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German Pages 320 [324] Year 1995
Jürgen Krüger Rom und Jerusalem
Acta humaniora Schriften zur Kunstwissenschaft und Philosophie
Jürgen Krüger
Rom und Jerusalem Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert
Akademie Verlag
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Karlsruhe (TH) gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Titelbild: Innenansicht der Friedenskirche in Potsdam (Abb. 45)
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Krüger, Jürgen: Rom und Jerusalem : Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert / Jürgen Krüger. - Berlin : Akad. Verl., 1995 (Acta humaniora) Zugl.: Karlsruhe, Univ., Habil.-Schr. ISBN 3-05-002427-5
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Akademie Verlag / Hans Herschelmann Repro: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Dieter Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Vorwort
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Einleitung
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Protestantische Kirchenpatrozinien und Kircheneinweihungen (S. 13) - Schlüsselübergabe und Namengebung (S. 16) I.
Modellfälle des Erlöserpatroziniums
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1. Die Basilika zum Erlöser in Trier Exkurs: Schinkels Berliner Vorstadtkirchen (S. 27) - Die evangelische Gemeinde in Trier (S. 30) - Pläne, Politik und Diskussionen um die Basilika (S. 31) — Die Basilika zum Erlöser (S. 36)
23
2. Rom, „S. Salvatore sopra Giove" Kapitol und Palazzo Caffarelli (S. 43) - Bunsens Taufstein und Liturgie (S. 48) „S. Salvatore sopra Giove" (S. 55)
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3. Die Erlöserkirche in Jerusalem 3.a Vorgeschichte I: Das englisch-preußische Bistum Gemeinsame Einrichtungen: Friedhof und Kirche (S. 59) Deutsche Präsenz in Jerusalem (S. 63)
56 57
3.b Vorgeschichte II: Johanniterorden und Muristan Das Muristangelände (S. 66) - Der neue Johanniterorden (S. 68) - Zeit der Entdeckungsreisen (S. 69) - Von S. Maria Latina zur Johanniterkirche (S. 76)
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3.C Von der Johanniterkirche zur Erlöserkirche 82 Exkurs I: Interessen anderer Mächte in Jerusalem (S. 85) - Exkurs II: Archäologie und Leben-Jesu-Forschung (S. 89) - Die Vervielfältigung des Programms unter Wilhelm II. (S. 91) - 1. Die Weihnachtskirche in Bethlehem (S. 91) 2. Die Erlöserkirche (S. 93) - 3. Die Himmelfahrtskirche in Jerusalem (S. 97) 4. Die Hohenzollern und das Salvatorpatrozinium: Anfänge, Verbreitung und Motivation Klause bei Kastel (S. 109) - Kloster Chorin (S. 111) - Sanskritstudien in Europa (S. 112) - Romantische Weltsicht (S. 115) - Glaubenshaltung (S. 1 1 7 ) Ahnenkult (S. 118) - Kirchenpolitik (S. 122)
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Inhalt
6 II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV. 1. Die Apostolische Kirche: Theorie Der Brief des Kronprinzen an Bunsen: Vorgeschichte (S. 125) - Der Brief des Kronprinzen (S. 128) - Der Sommernachtstraum (S. 130)
124 124
2. Der Idealbau: Die Kirche des Friedensfürsten bei Potsdam 132 Das Vorbild S. demente (S. 135) - Das Vorbild der Friedenskirche (S. 142) An- und Umbauten an der Friedenskirche (S. 146) - Bunsens Idealkirche (S. 148) 3. Die Apostolische Kirche: Umsetzung in die Baupraxis 152 Die neuen Berliner Kirchen (S. 154) - Preußische Bistumskirchen (S. 160) Diakonie I.: Pfarrerbildung (S. 164) - Diakonie II.: Krankenhauswesen (S. 166) Die apostolische Kirche: Resümee (S. 170) 4. Die Konstantinische Kirche Legitimierung des Königs (S. 173) - Schlüssel und Schlüsselübergabe (S. 175) Geburts- und Grabeskirche (S. 180) - Die Schlüssel der Altenberger Kirche (S. 184) III. Die Kirche Wilhelms II
173
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1. Wilhelm II. auf den Spuren Konstantins Nizäa 325 (S. 191) - Schloßkirche Wittenberg 1892 (S. 192) - Das Wittenberger Bekenntnis (S. 196) - Das steingewordene Glaubensbekenntnis (S. 197)
189
2. Lutherkult
200
3. Wilhelm II. und die Soziale Frage: Kirchenbau in Berlin 204 Berliner Kirchenbau unter Wilhelm I. und Friedrich III. (S. 207) Berliner Kirchenbau unter Wilhelm II. (S. 210) - Die Erlöserkirche in Rummelsburg, der „Idealbau" (S. 211) - Die Entfaltung des Programms (S. 213) Katholische Kirchen in Berlin (S. 215) 4. Wilhelm II. und die katholische Kirche Maria Laach (S. 219) - Jerusalem (S. 224)
217
5. In hoc signo vinces
227
5.a Der Schlachtort Rom, S. Croce al Flaminio (S. 230)
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5.b Das Labarum
231
5.C Die Vision Das Lichtkreuz: Herkunft und Geschichte (S. 237) - Konstantinopel, Hagia Sophia (S. 242) - Kreuzkult (S. 244) - Wilhelms II. Vision am Rhein (S. 248) - Homburg (S. 252)
235
Nachwort
255
Archivalien und Literatur
260
Register
271
Abbildungsnachweis
278
Abbildungen
279
Vorwort
Für Gisela und Christian
Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 1992/93 von der Geistes- und Sozial wissenschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe (TH) als Habilitationsschrift angenommen; für die Drucklegung wurde sie überarbeitet und geringfügig gekürzt. Ausgangspunkt war eine eingehende Darstellung des Kirchbaus der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom. Diese Kirche, 1910-1911 von einem Hauptmeister des wilhelminischen Historismus - Franz Heinrich Schwechten - entworfen und 1911-1922 ausgeführt, schien sich als ideales Objekt anzubieten, rückblickend Wesensmerkmale des Historismus klarzumachen und gleichzeitig die ersten vorsichtigen Schritte zur modernen Architektur zu beobachten, die sogar an diesem kaiserlichen Auftragsbau festzustellen sind. Die Recherchen legten eine überraschend komplizierte Planungs- und noch langwierigere Vorgeschichte offen. Bei letzterer traten als entscheidende Kräfte dieses politisch motivierten Baues die möglichen Bauherren auf, nämlich die evangelische Landeskirche Preußens und das preußische Königshaus. Einer der ersten Konflikte entzündete sich dabei am Namen der gewünschten, noch nicht einmal projektierten Kirche. Dies lenkte den Blick auf scheinbar ephemere Handlungen wie Kirchweihen und Namenwahl von Kirchen, und dabei schälte sich rasch eine klar umrissene Gruppe von Bauten heraus: die Erlöserkirchen der Hohenzollern. Als auffällig Gemeinsames ihrer Kirchenbauten des 19. Jahrhunderts erwies sich nämlich nicht - oder nur partiell - ein bestimmter Baustil, sondern ihr Name. Sie besitzen das Erlöserpatrozinium, das sie für neue Fragestellungen - neu zumindest für das 19. Jahrhundert - interessant macht. Schon dieses Patrozinium verweist auf ekklesiologische Aspekte. Dem bewußten Rückgriff auf frühchristliche Namen entsprach die Suche nach Authentizität, in einem weiteren Sinne auch Katholizität der eigenen Kirche; gerade deswegen rückten die frühen Zentren der Christenheit - Rom und Jerusalem ins Blickfeld der Hohenzollern. Die Bearbeitung der Kirchenbauten der Hohenzollern im 19. Jahrhundert unter strukturellen Gesichtspunkten stellte sich als ein eigenes komplexes und vielschichtiges Thema heraus. Den ausgewählten Bauten lagen politische, ekklesiologische und kirchenpolitische Vorstellungen zugrunde, die vieles über die Persönlichkeiten Friedrich Wilhelms IV., Friedrichs III. und Wilhelms II. aussagen, was in der historischen Forschung im Allgemeinen kaum gewürdigt wird. Dabei dachte Friedrich Wilhelm IV. mehr an das von ihm idealisierte Urchristentum, Wilhelm II. in seinem gesteigerten Selbstbewußtsein an die Bauten der deutschen Spätromanik. Ohne die Unterstützung und Hilfe zahlreicher Persönlichkeiten und Institutionen wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Bibliotheken und Archive - kirchliche wie öffentliche, staatliche - im südwestdeutschen Raum, im Rheinland, in der ehemaligen DDR und besonders in
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Vorwort
Berlin konnte ich ausgiebig konsultieren. Im Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe standen mir alle Möglichkeiten der institutionellen Förderung zur Verfügung. Hier sei allen Mitarbeitern für Interesse und Hilfe gedankt. In der Fakultät für Architektur profitierte ich von fachübergreifenden Gesprächen. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Johannes Langner und Herrn Prof. Dr. Rudolf Lill, die meine Arbeit mit großem Interesse förderten. Zu nennen sind ferner zahlreiche Pfarrer und kirchliche Bedienstete, die mir bereitwillig Kirchen und ihre Schätze öffneten, Kollegen und Freunde, die mir manche nützlichen Hinweise geben oder Material zur Verfügung stellen konnten. Ich hoffe, alle bei den entsprechenden Stellen des Textes in den Anmerkungen genannt zu haben. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die großzügige Druckkostenbeihilfe sowie dem Akademie Verlag und seinen Mitarbeitern für die Aufnahme in die Reihe „Acta humaniora" und die kompetente Betreuung der Drucklegung. Nicht zuletzt gilt mein Dank meiner Familie, die mich zu dieser Arbeit ermunterte und zugleich viel Geduld hatte. Karlsruhe, im Sommer 1994
Jürgen Krüger
Einleitung
Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen! Wahlspruch Friedrich Wilhelms IV.
Kirchenbau und Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern sollen in dieser Arbeit untersucht werden. Der historische Zeitrahmen reicht dabei von 1815 bis 1918. Diese Jahreszahlen markieren tiefe Einschnitte in der europäischen Macht-, Geistes- und Kulturgeschichte, die den dazwischenliegenden Zeitraum als eigene, freilich vielgliedrige Epoche begreifen lassen, die durch Begriffe wie Restauration, Vormärz und Zeit der Nationalstaaten machtgeschichtlich, mit Romantik, Biedermeier und Historismus kulturgeschichtlich definiert wurde. Die große, bedeutende Epoche des europäischen Barock war spätestens durch die Französische Revolution endgültig Vergangenheit, die jahrhundertealte europäische Staatenwelt völlig neu geordnet worden. Eine ebenso große Umwälzung brachte der Erste Weltkrieg. Durch ihn wurden viele traditionelle Institutionen gebrochen, der Weg zur Moderne, der an vielen Orten schon Jahre vorher gesucht worden war, war nun nahezu ungehindert möglich. Zu den Institutionen, denen in den Jahren 1815 und 1918 Entscheidendes widerfuhr, ist auch das Herrscherhaus der Hohenzollern zu zählen. Mit dem Wiener Kongreß 1815 waren die Hohenzollern zum führenden Herrscherhaus Deutschlands geworden. Dem jahrhundertelangen Aufbau dieses Geschlechts von der süddeutschen Grafschaft bis zum deutschen Kaisertum 1871 folgte der jähe Sturz 1918, als der letzte Kaiser der Deutschen ins Exil ging. Für die Hohenzollern war dieses Jahrhundert also ein wichtiger Abschnitt ihrer Geschichte. Bei der Planung der Arbeit wurde Wert darauf gelegt, die Untersuchung als Längsschnitt möglichst über das ganze Jahrhundert durchzuführen. Nur in einem solchen Längsschnitt waren bestimmte Projekte in ihrer Gesamtheit erfaßbar, wie es vor allem die Jerusalemer Beispiele belegen. Die Bautätigkeit einzelner Hohenzollernherrscher des 19. Jahrhunderts wurde schon häufiger untersucht. Friedrich Wilhelm IV. 1 und Wilhelm II. 2 standen dabei traditionell im Mittel-
1 Die architektonischen Leistungen Friedrich Wilhelms IV. wurden bereits von seinen Zeitgenossen gewürdigt, allen voran von Schinkel, der manche seiner Entwürfe auszuführen hatte; August Stüler, Über die Wirksamkeit Königs Friedrich Wilhelms IV. in den Gebieten der bildenden Künste, in: ZBW 11, 1861, 520-535; Albert Geyer, König Friedrich Wilhelm IV. als Architekt, in: DBZ 56, 1922, 525-562; Dehio 1961; Schütz 1988; hier ist auch die Arbeit von Zuchold 1993 zu nennen, die sich mit Karl, dem Bruder Friedrich Wilhelms IV. beschäftigt; wichtig die Tagungsbeiträge: Friedrich Wilhelm IV. 1987. 2 Seidel 1907; Bringmann 1968.
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Einleitung
punkt, zwei Herrscher, die eine ausgesprochene Vorliebe für Architektur hatten, und denen jeweils auch von der Fachwelt sicheres Urteil und eigene Fähigkeiten als Architekten zugebilligt wurden 3 . Auch ich beschränke mich im wesentlichen auf die Darstellung der Leistungen dieser beiden Herrscher, da sie - mit der Kronprinzenzeit des ersten - den ganzen Zeitraum aufgespannt und die wesentlichen Gedanken formuliert haben. Neben ihnen sind zweifellos noch die jeweiligen Vorgänger in der Herrscherwürde, Friedrich Wilhelm III. 4 und Friedrich III. 5 , von gewisser Bedeutung. Hier steht die Forschung jedoch erst am Anfang. Das künstlerische Wirken der Herrscher ist eingebettet in die Geschichte der Baukunst des 19. Jahrhunderts, zu der es inzwischen ein weites Feld der Forschung gibt. Entsprechende Stichworte in Fachenzyklopädien geben dem letzten Jahrhundert nun breiten Raum 6 ; einzelne Stilphänomene wie die Neugotik wurden theoriegeschichtlich aufgearbeitet 7 . Baumeister des 19. Jahrhunderts wurden in großer Zahl monographisch untersucht; unter ihnen ist Karl Friedrich Schinkel an erster Stelle zu nennen, der für das Jahrhundert Grundlegendes geleistet hat 8 . Seine Nachfolger in Berlin wurden bisher nur summarisch, jedoch qualitätvoll innerhalb der Berliner Schule behandelt 9 . Die Architektur des Historismus, ein relativ junger Zweig der Kunstgeschichte, wurde dagegen bislang vor allem in Form einzelner Architektenmonographien, oft in Dissertationen, aufgearbeitet. Als wichtigste Architekten sind Adler, Otzen, Hehl und Schwechten zu nennen 1 0 Bei dieser Arbeit sollen jedoch nicht Bauten im (Euvrezusammenhang bestimmter Architekten untersucht werden, sondern es geht darum, Bauten von bestimmten Bauherren zusammenzustellen, um diese in ihrer Abfolge und in ihrem Zusammenhang zu analysieren. Um dabei eine sinnvoll große Anzahl von Kirchenbauten untersuchen zu können, wurden einige Großprojekte der Hohenzollern nicht in die Untersuchung mit einbezogen, wie die Neubauprojekte des Berliner Doms im 19. Jahrhundert und die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche. Das war sinnvoll und möglich, da für diese Bauten bereits moderne Monographien existieren 11 . Dazu kommt, daß die für unsere Fragestellungen wesentlichen Baugedanken besser an Bauten festzustellen sind, die den Vorzug haben, ausgeführt worden zu sein, als an einem einzelnen
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Beide Herrscher werden auch in Künstlerlexika geführt. Franz-Duhme 1991. Ansätze für Friedrich III. bietet der Ausstellungskatalog: Friedrich III. 1988. Jüngst der Artikel Kirchenbau in TRE 18, 1989, 421-528, darin Harold Hammer-Schenk, 19. und frühes 20. Jh., S. 498-514 (mit Lit.). Georg Germann, Neugotik. Geschichte ihrer Architekturtheorie; Stuttgart 1974. Schinkel Lebenswerk in vielen Bänden und zahlreiche Ausstellungskataloge und Spezialliteratur. Börsch-Supan 1977; Klinkott 1988. - Auch außerhalb Preußens übten Schinkel und seine Schule einen großen Einfluß aus; zum Beispiel sei auf Hannover verwiesen, wo im Œuvre von Hellner sich alle Stilphasen Berlins getreu spiegeln; Friedrich August Ludwig Hellner 1791-1862. Festschrift zur Erinnerung an seinen 200. Geburtstag; hg. im Auftrage des Landeskirchenamtes der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers; Hannover 1991, darin besonders, mit übergreifenden Gedanken, Harold Hammer-Schenk, F. A. L. Hellner und der Kirchenbau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 49-68. Lemburg 1989; Bahns 1971; Tacke 1993; Zietz 1987. Schümann 1980; Klingenburg 1987; Frowein-Ziroff 1982.
Einleitung
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Großprojekt wie einer protestantischen Mater Ecclesiarum, die über ein Planungsstadium lange nicht hinausgekommen ist. Das Material zu dieser Arbeit bildeten zunächst die Objekte selbst. Zwei Weltkriege jedoch haben nicht nur manche dieser Kirchen zerstört, sondern auch die Archivalien und noch mehr das Bewußtsein und das selbstverständliche Wissen um diese Bauten, die nach dem Ersten Weltkrieg nur noch Relikte einer vergangenen Ordnung darstellten und nach dem Zweiten Weltkrieg oft verständnislos modernisiert worden sind. Ergänzend zu den originalen Bauwerken konnten zeitgenössische Zeichnungen herangezogen werden. Hier waren die bruchstückhaft überlieferten Zeichnungen der Hohenzollernherrscher besonders wichtig 12 . Archivalien sind für das 19. Jahrhundert in wesentlich größerem Umfang entstanden als für die Zeiten davor, freilich in unter schiedlichem Umfang erhalten geblieben. So haben die Archive des preußischen Staates die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs relativ gut überlebt 13 , und auch die kirchlichen Zentralbehörden sind archivalisch gut überliefert, einzelne Kirchgemeinden dagegen ganz unterschiedlich 14 . Für das Haus Hohenzollern ist die Überlieferungslage dagegen relativ schlecht. Das alte Hausarchiv blieb nur zu einem Teil erhalten 15 . Von der seinerzeit berühmten Hausbibliothek sind bislang nur ganz geringe Reste bekannt 16 ; gerade für Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. könnte der Besitznachweis bestimmter Bücher das Wissen dokumentieren, das ihnen tatsächlich zur Verfügung gestanden hat.
12 Reich und nach wie vor kaum ausgewertet ist bisher der Bestand der Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV.; vgl. Börsch-Supan 1977, 573-574. - Die Zeichnungen Wilhelms II. sind dagegen größtenteils verloren. 13 Die Akten des Geheimen Staatsarchivs, zwischenzeitlich in Merseburg und Potsdam, sind seit Kurzem wieder in Berlin-Dahlem vereinigt. Die Akten mancher Provinzialregierung wurden dagegen zerstört, darunter das für uns wichtige Koblenzer Archiv (betr. Trier). 14 Bedauerlich ist hier wiederum der Totalverlust der Trierer Akten. 15 Das alte, unter Friedrich Wilhelm IV. begründete Hausarchiv, teils zerstört, teils aufgelöst, enthielt für meine Fragestellungen kaum Material; zum Schicksal vgl. Udo Dräger und Joachim Lehmann, Zur Geschichte und Auflösung des Brandenburgisch-Preußischen Hausarchivs, in: Archivmitteilungen 19, 1969, 230-237. Auf Burg Hohenzollern bei Hechingen hat nach dem Zweiten Weltkrieg Prinz Louis Ferdinand ein neues Archiv mit Materialien v. a. der letzten 100 Jahre eingerichtet, das für mich wichtig wurde. 16 Mit ungefähr 20 000 Bänden war die Bibliothek Friedrich Wilhelms IV. die größte Privatbibliothek eines preußischen Königs, die außerdem als wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit gelten konnte. Zu ihrer Betreuung war erstmals ein eigener Bibliothekar, Paul Duvinage, eingestellt. Sie befand sich im Berliner Stadtschloß und wurde nach Friedrich Wilhelms Tod in andere Räume verlegt, da ihr Gewicht die darunterliegenden Festräume gefährdete. - Besonders unter Wilhelm II., der viele wissenschaftliche Publikationen initierte und förderte, wuchs die Bibliothek nochmals stark an; vgl. Bogdan Krieger, Hohenzollernbibliotheken. Die königliche Hausbibliothek; Leipzig 1902, besonders S. 7, ferner: Beschreibender Katalog der Sonderausstellung der Hausbibliothek Seiner Majestät des Kaisers und Königs auf der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik Leipzig 1914; Berlin 1914, besonders 40-45; ferner Goerd Peschken, Das Berliner Stadtschloß, 1982, 123-124 und 540-542. - Die Privatbibliotheken der Hohenzollern, seit 1862 Hausbibliothek genannt, sind durch Kriegseinwirkung zerstreut und teilweise zerstört; ein kleiner Rest befindet sich in den Schlössern Charlottenburg und Sanssouci.
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Einleitung
Die zeitgenössische Literatur des 19. Jahrhunderts bildet nämlich eine ebenso wichtige Quelle wie die Archivalien. Besonders die in reichem Maße vorhandenen Periodika lieferten Informationen von hohem Aussagewert. Die Architekturzeitschriften, die teilweise wöchentlich, sogar halbwöchentlich erschienen, ließen sich fast wie Tageszeitungen thematisch durcharbeiten und auswerten 17 . Ähnliches gilt für theologische Zeitschriften 18 . Kunsthistorische Blätter waren in dieser Zeit noch selten, boten aber breite Theoriediskussionen, die teilweise direkt auf die aktuelle Kunst oder Architektur zurückwirkten 19 . Theologie und Kunst wurden zusammengefaßt in den Zeitschriften über christliche alte und neue Kunst, die im letzten Jahrhundert viel zahlreicher als heute waren und allein dadurch ihren Stellenwert markieren 20 . Nicht zu vergessen sind die allgemeinen politischen und kulturellen Zeitungen und Zeitschriften, die vor der Mitte des Jahrhunderts einen großen Aufschwung nahmen und als Informationsorgan für die damalige Zeit und genauso für uns eine ständig größere Bedeutung gewannen 2 1 . Als weitere wichtige Quellengattung ist die Memoiren- und Briefliteratur zu nennen. Bei allen Vorbehalten gegenüber ihrem Aussagewert, der durch persönliches Bekenntnis, lückenhafte Erinnerung oder idealisierenden Rückblick eingeschränkt werden kann, ist sie doch ganz unabhängig von ihrem literarischen Wert eine wichtige Quellengattung, weil sie ein lebendigeres Bild von Taten, Absichten und Wirkungen zeichnet als die nüchterne Aktenüberlieferung. Wieder war es wichtig, fachübergreifend Memoirenliteratur der Kunstgeschichte, Theologie, Geschichte und Politik durchzuarbeiten 22 . Auch viele „graue" Literatur, die sich als Privatdruck dem systematischen Sammeln der Zentralbibliotheken weitgehend entzieht, ebenso wie die im Ausland erschienene deutsche Literatur, enthält wesentliche Informationen. Dazu gehören zum Beispiel die vielen von kunsthistorischen oder historischen Dilettanten geschriebenen Kirchenführer und Gemeindegeschichten. Bei den Dilettanten handelt es sich meistens um die langjährigen Gemeindepfarrer, die aus
17 Rolf Fuhlrott, Deutschsprachige Architektur-Zeitschriften. Entstehung und Entwicklung der Fachzeitschriften für Architektur in der Zeit von 1789-1918. Mit Titelverzeichnis und Bestandsnachweisen; München 1975; Diss.-Ing. Karlsruhe 1974. 18 Gottfried Mehnert, Programme evangelischer Kirchenzeitungen im 19. Jahrhundert (Evangelische Presseforschung 2); Witten 1972; Ernst-Albert Ortmann, Motive evangelischer Publizistik. Programme der Gründerzeit als Frage an die Theologie; Witten 1969. 19 Vor allem Schorns Kunstblatt, daneben die historisch-archäologischen regionalen Zeitschriften. 20 Die Zeitschriften sind zusammengestellt in: Hugo Schnell, Der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Dokumentation, Darstellung, Deutung; München 1973, 230-231. Eine kritische Sichtung nimmt vor Adolf Smitmans, Die christliche Malerei im Ausgang des 19. Jahrhunderts. Theorie und Kritik. Eine Untersuchung der deutschsprachigen Periodica für christliche Kunst 1870-1914; Tübingen Diss. phil. 1978; Sankt Augustin 1980. 21 Die wöchentlich erscheinende Illustrine Zeitung, die aus Politik und Kultur berichtete, ist für uns wegen ihrer oft großformatigen Illustrationen wichtig. Die Historisch-politischen Blätter waren ein wichtiges Publikationsorgan des Katholizismus in konfessionellen und kirchenpolitischen Zeitfragen. Die Autoren der i.d.R. anonymen Artikel wurden großenteils ermittelt von: Die Mitarbeiter der Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland 1838-1923; bearb. von Dieter Albrecht und Bernhard Weber; Mainz 1990. 22 Eine ganz zentrale Bedeutung hat in meiner Arbeit der Briefwechsel Bunsens erlangt, der zum Teil in: Bunsen 1868 und Ranke 1873 greifbar ist. Eine moderne Ausgabe ist ein Desiderat der Forschung.
Einleitung
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diesem Grunde eine sogar über die Akten hinausgehende Kenntnis ihrer Gemeinde besitzen. Zu Unrecht werden diese Bücher ihrer Unwissenschaftlichkeit wegen geringgeschätzt 23 . Wichtig war mir von Anfang an, den Kirchenbau nicht nur als architektonisches Gehäuse, sondern in seiner Gesamterscheinung wahrzunehmen. Gerade bei Arbeiten über das 19. Jahrhundert, über eine Zeit also, als die Idee des Gesamtkunstwerkes aktuell war, erscheint diese Forderung fast banal, wurde aber trotzdem kaum in die Praxis einer kunsthistorischen Arbeit umgesetzt. Neben der architektonischen Form sollten also auch Skulptur und Malerei betrachtet werden, in ihrer Funktion als Dekoration oder Ausstattungsstücke. Letztere bedingten, auch Fragen nach Ausstattungsprinzipien zu stellen. Das war oft nur durch einen Blick auf die liturgischen Vorbedingungen möglich. Es erwies sich jedoch, daß auch die drei großen künstlerischen Gattungen Architektur, Malerei und Plastik nicht ausreichten, die eigentliche Bedeutung eines bestimmten Bauwerks zu erfassen. Der Kirchenbau mußte in wirklich allen Einzelheiten betrachtet werden. Inschriften spielten oft eine programmatische Rolle. Schließlich wurde offenbar, wie wichtig ephemere Handlungen wie die Zeremonien der Grundsteinlegung oder Kircheneinweihung waren, und damit stand die Namengebung der Kirche in einem unmittelbaren Zusammenhang. Erst alle diese Komponenten zusammengenommen ergaben nun ein wirklich dichtes Bild von der Bedeutung eines Kirchenbaus, die diesem zu seiner Erbauungszeit von seinem Bauherren gegeben worden war, über seine Stellung in einer Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts hinaus. Als gemeinsamer Nenner der behandelten Kirchen ist gerade das Letztere, nämlich ihr Name, zu nennen. Das auffällige und für evangelische Kirchen nicht selbstverständliche Salvator- oder Erlöserpatrozinium zieht sich wie ein roter Faden durch die Kirchbauprojekte der Hohenzollern, von Friedrich Wilhelm IV. bis zu Wilhelm II. War dies einmal festgestellt, so knüpfte sich daran die Aufgabe, Gründe dafür zu suchen. Es ergab sich, daß auf der Basis des gleichbleibenden Namens der Kirchenbauten als Erlöserkirchen je nach Herrscher verschiedene Vorstellungen von der Kirche verwirklicht wurden 24 . Durch diese Feststellung von Großstrukturen aber war es wiederum möglich, die relativ isoliert erscheinenden Erlöserkirchen in große Bauprogramme der jeweiligen Herrscher einzureihen, das heißt, sie erschienen nun als Protagonisten, als eigentliche allumfassende Klammer der Bauideen. Zwei Städte standen bei fast allen Überlegungen der Hohenzollern zum Kirchenbau im Mittelpunkt: Rom und Jerusalem, die erste als kaum versiegender Quell der abendländischen christlichen Kunst, die zweite als Ursprungsort der Christenheit. Aus beiden Städten wurden auf unterschiedliche Weise die Ideen bezogen, wie die Kirche im Heimatland der Hohenzollern gestaltet werden sollte. Daher wurden sie in den Titel dieser Abhandlung aufgenommen. Am Anfang jedoch soll kurz auf die ephemeren Handlungen eingegangen werden, nämlich Kircheneinweihungen und Kirchenbenennungen. Das wird den Einstieg in die Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts erleichtern. 23 Zum Beispiel sei genannt Schubert 1930. 24 Unter den Nachbardisziplinen nimmt die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts einen besonders wichtigen Platz ein. Zur Einführung ist immer noch grundlegend: Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert; Bd. 4: Die religiösen Kräfte; Freiburg 1937; Reprint 1987 (freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Reiner Haussherr, Berlin); an neuen Arbeiten v. a. Gerhard Besier, Religion, Nation, Kultur: die Geschichte der christlichen Kirchen in den gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts; Neukirchen-Vluyn 1992 und: Geschichte der Evangelischen Kirche der Union 1992.
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Einleitung
Protestantische Kirchenpatrozinien und Kircheneinweihungen Patrozinienkunde - die Kunde von den namengebenden Patronen einer Kirche und der Beweggründe ihrer Wahl - ist als rein katholisches Phänomen bekannt. Sie ist ganz aus der Beschäftigung mit Objekten des Mittelalters entstanden und hat wichtige Ergebnisse erzielt. Die Erkundung der örtlichen und zeitlichen Verbreitung von Kulten, Kultwanderungen, etwa entlang von Pilgerwegen oder durch Reliquientranslationen motiviert, aber auch der Kultwandlungen vom frühchristlichen Märtyrerkult über Ritterheilige der Kreuzzugszeit zur Marienfrömmigkeit des Spätmittelalters, dient nicht nur der Illustrierung des Alltagslebens, sondern liefert auch selbständige Beiträge zur Kulturgeschichte vergangener Zeiten, die sonst verborgene Zusammenhänge aufdecken und erklären helfen 2 5 . Für die nachmittelalterliche Zeit fehlen weitgehend Untersuchungen. Im katholischen Bereich könnten dabei mit den neuen Heiligen des 16. Jahrhunderts - etwa Ignatius von Loyola und Karl Borromäus - relativ leicht erste Ergebnisse erzielt werden, da keine komplizierten Traditionen zu prüfen wären. Die protestantische Seite kann mit ähnlichem nicht aufwarten, weil ihr die Grundlage dazu fehlt: katholische Patrozinien hängen ganz ursächlich mit der Heiligenverehrung zusammen, und da es diese bei den Protestanten nicht gibt, kann es auch keine Patrozinienkunde im herkömmlichen Sinne geben 26 . Dabei ist die Namengebung für eine Kirche auch im evangelischen Bereich kein beliebiger Akt, sondern hängt eng mit der Weihe der Kirche zusammen; freilich werden bei genauerer Betrachtung große Unterschiede sichtbar werden. Die katholische Kirchweihe, die zunächst kurz resümiert werden soll, bedeutet in ihrer normalen Ausformung, der consecratio, die vollkommene und unwiderrufliche feierliche Herauslösung des Kirchengebäudes aus dem Profanbereich und die Heiligung dieses Ortes 27 , die von einem Bischof durchgeführt werden muß. Die Zeremonie beginnt bereits am Vorabend mit Vigilien vor den Reliquien, die für die neue Kirche bestimmt sind. Am Kirchweihtag selber werden zunächst die Wände der Kirche durch Aspersion gereinigt, das heißt das Böse zurückgedrängt, damit der Bischof feierlich Einzug halten und von dem Gebäude Besitz ergreifen kann. Die dauerhafte Heiligung dieses Ortes, die nur durch Zerstörung wieder aufgehoben wird, erfolgt nun durch verschiedene Zeremonien: Besprengung mit Weihwasser, Deposition der Reliquien, Salbung des Altares und der Wände und schließlich durch Gebete. Diese besonders feierliche Zeremonie greift vor allem auf den alttestamentarischen Bericht der Weihe des Salomonischen Tempels zurück. Dazu kommen freilich noch andere Elemente, so vor allem aus dem Bereich der Begräbnisliturgie, handelt es sich doch bei der Bergung der Reliquien im Grunde um die Anlage eines Märtyrergrabes 28 . 25 Allgemein W. Dürig, Art. Patron in: LThK 8, 1963, 187-192. - Bei der zahlreichen Literatur sei lediglich auf zwei heute noch grundlegende regionale Studien hingewiesen: Gerd Zimmermann, Patrozinienwahl und Frömmigkeitswandel im Mittelalter, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 20, 1958, 24-126 und 21, 1959, 5-124; und: Matthias Zender, Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung in ihrer Bedeutung für die Volkskunde; 2. Aufl. Köln 1973. 26 Lexikonartikel in protestantischen Nachschlagewerken begnügen sich folgerichtig auch mit der Charakterisierung der katholischen Forschung. 27 Ludwig Eisenhofer, Handbuch der katholischen Liturgik; 2 Bände Freiburg 1933; hier II, 454-468; Rietschel 1909, II, 448-^57. 28 Graff 1921, I, 407.
Kirchenpatrozinien
und -einweihungen
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Da die Konsekration einer Kirche ein aufwendiger Akt ist und deswegen meist erst dann erfolgt, wenn das Bauwerk in seinen wesentlichen Teilen fertiggestellt ist, kann es notwendig sein, die Kirche bereits vorher zu benutzen. In diesem Falle wird eine einfache benedictio von einem Ortsgeistlichen durchgeführt; sie ist im Zeremoniell überaus einfach; wichtigster Unterschied zur consecratio ist, daß der Altar nicht konsekriert wird, was nur einem Bischof zusteht, sondern ein konsekriertes Portatile in den Altar eingefügt wird 29 . Auch die Grundsteinlegung ist normalerweise Sache des Bischofs, der in diesem Falle jedoch auch einen Priester beauftragen kann. An der Stelle des künftigen Altares wird ein hölzernere Kreuz errichtet, an dem die Gebete für einen guten Fortgang der Arbeiten gehalten werden, bevor ein oder mehrere Grundsteine, die den künftigen heiligen Ort abstecken, gesegnet und anschließend versetzt werden. Zum ersten Mal wird hier auch der Patron der neuen Kirche angerufen 30 . Der Name der künftigen Kirche steht also bereits bei Baubeginn fest, nur in Ausnahmefällen wird der Name erst zur Dedikation oder Konsekration vergeben 31 . Die Namen können aus verschiedenen Kategorien ausgewählt werden, wobei die allgemein bekannten Heiligen nur eine Gruppe unter anderen ausmachen; das Kirchenrecht läßt ebenso die Trinität oder einen Teil von ihr zu, jede heilige Sache, die mit Christus, Maria oder Heiligen zu tun hat, ferner die Engel 32 . In den evangelischen Kirchen sind Grundsteinlegung und Kirchenweihe ebenfalls bekannt und üblich, doch besitzen die Feiern hier einen grundsätzlich anderen Charakter. Bereits Luther verwarf Exorzismen und Konsekrationen, die auf leblose Gegenstände angewendet wurden. Das Wort Weihe oder Konsekration wird trotzdem auch von Protestanten benutzt, doch hat es einen anderen Sinn als auf katholischer Seite 33 . Werden Objekte - das können etwa Vasa Sacra oder eine ganze Kirche sein - geweiht, so werden sie dadurch zum gottesdienstlichen Gebrauch bestimmt und nur deswegen aus ihrer Umgebung ausgesondert. Nicht der Gegenstand macht die Handlung heilig, sondern die Handlung, also der Gottesdienst, macht den benutzten Gegenstand zur Zeit der Nutzung zu einer res sacra 34 . Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sagen die protestantischen Kirchenordnungen nicht viel über diese Weihehandlungen. Regional unterschiedliche Ordnungen erschweren zudem einen Überblick 35 . Relativ konstant kehrt folgendes wieder: Die Kirchweihe mußte sonntags stattfinden, und es wurde viel Wert darauf gelegt, daß die Pfarrer der Umgebung möglichst zahlreich teilnahmen. Eine feierliche Prozession formierte sich an der alten Gottesdienststätte und zog dann in vorgeschriebener Reihenfolge mit den heiligen Geräten, Bibel und Agende, zur neuen Kirche, umrundete sie mehrmals, wenn die Verhältnisse es zuließen, und nahm sie dann mit ei-
29 Eisenhofer (Anm. 27), II, 456. 30 Eisenhofer (Anm. 27), II, 452f. 31 „Titulus in impositione primarii lapidis eligendus est ...", schreibt der Kommentator des Codex iuris canonici Matthaeus a Coronata OMC, De locis et temporibus sacris. Codicis iuris canonici L. III, pars altera; Turin 1922, S. 20 (zum can. 1168: De titulo ecclesiae). 32 Ebenda. 33 Sprachlich wird im protestantischen Bereich meistens der Begriff „Einweihung" statt „Weihe" verwendet. 34 Rietschel 1909, II, 448^158. 35 Graff 1921,1, 400-414 und II, 296-302.
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nem Festgottesdienst in Besitz. Durch Predigt und Gebet also wurde das neue Gebäude geheiligt, wie Luther es formuliert und getan hatte 36 , als er im Jahre 1544 die Torgauer Schloßkapelle einweihte, die damit sowohl in architektonischer als auch liturgischer Hinsicht am Beginn protestantischen Wirkens steht. Im Kern enthält also auch die protestantische Kirchweihordnung den Ritus der salomonischen Tempeleinweihung. Er ist sogar klarer zu erkennen als im katholischen Ritus, da er nicht durch andere Riten überlagert ist 37 . Abgesehen davon war das weitere Zeremoniell jedoch nicht sehr fest ausgebildet, was durch die Seltenheit der Kirchweihen erklärt werden kann. Normalerweise waren die katholischen Kirchen einfach für den neuen Glauben übernommen worden, so daß ein Bedarf an neuen gottesdienstlichen Räumen faktisch nicht bestand. Klöster, Kapellen, Wallfahrtskirchen wurden nicht benötigt, und so waren neue Kirchen nur bei Zerstörung der alten oder in neu gegründeten Städten oder Stadtteilen nötig. Erst im 19. Jahrhundert entstand das Bedürfnis nach genaueren Vorschriften für Weihezeremonien, als Zunahme und Wanderungsbewegungen der Bevölkerung vorher nie gekannte Ausmaße annahmen und erstmals protestantische Kirchen in größerer Zahl gebaut werden mußten. Zwei Vorschriften sollen uns hier besonders interessieren:
Schlüsselübergabe und Namengebung Der erste Schritt zur Reglementierung der Kirchweihe war in Preußen mit der Kabinettsordre vom 26. August 1837 getan worden, als eine „Anweisung, wie die Einweihung evangelischer Kirchen in den Königlich Preußischen Landen geschehen soll" an alle Konsistorien erging 38 . Obwohl in der Agende keine Festlegungen getroffen worden waren, wurde nun vorgeschrieben, daß die Kircheneinweihung in der Regel durch einen General-Superintendenten unter Assistenz zweier Geistlicher geschehen sollte; ferner sei mindestens zwei Monate vor der Fertigstellung des Bauwerkes Anzeige an die königliche Behörde zu machen, damit auch hochstehende Personen beziehungsweise der zentralen Behörden an der Kirchweihe teilnehmen könnten. Ministerielle Kontrolle, auf die in der Folge stets geachtet wurde, und Vorschriften wurden im Laufe der Zeit noch verstärkt. Am 14. Februar 1855 verfügte Friedrich Wilhelm IV., daß bei restau-
36 Luther predigte: „ Was heißet heiligen oder weihen, einen Tag, Stunde oder Woche? ... Zum ersten etwas daran tun, daß da ein heilig Werk sei, das ist, das Gott allein zustehet, nämlich daß man vor allen Dingen Gottes Wort rein und heiliglich predige ..." und schließt die Predigt: „Das sei jetzt genug gesagt von dem Evangelio zu Einweihung dieses Hauses. Und nun ihr es, lieben Freunde, habt helfen besprengen mit dem rechten Weihwasser Gottes Worts, so greifet nun auch mit mir an das Rauchfaß, d.i. z.um Gebet und laßt uns Gott anrufen und beten. " Zitiert nach Rietschel 1909, II, 452^153. 37 Dem direkten Rückgriff auf das Judentum begegnet man auch in der protestantischen Kunst, wie zum Beispiel im protestantischen Kirchenbau des 17. Jahrhunderts, als besonders die Hugenotten die jüdische Synagoge zu ihrem Vorbild nahmen, bedingt durch die Gemeinsamkeit des Wortgottesdienstes; vgl. auch Helen Rosenau, The Synagogue and Protestant Church Architecture, in: JWCI4, 1940-41, 80-84. 38 Berlin GStAPK Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. XVII Nr. 84. Die Akte ist Kriegsverlust. Ersatzüberlieferung ist bei verschiedenen Behörden zu finden, z.B. Berlin EZA 14/920: Konsistorium BerlinBrandenburg o. Bl., hier unter dem 20. 9. 1837 wegen Weitergabe an Landräte und Superintendenten.
Schlüsselübergabe
und
Namengebung
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rierten Kirchen der bisherige Name der Kirche beizubehalten sei, bei Neubauten landesherrlichen Patronats „ in jedem einzelnen Falle Anzeige über den der Kirche zu gebenden Namen behufs dessen Genehmigung zu machen sei"39. Damit lag die Namengebung für neue Kirchbauten in Preußen faktisch beim König. Durch die zweimonatige Meldepflicht wußte der König über jede Kircheneinweihung Bescheid - sein Interesse ist hier aufgrund der Kabinettsordre vorausgesetzt - und konnte bei Bedarf eingreifen wie zum Beispiel beim Akt der Schlüsselübergabe, der an sich nirgendwo bindend vorgesehen war. Er wurde in den Verlauf des Kircheinweihungszeremoniells an der Stelle eingefügt, an der die Prozession der Gemeinde vor der neuen Kirche ankam und dann die Kirche betreten wollte, um die Feier fortzusetzen. Hier nun warteten vor verschlossener Tür der Baumeister und der Bauherr auf die Gemeinde. War sie eingetroffen, übergab der Baumeister dem Schlüssel an den Bauherrn und dieser wiederum dem Pfarrer, der die Kirche aufschloß und die Gemeinde eintreten ließ. Die Erklärung der Handlung ist einfach und sinnfällig: Der Architekt hat den Bau ausgeführt. Hat er seine Arbeit beendet und ist das Bauwerk vollendet, übergibt er das komplette Gebäude an den Bauherrn, der es an den Benutzer weitergibt. Die Schlüssel stehen dabei für die Schlüsselgewalt, also für den, der die Befugnis hat, in das Gebäude einzutreten. Dies war auf der Baustelle selbstverständlich der Architekt, nachher sollte es der Bauherr sein, der gleichzeitig Patron der Kirche war, in Preußen also der König, wie das Beispiel der Einweihung der restaurierten Kirche auf dem Petersberg bei Halle zeigt 40 : Bereits 1816 war Schinkel auf die großartige Ruine des Augustiner-Chorherrenstifts aufmerksam geworden. Friedrich Wilhelm IV. veranlaßte dann die Wiederherstellung des Baus unter der Oberleitung von Stüler und Quast. Die Wiedereinweihung fand am 8. September 1857 im Beisein des Königs statt (Abb. I) 41 . Ein großformatiger Stich in der Ulustrirten Zeitung zeigt gerade die Szene der Schlüsselübergabe, die sich besser als andere Szenen der Feierlichkeiten zur Repräsentationsdarstellung eignete. Die Szene spielt vor dem Portal der Südflanke, da die Stiftskirche keine große Portalanlage an der Westseite besitzt. Eine kleine Gruppe Geistlicher steht am Portal, vom Pastor der Peterskirche angeführt. Ihnen gegenüber steht eine große Gruppe von Militärund Zivilpersonen, an ihrer Spitze der König, der gerade im Begriff ist, den Schlüssel von einem Prunkkissen zu nehmen und dem Pastor zu geben. Fast schüchtern streckt der Pastor die Hand aus, um den Schlüssel in Empfang zu nehmen; die Militärs mit ihren farbenprächtigen Uniformen strahlen große Selbstsicherheit aus. Der König selber ist ebenfalls in Uniform erschienen; keineswegs also als Summus episcopus seines Landes, sondern als Allerhöchster Landesherr. Der Stich der Illustrirten Zeitung ist in vielfältiger Weise ein Abbild der Herrschaftsverhältnisse in Preußen. Dieser Akt der Schlüsselübergabe hat nichts mit kirchlichen Weihezeremonien zu tun, sondern war eine aus der Profan- und Staatsbaukunst übernommene Zeremonie, die ein Zu- und Nacheinander von Rechtsverhältnissen augenfällig macht. In dieser Form können wir sie zu-
39 Berlin EZA 7/5789, Bl. 7. Veröffentlichung der Verfügung: Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland 5, 1856, 95-96 und 121-122. 40 Die Restaurierung dieser Stiftskirche auf dem Petersberg bei Halle gehört zu den großen denkmalpflegerischen Leistungen der Zeit um 1850; Findeisen 1990, 65-70. 41 Die Einweihung der restaurierten Klosterkirche auf dem St. Petersberge bei Halle a. S., in: Illustrine Zeitung Nr. 745 vom 10. Oktober 1857, 239-240.
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rückverfolgen bis ins Jahr 1845, als Friedrich Wilhem IV. am 5. Oktober die St. Jacobikirche in Berlin einweihte 42 , in der Zeit davor war der König lediglich als Teilnehmer, nicht als Akteur zugegen 43 . Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts fand die Zeremonie dann weite Verbreitung. Noch bevor sich die Eisenacher Konferenz 1861 erstmals mit dem Kirchenbau befaßte und das bekannte „Eisenacher Regulativ" verabschiedete, hatte sich in Dresden ein Kreis führender Theologen getroffen, um liturgische Fragen zu erörtern. Gemeinsames Anliegen war eine Hebung und Differenzierung der liturgischen Gebräuche. An den Sitzungen im Mai 1856 nahmen Vertreter der Kirchenregimenter von Sachsen, Bayern, Hannover, Württemberg und beider Mecklenburg teil 44 . Als wichtigste Kräfte dieser Tagung müssen der Württemberger Karl Grüneisen und der Mecklenburger Theodor Kliefoth angesehen werden. Der erste sollte bald das „Christliche Kunstblatt", die führende protestantische Zeitschrift des 19. Jahrhunderts für christliche Kunst, gründen und herausgeben. Der zweite, Kliefoth, war von der Erweckungsbewegung zurück ins traditionelle Kirchenlager gekommen; 1848 hatte er die Kirchenleitung in Schwerin übernommen und die Landeskirche reorganisiert, die für ihn nur direkt unter der Herrschaft des Fürsten denkbar war. Er wünschte sich eine Belebung des liturgischen Erbes, die manche vorreformatorischen Riten wieder aufnehmen sollte. Kliefoth hatte die Dresdner Tagung vorbereitet, indem er vier Arbeitspapiere zur Diskussion stellte: Cánones, betreffend die Beichte und die Confirmation, Thesen zur Einrichtung und Einweihung von Kirchen, zur liturgischen Ausbildung von Candidaten und zum liturgischen Gesang. Schon die Aufstellung der Programmpunkte zeigt, daß es nicht nur um Kirchbau, sondern vielmehr um eine groß angelegte Reform der Kirche ging· Kliefoths Vorschläge für den Ablauf einer Einweihungszeremonie wurden von der Versammlung redigiert und angenommen. Mancherorts wurden sie sogleich in die kirchliche Praxis übernommen - ein Jahr später finden wir sie in den Erlassen der württembergischen und mecklenburgischen obersten Kirchenbehörden 45 . Kliefoth also, der von einem obrigkeitlichen Kirchenverfassungsmodell ausging, sah die Einbeziehung von Baumeister und Bauherrn in die Zeremonie vor. Ihm dürfte der entscheidende Impuls zu verdanken sein, daß die Schlüsselübergabe auch in den Kirchenregimentern übernommen wurde. Die Schlüsselszene stellte aber einen Fremdkörper in der eigentlichen Kirchweihzeremonie dar. Es ist eine im Zeichen des Historismus entdeckte Zeremonie, die es in den Zeiten, die der
42 Die ersten 25 Jahre der St. Jacobi-Gemeine zu Berlin. Ein geschichtlicher Rückblick auf dieselben; Berlin 1874, 19-21 mit ausführlicher Schilderung der Kircheneinweihung. 43 Z.B. bei der Einweihung des bedeutendsten Kirchenbaus unter Friedrich Wilhelm III., der Friedrichs· Werderschen Kirche in Berlin am 3. Juli 183. Der König hatte festgestellt, daß bereits der Vorgängerbau 1701 im Beisein Friedrichs des Großen eingeweiht worden war; Berlin GStAPK 2.2.1. Nr. 23338. - In einfacherer Form war der Akt der Schlüsselübergabe für Kirchweihen in der Kurpfalz bereits im Jahre 1873 festgelegt worden; ein Abgesandter des Konsistoriums übergab hier dem Ortspfarrer die Schlüssel; Graff 1921, II, 297. 44 Protokolle der Conferenz der Abgeordneten ... in Dresden vom 19. bis 28. Mai 1856, in: Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland 5, 1856, 537ff. 45 Protokolle (Anm. 44), 568-571. Es sind genau die Landeskirchen, denen Kliefoth und Grüneisen angehörten; Theodor Kliefoth, Vortrag über die Einweihung neuer oder restaurierter Kirchen, in: Allgemeines Kirchenblatt 12, 1863, 351-361; hier 357.
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Historismus verlebendigen wollte, nicht gegeben hatte. Sicher eignete sie sich besonders gut für theatralische Effekte: Dazu gehörten vor allem die großen Prunkschlüssel, die allein, um gesehen zu werden, so groß sein mußten. Ein mittelalterliches Kirchenportal hatte aber normalerweise gar kein Schloß, sondern wurde von innen verriegelt 46 . Eine verschlossene Kirche konnte nur durch kleine Seiteneingänge betreten werden. Auch in anderer Beziehung erwies sich die Schlüsselübergabe als unrealistisch: wenn die ganze Gemeinde den Übergabeakt abwarten sollte, bevor sie in der Kirche den ihr zugewiesenen Platz aufsuchen konnte, hätte das die ganze Einweihung über Gebühr verzögert; also wurde die Gemeinde schon vorher in die Kirche eingelassen. So klagte denn auch Pastor Julius Smend, ein wichtiger Beobachter und Kritiker der kirchlichen Kunst unter Wilhelm II., als solche Feierlichkeiten wohl am ausgiebigsten begangen wurden: „Man ist vor der Kirche angekommen, es folgt die sehr beliebte Schlüs selszen e. Dabei werden zwischen dem Baumeister und den übrigen in Betracht kommenden Herren einige Worte gewechselt; was der erstere sagt, ist aber oft viel verständiger, als was die Theologen vorbringen. Einer von diesen spricht: ,Ich bin die Thür; so Jemand durch mich eingehet, der wird selig werden und ein- und ausgehen und Weide finden' (Joh 10, 9) ... . Für die Gemeinden gehen diese im engsten Kreise verübten pastoralen Geistreichigkeiten glücklicherweise verloren. Aber nun kommt an vielen Orten für die Gäste eine Überraschung von wahrhaft verblüffender Wirkung. Die Thorflügel der neuen Kirche öffnen sich, und das erstaunte Auge blickt in einen, wie es scheint, bis auf den letzten Platz gefüllten Raum. Von seinen glücklich eroberten Sitzen aus schaut das Volk mit Neugier und Behagen dem Eintretenden entgegen; zum Glück übertönen die kräftigen Register der Orgel in etwa das laute Geschwätz ..."41. Die Schlüsselübergabe erwies sich immer mehr als ein Fremdkörper in der Einweihungszeremonie. Sie war nicht religiöser Ausdruck, sondern Hoheitsakt; klarer waren Herrschaftsverhältnisse kaum auszudrücken. Auch der Wahl des Namens muß erhöhte Bedeutung zugemessen werden, wie die gesetzgeberischen Maßnahmen des 19. Jahrhunderts zeigen. Weist jedoch die Erforschung katholischer Patrozinien für diesen Zeitraum bereits erhebliche Defizite auf, so kann für die evangelischen Kirchen gesagt werden, daß noch keinerlei Ansätze zu ihrer Erforschung gemacht wurden. Dabei gibt es gerade für das 19. Jahrhundert einige klare Ansatzpunkte. In calvinistischer und reformierter Tradition waren Kirchen namenlos. Selbst die Namen übernommener mittelalterlicher Kirchen wurden nicht weitergepflegt. Die sprunghaft ansteigenden Gemeindemitgliedszahlen des 19. Jahrhunderts, die zu Gemeindeteilungen und in der Folge zu vielen neuen Kirchenbauten führten, änderten daran ebenfalls nichts. Als markantes Beispiel sei an die reformierten Kirchen der Stadt Wuppertal-Elberfeld erinnert, die ursprünlich nur durch Ordnungszahlen unterschieden wurden. Für Otzens bekannte III. Kirche hat sich erst
46 Die Aushöhlungen für entsprechende Riegelbalken sind an vielen mittelalterlichen Türgewänden noch zu sehen. Erst im Spätmittelalter wurden nachträglich Schlösser eingebaut. - Die Funktion des in Marburg gezeigten sog. Schlüssels der Elisabethkirche, eine Arbeit vom Ende des 12. Jhs., als Prunk-, Zeremonien- oder Reliquienschlüssel ist völlig ungeklärt, als Kirchportalschlüssel nicht in Diskussion; vgl. Ausstellungskat. Hessen und Thüringen - Von den Anfängen bis zur Reformation; Marburg 1992, 180 Nr. 262. 47 Smend 1901, 74. - Genau dieselbe Situation war am 6. Juni 1993 bei der Neueinweihung des Berliner Domes in Anwesenheit des Bundespräsidenten im Fernsehen zu verfolgen.
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später der Name Friedhofskirche eingebürgert, obwohl sie mit diesem funktional überhaupt nichts zu tun hat, sondern eben nur direkt neben dem Friedhof liegt 48 . Lutheraner dagegen haben im allgemeinen die Kirchenbenennungen der vorreformatorischen Zeit übernommen. Dabei sind auch die vielen Marienpatrozinien beibehalten worden, ja, in Wolfenbüttel wurde sogar eine Marienkirche als Hauptkirche des Ortes im 17. Jahrhundert neu gebaut. Von diesem Einzelfall abgesehen, war im 17. und 18. Jahrhundert vor allem die Dreieinigkeit als Kirchennamen beliebt. Im 19. Jahrhundert wurden dann sehr oft die Evangelisten zur Kirchenbenennung herangezogen; mit ihnen wurde auf die Basis evangelischen Glaubens hingewiesen. Es hatte den weiteren Vorteil, daß für weitere Neubauten die Namen sozusagen vorprogrammiert waren. München bietet dafür ein schönes Beispiel. In der Metropole Bayerns wurden für die rasch zunehmende protestantische Bevölkerung im Laufe des 19. Jahrhunderts vier Kirchen gebaut. Bei der Namengebung schritt man biblisch voran: 1833 wurde die Matthäuskirche eingeweiht, 1877 die Markuskirche und 1896 die Lukaskirche. Die Johanneskirche machte 1916 den Abschluß 49 . Der Namensvorrat hat also immerhin für ein Jahrhundert gereicht. War allen diesen Kirchennamen kaum anzusehen, welcher Konfession das dazugehörige Kirchengebäude angehörte, so sollte sich das im vorrückenden 19. Jahrhundert ändern. Der Kulturkampf hatte für ungefähr zwei Jahrzehnte zu harten konfessionellen Gegensätzen geführt, die erst zum Ende des Jahrhunderts wieder abflachten. Das Lutherjahr 1883, anläßlich der 400. Wiederkehr seines Geburtstages, sollte nochmals einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen bringen. Seit diesem Jahr wurden Kirchen als äußeres Zeichen der inneren Stärke der evangelischen Kirche nach Luther, in Einzelfällen auch nach anderen Reformatoren benannt. In Regionen mit besonders großen konfessionellen Spannungen, wie zum Beispiel im Rheinland, hatte bald jede Stadt ihre Lutherkirche, während in traditionell liberalen Regionen wie Baden diese, wenn überhaupt, mit 20- bis 40jähriger Verspätung errichtet wurden 50 . Auf katholischer Seite war schon vorher Bonifatius zum Apostel der Deutschen ausgerufen worden. Seine Renaissance als Kirchenpatron begann mit Ludwig I. von Bayern, der ihm seine große Basilika in München weihte, und setzte sich in den nächsten Jahrzehnten sogar über konfessionelle Grenzen hinweg fort, als auch der Gustav-Adolf-Verein zur Gedenkfeier des 1100. Todestages des Bonifatius nach Thüringen rief 51 . Gegen Ende des Jahrhunderts aber mußte auch sein Name im Kulturkampf herhalten und den Kampf gegen den anderen Apostel der Deutschen, gegen Luther, führen. Die Verbreitung der Bonifatiuskirchen dieser Zeit zeigt
48 Die vorreformatorische Kirche hatte ein Laurentius-Patrozinium. Die insgesamt drei reformierten Kirchen werden heute entgegen ihrer ursprünglichen Benennung (I., II., III. Kirche) Alte Reformierte, Neue Reformierte und Reformierte Friedhofskirche genannt; Klaus Pfeffer, Die Kirchenbauten in Wuppertal-Elberfeld (Rheinische Kunststätten 229); Neuss 1980, 3-12. 49 Heinrich Habel, Lukaskirche München (Kleiner Kunstführer 1453); München 1984, 2 und (für die Johanneskirche): Die Kirche 13, 1916, 94. 50 Im Lutherjahr 1883 wurde mit dem Bau in Bottrop, Breslau, Hörde, Dresden, Köln-Nippes, KölnPorz (Kapelle) begonnen; in Karlsruhe erst 1905, in Freiburg 1919. - Dem Phänomen der Lutherkirchen soll eine eigene Arbeit gewidmet werden. 51 Ludwig Leonhart, Die Bonifatius-Renaissance des 19. Jahrhunderts, in: Sankt Bonifatius. Gedenkgabe zum 1200. Todestag; Fulda 1954, 533-585.
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eine auffallende Koinzidenz zu den gleichzeitigen Lutherkirchen 52 . Neben ihm erfuhren regionale Heilige wieder die Ehre der Altäre 53 , prominenter wurden aber meist die Herz-Jesu- oder St. Josephskirchen, letztere nach der Verkündung der Sozialenzyklika Leos XIII. 54 . Kirchennamen, die das Gebäude ja in der Öffentlichkeit benennbar machen, wurden also im 19. Jahrhundert bewußt gewählt. Neben diesen konfessionell gebundenen Namen fällt aber ein Patrozinium besonders auf: das Salvator- oder Erlöserpatrozinium. Dieses ist konfessionell nicht gebunden; es führt über alle anderen Kulte zurück zu den Anfängen und Gründen des Christentums, und es führt zurück zu den frühesten Kirchenbenennungen. Schon bei ihnen hingen Kirchweihe und Namengebung direkt zusammen, und zwar durch das antik-römische Sakralrecht. Die ältesten Kirchweihen sind uns von Konstantin dem Großen überliefert, als er nach der Schlacht an der Milvischen Brücke der neuen Religion, die nun öffentlich zugelassen war, die ersten Kirchen stiftete. Er tat das selbstverständlich im Rahmen des damals existierenden Rechts, der Vorgang war also ein ähnlicher wie eine Tempelweihe. Nach dem römischen Sakralrecht ging ein Tempel in den Besitz des entsprechenden kultisch gefeierten Gottes über 55 . Die Konsekration bezeichnete also einen Besitzwechsel, und verständlicherweise mußte bei einem Besitzwechsel der neue Besitzer, die Gottheit also, genannt werden. Nach diesem Rechtsempfinden wurde nicht eine Christengemeinde Eigentümer eines Heiligtums, sondern der Gott selber. Die Bezeichnung der ersten Kirchen, die Konstantin stiftete, konnte also nur „Salvatorkirche" sein 56 . Außerdem war als einziger der Kaiser konsekrationsberechtigt 57 . Das bedeutete, daß alle Kirchenstiftungen, auch von Privatpersonen, über ihn vorgenommen werden mußten. Das Salvatorpatrozinium bildet also einen weiteren, über die reine Architektur hinausgehenden und meist nicht beachteten Aspekt des frühchristlichen Kirchenbaus. Wird nun in späteren Zeiten auf Kirchenpatrozinien bewußt zurückgegriffen, in ähnlicher Weise wie bei der Wiederaufnahme architektonischer Großformen, kann dies auch im Sinne einer Kirchenreform programmatisch sein. So war mit der cluniazensischen Reform das Peterund-Paul-Patrozinium verbunden, mit der zisterziensischen das Marienpatrozinium; die benediktinische Reform im Italien des 11. Jahrhunderts nahm dagegen die frühchristliche Architektur wieder auf.
52 Bonifatiuskirchen zur Jahrhundertmitte v. a. in seinem Stammland Hessen/Thüringen und seinem Missionsgebiet: Gotha 1856, Hagen-Haspe 1861, Hohenlimburg 1848, Wiesbaden 1841; am Jahrhundertende: Berlin 1888, Duisburg 1905, Karlsruhe 1906, Köln- Nippes 1911. 53 Zum Beispiel der Ludgerkult am Niederrhein. 54 Herz-Jesu: Berlin 1899, Augsburg, Koblenz u.v.m.; St. Joseph als Heiliger der Arbeiter, z.B. Berlin 1900. 55 Ludwig Voelkl, Die Kirchenstiftungen des Kaisers Konstantin im Lichte des römischen Sakralrechts (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften, Heft 117); Köln 1964, 19; vgl. dazu aber auch die kritische Rezension von D. Simon in: BZ 58, 1965, 411-13, wobei der hier behandelte Punkt von Voelkl abweichend interpretiert wird (für unseren Zusammenhang unerheblich). - Uwe Süssenbachs Arbeit zum konstantinischen Christuskult ist für unsere Fragestellung nicht von Belang. 56 Voelkl (Anm. 55), 31. 57 Voelkl (Anm. 55), 25.
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Kirchen können also in vielfältiger Form Träger einer Reformidee sein und mit ihren äußeren Merkmalen - Architektur, Schmuck und Namen - auf wichtige Reformziele hinweisen. In diesem Sinne können die mönchischen Reformen gesehen werden, und sogar die Reform, die zum Bruch mit der katholischen Kirche führte, muß so betrachtet werden, wie die protestantische Kirchenarchitektur des 17. Jahrhunderts zeigt, die in ihren Versammlungsräumen teilweise alttestamentarische, jüdische Formen aufnimmt. Reform der Kirche bedeutete aber immer: zurück zu den Ursprüngen, in die frühchristliche Zeit, wobei letztere einen großen Zeitraum einnahm, nämlich von den apostolischen Zuständen des 1. Jahrhunderts bis zu Frühformen des Mönchtums um Benedikt. Das Salvatorpatrozinium war dabei eng mit den ersten christlichen Kultbauten und mit dem römischen Kaisertum verbunden. Dadurch wird auch die spätere Verwendung des Salvatorpatroziniums, zum Beispiel bei den Karolingern verständlich 58 . Inwieweit das Salvatorpatrozinium bei den Hohenzollern im 19. Jahrhundert Träger einer Kirchenreformidee war, soll in den nächsten Kapiteln untersucht werden.
58 Adolf Ostendorf, Das Salvator-Patrozinium, seine Anfänge und seine Ausbreitung im mittelalterlichen Deutschland, in: Westfälische Zeitschrift 100, 1950, 357-376. - Wie stark Karl der Große Konstantin imitierte, wird jetzt wieder in der jüngeren Pfalzenforschung deutlich: Neben dem seit längerem bekannten Aachen ist auf Ingelheim zu verweisen, wo Konstantin in ein karolingisches Bildprogramm aufgenommen worden war, und jetzt auch auf Paderborn, wo in großer Ähnlichkeit zum Lateran zwei Säle existierten, und zwar aula regia und aula Christi, letztere mit Salvatorpatrozinium; vgl. Karl Hauck, Karl als neuer Konstantin 777. Die archäologischen Entdeckungen in Paderborn in historischer Sicht, in: Frühmittelalterliche Studien 20, 1986, 513-540.
I. Modellfälle des Erlöserpatroziniums
1.
Die Basilika zum Erlöser in Trier
Ein Jahr vor der eben erwähnten Einweihung der Kirche auf dem Petersberg bei Halle war die Basilka in Trier eingeweiht worden. Die Feier in Trier vom 28. September 1856 war in einem mehrseitigen Artikel der Illustrirten Zeitung wiedergegeben worden 1 . Zwei ganzseitige Stiche zeigten einmal das Innere, zum anderen als Außenszene die Ankunft des Königs vor der Basilika (Abb. 2). Hier stand nicht die Schlüsselübergabe im Mittelpunkt der Darstellung, sondern die bekannte große Ansicht, die das Gebäude aus der Römerzeit in seiner vollen Größe und yon seiner original erhaltenen Seite her zeigt. Die Umwandlung der römischen Ruine in eine evangelische Kirche bietet nun eine ganze Reihe historischer, kirchengeschichtlicher wie kirchenpolitischer, kunsttheoretischer wie wissenschaftsgeschichtlicher Aspekte, die aufs engste miteinander verwoben sind. Ihre Darstellung wird die Bedeutung der Trierer Basilika für die Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts verdeutlichen. Die Trierer Basilika spielte im historischen und architekturgeschichtlichen Denken der damaligen Zeit nämlich eine kaum zu überschätzende Rolle, da sie zu den bedeutendsten monumentalen Überresten der Römerzeit nördlich der Alpen gehört. Weitere trierische Großbauten der gleichen Epoche - Thermen, Porta Nigra und Amphitheater - ergaben zusammen mit der Basilika ein eindrucksvolles Bild einer antiken Stadt. Schon früh wurden die Bauten Triers mit dem Namen Konstantins des Großen als Bauherren verknüpft, der Trier vorübergehend zu seiner Hauptstadt gemacht hatte. Als einziger Römerbau hatte in Trier die Porta Nigra die Zeiten nahezu unversehrt überstanden. In ihrem Mauerwerk aus mächtigen Natursteinquadern hatte sich schon vor der Jahrtausendwende der Einsiedler Simeon eingenistet, zu dessen Verehrung später ein Kloster eingerichtet wurde. Das Stadttor wurde daraufhin Klosterkirche. Auch die anderen Bauten wurden weiterverwendet, trotzdem entgingen sie dadurch nicht den umfangreichen Zerstörungen. In
1 Die Basilika in Trier und deren Einweihung am 28. September 1856, in: Illustrirte Zeitung Nr. 696 vom 1. November 1856, 283-286, hier auch die Beschreibung der Schlüsselübergabe. Die Anwesenheit des Königs war offenbar nicht von Anfang an vorgesehen. Friedrich Wilhelm IV. ließ sich jedoch das Einweihungsprogramm vorlegen und fügte handschriftlich ein, daß „ad IV. die Baubehörde den Schlüssel des Gotteshauses mir zu übergeben, und der General-Superintendent demnächst denselben aus meinen Händen zu empfangen. Nach Öffnung der Kirche tritt zuerst der Domchor ein und eröffnet unter Anstimmung des 84. Psalms den Einzug;" Sanssouci 17. Sept. 1856; Berlin EZA 7/7817f. 47 und 48.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
Teilen der Kaiserthermen war eine Kirche eingerichtet worden, ein anderer Teil diente als Stadtmauer und Stadttor. Das Gelände der Basilika wurde seit dem Mittelalter von den Trierer Erzbischöfen für ihre Residenz benutzt. Von Basilika und Kaiserthermen blieben dabei so wenig Reste, daß man ohne genaue Kenntnis der jeweiligen Gesamtanlagen die ursprüngliche Nutzung der Gebäude lange nicht kannte und auch nicht erschließen konnte. Die heute als Kaiserthermen bekannten Ruinen wurden lange mit den Konstantinischen Kaiserpalästen identifiziert, selbst dann noch, als man ausgedehnte Hypokaustenheizungssysteme fand. Die Ruinen der Thermen übten eine solche Faszination aus, daß noch 1908 vollkommen ernsthaft der Vorschlag gemacht wurde, sie als Kaiserpalast wiederaufzubauen 2 , mit der Begründung, zur wiederaufgebauten Marienburg im Osten Deutschlands ein Pendant im Westen schaffen zu sollen 3 . Die ein Jahr später, anläßlich des Denkmalpflegetages in Trier beschlossenen Untersuchungen führten dann zu der methodisch noch heute mustergültigen Tätigkeit Krenckers und Krügers, die in mühsamer Kleinarbeit die Ruinen als Thermen bestimmen konnten 4 . Bei der Basilika selber nun, deren Bezeichnung so selbstverständlich, klar und exakt klingt, handelt es sich eigentlich um die Empfangshalle der spätantiken Kaiserresidenz, und sie wäre besser als Palastaula zu bezeichnen. Obwohl diese Erkenntnisse schon seit geraumer Zeit bekannt sind, hat sich der richtige N a m e bisher nicht durchsetzen können 5 . Auch für die folgende historische Betrachtung wird der Ausdruck „Basilika" beibehalten. Die Basilika hatte bis ins 19. Jahrhundert viele Verstümmelungen erfahren müssen. Trotzd e m gehört sie von ihren Maßen her, aber noch mehr durch ihre klaren Linien bestechend, zu den hervorragenden römischen Bauwerken. Sie besteht aus einem Quader von ungefähr 56 Meter Länge, einer lichten Breite von 27,70 m und einer Höhe bis zum Dachansatz von 32 m. In den Ecken sind schmale Treppentürme integriert, die über die Mauerfluchten nicht vorspringen. Daran schließt eine Apsis auf halbrundem Grundriß mit 19 m Höhe an. Der Bau ist ganz aus Ziegeln errichtet, wobei die Außenmauer in große Arkaden aufgelöst erscheint, in die die doppelgeschossige Fensterzone eingelassen ist. Keinerlei Spuren deuten auf eine Wölbung hin, so daß sowohl Apsis als auch der große Saal, der das gesamte Innere einnimmt, mit einer Kas-
2 M. Gary, Römische Ziegelbauten, insbesondere die Basilika und der Kaiserpalast in Trier, in: Tonindustriezeitung 32, 1908, 650-659. 3 Die deutsche Ton-, Zement- und Ziegelindustrie, von der dieser Vorschlag ausging, hoffte, den Kaiser für dieses Projekt zu gewinnen, da Wilhelm II. ja selber Ziegeleibesitzer war und an der Wiederbelebung dieser Technik höchstes Interesse zeigte. Der Wunsch, antike Räume dieser Dimension herzustellen, sei es durch Rekonstruktion oder durch Neubau, war nicht auf Trier beschränkt. Zur gleichen Zeit wurde in New York der neue Bahnhof der Pennsylvania-Eisenbahn von McKim, Medd & White gebaut, der eine perfekte, auch in den Dimensionen nicht verkleinerte Kopie der großen Halle der Diokletians-Thermen darstellte. Als Baumaterial wurde eigens Travertin aus Tivoli eingeführt; vgl.: Der neue Zentralbahnhof der Pennsylvania-Eisenbahn in New York-City, in: DBZ 44, 1910, 825ff., 833f„ 845f., 853f. 4 Die Grabungsgeschichte ist ausführlicher als in der späteren Publikation der Ergebnisse nachzulesen bei: Emil Krüger und Daniel Krencker, Vorbericht über die Ergebnisse der Ausgrabung des sog. römischen Kaiserpalastes in Trier, in: Abhandlungen der k. preußischen Akademie der Wissenschaften 1915, Phil.-hist. Klasse, Nr. 2. 5 Die Basilika wurde zuletzt zusammenfassend behandelt im Katalog zur 2000-Jahr-Ausstellung der Stadt Trier: Trier. Kaiserresidenz und Bischofssitz. Ausstellungskatalog Rheinisches Landesmuseum Trier 1984, 139-160 (mit älterer Literatur).
1. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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settendecke abgeschlossen waren oder einen offenen Dachstuhl hatten. Die Basilika stand im Areal des Konstantinischen Kaiserpalastes, von dem allerdings nur wenig gefunden wurde 6 . Der mächtige längsrechteckige Quader, der sich mit der Apsis im Norden in nordsüdlicher Richtung erstreckt, überlebte als einziger Teil des Palastareals die Stürme der Völkerwanderungszeit. In der Folgezeit beherbergte die Ruine fränkische Grafen, dann die Trierer Erzbischöfe. Im Mittelalter burgartig mit einem Zinnenkranz befestigt, wurde die Basilika seit dem 16. Jahrhundert in eine vierflügelige Schloßanlage einbezogen. Sie bildete dabei den Westflügel dieses Quadrates, mußte aber viel Mauersubstanz lassen: Im Jahr 1614 wurden die östliche Längs- und die Eingangswand der Basilika abgerissen, der Rest blieb wegen seiner ausgezeichneten Festigkeit stehen 7 . An diese immer noch imposante, hohe römische Mauer wurde der schmale, mehrgeschossige Westflügel mit einer einfachen Zimmerreihe ohne hofseitigen Gang angelehnt (Abb. 3). Es war also nicht mehr viel übrig von diesem Bauwerk; nur die Hälfte der Mauern stand noch, erst recht konnte man sich keinen Raumeindruck machen. Trotzdem war es eine ungemein beeindruckende Ruine, und vor dem geschulten Auge eines Architekten konnte, nein, mußte in Gedanken die Basilika wieder erstehen. Als Schinkel im Jahr 1816 seine erste Reise durch die neuen preußischen Westprovinzen unternahm, kam er auch nach Trier und zeichnete die Basilika (Abb. 4) 8 . Er gab sie in der Außenansicht im Schrägblick auf die erhaltene Westwand wieder, so daß auch die Apsis noch dargestellt wurde; auf der Rückseite des Blattes skizzierte er flüchtig den Grundriß und zeichnete sehr sorgfältig den Wandaufbau einer Fensterachse. Das einzige, was ihn interessierte, war die antike Bausubstanz. Sämtliche modernen Veränderungen und Einbauten ließ er weg. Besonders beeindruckt war er von den römischen Ziegeln, die er mit wenigen Worten auf dem Blatt beschrieb. Als er zehn Jahre später wieder nach Trier kam, kletterte er in den Dachstuhl, um die Konstruktion des 60 Fuß weiten Schwibbogens am Eingang zur Apsis zu studieren. In jenen Jahren erwachte in Trier wie auch anderswo das Interesse an den Denkmälern der Geschichte, und man fragte sich, worum es sich bei den römischen Ruinen handele. Der königliche Baurat Quednow machte erstmals wirklich präzise Beobachtungen an der Basilika, die er in seiner Beschreibung der vorrömischen und römischen Altertümer Triers 1820 veröffentlichte 9 . So führte er Ausgrabungen durch, um sich über ihren Grundriß klar zu werden, was ihn allerdings nicht daran hinderte, sie letztendlich falsch zu rekonstruieren, nämlich als Hallenbau mit Apsiden an beiden Enden 10 . Trotzdem sind seine Ausführungen wertvoll für uns, weil selbst Kleinigkeiten wie Putzreste für ihn des Beschreibens wert waren. Den Bau, dem er ein 6 Die Ausgrabungen Friedrich Kutzbachs veröffentlicht von Harald Koethe, Die Trierer Basilika, in: Trierer Zeitschrift 12, 1937, 151-179; vgl. auch Eberhard Zahn, Der Kurfürstliche Palast in Trier (Rheinische Kunststätten 103); Neuss 1982, 3. 7 Zahn (Anm. 6), 5. - Ein guter Grundriß des Schloßbaus und der Basilika mit Bau- bzw. Abrißphasen z.B. bei Zahn 1991a, 61. 8 Zeichnungen aus dem Schinkelmuseum heute im Berliner Kupferstichkabinett; vgl. Schinkel Lebenswerk Rheinlande 1968, 414-417 Abb. 305 (unsere Abb.) und 306. 9 Karl Friedrich Quednow, Beschreibung der Altertümer in Trier und dessen Umgebungen; 2 Bände Trier 1820. - Zur Person Quednows vgl. die wenigen Angaben bei Emil Zenz, Geschichte der Stadt Trier im 19. Jahrhundert; 2 Bände Trier 1979, hier I, 169ff. 10 Die Basilika wird behandelt bei Zenz (Anm. 9), II, 1-12. Die beigegebene Tafel ist auch abgebildet bei Gary (Anm. 2), 654.
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I. Modellfälle des
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„Gefühl für das Erhabene und Große" 1 1 zuerkannte, identifizierte er als die antike Markt- und Gerichtsbasilika und meinte, daß er Anfang oder Mitte des 3. Jahrhunderts entstanden sein müsse 1 2 . Einige Jahre später beschäftigte sich der Gymnasialoberlehrer Steininger mit den Ruinen der Kaiserthermen. Da er der Frage nachgehen wollte, inwieweit diese mit der Basilika in Verbindung zu bringen seien, mußte er sich auch mit jener auseinandersetzen 13 . Er brachte einige gute und eine Reihe abwegiger Argumente in die Diskussion. Einerseits erklärte er ausgerechnet den Zinnenkranz auf der Apsis für antik und vergleichbar mit dem der Thermen; das nutzte er für eine zeitgleiche Datierung beider Komplexe, einen direkten Zusammenhang zwischen beiden Gebäuden wollte er aber trotzdem nicht sehen. Auch die These, daß ein Gefängniseinbau in der Apsis, der für das 15. Jahrhundert belegt ist, für die gleiche Funktion bereits zur Erbauungszeit spreche und damit für eine Gerichtsbasilika, bei denen Gefängnisse literarisch nachgewiesen sind, war historisch nicht haltbar. Daneben aber bleibt sein Verdienst, auf konkrete Literaturstellen bei Plinius und Vitruv hingewiesen zu haben, um die Diskussion über den Basilikacharakter überhaupt zu ermöglichen, und ebenfalls aus Vitruv die Maß- und Proportionsangaben entnommen zu haben, die ihm für die Basilika zuzutreffen schienen 14 . Sein Buch blieb so trotz aller Mängel für lange Zeit eine maßgebliche Quelle. War das Gebäude aber als Basilika angesprochen, wohlgemerkt als heidnisch-antike, so hatte das für die Architekturtheorie größere Konsequenzen: Aus Vitruvs Architekturtraktat ist der Begriff der Basilika überliefert und beschrieben 15 . Eine Basilika war nach Vitruv ein rechteckiger Hallenbau, dessen Länge das Zwei- bis Dreifache seiner Breite betragen sollte. Im Innern teilten zwei übereinandergestellte, ringsumlaufende Säulenreihen einen Umgang ab: Der zweistöckige Umgang ergab zusammen die Höhe des mittleren Restraumes, und die Säulenstellungen hatten die Aufgabe, den Umgang und darüber die Dachkonstruktion zu tragen. Solche Hallen dienten den Händlern für ihre Geschäfte, und darum sollten sie auch in der Nähe der Foren liegen. Einen zweiten Typ von Basilika hatte Vitruv selbst entworfen und in der Stadt Fano an der Adria bauen lassen. Dabei wurde an die Markthalle noch ein „Tribunal" angefügt, ein Platz für einen Richter also. Diese hoheitliche Zone bestand aus einer halbrunden Apsis mit erhöhtem Fußboden, war dadurch von dem übrigen Baukörper abgesondert und ausgezeichnet. Vor dieser Apsis war natürlich auch die Säulenreihe des Umganges unterbrochen. In der Basilika von Fano befand sich diese Apsis nach Vitruvs Beschreibung in der Mitte der Längsseite; diese Anordnung war offenbar durch die spezielle Lage in Fano bedingt. Wenn der Leser des Vitruvschen Textes die Apsis in Gedanken jedoch an einer Schmalseite anfügte, war das Urbild der christlichen Basilika gewonnen. So kannte man zwar den Begriff der Basilika aus Vitruvs Text, konnte ihn aber bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nicht mit bestimmten erhaltenen Monumenten in Verbindung bringen. Die literarisch überlieferten Beispiele hatte man nicht vor Augen, inklusive der von Vitruv selber gebauten Basilika in Fano an der Adria; umgekehrt wurden einige Gebäude tatsächlich von 11 Zenz(Anm. 9), II, 1. 12 Zenz (Anm. 9), II, 12. 13 Johann Steininger, Die Ruinen am Altthore zu Trier, gewöhnlich die Römischen Bäder genannt; Trier 1835. - Zur Person des Geologen Steininger vgl. Zenz (Anm. 9), I, 169-174 und 188. 14 Steininger (Anm. 13), 47-50. 15 Vitruv, Zehn Bücher über Architektur; Buch V, 1; der moderne Forschungsstand bei: Karlfriedrich Ohr, Die Form der Basilika bei Vitruv, in: Bonner Jahrbücher 175, 1975, 113-127.
1. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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ihrem Bautyp her als Basilika angesprochen; sie waren aber zu unscheinbar, um den glänzenden Vitruvschen Architekturbegriff mit Leben erfüllen zu können. Als einziges Monument von einiger Bedeutung wurde die Basilika in Pompei angesehen, die jedoch wegen zu großer griechischer Einflüße nicht als typisch angesehen wurde. Ein weiteres Problem bestand darin, den Begriff Basilika für drei verschiedene Kulturen erklären zu müssen: für die griechische, woher das Wort stammt, für die heidnisch-römische, aus der die großen Bauten durch die Literatur bekannt waren, und besonders für die frühchristliche Kultur. Es war eine Diskussion, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreichte, verstärkt durch die vermehrten Ausgrabungen seit der napoleonischen Zeit, die die antiken Monumente ans Licht brachten und den Vergleich mit den christlichen Bauten herausforderten. Die Trierer Lokalforschung befand sich also auf einem ganz aktuellen Gebiet, und der Berliner Kunsthistoriker Franz Kugler hob durch einen Artikel in Schorns Kunstblatt vom Jahr 1842, der im wesentlichen nur bereits Gesagtes wiederholte, dieses Thema auf die nationale Ebene 16 . Nach einem Forschungsüberblick, der oben verkürzt wiedergegeben wurde, lenkte er den Blick auf das Trierer Bauwerk und diskutierte es mit den Vitruvschen Vorgaben. Als auffällige Übereinstimmungen konstatierte er die Apsis des Tribunals und die doppelte Fensterreihe als Indiz für eine zweigeschossige Anlage. Sodann betrachtete er den Innenbau. Mit den Proportionsrechnungen, die Vitruv mitteilte, den bekannten absoluten Maßen des Trierer Monuments und gewissen Annahmen, über Stilwahl und spätantike Maßverhältnisse zum Beispiel, die die Zahl der möglichen Rechnungen auf ein kleines Maß begrenzten, gelang es Kugler, ein inneres System der Basilika zu errechnen. Danach besaß die Basilika beidseitig je eine schmale Empore, die mit den beiden Fensterreihen korrespondierte. Die unteren Stützen sollten nach dem Proportionssystem ungefähr 45 Fuß hoch gewesen sein. Mittels der großen Fenster war ein lichtdurchfluteter Raum geschaffen, ideal für die Zwecke, denen eine Basilika dienen sollte. Neben der Aufarbeitung der vitruvianischen Berechnungen und der Darlegung der Funktionen der antiken Basilika war aber das Außergewöhnliche und Einmalige, daß Kugler hier auf ein in großer Höhe aufrecht stehendes Bauwerk verweisen konnte, wie es offenbar in keiner Gegend des ehemaligen Römischen Reiches sonst nachgewiesen werden konnte. Kugler hatte, wie gesagt, weitgehend die Vorarbeiten der Trierer Lokalforscher benutzt. Es bleibt zu fragen, ob auch sonst noch die Ergebnisse aus Trier verwertet wurden. Wir hatten gesehen, daß Schinkel bei seiner Rheinreise des Jahres 1816 die Trierer Basilika skizziert hat, und daß sie eine große Faszination auf ihn ausübte. Hat sie auch in seinem architektonischen Werk nachgewirkt?
Exkurs: Schinkels Berliner Vorstadtkirchen In Schinkels reichem Œuvre an Kirchenbauten gibt es eine kleine, eigenwillige Gruppe von Kirchen, deren Einordnung in sein Gesamtwerk bislang schwer fiel, und denen erst in jüngster Zeit eine monographische Behandlung galt; es handelt sich um die sogenannten Berliner Vorstadtkirchen 17 . Im Nordwesten Berlins waren im Laufe des 18. Jahrhunderts einige Vorstadtsiedlungen entstanden - Moabit, Wedding, Gesundbrunnen und Neues Voigtland - , die in den Jahren nach 16 Kugler 1842. 17 Die Bauten erstmals behandelt in: Schinkel Lebenswerk. Berlin I, 1941, 301-342, jetzt ausführlich Franz-Duhme 1991.
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I. Modellfälle des
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1800 so groß geworden waren, daß sie von den bestehenden Pfarrkirchen nicht mehr versorgt werden konnten. Daher erteilte König Friedrich Wilhelm III. am 29. Februar 1828 Schinkel den Auftrag, zwei neue Kirchen zu entwerfen 1 8 . Es war der erste Auftrag zum Bau evangelischer Kirchen in Berlin seit einhundert Jahren! Diese Kirchen sollten geradezu riesig sein, jeweils 2500 bis 3000 Personen fassen. Trotz des Umfangs bewältigte Schinkel die Aufgabe schnell und legte im folgenden August fünf Alternativpläne vor, aus denen der König zwei auswählte und zur Ausführung bestimmte. Indessen schritten die Ausführungsvorbereitungen nur langsam voran, und die Krisen des Jahren 1830 - sowohl die politischen als auch die Choleraepidemie - ruinierten die Staatsfinanzen 19 . Die zwei Großkirchen erwiesen sich als zu teuer im Verhältnis zu dem pastoralen Nutzen - es ist dies eine der frühesten Kosten-pro-Sitzplatz-Berechnungen im Kirchenbau Deutschlands 20 . Günstiger, nicht nur von der Gesamtsumme der Ausgaben her, erschienen Schinkel dagegen mehrere kleine Kirchen. Im März 1832 wünschte der König daher den Bau von vier kleineren Kirchen, zu denen dann Schinkel wieder fünf Varianten vorlegte 21 . Schinkel fertigte insgesamt also zwei Planserien mit jeweils fünf Entwürfen an. Aus der ersten Serie ist ersichtlich, wie Schinkel diese Aufgabe nutzte, geradezu spielerisch aus verschiedenen Grundideen seine Kirchen aufzubauen - Kirche im Rechteck, in Kreuzform, im Kreisrund und so fort, darin an Leonhard Christoph Sturms gut 100 Jahre ältere Projekte anknüpfend 22 . Dagegen sind die Entwürfe von 1832 alle Varianten eines Typs, die Schinkel entsprechend auch nur mit den Buchstaben A bis E bezeichnete: Ein zweigeschossiger, blockförmiger Baukörper mit flacher Dachneigung, dem eine Apsis angefügt ist. Die Eckkompartimente nehmen kleine Fenster auf, enthalten also Nebenräume oder Treppen zu den Obergeschossen. Wandgliederung, Ornamentik und Fenster werden dann fünfmal variiert: dreimal „Rundbogenstil", zweimal Rechteckfenster mit und ohne kolossale Pilasterordnung (Abb. 9). Wegen des übereinstimmenden Grundrisses ist auch das Innere bei allen fünf Entwürfen in großer Ähnlichkeit entwickelt: Das breitgelagerte Mittelschiff ist von schmalen Seitenschiffen mit Emporen - einmal sogar doppelten Emporen - begleitet, was den doppelstöckigen Aufbau der Außenwand bedingt. Die kleinen Anräume werden als Treppenhäuser am Eingang und als Sakristei und Glockenstube zu Seiten der Apsis verwendet. Kassettendecken, einmal ein offener Dachstuhl, schließen den Bau ab. Als Muster für die Grundidee dieser Entwürfe kommt nur die antik-heidnische Basilika in Frage, so wie man sie aus Vitruv rekonstruierte und mit den großen Bauresten in Trier mit ihren klaren stereometrischen Formen verknüpfte. Der rekonstruierte Plan der Trierer Basilika wurde nur in Kleinigkeiten abgeändert. Statt der schmalen Wendeltreppen zum Beispiel wurden breitere Treppen in eigene Räume gelegt. Das Raumprogramm wurde den Erfordernissen des Kults
18 Franz-Duhme 1991, 60. 19 Franz-Duhme 1991,65-67. 20 Die entsprechenden Sätze Schinkels, bei denen er übrigens von Erfahrungen aus England berichtet, aus den Akten des Ministeriums für öffentliche Arbeiten sind zitiert von Franz Duhme 1991, 67. 21 Franz Duhme 1991, 67-73. 22 Leonhard Christoph Sturm, Vollständige Anweisung alle Arten von Kirchen wohl anzugehen; Augsburg 1718, darin 4. von protestantischen Kirchen mit einer Anzahl geometrisch entwickelter Pläne.
/. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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mit Sakristei und Glockenstube angepaßt. Daß Schinkel nicht nur sklavisch kopierte, versteht sich von selbst und ergibt sich auch daraus, daß er Varianten vorlegte. Das Grundkonzept, die Emporen und Stützen betreffend, hat Schinkel zum Beispiel stark variiert, bald sind es zwei Emporen, bald nur eine; bald gehen die Binnenstützen bis zur Decke durch, bald tragen sie nur die Empore. Im Stil bewegen sich die Formen zwischen Klassizismus und englischer Gotik. Diese Erklärung löst manche bisherigen Widersprüche auf. Bislang hatte man Vorbehalte, diese Kirchen als Basiliken zu bezeichnen, weil der kunstwissenschaftliche Fachterminus, der aus der frühchristlichen Architektur entwickelt wurde, zugrunde gelegt wurde 23 . Goerd Peschken definierte den Typ als „Halle zwischen Kopfbauten" unter den „technoiden Bautypen" Schinkels. Er wollte den Begriff möglichst neutral wählen, weil er diesen Bautyp für die verschiedensten, vor allem profanen Zwecke verwendet sah, von der Wagenremise bis zum Industriebau 24 . Dies trifft natürlich in dieser allgemeinen Art zu. Freilich wird dadurch der sakrale Charakter des Bauwerks negiert; er zeigt sich auch nicht in Treppentürmen und Emporenanlagen, sondern durch die Anfügung der Apsis. Auch das Besondere der zweiten Serie der Vorstadtkirchenentwürfe, ihre blockhafte Gestaltung mit heraustretender halbrunder Apsis, kommt dabei zu kurz. Die Herleitung aus der französischen Architektur vermag ebenfalls nicht so recht zu überzeugen. Es wird zwar immer wieder betont, daß die Vorstadtkirchenentwürfe auf einem der basilikalen Entwürfe zur Potsdamer Nikolaikirche beruhen, und dieser wiederum auf die Pariser Vorortkirche St. Philippe du Roule zurückzuführen ist (Abb. 7, 8) 25 . Richtig ist zweifellos, daß Friedrich Wilhelm III. diese von Chalgrin 1768-74 erbaute Kirche, die er bei seinem Parisaufenthalt 1814 als mustergültige, nach altchristlichem Vorbild neugebaute Basilika kennengelernt hatte, 1826 Schinkel als Vorbild für die neue Nikolaikirche benannte. Schinkel war also gehalten, sich mit diesem Kirchenbau, den der König über alles schätzte, auseinanderzusetzen, und unterbreitete Friedrich Wilhelm dann sechs Blätter, auf denen er fünf eigene Entwürfe dem sechsten Blatt mit St. Philippe du Roule gegenüberstellte. Im Kommentar hielt er aber mit seiner Meinung nicht zurück und kritisierte das französische Vorbild als dürftig und unkirchlich 26 . Schinkel stellte einen Kuppelkirchen- und allein vier Basilika-Entwürfe gegen das französische Vorbild, unter anderem einen Entwurf in „Form einer reinen Basilika" 27 . Schon von der Außenansicht her stehen diese Entwürfe in größtem Gegensatz zu St. Philippe du Roule. Während die französische Kirche aus mehreren verschieden großen und verschieden hohen Baukörpern besteht, die den basilikalen Grundriß verschleiern und die Apsis verstecken, zeichnen sich die Entwürfe II bis V - die basilikalen - durch stereometrische Klarheit, geradezu Strenge aus. Dem blockhaften Körper des Langhauses sind an den Schmalseiten lediglich eine halbrundé Apsis und eine Vorhalle angefügt. In der Tat sind hier die Vorstufen zu den Vorstadtkirchen zu
23 So auch bei Franz-Duhme 1991, 73. 24 Goerd Peschken, Technologische Ästhetik in Schinkels Architektur, in: ZDVKW 22, 1968, 45-81, hier S. 70. 25 Franz-Duhme 1991, 44f. und 78f.; Schinkel Lebenswerk. Potsdam 1939, 15-17. - Zu St. Philippe du Roule und der französischen Architekturdebatte des 18. Jahrhunderts vgl. R. D. Middleton, The Abbé de Cordemoy and the Graeco-Gothic Ideal, in: JWCI 25, 1962, 278-320 und 26, 1963, 90-123. 26 Schinkel Lebenswerk. Potsdam 1939, 12. 27 Schinkel Lebenswerk. Potsdam 1939, 12.
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I. Modellfälle des
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sehen, aber seinerseits vorbildhaft wirkte nicht St. Philippe du Roule, sondern die Trierer Basilica. Die vier Vorstadtkirchen wurden schließlich gebaut, drei nach der zweiten Planserie, die vierte nach einem verkleinerten und der neuen Serie angepaßten Plan des ersten Projektes. Im Sommer 1835 wurden alle vier eingeweiht, jede Woche eine, beginnend mit dem 21. Juni: St. Johannes, St. Elisabeth - benannt nach der Frau des Kronprinzen - , Nazareth und St. Paulus 28 . Sie erfuhren sogleich heftige Kritik, weil sie nicht als Kirchen zu erkennen waren; gibt es einen besseren Beweis, daß es eigentlich Basiliken im antiken Sinne waren 29 ?
Die evangelische Gemeinde in Trier Als Trier und das Trierer Land - bislang rein katholisch - nach der napoleonischen Zeit ein Teil der preußischen Rheinprovinz geworden war, bildete sich sogleich eine evangelische Gemeinde in der Stadt 30 . Zu ihr gehörten zunächst die größtenteils evangelischen preußischen Verwaltungsbeamten; die Soldaten bildeten eine eigene Gemeinde. Da die Gemeinde sehr klein war, wurde das Gemeindeleben intensiv gepflegt und zur Schau gestellt. Trotzdem war das konfessionelle Klima anfangs durchaus von gegenseitiger Duldsamkeit geprägt, vor allem im Gegensatz zu der viel feindseligeren Haltung in den Städten am Rhein. Dem evangelischen Garnisongeistlichen Mühlenhoff ist in diesem Sinne viel zu verdanken. Die ersten Probleme traten auf, als die Gemeinde einen Kirchenraum für sich beanspruchte und um Mitbenutzung der ehemaligen Jesuitenkirche bat, die in dieser Zeit als Kirche des Priesterseminars diente. Dies wurde der evangelischen Gemeinde verweigert, sie selbst lehnte aber auch die Übernahme anderer angebotener Kirchen ab, offenbar wegen der sehr abseitigen Lage außerhalb der Stadt. Nach einigem Hin und Her wandte sich die Gemeinde an den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, als dieser am 22. Juli 1817 Trier besuchte. Sofort setzte er sich für sie ein, und es sollte ein lang anhaltendes Interesse werden. An der Jesuitenkirche wurde nun ein Simultaneum eingerichtet. Da das Priesterseminar seinerseits den Besitz der Kirche aus vorrevolutionärer Zeit nicht per Urkunden nachweisen konnte, bekam die evangelische Gemeinde im Mai 1819 sogar die Kirche allein zugesprochen. Auffällig am Verhalten der evangelischen Gemeinde in dieser Angelegenheit ist ihr ziemlich unduldsames Auftreten. Sie gab sich nicht mit irgendeiner Kirche zufrieden, sondern forderte von Anfang an die Jesuitenkirche. Sie war zunächst sogar mit einem Simultaneum an dieser Kirche zufrieden, was, wie die Praxis immer wieder zeigte, zu ständigen Reibereien zwischen den Konfessionen führte. Der Grund für ihre Forderung muß im Konkurrenzverhalten
28 Schinkel Lebenswerk. Berlin I, 1941, 340. 29 Franz Duhme 1991, 73. - Bereits Eberhard Zahn hatte die Trierer Basilika mit den Vorstadtkirchen verglichen, allerdings nur vom äußeren Erscheinungsbild her: Eberhard Zahn, Macht der stillen Größe, in: Trierischer Volksfreund. Wochenend-Beilage vom 8. Dezember 1958. Eberhard Zahn hatte sich viele Jahre mit der Basilika beschäftigt. Seine Ergebnisse wurden leider nie richtig publiziert. Die manchmal zitierte Dankesgabe für Walter Paatz, Heidelberg 1962 mit einem Aufsatz von Zahn ist nie erschienen, sein Aufsatz jetzt posthum veröffentlicht: Zahn 1991b; der Aufsatz enthält auch eine Zusammenstellung aller derzeit bekannten Pläne des 19. Jahrhunderts zur Basilika. 30 Zenz (Anm. 9), I, 105-111.
I. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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der Konfessionen gesehen werden: Nächst dem Dom war die Kirche, die zunächst den Jesuiten, nach 1773 dem Priesterseminar diente, sozusagen die katholischste der Trierer Kirchen. Es war ein besonderer Triumph der Protestanten, ausgerechnet hier Gottesdienst zu feiern 31 . Das katholische Generalvikariat wollte die Situation so einfach nicht hinnehmen. Nach langem Zögern entschloß es sich sogar, auf gerichtlichem Wege wieder in den Besitz der Kirche zu gelangen, ein Prozeß, der nicht mehr bis zum Schluß durchgefochten werden mußte, denn inzwischen war tatsächlich eine evangelische Kirche im Bau - die Basilika 32 .
Pläne, Politik und Diskussionen um die Basilika Kugler hatte seinen wegweisenden Artikel über die Basilika im Jahr 1842 veröffentlicht. Zu dieser Zeit war er bereits der führende Mann der Berliner Kunstgeschichte 33 . Nach seinem Studium der Kunstgeschichte in Berlin und Heidelberg ging er zusätzlich zur Berliner Bauakademie, um sein Architekturstudium zu vertiefen. Mit dem „Handbuch der Malerei" konnte er 1837 erstmals eine Summe aus der inzwischen angewachsenen Forschung ziehen und systematisch und präzise darstellen. In der gleichen Zeit begann er, die Architektur einzelner Kunstlandschaften aufzuarbeiten. Auch hier erzielte er Ergebnisse, die weit über das bisherige Wissen hinausgingen. In diesem Zusammenhange erhielt er im Jahr 1841 den amtlichen Auftrag, die Rheinprovinz zu bereisen. Wichtigstes Ergebnis der Reise war der Vorschlag Kuglers, nach dem Vorbild Frankreichs eine Denkmalpflegeinstitution zu schaffen. Außerdem öffnete sich ihm der Weg in die preußischen Ministerien. Auf die 1843 eingerichtete Stelle eines „Königlichen Konservators der Kunst-Denkmäler" schlug Kugler Ferdinand von Quast vor 34 . Die beiden hatten sich beim Studium in Berlin Ende der 20er Jahre kennengelernt; ihre Freundschaft sollte das ganze Leben währen. Mit Quast war ein außerordentlich fähiger Architekt auf diese wichtige neue Stelle gesetzt worden. Auf zahlreichen Studienreisen, die ihn schon in jungen Jahren in alle preußischen Provinzen und auch das angrenzende Umland geführt hatten, hatte er sich eine einmalige Denkmälerkenntnis verschafft. Die zahlreichen Skizzen, die er vor Ort angefertigt hatte, waren für ihn oft nach Jahr-
31 Die Ordnung, daß sonntags die Protestanten nach den Katholiken die Kirche benutzen sollten, verstärkte noch das Gefühl der Protestanten, in der Kirche Hausherr zu sein und andere hinaustreiben zu können. Es wird ein Vorfall berichtet, bei dem ein Offizier am Ende einer Messe mit gezogenem Degen den katholischen Geistlichen zugerufen habe: „Meine Herren, machen Sie, daß Sie fortkommen, sonst werde ich Ihnen helfen;" Zenz (Anm. 9), I, 107. 32 Mit dem Tag der Einweihung der Erlöserkirche erließ Friedrich Wilhelm IV. die Order, die Jesuitenkirche wieder zurückzugeben, was dann aber erst im März 1859 geschah; Zenz (Anm. 9), I, 111. 33 Zu Franz Kugler vgl. Kulturmann 1990, 91-92, das bekannte Lebensbild bei Wilhelm Waetzold, Deutsche Kunsthistoriker; Bd. 2, 3. Aufl. Berlin 1986, 143-172; Börsch-Supan 1977, 23-25; Leonore Koschnik, Franz Kugler (1808-1858) als Kunstkritiker und Kulturpolitiker; Diss. Berlin FU 1985 geht nicht auf Trier ein. 34 Rudolf Bergau, Ferdinand von Quast, in: DB Ζ 12, 1878, 86-88, 96-97, 106-108; hier S. 96; derselbe Artikel verkürzt nochmals in: ADB 27, 1888, 26-31. - Neuerdings: Buch 1990, darin Trier S. 62-87. Der Autorin gelingt aufgrund der Akteneinsicht eine genaue Chronologie und Händescheidung. Die hier interessierenden Aspekte (Basilikafrage, Einrichtung, Patrozinium) werden nicht behandelt.
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1. Modellfälle
des
Erlöserpatroziniums
zehnten noch Entscheidungshilfe bei Denkmalpflegefällen. Leider war sein Amt nicht mit den nötigen Mitteln ausgestattet, so daß viele seiner Projekte auf der Strecke blieben. Dazu kam, daß er mit seiner besonderen Art der Belesenheit weit über das übliche Wissen seiner Zeit hinaus Zusammenhänge am Bauwerk erkennen konnte. Seine weniger gut gebildeten Kollegen konnten manche seiner Gedanken nicht nachvollziehen, wodurch er nicht immer das richtige Verständnis bei ihnen gefunden hat. Seine besondere Vorliebe galt der frühchristlichen Baukunst. 1838/39 hatte er eine einjährige Studienreise unternommen, bei der er ganz Italien bereist und sich längere Zeit in Ravenna, Florenz und Rom aufgehalten hatte. In Florenz galt sein Hauptinteresse der Inkrustationsarchitektur des Florentiner Doms und dem Erwerb von Kunstgegenständen des Tre- und Quattrocento f ü r seine eigene Sammlung 3 5 , in R o m den altchristlichen Basiliken. Wichtigstes Ergebnis aber war das Stichwerk der Ravennater Bauten, das er 1842 herausgab. Als Quast sein Amt antrat, war seine erste größere Dienstreise eine Fahrt in die westlichen Provinzen. Sicher war er bei dieser Gelegenheit in Trier. Ins gleiche Jahr fällt auch seine Publikation über den Basilikenbau, Frucht seiner Italienreisen 3 6 . War also das Interesse an der Basilika im fernen Berlin inzwischen stark angestiegen, so galt das gleiche auch für Trier selber. Die Ereignisse der nächsten Jahre sollten sich geradezu überschlagen. Inzwischen war nämlich die Diskussion um die Entstehung der Basilika in größerem Rahmen angelaufen. Durch die Publikation der christlichen Basiliken Roms war f ü r diesen Teil gutes Material vorgelegt worden. Die Architekten Knapp und Gutensohn hatten bereits in den 20er Jahren ein großformatiges Tafelwerk herausgegeben 3 7 , zu dem nun Christian Carl Josias Bunsen 3 8 , der auch das Tafelwerk selber angeregt hatte, nachträglich einen Textband lieferte, der 1842 fertig vorlag 3 9 . Er widmete das Werk seinem König, Friedrich Wilhelm IV. Bunsen kam es dabei nicht so sehr auf eine Darstellung der christlichen Basiliken an, sondern auf die Entwicklungsgeschichte des Typs Basilika durch alle Zeiten, die in der christlichen Basilika gipfelte. Er verfügte dafür über die besten Kenntnisse, war er doch über zwanzig Jahre in R o m gewesen und hatte auch die aktuellen Ausgrabungen auf dem Forum miterlebt, wo zwei antike Basiliken zum Vorschein gekommen waren. Friedrich Wilhelm IV. schätzte ihn zudem sehr, besonders was Theologie und Kirchenbau betraf. Als es um die Ausstattung der neuzubauenden Friedenskirche in Potsdam ging, wurde Bunsen zur Beratung mit dem Architekten Persius hinzugezogen 4 0 . Seine besondere Aktualität hatte das Thema Basilikenbau im Jahre 1823 erhalten, als die letzte, noch aus altchristlicher Zeit stammende Patriarchalbasilika Roms, St. Paul vor den Mauern, abgebrannt war. An den Problemen ihres Wiederaufbaus entzündeten sich die allgemeinen
35 Die Sammlung, der auch Zeichnungen der großen Meister angehören, stellte er in seinem Familienwohnsitz in Radensieben bei Neuruppin auf; dort wurde sie von Fontane gesehen. Die Dorfkirche renovierte er aus eigenen Mitteln und gab ihr liturgische Ausstattungsstücke im ravennatischen Stil. 36 Quast 1845. 37 Gutensohn/Knapp 1822-1826. 38 Zu Bunsen vgl. unten, besonders in Kap. I. 2. und II. 39 Bunsen 1842. 40 Dazu unten Kap. II. 2. Friedenskirche Potsdam.
I. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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Fragen nach dem Aussehen der frühchristlichen Basilika und ihrer Verwendbarkeit im modernen Kirchenbau 41 . Reflexe darauf waren an den meisten europäischen Fürstenhöfen zu spüren, wie die folgenden Beispiele zeigen. Auch Schinkel wurde mit diesem Problem konfrontiert, als er auf Geheiß des preußischen Königs die Ruinen der Kirche im Herbst 1824 besichtigte und aus diesem Anlaß mit dem preußischen Gesandten Bunsen Thesen des christlichen Kultbaus diskutierte 42 . Der mit dem Wiederaufbau der Paulskirche beschäftigte piemontesische Architekt Canina wiederum hatte von seinem Landesherrn den Auftrag erhalten, die Kathedrale seiner Heimatstadt Turin als Basilika neu zu bauen, indes, über eine großformatige literarische Abhandlung über Basiliken kam er nicht hinaus 43 . In München legte der bayerische König Ludwig I. am Tag seiner Silberhochzeit im Jahre 1835 den Grundstein zu der dem heiligen Bonifatius, dem Apostel der Deutschen, geweihten Basilika. Den für die Bauausführung auserkorenen Architekten Ziebland hatte er für mehrere Jahre nach Italien geschickt, damit er die Originalbauten studieren konnte 44 . Doch auch unabhängig von dem Brand der Paulskirche war der frühchristliche Basilikenstil aktuell, wie das Beispiel von St. Vincent-de-Paul in Paris zeigt. Bereits die ersten Pläne von Lepère von 1823/24 sahen eine Basilika vor, der Bau blieb jedoch unausgeführt liegen. Hittorf, der den Auftrag zum Weiterbau 1833 übernommen hatte, schöpfte aus seinen reichen Italien- und Romerfahrungen, als er in seinem neuen Entwurf Elemente der französischen Basilikentradition des 18. Jahrhunderts mit italienischen Bautypen des Mittelalters zu einem aufsehenerregenden Bau verband 45 . Zweierlei bleibt aus dem Gesagten festzuhalten. Erstens ist der Basilikenbau mit einigen Variationen in etlichen europäischen Metropolen im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts modern geworden, und zweitens ging die Initiative dazu immer von den Bauherren aus, meist also dem König. Hier reiht sich das Verhalten der preußischen Herrscherfamilie in den europäischen Kontext ein. Obwohl der Rückbezug auf das frühe Christentum einer offensichtlich weit verbreiteten Geisteshaltung entspricht, finden wir diese Rückbesinnung aber nirgends so radikal durchgeführt wie in Preußen. Nur hier wurde auch auf das Erlöserpatrozinium zurückgegriffen! Von ganz anderer Seite wurde die Sache in Trier angegangen, ging es hier ja nicht um den Neubau einer Basilika, sondern zunächst um die archäologische Aufarbeitung eines Befundes. Das Jahr 1844 sollte entscheidend werden für das künftige Schicksal dieser Basilika. Im Sommer 1844 veröffentlichte der junge Gymnasiallehrer Dr. Jakob Schneider 46 in der Beilage „Philantrop" der Trierer Tageszeitung weitere Aufschlüsse über die Basilika. Nach seinen Ergebnissen sei die Basilika in den Jahren 306/307 von Konstantin als Gerichtsbasilika gebaut worden, als Ersatz für eine andere, die er dem christlichen Kult überwiesen habe 47 . Eine
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Fischer 1980. Schümann 1980, 22-25. Canina 1843. Birgit-Verena Karnapp, Georg Friedrich Ziebland. Studien zu seinem Leben und Werk, in: Oberbayerisches Archiv 104, 1979, 7-116, darin S. 36-48 zu St. Bonifaz. - Dieses besonders eindrucksvolle Beispiel einer Basilika im frühchristlichen Stil wurde im Zweiten Weltkrieg so weit zerstört, daß die meisten Baugedanken heute nicht mehr erkennbar sind. 45 Karl Hammer, Jakob Ignaz Hittorf. Ein Pariser Baumeister 1792-1867 (Pariser Historische Studien 6); Stuttgart 1968, 153-172 und Abb. 84-98. 46 Er beschäftigte sich viel mit der Römerzeit im Trierer Land; Zenz (Anm. 9), I, 169. 47 Mit letzterer könnte der Dom gemeint sein, nach Schneider.
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/. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
Kurzfassung dieses Artikels wurde in Schorns Kunstblatt übernommen, dessen Mitherausgeber zu jener Zeit Kugler war, der inzwischen als Vortragender Rat im Kultusministerium tätig war 48 . Schon vorher war bekannt geworden, daß an der östlichen Seitenmauer der Basilika ein Römerziegel mit einem christlichen Kreuzzeichen gefunden worden sei 49 . Damit schien die Möglichkeit gegeben, daß die Basilika schon einmal einem christlichem Kult gedient hatte. In der Zwischenzeit war die evangelische Gemeinde in Trier wieder auf der Suche nach einem geeigneten Gottesdienstraum, da die immer noch anhängigen Prozesse nicht günstig für sie standen. Nach verschiedenem Hin und Her war von der königlichen Regierung zunächst geplant worden, die Kirche St. Maximin für den evangelischen Gottesdienst herzurichten, dann sollte wegen der besseren Lage im Funkschen Garten ein Neubau errichtet werden; für beide Projekte fertigte Stüler die Pläne 50 . Im Kultusministerium war Kugler für die Angelegenheit zuständig, und er schaltete sich am 16. März 1844 mit einem Promemoria ein, in dem er vermerkt, daß Quast im Herbst 1843 Trier besucht habe; die Untersuchungen der Basilika hätten gezeigt, daß es sich bei dem Bauwerk um eine antike Basilika handele; dieser Wertung stimmte er ausdrücklich zu. Eine Wiederherstellung und Einrichtung als evangelische Kirche wäre auch von den Kosten her durchaus möglich. Die Basilika „ würde zugleich, in der Benutzung des Gebäudes als Kirche, auf die Ursprünge des christlichen Kirchenbaus, der mit dem antiken Basilikenbau entstanden ist, zurückführen. Das letztere dürße umso interessanter sein, als man gegenwärtig gerade diese Ursprünge ins Auge zu fassen und Kirchen nach einer Basiliken-Anlage zu errichten bemüht ist, wie das, soweit mir bekannt, besonders bei den Plänen für den Neubau des hiesigen [- Berliner] Domes der Fall ist51. " Kugler erwähnt noch, daß Quast auch bereits Skizzen angefertigt habe, „in größter Eile", wie Quast selber später bemerkte 52 . Diese überzeugten den König sofort, und so erließ Friedrich Wilhelm IV. am 27. November 1844 die neue Kabinettsordre, daß die Basilika wiederhergestellt und der evangelischen Zivil- und Militärgemeinde übergeben werden sollte 53 . Die Grundidee, die offenbar den König so fasziniert hatte, bestand darin, gleichsam eine frühchristliche Kirche in eine heidnische Basilika einzubauen und damit die Situation der Christen des 4. Jahrhunderts nachzuahmen, von denen bekannt war, daß ihnen öffentliche Gebäude übereignet worden waren. Der Nutzen aus diesem Projekt war also ein mehrfacher: die evangelische Gemeinde erhielt ein Gotteshaus, außerdem konnte ein antiker Gebäudetyp in einem seiner Hauptexemplare rekonstruiert werden, ein in der damaligen Zeit einzigartiger Fall, und nicht zuletzt war die Bauaufgabe von exemplarischer Wichtigkeit für das Berliner Dombauprojekt. Gleichsam überhöht wurden diese so nüchtern erscheinenden Bauaufgaben durch die besondere Art ihrer Verknüpfung: Es wurde eine historische Situation, nämlich die Inbesitznahme
48 Kunstblatt 25, 1844, 388 (Nr. 93). 49 Kunstblatt 25, 1844, 303 (Nr. 73). 50 Ordre von Friedrich Wilhelm IV., Charlottenhof am 20. 11. 1843; Berlin GStAPK Rep. 76 III Sekt. 37 Abt. XX. Nr. 2. Trier Bd. 3, o. Bl. 51 GStAPK (wie Anm. 50), Promemoria vom 16. 3. 1844. 52 Protocoll der II. Section der General-Versammlung des Gesamtvereins der deutschen Alterthumsvereine zu Trier, in: Jahresbericht der Gesellschaft für nützliche Forschungen zu Trier 1872/73, 23-27, darin Quasts Bericht über die Restauration der Basilika. 53 KDM Rheinprovinz 13, 3, III, S. 369-370.
1. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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eines heidnischen Gebäudes durch Christen, die zwar bekannt, aber selten erhalten war 54 , mit einem der prominentesten Zeugnisse der römischen Architektur nachgestellt, „... so daß diese Gemeinde also den Vorzug erhalten wird, eine Kirche, nicht bloß von sehr bedeutender Dimension, sondern zugleich auch eine solche zu besitzen, wie sie die ersten größeren christlichen Gemeinden, denen bekanntlich Gerichtsbasiliken der römischen Städte für ihre kirchlichen Zwecke überwiesen wurden, inne hatten, und die der eigentlich kirchlichen Basilikenform als Vorbild und Muster dienten55." Die Trierer Basilika zeichneten zwei Vorzüge aus, die sie für diese Rolle geradezu prädestinierten. Zum einen war keine der bekannten heidnisch-antiken Basiliken in so großer Höhe erhalten, genauer: in voller Höhe wie in Trier, und zum anderen galt sie inzwischen mit großer Sicherheit als konstantinisches Bauwerk. Wenn man nur ein wenig historisch dachte, dann war es aus diesen zwei Gründen fast zwingend notwendig, den Kircheneinbau in frühchristlichen Formen vorzunehmen. So wurde das Projekt von Quast unter Beibehaltung seiner Grundidee durch den begeisterten König mit Ausschluß aller anderen Behörden zur Ausführung bestimmt. Das Jahr 1844 bedeutete tatsächlich den Höhepunkt der „Basilika-Idee". Schon im folgenden Jahr mehrten sich die Zweifel an Zweckbestimmung und Aussehen des ursprünglichen Gebäudes. Der Architekt Christian Wilhelm Schmidt, der selber die Idee gefördert hatte, die evangelische Gemeinde in der Basilika unterzubringen, hegte erste Bedenken, ob im Innern tatsächlich Säulengalerien gestanden hätten; Ausgrabungen seien notwendig 56 . Im Jahr darauf tagte der französische Archäologenkongreß in Metz. Er wurde bewogen, eine Sitzung in Trier abzuhalten, und willigte ein. Am 8. und 9. Juni 1846 nahmen die französischen und internationalen Fachgelehrten die römischen Ruinen selber in Augenschein und waren sich, wie zu erwarten, nicht einig. Bei der Frage „Palast oder Basilika?" neigte die Mehrheit doch noch der Basilika zu, wie der Berichterstatter notiert, noch spannender war es freilich in den heute als Kaiserthermen identifizierten Ruinen: In einer Ecke lauschte eine Gruppe ergriffen Steininger und ließ sich erklären, warum diese Ruine ein Theater gewesen sein müsse, während gleichzeitig in der anderen Ecke Reichensperger dieselben Ruinen als Palastruinen erläuterte; ein ungenannter Dritter schließlich glaubte tatsächlich, Thermen vor sich zu haben 57 . Schließlich zeichnete sich im Jahr 1847 eine erste Klärung der Basilikafrage durch die bislang gründlichste Arbeit von August Christian A. Zestermann ab. Zestermann war vor allem durch Bunsens Bücher, daneben durch die Publikation von Canina und den Bau von St. Bonifatius in München auf das Problem aufmerksam geworden und bemerkte, daß die Frage nach den Ursprüngen der Basilika offengeblieben war. Seine Arbeit bietet mit einer Fülle von Material den besten Überblick über den Wissensstand der Zeit. Dabei mußte Zestermann fest-
54 Als gut erhaltenes Beispiel galt im 19. Jahrhundert die Kirche S. Urbano alla Caffarella, die nach Seroux d'Agincourt 1823 Taf. Arch. LXIII in einen Tempel eingebaut worden war; vgl. dazu das nächste Kapitel. 55 Die Herstellung der alten Basilika zu Trier, in: Kunstblatt 25, 1844, 422 (Nr. 101 vom 17. 12. 1844). 56 Christian Wilhelm Schmidt, Baudenkmale der römischen Periode und des Mittelalters in Trier und seiner Umgebung; 5 Hefte Trier 1836-1845. Die Basilika wurde im fünften und letzten Heft S. 51-66 besprochen, das 1845 erschienen ist. Zu Schmidt, dem besondere Verdienste um den Dom zukommen, vgl. Zenz (Anm. 9), I, 173. 57 Congrès archéologique de France 1846 (1847), 151-162: Voyage de Metz à Trêves.
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I. Modellfälle des
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stellen, daß in Bezug auf Trier die Basilikathese inzwischen hinfällig geworden war, und zwar durch Untersuchungen von Schmidt und Quast selber 58 . So mußte zwar spätestens 1847 die Basilika-Idee begraben werden, aber damit war das Projekt als solches nicht gefährdet. Denn es war ja zumindest die Grundidee, eine christliche Kirche in ein römisches Gebäude hineinzusetzen, davon unberührt; im Gegenteil: je unwahrscheinlicher die These wurde, daß es sich um eine Basilika handelte, desto höher wurde die Wahrscheinlichkeit, daß es der Rest des Palastes Konstantins des Großen wäre. Quast hatte ausdrücklich versichert, den Bau nach den vorgefundenen Resten wiederaufzubauen. Das bedeutete langwierige Planungen und Planänderungen. Quast ging von einem durchaus modernen Denkmalpflegebegriff aus. Er wollte die antike Mauersubstanz mit den originalen Putzresten, aber auch mit mittelalterlichen Veränderungen und Verstümmelungen erhalten. Die fehlenden Teile, also vor allem die Ost- und die Südwand, sollten unter Beachtung des Grundrisses und der Hauptmaße in angenäherten Formen wiederaufgebaut werden, immer unter dem Prinzip, daß „alles Alte alt, alles Neue neu erscheinen sollte"59. Als Quast im Jahr 1851 die Baustelle besichtigte, fand er zu seinem Entsetzen sämtlichen antiken Putz abgeschlagen, neue wie alte Mauern kaum unterscheidbar und „den urältesten constantinischen Triumphbogen" - den dreifachen Ziegelsteinbogen mit 60 Fuß Spannweite vor der Apsis - durch stümperhafte Arbeit am Boden liegen. Darauf wurde die Bauleitung Oberbaurat Soller übertragen, der jedoch bald starb, und anschließend Stüler, der den Bau „günstig" zu Ende führte. Wenn er dies auch im Sinne von Quast tat, so hat er doch vor allem im Bereich der Dekoration gewisse Änderungen bewirkt 60 .
Die Basilika zum Erlöser Bis zu den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges bot sich im Inneren der Blick auf die Raumfassung Stülers, die in allen wesentlichen Teilen bis zur Einweihung 1856 fertig gewesen ist (Abb. 5). Der mächtige Saalraum ist mit einem offenen Dachstuhl abgeschlossen. Die Apsis, die ebenfalls ein hölzernes Dach trägt, ist um insgesamt dreizehn Stufen über das Hauptschiff erhöht. Große rundbogige Fenster, die durch eine waagerechte und zwei senkrechte Eisenstreben unterteilt sind, lassen viel Licht in den Raum. Kräftige Gesimse markieren die Fenstersohlbänke, laufen auf Höhe der Wölbeanfänge um und markieren die Dachzone. Alle Wände sind einheitlich in streng tektonischer Form mit dunklen Linien auf weißem Grund ausgemalt, wobei die Linien wie die Rahmen der übrigen Flächen wirken. In der Apsis und zu Seiten des Triumphbogens sind unterhalb der Fensterzone insgesamt sieben Ädikulen mit Dreiecksgiebeln angebracht, die halbrunde Nischen rahmen. In ähnlichen Formen, allerdings fast doppelt so groß, ist ein Ziborium über den Altar gestellt. Dagegen nehmen sich die beiden Ambonen an der Brüstung geradezu klein aus. 58 August Christian Zestermann, Die antiken und christlichen Basiliken; Leipzig 1847. Die deutsche Version ist die aus dem Lateinischen übersetzte und vermehrte Version. S. Iff. in der Einleitung schreibt Zestermann über das Zustandekommen des Buches; S. 120ff. über die Basilika in Trier. 59 Protocoll (Anm. 52), 24. 60 Hier ist v. a. die Zurückdrängung des figürlichen Programms und seine Ersetzung durch das streng tektonische Gliederungssystem zu nennen; dazu Buch 1990, 69ff. Die Pläne Stülers wurden beim 8. Deutschen Architektentag im September 1853 in Köln ausgestellt; ZBW 4, 1854, 78-90, hier S. 84; sie sind nicht erhalten; Börsch-Supan 1977, 708.
1. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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Der Charakter der gesamten Innenausmalung sowie -ausstattung ist antiken und frühchristlichen, aber auch mittelalterlichen Vorbildern entlehnt. Der offene Dachstuhl 61 sollte die frühchristliche Architektur in ihrer edlen Einfachheit nachahmen. Die Inkrustationsarchitektur ist nach den Vorbildern von S. Miniato al Monte in Florenz und S. Sabina in Rom ausgeführt worden, wie es in dem Bericht anläßlich der Einweihung heißt 62 . Während der Vergleich mit S. Sabina in Bezug auf die aufgemalte Inkrustationsarchitektur wenig anschaulich ist, sondern viel konkreter in der äußeren Gesamtansicht zu suchen ist 63 , ist der Vergleich mit S. Miniato der heutigen Generation fast selbstverständlich. Aber es ist zu bedenken, daß die Florentiner Kirche arg heruntergekommen war, als Stüler sich dieses Dekorationsschema aussuchte. Erst kurz nach Fertigstellung der Trierer Basilika wurde im Jahr 1858 die Inkrustation im Innern von S. Miniato al Monte nach spärlichen Resten wiederhergestellt 64 . Was uns heute so geläufig erscheint, erforderte damals nicht nur Sachkenntnis, sondern oft auch exzellente Beobachtungsgabe, eigene Objektkenntnis und Forschergeist. An einem anderen Detail wird diese Situation noch klarer verdeutlicht: Die Fensterlaibungen der Basilika sollten ein dunkles Muster erhalten; dies sollte die durch die großen Fenster einströmende Helligkeit ein klein wenig dämpfen 65 . Als Vorbild wählte man die mosaizierten Fensterlaibungen der Hagia Sophia in Konstantinopel. Wie hatte man die Vorlagen dafür erhalten? Die Hagia Sophia war zwar als Bauwerk durch alle Jahrhunderte berühmt gewesen und wurde auch immer wieder vor allem in seiner Großform betrachtet. Aber seit langem war der gesamte christliche Schmuck der byzantinischen Hauptkirche unter Tünche verborgen, um die muslimischen Augen nicht zu beleidigen. Die dringend notwendige Restaurierung der Hagia Sophia, die als Hauptmoschee des Osmanischen Reiches auch von den Türken nicht nur als Kultbau, sondern auch als Kunstwerk ersten Ranges gewürdigt wurde, wurde von dem aufgeklärten Sultan Abdülmecid im Jahr 1847 den Tessiner Baumeisterbrüdern Fossati anvertraut. Die Fossatis, die sowohl statisch wichtiges Mauerwerk als auch die dekorativen Teile zu sichern hatten, rüsteten den gesamten Innenraum bis unter die Kuppelspitze ein und wuschen als erstes die Tünche ab: Für kurze Zeit waren die qualitätvollsten Mosaiken der byzantinischen Hauptkirche zu sehen, bevor die Imams wieder darauf drangen, sie erneut zuzudecken 66 . Die
61 Quast plante zunächst eine Kassettendecke. 62 Basilika Trier 1857, 36. 63 Die Baukörper von hohem Langhauskasten und halbrunder Apsis erheben sich ähnlich würdevoll über ihre Umgebung; als Baumaterial dienten ebenfalls Ziegel; man ziehe zum Vergleich die gute Aufnahme bei Richard Krautheimer, Rom. Schicksal einer Stadt 312-1308; München 1987, 47 heran. 64 Walter und Elisabeth Paatz, Die Kirchen von Florenz; Bd. IV, 1952, 214. Die Restaurierung wird als willkürlich bezeichnet. 65 Basilika Trier 1857, 36. 66 Ergebnis der Fossati-Arbeiten war eine Publikation malerischer Ansichten der Hagia Sophia im Jahr 1852; vgl. jetzt: Fossati 1989; die Taschenbuchausgabe ist mit einem Nachwort von Urs Peschlow versehen, der die Umstände genau erläutert. - Besonders wertvoll wurde uns Fossatis Arbeit, weil er die meisten Mosaiken zeichnerisch festhielt; durch seine Zeichnungen sind uns mehr Mosaiken bekannt als heute erhalten sind, da in der Zwischenzeit weitere Zerstörungen eingetreten sind; sie wurden ausgewertet von Cyril Mango, Materials for the Study of the Mosaics of St. Sophia at Istanbul; Washington 1962; dort weitere Informationen zu Fossati.
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I. Modellfälle des
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sensationelle Nachricht lockte Kunstverständige aus ganz Europa nach Konstantinopel 6 7 . Friedrich Wilhelm IV. schickte seinen Architekten Salzenberg dagegen nicht wegen der Mosaiken, sondern um die Kirche zu vermessen; ihm verdanken wir die für ein halbes Jahrhundert grundlegende Publikation der Hagia Sophia 6 8 . Salzenberg als Architekten interessierte vor allem die Struktur des Bauwerks und die Architekturdekoration; beide Aspekte behandelte er ausführlich in Wort und Bild in seinem Tafelwerk. Mag also das Architekturzitat, das in den Fensterlaibungen der Trierer Basilika wiederzufinden war, bescheiden aussehen: es entsprang der aktuellsten architekturhistorischen Forschung, die noch dazu auf Betreiben des Königs durchgeführt worden war. Sind f ü r die Architektur also zahlreiche, weit verstreute Baudenkmäler maßgeblich gewesen, so lehnte sich die liturgische Ausstattung dagegen stärker an stadtrömische Monumente an. Kanzel und Ambo sind in Art der römischen Cosmatenarbeit gefertigt, das Ziborium entspricht ähnlichen Traditionen; die Ädikulen, die im Halbrund der Apsis den Altar umstehen und später figürlichen Schmuck erhalten sollten, haben ihre Parallelen in den Ädikulen des Pantheon, also wieder eines Bauwerkes, das die Mutation von heidnischem zu christlichem Kultbau vorbildhaft demonstriert 6 9 . Die Wände waren mit Sprüchen aus der Bibel bedeckt, die der König selber ausgesucht beziehungsweise ausdrücklich gebilligt hatte 7 0 . Das Taufbecken hatte eine eigenwillige Form (Abb. 10). Auf einen kurzen, sich stark verjüngenden Säulenschaft war ein antikisches Kapitell aufgesetzt, dessen Oberseite für die Taufschüssel ausgehöhlt war. Damit wurde aber nicht nur die aus dem Mittelalter überlieferte Sitte aufgegriffen, Kapitelle zu Taufbecken umzuarbeiten; hier wurde viel konkreter ein bestimmtes Taufbecken kopiert, und zwar das in S. Prisca in Rom erhaltene (Abb. I I ) 7 1 , das in dem monumentalen Katakombenwerk von Louis Perret kurz zuvor abgebildet worden war 7 2 . Nach alter Überlieferung soll es aus der Katakombe von S. Ponziano stammen, und Petrus soll an ihm die junge Prisca getauft haben 7 3 . Die Räume unter S. Prisca, in denen sich das Taufbecken seit d e m Mittelalter befand, galten außerdem als exzellentes Beispiel einer vorkonstantinischen Hauskir-
67 Einige Berichte gesammelt bei Mango (Anm. 66), 134-140 (u.a. Paul Durand). 68 Salzenberg 1854; dazu: Werner Pollack, „Alt-Christliche Baudenkmale von Constantinopel vom V. bis XII. Jahrhundert" von Wilhelm Salzenberg. 1854. Geschichte eines Architektur-Werks, in: RQ 49, 1954,243-250. 69 Bei der Einweihung 1856 waren die Ädikulen noch leer. Die Ausführung von sieben Statuen Christus nach Thorvaldsen, vier Evangelisten, Petrus und Paulus - zog sich bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hin; Zahn 1991a, 41—42. 70 Alle aufgeführt in: Basilika Trier 1857, 36-37. 71 Die in der Festschrift Basilika Trier 1857, 35 überlieferte Angabe, daß das Vorbild aus den Callixtus-Katakomben in Rom stamme, ist irrig. Der Schreiber, des genauen Sachverhaltes unkundig, übernahm diese Notiz wohl, weil die Entdeckung der Callixtus-Katakombe durch de Rossi 1854 noch in aller Munde war. 72 Louis Perret, Les Catacombes de Rome; 6 Bände Paris 1851-55; unsere Abb. in Bd. III, Taf. XLIX. 73 Diese Legende entzündete sich an der allerdings mittelalterlichen Inschrift auf dem Beckenrand: BACTISMV SCI PET; es dient auch heute wieder als Taufbecken; Geremia Sangiorgi, S. Prisca e il suo Mitreo (Le Chiese di Roma illustrate 101); Rom 1968, 53 und Fig. 18.
1. Die Basilika zum Erlöser in Trier
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che 74 . Das Taufbecken in S. Prisca mußte also als Zeuge der ältesten christlichen Zeit gelten, als die Kirche noch auf Hauskirchen und Katakomben als Versammlungsräume angewiesen war. In diesem Sinne hat auch Seroux d'Agincourt dieses Taufbecken und ein Wasserbecken der S. Ponzians-Katakomben in seine Kunstgeschichte aufgenommen und als Vorläufer der Baptisterien auf einer entsprechenden Tafel abgebildet (Abb. 12)75. Am 28. September 1856 wurde die Basilika eingeweiht. Friedrich Wilhelm IV. gab ihr den Namen „Kirche zum Erlöser". Es war zu diesem Zeitpunkt die größte evangelische Kirche Deutschlands, abgesehen vom Ulmer Münster, für eine der kleinsten Gemeinden im Reich 76 . Sie vermochte den Kirchenraum nur so wenig auszufüllen, daß nach der Einweihung die Kirche mit einem Bretterzaun notdürftig verkleinert wurde, damit die Gemeinde sich darin nicht verliere 77 . Der Bau der Kirche muß also als demonstrativer Akt aufgefaßt werden. War er eine Manifestation des rechten, evangelischen Glaubens, oder hatte er eine andere Bedeutung? Als beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. im Jahre 1840 die Stände dem König huldigten, war auch der Trierer Bischof dabei; er erhielt das Versprechen, daß für die evangelische Gemeinde eine andere Bleibe gesucht würde, damit die Jesuitenkirche bald wieder zurückgegeben werden könne. Dafür war ein Bau wie die Basilika sicher nicht nötig. Erstmals im Zusammenhang mit der Grundsteinlegung zum Weiterbau des Kölner Domes im Jahr 1842 waren Gedanken laut geworden, daß neben dem katholischen Dom im Westen Deutschlands auch eine evangelische Kirche stehen müsse. Unterdessen erlebte der Katholizismus am Rhein einen neuen Aufschwung. Das Heilige Jahr 1825 war besonders feierlich begangen worden; das Kölner Dombaufest 1842 war ebenfalls ein Grund zum Jubel für die Katholiken, zumal es in der Stadt stattfand, wo wenige Jahre zuvor die Kölner Wirren die größte Krise zwischen Staat und Kirche heraufbeschworen hatten und der Bischof sogar ins Gefängnis geworfen worden war, aber es war nicht nur ein katholisches Fest, es war gleichzeitig ein Fest der ganzen Nation 78 . Ein Zeugnis einzig der eigenen
74 Erst im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts - gerade im Jahr 1854 begann mit Giovanni Battista de Rossi die moderne Katakombenforschung, weswegen die Publikation Perrets und unser Fall relativ schnell forschungsgeschichtlich überholt waren - wurde diese Tradition zunehmend angezweifelt, z.B. von Jules Corblet, Histoire dogmatique, liturgique et archéologique du sacrement de Baptême; 2 Bände Paris 1881-82; hier II, 114—115, der vermutet, daß das Taufbecken nach der bereits existierenden Legende geschaffen wurde. - Für Seroux d'Agincourt bildete der Komplex von S. Prisca mit Kirche und Unterkirche-Krypta das beste Beispiel einer Hauskirche; vgl. bei ihm Bd. IV, Tafel Arch. XIII. Die Ausgrabungen des 20. Jahrhunderts konnten das allerdings nicht verifizieren. Die Situation ist zu vergleichen mit dem heute als mehrstöckig bekannten Komplex von S. demente. 75 Seroux d'Agincourt 1823, IV, Taf. Arch. XX: Nr. 1-3 Mögliche Taufanlage in den Katakomben von S. Ponziano vor der Porta Pórtese; Nr. 4-5 Taufbecken von S. Prisca; dann folgen auf derselben Tafel Zentralbauten und Baptisterien. Wichtig war für Seroux d'Agincourt der Entwicklungsgedanke der Kunst, und hier besonders der Übergang vom heidnischen ins christliche Zeitalter; in diesem Sinne sind viele seiner Darstellungen zu verstehen. 76 Nach einer Statistik vom Februar 1856 zählte Trier mit Umgebung zusammen 1628 Seelen; Berlin EZA 7/7817 Bl. 32. Vgl. auch einen Bericht der Vossischen Zeitung vom September 1847, der in: Bonner Jahrbücher 12, 1858, 197 zitiert wird. 77 Die Basilika in Trier (Anm. 1), 286. 78 Für die Bewertung des Kölner Dombaues um 1840 vgl. besonders Thomas Nipperdey, Kirche und
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Kraft dagegen war die Wallfahrt zum Heiligen Rock in Trier im Jahr 1844, bei der innerhalb weniger Wochen über eine Million Pilger in Trier zusammenkamen 79 . Bei dem Heiligen Rock handelt es sich um das sogenannte ungenähte Kleid Christi, das die Soldaten bei der Kreuzigung verlost hatten. Seit dem Spätmittelalter wird er in Trier verehrt. Seine Ausstellung erfolgte unregelmäßig und in großen Abständen; je größer die Abstände, desto erfolgreicher verlief auch die Wallfahrt. Diejenige von 1844 sah aber erstmals eine evangelische Gemeinde innerhalb der Mauern der Bischofsstadt; dadurch war religiöser Zündstoff gelegt, wie die große Zahl evangelischer und katholischer Streitschriften zu diesem Anlaß zeigt 80 . Deswegen ist es sicher kein Zufall, daß die Daten für die Rockwallfahrt - 18. August bis 6. Oktober - und für die Entscheidung zum Ausbau der Basilika - 27. November - so eng beieinander liegen. Wenn dem König auch antikatholische Demonstrationen fernlagen, so mußte doch die erfolgreiche Wallfahrt den Blick gleichzeitig auf die evangelische Einwohnerschaft Triers lenken, die dringend einen Kirchbau benötigte. Der König nutzte den Moment, als die Basilikadiskussion und das Verlangen nach einem evangelischen Kirchenbau auf einem Höhepunkt angelangt waren, blitzschnell aus. Er konnte so schnell und klar entscheiden, weil ihm durch die Vorarbeiten von Kugler und Quast und seine eigenen historischen Studien die Einmaligkeit der Situation bewußt war: Die Basilika galt, wie oben dargelegt, bereits zu dieser Zeit als konstantinischer Bau, noch dazu als ein Staatsbau ersten Ranges. Seit einigen Jahren gehörte Friedrich Wilhelm IV. das Bauwerk, das die Stadt Trier ihm als Kronprinz geschenkt hatte 81 . Er konnte sich im Besitz dieses Bauwerks als Nachfolger Konstantins fühlen und deswegen nun als neuer Konstantin auftreten. Wie Konstantin einst in Rom dem Papst ein Stück kaiserlichen Besitzes schenkte und darauf eine Salvatorkirche errichtete, so konnte Friedrich Wilhelm nun seinen Privatbesitz der neuen Kirche schenken und ihr eine Kirche bauen - eine Salvatorkirche. Diese Gleichsetzung sollte an der Fassade auch bildlich dargestellt werden, wie es eine Zeichnung wahrscheinlich aus dem Jahr 1849 zeigt (Abb. 6): Über den Eingangsportalen waren seitlich eines großen Mittelfensters zwei Nischen vorgesehen, die die Statuen Konstantins und Friedrich Wilhelms erhalten sollten. Wegen der Residenzbauten, besonders der Prunktreppe des 18. Jahrhunderts, die genau den Eingangsbereich der Basilika versperrte, konnte die Fassade jedoch nie in Angriff genommen werden 82 . Als sprachliches Bild war der Vergleich Konstantin - Friedrich Wilhelm IV. den Trierern aber geläufig. Beim Besuch des Monarchen 1852 hatte es geheißen: „... möchte Er auch dereinst, so wie heute in die Mauern der ältesten Stadt seines Landes ein-
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Nationaldenkmal. Der Kölner Dom in den 40er Jahren, in: Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt (Walter Bußmann zum 14. Januar 1979); Stuttgart 1979, 175-202, hier besonders 181 f. Zenz (Anm. 9), I, 120-123. Sie ist aufgeführt bei: Wolfgang Schieder, Der Trierer Wallfahrtsstreit von 1844, in: Kurtrierisches Jahrbuch 14, 1974, 141-170. Die Stadt Trier hatte ihm die römischen Reste 1835 geschenkt; Zahn 1991b, 314. Als einzigen Schmuck konnte die Fassade eine Himmelfahrt Christi hoch oben im Giebelfeld erhalten; dieses Relief hatte der König von der Potsdamer Nikolaikirche übertragen lassen; Schinkel Lebenswerk. Rheinlande 1968, 415 und 417. Auch das Problem des Glockenturmes, für den sich zuletzt Wilhelm II. 1913 einzusetzen versprach, wurde letztendlich nicht gelöst; diese Planungen sind zusammengefaßt und teilweise illustriert in: Zahn 1991a, 43^45.
