Teil ihrer gesellschaftstheoretischen Bedeutung geworden ist. 31 Von der ersten Berliner ,Ethik'-Vorlesung, die Varnhagen im Zusammenhang mit Harschers Urteil über Rahel zitiert, existiert deswegen auch nicht einmal eine von Schleiermacher selbst stammende Textfassung, und nur aus einer Nachschrift Varnhagens, der der Vorlesung aber bald nach Beginn fernblieb, ist noch ein Bruchstück erhalten geblieben. 32
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Freunde' (Berlin 1833). In den zu Varnhagens Lebzeiten erschienenen Auflagen seiner Denkwürdigkeiten des eignen Lebens' wird an dieser Stelle neben Harschers Namen nur noch derjenige Schleiermachers aus der Initiale „S." aufgeschlüsselt, während Henriette Herz namentlich erst in der dritten postumen Auflage genannt erscheint. Vgl. Karl August Varnhagen von Ense, Werke in fünf Bänden, Bd. 1: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Frankfurt am Main 1987, S. 5 0 2 , 4 - 5 0 3 , 3 1 ; 859 mit den Hinweisen auf die Auflagen von 1838 bzw. 1843. Varnhagen (Anm. 29), Bd. 1, S. 5 3 7 , 2 4 - 2 7 . Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Ethik (1812/13) mit späteren Fassungen der Einleitung, Güterlehre und Pflichtenlehre. Auf der Grundlage der Ausgabe von Otto Braun hg. u. eingeleitet von Hans-Joachim Birkner, 2., verb. Aufl. Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek, Bd. 335). Vgl. Andreas Arndt, Schleiermachers Philosophie im Kontext idealistischer Systemprogramme. Anmerkungen zur Systemkonzeption in Schleiermachers Vorlesungen zur philosophischen Ethik 1807/08, in: Archivio di Filosofia, 52 (1984) Nr. 1 - 3 , S. 1 0 3 - 1 2 1 , hier S. 105 ff.
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Varnhagens .Denkwürdigkeiten' erwähnen jedoch Schleiermachers ,Ethik'-Vorlesung erstmals bereits aus der Zeit seines Studienaufenthalts in Halle 1806. Der Gewährsmann ist wiederum Harscher aus Basel, der Medizin beflissen, aber seit längerer Zeit fast nur Zuhörer von Steffens und Schleiermacher. [...] Mit den Naturwissenschaften schon ziemlich vertraut, hatte er seine Stätte jetzt vorzüglich in Schleiermacher's ,Ethik' aufgeschlagen, und von hier aus sich um das Altertum [...], um Geschichte und Dichtkunst eifrig bekümmert, besonders aber die Lebensverhältnisse selbst, die Neigungen, Tätigkeiten und Formen des einzelnen Daseins wie der Geselligkeit zum Gegenstande seiner nie rastenden Untersuchungen und Besprechungen erwählt. 33
Harscher ist für Varnhagen der kontinuierliche Vermitder geselligkeitstheoredscher Bemühungen, deren Abhängigkeit von Schleiermachers ,Ethik' ihm zwar bekannt, die für ihn selbst aber - auch ohne diese Vermitdung — nicht maßgebend war. 1807 berichtet Varnhagen in den Denkwürdigkeiten' seiner eigenen Berliner Zeit: Ich hörte die Vorlesungen Schleiermacher's über .Ethik' mit großem Eifer, fand aber nicht die Befriedigung, die ich, besonders nach Harscher's Anpreisungen, der in diesen mehr sinnreichen als tiefen Schemata lebte und webte, und mit ihnen überall herumleuchtete, hatte erwarten dürfen. 34
Schleiermacher bleibt für Varnhagen auch in anderen sozialen Bereichen eine umstrittene Autorität, ohne daß er dafür in seinen .Denkwürdigkeiten' nähere Gründe angibt. Sowohl im Salon der Henriette Herz als auch im Kreis der Familie des Verlegers Reimer, in deren Sphären sich in Berlin das damalige gesellige Leben abspielt, ist Schleiermacher aus Varnhagens Blickwinkel ein ebenso unsympathischer Gast wie Gesellschafter, denn „er war gewöhnlich müde, verdrießlich, schnitt die Unterhaltung ab, und wenn er alles gehörig in's Stocken gebracht, schlief er wohl gar ein." 35 Einen Stimmungswandel rief in dieser Zeit nur das von Varnhagen in der einen bereits zitierten Episode seiner Denkwürdigkeiten' dargestellte plötzliche Erscheinen Rahel Levins hervor, die einmal auf ausdrückliche Einladung Henriettes Salon besuchen durfte. Rahel bewirkte eine Veränderung im geselligen Verhalten des Freundeskreises, mit der niemand gerechnet hatte, denn niemand konnte sich zunächst eine Frau mit noch
33 34 35
Varnhagen (Anm. 29), Bd. 1, S. 3 5 7 , 1 0 - 2 6 . Ebd., S. 4 9 8 , 1 4 - 1 8 . Vgl. Arndt (Anm. 32), S. 105. Varnhagen (Anm. 29), Bd. 1, S. 5 0 1 , 3 2 - 3 5 .
Rahel Varnhagens .Geselligkeit' aus der Sicht Varnhagens
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größerem gesellschaftlichem Einfluß und Geschick vorstellen als Henriette Herz, die selber so gebildet, so kenntnisreich, so fein und sittig vor unsern Augen stand, daß sie uns für alles Frauenwesen, wie es in der Schleiermacher'schen ,Ethik' sich darstellte, fast ein höheres Muster und die lebendige Ausübung zu sein schien [...] 3 6
Rahel nämlich entfaltete ihre gesellschaftlichen Fähigkeiten sogar in der kurzen Zeit ihres infolge Fiebers auf nur eine Stunde begrenzten Besuchs als eine Art Kristallisationsfigur geselliger Erfahrung. In ihrem Dialog mit Schleiermacher gewann sie mühelos die Oberhand über ihn, der doch das von ihr repräsentierte Ideal weiblicher Geselligkeit gerade erst in seiner ,Ethik' theoretisch erfaßt und beschrieben haben sollte und der deswegen vom Standpunkt der Geselligkeit her besehen bei dieser Zusammenkunft offensichtlich enttäuschend wirkte. Wir waren nicht wenig erstaunt, sowohl im Scherzen als im Ernste Schleiermacher nur in zweiter Rolle zu sehen, indem er willig eine gebotene Unterordnung anzunehmen schien, und wirklich ein paarmal wie geschlagen verstummte, oder doch gar sehr zu kurz kam. Als der für diesmal nicht auf längere Zeit beabsichtigte Besuch sich wegbegab, brachte er die Dame zu ihrem Wagen hinab, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres Rühmens kein Ende finden, mehr aber als die Worte zeugte seine Stimmung für den guten Eindruck, denn sie blieb aufgeweckt und gekräftigt für den ganzen Abend. 3 7
Varnhagen schildert Rahel in den ,Denkwürdigkeiten' als Vermittlerin einer geselligen Praxis, deren hervorragendster Nutznießer, Schleiermacher selbst, gerade als Theoretiker solcher Geselligkeitsideale öffentlich hervorgetreten war. Schleiermacher verdankte jedoch Raheis Auftritt und Besuch im Freundeskreis letztlich die Wiederherstellung seiner umstrittenen Autorität, und weder Rahel, die die Szene vorzeitig verlassen mußte, noch Henriette Herz, die den Gast allerdings eingeladen hatte, konnten sich währenddessen im Glanz der geselligen Stimmung selbst bespiegeln. „Madame Herz suchte vergebens bei Harscher den Dank für die bereitwillige Veranstaltung, er war mißvergnügt, daß alles gleichsam nur für Schleiermacher gewesen und dann verschwunden, ihn ärgerte sogar dessen fortdauernde Munterkeit [•••]"38
36 37 38
Ebd., S. 5 0 2 , 2 5 - 2 9 . Ebd., S. 5 0 3 , 6 - 1 6 . Ebd., S. 5 0 3 , 1 8 - 2 3 .
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Schleiermachers ,Ethik' als Quelle Raheis epochemachender Beitrag zur Geselligkeitskultur um 1800 ist aus der Sicht Varnhagens und in der geschilderten Episode seiner ,Denkwürdigkeiten' nicht in objektivierbaren Verhaltensmerkmalen zu fassen. Überliefert ist nur ein mittelbares Einwirken auf die gesellige Atmosphäre eines Kreises, in dem im Grunde nicht sie selbst, sondern ein anderer die Früchte dieser Wirkung erntet. Schleiermacher ist infolge von Raheis Auftreten plötzlich die im Mittelpunkt stehende neue Kristallisationsfigur der Gesellschaft, und dies auch, nachdem er kurzfristig neben Rahel nur eine „zweite Rolle" hatte spielen können, um daraufhin ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, wenn auch mißmutig, dennoch im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Die Beziehung Raheis zu Schleiermacher ist für ihre, aber auch für Varnhagens Geselligkeitstheorie und vor allem -praxis ein Schlüssel, nur stellt sie sich einer historischen Betrachtung unter unterschiedlichem Blickwinkel auch im Ergebnis unterschiedlich dar. Harschers von Varnhagen zitierter Ausspruch, in Rahel sei „alle Tiefe der Schleiermacher'schen ,Ethik' " lebendig, besagt jedenfalls nichts über den historischen Hintergrund der Beziehung. Rahel ist jedenfalls nicht das Produkt der Schleiermacherschen ,Ethik', sie ist allenfalls rückblickend ihre Bestätigung, aber nicht im Sinne eines bewußten Rollenspiels oder eines Bekenntnisses in der Nachfolge Schleiermachers. Vielmehr sind Rahel und, aus Varnhagens Sicht, auch Henriette Herz beide Vorläuferinnen und insofern eher Urheberinnen der ,Ethik' Schleiermachers, so daß man nicht mit Harscher sagen darf, „alle Tiefe der Schleiermacher'schen ,Ethik' " sei in Rahel, sondern umgekehrt „alle Tiefe" Raheis sei in Schleiermachers ,Ethik' und — sofern man ihr das gerechterweise zugestehen muß - ebenso „alle Tiefe" von Henriette Herz. 39 Schleiermachers ,Ethik'-Vorlesungen lesen sich jenseits ihrer philosophischen Terminologie tatsächlich über einzelne Abschnitte wie eine Würdigung seiner Erfahrungen aus dem Salon. Im Mittelpunkt des Salons nimmt die Frau für Schleiermacher eine für sie charakteristische, ihr eigentümliche Aufgabe wahr. Die sozialgeschichtliche Voraussetzung dieser Erkenntnis scheint unbestritten zu sein. „Schleiermacher erkannte rich39
Auf die Rivalität zwischen Rahel und Henriette Herz und ihre Spiegelung in Schleiermachers Parteinahme zugunsten der letzteren sowie auf die Bedeutung von Schleiermachers ,Ethik', gerade in der Vermitdung durch Harscher, verweist auch Seibert (Anm. 10), S. 326 f.
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tig" - so ein Forschungszitat - „die über die Kurzweil und Geselligkeit hinausweisende Bedeutung dieser Salons und betonte ihre ethischen und politischen Aufgaben." Die Namen von Henriette Herz und Dorothea Veit sind Kennmarken dieser „Ersatzöffentlichkeit", und eine wichtige Voraussetzung ist ferner die Tatsache, daß es sich in Berlin um die dortigen „jüdischen Salons" handelte. 40 Was dagegen die Würdigung der Salonöffentlichkeit in der Sekundärliteratur bisher aussparte, war ihre atmosphärische Unterstützung für die Entwicklung der durch ihr sozialgeschichtliches Umfeld beeinflußten Theorie und Philosophie, aber schließlich auch Literatur und Kunst überhaupt. 41 „Geselligkeit" ist als soziologischer Begriff in seiner historischen Bedeutung zu wenig weit gefaßt. Sie bezeichnet nicht nur eine sozialgeschichtlich bedeutsame Wende im Zeichen bürgerlicher Emanzipation um 1800, sondern sie verweist auch auf ein gewandeltes Lebensprinzip, das im Sinne romantischer Kunsttheorie Realität als einen ästhetisch gestaltbaren Stoff verfügbar macht und darin im Gegensatz von Kunst und Moral ein neues Lebensideal vor Augen führt. 42 Im Zeichen der ,Ethik', wie Schleiermacher diese Problematik aufgreift, gewinnt sie natürlich höchste Aktualität und trifft durch ihre Bezeichnung geradezu ins Zentrum ihres Spannungsgehalts. Nicht zufällig ist der Begriff .Geselligkeit' ein zentraler Begriff bei Schleiermacher, den er überdies schon in seinem 1799 erschienenen ,Versuch einer Theorie geselligen Betragens' verwendet hat. 43 In seiner ,Ethik' ist nur das semantische Umfeld ausführlicher erörtert und belegt. 40
41
42 43
Vgl. die .Einleitung' in: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Philosophische Schriften, hg. von Jan Rachold, Berlin 1984, S. 7 - 3 7 , hier S. 25. Zur Entstehung des .jüdischen Salons' in Preußen vgl. zuletzt zusammenfassend Seibert (Anm. 10). S. 102 ff. Ferner Gerda Heinrich, Die Berliner Salons in der literarischen Kommunikation zwischen 1780 und 1800. Ein Beitrag zur geschichtlichen Funktionsbestimmung, in: Zeitschrift für Germanistik, NF 2 (1993), S. 309 - 319, hier S. 3 1 0 ff. Ein umfassender Versuch, die mediale Bedeutung des Salons in künstlerischer, wenn auch hauptsächlich literarischer Hinsicht zu exponieren, ist jetzt das Buch von Seibert (Anm. 10). Ebd., S. 303 ff. Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner und Gerhard Ebeling, Hermann Fischer, Heinz Kimmerle, Kurt-Victor Selge, Erste Abteilung. Schriften und Entwürfe: Bd. 2: Schriften aus der Berliner Zeit 1796—1799, hg. von Günter Meckenstock, Berlin und New York 1984, S. L - L I I I ; 1 6 5 - 1 8 4 . Rahel-Bibliothek (Anm. 6), Bd. 10, S. 2 3 5 - 2 7 9 . Zur Deutung von Schleiermachers Aufsatz im Zusammenhang mit Raheis Geselligkeitspflege vgl. Norbert Altenhofer, Geselligkeit als Utopie. Rahel und Schleier-
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Der Begriff „Geselligkeit" fallt in den ,Ethik'-Vorlesungen erstmals im .Brouillon zur Ethik' (1805/06). „Geselligkeit" ist ein Produkt der „Liebe", die, insofern sie eine „erkennende Function" hat, „Organisches' um sich versammle, und in dieser „organisirenden Thätigkeit" zeigt sie „die Tendenz [,] die Individualitäten um sich zu versammeln". „Geselligkeit" bedeutet daher nichts Geringeres als .Versammlung', wie dieses Wort auch bei Friedrich Schlegel in den ,Ideen' zu belegen ist: „Wo die Künsder eine Familie bilden, da sind Urversammlungen der Menschheit." 44 Bei Schleiermacher ist „Geselligkeit" das Produkt einer Versammlung von organischer Substanz, wobei „das individuell Gebildete [...] das höchste Organische" ist. Individualität und Organisches bezeichnen daher eine in liebender Geselligkeit versammelte Gemeinschaft. Nur braucht es für ihr Zustandekommen ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen der beteiligten Individuen und Partner. Es braucht eine gegenseitige Beteiligung am individuellen Eigentum, dessen Vorhandensein das Individuum kennzeichnet, und die Voraussetzung dieser Beteiligung sind eine gegenseitige Verständnisbereitschaft und Erkenntnis, die beide ihren Erfolg aus der „Liebe" als Produkt der Geselligkeit beziehen. Für die Realität des Salons hat diese theoretische Grundlegung eine praktische Auswirkung, denn der Salon veranschaulicht diese Gegenseitigkeit des geselligen Verhaltens durch „gegenseitige Gastfreiheit", wie sie Schleiermacher zunächst ohne konkrete Anspielung nur theoretisch umschreibt. Die allgemeine Form ist also das freiwillige Eintretenlassen der Andern in die Sphäre des Eigenthums, und da überall nur der, welcher innerhalb dieser Sphäre betrachtet wird, erkannt werden kann, so muß es gegenseitig sein = gegenseitige Gastfreiheit.
„Gastfreiheit" ist dabei ein Oberbegriff, dem sich „freie Geselligkeit" und „Freundschaft" unterordnen, erstere, „wo nun vornehmlich durch die Beobachtung erkannt werden soll", letztere, „wo das Gefühl die Grundlage
44
macher, in: Berlin zwischen 1789 und 1848. Facetten einer Epoche, Berlin 1981 (Ausstellungskatalog), S. 3 7 - 4 2 . Zu verweisen ist ferner grundlegend für Schleiermacher auf Kurt Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik. Eine literaturgeschichtliche Studie zum romantischen Religionsverständnis und Menschenbild am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Göttingen 1986, S. 263 ff. Vgl. Friedrich Schlegel, Ideen, in: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Bd. 3: Erstes Stück, Berlin 1800, S. 4 - 3 3 , hier S. 26. Dazu Konrad Feilchenfeldt, Die Berliner Salons der Romantik, in: Hahn/Isselstein (Anm. 4), S. 152-163, hier S. 155.
