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German Pages 368 Year 1958
D E U T S C H E A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N SCHRIFTEN DES INSTITUTS FÜR GESCHICHTE R E I H E I: ALLGEMEINE UND D E U T S C H E
GESCHICHTE
BAND 6
Revolutionäre Ereignisse und Probleme in Deutschland während der Periode der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1917/1918 B E I T R Ä G E Z U M 40. J A H R E S T A G DER GROSSEN SOZIALISTISCHEN
OKTOBERREVOLUTION
Herausgegeben vom Institut für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter der Redaktion von Prof. Dr. Albert Schreiner
A K A D E M I E - V E R L A G
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B E R L I N
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Copyright 1057 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Mohrenstraße 89 Lizenz-Nr. 202 . 100/562/57 Satz, Druck und Bindung: IV/2/14 - V E B Werkdruck Gräfenhainichen - 790 Bestell- und Verlagsnummer: 2083/1/6 Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS ALBERT
SCHREINER
Vorwort Einleitung
V VII HEINRICH
SCHEEL
Der Aprilstreik 1917 in Berlin Kapitel I Das Anwachsen der Friedensbewegung und ihre Befruchtung durch die russische Februarrevolution Kapitel II Am Vorabend des Streiks Kapitel III Der Ausbruch und das Ausmaß des Streiks Kapitel IV Der Verlauf der Demonstrationen und Versammlungen am ersten Streiktag Kapitel V Der Kampf gegen die Abwürgepolitik der rechten Parteiund Gewerkschaftsführung am zweiten Streiktag Kapitel VI Die Fortsetzung des Streiks in verschiedenen Großbetrieben unter politischen Losungen Kapitel VII Das Einsetzen des reaktionären Terrors und das Ende des Streiks Kapitel VIII Die Furcht der herrschenden Klasse vor einem erneuten Ausbruch des Streiks und ihre Gegenmaßnahmen . . . . Kapitel IX Die Lehren des Streiks HANS-JOACHIM
Die Entstehung Hochseeflotte im Kapitel I Kapitel II
Kapitel
III
1 3 14 24 32 42 50 63 70 83
BERNHARD
einer revolutionären Friedensbewegung in der deutschen Jahre 1917 Die Vorbereitung der revolutionären Mannschaftsbewegung Die Entstehung einer revolutionären Mannschaftsbewegung unter dem Einfluß der russischen Februarrevolution (März—Juni 1917) Die persönliche Fühlungnahme der revolutionären Mannschaften mit der Führung der USPD
89 95
101 113
IV Kapitel
Inhaltsverzeichnis IV
Der Aufbau illegaler revolutionärer Mannschaftsorganisationen und die Durchsetzung der Menagekommissionen im IV. Geschwader (Juni/Juli 1917)
124
W A L T E E BARTEL
Der Januarstreik 1918 in Berlin Kapitel I Die Spartakusgruppe als Initiator und Organisator des Streiks Kapitel II Die Massen kämpfen — die sozialdemokratischen Führer verraten Kapitel III Lehren und Folgen des Januarstreiks
141 143 157 175
KURT ZEISLER
Die revolutionäre Matrosenbewegung in Deutschland im Oktober/November 1918 Kapitel I Die speziellen Verhältnisse in der Kriegsmarine Kapitel II Der Beginn der revolutionären Bewegung unter den Matrosen. Die Verhinderung des Flotten Vorstoßes Kapitel III Der bewaffnete Aufstand in Kiel Kapitel IV Die Ausbreitung der Bewegung durch die Matrosen . . . . Kapitel V Die Versuche des kaiserlichen Staatsapparates, die Revolution zu unterdrücken ALBERT S C H R E I N E R / G Ü N T E R
185 187 192 199 213 225
SCHMIDT
Die Rätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution Kapitel I Die Räte als Kampf- und Machtorgane der proletarischen Revolution Kapitel II Keimformen der Räte in Deutschland Kapitel III Nach der Februarrevolution in Rußland werden in Deutschland die ersten Räte gebildet Kapitel IV Eine neue Phase der Rätebewegung in Deutschland nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution . .
229 231 237 244 270
R O B E R T L E I B B R A N D / K L A U S MAUMACH
Die Stellung der Arbeiterparteien in Deutschland zu einigen Problemen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution Kapitel I Die Stellung der Arbeiterparteien zur Errichtung der Sowjetmacht und zum Brester Frieden Kapitel II Die Stellung der Arbeiterparteien zur Diktatur des Proletariats und ihre Haltung in der deutschen Novemberrevolution
309 313
329
Personenregister
350
Autorenverzeichnis
354
VORWORT
Der vorliegende Sammelband ist ein Beitrag marxistischer deutscher Historiker zu Ehren des 40. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. In diesem Band werden folgende Ereignisse behandelt: Der Aprilstreik 1917 in Berlin; Die Entstehung einer revolutionären Friedensbewegung in der deutschen Hochseeflotte im Jahre 1917; Der Januarstreik 1918 in Berlin; Die revolutionäre Matrosenbewegung in Deutschland im Oktober/November 1918. Zwei weitere Abhandlungen sind der Untersuchung folgender Problemkreise gewidmet: Die Rätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution; Die Stellung der Arbeiterparteien in Deutschland zu einigen Problemen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. In den genannten Arbeiten sind in reichem Maße Akten von Behörden des kaiserlichen Deutschlands verarbeitet, die bisher der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Um ein möglichst umfassendes Bild der Ereignisse von 1917/1918 zu gewinnen, ist es für die weitere Forschungsarbeit erforderlich, in stärkerem Maße die Betriebs- und Stadtarchive der Deutschen Demokratischen Republik auszuwerten, vor allem aber auch die Archive der Länder und Städte der Deutschen Bundesrepublik. Bei gegenseitigem Entgegenkommen von Archivaren und Historikern aus beiden Teilen Deutschlands müßte eine solche Zusammenarbeit möglich werden. Es ist begreiflich, daß in einem Sammelband, der Arbeiten über chronologisch aufeinanderfolgende Ereignisse und Untersuchungen über Probleme enthält, denen die Ereignisse der ganzen Periode 1917/1918 zugrunde liegen, Überschneidungen nicht gänzlich vermeidbar sind. Sie wurden durch Aussprachen mit den Autoren auf ein Mindestmaß beschränkt. Das verlangte von einigen Autoren Verzicht auf ausführlichere Behandlung von wichtigen Problemen, die ansonsten im Rahmen ihrer Arbeiten ausführlicher darzustellen gewesen wären. So hat z. B. Walter Bartel in seiner Arbeit über den Januarstreik 1918 die Rätefrage mit Rücksicht auf den gesonderten Beitrag über dieses Problem in unserem Sammelband nicht eingehend behandelt.
Vorwort
VI
Erfreulicherweise konnten in diesem Sammelband Beiträge jüngerer Historiker berücksichtigt werden, u. a. die von H.-J. Bernhard und K. Zeisler beigesteuerten Teile ihrer Dissertations- bzw. Diplomarbeiten. Ein bescheidener Schritt auf dem Wege der vom Institut für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin angestrebten Koordinierung der Arbeit der Historiker der Deutschen Demokratischen Republik ist insofern getan, als auch Historiker anderer Institutionen Arbeiten zum Sammelband beigesteuert haben. Allen Mitarbeitern am Sammelband, besonders auch meinem Assistenten, Joachim Petzold, danke ich herzlich f ü r die von ihnen geleistete Arbeit. Berlin, Ende September 1957 Albert
Schreiner
EINLEITUNG
Die weltgeschichtliche Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution hatten nur wenige Menschen vorausgeahnt, als die revolutionären russischen Matrosen des Kreuzers „Aurora" durch ihr Geschützfeuer auf das Winterpalais in Petrograd am 7. November 1917 den Auftakt zur größten und bedeutendsten Revolution der Menschheitsgeschichte gaben. Der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution war der Anfang vom Ende aller bisherigen, auf Ausbeutung von Menschen durch Menschen gegründeten Gesellschaftsordnungen. Die Vorgeschichte der Menschheit war abgeschlossen. Die wahre Menschwerdung, die Epoche des Sozialismus und Kommunismus begann ihren Siegeslauf. Vom Erscheinen des Kommunistischen Manifestes — dem ersten Gesamtprogramm des wissenschaftlichen Sozialismus — bis zum Beginn der Verwirklichung des Sozialismus als neue gesellschaftliche Daseinsform durch die siegreiche Oktoberrevolution waren nicht ganz sieben Jahrzehnte vergangen. Das ist geschichtlich gesehen eine wahrhaft kurze Zeitspanne. Die Pioniere und Bahnbrecher dieser bedeutendsten weltgeschichtlichen Umwälzung waren die revolutionären Arbeiter und Bauern Rußlands unter Führung Lenins und der bolschewistischen Partei. Sie haben als erste den Schritt in der Entwicklung des Sozialismus von der Wissenschaft zur Tat vollzogen. Das ist ein unvergängliches Verdienst um die Menschheit. Nahezu drei Jahrzehnte haben sif allein gegen eine Welt von Feinden, in schweren Kämpfen und unter schier unvorstellbaren Entbehrungen und Opfern den Sozialismus auf einem Sechstel der Erde aufgebaut. Im antifaschistischen Befreiungskrieg verteidigten die ruhmreichen Völker der Sowjetunion das Land des Sozialismus gegen die seinerzeit mächtigste Militärmaschine der Welt — die des faschistischen Deutschlands und seiner Verbündeten — und zerschlugen sie. Die Völker der Sowjetunion befreiten nicht nur ihr Land von den faschistischen Räubern, sondern bahnten auch all den Völkern, die heute im sozialistischen Weltlager vereint sind, den Weg in die lichte Zukunft des Sozialismus. Mehr noch: die ruhmreichen Völker der Sowjetunion retteten die Menschheit vor dem Untergang in die Barbarei. Das erstritten sie mit einem Heldenmut, der in der Geschichte nicht seinesgleichen hat, mit dem Blutopfer von vielen Millionen Menschen,
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Einleitung
unter harten Entbehrungen, um den hohen Preis vieler zerstörter Städte und weiter verwüsteter Gebiete ihres Landes. Vier Jahrzehnte nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ist die Sowjetunion die führende Macht, das Kraftzentrum des unbesiegbaren sozialistischen Weltlagers. Die ihm angehörenden Staaten sind verbunden durch den wahrhaft humanistischen, weltumspannenden Gedanken des proletarischen Internationalismus, der seit dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes die Proletarier aller Länder verbindet. Der Bund der sozialistischen Staaten umfaßt heute schon 26 Prozent des Territoriums unseres Planeten mit etwa 35 Prozent der gesamten Erdbevölkerung und hat einen Anteil von etwa einem Drittel an der industriellen Weltproduktion. 1 Das sozialistische Weltlager strahlt wie ein mächtiges Kraftfeld Energien aus auf alle vom Imperialismus unterdrückten Klassen und Völker, auf alle von ihm in ihrer nationalen Existenz bedrohten Staaten und auf alle Friedenskräfte der Welt.
Stellen wir dieser in der Menschheitsgeschichte ohne Beispiel dastehenden Entwicklung den tragischen Ablauf der deutschen Geschichte im gleichen Zeitraum gegenüber. Angefangen von der im Blut vieler tausender Arbeiter erstickten Revolution geht der Irrweg der Nation über die „wahre Demokratie" der Weimarer Republik zur Hitlerbarbarei. Die Zerschmetterung der Hitlerdiktatur war nur für einen Teil unserer Nation ein Bruch mit der barbarischen Vergangenheit, während von Westdeutschland durch den wiedererstarkten deutschen Imperialismus und Militarismus die friedliebende Menschheit und die Existenz des deutschen Volkes erneut bedroht werden. Diese Entwicklung zwingt das Denken jedes fortschrittlichen Menschen immer wieder zurück auf den Ausgangspunkt des „Teufelskreises", und die Frage drängt sich einem auf: an was lag es, daß die proletarische Revolution in Deutschland nicht die gleiche triumphale Entwicklung genommen hat wie in Rußland und daß drei Jahrzehnte später nur im Osten unseres Vaterlandes die Errichtung des ersten Arbeiterund Bauernstaates auf deutschem Boden möglich war? Die Gründe einer so unterschiedlichen Entwicklung zweier Länder zu untersuchen und aufzuhellen ist eine erstrangige Aufgabe der marxistischen Geschichtsforschung. Die Untersuchung der hier aufgeworfenen Frage ist sowohl für die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik als auch für die Arbeiter und alle fortschrittlichen Kräfte der Deutschen Bundesrepublik von hohem Nutzen. Der 15. September 1957 mahnt sehr ernst, stets — mehr als bisher — an das ganze Deutschland zu denken. Die Beantwortung der von uns gestellten Frage im Geiste des wissenschaftlichen Sozialismus ist geeignet, das Staatsbewußtsein der Werktätigen in unserem Arbeiter- und Bauernstaat zu stärken; diese Beantwortung wird aber auch bei den Werktätigen der Deutschen Bundesrepublik revolutionäre Traditionen wieder1 Thesen der KPdSU zum 40. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. „Neues Deutschland", Nr. 224, vom 22. September 1957 — Beilage.
Einleitung
IX
erwecken, ihnen einige Lehren aus der Vergangenheit ins Gedächtnis rufen, sie vor der Wiederholung alter Fehler, die der deutschen Arbeiterklasse zum Verhängnis wurden, bewahren, den Willen zur Macht beleben und stärken. Ein für die Weltgeschichte so bedeutender Gedenktag wie der 40. Jahrestag des Sieges der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution fordert zum Nachdenken heraus über Fragen wie: Waren in Deutschland 1918 die objektiven Voraussetzungen für den Sieg der proletarischen Revolution ungünstiger als in Rußland 1917? Fehlte es in Deutschland an opferbereiten Menschen für die Revolution? Hat die deutsche Arbeiterklasse in der Vorbereitung der Revolution und in den Revolutionskämpfen zu wenig Opfer gebracht? Was hatten die Arbeiterparteien aus den Erfahrungen der russischen Revolution gelernt, und was haben sie aus den gewonnenen Erkenntnissen den deutschen Arbeitern vermittelt? Wie standen die Arbeiterparteien zur Machtfrage? Wer sollte die Macht im Staate ausüben und wem sollte sie dienen? Auf welche Organe sollte er sich stützen? Was war die Hauptvoraussetzung für die Vorherrschaft der Arbeiterklasse im Staat? Mit wem durfte sie sich unter keinen Umständen und mit wem mußte sie sich unbedingt verbünden? Was hatte auf außenpolitischem Gebiet die Orientierung auf den westlichen Imperialismus, vor allem auf die USA zur Folge? Was hätte das Bündnis der deutschen und russischen Revolution der deutschen Nation und der Menschheit genützt?
Die Revolutionen in Rußland und Deutschland waren Erscheinungsformen einunddesselben weltgeschichtlichen Prozesses. Aber die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die proletarische Revolution waren in beiden Ländern sehr unterschiedlich. Und diese für die Entwicklung im deutschen Sektor der proletarischen Revolution entscheidenden Faktoren sind im einzelnen noch zu wenig untersucht. Das trifft besonders zu für die Periode des Heranreifens der Revolution in Deutschland. Da wir in Westdeutschland erneut am Ausgangspunkt des „Teufelskreises" stehen, hat die Untersuchung der Geschehnisse in Deutschland am Vorabend der Revolution von 1918 eine hohe aktuelle politische Bedeutung. Das war bestimmend für uns bei der Inangriffnahme von Untersuchungen, von denen wir Ergebnisse in diesem Band vorlegen. Der einheitliche Charakter des weltgeschichtlichen Prozesses der proletarischen Revolution drückt sich trotz aller Verschiedenheiten in Rußland und Deutschland in dem wechselseitigen Aufeinanderwirken aus, wobei natürlich die stärkste Wirkung von Rußland ausging — und bis auf den heutigen Tag ausgeht — als dem Land, in dem sich die Revolution zuerst und am konsequentesten durchsetzte. Bereits die Periode des Heranreifens der proletarischen Revolution in Rußland, die bürgerlichdemokratische Februarrevolution, hatte eine bedeutende Wirkung auf den Revolutionierungsprozeß der deutschen Arbeiter, aber auch auf die Politik der herrschenden Klasse in Deutschland ausgeübt. Die nachhaltige Wirkung der Oktoberrevolution auf Deutschland wird begreiflicher, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Revolutionierung der deutschen Arbeiter
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Einleitung
bereits am Beginn des Jahres 1917 einen hohen Grad erreicht hatte und daß sie dann durch die russische Februarrevolution einen starken Auftrieb erhielt. Die Vorbereitungen zu großen Streiks in Berlin und anderen Orten Deutschlands waren weit gediehen, als im März 1917 der Ausbruch der Revolution in Rußland und der Sturz des Zarismus bekannt wurden. Dieses Ereignis wirkte auf die Arbeiter und Soldaten in Deutschland sehr stark. Daran knüpfte sich ihre Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende. Aufmunternd wirkte auf sie das Beispiel, wie man den Kampf gegen den Krieg führen muß; ohne revolutionäre Aktionen war er nicht zu beenden. Diese Aktionen waren aber auch ohne neuartige Kampforgane der Arbeiterklasse nach Art der russischen Arbeiter- und Soldatendeputiertenräte nicht zu führen. In ihren Ansätzen waren diese neuartigen Kampforgane als revolutionäre Obleute, Aktionsausschüsse usw. bereits in Funktion. Während des gewaltigen Streiks im April 1917 traten in Berlin und Leipzig Arbeiterräte, schon mit dieser Bezeichnung, in Erscheinung. Während des Matrosenaufstandes im Sommer 1917 bildeten die revolutionären Matrosen der deutschen Kriegsflotte ihre Kampforgane bewußt nach dem Vorbild der russischen Soldatenräte. Wenn wir die Wirkung der Februarrevolution auf Deutschland betonen, muß gleichzeitig auch darauf verwiesen werden, daß Lenin wiederholt die große Bedeutung der beiden wichtigsten Äußerungen fortschreitender Revolutionierung der Arbeiter und Soldaten in Deutschland — den Aprilstreik 1917 und die Streikbewegung überhaupt, vor allem aber den Aufstand in der kaiserlichen Marine 1917 — für die Entwicklung der russischen Revolution hervorgehoben hat. Das damit betonte wechselseitige Aufeinandereinwirken des revolutionären Geschehens in Rußland und Deutschland, das schon vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in Erscheinung trat, unterstreicht den internationalen Charakter der proletarischen Revolution. Die russische Februarrevolution und die durch sie beschleunigte revolutionäre Gärung in Deutschland wirkten sich natürlich auch in der Politik der herrschenden Klasse Deutschlands aus. An erster Stelle steht hier das Bestreben, beschleunigt eine militärische Kriegsentscheidung zugunsten des deutschen Imperialismus herbeizuführen. Die Militärpartei setzte zu diesem Zweck den verschärften U-Bootkrieg durch und lieferte damit den USA den Anlaß zum Eintritt in den Krieg an der Seite der Entente. Etwa zur gleichen Zeit versuchte die deutsche Regierung durch Vermittlung deutscher Sozialdemokraten die russischen Menschewiki und Sozialrevolutionäre für einen Separatfrieden mit Deutschland zu gewinnen. Innenpolitisch trat die Militärpartei mit aller Schärfe gegen Streiks auf. Zur Abwiegelung der revolutionären Gärung versprach die Regierung eine Wahlreform in Preußen und die Demokratisierung des politischen Regimes in ganz Deutschland. Unter dem Druck des Friedenswillens der Werktätigen setzten die Mehrheitsparteien am 12. Juli im Reichstag die Annahme einer Friedensresolution durch, die sich für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen aussprach. Für die Labilität der politischen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland im Sommer 1917 zeugt auch die Tatsache, daß die Militärpartei den Sturz des Reichskanzlers v. Bethmann-Hollweg nach Annahme der Friedensresolution
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im Reichstag durchsetzte und daß nach der Behandlung des Matrosenaufstandes im Reichstag Reichskanzler Michaelis zurücktrat. *
Die Periode von der Geburt des ersten sozialistischen Staates im Feuer der Oktoberrevolution bis zur Vollendung des ersten Jahres seiner siegreichen Behauptung ist zugleich die Periode des Heranreifens der Novemberrevolution. Die bedeutendsten revolutionären Ereignisse in Deutschland in diesem J a h r waren der Januarstreik 1918 und dann Anfang November der Matrosenaufstand in Kiel, der zum Auftakt der Novemberrevolution wurde. Beide Ereignisse sind in diesem Sammelband in gesonderten Abhandlungen dargestellt, wobei sich die über den Januarstreik in der Hauptsache mit den Vorgängen in Berlin befaßt. Hingegen ist der grundsätzlichen Einschätzung hier in der Einleitung nichts Wesentliches hinzusetzen. Wir werden uns deshalb der Behandlung einiger Probleme zuwenden, sofern sie nicht wie die Entwicklung der Räte bis zur Novemberrevolution bzw. die Haltung der Arbeiterparteien in gesonderten Abhandlungen untersucht sind. Die Oktoberrevolution wirkte durch ihr Dekret über den Frieden am unmittelbarsten und stärksten auf die kriegsmüden und friedenshungrigen Völker aller am Weltkrieg beteiligten Staaten. Das vertiefte in diesen Staaten den Gegensatz zwischen den Kräften des Friedens und denen des Krieges. Es berührte aber auch das Verhältnis der beiden imperialistischen Mächteblocks zueinander und das der Staaten innerhalb eines jeden Mächteblocks. Am nachhaltigsten wurden durch die Friedensoffensive des ersten sozialistischen Staates der vom deutschen Imperialismus geführte Block der Mittelmächte und Deutschland selbst betroffen. Die Einwirkung der bolschewistischen Friedensoffensive auf die Veränderung in der gesamten Mächtekonstellation und die Bedeutung dieser Veränderungen für die schließliche Kriegsentscheidung, für das beschleunigte Kriegsende, ist heute noch ein interessantes und wichtiges Forschungsthema. Im Zusammenhang mit diesem Problem bedarf auch die unmittelbare Einwirkung der Oktoberrevolution auf die deutschen Truppen an der Ostfront und auf die Werktätigen in Deutschland noch gründlicher Erforschung. Die Friedenspolitik des jungen Sowjetstaates, die Verbrüderung deutscher und russischer Truppen an der Front z. B . haben einen so zersetzenden Einfluß auf die Kampfmoral der deutschen Truppen im Osten ausgeübt, daß sie für Ludendorffs verzweifelte Offensivunternehmen im Westen nicht mehr tauglich waren. Die „Russifizierung" der deutschen Truppen nannte man diesen Revolutionierungsprozeß. Auch Lenin bedient sich wiederholt dieses Ausdrucks. Die revolutionierende Wirkung der Oktoberrevolution auf die deutschen Truppen wurde ein die deutsche militärische Niederlage wesentlich mitbestimmender, also kriegsentscheidender Faktor. Die bürgerliche Geschichtsschreibung, von einigen reaktionären Kriegsgeschichtlern abgesehen, bagatellisiert diese Erscheinung, wenn sie überhaupt auf sie eingeht. Die deutschen marxistischen Historiker haben dieser Frage bisher auch noch eine zu geringe Bedeutung beigemessen, obwohl die aus dieser Erscheinung zu ziehenden Lehren im weiteren Verlauf des Klassenkampfes und des Kampfes gegen den imperialistischen Krieg noch sehr reale Bedeutung haben können.
Einleitung
XII
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution hat in hohem Grad auch revolutionierend auf die Arbeiterklasse und andere werktätigen Schichten gewirkt. Das gewaltigste Echo auf den bolschewistischen Friedensappell war der Januarstreik 1918. Es war die bis dahin mächtigste revolutionäre Aktion der deutschen Arbeiterklasse überhaupt. Uber den Umfang dieser gewaltigen Bewegung in ganz Deutschland existiert noch kein vollständiges Bild. Selbstverständlich widersprechen sich die Zahlenangaben schon aus dem Grund, weil die herrschende Klasse und ihre Presse das Ausmaß des Streiks nicht zugeben wollten. So wird in einem telegraphischen Bericht des Beichskanzlers v. Hertling an den Kaiser vom 4. Februar 1918 2 die Höchstzahl der Streikenden in Berlin mit rund 200 000 angegeben, und über die Zahl der Streikenden in anderen Städten macht Hertling überhaupt keine Angaben; auch die Zahl der Städte, die angeführt werden, ist unvollständig. Immerhin werden aufgeführt: Magdeburg, Halle, Köln, Breslau, Danzig, Bielefeld, Altona, Hamburg, Bremen, Lübeck, München, Nürnberg, Fürth, Pirna, Döhlen, Jena, Gotha, Mannheim, Ludwigshafen und Schwerin. Aus Ubersichten in der Tagespresse, die z. T. nicht einmal so vollständig sind wie v. Hertlings Bericht, ist ersichtlich, daß außer in den genannten Städten noch in Dortmund, Luckenwalde, Schweinfurt, Barmen, Essen, Kassel, Dresden, Mügeln-Heidenau, Plauenscher Grund, Brandenburg gestreikt wurde. 3 Man fragt sich heute noch, was hätte mit dieser gewaltigen Energie, die sich in der Streikbewegung kundtat, bewirkt werden können beim Vorhandensein einer in den Massen verwurzelten revolutionären marxistischen Partei. Und was wurde an der deutschen Arbeiterbewegung gesündigt durch solche Führer wie Ebert und Genossen, die sich in Berlin in die Streikleitung eingeschlichen hatten mit der Absicht, den Streik abzuwürgen und die ihre Absicht auch durchgeführt haben. Lenin nannte den Januarstreik die erste grandiose Aktion der deutschen Arbeiter während des Krieges und betonte, „zu Unrecht erhebt man gegen die deutschen Arbeiter die Beschuldigung, daß sie keine Revolution machen" 4 . Nach dem Januarstreik kam es zu einem vorübergehenden Rückgang der revolutionären Friedensbewegung der Arbeiter. Im Juli allerdings flammen neue Streikbewegungen in Oberschlesien und im Ruhrgebiet auf. Natürlich wirkten sich diese Ereignisse im Lande auch auf die Soldaten an der Front aus, ebenso wie die Kriegsmüdigkeit der Soldaten auf die Stimmung im Lande gewirkt hat. *
Im allgemeinen ist von marxistischer Seite die Auswirkung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die Arbeiterklasse schon weitgehend erforscht, insbesondere was den langsamen qualvollen Prozeß der Herausbildung einer in den J
Deutsohes Zentralarohiv, Merseburg; Eep. 89 H, Geheimes Staatskabinett, XXI, Gen. 17, Bl. 60—65. 3 „Die Neue Zeit", 36. Jahrgang, 1. Bd., S. 459—462; Flugblatt von Anfang Februar 1918, Museum für Geschichte der Leipziger Arbeiterbewegung. 4 W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Berlin 1957, S. 441.
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Massen fest verwurzelten revolutionären marxistischen Partei nach dem Muster der bolschewistischen angeht. Weniger ist die Auswirkung der Oktoberrevolution auf die herrschende Klasse und auf die in ihrem Lager unter dem Einfluß des Heranreifens der Revolution vor sich gehende Kräfteverschiebung und Wandlung der Politik untersucht. In diese Richtung sollte die Forschung stärker gelenkt werden, weil sich gerade aus diesen Kräfteverschiebungen und Wandlungen der Strategie und Taktik der herrschenden Klasse wichtige Lehren für den Klassenkampf in der Deutschen Bundesrepublik ziehen lassen. Lenin hat des öfteren darauf hingewiesen, wie schwer es die deutsche Arbeiterklasse haben wird, die Revolution durchzuführen, weil in Deutschland eine alte herrschgewohnte Bourgeoisie vorhanden sei. Diesen Hinweisen Lenins haben wir bisher in unseren Untersuchungen nicht die gebührende Aufmerksamkeit zugewandt. Die deutsche Bourgeoisie hat sich in der Periode des Heranreifens der Novemberrevolution nicht nur der brutalen Gewalt der Militärmaschinerie, der Polizei und der Klassenjustiz bedient, um die Revolution zu verhindern. Sie hat sich, wie z. B . im Januarstreik, der rechten sozialdemokratischen Führer bedient, um die Revolution abzuwiegeln, ohne im letzten Ende ihren Ausbruch verhindern zu können. Wichtig ist heute noch, besser als bisher die Methoden zu studieren, deren sich Teile der herrschenden Klasse bei der Abwiegelung der Revolution bedienten. Ich habe hier z. B. einen nachgewiesenen und aktenmäßig belegten Fall im Auge, daß einflußreiche Stellen des kaiserlichen Staatsapparates sich sehr damit befaßten, die Aufrechterhaltung der Spaltung der Arbeiterklasse zu steuern. Interessanterweise wurde ein solcher Schritt unmittelbar vor Ausbruch der großen Streikbewegung im J a n u a r 1918 unternommen. Das Verhalten der rechten sozialdemokratischen Führer im Streik und später erscheint nach Kenntnis des hier in Frage stehenden Dokumentes erst im rechten Lichte. Bei diesem Dokument handelt es sich um einen Brief des Unterstaatssekretärs v. Radowitz, den er am 17. Januar 1918 an den Grafen Stirum im Großen Hauptquartier richtete. 5 Der Brief bezweckte, dem Großen Hauptquartier begreiflich zu machen, daß es darauf ankomme, die Sozialdemokratie weiterhin als Zugkraft am Karren der imperialistischen Kriegspolitik benutzen zu können. Es wurde geltend gemacht, daß die Sozialdemokratie ihren Einfluß auf die Arbeiter verlieren könnte, wenn sie gezwungen würde, von der Friedensresolution des Reichstages vom 17. Juli 1917 abzurücken. Als ein zumindest ebenso großes Unglück wurde in der Umgebung des Reichskanzlers das eventuelle Zusammenwirken der S P D und U S P D gefürchtet. In dem Brief heißt es, es sei das Bestreben des Reichskanzlers, den Reichstag dazu zu bringen, daß er einsieht, die Voraussetzungen für die Friedensresolution seien nicht mehr gegeben. „Gelingt das, so wird es auch für die Sozialdemokraten möglich sich in weiterer Fühlung und Mitarbeit mit der Regierung zu halten. Diese Mitarbeit brauchen wir aber solange der Krieg dauert denn eine Sozialdemokratie die von 5 Auf das Dokument bin ich in meinem 1952 erschienenen Buche „Zur Geschichte der deutschen Außenpolitik" zuerst eingegangen, und das vollständige Dokument habe ich in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", 1957, Heft 5, S. 1087 ff. veröffentlicht.
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der Regierung brüskiert sich von der Mitarbeit zurückzieht verliert in dem Moment auch die Lust und Möglichkeit f ü r die Intentionen der Regierung bei ihren Wählern und ganz besonders bei den Gewerkschaften einzutreten. Diese gleiten dann ganz in die Hände der unabhängigen und die Gefahr, daß dann wirklich Streiks etc vorkommen wird imminent. Die OHL. hat zwar des öfteren erklärt sie sehe eine solche Gefahr nicht voraus, ich glaube sie täuscht sich darin. Die Gefahr ist tatsächlich nicht vorhanden solange die Sozialdemokraten im Gegensatz zu den Unabhängigen stehen. Sie tritt aber sofort ein wenn die Sozialdemokraten mit den Unabhängigen gemeinsame Sache machen und unter dem Motto der Kriegsverlängerung und der Parole Wahlrecht, Hunger und Frost auf die Massen einwirken. Wir müssen sie also bei der Stange halten und dürfen nicht vergessen daß das russische Beispiel trotz allem auch bei uns wirkt und böse Folgen zeitigen kann wenn die bösen Elemente nicht durch ihre eigenen Führer im Zaum gehalten werden. Die Berichte des Polizeipräsidenten von Berlin in dieser Richtung sind bezeichnend."
Mit diesen wenigen Bemerkungen sollte auf einige Probleme hingewiesen werden, die noch ernster Durchforschung bedürfen. Möge dieser Sammelband beitragen zur Klärung noch strittiger Fragen auf dem Gebiet der neuesten deutschen Geschichte, zur Vervollständigung unseres Geschichtsbildes und zur Befruchtung unseres Kampfes um Frieden, Demokratie und Sozialismus durch die Lehren, die wir aus einer so entscheidenden Wende unserer Geschichte, wie sie die Jahre 1917/1918 bedeuten, zu ziehen haben. Albert
Schreiner
HEINRICH
SCHEEL
D E R A P R I L S T R E I K 1917 IN B E R L I N
KAPITEL
I
DAS A N W A C H S E N D E R F R I E D E N S B E W E G U N G UND B E F R U C H T U N G D U R C H DIE
IHRE
RUSSISCHEFEBRUARREVOLUTION1
Mehr als zwei Jahre imperialistischer Krieg mit seinen unermeßlichen Blutopfern an der Front, mit den immer unerträglicher werdenden Entbehrungen in der Heimat weckten und verstärkten in breiten Massen des deutschen Volkes eine tiefe Friedenssehnsucht. Von ihr wurden außer den Arbeitern auch weite Kreise des Kleinbürgertums, der Angestellten und unteren Beamten erfaßt. Der Hungerwinter 1916/17 verstärkte die Kriegsmüdigkeit im Volk. In den Städten häuften sich Lebensmittelunruhen, Plünderungen von Bäckerläden, Verletzungen behördlicher Anordnungen. Die klassenbewußte Vorhut der Arbeiterklasse, die Linke, die alle Kräfte f ü r den revolutionären Kampf zum Sturz der eigenen Regierung sammelte, erhielt durch den sich immer ungestümer äußernden Friedenswillen breiter Volksschichten großen Auftrieb. Die herrschende Klasse fürchtete den Ausbruch der Revolution. Die Entwicklung in Berlin unterschied sich im Wesen nicht von der im übrigen Deutschland. Die zunehmende Friedenssehnsucht und die sich verstärkende revolutionäre Bewegung waren in ganz Deutschland vorhanden. Berlin darf jedoch ein besonderes Interesse beanspruchen: Es war nicht nur eines der bedeutendsten Industriezentren, sondern es war die Hauptstadt des imperialistischen Deutschlands, und jeder Fortschritt des Kampfes um den Frieden in Berlin, jeder Erfolg der revolutionären Kräfte in Berlin strahlte in besonders starkem Maße auf ganz Deutschland aus. Die Berliner Arbeiterschaft, vor allem in der Rüstungsindustrie, blieb Anfang 1917 schon nicht mehr bei allgemeinen Äußerungen der Unzufriedenheit stehen. Sie setzte 1 Diese Revolution wird durch den Monatsnamen Februar gekennzeichnet, obwohl sie nach dem heute gültigen Gregorianischen Kalender am 11./12. März 1917 stattfand. Das zaristische Rußland hatte die 1582 erfolgte Kalenderreform des Papstes Gregor XIII. nicht anerkannt und hielt weiter am alten Julianischen Kalender fest; nach ihm fiel die Revolution auf den 26./27. Februar 1917. l*
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Heinrich
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sich zur W e h r und zielte in ihren Aktionen bereits eindeutig gegen die Regierung. Ein Bericht v o m 21. F e b r u a r 1917, den der Berliner Polizeipräsident v o n seiner Abteilung IX, der Gewerbeinspektion, angefordert hatte, gab folgende Einschätzung: „Es ist auch bei Abteilung IX b e k a n n t geworden, d a ß in der Arbeiterschaft vielfach eine gereizte S t i m m u n g herrscht und fortwährend Versuche zur Erzielung besserer Arbeitsbedingungen und Löhne u n t e r n o m m e n werden. Namentlich klagen viele U n t e r n e h m e r über die sehr stark gestiegenen Ansprüche der Jugendlichen, die in E r m a n g e l u n g erwachsener Arbeiter eingestellt werden müssen, aber noch keine volle Arbeitskraft ersetzen können. Weniger wenden sich die Arbeitgeber gegen die Forderungen höherer Löhne der gelernten Arbeiter, weil sie letzterer dringend bedürfen u n d meist auch in der Lage sind, ihre Dienste gut zu entlohnen. . . . In allen Betrieben aber klagen die Arbeiter über mangelhafte u n d unzureichende E r n ä h r u n g und drohen den Arbeitgebern mit der Niederlegung der Arbeit, falls sie nicht besser mit Lebensmitteln versorgt würden. . . . Diese allgemein unzufriedene Stimmung hat in mehreren Fabriken, z. B. SchwartzkopfT, Torpedofabrik Scheringstraße, L. Löwe & Co., Huttenstraße, T u r b i n e n f a b r i k der A.E.G., Huttenstraße, u n d Stock & Co., Köpenickerstraße, zu Beginn dieses Monats zu allgemeiner Arbeitsniederlegung geführt, die jedoch nicht lange gedauert hat. Hierbei haben die Arbeiter den Betriebsleitungen ausdrücklich erklärt, daß sich ihre Arbeitsverweigerung nicht gegen die Betriebsleitung, sondern gegen die Regierung deshalb richte, weil diese nicht f ü r genügende Nahrungsmittelbeschaffung f ü r die schwerarbeitende Bevölkerung der Großstädte sorge." Der Bericht m u ß t e zugeben, daß bei der schlechten E r n ä h r u n g die Arbeiter a n E n t k r ä f t u n g litten u n d d a ß d a r u m auch vielfach die Verkürzung der Arbeitszeit gefordert wurde. Die m a n c h m a l relativ hohen Löhne konnten die Notlage nicht ausgleichen, da zusätzliche Lebensmittel im normalen Verkehr ü b e r h a u p t nicht zu haben waren. 2 Polizeipräsident v. Oppen, der die Abschrift dieses Berichts am 23. F e b r u a r dem •Oberkommando in den Marken u n d dem Kriegsamt zugehen ließ, w a r mit der Darstellung des Beamten seiner Gewerbeinspektion keineswegs völlig einverstanden. In seinem Begleitschreiben vermerkte er ausdrücklich: „ W e n n dieser die in der T a t vorh a n d e n e Unzufriedenheit auf die jetzigen Lebensbedingungen z u r ü c k f ü h r t , so sind nach neueren Feststellungen doch damit die Arbeitseinstellungen noch nicht restlos geklärt. Es scheinen auch politische G r ü n d e bei diesen Bewegungen eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen." 3 Demselben Schreiben war d a r u m a u ß e r d e m ein Bericht seines Außendienstes v o m 19. F e b r u a r über die „Minierarbeit in den Groß-Berliner Munitionsfabriken" abschriftlich beigefügt: „Im Verlaufe des Krieges hat sich die S t i m m u n g unter den gewerkschaftlich organisierten Metallarbeitern der Groß-Berliner Munitionsfabriken infolge eifriger Minierarbeit gewissenloser Elemente zu einem gefährlichen H ö h e p u n k t zugespitzt. Angesichts d e r in letzter Zeit stattgefundenen vielfachen Arbeitseinstellungen u n d angesichts dessen, d a ß in fast allen Großbetrieben mit vorwiegend radikaler Arbeiterschaft dar2 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197A, Volksernährung, Teil l o , Nr. 2, B l . 203/4. 3 Ebenda, Bl. 200.
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auf hingearbeitet wird, die Arbeitszeit nach und nach immer mehr zu verkürzen, waltet die Gefahr ob, daß in Zukunft die hiesigen Munitionsfabriken einer genügenden und rechtzeitigen Lieferung des erforderlichen Kriegsmaterials nicht nachkommen können. Durch vertraulichen Verkehr mit verschiedenen gewerkschaftlich organisierten Munitionsarbeitern sowie durch den offiziellen Verkehr mit mehreren Betriebsleitern hiesiger Großbetriebe hat Unterzeichneter folgendes ermittelt: Es sind zur Zeit fast alle Verbandsfunktionäre des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (Obmänner und Vertrauensmänner), die in den Fabriken als tonangebend für die gesamte Arbeiterschaft gelten, in politischer Hinsicht Anhänger der Opposition und zum großen Teil Anhänger der sogenannten Spartacusgruppe, deren Devise es ist, den Krieg durch Arbeitsverweigerung zu beenden. Im Laufe des letzten Kriegsjahres haben auf Betreiben dieser Funktionäre eine große Anzahl Betriebsversammlungen in GroßBerlin stattgefunden, in denen Forderungen auf Forderungen unverschämtester Art aufgestellt und teilweise durch Arbeitseinstellungen erreicht worden sind. So sind die Löhne bereits bis ins Unendliche (infolge — H. S.) dieser Handlungsweise gesteigert worden. Die qualifizierten Arbeiter wie Schlosser, Dreher, Former, Maschinenarbeiter pp. erreichen bereits einen Tagesverdienst von 15 bis 22 Mark bei durchschnittlich 9stündiger Arbeitszeit. Die Forderungen werden aber weiter fortgesetzt." Als ein Beispiel f ü h r t der Bericht die seit dem 10. Februar streikenden 700 Schlosser und Dreher der Firma SchwartzkopfT an, die 30 Pfg. Lohnerhöhung pro Stunde verlangten und durch ihren Streik die Torpedoherstellung vollständig lahmgelegt hatten. Am 3. Februar hatten 2900 Arbeiter desselben Betriebes einen eintägigen Demonstrationsstreik gegen die für die Lebensmittelnot verantwortlichen staatlichen Instanzen durchgeführt. Der Bericht bestreitet die Berechtigung aller dieser Forderungen und fährt fort: „Alle diejenigen Arbeiter, welche sich standhaft in politischer Hinsicht auf dem Boden der sozialdemokratischen Parteimehrheit halten und sich diesem Treiben nicht anschließen, werden rücksichtslos in den Fabriken terrorisiert, und sind sogar schon einzelne Mitglieder des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, die sich nicht gehorsam an allen diesen unbegründeten Arbeitsverweigerungen beteiligten, angeblich wegen unkollegialem Verhalten aus dem Verband ausgeschlossen w o r d e n . . . Angesichts dieser Macht, welche die ,Radikalen Verbandsfunktionäre' ausüben, sind auch die Leiter Cohen und Siering der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiterverbandes ohnmächtig und gezwungen, sich dieser Macht zu beugen, da ihre Stellungen von (gemeint ist: bei — H. S.) der Wiederwahl, welche durch die Funktionäre vollzogen wird, auf dem Spiele stehen. So betätigt sich auch schon der 2. Bevollmächtigte Siering ganz im Sinne dieser radikalen Funktionäre, indem er in den verschiedenen Betriebsversammlungen f ü r Verkürzung der Arbeitszeit u n d Erhöhung der Löhne mit agitieren hilft und somit f ü r sich die Sympathie der radikalen Elemente gewinnt." Der Bericht schließt mit dem Rat, dieser f ü r die herrschende Klasse gefährlichen Entwicklung dadurch zu begegnen, daß man die radikalen Wortführer der Arbeiter,
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die mit Hilfe von Polizeispitzeln und durch die Betriebsleitungen festgestellt werden können, zum Heer einberufe. 4 Die Berliner Rüstungsarbeiter standen im Kampf gegen den imperialistischen Krieg in vorderster Reihe. Sie standen auf festem Grund. Der Friedenswille immer größerer Kreise der Berliner Bevölkerung war ihr Rückhalt. Als Illustration der allgemein verbreiteten tiefen Friedenssehnsucht kann ein Stimmungsbericht dienen, wie er monatlich von der Abteilung VII des Berliner Polizeipräsidiums, dem Außendienst, abgefaßt wurde. Der Bericht ist vom 15. März datiert, also drei Tage nach der siegreichen Februarrevolution geschrieben. Der Verfasser schien allerdings noch keine Kenntnis davon zu haben und konnte ihre Wirkung auf die allgemeine Stimmung nicht berücksichtigen. Gerade darum aber ist der Bericht von besonderem Wert: E r zeugt für den hohen Grad, den die Entwicklung der Friedensbewegung in Deutschland bereits erreicht hatte, als die Kunde von dem beispielhaften Geschehen in Rußland zu wirken begann. E r lautet: „Seit der letzten Berichterstattung ist eine Änderung in der Stimmung innerhalb der Bevölkerung nicht eingetreten. Dieselbe ist nach wie vor eine sehr gedrückte. Besonders dazu beigetragen haben die neuen Ereignisse, Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Amerika und die gegenwärtigen Schwierigkeiten mit China. In der Bevölkerung ist die Meinung vertreten, daß durch das Hinzukommen immer neuer Feinde Deutschland zum Schluß niedergerungen wird. Auch ist allseitig die Ansicht vertreten, daß dadurch der Krieg mindestens aber noch in die Länge gezogen wird. Es ist in letzter Zeit häufig die Wahrnehmung gemacht worden, daß sich ein erheblicher Teil des Volkes wenig oder gar nicht mehr um die Kriegsereignisse kümmert, die Presse nach dieser Hinsicht unbeachtet läßt und Artikel, die über Hungerrevolten im Auslande schreiben, nicht mehr geglaubt werden, zum mindesten aber häufig die Bemerkung hinzugemacht wird, man solle zuerst über die Hungerrevolte im eigenen Lande Näheres schreiben. Es ist im Kreise der Bevölkerung bekannt geworden, daß in den westlichen Industriegegenden wie Essen, Barmen, Elberfeld usw. Krawalle und Streiks vorgekommen sind, so daß militärische Gewalt angewendet werden mußte. Die immer schwieriger werdende Lebensmittelbeschaffung tritt immer mehr zutage; in der Zentralmarkthalle ist täglich zu beobachten, wie die Frauen sich schon morgens zu Hunderten in die Halle stürzen und sich dort vor einzelnen Ständen, wo Lebensmittel wie Fische, Heringe, Gemüse usw. (verkauft werden — H. S.), wie wild gebärden, so daß die vorhandene Aufsicht vollauf zu tun hat, um die unruhigen Frauen, von denen der größte Teil, ohne etwas kaufen zu können, abgewiesen wird, in Schach zu halten. Von den in den Zeitungen geschilderten großen Fischfängen ist hier nichts zu merken, dagegen aber sind die teueren Fischsorten täglich zu haben. Sehr große Unruhe brachten die Maßnahmen der Behörden in bezug auf die Kontrolle von Leuten, die ihre Verwandten außerhalb besuchten, um von denselben Lebensmittel in geringem Maße für sich zu erhalten. Es wird dagegen viel Kritik geübt an der mangelhaften Überwachung des Schleichhandels, da Leute, die Geld genug haben, hintenrum immer noch Lebensmittel in größeren Mengen kaufen können und bisher 4 Ebenda, Bl. 201/2; Hervorhebungen in Zitaten stimmen stets mit der Quelle überein. — H. S.
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dadurch noch keine Not kennengelernt haben. . . . Die in letzter Zeit verbreiteten Gerüchte über Pockenfälle und die aus diesem Grund seitens der Behörden angeordneten Schutzimpfungen haben auch auf die Bevölkerung nicht minder beunruhignd gewirkt. Es ist auch bekannt, daß einzelne Häuser wegen der Pockenfälle amtlich geschlossen sind. Die beruhigenden Zeitungsartikel haben wenig zur Beruhigung beigetragen. Durch den Eintritt der gelinden Witterung ist die Kohlenfrage mehr in den Hintergrund getreten. Dagegen macht sich der Kartoflelmangel ganz bedeutend bemerkbar. Es ist die höchste Zeit, daß die Kartoffelzufuhr schleunigst erhöht wird, da auch die an •deren Stelle ausgegebenen Kohlrüben zur Hälfte erfroren sind und nicht zur menschlichen Nahrung dienen können." 5 Die angeführten Dokumente belegen anschaulich und überzeugend, daß der Friedenswille breiter Volksschichten der revolutionären Bewegung in der Arbeiterklasse einen starken Auftrieb gab, daß der Einfluß der sozialdemokratischen Linken ständig wuchs und sogar schon in den von Sozialchauvinisten geführten Gewerkschaften festen Fuß gefaßt hatte. In dieser Situation vernahm Deutschland das Donnergrollen der siegreichen russischen Februarrevolution. Die Wirkung dieses Ereignisses war außerordentlich stark und vielseitig. Die einen begrüßten es in freudiger Erwartung eines reinigenden Gewitters, das Deutschland nicht unberührt lassen konnte; die anderen zitterten vor dem Blitz, der sie wie die ganze zaristische Herrlichkeit vernichtend zu treffen drohte. Während die Friedensbewegung einen gewaltigen Aufschwung erlebte, der Massendruck der oppositionellen Sozialdemokraten die Gründung einer selbständigen Partei, der USPD, erzwang, die Spartakusgruppe eine noch zielklarere Agitation entwickelte und in der Arbeiterklasse die revolutionäre Stimmung sprunghaft anwuchs, arbeitete die herrschende Klasse fieberhaft daran, all die ihr zur Verfügung stehenden Mittel, nicht zuletzt ihre Agenturen in der Arbeiterbewegung, aufzubieten, um dem Einfluß der russischen Revolution auf die Massen entgegenzuwirken. Die herrschende Klasse versuchte, in den Massen die unsinnige Vorstellung zu erwecken, als ob nicht die russischen Arbeiter, sondern die deutschen Armeen die Februarrevolution gemacht hätten. Das Kriegspresseamt gab am 5. April die entsprechenden Richtlinien Nr. 21 994 II heraus. Sie beruhten „auf einer Vereinbarung der zuständigen Zentralbehörden" und sollten durch die stellvertretenden Generalkommandos der Presse zugeleitet werden. Darin hieß es: „Die deutschen Siege haben zu dem Zusammenbruch des bisherigen Regierungssystems in Rußland geführt. Welches auch Verlauf und Folgen sein mögen, die russische Revolution ist für uns als eine Wirkung deutscher Stärke ein militärisch erfreuliches Ereignis." Die Presse wurde vor „Mißgriffen" gewarnt, die den Burgfrieden gefährdeten. „Vergleiche zwischen russischen •und deutschen Zuständen, Nutzanwendungen aus der russischen Revolution auf die in Deutschland zu treffenden Maßnahmen haben immer einen häßlichen Beigeschmack, selbst wenn er nicht gewollt ist. Sie mögen für den einen oder anderen verlockend sein. 6 Brandenburgisches Landeshauptarchiy, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. A, Nr. IIa, Bd. 18, Bl. 247.
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Die deutsche Presse tut jedenfalls gut, auf sie zu verzichten." 6 Das erläuternde Begleitschreiben der Oberzensurstelle des Kriegspresseamts vom gleichen Datum war deutlicher: „Hiernach sind also alle Aufsätze, welche in verhetzender und gehässiger Weise aus den Vorgängen in Rußland (selbst auch nur in versteckter Form) darauf hinweisen, daß auch bei uns die Zustände einem ähnlichen Prozeß entgegenreiften, völlig unzulässig. Eine Beweisführung, die bezweckt nachzuweisen, daß die Nichtbetätigung der Regierung oder das Nichterfüllen gegebener Zusagen dazu führen könne, d a ß sich das Volk aus eigenem Willen wie in Rußland die erstrebten Freiheiten verschaffen oder erzwingen könne, wird immer scharfe Äußerungen Andersdenkender herbeiführen müssen und schließlich dazu ausarten, anderen Parteien bösen Willen unterzuschieben. Es ist kein Zweifel, daß der Burgfrieden bei einer solchen Betätigung der Presse nicht aufrecht erhalten werden kann und daß die Rückwirkung nicht nur auf die Stimmung im Innern, sondern vor allem auch an der Front eine äußerst unerwünschte und vom militärischen Standpunkte nicht zu duldende ist." 7 Die rechte sozialdemokratische Parteiführung parierte prompt und stellte sich schützend vor die deutsche imperialistische Bourgeoisie. Noske wandte sich im Reichstag dagegen, dem russischen Beispiel zu folgen, mit der chauvinistischen Begründung: Die Revolution „hätte die Niederlage unseres Landes bedeutet, würde unabsehbares Elend über unser Volk und nicht zuletzt auch über die Arbeiterklasse gebracht haben" 8 . Für diese Haltung erhielt er ein Sonderlob vom Reichskanzler, der in einem Telegramm an den Kaiser vom 29. März betonte, daß „auch der sozialdemokratische Redner Noske erfreulicherweise einen energischen Strich zwischen unsern und den russischen Verhältnissen" gezogen h ä t t e 9 . Das Telegramm Eberls nach Petrograd, worin er im Namen des Parteivorstandes dem russischen Proletariat zu den „Erfolgen auf dem Wege zur politischen Freiheit" Glück wünschte 10 , war durch und durch unehrlich. Wie Scheidemann, von dem die Formulierung stammte, in seinen Memoiren mitteilt, gab Staatssekretär WahnschafTe von der Reichskanzlei ..darüber seiner Freude Ausdruck", während Ebert anfangs gegen die Absendung des Telegramms sprach. 1 1 Haase traf den Nagel auf den Kopf, wenn er auf dem Gründungsparteitag der USPD die Bemerkung eines ausländischen Korrespondenten wiedergab: „Wir ausländischen Journalisten sind alle der Meinung, daß es in Übereinstimmung mit der deutschen Regierung abgefaßt und abgesandt worden ist." v i Aber solche Mittelchen zur Irreführung der Massen genügton nicht mehr. Mit Nachdruck, „unausgesetzt", wie Bethmann Hollweg sagte, drängten jetzt die rechten Parteiund Gewerkschaftsführer auf politische Zugeständnisse der Regierung; und durchaus « Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 949, Nr. Im, Bd. 2, Bl. 739/40. ' Ebenda, Bl. 738. 8 Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Stenographische Berichte, Bd. 309, S. 2840. 9 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89H, I Generalia 6, Bl. 4. 10 „Vorwärts", Nr. 90, vom 1. April 1917. 11 Philipp Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 1, Dresden 1928, S. 420/421. 12 Protokoll über die Verhandlungen des Gründungsparteitages der USPD vom 6. bis 8. April 1917 in Gotha, hrsg. von Emil Eichhorn, Berlin 1921, S. 14.
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richtig nennt B e t h m a n n dieses Drängen den „Ausfluß der in den wirklichen Zuständen begründeten Besorgnis, sonst die Autorität über die Parteigefolgschaft zu verlieren" 13 . Alle an der W e i t e r f ü h r u n g des Krieges Interessierten begriffen, d a ß sofort etwas geschehen m u ß t e , u m die Aufmerksamkeit der Massen zu fesseln u n d sie von ihren wirklichen Interessen abzulenken; das begriffen nicht n u r die rechten sozialdemokratischen Führer, sondern auch die Liberalen, die Reichsregierung u n d a m E n d e sogar der Kaiser. Mit d e m nötigen A u f w a n d a n Feierlichkeit, die das Magere des Inhalts verdecken sollte, veröffentlichten die Zeitungen a m 8. April die Osterbotschaft Wilhelms II., die wortreich v e r k ü n d e t e : „Nach den gewaltigen Leistungen des ganzen Volkes in diesem f u r c h t b a r e n Kriege ist nach Meiner Uberzeugung f ü r das Klassenwahlrecht in Preußen kein R a u m mehr." 1 4 Ein Gesetzentwurf sollte unmittelbare u n d geheime W a h l e n vorsehen; selbst d e m H e r r e n h a u s sollte durch weniger erlauchte Abgeordnete neues Blut zugeführt werden. Diesem Wahlrechtsversprechen k o n n t e auch die reaktionäre Rechte ihren Segen geben. Mit Genugtuung teilte die „Tägliche R u n d schau" ihren konservativen Lesern m i t : „ I m m e r h i n setzt die R e f o r m nicht mit Radikalismus, sondern mit Besonnenheit ein. Das gleiche Wahlrecht ist nicht zugestanden, und die D u r c h f ü h r u n g der Wahlrechtsänderung ist auf die Zeit nach dem Kriege verschoben." 1 5 F ü r die Sozialchauvinisten aber w a r die kaiserliche Osterbotschaft die Hilfe in der höchsten Not. Sie priesen das angeblich Erreichte in allen T ö n e n als Ausdruck der Neuorientierung, die es durch positive Mitarbeit a u s z u b a u e n galt. N u r die revolutionäre Linke sagte den Massen die W a h r h e i t ; sie charakterisierte die preußische Wahlrechtsreform in diesem Zeitpunkt als die Parole der Konterrevolution: „Nichts hat plötzlich die erschreckende starre Reaktion, in der Deutschland versinkt, so grell beleuchtet wie gerade diese grotesken ,Reform'versuche im Feuerschein des russischen Brandes. W e r denkt da nicht an jene alte Tante, die bei der Nachricht v o m bevorstehenden Zusammenprall der Erde mit d e m Kometen schleunigst ihre ältesten Mantillen aus der T r u h e hervorholte, um die Motten aus ihnen auszuklopfen. Nach R u ß land, dem gestrigen .Kosakenland', pilgert heute alles, wie die heiligen drei Könige aus dem Morgenlande nach Bethlehem an die Wiege des Erlösers, indes Deutschland — das Land der konstitutionellen Freiheiten' — seine ostelbischen Komposth a u f e n aufdeckt, u m sie ein wenig u m z u r ü h r e n , u n d in den infernalischen D ü f t e n , die dabei aufsteigen, so recht wie eine Vogelscheuche aus dem Mittelalter wirkt." 1 6 Auch die sozialpazifistische Richtung in der Sozialdemokratie half die Massen desorientieren, bewußt u n d u n b e w u ß t . Sie hatte sich nach ihrem Ausschluß aus der sozialchauvinistischen Reichstagsfraktion als Fraktion „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft" konstituiert, ohne damit eine organisatorische T r e n n u n g v o n der Partei zu verbinden. Ihr gehörte ein M a n n wie Bernstein an, der schon vor der J a h r h u n d e r t wende zu einem bürgerlichen Pazifisten u n d Reformer herabgesunken w a r ; zu ihr zählte Kautsky, der einmal ein bedeutender marxistischer Theoretiker gewesen war, 13
Th. von Bethmann Hollweg: Betrachtungen zum Weltkrieg, T. 2, Berlin 1922, S. 34. „Berliner Tageblatt", Nr. 179, vom 8. April 1917. 15 „Tägliche Rundschau", Nr. 179, vom 8. April 1917. 16 Spartakusbriefe (Neudruck). Herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), Berlin 1920, S. 104/105. 14
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aber seine große Autorität dazu mißbraucht hatte, den abgrundtiefen Verrat vom August 1914 zu verschleiern; sein Lippenbekenntnis zum Internationalismus sollte nur seine Liebedienerei gegenüber dem Sozialchauvinismus verdecken. Der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft gehörten aber auch Männer wie Hugo Haase und Georg Ledebour an; sie zählten zu jenen Elementen des Zentrums, die nach der Definition Lenins „zwischen den Sozialchauvinisten und den Internationalisten der Tat schwanken" 17 . Wegen ihre Schwankungen nach links galten sie den Regierungsorganen als unzuverlässig; zuverlässige Stützen der herrschenden Klasse in der Arbeiterbewegung waren nur die Rechten und die Zentristen vom Schlage Kautskys. Wegen ihrer Schwankungen nach rechts aber konnten sie ebensowenig zuverlässige Bundesgenossen der Linken werden. Ihre schwankende Haltung hatte zur Folge, daß die politische Zielsetzung der Gruppe nicht von ihnen, sondern von Leuten wie Kautsky bestimmt wurde, der sehr gut wußte, was er wollte. Lenin hat knapp und treffend die Rolle des Sozialchauvinismus wie des Sozialpazifismus charakterisiert: „Darin besteht ja die prinzipielle Einheit der Sozialchauvinisten (der Plechanow und Scheidemann) und der Sozialpazifisten (der Turati und Kautsky), daß sowohl diese als auch jene objektiv Bedienstete des Imperialismus sind: Die einen ,dienen' ihm, indem sie den imperialistischen Krieg dadurch beschönigen, daß sie den Begriff der ,Vaterlandsverteidigung' auf ihn anwenden, die anderen dienen demselben Imperialismus, indem sie mit Phrasen von einem demokratischen Frieden den heranreifenden imperialistischen Frieden, der schon vorbereitet wird, beschönigen. Die imperialistische Bourgeoisie braucht Lakaien beider Arten und Schattierungen: die Plechanow, damit sie durch Rufe: ,Nieder mit den Eroberern' zur Fortsetzung des Gemetzels anspornen, die Kautsky, damit sie mit süßlichen Lobgesängen auf den Frieden die allzu erbitterten Massen vertrösten und beschwichtigen." 1 8 Lenin hatte recht, gegenüber dem verdeckten kautskyanischen Opportunismus den offenen, zynischen der Scheidemänner, Legiens usw. als weniger gefährlich zu bezeichnen. 19 Die Kautskys begriffen, daß die Zeit stärkere Oppositionsgebärden verlangte, die ihnen die Gefolgschaft der rebellierenden Massen sichern sollten. Diesem Bedürfnis diente das Aktionsprogramm vom 22. März. Es bestand aus einer langen Liste radikal klingender Forderungen: Angefangen von der Machterweiterung des Reichstages über den schleunigen Abschluß eines Friedens ohne Annexionen, entschiedene Wahlrechtsreformen, Aufhebung aller Ausnahmebestimmungen bis zur Befreiung der politischen Gefangenen. Zweifellos sprach aus diesen Forderungen die revolutionäre Stimmung der Massen, aber ihr radikaler Inhalt verwandelte sich in ein Nichts, weil das Ganze von vorherein auf eine rein parlamentarische Aktion zugeschnitten war. Das Aktionsprogramm präsentierte sich als ein Antrag, den die 17 W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Berlin 1955, Bd. II, S. 34 (Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution). 18 W. I. Lenin: Über den Kampf um den Frieden, Berlin 1951, S. 119/120 (Eine Wendung in der Weltpolitik). 19 W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Berlin 1955, Bd. I, S. 882 (Das Militärprogramm der proletarischen Revolution).