2. Rom, „S. Salvatore sopra Giove"
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ziehen, um den Schlußstein einem Gebäude einzufügen, dessen Grundstein der mächtigste Beherrscher der Welt, der Kaiser des ungeheuren Römerreichs legte. Das walte Gott. " 8 3 Die Portalflügel dagegen waren Kopien der bronzenen Portale des Aachener Münsters 84 . Eine Legende wollte, daß Karl der Große die Aachener Portale aus Trier habe herbeischaffen lassen. Hier schließt sich der Kreis: Mit Karl dem Großen war das römische Kaisertum auf die germanischen Völker übergegangen. Der preußische König erschien als der legitime Nachfahre der beiden christlichen Herrscher Konstantin und Karl dem Großen. Mit dem Salvatorpatrozinium stellte sich Friedrich Wilhelm in eine ganz spezifische Tradition, mit der er sich auf Konstantin, aber auch auf Karl den Großen berief. Für beide sind Salvatorpatrozinien in größerer Zahl überliefert. Beide Herrscher sind Urbilder des abendländischen, christlichen Herrschers und konnten damit Vorbild für andere Herrscher sein. Während Konstantin als der erste christliche Herrscher gilt, war die wesentliche Rolle Karls des Großen die der Erneuerung des antiken und der Begründung des abendländischen Kaisertums. Die frühchristliche Zeit mit wissenschaftlich fundierten Nachbildungen, besser aber mit authentischen Überresten wieder lebendig zu machen, war ein erklärtes Ziel Friedrich Wilhelms IV. In diesem Fall hat er eine Ruine in ein lebendiges Bauwerk verwandelt, das zwar nicht antik, aber doch antikisch ausgesehen hat, bis eine neuerliche Zerstörung die Schöpfung des 19. Jahrhunderts zunichte machte.
2.
Rom, „S. Salvatore sopra Giove"
Die preußische Gesandtschaftskapelle in Rom nimmt in der preußischen auswärtigen Kirchenpolitik einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten Platz ein 1 . Bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts waren die deutschen Protestanten im Ausland meist auf die schwedischen und niederländischen Gesandtschaftskapellen angewiesen, wenn es um Gottesdienste, Taufen und Beerdigungen, also um die ganze kirchliche Versorgung ging. Nach 1815 löste Preußen Schweden in der Auslandsseelsorge ab. Evangelischen Gottesdienst in Rom, der Hauptstadt des Katholizismus, abzuhalten, gehörte dabei zu den wichtigsten Anliegen. Einen ersten protestantischen Gottesdienst der Deutschen in Rom hatte es anläßlich der 3. Säkularfeier der Reformation am 9. November 1817 gegeben. Der brieflichen Schilderung Bunsens 2 entnehmen wir, daß der Gesandte Preußens, Niebuhr, und dessen Legationssekretär Brandis Anteil an der Idee und seiner Ausführung hatten; die entscheidende Kraft jedoch war Bunsen: als einziger brachte er, zusammen mit seiner Frau, das liturgische Vorwissen mit, um eine solche Feier ohne Prediger gestalten zu können, und schließlich fand die Feier sogar mit ca. 40 Personen in seiner Wohnung im Palazzo Astalli statt, da Niebuhr in seiner exponierten Stellung es nicht gewagt hatte, dafür seine Dienstwohnung zur Verfügung zu stellen.
83 Basilika Trier 1857, 6. 84 KDM Rheinprovinz 13, 3, III, S. 372. 1 Eine vorläufige Fassung dieses Kapitels habe ich bereits in dem Aufsatz: J. K., Die preußische Gesandtschaftskapelle in Rom. Gedanken zu Bunsens Romidee, in: Universeller Geist 1991, 203-220, veröffentlicht. - Als biographisches Nachschlagewerk, Deutsche in Rom betreffend, bleibt Noack unübertroffen. 2 Sein Brief vom 15. November 1817; Bunsen 1868,1, 129f.
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/. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
Christian Carl Josias Bunsen war zu jener Zeit noch als Privatmann in Rom 3 . Als Altphilologe an den Universitäten Marburg und Göttingen ausgebildet, hatte er sich besonders die alten und orientalischen Sprachen zum weiteren Studium ausgesucht. Derentwegen hatte er Reisen nach Paris und Kopenhagen unternommen und war jetzt zu seinem alten Berliner Lehrer Niebuhr nach R o m gekommen, der inzwischen als Gesandter in R o m tätig war. Hier änderte sich seine Situation schnell: Bunsen gab seine großen Reisepläne auf, heiratete die Engländerin Frances Waddington und trat in die Dienste Niebuhrs. Seiner Frau verdankte er die gründliche Kenntnis der anglikanischen Liturgie und Niebuhr seinen steilen Aufstieg in der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan. Für die Deutschen in Rom, besonders f ü r die Protestanten, sollte er zwanzig Jahre lang die prägende Person sein. Die Jubiläumsfeier hatte gezeigt, daß die Notwendigkeit f ü r protestantische Gottesdienste und damit auch für eine Gemeinde durchaus gegeben war. Es sollte aber fast noch zwei Jahre dauern, bis es so weit war. Auf der Basis des Gesandtschaftsrechts, das dem Gesandten Kultusfreiheit zusicherte, ließ nun Niebuhr in seiner Wohnung im Palazzo Orsini-Savelli regelmäßig Gottesdienst abhalten 4 . Die preußische Regierung hatte die Einrichtung einer Predigerstelle genehmigt. Im Juni 1819 kam der junge Theologe Schmieder direkt vom Predigerseminar Wittenberg nach R o m und am 27. Juni begann die Zeit regelmäßiger Gottesdienste 5 . Als Raum wurde einfach das Niebuhrsche Wohnzimmer sonntags mit Stühlen und einem einfachen Tisch hergerichtet, auf dem zwei Leuchter und ein Kruzifix als Altarschmuck dienten 6 . Geradezu schicksalhaft für die weiteren Ereignisse mutet der Besuch des preußischen Königs in R o m Ende 1822 an. Friedrich Wilhelm III., bekannt für seine kirchenpolitischen und liturgischen Interessen 7 , brachte einerseits die von ihm selbst gestaltete neue Berliner Liturgie mit, die Bunsen sogleich kritisieren sollte, andererseits wünschte er für die Gottesdienste kein Provisorium, sondern einen festen Altar. Dadurch mußte die Kapelle in einen anderen Raum verlegt werden, den besten, den Niebuhr hatte, was ihn sehr verärgerte 8 . Auch sonst nicht sonderlich zufrieden mit den römischen Verhältnissen, nutzte Niebuhr die Anwesenheit des Kö-
3 Zu Bunsen existiert keine moderne, umfassende Biographie. Viele Aspekte seines Lebens sind berücksichtigt in den beiden Sammelbänden: Der Gelehrte Diplomat 1980, und: Universeller Geist 1991. 4 Palazzo Orsini-Savelli: das antike Marcellus-Theater am Fuße des Kapitols. - Zum Gottesdienst im Gesandtschaftsrecht: Jürgen Krüger, Deutsche evangelische Kirchen im Ausland - vom einfachen Kapellenbau zur nationalen Selbstdarstellung, in: Geschichte des protestantischen Kirchenbaues 1994, 93-100. 5 Schubert 1930, 27-29. - Zu den Predigern des 19. Jhs., sämtlich bedeutende Vertreter der evangelischen Kirche, vgl.: Peter Maser, Eine protestantische Verschwörung in Rom? Die preußischen Gesandtschaftsprediger in Rom zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: RQ 83, 1988, 180-194. 6 Die Altargeräte waren Geschenke der Gesandten Hollands und Hannovers, von Reinhold und von Reden; Rom DEG, b 44, Bl. 248. Die Altargeräte werden heute in der deutschen evangelischen Kirche aufbewahrt. 7 Die Agende von 1816 führte den seit langem in Berlin unüblichen Altarschmuck wieder ein; der König wünschte ausdrücklich statt eines einfachen Kreuzes ein Kruzifix; Franz-Duhme 1991, 36. 8 Zudem war dies ohne Wissen Niebuhrs geschehen; sein Verhältnis zu Bunsen war in dieser Zeit stark getrübt, da er ihn dafür zumindest teilweise verantwortlich machte; die Einzelheiten gehen v. a. aus Niebuhrs Briefen dieser Monate hervor; vgl. besonders die Briefe vom 18. 1. 1823 an Stein und am 1. 2. 1823 an Dore Hensler in: Niebuhr 1981,1, 828 und 836.
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nigs, um ihn um Urlaub zu bitten. Für Bunsen dagegen war der Aufenthalt des Königs ein großer Erfolg. Er mußte sich ständig in der Umgebung des Königs aufhalten, und offenbar verstand er es viel besser als Niebuhr, die römischen Monumente zu erklären 9 . Zwei Tage nach Abreise des Königs erhielt er die Nachricht, daß er zum Legationsrat befördert sei. Da gleichzeitig Niebuhrs Urlaubsgesuch genehmigt war, fand sich Bunsen plötzlich in der Rolle des stellvertretenden Legationsleiters, und wenig später ersetzte er Niebuhr ganz, da dieser von seinem Urlaub nicht mehr zurückkehren sollte. Mit der Aufgabe der Niebuhrschen Wohnung im Palazzo Orsini mußte eine neue Bleibe für die Kapelle gefunden werden. Bunsen holte sie auf das Kapitol; am 9. Februar 1823 fand der erste Gottesdienst im Palazzo Caffarelli statt.
Kapitol und Palazzo Caffarelli Im Mittelpunkt von Bunsens Denken stand während seines gesamten römischen Aufenthaltes das Kapitol. In einer Mischung aus Romantik und geschichtlichem Erkenntnisdrang, aus Ehrfurcht vor Tradition und dem Willen, Neues zu gestalten, sollte das Kapitol in den folgenden Jahren auf mannigfaltige Weise ausgebaut werden 10 . Der Nordteil des kleinsten der römischen Hügel freilich war fest und großartig bebaut: auf den mächtigen Komplex des Franziskanerkonvents von S. Maria in Aracoeli schloß der Kapitolsplatz mit den drei ihn umgebenden Palästen an; der Südteil jedoch war teils unbebaut, teils stand er zur Disposition. Im Jahre 1538 - im gleichen Jahr, als Papst Paul III. Michelangelo mit der Neugestaltung des Kapitolinischen Platzes beauftragte - hatte Kaiser Karl V. die ganze südliche Hügelhälfte angeblich der stadtrömischen Patrizierfamilie der Caffarelli übereignet, die daraufhin ab 1576 am westlichen Abhang dieses Hügelteils einen Palast erbauten 11 . Zu Bunsens Zeit war Baldassare Caffarelli der letzte seiner aussterbenden Familie und dazu in finanziellen Schwierigkeiten. Diese Situation ausnutzend, gelang es Bunsen, erst Teile, schließlich den ganzen Palast zu mieten. Bereits im November 1817, als Bunsen kurz nach der Reformationsfeier, im 1. Obergeschoß des Palastes einzog, wurden manche seiner Gedanken deutlich, die er mit dem Kapitol verband. Es war nicht allein die Panoramaaussicht, die ihn fesselte, sondern der in einem ganz anderen Sinne alles umfassende Blick über Rom: nach Westen die Paläste und Kirchen des neuen Rom, nach Osten die Ruinen des antiken Rom, das Bewußtsein, genau an der Schnittstelle
9 Als Beispiel sei erwähnt, daß Niebuhr den König verwinkelte und verstaubte Treppen hinaufführte, um ihm ein ganz besonderes Kapitell zu zeigen. Die Antwort des Königs war lakonisch: „Schlechte Steine, in Berlin auch haben, deshalb keine Hühnertreppe steigen, in Rom andere Dinge sehen als Gerümpel ..."; Heinrich W. Thiersch, Friedrich Thierschs Leben; 2 Bände, Leipzig 1866; hier Bd. I, 231; vgl. auch die oben zitierten Briefe Niebuhrs. 10 Ich erwähne nur das evangelische Krankenhaus und vor allem das Deutsche Archäologische Institut, beide auf die Initiative Bunsens hin eingerichtet; letzteres wurde 1829 als Instituto di Corrispondenza gegründet. 11 Der Palazzo Caffarelli gehört nicht zu den anspruchsvollen römischen Stadtpalästen, deswegen wird er kaum in der Literatur erwähnt. Das Haupthaus wurde in Verlängerung des Konservatorenpalastes errichtet; an der Ecke ragt der sog. „Torre di Manlio" hervor, ihm folgt der merkwürdig massige, schiefwinklig angesetzte Querriegel zum Garten. - Die einzige moderne Beschreibung in: Guide Rionali di Roma; Rione Χ - Campitelli, Parte II, a cura di Carlo Pietrangeli (Guide Rionali di Roma, 25); Rom 1976, 117-122.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
dieser beiden Welten zu sein und damit zugleich im wahren Mittelpunkt von allem, im Herzen des antiken und des neuzeitlichen Kaiserreiches 12 . Nachdem er selbst in den Palazzo Caffarelli eingezogen war, sorgte er dafür, daß immer größere Teile von ihm und seiner anwachsenden Familie sowie von seinen Landsleuten bewohnt wurden. Besonders lagen ihm dabei die Künstler am Herzen. So zogen im November 1819 in den obersten Stock die Maler Rehbenitz, Olivier und Schnorr von Carolsfeld ein 13 , wo sie ihre „eigene Wirtschaft" führten, die Schnorr inklusive ihrer italienischen Haushälterin, des „Drachens" Laura, anschaulich beschreibt 14 . Hier lag der Keim zu einer neuen Künstlergruppe, die sich durchaus im Gegensatz zu den zu dieser Zeit schon lange bekannten Nazarenern sah: nicht nur räumlich getrennt, jene am Nordrand der Stadt, diese am südlichen Rande: „ Unsere Landsleute auf Monte Pincio oder, wie man gewöhnlich sagt, auf Trinità di monti (eine Kirche gibt jener Gegend diesen Namen), und daselbst wohnen fast alle, werfen uns im Scherze vor, daß wir eine eigene Partei ausmachen, welche die ihre zu schwächen sucht; wir heißen bei allen die Kapitoliner, wir nennen jene die Trinitasten" schrieb Schnorr seinem Vater und fuhr fort: „Daß wir den Betsaal unserer Gemeinde haben, unseren Pfarrer, und selbst eifrige Kirchgänger sind, auch wohl manchen merken lassen, es sei gut und nützlich, Eifer für göttliche Dinge zu haben, gibt auch leicht Anlaß, uns als eine besondere Partei zu bezeichnen. " 1 5 Die räumliche Trennung der deutschen Künstler in zwei Kolonien hatte - bei allem guten Verständnis der Künstler untereinander - durchaus ernste Züge: es war vor allem eine konfessionelle Aufteilung in zwei Lager, und so wie die Nazarener ihre künstlerische Kraft aus ihrer religiösen Überzeugung schöpften, genauso war für die Kapitoliner die protestantische Kapelle ein Kristallisationspunkt ihres Lebens. Nicht umsonst hatte Bunsen gerade Künstler im Palazzo Caffarelli einquartiert; sie bildeten den Kern der Gemeinde: daß wir drei hier zusammen sind, erleichtert das Bestehen einer evangelischen Gemeine; Friedrich [Olivier] ist Organist, Rehbenitz zieht die Bälge und ich bin Vorsänger," schrieb Schnorr 1822 an Quandt 16 . Wir kennen keine bildliche Darstellung der Kapelle aus Bunsens Zeit, aber mit Hilfe des noch vorhandenen Inventars, vor allem des Taufsteins und liturgischer Quellen können wir uns durchaus ein Bild von dieser Kapelle machen. Bunsen richtete sie im rechten Flügel des Erdge-
12 Er glaubte auch noch, daß Karl V. auf dem Kapitol seinerzeit sein Quartier aufgeschlagen habe, was allerdings aufgrund von Forschungen, die nach Bunsen angestellt wurden, nicht zutreffen kann; so bewahrte für ihn das Kapitol auch die Idee, Herzstück des antiken und neuzeitlichen Kaisertums zu sein; Bunsen 1868,1, 128-129. 13 lulius Schnorr von Carolsfeld, Briefe aus Italien, geschrieben in den Jahren 1817 bis 1827; hg. von Franz Schnorr von Carolsfeld; Gotha 1886; hier S. 9 und Brief vom 1. Januar 1820, ebenda S. 159. 14 Brief von Schnorr von Carolsfeld vom 22. Februar 1820 an seinen Vater, bei Schnorr (Anm. 13), 160-166. - Vgl. dazu Ellen Redlefsen, Schleswig-Holsteiner auf dem Kapitol, in: Nordelbingen 34, 1965, 174-190. 15 Brief an seinen Vater vom 26. August 1820; Schnorr (Anm. 13), 188 (beide Zitate; Hervorhebungen von mir). - Ausführlich geht auch Passavant auf die beiden Künstlerparteien und die kapitolinische Gemeinde ein, bei der er aktiv mitwirkte: Adolph Cornili, Johann David Passavant. Ein Lebensbild (Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt am Main); 2 Bände Frankfurt 1864 und 1865; besonders I, 71f. und 78. 16 Brief vom 11. Januar 1822; Schnorr (Anm. 13), 387.
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schosses ein. Es handelte sich wohl um einen annähernd quadratischen Raum, der durch zwei Fenster Licht erhielt; ein kleiner Vorraum enthielt eine hohe Türe, die auf den kleinen Vorplatz mit der Hauptzufahrt zu dem Palast führte (Abb. 13-14) 17 . Die wohl treffendste Beschreibung des Kapelleninnern finden wir in der Biographie des romantischen Malers Ludwig Richter: „Die höchst einfache Gesandtschaftskapelle in einem Parterrelocal des Palazzo Caffarelli war früher, wie ihr Urbild in Bethlehem, ein Stall gewesen. Vier weiße Wände, ein Altartuch mit Cruzifix und zwei Leuchtern, einige Reihen Stühle, samt der kleinen Hausorgel in einer Ecke bildeten das prosaische Interieur. Ein Sängerchor, größtentheils aus Künstlern bestehend, hatte sich um die Orgel gruppirt. " Und zu ihrer Wirkung: „Die einfache, ja nüchterne Localität bildete einen starken Contrast gegen die Pracht der römischen Kirchen mit ihren pomphaften Gottesdiensten. In Bezug auf Pracht stand die kleine Protestantenkapelle zu der benachbarten, altehrwürdigen Kirche Ara Celi, die auf den Fundamenten des capitolinischen Jupitertempels erbaut ist, vielleicht in einem ähnlichen Verhältnisse, wie vor achtzehnhundert Jahren die versteckten oder nur geduldeten Locale der kleinen Christengemeinde zu jenem Jupitertempel"K. Wir haben keinen Grund, dieser Schilderung des Katholiken(l) Ludwig Richter zu mißtrauen. Als Richter diese Zeilen im Januar 1825 schrieb, hatte er gerade eine religiöse Krise durchlebt; erstmals hatte er sich eine Bibel zum eigenen Studium besorgt und war ab Januar regelmäßiger, geradezu begeisterter Zuhörer der Predigten von Rothe, dem Nachfolger Schmieders. Bei den Dienstagsvorträgen des Gesandtschaftspredigers, die sich meist mit der Kirchengeschichte des ersten und zweiten Jahrhunderts beschäftigten, gehörte er von nun an zum Stamm neben sonst oft wechselnder Zuhörerschaft und fand die Zeit viel sinnvoller ausgenutzt als früher, als er abends mit seinen Freunden in Kneipen gegangen war 19 . Richter war gut unterrichtet, und die mitgeteilten Fakten passen in das bisherige Bild. Daß der Raum als größter im Erdgeschoß und etwas abseitig gelegen als Pferdestall genutzt worden war, ist durchaus glaubhaft 20 . Die Einrichtung der Kapelle beschränkte sich auf das liturgisch Notwendige, nämlich den Altartisch mit Kruzifix und einem Leuchterpaar und den Sängerchor, so wie es die neue Agende Friedrich Wilhelms III. vorschrieb; im übrigen war der Raum weiß getüncht.
17 Theodor Rehbenitz hielt in mehreren Zeichnungen das Äußere des später stark veränderten Palazzo Caffarelli fest; vgl. jetzt: Telse Wolf-Timm, Theodor Rehbenitz 1759-1861. Persönlichkeit und Werk, mit kritischem Werkkatalog (Schriften der Kunsthalle zu Kiel; 10); Kiel 1991, Nr. 596-597, 729-731. Die ersten beiden Blätter zeigen die Palastfront mit Tür und zwei Fenstern an der rechten und den Hauptzugang zum Palast an der linken Seite, darüber zwei Wappenschilde als Zeichen der Gesandtschaft (also erst 1823, nach Niebuhrs Weggang, möglich). 18 Ludwig Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers; hg. von Heinrich Richter; 4., verm. Aufl. Frankfurt/Main 1886, 192 und 193. 19 Trotzdem blieb er Katholik. An den Vorträgen hatte er lediglich zu bemängeln, daß sie ,für uns Maler zu wenig Fleisch und Bein" hatten; Richter (Anm. 18), 191. 20 Die Zeichnung von Rehbenitz (Anm. 17), Nr. 596 zeigt ein Pferdegespann vor dem Palast. Der Palazzo Caffarelli war seit 1692 über eine Fahrstraße, die Via delle tre pile, auch für Pferde und Kutschen erreichbar, die Michelangelos Rampe zum Kapitol nicht nehmen konnten. Sie gehörte zu den steilsten Straßens Roms, so daß die Römer dort die Kräfte ihrer Pferde maßen: ,11 cavallo ha fatto le tre pile' war dann der Erfolgsruf, berichtet der preußische Gesandte Kurd von Schlözer, Römische Briefe 1864-1869; hg. von Karl von Schlözer; 6. Aufl. Stuttgart 1914, 320-321
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Die Schlichtheit, die in dieser Kapelle also aufs Äußerste getrieben wurde, mußte gerade einem Katholiken in einer Stadt wie Rom, die in ihren Kirchen den Inbegriff barocker Dekorationskunst verkörperte, doppelt einprägsam sein 21 . Die Vergleiche, die Richter zu ihrer Charakterisierung anstellte, haben in ihrer scheinbaren Zufälligkeit doch ein ganz bestimmtes Ziel, und wir werden bald sehen, daß diese Gedanken eng mit der Gedankenwelt des Predigers Rothe und vor allem Bunsens zusammenhängen. In verschiedenen Bildern griff Richter auf Situationen des frühen Christentums zurück: der Stall von Bethlehem, das kleine, versteckte Lokal gegenüber den Prunkbauten des kaiserzeitlichen Rom spiegelt die Rolle des frühen Christentums in den Zeiten der Verfolgung der ersten Jahrhunderte. Das war auch das Thema der Vorlesungen Rothes, genau das war aber auch die Situation der protestantischen Kapelle in Rom: versteckt, durch kein Zeichen von außen zu erkennen, wirksam nur, solange der preußische Gesandte in Rom war, verfolgt und den „Proselytenmachern" ausgesetzt, sobald man den Schutz der Gesandtschaft verließ. Verdichtet wurde dieses Bild und in sich kunstvoll verschränkt dadurch, daß alle Beispiele zwei in einem sind: Sie sind Hauptvertreter ihrer Gattung und befinden sich zugleich auf dem Kapitolinischen Hügel: Der Jupitertempel als Tempel des höchsten Staatsgottes des alten Rom 22 , S. Maria in Aracoeli als Typ der großen Basilika des Mittelalters, die von einem kleinen Ursprungsbau bis zur barocken Prachtausstattung die katholische Kirche vertritt, und die protestantische Kapelle, die als kleinstes, unscheinbarstes Stück neben dem bestehenden und vergangenen Pomp die bescheidenste Rolle spielt, aber, wie die Kirchengeschichte zeigte, in der Rolle der urchristlichen Keimzelle Träger der größten Hoffnungen sein durfte. Alle diese Monumente sind auch baulich ineinander verquickt, so daß das Kapitol als Ganzes sich als Spiegelbild der Weltreligionsgeschichte erweist. Das Kapitol im Mittelpunkt der Welt: Das war Bunsens Idee! Das Kapitol war für ihn Inbegriff historischer Kontinuität, verdichteter Geschichte für Rom, Europa, die Welt schlechthin. Mit dieser historischen Vorstellung war er nach Rom gekommen; nach wenigen Monaten wohnte er bereits dort oben, und von nun an stand das Kapitol im Zentrum seiner Interessen. Gleich in der Anfangszeit von Bunsens Aufenthalt begann das Projekt, eine aktualisierte „Beschreibung der Stadt Rom" herauszugeben, eine Aufgabe, die er sich mit Niebuhr, Brandis und Platner teilen wollte 23 . Der Buchhändler Cotta war rasch dafür eingenommen, doch sollten bis zur Drucklegung des zuletzt fünfbändigen Werkes insgesamt zwanzig Jahre vergehen und mancher Autor abspringen und andere dazukommen. Der einzig konstante dabei war Bunsen, dem viele der wichtigen Passagen zu verdanken sind. Im Mittelpunkt seines Interesses stand das Kapitol, wie er in einem Brief des Jahres 1834 an Arnold schilderte: „Der Februar ist bestimmt für die Vollendung des römischen Werkes, ... Dieser letztere (Band) beschreibt mein theures Capitol, den angebeteten Platz auf der Erde, die Scene so mancher Segnungen, für die ich nie dankbar genug sein kann. Ich habe zu dem Bande eine Einleitung con amore ge-
l l Auch an frühchristlichen und mittelalterlichen Kirchen war schon aus konservatorischen Gründen in späterer Zeit vielfach weitergebaut worden; die Bauten hatten vor allem in der Barockzeit eine moderne, sprich: barocke Dekoration erhalten, meist unter Schonung der alten Bausubstanz, was ihre Repristinierung im 20. Jahrhundert erleichterte. 22 Richter lokalisiert den Jupitertempel noch falsch unter der Kirche S. Maria in Aracoeli; dazu weiter unten. 23 Bunsen 1868 I, 338-340 und Niebuhr 1981, I, 2, 708-711 über die Geschichte dieses Projektes.
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schrieben, als ein Zeugniß meiner Zuneigung zu dem Orte und zu Niebuhr ... " 2 4 Die Einleitung zum 3. Band, der schließlich 1837 erschienen ist, läßt seine Vorliebe für diesen Hügel über sieben Seiten lang spüren und ist wohl geeignet, dieselben Gefühle beim Leser zu wecken: „Das Capitol, der höchsten Götter Sitz; das Forum, des römischen Volkes bürgerliches Heiligthum; der Palatin, die Wiege und das Stammhaus der Weltherrscher, gehören nicht der Stadt Rom allein, sondern der gesamten Menschheit an. ... O rührendes, erhabenes Bild der Hinfälligkeit aller menschlichen Dinge! Angelpunkt und Grab der Welt!... "25 Gleich das erste Kapitel brachte einen der entscheidenden Fortschritte des Bunsenschen Werkes gegenüber den früheren Rombeschreibungen, und zwar eine Entscheidung in der strittigen Frage die Topographie des kapitolinischen Hügels betreffend 26 : Der in südwestlich-nordöstlicher Richtung langgestreckte Hügel bildet zwei Kuppen zu beiden Seiten eines Sattels; aus antiken Schriftquellen wußte man von der Existenz zweier bedeutender Anlagen auf dem Kapitol, und zwar der Burg und des Tempels des Jupiter Optimus Maximus; jedoch war die genaue Zuweisung der beiden Objekte zu den Hügelspitzen strittig 27 . Mit einer exakten Analyse der historischen Texte, und das war die Methode, die er als Altphilologe gelernt und die auch Niebuhr für seine Römische Geschichte angewandt hatte, mit einer solchen Analyse also gelang es Bunsen, diese Frage zu klären, und zwar mit dem Ergebnis, daß die Arx bei S. Maria in Aracoeli zu lokalisieren ist und der Jupitertempel - unter „seinem" Palazzo Caffarelli! Und so erkannte er Mauern im Garten des Palastes als die Cellamauern und identifizierte auch bei offenbar sehr punktuellen Ausgrabungen, die zu seiner Zeit stattfanden, Teile des Unterbaus des Tempels (Abb. 13) 28 . Bunsen wußte also sehr wohl, wo er sich befand: „Das Capitol, der höchsten Götter Sitz...". Und damit erhält auch die Schilderung Ludwig Richters eine weitere Pointe 29 : Die evangelische Kapelle erschien nun gleichgesetzt mit Zuständen aus der Zeit der Evangelien, nämlich einerseits, indem sie in einen Stall (des Palazzo Caffarelli) hineingebaut wurde und damit auf Christi Geburtsort verwies, und zum anderen, daß sie sich in den Ruinen eines heidnischen Tempels, und zwar des höchsten römischen Staatsgottes, eingenistet und sich dadurch als die wahrhaft siegreiche Religion erwiesen hatte.
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Bunsen 1868,1,437. Beschreibung Rom 1829, III, 1, S. 3 und 9. Beschreibung Rom 1829, III, 1, 14-24: Der capitolinische Jupitertempel, von Bunsen verfaßt. Volkmann 1770 bietet den Stand des Wissens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; zum Kapitol vgl. Band II, 470ff. 28 Beschreibung Rom 1829, III, 1, 23. - Der Kasseler Architekt Gottlob Engelhard, ab 1834 in Rom, rekonstruierte den Tempelgrundriß innerhalb des Palazzo Caffarelli; vgl. die Abb. bei Krüger (Anm. 1), 212. 29 Der er sich wahrscheinlich noch gar nicht bewußt sein konnte. Es ist anzunehmen, daß Bunsen erst nach Richters Abreise 1826 diese genaue Lokalisierung erkannte; die von ihm beobachteten Ausgrabungen fanden 1828 und 1833 statt.
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Erlöserpatroziniums
Bunsens Taufstein und Liturgie Das größte Ausstattungsstück für Bunsens Kapelle sollte der Taufstein werden (Abb. 15). Das Bedürfnis nach einer evangelischen Taufe war geradezu ein konstitutierendes Element für die protestantische Gemeinde in Rom. Bereits vor den ersten regelmäßigen Gottesdiensten Schmieders wurden meist von englischen Predigern Haustaufen durchgeführt; sobald die Gesandtschaftskapelle in Niebuhrs Wohnung eingerichtet war, war die Kapelle der normale Taufort. W a r u m es dann noch so lange - bis 1832 - dauerte, bis ein definitiver Taufstein aufgestellt wurde, ist bislang unbekannt, ebenso wie der Auftrag zustandekam. Der Taufstein, der sich heute in der Deutschen Evangelischen Kirche in Rom befindet, ist das von Thorvaldsen geschaffene Tonmodell f ü r ein Marmorexemplar, das in der Domkirche zu Reykjavik steht. Der Unterbau hat streng geometrische Quaderform; die vier Seiten sind mit Reliefs besetzt, auf der Oberseite ist ein Blumenkranz im Halbrelief ausgeführt. In den Blumenkranz hineingestellt wurde die eigentliche bronzene Taufschale, ein Werk für sich, das weiter unten besprochen wird. Das Relief der Hauptansichtsseite zeigt die Taufe Christi im Jordan, rechts daneben die sitzende Maria mit Jesus auf dem Schoß und dem stehenden Johannesknaben, zur anderen Seite hin den sitzenden Christus mit zwei Kindern; auf der vierten Seite schweben drei Putten, unter denen eine Inschrift in großen Antiquabuchstaben die Bestimmung des Originales verrät 3 0 . Auf die Geschichte dieses Taufsteins und die ihrer Repliken soll nur in aller Kürze eingegangen werden, wichtiger erscheinen Fragen nach Form und Aussagekraft dieses Taufsteins, die in der bisherigen Thorvaldsenliteratur kaum behandelt wurden 3 1 . Thorvaldsen war 1797 mit einem mehrjährigen Stipendium der Kopenhagener Akademie nach R o m gekommen; als sich sein Stipendium d e m Ende zuneigte, er aber kein Interesse zeigte zurückzukehren, mußte er mit Auftragsarbeiten versuchen, seinen Unterhalt zu sichern. So bekam er im Jahr 1804 durch Vermittlung des dänischen Gesandten in der Toscana, Baron von Schubart, den Auftrag zu einem Taufstein für die Schloßkirche in Brahetrolleborg auf Fünen. An diesem Auftrag, der ihn viele Jahre, allerdings nie sehr intensiv, beschäftigen sollte, weitete er die vorgegebene Idee einer marmornen Taufvase in mehreren Stufen bis zu d e m kantigen reliefierten Block, den wir auch in Rom haben, aus. 1808 war das endgültige Modell offenbar fertig, erst 1815 aber wurde die Marmorausführung mit großem Erfolg in Kopenhagen ausgestellt, um dann 1817 endlich in Brahetrolleborg an Ort und Stelle zu kommen 3 2 . In den Jahren 1822 und später ließ er mehrere Repliken mit geringen Variationen in seiner Werkstatt ausführen; die
30 OPVS HOC ROMAE FECIT / ET ISLANDIAE / TERRAE SIBI GENTILICIAE / PIETATIS CAVSA DONA V I T / ALBERTVS THORVALDSEN/ A MDCCCXXVII, das heißt: Dieses Werk schuf zu Rom / Und für Island / Seiner Vorfahren Land / Schenkte es aus Ehrfurcht / Albertus Thorvaldsen / Im Jahre 1827. 31 Die eingehendste Schilderung jetzt bei Karlheinz Hemmeter, Studien zu Reliefs von Thorvaldsen. Auftraggeber - Künstler - Werkgenese: Idee und Ausführung (Beiträge zur Kunstgeschichte, Band 1); Diss. phil. München 1983; München 1984, 1-93. Die hier interessierenden Fragen: Form des Taufsteins und Repliken werden nicht behandelt. 32 Die grundlegenden chronologischen Informationen nach wie vor bei Just Mathias Thiele, Thorvaldsen's Leben; deutsch von Henrik Helms; 3 Bände Leipzig 1852-1856; besonders I, 111 (Auftrag 1804), 152ff. (Maria-Johannes-Jesus-Relief, 1806), 160 (Christus und die Kinder, 3 Putten, 1807), 259ff. (Ausstellung Kopenhagen 1815).
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eine war bereits als Geschenk für seine isländische Heimat bestimmt 33 und stand offenbar bis 1827/28 mehr oder weniger fertig in seiner Werkstatt 34 . Das Exemplar der Gesandtschaftskapelle 35 diente als Modell für das Island-Stück und wurde bei dessen Fertigstellung disponibel; so konnte es der Engländer Philipp Pusey im April 1828 erwerben und der Gemeinde anläßlich seiner plötzlichen Abreise nach 6jährigem Aufenthalt in Rom stiften 36 . Pusey pflegte eine intensive Freundschaft mit Bunsen, die beide bei Bunsens Aufenthalt in England dann fortsetzen konnten. Basis ihrer gemeinsamen Interessen waren religiöse Gespräche und vor allem liturgische Fragen. So wie die Bildhaueraufgabe eines Taufsteines für den Klassizismus eine ungewöhnliche ist, so ungewöhnlich ist auch die Lösung Thorvaldsens, die mit der traditionellen Taufsteinikonographie nichts gemein hat. Während die herkömmlichen Taufbecken oder später Taufsteine seit dem Mittelalter die symbolisch bestimmte achteckige Beckenform beibehielten und durch den unteren Einzug des Beckenfußes einen bequemen Zugang zur Taufe zuließen, wurde im ausgehenden 18. Jahrhundert die Vasenform modern, an die auch die Stifterin des Brahetrolleborger Modells gedacht hatte. Doch auch damit hat Thorvaldsens Lösung nichts gemeinsam. Die Grundform, die Thorvaldsen, nach den wenigen überlieferten Skizzen zu urteilen, schon in einem sehr frühen Stadium der Entwürfe bevorzugte 37 , ist die eines quaderförmigen, hochrechteckigen Steins: das ist die einfachste architektonische Form eines antiken Altares! Der Blumenkranz als Opfergabe auf der Oberseite verdeutlicht das zusätzlich. Die Grundidee Thorvaldsens ist danach also die Überwindung des antiken Altares durch Anbringung christlicher Szenen; die Taufe ersetzt und verdeckt im wörtlichen Sinne die antike Blumenspende oder andere Opferriten; und in der Tat enthält der Taufritus ja Exorzismen. Daß Thorvaldsen dieses Gedankengut nicht als einziger in liturgische Geräte umformte, zeigt der sächsische Bildhauer Franz Pettrich, der als Unterbau eines Taufbeckens den delphischen Dreifuß wählte 38 . Dieses
33 Thiele (Anm. 32) II, 88 und 170. über den Verbleib der anderen Kopien ist nichts Genaues bekannt; von 1822 stammen evtl. die Teilreliefs des Taufsteins der Schönbornschen Sammlungen, abgebildet und besprochen in: Berthel Thorvaldsen. Skulpturen, Modelle, Bozzetti, Handzeichnungen; Ausstellungskatalog Köln 1977, 216-217. 34 Thiele (Anm. 32), 172: Im Frühjahr 1828 schlug er vor, falls sein Taufstein für die Kopenhagener Frauenkirche nicht rechtzeitig fertig würde, könne vorläufig dieser für Island bestimmte benutzt werden. Ein prächtiges Bild von Thorvaldsens Atelier, anläßlich des Besuches Leos XII. im Oktober 1826 von Hans Detlev Christian Martens gemalt, zeigt den Taufstein im Vordergrund rechts; die schemenhaft erkennbare Inschrift ist offenbar die für Island bestimmte; gute Abb. in: Bertel Thorvaldsen 1770-1844 scultore danese a Roma; Ausstellungskatalog Rom 1989, 189. 35 Weitere motivgleiche Taufsteine existieren im Kopenhagener Thorvaldsenmuseum, in der Kopenhagener Heiliggeistkirche und in Reykjavik. 36 Philipp war der Bruder des bekannteren Edward Pusey, der durch seine hochkirchliche Bewegung in Oxford in der Umgebung des späteren katholischen Kardinals Newman bekannt wurde; zu Philipp vgl. die Angaben im DNB Bd. 47, 61-64. 37 Das zeigen die von Hemmeter (Anm. 31) veröffentlichten Skizzen. 38 1822 in Rom ausgeführt; Hans Geller, Franz und Ferdinand Pettrich. Zwei sächsiche Bildhauer aus der Zeit des Klassizismus; Dresden 1955, Abb. 45.
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I. Modellfälle
des
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Darstellungskonzept muß auch Bunsen sofort eingeleuchtet haben, als er den Taufstein zum ersten Mal sah 3 9 , denn er paßte vorzüglich in seine Ideenwelt. Mit Thorvaldsens Taufstein erhielt Bunsens Kapitol-Idee nochmals eine Steigerung. Inzwischen war ihm wohl zur Gewißheit geworden, daß der Palazzo Caffarelli und damit die Kapelle in den Ruinen des Jupitertempels eingerichtet war 4 0 . Mit dem Altar-Taufstein wurde damit der alte Tempelkult als besiegter Kult wieder präsent, und zugleich auf einen anderen Altar auf d e m Kapitol verwiesen: Die Kirche S. Maria in Aracoeli besaß die „Ära Coeli", den sogenannten Himmelsaltar. Daran knüpft sich die mittelalterliche Legende, nach der dem auf d e m Kapitol wohnenden Kaiser Augustus über dem bewußten Altar die Muttergottes mit dem Christuskind erschienen sei, um auf die wahre Herrschaft hinzuweisen und über eine Himmelsleiter auf die Erde niederzusteigen 4 1 . Als Rest des Hauses des Augustus wird heute noch eine Säule des Langhauses der Kirche mit der Aufschrift A C V B I C V L O A V G V S T O R V M gezeigt. Dagegen konnte Bunsen darauf hinweisen, daß der legendäre Altar sich zwar in „Aracoeli" befände, der wahre aber bei ihm in Thorvaldsens Taufstein zu finden sei. Und wenn das „Bambino G e s ü " alljährlich in „Aracoeli" zu Weihnachten erschien: wäre es eigentlich nicht besser in dem ehemaligen Stall gegenüber aufgehoben? Auch das Haus des Augustus, mag es früher auf der anderen Hügelspitze gewesen sein: bereits Kaiser Karl V. hatte, so glaubte man im 19. Jahrhundert noch, auf dem Gelände des Palazzo Caffarelli gewohnt und damit die Tradition des Kaisersitzes auf die südliche Hügelhälfte verlegt; der preußische Adler, der an der Außenseite des Palastes als Hoheitszeichen für die Gesandtschaft der führenden Macht Deutschlands prangte, hatte den Adler Jupiters verdrängt; nein, nicht verdrängt: ersetzt, im Sinne von Bunsens Kontinuitätsdenken. Aber noch mit einer weiteren, viel konkreteren Sinnschicht fügte sich der Taufstein in die damalige Gedankenwelt und speziell Bunsens Denken ein. Das Bild des heidnischen Altares, der christlich neu genutzt wird, zusammen mit dem umgebenden Raum, der sich vom Tempel zur Kirche wandelt, war nicht fiktiv: in Rom konnte man für diesen historischen Ablauf Beispiele finden. Seroux d'Agincourt hatte in seiner entwicklungsgeschichtlich angelegten Kunstgeschichte eine ganze Tafel dem sogenannten „Tempio della Caffarella" gewidmet, eines „der ersten Beispiele von einem heidnischen Tempel, welcher dem christlichen Cultus geheiligt wurde", wie es in der von Quast besorgten deutschen Ausgabe von 1840 heißt (Abb. 16) 42 . Seroux d'Agincourt bildete auch den runden antiken Altar ab, der nachträglich eine Vertiefung erhielt und so der S. Urbano alla Caffarella genannten Kirche als Weihwasserbecken diente. Im frühen 19. Jahrhundert galt dieser Bau nahe der Via Appia als Tempel der Honos und der Virtus, und einem von Quintus Fabius Rullianus eingeführten Brauch zufolge, der Transvectio equitum, zog jedes Jahr die römische Ritterschaft von diesem Tempel zum Jupitertempel auf
39 Das könnte schon bei seinem Kopenhagen-Aufenthalt 1814 gewesen sein; spätestens jedenfalls ab 1822 in Rom, als der nächste Taufstein in Arbeit war und Bunsen auch zu den Besuchern seines Ateliers gehörte. 40 Die ersten Nachschürfungen hatten, wie erwähnt, 1828 stattgefunden. 41 Die Legende existiert in verschiedenen Varianten. - Lajos Vayer, L'Affresco absidiale di Pietro Cavallini nella Chiesa di S. Maria in Aracoeli a Roma, in: Acta Historiae Artium Academiae Scientiarum Hungaricae 9, 1963, 39-73. 42 Seroux d'Agincourt 1823, IV, Taf. Arch. XX.
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dem Kapitol 43 . So waren beide Tempel, der bescheidene vor den Toren der Stadt und der Jupitertempel, bereits durch die antike Funktion miteinander verbunden und teilten in gewisser Weise auch das spätere Schicksal: beide gingen im 16. Jahrhundert in den Besitz der Familie Caffarelli über 44 , und beide wurden christianisiert, der eine im Mittelalter, der andere von Bunsen. Stärkstes Bindeglied, das die Verknüpfung augenfällig macht, ist aber Thorvaldsens Altar, den Bunsen durch eine daraufgesetzte Schale in einen Taufstein verwandelte. Die Taufschale hatte der Architekt Michael Knapp entworfen und der Bronzegießer Wilhelm Hopfgarten in vergoldeter Bronze angefertigt. Sie enthält im Boden um das Christusmonogramm herum zwei umlaufende Inschriften; aus den glatten Schüsselwangen steigt ein Blattkranz hoch, der rings überfällt und Symbol des Leben und Kraft spendenden Wassers ist. Die beiden Inschriften auf dem Schüsselboden lauten: Fons hic est vitae qui totum deluit orbem, Sumens de Christi vulnere principium, Nulla renascentum est distantia, quos facit unum Unus fons, unus spiritus, una fides. [Dies ist die Quelle des Lebens, die entsühnt den ganzen Erdkreis: Von Christi Wunde her nahm sie den Lauf. Kein Unterschied ist unter Wiedergeborenen, die zur Einheit schafft Der eine Quell, der eine Geist, ein Glaube allein] 45 Kommt her zu dieser Quelle, Die lauter, rein und helle Durchs Wort des Lebens fleußt: Hier ist für eure Sünden Erwünschter Rath zu finden, Der euch dem ew'gen Tod entreißt. Bunsen hatte die Schale zu stiften schon lange gelobt 46 . Vier Jahre nach Puseys Abreise war es soweit. Am 19. Februar 1832 wurden seine jüngsten Zwillinge auf die Namen Theodor und Theodora getauft - Gottesgabe also 47 . Mit den Namen seiner Kinder hat Bunsen so zwischen
43 Ennio Quirino Visconti, Opere varie italiane e francesi; ed. Giovanni Labus 2 Bände Mailand 1829, hier 11,413. 44 Der Tempel wird heute freilich als Grabbau des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts identifiziert, der Altar wurde nachträglich hierher verschleppt (anläßlich der Einrichtung der Kirche im 9. Jh.?). Den modernen Wissensstand bietet Heike Kammerer-Grothaus, Der Deus Rediculus im Triopion des Herodes Atticus, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Römische Abteilung 81, 1974, besonders S. 132 (Caffarelli) und S. 154-158 (S. Urbano alla Caffarella). 45 Übersetzung von Dölger (Anm. 48). 46 Bunsen 1868,1, 386. 47 Die Eltern hatten zwischen den Namenspaaren Cornelius - Cornelia, Constantin - Constanze und Theodor - Theodora geschwankt, und sich schließlich für letztere entschieden „als unseren Gefühlen inbezug auf den reichen Segen am besten entsprechend, denn beide Namen bedeuten Gottesgabe"; Brief Bunsens an seine Schwiegermutter vom 24. Januar 1832; Frances Bunsen 1899,1, 255. - Pusey, der Stifter des Taufsteins, und der Maler Rehbenitz waren die Taufpaten.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
dem Altar des Jupitertempels, dem Himmelsaltar von „Aracoeli" und dem der eigenen Kapelle die Entscheidung getroffen, welcher der Altäre der würdigere sei. Erst die Taufschale gab Thorvaldsens Stein die liturgische Funktion; den Inschriften kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Bei einer zweisprachigen Inschrift erwartet man, daß die eine die Übersetzung der anderen sei. Das trifft hier aber nicht zu, beide Inschriften haben vielmehr ganz verschiedene Wurzeln. Die lateinische Inschrift ist nämlich ein Teil der großen Inschrift, die sich am Architrav des Lateranbaptisteriums befindet 48 . Zwar wurde sie erst im 5. Jahrhundert unter Sixtus III. dort angebracht, aber mit diesem Ort, dem Baptisterium der Laterankirche, ist der erste monumentale Taufort der Christenheit gemeint, der zudem mit den Bauten Konstantins und sogar mit seiner Taufe verknüpft ist. Die deutschen Verse dagegen sind höchstwahrscheinlich von Bunsen selbst gedichtet worden, als Tauflied, das nach der Melodie von Paul Gerhardts Abendlied „Nun ruhen alle Wälder" zu singen ist 49 . Trotzdem ergänzen sich beide Inschriften inhaltlich und machen als Ganzes eine prägnante Aussage zum Taufgeschehen: Aus Christi Seitenwunde nahm der Lebensquell seinen Anfang, und die durch die Taufe Wiedergeborenen sind alle gleich; daher ist für sie alle diese Quelle erstrebenswert. Bunsen hatte ein ausgeprägt starkes Interesse an der Liturgie, und von Beginn an besonders an der Taufliturgie. Aus den ersten Jahren der römischen Gemeinde - wohl 1819 - wurde vor kurzem ein Taufformular aus seiner Hand gefunden, in dem erstmals formuliert wurde, was in der Inschrift der Taufschale wieder vorkommt, und zwar besonders die Erwähnung der Seitenwunde Christi 50 . Die Existenz dieses Formulars zeigt, daß Bunsen von Anfang an mit seinen Liturgiestudien einen eigenen Weg ging, unabhängig insbesondere von Friedrich Wilhelm III., geprägt eher durch die anglikanische Liturgie, die er durch die anglikanischen Prediger in Rom, vor allem aber durch seine Frau kennenlernte 51 . In der Gesandtschaftskapelle wurde 1822 die Berliner Liturgie eingeführt, mit der er überhaupt nicht zufrieden war; auch der Gesandtschaftsprediger Rothe bezeichnete sie als „eine völlig todte Geburt, nichts als ein Aggregat allerlei liturgischen Stoffs ohne alle individuelle Einheit"52. Ein Übel war Bunsen die Passivität der Gemeinde, die durch die Einführung eines Sängerchores ermöglicht worden war. Als 1825 die Aktivsten des Chores ausschieden und nach Deutschland zurückgingen, nutzte Bunsen die Gunst der Stunde, um eine neue Ordnung einzuführen, die im Jahr 1827 vom König genehmigt wurde 53 . Eine wichtige Neuerung betraf die Aktivierung der Gemeinde, die den Chor völlig ersetzte und die selber singen sollte 54 ; die Lieder sollten individuell gestaltet und zugleich möglichst
48 Franz Joseph Dölger, Die Inschrift im Baptisterium S. Giovanni in Fonte an der Lateranensischen Basilika aus der Zeit Xystus III. (432—440) und die Symbolik des Taufbrunnens bei Leo d. Gr., in: Antike und Christentum 2, 1930, 252-257. Dies hat auch Walraff (Anm. 49), 54 unabhängig von mir gesehen. 49 Martin Wallraff, Liturgie in der Anfangszeit der evangelischen Gemeinde zu Rom. Ein unbekanntes Taufformular von C. C. J. von Bunsen; in: Festschrift zum Jubiläum der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom 1819-1994; Rom o. J. [1994], 51-57. 50 Wallraff (Anm. 49). 51 Der Reformationsfeier 1817 lag die englische Liturgie zugrunde, und die Übertragung auf die spezifische Feier war das Werk Bunsens. 52 Adolph Hausrath, Richard Rothe und seine Freunde; 2 Bände Berlin 1902; hier II, 285ff. zur Entwicklung in Rom. 53 Liturgie 1828. 54 Ein Vergleich der beiden Liturgien wird ausführlich dargelegt bei Maas 1968, 142-149.
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authentisch aus ihrer Entstehungszeit übernommen werden 55 . Das englische Common Prayer Book war ihm gerade deswegen besonders wertvoll, weil es das mittelalterliche Lied- und Liturgiegut nahezu unverändert erhalten hatte und dadurch einen ungeheuren Schatz alter Weisen darstellte. Eines seiner weiteren Ziele war daher, ein dem Common Prayer Book vergleichbares Buch für den allgemeinen Gebrauch zu schaffen, was ihm mit dem Allgemeinen Gesang- und Gebetbuch in zwei verschiedenen Ausgaben von 1833 und 1846 auch gelang 56 ; das Material dafür erarbeitete er weitgehend in seiner römischen Zeit ab 1817 und besonders in Zusammenarbeit mit Richard Rothe 57 . Bemerkenswert ist dabei außerdem, daß sein Gesangbuch, welches er ja mittels englischer Quellen bearbeitet hatte, später seinerseits in England großen Erfolg hatte und dort das deutsche Kirchenlied heimisch machen sollte 58 . Zur Entwicklung der Melodien bzw. zur Rückgewinnung der alten Melodien bediente er sich der deutschen Musiker, die ähnlich wie die Maler und Bildhauer zu Studienzwecken eine Romreise unternahmen. Unter ihnen war auch Otto Nicolai, der mit Empfehlung des preußischen Kultusministeriums nach Rom kam; Bunsen vermittelte ihm den Kontakt zum Leiter der Sixtinischen Musikkapelle zum Studium alter Musik; für die Gesandtschaftskapelle vertonte Nicolai vor allem Psalmen 59 . Das Psalmodieren stieß allerdings auf wenig Gegenliebe; bereits Mendelssohn-Bartholdy, der 1830 mit Bunsen darüber diskutiert hatte, übte heftige Kritik 60 ; Nicolai widerstrebte es zwar auch, aber er fügte sich Bunsens Wünschen. Vor allem aber wurde der „katholisierende" Charakter der Gottesdienste bemängelt, wozu auch Kniebeugen und Litaneisingen gehörten 61 .
55 Seine Vorstellungen veröffentlichte er auch anonym: Über das neue Berliner Gesangbuch, in: Evangelische Kirchenzeitung 1830, 121ff„ 129ff„ 249ff., 255ff„ 32Iff., 329ff„ 449ff., 457ff„ 465ff., vor allem als Kritik des neuen Berliner Gesangbuches von 1829. Paul Gerhardts „Nun ruhen alle Wälder" übernahm er wieder in der Original version in sein Gesangbuch von 1833 (Nr. 608) auf und polemisierte gegen ihre Verunstalter: Bunsen, Paul Gerhard's Abendlied, in: Evangelische Kirchenzeitung 1830, 149-152, 159-160. 56 [Bunsen], Versuch eines allgemeinen evangelischen Gesang- und Gebetbuches zum Kirchen- und Hausgebrauch; Hamburg 1833; und [Bunsen], Allgemeines Gesang- und Gebetbuch zum Kirchen- und Hausgebrauch; Hamburg 1846 u. a. Auflagen. - Zur Bedeutung vgl. Philipp Dietz, Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes; Marburg 1903, der Bunsen als wichtigen Protagonisten bei der Verbesserung der Gesangbücher würdigt; vgl. S. 21^15 und 190-203. 57 Das geht aus den Vorworten seiner verschiedenen liturgischen Bücher hervor: Gesangbuch 1833, 1846 (Anm. 56), Liturgie 1828, Stille Woche 1841 (Anm. 64). 58 Robin A. Leaver, Bunsen and the translation of german hymns into english, in: IAH-Bulletin 9, 1981, 85-89. - Catherine Winkworth gab eine Auswahl der Lieder aus Bunsens Gesangbüchern in zwei Büchern unter dem Titel „Lyra Germanica" heraus, die in kurzer Zeit 23 bzw. 12 Auflagen erlebten; Gerhard Teuscher, Catherine Winkworth. Ein Beitrag zum lOOsten Todesjahr der großen englischen Übersetzerin deutscher Kirchenlieder, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 22, 1978, 168-172. 59 Ulrich Konrad, Otto Nicolai (1810-1849). Studien zu Leben und Werk (Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen, 73); Baden-Baden 1986 (Diss. Bonn 1984), bes. 64ff. und 259ff. 60 Wolfgang Dinglinger, Ein neues Lied. Der preußische Generalmusikdirektor und eine königliche Auftragskomposition, in: Mendelssohn-Studien 5, 1982, 99-112, hier 101. 61 Auch Schubert, der spätere Gesandtschaftsprediger, äußert sich sehr negativ; Schubert 1930, 86. Trotz aller Kritik war die Liturgie offenbar sehr begehrt; sogar mehrere Katholiken hohen Ran-
I. Modellfälle des
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Erlöserpatroziniums
Dabei ist mit „katholisierend" das Streben Bunsens nicht richtig charakterisiert; mit Katholisieren waren die typisch mittelalterlichen, vorreformatorischen Formen der Glaubensausübung gemeint. Diese Epoche des Katholizismus wollte Bunsen aber überwinden und noch weiter zurück zu einer urchristlichen Gemeinde finden, einer Gemeindekirche, die noch keine Amtskirche war und noch keine Spaltungen kannte. Seine wesentlichen Autoritäten dieser Zeit waren Hippolyt von Rom und Ignatius von Antiochia; über sie gab er mehrbändige Bücher heraus und edierte deren frühchristliche liturgische Texte; mehr als eine Edition sind diese Bücher aber Bekenntnisschriften zu Bunsens Weltbild und der historischen Rolle des Christentums. Es ist genau die Zeit, f ü r die sich auch Prediger Rothe lebhaft interessierte. Die frühchristlichen Themen seiner Dienstagsvorlesungen gab er später auch in Buchform heraus 6 2 . Die Zeit des Urchristentums klingt nun auch in der lateinischen Inschrift der Taufschale an: die erste und vierte Zeile betonen die weltumspannende, welthistorische Wirkung der Taufe und das Bekenntnis zur Einheit, zu einem Glauben aus einer Quelle aus einem Geist. Der zweiten Verszeile aber, die die Entstehung der Kirchgemeinde aus der Seitenwunde Christi beschreibt, begegnen wir fast wörtlich in einem Gemeindegesang der kapitolinischen Liturgie zum Karfreitag: Das Wasser, welches auf den Stoß Des Speeres aus Deiner Seiten floß, Das sei mein Bad, und all Dein Blut Erquicke mir Herz, Sinn und Muth 6 3 Die Karwochenliturgie macht einen großen Teil der Kapitolinischen Liturgie aus. Bunsen gab diesen Teil später nochmals gesondert heraus 6 4 und unterstrich dadurch selber, welche zentrale Bedeutung er diesem Gegenstand beimaß. Zwei Besonderheiten der Karwochenliturgie sind für uns wichtig: Besonders ausführlich wird die Karfreitagsliturgie dargelegt; ihr „vergeistigter" Charakter steht in direktem Gegensatz zur römischen Karfreitagsliturgie, die an äußerlichen Zeichen festhält; so kommentiert es ein Artikel eines anonymen Verfassers der Evangelischen Kirchenzeitung, für den mit guten Gründen Bunsen angenommen wird 6 5 . Ferner fällt an den Lesungen auf, daß Bunsen die Texte der vier Evangelien, die sonst immer getrennt gelesen werden, hier in einen Bericht zusammengewoben hat, um einen widerspruchsfreien, historisch ge-
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ges, z.B. Metternich, wollten sie besitzen, wie Hubert Bastgen darlegt: Forschungen und Quellen zur Kirchenpolitik Gregors XVI. (Veröffentlichungen zur Kirchen- und Papstgeschichte der Neuzeit, I); 2 Bände Paderborn 1929; hier Bd. I, S. 292 Anm. 6. - Tatsächlich wurden die gedruckten Exemplare streng unter Verschluß gehalten und nur zum Gottesdienst ausgegeben. Das von mir benutzte Exemplar trug eine offenbar sehr früh angebrachte Numerierung. Richard Rothe, Die Anfänge der christlichen Kirche und ihrer Verfassung; Wittenberg 1837. Eine moderne Würdigung von Richard Rothe fehlt nach wie vor; vgl. zuletzt Martin Schmidt, Richard Rothe (1799-1867) als umfassender Denker, in: Heidelberger Jahrbücher 13, 1969, 34-47. Liturgie 1828, 70. - Auch der Gesandtschaftsgeistliche Richard Rothe verband in einer Predigt am 10. Juli 1825 Taufe und Tod Christi: D. Schenkel (Hg.), Rfichard] Rothe's nachgelassene Predigten; 1. Band: Predigten in Rom; Elberfeld 1868, 143-152: Der Ernst der christlichen Taufe. C. C. J. Bunsen, Die heilige Leidensgeschichte und die stille Woche; 2 Teile Hamburg 1841; Maas 1968, 157-167. Maas 1968, 160 mit Anm. 57 und 58.
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treuen Bericht zu schaffen: „Wenn das Christentum wesentlich eine geschichtliche Tatsache, weil Widerschein und Folge einer göttlichen ist, Christi Leben aber, der ursächliche Mittelpunkt dieser Tatsache: so muß es eine Form geben, dieselbe aus der Überlieferung als ein Tatsächliches darzustellen. ... Die Leidensgeschichte, die stille, die hohe, die heilige Woche, ist der Wendepunkt der Weltgeschichte in ihrem höchsten Sinne "66.
„S. Salvatore sopra Giove" Die Gesandtschaftskapelle in Rom war eine persönliche Schöpfung Bunsens. Freilich, ohne Unterstützung durch preußische Institutionen und insbesondere des Königs und des Kronprinzen hätte er das nicht erreicht. Nachdem er Kronprinz Friedrich Wilhelm an dessen Geburtstag, dem 15. Oktober 1827 erstmals kennengelernt hatte 67 , verband die beiden eine schnell wachsende und das ganze Leben anhaltende feste Freundschaft. Beim Besuch des Kronprinzen 1828 in Rom wurden die lockeren Bande gefestigt, und bei diesem Anlaß wird auch Friedrich Wilhelm die Gesandtschaftskapelle kennengelernt haben. In dem nun einsetzenden Briefwechsel berichtete Bunsen von den Fortschritten der Gemeinde und seinen Forschungen zur Topographie Roms und des Kapitols, so daß Friedrich Wilhelm einem Brief an Bunsen, den er am 22. April 1830 begonnen und offenbar erst Wochen später fortgesetzt hatte, anfügte: „Welche Wonne, wenn mich ein günstiges Geschick wieder nach Rom führt, einen eigenen Herd und Freunde in maximis zu finden und anzubeten in S. Salvatore sopra Giove. O göttlicher Sommernachtstraum!!!!!! " 6 8 Wichtig ist dieses Briefzitat deswegen, weil es die romantische Wurzel der Salvatorverehrung zeigt, nicht nur durch den Zusatz „Sommernachtstraum". Die Kapelle war ja keineswegs mit diesem Namen eingeweiht worden. Zu der Bezeichnung war es nur gekommen, weil Bunsen inzwischen unter der Kapelle den Jupitertempel sicher lokalisiert hatte. Die Bezeichnung war ein Analogieschluß zu ähnlichen Kirchentiteln in Rom, wo Kirchen über oder in heidnischen Tempeln eingerichtet worden waren, etwa S. Maria sopra Minerva. Sollte er aber sinnvoll mit den katholischen Kirchentiteln konkurrieren, so konnte nur ein Name gewählt werden, der über Maria stand, zumal ja schon die Tempelreste diejenigen des höchsten Staatsgottes - in maximis - waren. Aus diesen Gründen, aber auch aus dem protestantischen Verständnis heraus, kam also nur der Salvatortitel in Frage. Als Bunsen Rom verließ, fehlte der Kapelle ihr geistiger Mentor. Die Gemeinde blieb zwar bestehen, es gab weiterhin einen Gesandten und einen Gesandtschaftsprediger, doch fehlte die Person, die die Idee von „S. Salvatore sopra Giove" weiter lebendig halten konnte. Es war niemand mehr da, der Psalmodieren übte und Knieebeugen forderte. Ohne Bunsens Imaginationskraft erkannte niemand in dem ehemaligen Pferdestall einen urchristlichen Versammlungsraum, wie es einmal sein Musiker Nicolai zum Ausdruck brachte: „Nein, es ist der größte Unsinn! Bunsen's Kapelle, wenn sie einmal ganz und gar nach seinem Sinn eingerichtet wäre, würde einer protestantischen Kirche so ähnlich sehen wie ein Vogel einem Pferde!"69 So
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Bunsen (Anm. 64), S. III. Bußmann 1990, 334. Ranke 1873, 9. In Otto Nicolais Brief an seinen Vater vom 31. Mai 1835; Otto Nicolai, Musikalische Aufsätze; hg. von Georg Richard Kruse (Deutsche Musikbücherei 10); Regensburg o. J., 34.
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Erlöserpatroziniums
nimmt es nicht wunder, daß wenige Jahre später - 1845 - , nachdem Bunsen und auch sein Freund Abeken R o m verlassen hatten, der Raum umgebaut und nun endlich als Kapelle eingerichtet wurde. Mit figürlichen Wandmalereien und vor allem einer Apsis war aus dem Stall endgültig eine kirchliche Stätte geworden 7 0 . Bunsens Romidee, die die europäischen Völker auf dem Kapitol vereint sah, hatte eine etwas längere Lebensdauer: erst der Nationalismus des späteren 19. Jahrhunderts zerstörte die Idee und mit ihr den Palazzo Caffarelli und die Kapelle 7 1 . Bunsen jedoch, der wegen seiner Beteiligung in den Kölner Wirren als persona non grata Rom verlassen mußte, suchte sich ein neues Kapitol, das er in London finden sollte, und eine neue Idee: die Anfänge des Christentums beherrschten in noch viel größerem Maße als in Rom sein Denken, und so wandte sich auch sein Blick zu den Anfängen, nach Jerusalem.
3.
Die Erlöserkirche in Jerusalem
Unmittelbar neben der Grabeskirche Christi erhebt sich die evangelische Erlöserkirche (Abb. 18) 1 . Von ihrem mächtigen Turm hat man die beste Übersicht über das verworrene Konglomerat der Kuppeln, Turmstümpfe und Konventsgebäude, die sich im Laufe der Zeit um das Grab Christi gebildet haben. Diese evangelische Erlöserkirche ist Ausgangspunkt aller Erlöserkirchen der wilhelminischen Zeit. Sie spielte im Denken Wilhelms II. eine entscheidende Rolle. Darüberhinaus hat sie eine herausragende Bedeutung durch ihre lange Vorgeschichte, die bis in die Anfangsjahre der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. zurückreicht. Sie ist die eigentliche Klammer, die Kirchbauprojekte und religiöse Vorstellungen der Hohenzollern von Friedrich Wilhelm IV. bis Wilhelm II. zusammenbindet. Einer der renommiertesten Berliner Architekten, Archäologen und Bauforscher, Friedrich Adler, hatte den relativ bescheidenen Bau in den Jahren 1893 bis 1898 ausgeführt 2 . Es handelt sich um eine dreischiffige Pfeilerbasilika aus sorgfältig behauenen Steinquadern in romanischem Stil. An das Querschiff mit überkuppelter Vierung schließen drei Apsiden an. Die südwestliche Ecke des Langhauses ist mit großen Stützpfeilern verstärkt; hier sitzt über d e m Seitenschiff ein mächtiger Glockenturm, der über den Klangarkaden mit einem Pyramidendach abgeschlossen wird. Mit seiner Höhe von ungefähr 50 Metern erdrückt er fast die Kirche und ist weithin in der Stadt zu sehen. Der Entwurf Adlers war dabei weder ein originärer des Architekten noch modern, denn dieser hatte die Pläne großenteils bereits 1871/72 angefertigt, kurz nach dem Erwerb des Grundstückes durch den Kronprinzen, den späteren Kaiser Friedrich III. Adler hatte damals das Ge-
70 Schubert 1930, 128. 71 Italien reklamierte wegen des höchsten römischen Staatstempel das Kapitol als nationales Eigentum; im Ersten Weltkrieg gehörte daher die Kapitolsüdseite zu den Kriegsschuldforderungen und wurde an Italien abgetreten. Die folgende teilweise Zerstörung des Pal. Caffarelli brachte jedoch nur kümmerliche Reste des Jupitertempels zutage. Der Thronsaal Wilhelms II. ist dadurch zerstört worden, und der Raum der Gesandtschaftskapelle wird seitdem museal genutzt (zuerst Museo Mussolini, jetzt Kapitolinische Museen). 1 Außer den staatlichen und landeskirchlichen Archiven besitzt besonders das Mutterhaus der Diakonissen in Kaiserswerth viel Material zu den Jerusalemer Projekten - Bücher, Fotos, Handschriftliches. Mein Dank gilt der Bibliothek für großzügige Ausleihe und Unterstützung. 2 Lemburg 1989, 72-76.
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lande inspiziert und unter dem Schutt die Reste einer mittelalterlichen Kirche entdeckt. Der Auftrag Wilhelms I. an Adler sah eine Rekonstruktion dieser Kirche vor, und über zwanzig Jahre später wurde die Kirche unter Wilhelm II. nach genau diesen Plänen, mit nur wenigen Abweichungen ausgeführt. Die Wurzeln für diesen Kirchenbau reichen tatsächlich aber noch weiter zurück: von der evangelischen Kirche am Grabe Christi über eine rekonstruierte Kreuzfahrerkirche und über die Wiederaufnahme des mittelalterlichen Ritterordensgedankens bis zur Gründung eines gemeinsamen preußisch-englischen protestantischen Bistums in den Anfängen der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV.
3.a Vorgeschichte I: Das englisch-preußische Bistum Den eigentlichen Urheber dieser zukunftweisenden Idee und dieses frühen Beispiels praktizierter Ökumene in einer Person festzulegen, dürfte nach wie vor schwerfallen. Hauptakteure waren jedenfalls Bunsen und Friedrich Wilhelm IV. 3 . Bunsens Jerusalempläne sind dabei am frühesten zu fassen. Er hat sie im Laufe des Jahres 1838 entwickelt, nach dem jähen Ende seiner römischen Gesandtentätigkeit. Ende 1838 weilte er für vier Monate in London, eigentlich ganz privat; doch hatte er trotz seines diplomatischen Mißgeschicks auch einige Regierungsaufträge zu erledigen, was zeigt, daß das Vertrauen des Königs in ihn nicht ganz verschwunden war. In London traf er viele seiner römischen Freunde wieder, unter anderen den bekannt antikatholisch eingestellten Ashley: „Am 10. Dezember 1838, am Jahrestage der Allocution von 1837, machten wir unseren [Jerusalemer] Plan unter vier Augen,"4 hielt Bunsen ausdrücklich fest, an dem Tag also, der seine römische Niederlage besiegelt hatte. Im Unfrieden war Bunsen aus Rom weggegangen, als der Papst ihn wegen seiner angeblichen Tätigkeit im Kölner Mischehenstreit zur persona non grata erklärte und des Landes verwies. Nach über zwanzig Jahren Aufenthalt auf dem Kapitol sollte er zwar noch Heimweh nach diesem haben, gleichzeitig entwickelte er aber eine scharf antikatholische Haltung, und neben Rom trat in der Folgezeit immer stärker Jerusalem in den Mittelpunkt seiner Welt-Religions-Geschichte. Gegen Rom sollte im eigentlichen Zentrum der Christenheit eine starke protestantische Allianz entstehen. Seine ganz persönlichen Beweggründe, die aus der Kölner Affäre resultierten, hielt er in Zukunft zurück, um umso wirksamer für die Sache eintreten zu können 5 ; dies ist vielleicht das stärkste Argument für Bunsen als die alles entscheidende Persönlichkeit in dieser Konstellation 6 . Die Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. waren dagegen stärker von der europäischen Politik bestimmt. Das Osmanische Reich war in den Dreißiger Jahren in eine tiefe Krise geraten.
3 Benz 1953, darin Kap. VII.: Das evangelische Bistum apostolischer Sukzession in Jerusalem, 148-219; Schmidt-Clausen 1965; Schütz 1988, darin Kapitel XII.: Der Traum von der Einheit, 117-125; jüngst Martin Lückhoff, Bunsen und Jerusalem, in: Universeller Geist 1991, 155-166; und Klaus Wappler, Das Bistum Jerusalem..., in: Geschichte der Evangelischen Kirche der Union 1992,1, 290-295. 4 Bunsen 1868, II, 171. 5 So hat Bunsen die Verhandlungen in London um manche Dinge teilweise wider sein eigenes besseres Wissen geführt; hätte er dies ins Spiel gebracht, wäre es wohl gar nicht erst zur Bistumsgründung gekommen; Schmidt-Clausen 1965, 101-102. 6 Auch Schmidt-Clausen 1965, 87-95 hält Bunsens Anteil für entscheidend.
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Ägypten, das nur noch nominell der Hohen Pforte unterstand, hatte sich zeitweise Palästina und Syrien einverleibt. Diese Situation hatte England sofort genutzt, um seine eigene Präsenz zu verstärken. Als Friedrich Wilhelm seine Regierung antrat, ließ er ein Memorandum ausarbeiten, wie die christlichen Stätten in Jerusalem und die Christen ebendort zu schützen seien. Ihm schwebte eine freie Stadt vor, die unter protestantischer Vorherrschaft und unter dem Schutz der Großmächte allen Christen Immunität an den Heiligen Stätten garantieren sollte 7 . Die Vorstellungen des Königs fanden wenig Gegenliebe in Europa, aber mit Bunsens Plänen ergab sich die gemeinsame Basis, daß die protestantischen Kirchen durch Einheit ihre Interessen in Jerusalem besser wahren und auch politisch gegenüber den anderen Konfessionen geschlossener auftreten könnten. Da es darum ging, England als protestantische Macht für dieses Projekt zu gewinnen, war Bunsen, der Sendungsbewußtsein mitbrachte und den Umgang mit Engländern besonders pflegte, die geeignete, ja ideale Person. Im Juni 1841 wurde er vom König mit der Mission beauftragt und mit besonderen Vollmachten an den englischen Hof geschickt, wo er dann bis 1854 als Gesandter bleiben sollte 8 . Die Verhandlungen stellen eine Meisterleistung Bunsens dar. Innerhalb weniger Wochen war das Vertragswerk zur Bildung eines gemeinsamen Bistums in Jerusalem, in dem sich Engländer und Deutsche in der Leitung abwechseln sollten, fertig. Friedrich Wilhelm unterzeichnete im September die Dotationsurkunde, mit der die Finanzierung gesichert war, und im November wurde als erster Bischof für die englische Seite ein getaufter Jude, Dr. Michael Salomon Alexander, geweiht 9 . Schon am 19. Juli, als der Erfolg von Bunsens Mission klar war, konnte er seinen Triumph in einem Brief an seine Frau folgendermaßen ausdrücken: „Dies ist ein großer Tag ...Im Oktober wird der Nachfolger des heiligen Jacobus sich einschiffen: ein Jude von Geschlecht, ein Preuße (Breslau) von Geburt - ein Anglikaner von Bekenntnis - gereift in Irland - 20 Jahre Professor des Hebräischen und Arabischen in England (jetzt King's-College): so ist denn, mit Gottes Hilfe, wenn das angefangene Werk gedeiht, der Anfang gemacht zur Herstellung Israels! "w Das erhabenste Bistum der Welt, das Urbistum am Grabe Christi, das als ersten Bischof nicht irgend einen der Apostel hatte, sondern Jakobus, den Bruder des Herrn, dieses Bistum war wieder besetzt, und es war eine Person für das Bischofsamt gefunden, die allen Sonderbedingungen auf wundersame Weise genügte und Judenmission und englisch-preußische Zusammenarbeit symbolisierte. Der Erfolg in der Bistumsangelegenheit bedeutete für Bunsen Genugtuung für die römische Niederlage, ließ ihn sogar seine römischen Erfahrungen verschmerzen, denn er hatte etwas Besseres gefunden: Im Oktober 1841 erarbeitete er zusammen mit Abeken, dem neuen Gesandtschaftsprediger der römischen Gemeinde „... die Liturgie für die Kirche von Jerusalem. Wir hatten uns eine solche zu bilden gesucht aus den besten oder minder schlechten Formeln der ersten kleinen Ausgabe der königlichen Liturgie von 1821. ... Wir hätten etwas viel Besseres machen können, wenn wir die späteren größeren Ausgaben, eine besondere für jede Provinz, besessen hätten. Vergebens hatte ich darum geschrieben. Siehe! Soeben kommen sie an, mit des Königs Befehl: ,für die syrischen Kirchen aus allen Provinzialagenden eine zum sonntäglichen Gebrauch zu komponieren, - für die Festtage aber die der evangelischen Gemeinde in Rom zu wählen. ' O wie sollte ich Dir mein Gefühl beschreiben! -
7 Schütz 1988, 120. 8 Schmidt-Clausen 1965, 103. Bunsen 1868, II, 207; Hertzberg 1965, 6; Wilma Höcker, Der Gesandte Bunsen als Vermittler zwischen Deutschland und England; Göttingen 1951, 92-96. 9 Schmidt-Clausen 1965, 115. 10 Bunsen 1868, II, 171.
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So ist vom Capitol bis zum Berg Zion gerettet, was mir das Teuerste war von Allem, was ich gedacht und gestiftet! Und das in dem Augenblick, wo des Feindes Wut das stille Heiligtum vom Capitol hinunterstößt! "11 Wieder hatte Bunsen alles gegeben für eine große Idee. Er hatte viele Begeisterte gefunden und viele von der Notwendigkeit eines evangelischen Bistums überzeugen können. Aber die Gemeinden in Rom und Jerusalem waren grundverschieden. In Rom hatte er eine kleine, bescheidene Gemeinde gegründet, in Jerusalem war jetzt ein Bistum entstanden, faktisch mit weniger Seelen als die kapitolinische Gemeinde, aber mit einem größeren Legitimitätsanspruch. In Rom war Bunsen zwanzig Jahre lang anwesend gewesen, hatte die Gemeinde selbst mitgetragen, geformt und verteidigt. Nach Jerusalem dagegen hat er nie einen Fuß gesetzt. So gestaltete sich die Entwicklung in Jerusalem anders, als er in London glaubte. Dazu kam noch, daß auch daheim das gemeinsame Bistum durchaus nicht nur Freunde hatte. Es blieb eine Konstruktion ohne eigentliche Basis, denn die preußische und die anglikanische Kirche gingen keinen Schritt aufeinander zu. Gegenseitig betrachteten sich die beiden Kirchen eher abschätzig und bemängelten, was die jeweilige Kirche auszeichnete, nämlich das zu protestantische oder zu katholische Wesen. Die Berliner Geistlichen hatten von vornherein Bedenken vor allem gegen die Zustimmung zum rein anglikanischen Bischofsamt 12 . Das gemeinsame Bistum hatte zwar über vierzig Jahre Bestand; aber schon nach wenigen Jahren waren die ersten Spannungen zu spüren. Man hatte abwechselnd englische und preußische Sukzession im Bischofsamt vereinbart. Auf den von England gewählten Michael Salomon Alexander folgte 1846 von preußischer Seite der Schweizer Samuel Gobat, den die Engländer wegen seiner besonderen Erfolge als Missionar in Abessinien und Äthiopien mit Mißtrauen betrachteten 13 . Trotzdem trug Gobat nicht nur dank seiner langen Residenzzeit - er starb 1879 - , sondern auch durch sein Wesen Entscheidendes zum Aufbau der protestantischen Missionen in Jerusalem bei 14 . Die eigentlichen Schwierigkeiten erwuchsen in den politischen Divergenzen der Heimatländer. Als der Nachfolger Gobats bereits nach zwei Jahren Amtszeit starb, dachte niemand mehr an eine Neubesetzung. Am 3. November 1886 wurde das Bistum aufgelöst 15 .
Gemeinsame Einrichtungen: Friedhof und Kirche Das englisch-preußische Bistum war merkwürdigerweise ein Bistum ohne Bischofskirche, aber mit einem eigenen Friedhof. Den Friedhof hatte Bischof Gobat auf dem Zionsberg als Stiftung nach islamischem Recht, einem sog. „Wakf ' eingerichtet. Damit war der Friedhof nicht Besitz 11 Bunsen 1868, II, 188. 12 Hans-Joachim Schoeps, Der Widerstand der Berliner Geistlichkeit gegen die Gründung des Bistums Berlin, in: Glaube - Geist - Geschichte. Festschrift für Ernst Benz zum 60. Geburtstage am 17. November 1967; hg. von Gerhard Müller und Winfried Zeller; Leiden 1967, 231-243. 13 Gobat war in England durch seine Tätigkeit für die Church Mission Society bekannt. Wie die Wahl auf Gobat fiel, ist bisher aktenmäßig nicht verifiziert worden. Doch hat Bunsen bei der Auswahl des Kandidaten und den preußisch-englischen Verhandlungen über ihn eine wichtige Rolle gespielt; vgl. etwa Bunsen 1868, II, 337; und Alex Carmel, Christen als Pioniere im Heiligen Land. Ein Beitrag zur Geschichte der Pilgermission und des Wiederaufbaus Palästinas im 19. Jahrhundert (Theologische Zeitschrift; Sonderband 10); Basel 1981, 59-126 zu Gobat. 14 Hertzberg 1965,9-15. 15 Das Bistum existierte als anglikanisches Bistum weiter; Hertzberg 1965, 33.
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der Gemeinde geworden - als juristische Person konnte sie keinen Grund und Boden besitzen - , sondern wurde von einem „Mutawalli" verwaltet und stand als Wakf allen in der Gründungsurkunde genannten offen, also Anglikanern wie auch deutschen Protestanten. Da beide Konfessionen nach wie vor in Jerusalem ansässig sind, existiert dieser Friedhof noch heute. So konnte kurioserweise eine ökumenische Einrichtung der Christenheit dank islamischen Rechtes bis heute überleben, obwohl die eigentlich dafür verantwortliche Institution schon lange nicht mehr vorhanden ist 16 . Die Geschichte der geplanten Bischofskirche ist dagegen verworrener und langwieriger. Ihre Wurzeln liegen noch früher. Bereits etliche Jahre vor dem englisch-preußischen Bistumsvertrag waren englische Missionare in Jerusalem tätig geworden 17 . Seit 1826 war John Nicolayson in Palästina und hatte die Judenmissionierung noch sehr vorsichtig begonnen; denn jegliche Missionstätigkeit wurde im Osmanischen Reich mit Mißtrauen beobachtet, Mission unter Muslims war überhaupt verboten 18 . Während für die Judenmissionierung in London eigens die London Jews Society gegründet worden war 19 , war in den deutschen Ländern zu dieser Zeit noch keinerlei Aktivität bezüglich Palästina zu spüren. Die Engländer waren deswegen in der Palästinamission lange Zeit gerade den deutschen Protestanten gegenüber im Organisationsgrad voraus und zahlenmäßig oft überlegen, zwei Faktoren, die auch im gemeinsamen Bistum zu ungünstigen Verhältnissen beitragen und letztendlich die Auflösung unterstützen sollten. Die Missionstätigkeit der Engländer war großenteils erst dadurch möglich geworden, daß Ägypten Palästina besetzt hatte. Die Politik der Ägypter war wesentlich weltlicher und Fremden gegenüber toleranter als die der voraufgegangenen Osmanen; als die ägyptische Armee im Jahr 1833 Palästina besetzte, konnte Nicolay son in Jerusalem sogleich das erste Missionshaus gründen; ein englisches Konsulat wurde 1838 eingerichtet 20 . Noch unter der toleranten ägyptischen Herrschaft faßte Nicolayson den Entschluß, eine anglikanische Kirche zu bauen. Er erwarb ein Grundstück im Armenischen Viertel, der Zitadelle gegenüber, und hatte schon Baugenehmigung und Architekten, als es den Osmanen gelang, mit Hilfe der europäischen Mächte Palästina wieder zurückzugewinnen. Die Erlaubnis wurde wieder eingezogen. Nicolayson aber arbeitete im stillen weiter. Ein Architekt aus London - James Wood Johns - stellte die Pläne für eine Kirche im Perpendicular Style auf. Im Juli 1841 begannen die Bauarbeiten trotz fehlender Baugenehmigung 2 1 . Zu diesem Zeitpunkt hatten die Verhandlungen über ein gemeinsames Bistum gerade erst begonnen! Nichts illustriert besser als diese Situation, welche Rolle Preußen in diesem Bistum spielen sollte. Von einem gleichgewichtigen, partnerschaftlichen Verhältnis konnte keine Rede sein. Sogar in Berlin war der begonnene Kirchbau bekannt. Den Instruktionen für Bunsen entnehmen wir, daß er unter anderem beauftragt war, festzustellen, „in welcher Art die englische Landeskirche, welche ... den Bau einer Kirche begonnen hat, geneigt sein dürfte, der evangelischen Landeskirche Preußens eine schwesterliche Stellung im gelobten Lande zu gestatten"22. 16 17 18 19 20
Mehnert 1971, 12-13 und 50. Carmel (Anm. 13), 17. Palästina-Chronik 1978, I, 14. Schütz 1988, 126ff. Es war bereits ab 1834 geplant: M. Vereté, Why was a British Consulate established in Jerusalem?, in: English Historical Review 85, 1970, 316-345. 21 Außen- und Innenansicht des Projektes bei Schütz 1988, 130f. 22 Benz 1953, 152. Auszug aus den Instruktionen ebenda 152-158.
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Friedrich Wilhelm selber ließ der anglikanischen Kirche den Vortritt, er erkannte ihren Vorrang an. So ist es kein Wunder, daß das gemeinsame Bistum ein anglikanisches Bistum wurde, das dem Erzbischof von Canterbury unterstand, und deswegen ist es auch klar, daß Friedrich Wilhelm mit seinen Kirchbauplänen im frühchristlichen Stil 23 keinen Erfolg hatte, weil sie dem Aussehen einer anglikanischen Kirche nicht entsprochen hätten. Bischof Alexander zog am 22. Januar 1842 in Jerusalem ein. Sogleich bereitete er die Grundsteinlegung vor, die bereits am 28. Januar 1842 stattfand 24 . Dieses Jahr brachte aber in seinem weiteren Verlauf nichts Gutes: Zunächst löste die London Jews Society den Vertrag mit dem Architekten Johns, dann wurde der Bau von den osmanischen Behörden gestoppt. Zwei Gründe für den Baustopp können aus späteren Äußerungen erschlossen werden. Zum einen lag das Baugelände in unmittelbarer Umgebung der Zitadelle. Weil diese immer noch als militärische Festung genutzt wurde, war es wichtig, daß im Schußfeld der Kanonen Fluchtlinien und Gebäudehöhen eingehalten wurden 25 . Zum anderen werden die Behörden spätestens beim langsamen Emporwachsen der Gebäude bemerkt haben, daß hier eine Kirche gebaut werden sollte. Dies war aber nach osmanischem Recht der anglikanischen oder protestantischen Kirche zu diesem Zeitpunkt nicht gestatttet. Der nun vom englischen Gesandten in Konstantinopel gestellte Bauantrag berücksichtigte die rechtliche Situation insofern, als nur noch von einer Kapelle die Rede war 26 , die durch die flankierenden Konsulate Englands und Preußens völlig verdeckt werde 27 . Der Antrag wurde genehmigt - allerdings ohne den Anbau des preußischen Konsulats; wieder war ein Stück Gemeinsamkeit auf der Strecke geblieben. Der wesentliche Unterschied zwischen der ersten Bauversion von Johns und der zweiten, nun von Habershon 28 erstellten liegt weniger in der Gestaltung des kirchlichen Innenraums; dieser ist nahezu unverändert geblieben. Es betraf vor allem das äußere Erscheinungsbild. Während Johns' Kirche auf einer Hügelkuppe rundherum frei gestellt sein und seitlich der Vierung vier schlanke Türme aufsteigen sollten, die in ihren Proportionen Minaretten glichen, war die Kirche von Habershon aller äußeren Würdezeichen entkleidet. Kein aufwendiges Portal erinnerte an eine Kirche 29 , die Apsis war im rückwärtigen Teil des Gebäudes versteckt, und, besonders wichtig: Weder Turm noch Turmaufsatz überragten die Fassade, auch eine Glocke war
23 Skizze zu einem Missionshaus in Jerusalem, in: Allgemeine Bauzeitung 10, 1845, 357 (Abb.) und 359 (Text), wieder bei Schütz 1988, 133. Der Entwurf hängt eng mit den weiter unten zu behandelnden „frühchristlichen" Kirchenbauten der Zeit in Berlin zusammen, wie der St. Jacobikirche und mit der Friedenskirche in Potsdam. Schütz weist darauf hin, daß der preußische Plan in London nicht durchgesetzt werden konnte, weil die Bauarbeiten zu weit fortgeschritten gewesen seien. Der Grund liegt aber eher darin, daß es sich um ein anglikanisches Bistum handelte. Auch Johns' Plan wurde später noch abgeändert. 24 Schütz 1988, 128f. 25 Schütz 1988, 138-139. 26 Ernst Wilhelm Schulz, Reisen in das gelobte Land; Mülheim/Ruhr 1852, hier 93 berichtet von der Erlaubnis, eine Kapelle zu bauen, und beschreibt den ausgeführten Bau. 27 Schütz 1988, 139. 28 Zu Habershon vgl.: A Biographical Dictionary of British Architects 1600-1840; Hg. Howard Colvin; 2. Aufl. London 1978, 374i. 29 Die Abbildung der Fassade bei Schütz 1988, 140 zeigt einen Narthex vor der Kirche, der erst später hinzugefügt worden ist. Die zeitgenössische Ansicht bei Wolff zeigt die originale Situation sowie die Anbindung an das Konsulat.
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nicht vorhanden. Dem deutschen Reisenden Schulz machte die Kirche den Eindruck, als sei sie die Privatkapelle des britischen Konsuls (Abb. 20, 21) 30 . Am 21. Januar 1849 konnte Bischof Gobat die Kirche feierlich einweihen 31 . Auch wenn für die Engländer die etwas hochgegriffenen Pläne einer Kathedrale nicht realisiert werden konnten, auch wenn die Pläne sogar so weit zusammenschrumpfen mußten, daß nicht einmal der Bischof bei seiner Kirche residieren konnte 32 , so war andererseits doch mit diesem Bauwerk eine neue Epoche für Jerusalem angebrochen. Der Kirchbau markierte den ersten modernen Großbau in der Stadt. Unsägliche Schwierigkeiten waren zu überwinden gewesen. Weder in der Stadt noch im Umland gab es Bauholz oder Sand. Beides mußte von der Küste herangeschafft werden, die Bauhandwerker kamen sogar übers Meer von der Insel Malta. Ziemlich schnell sollte sich nun auch in der Öffentlichkeit zeigen, daß es sich hier vornehmlich um eine anglikanische Kirche handelte. Während die Engländer eine stattliche Gemeinde hatten, bestand die deutsche in den 50er Jahren nach dem Bericht eines Gemeindegliedes lediglich aus etwa zwölf Mitgliedern, und zwar vier Pilgermissionsbrüdern, vier Kaiserswerther Diakonissen und einigen Handwerkern. Gottesdienst konnte nur Sonntag nachmittags stattfinden, denn die Vormittage waren für die englischen Gottesdienste reserviert 33 . Auch sonst wurde das Gemeindeleben von den Engländern geprägt, nicht zuletzt durch das Vorherrschen der englischen Sprache, bei Bekanntmachungen und Zeitungsauslagen zum Beispiel. Als unangenehm mußten das besonders diejenigen Deutschen emfinden, die mit der anglikanischen Kirche nicht einverstanden waren, weil sie ihnen zu bischöflich-katholisch war 34 . Da einige Gemeindeglieder aus Protest gegen die Bunsensche Liturgie und englische Sprache dem Gemeindeleben fernblieben, überwog die englische Sprache noch mehr. Obwohl von Übergriffen einer Seite keine Rede sein konnte, funktionierte also das gemeinsame Bistum in der Realität mehr schlecht als recht. Die Kapelle wurde nicht als gemeinsame der beiden Konfessionen angesehen, sondern als englische. Selbst als die Deutschen in den 60er Jahren inzwischen stärker in Jerusalem vertreten waren, berichteten die Zeitungen anläßlich des Besuches des Kronprinzen 1869, daß „bisher die Deutschen sich an die englische Kirche anlehnen mußten" 3 5 . Der Charakter einer englischen, anglikanischen Kirche war aber von Anfang an gegeben; so galt für den Bischof nur die anglikanische Ordination; ein in Preußen ordinierter Bischof mußte also in England ein weiteres Mal geweiht werden, während umgekehrt eine entsprechende Regel für den englischen Bischof nicht galt. Außerdem unterstand der Bischof kirchenrechtlich dem Erzbischof von Canterbury. Dies ist ein weiterer Grund, warum die Kirche völlig folge-
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Schulz (Anm. 26) 93-94. Hertzberg 1965, 15. Seine Residenz befand sich in der Davidstraße; Ben-Arieh 1984, 254. Nach einiger Zeit wurden an vier Vormittagen im Jahr, in der Regel an den zweiten Feiertagen der großen Feste, deutsche Gottesdienste gehalten. Als Liturgie wurde die Bunsensche zusammen mit seinem Gesangbuch verwendet; Bericht von Frau L. Einsler im Evangelischen Gemeindeblatt für Palästina 1927, 17f., wiederabgedruckt bei Hertzberg 1965, 20-21. 34 In diesem Sinne berichtete der reformierte Pastor Schulz aus Mülheim an der Ruhr, der Jerusalem 1851 besucht hatte; Schulz (Anm. 26); Passagen zitiert bei Benz 1953, 209-212. 35 Bericht der „Süddeutschen Warte" vom 9. 12. 1869, wiederabgedruckt in: Palästina-Chronik 1978,1, 115.
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richtig als eine anglikanische Kirche nach in England gebräuchlichen Vorstellungen gebaut worden ist. Daran konnten auch die Wünsche Friedrich Wilhelms IV. nach einer frühchristlichen Kirche nichts ändern. Das mußte ihm eigentlich schon bei den Verhandlungen klar sein, die Bunsen 1841 in London in seinem Namen führte 36 .
Deutsche Präsenz in Jerusalem Kaum hatte Friedrich Wilhem IV. im Herbst 1841 den Vertrag über die Einrichtung des englisch-preußischen Bistums abgeschlossen, ordnete er über die Königlichen Konsistorien eine Landeskollekte zur finanziellen Absicherung des Bistums an 37 . Es ging ihm unter anderem um die Errichtung eines Hospizes für „hülfsbedürftige evangelische Reisende" und einer Schule. Daß dies ihm ein wichtiges Anliegen war, geht schon daraus hervor, daß bei seinen Entwürfen für eine „Missionskirche" in Jerusalem, die Stüler für ihn angefertigt hatte, die eigentliche Kirche von zahlreichen Nebengebäuden umringt sein sollte, um möglichst viele Funktionen beherbergen zu können. In diesem Punkt schien er auch in England auf offene Ohren zu treffen, denn Habershon entwickelte seine Pläne in ähnlicher Weise. Doch die Möglichkeit, einen derart großen Gebäudekomplex in Jerusalem zu errichten, zerschlug sich zumindest im Rahmen des gemeinsamen Bistumsprojekts; hier wurde von den osmanischen Behörden ja nur eine Minimallösung akzeptiert. Betrachtet man die realen Zahlen der protestantischen Jerusalemfahrer der folgenden Jahrzehnte, wird man im Stillen die Ablehnung dieses viel zu großen Projektes als richtig empfinden. Nachdem sich die gemeinsame Bauaufgabe zeitlich in die Länge zog und räumlich als eng umgrenzt herausstellte, reifte auf preußischer Seite langsam der Entschluß zur Eröffnung eines eigenen Hospizes. Als Bischof Gobat im Jahr 1846 nach London fuhr, um dort die bischöfliche Ordination für Jerusalem zu erhalten, machte er im Hause Bunsens die Bekanntschaft mit Theodor Fliedner, dem Begründer der Kaiserswerther Diakonissenanstalt. Dieser hatte gerade in London ein neues Diakonissenhaus eröffnet und bot Gobat bei Bedarf das gleiche für Jerusalem an. Als dann im Jahr 1850 eine Epidemie in Jerusalem ausbrach, erinnerte sich Gobat des Angebots und bat um die Entsendung zweier Diakonissen. Fliedner, der in persönlichem Kontakt mit Friedrich Wilhelm IV. stand, bat ihn um Verdoppelung der Stellen, um gleich ein richtiges Hospital einrichten zu können, was ihm der König auch genehmigte 38 . Im Jahr 1851 konnte Fliedner das Diakonissenhaus in einer engen Gasse der Altstadt eröffnen. Zwei Diakonissen waren mit Krankenpflege beschäftigt, die beiden anderen im Unterricht einheimischer Mädchen, die im Nahen Osten üblicherweise überhaupt keine Ausbildung erhielten 39 . Im gleichen Jahr 1851 bemühte sich Bischof Gobat außerdem um die Einrichtung eines ,Hospitium'. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß deutsche Handwerksburschen auf der Wanderschaft im Orient mit ihrem Benehmen oft dem Deutschtum und ihrer Kirchengemeinschaft und das war meist die evangelische - Schande bereiteten. Ein Hospitium könnte den Handwerkern, aber auch anderen Reisenden sehr von Nutzen sein. Der König gewährte aus dem 1842
36 Vgl. auch die abschließende Bewertung bei Schmidt-Clausen 1965, 378-384. 37 Schoeps (Anm. 12), 243. 38 Fliedners Berichte, aus seinen „Reisen ins heilige Land", sind wiedergegeben bei Benz 1953, 212-213. 39 Hertzberg 1965, 18.
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angelegten Fonds 46000 Taler, damit ein entsprechendes Haus zunächst gemietet, später gekauft und unterhalten werden könnte 40 . Das Hospiz, das nur wenige Betten besaß, gewährte etwa 100 Personen jährlich Aufenthalt, die jeweils ungefähr zehn Tage blieben. Arme Gäste brauchten nicht zu bezahlen, vermögende hatten ein geringes Entgeld zu entrichten 41 . Anfänglich mit den Diakonissen in einem Haus untergebracht, erwies es sich als unpraktikabel, alle Aufgaben zusammen auszuführen. Das Hospiz zog daraufhin im Jahr 1854 aus und kaufte ein eigenes kleines Quartier. Ein weiterer, entscheidender Schritt wurde im Jahr 1858 getan, als das Hospiz in einen größeren Verband aufgenommen wurde, und zwar in den Johanniterorden. Es sollte der erste konkrete Schritt sein, in der Nachbarschaft der Grabeskirche seßhaft zu werden.
3.b Vorgeschichte II: Johanniterorden und Muristan Der hier angesprochene Johanniterorden war damals erst seit wenigen Jahren wieder aktiv. Es handelt sich um seinen evangelischen Zweig, der im Jahr 1852 von Friedrich Wilhelm IV. wiederbegründet worden war. Der ursprüngliche, mittelalterliche Orden diesen Namens hatte neben den Templern und dem Deutschen Orden zu den drei großen Ritterorden der Kreuzzugszeit gehört. Alle drei Orden hatten zwei wichtige Ziele: zum einen Schutz und Förderung der Pilger an den Heiligen Stätten Palästinas durch Hospitäler und Hospizien, zum anderen Schutz und bewaffnete Verteidigung der Heiligen Stätten und der christlichen Staaten im Heiligen Land. Sie waren mönchischbruderschaftlich und militärisch in verschiedenen Klassen organisiert. Als die Kreuzfahrerstaaten im Laufe des 13. Jahrhunderts wieder ausgelöscht wurden, hatten auch die Orden ihren Platz im Heiligen Land verloren; sie zogen sich auf ihre inzwischen erworbenen reichen Güter in Europa zurück. Den Templern wurde schon bald der Prozeß gemacht und ihr Orden im Jahr 1312 aufgelöst. Der Deutsche Orden hatte sich schon frühzeitig neue Betätigungsfelder gesucht und ist vor allem durch seine spätere Tätigkeit in Preußen bekannt geworden. Die Johanniter, zwar erst später als die anderen vom Papst als Ritterorden bestätigt, bildeten trotzdem eigentlich den ältesten der angesprochenen Orden 42 . Bereits im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts wurde nämlich in Jerusalem mit Unterstützung von Amalfitaner Kaufleuten
40 Abdel-Raouf Sinno, Deutsche Interessen in Syrien und Palästina 1841-1898. Aktivitäten religiöser Institutionen, wirtschaftliche und politische Einflüsse (Studien zum modernen islamischen Orient Band 3); Berlin FU Diss. phil. 1982, 141-147; Ben-Arieh 1984, 179. 41 In den 60er Jahren wurde das Hospiz gerne von Amerikanern besucht und gelobt. Vollpension, also Übernachtung und einfache, aber gute Kost kostete 1,5 rh. fl. gegen 6 fl. und Bakschisch in einem Gasthaus; Zeitungsbericht der Süddeutschen Warte vom 7. 7. 1864 , wiederabgedruckt in: Palästina-Chronik 1978,1, 75. 42 Die Darstellung der Geschichte der Ritterorden, ja der gesamten lateinischen Kirchenorganisation im östlichen Mittelmeerraum leidet unter dem fast totalen Verlust des Archivmaterials. Eine auch nur annähernd lückenlose Institutionengeschichte ist dadurch völlig unmöglich; Hans Eberhard Mayer, Bistümer, Klöster und Stifte im Königreich Jerusalem (Monumenta Germaniae Histórica. Schriften, 26); Stuttgart 1977, Vorwort S. VII. Dasselbe trifft auch für den Johanniterorden und seinen Besitz zu.
3.b Jerusalem: Johanniterorden und Muristan
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ein Kloster direkt bei der Grabeskirche gegründet, an das ein Hospiz zur Betreuung von Pilgern angegliedert wurde. Wegen der Herkunft der Mönche wie der Pilger aus dem Westen wurde ihre Marienkirche mit dem Zusatz „de latina" versehen 43 . Ungefähr zur gleichen Zeit wurde in unmittelbarer Nähe ein Nonnenkloster unter dem Namen S. Maria Magdalena gegründet, dessen Hospiz für weibliche Pilger sorgen sollte 44 . In ganz auffälliger Weise waren beide Klosterkomplexe auf die Grabeskirche ausgerichtet: Beide lagen im Süden der Grabeskirche und dieser Situation Rechnung tragend, besaßen die beiden geosteten Klosterkirchen in ihrer normalen Schauseite - der Westseite - kein Portal, sondern nur eines am nördlichen Seitenschiff, zur Grabeskirche hin also 45 . Zu Beginn der Kreuzzugszeit hatten sich das Kloster S. Maria Latina und das ursprünglich dazugehörige Hospiz bereits zu zwei eigenständigen Institutionen entwickelt. Das Kloster gehörte weiter den Benediktinern 46 , das Hospiz hingegen wurde die Keimzelle des neuen Ordens 47 , der sich nach einer weiteren hier befindlichen Johanneskirche benannte. Die einzige Aufgabe des Ordens war lange Zeit die der Pilgerbetreuung, und zwar aller Pilger unabhängig von ihrem Besitzstand oder Rang. Die daraus entwickelte Betreuung derjenigen Pilger, deren Los am härtesten war, nämlich der auf der Pilgerfahrt erkrankten, hat ihnen zu Recht den weiteren Namen „Hospitaliter" eingetragen. Erst ungefähr fünfzig Jahre nach Beginn der Kreuzzüge waren sie neben dem Hospital- auch im Kriegsdienst tätig 48 ; jetzt erst erfüllten sie die heute gängigen Vorstellungen der Ritterorden. Als das Heilige Land im 13. Jahrhundert verloren ging, zogen sich die Johanniter zunächst nach Zypern zurück, dann weiter nach Rhodos; im 16. Jahrhundert mußten sie auch diese Insel aufgeben und übersiedelten nach Malta; nach diesen Orten wurden sie auch Rhodos- oder Malteser-Ritter genannt. Bis um 1800 konnte der Orden dann in Europa weiterbestehen, bis er wie die meisten anderen aufgelöst wurde. Eine besondere Situation hatte sich in Preußen ergeben. Bereits im 14. Jahrhundert hatte die Ordensprovinz Brandenburg eine gewisse Selbständigkeit vom Hauptorden erworben. Gleichzeitig lehnte sie sich stärker an den Landesherren an, so daß sie sich schließlich mit ihm im
43 Rudolf Hiestand, Die Anfänge der Johanniter, in: Die geistlichen Ritterorden Europas; hg. von Josef Fleckenstein und Manfred Hellmann (Vorträge und Forschungen, 26); Sigmaringen 1980, 31-80, hier besonders 34—37 und Mayer (Anm. 42), Kap. II. 1. Zum Besitz von S. Maria Latina in Jerusalem, S. 215-221. 44 Hiestand (Anm. 43), 35. 45 Erst gegen Mitte des 12. Jhs. wurde östlich an die Rotunde ein Querschiff und neuer Chor mit Umgang und drei Radialkapellen angelegt und damit der neue Haupteingang zur Grabeskirche im Süden des Querschiffes angelegt, d.h. jetzt lag der Eingang genau gegenüber dem Hospiz. - Möglicherweise hat am gleichen Platz, dem Forum der hadrianischen Stadt, schon ein von Karl dem Großen gestiftetes Hospiz gestanden; da es jedoch nur in einer schriftlichen Quelle genannt wird und zudem keine archäologischen Anhaltspunkte vorliegen, ist diese Tradition zu wenig nachprüfbar. - Eine erste Hospizgründung wird aus dem Jahr 603 von Papst Gregor dem Großen überliefert, die ebenfalls nicht genauer lokalisierbar ist; Hiestand (Anm. 43), 32-33. Diese und die karolingischen Hospiz- und Klostereinrichtungen zeigen zumindest vage eine stete Präsenz des Westens in Jerusalem. 46 Das zeigt Mayer (Anm. 42), 215ff. 47 Nach Hiestand (Anm. 43), 37ff. 48 Hiestand (Anm. 43), 72ff.
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/. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
16. Jahrhundert der Reformation zuwandte. Das hinderte sie nicht, auch weiterhin mit dem Gesamtorden und seiner Leitung in Malta in Kontakt zu bleiben. Erst am 30. Oktober 1810 wurde die Ordensprovinz Brandenburg von Preußen aufgehoben 49 .
Das Muristangelände Von keinem anderen Orden ist dessen Hauptquartier in Jerusalem so genau bekannt wie das der Johanniter. Die Templer hatten auf der Tempelterrasse ihren Hauptsitz; jedoch besaßen gleichzeitig noch Kanoniker dort ein Stift und der fränkische Statthalter sein Hauptquartier. Da das Areal nach der Eroberung Saladins unverzüglich umgebaut und als muslimisches Heiligtum wiederhergestellt wurde, sind topographische Angaben zur Kreuzfahrerzeit kaum zu machen 50 . Mit dem Deutschen Orden in Verbindung zu bringen ist ein Quartier am westlichen Tempelabhang, das erst vor kurzem in kleinen Teilen untersucht werden konnte 51 . Das Gelände der Johanniter hingegen ist durch alle Zeiten bekannt geblieben. Mit dem Namen „Muristan", der aus den nachfolgenden islamischen Zeiten stammt und mit „Krankenhaus" zu übersetzen ist 52 , ist es in die Literatur eingegangen. Es schließt sich unmittelbar südlich an die Grabeskirche an (Abb. 19)53. Das Terrain, das durch seine rechtwinklige Anlage und enorme Größe - 137 χ 155 m - im Stadtplan Jerusalems sofort auffällt, schließt insgesamt drei Kirchen ein, zwei Marienkirchen und eine Johanneskirche, deren Entstehung sämtlich vor die Zeit der Kreuzritter zurückgeführt werden kann. Hier, auf dem Platz des römischen Forums der nachbiblischen Zeit, als Jerusalem unter Hadrian wieder aufgebaut wurde - soll schon Karl der Große ein Hospiz gestiftet haben. Sicher nachzuweisen sind aber die beiden Marienkirchen
49 Hans Prutz, Die geistlichen Ritterorden. Ihre Stellung zur kirchlichen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Mittelalters; Berlin 1908; Reprint Berlin 1977, 313. 50 Helmut Buschhausen, Die süditalienische Bauplastik im Königreich Jerusalem von König Wilhelm II. bis Kaiser Friedrich II. (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse; Denkschriften, 108. Band); Wien 1978, 186-204. 51 Das Hospital mit der Kirche S. Maria Teutonicorum wurden erst nach 1967 freigelegt; Asher Ovadiah, A Crusader Church in the jewish Quarter of Jerusalem, in: Eretz Israel 11, 1973, 208-212 (hebräisch) mit engl. Zusammenfassung auf S. 29*. Der Zusammenhang dieses Hospitals, dessen Existenz bereits für das Jahr 1143 gesichert ist, mit dem 1190 bei Akkon gegründeten Deutschen Orden ist ab 1229 gesichert. Welche Rolle das Jerusalemer Hospiz bei der Gründung des Ordens spielte, wird in der Forschung nach wie vor kontrovers gesehen; vgl. Hartmut Boockmann, Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte; München 1981, 26-32. 52 Das Wort setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: Bimar = krank und stan = Ort. Dieses zusammengesetzte, ursprünglich persische Wort für Krankenhaus wurde auch ins Arabische übernommen, ist dort jedoch nicht mehr gebräuchlich. Ich danke Dr. Nazmi Al-Jubeh von der Universität Birzeit/West Bank für die Auskünfte zur Etymologie. 53 Was die Unterscheidung der Kirchen angeht, bietet die präziseste Analyse zur mittelalterlichen Topographie Buschhausen (Anm. 50), 241-249. - Einen guten Überblick mit interessanten Abbildungen und ausgewogener Wertung der komplizierten Geschichte (der Autor beherrscht die hebräische und arabische Sprache) gibt die medizinhistorische Dissertation von Schwake 1983; die J o h a n n i t e r b e t r e f f e n d S. 2 6 ^ t 0 u n d 5 4 - 7 4 .
3.b Jerusalem: Johanniterorden und Muristan
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als Hospitalkirchen eines Männer- und eines Frauenhospitals erst ab dem 11. Jahrhundert 54 . Nur die Johanneskirche existierte schon in frühbyzantinischer Zeit. Die mittelalterliche Bebauung ist durch die Ausgrabungen am Ende des letzten Jahrhunderts anläßlich des Baus des griechischen Basars oberflächlich bekannt, als die Grundrisse von S. Maria Magdalena (oder Maria minor bzw. maior) und großer mehrschiffiger Hallenbauten nachgewiesen wurden 55 . Als Saladin im Jahr 1187 die Stadt eroberte, wurde das Hospital nicht zerstört; zehn Brüdern wurde von Saladin gestattet, noch ein Jahr lang Kranke zu betreuen 56 . Danach führte er das Hospital oder große Teile davon nach islamischem Recht weiter. Es war seine bedeutendste Stiftung in der Stadt, die er bezeichnenderweise direkt bei der Grabeskirche einrichtete, im Gegensatz zu seinen Nachfolgern, die es zum Tempelberg hinzog 57 . Pilger wurden zwar immer noch zum Heiligen Grab zugelassen, aber die neuen Machthaber wollten sie unter Kontrolle halten; daher wurden sie im 13. Jahrhundert, als die Gefahr eines weiteren Kreuzzuges noch akut war, vor den Stadttoren in den ehemaligen Ställen der Johanniter untergebracht und täglich in Gruppen zu den Heiligen Stätten geführt 58 . Erst im 14. Jahrhundert verbesserte sich die Situation wieder. Peter von Aragon und Robert von Anjou hatten erreicht, daß die Heiligen Stätten wieder von Christen betreut werden durften, und seit den 30er Jahren waren Franziskaner an den vier Stätten tätig, die mit Geburt, Passion und Tod Christi und dem Tod der Maria verbunden waren 59 . Gleichzeitig wurde die Pilgerherberge wieder zurück in die Stadt, und zwar in das alte Johanniterhospiz, verlegt, das nun auch von Franziskanern betreut wurde. An der Spitze der Verwaltung stand jedoch ein mamelukischer Dragoman, der neben einer allgemeinen Pilgerbetreuung im ganzen Heiligen Land für die Kasse zuständig war: Der Engländer Thomas Brygg zum Beispiel zahlte im Jahr 1392 einen halben Dukaten für das Hospital und sechseinhalb allein für den Besuch des Heiligen Grabes 60 . Die Wallfahrt war
54 Da drei Kirchennamen überliefert sind (S. Maria Latina, Maior und Minor), hat die Zuordnung der Namen viel Mühe gemacht und wurden lange die Kirchennamen auf die falschen Objekte bezogen. Nach Buschhausen existierten anfangs die beiden Kirchen S. Maria Latina als Männerkloster und S. Maria Minora als Frauenkloster. Letztere wurde im 12. Jh. durch einen größeren Neubau ersetzt und hieß deshalb fortan S. Maria Maiora. Die uns interessierende Kirche ist demnach S. Maria Latina, die in der früheren Literatur fälschlicherweise oft als S. Maria Maiora bezeichnet wird (da sie die größere von beiden sei). - Jüngst hat Bieberstein 1993 versucht, die karolingische Tradition für S. Maria Latina zumindest literarisch wahrscheinlicher zu machen. 55 Schick 1902; Meron Benvenisti, The Crusaders in the Holy Land; Jerusalem 1970, 58-62 über die Johanniter. 56 Migne Patrologia Latina 201, 1409. 57 Die Stiftung zugunsten der Sufis wurde am 5. Ramadan 585 H (= nach der Hedschra)/ 17. Oktober 1189 eingerichtet, nach Moudjir-ed-dyn. Die Geschichte Jerusalems des genannten Arabers aus dem Ende des 15. Jahrhunderts ist für das islamische Mittelalter die beste veröffentlichte Quelle. Der Muristan wird darin öfters als Stiftung Saladins erwähnt (s. v. Hôpital, Khânqâh de Saladin); Moudjir-ed-dyn, Histoire de Jérusalem et d'Hébron depuis Abraham jusqu'à la fin du XVe siècle de J.-Chr.; fragments de la Chronique, traduits par Henry Sauvaire; Paris 1876, hier 166 (Stiftungsdatum) und öfter. 58 Sylvia Schein, Latin Hospices in Jerusalem in the Late Middle Ages, in: ZDPV 101, 1985, 82-92, hier 82-83. 59 John Moorman, A History of the Franciscan Order; Oxford 1968, 436-437; Lemmens 1925. 60 Schein (Anm. 58), 84-91.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniwns
inzwischen ein Geschäft geworden, mit Methoden, die sehr modern anmuten: zu einem niedrigen Grundpreis kamen die teuren Extras, die aber die Reise erst ausmachten. Denn was sollte eine Pilgerfahrt nach Jerusalem ohne den Besuch des Heiligen Grabes? Im 15. Jahrhundert müssen noch große Teile des Johanniterhospizes gestanden haben, wie wir den Pilgerberichten entnehmen können. Die Pilger waren beeindruckt von den riesigen gewölbten Sälen, in denen immer noch mehrere hundert Personen gleichzeitig übernachten konnten. Bald sollte sich das ändern. Auf die Mameluken folgten im Jahr 1517 die Osmanen als neue Großmacht im östlichen Mittelmeerraum. Erst unter ihnen diente der Muristan nicht mehr den christlichen Pilgern; er geriet in Vergessenheit und wurde wohl überhaupt nicht mehr benutzt. Der Muristan verfiel, und in den herrenlosen Gemäuern breiteten die Gerber, eines der anrüchigsten Gewerbe in einer Stadt, ihre Felle aus. Unter den Osmanen war der Wakf an die Omar-Moschee, also an die höchstrangige muslimische Institution der Stadt, übereignet worden. In deren Besitz blieb der Muristan bis ins 19. Jahrhundert 61 .
Der neue Johanniterorden Sämtliche Güter des protestantischen Zweiges des Johanniterordens in der Bailei Brandenburg waren im Jahre 1810 vom Staat eingezogen worden. Den Orden selber löste Friedrich Wilhelm III. am 23. Mai 1812 auf, stiftete jedoch gleichzeitig „zu einem ehrenvollen Andenken der aufgelösten und erloschenen Balley" den neuen Orden unter dem Namen „Königlich Preußischer St. Johanniterorden" 62 . Es war ein reiner Dekorationsorden, der nach dem Verdienst um den Staat vergeben wurde; tatsächliche Leistungen im Sinne des alten Ordens zählten überhaupt nichts mehr. Prinz Heinrich von Preußen, der weiter amtierende Großmeister, empfand das als doppelt schmachvoll, zumal der neue Verdienstorden unter den preußischen Ehrungen an letzter Stelle rangierte 63 . Seit dieser Zeit verfiel auch die Zentrale der Bailei Brandenburg, nämlich das Ordensschloß in Sonnenburg an der Warthe. Dem wollte der ortsansäßige Richter Scholle Einhalt gebieten und Beiträge zum Erhalt der Burg einsammeln. Friedrich Wilhelm IV., nach den Ordensstatuten auch ihr Großmeister, begrüßte diese Initiative, jedoch kam es ihm nicht nur auf eine äußerliche Wiederherstellung des Bauwerkes an. Entsprechend der Bedeutung des Ordens besonders in seinen Anfängen wollte er das Schloß als Hospital verwendet wissen. Aus diesem Grundgedanken heraus stellte der König am 15. Oktober 1852, seinem Geburtstag, die Bailei Brandenburg als protestantische Adelsgenossenschaft mit dem ausdrücklichen Ziele wieder her, die aufgebrachten Mittel für die Krankenpflege einzusetzen 64 . Es war eine Wiederherstellung im wörtlichen Sinn, denn auch die Mitgliedschaft aller Ordensritter der Zeit vor der Aufhebung lebte
61 Wartensleben 1868, 31-36. 62 Maximilian Gritzner, Handbuch der Ritter- und Verdienstorden aller Kulturstaaten der Welt innerhalb des XIX. Jahrhunderts; Leipzig 1893; Nachdruck Leipzig 1983, 383ff. 63 Der Johanniterorden, der Malteserorden. Der ritterliche Orden des hl. Johannes vom Spital zu Jerusalem. Seine Geschichte, seine Aufgaben; hg. von Adam Wienand; 3., überarbeitete Aufl. Köln 1988, 504. 64 C. Herrlich, Die Balley Brandenburg des Johanniter-Ordens von ihrem Entstehen bis zur Gegenwart und in ihren jetzigen Einrichtungen; 4. Auflage nach dem Tode des Verfassers vervollständigt vom Ordensbureau; Berlin 1904, 68ff.; Prutz (Anm. 49), 314; Reumont 1885, 4 0 1 ^ 0 2 .
3.b Jerusalem: Johanniterorden und Muristan
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wieder auf. Die letzten noch lebenden acht Ritter wählten in einem Kapitel am 14. März 1853 den Bruder des Königs, Prinz Karl, zu ihrem neuen Großmeister 65 . Die auf diese Weise gebildete protestantische Ordensgemeinschaft sollte sich in Zukunft als sehr erfolgreich erweisen. Der Orden selbst wuchs sehr rasch. Bis zum Jahr 1890 wurden über 3000 Ritter ernannt, 42 Krankenhäuser in Europa und im Orient eingerichtet. Vorbildlich waren die Lazarettdienste in den kommenden großen und blutigen Kriegen, und weil der Johanniterorden übernational organisiert war, hatte er auch einen wichtigen Anteil an der Bildung des Roten Kreuzes 66 . Zum anderen aber wurde gerade dieser kleine, protestantische Zweig des Ritterordenswesens Vorbild für die katholischen Orden, die sich bald in ähnlicher Weise reorganisieren sollten. Im Jahr 1858 übernahm der Johanniterorden das kleine Hospiz in der Nähe der Grabeskirche in Jerusalem 67 . Friedrich Wilhelm selbst hatte dies dem Orden vorgeschlagen, und er hatte auch schon ein neues, größeres Quartier für das Hospiz im Auge: den Muristan 68 ! Das würde bedeuten, daß der Orden an seinen Ursprungsort mit seinen ursprünglichen karitativen Aufgaben zurückkehren würde. Doch bis dahin sollte noch viel Zeit vergehen, zu viel Zeit für den König, der 1861 starb.
Zeit der Entdeckungsreisen Seit dem 16. Jahrhundert war der Muristan ein riesiges Ruinenfeld. Trotzdem blieb die Örtlichkeit bekannt, denn es gab viele alte Reisebeschreibungen Jerusalems und des heiligen Landes, um sich orientieren zu können. Seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, als das Interesse am Heiligen Land sprunghaft anstieg, waren auch schon etliche neue Beschreibungen erschienen, sei es als Reiseeindrücke einer Pilgerreise oder auch schon fast wissenschaftlich zu nennende Guiden 69 . Die Zahl der Reisenden mehrte sich nun schnell. So konnte es geschehen, daß der schwärmerische Bayer Johann Nikolaus Sepp Weihnachten 1845 in der Geburtsgrotte zu Bethlehem „ vor dem Altare der Geburt Christi mit nie gefühlten Empfindungen kniete, als ein Mann mir zur Linken mit Meßschnur und Zollstab die Maße an der Treppe herabnahm: man konnte denken, damit die heilige Grotte ihm bis zum nächsten Besuche nicht ausgetauscht würde - es war der wackere Tobler"7Ü. Der Schweizer Arzt Titus Tobler hat tatsächlich die gründlichste Arbeit zur Kenntnis des Heiligen Landes vor Beginn der Ausgrabungstätigkeiten geliefert. Er wertete Pilgerberichte aller Zeiten aus, unterschied zwischen Autoren, die das Heilige Land aus eigener Anschauung kannten beziehungsweise nicht kannten. Sein zweibändiges Werk erschien im Jahr 1853 in Berlin, einem Zentrum der Palästinaforschung jener Zeit 71 .
65 Herrlich (Anm. 64), 69. Das geschah sozusagen in allerletzter Minute: wäre das Kapitel ein Jahr später zusammengetreten, hätte es aus einem einzigen überlebenden Ritter bestanden; Johanniterorden (Anm. 63), 505-06. 66 Reumont 1885, 485; Sinno (Anm. 40), 144; Johanniterorden (Anm. 63), 511-513. 67 Ben-Arieh 1984, 179. 68 Sinno (Anm. 40), 143-144, nach dem Wochenblatt der Johanniter-Orden-Balley Brandenburg 36, 1895, Nr. 9, 49f. 69 Einen lebendigen Eindruck von Palästinareisen im 19. Jahrhundert verschafft Gollwitzer 1948. Unentbehrliches Nachschlagewerk für Palästina-Reiseliteratur bleibt nach wie vor Röhricht. 70 Sepp 1863,1, S. XIII. - Vgl. Gollwitzer 1948, 306. 71 Tobler 1853; diesem Werk ist ein allein 100 Seiten umfassendes Quellenverzeichnis vorangestellt.
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I. Modellfälle des
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Doch Preußen war nicht auf den Schweizer Tobler angewiesen, sondern verfügte auch über eigene Informationsquellen wie Ernst Gustav Schultz, den preußischen Konsul in Jerusalem. Schultz hatte in Königsberg sein Theologie-Studium begonnen, war aber bald zum Studium der orientalischen Sprachen gewechselt 72 . Zur Untersuchung arabischer Handschriften fuhr er im Jahr 1841 nach London und Oxford und lernte dort Bunsen kennen. Im Jahr darauf wurde er bereits nach Jerusalem geschickt, um dort das preußische Konsulat einzurichten. Hier trieb er historisch-topographische Studien, über die er zwischenzeitlich in Berlin berichtete 73 . Er konnte seine Arbeiten jedoch nicht vollenden, weil er 1851 an Gelbsucht erkrankte und starb. Von den Gebäuden des Muristan waren also nur noch Trümmerhaufen übriggeblieben, wie es schon der weltreisende Maler Cornells de Bruyn im Jahr 1681 bemerkt hatte 74 . Als einziges Gebäude war die Johanneskirche intakt und diente griechischen Mönchen 7 5 . In ihr wurden offenbar an verschiedenen Stellen Johanniterkreuze gesehen, die mit dem zunehmenden Reiseverkehr und vor allem durch die Wiederbegründung des Ordens stark gefährdet waren. Einerseits schlugen die griechischen Mönche die Steinskulpturen selber ab, um sie überteuert zu verkaufen, andererseits berichtete Wartensleben nicht ohne Stolz, daß es gelungen sei, „eine weit schönere Reliquie, ein Säulen-Capital, an jeder der 4 Seiten mit einem Johanniter-Kreuze verziert, für Sonnenburg zu entführen "lb. Gegenüber dem Eingang der Grabeskirche lagen anstelle des angenommenen Großmeisterpalastes ein weiteres griechisches Kloster und eine Moschee; diese bezeichnete die Stelle, an der Kalif Omar nach der Einnahme Jerusalems gebetet haben soll. Von den beiden Marienkirchen war die eine, in der Mitte des Komplexes gelegene, völlig unter einer ungefähr fünf Meter hohen Schuttschicht verschwunden, und von der anderen war so wenig vorhanden, daß man ihre Reste nicht genau identifizieren konnte 77 . Das Portal, das heute als Seitenportal der Erlöserkirche genauso wie bei der Vorgängerkirche S. Maria Latina dient, wurde für die Klosterpforte gehalten. Tobler malte sich im Geiste ein Bild von Bettlern aus, die auf der Bank vor der Pforte ihre Armenspeisung erhielten. Das eine erhaltene Apsidengewölbe der dreischiffigen Kirche wurde zwar gesehen, aber nicht mit einer Kirche in Verbindung gebracht. Den anschließenden Kreuzgang, wo „der Schutt noch grinsender wohnt" 7 8 , bewohnte eine arabische Familie. Alles in allem machte der riesige Komplex, in dem Pferde- und Kamelkadaver zuhauf herumlagen, einen verlassenen, ja verkommenen Eindruck 79 . Nominell wurde das Anwesen von der alteingesessenen Familie El-Alemi verwaltet, die das Amt des Mutawalli dieses Wakf erblich ausübten 80 . Nach der Eroberung Jerusalems durch die Osmanen im Jahr 1517, als das Hospiz endgültig aufgegeben worden war, hatte es an einem Gestaltungswillen für dieses Gelände gefehlt, so daß
72 ADB 32, 1891, 704-705. 73 Ernst Gustav Schultz, Jerusalem. Eine Vorlesung; Berlin 1845. 74 Cornells de Bruyn, Reyzen door de vermaardste Deelen van Klein-Asia; Delft 1698, benutzt in der französischen Ausgabe: Voyage au Levant, en Egypte, Syrie ...; Paris 1704, 174: „A quelque distance de là on voit les ruines de la maison des Chevaliers de Malthe ..." 75 Vincent/Abel 1914-26, Fasz. III, 648-649. 76 Wartensleben 1868,34. 77 Vergleiche die Beschreibung des Geländes bei Tobler 1853, 406ff. 78 Tobler 1853,409. 79 Sepp 1863,1,725. 8 0 W a r t e n s l e b e n 1 8 6 8 , 32.
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die Gebäude verfielen und unter einer mehrere Meter hohen Schuttschicht verschwanden 81 . Beschleunigt wurde der Verfall vieler inzwischen unnützer Gebäude, indem sie als Steinbruch für die gewaltigen neuen Stadtbefestigungen des 16. Jahrhunderts verwendet wurden. Erst nach 300 Jahren, ab 1840, wurde es in Jerusalem wieder sehr lebendig. Die Errichtung des englisch-preußischen Bistums hatte das katholische Europa aufgeschreckt. Jedes Land schickte nun Kundschafter nach Jerusalem, um zu sehen, wie die Dinge dort stünden, und was zur Hebung der eigenen Mission getan werden könne 82 . Nach England und Preußen hatte Österreich 1852 ein Konsulat und Hospiz errichtet, Rußland geradezu ein Neu-Jerusalem, eine gewaltige Vorstadt im Nordwesten der Altstadt gebaut, zugleich als Demonstration seiner Macht auf die erlittene Niederlage im Krimkrieg hin. Napoleon III. ließ sich die Kreuzfahrerkirche St. Anna abtreten. Die Aktivitäten waren unübersehbar, und es war unberechenbar, wer sich welches Stückchen Jerusalem sichern wollte. Dem Muristan als direktem Nachbargrundstück zum Heiligen Grab fiel dabei eine besondere Rolle zu, und daß bei dem einsetzenden Gerangel um seinen Besitz Preußen als Sieger hervorgehen sollte, war keineswegs abzusehen. Preußens Interesse setzte hier eher spät ein. Als Vertreter des katholischen Westens waren in Jerusalem zunächst lediglich die Franziskaner anwesend, freilich mit einer langen und großen Tradition. Seit dem 14. Jahrhundert hatten sie die ganze Zeit über als Wächter des Heiligen Grabes ausgehalten, oft unter vielen Entbehrungen und Ungerechtigkeiten. Ihre Lage hatte sich im 19. Jahrhundert noch weiter verschlechtert, vor allem weil sie die steigenden Abgaben an den Sultan kaum aufbringen konnten 83 . Das Protektorat, das Frankreich für die Katholiken im Osmanischen Reich seit langem wahrgenommen hatte, war im Heiligen Land nicht gern gesehen, weil Frankreich in anderen islamischen Ländern zuwenig oder gar keinen Druck auf die Durchsetzung katholischer Sitten ausgeübt hatte 84 . Ein entscheidender Schritt der Katholischen Kirche war zweifellos die Wiedererrichtung des lateinischen Patriarchats in Jerusalem. Dieses während der Kreuzzüge gegründete Patriarchat mußte im Jahr 1291 aufgegeben werden. Ein Titularbischof residierte seitdem in Rom. Die Wiedererrichtung dieses Patriarchates war eine der ersten Amtshandlungen von Pius IX. nach seiner Thronbesteigung 1847 und war programmatisch für seine Regierungszeit, in der er das Papstamt zu einem Machtanspruch führen sollte, wie er lediglich im Mittelalter vorhanden und auch damals nur kurzzeitig verwirklicht war 85 . Vorausgegangen war eine mehrjährige Überle-
81 Die christlichen Pilger wohnten in dieser Zeit wieder vor der Stadt. Salomon Schweigger kam 1581 bei den Franziskanern auf dem Zionsberg unter, was wohl das übliche war. Waffentragen in der Stadt wurde mit einem Strafgeld von 100 Dukaten belegt, und auch sonst scheinen die Osmanen die geschäftliche Seite des Pilgerbetriebes noch weiter ausgedehnt zu haben, wie der Bericht Schweiggers zeigt: Salomon Schweigger, Ein newe Reyssbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem; Originalausgabe 1608; Reprint Graz 1964 (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten, 3), darin Jerusalem: S. 287-316. 82 Vgl. den farbigen Artikel in der Süddeutschen Warte vom 20. 1. 1870, abgedruckt in: Palästina-Chronik 1978,1, 119-123. 83 Neben den westlichen Pilgern betreuten sie auch die einheimischen Katholiken; diese gehörten zu den ärmsten Bevölkerungsschichten. Zu den Katholiken in Jerusalem Ben-Arieh 1984, 226-229. 84 [Johann Nepomuk Sepp], Forschungen eines deutschen Reisenden in Jerusalem, in: Historischpolitische Blätter 18-20, 1846-1847, hier besonders in 20, 1847, 133-135. 85 Handbuch der Kirchengeschichte, hg. von Hubert Jedin, VI, 1971, 196.
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gensphase seitens der R ö m i s c h e n K i r c h e 8 6 . S o liegen die P l ä n e R o m s einerseits und L o n d o n s und B e r l i n s andererseits zur Errichtung e i n e s B i s t u m s in J e r u s a l e m in b e m e r k e n s w e r t e r zeitlic h e r N ä h e zueinander 8 7 . E i n e wichtige R o l l e spielte auch der b a y e r i s c h e K ö n i g L u d w i g I . 8 8 . Für ihn bedeutete die H i l f e im Heiligen L a n d nur einen T e i l seiner Unterstützung, die er deutschen K a t h o l i k e n i m Ausland gewähren w o l l t e 8 9 . Ihm lagen die F r a n z i s k a n e r als „ W ä c h t e r a m Heiligen G r a b " a m Herzen, die so sehr unter den o s m a n i s c h e n Steuerlasten litten. D e s w e g e n richtete er a m 2 8 . S e p t e m b e r 1 8 3 8 mit e i n e m Kapital von 1 0 . 0 0 0 G u l d e n eine Stiftung ein, mit deren Zinsen sie eine j ä h r l i c h e Unterstützung erhielten 9 0 . A l s i m g l e i c h e n J a h r noch ein entsprechender A u f r u f in den Historisch-politischen Sammlungen
an91. Bereits
Blättern erschien, ordnete er für mehrere J a h r e
landesweite
1 8 3 9 hatte zudem L u d w i g s S c h w a g e r , Herzog M a x i m i l i a n
in
B a y e r n , eine Pilgerreise ins Heilige L a n d unternommen. E r ließ die G e i ß e l u n g s k a p e l l e an der V i a D o l o r o s a , die die Franziskaner gerade nach jahrhundertelanger Mißnutzung als Stall zurückerhalten hatten, a u f seine K o s t e n als K a p e l l e wieder h e r r i c h t e n 9 2 . D i e s e zwar b e s c h e i d e n e A u f g a b e war i m m e r h i n die erste Bautätigkeit der Europäer in J e r u s a l e m seit Jahrhunderten und Auftakt der „friedlichen E r o b e r u n g " J e r u s a l e m s , w i e sich der b a y e r i s c h e Historiker S e p p ausdrückte93. L u d w i g s A b s i c h t e n deckten sich weitgehend mit denen von J o h a n n N e p o m u k Sepp, was nicht verwunderlich ist, da S e p p der Historiograph L u d w i g s war und besonders dessen Kunstm ä z e n a t e n z u m schilderte 9 4 . E r hatte unter anderem bei Görres studiert, d e m e r auch später die T r e u e hielt, und dann selber eine G e s c h i c h t s p r o f e s s u r in M ü n c h e n inne. V o n der N a c h w e l t wurde er meist als r o m a n t i s c h e r S c h w a r m g e i s t a b g e t a n 9 5 . 86 Laut Handbuch der Kirchengeschichte (Anm. 85), V I , 196, allerdings ohne Quellen, waren es zehn Jahre, was ins Jahr 1837 mit dem Beginn des katholischen Interesses führen würde. Das erscheint doch zu früh. Erste deutliche Äußerungen waren 1842 zu vernehmen, als Reaktion auf das anglikanisch-preußische Bistum. 87 Erster Patriarch wurde der Spanier Valerga; er errichtete zunächst das Patriarchatsgebäude, in den 7 0 e r Jahren dann die Prokathedrale; sie mußte sich mit diesem Rang begnügen, weil als die eigentliche Kathedrale die Grabeskirche gilt. Ben-Arieh 1984, 2 3 1 - 2 3 3 . 8 8 Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie; München 1986, 571. 8 9 Ein Schwerpunkt dieses Programms bildete Nordamerika, wo er die Gründung einiger Klöster veranlaßte; Gollwitzer (Anm. 88), 570. Eine Auflistung seiner gewährten Unterstützungen für Kirchgemeinden und Kirchbau findet sich in Sepp 1903, 8 0 5 - 8 2 0 . 9 0 Sepp 1 9 0 3 , 7 8 6 . 91 Jerusalem und die Hüter des heiligen Grabes, in: Historisch-politische Blätter 2, 1838, 2 1 9 - 2 4 8 . 9 2 Die nicht sonderlich gute Wiederherstellung der Kirche der Kreuzritterzeit besorgten die Franziskaner in großer Eile, da abzusehen war, daß die Ägypter, denen sie die Überlassung verdankten, sich nicht lange würden halten können; Meistermann 1925, 168f.; Vogüé 1860, 300f. 9 3 Sepp 1 9 0 3 , 7 8 5 . 9 4 Die erste Auflage seines Buches: Ludwig Augustus erschien bereits 1869. Moderne Darstellungen über Sepp fehlen. Außer seiner eigenen Lebensbeschreibung sei auf eine Kurzbiographie in: J o seph Görres. Leben und Werk im Urteil seiner Zeit, hg. von Heribert Raab; Paderborn 1985, 7 6 4 - 7 6 5 verwiesen. 9 5 Sepp war keineswegs nur bayerisch gesinnt. Z . B . war er es, der die berühmte Fahrt ins östliche Mittelmeer antrat, um das Grab Friedrich Barbarossas in Tyrus zu suchen.