Rahel Varnhagens ,Geselligkeit' aus der Sicht Varnhagens
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ist". 45 Für die Realität des Salons be2eichnet die „freie Geselligkeit" stärker als die „Freundschaft" ein weiteres Merkmal seines Überlieferungsbildes, weil Schleiermacher wiederum in Anlehnung an Friedrich Schlegel die Familie, besonders die Frau als Hüterin und Bewahrerin des Prinzips gegenseitiger „Gastfreiheit" umschreibt. „Infolge des Geschlechtscharakters sind die Frauen die Virtuosinnen in dem Kunstgebiet der freien Geselligkeit, richten über Sitte und Ton. Also sind sie es auch in der Familie." 46 Auch diesem für die deutsche Geselligkeitsgeschichte um 1800 immer wieder herangezogenen Zitat fehlt aber die konkrete Bezugnahme auf den Salon. 47 Schleiermachers Bild der Frau als Virtuosin verweist auf eine Seite des Lebens, die über den Horizont der Geselligkeitsformen hinaus die Form allgemein und die Kunst im besonderen betrifft. Der Schlüsselbegriff zu dieser Sichtweise ist der Begriff „Bildung". Er ist für Schleiermacher die Umschreibung des Besitzes, den das Individuum als Eigentümer geltend machen muß, wenn es sich auf „gegenseitige Gastfreiheit" und Erkenntnis einläßt, „und es giebt keinen andern sittlichen Besiz als das Bilden: ich besize das, in dessen Bildung ich begriffen bin. Also sind die Frauen die sittlichen Besizerinnen, die Männer nur die rechtlichen als Repräsentanten der Familie beim Staat." 48 Der Bildungsbegriff, wie ihn Schleiermacher versteht, umschreibt ein primär ästhetisches Programm, kein erzieherisches im Sinne etwa einer praktischen Anweisung ethischen Verhaltens. Der Gedanke ist in seiner Zeit nicht neu, zumindest nicht seit Schillers 1795 in den ,Hören' veröffentlichten Briefen ,Uber die ästhetische Erziehung des Menschen'. 49 Er ist jedoch ausgeführt und weitergedacht, wo es beim Menschen nicht nur um die „Ausbildung zur Schön45
46 47
48 49
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Brouillon zur Ethik (1805/06). Auf der Grundlage der Ausgabe von Otto Braun hg. u. mit einer Einleitung versehen von Hans-Joachim Birkner, Hamburg 1981 (Philosophische Bibliothek, Bd. 334), S. 49 f. (29. Stunde). Ebd., S. 59 f. (34. Stunde). Vgl. Otto Dann, Gruppenbildung und gesellschaftliche Organisierung in der Epoche der deutschen Romantik, in: Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposion, hg. von Richard Brinkmann, Stuttgart 1978 (Sonderband der „Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte"), S. 1 1 4 - 1 3 1 , hier S. 1 1 8 f. Konrad Feilchenfeldt, „Fiktionen, die sie als Fakta behandeln". Zur Kunstauffassung Karl August Varnhagen von Enses. In: HeineJahrbuch 26 (1986), S. 9 5 - 1 1 1 , hier S. 97. Schleiermacher (Anm. 45), S. 60 (34. Stunde). Vgl. Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, Bd. 5: Erzählungen/Theoretische Schriften, hg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München 1959, S. 5 7 0 - 6 6 9 .
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heit" geht, sondern um sein eigenes Wirken als Künstler, d. h. als „mimischer und plastischer Künsder", als nachahmender und gestaltender Schöpfer. Am Bildungsbegriff Schleiermachers erweist sich die „freie Geselligkeit" als Medium einer Ästhetik, in der die Künste und ihre Berufsvertreter formbildende Bedeutung erlangen, der Mensch in seinem Zustand als Lebewesen zum Kunstwerk wird. Schleiermacher beruft sich dazu auf die antike Kunsdehre und ihre Schöpfer. Gymnastik gehört zur Plastik, so auch Architektur und Gartenkunst. Denn Plastik ist eigentlich Darstellung der Freude am Leben (daher so überwiegend in der glücklichen Zeit Griechenlands), und dies Gefühl muß durch die Anschauung der Schönheit in Andern wieder erregt werden.
„Plastik" ist daher in der Nachfolge Herders nicht nur eine Steigerungsform nachahmend gestaltender Kunst, sondern sie spiegelt in ihrer Dreidimensionalität das Leben selbst wider, wie „Architektur" und „Gartenkunst" und natürlich auch Theater. „Architektur bildet die Umgebungen des Lebens, die ihm angeeignet werden, den erweiterten Leib, den Umriß für die Sphäre der freien Geselligkeit, dabei auch die versteckte Harmonie mit den Verhältnissen der menschlichen Gestalt." Salonkultur ist ästhetisch gesprochen nach Schleiermacher „Plastik". Wenn daher auch Gartenkunst und jede Form dreidimensionaler Lebensgestaltung zur „Plastik" gehört, wäre in neuerer Terminologie auch Innenarchitektur „Plastik", was eine wesentliche Seite der Salonrealität ausmachte, nämlich der Komfort seiner Einrichtung.50 Schleiermachers ,Ethik' zeigt den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang, der sie mit seiner Salonerfahrung bei Rahel und Henriette verbindet, in keiner konkreten Anspielung. Schleiermachers Betrachtungen dienen ausdrücklich einer philosophischen Theoriebildung und Aufgabe, die nur ansatzweise den sozialgeschichtlichen Hintergrund des Salons anschaulich werden läßt. Seine Terminologie vermittelt vielmehr eine völlig abstrakte Reflexion von Erkenntnissen, in denen auch die für die Salonrealität interessanten Begriffe wie „Geselligkeit", „Frau" oder Kultur nur theoretisch eingesetzt sind, nämlich „Geselligkeit" als Bezeichnung für das Ineinanderwirken von Individualität und Universum, die „Frau" als typische Virtuosin geselligen Verhaltens und Kultur im Sinne von „Plastik". Was Schleiermachers ,Ethik'-Vorlesungen zur Erhellung der Salonkultur ihrer 50
Schleiermacher (Anm. 45), S. 108 f. (62. Stunde). Vgl. Emil Staiger, Der neue Geist in Herders Frühwerk, in: Emil Staiger, Stilwandel. Studien zur Vorgeschichte der Goethezeit, Zürich und Freiburg im Breisgau 1963, S. 121 —173, hier S. 130 ff.
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Zeit beitragen können, bleibt der systematische Versuch einer Sammlung von Merkmalen, die erst in der sozialgeschichtlichen Forschungsgeschichte und Retrospektive der Folgezeit historisch wirksam werden und zu einem wissenschaftlich erarbeiteten — historischen — Urteil beitragen konnten. Im Zeitpunkt ihrer Niederschrift sind die Feststellung und der theoretische Zusammenhang heute geselligkeitsgeschichtlich interpretierbarer Betrachtungen offensichtlich noch nicht als solche durchschaubar, vor allem weil die sozial- und gesellschaftskritische Aussage der ,Ethik'Vorlesungen in ihrer eigenen Zeit nicht ausgespart, sondern sehr wohl in ihnen enthalten ist. Schleiermacher zitiert so, wie er den Salon verschweigt, andere soziale Einrichtungen wie „Staat, Kirche, Akademie" ohne theoretische Absicht als „Sphären", in denen er die „freie Geselligkeit" wirksam werden sieht und mit denen er sich deswegen in seinem Systemversuch nicht nur analytisch, sondern notgedrungen auch kritisch und vor allem zeitkritisch auseinandersetzt. 51
Zwischen Varnhagen und Schleiermacher Schleiermacher selbst entwickelt einen eigenen sozialkritischen Zugriff zu seinem Thema, sobald er die ahistorische Systematik seiner Betrachtungen preisgibt und historische Epochen als Maßgaben seines Denkens gelten läßt und unterscheidet. Sein Modell dafür orientiert sich am geläufigen Begriffspaar „Antike" und „Moderne". Die antike Freundschaft ist also nun Gemeinschaft der Organe in Beziehung auf eine größere Individualität. Sie ist der innere Kern des Staates, und es giebt kein anderes ethisches Werden derselben als dieses. Die moderne Freundschaft aber verhält sich ebenso zur Kirche. 52
Im Gegensatz von „Staat" und „Kirche" als politischen Einrichtungen seiner eigenen Zeit und Gesellschaft greift Schleiermacher das Thema der freien Geselligkeit nicht nur theoretisch wieder auf, sondern er bezieht sich dabei auf bestehende soziale und politische Autoritäten seiner eigenen Zeit, und er verbindet, wenn auch vorerst nur latent, mit seinem eigenen Geselligkeitsbild eine aktuelle politische Stellungnahme. Wenn „Staat" und „Kirche" als Stätten für die Pflege freier Geselligkeit zu gelten haben und deswegen zunächst auch nichts als Anschauungsbeispiele 51 52
Schleiermacher (Anm. 45), S. 54 (32. Stunde). Ebd., S. 51 (30. Stunde).
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für die theoretische Ableitung darstellen, geht von ihnen doch umgekehrt dadurch, daß sie als solche Anschauungsbeispiele überhaupt in Betracht kommen, eine politische Wirkung und Aussage auf den Begriff der freien Geselligkeit über. In der Deutung geschichtlich überkommener Sozialeinrichtungen wie vor allem der Kirchen und ihrer Bestimmung durch Religion und Theologie ist Schleiermachers ,Ethik' nicht mehr ausschließlich auf ein theoretisches Interesse festgelegt, sondern enthält praktische Aussagen zur eigenen Gegenwart. Schleiermachers Geselligkeitstheorie gipfelt in einer interkonfessionellen Betrachtung der christlichen Kirchen unter Berücksichtigung des Judentums als Vorstufe und sogar des Islam. 53 Schleiermachers ,Ethik' ist in theologischer Hinsicht nicht nur ein theoretischer Systemversuch, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit der spirituellen Zeitlage. Die Kirche ist für ihn eine Modelleinrichtung, um die im Spannungsverhältnis von Individualität und Gemeinschaft auftretenden und von ihm beschriebenen Verhaltensformen an einem aktuellen Beispiel vorzuführen und zu bewerten. Die Geschichtlichkeit dieses Modells ist durch den Gegensatz von Kirche und Staat gut zu belegen: „Versuche des Staates die Kirche, und der Kirche den Staat an sich zu reißen, historisch doch immer vergeblich." 54 Die Gegensätzlichkeit selbst ist aber auch ein Spiegel für die Individualität der Kirche, wenn nicht wenigstens für ihr Streben danach, und es spiegelt sich darin auch der Familiencharakter jener urtypischen Gesellschaftsform wider, in der Eigenes und Fremdes miteinander eine soziale Verbindung eingehen. Eine wichtige Aufgabe fällt daher auch in seiner Eigenschaft als Kirchenrepräsentant dem Priester zu. Er ist der Gewährsmann für die Verwirklichung des Bildungsauftrages und Bildungsanspruchs der Kirche. Schleiermacher erörtert die Aufgabe des Priesters in der Kirche im Gegensatz zum Laien. Die Laien als Gemeine [...] bringen das Familienelement zum Kunstelement; die Priester umgekehrt das Kunstelement zum Familienelement. Beide sind also Repräsentanten. Der Gegensatz ist aber bloß in der Function, denn im häuslichen Cultus verrichtet der Hausvater die priesterliche Function.
Schleiermacher betrachtet den Cultus als Bildungsanstalt [...] aber auch als unmittelbare Hervorbringung eines gemeinschaftlichen Kunstwerks. In Priestern muß also freilich der Kunstverstand Oberhand haben, aber das Familienelement ist doch auch in ihnen, und sie können ohne das nicht Vermittler für beides sein. 53 54
Ebd., S. 1 1 4 f. (65. Stunde). Ebd., S. 1 1 7 (66. Stunde).
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Schleiermachers ganze Kritik richtet sich dabei schließlich gegen nichts so heftig wie gegen das Zölibat. 55 Der Modellcharakter der Kirche in Schleiermachers Geselligkeitstheorie verliert in der Beurteilung des Priesters erheblich an theoretischer Grundsätzlichkeit. Schleiermachers Argumentation richtet sich uneingeschränkt und unmißverständlich gegen das Priestertum der katholischen Kirche, und aus dieser Tatsache folgt für die Beurteilung der Salonkultur im Umkreis Rahel Varnhagens, aber auch von Henriette Herz eine zeithistorische Erklärung. Die Theoretisierung der jüdischen Geselligkeit im Licht der Geselligkeitstheorie Schleiermachers entpuppt sich dabei als - möglicherweise ungewollter — Beitrag zur Politisierung der jüdischen Kultur in Deutschland. 56 Schleiermacher wertet seine gesellschaftlichen Erfahrungen aus der Salonszene für seine theoretischen Betrachtungen aus, offensichtlich ohne sich dabei über die Wirkung dieser „Asthetisierung" von vornherein klar zu sein. Folgeerscheinungen waren - wenn auch sicher nicht monokausal damit verknüpft — Tendenzen wie kirchlicher und rassischer Antisemitismus. Die Angriffe kamen aus unterschiedlichen Gruppen und in verschiedenen Phasen. 57 Varnhagen hat — nunmehr aus verständlichen Gründen — die Schleiermachersche Geselligkeitstheorie insbesondere in der ,Ethik', wie er es selbst bezeugt, nicht geschätzt und ihre Ausarbeitung abgelehnt, wie er überhaupt in dieser Phase seiner Bekanntschaft mit Schleiermacher seinen ehemaligen Mentor und Lehrer der hallischen 55 56
57
Ebd., S. 120 f. (68. Stunde). Zu Schleiermachers Auseinandersetzung mit dem Judentum vgl. auch seine .Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter', in: Schleiermacher (Anm. 43), S. LXXVIII - LXXXV; S. 329—413. Ferner Kurt Novak, Schleiermacher und die Emanzipation des Judentums am Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, in: Friedrich Schleiermacher, Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter, Berlin 1799 (Nachdruck Berlin 1984), S. 6 7 - 8 6 . Vgl. auch Frühwald (Anm. 8), S. 82. - Daß Schleiermacher in Berlin auch über die allgemein geschätzte Salongeselligkeit der „hiesigen großen jüdischen Häuser" auf jeden Fall Bescheid wußte, dokumentiert unter seinen damaligen Briefen vor allem derjenige an seine Schwester Charlotte vom 25. 7 . - 1 6 . 8. 1798, in: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe. Fünfte Abteilung: Briefwechsel und biographische Dokumente, Bd. 2: Briefwechsel 1796 — 1798 (Briefe 327 - 552), hg. von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, Berlin und New York 1988, Nr. 496: S. 3 6 4 - 3 7 4 , hier S. 370 f. Vgl. Hans Reinicke, Berliner Salons um 1800. Henriette Herz und Rahel Levin, in: Der Monat 13 (1961), H. 151, April, S. 4 6 - 5 4 , hier S. 50 ff. Frühwald (Anm. 8), S. 80 ff.
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Studienzeit ablehnte. Dabei hat auch Varnhagen seine Bekanntschaft mit Rahel zum Anlaß genommen, ihr geselliges Talent in literarischer Gestalt zu dokumentieren. Nur wählte er anders als Schleiermacher dazu nicht den Essay oder die Vorlesung, sondern Edition und Memoire. 58 Auch Varnhagens Rahel-Darstellung liegt eine Tendenz zugrunde, die in hervorragenden Bestimmungsmerkmalen die Sichtweise Schleiermachers bestätigt. Raheis Salon war beiden zeitgenössischen Interpreten seiner Geselligkeit eine säkulare Sozialisadonsform im Gegensatz vor allem zur katholischen Kirche. 59 Vergleicht man wie hier versucht die von Varnhagen in seinen Denkwürdigkeiten' geschilderte Episode zwischen Rahel und Schleiermacher sowie die von ihm überlieferten Bemerkungen über Schleiermacher mit dessen in diesem Zusammenhang als Quelle zitierter ,Ethik', so bietet sich im Hinblick auf eine historische Würdigung des Salons eine neue Sichtweise an, die den Salon als säkulare Sozialisadonsform in der Auseinandersetzung insbesondere mit dem Gemeindeleben der christlichen Kirchen begreifen kann. In dieser Perspektive dürfte für Varnhagen der ent58
59
Auf die christliche Bedeutungsebene von Schleiermachers Geselligkeitstheorie und auf die literarisch-formale Problematik ihrer Vermitdung in gattungstypologisch unterschiedlichen Schriften verweist für ein weiteres, darin exemplarisches Werkbeispiel Hermann Patsch, Die esoterische Kommunikationsstruktur der „Weihnachtsfeier" Uber Anspielungen und Zitate, in: Schleiermacher in Context. Papers from 1988 International Symposium on Schleiermacher at Herrnhut, the German Democratic Republic, ed. by Ruth Drucilla Richardson, Lewiston, Queenston, Lampeter 1991 (Schleiermacher: Studies and Translations, Bd. 6), S. 132-156. Zur Auseinandersetzung mit Rahel aus zeitgenössischer kirchlicher und insbesondere katholischer Perspektive vgl. Feilchenfeldt (Anm. 8), S. 167 ff. Antikatholische Zeugnisse bei Schleiermacher belegen Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Zweite Ausgabe. Berlin 1806, S. 366 ff.; Friedrich Schleiermachers Weihnachtsfeier, Kritische Ausgabe. Mit Einleitung und Register von Hermann Mulert, Leipzig 1908 (Philosophische Bibliothek, Bd. 117), S. 15, Z. 11 f f , 19ff.; S. 17, Z. 14ff.; S. 43, Z. 27 ff. - Den Nachweis dieser Belege, ebenso wie die Kenntnis der zitierten neueren Forschungsliteratur zu Schleiermacher verdanke ich Dr. Hermann Patsch, München. Ihm verdanke ich im übrigen auch eine erste kritische Lektüre dieses Beitrags, der in seiner damaligen Fassung den Teilnehmern eines ,Wolffenbütteler Arbeitsgesprächs' vorgetragen worden ist. Dank schulde ich deswegen auch York-Gothart Mix und Roger Paulin, die zu diesem Anlaß eingeladen hatten, und Günter Scholtz für seine in Wolffenbüttel mitgeteilten bibliographischen Hinweise zu Schleiermacher. - Für seine ebenfalls kritische Durchsicht des Typoskripts danke ich außerdem Alf Christophersen (München).