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Fraktion im Parlament einzubringen gedachte. 20 Das geschah jedoch nicht. Nun wäre selbst eine solche Resolution im Reichstag von Bedeutung gewesen, wenn damit den Massen bewiesen werden sollte, daß auf diesem Wege nichts, aber alles von ihrem revolutionären außerparlamentarischen Kampfe zu erwarten war. Der Abgeordnete Haase beschränkte sich jedoch in seiner Reichtagsrede vom 30. März lediglich auf die Darlegung von Forderungen des Aktionsprogramms. Wenn er sich auch bis zu der Frage steigerte: „Will der Reichskanzler es darauf ankommen lassen, daß die Massen in Deutschland russisch reden?", so fügte er doch schnell die beruhigende Versicherung hinzu: „Ich denke nicht daran, mit einer Revolution zu drohen." 2 1 Ganz deutlich sprach sich der Kommentar im Berliner „Mitteilungsblatt" der Arbeitsgemeinschaft vom 8. April über den Sinn des Aktionsprogramms aus: „Es ist ein altes, wahres Wort, daß man keine Revolutionen künstlich machen kann. Das gilt für unsere Zeit mehr denn je. Man kann wohl Putsche inszenieren, aber den großartig organisierten Machtmitteln des heutigen Militärstaates gegenüber sind sie zur Aussichtslosigkeit verurteilt, ebenso wie elementar ausbrechende Hungerrevolten bald erstickt werden k ö n n e n . . . . Darum ist es auch falsch, die revolutionären Erscheinungen und revolutionären Mittel des einen Landes schematisch auf ein anderes Land übertragen zu wollen, in dem die wirtschaftlichen Grundlagen, die politischen und sozialen Zustände, die geschichtliche Entwicklung und der Volkscharakter ganz anders geartet s i n d . . . . Wir haben mit anderen Verhältnissen zu rechnen als drüben in Rußland, der Kampf um unsere innere Freiheit muß daher andere Formen annehmen. Dieser Kampf hat in diesen Tagen unter dem moralischen E n d r u c k der Vorgänge in Rußland auf parlamentarischem Boden eingesetzt." 22 Das sogenannte Aktionsprogramm hatte also den Zweck, Aktionen der Massen zu verhindern. Auch einige abschließende Phrasen des Kommentars von „engster Fühlung" mit den Massen und über die Notwendigkeit ihrer „Mitwirkung" änderten nichts an dem Tatbestand. Mit bitterer Ironie stellte die Spartakusgruppe fest: „In Deutschland sollen also die Massen höchstens nur den Chor bilden, der die Großtaten der Reichstagsabgeordneten mit ,mitwirkendem' Gesang begleitet.... Wahrhaftig, die Osterbotschaft der Berliner A.-G. (Arbeitsgemeinschaft — H. S.) paßt zu der kaiserlichen Osterbotschaft über die preußische Wahlreform ganz vortrefflich." 2 3 Die unter dem Einfluß der Februarrevolution gewaltig anwachsende revolutionäre Stimmung der Arbeiterklasse, vor allem aber die Tatsache, daß der sozialdemokratische Parteivorstand nach der Reichskonferenz der Opposition im Januar 1917 alle Anhänger der Opposition aus der SPD ausschloß, zwang die Arbeitsgemeinschaft zur Konstituierung einer selbständigen Partei. In den Ostertagen, vom 6. bis 8. April, wurde in Gotha die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands gegründet. Damit vollzog auch die Spartakusgruppe die organisatorische Trennung von der „Berliner Tageblatt", Nr. 154, vom 25. März 1917. Verhandlungen des Reichstags, a. a. 0 . , Bd. 309, S. 2888/89. 22 „Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 2, vom 8. April 1917. 23 Spartakusbriefe, a. a. 0-, S. 106/107. 80 21
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Sozialdemokratie. Allerdings fehlte es dabei noch an der nötigen Konsequenz und Zielklarheit, denn statt sich zu einer wirklich marxistischen Partei zu formieren, schloß sich die Spartakusgruppe, wenn auch unter ausdrücklicher Wahrung ihrer Selbständigkeit, der I J S P D an. Die Spartakusgruppe war sich über das Wesen der neuen Partei und ihrer Führung durchaus klar. Ihre Sprecher traten in Gotha energisch gegen den parlamentarischen Kretinismus und gegen den dem Sozialchauvinismus an Gefährlichkeit nicht nachstehenden Sozialpazifismus auf. Unklar jedoch über die Rolle der Partei im Massenkampf meinten sie, die U S P D als legales schützendes Dach und als Rekrutierungsfeld verwenden zu können. Diese Entscheidung hat in der Tat aber nur den Opportunisten Vorteile gebracht, die das große Vertrauen, das Liebknecht, Luxemburg und andere Linke bei den Massen genossen, ausnutzen konnten, um das eigene Ansehen zu erhöhen. Unter Berücksichtigung dieses wesentlichen Mangels auf der einen Seite sowie der gegen die Massenbewegungen gerichteten gewaltigen Mittel des Staatsapparats und der opportunistisch geleiteten politischen und gewerkschaftlichen Organisation andererseits war der Einfluß der zahlenmäßig kleinen Spartakusgruppe auf die Arbeiterklasse überraschend groß. Die makellose, unbeugsame, mutige revolutionäre Haltung ihrer führenden Köpfe gegenüber der feindlichen Flutwelle halte sie stark gemacht. Die Namen Liebknechts und Luxemburgs waren jedem ehrlichen Arbeiter teuer. Für ihren Einfluß auf die Berliner Arbeiter war auch der Ausgang der Ersatzwahl im 11. Berliner Landtagswahlkreis am 20. März symptomatisch. Es war der Wahlkreis Karl Liebknechts, der auf Grund seiner Zuchthausstrafe sein Mandat verloren hatte und für den ein neuer Abgeordneter zu wählen war. Wie Karl Liebknecht es gewünscht hatte, kandidierte an seiner Stelle Franz Mehring. Für ihn, den Mitstreiter und Freund Karl Liebknechts, stimmten 341 Wahlmänner, während der Kandidat der SPD nur 48 und der von der Fortschrittlichen Volkspartei nur 44 Stimmen erhielt. 2 4 Die Spartakusbriefe gaben dem Proletariat eine klare revolutionäre Perspektive, die dem Sozialpazifismus nicht weniger als dem Sozialchauvinismus das Urteil sprach: ..Für jede sozialistische Partei und Richtung", so hieß es im Spartakusbrief Nr. 4 vom April 1917, „ist es heutzutage der wichtigste politische Prüfstein, wie sie sich zu der Friedensfrage stellt. Entscheidend ist dabei selbstverständlich nicht der Wunsch nach Frieden an sich. Dieser ist vielmehr nur eine allgemeine vage Formel, hinter der sich sämtliche Schattierungen der bürgerlichen wie der proletarischen Politik verbergen können. Alles kommt auf die politischen Methoden an, durch die man den Frieden herbeiführen will, und für Sozialisten — auf die Rolle, die man dem Proletariat dabei zuweist." 2 5 Die Spartakusgruppe lehrte die deutschen Arbeiter, in der russischen Revolution ihre eigene Sache zu sehen und aus ihr die Erkenntnis zu gewinnen, daß der Friede durch die revolutionäre Aktion des Proletariats erzwungen und gestaltet werden mußte. Die Erregung der Berliner Arbeiterschaft hatte einen Grad erreicht, daß ein kleiner Anlaß genügte, um in eine Massenaktion umzuschlagen. Diesen Anlaß gab die folgende " „Berliner Tageblatt", Nr. 146, vom 21. März 1917. 25 Spartakusbriefe, a. a. O., S. 73.
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amtliche Erklärung vom 23. März: „Wie bereits in der Presse bekanntgegeben, m u ß mit Rücksicht auf das Ergebnis der am 15. Februar ausgeführten Getreidebestandsaufnahme . . . zu einer Einschränkung des Brotgetreideverbrauchs geschritten werden. Demgemäß hat das Kuratorium der Reichsgetreidestelle... am 23. März mit Zustimmung des Direktoriums mit Wirkung vom 15. April d. J . beschlossen: 1. Herabsetzung der täglichen Mehlration von 2 0 0 Gramm auf 1 7 0 Gramm. 2. Herabsetzung der von Selbstversorgern zu verbrauchenden Getreidemenge von 9 Kilogramm auf 6 V 2 Kilogramm monatlich. 3. Kürzung der den Kommunalverbänden für Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen zugewiesenen Mehlmenge um 25 Prozent. 4. Streichung der Jugendlichenzulagen."
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Die Erklärung versprach dafür eine regelmäßige Belieferung mit den vorgeschriebenen Kartoffelrationen, die trotz Herabsetzung seit J a n u a r auf 3 Pfund wöchentlich häufig nicht verteilt werden konnten. Außerdem sollte die Fleischration um V 2 Pfund pro W o c h e heraufgesetzt werden, was bei den trotz Subventionierung hohen Fleischpreisen für breite Bevölkerungsschichten finanziell nicht tragbar und darum wertlos war. Behörden und Presse mochten getrost das Gegenteil versichern; die werktätige Bevölkerung wußte es besser, daß die angekündigten Maßnahmen eine Verschlechterung ihrer Ernährungslage mit sich brachten. J e näher der 15. April, der Stichtag der Brotrationskürzung, heranrückte, um so mehr wuchs die Entschlossenheit insbesondere des Berliner Proletariats, mit einer Massenaktion zu antworten. Lenin schrieb am 8. April in seinem Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter: „In Deutschland ist die Stimmung der proletarischen Massen bereits dem Siedepunkt •der Massen,
die der Menschheit
und
dem
Sozialismus
durch
ihre
nahe,
beharrliche,
hartnäckige, konsequente organisatorische Arbeit in den langen Jahrzehnten der europäischen ,Stille' von 1 8 7 1 bis 1914 so viel gegeben h a b e n . . . Die objektiven Bedingungen des imperialistischen Krieges sind eine Gewähr dafür, daß die Revolution sich nicht auf die erste Etappe
der russischen Revolution, daß sie sich nicht
land beschränken wird. Das deutsche bündete
der russischen
und
Proletariat
der internationalen
ist der treueste, proletarischen
auf Ruß-
zuverlässigste Revolution."
Ver27
„Berliner Tageblatt", Nr. 152, vom 24. März 1917. W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsehe Arbeiterbewegung, Berlin 1957, S . 3 9 7 (Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter). 28 27
KAPITEL
II
AM V O R A B E N D D E S
STREIKS
Die Erregung, die in den letzten Märztagen und in der ersten Aprilhälfte die Berliner Bevölkerung ergriff, war neuartig; sie war von bisher ungekannter Intensität und so allgemein wie nie zuvor. Es herrschte Gewitterschwüle. In einem zusammenfassenden Bericht des preußischen Innenministers v. Loebell an den Kaiser über Vorgeschichte und Verlauf des Aprilstreiks heißt es: „Diese Unruhe zeigte sich allerorten, überall wurde von der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines allgemeinen Streiks, von Demonstrationen und Lebensmittelunruhen gesprochen; zahlreiche Eingaben an Behörden, Zuschriften an Geistliche und Privatpersonen kolportierten Gerüchte über den Ausbruch solcher Unruhen. Die Urheber und der Grund dieser Gerüchte ließen sich nicht feststellen, der Streik lag aber in der Luft." 2 8 In dem Bericht ist das Wort , Urheber' unterstrichen und an der entsprechenden Stelle des Randes mit Bleistift ,England' geschrieben. Es kennzeichnet die im kaiserlichen Staatsapparat weit verbreitete Borniertheit, wenn man glaubte, für die Unruhe Agenten des feindlichen Auslandes verantwortlich machen zu können. So versandte der Chef des stellvertretenden Generalstabes der Armee in Berlin unter dem 10. April an verschiedene zentrale Behörden einen Auszug aus einer Mitteilung, wonach „von England aus eine Anzahl in englischen Diensten stehende Agenten in Deutschland am Werke sei, um politische Unzufriedenheit zu erwecken und sie bis zur Revolution zu schüren. Die Zeit erschiene ihnen jetzt geeignet dazu, weil die Wahlrechtspropaganda und Lebensmittelknappheit einen guten Untergrund abgäben. Man verspräche sich ein Ergebnis in 2 bis 3 Monaten. Durch diese Umtriebe und ihre Erfolge werde man die bisher fehlenden militärischen Erfolge an der Westfront wettmachen." 2 9 Das Ministerium des Innern hielt es für angebracht, diese Fabel durch ein Geheimschreiben vom 12. April den Regierungspräsidenten und dem Berliner Polizeipräsidenten mit dem Ersuchen zuzuleiten, die zuständigen örtlichen BeDeutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 111 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071, Bl. 163. 28
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hörden zu verständigen. 3 0 Am 27. April brachte auch die reaktionäre Presse diese Mär von den englischen Agenten. 3 1 Seit eh und je ist es eine beliebte und in ihrer Wirkung nicht immer fruchtlose Methode der herrschenden Ausbeuterklasse, Revolutionäre als bezahlte Sendlinge auswärtiger Mächte zu verleumden. Die Geschichte kennt zahllose Beispiele, daß die Verleumder am Ende den eigenen Verleumdungen Glauben schenkten. v. Loebells Feststellung, daß der Streik in der Luft lag, gab treffend die Atmosphäre in Berlin wieder, wo die Arbeiterschaft, wie es in demselben Bericht heißt, „zum weitaus überwiegenden Teile der radikalen Richtung der Sozialdemokratie, der Arbeitsgemeinschaft' angehört". 32 Als Illustrationen können Briefe dienen, die aus regierungstreuen Kreisen der Bevölkerung an das Innenministerium gelangten. Die chauvinistisch verhetzten Kleinbürger, die im gefallenen Arbeiter gern den „Helden" ehrten, dem lebenden aber mit der dümmsten Überheblichkeit begegneten, die fleißig zur Kirche gingen und auf Gott und Hindenburg vertrauten, erlebten plötzlich die intensive Realität des proletarischen Klassenkampfes, dem mit keiner Phrase von der Volksgemeinschaft mehr beizukommen war. Da ist der kaufmännische Angestellte eines Berliner Großbetriebes, der, wie er betont, inmitten der Arbeiterbevölkerung lebt und daher die Stimmung aus persönlicher Anschauung kennt. Am 14. April schreibt er dem Innenminister: „Das Volk ist nicht allein unwissend, sondern auch nicht denkfähig, es ist auch nicht im Sinne der gemäßigteren oder klügeren Richtung der sozialistischen Führer, sondern in der allergrößten Mehrzahl radikal revolutionär.'1 Daß die meisten Arbeiter auf russische Art zu handeln bereit waren, versichert er mehrfach. Wichtig ist auch seine Feststellung, daß die revolutionäre Stimmung schon weit ins Kleinbürgertum eingedrungen war: „Die Äußerungen, die man jetzt in Arbeiterkreisen . . . , auch in anderen Kreisen, im Heer der Angestellten, bei den kleinen Staatsund anderen Beamten etc., zu hören bekommt, sind oft himmelschreiend bemitleidenswert. Im Innern sind sie alle jetzt radikal revolutionär gestimmt, sie sind nur vorsichtiger in ihren Äußerungen, wenn sie einen Fremden vor sich haben." 3 3 Da ist die Büroangestellte und fleißige Kirchgängerin aus Lichterfelde, f ü r die die Frau des Leutnants trotz ihrer unverschämten Wuchergeschäfte immer noch „Frau Leutnant" bleibt und die sich in ihrer geschwätzigen Furcht vor dem Schreckgespenst der Revolution zu ihrem Pfarrer flüchtet, der so schön über die Notwendigkeit des Durchhaltens zu predigen weiß. Sie bebt: „Was sind das für Stimmen, die überall laut werden? Montag der Ausbruch einer allgemeinen Revolution? Sollte das wahr sein und mehr wie bloßes dunkles Gerücht? Seit mehreren Tagen herrscht in Berlin solche Gewitterstimmung." 3 4 In der Tat, es ballte sich ein Gewitter in Berlin zusammen. Die Spartakusgruppe entwickelte eine ausgedehnte und intensive Agitationstätigkeit, um die allgemeine Unruhe in Massenaktionen umschlagen zu lassen. Einen aufschlußreichen Einblick in Umfang, Methode und Wirkung dieser Agitation vermittelt ein Bericht des sächsischen 80 31 32 33 34
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 78. „Deutsche Tageszeitung", Nr. 212, vom 27. April 1917. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 112. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep.. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 94—96. Ebenda, Bl. 92/93.
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Gesandten v. Nostiz aus Berlin an das sächsische Innenministerium v o m 12. April: „Unter der Arbeiterbevölkerung wird seit der Bekanntgabe der N e u o r d n u n g der Lebensmittelversorgung von der Spartakusgruppe eine lebhafte, durch Geldmittel reichlich unterstützte Agitation getrieben, a m 15. April große Demonstrationen zu veranstalten u n d a m 16. den Generalstreik zu proklamieren. Besonders die Arbeiter der Munitionsfabriken erhalten täglich neues Agitationsmaterial. Vielfach sind es sogen a n n t e Handzettel, die vervielfältigt sind u n d in denen zur Aufreizung der Arbeitsgenossen e r m a h n t wird. Andere A u f r u f e tragen direkt revolutionären Charakter. Sie sind auf dünnstes Papier gedruckt u n d werden in H u n d e r t t a u s e n d e n von Exemplaren a n Adressen von im Felde stehenden Arbeitern als Feldpostbriefe versandt und in den Fabriken u n d Werkstätten unter der H a n d verteilt. Sie enthalten genaueste Anweisungen f ü r den Weg, den die aufständische Bewegung gehen soll. Von B r o t u n r u h e n angefangen, bei denen Frauen u n d Kinder vorgeschickt werden sollen, bis z u m S t u r m auf die Banken. Das Bedauerliche ist, d a ß die alten Arbeiterführer, namentlich die Gewerkschaftsbeamten, fast allen Einfluß auf die Massen verloren haben, die vielfach unter dem Einfluß radikalster Hetzer stehen, die ihnen d u r c h die von ihnen vorgeschlagene Gewaltpolitik m e h r imponieren. Die Gewerkschaftsführer werden als von der Regierung gekauft hingestellt, da vielfach diese in Kriegsämtern und Ausschüssen mit den Regierungsvertretern sitzen, also ihr .Klassenbewußtsein' verloren haben. Selbst in rein militärischen Betrieben hat diese Hetze schon Boden gefunden." 3 5 Wie eine handschriftliche Bemerkung des Empfängers a m R a n d e feststellt, enthielt dieser Bericht „ f ü r das M. d. J . (Ministerium des Innern — H. S.) nicht viel Neues". Der Bericht ist summarisch u n d selbstverständlich aus der Perspektive des Klassenfeindes abgefaßt. Daher fließen dabei auch die bekannten unsinnigen Vorstellungen v o n den bezahlten ausländischen Agenten mit ein: „durch Geldmittel reichlich unterstützte Agitation"! Dennoch ist dieses D o k u m e n t ein hervorragendes Zeugnis f ü r die Spartakusgruppe. Es zeigt sie im hartnäckigen, aufopferungsvollen, illegalen Kampf gegen den Terror des Staatsapparates, gegen die Umtriebe der Arbeiterverräter und im Bemühen, die Arbeiter von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Krieg auf revolutionärem Wege zu beenden. W ä h r e n d die Sozialchauvinisten Briefe aus dem Felde f ü r die „Sozialdemokratische Feldpost" fabrizieren ließen, in denen die Arbeiter aufgefordert wurden, durch keinen Streik den Nachschub an W a f f e n u n d Munition zu g e f ä h r d e n 3 6 , zeigte Spartakus den Werktätigen im Waffenrock u n d denen im Arbeitskleid das wahre gemeinsame Interesse u n d den gemeinsamen Weg: Massenstreik im Graben und in der Fabrik zum Sturz der Regierung und zur Beendigung des Völkermordens. Die deutsche Linke tat ihre proletarische Pflicht. Die herrschende Klasse schritt zur Organisierung einer verstärkten Gegenwehr. Generalleutnant Groener, der als Chef des Kriegsamts einen guten Überblick über die allgemeine S t i m m u n g besaß, halte schon frühzeitig den verschiedenen zuständigen staatlichen Stellen empfohlen, konkrete M a ß n a h m e n zu ergreifen. Bereits am 30. März 36 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071, Bl. 91/92. 36 „Vorwärts", Nr. 104, vom 17. April 1917.
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übermittelte daraufhin der Innenminister sämtlichen Regierungspräsidenten und dem Polizeipräsidenten von Berlin einen entsprechenden Geheimerlaß. Art und Reihenfolge der vorgeschlagenen Maßnahmen sind recht aufschlußreich. An erster Stelle steht der nackte Terror, die brutale Gewalt: „Rechtzeitige und sorgsame Vorbereitung des Zusammenarbeitens zwischen Militär- und Zivilbehörden für den Fall etwa entstehender Unruhen." Leitende Polizeibeamte, die den möglichen Anforderungen nicht gewachsen waren, sollten durch rücksichtslos zupackende Männer ersetzt werden. Bei nachgiebigen Oberbürgermeistern war die „Beigabe energischer Hilfskräfte", eventuell von Militärs, vorgesehen. Es bestanden bereits Zweifel an der Zuverlässigkeit der unteren Staatsorgane. Darum sah ein zweiter Punkt die Bestechung der „gering besoldeten Reichs- und Staatsbeamten" durch erhöhte laufende Kriegszulagen vor; wo die Gemeinden bisher noch nicht so verfahren waren, sollten diese Zulagen vom 1. April ab gewährt werden. „Insbesondere sind die unteren Polizeiorgane zu berücksichtigen, deren Zuverlässigkeit und Tatkraft durch zu große Nahrungssorgen unter keinen Umständen gefährdet werden darf." Die Sicherung eines wirkungsvollen Einsatzes von Polizei und Militär war also das erste Anliegen. An zweiter Stelle stand als Punkt 3 die Ausnutzung der Agenturen der herrschenden Klasse innerhalb der Arbeiterbewegung: „Möglichste Fühlung mit den Gewerkschaften, auch da, wo nur ein mäßiger Teil der Arbeiter organisiert ist." Erst unter Punkt 4, an letzter Stelle, folgte eine Maßnahme, die auch von den Werktätigen gefordert wurde, die Bekämpfung des Schleichhandels. Bei dem Charakter dieser Maßnahmen ist sehr gut zu verstehen, daß der Erlaß den genannten Empfängern „eigenhändig" zugestellt und seine schriftliche Weitergabe untersagt wurde. 3 7 Acht Tage später, am 7. April, erfolgte ein weiterer Erlaß des Innenministeriums, der als eine Ergänzung und Korrektur des ersten betrachtet werden muß. Er ging von der Möglichkeit aus, daß bei den zu erwartenden Unruhen am Tage der Brotrationskürzung die geringen Polizeikräfte zur Unterdrückung nicht ausreichen könnten und daher Neigung bestünde, militärische Hilfe anzurufen. Dazu gab der Innenminister folgende sehr aufschlußreiche Warnung: „Da es im Hinblick auf die allgemeine Lage in denkbar höchstem Grade unerwünscht sein würde, wenn militärische Kräfte gegen unsere eigene Bevölkerung in Tätigkeit treten müßten, ersuche ich die Polizeiverwaltung aller in Betracht kommenden Orte streng vertraulich mit Anweisung dahin zu versehen, daß im Falle von Aufläufen und Unruhen ihrerseits militärische Hilfe nur im äußersten und dringendsten Notfall bei wirklich erheblicher öffentlicher Gefahr requiriert wird." 3 8 Die Erregung unter den Massen hatte sich von Tag zu Tag gesteigert, und der brutale Terror, der in jenem Erlaß vom 30. März noch an erster Stelle rangierte, war zu einer für die herrschende Klasse zweischneidigen Waffe geworden. Die schöne Phrase von dem gemeinsamen vaterländischen Dienst des Arbeiters im Waffenrock und des Arbeiters, der ihm die Waffen reicht, war in Gefahr. Man durfte nicht wagen, die Phrase auf diese Weise als infame Lüge zu entlarven, denn man brauchte sie mehr denn je. In dieser Zeit der Hochspannung hätten Schüsse einer Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Eep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 45/46. Ebenda, Bl. 74; vgl. auch Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 62. 2 Revolutionäre Ereignisse 37
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Infanterie-Einheit in die Menge eine schnelle und gründliche politische Aufklärung bewirkt. Da sich der nackte Terror in diesem Stadium der Entwicklung nicht mehr empfahl, gewann für die herrschende Klasse ihre Agentur in der Arbeiterbewegung, die opportunistische Partei- und Gewerkschaftsführung, erstrangige Bedeutung. Bethmann Hollweg nannte rückblickend „die tatkräftige Mitwirkung" dieser Arbeiterverräter „unentbehrlich". 3 9 Voraussetzung für eine wirksame Hilfe von dieser Seite war, daß die Verbindungen dieser Kreise zur werktätigen Bevölkerung nicht vollends abrissen. Die Verbindungen waren nur zu halten, wenn man sich scheinbar zum Verfechter der berechtigten Forderungen der Massen aufwarf. Dabei kam es darauf an, Töne zu finden, die entschlossen klangen, zugleich aber die Aufmerksamkeit der Massen auf unwesentliche, f ü r die herrschende Klasse ungefährliche Angriffspunkte ablenkten. Mit dieser Methode hatte die sozialdemokratische Parteiführung schon in den voraufgegangenen Wochen nachdrücklich gearbeitet. So hatte Scheidemann in der Reichstagssitzung vom 27. Februar, nachdem er sich schützend vor den Reichskanzler gestellt hatte, einen lautstarken Angriff auf den preußischen Landwirtschaftsminister gestartet: „Wie eine Befreiung würde das deutsche Volk es empfinden, ein Jubelschrei würde durch das deutsche Volk gehen, wenn man wüßte, der Mann wird endlich von seinem Posten weggehen." 40 Mit Recht verurteilte Ledebour in der Debatte am folgenden Tage Scheidemann und Konsorten, die „den Anschein der Opposition zu erwecken suchen» zwar die Regierung stützen mit allen Mitteln, aber einen einzelnen Minister als Demonstratiorisobjekt herausgreifen, um an dem den Mut und die Treue des Volksvertreters; hier im Reichstag zu beweisen". 4 1 Daß dieser Kunstgriff nicht unwirksam blieb, beweist ein Handschreiben des Innenministers v. Loebell vom 7. April, der mitteilte, daß der Landwirtschaftsminister fortgesetzt Droh- und Schimpfbriefe erhielt, und auf die Notwendigkeit polizeilicher Schutzmaßnahmen hinwies. 42 Die Stellungnahme des Berliner Polizeipräsidenten v. Oppen dazu zeigt, daß er der Angelegenheit mit Recht wenig Beachtung schenkte. Er glaubte, von der Bereitstellung eines besonderen Sicherheitsdienstes für den Minister absehen zu können, und konzentrierte alle verfügbaren Kräfte f ü r den Einsatz gegen zu erwartende Massenaktionen. 4 3 Die Arbeiterschaft der Berliner Metallindustrie rüstete sich zum Kampf. Am 5. April berichtete der Polizeipräsident dem Oberkommando in den Marken, der zuständigen militärischen Behörde f ü r Berlin, daß nach ihm vorliegenden Berichten die Arbeiterschaft beabsichtigte, in den ersten Tagen der zweiten Aprilhälfte eine große öffentliche Kundgebung gegen die Brotrationskürzung und einen Streik in allen bedeutenden Betrieben durchzuführen. Insbesondere fürchtete er, daß die Bewegung einen politischen Charakter annehmen und auch auf andere Industriestädte übergreifen würde. An Einzelheiten wußte er mitzuteilen, daß am 2. April eine 500köpfige Versammlung der Maschinenarbeiter der Metallindustrie höhere Lohnforderungen und einen Protest. 39 40 41 42 43
Th. von Bethmann Hollweg: a. a. O., S. 188. Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 309, S. 2391. Ebenda, S. 2429. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 87. Ebenda, Bl. 88.
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gegen die* Herabsetzung der Brotzuteilung beschlossen hatte. Weiter hatte er durch Spitzelberichte erfahren, daß die Arbeiter der AEG-Turbinenfabrik in der Huttenstraße in Moabit zusammen mit den benachbarten Großbetrieben am 15. April dieselben Forderungen erheben und anschließend in den Streik treten wollten. Schließlich hatten am 4. April in allen Stadtteilen Vertrauensmännerkonferenzen der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiterverbandes stattgefunden, die die Polizei stark beunruhigten. 4 4 In die Konferenz des Bezirks Moabit hatte die Abteilung V I I des Polizeipräsidiums einen Beamten eingeschleust, dessen Bericht dem an das Oberkommando abschriftlich beigefügt w a r . 4 5 Die Mitteilungen des Polizeipräsidenten wurden in ihrem wesentlichen Inhalt am 10. April mit dem Vermerk „Sofort! Noch heute!" vom Oberkommando an das Kriegsministerium weitergegeben. „Die Angelegenheit wird hier mit der größten Aufmerksamkeit weiter verfolgt", versicherte der Stabschef des Oberkommandos, v. Berge. 4 6 Seit Tagen herrschte hier Alarmstimmung. Bezeichnend dafür war das Ersuchen des Oberkommandos an den Berliner Polizeipräsidenten und an die Regierungspräsidenten in Potsdam und Frankfurt a. 0 . vom 5. April, „die nachgeordneten Dienststellen anzuweisen, von Straßenkundgebungen, Protesten in Lebensmittelfragen oder ähnlichen besonderen Ereignissen von politischer Bedeutung, unabhängig von der Berichterstattung hierüber, sogleich telegraphisch hierher Mitteilung zu machen". 4 7 Die herrschende Klasse verfügte über keinerlei Mittel mehr, solche Konferenzen und Versammlungen zu verhindern. Um nicht von der anschwellenden Bewegung an die Seite gedrückt zu werden, trat die opportunistische Gewerkschaftsführung sogar selbst als Einberufer auf. Sie wollte auf diese Weise der Unzufriedenheit ein Ventil öffnen und gleichzeitig durch routinierte Lenkung die Versammlungen von energischen und konkreten Kampfentschließungen abhalten. Typisch für diese raffinierte Taktik ist das Auftreten des Bezirksleiters Kano in der Moabiter Vertrauensmännerkonferenz am 4. April. In Moabit waren auf engem Raum große Metallbetriebe konzentriert. Die Arbeiter wollten den Streik, wie es auch die Spitzelberichte der Polizei bestätigten; also sprach Kano nur von einer Demonstration. Die Arbeiter erwarteten die Unterstützung ihres Verbandes; also teilte Kano ihnen mit, daß der Verband zusammen mit den Obleuten die Demonstration beschlossen hätte, aber diese Angelegenheit den Obleuten allein überließe. Die Arbeiter hielten den 16. April für den geeigneten Termin, weil mit diesem Tage die Brotkürzung einsetzte; also sprach er sich gegen diesen Termin mit der Begründung aus, daß er nicht geheim gehalten worden wäre. Auf die hinterhältigste Weise versuchte er abzuwiegeln, die Arbeiter zu verwirren und die Geschlossenheit ihres Einsatzes zu hintertreiben. Um sich einen guten Abgang zu verschaffen, versicherte er den Vertrauensmännern, daß die Demonstratien bestimmt stattfände, und forderte sie auf, sich bereit zu halten. 4 8 Dabei war Kano, " Ebenda, Bl. 71. « Ebenda, Bl. 72. " Ebenda, Bl. 81. 47 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 2 A, Abt. 1, Nr. 7a, Bd. 2, Bl. 102. 48 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 72. 2*
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wie polizeiliche Ermittlungen ergaben, 49 Abonnent der Leipziger Volkszeitung und rechnete sich zur USPD. Welchen Flügel er darin vertrat, zeigte sich eindeutig Ende Juni auf der 13. ordentlichen Generalversammlung des Deutschen Metallarbeiterverbandes in Köln, wo er über den Berliner Aprilstreik sprach und seine Parteifreunde Haase, Ledebour und Adolf Hoflmann in gemeinster Weise denunzierte. 50 Aber selbst diese Methoden verfingen nicht mehr. Die Arbeiter hörten nicht mehr auf das, was ihnen die rechten Gewerkschaftsführer sagten. Sie schoben förmlich die Gewerkschaftsführer vor sich her, die sich schließlich, um an den Massen zu bleiben, zu Stellungnahmen gezwungen sahen, die die Arbeiter akzeptierten. Der Kampfgeist wuchs, statt abzuflauen. Die opportunistischen Partei- und Gewerkschaftsführer mußten erkennen, daß ein Streik nicht mehr zu vermeiden war. Scheidemann berichtet mit zynischer Offenheit: „In einer Besprechung mit der Generalkommission der Gewerkschaften hatten wir abgelehnt, uns an einem gemeinsamen Aufruf gegen den Streik zu beteiligen. Der besonnene Führer des Berliner Metallarbeiterverbandes Cohen hatte definitiv erklärt, daß jeder Aufruf gegen den Streik vollkommen nutzlos sein werde. Darauf antwortete ich, daß es nach dieser Erklärung eine grenzenlose politische Dummheit sein würde, einen Aufruf gegen den Streik zu veröffentlichen." 5 1 Um so eifriger aber konferierten sie mit der Begierung, die nach den Worten des Unterstaatssekretärs Wahnschaffe „die schlimmsten Dinge voraussah, wenn der Streik sich länger hinziehen sollte".52 Ebert und Scheidemann rieten nachdrücklich, die allgemeine Erregung nicht noch durch terroristische Maßnahmen von staatlicher Seite zu steigern: „Wir malten grau in grau. Was aus der Bewegung am 16. April werde, wisse kein Mensch. Er sollte dafür sorgen, daß die Behörden sich zurückhielten." 53 Gleichzeitig bemühten sie sich über die Presse, die Erregung zu mildern und einem Ausbruch entgegenzuwirken. Am 11. April schrieb der „Vorwärts": „Darum ergeht unser eindringlicher Bat an die Bevölkerung, zunächst einmal abzuwarten, was der 15. April bringt. Klappt es bei der Umschaltung, so ist die Frage, daß es schlimmer werden könnte als bisher, unbegründet. Und einstweilen ist die Hoffnung berechtigt, daß es klappen wird, weil, es klappen muß!" 5 1 Am 14. April brachte dasselbe Blatt als Leitartikel eine Stellungnahme der Generalkommission der Gewerkschaften, die genauso abzuwiegeln versuchte. 55 Bethmann Hollweg telegrafierte am 16. April an den Kaiser: „Die Gewerkschaften, die sozialdemokratische Parteileitung und auch der Vorwärts haben sich in den letzten Tagen stark bemüht, beruhigend zu wirken." 56 Ein anderer Versuch, die Kampfentschlossenheit der Massen zu lähmen, bestand darin, die Arbeiter selbst direkt in den Kuhhandel mit der Regierung einzubeziehen. > 49 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D , Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 560. 60 „Metallarbeiter-Zeitung", Nr. 27, v o m 7. Juli 1917. 61 Philipp Scheidemann: Der Zusammenbruch, Berlin 1921, S. 63. 62 53 Ebenda. Ebenda. 54 „Vorwärts", Nr. 98, v o m 11. April 1917. 65 „Vorwärts", Nr. 101, v o m 14. April 1917. 39 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 1 2 2 .
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Am 13. April abends fand im Stadtverordnetensaal des Berliner Rathauses unter Vorsitz des Oberbürgermeisters Dr. Wermuth eine Besprechung statt, an der von staatlicher Seite Vertreter verschiedener Zivil- und Militärbehörden teilnahmen; als Vertreter der Arbeiter hatten sich eingefunden der Ausschuß der Berliner Gewerkschaftskommission, die mittlere Ortsverwaltung der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiterverbandes und 70 bis 80 Arbeiterausschußobleute aus den größten Betrieben der Berliner Rüstungsindustrie. 5 7 Die Führung der Arbeitervertretung lag in den Händen der rechten Sozialdemokraten Hörsten von der Gewerkschaftskommission, Cohen und Siering von der Berliner Verwaltungsstelle des Metallarbeiterverbandes. Die mittlere Ortsverwaltung der Verwaltungsstelle Berlin des Metallarbeiterverbandes zählte zehn Mitglieder, von denen sieben die Politik der rechten Parteiund Gewerkschaftsführung vertraten, einer — nämlich Kano — zu den heimtückischen Abwieglern aus der USPD und nur zwei zur Spartakusgruppe gehörten. 5 8 Das Oberkommando in den Marken war durchaus auf der falschen Fährte, wenn es in einem Schreiben vom 16. April an den Polizeipräsidenten in dieser Ortsverwaltung die Zentrale der Streikbewegung vermutete. 5 9 Im Gegenteil, die Körsten, Cohen und Siering hatten schon dafür gesorgt, daß sie in der Sitzung am 13. April mit den Behördenvertretern nicht allein standen. Ihre Bemühungen liefen darauf hinaus, keine politischen, sondern nur Versorgungsfragen zu diskutieren und mit dieser Aussprache Verhandlungen zu beginnen, die den offenen Kampf ersticken sollten. Der Staatskommissar für Volksernährung, Michaelis, leugnete dann auch in seinen Ausführungen irgendeinen Zusammenhang zwischen Politik und Lebensmittellage mit der demagogischen Begründung, daß selbst ein Friedensschluß im Moment die Vorräte um keinen Sack Kartoffeln vermehren würde. Die kritischen Bemerkungen der Gewerkschaftsführer beschränkten sich darauf, eine schärfere Bekämpfung des Schleichhandels und eine entschiedenere Erfassung der Nahrungsmittel zu verlangen. Die Aussprache endete mit der Aufforderung des Oberbürgermeisters an die anwesenden Arbeiter, die Schwierigkeiten der Lage zu begreifen und ihren Kollegen in den Betrieben entsprechend zu berichten. 6 0 Den Arbeitern hatte diese Sitzung also nichts als leere Worte gebracht. Das hinderte die führenden Gewerkschaftsvertreter nicht, getrost das Gegenteil zu behaupten. Das „Berliner Tageblatt" schrieb am 14. April: „Wie uns der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gewerkschaftssekretär Körsten mitteilt, haben die Erklärungen des Oberbürgermeisters Wermuth und der Regierung die Gewerkschaftsführer voll befriedigt, und sie hätten sich auch bereit erklärt, in diesem Sinne auf die Arbeiter einzuwirken." 6 1 Diese Mitteilung diskreditierte Körsten bei den Arbeitern, so daß der „Vorwärts" am nächsten Tage ein Dementi brachte, das kein Dementi war: „Wie der Reichstagsabgeordnete Genosse Körsten mitteilt, hat er die Äußerungen, die ihm über „Vorwärts", Nr. 102, vom 15. April 1917.' Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 556, 560, 561. 69 Ebenda, Bl. 554. 00 „Vorwärts", Nr. 102, vom 15. April 1917. w „Berliner Tageblatt", Nr. 189, vom 14. April 1917. 67
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das Ergebnis der Konferenz in der gestrigen A b e n d n u m m e r des ,Berliner Tageblattes' zugeschrieben werden, in der dort mitgeteilten F o r m nicht getan." 6 2 Von staatlicher Seite w u r d e n die Bestrebungen der Gewerkschaftsführer durch den Vorschlag des Chefs des Kriegsamtes v o m 13. April unterstützt, „in alle Verteilungsstellen f ü r Ernährungsprodukte in Stadt und Land Vertreter der Arbeiterschaft abzuordnen, damit diese aus persönlicher Mitarbeiterschaft an d e m Werke der Volksernährung sich die Uberzeugung verschaffen können, d a ß die v o r h a n d e n e n Lebensmittel tatsächlich richtig erfaßt u n d verteilt werden". 6 3 Nicht genug damit, d a ß die Arbeiter bluteten u n d hungerten, sollten sie auch noch selbst aktiv helfen, diese verdammenswerte O r d n u n g zu stützen! Das „Berliner Tageblatt" n a n n t e es „Demokratisierung der E r n ä h r u n g s politik" u n d widmete diesem Betrug am 14. April einen ganzen Leitartikel. 6 4 Diesen intensiven und raffinierten Versuchen des Klassenfeindes, die K a m p f e n t schlossenheit der Arbeiterschaft zu untergraben, stemmte sich einzig die Spartakusg r u p p e mit Energie u n d Konsequenz entgegen. Schon das Zusammentreffen vieler radikaler Arbeitervertreter auf d e m Gothaer Gründungsparteitag der U S P D in den Ostertagen hatte sie ausgenutzt, u m neben der offiziellen Tagesordnung in Separatbesprechungen Voraussetzungen zu schaffen, d a ß die Massenaktion gut vorbereitet u n d in möglichst vielen Industrieorten zugleich begonnen wurde. Die entschlossene Ankündigung eines Berliner Delegierten: „Am 15. April geht es in Berlin los!" veranlaßte auch Vertreter anderer Städte zu konkreten organisatorischen Beschlüssen. 6 3 In Berlin w u r d e die intensivste Vorarbeit geleistet. „Es ergoß sich ein Regen von Flugblättern ü b e r die Berliner Arbeiter", stellte E n d e J u n i der Vorstandsbericht auf der 13. ordentlichen Generalversammlung des Deutschen Metallarbeiterverbandes fest. 6 6 In den Tagen v o r dem 15. April w u r d e in den Fabriken Berlins das folgende Flugblatt der Spartakusgruppe verteilt: „Auf zum Protest gegen die Volksaushungerung!
Arbeiter!
Genossen!
Vom 16. April an soll die Brotration f ü r das bereits hungernde, ausgemergelte Volk m e h r als u m ein Viertel gekürzt werden. W ä h r e n d unsere Söhne u n d B r ü d e r in den Schützengräben u n d auf den Schlachtfeldern gemordet u n d zu Krüppeln geschossen werden, soll das arbeitende Volk a m Hungertuche nagen, bis es seine Arbeiskraft vollends eingebüßt h a t u n d an Erschöpfung elend zugrunde geht. So erheischt es das Interesse der Kapitalisten- u n d Junkerklasse, das gebietet das Interesse des Klüngels, der den Krieg angezettelt u n d das Unheil über des deutsche Volk heraufbeschworen hat. Arbeiter! Unsere Brüder, die russischen Proletarier, waren vor vier W o c h e n noch in derselben Lage. W i r wissen aber, was in R u ß l a n d eingetreten ist: das arbeitende 62
„Vorwärts", Nr. 102, vom 15. April 1917. „Berliner Tageblatt", Nr. 189, vom 14. April 1917. 64 Ebenda. 65 „Leipziger Volkszeitung", Nr. 252, vom 8. November 1919, Erlebnisbericht von Hermann Liebmann. 66 „Metallarbeiter-Zeitung", Nr. 27, vom 7. Juli 1917. 63
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Volk hat sich dort erhoben und nicht allein die Regelung der Lebensmittelfrage erzwungen. Es hat sich zugleich — was unendlich wichtiger — Freiheiten erobert, von denen der deutsche Arbeiter noch nicht zu träumen wagt. Die russischen Arbeiter haben den Zarismus zerschmettert und die demokratische Republik, die Einsetzung einer Volksregierung erkämpft! Und wir? Sollen wir auch weiterhin das alte Elend, die Auswucherung, den Hunger und den Völkermord — die Ursache all unserer Qual und Pein — geduldig ertragen? Nein! Tausendmal nein! Verlaßt die Werkstätten und Laßt die Arbeit ruhen!
Fabriken!
Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, Wenn dein starker Arm es will! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Friede! Freiheit! Brot!"6'' 7
Regierung!
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DES
STREIKS
Die agitatorische und organisatorische Arbeit der Spartakusgruppe hatte den Erfolg, daß keine Finten und Schliche der Gewerkschaftsführung mehr den Ausbruch des Streiks verhindern konnten. Im Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917 bestätigte die Verwaltungsstelle Berlin des Metallarbeiterverbandes, daß auch nicht die Konferenz beim Oberbürgermeister am 13. April die Arbeiter beruhigt hatte: „Wir konnten dann in unserer am Sonnabend, den 14. April, stattfindenden Sitzung der Verwaltung feststellen, daß mit Sicherheit damit gerechnet werden müsse, daß die Arbeiter der Rüstungsindustrie am Montag, den 16. April, die Arbeit einstellen würden." 6 8 Am 15. April tagte turnusmäßig die Generalversammlung der Berliner Metallarbeiter, auf der sämtliche Betriebe vertreten waren. Die Tagesordnung sah zwar die Behandlung anderer Fragen vor, aber die versammelten Rüstungsarbeiter beschäftigte nur die eine: der Streik. Abends um 9 Uhr 7 Minuten meldete der Polizeitelegraf dem Reichskanzler und anderen zuständigen Staatsorganen: „In der heutigen Generalversammlung der Metallarbeiter wurde beschlossen morgen früh 9 Uhr Generalstreik in allen Betrieben, daran anschließend Massenversammlungen." 6 9 Am Montag, dem 16. April, um 9 Uhr ruhten in über 300 Betrieben der Berliner Rüstungsindustrie die Maschinen. Der Streik begann. Es war die bisher gewaltigste Massenaktion im Kriege. Etwa 300 000 Arbeiter und Arbeiterinnen Berlins beteiligten sich. Die herrschende Klasse und ihre Helfershelfer zitterten. Die Bemühungen der rechten Partei- und Gewerkschaftsführung, den Streik zu verhindern, waren vergeblich gewesen. Noch in letzter Stunde, in seiner Montagausgabe, hatte der „Vorwärts" die Entwicklung aufzuhalten versucht: „Der Gedanke, daß eine feindliche Agententätigkeit in Deutschland entfaltet werden könnte, ist phantastisch. Richtig aber ist, daß innere Unruhen in Deutschland in diesem Augenblick das sozialistische Friedenswerk gründlich zu stören geeignet wären. Die leere Hoffnung, in Deutschland würde 68 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, Berlin o. J . , S. 79/80. •• Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 90.
Der Aprilstreik 1917 in Berlin
25
es in einigen Monaten zu ähnlichen Ereignissen kommen wie in Rußland, könnte das schon nahe scheinende Kriegsende abermals hinauszögern und Hunderttausenden auf dem Schlachtfeld das Leben kosten. Wer Vernunft und Gewissen hat, wird sich darum heute ganz besonders nach der Wirkung dessen fragen, was er tut oder zu tun unterläßt." 7 0 Daß die bürgerliche Presse durch eine verlogene Berichterstattung die Öffentlichkeit über die Ausmaße des Streiks zu täuschen suchte, kann nicht verwundern. Auch der „Vorwärts" vom 17. April machte mit seinem Leitartikel „Zur Streikbewegung" keine Ausnahme. Der Außendienst des Polizeipräsidiums kommentierte in einem vertraulichen Bericht vom 17. April diese Haltung der opportunistischen Partei- und Gewerkschaftsführung durchaus zutreffend: „Daß das Gelingen des Streiks die Positionen der Führer bedeutend schwächt, empfinden diese auch, und so versuchen sie — wie ja auch aus dem Vorwärts-Artikel vom 17. 4. er. (currentis anni — H. S.) hervorgeht —, den Ausstand zu verkleinern. Während sonst bei Arbeiteraktionen die Bedeutung derselben hoch empor gehoben wird und die Zahl der Beteiligten womöglich noch verdoppelt wurde, verfolgt man heute die entgegengesetzte Taktik. Auch nur eine volle Anerkennung des teilweisen Gelingens des Streiks führt dazu — wie es ja schon vielfach geschieht —, daß die jetzigen Gewerkschaftsführer als Führer an sich von den Massen ausgeschaltet werden und nur noch lediglich als reine Büroarbeiler angesehen werden. Dieses Einflusses wollen sich aber die Gewerkschaftsführer nicht gerne vergeben, darum verkleinern sie, um so besser ihre Unentbehrlichkeit als Führer hervorzuheben. Die Arbeiter denken darüber jetzt wesentlich anders. Sie handeln nach dem Grundsatze: ,Sind die Führer nicht für uns, so sind sie gegen uns' und schalten damit die derzeitige Führerkaste ganz aus. Ein Streik, der ohne Propaganda in der Presse, in Versammlungen oder durch die Führer solchen Umfang annimmt, weist ja auch ganz entschieden auf die Bedeutungslosigkeit und Machtlosigkeit der angestellten Führer hin." 7 1 Am 17. April veröffentlichten die Zeitungen einschließlich des „Vorwärts" eine Meldung des Wolff'schen Telegraphenbüros, in der es hieß: „Die von den Berliner Metallarbeitern für heute beschlossene Arbeitsniederlegung in Groß-Berlin ist nur zum Teil zur Durchführung gekommen und wohl erheblich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückgeblieben. Es haben an ihr nur ungefähr 125 000 Arbeiter teilgenommen, viele von ihnen sogar erst nach Ableistung der Frühschicht." 72 Diese Meldung war im Polizeipräsidium angefertigt worden, wobei v. Oppen nur die Zahl 100 000 genannt haben wollte. Schließlich ist aber doch die Meldung mit der Angabe von etwa 125 000 Streikenden an die Presseabteilung des Oberkommandos in den Marken gelangt, das dann für ihre Veröffentlichung durch das Wolff'sche Büro sorgte. Der Beamte, der den Entwurf verfaßt hatte, sah in erster Linie die Gefahr eines Ubergreifens der Streikbewegung auf andere Städte: „Immerhin hoffe ich, daß, wenn dauernd an der Mitteilung festgehalten wird, die Anlage den Zweck erfüllt, die 70
„Vorwärts", Nr. 103, vom 16. April 1917. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 329/330. 72 Wolfis Telegraphisches Bureau, Nachtausgabe, 68. Jg., Nr. 995, vom 17. April 1917. 71
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Heinrieh Scheel
Provinz zuverlässig zu unterrichten und gleichzeitig zu beruhigen." 7:1 Von behördlicher Seite ist in der Tat auch keine Korrektur der genannten Zahl mehr herausgegeben worden, obwohl der Polizeipräsident in seinem Bericht an den Innenminister vom 16. April bereits von 130 000 sprach 7 4 und in dem vom 17. April mitteilte: „Die heute zum Abschluß gebrachten Erhebungen über den Umfang der Arbeitsniederlegungen am gestrigen Tag haben ergeben, daß insgesamt 148 903 Arbeiter in den Betrieben Groß-Berlins und Umgebung die Arbeit niedergelegt haben." 7 5 Auf der internen Sondersitzung, die am 21. April von der Presseabteilung beim Oberkommando in den Marken mit Vertretern der bürgerlichen Presse abgehalten wurde, hat dann auch auf die Bemerkung v. Gerlachs von der „Welt am Montag", der die Wolff'sche Meldung mit der zu niedrigen Zahl der Streikenden „bedenklich" nannte, Hauptmann v. Vietsch von der Presseabteilung zugegeben: „Ich glaube jetzt, daß die Zahl 125 000 nicht ganz richtig gewesen ist. Am nächsten Morgen veröffentlichte der Vorwärts mit unserer Zustimmung die Zahl 206 000. Daß damals eine Zahl überhaupt veröffentlicht worden ist, hat den Zweck gehabt, daß man weit übertriebenen Gerüchten, wie sie überall umgingen, durch eine authentische Feststellung entgegenwirken wollte." 7 6 Der „Vorwärts" konnte es sich nicht erlauben, bei jener Angabe von 125 000 Streikenden zu verharren, denn die Arbeiter besaßen eine Kontrollmöglichkeit. Soweit sie zur Metallindustrie gehörten, ließen sie sich bei den zuständigen Stellen des Metaliarbeiterverbandes als Streikende registrieren. An dieser Kontrolle waren zu viele beteiligt, als daß es möglich gewesen wäre, die Ergebnisse dieser Zählungen zu verheimlichen. Verglichen mit den polizeilichen Erhebungen, die auf lückenhaften und pauschalen Schätzungen der einzelnen Polizeireviere beruhten, waren die hier gewonnenen Ziffern auch die einzig zuverlässigen. Wenn der „Vorwärts" nicht die Glaubwürdigkeit und damit die Einflußmöglichkeit auf die Arbeiter verlieren wollte, konnte er an dieser Tatsache nicht vorbeigehen. Das begriff sogar die Presseabteilung beim Oberkommando in den Marken, wie aus der oben zitierten Äußerung des v. Vietsch hervorgeht. Immerhin ist es wert, festgehalten zu werden, daß der „Vorwärts" erst die Zustimmung dieser Presseabteilung einholte, bevor er am 18. April in seinem Leitartikel mitteilte: „Am Montag ruhte die Arbeit vollständig in rund 300 Betrieben der Rüstungsindustrie. Bei der Kontrolle des Metallarbeiterverbandes meldeten sich 210 000 Streikende. Damit ist aber die Zahl der Ausständigen noch nicht erschöpft, denn bei so großen Massen findet sich immer eine Minderheil, welche die Kontrolle nicht passiert, außerdem sind auch kleine Gruppen von Arbeitern an dem Streik beteiligt, f ü r die der Metallarbeiterverband nicht zuständig ist." 77 Das „Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" vom 21. April 73 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 70/71. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 110. 76 Ebenda, Bl. 114. 78 Ebenda, Bl. 183/184. Der „Vorwärts" brachte nicht die Zahl 206000, sondern 210000. 77 „Vorwärts", Nr 105, vom 18. April 1917.
Der Aprilstreik 1917 in Berlin
27
wählte die Formulierung: „In Berlin und Umgebung sollen etwa 250 000 Arbeiter gefeiert haben." 7 8 Die Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiterverbandes veröffentlichte später in ihrem Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917 die folgende Aufstellung: „Am Streik der Berliner Rüstungsarbeiter am 16. und 17. April waren beteiligt: Zahl der Betriebe 237 29 43 6 4
Größe der Betriebe bis 500 Beschäftigte 500— 1000 »» 1000— 5000 11 5000—10000 11 über 10000 »t
319
Gesamtzahl der Beschäftigten
Am Streik beteiligt waren
31922 18890 93830 40100 87000
29116 15750 83820 36000 52734
271742
217420
Gezählt sind nur Betriebe, die zur Berliner Metallindustrie gehören. Betriebe über 5000 Beschäftigte sind: Betrieb Auer Gasglühlichtgesellschaft Gebr. Israel Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Wittenau, Gewehrfabrik Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Moabit C. P. Goerz A. Borsig AEG Brunnenstraße AEG Ackerstraße AEG Kabelwerk Sämtliche Siemenswerke Kgl. Betriebe Spandau
Beschäftigte
Am Streik waren beteiligt
6000 6000
4500 6000
6100
6100
6400 7600 8000 17000 17300 17500 35200 55000
6400 7000 6000 17000 17300 17500 934 1000""
Die Königlichen Betriebe Spandau sind als nicht zur Berliner Metallindustrie gehörig ebensowenig in der ersten Statistik der Verwaltungsstelle berücksichtigt wie die AEG 78
, .Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands", Nr. 16, vom 21. April 1917. ™ Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 81.