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Johann Nepomuk Sepp hatte 1845/46 eine Fahrt ins Heilige Land unternommen, um Material für sein fünfbändiges „Leben Jesu" zu sammeln. Er kannte es also aus eigener Anschauung. Frucht seines Aufenthaltes war nicht nur wissenschaftliches Arbeitsmaterial, sondern auch ein großer Aufsatz in den Historisch-politischen Blättern 1846 und 1847 96 , in dem er die aktuelle Lage der Christen im Heiligen Land analysierte. Der letzte Abschnitt betraf die christlichen Protektoren des Heiligen Grabes 97 . Er gipfelte in der Forderung, eine priesterliche und weltliche Schutzherrschaft in Jerusalem aufzurichten. Verschiedene katholische Institutionen sollten sich zu dem Werk zusammentun. Und um ihm eine konkrete Grundlage zu geben, damit das Werk auch sichtbar gegen die andersgläubige Bevölkerung bestehen könne, wäre es am besten, „wenn das Hospital der Johanniter wieder auflebe." Sepp hat hier schwärmerisch und konkret in einem gedacht; schwärmerisch, indem er glaubte, verschiedene Institutionen zu einer gemeinsamen Handlung anregen zu können, doch ganz konkret in den Konsequenzen seiner Idee und in der daraus folgenden topographischen Analyse. Kristallisationspunkt der Christen in Jerusalem war und ist das Heilige Grab, also sollte auch dort oder in unmittelbarer Nähe das entsprechende neue Zentrum entstehen. Das Johanniterhospital als fast leeres, unbewohntes Grundstück war dazu ideal geeignet, zumal es beim Haupteingang zur Grabeskirche lag und eine große christliche Vergangenheit in Erinnerung rief. In dieser Verbindung von Schwärmerischem mit Realem gibt es zu Sepp eigentlich nur ein Vorbild: Bunsen, und tatsächlich wurde Sepp auch als „katholischer Bunsen" charakterisiert 98 . Sepp hatte, was Jerusalem betraf, Bunsen sogar etwas voraus: die genaue Ortskenntnis. So gelang es ihm, auch andere von seiner Idee zu überzeugen, allen voran den König von Bayern. Sein Plan sah vor, ein österreichisch-bayerisches Konsulat einzurichten; Vinzentinerinnen hatten sich zur Einrichtung einer Pilgerherberge bereiterklärt. Alles war vorbereitet und diplomatisch in die Wege geleitet 99 , in Jerusalem schien alles bekannt zu sein 100 , da durchkreuzte der Rücktritt Ludwigs von seinem Thron im Frühjahr 1848 alle Pläne. In den folgenden Jahren verhinderten die schwierigen Verhältnisse im Osmanischen Reich Fortschritte in dieser Angelegenheit. Aber sofort nach der Beendigung des Krimkrieges im Jahre 1856 setzte ein verstärktes Interesse zahlreicher europäischer Mächte ein, in Jerusalem an prominenter Stelle präsent zu sein. In dieser Situation, als im Laufe des Jahres 1858 das Muristangelände sogar zur öffentlichen Versteigerung anstand, machte wieder Sepp auf das Ruinengelände neben der Grabeskirche aufmerksam. Als potientellen Besitzer sah er nun den Johanniterorden selber an, den früheren Eigentümer also: der katholische Zweig mit Sitz in Rom stelle erste Überlegungen an, deutlichere Vorstellungen habe jedoch der evangelische Zweig in Berlin, und wenn Rom nicht reagiere, dann wäre Berlin der gräkorussischen Gefahr allemal vorzu-
96 Sepp (Anm. 84). 97 Sepp (Anm. 84), 20, 1847, 129-146, besonders die letzte Seite. 98 Wann der Ausdruck erstmals gebraucht wurde, ist mir nicht bekannt. Möglicherweise geht er auf den bayerischen König Ludwig zurück. Sepp bezeichnete sich selber so in seinem Werk: Sepp 1896, Vorwort S. VII. - Vgl. auch Gollwitzer 1948, 309. 99 Der österreichische Gesandte Graf Ludwig von Senfft-Pilsach und Nuntius Mgr. Viale Préla, beide in München, gehörten zu dem Kreis; Sepp 1863,1, S. XXIIf. 100 Die große Detailkenntnis des Artikels in der Süddeutschen Warte vom 9. 12. 1869, abgedruckt in: Palästina-Chronik 1978 I, 116-117 ist nur so zu erklären.
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I. Modellfälle des
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ziehen 1 0 1 . Doch die Johanniterorden beider Konfession gingen vorerst leer aus: griechische Kaufleute erwarben den größten Teil des Geländes, und lediglich der östliche schmale Streifen mit S. Maria Latina blieb zur Disposition frei 1 0 2 . Noch einmal mußten zehn Jahre vergehen. Inzwischen war die Angelegenheit von Seiten der preußischen Regierung in Vergessenheit geraten, als ein Ritter des Johanniterordens, Freiherr Otto von Tettau, den König wieder an das Unternehmen erinnerte 1 0 3 . Auf diplomatischem W e g e liefen die Verhandlungen dann recht zügig, so daß Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., sie bei seiner Orientreise im Herbst 1869 abschließen konnte. Auf dem W e g zur Eröffnung des Suezkanals machte er zunächst Station in Konstantinopel 1 0 4 . Während des fünftägigen Aufenthaltes wurde noch mehrere Male verhandelt, „was die Anwendung aller Kraft angesichts der üblichen orientalischen Langsamheit erforderte", wie der Kronprinz am 29. Oktober 1869 notierte 1 0 5 . Erst jetzt wurden telegraphische Befehle nach Jerusalem geschickt und Friedrich Wilhelm ein Firman ausgestellt, um die Übergabe des Grundstücks zu regeln. Das geschah offenbar in letzter Minute zugunsten der preußischen Partei; denn seit einiger Zeit interessierte sich auch Österreich wieder f ü r den Muristan und wollte die alten Pläne Ludwigs wieder aufleben lassen. Doch während sich der österreichische Konsul in Jerusalem umsah, handelte der preußische Kronprinz in Konstantinopel 1 0 6 . A m 7. November 1869 war es soweit. Ein Vorauskommando preußischer Soldaten hatte das vermeintliche Eingangsportal der Umfassungsmauer vom Schutt befreit und hölzerne Türflügel angebracht. Jetzt überreichte der Gouverneur dem Kronprinzen die Türschlüssel, und ein deutscher Tischlermeister heftete den preußischen Wappenadler an, auf die Trümmerhaufen im Innern wurde die Fahne gepflanzt (Abb. 25) 1 0 7 .
101 [Sepp], Das bevorstehende Schicksal der Ruine des alten Hospitals in Jerusalem, in: Historischpolitische Blätter 42, 1858, 207-215. 102 Wartensleben 1868, 32-33. Vgl. auch die Süddeutsche Warte vom 9. 12. 1869 (Anm. 100). Friedrich Wilhelm IV. hat sich offenbar Anfang 1857 um den Erwerb des Muristan bemüht; in Berliner Archiven gelang mir der Nachweis nicht; vgl. jedoch Schütz 1988, 165 (nach dem Israelischen Staatsarchiv). 103 Kaiserpaar 1899, 179-180. - Ein gewisser Dr. J. L. Teilkampf hatte den Kultusminister mit einem Brief vom 12. 12. 1868 darauf aufmerksam gemacht, daß das Grundstück zur Verfügung stünde und ein bestehender kleiner Raum leicht als Kapelle hergerichtet werden könne; Berlin, GStAPK Rep. 76. III. Sekt. I. Abt. XVII Nr. 147: Jerusalem Bd. 4, o. Bl. 104 Der in 40 Exemplare vervielfältigte Reisebericht wurde verschiedentlich in Auszügen publiziert, vgl. Röhricht 547-548; moderne Edition: Friedrich Wilhelm 1971. 105 Friedrich Wilhelm 1971,37. 106 Metternich war seinerzeit wenig an der Sache gelegen, so daß Österreich seit 1848 nichts weiter unternommen hatte. Erst 1867 wurde der Gedanke in Wien wieder aufgegriffen, also ungefähr gleichzeitig mit Berlin; Sepp, Die Wiege des Johanniter-Ordens in deutscher Hand, in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung (München) Nr. 303 vom 1.11. 1889; ähnlich in Sepp 1896, I, 105-113. Sepp schöpft sein Wissen großenteils aus dem Wochenblatt der Johanniter-OrdensBalley Brandenburg vom 10. 6. 1889 (war mir nicht zugänglich). 107 Süddeutsche Warte vom 9. 12. 1869, abgedruckt in: Palästina-Chronik 1978, I, 116-117. Eine lebendige Schilderung fertigte auch der damalige Pfarrer Carl Hoffmann an: C. H., Die Besitzergreifung und Verwertung des Johanniterplatzes in Jerusalem 1869-1898, in: Mitteilungen und Nachrichten des Deutschen Palästinavereins 4, 1898, 73-80, hier 74-77.
3.b Jerusalem: Johanniterorden und Muristan
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Nach dem Grundstückserwerb war der Weg zum Kirchenbau prinzipiell frei. Merkwürdig lang mutet die Zeitspanne von über zwanzig Jahren an, die noch bis zum Baubeginn verstreichen sollte. Sie ist nur zum kleinsten Teil durch äußere Ereignisse erklärbar wie durch den deutsch-französischen Krieg, der den an sich für 1870 geplanten Arbeitsbeginn lediglich um ein gutes Jahr verzögerte 108 . Ein wichtiger Grund für die Verzögerung lag sicher in der schwierigen Finanzierung des Projektes. Eine gleich in den ersten Jahren veranstaltete Kollekte hatte mit 20000 Mark zwar reichen Ertrag gebracht, die jedoch für den Bau nicht ausreichten; auch die bis 1882 erreichten 278000 Mark 109 machten nur einen Teil der erwarteten Bausumme aus, so daß ein Baubeginn nicht absehbar war. Außerdem mußte ein Kirchbau auch einen Affront gegen das immer noch bestehende englisch-preußische Bistum darstellen. In diesem Punkte half man sich zunächst damit, daß nicht eine staatliche preußische Institution beziehungsweise der Oberkirchenrat als Bauherr auftreten sollte, sondern der Johanniterorden, der die Kirche dann der deutschen evangelischen Gemeinde zur Verfügung stellen sollte 110 . Das Bistum hatte allerdings nicht mehr den gleichen Stellenwert in der preußischen Politik wie zur Zeit seiner Gründung. Es hat den Anschein, daß es preußischen Stellen sogar recht war, diesen Bistumsvertrag aufzulösen, denn seine Bedingungen waren nicht mehr zeitgemäß. Dazu würde eine große Menge Geldes frei werden, die dem eigenen Kirchbauprojekt zugute kommen könnte. Friedrich Wilhelm IV. hatte das Bistum ja von Anfang an mit einem Dotationskapital versehen, das dem gemeinsamen Bistumsaufbau zugute kommen sollte, vor allem eben auch einem Kathedralbau. Nur durch die Auflösung des Bistumsvertrages konnte über diese Summen verfügt werden. Dieses Kapital betrug inzwischen 430000 Mark. Dazu kam die von ihm ausgeschriebene Jerusalem-Kollekte, die inzwischen 220000 Mark erbracht hatte 111 . So wichtig anfänglich die Gründung des gemeinsamen Bistums für die kleine deutsche Gemeinde gewesen war, so sehr wurde inzwischen diese Einrichtung als behindernd und ungerecht angesehen. Die deutsche Gemeinde war zahlenmäßig längst um ein Vielfaches stärker als die englische; trotzdem mußte sie sich mit den für sie ungünstigen Gottesdienstzeiten zufrieden geben, Konfirmationen mußten nach englischem Ritus durchgeführt werden, die Geistlichen die 39 Artikel der anglikanischen Kirche unterschreiben. Dies alles vertrug sich schließlich auch nicht mit der Rolle und dem Selbstbewußtsein des neuen Preußen: In den letzten dreißig Jahren hatte Preußen sein Territorium vergrößert, erfolgreiche Kriege gegen Österreich und Frankreich geführt, und der preußische König war zugleich deutscher Kaiser. Das alles vertrug sich nicht mehr mit dem englischen Primat im gemeinsamen Bistum. Bereits seit dem Jahr 1866 hielt die deutsche Gemeinde eigene Gottesdienste im Johanniterhospiz ab. Nach dem Muristanerwerb richtete sie dort 1871 eine Kapelle ein 112 . Der von Preu108 Eine weitere Verzögerung wurde durch neue Verhandlungen verursacht, diesmal mit dem griechischen Patriarchat, um die Grundstücksgrenzen genau festzulegen; Kaiserpaar 1899, 180. 109 Notiz in: Monatsblatt des Gustav-Adolf-Vereins für die Provinz Sachsen 4, 1882, 75-77. 110 Brief des Prinzen Karl von Preußen, zugleich Herrenmeister des Johanniterordens, an den Ev. Oberkirchenrat vom 10. 8. 969; Berlin GStAPK (Anm. 103), o. Bl. 111 Hertzberg 1965, 34-35. 112 Die Kapelle wurde im ersten Stockwerk in einem gut erhaltenen Saal am Kreuzgang, gegenüber der Kirche eingerichtet. Die Bauleitung hatte der ortsansässige Architekt Conrad Schick. Die Einweihung erfolgte am 16. Juli 1871; [Hermann] Weser, 2. Brief des Lic. Weser, in: NNM 15, 1871, 175-187, hier S. 178; ferner Hoffmann (Anm. 107) 79; Hertzberg 1965, 26-28.
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ßen bestimmte Bischof Gobat war der einzige, der die englische und die deutsche Teilgemeinde noch zusammengehalten hatte. Sein Nachfolger starb nach nur zweijähriger Amtsdauer. Preußen war wieder an der Reihe, einen Bischof zu benennen. Die deswegen geführten Verhandlungen scheiterten jedoch, und zwar vor allem, weil Preußen eine Änderung des Bistumsvertrages bezüglich der 39 Artikel und der anglikanischen Bischofsweihe forderte. Da England ablehnte - was vorauszusehen war - , kündigte Preußen den Bistumsvertrag am 3. November 1886 auf"3. Das freigewordene Kapital, nämlich das Dotationskapital und die Jerusalemkollekte des Jerusalemsvereins, zusammen rund 650 000 Mark, floß nun in die neue Jerusalem-Stiftung, die Wilhelm II. am 22. Juni 1889 einrichtete. Auch der Kirchbaufonds, der mit d e m Erwerb des Muristan eingerichtet worden war und inzwischen über 530 000 Mark ausmachte, wurde der Jerusalem-Stiftung übergeben, die so mit einem Male sämtlicher Geldsorgen entledigt war. Ziel dieser Stiftung war es, als oberste Instanz sämtlicher deutschen evangelischen Einrichtungen in Jerusalem zu dienen; vordringlich war dabei der Bau einer eigenen Kirche. D e m Geist nach setzte die Jerusalem-Stiftung also das alte Bistum fort, der Fluß der gewaltigen angesammelten Geldströme bestätigt das ebenso wie die personelle Besetzung des Kuratoriums, die aus Oberhofprediger und Personen aus dem Jerusalemverein, aus Kaiserswerth und aus dem Johanniterorden bestand 1 1 4 . Das Muristan-Kirchbauprojekt erweist sich so als logische und legitime Fortführung und Erbe des englisch-preußischen Bistums.
Von S. Maria Latina zur Johanniterkirche Friedrich Adler hatte den Auftrag erhalten, im Sommer 1870 im Anschluß an eine KleinasienExpedition mit dem Archäologen Ernst Curtius nach Jerusalem weiterzureisen, um dort eine Bauaufnahme des Muristan durchzuführen und ein Rekonstruktionsprojekt aufzustellen. Durch den deutsch-französischen Krieg wurde das Projekt zwar verzögert, ein Jahr später aber in zeitlich ähnlichem Rahmen durchgeführt 1 1 5 . Mitte Oktober 1871 traf Adler in Jerusalem ein und fand die Trümmer schon teilweise beiseitegeräumt" 6 . Adler gilt als der bedeutendste Bauhistoriker und Architekt seiner Zeit. Seine wichtigste Publikation, sie lag damals schon großenteils vor, behandelte die mittelalterliche Backsteinbaukunst des Preußischen Staates, die zwar heftige Kontroversen auslöste, dennoch aber wegweisend war 1 1 7 . Ende der 60er Jahre hatte er sich mit der Reichenau beschäftigt und anschließend mit dem Straßburger Münster, das im Krieg in Mitleidenschaft gezogen worden war und drin-
113 Schmidt-Clausen 1965, 377. 114 Hertzberg 1965, 35. 115 Brief vom 7. 9. 1871 des Reichskanzlers von Thile an Adler: der Bau soll würdig, in den alten Dimensionen und im entsprechenden Stile sein; Berlin GStAPK (Anm. 103) Bd. 5, Bl. 212-213. 116 Sein sehr farbiger Bericht über die gemeinsame Reise mit Curtius durch Kleinasien ist gedruckt: Friedrich Adler, Reiseskizzen aus dem Orient, in: DBZ 5, 1871, und 6, 1872. Als fünfzehnteilige Folge ist er für eine Bauzeitung außerordentlich lang. Der Bericht endet leider mit der Ankunft in Jerusalem. Der abgedruckte Reisebericht läßt als Ankunftszeit in Jerusalem die Monatsmitte Oktober erschließen. Vgl. auch Lemburg 1989, 72, aus Adlers handschriftlichen Notizen, heute Berlin, Staatsbibliothek PK, Hss. Slg. Darmst. 117 Lemburg 1989, 134.
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gender Reparaturarbeiten bedurfte. So war er für die Aufgabe des Forschens und Bauens geradezu prädestiniert. Adler kam in einem Moment nach Jerusalem, als die archäologische Neugier gerade erwacht war. Seit dreißig Jahren währte das Interesse des Westens an der Stadt überhaupt, speziell aber suchte man die jüdische Vergangenheit und die historischen Stätten des Wirkens Christi, die ins Kreuzfeuer der Kritik geraten waren. Da man glaubte, die Kontroversen mit dem Spaten aufklären zu können, hatte eine lebhafte Aufarbeitung der Stadtgeschichte begonnen 118 . Zwei Männer sind hier besonders zu erwähnen: Charles Warren und Conrad Schick. Die Engländer hatten eigens einen „Palestine Exploration Fund" gegründet, der jährliche Expeditionen vorsah; berühmt wurde Ingenieur und Leutnant Charles Warren, der von 1867 bis 1870 jährlich in Jerusalem weilte. Er durchforstete den Untergrund der Stadt, wo er nur durfte; und wo er nicht durfte wie auf dem Tempelberg, weil die osmanischen Stellen es verboten hatten, da versuchte er mit Tunnelbauten so nahe wie möglich heranzukommen" 9 . Seine an Schatzgräbermanieren erinnernde Tätigkeit schuf die bis heute unerläßlichen Grundlagen der Jerusalemer Stadtarchäologie. Der Württemberger Conrad Schick vertrat eine ganz andere Seite. Er gehörte zur ersten Gruppe der Basler Missionsbrüder, die bereits 1846 von Bischof Gobat zur Unterstützung seiner Mission nach Jerusalem gerufen worden waren. Obwohl nur handwerklich als Schlosser und Uhrmacher ausgebildet, hat er sich in Jerusalem als Architekt und als Archäologe betätigt, immerhin mit so großem Erfolg, daß er 1869 von seinem Heimatland Württemberg mit dem Titel eines Baurates geehrt wurde 120 . Seine Bedeutung liegt darin, daß er über fünzig Jahre lang die archäologische Forschung und aktuelle Bautätigkeit in Jerusalem beobachtete, teilweise selber durchführte und regelmäßig darüber berichtete. Durch die Konstanz seiner Beobachtungen hat er viel zur Kenntnis der alten Stadt beigetragen 121 . Als also Adler nach Jerusalem kam, lag der Muristan zwar noch in Trümmern, aber erste Prospektionen hatten bereits stattgefunden. Im September 1867 hatte Warren im Muristan mehrere Schächte ausgehoben und einen Schnitt durch das ganze Gelände gelegt, um über die Topographie des antiken Jerusalem, besonders den Stadtmauerverlauf, Klarheit zu erhalten; dabei hatte er vor allem riesige Zisternen entdeckt 122 . Wichtig war besonders seine Beobachtung, daß es nach der Kreuzfahrerzeit kaum weitere monumentale Bebauung im Muristan gegeben hatte. Gleich nachdem das Grundstück in preußischen Besitz gelangt war, ließ der preußische Generalkonsul das Grundstück aufräumen, so daß die Struktur der Gebäuderuinen klar zutage trat. Bis Ende 1870 sollen 100 000 Eselladungen Schutt vor die Tore der Stadt gebracht worden sein 123 . 118 Ben-Arieh 1984, 2-12. 119 Gilbert 1985, 128-132 zur Tätigkeit von Warren; ebenda S. 136 eine Karte mit den wichtigsten Grabungspunkten Warrens. Viele seiner Berichte wurden in der Vereinszeitschrift Palestine Exploration Fund. Quarterly Statement 1, 1867ff. veröffentlicht. 120 Strobel 1988; Alex Carmel, Wie es zu Conrad Schicks Sendung nach Jerusalem kam, in: ZDPV 99, 1983, 204-218. 121 Von der Universität Tübingen wurde er für seine Verdienste um die Erforschung Jerusalems mit der Eherndoktorwürde ausgezeichnet; Carmel (Anm. 13), 157. 122 PEFQS 1, 1867, 21-22 und 27-28. 123 Hoffmann (Anm. 107), 77. - Nach einem Bericht in: CKB 1874, 64 sollen es allerdings nur 1 000 Karren Schutt gewesen sein, was wiederum zu tief gegriffen erscheint. Pfarrer Weser, der
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Adler weilte nur kurze Zeit in Jerusalem. Es reichte ihm wohl, um die Ruine in groben Zügen aufzunehmen; die eigentlichen Ausgrabungen wurden erst im folgenden Jahr begonnen 124 . Im Spätherbst 1871 kehrte Adler nach Berlin zurück, und im Februar des folgenden Jahres berichtete er in zwei Sitzungen des Architekten-Vereins Berlin vom Heiligen Land und den dortigen Ausgrabungen und Neubauprojekten 125 . Nach der Abreise Adlers hatte Schick die Leitung der Ausgrabungen übernommen. Er publizierte im Sommer 1872 wenigstens einen Grundriß der ergrabenen Teile (Abb. 22) l 2 6 . Da von Adler nur sehr wenig Pläne des Muristanprojektes erhalten sind und immer nur das Neubauprojekt zeigen, ist der Plan von Schick sehr aufschlußreich. Darauf wird gleich eingegangen werden. Schon im Jahr 1872 arbeitete Adler erste Entwürfe für eine rekonstruierende Muristanbebauung aus. Als Bauprogramm waren Kirche und Pfarrhaus, Schule und Hospiz vorgesehen, ein regelrechtes deutsches evangelisches Kulturzentrum, das sich gut in eine ehemalige Klosteranlage einfügen konnte. Damit hängt wahrscheinlich die erste erhaltene Planserie Adlers aus dem Jahr 1875 zusammen 127 . Wie bereits erwähnt, blieb die Bauangelegenheit stecken. Unter Wilhelm II. wurden die ursprünglichen Planungen mit nur zwei Modifikationen wieder aufgegriffen: Es wurde aufgrund veränderter demographischer Verhältnisse nur die Kirche aufgebaut, und außerdem hatte Wilhelm einen anderen Kirchturm zur Ausführung bestimmt. Zunächst soll jedoch das ursprüngliche Projekt, wie es mit der Kirche auch ausgeführt wurde, behandelt werden. Adler hatte von Kaiser Wilhelm I. den Auftrag erhalten, „die Ordenskirche völlig in alter Weise herzustellen"129, um auf diese Weise ein Monument der Kreuzfahrerzeit wiederzugewinnen. Wie verhalten sich nun ergrabener Befund, soweit noch feststellbar, mit dem ausgeführten Bau?
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zu dieser Zeit in Jerusalem tätig war und die Vorgänge genau beobachtete, berich-tete, daß täglich 20 bis 40 Esel gemietet würden und die ganze Arbeit wohl ein Jahr dauern würde; die Schutthöhe betrug 20-30 Fuß und mit dem Schutt würde ein Tal vor der Stadt aufgefüllt; Weser (Anm. 112), 176. Das geht aus den von Conrad Schick publizierten Notizen hervor: Mitteilungen und Nachrichten des Deutschen Palästinavereins 1895, 6-8. Sitzungen vom 10. und 17. Februar. Da seine Zeichnungen anderweitig veröffentlicht werden sollten, ist sein Vortrag noch nicht einmal zusammengefaßt worden: DBZ 6, 1872, 54 und 62. Zu der Publikation ist es aber nicht gekommen. Church of the Knights of St. John, in: PEFQS 1872, 100 mit beigefügter Tafel (Juli-Heft). Warren fertigte nach seinen Sondierungen ebenfalls einen Plan an; er umfaßt das gesamte östliche Drittel des Muristangeländes, also auch die südlich an das preußische Areal anschließenden Gebiete. Die letzten Einzeichnungen sind mit dem Datum 1873 versehen; Charles Warren, Plans, Elevations, Sections etc. shewing the Results of the Excavations at Jerusalem, 1867-70, executed for the Committee of the Palestine Exploration Fund; 50 Tafeln; London 1884; hier Taf. L. Die beigegebenen vier Schnitte vermitteln ein anschauliches Bild davon, daß die Außenmauern noch in großer Höhe, oft zweistöckig, aufrecht standen. Von einer Reproduktion wird hier abgesehen, da eine Verkleinerung der Karten im Imperialformat ihren Aussagewert zu sehr mindert. Der Verbleib der Pläne ist z. Zt. unbekannt; unsere Abb. nach Lemburg 1989, Abb. 130 (Mikrofiche). Adler an Minister Itzenplitz am 26. 10. 1871 aus Jerusalem; Berlin, Staatsb., Hss. Slg. Darmst (Adler); zitiert in L e m b u r g 1989, 73 A n m . 447.
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Die in deutschen Besitz gebrachten Teile des Muristan ließen ein nicht besonders großes, aber komplettes Kloster erkennbar werden: eine Klosterkirche mit im Süden anschließenden zweistöckigen Kreuzgang und um diesen die Klostertrakte. Viele der Konventsgebäude, auch das Kreuzganginnere, enthielten unterirdische Zisternen, die sofort wieder benutzt werden konnten. Die Kirche bestand aus einem dreischiffigen basilikalen, nur drei Joche kurzen Langhaus, ihm schloß sich ein mit den Seitenschiffmauern fluchtendes Querhaus an; herausragende Akzente bildeten die Vierungskuppel und die drei Apsiden im Ostteil. Die Stützen waren als rechteckige Pfeiler mit flachen Vorlagen nach allen Seiten gebildet. Die Umfassungsmauern der Kirche waren im südwestlichen Joch verstärkt, was deutlich auf einen Turmaufbau hinwies; dafür spricht auch die in der Mauerstärke versteckte Wendeltreppe 129 . Als Besonderheit muß angesehen werden, daß in der normalen Hauptansichtsseite der Kirche, der Westseite, kein Portal vorhanden war. Als einziger Eingang von außen diente ein Portal an der Nordseite, das an seiner kleinen Vorhalle den oft beschriebenen Zyklus der Monatsdarstellungen besitzt. Weiter ist bemerkenswert, daß der gesamte Komplex von keiner Seite her eine eigentliche Ansichtsseite hatte. Im Westen und Norden drängte sich eine dichte Reihe schmaler, langgestreckter Läden und Lagerräume an Konvent und Kirche, die freilich nicht zum ursprünglichen Bestand gehörten. Im Süden setzten sich die Muristangebäude noch fort, lagen jedoch nicht mehr im Ausgrabungsgebiet. Auch an der Westflanke des Komplexes setzten die Konventsgebäude sich offenbar nach Westen fort, ohne auf die Fluchtlinie der Kirchen-"Fassade" Bezug zu nehmen, und diese erschien ebenfalls teilweise eingebaut. Der von Schick mitgeteilte Plan ist kaum imstande, uns ein Bild von den verschiedenen Zuständen und Bauphasen dieses Klosterkomplexes zu vermitteln. Angesichts des historischen Wissens, das wir über dieses Kloster besitzen, sind verschiedene Bauphasen und Erweiterungen allein in der aktiven Zeit, also im 11. und 12. Jahrhundert, beinahe selbstverständlich, ohne überhaupt die lange nachfolgende Zeit zu berücksichtigen, ein Zeitraum, in dem wahrscheinlich auch Reparaturen durchgeführt worden sind. Da es sich dazu nur um einen Teil eines viel größeren Komplexes handelt, da außerdem dieses Kloster an einen Orden gelangte, dessen Baukunst bisher kaum übergreifend behandelt wurde, und da es sich schließlich bei dem Gesamtkomplex des Muristan um das erste, wichtigste und größte Haus dieses Ordens handelt, sollten aus allen diesen Gründen Rückschlüsse nur mit allergrößter Vorsicht gezogen werden. Kirche und Klosterkomplex, die offenbar eine Einheit bildeten, sind bescheiden dimensioniert, wenn man sie mit Klosteranlagen im westlichen Europa vergleicht, doch unter den bekannten Jerusalemer Kirchen der Kreuzfahrerzeit gehörten sie nach der Grabeskirche zu den größten. Nur die St. Annenkirche und die zweite Marienkirche des Muristangeländes erreichten eine ähnliche Größe. Mit diesen hat sie auch die allgemeine Disposition gemeinsam, nämlich die gleiche Abfolge von kurzem, dreischiffigem Langhaus, überkuppeltem Querschiff und Drei-Apsiden-Abschluß. Auffällig arm war die Bauplastik vertreten. Das liegt zunächst daran, daß die gesamte Kapitellplastik nicht erhalten ist; die Mauerreste, die noch standen, wiesen glatte Wände und Pilastergliederung auf. Lediglich das Seitenportal an der Nordflanke der Kirche besitzt den Zyklus der Monatsdarstellungen, den schon Vogüé im Jahr 1860 publiziert hatte 130 und der eine Datierung für dieses nachträglich angefügte Portal nach Mitte des 12. Jahrhunderts zuläßt. 129 Allerdings ist der entsprechende Mittelschiffpfeiler nicht verstärkt eingezeichnet. 130 Vogüé 1860, 255-262, die Portalskulptur auf Tafel XVII und XVIII. - Nach den Stahlstichabbildungen zu urteilen - die mir vorliegenden Fotografien sind zu schlecht, die Skulpturen inzwi-
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Adlers Aufgabe bestand darin, aus der Ruine wieder eine Kirche zu machen und in dem Klostertrakt die übrigen Gemeinschaftsräume und Pfarrerwohnung unterzubringen, immer unter der Maßgabe einer Wiederherstellung. Beleuchtet sei zunächst nur Adlers Leistung, abgesehen von später vorgenommenen Änderungen. Bei den Formen des Kirchenbaus hielt Adler sich zunächst streng an das Vorgefundene. Die Kirche wurde in ihren Großformen wieder errichtet. Dabei ging er sogar soweit, Inkonsequenzen der Bauausführung des alten Baus, die aus stilistischen Weiterentwicklungen resultierten, in sein Projekt aufzunehmen. So brechen an zwei Stellen der Nordseite die Strebepfeiler in großer Höhe unvermittelt ab, um einem eng zusammengerückten Fensterpaar Platz zu machen, ein häufig zu beobachtendes Phänomen in der beginnenden Gotik. Neben dem Restaurator Adler wird aber der schöpferische Architekt Adler spürbar. Schon der Innenraum bot erhebliche Probleme, die es zu lösen galt. Zum einen war das Straßenniveau seit dem Mittelalter so weit angehoben worden, daß an einen Eingang in Höhe der mittelalterlichen Kirche nicht zu denken war. Der Fußboden wurde um gute zwei Meter angehoben, was eine Neuarbeitung und Neuversetzung entsprechender vorhandener Profile und Gesimse zur Folge hatte 131 . Auch die bis dahin erhaltene Kuppelkalotte der rechten Apsis mußte deswegen neu gesetzt werden. Besondere Probleme bot der Innenraum aber wegen der Bauskulptur, von der praktisch nichts mehr vorhanden war. Frühzeitig muß Adler davon gewußt haben - er kannte zum Beispiel die Publikation von Vogüé, der in seinen Plänen sehr gut zwischen erhaltenen und von ihm rekonstruierten Teilen unterschieden hatte 132 . Schon auf dem Weg nach Jerusalem machte Adler daher den seinerzeit beschwerlichen Umweg, von Jaffa kommend, über Lydda, weil dort eine Kirche der Kreuzfahrerzeit, die berühmte St. Georgskirche, in bedeutenden Resten erhalten sein sollte. Als er ankam, wurden die Reste gerade in einen größeren Neubau miteinbezogen 133 . Auch in Jerusalem inspizierte er natürlich die anderen Kirchen der Kreuzfahrerzeit, um Anregungen zum Beispiel für die Vierungskuppel oder für Detailbildungen wie die Kapitellplastik zu erhalten. Noch vor Baubeginn wurden über Jahre hinweg Baubeobachtungen gewonnen, die hätten verwertet werden können. So wurden Reste des alten Fußbodens entdeckt, Inschriften, die zu Gräbern gehörten, eine weitere, die eventuell zu den alten Chorschranken gehört hatte; alles
sehen noch viel fragmentierter - können die Portalskulpturen kaum vor der Mitte des 12. Jahrhunderts angesetzt werden. 131 Im Kirchenschiff 2,10 m, im Altarbereich 2,44 m über der Kreuzfahrerkirche; Lux 1972, 189 Anm. 19. 132 Vogüé 1860, 256ff. und Tafel XVI. - Vogüé ergänzte zunächst zeichnerisch den Grundriß. Anhand geometrischer Modelle ergab sich ein Plan, der in der Gesamtdisposition sehr große Ähnlichkeit mit St. Anna aufwies, in genau einem Element aber fortschrittlicher war als jene: die Pfeiler wurden nicht mit rechteckigen Vorlagen bereichert, sondern mit halbrunden Säulen. Einziger Beweis dafür waren zwei erhaltene Basen am Nordeingang. Ob die anderen nicht mehr vorhanden oder lediglich verschüttet waren, ist nicht bekannt. Er machte immerhin als einziger diese Detailbeobachtung; weder Schick noch Warren gingen darauf in ihren Plänen ein; deswegen sind auch ihre Rekonstruktionen der Kirche sehr vorsichtig zu beurteilen. 133 Adlers Bericht, in: DBZ 6, 1872, 129-130. Zu Lydda vgl. Buschhausen (Anm. 50), 272-273; Vogé 1860, 363ff. Die ruinöse Kirche war kurze Zeit vorher ein Streitobjekt zwischen der lateinischen und griechischen Kirche gewesen. Auf ein gutes Wort des deutschen Gesandten hin hatte der Sultan 1871 die Kirche den Griechen zugesprochen; Weser (Anm. 112), 179.
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ging verloren. Auch eine große Treppe, die im Innern der Kirche angelegt war und vom Querschiff in das Kreuzgangobergeschoß führte, wurde restlos abgeräumt, um die Kirche in ein Normalmaß zu bringen 134 . Dabei wäre der Platz für die Gemeinde nicht nötig gewesen. Man hielt die Treppe für einen Einbau nach der Kreuzfahrerzeit, obwohl es sich bei ihr aller Wahrscheinlichkeit nach um die Dormitoriumstreppe handelte 135 . Nach dem damaligen Kenntnisstand freilich glaubte man, eine Nonnenkirche vor sich zu haben, und in dieser brauchte es keine Dormitoriumstreppe. Die Kirche kann also kaum als die wiederhergestellte S. Maria Latina angesehen werden, vielmehr handelt es sich um einen Neubau im Stil und genau an der Stelle des 12. Jahrhunderts. Mit dieser Definition vertragen sich dann auch weitere Beobachtungen gut. Von vornherein wurde bewußt darauf verzichtet, die Kirche oder die Nebengebäude wieder einzubauen, also mit einstöckigen Ladenzeilen umgeben zu lassen. Dies mochte eine historische Berechtigung an Nord- und Ostseite haben, da diese Anbauten später hinzugefügt worden waren. An der Westseite fehlte diese Begründung, denn hier setzte sich vor der Kirche und den Nebengebäuden das Johanniterspital selbst fort. An dieser Stelle wurde aber ganz bewußt eine Straße angelegt. Bereits Warrens Ausgrabungsplan zeigt die Linienführung dieser Straße, die das Muristangebiet in Nordsüdrichtung teilt. Für europäische Verhältnisse zwar weder lang noch sonderlich breit, war sie doch für Jerusalem etwas Neues: die ganze Altstadt besitzt keinen derartig langen und breiten Straßenzug 136 . Für die Anlage der Straße waren neue Verhandlungen mit dem Besitzer des anderen Muristan-Teils notwendig, nämlich mit dem griechischen Patriarchen; im Jahr 1889 schließlich wurde der Straßenbau begonnen, die den Namen Friedrich-Wilhelm-Straße erhielt, um den Kronprinzen, der den Muristan erworben hatte, zu ehren 137 . Die Straße diente nicht nur der Erschließung des Geländes, sondern auch der Freilegung vor allem des preußischen Teils im Sinne einer modernen Stadtplanung, denn nach diesem Plan wurde die neue Kirche nun nach drei Seiten freigestellt. Die Lage an einer Straßeneinmündung machte die Ansicht noch vorteilhafter. Von dieser Straße aus betrachtet - und alle Ansichten zeigen die Kirche so, die Zeichnungen sind maßlos übertrieben - entfaltet die Kirche ihre volle Wirkung; es ist die Ansicht von der Grabeskirche her. Der Wunsch nach einer hervorgehobenen, bedeutenden Ansichtsseite muß auch als eigentliche Triebfeder gesehen werden, diese Ansichtsseite unter Zurückstellung archäologischer Erkenntnisse zu gestalten. So mußte nun erstmals eine wirkliche Schauseite entworfen werden. Die Mitte, die vorher durch eine Mauer verschlossen war, erhielt das neue Hauptportal, das sich in den Formen an das historische Portal der Nordseite anlehnte. Darüber wurde im Obergeschoß eine Fensterrose eingebaut, die archäologisch überhaupt nicht nachgewiesen war. In die Fassade integriert, durch mächtige Strebepfeiler getragen, wächst aus ihrer Flanke der Kirch-
134 Kurze Fundberichte in: PEFQS 1872, 100; 1875, 77-81; 1881, 274; 1882, 3-4; 1889, 113-114; 1892, 187 und 334; 1894, 147; 1895, 29-30, 108-109, 248-249; Mitteilungen und Nachrichten des DPV 1895, 6-8. 135 Für eine regulär angeordnete Dormitoriumstreppe war zu wenig Platz, weil das Querschiff nicht vorspringt. Ganz kanonisch verband sie aber den Mönchschor über das Querhaus mit dem Obergeschoß des Kreuzganges, wo sich das Dormitorium befand. 136 „Wie Jerusalem keine zweite aufzuweisen hat," charakterisierte Pfarrer Hoffmann die Straße: Hoffmann (Anm. 107), 77. 137 PEFQS 1889, 114.
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türm (Abb. 24) 138 . Er erreichte schon im ersten Projekt Adlers eine Höhe von annähernd fünfzig Metern. Adlers Turm sollte sich über der Firsthöhe des Querhauses zunächst in einer Arkade, darüber in drei Arkaden als Klanggeschoß öffnen, und dann sollte ein achteckiges Geschoß zu einem spitzen achtseitigen Helm überleiten. Zur breit gelagerten Kirche wäre ein steiler, vertikaler Akzent gesetzt worden. Adler berief sich bei seinen Turmplanungen auf den Befund der Ausgrabungen und Bauuntersuchungen. So waren die Außenmauern des südwestlichen Joches tatsächlich verstärkt. Dafür spricht auch, daß der dazugehörige Pfeiler im Kircheninnern als einziger direkt auf Fels aufsaß und somit größere Lasten tragen konnte 139 . Jedoch zeigen die veröffentlichten Pläne der mittelalterlichen Kirche keine entscheidende Verdickung dieses Pfeilers, gerade im Gegensatz zu Adlers mächtigem Pfeiler an dieser Stelle. Also ist eine bescheidenere Turmanlage für die mittelalterliche Kirche anzunehmen. Daß Adler aber gerade in diesem Punkt die Ergebnisse der Bauforschung für seinen Turmbau in Anspruch nimmt, erscheint nicht ganz gerechtfertigt. Hatte sich schon die Kirchenfassade Korrekturen gefallen lassen müssen, so galt das konsequenterweise genauso für die anschließenden Klostergebäude. Hier zog Adler eine vollkommen neue Baufluchtlinie entlang der künftigen Friedrich Wilhelm-Straße, was eine völlige Neuerrichtung und Neugestaltung der Außenmauer bedeutete. Das ist besonders schade, weil sich gerade in diesem Trakt das einzige wohlerhaltene, etwas reicher skulpierte Fenster des gesamten Muristanbezirkes befand 1 4 0 . Adlers Konzept, wie es spätestens im Jahr 1875 fertig ausgearbeitet vorlag, sah im Prinzip also einen völligen Neubau der Kirche und eine neue Inszenierung vor: Die wiederhergestellte Kirche als Denkmal einer vergangenen Epoche, aber historisch legitimiert durch den alten Standort und den alten Orden, der bereit war, wieder in das Gemäuer einzuziehen. Die Wappen Preußens und des Johanniterordens, das Lamm Johannes' des Täufers am alten und neuen Portal verbildlichen Tradition und Rechte über eine Zeitspanne von nahezu 800 Jahren. Aber die Kirche war nur auf dem Papier fertig. Zur Verwirklichung des Planes sollten nochmals über zwanzig Jahre vergehen, zwanzig Jahre, die auch für die Geschichte dieses Kirchenbaus viel bedeuten sollten. Das Neue wird dann vor allem mit der Person Wilhelms II. verknüpft sein.
3.C Von der Johanniterkirche zur Erlöserkirche Die mit so großem Elan begonnene Unternehmung, den Muristan zu einem preußischen Gemeindezentrum auszubauen, war nach wenigen Jahren erlahmt. Als größtes Hemmnis hatte sich, wie oben dargestellt, die eigene Gründungsgeschichte erwiesen, das gemeinsame Bistum mit der anglikanischen Kirche. Die Zeitungsberichte machen diesen Zusammenhang sehr deutlich: Bereits im August 1886 - ein Vierteljahr vor der offiziellen Auflösung des gemeinsamen Bistums - geisterten entsprechende Nachrichten durch die Presse. Eine selbständige Gemeindegründung, wenn möglich mit einem eigenen deutschen Bischof an der Spitze, wurde von der
138 Der Turm wurde in dieser Form nicht ausgeführt. Da bei den Turmplanänderungen die Kirche nicht verändert wurde, können die Bilder der ausgeführten Kirche in den wichtigsten Zügen schon für das erste Projekt vorausgesetzt werden. 139 Adler 1898a, 375-376. 140 Siehe auf dem Querschnitt Α-B des Planes bei Warren (Anm. 126), Tafel L.
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„Warte" in Jerusalem freudig begrüßt und direkt mit einer Nachricht aus Berlin verknüpft, nach der der Baubeginn nun unmittelbar bevorstehe 141 . Doch so schnell konnten die Dinge nicht weiterbewegt werden. Nachdem erste Entwürfe zur Errichtung der Kirche ausgearbeitet waren, konnte sie der Kronprinz, der seit seiner Orientreise damit beschäftigt war, wegen seiner Krankheit nicht weiterverfolgen. Auch in seiner 99tägigen Regierungszeit als Kaiser Friedrich III. mußte der Kirchenbau hinter drängenderen Vorhaben zurückstehen. Trotzdem war man auch im Dreikaiserjahr zunächst noch voller Hoffnung 1 4 2 . Der junge Kaiser Wilhelm II. nahm sich dann der Sache unverzüglich an. Im Juni 1889 wurde auf seinen Erlaß hin die Evangelische Jerusalem-Stiftung mit Sitz in Berlin gegründet, die als Nachfolgeorganisation des Bistums anzusehen ist 143 . Sämtliche aus dem Bistum stammenden Geldmittel wurden in die neue Stiftung übernommen, und dazu kam noch der Kollektenfonds, der bereits für die Muristanbebauung gesammelt worden war. Er betrug über 500 000 Mark und war ausdrücklich zum Kirchenbau in Jerusalem vorgesehen. Trotzdem wurde erst gegen Ende des Jahres 1893 der Grundstein gelegt. Wieder hatte es Schwierigkeiten gegeben, die erst behoben werden mußten. Zunächst hatte sich die Situation in Jerusalem selbst in den letzten zwanzig Jahren doch gründlich geändert 144 . Die Bevölkerungszahl hatte sich verdoppelt, seit 1840 mehr als verdreifacht. Jerusalem war keine verschlafene Provinzstadt mehr und besaß durchaus eine große Anziehungskraft, die sich nicht nur auf Pilger beschränkte 145 . Zwar nahm die Zahl der Juden am stärksten zu - sie verfünffachte sich - , aber sowohl die moslemische als auch die christliche Gruppe hatten ebenfalls enorme Zuwächse. Das hatte, besonders nach dem Krimkrieg, zu einer spürbaren Veränderung des Stadtbildes geführt. Die Häuser im Zentrum wurden aufgestockt, und gleichzeitig entstanden vor den Stadtmauern die ersten großen Quartiere. Die meisten Deutschen wohnten ebenfalls in diesen neuen Quartieren im Westen der Stadt 146 . Ferner wurden der Bevölkerung jetzt durch neuangelegte, breite Straßen in den Vorstädten die beengten Verhältnisse der Innenstadt bewußt. Der Muristan erschien nun plötzlich als kaum erreichbare Insel im Häusergewirr der Altstadt. So hatte sich die Situation für die deutsche Gemeinde dahingehend entwickelt, daß die geplanten Gebäude der 70er Jahre zum einen von der Größe her gar nicht mehr ausreichten und zum anderen auch für die Gemeinde nicht mehr günstig lagen. Wenn „der Platz [d.i. der Muristan] ... nach den neueren Begriffen ziemlich abgelegen"147 erschien, wird hier gleichzeitig auch ein verändertes Verhalten der Ausländer zu ihrer Gaststadt deutlich: Das Motiv des christlichen Pilgers als Aufenthaltsgrund tritt hier bereits gegenüber dem des ständig anwesenden Ausländers zurück, der sich aus beruflichen Gründen in der Stadt aufhält; ihm ist der historische Ort ein sekundäres Anliegen. 141 Die Warte des Tempels vom 5. August 1886, zitiert in: Palästina-Chronik 1978, II, 84-85. 142 Warte des Tempels vom 12. März 1888, zitiert in: Palästina-Chronik 1978, II, 109. 143 Die Statuten abgedruckt in: Palästina-Chronik 1978, II, 133-134, nach der Warte des Tempels vom 12. 9. 1889. 144 Warte des Tempels vom 12. 9. 1889, abgedruckt in: Palästina-Chronik 1978, II, 132-133. 145 Alexander Schölch, Palästina im Umbruch 1856-1882. Untersuchungen zur wirtschaftlichen und sozio-politischen Entwicklung (Berliner Islamstudien, Band 4); Wiesbaden 1986, 113ff. 146 Warte des Tempels vom 12. 9. 1889 (Anm. 144). 147 Ebenda.
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Insofern war die Entscheidung des Kaisers, die Kirche wie ursprünglich geplant am vorgesehenen Platz zu bauen und andere Teile der Baugruppe, nämlich Schule und Pfarrhaus, in die Vorstadt zu verlegen, nicht selbstverständlich. Gerade die Trennung von Kirche und Pfarrhaus ist ein Indiz dafür, daß hier eine ungewöhnliche Entscheidung gefällt worden war. Dabei bekam die Kirche eine geradezu programmatische Bedeutung, die durch mehrere Faktoren gegenüber dem ersten Kirchbauprojekt noch erheblich gesteigert werden sollte. Es ging nicht mehr nur um eine Kreuzfahrerkirche, sondern viel mehr um eine Kirche, die mit dem Heiligen Grab eng verbunden war und mit etlichen anderen Kirchenneubauten anderer Konfessionen in Konkurrenz treten sollte. Neue archäologische Entdeckungen, Ausstattung der Kirche und ihre Namensgebung werden wichtige Indizien dafür sein. Die Kirche sollte genau nach den Plänen Adlers gebaut werden und darüberhinaus sollte nur noch das Hospiz am alten Platz bleiben (Abb. 23) 1 4 8 . Das Bauprogramm war also auf Kirche und Hospiz reduziert worden. Das sind aber genau die zwei Funktionen, die dasselbe Areal auch im Mittelalter besessen hatte. Das Johanniterhospital als Pilgerherberge lebte in einem wortwörtlichen Sinn wieder auf. Als Pilgerherberge und -kirche machte es nur direkt neben dem Heiligen Grab einen Sinn, nicht als Kirche einer Gemeinde, die in einem ganz anderen Stadtteil konzentriert lebte. In dieser Beziehung ist auch die Anlage der Straße wichtig, die mehrere wichtige Funktionen erfüllte. Sie verschaffte nicht nur Zugang zur neuen Kirche, sie verbesserte vielmehr nachhaltig den Zugang zur Grabeskirche selber. V o m Jaffator zum Heiligtum führte nun direkt ein bequemer Weg 1 4 9 , der in seinem schönsten Teil sogar den Namen eines Hohenzollern führte. Außerdem ging es um die denkmalartige Herausstellung der Kirche. Zwar kann nicht von einer Platzanlage im eigentlichen Sinne gesprochen werden, auf d e m die Kirche angelegt worden wäre, wie wir es von europäischen Platzsituationen des 19. Jahrhunderts her kennen. D a f ü r bot die Altstadt Jerusalems nicht genügend Platz. Doch die Veränderungen der unmittelbaren U m gebung der Kirche, nämlich Aufgabe der eingebauten Kirche, spricht eindeutig für den Willen, die Kirche zur Schau zu stellen. Unterstützt wird diese Sicht dadurch, daß die bereits zwischen preußischem und griechischem Territorium projektierte Straße letztendlich nochmals verbreitert wurde: der preußische König kaufte den Griechen den erforderlichen Geländestreifen für eine 8 m breite Straße ab, damit der monumentale Bau eine freie Lage bekäme 1 5 0 . Die Straße wurde die breiteste in der Altstadt; aufgrund der Besitzverhältnisse - sie gehörte Preußen handelte es sich fast um eine Privatstraße, was auch die Möglichkeit der Namengebung durch Preußen erklärt 1 5 1 . Durch die freie Lage unmittelbar vor der Grabeskirche k a m der Johanniterkirche eine richtungsweisende Bedeutung zu, was noch durch den weit aufragenden Glockenturm unterstrichen wurde. Er ist auch der einzige Teil des Komplexes, an dem Wilhelm eigenhändig Veränderungen vorgenommen hat. Als weiteres Motiv, den Kirchbau nun ohne weitere Verzögerungen in Angriff zu nehmen, muß die Konkurrenzsituation der westeuropäischen Länder in Jerusalem gesehen werden. Die148 F., Die deutsche evangelische Kirche in Jerusalem, in: DBZ 32, 1898, 559-561. 149 Der in Anm. 144 genannte Artikel vom 12. 9. 1889 hob ausdrücklich den schlechten Zustand und die verwinkelte Führung der anderen Gassen zur Grabeskirche hervor. 150 Vertrag über die deswegen notwendige Versetzung der Trennmauer mit dem griechischen Patriarchen vom 6. 5. 1889, mit Genehmigungsvermerk Wilhelms II.: Berlin GStAPK Rep. 76 III. Sekt. 1 Abt. XVII Nr. 147A: Jerusalem Bd. 1, Bl. 116-126. 151 NNM 33, 1889, 156.
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se war, wie wir gesehen hatten, von Anfang an vorhanden. Doch während es in der Anfangszeit darum ging, überhaupt präsent zu sein, daß also eine nationale Institution eingerichtet war, war in der zweiten Jahrhunderthälfte der Ausbau dieser Institutionen zu optisch wirksamen Monumenten vorrangig. Hatte im ersten Fall England mittels der Judenmissionierung die Führung übernommen und Preußen durch die Bildung des gemeinsamen Bistums sich geschickt in die vorderste Reihe eingegliedert, so mußte Preußen jetzt erkennen, daß es inzwischen von vielen Ländern überholt worden war 152 : „ Ich kann es nicht leugnen, mir ist dieses Verhältnis als eine wirkliche Schmach erschienen, die ganz Deutschland, aber insbesondere Preussen trifft, dessen Pflicht und Beruf es sein miisste, auch hier für ganz Deutschland zu sorgen und kaum kann man es erklären, weshalb Preußen nicht eben so gut wie Frankreich und Russland eine Ehre darin erblicken sollte den Protestanten dort das zu sein, was jene den griechischen und den römischen Katholiken sind ..." hatte Wartensleben bereits 1868 in seinem JerusalemBuch formuliert; ein Jahr später hatte Preußen den Muristan erworben 153 .
Exkurs I: Interessen anderer Mächte in Jerusalem Das Lateinische Patriarchat war im Jahr 1847 als direkte Reaktion auf das preußisch-englische Bistum von Pius IX. wiedereingerichtet worden. Die große zeitliche Verzögerung von sechs Jahren war durch Meinungsverschiedenheiten innerhalb des katholischen Lagers entstanden, weil die seit Jahrhunderten unter großen Opfern in Jerusalem wirkenden Franziskaner ihre Position, ihren Einfluß und ihre Einnahmen gefährdet sahen 154 . Ausgerechnet in ihrem Kloster richtete Patriarch Joseph Valerga seine erste Residenz ein. Ende der 50er Jahre begann er den Bau eines eigenen Patriarchats und einer eigenen Kirche. Dafür sammelte er auf Europareisen Geld und erhielt es auch bereitwillig gerade wegen des Hinweises auf die schismatischen Griechen, Armenier, Russen und Engländer, die allesamt reiche Unterstützung bekamen 155 . Am 11. Februar 1872 konnte er die neue „Kirche zum hl. Namen Jesu" konsekrieren, die, westlich der Grabeskirche in der Nähe des Jaffatores gelegen, den Rang einer Prokathedrale erhielt 156 . Sogar die Engländer waren mittlerweile mit ihrer Kapelle nicht mehr zufrieden, obwohl es sich doch um einen Gründungsbau für das neue Jerusalem gehandelt hatte. Auch sie fühlten sich durch die Auflösung des preußisch-englischen Bistums 1886 frei. Im Jahr darauf wünschte Bischof Blyth, der erste rein anglikanische Bischof, eine Kirche, in der der anglikanische Glaube eine würdige Heimstatt habe. In einer ersten Phase plante man, die bestehende Kapelle zu einer Kirche umzugestalten, indem man einen mächtigen Kirchturm anfügen wollte, zu dem Con-
152 Die zahlreiche Bautätigkeit ausländischer christlicher Institutionen in den 80er Jahren ist übersichtlich graphisch dargestellt bei Gilbert 1985, 172. 153 Wartensleben 1868, 52. Hervorhebung von Wartensleben. 154 Damit hatten sie auch recht. Zum Beispiel stand ihnen bisher das Recht zu, die Ritter vom Heiligen Grab zu ernennen, was auch mit Einnahmen verbunden war. Dieses Recht reklamierte nun der lateinische Patriarch für sich; Valmar Cramer, Der Ritterorden vom Hl. Grabe von den Kreuzzügen bis zur Gegenwart. Ein geschichtlicher Abriß (Palästinahefte des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande, Heft 46-48); Köln 1952, 74-77. 155 Bereitwillige Unterstützung erfuhr er auch auf den Deutschen Katholikentagen; Cramer 1956, 14-15. 156 Cramer 1956, 15-16. Die Kirche ist im spätgotischen Stil erbaut; Meistermann 1925, 323.
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rad Schick 1888 Entwürfe fertigte 157 . Dann entschloß man sich aber doch zu einem großzügigen Neubau außerhalb der Altstadt, den der britische Architekt George Jeffery ausführte. Im Oktober 1898 wurde die St. Georgskirche geweiht; sie erhielt aus dem gleichen Grund wie die katholische Kirche nur den Rang einer Kollegiatskirche, war der Grabeskirche also untergeordnet. Als äußeres Zeichen ihrer Würde hatte sie nun aber einen mächtigen Glockenturm. Nach über einem halben Jahrhundert war das Ziel eines symbolhaften, großen Kirchenbaus erreicht 158 . Das Ziel der meisten Nationen war ein doppeltes: Sie wollten nicht nur in der Heiligen Stadt präsent sein, sie wollten auch an den Heiligen Stätten teilhaben, und zwar hieß das zunächst Mitbesitz an der Grabeskirche Christi. Doch das Rund der Grabeskirche und der umliegenden Grundstücke war wie ein Kuchen aufgeschnitten und verteilt; kein Fleckchen war mehr zu haben. Deswegen rückten im Laufe des Jahrhunderts die anderen Heiligtümer und Kirchen ins Blickfeld, die auf das Leben und Leiden Jesu oder überhaupt auf biblische Berichte Bezug nahmen. Französische Interessen: St. Anna Die St. Anna-Kirche im Norden der Altstadt gehörte nächst der Grabeskirche zu den wenigen leidlich erhaltenen Kirchen des Mittelalters. Der Überlieferung nach war sie über dem Elternhaus der Maria erbaut worden; in der Krypta lokalisierte man die Geburtsgrotte der Maria 359 . Die frühmittelalterliche Kirche wurde zu Beginn der Kreuzfahrerzeit durch einen monumentalen Neubau ersetzt, der aufgrund seines relativ guten Erhaltungszustandes bis heute als Musterbeispiel dieser Epoche angesehen wird 160 . Von Saladin in eine Medrese umgewandelt 161 , verfiel das Gebäude im 18. Jahrhundert zusehends und wurde zuletzt als Stall für Kamele genutzt. In vielerlei Hinsicht weckte diese Kirche gerade in Frankreich das allergrößte Interesse. Schon ihre frühgotische Architektur stellte konkrete Bezüge zur französischen Baukunst Burgunds und Südfrankreichs her. Aber noch wichtiger war der Marienkult, den gerade Frankreich in Kathedralen und Ordenskirchen zu größter Blüte gebracht hatte. Der Besitz dieser Kirche lag also aus historischen Gründen nahe, dazu kamen noch aktuelle kirchenpolitische Bezüge. Im Jahr 1854 hatte Pius IX. das Dogma der unbefleckten Empfängnis Marias verkündet und damit dem Marienkult des 19. Jahrhunderts entscheidenden Auftrieb gegeben. Zudem hatte Frankreich seinen Anspruch, das Protektorat über die Christen im Orient auszuüben, nie aufgegeben. Als der Sultan am Ende des Krimkrieges dem treuen Verbündeten die Annenkirche als Geschenk übereignete, konnte Frankreich vielfältigen Nutzen daraus ziehen. Als erstes Land besaß es eine heilige Stätte ganz allein und konnte seinem Protektorat sichtbaren Ausdruck verlei-
157 Plan des Turmprojektes, heute im Archiv der Christ Church, Jerusalem, abgebildet in: Dreamscapes. Unbuilt Jerusalem. Ausstellungskatalog Tower of David, Jerusalem o. J. [1993], 63. 158 Basil F. L. Clarke, Anglican Cathedrals outside the British Isles; London 1958, 120-122, Abbildungen bei S. 128. 159 Vogüé 1860, 233-245; Meistermann 1925, 235-238; Kroll 1988, 249-251. 160 Harry W. Hazard, The Art and Architecture of the Crusader States (A History of the Crusades, ed. Kenneth M. Setton, Vol. IV); Madison, Wise. 1977, 94-95. 161 Shmuel Tamari, Sulla conversione della chiesa di Sant'Anna a Gerusalemme nella Madrasa asSalahiyya, in: Rivista degli Studi Orientali 43, 1968, 327-354.
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hen. Am 1. November 1861 wurde der Bereich der Kirche formell dem Territorium Frankreichs einverleibt, das Grundstück also exterritorial. Die Kirche wurde fortan als „basilique nationale" bezeichnet 162 . Sie wurde auch nicht mehr von den Franziskanern betreut, sondern von dem neuen französischen Orden der „Missionaires d'Afrique", der Weißen Väter. Als diese 1878 in Jerusalem einzogen, war das jahrhundertealte Privileg der Franziskaner, als einziger westlicher Orden die Heiligen Stätten zu betreuen, gebrochen. Wenige Jahre später sah sich der Bettelorden bereits als Minderheit im Heiligen Land 163 . Zudem sah Frankreich diese Kirche in Übersee als ureigenes künstlerisches Erbe aus der mittelalterlichen Glanzzeit an, deren Restaurierung ein nationales Anliegen war. Außerordentlich rasch wurde die Annenkirche vom Architekten Mauss wiederhergestellt, so daß schon Vogüé ihr eine breite Schilderung widmen und sie als Hauptmonument der Kreuzzugszeit präsentieren konnte 164 . Mit der Baugeschichte wurde auch die Kultgeschichte aufgearbeitet. Die frühchristlich-mittelalterliche Kulttradition war im 17. Jahrhundert endgültig abgebrochen. Aber die literarischen Texte der früheren Zeiten ließen keinen Zweifel daran, daß die in islamischer Zeit nach Maria benannte Kirche seit frühesten Zeiten die Annenkirche war. Die sorgfältige Auswertung der alten Pilgerberichte ergab ferner, daß in ihr im Mittelalter nicht nur die Geburtsgrotte verehrt worden war, sondern daß man in zwei weiteren Räumen die Gräber von Anna und Joachim gezeigt hatte. Und so war im Frühjahr 1889 die Überraschung gar nicht mehr groß, als die Patres direkt neben der Geburtsgrotte die zwei vermuteten Räume fanden 165 . In den folgenden Jahren bis 1891 wurde das jetzt bedeutend vergrößerte und aufgewertete Heiligtum restauriert und große Grabstätten für die Eltern der Maria in Form von zwei Arkosolgräbern geschaffen 166 . Russische Interessen Als letztes soll noch auf die Besitzungen der Russen eingegangen werden. Diese stellten im 19. Jahrhundert den Hauptteil der Pilger. Während in den 50er Jahren aus Westeuropa jährlich nur einzelne Katholiken nach Jerusalem kamen 167 , waren es aus Rußland an die 10 000 Pilger 168 . Ein Pilgerhospiz war also gerade für die Russen vordringlich. Tatsächlich gelang es ihnen im Jahr 1858, den Kopten ein Stück des Terrains bei der Grabeskirche, dem Muristan gegenüber, abzukaufen. Sie wollten darauf ein Konsulat und ein Hospiz für eintausend Pilger errichten. Erste Ausgrabungen, die Pierotti im folgenden Jahr vor-
162 Léon Cré, Recherche et découverte du tombeau de St. Joachim et de St.e Anne sous l'antique Basilique de Sainte-Anne, à Jérusalem, in: Revue biblique 2, 1893, 245-274, hier 245f. 163 Konrad Lübeck, Die katholische Orientmission in ihrer Entwicklung dargestellt (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland, Vereinsschrift 1, 1917); Köln 1917, 54-55. 164 In Vogüés Buch folgt die Annenkirche als drittes Objekt direkt hinter der Geburtskirche in Bethlehem und der Grabeskirche; als Vogüé die Kirche besichtigte, war sie noch nicht wieder konsekriert; Vogüé 1860, 233-245. Adler lobte die Wiederherstellung als mustergültig: Adler 1906, 59. 165 Cré (Anm. 162), 271. 166 Meistermann 1925, 238. Ben-Arieh 1984, 171-173. 167 1853 berichtete Patriarch Valerga von ein bis zwei Pilgern jährlich aus dem Abendlande; Cramer 1956, 9. 168 Ben-Arieh 1984, 201.
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nahm, um das Gelände für die Bebauung vorzubereiten, hatten solch sensationelle Ergebnisse dazu weiter unten -, daß man die Bebauung vorerst aufgab 1 6 9 . Deshalb kauften die Russen im Nordwesten, weit außerhalb der Altstadt, ein riesiges Territorium, um dort bis 1864 ein russisches Zentrum mit Konsulat, Krankenhaus, Pilgerherberge und Dreieinigkeitskirche zu errichten 170 . Die enorm großzügigen Gebäude wurden zwiespältig beurteilt. „Dem Fremden von der Ferne erscheint der Russenbau wie ein großer Centraibahnhof", charakteriserte Pfarrer Wolff den Komplex 171 , auf der anderen Seite zitierte er eine neidvolle Äußerung Toblers: „Da wird man von der Überzeugung durchdrungen, daß die Russen Geld haben für eine große Idee, für Belebung des religiösen Gefühls außerhalb der Grenzen des weiten Reiches"**11. Die russische Gebäudegruppe wurde im Westen der Stadt errichtet, an dem Weg zur Hafenstadt Jaffa, so daß der fremde Ankömmling erst die russischen Zwiebelkuppeln bemerkte, bevor er Jerusalem betrat. Dieser Weg von Jaffa nach Jerusalem wurde fast in der gleichen Zeit zur ersten Fahrstraße Palästinas ausgebaut; sie war 1868 durchgehend befahrbar, und erster hoher Fahrgast war der preußische Kronprinz auf dem Weg zum Muristan 173 .
Exkurs II: Archäologie und Leben-Jesu-Forschung Die ersten Probegrabungen Pierottis auf dem ehemals koptischen Gelände bei der Grabeskirche ließen unterdessen sensationelle Funde erwarten: Man hatte römische Schichten freigelegt und war dabei auf den Unterbau eines Stadttores gestoßen, dessen Schwelle sogar noch erhalten war 174 . Man vermutete, daß dies das Stadttor gewesen sei, durch das Jesus nach Golgatha gegangen war. So spekulativ diese Meinung zunächst zu sein scheint, so fest sind doch diese und die folgenden Ausgrabungsergebnisse Teil der historischen und theologischen Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, bei der es um die historische Person Jesus Christus ging. Archäologische Zeugnisse sollten die irdische Existenz Christi beweisen. Das Leben Jesu zu erforschen war im 19. Jahrhundert ein eigener Forschungszweig der Theologie geworden 175 , bei dem erstmals protestantische und katholische Theologie in einen ernsthaften Dialog eintraten. Eine der zentralen Darstellungen aus der ersten Jahrhunderthälfte war das von David Friedrich Strauß 1835 herausgegebene „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet" 176 . Strauß hatte das Leben Jesu mit bisher ungekannter Konsequenz aus dem Mythos erklärt und mit dem historischen Wunderglauben aufgeräumt. Die Reaktionen waren vielfältig, und so wurde eine der größten theologischen Diskussionen des 19. Jahrhunderts ausgelöst 177 .
169 Ben-Arieh 1984, 237-238. 170 Gilbert 1985, 120. 171 Philipp Wolff, Zur neueren Geschichte Jerusalems. Von 1843-1884, in: ZDPV 8, 1885, 1-15, hier S. 7. 172 Ebenda. Der Bau erregte Aufsehen wegen seiner Größe, mehr vielleicht noch wegen seiner offenbar unproblematischen Finanzierung: Drei Millionen Rubel waren in kürzester Zeit gesammelt worden. 173 Wolff (Anm. 171), ebenda. 174 Ben-Arieh 1984, 237-238. 175 Ausführlich und bis heute gültig dargestellt von Schweitzer 1913. 176 Schweitzer 1913, 69-97. 177 Schweitzer 1913, 98ff.
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Auch von anderen war in ähnlicher Richtung gearbeitet worden. Der amerikanische Theologe Edward Robinson hatte bereits 1838 und nochmals 1852 Palästina bereist 178 . Mit seinen Forschungen zur historischen Topographie Palästinas, die er in Berlin für die Veröffentlichung aufarbeitete, fand er viel Zustimmung 179 . Äußerst skeptisch war er gegenüber den Identifizierungen der Stätten Jesu und wandte sich ganz entschieden gegen die Lokalisierung von Golgatha an der Stelle der Grabeskirche, sprach dabei von Machwerk und frommem Betrug 180 . Die Glaubwürdigkeit vieler kirchlicher Traditionen stand also um die Mitte des letzten Jahrhunderts zur Dikussion, und das größte Heiligtum der Christenheit, die Grabeskirche, bildete eines der Hauptangriffsziele. Abwehr und Rechtfertigung mußten auf dem Fuße folgen. Johann Nepomuk Sepp stritt an vorderster Front: „Die heiligen Stätten des neuen Testamentes zu fixieren", gehörte zu seinen erklärten Zielen; „ohne feste topographische Grundlage lässt sich die Geschichte des Welterlösers so wenig erfassen, wie ohne gesicherte Chronologie. " I 8 1 Und die Echtheit des Heiligen Grabes und die Lage Golgathas wissenschaftlich zu erweisen, war seine Lebensaufgabe. Daher machte er sich 1845/46, nach der Lektüre der kritischen Schriften von Robinson, selber auf den Weg ins Heilige Land, um die Wahrheit zu erkunden 182 . Die historischen Stätten von Golgatha und Heiligem Grab zu lokalisieren, war eine der wichtigsten Motivationen der nun einsetzenden archäologischen Aufarbeitung Jerusalems. Zwei Teilziele waren dabei zu verfolgen: Zum einen sollten die Heiligen Stätten direkt identifiziert und zum anderen eine Vorstellung von der allgemeinen Topographie der Stadt erarbeitet werden, um in diese die konkreten Orte und Stätten Jesu einzubetten. Bei diesem zweiten Punkt spielten das Russengelände und der Muristan eine entscheidende Rolle. Um die Grabeskirche als die korrekte Golgatha-Stätte nachweisen zu können, war zuallererst der Beweis notwendig, daß dieser Ort zur Zeit Jesu außerhalb der Stadt gelegen habe. Nötig war also, die historischen Mauerringe im modernen Stadtgefüge zu erkennen, von denen literarisch drei durch Flavius Josephus bekannt waren. Der erste und dritte waren durch ihre Bauherren David/Salomon und Herodes Agrippa zeitlich festgelegt. Völlig unklar waren dagegen sowohl Zeitstellung als auch Verlauf der „Zweiten Mauer", die sich als entscheidend für die Beurteilung der Lage von Golgatha erwies 183 . Vermutet wurde, daß der zweite Mauerring eine Stadterweiterung nördlich der bisherigen Stadt und westlich des Tempelberges darstellte; doch weder der Anschluß an die bisherige Mauer noch ihr Verlauf waren in irgendeiner Weise bisher bekannt. Die Freilegung eines Stadttores auf dem Russengelände im Jahr 1860, die erste größere Nachgrabung in der Stadt überhaupt, mußte daher als archäologische Sensation gewertet werden. Sie unterstützte auf das Beste die Verteidiger der historischen Stätten; Sepp nahm den Befund auch sofort in seine Publikation auf 184 . So ist es erklärlich, daß das Gelände zunächst nicht 178 Zusammen mit dem Missionar Ely Smith von Beirut aus; Robinson 1841. 179 In Berlin konnte er die königliche Bibliothek und zahlreiche private Bibliotheken benutzen, u. a. die der Theologen Neander und Hengstenberg und des Geographen Carl Ritter, dem er auch die deutsche Ausgabe widmete. 180 Robinson 1841, II, 208-268 zum Heiligen Grab, 213 die zitierte Stelle. Robinson konnte auch mit den orientalischen Riten wenig anfangen, sprach von Mummereien und Possenspielen. 181 Sepp 1863,1, S. XI. Hervorhebung von Sepp. 182 Sepp 1863,1, S. IX-XI. 183 Literatur und Stand der Stadtmauerdiskussion sind am besten nachzulesen bei Lux 1972, 185— 188; Kartographische Darstellung: Bahat 1985, Karte S. 21: Periode von 538 v.-70 n. Chr. 184 Sepp 1863,1, 179ff.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
bebaut wurde, um weitere Nachforschungen anstellen zu können. Die Russen freilich, die daraufhin ihr Pilgerzentrum außerhalb der Altstadt erbauten, benötigten für dieses so viel Geld, daß auch die Ausgrabungen für einige Zeit liegenblieben 1 8 5 . Eine punktuelle Ausgrabung konnte allerdings nicht alles klären. Besonders wichtig war ein Nachweis des gesamten Mauerverlaufs, um wirklich Aussagen über „drinnen" und „draußen" machen zu können. Dafür bot sich das benachbarte Muristangelände an, auf d e m die Fortsetzung der Stadtmauer zu finden sein mußte. Als größtes Ruinengelände der Stadt bot es die besten Voraussetzungen. Daher gehörte es zu den ersten Schritten von Charles Warren, als er im Jahr 1867 mit seinen Sondagen in der Stadt begann, einen Suchgraben durch den ganzen Muristan zu legen. Die Enttäuschung muß groß gewesen sein, als er nicht die erhofften Reste fand. Als wenig später die Johanniterkirche in preußischen Besitz wechselte, wurde nochmals der H o f f n u n g Ausdruck gegeben, daß bei Ausgrabungen in ihrem Innern etwas zutage käme 1 8 6 . In der Zwischenzeit waren die Ausgrabungen auf dem russischen Platz langsam fortgeschritten. De Vogüé hatte 1861 bereits auf eigene Rechnung graben lassen, ihm folgten Charles Wilson 1864, Conder und Ganneau in den 70er Jahren, doch alle ohne großen Erfolg 1 8 7 . Erst die Ausgrabungen der russischen Palästina-Gesellschaft im Jahr 1883 brachten entscheidende neue Erkenntnisse. Vor allem Conrad Schick ist die Interpretation der Befunde zu verdanken, die erst durch Einbeziehung umfangreicher Beobachtungen der Umgebung gelingen konnte 1 8 8 . Schick hatte durch seine jahrzehntelange Anwesenheit in der Stadt und durch ständige Beobachtungen wohl die beste Ortskenntnis erworben. Seine besondere Leistung bestand in der Interpretation eines äußerst schwierigen Befundes, weil nicht die Stadtmauer selber gefunden worden war, sondern nur Reste des Stadtgrabens. Die Überbauungen durch die hadrianische Stadt und konstantinische Basilika hatten bereits in antiker Zeit viel Mauerwerk verschwinden lassen. Mit der vorläufigen Klärung der Stadtmauerfrage auf dem russischen Platz schien ein wichtiges Kapitel der Jerusalemer Stadttopographie abgeschlossen zu sein. Wenn damit zwar nicht das Grab Christi selbst als echt erwiesen werden konnte, weil einfach die Quellen fehlen, die es von Anfang an bezeichnen würden, so wurde doch die historische Situation in einer bisher nicht gekannten Präzision nachgezeichnet 1 8 9 . Weiterhin wünschenswert mußte die Verfolgung der Stadtmauer in den Nachbargrundstükken sein, weil dadurch die Topographie noch präziser beschrieben werden konnte. Das nächste Stück Stadtmauer sollte aber in der Johanniterkirche sichtbar werden; zumindest glaubte man es. Deswegen setzt sich hier nun die Geschichte des Wiederaufbaus der Johanniterkirche fort.
185 186 187 188 189
Ben-Arieh 1984, 237. PEFQS 1872, 100. Guthe 1885, 247. Guthe 1885, 259-278 (Bericht Schicks). Vgl. besonders die Wertung von Schicks Bericht in einem Nachwort bei Guthe 1885, 278-287.
3.C Jerusalem: Weihnachts-, Erlöser- und
Himmelfahrtskirche
91
Die Vervielfältigung des Programms unter Wilhelm II.: Weihnachts-, Erlöser- und Himmelfahrtskirche 1.
Die Weihnachtskirche in Bethlehem
Wilhelm II. hatte sein Interesse bald nach Regierungsantritt dem Heiligen Land zugewandt. Überraschenderweise wurde jedoch nicht sofort mit den Bauarbeiten in Jerusalem begonnen, sondern erst ein Kirchbau in Bethlehem vorangetrieben. Dort hatte Pastor Ludwig Schneller von Jerusalem aus im Jahr 1885 eine Missionsstation eingerichtet und eine Kirche geplant 190 . Mit großer Fertigkeit hatte er Spenden dafür gesammelt, so daß der Kirchbau innerhalb kürzester Zeit finanziell gesichert war 191 . Jedoch fehlten die erforderlichen Baugenehmigungen von osmanischer Seite. Der Kirchbau in Bethlehem war das erste Projekt, für das die neue Kaiserin Auguste Victoria das Protektorat übernommen hatte 192 . Auf der ersten Orientreise des Kaiserpaares im Herbst 1889 erreichte Auguste Victoria durch persönliche Fürsprache beim Sultan, daß dem Bau keinerlei Hindernisse mehr in den Weg gelegt würden, besonders auch der Bau des Kirchturmes genehmigt werde 193 . Die Berichte von dieser Unterredung zwischen Kaiserin und Sultan betonen, daß das Gespräch nur zufällig und erst in letzter Minute dieses Thema anschnitt: der Sultan habe die Kaiserin beim Abschied nach einem Wunsch gefragt, den er ihr erfüllen könnte 194 . Das Thema stand aber sicherlich fest auf der Tagesordnung für die gegenseitigen Konsultationen, denn Wilhelm II. hatte sich direkt vor der Reise im Oktober 1889 nochmals die Pläne zeigen und Bericht erstatten lassen 195 . Schwierigkeiten und Behinderungen durch osmanische Behörden mußten ihm bekannt sein. Architekt war August Orth, dem Berlin eine Reihe wichtiger Kirchenbauten verdankt 196 . Der Kaiser war mit dem „fast romanischen Charakter" des Entwurfs sehr einverstanden, da er gut ins Heilige Land passe (Abb. 36) 197 . Bethlehem war zu jener Zeit eine bescheidene Siedlung, und die deutsche Kolonie war geradezu winzig. Trotzdem versuchte Orth mit dem Kirchenbau, einen Akzent in das Dorfbild zu
190 Hertzberg 1965, 37; Erwin Roth, Preußens Gloria im Heiligen Land; München 1973, 150-151. 191 Den größten Teil der Spenden bestritt der Wingolf, ein dem Protestantismus besonders nahestehender Studentenverband; Roth (Anm. 190), 151. 192 Mirbach 1905, 97-98. 193 Mirbach 1905, 98. 194 So bei Mirbach, wie oben, von dem alle modernen Darstellungen abhängen. 195 Seidel 1907, 77. 196 Die einzige, kurze Erwähnung in moderner Literatur erfolgte vor kurzem in: Entwürfe Preußischer Architekten im Ausland. Architekturzeichnungen aus der Plansammlung der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin; Ausstellungskatalog Berlin 1992, 27. - Grundlegend zu Orth: Gustav Ebe, August Orth als Kirchenbauer, in: Baumeister 2, 1904, 37-44; Elke Herden, Kirchen für die moderne Großstadt. Der Beitrag August Orths zum protestantischen Kirchenbau im Berlin des 19. Jahrhunderts (Arbeitshefte des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin, 38); Berlin[-West] 1988. - Beide Autoren gehen nicht auf das Projekt in Bethlehem ein. 197 Seidel 1907, 77.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
setzen, was er mit zwei Mitteln auch erfolgreich schaffte: einmal durch die Beifügung des Kirchturmes, zum anderen durch die Vergrößerung des Bauvolumens, indem er ihr das Pfarrhaus inkorporierte. Und zwar bildete die Pfarrerwohnung das Erdgeschoß des Baus, und die Kirche nahm lediglich das Obergeschoß ein. So konnte nach außen hin ein hohes und großes Kirchengebäude als Würdeform auch städtebaulich wirksam sein, während im Innern ganz verschiedene Funktionen unter einem Dach untergebracht waren. Es handelt sich dabei um eine typische Art von Kirchenbauten kleiner oder armer Gemeinden, wie sie seit der Mitte des Jahrhunderts immer häufiger zu finden waren 1 9 8 . Den anderen, den Bau noch stärker prägenden Akzent bildete wie gesagt der Kirchturm. Er markierte die Kirche und die Ortsmitte Bethlehems gleichermaßen und überflügelte so das eigentliche christliche Hauptmonument, die Geburtskirche, die turmlos am Stadtrand lag. Durch den Turm, den ersten der Stadt, und seine Lage mußte die neue Kirche als das eigentliche Hauptbauwerk der Stadt erscheinen. Gesteigert wurde diese Situation durch die Form des Turmes: spitz auslaufend, daher besonders hoch, überragte der Turm das Stadtbild. Zwei christliche Symbole, auf Turm und Kuppel angebracht, waren weithin zu sehen: das übliche Kreuz und ein Stern, als Stern von Bethlehem die Weihnachtskirche bezeichnend 1 9 9 . Dieser Stern hatte gerade im letzten Jahrhundert eine große Berühmtheit erlangt. Sein Vorbild war in silbernvergoldeter Treibarbeit im Fußboden der Geburtsgrotte unter der Geburtskirche eingelegt worden und markierte die exakte Stelle der Geburt Christi. Als von den Lateinern gestifteter Schmuck stellte er gleichzeitig ihren Anspruch auf einen adäquaten Teil an dem Heiligtum dar 2 0 0 . Ähnlich wie in der Grabeskirche waren jedoch die Konfessionen tief über ihre Anteile zerstritten. Dies führte sogar soweit, daß die im wesentlichen noch konstantinische Basilika durch eine Mauer abgeteilt wurde, darin den Simultankirchen in manchen Gegenden Deutschlands sehr ähnlich. Die Streitigkeiten zwischen Lateinern und Griechen kulminierten im Jahr 1847, als die Griechen das silberne Einlegekreuz kurzerhand herausrissen. Nach fünfjährigen zähen Verhandlungen auf allen diplomatischen Ebenen wurde der silberne Stern zwar auf Kosten des Sultans wieder angebracht, der Streit um Messerechte und Kapellenanteile der Konfessionen war damit aber keineswegs beigelegt 2 0 1 . Der Stern an der evangelischen Weihnachtskirche in Bethlehem wirkte auf diese Weise eminent politisch: Die protestantischen Kirchen sind im Besitz der gleichen heiligen Wahrheiten, haben also den gleichen Anspruch auf die Heiligen Stätten wie die anderen Konfessionen.
198 Dieser Typ wird im folgenden als „Kompakter Kirchenbau" bezeichnet. Als ein frühes Berliner Beispiel sei auf die Golgathakirche aus den 60er Jahren verwiesen; Erbkam 1869. Die Kapelle wurde Ende letzten Jahrhunderts durch einen Kirchbau von Spitta ersetzt. Um die Jahrhundertwende wurden solche doppelstöckigen Bauten meist nur noch als Diasporabauten eingesetzt und empfohlen; vgl. Julius Zeissig, Muster für Kleine Kirchenbauten; hg. vom Central-Vorstand des evangelischen Vereins der Gustav Adolf-Stiftung; Leipzig o. J. [1902 laut Vorwort]; 10. Beispiel: Kirche in Falkenau/Eger. 199 Hertzog, Evangelische Kultusstätten im Orient, in: MSGKK 4, 1899, 20-25, hier S. 24f. besonders zu der pointierten Lage der Kirche und des Turmes. 200 Meistermann 1925, 344-345. 201 Als Sepp auf seiner Reise 1845/46 Bethlehem besuchte, war der Stern schon teilweise gelockert. Bei ihm finden sich besonders drastische Schilderungen der Streitereien der Konfessionen an den heiligen Stätten: Sepp 1863 I, 461; [Sepp] 1853, 218-219; Sepp 1896, II, 187-188. Vgl. auch Meistermann 1925, 344f.
J.c Jerusalem: Weihnachts-, Erlöser- und
2.
Himmelfahrtskirche
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Die Erlöserkirche
Daß sich Wilhelm II. nicht sofort nach seiner Thronbesteigung um die Jerusalemer Kirche kümmerte, hatte mehrere Gründe. Einerseits sind die organisatorischen Vorgänge um das Jerusalemer Bistum und die Einrichtung der Jerusalem-Stiftung zu berücksichtigen, die im preußischen Verwaltungsapparat ihre gehörige Zeit benötigten. Andererseits muß jedoch auch gesehen werden, daß Wilhelm eine ganze Reihe großer Bauprojekte von seinen Vorgängern übernommen hatte. Die treibende Kraft unter Wilhelm I. war Kronprinz Friedrich Wilhelm gewesen. Die stetig sich vergrößernde Krankheit des Kronprinzen verhinderte oft einen schnellen Fortgang, und unter seinem Kaiserregiment war fast völliger Stillstand eingekehrt. Wilhelm II. übernahm diese Projekte und konnte sie nun nicht alle gleichzeitig verwirklichen; das wäre weder finanziell noch personell realisierbar gewesen. Es mußten also gewisse Projekte zeitlich gestaffelt durchgeführt werden, und es erscheint völlig logisch, daß die Restaurierung der Wittenberger Schloßkirche und die Wiedererrichtung der Jerusalemer Johanniterkirche zusammengekoppelt wurden, da mit ihnen der gleiche Architekt beschäftigt war, nämlich Adler. Die personelle Verquickung ging sogar so weit, daß auch der vor Ort anwesende Bauleiter Otto Groth beide Projekte leiten sollte. Der Beginn der Arbeiten für die Johanniterkirche ist tatsächlich ganz direkt mit dem Ende der Arbeiten in Wittenberg verbunden. Am 31. Oktober 1892, dem Tag der Einweihung der Schloßkirche, bekundete Wilhelm II. gegenüber dem Präsidenten des Oberkirchenrates Barkhausen seinen Willen, nun den Bau der evangelischen Kirche in Jerusalem in Angriff zu nehmen 202 . Im folgenden Sommer zog der Wittenberger Bauleiter Groth nach Jerusalem 203 , um in den folgenden Jahren den Wiederaufbau der Kirche nach den alten Plänen Adlers zu leiten. Für die Differenzierung des Adlerschen Projekts, aber auch für seine bedeutungsmäßige Erweiterung sollten innerhalb des Jahres 1893 alle wichtigen Entscheidungen fallen. Groths erste Aufgabe war, die nötigen Bauvorbereitungen zu treffen, also sichere Fundamente zu schaffen und die Grundsteinlegungszeremonie vorzubereiten, bei der der Kaiser durch Prinz Heinrich vertreten sein wollte; politische Gründe ließen dann aber eine Reise des Prinzen nach Jerusalem nicht ratsam erscheinen 204 . 1869 war das Ruinengelände lediglich aufgeräumt worden, und die anschließenden archäologischen Nachforschungen waren nicht sehr in die Tiefe gegangen. Das war jetzt nötig, weil man nun die Fundamente für den Kirchbau legen mußte. Das kostete mehr Zeit und Arbeit, als man ursprünglich gedacht hatte, weil sich bald herausstellte, daß fast alle Fundamente der Kreuzfahrerkirche unsichere Gründungen waren, die auf Geröll aufsetzten 205 . Fünf Pfeiler 206 und die gesamte Nordmauer mußten neu fundamentiert werden. Auf massiven Fels stieß man erst in über elf Meter Tiefe unter dem Niveau der Kreuzfahrerkirche. Der eigentliche Kirchenbau verzögerte sich dadurch allein um zwei Jahre, und man konnte erst 1895 in die Höhe bauen 207 .
202 203 204 205 206 207
Kaiserpaar 1899, 6. Kaiserpaar 1899, 180 zum Termin des Umzugs von Groth. Kaiserpaar 1899, 6. Das war entscheidend für den schlechten Erhaltungszustand der mittelalterlichen Kirche. Nur der südwestliche Pfeiler, der den Turm trug, war auf Fels gegründet; Adler 1898a, 386. Dadurch wurde die originale Mauersubstanz noch weiter verringert.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
Schon bei den ersten Aufgrabungen für den Grundstein in der Mitte der Apsis stellte man fest, daß in der Mitte des Hauptschiffes eine Mauer verlief, die nichts mit dem Kirchenbau zu tun haben konnte 208 . Aufgrund ihrer Mächtigkeit konnte man in ihr nur einen Rest der zweiten Stadtmauer sehen, zumal auch ihre Orientierung genau dem vermuteten Verlauf entsprach (Abb. 26) 209 . Einzig und allein im Jahr 1893 war man von dieser Aussage überzeugt. Bereits wenige Jahre später war man eher skeptisch über den Befund, heute kann die Stadtmauerthese durch die neuen Nachgrabungen als wiederlegt gelten 210 . Die ergrabene Mauer erschien als das erste Stück der lang gesuchten zweiten Stadtmauer, denn unter dem russischen Platz war sie ja nur erschlossen worden, aber lange nicht mehr vorhanden. Die Mauer mußte als der Kronzeuge für die wahre Lage von Golgatha gelten, für die richtige Lage der konstantinischen Salvatorbasilika. Damit war der Schritt von der Johanniterzur Erlöserkirche getan worden (Abb. 27). Wie eine Reliquie war die Mauer unter der Kirche konserviert, wie eine Reliquie wurde sie bei der Grundsteinlegung am 31. Oktober 1893 behandelt: „und der Grundstein, über welchem sich gegenwärtig der Altar erhebt, konnte und mußte genau auf die Mauer gelegt werden, die zur Zeit des Herrn die Stadt Jerusalem hier einschloß. "2" Zu diesem Zeitpunkt war der Entschluß, die Johanniterkirche als Erlöserkirche zu weihen, bereits gefaßt, wie aus der Grundsteinlegungsurkunde Wilhelms II. hervorgeht: „...An demselben Tage, an welchem Ich vor einem Jahre durch Gottes Gnade die Einweihung der erneuerten Schloßkirche zu Wittenberg im Verein mit den evangelischen Fürsten Deutschlands festlich begehen durfte, soll der Grundstein dieser Kirche gelegt werden, um damit kund zu tun, daß auch sie dastehen soll als ein Denkmal des Glaubens an den Mensch gewordenen Gottessohn, den gekreuzigten und auferstandenen Heiland, als ein Bekenntnis zu dem seligmachenden Evangelium von der Gnade Gottes, wie es durch den Dienst der Reformatoren für die evangelische Christenheit wieder erschlossen ist ..." 2 I 2 Der Text der Grundsteinlegungsurkunde Wilhelms II. erscheint geradezu als persönliches und dynastisches Glaubensbekenntnis des Kaisers. Im Mittelpunkt stehen der Erlöser und sein Werk, daneben tritt an prominenter Stelle
208 Kaiserpaar 1899, 7. 209 Undatierte Mitteilung von H. Guthe in: ZDPV 17, 1894, 128. Durch den Kontext der anderen Berichte auf denselben Seiten kann geschlossen werden, daß der Bericht im Frühjahr 1893 abgefaßt worden ist. 210 Adler äußerte in einem Vortrag, den er im März 1898 beim Berliner Architekten-Verein hielt, die Meinung, daß die Kirche auf einem hadrianischen Steinbruch stehe, was sich schwerlich mit der Stadtmauerthese vertragen würde; auf diese ging er überhaupt nicht mehr ein; DBZ 32, 1898, 187-188. - Baurat Schick faßte in einem Aufsatz 1902 nochmals alle seine Erkenntnisse zum Muristan zusammen, in einem persönlichen Abschlußbericht „standing so near eternity, I could not wait to give a more complete work", der 1902 posthum erschien. Seine Forschungen und Nachgrabungen hatten jahrzehntelang dem Heiligen Grab, dem Muristan und der Stadtmauer gegolten. Auch er mußte zugeben, daß kein einziges zweifelsfreies Stück der zweiten Stadtmauer gefunden worden sei, und zu dem Mauerrest in der Johanniterkirche: „... which was at the time considered to be a portion of the second wall;" Schick 1902, 46. - Sein Nachruf: C. W. Wilson, Obituary of Dr. Conrad Schick, in: PEFQS 34, 1902, 139-142. - Bei der heutigen Diskussion um die Funde unter der Johanniterkirche wird die Statdtmauerthese völlig abgelehnt; vgl. Lux 1972 und Vriezen 1978. 211 Kaiserpaar 1899, 7. 212 Kaiserpaar 1899, 9.
3.C Jerusalem: Weihnachts-, Erlöser- und
Himmelfahrtskirche
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das Werk der Reformatoren als Glaubensvermittler, die Gottes Gnade erst wieder verstehbar machen. Die Erlöserkirche in Jerusalem erhielt damit einen einzigartigen Stellenwert. Der Zielpunkt der Hohenzollernträume eines ganzen Jahrhunderts war erreicht: War zunächst eine Salvatorkapelle auf dem Kapitol in Rom bescheidene Realisierung eines Traumes Friedrich Wilhelms, war Schinkels Rekonstruktion der Salvatorkirche über dem Grab Christi ein papierner, unrealisierbarer Traum geblieben, so wurde jetzt leibhaftig eine Salvatorkirche am Grabe Christi erbaut, die den Beweis seiner realen Existenz unter ihrem Altar verbarg. Mit dieser Aufwertung der Kirche gingen auch einige bauliche und dekorative Veränderungen einher, die das nochmals unterstreichen sollten. Die bedeutendste bauliche Veränderung hatte Wilhelm persönlich zu verantworten: Der Glockenturm sollte nicht nach Adlers ursprünglichen Plänen, sondern nach einem angeblich eigenhändigen Entwurf des Kaisers ausgeführt werden (Abb. 29). Adler hatte einen Turm vorgeschlagen, der in einem hohen, spitzen Helm endete. Dadurch hatte der Entwurf einen vertikalen Akzent erhalten, der die Tendenz zur Frühgotik unterstrich. Wilhelms Turm dagegen ist ganz in romanischen Formen gedacht. Über dem Unterbau, der noch zum Kirchenschiff gehört, erheben sich insgesamt vier verschieden hohe Geschosse mit unterschiedlicher Gliederung. Ein erstes, niedriges Geschoß öffnet sich in zwei Blendarkaden, die kleinere romanische Fenster überfangen, darüber erhebt sich ein hohes, von Lisenen eingefaßtes Stockwerk mit Rundbogenfries, das nur eine kleine langgestreckte Fensteröffnung aufweist. Es folgt, ebenfalls von breiten Lisenen eingefaßt, das Glockengeschoß, das sich mit einer großen Doppelarkade weit öffnet. Ein im Zickzack geführter Fries auf kleinen Konsolen grenzt es nach oben ab. Das vierte und niedrigste Geschoß von allen ist mit einer Säulenreihe und vier Arkaden versehen. Ein pyramidaler steinerner Helm mit einem Ringkreuz schließt den Turm ab. Obwohl die Geschosse mit zunehmender Höhe leicht schmaler werden, besitzt der Turm doch eine große Massigkeit, die heute noch im Stadtbild auffällt. Die Entwurfsgeschichte dieses Turms muß als noch nicht gelöst betrachtet werden 213 . Allgemein gilt der Turm als von Wilhelm entworfen. Zwei Zeichnungen wurden von Paul Seidel 1907 zusammen mit folgender Entstehungsgeschichte veröffentlicht: Nachdem dem Kaiser Adlers Turm nicht gefallen hatte, „machte Er bei seiner Reise nach Rom im April 1893 einen Ausflug nach Tivoli. Dort fiel ihm ein schöner, massiger, alter romanischer Kirchturm auf. Der Kaiser ließ von demselben Photographien anfertigen und zeichnete, nach Potsdam zurückgekehrt, danach selbst den Turm zur Erlöserkirche. "2I4 Die beiden von Seidel publizierten Zeichnungen sind von Wilhelm signiert und mit 4. beziehungsweise 5. Juli 1893 datiert. Ein Blatt trägt sogar die wohl eigenhändige Aufschrift „Architekt". Die beiden Blätter zeigen nicht den ganzen Turm, sondern nur die über die Kirche hinausragenden freien Geschosse, einmal frontal, einmal in Schrägsicht. Sicher handelt es sich nicht um Originalentwürfe Wilhelms, da es nicht Skizzen sind, sondern sorgfältig ausgeführte Reinzeichnungen offensichtlich des Ausführungsstadiums. Daß der Kaiser sich an ein Reißbrett setzte und mit dem dazugehörigen Zeitaufwand einen Turmentwurf ins Reine zeichnete, ist weder bekannt noch wahrscheinlich. So kann höchstens angenommen werden, daß Wilhelm einen Turm skizziert habe, der dann von Fachkräften ins Reine gezeichnet wurde. Die Signatur Wilhelms entspräche dann einem Genehmigungsvermerk. Ein Ver-
213 Lemburg 1989, 72ff. geht ebenfalls nicht darauf ein. 214 Seidel 1907, 83. - Die beiden von Seidel publizierten Blätter z. Zt. nicht nachweisbar.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
gleich mit Adlers lithographierter Schrägansicht der Johanniterkirche bestätigt diesen Befund (Abb. 28). Die Lithographie zeigt eine völlige Übereinstimmung der beiden Türme, auch eine Identität des Blickwinkels 215 . Im sogenannten Entwurf Wilhelms ist sogar die Dachzone des Langhauses einfach freigelassen. Bei den beiden Zeichnungen handelt es sich also um schlichte Herauszeichnungen aus einem größeren Entwurf, die einen Vermerk des Kaisers erhalten haben 216 . Weiter erscheint es fraglich, woher Wilhelm seine Anregungen bekommen haben soll. Ein direktes Vorbild für diesen Glockenturm konnte nicht gefunden werden, und die Herkunft selbst einzelner Motive aus Tivoli oder anderen Orten der Gegend um Rom mutet sehr unwahrscheinlich an, da die dortigen Glockentürme ein ganz anderes Aussehen haben 217 . Bereits den Zeitgenossen, die die Turmgestaltung durchaus würdigten, machte er denn auch mehr einen nordischen Eindruck 218 . So sollte man sich die Entstehungsgeschichte des Turmes eher nach Seidels Text vorstellen, ohne auf die beiden Zeichnungen fixiert zu sein, und kommt dann zu einem Ergebnis, wie wir es auch von anderen Fällen kennen: Wilhelm, der mit der bisherigen Turmlösung unzufrieden war, machte dem Architekten eigene Vorschläge; dabei spielte seine offenbar große Fotosammlung, die er ständig erweiterte, eine große Rolle; mit seinen Vorschlägen, die mehr oder weniger berücksichtigt wurden, wurde dann ein neuer Entwurf angefertigt 219 . Die eigentliche Sensation bestand darin, daß überhaupt ein Kirchturm gebaut wurde. Es war, abgesehen von einem schmächtigen Dachreiteraufsatz an der Grabeskirche aus den 60er Jahren, der erste und lange Zeit einzige Turm der Altstadt von Jerusalem und besaß vor allem auch das erste große Glockengeläut. Das war sogar noch wichtiger, denn das Geläut trug viel dazu bei, den christlichen Charakter der Stadt zu stärken. Die innere Dekoration der Kirche sollte nochmals den Salvatorgedanken ganz entschieden aufnehmen. Die Hauptapsiskalotte war ausgemalt und trug in der Mitte ein mosaiziertes Rundbild mit dem Kopf Christi (Abb. 30) 220 . Es ist genau das Motiv der Apsis der Lateranbasilika, das hier künstlerisch nachempfunden wird. Die Mitte der Apsiskalotte wird von einem im Himmel schwebenden Christusbrustbild eingenommen 2 2 1 . Wieder drängt sich ein Vergleich
215 Ganz klar zu erkennen am Durchblick durch die Arkaden des Turmes hindurch im Glockengeschoß. 216 Auch Adler 1898b, 12, also der verantwortliche Architekt, bemerkt, daß der Kaiser eine Entwurfsskizze eigenhändig angefertigt habe. 217 Verglichen wurde mit dem monumentalen Standardwerk von Alberto Serafini, Torri campanarie di Roma e del Lazio nel Medioevo; Text- und Tafelband Rom 1927. 218 Fritsch, in: DBZ 32, 1898, 560. 219 Bekannt ist der Fall, daß Schwechten für die Kaiser Wilhelm- Gedächtniskirche Fotovorlagen des Drontheimer Domes vom Kaiser bekam; aus kaiserlichem Besitz verwendete Cornelius Gurlitt zahlreiche Fotos für seine Konstantinopel-Monographie. 220 Bei einer Audienz am 28. 5. 1896 wurden die meisten Ausstattungsdetails festgelegt, u.a.: „7. in der Halbkuppel der Hauptapsis soll ein Christusbild in halber Figur in Mosaik dargestellt werden"; Berlin GStAPK (Anm. 150) Bd. 2, Bl. 57. - Wohl von Hermann Schaper. Heckes 1990, 110 nennt den Christuskopf der Erlöserkirche „unbedeutend". - Sämtliche Dekorationsmalerei ist bei der letzten Renovierung 1970 abgenommen worden. 221 Rainer Warland, Das Brustbild Christi. Studien zur spätantiken und frühbyzantinischen Bildgeschichte (Römische Quartalschrift, Suppl. 41); Freiburg Diss. phil. 1985; Freiburg 1986.
3.C Jerusalem: Weihnachts-, Erlöser- und Himmelfahrtskirche
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auf, der in ähnlicher W e i s e bereits bei der Trierer Basilika aufgetreten war: Wilhelm II. als neuer Konstantin schenkte der Kirche eine Salvatorbasilika, wie das auch Konstantin in R o m getan hatte. Die Jerusalemer Kirche beherrschte in der Tat die religiösen Vorstellungen Wilhelms II. In diesem bescheidenen Bau kulminierten hohenzollerische Vorstellungen der wahren Religion und missionarische G e d a n k e n der protestantischen Welt. A m 31. Oktober 1898 weihte Wilhelm II., als protestantischer Wallfahrer im Heiligen Land, die Erlöserkirche ein 2 2 2 .
3.
Die Himmelfahrtskirche in Jerusalem
Mit der Einweihung der Erlöserkirche war ein Höhepunkt der Hohenzollernpolitik im Heiligen Land erreicht, der sich allerdings schnell lediglich als ein Etappenziel herausstellen sollte. Noch auf der gleichen Reise ging Wilhelm weitere Verpflichtungen in Jerusalem ein. A m 2. N o v e m b e r 1898 e m p f i n g der Kaiser eine A b o r d n u n g der deutschen evangelischen G e m e i n d e , die ihn bat, f ü r ein Erholungsheim f ü r Kranke zu sorgen; bisher müßten d a f ü r immer die Klöster der Griechen und Armenier aufgesucht werden. Der Kaiser sagte begeistert zu 2 2 3 . Dies war die eigentliche Geburtsstunde der Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung und der Himmelfahrtskirche, wenn auch bis zu konkreten M a ß n a h m e n noch viele Jahre vergehen sollten. Die Einweihung erfolgte schließlich im Jahr 1910. D a s Protektorat über die Stiftung hatte die Kaiserin ü b e r n o m m e n . Es wurde zunächst über die Pfingsthaus-Stiftung in Potsdam verwaltet, die bereits seit 1884 unter d e m Protektorat Au-
222 Einweihungszeremonie mit Schlüsselübergabe: Berlin GStAPK (Anm. 150) Bd. 2, Bl. 201. Beschreibung der Einweihung auch bei: Ludwig Schneller, Die Kaiserfahrt durchs Heilige Land; Leipzig 1899, 131: Schlüsselübergabe von Adler an den Kaiser, weiter über den Präsidenten des Oberkirchenrates Barkhausen und Hofgeistlichen Dryander an den Ortsgeistlichen Hoppe. Wie ernst Wilhelm II. die Fahrt ins Heilige Land nahm, erhellt auch daraus, daß er ihre satirische Darstellung nicht duldete; die Simplicissimus-Ausgabe Nr. 31 des Jahrgangs 1898 wurde deswegen beschlagnahmt; vgl. Simplicissimus. Eine satirische Zeitschrift München 1896-1944; Ausstellungskatalog München 1978, 56 (freundlicher Hinweis von Dr. Rainer Hambrecht, Coburg). - Zahlreiche Anregungen wurden direkt durch diese Reise vermittelt: sei es die partielle Herrichtung der Straßen im Heiligen Land und der Städte für den Kaiserbesuch, sei es, daß Ausgrabungen in Baalbek initiiert wurden. Vielfältig war das Echo der Welt allein auf die Fahrt Kaiser Wilhelms II. zur Einweihung als solche. Dazu kamen die politischen und wirtschaftspolitischen Interessen im Nahen Osten, die der Kaiser auf der Reise vertrat und die von den europäischen Mächten aufmerksam beobachtet wurden. Schließlich sei noch auf die mustergültige Organisation dieser Reise durch ein kommerzielles Reiseunternehmen für ein vielköpfiges Publikum hingewiesen, die in allen Einzelheiten vorausgeplant war und geradezu ein Muster für spätere rein touristische Reisen wurde. Ein ganzes Bündel von Aspekten also, unter denen die Reise damals gesehen wurde und heute analysiert wird. Aus der reichen Literatur sei als wichtigste genannt: Kaiserpaar, 1899; Conrad Schick, Preparations made by the Turkish Authorities for the Visit of the German Emperor and Empress to the Holy Land in the Autumn of 1898, in: PEFQS 1899, 116-118; Horst Gründer, Die Kaiserfahrt Wilhelms II. ins Hl. Land 1898. Aspekte deutscher Palästinapolitik im Zeitalter des Imperialismus, in: Weltpolitik - Europagedanken Regionalismus. Festschrift Gollwitzer zum 65. Geburtstag; Münster 1982, 363-388. 223 Himmelfahrtskirche 1990, 11.
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guste Victorias stand 224 , bis sie groß genug war und im Jahr 1903 als eigenständige „Kaiserin Auguste Viktoria-Stiftung auf dem Ölberge bei Jerusalem" eingerichtet wurde; organisatorisch lehnte sie sich nun stärker an den Evangelischen Kirchenbau-Verein für Berlin an, besonders im Hinblick auf Mitgliedschaften der verschiedenen Kommissionen 225 . Vorausgegangen war der Erwerb des Grundstücks, dem offenbar eine entscheidende Bedeutung in dem Projekt zustand, und zwar sowohl von der Lage als auch der Größe her. Grundstückserwerb Nahezu 40 Morgen umfaßt das Grundstück, das der preußische Konsul Schmidt im Jahr 1903 nach langen Verhandlungen für die Stiftung erwerben konnte 226 , das damit fast genau so groß wie das gesamte Christenviertel der Altstadt Jerusalems war (Abb. 31, 32)! Offensichtlich wurde dies in Konkurrenz zum Russischen Viertel vor den Toren der Stadt geplant, das in ähnlichen Dimensionen gebaut worden war. Die Größe des Grundstückes diente einmal natürlich der Ruhe der Erholungsuchenden, entsprechend der Funktion als Erholungsheim, mehr noch aber, um die Aussicht auf das zu errichtende Gebäude und für den Blick von ihm aus in die Umgebung freizuhalten. Diese Tatsache betonte bereits der erste veröffentlichte Bericht von 190 7 2 2 7 . Die dem genannten Bericht beigefügten Fotomontagen verdeutlichen die Situation: Das Grundstück lag zum damaligen Zeitpunkt weit außerhalb des Bebauungsgebietes, im Gegensatz zu den Vorstädten und allen anderen europäischen Besitzungen, die sich entlang der wichtigen Erschließungsstraßen, allen voran der Straße nach Jaffa, entwickelten. Das Besondere des Grundstückes, was seinen Erwerb so erschwerte, bestand in der Prominenz der Lage. Es lag jenseits des Kidrontales, beinahe 100 Meter höher als die Stadt und gewährte einen grandiosen Rundblick über Jerusalem im Westen, bis nach Bethlehem im Süden und zum Roten Meer im Osten, das 1200 Meter tiefer liegt. Ein hier zu erbauender Turm mußte umgekehrt auch von allen genannten Orten aus zu sehen sein und damit das beherrschende Wahrzeichen der Stadt werden. Schließlich wurde der Ölberg vor allem wegen seines Bezuges auf das Leben Jesu gewählt, gilt er doch als der historische Ort der Himmelfahrt Christi, und das sollte auch im Namen der Kirche ausgedrückt werden. Gleich zweimal hatte der Kaiser bei seinem Aufenthalt im Herbst 1898 den Ölberg besucht. Das erste Mal - am 30. Oktober - muß als Pilgerbesuch gewertet werden. Das Kaiserpaar war morgens im Geburtsort Jesu, Bethlehem, gewesen, und kam nun abends zum Ölberg, betrachtete zunächst von einem Felsvorsprung aus die Stadt „ wie einst der Heiland sie oft vor sich liegen sah " 22S und nahm dann an einem Gottesdienst in der russischen Ölbergkirche teil. Die Marinemusik spielte „O Haupt voll Blut und Wunden", und der Oberhofprediger sprach über den Beginn der Passion 229 .
224 Fritz Mybes, Der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein und seine Frauenhilfe (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 92); Köln 1988, 120-123. 225 Denkschrift 1906, 1366-1374. 226 Auguste Viktoria-Stiftung 1907, 135-136. - Festtage 1912, darin die Baubeschreibung vom Architekten Leibnitz, 89-104. 227 Auguste Viktoria-Stiftung 1907, 139. 228 Kaiserpaar 1899, 228. 229 Kaiserpaar 1899, 230.
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Sein zweiter Besuch hatte dagegen stärker touristischen Charakter. Politik und Klima hatten das ursprünglich vorgesehene Ausflugsprogramm unmöglich erscheinen lassen 230 . Die erste Gelegenheit der freien Tage in Jerusalem nutzte der Kaiser zu einer ausführlichen Ölbergerkundung. Diesmal bestieg er den Turm des russischen Klosters und bewunderte die Aussicht auf die Stadt 231 . Während des Rittes auf dem Ölbergrücken nach Norden fiel ihm die beidseitige Aussicht - hier Jerusalem, dort Totes Meer - auf und im Norden, wo der Ölberg in den Skopusberg überging, sinnierte er über die Belagerung und Zerstörung Jerusalems durch Titus nach, die von dort ihren Ausgang genommen hatte 232 . Die Aspekte, denen das Grundstück genügen sollte, waren vielfältig, und es oblag dem deutschen Konsul in Jerusalem, ein geeignetes Terrain ausfindig zu machen. Gleich nach der Initiative vom November 1898 hatte sich der damalige Konsul offenbar erfolglos um ein Grundstück am Ölberg bemüht. Der Bericht seines Nachfolgers Schmidt vom 27. Juni 1903 war dann erfolgversprechend. Ihm können die wichtigsten Kriterien für die Grundstückswahl entnommen werden 233 . In erster Linie war an ein Grundstück in nächster Nähe zum überlieferten Himmelfahrtsort gedacht. Das einzige Grundstück, dessen Erwerb überhaupt möglich gewesen wäre, hatte zu große Nachteile: Es war den heißen Wüstenwinden ausgesetzt, bot keine Aussicht auf die Stadt und war so steil, daß eine Terrassierung unverhältnismäßig viel Geld gekostet hätte. Die übrigen Grundstücke des engeren Hügelbezirks waren entweder unveräußerlicher Wakf-Besitz der Moschee des Nachbardorfes oder bereits von anderen christlichen Gemeinschaften gekauft. So blieb nur der weitere Ölbergbezirk übrig. Die beiden Kriterien waren Tauglichkeit für einen Sanatoriumsbetrieb und die freie Sicht nach beiden Seiten. Vier disponible Grundstücke waren in die engere Wahl genommen worden, von denen eines wegen seiner schlechten Bebaubarkeit sofort ausfiel. Die restlichen drei Grundstücke lagen alle an der neuen Chaussee, die beim Kaiserbesuch 1898 vor allem zur Bequemlichkeit der Kaiserin angelegt worden war 234 , und eines von diesen empfahl Konsul Schmidt zum Erwerb 235 . Wilhelm II. kannte die topographische Situation sehr genau. Es wurde nicht nur eines der drei Grundstücke gewählt, sondern gleich die beiden nah beieinander liegenden Nr. 2 und 3! Die ausgewählte Örtlichkeit lag noch auf dem Ölberg, um die Kontinuität der historischen Stätte zu wahren, aber andererseits weit genug von der russischen Kirche entfernt, so daß das deutsche Hospiz auf weiter Flur beherrschend wirken mußte. Außerdem lag es so weit im Norden des Ölberges, daß Reisende, die auf dem normalen Weg von Jaffa her sich dem Haupttor der Stadt - dem Damaskustor - näherten, schon von weither das Hospiz wie eine Burg über der Stadt erblicken sollten 236 .
230 231 232 233
Kaiserpaar 1899, 271. Kaiserpaar 1899, 273. Kaiserpaar 1899, 274f. Der Entwurf des Berichtes von Schmidt an den Reichskanzler mit Planskizze, aus den Akten des deutschen Konsulats in Jerusalem, ist abgedruckt bei Schwake 1983, 326-328. 234 Schick, Preparations (Anm. 222), 116. 235 In seinem Plan die Nummern 2, 3 und 4. Er lobte besonders Grundstück Nr. 2, „bei dem es völlig unmöglich sein dürfte, jemals die Aussicht zu verbauen." 236 Vgl. die genannte Fotomontage in: Auguste Viktoria-Stiftung 1907.
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Bauverlauf und Beschreibung Durch eine Millionenspende der Rheinländerin Frau Oelbermann aus Köln im Jahr 1906, die mehr als die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen Gesamtsumme ausmachte, wurden die langfristigen Planungen schnell realisierbar 237 . Mit der Ausarbeitung eines Bauprogrammes wurde das Berliner Architekturbüro G. & C. Gause betraut 238 . Neben einigen Kirchenbauten für die Berliner Vororte 239 und Großaufträgen im Berliner Stadtzentrum 240 trug die große Ausstellungshalle des Zoologischen Gartens zu ihrem Ruf bei. Unmittelbar neben der Kaiser WilhemGedächtnis-Kirche gelegen, stellte sie eine adäquate und stilgerechte Vergrößerung des Romanischen Forums um diese Kirche dar 241 und war die beste Empfehlung für den Jerusalemer Auftrag 242 . Im Herbst 1906 unternahm Leibnitz, ein Kompagnon des Architekturbüros, eine Erkundungsreise nach Jerusalem, auf der er die Grundlagen für die Entwürfe erarbeitete. Bei der Grundsteinlegung Ostern 1907 war Gause selber anwesend; von einer dort zugezogenen Krankheit erholte er sich zwar rasch, starb aber dennoch im gleichen Jahr. Leibnitz betreute darauf den Bau allein weiter. Das Bauprogramm war inzwischen genauer spezifiziert worden und umfaßte neben dem genannten Erholungsheim eine Pilgerherberge, eine Bildungsstätte für junge Mädchen sowie Festsäle, um an größeren kirchlichen Feierlichkeiten Mittelpunkt des evangelischen Jerusalem zu sein 243 . Alle Funktionen wurden in einer Vierflügelanlage zusammengefaßt, die sich um einen mehrstöckigen, kreuzgangartigen Innenhof gruppierte. Nur die Kirche mit ihrem Kirchturm ragte aus dem geschlossenen Quader heraus (Abb. 33, 35). Zu dieser Zeit galt die Anlage eines Kranken- oder Pflegeheimes in geschlossenen Form als überholt. In Berlin selber waren die ersten Krankenhäuser in einem modernen Pavillonsystem entstanden, wie es sich auch hier, gerade für so vielfältige Zwecke, angeboten hätte, um zum Beispiel Kranke von Erholungsuchenden und Pilgern zu trennen. Der Rückgriff auf die uralte Form des Klosterbaus bot aber zwei Vorteile: Zum einen wurde eine geschlossenen Außenwirkung erzielt, auf die es, wie oben gezeigt wurde, entscheidend ankam. Die Reise von Leibnitz diente dem Zweck, den bereits vorgefertigten Plan bestmöglich in die tatsächlichen Gegebenheiten einzupassen 244 .
237 Frau Oelbermann war die Vorsitzende des 1901 gegründeten rheinischen „ProvinzialVerbandes der Frauenhilfe des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins"; Mybes (Anm. 224), 122 und 292 und Hertzberg 1965, 49. 238 K., Baurat Carl Gause [Nachruf], in: Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 2, 1907, 210-212 mit einem Verzeichnis und Würdigung der wichtigsten Bauten. 239 Teilweise zusammen mit dem Architekten Tiedemann: Verklärungskirche in Adlershof 1900, Bethanienkirche in Weißensee 1902 und Glaubenskirche in Lichtenberg; Badstübner 1987b, 209, 216 und 219. 240 Hotels unter den Linden und Hotel Adlon am Pariser Platz; Nachruf Gause (Anm. 238), 211. 241 Die wohl größte Schwierigkeit bestand darin, eine knapp 200 m lange Straßenfront nicht monoton zu gestalten; Nachruf Gause (Anm. 238), 211. 242 Gause hatte außerdem bereits beim Bau der deutschen Botschaft in Konstantinopel mitgewirkt, verfügte also über Orienterfahrung; Nachruf Gause (Anm. 238), 210. 243 Himmelfahrtskirche 1990, 12. 244 Ein Entwurf von Gause und Leibnitz lag dem Kuratorium vor Auftragserteilung vor. Vor Ort ging es Leibnitz darum, „die Lage des Gebäudes ... festzulegen", d.h. in Bezug auf Himmels-
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Zum anderen wurde mit dem Klostergrundriß der alte Typ des Muristanhospitals wiederaufgenommen. Die Architekten selber bemerkten es und stellten die Übernahme des Architekturtyps als unbewußte Übernahme dar 245 . Mag es durchaus sein, daß die Übernahme eines so geläufigen Architekturtypus unbewußt geschah, zumal die Architekten dieser Zeit die historischen Baustile und Bauaufgaben perfekt beherrschten, so kann doch der Rückgriff auf den Muristan in ganz anderem Sinne nicht zufällig sein. Beim endgültigen Bau der Erlöserkirche war der Ausbau des Kreuzganges zurückgestellt worden, so daß gerade der Hospizgedanke, der ja der ursprüngliche beim Erwerb des Muristan gewesen war, nicht verwirklicht worden geblieben war. Im Grunde wurden weder das Hospiz noch die Hospitaliterkirche gebaut; anstelle der Kreuzritterkirche war ja die Idee der Salvatorkirche getreten. So gesehen ist es kein Zufall, daß am Tage der Einweihung der Erlöserkirche der Wunsch der Gemeinde nach Ausführung der ursprünglichen Bauvorhaben artikuliert wurde. Die Ölbergstiftung wäre also die wahre Ausführung des Muristangedankens. Diese Interpretation erfährt in dem ausgeführten Bauwerk mehrfache Bestätigung. Der Baukomplex nimmt zwar die Großformen einer mittelalterlichen Klosteranlage auf, die Disposition der einzelnen Teilbereiche wurde jedoch in eigenwilliger Weise abgeändert. Am meisten fällt auf, daß die Kirche nicht wie üblich mit einer Längsseite an den Kreuzgang angelehnt ist, sondern aus dem Komplex weit hervorragt und zudem mit ihrer Apsis nach Süden ausgerichtet ist. Eine einfache Drehung der Kirche um 90 Grad und ihre Positionierung im Norden statt im Süden des Gevierts hätte ihr die kanonische Stellung im Geviert verschafft. Aus drei Gründen wurde diese regelgemäße Anordnung abgeändert: wegen des Klimas, der Raumausnutzung und der Monumentalität. Wegen der großen Sommerhitze wollte man nämlich vermeiden, die Hospizräume auf der Südseite anzulegen. Hier sollten vielmehr die großen Räume plaziert werden, die leichter die Hitze aufnehmen könnten und außerdem seltener benutzt wurden, und das waren Speisesaal, Festräume und Kirche 246 . Aus diesem Grund ist das Klosterquadrat auch in ein nordsüdlich ausgerichtetes Rechteck gestreckt und bietet der Sonne weniger Angriffsfläche. Indem nun die Kirche quer zum Kreuzgangflügel gestellt wurde, war Platz für die Saalanlagen im gleichen Flügel gewonnen. Die Obergeschosse konnten zusätzlich für Zimmer genutzt werden 247 . Die Freistellung der Kirche kam schließlich auch ihrer Monumentalität zugute, die schon durch die romanische Stilwahl vorbestimmt war. Auf abschüssigem Gelände erbaut, ragte die Apsis besonders weit über den Grund auf. Zwischen Kirchenflanke und Kreuzgangbauten wurde ferner der massige, 60 m hohe Kirchturm eingestellt. An ihn schließt ein Eckbau des Gevierts an, der durch einen hohen Giebel ausgezeichnet ist - der andere Eckbau derselben Seite besitzt nur ein Walmdach - und dadurch optisch den Teilkomplex des Kirchenbaus noch vergrößert. Die Kirchenflanke mit dem Glockenturm verlängerte so die Grundfiguration des Hospizrechteckes noch einmal beträchtlich und alle Gebäudeteile zusammen boten gerade zur Stadt hin die monumentalste Ansichtsseite 248 .
245 246 247 248
richtung, Stadt und Umland und innerhalb des Grundstückes den Entwurf anzupassen, der grundsätzlich schon feststand; Auguste Viktoria-Stiftung 1907, 139. „ Es ist interessant zu erfahren, daß in der Grundrißdisposition jene des alten Muristan ... unbewußtwiederholt wurde;" Auguste Viktoria-Stiftung 1907, 140. Auguste Viktoria-Stiftung 1907, 140. Mit Fenstern nach Norden, im Schatten des hohen Kirchenbaues. Bauten in Jerusalem 1911, 38ff.
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Alle vier Eckbauten des Kreuzganggevierts waren verstärkt und höher geführt als die dazwischenliegenden Flügeltrakte. Dadurch wurde der Bau energisch zusammengefaßt. Die Andeutung von Ecktürmen gab ihm einen Verteidigungscharakter. Diese Eigenschaft darzustellen war in den ersten Planungsphasen offenbar noch viel stärker vorgesehen, denn gerade an der Stadtseite wurden die Eckbauten mit einem Zinnenkranz geplant 249 . Der Turm hat diesen Charakter deutlich bewahrt: Er gibt sich nicht wie ein Glockenturm, sondern wie ein Verteidigungsturm in seiner geschlossenen Form und mit dem in der Höhe vorkragenden Mauerwerk, das wie die berühmten Vorbilder, die Türme des Sieneser und Florentiner Kommunalpalastes, statt der Glockenstube einen Laufgang tragen müßte. Die am ganzen Bauwerk verwendete Rustika verstärkt den Eindruck des Wehrhaften. In der Gestaltung dieser langen Fronten, die durch wechselnde Dachansätze, vorspringende Gebäudeteile und Giebel gegliedert werden, wird als Vorbildbau die Ausstellungshalle des Berliner Zoos deutlich, die Gause im gleichen Stilgefühl wie hier zur Erweiterung des Romanischen Forums um die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche geschaffen hatte 250 . Die Abschüssigkeit des Geländes wurde in Bezug auf die Kirche für eine originelle Idee genutzt, die andererseits wieder in uralten monastischen Bauformen wurzelt: Da der Fußboden der Kirche 4 m unter dem Niveau des Hospizes liegt, betritt man vom Kreuzgang her über den Festsaal die Emporen der Kirche, ihr Erdgeschoß ist dagegen nur von außen zu betreten. Bei festlichen Gottesdiensten mußten auswärtige Besucher auf diese Weise das Hospiz gar nicht betreten 251 . Gestalt und Ausgestaltung Im Gegensatz zur Außenwirkung ist die Kirche verhältnismäßig klein. Das rührt daher, daß Gebäudeteile - von außen betrachtet - zum Kirchenraum dazugezählt werden, die in Wirklichkeit - und in Anbetracht der realen Gemeindestärke wohl zu Recht - als Fest- und Aufenthaltsräume genutzt werden. Der Aufriß der Kirche ist aus einem einfachen Rechteck entwickelt, dem eine halbrunde Apside angefügt wurde. Auf ein dreischiffiges Langhaus mit sehr schmalen Seitenschiffen folgt die quadratische Vierung, an die sich verstümmelte Querschiffe anschließen, deren Länge gerade die Tiefe der Seitenschiffe ausmacht; das querrechteckige Vorchorjoch, das von der Kaiserloge und Sakristei flankiert wird, wird von der halbrunden Apsis abgeschlossen. Durch den oben beschriebenen Kunstgriff wird das Langhaus stark reduziert und hat etwa die Länge des Vorchorjoches, während die Vierung, fast im Sinne einer byzantinischen Kirche, in den Mittelpunkt des Bauwerks rückt. Vier quadratische Stützen mit halbkreisförmigen Bögen aus aufgemalten rotweißen Quadersteinen scheiden die Vierung aus; glatte, weiße Wandstücke darüber tragen eine flache, bemalte Holzbalkendecke. In diesen Raum ist auf zusätzlichen Stützen die Empore eingezogen, die die Seitenschiffe, beide Querarme und einen Teil des Langhauses einnimmt. Vom Stilcharakter der Architektur her wurde ein hochromanischer Kirchenraum geschaffen. Das beherrschende Motiv sind die rotweißen Stützen der Vierung, die sofort St. Michael in 249 Vgl. das oben gesagte über die Wirkung des Baus vom Damaskustor her. Der Zinnenkranz wurde jedoch nie ausgeführt, wie die Fotografien aus der Zeit der Einweihung zeigen, z.B. in: Himmelfahrtskirche 1990, 27. 250 Gause (Anm. 238), 211 mit Abbildungen. 251
A u g u s t e V i k t o r i a - S t i f t u n g 1 9 0 7 , 142.
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Hildesheim in Erinnerung rufen; das Gliederungssystem der Architektur und die bemalte Holzdecke fügen sich diesem ersten Eindruck gut ein 252 . Für die dekorative Ausstattung wurden, abgesehen von der Bauplastik, drei Bereiche ausgewählt: die Apsis, die Lünettenbilder im Vorchorjoch und den Querhausarmen und die Holzdekke. Es wurden Entwürfe von drei Künstlern verwendet, die jeweils in sich abgeschlossene Themen bearbeiteten und Kompositionen schufen 253 . Ort der Anbringung und Wahl der Ausführungstechnik korrespondierten genauestens mit den Inhalten und lassen hinter den drei Künstlerpersönlichkeiten ein klares Gesamtkonzept erscheinen. Apsis Den kostbarsten Schmuck trägt die Apsis, die in der Zone unter der Fensterreihe mit wertvollen Marmorplatten ausgekleidet ist und darüber, mit der Fensterzone beginnend und bis zum Kalottenscheitel reichend, als ikonographisches Herzstück der Kirchenausstattung mit farbenprächtigen Mosaiken geschmückt ist (Abb. 34). Die Marmorplatten, die in hochrechteckigen Feldern angeordnet und in sich symmetrisch zu ihren Mittelachsen geädert sind, werden durch Goldmosaikstreifen voneinander getrennt. Darüber sind durch helle Marmorbänder fünf mosaizierte Tafeln eingerahmt, die die Wappen Wilhelms II., Auguste Victorias, des Kronprinzenpaares und des Prinzen Eitel Friedrich und in der Mitte das Kreuz über der Erdkugel zeigen. Das Apsismosaik ist zweizonig angelegt. In der Sockelzone sind fünf Rundbogenfenster eingesetzt, die auf frühchristliche Art Gitterfenster haben 254 . Die quadratischen Öffnungen enthalten dünne Alabasterscheiben, die gelbliches Licht eintreten lassen. Die mosaizierten Gewände ahmen farblich abwechselnde - weiß, schwarz und hellblau - im Zickzack versetzte Hausteinrahmen nach. Zwischen ihnen wachsen üppige Akanthusranken empor, die in Höhe der Fensterwölbung der Darstellung einer blumenbestandenen Wiese Platz machen. Darüber wölbt sich als zweite Zone ein goldener Himmel. In der Mitte erscheint Christus in einer Wolkengloriole in hellem Gewand mit weit ausgebreiteten Armen und Händen, die die Wundmale zeigen. Zu beiden Seiten stehen auf der Wiese zwei barfüßige, bärtige, weiß gekleidete Männer. Ihre Fußstellung zeigt, daß sie sich gerade von dem himmlischen Ereignis abgewendet haben und nun aus dem Apsisbild herausblicken, mit beiden Händen aber noch auf dieses Ereignis hinweisen. In ihrem Rücken füllt jeweils ein Baum die goldene Himmelsfläche. Nach oben schließt ein Himmelszelt, in dem ein Lorbeerkranz schwebt, die Komposition ab, während seitlich gebündelte Lilien, die mit überkreuzten weißen Bändern geschnürt sind, den Rahmen bilden. Die Apsiskomposition ist eine wörtliche Illustrierung der Himmelfahrt Christi nach der Apostelgeschichte 1, 10-11: 10) Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, 11) welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? „Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen"255; wobei der 252 Dieser Eindruck wird ermöglicht, weil durch den Wegfall des Langhauses die Vierung so übermächtig wirkt. Wäre das Langhaus vorhanden, würden die - wegen des Emporeneinbaus - nicht vorhandenen Hochschiffwände die Unterschiede zu St. Michael viel stärker betonen. 253 Jetzt erstmals dazu Peter van Treeck und Elgin Vaasen, Die Mosaiken und Malereien in der Himmelfahrtskirche, in: Himmelfahrtskirche 1990, 61-70. 254 Aus Kunststein. In den Öffnungen sollen sich Goldgläser befinden; Himmelfahrtskirche 1990, 70. 255 Der Versteil in Anführungszeichen ist als Inschrift auf dem Mosaik dargestellt.
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letzte Satz in dunklen Lettern in drei Zeilen oberhalb der Wolkengloriole Christi gesetzt ist. Und am Fußpunkt des Mosaiks, unterhalb der Fenster, sind die Worte des Paulus an die Korinther zu lesen: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. " (1 Kor 3, 11 ) Das Mosaik wurde von Hermann Schaper aus Hannover entworfen und von der Berliner Werkstatt Puhl & Wagner ausgeführt. Es gehört zu seinen letzten großen Aufträgen vor seinem Tod 1911 256 . Schaper war in den letzten 20 Jahren bei den bedeutendsten Mosaizierungsaufträgen Deutschlands beteiligt, so bei der Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und beim Aachener Münster. Für die Ausgestaltung des letzteren war 1888 ein engerer Wettbewerb ausgeschrieben worden, zu dem auch Schaper aufgefordert worden war. Für seine Vorbildsuche hatte er im Jahr darauf eine Studienreise nach Ravenna unternommen 2 5 7 . Die Mosaiken Ravennas und die anderen großen Mosaikenzyklen des Mittelalters - in Venedig, Rom und Palermo - sollten in diesen Jahren die Vorbilder schlechthin für die neuzeitliche Mosaikkunst werden, sofern sie historistisch sein wollte. So erkennen wir auch im Jerusalemer Apsismosaik in der blumenbestandenen Wiese die ravennatischen Vorbilder oder in den beiden weißgekleideten Männern Anklänge an entsprechende Figuren in SS. Cosma e Damiano in Rom. Für nahezu jede ikonographische Einzelheit, von der Akanthusranke bis zum Himmelszelt, läßt sich ein mittelalterliches Vorbild finden, aber die Komposition als gesamte ist ohne Beispiel. Mittelalterliche Himmelfahrtsdarstellungen sind in großer Zahl erhalten, allerdings die meisten in der Plastik und Buchmalerei 2 5 8 . Dagegen sind nur einzelne monumentale Apsidenkompositionen überliefert, wie zum Beispiel die Hauptkuppel von S. Marco in Venedig oder S. Pietro in Tuscania 259 . Bei beiden handelt es sich um vielfigurige Darstellungen, bei denen in der unteren Zone auf der Erde Maria und die Apostel versammelt sind. Regelmäßig wird auch die Mandorla Christi von einer Schar Engel umgeben. Schapers Apsisentwurf ist also selbständig entstanden. Auch in manchen Details zeigte er, daß er unabhängig von mittelalterlichen Vorbildern entwarf. Die beiden Weißgekleideten zu Seiten Christi sind hier nicht als Engel dargestellt, wie es im Mittelalter regelmäßig geschah, sondern tatsächlich als Menschen, in wörtlicher Anlehnung an den Bibeltext. Nie wurde Christus mit so weit ausgebreiteten Armen in der Himmelfahrt dargestellt, sondern immer mit zwei verschieden gerichteten Armen: die eine Hand segnend ausgestreckt und die andere Buch oder Kreuzstab haltend. Schapers Christus dagegen öffnet beide Hände dem Betrachter und zeigt die Wundmale 2 6 0 . Er weist auf die historische Dimension hin, auf seine Passion, die ja der Himmelfahrt vorausging und in dieser Kirche in unmittelbarer Umgebung, nämlich im Vorchorjoch, dargestellt wurde.
256 Heckes 1990, 77-83 behandelt die in der Erlöserkirche in Gerolstein kurze Zeit später ausgeführte Version des Mosaikes. 257 Frowein-Ziroff 1982, 249; Pia Heckes, Die Mosaiken Hermann Schapers im Aachener Münster, in: Aachener Kunstblätter 52, 1984, 187-230, hier S. 189. 258 Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst; Bd. 3: Die Auferstehung und Erhöhung Christi; Gütersloh 1971, 140-164; und Christa Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei vom vierten Jahrhundert bis zur Mitte des achten Jahrhunderts; Wiesbaden 1960, 95-102. 259 Schiller (Anm. 258), III, Abb. 465 und 503. 260 Schiller (Anm. 258), III, 136f. führt zwei Beispiele des Christus mit ausgebreiteten Armen an, die jedoch sonst nicht mit Schapers Darstellung vergleichbar sind.
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Durch die Christusfigur werden die beiden Bibelzitate erst näher zusammengebunden, und die gemeinsame Interpretation von Bild und Schrift macht die Gesamtkomposition noch eindringlicher. Der Vers aus dem Korintherbrief betont, daß Christus die einzige Grundlage sei. Das erklärt den Verzicht auf jede weitere figürliche Darstellung außer den im Bibeltext genannten, die hier erstmals getreu den Bibelworten richtig, nämlich als Menschen, dargestellt sind. Der stigmatisierte Christus wiederum wird durch das Zitat des Verses aus der Apostelgeschichte als der beschrieben, der kommen wird: Die Darstellung der Himmelfahrt bezieht also die zeitliche Dimension mit ein, indem sie die vergangene Passion bildlich und das künftige Gericht textlich evoziert. Die Darstellung der Himmelfahrt Christi im frühchristlichen Gewand erweist sich so als Schapers Lehrstück christozentrierter protestantischer Gelehrsamkeit. Passionszyklus Mit der Apsisdarstellung hängt der Leben-Jesu-Zyklus inhaltlich eng zusammen, den Ernst Pfannschmidt in vier Bildern entworfen hat und der ebenfalls von der Mosaikanstalt Puhl & Wagner ausgeführt wurde. Es handelt sich um vier Lünettenbilder, von denen zwei größere im Vorchorjoch und zwei kleinere in den Querschiffarmen zum Chor hin, jeweils oberhalb der Emporen, angebracht sind. Ernst Pfannschmidt gehörte zu den bekannten Malern christlicher Themen in seiner Zeit und stammte aus einer Familie, in der innerhalb mehrerer Generationen zahlreiche Familienmitglieder der bildenden Kunst oder anderen schöpferischen Berufen nachgingen. Bereits bei seinem Vater Carl Gottfried zeichnete sich der besonders enge Anschluß an das preußische Königshaus ab, dem er viele Aufträge verdankte 261 . Der Zyklus von Pfannschmidts Bildern war kein vollkommen neuer, für die Himmelfahrtskirche angefertigter Entwurf. Für die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche hatte er bereits seit 1903 einen ebenfalls vierteiligen Leben-Jesu-Zyklus an ähnlicher Stelle innerhalb der Kirche entworfen 2 6 2 , der bis zum Herbst 1907 fertiggestellt worden war. Die beiden großen Bilder des Vorchorjoches sind genaue Kopien der Berliner Bilder, während die kleineren schon wegen des Formats neu gestaltet werden mußten. Dabei wurde auch ihr Inhalt verändert. Über der Kaiserloge wird die Anbetung des Kindes dargestellt. In der Mitte sitzt Maria mit dem Kind im Arm auf einem marmornen Thron, der die ganze Bildhöhe einnimmt. Von rechts nähern sich die Hirten in Anbetung, von links die drei Könige. Der Thron Mariae steht vor einem dunklen Nachthimmel, der durch schmale Wolkenbänder aufgelockert ist. Die Kreuzigung auf der gegenüberliegenden Seite ist kompositorisch ebenfalls in drei Blöcke geteilt. Auf der kahlen Hügelkuppe von Golgatha steht das Kreuz isoliert in der Mitte und füllt die gesamte Bildhöhe aus; sogar der Querbalken berührt die obere Bildkante. Zur Linken wird Maria von Johannes und Magdalena gestützt, während rechts bereits Joseph von Arimathia mit dem Hauptmann um den Leichnam Christi handelt. Hinter dem Hügel wird Jerusalem sichtbar. Die langgestreckte bildparallele
261 Mit seinem Vater Carl Gottfried wurde diese Tradition begründet. Bei vielen Kirchenrestaurierungen vornehmlich in Brandenburg und Mecklenburg wirkte er mit, und in den gleichen Gebieten und den jetzt polnischen Ostgebieten sind auch zahlreiche Altartafeln und Glasmalereien erhalten. In der Generation von Ernst wurde der Bruder Friedrich als Bildhauer über Berlin hinaus bekannt, der jedoch früh im Ersten Weltkrieg starb. Ein anderer Bruder widmete sich der Musik. In den nachfolgenden Generationen wurde die Talente für den Architektenberuf genutzt. 262 Frowein-Ziroff 1982, 235-243.