Rahel Varnhagens .Geselligkeit' aus der Sicht Varnhagens
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scheidende Ansatz einer kritischen Distanzierung Schleiermacher gegenüber liegen, dessen Persönlichkeit er dabei weniger als persönlichen Widersacher, sondern vielmehr als Repräsentanten kirchlicher Gemeinschafts- und Geselligkeitspflege beargwöhnte. Wenn Varnhagens RahelVerehrung geradezu Ausmaße eines Rahel-Kultes entwickelte, so ist dies nach seinen Erfahrungen als Initiator des sogenannten .Berliner GoetheKultes' nur ein Symptom dafür, daß auch in der Salon-Geselligkeit Raheis eine kulthaft verbundene Gemeinschaft zusammenfinden konnte, die auf Seiten des Staates und vor allem der Kirche und besonders der katholischen Kirche im Zeitalter der Restauration nur höchste politische Besorgnis auslösen konnte: Raheis Salon in der Vermittlung Varnhagens reduziert sich auf eine Art ,Anti-Kirche', mit einem Buch ,Rahel' - wie die österreichische Zensur kritisch feststellte - mit Korrespondenten und mit sonstigen sozusagen Gemeinde-Veröffentlichungen, unter denen Wilhelm Neumanns postum veröffentlichte Broschüre ,Ueber Rahel's Religiosität' gemessen an der gegen sie gerichteten Polizeizensur den anschaulichsten Beleg dieser Tendenz liefert. 60
60
Vgl. Feilchenfeldt (Anm. 8), S. 171 ff. Dazu auch Konrad Feilchenfeldt, „... und da nahm sich der Himmel meiner an" Zu Rahel Varnhagens religiösem Selbstverständnis, in: „Die Liebe soll auferstehen" Die Frau im Spiegel romantischen Denkens, hg. von Wolfgang Böhme, Karlsruhe 1985 (Herrenaiber Texte, Bd. 59), S. 4 5 - 5 5 , 100-101, hier S. 47 f. - Ein Zeugnis für die geradezu ins Religiöse gesteigerte Rahel-Verehrung ist in diesem Zusammenhang auch die satirische Kritik an Raheis Person als einer „Wiedergeburt des Messias" und an Varnhagens „ .Götzendienst' " Rahel gegenüber in Clemens Brentanos erst postum veröffentlichtem Romanfragment ,Der schiffbrüchige Galeerensklave vom Todten Meer', vgl. Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift, Bd. 19: Erzählungen, hg. von Gerhard Kluge, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1987, S. 649 ff., hier S. 652. - Den Hinweis verdanke ich Martina Vordermayer M. A. (München).
Ursula Isselstein
Die Titel der Dinge sind das Fürchterlichste! Rahel Levins „Erster Salon" Für Cesare Cases
Die hier versuchte Studie zu Rahel Levins früher Geselligkeit basiert größtenteils auf dem noch unpublizierten Briefwechsel mit Karl Gustav von Brinckmann, der sich als die reichhaltigste Quelle für den „Ersten Salon" erwiesen hat, ergänzt und verifiziert durch einige andere gedruckte und ungedruckte Korrespondenzen aus der gleichen Zeit. 1 Sie will nur eine Annäherung sein, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnten noch immer nicht alle, wenn auch wohl die aussagekräftigsten Korrespondenzen benutzt werden. Der Analyse dieser Quellen als dem Herzstück meiner Arbeit werden einige Überlegungen zur Problematik der Salonforschung, ein Rekonstruktionsversuch der „Dachstube" als physischem und symbolischem Ort und ein Panoramablick über Rahel Levins Geselligkeit während ihres ganzen Lebens vorangehen. Dann wird Brinckmann als wichtigster Habitué vorgestellt und der Beginn seiner Freundschaft mit Rahel skizziert. Auf den Hauptteil folgt der Versuch, Rahel Levins Geselligkeit im europäischen Kontext zu situieren, mit besonderer Rücksicht auf die französische Salontradition. Der nächste Abschnitt geht durch einen Vergleich Brinckmanns mit Varnhagen auf beider Rolle bei der 1
Außer Brinckmanns Briefwechseln mit Rahel Levin, Varnhagen und F. Liman auch die Korrespondenzen zwischen Rahel und David Veit, F. Liman und Alexander zur Lippe, die zwischen allen Geschwistern Levin und die Pauline Wiesels mit Louis Ferdinand von Preußen, Brinckmann, Gentz und Rahel Levin. Die Auswertung zahlreicher weiterer Konvolute aus Raheis frühem Umkreis, zu denen erst kürzlich der Zugang gelang, wird unser Wissen über den sogenannten „Ersten Salon" weiter präzisieren. Verwandte Abkürzungen für die Quellen: ATL: Archiv Trolle Ljungby, Schweden SV: Sammlung Varnhagen, Krakau GW: Feilchenfeldt, Konrad/Schweikert, Uwe/Steiner, Rahel E. (Hg.), Rahel-Bibliothek. Rahel Varnhagen. Gesammelte Werke, 10 Bde., München 1983.
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Tradierung bzw. Mythisierung von Raheis Geselligkeitskunst ein. Den Abschluß bildet ein Vergleich von Rahel Levins Theoretisierungen ihrer geselligen Praxis mit anderen zeitgenössischen theoretischen Entwürfen.
Die Quellen. Salongeschichte Habe ich doch aus jenen glücklichen Jahren [...] nicht bloß ihren köstlichen Briefwechsel, [...] sondern meine eigenen Sammlungen von Tageblättern und Aufsätzen, worin ich, oft noch bei der frischesten Erinnerung, alles niederlegte, was ich von ihren flüchtigsten Reden aufzubewahren wünschte. Das alles ist nicht sie selbst, aber es ist Rahel — wahr und treu dargestellt, wie sie mir erschien, nach langer Beobachtung und gewissenhafter Auffassung ihrer sprechenden Gesichtszüge. Mehr leistet im Grunde auch der beste Mahler nicht; [...] Sokrates, wie Rahel, theilte sich eigentlich nur mit durch mündliche Gespräche, und diese sind immer berechnet auf bestimmte Zuhörer; man wagt sehr viel, wenn man ihnen den nämlichen Reiz zutraut für fremde mit ihrer ganzen Eigentümlichkeit unbekannte Leser. A n dem Inhalt muß man nur keinen Raub begehen; von diesem kann man oft das Gehaltreichste wiedergeben, aber die lebendige Form des beweglichen Vortrags läßt sich bei ihr weniger, als bei kunstgerechten Sprechern abdrucken in todte Buchstabenschrift. 2
Schon einer der frühesten Historiographen von Rahel Levins Geselligkeit, ihr enger Freund Karl Gustav von Brinckmann, ist sich des Grundproblems aller Salongeschichtsschreibung bewußt: Wie kann man aus den uns verbliebenen schriftlichen Zeugnissen - Briefe, tagebuchartige Aufzeichnungen, Reiseberichte, Erinnerungen, theoretische Aufarbeitungen und Setzungen - auf das längst vergangene Leben dieser Geselligkeit schließen, deren Reiz ja gerade in ihrer unkodifizierten, mobilen Flüchtigkeit bestand? Denn als sich ihre Strukturen verfestigten, sich um den „Teetisch" Riten und Konventionen etablierten und dieser - nun leicht beschreibbar — zum beliebten Objekt poetischen Spotts degenerierte, war es mit der hier gemeinten Form ja schon vorbei. Die einfachste und ehrlichste Antwort auf diese Frage ist: wir haben nichts anderes. Aber in unserem besonderen Fall kommt uns ein methodisch stichhaltigeres Argument zur Hilfe, nämlich Rahel Levins gattungsästhetischer Anspruch auf den Gesprächscharakter ihrer Briefe — unserer 2
„Rahel. Brief an Varnhagen von Ense, nach dem Tode seiner Gattin, von Gustav Freiherrn von Brinkman.", in: Κ. A. Varnhagen von Ense, Vermischte Schriften, Leipzig 3 1876, S. 2 1 7 - 2 5 2 ; S. 242. - Vgl. auch den Kontext dieses Passus.
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wichtigsten Zeugnisse also - und deren Ersatzfunktion für „Leben". Nach Klaus Haase macht bei Raheis Briefen die „aufrechterhaltene Spannung", die sich aus der „Unvereinbarkeit von Alltagsleben und Literatur, zwischen denen der Privatbrief bewußt gehalten wird," herleitet, „gerade das Kriterium der neuen Gattung aus". 3 Dieses Spannungsverhältnis ö f f net der Untersuchung einen Zugang, indem ein sogeartetes literarisches Produkt konstitutionell auf „Leben" zurückweist. Bis auf die theoretischen Texte gehören auch die anderen Quellen, auf die wir verwiesen sind, Gattungen an, die in diesen Zwischenbereich gehören; bei ihrer Interpretation sind die Eigentümlichkeiten des jeweiligen Genres im Auge zu behalten.
Die Geschichtsschreibung zu Rahel Levins „Salons" stützt sich in der Hauptsache auf zwei durchweg als authentisch gehandelte, anonyme zeitgenössische Zeugnisse, die Ludmilla Assing kurz nach Varnhagens Tod im 8. Band seiner Denkwürdigkeiten und Vermischte Schriften (1859) zusammengestellt hat. Unter signifikant unterschiedlicher Benennung (Rahel Levin/Frau von Varnhagen — Gesellschaft/Salon) beschreiben sie exemplarisch jeweils einen Gesellschaftsabend der frühen und einen der späten Zeit, also in Rahel Levins sogenanntem „Ersten" und „Zweiten Salon". 4 3
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Vgl. dazu die allerdings noch vor der Wiederentdeckung der Varnhagen-Sammlung entstandene, aber immer noch grundlegende Studie von Klaus Haase, Rahel Varnhagens Brieftheorie. Eine Untersuchung zum literarischen Charakter des Privatbriefs in der Romantik, maschinenschr. Magisterarbeit München 1977, S. 87. „Rahel Levin und ihre Gesellschaft. Gegen Ende des Jahres 1801. (Aus den Papieren des Grafen S****.)" und „Der Salon der Frau von Varnhagen. Berlin, im März 1830.", in: Vermischte Schriften. Von Κ. A. Varnhagen von Ense, Leipzig 3 1876, S. 158-182 und 183-210. (1. Aufl. 1859 in Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften, 8. Bd.; Erstdruck des 1. Aufsatzes bereits 1844 in: „Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur", Berlin 1841-1922, Jg. III, 1. Sem. Teil II, S. 709-720). Als Autor des ersten Aufsatzes gilt Hugo Graf Salm-Reifferscheid, für den des zweiten gibt die Bibliographie der Gesammelten Werke (Rahel Varnhagen, Rahel-Bibliothek. Gesammelte Werke, hg. von Konrad Feilchenfeldt, Uwe Schweikert und Rahel E. Steiner, 10 Bde., München 1983.) Bd. X, S. 454 Ignaz Kuranda als Verfasser an. Nach L. Stern (Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der königlichen Bibliothek zu Berlin, Berlin 1911) war Kuranda, geboren 1812, im März 1830 höchstens 18 Jahre alt. Dieses Alter paßt schlecht zum Anfang des Berichts, nach dem der Autor „nach den endlosen Konferenzen mit den preußischen Geschäftsmännern [...] Abends gewöhnlich die große Welt, einige Hofbälle, die Säle der Minister, der Gesandten" besucht und, da er sich dort gelang-
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Das hat wahrscheinlich einer Begriffsverfestigung Vorschub geleistet, die bis heute nachwirkt, aber nicht unbedingt in Varnhagens Sinn war, der offenbar an keine solche rigide Periodisierung dachte, als ihm noch kurz vor Ende seines Lebens der Plan vorschwebte, „die begonnenen Schilderungen von Rahel's Gesellschaft fortzusetzen, aus den verschiedenen Zeiten ihres Lebens etwa noch ein Dutzend ihrer Gesellschaftsabende darzustellen."5 Auf den ersten Blick klingt Varnhagens Satz so, als stammten beide Berichte aus seiner eigenen Feder; diese Annahme ist aber nicht zwingend, da die Prädikate keinen eindeutigen Subjektbezug erlauben. Es ist ebensogut möglich, daß Varnhagen diese Arbeiten bloß angeregt und publiziert, möglicherweise auch weitgehend redigiert hat. Die Echtheit dieser einzig zustandegekommenen, anonymen Berichte bleibt also zumindest zweifelhaft; 6 beide sind jedenfalls keine direkt niedergeschriebenen Chroniken, sondern vermutlich aus alten Notizen und Erinnerungen geformte Erzählungen, sicher nicht frei erfunden, aber doch stilisiert. Nur mit diesem Vorbehalt können sie als Quellen für die tatsächliche Geselligkeitspraxis benutzt werden, eher sagen sie etwas über eine bereits im Gang befindliche Toposbildung zum „Salon" aus. Das ist der Grund für meine methodologische Entscheidung, sie in dieser Arbeit einmal — bis auf eine Information — ganz auszuklammern. Das dritte Zeugnis, am gleichen Ort publiziert, zeichnet ein wirklicher Kenner, der langjährige, enge Freund Karl Gustav von Brinckmann; dies macht es für unsere Untersuchung ungleich interessanter.7 Sein „Brief an Varnhagen" ist nicht so sehr ein Bericht, als ein großer Nekrolog, angelegt als analytisches, literarisch geformtes „Portrait" Rahel Levins und
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weilt, in den Häusern Beer, Savigny, Helvig, Stägemann, Mendelssohn Bartholdy und Varnhagen verkehrt habe. All das soll einem nicht einmal adligen Achtzehnjährigen offengestanden haben? Tatsächlich taucht sein Name in Petra Wilhelmys umfassendem Register der Salongäste nicht einmal auf (Anm. 8). Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense [hg. v. Ludmilla Assing], 14 Bde., Leipzig/Zürich/Hamburg 1 8 6 1 - 1 8 7 0 . Eintrag vom 19. 12. 1857, Bd. XIV, S. 159. Im Konvolut der Dankesschreiben für das Buch des Andenkens (SV 202) findet sich allerdings ein blaugrünes Blatt in fremder Handschrift und ohne Verfasserangabe, mit einer Seitenangabe oben rechts: „51.". A m oberen Rand ein Vermerk Varnhagens: „Schluß des Aufsatzes ,Rahel Levin und ihre Gesellschaft. Gegen Ende des Jahres 1801.' " Der Inhalt entspricht dem durch einen Strich abgetrennten Schlußteil des oben zitierten Drucks. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Arbeit ist es mir nicht möglich, die Schreiberhand zu identifizieren. Brinckmann (Anm. 1).
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ihrer Geselligkeit. Brinckmann versichert glaubhaft, er habe es aus seinem reichen Fundus alter Papiere, vor allem aus Briefen und Gesprächsaufzeichnungen, zusammengestellt. Wir werden sehen, daß auch sein Portrait nichtsdestoweniger starke Züge von Stilisierung und Idealisierung aufweist. Bei kritischem Vergleich mit dem Originalbriefwechsel ist es aber trotzdem sehr aufschlußreich, gerade in seiner Mischung von biographischer Gewissenhaftigkeit und nostalgisch-erbaulicher Glättung. Wie unser Anfangszitat zeigt, ist sich Brinckmann im übrigen der Problematik seines Unternehmens voll bewußt, an dem er jahrelang arbeitete und worüber eine umfangreiche Korrespondenz mit Varnhagen erhalten ist, die schließlich in dem fiktiven Brief an Varnhagen von Ense ihren Abschluß findet. In der Salonforschung haben sich vor allem zwei Topoi unterschiedlicher Provenienz festgeschrieben: 8 die Dachstube, wie wir sehen werden in Wirklichkeit eine Art Losungswort Rahel Levins und ihrer engsten Freunde, und der Salon, ein im Nachhinein der französischen Kultur endehnter Hilfsbegriff. 9 Als Folge dieses terminologisch bedingten Koagulationsprozesses um zwei Höhepunkte werden in den beiden jeweils etwa vierzehn Jahre dauernden Zeiträumen Entwicklungen und Mannigfaltigkeit verwischt, und die dreizehn Jahre zwischen den „Salons" verschwinden in der Versenkung. Es sind Jahre, die nicht nur Raheis, sondern auch Deutschlands Geschichte völlig veränderten. Hätte Varnhagen sein oben zitiertes Vorhaben ausführen können, gäbe es dann heute außer den beiden kanonisierten auch noch einen „Dritten, Vierten (usw.) Salon"? Oder nicht einfach „etwa noch ein Dutzend ihrer Gesellschaftsabende [...] aus den verschiedenen Zeiten ihres Lebens", die sich in ihrer lebendigen Vielfalt vermutlich einer solchen Kodifizierung versperrt hätten? 8
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Die beiden umfassendsten neueren Längsschnittstudien zum Salon sind: Die historische Arbeit von Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert ( 1 7 8 0 - 1 9 1 4 ) , Berlin/New York 1989 und Peter Seiberts weitausgreifende literatursoziologische Studie, Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz, Stuttgart/Weimar 1993. Einen Forschungsbericht zum Salon hat ebenfalls Peter Seibert geliefert: „Der literarische Salon. Ein Forschungsüberblick", in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 3. Sonderheft 1992, S. 1 5 9 - 2 2 0 . Wilhelmy hat in ihrer Studie (Anm. 8), S. 1 6 - 2 5 , ausführlich die Etymologie dieses erst post festum eingebürgerten Worts für ein Phänomen diskutiert, das von den Zeitgenossen auf vielerlei Art benannt worden war.