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Heinrich Scheel
Hennigsdorf oder die Maflei- und Schwartzkopff-Werke in Wildau, die allein schon mindestens weitere 10 000 Streikende stellten. 80 Schließlich darf auch der Anteil der Streikenden, die anderen Berufsgruppen angehörten und darum nicht von der Kontrolle des Metallarbeiterverbandes erfaßt wurden, nicht gering angeschlagen werden. Es streikten eine ganze Reihe Holz und Papier verarbeitende Betriebe, viele Zigarettenfabriken, auch Glasfabriken, Baubetriebe, Textilfabriken, Leder verarbeitende Betriebe usw. 8 1 Für den Amtsbezirk Pankow liegen zwei detaillierte Verzeichnisse vor, die der Amtsvorsteher seinem Bericht vom 17. April an den Landrat des Kreises Niederbarnim beifügte und die auch in dieser Hinsicht recht aufschlußreich sind. Im ersten Verzeichnis sind die Betriebe, die nicht für die Rüstung arbeiteten, und ihr Anteil an der Streikbewegung aufgeführt 8 2 : „Verzeichnis der hier vorhandenen Betriebe und deren Personenzahl. Fabrikbetriebe
Name
Behrend & Rüggebrodt Elast. Glühkörper Plechati Heimann & Co. Juhl Garbaty Brauerei Engelhardt Schultheiß Brauerei Eisenbahn Elektr. Straßenbahn
Wohnung Straße Nr.
Anzahl der beschäftigten Personen
Es fehlten am 16. 4.1617 8 V.
10 V.
Anzahl der a m l 6 . 4.1917 streikenden Arbeiter
Anzahl der am 17. 4.1917 arbeitenden Arbeiter 8 V.
Wollank 64
35
keiner
alle
35
alle
Nordbahn 17 Mühlen 48
31 48
,,
keiner alle
keiner 48
,, 35
Berliner 13 a Berliner 29 Hadlich KaiserFriedrich 21
100 170 1400
Mühlen 11 Berliner 15 Damerow 3 a
, > >> keiner
keiner
alle
763
637
230
240
,,
keiner
keiner
alle
30 65
99
99
99
99
99
99
99
99
188 2307
,,
99
99
763
»,
99
1544
»>
9t
285"
80 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 139; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 2 A, Abt. 1, Nr. 7a, Bd. 2, Bl. 125. 81 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 75—80, 84, 88, 96, 104, 105, 109, 111, 121. 82 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 192; die Aufstellung enthält einige grobe Irrtümer und Rechenfehler: So wird die Gesamtzahl der am 16.4. um 10 Uhr vormittags Streikenden in der 5. Spalte mit 763 anstatt richtig mit 846 angegeben. Die in Spalte 6 für Garbaty angegebene Zahl ist nicht die der Streikenden, sondern die der NichtStreikenden, denn 637 ist das Ergebnis der Subtraktion der 763 Streikenden von den 1400 dort Beschäftigten. Ebenso ist in der 6. Spalte die Summe von
Der Aprilstreik 1917 in Berlin
29
Das zweite Verzeichnis nennt die Rüstungsindustrie und ihren Anteil an der Streikbewegung 8 3 : „Verzeichnis der hier vorhandenen Betriebe und deren Personenzahl. Schwerindustrie (Heeresarbeiten)
Name
Breest & Co. Gretzke Bretschneider Isolatorenwerke Struck & Co. Wille Benecke Quarzschmelze Kremmener Hildebrandt Krause Eggebrecht & Schumann Reetz Müller & Körte Mägdefrau Wienicke Nachf. Stock & Co.
Wohnung StraBe Nr.
Anzahl der beschäftigten Personen
Wollank 54 Wollank 64
140 12
Wollank 32
50
Wollank 32
600 27 18
Brehme 24 Wilh. Kühr 40 Wilh. Kühr 40
90
Es fehlten am 16. 4.1917 8 V.
10 V .
keiner
alle
t>
»>
,, f,
>>
9* •»
»,
yt
»»
»»
12 8
50
alle
600 27 18 90
50 alle keiner
,»
»»
206 80
43 5
keiner keiner alle alle
keiner 119
alle
,»
keiner alle alle
»,
»» »» keiner keiner
Schulze 29 Mühlen 23
206 80
»»
alle
»,
»»
Berliner 69 a Damerow 8
135 119
60
Breite 17 Hadlich 20
70 400
>
140 12
alle 12 150 70
31 324 240 110
keiner
Anzahl der am 17. 4 . 1 9 1 7 arbeitenden Arbeiter 8 V.
keiner 324 240 keiner
Nordbahn 17 Gaillard 39 Flora 8 Flora 33
2652
1 N.
Anzahl der am 1 6 . 4 . 1 9 1 7 streikenden Arbeiter
19
»»
alle
»>
J»
70 400
100
2376
450'
yt
Pankow war kein ausgesprochenes Industrieviertel; Klein- und Mittelbetriebe herrschten vor. Die großen Streikzentren lagen in anderen Stadtteilen. Trotzdem streikten in Pankow am 16. April 90 °/o der Rüstungsarbeiter und 37 °/o der Arbeiter 1544 Streikenden falsch; sie gibt vielmehr die Zahl der NichtStreikenden an, denn sie ist das Ergebnis der Subtraktion der 763 (eigentlich 846) Streikenden von den 2307 insgesamt Beschäftigten. Schließlich ist auch die Summe in der 7. Spalte offensichtlich durch stupides Addieren der Ziffern entstanden (wobei außerdem noch ein Rechenfehler unterlief: 35 + 230 = 265 statt 285), ohne zu berücksichtigen, daß das Wort ,,alle" stets einen Zahlenwert darstellt. 83 Ebenda, Bl. 193; auch hier ist ein grober Fehler unterlaufen: Wieder ist die Summe in der 8. Spalte durch Addieren der Ziffern entstanden, ohne zu berücksichtigen, daß das Wort „alle" immer einen Zahlenwert darstellt. Die Summe muß 882 statt 450 lauten.
30
Heinrich Scheel
in den übrigen Fabriken. Das Verhältnis der vom Metallarbeiterverband erfaßbaren Arbeiter zu denen aus anderen Berufsgruppen betrug in Pankow 3 : 1 . Das vorliegende Material erlaubt, die Gesamtzahl der am 16. April Streikenden mit rund 300 000 anzusetzen. Dabei ist von der zuverlässigsten Zahl auszugehen, die von der Verwaltungsstelle Berlin des Metallarbeiterverbandes stammt und 217 4 2 0 Streikende nennt. Diese Zahl erhöht sich beträchtlich, wenn man berücksichtigt, daß erstens bei so großen Massen immer eine Minderheit vor allem gewerkschaftlich Unorganisierter nicht die Kontrolle des Verbandes passiert, daß zweitens in dieser Zahl die nicht zur Berliner Metallindustrie gehörenden Betriebe der Umgebung fehlen und daß drittens der Anteil anderer Berufsgruppen an der Streikbewegung darin nicht ausgedrückt wird. Die Führung der Spartakusgruppe übertrieb keineswegs, sondern nannte die Zahl, die den Tatsachen näher kam als alle sonst genannten, wenn sie in einem internen, an die Funktionäre gerichteten Schreiben vom 22. April sagte: „Berlin hat soeben . . . einen Massenstreik von 300 0 0 0 Arbeitern erlebt." 8 4 Angesichts der unzähligen Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des Streikes, angesichts vor allem der hartnäckigen Obstruktion durch die reformistische Gewerkschaftsführung war der Umfang, den der Streik annahm, geradezu überwältigend. Wie sehr er das Wollen der breitesten Massen ausdrückte, zeigte unter anderem die Tatsache, die auch der Polizeipräsident in seinem ersten Bericht vom 16. April hervorhob, daß nämlich „auch zahlreiche kleinere Betriebe bis zu 30, 40, 55 Arbeitern herunter von der Bewegung ergriffen worden sind." 8 5 Das Verzeichnis des Pankower Amtsvorstehers führt sogar einen Betrieb mit 12 und einen anderen mit 18 Mann Belegschaft an, die geschlossen am Ausstand teilnahmen. Auch daß viele große Unternehmungen, wie im Bericht der Abteilung VII des Polizeipräsidiums vom 17. April bestätigt wird, 86 gänzlich schlössen und nicht wagten, durch Streikbrecher den Betrieb aufrecht zu erhalten, zeugt von der eindrucksvollen Kraft der Streikenden. Andererseits kann jedoch nicht übersehen werden, daß verschiedene Großbetriebe nur in sehr geringem Maße von der Bewegung erfaßt wurden. So streikten in den Siemenswerken nur knappe 3 °/o der Belegschaft. 8 7 Das System, die Arbeiter durch eine angebliche Gewinnbeteiligung zu korrumpieren, wirkte sich hier aus. Von benachbarten im Ausstand befindlichen Betrieben wurde versucht, auf die Siemens-Arbeiter Einfluß zu nehmen. Nach einer Versammlung begaben sich am 16. April 200 Männer und Frauen von den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken nach dem Glühlampenwerk Siemens und Halskc in Charlottenburg, Helmholtz- und Franklinstraße, um beim Schichtwechsel um 19 Uhr die Arbeiter zum Mitstreiken zu bewegen. Sichtbare Erfolge wurden nicht erzielt, und die Polizei konnte die Streikposten zurückdrängen. Ähnlich verliefen die Versuche vor dem Kabelwerk von Cassierer und der Zwietusch-Telegraphenanstalt am Salzufer. 8 8 Auch die staatlichen Betriebe waren nur 84 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 385. 85 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 99. 88 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, 8 ' Vgl. S. 27. Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 329. 88 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500. Nr. 52, Bd. 1, Bl. 123.
Der Apriletreik 1917 in Berlin
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zum Teil am Streik beteiligt. Hier hatte man vor dem Kriege jede gewerkschaftliche Tätigkeit unterdrückt und bei den Arbeitern durch die Lockspeise der Pensionsansprüche eine Art Beamtenideologie zu entwickeln versucht. Die Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes war hier besonders wirksam. In dem Bericht der Abteilung VII des Polizeipräsidiums vom 17. April heißt es dazu: „Obwohl nach Ansicht von Vertrauensleuten ca. 200 000 Streikende vorhanden waren, ist man doch enttäuscht, daß in zahlreichen größeren Betrieben gearbeitet wurde. Zumindest hoffte man, daß die jetzt so zahlreich mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitern durchsetzten Staatsbetriebe ruhen würden. Von einer Arbeitsniederlegung in den Staatswerkstätten versprach man sich einen stärkeren Eindruck auf die Regierung als durch die Stillegung sämtlicher freien Betriebe. Daß es in Spandau sowie in den Berliner Königlichen Werkstätten nicht zum Ausstand gekommen ist, hat wesentlich nur in der Furcht der Arbeiter vor der Einberufung ihre Ursachen. Die Drohung, daß jeder Arbeiter, der sich am Streik beteilige, seine Einziehung zu gewärtigen habe, hat die Streiklust stark gedämpft. Um so mehr freut man sich in den Kreisen der Vertrauensleute, daß es wenigstens gelungen ist, den großen militärischen Betrieb auf dem Johannisthaler Flugplatz ganz aufzuheben. Hier ließ der Platzkommandant den Flugplatz gänzlich schließen. Selbst diejenigen, die arbeiten wollten, mußten zu Hause bleiben, gleichfalls die dort beschäftigten Soldaten." 8 9 Die Genugtuung, mit der diese Behörde von der Enttäuschung der Streikenden schrieb, erhielt allerdings einen empfindlichen Stoß durch die Nachricht, die tags darauf einging und in einer handschriftlichen Notiz am Rande jenes Berichts vermerkt ist: „Soeben ging hier die Nachricht ein, daß in den Königlichen Werken in Spandau (Artillerie-Werkstatt) die dortigen Arbeiter heute zu einem erheblichen Teil die Arbeit niederlegten." Vom Streik vollkommen unberührt blieben die überaus wichtigen Verkehrs- und Transportbetriebe. Wie aus dem Verzeichnis des Pankower Amtsvorstehers hervorgeht, 9 0 unterbrachen weder die Straßenbahner vom Bahnhof in der Damerowstraße noch die Eisenbahner auf dem Bahnhof Pankow-Schönhausen die Arbeit. Es liegen auch keine Nachrichten vor, daß die streikenden Arbeiter sich bemüht hätten, derartige Betriebe zur Arbeitseinstellung zu bewegen. Die Streikenden benutzten sogar selbst die Straßenbahn, wie ein Polizeibericht aus Schöneberg mitteilt, 9 1 um von den Außenbezirken in das Stadtinnere zu gelangen. In diesen Tatsachen offenbaren sich Schwächen der Streikbewegung, die nur zu verständlich sind. Der Spartakusgruppe, die als einzige Richtung innerhalb der Arbeiterbewegung die Massenaktion Schritt um Schritt zu steigern bemüht war, fehlte die Organisation, um systematischen und umfassenden Einfluß nehmen zu können, Wo dieser Einfluß fehlte, gewann mit Notwendigkeit der feindliche Einfluß an Gewicht. Ungeachtet dieser Schwächen aber war und blieb der Aprilstreik ein gewaltiges Ereignis. 300 000 Berliner Arbeiter waren aufgestanden; in einer Stärke von 10 ArmeeKorps traten sie in den Kampf. 89 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 329. Vgl. S. 28. 91 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 113.
K A P I T E L IV
DER VERLAUF DER
DEMONSTRATIONEN
UND V E R S A M M L U N G E N
AM
ERSTEN
STREIKTAG
Angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Streikbewegung war sich die Regierung darüber klar, daß keine Verbote, kein Polizeiterror, kein brutales Eingreifen des Militärs sie schützen konnten, sondern umgekehrt die unmittelbare Gefahr eines Bürgerkrieges für sie heraufbeschworen. In dem zusammenfassenden Bericht an Wilhelm II. vom 30. April schrieb v. Loebell: „Da die Gesamtzahl der dem Polizeipräsidenten zur Verfügung stehenden Mannschaften noch nicht 3000 betrug und ich im Einverständnis mit dem Oberkommando in den Marken aus politischen Gründen größten Wert darauf legen mußte, die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung durch die Polizei ohne Eingreifen des Militärs aufrecht zu erhalten, mußte sich die Schutzmannschaft von vornherein einige Zurückhaltung auferlegen." 9 2 Darüber hinaus war «s überhaupt fraglich, ob sich die Regierung mit den verfügbaren polizeilichen und militärischen Machtmitteln den Massen gegenüber hätte durchsetzen können. Bethmann Hollweg hat in seinen Erinnerungen unumwunden zugegeben: „Ein von mir gewünschtes Verbot gewisser öffentlicher Massenversammlungen erklärte sich die Berliner Kommandostelle für unfähig militärisch durchzuführen." 9 3 Keine Macht t o n n t e die riesigen Straßendemonstrationen verhindern, die der Streikbewegung nicht •nur starken moralischen Auftrieb gaben, sondern auch ihren politischen Charakter t l a r e r und entschiedener hervortreten ließen. Die Demonstrationen am 16. April waren die größten, die Berlin seit Beginn des Krieges erlebt hatte. Im Bericht des Polizeipräsidenten vom selben Tage an den Regierungsrat Roedenbeck, der im Innenministerium die den Streik betreffenden Angelegenheiten bearbeitete, heißt es, daß „eine Anzahl von umfangreicheren Zügen •entstanden, die in Stärke von 5, auch von 10 000 Mann zum Teil der inneren Stadt 92 93
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 113. Th. von Bethmann Hollweg: a. a. O. S. 188.
Der Aprilstreik 1917 in Berlin
33
zuzuströmen versuchten". 94 Eine im Polizeipräsidium aus Meldungen der einzelnen Reviere zusammengestellte Ubersicht enthält folgende detaillierte Angaben:
i240 12 0 5 12 10 10 3 0 I18 I10 10 5 7 I35
„Zug von 1500 Personen von Schöneberg kommend, die Flottwellstraße entlangmarschierend, an Königin-Augusta- und Cöthenerbrücke ohne Waffen abgewiesen und nach dem Halleschen Tor zu abgedrängt. Zug von etwa 6000 Personen durch Acker-, Invaliden-, Veteranen-, Fehrbellinerstraße nach Osten gezogen. Zug ca. 10 000, Teutoburger Platz, Schwedterstr., Schönhauser Allee nach Alte Schönhauser Str., versucht, nach Stadtinnern zu kommen. Ansammlung im Humboldthain von etwa 5000 Personen in Richtung Hussitenstr. in Marsch gesetzt. Zug von etwa 500 Personen von Neukölln kommend, durch den Kottbuser Damm marschierend, an der Kottbuserbrücke zerstreut. Zug von 400 Jugendlichen Leipziger Str., vom Spittelmarkt kommend, in Wilhelmstr. nach Süden abgedrückt. Zug von 1000—1500 Personen von Prenzlauerstr. kommend auf dem Alexanderplatz zerstreut. 1 weibliche Person festgenommen (Beamtenbeleidigung). Zug von 1300 Personen von Köpenickerstr. kommend, am Schulze-DelitzschPlatz zerstreut. Zug von 500 bis 600 Personen nach den Linden zu an Kaiser-Wilhelm-Brückc zersprengt. Zug von 10 000 Personen durch die Brunnenstraße. Richtung Rosenthaler Tor." »5
Diese Übersicht ist unvollständig; so enthält sie z. B. nicht die telegraphische Meldung aus Charlottenburg von l 5 5 Uhr, worin gesagt wurde: „Nach Beendigung einer Versammlung von Arbeitern der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in der Kronenbrauerei Alt-Moabit Berlin zogen etwa 900 bis 1000 Versammlungsteilnehmer durch die Marchstr. nach hiesigem Rathaus. Sie wurden unterwegs zwar durch Polizeikräfte auseinandergebracht, fanden sich aber wieder zusammen." 9 6 Ihr Ziel allerdings, das Schloß- und Regierungsviertel, erreichten die Demonstranten nicht. „Zur Sicherung der Linden und der Wilhelmstraße insbesondere aus nördlicher, südlicher und östlicher Richtung sind", wie v. Oppen dem Innenministerium berichtete, „nach vorheriger Vereinbarung mit den zuständigen Heeresbehörden Sperrabteilungen aus Soldaten in der Nähe der Zugangsstraßen und der Spreebrücken bereitgestellt worden." 9 7 Vom Westen her befürchtete der Polizeipräsident geringere Gefahr, zumal sich das offene Gelände des Tiergartens schützend vor den Stadtkern legte. Die Moabiter Arbeiter wählten ja denn auch den kürzeren Weg zum Charlottenburger Rathaus. Bei der Sicherung des Stadtkerns ist kleineren demonstrierenden Trupps 94
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 99. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 75—77, 79, 80. M Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 106. Ebenda, Bl. 99. ,6
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gegenüber, wenn auch vorsichtig, von der Waffe Gebrauch gemacht worden. 9 8 Nur einem geringen Bruchteil der Demonstranten gelang es, ins Stadtinnere einzusickern. Der Polizeipräsident berichtete von dem Versuch einer Kundgebung mit 150 bis 200 Personen, unter denen sich auch die Abgeordneten der USPD Adolf und Paul Hoffmann befanden, im Lustgarten und von zwei Zügen von 100 Jugendlichen Unter den Linden und in der Wilhelmstraße. Beide Ansammlungen wurden von der Polizei zerstreut. 99 Vom Nachmittag liegen dann Meldungen vor, daß Gruppen bis zu 200 Personen Bäckerläden stürmten und plünderten. 1 0 0 Die Verbindung der Punkte, an denen derartige Aktionen stattfanden, verläuft halbkreisförmig vom Norden über den Osten nach dem Süden um den eigentlichen Stadtkern: Große Hamburger Straße, Gipsstraße, Münzstraße, Lichtenberger Straße, Buckower Straße, Sebastianstraße, Markgrafenstraße. Die Plünderungen sind an jenen Punkten, die am weitesten vom Zentrum entfernt liegen, auch am spätesten vorgefallen: In der Großen Hamburgerund Gipsstraße um 13 so Uhr, in der Buckower- und Sebastianstraße um 16 00 Uhr, in der Lichtenberger Straße um 17 00 Uhr. Daraus geht hervor, daß die Demonstranten nicht auf dem geschlossenen Hinmarsch, sondern erst auf dem Rückweg, wobei der Zusammenhalt immer lockerer wurde, zu derartigen Aktionen schritten. Erst nachdem sich die verantwortlichen Regierungsstellen geweigert hatten, den Hungerruf zu vernehmen, und sich lieber hinter einem Wall bewaffneter Büttel verbargen, demonstrierten Teile der Massen ihre Not auf diese handgreifliche Weise. Die Berichterstattung in den Zeitungen über die Demonstrationen war frech und schamlos: Die reaktionäre „Tägliche Rundschau" schrieb: „Ein nicht unangenehmes praktisches Ergebnis für betrachtsame Beobachter hat der Tag vielfach doch gehabt. Er hat gezeigt, daß es recht wohlansehnliche, sauber und solide gekleidete und gesund aussehende Leute waren, die es für gut, nötig oder erlaubt hielten, hie und da zugweise und geruhsam durch Berlin zu spazieren." 101 Das freisinnige „Berliner Tageblatt" machte flugs aus den Demonstranten gegen die Regierung Demonstranten für die Regierung, indem es die „nach Tausenden zählende Menschenmenge" auf dem Schloßplatz die mit Musik aufziehende Wache mit Hurrarufen begrüßen ließ. 1 0 2 Der „Vorwärts" brauchte eine differenziertere Farbenskala, um die Wahrheit zu verfälschen. „Das Straßenbild Berlins", das er in seiner Dienstagausgabe entwarf, war dann auch ein Meisterwerk der Heuchelei, süßlich im Ton, mit humorvollen Effekten, getragen von einer scheinheiligen Zuneigung zu den braven Berlinern, die gar nicht bösartig, gar nicht revolutionär, sondern nur ein wenig lebhaft und allerdings auch ein wenig verärgert waren. Es lohnt, einige Teile wörtlich wiederzugeben: „Potsdamer Platz, Leipziger Straße, Frifcdrichstraße, Alexanderplatz usw. boten den ganzen Tag über das Bild normalen Verkehrs... Dagegen sammelte sich in der näheren Umgegend des Schlosses nach Mittag langsam ein Publikum, das zumeist den Charakter der Gäste 88 99 100 101 102
Ebenda, Bl. 111. Ebenda, Bl. 110/111. Ebenda, Bl. 101, 102, 110, 111. „Tägliche Rundschau", Nr. 193, vom 17. April 1917. „Berliner Tageblatt", Nr. 192, vom 16. April 1917.
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aufwies, die sich bei dem Aufziehen der Wache einzustellen pflegen, in der großen Überzahl ganz junge Menschen beiderlei Geschlechts, dazu auch eine Anzahl Frauen, vielfach mit Handtaschen, wie sie die Hausmütter beim morgendlichen Einkauf und beim ,Anstehen' vor den Läden tragen. Als die Ansammlungen zunahmen, weil die Passanten aus Neugier zu verweilen sich anschickten, wurde ganz langsam nach und nach das Publikum aus der Umgegend von Schloß, Lustgarten und Dom zurückgewiesen, . . . Schutzleute und in geringer Zahl auch Soldaten ließen nur noch vereinzelte Passanten hindurch und hielten die Fahrdämme f r e i . . . Nur in einem einzigen Falle beobachteten wir die Abführung eines Mädels, das gegenüber einem Schutzmann anscheinend ,eine Lippe riskiert' hatte. Große Heiterkeit erweckte es, als ein sehr junger Arbeiter in Werktagstracht in einer Droschke angefahren kam, um so durch die Sperre nach den Linden hin sich durchzuschmuggeln. Er mußte aussteigen und die unter diesen Umständen nutzlose Fahrt bezahlen, was ihm ein unbändiges Gelächter eintrug." 1 0 3 Auf diesen heiter-sinnigen Hintergrund setzte der „Vorwärts" dann einige spärliche dunklere Farbtupfen, bittere Gespräche der Frauen miteinander, die dem verlogenen Bilde zu einem Anschein von Echtheit verhelfen sollten. Trotz der imponierenden Teilnehmerzahl einzelner Demonstrationszüge muß festgestellt werden, daß gemessen an dem Umfang des Streiks die Gesamtzahl derer, die auf die Straße gingen, eine Minderheit blieb. Polizei und Militär standen auch nie der gesamten Masse der Demonstranten gegenüber, sondern hatten immer nur einzelne Teile abzuwehren. Es fehlte die organisierende, lenkende Hand. In den betrieblichen Versammlungen, aus denen sich die meisten Straßendemonstrationen entwickelten, hing es in der Regel von der Fähigkeit und Möglichkeit einzelner Spartakusanhänger ab, die heftige Gegenwehr der opportunistischen Gewerkschaftsvertreter zu überwinden und die Massen auf die Straße zu führen. Der Außendienst des Polizeipräsidiums drückte diese Beobachtung in seiner Polizeisprache folgendermaßen aus: „Die Straßendemonstrationen dagegen zeigen, daß die weitaus größte Mehrzahl der Arbeiterschaft solchen abhold ist. Sie konnten sich nur da entwickeln, wo ganz extrem Radikale — meist nach der Versammlung — die Führung übernahmen." 1 0 4 Diese Bemerkung ist ein glänzendes Zeugnis für die Spartakusgruppe, die überall bemüht war, die Aktion der Massen Stufe um Stufe zu heben. Aber sie läßt auch den lähmenden Einfluß des Opportunismus in seiner ganzen Schwere ahnen. Die geringere Zahl der Verhaftungen beweist, daß die Demonstranten an keiner Stelle versuchten, die Polizeisperren mit Gewalt zu durchbrechen. Kleinere Trupps ließen sich zerstreuen, größere Mengen sich abdrängen, um ihren Weg durch Stadtteile zu nehmen, in denen die Polizei nicht einschritt. Selbst die 1000 Arbeiter der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Moabit, die immerhin trotz Behinderung durch Polizeikräfte ihr Ziel, das Charlottenburger Rathaus, erreichten, ließen sich am Ende wieder durch leere Versprechungen beruhigen. Ausgerechnet auf Veranlassung des Polizeioffiziers, der mit seinen wenigen Beamten der großen Menschenmenge nicht beikommen konnte, „Vorwärts", Nr. 104, vom 17. April 1917. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 330. 3* 108
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„wählten die Leute vor dem Rathaus eine Abordnung von sieben Mann, die vom Oberbürgermeister in einstündiger Besprechung, an der auch zwei sozialdemokratische Stadtverordnete teilnahmen, empfangen wurden. Die Ansammlung auf der Straße verhielt sich vollkommen ruhig; sie hatte einige Ordner, die auch Vorübergehenda fernhielten." 1 0 5 Ohne Kenntnis des Ergebnisses der Verhandlungen, auf die bloße Mitteilung eines Deputationsmitgliedes, daß nachmittags in der Kronenbrauerei Bericht erstattet würde, löste sich die Menschenmenge binnen fünf Minuten auf. Die Regie der opportunistischen Gewerkschaftsführung und der staatlichen Behörden hatte gut funktioniert. Während die einen die Arbeiter von der Straße zurückhielten, bemühten sich die anderen, durch vorsichtige Zurückhaltung beim Einsatz ihrer bewaffneten Kräfte Zusammenstöße zu vermeiden, die die Bewegung notwendig radikalisiert-hätten. „So konnte man am Abend des 16. April", heißt es in dem Bericht v. Loebells an Wilhelm II., „die Straßenkundgebungen im allgemeinen als einen Mißerfolg bezeichnen und hoffen, daß die ausständige Arbeiterschaft es bei diesem einen Demonstrationstage bewenden lassen würde." 1 0 6 Zweifellos hatten die Straßendemonstrationen nicht das gebracht, was sie hätten bringen können. Die Berliner Arbeiterschaft hatte es noch nicht verstanden, diese Waffe so einzusetzen, daß sich die Bewegung durch handgreifliche Überwindung von Widerständen steigerte. Es ist zwar zu verstehen, daß sich der Polizeipräsident im Gefühl, einer gefährlichen Situation entgangen zu sein, zu der überaus optimistischen Prognose verstieg: „Die Gesamtlage wird von mir dahin beurteilt, daß der Ausstand schwerlich länger als für den heutigen Tag dauern und daß der weitaus überwiegende Teil der Ausständigen morgen zu ihrer Arbeit zurückkehren wird." 1 0 7 Aber er sollte sich irren. Die entscheidenden Kämpfe um das Schicksal der Streikbewegung wurden in den Betriebs- und Vertreterversammlungen ausgefochten. Hier rangen die echten Revolutionäre um die Einsicht der Massen in die Notwendigkeit, die Bewegung zu radikalisieren und sich politische Ziele zu stecken; hier setzten die opportunistischen Gewerkschaftsfunktionäre all ihre erprobten Mittel ein, um die Bewegung auf ein Nebengleis abzulenken, sie zu verlangsamen, zu stoppen und schließlich wieder zurückfluten zu lassen. Die leitenden Funktionäre der Verwaltungsstelle Berlin des Metallarbeiterverbandes, Cohen und Siering, besaßen Routine im Verrat und hatten schon vor den Streiks umsichtige Vorbereitungen getroffen, falls ein Ausbruch nicht zu vermeiden war. Bereits in einer Sitzung am 14. April war festgelegt worden, „daß in der am Sonntag, den 15. April, stattfindenden Generalversammlung der Verwaltungsstelle Berlin unseres Verbandes die Erklärung abgegeben wird, daß, wenn sich am Montag herausstellen sollte, daß die Arbeiter nicht arbeiten, die Leitung des Metallarbeiter-Verbandes zur Beilegung des Ausstandes die erforderlichen Schritte veranlassen solle. Es wurde weiter vereinbart, daß von den im Ausstand befindlichen Betrieben am Montag, den 16. April, je ein Vertreter an einer gemeinsamen Versammlung teilnehmen soll und daß diese 106 loe 107
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 106. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, XXI Generalia 17, Bd. 5, Bl. 114. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 99.
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so zusammengesetzte Körperschaft alle zur Behebung des Ausstandes erforderlichen Beschlüsse fassen soll." 108 Cohen konnte nicht verhindern, daß die Generalversammlung den Streik beschloß. Also sah er seine Hauptaufgabe darin, zunächst die Streikbasis in jeder Hinsicht, organisatorisch und in ihrer Zielsetzung, möglichst einzuengen. Dem diente erstens die Bildung jener Vertreterkörperschaft, die die Generalversammlung aus der Führung des Streiks ausschaltete. Die Vertreterversammlung konnte, da sie sich nur aus Abgesandten der streikenden Betriebe zusammensetzte, keine für die gesamte Berliner Metallarbeiterschaft verbindlichen Beschlüsse fassen. Dem diente zweitens der Vorschlag, durch die Vertreterversammlung eine Kommission wählen zu lassen, die mit den Behörden über eine bessere Versorgung der Arbeiter mit Lebensmitteln verhandeln sollte. Damit wurde die gesamte Bewegung in ihrer Zielsetzung nicht nur auf wirtschaftliche Forderungen, zu denen immerhin auch Lohn- und Arbeitszeitfragen gehörten, sondern sogar auf die ganz enge Lebensmittelfrage eingeengt. Im wesentlichen konnte sich Cohen auf der Generalversammlung durchsetzen. Nar in einem Punkte erlitt er eine Niederlage. Der Generalversammlung war bekannt geworden, daß die Behörden den Führer der einflußreichsten Branche der Berliner Metallarbeiter, der Eisen- und Metalldreher, den revolutionären Obmann Richard Müller, zwei Tage zuvor verhaftet und nach Jüterbog in ein Militärlager transportiert hatten, um der Streikbewegung einen führenden Kopf zu rauben. Der Auftrag der Generalversammlung an die Vertreter-Körperschaft, die Entlassung des Kollegen Müller vom Militär zu erzwingen, war ein Akt proletarischer Solidarität, der eine politische Note trug. „Cohen versuchte vergebens, dieser Forderung die Spitze umzubiegen." 109 Die Vertreter-Körperschaft trat am 16. April vormittags zusammen und wählte die Kommission, die mit den Behörden die Verhandlungen führen sollte. Sie setzte sich aus den drei Gewerkschaftsfunktionären Körsten, Cohen und Siering, die den Streik unter allen Umständen abwürgen wollten, und acht Arbeitern zusammen, die insbesondere die Großbetriebe und die nicht in Großbetrieben beschäftigten Branchen vertraten. 110 Am Nachmittag wurden sie von dem Preußischen Staatskommissar für Volksernährung, Dr. Michaelis, empfangen. Inzwischen fanden in allen Teilen der Stadt Versammlungen der Streikenden selbst statt. Wo die Räumlichkeiten nicht ausreichten, die Teilnehmer zu fassen, kam man unter freiem Himmel zusammen. Im Humboldthain versammelten sich „etwa 3000 Mann unter stillschweigender, gestern von dem Oberkommandierenden in den Marken gebilligter Zustimmung der Polizei", wie v. Oppen berichtete. 111 Die Ver108 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 80. 1W Riehard Müller: Vom Kaiserreich zur Republik, Bd. 1, Wien 1924, S. 82. 110 „Die Kommission bestand aus den Kollegen Otto Beier (C. P. Goerz), Otto Biller (Borsig), Robert Bredow (Gelbmetallindustrie), Johannes Ehrke (AEG), Franz Fischer (D.W.F.), Otto Kraatz (Rohrleger), Willi Michaelis (D.T.W.), Otto Tost (Schwartzkopff), Alwin Körsten (Gewerkschafts-Kommission), Adolf Cohen und Wilhelm Siering (Deutscher Metallarbeiter-Verband)." Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 80. 111 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 99.
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Sammlung der Rüstungsarbeiter aus Ober- und Niederschöneweide fand auf einem freien Gelände an der Spree statt und zählte sogar 12 0 0 0 T e i l n e h m e r . 1 1 2 Die Polizei wagte nirgends, dagegen einzuschreiten. Der Gemeindevorsteher in Velten verweigerte zwar die telefonisch geforderte Genehmigung einer Betriebsversammlung der A E G Hennigsdorf im Lokal Grunow, sandte aber gleichzeitig zwei Gendarmerie-Wachtmeister „zur Überwachung
der voraussichtlich stattfindenden Versammlung".
Er
sollte sich nicht getäuscht haben: R u n d 1 0 0 0 Streikende fanden sich ein, und der Wachtmeister Sievert konnte für die Sicherheit des Staates nichts weiter tun als einen Bericht über den Verlauf der Versammlung a u f s e t z e n . 1 1 3 Die raffinierte Taktik der Cohen und Siering, die mit der Bildung der Kommission und der konkreten Auftragserteilung an sie den Streikenden die Initiative aus der Hand genommen hatten, verhinderte mit Erfolg, daß in den Versammlungen weitergehende
Kampfbeschlüsse gefaßt wurden. Die als Versammlungsleiter
wirkenden
Gewerkschaftsfunktionäre ermahnten in der Regel die Anwesenden zur ..Ruhe und Besonnenheit", verwiesen auf die Kommission und ihre Verhandlungstätigkeit und beraumten neue Versammlungen an, wo über die Ergebnisse berichtet werden sollte. Dennoch zeigte sich in vielen Fällen sehr eindeutig, daß die Arbeiter den Streik nicht nur um der Lebensmittelfrage willen führen wollten. Auch dort, wo man über wirtschaftliche Forderungen nicht hinausging, steckten sich die Arbeiter größere Ziele, als sie von der Kommission auf Betreiben Cohens verfolgt wurden. Der Landrat des Kreises Teltow berichtete von Arbeitsniederlegungen und Versammlungen in Wildau, Friedenau, Steglitz, Mariendorf, Drewitz, Nowawes, Tempelhof, Treptow, Adlershof, Niederschöneweide: „Verlangt wird höhere Brot- und Fleischration, ferner 6 0 °/o Lohnerhöhung und 7stündiger Arbeitstag. In einigen Versammlungen wurde neben Erhöhung der allgemeinen Schwerarbeiter-Brotzulage
Massenspeisung nach
Berliner
Grundsätzen gefordert, an der auch die ,oberen 1 0 0 0 0 ' teilzunehmen hätten."
114
In
den Betriebsversammlungen der Isolatorenwerke und der Firma Eggebrecht & Schumann in Pankow wurde neben den Lebensmittel-, Arbeitszeit- und Lohnforderungen verlangt, daß bestimmte Mängel am Arbeitsplatz beseitigt würden. Man beschloß, mit verschiedenen
Forderungen an die einzelnen
Direktionen heranzutreten. 1 1 5
Hier
zeigte sich bereits die Gefahr der Zersplitterung, wie sie sich mit Notwendigkeit bei einer Bewegung ergab, in der sich Verräter wie Körsten, Cohen und Siering maßgeblichen Einfluß erschlichen hatten. In anderen Versammlungen, die sich meist auch durch besonders hohe Teilnehmerzahlen auszeichneten, wollte man überhaupt nicht bei rein wirtschaftlichen Forderungen stehen bleiben. Bezeichnend war die Antwort, die viele Stimmen aus der 1 2 OOOköpfigen Versammlung in Schöneweide dem Redner gaben. Einleitend hatte er betont, daß der Streik „sich nicht gegen die Direktion der Werke, sondern gegen die Regierung richte", daß bei der unzureichenden und ungerechten Versorgung unter Ebenda, Ebenda, 114 Ebenda, i « Ebenda, 112
113
Bl. Bl. Bl. Bl.
153. 124. 203. 191.
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keinen Umständen gearbeitet werden könne, und er schloß mit der Frage:. „Was soll nun geschehen?" Die Reaktion der Massen war nach dem Zeugnis des Polizeiberichts eindeutig: „viele Stimmen aus der Versammlung riefen: ,Stürzt die Regierung!'" Allerdings gelang es der Versammlungsleitung auch hier, die Forderungen wieder auf das wirtschaftliche Gebiet zurückzudrängen, wobei sie folgende vorbereiteten Beschlüsse zur Annahme vorlegte: „1. 2. 3. 4.
Gerechte und gleichmäßige Verteilung der Lebensmittel, Beibehaltung der Verteilung der Hülsenfrüchte, Weniger Arbeitszeit, Abschaffung der Sonntagsarbeit." 1 1 6
In der Borussia-Brauerei in Weißensee, wo sich 3000 Arbeiter eingefunden hatten, mußte der Versammlungsleiter zu der Lüge greifen, daß die von der Vertreter-Körperschaft eingesetzte Kommission „mit der Regierung über Brotration, bessere Löhne und Einleitung von Friedensverhandlungen" Besprechungen f ü h r e . 1 1 7 Die Versammlung im Humboldthain erhob mit allem Nachdruck die Forderung nach Frieden. Zwei Soldaten, die an der Kundgebung teilnahmen, rissen sich als Zeichen des Protests gegen den Krieg die Schulterstücke herunter. Im Anschluß an die Versammlung formierten sich die Streikenden zu einem Demonstrationszug, um zum Stadtinnern zu marschieren. 1 1 8 Am Nachmittag des 16. April fand die entscheidende Unterredung der Streikkomission unter Führung von Körsten, Cohen und Siering beim Staatskommissar f ü r Volksernährung, Geheimrat Michaelis, und in Gegenwart des Oberbürgermeisters Wermuth statt. Der Reichskanzler hatte ausdrücklich seine Zustimmung erteilt. 1 1 9 Der Routine jener drei Stützen des Burgfriedens und geschworenen Feinde des Massenstreiks wären die acht übrigen Kommissionsmitglieder von vornherein unterlegen. Das Ergebnis der Unterredung war eine magere Erklärung des Staatskommissars, die er der Abordnung auch schriftlich aushändigen ließ. Darin wurde zugesagt, daß die Brot-, Fleisch- und Kartoffelrationen in der festgesetzten Höhe tatsächlich geliefert würden, daß Maßnahmen zur besseren Erfassung der Nahrungsmittel u n d zur Unterbindung des Schleichhandels getroffen seien. Die vage Hoffnung, daß sich bei nochmaliger P r ü f u n g Mehrbestände ergeben könnten, erschien nicht zu dürftig, um ebenfalls in die Erklärung aufgenommen zu werden. Die Falle, mit der Behörden und Gewerkschaftsführer die Arbeiter zu fangen gedachten, bildete den Schluß: „Der Staatskommissar erklärte ferner sein Einverständnis, daß die heute versammelten Vertreter der Arbeiterschaft als ständige Kommission bei dem Oberbürgermeister von Berlin bzw. dem Arbeitsausschuß f ü r Groß-Berlin fortan in Fragen der Verteilung der Nahrungsmittel fungierten, und erklärte sich gern bereit, auch seinerseits diese Kommission 116
Ebenda, Bl. 153. Ebenda, Bl. 190. 118 Klaus Mammach: Der Einfluß der russischen Februarrevolution und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die deutsche Arbeiterklasse, Februar 1917 —Oktober 1918, Berlin 1955, S. 33. 118 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Kep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 116. 117
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über die Ernährungsfragen auf dem Laufenden zu halten und sie insbesondere zu hören, wenn durch Veränderung in den Beständen oder aus anderen Gründen Veränderungen in der Bemessung der Nahrungsmittel für die Bevölkerung von GroßBerlin in Frage kämen." 1 2 0 Eine solche ständige Kommission konnte natürlich an der Ernährungsfrage nicht das geringste zugunsten der Arbeiter ändern, aber sie bildete umgekehrt eine treffliche Brustwehr für die Regierung, die sich gegenüber zukünftigen Forderungen der Arbeiter dahinter verschanzen konnte. Daß die Lebensmittelkommission faktisch ohne jeden Einfluß blieb, hat später die Verwaltungsstelle Berlin des Metallarbeiterverbandes in ihrem Jahresbericht f ü r 1917 sogar selbst zugeben müssen. 121 Zunächst aber stellte sie für Cohen ein hervorragendes Mittel dar, die Streikenden auf den Weg der Kapitulation zu führen. Er brauchte es um so notwendiger, als in anderen Punkten die Deputation noch nicht einmal Zusicherungen vom Werte jener Erklärung erhielt. Es war die Zusage verlangt worden, daß keinerlei Maßregelungen gegen die am Streik Beteiligten erfolgten und daß Richard Müller sofort entlassen würde. Geheimrat Michaelis erklärte sich hinsichtlich dieser Punkte für nicht zuständig und verwies die Deputation an das Oberkommando in den Marken. 1 2 2 Mit diesen Bescheiden trat die Kommision abends vor die Vertreterkonferenz im Gewerkschaftshaus am Engelufer. Cohen tat sein Möglichstes, der Versammlung die Zusagen des Staatskommissars für Volksernährung als einen bedeutenden Erfolg zu schildern, der den sofortigen Abbruch des Streiks rechtfertigte. Aber 8 Arbeiter waren leichter von Cohen und seinesgleichen zu dirigieren als 200. Der Bericht der Kommission wurde mit Entrüstung aufgenommen. Trotzdem bestand Gefahr, daß Cohen mit seiner Absicht am Ende durchdringen würde. In dieser Situation traten verschiedene Mitglieder der Vertreterkonferenz mit einer von Leipziger Arbeitern angenommenen Resolution auf und forderten, daß sie auch hier in Berlin zum Beschluß erhoben würde. 1 2 3 Die Resolution sah eine Abordnung an den Reichskanzler vor, dem folgende Forderungen unterbreitet werden sollten: „1. 2. 3. 4. 5.
Ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln und Kohlen; Erklärung der Regierung zur Friedensbereitschaft ohne Annexionen; Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur; Aufhebung der Beschränkung des Koalitions-, Vereins- und Versammlungsrechts; Aufhebung des schändlichen Zwangsgesetzes; 124
120
Ebenda, Bl. 118. Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 95. 122 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 116/117. 123 „Metallarbeiter-Zeitung", Nr. 27, vom 7. Juli 1917; vgl. auch das Flugblatt „An unsere Mitglieder!", hrsg. von der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen MetallarbeiterVerbandes, (Brandenburgisehes Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. la, Bd. 4, unfoliiert). 124 Gemeint ist das vom Reichstag am 2. Dezember 1916 verabschiedete „vaterländische Hilfsdienstgesetz''. 121
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6. Befreiung der wegen politischer Vergehen Festgenommenen und Niederschlagung aller politischen Strafverfahren; 7. Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts in allen Körperschaften des Staates und der Gemeinden. Der Deputation an den Reichskanzler bleibt es überlassen, weitergehende Forderungen, die sich aus der politischen Situation ergeben, im Namen der Versammelten zu erheben. Die Versammelten fordern die ganze Arbeiterschaft auf, sich diesen Forderungen anzuschließen. Zur wirksamen Vertretung der Arbeiterinteressen fordern die Versammelten alle Berufsgruppen auf, Vertreter zu entsenden, um mit den Vertretern der Metallarbeiter und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei einen Arbeiterrat zu bilden. Die Versammelten geloben, die Arbeit nicht früher aufzunehmen, als bis von der Regierung befriedigende Zugeständnisse gemacht worden sind." 1 2 5 Damit war ein ganz neuer Ton in die Vertreterkörperschaft gebracht. Man begann, „russisch" zu sprechen. Die Bildung eines Arbeiterrates war eine Forderung nach russischem Muster. Die Lebensmittelfrage wurde ihrer sekundären Bedeutung entsprechend dem politischen Kampf für Frieden und Demokratie untergeordnet. Die Leipziger Resolution war geeignet, die Streikbewegung in Berlin aus dem engen Rahmen, in dem sie die opportunistische Gewerkschaftsführung zu halten suchte, herauszuführen, sie zu einer bewußten politischen Massenaktion zu entwickeln. E s gelang Cohen in der Versammlung, die Annahme der Resolution ¿ u hintertreiben. Aber es gelang ihm nicht mehr, die sofortige Beendigung des Streiks durchzusetzen. Die Vertreterkörperschaft beschloß, den Streik in unverminderter Stärke andauern zu lassen, bis vom Oberkommando in den Marken befriedigende Erklärungen gegeben würden. 1 2 6 125 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 384. 126 „Vorwärts", Nr. 105, vom 18. April 1917.
K A P I T EL V
DER
KAMPF
PARTEI-
UND
GEGEN
DIE
ABWÜRGEPOLITIK
GEWERKSCHAFTSFÜHRUNG
AM
DER
RECHTEN
ZWEITEN
STREIKTAG
Der zweite Streiktag zeigte, daß es dem Klassenfeind außerhalb und innerhalb der Arbeiterbewegung noch nicht gelungen war, wesentliche Einbrüche in die Front des kämpfenden Berliner Proletariats zu erzielen. Nach den Angaben des Polizeipräsidenten hatten am 17. April von den Streikenden erst 15 532 die Arbeit wieder aufgenommen. 1 2 7 Der Abbröckelungsprozeß war am stärksten in den kleineren Betrieben, wie aus dem detaillierten Bericht des Polizeipräsidenten von Schöneberg 1 2 8 und den Verzeichnissen des Pankower Amtsvorstehers 1 2 9 hervorgeht. Einige arbeiteten am 17. April schon wieder vollzählig. Andererseits wurden verschiedene Betriebe überhaupt erst an diesem Tage von der Streikbewegung erfaßt. Nach dem Bericht des Pankower Amtsvorstehers vom 17. April streikten in den Rüstungsbetrieben des Bezirks um 1 Uhr mittags 1783 Arbeiter; das war im Vergleich zum 16. April ein Rückgang um 592 Streikende. In den anderen Fabriken aber streikten um dieselbe Zeit 1218 Arbeiter; das war eine Zunahme von 372 Streikenden. 1 3 0 Ein bedeutender Erfolg war es vor allem, daß sich am 17. April über 9000 Arbeiter der staatlichen Rüstungsbetriebe in Spandau dem Streik anschlössen. 1 3 1 Der Gedanke, die Arbeiter durch Drohungen zum Streikabbruch zu bewegen, tauchte unter diesen Bedingungen ebenso schnell wieder unter, wie er aufgetaucht war. „Dem Vernehmen nach", so wußte der Polizeipräsident dem Innenminister am 17. April zu berichten, „sollen die Leiter der großen Betriebe beabsichtigen, ihrer Arbeiterschaft heute nachmittag mitzuteilen, daß sie, wenn die Arbeit morgen nicht im vollem Umfange wieder auf-
127 128 129 130 131
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 114. Ebenda, Bl. 113. Vgl. S. 28/29. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 200. Ebenda, Bl. 280.
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genommen wird, ihre Betriebe für die ganze Woche schließen würden." 132 Eine Blaustiftnotiz an dieser Stelle am Bande vermerkt: „Inzwischen überholt." Abgesehen von dem gewaltigen Produktionsausfall, den sich die Begierung nicht leisten konnte, wäre diese offene Kampfansage der herrschenden Klasse außerordentlich gut geeignet gewesen, die Streikbewegung zu radikalisieren. Die einzig mögliche Methode, den Streik abzuwürgen, blieb für die Bourgeoisie wie am 16. April die der Ablenkung auf Nebengeleise, der wortreichen und inhaltslosen Versprechungen. Die Verräter innerhalb der Arbeiterbewegung, die Cohen, Körsten, Siering, waren nach wie vor ihr wertvollstes Instrument. Aber wenn auch die Streikbewegung zahlenmäßig nicht wesentlich schwächer war als am Vortage, so war sie darum doch nicht gefestigter: Ein Abbröckelungsprozeß setzte ein, wenn auch schwach und wenn auch frisch in den Streik Tretende die Lücken teilweise wieder ausfüllten. Der 17. April sah keine Straßendemonstrationen mehr. Die Abwiegelei der Gewerkschaftsführer wurde intensiver. Cohen und Konsorten hatten sich fest in der Streikführung eingenistet. Wenn jetzt der Angriff nicht vorwärts getragen wurde, so mußte die Bewegung mit Notwendigkeit in sich zusammenfallen. Die Leipziger Besolution war eine Fanfare, die das Berliner Proletariat zum Angriff rief. Sie legte den Arbeitern die unbedingte Notwendigkeit dar, die Einengung des Kampfes auf Wirtschaftsfragen nicht zu dulden und ihn politisch zu führen. Darüber hinaus griff sie Erfahrungen der russischen Bevolution auf und propagierte die Bildung eines Arbeiterrates. Darin besteht ihr Verdienst um die Streikbewegung in Berlin. Nicht umsonst verfügte die Oberzensurstelle beim Kriegspresseamt am 17. April: „Veröffentlichung, Besprechung der in einer Versammlung von den Streikenden der Leipziger Arbeitsgemeinschaft gefaßten Beschlüsse und eines Telegramms an den Reichskanzler sind unerwünscht. Es wird gebeten, sie zu verhindern." 133 Dennoch waren die Forderungen der Leipziger Resolution zum Teil irreführend. Im Grunde waren sie nichts anderes als ein Konzentrat des Aktionsprogramms, das die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft am 22. März aufgestellt hatte. 134 Der Abgeordnete der USPD Dr. Cohn hatte durchaus recht, wenn er am 5. Mai im Reichstag erklärte: „Meine Herren, ich verstehe es nicht, wie irgendein Liberaler . . . einen Anstoß an dem allergrößten Teil dieser Forderungen nehmen sollte." 135 Was die Leipziger Besolution von dem Märzprogramm unterschied, war die allerdings bedeutende Tatsache, daß dieses ausschließlich als Vorlage für den „Reichstag der imperialistischen Mameluckengarde", wie Spartakus schrieb, 136 bestimmt war, während jene in Massenaktionen der Arbeiter verfochten wurde. Im gegebenen Augenblick, da die Cohen und Konsorten den Streik abzuwürgen im Begriffe waren, hatte die Besolution, weil sie den Angriff vorwärtstrug, eine revolutionäre Bedeutung. 132 133 134 135 136
Ebenda, Bl. 114. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 949, Nr. l b , Bl. 360. Vgl. S. 10/11. Verhandlungen des Reichstags, a. a. 0 . , Bd. 309, S. 3099. Spartakusbriefe, a. a. O., S. 105.
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Die Spartakusgruppe, die einzig konsequent revolutionäre Richtung in der Arbeiterbewegung, durfte dennoch nicht die grundsätzlichen Unterschiede, die sie von der Arbeitsgemeinschaft trennten, verleugnen. Hatte die Leipziger Resolution auch im konkreten Moment revolutionäre Bedeutung, so blieb sie trotzdem grundsätzlich opportunistisch. Strategie und Taktik der Spartakusgruppe waren dagegen grundsätzlich revolutionär. Sie schritt der Bewegung voran, um sie im offensiven Kampfe klarer, entschiedener, fester werden zu lassen. In der gegebenen Situation kam es darauf an, die Masse der Arbeiter für die folgenden Erkenntnisse zu gewinnen: Das Aufstellen nur wirtschaftlicher Forderungen bringt keine Ergebnisse, weil die gegenwärtige Regierung keine der Zusagen, die ihr abgezwungen werden, erfüllen kann. Nur der politische Kampf der Massen für einen wirklichen Frieden führt aus der Sackgasse heraus. Voraussetzung eines wirklichen Friedens ist der Sturz der Regierung und die Errichtung eines demokratischen Deutschlands. Darum müssen die Forderungen des Tages demokratische Rechte sein, die der Arbeiterklasse größtmögliche Freiheiten des Handelns gewähren. In diesem Sinne agitierte das Flugblatt der Spartakusgruppe, das am 17. April unter die Streikenden gebracht wurde: „Arbeiter,
Arbeiterinnen!
Endlich habt Ihr Euch zum Kampf entschlossen! Endlich habt Ihr eingesehen, daß Ihr die Betrogenen seid! Man will Euch jetzt mit ,Zusatzkarten' ködern. Wider besseres
Wissen!
Denn die Regierung weiß genau, daß sie ihre Zusagen nicht halten kann. Alle Versprechungen der Regierung sind wertlos; sie haben nur den schwindelhaften Zweck, Euch immer wieder zum ,Durchhalten' zu ermuntern. Seit über 2 i / i Jahren predigt man Euch vor: ,Durchhalten'. Immer wieder spiegelt man Euch vor: ,Haltet nur noch kurze Zeit aus, der Friede steht nahe bevor.' Jetzt will man Euch einen Seperatfrieden mit Rußland an die Wand malen. Das ist ein neues plumpes Täuschungsmanöver; denn einerseits würde der Separatfrieden mit Rußland keinen Frieden für Euch bedeuten. Er soll ja nur dazu dienen, den Kampf gegen die Westmächte mit verschärfter Energie fortführen zu können. Andererseits denkt das revolutionäre Rußland gar nicht daran, einen Separatfrieden mit dem autokratisch regierten
militaristischen
Deutschland zu schließen. Wollt Ihr also einen wirklichen Frieden mit allen Ländern haben, dann müßt Ihr die Demokratie verwirklichen.
Deutschlands
Der Aprilstreik 1917 in Berlin
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Unsere Forderungen sind daher: 1. Sofortige Aufhebung 2. Beseitigung 3. Vollständige 4. Sofortige
des
Belagerungszustandes;
der Zensur und der
Schutzhaft;
Rede-, Preß-, Vereins- und
Außerkraftsetzung
des
Versammlungsfreiheit;
Arbeitszwangsgesetzes.
Nehmt nicht eher die Arbeit wieder auf, bis diese Forderungen erfüllt sind. Nieder mit dem
Krieg!
Es lebe die freie Demokratie!"
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Ein Vergleich dieses Flugblattes mit der Leipziger Resolution zeigt besonders deutlich die ausgeprägt revolutionäre Haltung der Spartakusgruppe: Die Ernährungsfrage ebenso wie die Erklärung der Regierung zur Friedensbereitschaft ohne Annexionen rangiert nicht mehr unter den Forderungen, weil das die Bewegung nur auf Nebengleise abgelenkt haben würde; auch alle Wahlrechtsforderungen sind als überholt fallengelassen. Die Spartakusgruppe setzte alle Kräfte ein, um der Berliner Streikbewegung klare, vorwärtsweisende Angriffsziele zu stecken. Die Agenten des Klassenfeindes innerhalb der Arbeiterbewegung waren zu gleicher Zeit nicht weniger rührig, das Gegenteil zu bewirken. Am Vormittag des 17. April hatte Siering zusammen mit zwei Kommissionsmitgliedern beim Oberkommando in den Marken die erbetene Aussprache geführt. 1 3 8 Die Zusicherungen, zu denen sich das Oberkommando bereit fand, waren noch dürftiger als die des Staatskommissars für Volksernährung am Vortage: Bezüglich Richard Müllers wurde, wie der „Vorwärts" mitteilte, der Kommission erklärt, „daß er auf schnellstem Wege aus dem Militärdienst entlassen wird, wenn ihn ein Betrieb reklamiert, falls eine Nachprüfung ergeben sollte, daß er aus anderen als militärischen Gründen eingezogen worden sei. Die Herren im 137
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, unfoliiert; dieses Flugblatt ist auch abgedruckt in: Spartakus im Kriege. Die illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege. Gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, 5. 185/186. Meyer zählt es irrtümlich zu den während des Januarstreiks 1918 herausgegebenen Flugblättern. Dagegen sprechen zunächst solche Formulierungen im Flugblatt wie diese: „Seit über 2 1 / 2 J a h r e n predigt man euch vor: .Durchhalten'." I m J a n u a r 1918 h a t t e der Krieg schon 31/,2 J a h r e gedauert. Einen überzeugenden Beweis f ü r die Fehldatierung durch Meyer bietet dann die Tatsache, daß der Chef des Kriegsamts Groener in seiner Reichstagsrede vom 7. Mai 1917 folgende Stelle aus dem Flugblatt zitieren konnte: „ M a n will euch jetzt mit Zusatzkarten ködern wider besseres Wissen. Denn die Regierung weiß genau, daß sie ihre Zusagen nicht halten kann." (Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 310, S. 3141). Auch der Innenminister v. Loebell erwähnte in seinem Bericht vom 30. April 1917 an Wilhelm I I . dieses Flugblatt, wenn er von einem Handzettel sprach, der die Arbeiter aufforderte, „die Demokratie Deutschlands zu verwirklichen". (Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H , X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 115). 138 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht f ü r das Geschäftsjahr 1917, S. 82.