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Stadtmauer schließt große Paläste und Kuppelbauten ein. Ein dunkler Himmel hinterfängt die Szene, Abendrot leuchtet gespenstisch hinter dem zentralen Kuppelbau genau in der Bildachse auf. Wenn auch das gleiche Medium gewählt ist wie für das Apsismosaik, so ist doch die Wirkung eine ganz andere. In Figuren und Architektur sind zwar noch mittelalterliche Vorbilder erkennbar, viel stärker ist aber die Loslösung von diesen zu spüren. Das ist auch in der Entwicklung der Bilder vom ersten Entwurf zur Ausführung zu sehen. Zeigte der erste Karton zur Kreuzigung, 1903 gemalt, noch starke Anklänge an Bilder des 15. Jahrhunderts, vor allem an den Isenheimer Altar 263 , so traten diese Elemente zunehmend zurück und Pfannschmidts Figurenbehandlung und Architekturdarstellung wurden eigenständiger. Dazu entwickelte er eine eigene Farbigkeit, so daß die Kompositionen moderner sind als Schapers Apsismosaik. Die beiden Szenen, die zum Querschiff hin angebracht sind, mußten wegen ihres kleineren Formats neu komponiert werden. In diesem Zusammenhang wurde die Zyklusfolge mehrfach geändert. Eine erste, uns überlieferte Version sah vor, den Zyklus mit der Geburt über der Sakristei zu beginnen; es folgte der Einzug in Jerusalem auf der kleinen Lünette derselben Seite, dann die Kreuzigung über der Kaiserloge und die Auferstehung wieder zum Querschiff 2 6 4 . Nimmt man die Himmelfahrtsszene in der Apsis sinnvollerweise dazu, ergibt sich keine vernünftige Szenenfolge. Das abgeänderte Programm sah daher vor, mit der Geburtsszene über der Kaiserloge zu beginnen. Als Fortsetzung folgten im Querschiff „Jesus bei Maria und Martha in Bethanien" und „Jesus prophezeit den Jüngern den Untergang Jerusalems" 2 6 5 , dann über der Sakristei die Kreuzigung und die Himmelfahrt in der Apsis. Hätte der erste Fall eine anspruchslose Zweitfertigung eines Zyklus der Kaiser WilhelmGedächtnis-Kirche bedeutet, so wurde jetzt, durch Einfügung zweier neuer Szenen und andere Gruppierung, ein sehr sinnreiches Programm geschaffen. Zunächst war eine eindeutige Leserichtung gegeben, die über der Kaiserloge begann und in der Apsis endete. Geburt und Kreuzigung stehen sich an hervorgehobener Stelle, im Vorchorjoch gegenüber, sie markieren Anfang und Ende des Wirkens Christi als Mensch, wobei die Geburt über der Kaiserloge dargestellt ist, so daß dieser als vierter König oder als lebende Stifterfigur am Rande des Bildes auftaucht. 2 6 6 Bei der Auswahl der Szenen aus dem Leben Jesu wurden nun ganz eindeutig die Passionsszenen bevorzugt, und unter ihnen wiederum die, deren Geschehen mit dem Ölberg verknüpft ist. Der Ölberg liegt auf halbem Wege zwischen Jerusalem und Bethanien, und mit dem Gang nach Bethanien begann der Leidensweg Christi. Hier bestieg er den Esel und trat seinen Weg nach Jerusalem an, der ihn über den Ölberg führte (Lk 19, 29^10). Auf dem Ölberg verharrte er, und im Angesicht der Stadt weinte er über sie und sagte ihre Zerstörung voraus (Lk 19, 41^44). Nach der Kreuzigung, die als Hauptszene natürlich nicht fehlen darf, obwohl sie auf Golgatha stattfand, kehrt das Geschehen mit der Himmelfahrt wieder auf den Ölberg zurück. So sind hier also zwei Themenbereiche miteinander verknüpft: Das irdische Leben Jesu wird in den beiden Szenen der Geburt und des Todes zusammengefaßt, und die Leidensgeschichte Christi im Ölberggeschehen konkretisiert, wo die Passion Anfang und Ende nahm. Diese christologische Begründung des Bildprogramms ist nun aber doch wieder ganz persönlich geprägt durch den Kaiser beziehungsweise das Kaiserpaar. Wir erinnern uns der obigen 263 Frowein-Ziroff 1982, 239. 264 Vgl. die Abb. in: Bauten in Jerusalem 1911, Tafel in Heft Nr. 3 mit dem aquarellierten Ausführungsentwurf. 265 Himmelfahrtskirche 1990, 66. 266 Wie ζ. B. auf dem Dreikönigsschrein im Kölner Dom, wo hinter den Königen Otto IV. dargestellt ist.
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Schilderung des Besuchs des Kaiserpaars 1898: Wilhelm und Auguste Victoria waren von Bethlehem her direkt zum Ölberg gekommen, um hier einen Gottesdienst zu feiern; Wilhelm sinnierte hier über die Zerstörung Jerusalems. Die Szenen des Programms waren also mit Bedacht ausgewählt, denn sie hatten für das Kaiserpaar eine besonders hohen Stellenwert. Das Deckenbild Die Entwürfe für die hölzerne Flachdecke wurde von Otto Vitali geschaffen 2 6 7 , einem Offenburger Maler, der sich nach seiner Ausbildung an der Karlsruher Kunstgewerbeschule in Berlin niedergelassen und ein Institut zur Projektierung großer Dekorationen eingerichtet hatte. Er arbeitete eng mit Puhl & Wagner zusammen, und wahrscheinlich hat er über solche gemeinsamen Projekte auch den Jerusalemer Auftrag erhalten 268 . Entsprechend dem Jochsystem der Kirche ist die ganze Decke in fünf Teile unterteilt: Vierung und je zwei Langhaus- und Querhauskompartimente 269 . In streng geometrischen, mittelalterlichen Systemen sind die Deckenteile unterteilt; ein großes über die ganze Kirchenlänge sich erstreckendes, mit Zickzackbändern eingerahmtes Kreuz faßt die wesentlichen Teile zusammen. Der Charakter der figürlichen und dekorativen Elemente und der Farbigkeit ist viel deutlicher neoromanisch, als es etwa bei den Mosaiken der Fall war. Das materielle und ikonographische Zentrum bildet die Mitte der Vierung mit einem thronenden Pantokrator. Um ihn herum bewachen in den Hauptachsen vier Erzengel die Himmelstore. In den Diagonalen sitzen innen vier Medaillons mit den Evangelisten, außen die Apostelköpfe in Tondi. Die Querschiffdecken sind die kleinsten, so daß sie nur je drei Medaillons fassen können, nämlich die alttestamentarischen Könige Salomon und David mit je zwei Propheten. In der Mitte des Vorchorjoches ist in einem Kleeblatt die Heilige Stadt Jerusalem dargestellt. Umgeben ist sie von vier Königen des Jerusalemer Königreichs der Kreuzfahrerzeit: Gottfried von Bouillon, Balduin I., Balduin II. und Fulko. Im letzten Kompartiment, über dem traditionellen Eingangsbereich einer Kirche, in diesem Falle über der Langhaus-Empore und durch die Orgel etwas verdeckt, umstehen nochmals acht Kreuzritter die Mitte. Hier thront das Kaiserpaar mit dem Kirchenmodell in Händen, flankiert von den Tugenden der Sapientia und Misericordia. Zu ihren Füßen befinden sich ihre Wappen, und über ihnen das des Johanniterordens, belegt mit dem Hohenzollernschild. Die Ausstattung der Kirche mit figürlichen Darstellungen ist deutlich in zwei Bereiche gegliedert, was bereits durch das benutzte Material kenntlich gemacht wird. Während die Apsis und das Vorchorjoch - der Altarbereich also - der Verbildlichung der Glaubensaussagen vorbehalten bleiben und diese zentralen religiösen Themen ganz in Mosaik ausgeführt sind, treten in der Deckenmalerei, die in Kalk-Kasein ausgeführt wurde, historische Personen hinzu 270 .
267 Genauer Otto Vitali d. J., 1872-1959; die Ausführung erfolgte in Jerusalem durch den deutschen Maler Schmidt aus Haidersieben; Himmelfahrtskirche 1990, 61-62. 268 Er war zum Beispiel an der Ausstattung des Hotel Adlon beteiligt, das von Gause gebaut worden war. 269 Himmelfahrtskirche 1990, 67-70. 270 Da die Flachdecke auch das Vorchorjoch überdeckt, bedingt das eine gewisse Überschneidung beider Bereiche. Die einfachere Maltechnik und historische Personen dringen auch in den Altarbereich ein, während umgekehrt natürlich auch das zentrale Deckenbild in der Vierung rein religiösen Inhaltes ist.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
In den Deckengemälden wird durch sie an das historische Jerusalem erinnert, und zwar ganz speziell an das der Zeit der Kreuzzüge. Im Altarbereich sind um die Heilige Stadt die vier ersten Könige des Königreichs Jerusalem angeordnet, die aufgrund des ersten, erfolgreichen Kreuzzuges ab 1099 in Jerusalem regierten 271 . Im Eingangsjoch sind dagegen die wichtigsten Kreuzfahrer, deren Ziel Jerusalem war, dargestellt. Paarweise wurden sie in die vier Ecken gesetzt. Die Reihe beginnt mit dem ersten Kreuzzug, für den Peter von Amiens als erfolgreicher Prediger und Tankred als einer der großen Helden stehen. In der anderen Ecke führen Konrad III. und der französische König Ludwig VII. die Reihe fort; sie waren die Anführer des zweiten Kreuzzuges. Bei den nächsten beiden Paaren tritt eine Unregelmäßigkeit der Anordnung auf, insofern nämlich drei Personen für den dritten und nur eine für den fünften Kreuzzug steht. Hier wurde die chronologische Reihe wegen der Darstellung dynastischer Zusammenhänge aufgegeben. Denn in der einen Ecke finden wir Richard Löwenherz und Philipp August als Repräsentanten des dritten Kreuzzuges. Dazu gehört aber auch Friedrich I. Barbarossa auf der anderen Seite. Er wurde zusammengestellt mit seinem Enkel Friedrich II., der den fünften Kreuzzug durchführte. Absichtsvoll ist hier die Kreuzzugsreihe verkürzt. Der fehlgeleitete vierte Kreuzzug, der in Konstantinopel endete, fehlt ebenso wie der bekannte Kinderkreuzzug und vor allem derjenige von Ludwig IX., so daß Friedrich II. als letzter Kreuzfahrer erscheint. Auf diese Weise gelang aber der Brückenschlag in die Neuzeit besonders gut, denn in der Mitte des Bildes erscheint Wilhelm II. In der Tat war Friedrich II. der letzte Kaiser gewesen, der Jerusalem erreicht hatte, so daß sich auch in dieser Hinsicht Wilhelm II. als sein direkter Nachfolger ansehen konnte, wie er sich als leiblicher Erbe der Staufer und Fortführer ihrer Kaiserwürde sah. Und ganz konkret war der fünfte Kreuzzug Friedrichs in einer Hinsicht vorbildlich für Wilhelm II., weil er mit friedlichen Mitteln seine Ziele erreicht hatte. Wilhelm II. sah sich als Wallfahrer und Kreuzfahrer im Heiligen Land, „und es begann im Herbste 1898 ein neuer wundersamer, einzigartiger Kreuzzug unter dem Zeichen des Friedens und der versöhnenden Liebe " 2 7 2 . Das Kaiserpaar hatte auf friedlichem Wege die Heiligen Stätten wiedergewonnen und für das evangelische Christentum würdige Stätten errichtet. Als lebendiges Zeichen dieser friedlichen Eroberung mußte aber gerade die Wiederbelebung des Pilger- und Hospizgedankens gelten, der sich in dem Komplex der Ölbergstiftung nun endlich realisierte. Als neuer Muristan wurde die Stiftung dem Johanniterorden übergeben, der nun die Schirmherrschaft übernahm. Sein Wappen finden wir über dem Stifterpaar an der Decke. Noch näher konkretisiert wurde dieser Gedanke bei der Einweihung der Ölbergstiftung zu Ostern 1910, bei der Prinz Eitel Friedrich als Herr des Johanniterordens teilnahm.
4.
Die Hohenzollern und das Salvatorpatrozinium: Anfänge, Verbreitung und Motivation
Unsere Darstellung war ausgegangen von der Frage nach dem Auftreten des Salvatorpatroziniums. An wenigen, aber für das Selbstverständnis der Hohenzollern wichtigen Bauten konnten wir das Salvatorpatrozinium verfolgen und erkennen, welch hoher Stellenwert ihm beigemessen wurde. Im folgenden soll nach den Anfängen dieses Kultes gesucht und ein Überblick über 271 Sie regierten von 1099 bis 1142. 272 Kaiserpaar 1899, 11.
4. Die Hohenzollern und das
Salvatorpatrozinium
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seine Verbreitung gewonnen werden. Beides wird helfen, die Beweggründe für die Wahl dieses Kirchennamens zu erhellen. Dabei wird sich herausstellen, daß die Salvatorkirchen gar nicht so vereinzelt auftreten, wie es zunächst scheinen mag, daß es also eine ganze Reihe von ihnen gibt, und daß sie die eigentliche Grundlage für das spezifische Kirchenverständnis der Hohenzollern bilden, das, einmal erkannt, sich dann auch in weiteren Kirchenbauten und -programmen offenbart. Als im Jahr 1539 Kurfürst Joachim II. von Brandenburg das Abendmahl unter beiderlei Gestalt annahm, waren der Reformation in seinem Herrschaftsgebiet die Tore geöffnet, einer Reformation, die weitgehend unter lutherischen Vorzeichen stattfand 1 . Eine neue Richtung schlug das brandenburgische Herrscherhaus mit Kurfürst Johann Sigismund ein, als dieser zum Weihnachtsfest 1613 zum Calvinismus übertrat. Damit setzte er sich in Gegensatz zu einem Großteil der Bevölkerung seines Landes, förderte jedoch gleichzeitig die Toleranz seines Herrscherhauses den eigenen Untertanen gegenüber 2 . Der Kirchenbau war in der Folgezeit durch reformierte Grundsätze bestimmt 3 ; das bedeutete, daß, unabhängig von Kirchbautypen oder -Stilen, jeder Kirchenschmuck auf das Notwendigste reduziert war und jegliche Namengebung für das Kirchengebäude abgelehnt wurde. Erst im 19. Jahrhundert trat hier die entscheidende Änderung ein. Zusammen mit der Namengebung der Kirchen erhielten diese in der Regel auch eine reichere künstlerische Ausschmückung. Der Kirchenname, der im Protestantismus völlig losgelöst von Reliquien vergeben wurde und bis dahin ohne große Tradition zu sein scheint, erhielt im Zusammenhang mit den Fragen nach der Ausstattung der Kirchen und nach den Beweggründen dafür jetzt wieder eine Bedeutung. Es ist erstaunlich, daß diese neue kirchliche Kunst vom Herrscherhaus nicht nur mitgetragen, sondern sogar initiiert wurde, obwohl es im ganzen 19. Jahrhundert offiziell calvinistisch geblieben ist 4 . Obwohl die erste bekannte und zugleich monumentale Kirche, für die dieses Patrozinium gesichert ist - die Erlöserkirche in Trier - , erst im Jahr 1856 eingeweiht wurde, scheinen die Anfänge des Salvatorkultes, der am Ende des 19. Jahrhunderts so vielgestaltig und vielzahlig auftritt, an dessen Beginn zu liegen. Die Trierer Kirche war eng mit Friedrich Wilhelm IV. verbunden. Über seine Person, vor allem in seiner Kronprinzenzeit, können wir die besondere Salvatorverehrung der Hohenzollern weiter zurückverfolgen.
Klause bei Kastel Sicher nicht die ursprüngliche Inspiration zum Erlöserkult, aber möglicherweise ein Reflex darauf könnte die Wiederherstellung der Klause bei Kastel an der Saar sein. Auf einem Felsvor-
1 Wendland 1930, 73ff. 2 Wendland 1930, 83ff. 3 Die Hauptlinien des liturgisch bestimmten Kirchenbaues sind klar dargelegt bei Arthur Werner, Der protestantische Kirchenbau des fridericianischen Berlins; (Diss. Ing. ΤΗ Danzig) Berlin 1913, 9-22. 4 Z.B. waren die Erzieher der Prinzen bis Wilhelm II. Calvinisten; zum Beginn dieser Bewegung, der um 1817 zu suchen ist, vgl. Helga Nora Franz-Duhme, Einflußnahme Friedrich Wilhelms III. von Preußen auf den protestantischen Kirchenraum in Berlin, in: Geschichte des protestantischen Kirchenbaues 1994, 66-74; vgl. auch Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron; Berlin 1992, 4 7 7 ^ 8 6 .
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
sprung hoch über der Saar waren Höhlen tief in den Stein eingegraben. Hier war eine der vielen Heiliggrabnachbildungen des späten Mittelalters entstanden, die ein Franziskanerpater um 1600 zur Heiligkreuz- und Helenenkapelle ausgebaut hatte. Die Einsiedelei war nach ihrer erzwungenen Aufgabe während der Franzosenherrschaft um 1800 zur Ruine verfallen (Abb. 37) 5 . Am 10. November 1833 besuchte der Kronprinz diese verlassene Heiliggrabstätte und war tief beeindruckt 6 ; er ordnete den Wiederaufbau an 7 . Der Salvatorkult tritt uns hier in einer sehr spezifischen Art entgegen, indem der Kronprinz einen der Form nach zutiefst mittelalterlichen Heiliggrabkult restaurierte. Ein zweites Motiv trat bei dieser Restaurierung, mit der dann Schinkel betraut werden sollte, allerdings von Anfang an hinzu: der Ahnenkult. Am gleichen Tag war dem Kronprinzen nämlich ganz in der Nähe, auf dem Fabrikgelände des Keramikproduzenten Boch-Buschmann, die „Mumie des im Jahr 1346 erschlagenen Böhmen-Königs Johann, Herzog von Luxemburg" gezeigt worden 8 . Seit Jahrhunderten war die ursprüngliche Grabanlage zerstört, und Leichnam und Grabteile vagabundierten seitdem zwischen Luxemburg und der Saar umher. Der durch Hofhistoriographen und eigenes Interesse vorgebildete Kronprinz wußte aber sofort, um wen es sich dabei handelte 9 : Es war ein gemeinsamer Vorfahre der Hohenzollern und der Wittelsbacher, was für den mit einer bayerischen Prinzessin verheirateten Kronprinzen natürlich doppelten Ansporn bedeutete, um diesem endlich ein würdiges Grab zu bereiten, eben in der besagten Klause. Schinkel kümmerte sich um die Wiederherstellung des Klausengebäudes, die romantische Neuinszenierung der Heiliggrabhöhlen und die Anlage des Königsgrabes (Abb. 38)'°. Doch Restaurierung und Grab reichten Friedrich Wilhelm nicht: Ein Gesuch des katholischen Geistlichen von Kastel um 150 Taler für ein jährliches Hochamt zur würdigen Gedächtnisfeier des Königs Johann in der Dorfkirche zu Kastel, die dafür auch würdiger hergerichtet werden sollte, versah der König mit der Randbemerkung: „Majestät genehmigt und wünschen, daß das Hochamt auf einem kleinen Altar in der Klause abgehalten werde, in welchem Falle Allerhöchstdieselben nicht abgeneigt wären, die notwendigen Kosten für die Erbauung eines solchen Altares gleichfalls als Gnadengeschenk zu bewilligen. 4./8./41"n. Der Wunsch des Königs vervielfältigte die ursprünglich vorgesehenen Kosten: 1842 stiftete er den Altar nach einem Entwurf von Soller mit Leuchter und Kruzifix für 135 Taler, ein Jahr später eine riesige Lanze für 1600 Taler, offenbar in Erinnerung des Heldenmutes des blinden Königs als Heerführer und der Wen-
5 Gustav Dalman, Das Grab Christi in Deutschland; Leipzig 1922 erwähnt diese Anlage nicht. Monographische Literatur zur Klause: Lackas 1904, Bornheim gen. Schilling 1979 und Metken 1988. 6 C. Simons, Reise Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Preußen durch RheinlandWestphalen im Herbst 1833; Iserlohn 1834, 195-196. 7 Schinkel Lebenswerk. Rheinlande 1968, 181-200, hier 181-182. 8 Simons (Anm. 6), 196. - Keramikfabrik: später Villeroy und Boch. 9 „Vor der Abreise aus Mettlach wurden Seine Königliche Hoheit noch durch Vorzeigung ... der Mumie ... des Böhmen-Königs Johann überrascht, und es schien dieselbe dem hohen Reisenden um so mehr anzusprechen, als Ihm die Geschichte dieses merkwürdigen Mannes sehr genau bekannt war;" Simons (Anm. 6), 196. 10 Metken 1988 arbeitete in seinem Aufsatz besonders die Aspekte der romantischen Gesamtanlage und der Bedeutung des Grabes heraus. 11 Berlin GStAPK 2.2.1. Nr. 23344 Bl. 12.
4. Die Hohenzollem
und das
Salvatorpatrozinium
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zelslanze und als letztes 1846, zur 500jährigen Gedächtnisfeier der Schlacht von Crecy, ein Steinkreuz vor der Kapelle nach einer Zeichnung Stülers (Abb. 39) 12 . Bei der Wiederherstellung der Klause bei Kastel zeigen sich mehrere Motivationen: die des Ahnenkultes und die der Salvatorverehrung. Zwar stellt das Königsgrab im Innern der Klause die größte künstlerische Neuschöpfung dar, aber es ist ohne die Gesamtinszenierung der Heiliggrabstätte schon materiell nicht denkbar. Diesem religiösen Gedanken gebührte also die leitende Rolle von Anfang an, und ganz offensichtlich war Friedrich Wilhelm der einzige, der ihn konsequent weiterverfolgte, denn er setzte sich sogar nach Abschluß aller Wiederherstellungsarbeiten für die kirchliche, hier sogar katholische Nutzung ein. Die Salvatorverehrung des Kronprinzen ist damit zumindest für die Zeit um 1833 gesichert. Seine begeisterte Äußerung bezüglich der Salvatorkapelle in Rom 1830 steht nun nicht mehr so allein. Zwar besitzen wir für diese Zeit noch keine geweihten Salvatorkirchen, aber wir erkennen bei Friedrich Wilhelm doch eine über das Normalmaß hinausgehende Vertiefung in den Erlösungsgedanken.
Kloster Chorin Im Zusammenhang mit den Planungen zum Ausbau des Kölner Domes im 19. Jahrhundert wurde auf eine Zeichnung Friedrich Wilhelms hingewiesen, die den Salvatortitel bereits für die Jahre 1813/14 belegen würde (Abb. 40) 13 . Das Blatt zeigt in der oberen Hälfte den Grundriß des Zisterzienserklosters Chorin, der um einige Kapellen und Türme bereichert ist, darunter eine kleine perspektivische Ansicht dieser Anlage. Unter beiden Skizzen befindet sich als einzige Beschriftung in sicherer, geübter Handschrift in Devanagari-Zeichen, der für Sanskrit üblichen Schrift, die Bezeichnung: „Heiligtum unseres Erlösers zu Chorin" 1 4 . Aufgrund der phantasievollen Erweiterung des bestehenden Klosterkomplexes, der im übrigen sehr exakt wiedergegeben ist 15 , glaubte Ursula Rathke, die Zeichnung der ersten Phase einer Nationaldomplanung im Zusammenhang mit den Befreiungskriegen zuordnen zu müssen 16 . In welche Zeit kann diese Zeichnung datiert werden? Und welche Möglichkeiten stehen uns hierfür zur Verfügung? Die über 5 000 Zeichnungen Friedrich Wilhelms zu ordnen und zu datieren bietet ungeheure Schwierigkeiten 17 . In Einzelfällen helfen die von Friedrich Wilhelm
12 GStAPK (Anm. 11), Bl. 16: Grundriß der Klause vom 2. 5. 1842, darauf Altarentwurf vom 12.7. 1842; Bl. 24f.: Bericht Eichhorns vom 10. 2. 1843 betr. die Lanze, Bl. 107-111: Zeichnung des Steinkreuzes von Stüler; der Sockelstein wurde nach dem Traueramt 1846 eingesegnet. 13 Rathke 1982, 132 Abb. 2. 14 Die Umsetzung in deutsche Laute ist nur teilweise möglich; genau genommen müßte man „ailigtumah unseresah erlauseresah tsu koranih" transkribieren. Für Hilfen und Hinweise in diesem Kapitel danke ich Prof. Dr. Hartmut Bobzin, Erlangen, Prof. Dr. Nowicki, Jena und PD Dr. Thomas Oberlies, Tübingen. 15 Besonders leicht ist der Grundriß durch die unregelmäßig angeordneten Nebengebäude zu identifizieren; vgl. KDM Brandenburg III, 3, Tafel 8 bei S. 104. 16 Inwieweit Chorin dabei überhaupt eine Rolle spielte, vermochte die Autorin nicht zu sagen. Zu den Planungen einer Kirche als Nationaldenkmal um 1815 vgl. zuletzt Nipperdey 1977. 17 Auf verschiedene Schwierigkeiten weist hin Schümann 1980, 21.
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l. Modellfälle
des
Erlöserpatroziniums
zum Zeichnen verwendeten Papiere weiter; denn er zeichnete bei jeder Gelegenheit und nahm jedes wieder benutzbare Papier wie Predigtzettel, Briefumschläge und Notizzettel. Doch in unserem Fall entfällt diese Möglichkeit einer indirekten Datierung, und wir sind ganz auf die Zeichnung und den Schriftzug angewiesen. Zwei Gründe sprechen gegen eine derartig frühe Datierung des Blattes. Einmal erwachte das Interesse des Kronprinzen für das ruinöse Kloster erst deutlich später. Nach Besuchen Friedrich Wilhelms sandte der Choriner Pastor ihm im Jahr 1821 einen längeren Bericht, in dem er über die Gründe des traurigen Zustandes des Klosters berichtete, Mitteilungen über die Grablege der Askanier machte und einen Grundriß beifügte 1 8 . Ein größeres Interesse des Kronprinzen an dem Bau kann also ungefähr ab 1820 unterstellt werden; Unterlagen, wie sie j a f ü r seine eigene Skizze notwendig waren, standen ihm erst 1821 zur Verfügung. Andere Zeichnungen, die mit Schinkels Tätigkeit im Zusammenhang stehen, tragen als frühestes Datum die Jahreszahl 1822 19 . Die eigentlichen Arbeiten zur Sicherung der Ruine begannen aber erst nach Intervention des Kronprinzen im Jahr 1828 2 0 da der Besitzer die Kirchenruine, die er als Stall verwendete, nicht räumen wollte, 2 1 . Dieser Aspekt ergibt also einen terminus post quem von 1821, als terminus ante quem können die Jahre um 1833 angenommen werden, als die Sicherungsarbeiten vorläufig beendet waren und neue Pläne um die Abtei nicht mehr aktuell waren. Den Höhepunkt des kronprinzlichen Interesses stellte zweifellos sein Eingriff zugunsten der Sicherung der Ruine im Jahr 1828 dar. Nach der Zeichnung bleibt als Informationsträger nur noch die Schriftzeile in der unteren Blatthälfte übrig. Sie bezieht sich ganz konkret auf die beiden Zeichnungen darüber, denn sie benennt sie mit dem richtigen Ortsnamen. Das ist ein erster Hinweis darauf, daß Text und Bild ursächlich zusammengehören und daher gleichzeitig entstanden sein müssen. Das führt uns zur Frage nach den Anfängen der europäischen Sanskritstudien.
Sanskritstudien in Europa Sanskrit ist die Sprache der vorklassischen, klassischen und nachklassischen Literatur der arischen Inder. Sie war seit der Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus die Hochsprache Indiens, deren Rolle am ehesten mit der des Latein im mittelalterlichen und neuzeitlichen klerikalen Europa zu vergleichen ist. Sanskrit wurde in Europa erst am Ende des 18. Jahrhunderts bekannt, im Rahmen einer aufkommenden Orientbegeisterung, bei der orientalische Sprachen
18 Ich danke Frau Felicitas Dirksmeier, die eine Arbeit über norddeutsche Backsteingotik anfertigt, für die Mitteilung aus entsprechenden Archivalien. 19 Die Zeichnungen, die in: Schinkel Lebenswerk. Mark Brandenburg 1960, 232-236 erwähnt werden (aus dem Schinkelmuseum), sind undatiert. Die Plankammer der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci besitzt Kopien von Schinkel-Zeichnungen, die 1822 datiert sind; Badstübner 1987a, 304. - Schinkel hatte übrigens schon 1817 auf den Zustand des Klosters hingewiesen und damit eine der frühen Denkmalpflegedebatten ausgelöst. Vgl. obige Literatur. 20 Badstübner 1987a, 307. 21 Offenbar befand sich ein Schweinestall direkt über der Askaniergruft, und der Besitzer wehrte sich gegen eine Restaurierung mit dem Argument, daß eine Nutzung die beste Denkmalpflege sei! Vgl. vorige Anmerkung. - Die Grabstätten wurden erst 1833 und gründlicher 1884/85 untersucht: KDM Brandenburg III, 3, 77.
4. Die Hohenzollern
und das
Salvatorpatrozinium
113
und orientalisches Denken und Philosophie befruchtend auf die europäischen Wissenschaften wirkten. Aufgrund des systematischen, klaren Aufbaues der Sprache eignete sich Sanskrit hervorragend zum Studium der Sprachstrukturen. Die Begeisterung in Europa war groß, als man feststellte, daß im Sanskrit wegen seiner altertümlichen Konstruktion noch Strukturen vorhanden waren, die erkennen ließen, daß Sanskrit älter als die europäischen Sprachen ist. Da man außerdem bemerkte, daß die wichtigsten europäischen Sprachen mit Sanskrit verwandt sind, wurde es für die Geschichte dieser europäischen Sprachen sehr wichtig. Mit Sanskrit wurde der europäischen Bildung eine neue Welt erschlossen. Der europäische Geisteshorizont wurde mit dem Erkennen einer frühen gemeinsamen, sogenannten indoeuropäischen Sprache, die die gemeinsame Wurzel des Sanskrit und europäischer Sprachen bildet, zeitlich und räumlich gewaltig ausgedehnt 2 2 . Zuvor waren den Europäern aus dem Orient neue Mythologien und Geschichten, neue Philosophien und Religionen auf den alten Kontinent gebracht worden. Die Vermittlung war England zugefallen, das kurz vorher die alleinige Macht auf dem indischen Subkontinent geworden war. Die Menge der Texte, die gelesen und verstanden werden wollten, war riesig. Dafür war die Beherrschung dieser Sprachen, unter ihnen vor allem des Sanskrit, Voraussetzung. Als zentraler Ort für orientalische Studien kristallisierte sich jedoch nicht London, die Metropole des wichtigsten Kolonialherren, heraus, sondern Paris, wo Silvestre de Sacy an der 1795 gegründeten Ecole des langues orientales zunächst den Lehrstuhl für Arabistik und später für Persisch erhalten hatte 23 . Ab 1803 richtete der aus Kalkutta kommende Alexander Hamilton, der durch die Kriegswirren in Paris festgehalten wurde, die einzigen Sanskritkurse außerhalb Englands ein 24 , die in den kommenden Jahren den größten Erfolg haben sollten. Einer der ersten und eifrigsten Schüler war Friedrich Schlegel. Frucht seiner Sprachstudien wurde sein Band „Über die Sprache und Weisheit der Indier", der 1808 in Heidelberg erschien 25 . Darin legte er nicht nur die Wichtigkeit des Sanskrit als Sprache zum Verständnis indischer philosophischer Texte dar, sondern arbeitete vor allem die grundlegende Bedeutung des Sanskrit für die indischen und europäischen Sprachen heraus 26 . Schlegels Schrift wurde das Gründungswerk der indoeuropäischen Sprachgeschichtsforschung. Als zweiter für die deutschen Sanskritstudien wichtige Mann ist Franz Bopp zu nennen. Der junge Aschaffenburger wurde durch Schlegels Schrift zum Erlernen des Sanskrit angeregt und blieb ab 1813 für mehrere Jahre in Paris 27 . Mit Hilfe des Sanskrit und davon abhängiger Sprachen verglich er grammatikalische Erscheinungen in verschiedenen Sprachen; mit dieser Methode, die er schon 1816 mustergültig vorlegte 28 , wurde er zum Begründer der Disziplin der vergleichenden Sprachwissenschaft. Sanskrit war also in den Jahren um 1800 in Europa noch nahezu unbekannt. Es gab zunächst nur aus Indien mitgebrachte Manuskripte, es existierten keine Lehrbücher, Wörterbü22 23 24 25 26 27
Schwab 1984, 5Iff. Schwab 1984, 64. Schwab 1984, 67. Schwab 1984, 72. Schwab 1984, 177f. Schwab 1984, 177-180. - Salomon Lefmann, Franz Bopp, sein Leben und seine Wissenschaft; 2 Bände und Nachtragsband Berlin 1891-1897, hier I, 16-37. 28 Schwab 1984, 178.
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/. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
eher oder Grammatiken. Wegen dieser Schwierigkeiten wurde Sanskrit nur von wenigen Personen erlernt und von einzelnen gelehrt. Während August Wilhelm von Schlegel einen Lehrstuhl an der neu gegründeten Universität in Bonn aufbaute 2 9 , kam Bopp nach Berlin. Wilhelm von Humboldt war 1818 in London auf den jungen Sprachwissenschaftler Bopp aufmerksam geworden und hatte sich durch ihn so sehr für Sanskrit begeistert, daß er mit eigenen Sprachstudien begann und ein beachtliches Niveau erreichte 30 . Er setzte sich dafür ein, daß Bopp den bayerischen Staatsdienst verließ und eine neu eingerichtete Professur an der jungen Berliner Universität annahm 3 1 . Mit dem Jahr 1822 begann er seine Vorlesungen und veröffentlichte in den folgenden Jahren das, was zu einem Sprachenstudium notwendig ist: Grammatik, Wörterbuch und Texte. Damit ist das Umfeld skizziert, aus dem der Kronprinz sein Sanskritwissen bezogen haben könnte 32 . Es bleibt zu fragen, wann dieses Interesse eingesetzt hat. Nach einer brieflichen Äußerung Ancillons, des Erziehers des Kronprinzen, hatte Friedrich Wilhelm die Sanskritschrift bereits im Jahr 1817 erlernt 33 . Im Zusammenhang mit Ancillon besitzen wir ein weiteres Zeugnis seiner frühen Fertigkeit in Sanskrit: dieser schenkte dem Kronprinzen im Jahr 1820 seine neueste Schrift „Über die Staatswissenschaft". Friedrich Wilhelm las sie aufmerksam, machte viele Anstreichungen, und setzte unter die letzten Sätze: „So wolle es Gott unser Herr" - in Devanagarizeichen. Nimmt man an, daß der Kronprinz solche Schriften, die sein Interesse wegen der Natur der Sache oder des Autors haben mußten, sofort las, hat man einen sicheren Beleg für seine Fertigkeiten um 1820 34 .
29 Ernst Windisch, Geschichte der Sanskrit-Philologie und indischen Altertumskunde; 2 Teile Straßburg und Berlin 1917 und 1920, 75ff. 30 Lefmann (Anm. 27), I, 79f. - Die großen Fortschritte Humboldts gehen aus dem Briefwechsel der beiden hervor, der bei Lefmann als Nachtrag beigefügt ist. 31 Windisch (Anm. 29), I, 67ff. 32 Eine Person wurde dabei übergangen: Bunsen. Es ist bekannt, daß Bunsen Sanskrit erlernte, doch unbekannt, wann er das tat: in jungen Jahren oder erst als Botschafter in London? In London besaß er jedenfalls eine Sanskritgrammatik aus dem Jahr 1834. Die andere Möglichkeit wäre, daß er sich nach seinem Studium mit Sanskrit beschäftigte, da er vorhatte, nach Indien zu fahren. Für Sprachstudien hielt er sich 1816 in Paris auf und traf dort unter anderen Bopp, mit dem er weiter in Briefkontakt blieb. Aus seinen veröffentlichten Briefen geht jedoch nur hervor, daß er in Paris Persisch bei Sacy und Arabisch lernte. Eine Andeutung in seinem Brief vom 11. Mai 1816 läßt die Vermutung zu, daß er die Anfangsgründe des Sanskrit erlernt hat: „...,ja ich sehe ein, daß ich von dem Indischen in Paris fast nichts lernen kann, was der Mühe verlohnt. Darin aber als Schüler in Kalkutta zu erscheinen, ist mir keine Schande; man wird sich über mein Persisch wundern, da ich in England und dort als Philolog im Griechischen und Lateinischen auftreten und von allem Anderen nichts sagen werde." Bunsen 1868,1, 97. 33 So schrieb Ancillon in einem Brief vom 6. Juni 1817; Paul Haake, Johann Peter Friedrich Ancillon und Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (Historische Bibliothek 42); München 1920, 123. 34 Friedrich Ancillon, Über die Staatswissenschaft; Berlin 1820. Das Exemplar des Kronprinzen befindet sich heute in der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität. Es wurde zitiert von Haake (Anm. 33), 123, der das Erscheinungsjahr fälschlicherweise mit 1819 angab.
4. Die Hohenzollern und das
Salvatorpatrozinium
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Hier und bei der Bildunterschrift auf dem Choriner Blatt handelt es sich um das gleiche Phänomen, nämlich um deutsche Worte, die mit Devanagarizeichen geschrieben wurden. Verrät der Bucheintrag noch kleine Unsicherheiten, so ist dagegen die Bildunterschrift so sicher und klar gezeichnet, und die nicht einfache Transkription ist so gut durchgeführt, daß es sich nicht um ein oberflächliches Wissen handeln kann 35 . Als Datierungsanhalt für die Zeichnung Chorins kann also angenommen werden, daß der Sanskritschriftzug nicht vor 1820 in Frage kommt. Stellt man den sicheren Duktus in Rechnung, so kommt man auf die Mitte der 20er Jahre als frühestes Entstehungsdatum. Als Lehrer in der Umgebung des Kronprinzen beziehungsweise in Berlin kamen nur wenige Personen in Frage: Schlegel, Humboldt und Bopp. Bopp wäre wahrscheinlich der beste Lehrer gewesen, doch von ihm sind überhaupt keine Kontakte zum Herrscherhaus überliefert. Dagegen pflegte der Kronprinz die Gespräche und brieflichen Kontakte zu den Brüdern Humboldt 36 , die seine wichtigsten Berater in wissenschaftlichen Fragen waren. Die bisher vorgetragenen Argumente - also Planzeichnung und Schrift - erlauben es, das Blatt im Rahmen einer Spätdatierung in die Nähe des Jahres 1828 zu setzen. Damals setzten definitiv Schinkels Arbeiten am Kloster Chorin, auf die vorherige Intervention des Kronprinzen hin, ein. Aber nur vor dem Beginn der Baumaßnahmen machte es Sinn, über mögliche Veränderungen oder Erweiterungen nachzudenken. Als wichtigste Datierungshinweise stehen mithin zur Verfügung: als terminus ante quem 1828 wegen der einsetzenden Restaurierungsmaßnahmen und 1821 als terminus post quem, der Zeitpunkt, als Friedrich Wilhelm sich brieflich nach genaueren Unterlagen über das Kloster erkundigte. Beide Argumente haben also ihren Ausgangspunkt in der Zeichnung und der Klostergeschichte und nicht in dem Schriftzug. War der Umweg über das Sanskrit deswegen nutzlos? Nein! Er wird uns im nächsten Abschnitt zugute kommen.
Romantische Weltsicht Sanskrit und Christus - wie geht das zusammen? Da lägen Buddha, der Hinduismus oder sogar Allah noch näher, wenn man an Sanskrit und die damit verbundene geographische Region Indien denkt. So direkt kann der Gedankenschluß also nicht erfolgen. Wie oben schon angedeutet, bedeutete die Entdeckung Indiens um 1800, und zwar die Entdeckung seiner geistigen Welt über die Entschlüsselung seiner Sprache eine vorher ungeahnte Ausweitung des europäischen Weltbildes und zugleich ein Blick zurück in die eigene Geschichte, da man ja mit Sanskrit zur Sprache der eigenen Ahnen zu finden glaubte. Die Sprache Sanskrit war das Vehikel, mit dem diese Reise in die eigene Vergangenheit angetreten werden konnte, optisch erkennbar in den Devanagari-Zeichen; deswegen ist es letztlich auch unwichtig, daß auf der optisch wirksamen Chorinzeichnung nicht die Sanskritsprache, sondern nur die Devanagari-Schrift verwendet wurde. Die Rückwendung zur Vergangenheit ist aber eines der wichtigsten Elemente der romantischen Epoche um 1800.
35 Eine Unregelmäßigleit besteht darin, daß am Ende des 1., 2., 3. und 5. Wortes ein sog. Visarga gesetzt wurde [:], statt des üblichen Virama, um den inhärenten a-Vokal zu tilgen. Das geht möglicherweise auf bengalische Handschriften zurück, mit denen Sanskritphilologen der Pioniergeneration arbeiteten. 36 Bußmann 1990, 338, 341 und öfter.
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I. Modellfälle des
Erlöserpatroziniums
Ein zweites Motiv der Romantik ist neben der Vergangenheitsschau der Blick über die Grenzen, weit weg in die exotischen Länder. Auch das traf beim Kronprinzen Friedrich Wilhelm zu, in einem überreichen Maße sogar, so daß er in vieler Hinsicht als typischer Vertreter und prägendes Vorbild dieser Epoche gilt. Der phantasiebegabte, überschwengliche und schwärmerische Kronprinz begab sich bei seinen frei erdichteten Fahrten am liebsten nach Südund Südostasien. So entwarf er in den Briefen an seine Schwester Charlotte im Jahr 1817 ein abenteuerliches Märchen, das auf Borneo spielte. Zeichnungen existieren dazu, wie er sich die von ihm auch literarisch beschriebenen Phantasiepaläste vorstellte 37 . Noch in Schinkels Entwürfen zwanzig Jahre später für Schloß Orianda auf der Krim - ebenfalls eine Schnittstelle zwischen Abend- und Morgenland - ist eine ähnliche Entwurfshaltung zu spüren, und tatsächlich lautete der Auftrag von der inzwischen mit dem russischen Zaren verheirateten Charlotte, sie wünsche ein Landhaus „in der Art von Siam" 3 8 . Mit „Siam" war das Schloß Charlottenhof bei Potsdam gemeint, das Schinkel nach den Wünschen des Kronprinzen gebaut hatte 39 . „Siam" galt im 19. Jahrhundert als das „Land der Freien", derjenigen, die ganz in der Natur lebten und ohne einengende Vorgaben durch Antike oder Mittelalter einen größeren Freiraum haben konnten 40 . In ähnlicher Weise galt das auch für den Kronprinzen, wenn er in Charlottenhof weilte. Hier konnte er, frei von Regierungsgeschäften, seinen Interessen nachgehen, hier entstanden viele seiner Zeichnungen, die er dann mit „Federigo Siamese" oder ähnlich signieren konnte 4 1 . In diese Kategorie romantischer Weltsicht gehört die Zeichnung der Choriner Kirche, denn ein reales Umbauprojekt der hier vorgeschlagenen Größe hatte es nie gegeben, und auch eine Umbenennung der Kirche stand nie in Frage 42 . Doch auch ein Stück Glaubenshaltung wird in ihr sichtbar.
37 Dehio 1961, 14-15. Zu der Novelle auch Malve Gräfin Rothkirch: Der „Romantiker" auf dem Preußenthron. Porträt König Friedrich Wilhelms IV.; Düsseldorf 1990, 3 9 ^ 1 . 38 Schinkel Lebenswerk. Ausland 1989; Orianda S. 60-109, hier S. 63 mit der Angabe, daß der Brief im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv nicht mehr erhalten ist. - Vgl. auch Dehio 1961, 64-65, der darauf aufmerksam macht, daß Charlotte neben Schinkel auch den Kronprinzen um eigene Entwürfe gebeten hat. 39 Der Name „Charlottenhof" hat in diesem Fall nichts mit Friedrich Wilhelms Schwester zu tun, wie man leicht annehmen könnte und häufiger in der Literatur findet. Bereits Kurt Kuhlow, Das Königliche Schloß Charlottenhof bei Potsdam; Berlin 1911,7 machte darauf aufmerksam, daß der Name von der Vorbesitzerin Maria Charlotte von Gentzkow stammte. Der Kronprinz verwendete immer den Ausdruck „Siam". 40 Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Berlin [-Ost] 1981, 176 zur Verwendung des Wortes „Siam". Vgl. auch Lewalter 1938, 288. 41 Z.B. ein Blatt mit einer venezianischen Architekturvedute des Jahres 1829; Schümann 1980, 48 Abb. 3 1 . - Auf Einladungen nach Charlottenhof zeichnete er oft - statt einer Unterschrift - ein Selbstbildnis oder karikierte sich als dickleibigen fernöstlichen Würdenträger mit langen Zöpfen; Abbildungen z.B. bei Lewalter 1938, 287. 42 Die mittelalterliche Klosterkirche hatte wie bei den Zisterziensern üblich, ein Marienpatrozinium; KDM Brandenburg III, 3, 49.
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Glaubenshaltung Religiöse Unterweisung war ein fester Bestandteil der Erziehung der Königskinder. Als ihr erster Erzieher war im Juli 1800 der Prediger Friedrich Delbrück aus Halle engagiert worden, im Mai 1810 folgte ihm auf den Wunsch der Königin der Geschichtsprofessor Ancillon, der als Hugenotte gleichzeitig Prediger in der französischen Gemeinde Berlins war 43 . So gegensätzlich beide Erzieher auch waren, ihre religiösen Vorstellungen dürften nicht allzuweit voneinander entfernt gewesen sein. Delbrück benutzte eine in der alten Hugenottensiedlung Erlangen gedruckte Bibel 44 und bemühte sich um einigermaßen regelmäßige Morgenandachten. Manchmal wurden diese allerdings durch Ossians Anrede an die Morgensonne ersetzt 45 . Für katholische Sitten hatte er nicht viel übrig, zumal sie ihm wie zum Beispiel die mitternächtlichen Messen zu Weihnachten in der nahen St. Hedwigskirche eine unruhige Nacht bescheren konnten. Ancillon setzte die gemäßigte aufklärerische Erziehung fort. Zu dessen regelmäßiger Lektüre gehörte nicht nur die Bibel. Genauso „erheiterte seine Seele" Homers Odyssee oder der Schriftsteller Milton 46 . Ganz in diesem Geist wurde auch der Kronprinz erzogen. Das zeigt noch sein Glaubensbekenntnis, welches er im Jahr 1813 mit eigenen Worten formuliert hatte 47 . Einige Jahre später erlebte man Friedrich Wilhelm völlig verändert. Nach dem Besuch eines Garnisonsgottesdienstes im Jahr 1819 beschwerte er sich bei seinem Vater über den Feldprediger: „Er las die Liturgie wie eine langweilige Reisebeschreibung, nachher predigte er über die Natur und bewies in einigen poetischen Sätzen ..., daß es ein höchstes Wesen geben dürfte. Von Christus kein Gedanke " 48 . Diese Beschwerden wiederholten sich in der Folgezeit, oft sogar in äußerst heftigem Ton. Offensichtlich war Friedrich Wilhelm mit den bisherigen Glaubenslehren nicht mehr zufrieden. Er hatte ein neues Verständnis für die Religion gewonnen. Es reichte nun nicht mehr aus, abstrakt von höchsten Dingen zu reden, ein konkreter Bezug auf Gott und die Erlösung mußte sichtbar sein. Die Bibel sollte ihren angestammten Platz als Buch der Bücher wieder zurückerhalten. Mit anderen Worten: Der Kronprinz muß zur Erweckungsbewegung gezählt werden, von der zu Anfang des 19. Jahrhunderts die entscheidenden Impulse zur Erneuerung des Protestantismus ausgingen 49 . Der Kronprinz gehörte keiner bestimmten Gruppe der neuen Bewegung an. Auch ist es schwer, seine Erweckung auf ein bestimmtes Datum zu fixieren. Erweckungen erfolgen normalerweise schlagartig und unvorgesehen. Bei Friedrich Wilhelm dagegen scheint es sich um einen längeren Prozeß gehandelt zu haben, der ab 1811 im Ansatz spürbar wurde 50 . Damals waren gerade seine neuen Erzieher und Lehrer tätig geworden, und in diesem Kreise wurden Formulierungen gewählt, die sich später auch der Kronprinz zu eigen machte. 43 Georg Schuster, Die Jugend des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und des Kaisers und Königs Wilhelm I. Tagebuchblätter ihres Erziehers Friedrich Delbrück (1800-1809); I.Teil (1800-1806); Berlin 1907, Einleitung. - Haake (Anm. 33). - Bußmann 1990, 44. 44 Ausgabe von G. Fr. Seiler in Auszügen mit Anmerkungen; Erlangen 1782; Schuster (Anm. 43), 274. 45 Am 2. Juni 1804 und häufiger; Schuster (Anm. 43), 144. 46 Haake (Anm. 33), 31. 47 Schaper 1938, 50. 48 Text im vollen Wortlaut bei Haake (Anm. 33), 29; verkürzt bei Schaper 1938, 50. 49 Schaper 1938, 5Iff. 50 Schaper 1938, 51.
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Eine große Rolle für die religiöse Entwicklung Friedrich Wilhelms haben ferner die Befreiungskriege gespielt, die auch allgemein das religiöse Leben der Zeit in erheblichem Maße beeinflußt haben 51 . Die letzte Phase des Krieges hat Friedrich Wilhelm direkt an der Front, teilweise sogar im Nahkampf miterlebt. Bei der Schlacht von Groß-Görschen westlich Leipzig hat er erstmals das unermeßliche Leid einer solchen Schlacht mit insgesamt über 30 000 Toten gesehen 52 . Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich daran. Er begleitete das preußische Heer nach Westen und war schließlich, nach der letzten Schlacht bei Bar-sur-Aube, beim triumphalen Einzug der Truppen mit dem russischen Zaren in Paris dabei. Das war Ende März 1814, und ein bedeutungsvolles Osterfest stand bevor: Es war seit langem das erste Osterfest, das in Ost- und Westkirche gleichzeitig begangen wurde 53 . So konnte Friedrich Wilhelm am 7. April 1814 an seine Schwester Charlotte, deren Hochzeit mit dem Zaren zu diesem Zeitpunkt schon feststand, schreiben: „ Welch ein Auferstehungs-Fest werden wir nicht übermorgen mit der Auferstehung des Herrn feiern können, was ist nicht alles seit einem Jahre auferstanden - ... unsere Freiheit, die Freiheit von Deutschland... " 5 4 . Noch deutlicher wurde die religiöse Inspiration, die sich an der Politik entzündete, bei einer russischen Heeresschau in der Champagne, bei der 500 Kanonen und 120 000 Gewehre Salven abgaben: „Dabei denken Sie sich das Schauspiel vom Rande, gleichsam Ufer der Champagne pouilleuse angesehen, diese ungeheure Wüste, der wüste schauerliche Berg in der Mitte wie der Sinai, ich sage Ihnen, ich war nahe am Uberschnappen! Wie des jüngsten Gerichts schien mir dies Toben zu sein. O! wie ganz anders erhaben als den meisten wurde mir zu Mut! Mit einer gar nicht zu bergenden Begeisterung dachte ich des Weltgerichts und des Tages, an welchem allem dem Quarek und Unflath wie den Auserwählten, die sich mit mir ... am Berg befanden, der rechte Platz angewiesen werden wird. Lachen Sie nicht darüber! Das sind Vorstellungen, die mich jetzt gar nicht verlassen und die sich innig mit meinem ganzen Sein verbindet. ... Ich behaupte, der Glaube an das Weltgericht gehört so gut zur natürlichen als zur offenbarten Religion. Und jetzt ist man dahin gekommen, ihn aus allen 2 herausgedacht zu haben," schrieb er am 15. September 1814 seinem Lehrer Ancillon 55 . Die zentralen Begriffe des Christentums, nämlich Auferstehung und Weltgericht, also Hoffnung auf Erlösung des sündhaften Menschen, beherrschten sein Denken. Es sind die Begriffe der Erweckungslehre. Der zweite Brief macht deutlich, wie der Kronprinz auf ein Mal allein in seiner Gedankenwelt war, und deutlich wird auch die Distanz, die er zu seinem Lehrer Ancillon fühlte, als er ihn aufforderte, nicht über seine Empfindungen zu lachen.
Ahnenkult Verehrung gegenüber den Vorfahren war ein weiterer wichtiger Beweggrund für Friedrich Wilhelms bauliche Tätigkeiten. In der Natur der Sache lag es, daß es sich dabei immer um Wiederherstellung bestehender Anlagen handelte.
51 Karl Holl, Die Bedeutung der großen Kriege für das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus; Tübingen 1917; wieder in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte; III. Der Westen; Tübingen 1928, 302-384, hier besonders 347-362. 52 Bußmann 1990, 50ff. 53 Bußmann 1990, 60. 54 Haake(Anm. 33), 81. 55 Haake (Anm. 33), 79f.
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Ausgangspunkt seiner Tätigkeit waren dabei meist seine ausgedehnten Reisen, die er seit den Befreiungskriegen unternahm, um die deutschen Provinzen, genauer: die preußischen Provinzen, also sein künftiges Herrschaftsgebiet, kennenzulernen. Dies hatte sich in der napoleonischen Zeit gewaltig vergrößert, waren doch die Rheinprovinz und Westfalen als große Territorien hinzugekommen, so daß Preußen jetzt die gesamte Westostausdehnung des deutschen Reiches ausmachte. Aber auch der Besuch anderer hohenzollerischer Gebiete gehörte dazu, wie die Stammburg des Geschlechts bei Hechingen, wo der katholische Zweig der Hohenzollern regierte. Die Rolle, die Friedrich Wilhelm bei den jeweiligen Projekten spielte, muß dabei vor allem zeitlich differenziert gesehen werden, und zwar zunächst dergestalt, daß ihm bis 1840 als Kronprinzen nur beschränkte Mittel zur Verfügung standen. Bis dahin konnte er sich lediglich empfehlend bei seinem Vater für das eine oder andere Projekt einsetzen; erst als er selber König geworden war, konnte er seine Interessen mit viel größerer Kraft durchsetzen. Als Musterbeispiel für dieses Verhalten kann hier eines der frühesten Projekte stehen, die Wiederherstellung der Burg Hohenzollern. Am 16. Juli 1819 hatte der Kronprinz die zerfallende Burg besucht 56 . Auf Bitten des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, der selber nicht einmal die geringsten Mittel zur Verfügung hatte, setzte sich Friedrich Wilhelm in den nächsten Jahren für den Erhalt der ruinösen Burg ein. Wie aus der Korrespondenz hervorgeht, war er in Berlin der einzige, der sich überhaupt dafür interessierte. Als Motive für die Erhaltung nannte der Fürst die Bekundung der Achtung vor den Vorfahren und die dadurch gesteigerte Würde des jetzigen Königsthrones. Unter den gegebenen Umständen konnten nur kleine Teile der Burg wieder aufgebaut werden, der Rest wurde als Ruine gestaltet 5 7 . Der badische Baumeister Arnold stellte in den Jahren 1822/23 lediglich das Zeughaus und die Michaelskapelle wieder her, das militärische und religiöse Hauptstück der Burg also. Während die preußische Staatskasse die Baumaßnahme ermöglichte, wurden Pläne und Darstellungsprogramm offenbar vom Hechinger Fürsten und von Arnold entworfen. Das Wappen am Kapelleneingang 58 zeigte in aller Klarheit den Aufstieg der Hohenzollern „vom Urstamm bis zum Königtum", wie sich Arnold ausdrückte 59 , von der süddeutschen Grafschaft also bis zur deutschen Großmacht. Diese kleine Lösung sollte bald nicht mehr ausreichen. Stillfried, der Hohenzollern-Historiograph in Friedrich Wilhelms Diensten, hatte Pläne ausgearbeitet, die nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms 1840 weiterverfolgt wurden und zu einer Totalwiederherstellung führten 60 . Ahnenkult bedeutet aber noch mehr, sich um die Gräber seiner Vorfahren zu kümmern. Manche dieser Projekte haben wir bereits weiter oben kennengelernt, eine kurze Zusammenstellung kann hier also genügen. Sie zeigt auf beeindruckende Weise, auf welche umfassende Art Friedrich Wilhelm sich um die Grablegen seiner Vorfahren gesorgt hat. Dabei spielte die direkte, blutsmäßige Erbfolge natürlich eine wichtige Rolle. Die genealogischen Forschungen Stillfrieds zur Herkunft der Hohenzollern ermöglichten es, bisher unbe-
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Bothe 1979, 56. Bothe 1979, 60-66. Das gleiche Wappen befand sich am Kapellenaltar; abgebildet bei Bothe 1979, 63. Zitiert bei Bothe 1979,62. Im Revolutionsjahr 1848 mußten die Pläne nochmals geändert werden: Das Denkmal erhielt überraschenderweise einen militärischen Nutzen; Bothe 1979, 67-101.
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kannte Gräber in dieses Programm mit einzubeziehen 61 . Daneben aber wurden auch die Grablegen der Herrscher, deren Amt den Hohenzollern zugefallen war, gepflegt. Schon in den Zwanziger Jahren hatte sich in diesem Sinne Friedrich Wilhelm für den Erhalt des Klosters Chorin mit der Askaniergruft eingesetzt, in den Dreißiger Jahren war die Klause bei Kastel an der Saar gefolgt. Zwei weitere Zisterzienserklöster sind in diesem Zusammenhang zu nennen, die ihre bauliche Wiederherstellung den dort befindlichen Grablegen verdanken: Altenberg und Heilsbronn. Die Altenberger Zisterze im Bergischen Land war seit der Säkularisation im Jahr 1803 in privater Hand. Zwölf Jahre später vernichtete ein Brand das Kloster und beschädigte die Kirche schwer 62 . Obwohl Schinkel sich seit dem Jahr 1816 ständig für die Wiederherstellung der Kirche einsetzte, die durch ihre enge Verwandtschaft mit dem Kölner Dom gerade in jenen Jahren sogar eine gewisse Aktualität besaß, blieb der Bau jahrzehntelang liegen; wegen des fehlenden Dachstuhls und geborstener Chorgewölbe zerfiel die Kirche zusehends. Im Jahr 1835 endlich wurden konkrete Wiederherstellungspläne angefertigt, doch stand noch immer zu wenig Geld dafür zur Verfügung. Erst mit der Aufstockung der Geldmittel durch Friedrich Wilhelm IV. konnte die Restaurierung qualitätvoll beendet werden. Entscheidendes Motiv für den König war aber die Grablege der Herzöge von Berg, die nach seinem Willen ebenfalls wiederhergestellt werden sollte 63 . Das Zisterzienserkloster Heilsbronn, zwischen Nürnberg und Ansbach gelegen, war 1132 vom Bamberger Bischof Otto I. gegründet worden 64 . Vogteirechte hatten die Grafen von Abenberg, die zugleich Burggrafen von Nürnberg waren; sie machten Heilsbronn zu ihrem Hauskloster. Als ihr Geschlecht um 1200 ausstarb, folgten ihnen die Grafen von Zollern, die mit dem Amt des Burggrafen den Grundstock zu ihrem Aufstieg im Reich gelegt hatten. Bis in den Dreißigjährigen Krieg blieb Heilsbronn Grablege dieses Zweiges der Zollern. Es war also, abgesehen von der Stammburg bei Hechingen, der älteste und am längsten benutzte Traditionsort der Hohenzollern überhaupt. Nachdem im November 1631 das Kloster geplündert worden war, wurde es endgültig aufgehoben. Da die Markgrafen außerdem ihre Grabstätte in die Ansbacher St. Johanniskirche verlegt hatten 65 , war das Interesse an einer Klosterrestaurierung sehr gering. Erst nach 80 Jahren wurden relativ geringe Konsolidierungsmaßnahmen an der Kirche vorgenommen 6 6 . Das Interesse an der romanischen Klosteranlage erwachte erst wieder im 19. Jahrhundert. Mehrfach besuchten die Hohenzollernkönige diese Traditionsstätte. Schon im Jahr 1822 wollte Friedrich Wilhelm III. das Patronatsrecht erwerben, um die Kirche restaurieren zu können. Erst sein Sohn nahm den Plan energisch wieder auf, und zwar gleich nach seiner Thronbesteigung 1840. Inzwischen fühlte sich jedoch Bayern, zu dessen neuen Territorien das
61 Die historisch-antiquarischen Forschungen, die der Kronprinz und Stillfried seit den 30er Jahren intensiv durchführten, führten später zur Einrichtung des Brandenburgisch-Preußischen Hausarchivs. 62 Schinkel Lebenswerk. Rheinlande 1968, 384-397. 63 Die endgültige Herrichtung und Einweihung der renovierten Kirche fand aus später interessierenden Gründen erst 1857 statt; dazu siehe unten Teil II. 4. 64 Schuhmann 1989, 3ff. und Manfred F. Fischer, Die Restaurierungspläne des Friedrich von Gärtner für die ehemalige Klosterkirche Heilsbronn, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1966, 63-73 65 Schuhmann 1989, 38-57. 66 Schuhmann 1989, 34-37.
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Kloster ja gehörte, für die Restaurierung verantwortlich und wollte sie deshalb Preußen nicht überlassen. Schließlich einigte man sich zwar auf eine gemeinsame Finanzierung, aber auf alleinige Ausführung durch den bayerischen Hofarchitekten Friedrich von Gärtner 67 . Vor allem die Zusätze des 18. Jahrhunderts wurden entfernt und die im Boden aufgefundenen Gebeine von 20 Zollernfürsten neu beigesetzt 68 . Doch nicht nur den Grablegen weit zurückliegender Zeiten und entfernter Verwandter galt das Interesse Friedrich Wilhelms; noch mehr beschäftigte ihn die Grablege der eigenen Dynastie. Aber die Ausführung einer Hohenzollerngruft war direkt mit dem Neubau des Berliner Domes verbunden. Seit 1842 stand zwar der Entschluß zu einem Domneubau fest, aber die Planungen wurden immer wieder geändert und letztendlich nicht ausgeführt, so daß keine sichtbaren Monumente davon blieben. Bei der mehrteiligen komplexen Kathedralanlage war ein kreuzgangartiger Teil als Friedhof vorgesehen, der aber korrekter als dynastische Grablege angesehen werden muß. Als architektonisches Vorbild diente der Campo Santo in Pisa 69 . Die Gruft am neuen Berliner Dom hätte natürlich auch Friedrich Wilhelms eigenes Grab aufnehmen sollen. Als abzusehen war, daß dieses Projekt nicht so schnell würde ausgeführt werden, erließ der König im Jahr 1854 Bestimmungen für seine Grabstätte: die Körper von ihm und seiner Frau Elisabeth sollten in der Friedenskirche in Potsdam beigesetzt werden, sein Herz dagegen im Charlottenburger Mausoleum 7 0 . Dort sollte es in einem herzförmigen granitenen Behälter zu Füßen seiner Eltern beigesetzt werden. Es ist die Begräbnisstätte Luises, der Mutter Friedrich Wilhelms, der entscheidenden weiblichen Figur in seinem Leben 71 . Schinkel hatte im Jahr 1810 das Mausoleum im Charlottenburger Schloßpark an einer Luise besonders lieben Stelle errichtet 72 . Durch eine dorische viersäulige Portikusanlage trat man in einen rechteckigen Raum ein, von dem eine mittlere Treppe in die Gruft hinabführte und die beiden seitlichen Treppen zu dem darüber befindlichen Raum, der durch Oberlicht ein geheimnisvolles Licht erhielt und auf Rauchs berühmter Liegefigur von Luise verteilte. Nach dem Tod Friedrich Wilhelms III. mußte das Mausoleum erstmals verändert werden, denn es war der Wunsch des Königs gewesen, neben seiner Gemahlin beigesetzt zu werden, und Friedrich Wilhelm IV. erfüllte den Wunsch seines Vaters (Abb. 41). Um ein zweites Grab aufzunehmen, war eine Erweiterung des Mausoleums notwendig. Die Rückwand des bestehenden Baus sollte herausgebrochen werden, um den Hauptraum rückwärtig verlängern zu können 73 . Diese Gelegenheit nutzte Friedrich Wilhelm IV., um den Charakter des Bauwerks im Innern gründlich zu verändern: In die neue Rückwand wurde nun eine Apsis mit Altarstelle eingefügt, und die beiden Gräber mit der Fußseite zum Altar hin ausgerichtet (Abb. 42—43 ) 74 . Für 67 Schuhmann 1989, 36-37. 68 Die Umbettung erfolgte am 23. Oktober 1853, die Einweihung der restaurierten Klosterkirche am 14. Oktober 1866; Schuhmann, wie oben. 69 Schümann 1980, 5Iff., 61, 201-207. - Die Ausführung von Dom und Gruft erfolgte schließlich unter Wilhelm II.; vgl. auch Brozat 1985. 70 Heuer 1939, 536-537. - Zu seiner Grablege in der Friedenskirche vgl. unten Teil II. Kap. 2. 71 Nicht einmal seine Ehefrau Elisabeth konnte damit konkurrieren; Bußmann 1990, 41^-3. - Die Begräbnisfeierlichkeiten sind geschildert bei Rothkirch (Anm. 37), 24-25. 72 KDM Berlin Charlottenburg, Textband, 165-181 und Tafelband, Abb. 798-817, hier Text S. 167ff. 73 KDM Berlin Charlottenburg, Textband, 178-179. 74 KDM Berlin Charlottenburg, Textband, 179 Abb. 121.
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die Apsiskalotte hatte der leitende Architekt, Ludwig Ferdinand Hesse, eine Majestas mit anbetenden Engeln entworfen 7 5 . Auf Wunsch des Königs wurden die Engel durch das Königspaar ersetzt, das ihre Kronen dem thronenden Christus darbringt. Die Ausführung erfolgte durch Carl Gottfried Pfannschmidt 7 6 . Das im ganzen Raum und der Apsis umlaufende Gesims wurde mit Bibelzitaten geschmückt. Allein die Hinzufügung der Apsis mit der Altarstelle bedeutete schon, „den antiken Tempel ins Christliche " zu wenden 7 7 , doch ist mit dieser Aussage keineswegs alles gesagt, und es müssen zum wirklichen Verständnis weitere Bedeutungsschichten erschlossen werden. Alle Einzelheiten des Erweiterungsbaus und ihre Disposition zeigen eine tiefgründige Kenntnis christlicher Grabmalikonographie. Exemplarisch klar wird das bereits dadurch, daß der Kenotaph Luises um 180 Grad gedreht wurde und mit der Fußseite zum Altar aufgestellt wurde. Nicht mehr der ästhetische Reiz einer perfekt ins Licht gesetzten Plastik war jetzt gefragt, sondern die religiös motivierte Aufstellung des Sarges, damit die Toten im Angesicht des Altares auf das Jüngste Gericht warten könnten. Die Apsis wird deswegen beherrscht von dem thronenden Christus; sein oberstes Herrscheramt ist durch das Zitat aus Jesaja bekräftigt: „Ich, ich bin der Herr und ist außer mir kein Heiland" (Jes 43, 11). Unter den auf dem Gesims umlaufend angebrachten Bibelzitaten stellt das der Apsis gegenüber zu lesende die beste Selbsteinschätzung des königlichen Hauses dar: „ Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern von denen, die da glauben und ihre Seele retten" (Hebr 10, 39). Zentrales Motiv der Apsis ist der thronende Christus, dem König und Königin ihre Krone darreichen. Christus dem Herrn der Herren verdanken alle anderen ihre Macht, es ist die dei gratia verliehene Macht. Dieses von der mittelalterlichen Ikonographie her bekannte und so selbstverständliche Motiv stellt die eigentliche neue und wichtigste Aussage des Charlottenburger Mausoleums dar. Denn seit der Französischen Revolution war das Königtum dei gratia nicht mehr aktuell, sondern andere, bürgerliche Herrschaftsformen hatten sich etabliert.
Kirchenpolitik Friedrich Wilhelm IV. fühlte sich ganz als König von Gottes Gnaden. Seine Politik war von Anfang an von diesem Grundsatz durchdrungen, und anders kann seine Politik auch nicht richtig verstanden werden. Bereits als er als Zehnjähriger das Offizierspatent erhielt, wählte er als Leitsatz für seinen künftigen königlichen Beruf „Fromm sein und wahrhaftig sein behüten den König, und sein Thron bestehet durch Frömmigkeit" 7 8 . Christus betrachtete er als seinen Lehnsherren, dem er die Rechte seiner Krone verdanke 79 . Entscheidend war dabei nicht seine
75 Börsch-Supan 1977, 129 und Abb. 364. 76 Alfred Kuhn, Peter Cornelius und die geistigen Strömungen seiner Zeit. Mit den Briefen des Meisters an Ludwig I. von Bayern und an Goethe; Berlin 1921, 218 erwähnt eigenhändige Zeichnungen des Königs mit dem veränderten ikonographischen Programm. - Bei der 2. Erweiterung des Mausoleums, die nach dem Tod Wilhelms I. notwendig wurde und 1890/91 durchgeführt wurde, wurde das Apsisbild Pfannschmidts in der neuen Apsis wiederholt. 77 So KDM Berlin Charlottenburg, Textband, 178. 78 Rothkirch (Anm. 37), 17. 79 Schaper 1938, 55.
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Person, sondern das Amt, das er innehatte, denn er äußerte, daß er gewisse Dinge „nur als König weiß" und als Kronprinz noch nicht habe wissen können 80 . Erst mit Regierungsantritt, als König, das heißt ab 1840, konnte er seine neue Rolle als dei gratia rex darstellen. In diesem Amtsverständnis liegen wohl die eigentlichen Wurzeln seiner sich dann plötzlich entfaltenden Aktivitäten. Ein Objekt, das sich in seinem Privatbereich befand und keine zu großen Dimensionen aufwies, sollte am schnellsten und am reinsten die Umsetzung seiner Gedanken in die künstlerische Praxis erlauben. So markiert das Charlottenburger Mausoleum nicht zufällig einen wichtigen Punkt der künstlerischen und religionspolitischen Vorstellungen dieses Monarchen. Waren seine vielen Aktivitäten als Kronprinz wichtig und nützlich, waren sie vor allem durch Pietät und Romantik geprägt, so sollten sie nun ihren Realitätsgrad verändern. Zwar blieb er ein Romantiker auf dem Königsthron, doch die vermehrte Macht brachte auch seinen Projekten eine größere Wirkungskraft. Jetzt konnte er versuchen, seine Vorstellungen eines christlichen Staates Realität werden zu lassen.
80 Schaper 1938, 55. - In demselben Sinne konnte er sich dann auch anderen Personen gegenüber als der Besserwissende fühlen.
II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
1.
Die Apostolische Kirche: Theorie
Die Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. hatte religionspolitisch mit einem Paukenschlag begonnen, nämlich mit der Gründung eines evangelischen Bistums in Jerusalem. Was am Anfang dieser Arbeit als isolierte Handlung erschienen war, hat sich mittlerweile bereits als aufs engste mit anderen Ereignissen verwoben erwiesen, allein schon was die handelnden Personen angeht. In diesem Kapitel sollen besonders zeitliche und inhaltliche Zusammenhänge klargemacht werden. Die Ideen, die Friedrich Wilhelm entwickelte, betrafen eine Neuorganisation der Kirche. Seit dem Reformationsfest von 1817 hatte der Kronprinz Kirchenverfassungsfragen miterlebt, oft auch mitdiskutiert, angefangen bei der altpreußischen Union von 1817 bis zu den Agendenstreitigkeiten der Zwanziger Jahre. Was der unierten Kirche in Preußen neben der bereits vereinheitlichten Agende noch fehlte, war eine entsprechende Verfassung 1 . Hier bestand eine Lükke, und auf deren Schließung zielten die Überlegungen Friedrich Wilhelms ab, wenn auch seine Gedanken kaum Realisierungschancen haben sollten. Seine Überlegungen gingen in zwei Richtungen: Er wollte der evangelischen Kirche die Apostolizität, also die kirchliche Legitimität, die sie mit der Reformation verloren hatte, wiedergeben, und er wollte das Verhältnis des Herrschers zur Kirche neu klären. Friedrich Wilhelm IV. hatte sich intensiv und lange, beinahe sein ganzes Leben lang mit einer neuen Kirchenverfassung auseinandergesetzt. In seinen Briefen erwähnte er immer wieder einzelne Aspekte davon. Wenn er in Einzelheiten seine Ansichten auch variierte, so blieben seine wesentlichen Gedanken doch konstant, und wir können seine Ideen einer kirchlichen Organisationsstruktur über annähernd ein Jahrzehnt - von 1840 bis 1848 - in verschiedenen Medien verfolgen. Das erste Mal hat er in einem langen Brief am 24. März 1840 Bunsen gegenüber seine Pläne dargelegt 2 . Es folgen zwei Aufsätze, in denen der König mit ruhiger Überlegung und ausführlich seine Gedanken darlegen konnte; sie stammen vom 23. Februar 1845 und vom 8. Dezember 1845 3 . Stichpunktartig hat er dann nochmals seine Thesen 1847/48 zusammengefaßt, vielleicht in Vorbereitung kirchlicher Gesetze, die dann jedoch wegen der Revolution lie-
1 Klaus Wappler, Auf dem Weg zur Erneuerung im Zeitalter der Befreiungskriege: Die Steinschen Reformen und die Kirchenunion von 1817, in: Beiträge 1987, 129-153. 2 Der Brief wohl vollständig wiedergegeben bei Ranke 1873, 46-76; sämtliche Hervorhebungen in den wörtlichen Zitaten folgen Ranke. - Vgl. Brennecke 1987. 3 Im vollen Wortlaut wiedergegeben in: Gerlach 1903, II, Anlage VII, S. 4 4 4 ^ 7 4 und Anlage VIII, S. 475-510.
1. Die Apostolische Kirche: Theorie
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gengeblieben sind 4 . Später treffen wir solche großen Dokumente nicht mehr an, doch wir wissen von Unterredungen gerade mit Bunsen darüber noch aus dem Jahr 1857, also kurz vor seinem ersten Schlaganfall, von dem er nicht mehr genesen sollte 5 . Die vier Versionen unterscheiden sich nicht stark voneinander. Zur Darstellung an dieser Stelle habe ich den Brief des Kronprinzen an Bunsen ausgewählt. Einmal ist er zeitlich das früheste Dokument und daher wegen seiner Zeitstellung besonders interessant, zum anderen ist er von seiner Art her, eben als Brief, lebendiger in der Darstellung als Dokumente es sein können, und, was besonders wichtig ist, er verrät etwas über die politischen Zusammenhänge. Der theologische Gehalt wurde schon mehrfach dargestellt und ausgewertet, so daß ich mich hier auf die Darlegung der Passagen beschränken kann, die in unserem Zusammenhang wichtig sind 6 .
Der Brief des Kronprinzen an Bunsen: Vorgeschichte Friedrich Wilhelm, zu diesem Zeitpunkt noch Kronprinz, begann seinen Brief am 24. März 1840 und setzte ihn am folgenden Tage fort - am Tage „Mariä Verkündigung", wie er selber schrieb. Diese Datumsangabe ist zunächst schwer zu verstehen und läßt sich durch ein wie auch immer geartetes Verhältnis der Konfessionen zueinander - ob auf Konfrontation oder Versöhnung gestimmt - kaum begreifen. Wir werden darauf zurückkommen. Der im Original 28 engbeschriebene Manuskriptseiten umfassende Brief war kein spontan geschriebener Brief: „ Wagen wir den Sprung mitten in Ihre Divorciana, " 7 begann der Brief und zeigte damit, daß er zunächst eine Antwort sein wollte auf ein Werk Bunsens, und zwar sein zweibändiges Manuskript zur Ehescheidungsfrage, die zu den schon genannten Kölner Wirren, dem größten konfessionellen Konflikt der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, geführt hatte. Bunsen war nach dem ruhmlosen Ende seiner römischen diplomatischen Tätigkeit im August 1838 für knapp fünfzehn Monate nach England gegangen und hatte dort mehr offiziöse denn offizielle Aufträge für Preußen durchgeführt 8 . Zunächst versorgte er die englische Presse mit Dokumentationen, teilweise auch eigenen Artikeln zu den Kölner Wirren, damit sie diesen Konflikt preußenfreundlicher darstellen konnte. Bunsen sprach von einem regelrechten Zeitungskrieg 9 : „[Januar 1839] Der Zeitungskrieg über die kölner Sache begann mit dem Er-
4 Das Manuskript wurde 1847 fertiggestellt und Anfang 1848 nochmals geringfügig überarbeitet; publiziert von Heckel 1922, Text auf S. 455-459. - Der Entwurf stammt aus dem Hausarchiv des Königs aus Rep. L: Staatsverwaltung. 5 Am 29. September 1857 (Michaelistag, schrieb Bunsen) besuchte Bunsen den König im Berliner Schloß und besprach sich mit ihm wegen des Dombaus und damit zusammenhängend auch wegen Verfassungsfragen der Kirche; Bunsen 1868, III, 496ff. 6 Richter 1861; Heckel 1922, 444-459; Schaper 1938, 73-110; Benz 1953 ; Schmidt-Clausen 1965, 303-342; Gerhard Besier, Preußische Kirchenpolitik in der Bismarckära; Berlin 1979, 25-37; Joachim Mehlhausen, Friedrich Wilhelm IV. Ein Laientheologe auf dem preußischen Königsthron, in: Vom Amt des Laien in Kirche und Theologie. Festschrift für Gerhard Krause zum 70. Geburtstag; Berlin 1982, 185-214; Brennecke 1987; J. F. Gerhard Goeters, Die kirchlichen Vorstellungen König Friedrich Wilhelms IV., in: Geschichte der Evangelischen Kirche der Union 1992, I, 271-283. 7 Ranke 1873,46. 8 Höcker (s. Teil 1.3. Anm. 6), 89-90. 9 Bunsen wollte alle drei großen englischen politischen Zeitschriften - Quarterly Review, Foreign
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scheinen der, Quarterly Review ' und,Foreign Quarterly Review '. Herr von Biilow schickte mir die feindlichen Artikel zu: ich beantwortete sie in .Times' und,Standard' mit dem Zeichen C. C. (Capitolinus Christianus) und brachte die Gegner zum Schweigen. "10 Im Frühsommer 1839 erhielt Bunsen dann vom Kronprinzen den Auftrag, ein Gutachten über das neue preußische Ehescheidungsgesetz auszuarbeiten, ein Auftrag, der ihn ein gutes halbes Jahr lang beschäftigte", und den er sehr gern annahm. Die Ehegemeinschaft als ein zentraler Bereich menschlichen Zusammenlebens, ja als die häufigste und wichtigste Art menschlicher Koexistenz, wurde von Anfang an strengen Reglementierungen unterworfen. Da religiöse, physische, psychische und nicht zuletzt wirtschaftliche Verhaltensweisen dadurch betroffen sind, also jeden Einzelnen in sehr komplexer Weise betreffen, gehören Regelungen über Eheschließung und Ehescheidung zu den zentralen gesetzlichen Bestimmungen eines Gemeinwesens. Die frühesten Quellen eines christlichen Eheverständnisses sind in der Bibel zu finden. Konkretere Bestimmungen für eine christliche EheEthik wurden bereits in den ersten Jahrhunderten nach Christus entwickelt und im Mittelalter vielfältig codi fi ziert 12 . Einen Bruch in der Entwicklung bedeutete die Reformation: Während die katholische Kirche am sakramentalen Charakter der Ehe festhielt und deswegen die Scheidung nach wie vor verbot, betonte Luther ihren menschlichen, irdischen Charakter, was sich unter anderem in ihrer Auflösbarkeit zeigt. Zwei verschiedene kirchliche Rechtsnormen existierten nun in Europa nebeneinander, territorial aber durch die konfessionell ausgerichteten Staaten voneinander getrennt. Die Schaffung großer Territorialstaaten im 19. Jahrhundert und die Einführung eines bürgerlichen Gesetzbuches mußten zum Konflikt der verschiedenen Rechtsnormen führen, wie dies ganz exemplarisch in den Kölner Wirren der Fall war. Wollte man hier nach einer Lösung suchen, waren zwei Fragenbereiche angesprochen: einmal nach der Entstehung eines kirchlichen Eherechts und zum anderen nach dem Verhältnis von Kirche und Staat zueinander. Beide Fragen führen aber in die gleiche Zeit: in die Anfänge des Christentums. Es ist also sehr verständlich, daß Bunsen gerne zusagte. Das Thema Kirche und Staat hatte auch in England eine große Aktualität. Gerade im Dezember 1838 war darüber eine aufsehenerregende Abhandlung erschienen. William Gladstone, ein eher konservativer Politiker und Laientheologe, sprach sich in seinem Werk „The state in its relation with the church" für eine stärkere Trennung von Staat und Kirche aus und vor allem für die Gleichberechtigung der beiden Institutionen. Bunsen wußte schon vorher von dem Erscheinen des Werkes und hatte es begierig erwartet 13 . Als es erschienen war, las er es in einer Nacht
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Quarterly Review und Edinburgh Review - für sich gewinnen. Pusey überzeugte ihn, daß es bereits ein großer Erfolg sei, zwei auf der eigenen Seite zu haben; Bunsen 1868, II, 84. Bunsen 1868,11,85. Bunsen 1868, II, 87. Herbert Preisker, Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten. Eine Studie zur Kulturgeschichte der Alten Welt Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche, 23); Berlin 1926; Neudruck Aalen 1979. Abeken, der römische Gesandtschaftsprediger, teilte am 25. November 1838 in einem Brief an Frau Bunsen mit, daß er „begierig auf den von Ihrem Manne angekündigten Engländer Gladstone (wäre). Auf sein Buch über Kirche und Staat wäre ich sehr neugierig." Gladstone war im folgenden Januar zu Gast bei Abeken in Rom, anschließend fertigte Abeken die Übersetzung des Buches an, die 1843 in Halle erschien; Heinrich Abeken. Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, aus Briefen zusammengestellt; Berlin 1898, 79-83.
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durch, glossierte es innert eines Tages für Friedrich Wilhelm und sandte es ihm am 13. Dezember mit einer Postille zu 14 . Den Sommer 1839 verbrachte Bunsen noch damit, möglichst viele Erkundigungen für sein Gutachten einzuziehen. Dann zog er sich zurück, stellte das Material zusammen - ohne Gesetzestexte vorliegen zu haben, wie er selber bemerkte 15 - und schrieb schließlich „absichtlich und notgedrungen ohne Konzept" zwei umfangreiche Manuskripte, wie seinem Tagebuch zu entnehmen ist: „ 1. bis 20. September: Niederschreiben des ersten Buches: Geschichte des Rechts von der Scheidung. ... 23. September bis 5. Oktober: Niederschreiben des zweiten Buches: Lehre des Rechts von der Scheidung. Ganz gegen den im August in wenigen Zeilen entworfenen Plan führte mich der Geist in die spekulative Lehre von Kirche und Staat, und ich schrieb, wie es mir aus der Feder floß. Die letzten Kapitel wurden im Anhauche platonischer Dialoge geschrieben. " 1 6 Den ersten Teil seines Gutachtens hatte der Kronprinz zu seinem Geburtstag am 15. Oktober erhalten, den zweiten Teil schickte Bunsen gleichzeitig mit der eigenen Abreise aus London am 27. Oktober 1839 17 . Denn mit diesem Gutachten war die Tätigkeit Bunsens in England vorläufig beendet; der König schickte ihn nun als Gesandten bei der Schweizerischen Eidgenossenschaft nach Bern 18 . Ende Januar 1840 hatte Bunsen Nachricht, daß seine beiden Bände bei Friedrich Wilhelm angekommen und im kleinen Kreis mit Wohlwollen verlesen worden waren 19 . Mit Spannung erwartete er die Antwort, bereits im April kündigte er einem seiner Söhne an, daß dieser wahrscheinlich die „Handschrift des Vaters in zwei Bänden ... mit etwas (ihm) noch Teuererem", der Antwort des Kronprinzen nämlich, zu überbringen habe 20 . Anfang Juni hielt er dann die Antwort in der Hand, wie er Arnold mitteilte: „Der Kronprinz hat mir einen Brief von 28 eng beschriebenen Quartseiten geschickt, der sein ganzes Glaubensbekenntnis und Regierungssystem in Bezug auf die Kirche enthält. Meine zwei Bände haben große Aufregung verursacht; er ließ sie sich in einem Ausschusse vorlesen, von welchem drei Mitglieder in vielen Punkten meinen Ansichten entgegengesetzt sind: dies veranlaßte ihn, den Gegenstand gründlich zu studieren und bewog ihn, jenen Brief zu schreiben, von welchem meine Frau mit Recht bemerkt, daß er von allen Briefen, welche sie je in irgendeiner Sprache gelesen, der reichhaltigste gewesen. Alle wesentlichen Gedanken darin sind des Königs eigene, und doch stimmen sie mit meinen Ansichten überein ... "21 Von einer rasch zu Papier geworfenen Antwort des Kronprinzen kann also keine Rede sein. Mehrere Monate hat er sich Zeit genommen, eine gründliche Antwort zu überlegen, vor allem wegen der Einsprüche seiner Berater. Insofern kann man annehmen, daß der Brief zwar leben-
14 Bunsen 1868, II, 30 mit einer Stellungnahme Bunsens zum Werk, ebenda, 84. - Gladstones Buch erlebte innerhalb dreier Jahre vier Auflagen. Bunsen regte die Übersetzung ins Deutsche an (vgl. vorige Anmerkung). 15 Ihm fehlte sowohl das Corpus juris Canonici, das er erst gegen Ende seiner Arbeit beschaffen konnte, als auch das Preußische Landrecht; Bunsen 1868, II, 88-89, aus seinem Tagebuch. 16 Bunsen 1868,11,89. 17 Bunsen 1868, II, 89. 18 Bunsen 1868,11,91. 19 Bunsens Brief vom 25. Januar 1840 aus Bern an Arnold; Bunsen 1868, II, 99. 20 Brief Bunsens vom 20. April 1840 an einen Sohn; Bunsen 1868, II, 101. 21 Bunsen 1868, II, 107.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
diger abgefaßt ist als ein staatsrechtlich relevantes Dokument, daß in ihm aber doch reiflich überlegte Worte eine Summe aus den religiösen Anschauungen des Kronprinzen ziehen.
Der Brief des Kronprinzen Der Brief des Kronprinzen stellte keine direkte Kritik der Bunsenschen Arbeit dar 22 , wozu ihm der Mut fehlte, sondern seine eigene Anschauung einer idealen Kirchen Verfassung 23 . Friedrich Wilhelm war enttäuscht, wie wenig erfolgreich die Bemühungen seines Vaters um eine Vereinigung der Konfessionen gewesen waren. Statt nur Union und einheitlicher Liturgie schwebte ihm eine einheitliche Verfassung vor. Er hatte sich daraufhin mit den Kirchenverfassungen Englands, Schwedens und der Brüdergemeine beschäftigt, Kirchengeschichten, etwa von Neander, und vieles mehr gelesen 24 . Doch so kam er nicht weiter. „Dann, wie eine Sonne ging 's in mir auf. Das einzig Mögliche und das wahrhaft Notwendige sei seit 1800 Jahren da, als Vermächtnis der Apostel. Es sei nur gerade so, wie damals gebaut worden, wieder zu bauen ... Was taten die Apostel für die äußere Ordnung der durch sie dem Verderben entrissenen Seelen? Sie stifteten Kirchen."25 Dem Kronprinz schwebte vor, bestehende Kirchenordnungen einfach wegzuschieben und nochmals neu anzufangen, und zwar ganz am Anfang, in der apostolischen Zeit. Jede von den Aposteln gegründete Kirche, das heißt Kirchgemeinde, war selbständig, eine Einheit und niemandem untergeordnet. Ihre Legitimität erhielt sie durch den Apostel, der am Auferstehungsabend dazu ermächtigt worden sei. In der „Hierarchie" einer solchen Kirche - von Friedrich Wilhelm als „heilige Pflege" wörtlich übersetzt - wurden von den Aposteln zwei Ämter eingeführt, und zwar der Seelenhirt und der Diakon. Der Seelenhirt, einer der ältesten der Gemeinde, war nur einer von gleichen und repräsentierte die Einheit der Gemeinde; er erhielt das Amt durch Handauflegen eines Apostels und gab es so auch weiter 26 . Der Diakon fungiert als Helfer der Gemeinde, vor allem um die Werke der Barmherzigkeit zu verwalten. Die Gesamtheit dieser Kirchen auf Erden bildeten dann die „katholische und apostolische streitende Kirche des Herrn "21. Das Ideal des Kronprinzen war also die von den Aposteln, letztlich von Christus, direkt eingesetzte Kirche. Wichtig war die Selbständigkeit einer jeden Gemeinde und ihre durch die Apostel gewährte Legitimität. In einem zweiten Teil übertrug er dieses Modell auf das Preußen des 19. Jahrhunderts 28 , was ihm gar nicht so schwierig erschien, denn „unsere Einteilung in Superintendenturen (Synodalbezirke, Ephorien) bereitet wie zufällig den Weg. Denn im Großen und 22 Die zwei Bände Bunsens sind bislang nicht gefunden worden. Nur in einem nachfolgenden Brief des Kronprinzen vom 28. April 1840 faßt er die Hauptunterschiede von beiden Konzepten zusammen. Danach schien Bunsen eine streng hierarchisch aufgebaute Kirche unter der Gewalt des souveränen Fürsten anzunehmen; Ranke 1873, 75. 23 Ranke 1873, 49. 24 Er nannte noch den Engländer Milner, die Apostelgeschichte und die Briefe der Apostel; Ranke 1873, 49. 25 Ranke 1873, 50. 26 Zur Symbolik und Bedeutung der Handauflegung vgl. Johannes Behm, Die Handauflegung im Urchristentum; Leipzig 1911 (Reprint Darmstadt 1968), bes. 41-59 und 72-78. 27 Ranke 1873, 51 f. 28 Ranke 1873,53-59.
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Ganzen entsprechen diese ganz dem Umfange der alten apostolischen Kirchen. " 2 9 Rein äußerlich handelte es sich zunächst um eine Umbenennung der Ämter bei weitgehender Beibehaltung der kirchlichen Verwaltungsgrenzen. Statt Superintendenten wären dann Bischöfe an der Spitze, für diesen würden Presbyter und Diakone arbeiten. Wichtig und neu aber wäre die Unabhängigkeit der Bischöfe untereinander und von anderen Instanzen und ihre Legitimität: „Sogar die römische Kirche darf die Rechtmäßigkeit unserer Bischöfe nicht bestreiten, mag sie sie dann immer für Rebellen halten, wie die anglikanischen, deren legitime Consecration sie ja, durch die eigene Theorie gezwungen, anerkennen muß. "30 Im dritten Teil behandelte er die Funktionen der verschiedenen Gemeindeteile, immer im Vergleich mit den aktuellen Zuständen 31 . So sollte der Bischof nicht mehr „eine Gattung HochAdliger der Kirche" sein, sondern wahrer pastor primarius, der durch den geringen Umfang seines Sprengeis seinen Amtsbezirk gut kenne. Die Unterteilung in Pfarren wäre zwar der Urkirche unbekannt gewesen, doch dies sei ein schönes, neues Element und daher beizubehalten 32 . Besonders wichtig erschien Friedrich Wilhelm, das völlig entstellte Diakonat wieder nach urkirchlichen Prinzipien herzustellen: „Eine der apostolischen nachgebildete Kirche ohne sie [die Diakone] wäre für mich wie ein Mensch ohne Hände, - ohne Episkopat aber wie ein Mensch ohne Vater. Eine Haupthoffnung vom Diakonat ist mir die, dadurch die leidigen Armen-Kommissionen ganz oder großenteils los zu werden und so die göttliche Idee des Christentums, die Armenpflege von einem eigens dazu geheiligten Kirchenamte verwalten zu lassen, wieder realisiert zu sehen ... " 3 3 Das Diakonat sollte die Grundlage der gesamten Gemeindearbeit bilden: Almosenverteilung, Krankenpflege, Unterstützung des Pfarrers und Bischofs. Der Diakon erhält sein Amt durch Handauflegen. Das Diakonat bekleidet zu haben, ist Voraussetzung für die höheren Ämter des Pfarrers und Bischofs. Und zuletzt sollte auch die Gemeinde selbst verbessert werden: Nur eine gläubige Gemeinde, vertreten durch die Familienhäupter, sollte in der Kirche mitsprechen dürfen. Die Manifestation von Gleichgültigkeit, zum Beispiel durch Nichtbesuchen der Gottesdienste, schloß eo ipso vom Erscheinen in der Gemeinde aus. Friedrich Wilhelms Vorstellungen einer christlichen Kirche enthalten also einige wenige klare Kernsätze zu Wesen und Aufgabe der Kirche: die Ämter von Bischof, Presbyter, Pfarrer und Diakon, die Prinzipien von Unabhängigkeit, Fürsorge und vor allem Legitimität. Mit diesen wenigen Begriffen entwickelte er sein Bild einer Kirche, die er apostolisch nannte. Das klingt nicht selbstverständlich, da doch die meisten Begriffe nicht aus den biblischen Büchern belegt werden können. Woher stammten dann seine Vorstellungen? Die Belesenheit Friedrich Wilhelms in theologischer Literatur ist bekannt. Mehrere Werke erwähnte er auch ausdrücklich zu Beginn dieses Briefes. In einer Reihe von theologischen Fachfragen war er geradezu professionell eingearbeitet und auf dem allerneuesten Stand der Diskussion. 29 30 31 32
Ranke 1873,54. Ranke 1873, 54. Ranke 1873, 55-57. Mit der Einrichtung der Pfarre und damit der Veränderung der urkirchlichen Organisationsformen gibt der Kronprinz zumindest indirekt zu, daß sich die urkirchlichen Verhältnisse doch nicht einfach auf spätere Zeiten übertragen ließen. Tatsächlich sind ja die kirchlichen Strukturen der beiden genannten Zeiten, allein was Bistumsgröße und dazugehörige Einwohnerzahl angeht, kaum vergleichbar. 33 Ranke 1873, 56.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Jüngst wurde überzeugend nachgewiesen, daß das Vorbild für Friedrich Wilhelms Darlegungen in den „Apostolischen Konstitutionen" zu sehen ist 34 . Diese entwerfen ein Bild einer allgemein episkopal verfaßten Kirche. Viele Einzelheiten, besonders auch Wertungen, finden sich im Entwurf des Kronprinzen wieder. Diese Kirchenordnung nannte sich selbst apostolisch; der römische Bischof Clemens soll sie nach Diktat der Apostel verfaßt haben. Seit langem ist allgemein anerkannt, daß die Apostolischen Konstitutionen erst dem 4. Jahrhundert angehören; schon der hohe Grad der Episkopalverfassung legt das nahe. Am Anfang des 19. Jahrhunderts jedoch wurde der Text heftig diskutiert und meist, besonders in England, als apostolisch eingestuft. Für Bunsen stellten die Apostolischen Konstitutionen die Grundlagen für jede Beschäftigung mit der apostolischen Zeit dar. Er beschäftigte sich seit den 20er Jahren mit ihnen und edierte später den Text, zu einem Zeitpunkt, als dessen Entstehung im 4. Jahrhundert bereits anerkannt war 35 . Trotzdem glaubte er, daß zwar die Redaktion des Textes aus dem 4. Jahrhundert stammte, daß aber der Inhalt ganz auf die apostolische Zeit zurückging. So erscheint es in hohem Grade wahrscheinlich, daß Bunsen selber dem Kronprinzen das Material lieferte, mit dem Friedrich Wilhelm sein Bild einer apostolischen Kirche entwarf 36 . Die apostolische Kirche aber war von Christus eingesetzt worden; durch Christus wurde die Kirche erst möglich. Das irdische Dasein Christi wiederum hatte mit der Verkündigung an Maria begonnen, einem 25. März! Schon aus dem Datum des Briefes ist also die bildhafte, symbolträchtige Sprache des Kronprinzen ersichtlich.
Der Sommernachtstraum Wäre Friedrich Wilhelms Idee ausgeführt worden, die Kirchengeschichte wäre um eine klassische Kirchenreform reicher, die sich in ihrer Bedeutung durchaus mit den mittelalterlichen Ordensreformen und der Reformation hätte messen können. Unausgeführt wird sie meist belächelt, als unrealistisch abgetan und mit den Worten des Kronprinzen als „Sommernachtstraum" bezeichnet 37 . Tatsächlich waren von Seiten diverser Institutionen Widerstände zu erwarten, Institutionen, die Macht hätten abgeben müssen. Friedrich Wilhelm selber glaubte kaum an den Erfolg seines Unternehmens: „ Und ich meine, daß, wenn ich auch dreimal länger lebte, als ich es hoffen darf, ich kaum die Hälfte des Baus vollendet sehen würde. " 3 8 Nachdem er Bunsen seine eigenen Kirchenreformpläne in Form einer nüchternen, trockenen Schilderung dargelegt hatte, führte er im zweiten Teil seines Briefes diese Reform im Traume aus. In seinem berühmten Sommernachtstraum übertrug er die apostolische Kirche auf Preußen, überlegte, wie die Umstrukturierung vonstatten gehen könnte, und wer welche Rolle erhielte 39 . Die Konsistorialbehörden sollten dabei in Domkapitel zurückverwandelt werden und an den alten, ehemals katholischen Bischofssitzen etabliert werden. Statt eines Konsistoriums würde es sich dann um ein Metropolitankapitel handeln. Die Vorsitzenden würden als Metro-
34 Brennecke 1987, 246-249; Textedition: Constitutions Apostoliques 1985-87. 35 Die Veröffentlichung erfolgte 1854 in den Analecta Anti-Niceana; Brennecke 1987, 249. 36 Neander z.B. geht überhaupt nicht auf die Apostolischen Konstitutionen ein; Brennecke 1987, 249. 37 Brennecke 1987, 233. - „Sommernachtstraum": Ranke 1873, 61. 38 Ranke 1873, 75. 39 R a n k e 1873, 6 1 - 7 4 .
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politen bezeichnet, die ranggleich den Bischöfen wären. Als Bischofssitze würden die bekannten Bistümer in Preußen wieder besetzt: Königsberg als Metropole des Samlandes oder Ostpreußen, Marienwerder für Pomesanien oder Westpreußen, Cammin für Pommern, Havelberg für die Altmark, Brandenburg für die Mittelmark, Lebus für die Neumark, weiter Halberstadt, Merseburg, Naumburg und Minden. ,An Stelle aber des geistlichen Ministers treten der FiirstErzbischof von Magdeburg, Primas Germaniae"40. Die Bistümer wären dann wieder in ihren alten apostolischen Rang eingetreten. Damit wären alle formalen Probleme gelöst: Evangelische und katholische Bistümer würden gleich, nur nach ihrem früheren Rang, behandelt: „Im Begegnungsfalle gingen also Magdeburg hinter Köln und vor Gnesen, Minden vor Breslau, Kulm und Ermland hinter Trier ... " 4 1 Mit Hilfe der apostolischen Kirche wollte Friedrich Wilhelm also die mittelalterliche Kirchenordnung in ihrer vorreformatorischen Einheit wiederherstellen. Rangunterschiede von Bischöfen sollten nicht aufgrund der Konfession, sondern nach der mittelalterlichen Stellung des Bistums, die vom Gründungsdatum und Unterstellungsverhältnis abhing, festgesetzt werden, oder, mit einem Wort: entscheidend war die Tradition. Doch die Voraussetzung dafür war die Rechtmäßigkeit des Amtes, die im Mittelalter durch die Apostolische Sukzession erworben worden war. Da diese aber durch die Reformation unterbrochen worden war, müßte nun die Weihe neuer Bischöfe in England oder Schweden erfolgen, wo die apostolische Sukzession noch bestand und allgemein, auch von katholischer Seite, anerkannt war, um auf diese Weise die Legitimität der evangelischen Bistümer in Deutschland wiederzuerlangen 42 . Genau diesem Zweck sollte ein Jahr später die Einrichtung des englisch-preußischen Bistums in Jerusalem dienen. In einem weiteren Kapitel beschäftigte sich der Kronprinz mit Bildungseinrichtungen besonders für den Klerus, für den er wieder andere historische Gebäude requierieren wollte: „Hätte ich Vollmacht und Gold zur Einrichtung, so ließe ich meiner Liebe zum Historischen die Zügel schießen und stellte ein paar alte Abtei-Gebäude her, ζ·Β· Lehnin oder Chorin für Marken und Pommern, Altenberg für Rhein- und Westfalen, " als Emeriten-Häuser „Kolbacz, Zinna, Grüssau, Petersberg bei Halle, Memleben etc. " 4 3 und zum Schluß, bevor der Brief noch viel länger würde, erwähnte Friedrich Wilhelm noch die Diakonissen, mit denen er die Krankenpflege regenerieren, aber auch Jungfrauenstifte einzurichten gedachte 44 . Auch wenn sich der Kronprinz vorstellte, diesen Sommernachtstraum etappenweise, j a sogar zwanglos, zu verwirklichen, so hätte doch schon die Verwirklichung der ersten Etappe eine entsprechende vorherige Änderung der kirchlichen Verfassung verlangt. Da der Plan nicht geheim, das Endziel mithin bekannt war, und große Teile der Geistlichkeit von vornherein dagegen eingestellt waren, waren auch schon die ersten Etappen einer Kirchenrechtsänderung zum Scheitern verurteilt. Gab es für Friedrich Wilhelm aber nicht noch andere Möglichkeiten außerhalb des Kirchenrechts, auf sein großes Ziel hinzuarbeiten? Auffällig oft ist in seinen Ausführungen die Rede 40 Ranke 1873, 62. - Das Erzbistum Magdeburg wurde 968 als Primas des rechtsrheinischen Germanien gegründet; Paul F. Kehr, Das Erzbistum Magdeburg und die erste Organisation der christlichen Kirche in Polen (Abhandlungen der pr. Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1920, Phil.hist. Kl.); Berlin 1920, 16-23. 41 Ranke 1873, 63. 42 Ranke 1873, 69-70. 43 Ranke 1873, 66. 44 Ranke 1873, 74-75.
IL Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
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davon, der Gemeinde „eine Kirche zu bauen", so daß der Satz bewußt zweideutig bleibt: sowohl die Institution Kirche konnte gemeint sein, als auch das Kirchengebäude selbst. Wenn auch solche doppeldeutigen Redewendungen schon in der früheren Literatur, besonders in der Bibel, häufig vorkommen, so lohnt es sich doch gerade bei Friedrich Wilhelm, dem nochmals nachzugehen. Genauso bekannt wie seine bildliche Sprache ist schließlich seine „Liebe zum Historischen" sowie seine Liebe zur Architekturzeichnung. In der Architektur konnte er schrittweise vorgehen, eine Kirche nach der anderen bauen, stiften, mitfinanzieren, ohne sich um eine spezielle Verfassung zu kümmern. Auf diese Weise sollte es möglich sein, „ G e f ä ß e " zu schaffen, die später einmal seine ideale Kirchengemeinde aufnehmen könnten. In den KirchenG e b ä u d e n finden wir in vielfältiger Weise die deutlichsten Spuren seiner Kirchenvorstellungen. Sein Idealbau sollte die Friedenskirche in Potsdam werden, doch auch an vielen anderen Orten werden die Spuren dieses Programms sichtbar werden.
2.
Der Idealbau: Die Kirche des Friedensfürsten bei Potsdam
Eine Kirche völlig nach seinen eigenen Vorstellungen konnte Friedrich Wilhelm nur dort bauen, wo er unabhängig von Randbedingungen irgendwelcher Art war: wenn es sich um einen Neubau handelte und nicht um eine Kirchenrestaurierung; wenn die Bebauung der Nachbarschaft so große Distanz hielt, daß der Neubau weder in seiner Größe und Proportion noch Stilwahl Rücksichten zu nehmen brauchte; wenn außer dem König niemand - weder der Klerus noch die Pfarrgemeinde noch kirchliche Behörden - ein Mitspracherecht bei der Gestaltung hätte. Fürstliche Gartenanlagen waren seit über 100 Jahren ein bevorzugtes Exerzierfeld der Architektur geworden, war es hier doch möglich, neue Architektur in neutraler Umgebung zu schaffen 1 . Insofern fügt sich die Friedenskirche in eine bestehende Tradition, und die Tradition bestätigt die innovative Rolle dieser Kirche 2 .
1 Erinnert sei an die Mausoleen in englischen Parkanlagen. 2 Die eigentlichen Bauakten sind nie gefunden worden (nach der unten genannten Publikation von Heuer S. 515), was ebenfalls für den Charakter eines privat ausgeführten Bauwerkes spricht; es gibt lediglich Akten aus dem Geheimen Zivilkabinett: Berlin GStAPK 2.2.1. Nr. 23356-61. Als Quelle ist neben dem Tafel werk: Hesse 1855 daher das Tagebuch des Architekten Persius von größtem Wert: Persius 1980. Es diente späteren Darstellungen als wesentliche Grundlage, u. a. der gründlichen Darstellung von Heuer 1939; aus den Akten schöpfte Kitschke 1983, 38-42 und 154 (liturgisches Inventar) - Heuers Arbeit ist so wertvoll für uns, weil er die liturgischen Eigenheiten der Friedenskirche am klarsten erkannt und geschildert hat. Heuer, Jahrgang 1867, war Pfarrer in Thorn, hatte Theologie, Germanistik und Kunstgeschichte studiert. 1933, also ungefähr zu seiner Pensionierung, wurde er mit einer Arbeit über die Thorner Kirchen an der TH Danzig zu einem „Dr. der Technischen Wissenschaften" promoviert. - Die Literatur des 19. Jahrhunderts, die in der Umgebung, teilweise auf Veranlassung des Königs geschrieben wurde, ist wichtig wegen vieler Details, und weil sie den Geist Friedrich Wilhelms spüren läßt; vgl. die Darstellung des Dichters und Künstlers August Kopisch, Die königlichen Schlösser und Gärten zu Potsdam; Berlin 1854, 211-2144; Häberlin 1855, 181-196; Riehl 1866, die ausführlichste der alten Darstellungen, und Rudolf Bergau, Inventar der Bau- und Kunst-Denkmäler in der Provinz Brandenburg; Berlin 1885, 6 8 2 - 6 8 6 ; und jüngst: Sörries 1994.
2. Potsdam,
Friedenskirche
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Die Friedenskirche muß ganz als Werk Friedrich Wilhems angesehen werden (Abb. 44,45). Er ließ die Pläne von Personen seiner Wahl entwerfen: Lenné für die Außengestalt und gärtnerische Gestaltung 3 , vom jungen Ludwig Persius als federführenden Architekten für den Kirchenbau selbst. Immer gab er seine Wünsche vor, korrigierte bestehende Pläne nach neuen Vorstellungen. Neben den Architekten wurde auch Bunsen in die Diskussionen miteinbezogen. Die Kirche gehört zum Palastkomplex von Sanssouci, den Friedrich Wilhelm schon als Kronprinz bewohnte, einem Schloß ohne kirchlich eingerichtete Räume. Nach dem früher dargelegten nimmt es nicht wunder, daß der König bald nach seiner Thronbesteigung daran schritt, seinem Schloß einen geistlichen Mittelpunkt für sich und seine Bediensteten zu geben. Daß er sich damit als notwendiger Vollender des Schloßareals sah, wird in seinem Schreiben an Bischof Eylert vom 12. April 1845 deutlich, in dem es um die Benennung der künftigen Kirche ging: „Nach vielem Nachdenken will ich die neue Vorstadtkirche „Christ-Kirche" oder „Friedens-Kirche " nennen, nach ihrer Vollendung aber als Weih-Inschrift setzen: Christo dem Friede-Fiirsten unserem HErrn" und das ihren eigentlichen, officiellen Namen seyn lassen. Es scheint mir zu passen, eine Kirche, welche zu einem Pallast-Bezirk gehört, der den Namen Sans Souci, „ohne Sorge" trägt, dem ewigen Friedensfürsten zu weihen und so das weltlich negative: „Ohne Sorge", dem geistlich Positiven: „Frieden" entgegen oder vielmehr gegenüber zu stellen. ... [P. S.] Der Name „Friedens-Kirche" als die vulgäre Bezeichnung der neuen Kirche lächelt mich so an, daß ich mich für denselben entscheide ... Der feyerliche Name ... wird dann seyn wie ich ihn oben bezeichnet habe. " 4 Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, wurde der Grundstein zur Kirche genau 100 Jahre nach dem Grundstein zum Schloß gelegt 5 . Die „Kirche des Friedensfürsten Jesus Christus unseres Herren vulgo Friedenskirche"6 gehört zu den ersten Bauten, die Friedrich Wilhelm nach seiner Thronbesteigung initiiert hat 7 .
3 Ich beschränke mich in meiner Erörterung auf die Kirche selbst, obwohl auch die Umgebung wichtig wäre, zumal dieser Garten, ursprünglicher königlicher Küchengarten, von Lenné gleichzeitig und im Zusammenhang mit dem Kirchbau umgestaltet wurde. Hier wäre neben der gärtnerischen Gestaltung, von seiner Benennung ausgehend zunächst die Idee des Marly-Gartens zu verfolgen. Gestalterischen Höhepunkt dieses Gartenteils bildet zweifellos der künstliche See, in dessen Oberfläche sich die Kirche spiegelt; Kopisch (Anm. 2), 212-213; Häberlin 1855, 193-196. 4 Riehl 1866, 57; der neue Kirchsprengel sollte Teile Potsdams übernehmen, daher: Vorstadtkirche. 5 Grundsteinlegung mit Texten der Urkunden bei Riehl 1866, 55-56. 6 So z.B. Berlin GStAPK 2.2.1. 23356, Bl. 98f. - Der Name Friedefürst (Jes 9,5) gehört zu einer Gruppe von Namen, mit denen Jesaja den Erlöser ankündigt, die heute als aus dem ägyptischen Herrscherzeremoniell stammend erkannt sind (freundlicher Hinweis von Gabi Tietze, Füllinsdorf)· Damals wurde „Friedefürst" aber auf Salomon und die salomanische Friedenszeit interpretiert; Ernst Wilhelm Hengstenberg, Christologie des Alten Testaments und Commentar über die messianischen Weissagungen der Propheten; 3 Bände Berlin 1829-35; hier I, Tl. 2, 115-121. Die Einweihung der Kirche als Friedenskirche im Revolutionsjahr 1848 wird häufig als polemisch bezeichnet; diese Interpretation geht aber an den Intentionen des Königs vorbei. 7 Lediglich der Auftrag für die Sacrower Heilandskirche war vorausgegangen. Die alte Kirche war 1828 wegen Baufälligkeit gesperrt und anschließend abgerissen worden, ohne daß die Regierung etwas für einen Neubau unternommen hatte. Erst Friedrich Wilhelm IV. ließ Sacrow als Mustergut wiederaufbauen. Für dieses Gut wurde die neue Kirche von Ludwig Persius sehr rasch 1841-1843 ausgeführt; Kopisch (Anm. 2), 203-204; Kitschke 1983, 70; Persius 1980, 41. - In gewisser Weise war hier die Handlungsweise Friedrich Wilhelms in nuce vorgebildet.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Am 7. Januar 1841 war zum ersten Mal die Rede vom Bau einer Kirche in der Brandenburger Vorstadt „nach dem Muster der Kirche St. d e m e n t e zu Rom" 8 , für die Lenné das notwendige Grundstück ankaufen sollte. Während die Grundstücksbeschaffung unerwartete Schwierigkeiten bereitete und erst im März 1843 abgeschlossen werden konnte 9 , wurde die Kirche in dieser Zeit schon in vielen Einzelheiten entworfen und nach dem definitiven Grundstückserwerb nur noch an die Gegebenheiten angepaßt. Zunächst war eine geradezu sklavische Kopie des römischen Vorbildes vorgesehen, angefangen von identischen Maßen bis hin zur Übernahme der verschieden breiten Seitenschiffe 10 . Schnell wurde dieses Ziel jedoch aufgegeben zugunsten einer freieren Gestaltung in frühchristlichen Formen. Das Modell S. d e m e n t e blieb dabei deutlich spürbar, jedoch jetzt um Elemente bereichert, die das Vorbild nicht besaß, wie zum Beispiel den Campanile, für den S. Maria in Cosmedin Pate stand". Für das Jahr 1847 ist erstmals der spätere Kirchenname belegt, und am 24. September 1848, nach Verzögerungen des Revolutionsjahres, konnte die Friedenskirche eingeweiht werden 12 . Die eigentliche Aufgabe war, eine frühchristliche Kirche in größtmöglicher Vollständigkeit zu gestalten. Dazu gehörten neben dem Raumprogramm ein Ausstattungs- und ein Dekorationsprogramm. Alle drei wurden vom König in allen Einzelheiten bestimmt. Das Raumprogramm sah als wichtigste Elemente die dreischiffige Kirche mit halbrunder Hauptapsis und zwei Nebenapsiden, einen Vorhof mit Brunnen und einen Campanile vor. Als Nebengebäude traten ein Kreuzgang mit einer Pfarrerwohnung und weiteren Räumlichkeiten hinzu. Durch ein Portal betritt man zunächst den rechteckigen, säulenumstandenen Vorhof. In seiner Mitte grüßt Christus, die Kopie der Statue Thorvaldsens in der Frauenkirche in Kopenhagen. Durch ein weiteres Portal betritt man die Kirche; sie war, ähnlich italienischen Kirchen heute noch, ursprünglich ohne Kirchengestühl 13 . Dadurch konnte der Eintretende die liturgische Ausstattung der Kirche, nämlich den Altarbereich, unmittelbar und unverstellt erkennen. Unter einem Baldachin, der auf vier kostbaren grünen Jaspissäulen ruht 14 , steht ein Altar in Tischform ohne irgendwelche Aufsätze. Das dazugehörige Kreuz erhebt sich in so großem Abstand hinter dem Altar, daß der Altar bequem umschreitbar ist. Zum Hauptschiff hin wird der Altarbezirk durch zwei breitgelagerte Ambonen in Cosmatenart abgegrenzt; der südliche, nied-
8 Persius 1980, 44. 9 Persius 1980, 74. 10 So heißt es in der Besprechung des Königs mit Persius am 19. Januar 1841 : „Der Bau der Kirche zu Charlottenhof wird speziell besprochen. Sie soll nach der Größe und dem Muster der Kirche St. demente in Rom erbaut werden. Die breitere Abseite soll wiederholt werden ..."; Persius 1980, 45. 11 Der Campanile, der zwar schon früh mit in die Planungen aufgenommen worden war, wurde erst 1848-1850 ausgeführt. Friedrich Wilhelm bestimmte als Vorbild den genannten römischen Turm; Heuer 1939, 528. 12 Berlin GStAPK 2.2.1. 23356, Bl. 20 (21. Januar 1847) und Bl. 100-104: Anordnung der Einweihungsfeier: u.a. Schlüsselübergabe; es wurde kein Psalmodieren wie in Sacrow gewünscht, da die Gemeinde noch ungeübt wäre; gleichzeitig wurde Pfarrer Heym in sein Amt eingeführt. Heym, vorher in Sacrow (!), war außerdem Erzieher des Prinzen Friedrich Karl; Riehl 1866, 54. 13 Feste Kirchenbänke inklusive dem Kirchenstuhl des Königs waren nur in den Seitenschiffen eingebaut. Die Situation ist heute verändert; Heuer 1939, 535. 14 Die monolithen Säulen waren ein Geschenk des Zaren Nikolaus I.; ihr Wert wurde auf eine Million Taler geschätzt; Heuer 1939, 539.
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Friedenskirche
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rigere dient als Epistelambo, der nördliche als Evangelien- und Kanzelambo; er ist einem Ambo in S. Lorenzo fuori le mura in Rom nachgebildet 15 . Zwischen ihnen, genau in der Mittelachse, war ein einfaches Lesepult angeordnet. Ein marmorner Osterleuchter vollendet die liturgische Ausstattung des Altarbezirkes. Er war auch zeitlich das letzte Stück des Komplexes, das Friedrich Wilhelm, bereits schwerkrank, im Jahr 1859 in Rom vom Bildhauer Karl Steinhäuser ausführen ließ 16 . Die liturgische Ausstattung der Kirche wurde nicht durch die protestantische zeitgenössische Liturgie gefordert; dafür waren keine Ambonen nötig, kein Osterleuchter und kein Altarbaldachin. Eine Forderung der preußischen Agende, die erst von Friedrich Wilhelm III. aufgestellt worden war, wurde dagegen ausdrücklich mißachtet, nämlich auf dem Altar Kreuz und ein Leuchterpaar aufzustellen. Noch deutlicher als beim Architekturprogramm trat hier der prägende Einfluß des Königs auf, der in der Friedenskirche bestimmte persönliche Vorstellungen verwirklichen wollte. Das wird dadurch unterstrichen, daß er alle Ausstattungsstücke selber entworfen beziehungsweise ihr Vorbild bestimmt hatte 17 . Das Dekorationsprogramm endlich geht ebenfalls ausschließlich auf Friedrich Wilhelm IV. zurück. Die Apsiskalotte erhielt ein venezianisches mittelalterliches Mosaik, das bereits 1834 auf sein Geheiß aus der zum Abbruch bestimmten Kirche S. Cipriano in Murano gekauft worden war. Die Dimension dieses Mosaiks bestimmte wesentlich auch die Abweichung vom ursprünglichen Plan und von der Möglichkeit, eine maßgleiche Kopie von S. d e m e n t e bauen zu können 18 . Weiteren bildlichen Schmuck besitzt die Kirche im Inneren nicht 19 , aber zahlreiche Inschriften an den Hauptschauseiten der Kirche, also an der Fassade, in der Apsis und an den Stirnwänden von Haupt- und Nebenschiffen. Sie alle sind Bibelzitate, nehmen direkt auf die Begriffe Gott und Frieden Bezug und wurden von Friedrich Wilhelm selbst ausgesucht 20 .
Das Vorbild S. demente Fragen wir nun noch einmal nach den Wurzeln aller dieser Elemente - Architektur, Ausstattung und Dekoration - , um dann den vom König selbst intendierten Vergleich mit S. d e m e n t e klarer fassen zu können 21 . Das in der Friedenskirche versammelte Vokabular zum Kirchenbau erscheint merkwürdig vielschichtig und ist durchaus nicht nur einer Epoche, nämlich der gewünschten frühchristlichen, zuzuordnen. Als typisch frühchristlich wird man die Gesamtdisposition der dreischiffigen Kirche mit Apsis und Vorhof ansehen dürfen. Doch schon beim ersten Blick - von außen - tre15 16 17 18
Heuer 1939, 537-539. Heuer 1939,538. Heuer 1939, 526. Heuer 1939, 539-544. Das Mosaik ist Gegenstand einer größeren Untersuchung von Horst Hallensleben; vgl. seinen vorläufigen Bericht: Ein venezianisches Mosaik des Mittelalters in Potsdam, in: Max-Planck-Gesellschaft. Jahrbuch 1983, 753-756. 19 Ein Plan der 40er Jahre, die Hochschiffwände des Langhauses mit Szenen aus dem Leben Jesu zu bemalen, wurde in den 90er Jahren von Geselschap wieder aufgegriffen; beide Pläne wurden jedoch nicht realisiert; Heuer 1939, 529-530. 20 Heuer 1939, 526 und 535. Alle Bibelstellen sind aufgeführt in: Hesse 1855, Blatt 3 des Erläuterungstextes, Riehl 1866, 61-62 und öfter. 21 Diese Frage wurde teilweise bereits behandelt von Hallensleben 1985.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
ten Elemente hinzu, die in einer Entwicklungsgeschichte der Bauformen erst viele Jahrhunderte später üblich wurden. Die beiden halbrunden Seitenapsiden wurden in R o m nie recht heimisch; erst mit der Reformbewegung des elften Jahrhunderts, besonders mit dem Neubau von Montecassino, verbreitete sich der mehrapsidiale Bautyp zwar in Italien, aber eben nicht in Rom 2 2 . Ein Campanile war im frühen Christentum völlig unüblich; die hier gebotenen ausgereiften Formen stammen aus dem 12. Jahrhundert. Die liturgische Ausstattung, die in ihrer stadtrömischem Ausprägung mit dem Namen der Cosmaten verbunden ist, führt gar weit ins 13. Jahrhundert hinein. Während das Apsismosaik ebenfalls d e m Hochmittelalter angehört 2 3 , sind die Spruchbänder in der ausgeführten Form eine Neuschöpfung, haben aber am ehesten wieder Vorbilder in den inschriftenreichen römischen Apsismosaiken des frühen und hohen Mittelalters 24 . Berücksichtigt man nun noch, daß das Kirchenschiff für die frühchristliche Epoche viel zu steil proportioniert ist und eher einem hochmittelalterlichen Kirchenraum entspricht, bleibt von einem frühchristlichen Erscheinungsbild der Friedenskirche sehr wenig übrig. Doch genauso wenig frühchristlich ist das Vorbild S. d e m e n t e . Wie die Kirche heute vor uns steht, entspricht sie in wesentlichen Zügen der Neugestaltung aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts 2 5 . Damals hatte sie in einer bewußten Abweichung v o m Vorgängerbau, der breiter gelagert war, durch das schmalere Hauptschiff ihre steileren Raumproportionen erhalten. Die liturgische Ausstattung mit Schola cantorum, Ambonen und Ziborium stammt rein materiell nur zu kleinen Teilen aus dem Vorgängerbau und stellt kompositorisch großenteils eine Neuschöpfung des 12. Jahrhunderts dar. Im 15. Jahrhundert wurden schließlich seitlich der Hauptapsis zwei Kapellen angebaut, die daraufhin S. d e m e n t e als Dreiapsidenbau erscheinen ließen. Diese Disposition lag dann der Friedenskirche zugrunde. W a s waren die Gründe, daß Friedrich Wilhem IV. gerade S. d e m e n t e als zunächst wörtlich, schließlich ideell zu kopierendes Vorbild ausgewählt hat? Noch am Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Mittelalter in den mittelalterlichen Kirchen Roms kaum betrachtet. Das Interesse der Reisenden galt vor allem den Dekorationen der neueren Zeit. Als ältestes Monument in S. d e m e n t e wurde bei Volkmann, d e m bekanntesten und zum Beispiel von Goethe benutzten Handbuch der Zeit für Romreisende, die Katharinenkapelle als Werk Masaccios erwähnt 2 6 . Darüber hinaus sprach Volkmann aber ausdrücklich von der al-
22 Joachim Poeschke, Der römische Kirchenbau des 12. Jahrhunderts und das Datum der Fresken von Castel S.Elia, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 23/24, 1988, 1-28. - In S. Giovanni a Porta Latina waren die Seitenapsiden zwar bereits im 6. Jahrhundert vorhanden, blieben jedoch ein Einzelfall; Walter Nikolaus Schumacher, Byzantinisches in Rom, in: R Q 6 8 , 1973, 104-124. 23 Hallensleben (Anm. 18), 756 begründet eine Entstehungszeit des Mosaiks in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts, entgegen der landläufigen Datierung ins 12. Jahrhundert. 24 Von den zahlreichen Beispielen in Rom seien nur einige genannt: Die monumentale Inschrift über dem Hauptportal von S. Sabina, an den Triumphbögen in S. Paolo fuori le mura und S. Lorenzo fuori le mura, in den Apsiden von SS. Cosma e Damiano, S. Agnese, S. Prassede, S. Clemente und S. Maria in Trastevere; vgl. Guglielmo Matthiae, Mosaici medioevali delle Chiese di Roma; 2 Bände Rom 1967; Band II (Tafeln), Abb. 39, 78, 89, 90, 176, 228 und 229. 25 Joan E. Barclay Lloyd, The Building History of the Medieval Church of S. Clemente in Rome, in: JSAH45, 1986, 197-223. 26 Ein Besuch Goethes in S. d e m e n t e ist nicht bekannt. - Der Kirche S. d e m e n t e sind in dem 872 Seiten umfassenden, Rom und Umgebung behandelnden 2. Band ganze 14 Zeilen gewidmet; zum
2. Potsdam, Friedenskirche
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ten Gesamtdisposition der Kirche, bestehend aus „Nartece, A m b o n e e Santuario" 2 7 - also Narthex, Schola C a n t o r u m und Altarbezirk - und gab an, seine Kenntnisse von d e m französischen Architekturtheoretiker Leroy zu haben 2 8 . S. d e m e n t e war zu dieser Zeit gerade frisch restauriert worden, wobei Clemens XI., der Bauherr, auf eine Beibehaltung beziehungsweise Wiederherstellung des frühchristlichen Charakters gedrungen hatte 2 9 . Komplette R a u m f o l g e sowie liturgische Möblierung machten ihre Einmaligkeit aus 3 0 . Die Grundlage zur Berühmtheit von S. d e m e n t e war also bereits im 18. Jahrhundert gelegt worden, und sie sollte sich im 19. Jahrhundert noch steigern. Seroux d ' A g i n c o u r t , der seit 1778 in R o m lebende französische Kunsthistoriker, hatte 1819 ein großes K o m p e n d i u m der mittelalterlichen Kunst herausgegeben 3 1 ; eine ganze Tafel im Folioformat war darin S. d e m e n t e gewidmet: Grund- und Aufriß, Einzelheiten der Chorschranken und eine perspektivische Ansicht der Schola cantorum. Der Grundriß wurde mit großer Präzision wiedergegeben, vor allem spätere Veränderungen von der Mauersubstanz der Erbauungszeit - z u m Beispiel die Seitenapsiden betreffend - klar geschieden (Abb. 46) 3 2 .
Vergleich: die neueste Ausgabe des TCI-Führers Roma e Dintorni umfasst 830 Seiten, hat also ähnlichen Umfang; davon sind allein dreieinhalb Seiten S. d e m e n t e gewidmet. - Volkmann nennt für S. d e m e n t e als weitere Besonderheiten das Grab des Kardinals Roverella und verschiedene kostbare Steinsorten; Volkmann 1770, II, 169. 27 Volkmann 1770, II, 169. 28 Die deutsche Ausgabe seiner 1764 erschienenen Schrift: „Histoire de la disposition et des formes différentes que les Chrétiens ont donné à leurs temples" erschien als Anhang (S. 223-278) zu: Abbé Laugier, Neue Anmerkungen über die Baukunst, nebst einem zwiefachen Anhange, als: des Herrn le Roi Geschichte der Einrichtung und Gestalt der christlichen Kirchen von Kaiser Constantin dem Großen bis auf unsre Zeit; und ein Vorschlag zu einem Comödienhause; Leipzig 1768 (Übersetzung von Volkmann). Wohl beide haben S. d e m e n t e mit eigenen Augen gesehen und dort die italienischen Fachbegriffe kennengelernt. Volkmann war 1757/58 in Rom (Noack II, 619), Leroy von 1750 bis 1754; Werner Szambien, Jean-Nicolas-Louis Durand 1760-1834; Paris 1984; bes. S. 23 und 27-28. 29 In der Tat besticht diese Kirchenrestaurierung durch den schonenden Umgang mit der alten Substanz. Die Kassettendecke beispielsweise, die neu angefertigt wurde, endet ca. 80 cm vor dem Triumphbogen, um die Mosaiken nicht zu beschädigen und der Betrachtung zugänglich zu lassen. 30 Anja Buschow, Kirchenrestaurierungen in Rom vor dem Hintergrund der päpstlichen Kunst- und Kulturpolitik in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts; Diss. phil. Bonn 1987; S. 104-131 zu S. d e m e n t e . Zur Restaurierungspolitik Clemens' XI. vgl. ferner Christopher M. S. Johns, Clement XI. and Santa Maria Maggiore in the early 18th Century, in: JSAH 45, 1986, 286-293. 31 Seroux d'Agincourt 1819-1820. Eine zweite Auflage erschien 1823 in Paris und Straßburg, eine italienische Ausgabe in zwei Auflagen 1830-1838 und eine englische 1847. Ferdinand von Quast besorgte die deutsche Ausgabe 1840. Quast übernahm die Originaltafeln, ließ die Textteile völlig weg, weil sie seinen Anschauungen nicht entsprachen und veränderte die Tafelbeschreibungen in seinem Sinne. Vgl. die Verlagsankündigung der Enslinschen Buchhandlung in Berlin zur Ausgabe 1840 (in der UB Karlsruhe dem Werk beigebunden). Zu Seroux d'Agincourt Kultermann 1990, 83. 32 Hunderte von Monumenten - insgesamt 3335 Abbildungen - sind auf den 328 Kupfertafeln meist briefmarkengroß abgebildet. Nur wenige Bauwerke konnten eine ganze Tafel beanspruchen. S. d e m e n t e in Bd. IV, Taf. Arch. XVI.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Nur wenig später hatten die beiden süddeutschen Architekten Gutensohn und Knapp in ihrem Tafelwerk die erste systematische Sammlung der frühchristlichen Kirchen Roms herausgebracht 3 3 . Die erste Lieferung im September 1822 behandelte die Kirchen S . C l e m e n t e und S. Paolo fuori le mura, stellvertretend also für den Normaltyp einer römischen Basilika und für die Patriarchalbasiliken Roms. Von den 35 Tafeln des Gesamtwerkes waren allein drei S. d e m e n t e vorbehalten (Abb. 4 7 - 4 9 ) . Im Gegensatz zu Seroux d'Agincourt verzichteten Knapp und Gutensohn auf Detailzeichnungen. Stattdessen konzentrierten sie sich auf ganzseitige Abbildungen, die wegen ihrer Größe detailtreuer sein konnten 3 4 . Der Grundriß von S. d e m e n t e wurde mit den wichtigsten Unregelmäßigkeiten wiedergegeben; auch sind die Mauern der nördlichen Längswand und der Seitenapsiden durch Schraffur vom übrigen Mauerwerk abgesetzt und dadurch mehrere Bauphasen angedeutet 3 5 . Zwei im Zusammenhang einer nüchternen Architekturpublikation ungewöhnliche Blätter gingen auf die Besonderheiten von S. d e m e n t e ein: Das eine Blatt zeigt einen Durchblick durch den Portikus in den Vorhof, Bauteile einer Kirche also, die sonst kaum mehr bekannt waren und der Kirche eine neue Tiefendimension erschlossen; darin liegt auch die Begründung für die gewählte starke perspektivische Verkürzung, die das räumliche Erlebnis noch steigerte. Das andere Blatt zeigt eine Innenansicht zum Altar hin; der Gesichtspunkt ist dabei höher gewählt und steht damit in krassem Gegensatz zu den in Rom zu dieser Zeit immer noch modernen Darstellungen Piranesis, der durch starke Untersicht und extreme Perspektive die Mächtigkeit der meist antiken Architektur betont hatte. Doch hier ist der Zweck ein anderer: Durch den höheren Gesichtspunkt wird der Blick über die gesamte Kirche freigegeben und die liturgische Einrichtung übersichtlich dargeboten 3 6 . Während die liturgische Einrichtung sehr getreu wiedergegeben wurde, versuchte Knapp das Bauwerk selbst seiner barocken Zutaten zu entkleiden und nur den mittelalterlichen Zustand darzustellen 3 7 .
33 Gutensohn/Knapp 1822-1826. Ursprünglich waren sieben Lieferungen mit je sieben Blättern vorgesehen. Ab der zweiten Lieferung sollte ein selbständig geschriebener Kommentar erscheinen, den der römische Archäologe Antonio Nibby verfassen wollte, was jedoch nicht zustande kam (Information aus dem Vorwort der ersten Lieferung). Später schrieb Bunsen einen erläuternden Text dazu, der 1842 bei Cotta erschien: Bunsen 1842. Im Vorwort erwähnte Bunsen, daß das Tafelprojekt von Cotta gleichzeitig mit der „Beschreibung der Stadt Rom" im Winter 1817/18 angeregt und finanziell genauso großzügig gefördert worden war. Für Bunsens Textausgabe wurden die Tafeln nochmals aufgelegt. 34 Im Fall von S. d e m e n t e : das Bildfeld ist bei Gutensohn und Knapp ca. 26 χ 36 cm groß und enthält eine Darstellung, bei Seroux d'Agincourt 22 χ 33,5 cm und enthält drei Darstellungen. Auf den Grundriß mit Längsschnitt z.B. entfallen 22 χ 14 cm, auf die Innenansicht 22 χ 11 cm. 35 Die Schraffur ist sehr eng, so daß bei flüchtigem Hinsehen oder bei Reproduktionen kaum ein Unterschied beobachtet wird; Gutensohn/Knapp, Lieferung 1, Tafel 1. Hallensleben 1985, 94 übergeht den von Knapp gezeichneten Grundriß; da er nur die (folgende) Innenansicht bewertet und als nicht wahrheitsgetreu abwertet, kommt er insgesamt zu einer negativen Beurteilung von Knapps Leistung. 36 Der Heftumschlag der 1. Lieferung führt dazu aus: „Innere Ansicht (um einen klaren Begriff der höchst merkwürdigen Anlage dieser Kirche zu geben, wurde der Gesichtspunkt höher gewählt) ". 37 Von Hallensleben als mittelalterlicher Idealzustand gekennzeichnet, was ihn zu seiner Abwertung bewog. Doch nimmt man die saubere Arbeit der Grundrißzeichnung mit den Unregelmäßigkeiten hinzu, kann wohl kaum von einem erstrebten Idealzustand gesprochen werden.
2. Potsdam,
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Als erstes Ergebnis können wir festhalten, daß um 1820, als die beiden Tafelwerke erschienen, die Unregelmäßigkeiten im Mauerwerk von S. d e m e n t e durchaus gesehen wurden. Freilich waren die Befundinterpretationen der Autoren noch unterschiedlich, wohl auch aufgrund eines sehr unsicheren Befundes. Das Wesentliche für beide war aber die Disposition des Gesamtkomplexes und die liturgische Ausstattung. Während Seroux d'Agincourt jedoch kleinteilige Zeichnungen und schwerfällige Perspektiven einsetzte und den Kern seiner Aussage in die Bildunterschrift setzte - „S. d e m e n t e a Roma, modello il più conservato della disposizione delle primitive chiese V. secolo" - , konnte Knapp diese Aussagen so klar in überzeugende Zeichnungen umsetzen, daß sie bis heute in Lehrbüchern zu finden sind 38 . In welcher Zeit Gutensohn und Knapp sich S. d e m e n t e entstanden dachten, ist uns nicht bekannt, da der ursprünglich geplante Begleittext nie erschienen ist. Seroux d'Agincourt hatte sich auf das fünfte Jahrhundert festgelegt. Doch in jenen Jahren wurde zumindest für Forscher vor Ort Genaueres bekannt. Im Jahr 1818 hatte der Kölner Architekt und Archäologe Franz Christian Gau in S. d e m e n t e Nachforschungen, wie es scheint sogar partielle Nachgrabungen, unternommen und unter der Kirche einen Vorgängerbau festgestellt. Warum er sich gerade für diese Kirche interessierte, ist nicht bekannt. Gau, der sich seit 1815 in Rom aufhielt, untersuchte sonst immer klassischrömische Altertümer. Niebuhr schätzte ihn sehr und setzte sich bei der preußischen Regierung für seine weitere Unterstützung ein 39 . Die Untersuchungen in S. d e m e n t e scheinen mit den gerade begonnenen Vorbereitungen der Neuausgabe der „Beschreibung der Stadt Rom" nichts zu tun zu haben; weder Niebuhr noch Bunsen erwähnten Gau in diesem Zusammenhang in dieser Zeit in ihren Briefen. Als der S. d e m e n t e enthaltende Band der „Beschreibung der Stadt Rom" im Jahr 1837 endlich erschien, wurden Gaus Untersuchungen mitgeteilt 40 . Eine völlig neue Bauchronologie war die Folge, und es ist Bunsens Verdienst, hierauf in aller Deutlichkeit hingewiesen zu haben, wenn auch seine weiteren Folgerungen in Bezug auf die Baugeschichte keinen Bestand haben sollten. Die Nachgrabungen von Gau in der damaligen Sakristei 41 brachten auf einem zwölf Fuß niedrigeren Niveau zwei Säulen und eine bemalte Wand zum Vorschein. Bunsen ordnete diese Teile richtig einer älteren Kirche zu, die mit den tradierten Nachrichten von Clemens und Hieronymus zusammenhängen könne. Die jetzige Kirche mußte demnach wesentlich jünger sein. Richtig bemerkte er, daß historische Nachrichten über den Anfang des 12. Jahrhunderts nicht zurückreichten. Er hatte aber nicht den Mut, den ganzen Bau dieser Zeit zuzuordnen, sondern nur die Apsisdekoration, die durch eine Inschrift am Thron datierbar war. An den Schran-
38 Z.B. bei Kenneth John Conant, Carolingian and Romanesque Architecture 800 to 1200 (Pelican History of Art); Harmondsworth 1959, 227. 39 Zu Gau existiert außer den biographischen Nachschlagewerken keine spezielle Literatur; vgl. v. a. Merlo 258-262; Noack II, 198; ADB 8, 1876, 513-516 (Ennen). - Niebuhr erwähnte in seinen Briefen einige der Tätigkeiten von Gau: Niebuhr 1981,1, 134 (Beobachtungen zur römischen Topographie), 236 (mit Bauaufnahme der Ruinen in Tusculum beschäftigt), 257 (mit Herstellung eines Planes der Vatikanischen Museen beschäftigt) und öfter. Im April 1818 begab sich Gau auf eine große Nubienexpedition, zu der ihn Niebuhr ermuntert hatte. Nach seiner Rückkehr publizierten sie gemeinsam die Ergebnisse. 40 Beschreibung Rom 1829, III, 1, 577-584. Der Artikel war von Bunsen verfaßt worden. - Bunsen war der einzige, der die Untersuchungen Gaus publizierte. 41 Einer der Nebenräume am jetzigen rechten Seitenschiff.