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Zugegeben, in Überblicksstudien kommt man ohne Sammelbegriffe nicht aus; Einzeluntersuchungen, die keine bestimmte Form von Geselligkeit hypostasieren dürfen, 10 stehen sie aber eher im Weg. Wir werden daher auch Begriffe wie „Salon", „Salonnière", „Dachstube" vorläufig suspendieren, bzw. wenn nötig in Anführungsstriche setzen.
Die „Dachstube" Bevor wir uns die schriftlichen Zeugen des Anfangs von Rahel Levins Geselligkeit näher anschauen, noch einen Blick auf deren Szene, soweit der Schleier der Zeit sie freigibt. Die berühmte „Dachstube" also. Eingangs wurde bereits angedeutet, daß „Dachstube" für den RahelKreis zweierlei bedeutet: einen architektonischen Raum und einen Begriff, eine Art Losungswort, das all das umfaßt, was für die Beteiligten das Besondere, ja Einzigartige an dieser Geselligkeit ausmachte. 11 Aus der Verwechslung dieser beiden Bedeutungen ist der literarhistorische Mythos von der spitzweghaft engen, poetischen „Dachstube" entstanden, in der Rahel Levin sämtliche großen Geister der Zeit um sich versammelt habe, und den man inzwischen als erledigt betrachten dürfte. 12 Im Gegensatz zu solchen Fixierungen kann man heute sagen, daß die unkonventionelle räumliche und zeitliche Beweglichkeit von Rahel Levins Geselligkeit eins der wichtigsten Merkmale ausmacht, die diese von früheren 10
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Wie es Wilhelmy mit ihrem Katalog formaler Kriterien notwendigerweise tut (Anm. 8, S. 25 f.). Aber gerade dieser Versuch zeigt die Grenzen solcher Fesdegungen: Die „Dachstube" paßt, wie wir sehen werden, weder im räumlichen noch im übertragenen Sinn hinein. Zu den Schattenseiten dieser Geselligkeit, über die Rahel Levin sich keine Illusionen machte, vgl. Isselstein, Der Text aus meinem beleidigten Herzen. Studien zu Rahel Levin Varnhagen, Torino 1993, S. 94 f. Darüber war man sich bereits 1986 auf der Turiner Rahel Levin-Tagung einig. Vgl. zuletzt, nach den Publikationen Barbara Hahns: I. Roebling, „,Frühlingsmomente eines geselligen Vollgenusses'. Geselligkeit als kritische Intersubjektivität im Kreis der Rahel Levin", in: Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung. Festschrift für Wolfram Mauser zum 65. Geburtstag, hg. v. O. Gutjahr, W. Kühlmann, W Wucherpfennig, Würzburg 1993, S. 245 ff. Roebling sieht in ihrer plausiblen Rekonstruktion die Geselligkeit Rahel Levins räumlich und zeitlich aufgelokkert über das ganze Haus und sogar bis auf Straßen und Parks verteilt. Vgl. auch Seibert (Anm. 8), S. 138 ff.
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und späteren Geselligkeitsformen unterscheidet. Diese Beweglichkeit gilt grundsätzlich auch für die Gäste - man wohnte ja nah beieinander - , wenn auch gewiß nicht alle wie der „lauffertige" Brinckmann an einem Tag sieben Besuche machten und abends noch in die Komödie gingen. 13 Allerdings ist auch für Rahel Levin selbst der physische Ort, um den all diese Bewegung sich dreht, bald so eng verquickt mit dem, was sich dort abspielt, daß er zu ihrem eigensten, existentiellen, durch keine anderen Ortlichkeiten ersetzbaren Bereich wird, wortwörtlich zum Topos ihrer Geselligkeit. Auf diesen Genius loci kann Rahel nicht verzichten. Ihr Bruder Markus schlägt während ihres langen Parisaufenthalts 1800-1801 eine Umorganisation der Wohnverhältnisse in der Jägerstraße vor: Mama hat auf mein Zureden noch zwei Jahr Contract gemacht, weil Du in diesen Logis eine Art von Glückseeligkeit zu setzen scheinst. Nun begreife ich aber nicht, warum Du so viel soins auf der Dachstube wenden willst. Mama giebt Dir unsre grüne Stube die Gelbe und den Saal nun kannst Du in der Gelben schlafen und Line im Saal ein Schlafbanke hinstellen laßen, dieß muß Dir ja weit angenehmer seyn. Freylich wird Mama noch einige Möbel anschaffen müßen; das thut aber Nichts, dies ist wohl angewandtes Geld, denn Du muß doch einmal orndliche Möbel haben, ich erwarte sogleich hierüber Deine Antwort damit mann alles arrengiren kann, ich sollte meinen Du könntest die Dachstube ganz entbehren, da doch auch die rote zu Deiner Disposition bleibt. (An Rahel Levin in Paris, 1. 2. 1801; SV 216)
Rahels Antwort ist nicht überliefert; sie muß aber sehr heftig gegen diesen an sich vernünftigen Vorschlag protestiert haben, denn Markus antwortet: Deine Dachstube soll nun auch ganz nach Deinem Wunsch eingerichtet werden ich stehe Dir nun dafür. (3. 3. 1801; SV 216)
Uber die Räumlichkeiten der Dachwohnung gibt es keine direkten Zeugnisse. Der oben zitierte Brief von Markus bestätigt aber, was man sich schon hätte denken können, nämlich daß es sich nicht lediglich um ein kleines Stübchen gehandelt haben kann, sondern um eine größere Dachwohnung mit Flur, in der nach dem Bericht Salms auch Ludwig Robert links seine eigenen Räume hatte. 14 Eine Dame brauchte damals - auch auf Reisen — mindestens drei Zimmer: einen Empfangsraum, ihr Schlaf-
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Am 1 1 . 4 . 1793 verbringt Brinckmann am Nachmittag „wol ein p(aa)r Stunden mit der Schüz", trinkt Tee bei der Kriegsrätin G., sucht dann Rahel zunächst bei sich zu Hause, dann „bei der Frankel [...], bei Mad. Liepman, [...], bei der D r fließin", ist zum Souper bei Césars und schließt den Tag mit der Komödie ab. (ATL) [Salm] (Anm. 4), S. 178.
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zimmer und das Mädchenzimmer. Falls die „Dachstube" Raheis Wohnung war, muß sie mindestens diese — wenn auch kleinen — Zimmer gehabt haben. Tatsächlich bietet ihr Markus genau drei Räume in der unteren Wohnung als Ersatz an, zuzüglich der „roten Stube", die sie schon immer für ihre größeren Gesellschaften benutzt hatte und die ihr weiter zur Verfügung stehen sollte. Ein späterer Brief an David Veit zeigt, wie sehr die „Dachstube", nun als symbolischer Ort, Rahel Levins Leben repräsentiert: Es mögen nun wohl zehn Jahre sein, daß ich Ihnen sagte: „Sein Sie überzeugt, daß in meinem Schicksal sich nichts geändert hat, so lange ich noch auf der Dachstube lebe, und Line habe." [...] (20. 4. 1 8 1 1 ; G W VII/2, S. 265)
Wieder einige Jahre später, an Varnhagen: Also Du hast für mich geweint in der Jägerstraße! Ja. Da ist mein Mausoleum. Da hab' ich geliebt, gelebt, gelitten, mich empört. [...] da wacht' ich und litt viele viele Nächte durch: sah Himmel, Gestirne, Welt, mit einer Art von Hoffnung. Wenigstens mit heftigen Wünschen: war unschuldig; nicht unschuldiger als jetzt, dachte aber alle Leute seien vernünftig, können es sein. Ich war jung." (Rahel Levin an Varnhagen, 1 . 1 1 . 1 8 1 7 ; G W VI/1, S. 274. Vgl. auch ebd., S. 254)
Im Jahr 1817 der Restauration ist die „Dachstube" zum Mausoleum einer Jugend geworden, die geprägt war vom Optimismus der Aufklärung.
Die „Dachstube" im Größern fortgesponnen. Geselligkeit in Rahel Levins Leben Gegen Ende ihres Lebens vergleicht Rahel Levin ihren „Zweiten Salon" noch einmal mit der „Dachstube". Hier fehlt nun gänzlich der utopische Elan mit seinem Korrelat von Enttäuschungen; übrig bleibt ein würdiges, ja angenehmes soziales Leben: Je ne vis point du tout pour la montre. Alles inwendig, bequem, behaglich, zweckmäßig. Die .Dachstube' (wie die armen litterarischen Französinnen unter Louis XIV. und XV, die doch die Gesellschaft sahen) im Größern fortgesponnen. Das Andre gelänge doch nicht: und gelänge es, hätte ich eine Klasse Gesellschaft — und schrecklicher giebt's nichts." (An Rose Asser, 13. 5. 1829; G W III, S. 389 f.)
Folgt man der Protagonistin selbst, so ist Rahel Levins Geselligkeit also noch gegen Ende ihres Lebens nichts als eine „fortgesponnene Dach-
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stube". Bevor wir uns zu diesem Ausgangspunkt als unserem eigentlichen Thema zurückwenden, sei aus perspektivischen Gründen ein kurzer Blick auf die verschiedenen Phasen dieser Fortentwicklung geworfen, wie sie sich - mit kurzfristigen Pausen — tatsächlich zu allen Zeiten von Raheis Leben belegen läßt. Nicht nur während „die Kleine" in der Jägerstraße ihre Freunde mit Tee empfing und Frau von Varnhagen später ihren Bekannten große Diners ausrichtete. Der „Zweite Salon" führt zwar in der Forschung hinter dem jugendlichen Charme des „Ersten" ein Schattendasein, aber immerhin ist er schon durch seine bloße Benennung ein - wenn auch relativ leerer — Begriff geworden. Die lange Zeit dazwischen fällt namen- und begrifflos durch die Raster der Salongeschichtsschreibung, weshalb wir ihr nun etwas mehr Raum widmen werden. Rahel Levin lebte nach der Niederlage Preußens noch jahrelang in Berlin und ging in dieser Zeit keineswegs, verläßt man sich nicht allzu wörtlich auf momentane Gefühlsausbrüche, „nur mit Wörterbüchern" um (GW I, S. 328). In dem vielzitierten Brief an Brinckmann vom 8. 1. 1808, in dem das zu lesen ist, beschreibt Rahel in hochdramatischem Ton ihre Vereinsamung im Jahr 1807, die nicht zuletzt Folge einer allgemeinen ökonomischen Notlage war.15 Man darf aber nicht vergessen, daß diese Klage an den wichtigsten Habitué ihres nach der preußischen Niederlage von 1806 in der Tat „zerstreuten" und bereits idealisierten alten Kreises gerichtet ist. Rahel Levin klagt auch nicht so sehr über eine quantitative als über eine qualitative Veränderung ihrer gesellschaftlichen Beziehungen, die sie — besonders während eines schweren, aber kurz andauernden Zerwürfnisses mit Pauline Wiesel, das in die Abfassungszeit des Briefs fällt — in einen Zustand akuten „Ennuis" gestürzt hatte. In Wirklichkeit scheint ihr geselliger Verkehr in Anbetracht der Umstände weiterhin erstaunlich ausgedehnt (Rahel nennt am 30. 1. 1807 neun Besucher, außer den Verwandten, die immer noch dabei sind) und auch relativ üppig gewesen zu sein, wie wir aus den Briefen an Ludwig Robert aus der Besatzungszeit erfahren: [...] wir leben sehr vergnügt diesen Winter eben weil wir nicht wißen ob es nicht unser letzter vergnügter ist. In uns vergnügt. [...] Abend's essen wir ein stük braten, in Gegenwart der Vornehmsten Leute, hungert ein so beist er zu. Alles vor meinem Sopha. Alle fordern bier: Humb. ist täglich bey uns. 1 6 15
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Rahel klagt in einem Brief an Ludwig Robert vom 30. 1. 1807 über „die vielen Betder auf der Gasse", mit denen sie „oft Frühstück und alles" teile (Dieser Teil des sonst unveröffentlichten Briefs gedruckt am Ende des Briefs vom 26. 2. 1807 in G W I, S. 316). A n Ludwig Robert, 30. 1. und 3. 2. 1807; SV 216; ungedr.; vgl. G W I, S. 3 1 0 ff.
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In dieser Zeit, in der die meisten Männer im Krieg sind, intensiviert sich der Briefverkehr, der ja für Rahel Levin auch eine Form von Geselligkeit ist. Im Frühjahr 1808 hat Rahel überdies Varnhagen kennengelernt, gegen Jahresende Alexander v. d. Marwitz; mit beiden führt sie bedeutende Korrespondenzen. Diese beiden Freunde werden 1811 die Adressaten einer neuen, zeitgemäßen Geselligkeitsutopie, auf die wir hier nicht eingehen können, wenngleich sie als Symptom des beginnenden 19. Jahrhunderts von emblematischem Interesse ist: 17 Die egalitären, sich ins Kosmopolitische ausdehnenden Träume der Aufklärung sind ausgeträumt, die von einer biedermeierlichen Idylle, deren Realisierung von allem Anfang an als ebenso unmöglich erkannt wird, treten an ihre Stelle. Rahel Levin besucht in diesen „salonlosen" Jahren mehrmals die eleganten und äußerst geselligen böhmischen Bäder, wohnt als Flüchtling in Prag im Haus der Schauspielerin Auguste Brede, wo sie viele ihrer ausgezeichnetsten Berliner Freunde wiederfindet, neue Verbindungen knüpft und unter anderem eine weitgespannte Organisation der Verwundetenpflege gründet. Im Sommer 1815 ist sie in Baden bei Wien als Gast Fanny von Arnsteins ein Mittelpunkt der dortigen eleganten Badegesellschaft. Ab November 1814 lebt sie als Diplomatengattin in Wien, Frankfurt a. M. und Karlsruhe. Auch dieses Kapitel von Rahel Levins bemerkenswerter gesellschaftlicher — genauer gesagt: diplomatischer — Aktivität in dieser Eigenschaft muß noch geschrieben werden. 18
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Vgl. die Briefe an Varnhagen vom 3 0 . 4 . 1811 (GW I, S. 491 f.) und an A. v. d. Marwitz vom 1 6 . - 1 8 . 5. 1811 (GW I, S. 504 f.). Rahel hat ihre Rolle auf doppelte Weise ernst und eifrig gespielt. Die Korrespondenz mit Varnhagen ist für beide Aspekte eine reiche, bisher wenig ausgeschöpfte Quelle, wobei nur die schöne und sorgfaltig recherchierte Biographie Carola Sterns (Der Text meines Herzens. Das Leben der Rahel Varnhagen, Reinbek bei Hamburg 1994) eine Ausnahme bildet. Auf der einen Seite bot sich Rahel als Diplomatengattin eine Chance, zwar indirekt, aber doch aktiv politisch zu „wirken". Sie setzte zweitens ihre Intelligenz, ihre alten Beziehungen, ihr epistolarisches und geselliges Talent zielbewußt für Varnhagens (und damit ihre eigene) Karriere ein. Was ganz einfach heißt: Rahel Levin war nun, mit über vierzig Jahren, fest entschlossen, zu einer gesicherten bürgerlichen Existenz zu gelangen. Ihre Korrespondenz zu diesem Behuf war so zeitraubend, daß die private Post dahinter zurückstehen mußte. A m 1. 10. 1 8 1 6 läßt sie sich bei ihrem Bruder Markus entschuldigen, daß sie ihm nicht schreiben könne, da sie „neunundzwanzig Personen, ohne die vergessenen" zu antworten habe (an Varnhagen, G W VI/1, S. 176).
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Nicht viel besser als diese Zwischenzeit ist der „Zweite Salon" erforscht. Das ist vor allen Dingen unter kulturpolitischem Aspekt zu bedauern, da das Haus der Varnhagens in den zwanziger Jahren eins der bedeutendsten Zentren des kulturellen Lebens in Berlin war. 19 Je ne crois pas, qu'il y ait (en allemagne) un endroit plus social que Berlin: et moi je suis comme plantée au milieu de cela, comme appartenante à presque toutes les choses. (SV 277)
schreibt Rahel Levin am 2. 12. 1828 an Pauline Wiesel. Gedruckte und ungedruckte Briefe und Tagebücher bestätigen, daß Rahel als Frau von Varnhagen trotz ihrer schwachen Gesundheit nicht nur einer gepflegten, ausgedehnten Geselligkeit vorstand, sondern auch eine bedeutende kulturpolitische Aktivität in Bezug auf sämtliche Künste entfaltete. Sie nahm an dem philosophischen, theologischen und historischen Diskurs ihrer Umgebung — wozu ζ. B. auch der Hegel-Kreis zu rechnen ist — teil und suchte ihn nach Kräften zu beeinflussen. Für die Durchsetzung ihrer und Varnhagens liberaler Ideen setzte sie während der Restauration — ähnlich wie Bettine von Arnim — auf die junge Generation. In einer Einladung an Ludwig Boerne nach Berlin schreibt sie: ich will, ich kann wie Klärchen in Egmont die Fahne sein, die Euch alle fuhrt. Aber ich bin auch die Trommel, die Schlachtmusik, der Feldprediger, die restaurierende Marketenderin, die Wäscherin, die Pflegerin, die Aufhetzerin, der Sporn, führe Balsam in der Feldapotheke. Will auch zerstreuen, Komödienbillette schaffen, Früchte, besseren Wein. Will auch Sänger einladen, dumme, angenehme Leute, kurz, verführen und helfen aus allen meinen Kräften. [...] Es bildet sich Kreis an Kreis, schließt sich Freund an Freund! Und daß nur so viel Geselliges, Dummes vergeht [sie!], regt ja am meisten zum Denken auf; mich, also auch Sie. 20
Dieser Brief war noch unveröffentlicht, als Eduard Gans über die Stiftung der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik" Worte schrieb, die wie ein Echo auf diese Stelle klingen: Frau von Varnhagen, die geistreiche, rhapsodische und incisive Frau, belebte bei unsern Abendgesprächen die Hoffnungen, die sich kund gaben, und schickte uns, wie eine Spartanerin oder Römerin ihre Kinder in die Schlacht gesendet haben würde, dem kritischen Feuer entgegen, das wir anzünden sollten.21 19
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Erste Überlegungen, deren Ausarbeitung geplant ist, in: Isselstein (Anm. 11), S. 153 ff. An Ludwig Boerne, 11.9. 1825; GW IX, S. 680. Eduard Gans, „Die Stiftung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". „(In Mündts Dioskuren, S. 322)" - Zettel Varnhagens in SV 205.