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G e n e r a l k o m m a n d o versicherten aber, d a ß n i e m a n d anders als aus militärischen Gründen einzogen wird." 1 3 9 Alles hing jetzt f ü r die Cohen, Siering und Körsten davon ab, ob es diesmal gelang, die Vertreterkörperschaft über die Dürftigkeit der Zugeständnisse hinwegzutäuschen u n d den Zweck des Streiks als erreicht hinzustellen. Eine unersetzliche Hilfe leistete ihnen „die traditionelle Organisationstreue u n d Organisationsdisziplin, die gerade", wie Otto Grotewohl bemerkt, „bei älteren deutschen Arbeitern, die im Kriege in den Betrieben vorherrschten, die Loslösung von d e m Einfluß der sozialdemokratischen Funktionäre, v o n der alten Partei u n d ihren Befehlen erschwerten, obgleich sie mit ihr u n d ihren Zielen u n d Grundsätzen, mit ihrer Kriegspolitik innerlich längst u n d völlig abgebrochen hatten." 1 4 0 Der Kommissionsbericht stieß auf heftige Opposition in der Vertreterversammlung. Aber der Bereitschaft zur Fortsetzung des Streiks auf der Grundlage weitergehender Forderungen begegnete Cohen mit der geschickten Feststellung, d a ß die Vertreterkörperschaft lediglich die von der Generalversammlung übertragenen konkreten Aufträge zu erfüllen h a b e ; d a r ü b e r h i n a u s f ü h r e n d e Ziele aufzustellen sei nicht Angelegenheit der Vertreterkonferenz, sondern alleiniges Recht der Generalversammlung. Schließlich spielte auch das alte reformistische Argument eine große Rolle, d a ß die Gewerkschaft n u r wirtschaftliche, aber keine politischen Fragen angingen. Solange sich die Versammlung nicht entschloß, aus diesem engen R a h m e n auszubrechen, w a r ihr Zorn machtlos, war Cohens Position stärker. W e n n sie die bestehenden Verhältnisse u n d den Krieg als gegeben h i n n a h m , m u ß t e sie d e m Oberk o m m a n d o einräumen, d a ß es Heeresersatzinteressen zu berücksichtigen hatte, m u ß t e sie das Argument des Staatskommissars f ü r Volksernährung anerkennen, d a ß nicht m e h r Brot verteilt werden konnte als v o r h a n d e n war. Es gab eine heftige Auseinandersetzung. W i e d e r u m w u r d e der Versammlung aus ihrer Mitte die Leipziger Resolution zur A n n a h m e vorgelegt. D r a u ß e n auf dem Hof des Gewerkschaftshauses u n d a m Engelufer harrte seit 12 U h r mittags eine ungeheure Menschenmenge auf die Entscheidung der Vertreterkonferenz. 1 4 1 In einer K a m p f a b s t i m m u n g setzte Cohen durch eine M a j o r i t ä t die Ablehnung der Leipziger Resolution u n d den Beschluß durch, die Streikziele als erreicht zu betrachten u n d a m 18. April die Arbeit geschlossen wieder aufzunehmen.142 Diese Entscheidung fiel a m späten Nachmittag des 17. April. Die vor dem Gewerkschaftshause seit Stunden wartende Menge e r f u h r sie erst nach 17 s o Uhr. 1 4 3 Der Zeitp u n k t ist deshalb v o n Bedeutung, weil er die hinterhältigen Methoden der opportunistischen Gewerkschaftsführer beleuchten hilft. O h n e v o n der Vertreterkonferenz autorisiert zu sein, h a b e n sie nachweislich bereits u m 15 Uhr begonnen, den Streik 138
„Vorwärts", Nr. 105, vom 18. April 1917. Otto Grotewohl: Dreißig Jahre später. Die Novemberrevolution und die Lehren der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1951, S. 58. 141 „Berliner Tageblatt", Nr. 195, vom 18. April 1917. 142 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 196; Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 88. 148 „Berliner Tageblatt", Nr. 195, vom 18. April 1917. 140
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offiziell abzublasen. Nach einem Polizeibericht hatten sich um diese Zeit etwa 20 0 0 0 Arbeiter und Arbeiterinnen aus 40 Betrieben von Ober- und Niederschöneweide an der Spree unter freiem Himmel eingefunden. 144 Die Vertreter der Gewerkschaft gingen raffiniert vor: Sie wandten sich nicht an die Gesamtmenge, sondern sprachen nacheinander zu den Streikenden jedes einzelnen Betriebes. „Auf dem Platze waren 4 0 Papptafeln mit Angabe der einzelnen Fabriken aufgestellt, woselbst sich die Versammlungsteilnehmer der betreffenden Fabriken sammelten." Diesen Gruppen logen die Bezirksleiter von einem Regierungsbescheid vor, nach dem es sogar „Grütze und Grieß nach Bedarf" geben sollte. Heuchlerisch bedauerten sie, daß angeblich bereits 50°/» die Arbeit wieder aufgenommen hätten; das war eine weitere Lüge, die den Kampfgeist der Massen lähmen sollte. Sie endeten mit der Aufforderung, ruhig nach Hause zu gehen, den Aufsichtsbeamten keine Schwierigkeiten zu machen und am nächsten Tage wieder pünktlich die Arbeit aufzunehmen. Stück um Stück bröckelte die gewaltige Versammlung ab: „Nach diesen Ansprachen lösten sich die einzelnen Versammlungsgruppen nacheinander auf und gingen die Teilnehmer ruhig nach Hause." 1 4 5 Mit solchen betrügerischen Methoden sollte ein um diese Zeit immerhin noch möglicher Beschluß der Vertreterkonferenz, den Streik fortzusetzen, von vornherein untergraben werden. Die bürgerliche und die sozialdemokratische Presse glaubte nach der Entscheidung der Vertreterversammlung, daß damit die Massenaktion endgültig zusammengebrochen war. Das WolfT'sche Telegraphenbüro gab am 18. April eine Meldung heraus, die das vollständige Ende der Streikbewegung mitteilte. Die konservative „Tägliche Rundschau" schlug gegenüber dem „nunmehr beendeten Ausstand" und seinen Ergebnissen schon wieder ihren Scharfmacherton an: „Der Eindruck läßt sich kaum noch abwehren, daß die den Ausständigen gewährten Zugeständnisse die alleräußerste Grenze dessen bedeuten, was in Anbetracht der Notwendigkeit der unverzüglichen Beendigung des Ausstandes eingeräumt werden durfte." 1 4 6 Das liberale „Berliner Tageblatt" schrieb über „das Ende der Streikbewegung in Groß-Berlin" und kommentierte die angeblichen Zugeständnisse auf seine Weise: „Man kann also, ohne Übertreibung, von einer Demokratisierung unserer Ernährungspolitik sprechen." 1 4 7 Der „Vorwärts" lieferte einen sogenannten objektiven Bericht über den Streikverlauf, wobei durch die Blume das Verdienst der rechten sozialdemokratischen Führer in der Gewerkschaft an dem Abwürgen der Aktion hervorgehoben wurde. 148 Sie alle sollten sich täuschen. Die Streikbewegung war nicht beendet. Auf einer internen Pressekonferenz beim Oberkommando in den Marken am 21. April erklärte v. Gerlach von der „Welt am Montag": „Das von W . T . B , in der Provinzpresse veröffentlichte Telegramm vom 18. d. Mts., in dem der Streik als erloschen bezeichnet wurde, enthält eine objektive 144 146 146 147 148
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. S00, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 199. Ebenda. „Tägliche Rundschau", Nr. 196, vom 18. April 1917. „Berliner Tageblatt", Nr. 195, vom 18. April 1917. „Vorwärts", Nr. 105, vom 18. April 1917.
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Unwahrheit. Wie muß das auf die Berliner Arbeiter wirken, die genau wissen, daß noch viel gestreikt wird." 149 Gewiß, die Agenten der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung hatten insofern erfolgreich gearbeitet, als sie den Beschluß der Vertreterkonferenz herbeiführten, den .Streik zu beenden; aber es war schon kein einstimmiger Beschluß mehr gewesen. Sie hatten auch insofern erfolgreich gearbeitet, als in der Mehrzahl der Betriebsversammlungen am 17. April die allgemeine Arbeitsaufnahme beschlossen wurde; aber ihr Verrat hatte noch eine andere Wirkung: Die wachsende Einsicht bei großen Teilen der Berliner Arbeiterschaft in die Notwendigkeit des Massenkampfes auf politischer Ebene. Auch dort, wo am Ende die Belegschaft sich doch zur Arbeitsaufnahme entschloß, war häufig erst ein heftiger Widerstand zu überwinden. So stand in der von 2500 Menschen besuchten Betriebsversammlung von Riebe-Kugellager in Weißensee nach der Rede des Gewerkschaftsvertreters Wollstein, der f ü r Streikabbruch plädierte, der Metallarbeiter Waflenschläger auf. „Derselbe war mit den Ausführungen des Wöllstein nicht einverstanden", heißt es in dem Polizeibericht, „sondern forderte die Anwesenden auf, erst dann die Arbeit aufzunehmen, wenn außer der Zusage bezüglich der Lebensmittel auch der Genosse Müller sowie alle wegen politischer Vergehen internierten Personen aus der Haft entlassen würden. (Zurufe: Liebknecht, Luxemburg.) Weiter verlangte Waffenschläger, daß alle Kräfte dafür einzusetzen seien, die Regierung zu zwingen, mit Rußland eine Verständigung anzubahnen, denn Rußland wolle keine Annexion." 1 5 0 Nach dem Bericht des Pankower Amtsvorstehers forderte in einer 300köpfigen Versammlung der Isolatorenwerke der Arbeiter Pieper die Anwesenden auf, „einig zu sein; die Arbeiterschaft habe jetzt die größte Macht, um sich gegen die besitzenden Klassen zu wenden; er hat ferner geäußert, daß jetzt ein scharfer Wind von Osten wehe, der hoffentlich bald noch schärfer als der vor ca. 130 Jahren vom Westen wehende sein wird". 1 5 1 Wenn sich in diesen Versammlungen die entschiedenen Elemente auch nicht durchsetzen konnten, so gab es doch eine ganze Reihe von Großbetrieben, deren Arbeiter den Kampf nicht einstellten. Das war ein großartiges Ergebnis der revolutionären Agitation der Spartakusgruppe, aber auch der Leipziger Resolution und des Einsatzes einzelner Führer der USPD, die in der momentan entscheidenden Frage mit der Spartakusgruppe einig waren, daß der Streik auf politischer Ebene weitergeführt werden mußte. Die historische Gerechtigkeit fordert, die ehrenvolle Erwähnung mitzuteilen, die die Spartakusführung in einem internen Rundschreiben vom 22. April den Funktionären der USPD in Partei und Gewerkschaft bei allen grundsätzlichen Vorbehalten zukommen ließ: „übrigens müssen wir ihr (der Arbeitsgemeinschaft — H. S.) diesmal das Zeugnis ausstellen, daß sie hier in Berlin ihre Pflicht und Schuldigkeit bei der Vorbereitung der Bewegung in hohem Maße, während des Streiks selbst aber sogar voll und ganz getan hat. Ihre Abgeordneten gingen in die Fabriken, hielten Reden usw., ihre Gewerkschaftler kämpften mit in den ersten Reihen und halfen
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Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 183. Ebenda, Bl. 196. Ebenda, Bl. 201.
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die Bewegung organisieren." 152 Selbstverständlich hat sich kein Kautsky in den Betrieben sehen lassen, um den Streik weiterzutreiben; wohl aber jene Führer, die nicht zum Klassenfeind übergegangen waren, die zwischen rechts und links schwankten, aber ehrlich blieben und unter dem Eindruck der gewaltigen Massenbewegung diesmal nach links tendierten. Der Abgeordnete der USPD Paul Hofimann verteilte unter der Menge vor dem Gewerkschaftshaus, die eben den Kapitulationsbeschluß der Vertreterkonferenz vernommen hatte, die Leipziger Besolution und rief die Arbeiter auf, trotz und entgegen dem Beschluß den Streik fortzusetzen. 153 Vor den Arbeitern der Knorr-Bremse in Lichtenberg sprach am Abend des 17. April der Abgeordnete Adolf Hofimann. Ein später, am 24. April abgefaßter Polizeibericht sagt darüber: „Die Beden des H. nahmen Bezug auf die herrschende Bevolution in Rußland, und er führte unter anderm aus, daß jetzt die radikalen Elemente in der Sozialdemokratie die Pflicht hätten, den Krieg gegen Rußland einzustellen. Er soll wörtlich gesagt haben: ,Man muß diese Gelegenheit ausnutzen, um alle politischen Rechte zu fordern wie Pressefreiheit, freies Wahlrecht etc.. An Ihnen liegt es jetzt, Sie haben die Waffen in der Hand, um sich diese vollen Rechte zu sichern.' Der schädigende Einfluß, welchen H. auf die Kriegsarbeiter ausübte, bestand darin, daß der am Dienstag gefaßte Gewerkschaftsbeschluß, am Mittwoch wieder zu arbeiten, umgestoßen wurde." 1 5 4 Und nicht nur die 1200 Arbeiter der Knorr-Bremse, Zehntausende von Arbeitern in Berlin machten der Gewerkschaftsführung einen Strich durch die Rechnung. Der Streik ging weiter. 16a Brandenburgisches Landeshauptarchiy, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 386. 163 Ebenda, Bl. 255. 154 Ebenda, Bl. 467.
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R e v o l u t i o n ä r e Ereignisse
KAPITEL
VI
DIE FORTSETZUNG BETRIEBEN
DES S T R E I K S
UNTER POLITISCHEN
IN V E R S C H I E D E N E N
GROSS-
LOSUNGEN
Der Streik ging weiter. Zwar waren es nicht mehr Hunderttausende, die im Ausstand verharrten, sondern einige Zehntausende, aber dafür erreichte die Streikbewegung jetzt eine bedeutend größere politische Klarheit und Entschiedenheit als an den beiden ersten Streiktagen, an denen die Bewegung noch unter der Kontrolle der rechten Gewerkschaftsführung stand. Nach einer Zusammenstellung des Oberkommandos setzten am 18. April den Streik fort: „Etwa 9700 Arbeiter der ,Deutschen Waffen- und Munitions-Fabriken' in BerlinMoabit und Wittenau, 3 4 0 0 Arbeiter der Fabrik von Otto Jachmann in Tegel-Wittenau, 1200 Arbeiter der Aktiengesellschaft Knorr-Bremse in Lichtenberg, 5 0 0 0 Arbeiter der Fabriken der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft in Hennigsdorf und etwa je 5000 Arbeiter der Bergmann-Elektrizitätswerke in Berlin-Rosenthal und der Firma A. Borsig in T e g e l . . . " 1 5 5 Diese Aufstellung ist zu ergänzen durch einen Bericht der Spandauer Polizeiverwaltung, wonach in den dortigen Königlichen Betrieben 7700 Arbeiter der Artilleriewerkstatt weiter im Streik verharrten und sich die Zahl der Ausständigen in der Gewehrfabrik vom 17. zum 18. April von 300 auf 1600 erhöht hatte. 1 5 6 Auch in Nowawes, wo die Firmen Orenstein & Koppel und Haase & Russ über 2500 Arbeiter beschäftigten, 1 5 7 war am 17. April mit 3/i Majorität die Fortsetzung des Streiks beschlossen worden. 1 5 8 Die Gesamtbeteiligung am Streik belief sich also nach diesen Angaben, die Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 144. Ebenda, Bl. 280. 167 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 2 A, Abt. 1, Lit. H, Bd. 6, Bl. 210. 168 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 2 A, Abt. 1, Nr. 7 a , Bd. 2, Bl. 127. 165
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keineswegs vollständig sind, am 18. April auf rund 40 000 Arbeiter. Am 19. April stellten, wie aus den erstgenannten beiden Dokumenten hervorgeht, die Arbeiter der Spandauer Gewehrfabrik, der Firma Borsig und der Bergmann-Elektrizitätswerke den Widerstand ein. Außerdem verringerte sich die Anzahl der Streikenden in anderen Betrieben. Andererseits traten über 2000 Arbeiter vom Luftschiffbau in Staaken erst jetzt in den Streik. 1 5 9 Am 19. April kann also mit einer Gesamtzahl von rund 25 000 Ausständigen gerechnet werden. Am folgenden Tage zeigte die Streikbewegung sogar wieder eine aufsteigende Tendenz, da sich der Maschinenbaubetrieb SchwartzkopfF und 2200 Arbeiter der Werzeugmaschinenfabrik Hasse & Wrede erneut dem Ausstand anschlössen. 160 Die Gesamtzahl der Streikenden betrug am 20. April also etwa 30 000. Die im Streik verharrenden Arbeiter gestatteten den rechten sozialdemokratischen Führern nicht mehr, mit Hilfe ihrer Organisationen direkten Einfluß auf die Bewegung zu nehmen. Sie waren als Verräter gebrandmarkt. So sprach es ein Flugblatt aus, das am 18. April in den Betrieben verbreitet wurde: „Wir sind verraten
worden!
Kollegen und Kolleginnen! Die Gewerkschaftsführer haben ein frevelhaftes Spiel mit uns getrieben. Die Cohen und Siering haben im stillen Einvernehmen mit der Regierung von vornherein die Dinge so geschoben, daß sie unsere Bewegung in ihre Hände bekommen haben, um sie auf ein totes Geleis zu schieben. Der Kollege Müller, dessen Einfluß die Schieber fürchteten, ist der Militärbehörde denunziert worden, damit sie ihn durch seine Einziehung zum Militär kaltstellen konnte. So hat man es verstanden, unsere imposante Streikbewegung abzuwürgen. Was haben sie uns aus den Verhandlungen, die eine abgekartete Komödie waren, zurückgebracht? Nichts als leere Versprechungen in der Lebensmittelfrage und statt der Freilassung des Kollegen Müller die ebenso wertlose Zusage, den Fall zu untersuchen. Als unsere Macht fühlbar zu werden anfing, haben sie unsere Macht gebrochen! Schmach und Schande über die Verräter! Kollegen, lernen wir daraus! Lassen wir uns nicht wieder Leute als Führer aufdrängen, die Schindluder mit unseren Interessen treiben, sondern Kollegen, die unerschrocken für uns eintreten. Dann werden wir auch unsere Forderungen durchzusetzen vermögen, wie es unseren Arbeitsbrüdern in Braunschweig, Kiel und an anderen Orten gelungen ist. Haltet fest an unserer Forderung.
Wir wollen Brot, Freiheit,
Frieden."161
Siering machte in der Versammlung der Arbeiter der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken am 18. April in Moabit noch einen Versuch, mit einem Appell an die 169 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 2 A, Abt. 1, Lit. H, Bd. 6, Bl. 195. 180 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 140, 217. 161 Zitiert bei Richard Müller: a. a. O., S. 83, Anm. 1; ebenso im Flugblatt „An unsere Mitglieder!", hrsg. von der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, (Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7. Lit. M, Nr. la, Bd. 4, unfoliiert).
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Disziplin die Linie des Verrats auch hier durchzusetzen: „Jetzt handle es sich darum, eine Bewegung, die einheitlich begonnen habe, auch einheitlich zu beenden, wie es die überwiegende Mehrheit der Streikenden bereits getan habe." 1 6 2 Aber die Arbeiter schoben ihn und seinesgleichen beiseite. „ ,Bezahlte Regierungsspione, Spitzel, bezahlte Unternehmerknechte, Arbeiterverräter' und ähnliches waren die Namen, mit denen diese Kollegen belegt wurden," so jammerten und entrüsteten sich die Cohen und Siering in einem später von ihnen herausgegebenen Flugblatt. „Das verursachte natürlich eine riesige Aufregung. Dabei wurden Flugblätter, die keine Unterschrift trugen, verteilt. Diese Flugblätter hatten einen Inhalt, der, ohne sich strafbar zu machen, nicht einmal andeutungsweise wiedergegeben werden kann." 1 6 3 In allen Versammlungen, die am 18. April stattfanden, folgten die Arbeiter der Aufforderung, den Streik unter politischen Losungen fortzusetzen. In den meisten dieser Versammlungen traten Abgeordnete der USPD als Redner auf und agitierten f ü r die Annahme der Leipziger Resolution. Bei den in der Kronen-Brauerei versammelten Arbeitern der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Moabit, wo Siering vergeblich den Kampfgeist zu ersticken versuchte, sprachen am 18. April Haase und Adolf Hoffmann. Haase verwies auf das Leipziger Vorbild, indem er, wie die Polizei erfuhr, den Streikenden ankündigte, „daß er ihnen nächstens ,2 Leipziger Genossen' vorstellen werde, die den Streik in Leipzig geleitet hätten. An ihnen solle sich die Berliner Arbeiterschaft ein Beispiel nehmen." 164 Wie das Oberkommando in den Marken in einem Bericht an das Kriegsministerium mitteilte, nahmen die Versammelten folgende Entschließung an: „Der Reichskanzler ist zu ersuchen: um sofortige Einführung der Presse- und Redefreiheit, Aufhebung des Belagerungszustandes und der Bestimmungen über die Schutzhaft, Freigabe sämtlicher politischer Gefangenen, sofortige Bekanntgabe der Friedensbedingungen und auch Bekanntgabe sofortiger Verhandlung mit den kriegführenden Mächten." 1 6 5 Die Wiederaufnahme der Arbeit wurde von der Zustimmung zu dieser Entschließung abhängig gemacht. Dasselbe Ergebnis erreichte Vogtherr in der Versammlung der Arbeiter der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Wittenau in den Pharus-Sälen. 1 6 8 Büchner und Dittmann sprachen im Lokal „Spandauer Bock" vor den Spandauer Rüstungsarbeitern, die die gleiche Entschließung annahmen. 1 6 7 Adolf Hoffmann agitierte in der Knorr-Bremse. 1 6 8 162
„Vorwärts", Nr. 106, vom 19. April 1917. Flugblatt „An unsere Mitglieder!", hrsg. von der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (Brandenburgisches Landeahauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. l a , Bd. 4, unfoliiert). Das Flugblatt wurde auch abgednickt in: Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 87—90. 164 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a. Bd. 2, Bl. 189. 166 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 30, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 187. 166 Ebenda, Bl. 319. 16 ' Ebenda. 168 Ebenda, Bl. 142; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 467. 163
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Diese Resolution entsprach dem Leipziger Vorbild in allen wesentlichen Punkten, sie hatte also auch dieselben Schwächen. In der gegebenen Situation aber war sie ein Mittel, das die Bewegung vorwärtsführte. Die Bereitschaft zehntausender Arbeiter, selbst Hand an ihre Verwirklichung zu legen, sich in Massenaktionen für sie einzusetzen, verwandelte die Petition zu einer revolutionären Forderung. Dem entsprach auch die Form, in der die Forderung geäußert werden sollte: „Der Deutsche Metallarbeiter-Verband ist hierbei ganz ausgeschaltet," schrieb das „Berliner T a g e b l a t t " . 1 6 9 Den Cohen, Siering und Hörsten wollte sich keiner der Arbeiter mehr anvertrauen. Sie selbst nahmen die Sache in die Hand: Die Streikenden der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken wählten am 18. April aus ihrer Mitte einen dreiköpfigen Arbeiterrat mit dem Auftrag, ihre Forderungen dem Reichskanzler direkt vorzulegen. Die anderen streikenden Betriebe schlössen sich diesem Vorgehen an. Dieser Arbeiterrat wurde um die drei Abgeordneten der U S P D Haase, Ledebour und Adolf Hoffmann erweitert,
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weil die sie schützende Immunität auch den delegierten Arbeitern eine
gewisse Deckung zu bieten schien. Verschiedenes spricht dafür, daß keineswegs mehr damit beabsichtigt war und etwa die Leitung des Streiks an die Führung der U S P D abgetreten werden sollte. Ledebour selbst schilderte am 7. Mai im Reichstag ihre Rolle folgendermaßen: „Als in der Kronenbrauerei diese Delegation beschlossen war, wurden wir benachrichtigt, daß auch wir drei Abgeordnete mit delegiert seien, weil es sich auch um politische Fragen handle und die Arbeiter uns als ihre Volksvertreter . . . mit dabei haben wollten."
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Sicher ist hier aus taktischen Gründen — es drohte ein Landesverratsprozeß — der Anteil der Abgeordneten am Zustandekommen des Beschlusses herabgedrückt worden, denn Haase und Hoffmann gehörten zu den Rednern in der Versammlung. I m Grunde aber äußerte sich darin durchaus zutreffend und ehrlich die diesen Arbeiterführern eigene opportunistische Einstellung zu Massenaktionen. Als eigentlicher Kampfplatz galt ihnen das Parlament. Aufrichtig mit der Arbeiterklasse verbunden, haben sie sich dann, als das Proletariat zu Massenaktionen überging, zur Verfügung gestellt. Der E l a n der Massen hat sie darüber hinaus auch radikalisiert, wie ihr Auftreten in den verschiedenen Versammlungen beweist. Das Pendel schlug diesmal nach links aus. W i r k liche Führer der Massenaktion waren sie aber nicht und konnten sie nicht werden. Der Abgeordnete der U S P D Dr. Cohn sprach die reine Wahrheit über die Rolle Haases und seiner Freunde, als er am 5. Mai im Reichstag erklärte: „Wir wußten von dem Ausbruch des Streiks und vor dem Ausbruch nicht mehr als irgendein anderer hier i m Saale und sicherlich weniger, als das Oberkommando durch seine politisch-polizeilichen Verbindungen gewußt hat. Es ist eine völlig irrige Vorstellung, von der m a n sich doch endlich losmachen sollte, wenn man immer wieder sagt, daß ein Streik überhaupt von außen entfesselt werden könnte. Die Arbeiter, die die Opfer eines Streiks zu tragen haben, sind auch allein berufen, die Entscheidung darüber zu fällen, „Berliner Tageblatt", Nr. 198, vom 19. April 1917. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. l a , Bd. 4, unfoliiert (Bericht der Abt. VII vom 29. April 1917). 1 7 1 Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 310, S. 3136. 169
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ob ein Streik stattzufinden habe oder nicht. Aber wenn streikende Arbeiter nach Beginn des Streiks sich an uns wenden, so vertreten wir ihre Sache. Das ist f ü r uns eine politische Ehre und eine politische Pflicht." 172 Die Passivität, die Haase und seine Freunde gegenüber der sich anbahnenden Massenaktion zeigten, reichte auch noch in die Streiktage hinein. Die Abgeordneten der USPD waren zunächst nicht viel mehr als aufmerksame Beobachter. Ein unverdächtiges Zeugnis dafür sind die Mitteilungen eines Denunzianten, die er der Redaktion der reaktionären „Deutschen Zeitung" zutrug. Er berichtete über Haase und Ledebour angeblich belastende Äußerungen, die der Vertrauensmann Otto Eichler vor einer Versammlung der Arbeiter der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Wittenau in der Löwenbrauerei getan hatte: „In seinen Ausführungen habe Eichler zum Ausdruck gebracht, daß er an den Streiktagen die Verbindung mit den Genossen Ledebour und Haase, welche sich im Fraktionszimmer im Reichstagsgebäude aufhielten, aufrecht erhalten habe. Alle Neuigkeiten über den Stand und Umfang des Streiks habe er den Genossen Ledebour und Haase zugetragen. Hierbei haben Ledebour und Haase Anweisung gegeben, sie weiter umgehend zu benachrichtigen, sie stünden gegebenenfalls sofort zur Verfügung." 1 7 3 Der Denunziant, der doch auf keinen Fall verharmlosen wollte, konnte nichts anderes berichten, als was Cohn dann auch im Reichstag öffentlich erklärte. Denunziant, Redaktion und Polizei vermuteten hinter der Formulierung „sie stünden gegebenenfalls zur Verfügung" umstürzlerische Absichten. Aber tatsächlich haben Haase und seine Freunde auch dann, als sie sich in die Bewegung eingeschaltet hatten, nie den Boden der Legalität verlassen oder zu verlassen gesucht. Der Chef des Kriegsamtes Groener war völlig im Unrecht, als er in der Reichstagssitzung vom 5. Mai, auf die Fraktion der USPD weisend, ausrief: „Die Flugblätter, die überall im Lande in den Fabriken herumfliegen, fliegen an ihre Rockschöße und bleiben dort kleben." 1 7 4 Cohn konnte ihm mit dem besten Gewissen antworten, daß er von deren Existenz „jetzt durch ihn das erste Mal etwas gehört habe". 1 7 5 Die Flugblätter, die Groener anführte, stammten ausnahmslos von der Spartakusgruppe. 1 7 8 Haase und seine Freunde betrachteten die politische Massenaktion nicht als höchste politische Kampfform, sondern als ein bloßes Druckmittel, das ihre Position im Reichstag und der Regierung gegenüber stärken half. Gerade darin bestand ihre objektive Gefährlichkeit für die Massenbewegung. In dem Augenblick, wo sich die Regierung zu Verhandlungen entschlossen hätte, wären sie mit Notwendigkeit zu Bremsklötzen für die Weiterentwicklung der Bewegung geworden. Wenn sie während des Berliner Aprilstreiks nicht in die Lage gerieten, eine solche verderbliche Rolle zu spielen, so hatte es erstens darin seinen Grund, daß die Regierung zu keinerlei Zugeständnissen bereit war. Zum andern verhinderte das Klassenbewußtsein der streikenden Arbeiter und im besonderen die politische Klarheit der von diesen Arbeitern Ebenda, Bd. 309, S. 3098. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 313. 174 Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 309, S. 3102. 176 Ebenda. Ebenda, Bd. 310, S. 3140/41.
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aus ihrer Mitte gewählten Vertreter, daß die Bewegung vorbehaltlos den Händen solcher schwankenden Politiker anvertraut wurde. Die Männer, die von den Arbeitern der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in den Arbeiterrat gewählt wurden, waren der Mechaniker Bruno Peters, Charlottenburg, Tauroggenerstr. 46, der Dreher August Kronthaler, Reinickendorf, Thunerstr. 5, und der Schlosser Franz Fischer, Beusselstr. 42. Ermittlungen, die von der Abteilung VII des Polizeipräsidiums durchgeführt wurden, ergaben folgende Feststellungen zu den einzelnen Personen: Bruno Peters war 2. Vorsitzender des sozialdemokratischen Wahlvereins Charlottenburg, gewählter gewerkschaftlicher Vertrauensmann und gleichzeitig Mitglied des Arbeiterausschusses der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken. „In politischer Beziehung ist er ein überzeugter, radikal gesinnter Parteigenosse, der die Interessen seiner Partei und auch seines Berufes stets wahrzunehmen eifrig bemüht ist." Auf einer Mitgliederversammlung seines Wahlvereins am 20. Juni 1916 unterstützte er eine Sympathieresolution für Karl Liebknecht. Uber seinen energischen Einsatz für die Interessen seiner Kollegen im Betrieb sagt der Bericht: „Er hat mit anderen Ausschußmitgliedern zusammen Anträge bei der Direktion gestellt, die man als unverschämt bezeichnen kann. Bei den diesbezüglichen Verhandlungen tut er so, als wenn er nur die von den Arbeitern vorgeschobene Person ist, in Wirklichkeit ist er aber derjenige, der die ungerechten Forderungen seiner Arbeitskollegen mundrecht macht." Bis zu dem Zeitpunkt, da der „Braunschweiger Volksfreund" noch nicht Mehrheitsorgan, sondern ein Blatt der Linken war, bezog er diese Zeitung; seitdem ließ er sich die „Leipziger Volkszeitung" durch die Post zustellen. „Seiner ganzen politischen Tätigkeit nach zu urteilen ist er ausgesprochener Spartacusmann." 1 7 7 August Kronthaler war seit 1903 in der Sozialdemokratischen Partei organisiert. „In seinem Arbeitsbetriebe bekleidet er die Funktion eines Obmannes, zu der er nur infolge seines radikalen Verhaltens von seinen Arbeitskollegen gewählt worden ist.'" Abschließend wird mitgeteilt: „Bis vor kurzem war er Abonnent des Braunschweiger Volksfreundes, des Organs der Spartacus-Leute. Seit einigen Tagen ist der ,Volksfreund' Mehrheitsorgan." 178 Franz Fischer war „ein überzeugter, radikal gesinnter Partei- und Gewerkschaftsgenosse". Die Gewerkschaftskollegen seines Betriebes wählten ihn zum Vertrauensmann. „Als solcher ist er eifrig agitatorisch tätig und hat sich dadurch das Vertrauen seiner Arbeitskollegen erworben. Man delegierte ihn in den Arbeiterausschuß, welcher die Wünsche der Arbeiterschaft des Betriebes bei der Direktion vorbringt und vertritt." Auch er war Abonnent der „Leipziger Volkszeitung". 179 Der dreiköpfige Arbeiterrat zählte also zwei Spartakusanhänger zu seinen Mitgliedern, Peters und Kronthaler. Für sie war es selbstverständlich, daß bei Ausnutzung aller legalen Möglichkeiten die politische Arbeit wesentlich illegal sein mußte. Als 1,7
Brandenburgisehes Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 44, 46. 173 Ebenda, Bl. 38, 40. 179 Ebenda, Bl. 41, 43.
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alle drei auf Veranlassung des Oberkommandos verhaftet werden sollten, brauchte die Polizei fünf Tage, ehe sie Peters ausfindig machen und festnehmen konnte. In der Haft zeigte er die Festigkeit und Überlegenheit, die den echten Revolutionär auszeichnen. 180 Franz Fischer, das dritte Mitglied, scheint bis zu einem gewissen Grade noch in opportunistischen Vorstellungen befangen gewesen zu sein, wie sie Haase und seine Freunde vertraten. Er gehörte der von der Vertreterkörperschaft gewählten Kommission an, die mit Michaelis am 16. April verhandelte. 1 8 1 Er war auch der einzige, der sich freiwillig der Polizei stellte. 182 Andererseits stand er stark unter dem Einfluß der Anhänger der Spartakusgruppe. So konnte unter seiner Versammlungsleitung am 19. April der Spartakusmann und Angehörige des Arbeiteraussehusses bei der Waffen- und Munitionsfabrik in der Kaiserin-Augusta-Allee, Anton Fleck, eine revolutionäre Rede halten, die sich bis zu der Aufforderung steigerte, der Polizei nötigenfalls mit Gewalt zu begegnen. Fischers Einwand beschränkte sich darauf, daß er den Redner „mit dem Ellenbogen anstieß, damit er etwas vorsichtiger sein solle". 183 Iis besteht also kein Zweifel, daß im Arbeiterrat der Einfluß der Sparlakusgruppe dominierte. Die Streikenden der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken sahen in diesen von ihnen gewählten revolutionären Arbeitern ihre eigentliche Führung. Das bestätigten sowohl die Ermittlungen der Abteilung VII des Polizeipräsidiums 184 als auch die Aussagen eines Polizeispitzels, der dort arbeitete. 185 Daß diese revolutionäre Streikleitung die prinzipiellen Unterschiede begriff, die sie von den Politikern der USPD trennten, verstand sich von selbst. Daß darüber hinaus auch die Masse der Streikenden sie empfand, ergibt sich aus einer wertvollen Beobachtung jenes Polizeispitzels: „Die Arbeiter der genannten Werkstätten wären im allgemeinen sehr erstaunt gewesen, daß diesen drei durch die Reichstagsabgeordneten Haase, Ledebour und Vogtherr die Streikleitung aus der Hand genommen wurde." 1 8 6 Diese Bemerkung trifft die Dinge nicht genau, denn die Zuwahl der drei Abgeordneten bedeutete nicht, daß die Führung damit an sie überging. Aber sie drückt doch sehr gut den berechtigten Zweifel aus, der den Politikern der USPD entgegengebracht wurde. Die Spartakusgruppe stand in diesen Apriltagen überall an vorderster Front. Aus ihr rekrutierten sich die Führer, die als aufrechte Revolutionäre den Massen voranschritten. Sie gaben den streikenden Arbeitern die klare politische Zielsetzung. Ein weiteres Flugblatt der Spartakusgruppe, am 17. April abgefaßt und seit dem 18. April in den Fabriken verbreitet, rief das Berliner Proletariat auf, den Streik mit aller Kraft fortzusetzen, ihm einen offenen politischen Charakter zu verleihen und 180
Ebenda, Bl. 355, 356. Vgl. S. 37, Anm. 110. 182 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D , Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 54. 183 Ebenda, Bl. 189, 192. 184 Ebenda, Bl. 38, 40. 18t Ebenda, Bl. 192. 186 Ebenda; der Spitzel verwechselte hier Vogtherr mit dem Landtagsabgeordneten Adolf Hoffmann. 181
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organisatorische Maßnahmen zu treffen, die dem Kampf eine breite Basis und eine entschlossene revolutionäre Führung sichern sollten: „Der Kampf
dauert fort!
Arbeiter! Genossen! Endlich ist der Stein ins Rollen gekommen, endlich hat sich die Arbeiterschaft aufgerafft und zum Appell gestellt, um sich ihrer Haut zu wehren, um in offenen Massenaktionen und Massenkampf ihren Friedenswillen und ihren Protest gegen den Volksmord zu bekunden. In Berlin streikten am ersten Tage, soweit Nachrichten bis jetzt vorliegen, über 200 000
Arbeiter!
In der Allg. Elektr.-Gesellschaft, in der Nationalen Automobil-Gesellschaft, bei Görz, Israel, in der Flugzeugindustrie in Johannistal, bei .Argus', bei Rumpier, in der Luftschiffverkehrsgesellschaft usw., in unzähligen Betrieben der Holz- und Transportindustrie ruhte die Arbeit vollständig. Zahlreiche Demonstrationszüge bewegten sich in verschiedenen Gegenden der Stadt — in den Außenvierteln und im Zentrum. Unzählige Versammlungen fanden in Lokalen und unter freiem Himmel statt, es wurden Reden gehalten und Beschlüsse gefaßt. So ist im Nu der Belagerungszustand durchbrochen worden und zerflossen in Nichts, sobald die Masse sich rührte und entschlossen von der Straße Besitz ergriff. Die Polizei wagte nicht, brutal vorzugehen. Und mit gutem Grund, denn die Regierung hat jetzt mehr zu verlieren als die
Arbeiter.
Aber nicht Berlin allein stellte sich zum Appell. Die Arbeiter von Leipzig und Dresden und vielen anderen Städten marschierten mit uns in Reih und Glied, und wenn wir ausharren, werden wir bald das Proletariat des ganzen Reiches geschlossen hinter uns haben. Genossen! Daß wir erst im Anfang des Kampfes stehen, ist uns klar. Der Kampf dauert fort, er muß mit aller Kraft fortgesetzt werden, bis wir unsere Ziele verwirklicht haben. Aber welches sind unsere Ziele, und wie fassen wir die Lage auf? Das arbeitende Volk ist durch das verbrecherische Verschulden der Regierung am Rande der Hungersnot angelangt. Es erhebt sich zum schärfsten Protest gegen die ungleichmäßige Verteilung der Lebensmittel wie gegen die von der Regierung begünstigte Ausplünderung und Aushungerung. Die Arbeiter müssen dringend davor gewarnt werden, den Versprechungen der Regierung und des Oberbürgermeisters, die reichlichere Verabfolgung von Lebensmitteln betreffend, Glauben zu schenken. Diese Versprechungen beruhen auf bewußtem Betrug. Sie bezwecken nur, das arbeitende Volk für den Moment zu beruhigen, um es wieder in das Joch einzuspannen. Nach 2 oder 3 Wochen werden die Behörden die Extrazulagen wieder zurückziehen und uns, unsere Frauen und Kinder noch rücksichtsloser dem Hunger und Elend preisgeben, als es jetzt schon der Fall ist. Das gegenwärtige Unheil ist über das deutsche Volk durch die Regierung gebracht worden, die im Interesse der Kapitalisten- und Junkerklasse den mörderischen Krieg angezettelt hat, um fremde Länder zu rauben und fremde Völker zu unterjochen.
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Die deutschen klassenbewußten Arbeiter weisen diese Bestrebungen mit Entrüstung weit von sich. Sie erblicken in dem Völkermorden die Quelle aller heutigen Leiden und Pein des deutschen Volkes, einen Anschlag gegen die Lebensinteressen des internationalen Proletariats und ein Verbrechen gegen die Kultur und die Menschheit. Das einzige Mittel, das deutsche Volk vor noch schlimmerem Elend und dem Verhungern zu bewahren, liegt in der schleunigsten Beendigung des Völkermordens. Wir fordern von der Regierung zur Ermöglichung des Friedens die sofortige Abgabe einer klaren und entschiedenen Erklärung, wie sie für Rußland von der russischen Revolutionsregierung bereits abgegeben wurde, daß Deutschland seinerseits auf jegliche Kriegseroberungen und Kriegsentschädigungen verzichtet; wir fordern ferner die sofortige Einleitung von Friedensverhandlungen auf dieser Grundlage. Wir sprechen der Regierung unser schärfstes Mißtrauen aus und erwarten von ihr, der Sachwalterin der herrschenden Klassen und Kriegshetzer, keine freiwilligen Schritte im Interesse des arbeitenden Volkes. Wir bringen daher den festen unbeugsamen Willen der deutschen klassenbewußten Arbeiter zum Ausdruck: den Frieden
durch rücksichtslosen
Kampf zu
erzwingen.
Die Regelung der Lebensmittelfrage, die Linderung der Not, die Herbeiführung eines dauernden, den Interessen des internationalen Proletariats entsprechenden Friedens kann nur verlangt werden, wenn das Volk selbst seine Sache in die Hand nimmt und maßgebenden Einfluß auf die Ereignisse, auf die ganze innere und äußere Politik des Staates gewinnt. Um den Einfluß und den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen zu können, ist es vor allem notwendig, zu erringen: 1. Die Befreiung aller wegen politischer Betätigung Verurteilten und Inhaftierten, sowie die Niederschlagung aller politischen Prozesse; 2. Beseitigung des Zivilzwangsdienstgesetzes: 3. Die Aufhebung des Belagerungszustandes; 4. Unbeschränkte Vereins, Presse- und Versammlungsfreiheit; 5. Die Organisation der Arbeiterklasse zur Erzwingung des Friedens und wirklicher politischer Freiheit. Schaffung zu diesem Zweck eines ständigen Delegiertenkörpers aus Vertretern aller Betriebe, der den Arbeilerkampf leiten soll. Dies sind, neben der Linderung der Hungersnot, unsere nächsten Ziele, für die wir mit aller Macht kämpfen und alle Opfer bringen müssen. Arbeiter! Genossen! Setzen wir alles daran, um die noch arbeitenden Betriebe stillzulegen, um den Straßenbahn- und Fährverkehr einzustellen! Die Arbeitsruhe soll eine vollständige sein. Wer jetzt noch arbeitet, ist ein Verräter an der Arbeitersache, der seinen kämpfenden Brüdern in den Rücken fällt. Versammelt euch jeden Tag in den Fabriken, Lokalen und unter freiem Himmel, um die Lage zu besprechen und Beschlüsse zu fassen. Harren wir aus wie eine steinerne Mauer in diesem Kampf! Es geht für uns aufs Ganze — um unser Leben, um das Leben unserer Frauen und Kinder, um unsere ganze Zukunft. Und möge durch ganz Deutschland und darüber hinaus bis in die Schützengräben, wo unsere Brüder und Söhne verbluten, unser Schlachtruf erschallen:
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Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der
Regierung!
Friede! Freiheit! Brot!"
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Das Flugblatt ging noch nicht von der neuen Situation aus, wie sie durch den Beschluß der Vertreterkonferenz vom 17. April gegeben war. Es wies auf die ungeheure Kraft der Bewegung am ersten Streiktage in Berlin und in Deutschland überhaupt hin und rief auf, sie bis zum Generalstreik zu steigern. Das Flugblatt nannte als das entscheidende Mittel die Stillegung der Verkehrsbetriebe; damit machte die Spartakusgruppe die kämpfenden Arbeiter auf einen wesentlichen Mangel im bisherigen Streikverlauf aufmerksam. Aber als das Flugblatt seinen Weg in die Fabriken nahm, hatte der Verrat bereits tiefe Breschen in die Streikfront geschlagen. Unter diesen Umständen würde es nicht verwundern, wenn das Flugblatt kein Echo mehr gefunden hätte. Aber das Gegenteil war der Fall. Es half den im Streik verharrenden Arbeitern ihren Kampf mit größerer politischer Klarheit führen und hat auch zahlenmäßig der Bewegung neuen Auftrieb gegeben. Von historischer Bedeutung war die 5. Forderung. Sie propagierte dem Sinne nach das Bätesystem, durch das alle Arbeiter über den Bahmen der Organisationen hinaus mobilisiert werden sollten. Die Spartakusgruppe lernte aus den Erfahrungen der russischen Bevolution. Die Leipziger Besolution hatte den Bätegedanken in folgender Form berücksichtigt: „Zur wirksamen Vertretung der Arbeiterinteressen fordern die Versammelten alle Berufsgruppen auf, Vertreter zu entsenden, um mit den Vertretern der Metallarbeiter und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei einen Arbeiterrat zu bilden." 188 Die Spartakusgruppe ging weiter. In ihrem Bundschreiben vom 22. April erläuterte sie eindeutig den Sinn jener 5. Forderung. Sie bezeichnete es als die Absicht der USPD, „die jetzige Massenbewegung unter die Leitung der Partei und der Gewerkschaftsorganisation zu stellen, da wo letztere (wie in Leipzig die Metallarbeiter) auf ihrem Boden steht. Wir betrachten diesen Rahmen als zu eng für die Bewegung und sind der Meinung, daß eine spezielle Massenkampforganisation geschaffen werden muß (siehe unsere beiden Flugblätter ,Der Kampf dauert fort' und ,Die Lehren'), in der die bestehenden Organisationen die Rolle einer 187
Abgedruckt in: Spartakus im Kriege, a. a. 0., S. 190—193; Meyer hat dieses Flugblatt irrtümlich unter die Flugblätter eingereiht, die während des Januarstreiks 1918 von der Spartakusgruppe herausgebracht wurden. Indirekte Beweise dafür, daß es sich um ein Flugblatt aus den Tagen des Aprilstreiks handelt, ergeben sich aus der im Flugblatt gebrachten Schilderung des ersten Streiktages. Auch die Führung der Spartakusgruppe nimmt darauf Bezug, als sie auf die Notwendigkeit hinweist, eine „spezielle Massenkampf organisation" zu schaffen, wie sie im Flugblatt unter Punkt 5 gefordert wird (Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 386). Ein direkter Beweis ist die Tatsache, daß der preußische Innenminister v. Loebell das Flugblatt in seinem Bericht vom 30. April 1917 an den Kaiser nennt und daraus die Aufforderung zitiert, „alles daranzusetzen, um die noch arbeitenden Betriebe stillzulegen, um den Straßenbahn- und Fährverkehr einzustellen" (Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 115). Auch der Chef des Kriegsamts Groener bezieht sich in seiner Rede vom 7. Mai 1917 im Reichstag auf das Flugblatt „Der Kampf dauert fort!" (Verhandlungen des Reichstags, a. a. 0 . , Bd. 310, S. 3141). 188 Vgl. S. 41.
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Triebkraft zu übernehmen haben." 1 8 9 Der Verlauf der Versammlungen am 19. April zeigte, daß die Losungen der Spartakusgruppe unmittelbare Wirkungen erzeugten. Im Restaurant Bellevue fanden sich etwa 1050 streikende Arbeiter der KnorrBremse in Lichtenberg zu einer 5 1 /2Stündigen Versammlung ein. Wie der Lichtenberger Polizeipräsident dem Innenminister berichtete, wurde nach einer Rede Adolf Hoflmanns und nach längerer Diskussion der Beschluß gefaßt, „aus den Arbeitern eines jeden größeren Betriebes einen sogenannten Arbeiterrat zu bilden, der allein dann mit der Regierung zu verhandeln habe. Für die Knorr-Bremse wurden hierzu gewählt: Die Arbeiter Scholze, Heckendorf (richtig Hecker — H. S.) und als Stellvertreter der Arbeiter Weißensee." Die Forderungen, die sie zu vertreten hatten, lauteten: „1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Freilassung Liebknechts; Freilassung der in Schutzhaft befindlichen Personen; Aufhebung des Vereinsgesetzes; völlige Freiheit in der politischen Entwicklung; ausreichende Ernährung durch Sicherstellung von Lebensmitteln; Aufhebung des Belagerungszustandes und Beendigung des Krieges ohne Anspruch auf Entschädigungen rungen." 1 9 0
und
Erobe-
Hier in der Knorr-Bremse wurde also mit der Verwirklichung der Linie der Spartakusgruppe begonnen, in jedem Betriebe einen Arbeiterrat zu konstituieren, um von diesen Arbeiterräten dann eine gemeinsame Spitze wählen zu lassen, der allein die verantwortliche Leitung des Massenkampfes übertragen war. Der anwesende Adolf Hoffmann wurde von den versammelten Arbeitern mitgerissen oder, wenn er an der Art der Zusammensetzung des Leipziger Arbeiterrats festgehalten haben sollte, übergangen. E s verwundert darum auch nicht, daß an der Spitze des Arbeiterrats der Knorr-Bremse ein Anhänger der Spartakusgruppe stand. Der Werkzeugschlosser Paul Scholze, Treptow, Lohmühlenstr. 37, war ein entschiedener Anhänger der Spartakusgruppe. Die Abteilung VII des Polizeipräsidiums bestätigte ihm: Er gehörte „zu den radikalsten Elementen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft. Er versucht überall, wo es ihm nur irgendwie möglich ist, Unzufriedenheit zu schaffen und eine umstürzlerische Tätigkeit zu entwickeln." Der Polizei war er bekannt als Revisor des sozialdemokratischen Zentralwahlvereins für Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg. „Außerdem ist Sch. Verleger des Flugblattes ,Wohin werden die freien Gewerkschaften gesteuert', welches unter dem Decknamen A. Herold vermutlich von Anhängern der Spartakusgruppe in Neukölln stammt. In dem Flugblatt wird versucht, den Parteistreit auch in die Gewerkschaften hineinzutragen. E s wird darin auch auf das undemokratische Verhalten einiger Gewerkschaftsführer hingewiesen und gerügt, daß nicht jede Mitgliederversammlung über Streiks beschließen könne, sondern daß 189 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D , Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 386. 190 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 141.
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die Gewerkschaftsleitung darüber zu befinden habe." 1 9 1 Die Arbeiter der KnorrBremse sahen in ihm ihren entschiedenen, mutigen Sprecher. Kennzeichnend ist die dringende Bitte der Direktion an die Behörden, bei einer Entfernung Scholzes aus dem Betrieb nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß die Denunziation von ihr ausginge, da sonst ein Solidaritätsstreik zu befürchten wäre. 192 Zusammen mit Hecker und Weißensee gelang es Scholze in der Versammlung am 19. April, die Arbeiter der Knorr-Bremse zur Fortsetzung des Streiks zu gewinnen und darüber hinaus im Sinne der Spartakusgruppe neue Kampfformen zu entwickeln. 1 9 3 Als eine Auswirkung der Spartakuslosung „Der Kampf dauert fort!" muß auch die Tatsache angesehen werden, daß die Arbeiter der Firma Hasse und Wrede in ihrer Versammlung in Frankes Festsälen am 19. April, wo auch Ledebour und Hoffmann sprachen, den Beschluß faßten, den Streik am 20. April erneut aufzunehmen. Dasselbe beschlossen die Arbeiter des Maschinenbaubetriebes Schwartzkopff. 191 Die Akten geben keine Details über den Verlauf dieser beiden Versammlungen wie auch anderer, die am 19. April stattfanden. Nur über die Streikversammlung der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken Moabit in der Kronenbrauerei, wo wieder Haase und Hoffmann sprachen, liegen Mitteilungen eines Polizeispitzels vor, die ganz eindeutig die Radikalisierung der Bewegung widerspiegeln. Auch Haase und seine Freunde waren davon ergriffen, wozu zweifellos das negative Ergebnis der Verhandlungen in der Reichskanzlei beigetragen hatte. Haase hatte am 18. April den Reichskanzler telegraphisch ersucht, der Arbeiterdeputation der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken zusammen mit den drei Abgeordneten der USPD eine Unterredung zu gewähren. Statt des Reichskanzlers empfing sie am 19. April vormittags der Unterstaatssekretär Wahnschaffe, der, wie Adolf Hoffmann den Arbeitern der Knorr-Bremse mitteilte, 1 9 5 Verhandlungen über politische Fragen ablehnte, bevor nicht die Stellungnahme des Kriegsministeriums vorläge. Die Lesart, die der „Vorwärts" am 20. April brachte, war noch schroffer; danach erklärte Wahnschaffe, „es sei nicht angängig, daß der Reichskanzler Beschwerden einer Vertretung von Arbeitern eines einzelnen Betriebes entgegennehme. Die Organisationen der Arbeiter seien ja in wohlwollender Weise gehört worden." 1 9 6 Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Formulierung des „Vorwärts" eine nachträgliche Verlautbarung darstellt, denn erst im Laufe des 19. April entschloß sich die Regierung zu einem offenen terroristischen Vorgehen gegen die Streikenden. Haase glaubte noch an die Möglichkeit einer Verhandlungsbereitschaft: aber auch er begriff die Notwendigkeit, den Druck von unten zu verstärken. Nach Aussagen des Polizeispitzels erklärten Hoffmann und Haase am 19. April vor den Streikenden in der Kronenbrauerei, „daß, wenn bis Montag keine Einigung mit der Regierung erzielt sei, die Arbeiter, welche jetzt die Arbeit aufgenommen hätten, 1 , 1 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, BI. 473. 192 Ebenda, Bl. 474. 193 Ebenda, Bl. 470, 471. 194 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 140. 186 Ebenda, Bl. 141. 196 „Vorwärts", Nr. 107, vom 20. April 1917.
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durch die Streikenden mit Gewalt an der Weiterarbeit gehindert werden sollten. . . . Die Regierung müsse mit Gewalt durch den Streik gezwungen werden, den Krieg zu beenden." 1 9 7 Der 19. April brachte der Streikbewegung einen Aufschwung. Entsprechend der Aufforderung des Spartakusflugblattes „Der Kampf dauert fort!" wurden arbeitende Betriebe von Streikenden angesprochen, die Arbeit einzustellen. Ein Polizeibericht z. B. teilte mit, daß von diesem Tage an Streikende der Knorr-Bremse wiederholt auf die Arbeiter der Schraubenfabrik Sudikatis in Lichtenberg einzuwirken versuchten, ebenfalls in den Streik zu treten. 1 9 8 Der Aufschwung äußerte sich in einem zahlenmäßigen Anwachsen der Streikbewegung am 20. April. Das Oberkommando in den Marken gab in seinem Bericht vom 20. April an das Kriegsministerium folgende Einschätzung der Lage, wobei zu berücksichtigen ist, daß es nicht zwischen Spartakusgruppe und den Männern um Haase differenzierte: „Nach vorliegenden Nachrichten hat sich nunmehr die linksstehende politische Arbeiterpartei (Arbeitsgemeinschaft) der Ausstandsbewegung angenommen und versucht, die Arbeiterschaft unter Aufstellung allgemeiner und unerfüllbarer politischer Forderungen von der Wiederaufnahme der Arbeit abzuhalten. . . . Es ist damit zu rechnen, daß der Streik wieder um sich greift, wenn es nicht gelingt, der staatsgefährlichen Agitation der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft Einhalt zu gebieten." 1 9 9 197 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 258. 198 Ebenda, Bl. 182. 199 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 187.
KAPITEL
VII
DAS E I N S E T Z E N D E S R E A K T I O N Ä R E N T E R R O R S UND DAS E N D E DES
STREIKS
Die Kräfte, auf die sich die herrschende Klasse in den ersten beiden Tagen bei der Bekämpfung der Streikbewegung vornehmlich verlassen konnte, versagten in der neuen Situation. Die rechte Partei- und Gewerkschaftsführung war bei den im Streik verharrenden Arbeitern restlos diskreditiert und von ihnen ausgeschaltet worden. Sie konnte nur noch auf indirektem Wege Einfluß auf die Streikbewegung nehmen, indem sie durch Bagatellisieren der Bewegung, durch Zweckoptimismus und chauvinistische Propaganda diejenigen Arbeiter bei der Stange zu halten suchte, die den Streik am 18. April abgebrochen hatten. So tat der „Vorwärts" sein Bestes, die Lüge vom ,Dolchstoß in den Rücken' zu verbreiten, die einige Jahre später als Dolchstoßlegende zur Waffe der faschistischen Reaktion gegen die Sozialdemokratie werden sollte. Eine besondere Infamie leistete er sich am 21. April mit der Veröffentlichung einer Amsterdamer Nachricht, die den proletarischen Internationalismus und die Leistung der russischen Klassenbrüder in der Februar-Revolution mit Füßen trat: „Wie ,Daily News' vom 13. April meldet, sandte der Vorstand der Arbeiter des Woolwich-Arsenals ein Begrüßungstelegramm an die Genossen der Petersburger Gewehrund die der dortigen Patronenfabrik; es wird darin u. a. gesagt: ,Kameraden! Laßt uns gemeinsam arbeiten, um unseren Kameraden in den Gräben zu Hilfe zu kommen. Ihre Opfer sind größer als unsere. Jede unserer Arbeitsstunden rettet teures Leben. Jede Stunde der Faulheit macht uns zu Mördern.' " 2 0 0 Scheidemann ging in seiner Hilfestellung für die herrschende Klasse so weit, im voraus öffentlich den brutalen Terror zu rechtfertigen, mit dem die Regierung gegen die Streikbewegung vorgehen würde. Auf der Tagung des Parteiausschusses am 18. und 19. April in Berlin erklärte er: „Käme es aber zu einer Militarisierung der Betriebe, dann müssen sich die Arbeiter 200 „Vorwärts", Nr. 108, vom 21. April 1917; offensichtlich aber hat diese Veröffentlichung die entgegengesetzte Wirkung gehabt und die eigenen Leser abgestoßen, denn in seiner Nr. 115 vom 28. April grifE der „Vorwärts" die Angelegenheit nochmals auf und beteuerte, daß die Formulierung nicht von ihm stamme, sondern nur von ihm zitiert sei.