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kenplatten löste er das Monogramm mit „Johannes" richtig auf, schloß aber auf einen angeblichen Kardinal des 10. Jahrhunderts. Für ihn stellte sich also die Basilika als eine Kirche des 9./10. Jahrhunderts dar, deren liturgische Einrichtung und Dekoration bis ins 12. Jahrhundert hinein verändert wurde. E s dauerte ungefähr zehn Jahre, bis das neue B i l d von S. d e m e n t e in der Kunstgeschichtsschreibung übernommen und akzeptiert worden war. Während sich Franz Kugler in der ersten Auflage seines Handbuches im Jahr 1842 in Auswahl und Bewertung noch weitgehend an Volkmann hielt 4 2 , darüber hinaus allerdings eine Datierung der Kirche ins sechste Jahrhundert vorschlug 4 3 , hatte sich in der zweiten Auflage von 1848 die Bewertung stark gewandelt: jetzt und in der Folgezeit galt die Datierung des Gebäudes um 1100, die bis heute Bestand hat, und erstmals war über Volkmanns Angaben hinaus ein Kunstwerk neu aufgenommen worden, nämlich das Apsismosaik 4 4 . Mit einiger Verzögerung und Variation wurden also Bunsens Angaben aufgenommen. In England setzte sich die neue Bewertung offenbar sogar schneller durch. Henry Gaily Knight übernahm in seinem Großfoliowerk „Ecclesiastical Architecture o f Italy" der Jahre 1 8 4 2 / 4 4 Bunsens Argumentation 4 5 , die sogleich weite Verbreitung erfuhr 4 6 . Während in Europa die neue Baugeschichte von S. d e m e n t e langsam Handbuchwissen wurde, gerieten die neuen Erkenntnisse in R o m völlig in Vergessenheit. Man erinnerte sich noch nicht einmal in der Kirche selber an Gaus Nachforschungen. Erst als man
Mitte der
50er Jahre aus ganz anderen Motiven, nämlich auf der Suche nach dem Grab des Slavenapostels Kyrill, in der Kirche größere Ausgrabungen begann, wurde die sogenannte Unterkirche ein zweites Mal entdeckt 4 7 und die verwickelte Baugeschichte enträtselt. 42 Erwähnt werden: Disposition der Kirche, Tabernakel und Katherinenkapelle; Kugler 1842a, 344, 430 und 668. 43 Mittels eines Monogrammes einer der Schrankenplatten. 4 4 Kugler 1848, 342 und 532. 45 Gaily Knight und Bunsen waren miteinander gut bekannt; am 6. März 1839 machte Bunsen ihm einen Besuch in London; Bunsen, 1868, II, 49. Als Mitglied des Parlaments und kunsthistorischer Dilettant war er vielleicht für neue Datierungen schneller zugänglich als die Fachgenossen. Wo ihm keine Hilfe zur Verfügung stand, machte er zum Teil eklatante Fehler; zu seiner Person vgl. Nikolaus Pevsner, Some Architectural Writers of the Nineteenth Century; Oxford 1972, 6 7 - 6 8 . 4 6 Durch die Besprechung in der angesehenen Quarterly Review: Gaily Knight and Bunsen, on Ecclesiastical Architecture, in: Quarterly Review 75, 1845, 3 3 4 - 4 0 3 . Der nicht genannte Rezensent (der Historiker Sir Francis Palgrave; Pevsner (Anm. 45), 67) besprach außer Gaily Knight noch Bunsens Basilikenbuch, einen Teil seiner Rombeschreibung und Hessemers Arabische und Alt-Italienische Bauverzierungen. S. d e m e n t e wurde ganzseitig auf S. 374 behandelt. Die Besprechung wurde auszugsweise wieder abgedruckt: Ecclesiastical Architecture, in: The Builder 3, 1845, 2 0 6 - 2 0 8 , 2 1 9 - 2 2 0 , 2 3 1 - 2 3 3 , 2 5 9 - 2 6 0 . 47 Federico Guidobaldi, Il Complesso Archeologico di San d e m e n t e , in: San d e m e n t e Miscellany II. Art and Archaeology; ed. by Luke Dempsey O. P.; Rom 1978, 2 1 5 - 3 0 3 , hier besonders 2 1 8 - 2 1 9 . Dieses Mal riefen die Ausgrabungen ein lebhaftes Echo hervor und wurden in Tageszeitungen und Fachzeitschriften gewürdigt; z.B. C K B 1859, 9 5 - 9 6 ; 1862, 5 6 - 5 9 und 186. Der erste Artikel wurde aus einem Zeitungsbericht der Neuen Preußischen Zeitung aus dem Dezember 1858 gezogen, was wieder das starke preußische Interesse an S. d e m e n t e demonstriert. Vgl. auch Jürgen Krüger, Grab und Verehrung Kyrills in S. d e m e n t e in Rom, in: Leben und Werk der byzantinischen Slavenapostel Methodios und Kyrillos; hg. von Evangelos Konstantinou; Münsterschwarzach 1991, 105-126.
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Friedenskirche
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Als Friedrich Wilhelm IV. im Januar 1841 seine Friedenskirche plante und S. d e m e n t e zu kopieren befahl, war noch nicht einmal die erste Auflage von Kuglers Kunstgeschichte erschienen. Trotzdem kannte er mit Sicherheit den neuesten Stand der Forschung in bezug auf S. d e m e n t e und hatte den besten Überblick über die Architekturgeschichte Europas. Denn zum einen gehörten Zeichnen und Entwerfen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, zum anderen war er ein leidenschaftlicher Büchersammler, besonders was Architekturbücher anging 48 . Alle wichtigen Publikationen muß er besessen haben. Gutensohns und Knapps Tafelwerk zum Beispiel ließ der Kronprinz nach Eingang jeder Lieferung sorgfältig numerieren und binden 49 . Wichtige Publikationen wie Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte, waren ihm zugeeignet, andere hatte er selbst initiiert, wie Salzenbergs Untersuchung der Hagia Sophia. Caninas Untersuchungen über frühchristliche Kirchen waren ihm von Reumont überbracht worden 50 . Und schließlich ist wieder Bunsen zu nennen, von dem die Neubewertung S. d e m e n t e s ausgegangen war. Seine Werke besaß der König, mit ihm hatte er seit seinem Romaufenthalt freundschaftlichen Kontakt, und in ihm hatte er den Partner und Diskutanten seiner kirchenreformerischen Pläne. Bunsen muß außerdem als der beste Romkenner seiner Zeit angesehen werden. Als Bunsen nach jahrelanger Arbeit die „Beschreibung der Stadt Rom" abgeschlossen hatte 51 , begann er ein neues Projekt, nämlich aus den vielen Einzelbeschreibungen der römischen Monumente die Essenz zu ziehen und „Die Basiliken des christlichen Roms nach ihrem Zusammenhange mit Idee und Geschichte der Kirchenbaukunst"52 darzustellen. Weihnachten 1839 sprach er erstmals davon, und im April 1841 schloß er das Manuskript für das Buch ab 53 , das 1842 erscheinen sollte und das er Friedrich Wilhelm zueignete 54 . Es war eine Frucht seines über zwanzigjährigen Romaufenthaltes, eine Art Weltgeschichte der Basilika, von den hellenischen über die antik-römischen bis zu den christlichen Basiliken 55 . Wieder erwies sich Rom als Hauptstadt und Brennpunkt der Entwicklung; es sei die einzige Stadt, die diesen idealen Typ einer christlichen Kirche in zahlreichen Exemplaren über Jahrhunderte gebaut habe 56 . Mittels der Erkenntnisse seiner mehr historischen als kunsthistorischen Forschungen stellte er eine Bautenchronologie zusammen, mit der er dann die Spezifika der Basilika genauer fassen konn-
48 Zur Bibliothek vgl. das in der Einleitung gesagte; dazu auch Peschken (Einl. Anm. 16), Abb. S. 122: die Arbeitstische Friedrich Wilhelms liegen voller zusammengerollter Pläne. 49 Heuer 1939,516. 50 Canina 1843; vgl. Heuer 1939, 516. 51 Der letzte Band erschien 1840. 52 So der exakte Titel des 1842 erschienenen Buches. 53 Brief Bunsens an Lücke, Weihnachten 1839 und sein Brief an seine Schwiegermutter am 5. April 1841; Bunsen 1868, II, 97 und 159. Das Vorwort wurde erst am 31. Mai 1842 geschrieben; Bunsen 1842, S. VIII. 54 Als Ergänzung wurde Gutensohns und Knapps Tafelwerk unter dem Titel des Buches wiederaufgelegt und damit der alte Plan von 1822, Erläuterungen zu den Tafeln zu schaffen, verwirklicht. Eine weitere Auflage erschien 1864, eine französische Ausgabe 1872. 55 Wie in manchen anderen seiner großen Veröffentlichungen verzichtete Bunsen auch hier völlig auf Nachweise seiner Erkenntnisse: „Den gelehrten Unterbau der Darstellung mehr hervortreten zu lassen, schien der Natur des Werks entgegen. Wer nachgräbt, wird ihn schon finden." Bunsen 1842, Vorworts. VIII. 56 Bunsen 1842, 41.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
te. Dazu kam die Darstellung der liturgischen Handlungen und der dazugehörigen Ausstattungsstücke vom frühen Christentum bis zum hohen Mittelalter. Eine Überraschung birgt das Schlußkapitel. In den „Bedingungen der Herstellung evangelischer Basiliken" erwartet der Leser eine Anleitung oder Beispiele, wie die Erkenntnisse römischen Basilikenbaus in neuen Projekten umgesetzt werden könnten 5 7 . Der piemontesische Architekt Canina zum Beispiel hatte mit seiner groß angelegten Untersuchung „Tempj cristiani" in ähnlicher Weise wie Bunsen die römischen Basiliken dargestellt, um im Schlußkapitel allgemeine „moderne" Basiliken vorzustellen, vor allen Dingen aber zwei konkrete Projekte zu erläutern: eine neue Kathedrale für Turin und eine Basilika für den Wallfahrtsort Oropa, die beide als frühchristliche Basiliken konzipiert worden waren 5 8 . Bunsen dagegen faßte zunächst seine Darlegungen zusammen, um zu zeigen, welche Elemente für den evangelischen Kirchenbau aus dem Basilikenbau übernommen werden könnten. Das Kapitel beginnt moderat: so wie das christliche Volk eigentlich ungeteilt und gleich sei, so sollten auch in der Kirche keine Schranken zur Abgrenzung errichtet werden. Der Altar solle, wegen der besseren Sichtbarkeit und Hörbarkeit, allenfalls um einige Stufen erhöht stehen. Ein Baldachin darüber sei aber nicht möglich, denn der stehe nur einem Opferaltar zu, und das treffe f ü r den evangelischen Altar nicht zu. Kanzel und Lesepult hingegen - also die beiden Ambonen - wären durchaus in einer evangelischen Kirche angebracht, eben für Predigt und Lesung. Doch als es um die große, architektonische Form ging, mischte sich auf einmal Tadel ein 5 9 : Nur kleine Kirchen könnten als Basilika gebaut werden, sonst würde der Aufwand unverhältnismäßig groß. Die Säulenstellungen behinderten Sicht und Hören auf den besten Plätzen. Stattdessen lobte er den Pfeilerbau, der direkt zum Kuppelbau führe und damit größere Dimensionen zulasse. „Der Germanische Gewölbbau endlich vereingt alle Vorteile" 6 0 . Mit einem Loblied auf die deutsche Romanik als des eigentlich angemessenen Stils für deutsche Länder klingt Bunsens Basilikenbuch aus.
Das Vorbild der Friedenskirche Als Friedrich Wilhelm IV. am 7. Januar 1841 die Anweisung gab, eine Kirche nach dem Muster von S. d e m e n t e zu bauen, wußte er, daß das Gebäude kaum etwas mit dem frühen Christentum zu tun hatte. Warum also wählte er trotzdem diese Kirche? Da weitere Äußerungen von ihm in dieser Angelegenheit unbekannt sind, müssen wir nochmals versuchen, wesentliche Baugedanken in der Friedenskirche auf ihre möglichen Vorbilder hin zu befragen. Es wurde bereits festgestellt, daß einige Bauteile nichts mit S. d e m e n t e zu tun haben. Der Campanile ist in enger Anlehnung an den Glockenturm von S. Maria in Cosmedin erbaut, und die Kanzel hat ihr Vorbild in derjenigen in S. Lorenzo. Beide Bauteile sind in Gutensohns und
57 Bunsen 1842,75-84. 58 Beide Projekte wurden nicht ausgeführt. In Oropa nördlich Ivrea befindet sich eine der größten Marienwallfahrtsorte Italiens; die Anfänge gehen bis ins 4. Jh. zurück, als Bischof Eusebius von Vercelli eine Madonnenstatue aus Jerusalem hierher gebracht haben soll. 1885 wurde der Neubau aber nach dem Projekt von 1774(!) von Ignazio Amedeo Galletti begonnen und erst 1960 beendet; TCI Piemonte, 1976, 497-500. 59 Bunsen 1842, 81-84. 60 Bunsen 1842, 82.
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Friedenskirche
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Knapps Stichwerk illustriert, jeweils als einzige Vertreter ihrer Gattung und als besonders qualitätvolle Exemplare. Daneben gibt es noch weitere Einzelheiten, die weder in S. d e m e n t e vorhanden sind noch durch Stichwerke bekannt waren. Es muß also noch Quellen anderer Art geben. Sämtliche frühchristlichen Kirchen, die die Zeiten überdauert hatten, waren nur mit mehr oder weniger starken Veränderungen erhalten geblieben. Um sich ein Bild von ihrem originalen Aussehen machen zu können, wurden im 19. Jahrhundert in zunehmendem Maße zeitgenössische Texte ausgewertet. Die verschiedensten Literaturgattungen wurden dafür herangezogen. Wenn die Quellen auch nicht sehr zahlreich waren, so konnten doch eine Menge von Detailaussagen mosaikartig eine Vorstellung des frühchristlichen Kirchenbaus ergeben. Von exemplarischer Bedeutung waren dabei der Liber Pontificalis, die Schriften des Eusebius und des Paulinus von Nola, und die Apostolischen Konstitutionen. Der Liber Pontificalis, also die offizielle Papstchronik des Mittelalters, verzeichnete unzählige einzelne Kunstwerke und Kirchen Roms 61 . Die Einträge sind zwar nur knapp und stichpunktartig, aber trotzdem wertvoll, weil sie eine Fülle exakter Datierungshinweise enthalten. Die Werke des Eusebius von Caesarea dagegen, seine Kirchengeschichte und seine Konstantinsvita, bieten in dichterischer Breite Beschreibungen der von Konstantin dem Großen errichteten Bauten, vor allem Konstantinopels und des Heiligen Landes. In unserem Zusammenhang noch wichtiger sind die beiden letztgenannten, Paulinus von Nola und die Apostolischen Konstitutionen. Der Patrizier Paulinus aus Bordeaux ist wegen seiner christlichen Gedichte berühmt. Mit Inschriften in Versform schmückte er die Bauten, die er Anfang des 5. Jahrhunderts bei dem Grab des heiligen Felix in Nola wiederhergestellt und neu errichtet hatte. Das Vesuvstädtchen wurde durch seine Tätigkeiten zu einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte der frühen Christenheit, er selber Bischof dort von 409 bis 431 62 . Selbstgedichtete Inschriften waren an allen wesentlichen Teilen der Basiliken und Grabbauten angebracht und erläuterten dem Pilger die Heilsbotschaft 63 . Doch überliefert sind uns diese Inschriften nicht an den Bauten, von denen uns nur noch geringe Reste eine Vorstellung geben können 64 ,
61 Le Liber Pontificalis. Texte, Introduction et Commentaire par l'Abbé L. Duchesne; 2 Bände Paris 1886-1892 und Nachtragsband Paris 1957. Zur modernen Auswertung vgl. Hermann Geertman, Liber Pontificalis come fonte archeologica, in: Rivista di archeologia cristiana 63, 1987, 367-371 und andere Schriften des gleichen Verfassers. Bereits Seroux d'Agincourt 1823,1, 42 hat mit einer langen „Anmerkung" S. 98-106 den Liber Ponticalis Kirchenbau und -ausstattung betreffend durchgearbeitet. 62 Der Nolaner Grabbezirk wurde in der späteren Zeit Zentrum der eigenständigen Siedlung Cimitile; TCI Campania, 1981, 403-405 und Bernhard Kötting, Peregrinado religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche (Forschungen zur Volkskunde, 33-35); Münster 1950, 245-254. 63 Rudolf Carel Goldschmidt, Paulinus' Churches at Nola. Texts, Translations and Commentary; Amsterdam 1940; Angelo Lipinsky, Le decorazioni per la basilica di S. Felice negli scritti di Paolino di Nola, in: Vetera Christianorum 13, 1976, 65-80; Josef Engemann, Zu den Apsis-Tituli des Paulinus von Nola, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 17, 1974, 21^46. 64 Wohl seit dem Spätmittelalter Ruine. Die systematische wissenschaftliche Aufarbeitung setzte erst nach dem 2. Weltkrieg ein. Beispielhaft sei verwiesen auf Hans Belting, Die Basilica dei SS. Martiri in Cimitile und ihr frühmittelalterlicher Freskenzyklus; Wiesbaden 1962.
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11. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
sondern durch die Gedichte des Paulinus und durch seine Briefe an Sulpicius Severus 6 5 . Bunsen jedenfalls waren sie bekannt. In seinem Basilikenbuch wertete er sie aus, um eine frühchristliche Kirche zu beschreiben, und zitierte einige wörtlich, mit deutscher Übersetzung. Über dem Eingang zur Nolaner Basilika zum Beispiel stand: „ Friede mit dir, der du, in friedebegehrenden Herzens Heiligem Schmuck, eingehn willst in des Heilandes Haus"66 Es ist der gleiche Spruch, der in verkürzter Form am Eingang der Potsdamer Friedenskirche den Besucher grüßt: „Friede sei mit Dir" und „Dem Friedefürsten Jesu Christo, unserem Herrn"61. Charakteristisch ist die Situation, nämlich mit Spruchbändern die Besucher zu belehren. Nur bei Paulinus finden wir die frühchristliche Quelle, nur wenige Kirchen des 19. Jahrhunderts boten eine ähnliche Fülle: die Friedenskirche, das Charlottenburger Mausoleum und die Basilika in Trier! Das Basilikenbuch Bunsens erschien zwar erst im Jahr 1842, ein Jahr nach d e m Planungsbeginn der Kirche. Bei d e m intensiven Kontakt Bunsens zum König ist aber eine frühere Wissensvermittlung fast selbstverständlich. Außerdem waren die Paulinustexte 1841 in Deutschland bereits bekannt. In diesem Jahr wurden sie von dem Theologen und christlichen Archäologen Augusti in deutscher Übersetzung herausgegeben 6 8 . Die wichtigste Quelle für den frühchristlichen Kirchenbau sah man aber in den Apostolischen Konstitutionen. Dabei handelt es sich nach den heutigen Erkenntnissen um eine Kirchenordnung, die um 380 in Syrien hergestellt worden war 6 9 . Der unbekannte Schreiber, der verschiedene ältere Vorlagen zusammengestellt hatte, erweckte durch einige Redewendungen den Eindruck, daß der Autor der Konstitutionen Clemens, der dritte Nachfolger des Petrus auf dem römischen Bischofssitz, sei und die Vorschriften des Kirchenlebens aus der unmittelbaren Umgebung Christi stammten, eben von den Aposteln selbst gegeben seien 7 0 . Das verlieh ihnen eine besondere Autorität. Das 57. und 58. Kapitel des zweiten Buches beschreiben die Eucharistiefeier 7 1 . Hauptsächlich in diesem Zusammenhang wurden einige wenige Aussagen z u m Kirchenbau gemacht: Die Kirche solle länglich und nach Osten gerichtet sein und zwei Seitenapsiden haben, die sogenannten Pastophorien; ihre Form ähnele der eines Schiffes. Aus Bemerkungen zu Platzanweisungen in der Kirche ist weiter auf drei Kirchenportale zu schließen. Als liturgische Ausstattung wird lediglich eine Lesepult in der Mitte der Kirche für die ersten Lesungen erwähnt.
65 Paulinus Nolanus, Epistulae, ed. Wilhelm von Härtel; Wien 1894, besonders ep. XXXII; und ders., Carmina; ed. Wilhelm von Härtel; Wien 1894, besonders carm. XXVII und XXVIII und Goldschmidt (Anm. 63). 66 Paulinus (Anm. 65), ep. XXXII, 12; zitiert von Bunsen 1842, 38. 67 Hesse 1855, Textblatt 3; zu den Sprüchen wird ausgeführt, „welche alle Bezug auf den Haben, dem die Kirche geweiht ist." 68 Augusti 1841,1, 154-170. Kurze Zeit später beschäftigte sich auch Canina mit der Felix-Basilika von Nola. Er veröffentlichte m. W. den ersten wenn auch stark hypothetischen Plan der Anlage, der nur in kleinen Teilen auf tatsächliche Beobachtungen zurückgehen kann; Canina 1846, Tafel 27. 69 Altaner/Stuiber 1993, 255-256; Const. Apost., ed. Marcel Metzger 1985, Kommentar Bd. I, 55-60. 70 Const. Apost., Kommentar Bd. I, 36-37. 71 Const. Apost. lib. II, 57-58.
2. Potsdam,
Friedenskirche
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Mit wenigen Worten wurden hier die Grundformen des Kirchengebäudes für Jahrhunderte festgeschrieben, das wichtige Sinnbild des Schiffes erstmals auf das Kirchengebäude angewendet 72 . Speziell syrische Eigenarten spiegeln sich in der Erwähnung der Pastophorien und des zentralen Lesepultes wider 73 . Alle diese Einzelheiten finden sich in der Friedenskirche verwirklicht, oft sogar im Gegensatz zu S. Clemente! So ist die Friedenskirche nach Osten ausgerichtet, während in S. Clemente im Osten der Eingang liegt. Die Potsdamer Kirche hat drei Portale, die römische nur eines. Wohl am klarsten läßt sich die Mustergültigkeit der Apostolischen Konstitutionen an den Seitenapsiden und am mittleren Lesepult ablesen. Die Seitenapsiden waren in S. Clemente ja allgemein als nicht zum Urbau gehörig erkannt und in den Plänen entsprechend eingetragen worden; sie zeichnen sich weder durch besondere Ausstattung im Sinne der mittelalterlichen Kirchenausstattung noch durch eine sinnvolle Funktion im Rahmen der Liturgie aus; die Friedenskirche dagegen zeigt die Seitenapsiden als identische, nur kleinere Ausführung der Hauptapsis, also zum ursprünglichen Bau gehörig. Das Lesepult schließlich, in der Mitte vor dem Altar stehend, findet in S. Clemente überhaupt keine Entsprechung. In der Friedenskirche war ein solches mittleres Lesepult bis zu den Umbauarbeiten um 1900 vorhanden. An ihm wurde die Eingangsliturgie gehalten, in völliger Entsprechung zu den Apostolischen Konstitutionen 74 . Woher Friedrich Wilhelm IV. die Apostolischen Konstitutionen kannte, ist schwer zu erschließen. Wie oben bereits gesagt, schöpfte er aus ihnen auch seine kirchenpolitischen Ideen. Bunsen wiederum nannte sie nur kurz in seinem Basilikenbuch 75 , ohne ihnen weitere Informationen zu entnehmen. Von wichtigen Passagen jedoch lag eine Übersetzung ins Deutsche durch den bereits genannten Theologen Augusti vor. Sicher nicht unwichtig war schließlich die Frage nach Autor und Datierung der Apostolischen Konstitutionen. Die in mittelalterlichen Handschriften regelmäßig genannte Autorschaft des Clemens wurde seit der ersten Edition durch Turrianus in Venedig 1563 in Zweifel gezogen 76 , eine Datierung zwischen dem dritten und sechsten Jahrhundert angenommen, wobei einzelne Teile frühere Zustände widerspiegeln sollten. Im 19. Jahrhundert waren es vornehmlich deutsche Forscher, die sich mit den Apostolischen Konstitutionen beschäftigten, unter denen besonders Richard Rothe, der ehemalige Gesandtschaftsgeistliche in Rom 77 , und dann Bunsen zu nennen sind. Letzterer handelte darüber in seiner Hippolytmonographie des Jahres 1852 und
72 Const. Apost. lib. II, 74-77. 73 Buch II der Konstitutionen geht auf die Didascalia zurück, deren Entstehung ins 3., teilweise sogar 2. Jh. gesetzt wird. In dieser älteren Fassung kommen die Pastophorien noch nicht vor, auch die Bezeichnung des Gottesdienstraumes als Schiff fehlt, dagegen war er schon nach Osten ausgerichtet; Klaus Gamber, Die frühchristliche Hauskirche nach Didascalia Apostolorum II, 57, 1 58, 6, in: Studia Patristica vol. X (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, 107); Berlin [-Ost] 1970, 337-344. 74 Heuer 1939, 537. 75 Bunsen 1842, 26. 76 Die ausführlichste Editionsgeschichte bei Franz Xaver Funk, Die Apostolischen Konstitutionen. Eine litterar-historische Untersuchung; Rottenburg 1891; Reprint Frankfurt/M. 1970, 1-27, hier S. 3-4. 77 Schon in Rom war er mit diesen Problemen befaßt; das erklärt auch die Themen seiner Vortragsabende. - Vgl. oben Teil I. 2.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
gab zwei Jahre später eine von Lagarde hergestellte Version heraus 78 . Für die Forscher, zu einem bedeutenden Teil Protestanten, war es ein eigentümlicher Reiz, sich, mit einer angeblich clementinischen Schrift zu beschäftigen und durch sie einen Urzustand der Kirche zu recherchieren, der vor Errichtung der katholischen Hierarchie unter Konstantin bestanden haben mußte. Die griechischen oder lateinischen Textausgaben waren wegen der Sprache nur der Fachwelt zugänglich. Hier war der oben genannte Augusti der erste, der eine Übersetzung anfertigte und sie dadurch weiteren Kreisen zugänglich machte. Friedrich Wilhelm IV. wird zu seinen Lesern gehört haben 79 . Mit Clemens als Autor wurde freilich auch der Kirche S. d e m e n t e mehr Bedeutung zugemessen. Sie galt als die über seinem Privathaus errichtete Kirche. Damit verfügte diese Kirche über eine Kulttradition, die bis ca. 100 n. Chr. zurückreichte, denn man wußte, daß Clemens in seinem Haus einen Gottesdienstraum eingerichtet hatte. Indem man ferner als Autor einen römischen Bischof ansah, wurden die Apostolischen Konstitutionen ein stadtrömisches Produkt. Ihre Anwendung auf die römischen Kirchen war dadurch selbstverständlich 80 . So gesehen mußte S. d e m e n t e in einem ganz neuen Sinn als Musterbau erscheinen, nämlich als Musterbau der Apostolischen Konstitutionen, den es von seinen Entstellungen und Veränderungen zu befreien galt. Die Friedenskirche in Potsdam wird so zu einer Kirche, in der sich S. d e m e n t e mit den clementinischen Konstitutionen und einzelnen anderen Elementen zu einer Idealkirche ergänzen.
An- und Umbauten an der Friedenskirche In den letzten Jahren der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. wurden erste Veränderungen an der Friedenskirche vorgenommen; manche dieser Maßnahmen hängen direkt mit seiner Grablege zusammen, andere zeigen veränderte, den Tod vorausahnende Vorstellungen des Königs 82 . Thorvaldsens Christusstatue blieb im Atrium nicht allein; zu seinen Seiten wurden unter den Arkaden der Moses von Rauch und Rietschels Pietà aufgestellt; der Vorhof der Friedenskirche wurde dadurch zu einem wichtigen Aufstellungsort bedeutender zeitgenössischer Skulptur 83 . Thorvaldsens Statue selbst wurde auf einen Sockel gestellt, der zugleich als Brunnen diente; vier Wasserstrahlen als symbolische Hinweisung auf die Paradiesflüsse füllen eine Brunnenschale; am Sockel wurde eine griechische, vorwärts wie rückwärts zu lesende Inschrift
78 Christian Karl Josias Bunsen, Analecta Antenicaena; 3 Bände London 1854, hier II, 33—450. 79 Friedrich Wilhelm IV. beherrschte zwar moderne Sprachen sehr gut (französisch und englisch sprach er wie seine Muttersprache, italienisch und russisch hinreichend), aber in Latein hatte er nur Grundkenntnisse, in Griechisch gar keine; Friedrich Strauß, Abend-Glocken-Töne. Erinnerungen eines alten Geistlichen aus seinem Leben; Berlin 1868, 319. 80 Die wirklich relevanten Kirchen, nämlich die von Syrien und Antiochia, waren um diese Zeit noch nicht bekannt. 81 Nach einem Unfall 1854 trug der König Vorsorge für seine Grablege; Heuer 1939, 536. - Die einzelnen Maßnahmen kurz dargestellt in: Chronik, in: CKB 1861, 191-192. - Bei Riehl 1866, 68-74 die testamentarische Verfügung für seine Grablege, Beschreibung der Totenfeier und der Beisetzung in der Gruft 1864. 82 Riehl 1866, 66-68; Herman Riegel, Deutsche Kunststudien; Hannover 1868, 139-149 (Friedenskirche betitelt, aber nur die Skulpturen behandelnd); C. G. [= Carl Grüneisen], Pietas, in: CKB [2], 1859, 57-60.
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angebracht, die den Sinn des Atriumsbrunnens treffend wiedergibt und ursprünglich aus der Hagia Sophia stammt: „Reinige nicht nur das Äußere, sondern wasche damit auch Deine Sünden ab"83. Im Kircheninneren bezeichnen zwei flache Grabplatten, in der Mittelachse direkt vor dem Altar, die Grablege des Königspaares; es ist exakt die traditionelle Position eines Stiftergrabes 84 . Die Inschriften nennen kurz und bündig Geburts- und Sterbedatum des Königs und der Königin und die Hoffnung auf ein ewiges Leben 85 . Ein posauneblasender Engel, eine Kopie nach Teneranis hochgerühmten Vorbild in S. Maria sopra Minerva, ist der einzige figürliche Schmuck des Grabes 86 . Die Grabplatten bilden zugleich den Schnittpunkt eines in den Fußboden eingelegten, nach Cosmatenart gestalteten schwarzen Kreuzes, das vom Eingang her durch die ganze Kirche gelegt ist 87 , an Stelle des Christusbildes im Schnittpunkt der Kreuzbalken trat aber die Darstellung des Königs, in diesem Falle seines Grabes 88 . Die gesamte Anlage der Friedenskirche erhält damit eine zweite Sinnschicht, die ihr Zentrum im Grab des Königs hat: vom Paradies führt der irdische Weg auf dem rechten Pfad zum Jüngsten Gericht, wobei der rechte Weg durch das Kreuz markiert wird; nachträglich wird hier der Basilika die Symbolform des Kreuzes übergestülpt, ein Gedanke, der an sich nicht in der frühchristlichen Basilika, sondern im mittelalterlichen Kirchenbau ausgedrückt werden konnte 89 .
83 „ΝΙΨΟΝ ANOMHMA MH MONAN ΟΨΙΝ". Erst kurz zuvor war man in Deutschland auf diese für ein Weihwasserbecken so sinnreiche Inschrift aufmerksam geworden: Heinrich Otte, Ein Anagramm im Museum zu Orléans, in: Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst 1, 1856, 36 (Frage nach Vorkommen) und S. 232f. (Leserzuschrift); danach in Handbüchern zur christlichen Kunstgeschichte (Otte) bzw. als besonders eindrücklicher Spruch im modernen Kirchenbau empfohlen: G.Jakob, Die Kunst im Dienste der Kirche; 2. umgearb. Aufl. Landshut 1870, 247 (1. Aufl. 1856 war mir nicht zugänglich). 84 Darunter befindet sich der Gruftraum mit zwei Zinksärgen. 85 Die letzte Zeile seiner Grabinschift: „Im 21. Jahre seiner glorreichen Regierung" stammt nicht von ihm; Heuer 1939, 536. 86 Das Vorbild des Thorvaldsen-Schülers Tenerani war 1840 in S. Maria sopra Minerva in Rom aufgestellt worden, wo es Königin Elisabeth 1858 sah; nach dem Tode des Königs bestellte sie eine Kopie für die Friedenskirche; Heuer 1939, 537. Heute wieder entfernt. 87 In seinem Testament ausdrücklich nach Form und Ausführungsart gefordert; Riehl 1866, 68-69. 88 Das Vorbild für das cosmateske Kreuz lieferte zweifellos S. demente; die Bedeutung ist aber kaum gegensätzlicher zu denken: dort liturgisch bedingt, hier königliche Selbstdarstellung wie in karolingischen Goldschmiedekreuzen ! 89 Durandus hat in seinem Rationale die Anordnung des Gotteshauses mit der Gestalt des menschlichen Körpers verglichen; das Rationale divinorum officiorum, das die spätmittelalterliche Symbolik der Liturgie und des Kirchengebäudes ausführlich darlegt, gehörte zu den einflußreichsten Büchern seiner Zeit und Art. Durch Übersetzungen, zuerst von Neale und Webb 1842 ins Englische, dann Bourasse 1847 ins Französische, schließlich Beletho 1859 ins Italienische wurde es für die Symbolik des historistischen Kirchenbaus grundlegend; Joseph Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung dews Mittelalters; Freiburg 1924 (Reprint Münster 1964), 28-33 (zu Durandus) und 111 (Kreuzform der Kirche). Doch bereits vor den erwähnten Übersetzungen, von denen er nicht abhängig war, fragte Bunsen: „ Und ist die germanische Entwicklung des Basilikenbaus in der Kreuzesform nicht das architektonische Epos des Charfreitags?" Bunsen, Die heilige Leidensgeschichte und die stille Woche; Hamburg 1841, S. IV.
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//. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Durch den Vergleich mit S. d e m e n t e war der Blick sogleich auf das Kirchengebäude gezogen worden; die Nebengebäude wurden darüber vernachlässigt und sollen jetzt zumindest noch kurz gestreift werden. An die Kirche ist im Süden ein regelrechter klosterartiger Bereich angefügt, der in dieser Dimension bei S. d e m e n t e nicht vorhanden ist 90 . Die Räume um den Kreuzgang wurden nach den Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. als Pfarrerwohnung, als Schule unter kirchlicher Leitung und als Kindergarten mit der Betreuung durch Diakonissen genutzt 91 . „Klerus" und „Klosterschule" erinnern an den Sinn des mittelalterlichen Kreuzgangs, alle drei Institutionen erfüllen auf vorbildliche Weise den Diakonatsgedanken des Sommernachtstraumes des Kronprinzen. Des weiteren wurde ein Teil des Kreuzganges - die sogenannte Schießmauer - zur Anbringung von mittelalterlichen Skulpturen, teilweise als Repliken genutzt 92 . Darunter befindet sich auch ein skulpierter Teil des Kirchenportals der Alpirsbacher Klosterkirche, das der König nach seinem Besuch dort im Jahr 1851 zu kopieren befohlen hatte 93 . Dabei ging es dem König nicht nur um die Christusdarstellung, sondern auch um die Erinnerung an das erste von den Grafen von Zollern mitgestiftete Kloster. Zusammen mit der Kopie des spätromanischen Refektoriumsportals aus Heilsbronn, das freilich erst Wilhelm I. im Jahr 1863 als Zugang zum Kreuzgang anbringen ließ 94 , bildet damit der Friedenskirchenkomplex ein Monument der hohenzollerischen Pietät von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Die Anbauten vervollkommnen das Bild der Friedenskirche im Sinne Friedrich Wilhelms weiter.
Bunsens Idealkirche Wir haben bisher Bunsen in vielfältiger Weise kennengelernt. Kaum jemand hatte so engen Kontakt zum Kronprinzen und späteren König wie er. Bunsen und Friedrich Wilhelm IV. lebten in der gleichen Gedankenwelt, in vielen Dingen war Bunsen sein Berater, verstärkte die romantischen Gedanken seines Herrn noch. Rom war das geistige Ziel Friedrich Wilhelms, Rom war die Alltagswelt und das Forschungsfeld für Bunsen, wovon auch der König profitierte. Bunsens Rombücher sind der Beweis dafür. So sollte man meinen, daß die beiden sich auch über die Pläne der Friedenskirche einig gewesen wären. Umso überraschter ist man, wenn man das kurze Protokoll liest, das Persius am 4. Juni 1841 von einer Besprechung Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen aufzeichnete: „... Vorher waren S. M. und Herr von B(unsen) im Gespräch über Basiliken, wobei der Entwurf für die Kirche bei Charlottenhof vorlag. Herr von Bunsen ist nicht für die Anlage der Schranken mit den beiden Ambonen, da es nicht mehr evangelisch und aus der späteren Zeit des 13. Jahrhun90 Zwar wird S. demente seit dem 17. Jahrhundert von Dominikanern betreut, doch verfügen sie über keine regelhafte Kreuzganganlage. 91 Riehl 1866, 63-64; Heuer 1939, 545; die Schule blieb nur bis 1864 bestehen. 92 Mittelalterliche Skulpturen, heute teilweise in Museen; Bergau (Anm. 2), 685-686; Häberlin 1855, 187-188; Riehl 1866, 64-66. Die Schießmauer (!) wurde aus Pietät gegenüber Friedrich Wilhelm I. erhalten, aber ihr wurde mit christlichen Symbolen ein neuer Sinn gegeben: die Bauidee der Friedenskirche en miniature. 93 Heuer 1939, 546f. 94 Das Portal in Heilsbronn war bereits 1835 vom Ofenfabrikant Feilner abgeformt worden; Friedrich Wilhelm IV. sträubte sich aus ästhetischen Gründen, das ziegelrote Portal dem Friedenskirchenkomplex anzugliedern; Riehl 1866, 72-73; Heuer 1939, 546.
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Friedenskirche
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derts sei, wo sich die Geistlichkeit so ausdehnte in das Schiff der Kirche hinein, daß damit die Gemeine ganz verdrängt wurde. S. M. hören dies aber nicht gern und sind der Meinung, daß dies doch wohl statthaft sein möge. " 9 5 Offensichtlich herrschte eine Meinungsverschiedenheit gerade über die liturgische Ausstattung der Kirche, ein Punkt, den beide für besonders wichtig erachteten und über den sie viel korrespondiert hatten. Wie sahen Bunsens liturgische Vorstellungen aus? Waren sie so verschieden von denen Friedrich Wilhelms? Seit Beginn seines römischen Aufenthaltes beschäftigte sich Bunsen mit liturgischen Fragen 96 . Schon die Reformationsfeier 1817 hatte viel theologisches Wissen von ihm gefordert, gerade weil kein evangelischer Pfarrer anwesend war. Die Einrichtung der Gesandtschaftskapelle ab 1823 forderte weiteres Engagement, zumal er mit der Agende Friedrich Wilhelms III. unzufrieden war. Er entwickelte eine eigene Agende, die der König als neue kapitolinische Agende genehmigte. In dieser Zeit intensiver Beschäftigung mit liturgischen Fragen entwickelte Bunsen 21 Thesen zum Kirchenbau 97 . Das Kirchengebäude besteht für Bunsen aus zwei Teilen, nämlich der Vor- und der Altarkirche. In der ersten sind Predigt, Lesungen und Gesang vorgesehen, in der zweiten die sakramentalen Handlungen. In der Vorkirche, die am besten mit dem Langhaus einer traditionellen Kirche gleichzusetzen ist, soll die Orgel über dem Eingang angebracht sein. Ambo und Kanzel, die für Lesung und Predigt benötigt werden, finden an der Stirnseite der Vorkirche Platz, so daß bei beiden die Wand im Rücken zur Verstärkung des Schalls dient und die Mitte als Sichtachse zum Altar freibleibt 98 . Die Altarkirche ist um einige Stufen von der Vorkirche abgesetzt. Hier befindet sich in der Mitte der Altar, der frei zu umgehen sein soll. Ist ein Querhaus vorhanden, kann der Altar auch in die Mitte des Querhauses gestellt werden, aber sein bevorzugter Platz ist die Apsis, denn diese stellt, vom Eingang her gesehen, die letzte Steigerung des Kirchenraumes dar. Die Apsiswölbung kann einen symbolischen Schmuck in Form eines Gemäldes oder Mosaiks tragen, zum Beispiel die Gestalt des Erlösers oder die Einsetzung des Abendmahls. Ausdrücklich spricht sich Bunsen gegen plastischen Schmuck in der Apsis aus: Thorvaldsens Chri-
95 Persius 1980, 54. 96 Es wird immer wieder die Frage aufgeworfen, was Bunsen eigentlich studiert habe, und er wird häufig als Theologe bezeichnet. Sein Theologiestudium hatte er jedoch nach kurzer Zeit abgebrochen und sich vor allem der Altphilologie zugewandt. Das theologische Interesse erwachte erst wieder in Rom im Zusammenhang mit der Reformationsfeier und den ausgeprägten religiösen Interessen seiner Frau. In einem Brief vom 27. Juli 1840 an Stahl benannte er ausdrücklich die Jahre 1817-1822 als die Zeit seiner theologischen Studien; vgl. Olaf Karl Friedrich Koglin, Die Briefe Friedrich Julius Stahls; Diss. jur. Kiel 1975, 209-213. Aus den Vorworten seiner Publikationen ergibt sich ebenfalls, daß Bunsen die Zeit ab 1817, dann besonders 1824-1827, als Rothe in Rom war, als prägend für seine theologischen Studien ansah. 97 Bunsen, 21 Thesen zum Kirchenbau, in: Berlin GStAPK Rep. 92 Nachlaß Bunsen A, Nr. 29 f. 13-23, ausschnittweise zitiert von Schümann 1980, 23-25. - Möglicherweise diskutierte er sie bereits Anfang Oktober 1824 mit Schinkel, Waagen und Stier, die zu Besuch in Rom waren und die Pläne für den Wiederaufbau der abgebrannten Kirche St. Paul vor den Mauern besichtigten; Schümann 1980, 22. 98 Wenn nur eine Kanzel vorgesehen ist, kann diese auch in der Mittelachse aufgestellt werden, wobei Bunsen nicht genauer ausführt, wie er sich das Verhältnis von Altar zu Kanzel vorstellt. Der barocke Kanzelaltar wird nicht gemeint sein.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
stusstatue hält er nicht für angebracht". Im Querhaus verbleiben bei der Altarstellung in der Mitte noch die zwei Seitenteile: eines dient als Taufkapelle, das andere dem Totenamt. Für die äußere Anlage fordert Bunsen eine Vorhalle oder Atrium und ein oder zwei Glockentürme. Zum Schluß bespricht Bunsen andere Grundformen des Kirchenbaus; Rundbauten lehnt er völlig ab, gotische Bauten sind bedingt möglich. Vergleicht man den Kanon dieser Forderungen Bunsens aus den 20er Jahren mit der Friedenskirche, muß man feststellen, daß im Grunde alle Forderungen erfüllt wurden. Der frei umgehbare Altar war ein Hauptanliegen des Königs, Ambo und Kanzel sind an die Stirnseite des Langhauses gezogen und die beiden Seitenapsiden für die Nebenfunktionen der Taufe und des Totenamtes genutzt 100 . Warum war Bunsen jetzt mit dem König unzufrieden? Die 21 Thesen hatte Bunsen in den frühen Jahren seines Romaufenthaltes entwickelt. Erst danach setzte für ihn die Hauptarbeit an der „Beschreibung der Stadt Rom" ein, deren Erkenntnisse wiederum in sein Basilikenbuch einflössen. Neu waren die inzwischen gewonnenen historischen Erkenntnisse, mit denen er ein differenziertes Bild der früh- und hochmittelalterlichen Baukunst Roms zeichnen konnte. Jetzt stand für ihn fest, daß frühchristliche Kirchen nahezu keine liturgischen Ausstattungsgegenstände besessen hatten. Er stellte fest, daß Pelagius I. im Jahre 577 in St. Peter den ersten Ambo aufgestellt habe' 0 1 . In Verbindung mit den Altarschranken habe dies im 9. Jahrhundert eine völlige Fehlentwicklung eingeleitet, indem sich der Klerus im Hauptschiff gegen die Gemeinde abgeschlossen habe 102 . Ebenfalls erst im neunten Jahrhundert hätten die Altäre Baldachine und die Kirchen Glockentürme erhalten 103 . Auch den Kirchenbau als solchen beurteilte er neu: Habe man bisher geglaubt, daß die Basiliken offene Dachstühle besessen hätten, so war er jetzt überzeugt, daß es überall abgehängte Kassettendecken gegeben habe 104 . Die Friedenskirche freilich besaß einen offenen Dachstuhl, ebenso wie es Knapp für S. d e m e n t e zeichnerisch rekonstruiert hatte. Die reiche liturgische Ausstattung der Friedenskirche zählte nach Bunsens neuen Forschungen zur Verfallszeit der frühchristlichen Kunst. Bunsen schrieb das letzte Kapitel seines Basilikenbuches im April 1841. Im gleichen Monat und in den folgenden besuchte er den König. Hauptzweck waren die Besprechungen wegen der geplanten Bistumsgründung in Jerusalem, jedoch wurde auch über die Planungen der Friedenskirche gesprochen 105 . Bunsens Bemerkungen in seinem Schlußkapitel, in dem es um den Stil
99 Dies ist die einzige Stelle, an der Bunsen ein modernes Kunstwerk nennt. 100 Die nördliche Seitenapside erhielt dementsprechend im Jahr 1866 das Grab des Prinzen Sigismund; Heuer 1939, 545. 101 Bunsen 1842, 48. 102 Bunsen 1842, 49. Mit dieser Datierung irrte Bunsen. Gerade etliche der Schrankenplatten von S. demente wurden vor 577 angefertigt; vgl. zuletzt Eugenio Russo, Due frammenti, la filologia, una Chiesa: ricomposto un pluteo di S. Clemente a Roma, in: Studi in memoria di Giuseppe Bovini (Biblioteca di „Felix Ravenna", 6); 2 Bände Ravenna 1989, II, 597-610. 103 Bunsen 1842, 50. 104 Bunsen 1842, 51. Vgl. dazu aber Friedrich Wilhelm Deichmann, Untersuchungen zu Dach und Decke der Basilika, in: Charités. Festschrift Langlotz; 1957, 249-264; wieder abgedruckt in: ders., Rom, Ravenna, Konstantinopel, Naher Osten. Gesammelte Studien zur spätantiken Architektur, Kunst und Geschichte; Wiesbaden 1982, 212-227, der das Gegenteil nachweist. 105 Im April beim König wegen Jerusalem: Bunsen 1868, II, 159; am 18. 5. Besprechung Persius, Friedrich Wilhelm und Bunsen, keine Einzelheiten erwähnt: Persius 1980, 52; am 4. 6. Besprechung mit Bunsen: wie oben.
2. Potsdam,
Friedenskirche
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und Einrichtung zukünftiger Kirchenbauten geht, sind ganz offensichtlich auf die Friedenskirche bezogen. Zum Bau einer Kirche im frühchristlichen Stil schrieb er: „Endlich aber täusche man sich nicht durch den Reiz der alten Basiliken. In diesem Gefühle ist vereinigt der Reiz des klaren, südlichen Himmels, der warmen Beleuchtung, welche offene Hallen und Säulengänge so herrlich erscheinen läßt, mit dem Zauber des Altertümlichen und des Kontrastes, der gerade dem Unzusammenhängenden, dem Unvollkommenen, dem kindlich Anstrebenden etwas eigentümlich Anziehendes verleiht. Dies läßt sich nicht übertragen; in einem neuen Gebäude, in einer bewußten Zeit, erscheint es als Heuchelei oder Spielerei, im besten Falle als gar nichts. Nur mit großen Beschränkungen können wir also die Nachahmung der Basilikenform anraten, wie sich diese z.B. in San demente und San Lorenzo ausspricht. ... Aus allen diesen Gründen erscheint uns das Gelingen im besten Falle ein sehr bedingtes, ja zweifelhaftes. Durchaus passend können wir die Form nur finden für eine kleine Schloßkirche, als Teil eines in römischem Stile gebauten Palastes. " 1 0 6 Diese öffentliche Kritik an einem Bauprojekt des Königs mutet geradezu ungeheuerlich an, zumal wenn man bedenkt, daß sie in einem dem König gewidmeten Werk abgedruckt wurde. Allenfalls der letzte Satz milderte die Kritik etwas, indem Bunsen den frühchristlichen Stil unter gewissen Randbedingungen für eine Schloßkirche zuließ, wenn das Projekt also Privatsache wäre. Die Kontroverse belastete aber das Verhältnis beider nicht. Aus der veröffentlichten Korrespondenz geht öfters hervor, daß die beiden sich trotz gelegentlicher Meinungsunterschiede immer achteten und freundschaftlichen Umgang pflegten. Die Kontroverse beleuchtet aber in ganz prägnanter Weise die theologischpraktischen und baukünstlerischen Vorstellungen Bunsens und des Königs. Fünfzehn Jahre vorher hatte ihre Bekanntschaft begonnen, als beide in Unzufriedenheit an den damaligen religiösen Zuständen nach neuen Formen suchten und sie im Urchristentum fanden. Beider Interesse galt römischer Geschichte und römischen Monumenten; des einen Sehnsucht zog ihn fast jahrzehntelang vergeblich nach Süden 107 , der andere thronte über zwanzig Jahre inmitten der römischen Welt. In vieler Hinsicht ergänzten sie sich: Der König schätzte die Gelehrtheit und Belesenheit Bunsens, mit der er kaum mithalten konnte, aber auch sein umtriebiges Wesen. Bunsen hatte in Friedrich Wilhelm den idealen Zuhörer für seine Gedanken, den „Vorgesetzten", der sich gegebenenfalls schützend vor seinen Untergebenen stellte, und überhaupt den Förderer seiner Werke. In den letzten Kapiteln wurde gezeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit dieser beiden Männer für den Kirchenbau war. Dabei handelte es sich nicht um einen direkten Einfluß auf ästhetische Fragen, sondern um indirekten Einfluß über historische oder liturgische Probleme. Meist waren es die entsprechenden Vorarbeiten Bunsens, die überhaupt erst die nötigen Voraussetzungen für den Kirchenbau geschaffen haben. Doch schon die Ausgangspunkte Bunsens und Friedrich Wilhelms waren völlig verschieden. Bunsens Denken war von Anfang an historischphilologisch geprägt, Friedrich Wilhelms dagegen architektonisch-romantisch. Nichts kann diesen Gegensatz besser verdeutlichen als die
106 Bunsen 1842, 81-82. 107 Rom faszinierte Friedrich Wilhelm von Kindesbeinen an; ohne dagewesen zu sein, erwarb er sich Kenntnisse der römischen historischen Topographie, die Niebuhr als „märchenhaft" bewunderte: „So disputierte er gegen [den Alterumsforscher Aloys ] Hirt, und hatte Recht..." bekannte er neidvoll in einem Brief an seine Frau vom 26. 3. 1835; Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr; 3 Bände Hamburg 1838-1839, hier III, 140.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Gegenüberstellung ihrer Schöpfungen, der Gesandtschaftskapelle in Rom und der Friedenskirche in Potsdam. Bunsen dachte vollkommen unarchitektonisch und nur wenig künstlerisch. Natürlich entsprach die Gesandtschaftskapelle der Zielvorstellung einer möglichst einfachen Kapelle, um dem Urchristentum nahe zu kommen. Aber jede architektonische Veränderung des Raumes lag ihm fern. Nur der richtige Vollzug der Liturgie war gefordert. Das einzige Kunstwerk des Raumes, das Taufbecken, war liturgisch bedingt und nicht eigens für die Kapelle angefertigt worden, mit Ausnahme der Taufschale, die wiederum als Träger einer liturgisch zu interpretierenden Inschrift diente. Noch nicht einmal einen Namen hatte er der Kapelle gegeben. Das machte erst Friedrich Wilhelm, der Bunsens kapitolinisches Weltverdichtungsgemälde nochmals romantisch überhöhte, als er die Kapelle S. Salvatore sopra Giove nannte. Friedrich Wilhelm dagegen dachte sozusagen immer mit dem Zeichenstift in der Hand. Von frühester Kindheit an zeichnete er, und zwar vornehmlich Architektur. Sein Zeichentalent verband sich früh mit seiner Italiensehnsucht, so daß italienisch geprägte Landschaften und Kirchen vorherrschten. Auch religiöses Denken verband sich bei ihm mit Zeichnen. Während Bunsen zum Beispiel ein Abendmahl nur liturgisch auffassen konnte, war es für Friedrich Wilhelm auch ein Objekt seiner Zeichnungen 108 . Die Liturgie sollte ästhetisch gefaßt werden, die historische Richtigkeit der Architektur oder Ausstattung war dabei nicht so wichtig. Das war der Punkt, an dem die Kritik Bunsens einsetzte.
3.
Die Apostolische Kirche: Umsetzung in die Baupraxis
Die Friedenskirche in Potsdam hat sich in vieler Hinsicht als Idealbau der Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. herausgestellt. Sie entsprach den liturgischen Vorstellungen, die der König sich von einer urchristlichen Gemeinde gemacht hatte. Diese bedingten die spezielle Disposition der liturgischen Ausstattungsstücke. Als stilistisches Vorbild wurden die frühchristlichen, aber auch hochmittelalterlichen Kirchen Roms genommen. Rom galt zu dieser Zeit als die einzige Stadt, in der sich Bauten dieser Epoche in nennenswerter Zahl erhalten hatten. In mehrfacher Hinsicht ist nun die Umsetzung dieses Prototyps im preußischen Kirchenbau zu verfolgen, und zwar in zwei einzelnen Projekten, nämlich dem Berliner Dom und der Jerusalemer Bistumskirche, ferner in einer Reihe von Neubauten in Berlin und etlichen Kirchenrestaurierungen in Preußen. Schließlich sind noch einige besondere, vor allem soziale Einrichtungen zu nennen. Als Prinzip wird sich dabei erweisen, daß drei Faktoren den Grad der Ausführung wesentlich bestimmt haben, nämlich die Entfernung von Berlin, der kirchliche Rang des Objektes und das Interesse des Königs 1 , und daß zwei Aspekte immer im Vordergrund standen, die auch wesentlich das Kirchenmodell Friedrich Wilhelms ausmachen: Pastoral und Diakonie. Die zwei großen Projekte der Jerusalemer Kirche und des Berliner Domes sollen hier nur kurz genannt werden, um von der Vollständigkeit des Programms ein Zeugnis abzulegen. Aus-
108 Vgl. die Abendmahlsdarstellung von Friedrich Wilhelm IV, abgebildet bei Albert Geyer, König Friedrich Wilhelm IV. und seine Bauten, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 42, 1925,81-88, Abb. S. 83. 1 „... in der Provinz wehte dieser Geist schwächer" formulierte Börsch-Supan dieses Phänomen, die es allerdings rein künstlerisch meinte; Persius 1980, 29.
3. Die Apostolische Kirche: Praxis
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gangspunkt dieses Kirchbauprogramms mußte notwendigerweise die Bischofskirche in Jerusalem sein, denn die Suche nach der urchristlichen Kirche mußte an der Wirkungsstätte Christi ihr Ziel haben. Wie schon geschildert wurde, lag dem preußischen Plan einer Bischofskirche eine frühchristliche Kirche zugrunde, einem Projekt, bei dem Preußen sich allerdings nicht gegen England durchsetzen konnte. Außerdem erscheint der Gedanke, daß der König regelmäßig seine kirchenpolitischen Vorstellungen in Architektur umzusetzen versuchte, so zwingend, daß damit auch der Grund für Schinkels Beschäftigung mit der Grabeskirche gegeben wurde. Bei dem wenigen Sicheren, was wir über Schinkels großen Plan der Grabeskirche wissen, ist davon auszugehen, daß er sich nicht aus eigenem Antrieb damit beschäftigte 2 , sondern daß es sich um einen Auftrag Friedrich Wilhelms handelte oder durch intensive Gespräche mit ihm entstand; aus königlichem Besitz gelangte das Blatt dann im Jahr 1845 in das Schinkel-Museum 3 . Jedoch kann die Zeit, als das Jerusalemer Bistum eingerichtet oder konkret darüber verhandelt wurde, nicht in Frage kommen; zu dieser Zeit war Schinkel bereits nicht mehr arbeitsfähig. Von Seiten Friedrich Wilhelms sind bislang keine Äußerungen bekannt, mit denen dieses Projekt zeitlich zu fixieren wäre; seine religiöse Vertiefung sowie seine kirchenpolitischen Interessen reichen, wie gesagt, weit zurück. Die Kompositionselemente dagegen, die Schinkel verwendet, gestatten eine bessere Datierung; sie legen eine Entstehungszeit um oder nach 1835 nahe 4 . Das Projekt des Berliner Domes ist zu umfangreich, als daß es hier angemessen behandelt werden könnte. Bei ihm handelt es sich schließlich um die Hauptkirche Preußens. Die Gründe, die zum Scheitern der Planungen führten, lagen, anders als in Jerusalem, nicht außerhalb Preu-
2 Die Aufgabe, sich rekonstruierend mit der Grabeskirche zu beschäftigen, war für Architekten erst einige Zeit später aktuell. Die Forschungsgeschichte zur Grabeskirche ist präzis dargelegt bei: August Heisenberg, Grabeskirche und Apostelkirche; 2 Bände Leipzig 1908; hier I, 5-15 und Tafel I mit einer Zusammenstellung der bisherigen Rekonstruktionen. Danach war Robert Willis 1844 offenbar der erste Architekt; ihm folgte der Archäologe Zestermann 1847, im Rahmen seiner Basilikaforschungen. - Das Blatt als Schinkels selbst gestellte Aufgabe anzusehen und als um oder vor 1840 entstanden anzunehmen, braucht also eine Begründung dieser Innovation; dafür gibt es aber im architektonischen Werk Schinkels keinen Hinweis. 3 Da zu diesem Blatt keine schriftliche Überlieferung besteht, ist die Besitzfrage, die über den Zweck des Blattes Auskunft zu geben vermag, überaus wichtig. Bis in jüngste Zeit und gerade in den letzten Jahren (Kühn, Schütz, Steckner) wurde diese Frage kontrovers behandelt. Endlich wurde in: Schinkel Lebenswerk Ausland 1989, 289 (hier bis 311 die ausführliche Behandlung des Blattes durch Margarete Kühn) die archivalische Quelle Wort für Wort zitiert, nach der Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1845 das Blatt dem Schinkelmuseum überwiesen hatte. Im Vorwort von Wolzogens Katalog des Schinkelmuseums von 1864 S. XII war die korrekte Herkunft jedoch bereits genannt. 4 Schütz 1988, 110 nennt und begründet die Datierung 1835 postquem, Kühn plädiert im Schinkel Lebenswerk Ausland S. 289ff. für die Jahre 1839/40. In Abwägung der von Schütz und Kühn genannten Argumente und Begleitumstände scheint mir folgendes besonders wichtig: Schinkel rekonstruierte eine ideale Grabeskirche nach dem Text des Eusebius und verarbeitete dabei eigene Entwürfe, und zwar Bühnenentwürfe für den Hintergrund, eigene Idealprojekte für die Kirche und die Klause bei Kastel für das Felsengrab. Nach einer Besprechung mit dem Palästinaforscher Robinson, der 1838/39 in Berlin weilte, wäre das in dieser Form nicht mehr möglich gewesen. Das spricht für eine Datierung zwischen 1833 und 1838.
II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
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ßens. Lange gedankliche Vorarbeiten waren seit den 20er Jahren geleistet worden 5 . Gleich als der König im Januar 1842 das Projekt eines neuen Dombaues im Kabinettsrat bekanntgab und eine Dombaukommission einsetzte, wurden die unterschiedlichen Interessen der Architekten, Theologen, Ministerien und des Volkes deutlich. Als in der Krise des Jahres 1848 der König die Finanzhoheit an die Ministerien abtreten mußte, bedeutete dies den vorläufigen Schlußpunkt hinter den Dombauplanungen 6 .
Die neuen Berliner Kirchen Mehr Glück hatte der König darin, andere Kirchenbauvorstellungen in der Residenzstadt Berlin zu verwirklichen. Das verdankte er zum Teil dem enormen Wachstum der Stadt. Innerhalb seiner Regierungszeit, von 1840 bis 1861, stieg die Einwohnerzahl von 329 000 auf fast 522 000 7 . Für die Seelsorge, die dem König besonders am Herzen lag, wurde also eine ganze Reihe von neuen Kirchen benötigt. Wenn auch Friedrich Wilhelm bestimmt nicht für alle kirchlichen Neubauten dieser Zeit verantwortlich war, so ist es aber doch bezeichnend, daß zu den 15 bisher in Berlin bestehenden Kirchgemeinden allein unter ihm neun neue hinzukamen, die Gemeindegrößen also ungefähr beibehalten werden konnten 8 . Der prägende Einfluß des Monarchen sollte sich nur teilweise im Baustil der Kirchen ausdrücken. Wichtiger ist, daß die Gemeindebildungen eine programmatische Absicht veranschaulichen, indem nämlich die apostolische Kirchenidee Friedrich Wilhelms realisiert wurde. Alle Gemeinden und mit ihnen die Kirchen erhielten einen Apostelnamen, so daß sich um 1860 ein Kranz von „Apostelkirchen" um Berlin gebildet hatte (Abb. 53). Dieses Programm war vor allem in seiner Totalität neu. Denn einzelne Apostelkirchen hatte es schon vorher in Berlin gegeben, angefangen mit der Petrikirche in Cölln, einer der Urzellen Berlins. Unter seinem Vorgänger, Friedrich Wilhelm III., wurden dann außerhalb der Stadt, im Nordwesten, vier Kirchen gebaut, die Namen von Personen und Orten der urchristlichen Zeit erhalten hatten: Johannes der Täufer, dessen Mutter Elisabeth, Paulus und Nazareth. Durch die Hinzunahme des Frauen- und des Ortsnamens war die Liste der Namen allerdings ihres Akzentes beraubt und nicht so aussagekräftig. Bau und Namenswahl war aber nicht nur Sache des Königs; auch der damalige Kronprinz hatte seinen Anteil daran. Ebenfalls als Kronprinz hatte Friedrich Wilhelm direkt in die Planung einer anderen Stadtvergrößerung Berlins eingegriffen, nämlich als es um die Bebauung des Köpenicker Feldes im Südosten der Stadt ging 9 . Es war die letzte partielle Stadterweiterung Berlins vor dem umfassenden Plan Hobrechts u m 1860, der die Entwicklung des städtebaulichen Bildes Berlins bis zum Ersten Weltkrieg vorprägen sollte 10 . Im Köpenicker Feld, dem einzigen wirklich neuen Bebauungsgebiet Berlins um 1840, konnte Friedrich Wilhelm am Anfang seiner Regierungszeit seine Kirchenbauvorstellungen programmatisch entwickeln, indem er eine protestantische und eine katholische Kirche bauen ließ. Bei St. Michael handelte es sich überhaupt erst um die zweite katholische Kirche Berlins. 5 6 7 8 9 10
Steckner 1987. Schümann 1980, 51-66. Schinz 1964, 115. Gemeint sind evangelische Gemeinden, die bis ca. 1860 gebildet wurden. Schinz 1964, 117-119. Schinz 1964, 121-125.
3. Die Apostolische Kirche: Praxis
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Sie war schon lange von der katholischen Bevölkerung gefordert worden. Im Jahr 1844 genehmigte der König den Bau, der von 1851 bis 1861 von August Soller ausgeführt wurde. Die geringen finanziellen Möglichkeiten der armen katholischen Bevölkerung Berlins verzögerten die Bauausführung trotz königlicher Unterstützung stark 11 . Die evangelische St. Jacobikirche im gleichen Stadtviertel lag Friedrich Wilhelm allerdings mehr am Herzen 12 ; mit ihr begann er sein Berliner Kirchbauprogramm, hier übernahm er das Patronat und einen großen Teil der Kosten (Abb. 50). Der König „hatte Befehl gegeben, ohne Verzug zu beginnen"13; er war sowohl zur Grundsteinlegung am 2. Juli 1844 als auch zur Einweihung am 5. Oktober 1845 mit der obligaten Schlüsselübergabe anwesend und bestimmte den Namen der Kirche 14 . Den vom König geäußerten Wunsch einer frühchristlichen Kirche hat August Stüler, der führende Architekt nach Persius' frühem Tod, in typologischer Hinsicht voll erfüllt. Die St. Jacobi-Kirche ist deutlich der Potsdamer Friedenskirche verpflichtet, wenn sie auch insgesamt freier mit den historischen Formen umgeht. Das im Inneren eingfügte Emporengeschoß erinnert an die gleiche Disposition der römischen Kirche S. Agnese fuori le mura. Analog der Friedenskirche erschließt ein Atrium von der Straße her den Zugang zu dem ganzen Komplex, nämlich zur Kirche und zu den beidseitig anschließenden Gebäuden, dem Pfarrhaus und der Schule. Der straßenseitige Atriumsflügel fehlt 15 . Dadurch ergibt sich eine bewegte Silhouette des Ganzen, die zurückspringende Kirchenfassade wird in der engeren städtischen Bebauung besser zur Wirkung gebracht. Seitlich der Fassade ragt ein steiler Campanile in den Himmel. Das sanfte Rot der Backsteinbauten verbindet sich wirkungsvoll mit dem Grün des bepflanzten Atriums und weckt italienische Illusionen. Innerhalb des Berliner Stadtkirchenprogramms wurde hier nicht nur das Bauprogramm nach den Idealvorstellungen des Königs am vollständigsten verwirklicht, sondern es wurden auch die kirchlichen Institutionen komplett etabliert. Neben Kirche, Pfarramt und Schule wurde auch für die Diakonie gesorgt, indem eine Armenpflege eingerichtet wurde. Dafür hatte Friedrich Wilhelm IV. 1842 eigens eine Abordnung nach England geschickt, um die kirchlichen Verhältnisse zu studieren. Nach ihrer Rückkehr wurden an St. Elisabeth und St. Jacobi Armenpflegen eingerichtet, die vorbildhaft wirken sollten 16 .
11 Der König wandte dem Bau durchaus seine Aufmerksamkeit zu; er war bei der Grundsteinlegung anwesend und gab größere Geldbeträge. Vgl. die einzige moderne Darstellung, besonders auch wegen der politischen Ikonographie des Baus: Kammel 1991. 12 Literatur: Die ersten 25 Jahre der St. Jacobi-Gemeine zu Berlin. Ein geschichtlicher Rückblick; Berlin 1874; Fritz Radicke, Die St. Jacobi-Gemeinde zu Berlin. Gedenkschrift zum 125jährigen Jubiläum; Berlin 1970; Börsch-Supan 1977, 129; Kühne/Stephani 1986, 58; Klinkott 1988, 101-104. 13 So in einem Brief der Gemeinde an den König vom 18. 6. 1844; Berlin GStAPK 2.2.1. 23286, Bl. 36. 14 25 Jahre St. Jacobi (Anm. 12), 11-21. 15 Die städtische Baudeputation hatte Stülers Plan kritisiert. Er lieferte aus der historischen Baulehre Beweise, daß seine Entwürfe richtig und kostengünstig seien, insbesondere Atrium und Emporen, mit Verweisen auf Atriumanlagen im Vatikan und die Emporen von S. Agnese; Brief der Baudeputation an Staatsminister Eichhorn vom 19. 5. 1844; Berlin GStAPK 2.2.1. 23286 Bl. 75-80. 16 Klaus Duntze, Berlin auf dem Wege zur Weltstadt im 19. Jahrhundert. Soziale Notstände und kirchliche Bemühungen zur Abhilfe, in: Berliner Theologische Zeitschrift 10, 1993, 104-134, hier 110-111.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Die Kirche erhielt den Namen des Apostels Jakobus. Deutlicher waren die Pläne Friedrich Wilhelms kaum auszudrücken: Jakobus der Jüngere, der Bruder Jesu, leitete die Jerusalemer Gemeinde, gilt als ihr erster Bischof 17 . Die für Jerusalem geplante Kirche, die von der englischen Seite nicht akzeptiert worden war, hatte die gleiche Disposition 18 . Mit diesem Namen war der Reigen der Apostelkirchen Berlins würdig eröffnet. Zu dem Programm gehörten nicht nur Neubauten. Auch die älteren Bauten wurden miteinbezogen. Dafür wurden, wenn nötig, an ihnen auch bauliche Veränderungen vorgenommen. Schinkels St. Johanniskirche in Moabit war ja eine Basilika, besaß also durchaus einige der von Friedrich Wilhelm geforderten Qualitäten. Aber sie genügte seinen Vorstellungen trotzdem nicht. 1844 erhielt Stüler den Auftrag, sie im Sinne von St. Jacobi zu verändern: Er blendete ihr eine Vorhalle vor - als letzten Rest des Atriums - , um die Kirche vom profanen Raum besser abzusetzen, und fügte flankierend Pfarr- und Schulhaus und einen Campanile bei. Trotz verschiedener persönlicher Auffassungen der Architekten von Kirche und Erweiterungsbauten sind die Gebäudeteile gut aufeinander abgestimmt (Abb. 51) 19 . Diese Zusammenfassung aller kirchlichen Funktionen an einem Ort - und dazu zählte damals auch der Schulunterricht - war für Friedrich Wilhelm ein wichtiges Anliegen. Bereits bei der Planung der Vorstadtkirchen hatte er als Kronprinz darauf gedrungen, allen vier Kirchen jeweils ein Pfarrhaus beizugeben; sein Vater hatte aber nur eines bei St. Paul genehmigt. In seiner eigenen Regierungszeit konnte Friedrich Wilhelm IV. das Fehlende nachholen 20 . Zur gleichen Zeit begonnen wurde ein weiteres Wiederherstellungsprojekt, das exemplarisch die verschiedenen Kräfte aufzuzeigen vermag, die eine einheitliche Ausführung der Kirchenbauten verhinderten. Es handelt sich dabei um die St. Petrikirche. Diese älteste Pfarrkirche Cöllns, die mit ihren Anfängen bis auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, war im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte mehrmals grundlegend neu gebaut worden. Als die barocke Kirche, die im Jahr 1733 eingeweiht worden war, im September 1809 abgebrannt war, wurde die Kirche nach vergeblichen Bemühungen Schinkels um einen Wiederaufbau aufgegeben, die Gemeinde in der alten Klosterkirche untergebracht und an Stelle der Ruinen ein Park angelegt 21 . Da die Klosterkirche in den folgenden Jahren restauriert wurde, war für die St. Petrikirche die Notwendigkeit eines Wiederaufbaus überhaupt nicht mehr vorhanden 2 2 .
17 Friedrich Wilhelm IV. schrieb am 23. 2. 1845 in seinem Aufsatz: „Durch Einsetzung des DienerAmtes (des Diakonats) und durch die Bestallung St. Jakobs (des Bruder des Herrn) zum Vorsteher der Gemeinde vollendeten sie den Bau der Kirche von Jerusalem;" Gerlach 1903, II, 455. Die Identifizierung von Jakobus als Herrenbruder wird aber von protestantischen Forschern weit mehr angezweifelt als von katholischen. Hier liegt also wieder ein „katholisierendes" Verhalten des Königs vor, ähnlich wie in dem Umstand, die Kirchennamen mit dem Attribut „St." zu bezeichnen (wie er es als Kronprinz schon bei den Berliner Vorstadtkirchen - St. Elisabeth - getan hatte!). 18 Schütz 1988, 133. 19 Kühne/Stephani 1986, 266-268; Börsch-Supan 1977, 129; besonders aber die eindringliche Analyse bei Klinkott 1988, 104-106, der auch die meisten anderen hier besprochenen Kirchen ausführlich würdigt. 20 Röper-Vogt 1991, 159-160. 21 Kühne/Stephani 1986, 350-351; Badstübner 1987b, 59-60. - Weihe am 16. Oktober 1853 mit Schlüsselübergabe; Die neue St. Petrikirche in Berlin, in: Illustrine Zeitung 21, 1853, Nr. 541, 308-309. 22 Auch die Klosterkirche wurde auf Weisung Friedrich Wilhelms IV. instandgesetzt; Kühne/Stephani 1986, 354-356; Badstübner 1987b, 149-150.
3. Die Apostolische Kirche: Praxis
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Es bedurfte des Apostelkirchenprogramms Friedrich Wilhelms IV., um die St. Petrikirche wieder erstehen zu lassen, denn sonst hätte der Name Petri in der Reihe der Kirchen gefehlt 23 . Ein Charakteristikum der bis 1853 ausgeführten, stark zentralisierenden Kirche war ihr hoch aufragender, auch für gotische Verhältnisse fast überhöht wirkender Kirchturm. Auf Kirchtürme legte Friedrich Wilhelm besonderen Wert; bei St. Johannis hatte er bereits wegen der Wirkung im Stadtbild auf ein schnelle Ausführung des Campanile gedrängt 24 . Berlin sollte also schon von außen als eine christliche Stadt erkannt werden. Gleichzeitig mit den oben besprochenen Kirchen wurde St. Matthäus im noblen Südwesten gebaut 25 . Stüler konnte sich mit dieser dreischiffigen Hallenkirche stärker von historischen Vorbildern lösen und schuf einen Kirchtyp, der in der Folgezeit mehrmals wiederholt wurde 26 . Gehobenes Bürgertum und Mitglieder des Königshauses verschafften dieser Kirche eine überdurchschnittliche Ausstattung und eine herausragende Stellung im Berliner Kirchenkreis 27 . Das Unruhejahr 1848 bewirkte eine deutliche Verlangsamung des Bauprogramms. Mit St. Markus, dem bedeutendsten Kirchenbau nach 1848, schuf Stüler einen originellen Rundbau im Stil der Florentiner Inkrustationsbauten, der mit einer verkleinerten Kopie der Florentiner Domkuppel bekrönt wurde 28 . St. Philippus aus den Jahren 1851/52 wurde kunsthistorisch nie behandelt, weil die Kirche im armen Berliner Norden vollkommen anspruchslos war 29 . Erst in der Mitte der 1850er Jahre kam wieder etwas Schwung in die Berliner Kirchbaupolitik. Im Osten wurden die St. Andreas- 30 und St. Bartholomäus-, im Süden die St. Lukas- und im Norden die Johannes-Evangelist-Gemeinde gebildet. Letztere, wieder im Armenviertel gele-
23 Die Entwürfe des im Jahr 1844 veranstalteten Wettbewerbs zeigten die ganze Bandbreite der historischen Stile: Strack lieferte zum Beispiel einen romanischen Entwurf ab, Salzenberg einen byzantinischen mit klassizistischen Elementen. Schinkels Entwürfe aus der Zeit nach dem Kirchenbrand waren das insgeheim gesteckte Ziel besonders der Bevölkerung. So kam es, daß Strack zwar gewann, er aber verpflichtet wurde, einen gotischen Entwurf auszuführen; Börsch-Supan, 1977, 46, 132, 164 und Abb. 562-564. Die im Krieg beschädigte Kirche wurde nach 1960 abgerissen. 24 Klinkott 1988, 106. 25 Der König hatte am 20. 7. 1844 das Patronat übernommen. Am 11.8. 1845 fragte der Friedrichstädtische Kirchbauverein wegen der Namengebung an; vorgeschlagen wurde: 1. Matthäus oder Lukas zur Vervollständigung der Evangelistennamen, 2. Joachims nach dem Wunsch eines Wohltäters der Gemeinde, der an Kurfürst Joachim und die Einführung der Reformation erinnern wollte; der König entschied sich für St. Matthäus; Berlin GStAPK 2.2.1. 23307 Bl. 3, 61, 66. 26 Vgl. unten Anm. 99. Auch die Berliner St. Bartholomäuskirche benutzt sie als Vorbild. 27 Kühne/Stephani 1986, 268-269; Börsch-Supan 1977, 38; Klinkott 1988, 97-101; Eva BörschSupan, Die St. Matthäus-Kirche zu Berlin (Große Baudenkmäler Heft 234); München 1969; 2. Aufl. 1975. Die Kirche ist nach dem Zweiten Weltkrieg außen leicht, innen stark verändert wiederaufgebaut worden. 28 Einweihung 1855, heute zerstört; Kühne/Stephani 1986, 397; Börsch-Supan 1977, 131-132; Klinkott 1988, 106-109. 29 1884 erweitert, im 2. Weltkrieg zerstört; Kühne/Stephani 1986, 386. 30 Die Kirche von Strack und Holtzmann wurde 1856 fertiggestellt, heute zerstört; Kühne/Stephani 1986, 398.
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11. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
gen, konnte zunächst nur eine Kapelle bauen; erst 1898 folgte die eigentliche Kirche nach einem Plan von Max Spitta 3 1 . Zur Gründung der St. Lukasgemeinde hatte der König 1857 ein Gnadengeschenk gewährt, um einen Bauplatz erwerben zu können. Möller baute nochmals eine Kirche mit einer Vorhalle; ein letztes Mal wurde dieser Gedanke der frühchristlichen Kirchen aufgenommen, jedoch orientierten sich die Formen jetzt mehr am norditalienischen Quattrocento 3 2 . Besondere Aufmerksamkeit widmete der König noch der St. Bartholomäuskirche, für die er das Patronat übernommen hatte. Stüler entwarf sie nach einem modifizierten Plan der St. Matthäuskirche, den Friedrich Adler 1854 bis 1858 ausführte. Friedrich Wilhelm stiftete die drei Glasfenster der Apsis, zu denen Adler die Vorlagen schuf. Das mittlere stellt die Berufung des Bartholomäus durch Jesus nach d e m Johannesevangelium dar und ist ein direkter Hinweis auf die apostolische Einsetzung der Kirche, wie der König sie sich vorstellte 3 3 . In den letzten Lebensjahren des Königs kehrten die Kirchbauprojekte in das Stadtviertel zurück, das Friedrich Wilhelm als Kronprinz mitgeplant hatte und wo seine erste Apostelkirche gebaut worden war. Daß er während seiner Krankheit noch selber Entscheidungen in diesen Angelegenheiten getroffen hat, erscheint eher fraglich. Aber das Programm ist zumindest in seinem Sinne fortgeführt worden. In der Luisenstadt, die seit dem Bau der St. Jacobi-Kirche kräftig gewachsen war, war ein neuer Kirchbau nötig. Ab dem Jahr 1859 ist die Planung der Pfarrei St. Thomas verfolgbar, die jedoch erst in den 1860er Jahren eingerichtet wurde. Mit der Ausführung des Baus durch Friedrich Adler in den Jahren 1865 bis 1869, der eine neue Ära des Kirchenbaus einleitete, sind wir aber schon weit über das Zeitalter Friedrich Wilhelms hinausgelangt 3 4 . Im Jahr der Weihe von St. Thomas wurde schließlich die St. Simeons-Gemeinde gegründet, die sich anfangs mit einer Notkirche behalf. Franz Schwechten sollte 1893 bis 1897 diese letzte Apostelkirche in würdige Formen bringen 3 5 . Es wurde mit hinreichender Genauigkeit gezeigt, daß fast ausschließlich Kirchen mit Apostel- beziehungsweise mit Evangelistennamen in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. neu eingerichtet wurden. Nun sind auch vor und nach ihm Kirchen mit solchen Namen versehen worden, wenn auch nur wenige. Ist es trotzdem möglich, diese Idee noch klarer für Fried-
31 Kühne/Stephani 1986, 391; Badstübner 1987b, 189. 32 Bauzeit 1859-61. Die Kirche wurde nach dem 2. Weltkrieg vereinfacht wieder aufgebaut; CKB 1861, 80; Gustav Möller, Die St. Lukaskirche zu Berlin, in: CKB 1861, 129-136; Kühne/Stephani 1986,58-61. 33 Die Gemeinde war relativ reich, so daß sie sogar während der Bauzeit der Kirche eine eigene Kapelle bauen konnte, etwas, was andere Kirchgemeinden sich nur als dauerhafte Notlösung leisten konnten, wie eben bei St. Johannes. Der König bestimmte als Namen den des Erzmärtyrers St. Stephan. Später wurden der Kirche die Originalmodelltüren der Wittenberger Schloßkirche, die Quast 1856 angefertigt hatte, geschenkt; Friedrich Adler, Die St. Bartholomäus-Kirche zu Berlin, in: CKB 1859, 81-87; K. S„ Die St. Stephanskapelle zu Berlin, in: CKB 1861, 93-96; DBZ 13, 1879, 30 (Wittenberger Schloßkirchtüren); Kühne/Stephani 1986, 378; Badstübner 1987b, 196-197. 34 Kühne/Stephani 1986, 62-63; Börsch-Supan 1977, 134-135; Klinkott 1988, 142-144, 247-249. Der Aktenlauf im EZA für St. Thomas beginnt 1859. Bereits bei der Gründung der St. Jacobigemeinde war im Osten des Köpenicker Feldes eine eigene Kirchgemeinde vorgesehen worden; Berlin GStAPK 2.2.1. 23286, Bl. 11. 35 Kühne/Stephani 1986, 71.
3. Die Apostolische Kirche: Praxis
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rich Wilhelm in Anspruch zu nehmen? Wenn er zum Beispiel genau zwölf Kirchen errichtet hätte, wäre die Vorstellung der apostolischen Kirche sofort für jedermann ersichtlich. Doch im Stadtbereich von Berlin wurden nur neun Kirchen gebaut, ohne eine erkennbare Lücke im Stadtplan zu offenbaren 3 6 . Hier helfen die oben kurz genannten späteren Aufsätze des Königs, in denen er seine Vorstellungen präzisiert: „Eine Kirche der ersten Jahrhunderte war faktisch und mußte dem Begriff nach ein übersehbares Ganzes von geringem Umfang sein, eine Volksmasse enthaltend nicht größer, als daß der Vorsteher - anfänglich ihr alleiniger Seelsorger sie heimsuchen, sie kennen, ein persönliches Verhältnis mit ihren Familienhäuptern anknüpfen und pflegen konnte. Die Institution der neun Suburban-Kirchen um die Weltstadt Rom beweist mir das Dasein dieses Prinzips ... Meiner Ansicht nach verdanken wir diese herrliche Einteilung in Pfarren zuerst diesem Bedürfhisse des Bischofs von Rom"31 und später: „So würde ich z.B. (bis auf bessere Belehrung) für Berlin die Einteilung in neun Kirchen vorschlagen und zwar in Berlin, Cölln, Neustadt, Werder, Friedrichstadt, Luisenstadt, St. Georgen, St. Sophien und Voigtland ... Vielleicht wäre die Zahl von 50 000 Einwohnern, jedoch ohne Pedanterie, als Normalzahl festzuhalten, über die eine Kirche nicht anwachsen dürfte,"38 Der König wollte also nicht eine symbolische Apostelzahl in Bauwerken anschaulich machen, sondern hatte viel konkretere Absichten. Es ging ihm darum, sein apostolisches Konzept auf die Großstadt Berlin anzuwenden. Der Vorteil der apostolischen Gemeinde lag für ihn in ihrer Übersichtlichkeit und relativ geringen Größe. Dieser Vorteil mußte in einer Großstadt verlorengehen. Hier sah er das Modell der Bischofsstadt Rom, in der suburbane Kirchen eingerichtet seien. Offensichtlich meinte er damit die suburbikarischen Bistümer, die um Rom herum gegründet worden waren, um dem Papst eine Anzahl Bischöfe zur Unterstützung der Regierungsgeschäfte zur Verfügung zu stellen, eine Institution, aus der das Kardinalat erwachsen ist 39 . Nach dem Modell von Rom also sollte Berlin in neun kirchliche Bezirke geteilt werden. Und tatsächlich sind unter Friedrich Wilhelm IV. neun Kirchen gebaut worden. So erklärt sich auch, warum unbedingt die St. Petrikirche wiederhergestellt werden mußte: Über Petrus wurde der Bezug zu Rom hergestellt. Mit neun Kirchen war nach Meinung des Königs, der „völlig davon durchdrungen (war), daß nur durch Einrichtung von kleineren Kirchensprengeln eine wahre Seelsorge zu erlangen ist" 40 , auch annähernd die richtige Gemeindegröße hergestellt: Ungefähr 50 000 Seelen rechnete er pro Pfarrei. Entsprechend der Einwohnerzahl genügten die neuen Kirchen, wenn auch bestimmt von Seiten der Geistlichkeit große Vorbehalte gegen solche riesigen Gemeinden vorgebracht wurden.
36 Der einzige unverhältnismäßig große Abstand zweier Kirchen ist zwischen St. Philippus und St. Matthäus auszumachen, doch dazwischen war weitgehend unbebautes Gelände: der Tiergarten vor dem Brandenburger Tor. 37 Aus dem ersten Ausatz Friedrich Wilhelms IV., vom 23. Februar 1845; Hervorhebung von mir; Gerlach 1903, II, 468. 38 Aus dem zweiten Aufsatz vom 8. Dezember 1845; Gerlach 1903, II, 480. 39 Rudolf Hüls, Kardinäle, Klerus und Kirchen Roms: 1049-1130 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 48); Tübingen 1977, 3-4 zur Entwicklung der Kardinalbischöfe und zu ihren Bischofssitzen. Allerdings stimmt die Zahl 9 nicht: es waren immer 7 suburbikarische Bischöfe, aber mit im Laufe der Zeit teilweise wechselnden Bischofssitzen. 40 Äußerung des Kömigs am 24.9. 1843 anläßlich der Vorbereitungen der Gründung der St. Jacobigemeinde; Berlin GStAPK 2.2.1. 23286, Bl. 3.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Inzwischen hebt sich das Konzept Friedrich Wilhelms IV. klarer von den Kirchengründungen seiner Vorgänger und Nachfolger ab. Bezieht man die Neun-Zahl in die Überlegungen mit ein, so wird klar, daß weder Schinkels Vorstadtkirchen noch St. Simeon und St. Thomas direkt zu dieser Planung gehören konnten; lediglich St. Johannis in Moabit, eine von Schinkels Kirchen, kann miteinbezogen werden, weil sie zwar unter Friedrich Wilhelm III. entstanden, aber unter seinem Nachfolger mit der charakteristischen Vorhalle versehen worden ist. Immerhin ergibt das so gewonnene Bild der Apostelkirchen einen sehr geschlossenen Eindruck. Auch die Verteilung auf die Stadtbezirke ist annähernd nach den 1845 vom König niedergeschriebenen Gedanken geschehen 41 , wenn man beachtet, daß mit jedem Stadtteil jeweils eine neue Kirche verbunden wurde: Luisenstadt steht also nicht für die alte Luisenstädtische Kirche, sondern für die in diesem Stadtteil neu eingerichtete St. Jacobikirche, St. Georgen meint nicht die alte Pfarrkirche, sondern die neue St. Bartholomäuskirche etc. Die meisten der neuen Kirchen lagen zur Zeit ihrer Erbauung vor der Stadt: St. Matthäus im Südwesten vor der Zollmauer in einer kleinen Vorstadt, St. Bartholomäus am östlichen Stadtrand direkt an der Zollmauer, St. Jacobi als einzige innerhalb eines geplanten neuen Viertels, das jedoch noch lange nicht komplett bebaut war. Diese Kirchen mit ihren Campaniii rahmten das Stadtbild vor 1860 ein, die den Eindruck machten, suburban zu sein: Zumindest Friedrich Wilhelm IV. dachte im Anblick dieser Stadtsilhouette an das frühchristliche Rom mit seinen der Stadtmauer vorgelagerten Kirchen 42 .
Preußische Bistumskirchen Friedrich Wilhelms Traum einer Apostolischen Kirche ging aber noch weiter. In seinem ganzen Reich waren Bistümer wiederzubegründen, es ging um die Wiederherstellung der alten Hierarchie. Auch unter diesem Aspekt war also ein klares Programm vorgegeben. Doch hier war die Aufgabe eine andere als in Berlin: Es ging nicht um die Einführung einer neuen Ordnung, sondern um die Wiederherstellung der alten. In seiner blumigen Sprache hatte der König in dem Brief vom 10. Juni 1855 an Bunsen, in dem es um Kirchenverfassungen ging, formuliert: „Ich sage fest ohne Wanken meine Überzeugung, daß die Kirche [d.i. die Kirchenverfassung; J. K.J gebaut ist, daher kein Christ das Recht hat, einen anderen Bau zu fördern, als den gegebenen. In den alten Kirchen ist der Bau dergestalt mit Menschenwerk beklext und unkenntlich gemacht, daß er mit dem der Lateranen Basilik zu vergleichen ist (wo alles Ursprüngliche darin steckt und nicht verhindern kann, daß die Kirche wie ein Betsaal aussieht). Wir Evangelische haben entweder eine Hütte neben der eklig gewordenen Kirche konstruiert oder das alte Gebäude konserviert, den Schmuck herausgeworfen und sinnlose Einbauten gemacht. Ich sage,
41 Die Briefe hatten keinen Rechtscharakter. So konnte es also durchaus noch Verschiebungen geben; der König deutete selber an, daß diese Ausführungen nicht zu wörtlich zu nehmen seien. 42 Wahrscheinlich ist deswegen für St. Jacobi als Vorbild S. Agnese gewählt worden, das ebenfalls vor den Stadtmauern lag. Dazu kommt, daß S. Agnese innerhalb eines Katakomben-, also Friedhofgebietes liegt. Tatsächlich sah die erste Planung Friedrich Wilhelms vor, die neue Kirche auf dem Friedhof des Jakobsspitals zu errichten, der in dieser Gegend außerhalb des bebauten Gebietes lag. Die Verhandlungen waren jedoch erfolglos; Brief der Gemeinde vom 4. 12. 1843; Berlin GStAPK 2.2.1. 23286 Bl. 17-20.
3. Die Apostolische Kirche: Praxis
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„wollen" „wir" „leben", so müssen wir zuerst hinein, dann die Verunstaltung hinauswerfen und, auf des HErren feste Zusage, den alten Bau zu Tage fördern."43 In diesem Vergleich erinnerte Friedrich Wilhelm ein Kirchengebäude, um zu zeigen, wie die alte Kirchenordnung wiederherzustellen sei. Dieses zweite Ziel hat er nie erreicht. Aber er schaffte es umgekehrt, die Kirchengebäude zu säubern und in alter Weise wiederherzustellen, um sie auf ihre neue Rolle vorzubereiten ! Im Falle der alten Bischofssitze seines Landes ging es also nicht um Neubauten, sondern um Restaurierung (Abb. 54). Tatsächlich können wir in vielen der in seinem Brief genannten Bischofskirchen die ersten Restaurierungsprojekte entdecken, nachdem die Kirchen jahrzehnte-, teilweise jahrhundertlang nicht mehr gründlich instandgehalten worden waren. Die Ausgangslage der Untersuchung ist allerdings schwieriger. Den kirchlichen Neubauten Berlins war ihre programmatische Absicht aufgrund der Namenswahl, teilweise auch durch die Stilwahl, ziemlich leicht anzusehen. Dieses Verfahren funktioniert bei den Bischofskirchen nicht, denn sie sollten den alten Namen beibehalten und in die alte Form zurückversetzt werden. Diese Argumente treffen freilich auf alle denkmalpflegerischen Maßnahmen dieser und auch späterer Zeiten zu. Gerade die Denkmalpflege erlebte in jenen Jahren einen großen Auftrieb. Mit Ferdinand von Quast hatte die preußische Denkmalpflege ihre erste bedeutende Persönlichkeit. Andererseits sahen wir, daß Friedrich Wilhelm IV. sich schon als Kronprinz aus verschiedenen Gründen für die Wiederherstellung von Monumenten einsetzte. Denkmalpflege kam in jenen Jahren aber nicht allen Monumenten zugute, sondern war auf bestimmte Monumentengruppen beschränkt, so vor allem auf die „vaterländischen" Werke. Dazu gehörten natürlich die alten Bischofskirchen, deren Restaurierung jedoch erst im späten 19. Jahrhundert in großem Umfang einsetzte. Für Friedrich Wilhelm IV. können wir ein breit angelegtes Interesse und viele erste Eingriffe für diese Monumentengattung konstatieren, Eingriffe, die meist durch spätere Totalrestaurierungen revidiert wurden und heute vergessen sind. Einige Beispiele sollen kurz dargelegt werden. Der Naumburger Dom war seit dem 16. Jahrhundert stark verändert worden 44 . Ein Brand hatte 1532 sämtliche Dächer zerstört und das Kirchenschiff schwer beschädigt. Die Wiederherstellungen zogen sich über zweihundert Jahre hin, dann folgte die gründliche Barockisierung des Inneren. Für den protestantischen Gottesdienst unnütze Teile wurden abgegrenzt, der Westchor Abstellkammer. Es war Friedrich Wilhelm IV., der im Jahr seines Regierungsantrittes Quast mit ersten Untersuchungen für eine Restaurierung beauftragte 45 . Bis zur Ausführung vergingen dann aber aus unbekannten Gründen noch 34 Jahre. Trotzdem wurde Friedrich Wilhelm als der entscheidende Initiator angesehen, denn Richard Lepsius, der das Vorhaben weitertrieb, schlug vor, im Ostchor die Statuen von Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. aufzustellen, was
43 Ranke 1873, 357-358. 44 Ernst Schubert, Der Dom zu Naumburg. Eine Führung (Das christliche Denkmal 28/29); Neubearb. Berlin [-Ost] 1977, 63-64; Findeisen 1990, 226-236. 45 Karl Memminger, 880 Jahre Baugeschichte des Naumburger Domes. Gelesen aus Urkunden und aus dem Bau selbst; [3. Aufl.] Naumburg 1920, hier 24.
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II. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
letzterer in seiner Bescheidenheit ablehnte 46 . Erst unter Wilhelm II. wurde der immer unfertig gebliebene Südwestturm nach Entwürfen von Lepsius zu Ende geführt 4 7 . Der Dom von Minden dagegen stand nicht zur Restaurierung an: Gerade in den Jahren 1832/33 war er frisch verputzt worden, und man hatte schon wegen der Größe des Auftrags den Rat Schinkels dafür eingeholt 48 . Zwar stellte man bei der Durchführung der Arbeiten fest, daß doch größere Reparaturarbeiten hätten ausgeführt werden müssen, doch dafür war es nun zu spät. Oft wurden die Interessen des Königs ganz speziell auf gewisse Teile der Kirchen gerichtet. In auffallend vielen Fällen setzte er sich für Turmrestaurierungen oder gar Turmneubauten ein, die für die kirchliche Versorgung der Bevölkerung nicht sehr wichtig waren, dafür umso mehr Symbolkraft hatten. Im Frühjahr 1827 etwa hatte sich das Domkapitel von Brandenburg wegen Orgel- und Turmrestaurierung an Friedrich Wilhelm III. gewandt, die er bei möglichst geringen Kosten bewilligte 49 . Der damit beauftragte Schinkel stellte jedoch größere Schäden fest und hielt nur eine durchgreifende Restaurierung für sinnvoll. Der Kronprinz, dem vor allem die Wiederherstellung des Turmes am Herzen lag, bekundete die größte Teilnahme am Schicksal des „verehrten Heiligtums der Marken". Bei dieser ersten Domrestaurierung der Jahre 1828-1836 erhielt der Turm statt der barocken Haube eine achteckige Spitze 50 , die dem Kronprinzen wohl nicht sonderlich behagte, denn im Jahr 1847 plante er einen zweitürmigen Ausbau der Westseite, zu dem Stüler die Pläne fertigte. Doch die stürmischen Ereignisse des Revolutionsjahres 1848, während dem die Nationalversammlung zunächst im Chor des Brandenburger Domes tagte, vereitelten weitere Arbeiten 51 . Havelberg war neben Brandenburg das zweite, von Otto I. gegründete Bistum der Mark und eine der bedeutenden mittelalterlichen Städte dieser Gegend, im 19. Jahrhundert dagegen eine unbedeutende Provinzstadt. Daß Friedrich Wilhelm auch diesen Dom gleich bei Regierungsantritt durch Ferdinand von Quast wiederherstellen ließ, ist ein deutliches Indiz dafür, daß dem König an der Wiederherstellung des mittelalterlichen Bistumssystems gelegen war 52 . Der Merseburger Dom, dessen Gründung eng mit Magdeburg, Meißen und Zeitz zusammenhängt, hatte seine große, entscheidende Restaurierung durch Friedrich Adler nach sorgfältigen Planungen in den Jahren 1883 bis 1886 erhalten. Aber schon in den Jahren 1837-43 waren
46 Dafür wurden dann die Statuen von David und Salomon geschaffen; Memminger (Anm. 45), 17. Bei Richard Lepsius handelt es sich um den bekannten Ägyptologen, der durch Vermittlung Bunsens zu diesem Fach gefunden hatte und in den 40er Jahren auf dessen Rat und Befehl des Königs die erste preußische Ägyptenexpedition durchgeführt hatte, deren reiche Erträge zur Gründung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel führten; Ursula Kaplony-Heckel, Bunsen der erste deutsche Herold der Ägyptologie, in: Der gelehrte Diplomat, 1980, 64-83. 47 1891-1894 ausgeführt; Memminger (Anm. 45), 24-25. 48 Schinkel Lebenswerk. Westfalen 1969, 241-242. 49 Schinkel Lebenswerk. Brandenburg 1960, 246-253. 50 Für diese Turmspitze war Schinkel offenbar nicht verantwortlich; Schinkel Lebenswerk. Brandenburg 1960, 252. 51 KDM Brandenburg II, 3, 268. 52 Die Restaurierung der Jahre 1885-1890 durch Reinhold Persius und Friedrich Adler machte die meisten Ergebnisse der von Quast'schen Wiederherstellung rückgängig; KDM Brandenburg I, 1, 73.
3. Die Apostolische Kirche: Praxis
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Arbeiten im Gange, bei denen die innere Einrichtung und besonders das Grab Rudolphs von Schwaben hergerichtet worden war 53 . Den Dom von Halberstadt hatte Ferdinand von Quast mit Beginn seines Amtsantrittes als Denkmalpfleger auf der Restaurierungsliste ganz obenan stehen. Aber erst Mitte der 50er Jahre konnte die Wiederherstellung endlich in Angriff genommen werden 54 . Im Laufe des Jahres 1856 billigte der König einer Restaurierung nämlich eine gewisse Dringlichkeit zu und befahl, die vorgesehene Summe auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu verteilen 55 . Marienwerder, wenige Jahre nach der Landnahme des Deutschen Ordens in Preußen gegründet und bald darauf zur Bischofsstadt Pomesaniens erhoben, verfügt noch heute über einen relativ gut erhaltenen Kathedral- und Burgkomplex des 14. Jahrhunderts 56 . In der Nähe der Marienburg gelegen, sind Kirche und Burg in vielen Details diesem Hauptbau des Deutschen Ordens verpflichtet, jedoch teilweise auch vor ihm entstanden. Marienwerder war wegen seiner früheren Gründung die erste Grablege der Hochmeister des Deutschen Ordens, solange die St. Annenkapelle der Marienburg noch nicht benutzbar war 57 . Marienwerder stellt also ein frühes Denkmal des Deutschordensstaates dar, das jedoch bald in den Schatten der Marienburg treten sollte. Restaurierungsabsichten sind von Friedrich Wilhelm selbst nicht überliefert. Aber am Ende seiner Regierungszeit setzten Wiederherstellungsarbeiten in großem Stil ein, die 1864 mit der Wiedereinweihung des vollständig renovierten Gotteshauses endeten 58 . Der Dom von Cammin repräsentierte das Bistum der Pommern. Es war jedoch nicht der erste Bischofssitz. Das Bistum war im Jahr 1140 von Papst Innozenz II. mit Sitz in Wollin errichtet 59 und erst nach der Zerstörung der Stadt durch die Dänen um 1180 in die besser befestigte Stadt Cammin verlegt worden, wo der Kathedralbau in den bis heute bildbestimmenden Teilen im Laufe des 13. Jahrhunderts fertiggestellt wurde. Außerdem enthielt der Dom zwar nicht alle, aber doch zahlreiche Gräber der pommerschen Herzöge des 13. und 14. Jahrhunderts 60 . Der Turm dieser gotischen Bischofskirche war im Dreißigjährigen Krieg zerstört und anschlie-
53 KDM Provinz Sachsen VIII, 93-161, das Grab Rudolphs („kürzlich wiederhergestellt") auf S. 145. - Von einer vor kurzem durchgeführten Restaurierung spricht Heinrich Otte, Miscellen zur Kunde sächsischer Kunstdenkmale, in: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historischer antiquarischer Forschungen 8, 1850, 125-130. - Findeisen 1990, 60-63 und 110-113. 54 Ferdinand von Quast, Dom zu Halberstadt, in: Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst 1, 1856, 141; Findeisen 1990, 196-207. 55 Quast (Anm. 54), 240. 56 KDM Westpreußen, III, 31-88. Stadt und Dom überlebten den Krieg ungeschoren. Während die Kathedrale als katholische Kirche wieder hergerichtet wurde und so auch heute einen gepflegten Eindruck macht, wurde der größte Teil der Altstadt abgetragen, um die Ziegel zum Wiederaufbau Warschaus zu verwenden. 57 Rudolf Bergau, Schloß und Dom zu Marienwerder, in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 2, 1865,605-630, hier besonders 611 mit der teilweise unsicheren Liste der in Marienwerder beigesetzten Hochmeister. 58 KDM Westpreußen III, 77-78. Um 1850 war die Kirche in einem traurigen Zustand und besaß undichte Gewölbe; ab 1857 wurde die Restaurierung erwogen; Max Toppen, Geschichte der Stadt Marienwerder und ihrer Kunstbauten; Marienwerder 1875. 339-344. 59 Helmuth Eggert, Der Dom zu Cammin; Greifswald Diss. 1934; Erfurt 1935, 18. 60 Die Grabmäler der pommerschen Herzöge wurden früh zerstört. Anhand der schriftlichen Über-
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ßend nur durch einen kleinen ersetzt worden, der schließlich wegen neuer Schäden 1802 ganz abgetragen werden mußte. Im Jahr 1847 endlich bewilligte Friedrich Wilhelm beträchtliche Mittel, u m die Kirche zu restaurieren und besonders, um ihr einen angemessenen Turm wiederzugeben. Er sollte künftig den Seefahrern von weither sichtbar sein 61 . Nur wenige der von Friedrich Wilhelm genannten Kathedralkirchen wurden in seiner Zeit nicht restauriert. So ist von Lebus keine umfangreiche Tätigkeit überliefert, und der Magdeburger D o m war bereits unter Friedrich Wilhelm III. hergerichtet worden; allenfalls in Königsberg wurden kleinere Arbeiten durchgeführt 6 2 . In den meisten der von Friedrich Wilhelm genannten ehemaligen Kathedralen fanden also tatsächlich Restaurierungsarbeiten statt, bei einigen ist die direkte Fürsorge des Königs überliefert. Die Eingriffe erscheinen uns nach den späteren Totalrestaurierungen zwar klein. Für eine gerechte Beurteilung muß aber berücksichtigt werden, daß Kathedralen eo ipso sehr aufwendige Bauten darstellen und Restaurierungen entsprechend teuer waren. Geld fehlte aber in größerem U m f a n g , da die meisten Städte ihre Bedeutung seit langem verloren hatten, und erst recht nach dem Revolutionsjahr 1848; außerdem hatte die Denkmalpflege noch keinen festen Etat, sondern die Mittel wurden für jedes Projekt auf allerhöchster Ebene bewilligt. So konnte dieses Projekt nur im Zeichensetzen bestehen, und dabei sind die Turmerneuerungen besonders markant.
DiakonieL: Pfarrerbildung Besonderen Wert hatte Friedrich Wilhem IV. in seinem Entwurf einer Kirchenordnung auf das Amt eines Diakonen gelegt; er führte diesen Gedanken weiter aus und ließ sich dadurch zu Einrichtungen inspirieren, die wir heute am ehesten als „Soziale Fürsorge" bezeichnen. Dieser Bereich, der sich in baulichen sowie institutionellen Einrichtungen äußerte, ist wohl derjenige, der alle Umbruchszeiten bis heute ohne wesentliche Kritik überdauert hat, wenn auch meist seine Ursprünge nicht mehr bekannt sind. Während Friedrich Wilhelms architektonische und andere Vorstellungen oft schon von Zeitgenossen als romantisch abgetan wurden, wurden seine Aktivitäten auf sozialem Gebiet, die im Grunde der gleichen Wurzel entsprangen, gerne angenommen. Im weiteren Sinne umfaßte sein Programm Bildungs- und Fürsorgebauten. Unter den Bildungsbauten können zunächst die Schulen und Pfarrhäuser angeführt werden, die als Nebengebäude für die neuen Berliner Kirchen vorgesehen waren. Davon wurden nur wenige ausgeführt. Zwar konnte das Pfarrhaus meist neben der Kirche gebaut werden, aber als Schule ist offenbar lieferung sind die Fakten zusammengetragen von Martin Wehrmann, Kammin als Begräbnisstätte pommerscher Herzöge, in: Monatsblätter der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde 48, 1934, 81-83. 61 Notiz in: Jahrbuch der Baukunst und Bauwissenschaft 4, 1847, 125-126; Eggert (Anm. 59), 23. 62 Magdeburg: Findeisen 1990, 214-222. - Königsberg: 1841 erhielt der Dom eine teilweise neue Verglasung. Die drei Mittelfenster hatten eine bemerkenswerte Ikonographie: In der Mitte das Wappen des Bischofs von Samland, zu seifen Siegel des Domes und Wappen des Deutschordensmeisters; der Auftraggeber ist mir nicht bekannt. Der nach der Jahrhundertwende wiederhergestellte Dom wurde von Wilhelm II. am 22. September 1907 eingeweiht; Richard Dethlefsen, Die Domkirche in Königsberg i. Pr. nach ihrer jüngsten Wiederherstellung; Berlin 1912, 51-53 (S. 24: Freilegung von Fresken bei Erneuerungsarbeiten 1856).
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nur ein Nebengebäude von St. Johannis in Moabit genutzt worden. Zu dieser Gruppe muß allerdings noch das Jerusalemer Projekt gerechnet werden, das nur in seinem kirchenpolitischen Rahmen gescheitert ist, nicht jedoch in bezug auf die Fürsorgeeinrichtungen. Eine nächste Gruppe umfaßte Bildungsanstalten für den Klerus, in dem , junge Pfarr-Aspiranten nach dem oft wüsten Treiben der Universität''63 sich in Stille zum heiligen Amt vorbereiten sollten. Schon diese Formulierung läßt an Einrichtungen ähnlich den katholischen Priesterseminaren denken, und so nimmt es nicht wunder, wenn Friedrich Wilhelm hier an alte Klosteranlagen dachte, die einmal den Bautyp des Kollegiums, der eine Vorstufe des Universitätsbaus darstellte, und zum anderen die erwünschte Abgeschiedenheit und Stille boten. Für diese Aufgaben kamen vor allem die Zisterzienserklöster in Frage, denn sie boten die ruhige, ungestörte Lage, und außerdem galten die Zisterzienser als Kulturvermittler ersten Ranges; gerade in der deutschen Ostsiedlung des Mittelalters bildeten sie einen wichtigen Faktor. Fast alle der genannten Klöster gehörten tatsächlich diesem Orden an (Abb. 54). Die aufgeführten Klöster wiesen einen viel stärkeren Zerstörungsgrad auf als die Bischofskirchen, was vor allem durch die Aufhebung der Orden bereits im 16. Jahrhundert bedingt war. Ein noch größerer Restaurierungs-, meist Rekonstruktionsaufwand war also in der Regel erforderlich. Bei der geplanten Wiederherstellung dieser Klöster kamen oft mehrere Beweggründe zusammen: Die Sorge um die Grablege der Ahnen war bei der Erhaltung vieler Klöster ein erstes wichtiges Motiv, hinzu trat die an dieser Stelle betonte Motivation der sozialen Fürsorge. Als Ergebnis blieb der Nachwelt meistens die Restaurierung einer Kirche oder auch nur Sicherung einer Ruine, ohne daß das von Friedrich Wilhelm gewünschte Pfarrerseminar zustandegekommen wäre. So wurde jedenfalls die Ruine Chorin gesichert und die Altenberger Kirche wiederaufgebaut, ohne aber eine der neuen Institutionen zu erhalten. Beim Petersberger Kloster, das schon seit dreihundert Jahren in Ruinen lag, verhielt sich die Sache anders. Hier wurde die Einrichtung eines Pfarr- und Schulhauses sogar als vordringlich angesehen, und deswegen bestimmte Friedrich Wilhelm IV., daß die Nebengebäude noch vor der Kirchenrestaurierung in Angriff genommen werden sollten; und das, obwohl Schinkel bereits 1833 die akute Gefährdung der Kirchenruine diagnostiziert hatte, und die Grablege der Wettiner im Innern der Kirche für den König eine große Attraktivität darstellen mußte 64 . Eine Besonderheit stellte das Zisterzienserkloster Grüssau in Schlesien dar. Waren alle anderen Klöster schon seit Jahrhunderten säkularisiert und nur teilweise als evangelische Pfarreien weitergeführt worden und dementsprechend ruinös, so hatte das Kloster Grüssau bis ins 19. Jahrhundert ohne Unterbrechung bestanden. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts hatte es eine außerordentliche Blütezeit erlebt. Die letzten Neubauten waren 1790 eingeweiht worden, und so bildete Grüssau eine der prächtigsten barocken Klosteranlagen Schlesiens. Auch von Auszehrung des Mönchtums wegen Nachwuchsmangel wie anderswo in Europa konnte keine Rede sein. Die Auflösung durch Friedrich WilhemHI. im Jahr 1810 hatte einem blühenden Kloster ein Ende gesetzt 65 . Dieses intakte Kloster für Zwecke des protestantischen Pfarrerstandes zu nutzen, wäre vom Baulichen her also leicht möglich gewesen, aber dies hätte zweifellos 63 Aus dem Brief an Bunsen; Ranke 1873, 66. 64 Ritter, Die Klosterkirche auf dem Petersberge bei Halle, in: ZBW 8, 1858, 31-64 und Atlas Taf. 15-18; hier Sp. 49-50; Stark, Die Klosterkirche auf dem St. Petersberge bei Halle, restauriert in den Jahren 1853 bis 1857, in: Zeitschrift für praktische Baukunst 17, 1857, 289-298 und Taf. 30-32; KDM Prov. Sachsen N. F. I, 553-564. 65 Ambrosius Rose, Kloster Grüssau; Stuttgart 1974, 153-166.
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neue Spannungen mit der katholischen Kirche heraufbeschworen, nachdem gerade der Kölner Konflikt beigelegt war. Obwohl ihm also die Hände gebunden waren, interessierte er sich weiterhin für das Kloster, besuchte es im September 1841 und war von der Schönheit der Bauten fasziniert 66 . Von den restlichen Klöstern, die Friedrich Wilhelm in seinem Programm nannte, sind keinerlei Restaurierungsnachrichten des 19. Jahrhunderts überliefert. Zinna und Lehnin, zwei Zisterzienserklöster in der Umgebung Berlins, waren schon lange säkularisiert. Lehnin konnte sich einen großen Teil seiner Klostergebäude erhalten, die als Domänenhäuser weitergenutzt wurden. Die arg heruntergekommene, lange Zeit zwischen Lutheranern und Reformierten geteilte und abgemauerte Kirche wurde erst um 1870 wieder instandgesetzt 67 . Von Kloster Zinna schließlich stehen neben der Kirche nur noch kleine Teile der ehemaligen Wirtschaftsgebäude aufrecht 68 . Die Restaurierung der als Pfarrkirche genutzten Klosterkirche war in den Jahren vor 1848 vorgesehen, wurde aber nicht durchgeführt; erst mit ansehnlicher Unterstützung des Kaiserhauses wurde die Kirche durch Tiedemann renoviert und 1898 eingeweiht 69 . Schließlich sind noch die Klöster Kolbacz in Pommern und Memleben in Thüringen zu nennen, die im 19. Jahrhundert ebenfalls keine nennenswerte Restaurierungstätigkeiten erlebten 70 .
Diakonie II.: Krankenhauswesen Am meisten Erfolg sollte Friedrich Wilhelm letztlich mit seinem eigentlichen sozialen Programm haben, auch wenn es nicht unumstritten blieb. Er knüpfte dabei an die ursprünglichen Aufgaben des Diakons an, nämlich in der urchristlichen Gemeinde als Helfer des Pfarrers tätig zu sein. Er wollte also das Diakonat nicht wie in der katholischen Kirche als kurzfristige Durchgangsstation eines Mannes auf dem Weg vom Laien zum geweihten Priester sehen, sondern als selbständiges und dauerhaftes Amt in der Gemeinde. Wesentliche Aufgabe für einen Diakon waren die Armen- und Krankenfürsorge. Ein solches Programm war freilich nichts ganz Neues. Zwar hatte Friedrich Wilhelm wesentliche Aussagen zum Diakonat aus den Schriften zum Urchristentum geschöpft, doch gab es neben und vor ihm Männer, die aus ähnlichen Motiven ähnliche Institutionen geschaffen hatten. Mit ihnen pflegte er schon zu seiner Kronprinzenzeit intensiven Kontakt. Dabei muß vor allem an Fliedner und Wichern erinnert werden 71 .
66 Rose (Anm. 65), 168 nach Manuskripten im "Breslauer Diözesanarchiv. - Ein Motiv für seine Wahl mag in der Fürstengrablege zu suchen sein. Grüssau wurde nach dem 1. Weltkrieg wieder mit Benediktinern besiedelt, die nach 1945 nach Wimpfen übersiedelten; an ihrer Stelle heute polnische Benediktinerinnen; Rose (Anm. 65), passim. 67 Ernst Ullmann, Die Klosterkirche zu Lehnin (Das christliche Denkmal 41); Berlin [-Ost] 1959. 68 Dehio Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler; Bezirke Berlin/DDR und Potsdam; Berlin [-Ost] 1983,257-260. 69 Pfarrer Otte begrüßte 1843 die in Aussicht stehende Restaurierung. Wahrscheinlich wurden durch die Revolution 1848 die Arbeiten zurückgestellt. Wilhelm II. gab ein Gnadengeschenk, Auguste Victoria Altar- und Kanzelbibel; Friedrich Backschat, Kloster Zinna bei Jüterbog, in: Brandenburgia. Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin 7, 1898/99, 409-458, hier 409^110. 70 Gerhard Leopold, Das Kloster Memleben (Das christliche Denkmal 96); 2. Aufl. Berlin [-Ost] 1986. 71 Ernst Schering, Ordenserneuerung und Gestaltwerdung der Diakonie im Protestantismus des 19. Jahrhunderts, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 6, 1987, 115-132.
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Johann Heinrich Wichern hatte als Pfarrer in Hamburg unglaubliche Armut und sittliche Verwahrlosung kennengelernt 72 . Ein Weg zur Besserung der Umstände schien ihm, verwahrloste Kinder aufzunehmen und im christlichen Sinne zu erziehen. Dies führte im Jahr 1833 zur Gründung des „Rauhen Hauses" in Horn bei Hamburg, der Zentrale seiner künftigen Sozialarbeit. Früh setzte er sich außerdem für ein besseres Los der Gefangenen ein und wußte sich darin einig mit dem Kronprinzen 73 . Dazu kamen Krankenpflege und Innere Mission. Zur besseren Erziehung, aber auch Wirkung nach außen, benötigte Wichern geistliche Literatur, wozu er eine Druckerei aufbaute. Hier veröffentlichte Bunsen unter anderem sein Gesangbuch von 1846 74 . Theodor Fliedner, aus armen Verhältnissen stammend und Pfarrer der kleinen und armen evangelischen Diasporagemeinde in Kaiserswerth bei Düsseldorf, hatte auf seinen Kollektenreisen vor allem in England das lebendige kirchliche Leben und die Gefängnisseelsorge kennengelernt 75 . Gefangnisgottesdienste seit 1825 in Düsseldorf waren auch der Ausgangspunkt für Fliedners soziale Aktivitäten, in deren Rahmen er sich im Rheinland und Westfalen für bessere Haftbedingungen einsetzte und mit führenden Persönlichkeiten in Kontakt trat. Im September 1826 knüpfte er die ersten Beziehungen zum Kronprinzen, die für seine weitere Arbeit entscheidend sein sollten 76 . Seine vielfältigen Gedanken, gesellschaftlichen Randgruppen zu helfen, und zwar Arme, Kranke, Kinder und Gefangene zu pflegen, faßte er in der Idee eines weiblichen Diakonats zusammen. Den Begriff wählte er in bewußter Anlehnung an urchristliche Zeiten, wie er etwa in den Apostolischen Konstitutionen verwendet wurde 77 . So enstand 1836 in Kaiserswerth das Mutterhaus der Diakonissen. Als der Kronprinz von der Wiederbelebung des Diakonissenamtes erfuhr, antwortete er „mit wahrem Jauchzen", daß ihm dieses Ideal schon manches Jahr vorgeschwebt habe 78 . Ausdrücklich erwähnte er die Diakonissen in seinem Sommernachtstraum als seine großen Hoffnungsträger 7 9 . In Zukunft, besonders nach seiner Thronbesteigung, sollte er der größte Förderer von Fliedners Ideen werden. In rascher Folge entstanden nun in allen protestantischen Ländern von Diakonissen geführte Krankenhäuser und Pflegeheime, außerdem waren Diakonissen als Dienerinnen in evangelischen Gemeinden tätig. Friedrich Wilhelm IV. stand schon als Kronprinz mit diesen beiden Männern in regem Kontakt. Eine große Sympathie des „katholisierenden" Königs gehörte dabei Fliedner und den Diakonissen, die er auch sogleich nach Jerusalem vermittelte, und die Bunsen nach London holte 80 .
72 Gerhardt 1927,1, 119. 73 Das Buch von Julius, Vorlesungen über Gefängniskunde, Berlin 1828 war dem Kronprinzen gewidmet; Julius machte sich in späteren Jahren stark für Einzelhaft, die er in Amerika kennengelernt hatte. Friedrich Wilhelm führte daraufhin dieses System im Moabit als erstem preußischen Gefängnis ein; Gerhardt 1927,1, 93-94. 74 Gerhardt 1927,1, 228. 75 Gerhardt 1933,1, 83ff. 76 Gerhardt 1933,1, 168. Während allerdings einige Mitglieder des Königshauses Fliedners Gesellschft 1828 Beiträge überwiesen, lehnte hier der Kronprinz ab „bei den täglich wachsenden Ansprüchen an Mich und der immer im Zunehmen begriffenen Zahl von gemeinnützigen Vereinen dieser oder ähnlicher Art;" ebenda, 185. 77 Const. Apost. lib. VIII, 28, 7 und VIII, 19 und öfter; vgl. dazu den Kommentar von Metzger: Const. Apost., ed. 1985, II, 55 und Index s. v. Diaconesse. 78 Gerhardt 1933,11,44. 79 Ranke 1873, 74-75. 80 Gerhardt 1933, II, 209-211.
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Wichern dagegen war eher reserviert gegenüber den Diakonissen, die er als protestantische Kopie der barmherzigen Schwestern bezeichnete 81 . Die Ideen Fliedners und Wicherns, die Friedrich Wilhem als vorbildhaft ansah, versuchte der König in einem Großprojekt in Berlin zusammenzufassen. Doch ihm schwebte keine Kopie der bestehenden Institutionen vor, sondern etwas Eigenständiges. Wenn seine Idee zwar in wichtigen Teilen an zahlreichen Widerständen scheitern sollte, so blieb doch bis auf den heutigen Tag ein großes Gebäude als Zeugnis davon bestehen: das Krankenhaus Bethanien (Abb. 52) 82 . Es sollte sich nicht einfach um ein Krankenhaus handeln, sondern um „ein evangelisches Mutterhaus in Berlin für die Krankenpflege in großen Spitälern" 83 , also gleichzeitig um eine kirchlich geführte Ausbildungsanstalt für Krankenschwestern, in der Organisation vergleichbar dem Diakonissenhaus in Kaiserswerth. Doch was bei Fliedner schon so ordensmäßig und damit katholisch aussah, steigerte sich bei Friedrich Wilhelm noch: Er wollte zu diesem Zweck den brandenburgischen Schwanenorden wiederbeleben, der 1440 von Markgraf Friedrich II. gestiftet worden, aber bereits in der Reformationszeit eingegangen war 84 . Aus mehreren Gründen mußte der Schwanenorden Friedrich Wilhelm als Ideal für die neuen Zwecke erscheinen: Als der älteste hohenzollersche Orden konnte er die alten Traditionen der Hohenzollern am besten belegen. Das Ordensstatut hatte außerdem auch Frauen die Mitgliedschaft erlaubt; als einziger Orden war er also ohne Veränderungen dem neuen Zweck dienstbar zu machen. Daß der Orden offiziell „Orden unserer lieben Frauen zum Schwan" geheißen hatte und folgerichtig der Marienkult in besonderem Maße gepflegt worden war, störte den romantischen König kaum, zumal er sich den Orden überkonfessionell vorstellte. Aber sowohl Ministerien als auch kirchliche Amtsträger wurden durch solche Vorstellungen abgeschreckt, da sie einen Plan zur Zwangsunion von Katholiken und Protestanten witterten 85 . So blieb auch der Einsatz Wicherns umsonst: Nach Proklamierung des neuen Ordens am Heiligabend 1843 hatte er sich prinzipiell bereit erklärt, das Rauhe Haus aufzugeben und in Berlin für den neuen Orden zu wirken. Wenn auch bald zu spüren war, daß das Ordensprojekt scheitern würde, so wurde doch im kommenden Jahr mit den Planungen für das Krankenhaus begonnen. Verwirrend viele Personen waren daran beteiligt. Neben den Architekten hatten König Friedrich Wilhelm und der Theologe Fliedner einen maßgeblichen Anteil daran 86 . Vom Anfang der Planungen bis zum
81 Gerhardt 1927, II, 191. 82 Der Krankenhausbetrieb wurde 1970 aufgelöst, die Kapelleneinrichtung auf Berliner Kirchen verteilt. Der Bau entging nur knapp dem Abriß: Posener 1968. 83 Gerhardt 1927, II, 25. 84 Der mittelalterliche Schwanenorden war bei der Marienkirche auf dem Harlungerberge bei Brandenburg gestiftet worden; Gustav Abb und Gottfried Wentz, Das Bistum Brandenburg (Germania Sacra I, 1); Berlin 1929, 203-203 mit Literaturübersicht über Kirche und Schwanenorden. Aus diesem Grunde trug sich Friedrich Wilhelm mit dem Gedanken, dieses alte Wallfahrtsheiligtum, einen reifen Bau der märkischen Backsteinbaukunst, wieder aufzubauen; einen wesensähnlichen Gesprächspartner hatte er ab 1840 in dem neuen Bürgermeister der Stadt; Otto Tschirch, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg; 2 Bände Brandenburg 1928; hier II, 255f. und 320. Vgl. auch Gerhardt 1933, II, 224-250; Schering (Anm. 71), 122-126. 85 Gerhardt 1927, II, 24-28. 86 Die Baugeschichte ist am besten aufgearbeitet und dargestellt worden von Schild 1970, 75-97, die
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Ende der Bauausführung war Theodor Fliedner die wichtigste Person; er war eigens nach Gent und Brüssel gereist, um die dortigen Krankenhäuser zu studieren. Von ihm stammt das Raumprogramm mit den vielen verschiedenen Raumtypen für Kranke, Diakonissen, Verwaltung, Bäder, Küchen usw. und selbstverständlich einer Kirche. In der letzten Phase kümmerte er sich um die Einrichtung, von den Möbeln bis hin zu den Kopfkissen 87 . Friedrich Wilhelm hatte die Großform vorgegeben. Er wünschte ursprünglich einen Vierflügelbau, dessen Innenhof durch die Kirche zweigeteilt werden sollte 88 , und hatte eigene Skizzen angefertigt, die Persius als Grundlage dienten 89 . Noch zu Lebzeiten des Architekten wurden die entscheidenden Änderungen beschlossen, nämlich aufgrund des Gutachtens eines Mediziners eine Seite der Anlage wegzulassen und die U-Form anzustreben und dadurch das Krankenhaus den günstigen Winden zu öffnen; frische Luft war nach damaliger Ansicht wichtigstes therapeutisches Mittel. Bei der daraufhin notwendigen zeichnerischen Umarbeitung wurde auch die Kirche auf Anraten Fliedners verkleinert, der in der Anstaltskirche eine heimelige Atmosphäre wünschte 90 . Üblicherweise galt das Krankenhaus Bethanien als Werk des Architekten Theodor Stein, der den Bau nach dem Tode von Persius, unter der Oberaufsicht von Stüler, weiterbetreute 91 . Es galt als eines seiner Hauptwerke, dem er den beruflichen Aufstieg verdankte 92 . Nach den Darlegungen von Ingeborg Schild muß sein Anteil erheblich relativiert werden. Nach ihren Forschungen gehen die architektonischen Veränderungen dieser Jahre kaum auf ihn zurück 93 . Neben der Bauausführung sind aber seine Verbesserungen in technischen Belangen von besonderem Wert. So baute er die Küche als „Dampfkochanstalt" aus, die erste ihrer Art in Deutschland. Hier kam seine Vorliebe für Eisen zum Tragen 94 . Der für damalige Verhältnisse moderne und vorbildliche Bau war in kurzer Zeit fertiggestellt und konnte bereits im Oktober 1847 eingeweiht werden. Diakonissen aus Kaiserswerth übernahmen dann das Krankenhaus. In der Größenordnung und der Disposition war das Krankenhaus mit Kasernenbauten der Zeit vergleichbar, etwa mit den nur wenig später entstandenen Ulanen-Kasernen von Stüler im Moabit 95 . Die breitgelagerte U-Form des Gebäudes weist auch eine ähnliche Reihung der Fensterfronten in dreieinhalb Stockwerken übereinander auf. Doch die unterschiedlichen Zweckbestimmungen sind auf einfache, klare Weise zum Ausdruck gebracht: Während der Kasernenbau durch Eckrisalite die Wehrhaftigkeit betont, hebt das Krankenhaus durch eine in der Hauptfront
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kunsthistorische und städtebauliche Wirkung von Klinkott 1988, 111-114; Fotos vor und nach der Restaurierung Anfang der 60er Jahre und aktuelle Probleme bei Posener 1968. Schild 1970, 8Iff. und 88. Schild 1970, 80. Am 9. Juli 1844 legte er dem König Pläne vor; sie sind nicht erhalten; Persius 1980, 108 und 118. Schild 1970, 82-84. Theodor A. Stein, Das Krankenhaus, Diakonissin-Anstalt, genannt Bethanien, auf dem köpenikker Feld zu Berlin, in: Allgemeine Bauzeitung (Wien) 13, 1848, 32-34. Schild 1970,4-5. Diese wurden über medizinische Gutachten vom König bestimmt. Um den neuesten Stand solcher und ähnlicher Haustechnik und Hauseinrichtung kennenzulernen, hatte er 1846 eine Reise nach Belgien, Frankreich und England unternommen; Schild 1970, 88 und 95; durch die Konstruktion der Turmspitzen der Berliner Klosterkirche aus Eisen 1843 war er zum anerkannten Fachmann auf diesem Gebiet geworden; Schild 1970, 4ff. Klinkott 1988, 109-110 mit Abb.
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angebrachte Doppelturmfassade den kirchlichen Charakter hervor 9 6 . Gerade diese beiden Türme, die den Ort der Kirche zeigen und die Kirchlichkeit des ganzen Hauses betonen, waren von Friedrich Wilhelm IV. ausdrücklich gefordert worden 9 7 . Ein solch großer Komplex konnte natürlich nur außerhalb der dichteren Bebauung errichtet werden: Es wurde der spätere Mariannenplatz in der neuen Luisenstadt ausgesucht, und zwar dessen stadtseitige Lage, so daß von der Stadt her nur der rückwärtige Teil des Krankenhauses mit dem Garten gesehen wurde. Aber solange auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes keine Mietkasernen aufragten, und die St. Thomaskirche mit ihrer hohen Kuppel nicht den Blick auf sich zog, solange bot sich dem nach Berlin hineinfahrenden Gast als erste Ansicht der Blick auf die größte Sozialeinrichtung der Stadt. „Bethanien" als N a m e eines Krankenhauses in Assoziation zu dem Ort nahe Jerusalem, in dem der kranke Lazarus geheilt worden war, war zu jener Zeit noch neu und unverbraucht. Er war von Friedrich Wilhelm ausgewählt worden 9 8 ; in unmittelbarer Nachbarschaft lagen die St. Jacobikirche, die in denselben Jahren entstand und ebenfalls auf Jerusalem verwies, und die katholische St. Michaelskirche. Die Luisenstadt, des Kronprinzen liebster Stadtteil, entwickelte sich so zu einer kleinen Musterstadt des Königs. Den Schwanenorden wiederzubegründen war dem König nicht gelungen. Zu extrem waren wohl die Vorstellungen Friedrich Wilhelms, zu katholisch und der Orden zu wenig in der Hohenzollerschen Tradition wirklich verankert. Dagegen waren die Voraussetzungen zur Wiederbegründung des Johanniterordens wesentlich besser, die bereits oben geschildert wurde. Z u m einen handelte es sich um einen evangelischen Orden, so daß jegliche Ängste des „Katholisierens" überflüssig waren, z u m anderen besaß der Orden eine viel größere Tradition.
Die apostolische Kirche: Resümee Der Sommernachtstraum des Königs war also durchaus nicht nur ein Traum. Der Vorstellung einer apostolischen Kirche blieb Friedrich Wilhelm bis an sein Lebensende treu. Seine Idee war viel mehr als ein Traum; in vielen Jahren hatte er sich in Gesprächen mit den führenden Fachleuten und durch intensives Studium der Literatur das Wissen angeeignet, mit d e m er sich eine Vorstellung der Urkirche machen konnte. Die romantische Sicht in die Geschichte ließ es ihm erstrebenswert erscheinen, diese Urkirche wieder aufleben zu lassen, ein Phänomen, das in ähnlicher Weise zum Beispiel bei den Nazarenern aufgetreten war. Als Kronprinz mußte ihm dieses Ziel ein Traum bleiben, aber als König konnte er an die Umsetzung seiner Gedanken gehen. Freilich, es hätte des Umbaus der gesamten klerikalen Hierarchie bedurft, gleichsam einer Revolution von oben. Da zu einem wirklichen Umsturz aber niemand bereit war, mußte es bei den alten Zuständen bleiben.
96 Tatsächlich befindet sich in diesem zentralen Teil hinter der Eingangshalle die Krankenhauskapelle. 97 Ursprünglich vorgesehen, waren die Türme ca. 1844/45 gestrichen worden. Am 2. Mai 1845 bestimmte Friedrich Wilhelm, „die Türme sollten doch gebaut, jedoch vor das Hauptportal gelegt werden, um dadurch schon in der Vorderfassade zu zeigen, daß die Kirche den Mittelpunkt des ganzen Hauses bildet." Stüler zeichnete dann die Türme nach Angaben des Königs; vgl.: Bethanien. Die ersten fünfzig Jahre und der gegenwärtige Stand des Diakonissenhauses Bethanien zu Berlin; o. O. 1897, 15. 98 Gerhardt 1933, II, 247.
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In Teilbereichen allerdings waren die Bemühungen des Königs erfolgreich. Nahezu alle von ihm 1840 genannten Orte und Kirchenbauten wurden berücksichtigt, jedoch war der Grad der Realisierung gruppenweise in ganz charakteristischer Weise unterschiedlich hoch. Die Friedenskirche wurde als Musterbau auf eigenem Grund vollständig realisiert. Modellcharakter hatten auch die Bauten des neuen Berliner Stadtviertels, der Luisenstadt, wo neben der evangelischen auch noch eine katholische Kirche und schließlich ein Krankenhaus gebaut wurden. Der apostolische Gedanke kommt, was die Patrozinien angeht, im Neubauprogramm der Berliner Kirchen sehr klar zum Ausdruck; architektonisch jedoch entfernten sich die Bauten mit fortschreitender Zeit von dem idealen Baustil des Königs". Bei der Restaurierung der Dome und Klöster war ein eigener Baustil nicht gefordert, denn hier galt es, den mittelalterlichen Zustand wiederherzustellen. Es handelte sich auch bei beiden Gruppen nur um Einzelfälle, die zu Restaurierungsmaßnahmen im großen Stil führten, allen voran Altenberg und Petersberg. Aber die vielen kleinen Spuren, die die Maßnahmen des Königs an den anderen Bauten hinterlassen haben, sollten dabei nicht übersehen werden. Mit zwei Personengruppen hatte der König bei der Durchführung seines Programms vor allem zu tun: mit der Geistlichkeit, für die diese Kirchen gebaut wurden, und mit der Architektenschaft, von der sie gebaut wurden. Mit beiden Berufsgruppen ging Friedrich Wilhelm seit seiner Jugend wie selbstverständlich um, da beiden Fachgebieten sein Interesse galt. Während er aber bei den Theologen eigentlich nur die Gründung des englisch-preußischen Bistums in Jerusalem durchsetzen konnte, hatte er mit den Architekten offenbar mehr Erfolg. Bereitwillig öffneten sie sich seinen Ideen und setzten sie um. Erst allmählich wurden stärkere Ressentiments gegen seine Vorstellungen laut. Prominentestes Opfer sollte der Dombau sein. Welches Bild, welcher gemeinsame Nenner steckt nun hinter allen diesen Bauten? Ist es ein Bild der apostolischen, urchristlichen Kirche, das Friedrich Wilhelm hier vorschwebte? An dieser Stelle sind gewisse Modifikationen angebracht. Nur in ganz wenigen Kirchen konnte er das Bild einer apostolischen Kirche entstehen lassen. Hinter Domen und Klöstern jedoch steckte ein komplexeres Konzept. Bei den Domen handelt es sich um die in seinem Herrschaftsgebiet evangelisch gewordenen ehemaligen Bischofskirchen, die drei geographische Räume, aber auch historische Herrschaftsgebiete markieren: die karolingisch-ottonischen Bistümer Minden, Magdeburg und Merseburg, die kurmärkischen Bistümer um Berlin und die Dome Ost- und Westpreußens, Marienwerder und Königsberg. Sie markieren den Weg der deutschen mittelalterlichen Landnahme von Westen nach Osten, wobei Magdeburg ausdrücklich als Missionsbistum gegründet worden war. In diesem Sinne war auch Magdeburg eine apostolische Stadt. Eine zweite Stütze der deutschen Ostsiedlung waren die Klöster. Die meisten von ihnen sind Zisterzienserklöster, von denen bekannt ist, daß sie in der Einöde gegründet wurden und dort wichtige Pionier- und Missionsarbeiten leisteten. Sie gehören also ebenso zu der apostolischen Idee. Aber eine zweite Idee tritt hinzu. Kloster Memleben und das Stift Petersberg gehören nicht zu den Zisterzienserklöstern. In der Pfalz Memleben starb Heinrich I.; diesen Ort wählte dann Otto I. für eine seiner bedeutend99 Etliche Bauten, v. a. von Stüler, Soller und Busse wurden in das Stichwerk: Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern; zum amtlichen Gebrauche bearb. und hg. von der Königl. Techn. BauDeputation; Berlin 1. Aufl. 1844—50, 3. Aufl. 1872 aufgenommen und konnten dadurch für Jahrzehnte vorbildhaft wirken. Ζ. B. wurde Stülers Matthäuskirche (Taf. 9-13) für Kirchen in Neudamm und Bütow (heute Debno und Bytow) Vorbild.
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sten Klostergründungen aus. Der Petersberg war dagegen die erste Grablege des Wettinischen Hauses. Wichtige Grablegen finden wir aber auch bei allen schon genannten Zisterzienserklöstern, von Altenberg im Westen über die märkischen Klöster bis Kolbacz und Grüssau. In diesem Zusammenhang muß auch nochmals der D o m von Marienwerder genannt werden, der die Gräber der Hochmeister des Deutschen Ordens enthielt, und das Aachener Münster mit d e m Grab Karls des Großen 1 0 0 . Bei diesen Grablegen handelt es sich um die Memorialstätten entweder seiner leiblichen Vorfahren, oder seiner Vorgänger im Amt. Dazu gehört die Klause bei Kastel, die einen besonders interessanten Fall der Traditionsbildung darstellt, da sie als Grablege eine Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts war. Auf Geheiß Friedrich Wilhelms wurde die Stirnwand des Kapellenraumes mit einem S t a m m b a u m geschmückt, der mit König Johann von Luxemburg beginnt und in zwei Hauptästen bis in die Gegenwart des 19. Jahrhunderts führt, und zwar die preußische Linie bis Friedrich Wilhelm IV. und die bayerische bis zu Elisabeth, der Gemahlin des preußischen Königs. Sowohl die blutsmäßige Abstammung als auch das Königsamt wurden auf diese demonstrative Art auf ihre mittelalterlichen Wurzeln zurückgeführt 1 0 1 . Bei den Vorfahren im Amt handelte es sich aber keineswegs nur um die direkten Vorfahren Friedrich Wilhelms. In der Mehrzahl geht es um die Grablegen der Territorialherren, deren Gebiete in der Zwischenzeit preußisch geworden waren. Diese Grabstätten zu pflegen hatte einen ganz anderen Sinn als die oben geschilderte Suche nach Apostolizität. Grabpflege ist vornehmste Pflicht der Nachkommen gegenüber ihren Vorfahren. Schon im Mittelalter wurde diese Sorge aber nicht nur genealogisch gesehen, sondern auch auf Amtsinhaber übertragen. Wenn Friedrich Barbarossa die Gebeine Karls des Großen heben ließ und sogar dessen Heiligsprechung damit verband, war das vor allem ein Zeichen legitimer Herrschaftsnachfolge. Herrschaftslegitimation im durchaus mittelalterlichen Sinn dürfen wir aber auch im 19. Jahrhundert als entscheidendes Motiv bei Friedrich Wilhelm IV. annehmen. Er ist darin kein Einzelfall 1 0 2 . Diese Verflechtung von staatlichen und religiösen Ideen, von Thron und Altar, soll hier als zweite Komponente von Friedrich Wilhelms Kirchenvorstellung als die „konstantinische Idee" bezeichnet werden, denn bis auf diesen antiken Herrscher läßt sie sich letztendlich zurückführen 1 0 3 .
100 Das Oktogon des Aachener Münsters war 1794 von Napoleon seiner antiken Säulen beraubt worden. 1815 kehrten sie zwar zurück, doch erst mit der Unterstützung des Königs im Jahr 1843 konnte die Wiederherstellung begonnen werden; KDM Rheinprovinz 10, 1, S. 69. 101 Metken 1988, 166 betont ebenfalls den Legitimationsanspruch Friedrich Wilhelms IV., der mit diesem Stammbaum gleich mehrfach abgesichert wird. 102 Beispielhaft seien die badischen Großherzöge genannt, die im 19. Jh. die Pflege der Grabstätten ihrer Vorfahren in Backnang wiederaufnehmen und sich ferner um eine Aktualisierung des Erbes der Zähringer kümmerten. Sie führten zwar auch ihre Verwandtschaft auf die Zähringer zurück, aktuell wurde der Fall jedoch erst, als den Karlsruher Großherzögen 1806 die südbadischen Gebiete, das Stammland der Zähringer also, zugefallen waren; Hansmartin Schwarzmaier, Die Markgrafen und Großherzöge von Baden als Zähringer, in: Die Zähringer. Eine Tradition und ihre Erforschung (Veröffentlichungen zur Zähringer-Ausstellung 1); Sigmaringen 1986, 193-210. 103 Zuchold 1993, I, 57-66 sieht ebenfalls den Konstantinsbezug von Friedrich Wilhelm IV., beschreibt damit jedoch mehr die Phänomene, die ich als apostolisch bezeichne; auch differenziert er nicht zwischen diesen beiden Begriffen.