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All dies konnte hier nur kurz angedeuet werden; vordringliches Desiderat ist eine genauere Kenntnis des Beginns dieser Geselligkeitskarriere um die Jahrhundertwende, die Rahel Levins Ruf begründete.
Der „Erste Salon". Brinckmann und Rahel Levin Zunächst kurz das Nötigste zur Person unseres Hauptzeugen dieses Anfangs. Karl Gustav von Brinckmann (1764—1847) stammte aus einer um 1700 aus Ostfriesland nach Schweden eingewanderten, wohlhabenden und streng religiösen Familie, die den Elfjährigen zur Erziehung unter den Herrenhutern nach Deutschland schickte. Er besuchte von 1775 bis 1782 deren Schule in Niesky und von 1782 bis 1785 das Seminar in Barby, wo — allerdings erst am 22. September 1785 - auch Friedrich Schleiermacher eintrat. Auf die enge Freundschaft mit Schleiermacher, die wohl eher während der gemeinsamen Studienzeit in Halle ab 1787 als in Barby entstand, müssen wir kurz eingehen, da die Beteiligten, jeder auf seine Weise, für die Berliner Geselligkeit bedeutsam wurden. Beide hatten 1787 bereits mit der Brüdergemeinde gebrochen, aber im Gegensatz zu Schleiermacher gab Brinckmann das anfängliche Theologiestudium bald auf und zeigte sich hinfort in Sachen Religion als überzeugter Freigeist. Er bildete sich für die diplomatische Laufbahn aus und war ab 1792 als Sekretär der schwedischen Gesandtschaft in Berlin tätig. Diese unterschiedliche Entwicklung tat dem fortdauernden Dialog zwischen den beiden denkbar unterschiedlichen Freunden keinen Abbruch, als sie sich seit dem Herbst 1793 in Berlin wiederfanden und dort die gleichen, vorzugsweise jüdischen Gesellschaftskreise frequentieren. Im Gegenteil: die im engen Kontakt in Halle gemeinsam ausgelebte Glaubenskrise und der gotteslästerliche Ton in den bureaux d'esprit, den allen voran der Ex-Herrenhuter Brinckmann angestimmt hatte, wurde literarisch fruchtbar in Schleiermachers 1799 anonym erschienener Schrift Uber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Deren Widmung an Brinckmann (in der 2. und 3., nun namentlichen Ausgabe von 1806, bzw. 1821) weist diesen als Prototyp der im Titel genannten „gebildeten Verächter" aus. Von 1792 bis 1798 war Brinckmann Botschaftssekretär in Berlin, von 1798 bis 1800 in Paris (wo er mit den Humboldts und Frau von Staël verkehrte) und nach einem Aufenthalt in Hamburg (dort schloß er nähere
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Bekanntschaft mit Klopstock und F. H. Jacobi) von 1801 bis 1808 wieder in Berlin, ab 1803 als Geschäftsträger, zuletzt (1807-1808) in Ostpreußen, wohin er der preußischen Königsfamilie auf ihrer Flucht vor Napoleon gefolgt war. Von 1808 bis 1810 war Brinckmann Gesandter in London, ab 1810 im höheren Hofdienst in Stockholm, bis er im Sommer 1811 bei Kronprinz Bernadotte in Ungnade fiel und sich ins Privatleben zurückzog. Während seiner Berliner Zeit galt Brinckmann als Habitué zweier sehr unterschiedlicher Gesellschaftskreise. Er war einer der eifrigsten Besucher der Häuser, bzw. der jungen Frauen der gebildeten jüdischen Oberschicht einerseits, und der Kreise des kultivierten, dem Hof nahestehenden Hochadels um die Fürstin Radziwill und die Gräfin Voß andererseits.22 Nach seiner Entfernung aus Berlin 1808 führte er mit vielen seiner Berliner Bekannten einen umfangreichen Briefwechsel. So auch mit Rahel Levin bis 1827 und mit Varnhagen nach Raheis Tod. Aus dem ersten überlieferten Schreiben Brinckmanns (vom 26. September 1792, SV 38) ist ersichtlich, daß der Schreiber bereits seit längerem im Rahmen einer größeren Gesellschaft im Levinschen Haus eingeführt war und sich bei dieser Gelegenheit bereits eine gewisse Sympathie zwischen ihm und Rahel abgezeichnet hatte, daß aber noch kein vertrautes Verhältnis bestand. Das Billett ermöglicht eine Datierung für Rahel Levins und ihrer Familie Geselligkeit, die also, folgt man einem Zettel Varnhagens zu den Wohnungswechseln Rahel Levins (SV 202), bereits in der Poststraße begann, oder - was wahrscheinlicher ist - die des zwei Jahre zuvor gestorbenen Vaters Levin Markus fortsetzte. Es läßt aber vor allem darauf schließen, daß Rahel möglicherweise schon bei Brinckmanns erstem längeren Berlinbesuch 1790, sicher bei seinem Dienstantritt 1792 über einen Ruf verfügte, der in dem gesellschaftssüchtigen literarischen Elegant den brennenden Wunsch nach Zugang zu ihrem engeren Kreis erwecken mußte. Dafür spricht auch die Tatsache, daß die Familie der Zweiundzwanzigjährigen bei ihrem Umzug in die Jägerstraße 1793 eine eigene Dachwohnung dazumietete. Brinckmanns Billett hatte den gewünschten Erfolg. Im Januar 1793 setzt einer der umfangreichsten Briefwechsel Rahel Levins ein, der in den Neunziger Jahren seine größte Dichte aufweist und über 250 Briefe, Billetts und Gedichte umfaßt. Während in der Zeit von Brinckmanns Aufenthalt in Ostpreußen (von April 1807 bis April 1808) noch relativ viele und lange Briefe gewechselt werden, bricht mit seiner anschließen22
Vgl. die Auflistungen und Verweise bei Wilhelmy (Anm. 8), S. 891.
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den Berufung nach London der regelmäßige Austausch ab, wenn die Freunde auch bis 1827 noch sporadisch korrespondieren. Grundlage des Folgenden ist eine systematische Sichtung der intensiven Korrespondenz von 1792 bis zum Frühjahr 1808. 23
Bei der Aufarbeitung der erdrückenden Masse von Textmaterial, aus der die Korrespondenz zwischen Rahel Levin und Brinckmann besteht — Brinckmann war zu Recht für seine mündlichen und schriftlichen Wortschwalle berüchtigt — kann ich mich für meine Zwecke auf eine systematische Sichtung der Themen und eine exemplarische Analyse des „Tons" einiger Briefe, Billetts und Gedichte beschränken, aus denen mit der nötigen Vorsicht Rückschlüsse auf Inhalt und Umgangsstil der geselligen Praxis gezogen werden können. Dabei ist gleich anfangs anzumerken, daß sich Inhalt, Stil und Frequenz des Briefwechsels im Lauf der Jahre wandeln und daß beide Partner diese Veränderung ausdrücklich mit Rahel Levins Geselligkeitspraxis in Verbindung bringen. 24 Der erste Eindruck bei der Lektüre der besonders dichten Jahrgänge 1792—1794 - die ja mit den Anfangsjahren des „Ersten Salons" zusammenfallen — ist, daß es hier über lange Strecken, quantitativ gesehen sogar in der Hauptsache, um Nichtigkeiten geht, jedenfalls gemessen an dem etablierten Klischee von Rahel Levins „Erstem Salon". Fast täglich gehen „Morgenbilletts" — ein fester Begriff für die Freunde — 2 5 hin und her, und in endlosen Briefen legt Brinckmann minuziös Rechenschaft ab über die täglichen Ereignisse seines Lebens, worauf Rahel manchmal mit einem kurzen Witzwort, öfter in scherz- und ernsthafter Ausführlichkeit über mehrere Briefsequenzen hin antwortet. Das Hauptthema liefern natürlich Brinckmanns Liebesgeschichten, über deren literarisch-wortseligen und platonischen Charakter sich der ganze Freundeskreis amüsierte. 26 23 24 25
26
Zu den ebenfalls ausgewerteten Parallelbriefwechseln vgl. Anm. 3. Vgl. S. 193 f. Noch ein vierseitiger Brief, der 1813 von Berlin noch Stockholm geht, beginnt: „Lassen Sie dieses Blatt ein Morgenbillett werden, da es unmöglich [...] ein Brief werden kann." (GW II, S. 76 f.). Berühmt wurde der Ausspruch Louis Ferdinands von Preußen: „Brinckmann ist wirklich göttlich, die Liebenden schreiben der Liebe wegen, der liebt der Briefe wegen - . Große Gefühle sind nicht so geschwätzig, und Wahrheit ist mit Liebe unzertrennlich." (Louis Ferdinand von Preußen an Pauline Wiesel. Berlin, im Frühjahr 1804. In: Briefe von Chamisso, Gneisenau, Haugwitz, W. von Humboldt, Prinz Louis Ferdinand, Rahel, Rückert, L. Tieck u. a. [hg. von L. Assing], 2 Bde., Leipzig 1867; Bd. I, S. 269).
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Gleich danach kommen Zahnweh, Husten und Migräne und die Frage, wie ihnen abzuhelfen sei. Aber nicht nur werden medizinische Rezepte gegen diese Übel erbeten und besorgt, sondern noch brennender bittet Brinckmann um kosmetische Hilfe für die Hände einer Angebeteten, deren Weiche und Glätte durch das Geheimrezept einer wundersamen Pomade der Unzelmann nachgeholfen werden soll. In nicht weniger als zehn Briefen und Billetts wird diese wichtige Angelegenheit verhandelt, und da Brinckmann natürlich auch die berühmte Schauspielerin nicht weniger anschwärmt als die verschiedenen Maries, denen die Pomade zugedacht ist, wird diese zum Anlaß von nicht endenwollendem Hin- und Herschikken, von Visiten und Billetts von Haus zu Haus. Natürlich werden auch neue und alte Bekannte, Flirts und Freundschaften (manchmal recht maliziös) kommentiert und analysiert, und viel Berliner Stadtklatsch wird während Rahel Levins Reisen und Badeaufenthalten in Freienwalde, Karlsbad und Teplitz hin- und hergeschickt. Rahel antwortet im gleichen witzigen oder ernsthaften Ton mit psychologischen Bemerkungen, die sich zu richtigen Analysen ausweiten können, über gemeinsame Bekannte, aber vor allem über den Freund, sich selbst und ihr Verhältnis. Auf diesem Gebiet ist die kaum mehr als Zwanzigjährige für den immerhin sieben Jahre älteren Diplomaten unbestrittene Autorität, der er sich unterordnet, so daß das Verhältnis stellenweise einen ausgesprochen pädagogischen Charakter annimmt. Dagegen profitiert Rahel von Brinckmanns gründlicher literarischer Bildung und vor allem von seiner schon damals berühmten Bibliothek: „Ich schicke Ihnen hier 12 Bde Rousseau!! - schreibt er ihr schon am 16. 1. 1793 in einem seiner ersten Briefe - aber ich darf Sie wol nicht erst bitten, Sie nicht so wie Christus die Apostel in alle Welt auszusenden um die Heiden zu bekehren, indem mir der Verlust der Apostel unlieber wäre wie das Heidenthum." 27 Die Morgenbilletts enthalten oft Lektürefrüchte und -empfehlungen, wenn auch offenbar nicht solche, von denen Rahel sich wirklich verstanden und gefördert fühlte. Denn nicht der „philosophische Weltmann" Brinckmann ist Raheis eigentlicher Mentor bei ihrem unersättlichen Bildungshunger, sondern der jüdische Medizinstudent David Veit. Mit diesem ihrem „besten Freund" führt Rahel den wohl lebendigsten und faszinierendsten Bildungsbriefwechsel, den die deutsche Literatur zwischen zwei so jungen Intellektuellen unterschiedlichen Geschlechts — beide waren kaum mehr als zwanzig - kennt, und der seine Spannung aus einer echten Gegenseitigkeit be27
SV 38.
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zieht. 28 In Veits Brief vom 27. 11. 1793 ζ. B. finden sich nacheinander folgende Ratschläge: Rahel solle viel neueres Französisch lesen, da die Sprache immer schwerer werde, dann Lessings Theorie der Fabel, die sie sich von Brinckmann ausleihen könne, wogegen Veit ihr anbietet, die griechischen und lateinischen Stellen für sie zu übersetzen. Weiterhin empfiehlt er ihr, „die von Voß neu übersetzte Iliade oder Odyssee" (auch die sei bei Brinckmann zu haben) zu lesen und bei ihrem Englischstudium mit Geschichte zu beginnen, weil das am leichtesten sei. Die Veit könne ihr den Hume verschaffen, und in diesem seien die späteren Teile zu lesen, da sie weniger langweilig seien als die ersten. Dann zitiert Veit einen philosophisch-methodologischen Satz von Maimón; eigene philosophische Betrachtungen und medizinische Ratschläge schließen sich an. Veit hilft Rahel also nicht nur, Bildungslücken aufzufüllen, er beteiligt sie so gut das geht an seinen diesbezüglichen männlichen Privilegien, an den eigenen Studien in Göttingen wie an seinem Besuch bei den Weimarer Größen. Vor allem aber hält er sie über die neueste deutsche Literatur auf dem Laufenden, was Rahel z. B. zu einer großen Rezension von W v. Humboldts Woldemar-Rezension anregt, die Veit dem tief beeindruckten Autor vorliest. An Veit ist denn auch das kritische Brinckmann-Portrait gerichtet, das wir wegen seiner Länge gekürzt wiedergeben. Nicht ohne zu betonen, daß es aus der Anfangsphase einer Freundschaft stammt, die später auch noch andere Formen kannte. Rahel geht es darum, Veit klar zu machen, welchen einzigartigen Wert seine freundschaftliche Sorge um ihre Bildung für sie hat, und dazu braucht sie den scharf herausgearbeiteten, wohl auch überzeichneten Kontrast zu Brinckmann. Er wird uns aber in der Folge helfen, Brinckmanns Funktion für die Anfänge genauer zu fokalisieren: Sie sorgen sogar, wer wohl für mich sorgen könnte; — aber Sie irren sehr, wenn Sie glauben, daß das der Herr von Brinckmann sein könnte; so dienstfertig er auch durch sein air von Lauffertigkeit aussehen mag, so ist er doch nur ein philosophischer Weltmann: das heißt nach meiner Art, ein Mensch, der genug gedacht hat, um zu wissen, daß man artig, dienstfertig und gefällig sein muß, [...] der wohl so über das Wichtigste und Schönste gedacht hat und es hübsch aufgereihet und aufgeräumt hat, dem eine Menge unwichtigere Dinge, die aber in der Welt keineswegs Kleinigkeiten sind, vor O h r und Gesicht vorbei gehen, wie der Wind vor einer Wand; [...] Ich kenne aber keinen Menschen, der schneller bereitwillig wäre, und alles geschwinder aufböte, was sich im „Sie sind mein bester Freund. Sie würden das Meiste, was Sie haben, verlieren, wenn ich stürbe. D e n n nur Sie wüßten auf den Punkt, was Sie verlieren." (An D. Veit, 3. 1. 1800; G W V I I / 2 , S. 244).
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Gebiet der Mühe und auch wohl der Kosten finden ließe, um andern Leuten das zu thun, was Sie ausdrücklich gern haben wollen, was er ihnen schaffen kann, und wozu er sich nur für besonders fähig hält [...] daß [...] die Ehre der Vielseitigkeit, die er mir widerfahren läßt, und der er gutes Muthes, ohne alles weitere Bemühen, als mir seine Gedanken, so weit die Wissenschaften oder meine Unwissenheit darin es zulassen, mitzutheilen, die Arbeit aufgiebt, die seinige zu erkennen und damit zufrieden zu sein, in diesem Fall zu meinem reellen Schaden gereicht, und daß er mir auch nicht Ein Buch vorschlägt noch giebt, werden Sie glauben, [...] (13. 12. 1793; GW VII/1, S. 71 ff.)