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dafür bei denen bedanken, die ihnen gewissenloserweise schlechte Ratschläge gegeben haben." 2 0 1 In geheimen Besprechungen mit der Regierung gingen einzelne rechte sozialdemokratische Führer noch weiter und rieten geradezu. „den gerechten Forderungen der Arbeiter zu entsprechen, aber die Zügel nicht aus der Hand zu lassen, im äußersten Falle auch zur Militarisierung zu greifen". 202 Dafür sprachen sich in einer solchen Zusammenkunft der Sozialdemokrat und spätere Unterstaatssekretär Dr. August Müller und der Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften Stegerwald aus. Auf die kämpfenden Arbeiter selbst jedoch konnten diese Verräter nur nocli durch die Hintertür einzuwirken versuchen. So wurde einigen Arbeitern der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, die am 20. April den Parteivorstand aufsuchten, geraten, bei Streikabstimmungen die geheime Stimmabgabe durchzusetzen, um durch die Anonymität der Feigheit und dem Verrat eine breitere Gasse zu bahnen. 2 0 3 Einige Wirkung auf die Arbeiter versprach sich die Regierung von der Gestalt Hindenburgs, den die chauvinistische Propaganda zum Symbol der angeblichen deutschen Unbesiegbarkeil zu erheben sich bemühte. Der Geheimrat v. Roedenbeck vom Innenministerium hatte einen Aufruf Hindenburgs bereits in den ersten Streiktagen angeregt. 204 Schließlich erschien dann auch am 20. April in allen bürgerlichen Zeitungen und natürlich auch im „Vorwärts" in Form eines Schreibens an den Chef des Kriegsamtes eine „Mahnung" des Generalfeldmarschalls an die Rüstungsarbeiter. Pathetisch erklärte er, „daß jede noch so unbedeutend erscheinende Arbeitseinstellung eine unverantwortliche Schwächung unserer Verteidigungskraft bedeutet und sich mir als eine unsühnbare Schuld am Heer und besonders an dem Mann im Schützengraben, der dafür bluten mußte, darstellt". Er forderte den Chef des Kriegsamtes auf. mit allen Mitteln für „die notwendige Aufklärung der Rüstungsarbeiter" zu sorgen. 205 Das einzige Mittel, über das Groener verfügte, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, waren doch wieder nur die rechten Gewerkschaftsführer. Er wandte sich darum auch an die Generalkommission in einem Brief, der zusammen mit dem Hindenburg-Schreiben von den Zeitungen gebracht wurde. Dabei haben Formulierungen wie ..rückhaltlose Zusammenarbeit der Arbeiterorganisationen mit dem Kriegsamt" sicher wenig dazu beigetragen, den Kredit der Gewerkschaftsführung bei den Arbeitern zu erhöhen. 200 Auch die Methode der kleinen Zugeständnisse von staatlicher Seite konnte bei der 201
„Vorwärts", Nr. 108, vom 21. April 1917. Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages . . . Vierte Reihe: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918. Zweite Abteilung: Der Innere Zusammenbruch, Bd. 5, Berlin 1928, S. 181. Eine Denkschrift Stegerwaids, die die Grundlage einer Aussprache im Kriegsernährungsamt am 24. April 1917 über Maßnahmen zur Verhinderung von Streiks bildete, empfahl neben der Militarisierung von Betrieben die Anwendung schärfster Mittel gegenüber der Spartakusgruppe wie Redeverbote, Einberufungen, Schutzhaft usw. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Politische Parteien 1, Nr. 13581, Bl. 249/50.) 20s Philipp Scheidemann: Der Zusammenbruch, a. a. O., S. 66. 204 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. !40. 205 „Vorwärts", Nr. 107, vom 20. April 1917. 208 Ebenda. 202
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angespannten allgemeinen Lage bloß in sehr geringem Umfang angewendet werden. Nur in den Königlichen Rüstungsfabriken in Spandau wurden teilweise die Tagesschicht um eine halbe Stunde, die Nachtschicht um eine Stunde und die Sonntagsarbeit um IV4 Stunde verkürzt; außerdem sollten die Stücklöhne erhöht werden. 2 0 7 Die Haltung der Arbeiter dieser Staatsbetriebe war gewissermaßen ein Aushängeschild für das Verhältnis der Arbeiterschaft zur Regierung, so daß man sich beeilte, ihren wirtschaftlichen Forderungen mehr als anderswo entgegenzukommen und so die Kampfstimmung zu unterhöhlen. Es blieb der herrschenden Klasse bei der Bekämpfung der Streikbewegung im wesentlichen nichts anderes übrig als der offene Terror, zu dem sie allerdings auch nur greifen konnte, nachdem die rechte Partei- und Gewerkschaftsführung die Rahn geebnet und die große Mehrheit der Streikenden zur Arbeitsaufnahme am 18. April veranlaßt hatte. Zunächst wurde angeordnet, wie es in dem Rericht des Innenministers v. Loebell an Wilhelm II. heißt, „daß den Arbeitswilligen durch Festnahme der Streikposten und Streikpatrouillen der weitgehendste Schutz gewährt wurde". 2 0 8 Zu diesem Mittel hatte man schon sehr früh gegriffen, wie die Verhaftung des Schlossers Friedrich Schulz am Vormittag des 18. April beweist, der vor dem Siemensbetrieb in der Franklinstraße als Streikposten agitiert hatte. 2 0 9 Weiter wurde die Anwendung zweier Verordnungen des Oberbefehlshabers in den Marken vom August 1914 und vom Dezember 1916 verfügt, wonach alle öffentlichen und nicht-öffentlichen Versammlungen der Genehmigung bedurften und 48 Stunden vorher anzumelden waren. 2 1 0 Rereits am Nachmittag des 19. April wurde eine Versammlung in den Pharus-Sälen, auf der Ledebour sprechen sollte, von der Polizei aufgelöst. 2 1 1 „Da trotz dieser Maßnahmen", wie es in dem Rericht v. Loebells an den Kaiser heißt, „und trotz wiederholter Verhandlungen mit den Führern der sozialdemokratischen Partei und der freien Gewerkschaften, die wohl guten Willen, aber, wie sich zeigte, keinen genügenden Einfluß auf die Streikenden hatten, der Ausstand in ungefähr gleichem Umfange fortdauerte, war ein scharfes Vorgehen gegen die noch streikenden Rüstungsarbeiter und ihre politischen Hintermänner geboten." 2 1 2 Am 19. April entschloß man sich, den offenen Terror zu proklamieren und, gestützt auf die wohlwollende Haltung der rechten Partei- und Gewerkschaftsführung, zur Militarisierung der Retriebe zu schreiten. Der Oberbefehlshaber in den Marken, Generaloberst v. Kessel, wollte ein Exempel statuieren und erließ am 19. April auf Grund des § 9 b des preußischen Gesetzes vom 4. J u n i 1851 über den Belagerungszustand folgende Verordnung: „§ 1 Die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Martinickenfelde 2 1 3 und in Wittenau werden hiermit bis auf weiteres in militärische Leitung übernommen. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 280. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 116, 209 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 58. 2 1 0 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 185, 187. 2 1 1 Ebenda, Bl. 187. 2 1 2 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, X X I Generalia 17, Bd. 5, Bl. 116. 213 Martinickenfelde: Stadtteil südlich der Eisenbahn zwischen den Bahnhöfen Jungfernheide und Beusselstraße und nördlich der Spree; vgl. B. Schulze, Martinique bei Berlin, in: 207
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Revolutionäre
Ereignisse
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Zum Leiter bestimme ich den Inspekteur der technischen Institute der Infanterie Oberst von Feldmann. Alle Anträge der Arbeitnehmer sind lediglich an diesen oder seinen Stellvertreter zu richten. § 2 Diejenigen Personen, die in den Betrieben der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Martinickenfelde und in Wittenau beschäftigt waren und seit dem 14. April 1917 die Arbeit niedergelegt haben, haben bis zum 21. April d. Js. die Arbeit bis morgens 7 Uhr wieder aufzunehmen, wenn sie nicht unverzüglich den Nachweis bringen, daß sie arbeitsunfähig sind. § 3 Diesen Personen ist es bis auf weiteres verboten: 1. ohne Zustimmung des militärischen Leiters oder seines Stellvertreters die Arbeitsstelle zu wechseln, 2. von der Arbeit fernzubleiben, ohne nachweislich arbeitsunfähig zu sein, 3. die Arbeit niederzulegen, 4. die Arbeit zu verweigern oder die Arbeit absichtlich einzuschränken. § 4 Sämtlichen Personen ist bis auf weiteres verboten, Arbeiter der genannten Betriebe mündlich oder schriftlich oder durch Verteilung von Drucksachen, Erlaß von Aufrufen oder sonst in irgendeiner Weise zur Einstellung oder Beschränkung der Arbeit aufzufordern oder anzureizen. § 5 Zuwiderhandlungen werden, soweit keine höhere Strafe verwirkt ist, mit Gefängnis bis zu einem Jahre, Haft oder Geldstrafe bis zu 1500 M. bestraft. § 6 Alle wehrpflichtigen Arbeitnehmer der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Martinickenfelde und in Wittenau, die bis zum 14. April 1917 in den Betrieben dieser Fabriken gearbeitet und seitdem die Arbeit niedergelegt haben, gelten, sofern sie nicht bis zum 21. April 1917 morgens 7 Uhr die Arbeit dort wieder aufgenommen haben oder nachweislich arbeitsunfähig sind, von diesem Zeitpunkt an als zum Heeresdienst eingezogen, erhalten in dieser Eigenschaft Soldatenlöhnung und unterstehen den Kriegsgesetzen. § 7 Diese Verordnung tritt mit ihrer Veröffentlichung in der Fabrik in Kraft." 2 1 4 Die Militarisierung dieser Betriebe war eine Machtdemonstration. Dabei verrieten die staatlichen Organe immer noch eine beträchtliche Unsicherheit. Das zeigte sich z. B. darin, daß man den Stichtag, der im Entwurf auf den 20. April nachmittags 1 Uhr angesetzt war, 2 1 5 schließlich auf den 21. April 7 Uhr morgens verschob. Ganz offen wurde diese Unsicherheit auf einer Sitzung am 21. April im Kriegsministerium zugegeben, zu der neben dem Generalleutnant Groener Vertreter der Admiralität, des Innenministeriums, des Reichsamtes des Innern, des Oberkommandos in den Marken, des Justizministeriums und der Reichskanzlei geladen waren. In dem für den Berliner Polizeipräsidenten verfaßten Bericht über diese Sitzung heißt es: „Leider wurde man sich darüber klar, daß die Mittel, Ausständen erfolgreich zu begegnen, keine zu gewaltigen seien. Von dem unter anderen Verhältnissen allein zweckmäßigen und sicheren Märkischer Wandergruß, Beiträge zur Landesgeschichte, hrsg. von H. Gebhardt, Berlin 1951, S. 17/18. 214 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 147—149. 216 Ebenda, Bl. 145.
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Mittel, den Ausstand ruhig bis zur Gelderschöpfung der Arbeiter fortgehen zu lassen, zwingt die militärische Lage abzusehen.... Scharfe Aufrufe, in denen die Ausständigen auf die strafgesetzlichen Folgen ihres Handelns hingewiesen werden, seien deshalb nicht am Platze, weil man Tausenden gegenüber nicht gleichzeitig das Strafverfahren anwenden könne. Das wüßten die Arbeiter und namentlich ihre Führer genau. Man müsse sich deshalb immer darauf beschränken, gegen die Rädelsführer scharf vorzugehen und die Massen in geschickter Weise durch Verhandlungen, durch Pressebeeinflussung usw. zur Vernunft zu bringen." 2 1 6 Die Methode, der Bewegung die Führer zu rauben, wurde denn auch unter Ausnutzung übler Denunzianten und mit betrügerischen Mitteln rücksichtslos gehandhabt. Am 19. April erging vom Oberkommando in den Marken an die Abteilung VII des Polizeipräsidiums um 5 4 8 Uhr nachmittags die telegraphische Anordnung, die Mitglieder des Arbeiterrats Fischer, Kronthaler und Peters „als Rädelsführer des Streiks in den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken sofort in Sicherheitshaft zu nehmen". 217 Kronthaler wurde noch am selben Abend verhaftet und ins Polizeigefängnis eingeliefert. Am 21. April war er immer noch nicht verhört worden; er verlangte seine Vorführung, um zu erfahren, warum er verhaftet wurde. 2 1 8 Am 23. April notierte die Abteilung VII: „Das Oberkommando . . . teilt auf telephonische Anfrage mit, daß Kronthaler noch heute zum Militär eingezogen wird. Seine Vernehmung erübrige sich daher." 2 1 9 Am Tage zuvor hatte seine Frau folgenden Antrag an den Polizeipräsidenten gerichtet: „Mein Mann, der Dreher August Kronthaler, befindet sich in Schutzhaft Abt. 7. Da derselbe schwer nierenleidend und lungenkrank ist, bitte ich, mir zu gestatten, ihm auf meine Kosten täglich das Mittagessen bringen zu dürfen; ich bitte um gefl. umgehenden Bescheid, ob meiner Bitte stattgegeben ist. Marie Kronthaler." 2 2 0 Der Antrag lief über das Oberkommando, das am 27. April seine Stellungnahme dem Polizeipräsidenten sandte; am 3. Mai nahm die Abteilung VII, die schließlich der Frau Kronthaler antworten mußte, davon Kenntnis. Etwa zwei Wochen also wird die Frau gewartet haben, bevor sie die Stellungnahme des Oberkommandos zu ihrem Antrag erfuhr. Sie lautete: „Kronthaler ist beim ArmierungsErsatz-Kommando Neudamm eingestellt. Der Antrag ist daher gegenstandslos." 2 2 1 Die Darstellung des Falls Kronthaler erfordert keinen Kommentar; sie spricht für sich selbst. Fischer, den die Polizei auf Grund einer unrichtigen Wohnangabe vergeblich suchte, stellte sich am 21. April freiwillig und wurde wie Kronthaler eingezogen. Peters konnte erst am 23. April festgenommen werden; da er dienstuntauglich war, wurde er als Schutzhäftling eingekerkert. 2 2 2 Die Streikenden erfuhren im Laufe des 20. April, daß der reaktionäre Terror eingesetzt hatte. Die Arbeiter der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Wittenau und Martinickenfelde nahmen von der Militarisierung ihrer Betriebe Kenntnis, als sie sich an diesem Freitag zur Lohnzahlung einfanden und überall die Verordnung des 214 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, 217 Ebenda, Bl. 50. 218 Ebenda, Bl. 57. Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 2. 219 Ebenda, Bl. 199. 220 Ebenda, Bl. 274. 221 Ebenda. 222 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 216. s«
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Oberbefehlshabers in den Marken angeschlagen sahen. 2 2 3 Von dem Haftbefehl gegen die Mitglieder des Arbeiterrats erfuhren die Streikenden in Moabit am Nachmittag vor der Kronenbrauerei. Hier sollte eine Streikversammlung stattfinden, die aber von der Polizei verhindert wurde. Zu Tausenden standen die Arbeiter vor dem Lokal auf der Straße und hörten die aufrüttelnden Ansprachen verschiedener Redner, darunter auch Vogtherrs, der nach dem Zeugnis eines Kriminalbeamten sagte: „Ich mache Euch die Mitteilung, daß die und die Genossen (Namen sind entfallen) heut verhaftet worden sind. Ihr wißt doch nunmehr, was Ihr zu tun habt." 2 2 4 Heftige Empörung ergriff die Menge. 2 2 5 Den streikenden Arbeitern der Knorr-Bremse berichtete das Mitglied des Arbeiterrats Paul Scholze von den Verhaftungen, „worauf laute Pfuirufe durch den Saal erschallten". 2 2 6 Ein Flugblatt, das in den Betrieben verbreitet wurde, forderte zur Solidarität mit den Verhafteten auf: „Kollegen,
Kolleginnen!
Als wir am 16. April in einer Zahl von gegen 300 000 in den Streik traten, waren wir alle empört, daß unser Kollege Müller in das Militär gesteckt worden war, nur weil er unsere Interessen wahrgenommen hat. Wir forderten seine sofortige Entlassung vom Militär. Die Behörde entsprach diesem Verlangen nicht, sondern sagte nur eine wohlwollende Untersuchung des Falles Müller zu. Während eine Anzahl großer und kleiner Betriebe, so die Waffen- und Munitionsfabriken, die A.E.G. Hennigsdorf, Knorr-Bremse, Hasse u. Wrede, im Streik verharrten, gab sich die übergroße Mehrzahl von uns mit diesem Bescheid zufrieden und nahm am Mittwoch den 18. die Arbeit wieder auf. Was wir erwarten mußten, ist eingetroffen : die Herrschenden sind zu neuen Taten ermutigt worden, sie sind zu weiteren Maßregelungen geschritten. Kollegen aus der Waffen- und Munitionsfabrik sind verhaftet worden. Weshalb? Sie haben den einmütigen Beschluß ihrer Kollegen aus dem Betriebe ausgeführt. Sie haben das große Verbrechen begangen, die Wahl in eine Deputation anzunehmen, die sich zu dem Vertreter des Reichskanzlers begab, um ihm die Forderungen der Arbeiter, namentlich das Verlangen nach sofortigen Friedensverhandlungen zu unterbreiten. Die Deputation wurde nicht empfangen, die Arbeitervertreter wurden dagegen verhaftet. Kollegen, Kolleginnen! Das ist ein Schlag in unser aller Gesicht! Was unseren Vertrauensleuten geschah, das fühlen wir, als ob es uns allen zugefügt worden wäre. Geht uns nicht die Solidarität über alles, so sind wir verloren. Die Behörden muten uns die schmachvolle Haltung zu, daß wir unsere Kollegen im Stich lassen werden. Sie bauen darauf, daß wir uns unter die Gewalt beugen werden. Schon haben sie die Waffen- und Munitionsfabrik unter die militärische Fuchtel Ebenda, Bl. 160. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 197. 226 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 321. 228 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 474. 223 224
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gestellt. Sie haben den letzten Rest von Freiheit beseitigt und den Feldwebel zum Herrscher des Betriebes gemacht. Man droht uns: entweder Ihr fügt Euch dem Kommando von oben oder Ihr werdet militarisiert. Das Hilfsdienstgesetz bietet die bequeme Handhabe zu unserer Drangsalierung. Für all unser Schuften ist die Antwort der Arbeitszwang. Der Belagerungszustand verschärft sich, die Versammlungen der Kollegen, die noch weiter streikten, wurden verboten. Wir denken Tag für Tag daran: Wir wollen Freiheit, wir wollen vor allem Frieden, dann haben wir auch Brot. Hoch die Solidarität der Arbeiter und Arbeiterinnen!"
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Es fehlte nicht an revolutionären Agitatoren in der Arbeiterschaft, die sich für aktive Solidarität durch Ausharren im Streik einsetzten. In der Deutschen Waffenund Munitionsfabrik Wittenau z. B. machten nach polizeilichen Ermittlungen der Maschineneinrichter Robert Grunert und andere „erneut Propaganda f ü r die Wiederaufnahme des Streikes am Montag, den 23. 4., früh."228 Aber die Zahl dieser Vorkämpfer wurde in den militarisierten Betrieben unverzüglich und systematisch dezimiert. Bereits am Freitag erfolgten zahlreiche Entlassungen revolutionärer Arbeiter durch den militärischen Leiter Oberst v. Feldmann, um die Möglichkeit ihres Einflusses auf die Belegschaft sofort auszuschalten. 229 So wurde durch den massiven Terror, durch Militarisierung, Versammlungsverbote, Verhaftungen und Entlassungen die Streikfront erschüttert. Am Sonnabend, dem 21. April, erfolgte ein bedeutender Einbruch in die Streikbewegung. Das Oberkommando meldete dem Kriegsministerium am 23. April folgende Zahlen: „Von den 1900 Arbeitern der Aktiengesellschaft Knorr-Bremse in Lichtenberg waren am Sonnabend 600 tätig, und nur in den Flugzeugwerken der A. E. G. in Hennigsdorf ruhte die Arbeit noch vollständig. Diesen ca. 6300 Ausständigen hatten sich am 20. d. Mts. noch etwa 2200 Arbeiter der Werkzeugmaschinenfabrik von Hasse u. Wrede, Christianiastraße 116 a, angeschlossen, so daß am Ende der Woche noch rund 8500 Arbeiter in drei Betrieben im Ausstand waren." 2 3 0 In dieser Aufstellung fehlen die Streikzahlen f ü r die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, die trotz Militarisierung in Martinickenfelde noch 650, in Wittenau sogar 1500 betrugen. 2 3 1 Bei Jachmann in Tegel waren auch noch 5—10°/w der Belegschaft im Ausstand. 2 3 2 Insgesamt streikten also am 21. April noch rund 12 000 Arbeiter. Am Montag, dem 23. April, brach der Streik endgültig zusammen: Nur noch die 5000 Hennigsdorfer Arbeiter verblieben im Ausstand, um aber auch am nächsten Tag die Arbeit wieder aufzunehmen. 2 3 3 22
228 229 ' Ebenda, Bl. 492. Ebenda, Bl. 339/340. Ebenda, Bl. 339. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 217. 231 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 86. 232 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 173. 2,3 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 86. 230
KAPITEL
DIE
FURCHT
NEUTEN
VIII
DER
HERRSCHENDEN
AUSBRUCH
DES
STREIKS
KLASSE UND
VOR
IHRE
EINEM
ER-
GEGENMASS-
NAHMEN
Der gewaltige Massenstreik der Berliner Arbeiterschaft war beendet, aber die Erregung gärte fort. Die maßgebenden Stellen im Staatsapparat waren sich darum auch keineswegs sicher, daß die Streikbewegung nicht erneut ausbrechen und noch größere Ausmaße annehmen könnte. Am 21. April lief das Gerücht von einem Generalausstand und Demonstrationszügen am kommenden Montag um. 2 3 4 Der Polizei ging ein Spitzelbericht zu, daß in dem Wittenauer Betrieb der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken nach den bekannten Verhaftungen und der Entlassung mehrerer revolulutionärer Arbeiter durch die militärische Leitung die Wiederaufnahme des Streiks am Montag früh propagiert wurde. 2 3 5 Insbesondere der nahe 1. Mai gab den Behörden Grund zu lebhafter Beunruhigung. Kreaturen der Polizei berichteten von einer Vertrauensmännerversammlung der Telephonapparatefabrik Zwietusch am 24. April, auf der über die Arbeitsniederlegung am 1. Mai beraten wurde. Für einen entsprechenden Beschluß setzte sich vor allem Paul Feikert ein, Inhaber des Eisernen Kreuzes II. Klasse und auf Grund einer Verwundung als kriegsdienstuntauglich entlassen: „Feikert machte, als ausgesprochener Spartacusmann, auf die übrigen Vertrauensmänner bei der Besprechung des Streiks seinen ganzen Einfluß geltend, und es wurde beschlossen, die Arbeit in dem Betriebe der Firma Zwietusch am 1. Mai auf mehrere Tage niederzulegen." 2 3 6 Ähnliche Nachrichten lagen von der Firma Lorenz und von anderen Betrieben vor. 2 3 7 Charakteristisch für die Einschätzung der Stimmung der 3 3 4 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 161; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 2. 3 3 5 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 339/40. 238 Ebenda, Bl. 530/31. 237 Ebenda, Bl. 220, 413; Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 234, 268.
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Berliner Rüstungsarbeiter durch die rechten Partei- und Gewerkschaftsführer war ihre Angst vor der fälligen Berliner Generalversammlung des Metallarbeiterverbandes. Sie war acht Tage zuvor für Sonntag, den 22. April, anberaumt worden. Der Chef des Kriegsamtes, Generalleutnant Groener, erwartete, wie er auf der Sitzung des Kriegsministeriums am 21. April äußerte, von ihrem Verlauf Klarheit, „ob die Arbeitsgemeinschaft oder die Gewerkschaft die hiesigen Metallarbeiter hinter sich hat". 238 Diese Generalversammlung aber wurde von der Verwaltungsstelle Berlin des Metallarbeiterverbandes abgesagt, „ohne daß ein Verbot erfolgt wäre", wie das Oberkommando in seinem Bericht an das Kriegsministerium am 23. April ausdrücklich betonte. 2 3 9 Als Groener auf jener Sitzung von diesem Manöver erfuhr, bezeichnete er es vollkommen richtig „als einen Beweis für den Wunsch der Gewerkschaftsführer, es nicht auf eine Machtprobe ankommen zu lassen". 240 Die Verräter fürchteten, den Berliner Metallarbeitern vor die Augen zu treten. Das Oberkommando in den Marken hielt die Situation für so kritisch, daß es mit dem 21. April für die Berliner Blätter eine Vorzensur einführte, die sich auf alles erstreckte, was sich auf den Streik bezog. Zur Erläuterung dieser Maßnahme berief die Presseabteilung beim Oberkommando am 21. April eine Sondersitzung mit Vertretern der bürgerlichen Presse ein. Hauptmann v. Vietsch, der von Scheidemann in seinen Memoiren ausgerechnet als Beispiel dafür angeführt wird, „daß es unter den zur Zensur abkommandierten Offizieren auch verständige und gebildete Herren gab", 2 4 1 erklärte den Anwesenden: „Aber, meine Herren, wir wollen uns doch die Augen nicht verschließen darüber, daß es nicht gewährleistet ist, daß die Lage so bleibt, wie sie ist. . . . Wir wissen alle, welche Agitationen im Gange sind, in welches Fahrwasser politischer Verhetzung die Sache heute geraten ist, und wir wissen auch alle, welche Zeit bevorsteht, gerade im Hinblick auf den 1. M a i . . . " 242 Er bezeichnete die Präventivzensur als ein Mittel, „uns davor zu schützen, daß in dem jetzigen Augenblick uns die Verhältnisse nicht über den Kopf wachsen, im jetzigen Augenblick, wo es gilt, einer ernsten Gefahr rechtzeitig zu begegnen, wo wir uns einem Experimentieren nicht aussetzen können, und wo wir uns vom militärischen Standpunkte aus unbedingt dem Ernst der Lage gegenüber eine Mitwirkung sichern müssen". 243 Das vorliegende Sitzungsprotokoll 244 ist über den konkreten Anlaß des Aprilstreiks hinaus ein aufschlußreiches Dokument für die bürgerliche Pressepolitik gegenüber der Arbeiterklasse schlechthin, so daß es gerechtfertigt erscheint, ein wenig ausführlicher davon zu berichten. Hauptgesichtspunkt jeder Berichterstattung, dem alle anderen Dinge unterzuordnen waren, sollte nach Meinung des Oberkommandos sein: „Was kann ich tun, um dem 338
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. I), Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 2. 239 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 217. 240 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 2. 241 Philipp Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten, a. a. 0 . , Bd. 1, S. 269. 242 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 174. 243 244 Ebenda, Bl. 181. Ebenda, Bl. 170—186.
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vorzubeugen, daß durch diese vorhandene Streikbewegung eine neue Bewegung in großen Dimensionen entsteht." 2 4 5 Ganz allgemein wurde der Presse der R a t gegeben, den Fehler zu vermeiden, durch breite Erörterungen der Arbeiterprobleme das Bewußtsein des Proletariats in die eigene Kraft zu stärken: „Diejenigen Herren, die sich dieser Überzeugung anschließen können und die vom politischen Standpunkte aus diese Streikbewegung nicht zu breittreten wollen, erwerben sich ein Verdienst." 2 4 6 An diese Feststellung schloß das Oberkommando eine Reihe detaillierter Hinweise, deren Beherzigung der Presse empfohlen wurde. An erster Stelle stand der Wunsch, den Hindenburgbrief propagandistisch auszuwerten, wobei Hauptmann v. Vietsch bereits Andeutungen machte, daß das Oberkommando die Streikaufforderung als Landesverrat zu behandeln gedachte und von den Zeitungen eine entsprechende Vorarbeit erwartete. Nach Ratschlägen über die Behandlung der Ernährungsfragen lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Forderung nach einem Frieden um jeden Preis, die von der Presse mit dem Argument bekämpft werden sollte, daß nach einem Frieden die Versorgungslage zunächst noch schlechter als bisher sein würde. Sie sollte weiterhin betonen, daß Probleme der inneren Politik wie die in der Kaiserlichen Osterbotschaft verkündete Wahlreform „nur im Wege der Gesetzgebung, nicht aber im Wege des Druckes der Massen durch Arbeitseinstellung" gelöst werden könnten. 2 4 7 Dem verlogenen Gedanken von der Volksgemeinschaft, von der kameradschaftlichen Hilfe der Heimat für die Front' sollte breiter Raum gewidmet werden, wobei die verhüllte Drohung einzuflechten wäre, daß bei ungenügenden Munitionsmengen sich die Verluste erhöhten und also auch die Zahl derer wachsen würde, „die als Ersatz hier aus dem sicheren Port an die Front herangezogen werden müssen, nicht als Strafe, sondern in natürlicher Regelung der Dinge". 2 4 8 Der Wirkung, die von der russischen Revolution ausging, glaubte v. Vietsch mit der Argumentation begegnen zu können: „Der Gegensatz zwischen Demokratie und Monarchie ist falsch gestellt. Wir sollten die Arbeiter darauf hinweisen, daß mehr die soziale Seite der Sache zu erfassen ist, und wenn die sich jetzt in Rußland abspielenden Vorgänge zum Ziele führen, daß dann das russische Volk vielleicht dadurch erst dorthin kommt, wo wir schon längst sind." 2 4 9 Äußerst bezeichnend war die abschließende Warnung des Hauptmanns v. Vietsch, „jetzt die Arbeiterführer, die gegen den Streik gesprochen haben, in Gegensatz zu den Arbeitern zu bringen. . . . Ich möchte glauben, daß man die Arbeiterführer weder loben noch tadeln, sondern möglichst überhaupt nicht herausheben soll." 2 5 0 Die Einmütigkeit, mit der die anwesenden Pressevertreter die Präventivzensur ohne eine Spur von Gegenrede hinnahmen und sich die Direktiven des Oberkommandos zu eigen machten, kennzeichnet die Verlogenheit der Phrase von der Unabhängigkeit der Presse im bürgerlichen Staat. Die Sondersitzung am 21. April beim Oberkommando war eine Art Generalstabsbesprechung, auf der der Einsatz der bürgerlichen Presse, 2"
Ebenda, "« Ebenda, 247 Ebenda, 219 Ebenda, 248 Ebenda. 260 Ebenda,
BI. Bl. Bl. Bl.
176. 177. 179. 180.
Bl. 182.
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dieser gefährlichen Waffe in der Hand der herrschenden Klasse gegen das Proletariat, bis in die Einzelheiten festgelegt wurde. Aus der Diskussion ist besonders der Beitrag des Direktors Bernhard von der Ullsteinpresse hervorzuheben, weil er die Verräterrolle der rechten Partei- und Gewerkschaftsführung offen bestätigte: „Was über die Kritik an Arbeiterführern von Herrn Hauptmann v. Vietsch gesagt worden ist, halte ich für sehr richtig. Diese haben einen derart schweren Stand und eine so große Verantwortung, daß man ihnen diese Arbeit nicht erschweren sollte. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß man ihren Standpunkt mit Lob in der bürgerlichen Presse noch mehr erschwert als durch Tadel." 2 5 1 Weiter wurde die infame Veröffentlichung des Telegramms, das das Woolwich-Arsenal an die Petersburger Gewehr- und Patronenfabrik geschickt hatte, als vorbildliche publizistische Leistung des „Vorwärts" gepriesen: „Jede Stunde der Faulheit macht uns zu Mördern!" 2 5 2 Hauptmann v. Vietsch meinte dazu: „Das müßte jetzt auch bei uns zum Schlagwort werden und müßte propagiert werden." 2 5 3 Schließlich verdient auch noch seine Bemerkung Beachtung, daß es zur Zeit nicht opportun wäre, die Militarisierung der Betriebe in Wittenau und Martinickenfelde in der Presse breitzutreten. Darin verriet sich die Unsicherheit der Militärbehörde, die durchaus noch im Zweifel war, ob diese Maßnahmen Erfolg haben würden. Es war die blasse Furcht, nicht Stärke, die die kommenden Maßnahmen der herrschenden Klasse gegenüber der Berliner Arbeiterschaft bestimmte. Es war Furcht, nicht Stärke, die aus den hysterischen Ausbrüchen des Chefs des Kriegsamtes Groener im Hauptausschuß des Beichstages sprach: „Ich verlange, daß die Streiks aufhören! Es gibt keine Streiks mehr, und wir werden rücksichtslos gegen die Drahtzieher vorgehen. Und wir werden diese politischen Landesverräter treffen mit der ganzen Macht des Gesetzes." 2 5 4 In erster Linie wollte man den revolutionären Kern der Berliner Arbeiterschaft, Spartakusanhänger und andere Arbeiter, die als Sprecher und Führer im Kampf hervorgetreten waren, treffen. Die wirksamste Methode war die der Einberufung zum Heer. Die Polizei- und Militärbehörden gingen systematisch an die Arbeit. Keine Denunziation war der Polizei zu schmierig oder zu dürftig, um ihr nicht nachzugehen. Die Anonymität fast aller dieser Anzeigen beweist die völlige Isoliertheit der Verräter, die noch nicht einmal den Behörden gegenüber offen aufzutreten wagten. 2 5 5 Wenn ein Denunziant behauptete, im Namen von 600 Arbeitern der KnorrBremse zu sprechen, so ergaben polizeiliche Ermittlungen, daß kein einziger Arbeiter von dieser Lumperei wußte und daß auch die Unterschrift fingiert war. 2 5 6 Bei der Verfolgung der Denunziationen kam es der Polizei nicht etwa darauf an, die Richtigkeit der Beschuldigungen zu prüfen; die Identifizierung des Beschuldigten und die Feststellung seiner radikalen politischen Gesinnung genügten. Das Ergebnis war dann z. B. ein 261
Ebenda, Bl. 184. Vgl. S. 63. Deutsches Zentralarehiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 184. 264 „Vorwärts", Nr. 114, vom 27. April 1917. ,6S Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 180, 400. !W Ebenda, Bl. 481. 262
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solcher Bearbeitungsvermerk: „Bollens ist Spartacusmann und gewohnheitsmäßiger Hetzer. Gerichtlich verwertbares Material hat sich nicht beschaffen lassen. E r ist gedienter Soldat und für die Firma Lorenz bis 31. 5. 17 reklamiert. Das Erforderliche wegen seiner sofortigen Einziehung ist veranlaßt. Er wird in den nächsten Tagen zum Heer eingezogen." 2 5 7 Die Masse der Einberufungen wurde jedoch nicht von der Polizei veranlaßt, sondern durch die Direktionen der Betriebe, die dem Oberkommando in den Marken ganze Listen mit den Namen revolutionärer Arbeiter einsandten. 2 5 8 In den militarisierten Betrieben der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken schien man sich der Meinung Groeners angeschlossen zu haben, der im Kriegsministerium geäußert hatte: „Dort könne nur durch vollständige Erneuerung des Arbeitskörpers eine Besserung erzielt werden." 2 5 9 Jeder auch im geringsten revolutionärer Gesinnung verdächtige Arbeiter wurde entweder entlassen oder sofort eingezogen. Der Entlassung folgte wenig später die Einberufung selbst dann, wenn der neue Arbeitgeber die Reklamation beantragt hatte. 2 6 0 In gewaltig verstärktem Maße wurde die Feststellung bestätigt, die Spartakus schon im Dezember 1916 getroffen hatte: „Man griff dadurch auf die Tage des alten Fritz zurück, wo der Militärdienst als Strafe für unbotmäßige Gesinnung verhängt wurde, was schon ein Scharnhorst vor mehr als 100 Jahren als eine infame Entwürdigung der allgemeinen Wehrpflicht gebrandmarkt hat." 2 6 1 Der Verschleierung dieser Praktiken und zugleich der Einschüchterung diente eine amtliche Meldung vom 25. April, die vom Wolff-Büro veröffentlicht und von verschiedenen Zeitungen wiedergegeben wurde. Danach hatte das Kriegsamt angeordnet, aus dem Reklamiertenheer eine größere Zahl für den Heeresdienst freizustellen und durch Hilfsdienstpflichtige und Frauen zu ersetzen. „Bei dieser Gelegenheit soll auch ein Austausch zwischen Feld und Heimat stattfinden, so daß ältere verheiratete Facharbeiter, besonders Familienväter — soweit die militärischen Interessen es zulassen — aus der Front herausgezogen und der heimatlichen Kriegswirtschaft wieder zugeführt werden. Ferner ist im Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung beabsichtigt, zur Steigerung unserer Kohleproduktion dem Bergbau weitere Kräfte aus dem Heere zuzuführen gegen Ersatz aus der Heimat. Dieser Ersatz kann nur aus der Kriegsindustrie entnommen werden. Von der in Verfolg vorstehender Maßnahmen notwendigen Einziehung Reklamierter, mit denen in der Industrie bereits begonnen ist, bleibt die Landwirtschaft vollkommen unberührt." 2 6 2 Die Methode, durch Einberufungen den revolutionären Kern der Berliner Arbeiterschaft zu schwächen, war bequem und konnte in großem Umfang angewendet werden. Aber sie blieb unvollkommen. Bestimmte Kategorien von Personen lagen außerhalb der Reichweite der Militärbehörden. Gegen sie vor allem, aber nicht allein gegen sie, richtete sich die andere Drohung, den § 89 des Reichsstrafgesetzbuches anzuwenden, Ebenda, Bl. 483. 258 Ebenda, Bl. 402. 259 Ebenda, Bl. 2. 260 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 91. 261 Spartakusbriefe, a. a. O., S. 44. 283 Wolfis Telegraphen Bureau, Nachtausgabe, 68. Jg., Nr. 1080, vom 26. April 1917. 257
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wonach wegen Landesverrat Zuchthausstrafen bis zu 10 Jahren verhängt werden konnten. Am 23. April hatte im Reichsamt des Innern eine Besprechung mit Vertretern hoher Behörden über die Frage stattgefunden, „ob Aufforderung zur Arbeitseinstellung und Abhaltung von Arbeit in Betrieben, an denen ein Heeresinteresse besteht, als Landesverrat anzusehen ist".. . 2 6 S Die Anwesenden bejahten prompt diese Frage, denn keine 24 Stunden später lag den verschiedenen Behörden schon der im Reichsamt des Innern angefertigte Entwurf eines Schreibens zur Stellungnahme vor, das diese Auffassung vertrat und vom Reichskanzler an die Bundesregierungen, bzw. an das preußische Innen-, Justiz- und Kriegsministerium gerichtet werden sollte. 2 6 4 Der Entwurf war noch verhältnismäßig offen: „In einer Reihe von Betrieben, deren ungestörter Fortgang für die Landesverteidigung wesentlich ist, sind kürzlich Arbeiterausstände vorgekommen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich derartiges in der nächsten Zeit wiederholen wird." 2 6 5 Die endgültige Verlautbarung, die am 25. April mit der Unterschrift Bethmann Hollwegs hinausging und am 26. April von der gesamten Presse veröffentlicht wurde, vermied solche Eingeständnisse. Statt dessen enthielt sie verlogene Vertrauenserklärungen an die Arbeiterschaft, sprach von ihrem „vaterländischen Pflichtgefühl und dem gesunden kameradschaftlichen Sinn unserer deutschen Arbeiter". In diesen Schwulst eingebettet lag der eigentliche Kern: Als Vorschubleistung einer feindlichen Macht oder als Schädigung der Kriegsmacht des Deutschen Reiches, also als Landesverrat sollte künftig in allen kriegswichtigen Betrieben jede mündliche, schriftlich oder gedruckte Aufforderung zum Streik ebenso wie die Versuche, Streikbrecher von der Arbeit abzuhalten, angesehen werden. In demselben Sinne, nur in seiner Wut die Brutalität des ganzen Systems entblößend, äußerte sich der Chef des Kriegsamtes Groener in seinem Aufruf an die Rüstungsarbeiter, der von den meisten Zeitungen am 27. April veröffentlicht wurde. Die Arbeiter haben selten mit solcher Deutlichkeit von einem Repräsentanten der herrschenden Klasse gesagt bekommen, daß Deutschland nichts anderes als ein einziger großer Kasernenhof war: „Wer wagt es, dem Rufe Hindenburgs zu trotzen? Ein Hundsfott, wer streikt, solange unsere Heere vor dem Feinde s t e h e n ! . . . Leset im Reichsstrafgesetzbuch, was § 89 über den Landesverrat sagt. Wer wagt es, nicht zu arbeiten, wenn Hindenburg es befiehlt?" 2 6 8 Der rechte Sozialdemokrat Schöpflin, der sehr wohl die Wirkung dieser unflätigen Beschimpfung auf die Arbeiter abzuschätzen wußte, erklärte händeringend im Reichstag: „Ich möchte den Herrn General dringend bitten, in Zukunft solche temperamentvollen Erlasse nicht mehr herauszugeben." 2 6 7 Groener hatte in der Tat der Sache der herrschenden Klasse einen Bärendienst erwiesen. Der ,.Hundsfott"-Erlaß half vortrefflich, den Klassencharakter dieses Staates zu erkennen, und löste eine gewaltige Empörung unter den Arbeitern aus. In den Verlautbarungen Bethmann Hollwegs und Groeners wurde der § 89 im besonderen herangezogen, um unter Umständen gegen die Politiker der USPD vorgehen 283 284 286 288 267
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, BI. 211. Ebenda, Bl. 228—232. Ebenda, Bl. 230/231. „Berliner Tageblatt", Nr. 212, vom 27. April 1917. Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 309, S. 2057.
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zu können, die in den Versammlungen aufgetreten waren und geholfen hatten, den Streik auf die politische Ebene zu heben. Ihre Immunität als Abgeordnete schützte sie vor der Sicherheitshaft. Es mußte eine strafrechtliche Anklage vorliegen, ehe der Reichs-, bzw. Landtag die Immunität aufheben konnte. Die reaktionäre Presse ging als Scharfmacher voran. In ihrer Abendausgabe brachte am 20. April die „Deutsche Zeitung" einen Artikel gegen Haase und Ledebour unter dem Titel „Landesverrat oder was sonst?" 2 8 8 Geheimrat v. Roedenbeck, der im Innenministerium die Streikangelegenheiten bearbeitete, forderte am selben Tage in einer Mitteilung an den Unterstaatssekretär die Anwendung solcher terroristischen Methoden: „M. E. nach muß nun Ernst gemacht werden und, da sich leider die Reichsregierung der diesseitigen von mir stets vertretenen Rechtsauffassung, wonach auch Abgeordnete in Sicherheitshaft genommen werden können, nicht anschließt, versucht werden, Ledebour, Haase, Hoflmann pp. auf frischer Tat zu ergreifen. Das kann m. E. nicht allzu schwer sein, und es muß sich ermöglichen lassen, Reden der Genannten, welche den Streik von Munitionsarbeitern zur Folge haben, als Verbrechen § 89 Rstgbs. anzusehen." 2 6 9 Dieser Gedanke fand schnell Anklang. In einem Rericht des Oberkommandos in den Marken vom 23. April an das Kriegsministerium hieß es bereits: „Es s c h w e b e n . . . zwischen dem Oberkommando und der Polizei Erwägungen wegen Einleitung eines Strafverfahrens aus § 89 R.St.G.R. gegen Paul Hoffmann und die sonstigen politischen Schürer in der Berliner Ausstandsbewegung." 2 7 0 Am 7. Mai wandte sich dann das Oberkommando an den Ersten Staatsanwalt beim Landgericht I zu Berlin, um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die sechs Abgeordneten der USPD, die in Streikversammlungen gesprochen hatten, zu veranlassen. 2 7 1 In der Zwischenzeit bemühte sich die Polizei auf das eifrigste, gerichtlich verwertbares Material zusammenzutragen. Das Ergebnis war eine völlige Enttäuschung für die Behörden. Nirgends fanden sich Zeugen unter den Arbeitern. „Es dürften sich solche auch schwerlich finden, da ein Arbeiter sich zu einer gerichtlichen Aussage gegen Paul Hoffmann nicht hergeben wird", heißt es in dem Bericht eines Kriminalbeamten. 2 7 2 In dem Bearbeitungsvermerk zu der Meldung eines Polizeileutnants wird gesagt: „Zeugen, die die Äußerungen von Hoffmann und Haase bekunden können, wurden nicht ermittelt." 2 7 3 Ähnlich lautet der Vermerk zu einem Vorgang, in dem Haase und Ledebour belastet wurden: „Es will niemand als Zeuge auftreten." 2 7 4 Schließlich begriff auch der Polizeipräsident selbst, wie er in einem Schreiben vom 21. Mai an das Oberkommando sagte, daß „die Arbeiter anscheinend absichtlich mit Angaben zurückhalten". 2 7 5 Schützend stellten sie sich vor die gefährdeten Abgeordneten. Das Verfahren kam nicht zustande. „Deutsche Zeitung", Nr. 200, vom 20. April 1917. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 140. 270 Ebenda, Bl. 218. 2 , 1 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Militaría 18, Nr. 12473, Bl. 193—196. 272 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 255. 278 Ebenda, Bl. 259. 274 Ebenda, Bl. 3 1 2 . 276 Ebenda, Bl. 481. 288 26t
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Die Berliner Arbeiterschaft übte echte proletarische Solidarität. Doch die Treue, die sie Haase und seinen Freunden hielt, beantworteten diese Männer nicht mit einem entsprechenden Eintreten f ü r die Sache der Arbeiterklasse, sondern mit feiger Kapitulation vor dem Klassenfeind. Die Massenaktion hatte sie während der Streiktage über sich selbst hinausgehoben; das Ende des Streiks machte sie wieder klein. Sie waren immer schwankende Gestalten und blieben es. Jetzt schlug das Pendel nach rechts aus. Die Situation verlangte, auf den ersten Sturmlauf einen zweiten folgen zu lassen, der von vornherein einen ausgeprägt politischen Charakter tragen mußte. Die Regierung jvar sich sehr wohl im klaren, daß sie einer Massenaktion gegenüber hilflos war. Sie zitterte vor einer Wiederholung des Sturmlaufs. Der l . Mai, der traditionelle Kampftag des Proletariats, stand vor der Tür; ein Datum, das wie keines geeignet war, die Massen in Bewegung zu bringen und unter politischen Losungen zum Angriff zu führen. Die Führung der USPD rührte keinen Finger. Im Gegenteil, sie desorientierte die Arbeiterklasse; sie spiegelte ihr eine Kampfentschlossenheit vor, die zwar nicht vorhanden war, aber die die Arbeiter aufhorchen ließ und sie veranlaßte, dieser Führung großes Vertrauen entgegenzubringen. Ein Musterbeispiel dafür war der Mai-Aufruf, den die beiden Fraktionen der unabhängigen Sozialdemokraten im Reichstag und im preußischen Landtag am 24. April beschlossen: „Mehr denn je ist die Bekundung internationaler Solidarität Pflicht der Arbeiterklasse, soll der grausige Weltkrieg seinem Ende nähergebracht werden. Dieses Bewußtsein wird ganz besonders am 1. Mai dieses Jahres überall die Arbeiter und Arbeiterinnen durchdringen. Sie werden, wo es nur irgend möglich ist, ihre Stimme erheben für die Forderungen, die sie bis ins tiefste bewegen: für den Achtstundentag, f ü r den Weltfrieden, f ü r die Völkerverbrüderung!" 2 7 8 Das „Berliner Tageblatt", das den Aufruf zitierte, war auf der falschen Fährte, wenn es meinte, daraus eine Aufforderung zur Arbeitsniederlegung herauslesen zu müssen. 277 Der „Vorwärts" kannte sich in der opportunistischen Taktik besser aus und kommentierte vollkommen zutreffend: „Es ist ein schwerer Mangel dieses Aufrufs, daß er an der Frage, wie der erste Mai gefeiert werden soll, mit Schweigen vorübergleitet. Dieses Schweigen wird von einem Teil der Presse dahin gedeutet, daß die Unabhängigen unter der Blume zu Massenstreiks auffordern wollten. Wir halten diese Auffassung f ü r ganz falsch. Richtig aber ist, daß die Unterzeichner dieses Schriftstückes nicht den Mut haben, vor Unternehmungen zu warnen, die sie selber für höchst bedenklich halten. Täten sie das, so würden auch sie in anonymen Flugblättern beschimpft, sie würden sogar mit der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften in einen Topf geworfen werden, und das wäre ja das Schlimmste, was ihnen passieren könnte." 2 7 8 Es ist auffallend, daß der „Vorwärts" ungestraft diesen Maiaufruf am 28. April abdrucken und kommentieren durfte, obwohl die Oberzensurstelle bereits am 26. April die Presseabteilung beim Innenministerium aufgefordert hatte, „Nachdruck 878 a
,.Vorwärts", Nr. 115, vom 28. April 1917. " „Berliner Tageblatt", Nr. 211, vom 26. April 1917. „Vorwärts", Nr. 115, vom 28. April 1917.
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und Besprechung zu verbieten". 279 In der Abteilung VII des Polizeipräsidiums entrüstete man sich noch am 27. April, daß „sich das ,Berliner Tageblatt' dazu hergeben konnte, für die .Unabhängigen' Reklame zu machen". 2 8 0 Inzwischen aber hatten Polizei- und Militärbehörden die Ungefährlichkeit des Maiaufrufs begriffen. Was sie beunruhigte, waren vertrauliche Nachrichten aus den Betrieben selbst, wo verschiedentlich für eine Arbeitsniederlegung am 1. Mai agitiert wurde. 2 8 1 Diese Agitation aber hatte nicht das geringste mit der Führung der USPD zu tun, die keinen Finger rührte, um den Streik propagandistisch und organisatorisch vorzubereiten. Jetzt bewahrheitete sich die bereits am 26. März in einem vertraulichen Bericht von der Abteilung VII gegebene Voraussage: „Die Linksradikalen versuchen mit aller Kraft, die Arbeitsgemeinschaft f ü r größere Aktionen mobil zu machen. . . . Ob die AG aber sich entschließen wird, einen Aufruf zur strikten Arbeitsruhe am 1. Mai zu erlassen, muß bei der Unsicherheit, die in diesen Kreisen herrscht, bezweifelt werden . . . Mit einigen Konzessionen wird sich das ,Parteizentrum' diplomatisch aus der Schlinge zu ziehen wissen." 2 8 2 Die Konzessionen an die revolutionären Arbeiter bestanden in den radikal klingenden Worten des Mai-Aufrufs; gleichzeitig versprach Haase dem Generalleutnant Groener in die Hand, „daß am 1. Mai nicht gestreikt werde. Er werde dafür sorgen, daß unter keinen Umständen ein Streik ausbräche." 2 8 3 Einige nachträgliche harmlose Gefechte im Reichstag sollten Feigheit und Verrat verbergen helfen. Der Abgeordnete Dr. Cohn polemisierte in der Sitzung am 5. Mai gegen den Aufruf Groeners, gegen die Anwendung terroristischer Mittel wie die Militarisierung der deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, die Verhaftung der Arbeiterdelegation usw.. Was Cohn kritisierte, war „der Mangel an Noblesse in dem ganzen Verfahren". 284 Nobler erschienen ihm die englischen Methoden, die Arbeiter vor den Kriegskarren zu spannen. Dort waren Gewerkschaftler von der Heeresleitung zu einer Frontbesichtigung eingeladen worden, um sich selbst von der Notwendigkeit der vermehrten Munitionsherstellung zu überzeugen; und auf einer Massenversammlung, in der darüber berichtet wurde, hatten der Generalissimus und der Premierminister dazu das Wort ergiflen. 2 8 5 Das war keine Kritik vom proletarischen Klassenstandpunkt; das waren objektive Anregungen zum wirksameren Betrug der Arbeiterklasse. Den Verdächtigungen der Konservativen, auf einen Streik am 1. Mai hingearbeitet zu haben, antwortete er mit der Erklärung: „Meine Herren, unser Beschluß bedeutet genau das, 279
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 949, Nr. lb, Bl. 364. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. 1 a, Bd. 4, unfoliiert. 881 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 234, 268; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 200, 413, 530/31. 282 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. la, Bd. 4, unfolüert. 283 Zeugenaussage von Generalleutnant a. D. Groener im Münchner DolchstoBprozeß, in: Hans Herzfeld: Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Weltkriege, Leipzig 1928, S. 352. (Dokumentenanhang). 264 Verhandlungen des Reichstags, a.a.O., Bd. 309, S. 3096. 286 Ebenda. 180
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was darin ausgesprochen ist, nicht mehr und nicht weniger. Wir haben nicht zum Streik aufgefordert und mit diesem Beschluß nicht dazu auffordern wollen." 2 8 6 Unabhängig vom subjektiven Wollen oder Nichtwollen solcher Männer wie Haase, Ledebour und anderer, die in den Tagen des Aprilstreiks eine positive Rolle gespielt hatten, diente die USPD objektiv als ein Auffangbecken, das die Unzufriedenheit und revolutionäre Stimmung der Arbeiterklasse neutralisierte. Vom Standpunkt der herrschenden Klasse stellte sie eine wertvolle Ergänzung der offen opportunistischen SPD dar, der große Teile des Proletariats entglitten waren. Nicht nur der Mangel an formaljuristischen Beweismitteln, sondern auch die Zufriedenheit der Behörden mit der Haltung der Führung der USPD nach dem Aprilstreik bewirkte, daß die Ermittlungsverfahren gegen die sechs Abgeordneten zu keinem gerichtlichen Nachspiel führten. Die rechte Partei- und Gewerkschaftsführung hatte in den Apriltagen erleben müssen, daß die Ereignisse über sie hinwegrollten, daß die Massen entgegen ihrem Rat am 16. April in den Streik traten, daß sie zu einem beachtlichen Teil auch nach dem 17. April im Streik verharrten und auf diese Weise der reformistischen Führung ein Mißtrauensvotum oder sogar die Absage erteilten. Der Gewerkschaftsapparat hatte nicht mehr einwandfrei funktioniert. Ihn wieder zu einem zuverlässigen Instrument zu machen, das die Massenbewegungen bereits im Keim erstickte, erschien daher der Führung als vordringlichste Aufgabe. Diesem Zwecke diente das interne Rundschreiben der Generalkommission der Gewerkschaften vom 23. April an die Vorstände der Zentralverbände. Nach einem Uberblick über den Verlauf des Aprilstreiks vom opportunistischen Standpunkt wird als Resultat festgestellt, daß der Versuch einer großen Streikbewegung auf politischer Grundlage zunächst gescheitert sei. „Arbeitsgemeinschaft und Spartakusgruppe betreiben indessen eine intensive Agitation und versuchen fortgesetzt, neue Ausstände für politische Forderungen hervorzurufen." 2 8 7 Neben dem alten Argument „Deutschland ist nicht Rußland" wurde als ein neues die angebliche Gefährdung der Arbeiterorganisationen und politischer Reformen ins Feld geführt. Als praktische Schlußfolgerung verlangte die Generalkommission die umgehende Mobilisierung des Funktionärkörpers gegen alle möglichen Massenaktionen: „Die gewerkschaftlichen Organisationen haben das größte Interesse daran, der Agitation der Arbeitsgemeinschaft und der Spartakusleute entschieden Widerstand zu leisten. Es m u ß unter allen Umständen verhindert werden, daß jene Kreise die gewerkschaftlichen und Betriebsversammlungen zur Agitation für ihre Ziele benutzen." 2 8 8 Die ganze Perfidie der rechten Gewerkschaftsführung enthüllten die letzten Zeilen des Rundschreibens: „Sollten für besonders gefährdete Bezirke zuverlässige und energische zum Heeresdienst einberufene Organisationsleiter fehlen, so sind wir bereit, sie zu reklamieren, selbst wenn sie kriegsverwendungsfähig sind. Voraussetzung ist natürlich, daß sie wirklichen Einfluß auf ihre Mitglieder ausüben und energisch bestrebt sind, die Gewerkschaften nicht zum Tummelplatz politischer Experimente machen zu lassen. Wir bitten, uns eine Liste solcher Organisationsleiter f ü r die Reklamation schleunigst zu 2se 287 288
Ebenda, S. 3098. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 332. Ebenda.