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Welche Rolle Friedrich Wilhelm IV. in seiner erdachten Urkirche sich selbst zugedacht hatte, wurde oft falsch interpretiert. Der König sprach in seinen Entwürfen davon, die bislang dem Landesherrn zustehende „Kirchen-Gewalt" bei jeder der - eines Tages - wohlorganisierten apostolischen Kirchen in ihre „rechten Hände" zurückzugeben 1 . Dies hätte angeblich bedeutet, daß Friedrich Wilhelm auf seine landesherrlichen Befugnisse hätte verzichten müssen. Allen Bearbeitern war die Diskrepanz zu Friedrich Wilhelms tatsächlichem Verhalten bekannt, ohne sie erklären zu können. Es ist das Verdienst Heckeis, hier Klarheit geschaffen zu haben 2 : nur dadurch, daß der König herkömmliche Begriffe mit ungebräuchlichen Inhalten verwendete, kamen diese Mißverständnisse auf. Die Kirchen, nämlich die apostolischen Kirchen, sollten aber nur die Kirchen-Gewalt zurückerhalten, die sie zur Erfüllung ihres Zwekkes benötigten. Für Gemeinschaften, Zusammenschlüsse solcher apostolischer Kirchen jedoch gab es keine apostolischen Verfassungen, denn sie sind „sehr Nach- und Unapostolischen, teils Kaiserlichen, teils Päpstlichen Ursprungs"; die Regierung dieser übergeordneten Einheiten sei Sache der christlichen Obrigkeit, also des Königs 3 . Der König wollte also keineswegs seine beherrschende Stellung aufgeben. Gerade die Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. sollte auch genügend Beispiele liefern. Innen- wie Außenpolitik waren dabei gleich wichtig, und sie wurden durch zwei Ereignisse von überragender Bedeutung markiert: die Revolution von 1848 und den Krimkrieg.
Legitimierung des Königs Das entscheidende innenpolitische Ereignis in Friedrich Wilhelms Regierungszeit war die Revolution von 1848/49, die, von Frankreich ausgehend, rasch auf ganz Deutschland übergegriffen hatte. Zentrale Forderungen waren die nach mehr Bürgerrechten und nach Verfassungen in den einzelnen deutschen Ländern sowie die staatliche Einheit Deutschlands mittels eines Erbkönigtums herzustellen. Hatte der König bei den ersten Unruhen in Berlin sich nachgiebig gezeigt und, indem er die Truppen aus der Stadt abzog, eine größere und blutige Konfrontation vermieden 4 , so blieb er in seinen Vorstellungen vom Herrschertum unnachgiebig. Als ein Jahr später die Vertreter der in der Frankfurter Paulskirche tagenden Nationalversammlung ihm die deutsche Kaiserkrone antrugen, lehnte er dieses Ansinnen ab 5 . Bunsen gegenüber äußerte er: „Die Krone, die ein Hohenzoller nehmen dürfte, ist... eine, die den Stempel Gottes trägt, die den, dem sie aufgesetzt wird nach der heiligen Oelung, „ von Gottes Gnaden " macht, weil und wie sie mehr denn 34 Fürsten zu Königen der Deutschen von Gottes Gnaden gemacht ... Die
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Zitiert z.B. im zweiten Aufsatz des Königs bei Gerlach 1903, II, 491. Heckel 1922, 446-449. Im zweiten Aufsatz des Königs; Gerlach 1903, II, 491. Es wurde ihm in weiten Kreisen als Schwäche ausgelegt; sein Bruder Wilhelm hatte zu hartem militärischem Durchgreifen geraten; Bußmann 1990, 254-267. 5 Bunsen hatte ihm zur Annahme der Kaiserkrone geraten. - Die Bedeutung der Kaiserkrone im 19. Jahrhundert behandelt Reinhart Staats, Theologie der Reichskrone. Ottonische „Renovatio Imperii" im Spiegel einer Insignie (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 13); Stuttgart 1976 im Nachwort S. 144-164.
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aber, die Sie - leider meinen [die von der Frankfurter Versammlung angebotene Krone]: Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen?"6 Friedrich Wilhelm IV. wollte kein Kaiser von des Volkes Gnaden sein, sondern seine Legitimität von seinesgleichen erhalten, von den anderen Königen Deutschlands, die wie er ihren „tausendjährigen" Königreichen dei gratia vorstanden. Von Gottes Gnaden als König über sein Land eingesetzt, fühlte er sich wie die Könige des alten Reichs und Europas seit Karl dem Großen, fühlte er sich als Beschützer der Kirche wie einstmals Konstantin der Große. Bei Konstantin war erstmals diese enge Verbindung von Thron und Altar aufgetreten, die in der preußischen Geschichte im 19. Jahrhundert nochmals eine große Rolle spielen sollte. Bei Friedrich Wilhelm war die Idee des Gottesgnadentums offenbar erst allmählich gereift und 1848 voll ausgebildet. So fehlte bei Regierungsbeginn ein formaler Akt, der diese Idee ausgedrückt hätte. Aber in seinen Kunstschöpfungen können wir sie spüren, zuallererst im Umbau des Charlottenburger Mausoleums, in dessen Apsis der König dargestellt wird, der von Christus die Krone empfängt 7 . Die Rolle der Kirche war bei den Revolutionsereignissen der Jahre 1848/49 nicht einheitlich. Während die liberalen Theologen begeistert waren, fühlten sich die konservativen tief betroffen 8 . Einerseits wurden die Kirchen bereitwillig geöffnet und den neuen Gruppen als Versammlungsraum zur Verfügung gestellt, andererseits waren sie höriges Ausführungsorgan der Kabinettbeschlüsse. Beide Auffassungen spiegelten sich in den Gottesdiensten und Predigten jener Zeit wider. Als unmittelbar nach Beginn der Unruhen die ersten Toten zu beklagen waren, wurden, um weiteren Volksaufläufen vorzubeugen, Gottesdienste einfach abgesagt, andere fanden mit bewußt provokativen Predigten statt 9 . Büchsei, der bekannte Pfarrer der St. Matthäuskirche im vornehmen Berliner Südwesten, predigte in der überfüllten Kirche vor vielen Soldaten über Lukas 22, 53: „Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis." Es ging darin um die Gefangennahme Jesu. Prediger, die anders Partei bezogen, waren in der unierten Kirche kaum zu hören; sie riskierten Berufsverbot, wie Pfarrer Schweitzer, der erst nach zehn Jahren wieder ein Pfarramt erhielt 10 . Anders war die Situation in den freien Gemeinden, deren
6 Ranke 1873, 233-234. 7 Sein Bruder Wilhem sollte diese Gedanken konsequent fortführen. Als er nach dem frühen Tod Friedrich Wilhelms im Jahr 1861 selber die Königswürde übernahm, bestand er, durchdrungen von der Idee des Gottesgnadentums, auf der Durchführung der feierlichen Krönung in Königsberg, was seit 1701 nicht mehr geschehen war; Satlow 1960, 123-124. 8 Walter Delius, Die Evangelische Kirche und die Revolution 1848 (Kirche in dieser Zeit 6/7); Berlin 1948, besonders 33ff.; und Satlow 1987, 178-180. - Allgemein zu dieser Problematik jetzt: Die evangelischen Kirchen und die Revolution von 1848. Erstes Symposium der deutschen Territorialkirchengeschichtsvereine. Schweinfurt 3.-5. Juli 1992, gedruckt in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 62, 1993, 1-139, vgl. besonders die Beiträge von Wolfram Siemann und Martin Greschat. 9 Satlow 1987, 178-180. Eine sehr ergiebige Predigtsammlung gab Ernst Schubert, der Botschaftsprediger in Rom heraus: Schubert 1913; jüngst Gerhard Besier, Die Landeskirche und die Revolution von 1848/49, in: Geschichte der Evangelischen Kirche der Union 1992,1, 366-391. 10 Delias (Anm. 8), 35-37.
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Prediger in oft feurigen Worten zum Kampf um die Rechte der Menschheit aufriefen. Diese Gemeinden erhielten gerade in jener Zeit verstärkt Zulauf 11 . Die Vorgänge des Jahres 1848 machen deutlich, welchen Wert es für den Herrscher hatte, wenn er auch Herr der Kirche seines Landes war, wenn er der Institution Kirche sicher sein konnte. Diese Beziehung des Herrschers zur Kirche wird aber gerade durch eine Zeremonie mustergültig zur Anschauung gebracht: die Schlüsselübergabe bei der Einweihung einer Kirche. Sie macht augenfällig, wer der Bauherr ist und wem der Nutznießer dieses Bauwerk verdankt. So kann es kein Zufall sein, daß gerade in einer Zeit, als das Abhängigkeitsverhältnis der Kirche vom Staat so deutlich wurde, die Zeremonie der Schlüsselübergabe erstmals bei Kircheinweihungen Verwendung fand. Im Jahr 1848 kulminierte die Entwicklung des Verhältnisses von Thron zu Altar, wobei freilich auch in der Person Friedrich Wilhelms IV. noch wesentliche Faktoren lagen: Bei ihm verband sich die Idee des Gottesgnadentums mit der Idee der Konstantinischen Kirche, daß also der Herrscher auch selbstverständlich in kirchlichen Belangen mitzureden habe. Schließlich liebte der König symbolträchtige Handlungen. Bei seiner Vorstellung der Apostolischen Kirche war das deutlich geworden, zum Beispiel dadurch, daß er für Weihehandlungen die alte Form des Handauflegens wieder einführen wollte. Solche Gedanken fanden einen fruchtbaren Boden in einer Zeit, die in besonderem Maße traditionsbildend wirkte und für derartige Zeremonien deswegen aufnahmefähig war. In der Volkskunde hat sich zur Charakterisierung des Zeitraums von 1830 bis 1870 der englische Begriff „Invention of Tradition" eingebürgert, ein Begriff, der erst bei genauerem Hinhören seine innere Widersprüchlichkeit offenbart, nämlich daß Traditionen nicht nur gefunden, sondern auch erfunden wurden 12 . Ein markantes Beispiel dafür ist die Kircheinweihungszeremonie mit Schlüsselübergabe.
Schlüssel und Schlüsselübergabe Die Herleitung der Zeremonie der Schlüsselübergabe wird sich als überraschend vielschichtig erweisen. Handelt es sich vordergründig lediglich um eine Zeremonialangelegenheit, so wird diese doch erst durch die Klärung der rechtlichen, und zwar sowohl der zivil- als auch der kirchenrechtlichen Zusammenhänge verständlich. Wie bereits dargelegt, spielte die Schlüsselübergabe bei den Kirchweihzeremonien früherer Zeiten keine Rolle, da die kirchliche Weihe des Ortes durch andere Rituale ausgedrückt wurde. Eine relativ lange Tradition hatte die Schlüsselübergabe dagegen im profanen Bereich. Der Schlüssel als Symbol des Stadt- oder Burgtores markierte die Herrschaft über diese Stadt oder Burg. Die älteste, weithin bekannte bildliche Darstellung finden wir auf dem Teppich von Bayeux, der aus dem Ende des elften Jahrhunderts stammt. Unter den vielen kriegerischen Szenen, mit denen die Taten der Normannen gepriesen werden, befindet sich die Eroberung der Stadt Dinan in der Nähe von Bayeux. Als Zeichen der Aufgabe überreichte der Burg11 Vgl. die Schilderung bei: Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin; Neue Ausgabe 2 Bände Berlin 1918; hier I, 141 ; zum Aufkommen der freien Gemeinden kurz vor der Revolution vgl. Delius (Anm. 8), 23-25. 12 Der volkskundliche Begriff „Invention of Tradition" entspricht inhaltlich weitgehend dem kunsthistorischen Historismus-Begriff. Zur volkskundlichen Fragestellung vgl. einführend: The Invention of Tradition; ed. E. Hobsbawm und T. Ranger; Cambridge 1983. - Ich danke Prof. Dr. Wolfgang Brückner für nützliche Hinweise zur Beurteilung dieses Phänomens.
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herr die Schlüssel, die er an einer Lanze aufgehängt hatte, seinem Bezwinger Wilhelm 1 3 . Für die Barockzeit sei auf Velazquez' Bild „Die Übergabe von Breda" verwiesen. In der Darstellung der Übergabe der Stadtschlüssel der niederländischen Stadt Breda, die 1624 stattfand, verdichtete Velazquez tiefgründig psychologisierend die Ereignisse und Personen des spanischniederländischen Krieges 1 4 . Beide Bilder stehen stellvertretend für eine lange Tradition, in der mit Hilfe des Schlüssels Machtverhältnisse klargelegt wurden; dabei ist durchaus davon auszugehen, daß der Schlüssel in zweierlei Formen gemeint sein kann: real existierend und symbolisch oder: tatsächlich funktionierend und zeremoniell. In der Barockzeit sind Zeremonienschlüssel gut vorstellbar, auch Zeremonien etwa bei Kaisereinzügen überliefert oder solche Zeremonienschlüssel sogar materiell erhalten, im Falle der Normandie des 11. Jahrhunderts wird man allerdings eher an eine konkrete Schlüsselübergabe denken müssen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten nun rechtsgeschichtliche Forschungen ein, die auch die Rolle des Schlüssels als Rechtssymbol wieder betonen sollten. Er spielte dabei keine überragende, eher eine bescheidene Rolle. Das Zentrum dieser Forschungen war aber in unmittelbarer Umgebung des preußischen Königs, nämlich die Berliner Universität, an der Friedrich Carl von Savigny und seine Schüler die Begründer der rechtsgeschichtlichen Forschung in Deutschland wurden. Savigny war darüber hinaus als Lehrer des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und später, bis 1848, als Mitglied in dessen Staatsrat tätig 1 5 . Savignys Interesse galt dem Römischen Recht, d e m er einen Großteil seiner beruflichen Zeit und seiner Publikationen widmete. Sein erstes Buch, mit dem er die Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts überwand, behandelte „Das Recht des Besitzes", das von 1803 bis 1836 insgesamt sechs jeweils stark vermehrte Auflagen erzielte 1 6 . Aus d e m Römischen Recht wies er nach, daß Besitz erst dann erworben ist, wenn die Schlüssel dazu übergeben sind, das heißt, daß die Schlüsselübergabe einen konstitutiven Rechtsakt darstellte 1 7 . Ein Schüler Savignys war Carl Gustav Homeyer, der wenig von der Brillanz seines Lehrers hatte und als recht trockener Professor über 50 Jahre an der Berliner Universität wirkte. Er kümmerte sich um die Wiedergewinnung der Rechtsbücher des mittelalterlichen Deutschland 1 8 , als deren berühmtestes der Sachsenspiegel gilt. In geduldiger Kleinarbeit, bei der er alle
13 David M. Wilson, Der Teppich von Bayeux; London 1985, Taf. 23; Andreas Kuhn, Der Teppich von Bayeux in seinen Gebärden: Versuch einer Deutung, in: Studi Medievali ser. 3, 33, 1992 (1993), 1-71, hier S. 38. Die Inschrift lautet: „Hic milites Wilhelmi Ducis pugnant contra Dînantes et Cunan claves porrexit"; in Übersetzung: „Hier kämpfen Wilhelms Soldaten gegen die Männer von Dinan, und Conan (der Führer von Dinan) übergab die Schlüssel." 14 José Gudiol, The complete Paintings of Velazquez; New York 1983, 144-146 und Abbildung 113; zum gesamten Gemäldezyklus im Palast Buen Retiro in Madrid vgl. Carl Justi, Diego Velazquez und sein Jahrhundert; 2 Bände Bonn 1888, hier I, 346-351 und 354-370. 15 Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte; 4. erg. Aufl. Tübingen 1963, 467-542, hier 512 und 525. 16 Wolf (Anm. 15), 485-486. 17 Friedrich Carl von Savigny, Das Recht des Besitzes. Eine civilistische Abhandlung; 7. Ausgabe Berlin 1864 (Reprint Darmstadt 1967), 223-225 (§ 16); in diesem Punkt ist die 7. Aufl. inhaltsgleich mit den früheren Auflagen. 18 F. Frensdorf, Artikel Homeyer, in: ADB 13, 1881, 44-53.
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erreichbaren mittelalterlichen Handschriften kollationiert hatte, schuf er die erste gründliche Edition des Sachsenspiegels, die weit über hundert Jahre Bestand hatte 19 . Der Text des Sachsenspiegels enthält nun weder den Begriff der Schlüsselübergabe noch des Schlüssels überhaupt, jedoch befinden sich unter den illustrierten Sachsenspiegeln des 14. Jahrhunderts mehrere Exemplare, die einen Schlüssel gerade im Zusammenhang mit einer Kirche zeigen. Die wohl älteste, nur fragmentiert erhaltene Heidelberger Ausgabe 20 und die nur wenig jüngere Dresdener Handschrift 21 zeigen, obwohl sie nicht direkt voneinander abgeschrieben worden sind, eine praktisch identische Darstellung (Abb. 58) 22 . Die ganze Manuskriptseite ist ungefähr halbiert: gegenüber dem Text auf der rechten Seite sind links fünf querrechteckige Bildfelder untereinander angeordnet. Das hier interessierende Bildfeld ist das zweite von oben. Es wird durch zwei Gebäude eingerahmt, denen jeweils eine Personengruppe zugeordnet ist, die wiederum den Rücken einander zukehren. Deutlich zerfällt das Bild also in zwei Teile. Rechts wird das Bild von einer Kirche begrenzt, die durch Kirchturm, Apsis, Giebelkreuz und Wetterhahn gekennzeichnet ist. Vor ihr sitzen ein rotgekleideter Mann und, durch diesen weitgehend verdeckt, eine gelbgekleidete Frau mit Schleier; der Mann übergibt einen übermäßig großen Schlüssel einer grüngekleideten Person, die durch die Tonsur als Kleriker gekennzeichnet ist. Der Oberkörper ist etwas übertrieben nach hinten geneigt, verursacht dadurch, daß der Illustrator die gebeugten Knie als Demutsgestus darstellen wollte. Die linke Szene ist spiegelbildlich aufgebaut. Vor einer zinnenbewehrten Burg sitzt ein Kleriker, neben ihm eine Frau. Durch den Gestus des Hände-Ineinanderlegens wird gezeigt, daß der Kleriker mit der vor ihm knienden Person einen Handel abgeschlossen hat. Ein großes, rotes Β über der Gruppe verweist auf sein gleichfarbiges Pendant im Text daneben, so daß auf diese Weise schnell und sicher Text und Bild zugeordnet werden können. Das Bild illustriert einen Passus des Lehnrechtes 23 , und zwar Abschnitt 2 § 7, der die Möglichkeiten der Anwendung des Lehnrechts auf Personenkreise regelt, die normalerweise von diesem ausgeschlossen sind. Das Lehnrecht war wesentlich auf dem Prinzip aufgebaut, daß waffenfähige Männer gegen Leistung von Militärdienst von ihrem Fürsten ein Lehen erhielten. Daher war für Geistliche und Frauen zunächst kein Platz im Lehnrecht 24 . Das Verleihen eines Burglehens oder einer Kirche an einen Geistlichen oder eine Frau, wie es die Illustration zeigt, war nur dann möglich, wenn die daraus entstehende Pflicht der Lehnsfolge an einen anderen Herren übertragen werden konnte.
19 Des Sachsenspiegels erster Teil oder das sächsische Landrecht; hg. von Carl Gustav Homeyer; Auflagen Berlin 1827, 1835, 1861; Des Sachsenspiegels zweiter Teil nebst den verwandten Rechtsbüchern. 1. Band, das sächsische Lehnrecht und der Richtsteig- Lehnrechts; hg. von dems.; Berlin 1842; Dito, 2. Band, Der Auetor Vetus de Beneficiis, das Görlitzer Rechtsbuch und das System des Lehnrechts; hg. von dems.; Berlin 1844, darin 263-641: Über das Lehnrecht. 20 Sachsenspiegel; Ed. Koschorreck 1970; fol. lv, 2. Bild von oben. 21 Sachsenspiegel; Ed. Amira 1902; Tafel 114 (= fol. 57v), 2. Bild von oben. 22 Ebenso im Wolfenbütteler Codex fol. 59v. 23 Das Lehnrecht macht einen großen Teil des Sachsenspiegels aus. In der fast vollständigen Dresdner Handschrift ist es auf fol. 57 bis 92 dargestellt, fol. 1 bis 56 enthalten das Landrecht. 24 Sachsenspiegel Ed. Homeyer (Anm. 19), 1844, Bd. II, 2. Teil, 298-299; vgl. Heinrich Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt; Weimar 1933; Reprint Darmstadt 1974, speziell 467^170 über die Rolle der Frau im Lehnrecht, die nach Zeit und Ort sehr unterschiedlich sein konnte.
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Der Illustrator des Sachsenspiegels versuchte, alle rechtlich relevanten Aussagen in seinen Bildern auszudrücken. Dabei bediente er sich einer ausgefeilten Darstellungstechnik, bei der nahezu jedem Detail eine Bedeutung zukam. Die Gebärden der Personen drückten ihre Handlungen aus, die Kleidung ihre Position, Rüstung ihren militärischen Rang und weitere Gegenstände präzisierten den Inhalt 25 . Wie das Schwert für das Richtschwert stand, eine Scholle das verliehene Land bezeichnete, so wurde die heerschildfähige Person des Lehnrechts dadurch dargestellt, daß sie große Wappenschilde trug 26 . Das zu verleihende Kirchenlehen konnte logischerweise den Schild nicht zeigen, da der Priester von der Heerpflicht befreit war; vielmehr erschien der Schlüssel als das adäquate Symbol für diesen Rechtsakt. Schaut man nun die ganze Handschrift nach Darstellungen von Schlüsseln durch, fällt auf, daß der Schlüssel nur selten vorkommt, und mit einer einzigen Ausnahme immer einen kirchlichen Bezugspunkt hat 27 . Selbst in einer nebensächlichen Rolle charakterisiert der Schlüssel eine kirchliche Person, nämlich bei der Darstellung des sog. Gerüfts, bei dem alle wehrfähigen Erwachsenen der Nachbarschaft zur Verfolgung eines Verbrechers aufgerufen werden; ausgenommen von diesem Aufruf sind Geistliche, Frauen, Hirten und Küster, letzterer mit dem Kirchenschlüssel in der Hand 28 . Wurzel aller Schlüsseldarstellungen im Sachsenspiegel ist die Darstellung Roms als Hauptstadt der Welt 2 9 . Im Rahmen einer Aufzählung der vergangenen Weltreiche, in die die Herleitung des eigenen Volkes eingewoben wurde, rühmt der Autor Rom als Hauptstadt der ganzen Welt; es habe das weltliche Schwert und Sankt Peters wegen das geistliche. Dargestellt wird der Kaiser mit Schwert und Szepter auf der linken Seite und zur rechten die Übergabe des Schlüssels von Petrus an den Papst in der Art einer Lehensvergabe 30 . Das Schlüsselsymbol, die Macht des Papstes, wird damit auf ihren theologischen, biblischen Gehalt der Schlüsselgewalt zurückgeführt 31 . Das Schlüsselsymbol war, wie gesagt, dem Text des Sachsenspiegels nicht zu entnehmen; dazu waren die bebilderten Handschriften notwendig. Zweierlei mußte aber zusammentreffen, um den illustrierten Sachsenspiegel in der Neuzeit als historisches Objekt wieder bekannt werden zu lassen: ein gesteigertes Interesse an der Sache und die Verfügbarkeit der Handschriften. Beide Aspekte sind wiederum Teil der Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts. 25 Karl von Amira hat anhand der Dresdner Handschrift in mustergültiger und kaum zu überbietender Weise die Darstellungen untersucht. 26 Vgl. z. B. fol. Ir der Heidelberger Handschrift, die den Beginn des Lehnrechts enthält (= Dresdener Handschrift fol. 57r bzw. Taf. 113). 27 Die Ausnahme: Ein Dieb öffnet mittels eines Schlüssels einen Stall, als Illustration zum Landrecht II 35, erhalten nur in der Wolfenbütteler Handschrift; vgl. Sachsenspiegel ed. Amira, Erläuterungen, I, 393. 28 Nach Landrecht II 71; Dresdener Handschrift fol. 35v = ed. Amira Taf. 70 und Erläuterungen, I, 449. In der Heidelberger Handschrift fol. 1 lv ist allerdings kein Gegenstand in der Hand des Küsters zu erkennen. 29 Heidelberg fol. 19v, Dresden fol. 43v = ed. Amira Taf. 86. 30 Sachsenspiegel, ed. Amira, Erläuterungen, II; 27-28. 31 Ein weiteres Mal wird der Schlüssel als Attribut des Papstes in der Darstellung der Zwei-Schwerter-Lehre im Landrecht I 1 gezeigt: Der in der Mitte thronende Christus gibt je ein Schwert dem Kaiser und dem Papst; in Heidelberg nicht erhalten; Dresden fol. 4r = ed. Amira Taf. 7 und Amira, Erläuterungen, I, 135-137.
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Der Dresdener Codex, der wegen seiner fast vollständigen Erhaltung an sich der wichtigere war, stand in Dresden zur Verfügung, aber niemand interessierte sich für ihn. Die Heidelberger Handschrift dagegen war als Teil der Bibliotheca Palatina seit dem 17. Jahrhundert in der vatikanischen Bibliothek und damit fast unerreichbar weit weg. Das sollte sich erst 1815 ändern. Das erwachende Interesse an nationaler Geschichte hatte an der Heidelberger Universität den Wunsch entzündet, die verlorene Bibliothek wiederzugewinnen 32 . Die Chancen standen gut, da sich einige der Heidelberger Codices seit ein paar Jahren in Paris befanden. Zusammen mit antiken und neuzeitlichen Kunstwerken hatte Napoleon auch 500 Handschriften aus dem Vatikan nach Paris in sein „Musée Napoléon" bringen lassen, darunter 38 Codices der Palatina 33 . Mit der Niederlage Napoleons stand auch dieses gewaltigste Museum europäischer Kunst, das je existiert hatte, wieder zur Disposition, da alle europäischen Staaten ihre Kunstschätze zurückforderten. Der Papst hatte dabei eine relativ schwache Position, war er doch schon auf politischem Gebiet auf die Hilfe anderer Regenten angewiesen. Allein die Transportkosten, um seine Kunstwerke von Paris nach Rom zurückzuführen, überstiegen seine Finanzkraft. So war der Papst beziehungsweise sein Unterhändler Canova recht großzügig darin, Kunstwerke zurück- oder anderen zu überlassen, wenn nur die Hauptwerke zurückkehrten, die für den Klassizisten Canova natürlich nur aus den klassischen Perioden der Kunst kommen konnten 34 . Die Heidelberger hatten mächtige Fürsprecher in Paris, nämlich vor allen anderen deutschen Fürsten die preußischen Minister von Altenstein und von Humboldt, denen eine Rückführung der Palatina-Handschriften ein nationales Anliegen war. Relativ leicht konnte der Papst dazu bewogen werden, auf diese 38 Handschriften zu verzichten. Sie kehrten von Paris aus gar nicht mehr nach Rom zurück, sondern wurden gleich dem preußischen Gesandten übergeben. Durch den ersten Erfolg beflügelt, erhofften die Heidelberger die Rückführung der gesamten Palatina-Bibliothek aus Rom zu erreichen. Dieses Ziel scheiterte jedoch an dem päpstlichen Argument, daß die Palatina seinerzeit keineswegs geraubt worden, sondern ein Geschenk gewesen sei; eine Rückführung ähnlich wie nach Napoleons Raubzügen kam also nicht in Betracht. Immerhin aber wurde erreicht, daß diejenigen Handschriften, die die deutsche Geschichte betrafen und auf deutsch abgefaßt waren, der Heidelberger Universität vom Papst zurückgegeben wurden. Im Oktober 1816 kehrten 890 deutschsprachige Handschriften nach Heidelberg zurück, und unter ihnen befand sich auch das illustrierte Heidelberger Exemplar des Sachsenspiegels 35 . Unter allen zurückgekehrten Handschriften weckte der Sachsenspiegel aufgrund seiner Illustrationen das größte Interesse. Innerhalb weniger Jahre wurden gleich zwei Ausgaben hergestellt. Zwar „möge sich das Auge des Künstlers schließen" - so beurteilte Ulrich Friedrich Kopp die Illustrationen - , doch erkannte er sofort ihren Wert in der Symbolsprache. Er edierte
32 Friedrich Wilken, Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen; Heidelberg 1817, 238-270. 33 Zu Napoleons Plänen vgl. Paul Wescher, Kunstraub unter Napoleon; 2. Aufl. Berlin 1978. Wescher geht allerdings auf die Handschriften nicht ein. 34 Wescher (Anm. 33), 138-140. 35 Wilken (Anm. 32), 275-546: Verzeichnis der Handschriften, darunter S. 371 der Sachsenspiegel.
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Auszüge der Handschrift und fügte einige kolorierte Holzschnitte bei 36 . Schon vor Kopp begonnen, aber durch einige Widerwärtigkeiten ins Hintertreffen geraten, erschien erst 1820 eine komplette Edition des Heidelberger Exemplars des Sachsenspiegels, und zwar eine Wiedergabe sämtlicher Bilder in Steindruck, die relativ ausführlich von dem Mitautor der Ausgabe, K. J. Weber, kommentiert wurden 37 . Damit war der Weg für eine weitere Bearbeitung geebnet. Da der Heidelberger Codex nur einen Bruchteil des gesamten Sachsenspiegels darstellte, hatte Homeyer noch die meiste Arbeit vor sich, bis er 1844 endlich die erste vollständige Edition abschließen konnte. Friedrich Wilhelm IV. konnte also auf neueste Forschungsarbeiten zurückgreifen, als er die Schlüsselübergabe in die Kirchweihzeremonie einfügte. Die eigentliche politische Brisanz ergibt sich vor dem Hintergrund der 1848er Ereignisse: Die Schlüsselübergabe des Sachsenspiegels ist eine Szene des Lehnrechts. Das Lehnrecht aber fordert außer der Waffenleistung, von der der Kleriker befreit ist, den Treueid des Lehnnehmers gegenüber dem Lehngeber. Das Maß der Treue des Klerus aber konnte an seinen Predigten gemessen werden.
Geburts- und Grabeskirche An einem zweiten Ort waren Schlüssel von alters her von großer Bedeutung und rückten in jenen Jahren zu weltgeschichtlicher Bedeutung auf: an den Heiligen Stätten der Christenheit in Jerusalem und Bethlehem. Wer den Schlüssel zu den Heiligen Stätten hatte, der hatte Zugang oder konnte den Zugang zu der wichtigsten Wallfahrtsstätte der Christenheit kontrollieren. Die Schlüsselfrage mußte in dem Moment an Brisanz gewinnen, als die Christen nicht mehr Herr des Heiligen Landes waren, und als verschiedene christliche Gruppen um den Besitz der Heiligen Stätten stritten. Im Jahr 637, nur 15 Jahre nach Beginn der muslimischen Ära, wurde Jerusalem von den Arabern erobert und blieb seitdem fest in der Hand der neuen Weltreligion, auch wenn die herrschenden Völker wechselten. Die Kreuzfahrerzeit nimmt sich in diesem langen Zeitraum nur als kleine, freilich wichtige Episode aus, denn nach den Kreuzzügen wurde das Verhältnis der verschiedenen Religionen zueinander viel schwieriger. Die muslimische Herrschaft hatte die Wallfahrt zur Grabeskirche zwar eingeschränkt, aber nicht zum Erliegen gebracht. Auch der lateinische Westen war nach wie vor in Jerusalem vertreten. Deswegen erscheint es logisch, wenn der erste lateinische Herrscher mit imperialem Anspruch - Karl der Große - sich auch um die Heiligen Stätten kümmerte. So berichten die sogenannten Einhardsannalen, daß im Jahr 801 im Auftrage des Jerusalemer Patriarchen eine sarazenische Gesandtschaft Karl dem Großen die Schlüssel zum Heiligen Grab und zum Kalvarienberg gebracht habe 38 . Zweifellos handelte es sich dabei um eine symbolische Schlüsselübergabe, wie auch die mittelalterliche Quelle verrät: 36 Ulrich Friedrich Kopp, Bilder und Schriften der Vorzeit; 2 Bände Mannheim 1819 und 1821. Bd. 1, 43-164: Gemälde des Sachsen-Rechts, hier S. 49 das Zitat; in Bd. 2, 1-34: Fortgesetzte Erklärung der Gemälde des Sachsenrechts, wobei er bereits die Wolfenbütteler Handschrift heranzog, da er bemerkt hatte, daß die Heidelberger Handschrift unvollständig war. 37 Teutsche Denkmäler, herausgegeben und erklärt von Batt, v. Babo, Eitenbenz, Mone und [K. J.] Weber; 1. Lieferung: Bilder zum Sächsischen Land- und Lehnrecht; Heidelberg 1820. 38 Michael Borgolte, Der Gesandtentausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem (Münchener Beiträge zur Mediävistik- und Renaissance-Forschung 25); Diss. München 1974/75; München 1976, der die Frage S. 67-72 ausführlich diskutiert.
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benedictionis causa, mit der sich der Patriarch einen Schutz der Heiligen Stätten oder des Pilgerbetriebs erhoffte. Karl soll daraufhin Geld zur Ausstattung der Kirchen geschickt und ein lateinisches Hospiz mit einer Bibliothek direkt bei der Grabeskirche gegründet haben 39 . Die Folgezeit sollte einige verhängnisvolle Entwicklungen bringen. West- und Ostkirche lebten sich so weit auseinander, daß es im Jahr 1054 mit dem gegenseitigen Bann zum totalen Bruch kam und das Verhältnis der Religionsgemeinschaften daraufhin weitgehend auf Rivalität aufgebaut wurde. Dazu führten die Kreuzzüge zu völlig veränderten Machtkonstellationen im östlichen Mittelmeer, dem Absinken der byzantinischen entsprach ein Erstarken der muslimischen Macht. Entsprechend hatte sich das Bild in Jerusalem gewandelt. Der Pilgerbetrieb wurde nun durch eine muslimische Verwaltung gelenkt, nicht zuletzt durch erhebliche Gebühren belastet und eingeschränkt. Griechen und Kopten, Georgier, Armenier und Lateiner suchten Anteil an den Heiligen Stätten zu gewinnen und wachten eifersüchtig über ihren Besitz. Eine Geschichte der Heiligen Stätten ist deswegen weitgehend eine Geschichte von Besitzstreit und Eifersüchteleien; statt den Bau zu pflegen, wurden dringende Reparaturarbeiten an den Kirchen zu spät oder nur teilweise ausgeführt oder sogar ganz unterlassen, so daß die Heiligen Stätten nicht zur Ehre der Christen gereichten, was ihren Zustand anging und angeht 40 . Die lateinische Kirche war am Ende der Kreuzzüge im Heiligen Land faktisch nicht mehr präsent. Lediglich die Franziskaner konnten nach einiger Zeit als Wächter der Heiligen Stätten zurückkehren. Von den östlichen Riten waren anfangs vor allem die Georgier stark vertreten, die von den Sultanen in Kairo bevorzugt wurden. Als die Türken 1517 die Herrschaft übernahmen, wurde die griechisch-orthodoxe Kirche mehr gefördert und infolgedessen ihr Anteil stärker 41 . Einigermaßen übersichtlich war die Situation an der Geburtskirche in Bethlehem (Abb. 55-57). An die Kirche waren drei Klosterbereiche angegliedert worden: Von der Vorhalle der Kirche führte eine Pforte zum armenischen Kloster, im nördlichen Seitenschiff eine weitere zum Franziskanerkonvent, der von der Disposition um einen Kreuzgang herum am ehesten einer traditionellen abendländischen Klosteranlage entspricht; im Südquerhaus schließlich lag die Pforte zum griechischen Kloster. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts betreuten die Franziskaner das wichtigste Heiligtum, nämlich die Geburtsgrotte unter der Vierung. Daher wurden ihnen in den Urkunden drei Schlüssel zugestanden: zwei für die beiden Abgänge zur Grotte und einer vom Langhaus in ihren Konvent 42 . In späterer Zeit gelang es den Griechen, größere Rechte an der Geburtskirche zu erwerben. Sie durften am Hauptaltar zelebrieren; die gesamte Vierung, Kreuzarme und Apsis standen ih39 Steven Runciman, Charlemagne and Palestine, in: English Historical Review 50, 1935, 606-619, hier 614; Bieberstein 1993 geht nicht näher darauf ein. 40 Ganz im Gegensatz zu dem muslimischen Heiligtum Jerusalems, dem Felsendom. 41 Lemmens 1925, 183ff. 42 Seit wann genau die Geburtskirche von Franziskanern betreut wurde, ist nicht bekannt. Man nimmt die Mitte des 14. Jhs. an. Ein Firman aus der Regierungszeit des En-Naser Farag (1399-1412) bestätigte ihre Vorrechte. Die älteste Urkunde, die die drei Kirchenschlüssel erwähnt, stammt vom 7. Mai 1566, danach öfters; Eutimio Castellani, Catalogo dei Firmani ed altri documenti legali emanati in lingua araba e turca concernenti i Santuari le propietà i diritti della Custodia di Terra Santa conservati nell'Archivio della stessa Custodia in Gerusalemme; Jerusalem 1922, hier S. 9 Nr. 37 und Nr. 164. - Lemmens 1925, 139.
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nen dafür zur Verfügung. Die Franziskaner, die nicht ständig über griechisches Territorium zur Geburtsgrotte gehen wollten, gruben daraufhin kurzerhand einen unterirdischen Verbindungsgang direkt von ihrem Konvent zur Grotte 43 . Der ständig wachsende Einfluß der Griechen zeigte sich 1757, als ihnen zusätzlich zum Hauptaltar noch ein Schlüssel für eine der Treppen zur Geburtsgrotte zugesprochen wurde 44 . Das Verhältnis zu den Lateinern wurde so schlecht, daß die Griechen ihren Kirchenteil durch eine Mauer vom Langhaus abtrennten; dieses blieb ohne Altar und war dadurch für Gottesdienste wertlos geworden. Sepp verglich den Zustand treffend mit einer Simultankirche mit dem Unterschied, daß in Bethlehem im Langhaus „das Gräuel der Verwüstung" herrschte 45 : da es niemand benötigte, diente es lange Zeit sogar als Viehstall 46 . Schwieriger war die Lage in der Grabeskirche. Der verschachtelte spätantike Kernbau mit den Anbauten vornehmlich der Kreuzfahrerzeit umfaßte eine Vielzahl von kleineren Heiligtümern, die auf die Passion Jesu Bezug nehmen. Hier wollte jeder präsent sein. So stritten sich zum Beispiel Ende des 15. Jahrhunderts Franziskaner und Georgier um den Kalvarienberg, der beim mittelalterlichen Eingang der Kirche gleich rechter Hand liegt 47 . Ursprünglich hatten die Franziskaner die ganze Kapelle in Benutzung. Nun hatten die Georgier sich einen Ferman vom Sultan verschafft, der ihnen die Kapelle zusprach. Über Jahre zog sich der Rechtsstreit vor dem Richter hin, währenddessen immer wieder neue Listen erfunden wurden, den Gegner vorzeitig zur Aufgabe zu zwingen; zuletzt versperrten die Georgier den Franziskanern einfach den Weg. Die Richter hatten keine leichte Aufgabe; offensichtlich konnten sie auch die historischen Dokumente, die schon damals nicht lückenlos vorhanden waren, nur teilweise würdigen. Am 31. August 1505 setzte der Richterspruch fest, daß „die Kreuzigung und der Bogen der Addolorata den Franziskanern, die andere Kapellenhälfte und der Steinsitz den Georgiern zugesprochen werde. Die beiden Parteien sollen eine Tür zu dem Raum unter dem Kalvarienberg anfertigen lassen mit zwei Schlüsseln, so daß jede Partei einen eigenen Schlüssel besitzt. "48 Die Geschichte der Heiligen Stätten besteht aus einer ganzen Kette solcher Vorfälle. Beinahe jeder Altar wurde verhandelt, immer wieder wurde festgesetzt, wer wieviele Lampen entzünden dürfe und ähnliches mehr. Im Umgang der Grabrotunde wuchsen Mauern empor, die die Konfessionen voneinander trennen sollten. Als gemeinsamer Besitz blieb nur noch die Rotunde selbst übrig, die als Kirche innerhalb der Kirche wirkte, weil der Eindruck des Innenraums durch die Einbauten, die Ansicht von außen durch die angefügten Klosterbauten kaum mehr wahrzunehmen war (Abb. 59) 49 . Neben diesen Scherereien und Streitereien war jedoch das
43 Sepp 1863,1, 456. 44 Sepp 1863, I, 461. Der Vorgang war immer ähnlich: Eine Partei versuchte unter Vorlage ihr zur Verfügung stehender ausgewählter Dokumente von den türkischen Behörden alte Rechtsverhältnisse bestätigt zu erhalten, ein scheinbar völlig legitimer Vorgang. Jedoch wurden dabei regelmäßig die für diese Partei ungünstigen Dokumente unterschlagen. Die Bestechlichkeit leistete das Ihre dazu. 45 Sepp 1863,1, 453. 46 Die unübersichtliche und verfahrene Situation im 19. Jh. ist kurz geschildert bei Mislin 1860, I, Einleitung S. XXXII. 47 Lemmens 1925, 123. 48 Zusammenfassend übertragen (Unterstreichung von mir) aus Castellani (Anm. 42) Nr. 78. 49 So das Fazit des anonymen Schreibers: Die russischen Prätensionen und das historische Recht an den heiligen Stätten, in: Historisch-politische Blätter 32, 1853, 200-221, hier 213. - C. Schicks Plan (hier Abb. 59) mit der Darstellung der Besitzverhältnisse wurde dem Aufsatz von Guthe
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schlimmste, daß alle Konfessionen, soviel Recht sie an diesem oder jenem Altar der Grabeskirche auch haben konnten, keine Rechte an der Gesamtkirche wahrnehmen konnten, insofern nämlich, als die eigentlichen Kirchenschlüssel in den Händen der Muslime lagen. Das mittelalterliche Doppelportal war zur einen Hälfte vermauert und zur anderen durch eine schwere Eisentüre gesichert; nur zu eng begrenzten Zeiten wurde die Kirche geöffnet und den Pilgern nach Zahlung eines Eintrittsgeldes der Zutritt gestattet 50 . Im Oktober 1808 äscherte eine Feuersbrunst große Teile der Grabeskirche ein, vor allem die Kuppel der Grabrotunde brannte restlos ab. Bedeutende Objekte der mittelalterlichen Kirche wie die Gräber der lateinischen Könige von Jerusalem müssen bei dieser Gelegenheit endgültig zerstört worden sein. Am schnellsten reagierten die Griechen, die sich die Wiederaufbaurechte sicherten und damit die Besitzverhältnisse in der Kirche weiter zu ihren Gunsten verschieben konnten. Obwohl die Franzosen, die seit dem 16. Jahrhundert als Protektionsmacht der lateinischen Christen im Osmanischen Reich auftraten, sogleich dagegen opponierten, blieb es vorerst bei den für die Griechen vorteilhaften Regelungen 51 . Erst als die ersten Westeuropäer um 1840 in Jerusalem eintrafen und das selbst Erlebte zu Hause berichteten, wurde man im Westen gewahr, wie stark die Heiligen Stätten inzwischen unter griechischen Einfluß geraten waren. Die 40er Jahre bedeuteten für die westlichen, katholischen Länder ein Sichbewußtmachen der eigenen unvorteilhaften Lage im Heiligen Land. Gleichzeitig verhärteten sich die Fronten. Einerseits zeigte Frankreich zunehmend Interesse, sich für seine alten Vorrechte einzusetzen, andererseits erkannte Rußland, daß es als Schutzmacht der Orthodoxen, der Griechen also, mehr Einfluß auf seinen südlichen Nachbarn, das wankende Osmanische Reich nehmen konnte 52 . Ein Auslöser der Streitigkeiten lag jedoch in der Geburtskirche in Bethlehem. Die Einflußsphäre der Franziskaner war ständig zurückgegangen, und noch in jüngster Zeit hatten sich die Griechen immer neue Fermane zu ihren Gunsten ausstellen lassen. In dieser Situation war 1847 der silberne Stern verschwunden, der an der Stätte der Geburt Christi in den Fußboden der Geburtsgrotte eingelegt gewesen war. Natürlich ohne Beweis wurden die Griechen des Raubes bezichtigt. Die brisante Lage erkennend hatte der Sultan den Stern auf seine Kosten wiederherstellen lassen, doch es war umsonst: die „question des Lieux Saints" nahm ihren Lauf 53 . Im Mai 1850 verlangte der französische Gesandte in Konstantinopel, Aupick, Rechenschaft von der Hohen Pforte und übergab eine Aufstellung des Status quo der Heiligen Stätten von 1740, dem Jahr, aus welchem Frankreich einen Vertrag mit den Osmanen hatte 54 . Eine daraufhin eingesetzte gemischte Kommission, die die Ansprüche prüfen sollte, wurde von der osmanischen Regierung unter russischem Einfluß aufgelöst und eine neue, nun rein osmanische Kommission eingesetzt. Zwischen den Ansprüchen der Franzosen für die Lateiner und den Forderungen der Russen für die Orthodoxen versuchte die osmanische Regierung einen Konsens
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1885 beigefügt; geringfügig von Mommert 1898 verbessert, wurde er von Verdy du Vernois 1911 übernommen. Ben-Arieh 1984, 208-209; Karl Schnabl, Die römisch-katholische Kirche in Palästina, in: ZDPV 7, 1884, 263-292, bes. 272-273 zu verschiedenen Öffnungsmodi und -kosten. Verdy du Vernois 1911, 60. Verdy du Vernois 1911, 62-63. Sepp 1863,1,461. Verdy du Vernois 1911, 63-68.
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herzustellen und fixierte einen Status quo für 1852. Während Frankreich sich mit der neuen Regelung zufrieden gab, lehnte Rußland nach wie vor ab. Als Hauptstreitpunkte waren nur zwei übrig geblieben: Nach osmanischer Vorstellung gehörte die Geburtskirche ganz den Griechen, den Lateinern sollten aber trotzdem die Hauptschlüssel der Kirche übergeben werden, um den Durchgang zu ihrem Konvent nicht zu behindern. Weiterhin gehöre nur die kleine Kuppel der Grabeskirche den Griechen, die große Kuppel unmittelbar über dem Grab Christi könne nur Eigentum aller Konfessionen sein. Dagegen forderte Rußland, daß die Lateiner in Bethlehem keine Schlüssel haben dürften und daß an der weiteren Ausbesserung der großen Kuppel der Grabeskirche außer der griechischen Kirche keine andere Konfession beteiligt werden dürfe. Als der russische Unterhändler, Fürst Menschikoff, seine Forderungen nicht erfüllt sah, reiste er am 22. Mai 1853 aus Konstantinopel ab, um die politischen Forderungen mit militärischen Mitteln einzulösen. Rußland sollte jedoch sein Ziel im folgenden „Krimkrieg" weit verfehlen: Das Osmanische Reich zerfiel nicht, Rußland mußte seine Schutzmachtstellung über die Christen im Orient und die Heiligen Stätten aufgeben und hatte außerdem seine europäische Vormachtstellung an Frankreich verloren. W a s den Krieg mit ausgelöst hatte, sollte bei den Friedensverhandlungen in Paris keine Rolle mehr spielen: das Verhältnis der Konfessionen an den Heiligen Stätten. Der Status quo, den die Osmanische Regierung 1852 einseitig festgesetzt hatte, blieb eine der großen Konstanten im unruhigen Nahen Osten: Er gilt über alle politischen Veränderungen und Umstürze hinweg noch heute 5 5 .
Die Schlüssel der Altenberger Kirche Die Frage der Heiligen Stätten wurde im Westen aufmerksam verfolgt. Seit spätestens 1847 hatten die Lateiner einen aufmerksamen Beobachter im Heiligen Land: den lateinischen Patriarchen Valerga. Während die bisherigen Wächter am Heiligen Grab, die Franziskaner, meist aus einfachsten Verhältnissen stammten, hatte er den Vorteil der besseren Bildung und kirchenpolitischen Schulung. Sehr schnell hatte Valerga die für die Lateiner mißliche Situation in Jerusalem analysiert und sogleich auf ausgedehnten Europareisen auf die Mißstände aufmerksam gemacht 5 6 . Die katholische Presse Europas war auf diese Weise bestens informiert. So war Sepp, der als Berichterstatter der Historisch-politischen Blätter diente, genauestens unterrichtet. Er kannte die russische Position, welche Bedeutung es mit den Schlüsseln auf sich hatte, wußte vor allen Dingen auch genau, welche Konfession wann wieviele Schlüssel beanspruchen konnte. In der Schlüsselfrage und dem Problem des gestohlenen Sterns kulminierte geradezu der ganze Artikel 5 7 . Die Vorgänge im Heiligen Land zeigten ihre Wirkung auch in Preußen 5 8 ; sie waren nicht vorbildhaft, wirkten eher als abschreckendes Vorbild. Dem, der die Geschichte ernst nahm, 55 Der Status quo wurde beim Berliner Vertrag 1878 ebenso bestätigt wie von den Vereinten Nationen 1947; Pierre Medebielle, Noch einmal etwas über das lateinische Patriarchat von Jerusalem; Jerusalem 1962, 84. 56 Mislin 1860,1, Einleitung S. XIII. 57 Russische Prätensionen (Anm. 49), 217-219. 58 Die gut unterrichtete katholische Presse hatte in Preußen einen schweren Stand. Die Einfuhr der Historisch-politischen Blätter zum Beispiel, die von Görres im Zusammenhang mit den Kölner Wirren in München begründet worden waren, war wegen ihrer politischen Tendenzen in Preußen
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mußten sie zu eigenem, besserem Handeln auffordern. Vor diesem Hintergrund betrachtet, stehen die preußischen Kirchenbauten nochmals in einem neuen Licht. Die Verhältnisse in der Geburtskirche waren von Sepp mit einer Simultankirche verglichen worden. Die deutschen Simultankirchen waren aufgrund der Verträge des Westfälischen Friedens 1648 eingerichtet worden, als in bestimmten Regionen das Nebeneinander beider Konfessionen festgeschrieben worden war. Kirchenbauten wurden nun durch eine Mauer abgeteilt, um zwei selbständige Kirchenräume zu gewinnen. Nie war die Einrichtung einer Simultankirche eine schöpferische Bauaufgabe im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern stellte immer eine bauliche Notlösung eines juristisch aufoktroyierten Faktums dar. Ziel war nie der Bau einer Simultankirche, sondern die Ablösung eines bestehenden Simultaneums durch den Bau einer neuen Kirche. Die zahlreichen Diasporagemeinden, die erst im 19. Jahrhundert entstanden sind, zeigten auf vielfältige Weise, wie auch kleine Kirchenbauten für kleine Gemeinden zu bauen waren. Auch in Altenberg bei Köln bestand neben der großen katholischen Gemeinde eine evangelische Diasporagemeinde. Insofern bedeutete die Einführung des Simultaneums in der wiederaufzubauenden Altenberger Kirche etwas besonderes. Die Entscheidung dazu war prinzipiell bereits im Jahr 1834 von Friedrich Wilhelm III. gefällt worden, als er größere Mittel zur Wiederherstellung der Klosterkirche unter der Maßgabe bewilligte, daß die kleine evangelische Gemeinde sie mitbenutzen dürfe 59 . Es wurden allerdings noch keine Einzelheiten festgelegt; das sollte Friedrich Wilhelm IV. vorbehalten bleiben. Als in den 50er Jahren die Wiederherstellungsarbeiten dem Ende entgegengingen, stand die Frage des Simultaneums an. Die obersten Behörden hatten die möglichen Lösungen vorbereitet: Während der Oberkirchenrat für eine völlige gleichheitliche Benutzung der Kirche eintrat, plädierte der rheinische Oberpräsident für die traditionelle Teilung der Kirche. Die Schwierigkeit bestand in diesem Falle darin, daß die evangelische Gemeinde nur etwa ein Zehntel der katholischen Gemeinde ausmachte, die übliche Teilung, Langhaus den Protestanten, Chor den Katholiken zu geben, also überhaupt nicht möglich war, weil die katholische Gemeinde zu groß für diesen Kirchteil war 60 . Am 15. September 1856 - der Krimkrieg war gerade ein halbes Jahr vorbei - entschied sich der König für das völlige Simultaneum. Die ganze Kirche sollte von beiden Konfessionen gemeinsam, lediglich zu unterschiedlichen Zeiten genutzt werden. Bildlichen Ausdruck fand die königliche Entscheidung darin, daß doppelte Schlüssel zu Haupt- und Nebentür der Kirche angefertigt wurden und dieser Schlüsselsatz beiden Konfessionen in einer gemeinsamen Sitzung am 3. Juli 1857 ausgehändigt wurde 61 . bis 1848 verboten. Aber Friedrich Wilhelm IV. war informiert; von ihm ist bekannt, daß er sie regelmäßig las; Rudolf Lill, Die Beilegung der Kölner Wirren 1840-1842 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 6); Köln Diss, phil.; Düsseldorf 1962, 81. 59 Swidbert Schnippenkoetter, Die Rechtsverhältnisse des Altenberger Domes (Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 45); Bonn 1952, 96-98. und Werner Weber, Das Simultaneum am Dom zu Altenberg, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 4, 1955, 31-70. 60 Schnippenkoetter (Anm. 59), 145-147. - Bei der Gesamtzahl der katholischen Gemeinde von 2218 Personen rechnete man übrigens mit 75 % Kirchgängern. 61 Schnippenkoetter (Anm. 59), 148-149; Weber (Anm. 59), 65. - Gewisse Frühformen des doppelten Schlüsselsatzes sind in den gemischtkonfessionellen Reichsstädten denkbar. So wurde an st. Ulrich in Augsburg, dessen Kirchen- und Klostergelände auf beide Konfessionen verteilt worden war, 1616 der früher offene Freithof wegen verschiedener Vorfälle mit einem Portal abgerie-
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li. Die Kirche Friedrich Wilhelms IV.
Der Kontrast, aber auch der bewußte Vergleich mit den Bethlehemitischen Verhältnissen springt ins Auge. Es war ein zukunftweisender Gedanke. Daß Friedrich Wilhelm mit dieser Maßnahme seiner Zeit um mehr als hundert Jahre vorausdachte, konnte man damals kaum ahnen. Von beiden Konfessionen wurde diese Lösung kritisiert, wurden noch nach dem Zweiten Weltkrieg Prozesse geführt. Erst in der heutigen Zeit haben sich die Wogen geglättet, und beide Gemeinden arbeiten im ökumenischen Gedanken zusammen 62 . Im Heiligen Land, wo sogar die Christusfeste von den Konfessionen an unterschiedlichen Tagen gefeiert wurden und werden, konnte man von solchen Verhältnissen nur träumen. Aber auch die evangelische Kirche wollte an den Heiligen Stätten präsent sein, doch aufgrund des Status quo war ihr das in direkter Weise unmöglich. Sie nutzte die Möglichkeit, in unmittelbarer Nähe der Heiligen Stätten eine eigene Kirche zu errichten. Das sollte aber nicht mehr die Leistung Friedrich Wilhelms IV. sein. Als Nachfolger, Erbe und teilweiser Vollstrecker seiner Gedankenwelt trat Wilhelm II. auf.
62 Das Simultaneum rief Rechtsstreitigkeiten um gemeinsamen Besitz und gemeinsamen Gebrauch und Nutzen und Lasten daraus hervor, konkretisiert 1947 in der Frage der Verwendung der Eintrittsgelder bei Besichtigungen! Daraufhin wurden zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben: Schnippenkoetter und Weber (Anm. 59). Noch in den 50er Jahren wurde eine Lösung darin gesehen, das Simultaneum aufzuheben, d.h. eine zweite Kirche zu bauen; Friedrich Gerhard Venderbosch, Der Altenberger Dom. Literaturbericht, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 6, 1957, 181-188. Das heutige friedliche Zusammenleben der Gemeinden, die z.B. das Kirchweihfest gemeinsam feiern, wurde mir brieflich vom katholischen Pfarrer mitgeteilt.
III. Die Kirche Wilhelms II.
Die Vorstellungen zu untersuchen, die Wilhelm II. von der Kirche hatte, fällt wesentlich schwerer als es bei Friedrich Wilhelm IV. der Fall war. Das liegt vor allem daran, daß wir von Wilhelm II. keine derartigen programmatischen Äußerungen besitzen wie von seinem Großonkel. Dessen „Sommernachtstraum" können wir über viele Jahre verfolgen; dazu kennen wir die Gesprächspartner Friedrich Wilhelms IV. und können uns ein Bild über die Diskussionen machen, die er mit Theologen, Architekten und vielen anderen kompetenten Personen geführt hat. Von Friedrich Wilhelm IV. kennen wir den tiefen religiösen Sinn, bei Wilhelm II. ist vielleicht auch in diesem Bereich mit einer gewissen Oberflächlichkeit zu rechnen, die ihn nach Ausweis vieler Quellen charakterisiert hat. Öffentliche Ansprachen oder anekdotenhafte Erinnerungen aus seiner Umgebung werden meist herangezogen, um mit ihrer Hilfe mosaikartig ein Bild des letzten deutschen Kaisers zusammenzufügen. Von Anfang an fixierten sich Monographien über Wilhelm II. auf zwei Themenbereiche: seine oft als übersteigert angesehene Selbstdarstellung und die Frage der Schuld am Ersten Weltkrieg, die ihm teilweise persönlich angelastet wurde. Während die Kriegsschuldfrage in den 20er Jahren ein ganz aktuelles Thema war, das alle anderen Aspekte in Wilhelms Biographie bis heute überschattet, bemühte man sich in letzter Zeit vermehrt, sein Verhalten psychologisch zu ergründen 1 . Daneben sind die Themen, die uns interessieren, sowohl in der zeitgenössischen als auch in der modernen Literatur kaum dargestellt worden. Sein Verhältnis zur Religion wurde nur einmal monographisch behandelt, und zwar von dem katholischen(l) Theologieprofessor Max Buchner lange nach Wilhelms II. Gang ins Exil 2 ; bereits Buchner ging so vor, daß er vor allem
1 In dieser Richtung arbeitete John C. G. Röhl, dessen erster Teil seiner Kaiserbiographie jetzt vorliegt: John C. G. Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859-1888; München 1993. 2 Buchner 1929. - Vgl. dazu die Rezension von Erich Foerster in: ZKiG 49, 1930, 282f. - Weitere, meist kurze Darstellungen: Bernt Satlow, Kirchenpolitische Korrespondenzen Wilhelms II., in: ... und fragten nach Jesus. Festschrift für Ernst Barnikol zum 70. Geburtstag; Berlin [-Ost] 1964, 268-277; Karl Kupisch, Zwischen Dom und Gedächtniskirche. Berliner Hoffrömmigkeit zur Zeit Wilhelms II., in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 1969, 9^-2; Hans Rail, Zur persönlichen Religiosität Kaiser Wilhelms II., in: ZKiG 95, 1984, 382-389; Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Der Gebrauch der Täglichen Losungen und Lehrtexte der Brüdergemeine durch Kaiser Wilhelm II. im Exil Doom 1940/41, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 41, 1989, 52-61.
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///. Die Kirche Wilhelms II.
Reden des Kaisers auswertete. Dabei gibt es wichtige Themen, die einer neuen Untersuchung wert wären, wie zum Beispiel den Babel-Bibel-Streit, bei dem sich Wilhelm II. engagiert an der Diskussion beteiligte, oder den Apostolikumstreit, auf den weiter unten eingegangen wird. Wilhelms II. Urteile über Kunst und Architektur sind seinerzeit und auch jetzt viel kritisiert worden, meist wegen seines Eintretens für monumentale Gestaltungen und wegen seiner Ablehnung und Verhinderung der modernen Kunst 3 . Man vermißt dabei aber Kritik oder Darstellungen seiner Ansichten von religiöser Kunst oder Architektur 4 . Am ehesten werden inzwischen seine Sozial- und Wissenschaftspolitik positiv gesehen, Aspekte, die auch für unsere Arbeit interessant sind. Sozialpolitik war am Ende des letzten Jahrhunderts ein brisantes Thema; zahlreiche Konflikte zwischen Arbeiterschaft und Unternehmern und Staat hatten sich ungelöst angestaut. Mit Wilhelms II. Regierung begann eine neue Sozialpolitik, beispielsweise bei der Sozialversicherung und beim Arbeiterschutz, die im europäischen Raum führend war 5 . In der Wissenschaftspolitik gehen ebenfalls wesentliche Institutionen auf ihn zurück, ohne die die deutsche Wissenschaft nicht hätte ihre Erfolge erzielen können; es sei nur an die Neuordnung der Preußischen Staatsbibliothek und besonders an die Gründung der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft erinnert 6 . Bei der gegenüber Friedrich Wilhelm IV. andersartigen Ausgangslage des Arbeitsmaterials soll jetzt auf anderem Wege versucht werden, einige Aussagen über das Kirchenverständnis Wilhelms II. herauszuarbeiten. Auf der einen Seite hilft die übergeordnete Idee - das Salvatorpatrozinium - , auch bei seinen Kirchenbauten eine Ordnung zu entdecken; auf der anderen Seite sollen die Bauwerke thematisch gruppiert werden, so daß durch sie gewisse Aspekte von Wilhelms II. Kirchenpolitik anschaulich werden. Überraschen wird in diesem Zusammenhang die „konstantinische Idee". Wenn bisher Kirchenbauten Wilhelms II. betrachtet wurden, wurde an ihnen immer - zu Recht - die Mittelalterrezeption herausgearbeitet, konkreter die Zeit der Staufer als leuchtendem Vorbild für das neue Kaisertum des Hauses Hohenzollern. In dem Bildprogramm der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche zum Beispiel wird dies sehr deutlich und soll hier auch nicht verneint werden. Doch ist darüber hinaus auch eine „konstantinische" Sinnschicht zumindest in einigen dieser Bauwerke zu entdecken, und diese soll im Zentrum der folgenden Darstellung stehen.
3 Seidel 1907 hat in offiziellem Auftrag die Projekte, bei denen Wilhelm II. persönlich eingegriffen hat, gesammelt und herausgegeben. - Eine kritische Darstellung z.B. von Josef A. Schmoll gen. Eisenwerth, Kaiser Wilhelm II. und Rodin, in: ders., Rodin-Studien; München 1983, 329-346. 4 Eine Ausnahme bildet: Frowein-Ziroff 1982. - Siebenmorgen 1983b schildert die Ausgestaltung von Maria Laach von der Beuroner Kunst her, nicht von kaiserlicher Seite. 5 Z.B. Fritz Neumeyer, Das Deutsche Arbeitsschutzmuseum in Berlin-Charlottenburg, in: verloren - gefährdet - geschützt. Baudenkmale in Berlin; hg. Norbert Huse; Ausstellungskatalog Berlin [-West] 1988, 330-339; Wilhelm H. Neuser, Das soziale Experiment des Kaisers und der evangelischen Kirche, in: Geschichte der Evangelischen Kirche der Union 1992, II, 307-318. 6 Christian Simon, Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Wissenschaft, in: Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 17); München 1991, 91-110; diese Darstellung gründet auf den veröffentlichten Reden. - Eine zeitgenössische positive Stimme: W. M. Becker, Des Kaisers Forschungsinstitute, in: Der Türmer 13, 1910/11, 1, 546-548.
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Wilhelm II. auf den Spuren Konstantins
Das Engagement Friedrich Wilhelms IV. im Heiligen Land hatte sich auf die Einrichtung des englisch-preußischen Bistums in Jerusalem konzentriert, und später war der Gedanke, den Johanniterorden wiederzubeleben, hinzugetreten. Die Wiedereinrichtung der apostolischen Kirche hat als Leitmotiv die gesamte Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms durchzogen. Im Heiligen Land äußerte sie sich in zwei Aspekten: Wiedergewinnung einer protestantischen apostolisch legitimierten Hierarchie und die Wiedereinrichtung evangelischer Sozialdienste mit Hilfe der Diakonissen. Beim letzten Aspekt vermischten sich die frühchristlichen Diakoniemotive mit den hochmittelalterlichen Ordensvorstellungen. Eine ähnliche Vermischung der Ideen war auch bei den Projekten Friedrich Wilhelms IV. in Preußen zu beobachten gewesen. Wilhelm II. war in mancher Hinsicht der Vollender der Projekte seines Großonkels. Ohne ihn wäre das Werk Friedrich Wilhelms vor allem in Jerusalem Fragment geblieben. Daneben setzte Wilhelm II. aber auch neue Akzente. Dem sozialen Aspekt vielleicht in ähnlicher Weise aufgeschlossen wie sein Vorgänger, setzte er dagegen den apostolischen Gedanken hintan. Im gleichen Maße wurde die konstantinische Idee, die bei Friedrich Wilhelm ja auch schon vorhanden war, nun zur beherrschenden Idee. Unter Wilhelm II. vervielfältigten sich die Projekte im Heiligen Land und wurden auf enge Weise miteinander verknüpft. Wilhelm II. hatte gleich nach seinem Regierungsantritt sein Engagement im Heiligen Land gezeigt und das seit zwanzig Jahren ruhende Projekt Adlers für die Johanniterkirche wieder aufgenommen. Doch überraschenderweise wurde diesem Projekt ein anderes zeitlich vorgezogen, und zwar die evangelische Weihnachtskirche in Bethlehem. Erst nach ihrer Einweihung wurde in Jerusalem der Grundstein zur Erlöserkirche gelegt. Zu deren Einweihung kam Wilhelm II. sogar selber und unterstrich damit die Bedeutung, die er seinen Kirchenbauten beimaß. Tags darauf wurde der Entschluß für das dritte Projekt, die Himmelfahrtskirche gefaßt, für die wiederum die Kaiserin das Protektorat übernahm. Ihre Einweihung schloß dieses Kapitel hohenzollerscher Bautätigkeit im Heiligen Land ab. Drei Kirchen im Heiligen Land zu bauen und zu unterhalten stellte für eine ausländische Kirchengemeinschaft ein großes Unterfangen dar. Da Bethlehem zudem nur wenige Kilometer von Jerusalem entfernt ist, handelt es sich faktisch um drei Kirchen in einer Stadt, eine Tatsache, die noch mehr befremdet. Der Bau dreier Kirchen kann kaum als Diasporapflege gerechtfertigt werden; er muß also tiefere Gründe haben. Die Lösung liegt in der Baupolitik Konstantins des Großen im Heiligen Land, die erstaunliche Parallelen zwischen den beiden Herrschern und ihren Vorstellungen von Religion erkennen läßt. Für die konstantinische Zeit ergänzen sich bauliche Relikte und schriftliche Überlieferung. Als monumentale Reste sind uns heute noch die Kirchen über der Geburtsgrotte 7 und über dem Grab Christi bekannt. Aber auch über der Stätte der Himmelfahrt auf dem Ölberg stand eine Kirche, deren Reste allerdings erst im Februar 1911 gefunden wurden 8 . In dieser Situation half die Konstantinsvita des Eusebius weiter, die ausführlich von den drei konstantinischen Bauten berichtet 9 . Eusebius schildert, wie Konstantin an der vermuteten Grabstelle Christi, die durch 7 Die noch bestehende Kirche ist allerdings größtenteils justinianisch; Kroll 1988, 36-52. 8 Kroll 1988, 418-429; Louis-Hugues Vincent, Eléona, sanctuaire primitif de l'Ascension, in: Revue biblique 64, 1957,48-71. 9 Wir haben keinen Grund, den Berichten des Eusebius zu mißtrauen, auch wenn die Konstantinsvita in der Tradition antiker Dichtung steht und vor allem einen Lobpreis des Kaisers darstellt.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
einen römischen Tempel überbaut worden war, eine kostbar ausgestattete Basilika errichten ließ 10 , dann weiter, wie Helena, Konstantins Mutter, in hohem Alter noch eine Reise ins Heilige Land unternahm, um an den Heiligen Stätten zu beten, und wie sie den Bau zweier Kirchen, nämlich bei der Geburtsgrotte und auf dem Berge der Himmelfahrt, veranlaßte. Ferner erwies sie den Menschen unzählige Wohltaten, verschenkte Geld und Gebrauchsgüter und setzte sich für die Freilassung von Gefangenen ein 11 . Der Bericht des Eusebius von dieser „mystischen und monumentalen Trinität" wirkte so stark, daß mit der einsetzenden Erforschung Palästinas durch de Vogüé 1860 auch die dritte Kirche zu identifizieren gesucht wurde 12 . Bis 1911 glaubte man, in einer Kirche am Abhang des Ölbergs die Himmelfahrtskirche vor sich zu haben; diese kreuzfahrerzeitliche Kirche über spätantiken Resten, die inzwischen als Moschee diente, besuchte auch Wilhelm II. bei seiner Fahrt ins Heilige Land 13 . Die Memorialbauten der beiden Kaiser entstanden also an den gleichen Stätten. Darüberhinaus sind aber noch weitere Analogien festzustellen: Die Rollenverteilung zwischen Kaiser und Angehöriger ist die gleiche, und die Aufgaben sind ähnlich, bloß daß an die Stelle der Kaisermutter die Kaisergemahlin trat. Wie sich die Kaisermutter um Geburts- und Himmelfahrtskirche kümmerte, so sorgte Auguste Victoria für die entsprechenden evangelischen Gegenstücke. Auch der soziale Aspekt wird in ähnlicher Weise betont und jeweils mit den Frauen in Verbindung gebracht: Während Helena allgemein Wohltaten erwies, sind Auguste Victorias soziale Leistungen an die jeweiligen Kirchen gebunden; an die evangelische Geburtskirche in Bethlehem war ein Waisenhaus angegliedert, und die Himmelfahrtskirche sollte Zentrum eines großen Hospizes sein. Den Kaisern dagegen war das zentrale Heiligtum am Grab Christi, dem ihre persönliche Sorge galt, vorbehalten. Und hier war es Wilhelm II. sogar in einem Punkt möglich, Konstantin zu übertreffen: Während Konstantin zur Einweihung der Kirche nur einen hohen Staatsbediensteten, Marianos, nach Jerusalem geschickt hatte 14 , ließ Wilhelm II. es sich nicht nehmen, zur Einweihung der Erlöserkirche selber ins Heilige Land zu fahren.
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Eusebius begann die Konstantinsvita erst nach dem Tod des Kaisers und mußte sie wenige Jahre später unvollendet hinterlassen. Er lebte als Bischof in Caesarea in Palästina, das heißt, daß er über Zeitgenössisches und Vorgänge berichten konnte, die sich in seiner unmittelbaren Nähe abgespielt hatten; in manche Vorgänge war er sogar selber miteinbezogen; Timothy D. Barnes, Constantine and Eusebius; London 1981, v. a. 261-271. Eusebius, Leben Konstantins, III, 25^-0. - Barnes (Anm. 9), v. a. 261-271. - Barnes korrigiert das landläufige Urteil, daß Eusebius ein langjähriger Freund Konstantins und sein Berater in theologischen Fragen gewesen sei. Nach Barnes haben sich beide erst auf dem Konzil von Nizäa kennengelernt, womit schon für diese entscheidende religionspolitische Tat Konstantins ein Mitwirken des Eusebius ausgeschlossen ist. Eusebius, Leben Konstantins, III, 42^4-5. Den Begriff prägte bereits de Vogüé 1860, 57, der 1911 zur Ausgrabung der Eleona-Kirche nochmals nach Jerusalem kam; vgl. Vincent (Anm. 8), 49 und Peter W. L. Walker, Holy city, holy places? Christian attitudes to Jerusalem and the Holy Land in the fourth century; Oxford 1990, 184-198 (the triad). - Bieberstein 1993, 153-156 stellt die drei Kirchen Konstantins an den Anfang einer Entwicklung von Jerusalemer Gedächtniskirchen. Zum sog. Imbomon als Himmelfahrtskirche vgl. z.B. Sepp 1863, I, 569-576. Der Bau stammt in seinen Grundzügen jedoch erst aus dem späten 4. Jahrhunderts; Kroll 1988, 36-52. - Zum Kaiserbesuch: Kaiserpaar 1899, 274. Eusebius, Leben Konstantins, III, 43^15.
1. Wilhelm II. auf den Spuren Konstantins
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Neben den Kirchen Konstantins und Helenas also ließen Wilhelm II. und Auguste Victoria jeweils eine evangelische Kirche bauen. Welche Gründe da mitgespielt haben mochten, und welche Ziele Wilhelm vor Augen hatte, geht aus der Ansprache Wilhelms II. anläßlich des Besuchs der Weihnachtskirche in Bethlehem hervor, wo er nach dem Gottesdienst zu den deutschen evangelischen Geistlichen aus Ägypten, Palästina und Kleinasien sagte: „ Wenn ich die Eindrücke dieser letzten Tage wiedergeben soll, so muß ich sagen, daß ich doch vor allem sehr enttäuscht bin. Ich wollte das eigentlich hier nicht aussprechen. Aber nachdem ich gehört, daß es auch anderen, z. B. meinem Oberhofprediger, nicht anders ergangen ist, so will ich das doch vor Ihnen nicht zurückhalten. ... wenn man diese Zustände an den heiligen Stätten sieht, wie es da zugeht, das kann einem das Herz durchschneiden. Es ist doch eine gewaltige Tatsache, an deren Schauplatz wir stehen, die Emanation der Liebe des Schöpfers, und wie wenig entspricht dem das, was wir gesehen haben! Ich bin darum doppelt froh, hier in Bethlehem den ersten erhebenden Eindruck im Heiligen Lande durch die Feier in Ihrer Mitte empfangen zu haben. Gerade dies Beispiel von Jerusalem mahnt uns dringend, daß wir die kleinen Abteilungen bei unserer Konfession möglichst zurückstellen ... " 15 . Zwei Motive klingen in diesen Worten deutlich an: Zum einen zeigten die evangelischen Kirchen gegenüber den alten Verehrungsstätten Christi geradezu modellhaft Kraft und Qualität der evangelischen Konfession, bildlich gesprochen: der berühmte Stern von Bethlehem, 50 Jahre zuvor Anlaß für offenen Streit der Konfessionen, war nicht mehr in der Geburtsgrotte, sondern er wies nun auf die evangelische Weihnachtskirche hin, über deren Kuppel er leuchtete. Zum anderen klang leise Kritik an den evangelischen Kirchengemeinschaften an: auch sie sollten stärker auf eine Einheit hinarbeiten. Eine einheitliche, starke Kirche war aber ein Leitgedanke sowohl Konstantins als auch Wilhelms II.
Nizäa 325 Seit der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312, als er seinen Mitkaiser Maxentius besiegt hatte, begünstigte Konstantin das Christentum, in dem er ein großes staatstragendes Potential sah. Aber noch gelang es ihm nicht, überall seine Politik durchsetzen. Erst als im Jahr 324 mit Licinius der letzte Gegner ausgeschaltet war, konnte Konstantin seine Politik im ganzen Reich verfolgen. Es ist sehr bezeichnend, daß eine seiner ersten Taten darin bestand, ein Konzil einzuberufen und persönlich zu leiten. Es war das erste Konzil der Kirchengeschichte überhaupt, das im Jahr 325 in Nizäa stattfand, in unmittelbarer Nachbarschaft der gerade in Bau befindlichen Hauptstadt Konstantinopel. Mehrere hundert Bischöfe waren anwesend, nie zuvor war eine solch hohe Zahl kirchlicher Würdenträger an einem Ort versammelt gewesen. Konstantin sah ein wesentliches Ziel des Konzils darin, die christliche Lehre gegen Irrlehren abzugrenzen. Diesem Ziel sollten unter anderem zwei Maßnahmen dienen: die erstmalige allgemeingültige Festlegung eines Glaubensbekenntnisses und ein einheitlicher Ostertermin. Das Glaubensbekenntnis, wie es etwa bei Tauffeiern verwendet wurde, war vorher nie einheitlich festgelegt worden 16 ; die Formulierungen schwankten stark. Außerdem waren in Alexandria zu Beginn des 4. Jahrhunderts über das Wesen Gottes und der Dreieinigkeit größere Lehrdifferenzen aufgetreten, die mit dem Priester Arius verbunden waren. Der Arianismusstreit 15 Reichsbote vom 6. 12. 1898. 16 Zur Geschichte des Glaubensbekenntnisses vgl. jetzt die ausführlichen und grundlegenden Artikel in der TRE, besonders s. v. Apostolische Glaubensbekenntnisse in TRE 3, 1978, 528-566 und Glaubensbekenntnisse in TRE 13, 1984, 399^437.
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111. Die Kirche
Wilhelms
II.
sollte im weiteren vierten Jahrhundert tatsächlich zu den größten Auseinandersetzungen des Christentums führen. Eine streitende, gespaltene Kirche konnte Konstantin in dem Augenblick, als der römische Staat nach Jahrzehnten erstmals wieder unter einem Kaiser vereint war und weiterer, Einheit stiftender Ideen bedurfte, nicht recht sein. Ein einheitliches Glaubenssymbol war in den Augen Konstantins wichtigste Voraussetzung für eine einheitliche Kirche. Darum hat er auf dem Konzil gerade bei diesem Punkt persönlich eingegriffen und mit eigenen Formulierungen einen für alle Parteien tragbaren Kompromiß zu erreichen gesucht. Er machte sich für die berühmte Formulierung des „homoousios", der Wesensgleichheit Christi mit Gottvater, stark 17 . Der zweite Punkt betraf den Osterfesttermin. Da der Termin des Osterfestes durch eine Kombination von Daten aus Sonnenjahr und Mondphasen bestimmt wird, sind zu seiner langfristigen Vorherbestimmung aufwendige Berechnungen nötig. Schon im dritten Jahrhundert hatten unterschiedliche Methoden zu verschiedenen Osterterminen geführt, eine Situation, die für eine einheitliche Kirchenorganisation untragbar sein mußte. Auch hier griff Konstantin ein, um eine einheitliche Regelung zu finden 18 . Beide Punkte wurden nun in einem gewissen, teilweise übertragenen Sinne von Wilhelm II. aufgegriffen. Ähnlich Konstantin glaubte er, zum Wohle der Kirche und zum Wohle des Volkes persönlich in die Geschicke der Kirche eingreifen zu müssen. Dabei sollte die Wittenberger Schloßkirche sein Nizäa sein 19 .
Schloßkirche Wittenberg 1892 Als Erbe seiner Vorfahren hatte Wilhelm die Restaurierung der Wittenberger Schloßkirche übernommen (Abb. 59). Im Jahr 1815 war sie zusammen mit dem sächsischen Kurkreis preußischer Besitz geworden und diente dem neu eingerichteten Predigerseminar als Kirche 20 . Schinkel hatte die Kirche inspiziert, jedoch keine Restaurierungsmaßnahmen ergriffen. Friedrich Wilhelm IV. nahm den 300. Todestag Luthers zum Anlaß, sich um die Kirche mit der Grabstätte Luthers zu kümmern. Sein Eingriff war allerdings sehr punktuell; es ging ihm lediglich um die Thesentür, die Quast nach 12jähriger Planungszeit dann endlich 1856 als aufwendige Por-
17 John Norman Davidson Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse; Göttingen 1972, 244-247. 18 Konstantin äußerte sich in einem Brief an die Kirchen [= Bischöfe] über die Ergebnisse von Nizäa, und in diesem Rahmen über das Osterfest: ist der einstimmige Beschluß gefaßt worden, es sei gut, wenn alle dasselbe
an einem
Tage feierten;
denn was könnte für uns besser, was
voller sein als daß dieses Fest, das uns die Hoffnung auf Unsterblichkeit Ordnung
und so, wie die Berechnung
es offenbar
verlangt,
gegeben
bei allen begangen
hat, in
ehrengleicher
werde, ohne
daß
ein Fehler mitunterlaufe?" Eusebius, Leben Konstantins, III, 17-20, hier 18. - Grundlegend für das Problem bleibt Joseph Schmid, Die Osterfestberechnung in der abendländischen Kirche vom 1. allgemeinen Konzil zu Nicäa bis zum Ende des VIII. Jahrhunderts (Straßburger theologische Studien, IX, 1); Freiburg i. Brsg. 1907, lf. - Im 4. Jh. wurde der einheitliche Ostertermin weitgehend eingehalten, wie jüngst Michaela Zelzer darlegte: Zum Osterbrief des heiligen Ambrosius und zur römischen Osterfestberechnung des 4. Jahrhunderts, in: Wiener Studien 91 (=N. F. 12), 1978, 187-204. Langfristig blieb Konstantins Forderung allerdings bis heute die Erfüllung versagt. 19 Einführende Literatur: Denkmale Wittenberg 1979, bes. 80-107 und 235-280 mit ausführlicher Dokumentation und Bibliographie; Junghans 1982, 176-187; Harksen 1989; Findeisen 1990, 261-269. 20 Lemburg 1989, 60-69; Schulze 1969.
1. Wilhelm II. auf den Spuren
Konstantins
193
talanlage mit bronzenen Türflügeln neu schuf 2 1 . Erst Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte anläßlich der nächsten anstehenden Zentenarfeier, des Lutherjahres 1883, die Restaurierung der gesamten Kirche energisch aufgegriffen. Friedrich Adler, der mit dem Kronprinz bereits wegen der Jerusalemer Kirche in engem Kontakt war, fertigte die Pläne, die bis in die Einzelheiten von Friedrich III. mitbestimmt wurden 22 . Der frühe Tod Friedrichs III. bedeutete keinen wesentlichen Unterbruch der Arbeiten, da sich Wilhelm II. zu den Plänen seines Vaters bekannte. So kann zwar vom materiellen Bestand her die Herrichtung der Schloßkirche im wesentlichen als ein Monument Friedrichs III. gelten 23 . Aber die wenigen und scheinbar geringfügigen Eingriffe Wilhelms II., die er bei verschiedenen Anlässen verfügte, sind in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen: Im November 1890 beschloß er, daß die Thesentür nicht verändert werde, und daß die Turmspitze statt der geplanten Kaiserkrone ein Kreuz erhalten solle. Als letztes - die Kirchenrestaurierung war faktisch schon abgeschlossen - beauftragte er Adler, ein Chorgestühl zu entwerfen 2 4 . Der Turm hatte ursprünglich nicht zu der Schloßkirche gehört, sondern war Teil der wehrhaften spätmittelalterlichen Schloßanlage. Ähnliche Rundtürme finden sich deswegen auch an den anderen Ecken der quadratischen Anlage. Bis ins 19. Jahrhundert wurde der Turm auch seiner Bestimmung gemäß für militärische Zwecke genutzt und war stark beschädigt 25 . Die Restaurierungsaufgabe war jedoch, aus der Schloßkapelle eine Kirche zu machen, und nicht zuletzt für das deswegen erforderliche Geläute war ein Turm erforderlich. Wie ein Pharos - in Anspielung auf den berühmtesten Leuchtturm der Antike, in Alexandria - sollte er das Licht des evangelischen Glaubens verkünden 26 . Adler sah vor, den bei der Kirche gelegenen Eckturm zum Kirchturm auszubauen. Als die Pläne im Laufe des Jahres 1884 weiter ausgearbeitet wurden, stellte das Kultusministerium fest, daß für den Turm das Kriegsministerium zuständig sei 27 . Die Verhandlungen liefen nahezu ein Jahr, bis sich der Reichskanzler persönlich im Mai 1885 mit der Abtretung des Turmes einverstanden erklärte 28 .
21 Den Auftrag zu Entwürfen für die Thesentür hatte Quast am 3. Januar 1844 erhalten; bald wurde nicht nur die Tür, sondern der ganze Portalbereich gestaltet, inklusive eines Lavabildes im Tympanon und zweier Statuen der Kurfürsten Friedrichs des Weisen und Johannes des Beständigen darüber; Berlin GStAPK 2.2.1. 23378, Bl. 2-74. Darüber hinausgehende Vorschläge Quasts, die gesamte Schloßkirche zu restaurieren (Findeisen 1990, 264—265), wurden an den übergeordneten Institutionen nie aktenkundig, da ein offizieller Auftrag nicht vorlag; bereits 1879 konnte ein solches Projekt im Kultusministerium nicht nachgewiesen werden, wo ebenfalls danach gesucht wurde; Berlin GStAPK Rep. 93B 2663, Bl. 53. - Vgl. allgemein auch Ferdinand von Quast, Die Thüren der Schloßkirche zu Wittenberg, in: CKB 1859, 49-56. 22 Lemburg 1989, 62ff. - Erläuterung des Entwurfs vom 15.3. 1883: Berlin GStAPK Rep. 93B 2663, Bl. 79-84. 23 Witte 1893,47. 24 Lemburg 1989, 66. 25 Adler nannte viele Wunden durch Beschießung und Brände; Adler 1906, 201. 26 So Adler 1906,201. 27 Brief des Kultusministeriums vom 16. Juli 1884 an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten; Berlin GStAPK Rep. 93B 2663 Bl. 155. 28 Brief des Kultusministeriums vom 8. Mai 1885 an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten; Berlin GStAPK Rep. 93B 2663 Bl. 174-175.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
Erst jetzt war der Weg für den weiteren Ausbau frei. Adler erhöhte den Turm um 22 m und gab ihm damit die leuchtturmartige Höhe. Als Dekoration erhielt der obere Abschluß des Turmzylinders ein mosaiziertes Schriftband, das die Anfangsworte des Lutherliedes „Ein' feste Burg ist unser Gott" zeigt 29 . Als Abschluß des gekuppelten Turmdaches war ursprünglich eine Krone vorgesehen (Abb. 62) 30 ; Wilhelm II. hatte jedoch stattdessen wieder das Kreuz gewählt 31 . Juristisch gesehen wären beide Dachbekrönungen möglich gewesen, denn der oberste Bauherr war ja der Kaiser beziehungsweise Kronprinz, die Verwendung der Krone also legitimiert. Aber im Gesamtzusammenhang des Schloßkomplexes ist das Kreuz als Firstbekrönung doch angemessener, da Kronen häufig als Dachschmuck fürstlicher profaner Bauwerke dienen. Nur mit einem Kreuz konnte innerhalb der Schloßanlage der religiöse Gebäudeteil herausgehoben werden; außerdem ist das aufgepflanzte Kreuz ein Zeichen des siegreichen Kultes, der einen anderen Kult oder eine andere Nutzung verdrängt oder besiegt hat. Der Rundturm mit Kreuz und Mosaikinschrift illustriert so die Transformation: Wehrturm - Kirchturm in mustergültiger Klarheit (Abb. 61 ) 32 . Das zweite Kunstwerk, an dem von außen die Kirche innerhalb des Schloßbereiches ausgemacht werden konnte, war das Kirchenportal, das von Friedrich Wilhelm IV. wiederhergestellt worden war und in monumentaler Form an die Ereignisse des 31. Oktober 1517 erinnerte. Für Wilhelm II., dem wir nun schon oft als Vollender der Pläne Friedrich Wilhelms begegnet sind, mußte die Tür einen doppelten Reliquiencharakter besitzen: Erinnerung an seinen Vorfahren und an Luther. Daraus wird verständlich, daß Wilhelm II. keine Änderungen wünschte 33 . Das Innere der Schloßkirche hatte mit keinem vorhergehenden Zustand etwas zu tun. Es hatte sich nicht um eine Restaurierung, sondern um die Neuschöpfung einer Schloßkirche gehandelt, an der die führenden Köpfe Preußens nach Direktiven des Kronprinzen beziehungsweise Kaisers beteiligt worden waren. Das architektonische Gerüst und die Hauptausstattungsstücke schuf Adler großenteils nach sächsischen spätmittelalterlichen Vorbildern, um so eine
29 Die Mosaiken stammten noch von der venezianischen Firma Salviati; Piper 1886. - Beachtenswert ist dabei, daß Piper bereits 1886 die Forderung nach einheimischen Mosaikwerkstätten erhoben hat, lange vor dem Regierungsantritt Wilhelms II., der die bekannte Mosaikanstalt Puhl und Wagner in Berlin-Rixdorf entscheidend förderte. 30 Die Kaiserkrone als Abschluß des Turmes wurde im Erläuterungsbericht erwähnt, ferner auch in der ersten Publikation des Projektes von Adler in: ZBV 3, 1883, 282-283. 31 Nach langen Bauunterbrechungen standen im Herbst 1890 eine Reihe Entscheidungen betreffend Einzelheiten der Bauausführung an, die Wilhelm II. in einer Sitzung am 3. 11. 1890 entschied. Dabei wurde der Glockenturm mit kuppeiförmigem Dachabschluß und Laterne zur Ausführung genehmigt, „doch mit der Einschränkung, daß die oberste Spitze nicht mit einer Kaiserkrone, sondern mit einem Kreuze geschmückt wird;" Berlin GStAPK Rep. 93B 2665, Bl. 118-120. 32 Von Wittenberg aus sind auf diese Weise in der Folgezeit manche Kirchbauprojekte mit einem Rundturm zu verstehen: Ζ. B. die Schöneberger Paul-Gerhard-Kirche (die neue Hauptkirche des Berliner Vorortes), die 1908-1910 von Richard Schultze (nicht Friedrich, wie oft zu lesen ist) erbaut worden war; BAW 13, 1911, 397^400. In Freiburg ist der Wettbewerbsentwurf Elsaessers für die Kirche im Stühlinger zu nennen, die spätere Lutherkirche; der Entwurf Elsaessers wurde zwar nicht ausgeführt, war aber trotzdem weithin bekannt; vgl. Neudeutsche Bauzeitung 8, 1912, 354-357 mit Abb. 33 Entscheidung für Beibehaltung der Thesentür Friedrich Wilhelms IV. am selben Tag; wie Anm. 31.
1. Wilhelm II. auf den Spuren
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Schloßkirche aus dem Ursprungsland der Reformation wiederzugewinnen, etwa im Sinne der Torgauer Schloßkapelle, die von Luther selbst eingeweiht worden war 34 . Die wissenschaftliche Prominenz Preußens, teilweise auch Sachsens, - unter anderen die Theologen Kögel, Hölscher und Köstlin, der Kunsthistoriker Bode und der Leiter der Königlichen Bibliothek, Dohme sollte ein ausgeklügeltes ikonographisches Programm für dieses Pantheon der deutschen Reformatoren und Reformationsfürsten garantieren 35 . Aber der vielleicht kompetenteste Mann für diese Aufgabe, Ferdinand Piper, blieb ausgeschlossen. Piper hatte unter Friedrich Wilhelm IV. eine frühchristliche Sammlung an der Berliner Universität eingerichtet und damit nach dem Vatikan als erster überhaupt eine solche Sammlung geschaffen, für die Berlin noch berühmt werden sollte 36 . Die Gründe, warum er der Kommission nicht angehörte, wurden offiziell nie bekannt. Wie sich noch herausstellen wird, hatte er grundsätzlich andere Vorstellungen von der Ausgestaltung der Schloßkirche, die nicht in das offizielle Konzept paßten. Prompt meldete er jedenfalls seine Kritik an der geplanten Ausschmückung an 37 . Abgesehen davon fehlte aber noch etwas Wichtiges, wie Adler bei einer Festrede zu Wilhelms II. Geburtstag am 27. Januar 1894 in der Akademie der Künste mit einem feinen ironischen Unterton bemerkte: „ Und dennoch fehlte dem verjüngten Baue noch ein idealer Kunstschmuck, an den niemand gedacht hatte. Er entsprang in der zwölften Stunde der Initiative des Kaisers und Königs. ... Unserem Monarchen ... erschien es undenkbar, die feierliche Wiedereinweihung zu vollziehen ohne die persönliche Teilnahme aller evangelischen Fürsten Deutschlands. Seiner Anregung folgte ... die Anfertigung und Aufstellung eines großen, aus zweiundzwanzig Sitzplätzen bestehenden Fürstengestühls. " 3 8 In dieser bereits übervollen Ehrenkirche der Reformation wünschte Wilhelm II. nun als letztes noch ein Chorgestühl 39 . Es war allerdings nicht für Kleriker, sondern für Fürsten bestimmt: diese konnten nun in der Schloßkirche zu ihrem „Konzil" Platz nehmen. Nur einmal wurde es seiner Bestimmung gemäß benutzt, eben zur neuen Einweihung der Schloßkirche, und diese Feier war auch das eigentliche Anliegen Wilhelms.
34 Am 15. 10. 1886 hatte Kronprinz Friedrich Wilhelm die Leitlinien der Restaurierung festgelegt, nämlich u.a.: ,J)ie Schloßkirche ist ein Denkmal der Reformationszeit von 1517 bis 1521. Der Styl gedachter Kirche soll möglichst dem Geschmack entsprechen, in welcher dieselbe zur Zeit der Reformation gehalten war;" Berlin GStAPK 2.2.1. 23378, Bl. 85-86; vgl. auch Lemburg 1989, 67; Schulze 1969, 102-105; Harksen 1986, 24-25. 35 Brief des Kultusministeriums vom 3. 8. 1886 an das Ministerium der öffentl. Arbeiten; Berlin GStAPK Rep. 93B 2664 Bl. 58; Lemburg 1989, 65. 36 Nikolaus Müller, Die christlich-archäologische und epigraphische Sammlung, in: Max Lenz (Hg.), Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin; Halle 1910, III, 17-24. - Im Evangelischen Kalender, den Piper seit 1850 herausgab, veröffentlichte er alljährlich profunde Artikel zur christlichen Kunst und Geschichte. Sein Hauptwerk blieb: Einleitung in die Monumentale Theologie; Gotha 1867. Im Nachdruck 1978 gibt Horst Bredekamp einen Überblick über sein Schaffen. 37 Piper 1886. 38 Adler 1906, 202. 39 Wilhelm II. bezeichnete das Gestühl immer als Chorgestühl, u. a. als er mit einem Brief vom 30. 12. 1891 bei den deutschen Fürsten um ihre Beteiligung warb; Berlin GStAPK 2.2.1. 23378, Bl. 157. Die Planungen Adlers hierzu begannen im Frühjahr 1892. Im März genehmigte Wilhelm seine Entwürfe; Berlin GStAPK 2.2.1. 23379 Bl. 1-2. Die Kosten des Gestühls wurden anschließend auf die Fürsten verteilt; Berlin GStAPK 2.2.1. 23380 Bl. 253ff.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
Das Wittenberger Bekenntnis Der Termin der Einweihung war lange vorherbestimmt: es sollte der 31. Oktober 1892 sein, der 375. Jubiläumstag des Thesenanschlags. An diesem Tage wollte Wilhelm II. die deutschen und europäischen Fürsten evangelischen Bekenntnisses und die evangelische Geistlichkeit in der Schloßkirche versammeln. Der Sinn war ein doppelter: Die Einigkeit des Glaubens zu demonstrieren und das an einem allgemeinen evangelischen Feiertag zu tun. Letzteres hatte es bei der Jubiläumsfeier des Thesenanschlags von 1817 ja noch nicht gegeben 40 . Erst mit dem Lutherjahr 1883 waren die Feiertage großenteils koordiniert worden 41 . Im Namen der versammelten Fürsten verlas Wilhelm II. während der Feier das sogenannte Wittenberger Bekenntnis, das von allen Fürsten mitunterzeichnet worden war: „... ist es Mir, dem deutschen Kaiser und Könige von Preußen, Wilhelm II. durch Gottes Gnade beschieden,... heute die Wiedereinweihung dieses Heiligtums der evangelischen Kirche zu vollziehen. ...In evangelischer Glaubensgemeinschaft haben Wir den Allmächtigen, gnadenreichen Gott in heißem Gebet angerufen, Unserem Volke die Segnungen der Reformation zu bewahren, Gottesfurcht, Nächstenliebe und Untertanentreue in unseren Landen zu mehren ... . Wie Wir zu dem die gesamte Christenheit verbindenden Glauben an Jesum Christum, den Mensch gewordenen Gottessohn, den Gekreuzigten und Auferstandenen, Uns von Herzen bekennen ..., also erwarten Wir auch von allen Dienern der evangelischen Kirche, ... ihres Amtes zu warten ... Amen. "42 Das Fürstengestühl verbildlichte das Bekenntnis der Wittenberger Fürstenversammlung auf Dauer, und zwar das Bekenntnis einer von Fürsten gelenkten Kirche. Es scheint, als ob Ferdinand Piper die Wittenberger Ereignisse vorausgeahnt habe. Er hatte geschrieben, daß es einer evangelischen Kirche, erst recht einem Hauptmonument aller Protestanten am besten anstehe, etwa in einer Konzilsdarstellung die Herrschaft des Wortes Gottes dadurch auszudrücken, daß weder ein Kaiser noch ein Bischof der Versammlung präsidiere, sondern auf dem Thron das Evangelium aufgeschlagen sei 43 . Daher dürfe nicht Nizäa dargestellt werden, bei dem Konstantin präsidiert habe, sondern zum Beispiel das Konzil von Konstantinopel 381; damals sei auf dem Thron des Präsidierenden die Bibel gelegen, wie die bildliche Überlieferung belege 44 .
40 Wichmann von Meding, Das Wartburgfest im Rahmen des Reformationsjubiläums 1817, in: ZKiG 97, 1986, 204-236, hier 205ff. zur Zeitstellung der Feiern. - Durch die einseitige Fixierung der Reformationsfeiertage auf Luthergedenktage verloren andere Jubiläen an Bedeutung: Während des brandenburgischen Reformationsjubiläums (1639 - 1739 - 1839) 1889 weilte Wilhelm II. in Griechenland. Vgl. Gerhard Besier, Reformationsfeiern in der Mark Brandenburg vom 17. bis 20. Jh. als Spiegel der Rezeption, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 58, 1991, 134-155, hier bes. 143f. 41 Beispiel Baden: Die Generalsynode 1834 legte als Reformationstag den letzten Sonntag im Juni (Übergabe der Augsburgischen Konfession) fest; Jakob Heinrich Rieger, Sammlung von Gesetzen und Verordnungen über das evangelisch-protestantische Kirchen-, Schul-, Ehe und Armenwesen im Großherzogtum Baden von 1806 bis 1835; 3 Teile Offenburg 1834-36, hier III, 102. Die Generalsynode 1881 beschloß, den auf den 30. Oktober folgenden Sonntag als Reformationstag zu nehmen „zwecks Erzielung einer mit den übrigen evangelischen deutschen Landeskirchen gemeinsamen Reformationsfeier"; Großherzogliches Badisches Gesetzes- und Verordnungsblatt 1882, 34. 42 Wittenberger Bekenntnis, in: CCW 2, 1892, 424; Witte 1894, 83-83. 43 Piper 1886, 13-14.
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Das steingewordene Glaubensbekenntnis Wie Konstantin zu Beginn seiner Alleinherrschaft, so hatte Wilhelm II. am Anfang seiner Regierung ein Zeichen setzen wollen. Wenn die Kirche staatstragend sein sollte - und Wilhelm hatte das mit sehr deutlichen Worten ausgedrückt! - , dann mußte sie auch einig sein, einig im Bekenntnis und einig in der Feier. Deswegen stand eine Glaubensmanifestation am Anfang der jeweiligen Regierungszeit, und es sollte in beiden Fällen ein steinernes Glaubensbekenntnis folgen. Das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis enthält nun folgende Passagen: I. 1. II. 2. 3. 4. 5. 6.a 6.b III. 8.
Credo in Deum, patrem omnipotentem ... et in Jesum Christum, filium ejus unicum ... qui natus ex Maria virgine passus sub Pontio Pilato crucifixus, mortuus et sepultus... resurrexit ascendit ad coelos sedet ad dexteram Dei... et in spiritum sanctum ... 45
Die drei Hauptabschnitte des Glaubensbekenntnisses behandeln die drei Wesenheiten Gottes: Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist. Der mittlere, ausführlichste Teil ist dem Gottessohn vorbehalten, der in seiner irdischen und himmlischen Existenz beschrieben wird. Wenn man diese Glaubensaussagen vergegenwärtigen und konkretisieren möchte, so bieten sich zunächst diejenigen an, in denen Gott leibhaftig geworden ist, also die auf Christus, genauer auf den irdischen, historischen Christus bezogenen Artikel. Diese sind aber auch topographisch exakt faßbar und es entsprechen Bethlehem Golgatha Ölberg
natus crucifixus, sepultus et resurrexit ascendit.
Nun wird klar, daß die drei konstantinischen Kirchen im Heiligen Land den drei zentralen auf Christus bezogenen Aussagen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses entsprechen. Allem Anschein nach hat Konstantins Kirchenbauten im Heiligen Land ein solches Programm zugrunde gelegen 46 .
44 Ferdinand Piper, Der Thron Gottes und die thronende heilige Schrift in den alten Kirchenversammlungen, in: Evangelischer Kalender. Jahrbuch 9, 1858, 17-22. - Es ist die geläufige Konzilsdarstellung. 45 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche; 11. Aufl. Göttingen 1992, 21. 46 So auch John Wilkinson, Christian Pilgrims during the Byzantine Period, in: Palestine Exploration Quarterly 108, 1976, 75-101, hier 82. - Das sog. Apostolische Glaubensbekenntnis stammt in dieser Form zwar erst aus dem Ende des 4. Jahrhunderts; ähnliche Formen sind aber als Taufsymbole bis ins 2. Jahrhundert zurück, vor allem bei Hippolyt von Rom, nachweisbar; Altaner/Stuiber 1993, 85-87.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
Das soeben genannte, sogenannte apostolische Glaubensbekenntnis war auch im Preußen des 19. Jahrhunderts gut bekannt, denn seit 1829 wurde es im kirchlichen Leben immer häufiger eingesetzt. Es gehörte zu jeder Taufe, zu jeder Ordination dazu, wurde aber auch in normalen Gottesdiensten immer häufiger benutzt. Viele Formulierungen, die Gemeinschaft der Heiligen etwa, aber besonders die der Jungfrauengeburt, stießen nun, je öfter das Apostolikum eingesetzt wurde, desto mehr auf den Widerstand vor allem der Theologiestudenten. Zu diesem Kreis, der sich kritisch mit dem Apostolikum und überhaupt mit der Überlieferungsgeschichte des Neuen Testaments auseinandersetzte, gehörte am Ende des Jahrhunderts auch Adolf von Harnack. Der junge Marburger Theologieprofessor, der 1888 gegen größte Bedenken des Oberkirchenrats nach Berlin berufen worden war, sollte 1892 für den bekannten Apostolikumstreit mitverantwortlich werden 47 . Dabei gehörte Adolf von Harnack zu den wichtigsten Wissenschaftlern im Berlin der Jahrhundertwende; neben seinem Fach, der Theologie, das ihm zahlreiche Standardwerke verdankte, war es vor allem die Wissenschaftsorganisation, in der er Überragendes leistete, betraf es nun seine Arbeit in der Akademie der Wissenschaften, die Leitung der Königlichen Bibliothek oder zuletzt den Aufbau der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Notwendigerweise hatte er dabei auch Kontakt zum Kaiser. Das gegenseitige Verhältnis war nicht unbedingt herzlich-freundlich, aber doch voller Respekt und fair dem anderen gegenüber 48 , obwohl gerade die anfängliche Beziehung der beiden zueinander durch den Apostolikumstreit stark belastet war, weil hier völlig entgegengesetzte, tief wurzelnde religiöse Vorstellungen aufeinandertrafen 49 . Der Apostolikumstreit setzte mit ersten Zeitschriftenartikeln im Sommer 1889 ein, als Julius Kaftan in der „Christlichen Welt" über die Notwendigkeit neu formulierter Dogmen sprach 50 . Offen brach der Konflikt aus, als sich ein württembergischer Pfarrer nicht in der Lage sah, bei einer Taufe das Apostolikum zu sprechen. Er wurde fristlos entlassen, obwohl sich über 100 Pfarrer mit ihm solidarisiert hatten. In Preußen fragte daraufhin eine Gruppe von Theologiestudenten Harnack um Rat. In einer Vorlesung entwickelte er seine Antwort, die anschließend in gedruckter Form innert eines Jahres 26 Auflagen erlebte 51 . Das war im Sommer 1892, nur wenige Monate vor der Einweihung der Wittenberger Schloßkirche. Harnack bezog keine extreme Position; in der glänzend geschriebenen Broschüre setzte er die Geschichtlichkeit und Fragwürdigkeit des Apostolikums auseinander. Er setzte sich weder für ein Verbot noch für ein kritikloses Beibehalten des Glaubensbekenntnisses ein, aber er stimmte dafür, es nicht mehr zwingend bei gewissen Handlungen vorzuschreiben und durch diese Freigabe dem Problem den akuten Druck zu nehmen. Die Zeit könnte dann für eine ruhige und sachliche Diskussion genutzt werden. 47 Agnes von Zahn-Harnack, Der Apostolikumstreit des Jahres 1892 und seine Bedeutung für die Gegenwart; Marburg 1950; und besonders die grundlegende Biographie Harnacks von ders.: Zahn-Harnack 1936, 205-214. 48 Zahn-Harnack 1936, 339-355. 49 Auch im späteren Babel-Bibel-Streit zwischen Wilhelm II. und Delitzsch stand Harnack nicht auf Wilhelms Seite. 50 Zahn-Harnack (Anm. 47), 2. 51 Adolf Harnack, Das apostolische Glaubensbekenntnis, ein geschichtlicher Bericht nebst einer Einleitung und einem Nachwort; Berlin 1892; wieder abgedruckt in: ders., Reden und Aufsätze, 1904, I, 219-264.
I. Wilhelm II. auf den Spuren
Konstantins
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Ein Eckpfeiler der christlichen Religion schien damit plötzlich zu wanken. Doch das war nur der Eindruck der Öffentlichkeit, die auf einmal über Zeitschriften und Drucksachen über etwas informiert wurde, was in der wissenschaftlichen Literatur schon seit langem bekannt war 52 . Aber Harnack widersprach damit völlig den Vorstellungen des Kaisers, der Regierung und der Kirchenführung. Es ist wohl nur seiner besonnenen Art zu verdanken, daß der Konflikt in relativ ruhigen Bahnen ausgetragen wurde. Harnack enthielt sich brieflich und in der Öffentlichkeit jeder Polemik. Schließlich wurde der Konflikt dadurch beigelegt, daß neben Harnacks Lehrstuhl noch ein zweiter eingerichtet und mit einem „Orthodoxen" besetzt wurde 53 : In der Sache war nichts entschieden worden, und Harnack sollte noch Jahrzehnte später seine Apostolikumsideen erneut vertreten 54 . Angesichts dieser Lage war das Wittenberger Bekenntnis nicht lediglich ein formaler Akt. Es war ein aktiver Beitrag der Fürsten, speziell Wilhelms II., zu aktuellen Fragen der Kirche, weil sie, wie Konstantin, eine einige und starke Kirche haben wollten. Apostolikumstreit und Einweihung der Wittenberger Schloßkirche im Jahre 1892 decken das unterschiedliche Verständnis auf, das Intellektuelle und der Kaiser von Religion hatten. Während Harnack auch in kritischen Auseinandersetzungen mit religiösen Problemen einen Gewinn für den christlichen Glauben sah, dachte der Kaiser anders: „Ich will, daß meinem Volke die Religion erhalten werde." Dieses Motto schmückt den Vorraum der Kaiserloge der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche 55 ; es war viel mehr, es war der Leitspruch Wilhelms I. und Wilhelms II., das Motto ihrer ganzen Regierungszeit. Zu diesem Bewahren und Erhalten gehörte auch die materielle Erhaltung, das Sichtbarmachen von an sich Unsichtbarem. Tradition zu haben bedeutete, Altes, Gutes zu bewahren oder, wenn Tradition verschüttet war, sie wieder zu beleben und damit der geschichtlichen Wahrheit näher zu kommen. Mit dieser Haltung stand Wilhelm II. nicht allein. Es war eine Grundhaltung fast des ganzen 19. Jahrhunderts, die den Begriff „Historismus" begründete. Das Alte wurde umhegt und gepflegt und erhielt dadurch geradezu Reliquiencharakter. Diese „Kirche zum Anfassen" kam sicher auch großen Teilen der Bevölkerung entgegen. In einer Zeit der größten Wanderungsbewegungen auf der Welt überhaupt, sei es vom Land in die Stadt, innerhalb Europas oder oft auch nach Übersee, mußten Werte wie Tradition und Heimat wichtig werden. In dieser Zeit der Anonymisierung mußte der Weg der Konkretisierung positiv aufgenommen werden. Ein religiöses Glaubensgebäude nicht nur abstrakt zu errichten, sondern für viele konkret erlebbar und in seinem Wert durch „Reliquien" begreifbar zu machen, war wichtig. Doch nicht nur das einfache Volk nahm diese materielle Glaubenshilfe gerne an, auch im gehobenen Bürgertum und unter den Theologen, katholischen wie evangelischen, war diese
52 Harnacks Schrift zu diesem Anlaß faßt lediglich seine viel ausführlichere Dogmengeschichte zusammen. 53 Zu Schlatter, der aus Greifswald nach Berlin berufen wurde, hatte Harnack ein gutes Verhältnis; Zahn-Harnack 1936, 209-210. 54 Zahn-Harnack (Anm. 47), 10-16. 55 Ernst Freiherr von Mirbach, Die Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Zum 22. März 1897; Berlin 1897, 117-178. Der Leitspruch ist häufiger zu finden; Wilhelm II. beschriftete Bilder der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche mit ihm; ebenda, 1. Vorsatzblatt. Der Bildhauer Riegelmann, häufig mit Kaiseraufträgen betraut, fertigte ein Altarpult mit dem gleichen Spruch: Gotthold Riegelmann, Ausgeführte Ornamente; 95 Tafeln; Berlin 1900-1907, Tafel 93 (ohne Unterschrift; für die Homburger Erlöserkirche bestimmt?).
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Haltung weit verbreitet. Die Wittenberger Schloßkirche darf in diesem Sinne nicht nur als isoliertes Monument eines kaiserlichen Willensaktes begriffen werden, sondern stellt auch einen Höhepunkt einer lang anhaltenden Intensivierung des Lutherkultes dar, der im folgenden kurz dargestellt werden soll.
2.
Lutherkult
Gerade um Luther war es im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Kult gekommen, der in mancher Beziehung dem katholischen Reliquienkult ähnelte, ja sogar dessen Auswüchse in den Schatten stellen konnte. Da ihm aber außerhalb von Volksfrömmigkeit und Sagengut die eigentliche, im religiösen Kult begründete Grundlage fehlte, konnte die plötzliche Blüte im 20. Jahrhundert ein rasches Ende finden 1 . Die Erinnerung an Luthers Taten wurde lange lediglich mündlich und schriftlich wachgehalten. Erst später trat das topographisch-monumentale Gedächtnis hinzu, das bestimmte Ereignisse in Luthers Leben an konkret visualisierbare topographische Begebenheiten wie Häuser, Brunnen oder Bäume band. War dieser Schritt getan, dann war der zur Monumentalisierung oder zur Denkmalerhebung meist nur noch ein formaler. Welche von Luthers Taten letztendlich sich mit exakt belegbaren Orten und Situationen verbinden lassen, ist für uns nur noch in Einzelfällen nachvollziehbar. Diese Suche nach historisch belegbaren Wahrheiten muß aber, vielleicht überraschenderweise, nicht immer negativ enden. Sein berühmtes Damaskuserlebnis zum Beispiel, ein gewaltiges Gewitter, durch das er zum Eintritt ins Kloster bewegt wurde, ist keineswegs eine fromme Erfindung späterer Generationen, sondern durch Luthers eigene Briefe wenig später bezeugt 2 . In der Gruppe der Erinnerungsstätten haben die sogenannten Lutherbäume eine besonders lange Tradition, die weit über das 19. Jahrhundert zurückreicht 3 . Diese Bäume markieren die wichtigsten Taten im Leben des Reformators. Als Luther am 4. Mai 1521 zum Beispiel vom Wormser Reichstag in seine Heimat zurückkehrte, der päpstliche Bann also bereits ausgesprochen war und die Reichsacht unmittelbar bevorstand, soll er in Möhra südlich Eisenach, dem Stammort seiner Familie, unter einer Linde auf dem Dorfplatz gepredigt haben 4 . Die Kirche selber war ihm wegen des Bannes versagt 5 . Am selben Tag reiste Luther ab, wurde aber nach
1 Vgl. Brückner 1974 und Hartmut Lehmann, Anmerkungen zur Entmythologisierung der Luthermythen 1883-1983, in: Archiv für Kulturgeschichte 68, 1986, 4 5 7 ^ 7 7 . - Heinrich Boehmer, Der junge Luther; 3. Aufl. Leipzig 1939, S. 353-355 Anhang: Lutherstätten und -Erinnerungsstücke (gegenüber der 1. Auflage 1925 korrigiert). - Volkmar Joestel, Legenden um Martin Luther und andere Geschichten aus Wittenberg; Berlin 1992. 2 Lehmann (Anm. 1), 457-458. 3 Joestel (Anm. 1), 36^15. 4 Luthers Linde wurde vor 150 Jahren durch Sturm zerstört; an ihrer Stelle eine neue Linde; Luther. Stätten 1983, 62. 5 Martin Brecht, Martin Luther: Sein Weg zur Reformation; 1483-1521; Stuttgart 1981, 450 schildert dagegen, daß Luther sich auf dem Weg von Frankfurt nach Eisenach einige Male über das Verbot hinwegsetzte, allerdings auf ausdrückliche Aufforderung des Ortsgeistlichen und unter größter Gefahr.
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kurzer Zeit angeblich bei einer Buche im sogenannten Luthergrund bei Altenstein auf Anweisung des Kurfürsten Friedrich von Sachsen gefangen genommen und zur Wartburg gebracht 6 . Im Laufe der Zeit wuchsen an Luthers Lebensweg noch mehr Bäume in die Höhe. Einige charakteristische Darstellungen finden wir in der barocken Emblematik. Elias Baeck fertigte zum Jubiläumsjahr der Augsburgischen Konfession 1730 eine Illustrationsfolge mit dem Leben Luthers 7 , bei der immerhin ein Viertel der Ereignisse und Eigenschaften des Reformators mittels Baumallegorien ausgedrückt wurden. Zum Beispiel wurde dem Thesenanschlag ein Putto zugeordnet, der einen Baum mit dem Motto Favente Deo - unter der Gunst Gottes - pflanzt. Luthers Auftritt auf dem Reichstag in Worms 1521 wurde durch einen Nadelbaum im Regensturm erläutert. Die Devise Et aestu et frigore constans - in Hitze und Kälte unwandelbar - ist treffendes Sinnbild seiner Standhaftigkeit. Die ersten konkreten Schritte, diese literarischen Zeugnisse wieder in monumentale Form zu fassen, scheinen in Wittenberg unternommen worden zu sein. Am dortigen Elstertor wurde im 18. Jahrhundert eine Eiche gepflanzt, die an die Ereignisse des 10. Dezember 1520, als Luther die päpstliche Bannandrohungsbulle und katholische Rechtsbücher verbrannt hatte, erinnern sollte 8 . Ein Baum in Zusammenhang mit Luther trat also nur in ganz bestimmten Situationen auf, wenn nämlich die Ereignisse zwischen 1517 und 1521 dargestellt wurden, als sich der neue Glaube gegen Papst und gegen Reich behaupten und Luther, aus der Kirche ausgesperrt, im Freien predigen mußte. Die Baumsorte war dabei nicht festgelegt; jedoch handelte es sich bei der Buche bei Altenstein um eine Ausnahme; normalerweise waren es Linden oder Eichen 9 , die Baumarten, die wegen ihrer hervorragenden Eigenschaften als die bevorzugten Gerichtsorte des deutschen Mittelalters galten 10 . Der Baum konnte daher bereits als zusätzliches Argument zur Verteidigung der Lehre Luthers eingesetzt werden. Im 19. Jahrhundert schließlich, dem Jahrhundert der Denkmäler, wurde auch der Baumkult belebt. Die überall schon alten oder mutwillig zerstörten Lutherbäume wurden neu gepflanzt; oft war eine Denkmalsetzung damit verbunden 1 Handelte es sich anfangs nur um einige wenige Linden, Eichen oder Buchen, die meist neben der Kirche an Stätten mit Luthererinnerungen gepflanzt wurden, so änderte sich die Situation mit dem Lutherjahr 1883, als reichsweit Lutherbäume gesetzt wurden. Bis 1935 sind über 500 solcher Lutherbäume bekannt geworden 12 .
6 Luther. Stätten 1983, 64. 7 Luthers Leben 1980, Katalognr. 8, S. 40-45. 8 Die Eiche wurde von französischen Truppen zerstört, eine neue 1830 gepflanzt; Junghans 1982, 102 und 180. - Vorausgegangen war die Herrichtung eines Lutherbrunnens in der Nähe von Wiesigk bei Wittenberg. Luther soll diese Quelle entdeckt und dort mit Melanchthon und anderen an der Bibelübersetzung gearbeitet haben. Dieser Brunnen war 1694 bereits verfallen und wurde 1717 renoviert; ebda. 179. - Vgl. auch Joestel (Anm. 1), 41-43. 9 Gruppe 1974, hier besonders S. 307-308. 10 Jacob Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer; 4. vermehrte Ausgabe 2 Bände Leipzig 1922, II, 414-415. 11 Möhra: ca. 1830 durch Sturm geschädigt, Neupflanzung und 1846 Denkmal; Luther. Stätten 1983, 62; Steinbach: 1841 durch Sturm zerstört; 1857 neue Buche und Denkmal, dazu bereits 1817 eine Quellfassung; ebda. 64; Wittenberg: s.o. 12 Eine Anfrage aus Baltimore hatte 1937 einen Aufruf an alle Pfarrer ausgelöst, Lutherdenkmäler zu melden. Die daraufhin zusammengestellte Liste weist 105 Denkmäler, 77 Lutherbüsten, 66 Ge-
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Eine besondere Rolle spielte die Buche bei Altenstein. Daß Luther bei dieser Buche gefangen genommen worden ist, läßt sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen 13 . Damit gehört die Lutherbuche bei Altenstein zu den ältesten derartigen Erinnerungsstücken. Dies war wohlbekannt, denn sie wurde in die Reformations-Jubiläumsfeiern von 1817 miteinbezogen, die an diesem Ort ihren Anfang nahmen 1 4 . Aber auch an ihr nagten Wind und Wetter, so daß der Pfarrer des benachbarten Steinbach am 5. August 1841 im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen mitteilte: „Die allbekannte heiliggehaltene Lutherbuche bei Altenstein und Steinbach, unter welcher Dr. Luther ruhete, ehe er die Wartburg bezog, ist den 18. Juli 1841 durch den orkanischen Sturmwind während der Sonnenfinsternis bis auf einen Stamm von acht Fuß Höhe und mit noch einem Aste versehen umgebrochen worden. Das Holz und Reißig davon (3 Ά Klafter Holz und 1 'ή Mandel Reißig) ist der Kirche in Steinbach geschenkt worden, allwo es heilig aufbewahrt wird. Freunde und Verehrer des heiligen Baumes können gegen eine Vergütung an die Kirche von diesem Holze Andenken erhalten, wenn sie sich in frankierten Briefen an den Unterzeichneten wenden, welcher eines Jeden Wunsch möglichst zu erfüllen suchen wird. Steinbach den 27. Juli 1841. J. C. Ortmann, Pfarrer. " 1 5 Fast wie eine Reliquie wurde der Baum behandelt, geteilt und verteilt. Die Art der an der Basis entstehenden, nicht von oben verordneten Verehrung, die hier spürbar wird, kam dem Reliquienkult breiter katholischer Bevölkerungskreise gerade dieser Zeit verdächtig nahe 16 . Der Kult war freilich nicht auf das breite Volk beschränkt: Wohl durch den zitierten Artikel informiert, war unter den ersten Kunden Friedrich Wilhelm IV., der gleich mehrere Stücke erwarb und einige Figuren daraus schnitzen ließ, die er in die Sakristei der norwegischen Holzkirche in Brückenberg im Riesengebirge stiftete 17 . Ganz anders sollte die Wittenberger Eiche am Elstertor wirken. Da sie an die Verbrennung des päpstlichen Bannandrohungsbriefes erinnerte, lag in ihr ein dezidiert politischer, antirömischer Affekt begründet. Dieser sollte 1910 nochmals vorgekehrt werden, als aus Ärger über die Borromäus-Enzyklika der rheinische Gustav-Adolf-Verein die Wittenberger aufforderte, aus den Eicheln dieses Luther-Baumes junge Eichbäume zu ziehen und für eine Mark zu verkaufen.
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denktafeln, 66 Gedenksteine und 547 Lutherbäume nach; Luther-Erinnerungsstätten, in: Deutsches Pfarrerblatt 41, 1937, 191, 269f„ 286, 302, 319, 335, 367,400,432,480, 544, 576; 42,1938, 43, 607f. Der Pfarrer der Nachbargemeinde, Ortmann, sprach 1844 von einer 200 Jahre alten Tradition: Johann Conrad Ortmann, Der Stammort Doctor Martin Luthers und die Lutherbuche bei Altenstein und Steinbach; Salzungen 1844, 195. Das Ereignis wurde in den zeitgenössischen Berichten auch illustriert. Eine solche großformatige Radierung ζ. B. im Katalog: Luthers Leben 1980, 84. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen vom 5. August 1841, S. 2724. - Der Text des Zeitungsartikels auch bei Erwin Richter, Die „andächtige Beraubung" geistlicher Toter als volksglaubenskundliches Phänomen, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1960, 82-104, hier S. 96. Richter (Anm. 15), 95 führte den Begriff „Volksreliquien" dafür ein. „Der kostbarste neuere Schmuck [der Kirche] befindet sich in der Sakristei, wo König Friedrich Wilhelm IV. Schnitzereien aus Holz von der Lutherbuche, Friedrich den Weisen, Kurfürsten von Sachsen, Luther, Melanchthon und die Entführung auf die Wartburg darstellend, auf kleinen Postamenten aufstellen ließ. " Erich Gebhardt, Die Kirche Wang im Riesengebirge und ihre Geschichte; 6. verm. Aufl. Hamburg, 1924, 78-79.
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Der Erlös sollte als Anti-Borromäus-Spende für die Diaspora verwendet werden 18 . Tatsächlich lassen sich in der Folgezeit einige solcher Luthereichen nachweisen 19 . Nahezu jede Wirkungsstätte Luthers wurde museal oder denkmalartig aufbereitet, so daß fast jede thüringische und sächsische Stadt über eine Lutherlinde, ein Lutherhaus, eine Lutherkanzel oder anderes verfügte 20 . Der Beginn dieser Entwicklung war häufig mit dem Lutherjahr 1883 verknüpft 2 1 , wie auch bei der größten derartigen Einrichtung, der Lutherhalle zu Wittenberg 22 . Der Endpunkt und Höhepunkt dieser Entwicklung wurde in den Zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts erreicht, als ganze Städte sich mit dem Namen „Lutherstadt" schmückten 23 . Daneben waren die Gegenstände aus Luthers Alltags- und Festtagswelt immer begehrter geworden. Der Hochzeitsbecher war in die Sammlungen der Universität Greifswald gelangt 24 , und von seinem Hochzeitsring kursierten sogar etliche Exemplare, die ein Unterscheiden zwischen Original, Fälschung und volkstümlicher Nachbildung oft schwierig machten 25 . Freilich waren gerade diese Objekte als Ehesymbole den Protestanten besonders wichtig, denn dadurch schlüpfte Luther auch in die Rolle des Begründers des protestantischen Pfarrhauses, eine Rolle, die ihm nachweislich nicht zustand. Als aktive Sammler von Lutheriana erwiesen sich auch die Hohenzollern. Sie besaßen ein Trinkglas von ihm und vor allem seine Totenmaske. Im Rittersaal des Berliner Schlosses hing ein Bergkristalleuchter, der für 15 000 Taler von Worms erworben worden war. Er soll vom Reichstag stammen, und unter ihm soll Luther sich den Ständen gegenüber verteidigt haben 26 . Besonders begehrt als „Lutherreliquien" waren Autographen von Luther, Druckwerke aus seinem Besitz und andere zeitgenössische Schriften, die die historischen Hintergründe seines Lebens aufhellen konnten. Die Streitereien im Lutherjahr 1883 hatten ja gezeigt, daß noch viel 18 Rheinische Diaspora-Pastoren-Konferenz, in: CKB 52, 1910, 391-392. 19 Von den im Pfarrerblatt (Anm. 12) genannten Lutherbäumen sind ca. die Hälfte Eichen; leider wurde nicht bei allen vermerkt, wann sie gepflanzt wurden, so daß die Statistik in dieser Hinsicht wenig Auskunft zu geben vermag. Zwischen 100 und 200 dürfte die Zahl der Anti-Borromäus-Eichen betragen; erwähnt sei die Luthereiche, die 1917 östlich der Lutherkirche in Breslau gepflanzt wurde; sie wurde ausdrücklich als Ableger der Wittenberger Eiche bezeichnet; (Pastor) Sommer, Im Hause des Herrn. Gottesdienst und Gotteshaus im evangelischen Breslau; Breslau 1924, 125. 20 Den Luther-Erinnerungsstätten kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Für sie sei auf die einschlägigen lexikonartigen Führer der jüngsten Zeit hingewiesen: Schulz 1982 und Luther. Stätten 1983. In diesen Führern sind auch viele Lutherdenkmäler registriert, auf die hier überhaupt nicht eingegangen wird. - Zuletzt sei auch an die Lutherkirchen erinnert. 21 Eine Ausnahme macht die Errichtung der Denkmäler, die schon wesentlich früher - mit den Befreiungskriegen - eingesetzt hat. 22 Ronny Kabus, Staatliche Lutherhalle Wittenberg - 100 Jahre reformationsgeschichtliches Museum; Wittenberg 1984; Katalog der Ausstellung Martin Luther 1483 bis 1546 in der Staatlichen Lutherhalle Wittenberg; Wittenberg 1984. 23 Wittenberg und Eisleben. Der Titel ist nach wie vor offizieller Bestandteil des Städtenamens, vergleichbar mit „Bad". 24 Julius Lessing, Der Hochzeitsbecher Dr. Martin Luthers, in: Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 13, 1892, 50-54. 25 Brückner 1974, 268; vgl. besonders Herbert Rode, Die Spende des Eherings Dr. Martin Luthers für den Kölner Dombau „und was damit zusammenhängt", in: Kölner Domblatt 36/37, 1973, 101-114. 26 AELKZ28, 1895,933.
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zu Luthers Verteidigung getan werden mußte. So nimmt es kaum wunder, daß über 70 Drucke des 16. Jahrhunderts mit Luthers Widmungszeilen oder Randbemerkungen 1895/96 plötzlich aus mysteriöser Quelle auf dem Antiquariatsmarkt auftauchten und schnell ihre Abnehmer fanden. Die größten öffentlichen Bibliotheken erwarben sie begierig, allen voran die von katholischen Ländern, die einen Nachholbedarf an Lutheriana hatten. Doch die vermeintlichen Schätze wurden relativ schnell als plumpe Fälschungen entlarvt, was wiederum die katholische Presse aufmerksam registrierte 27 . Die Neubewertung Luthers und seine Aufwertung im Laufe des Jahrhunderts hatte mit dem Reformationsfest 1817 begonnen 2 8 und im Lutherjahr 1883 einen vorläufigen Höhepunkt erfahren. Parallel zur theologischen Aufwertung lief eine vermehrte Beschäftigung mit Luther in den bildenden Künsten. Wittenberg, wo Luther gelehrt hatte und gestorben war, war dafür ein natürlicher Kristallisationspunkt. Hier entstand am Anfang dieser Epoche das erste Lutherdenkmal 29 , nachdem Wittenberg preußisch geworden war. Die Hinwendung des Hohenzollernhauses zum Luthertum war kurz vorher durch Friedrich Wilhelms III. lutherische Gattin Luise erfolgt 30 , weil der König mit seiner Gemahlin gemeinsam den Gottesdienst zu besuchen wünschte. Seitdem wuchs das Interesse des Königshauses an lutherischen Gottesdienstformen, an einer Vereinigung der evangelischen Kirchen Preußens, seitdem wuchs das Interesse an Luther selbst. In dieser Entwicklung markierte die Einweihung der restaurierten Wittenberger Schloßkirche am 31. Oktober 1892 einen Schlußpunkt. Für Wilhelm II. aber war dieselbe Einweihungsfeier wirkungsvoller Auftakt seiner eigenen Kirchenpolitik und Ausgangspunkt seines Kirchenbauprogramms, das durch programmatische Aussagen Grundsteinlegungs- und Einweihzeremonien demonstrativ miteinander verknüpfte: erst Wittenberg, dann Jerusalem!
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Wilhelm II. und die Soziale Frage: Kirchenbau in Berlin
Die Gegner Konstantins waren die Arianer gewesen. Diese hatte er als Gefahr für die kirchliche Einheit angesehen, die er nun so dringend brauchte, um sein Reich zusammenzuhalten. Mit dem Konzil von Nizäa hatte die große Auseinandersetzung mit ihnen begonnen. Doch wer waren die Gegner Wilhelms II.? Die Katholiken etwa? Bei der Lösung dieser Frage kann die Berichterstattung zur Einweihung der Schloßkirche Auskunft geben. Dabei ist die katholische Presse interessanter als die evangelische, die ja an einem Lob der Einweihungsfeier kaum vorbeikam. Die „Germania" zum Beispiel berichtete: „Abgesehen von jedem einer Reformationsfeier an sich naturgemäß anhaftenden Charakter, erkennen wir gerne an, daß nach allem, was bis jetzt berichtet ist..., die Feier in keiner Weise den Charakter einer Feier des katholikenhetzerischen Evangelischen Bundes trug. ... Man hat in Wittenberg ,die Segnungen der Reformation ' gefeiert und positiv dieses Werk zu fördern gesucht, hat aber nicht im Gegensatze zum Kall
Georg Buchwald, Ein unerhörter Schwindel mit Lutherautographen, in: Centralblatt für Bibliothekswesen 13, 1896, 510-513 und: Gefälschte Luther-Reliquien, in: Stimmen aus Maria Laach 52, 1897, 109-111. 28 Gleichzeitig begann eine Vermehrung der „Lutherreliquien"; Karl Josef Hefele, Beiträge zur Kirchengeschichte, Archäologie und Liturgik; 2 Bände Tübingen 1864, hier II, 66-67. 29 Klingenburg 1983. 30 Franz-Duhme 1991, 33-36.
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tholizismus und in Angriffen auf denselben das Wesen der Feier gesucht, wie es leider so oft bei protestantischen Veranstaltungen der Fall ist. Diejenigen, die der Feier diesen positiven, von Verletzungen sich fernhaltenden Charakter aufprägten, haben sich dadurch um den immer wünschenswerten, in unseren Tagen aber besonders nötigen Frieden unter den Konfessionen verdient gemacht und auch um den Frieden im Vaterlande, in dem es wahrlich der Gegensätze und Kämpfe ohnehin genug gibt..."' Es waren also nicht die Katholiken, die als die großen Feinde des Protestantismus angesehen wurden, wie man zunächst im Nachklang des konfessionell hitzigen Lutherjahres 1883 vermuten könnte. Ein Kommentar der Kölner Volkszeitung, der wie fast alle rheinischen Stimmen der Zeit, egal welcher Konfession, im Grundtenor schärfer gehalten war, ließ die Zielrichtung besser erkennen: „... So dehnt sich von Harnack bis Häckel die Phalanx der modernen Reformatoren aus, in ihrer Reihenfolge den Entwicklungsgang des modernen Protestantismus deutlich veranschaulichend. ... Man schmückt die Gräber der Propheten, aber das, was diese an positivem Glauben noch verraten, ist dem Bewußtsein der Massenfremd geworden. Der Trost, den man sich in der Vergangenheit sucht, kann nicht dafür entschädigen, daß es von der Gegenwart heißen muß: ,Es lebt ein andersdenkendes Geschlecht. ' ... Wir gehen mit dem protestantischen Orthodoxismus zusammen, insoweit er noch an gewissen Grundwahrheiten des Christentums festhält; aber wir glauben nicht, daß sein Anklammern an das 16. Jahrhundert den Erfolg haben kann, die liberale Bourgeoisie und die sozialdemokratische Arbeiterwelt wieder zu dem orthodoxen Lutherglauben zurückzuführen ... " 2 Der größere Gegensatz bestand zu jener Zeit nicht zwischen den Konfessionen, sondern zwischen Arbeiterschaft und Bildungsbürgertum, zwischen Arm und Reich. Seit zwanzig Jahren, seit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871, hatte das Wachstum der Wirtschaft die Städte mehr verändert als je zuvor, hatte Mietskasernen entstehen lassen und gleichzeitig zum gewaltigen Anwachsen und Verelenden einer ganzen Bevölkerungsgruppe geführt, nämlich der Arbeiterschaft. Die Soziale Frage war dadurch in bisher unbekannter Härte aufgetreten 3 . Zur Interessenvertretung der Arbeiter war im Jahr 1869 in Eisenach die Sozialdemokratische Partei gegründet worden, die in den ersten Krisen des neuen Deutschen Reiches einen raschen Aufschwung nahm. Als radikale Linke im Jahr 1878 zwei Attentate auf Wilhelm I. verübten, wurden die berüchtigten Sozialistengesetze geschaffen, die entsprechende Umtriebe unterbinden und die gesamte Partei schwächen sollten. Doch ähnlich den Kulturkampfgesetzen geschah auch hier das Gegenteil: Innerlich gestärkt ging die SPD aus diesem Kampf hervor. Die Geltungsdauer der Sozialistengesetze war auf den 1. Oktober 1890 beschränkt gewesen. Wilhelm II. verlängerte sie nicht, sondern hob sie mit den „Februarerlassen" von 1890 auf und machte dadurch deutlich, daß er sich auf einem anderen Wege als seine Vorgänger der Sozialen Frage zuwenden würde. Sozial zu sein, hatte damit eine neue Qualität erreicht; es war eine Aufgabe geworden, die im Mittelpunkt des nationalen Interesses stand. Wilhelm II. hatte in diesem Falle die Zeichen der Zeit klar erkannt. Wie Wilhelm II. mit sozialen Ideen in Kontakt kam, läßt sich bis in die Anfangszeit seiner Ehe zurückverfolgen. Seine Frau Auguste Victoria, die Tochter des Herzogs Friedrich von 1 Germania Jg. 1892 Nr. 253, zitiert in: Die Einweihung der Wittenberger Schloßkirche, in: CCW 2, 1892, 425^128. 2 Aus einem Kommentar der Kölner Volkszeitung von Ende Oktober 1892, zitiert nach dem Bericht in: CCW 2, 1892, 426. 3 Einen Überblick über das Problem und Einblick in die vielfältige Literatur verschafft Thomas Nipperdey, Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918; München 1988, 51-62 und 106-118.
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Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenberg, die er am 27. Februar 1881 geheiratet hatte, war im kleinstädtischen Gotha aufgewachsen, und so war ihr die Berliner Welt, vor allem was die Probleme der Arbeiter anging, völlig neu 4 . Wie ihre Vorgängerinnen, die Königinnen und Prinzessinnen der Hohenzollern, so wollte auch sie karitativ tätig sein. Durch Georg Hinzpeter, den Erzieher Wilhelms, wurde sie bereits im Laufe des Jahres 1882 auf die modernen Probleme der Arbeiterschaft hingewiesen 5 . Dabei scheint er den Kontakt zu Bodelschwingh und seinen Anstalten in Bethel vermittelt zu haben 6 . Hinzpeter muß also als einer der Anreger für das soziale Engagement des Kaiserpaares gelten. Anfänglich suchte man der Sozialen Frage mit traditionellen Mitteln Herr zu werden. Das Prinzenpaar war mit der Organisation von Basaren in der Berliner Stadtmission beschäftigt, die Hofprediger Stoecker besonders intensiv ausbaute 7 . Bodelschwingh rief zu einer „Posaunenspende" auf, mit der notleidende Gemeinden in Berlin unterstützt werden sollten 8 , und die Stadtmission setzte verschiedene Feste an, um größere Einnahmen zu erzielen, Feste, die dann aber wegen des schlechten Gesundheitszustandes der Majestäten abgesagt werden mußten 9 . Zu Ende der 80er Jahre hatte sich die Lage dramatisch zugespitzt; jetzt halfen Spenden- und Sammelaktionen nicht mehr weiter. Not der einzelnen Gemeindeglieder bedeutete auch Not der Kirchengemeinde. In dieser Situation rief Graf Waldersee im November 1887 die nach ihm benannte Konferenz zusammen 1 0 , um ernsthafte Maßnahmen gegen die Kirchennot zu beschließen 11 . Erstes Ergebnis dieser Aktion war die Gründung des „Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins" im Mai 1888, der materielle Hilfe im gesamten Deutschen Reich bringen wollte. Zwei Jahre später wurde aus diesem der „Evangelische Kirchenbauverein für Berlin" herausgelöst. Durch die regionale Beschränkung konnten die Mittel stärker konzentriert werden, und der Name des Vereins deutete bereits sein Ziel an, nämlich Kirchen zu bauen. Die Leitung des Vereins übernahm Freiherr von Mirbach, das Protektorat die Kaiserin. Kirchenbau wurde also auch zur sozialen Befriedung der Arbeiterschaft eingesetzt. Plötzlich hatte man festgestellt, daß seit der Reichsgründung praktisch nur noch einzele Kirchen gebaut worden waren, während die Einwohnerzahl sprunghaft gestiegen war. Es gab Gemeinden
4 Gundermann 1991, 10-11. - Auguste Victoria wuchs - entgegen Gundermann - in Gotha auf; Mathilde Gräfin von Keller, Vierzig Jahre im Dienst der Kaiserin; Leipzig 1935, 12-15. 5 Gundermann 1991, 14-15. 6 Es sind nur wenige Briefe Hinzpeters aus dem Jahr 1882 erhalten, die den Briefwechsel mit Auguste Victoria bestätigen. Der letzte Brief vom 4. November 1882 stellte den Kontakt mit Bodelschwingh her, für den die Unterredung offenbar erfolgreich verlief; Gundermann 1991, 15-16. 7 Mirbach 1904, 6. 8 Hermann Dalton, Über evangelischen Kirchenbau mit besonderem Bezug auf Berlin; Berlin 1899, 26-27. 9 Mirbach 1904, 6-7. 10 Mirbach 1904, 8-9. 11 Aus der reichen Literatur: Karl Kupisch, Adolf Stoecker. Hofprediger und Volkstribun. Ein historisches Porträt (Berlinische Reminiszenzen 29); Berlin [-West] 1970, besonders 58-64; Klaus Erich Pollmann, Adolf Stoecker, in: Berlinische Lebensbilder. Theologen; 1990, 231-247; Berthold Haerter, Des Kaisers neue Kirchen zur Befriedung des Proletariats, in: Lutherische Monatshefte 1991, 232-233.