Was Rahel also an Brinckmann beklagt, ist der egozentrische Charakter seiner Dienstfertigkeit und Freundschaft, der Mangel an Gespür für die wirklichen Bedürfnisse des anderen. Ihr fehlt der authentische Dialog, den sie bei Veit findet. So kann sie auch diesen Freund, wie die meisten andern, nur „gebrauchen". 29 Aber sie braucht ihn als Spiegel. Als Brinckmann im Frühjahr 1800 in Hamburg gefährlich erkrankt, schreibt Rahel ihm voller Angst: Wenn ich Sie verlöre, verlor' ich einen großen Theil von mir selbst. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand kennt außer Sie — nennen kann ich sie nicht, nicht einmal bezeichnen in diesem Augenblick - und die muß erkannt werden, sonst ist sie todt. (Mitte Mai 1800; GW I, S. 198) [...] eine gewisse Ähnlichkeit haben wir, [...] (Ende Mai 1800; ebd., S. 199)
Was nicht erkannt wird, kann nicht existieren, ist tot. Leben heißt Geselligkeit. Rahel ist ein Prisma. Jede Freundin, jeder Freund kennt eine andere Seite von ihr, und nur wenn diese Seite widergespiegelt wird und sich mit den anderen zusammenfügt, entsteht eine auch von außen wahrnehmbare Identität. Das wird — außer vielleicht in der Freundschaft mit Pauline Wiesel 30 — niemals ganz gelingen, und daher wird Rahel Levin ihren Freunden und der Nachwelt ein Buch schreiben, das alle Seiten so unvermittelt nebeneinanderstellt, wie sie selbst sie nacheinander an sich erfährt: das Buch des Andenkens. 31 Die unnennbare, Brinckmann zugewandte „eine Seite", wie auch die „gewisse Ähnlichkeit" wird man kaum dingfest machen können. Sie scheint etwas Atmosphärisches zu sein, dem man eher im Stil, im Umgangston, in den Anspielungen des Briefwechsels auf die Spur kommt als in den direkten Aussagen. Denn für Brinckmann werden sein Liebes29
30
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„Wo der Freund nicht Freund, nicht Mensch ist, wird er nur gebraucht." (An Varnhagen, 12. 10. 1813; GW V/1, S. 175). Vgl. Barbara Hahn, Antworten Sie mir. Rahel Levin Varnhagens Briefwechsel, Frankfurt a. M. 1990, S. 1 0 1 - 1 2 7 . Vgl. Isselstein (Anm. 11), S. 1 5 1 - 1 9 9 .
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und Zahnweh, die Pomade der Unzelmann und die schmerzlindernden Tropfen der Madame Eigensatz, Rahel selbst, die gemeinsamen Bekannten und die politische Prominenz, sein Pferd und Raheis Sofa alle gleichermaßen zum Anlaß, in Billetts, Briefen und Gedichten auf deutsch und französisch seine Meisterschaft im „galanten", d. h. geistreich-brillanten Stil zu üben, einem Stil, den Rousseau dreißig Jahre zuvor mit einem Kleid verglichen hatte, das man nach Belieben wechseln kann. 32 Mit größter Leichtigkeit fließen ihm dabei witzige Verse aus der Feder; Billetts und manchmal auch längere Briefe sind in dieser Form abgefaßt. Damit kommt er einem ausdrücklichen Wunsch Raheis entgegen: Da Sie [...] mir ohnehin neulich befohlen haben zu schicken - gerade wie man ein Digestivpulver bestellt — so will ich Ihnen noch ein Blatt [...] füllen. Auch haben Sie nur Wi% bestellt; schlecht oder gut ist nicht durchaus gesetzt worden, (o. D., ATL) Einige nur um ihrer Kürze willen ausgewählte Beispiele werden genügen, sich eine Vorstellung von diesem Genre zu machen. Ein Versbillett: 1793. ce 4. Juin. Jour de Poste Vous trouvez donc aussi, que depuis bien long tems j'ai manqué de Vous voir la douce jouissance, mais entre Vous et moi voici la différence: Vous le save^j moi je le sens. B. (SV 38) Einmal, als Brinckmann Rahel nicht zu Hause findet, dichtet er flugs ihr berühmtes Sofa an: ce 18. Juin 1793. Voici des vers, Mademoiselle! addressés très sérieusement à Votre - Sofa. Vous savez que c'est depuis longtems que je connois son rare mérité, mais je l'oublie naturellement toujours quand je m'y trouve auprès de Vous. [...] Daignez donc me pardonner cette sottise comme beaucoup d'autres [...] Sofa! charmant! dont la mollesse au corps du moins rend le repos, que ta seduisante Maitresse chasse du cœur par ses propos.
(SV 38)
„Quand un homme [in der großen Gesellschaft - U. I.] parle, c'est pour aussi dire son habit et non pas lui qui a un sentiment. [...] il faut qu'à chaque visite il quitte en entrant son âme, s'il en a une; qu'il en prenne une autre aux couleurs de la maison, comme un laquais prend un habit de livrée;" (Jean-Jacques Rousseau, Julie ou La Nouvelle Héloise, hg. v. René Pomeau, Paris 1960, S. 209 f.).
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Angedichtet werden natürlich vor allem Schauspielerinnen wie die Unzelmann und die Baranius und die Damen aus den gemeinsamen Geselligkeitskreisen, allen voran Rahel selbst. Das einzig ernsthafte Gedicht an sie, die Portrait-Elegie „An die Vertraute", hat Brinckmann in seine Gedichte (1804) und Varnhagen ins Buch des Andenkens (GW I, S. 261 f.) aufgenommen. Die zehn anderen, die im Brinckmann-Konvolut der Sammlung Varnhagen überliefert sind, sind Gelegenheitsgedichte zur geselligen Unterhaltung. Diese Art Kunstübung wird aber durchaus ernsthaft betrieben. Der vielbeschäftigte Diplomat widmet ihr häufig seine krankheitsgeplagten Nächte. Brinckmanns „Königsmörder" (sein Bedienter) hat öfters mehrmals täglich hin- und herzulaufen, weil Rahel Kritik an den Produkten anmeldet, die Brinckmann umgehend mit verbesserten Versionen beantwortet. Eine solche Episode um das Gedicht „Stanzen an L**" ist bis auf Raheis Kritik vollständig überliefert; wir können hier nur Auszüge aus drei vermutlich an einem, höchstens zwei Tagen übersandten Billetts an Rahel geben. Die erste Strophe sei ganz zitiert, da sie eine gute Vorstellung vermittelt von einem Stil und einer Geisteshaltung, die - wenn auch nicht ausschließlich — die Anfänge des „Ersten Salons" zu charakterisieren scheinen: Wohl hast Du Recht, des Lebens feinste Blüte sei sittliche Koketterie! dies reizende Gemisch von Eigensinn u. Güte von Leichtsinn u. Filosofie, das Zärtlichkeit in jedem Busen, in jeder Ader Sehnsucht weckt, u. mit dem Zauberkelch der Grazien u. Musen den süssen Durst vergebens neckt, (o. D.; SV 38)
Rahel hatte offenbar etwas an der zweiten Zeile auszusetzen, denn Brinckmann antwortet mit französischen Versen, von denen wir, wie auch von der neuen Fassung der Stanzen, nur den Anfang zitieren; die kurze deutsche Erklärung geben wir vollständig wieder: Oui! Vous aviez, Mademoiselle! helas comme toujours! raison; ma Muse à l'Amour trop fidelle avoit oublié sa lepon sur la sage Coquetterie, Hier dann eine neue Veränderung, u. wie ich mir sehr schmeichle wirkliche Verbesserung der ganzen ersten Stanze; Dank Ihnen also, daß Sie nicht gleich zufrieden waren, denn freil. war der Begrif von Koketterie nicht deutlich, u.
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noch heut Nachmittag, als ich auf dem Klubb mit dem Hauptman darüber sprach verzweifelten wir beide an der Möglichkeit, den eigentlichen Sinn, ohne die unerträgliche, französische Benennung, ausdrücken zu können. Auf Einmal gab mir die Muse, wie ich es wähnte, eine Aenderung ein, u. ob es nun wirkt. die Muse war, darüber werden Sie entscheiden: Wohl hast du recht, des Lebens feinste Blüte sei Ninons reizende Magie; [···]
Ihr B. (7. 6. 1793; SV 38)
Während Raheis Badeaufenthalten in Töplitz wird die Versproduktion zu einem mehrstimmigen literarischen Spiel, das vor allem von den dort anwesenden Aristokraten, u. a. dem berühmten Fürst von Ligne, goutiert wird. Davon berichtet Rahel Brinckmann am 4. September 1795 übermütig - und natürlich auf französisch. Eine bessere Adresse für Brinckmanns Verse als den damals sechzigjährigen Prince de Ligne hätte Rahel in der Tat nicht finden können. In seltener Einmütigkeit preisen ihn die Zeitgenossen als den liebenswürdigsten und geistreichsten Vertreter der „Blütenzeit des französischen Hoftons"; 33 die vollendete Rokoko-Eleganz seiner Wohnungen war ebenso berühmt wie die seiner Verse und Bonmots. 34 Im eleganten Bademilieu ist die junge Rahel Levin offenbar in ihrem Element, sie liebt esprit und kann mit ihrem Witz glänzen, nicht aber mit Poetischem, und so bittet sie, immer noch in dem gleichen Brief und diesmal auf deutsch, Brinckmann um Hilfe: „Wollen Sie wohl einen Gedanken den ich hatte - Sie haben mir dies schon so lange proponirt - in Hochtrabende Verse oder Reime bringen, ohne Reim glaub ich wär's noch hübscher." usw. Ein Jahr später, wieder in Tepütz, geht das Spiel nicht nur weiter, sondern hat sich auch schon auf das Schönste als das ausgewiesen, was es von Anfang an war: eine Kunstübung, die einer ganz bestimmten Tradition folgt. 35 Als Literaturproduktion im galanten Stil des französischen 18. Jahrhunderts ist es 1796 bereits „der Folge nach" in einem „Werk" verewigt, „als wenn wir schon gestorben wären." Nichts könnte die 33 34
35
So Brinckmann in Rahel (Anm. 1), S. 234. In dem eben zitierten Brief (vom 4. 9. 1795) gibt Rahel davon eine typische Probe „qui me flate infiniment plus que tous ces vers". Sie erzählt, daß der Fürst ihr versprochen habe, sie abzuholen, sich aber bei einem Tee eine Stunde verspätet hätte, und „lorsqu'on lui disoit qu'il oublioit sa promesse etc. il dit ,ah! je la connois si bien, que je lui voudrois manquer tous les jours.' " Nämlich der Poésie fugitive; vgl. ζ. Β. die „Guirlande de Julie", an die Seibert erinnert. (Anm. 8, S. 52)
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Interdependenz von Literatur und Geselligkeit, die auch noch Raheis späteren „Salon" charakterisieren wird, deutlicher veranschaulichen: 36 Prinz de Ligne hat mir vorgestern diesen Brief und Billet übersandt. [...] Was Sie ihm schickten, hat mir sehr gefallen: ihm auch, denn den Morgen darauf hatte ich schon die Antwort. Übrigens sind Sie in seinen Werken mit gedruckt, ich sah's in einem Theil davon, den ich hier durchblätterte, ich komme auch darin vor. Nämlich so, er hat doch voriges Jahr manches an Sie und mich addressirt, worauf Sie antworteten, Ihre Antworten also und seine Anreden sind der Folge nach gedruckt. Es nimmt sich ordentlich aus, als wenn wir schon gestorben wären. (9. 9. 1796; GW I, S. 162) Zum Schluß Auszüge aus einer kleinen Serie von Billetts und Gedichten, um die Freigeisterei zu veranschaulichen, die offenbar ein Hauptcharakteristikum des frühesten Rahel-Zirkels war. Ein Beispiel auch dafür, wie Brinckmann selbst sein ewiges Zahnweh, das ihn furchtbar geplagt haben muß, für die Geselligkeit nutzbar macht. Zunächst zwei Billetts vom gleichen Tag und ein Gedicht vom folgenden: [freitg?] B. den 25. Oct. 1793. [...] Der größte Beweiß daß Christus doch wol nicht Gott war, ist daß bei allen seinen Wundern Er doch nie jemanden von Zahnschmerzen kurirt hat. Leben Sie wohl, u. grüssen Sie alle Ihre Haus- u. Wit^-genossfejn von einem armen Canaillen, der schon in diesem Leben Höllenqualen leiden muß, weil der Hundegott selbst kein rechtes Zutrauen zu seinen gepriesenen Henkersknechten in jenem Leben hat, u. es ihm doch Leid thun würde, wenn ihm so ein Spötter gar eschapiren solte. Tout à Vous Β. (SV 38) Den 25. Okt. 1793. Nein nun sehen Sie doch welch ein Racker Er ist! 37 Mir alles zu verleiden. [...] Leben Sie indeß wohl; ich kann Ihnen nicht beschreiben, was ich alleweile leide, denn aus Wut habe ich mit einem glühenden Eisen in einem Zahn herumgewühlt, u. das hat [... kaum?] genommen. Geduld und Spott ist im Grund alles was man Ihm entgegensezen kann; denn so zerknirscht werde ich doch nicht werden, daß mir diese Höllenqual, ein anschaulicher Beweis von der Allgüte Gottes sein könnte; u. die Allmacht beweißt sie auch sehr schlecht, denn eine Lichtpuze thut das nemliche; wenn man den Zahn damit aufstört. Seine Plumpe, grobe Ungeschlifenheit beweist sie allein, u. das werden Sie auch finden, daß es ihm überall an Welt fehlt. Ihr B. (SV 38) 36 37
Vgl. Isselstein (Anm. 11), S. 151-155. Vgl. Anm. 39.
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„Unter unnenbaren Qualen" dichtet der ehemalige Herrenhuter Theologe in der folgenden Nacht „ein kleines Spottgedicht aufJene erhabene Filosofie, die Ihr Mendels, auch immer so preist". Die Adressatin der hübschen, leider zu langen „Posse" mit dem Titel „Fragment einer Theodi^ee. Zur Beruhigung bei Zîv Don Bettina»»! Arnim
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gtlfjt, (o Müf)|tfriwiH.β-'ri,
Abb. 11
Abb. 12
Abb. 1 1 - 1 3 : Bettine von Arnim, Ein Stern der Lieb am Himmelslauf... von Achim von Arnim, Bearbeitung von Max Friedlaender, 1920 Abb. 13
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Renate Moering
Dieses Lied lag ihm in einer Handschrift von Joachim vor. Er bemerkt dazu52: Außer den zu Lebzeiten Bettinens gedruckten Liedern fanden sich in Josef Joachims Nachlasse noch vier andere handschriftliche Gesänge, die mit größter Wahrscheinlichkeit auch von Bettina herrühren. Rein äußerlich spricht dafür der Umstand, daß Joachim sie in einem Heft aufbewahrte, das alle Handschriften Bettinens enthielt. [...] In ihrem Wesen gleichen sie durchaus den vorher gegebenen Gesängen. Auch bei diesen Liedern sind die Begleitungen so naiv, daß es nötig war, sie vollständig neu zu gestalten [...].
Die Zuschreibung wird bestätigt dadurch, daß das Lied von Johannes vom Kreuz auch in den vorhin erwähnten Aufzeichnungen Maximiliane Brentanos und Joachims — vermutlich einer anderen Handschrift überliefert ist. Bedauerlich ist, daß Friedlaender die — inzwischen verschollenen - handschriftlichen Fassungen nicht im Kommentar abdruckte. Hafis: Die Übersetzung stammt von Georg Friedrich Daumer und ist 1846 erschienen. Es dürfte damit eine der letzten Kompositionen Bettines sein. Die Komposition Friedlaenders zeigt deutlich den Einfluß Schumanns und Brahms', in den Modulationen, aber auch im Gegeneinander von Achteln in der Singstimme und Triolen in der Begleitung.53 Wanderers Nachtlied, Der du von dem Himmel bist ...: Das Vorspiel ist feierlich, die Melodie beginnt ruhig und steigert sich dann zur Dramatik, bei dem Wort „Erquickung" hellt sie ins Dur auf. Nach dem F-moll des Anfangs steht der Schluß ab „Süßer Friede" in F-Dur. Auch hier sind wie im Lied vom Kaiser — Triolenfiguren unterlegt, die ein Lautenspiel andeuten. Der Schluß klingt wieder ruhiger aus.54 Friedlaender behielt die Singstimme wohl weitgehend bei, denn er meint: „Die Melodie ist eine der stimmungsvollsten, die Bettine gelungen ist [...]." 55 Suleika, Was bedeutet die Bewegung ...: Das Gedicht aus dem West-östlichem Divan stammt eigentlich von Marianne von Willemer und wurde von Goethe nur leicht überarbeitet. Bettine mußte es freilich für ein Goethegedicht halten. Zu der ihm vorliegenden Komposition sagt Friedlaender: „Die Melodie ist meiner Ansicht nach wohl die glücklichste, die Bettina 52 53 54 55
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S.
256 f. 281 - 2 8 6 . 287-290. 305.
Bettines Melodien als Inspirationsquelle
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geschaffen hat." 56 Für seine Begleitung übernahm er eine aufwärts führende Sechzehntelfigur. Auch hier setzt Friedlaender im Mittelteil wieder Triolen gegen die Achtel der Singstimme. Da der Schluß melodisch etwas überraschend kommt, dehnte Friedlaender ihn, die Achteltriolen werden zu Vierteltriolen und die Singstimme klingt in einer Kantilene, die an Brahms denken läßt, aus. 57 (Abb. 14-18) Friedlaenders Kritik an diesen ζ. T. über hundert Jahre alten Melodien ist gelegentlich ungerecht, seine Editionsweise könnte heute nicht mehr gebilligt werden. Doch können wir nicht bedauern, daß er sich zu diesen Bearbeitungen entschloß, denn dadurch erhielten wir bemerkenswerte Lieder der ausklingenden Spätromantik. So hat Bettine - auch nach ihrem Tod ohne den Klang der Stimme - noch einmal einen Sänger und Editor dazu inspiriert, sich selbst als Komponist zu versuchen. 10. Suleilw ( (Πιΐι iti η ite 00tt üDilfctncr Ν OTtloòic οοη Bettina οοη Arnim. Km l^tlMKW KompMiton.
Abb. 14 56 57
Ebd., S. 257. Ebd., S. 291-295.