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übermitteln." 2 8 9 Karl Liebknecht hat in seinen „Betrachtungen und Erinnerungen aus .großer Zeit' " den Satz niedergeschrieben: „Die Reklamationstätigkeit des Parteivorstandes und der Generalkommission verdient eine Spezialgeschichte." 2 9 0 Das angezogene Rundschreiben k a n n als ein Beitrag dazu gelten, als ein eindeutiges Zeugnis der skrupellosen Zusammenarbeit mit dem Todfeind der deutschen Arbeiterklasse. W ä h r e n d der nierenleidende und lungenkranke August Kronthaler z u m ArmierungsErsatz-Kommando N e u d a m m eingezogen wurde, weil er als Anhänger der Spartakusgruppe die Interessen seiner Klasse vertrat, hatte die Generalkommission mit den Militärbehörden Absprache getroffen, u m geeignete Verräter an der proletarischen Sache, „selbst wenn sie kriegsverwendungsfähig sind", zu reklamieren! Nach außen trat die rechte Partei- u n d Gewerkschaftsführung nach dem Aprilstreik u n d vor dem 1. Mai mit einer Reihe von Verlautbarungen auf, die alle den Zweck verfolgten, einen zweiten Sturmlauf der proletarischen Massen zu verhindern. U m die eigene schändliche Rolle w ä h r e n d der verflossenen Streiktage zu verhüllen u n d wieder Vertrauen zu erschleichen, brachte die Verwaltungsstelle Berlin des MetallarbeiterVerbandes am 25. April ein Flugblatt „An unsere Mitglieder!" heraus, das ihre Handlungen rechtfertigen sollte. 2 9 1 Die entschlossenen Sprecher f ü r die Fortsetzung des Streiks über den 17. April hinaus versuchte es als Gewerkschaftsfremde zu diskriminieren, „die mit unserem Verband nichts zu tun haben, auch nicht in der Metallindustrie beschäftigt sind". Zur Verhaftung der Verbandskollegen von den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken wußte es nichts anderes zu sagen als die Lüge: „Aus welchen Gründen u n d Ursachen (die Verhaftung erfolgte — H. S.) ist uns zur Zeit noch nicht bekannt." Besonders getroffen fühlten sich die Gewerkschaftsführer durch das Flugblatt „Wir sind verraten worden!" 2 9 2 , das die Rolle der Cohen u n d Siering so treffend charakterisiert hatte. Wie gering diese rechten Gewerkschaftsführer ihr Ansehen selbst einschätzten, das sie noch bei den Berliner Metallarbeitern genossen, zeigte sich daran, wje die Berliner Verwaltungsstelle des Verbandes durch alle möglichen Schliche bis 1918 verhinderte, daß auf den Generalversammlungen die satzungsgemäß fällige Neuwahl des ersten Bevollmächtigten in die Tagesordnung aufgenommen wurde. 2 9 3 Am 23. April ließ der Zentralvorstand des Metallarbeiterverbandes eine M a h n u n g an die Mitglieder ausgehen, sich nicht zu politischen Zwecken „ m i ß b r a u c h e n " zu lassen, wobei die alte Lüge wieder herhalten mußte, d a ß Massenstreiks Friedensb e m ü h u n g e n u n d Versorgungslage gefährdeten. „Insbesondere verlangen wir von unseren Vertrauensleuten, d a ß sie den unverantwortlichen Treibereien keinen Vorschub leisten, ihnen vielmehr auf das allerentschiedenste entgegentreten." 2 9 4 Der „Vorwärts" 289
Ebenda, Bl. 333. Karl Liebknecht: Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze, Berlin 1952, S. 446. 291 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 87—90; das Flugblatt im Original findet sich in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. l a , Bd. 4, unfoliiert. 292 Vgl. S. 51. 293 Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1917, S. 70ff. 294 „Metallarbeiter-Zeitung", Nr. 17, vom 28. April 1917. 290
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druckte diese M a h n u n g in seiner Ausgabe v o m 27. April ab. In derselben N u m m e r erschien auch der gemeinsame Aufruf der Zentralleitungen der Gewerkschaften u n d Angestelltenverbände v o m 26. April, unterzeichnet von der Gcneralkommission der Gewerkschaften Deutschlands, dem Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften, d e m Verband der Deutschen Gewerkvereine, der polnischen Berufsvereinigung, der Arbeitsgemeinschaft f ü r die k a u f m ä n n i s c h e n Verbände, der Arbeitsgemeinschaft f ü r ein einheitliches Angestelltenrecht u n d der Arbeitsgemeinschaft der technischen Verbände. Dieser Aufruf war bereits v o n Legien in einer Besprechung mit Ebert, Scheidemann und anderen beim Reichskanzler a m 20. April zugesagt worden. 2 9 3 E r w a r in der F o r m eines Antwortschreibens auf den Hindenburgbrief abgefaßt und a n den Chef des Kriegsamtes Groener mit der Bitte gerichtet, den Generalfeldmarschall d a m i t bekanntz u m a c h e n . Einige allgemeine, zu nichts verpflichtende kritische Bemerkungen zur Ernährungspolitik, zur Lohnfrage u n d über unnötige H ä r t e n bei der D u r c h f ü h r u n g des Hilfsdienstgesetzes sollten lediglich die Illusion stärken, d a ß diese Verbände die Interessen der Werktätigen vertraten. Entscheidend allein w a r die Feststellung: „Mit den leitenden Gedanken der Darlegungen (des Hindenburgbriefes — H. S.) erklären wir uns völlig einverstanden." 2 9 6 Diese Haltung k a n n nicht besser kommentiert werden als d u r c h die Tatsache, d a ß die Unternehmerpresse des Lobes voll war. In der „Deutschen Arbeitgeber-Zeitung" hieß es: „Das Schreiben, das die Generalkommission der Gewerkschaften a n den Chef des Kriegsamts, Exzellenz Groener, gerichtet hat, ist aber in m e h r f a c h e r Beziehung ein sehr bemerkenswertes Zeitdokument. Mit aufrichtiger G e n u g t u u n g wird m a n festgestellt haben, d a ß hier ein volles Verständnis f ü r die nationalen Notwendigkeiten obwalte und daß m a n auch an dieser Stelle m a n n h a f t e Worte g e f u n d e n hat, u m das verbrecherische Treiben ,von unverantwortlichen Leuten, von herzlosen, gewissenlosen Menschen, welche die Arbeitseinstellungen der Waffenarbeiter politischen Zwecken dienstbar machen wollten', vor aller Öffentlichkeit zu b r a n d m a r k e n . Diese gewerkschaftliche K u n d g e b u n g hat sicherlich viel dazu beigetragen, u m schnell überall die R u h e wiederherzustellen, u n d d a f ü r gebührt der Gewerkschaftsleitung zweifellos der D a n k des ganzen Volkes." 2 9 7 A m 28. April veröffentlichte der „Vorwärts" schließlich eine gemeinsame E r k l ä r u n g der Generalkommission der Gewerkschaften u n d des Vorstandes der SPD z u m 1. Mai. „Die deutschen Arbeiter", hieß es da, „werden deshalb auch in diesem J a h r e , wie in den beiden vorherigen, auf die Arbeitsruhe a m 1. Mai Verzicht leisten, ebenso wie es die englischen u n d französischen Arbeiter t u n u n d wie auch die russischen Arbeiter nach Meldungen aus Petersburg beschlossen haben, v o n einer Arbeitsruhe a m 1. Mai abzusehen." 2 9 8 Aber nicht n u r die Stellungnahmen der reformistischen Parteien der Ententeländer w u r d e n zur Motivierung dieser Forderung herangezogen; der Parteivorstand u n d die Generalkommission konnten sich in ihrer E r k l ä r u n g auch auf die Abgeordneten der U S P D berufen, die sich v o n den zur Arbeitsniederlegung a m 1. Mai a u f f o r d e r n d e n Flugblättern distan295 Philipp Scheidemann: Der Zusammenbruch, a. a. O. S. 67. 206 „Vorwärts", Nr. 114, vom 27. April 1917. 287 Zitiert bei Richard Müller: a. a. O., S. 89, Anm. 1. ,M „Vorwärts", Nr. 115, vom 28. April 1917. 6
Revolutionäre
Ereignisse
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zierten: „Selbst der Abgeordnete Dittmann von den unabhängigen Sozialisten hat am 23. April dieses Jahres im Reichstagsausschuß f ü r das Hilfsdienstgesetz und sein Fraktionskollege Ledebour am 24. April im Plenum des Reichstags jede Verantwortung f ü r die durch die Flugblätter betriebene Aktion abgelehnt." 2 9 9 Lehren aus dem großen Massenstreik im April zu ziehen, die dem Proletariat halfen, den Weg zum Sieg zu finden, waren in der Tat die Sozialpazifisten ebensowenig bereit wie die Sozialchauvinisten. Das blieb allein der Spartakusgruppe vorbehalten. 299
Ebenda.
KAPITEL
DIE
LEHREN
IX
DES
STREIKS
Das von der Spartakusgruppe in den Fabriken verbreitete Flugblatt „Die Lehren des großen Massenstreiks" gab dem Berliner Proletariat eine klare Analyse der Lage und auf dieser Basis die Perspektive auf neue, noch gewaltigere Sturmläufe bis zum Sieg über Krieg und Regierung. Für den starken Einfluß der Spartakusgruppe sprechen die Maßnahmen, die der Klassenfeind und seine Schildknappen gegen diese Flugblattaktion einleiteten. Der „Vorwärts" brachte am 30. April einen Artikel unter der Uberschrift „Revolution gegen Körsten", womit dem vom Flugblatt mit Recht erhobenen Vorwurf des Verrats der Gewerkschaftsführer begegnet werden sollte. 3 0 0 Das Oberkommando in den Marken setzte sogar 3000 Mark Belohnung aus, um den Verfassern und Verbreitern des Flugblattes auf die Spur zu kommen. 3 0 1 Das Oberkommando veranlaßte die Polizei, ihr Hauptaugenmerk auf die Verfolgung der Spartakusgruppe zu richten. Am 4. Mai ging ein Schreiben an den Berliner Polizeipräsidenten und an die Regierungspräsidenten von Potsdam und Frankfurt a. 0 . , worin es hieß: „Eilt sehr! Das Oberkommando ersucht, alles Material, das Beweise dafür liefert, daß die Spartakusgruppe, die Gruppe internationale' und die ihnen nahestehenden Gruppen des radikalen Flügels der Sozialdemokratie die kürzlich stattgefundenen Streiks angestiftet haben und Machenschaften nach dem Ausland hin treiben, schleunigst hierher einzusenden." 3 0 2 Vom Standpunkt der herrschenden Klasse war die Konzentration auf den einzig wirklichen Gegner durchaus folgerichtig. Die Führer der U S P D waren wieder vollzählig auf die Linie des Opportunismus gebracht. Die Männer um Haase hatten klein beigegeben. Noch bevor der Spartakusgruppe die feige Kapitulation Haases und seiner „Vorwärts", Nr. 117, vom 30. April 1917. „Tägliche Rundschau," Nr. 244, vom 14. Mai 1917; nach derselben Meldung gelang es der Polizei, in Neukölln die zentrale Vertriebsstelle zu ermitteln und eine Verhaftung durchzuführen. Es handelte sich um den Tischler Max Zirkel, der am 3. Mai verhaftet wurde und gegen den der Oberreichsanwalt Anklage wegen Landesverrats erhob (Deutsches ZentralarcMv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Militaria 18, Nr. 12473, Bl. 199). »02 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 297. 300
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Freunde bekannt sein konnte, also nicht wegen dieser Tatsache, sondern umgekehrt trotz der Linksschwenkung einzelner Führer der USPD während der Streiktage hatte sie erneut die prinzipiellen Unterschiede betont, die sie von diesen schwankenden Elementen trennten. In dem Rundschreiben der Spartakusführung vom 22. April wurde ausdrücklich gesagt: „Unsere Aufgabe ist, die Bewegung auf die Friedensfrage zu richten und zu deren Lösung auf revolutionärem Wege zu drängen. Es handelt sich um illegale Tätigkeit, und es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir getrennt von der A.-G. (Arbeitsgemeinschaft — H. S.) vorgehen, wobei wir der Bewegung voranmarschieren müssen, indem wir ihr einerseits die Ziele stecken, andererseits ihre Fehler kritisieren und sie vorwärts treiben. Zwischen unserer Richtung und der A.-G. bestehen in der Auffassung der Ziele und Wege der gegenwärtigen Massenbewegung wesentliche Unterschiede: 1. In der Friedensfrage verlangt die A.-G. von der jetzigen Regierung die Abgabe einer klaren Erklärung, daß sie auf jegliche Annexionen und Kriegsentschädigungen verzichte. Wir erheben ebenfalls diese Forderung, aber wir erklären dabei, daß wir von der Regierung nichts Gutes erwarten, daß der Friede, den diese Regierung schließen würde, nur gegen die Interessen des Proletariats ausfallen könne, daß die Arbeiterklasse die Sache des Friedens in die eigene Hand nehmen müsse, um den Frieden den Interessen des internationalen Proletariats entsprechend und gegen die Interessen des Imperialismus selbst direkt oder indirekt zu gestalten. 2. Die A.-G. stellt unter anderen Forderungen (siehe ihre Leipziger Resolution) diejenige des allgemeinen, direkten usw. Wahlrechts zu den Landtagen. Diese Forderung betrachten wir als durch die Ereignisse überholt. Sie ist ungenügend an sich und entspricht in keiner Beziehung der revolutionären Situation, der wir allem Anschein nach entgegengehen und bei der man die Ziele weit stecken und aufs Ganze gehen muß. Würde der deutsche Arbeiter nur um dieses Recht bereichert aus dem Kriege hervorgehen, so würde er nach dem Kriege ebenso recht- und machtlos bleiben und ebenso schutzlos gegen zukünftige Kriege sein, wie er es vor dem Kriege war. Es wäre auch eine lächerlich winzige Folge des gewaltigen Krieges mit seinen ungeheuren Opfern. Im Gegensatz zur A.-G. erstreben wir nicht das Wahlrecht zu den Landtagen, sondern umgekehrt: die gänzliche Abschaffung der zwei Dutzend deutschen Vaterländer mitsamt ihren Landtagen. Unsere Parole lautet: einheitliche demokratische deutsche Republik. Sollte sich die Massenbewegung in aufsteigender Linie bewegen und revolutionären Charakter annehmen, so wird diese Parole zweifellos immer mehr zum Durchbruch kommen müssen. Wir stellen diese Forderung bereits in unserem Mai-Flugblatt auf. Nach den Ereignissen in Rußland drängt sich das von selbst a u f ; . . . Aus der Verschiedenheit der Auffassung ergibt sich, daß wir ein Zusammengehen unserer Richtung mit den lokalen Vertretern der A.G. in den einzelnen Orten nur in dem Falle für angebracht und zulässig halten können, wenn sie unsere Losungen und Forderungen, also auch unsere Flugblätter usw. voll und ganz akzeptieren. Unsere besonders revolutionäre Stellungnahme darf unter keinen Umständen der Gemeinsamkeit der Aktion geopfert werden; man muß suchen, die A.G. auf unseren Boden zu drängen. Kommt einmal die Arbeitermasse in Bewegung, so wird uns die A.G.,
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auch was die Losung betrifft, folgen müssen, ob sie will oder nicht. U n d will sie es jetzt noch nicht, so m u ß m a n sie eben links liegen lassen." 3 0 8 Ungeachtet einer irrigen, in der Spontaneitätstheorie wurzelnden Vorstellung, d a ß die revolutionäre Massenbewegung mit Notwendigkeit die opportunistische Arbeitsgemeinschaft über kurz oder lang a n ihre Seite zwingen müßte, verfolgte die Spartakusgruppe eine durchaus selbständige, entschieden revolutionäre Linie. Das Verhalten jener Abgeordneten der U S P D konnte sie nicht verwirren, sondern in ihrer Selbstständigkeit n u r festigen. Unbeirrt, als revolutionäre Marxisten, verfochten die Linken allein die Sache des Proletariats. Das Flugblatt „Die Lehren des großen Massenstreiks" deckte schonungslos die begangenen Fehler auf, würdigte mit Recht den Aprilstreik als einen großen Sieg u n d wies den Weg nach v o r n . 3 { M „Arbeiter! Genossen! Der Massenstreik der Berliner Arbeiter ist vorbei — das Massenelend, die Massenentrechtung, der Belagerungszustand und der Völkermord dauern fort. Und auch die Hungersnot." 3 0 5 Das war die Lage. Daran änderten auch die Versprechungen der Regierung nichts, die von den Opportunisten als große Erfolge gepriesen wurden. Alle Zusagen, die E r n ä h r u n g merklich zu bessern, waren unerfüllbar. H a r t zerschlug die Spartakusgruppe solche Illusionen: „Wir haben uns also von der Regierung mit der Zusage des alten Elends abspeisen lassen!" 3 0 6 Die entscheidende Lehre, die das Proletariat aus dieser E r f a h r u n g zu ziehen hatte, war daher die Einsicht in die Notwendigkeit, den Massenkampf auf politischer Ebene zu f ü h r e n mit dem Ziel, einen demokratischen Frieden zu erzwingen: „Die einzige Rettung aus d e m Abgrund, in den die Regierung das Land hinabgestoßen hat, ist die sofortige Herbeiführung des Friedens! Die Regierung geht aber auf Länderr a u b aus, sie will keinen Frieden, der auch f ü r die sogenannten ,feindlichen' Staaten a n n e h m b a r wäre. Und sollte sie den Frieden nach eigenem Herzen gestalten und schließen dürfen, so w ü r d e er immer — das wissen wir alle n u r zu gut — im Interesse des Militarismus u n d Imperialismus, der J u n k e r - und Kapitalistenklasse und gegen die Lebensinteressen des deutschen Proletariats ausfallen. Daher ist es die dringendste Aufgabe der deutschen Arbeiter, den Frieden — ganz so, wie es jetzt unsere russischen B r ü d e r t u n — zu erzwingen u n d ihn den Interessen des internationalen Proletariats entsprechend zu gestalten, damit wir unsern Frieden und nicht den Frieden der Imperialisten haben. Es galt daher, den Massenstreik zu einem millionenstimmigen Ruf nach Frieden anschwellen zu lassen, der in Kasernen u n d Schützengräben wie ein zündender F u n k e gewirkt hätte; es galt f ü r Berlin, unbeugsam im K a m p f e auszuharren, bis das ganze Proletariat im Reiche sich u m die Berliner Arbeiterschaft geschart hätte; es galt, eine neue Massen- u n d Kampforganisation zur Erringung des Friedens und der Freiheit im Gefecht selbst zu schaffen; u n d vor allem galt es, die Ern ä h r u n g s f r a g e dem Friedenskampf ganz unterzuordnen, da jene mit diesem unlösbar 3C3
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 386. 304 Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 166—169. 806 Ebenda, S. 166. 306 Ebenda.
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verbunden und f ü r sich allein gar nicht gelöst werden kann." 3 0 7 Das wurde versäumt. Darum konnte die Massenbewegung auf Nebengeleise abgelenkt werden; darum war auch das sichtbarste Zugeständnis der Regierung, die Einrichtung einer ständigen Kommission von Arbeitervertretern beim Oberbürgermeister, in die sich zudem noch solche Verräter wie Cohen, Körsten und Siering eingeschlichen hatten, nichts als eine hohle Nuß. „Arbeiter! Genossen! Der soeben beendete Kampf ist nur der Anfang einer Reihe schwerer Kämpfe, die unser harren. Und deshalb ist es geboten, sich die begangenen Fehler mit aller Offenheit und Rücksichtslosigkeit einzugestehen und vor Augen zu halten. Woran lag es, daß die Bewegung nicht schon auf den ersten Anlauf hin zum Ziele gelangen konnte? Vor allem — zweifellos — an der Unklarheit bei großen Teilen der breiten Massen über das Ziel selbst und die Mittel zu seiner Erreichung. Dann aber daran, daß wir es nicht vermochten, den politischen Massenstreik, der sich gegen die Regierung und die durch den Krieg geschaffene Lage richtete, von den hergebrachten gewerkschaftlichen Kämpfen zu unterscheiden, bei denen die Gewerkschaftsinstanzen als anerkannte und berufene Führer der Arbeiter fungieren." 3 0 8 In Zukunft durfte der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie, den Cohen, Siering und Körsten, diesen geschworenen Feinden des politischen Massenstreiks, nicht die geringste Gelegenheit mehr geboten werden, auf die Bewegung Einfluß zu nehmen. „Arbeiter! Genossen! Wir haben den Bock zum Gärtner bestellt! Die drei Judasse haben sich an die Spitze der Bewegung gestellt, nur um dem Massenstreik das Genick zu brechen, um den Kampf auf falsche Bahnen hinüberzuleiten und die Bewegung im ganzen zu verzetteln. Die Regierung brauchte weder Maschinengewehre noch ihre Polizistenscharen in Aktion treten zu lassen. Die drei haben die schmutzige Arbeit übernommen: die kämpfenden Arbeiter durch niederträchtige Hinterlist zu überwältigen." 3 0 9 Es galt, den offenen Kampf gegen die Verräter in der Arbeiterbewegung aufzunehmen und gleichzeitig neue Organisationsformen für die Führung politischer Massenstreiks zu entwickeln. Das Flugblatt stellte dem Berliner Proletariat in dieser Richtung die beiden folgenden konkreten Aufgaben: „1. Die drei ,Durchhalter' müssen aus der ,ständigen Kommission' entfernt werden. Letztere ist nicht von Gottes Gnaden, sie wurde von der Obmännerversammlung gewählt, und diese Versammlung kann eine neue Kommission einsetzen, wobei außer der Metallindustrie auch die Arbeiterschaft anderer Branchen eine Vertretung in der Kommission haben soll. 2. Unabhängig von dieser Kommission, der für den weiteren Kampf wenig Bedeutung zukommt, ist es dringende Aufgabe, eine besondere Massenorganisation der Berliner Arbeiterschaft zum Kampf für den Frieden ins Leben zu rufen. Die dazu stehenden Arbeiter eines jeden Betriebes hätten dann ihre Delegierten zu wählen. Die Delegierten müßten einen Ausschuß einsetzen, dem die Leitung des Massenkampfes 807 308 809
Ebenda, S. 166/167. Ebenda, S. 167/168. Ebenda, S. 168.
Der Aprilstreik 1917 in Berlin
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und der Massenaktionen übertragen werden soll. Arbeiter! Genossen! Dies ist der einzige Weg, der zum Ziele führt: durch Kampf, durch Massenstreik zum S i e g ! " 3 1 0 Während die erste Aufgabe den doppelten Sinn hatte, in offensiver Auseinandersetzung die opportunistischen Führer zu isolieren und alle legalen Möglichkeiten für die revolutionäre Arbeit auszunutzen, verlangte die zweite Aufgabe die Vorbereitung von Massenaktionen. Was sie als wichtigstes Mittel zur Vorbereitung propagierte, war dem Sinne nach nichts anderes als die Bildung von Arbeiterräten nach dem russischen Vorbild. Die Spartakusgruppe richtete den Blick der Arbeiter unmittelbar auf das Ziel: „durch Kampf, durch Massenstreik zum Sieg!" Die jüngsten Erfahrungen konnten das Proletariat mit größter Zuversicht erfüllen: „Trotz der begangenen Fehler ist und bleibt der Massenstreik vom 16. und 17. April ein Ruhmesblatt und ein Markstein in der Geschichte des deutschen sozialistischen Proletariats. Ohne Belagerungszustand — vielmehr trotz desselben—, ohne Zwangsgesetze und militärische Disziplin hat sich eine Proletariermasse von über 300 000 Arbeiterinnen und Arbeitern — was einer Stärke von 10 Armeekorps entspricht — in wunderbarer Einmütigkeit und Ordnung von selbst mobilisiert. Die verlogenen Berichte in der bürgerlichen Presse, die schlotternde Angst der Regierung, die verlogene Botschaft des Abgottes der Imperialisten, Hindenburgs, sind der beste Beweis dafür, wie sehr sich die Feinde der Arbeiter vor der neuen Waffe fürchten. Das in der offiziellen Arbeiterbewegung von den Instanzen verpönte und gehaßte Prinzip der selbständigen Massenaktion ist auf der ganzen Linie zum Durchbruch gekommen und hat gesiegt; neue gewaltige Ausblicke eröffnen sich für die Arbeiterbewegung in Deutschland." 3 1 1 Das Flugblatt rief zur Arbeitsniederlegung am 1. Mai auf und schloß mit der Kampflosung, die Liebknecht ein J a h r zuvor auf dem Potsdamer Platz ausgegeben hatte: „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!" Die Spartakusgruppe besaß nicht die politische Reife der Bolschewiki. Vor allem begriff sie nicht die unbedingte Notwendigkeit einer selbständigen, konsequent revolutionären Partei. Was die Spartakusgruppe dennoch, trotz dieses wesentlichen Mangels, zur führenden Kraft der Arbeiterbewegung machte, waren nicht nur die unbedingte Treue zur proletarischen Sache und ihr relativ hoher Stand in ideologischer Hinsicht, sondern auch und vor allem ihre konkrete revolutionäre Praxis, die oftmals weiter reichte als ihre theoretischen Erkenntnisse. Wenn sie in der Einschätzung des Aprilstreiks, wie sie im Flugblatt „Die Lehren des Massenstreiks" erfolgte, vom Sieg des Prinzips der „selbständigen Massenaktion" sprach und behauptete, das Berliner Proletariat habe sich „von selbst mobilisiert", so wurde sie ihrer eigenen Leistung nicht gerecht. Die Spartakusgruppe hatte nachweislich an der Vorbereitung des Aprilstreiks wie an seiner Weiterentwicklung zu einer offen politischen Massenaktion hervorragenden ideologischen und organisatorischen Anteil. In einer Einschätzung des Aprilstreiks durch die Abteilung VII des Polizeipräsidiums vom 29. April heißt es: „Diese Arbeitsniederlegung ist hauptsächlich auf die angestrengte Tätigkeit und Agitation seitens der Linksradikalen zurückzuführen, denen sich die Unabhängige Sozialdemokratische 310 311
Ebenda, S. 168/169. Ebenda, S. 169.
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Partei Deutschlands angeschlossen hat." 3 1 2 Mit vollem Recht konnte die Spartakusführung in ihrem Rundschreiben vom 22. April sagen: „In Berlin war unsere Organisation auf dem Posten." 3 1 3 Es war schon eine Tradition der deutschen Linken, von der durch die Bolschewiki geführten russischen Arbeiterbewegung zu lernen. In den Jahren der ersten russischen Revolution von 1905 bis 1907 wurden die Verbindungen zwischen der deutschen und der russischen Arbeiterklasse dank der Linken besonders eng und festigten sich. Diese Freundschaft ließ sich ebenso wenig wie die eigene revolutionäre Tradition durch Reformismus und Revisionismus verschütten. Darum in erster Linie hatte die Februarrevolution einen so großen Einfluß auf die deutsche Arbeiterklasse. Eine Reihe besonderer Umstände verstärkte die Wirkung: Die Friedenssehnsucht breitester Volksschichten, die von Hunger und Entbehrung gequält wurden; das Offenbarwerden der Lüge vom Verteidigungskrieg angesichts der weiträumigen Eroberungen; der sich steigernde Haß gegen den sich steigernden Druck des deutschen Militärdespotismus; die unmittelbare Berührung mit den russischen Ereignissen an der Ostfront. Es ist das historische Verdienst der Spartakusgruppe, das deutsche Proletariat gelehrt zu haben, „daß es unsere eigene Sache ist, die dort siegt". 3 1 4 Der proletarische Internationalismus forderte von der deutschen Arbeiterklasse die Verteidigung der russischen Revolution. Die wirksamste Verteidigung aber bestand im Sieg des deutschen Proletariats über die eigene imperialistische Regierung. Für diesen Kampf wiederum lieferten die russischen Arbeiter ihren deutschen Klassenbrüdern eine unschätzbare Waffe: Das Vorbild siegreicher politischer Massenaktionen. Der Aprilstreik war der erste Slurmlauf deutscher Arbeiter, der ebenso der Verteidigung der russischen Revolution wie der eigenen Befreiung diente. Die Spartakusgruppe schritt in diesem Kampf voran und propagierte als Instrument zur Mobilisierung breitester Massen den vom russischen Proletariat entwickelten Gedanken des Rätesystems. Der erste Sturmlauf scheiterte, aber die Bewegung war nicht mehr zu ersticken. 312 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. M, Nr. l a , Bd. 4, unfoliiert. 313 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 385. 314 Rosa Luxemburg: Briefe an Freunde, Hamburg 1951, S. 157.
HANS-JOACHIM
BERNHARD
DIE ENTSTEHUNG EINER REVOLUTIONÄREN F R I E D E N S B E W E G U N G IN DER D E U T S C H E N H O C H S E E F L O T T E IM J A H R E 1917
Im Februar 1917 erhoben sich die russischen Arbeiter und Bauern und stürzten die zaristische Selbstherrschaft. Das internationale Proletariat antwortete auf diesen revolutionären Friedensruf mit machtvollen Antikriegsaktionen und unterstützte damit den Sturmeslauf des russischen Proletariats zum Roten Oktober. Eine der bedeutendsten Aktionen dieser Art war der deutsche Flottenaufstand im Juli/August 1917. Gerade diesen Flottenauf stand führte Wladimir Iljitsch Lenin, der Genius der proletarischen Revolution, während der unmittelbaren Vorbereitung der sozialistischen Revolution in Rußland wiederholt und ausdrücklich als Anzeichen dafür an, daß in Europa eine große Krise, die Weltrevolution, und damit international günstige Bedingungen für die proletarische Revolution in Rußland heranreiften. 1 „Das Anwachsen der Weltrevolution ist unbestreitbar... Am wichtigsten aber ist der Aufstand in der deutschen Flotte. Man muß sich die unglaublichen Schwierigkeiten vor Augen halten, die sich in einem Lande wie Deutschland einer Revolution entgegenstellen, zumal unter den jetzigen Verhältnissen. Es ist unzweifelhaft, daß der Aufstand in der deutschen Flotte ein Anzeichen der großen Krise des Heranreifens der Weltrevolution ist." 2 Zwei Gründe vor allem haben W. I. Lenin bewogen, den deutschen Flottenaufstand als kennzeichnend für die heranreifende Weltrevolution in Europa herauszuheben: In der bürgerlichen Klassengesellschaft bilden die bewaffneten Formationen den wichtigsten und oft auch zahlreichsten Teil des Staatsapparates. Sie verwirklichen die 1
Stellungnahmen Lenins finden sich in: W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Berlin 1957, S. 408/409 (aus dem Artikel: „Die Krise ist herangereift" vom 20. Oktober 1917 = 7. Oktober 1917 alten Datums). Lenin/Stalin: Das Jahr 1917. Ausgewählte Werke, Berlin 1949, S. 643/644 (aus dem „Brief an die Genossen Bolschewiki Teilnehmer am Gebiets-Sowjetkongreß des Nordgebietes" vom 21. Oktober 1917 = 8. Oktober 1917 alten Datums). Ebenda, S. 651 (aus der Resolution des Zentralkomitees der Bolschewiki über den bewaffneten Aufstand vom 23. Oktober 1917 = 10. Oktober 1917 alten Datums). Ebenda, S. 699 (aus dem Schlußwort zur Rede über den Frieden auf dem II. Sowjetkongreß vom 8. November 1917 = 26. Oktober 1917 alten Datums). W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, a. a. 0., S. 412/413 (aus der „Rede anläßlich der Erklärung Nogins über den Austritt aus dem Rat der Volkskommissare" vom 17. November 1917 = 4. November 1917 alten Datums). 2 Lenin/Stalin: Das Jahr 1917, a. a. O., S. 643.
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Hans-Joachim Bernhard,
Eroberungspläne der herrschenden Klassen. Sie gewährleisten im Innern letztlich die Unterdrückung und Ausbeutung des eigenen Volkes. Eine entscheidende Rolle spielen die bewaffneten Formationen in der Revolution. Daher setzen die herrschenden Klassen alles daran, die revolutionäre Bewegung von Armee und Flotte fernzuhalten. Als in Rußland 1905 einzelne Militäreinheiten auf die Seite der Revolution übergingen, offenbarte dies die tiefgreifende Krise des zaristischen Regimes. Im Februar 1917 besiegelte der übertritt der Petrograder Garnison den Sieg der bürgerlich-demokratischen Revolution. Wie krisenhaft mußte es im militaristischen Deutschland aussehen, wenn mitten im Krieg in den Streitkräften Massenaufstände ausbrachen — noch dazu in der Flotte, einer militärischen Eliteformation des deutschen Imperialismus. Die revolutionäre Entwicklung 1917 in Deutschland mit ihrem Höhepunkt, dem Flottenaufstand., erleichterte es, die aufsteigende Tendenz der internationalen revolutionären Bewegung zu erkennen und die einzelne Aktion richtig einzuordnen und zu bewerten. ü b e r den deutschen Flottenaufstand entstand in den Jahren der Weimarer Republik eine relativ umfangreiche Literatur; vorherrschend waren Darstellungen von ehemaligen Teilnehmern am Aufstand. In Broschüren 3 , Artikeln und in den Zeugenaussagen vor dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Reichstages gaben sie ein ausgezeichnetes Bild von der Lage auf den Schiffen und von der Stimmung der Mannschaften. Dennoch finden wir darin nur spärliche Hinweise für die Beantwortung der Hauptfrage:. Wie stand es um die Organisation der revolutionären Mannschaftsbewegung, ihre Ziele und ihren Umfang? Aus der Abwehrstellung der ehemaligen revolutionären Matrosen und Heizer gegen die ihnen feindlich gesinnte Weimarer Republik ist zu erklären, daß sie diese Fragen nur verschleiert behandelten. Ausführlich beschäftigte sich in den Jahren von 1926 bis 1928 der 4. Unterausschuß des Untersuchungsausschusses des Deutschen Reichstages mit dem Flotten-
3 Hans Beckers: Wie ich zum Tode verurteilt wurde. Die Marinetragödie im Sommer 1917, Leipzig 1928. Anti-Nautikus (Pseudonym für Willi Sachse): Deutschlands revolutionäre Matrosen, Hamburg 1925. Willy Sachse: Frieden . . . ahoi . . .! in: „Die Büchergilde", Berlin, Februar 1933, 2. Heft. Willi Richard Sachse: Rost an Mann und Schiff. Ein Bekenntnisroman um Skagerrak, Berlin 1934. Willi Sachse ist sehr widersprüchlich. Ursprünglich war er einer der Führer der revolutionären Mannschaftsbewegung auf der Flotte. E r fühlte sich in dieser Stellung von Reichpietsch und Köbis verdrängt. Seine Publikationen aus den 20er Jahren zeigen deutlich das Bestreben, seine eigene Rolle in der Mannschaftsbewegung in den Vordergrund zu schieben, während er später sich mehr und mehr von Reichpietsch distanzierte und die Verantwortung für die revolutionäre Mannschaftsbewegung von sich abzuwälzen versuchte. Besonders deutlich tritt das in seinem 1934 unter der Hitlerdiktatur erschienenen Buch „Rost an Mann und Schiff" hervor. Willi Sachse hat später wieder den Anschluß an die antifaschistische Bewegung gefunden und in der Gruppe Robert Uhrig gegen den Faschismus gekämpft. Zusammen mit anderen Mitgliedern dieser Gruppe wurde er 1944 von den Faschisten ermordet.
Revolutionäre Friedensbewegung in der deutschen Hochseeflotte 1917
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aufstand von 1917. 4 Die sogenannten Volksvertreter dieses Untersuchungsausschusses mühten sich weidlich ab, die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Jahre 1918 so erschöpfend aufzudecken, daß daraus Lehren für die künftige Aufrüstung gezogen werden konnten. Bezeichnend für ihre Tätigkeit wie auch für den Charakter der Weimarer Republik ist, daß der 4. Unterausschuß die ehemaligen Feinde und Verräter der revolutionären Mannschaftsbewegung von 1917/18, wie den ehemaligen Kapitän zur See Willi Brüninghaus 5 und den ehemaligen Führer der USPD Wilhelm Dittmann 6 , zu Gutachtern bestellte. Sie erhielten Zutritt zu den Archiven und benutzten die Gelegenheit zu dem Versuch, sich selbst, ihre Kaste und ihre Gesinnungsgenossen nachträglich reinzuwaschen und ihre Handlungsweise von 1917 zu rechtfertigen. Sie fälschten und stutzten das Quellenmaterial zurecht. Die Hauptabsicht dieser bürgerlichen Politiker und Wissenschaftler war, nachzuweisen, daß die revolutionäre Bewegung von außen, d. h. von der USPD, in die ansonsten „gesunde" Flotte hineingetragen worden war. Sie leugneten die objektiven Ursachen der revolutionären Matrosenbewegung. Dieser Tendenz dienten auch die Arbeiten bürgerlicher Wissenschaftler. 7 Dittmann versuchte zu beweisen, daß die Mannschaftsbewegung vorwiegend ökonomisch und nicht revolutionär ausgerichtet gewesen sei. Damit wollte er die Führung der USPD von dem Verdacht befreien, in der Flotte eine revolutionäre Bewegung unterstützt zu haben. 4 Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages . . . Vierte Reihe: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918. Zweite Abteilung: Der Innere Zusammenbruch. In Frage kommen die Bände 4, 9 und 10. Sie enthalten Sachverständigengutachten (wie die von Wilhelm Dittmann, Willi Brüninghaus, Bd. 9/1), Zeugenaussagen (wie die von Willi Sachse, Hans Beckers, Wilhelm Weber, Bd. 9/II), das Tagebuch des ehemaligen Matrosen Richard Stumpf (Bd. 10/11) und als Anhang zu einem Gutachten Abschriften von Zeugenaussagen und das Urteil im Prozeß gegen Reichpietsch, Köbis und Genossen (Bd. 10/1). Gerade das Tagebuch Stumpf stellt für die Erforschung der Mannschaftsbewegung im Jahre 1917 eine wertvolle Quelle dar. Es zeigt deutlich, wie sich Stumpf vom überzeugten Katholiken und Monarchisten zum Antimilitaristen und Kriegsgegner entwickelte. Er begeisterte sich 1917 für den Kampf August Bebels und Karl Liebknechts gegen den Militarismus und gegen den imperialistischen Krieg und bejahte die gewaltsame Erzwingung des Friedens durch die Volksmassen. Die ideologische Entwicklung von Stumpf kann als typisch für die eines großen Teiles der Marinemannschaften angesehen werden. 6 Willi Brüninghaus: Die politische Zersetzung und die Tragödie der deutschen Flotte. (Gutachten für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Deutschen Reichstages), Berlin 1926. Vgl. auch: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. 0., Bd. 9/1, S. 235—360. 6 Wilhelm Dittmann: Die Marine-Justiz-Morde von 1917 und die Admiralsrebellion von 1918. (Gutachten für den Untersuchungsausschuß des Deutschen Reichstages), Berlin 1926. Vgl. auch: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 2—124. ' Heinrich Neu: Die revolutionäre Bewegung auf der deutschen Flotte 1917/18, Stuttgart 1930.
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Hans-Joachim, Bernhard
Von marxistischer Seite wurde bisher nur eine kürzere Darstellung veröffentlicht. 8 Sie wurde im zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion geschrieben und diente sicher der Aufklärung der deutschen Soldaten. Käthe Pohl konzentrierte sich darauf, die allgemeine Entwicklung und die Probleme der Mannschaftsbewegung klarzulegen, was ihr trotz beschränkter Literaturauswahl gut gelang. An archivalischen Quellen existieren nur noch Abschriften aus den Akten der einzelnen Marinegerichtsprozesse. 9 Trotzdem reichten diese aus, um Aufbau, Umfang und Tätigkeit der revolutionären Mannschaftsbewegung — insbesondere für die entscheidenden Monate Juli und August 1917 — rekonstruieren und damit die Verfälschung derselben durch die bürgerliche und sozialdemokratische Geschichtsschreibung entlarven zu können. 8 Käthe Pohl: Deutsche Matrosen im ersten Weltkrieg, in: „Internationale Literatur" Deutsche Blätter, Moskau 1942, 12. Jahrgang, 11. Heft. • Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, betr. Umtriebe in der Marine. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, betr. Sozialdemokraten vom 30. Juni 1916 bis 21. September 1918.
KAPITEL
DIE
I
VORBEREITUNG
DER
REVOLUTIONÄREN
MANN-
SCHAFTSBEWEGUNG
1. Der Umschwung
in der Mannschaftsstimmung
(1914/1915)
Bei Kriegsbeginn herrschte in der Flotte der gleiche chauvinistische Taumel wie in der Armee und in anderen Teilen des Volkes. Diese Stimmung wurde sehr stark gefördert durch die Nachrichten von dem Siegeslauf der deutschen Armeen in Belgien und Frankreich, durch die Hoffnung auf die große Entscheidungsschlacht zur See gegen England und dadurch, daß die Offiziere in dieser Situation ihr Verhalten vorübergehend gegenüber den Mannschaften änderten und mehr einen kameradschaftlichen Ton anschlugen. 1 0 Das blendete die Mannschaften eine Zeitlang und ließ sie über ihre wirkliche Lage und Aufgaben hinwegsehen. — Es konnte aber nicht die Tatsachen, die Klassengegensätze an Bord und in der Heimat, beiseite schaffen. Im Westen kam der Vormarsch zum Stillstand. Die Entscheidungsschlacht zur See fand nicht statt. Der Krieg überdauerte den Winter 1914/1915. Die Aussicht auf Frieden entschwand. Es zeigte sich die Verlogenheit der großen Versprechungen und Hoffnungen, die dem Volk bei Kriegsbeginn gemacht wurden. Zudem hatte das Versagen der Seekriegführung bei dem englischen Vorstoß auf Helgoland am 25. August 1914 und in dem Kreuzergefecht an der Doggerbank vom 14. Januar 1915 das Vertrauen zur militärischen Führung stark erschüttert. 11 Die Flotte selbst hatte 1914/1915 keine größeren Unternehmungen durchgeführt. Dennoch machten sich die negativen Erscheinungen des Krieges auch in ihr immer stärker bemerkbar. Der ewige Wachturnus in der Deutschen Bucht strapazierte die Mannschaften sehr. Es traten Verpflegungsund Versorgungsschwierigkeiten auf, die sich natürlich zuerst bei den Mannschaften 10 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 10/11, S. 9, 10, 12. Vgl. auch Hans Beckers: a. a. 0 . , S. 16/17. 1 1 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 10/11, S. 22/23. Vgl. ebenda, Bd. 9/II, S. 180.
Hans-Joachim,
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Bernhard
auswirkten, während die Offiziere in gewohnter Weise weiterleben konnten. 1 2 Das Offizierkorps, besonders seine ausschlaggebende Gruppe — die Seeoffiziere — fand sich auch in seine gewohnte Herrenstellung zurück und versuchte, die durch den Krieg geschaffene Lage auszunutzen, um auch auf der Flotte Kasernenverhältnisse einzuführen. 13 Schon 1915 empfanden die Mannschaften wieder deutlich die sozialen Gegensätze an B o r d . 1 4 Die Alltagsmisere der Bordverhältnisse beherrschte wieder ihr Denken. Im anödenden Einerlei des Borddienstes hatte der flüchtige Rausch der Kriegsbegeisterung der nüchteren Erkenntnis der Tatsachen weichen müssen. 1 5 Dies steigerte sich im zweiten Kriegswinter 1915/1916 so, daß bereits offen kriegsgegnerische Stimmungen auftraten. 1 6
2. Die Herstellung
von Verbindungen
unter den sozialistisch
gesinnten
Mannschaften
Die Mannschaften sehnten sich nach geistiger Beschäftigung, sie verlangten nach Aufklärung. Aufmerksam verfolgten sie die Zeitungen. Sehr viel wurde schon die oppositionelle sozialdemokratische Presse gelesen, z. B. die „Leipziger Volkszeitung". 17 Wegen der geringen Löhnung hielten meist mehrere Mannschaften gemeinsam ein Zeitungsexemplar. Außerdem kümmerten sie sich um Lektüre unterhaltender und belehrender Art. Dabei bevorzugten sie Erzählungen aus dem Leben der Arbeiterklasse. 1 8 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 45, 63, 97. Ebenda, Bd. 9/II, S. 259—261 (Aussage von Beckers). Hans Beckers: a. a. O., S. 17/18. 13 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/11, S. 33, 43, 47, 63, 73, 80, 81. Hans Beckers: a. a. O., S. 16—-18. 14 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/11, S. 46. 15 Vgl. Anti-Nautikus: a . a . O . , S. 10. Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses..., a . a . O . , Bd. 10/11, S. 34, 43, 46, 47, 52, 54, 56, 57. m Vgl. ebenda, Bd. 10/11, S. 93/94. " Vgl. ebenda, Bd. 9/II, S. 243 (Aussage von Sachse). 18 Als typisch können m. E. die Verhältnisse auf „Friedrich der Große" angesprochen werden: Ein Kreis von Mannschaften hatte Verbindung zur Leipziger Volksbuchhandlung und bezog von dort seine Literatur. Um die Literatur bezahlen zu können, hatten die Mannschaften eine Art Büchervertrieb organisiert. Kennzeichnend für die Einstellung dieser Mannschaften scheinen mir die Bücher zu sein, die im Frühjahr 1915 auf „Friedrich der Große" gelesen wurden: Bertha von Suttner: Die Waffen nieder. Ger: Erweckt. Roman aus dem Proletarierleben. Müller-Jahnke: Ich bekenne. Martin Andersen-Nexö: Sühne. 1S
Revolutionäre Friedensbewegung in der deutschen Hochseeflotte 1917
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Ausgiebig wurden das Gelesene und die Verhältnisse an Bord besprochen. Im Grunde war dies immer wieder die Diskussion über den Sinn des Krieges und die Rolle der Mannschaften. 19 Dazu sickerten Gerüchte über die Antikriegspropaganda Karl Liebknechts durch, die ebenfalls in die Unterhaltung einbezogen wurden. 20 Die Daseinsbedingungen auf den Schiffen begünstigten die Diskussion sehr. 21 Auch blieb sie nicht auf das einzelne Schiff beschränkt. Bei den Landausgängen kamen die Mannschaften mit denen anderer Schiffe ins Gespräch. In den Debatten fanden sich allmählich diejenigen zusammen, die in der Ablehnung des Krieges und in der Zustimmung zu Karl Liebknecht übereinstimmten. Durch Aussprachen mit Gleichgesinnten festigten sie ihre eigene Anschauung. Dabei schlössen sie sich enger aneinander an. Ende 191.5 bestanden auf einzelnen Schiffen bereits kleine Mannschaftsgruppen. Noch waren ihre Verbindungen zueinander lose. Auch waren die Voraussetzungen für die politische Arbeit und die Ziele bei den einzelnen Gruppen noch sehr unterschiedlich. 2 2 Sie versuchten aber schon, die Diskussionen im Kameradenkreise in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der weitere Kriegsverlauf, der zweite Kriegswinter, machte den Mannschaften die Widersinnigkeit des Krieges bewußter. Aufmerksam verfolgten sie die Entwicklung in der deutschen Sozialdemokratie. 2 3 Diese Entwicklung regte die klassenbewußten Matrosen und Heizer an, „eine zentrale Organisation in der Flotte aufzubauen". 24 19 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/11, S. 81. Vgl. Anti-Nautikus: a. a. O., S. 9. 20 Vgl. ebenda, S. 10. 21 Auf den Schiffen gab es viele Winkel und Räumlichkeiten, in denen die Mannschaften sich treffen und unterhalten konnten. Die gleichen Mannschaften lebten und arbeiteten lange Zeit zusammen. Ihr Dienst entsprach oft ihrer Ziviltätigkeit. Durch die Hafenliegezeiten behielten sie ständigen Kontakt mit der Bevölkerung. Durch Arbeit während der Werftliegezeit kamen sie mit klassenbewußten Arbeitern in enge Berührung. 22 Vgl. Anti-Nautikus: a. a. 0 . , S. 11. 23 Es ist sicher mehr als eine Einzelheit, daß Stumpf gerade im April/Mai 1916 an Karl Liebknecht schreiben wollte. (Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 10/11, S. 134.) 24 Anti-Nautikus: a. a. O., S. 11. Die Organisation hatte auf fast allen Schiften Verbindungsleute und bemühte sich, Verbindungen zu den Werftarbeitern in Kiel und Wilhelmshaven sowie zu linksradikalen Arbeitergruppen herzustellen. (Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 243, Aussage von Sachse.) Ähnliches bestätigte der ehemalige Marineangehörige Haas in einer Versammlung des radikalen Seemannsbundes am 30. 8. 1919 in Geestemünde. (Zitiert bei Wolfgang Breithaupt: Volksvergiftung 1914—1918, Berlin-Leipzig 1925, S. 25.) Beckers gibt für diese Zeit das Bestehen kleiner Gruppen zum Zwecke des politischen Gedankenaustausches zu, bestreitet jedoch das Bestehen einer Flottenorganisation. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 258.) Eine Reihe anderer Matrosen leugnete vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß ebenfalls das Bestehen einer Organisation. (Vgl. ebenda, Bd. 9/II, S. 317/318, 349; vgl. auch Heinrich Neu: a. a. O., S . U . ) Sachse behauptete, daß die Organisation im Frühjahr 1916 bereits auf 3112 Anhänger zählen konnte. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 244.)
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Revolutionäre Ereignisse
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Hans-Joachim, Bernhard
Ohne Führung durch eine revolutionäre marxistische Partei hatten klassenbewußte Heizer und Matrosen auf einzelnen Schiffen illegal sozialistische Gruppen organisiert. Sie hatten sich bemüht, unter den Mannschaften ihre sozialistischen Ideen und ihre Einstellung gegen den Krieg zu verbreiten. Nun versuchten sie, die einzelnen Gruppen zusammenzufassen. Die Skagerrakschlacht stoppte diese Entwicklung. Enttäuscht mußten die revolutionären Heizer feststellen, daß die Skagerrakschlacht bei den Mannschaften einen „gewaltigen Stimmungsumschwung" hervorrief. 25 Dieser Rückschlag erklärt sich daraus, daß die sozialistischen Gruppen in diesem Stadium der Mannschaftsbewegung noch nicht festgefügt und noch nicht tief in der Mannschaft verankert waren. Die Aufklärung wurde nicht organisiert und zielstrebig genug durchgeführt. Die klassenbewußten Mannschaften waren sich selbst noch nicht klar über das genaue Ziel des Kampfes, über seine Formen und Methoden. Sie hatten kaum Vorbilder für ihre Tätigkeit und hatten daher viel aus sich heraus schaffen müssen. Diese Schwächen hängen mit dem Grundmangel der revolutionären Bewegung in Deutschland zusammen und ergaben sich aus ihm: Dem Fehlen einer revolutionären marxistischen Partei. Andererseits verschlechterten sich die ökonomische und soziale Lage der Mannschaften zwar ständig. Aber das ging immer noch allmählich vor sich und es war noch nicht der Zustand erreicht, wo jede neue derartige Maßnahme des Schiffskommandos und der Flottenleitung die Manschaften zur Aktion trieb. Auch war im ganzen die Lage noch ruhig, wenngleich es unter der Oberfläche bereits zu brodeln begann. 3. Die katastrophale Verschlechterung rübenwinters 1916/1917
der Lage der Mannschaften
während des Kohl-
Der Rückfall in die Kriegsbegeisterung von 1914 hielt nicht lange an. 26 Die Verhältnisse an Bord erinnerten die Mannschaften hartnäckig an ihre wirkliche Lage und an ihre Aufgaben. Der Kohlrübenwinter 1916/1917 brachte schlagartig eine katastrophale Verschlechterung der Ernährung mit sich 27 , natürlich vor allem f ü r die Mannschaften. Dieser Umstand dauerte bis zum Sommer und wurde erst unter dem Druck der MannM. E. treffen seine Angaben über den Aufbau und die Entwicklung der Mannschaftsbewegung zu. Die entgegenstehenden Aussagen konnten insofern unberücksichtigt bleiben» als deren Sprecher entweder der Bewegung völlig fern standen oder zu dieser Zeit auf anderen Schiffen dienten und daher von dieser illegalen Gruppenbildung kaum etwas ahnen konnten. Dagegen möchte auch ich die Zahl 3112 anzweifeln. Einmal bliebe der Rückschlag unerklärlich, den die Skagerrakschlacht der Bewegung zufügte. Zum anderen bliebe unerklärlich, warum die revolutionäre Bewegung des Jahres 1917 unter viel günstigeren Bedingungen nach umfangreicher, intensiver Agitation und Organisation ,,nur" 5000 Anhänger gewann. 25 Anti-Nautikus: a. a. O., S. 10. Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 10/11, S. 138. 20 Vgl. ebenda, Bd. 10/11, S. 161, 166, 170, 190; Bd. 9/II, S. 534. 27 Vgl. Anti-Nautikus: a. a. O., S. 11.
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schaftsbewegung geändert. Der immer deutlicher spürbare Hunger, die sich mehrenden Schikanen der Vorgesetzten im Dienst und die immer stärker auftretende Arroganz der Offiziere bildeten in diesen Wochen die Hauptgesprächsthemen der Mannschaften. So wurde von „Friedrich der Große" berichtet, daß die Mannschaft wenig Brot und dafür Steckrüben erhielt 2 8 , während in der Messe „immer noch weitergelebt wurde wie im tiefen Frieden". 2 9 Die voll belegten Speiseplatten für die Messe wurden durch Wohndecks der Mannschaften getragen. Dabei versuchten diese natürlich auf ihre Kosten zu kommen 3 0 , zumal der nicht unbegründete Verdacht auftauchte, „daß diese gute Verpflegung in den Offiziersmessen nicht ganz ohne Schröpfung der Mannschaftsverpflegung vor sich gehen konnte". 3 1 Trotz der schlechten Ernährungslage mußten die Mannschaften unvermindert ihren schweren Dienst verrichten. Gewichtsabnahmen von fünf bis zehn Pfund 3 2 als Folge körperlicher Überanstrengung waren keine Seltenheit. Die ärztlichen Wiegekontrollen wurden eingestellt. 33 Auf „Helgoland" gab es ähnliche Erscheinungen. 3 4 Die Mannschaften empörten sich über das Benehmen der Offiziere, besonders der jungen, gegenüber den altgedienten Mannschaften. 3 5 Auf dem kleinen Kreuzer „Nürnberg" gab es f ü r die Messe drei Küchen, für die Mannschaften jedoch nur eine einzige. Anläßlich der Abnahme im Februar 1917 gab es ein Festessen für die Offiziere und Gäste. Zur gleichen Zeit fanden in Kiel Unruhen statt, in denen sich die arbeitende Bevölkerung gegen die unzureichenden Brotlieferungen zur Wehr setzte. Die Mannschaft selbst forderte eine Erhöhung der Brotration. Sie wurde v o m I. Offizier unverschämt abgefertigt: „Heute haben verschiedene Leute um mehr Brot gebeten. Das gibt es nicht, da müssen sie eben hungern. Sollte einer von ihnen dabei eingehen, so bin ich gern bereit, ihn mit allen Kriegsehren beerdigen zu lassen." 3 6 Auf „Posen" gab es anfangs einmal wöchentlich Drahtverhau aus vertrockneten Steckrüben, getrocknetem Winterkohl, einigen Fasern Büchsenfleisch. Oft war das Essen so ungenießbar, daß die Mannschaften es trotz großen Hungers nicht aßen. Beschwerden nützten nichts. Später gab es sogar zweimal und dreimal „Drahtverhau" in einer Woche. 3 7 Auch hier wird von beträchtlichen Gewichtsabnahmen bei den Mannschaften berichtet. Auf „Prinzregent Luitpold" verschlechterte sich die Stimmung ebenfalls sehr. E s wurde sehr über die Verpflegung und Behandlung geschimpft, j a „die Faust in der Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/II, S. 400. Tonbandaufnahme eines Interviews mit dem ehemaligen Matrosen Wilhelm Weber, Museum für deutsche Geschichte: T 54/2. 30 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 400. 3 1 Tonbandaufnahme eines Interviews mit dem ehemaligen Matrosen Wilhelm Weber, Museum für deutsche Geschichte: T 54/2. 32 Nach der Aussage eines Teilnehmers. Vgl. auch Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 412. 33 Ebenda, Bd. 9/II, S. 400. 34 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 203—205, 216, 218, 220. 36 Ebenda, Bd. 10/11, S. 204/205, 215, 218. 36 Ebenda, Bd. 9/1, S. 424. 37 Ebenda, Bd. 9/1, S. 412. 28
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Hans-Joachim
Bernhard
Tasche geballt, aber nichts unternommen". Manche Mannschaften nahmen sich „die schlechte Behandlung sehr zu Herzen" und waren gewillt, sich bei Gelegenheit dagegen zu wehren. 3 8 Auf „Rheinland" wurden die Mannschaften durch ungenießbares Essen und menschenunwürdige Behandlung sehr verbittert. 3 9 Die einzelnen Beispiele von schlechter Verpflegung, ungerechter Behandlung und Mißachtung verbreiteten sich schnell über das ganze Schiff. 4 0 Noch hielten sich die Mannschaften bei der Abwehr dieser Dinge an die legalen Mittel und traten am Schluß des Appells bei „Meldungen und Gesuche" vor. 4 1 Sie ernteten jedoch meist nur blutigen Hohn von Seiten der Offiziere. Die Stimmung der Mannschaften war in einer grundlegenden Wandlung begriffen. Sehr aufschlußreich für die Bewußtseinsentwicklung eines großen Teiles der Mannschaften war das, was Stumpf in der Zeit vom 1. bis 3. März in sein Tagebuch eintrug. E r rechnete scharf mit dem preußisch-deutschen Militarismus ab und widmete August Bebel einen warmherzigen, aufrichtigen Nachruf für seine antimilitaristische Tätigkeit. „Was kein Buch keine Zeitung und kein Sozialist vermocht hat, das gelang dem System des Militärs. Ich habe diese verkörperte Autorität hassen und verachten gelernt wie nichts auf der Welt. Diese Autorität die ihren Rückhalt nicht in der fühlbaren Überlegenheit, sondern einzig in der Furcht vor den Paragraphen des M. Straf Gesetzbuches hat. August Bebel ins Grab hinein rufe ich Dir den heißen Dank für alle Deine Bemühungen zugunsten der armen bedrückten Soldaten. Ich habe Dich früher mißverstanden, Dir ob aller Übertreibungen Deiner Reden zum Militäretat gezürnt, heute emfinde ich dieselben als patriotische Tat für welche Dich die deutschen Mütter und Geschwister segnen." 4 2 Klarer sahen die klassenbewußten Matrosen und Heizer. So schloß der Oberheizer Rebe bereits am 6. Februar einen Brief an den Seesoldaten Eder mit den bezeichnenden Worten: „Der Anarchie von oben muß die Revolution entgegen gestellt werden." 4 3 Diese Einschätzung zeugt für die subjektive Reife des fortgeschrittensten Teiles der Mannschaften und ließ bereits auf deren revolutionäre Tätigkeit schließen. Ebenda, Bd. 9/II, S. 259ff. (Aussage von Beckers). Ebenda, Bd. 9/1, S. 12. 40 Da die Quellen nur lückenhaft vorhanden sind, müssen diese fragmentarischen Angaben über die allgemeine Verschlechterung der Lage genügen. Da von mehreren Schiffen aber übereinstimmend dieselben Beschwerden vorliegen, kann daraus auf die Zustände in der gesamten Hochseeflotte geschlossen werden. Bei der Übermittlung der Nachrichten im Schiff und auf andere Schiffe werden sie aufgebauscht worden sein. 41 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 245 (Aussage von Sachse). 4 2 Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 215/16. Mit ,,M.Straf Gesetzbuch" wird gemeint sein: Militärstrafgesetzbuch. Vgl. ebenda, Bd. 10/11, S. 203/204, 207, 208, 213/214. 4 3 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 447. Eder und Rebe waren befreundet. Rebe beförderte seine Briefe durch Eder, der im Militärpostamt Wilhelmshaven beschäftigt war, und umging so die Bord- und Festungszensur. 38
39
KAPITEL
DIE
II
ENTSTEHUNG
SCHAFTSBEWEGUNG SISCHEN
EINER UNTER
REVOLUTIONÄREN DEM
FEBRUARREVOLUTION
EINFLUSS (MÄRZ-JUNI
MANN-
DER
RUS-
1917)
1. Der ideologisch-politische Klärungsprozeß unter dem unmittelbaren russischen Revolution (März/April 1917)
Eindruck
der
In die angespannte Lage auf den Schiffen platzte die Meldung von der Revolution in Rußland. 4 4 Die Mannschaften horchten auf. 4 5 Zunächst waren die Meinungen über den Erfolg der Revolution noch geteilt. Es gab sogar Diskussionen der Art, m a n müsse die Situation im Osten durch ein militärisches Vorgehen ausnutzen. 4 6 Doch bald begannen viele Mannschaften die Bedeutung der Revolution für die Unterdrückten und Ausgebeuteten zu erkennen. Sie begrüßten den Sturz des Zarismus und gewannen Hochachtung vor den russischen Arbeitern und Bauern. So äußerte Stumpf, als eine Gruppe russischer Kriegsgefangener vorbeimarschierte: „Wer hätte . . . dieser ,grauen Herde' wohl zugetraut, daß sie jemals mit dem Zarismus so energisch aufräumen würde." 4 7 Die russische Revolution hatte den Frieden in greifbare Nähe gerückt. Die Matrosen begeisterten sich f ü r die Revolution, wobei ihr Hauptargument war, „für die ist der Krieg aus". 4 8 Die Mannschaften zogen daraus ihre Schlußfolgerungen und stellten fest: „Seht, das ist die Methode des Kampfes, die m a n anwenden muß, um zum Ziel, zum Frieden zu k o m m e n ! " 4 9 Es kamen sogar Vorstellungen auf, daß die deutschen 44
Vgl. Willy Sachse: Frieden . . . ahoi . . a. a. O. und: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 252/253 (Aussage von Sachse). 45 Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 222. 46 Ebenda, Bd. 10/11, S. 222, 230. 47 Ebenda, Bd. 10/11, S. 225. 43 Nach Mitteilungen eines ehemaligen Teilnehmers. 49 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 253 (Aussage von Sachse).