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mit 30 000, 50 000, sogar 100 000 Seelen, und es nimmt nicht wunder, wenn unter diesen Verhältnissen die kirchliche Bindung der Gemeindeglieder abgenommen hatte. Nur die Hälfte der Kinder wurde noch getauft, nur jede fünfte Ehe kirchlich eingesegnet 12 , ja man sprach davon, daß Berlin „die unkirchlichste Stadt der Welt" sei 13 .
Berliner Kirchenbau unter Wilhelm I. und Friedrich III. Die annähernd drei Jahrzehnte der Herrschaft Wilhelms I. hatten, städtebaulich gesehen, mit dem ersten großen Bebauungsplan für Berlin begonnen. Im Jahr 1862 hatte James Hobrecht einen Bebauungsplan für Berlin aufgestellt, der nach Pariser Vorbild ein System von Ring- und Radialstraßen mit Platzanlagen vorsah 14 . Die wenigen Kirchenbauten dieser Zeit wurden großenteils als monumentale Kirchen entworfen, die sich inmitten eines von der Stadt geschenkten Platzes erheben konnten. Ein Konzept, wie und wo zum Beispiel neue Gemeinden gegründet werden sollten, existierte nicht; ausschlaggebend waren andere Gründe. Die Dankeskirche im Wedding zum Beispiel wurde als Votivkirche nach den mißglückten Attentaten des Jahres 1878 nach Plänen von Orth gebaut 15 . Verfügte eine Gemeinde nicht über solch' hohe Fürsprecher, mußte sie viel bescheidener auftreten. Die Golgathagemeinde im Norden der Altstadt beispielsweise bediente sich des „kompakten Kirchenbauus", um zumindest nach außen eine würdige und große Kirche vorzutäuschen. Friedrich III. regierte zu kurz und war zu dieser Zeit schon zu krank, als daß er als Kaiser viel hätte bewirken können. Aber als Kronprinz spielte er eine wichtige Rolle. Als 13jähriger hatte er als Erzieher den Archäologen Ernst Curtius erhalten; Frucht ihres bald vertraulichen Verhältnisses sollte neben einer vorzüglichen Bildung des Prinzen in den nächsten Jahrzehnten eine ganze Reihe bedeutender kultureller Leistungen sein 16 . Er selber war dadurch prädestiniert für das Protektorat über die königlichen Museen, die unter ihm einen entscheidenden Schritt zur späteren Weltgeltung vollzogen. Unter zwei weiteren Aspekten, die hier interessieren, kam ihm eine Mittlerrolle zwischen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. zu: seiner Kirchenbautätigkeit und seiner Affinität zum Heiligen Land.
12 Wendland 1930, 314-317; Wolfgang Ribbe, Zur Entwicklung und Funktion der Pfarrgemeinden in der evangelischen Kirche Berlins bis zum Ende der Monarchie, in: Seelsorge und Diakonie in Berlin; Berlin 1990, 233-263, hier S. 250-252. 13 Georg von Loebell, Zur Geschichte der evangelischen Kirchengemeinden Berlins während der Jahre 1875-1908; Berlin 1909, 11. 14 Der Bebauungsplan sollte für Wohn-und Arbeitsraum für vier Millionen Einwohner ausreichen. Bis 1919 rechtsverbindlich, hat er vor allem dem Berliner Mietskasernenbau und Hinterhofbauten Vorschub geleistet; Schinz 1964, 121-125. 15 August Orth, Die Dankeskirche in Berlin, in: ZBW 39, 1889, 441^4-56. Der Grundstein war am 22. März 1882, dem Geburtstag des Kaisers, gelegt worden; DBZ 16, 1882, 139; 142; 171; 174f. 16 Martin Philippson, Das Leben Kaiser Friedrichs III.; Wiesbaden 1900, 12ff. zu Curtius. Als weitere Darstellung sind Müller-Bohn 1898 und Friedrich III. 1988 dienlich. - Das gute Verhältnis von Curtius und Kronprinz kam den Ausgrabungen und der Archäologischen Sammlung in Berlin zugute.
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Man sagt von Friedrich Wilhelm, er sei 1831 mit Jordanwasser getauft worden 17 , eine Sitte, die für katholische Fürstenhäuser bezeugt ist 18 und letztlich auf den Wunsch Konstantins, ebenso getauft zu werden, zurückgeführt werden kann 19 . Zwei andere Stationen seines Lebens unterstreichen, daß das Heilige Land für Friedrich III. eine hohe Bedeutung hatte: Seine Reise nach Jerusalem und sein Grabmal. Liest man das Tagebuch seiner Reise in den Nahen Osten, dann wird sofort klar, daß es sich nicht nur um eine Fahrt im Auftrag seines Vaters handelte, um Preußen bei der Eröffnung des Suezkanals würdig zu vertreten oder das Johannitergrundstück in Jerusalem in Empfang zu nehmen. Seinem Tagebuch ist zu entnehmen, daß die Reise ihn „für sein ganzes ferneres Leben glücklich macht"20, eine Formulierung, die wir von Goethes Aufenthalt in Rom kennen. Zweimal besuchte er die Grabeskirche; das erste Mal empfand er sie reichlich abstoßend, doch beim zweiten Besuch, den er ganz allein, vor allem ohne die Mönche unternahm, war er unbehelligt: „In diesem Gotteshause aber ward mir wunderbar zu Mut ..." 21 . Doch nichts ging ihm über den Ölberg: „Die Stadt ist schmutzig und dumpf; ... Die reichste Entschädigung aber bietet die Besteigung des Oelbergs. ... Ich erreichte des Ölbergs Gipfel kurz vor Sonnenuntergang und hatte meinen Standpunkt so genommen, daß die ganze Ausdehnung der Stadt Jerusalem ... sich vor mir entrollte, während auf der entgegengesetzten Seite die ganz eigentümlich schön geformten Felswände des Toten Meeres mit dem Wasserspiegel desselben und einem Teil des Jordantales in lieblicher Großartigkeit zu erblicken waren. ... Jetzt erst konnte ich mir denken, wie der Heiland, hier oben weilend, sein Auge mit Wehmut auf diesen Fluren und den Gebäuden ruhen ließ ... Das Nachlesen der Lieblingsstellen in den Evangelien an solchem Orte ist ein Gottesdienst für sich. "22 Vergleicht man diese Schilderung mit den Erlebnissen Wilhelms II. knapp dreißig Jahre später, fallen sofort große Ähnlichkeiten auf. Es hat den Anschein, als ob Wilhelm II. nicht auf den Spuren Jesu gewandelt wäre, sondern vielmehr auf denen seines Vaters. Densel-
17 So ohne Quellenangabe bei Steckner 1987, 253. 18 Jordanwasser wurde von den Pilgern aus dem Heiligen Land mitgebracht, die meist am historischen Taufort Jesu den Jordan aufgesucht und in ihm gebadet haben. Das Wasser hat eine besondere chemische Zusammensetzung und gilt als besonders lange genießbar. Obwohl sich der Papst wegen aufkommenden Aberglaubens gegen die Verwendung von Jordanwasser aussprach, wurde es, neben der Funktion als Taufwasser, gerade als Reliquie in Grundsteinen kirchlicher Gebäude gerne verwendet, wie z.B. im heiligen Grab in Gelnhausen (heute Homburg v.d.H.). Vgl. Zedlers Universallexikon Bd. 14, 1735, 1127-1135 s.v. Jordan (1132-33 Bräuche um Jordanwasser); Sepp 1863,1, 638 und Louis Jacobi, Das heilige Grab auf dem reformierten Friedhofe zu Homburg vor der Höhe, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde zu Homburg vor der Höhe 4, 1891, 21-34 (mit chemischer Analyse des Wassers). - Z.Zt. Wilhelms II. wurde das Jordanwaser fast industriell abgefüllt und verkauft: Ernst Reventlov, Kaiser Wilhelm und die Byzantiner; München 1906, 56. 19 „In den Fluten des Jordan hatte ich einst gedacht dies [= die Taufe] zu erlangen," sagte Konstantin bei seiner Bitte an die Bischöfe um Taufe kurz vor seinem Tod; Eusebius, Leben Konstantins, IV, 62. 20 Friedrich Wilhelm 1971,38. 21 Friedrich Wilhelm 1971, 42. 22 Friedrich Wilhelm 1971,41.
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ben Platz wie den oben beschriebenen, nämlich mit Aussicht auf beide Seiten des Ölbergs, suchte Wilhelm auch für das Auguste Victoria-Hospiz aus 23 . Wie ein mittelalterlicher Pilger brachte Friedrich III. „Reliquien" aus dem Heiligen Land mit in die Heimat, und zwar in Form von Blumen, die ihm die Mönche gegeben hatten und die sich noch in seinem Nachlaß fanden 24 . Wie mittelalterliche Herrscher wählte er sich seine Grabstätte - in Form einer Nachbildung des Heiligen Grabes. Das Vorbild war die Heiliggrabkapelle, die er auf seiner letzten Reise 1887 in Innichen in Tirol gesehen hatte; der spätere Dombaumeister Raschdorff führte die Rotunde aus 25 . Das Mausoleum wurde an die Friedenskirche in Potsdam angefügt: Friedrich III. war auch im Tode seinem Onkel Friedrich Wilhelm IV. näher als seinem Vater. Die von Friedrich III. geförderten Kirchenbauten sind nicht zahlreich, ihre Auswahl jedoch durchaus aussagekräftig 26 . Das erste Protektorat übernahm der Kronprinz über die evangelische Kirche in Fröschweiler im Elsaß. Diese Kirche war gleich zu Beginn des deutsch-französischen Krieges 1870, bei der Schlacht bei Wörth, die der Kronprinz als Heerführer siegreich geschlagen hatte, zerstört worden. Der Wiederaufbau als Friedenskirche war eine Angelegenheit ganz Deutschlands 27 . Die erbeuteten französischen Kanonenkugeln wurden in Kirchenglocken umgegossen. Der bekannteste Kirchenbau, für den sich Friedrich III. einsetzte, war die Wittenberger Schloßkirche. Von Beginn an beaufsichtigte er die Wiederherstellungsarbeiten und fällte die wichtigen Entscheidungen, so daß der Gesamteindruck der Schloßkirche bis auf die wenigen von Wilhelm II. geänderten Details von ihm stammt. Andere wichtige Restaurierungen betrafen die Dome von Naumburg und Merseburg. In Berlin selbst verdankt nur eine Kirche ihm Entscheidendes: die Kirche zum heiligen Kreuz beim Halleschen Tor 28 . Seit Anfang der 60er Jahre bestand die Gemeinde, die sich lange mit einer Interimskirche begnügen mußte. Pläne des Stadtbaurats Blankenstein lagen bereits vor, als Friedrich in der Vakanzzeit Wilhelms I. 1878 die Regentschaft führte. Er faßte die Angelegenheit weniger als Bedürfnisfrage der Gemeinde auf, vielmehr wünschte er, daß mit der Kirche ein „würdiges Denkmal" geschaffen werde, und gab den Auftrag an Otzen, dessen Altonaer Norder-Kirche er kannte 29 . Otzen schuf seinen ersten großen Bau in Berlin, der ihm die
23 An dieser Stelle ist wieder zu erahnen, daß der Anteil Friedrichs III. an Projekten, die erst sein Sohn Wilhelm II. vollendete, erheblich gewesen sein muß. Dreißig Jahre wilhelminische Regierung ließen diese Leistung völlig in Vergessenheit geraten. 24 Müller-Bohn 1898,327. 25 Friedrich III. 1988, 150. 26 Weder die große Publikation von Müller-Bohn noch der Ausstellungskatalog 1988 machen differenzierte Angaben zu den geförderten Kirchenbauten; Müller-Bohn 1898, 449^455 nennt Kirchen um Potsdam und den Berliner Dom. - Auch meine Aufzählung muß lückenhaft bleiben. 27 Knappe Mitteilungen in: CKB 1873, 32 und 1876, 31. 28 Der Name hat indirekt mit dem Kreuz Christi zu tun: Er war wegen des in der Nähe befindlichen Kreuzbergdenkmals gewählt worden; dieser wiederum hatte seinen Namen (vorher: Tempelhofer Berg) bei der Einweihung des Denkmals 1821 in Erinnerung an das Eiserne Kreuz der Befreiungskriege erhalten; Michael Nungesser, Das Denkmal auf dem Kreuzberg von Karl Friedrich Schinkel; Berlin 1987,41. 29 F.: Berliner Neubauten. 48. Die Kirche zum heiligen Kreuz, in: DB Ζ 23, 1889, 345-346; 381-386 und Taf. S. 348; Kühne/Stephani 1986, 64-65; Bahns 1971, 118-120.
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Grundlage für seine künftige Tätigkeit in der Reichshauptstadt gab. Der Kronprinz konnte die Grundsteinlegung am 18. April 1885 noch selber vornehmen; die Einweihung am 27. Oktober 1888 blieb dem neuen Kaiserpaar, Wilhelm II. und Auguste Victoria als deren erste Kircheneinweihung vorbehalten.
Berliner Kirchenbau unter Wilhelm II. Bereits als Prinzenpaar hatten sich Auguste Victoria und Wilhelm an die Spitze eines kirchlichen Hilfsprogramms gesetzt. Kurze Zeit später konnten sie ihm als Kaiserpaar die Allerhöchste Gunst zukommen lassen und speziell das Berliner Kirchbauprogramm favorisieren. Mit Hilfe der beiden Vereine wurden innert kürzester Zeit beträchtliche Summen gesammelt, so daß schon im Jahr 1890 für drei Kirchbauprojekte der Grundstein gelegt werden konnte. Die Dynamik der Bautätigkeit hat von diesem Zeitpunkt an bis zum Ersten Weltkrieg kaum nachgelassen, so daß in den dreißig Jahren der wilhelminischen Ära ungefähr 80 kirchliche Neubauten im Großraum Berlin ausgeführt wurden, also eine Vervielfachung gegenüber der Zeit 1860/90 30 . Programmatisch übernahm die Kaiserin das Patronat für fast jeden Bau, was mit zusätzlichen Spenden des Kaiserhauses verbunden war. Obligat war, eine Altar- und Kanzelbibel zu stiften, über deren Widmungsvers dann bei der Einweihung der Kirche, anfangs praktisch immer im Beisein des Kaiserpaares, die Einweihungsrede gehalten wurde 31 . Eine entscheidende Funktion kam in dem Kirchenbauverein Ernst Freiherr von Mirbach zu, der nicht nur als Vorsitzender des Vereins fungierte, sondern bei den meisten Projekten auch als die treibende Kraft angesehen werden muß 32 . Im Winter 1881 war Mirbach an den Hof als Kammerherr der Prinzessin Wilhelm, also Auguste Victoria, gekommen. Von Anfang an hatte er die Aufgabe, für Wohltätigkeitszwecke und für die evangelische Kirche zu wirken 33 . Sein Kirchenbaueifer ging so weit, daß man Reiserouten des Kaisers bewußt mit oder ohne Beteiligung Mirbachs plante, da man davon ausgehen konnte, daß Mirbach jeden freien Platz einer Stadt für einen Kirchbau vorschlagen würde, und daß er in diesen Angelegenheiten über die Kaiserin erheblichen Einfluß auf den Kaiser hatte 34 . Bei den Praktiken der Geldbeschaffung
30 Hanns Christoph Brennecke, Protestantischer Kirchenbau an der Wende zum 20. Jahrhundert, in: Geschichte des protestantischen Kirchenbaues 1994, 119-127. 31 Mit zunehmender Bautätigkeit war allerdings das Kaiserpaar überlastet. Mit ministeriellem Zirkular vom 16. 9. 1901 wurde verfügt, daß Gesuche um Teilnahme an Einweihungsfeierlichkeiten nicht mehr direkt an das Kaiserhaus, sondern künftig an den Oberpräsidenten des Oberkirchenrates zu richten seien, der eine erste Auswahl vornehme. Am 23. 2. 1910 ließ die Kaiserin verlauten, daß sie an Weihen lediglich umgebauter Kirchen nicht mehr teilnehmen werde; EZA 14/920, o. Bl. 32 Frowein-Ziroff 1982,41^16. 33 Mirbach 1904, 1. - Zur genaueren Beurteilung Mirbachs ist das Privatarchiv der Familie unerläßlich; dieses befand sich bis 1945 in der Villa der Familie in Potsdam, die von der sowjetischen Armee für Wohnzwecke beschlagnahmt wurde, ohne daß Hab und Gut gerettet werden konnte. Da in der Folgezeit einzelne Erinnerungsstücke auf dem Antiquitätenmarkt auftauchten, ist zu vermuten, daß die familiengeschichtliche Sammlung nicht mehr erhalten ist. Freundliche Mitteilung eines Nachfahren, Dr. E. D. Baron von Mirbach, Bovenau/Holstein. - Mit dem Privatarchiv Mirbach ist auch das Archiv des Kirchenbau Vereins verschwunden.
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nutzte Mirbach alle Möglichkeiten aus, bewegte sich mit berüchtigten Titelverkäufen vorzugsweise an Juden oft am Rande der Legalität, vielleicht auch manchmal jenseits davon. Deswegen in zunehmendem Maße der Kritik ausgesetzt, wurde ihm die Pommernbankaffäre 1904 zum Fallstrick; er mußte seine Hofämter niederlegen, blieb aber nach wie vor aktiv 35 . Der Kirchenbauverein hatte von Anbeginn an ziemlich konstante Mitgliederzahlen, die zwischen 250 und 300 schwankten 36 . In ihm sahen sich Fabrikdirektoren, hoher Adel, Landadel, Gutsbesitzer und hochstehende Beamte der städtischen und staatlichen Behörden vereint. Vertreter einfacher Berufe wie Maurermeister oder Kaufleute machten zusammen höchstens 5 % der Mitgliederzahl aus. Eine Berufsgruppe war relativ gut vertreten: die Architekten. Bereits im ersten Jahresbericht 1890/91 werden Doflein, Grisebach, Richard Hoßfeldt, Kyllmann, Otto March, Orth, Otzen, Schwechten und Spitta genannt 37 . Es waren im wesentlichen die freiberuflichen, nicht in Staatsdiensten stehenden Architekten, die in der Folgezeit auch die Aufträge für die Kirchenbauten erhalten sollten 38 .
Die Erlöserkirche in Rummelsburg, der „Idealbau" Bereits beim Kirchlichen Hilfsverein, der wegen der hohen Kosten gar keine Kirchenbauten finanzieren konnte, hatte Auguste Victoria immer wieder den Wunsch geäußert, einen Kirchenbau in einer armen Berliner Vorstadt zu unterstützen. Als im März 1889 der rheinische Zweigverein 20 000 Mark überwiesen und die Kaiserin die Summe mit einer eigenen Spende verdoppelt hatte, war das Eis gebrochen: Die Spenden flössen nun reichlich. Als Gemeinde war Rummelsburg im Osten Berlins ausgesucht worden, wo inzwischen 10 000 Seelen ohne Kirche und ohne Geistlichen wohnten 39 . Zum Architekten war Max Spitta bestimmt worden, der hier, nach Vorentwürfen von Conrad Wilhelm Hase, einen neugotischen Entwurf ausarbeitete 40 . Das Kirchengrundstück, eine Schenkung des Berliner Magistrats, war ungewöhnlich groß, denn man wollte ein besonderes Bauprogramm verwirklichen: Es sollten nicht nur Kirche und Pfarrhaus gebaut, sondern auch noch eine Krippe, eine Kinderbewahranstalt und eine Volksküche eingerichtet werden (Abb. 63). Am Rande von Berlin, hinter hohen Bahngleisen verborgen, war unvermittelt ein vorbildhafter Kirchenbau entstanden. Die Stilwahl und Raumkonzeption der Kirche waren dabei ne-
34 Entsprechende Witze kursierten in Berlin, nach dem Muster: Herren mit Glatze sollten den Kontakt zu Mirbach meiden, da er diesen freien Platz sofort für einen Kirchbau vorschlagen würde. 35 Zur Charakterisierung allgemein Wendland 1930, 335-336. - Rund um die Pommernbankaffäre: Ferdinand Svendsen, Bakschisch, in: Nation 21, 1903/04, 582-583; Ludwig Eschwege, Der Pommernbank-Prozeß, in: Deutsche Volksstimme 15, 1904, 401-404; Hofmarschallamt, Kirchenbauten und Kunst, in: Kunstwart 17, 1903/04, 2, 401. 36 Ermittelt aus dem 1. Jahresbericht 1890/91 und dem 5. für 1894/95. 37 Mitgliederliste des 1. Jahresberichtes in: Denkschrift 1906, 177-181 (= 1. Jahresbericht, S. 25-29). 38 Der Verdacht einer Kartellbildung drängt sich auf, jedoch ist eine definitive Aussage wegen der verlorenen Akten kaum zu machen. 39 Denkschrift 1906,1, 104. 40 [Max] Spitta, Erlöserkirche und Pfarrhaus in Rummelsburg, in: ZBV 14, 1894, 183-185. Die Kirche ist mit Nebengebäuden und Ausstattung gut erhalten geblieben; KDM Berlin (DDR) II, 1987, 207-208.
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bensächlich; entscheidend war die Einbeziehung neuer Räumlichkeiten, die den ärmeren Gemeindegliedern zur täglichen Benutzung angeboten werden konnten. Das entstehende Gebilde wurde später als „Gruppierter Kirchenbau" bezeichnet, um im Namen anzudeuten, daß mehrere Gebäude und vor allem Funktionen in einer Gruppe zusammengefaßt wurden. In der neuen Bauweise spiegelte sich ein neues Verständnis von Gemeinde, die sich nicht nur sonntags zur Feier des Gottesdienstes treffen, sondern auch im alltäglichen Leben gegenseitig unterstützen sollte. Sie durfte auch nicht zu groß sein, um der Gefahr der Anonymität vorzubeugen. Dieses neue Konzept war nicht von Architekten entwickelt worden, sondern von Theologen. An erster Stelle ist hier der Sachse Emil Sülze zu nennen, der seine neuen Gedanken seit 1881 in Artikeln und 1891 in Buchform veröffentlichte 41 . Im Jahr 1889 hielt er in Berlin beim Evangelischen Bund einen Vortrag über die Erneuerung des Gemeindelebens. Sein Patentrezept lautete: „Wie also ist zu helfen? Man nimmt einen Stadtplan her und teilt mit Hilfe einer guten Statistik die Stadt in Bezirke von etwa 5 000 Protestanten."42 Die Rummelsburger Gemeinde kam mit 10 000 Bewohnern diesem Ideal immerhin ziemlich nahe, wenn man die früheren Gemeindegrößen von 30 000 bis 70 000 Seelen zugrundelegt. Die Rummelsburger Kirche war in gewisser Weise jedoch ein Sonderfall. Das zur Verfügung stehende Areal war sehr reichlich bemessen, vielleicht mitbedingt durch die ungünstige Lage des Grundstücks inmitten der Gabelung einer Eisenbahnlinie. Durch keine umgebenden Bauten waren Baulinien vorgegeben, so daß Spitta mit dem Platz großzügig umgehen konnte. Kirche, Pfarr- und Gemeindehaus stehen isoliert nebeneinander. Die Kirche folgt in ihrer Aufteilung der Tradition; der Altarraum ist ausgeschieden und folgt damit nicht Sulzes Forderungen; in der Ausweitung des Kirchenschiffs auf Kosten der Seitenschiffe, die zu schmalen Gängen degradiert werden, wurde Sulzes Forderung des Einheitsraumes schon eher verwirklicht. Die Kirche steht ringsum frei in einem Garten, an dessen Rand die relativ anspruchslosen Nebengebäude - Pfarr- und Gemeindehaus - gerückt wurden. Erst beengte Verhältnisse sollten die Architektenschaft zu komplizierteren Lösungen für derartige Baugruppen anspornen, wie es dann Mitte der 90er Jahre Otto March tun sollte 43 . Konsequent gedacht, erforderte es, die isoliert stehende Kirche aufzugeben, um alle Funktionen der Gemeinde gut miteinander zu verbinden. Doch auch für den Kirchenbauverein war die Rummelsburger Kirche zunächst ein einmaliger Fall, der nur langsam rezipiert wurde. Noch 1898 wurde beispielsweise die Trinitatiskirche in Charlottenburg als platzbeherrschende Kirche gebaut, ohne daß man ein Pfarrhaus in der Nähe, geschweige denn ein Gemeindehaus eingeplant hätte 44 . Schon früh dachte man am Hof über den Namen für die neue Kirche nach. Auf der ersten Reise des Kaiserpaares im Herbst 1889 nach Konstantinopel, als „das stolze Schiff einsam seinen Weg durch die stille dunkle Salzflut nahm und sich das Gespräch von der glänzenden grie41 Sülze 1881 und 1891. Sülze wandte sich scharf gegen alle „katholisierenden" Formen des Gottesdienstes, also Heraushebung eines heiligen Bezirkes um den Altar etc., sondern forderte stattdessen, die Gemeinde zu aktivieren. - Zur Bedeutung Sulzes für die Gemeindeorganisation im 19. Jh. vgl. Wolfgang Lorenz, Kirchenreform als Gemeindereform dargestellt am Beispiel Emil Sülze; Berlin Kirchl. Hochschule Diss, theol. 1981. 42 Emil Sülze, Die Erneuerung unseres kirchlichen Gemeindelebens. Rede im Evangelischen Bunde zu Berlin, in: Protestantische Kirchenzeitung 36, 1889, 1193-1203. 43 March 1896. 44 BAW 1, 1899, 342-350.
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chischen Götterwelt, welche wie die im glühenden Abendrot spielenden Nebelstreifen in Nichts zerronnen war, auf den schlichten weltbeherrschenden Heiland hinlenkte, da kamen Kögel und Mirbach überein, daß die erste Kirche der Kaiserin Gethsemane- oder Erlöser-Kirche heißen müßte. " 4 5 Die Kaiserin entschied sich schließlich für den Namen Erlöserkirche, der für die erste Kirche des Vereins wie ein Programm erschien. Die Einweihungsfeier war, nicht nur am Standard einer Arbeiter-Vorort-Gemeinde gemessen, aufwendig. Generalsuperintendenten, Präsidenten, Oberhofprediger, die gesamte evangelische Geistlichkeit Berlins waren zur Stelle, ebenso wie der Kultusminister, Landrat, der Vereinsvorsitzende und das Kaiserhaus selbst. Den Einweihungstermin hatte Wilhelm II. auf den 21. Oktober 1892 festgelegt, einen Tag vor dem Geburtstag seiner Frau, so daß es für sie ein doppelter Freudentag sein sollte 46 . Sie mußte aber leider kurzfristig absagen, da sie sich nach der Geburt ihrer Tochter Viktoria Luise bis zur Taufe nicht in der Öffentlichkeit zeigen durfte 47 . Mit nicht minderem Aufwand, im Beisein nur des Kaisers, fand die Einweihung ohne die Hauptperson statt. Dieses Programm blieb aktuell bis ans Ende der Monarchie, so daß für die folgenden Dutzende von Einweihungen im Geheimen Zivilkabinett das Losungswort „wie Rummelsburg" genügte, um die entsprechenden Schritte zu organisieren.
Die Entfaltung des Programms Die Einweihung der Erlöserkirche in Rummelsburg am 21. Oktober 1892 bedeutete nur den Anfang. In großer Regelmäßigkeit folgte nun Kirche auf Kirche, jedes Jahr drei oder vier. Durch die Beständigkeit über einige Jahrzehnte hinweg hat Berlin in der wilhelminischen Epoche mehr Kirchen erhalten als es beim Regierungsantritt Wilhelms besessen hatte, mit dem Erfolg, daß am Ende der Epoche, um 1914, die durchschnittliche Gemeindegröße wieder auf das Maß wie zuletzt unter Friedrich Wilhelm IV. gesunken war. Wenn man das rasante Wachstum der Stadt in dieser Zeit bedenkt, wird die große Leistung des Kirchenbauvereins erst deutlich. Trotzdem regte sich Kritik. Sie entzündete sich vor allem daran, daß der Verein nicht nur den Bau der Gemeindekirchen förderte, sondern in zunehmendem Maße auch die neuen Prachtbauten wie die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche finanzierte. Die veröffentlichten Jahresberichte bestätigen die enorm hohen Aufwendungen für die verschiedenen Gedächtniskirchen. Auch wenn man berücksichtigt, daß zur Entfaltung dieser Pracht Sondermittel herangezogen wurden, die sonst nicht in dem Maße für kirchliche Zwecke gespendet worden wären, blieben dem Verein überdurchschnittlich hohe Kosten für diese Kirchenbauten. Der Zwang, immer mehr Geld für das Kirchenbauprogramm zu aktivieren, führte Mirbach letztlich zu seinen unseriösen Praktiken, die ihm dann seine Position kosteten. Die Kirchenbauten können ihrer großen Anzahl wegen nicht einzeln besprochen werden. Hier sollen nur zusammenfassend zwei Gesichtspunkte betrachtet werden: die städtebauliche Situation und ihre Èenennung. Übergreifende Zusammenhänge werden dadurch sichtbar (Abb. 64). Bei den Kirchennamen lassen sich klar drei Gruppen unterscheiden. Eine kleine Gruppe ist dem Kaiserhaus vorbehalten, eine zweite besitzt Namen der Reformation. Die Masse der Kir45 Denkschrift 1906,1, 105. 46 Gundermann 1991, 1. 47 Keller (Anm. 4), 147 gibt diese Erklärung für das Fehlen der Kaiserin.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
chen trägt jedoch Namen aus dem Neuen Testament. Die letzteren sind sämtlich mit dem Wirken Jesu auf Erden verbunden, sei es, daß Personen aus der Umgebung Jesu gewählt wurden, seien es Orte seines Wirkens oder Stationen seines Lebens. Ausgangspunkt aller dieser Namen ist also Jesus Christus, der Erlöser. Insofern ist es einsichtig, daß die Rummelsburger Kirche am Beginn des Kirchbauprogramms gestanden hat. Die Reformatorenkirchen ebenso wie die Kaiserkirchen sind dagegen vereinzelt und über weite Teile des Stadtgebietes verstreut. Die städtebauliche Situation war durch den Hobrechtplan vorgegeben, der den Kirchen ebensowenig wie anderen öffentlichen Institutionen Grundstücke reserviert hatte. Deswegen standen nur noch wenige Plätze zur Verfügung, bei denen ein repräsentativer Kirchenbau möglich war. Die Kirchenfassade in die Häuserflucht zurückzuverlegen war schon aus diesem Grunde notwendig; dem kam das neue Kirchenbauprogramm entgegen, das eine stärkere Einbindung des Kirchengebäudes in die Nebenbauten forderte. Der Hobrechtplan hatte für Berlin keine vollkommen gleichförmige Entwicklung vorgesehen. Auch wenn auf den ersten Blick ein gleichwertiges Straßensystem rings um Berlin gelegt wurde, so zeigt vor allem die Verteilung der Plätze je nach Stadtviertel unterschiedliche Systeme. Im Norden und Osten der Stadt lagen diese innerhalb der großen Quartiere; die Hauptradial- und Tangentialstraßen wurden von ihnen nicht berührt. Im Südwesten dagegen war die Tangentialstraße durch eine Reihe großer Plätze aufgelockert. Dieses unterschiedliche System der Stadtanlage war durch die Topographie Alt-Berlins und seiner Umgebung vorgegeben. Im Westen Alt-Berlins lag das königliche Schloß, und von dort aus führte die Potsdamer Chaussee nach Südwesten aus Berlin heraus zur Residenzstadt Potsdam. Westlich Berlins befand sich Schloß Charlottenburg als dritte große Residenz der Hohenzollern. Dadurch war schon vorgezeichnet, daß der Südwesten Berlins den höheren Bevölkerungsschichten vorbehalten sein sollte, während im Osten und Norden der Altstadt die Arbeitervorstädte entstanden. Tatsächlich wurde die große Tangentialstraße im Südwesten als große Ehrenstraße Berlins angesehen; die Platzbenennungen sollten an die Schlachten der Befreiungskriege erinnern. Werden nun die urbanistischen Überlegungen mit denen zu den Kirchenbenennungen verknüpft, können eine ganze Reihe Aussagen gemacht werden. Danach bilden die neutestamentlichen Kirchenbenennungen die Grundlage der Kirchennamen; wir treffen sie vor allem in den Arbeitervierteln an. In die Häuserfronten eingebunden, höchstens zu einem der kleineren Quartiersplätze orientiert, konnten die meisten Kirchen keine Fernwirkung erzielen, sondern wurden in ihrem Sehfeld auf die Umgebung beschränkt. Die Tangentiale im Südwesten dagegen bietet ein völlig anderes Bild. Sie ist ausgespannt zwischen Garnisonkirche im Südosten und Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche im Nordwesten; an einem Platz dazwischen liegt die Lutherkirche, deren Turm absichtlich von der Frontseite an die Rückseite gelegt wurde, um in der großen Achse sichtbar zu sein 48 . Dieser Lutherkirche hatte der Kaiser außerordentlich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Anfänge der Kirchen48 Die Tangentiale, ab 1862 geplant, wurde schon bald darauf zweigeteilt durch die Gleise, die zum neuen Anhalter bzw. Potsdamer Bahnhof führten. Am Ende des Jahrhunderts hatten die Gleisanlagen solche Ausmaße angenommen, daß von einer einheitlichen Wirkung dieses Straßenzuges kaum noch die Rede sein konnte. Erstaunlicherweise ist der Straßenzug in der Fernsicht trotzdem noch heute relativ gut erlebbar. - Ein zweites Hindernis erwuchs in der Stadtbahn, die in den 90er Jahren auf dem Boulevard angelegt wurde. So wurde nur wenige Jahre nach Fertigstellung der Lutherkirche die Sicht auf den Turm erheblich verschlechtert. - In dieser Straße (heute Yorckstraße) liegt ferner die St. Bonifatiuskirche.
3. Wilhelm II. und die Soziale Frage: Kirchenbau in Berlin
215
gründung gehen in das Lutherjahr 1883 zurück, als die Bürgerschaft eine Lutherkirche wünschte und Sammlungen dafür abhielt. Konkretisiert werden konnte das Bauvorhaben jedoch erst mit Hilfe des Kirchlichen Hilfsvereins und durch eine großzügige Spende des Kaisers 200 000 Mark von der Gesamtsumme von 590 000 Mark - , so daß dann auch das Kaiserpaar weiter in die Planungen eingriff. Der Bau wurde als zweiter großer Bau Johannes Otzen übertragen. Die Grundsteinlegung, in Gegenwart des Kaiserpaares, wurde auf den 18. April 1891, den Tag von Luthers Bekenntnis auf dem Reichstag zu Worms, festgelegt 49 . Am anderen Ende des Boulevards thronte die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche als Mitte eines sternförmigen Straßensystems und eines neuen städtebaulichen Ensembles: Die Kirche wurde von den beiden „Romanischen Häusern" Franz Schwechtens eingerahmt, so daß zusammen mit den Zoogebäuden ein romanischer Platz im Westen Berlins entstanden war, der zu den attraktivsten ganz Berlins avancierte 50 . Die Kirchenidee, die wir erstmals bei der Einweihung der Wittenberger Schloßkirche konstatierten, können wir also auch an den Kirchennamen im Stadtbild von Berlin ablesen. Das Neue Testament als Grundlage des ganzen Christentums bildet auch die Basis der neuen Berliner Kirchen. Mit der Luther- und anderen Reformationskirchen kommt als zweite Basis der Reformationsgedanke hinzu. Beide Programme vereinigen sich aber in den bildlichen Darstellungen erst im Innenraum der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche, so daß das Glaubensbekenntnis Wilhelms II. erst in ihr bildlich vollständig faßbar wurde 51 .
Katholische Kirchen in Berlin Auch die Zahl der Katholiken war in Berlin im Laufe des 19. Jahrhunderts sprunghaft angestiegen. Vornehmlich aus den Ostprovinzen waren Arbeiter zugezogen, dazu kamen katholische Soldaten. Im Jahr 1816 zählte Berlin nur wenig mehr als 7000 Katholiken, 1858 waren es fast 21 000 und zur Jahrhundertwende ungefähr 170 000 52 . Lange war St. Hedwig die einzige katholische Kirche; unter Friedrich Wilhelm IV. folgte aus Gründen der Militärseelsorge St. Michael. Zu Ende des Jahrhunderts wurde also eine ganze Reihe von Gotteshäusern benö-
49 Bahns 1971, 121-122; Rudolf Wielandt, Die Berliner Luthergemeinde von 1894 bis 1939; Berlin o. J. [um 1940]. - Die Lutherkirche, heute der Emporen beraubt und innen „entkernt", außen fast original wiederhergestellt, enthielt eine bemerkenswerte Ausstattung. An der Fassade heute noch zwei aus Ton gebrannte Reliefs von Haverkamp mit Lutherszenen, ein Christuskopf von Cauer bruchstückhaft erhalten, im Innenraum zwölf Apostelstatuen von Kokolsky nach Peter Vischer. 50 Die beiden Romanischen Häuser enthielten die größten und teuersten Luxuswohnungen Berlins, das „Romanische Café" wurde beliebter Künstlertreffpunkt. 51 Als wichtige Bereicherung zu Frowein-Ziroff vgl. Weichert, 1973, besonders 142-145. - Weichen betont, daß dps gesamte Innere der Kirche von nichtreligiösen Bildern frei gehalten wurde. Das Gedächtnis an Kaiser Wilhelm und andere Vorfahren wurde in die Vorhalle verlegt, in einen also traditionell profan genutzten Raum, wie Beispiele des Mittelalters überliefern. Als Vorbilder wäre an die Vorhalle von St. Peter und diejenige der Laterankirche zu erinnern; in beiden wird das Gedächtnis an Konstantin bzw. Karl den Großen wachgehalten. Zum Bildprogramm der Vorhalle vgl. Rainer Schoch, Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, 23); München 1975, 191-196. 52 Felix Escher, Pfarrgemeinden und Gemeindeorganisation der katholischen Kirche in Berlin bis zur Gründung des Bistums Berlin, in: Seelsorge und Diakonie in Berlin, 1990, 265-292, hier 267 und 276.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
tigt. Der katholische Kirchenbau konnte allerdings nicht so flächendeckend erfolgen wie der evangelische. Hier kam es zunächst darauf an, um die Altstadt im wilhelminischen Wohnring eine Kette von Gotteshäusern zu errichten; als das geschafft war, konnte nach der Jahrhundertwende bereits der zweite Ring in Angriff genommen werden 5 3 . Genau wie die evangelischen mußten sich auch die katholischen Gemeinden mit den Tiikken des Hobrechtplanes abfinden. Es ist erstaunlich zu sehen, wie gut ihnen das gelang. Von den relativ wenigen Projekten - nur neun Kirchen - konnten immerhin drei auf Plätzen errichtet werden 5 4 . Der Anteil der repräsentativen, stadtbildbestimmenden Kirchen war also höher als bei den evangelischen Kirchen. Und das, obwohl immer wieder behauptet wird, Auguste Victoria hätte eine „höchst persönliche" Anordnung getroffen, nach der katholische Kirchen sich in Straßenfluchten einzureihen hätten 5 5 . Gleich zum ersten großen Kirchenbau, St. Sebastian, schenkte der Magistrat aus städtebaulichen Gründen der Gemeinde den Gartenplatz im Wedding, das Kaiserhaus gab 60 000 Mark zum Kirchbau dazu 5 6 . Das war eine Summe, die die Gnadengeschenke an viele evangelische Kirchen weit übertraf 5 7 . Der folgende Fall der St. Ludwigskirche zeigt, daß auch im letzten Jahrzehnt des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch manches machbar war, zugleich eine selbstbewußte Demonstration des Katholizismus in Berlin. Als treibende Kraft ist hier der einflußreiche Reichstagsabgeordnete und Zentrumsführer Ludwig Windhorst zu nennen. Ihm gelang es, über die Wilmersdorfer Terraingesellschaft, die das Bauland in Wilmersdorf erschloß, den Straßburger Platz mit den umliegenden Grundstücken für den Bau einer katholischen Kirche und Sozialeinrichtungen zu sichern 5 8 . Der Platz lag ganz in der Nähe des Kurfürstendammes und gehörte damit zu den künftigen gehobenen Wohnvierteln des wilhelminischen Berlin. Die mitten auf dem Platz projektierte Kirche wurde zugleich als Gedächtniskirche für den 1891 verstorbenen Windthorst errichtet59, und erhielt als Titelheiligen den gleichnamigen König von Frankreich. A m 30. Juni
53 Escher (Anm. 52), 275-276. 54 Weihedaten in Klammern: (1892) St. Pius, Palisadenstr.; (1893) St. Sebastian, Wedding; (1893) St. Paulus, Moabit; (1895) St. Matthias, Schöneberg; (1897) St. Ludwig, Wilmersdorf; (1898) Herz Jesu, Fehrbelliner Str.; (1905) St. Marien = Liebfrauen, Kreuzberg; (1907) St. Bonifatius, Kreuzberg; (1909) St. Joseph, Wedding; Angaben aus Escher (Anm. 52) und Streicher/Drave 1980, hier S. 340. Letztgenanntes Buch behandelt, erstmals mit guten Fotografien und Plänen, leider nur die katholischen Kirchen Westberlins. 55 So zuletzt Karl-Heinz Metzger, Kirchen, Moschee und Synagogen in Wilmersdorf; Berlin 1986, übernommen aus Streicher/Drave 1980, 286, dort ohne Quellenangabe. - Eine deratige „höchstpersönliche Anordnung" der Kaiserin (welche Befugnis hatte sie überhaupt?) oder eine ähnliche rechtliche Grundlage konnte nirgends nachgewiesen werden. 56 Escher (Anm. 52), 270. Der Magistrat wünschte einen Monumentalbau, welcher dem Wedding „zur Zierde" gereichen sollte; Streicher/Drave 1980, 254-255. 57 Die normale Situation war jedoch, daß sich die katholische Gemeinde aus eigenen Kräften um ein geeignetes Grundstück kümmerte. In Schöneberg wurde zum Beispiel der Winterfeldtplatz aus eigenen Mitteln erworben, um die St. Matthiaskirche zu errichten; Streicher/Drave 1980, 294-295. 58 Escher (Anm. 52) 278; Metzger (Anm. 55), 26-30; Streicher/Drave 1980, 286-287. 59 Bei Windhorsts Tod gab es erstmals seit 40 Jahren wieder ein katholisches Leichenbegängnis in der Berliner Öffentlichkeit, und zwar Unter den Linden; CCW 1891, 116. - Sein Grab befindet sich in St. Marien in Hannover.
4. Wilhelm II. und die katholische
Kirche
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1897, dem Peter-und-Paul-Fest, wurde St. Ludwig benediziert 60 . Der Bau, den Menken entworfen hatte und der eine dreischiffige gotische Basilika vorsah, sollte in zwei Etappen ausgeführt werden, ein Verfahren, das gerade bei katholischen Kirchen dieser Zeit häufiger begegnet; jedoch ist der zweite Bauabschnitt, der das Langhaus umfassen sollte, trotz des hohen Prestigegehalts nie in Angriff genommen worden. Neben diesen Platzkirchen, die vielleicht deshalb so gerne von den Katholiken angenommen wurden, weil sie ihnen nach langer Zeit die öffentliche Zurschaustellung ermöglichte, fügte sich doch die Mehrzahl der Kirchen den Straßenfronten ein. Hingewiesen sei hier auf die Herz Jesukirche in der Fehrbelliner Straße, in der der Architekt Christoph Hehl die Formen rheinischer Romanik und ravennatischer Bauten mischte 61 . Die Besonderheit dieser sowie der Rosenkranzkirche in Steglitz liegt in ihrer totalen inneren Ausmalung im Stile italienischer Malerei des 14. Jahrhunderts durch den rheinischen Maler Stummel und seine Schule. Oft waren die Straßenkirchen mit Sozial- und Wohnbauten kombiniert, wie es etwa besonders gut Max Hasak mit der St. Bonifatiuskirche in der Yorckstraße gelang 62 . Die kurze Betrachtung des katholischen Kirchenbaus in Berlin lehrt, daß wir es keineswegs mit einer unterdrückten Kirche zu tun haben. Im Gegenteil behaupteten sich die Kirchbauten gut im Gefüge der Stadt. Wenn ihnen auch eine Lage wie die der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche vorenthalten blieb, so konnten sie doch eigene Akzente im Stadtbild setzen. Als Bereicherung muß ferner konstatiert werden, daß alle katholischen Kirchen von katholischen Architekten entworfen wurden: Ihre Projekte wurden in der Berliner Architektenschaft aufmerksam beobachtet 63 .
4.
Wilhelm II. und die katholische Kirche
Wie in den Zeitungskommentaren anläßlich der Einweihung der Wittenberger Schloßkirche bereits angeklungen war, war das Verhältnis der beiden großen Konfessionen zueinander im ausgehenden 19. Jahrhundert relativ friedlich. Durch das offizielle Ende des Kulturkampfes in Preußen wurden viele Gesetze revidiert, wurden den Katholiken wieder mehr Möglichkeiten im öffentlichen Leben eingeräumt.
60 Festbeilage der Germania vom 29. Juni 1897. Hauptschmuckelement der Kirche, Ausstattungsstücke und Paramente ist die Lilie, die als Wappenblume des französischen Königs und von Wilmersdorf (angeblich aus der Kreuzritterzeit des 13. Jhs.) zu vielfältigen ikonographischen Überlegungen Anlaß gegeben hat; vgl. Metzger (Anm. 55), 26-30. 61 BAW 2, 1900, 3-8; Berliner Neubauten. 82. Die neue Herz-Jesu-Kirche, in: DBZ 31, 1897, 358-359; Bauzeit 1897-1899. - Zu den Kirchen Hehls vgl. jetzt Tacke 1993. Tacke sieht in vielen von ihnen einen programmatisch katholischen Rückgriff auf die märkische Backsteinbaukunst; da auch viele evangelische Kirchen diesen Stil aufnehmen, erscheint es schwerlich denkbar, die märkische Backsteinarchitektur als Bedeutungsträger für spezifisch katholische Inhalte in Dienst zu nehmen. 62 Bereits seit 1893 existierte eine Interimskirche in der Nähe; Hasaks Bau wurde 1907-1909 errichtet; BAW 11, 1909, 44-51; Hasak, Die St. Bonifaziuskirche in der Yorckstraße in Berlin und die Aufteilung ihres Baugeländes, in: ZBV 28, 1908, 426-428 und 4 4 2 ^ 4 3 . 63 Als originellster Architekt der Jahrhundertwende ist wohl Christoph Hehl zu nennen; Reuther 1969 und Tacke 1993.
III. Die Kirche Wilhelms II.
218
Wilhelm II. war durch den raschen T o d seines Vaters Friedrich III. in j u n g e n Jahren im S o m m e r 1888 zur Macht gelangt, so j u n g , daß er in d e m gerade abgeschlossenen Kapitel des Kulturkampfes noch keine Rolle hatte spielen können, und daß er in dieser Beziehung frei und unbelastet einen eigenen Kurs steuern konnte. Auf die Huldigungsadresse der preußischen Bischöfe zu seinem Regierungsantritt antwortete er auch in diesem Sinne: „... Daß ich die Glau-
bensfreiheit meiner katholischen meine Zuversicht
auf dauernde
Untertanen durch Recht und Gesetz gesichert weiß, stärkt Erhaltung
des kirchlichen
Friedens.
Konfessionelle Gegen-
sätze spielten in seiner Politik keine Rolle mehr, sein auch bei anderen Gelegenheiten ausgesprochenes Ziel war es vielmehr, Kaiser aller Deutschen zu sein 2 . Die neue Rolle des Kaisers drückte sich auch in einer seiner ersten Auslandsreisen aus, als er nämlich im Herbst 1888 nach R o m f u h r und dort Papst L e o XIII. seine A u f w a r t u n g machte. Trotz aller diplomatischen Schwierigkeiten, die dieser Besuch mit sich brachte 3 , war die Reise vor allem langfristig ein Erfolg; zwei weitere Besuche sollten folgen, die alle z u s a m m e n die Grundlage zu einem neuen, guten Verhältnis zwischen Papst und deutschem Kaiser bildeten 4 . Die Romreise gehörte zum P r o g r a m m von W i l h e l m s Antrittsbesuchen bei den benachbarten europäischen Höfen. Insofern stellte sie einen Routinebesuch dar, gehörte aber auch zu einem Ritual, das sich historisch entwickelt hatte. U n d Wilhelm ging diesen geschichtlichen Spuren konsequent nach bis zu ihrem Ursprung, an d e m eben auch der kaiserliche „Antrittsbesuch" b e i m Papst im Mittelalter stand. Freilich fehlt dazu das konstitutive Element, nämlich die Kaiserkrönung durch den Papst, die aber f ü r einen protestantischen Herrscher unmöglich war. Der
1 Aus Wilhelms Antworttelegramm vom 7. November 1888, zitiert von Sebastian Merkle, Die katholische Kirche, in: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II.; Berlin 1914, Bd. III, 1023-1052, hier S. 1027. 2 Meine Darstellung bemüht sich, das positive Verhalten Wilhelms II. gegenüber der katholischen Kirche weiter herauszuarbeiten. Freilich war der sprunghafte Kaiser nicht immer gut auf die römische Kirche zu sprechen. Im Herbst 1904 z.B. scheint es eine ernsthafte Verstimmung gegeben zu haben, wie Hofmarschall Robert Zedlitz-Trützschler festhielt: ders., Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof; Stuttgart 1924, 85-86. 3 Die Reise offenbarte schon die ganze Problematik von Wilhelms Regierungsstil, der persönlich geprägt und oft sprunghaft war, und die Berufsdiplomaten vor fast unlösbare Probleme stellte. Seit Rom Hauptstadt des geeinten Italien war, hatte kein auswärtiges Staatsoberhaupt die Stadt besucht, um nicht in die noch offene römische Frage einzugreifen, wer eigentlich der Herr Roms sei: der König Italiens oder der Papst, der sich seither als Gefangener im Vatikan betrachtete. Nur mit den größten protokollarischen Finessen konnte der doppelte Staatsbesuch schließlich durchgeführt werden: eigens wurde ein kaiserlicher Vierspänner aus Berlin mitgebracht, damit Wilhelm II. keine päpstliche Karosse im italienischen Rom benutzen mußte. Außerdem begann seine Fahrt zum Vatikan nicht vom Palazzo Caffarelli, sondern vom Sitz des preußischen Botschafters beim Vatikan aus. So genoß Leo XIII. die Ehre, erstmals seit 20 Jahren wieder ein gekröntes Haupt im Vatikan zu empfangen, mußte aber machtlos zusehen, wie Wilhelm II. auch dem italienischen König seine Aufwartung machte. Als erstes fremdes Staatsoberhaupt fuhr er durch die festlich geschmückte Via Nazionale, die neue Prachtstraße des königlichen Rom, zum Quirinal und legte einen Kranz am Grab des ersten italienischen Königs, Viktor Emanuel II., im Pantheon nieder. Als zeitgenössische Berichte vgl.: Kaiser Wilhelm's Romfahrt, in: Gegenwart 34, 1888, 254-258 und ein anderer Bericht in: Christliche Welt 2, 1888, 424^125. 4 Morsey 1970, darin 4 0 ^ 3 : Wilhelm II.: auch „Kaiser der Katholiken".
4. Wilhelm II. und die katholische Kirche
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Vergleich zum mittelalterlichen System sollte auch nicht zu wörtlich gezogen werden, denn dafür hatten sich die Ämter in mancher Beziehung zu sehr gewandelt. Aber es ist bezeichnend, daß sich das hohenzollersche Herrscherhaus mit dem Erwerb der Kaiserkrone eine neue historische Dimension aufgebaut hatte, die an die Idee des mittelalterlichen Kaisertums anschloß. So hatte es 1849 bereits Friedrich Wilhelm IV. gesehen. In diesem Punkt trat als neues Element der hohenzollerschen Politik die Rom- und Kaiseridee in einer neuen Qualität hinzu, die bei den preußischen Königen noch nicht vorhanden sein konnte 5 . In der Innenpolitik äußerte sich die neue Politik des Kaisers in einer weiteren Liberalisierung und Akzeptanz katholischer Positionen. Besonders die Entlassung Bismarcks und erste Episoden der Sozialen Frage im Jahr 1890 trugen dazu bei. Beim Tode führender Zentrumspolitiker - Freiherr von Franckenstein und Ludwig Windthorst - fand der Kaiser erstmals Worte öffentlicher Anerkennung für katholische Politiker 6 . Fürstbischof Kopp aus Breslau zog er zu der Internationalen Arbeiterschutzkonferenz 1890 hinzu und berief ihn ins Herrenhaus 7 . In diese neue Phase der Achtung katholischer Arbeit fiel das erste Kirchbauprojekt, das Wilhelm II. förderte. Es handelt sich um die Wiederbesiedlung von Maria Laach mit Benediktinern.
Maria Laach Die mittelalterliche Benediktinerabtei in der Eifel war knapp 60 Jahre nach der Säkularisation von Jesuiten, die hier das Hauptkolleg des Ordens in Deutschland eingerichtet hatten, im Jahr 1863 wiederbesiedelt worden, allerdings nur für kurze Zeit, denn mit dem „Jesuitengesetz" vom 5. Juli 1872 mußte der Orden Deutschland verlassen. Die leerstehenden Gebäude wurden von wenigen Brüdern verwaltet, bis sie im Laufe des Jahres 1892 in Erzabt Placidus Wolter von Beuron einen Käufer für das Kloster fanden 8 . In der bestehenden Rechtsform allerdings konnten die Beuroner die Abtei nicht benutzen, weil Friedrich Wilhelm IV. 1841 die Kirche als Simultaneum bestimmt hatte. Für Benediktiner wäre die Kirche in dieser Form aber zu oft dem Gebrauch von ihrer Seite entzogen. Die Frage der Aufhebung des Simultaneums wurde bis in höchste Instanzen hineingetragen. In einer Kabinettsordre vom 19. Dezember 1892 entschieden sich Wilhelm II. und seine Minister Eulenburg, Miquel und Bosse dafür, Maria Laach den Beuronern zum alleinigen Gebrauch zuzuweisen. Wilhelm II. persönlich telegraphierte Erzabt Placidus den Bescheid zu. Einen derartigen Einsatz von Allerhöchster Seite für eine katholische Kirche hatte es bisher nicht gegeben. Das Engagement sollte sogar beibehalten und gesteigert werden, als es um die Ausstattung der Kirche ging. Sie wurde nämlich in wesentlichen Teilen von Wilhelm II. gestiftet, aber auch in ihrem Aussehen bestimmt, sehr zum Leidwesen mancher Mönche aus Beuron, die eigene Vorstellungen hatten und ein aktives eigenes Künstlerleben pflegten.
5 In diesem Rahmen ist auch der Ausbau des Palazzo Caffarelli auf dem Kapital zu sehen, wo Wilhelm II. einen großen Thronsaal einrichtete. 6 Morsey 1970, 42. 7 Karl Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei; 9 Bände Köln 1927-1932, hier Bd. VI, 262-277: Stellung des Kaisers Wilhelm II. zum Katholizismus und „Ultramontanismus", speziell S. 264. 8 Beuron 1963, 136-139; Benedikt und Ignatius. Maria Laach als Collegium maximum der Gesellschaft Jesu 1863 - 1872 - 1892 (Liturgie und Mönchtum - Laacher Hefte 32); Maria Laach 1963.
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111. Die Kirche Wilhelms II.
Die Abtei Beuron ihrerseits war ebenfalls erst 1863 von den beiden Brüdern Rudolf und Ernst Wolter - im Orden P. Maurus und P. Placidus - wiederbegründet worden. Die beiden, die zunächst in einem römischen Benediktinerkloster lebten, hatten sich vorgenommen, das Mönchtum grundlegend zu erneuern, die ursprünglichen Regeln Benedikts wieder einzuführen und Liturgie und gregorianische Kirchenmusik zu pflegen. Es fügte sich, daß sie die Fürstin Katherina von Hohenzollern, die ein aufgelassenes Kloster wiederbegründen wollte, kennenlernten und für ihre Ziele gewinnen konnten 9 . Nach einigem Suchen fand sich das ehemalige Augustinerchorherrenstift Beuron in der Heimat der Stifterin 10 . Beuron wollte ein Reformkloster im kirchlichen Sinn sein, das religiöse Leben also wieder auf ursprüngliche Traditionen gründen. Mit dieser Geisteshaltung war Beuron aber genauso aufnahmebereit und Nährboden zur Erneuerung der kirchlichen Künste. Gleich nach Einrichtung des Klosters ließ P. Maurus Altarbilder in spätnazarenischer Weise schaffen und den Kirchenraum des 18. Jahrhunderts entbarockisieren 1 '. In einer zweiten Phase traten Peter Lenz und Jakob Wüger hinzu, die die Nazarenerkunst aufgaben und mit neuen Konzepten die eigentliche Beuroner Kunstschule begründeten. Als die Beuroner im Winter 1892/93 ihr neues Kloster Maria Laach in Besitz nahmen, hatten sie schon konkrete Vorstellungen, wie die bislang ungenutzte Kirche restauriert und ausgestaltet werden sollte 12 , und zwar sowohl was die Thematik anging als auch über den zu verwendenden Stil. Ein Entwurf der Ostpartie aus der Hand von Lenz aus dem Jahr 1893 sah für die Hauptapsis eine Marienkrönung vor, in den Nebenapsiden Benedikt und Joseph mit einer Reihe weiterer Heiliger. Die gesamte weitere Ausmalung der Kirche sollte sich auf diese Thematik beziehen 13 . Dazu sollte es aber nicht kommen. Zunächst verging einige Zeit, bis konkrete Schritte unternommen werden konnten. Der ganze Klosterkomplex bedurfte einer gründlichen Sanierung, teilweise waren auch Neubauten für neue Funktionen notwendig. Im Kloster war man sehr froh, als im November 1896 der erfolgreiche Münsteraner Architekt Wilhelm Rincklake als Bruder Ludgerus dem Orden beitrat 14 . Aufgrund seines Fachwissens und der von ihm durchgeführten Mauerwerksuntersuchungen
9 Katherina, Tochter des Fürsten Karl Albrecht III. von Hohenlohe-Waldenburg, hatte in zweiter Ehe Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen geheiratet, wurde jedoch bereits 1853, nach 5 Jahren, zum zweiten Mal Witwe. Kinderlos hegte sie dann den Wunsch, in ein Kloster einzutreten; Beuron 1963,47-52. 10 Beuron 1963,59-65. 11 Siebenmorgen 1983a, 131-132. 12 Die Kirche war nach dem Erlaß von 1841 bis 1848 hergerichtet, jedoch nie für Gottesdienste geöffnet worden; Benedikt und Ignatius (Anm. 8), 38f. Die Jesuiten hatten deswegen die romanische Nikolauskapelle für ihre Gottesdienste benutzt; ebda. 54. 13 Siebenmorgen 1983b, 4 2 0 ^ 2 6 zu Maria Laach, der Entwurf von Lenz Abb. 13. - Harald Siebenmorgen und ich benutzten zur Darstellung der Neuausstattung von Maria Laach unterschiedliche Archivalien, Siebenmorgen in Maria Laach aufbewahrte, ich die preußischen Regierungsakten; daraus ergab sich ein unterschiedliches Bild im zeitlichen Ablauf und in Details abweichende Interpretation. 14 1901 Priesterweihe. Er blieb auf Ordensgeheiß bis zu seinem Tod 1927 als Kirchbaumeister tätig, obwohl er eigentlich wegen eines beschaulichen Lebens ins Kloster eingetreten war; Ribbrock 1985, 31-33 (Klostereintritt, Lebensbeschreibung aus Sterbebuch) und 151-160 (zur Restaurierung von Maria Laach).
4. Wilhelm II. und die katholische
Kirche
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entschied man sich gegen eine komplette Ausmalung der Kirche und für ein Freilegen der verschiedenfarbigen Steinsorten im Kircheninnern, Arbeiten, die im großen Stil erst im Jahr 1900 begannen 15 . Das große Ausmalungsprogramm von Lenz war deswegen nicht mehr zu verwirklichen, oder nur in einer verkleinerten Version. Eine weitere Gefahr für das Projekt von Lenz drohte aber nicht vom Orden, sondern von Berlin. Im Laufe des Frühjahres 1897 hatten die Instandsetzungsarbeiten begonnen - offenbar hatten die Mönche nur auf einen Architekten gewartet - und Kultusminister Bosse hatte im Juni nach einem Besuch in Berlin Bericht erstattet, Grund genug für Wilhelm II., seinen eigenen Besuch für den 19. Juni anzukündigen, um sich selbst ein Bild zu machen. Sein Architekt Spitta, der besonders im Berliner Kirchenbauprogramm des Kaisers engagiert war, wurde ebenfalls hinbestellt 16 . Der Kaiser war im allgemeinen mit dem Gang der Arbeiten einverstanden; darüber hinaus stiftete er den Hochaltar und ein Ziborium für diesen, wofür Spitta die Entwürfe fertigen sollte 17 . Ungefähr zwei Jahre lang waren nun Kaiser und Geheimes Zivilkabinett mit der Sache befaßt: Wilhelm genehmigte 30 000 Mark für das Ziborium, stimmte Änderungswünschen des Abtes zu, die besonders liturgische Dinge betrafen und beschäftigte sich mit den Inschriften und ihrer Form, für die er auch Fachgelehrtenrat, unter anderem von Mommsen, einholte 18 . Ein Altarziborium hatte auch Lenz vorgesehen. Er hatte herkömmliche Formen gewählt, die frühen romanischen Beispielen von Ziborien, etwa S. Ambrogio in Mailand, glichen. Wilhelms Ziborium schöpft zwar auch aus dem romanischen, aber im Gegensatz zu Lenz mehr spätromanischen Formenschatz. Der Grundaufbau ist derselbe, jedoch ist dem quadratischen Unterge-
15 Die Spuren seiner Restaurierungstätigkeit sind heute durch neue Restaurierungen überlagert; Ribbrock 1985, 32 und 151. - Rincklakes Eintreten dafür, die Kirche ohne komplette Ausmalung zu belassen, stand natürlich in Gegensatz zu dem großen ikonographischen Programm von Lenz; das war der eigentliche Grund für die Verärgerung von Lenz, von der Siebenmorgen 1983b, 423 berichtet. 16 Berlin GStAPK 2.2.1. 23347: Maria Laach 1892-1918. - Gelegenheit für die Besichtigung bot die Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Köln, die am Tag zuvor erfolgte; Freiburg MA RM 2/367f. 105 mit genauer Programmfolge. 17 „Zugleich stiftete S. M. für den Altar der Kirche ein Ciborium im Style der Kirche, für den Spitta den Entwurf macht..." Brief des Geheimen Zivilkabinetts vom 25. Juni 1897 an Kultusminister Bosse; Berlin GStAPK 2.2.1. 23347 f. 36. - Entwürfe Spittas sind erhalten in der Plansammlung der UB der TU Berlin-Charlottenburg Nr. 16882-16885, mit Datum vom März bis Juli 1897, zwei mit Einverständniserklärung und Unterschrift Wilhelms II. - In der Literatur wird öfters erwähnt, daß der Kaiser selbst die ersten Entwürfe gemacht habe. Diese Angabe hat ihre Quelle offensichtlich in einer Überinterpretation einer Erwähnung bei Seidel 1907, 98. Dort heißt es: „Der unvergleichlich schöne Hauptaltar in Maria-Laach ist ein Geschenk des Kaisers, das Spitta nach Seinen Angaben entworfen hat." - Ein ähnlicher Fall war der Turm der Erlöserkirche in Jerusalem. Das Ziborium, das bereits in den 30er Jahren aus statischen Gründen verkleinert werden mußte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgebaut, um dem mittealterlichen Ziborium wieder Platz zu machen. Die auseinandergenommenen Teile werden im Kloster aufbewahrt. - Der Kaiser interessierte sich besonders für Ziborien als Hoheitsform. Später - im Exil - erwuchs aus einem Vortrag von ihm seine Publikation: Wilhelm II., Ursprung und Anwendung des Baldachins; Amsterdam 1939. 18 Berlin GStAPK 2.2.1. 23347f. 44, 46, 50, 61 f.
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III. Die Kirche Wilhelms 11.
schoß noch ein zweites achteckiges Obergeschoß aufgesetzt, das durch ein mächtiges Kreuz gekrönt wird. Ein derartig reiches Altarziborium war der Romanik unbekannt (Abb. 65). Das wichtigste Kennzeichen ist weniger im künstlerischen Ausdruck zu suchen als vielmehr darin, daß der Kaiser das wichtigste und vornehmste Ausstattungsstück der Klosterkirche in seine Regie genommen hatte. Die Inschrift auf dem achteckigen Aufbau und der preußische Adler in der Spitze des Wimpergs verkünden es jederzeit: Maria Laach war dem Kaiser ein großes Anliegen. Zur Übergabe des Ziboriums am 27. März 1899 reiste er wieder persönlich an und drückte nochmals bei einem Besuch am 25. April 1901 aus: „Ich habe Ihnen den Hochaltar geschenkt in Erinnerung an die großen Verdienste, welche die Benediktiner um Wissenschaft und Kunst allzeit sich erworben haben ... Seien Sie überzeugt, daß auch in Zukunft Meine kaiserliche Huld über Ihrem Orden schweben wird, und überall, wo Männer sich zusammentun, um die Religion zu pflegen und auch hinauszutragen in die Völker, werden Sie Meines Schutzes sicher sein ".19 Die kaiserliche Huld erreichte das Kloster nochmals wenig später, als es um die Ausgestaltung der Apsiden ging. Sie war insofern präjudiziert, als das mächtige Ziborium eine entsprechend monumentale Ausmalung verlangte. Bei allen folgenden Entwürfen eines ikonographischen Programms, die stets in Maria Laach ausgearbeitet wurden 20 , bildete die Hauptapsis verständlicherweise den Ausgangspunkt (Abb. 66). Paul Clemen, der Konservator der Rheinprovinz, empfahl Christusdarstellungen nach rheinischen Vorbildern und dachte vor allem an die Apsisausmalungen von Knechtsteden und Schwarzrheindorf. Doch derartige Kompositionen einer Majestas Domini in Mandorla und den vier Evangelistensymbolen wirkten im Vergleich mit dem Ziborium zu kleinteilig, so daß nun großformatige Christusdarstellungen gesucht wurden. In dieser Situation äußerte im Laufe des Jahres 1905 Wilhelm II. den Wunsch, für die Apsiskalotte das Majestasmosaik der normannischen Abtei von Monreale bei Palermo als Vorbild zu nehmen, wie aus einem Bericht des Abtes vom 24. November 1905 hervorgeht 21 ; für die Seitenapsiden bestimmte der Abt die Anbetung Christi durch die drei Weisen in der nördlichen und einen Gnadenstuhl in der südlichen Apsis. Die Wünsche des Abtes, die Hauptapsis betreffend, wurden dagegen nicht erfüllt. Hier wollte er Cherubim und Seraphim zu Seiten Christi dargestellt haben, doch Wilhelm II. bestand auf einer möglichst getreuen Wiederholung des Mosaiks von Monreale. Die weiteren Entwürfe zeigen nun eine sukzessive Annäherung an das von Wilhelm II. gewünschte Vorbild. Im ausgeführten Mosaik ist der Pantokrator beherrschend in die Apsiskalotte gerückt, jeglicher Nebenfiguren entblößt 22 . Bis in die Gewandfalten und die Farbigkeit ist das Vorbild aus Monreale wiederholt 23 .
19 Zitiert nach Max Heimbucher, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche; 2 Bände, 3. Auflage Paderborn 1933 Reprint 1987,1, 261. 20 Die Programme wurden am genauesten dargelegt von Johannes Vollmar, Die Mosaiken in der Abteikirche zu Maria-Laach, in: Der Pionier 16, 1923/24, 37-44. 21 Berlin GStAPK 2.2.1. 23347f. 73-77. 22 Die Mosaiken wurden wieder von der Berliner Firma Puhl und Wagner hergestellt. 23 Zwei Modelle abgebildet bei Siebenmorgen 1983b, 424-425. Gegenüber dem Vorbild sind verändert: keine griechische Inschrift auf dem Goldhintergrund; Segensgestus der rechten Hand Christi mit anderen Fingern dargestellt, und das aufgeschlagene Buch zeigt in Monreale die Stelle Joh 8, 12 („Ich bin das Licht der Welt") in lateinischer und griechischer Version, in Maria Laach dagegen Joh 14, 6 („Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben") nur in Latein.
4. Wilhelm II. und die katholische
Kirche
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Das ikonographische Programm der Hauptapsis als Schlüsselstelle der ganzen Kirche verrät viel über die Intentionen der Bauherren. Das wilhelminische Programm bedeutete eine doppelte Negierung der ursprünglichen Absichten. Hier hatte Lenz eine Marienkrönung vorgesehen, die im Sinne der Beuroner Kunstschule gestaltet sein sollte. An seine Stelle war nun eine Majestas Domini als Replik von Monreale getreten, also eine stilistische und inhaltliche Veränderung. Die Stilwahl ist insofern bedeutsam, als der Kaiser damit seine Lobesworte von 1901 konkretisierte: Er schätzte die Leistungen der Benediktiner in Wissenschaft und Kunst, und zwar aus der großen Blütezeit des Ordens, also der romanischen Epoche. Dafür war die Benediktinerabtei Monreale ein Kronzeuge. Das ist die erste tiefere Begründung für die Stilwahl für Apsis und Altarziborium. Die inhaltliche Veränderung war jedoch gravierender. Die Marienkrönung war nämlich fein abgestimmt gewesen; denn einerseits hatte Maria Laach ein Marienpatrozinium, und andererseits war die Marienkrönung genauso in der Apsis des Mutterhauses Beuron dargestellt worden 24 . Beuron besaß eine alte Marienwallfahrt, und außerdem fühlte sich Maurus Wolter, der erste Abt, durch eine Reihe persönlicher Gedenktage der Marienverehrung besonders verbunden 25 . Die Darstellung der Marienkrönung gehörte also geradezu leitbildhaft zur Ausschmückung eines Klosters der Beuroner Kongregation. All dem widersetzte sich Wilhelm II., indem er sein christologisches Programm durchsetzte. Auch das war nicht völlig aus der Luft gegriffen, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben; aber es hatte seine eigentliche Begründung in der Familientradition der Hohenzollern. Wilhelm II. hat die katholische Kirche nicht auf breiter Basis gefördert, im Unterschied zur evangelischen Kirche, bei der es unzählige Projekte gab, die sich seiner kaiserlichen Gunst erfreuen konnten. Es waren nur wenige katholische Kirchen, denen sein Interesse galt. Bei ihnen stand Maria Laach zweifellos ganz an der Spitze, und es bleibt nach den Gründen zu fragen. Ein Grund ist sicher in der Ordensgeschichte zu suchen. Die Benediktiner stellten den ältesten und wichtigsten Orden des mittelalterlichen Europa dar. Mit ihnen verknüpfte sich eine Reihe großer Leistungen, so auch in der Baukunst, speziell der Romanik. Wilhelm II. schätzte die rheinische Romanik besonders, und so ist es verständlich, daß er nicht zögerte, als sich die Gelegenheit bot, Maria Laach seinen alten Besitzern zurückgeben zu können. Dazu kam, daß der Benediktinerorden, ähnlich wie alle anderen, schwere Zeiten hinter sich hatte. Das Zeitalter der Aufklärung und Französischen Revolution hatte von einst mehr als 1500 Benediktinerklöstern gerade 30 in ganz Europa überleben lassen 26 . So war im 19. Jahrhundert nach der Zerstörung der meisten Gebäude und Zerstreuung ihres wertvollen Besitzes ein mühsamer Neuanfang nötig. In Deutschland hatte sich als erster Ludwig I. von Bayern um ihre Wiederbelebung gekümmert; dies betraf aber ausschließlich bayerische Klöster 27 . Beuron war die erste Ordensniederlassung außerhalb Bayerns, und Maria Laach der erste dem Orden restituierte Ort. Beide lagen außerdem in Hohenzollern-Ländern, so daß die Hohenzollern ihre natürlichen weltlichen Herren waren. Aber nicht nur im 19. Jahrhundert, auch
24 Siebenmorgen 1983a, Abb. 287. 25 Beuron 1963, 66 und 79. - „Wie mein Geburtstag ein Samstag, der Tag meiner Primiz das Fest Mariä Geburt, der meiner Profeß das Patrozinium Β. M. V., so jener der Benediktion der glorreiche Tag der Königin der Märtyrer;" ebda. 79. Maurus wählte als Abtswappen ein großes M in blauem Feld. 26 Heimbucher (Anm. 19), I, 251. 27 Heimbucher (Anm. 19), I, 255.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
schon im Mittelalter gehörte dieses Geschlecht zu den Förderern der Benediktiner. Die Abtei Alpirsbach war von einem Zoller mitbegründet worden, und der Gründer des Klosters Einsiedeln in karolingischer Zeit war der heilige Meinrad gewesen, von dem man zu dieser Zeit ebenfalls glaubte, er stamme aus der Familie der Zollern 2 8 . Genauso wie die Zollern zu den Wohltätern des Ordens in seiner Frühzeit gehörten, so sollten sie es jetzt auch wieder für die neu erblühende Kongregation von Beuron sein. Und schließlich verdankte auch Beuron seine Wiederbegründung dem Geschlecht der Hohenzollern: Katherina, die den Namen zwar nur durch Heirat erworben hatte, stellte ihr Vermögen dem Aufbau des Ordens zur Verfügung 2 9 . In diese lange Reihe hohenzollerscher Verpflichtung den Benediktinern gegenüber sah sich Wilhelm II. auch in seiner Rede von 1901, als er die Benediktiner sub protectione nostra nahm, wie es in einer mittelalterlichen Urkunde formuliert wäre. Die dank der Freigiebigkeit der Hohenzollern erstarkte Kongregation von Beuron führte am Ende des 19. Jahrhunderts den Benediktinerorden in theologischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Hinsicht zu einer neuen Blüte. Maria Laach löste Beuron dabei als geistiges Zentrum der Bewegung ab und hatte eine große Ausstrahlung, die am besten mit der Rolle Monte Cassinos, des alten Hauptsitzes des Ordens, im Mittelalter zu vergleichen ist. Von hier ging Abt Willibrord Benzler mit Unterstützung Wilhelms II. als Bischof nach Metz, von hier ging Abt Fidelis von Stotzingen nach Rom, um den Gesamtorden zu leiten. Maria Laach selber wurde ein Zentrum kirchenwissenschaftlicher Studien, vor allem liturgiewissenschaftlicher Arbeiten. Auch Wilhelm II. waren die Mönche von Maria Laach noch öfter zu Diensten 3 0 .
Jerusalem An demselben Tag, als Wilhelm II. die Erlöserkirche in Jerusalem einweihte, schenkte er nachmittags den deutschen Katholiken das Grundstück der Dormitio B. Mariae auf d e m Zionsberg (Abb. 67-69). Eine mehrfache Tradition verband sich mit diesem Ort. Z u m einen soll sich an dieser Stelle im Süden der Altstadt der Saal befunden haben, an d e m Christus das Abendmahl einsetzte. Durch Kompilation der biblischen Berichte wollte man in dem Gelände gleichzeitig das Haus der Maria sehen, in dem sie gelebt habe und gestorben sei. Eine weitere, uralte jüdische Tradition erblickte in den Resten des Abendmahlsaals außerdem noch das Grab Davids Nabi Da'-ud; es stellte deswegen einen der traditionsreichsten Punkte der ganzen Stadt dar und war Juden, Christen und Muslimen wichtig 3 1 . Die Theologen der Jahrhundertwende haben sich mehrfach mit den schriftlichen Überlieferungen auseinandergesetzt, und die Ergebnisse waren letztlich mehr von der Konfession als von den Argumenten abhängig: Protestantische Forscher versuchten, bis in die Zeit des Neuen Testamentes zurückzukommen; sie wollten die Apostolizität des Ortes überprüfen. Seriöse katholische Theologen hingegen arbeiteten die Überlieferungsgeschichte lediglich bis ins 6. Jahrhundert zurück auf; den Rest überließen sie dem Glau-
28 Ludwig Schmid, Der heilige Meinrad in der Ahnenreihe des erlauchten Hauses Hohenzollern. Eine kritisch-historische Untersuchung; Sigmaringen 1874. 29 Beuron 1963,47-62. 30 Wilhelm II. liebte es, in Benediktinerklöstern empfangen zu werden wie Kaiser im Mittelalter; Bachem (Anm. 7), VI, 265. 31 Zur Orientierung Kroll 1988,312-318.
4. Wilhelm II. und die katholische Kirche
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ben und der Spekulation 32 . Im späten Mittelalter hatten die Franziskaner das Gelände durch Intervention Roberts von Neapel zugesprochen bekommen, jedoch im 16. Jahrhundert an die Osmanen abtreten müssen, da diese das Grab Davids bewachen wollten. Seitdem war es unveräußerbarer islamischer Besitz 33 . Nachdem sich Westeuropa nach 1840 in Jerusalem festgesetzt hatte, war die heilige Stadt das Ziel nicht nur der verschiedenen Konfessionen, sondern auch der Nationen geworden. So genügte nicht mehr der lateinische Patriarch in Jerusalem als Schutzherr der Katholiken; besonders Frankreich war vorausgegangen, ein eigenes nationales Protektorat für die französischen Katholiken einzurichten. Sichtbares Zeichen war die St. Annen-Kirche. So war es nur zu verständlich, daß auch die deutschen Katholiken, die seit der Jahrhundertmitte immer mehr das Heilige Land besuchten, eine eigene Kirche besitzen wollten. Der Deutsche Verein vom Heiligen Land, der 1855 in Köln gegründet worden war 34 , nahm sich dieser Probleme an und hatte sich das Dormitio-Grundstück, bei dem es eine lange westeuropäische Tradition gab, zum Erwerb ausgesucht 35 . Als die Verhandlungen nicht vorankamen, wandte sich der Verein an den Kaiser mit der Bitte um Vermittlung. Dessen gute Beziehungen zum Sultan waren bekannt, ebenso seine Pläne für die bevorstehende Palästinareise 1898 36 . In Vorverhandlungen stellte sich heraus, daß der Erwerb des Abendmahlssaals unmöglich war; zu eng war er mit dem Grab Davids verbunden, das der Sultan als muslimisches Heiligtum unmöglich aufgeben konnte 37 . Er bot jedoch an, den disponiblen Teil des Zion-Grundstücks selber zu kaufen, um Wilhelm vor unnötigen Preistreibereien zu schützen. Die Verhandlungen, die noch bis zur allerletzten Minute geführt wurden, endeten im gewünschten Sinne. Wilhelm entschloß sich, das Grundstück, für das er ein erhebliches „Bakschisch" hatte entrichten müssen, zu behalten und dem Verein vom Heiligen Land lediglich die Nutznießungsrechte zu übertragen 38 . Das konnte dem Verein nur recht sein, denn dadurch blieb das Grundstück exterritorial und war besser vor Übergriffen geschützt; Wilhelm wünschte ferner, daß Benediktiner auf dem Zion einziehen sollten 39 . Die hochherzige Schenkung des Kaisers hatte die erwartete publizistische Wirkung gefunden und seine Stellung als Kaiser aller Deutschen wirksam unterstrichen. Sogleich liefen Sam-
32 Z. B. Theodor Zahn (ev.), Dormitio Sanctae Virginis und das Haus des Johannes Markus, in: Neue kirchliche Zeitschrift 10, 1899, 377—429; Leopold Fonck (kath.), Bemerkungen zu den ältesten Nachrichten über das Mariengrab, in: Zeitschrift für katholische Theologie 22, 1898, 481-507; ders., Das Grab der Gottesmutter, in: Stimmen aus Maria Laach 52, 1897, 143-156. 33 Lemmens 1925, 56ff. 34 Gegründet als Verein vom hl. Grabe; Cramer 1956, 10-24. 35 Unter dem ersten Wallfahrern des 19. Jhs. aus Westeuropa war Katharina von Hohenzollern, die Gründonnerstag 1860 an einer Masse im Coenaculum teilnahm; Karl Theodor Zingeler, Katharina Fürstin von Hohenzollern geb. Prinzessin Hohenlohe, die Stifterin von Beuron; München 1912, 79-81; vgl. ferner: Die Hohenzollern und das heilige Land, in: Das heilige Land 45, 1901, 73-77; und zur großen Tradition der Hohenzollern-Wallfahrten: F. Geisheim, Die Hohenzollern am heiligen Grabe zu Jerusalem; Berlin 1858. 36 Cramer 1956, 4 6 ^ 7 ; Gatz 1978. 37 Gatz 1978, 38. 38 Gatz 1978, 42. 39 Erst 1925 wurde das Grundstück von kaiserlichem Besitz auf den Erzbischöflichen Stuhl Köln überschrieben; Cramer 1956, 47.
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111. Die Kirche Wilhelms II.
melaktionen im katholischen Deutschland an, die schnell die erforderliche Summe zusammenbrachten. Im folgenden Frühjahr reiste der Kölner Diözesanbaumeister Heinrich Renard zu einer Inspektion des Geländes an 40 . Bei partiellen Ausgrabungen stellte er Mauerreste fest, die es ihm gestatteten, in stark hypothetischer Art den Grundriß der Zionskirche in frühchristlicher Zeit und zur Zeit der Franziskaner zeichnerisch zu rekonstruieren. Die fünfschiffige Kirche barg zwei Heiligtümer: in Chornähe an ein Seitenschiff angebaut den Abendmahlssaal und im unmittelbaren Bereich des Haupteingangs die schriftlich überlieferte Stelle des Heimgangs Mariä. Sein Bericht endete mit folgendem Satz: „... kann die für die Dormition in Frage kommende Stelle einen nur eng begrenzten Umfang besitzen und daher die traditionelle Stelle fast genau bestimmt werden. " 4 I Dieser Befund wurde wichtig für die eigentliche Arbeit Renards, nämlich einen Plan zum Bau der Marienkirche zu entwerfen. Die Lage stellte sich so dar, daß gegen eine komplette Rekonstruktion der Zionskirche der zu geringe Befund sprach und vor allem die Tatsache, daß ein Teil dieser Kirche nach wie vor in muslimischen Besitz war. Das gleiche galt auch für den Abendmahlssaal, der deswegen für weitere Überlegungen ausschied, obwohl er zumindest gut erhaltene mittelalterliche Architektur zeigte. Auf dem nunmehr deutschen Grundstück befand sich aber mit großer Sicherheit die Stelle der Dormitio Mariae. Daraus ergab sich nun die bemerkenswerte Situation, daß eine nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführte archäologische Prospektierung als Grundlage für einen völlig eigenständigen Entwurf genommen wurde. Der archäologische Befund bestimmte nämlich, was gebaut wurde und wo es gebaut werden sollte: da die Stelle des Dormition gefunden worden war, mußte also eine Marienkirche gebaut werden, und nach dem Prinzip, daß einmal geweihter Boden nicht preisgegeben werden soll, stand auch die Verteilung von Kirche und Anräumen in groben Zügen fest. Noch weiteren Randbedingungen mußte Renard genügen, zum Beispiel die Kirche in der Höhenentwicklung oder Position so zu gestalten, daß ihr Schatten nie auf das muslimische Heiligtum treffe; das wäre als tiefe Beleidigung aufgefaßt worden 42 . Als Form wählte Renard die des zentralen Kuppelbaus, die einerseits typisch für Marienkirchen ist, und andererseits zwei wichtige Bauten der heimischen Diözese ins Gedächtnis ruft, nämlich die Aachener Pfalzkapelle und St. Gereon in Köln. Geschickt nutzte er den unregelmäßig geschnittenen Platz für Kirche, Kloster und weitere Nebenbauten aus, wobei Kirchenkuppel und Kirchturm weit auseinander stehen und eine sehr malerische Wirkung erzielen. Weite Arkadenstellungen binden die Bauten zusammen 4 3 . Schenkung und Bau der Dormition gaben der deutschen katholischen Palästinawallfahrt großen Auftrieb. Bei der gleichen Gelegenheit, als der deutsche Verein vom Heiligen Land mit dem Kaiser in Jerusalem über den Zion sprach, schnitt er das Thema einer neuen, größeren Pilgerherberge für Deutschlands Katholiken an und erhielt die volle Zustimmung des Kaisers 44 . 1899 war das geeignete, repräsentative Gelände unmittelbar vor dem Damaskustor gefunden, und Renard arbeitete große Projekte aus. Dem Hospiz wurde der Name St. Paulus-Hospiz gegeben, da man bei den Ausschachtungsarbeiten meinte, Reste der Bauten über der Richtstätte des
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Meyer 1984, 152. Renard 1900a, 23. Bauten in Jerusalem, 1911,14; Renard 1900b. Für eine nähere Beschreibung siehe Anneliese und Anton Goergen, „Basilika" der Benediktinerabtei Dormitio Berg Zion/Jerusalem (Kleine Kunstführer 1800); München 1990 44 Cramer 1956, 54.
5. In hoc signo vinces
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Erzmärtyrers Stephanus gefunden zu haben. Von Stephanus wird berichtet, daß er für Saulus, der die Kleider der Steiniger bewahrte, die Gnade der Bekehrung erfleht hat 45 . Renard errichtete beide katholischen Großbauten gleichzeitig in Jerusalem. Dabei endete Wilhelms II. Interesse keineswegs mit der Schenkung des Dormitiogrundstücks. Vielmehr ließ er sich die Pläne von beiden Projekten zur Begutachtung vorlegen, fühlte sich also als der eigentliche Bauherr, genauso wie bei den evangelischen Projekten in Jerusalem. Daß evangelische und katholische Projekte zusammengesehen werden sollen, zeigt die enge Verknüpfung der jeweiligen Baugeschichte, noch deutlicher aber ein bestimmter Tag: Auguste Victoria-Stiftung und Dormitio wurden am gleichen Tage - es war der 10. April 1910 - eingeweiht. Nicht Konkurrenz der Konfessionen wurde damit ausgedrückt, sondern Gleichklang, und Urheber davon war zumindest in den hier besprochenen Fällen Wilhelm II. Es war sein erklärtes Ziel, der Kaiser aller Deutschen zu sein 46 .
5.
In hoc signo vinces
Wir haben gesehen, wie Wilhelm II. auf den Spuren Konstantins wandelte. Ihm nacheifernd errichtete er, mit dem Text des Eusebius in der Hand, im Heiligen Land Kirchen an den Erinnerungsstätten des Herrn, ähnlich ihm versuchte er Einigung herzustellen unter den Christen, um gegen äußere Feinde besser gewappnet zu sein. Freilich, wenn man an Konstantin und die Christen denkt, erinnert man sich als erstes meist nicht der Bauten im Heiligen Land, sondern der ersten christlichen Tat Konstantins, mit der der Siegeszug des Christentums auch durch die staatlichen Instanzen begonnen hatte: die Schlacht vor den Toren Roms am 28. Oktober des Jahres 312, bei der Konstantin „im Zeichen des Kreuzes" gesiegt hatte. Tatsächlich hat Wilhelm auch diesen Aspekt der Taten Konstantins bedacht, womit das Bild einer Imitatio Constantini noch dichter und schlüssiger werden wird. Die Vorbild gebende Handlung ist wieder der Konstantinsvita des Eusebius entnommen: Als Konstantin auf den Thron gekommen war, brachte er die Reichsteile, die zur Herrschaft seines Vaters gehört hatten, unter seine Kontrolle und erwies sich als menschenfreundlicher Herrscher. In Rom dagegen herrschte Maxentius als Tyrann. Weil gegen ihn alle Mitkaiser Konstantins hilflos oder bereits gescheitert waren, entschloß sich Konstantin einzugreifen. Er entschied sich für den Gott seines Vaters und bat um ein Zeichen. Unter Eid berichtete Konstantin später dem Eusebius, daß ihm dann am hellichten Taghimmel „über der Sonne das Siegeszeichen des Kreuzes, aus Licht gebildet, und dabei die Worte: ,Durch dieses siege!'" erschienen sei; in der folgenden Nacht habe sich ihm Christus gezeigt und ihm aufgetragen, dieses Zeichen bei den Kämpfen als Schutzpanier zu verwenden. Am folgenden Tag rief Konstantin Künstler zu sich und ließ sie nach seinen Angaben das Labarum anfertigen. Nach einer ausführlichen Schilderung der Tyrannenherrschaft des Maxentius wird die Schlacht vor den Toren Roms und der Triumph Konstantins geschildert 1 . Eusebius berichtete also von zwei Gottesoffenbarungen Kon45 Cramer 1956,54. 46 Es wurde auch eine gemeinsame Festschrift (Festtage 1912) zur Einweihung der beiden neuen Kirchen (Himmelfahrtskirche und Dormition) herausgegeben, bezeichnenderweise unter dem Titel: Die deutschen Festtage in Jerusalem. 1 Eusebius, Leben Konstantins, I, 2 6 ^ 0 . - Außerdem ist als antike Quellenschrift der Bericht des Lactantius zu nennen, der den Ort - die Milvische Brücke - genau bezeichnet, im übrigen aber
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III. Die Kirche Wilhelms 11.
stantins, dem Lichtkreuz und dem Labarum. Beide waren sichtbarer Ausdruck des neuen Glaubens und gleichzeitig Garant für eine gerechte Herrschaft, die sich gegen übelste Tyranneien durchsetzen konnte. Aus der Geschichte kannte man zwar das exakte Datum der Schlacht zwischen Maxentius und Konstantin, was aber noch lange nicht bedeutete, daß man auch das genaue Schlachtfeld lokalisieren konnte. Und von Vision und Traum Konstantins wußte man nur, daß beide vor dieser Schlacht stattgefunden haben mußten. Gab es hier eine Möglichkeit, das damalige Wissen zu vertiefen? Die Fragen nach genauem Handlungsort und Handlungsdatum sind Grundfragen der Geschichtswissenschaft, die auch heute noch gestellt, jedoch nicht mehr mit solcher Intensität wie im letzten Jahrhundert behandelt werden. Diese Fragen zu stellen, war völlig legitim, und jemand, der es auch oft tat, war Wilhelm II. Für ihn als geschichtlich Interessierten und von den führenden Historikern Beratenen war es meist keine Schwierigkeit, die nötigen Informationen zu erhalten. Auf Reisen hatte er qualifizierte Begleitungen, die ihm Rede und Antwort stehen konnten. Bei der Reise zum Beispiel, die ihn nach Apulien führte, war der Direktor des Preußischen Historischen Instituts in Rom, Paul F. Kehr, dabei, um ihm zwischen Bari und Castel del Monte die nötigen Zusammenhänge zu erläutern 2 . Der Fall der Kaiserinnengräber in Andria ist Beleg dafür, daß auch um des Kaisers willen keine Schönfärberei betrieben wurde 3 . Ende des letzten Jahrhunderts war Konstantin in den Blickpunkt der Wissenschaft gerückt worden. Seither hat das Interesse an ihm kaum abgenommen. Die Kreuzesvision machte in dem weiten Bereich der Konstantinforschung natürlich nur einen kleinen Teil aus, doch ist bemerkenswert, daß alle drei Teilaspekte, die uns hier interessieren, damals in Diskussion waren: der
von anderen übernatürlichen Erscheinungen spricht. Lactantius beschreibt eine Vision unmittelbar vor der Schlacht, aufgrund der die Soldaten ihre Schilder bemalt haben sollen, im Gegensatz zu Euseb, bei dem es um das Feldzeichen der Armee geht. Zu Lactantius vgl. zuletzt: Michael di Maio Jr., Jörn Zeuge und Natalia Zotov, Ambiguitas Constantiniana: The Caeleste Signum Dei of Constantine the Great, in: Byzantion 58, 1988, 333-360. - Die Kreuzesvision Konstantins ist nicht die einzige derartige Vision der Spätantike, aber die meistbehandelte und wird sehr vorsichtig, ja skeptisch betrachtet. Heinrich Chantraine machte in seinem Vortrag bei der Tagung der Görres-Gesellschaft 1992 in Würzburg: Die Kreuzesvision des Jahres 351 n. Chr. - Fakten und Probleme (Resümee in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1992, 106) auf diese sehr sicher überlieferte Kreuzesvision aufmerksam. 2 Paul F. Kehr, Italienische Erinnerungen; Wien 1940, 18. 3 Die Kaiserreise nach Süditalien war bereits für 1904 vorgesehen, dann jedoch verschoben worden. Der Besuch war in ganz Apulien, so auch in Andria mit Spannung und Freude erwartet worden. Als man von der Absage erfuhr, nutzte man die gegebene Frist, um in der Krypta des Domes nach den Kaiserinnengräbern zu suchen. Zwei aufgefundene Sarkophage und die Fragmente eines Baldachins ergänzten sich scheinbar leicht zu den Gräbern der beiden Frauen Friedrichs II., Jolande und Isabella, gestorben 1228 bzw. 1241. Gegen diese von der Lokalforschung favorisierte Meinung mußte sich jedoch Arthur Haseloff, vom Historischen Institut in Rom gesandt, stellen, da er keine stichhaltigen Beweise sah. So mußte der Kaiser bei seiner 1905 nachgeholten Reise auf die Kaiserinnengräber in Andria verzichten; Arthur Haseloff, Die Kaiserinnengräber in Andria (Bibliothek des kgl. Preußischen Historischen Instituts in Rom, 1); Rom 1905.
5.a In hoc signo vinces: Der Schlachtort
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Ort der Schlacht, die Form des Labarum und Art und Ort der Kreuzesvision 4 . Das 1600jährige Jubiläum der Schlacht im Jahre 1912 bot den äußeren Anlaß dazu.
5.a Der Schlachtort Der Ort der „Schlacht an der Milvischen Brücke" war in der modernen Forschung zunächst vom preußischen Feldmarschall Helmut von Moltke genauer untersucht worden, als er 1840 und 1846 in Rom weilte und eine Karte der Umgebung Roms anfertigte (Abb. 72). Er lokalisierte die Schlacht aufgrund literarischer Angaben weiter im Norden von Rom, etliche Kilometer jenseits der Milvischen Brücke bei der Flurbezeichnung Saxa Rubra (heute Prima Porta) 5 . An dieser Lokalisierung hat vor allem die deutsche Forschung immer wieder festgehalten, unterstützt durch die Autorität des Feldmarschalls 6 . Erst Otto Seeck variierte am Ende des letzten Jahrhunderts den Schlachtverlauf aufgrund eigener Anschauungen und rekonstruierte die Ereignisse so, daß Maxentius über die Milvische Brücke nach Norden gezogen, Konstantin dagegen am feindlichen Heer vorbei querfeldein zur Milvischen Brücke vorgestoßen sei; als sich Maxentius im Norden und Süden von Konstantins Truppen eingekesselt sah, versuchte er die Flucht nach Rom zurück, wobei er bei der Tiberüberquerung auf einer hölzernen Brücke in der Nähe der Milvischen Brücke ertrank. Auf diese Weise gelang es Seeck, sowohl Saxa Rubra als auch Milvische Brücke als Schlachtgelände zu bestätigen und Maxentius an der Milvischen Brücke scheitern zu lassen 7 . Diese Version, erstmals 1897 publiziert, wurde im wesentlichen auch in der italienischen Literatur übernommen und seither nur leicht abgewandelt 8 .
4 Sehr gute Literaturüberblicke bieten: Konstantin der Grosse und seine Zeit. Gesammelte Studien. Festgabe zum Konstantins-Jubiläum 1913 und zum goldenen Priesterjubiläum von Mgr. Dr. A. de Waal; hg. von Franz Josef Dölger; Freiburg 1913; Franz Josef Dölger, Konstantin der Große nach neueren Forschungen, in: Theologische Revue 13, 1914, 353-359 und 385-390; Baynes 1972, besonders 60-66 [beste Zusammenstellung der alten Literatur]; Pio Franchi de' Cavalieri, Constantiniana; Vatikanstadt 1953; Konstantin der Große (Wege der Forschung 131); hg. Heinrich Kraft; Darmstadt 1974 und zuletzt Stuart George Hall, Art. Konstantin I., in: TRE 19, 1990, 489-500. - Zur Kreuzesvision: Johann Baptist Aufhauser, Konstantins Kreuzesvision; Bonn 1912; Heinrich Schroers, Konstantins des Großen Kreuzeserscheinung, eine kritische Untersuchung; Bonn 1913. 5 Helmut von Moltke, Wanderbuch. Handschriftliche Aufzeichnungen aus dem Reisetagebuch; 6. Aufl. Berlin 1892, 131-139. 6 So noch der junge Architekt Fritz Toebelmann, der einen römischen Bogen bei Saxa Rubra zum Anlaß nahm, die Schlacht dort zu situieren; er wurde angeregt und unterstützt von Christian Hülsen, der auch die Publikation der Ergebnisse nach dem Tod des Autors im ersten Weltkrieg besorgte: Fritz Toebelmann, Der Bogen von Malborghetto (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschafte; Phil.-hist. Klasse, 2. Abhandlung); Heidelberg 1915, hier 22-30. 7 Otto Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt; 6 Bände; 4. Aufl. Stutgart 1921; Reprint Stuttgart 1966, hier 1, 114-142. Die erste Auflage erschien 1897. 8 G. Biasotti, La grande battaglia di Costantino contro Massenzio da Saxa Rubra al Pons Milvius; Rom 1912; Felice Grossi-Gondi, La battaglia di Costantino Magno a Saxa Rubra, in: Civilté Cattolica 63, 1912, 365^03; Alfredo Monaci, La campagna di Costantino in Italia nel 312, in: Nuovo Bollettino di Archeologia Cristiana 19, 1913,43-69; Giovanni Costa, La Battaglia di Costantino a
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III. Die Kirche
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Rom, S. Croce al Flaminio Als offizieller Anlaß zu größeren Feiern in Rom war von Papst Pius X. nicht der Jahrestag der Schlacht an der Milvischen Brücke auserkoren worden, sondern der des Mailänder Toleranzedikts. Der Name des zur Organisation eingesetzten Komitees - Consiglio superiore per i festeggiamenti del XVI centenario della pace della Chiesa - drückt programmatisch aus, worauf es Pius X. ankam: Frieden. Noch immer fühlte er sich als Gefangener im Vatikan, von einem feindlichen Staat umgeben; die Feier des Mailänder Toleranzediktes war in diesem Sinne eine ganz aktuelle Forderung, bessere Zustände auch in der Gegenwart herbeizuführen. Der Papst hatte Anfang 1912, also relativ kurzfristig, den Wunsch geäußert, daß zwei neue Kirchen gebaut würden, die eine zu Ehren Helenas bei ihrem Mausoleum an der Via Casilina und die andere in der Nähe des einstigen Schlachtfeldes bei der Milvischen Brücke unter dem Namen S. Croce. Während das Projekt an der Via Casilina nicht realisiert werden konnte, wurde die Kirche an der Milvischen Brücke von Aristide Leonori in kürzester Zeit ausgeführt (Abb. 73) 9 . Als Material wurde bei den sichtbaren Flächen der heimische Ziegelstein gewählt. Der Außenbau ist vor allem frühchristlichen Vorbildern verpflichtet; die Vorhalle mit jonischen Säulen und die nach oben vorspringende Fassade ahmen S. Lorenzo fuori le mura nach, lediglich der Campanile hat zwangsläufig sein Vorbild in späterer Zeit, fügt sich aber harmonisch an. Der basilikale Innenraum - wieder durch jonische Säulenreihen abgeteilt - mit offenem Dachstuhl wahrt in seinen Proportionen frühchristliche Vorbilder wie S. Sabina 10 , doch die liturgische Ausstattung durchbricht das einheitliche Zeitgefüge; sie zeigt wiederum hochmittelalterliche Formen. Auf die Grundsteinlegung am 17. Oktober 1912 - in großer zeitlicher Nähe zum Datum der Schlacht am 28. Oktober - folgte die Benediktion bereits ein Jahr später, am 29. Dezember 1913". Möglich war das unter anderem deshalb, weil die Kirche sozusagen auf der grünen Wiese gebaut worden war und auf nichts, weder Anwohner noch Anwesen noch archäologische Zeugnisse, Rücksicht genommen werden mußte. Ein Stadtplan von 1906 zeigt das fragliche Gebiet der Via Flaminia südlich der Ponte Milvio noch völlig unbebaut. Erst während des Ersten Weltkriegs wurden hier Kasernen angelegt, eine private Bebauung fehlte nach wie vor weitgehend 12 . Auch wenn die Kirche schon 1914 als Pfarrkirche eingerichtet wurde, war sie doch lange eine Kirche ohne Gemeinde: Sie war vor allem eine Denkmalkirche in unmittelbarer Nähe des Ortes von Konstantins Triumph 1 3 . Dies zeigt sich auch an ihrer Ausstattung und dekorativen
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Ponte Milvio, in: Bilynchis 2, 1913, 197-208. - Auch die neuere Forschung übernimmt im Wesentlichen die Ergebnisse von Otto Seeck; vgl. Jean Moreau, Pont Milvius ou Saxa Rubra?, in: La Nouvelle Clio 4, 1952, 369-373. Bosi, Giulio und Mario, S. Croce al Flaminio (Le Chiese di Roma illustrate 86); Rom 1965, 5. Carlo Ceschi, Le Chiese di Roma dagli inizi del Neoclassico al 1961 (Roma Cristiana, 6); Rocca San Casciano 1963, 161 und Abb. 190. Innenraumabbildungen bei Bosi (Anm. 9), Abb. 8 und 9. Bosi (Anm. 9), 7-8. Amato Pietro Frutaz, Le Piante di Roma; 1 Text- und 2 Tafelbände; Rom 1962; hier III, Taf. 570 Nr. CCXXII (1906) und Taf. 579 Plan CCXXV (Luftaufnahme von 1919). - Die heute hier stehenden Wohnbauten stammen großenteils aus den 20er Jahren. Die Civiltà Cattolica äußerte sich folgendermaßen: „Ai festeggiamenti... noi vorremmo che andasse
unito un intento pratico
e un frutto
duraturo.
Tale sarebbe
... un monumento
perenne
a
5.b In hoc signo vinces: Das Labarum
23 1
Ausgestaltung. Der Hauptaltar erhielt ein Stück der Kreuzreliquie, das in einem monumentalen Altarkreuz von Aristide Leonori eingeschlossen wurde 14 . Den wichtigsten künstlerischen Schmuck, und zwar die Mosaiken der Fassade und der beiden Nebenapsiden, verdanken wir Biagio Biagetti, dem führenden italienischen Künstler jener Zeit, Kirchenausstattungen betreffend 1 5 . In großen, klaren Linien hat Biagetti die Komposition des Fassadenmosaiks entfaltet, das die ganze Breite der Kirche einnimmt und auf goldenem Hintergrund die beiden wichtigen konstantinischen Episoden, nämlich den Erlaß von Mailand und die Schlacht an der Milvischen Brücke schildert; die Mitte wird von der Darstellung des Triumphes des Kreuzes beherrscht 16 . Im Innern verdient vor allem die rechte Seitenapsis unser Interesse (Abb. 74). In der Apsis hinter dem Georgsaltar erscheint der jugendliche Ritterheilige umgeben von sechs Personifikationen der ritterlichen Tugenden. Georg blickt nach oben in den Scheitel der Kuppelkalotte, wo in einem großen Kreis das Christusmonogramm erscheint 17 . Der heilige Georg gilt als Schutzheiliger zahlreicher Ritterorden, so auch des sogenannten Konstantinordens, der seine Gründung auf Konstantin den Großen selber zurückführen will 18 . Dieser in Rom noch existente Orden hatte von Pius X. die rechte Seitenapsis als Privatkapelle zugesprochen erhalten.
5.b Das Labarum Das Labarum bezeichnete das von Konstantin neu geschaffene Feldzeichen. Da es auf göttliche Eingebung hin angefertigt wurde, versinnbildlicht es auf eindringliche Weise den göttlichen Hintergrund von Konstantins Herrschaft und damit aller christlichen Herrscher, die sich später auf Konstantin berufen sollten 19 .
14 15
16 17 18
CRISTO VINCITORE ETERNO, su quei campi che videro, primi, nella polvere i vessilli del paganesimo con le sgominale schiere del tiranno, e il labaro trionfale di Cristo ... : un tempio grandioso ... all'uno o alFaltro capo del ponte Milvio, spettatore della grande vittoria cristiana ..."; Il XVI centenario della pace costantiniana, in: Civiltà Cattolica 63, 1912, vol. 1, 3-21, hier 19f. Wahrscheinlich von S. Croce in Gerusalemme genommen; Bosi (Anm. 9), 71-73 und Abb. 13. Biagetti stammt aus der Schule von Ludwig Seitz, der in Italien zahlreiche renommierte Aufträge auszuführen hatte, u.a. die Ausmalung in Loreto und im Santo in Padua, und außerdem Direktor der päpstlichen Gemäldesammlungen war; Biagetti führte die Paduaner Ausmalung nach Seitz weiter; vgl. Celso Costantini, I nostri artisti: Biagio Biagetti, in: Arte cristiana 6, 1917, 1-16. Bosi (Anm. 9), 48-50. Bosi (Anm. 9), 78-79. Es wird vermutet, daß dieser Orden 1190 von dem byzantinischen Kaiser Isaak Angelos Komnenos gegründet worden ist. Isaak Angelos hatte eine Tochter aus der Familie der Komnenen-Dynastie geheiratet und dann den Kaisertitel von den Komnenen an sich gerissen; die Komnenen wiederum führten ihre Dynastie auf Konstantin zurück. Trifft dies alles zu, hätte der Konstantins- Orden also der Legitimation der neuen Kaiserfamilie gedient. - Sichere historische Nachrichten liegen jedoch erst seit dem Ende des 16. Jahrhunderts vor. Seit dieser Zeit blieb der Hauptsitz des Ordens in Italien. Das Großmeisteramt wurde nach dem Aussterben der Komnenen den Farnese zugesprochen; vgl. Dictionnaire des Ordres Religieux ou Histoire des Ordres Monastiques, religieux et militaire; Paris 1847, Bd. I, 1097-1104 s. v. Constantin (Chevaliers de l'Orde de). - Ich danke Friedemann Scriba für diese und weitere Literatursuchen in diesem Zusammenhang.
19 Gerhard Wirth, Labarum, in: LMA 3, 1991, 1600.
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111. Die Kirche Wilhelms II.
In geheimnisvolles Dunkel ist nach wie vor die sprachliche Herkunft des Begriffes Labarum gehüllt, der nach den erhaltenen Schriftquellen erstmals Ende des 4. Jahrhunderts benutzt wurde und seitdem ein Synonym für dieses Feldzeichen geworden ist 20 . Die Standarte selber wurde lange Zeit im Kaiserpalast von Konstantinopel unter strenger Bewachung aufbewahrt und diente als Vorbild für byzantinische Feldzeichen 2 1 . Während die historisch nachprüfbaren Spuren des Labarums sich ziemlich rasch verloren haben, blieb die Idee davon lebendig, denn sie war durch die altchristlichen Schriftsteller direkt mit dem Leben und vor allem d e m Sieg Konstantins verbunden. Mit der Literatur über ihn, die seit der Gegenreformation in großer Regelmäßigkeit erschien, blieb das Labarum zumindest dem Namen nach bekannt 2 2 . Ein wichtiger Punkt bei der Behandlung des Labarums war natürlich eine Rekonstruktion seines Aussehens. Basis dafür waren und sind noch heute neben den Texten vor allem Münzbilder des 4. Jahrhunderts, bei denen kaiserlich-militärische Darstellungen vorherrschend waren. Es galt, die von Eusebius genannten Elemente zu rekonstruieren und in sinnvoller Größe und Anordnung zusammenzustellen, und zwar einen Kranz mit dem „ΧΡ''-Zeichen als Symbol des Erlösers auf einer Lanze, an einem Querstab - beide zusammen ein Kreuz bildend - ein quadratisches, kostbar besticktes Gewebe hängend, schließlich Medaillons von Konstantin und seinen Söhnen 2 3 . Das 19. Jahrhundert setzte an der Tradition mit massiver Kritik ein. Manso, der Breslauer Gymnasialrektor und Historiker, ging so weit, d e m Labarum alles Christliche abzusprechen und es als Zufallsprodukt einer langen Entwicklung anzusehen, was bedeutete, die zeitgenössischen christologischen Deutungen, die schon Eusebius und Lactantius überliefert hatten, abzulehnen 2 4 . Das hatte zwar gegen Mitte des Jahrhunderts Jacob Burckhardt in der wohl bedeutendsten Konstantinsdarstellung des 19. Jahrhunderts als übertrieben empfunden 2 5 , aber indem er Konstantin wie folgt charakterisierte: „In einem genialen Menschen, dem der Ehrgeiz und die Herrschsucht keine ruhige Stunde gönnen, kann von Christentum und Heidentum, bewußter Religiosität und Irreligiosität gar nicht die Rede sein: ein solcher ist ganz wesentlich unreligiös..." 2 6 , eröffnete er doch einen vollkommen neuen Blick auf die Epoche der Spätantike und schilderte Konstantin unter einem anderen als dem gewohnten Blickwinkel, nicht mehr primär als Christ und Christenbeschützer, sondern als Machtpolitiker. Das Jubiläumsjahr 1912 führte zur verstärkten Aufarbeitung der Vorgänge von 312; neben der philologischen Arbeit wurde gleich dreimal versucht, das Labarum zu rekonstruieren: Der
20 Rudolf Egger, Das Labarum. Die Kaiserstandarte der Spätantike; Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse 234, 1960, 1. Abhandlung. 21 Grosse, Art. Labarum, in: Pauly-Wissowas Real-Enzyklopädie Bd. 12, 1, 1924, 240-242. 22 Gute Literaturnachweise bietet der Artikel von Henry Leclercq, Labarum, in: DACL Bd. 8, 1, 1928, 927-962; vgl. ferner Franz Kampers, Vom Werdegang der abendländischen Kaisermystik; Leipzig 1924, 144-173 (Exkurs: Das Labarum Konstantins). 23 Eusebius, Leben Konstantins, 1,31. 24 Johann Kaspar Friedrich Manso, Leben Constantins des Großen; Breslau 1817, 319-321. 25 Jacob Burckhardt, Die Zeit Constantins des Großen; Basel 1853, 392. Manso ist trotzdem laut Vorrede eine der Quellen für Burckhardts Darstellung. Burckhardts Buch erlebte im 20. Jahrhundert zahlreiche Auflagen, zu seinen Lebzeiten lediglich 1880 eine zweite Auflage. 26 Burckhardt (Anm. 25), 389; es handelt sich um die einleitenden Sätze des Kapitels: Constantin und die Kirche.
5.b In hoc signo vinces: Das Labarum
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Großmeister des Konstantinsordens hatte sich vorgenommen, das Labarum zu rekonstruieren. Eine zweite Rekonstruktion wurde von dem Marianisten Maurice veranlaßt 27 und die dritte, vielleicht wichtigste, von Wilhelm II. (Abb. 70, 71). Wilhelm II. hat sich dafür seiner Beziehungen zur katholischen Kirche bedient. Für die wissenschaftliche Untersuchung und Rekonstruktion hatte er Joseph Wilpert gewonnen, den in Rom ansässigen christlichen Archäologen. Mit Wilpert stand der Kaiser schon lange in Kontakt. Wilpert hatte in jahrzehntelanger Arbeit eine Edition der Katakombenmalerei Roms vorbereitet. Als 1903 der Druck bevorstand, fiel sein Geldgeber aus; Wilhelm II. und Kardinal Kopp aus Breslau retteten das Unternehmen durch eine großzügige Unterstützung 28 . Als Wilpert dem Kaiser ein Exemplar persönlich überreichte, war dieser an einer Fortsetzung des Werkes, die mittelalterlichen Malereien und Mosaiken Roms betreffend, sehr interessiert; Wilpert waren aber die Kosten zu hoch. „ Wenn es sich um alte Kunstdenkmäler handelt, so bin Ich immer zu haben!" antwortete der Kaiser, so daß Wilpert dieses Projekt doch in Angriff nehmen konnte 29 . Regelmäßig ließ sich der Kaiser vom Fortgang des Werkes berichten und gedruckte und aquarellierte Tafeln zur Kontrolle der Qualität vorlegen 30 . In Dankbarkeit widmete Wilpert das monumentale Mosaikenbuch dem protestantischen Kaiser. Obwohl es erst während des Weltkrieges erscheinen konnte, hatte es einen ungeheuren Erfolg; die Subskriptionslisten mußten vorzeitig geschlossen werden 31 . Die Qualität dieser Publikation ist nie mehr erreicht worden. Eine wichtige Folge davon war, daß fortan der ganze Motivschatz der römischen Mosaiken zur Verfügung stand, zum Studium und - zur Kopie. Wofür früher eigene Studienreisen notwendig waren, war nun durch einen Griff zu „Wilperts Mosaiken" rasch lösbar. Die Berliner Mosaikenfirma Puhl und Wagner sollte diese Möglichkeit ausgiebig nutzen 32 . Mit Wilpert war ein hervorragender Fachmann für frühchristliche Kunst gewonnen worden. Als Grundlage für seine Rekonstruktion diente ihm der Bericht in der Konstantinsvita des Eu-
27 Ausgewählte Literatur: Bruno Schremmer, Labarum und Steinaxt; Tübingen 1911; Ricostruzione del labaro costantiniano, in: Arte cristiana 1, 1913, 185-186; La Croce e il Calice della nuova chiesa a Ponte Mil vio a Roma, in: Arte cristiana 2, 1914, 93-94 mit Abb. des ausgeführten Labarums; Studio storico-critico per la ricostruzione del Labaro Costantiniano, in: Bollettino del Consiglio superiore per i festeggianti del XVI centenario della pace della Chiesa n. 4, 1913, 2-5. E. Maurice, La visione di Costantino, in: Fides et Labor. Rivista del Collegio Santa Maria (Roma) 5, 1913, 53-67. 28 Joseph Wilpert, Erlebnisse und Ergebnisse im Dienste der christlichen Archäologie; Freiburg 1930, 104-105. - Im Vorwort des Katakombenwerkes setzte Wilpert den Dank an Wilhelm II. an erste Stelle. 29 Wilpert 1916,1, S. VII. 30 Wilpert 1916,1, S. VII. Weitere genannte Unterstützer waren wieder Kardinal Kopp sowie Krupp von Bohlen und Halbach; Wilpert (Anm. 28), 145. 31 1917 wurde eine zweite Auflage herausgegeben; Wilpert (Anm. 28), 145-147. 32 Beispiele: Die Kirche St. Joseph im Wedding, 1907-09 nach Plänen des Laacher Pater Ludgerus gebaut, erhielt 1921-23 als Mosaikausstattung eine getreue Kopie der Apsis von S. demente in Rom: „Gewölbe der Chornische als faksimilegetreue Kopie von S. demente; Tonne davor angelehnt an Galla Placidia ... (1923)"; Berlin, P+W-Archiv, Ringbuchkartei. - Die Galerie Caspari in München veranstaltete im Sommer 1919 eine Ausstellung von Mosaiken, die offenbar überwiegend als Kopien hergestellt worden sind; vgl. Adolf Feulner, Mosaiken und Glasmalereien, in: Die christliche Kunst 18, 1921/22, 1-18.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
sebius. Um sich des Wortlauts sicher zu sein, bat er den mit ihm befreundeten Pio Franchi de'Cavalieri um eine neue Übersetzung der entsprechenden Passagen 33 . Nach den nunmehr bestmöglichen Vorgaben wurde von den Mönchen in Maria Laach das Labarum angefertigt 34 , die quadratische Fahne dazu in der Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard bei Rüdesheim hergestellt 35 . Im Oktober 1913 hatte Wilhelm II. das Labarum in Auftrag gegeben, im Frühjahr des folgenden Jahres bestellte er ein zweites Exemplar dazu; beide waren, bei Kosten von 10 000 Mark, im Mai 1914 fertig. Das erste Exemplar bestimmte der Kaiser für sich, das zweite für den Papst; nach Klärung der diplomatischen Verhältnisse wurde es diesem im Sommer 1914 überbracht 36 . Lange hat es der Papst in seinem Palast in Ehren gehalten. Heute befindet sich auch Wilhelms Labarum in der Kirche S. Croce al Flaminio, denn es war 1962 einem Verein italienischer Kriegshinterbliebener überwiesen worden, der an S. Croce beheimatet ist, und dem es seitdem als Standarte dient 37 . Das Fassadenmosaik der Kirche zeigt dagegen das vom Konstantinsorden rekonstruierte Labarum, das sich in zwei Punkten von Wilperts Stück unterscheidet. Bei beiden trägt der senkrechte Schaft das XP-Zeichen in einem Blätterkranz, und von einer Querstange knapp darunter hängt ein Tuch in quadratischen Abmessungen herab. Während der Konstantinsorden nun ein Kaisermedaillon oberhalb der Querstange plazierte und das Tuch mit vier Kränzen verzierte, brachte Wilpert vier Kaisermedaillons unter dem Tuch an und besetzte dieses mit Dutzenden von Halbedelsteinen. Wilperts Arbeit ist dem historischen Bericht näher 38 , ja erscheint geradezu als eine wörtliche Umsetzung der Sätze des Eusebius: „ Von der Querstange hing ein Stück
33 Pio Franchi de'Cavallieri, Il labaro descritto da Eusebio, in: Studi Romani 1, 1913, 161-168; ders., Ancora del labaro da Eusebio, in: ebda. 2, 1914, 216-223. 34 Wilpert 1916,1, 40-51; Wilpert 1913. 35 Der Laacher Abt Ildefons Herwegen begab sich persönlich nach St. Hildegard, um den kaiserlichen Auftrag zu überbringen: „Ich bin hier, um den Bendediktinerinnen die Wünsche Eurer Majestät bezüglich der an dem Labarum anzubringenden Fahne z.u übermitteln. Die Arbeit wird sofort in Angriff genommen werden." Brief von Abt Ildefons Herwegen vom 22.10. 1913 an Wilhelm II.; Berlin GStAPK 2.2.1. 23347, Bl. 117. - Die Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard war 1904 als eines der ersten Frauenklöster der Beuroner Kongregation von Prag aus wiederbegründet worden und spielte für den weiblichen Zweig des Beuroner Ordens eine ähnlich wichtige Rolle wie Maria Laach; vgl. Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard Rüdesheim-Eibingen (Kleine Kunstführer 1895); München 1991, 2-5. 36 Im Juni 1914 wurde beim preußischen Vatikangesandten angefragt, ob der Papst Bedenken gegen eine Schenkung hätte; Berlin GStAPK 2.2.1. 23347, Bl. 147-148. 37 Bosi (Anm. 9), 35-36. 38 Eusebius nannte keine Anzahl der Kaiserbildnisse, nannte jedoch den Kaiser und seine Söhne. Beide Rekonstrukteure interpretierten den Text so, daß das Labarum sich im Laufe der Zeit verändert hätte, indem nämlich jeweils die aktuellen Kaisermedaillons angebracht worden wären. Der Konstantinsorden brachte entgegen dem Text nur ein Medaillon an, da zum Zeitpunkt des Sieges Konstantin keinen Sohn als Mitregenten hatte. Wilpert dagegen nahm das Jahr der Abfassung von Eusebius' Schrift, als drei Söhne Mitkaiser waren und ergänzte deswegen vier Medaillons. - Ferner setzte er diese Medaillons unter das Tuch, um göttliche (Tuch und XP-Zeichen) und weltliche (Medaillons) Symbole hierarchisch anzuordnen. Ein Medaillon direkt unter dem XP-Zeichen kam ihm vermessen vor. - Schließlich besetzte Wilpert das Tuch nach den Angaben der Textvorlage mit zahlreichen Edelsteinen.
5.C In hoc signo vinces: Die Vision
235
Stoff herab, ein königliches [d.i. purpurn nach Prudentius] Gewebe, welches mit einer Unzahl von funkelnden Edelsteinen bedeckt und mit vielem Gold durchwebt war, so daß es dem Auge einen unausprechlich schönen Anblick bot.'e9 Der heutige Betrachter des Labarums in S. Croce al Flaminio wird angesichts eines blühenden Vereinswesens, das jedem Gesangs-, Sport- oder Karnevalsverein eine Standarte, Fahne oder ein „Stick" zubilligt, kaum gewillt sein, dieser Fahnenstange aus Blech mit buntem Gewebe einen besonderen Rang zuzugestehen. Doch die Worte, die Wilpert für das konstantinische Original fand, waren 1913 sicher auch auf die Kopie anwendbar: „Man muß gestehen, daß Konstantin genialer und vornehmer den Auftrag Christi nicht hätte erfüllen können: das Labarum war in seiner Art ein Kunstwerk ersten Ranges. Es darf so genannt werden, obgleich es als Standarte die uralte, seit Jahrhunderten fixierte Form übernommen hatte und in seinen Teilen nur ein einziges neues Stück, das Monogramm, besaß. Sein eigentlicher Wert lag in dem Inhalt. "40
5.C Die Vision Vom Kuppelscheitel der Homburger Erlöserkirche hängt ein riesiger Leuchter herab, dessen Existenz bislang kaum beachtet wurde, außer daß dessen Form jüngst als ästhetisch unbefriedigend bezeichnet wurde (Abb. 81) 41 . Er hat die Form eines dreidimensionalen Kreuzes, das heißt, der waagerechte Balken ist zweimal vorhanden, so daß die Balkenenden in alle vier Himmelsrichtungen zeigen. Schon materiell macht das Kreuz einen leichten und lichten Eindruck, weil die Balken nicht massiv gebildet sind, wie es bei Holzbalken normal ist, sondern indem lediglich die Kanten als Bronzestäbe gebildet werden. Dieses Bronzegerüst dient als Träger einer stattlichen Anzahl Glühbirnen, die vor golden schimmerndem Mosaikhintergrund ein Lichtkreuz aufleuchten lassen. Konstantins erste, siegverheißende Vision wird hier durch Knopfdruck nachvollziehbar gemacht. Was hat es mit der Homburger Erlöserkirche auf sich, daß dieses Kreuz ausgerechnet in dieser Kirche hängt? Seit ihrer Erbauung im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts dient die Homburger Erlöserkirche als evangelische Pfarrkirche des Ortes und zugleich als Schloßkapelle des in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Schlosses (Abb. 75, 76) 42 . Früher hatte die Gemeinde ihren Gottesdienst in einer im Schloß untergebrachten Kapelle abgehalten43. Seit 1864 planten die Lutheraner, eine eigene Kirche im Ort zu bauen. Dieser Plan wurde weiter verfolgt, auch als 1866 die Hohenzollern in das Schloß der Nassauer eingezogen, jedoch geschah außer dem langsamen Ansparen der Bausumme nichts. Mit der Regierungsübernahme 1888 wählte Wilhem II. das Schloß zu seiner Sommerresidenz, trieb aber erst um die Jahrhundertwende den Kirchbau entscheidend voran, indem er der Gemeinde den Baugrund direkt neben dem Schloß abtrat. Auguste Victoria übernahm das Patronat über den Bau, so daß die folgende Planungsphase unter di-
39 40 41 42
Übersetzung bei Wilpert 1916,1, 33-34. Wilpert 1916,1,37. Heckes 1990, 70. Wichtigste Literatur: Einweihung Homburg 1908; Gerland 1911; Schomann 1982; Zietz 1987; Heinz Schomann u.a., Ev. Erlöserkirche Bad Homburg v. d. Höhe (Kleine Kunstführer 1642); München 1993. 43 Zietz 1987, 260-263.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
rekter Aufsicht des Kaiserhauses stand, das auch große Geldmittel zur V e r f ü g u n g stellte. Als Architekt wurde M a x Spitta bestimmt, dessen Pläne a m 17. Februar 1901 genehmigt wurden. Er hatte sich durch die Erlöserkirche in R u m m e l s b u r g , die Gnadenkirche in Berlin und weitere A u f t r ä g e f ü r Kleinarchitekturen wie das Hochaltarziborium in Maria Laach und den Kaiserbrunnen in Konstantinopel f ü r das Kaiserhaus e m p f o h l e n . Spitta starb j e d o c h noch im gleichen Jahr. Seine N a c h f o l g e trat Franz Heinrich Schwechten an, der die Planungen in großen Z ü g e n übernahm. A m 22. Juni 1903 wurde der Grundstein gelegt und a m 17. Mai 1908 der vollständig ausgeführte und eingerichtete Bau eingeweiht. A u ß e n - und Innenansicht der Kirche zeigen ganz unterschiedlichen Charakter. W ä h r e n d die A u ß e n f o r m e n im großen und ganzen der rheinischen Spätromanik verhaftet sind, präsentiert sich das Innere im byzantinischen Glanz 4 4 . Eine vernünftige Erklärung wurde d a f ü r bislang nicht g e f u n d e n . Dieser scheinbar so vielgestaltige Bau ist in Wirklichkeit recht einfach aufgebaut. W e n i g e wichtige Architektur- und Dekorationselemente des Mittelalters sind in großer Originalität zu einem neuen G a n z e n verwoben. Die wichtigsten K o m p o n e n t e n sollen im folgenden kurz dargelegt werden. Außen lassen sich die wesentlichen Baukörper, die im heimischen roten Buntsandstein errichtet wurden, rasch ablesen: ein Langhaus mit ausladendem Querhaus, eingefaßt von zwei Turmpaaren mit rheinischen Rautenhelmen, wobei das niedrigere der Fassade und das höhere d e m C h o r zugeordnet ist. Der halbrunde Chor mit angedeutetem C h o r u m g a n g erhebt sich auf einem hohen Unterbau über dem Tal. Die Interpretation dieses eigenwilligen Aufrisses geht meist von d e m halbrunden Chorschluß aus und der Tatsache, daß Schwechten bereits in seinem Baubericht allgemein auf europäische mittelalterliche Vorbilder verwies und als einzigen konkreten Vorbildbau die Chorruine von Heisterbach nannte 4 5 . Mit diesem C h o r hat die H o m b u r ger Kirche aber nur den oberen Teil gemein. Ein viel näherliegendes Vorbild ist der Limburger D o m (Abb. 78). Mit ihm hat die Erlöserkirche nämlich die allgemeine Disposition auf einem Bergrücken, die Vieltürmegestalt und K r e u z f o r m gemein. Verglichen mit L i m b u r g erweist sich die H o m b u r g e r Kirche nicht so sehr als Kopie, sondern als originelles Spiel mit d e m Vorbild, indem sie die T u r m p a a r e vertauscht, die höheren z u m Chor n i m m t und dadurch die Bergsituation nochmals übersteigert. An die Gesamtgestalt des Limburger D o m e s sind weitere Architekturstücke als Versatzstücke appliziert. Das wird dadurch deutlich, daß diese Teile in keinem organischem Z u s a m m e n h a n g mit d e m übrigen Bau stehen; sie machen den Eindruck, als könnten sie an den einzelnen W a n d f l ä c h e n hin- und hergeschoben werden. D a s Hauptportal weist große strukturelle Ähnlichkeiten mit südfranzösischen Beispielen auf, am deutlichsten mit St. Trophimes in Arles. Das Nebenportal schließlich, das zur Kaiserloge führt, besteht aus einem Konglomerat von Architekturmotiven, die sämtlich durch mittelalterliche Kaiserikonographie erklärt werden können 4 6 . Dabei hat der Außenbau diese klare Fassung erst durch Schwechten erhalten, wie der Vergleich der Planserien Spittas und Schwechtens lehrt 4 7 : Schwechten fügte im Chorrund die
44 Schomann 1982 deutete in seinem Titel diesen Antagonismus schon an. 45 „... lehnt sich der obere Teil des Chores an den herrlichen Chor der Cistercienser-Kirche von Heisterbach an ..."; Einweihung Homburg 1908, 23-24 (Unterstreichung von mir). 46 Zietz 1987, 262. 47 Die jeweils nicht vollständigen Planserien werden im Pfarrbüro der Erlöserkirchengemeinde Bad Homburg aufbewahrt.
5.C In hoc signo vince s: Die Vision
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Außengalerie an, die in ganz ähnlicher Weise am Limburger Dom auftritt. Die Fassadentürme erhöhte er um ein beträchtliches Maß, so daß sie der Fassade ein eigenes Gewicht verleihen und zu den Haupttürmen ein Gegengewicht schaffen, wieder im gleichen Sinne wie beim Limburger Vorbild. Als Portal hatte Spitta ein herkömmliches romanisches Stufenportal vorgesehen. Schwechten ersetzte es durch die Nachahmung von St. Trophimes (Abb. 80). In großer Meisterschaft hat der Bildhauer Riegelmann, der sehr oft mit Schwechten zusammenarbeitete 48 , das Portalprogramm von St. Trophimes in Stil und Ikonographie übernommen und im protestantischen Sinne abgewandelt und vereinfacht. Von dem figurenreichen südfranzösischen Portal wurden als Kernaussagen die großen Evangelistenfiguren und das Jüngste Gericht übernommen; im Tympanon steht Christus zwischen den Aposteln und zeigt die Wundmale seiner Hände, eine besondere Demonstration seiner Erlösungstat und damit Hinweis auf den Namen der Homburger Kirche. Schwechten hat es also verstanden, durch scheinbar geringe Veränderungen des Gesamtbaus diesen noch stärker zu akzentuieren und die Aussage des Außenbaus auf zwei Vorbildbauten zu lenken: Limburg und Arles. Ich werde auf die Deutung der Zusammenhänge zurückkommen. Der Innenraum widerspricht sämtlichen Vorstellungen, die man nach dem äußeren Eindruck von ihm erwartet hätte: Keine dreischiffige Basilika, keine rheinische Romanik, stattdessen ein byzantinischer überkuppelter Zentralraum in geheimnisvollem Halbdunkel; die Wände sind mit geäderten Marmorplatten belegt und die Gewölbe sämtlich mit goldgrundigen Mosaiken überzogen. Die interpretatorisch wichtigen figürlichen Darstellungen konzentrieren sich auf wenige Zonen: Am Altar ist die Abschrankung in Form einer Ikonostase hervorzuheben; sie verbirgt jedoch nicht das Allerheiligste, sondern hinter ihr ist vielmehr das Taufbecken versteckt. Die Mosaiken Hermann Schapers nehmen in ungewöhnlich freier Form zwei Themen byzantinischer Kunst auf: In den Pendentifs der Hauptkuppel stehen große kostbar gekleidete Engel, die mit ihren geschweiften Flügeln auf das Vorbild der Hagia Sophia verweisen. Aus der Apsis blickt der Pantokrator herab, der in dieser Form aus den byzantinischen Apsismosaiken der normannischen Kirchen Siziliens bekannt ist. Beide Motive wurden bereits ausführlich in ihren Kontext eingeordnet 49 , so daß jetzt auf das letzte Ausstattungsstück hingewiesen werden soll, das aus der Kuppelmitte in den Raum herabhängt und kaum zu übersehen ist: das Lichtkreuz.
Das Lichtkreuz: Herkunft und Geschichte Das konstantinische Lichtkreuz ist keine Erfindung Wilhelms II. Sein Vorbild hängt in der Markuskirche in Venedig, wo es der deutsche Kaiser gesehen hat (Abb. 82). Bei allen seinen Italienreisen besuchte er Venedig, erstmals bereits im Jahr seines Regierungsantritts, und später bei seinen jährlichen Mittelmeerkreuzfahrten, als er eine Villa auf Korfu besaß. Auch die Einweihungsschrift der Homburger Kirche nahm auf das venezianische Monument Bezug 50 .
48 Z.B. an der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche und der deutschen evangelischen Kirche in Rom. In Homburg schuf er außer dem Hauptportal die Kanzel und den Altar mit der Ikonostase. Einige seiner Arbeiten für den Kaiser, darunter auch Homburger Teile, sind abgebildet in: Gotthold Riegelmann, Ausgeführte Ornamente; 95 Tafeln; Berlin 1900-1907. 49 Gerland 1911; Heckes 1990, 64-75. 50 Einweihung Homburg 1908, 25.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
Der Kreuzleuchter, wie er richtiger genannt werden muß, führt in der Markuskirche das gleiche Schattendasein wie die Homburger Kopie, obwohl er dort noch größer ist 51 . Bei der Überfülle der Kunstwerke, die die Kirche beherbergt, wird er zwar nicht übersehen, aber in der Detailbetrachtung immer übergangen, da er zum einen in keinen der großen Darstellungszyklen hineingehört und zum anderen auch seine Funktion als Leuchter meistens nicht erfüllt. Dabei hängt der Kreuzleuchter an einem ganz prominenten Platz, nämlich im Hauptschiff von S. Marco an einer langen Kette aus der Pfingstkuppel herab, wird also gleich vom Haupteingang aus gesehen. Die Konstruktion ist ähnlich wie in Homburg: Bronzenes Rahmenwerk umgibt ein imaginäres dreidimensionales Kreuz mit sechs gleich langen Schenkeln. Alle Enden sind kleeblattförmig ausgeweitet, an deren einzelnen Blättern wiederum bronzene Lilien befestigt sind. An dieses Grundgerüst sind insgesamt über einhundert Halterungen für Glasgefäße angelötet, die das Brennmaterial aufnehmen. Der Leuchter hängt nicht direkt an der Kette; eine bronzene, à jour gearbeitete Hohlkugel ist dazwischengeschaltet 52 . Der ganze Leuchter mißt über 3 m Höhe 53 . Es erhebt sich nun die Frage nach einer genaueren Bestimmung dieses Leuchters, seines Alters und seinem Verwendungszweck. Anhand der Guidenliteratur läßt sich der Kreuzleuchter bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen, wobei er offenbar immer an derselben Stelle hing. Aufgrund der Vielzahl der beschreibungswürdigen Objekte sind nur sehr ausführliche Guiden auf ihn eingegangen, was stets nur mit wenigen Worten geschah 54 . Das Prachtwerk des Verlegers Ongania über S. Marco, vor hundert Jahren in etlichen Folianten erschienen, bildete ihn ganzseitig ohne eine einzige Kommentarzeile ab 55 . Dem Venezianer Interieurmaler Gabriele Bella verdanken wir eine Innenansicht des Markusdomes mit dem bewußten Leuchter aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 56 . Das älteste Zeugnis stellt bislang Sansovinos Venedigbeschreibung in der Fassung von 1604 dar: „Et vedesi quivi pender αΙΓ ingiù una catena di ferro dorata, che sostiene a basso una bella croce di latone, che per ogni verso si vede, sopra questa vi si accendono nelle feste solenni più di 100 lumi, posti in bella maniera, che fanno una vaga vista. " 5 7 Inwie-
51 Am Rande wurde das Kreuz genannt von Lipinsky und Elbern. Angelo Lipinksky, Croci spaziali e sfere armillari crociate nel cielo e nelle chiese del Veneto lagunare, in: Ateneo veneto n. s. 19, 1981, 43-50, behandelt dreidimensionale Kreuze auf Türmen und Kuppeln im Bereich des venezianischen Patriarchats. Victor H. Elbern, Per figuram crucis. Ein byzantinisches Armillarkreuz und sein Umkreis, in: Festschrift für Klaus Wessel; München 1988, 95-102, behandelt Ikonographie und Datierungsfragen. 52 Auch diese Kugel wurde in Homburg kopiert. 53 Es gibt noch keinerlei Literatur über diesen Leuchter, weder Beschreibungen noch exakte Maße etc. Das Archiv von S. Marco war in der Zeit meiner Recherchen unzugänglich. Ich bin Ettore Vio von der Procuratoria di San Marco für Hinweise, die im folgenden verwendet wurden, zu Dank verpflichtet; im gleichen Sinne danke ich Marion Schröder und Dr. Gabriele Mietke vom DAI Rom. 54 TCI Venezia 1969, 87 zum Beispiel. Die neueste Auflage 1985 erwähnt ihn nicht mehr! - Früher z.B. bei Antonio Pasini, Guide de la Basilique de Saint Marc; Schio 1888, 88. 55 L'Augustale Basilica di S. Marco; Venedig 1887-1893, Tafel Z.a.l. 56 Abbildung bei Umberto Franzoi, Il serenissimo Doge; Treviso 1986, 97. - Aus der gleichen Zeit: La Chiesa ducale di S. Marco, ed. Bartolomeo Baronchelli; 2 Bände Venedig 1753, hier II, 16. 57 Francesco Sansovino, Venetia Città nobilissima; ed. rivisto da G. Stringa; Venedig 1604, 51. Nicht alle Ausgaben von Sansovinos Buch haben diesen Hinweis.