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Abb. 15
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Abb. 17
Abb. 1 4 - 1 8 : Bettine von Arnim, Was bedeutet die Bewegung ... von Marianne von Willemer, Bearbeitung von Max Friedlaender, 1920
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Personenregister
Abdul-Medschid-Kahn (Abd ul Medschid I.) 308 Achmet, Louis (und Familie) 308 Adenauer, Konrad 149 Aischylos 305 d'Alembert, Jean Le Rond 105 Altdorfer, Albrecht 127 Altenhofen Norbert 208 Andersen, Hans Christian 287 Arendt, Hannah 148 - 1 5 0 , 152, 215 f , 219 Ariost, Ludovico 76 f. Aristoteles 46 Arnim, Achim von VI, 104, 110, 115-117, 127, 156, 251, 253-255, 265 f., 278 f., 281, 299, 325-328, 343-350, 352-355, 362 f. Arnim, Armgart von 265, 282, 286, 294, 351 Arnim, Bettine von, geb. Brentano V f , 21, 181, 235-251, 255-259, 261, 263-273, 277-295, 297-305, 308-315, 317-341, 3 4 3 - 3 6 5 Arnim, Gisela von 265, 349, 351, 356 f. Arnim, Karl Otto von 116 Arnim, Maximiliane von 265, 281 f , 286-288, 294, 351, 356 Arnim-Boitzenburg, Adolf Heinrich Graf von 258,291,303 Arndt, Andreas 240, 254 Arnstein, Fanny von 180 Asser, Rose s. Levin, Rose Assing, Ludmilla 173 Atzenbeck, Carl 221 Augustus, röm. Kaiser 95 Austen, Jane 19 Badt-Strauss, Bertha 215 Bäumer, Konstanze 327, 330
Baier, Rudolf 237 Bamberger, Hofprediger 45, 47 Banks, Sir Joseph 93 Baranius, Frau 189 Bardua, Caroline 265 Bardua, Wilhelmine 265 Bartolini, Lorenzo 96, 127 Bassewitz, Friedrich Magnus von 93 Beauharnais, Fanny de, Comtesse, geb. Marie Anne Françoise Mouchard 107 Beer, Amalie 174 Beethoven, Ludwig van 79, 349 Behler, Ernst 40 f , 132 Berg, Caroline von 142, 230 Bergfleth, Gerd 313 Bernadotte, Kronprinz von Schweden 183 Bernhard, Isaak (Berman Ziilz) 113 Bernhard, Moses (Moses Zülz) 113 Berhardi, August Ferdinand 84, 86, 137 f , 141 Bernhardi, Felix Theodor 7 f. Bemhardi, Sophie, geb. Tieck 65 f , 137 f , 141 f. Bertram, Johann Baptist 102, 125 f. Bertuch, Friedrich Justin 110, 122 Bihler, Alois 345, 347 Bitter, Geheimrat 258 Bios, Wilhelm 307 Blücher, Gebhard Leberecht von 278 Boccaccio, Giovanni 64, 75 Böhmer, Auguste 1, 14, 16, 18 Böhmer, Caroline s. Schlegel, Caroline Böhmer, Johann Franz Wilhelm 1 Böhmer, Wilhelm Julius 11 f. Boeme, Ludwig 181 Böthlingk, Otto 102 Böthlingk, seine Frau 102, 110 Böttiger, Carl August 99
368
Personenregister
Boileau, Nicolas 4 Boisserée, Melchior 102, 125 f., 132 Boisserée, Sulpiz 102, 125 f., 130, 132 Bonstetten, Karl Viktor von 109 Borcherdt, Hans Heinrich 40 Bouterwek, Friedrich Ludwig 26, 199 Boye, Johanna Hedwig Wilhelmina von, geb. Bernhard (Hitzel Zülz) 112-114 Boye, Freiherr von 113 Boye, Wilhelmine von, geb. Fließ (später: Sparre) 203 f., 220 Brahms, Johannes 364 f. Braun, Fanny 83 Brecht, Bertolt 87 Brede, Auguste 180 Brentano, Antonie 349 Brentano, Bettine s. Arnim, Bettine Brentano, Clemens 4, 6, 10, 110, 116 f., 119, 169, 243, 251, 253, 255 f , 278, 294, 317-319, 324, 326, 329, 332, 336-340, 344 f. Brentano, Maximiliane (Tochter von Franz und Antonie) 349-351, 357, 364 Brentano, Meline 278 Brinckmann, Carl Gustav von 57, 113, 142, 171 f , 174 f , 177, 179, 182-194, 196f., 201-208, 210, 212f., 2 2 8 - 2 3 1 Brontë, Charlotte 19 Brontë, Emily 19 Büchner, Georg 304 Bülow, Hans Graf von 103 Bürger, Christa 146 Bürger, Gottfried August 145 Buffon, George Louis Leclerc, Graf von 98 Burgsdorff, Wilhelm von 64 f., 203, 220 Butet de la Sarthe, Pierre-Roland 128 Campan, Madame 196 Campe, Johann Heinrich 194 Canova, Antonio 127 Carolath, Adelheit Fürstin von 198 Carriere, Moriz 297, 300, 305, 328 Casa-Valencia, Graf 194
Cervantes Saavedra, Miguel de 75 Cesar, Familie 177 Chamisso, Adelbert von 141 Chappe, Claude 97 Chélin, Henri 126 Cherubini, Luigi 129 Chézy, Antoine-Léonard de 118, 120 Chézy, Helmina von, geb. von Hastfers 10 f., 18, 83, 93, 101 f., 104-112, 115, 117 f., 124 f., 127, 130-132 Christophersen, Alf 168 Clausewitz, Carl von 278 Conze, W 136 Corneille, Pierre 129 Cotta, Johann Friedrich von, Freiherr von Cottendorf 18, 109 f. Cramer, Karl Friedrich 85, 93 Cramer, Karl Gotdob 75 Craveri, Benedetta 197 Curaus, Ernst Robert 92 Cuvier, Georges 122 f., 128, 130 Dalberg, Karl Theodor von 321—323, 330 Darmstadt, Erbprinz von 96 Daumer, Georg Friedrich 364 David d'Angers, Pierre Jean 96, 126 f. Dedel (?) 194 Dedem, Baron 230 Deffand, Madame du 196 f. Degérando, Marie-Josef 107, 110, 120 Degérando, seine Frau 107 f. Delambre, Jean Joseph 128 Demus, Jörg 360 Depping, Georg Bernhard 128 Denon, Dominique Vivant 107 Diderot, Denis 98, 105 Dilthey, Wilhelm 47 f. Dischner, Gisela 21 Döring, Julius 288, 292 f., 333 Dohm, Christian Wilhelm 135 Drewitz, Ingeborg 218, 324 Dürer, Albrecht 78, 127 Durante 129, 350 Eberhard, Johann August Eckermann, Johann Peter
46 203
Personenregister Eichendorff, Joseph von 259, 277 Eichner, Hans 22 Eigensatz, Christel 188 Eixdorfer 345 Eliot, George 19 Engel, Johann Jakob 57, 140 Engels, Friedrich 104, 313 Enghien, Herzog von 130 Ephraim s. Israel d'Epinay, Madame 196 Erdmann, Wilhelm 119 Erhard, Johann Benjamin 156 Ernst, Charlotte 105 d'Escherny, François-Louis, comte du St-Empire 103, 105, 109 Esenbeck, Nees von 121 Feilchenfeldt, Konrad 103, 223, 326 Fellinger, Imogen 356 Fernow, Karl Ludwig 125 Fervers, Kurt 217 Feßler, Ignatius Aurelius 45 f., 109 Fichte, Johann Gottlieb 6, 15, 57, 59, 84, 87, 100, 114, 116, 120-122, 136, 138, 140, 142, 208, 326 Fichte, seine Frau 6, 15 Finckenstein, Barmine Finck von 65 f , 79 Finckenstein, Friedrich Ludwig Karl Finck von 65 f., 78 f., 194, 220 Finckenstein, Henriette Finck von 65 f., 79 Finckenstein, Karoline Finck von 65 f , 79 Fischer, Christian August 274 Fischer-Dieskau, Dietrich 360 Fleck, Konrad 79 Fließ, Eleonore von 85 Fließ, Frau Dr. 177 Fließ, Madie 113 Fließ, Wilhelmine, s. Boye Forbes-Mosse, Irene 357 Forster, Johann Georg Adam 2, 18, 87 Forster, Therese, geb. Heyne, später: Huber 2, 18 Fouché, Joseph 130
369
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte 141 Frankel, Frau 177 Frank, Manfred 79 Friedlaender, Max 357, 3 6 0 - 3 6 6 Friedländer, Rebecca 204 Friedrich II., König von Preußen 64, 116, 195, 325 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 2, 116 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 45, 138, 326 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 247, 249 f , 256 - 258, 261, 265-270, 273 f , 278 f., 284-288, 290-292, 296 f., 300-303, 305, 310 f., 315 Frölich, Verleger 24, 141 Fromm, Mademoiselle 230 Froriep, Ludwig Friedrich von 122 f. Frühwald, Wolfgang 271, 273, 304 Fuld, Werner 152 Gad, Ester 223 Gambs, Christian Karl 108 f. Gans, Eduard 181, 219 Garcia, Manuel de 360 Geibel, Emanuel 263, 283 Geibel (seine Mutter) 283 Geiger, Ludwig 215, 322 Geliert, Christian Fürchtegott 288 Genelli, Hans 65 Genlis, Stephanie Felicité de 93, 104, 106 f., 196 Gentz, Friedrich 143, 171, 208, 229 f. Geoffroy Saint-Hilaire, Etienne 130 Gérard, François (Schüler Davids) 126 Gerlach, Adelheid Henriette von 93 Gerlach, Carola 83 Giese, Arnim 80 Gilman, Sander 318-320, 341 Gluck, Christoph Willibald 129 Gneisenau, August Graf Neidhart von 278 Görgey, Arthur von 307 Görres, Joseph 120 Göschen, Georg Joachim 2
370
Personenregister
Goethe, Catharina Elisabeth 256 f., 266, 299 Goethe, Johann Wolfgang von 1,13, 24,30, 36,42, 75, 79, 115 f , 120, 126 f., 138, 140, 145, 154-156, 169, 194, 203, 206, 210 f., 225, 229, 235 f , 238 f., 241-247, 249, 252, 256, 266, 282, 299, 302, 305, 310 f., 317 f , 321-325, 330-332, 336, 346, 350, 355-358, 360 f., 364 Goethe, Ottilie 249 Golz, Jochen 347 Gotter, Julie 17 Gotter, Luise 137 Grattenauer 140, 231 Grimm, Friedrich Melchior Baron von 98, 109, 196 Grimm, Herman 349, 356 f., 360 Grimm, Jacob 251 f , 255, 287, 328 f. Grimm, Lotte 350 Grimm, Ludwig Emil 350 Grimm, Melchior 196 Grimm, Wilhelm 251 f., 255, 287, 328 f. Grotthuß, Sara von 100, 221 f., 229, 232 Grunholzer, Heinrich 263, 271, 273, 285, 287-289, 292 f., 299 Gualtieri, Peter von 220, 233 Günderrode, Karoline von 300, 317-319, 332-337, 340 Gutzkow, Karl 34 Haase, Klaus 173 Habermas, Jürgen 61, 136 Härtl, Heinz 266, 272 f , 333 Hagemann, Gottfried Ernst 102, 119, 125 Hahn, Barbara VI, 176 Hamann, Johann Georg 1, 155 Hamilton, Alexander von 102,118 Hansemann, David 284 Harbauer, Franz Joseph 123 Hardenberg s. Novalis Hardenberg, Karl August Fürst von 103,326 Harscher, Nikolaus 156 — 160
Härtung 196 Hase, Carl Benedict 119 Hasenpflug, Kristina 253 Haydn, Joseph 129 Haynau, General 308, 310 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 27, 87 f., 120, 123, 140, 154-156, 181, 298, 300 Heine, Heinrich 27, 255 f., 269 Heinse, Johann Jakob Wilhelm 5 Helvétius, Claude Adrien 98 Helwig, Amalie von 110, 174, 278 Hemsen, Wilhelm 301 Henrichs (bzw. Hinrichs), deutscher Buchhändler in Paris 93, 104, 109 Hensler, Wilhelm 64 Herder, Johann Gottfried 116, 164, 205, 278 Hertz, Deborah 221-223, 229, 325 Herwegh, Georg 269 Herz, Henriette V, 7, 24, 38, 45, 47, 84, 88, 100, 110f., 142f., 156-161, 164, 167, 214, 216-220, 222, 230, 232, 254, 2 7 5 - 2 7 7 Herzberg 105 Heuberger, Rachel 321 f. Heyden-Rynsch, Verena von der 222 Hippel, Theodor Gottlieb 35, 136 Hirsch, Helmut 324, 330, 337 Hirsch (Postbote) 332 f. Hitzig, Julius Eduard 141 Hölderlin, Friedrich 46, 87 f. Hoffmann, Philipp Carl 345 Hoffmann-Axthelm, Inge 133 d'Holbach, Paul-Henri Dietrich, Baron 98 Homer 125, 139, 360 Hoock-Demarle, Marie-Claire 219, 327 Hormayr, Joseph 224 f. Horn, Franz 137 Horstig, Carl Gottlieb 99, 110 Horstig, Eduard 99 Horstig, Susanna Christiana, geb. d'Aubigny von Egelbronner 99, 112 Huber, Therese s. Forster, Therese Huch, Ricarda 27 Hufeland, Christoph Wilhelm 17
Personenregister Humboldt, Alexander von 24, 179, 216, 229, 250, 257 f , 273, 290-292 Humboldt, Karoline von 115, 126, 182, 203, 220 Humboldt, Wilhelm von 31, 42, 115, 126, 139, 142, 182, 186, 194, 205, 216, 230 Hume, David 186 Hundt, Irina 147, 153 Iffland, August Wilhelm 79 Ingres, Jean-Auguste-Dominique 127 Israel, Ephraim Ben 333 - 337, 339 f. Isselstein, Ursula 153, 220, 226 Itzig (Familie) 222 Jacobi, Friedrich Heinrich 4 f., 46, 59, 75, 87, 100, 109, 183, 199 Jagemann, Ferdinand 126 Jakobsohn, Israel 322 f. Jaspers, Karl 148 f. Jean Paul (eigentl. Johann Paul Friedrich Richter) 38, 75, 114, 278 Jenisch, Daniel 6 Joachim, Joseph 349, 355 - 358, 360, 364 Joachim, König von Neapel (und seine Kinder) 119 Jordan, Wilhelm 311 Josephine, Kaiserin von Frankreich 107 Kayserling, Meyer 213 Kannitz 105 Kant, Immanuel 36, 46, 52, 58, 87 £., 100, 120 f., 141, 145, 202 Karschin, Anna Louisa 104 f., 108 Kertbeny, Karl Maria 300 f., 309 f. Kierkegaard, Sören 27 Kieser, Dietrich Georg von 121 Kinkel, Gottfried 298, 300, 315 f , 351 Kinkel, Johanna, gesch. Mathieux 351 f. Klein (Faktor) 273, 290 Kleist, Graf von 227 Kleist, Heinrich von 216, 278 Klencke, Caroline Luise von 104 Kleßmann, Eckart 14, 17, 325
371
Klopstock, Friedrich Gottlieb 120, 140, 183, 200, 204 Kluckhohn, Paul 27, 40 Knigge, Adolph Freiherr von 54, 135 Knorring, Johann Ludwig von 102 f. Köpke, Rudolf 115 Kolbe, Heinrich Christoph 126 Konrad, Gustav 257 f. Koreff, David Ferdinand 141, 216 Korff, Hermann August 39 f. Kossuth, Lajos 306 f. Kotzebue, August von 65, 75, 249 Kraus, Georg Melchior 126 Krayn, Fräulein 142 Krohn, Helga 321 Kriidener, Julie von 105 Krüger, Hans Karl 216 f. Kunth, Johann Christian 216 Kuranda, Ignaz 173, 226 f. Lafontaine, August 75 Langer, Ernst Theodor 8 Langer, Joseph P. 126 Langhans, Töchter 227 Langlès, Louis-Mathieu 118 Laplace, Pierre Simon 128, 130 La Roche, Carl von 216 La Roche, Sophie von 241, 332 f. Leibniz, Gottfried Wühelm 100 Lenclos, Ninon de 190, 196 Lenz, Jakob Michael Reinhold 43 Lespinasse, Mademoiselle de 198 Lessing, Gotthold Ephraim 124, 132, 140, 186, 333 Leuchsering, Franz Michael 96 Levin, Chaie (Mutter Raheis) 147, 177, 183, 216, 220, 233 Levin (Familie, Haus) 215 f., 218 - 220, 223, 229, 232 f. Levin Markus (Vater Raheis) 147, 183, 219 Levin, Markus Theodor (Bruder Raheis) 147, 171, 177 f., 180, 183, 201, 210, 216, 220 Levin, Moritz (Meyer) (Bruder Raheis) 147, 171, 216 Levin, Rahel s. Varnhagen, Rahel
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Personenregister
Levin, Rose (Schwester Raheis) 147, 171, 178, 194, 196, 216, 220 Levy, Sara 278 Levysohn, Wilhelm 329 Lewald, Fanny 221 f., 286 Liebertz-Grün, Ursula 256 f. Liepman, Mad. 177 Ligne, Karl Joseph Fürst von 190, 225 Ligne, Prinz von 190 f. Lilienstern, Rühle von 303 Liman (Lipmann), Friederike 142, 171, 206 Lindemann, Philipp 289 Lindner, Friedrich Ludwig 198 Lippe, Alexander zur 171, 194, 227 Liszt, Franz 352, 355, 361 Litt, Theodor 54 Loesch, Perk 83 Lombach, Ludwig 126 f. Louis Ferdinand, Prinz von Preußen 143, 171, 184, 221 f., 229, 233 Louise, Königin von Preußen 230, 256, 266 Lucchesini, Girolamo Graf 108 Ludwig, König von Bayern 127 Ludwig XIV., König von Frankreich 178, 195 f. Ludwig XV., König von Frankreich 94,178,196 Lüthi, Kurt 22 Mahlmann, Siegfried August 93 Maimón, Salomon 186 Maisak, Petra 310 Marcello, Benedetto 350 Marchetti-Fantozzi, Josepha Maria 220 Margari, Renata Buzzo 143 f. Marmontel, Jean-François 98 Marwitz, Alexander von der 180, 203 f., 233 Marx, Karl 52, 85, 313 f. Massys, Quinten 127 Mathieux (Musikalienhändler) 351 Maurer, Friedrich 109 Mauser, Wolfram 199 f. May, Ciaire 217 f. Meckel, Johann Friedrich 123