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Hans-Joachim, Bernhard,
und russischen Arbeiter gemeinsam gegen ihre Blutsauger vorgehen sollten. 5 0 Zusehends entwickelte sich die Stimmung gegen den Krieg u n d den Militarismus. 5 1 In den Diskussionen über die wirtschaftlichen u n d dienstlichen Schwierigkeiten k a m jetzt i m m e r stärker die Friedenssehnsucht z u m Ausdruck. Die revolutionären Mannschaften förderten dies, indem sie in den Unterhaltungen über die Revolution die Diskussion über den Kampf um den Frieden in den Vordergrund schoben. 5 2 Angelegentlich m u ß t e n sich die Mannschaften dabei mit Liebknecht beschäftigt haben. Davon zeugen die Antworten, die Stumpf in seinem Tagebuch notierte. 5 3 Rebe schrieb a m 21. März 1917 a n E d e r : „ W e r v o n den Arbeitern, die sich Sozialdemokraten bezeichnen, jetzt noch nicht begreift, wo ihre geistigen Feinde stehen, der wird das nie hegreifen." 5 4 Die Februarrevolution veranlaßte die revolutionären Heizer u n d Matrosen geradezu, ihre Position im Klassenkampf zu bestimmen. In dem bereits erwähnten Brief heißt es: „ . . . die Umwälzung in R u ß l a n d , die jedem Sozialdemokraten der Opposition zu denken g i b t . . . Die russische Revolution schafft ein Schul- u n d Lehrbeispiel nicht n u r f ü r Sozialisten, sondern auch f ü r jeden denkenden Arbeiter. Nebenbei gesagt: m u ß den organisierten wohlerzogenen Scheidemännern nicht die Schamröte ins Gesicht steigen, wenn dieselben hören u n d erfahren, d a ß diese russische, unorganisierte Masse diese T a t vollbracht hat, die, wie schon gesagt, ein Schulbeispiel f ü r das internationale Proletariat sein wird." Weiter unten wird gesagt: „Bleibt noch eines, d a ß einer E r w ä g u n g wert ist. U n d zwar ist, d a ß die letzte Generalversammlung der Berliner Metallarbeiter, bezw. die Stellungnahme derselben zur Verbandsgeneralversammlung in Cöln. Ich finde aus den gefaßten Beschlüssen heraus, d a ß wir auf d e m W e g e der Radikalisierung bezw. der Demokratisierung der Gewerkschaften rüstig vorwärtsschreiten. Es ist auch die höchste Zeit, d a ß m i t den alten Zuständen gebrochen wird. Der Bürokratismus hatte sich ja schon derartig in dem Beamtenkorps eingenistet, d a ß m a n von einer K r a n k h e i t sprechen darf. Leider bin ich erst heute zu der Einsicht gekommen, d a ß ein großer Prozentsatz Fluktuation auf das Verhalten der Angestellten der Herren Kollegen gegen die gewöhnlichen Kollegen z u r ü c k z u f ü h r e n ist." 5 5 Die Mannschaften verlangten allgemein nach politischer Aufklärung, was als Ausdruck der Besinnung auf ihre Klassenlage gewertet werden darf. Die sozialdemokratische Presse k a m in Stößen an Bord von „Friedrich der Große". 5 6 Vor allem sprach die „Leipziger Volkszeitung" die M a n n s c h a f t e n wegen ihres oppositionellen Tones an. Sie w u r d e von M a n n zu M a n n empfohlen u n d weitergegeben bzw. ausgeliehen. Sie w a r die 50
Vgl. Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 229. Dabei trat bei Stumpf sogar die phantastische Idee des revolutionären Volkskönigs auf. Dies zeigt, wie weit Stumpf bereits von den revolutionären Ideen beeinflußt war und wie sehr er aber noch versuchte, seine wankende monarchistisch-nationalistische Weltanschauung zu stützen. 61 Ebenda, Bd. 10/11, S. 228, 233. 62 Vgl. ebenda, Bd. 9/II, S. 245 (Aussage von Sachse). 63 Ebenda, Bd. 10/11, S. 235. 64 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 447. 55 Ebenda, Bl. 447. 56 Nach Mitteilung eines ehemaligen Teilnehmers. Bei den Offizieren löste dies Unruhe aus, ohne daß sie jedoch eingriffen.
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meistgelesene Zeitung an Bord. Daneben wurden noch andere Blätter der USPD gehalten, meist Lokalzeitungen. 5 7 Es wurden aber auch Zeitungen der Mehrheitssozialdemokratie gelesen, unter ihnen besonders der „Vorwärts". Unter dem Einfluß der Februarrevolution gewann die Friedenssehnsucht rasch Boden unter den Mannschaften und wurde zu einem festen Bestandteil ihrer Ideologie. Die Mannschaften begannen immer mehr, mit der Friedenssehnsucht Vorstellungen über den Weg zum Frieden zu verknüpfen. Die klassenbewußten Heizer und Matrosen erhielten durch die Februarrevolution einen außerordentlichen Antrieb für ihre revolutionäre Tätigkeit. Infolge der katastrophalen Verschlechterung der Ernährung begann sich die Lage an Bord rasch bis zum äußersten zuzuspitzen. Im Frühjahr 1917 reiften in der Flotte die Bedingungen für eine umfassende und organisierte revolutionäre Friedensbewegung der Mannschaften heran. 5 8
2. Der Aufbau einer revolutionären (März/Mai 1917)
Mannschaftsgruppe
auf „Friedrich der Große"
Die revolutionäre Arbeit nahm einen merklichen politischen und organisatorischen Aufschwung. Die Gründung der USPD bestärkte die klassenbewußten Heizer und Matrosen in ihrer Tätigkeit. 5 9 Auf „Friedrich der Große" war es dem kleinen Kreis sozialistisch gesinnter Mannschaften gelungen, den durch die Skagerrakschlacht bewirkten Rückschlag zu überwinden. Verschiedene Vorfälle, 60 bei denen sie gemeinschaftlich gegen das Kommando auftraten, festigten den Zusammenhalt. Dieser kleine Kreis 6 1 fand sich an Bord zu Besprechungen zusammen, die sie vor den anderen Kameraden und natürlich erst recht vor den Vorgesetzten geheim hielten. 62 Die 67 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 260 (Aussage von Beckers). Auf „Prinzregent Luitpold" wurden erst Anfang Juni Zeitungen der USPD gelesen. 68 Begünstigt wurde das noch dadurch, daß bis zum Herbst 1917 (!) — der Eroberung der Inseln Dago und Oesel — keine größere kriegerische Unternehmung der Schlachtschiffe stattfand und damit diese Ursache für Stimmungsschwankungen in der Mannschaft wegfiel. 69 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 245 (Aussage von Sachse). 60 Einer dieser Vorfälle war der Seifenstreik einer Heizerwache. Vgl. Anti-Nautikus: a. a. O., S. 12ff. Ein anderer dieser Vorfälle ereignete sich bei einem Sonntagsappell im März/April 1917. Ein Oberheizer beschwerte sich beim Kommandanten über die Verpflegung sowie über die Unterschiedlichkeit derselben in Messe und Back. Er schilderte dabei die elende Lage seiner Familie in der Heimat. Daraufhin wurde der Appell abgebrochen. Anschließend versicherten ihn die Vertrauensleute einzelner Wachen ihrer Solidarität. (Nach Aussagen eines Beteiligten.) 61 Der ehemalige Matrose Weber kennzeichnete diesen Kreis so, daß er „die Auflehnung anstellte". (Tonbandaufnahme eines Interviews mit dem ehemaligen Matrosen Wilhelm Weber, Museum für deutsche Geschichte: T 54/2). Ein anderer ehemaliger Teilnehmer bezeichnete diesen Kreis als sozialistische Gruppe. 62 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 389.
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Heizer trafen sich besonders in den Heizanlagen, Kesselräumen und Bunkern, die Matrosen in den Munitionskammern. 6 3 Ohne daß bestimmte Themen festgelegt worden wären, besprachen sie sich über die Unterdrückungsmaßnahmen der Offiziere und über den Kampf gegen den Krieg. Anläßlich der Vorfälle während des Schiffsappells im März/April tauchte auch der Vorschlag auf, daß keiner etwas verraten sollte, wenn er verhaftet würde. 64 Dieser kleine Kreis von Mannschaften entfaltete eine umfangreiche Aufklärungsund Werbetätigkeit unter den sympathisierenden Matrosen und Heizern. So wurden Reichpietsch 6 5 und Weber 6 6 hinzugezogen. Im April/Mai nahm diese Gruppe „schon größeren Umfang" a n . 6 7 Der geistige Führer schien Sachse gewesen zu sein, der auch auf mehreren Versammlungen sprach. 6 8 Daneben schien Reichpietsch bald ebenfalls eine führende Rolle gespielt zu haben. 69 Weber, der später auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielte, verwies für diese Zeit ebenfalls auf Sachse und Reichpietsch. 7 0 63
Ein Heizer, der an der revolutionären Bewegung beteiligt war, traf anläßlich eines Kontrollganges durch die Schiffsanlagen in einem größeren Raum eine Gruppe von Heizern an, darunter Sachse. Dieser teilte ihm mit, daß hier eine illegale Gruppe zusammengekommen sei. Die Gruppe konnte von ihrem Platz aus gut den Raum übersehen und war somit vor Überraschungen geschützt. Außerdem lagen zur Tarnung noch Sportgeräte, wie Hanteln und Matten, in Griffweite. 64 Nach Mitteilungen eines Teilnehmers. 66 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 360 (Aussage von Beckers). 66 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 340. 67 Tonbandaufnahme eines Interviews mit dem ehemaligen Matrosen Wilhelm Weber, Museum für deutsche Geschichte: T 54/2. 68 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 211. Darauf können auch die marxistischen Schriften und Bücher hindeuten, die Sachse damals las: Das Erfurter Programm der SPD, Der Leipziger Hochverratsprozeß von Bebel, Liebknecht und Heppner (!), Karl Marx: Das Kapital, Schriften von August Bebel. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 388.) 69 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 258 (Aussage von Beckers). 70 Ebenda, Bd. 9/II, S. 290, 360/361 (Aussage von Weber). Tonbandaufnahme eines Interviews mit dem ehemaligen Matrosen Wilhelm Weber, Museum für deutsche Geschichte: T 54/2. Allerdings kann seine Darstellung der Entwicklung ab Mai 1917 so nicht stimmen. M. E. ist die Darstellung von dem Bestreben geleitet, seine eigene Rolle möglichst zu verkleinern und zu verschleiern. Dagegen scheint mir das glaubhaft zu sein, was Weber über die Entstehung und Ausdehnung der Gruppe berichtete: Im Frühjahr 1917 hatte er im Zusammenhang mit dem Namen Sachse etwas über Organisationen bzw. Zusammenschluß von Mannschaften gehört. Er sei dann im Mai 1917 der Organisation beigetreten. Zunächst habe sie sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigt. Erst später seien Sachse und Reichpietsch mit ihren eigentlichen politischen Zielen herausgekommen und haben von ihren Verbindungen zur USPD gesprochen. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 360/361.)
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Die Versammlungen fanden in Wilhelmshaven in dem bereits erwähnten Lokal Kummer in Rüstringen statt. 7 1 Zunächst wurden wirtschaftliche und dienstliche Fragen besprochen, 7 2 an die sich Aussprachen über politische Artikel der „Leipziger Volkszeitung" anschlössen. 73 Immer mehr traten die politischen Probleme hervor: Die Lage in der Heimat und der Weg zum Frieden. Bezeichnend für die politische Interessiertheit der Teilnehmer und für die Erkenntnis ihrer Lage ist die Tatsache, daß Sachse im April über das Sozialistengesetz sprach. 7 4 Die Mannschaften müssen bei diesen Zusammenkünften Geld gesammelt haben. Sachse verlas nämlich auf einer der ersten Versammlungen, an denen Weber teilnahm, eine Postkarte mit Dankesworten. 7 3 In diesen Monaten wurde bereits für den Beitritt zur USPD geworben, z. B. von Sachse in einer Versammlung, die im April/Mai 1917 im Lokal Kummer stattfand. 7 6 Der Erfolg der beharrlichen Aufklärung und Werbetätigkeit der revolutionären Mannschaften auf „Friedrich der Große" zeigte sich darin, daß bereits in einzelnen Wachen und Divisionen Vertrauensmänner gewählt wurden. 7 7 71 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 356, 381. Der vom Oberreichsanwalt Dr. Zweigert angegebene Name Kammer ist verschrieben. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/1, S. 211.) Diese Lokale spielten in der Entwicklung der revolutionären Mannschaftsbewegung eine große Rolle. Wahrscheinlich haben die einzelnen Besatzungen in den Hafenorten Stammlokale gehabt. In Wilhelmshaven schienen die Heizer von „Friedrich der Große" das Lokal Kummer in Rüstringen auserkoren zu haben, die Matrosen von „Friedrich der Große" und die Heizer von „Prinzregent Luitpold" das Lokal „Tivoli". Außerdem wurden noch das „Deutsche Haus" und der „Banter Schlüssel" benutzt. Die Mannschaft von „Westfalen" scheint sich auf die „Birne" und den „Erbkrug" konzentriert zu haben, wobei der „ E r b k r u g " auch noch von anderen Schiffsmannschaften des I. Geschwaders auserwählt war. 72 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 290 (Aussage von Weber). Vgl. auch ebenda, Bd. 9/1, S. 300. Der Oberreichsanwalt Zweigert gibt an, daß die Diskussion über die MannschaftsMenagekommission bereits in dieser Zeit stattgefunden hätte. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 211.) 73 Ebenda, Bd. 9/1, S. 211. 74 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 340. Wahrscheinlich hat Sachse in diesem Zusammenhang auch mit über das Erfurter Programm der SPD gesprochen. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 294. Aussage von Weber.) Vgl. auch Fußnote 68. 75 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 340. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser Geldsammlung um eine Solidaritätsspende für gemaßregelte sozialdemokratische Redakteure der Opposition. (Ebenda, Bl. 356.) 7 « Ebenda, Bl. 356. Beckers gab für den gleichen Zeitpunkt an, daß Sachse und Reichpietsch für die USPD interessiert waren. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 258.) 77 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 436. Erich Otto Volkmann gibt an, daß bereits im Mai 1917 auf „Friedrich der Große" der Gedanke aufgetreten sei, „einen ,Soldatenbund' zu gründen". (Der Marxismus und das deutsche Heer im Weltkrieg, Berlin 1925, S. 176.) Er stützt sich dabei möglicherweise auf Angaben von Wilhelm Weber. Diese wurden aber nirgends bestätigt. Auch taucht der Begriff „Soldatenbund" meines Wissens nur für die Bewegung auf „Prinzregent Luitpold" auf.
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Bernhard
Anfang Juni trat ein neues Moment in der Diskussion unter den Matrosen und Heizern auf: die Bildung von Menagekommissionen der Mannschaften. In dem rechtsstehenden „Wilhelmshavener Tageblatt" hatten die Mannschaften gelesen, daß der Staatssekretär des Reichsmarineamtes in einer Rede zum Marineetat vor dem Reichstag auch von dem Bestehen von Menagekommissionen auf den Schiffen gesprochen hätte. 7 8 Das beschäftigte die Mannschaften erheblich. Dazu wurde bekannt, daß auf „Baden" bereits eine solche Kommission bestand. 7 9 Das förderte die Diskussion. Die Mannschaften mußten sich darüber klar werden, was sie unternehmen wollten, um Menagekommissionen zu erringen. 80 Bei einer solchen Diskussion in der Gruppe um Sachse war Reichpietsch anwesend. Er griff diese Gedanken mit großem Eifer auf und erklärte sich bereit, „eine Bewegung auch unter den Matrosen auszubreiten". 81 Die Diskussion auf „Friedrich der Große" wurde durch einen großen Hungerstreik der „Prinzregent"-Mannschaft Anfang Juni gefördert. 82
3. Der erste große Hungerstreik der Mannschaft seine Auswirkungen (Juni 1917)
von „Prinzregent
Luitpold."
lind
Die Verpflegung auf „Prinzregent Luitpold" war noch weniger und noch schlechter geworden als bisher. Sie bestand meist aus Steckrüben und Dörrgemüse. 83 Jetzt wurde es den Mannschaften zu viel. Die Heizer weigerten sich am 6. J u n i 8 4 demonstrativ, das Essen — wieder Dörrgemüse — abzuholen, und beschwerten sich. Obwohl nichts organisiert war, 8 5 sprach sich die Weigerung in der Besatzung schnell herum. Das Dörrgemüse wurde von den Heizern auch bis zum Abend nicht abgeholt, so daß es ' 8 Hans Beckers: a. a. O., S. 24. Beckers gibt an, dies erst einige Wochen nach dem Hungerstreik in einer Wilhelmshavener Zeitung gelesen zu haben. 79 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 388. 80 Das wurde noch dadurch erschwert, daß zwischen Heizern und Matrosen Differenzen bestanden, so daß diese kaum zu einer gemeinsamen Aktion zu bewegen waren. (Ebenda, Bl. 388.) 81 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/1, S. 211. Nach Angaben von Oberreichsanwalt Zweigert sei Reichpietsch bei diesem Anlaß mit der Bewegung in Berührung gekommen. Er datiert falsch. Reichpietschs Teilnahme ist bereits für Mai bezeugt. (Vgl. Fußnoten 65 und 70.) Ebenso setzt Zweigert die Diskussion über die Menagekommission zu früh an. 82 Ebenda, Bd. 9/1, S. 211. 83 Ebenda, Bd. 9/II, S. 262 (Aussage von Beckers). Das Folgende nach Hans Beckers: a. a. O., S. 23 und dem Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/II, S. 262/263 (Aussage von Beckers). 84 Beckers gab vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß an, daß der Streik wenige Tage nach dem Jahrestag der Skagerrakschlacht stattgefunden habe. (Ebenda, Bd. 9/II, S. 262.) Die vorhegende Literatur enthält keine Anhaltspunkte über den genauen Anlaß des Streiks. 85 Beckers betont dies ausdrücklich in seiner Aussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß. (Ebenda, Bd. 9/II, S. 262.)
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Revolutionäre Friedensbewegung in der deutschen Hochseeflotte 1917
weggeschüttet werden mußte. Daraufhin wurden alle Mann an Deck befohlen und vom I. Offizier, Korvettenkapitän Herzbruch, abgekanzelt. Er zog alle Register seines Könnens und verwies darauf, daß solche Handlungen in so schwieriger Zeit unpatriotisch seien. Damit glaubte er wahrscheinlich, die Ablehnung der Beschwerden treffend begründet zu haben. Die Mannschaften kannten diese Litanei zur Genüge. Sie ließen sich nicht einschüchtern. Empört stellten sie fest, daß von ihrer Verpflegung gestohlen würde. Der unverschämten Behauptung, die Offiziere müßten und würden auch Kohlrüben essen, hielten sie sofort die Wahrheit entgegen, daß zu einem gebratenen Klecks Kohlrüben als Beilage ein Kotelett von der Größe einer Untertasse serviert wurde. Das würden sie sich auch gefallen lassen. Die Mannschaften ließen sich in ihren Forderungen nicht beirren und verlangten als Ersatz ein vollwertiges Mittagessen, außerdem Brot und Speck. Die Verpflegung besserte sich nicht. Es wurde von Proviantschiebungen gemunkelt. Die Mannschaften „forderten Aufklärung, wurden aber barsch abgewiesen". 8 6 Die Mannschaften von „Prinzregent" griffen nun auch den Gedanken der Menagekommission auf. Die Menagekommissionen stellten das allgemeine Gesprächsthema der Mannschaften des Geschwaders dar. Zur Besprechung von Menageangelegenheiten traf sich Beckers einige Tage nach dem Streik mit Sachse und Reichpietsch. 87 Etwa um diese Zeit begannen auch die Heizer und Matrosen von „Prinzregent" nach dem Vorbild von „Friedrich der Große" in den Wachen und Divisionen Vertrauensleute zu wählen. 8 8 Damit griff die Bewegung auf „Prinzregent" über. Die Kommandos betrachteten die Forderung, Menagekommissionen der Mannschaften einzurichten, als Einmischung in ihre Kommandobefugnisse, als deren Untergrabung und lehnten alles ab. Als nun aber die Matrosen und Heizer Widerstand verspürten, erhöhten sie ihre Anstrengungen, um die Menagekommission durchzusetzen. Dabei stützten sie sich in der Argumentation auf die Zeitungsmeldungen. Die Durchsetzung der Menagekommissionen wurde die zunächst vordringliche und zeitweilig entscheidende Frage für die Enstehung und Entwicklung der Mannschaftsbewegung. 8 9
4. Die Verschärfung
der Lage auf den Schiffen
anderer
Geschwader
(Mai/Juni
1917)
Auch auf den anderen Schiffen zeichneten sich die tiefgreifende Unzufriedenheit der Mannschaften mit ihrer Lage und die wachsende Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht ab. Die Gegensätze an Bord traten immer offener hervor. Hans Beckers: a. a. O., S. 23. Das Werk des Untersuchungsausschusses a. O., Bd. 9/II, S. 264 (Aussage von Beckers). Das bedeutet, daß die Diskussion über Menagekommissionen auf „Friedrich der Große" also schon vorher geführt worden sein muß und daß zu dieser Zeit, d. h. Mitte Juni, auf anderen Schiffen bereits etwas über die Rolle von Sachse und Reichpietsch bekannt war. 88 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 436. 89 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 239/241 (Aussage von Sachse). Er bezeichnete ihre Erzwingung geradezu als politische Kampfforderung der Bewegung. (Ebenda, Bd. 9/II, S. 240.) 86
87
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Hans-Joachim
Bernhard
Auf „Helgoland" waren 90 Ztr. Mehl verdorben. Sie sollten im H a f e n abgegeben werden. Dreißig Matrosen weigerten sich, das Mehl auszuladen. Befehle u n d Drohungen prallten an ihrer empörten H a l t u n g wirkungslos ab. Sie w u r d e n d a f ü r mit zusätzlichem militärischen Dienst bestraft. Sehr interessant sind die Gedanken, die Stumpf dazu äußerte: „Was hätte solches Verhalten im Frieden eingebracht? Kriegsgericht u n d Festung mindestens. Aber heute? In der Zeit des ,Arbeiter'- u n d ,Matrosenrats'?" 9 0 In diesen Äußerungen zeigt sich deutlich, wie die Matrosen die Lage e m p f a n d e n , welche Bedeutung sie der Menagekommission beimaßen u n d wie a u f m e r k s a m sie das Nachlassen und Unvermögen der K o m m a n d o g e w a l t registrierten. Die ungerechte Urlaubsverteilung auf „Helgoland" verstärkte die Erbitterung noch. Der G r i m m w a r so stark, d a ß Stumpf w u t e n t b r a n n t dem I. Offizier den Hals abschneiden wollte. 9 1 Auf „ R h e i n l a n d " geschah ein besonders krasser Fall rücksichtsloser B e h a n d l u n g u n d unverschämter Verhöhnung. Die Mannschaften spielten einem wegen seiner Arroganz verhaßten Offizier einen Schabernack. D a r a u f h i n w u r d e n „zur Maßregelung" täglich zwei Stunden Gewehrexerzieren in der Freizeit verhängt. Die Offiziere betrachteten das „Schleifen" offensichtlich als Schauspiel u n d beobachteten es aus 3 0 Meter E n t f e r n u n g d u r c h Ferngläser. Als der Matrose Calmus bei glühendem Sonnenb r a n d einmal nicht die gewünschte H a l t u n g bewahrte u n d v o m w a c h h a b e n d e n Offizier gerügt wurde, brach aus i h m die lang angestaute E m p ö r u n g hervor: „Da achtern wird gefressen und gesoffen, u n d unsereiner soll exerzieren u n d weiß nicht w a r u m . " 9 2 Sofort w u r d e Calmus vor den K o m m a n d a n t e n z u m Verhör befohlen. Calmus beschwerte sich über das ungenießbare Essen u n d die willkürliche Behandlung. In der Antwort des K o m m a n d a n t e n trat einmal m e h r die grenzenlose Überheblichkeit des Seeoffiziers zutage: „Ob sie verrecken oder nicht, das ist uns egal, die H a u p t sache ist die Gefechtsbereitschaft des Schilfes. Leute sind Nebensache, denn die können wir kriegen, so viel wir h a b e n wollen." 9 3 Calmus erhielt drei Monate Gefängnishaft. In dieser Zeit w u r d e von den Vorgesetzten wieder einmal zur Zeichnung v o n Kriegsanleihe aufgefordert. Die M a n n s c h a f t e n lehnten das jedoch ab. „ W i r wollen Frieden und nicht den Krieg unterstützen." „Das m ü h s a m ersparte Geld ist uns zu schade f ü r diesen Zweck." Trotzdem zeichnete die Schiffsleitung v o n „Prinzregent" f ü r jeden widerrechtlich 100,— bis 200,— Mark. „Diese willkürliche M a ß n a h m e schlug wie eine B o m b e ein u n d trug dazu bei, den Gang der Entwicklung zu beschleunigen." 9 4 Auf „Moltke" weigerten sich die Mannschaften ebenfalls, Kriegsan80 Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 247. »i Vgl. ebenda, Bd. 10/11, S. 245. Auch hieran knüpfte Stumpf allgemeine Bemerkungen, die in ihrer scharfen treffenden Sprache deutlich widerspiegelten, daß die Mannschaften die Verjunkerung der Marine erkannten und die billigen Beruhigungsphrasen durchschauten. 92 Ebenda, Bd. 9/1, S. 13. 93 Ebenda, Bd. 9/1, S. 12. 84 Hans Beckers: a. a. O., S. 43. ,,. . . durch sparsames Tragen hatten viele von uns sich im Laufe der Jahre 100,— bis 300,— Mark Kleidergelder gespart."
Revolutionäre Friedensbewegung in der deutschen Hochseeflotte 1917
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leihe zu zeichnen. Der Obermatrose Preuschkat erklärte, er sehe nicht ein „zu welchem Zweck er zeichnen solle". 9 5 Kennzeichnend für den moralischen Druck, unter dem die Mannschaften standen, war, daß sich der Pfarrer von „Moltke" dieses Falles annahm und die Ablehnung in der Predigt verdammte. Verständlicherweise empörten sich die Mannschaften darüber, wobei sie „die Uberzeugung gewannen, daß das kein Gottesdienst sei, sondern eine politische Versammlung". 9 6 Gerade das Erkennen der Rolle der Kirche drückt die Entwicklung des Bewußtseins der Mannschaften aus. Es gab kaum einen der Matrosen und Heizer, der nicht konfessionell gebunden war. 9 7 Da später sogar Pfarrer als Referenten für die Vaterlandspartei, eine Gründung des Alldeutschen Verbandes, auftraten, 9 8 rundete das augenfällig die Vorstellung von der Rolle der Geistlichkeit ab. Auch die von den Offizieren sehr begünstigte, teilweise sogar persönlich unterstützte Propaganda für die Ziele der Alldeutschen, die sich sehr bald auf die Werbung für die Vaterlandspartei konzentrierte, erzeugte nur das Gegenteil. 99 Unter den Mannschaften wurden z. B. Spott- und Hetzpostkarten gegen England verteilt. 1 0 0 Die revolutionären Matrosen und Heizer sahen diesem Treiben nicht tatenlos zu, sondern verpflichteten ihre Anhänger, „das strikt abzulehnen". 101 Im Juni hatte sich die Mannschaftsstimmung grundlegend geändert. Die Mannschaften wurden in dieser Entwicklung noch dadurch sehr bestärkt, daß sie aus eigener Anschauung sehr gut die Notlage der arbeitenden Bevölkerung in den Hafen•5 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 449. Preuschkat soll daraufhin degradiert und abkommandiert worden sein. 96 Ebenda, Bl. 449. 97 Davon zeugen die Angaben zur Person bei den Vernehmungen und Verhandlungen vor den Marinekriegsgerichten. Auch die in der revolutionären Bewegung führenden Matrosen und Heizer gehörten kirchlichen Gemeinschaften an: Sachse und Weber waren evangelisch, Reichpietsch baptistisch und Beckers katholisch. Vgl. auch die Bemerkung, die Stumpf in sein Tagebuch niederschrieb: „ . . . daß die Priester weiter nichts sind als Offiziere in Zivil und an der Dummhaltung der Massen vieleicht noch mehr Interessen haben als jene." (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 10/11, S. 237.) Diese Stellungnahme ist um so bezeichnender, als Stumpf gläubiger Katholik war. Vgl. auch Hans Beckers: a. a. O., S. 22. 98 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses a. O., Bd. 10/1, S. 51. 99 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 30 und die Rede Dittmanns vor dem Reichstag am 9. Oktober 1917. (Verhandlungen des Reichstags, X I I I . Legislaturperiode, II. Session, Stenographische Berichte, Bd. 5, S. 3788.) In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß das preußische Kriegsministerium bereits am 19. April 1917 die Zivilbehörden anwies, für eine bedeutende Verstärkung des monarchistischen Gedankens in Schule und Kirche zu sorgen. (Vgl. Generalmajor a. D. Ernst von Wrisberg: Der Weg zur Revolution, Leipzig 1921, S. 53.) 100 Wilhelm Dittmann in seiner Rede vor dem Reichstag am 9. Oktober 1917. (Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 5, S. 3769.) 101 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 234 (Aussage von Sachse).
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Städten beobachten konnten. 1 0 2 Auch konnten sie sich verhältnismäßig gut über die Einsatzfähigkeit und Erfolge der U-Boote unterrichten 103 und damit die Verlogenheit der offiziellen Propaganda durchschauen, daß der uneingeschränkte U-Bootkrieg den Krieg entscheiden werde. Da es immer noch an qualifizierten Facharbeitern mangelte, wurden die Mannschaften während der Werftliegezeiten zur Arbeitsleistung in die Werft kommandiert. Aus ihrer Arbeit preßten die Rüstungsmonopole zusätzliche Profite heraus. Die Mannschaften erhielten für diese Schinderei großzügig zehn Pfennig pro Stunde. 1 0 4 Als Soldaten-Arbeiter wurde ihr Klassenbewußtsein noch mehr wachgerüttelt. Sie konnten engen persönlichen Kontakt mit den revolutionären Werft- und Hafenarbeitern der Seestädte Norddeutschlands, besonders Kiels, aufnehmen. 105 Diese Landverbindungen spielten für die Radikalisierung der Mannschaften und die Entwicklung ihrer Bewegung eine große Rolle. Sie erhielten von den Arbeitern Informationen, legale und illegale Flugblätter sowie Broschüren und gute Ratschläge für den Aufbau einer illegalen revolutionären Organisation an Bord. Die revolutionären Matrosen konnten Verbindungen zu linken Gruppen ausfindig machen und anknüpfen. Noch beschäftigten sich die Mannschaften aber stark mit ihren unmittelbaren Bedrängnissen. Sie verstanden noch nicht den tieferen Sinn jedes Aufbegehrens gegen das Kommando. Ihre Friedensvorstellung war noch nicht konkret und zielklar. Die klassenbewußten Heizer und Matrosen arbeiteten daran, das Klassenbewußtsein der Mannschaften zu heben und zu festigen. Sie drängten die Mannschaften vorwärts im Kampf gegen das Kommando, gegen den Militarismus und gegen den Krieg. Sie erkannten wohl die Anzeichen der veränderten Stimmung, aber sie vermochten den Mannschaften keinen klaren Weg zum Frieden zu weisen. Ihnen selbst fehlte die revolutionäre Erfahrung und Schulung im Klassenkampf. Wohl standen sie mit linken Arbeitergruppen in Verbindung und erhielten von dort Informationen und Hinweise, dennoch konnte das nicht die Führung und Hilfe durch eine revolutionäre marxistische Arbeiterpartei ersetzen. Im wesentlichen war das, was sie bisher getan 102 ,,. . . wir sind nicht nach Hause gefahren, weil es dort noch weniger zu essen gab." (Ebenda, Bd. 9/II, S. 401.) loa Ygi. Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 244. Unter dem 17. Juni 1917 trug er ein: „Fast täglich kommt ein beschädigtes U-Boot an. Über die Zahl der versenkten sind große Zahlen im Umlaufe." Der ehemalige Matrose Weber hebt in dem Interview ebenfalls den „Schwindel der U-Boot-Blockade" als bedeutsam für die Zuspitzung der Gegensätze auf den Schiffen hervor. (Tonband-Aufnahme, Museum für deutsche Geschichte: T 54/2.) 104 Die Folgen der zusätzlichen Belastung der Mannschaften schilderte ein ehemaliger Matrose vor dem Untersuchungsausschuß: „1917 sind die Kameraden . . . umgefallen wie die Fliegen: ein Hitzschlag nach dem anderen erfolgte während dieser Werftliegezeit." (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0 . , Bd. 9/II, S. 401.) 106 Die Werftarbeiter waren zu einem großen Teil revolutionär eingestellt, mit Ausnahme vielleicht derjenigen der Staatswerften. Sie traten der U S P D bei bzw. sympathisierten sehr stark mit ihr, weil sie diese für eine revolutionäre Partei ansahen. (Nach Mitteilungen des ehemaligen dienstverpflichteten Arbeiters Karl Krake, Markranstädt bei Leipzig.)
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hatten, aus eigenem Antrieb und nach eigenem Ermessen geschehen. Die Lage auf den Schiffen drängte zur Weiterentwicklung der revolutionären Bewegung, wenn die Unzufriedenheit der Mannschaften sich nicht in Einzelaktionen entladen und verpuffen sollte. 5. Die Gegenmaßnahmen
des
Offizierskorps
Die unzufriedenen Mannschaften wurden rebellisch und begannen, sich gegen den „geheiligten Gehorsam" aufzulehnen. 1 0 6 Das und die immer stärker auftretende Friedenssehnsucht konnten den Offizieren nicht verborgen bleiben. Sie versuchten einmal, den Mannschaften ihre Meinung von den Vorgängen in Rußland einzuimpfen, um diese von intensiver Beschäftigung mit den revolutionären Ideen abzuhalten. Natürlich zogen sie dabei mit wütenden Ausfällen gegen Karl Liebknecht zu Felde. 107 Ihre Vorträge nutzten ihnen jedoch nichts, da die Mannschaft deren Tendenz sehr schnell durchschaute. Die Offiziere versuchten sich außerdem in allgemeinbelehrenden Vorträgen und offenbarten dabei eine grenzenlose Unwissenheit in den Fragen des täglichen Lebens der Mannschaften. 1 0 8 Die Offiziere dachten jedoch nicht im geringsten daran, ihr Verhalten gegenüber den „Leuten" zu ändern. 1 0 9 Sie lebten nach wie vor ihr gutes Leben. Um so mehr stach das schlechte Leben der Mannschaften davon ab. Das gab genug Stoff f ü r die Mannschaften, über den Nutzen und den Sinn des Krieges nachzudenken. Naturgemäß mußte das der Mißstimmung ständig neue Nahrung bieten, sie steigern und den revolutionären Heizern und Matrosen neue Sympathisierende und Anhänger zuführen. Anscheinend hatten die Offiziere aber noch andere Maßnahmen zur „Beruhigung" der Mannschaften ergriffen. In dem Brief an Eder vom 21. März 1917 brach Rebe mehrmals seine politischen Ausführungen „aus naheliegenden Gründen" ab. 1 1 0 Auf „Helgoland" wurde an der Mannschaftskantine ein Zettel angeschlagen, auf dem es hieß: „ . . . daß Elemente an der Arbeit sind die im deutschen Volke Mißtrauen und Zwietracht verbreiten. Pflicht jedes guten Deutschen sei es an Entlarvung solcher Verräter mitzuwirken. Wer einem dieser Rädelsführer so zur Anzeige bringt daß er gerichtlich bestraft werden kann erhält eine Belohnung von 3 000 M." 1 1 1 Ende Mai 106
Hans Beckers: a. a. O., S. 27. Vgl. auch Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a.a.O., Bd. 10/11, S. 246, 248. Bezeichnend hierfür ist sicher die Bemerkung Stumpfs anläßlich eines Besuches des Geschwaderchefs auf „Helgoland": „Vielleicht hat der ehrwürdige Herr nur mal nachsehen wollen, ob es ihm nicht bald ähnlich geht wie dem Kollegen Koltschack von der Schwarzmeerflotte." Es war verabredet, den Admiralsgruß nicht zu erwidern. (Ebenda, Bd. 10/11, S. 244.) 107 Ebenda, Bd. 9/II, S. 245 (Aussage von Sachse). los y g i . Tagebuch Stumpf, in: Ebenda, Bd. 10/11, S. 230/231. 109 Einige Beispiele dafür finden sich in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 9/1, S. 13/14, 417; Bd. 10/1, S. 171. 110 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Beichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 447. 111 Tagebuch Stumpf, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10 /II, S. 233.
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wurde den Mannschaften des IV. Geschwaders ein Stationsbefehl des Kommandos der Ostseestation aus dem Jahre 1914 bekanntgegeben, in dem „den Unteroffizieren und Gemeinen insbesondere das Halten und die Verbreitung sozialdemokratischer Schriften und der Beitritt zu politischen Vereinen verboten wurde". 1 1 2 Kennzeichnend für die gereizte und aufsässige Stimmung der Mannschaften war, daß dieser Befehl nur einen Tag am schwarzen Brett an der Schmiede von „Friedrich der Große" hing und dann von unbekannter Hand abgerissen wurde. 113 Natürlich wandten die Kommandostellen auch die gewohnten und erprobten Mittel der Militärmaschinerie an: Arrest, Straf exerzieren und ähnliches sollte die Mannschaften zur Räson bringen. Die Mannschaften wurden provoziert, um Anlässe zur Bestrafung zu finden. Beschwerden wurden oft nicht weitergereicht, d. h. unterschlagen. Selten gelang es einem Heizer und Matrosen, zur obersten Instanz vorzudringen. Meist schafften sie dies nur, wenn sie den dienstlichen Beschwerdeweg umgingen. Sie wurden dann „zur Strafe" abgewiesen, damit sie sich an den Dienstweg gewöhnten. 114 Außerdem wurden die Mannschaften wiederholt an Deck befohlen und ihnen die Kriegsartikel verlesen. Das entlockte ihnen jedoch nur noch ein mitleidiges Lächeln „über diesen ebenso krampfhaften wie lächerlichen Versuch, uns einzuschüchtern". 115 112
Ebenda, Bd. 9/1, S. 211. Auf „Prinzregent Luitpold" wurde dieser Befehl nie ausgeführt. (Ebenda, Bd. 9/II, S. 266, Aussage von Beckers.) Auf „Kaiserin" wurde dieser Befehl erst in den letzten Tagen des Kieler Aufenthaltes, d. h. Ende Juni/Anfang Juli verlesen. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 361.) Der Chef des Kommandos der Ostseestation war Admiral Bachmann. Daher wird im folgenden der Befehl als Bachmann-Befehl bezeichnet. 113 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 463. 114 Hans Beckers: a. a. O., S. 29. 116 Ebenda.
KAPITEL
DIE
III
PERSÖNLICHE
FÜHLUNGNAHME
DER
REVOLUTIO-
NÄREN MANNSCHAFTEN MIT DER F Ü H R U N G DER USPD 1. Der Besuch von Max Reichpietsch in der Zentrale der USPD Im Juni waren die Bedingungen für eine umfassende revolutionäre Mannschaftsbewegung soweit herangereift, daß es darauf ankam, die einzelnen Äußerungen, Bestrebungen und Aktionen zusammenzufassen, fest miteinander zu verbinden und besonders der Bewegung ein klares Programm des Kampfes f ü r den Frieden zu geben. Aus Eigenem vermochten die klassenbewußten Heizer und Matrosen diesen Schritt nicht zu tun. Sie suchten nach Anleitung, Hilfe und Deckung. Sie vermuteten die revolutionäre Einstellung und die Einsatzbereitschaft der einfachen Mitglieder und Funktionäre auch bei der Führung der USPD und wandten sich vertrauensvoll an sie. 1 1 6 Die erste und wegen ihrer Folgen zugleich wichtigste Verbindung war die von Max Reichpietsch. Als das IV. Geschwader im Juni 1917 in Kiel lag, erhielt Reichpietsch Heimaturlaub nach Berlin. Die revolutionären Matrosen und Heizer beauftragten ihn, während des Urlaubs mit der Zentrale der USPD Verbindung aufzunehmen. Der Hauptgrund war, daß die revolutionären Matrosen sich durch Reichpietsch über die rechtliche Grundlage für den'wirtschaftlichen und politischen Kampf um die Menagekommissionen in der Flotte unterrichten wollten. 1 1 7 Eine wichtige Rolle spielte weiterhin die Feststellung, ob der sogenannte Bachmann-Befehl berechtigt sei. 1 1 8 Außerdem sollte 116 Persönlich zuerst Max Reichpietsch, danach Willi Sachse und Albin Köbis, schließlich Paul Calmus. Außerdem wurden mit der Zentrale der U S P D viele Briefe gewechselt, u. a. auch von Alfred Rebe. 117 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 388. Vgl. auch: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 238/239, 246 (Aussage von Sachse). 118 Der Befehl wurde abgeschrieben, damit Reichpietsch die Abschrift in der Zentrale der U S P D vorzeigen konnte. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 388.)
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Revolutionäre Ereignisse
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Hans-Joachim,
Bernhard
Reichpietsch einige Beschwerden übermitteln, die er stichwortartig aufschrieb. 1 1 9 Sachse und Franz Müller wollten Reichpietsch geraten haben, sich auch an den Vorstand der SPD zu wenden, z. B. an Scheidemann. 1 2 0 Weber fuhr zur gleichen Zeit wie Reichpietsch auf Urlaub und traf ihn vor der Abfahrt auf dem Bahnhof. Reichpietsch zeigte ihm „ein dickes gelbes Kuvert, in welchem sich seiner Angabe nach Beschwerden von Bord der einzelnen Schiffe und eine Rede oder ein Verbot des Admirals Bachmann gegen sozialdemokratische Zeitungen befanden". Damit wollte er die U S P D aufsuchen. 1 2 1 Reichpietsch fuhr Mitte J u n i 1 2 2 nach Berlin-Neukölln zu seinen Eltern. Er suchte weisungsgemäß die Zentrale der U S P D auf und war einmal bei Dittmann und Luise Zietz im Zentralbüro der USPD am Schiffbauerdamm, anschließend wahrscheinlich bei dem Parteikassierer Herbst und einmal im Reichstag bei Haase, Dittmann und Vogtherr. Außerdem hat er dann Vogtherr noch einmal im Reichstag besucht. Leider sind die Gesprächsthemen dieser ersten persönlichen Fühlungnahme nur ungefähr feststellbar. Reichpietsch hat vor dem Untersuchungsrichter im wesentlichen darüber geschwiegen. Deshalb bleiben als einzige Aussage von den beteiligten Personen nur die Reden der Führer der U S P D vor dem Reichstag am 9. Oktober 1917 und ihre Aussagen vor dem Untersuchungsrichter des Reichsgerichts, sowie die Aussagen Dittmanns vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstages der Weimarer Republik. Der Quellenwert der Aussagen ist sehr zweifelhaft, denn die Führer der U S P D waren 1917 mit Erfolg bemüht, das nach revolutionärer Tätigkeit Tendie119 Diesen Zettel unterschrieben Willi Sachse und Franz Müller. (Ebenda, Bl. 389.) Reichpietsch soll den Brief im Rockfutter eingenäht durch die Bordkontrolle geschmuggelt haben. Reichpietsch hatte u. a. folgende Vorfälle auf „Friedrich der Große" notiert: Urlaubsbevorzugung derjenigen, die den Vorgesetzten Lebensmittel mitbrachten — Urlaubsverweigerung bei Tod der Mutter — nächtlicher Bootsdienst wegen E r k r a n k u n g eines Offizierskindes •— das Gerücht von dem Kapitänsausspruch: „ F r e ß t Steine statt B r o t " — die unterschiedliche Bestrafung von Mannschaften und Offizieren. (Ebenda, Bl. 389). 120 Ebenda, Bl. 388. D i t t m a n n behauptete, daß Reichpietsch auch bei dem SPD-Abgeordneten Stücklen gewesen sei. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 9/1, S. 32.) Dieser Besuch wurde jedoch nie von den Marinemannschaften erwähnt. 121 Ebenda, Bd. 9/1, S. 131. Außerdem bekundete der ehemalige Matrose Höschele, bei Reichpietsch lange vor der Urlaubsreise einen Befehl von 1892 gesehen zu haben. (Deutsches Zentralarchiv, P o t s d a m ; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 384.) Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um einen Befehl, der es ermöglichte, mißliebige Elemente in die Arbeiterabteilungen nach Magdeburg zu versetzen. 122 Die Angaben über die Urlaubsdaten differieren erheblich. Oberreichsanwalt Zweigert gibt den 12.-—21. J u n i an. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., Bd. 9/1, S. 211.) Dittmann den 6.—21. Juni. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 32.) Das Kriegsgerichtsurteil läßt den Urlaub mit dem 21. 6. beginnen. (Ebenda, Bd. 10/1» S. 324.) Das bedeutet, daß der Urlaub bis Ende J u n i gedauert haben müßte. Darauf stützt sich offensichtlich auch Neu. (Heinrich Neu: a. a. O., S. 18.) M. E . muß der Angabe Zweigerts Glauben geschenkt werden, da Sachse berichtet, d a ß er mit Reichpietsch über die Unterredung in der Zentrale der U S P D gesprochen habe und dann selbst am 23. 6. auf Urlaub gefahren sei. Sachse fand Anfang Juli bei D i t t m a n n bereits einen Brief von Reichpietsch vor u n d konnte sich auf ihn berufen.
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rende als normale parlamentarische Arbeit zu verschleiern, um die Legalität der Partei und die Freiheit ihrer Person zu bewahren. Die Aussagen der Führer der U S P D werden ergänzt durch Berichte verschiedener Mannschaften über die Mitteilung von Reichpietsch, die er ihnen bei verschiedenen Unterhaltungen über seine Reise machte. Ihr Wert liegt vor allem in der Möglichkeit, die umfassende agitatorischorganisatorische Tätigkeit Reichpietschs festzustellen. Auch bei diesen Aussagen muß berücksichtigt werden, daß sie unter dem Gesichtspunkt gemacht wurden, die eigene Person und die revolutionäre Bewegung der Mannschaft nicht unnötig zu belasten. Die Unterredung mit Dittmann dauerte etwa eine halbe Stunde. 1 2 3 Reichpietsch brachte Beschwerden über Behandlung und Beköstigung vor und erkundigte sich nach der Berechtigung des Bachmann-Befehls 1 2 4 und der Durchsetzung von Menagekommissionen. 1 2 5 Dabei erwähnte Reichpietsch den Hungerstreik der „Prinzregent"Mannschaft und bat, daß die Abgeordneten sich der Soldaten annehmen möchten. 1 2 0 Er berichtete, daß die Mannschaften sich sehr für die politische Entwicklung interessierten, daß die Zeitungen der USPD in recht großer Anzahl auf den Schiffen verbreitet wären und eifrig gelesen würden, so allein 50 bis 60 „Leipziger Volkszeitungen" auf „Friedrich der Große". Eine größere Anzahl Matrosen würde stark mit der U S P D sympathisieren. 1 2 7 An Bord und in Versammlungen an Land würden lebhaft politische Dinge erörtert, darunter auch die Differenzen zwischen SPD und USPD. Reichpietsch bat um Lektüre, „namentlich um solche, die die der U S P D zuneigenden Leute in den Stand setzte, Meinungsgegner, d. h. die den Standpunkt der alten Fraktion vertretenden, zu schlagen". 1 2 8 Dittmann verwies ihn auf zwei Artikel in der „Leipziger Volkszeitung" und übergab ihm mehrere Exemplare der betreffenden Nummern. Außerdem händigte er Reichpietsch zehn bis zwölf Broschüren a u s . 1 2 9 Dabei muß Dittmann Reichpietsch kostenlos Agitationsmaterial zugesagt haben. 1 3 0 Dittmann warnte Reichpietsch, zuviel auf das Kaiserwort „Ich kenne keine Parteien 123 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 201. Reichpietsch soll „sich als von Sachse gesandt vorgestellt und das ihm von jenem verschlossen mitgegebene Schreiben überreicht" haben. Dieses Schreiben soll Dittmann gelesen und sich anschließend mit Reichpietsch eingehend unterhalten haben. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 212.) Dittmann gibt an, den Brief Sachses an Vogtherr weitergegeben zu haben. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 33.) 124 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 202. 125 Ebenda, Bd. 9/1, S. 32. 126 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 223. 1 2 ' Ebenda, Bd. 9/1, S. 35/36. Reichpietsch soll hierbei darauf hingewiesen haben, daß es an Bord drei Gruppen unter den Mannschaften gäbe: Gleichgültige, SPD-Anhänger, USPD-Anhänger. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 223.) 128 Ebenda, Bd. 9/1, S. 202. 129 Ebenda, Bd. 9/1, S. 202. Der Inhalt dieser Artikel entsprach dem der Fluglätter „Die Wahrheit über die Friedenspolitik der Regierungssozialisten". Bei den Broschüren handelt es sich um eine Zusammenfassung von Reichstagsreden Dittmanns über Belagerungszustand, Zensur und Schutzhaft. 180 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern. Nr. 12474, Bl. 390. 8*
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mehr!" zu vertrauen. Wenn es rechtlich auch keine Einwände gegen das Lesen von Zeitungen der "USPD und gegen politische Diskussionen geben dürfte, sollten die Mannschaften dabei doch recht vorsichtig sein. Der USPD wäre bekannt, daß die Militär- und Marinebehörden die USPD nicht gern sähen und entsprechend vorgehen würden. 1 3 1 Solange der Befehl von Bachmann gelte, müßten sich die Mannschaften jedoch an ihn halten. 1 3 2 Reichpietsch fragte dann, ob die Schiffsmannschaften Mitglieder der USPD werden könnten. Dittmanns Antwort stellt eine Meisterleistung der Demagogie dar. Er erklärte ganz allgemein und ohne auf die Verhältnisse auf den Schiffen einzugehen, daß gesetzlich keine Hindernisse und seitens der USPD grundsätzlich keine Bedenken gegen einen Beitritt von Marinemannschaften zur USPD beständen. Er erzählte dann Reichpietsch allerhand organisatorische Einzelheiten, z. B. über das Ruhen der Beitragszahlung f ü r aktive Militärangehörige. Geschickt brachte er dabei u. a. an, daß mit dem Ruhen der Beitragszahlung die Mitgliedschaft überhaupt ruhe. Somit war es auch gleichgültig, wo die Mannschaften als Mitglieder geführt würden. Damit hatte er die Frage Reichpietschs ihrer revolutionären Bedeutung entkleidet und die Mitgliedschaft der Marinemannschaften zu einer „reinen Zweckmäßigkeitsfrage" herabgewürdigt. Dittmann verwies die Mannschaften aus formellen Gründen an die Kompetenz der einzelnen Ortsgruppen 1 3 3 und nannte Reichpietsch noch die Anschriften von Henke, Sens und Büdeler, an die sich Reichpietsch wegen der Mitgliedschaft wenden und bei denen er weitere Lektürewünsche vorbringen sollte. 134 Dreierlei geht m. E. aus diesen Ausführungen Dittmanns hervor: 1. Die Führung der USPD war am Eintritt von Soldaten in die USPD nicht interessiert; 2. Die Notwendigkeit und die Möglichkeit, eigene Mannschaftsparteigruppen zu bilden, wurde übergangen. Die Mannschaften wurden entsprechend der sozialdemokratischen Wahlvereinsideologie den bestehenden Ortsgruppen als Einzelmitglieder zugewiesen. 3. Die Führung der USPD wollte mit einer Mannschaftsbewegung direkt nichts zu tun haben und schob die Verantwortung den Ortsgruppen, d. h. den einfachen Funktionären und Arbeitern, zu. Im Grunde genommen hatte Dittmann Reichpietsch abgewiesen und die so entscheidende Frage der Organisierung einer revolutionären Mannschaftsbewegung ablehnend beantwortet. isi Vgl. die Reichstagsrede Dittmanns vom 9. Oktober 1917. (Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 5, S. 3805.) 132 Vgl. D a s Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/1, S. 202. 133 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 203. Die USPD war als Parteiorganisation noch jung. Daher wurde die Aufnahme und Erfassung der Mitglieder bei den einzelnen Ortsgruppen verschieden gehandhabt. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 204.) 134 Ebenda, Bd. 9/1, S. 204.
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Was konnte und was mußte Reichpietsch, der eine so gleisnerische parlamentarisch geschulte und erprobte Rhetorik weder kannte noch durchschauen konnte, den Worten Dittmanns entnehmen? Reichpietsch trat Dittmann mit der natürlichen Achtung gegenüber, die ein einfacher Mensch einem Reichstagsabgeordneten und Parteiführer entgegenbringt. Außerdem fühlte er sich ihm durch die vermeintliche gleiche revolutionäre Auflassung noch besonders verbunden. Er vernahm aus Dittmanns Reden nichts, was dem Eintritt von Mannschaften in die USPD widersprochen hätte. Dittmann erläuterte die notwendigen organisatorischen Fragen und wies durch die Übergabe von Anschriften den Weg zum Vollzug. Reichpietsch konnte die Mahnung zur Vorsicht bei politischen Versammlungen sowie die Ubergabe von Literatur und von Anschriften für die weitere Literaturbeschaffung so deuten, daß Dittmann die entstehende revolutionäre Bewegung verstand und ihr zustimmte, ja sogar, daß er zur Weiterarbeit aufmunterte. 135 Reichpietsch muß in dieser Auffassung noch dadurch bestärkt worden sein, daß Dittmann ihn zu Luise Zietz, der Sekretärin des Büros der USPD, brachte. Er unterrichtete sie über die Mannschaftsbeschwerden und über die Ausbreitung der Ideen auf den Schiffen. 136 Luise Zietz quittierte die Mitteilung Dittmanns mit dem bemerkenswerten Ausruf: „Da müssen wir uns ja schämen vor den Matrosen, die sind ja weiter wie wir." 137 Luise Zietz stellte dabei befriedigt fest, daß allenthalben die Bewegung auf dem Marsch sei und daß sich ganze Ortsgruppen und Wahlkreisorganisationen der SPD an die USPD anschlössen. Luise Zietz und Dittmann forderten Reichpietsch auf, er solle nur so weitermachen. 138 Luise Zietz sagte dabei, 136 Die nächsten Wochen beweisen, daß Reichpietsch dies tatsächlich der Unterredung mit D i t t m a n n entnommen h a t t e . i » Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 223. 137 E b e n d a , Bd. 9/1, S. 36. Die Richter gaben sich später große Mühe, gerade den Anlaß dieses Ausrufes von Luise Zietz zu erfragen. Dennoch blieb ungeklärt, ob in diesem Zusammenhang bereits von einer Matrosenorganisation bzw. von der Selbsthilfe der Mannschaft die Rede war. E s kann möglich sein, daß Luise Zietz diesen Ausruf aus Freude t a t über die politischen Diskussionen, über das zahlreiche Interesse f ü r die „Leipziger Volkszeitung" und über die Tatsache, d a ß auf den Schiffen Mannschaften m i t der U S P D sympathisierten. Luise Zietz mag vielleicht auch d a r a n gedacht haben, d a ß die U S P D selbst in einem Arbeiterort wie Wilhelmshaven außer dem Werftschreiber Büdeler keine Parteimitglieder besaß. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 371.) Sehr interessant ist, d a ß der sonst in seinen Behauptungen sehr vorsichtige und sich meist auf Beweise stützende Oberreichsanwalt Zweigert hier b e h a u p t e t , „ F r a u Zietz habe sich sehr erfreut darüber gezeigt, d a ß eine solche Organisation bestände." (Ebenda, Bd. 9/1, S. 213.) 138 D i t t m a n n gab zu, daß eine ähnliche Redewendung gefallen sein mag. Sie sei aber in dem Sinne gemeint gewesen, d a ß f ü r die Anschauungen der U S P D in ruhiger, besonnener Weise agitiert werden sollte. E r h ä t t e keinen Anlaß anzunehmen, „ d a ß Reichpietsch etwas anderes darunter verstanden h a t , insbesondere etwa Durchsetzung unserer Friedensziele durch Gehorsamsverweigerung bei Heer und F l o t t e . " D a m i t entfällt die Bekundung von Hugo Haase, d a ß eine derartige Äußerung nicht gefallensei. (Deutsches Zentralarchiv, P o t s d a m ; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 420/421.)