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weit die genannten Autoren auch materiell denselben Leuchter beschrieben haben, ob er vielleicht zu einem unbekannten Zeitpunkt mehr oder weniger erneuert oder gar neu gemacht wurde, ließe sich erst durch genauere Untersuchungen abklären. Durch die Aufhängung in der Höhe ist er aber sogar oberflächlichen Betrachtungen nur schwer zugänglich. Die Beschreibung des Kreuzleuchters läßt sich insofern noch vertiefen, als versucht werden soll, die Art der Beleuchtung genauer zu fixieren und die Form des Kreuzes kunsthistorisch einzugrenzen. Auf den ersten Blick mutet die Form mittelalterlich an; wegen der starken Byzanzbezüge Venedigs muß nicht nur der westliche, sondern der gesamte mittelalterliche Mittelmeerraum als historischer Rahmen angenommen werden. Die Beleuchtung von Kirchen im Mittelalter ist ein nach wie vor nur lückenhaft erschlossenes Gebiet der christlichen Kunstgeschichte. Das liegt mit daran, daß nur sehr wenige Leuchter erhalten geblieben sind, die wegen ihres oft großen Materialwertes besonders leicht dem Diebstahl ausgesetzt waren, aber auch vom Besitzer eingeschmolzen wurden, wenn dieser in Geldnot war 58 . Wachskerzen und Öllampen wurden nebeneinander benutzt, und es gab eine Vielzahl von Aufhänge- oder Aufstellvorrichtungen. Für den venezianischen Leuchter werden Glaskolben verwendet 59 , in denen Öl mittels eines Dochtes abgebrannt wird. Solche Glaskolben sitzen entweder in Lochscheiben, auch Polykandilia genannt, oder werden durch Ausleger, sogenannte Delphine, vom Lampenkörper weggehalten. Die ersten waren im frühen Christentum wohl im ganzen Mittelmeergebiet verbreitet; in der Folgezeit sind sie aber nur noch aus dem byzantinischen Kulturkreis bekannt 60 . Leuchter mit Delphinarmen sind dagegen aus dem westlichen Mittelmeerraum bekannt. Berühmt sind die goldenen Leuchter cum delphinis centum et viginti, also riesige Gestelle mit 120 Flammenschalen, die Konstantin im Lateran stiftete 61 . Im Westen scheinen sich dann die Beleuchtungsgewohnheiten stärker geändert zu haben als im byzantinischen Osten. So kamen auch die Delphinlampen außer Gebrauch; ab dem 9. Jahrhundert über-
58 Eine gedrängte Übersicht bietet Peter Springer, Leuchter, in: LMA 5, 1991, 1916-1917, sehr ausführlich der Artikel von Henry Leclercq, Lampes, in: DACL Bd. 8, 1, 1928, 1086-1221, nach wie vor wichtig Charles Rohault de Fleury, La Messe. Etudes archéologiques sur ses monuments; 8 Bände Paris 1883-1889, hier Bd. VI, 1-58 (s. v. lampes, chandeliers). - Wegen des Materialwertes, vielleicht auch aus ideellen Gründen wurden ganze Ausstattungsensembles von Kirchen v. a. in der Völkerwanderungszeit versteckt. Ihre Wiederentdeckung, was seit dem letzten Jahrhundert einige Male vorgekommen ist (z.B. der Fund von Guarrazar in Spanien), bedeutete erheblichen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. 59 Die heute in S. Marco verwendeten Gläser scheinen modern zu sein, da alle rot eingefärbt sind; historische Berichte sprechen dagegen von bunten Lichtern. - Einen Überblick über die Vielfalt solcher Gläser verschaffen Grace M. Crowfoot und D. Β. Harden, Early byzantine and later Glass Lamps, in: Journal of Egyptian Archaeology 17, 1931, 196-206 und Taf. 28-30. 60 In einfacher Form wurden sie wohl im Lateran verwendet, wie die bildliche Überlieferung zeigt; Henry-René d'Allemagne, Histoire du Luminaire; Paris 1891, 63. Sehr gut erhaltene Polykandilia befinden sich in der Dumberton Oaks Collection: Marvin C. Ross, Metalwork, Ceramics, Glass, Glyptics, Painting; Washington 1962, 40-42 Nr. A2-AA mit Taf. XXX und XXXI (6. Jh., angeblich aus Konstantinopel). 61 Nach dem Liber Pontificalis; Rohault de Fleury (Anm. 58), VI, 5-7; Herman Geertman, L'Illuminazione della Basilica paleocristiana secondo il Liber Pontificalis, in: Rivista di Archeologia Cristiana 64, 1988, 135-160.
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wiegen an Ketten einzeln aufgehängte Glaskolben; in dieser Weise zeigen es noch die Fresken des Franziskuszyklus in der Oberkirche von Assisi 6 2 . Bevor Rückschlüsse aus diesen Darlegungen gezogen werden, soll der Versuch einer stilistischen Einordnung unternommen werden. Wegen der Einmaligkeit des Stückes können Vergleiche mit anderen Leuchtern nicht gezogen werden, sondern nur mit anderen Kreuzen. Kreuze gibt es allerdings in allen künstlerischen Gattungen. Als kunstgewerblich verwandte Gattung kommt die Goldschmiedekunst in Frage, da sie mit ähnlichen, manchmal gleichen Materialien wie die Leuchtenhersteller arbeitet. Die Außenkanten des Kreuzleuchters bilden eine charakteristische Leitform: ein Kreuz, dessen Ecken verdickt sind, und zwar sind an jedem Ende die vier Ecken eines Quadrates zu sehen, d e m drei halbrunde Ausbuchtungen aufgesetzt sind. Diese tragen außerdem jeweils eine schwungvoll ausgeführte Lilie. Die Erweiterung der Kreuzform durch Quadrate und Halbkreise ist im westlichen Kulturkreis ungefähr ein Jahrhundert lang zu beobachten, nämlich von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, wobei die Quadrate für ikonographische Erweiterungen des Darstellungsprogrammes benutzt wurden 6 3 . Beispiele lassen sich in Mitteleuropa wie auch in Italien nachweisen. Die Verzierung mit Lilien weist außerdem oft, aber nicht zwingend auf das französische Königshaus als Auftraggeber oder Stifter hin 6 4 . Formengeschichtlich ist der Kreuzleuchter also dem westlichen Kulturkreis des Spätmittelalters zuzuordnen. Das unterstützt die Überlegungen über die angewandte Leuchttechnik. Der aus der enzyklopädischen Literatur der Jahrhundertwende gewonnene Überblick könnte natürlich durch Literatur und Funde der Folgezeit weiter verfeinert werden, doch an den für uns wesentlichen Aussagen hat sich im Grunde nichts geändert 6 5 . Die Art, wie die Glaskolben mit d e m Lampenkörper verbunden sind, wurde im Altertum bevorzugt im lateinischen Westen angewendet, aber diese Ausleger waren doch wesentlich eleganter, eben als Delphine, ausgeführt als die venezianischen Exemplare. Die Datierung in den Jahrzehnten um 1300 würde sich gut in die Baugeschichte des Markusdomes einfügen, was bedeuten würde, daß der Kreuzleuchter zur
62 D'Allemagne (Anm. 60), 70 zeigt einzeln herabhängende Öllampen aus einem Codex Karls des Kahlen. Für Assisi und Vergleichsbeispiele vgl. Rohault de Fleury (Anm. 58), VI, Taf. 446. 63 Durch Quadrate und Halbkreise erweiterte Kreuze: Johann Michael Fritz, Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa; München 1982, Abb. 57: aus Straßburg, St. Trudpert, um 1286; Abb. 72: Regensburg, Domschatz, Reliquienkreuz, zwischen 1261 und 1278; Tesori d'arte sacra di Roma e del Lazio; Ausstellung Rom 1975; Nr. 44: Orte, Diözesanmuseum, Reliquienkreuz 1352 von Vannuccio di Viva da Siena; Nr. 40: Fumone, Pfarrkirche, Vortragekreuz 14. Jh.. 64 Kreuz mit Lilien: Fritz (Anm. 63), Abb. 82: aus Lüttich, Dominikanerkirche, Reliquienkreuz, Ende 13. bis Mitte 14. Jh.; Abb. 214: ehemals Berlin, Kunstgewerbemuseum, Kapellenkreuz, um 1320/30. - Ob das venezianische Kreuz tatsächlich auf eine französische Stiftung zurückzuführen ist, müßte durch Dokumente erhärtet werden. Das oben genannte Reliquienkreuz aus Lüttich (Fritz Abb. 82) zum Beispiel enthält ein Stück der Dornenkrone Christi, das Ludwig IX. 1267 den dortigen Dominikanern geschenkt hatte. Für eine französische Stiftung könnte sprechen, daß venezianische Kreuze des Trecento nicht diese typische Form mit lilienbesetzten Kreuzenden haben; vgl. die Beispiele bei Giovanni Mariacher, Croci dipinte veneziane del '300, in: Scritti di Storia dell'Arte in Onore di Lionello Venturi; Rom 1956, I, 101-120. Dagegen ist anzuführen, daß die Liliensymbolik sehr früh auch in B y z a n z anzutreffen war.
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Ausstattungsphase gehörte, nachdem der Neubau der Kirche um die Mitte des 13. Jahrhunderts fertig geworden war 66 . Nachdem wahrscheinlich gemacht wurde, daß der Kreuzleuchter zur ursprünglichen Ausstattung des Neubaus von S. Marco gehört, wird die Frage nach seiner Funktion noch wichtiger. Von den modernen Forschern hat als einziger Carl Neumann sie zumindest gestreift. Neumann, 1860 geboren, hatte seine Berufslaufbahn als Historiker begonnen. Als ihm diese Beschäftigung zu trocken wurde, wandte er sich, stark unter dem Einfluß Jacob Burckhardts stehend, dem Fach Kunstgeschichte zu, in dem er sich vor allem als Rembrandtforscher einen Namen machte 67 . In der Zeit seines beruflichen Umbruchs weilte Neumann mehrmals längere Zeit in Italien. Frucht dieser Studien war seine erste kunsthistorische Abhandlung, eben über S. Marco, die die Gediegenheit der historischen Ausbildung mit der feinen Beobachtungsgabe des Kunsthistorikers verknüpfte 68 . Es war die erste wissenschaftlich fundierte Arbeit über die Markuskirche in deutscher Sprache überhaupt 69 . Wichtig war Neumann unter anderem die Lichtsituation in der Kirche, weil damit die Beurteilung des Raumeindrucks sowie der Mosaiken direkt zusammenhing 70 . Dabei kam er auch kurz auf die künstliche Beleuchtung zusprechen: „An hohen Festtagen sieht man das aus bunten Glaslampen gebildete Kreuz, welches tief in das Hauptschiffherabhängt, in all seinen Lichtern erstrahlen ... " 71 Neumann erlebte noch die alte Situation in S. Marco, nämlich die althergebrachte Liturgie und die Kirche ohne elektrische Beleuchtung. Kurze Zeit später begann der Siegeszug der elektrischen Kirchenbeleuchtung, die sämtliche Kirchenräume ihrer traditionellen Wirkung beraubte 72 , und Neumann konnte die kommenden Veränderungen wohl kaum ahnen, sonst hätte er seine Eindrücke detaillierter überliefert.
65 Neue Erkenntnisse sind von weiteren Kirchenschatzfunden zu erhoffen, wie z. B. von dem jüngsten spektakulären Schatzfund in Kumluca an der türkischen Südküste, der zahlreiche Lampen enthält, aber erst zum Teil ausgewertet ist: Susan Boyd, A bishop's gift. Openwork lamps from the Sion treasure, in: Argenterie romaine et byzantine; Paris 1988, 191-202. 66 Das Mosaik der Porta di S. Alipio zeigt die vollendete Fassade; es wurde 1267 erstmals erwähnt und gehört stilistisch ebenfalls in diese Zeit; vgl. Volker Herzner, Die Baugeschichte von San Marco und der Aufstieg Venedigs zur Großmacht, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 38, 1985, 1-58, hier S. 42. 67 Neumann 1924. 68 Neumann 1892. 69 Vgl. die Rezension von Krumbacher in der BZ 1, 1892, 359-360. 70 Daraus erwuchs u.a. die Erkenntnis, daß die große gotische Fensterrosette des Südquerhauses nachträglich eingebrochen und damit die Lichtsituation verfälscht worden war. Beim Aktenstudium entdeckte er eine alte Rechnung für Vorhänge, d.h., daß einmal Gardinen angeschafft worden waren, um die falsche Lichtwirkung abzumildern. Auf Neumanns Anregung hin wurden wieder Vorhänge für die Südquerhausrosette angeschafft; Neumann 1924, 38-39. 71 Neumann 1892, 757. 72 Die Umstellung geschah etappenweise. Zunächst wurden Petroleum- und Gaslampen verwendet; Alexander Schnütgen, Die Beleuchtung der Landkirchen, in: Zeitschrift für christliche Kunst 10, 1897, 321-326. - Kaum 20 Jahre später war elektrisches Licht allgemein üblich, so daß ein apostolisches Dekret die Glühbirne ausdrücklich im Altarbereich verbieten mußte; La luce elettrica in chiesa. - Un decreto della S. Congregazione dei Riti, in: Arte cristiana 2, 1914, 255. - Vgl. auch
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Neumann verdanken wir eine Beobachtung und einen Vergleich zum Licht in S. Marco: zum einen die bereits erwähnte besondere Beleuchtung an hohen Festtagen. Neumann verband damit Fragen der Bauchronologie: Die beiden großen Fenster an der Westfassade und am Südquerhaus brachten soviel Außenlicht ins Kircheninnere, daß die Lichtverhältnisse empfindlich gestört wurden; sie mußten also nachträglich eingebrochen worden sein, oder andersherum: Die Beleuchtungskörper, der Kreuzleuchter eingeschlossen, spiegeln eine ältere Raumfassung wider 73 . Dieser Gedankengang führt zum gleichen Ergebnis wie die stilistische Einordnung, daß nämlich der Kreuzleuchter zur ursprünglichen Einrichtung gehört haben muß. Außerdem war Neumann so überwältigt von dem Eindruck des Lichts in S. Marco, daß ihm zum Vergleich nur eines einfiel: die Beschreibung der Hagia Sophia von Paulos Silentarios.
Konstantinopel, Hagia Sophia Die Hagia Sophia in Konstantinopel war von Kaiser Justinian nach dem Nika-Aufstand an Stelle eines konstantinischen Baus neu errichtet worden. Dieser justinianische Bau, in dem das alte System der Basilika mit einem raffinierten Kuppel- und Halbkuppelsystem verschmolzen worden war, gehört zu den großen architektonischen Leistungen der Menschheit. Justinian war sich dessen durchaus bewußt, denn er verglich sich später stolz mit dem Erbauer des Jerusalemer Tempels, Salomon 74 . Als im Jahr 558 die Hauptkuppel nach einem Erdbeben eingestürzt war, wurde sie sofort wiederhergestellt. Zur Neuweihe der Kirche verfaßte Paulos Silentarios seine lOOOzeilige Beschreibung der Hagia Sophia, ihrerseits eine Meisterleistung in der literarischen Gattung der Ekphrasis 75 . In einer dichterisch breiten Schilderung wird uns die lOOOflammige Beleuchtung der Hagia Sophia vor Augen geführt: „Alles ist von Glanz Übergossen, alles wird dein Auge mit Staunen erfüllen. ... Denn meines Kaiserpaares erfindungsreiche Klugheit ließ an vielfältigen, in sich gekrümmten Haken befestigt, erzgeflochtene, lange Ketten vom vorspringenden Steingesims herab, auf dessen Rücken der Tempel den Fuß der himmelstrebenden Kuppel aufsetzt. ...An den Ketten aber sind, Kronen gleich, in der Luft silberne Scheiben angebracht, hangend rings um den runden Mittelraum des Bauwerks. Sie schweben nun vom hohen Gesimse sich senkend im Kreis über den Häuptern der Menschen. Ein kunstreicher Mann hat sie alle mit Eisen durchbohrt, damit sie die aus dem Feuerprodukt Glas gefertigten Flammenbecher aufnehmen könnten und so über den Menschen des nächtlichen Lichtes Gefäß hinge. Und nicht allein in den Scheiben strahlt nächtliches Licht, in ihrem Kreise kannst Du auch das vieläugige Abbild eines großen Kreuzes sehen, welches einer Scheibe ähnlich, auf seinem mehrfach durchbohrten Rücken lichtspendende Becher trägt. " 7 6 In der Mitte der Kirche also
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A[venarius], Frechheit des Lichts in den Kirchen, in: Kunstwart 28, 1914/15, 1, 224-225. - In S. Marco tauchen neue Beleuchtungsanlagen, die in den letzten Jahren installiert wurden, den Innenraum jetzt in gleißendes taghelles Licht. S. Marco erlebte im Spätmittelalter große Umbaumaßnahmen. Einführende Literatur: Hans Jantzen, Die Hagia Sophia des Kaisers Justinian in Konstantinopel (Du Mont Dokumente; III. Reihe Kultur und Geschichte); Köln 1967; Heinz Kähler, Die Hagia Sophia. Mit einem Beitrag von Cyril Mango über die Mosaiken; Berlin 1967. Paulos Silentarios, Beschreibung der Hagia Sophia, in: Prokop, Bauten; griechisch-deutsch ed. Otto Veh; Archäologischer Kommentar von Wolfgang Pülhorn; München 1977, 306-375; eine alte Edition und Übersetzung war dem Werk Salzenberg 1854 beigegeben. Paulos Silentarios, Zeilen 805-835.
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hing ein großer kreuzförmiger Leuchter. Er war offenbar ähnlich den ihn umgebenden Leuchtern hergestellt, nämlich als flache, durchbrochene Scheibe, in die die Leuchtgefäße hineingesetzt worden sind. Vor allem durch den Umriß war er von den anderen Leuchtern unterschieden. Letztere muß man sich wie die weiter oben erwähnten Polykandilia vorstellen. Nur wenige haben sich bisher mit der Beleuchtung der Hagia Sophia beschäftigt. An erster Stelle sind Lethaby und Swainson zu nennen, die nach dem Erdbeben 1894 mit Reparaturarbeiten betraut worden waren und die erste größere Arbeit nach Salzenbergs Untersuchungen vorlegten; sie widmeten dem Beleuchtungsproblem ein ganzes Kapitel 77 . Von der originalen Beleuchtungseinrichtung der Hagia Sophia hat sich demnach nichts erhalten. Wahrscheinlich wurde spätestens bei der osmanischen Eroberung die oft kostbare, silbergetriebene Beleuchtung abgenommen; die osmanische Beleuchtung wurde dann bei der Restaurierung im 19, Jahrhundert entfernt, als man den gesamten Innenraum zum Aufstellen der Gerüste benötigte 78 . Nach den Architekten Lethaby und Swainson sollte sich ein Astronom, Eugenios M. Antoniades, mit der Hauptkirche der östlichen Christenheit beschäftigen 7 9 . Als in Konstantinopel geborener Grieche brachte er die Lokalkenntnis und wohl auch den Heimatstolz mit, um sich auch als Fachfremder mit einem Monument seiner Religion zu beschäftigen und seinen griechischen Landsleuten eine adäquate Publikation zu präsentieren. Die Qualität seiner Arbeit machte zum einen aus, daß er sich als Fachmann genauer mit den Orientierungsproblemen der Hagia Sophia auseinandersetzte und zum anderen historisch fundiert das Bauwerk beschreiben konnte 80 . Antoniades verbildlichte nun die literarische Beschreibung der prunkvollen Beleuchtung der Hagia Sophia nach Paulos Silentarios und Lethaby/Swainson. Er möblierte eine Innenansicht der Hagia Sophia mit Polykandilia und - dem venezianischen Kreuzleuchter (Abb. 83). In der Fußnote formulierte er, was seitdem in der Guidenliteratur 81 immer wieder auftaucht: „The splendid cross under the west dome of St. Mark's, Venice, is of Greek workmanship, and most probably, comes from St. Sophia"^2.
77 William Richard Lethaby und Harold Swainson, The Church of Sancta Sophia Constantinople. A Study of byzantine Building; London 1894, hier 110-121. - Jüngst erschien: Konrad Onasch, Lichthöhle und Sternenhaus. Licht und Materie im spätantik-christlichen und frühbyzantinischen Sakralbau; Dresden 1993. Onasch hat sich ausführlich mit den Lichtverhältnissen gerade in der Hagia Sophia auseinandergesetzt; auf das Lichtkreuz geht er nicht ein. 78 In osmanischer Zeit waren große eiserne Stangen in Polygonen vom Gewölbe her bis auf wenige Meter über dem Fußboden abgehängt, an denen Lampen aneinandergereiht herabhingen. Diese Situation, wie sie auch heute noch in Moscheen anzutreffen ist und in der Hagia Sophia schon um 1680 nachzuweisen ist - Lethaby/Swainson (Anm. 77), 120 - , zeigt uns Fossati in einem seiner Aquarelle: Fossati 1989, Tafel 24. - Nach der Restaurierung 1850 wurden die neuen Leuchter aufgehängt, die auch heute noch zu sehen sind. Manche der Metallringe an den Säulen können noch Reste der ursprünglichen Beleuchtungseinrichtung darstellen (ich danke Prof. Dr. Reiner Haussherr für den Hinweis). - Ganz allgemein haben türkische Moscheen am ehesten die Beleuchtungssituation der Hagia Sophia tradiert. 79 Zu seiner Person vgl. Giorgio Abetti, Antoniadi, in: Dictionary of Scientific Biography 1, 1981, 172. 80 Eugenios M. Antoniades, Ekphrasis tes Agias Sophias [neugriech.]; 3 Bände Athen 1907-1909; Reprint Athen 1983. 81 Ζ. Β. TCI Venezia 1969, 87. 82 Eugenios M. Antoniades, St. Sophia, Constantinople, in: Knowledge (London) 26, 1903, 27-30 (Febr.), 49-52 (März), 88-91 (Apr.), 102-104 (Mai); hier S. 90.
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Daß der venezianische Kreuzleuchter aus Konstantinopel stamme, ist zwar materialiter nicht beweisbar und, wie oben gezeigt, wohl auch falsch, aber idealiter durchaus wahrscheinlich: Der Ursprung des Kreuzleuchters und seine Funktion sind in Konstantinopel zu suchen. Nicht nur Paulos Silentarios, als Diener seines Herrn, würdigte die Illumination der Hagia Sophia, auch Fremde nahmen die außerordentliche Lichtfülle wahr. Durchreisende Pilger auf dem Weg ins Heilige Land wie zum Beispiel die russischen Pilger bekamen freilich immer nur eine Momentaufnahme mit 83 . Einer weiteren Beschreibung der Stadt können wir entnehmen, daß es mindestens drei Stufen der Beleuchtung gab: eine für alltags, und weitere für feiertags und für Ostern 84 . Wir begegnen also dem gleichen Phänomen wie in S. Marco. Die Verteilung von Beleuchtung muß in byzantinischen Kirchen genau geregelt gewesen sein 85 . So gab es verschiedene Typen von Lampen, die nur an bestimmten Stellen des Gotteshauses angebracht sein durften: ein- oder mehrarmige Kandelaber vor Ikonen, Polykandilia dagegen in Gewölben. In komplexeren Strukturen kamen symbolische Bedeutungen hinzu, die Aussehen oder Anzahl der Kerzen festlegten: Die Dreizahl stand zum Beispiel für die Trinität, sieben für die sieben Tugenden und zwölf für die Apostel 86 . Für die Hagia Sophia sind solche Beleuchtungsvorschriften bislang noch nicht bekannt. Ausgehend von der letzten Überlegung, daß der Beleuchtung symbolische Bedeutung zukäme, wäre zu fragen, was die Symbolik des Kreuzleuchters überhaupt sein kann. Gegenüber einem normalen Kreuz, das über zwei Kreuzarme verfügt, hat der Kreuzleuchter vier Kreuzarme, die zudem die vier Himmelsrichtungen bezeichnen. Die Himmelsrichtungen und die Zahl vier bildeten also den Ausgangspunkt der Fragen.
Kreuzkult Eines der höchsten Feste der orthodoxen Kirche ist auch heute noch das der Kreuzerhöhung, das am 14. September gefeiert wird. Den Höhepunkt der Festliturgie, die bereits am Vorabend begonnen wird, bildet der feierliche Ritus der Kreuzerhöhung, der im Westteil einer normal ausgerichteten, also geosteten Kirche stattfindet. Unter ständig wiederholtem Kyrie eleison neigt der Liturg ein Kreuz langsam zu Boden und richtet es hoch über seinem Kopf wieder auf; dies wiederholt er in allen vier Himmelsrichtungen 87 . Dieser Ritus ist uns auch für die Hagia Sophia überliefert. Wir besitzen dafür zwei hervorragende Quellen aus dem 10. Jahrhundert:
83 Antonius, Erzbischof von Nowgorod, besuchte im Jahr 1200 Konstantinopel. Er sah 24 silberne Lüster von der Kuppel herabhängen, viele Kandelaber und „pommes en or". Liturgisch ausgebildet, bemerkte er, daß die großen Lüster jeweils an Ostern neu entzündet wurden. Stephan von Nowgorod, der 150 Jahre später reiste und kein Kleriker war, sah nur eine immense, unzählbare Menge Lampen; Itinéraires russes en Orient; trad, par Basile de Khitrowo; Band I, 1 Genf 1889, 91-92 und 118. 84 Krijnie N. Ciggaar, Une description anonyme de Constantinople du Xlle siècle, in: Revue des Etudes byzantines 31, 1973, 335-354, hier 339 und Kommentar 346. Da es sich wahrscheinlich um einen noch dazu unvollständigen Reisebericht handelt, kann die Einteilung der Beleuchtung in drei Kategorien nur einen hinweisenden Charakter haben und ist nicht als verbindlich anzusehen. 85 Laskarina Bouras, Byzantine Lighting Devices, in: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 32/3, 1982, 479^189 (XVI. internationaler Byzantinistenkongreß Wien 1981). 86 Bouras (Anm. 85), 483. 87 Konrad Onasch, Kunst und Liturgie der Ostkirche in Stichworten; Wien 1981, 223-224.
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Das Typikon der Hagia Sophia, und das Zeremonialbuch des Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos, unsere Hauptquelle für die byzantinischen Kaiserzeremonien, beschreiben aus unterschiedlichem Blickwinkel - liturgisch und höfisch-zeremoniell - den gesamten Ritus nahezu identisch, besonders was die vierfache Kreuzerhöhung angeht 88 . Das Fest der Kreuzerhöhung ist eigentlich ein mehrfaches Fest, an dem verschiedener Legenden und Geschichten um das Kreuz Christi gemeinsam gedacht wird 89 . Zunächst und vor allem ist es das Kirchweihfest der konstantinischen Grabeskirche des Jahres 335, das in bewußtem Gegensatz zu den an den gleichen Tagen stattfindenden Jupiter-Capitolinus-Feiern begangen wurde 90 . Bereits in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts glaubte man außerdem, daß genau am gleichen Kalendertag auch das Kreuz Christi gefunden worden sei. In diesem Sinne berichtet uns die Pilgerin Egeria, die um 385 die Heiligen Stätten besucht hatte 91 . Die Erfindung dieser Legende in so früher Zeit erscheint durchaus sinnvoll, denn als die Grabeskirche vollendet war, besaß man einen Memorialbau ohne ein konkretes Erinnerungsstück, weil das Grab Christi leer war. Neben Kleidungsstükken, Windeln und anderem Besitz des Herrn war aber das Kreuz als Berührungsreliquie das weitaus bedeutendste Erinnerungsstück, das man als Zeugnis Christi finden konnte, zumal es ursächlich mit der Erlösungstat Christi zusammenhing. Für mehrere Jahrhunderte blieben die Kreuzteile bis auf wenige, von der Finderin Helena persönlich verteilte Teile, in Jerusalem 92 . In diesen ersten Jahrhunderten christlicher Herrschaft hatte Jerusalem die bei weitem größte Reputation, was Reliquienschätze anging, da dort die Reliquien des Herren gezeigt wurden. Die neue Reichshauptstadt Konstantinopel war in diesem Sinne sogar drittrangig, da sie noch nicht einmal ein Apostelgrab beherbergte. Von der Kreuzreliquie besaß die Metropole nur das Stück, das Helena ihrem Sohn Konstantin gegeben hatte 93 . Erst 574 kam ein weiteres Stück hinzu, welches Justin II. von einem Kriegszug aus Apamea in Syrien mitgebracht hatte 94 . Grundlegend änderte sich die Situation erst, als Jerusalem 638 in arabische Hände fiel. Jetzt wurden die meisten Reliquienschätze aus Jerusalem in Sicherheit gebracht, und Konstantinopel wurde nun Hort der Reliquien aus dem Heiligen Land. Die Hagia Sophia und andere Kirchen wurden wahre Schatzkammern, die die Bewunderung des restlichen Europa hervorriefen. Mehrere große Stücke des wahren Kreuzes bildeten daraufhin den Hauptschatz der Hagia Sofia 95 . Die Kreuzesstücke waren die vornehmsten Reliquien der Christenheit. In Konstantinopel wuchsen sie zu wahren „Staatsreliquien" heran. In jeder Schlacht wurden sie, in Staurotheken
88 Le Typicon de la Grande Eglise. Ms. Sainte-Croix η. 40, Xe siècle; Ed. Juan Mateos (Orientalia Christiana analecta 165); 2 Bände Rom 1962-1963, hier Bd. I, 29-31 ; und Constantinus Porphyrogenitus, De Cerimoniis aulae byzantinae; ed. griech., lat. und Kommentar von Reiski: Migne Patrologia Graeca 112, 355-359. 89 Onasch (Anm. 87), 223-224. 90 Stefan Heid, Der Ursprung der Helenalegende im Pilgerbetrieb Jerusalems, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 32, 1989, 41-71, hier 66-67. 91 Heid (Anm. 90), 59. 92 Sie schenkte Teile ihrem Sohn Konstantin nach Konstantinopel, andere nach Rom (S. Croce in Gerusalemme). 93 Frolow 1961, 185. 94 Frolow 1961, 182. 95 Jean Ebersolt, Constantinople. Recueil d'études, d'archéologie et d'histoire; Neuausgabe gesammelter Aufsätze; Paris 1951, hier 6-13: Hagia Sophia.
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gefaßt, dem Heer vorangetragen; das wahre Kreuz ersetzte das visionäre Kreuz Konstantins, war Unterpfand des Sieges und Garant des Gottkaisertums, das es nur einmal auf der Welt gab, nämlich in Byzanz. Es nahm eine zentrale Position im byzantinischen Staatszeremoniell ein 96 . Kein anderer Herrscher konnte eine solch hochrangige Reliquie vorweisen 97 . Doch auch Byzanz beherbergte die Christusreliquien nicht auf Dauer. Manches Stück des wahren Kreuzes wurde verkauft, gelangte als Gastgeschenk oder auf andere Weise in den Westen. Die eigentliche Katastrophe für Konstantinopel bedeutete das Jahr 1204, als sich die Kreuzfahrerheere, statt das Heilige Land von Ungläubigen zu befreien, auf Anraten Venedigs daran machten, das byzantinische Reich unter sich aufzuteilen. Eine in neuerer Zeit aufgestellte These ist weithin akzeptiert worden, nach der man sich den Verlauf des vierten Kreuzzuges aber anders vorstellen muß 98 . Die Kreuzzüge, die seit dem Jahr 1096 mit wechselndem Erfolg die Heere der Westeuropäer ins Heilige Land gebracht hatten, um dieses dem christlichen Glauben zurückzugewinnen, hatten auch eine neue Welle der Gläubigkeit ausgelöst. Jerusalemwallfahrten blühten auf, und in besonderem Maße das Reliquienwesen. Die Restbestände an Reliquien, die das Heilige Land nach der muslimischen Eroberung noch zu bieten hatte, wurden weiter aufgeteilt 99 . Nach Frolows Ausführungen nun bemerkten die Kreuzfahrer, daß die Heiligen Stätten kaum noch Reliquien besaßen, daß dagegen Konstantinopel, das sie auf ihrer Anreise ins Heilige Land immer passierten, übervoll mit den Reliquien aus Palästina war. Die Kreuzzüge aber waren in erster Linie Kriege um des Glaubens willen, und Besitz oder Erwerb von Reliquien spielte von Beginn an eine wichtige Rolle, wie es auch die zeitgenössischen Chroniken erkennen lassen 100 . Wer in der Heimat das Kreuz nahm, war privilegiert, er war aber auch bei der Strafe der Exkommunikation verpflichtet, in das Heilige Land zu fahren oder ersatzweise wenigstens eine Reliquie für die Heimat zu sichern 101 . So gesehen war es gar nicht so abwegig, einen Kreuzzug dorthin zu unternehmen, wo die meisten Reliquien sich tatsächlich befanden, eben nach Konstantinopel. Reliquienhunger gehörte auf jeden Fall zu den gewichtigen Gründen für die Eroberung von Byzanz am 12. April 1204 102 . Die Chroniken berichten, wie Paläste und Häuser, Kirchen und
96 Otto Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee; Jena 1938, Reprint Darmstadt 1956, 86: Der Kaiser als Stellvertreter Gottes; 133: Kreuz im Zeremoniell; 149: Kreuz beim Einzug in die Stadt bzw. im Feldlager; und öfter (vgl. Index). 97 Es dauerte lange, bis das westliche Kaisertum dieses Defizit aufholen konnte; vgl. dazu Berent Schwineköper, Christus- Reliquien-Verehrung und Politik, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 117, 1981, 183-281, hier besonders 195-197 und 228-230 (zur westlichen „Ersatz"Reliquie, der heiligen Lanze). 98 Anatole Frolow, Recherches sur la déviation de la IVe croisade vers Constantinople; Paris 1955; aufgegriffen und positiv bewertet von Donald E. Queller, A Century of Controversy on the Fourth Crusade, in: Studies in Medieval and Renaissance History 6, 1969, wieder abgedruckt in: ders., Medieval Diplomacy and the Fourth Crusade; London 1980, 235-277, hier S. 271-273. 99 Dazu müssen etliche Staurotheken gezählt werden, die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts offenbar direkt aus dem Heiligen Land nach Westeuropa gelangten; Heribert Meurer, Zu den Staurotheken der Kreuzfahrer, in: ZKG 48, 1985, 65-76. 100 Frolow (Anm. 98), 54-58. 101 Hans Eberhardt Mayer, Geschichte der Kreuzzüge; 4. Aufl. Stuttgart 1976, 4 6 ^ 7 ; Riant, 1875, 27. 102 Allgemein zum 4. Kreuzzug: Mayer (Anm. 101), 170ff.; Frolow (Anm. 98).
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Kirchenschätze in der Folgezeit systematisch nach Reliquien durchsucht wurden. Die Beute wurde genau nach Vertrag geteilt; Venedig, das die Transportdienste zur Verfügung gestellt hatte, sicherte sich den Löwenanteil. Ein Strom von Reliquien ergoß sich ins westliche Europa, die nicht nur kirchenpolitisch, sondern auch künstlerisch ungeheuer stimulierend sein sollten 103 . Unter ihnen standen natürlich die Herrenreliquien, besonders die Reste vom Kreuz Christi, an erster Stelle. Venedig, zuerst ein Teil von Byzanz, jetzt selber Herr über dieses Reich, hatte ein besonderes Verhältnis zu der nun eroberten Stadt und Kultur. Kein anderer Teil des westlichen Europa war dem byzantinischen Staat kulturell so verbunden gewesen. Venedig empfand sich, 1204 noch mehr als je zuvor, als Erbe von Konstantinopel. Diese Idee fand ihren bleibenden Ausdruck in der Markuskirche, in der verschiedene konstantinopolitanische Traditionen zusammenflössen. Während die Disposition des Fünfkuppelbaues von der justinianischen Apostelkirche entlehnt ist, ist die Ausgestaltung der Kirche besonders der Hagia Sophia verpflichtet, auch was das räumliche Verhältnis zum Herrscherpalast betrifft. Auf der Terrasse über dem Haupteingang wurden die vier vergoldeten Bronzepferde postiert, die aus dem groß en Zirkus, also aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Hagia Sophia stammen 104 . Der Hauptaltar besitzt mit dem goldenen Altarretabel - der Pala d'oro - , ein Hauptwerk byzantinischer Goldschmiedekunst 105 . Aber nicht alles, womit die Markus-Kirche angefüllt wurde, ist auf den Beutezug von 1204 zurückzuführen. Die meisten Stücke des Kirchenschatzes kamen legal nach Venedig und viele sind sogar erst im Spätmittelalter hergestellt worden 106 . San Marco sollte nicht in juristischem Sinne legitimer Nachfolger der Hagia Sophia sein; dazu wären Reliquien - wie früher schon der Leichnam des Evangelisten Markus - notwendig gewesen. Es kam nur auf ein Ähnlichsein an. In diesem Zusammenhang ist nun auch der Kreuzleuchter zu sehen. Es ist nicht notwendig, daß er aus Konstantinopel stammt. Auch als modernes Stück konnte er in besonderem Maße an den Innenraumeindruck der beleuchteten Hagia Sophia erinnern und dazu auf eine der zentralen Reliquien verweisen, die San Marco seit 1204 besaß: ein Stück vom wahren Kreuz. Andrea Dandolo, der Doge des Jahres 1204 und Hauptinitiator des Zuges nach Konstantinopel, hatte als erste Beute vier Hauptreliquien in seine Heimat gesandt: Reliquien des Kreuzes, vom Heiligen Blut, Johannes des Täufers und des heiligen Georg. Als sie 1231 einen Brand in S. Marco unversehrt überstanden, wurden sie noch höher geschätzt. Von der Kreuzreliquie wurde zudem berichtet, daß genau diese Konstantin gehört habe, und er sie auf seinen Kriegszügen mitgefühlt habe 107 . Das Besondere an dieser Reliquie ist also ihr erster Besitzer, Kon-
103 Hier ist die Arbeit von Riant 1875, wichtig, der minutiös die Quellen für die Verschleppung der Reliquien zusammengestellt hat. - Auswirkungen auf Kult- und Kunstgeschichte beschrieb Hans Belting, Die Reaktion der Kunst des 13. Jahrhunderts auf den Import von Reliquien und Ikonen, in: Il medio Oriente e l'Occidente nell'Arte del XIII secolo; Bologna 1983, 35-53. 104 Herzner (Anm. 66), 50-55. 105 Am Hauptaltar war ein großes Apostelrelief angebracht, das nach Dr. Helga Kaiser-Minn eine theodosianische Arbeit aus der Apostelkirche war; vgl. vorläufig das Resümee in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. April 1991. 106 Vgl. das überraschende Ergebnis der Untersuchungen Frolows, daß nur vier Reliquien von San Marco aus dem vierten Kreuzzug 1204 stammen: A[natole] Frolow, Notes sur les reliques et les reliquaires byzantines de Saint Marc de Venise, in: Deltion tes christianikes Archaiologias Etaireias 4, 1964/65 (1966), 205-226. 107 Frolow 1961, 382 Nr. 450; ein ähnliches Stück wie Andrea Dandolo hatte sich Heinrich von Flandern als lateinischer Kaiser von Konstantinopel gesichert; in einem Ostensorium des
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stantin, der sie wie sein Labarum verwendet haben soll. Durch die Rückführung auf Konstantin aber ist auch die Verwendung des Kreuzleuchters als Verbildlichung seiner Vision zu verstehen.
Wilhelms II. Vision am Rhein Wilhelm II. kannte sowohl San Marco als auch die Hagia Sophia aus eigener Anschauung. Beide hatte er in den ersten Jahren seiner Regierung kennengelernt. Der Kreuzleuchter in Venedig als besonders anschauliches Zeichen des christlichen Kaisertums hat ihn dabei besonders beeindruckt. Die Art, wie Wilhelm II. diese Vision aufgriff und neu in Szene setzte, vermag einiges über seinen Regisseur auzusagen, und zwar was Religions- und Geschichtsverständnis angeht. Konstantins Vision hatte Wilhelm zunächst als religiöses Phänomen interessiert. Diese Vision wurde immer wieder herangezogen, um etwas über die Religiosität Konstantins und sein Verhältnis zum Christentum zu erforschen. Ein hervorstechendes Merkmal dieser Vision bestand in der Verbindung mit der Sonne; dadurch konnte sie mit gutem Recht mit dem Sol-Kult zusammengesehen werden, den Konstantin und auch schon sein Vater gepflegt hatten 108 . Interessant war dabei die Möglichkeit, das gleiche Phänomen mittels verschiedener Kulte, eben heidnischer und christlicher, zu erklären, eine typische Situation für eine Zeitenwende beziehungsweise für Konstanten in aufeinanderfolgenden Kulten. Wilhelm II. war offen für solche Phänomene wie Lichterscheinungen. In einer Rede beim Festmahl des Provinziallandtages in Brandenburg erinnerte er sich an die Einweihung des Nordostseekanals: „Nun lassen Sie Mich Ihnen ein Bild vorführen aus der Zeit des Jubiläums des vergangenen Jahres. Wir Menschen pflegen gern die Ereignisse in der Natur in Verbindung zu bringen mit dem Finger der Vorsehung unseres Gottes. Ein schweres Gewitter stand über uns, und Blitz und Donner wechselten rasch miteinander ab - ein gewaltiges Schauspiel! ... eine angsterfüllte Bitte rang sich aus Meinem Herzen, ob der Himmel uns wohl ein gnadenreiches Zeichen geben würde, und ob es uns beschieden sein wurde, den schönen Tag zu erleben. ... Langsam, in tiefer Totenstille, bewegte sich das gewaltige Schiff vorwärts. Hinter uns rollten die letzten Donner und zuckten die letzten Blitze, und vor uns war ein dämmernd-düsteres Gewölk, aus dem bereits ein goldener Glorienschein anfing aufzugehen. ... das Schiff lief in den Kanal. In demselben Augenblick stiegen die ersten Strahlen der leuchtenden Sonne durch das Gewölk empor, und eine kurze Stunde darauf leuchtete die volle Sonne. "I09
17. Jahrhunderts wird es in S. Marco aufbewahrt: Der Schatz von San Marco in Venedig. Ausstellung Köln 1984; Mailand 1984, 252-259 Nr. 33; zur Bedeutung dieser Stücke im 13. Jahrhundert vgl. Debra Pincus, Christian Relics and the Body Politic: A Thirteenth-Century Relief Plaque in the Church of San Marco, in: Interpretazioni veneziane; Studi di storia dell'arte in onore di Michelangelo Muraro, hg. David Rosand; Venedig 1984, 39-58. 108 Z.B. Theodor Preger, Konstantinos-Helios, in: Hermes 36, 1901, 4 5 7 ^ 6 9 , der zeigt, daß Konstantin bei der Stadtgründung Konstantinopels, also lange nach der Vision, noch ganz in der SolTradition steht; Hugo Montgomery, Konstantin, Paulus und das Lichtkreuz, in: Symbolae Osloenses 43, 1968, 84-109, der das übernatürliche Eingreifen Gottes durch Licht über zeitliche Zwischenstufen im Christentum bis auf Paulus zurückführt. 109 Aus der Rede am 20. Februar 1896 in Brandenburg; Wilhelm II. 1903, 238-239.
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Und Wilhelm II. suchte die Verbindung zwischen den Kulturen. Das Kreuzzeichen war für ihn ein exemplarischer Fall, Kult- oder Kulturwanderungen über die Jahrtausende zu verfolgen. Im Hohenzollernschen Hausarchiv hat sich ein Blatt erhalten, auf dem Wilhelm II. verschiedene Kreuzformen vom frühgeschichtlichen Mesopotamien bis zum mittelalterlichen Steinkreuz auf Gotland skizziert hat (Abb. 84) 110 . Vergleichende Kreuzkunde zu betreiben, war in dieser Zeit nicht ungewöhnlich; trotzdem hat Wilhelm durch die Auswahl der 13 Kreuze doch gewisse Akzente gesetzt. Intensiv bezog er zunächst vorchristliche Sonnenkreuze aus Mesopotamien, Assyrien, Ägypten und Mykene mit ein. Damit stellte er das Kreuzzeichen in eine große, weltgeschichtliche Tradition, wie es vor allem Vorgeschichtsforscher getan hatten 111 . Eine zweite Gruppe bildet die christliche Frühzeit, die durch Katakombenmalerei und Sarkophagkunst vertreten ist. Zur gleichen Gruppe gehört ein in einen Kreis eingeschriebenes Hakenkreuz von der Saalburg, das wahrscheinlich als Beweis christianisierter Truppen verstanden wurde. Eine dritte Gruppe bilden Steinkreuze der nordeuropäischen Kulturen des Mittelalters aus Norwegen, Schottland und Gotland. Diese weisen als Besonderheit einen die Hasten verbindenden Ring auf, weswegen ihr Typ Ringkreuz genannt wird. Diese Gruppe ist deswegen bemerkenswert, weil sie in den gängigen Handbüchern christlicher Kunst unterschlagen werden, da sie nicht frühchristlich sind. Kulturträger dieser Kreuzformen waren die Iren (Schotten) und Normannen, letztere stellvertretend für alle Nordvölker. Den Normannen galt bekanntermaßen die große Vorliebe Wilhelms II., so daß mit diesen Kreuzen ein sehr persönliches Votum abgegeben ist. Mit dem irischen Hochkreuz hat Wilhelm dagegen auf eine Kreuzform aufmerksam gemacht, die in der Forschung erst viel später die entsprechende Achtung fand 1 ' 2 . Schließlich sind auf dieser „Weltgeschichte des Kreuzes" Labarum und konstantinischer Schild zu nennen; sie nehmen fast die Hälfte des Blattes ein und betonen dadurch ihre Wichtigkeit. Leider ist von den Zeichnungen Wilhelms II. zu wenig erhalten geblieben" 3 , um sich ein angemessenes Bild von den wissenschaftlichen Arbeiten des Kaisers beziehungsweise Ex-Kaisers zu machen 114 . Das Kreuzmotiv scheint ihn aber zeit seines Lebens gefesselt zu haben. Einen Teilaspekt davon behandelte er 1933 in seinem Vortrag über die chinesische Monade, bei
110 Hechingen HA, Wilhelm II. Abt. 4: Bleistiftzeichnung auf grauem Karton, ca. 23 χ 15 cm (Reststück einer Schachtel), signiert rechts unten: 6.V.19 Amerongen (Unterschrift) Wilhelm. 111 Oscar Montelius, Das Rad als religiöses Sinnbild in vorchristlicher und christlicher Zeit, in: Prometheus 16, 1905, 241-247, 259-266 und 277-284. 112 Vgl. z.B. die irischen Hochkreuze von Monasterboice und Ahenny; Helmut Roth, Kunst der Völkerwanderungszeit (Propyläen Kunstgeschichte, Supplementband IV); Berlin 1979, Abb. 179-180. 113 Im Hausarchiv Hechingen existiert außerdem noch die Zeichnung eines Schiffes, eines seiner Lieblingsthemen von Jugend an. Das Militärarchiv in Freiburg verfügt über eine ganze Reihe solcher Zeichnungen. Im Haus Doorn, dem Exilsitz Wilhelms, sind weitere Zeichnungen erhalten; vgl. die Ausstellung: Der letzte Kaiser. Wilhelm II. im Exil.; Deutsches Historisches Museum Berlin 1991, z.B. 136-140. 114 Besonders in Doorn wurde Wilhelm wissenschaftlich aktiv, wobei er natürlich auf seine früher gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen konnte. Bekannt ist der von ihm begründete „Doorner Arbeitskreis" mit Leo Frobenius. Als Veröffentlichung wurde die Studie über den Baldachin bereits genannt. Vgl. weiter Oswald Gschliesser, Das wissenschaftliche Œuvre des ehemaligen Kaisers Wilhelm II., in: Archiv für Kulturgeschichte 54, 1972, 383-392.
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dem er mit Ausführungen über das Hakenkreuz schloß 1 1 5 . Interessant ist vor allem, seit wann sich Wilhelm II. mit Kreuzformen beschäftigte. Das im Hausarchiv erhaltene Blatt ist erst im Mai 1919 entstanden. Sicher existierte ein weiteres, früheres Blatt von der Hand des Kaisers, in dem er das Labarum dargestellt hat; dieses Blatt war mindestens seit 1904 im Hohenzollernmuseum ausgestellt 1 1 6 . Die öffentliche Ausstellung einer solchen Zeichnung, noch dazu als einziger von des Kaisers Hand, bedeutete bereits ein öffentliches Bekenntnis und kennzeichnet den Stellenwert, den Wilhelm II. dem Labarum beimaß: Es gehörte in den großen Strom der religiösen Zeichen und hatte zugleich seinen festen historischen Platz. Die Rekonstruktion des Labarum war oben schon besprochen worden. Die Probleme waren dabei nicht so strittig wie die beiden anderen Problemfelder der Lokalisierung der Ereignisse. W a s das Schlachtfeld anging, war es letztlich nur eine Diskussion um wenige Kilometer auf und ab der Via Flaminia; daran hing noch die Frage, ob man den gewohnten Begriff „Schlacht an der Milvischen Brücke" beibehalten konnte oder von ihm Abschied nehmen mußte. Die Lokalisierung der Vision der Kreuzeserscheinung bot dagegen viel größere Schwierigkeiten. Wenn Konstantin sie „auf dem Weg nach R o m " hatte, konnte das ,vor den Toren R o m s ' bedeuten, aber auch in der Lombardei oder in seinen gallisch-germanischen Ländern. Die Ehre des durch die Vision ausgezeichneten Ortes war aber nicht nur lokalhistorisch relevant, im 19. Jahrhundert konnte es leicht eine Angelegenheit der ganzen Nation werden. Die auf das Geschehen der Zeit um 312 bezüglichen Texte waren in dieser Beziehung nicht sehr ergiebig; man erkannte, daß Konstantin von der Nordgrenze, also vielleicht von seiner Residenz Trier, nach Italien aufgebrochen sein mußte 1 1 7 . Von Trier gab es prinzipiell zwei Möglichkeiten, größere Truppenkontingente nach Italien zu befördern: über Gallien und das Rhônetal oder über Germanien und das Rheintal. Versuche, die Vision Konstantins zu lokalisieren, sind seit Ende des 16. Jahrhunderts zu beobachten. Damals begann die Kirchengeschichtsschreibung, stimuliert durch die konfessionelle Spaltung, stärker mit den alten Quellenschriften zu arbeiten und damit glaubhafter zu erscheinen. Daher wurden auch die spätantiken Texte wieder zur Darstellung herangezogen. Die Interpretation dieser Texte lieferte die ersten, aber nur schwachen Anhaltspunkte für die Lokalisierung der Vision. Einen Höhepunkt erlebte diese Methode an der letzten Jahrhundertwende, als historische Zeugnisse aller Art miteinbezogen wurden. Große Teile dieser Erkundungen fanden
115 Wilhelm II., Die chinesische Monade. Ihre Geschichte und ihre Deutung; Leipzig 1934. - Als Bindeglied zwischen Konstantins Kreuz und der chinesischen Monade kann ein Hakenkreuz in einem Ring angesehen werden, das 1921 auf seine Anweisung angefertigt wurde; es trägt die Umschrift: In hoc signo securitas, und diente als Motorhaubenschmuck; Abb. in: Der letzte Kaiser (Anm. 113), 141. 116 Führer durch das Hohenzollernmuseum; hg. Paul Seidel; Neue Ausgabe Berlin 1904, 2. In der Auflage 1914 wird das Blatt auf S. 3 wieder erwähnt. In: Führer durch die Sammlung des Hohenzollern-Museums im Schlosse Monbijou; Berlin 1895 wird es noch nicht erwähnt, in: Schloss Monbijou. Hohenzollernmuseum. Amtlicher Führer; 2. Aufl. Berlin 1930 fehlt es wieder. 117 Das Itinerar Konstantins für das Jahr 312 ist kaum näher bestimmbar. Das einzige exakte Datum ist das der Schlacht an der Milvischen Brücke. Die Chronologie, aufgestellt von Otto Seeck, Regesten der Kaiser und Päpste für die Jahre 311 bis 476 n. Chr.; Stuttgart 1919; Nachdruck Frankfurt/M. 1964, 159, gilt unverändert; vgl. etwa Dietmar Kienast, Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie; Darmstadt 1990, 294-299 (mit Lit.).
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im vorwissenschaftlichen Feld statt und wurden infolgedessen in der Wissenschaft kaum diskutiert, durchaus aber außerhalb der Lokalforschung wahrgenommen. Den Anfang machte ein Priester aus Marcigny, der in einer 1894 erschienen Schrift den Ort der Vision zu kennen glaubte, indem er Flur- und Ortsnamen untersuchte: Er wies im Departement Saône-et-Loire allein 30 Orte nach, die den Namen Labarre, La-Barre oder ähnlich führten. Da die Etymologie des Wortes damals wie auch heute noch nicht geklärt war, wurde diese Spur neugierig aufgenommen. Zusätzlich beobachtete er in der gleichen Gegend das gehäufte Auftreten des Kreuzespatroziniums. Den Ort Sainte-Croix, 30 km südöstlich von Chalons-surSaône, konnte er als Wallfahrtsort bis ins neunte Jahrhundert zurückverfolgen; zudem lag der Ort an der großen Römerstraße über die Alpen nach Turin, so daß er gut in ein mögliches Itinerar Konstantins paßte 118 . Das Buch, das von einem Außenseiter der Wissenschaft verfaßt und dem kein großer Glauben geschenkt wurde, wurde immerhin jenseits des Rheins so genau registriert, daß man seinen Inhalt in das Reich der Phantasie verweisen zu müssen glaubte 119 . Sein germanisches Gegenstück fanden die Forschungen von Desroches in den Ausführungen eines Priesters aus Leiwen an der Mosel, der mit ähnlich gearteten Argumenten die Vision nach Neumagen verlegte 120 . Dort, bei dem bedeutenden, von Konstantin ausgebauten Römerkastell Noviomagus an der Römerstraße Trier - Mainz liegt ein Hügel namens Krön, der in den lokalen Überlieferungen mit der Kreuzesvision Konstantins zusammengebracht wurde. Laven konnte auf jahrhundertealte Traditionen zurückgreifen. Der Jesuitenpater Masenius hatte in seiner verbesserten zweiten Auflage der Geschichte Triers von Brower im Jahr 1670 erstmals die Vision nach Neumagen verlegt; als weitere antike Quelle fügte er dem Eusebiustext das Moselgedicht des Ausonius an, das zwar das Kastell Neumagen, aber die Vision mit keinem Wort erwähnte; dazu trat stützend das archäologische Argument, daß bei den frühchristlichen Gräbern von St. Paulin das XP-Zeichen häufig beobachtet worden sei 121 . Diese Version kannte Wilhelm II., denn es war auch die Wilpert geläufige, der mit der Rekonstruktion des Labarum beschäftigt war, als er schrieb: „Der Kaiser befand sich bei der Vision nicht vor Rom, im Angesichte des Feindes, sondern in Gallien, genauer gesagt, am Rhein."122 Konstantin mußte die Rheingrenze gegen die Germanen sichern, als er nach Rom aufbrach. Nichts war selbstverständlicher als anzunehmen, daß er sich in seiner Hauptstadt im Norden, in Trier, aufgehalten hatte.
118 J.-P. Desroches, Le Labarum. Etude critique et archéologique, démontrant que les prodigés de 312 sant absolument historiques et s'accomplirent dans le voisinage de Chalon-sur-Saône; Paris 1894. 119 Anonym, Das Labarum, in: Stimmen aus Maria Laach 51, 1896, 224-227. - Eine Lokalisierung nach Gallien aufgrund sprachgeschichtlicher Überlegungen wurde auch später wieder versucht: Jean-Jacques Hatt, La vision de Constantin au sanctuaire de Grand et l'origine celtique du labarum, in: Latomus 9, 1950, 427-436. 120 H[ermann] Laven, Konstantin der Grosse und das Zeichen am Himmel; Trier 1902. 121 Christophorus Browerus und Jacobus Masenius, Antiquitatum et Annalium Trevirensium libri XXV; 2 Teile in einem Band; Lüttich 1670; Tl. I, S. 208 der Text von Brower, der Eusebius zitiert, S. 573-576 die Bemerkungen von Masenius. 122 Wilpert 1916,1, 32. - Direkt an den Rhein, vor die Tore von Mainz wurde noch 1941 die Vision verlegt von Karl-Heinrich Schäfer, Das Mainzer Rad und Konstantins Reichsstandarte, in: Herold 2, 1941, Heft 2/3, 57-86, der damit das Mainzer Wappen erklärte.
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Homburg Homburg war mit dem Herzogtum Nassau 1866 an die Hohenzollern gefallen. Seitdem gehörte das dortige Schloß dem preußischen Königshaus, aber erst Wilhelm II. erkor es zu seiner Sommerresidenz. Tatsächlich verbrachte er große Teile des Jahres hier. In seinem Verhalten, wechselnde Residenzen zu benutzen - die Schlösser in Straßburg, Urville in Lothringen und zuletzt Posen gehörten auch dazu - , macht sich ein weiteres Mal die mittelalterliche Kaisertradition bemerkbar. In Homburg konnte sich der Kaiser zudem in einer noch längeren, nämlich römischen Tradition wähnen: Homburg liegt direkt am Limes, der oberhalb der Stadt über die Ausläufer des Taunus lief. Nur wenige Kilometer entfernt lag das Kastell der Saalburg. Wilhelm konnte sich also in seiner Rolle als römisch-deutscher Kaiser hier ganz zu Hause fühlen. Diese Art der Traditionen, sozusagen in altes rechtmäßiges Erbe wiedereinzutreten, liebte er besonders. Die Erlöserkirche in Gerolstein in der Eifel, die ihm 1913 zum Regierungsjubiläum geschenkt wurde, stand auf einem Grundstück, das über den Vorbesitzer, die Abtei Prüm, auf den Besitz Karls des Großen zurückgeführt werden konnte 123 . Neben seinem Schloß im lothringischen Urville veranlaßte er selbst Ausgrabungen, die einen römischen Gutshof zutage förderten 124 . Weitere Beispiele ließen sich anführen 1 2 5 . Die Saalburg erwies sich als besonders dankbares Objekt. Seit 1868 wurden in diesem Limeskastell Ausgrabungen durchgeführt, die von Wilhelms Vater Friedrich initiiert worden waren. Wilhelm hatte sich in seiner Jugend sogar selber einmal an den Ausgrabungen beteiligt. Im Jahr 1897 ordnete er den Fortgang der Arbeiten und den teilweisen Wiederaufbau des Kastells an, der im wesentlichen 1907 abgeschlossen war 126 . Regelmäßig ließ er sich vom Stand der Ausgrabungen informieren. Am 11. Oktober 1900 legte Wilhelm II. den Grundstein zum Reichs-Limes-Museum mit folgenden Worten: „So weihe ich diesen Stein mit dem ersten Schlage der Erinnerung an Kaiser Friedrich III., ... zum dritten der Zukunft unseres deutschen Vaterlandes, dem es beschieden sein möge, in künftigen Zeiten ...so maßgebend zu werden, wie es einst das römische Weltreich war, damit es auch in Zukunft dereinst heißen möge, wie in alter Zeit ,civus romanus sum', nunmehr: 'Ich bin ein deutscher Bürger.'"™ Die historische
123 Die Erlöserkirche in Gerolstein wurde vom Berliner Kirchenbauverein nach Plänen Schwechtens gebaut und 1913 dem Kaiser zum Geschenk gemacht. Die Ausgrabungen brachten außerdem römische Reste zu Tage, die sog. Villa Sarabodis; 50 Jahre Erlöserkirche in Gerolstein 1913-1963; Gerolstein 1963; 21-23 zum Vorbesitz. 124 Die Ausgrabungen bei Urville und Kürzel, in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 113 vom 22. Mai 1906, S. 343-344. 125 Die elsässische Hohkönigsburg war Wilhelm II. im Jahr 1899 von der Stadt Schlettstadt geschenkt worden. Hier wurde das Besitztum auf die Staufer, letztlich sogar auf Karl den Großen zurückgeführt. Wilhelm II. ließ die Burg von Bodo Ebhardt wiederaufbauen, der zur wissenschaftlichen Vorbereitung ausgedehnte Reisen unternahm und dadurch zu einem der wichtigsten Burgenforscher wurde; zur Burg vgl. Ernst Hauviller, Kaiser Wilhelm II. als Schloßherr auf elsässischem und lothringischem Boden; Gebweiler 1913. 126 Die Arbeiten wurden von dem Homburger Architekten Louis Jacobi durchgeführt, der auch andere Arbeiten für den Kaiser ausführte, unter anderem vorbereitende Maßnahmen beim Bau der Erlöserkirche in Homburg; vgl. den Ausstellungskatalog: Louis Jacobi. 1836-1910. Baumeister und Bürger Homburgs; Bad Homburg v. d. Höhe 1986, 53-58. 127 Reden Kaiser Wilhelms II. 1897, II (1900), 235.
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Komponente war also bei der Auswahl des Schlosses sehr wichtig gewesen. Nirgends war die Tradition zurück bis zur Römerzeit besser greifbar als hier. Dazu kam die familiäre Tradition der Kulturpflege. Familien- und Staatsidee gingen eine unauflösliche Symbiose ein. Daneben war Homburg ein Ort ohne evangelische Kirche. Das kam seinen Plänen insofern entgegen, als er einen von der Ortsgemeinde schon lange gehegten Plan nun kräftig fördern und nach seinem Willen gestalten konnte. Voraussetzung für den Kirchenbau war unter anderem eine zahlenmäßig große Gemeinde, die den Bau auch finanzieren konnte. Daher gehörte es zu seinen ersten Maßnahmen, als die Bauabsichten konkreter wurden, die reformierte und lutherische Ortsgemeinde zu einer evangelischen Kirchgemeinde zusammenzuschließen. Wieder begegnet uns hier das Motiv des Einigkeitstiftens, wie wir es bereits in Wittenberg beobachten konnten. An diesem historischen Ort konnte Wilhelm besser als irgendwo sonst eine Kirche nach seinen Vorstellungen gestalten; nirgendwo gab es bessere Voraussetzungen. Als äußere Form der Kirche griff er auf den Limburger Dom zurück, der sich durch zweierlei auszeichnete. Zum einen verkörperte er die vom Kaiser bevorzugte spätromanische Baukunst in besonderem Maße, zum anderen war er auch die katholische Hauptkirche, nämlich Bischofskirche des nassauischen Territoriums. Die Homburger Kirche wurde also das evangelische Pendant dazu. Das Bistum Limburg war erst nach dem Wiener Kongress neu geschaffen worden. Es war nötig, weil das linksrheinische Erzbistum Trier aufgehoben und französisch geworden war. Als Bischofskirche erhielt die Limburger Kirche aber auch eine besondere Ausstattung. Dazu gehörte ein Kirchenschatz, den die nassauischen Herzöge 1827 aus ihrem Besitz nach Limburg schenkten. Der wertvollste Teil dieses Kirchenschatzes war und ist eine Staurothek, eine byzantinische Kreuzreliquie. Unter den erhaltenen Kreuzreliquien gilt sie als die bekannteste und wertvollste. Der Reliquienbehälter war im 10. Jahrhundert in Byzanz für Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos angefertigt worden; nach dem 4. Kreuzzug 1204 wurde er nach Westeuropa gebracht. Der neue Besitzer Heinrich von Uelmen aus der Eifel hatte das Reliquiar dem Augustinernonnenkloster St. Nikolaus in Stuben an der Mosel gestiftet. Dort blieb es bis kurz vor 1800. Durch die Aufhebung des Klosters wurde das Erzbistum Trier neuer Besitzer, das den Schatz auf der Festung Ehrenbreitstein vor den Franzosen rettete. Durch diese rechtsrheinische Aufbewahrung in der Festung zur Zeit des Reichsdeputationshauptsschlusses wurden die Nassauer die rechtmäßigen neuen Besitzer des wertvollen Kreuzes 128 . Wilhelm II. konnte sich also als Erbe des Nassauer Thrones in dem Gefühl wiegen, daß das Bistum, zu dem auch Homburg gehörte, eine der wertvollsten Reliquien der Christenheit besäße, die aus byzantinischem Kaiserbesitz stammte und von einem seiner Vorgänger im Amt diesem Bistum zugewiesen worden war. Es war diese Reliquie, die sein besonderes Interesse am Limburger Dom auslöste. Für diese Reliquie und andere Teile des Domschatzes wurde
128 Ernst aus'm Weerth, Das Siegeskreuz der byzantinischen Kaiser Constantins Porphyrogenitus und Romanus II. und der Hirtenstab des Apostels Petrus: Zwei Kunstdenkmäler byzantinischer und deutscher Arbeit des 10. Jahrhunderts in der Domkirche zu Limburg (Bonner Winckelmannprogramm 20); Bonn 1866, besonders S. 5ff. (Besitzgeschichte). - Es gibt nur zu Detailproblemen der Staurothek neuere Literatur; vgl. vor allem Jakob Rauch, Die Limburger Staurothek, in: Das Münster 8, 1955, 201-218 und andere Artikel im gleichen Heft. - Zuletzt: Johannes Köder, Zu den Versinschriften der Limburger Staurothek, in: Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte 37, 1985, 33-56.
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III. Die Kirche Wilhelms II.
1 9 0 3 - 1 9 0 5 ein eigenes Dommuseum gebaut, zu dessen Einweihung Wilhem II. eigens anreiste - am 14. September 1905, dem Fest der Kreuzerhöhung 1 2 9 . Das zweite Monument, das im Außenbau zitiert wird, ist St. Trophimes in Arles. Hierbei wird es sich wohl weniger um staufische Reminiszenzen gehandelt haben 1 3 0 , auch wenn heute die Fassade von St. Trophimes gerade in die Zeit der staufischen Herrschaft in dieser Gegend datiert wird. Am Ende des letzten Jahrhunderts war man sich über die genaue Zeitstellung dieses Bauteiles aber noch im Unklaren 1 3 1 und konnte also auch keine Verbindung zu den Staufern herstellen. Viel bekannter war Arles aber als römische Stadt, und zwar als eine der Provinzhauptstädte Kaiser Konstantins. Arles gehörte zu den Lieblingsaufenthalten des Kaisers; zeitweise führte sie sogar seinen Namen 1 3 2 . Und Konstantins erste kirchenpolitische Tat ist mit Arles verknüpft: Kurze Zeit nach dem Sieg an der Milvischen Brücke schickte er sich an, einen kircheninternen Streit zu schlichten, den Donatistenstreit, der in Nordafrika ausgebrochen war. Für das Jahr 3 1 4 lud er alle beteiligten Bischöfe zu einer Synode nach Arles. Daß er dieser Synode, 11 Jahre vor Nizäa, auch vorgesessen habe, wurde lange geglaubt und wird erst neuerdings bestritten; seine Rolle als Forderer der Synode und Schlichter bleibt davon allerdings unberührt 1 3 3 . Die Homburger Erlöserkirche erscheint so in allen ihren Aspekten durchdrungen von der Idee des Kreuzes und Konstantins. Sie ist letztendlich die Vollendung der Gedanken, die Wilhelm II. und Auguste Victoria im Heiligen Land hatten. Als sie die Erlöserkirche in Jerusalem einweihten, wollten sie der Kirche ein kostbares Kreuz schenken. In Jerusalem lehnte man ab. Daraufhin schenkten sie dieses Kreuz der Homburger Kirche, wo es heute noch an hohen Festtagen auf dem Altar ausgestellt wird 1 3 4 .
129 Notiz in der Beilage zu: Die Christliche Kunst 2, 1905/06, Heft 3, S. II. - Es ist einer der wenigen Besuche Wilhelms II. anläßlich der Einweihung einer dezidiert katholischen Einrichtung. Erinnert sei noch an die Einweihung des neuen Metzer Domportals. 130 Friedrich Barbarossa war 1178 in Arles zum König von Burgund gekrönt worden; Zietz 1987, 169. 131 In dem wichtigen Aufsatz von: Georg Dehio, Romanische Renaissance, in: Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 7, 1886, 129-140, bes. 136f. wird St. Trophimes allgemein als Bauwerk des 12. Jhs. angesprochen, ohne daß Friedrich Barbarossa genannt oder Bezüge zu den Staufern hergestellt werden. In dem Aufsatz geht es um „romanische Renaissance" sogar mit feinem Doppelsinn: einmal um die Aufnahme antiken Formengutes in der Romanik, v. a. in der Provence, zum anderen auch um Überlegungen zur Aufnahme der Romanik im Historismus, die Dehio der Gotik vorzieht; vgl. die einleitenden Sätze des Aufsatzes. - Die verschiedenen zeitlichen Ansätze von St. Trophimes werden diskutiert von Wilhelm Vöge, Die Anfänge des monumentalen Stils im Mittelalter; Straßburg 1894, 124-132. 132 Jules Maurice, Comment la ville d'Arles reçut le nom de Constantina, in: Congrès archéologique de France 76, 1909 (1910), II, 177-184. 133 Klaus Martin Girardet, Konstantin d. Gr. und das Reichskonzil von Arles (314). Historisches Problem und methodologische Aspekte, in: Oecumenica et Patristica. Festschrift für Wilhelm Schneemelcher zum 75. Geburtstag; Stuttgart 1989, 151-174. 134 Einweihung Homburg 1908, 9. - Heutige Ausstellung: Auskunft des Pfarramtes.
Nachwort
Die vorliegende Untersuchung hatte sich zum Ziel gesetzt, den Kirchenbau der Hohenzollern im 19. Jahrhundert zu betrachten. Die Auswahl der Kirchen war dabei durch ihre Benennnung getroffen worden. Diese Idee hat sich insgesamt als sehr fruchtbar erwiesen, denn auf diese Weise wurden Zusammenhänge klar, die bei Einzeluntersuchungen zu Baumeistern oder auch Herrschern nicht sichtbar geworden wären. „Sie sehen, das Capitol hat sich in Zion verklärt, und die kleine Gemeinde im Palast Cajfarelli in die deutsche Kirche im Morgenlande," schrieb Bunsen am 11. April 1842 an seinen Verleger Friedrich Perthes 1 ; die römische Gesandtschaftskapelle und die Erlöserkirche neben dem Grab Christi gehören ihrer Idee nach zusammen, bilden Anfangs- und Endpunkt der Entwicklung dieser Idee und sind Zentrum eines weit ausstreuenden Programms. Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Kirchenbauten, was ihre Entstehungszeit, die entwerfenden Architekten und Künstler angeht, und die individuellen Entstehungsumstände betrifft, handelt es sich doch nicht um einen scheinbar wahllosen Querschnitt durch die Baukunst des 19. Jahrhunderts, sondern um eine Zusammenstellung der Schlüsselbauten der Herrschaftsideologie der Hohenzollern. Gemeinsam ist ihnen allen, daß sie im Sinne eines Fortschrittsgedankens der Kunst, der wenig zuvor von Winckelmann entwickelt worden war, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, überhaupt nicht innovativ zu sein scheinen. „Die Kunst im Dienst der Kirche" hieß in der zweiten Jahrhunderthälfte das erfolgreichste katholische Handbuch für Kirchenbau, ein Kompendium des historistischen Bauens 2 ; unter dem gleichen Titel veröffentlichte Ferdinand von Quast 1852 eine Aufsatzfolge, in der er die Einrichtung (evangelisch-)kirchlicher Zentralverwaltungen forderte, die die künstlerische und bauliche Umsetzung der Liturgie anregen und überwachen sollten 3 . Die Kunst stand in vielerlei
1 Bunsen 1868, II, 235. 2 Von G. Jakob; Regensburg 1857 und etliche Auflagen. 3 Ferdinand von Quast, Die Kunst im Dienste der Kirche, in: Evangelische Kirchenzeitung 50, 1852,433-436, 441-445, 449-451; 51, 1852, 521-526, 529-533. - Solche Forderungen, die auch andernorts in den 50er Jahren formuliert wurden, mündeten schließlich in das bekannte „Eisenacher Regulativ", das zwar nie Rechtskraft erlangte, aber fast bis zur Jahrhundertwende immer wieder bemüht wurde; vgl. Regulativ über den evangelischen Kirchenbau, in: CKB 4, 1862, 113-121, dazu jetzt Paul Kaiser, Das sogenannte Eisenacher Regulativ von 1861: ein kirchenrechtliches Phantom, in: Geschichte des protestantischen Kirchenbaues 1994, 114-118.
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Nachwort
Diensten, so auch im Dienst der Staatsidee, wie Malkowsky sein wichtiges Buch nannte, in dem er die Hohenzollerische Kunstpolitik über die Jahrhunderte betrachtete 4 . Auf den hier, von Malkowsky nicht behandelten Bereich angewendet, müßte man das Motto modifizieren: nicht Kunst, eher historische (Kunst-)Forschung; nicht Staats- sondern Kirchenidee, also etwa: „Historische Forschung im Dienst der Kirchenidee" 5 . Denn die Erlöserkirchen der Hohenzollern waren nicht modern, sondern in besonderem Maße insofern traditionsverhaftet, als sie besonders viele historische Architekturzitate aufwiesen. Das hatte zu zwei extremen Aufgaben geführt, nämlich zum einen die komplette Wiederherstellung eines weitgehend verschwundenen Bauwerkes anzustreben, und zum anderen möglichst viel historische Forschung in ein Neubauprojekt einfließen zu lassen; die Trierer Erlöserbasilika, die Jerusalemer Erlöserkirche und die Potsdamer Friedenskirche sind dafür die besten Beispiele. Wir hatten gesehen, daß in vielen Fällen die historisch-archäologische Forschung eine wichtige Rolle gespielt hatte. Oft entstanden Kirchen zur Zeit entscheidender Forschungsphasen, so die Trierer Basilika zur Zeit der lebhaftesten Diskussion um das Aussehen der antiken Basilika und die Jerusalemer Erlöserkirche in einer Hochphase der Leben-Jesu-Forschung. In einer Epoche, die allgemein mit dem Begriff Historismus umrissen wird, sind die genannten Erlöserkirchen besonders reine Exempel gerade dieser Epochendefinition; sie verkörpern in einem besonderen Maße die Prinzipien dieser Epoche. Im Sinne des Historismus müssen sie als die Protagonisten ihres Jahrhunderts angesehen werden. Wie sehr die Benennung der Kirchen mit dem Erlösernamen an das Herrscherhaus gebunden war, wird am Beispiel der Hohenzollern besonders klar. Denn die Tradition der Erlöserkirchen brach nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Hohenzollernherrschaft abrupt ab. Im Gegensatz zum Herrscherhaus fanden es evangelische Kirchgemeinden beziehungsweise Landeskirchen nämlich schon vorher nicht opportun, eine Kirche durch ihre Benennung als Erlöser- oder Christuskirche anderen Kirchen vorzuziehen 6 . Das Erlöserpatrozinium hatte ganz am Anfang christlicher Kirchenbenennungen gestanden. Mit dem Namen Konstantins verknüpft, erinnerte es an den ersten Sieg des Christentums über die antiken Gottheiten und stellte eine urchristliche, der gesamten Christenheit eigene Überlieferung dar, die noch in die Antike zurückreichte. Deswegen konnte dieses Patrozinium in geradezu idealer Weise Ausgangspunkt für Ordnungsvorstellungen werden, die im Urchristentum und im römischen Kaisertum wurzelten. Für Friedrich Wilhelm IV. stand dabei eine urchristliche, apostolisch verfaßte Kirche im Mittelpunkt, die ihm für ganz Preußen vorschwebte. Wilhelm II. bevorzugte dagegen die aus eigener Machtfülle gestiftete oder gesteuerte Kirche. Konstantin als Kirchenlenker und -bauer war sein Vorbild, daneben suchte er aber nicht die apostolische Zeit zu erfassen, sondern unmittelbar die Zeit Jesu Christi, wie es sich in den Kirchennamen Berlins wiederspiegeln sollte. Die Wiederherstellung der apostolischen beziehungsweise die Nachahmung der konstantinischen Kirche waren dabei nur zwei der möglichen Motivationen der Hohenzollern, freilich die, die am weitesten reichten. Der Ahnenkult spielte bei beiden Herrschern eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn auch in verschiedenen Variationen.
4 Georg Malkowsky, Die Kunst im Dienst der Staatsidee; Berlin [1912 laut Vorwort]. 5 Wobei unter Kirche hier wieder beides verstanden werden soll: Institution und Gebäude. 6 Cornelius Gurlitt, Kirchen (Handbuch der Architektur, IV. Teil, VIII, 1); Stuttgart 1906, 33 betont, daß im Grunde alle Kirchen Christuskirchen sind.
Nachwort
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Die Sorge um die Grablege der Ahnen lernten wir bei Friedrich Wilhelm IV. in reichem Maße kennen. Bereits als Kronprinz hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, die Gräber der Vorfahren nach oft langen Zeiten der Verwahrlosung wiederherzustellen. Dabei kümmerte er sich nicht nur um die eigene, eng begrenzte Dynastie, sondern bezog die ganze Familie in allen ihren Verästelungen mit ein ebenso wie die Herrschaften, deren Territorien im neuen Preußen aufgegangen waren. In diesem Umfang war das nur möglich durch die umfassenden historischen Kenntnisse des Kronprinzen. Die Erforschung der eigenen Geschichte war aber wesentlich durch ihn angeregt worden und bildete die Grundlage für das hohenzollersche Geschichtsbild der Folgezeit. Einen kirchlichen Begräbnisort herzustellen oder wiederherstellen, war sein oberstes Ziel, durchaus vergleichbar mit mittelalterlichen Grabstiftungen. Beste Beispiele dafür sind das Grab seiner Mutter Luise, dessen Grabkammer in einen Kapellenraum verwandelt wurde, und sein eigenes Grab inmitten seiner Schöpfung, der Friedenskirche in Potsdam. Wilhelm II. setzte wieder neue Akzente. Er hatte sich nur um die Grablegen seiner Eltern und Großeltern zu kümmern, freilich mit neuem Gewicht, handelte es sich doch jetzt um kaiserliche Grablegen. Und so trat neben die Erfüllung der jeweiligen testamentarischen Verfügungen, die Grablegen im Charlottenburger Park beziehungsweise im Mausoleum an der Friedenskirche anzulegen, eine zweite Institution, nämlich die der Gedächtniskirchen, die einer ganz neuen Selbstdarstellung des Kaiserhauses Raum boten. Nach den Kriegszerstörungen vermag uns einzig die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche in kleinen Resten davon noch eine Vorstellung zu vermitteln. Alle diese Aspekte erwiesen sich als Teilaspekte der Erlöserkirchenidee. Diese Idee aufzugreifen, sich ihr bewußt zuzuwenden, bedeutete aber eine radikale Abkehr der Hohenzollern von ihren bisherigen, calvinistisch geprägten kirchlichen Vorstellungen. Die Wurzeln dafür liegen in der neuen religiösen Haltung, der Erweckungsbewegung, die mit den napoleonischen Befreiungskriegen rasch gewachsen war. Die romantischen Ideen Friedrich Wilhelms IV. sind in großen Teilen durch die Erweckungsbewegung erklärbar und deshalb grundlegend für die hier vorgestellten Kirchenideale. Die Hinwendung zum Calvinismus hatte Kurfürst Johann Sigismund am Vorabend des Weihnachtsfestes 1613 offiziell vollzogen. Über zweihundert Jahre lebten daraufhin Volk und Herrscherhaus von Brandenburg, später Preußen, nach verschiedenen reformierten Bekenntnissen. Die Rückkehr zu einem lutherisch geprägten Glauben wurde dagegen nie formell durchgeführt. Deswegen fällt es so schwer, den Beginn der neuen Glaubensausrichtung exakt festzustellen. Die Arbeit versuchte, die Anfänge in den Befreiungskriegen besonders im Verhalten des Kronprinzen aufzuzeigen, der daraufhin fast ein halbes Jahrhundert lang wesentlichen Einfluß auf die preußische Religionspolitik haben sollte. Hingewiesen sei aber auch auf seinen Vater Friedrich Wilhelm III., unter dessen Regierung und durch dessen Entscheidungen die ersten Schritte zu dieser neuen Glaubenshaltung getan worden waren. Als Laie setzte er sich für die Gottesdienstreform ein und setzte sie mit einer selber verfaßten Agende durch. Erstes sichtbares Zeichen auf dem Weg von der calvinistischen zur lutherischen Kirche war die Einführung des Altarschmuckes durch Kruzifix und Leuchter, war also schon 1817 zum Reformationsjubiläum teilweise Wirklichkeit. Der neu gefundene Glauben, der vom abstrakten, reformierten zum lutherischen Bekenntnis hingeführt hatte, konkretisierte sich in zwei Formen: hin zu Stätten und Personen des Neuen Testaments und hin zu Stätten und Personen der Reformationszeit, also zum Erlöser und zu Luther, allerdings nicht gleichmäßig, sondern zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Gewichtung. Tatsächlich fanden sich bei Friedrich Wilhelm III. schon früh die ersten Anzeichen einer
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Nachwort
Lutherverehrung, die am klarsten in seinem Engagement zur Errichtung eines Lutherdenkmales im Reformationsjubiläumsjahr 1817 zu fassen ist 7 . Lutherdenkmäler sollten aber erst im Laufe und besonders am Ende des Jahrhunderts weit verbreitet und mehr für die evangelischen Kirchenführungen und -gemeinden als für das Herrscherhaus typisch sein 8 . Der Erlöserkult dagegen war für die ganze Epoche maßgebend und wurde großenteils als Privileg des Herrscherhauses betrachtet. Er war die eigentliche Konstante in der Religionspolitik der Hohenzollern. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen die Erlöserkirchen von Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. Bei beiden Herrschern zeigte es sich, daß Idealbauten die Vorgaben der Herrscher in besonderem Maße erfüllten, während die nachgeordneten Bauten des umfassenden Programms die gleichen Maßgaben nur teilweise erfüllten. Besonders deutlich fiel der Unterschied zwischen Ideal und Wirklichkeit bei Friedrich Wilhelm IV. aus. Am perfektesten konnte er seine Vorstellungen in der Potsdamer Friedenskirche, der Erlöserbasilika in Trier und mit nur kleinen Abstrichen in dem neuen Berliner Stadtviertel der Luisenvorstadt verwirklichen. An diese Kirchen schloß sich ein riesiges Bauprogramm an, das den ganzen preußischen Staat umfaßte und unter der Leitideee der apostolischen Kirche stand. Doch je weiter weg - zeitlich oder räumlich - die Kirchbauprojekte vom Zentrum waren, desto geringer waren die Realisierungschancen im Sinne des Königs. Das lag - neben der Finanznot - vor allem daran, daß sein Bauprogramm auch ein kirchliches Reformprogramm sein wollte. So konnte er die beiden Bauten, die sich in seinem Besitz oder auf seinem eigenen Grundstück befanden - Trier und Potsdam - , nach seinem Willen gestalten, während ihm bei den anderen der Widerstand des Klerus entgegenschlug. Da der Stil seiner Bauten ganz programmatisch auch seine Reformideen verkörperte, erscheinen die nicht realisierten Bauten so vor allem als Opfer seiner nicht durchgesetzten Kirchenpolitik. Wilhelms II. Idealbauten waren die Erlöserkirchen in Jerusalem, Homburg und Rummelsburg bei Berlin, dazu die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche. An sie gliederte sich ein vielschichtiges System von Kirchen an, das in Berlin und Jerusalem besonders klar ausgeprägt wurde. Im Unterschied zu Friedrich Wilhelm IV. verzichtete Wilhelm II. auf ein eigentliches kirchliches Reformprogramm. Der von ihm bevorzugte Baustil der Spätromanik wäre auch wenig geeignet gewesen, ein solches zu verkörpern; er vermittelte vielmehr die mittelalterliche, staufische Herrschafts- und Kaiseridee, an die Wilhelm als evangelischer Kaiser nun anknüpfen wollte. Wilhelm II., gegenüber den kirchlichen Institutionen faktisch in der gleichen Rolle wie sein Großonkel Friedrich Wilhelm IV., war trotzdem in der Durchsetzung seines Stiles, sogar bei katholischen Kirchen, viel erfolgreicher. Das ging soweit, daß bei manchen Bauten, wie etwa der deutschen evangelischen Kirche in Rom, der Kaiser die Form vom Fußboden bis zur Turmspitze in allen Einzelheiten bestimmen konnte, ohne einen einzigen Pfennig dazuzugeben, obwohl seine Wünsche oft erhebliche Mehrkosten verursachten. Zum Teil erklärt sich das daraus, daß der Kaiser eben kein Kirchenreformprogramm verfolgte und deswegen in kirchlichen Kreisen keine Opposition auslöste. Außerdem trat der Kaiser selten als Bauherr auf; diese Rolle
7 Auch bei den früheren Projekten, z.B. 1805, war Friedrich Wilhelm III. bereits engagiert; Schulz 1982, 76-77; besonders Klingenburg 1983. 8 Wolfgang Stumpf, Lutherstandbilder als Nationaldenkmäler. Streiflichter zur Geschichte des Konfessionalismus in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Saeculum 34, 1983, 138-147 und Christian Tümpel, Zur Geschichte der Lutherdenkmäler, in: Luther in der Neuzeit. Symposion (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 192); Gütersloh 1983, 227-247.
Nachwort
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hatte meist der Evangelische Kirchenbauverein für Berlin inne, der damit eine Mittlerfunktion zwischen Kaiser und Kirche ausüben konnte - unter dem Protektorat der Kaiserin. Und schließlich stellte der spätromanische, staufische Baustil einen nationalen, deutschen Stil dar; damit bewegte sich der Kaiser in ganz aktuellen Denkkategorien und hatte bestimmt nicht die Opposition der Masse der Bevölkerung zu befürchten. Bei aller Unterschiedlichkeit haben die Kirchenbauten Friedrich Wilhelms IV. und Wilhelms II. und die mit ihnen verbundenen Projekte außer des Erlösernamens doch auch noch andere, wesentliche Aspekte gemein, und zwar immer dann, wenn die Programme in der Breite realisiert wurden. Die eine Konstante ist die Sorge um die Pfarrsprengel, die andere der soziale Aspekt. Dank der großen Kirchenbauprogramme der Könige konnten die Gemeinden nach großen Wachstumsphasen jeweils wieder in erträgliche Größen gebracht werden. Dieses moderne Konzept, das die eigentlich Gemeindearbeit erst in sinnvollem Maße ermöglichte, treffen wir erstmals bei der Parochialkonzeption der Berliner Vorstadtkirchen 9 . Dazu kommt die soziale Komponente. In Friedrich Wilhelms Programm war sie in vielfältiger Weise aufgetreten, von Schulbauten neben den Kirchen über Pfarrerbildungsseminare bis zu Krankenhäusern und Hospizen. Nicht ganz so auffällig waren in dieser Beziehung die Bauprojekte Wilhelms II., aber die soziale Komponente war auch hier immer zu spüren. Der vorbildliche Baukomplex der Rummelsburger Erlöserkirche enthielt bereits Gemeinschaftsräume für Gemeindeaktivitäten, lange bevor das Problem als architektonisches erkannt und eine Lösung gesucht wurde. Auch der Hospizgedanke wurde in vielfältiger Weise umgesetzt, wobei die Auguste Victoria-Stiftung auf dem Ölberg das größte Vorhaben darstellte. Beide Herrscher erkannten die soziale Verantwortung, die sie für ihr Volk zu tragen hatten. Beide Herrscher suchten in der Geschichte, in der sie die Quellen ihrer Herrscherlegitimation gefunden hatten, auch die Lösung der anstehenden sozialen Probleme zusammen mit der Institution Kirche. In zwei großen Anläufen haben Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. diesen Versuch unternommen und dabei Beachtliches geschafft, sowohl was die soziale Frage als auch was den Kirchenbau anging. Sie suchten die Antwort in der ur- und frühchristlichen, in der apostolischen und konstantinischen Kirche. Was mit Friedrich Wilhelms romantischer Suche nach dem Erlöser begonnen hatte, endete mit Wilhelms II. Verbildlichung des siegreichen konstantinischen Kreuzes. Eine weitere Steigerung konnte der Erlösergedanke nicht mehr erfahren. Die Monumente, die das Gedankengebäude darstellen sollten, sind alle gebaut worden. Mit den Festtagen in Jerusalem im April 1910 war das Ziel erreicht worden. Aber nur wenige Jahre konnte sich das Kaiserhaus der Hohenzollern dem Erlöser so nahe wähnen.
9 Die Parochialkonzeption hing aber direkt mit Schinkels Überlegungen zusammen; zur ParochialKonzeption vgl. Röper-Vogt 1991, 150-151.
Archivalien und Literatur
Benutzte Archivalien und für Handbücher und Zeitschriften verwendete Abkürzungen sind hier vollständig aufgeführt. Im dritten Teil folgt eine Zusammenstellung der wichtigsten Literatur; diese wird in den Anmerkungen verkürzt genannt (Autor und Jahreszahl). Alle übrige verwendete Literatur wird in den jeweiligen Anmerkungen nachgewiesen.
1.
Archivalien
Berlin PWA
Berlinische Galerie, Archiv Puhl und Wagner Ringbuchkartei der ausgeführten Aufträge
Berlin ETA 7/5789 7/7817 7/11479
Evangelisches Zentralarchiv Ev. Oberkirchenrat betr. Benennung evangelischer Kirchen (1854-1938) Generalia: Trier, Ev. Kirchen- und Pfarrangelegenheiten (1854-1932) Ev. Oberkirchenrat betr. Prov. Brandenburg; Berlin, St. Jacobi (Bd. 1: 1852-1878) Konsistorium Berlin-Brandenburg; betr. Einweihung neuerbauter, sowie wiederhergestellter Kirchen, auch Namensgebung, Eindeutschung wendischer Ortsnamen (1818-1940)
14/920
Berlin GStAPK
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, /. HA (Die Bestände waren seit der Nachkriegszeit bis vor Kurzem großenteils im Zentralen Staatsarchiv Merseburg [Merseburg ZStA] und sind dort teilweise nach einem neuen System archiviert worden; z.Zt. wird die alte Rep.-Ordnung wiederhergestellt) 2.2.1. Geheimes Civilcabinett 2.2.1. 23286 Berlin, St. Jacobi (Bd. 1: 1843-1875) 2.2.1. 23307 Berlin, St. Matthias (Bd. 1: 1844-1909) 2.2.1. 23338 Einweihung der Werderschen Kirche in Berlin (1831) 2.2.1. 23344 Klause bei Kastel (Bd. 1: 1836-1857) 2.2.1. 23356-61 Potsdam, Friedenskirche (1842-1873) 2.2.1. 23347 Benediktinerabtei Maria Laach (1892-1918) 2.2.1. 23378-80 Wittenberg, Schloßkirche (3 Bände 1844-1893) Rep. 76 Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. XVII Nr. 84: Die allgemeinen Bestimmungen über das bei der Einweihung neu erbauter oder wiederhergestellter Kirchen zu beobachtende Verfahren, sowie die Beilegung der Namen (1837) [Kriegsverlust]
Archivalien,
261
Handbücher
Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. XVII Nr. 147: Jerusalem (12 Bände 1852-1900) Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. XVII Nr. 147A: Jerusalem, Bauten (2 Bände 1875-1898) Rep. 76 III Sekt. 37 Abt. XX Nr. 2: Ev. Gemeinde Trier (6 Bände 1816-1864) Nachlaß Bunsen Rep. 92 Rep. 93B Ministerium für öffentliche Arbeiten 2663-65 Wittenberg, Schloßkirche Wittenberg (1862-1892) Berlin Plans. 16882-85 o. Nr.
TU, Plansammlung in der UB Max Spitta: 4 Zeichnungen zum Altarziborium in Maria Laach Bethlehem, Weihnachtskirche; Jerusalem, Erlöserkirche; Wittenberg, Schloßkirche
Freiburg MA RM 2 RM2/367
Militärarchiv Kaiserliches Marinekabinett Reisen S. M. im Jahre 1897
Hechingen HA Wilhelm II, Abt. 4
Burg Hohenzollern, Hausarchiv Königshauses Jugendzeichnungen Wilhelms
Rom DEG b 44
Archiv der deutschen evangelischen Gemeinde Kirchenbuch derEvang. Gemeinde zu Rom 1819-1861
2.
des
vormals
regierenden
preußischen
Handbücher, Bibliographische Hilfsmittel, Zeitschriftenabkürzungen
ADB AELKZ BAW Bibliographie
BZ CCW CKB DACL DBZ DNB JSAH JWCI KDM KDM Berlin KDM Berlin (DDR) KDM Brandenburg
Allgemeine Deutsche Biographie; 56 Bände Leipzig 1875-1912 Allgemeine evang.-lutherische Kirchenzeitung 1, 1868ff. Berliner Architekturwelt 1, 1898/99ff. Bibliographie zur Architektur im 19. Jahrhundert. Die Aufsätze in den deutschsprachigen Architekturzeitschriften 1789-1918; hg. von Stephan Waetzold; 8 Bände Nendeln 1977 Byzantinische Zeitschrift 1, 1892ff. Chronik der Christlichen Welt 1, 1891 ff. Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus 1858ff. Dictionnaire d'Archéologie chrétienne et de Liturgie; 15 Bände Paris 1907-1953 Deutsche Bauzeitung 2, 1868ff. Dictionary of National Biography; 63 Bände 1885-1900 Journal of the Society of Architectural Historians 1, 194 Iff. Journal of the Warburg and Courtauld-Institutes 1, 1937/3 8ff. Inventarbände der Bau- und Kunstdenkmäler: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Schloß Charlottenburg; bearb. von Margarete Kühn; Berlin [-West] 1970 Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Hauptstadt Berlin, II; Berlin [-Ost] 1987 Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg I, 1: Westprignitz; Berlin 1909 II, 3: Stadt und Dom Brandenburg; Berlin 1912
262
KDM Prov. Sachsen
KDM Rheinprovinz
KDM Westpreußen LMA LThK Merlo
MSGKK NNM Noack PEFQS RGG Röhricht
RQ TCI
TRE ZBV ZBW ZDPV ZDVKW ZKG ZKiG
Archivalien und Literatur III, 3: Kreis Angermünde; Berlin 1934 Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen VIII: Kreis Merseburg; Halle 1883 N. F. I: Stadt Halle und der Saalkreis; Halle 1886 Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz; 10, 1: Das Münster zu Aachen; Düsseldorf 1916 13, 3: Die Kunstdenkmäler der Stadt Trier; Bd. III: Die kirchlichen Denkmäler; Düsseldorf 1938 Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Westpreußen III: Pomesanien; Danzig 1898-1909 Lexikon des Mittelalters; München 1977ff. Lexikon für Theologie und Kirche; 2. Aufl. 10 Bände Freiburg 1957-1965 Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit. Johann Jacob Merlos neu bearbeitete und erweiterte Nachrichten von dem Leben und den Werken kölnischer Künstler; hg. von Eduard Firmenich-Richartz unter Mitwirkung von Hermann Kreussen; Düsseldorf 1895 Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 1, 1896/97ff. Neueste Nachrichten aus dem Morgenland 1, 1857ff. Friedrich Noack: Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters; 2 Bände Stuttgart 1927; Neudruck Aalen 1974. Palestine Exploration Fund. Quarterly Statement 1, 1869ff. Religion in Geschichte und Gegenwart; 3. Aufl. 6 Bände Tübingen 1956-1962 Reinhold Röhricht: Bibliotheca Geographica Palestinae. Chronologisches Verzeichnis der von 333 bis 1878 verfaßten Literatur über das Heilige Land mit dem Versuch einer Kartographie; verbesserte und vermehrte Neuausgabe; Jerusalem 1963 (1. Auflage Berlin 1890) Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 1, 1887ff. Guida d'Italia del Touring Club Italiano: Campania; 4. Aufl. Mailand 1981 Napoli; 5. Aufl. Mailand 1976 Piemonte; 8. Aufl. Mailand 1976 Roma; 7. Aufl. Mailand 1977 Venezia e Dintorni; 2. Aufl. Mailand 1969 Venezia; 3. Aufl. Mailand 1985 Theologische Realenzyklopädie; Berlin 1974ff. Zentralblatt der Bauverwaltung 1, 188Iff. Zeitschrift für Bauwesen 1, 185Iff. Zeitschrift des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas 1, 1878ff. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 1, 1934ff. Zeitschrift für Kunstgeschichte 1, 1932ff. Zeitschrift für Kirchengeschichte 1, 1877ff.
Literatur
3.
263
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269 Sepp, Johann Nepomuk: Ludwig Augustus, König von Bayern und das Zeitalter der Wiedergeburt der Künste; 2., vermehrte und verbesserte Auflage Regensburg 1903 Sepp, Johann Nepomuk: Neue hochwichtige Entdeckungen auf der zweiten Palästinafahrt; 2 Teile München 1896 Seroux d'Agincourt, Jean Baptiste: Histoire de l'Art par les Monumens, depuis sa décadence au IVe siècle jusqu'à son renouvellement au XVIe; 6 Bände Paris 1819-1820; 2. Aufl. Paris 1823; deutsche Ausgabe: Sammlung der vorzüglichsten Denkmäler der Architektur, Skulptur und Malerei vorzugsweise in Italien vom VI. bis zum XVI. Jahrhundert; hg. von Ferdinand von Quast; Berlin 1840 [benutzt: 1823 und 1840] Siebenmorgen, Harald: Die Anfänge der „Beuroner Kunstschule". Peter Lenz und Jakob Wüger 1850-1875. Ein Beitrag zur Genese der Formabstraktion in der Moderne (BodenseeBibliothek, 27); Sigmaringen 1983 [1983a] Siebenmorgen, Harald: „Kulturkampfkunst". Das Verhältnis von Peter Lenz und der Beuroner Kunstschule zum Wilheliminischen Staat, in: Ideengeschichte und Kunstwissenschaft. Philosophie und bildende Kunst im Kaiserreich (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich 3); Berlin [-West] 1983, 409^130 [1983b] Smend, Julius: Über Einweihung von Kirchen, in: MSGKK 6, 1901,73-78 Sörries, Reiner: Die Rezeption frühchristlicher Architektur im protestantischen Kirchenbau des 19. Jahrhunderts, in: -» Geschichte des protestantischen Kirchenbaues 1994, 82-92 Steckner, Cornelius: Friedrich Wilhelm IV., Karl Friedrich Schinkel, Wilhelm Stier und das Problem einer protestantischen Mater Ecclesiarum, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 36, 1987, 232-255 Streicher, Gebhard und Erika Drave: Berlin. Stadt und Kirche; Berlin 1980 Strobel, August: Conrad Schick. Ein Leben für Jerusalem. Zeugnisse über einen erkannten Auftrag; Fürth 1988
270 Sülze, Emil: Der evangelische Kirchenbau, in: Protestantische Kirchenzeitung 28, 1881, 249-257, 274-279 Sülze, Emil: Die evangelische Gemeinde; Gotha 1891 Tacke, Andreas: Kirchen für die Diaspora. Christoph Hehls Berliner Bauten und Hochschultätigkeit (1894-1911) (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 24); Berlin 1993 Tobler, Titus: Topographie von Jerusalem und seinen Umgebungen; 2 Bände Berlin 1853
Universeller Geist und guter Europäer. Christian Carl Josias von Bunsen 1791-1860. Beiträge zu Leben und Werk des „gelehrten Diplomaten". Zum 200. Geburtstag unter Mitarbeit von Frank Foerster und Hans Becker vorgelegt von Hans-Rudolf Ruppel; Korbach 1991
Verdy du Vernois, F[ranz] von: Die Frage der heiligen Stätten. Ein Beitrag zur Geschichte der völkerrechtlichen Beziehungen der ottomanischen Pforte mit einem Grundriß der heiligen Grabeskirche und Umgebung; Berlin Diss, jur. 1911; Berlin 1911 Vincent, Louis-Hugues und Felix-M. Abel: Jérusalem nouvelle; 4 Faszikel Paris 1914-26 Vogiié, Melchior de: Les Eglises de la Terre Sainte; Paris 1860 Volkmann, Johann Jakob: Historisch-kritische Nachrichten von Italien, 3 Bände Leipzig 1770 Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus; hg. von Wolfgang Brückner; Berlin [-West] 1974 Vriezen, Karel J. H.: Zweiter vorläufiger Bericht über die Ausgrabung unter der Erlöserkirche im Muristan in der Altstadt von Jerusalem (1972-1974), in: ZDPV 94, 1978, 76-81 Wartensleben, A. Graf: Jerusalem. Gegenwärtiges und Vergangenes; Berlin 1868
Archivalien und Literatur Weichert, Friedrich: Die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche im geistigen Spannungsfeld ihrer Entstehungszeit, in: Jahrbuch für BerlinBrandenburgische Kirchengeschichte 48, 1973,131-179 Wendland, Walter: Siebenhundert Jahre Kirchengeschichte Berlins (Berlinische Forschungen 3); Berlin 1930 Wilhelm II. [deutscher Kaiser]: Ein Tagebuch Kaiser Wilhelms II. 1888-1902, hg. von E[duard] Schröder; Breslau 1903 Wilpert, Joseph: Vision und Labarum Konstantins d. Gr. im Licht der Geschichte und Archäologie, in: Fünf Vorträge von der Generalversammlung [der Görres-Gesellschaft] zu Aschaffenburg (Vereinsschriften 1913, 3); Köln 1913, 5-17 Wilpert, Joseph: Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV. bis XIII. Jahrhundert unter den Auspizien und mit allerhöchster Förderung Seiner Majestät Kaiser Wilhelms II. herausgegeben; 2 Text- und 2 Tafelbände; Freiburg 1916 Witte, Leopold: Die Erneuerung der Schloßkirche zu Wittenberg eine Tat evangelischen Bekenntnisses. Unter Benutzung amtlicher Quellen dargestellt; 2. Aufl. Wittenberg 1893
Zahn, Eberhard: Die Basilika in Trier. Römisches Palatium - Kirche zum Erlöser (Schriftenreihe des Rheinischen Landesmuseums Trier 6); Trier 1991 [1991a] Zahn, Eberhard: Die Trierer Basilika und die deutsche Romantik. Der Wiederaufbau des römischen Palatiums 1844-1856, in: Trierer Zeitschrift 54, 1991, 307-355 (aus dem Nachlaß herausgegeben)[1991b] Zahn-Harnack, Agnes von: Adolf von Harnack; Berlin 1936 Zietz, Peer: Franz Heinrich Schwechten. Kirchen zwischen Zweckmäßigkeit und Repräsentation im deutschen Kaiserreich; Berlin FU Diss, phil. 1987 Zuchold, Gerd-Η.: Der „Klosterhof" des Prinzen Karl von Preußen im Park von Schloß Glienicke in Berlin (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 20 und 21); 2 Bände Berlin 1993
Register
In dem Register werden in einem Alphabet wesentliche Personen, Orte und Sachen erfaßt. Bei den Personen wurden auch Buchautoren genannt, wenn die Publikationen für die Wissenschaftsgeschichte von Bedeutung sind. Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. wurden wegen der Häufigkeit der Nennung nicht erfaßt; für Mitglieder des Hauses Hohenzollern vgl. den Stammtafelauszug im hinteren Buchdekkel. Alle erwähnten Bauwerken sind durch einfache Nennung des Ortsnamens erfaßt, Berlin, Rom und Jerusalem außerdem mit Register der einzelnen Bauten. Die Sachbegriffe, Kirche (Institution und Bauwerk) betreffend, wurden zur leichteren Suche s. v. Kirche gruppiert und aufgelistet. Aachen 41, 104, 172 Abeken, Heinrich 56, 58, 126 Adler, Friedrich 10, 56, 76-78, 80, 82, 84, 87, 93-96, 158, 162, 189, 193f. Agende 42, 135, 149 Ahnenkult llOf., 118-123, 165, 256f., s. a. Grablege Alexander, Michael Salomon 58-61 Alpirsbach 148, 223 Altar 5 0 , 9 4 , 1 1 0 , 1 2 1 , 1 3 4 , 149f„ 212, 221 - bibel 166, 210 - kreuz 134, 147 - schmuck 42, 45, 110, 257 Altenberg 120, 131, 165, 17 lf., 184-186 Ambo 134, 137, 150 Ancillon, Friedrich 114, 117f. Andria 228 Antoniades, Eugenios M. 243 Apostel 128 Apostolikumstreit 188, 198 Apostolische Kirche 124—132, 152, 160, 170, 175, 258 Apostolische Konstitutionen 130, 143-145, 167 Apostolische Sukzession 131
Apsis 61, 134, 144 Arbeiterschutz 188 Arianer 191, 204 Arles 236, 254 Armenpflege 129, 155, 166 Askanier 112, 120 Augsburg 21, 185 Auguste Victoria 9 1 , 9 8 , 1 0 3 , 166, 190, 205, 210-215, 235, 254, 259 Augusti, Johann Christian Wilhelm 144-146 Auslandsseelsorge 41,72,189 Babel-Bibel-Streit 188, 198 Baldachin 134,150,221; s. a. Ziborium Baptisterium 39; s. a. Taufkapelle Basilika 26-29, 32, 35f„ 141f„ 256 Basiliken des christlichen Roms 141 f., 145, 150 Basler Mission 77 Benediktiner 219, 222-225 Berg, Herzöge von 120 Berlin 8 9 , 2 0 6 - Architekten-Verein 78, 94 - Frühchristliche Sammlung 195
- Hobrechtplan 154, 207, 214f. - Hohenzollernmuseum 250 - Kirchen: - Dankeskirche 207 - Dom 10, 121, 152f„ 171, 209 - Friedrich Werdersche Kirche 18 - Gnadenkirche 236 - Golgathakirche 207 - Herz Jesu 2 1 , 2 1 7 - Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche 10,96,100, 104-106, 188, 199, 213f., 257f. - Kirche zum heiligen Kreuz 209 - Lutherkirche 214 - Nazarethkirche 30, 154 - St. Andreas 157 - St. Bartholomäus 157f., 160 - St. Bonifatiuskirche 21, 214, 217 - St. Elisabeth 30, 154f. - S t . Hedwig 117,215 - S t . Jacobi 18,61,155, 158-60, 170
272 - St. Johannes 30, 154, 156, 160, 165 - St. Johannes Εν. 157 - S t . Joseph 2 1 , 2 3 3 - St. Ludwig 216f. - St. Lukas 157f. - St. Markus 157 - St. Matthäus 157f„ 160, 171, 174 - S t . Michael 154,170, 215 - S t . Paulus 3 0 , 1 5 4 , 1 5 6 - S t . Petri 154, 156f„ 159 - St. Philippus 157 - St. Sebastian 215 - St. Simeon 158, 160 - St. Thomas 158, 160, 170 - Vorstadtkirchen 27-30, 160, 259 - Köpenicker Feld 154, 258 - Krankenhaus Bethanien 168 - Rreuzbergdenkmal 209 - Luisenstadt 170f. - Stadtmission 206 -Universität 114,176,195 Berlin-Adlershof, Verklärungskirche 100 Berlin-Charlottenburg, Mau-soleum 121-123, 144, 174 Berlin-Charlottenburg, Trinitatiskirche 212 Berlin-Lichtenberg, Glaubenskirche 100 Berlin-Rummelsburg, Erlöserkirche 2 1 1 , 2 3 6 , 2 5 8 Berlin-Schöneberg, PaulGerhardtkirche 194 Berlin-Steglitz, Rosenkranzkirche 217 Berlin-Weißensee, Bethanienkirche 100 Bethanien 170 Bethel 206 Bethlehem, Geburtskirche 69, 92, 180-183, 189f. - Weihnachtskirche 91 f., 98, 189, 191 Beuron 188, 219f., 223 Biagetti, Biagio 231 Bibel 4 5 , 1 1 7 , 1 2 6 , 2 1 0
Register Bibelzitate 38, 122, 135 - Ps 84 23 - Jes 9,5 133 - J e s 43,11 122 - Lk 22,53 174 - Joh 8,12 222 - Joh 10,9 19 - Joh 14,6 222 - Apg 1,10-11 104 - 1 Kor 3,11 104 - Hebr 10,39 122 Bischof 129, 131 Bodelschwingh, Friedrich von 206 Bonifatius 20 Bonifatiuskirche 20f., 33, 35 Bopp, Franz 113-115 Bottrop 20 Brandenburg (Stadt) 131, 162, 168 Breslau 2 0 , 1 3 1 , 2 0 3 Brückenberg (Schlesien) 202 Bruyn, Cornells de 70 Bütow 171 Bunsen, Christian Carl Josias 12, 32f„ 35, 41-43, 46f., 50-55, 57f„ 60, 62f„ 70, 73, 14, 124-127, 130, 133, 138-145, 148-150, 160, 162, 167, 173, 255 Bunsen, Frances 41f., 52 Burckhardt, Jacob 232,241 Bytow s. Bütow Calvinismus 109, 257 Cammin 131, 163 Campanile 134, 136, 142, 150, 155f„ 160, 230; s. a. Kirchturm Canina, Luigi 33, 35, 14If., 144 Canterbury 61 f. Charlotte von Hohenzollern 116,118 Chorgestühl 193, 195 Chorin 11 If., 115, 120, 131, 165 Clemen, Paul 222 Clemens, römischer Bischof 130, 139, 144f. Common Prayer Book 53 Cosmaten 38, 134, 136, 147
Curtius, Ernst
76, 207
Debno s. Neudamm de Rossi, Giovanni Battista 38f. dei gratia 122f„ 173, 175 Delbrück, Friedrich von 117 Denkmal 201, 203f„ 209, 258 Denkmalpflege 17, 24, 31, 34, 36, 112, 118-120, 161 Deutscher Orden 64, 66, 163, 172 Diakon 128f„ 164, 166 Diakonie s. Armenpflege, Gefängnisseelsorge, Krankenhaus, Waisenhaus Diakonissen 62f„ 131, 148, 167f„ 189 Diaspora 185, 203 Doom 187, 249f. Dortmund-Hörde 20 Dreieinigkeitskirche 20 Dresden 18 Drontheim 96 Duisburg 21 Einsiedeln 224 Eisenach, Konferenz 18, 255 Eitel Friedrich, Prinz 103, 108 Elisabeth von Bayern 172 Entwürfe zu Kirchen, Pfarrund Schulhäusern 171 Erbkam, Georg Gustav 92, 207 Erlöserkirche 13,21,23,33, 39-41, 55-57, 94, 108, 188, 2 1 1 , 2 1 3 , 2 5 2 , 235,258 Ermland 131 Erweckungsbewegung 117 Eusebius von Caesarea 143, 153, 189, 227, 232-235 Evangelischer Kirchenbauverein für Berlin 98, 206, 211-213 Eylert, Bischof 133 Fano 26 Fliedner, Theodor 63, 166-169 Florenz 32, 37, 157 Fontane, Theodor 32 Fossati, Gebrüder 37
Register Freiburg 20, 194 Friedrich I. Barbarossa 72, 108, 172, 254 Friedrich II. von Hohenstaufen 228 Friedrich III., Kaiser 10, 57, 62, 74, 83, 88, 93, 207-209, 252 Friedrich Karl, Prinz 134 Friedrich Wilhelm III. 10, 18, 2 7 - 2 9 , 3 3 , 4 2 , 4 5 , 5 2 , 55, 68, 109, 119-121, 135, 149, 154, 156, 160, 162, 164f. 185, 193, 204, 257 Fröschweiler (Elsaß) 209 frühchristlicher Kirchenbau 33, 135, 144, 171 Gaily Knight, Henry 140 Gärtner, Friedrich von 120f. Gau, Franz Christian 139 Gause, Carl 100-104, 107 Gedächtniskirche 190,213, 216, 230, 245, 257 Gefängnisseelsorge 167 Gemeinde 129, 212, s . a . Diaspora -große 159,206,213,259 - haus 212 Gerhardt, Paul 52f. Gerolstein 252 Gesandschaftsrecht 42 Gesangbuch 53, 167 Geselschap, Friedrich 135 gewidmete Bücher 32, 141, 151, 167, 233 Glaubensbekenntnis 191, 196-198, 215, s. a. Apostolikum Glocken 61, 209 Gnadengeschenk 158, 166, 216 Gnesen 131 Gobat, Samuel 59, 62f„ 76 Goethe, Johan Wolfgang von 136, 208 Görres, Joseph 7 2 , 1 8 4 Gotha 21 Grablege 110,112,118-123, 147, 165, 172, 192, 209, 224, 228, 245, 257 Groth, Otto 93
273 Grundsteinlegung 13, 15, 61, 93 f., 133, 155,208,210, 215, 236 gruppierter Kirchenbau 212 Gnissau 131, 165, 172 Gurlitt, Cornelius 96, 256 Gustav Adolf-Stiftung 92, 202 Gutensohn, Johann Gottfried 32, 138f., 141f. Habershon, Matthew 6 1 , 6 3 Hagen-Haspe 21 Halberstadt 131, 163 Handauflegen 128f., 175; s.a. Ordination Hannover 10, 216 Hamack, Adolf von 198f., 205 Hasak, Max 217 Hase, Conrad Wilhelm 211 Haseloff, Arthur 228 Hauskirche 38f. Havelberg 131, 162 Hehl, Christoph 10,217 Heiliger Rock 40 Heiliges Grab 109-111,209 Heilsbronn 120, 148, 172 Heinrich von Preußen 68 Heinrich, Prinz 93 Heisterbach 236 Helena 190,245 Hellner, Friedrich August Ludwig 10 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 89, 133 Herz Jesukirche 21 Hesse, Ludwig Ferdinand 122, 132, 144 Heym, Pfarrer 134 Hieronymus 139 Hildesheim 102f. Hinzpeter, Georg 206 Hippolyt von Rom 54, 146 Hirt, Aloys 151 Historisch-politische Blätter 12, 72f„ 184 Historismus 10,18,199,256 Hittorf, Jakob Ignaz 33 Hoffmann, Carl 7 4 , 7 7 , 8 1 Hohenlimburg 21 Hohenzollern, Burg 119 -Familie 9-11,22,110, 223, 225, s. a. Zollern
- Hausarchiv 11, 120 -Hausbibliothek 11,141 Hohkönigsburg 252 Homburg v. d. Höhe 199, 208, 235-237, 252-54, 258 Homeyer, Carl Gustav 176, 180 Hopfgarten, Wilhelm 51 Hugenotten 117 Hülsen, Christian 229 Humboldt, Wilhelm von 114f„ 179 Ignatius von Antiochia 54 Illustrine Zeitung 12 Indien 112,115 Innichen (Tirol) 209 Inschriften 13, 38, 48 51 f., 135f„ 143f„ 146f., 152, 221 f., s. a. Bibelzitate Invention of Tradition 175 Jacobi, Louis 208, 252 Jakobus, Apostel 58, 156 Jeffery, George 86 Jerusalem - Abendmahlssaal 224f. - Auguste VictoriaStiftung 97, 227 - Davidsgrab 224 - deutsche Gemeinde 62, 75 - Diakonissen 62, 167 - englisch-preußisches Bistum 5 7 , 6 0 , 7 1 , 7 5 , 8 2 , 85, 124, 131, 150, 152, 156, 171, 189 - englische Gemeinde 62 - englisches Konsulat 60 - Franziskaner 67, 71 f., 85, 87, 181f., 184, 225 - Friedhof 59f. - Friedrich WilhelmStraße 81-84 - Golgatha 58f„ 94 - griechischer Basar 67 - griechisches Patiarchat 75, 81, 84 - Hospiz 63f., 78, 84 - Johanniterhospital 73, 75 - Kaiserreise 1898 9 1 , 9 7 f „ 107f„ 225 - Kirchen - anglikanische Kirche 85f.
Register
274 - Dormitio 224-227 - Erlöserkirche 56, 78, 82-84, 93-97, 101, 193, 221, 227, 254-256, 258 - Geißelungskapelle 72 - Grabeskirche 56, 64-67, 6 9 - 7 1 , 7 3 , 8 1 , 9 4 , 86-89, 92, 153, 180, 182, 189, 208, 245 - Himmelfahrtskirche 97-108, 189 - Kirche zum heiligen Namen Jesu 85 - konstantinische Himmelfahrtskirche 190/196? - S. Anna 71,79, 86f. - S. Johannes 66, 70 - S. Maria Latina 65f., 70, 74, 79, 81 f., 90 - S. Maria Magdalena 65-67, 70, 79 - S. Maria Teutonicorum 66 - S. Paulus-Hospiz 226 - lateinisches Patriarchat 71, 85, 225 - Muristan 64-71, 73, 75, 77, 79, 82f„ 9 0 , 9 4 , 101, 108, 208, - Ölberg 9 8 , 1 0 6 , 1 8 9 , 2 0 8 - Omar-Moschee 68 - österreichisches Konsulat 71, 73 - preußisches Konsulat 70, 77 - russischer Besitz 7 1 , 8 8 , 9 8 - Stadtmauer 77, 88-90, 94 - Tempel(berg) 77, 89 - Via Dolorosa 72 - Zion 59, 224-227, 255 - Zitadelle 60f. Jerusalem-Stiftung 76, 83, 93 Jerusalemsverein 76 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 109, 157 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 109, 257 Johann, König von Böhmen 110,172 Johanniterorden 64-69 73-75, 82, 108, 170, 189 Johns, James Wood 60f.
Jordanwasser Josephskirche
208 21
Kaiserloge 236 Kaiserswerth, Diakonissen 167f. Kanzel 150 Karl der Große 2 2 , 4 1 , 6 6 , 172, 174, 180, 252 Karl V., Kaiser 43f„ 50 Karl, Prinz von Preußen 69, 75 Karlsruhe 20f. Kastel (Saar), Klause 109-111, 120, 153, 172 Katherina von Hohenzollern 220, 224f. katholisierend 53f., 156, 167, 170, 212 Kehr, Paul Friedolin 228 Kirche (Institution) s. Apostolische Kirche, Bischof, Diakonie, Gemeinde, Hand-auflegen, Kirchenordnung, -reform, -Verfassung, Konfessionen, Konstantinische Kirche, Konzil, Orden, Ordination, Simultaneum, Suburbikarische Bistümer, Union Kirche (Bauwerk) - allgemein: s. Denkmalpflege, Kulttradition, Rekonstruktion, Symbolik, Wiederherstellung - Anbauten: s. Gemeindehaus, Pfarrhaus, Schule - Ausstattung: s. Altar, Ambo, Baldachin, Chorgestühl, Glocken, Inschriften, Kaiserloge, Kanzel, Kirchenbeleuchtung, Kreuzleuchter, Lesepult, Osterleuchter, Polykandilia, Reliquien, Ziborium - Bauteile: s. Apsis, Campanile, Kirchenportal, Kirchturm, Narthex, Pastophorien, - Bauverlauf: s. Gnadengeschenk, Grundsteinlegung, Kircheneinweihung, Kirchennamen(gebung), Kollekte, Schlüsselübergabe
- Gottesdienst: s. Agende, Common Prayer Book, Gesangbuch, Kirchenlied, Liturgie, Psalmodieren, Taufe - Stil: s. frühchristlicher, neoromanischer, neugotischer, protestantischer Kirchenbau; Kirchenbau in frühchristlichem Stil - Typ: s. Basilika, Gedächtniskirche, gruppierter Kirchenbau, Hauskirche, Heiliges Grab, Kompakter Kirchenbau Kirchenbau in frühchristlichem Stil 6 1 , 6 3 , 1 3 4 , 1 5 1 , 2 3 0 Kirchenbeleuchtung 239-242, 244 Kircheneinweihung 13-23, 30, 39, 97, 134, 155f„ 164, 169, 175, 196, 204,210, 217, 236,245, s. a. Tempelweihe Kirchenlied 53 - Das Wasser, welches auf den Stoß 54 - Ein' feste Burg ist unser Gott 194 - Nun ruhen alle Wälder 52f. - O Haupt voll Blut und Wunden 98 Kirchenname 13f., 16, 18, 20f„ 109, 155, 170, 213, 256; s. a. Bonifatius-, Dreieinigkeits-, Erlöser-, Herz Jesu-, Luther-, St. Josephskirche Kirchenordnung 144 Kirchenportal 19, 40f., 61, 81, 134, 144, 183, 193f. Kirchenreform 18, s . a . Eisenach, Konferenz, Waldersee-Konferenz Kirchen Verfassung 124, 128, 160 Kirchturm 40f„ 61, 78, 82, 84, 86,91f.,95f„ 98, 100-102, 150, 157, 162, 164, 169f., 193,214, 221,226, 236; s. a. Campanile Kliefoth, Theodor 18
Register Knapp, Johann Michael 32, 51, 138f„ 141f„ 150 Koblenz 21 Kolbacz 131, 166, 172 Kollekte 6 3 , 7 5 Köln 3 9 , 1 1 1 , 1 2 0 , 1 3 1 , 2 0 3 - Nippes 20f. - Porz 20 KölnerWirren 56f„ 125f„ 166 Konfessionen, Verhältnis zueinander 30f., 40, 44, 46, 166f„ 191, 204f„ 217, 227; s. a. Simultaneum Königsberg 131, 164 Kompakter Kirchenbau 92, 185, 207 Konrad III. 108 Konstantin der Große 21, 23, 33, 35f„ 40, 52, 97, 143, 146, 174, 189, 191f„ 204, 208, 227f„ 231, 235, 247f„ 251,254, 256 Konstantin VII. Pophyrogennetos 245, 253 Konstantinische Idee 172,188 Konstantinische Kirche 173 Konstantinopel 96, 100, 191, 196, 212, 232, 236, 245-247 - Hagia Sophia 3 7 , 1 4 1 , 1 4 7 , 237, 242-245, 247-248 Konstantinsorden 231,233f. Konzil 190f„ 196, 254 Kopenhagen 49, 134 Kopp, Bischof 219, 233 Krankenhaus 68f., 100, 168 Kreuz 254; s. a. Kruzifix - formen 249 - esvision 228, 248, 250 - leuchter 235, 237-244, 247f. -reliquie 231,245,247,253 Kreuzzugszeit 6 5 , 7 8 , 1 0 8 , 180, 246 Krimkrieg 7 1 , 7 3 , 8 3 , 8 6 , 173, 184 Krone 193 Kruzifix 4 2 , 4 5 Kugler, Franz 2 7 , 3 1 , 3 4 , 4 0 , 140f. Kulm 131 Kulttradition, -transformation 35, 38f., 47, 49f„ 146, 148, 194
275 Kulturkampf Kyrill 139
20,205,217
Labarum 227, 231-235, 248-250 Leben Jesu 73, 77, 88, 98, 105, 256 Lebus 131, 164 Lehnin 131, 166 Lehnrecht 177, 180 Leibnitz, Robert 98, 100 Lenné, Peter Joseph 133f. Lenz, Peter 220f„ 223 Leo XIII. 218 Leonori, Aristide 230 Lepsius, Richard 161 f. Leroy, Julien-David 137 Lesepult 144f. Liber Pontificalis 143, 239 Limburg 236f„ 253 Liturgie 42, 52-54, 58, 62, 128; s. a. Agende London 56f., 70, 113f., 168 Ludwig I. von Bayern 20, 33, 72f„ 223 Luise von Preußen 121f., 204, 257 Luther, Martin 15, 192, 195, 200-204, 215 - f e i e r n 20, 192f., 196, 201, 205, 215 - kirche 20f., 194, 214 - kult 20, 200-204, 258 Lydda 80 Magdeburg 131, 164, 171 Mailand 221 Marburg 19 March, Otto 21 lf. Maria Laach 188,219-224, 234, 236 Marienburg 24, 163 Marienwerder 131, 163, 172 Maximilian, Herzog in Bayern 72 Meinrad von Zollern, hl. 224 Memleben 131, 166 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 53 Menken, August 217 Merseburg 131,162,209 Metz 3 5 , 2 2 4
Milvische Brücke, Schlacht 21, 191,227, 229, 250 Minden 131, 162 Mirbach, Ernst Freiher von 91, 206, 210f„ 213 Moltke, Helmut von 229 Mommsen, Theodor 221 Monreale 222f. Montecassino 136 Mosaik 104, 107, 135, 194, 222, 231, 233f., 237, 241 München 20, 33, 35 Murano 135 Mutawalli 6 0 , 7 0 Napoleon III. 71 Narthex 137 Naumburg 131,161,209 Nazarener 44, 170 Neander, Johann August Wilhelm 89, 128 neoromanischer Kirchenbau 81, 101 Neudamm 171 neugotischer Kirchenbau 10 Neumagen 251 Neumann, Carl 241 f. Nibby, Antonio 138 Nicolai, Otto 53, 55 Nicolayson, John 60 Niebuhr, Berthold 41^13, 46^18, 139, 151 Nikolaus I., Zar 134 Nizäa 190f„ 196, 204 Nola 143 f. Oelbermann 100 Olivier, Ferdinand 44 Orden 222; s. a. Benediktiner, Deutscher Orden Johanniterorden, Konstantinsorden, Schwanenorden, Templer, Zisterzienser Ordination 62, 158, 198 Orientalische Sprachen 42, 70, 112f. Oropa 142 Orth, August 9 1 , 2 0 7 Osterfest 118 - leuchter 135 - termin 191f.
Register
276 Otte, Heinrich 147, 163, 166 Otto I., Kaiser 162 Otzen, Johannes 10, 19, 209, 211, 215 Palästinaforschung 69, 77, 89 Palermo 104 Paris 29, 33, 113f„ 118, 179, 207 Passavant, Johann David 44 Pastophorien 145 Patrozinienkunde 13f. Paulinus von Nola 143f. Perret, Louis 38 Persius, Ludwig 133,148, 150, 155, 169 Petersberg (Halle) 17,131, 165, 171 f. Pettrich, Franz 49 Pfannschmidt, Carl Gottfried 105, 122 Pfannschmidt, Ernst 105f. Pfarrhaus 78, 148, 155f., 164f„ 21 lf. Pilger 6 7 - 6 9 , 71 f., 83f., 87, 97, 143, 1 8 1 , 2 0 9 , 2 4 4 Piper, Ferdinand 194-197 Pisa 121 Pius IX. 71, 85f. Pius X. 230f., 234 Polykandilia 239, 243 Pompeii 27 Potsdam 29,116,133 - Friedenskirche 61, 121, 132-152, 155, 171, 209, 256-258 - Nikolaikirche 40f. protestantischer Kirchenbau 22, 16, 109 Psalmodieren 134 Puhl und Wagner 104f„ 107, 194, 222, 233 Pusey, Philipp 4 9 , 5 1 Quast, Ferdinand von 17, 31 f., 3 4 - 3 6 , 40, 50, 158, 161-163, 192, 255 Quednow, Karl Friedrich 25 Radensieben 32 Raschdorff, Julius 209 Rauch, Christian Daniel
146
Rauhes Haus (Horn bei Hamburg) 167f. Ravenna 32, 104, 217 Reformation 109, 126, 157; s. a. Luther Reformationsjubiläum 41^13, 124, 149, 196, 202f„ 205, 257f. Rehbenitz, Theodor 44 Reichensperger, August 35 Rekonstruktion 24, 34, 57, 76, 78 Reliquien 70,94,109,194, 199-204, 208f„ 245-247, s. a. Heiliger Rock, Kreuzreliquien, Staurothek Renard, Heinrich 225f. Reumont, Alfred von 141 Revolution 1848 173 Richter, Ludwig 45^17 Riegelmann, Gotthold 199, 237 Rietschel, Ernst Friedrich August 146 Rincklake, Wilhelm 220 Ritter, Carl 89 Robinson, Edward 89, 153 Rom 13,32,95,148,152, 160, 178, 2 0 8 , 2 1 8 - Beschreibung der Stadt R o m 46, 138f„ 141, 150 - Diokletiansthermen 24 - Jupitertempel 4 5 ^ 7 , 50f., 55 - Kapitol 43, 4 6 f „ 59 - Katakomben 233 - Callixtus-Katakomben 38 - S. Ponziano 38 - Kirchen: - Lateran 40, 52, 96, 160 - preußische Gesandtschaftskapelle 4 1 - 5 6 , 149, 152, 255 - S. Agnese fuori le mura 136, 155 -S.Clemente 134-136, 138-141, 146, 150f„ 233 - SS. Cosma e Damiano 104, 136 - S. Croce al Flaminio 230f„ 234f. - S. Giovanni a Porta Latina 136
- S. Lorenzo fuori le mura 135f„ 142, 151, 230 - S. Maria in Aracoeli 43, 4 5 - 4 7 , 50 - S. Maria in Cosmedin 142 - S. Maria in Trastevere 136 - S. Maria sopra Minerva 55, 147 - S. Paolo fuori le mura 32, 136, 138, 149 - S. Pietro in Vaticano - S. Prisca 38 - S. Sabina 37, 136, 230 - S. Salvatore sopra Giove 4 1 - 5 6 , 95, 111, 152 - S. Urbano alla Caffarella 35, 50f. - Pai. Caffarelli 43f., 47, 50, 219, 255 - Pantheon 38 - Romführer s. Volkmann - Sixtinische (Musik-)Kapelle 53 - s. a. Milvische Brücke, Suburbikarische Bistümer Rothe, Richard 45f., 52-54, 145 Saalburg 249, 252 Sachsenspiegel 176-179 Sacrow 133 Saladin 66f., 86 Salvator s. Erlöser - patrozinium 21-23, 41, 108 - Verehrung 108-112, 115 Salzenberg, Wilhelm 38, 141, 157, 234 Sanskrit 111-115 Savigny, Friedrich Carl von 176 Schaper, Hermann 96, 104— 106, 237 Schick, Conrad 75, 7 7 - 7 9 , 86, 90, 94, 97, 99, 182 Schinkel, Karl Friedrich 10, 17, 25, 27-29, 33, 95, 110, 112, 115f., 120f. 149, 153, 156f., 1 6 0 , 1 6 2 , 1 6 5 , 1 9 2 , 209 Schlegel, Friedrich 113,115
in
Register Schlüssel 19, 74, 175, 180 Schlüsselübergabe 16f., 19, 23, 97, 134, 155f„ 175-180 Schmidt, Christian Wilhelm 35f. Schmidt, Konsul 98f. Schmieder 42, 45, 48 Schneider, Jakob 33 Schneller, Ludwig 9 1 , 9 7 Schnorr von Carolsfeld, Julius 44 Schola Cantorum 137 Schubert, Ernst 13, 53 Schule (Gebäude) 155f., 164f. Schultz, Ernst Gustav 70 Schultze, Richard 194 Schulz, Ernst Wilhelm 61 f. Schwanenorden 168, 170 Schwarzrheindorf 222 Schwechten, Franz Heinrich 10,96,158,211, 215, 236, 252 Schweigger, Salomon 71 Schweitzer, Albert 88 Seidel, Paul 9 1 , 9 5 , 1 8 8 , 2 2 1 Sepp, Johann Nepomuk 69, 72-74, 89, 182, 184f. Seroux d'Agincourt, Jean Baptiste 35, 39, 50, 137139, 143 Sigismund, Prinz 150 Paulos Silentarios 242f. Simplicissimus 97 Simultaneum 30, 92, 182, 185, 219 Smend, Julius 19 Soller, August 3 6 , 1 1 0 , 1 5 5 , 171 Sommernachtstraum 55, 130f„ 167, 170 Sonnenburg (Warthe) 68, 70 Soziale Frage 188f„ 204f. Spitta, Max 158, 21 l f „ 221, 236 St. (Attribut bei Heiligen- und Kirchennamen) 156 St. Hildegard (bei Rüdesheim) 234 Staufer 188 Staurothek 246, 253 Stein, Theodor 169
Steinhäuser, Karl 135 Steininger, Johann 26, 35 Stern von Bethlehem 92, 183f. Stillfried 110, 119f. Stoecker, Adolph 206 Strack, Johann Heinrich 157 Strauß, David Friedrich 88 Stüler, August 17, 19, 34, 36f., 63, 111, 155-158, 162, 169, 171 Sturm, Leonhard Christoph 28 Suburbikarische Bistümer 159 Sülze, Emil 212 Symbolik des Kirchenbaus 147, 244 Taufbecken 38, 48, 50-52, 237 Taufe 48, 207f„ s. a. Jordanwasser Taufkapelle 52, 150; s. a. Baptisterium Tempelweihe 21 Templerorden 6 4 , 6 6 Tenerani, Pietro 147 Tettau, Otto Freiherr von 74 Thorvaldsen, Bertel 38, 48f., 51, 134, 146f„ 149 Tivoli 95 f. Tobler, Titus 69f., 88 Torgau 15f„ 195 Tradition 131, 175 Trier 131, 250f„ s. a. Heiliger Rock - Basilika zum Erlöser 23-41,97, 109, 144,256, 258 - ev. Gemeinde 30, 34 - Jesuitenkirche 30, 39 - St. Maximin 34 Turin 33, 142 Ulm 39 Union der evangelischen Kirchen 124, 128, 168, 174 Urville (Lothringen) 252 Valerga, Joseph 72, 85, 87, 184 Venedig 104,247
- S. Marco 104, 237f„ 242, 247f. Viktoria Luise 213 Vitali, Otto 107 Vitruv 26 Vogüé, Melchior de 79f., 86f„ 90, 190 Volkmann, Johann Jakob 47, 136f„ 140 Waisenhaus 190 Wakf 59f., 68, 70, 99 Waldersee-Konferenz 206 Wappen 45, 50, 74, 82, 103, 107f„ 119, 164, 217, 222 Warren, Charles 77f„ 80-82, 90 Wartburg 201 Wartensleben, A. Graf 68, 70, 74, 85 Weser, Hermann 75, 78, 80 Wettiner 165, 172 Wichern, Johann Heinrich 166-168 Wiederherstellung 118,120, 137, 152, 161, 163-165, 172, 192-194, 252, 256 Wiesbaden 21 Wilhelm I. 5 7 , 7 8 , 1 6 1 , 1 7 3 , 205, 207 Wilpert, Joseph 233,251 Wilson, Charles 90 Windthorst, Ludwig 216, 219 Winkworth, Catherine 53 Wittelsbacher 110 Wittenberg 42, 201-203 - Schloßkirche 93f„ 158, 192-198,204, 209,215, 217, 253 Wolfenbüttel 20 Wolff, Pfarrer 6 1 , 8 8 Worms 2 0 3 , 2 1 5 Wuppertal-Elberfeld 19 Zeissig, Julius 92 Zestermann, August Christian 35f., 153 Ziborium 36, 38, 221, 236 Ziebland, Georg Friedrich 33 Zinna 131, 166 Zisterzienser 165f., 171 Zollern 148
Abbildungsnachweis
Pläne, Zeichnungen und Originalfotos stellten zur Verfügung: Berlin, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, Meßbildarchiv 42 Berlin, Geheimes Staatsarchiv PK 39 Berlin, Staatl. Museen PK, Kupferstichkabinett (Jörg Anders) 4, 7, 8, 9, 37 Berlin, TU, Plansammlung der UB 3 6 , 6 2 Berlin, Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Schloß Charlottenburg (Jörg Anders) 43 Düsseldorf, Diakoniewerk Kaiserswerth 27b, 30, 31, 32, 34, 35 Halle, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Fotostelle 61 Hechingen, Burg Hohenzollern, Hausarchiv des vormals regierenden preußischen Königshauses 84 Homburg v. d. Höhe, Archiv der Erlöserkirchengemeinde 75, 76 Karlsruhe, UB 78 Lübeck, Museum für Kunstund Kulturgeschichte 14 Mainz, Landesamt für Denkmalpflege RheinlandPfalz 38
Marburg, Bildarchiv Foto Marburg 80 Potsdam, Staatliche Schlösser und Gärten, Plankammer 40 Rom, Bibliotheca Hertziana (Gabi Fichera) 15, 70, 74 Trier, Rheinisches Landesmuseum 3,6,10 Trier, Stadtarchiv 5 Venedig, Osvaldo Boehm 82 Windsor, Royal Archives 25 Wittenberg, Stadtgeschichtliches Zentrum 60
Die Reproduktionen stammen aus: Arte Cristiana 70 Bahat 1985 19 Beschreibung der Stadt Rom 1829 13 Bilynchis 71 DB Ζ 33, 69 Gutensohn/Knapp 1822-26 47, 48, 49 Ebers/Guthe, Palästina; 1885 17,56 Das Heilige Land (Köln) 67, 68 Hesse 1855 4 4 , 4 5 Illustrine Zeitung 1, 2 Kaiserpaar 1899 27a Kirchen-, Pfarr- und Schulbauten; 3. Aufl. 1872 50 Klinkott 1988 51 Knowledge (London) 83
Lemburg 1989 24 Maria Laach, Postkarte 65 Mislin 1860 55 PEFQS 22 Perret, Catacombes; 1852 11 Peters, Jerusalem; 1985 18 Rellstab, Berlin; 1852 52 Sachsenspiegel, ed. Koschorrek 58 Seidel 1907 29, 66 Sepp 1863 57 Seroux d'Agincourt 1823 12, 16, 46 Wolff, Jerusalem; 1862 20, 21 ZBV 28, 63 ZDPV 26, 59 Der Autor fertigte die Aufnahmen 11, 12, 16, 44-49, 58, 62, 73, 75-79, 81a+b, 84 und die Zeichnungen 41, 53, 54, 64. Für besondere Repro- und fotografische Arbeiten danke ich(neben den oben genannten) Frau Irma Berndt, Bochum 73, 77, 81a+b; Frau Deckers-Matzko, Heidelberg 29; Frau Karla Stürmlinger, Karlsruhe 17,19,26,53,59,64 sowie Herrn Joachim Krausse, Karlsruhe, für zahlreiche Fotos im Vorfeld dieser Publikation.
Abbildungen
281
2.
Einweihung der Basilika zum Erlöser in Trier am 28. September 1856
282
I 4.
Trier, Basilika; 1816 von Schinkel gezeichnet
283
5.
Trier, Basilika; Innenansicht ca. 1880/90
284 -•IS
6. Trier, Basilika; Ansicht der um 1849 geplanten Fassade in einer Zeichnung von Schmidt
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7. Paris, St. Philippe de Roule; 1826 von Schinkel angefertigte Risse und Ansichten (Ausschnitt)
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