Medem, Gräfin (vgl. auch Recke, Elisabeth von der) 227 Meinecke, Friedrich 305 Meister, Heinrich 109 Meyeringk, Agnes von (?) 216 Mendelssohn, Abraham 96 f. Mendelssohn, Familie 129, 192 Mendelssohn, Henriette 93, 96, 108, 111, 114, 204, 220 Mendelssohn, Lea 231 Mendelssohn, Moses 24, 99 f., 105, 113 Mendelssohn-Bartholdy 174 Mercier, Louis Sébastian 130 Mereau, Sophie, geb. Schubart, verh. Brentano 4, 10, Merkel, Garlieb Helwig 65, 140 Metternich, Klemens Lothar Wenzel Fürst von 155 Meyer, Arzt und Pharmazeut (Pseudonym: A. Wallenberg) 123 f., 142 (?) Meyer, F. J. L. 1 Meyer, Friedrich Wilhelm 224 Michaelis, Johann David 1, Michaelis, Philipp 2 Michelangelo 73 Mieroslawski, Louis von 315 Mignet, F. A. 94 Miliin, Aubin-Louis 93, 107, 109 f , 122 Mix, York-Gothart 168 Mockel, Peter Joseph 351 Mörike, Eduard 356 Molitor, Joseph Franz 322 f. Moller, Meta 200 Moser, Andreas 349 Mozart, Wolfgang Amadeus 79, 129, 360 Mühlen, Bernt Ture von zur 349 Müller, Adam 195, 279-281, 326 Müller, Friedrich von (Kanzler) 242 Muralt, Carl von 103 Muralt, Hans Konrad 103 Napoleon I., Kaiser von Frankreich 94 f., 106 f., 127, 129 f., 183, 325, 362
Personenregister Nathusius, Philipp 237 Naubert, Christiane Benedicte 18 Necker, Jacques 108 Necker-Saussure, Madame de 196 Nelson, Admiral 344 Neumann 141 Neumann, Wilhelm 169 Nicolai, Christoph Friedrich 137, 140, 218, 223 Niebuhr, Barthold Georg 97 Niebuhr, Markus 282 Niethammer, Friedrich Immanuel 87 Nohl, Herman 47 Novalis (eigentlich: Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg) 5, 17, 25, 46, 6 5 - 6 7 , 75 f , 84 f., 87, 114, 116, 121, 254 Nuys, Elisabeth Wilhelmine van 15 Oersted, Hans Christian 97, 115, 121 f , 133 Oken, Lorenz Ockenfuß 121 Olfers, Hedwig von 278 Oppenheim, Heinrich Bernhard 292, 328, 330 d'Orléans, Madame 196 Otterstedt, Georg Ulrich Ludwig Joachim Freiherr von 102 Passow, Franz 6 Patsch, Hermann 168, 208 Paulin, Roger 168 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 12 Paulus, Karoline 12, 100, 105 Pereis, Christoph 357 Pergolese, Giovanni Battista 69, 129 Pestalozzi, Johann Heinrich 96 Petöfi, Sandor 309 Pichler, Karoline 18 Pierce, Charles E. 352 Pinoff, Isidor 289 f., 292 Platen, Georg Friedrich Wilhelm Graf von 103 Piaton 37, 48, 203, 253, 262, 298 Plutarch 75 Pobeheim, Familie von 93
373
Pobeheim, Fanny von, geb. Meyer 96, 123 f. Poppenheim, Frau von, geb. Kersdorf 110 Pückler-Muskau, Hermann Fürst von 298 Püschel, Ursula 258, 266, 268, 297, 328 Racine, Jean-Baptiste 129 Radziwill, Luise Fürstin von 183, 230 Raffael (Raffaello Santi) 13, 95, 126 f., Rahel s. Varnhagen, Rahel Rambach, Friedrich Eberhard 46, 109 Ranke, Leopold von 235 Rauch, Christian Daniel 202 Récamier, Jacques R. 107 Récamier, Jeanne-Franpoise-Juliette-Adélaïde, geb. Bernard 107 Recke, Elisabeth Konstanzia Charlotte von der, geb. Reichsgräfin von Medem 227 Reichardt, Johann Friedrich 64, 85, 99, 104, 116, 129, 347 Reichenbach, Julie 6 Reichenbach, Minna 6 Reimer, Georg Andreas 63, 125, 158, 218 Reinhard, Karl von 120 Reinhold, Karl Leonard 87 Remy, Nahida 215 Reuß, Fürst von 220 Revendow, Baron von 103 Revendow, Frau von, geb. von Reizenstein 103, 111 Ribbat, Ernst 73 Richter s. Jean Paul Richter, Frau mit ihrer Tochter 227 Riesser, Gabriel 150 Ring, Max 202, 283 Ritter, Heinrich 235 Ritter, Johann Wilhelm 115 Robert, Ludwig (Bruder Raheis) 147, 150, 171, 177, 179, 208, 216, 219, 220, 229, 233 Robert, Markus s. Levin, Markus Theodor
374
Personenregister
Robespierre, Maximilien de 17 Rochau, Ludwig August von 315 Rodde, Dorothea von, geb. von Schlözer l l l f , 121 Roebling, Irmgard 176, 209, 213, 226 Rölleke, Heinz 251 Rousseau, Jean-Jacques 3, 37, 39, 50, 98, 105, 128, 142, 185, 188, 198 Rubens, Peter Paul 127 Rubinstein, Anton Grigorjewitsch 305 Sachs, Hans 75 Sachsen-Gotha, Prinz von (in Rom) 85 Sachsen-Weimar, Erbgroßherzog von 314 Sacy, Antoine Isaac Baron de 110 Salmon, Tochter 227 Salm-Reifferscheid, Hugo Franz Graf zu VI, 173, 177, 215, 223-227 Sand, George 110 Sand, Karl Ludwig 249 Sander (Buchhändler) 141 Sappho 37 Saussure, Mad. 198 Savigny, Gunda von, geb. Brentano 278, 281, 287 Savigny, Karl Friedrich von 174, 236, 268, 281, 285 f , 287 f , 324, 328 f. Schaden, Caroline von 105 Schall, Karl 227 Scharnhorst, Gerhard von 278 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 4, 14 - 1 8 , 84 f , 87, 97, 120 f , 123, 127, 132, 144, 222, 259 Schier, Alfred 40 Schill, Ferdinand von 278 Schüler, Friedrich 13, 24, 29, 36, 42, 5 4 - 5 6 , 58, 64, 75, 96, 115 f , 123, 127, 139 f , 145, 163, 210 f , 229 Schlabrendorf, Gustav Graf von 96, 108, 112 Schlabrendorf, Karoline, geb. von K a l k reuth, Gräfin von 112,210 Schläfer, Ute 73 Schlegel, August 109 Schlegel, August Wilhelm VI, 1 - 4, 6, 1 2 - 1 8 , 25, 45 f , 64, 66, 75, 8 4 f .
87 f , 91, 96 f , 99, 103, 109 f , 114-116, 118 f , 124, 126 f , 131 f , 135-146, 208, 230, 252, 254, 278 Schlegel, Caroline, geb. Michaelis, gesch. Böhmer, später verh. Schelling V f , 1 f , 4, 9 - 1 8 , 21, 24 f , 43, 64, 66 f , 84, 87, 114, 132, 137, 142 f , 222, 252, 254 Schlegel, Dorothea, geb. Brendel Mendelssohn, gesch. Veit V f , 4 - 7 , 9 - 1 8 , 21, 2 4 - 2 6 , 38, 4 2 f , 45, 64, 66, 83, 8 8 - 9 0 , 9 2 - 9 4 , 9 6 - 1 1 3 , 115-117, 119, 128 f , 131 f , 139, 143, 161, 186, 219 f , 222, 230, 252, 254, 278 Schlegel, Friedrich VI, 1 - 1 9 , 21 - 29, 31, 3 3 - 4 3 , 45 f , 50, 66 f , 7 4 - 7 6 , 8 3 - 8 5 , 8 7 - 9 4 , 96-133, 139, 141, 162 f , 208, 222, 252 f , 256, 335 Schleiermacher, Charlotte 47, 167 Schleiermacher, Friedrich Ernst Daniel VI, 6 - 8 , 10, 1 5 - 1 7 , 25 f , 29, 33 f , 38 f , 4 5 - 6 1 , 6 8 - 7 1 , 85 f , 88, 90, 97-101, 105, 113, 123f, 136, 141, 143, 147, 156-169, 183, 198, 201, 208, 230, 238, 240, 253 f , 259, 263 f , 274 f , 278, 281 f , 298 f , 330 Schloeffel, Friedrich Wilhelm 272 f , 290, 292 Schlözer, August Ludwig von 112 Schlosser, Friedrich Christoph 306, 308 Schmidt-Weißenfels, Eduard 214 Schmiedt, Geheimrat 227 Schmitz, Walter 302, 315 f. Schön, Theodor von 278 Scholtz, Günter 168 Schopenhauer, Johanna 85 Schormann, Sabine 259 Schröder, E. M. (Buchhändler) 329 Schröder, Friedrich Ludwig 79 Schubert, Franz 360 Schütz, Christian Gottfried 138 Schütz, Wilhelm von 65, 80 Schü(t)z, Marie (?) 177, 192 Schultz, Hartwig VI, 271, 273 Schulz-Buschhaus, Ulrich 151
Personenregister Schumann, Robert 364 Schweighäuser, Johann Gottfried 105, 109, 114, 122, 126 Scurla, Herbert 218 Seibert, Peter V f., 65, 73, 84, 86, 103, 175,190, 219 f., 239 Sévigné, Marie Marquise de 196, 198 Shakespeare, William 13, 75, 114 Sicard 128 Singer 327 Smith, Adam 279 Sokrates 33, 172, 203, 262, 298 f., 310 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 65, 74, 80, 155 Solmar, Henriette von 227, 278 Sophokles 36 Sparre, Bengt Erland Franc Graf von 114 Spieß, Christian Heinrich 75 Spinoza, Baruch de 46, 206 Spontini, Gasparo 352, 357 Staegemann, Elisabeth von 174, 278 f. Staegemann, Friedrich August von 278 Staël-Holstein, Anne Louise Germaine de 93, 95, 107 f , 116, 120, 143, 182, 197 f., 203, 222 Staël-Holstein, Erik Magnus von 108 Steffens, Henrik 97, 121, 158 Stein, Karl Freiherr vom und zum 278 Stein, Lorenz von 284 Steinsdorff, Sibylle von 236 Stephan, Dieter 75 Stern, Carola 180, 259 Stieber 314 Stock, Johann Michael 1 Stockhausen, Julius 360 Susman, Margarete 215 Svederus, Georg 289 Thalmann, Marianne 80 Thieriot, Paul Emil 116, 129 Thomasius, Christian 57 Tieck, Amalie 5, 64 Tieck, Anna Sophie 76 Tieck, Dorothea 64 Tieck, Friedrich 97, 126 f., 202
375
Tieck, Ludwig VI, 5, 17, 24, 6 3 - 6 8 , 7 3 - 7 9 , 81 f., 84, 86, 114-116, 127, 138, 252, 254, 256, 263 Tieck, Sophie s. Berhardi, Sophie Tilly, Johann Graf von 194 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 12 Tischbein, Sophie 12, 14, 84 Tönnies, Ferdinand 54 Treitschke, Heinrich von 152 Trowitzsch (Druckerei) 273 Ueding, Gert 57 Unzelmann-Bethmann, Friderike 114, 185, 188 f., 220 d'Urquijo, Don Raphael 194, 224 Vanderbourg, Charles 109 Varnhagen von Ense, Karl August Philipp VI, 4, 100, 112, 114, 123, 140 f., 143, 147 f., 150-160, 165, 167-169, 171, 173-175, 178, 180 f., 183, 187, 189, 193, 195 f., 201-208, 210, 217, 224-229, 231, 249 f , 257, 270, 272, 280, 291 f., 294, 297, 301, 305, 308, 314 Varnhagen von Ense, Rahel, geb. Levin Vf., 4, 12, 15, 21, 8 3 - 8 5 , 88, 96, 100-102, 110-114, 142-161, 164, 167-169, 171-234, 238-240, 254, 259, 270, 275-277, 279, 286, 326-328 Vasari, Giorgio 75 „Veilchen" (Judenmädchen) 324, 336-340 Veit, David 146,171,177,185-187, 204, 210 f. Veit, Dorothea s. Schlegel, Dorothea Veit, Philipp 9, 93, 98, 128 f. Veit, Simon 4, 100, 102, 129 Vermehren, Johann Bernhard 7 f. Vieweg, Hans Friedrich 24 Vigilerò, Consolina 202, 229 Villers, Charles Domenique de 103, 109, 112, 120-122 Villoison, Jean Baptist Caspar de 119 Vincent, François Philibert 126
376
Personenregister
Voltaire (eigentl. François Marie Arouet) 98 Vordermayer, Martina 169 Vordtriede, Werner 271 - 273 Voß, Johann Heinrich 186 Voß, Luise Gräfin von 183, 205, 213, 229-231, 278 f.Wagner, Johann Martin von 127 Waldemar, Prinz von Preußen 286, 294 f. Walther, Philipp Franz von 123 Webern, General von 308 Wichmann, Mademoiselle 230 Wieland, Christoph Martin 24, 127, 140 Wiesel, Pauline, geb. Cesar 112 f., 124, 171, 179, 181, 184, 187, 194, 209, 221 f , 227, 229, 232 f , 276, 286
Wilhelmy, Petra V f., 65, 174 - 1 7 6 , 219, 221 f., 253, 256, 263 f. Wilken, Karoline, geb. Tischbein 1 2 - 1 4 Willemer, Marianne von 4 3 , 3 6 4 - 3 6 6 Willison, Ann 343, 352 Wilmans, Friedrich 106 Winckelmann, Johann Joachim 36, 125 Winkel, Therese aus dem 93 Winkelmann, Stephan August 324 Wolfram von Eschenbach 75 Wollstonecraft, Mary 19, 35 Wolzogen, Karoline von 96, 108 Württemberg, Kronprinz von 314 Xenophon
203
Zelter, Karl Friedrich
349
Die Beiträgerinnen und Beiträger
Irina Hundt, Ursula Isselstein, Ursula Püschel und Hannelore Schote konnten nicht am Kolloquium teilnehmen, reichten aber dankenswerterweise Beiträge zur Veröffentlichung ein. Brigitte Struzyk (Berlin), Birgit Bosold (Berlin) und Sibylle von Steinsdorff (München) nahmen mit Beiträgen am Kolloquium teil, die sie nicht zur Veröffentlichung einreichten.
Prof. Dr. Andreas Arndt Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino, Dep. of Germanic Languages and Literatures, The Ohio State University, 314 Cunz Hall, Columbus, Ohio 43210, USA Prof. Dr. Hans Eichner Box 41, Rockwood, Ontario NOB 2 KO, Kanada Prof. Dr. Konrad Feilchenfeldt Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Deutsche Philologie, Schellingstr. 3/RG, 80799 München Prof Dr. Barbara Hahn Princeton University, Departement of Germanic Languages and Literatures, 230 East Pyne, Princeton, N.J. 08544-5264, USA Kristina Hasenpflug Μ. Α. Freies Deutsches Hochstift, Gr. Hirschgraben 2 3 - 2 5 , 60311 Frankfurt a. M. Lisabeth M. Hock German Departement, Washington University, St. Louis, MO 63130, USA Dr. Irina Hundt Hellersdorfer Str. 175, 12627 Berlin Prof. Dr. Ursula Isselstein Universita' degli Studi di Torino, Scienze del Linguaggio, Corso S. Maurizio 31, 10124 Torino, Italien
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Die Beiträgerinnen und Beiträger
Dr. Ulrike Landfester Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Deutsche Philologie, Schellingstr. 3/RG, 80799 München Dr. Ingrid Lettner Barlachstr. 28 /413, 80804 München Dr. Renate Moering Freies Deutsches Hochstift, Gr. Hirschgraben 2 3 - 2 5 , 60311 Frankfurt a. M. Dr. Ursula Püschel Rosenthaler Str. 19/504, 10119 Berlin Dr. habil. Hannelore Scholζ Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Deutsche Literatur, Unter den Linden 6, 10099 Berlin Prof. Hartwig Schultζ FreiesDr. Deutsches Hochstift, Gr. Hirschgraben 23 — 25, 60311 Frankfurt a. M.
Die Erfahrung anderer Länder" Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Achim und Bettina von Arnim Herausgegeben von Heinz Härtl und Hartwig Schultz XI, 390 Seiten. Mit 5 Abbildungen. 1994. Gebunden ISBN 3-11-014289-9
1992 fand im „Künsderhaus Schloß Wiepersdorf", dem Gutshaus Achim und Bettina von Arnims, erstmals ein literaturwissenschaftliches Kolloquium statt, dessen Beiträge in diesem Band versammelt sind. Die Teilnehmer konnten zeigen, wie sehr die Arnims und ihr Werk von ihrer unmittelbaren Region einerseits und von der von Arnim während der Befreiungskriege empfohlenen „Erfahrung anderer Länder" andererseits geprägt sind. Die rege Anteilnahme der beiden Autoren der Romantik an den politischen Veränderungen in ganz Europa wird deutlich und wirft ein neues Licht auf die Frage nach dem kritischen Potential der Literatur der deutschen Romantik.
Walter
yy G
BerHn · New York