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Reichpietsch möge in Wilhelmshaven auf die Gründung einer Ortsgruppe der USPD hinwirken.139 Wahrscheinlich haben Dittmann und Luise Zietz im Beisein von Reichpietsch noch Vermutungen darüber ausgetauscht, ob die USPD an Mitgliedern bereits stärker sei als die SPD und darüber, wie wichtig das für die Stimmenverteilung auf der Stockholmer Konferenz sei. Deshalb wollten sie die wirkliche zahlenmäßige Stärke der USPD in den Ortsgruppen ermitteln lassen. Im Zusammenhang damit werden sie sich auch über die Bedeutung dieser Konferenz für den Frieden sowie über die Teilnahme Dittmanns unterhalten h a b e n . 1 4 0 Dabei müssen sie davon gesprochen haben, daß neue große Arbeiterstreiks bevorstünden, 1 4 1 und diese als Kampfmittel für den Frieden anerkannt h a b e n . 1 4 2 Dittmann forderte Reichpietsch auf, die Beschwerden aufzuschreiben und diese dem Abgeordneten Vogtherr als dem Marinesachverständigen der USPD zu übergeben. 1 4 3 Dittmann gab Reichpietsch dann noch ein Schreiben an Sens m i t . 1 4 4 Reichpietsch wurde danach zum Parteikassierer Herbst geschickt, um mit diesem seine eigene Aufnahme als Parteimitglied zu k l ä r e n . 1 4 5 Herbst nahm Reichpietsch in die Partei auf, was Reichpietsch zu bescheinigen bat. Reichpietsch klagte auch hier über schlechte Verpflegung und Behandlung und wünschte sozialdemokratischen Lesestoff. Herbst versprach, an noch näher anzugebende Adressen das Berliner Mitteilungsblatt zu schicken. 1 4 6 Er händigte Reichpietsch 30 Aufnahmescheine aus und sicherte für Marineangehörige freien Eintritt z u . 1 4 7 W a s konnte Reichpietsch aus der gesamten Unterhaltung in der Zentrale der USPD schlußfolgern: 1. Die Führung der USPD w a r an einer zahlenmäßig genauen Feststellung der Mitgliederzahl interessiert. 2. Hinsichtlich der Herbeiführung des Friedens setzte sie große Hoffnungen auf die Stockholmer Konferenz. 3. Sie billigte und unterstützte Arbeiterstreiks als Kampfmittel für die Herbeiführung des Friedens. Ebenda, Bl. 393. Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. 0-, Bd. 9/1, S. 213. Darauf deutet auch der Ausspruch Reichpietschs, den er nach seiner Rückkehr immer wieder verwandte: Die Mannschaften sollten „vertrauensvoll nach Stockholm blicken." (Ebenda, Bd. 9/1, S. 215.) 141 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 391. 142 Darauf deuten die späteren Reden von Reichpietsch über den Flottenstreik hin, besonders gegenüber Sens. 143 ygi D a s Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 201. 144 Dittmann stritt ab, Reichpietsch ein besonderes Empfehlungsschreiben übergeben zu haben. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 204.) Sens gab zu, daß Reichpietsch ihm einen Brief Dittmanns vorgezeigt hätte. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 350.) 146 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 223. 148 Ebenda, Bd. 9/1, S. 224/225. 147 Ebenda, Bd. 9/1, S. 214. Reichpietsch soll Herbst auch ,,von der ,Organisation' auf der Flotte erzählt haben". 139
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4. Sie begrüßte die revolutionären Regungen auf den Schiffen und deren Ausbreitung. 5. Sie forderte ihn auf, sich an der Gründung einer Ortsgruppe in Wilhelmshaven zu beteiligen. Reichpietsch konnte diese Besprechungen als eine Bestätigung und als eine Unterstützung der bisherigen Arbeit werten, die sogar mit der Aufforderung zu weiteren Taten verbunden wurde. Einige Tage später w a r Reichpietsch nochmals im Büro der USPD und wurde von dort in den Reichstag geschickt. Im Fraktionszimmer der USPD traf er Haase, Dittmann und Vogtherr. 1 4 8 Nochmals beklagte er sich bitter über die Zustände bei der Marine und übergab Vogtherr die aufgezeichneten Beschwerden. Er berichtete von der großen Erbitterung und starken Unzufriedenheit unter den Mannschaften. Besonders hob er den Mangel an geistiger Anregung hervor. Zur Zeit würden die Zeitungen der USPD in großer Anzahl abonniert und eifrig gelesen. Diese gäben ihnen viel Anregungen. Zu ihrer Weiterbildung würden sie an Land politische Versammlungen abhalten. „Zu diesem Zweck wäre es ihm erwünscht, Literatur zu haben." 1 4 9 Obwohl Haase die politischen Unterhaltungen als erlaubt betrachtete, rieten er und Vogtherr zur Vorsicht, 1 5 0 weil „sich einer oder der andere aus Unbeholfenheit oder durch sein Temperament zu einer unbedachten, ihm schädlichen Äußerung hinreißen lassen könnte". 1 5 1 Dittmann betonte, daß es sich namentlich bei den Versammlungen um eine besonders gefährliche und gewagte Sache handele, und riet deshalb ebenfalls nochmals zur Vorsicht. 1 5 2 Den Bachmann-Befehl erklärte Vogtherr hingegen für unberechtigt, ohne daß seitens der anderen Abgeordneten Einspruch erfolgte. 1 5 3 Dittmann unterstützte Vogtherr sogar, indem er feststellte, daß das Zeitungslesen nicht verboten werden könne, da es in Heer und Flotte allgemein erlaubt sei. Er mahnte aber auch hier wiederum zur Vorsicht. 1 5 4 Vogtherr übergab Reichpietsch etwa zehn bis zwanzig Broschüren. 1 5 5 Die Abgeordneten warnten Reichpietsch davor, etwas zu unternehmen. 1 5 6 Ebenda, Bd. 9/1, S. 213. Angeblich sollen ihn die Abgeordneten hier zu einer Konferenz erwartet haben. Dies erscheint aber kaum glaubhaft. Auch Zweigert bezeichnet es als ein zufälliges Zusammentreffen. 149 Hugo Haase am 9. Oktober 1917 in der Rede vor dem Reichstag. (Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 5, S. 3786.) 150 Ebenda, S. 3786. 151 Das Werk des Untersuchungsausschusses . .., a. a. O., Bd. 9/1, S. 224. 162 Ebenda, Bd. 9/1, S. 213. 153 Ebenda, Bd. 9/1, S. 216. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 390. 154 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 9/1, S. 224. 165 Ebenda, Bd. 9/1, S. 224. Es handelt sich hier um Parteiwerbeschriften, wahrscheinlich Reichstagsreden Hugo Haases aus dem Jahre 1916. 158 In dieser Besprechung wurden nicht erörtert: Flottenorganisation, Gehorsamsverweigerung, Beitritt zur USPD und Aufstellung von Mitgliederlisten. Die Angaben des ehe148
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Ihre ganze Argumentation lief also darauf hinaus, die M a n n s c h a f t e n vor Aktionen zu warnen u n d sie a n das parlamentarische Vorgehen zu binden. Weil das aber ebenso fein u n d unauffällig angebracht wurde, hörte Reichpietsch i m m e r wieder W a r n u n g e n heraus. Diese faßte er eher noch als A u f m u n t e r u n g auf u n d w u r d e darin durch andere H a n d l u n g e n u n d Aussagen der F ü h r e r der U S P D noch bestärkt. Vogtherr forderte Reichpietsch auf, ihn nochmals im Reichstag aufzusuchen. Inzwischen sah er sich die Niederschrift an. 1 5 7 E r erörterte mit Reichpietsch die Verhältnisse auf „Friedrich der Große" u n d k a m dabei auch auf die Verhältnisse im allgemeinen zu sprechen. 1 5 8 E r forderte Reichpietsch auf, weiter über Vorkommnisse a n Bord zu berichten. 1 5 9
2. Weitere
Versuche,
enge Verbindungen
mit der Führung
der USPD
herzustellen
Wenige S t u n d e n nach Reichpietschs R ü c k k e h r f u h r Sachse auf Urlaub. 1 6 0 E r benutzte ihn, u m Anfang Juli — etwa a m 2. Juli — 1 6 1 den Abgeordneten D i t t m a n n im Reichstag aufzusuchen. Zuvor hatte Sachse im Büro der U S P D Aufnahmescheine f ü r die U S P D abgegeben. 1 6 2 Bei D i t t m a n n berief sich Sachse auf den Brief, den Reichpietsch m i t g e n o m m e n hatte, worauf D i t t m a n n ihn freundlich begrüßte. Sachse teilte mit, daß er im Büro Aufnahmescheine abgegeben habe. E r äußerte seinen U n m u t ü b e r die Verhältnisse a n Bord u n d erkundigte sich nach den Friedensaussichten. 1 6 3 Die Kernfrage der Unterredung w a r auch f ü r ihn, ob die F o r d e r u n g nach Menagekommissionen der M a n n s c h a f t e n berechtigt sei. 1 6 4 D i t t m a n n erklärte ihm dasselbe, was er zu Reichpietsch gesagt hatte, nämlich, d a ß politische Versammlungen u n d das Lesen der Presse der U S P D gesetzlich zulässig seien. Gleichzeitig versuchte D i t t m a n n zu bemaligen hauptverantwortlichen Marinekriegsgerichtsrates Dr. Dobring im Münchener Dolch stoßprozeß entbehren genauer Tatsachenkenntnis. E r bringt die Ereignisse bei den beiden Besuchen völlig durcheinander. (Der Dolchstoßprozeß in München, Oktober bis November 1925. Eine Ehrenrettung des deutschen Volkes. Zeugen- und Sachverständigenaussagen. Eine Sammlung von Dokumenten, München 1925, S. 61.) 157 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. 0 . , Bd. 9/1, S. 213. 158 y g i di e Rede von Vogtherr am 9. Oktober 1917 im Reichstag. (Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 5, S. 3786.) 169 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 213. Vogtherr gab im Reichstag sogar an, wiederholt mit Reichpietsch gesprochen zu haben. (Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 5, S. 3786.) 160 Sachse f u h r am 23. J u n i in Urlaub. (Deutsches Zentralarchiv, P o t s d a m ; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 390.) 161 Ebenda, Bl. 127. Der Besuch geschah demnach wahrscheinlich auf der Rückfahrt. 162 Ebenda, Bl. 148. Sachse hat die Scheine nicht Dittmann übergeben, wie Zweigert feststellte. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0 . , Bd. 9/1, S. 225.) 163 Ebenda, Bd. 9/1, S. 35. 164 Ebenda, Bd. 9/II, S. 238 (Aussage von Sachse). Bekanntlich wurde zu dieser Zeit gerade heftig um die Menagekommissionen gekämpft.
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und mahnte zur Vorsicht. 166 Die nächste wichtige Frage betraf die Beschaffung von Literatur. Sachse berichtete, daß Dittmanns Broschüre über den Belagerungszustand „reißenden Absatz" fände. 1 6 7 Dittmann fragte, ob es ihm lieber wäre, wenn die Sendungen nicht an Bord, sondern an eine Landadresse geschickt würden. Hierbei teilte er mit, daß eine kostenlose Lieferung von Broschüren nicht möglich sei. 168 Im ganzen ist die Unterredung nur sehr kurz gewesen und hat etwa 5 bis 10 Minuten gedauert. 169 165
Die Unterredung bestätigte im wesentlichen die Mitteilungen, die Reichpietsch den Matrosen von seinen Gesprächen gemacht hatte. Sachse war sehr über die Art der Unterredung enttäuscht. E r vermißte, daß Dittmann ihn als Parteigenossen behandelte und sich z. B. nach dem Stand der Organisation erkundigte. 170 Als Sachse zurückkam, sollen die Besuche bei der Führung der U S P D in einer erweiterten Sitzung der zentralen Flottenleitung ausgewertet worden sein. Zu ihr wurden Funktionäre der zwei Linienschiffsgeschwader eingeladen. 171 Hier entstand eine Auseinandersetzung zwischen Sachse und Reichpietsch. Es ist leider nicht festzustellen, was den Gegenstand der Meinungsverschiedenheiten bildete. Es könnte sich um die Rolle der USPD für die Flottenbewegung gehandelt haben. 1 7 2 Köbis war etwa zur gleichen Zeit wie Sachse nach Berlin auf Urlaub gefahren. E r hatte hier in der Wohnung eines gewissen Dr. Haase, nicht des Vorsitzenden der U S P D , 1 7 3 eine Unterredung mit mehreren Personen, unter denen sich Adolf Hoffmann befand. Köbis berichtete über die Lage auf den Schiffen. 1 7 4 Die Anwesenden warnten ihn vor Gewaltanwendungen und Streiks, wobei sie versuchten, ihn zu überreden, die Beschwerden an die Abgeordneten der U S P D zu schicken und ihnen dann
alles
Ebenda, Bd. 9/II, S. 238. Ebenda, Bd. 9/1, S. 206. 167 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 148. 168 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 206. Sachse gab an, daß Dittmann deswegen bereits einen Brief an Reichpietsch geschrieben hätte. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 148.) Das übernahm auch Zweigert (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 225), obwohl Dittmann es bestritt. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 206.) 169 Ebenda, Bd. 9/II, S. 239 (Aussage von Sachse). Ebenda, Bd. 9/1, S. 34/35. Dittmann war im Haushaltsausschuß als Redner angemeldet und hatte es deshalb eilig, wegzukommen. (Ebenda, Bd. 9 / I I , S. 236.) 1 , 0 Ebenda, Bd. 9/II, S. 247 (Aussage von Sachse). Über Organisation scheint daher gar nicht gesprochen worden zu sein. 171 Ebenda, Bd. 9/II, S. 247/248 (Aussage von Sachse). Sachse gibt bereits für diesen Zeitpunkt an, daß eine Flottenzentrale, d. h. eine zentrale Leitung der Mannschaftsbewegung, bestanden hätte. M. E. begann sich das erst zu bilden. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Besprechung, an der derselbe Personenkreis teilnahm, der später die Rolle der Flottenzentrale übernahm. 172 Dazu würde die Äußerung Sachses passen: „Ich bin damit nicht einverstanden; ich habe mir die Dinge anders gedacht." (Ebenda, Bd. 9/II, S. 247/248.) 173 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 442. 174 Ebenda Bl. 436/437. 165
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weitere zu überlassen. 175 Die Mannschaften sollten „sich vor Gewaltanwendung, Arbeitsverweigerung und dergleichen hüten, das schade der Sache nur, die Frucht müsse langsam reifen". 1 7 6 Köbis erhielt von HofTmann und dem Parteikassierer Herbst „dauernd" sozialistische Broschüren zugesandt. 177 Außerdem hatten noch drei Angehörige der Besatzung von „Prinzregent" an Hoffmann wegen ihres Eintritts in die USPD geschrieben. Hoffmann billigte das Vorhaben und schickte ihnen eine Anzahl Aufnahmescheine. 178
3. Die persönlichen Verbindungen der Matrosen mit der Führung Darstellung der bürgerlichen Geschichtsliteratur
der USPD in der
Die persönlichen Verbindungen der Matrosen mit der Führung der USPD haben für die Bewegung eine entscheidende Rolle gespielt. Das ist unter anderem auch aus der bürgerlichen Geschichtsliteratur zu erkennen. Die militärischen Experten, die bürgerlichen Historiker und die sozialdemokratischen Politiker beschäftigten sich ausführlich mit diesen Besuchen, insbesondere mit dem von Max Reichpietsch. Sie bemühten sich jedoch nicht, den realen Sachverhalt der Begegnungen aufzudecken, sondern zogen aus dem Quellenmaterial willkürlich nur die Stellen heraus, die ihren Absichten entsprachen. Nach den bornierten Kastenvorstellungen der Marineoffiziere war die Marine innerlich gesund. Daher wiederholten und verstärkten sie die Legende, daß die revolutionäre Flottenbewegung von außen angestiftet und geleitet worden sei. Wie hätten denn auch die „Leute" imstande sein können, eine solche Bewegung aus eigenem hervorzubringen? In dieser Argumentation drückt sich die Überheblichkeit der Offizierskaste aus. Dazu gesellte sich ein blindwütiger Haß gegen alles Revolutionäre, das sie damals unter dem Begriff USPD zusammenfaßten. Stolz, solch ein anscheinend augenfälliges Material gegen die USPD gefunden zu haben, benutzten die Marineoffiziere die Verbindung von Reichpietsch zur USPD und die nachgewiesene Literatur der USPD in der Bewegung als Hauptkettenglied ihres „Beweises" für die Schuld der Führung der USPD. Die Marineoffiziere waren weder fähig, die wirkliche Rolle der USPD zu begreifen, noch vermochten sie den Sinn der Ereignisse zu erkennen. Im Gegenteil, sie verfälschten bewußt die Tatsachen und Zusammen1;s
Ebenda, Bl. 442. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 273 (Aussage von Beckers). 176 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 437. Köbis soll von Luise Zietz eine Deckadresse erhalten haben, an die die Berichte über Mißstände gerichtet werden sollten. Dies wurde jedoch von Luise Zietz bestritten. (Ebenda, Bl. 436/437.) Adolf Hoffmann soll Köbis Literatur empfohlen haben. (Ebenda, Bl. 395.) 1,7 Ebenda, Bl. 150. 178 Ebenda, Bl. 150.
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hänge. Das gilt z. B. f ü r die Schilderung der Menagekommission 1 7 9 und der Unterschriftensammlung 1 8 0 bei Brüninghaus sowie f ü r die Angaben des Admirals von Trotha über die Bildung einer Ortsgruppe der USPD in Wilhelmshaven zur Unterstützung von Reichpietsch. 181 Damit boten sie Dittmann f ü r seine Polemik vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß eine gute Handhabe. Ihm fiel es relativ leicht, ihre Darstellungen mit den tatsächlichen Vorkommnissen zu vergleichen und glänzend zu widerlegen. Dafür bemühte sich Dittmann bei der Darstellung der Mannschaftbewegung um so mehr, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. Seine Angaben über Wahl und Tätigkeit der Menagekommission stützen nur die Legende von der unpolitischen, auf wirtschaftliche Fragen beschränkt gewesenen Bewegung. Dabei vermengt er völlig die nebeneinander bestehenden Einrichtungen des Vertrauensmännersystems und der Menagekommissionen. Volkmann läßt sich in seiner kurzen Darstellung nicht auf Einzelheiten ein. Durch das Wort „eigentlich" bereitet er aber die Schlußfolgerungen über die Schuld der Führung der USPD vor. 1 8 2 Heinrich Neu hebt besonders die neuen Gedanken hervor, die Reichpietsch mitbrachte, und legt den Gesamtumfang der Wirkung dar. Durch die Generalisierung der Vorgänge im Juli/August leidet allerdings die Zusammenfassung. Neu untersucht weder konkret die Ausbreitungsmöglichkeiten der Bewegung, noch vermag er, die Vorgänge am 25. und 26. Juli richtig zu übersehen und einzuordnen. 183 179
Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 148. Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 150. isi Vgl. ,,Süddeutsche Monatshefte", herausgegeben von Prof. Coßmann, München. April 1924, 1. Dolchstoßheft, S. 52. 182 Erich Otto Volkmann: a. a. 0., S. 176/177. 183 Vgl. Heinrich Neu: a. a. O., S. 19, 24, 29. Mit den Vorgängen am 25. und 26. Juli sind die Mannschaftsversammlungen im „Tivoli" gemeint. 180
KAPITEL
DER
AUFBAU
IV
ILLEGALER
SCHAFTSORGANISATIONEN DER
REVOLUTIONÄRER UND
M E N A G E K O M M I S S I O N EN
(JUNI/JULI
1. Die Tätigkeit
DIE IM
MANN-
DURCHSETZUNG IV.
GESCHWADER
1917)
von Max Reichpietsch
zur Ausdehnung
der
Bewegung
Sofort nach seiner Rückkehr an Bord entfaltete Reichpietsch eine äußerst rege Aufklärungs-, Werbe- und Organisationstätigkeit unter den Mannschaften von „Friedrich der Große" und anderen Schiffen. 1 8 4 Er stellte die Rolle der U S P D in den Vordergrund der Diskussion und forderte auf, sie zu unterstützen und für sie zu werben. Hierbei entwickelte er sich zum führenden Agitator und Organisator der entstehenden revolutionären Mannschaftsbewegung. Einen Tag nach der Rückkehr unterrichtete Reichpietsch die engsten Vertrauten Sachse, Müller, Weber, wahrscheinlich auch Steilemann 185 , über seine Berliner Unter184
Dabei kamen die mitgebrachten 400 Broschüren sehr zustatten. E s handelt sich um Reichstagsreden von Haase und D i t t m a n n sowie um etwa 20 Mitteilungsblätter der U S P D über den Prozeß gegen Adler. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 390.) Dittmann bestritt, einen solch großen Posten Broschüren Reichpietsch mitgegeben zu haben. Nach seinen Angaben h a t t e die Leipziger Druckerei etwa 500 Broschüren — Reichstagsreden Dittmanns •— in das Büro der U S P D geschickt. Diese wurden jeweils nur in kleinerer Anzahl abgegeben. Es war etwa noch die Hälfte im Büro vorhanden, als Reichpietsch Dittmann aufsuchte. Größere Bestellungen wurden nur von der Druckerei erledigt. D i t t m a n n hielt es f ü r möglich, daß Reichpietsch nach seinem ersten Besuch im Zentralbüro der U S P D sich Broschüren h a t in die Wohnung oder nach Wilhelmshaven schicken lassen. Dabei könne er •— D i t t m a n n — durch Angaben von Titeln und Bezugsquellen der Flugblätter Reichpietsch unterstützt und unter Umständen sogar f ü r diesen die Bestellung ausgeführt haben. (Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 9/1, S. 202/203.) 186 Deutsches Zentralarchiv, P o t s d a m ; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 461.
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redungen. 186 Er habe Dittmann, Vogtherr und anderen Abgeordneten der USPD von dem großen Leserkreis der „Leipziger Volkszeitung" und den Versammlungen mit politischen Diskussionen erzählt. Die Abgeordneten wären „sprachlos" gewesen, „daß solche Zusammenrottungen' politischer Art an Bord von S. M.-Schiflen möglich seien" und hätten zur Vorsicht gemahnt. 187 Außerdem soll über den Frieden ohne Annexion und Entschädigungen sowie über die Stockholmer Konferenz gesprochen worden sein, wobei Reichpietsch ausdrücklich forderte, „Mitglieder unter den Flottenangehörigen in möglichst großem Maßstab zu gewinnen, damit die Abgeordneten in der Lage seien, diese Namen auf der Stockholmer Konferenz dahin zu verwerten, daß es diejenigen Soldaten seien, die hinter dem Programm der USPD: .Frieden ohne Annexion und Entschädigung', ständen". 188 Hierbei soll Dittmann gesagt haben, „wir (d. h. die Mannschaften — H. B.) sollten vertrauensvoll nach Stockholm blicken". 189 Wahrscheinlich wird Reichpietsch dabei auch auf die Gewaltanwendung zur Erreichung des Friedens hingewiesen haben, denn darüber entspann sich eine heftige Diskussion zwischen ihm, Sachse und Weber. Reichpietsch berief sich darauf, „daß die Abgeordneten Gewaltanwendung zur Erreichung des Friedens ihm gegenüber gebilligt hätten". 190 Reichpietsch versuchte, weitere Kameraden zu gewinnen. So erzählte er dem Matrosen Höschele einige Tage später, daß er in Berlin mit Luise Zietz und einigen Abgeordneten gesprochen habe. Diese wären über die Mitgliedschaft von Mannschaften in der USPD erfreut und hätten Hilfe in Aussicht gestellt. Das Zeitungsverbot hätten sie für unberechtigt erklärt. 191 186 Einer der Anwesenden war Georg Schmidt, ein guter Bekannter von Reichpietsch. Beide betrieben im Interesse ihrer Kameraden einen schwunghaften Zigarettenhande. Nach Schmidts Aussagen soll die Unterredung in der Vorbatterie stattgefunden haben. Etwa sieben bis acht Mann nahmen an ihr teil. (Das Werk des Untersuchungsausschusses a. a. O., Bd. 10/1, S. 308.) Ebenda, Bd. 10/1, S. 308. Nach Auffassung von Schmidt soll sich diese Warnung auf die ganze Beschäftigung von Marineangehörigen mit der USPD beziehen. Nach Aussagen Webers habe Reichpietsch über eine längere Unterredung mit Dittmann, Haase und Vogtherr berichtet, die im Fraktionszimmer der USPD stattfand. (Ebenda, Bd. 9/1, S. 131.) 188 Ebenda, Bd. 9/1, S. 131. 189 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 391. Sachse und Weber haben diese Angaben, die sich zweifellos ergänzen, unabhängig voneinander und obendrein vor verschiedenen Gremien gemacht. Das spricht unbedingt für deren Richtigkeit. 190 Ebenda, Bl. 461. Diese Behauptung zieht sich von nun an wie ein roter Faden durch die gesamte Agitation von Reichpietsch. Sachse berichtet an anderer Stelle, Reichpietsch hätte behauptet, „daß er diese Ziele unter völliger Billigung der Berliner Abgeordneten aufstelle, denen diese Ziele bekannt seien". ,,Die Gewaltanwendung ist zulässig; die USPD billigt das, ich habe das ausdrücklich bei meiner Zusammenkunft in Berlin gehört." (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/1, S. 128.) 1,1 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 384. Die Abgeordneten hätten Reichpietsch versichert, „sie würden sich für uns ins Zeug legen". (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 129.) Zu beachten ist, daß Reichpietsch sich mit Höschele nicht einmal besonders gut stand.
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Reichpietseh wandte sich auch an die Kameraden anderer Schiffe und berichtete über seine Besprechungen in Berlin. So traf er sich noch während des Kieler Aufenthalts öfter mit Köbis und Beckers. In den Gesprächen „wurde das, was Reichpietsch in Berlin von den Abgeordneten gehört haben wollte, immer mehr". 1 9 2 In diesem Zusammenhang taucht tatsächlich in Beckers Aussagen über die Berichte von Reichpietsch ein neues Moment auf: Reichpietsch habe den Abgeordneten auch von einer Gruppenentwicklung auf verschiedenen Schiffen erzählt. 193 In den Unterhaltungen mit Köbis und Beckers warb Reichpietsch für eine Zusammenarbeit mit der USPD. Seine Losung war: „Durch die Partei für den Frieden." 1 9 4 Beckers will daraus „den Eindruck gewonnen haben, daß es der USPD angenehm sein würde, wenn sich die Flotte an einem etwaigen Generalstreik beteiligte". 195 Beckers und Köbis wurden durch die Besprechungen in ihren Plänen zur Bildung eines „Soldatenbundes" auf „Prinzregent" ermuntert. Nach der Rückverlegung des Geschwaders nach Wilhelmshaven dehnte Reichpietsch in der zweiten Julihälfte seine Werbetätigkeit auf die Kameraden weiterer Schiffe aus und trat an Bräuner und Dahn von „Kaiserin" (IV. Geschwader) und Calmus von „Rheinland" (I. Geschwader) heran. 1 9 6 Diesen Unterredungen und Besprechungen wohnten oft Sachse und Weber bei. Da Reichpietsch in den Diskussionen sehr stark vorwärtsdrängte, entstand manchmal bei ihnen der Eindruck, daß Reichpietsch sie nicht richtig über seine Berliner Unterredung unterrichtet habe. So traten bei Sachse, der anfänglich den Erzählungen von Reichpietsch vollen Glauben schenkte, schließlich doch gelegentlich Zweifel auf, besonders darüber, ob in Berlin über den Flottenstreik als Mittel zur Erzwingung des Friedens gesprochen worden sei. Sachse gewann den Eindruck, „als ob er sich als Eingeweihter und als Mittelsmann zwischen uns und der USPD fühle". 1 9 7 192
Ebenda, Bd. 9/1, S. 217. Ebenda, Bd. 9/1, S. 219. Beckers verstand unter Gruppenentwicklung Bestellung von Vertrauensleuten in den einzelnen Wachen und Divisionen, „welche die BeschaSung von Parteilektüre der USPD besorgen und auch bei den Menageangelegenheiten sorgen sollten." (Ebenda, Bd. 9/1, S. 219 und Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 436.) 194 Hans Beckers: a. a. 0., S. 23. Beckers gibt an, daß viele Mannschaften, die mit der USPD sympathisierten, zu Reichpietsch standen. 196 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/1, S. 219. 196 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S.218; Bd. 10/1, S. 307/308; Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 124/126. 197 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 389. Diese Angaben von Sachse müssen zunächst unter zwei Gesichtspunkten gesehen werden: Einmal wurden sie vor dem Untersuchungsrichter gemacht, wobei Sachse versuchte, seine Rolle abzuschwächen. Zum anderen können sie von einem Gefühl des Neides gegen den immer mehr hervortretenden Reichpietsch getragen sein. Bisher hatte Sachse in der Mannschaftsgruppe mit den Ton angegeben. Jetzt wurde Reichpietsch rasch populär und erlangte durch seine Aktivität und Initiative immer mehr eine führende Rolle . Reichpietsch entwickelte sich tatsächlich zu einem „zentralen Verbindungsmann" zwischen der USPD und der Flottenbewegung. 193
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Reichpietsch hat keine ausführliche zusammenhängende Darstellung seiner Berliner Unterredung gegeben. 198 Das änderte jedoch nichts daran, daß letztlich doch Reichpietsch das volle Vertrauen seiner Kameraden besaß. 199 Das Gefühl, daß die Partei in Berlin hinter ihnen stünde, wird die Mannschaften in ihrem Vertrauen zu Reichpietsch noch bestärkt haben. 2 0 0 Außerdem stärkte es ihr Machtbewußtsein und Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Bewegung erreichte jetzt eine neue Etappe ihrer Entwicklung. Diese wird gekennzeichnet durch die zielstrebige organisatorische Arbeit, durch die umfassende Werbung f ü r die USPD und durch die Verknüpfung der Bewegung mit der Propaganda f ü r die Stockholmer sozialistische Friedenskonferenz. Damit verbunden war die Propagierung des Generalstreiks der Flottenmannschaften, falls die Regierung sich den Beschlüssen dieser Konferenz zur sofortigen Herbeiführung des Friedens widersetzen sollte. 201 Die Bewegung erhielt damit den Charakter einer revolutionären Friedensbewegung der Mannschaften und konnte einen Sprung nach vorn zur bewußten Organisation tun. 2. Der Aufbau Große"
und die Festigung eines Vertrauensmännerkörpers
auf „Friedrich der
Bis zur Fühlungnahme mit der Zentrale der USPD in Berlin durch Reichpietsch „bestand eine eigentliche Organisation mit flottenfeindlichen Zielen nicht". 2 0 2 Wohl Ich halte dennoch diese bei Sachse, Weber und Beckers — aber auch bei dem revolutionären Matrosen Paul Calmus von „Rheinland" (vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 314) — auftauchende Unsicherheit in einem gewissen Sinn für charakteristisch für die ganze Mannschaftsbewegung. Sie zeigt, wie schwierig es war, ohne Unterstützung durch eine Organisation die Diskussion und die Bewegung der Mannschaft in die richtige Bahn zu lenken. 198 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 212. 199 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 217. 1927 äußerte sich Sachse vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstages nochmals zusammenfassend zur Tätigkeit von Max Reichpietsch. Er stellte eindeutig fest: „daß wir, soweit der Reichpietsch uns Mitteilungen gemacht hat, über Verbindungen, die er in Berlin mit den verschiedensten Vertretern der Parteien gehabt hat, geglaubt haben, daß Reichpietsch uns gegenüber ehrlich war und nichts übertrieben h a t . . ." (Ebenda, Bd. 9/II, S. 224.) Es ist interessant, daß Sachse rückblickend erklärte: daß Reichpietsch „sich nie irgendwelche Überhebungen geleistet" hat. (Ebenda, Bd. 9/II, S. 248.) Weiterhin: „Wenn ich mir die Sache überlege, so möchte ich doch dem Reichpietsch auch heute (1926 — H. B.) noch glauben, daß er tatsächlich in Berlin von einem Abgeordneten gehört hat, der Flottenstreik sei als Friedenserzwingungsmittel zulässig." (Ebenda, Bd. 9/1, S. 217.) 200 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 341. Auch Neu gelangt zu der Feststellung, „die Matrosen haben denn auch keinen Zweifel dareingesetzt, daß seine Ausführungen über den Zusammenhang der USPD mit der Bewegung den Tatsachen entsprächen". (Heinrich Neu: a. a. O., S. 28.) 201 Vgl. Heinrich Neu: a. a. 0., S. 24. 202 Aussage Sachses, zitiert in: War es die Marine? Herausgegeben vom Verein ehemaliger Matrosen der kaiserlichen und der Reichsmarine Berlin, Berlin (1926), S. 79.
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bestanden auf einigen Schiffen schon mehr oder weniger lose Gruppen und Gemeinschaften von Gesinnungsgenossen und Vertrauten. Auf „Friedrich der Große" hatte eine solche Gruppe bereits begonnen, durch Heranziehung von Sympathisierenden in verschiedenen Wachen und Divisionen Einfluß zu erlangen und durch Festlegung einzelner Vertrauensleute die Ansätze für eine gegliederte und festgefügte Organisation zu schaffen. Im J u n i begann die Diskussion um die Menagekommission und der Kampf um ihre Durchsetzung auf den Schiifen die Mannschaften in Bewegung zu bringen. Noch fehlte aber ein festgegliedertes, weitverzweigtes und zentral geleitetes Netz von Vertrauensleuten. Die Bewegung für die Menagekommissionen beschränkte sich natürlich nicht auf „Friedrich der Große". Die Diskussionen unter den Mannschaften festigten den Zusammenhalt und den Zusammenschluß. In Anlehnung an die revolutionären Matrosen von „Friedrich der Große" bildete sich auch auf „Prinzregent" ein Kreis gleichgesinnter Mannschaften. Es galt, einen festen Kern zu schaffen, von dem aus die gesamte Mannschaftsbewegung in Gang gebracht und organisiert werden konnte. Die besten Voraussetzungen hierfür bot die Gruppe auf „Friedrich der Große". Dabei kam es darauf an, die politische Tätigkeit eng mit der organisatorischen zu verbinden, d. h. gleichzeitig mit der Werbung für die USPD und ihre Presse einen Vertrauensmännerkörper aufzubauen. Am 2. Juli wurde auf „Friedrich der Große" ein Flugblatt herausgegeben, das zur Unterstützung der Pressewerbung bestimmt war und für die neue Stufe der Organisationstätigkeit zeugte. Die Argumentation des Flugblattes war sehr überzeugend und ganz auf die Denkweise der Mannschaften eingestellt. Es verwies unverkennbar auf die diesbezüglichen Unterredungen Reichpietschs in Berlin, so daß man es ihm oder einem seiner engsten Vertrauten — in gewissem Sinn einem organisierenden Zentrum — zuschreiben darf. „Ihr verlangt Klarheit über den Krieg, und man verbietet Euch das Lesen sozialistischer Zeitungen. Wo aber wollt Ihr anders die Wahrheit über den Krieg erfahren, als aus Eurer Arbeiterzeitung?" 2 0 3 Bei und mit der Werbung und Gewinnung neuer Abonnenten und Mitglieder suchten Reichpietsch und seine Freunde in den einzelnen Divisionen und Wachen Vertrauensmänner der U S P D . 2 0 4 Damit schufen sie ein weitverzweigtes Vertrauensmännersystem, welches sich von unten nach oben aufbaute und das die Grundlage für eine politische Organisation — eine illegale Parteigruppe — hätte abgeben können. Zweigert stellt als Ergebnis seiner Untersuchungen — nach den übereinstimmenden Aussagen von Sachse, Weber, Beckers — fest, ,,eine förmliche Organisation, d. h. einen festen, unter einer bestimmten Leitung stehenden Zusammenschluß von Matrosen oder Heizern, gab es zu jener Zeit noch nicht". (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 230). 203 Ebenda, Bd. 9/II, S. 442. 204 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 390. Sachse gab an, daß dies während seines Urlaubs geschehen sei. (Ebenda, Bl. 385.)
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Mitte Juli bestand bereits eine Organisation mit einer Schiffszentrale. 205 Reichpietsch, Sachse und Weber scheinen in dieser Zentrale die wichtigst« Rolle gespielt und Franz Müller und Steilemann zu ihren engsten Vertrauten gezählt zu haben. Diese Mitglieder der Schiffszentrale von „Friedrich der Große" haben in der gesamten Flottenbewegung eine entscheidende Rolle gespielt. Reichpietsch und seine Freunde verbanden die Festigung und den Ausbau der Organisation mit dem Kampf um die Menagekommission. 206 Dies war die erste Aufgabe für die Vertrauensleute der USPD in den Wachen und Divisionen und zugleich ihre Bewährungsprobe hinsichtlich ihrer Aktivität und Stärke. Hier mußte sich zeigen, ob die Vertrauensleute der USPD bei den Heizern und Matrosen ihrer Wachen und Divisionen genug Vertrauen besaßen und sich durchzusetzen vermochten. Die Vertrauensleute und die übrigen Anhänger der Bewegung trafen sich ständig zur gegenseitigen Untenlichtung. Ihr Kreis wurde bald so groß, daß sie sich nach entsprechenden, für diesen Zweck geeigneten Räumen umsehen mußten. So sollen an manchen Matrosenversammlungen an Bord 60 bis 80 Matrosen teilgenommen haben. Nunmehr wurden die Versammlungen an Land verlegt, an solche Stellen, wo die Mannschaften ungestört im größeren Kreis ihre Meinung austauschen konnten, z. B. in die Werftanlagen von Wilhelmshaven. Da diese Versammlungen manchmal von 50 bis 100 Teilnehmern besucht wurden, genügten auch diese Verstecke bald nicht mehr. 207 Die beteiligten Mannschaften waren sich durchaus der „Pflichtwidrigkeit" und der Gefährlichkeit dieser Tätigkeit bewußt. Davon zeugt folgender Vorfall: In einer dieser Versammlungen wurde über eine verstärkte Werbung zur Gewinnung neuer Anhänger gesprochen. Hierbei wurden ängstliche Kameraden vor der Teilnahme an der organisierten Bewegung gewarnt. Die Sache könne ernst und gefahrvoll werden. Alle diejenigen sollten die Hände davon lassen, die nicht freiwillig mitmachen wollten und die nicht die Klappe halten könnten. 208
3. Der erste große Hungerstreik Menagekommission
auf „Friedrich
der Große" und die Durchsetzung
der
Der erste größere Erfolg der Aufklärung und Werbung zeigte sich schon nach wenigen Tagen. Anläßlich einer Nachtschießübung hatten die Mannschaften bereits Ebenda, Bl. 391. Beckers teilte mit, daß nach Reichpietschs Angaben bereits Mitte Juli auf „Friedrich der Große" eine Schiffszentrale, d. h. eine Leitung der revolutionären Mannschaftsbewegung auf dem Schiff, bestanden hätte. (Ebenda, Bl. 436.) 20« Ebenda, Bl. 390. 207 Dies traf besonders auf Kiel zu, wo die Verhältnisse weniger günstig als in Wilhelmshaven waren. Die Werftanlagen lagen vom Hafen weiter entfernt und konnten von den Werftbeamten und der Werftpolizei besser übersehen werden. Deshalb wählten die Mannschaften in Kiel oft das Düsterbrooker Gehölz als Versammlungsort, weil dieses in der Nähe des Hafens lag. (Nach Mitteilungen eines Teilnehmers.) 208 Nach Mitteilungen eines Teilnehmers. 205
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das Brot für den kommenden Tag aufgegessen. Sie forderten neues. Darüber erschrak zunächst der Wachoffizier sehr und versuchte, die Mannschaften damit zu beruhigen, daß alles erledigt werde. 2 0 9 Es wurde jedoch nur Kaffee ausgegeben. Da verweigerte mit einem Male die gesamte Mannschaft den Dienst. 210 Die Vorgesetzten schnallten um, was für die Mannschaften höchste Alarmstufe bedeutete. Trotzdem widersetzten sie sich und führten auch direkte Befehle nicht aus. An dieser Geschlossenheit zerbrach der Kastengeist der Herren Offiziere. Die Mannschaft erhielt Grützsuppe vorgesetzt. Als „Kompott" servierten die Offiziere die Kriegsartikel. 211 Die stille Arbeit der Vertrauensleute trug auch noch in anderer Beziehung Früchte. Offenbar unter dem Schock des geschlossenen Vorgehens der Mannschaften hat das Kommando auf „Friedrich der Große" nun anscheinend der Forderung, Menagekommissionen einzurichten, nachgegeben. Die Vertrauensleute besprachen sich über ihre Vorschläge und brachten diese in den einzelnen Wachen vor. Die Vorgeschlagenen wurden auch gewählt. 212 Es ist anzunehmen, daß die Organisation darauf bedacht war, in den Menagekommissionen auch selbst vertreten zu sein. Die Mannschaften wußten, wem sie diesen Erfolg verdankten. Daher fiel die Werbung von Reichpietsch, Sachse, Weber und ihren Anhängern für die USPD und deren Presse auf sehr fruchtbaren Boden. Die von Reichpietsch mitgebrachten 30 Aufnahmeformulare reichten bald nicht aus, so daß Sachse Mitte Juli dazu überging, Listen nach dem Schema der Aufnahmescheine herzustellen, in die sich diejenigen eintrugen, die der USPD beitreten wollten. 213 209
Es sollten 500 Mann achteraus gegangen sein. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 401.) Sachse datiert den Streik Mitte Juli, kurz vor der Abfahrt aus Kiel. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 385.) 210 Weber bekannte, daß die Dienstverweigerung gut funktionierte. Sicher war nicht nur er über dieses Funktionieren wie auch über den Umfang der Aktion überrascht. Alle Umstände sprechen hier dagegen, daß es sich um einen spontanen Vorgang gehandelt hätte. 211 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 401. Sachse gibt an, daß außerdem ein Schwabber gehißt worden sei. (Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 391.) Das teilte auch der Matrose Lotter dem Prälaten Leicht in einem Brief mit. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a.O., Bd. 9/II, S. 38.) 212 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 390. Außerdem hatte bereits der Staatssekretär des Reichsmariiieamtes am 20. Juni 1917 einen Erlaß herausgegeben, Menagekommissionen zu ernennen. Dem Erlaß ging ein Briefwechsel mit dem Flottenchef Admiral von Scheer voraus, in dem Staatssekretär von Capelle mitteilte, daß der Haushaltsausschuß des Reichstages der Marine diese Kommissionen aufgezwungen hätte. Die Durchführung dieses Beschlusses eines Organs des Reichstages bildete ein typisches Kapitel deutscher Parlamentsgeschichte im wilhelminischen Zeitalter. (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 7.) 213 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 391. Später brachte der Oberheizer Strahl nochmals 200 Aufnahmescheine aus Berlin mit.
Revolutionäre Friedensbewegung in der deutschen Hochseeflotte 1917 4. Die Unterstätzung der entstehenden Sekretär der USPD
Mannschaftsorganisation
131 durch den
Kieler
In dieser Zeit wandte sich Reichpietsch an den Vorsitzenden der USPD in Kiel, Sens, und bat um Unterstützung. Reichpietsch wies sich bei Sens durch ein Schreiben Dittmanns aus. 214 Natürlich besprach er mit Sens die Fragen, die ihm am Herzen lagen: Organisierung eines Vertrauensmännerkörpers, vielleicht auch den Aufbau von Schiffszentralen, 215 den Beitritt von Mannschaften zur USPD, 2 1 6 die Beschaffung von Agitationsmaterial und dessen Bezahlung. 217 Meist wohnte Sachse diesen Gesprächen bei. 218 Reichpietsch muß bald einen engen Kontakt mit Sens bekommen haben, denn er sandte seine Briefe an Dittmann mit neuen Literaturbestellungen über Sens und umging somit die Bord- und Festungszensur. 219 Mehrmals m u ß Reichpietsch auf den Beitritt von Marineangehörigen zu sprechen gekommen sein. Sens verhielt sich jedoch abweisend, nachdem er sich über die Meinung eines anderen Mitgliedes des Bezirksvorstandes der USPD namens Pallavicini informiert hatte. 220 Als Reichpietsch aber darauf bestand und auf Dittmann verwies, versprach Sens, sich beim Vorstand im Sinne der Mannschaft einzusetzen. Reichpietsch bemängelte noch die zu großen Mitgliedskarten der USPD, die f ü r die Mannschaften unzweckmäßig seien. Darauf willigte Sens sogar ein, für beitretende Mannschaften neue Mitgliedskarten drucken zu lassen. 221 Bezeichnend für das Wachstum und die politische Klärung der Bewegung ist, daß Reichpietsch Sens einlud, an einer Versammlung der Mannschaften von „Friedrich der Große" am 14. Juli teilzunehmen. Diese fand im Lokal Meilenstein in Kiel statt. Im Lokal Meilenstein waren etwa 150 Mann von „Friedrich der Große" anwesend. Reichpietsch berichtete von seinen Berliner Besprechungen und forderte zum Eintritt in die USPD und zu deren Unterstützung auf. Er verteilte dann das Flugblatt „Der Raub des Braunschweiger Volksfreundes". Auf den Tischen lagen Einzelaufnahmescheine der USPD, die von allen Anwesenden unterschrieben und Sens übergeben wurden. 2 2 2 Reichpietsch muß auf dieser Versammlung auch über die Wege zur Herbeiführung des Friedens gesprochen haben. Auf dem Heimweg entstand nämlich ein heftiger Wortwechsel zwischen Reichpietsch und Sens über die Berechtigung des Flottenstreiks. Sens erklärte Streiks der Zivilbevölkerung zur Erzwingung des Friedens für berechtigt, lehnte aber Heeres- und Flottenstreiks strikt ab. 2 2 3 Reichpietsch trat ihm schroff entgegen und behauptete, daß „seine Abmachungen mit dem Berliner Abgeord214
216 Ebenda, Bl. 350. Ebenda, Bl. 391. 217 Ebenda, Bl. 394. Ebenda, Bl. 392. 218 Ebenda, Bl. 391, 394, 395. Außerdem war Franz Müller mit bei Sens. Vor Gericht stellte er dies als zufällige Begegnung dar. (Ebenda, Bl. 463.) 219 220 Ebenda, Bl. 394. Ebenda, Bl. 394. Pallavicini hatte aus formalen statuarischen Gründen den Beitritt für unzulässig erklärt. 222 221 Ebenda, Bl. 395. Ebenda, Bl. 395. 222 Ebenda, Bl. 394. Reichpietsch erhielt am 14. Juli von Sens 75 Dittmann-Broschüren. (Ebenda, Bl. 394.) 216
9*
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neten im Gegenteil auf Generalstreik der Flotte zur Erzwingung des Friedens hinzielten . . .". 2 2 4 „Der Streik der Truppen zur Erzwingung des Friedens ist zulässig, die Berliner Abgordneten haben mir das selber gesagt." 2 2 5 Die Festigkeit und Schärfe, mit der Reichpietsch solche und ähnliche Behauptungen aufstellte, unterstützten bei den mitgehenden Kameraden die Glaubwürdigkeit dessen, was Reichpietsch über seine Berliner Unterredung vorbrachte. Die revolutionäre Arbeit an Bord ging weiter. Ihre Wirkungen sollten sich schon in wenigen Tagen zeigen.
5. Der Aufbau einer Vertrauensmännerorganisation Gründungsversammlung des „Soldatenbundes"
auf „Prinzregent
Luitpold".
Die
Der Aufschwung machte sich vor allem noch auf „Prinzregent Luitpold" bemerkbar. Zwischen „Prinzregent" — Beckers und Köbis — und „Friedrich der Große" — Reichpietsch, Sachse und Weber — bestanden enge persönliche Verbindungen. Sie waren von Beckers nach dem 6. Juni geknüpft worden und hatten sich ständig gefestigt. Nach Reichpietschs Rückkehr häuften sich die Besprechungen zwischen ihnen. Beckers kam auch mehrmals mit Sachse und Steilemann zusammen. 2 2 8 Die revolutionären Heizer von „Prinzregent" gewannen revolutionäre Perspektiven. Sie warben für die Friedensziele der USPD. Die Zahl der Leser von Zeitungen der USPD wuchs rasch. 2 2 7 Besonders steigerte sich das nach der Rückkehr von Reichpietsch. Jetzt ging man zu einer planmäßigen Werbung für die Presse der USPD über. Beckers wurde dabei allgemein als Vertrausmann anerkannt. Alle Mannschaften, die die „Leipziger Volkszeitung" bestellen wollten, wandten sich an ihn. E r regelte für sie Bestellung und Bezahlung. 2 2 8 Als Grund für das rasch wachsende Interesse an der Presse der USPD gab Beckers an: „Die frische und lebendige Sprache dieser Zeitungen, die eine Attacke nach der anderen gegen die nationalistische Meute ritten, berührte uns angenehm, das war Geist von dem Geiste, der uns damals beseelte!" 2 2 9 Es waren im wesentlichen die gleichen Dinge wie auf „Friedrich der Große", die die „Prinzregent"-Mannschaft in Wallung brachten. Durch die Vorkommisse im Juni und die folgenden Schikanen seitens der Offiziere, besonders des I. Offiziers, erhöhte sich die Spannung zusätzlich. 2 3 0 Die Erfahrungen des Hungerstreiks lehrten die revolutionären Heizer die Notwendigkeit eines gut funktionierenden Verbindungs224 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a . a. O., Bd. 10/1, S. 311 (Aussage von Sachse). 225 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 346. 22« Ebenda, Bl. 430 und in: Das Werk des Untersuchungsausschusses..., a . a . O . , Bd. 9/II, S. 270. 227 Hans Beckers: a. a. O., S. 29. 228 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 326 (Aussage von Beckers). Neben der „Leipziger Volkszeitung" wurden auch noch andere Zeitungen der USPD gelesen, die mehr lokal gebunden waren, z. B. Zeitungen aus Hof, Königsberg, Danzig, Schlesien. (Ebenda, Bd.9/II, S. 266.) 229 Hans Beckers: a. a. 0 . , S. 29. 230 Ebenda, S. 39.
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systems. 2 3 1 Die Kenntnisse von dem Aufbau und der Festigung einer solchen Organisation auf „Friedrich der Große" und die steigende Zahl der Leser der USPDZeitungen gab ihnen in ihrer Agitation einen gewaltigen Auftrieb und vermittelte gleichzeitig klare Vorstellungen über die notwendigen Kampfmittel, um ihre Forderungen durchzusetzen. Beckers und Köbis bauten auf „Prinzregent" eine Organisation auf, die der auf „Friedrich der Große" sehr ähnlich war. 2 3 2 In den einzelnen Wachen und Divisionen wurden Vertrauensmänner gewählt. Diese nahm Beckers aus der Reihe der Mannschaften, die der IJSPD zuneigten und deren Blätter lasen. 2 3 3 Die Organisation fußte auf den Vertrauensmännern der einzelnen Backschaften und Wachen; ihr Aufbau entsprach der militärischen Gliederung des Schiffes. Das Zwischenglied zu den Schiffsleitern bildeten in den einzelnen Divisionen die Zentralleiter. An der Spitze standen Beckers als Leiter des Äußeren und Köbis als Leiter des Inneren. Die Aufgabe dieser Organisation bestand darin, Mißstände aufzuklären, 2 3 4 die Dinge schnell weiterzugeben 2 3 5 und gegen Mißstände geschlossen aufzutreten. 2 3 6 Dabei sollten im einzelnen die Vertrauensleute die Beschaffung von Literatur der USPD f ü r ihren Kameradenkreis ordnen und in den Menageangelegenheiten mitwirken. 2 3 7 Der Leiter des Äußeren „hatte auch noch die Pflicht, auf anderen Schiffen f ü r uns zu agitieren". 2 3 8 Dieses Vertrauensmännersystem diente zunächst also vorwiegend als Kampfinstrument für die wirtschaftlichen Interessen — gewissermaßen als Ersatz f ü r die noch zu erzwingende Menagekommission. 2 3 9 Die Unzulänglichkeit der Zielsetzung für diese Organisation merkte Beckers wohl selbst und bemühte sich, ihr eine politische Bestimmung zu geben. In einem Flugblatt propagierte er den Zusammenschluß der Mannschaft zur Waffenniederlegung, wobei er deutlich die Spitze gegen den Militarismus richtete. 2 4 0 Anfang Juli fand in einem kleinen Lokal in Kiel281 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 269 (Aussage von Beckers). 232 Ebenda, Bd. 9/II, S. 268. 233 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 436. 234 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 268 (Aussage von Beckers). 235 238 Ebenda, Bd. 9/II, S. 276. Ebenda, Bd. 9/II, S. 268. 237 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 436. 238 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 268. 239 Das erklärt auch die verschiedentliehen Äußerungen Beckers, daß die politischen Ziele erst später gekommen wären (Ebenda, Bd. 9/II, S. 262), daß die politische Sache damit nichts zu tun habe (Ebenda, Bd. 9/II, S. 277) und daß Sachses Einfluß nicht bis in diese Organisation gereicht habe. (Ebenda, Bd. 9/II, S. 270.) Offensichtlich richtet sich dies gegen Sachses politischen Führungsanspruch, wie er ihn im „Anti-Nautikus" darlegt. Auf jeden Fall bestand zwischen ihnen mindestens eine enge Zusammenarbeit, wie Sachses Kenntnis vom Manifest Beckers' und die Gründung des „Soldatenbundes" beweisen. 240 Vgl. ebenda, Bd. 9/1, S. 302 (Aussage von Sachse). Sachse gibt an, dieses Manifest Ende Juni/Anfang Juli in Kiel gelesen zu haben. Das kann aber nicht stimmen, da er zu dieser Zeit auf Urlaub war. Da er als Ort Kiel angibt, wird er es in der ersten oder zweiten Juliwoche gelesen haben. M. E. darf daraus gefolgert werden, daß dieses Flugblatt der Vorbereitung der Gründung eines „SoldatenbundeB" diente.
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Hans-Joachim,
Bernhard
Gaarden eine Versammlung statt, in der ein "Soldatenbund" gegründet werden sollte. An ihr nahmen u. a. Beckers, Köbis, Reichpietsch, Sachse und Fischer („Pillau") teil. 2 4 1 Lebhaft besprachen die Teilnehmer Aufgaben und Weg des,, Soldatenbundes". Heftig wurde das Verhälnis zur USPD debattiert. Beckers verlas ein im Panzerdeck von „Prinzregent" entstandenes Manifest 2 4 2 und legte einen Statutenentwurf für den „Soldatenbund" vor. Er forderte eine einheitliche Mannschaftsverpflegung für die ganze Flotte und als Abwehrmitlel gegen schlechtes Essen Hungerstreiks. Er forderte die Erreichung eines Friedens ohne Eroberungen und betonte dabei sehr die Unabhängigkeit ihres Vorgehens gegenüber den Beschlüssen jeglicher politischer Partei. 2 i , i Danach griff Sachse in die Diskussion ein. 244 Er berichtete über die Entwicklung auf „Friedrich der Große", schilderte die Bewegung, brandmarkte das provozierende Verhalten der Offiziere und trat für ein gemeinsames Vorgehen aller Mannschaften ein. 2 4 5 Reichpietsch unterstützte das und forderte eine enge Zusammenarbeit mit der Partei. Als Beckers widersprach, kam es zwischen ihm und Reichpietsch zu einer erregten Aussprache, in der sich Reichpietsch als der „Redegewandtere" durchsetzen konnte. Ferner wurde über Zeitungsbezug, Werbung für den Frieden, Maßnahmen zur Durchsetzung der Forderungen und anderes mehr gesprochen, abgestimmt und beschlossen. Nach stundenlanger Debatte trennten sich die Versammlungsteilnehmer. 2 4 8 Bei der Rückkehr aufs Schiff trafen Beckers und Köbis eine Gruppe Kameraden, die sich über die Friedensaussichten unterhielten. Diese gingen auseinander mit der Bemerkung: „Zerbrechen wir uns doch nicht den Kopf, der Friede kommt doch nicht." Beckers und Köbis fühlten deutlich den krassen Unterschied zwischen der vorhergegangenen Diskusson im Kreis der kampfentschlossenen revolutionären Mannschaften und diesem Pessimismus und sahen es als eine vordringliche Aufgabe an, diese Verzagtheit zu vertreiben. 2 4 7 241
Hans Beckers: a. a. 0 . , S. 36. Auf Grund der Anwesenheit von Sachse und Köbis kann diese Versammlung erst in der zweiten Juliwoche erfolgt sein. Interessant ist, daß die „Prinzregent"-Mannschaften bei der Einberufung dieser Versammlung tonangebend waren. 242 Es handelt sich wahrscheinlich um das oben erwähnte Manifest. 243 Hans Beckers: a. a. 0 . , S. 37. Beckers gab als Gründe an, daß dann eine gefahrlosere Arbeit möglich sei, da z. B. die Korrespondenz wegfiele. Andererseits sagt er aber selbst: „nun entsprang diese meine Kenntnis weniger einer politischen Reife, sondern mehr meiner individualistischen Neigung gegen jede Parteibindung". 244 Beckers bezeichnete Sachse als den,,politisch geschulteren von uns." (Ebenda, S. 37.) 245 Bei Beckers heißt es: „Geschlossene Front aller Mannschaften". 246 Ebenda, S. 37/38. D a der Begriff „Soldatenbund" als irgendein Zentrum der Bewegung nicht wieder auftauchte, darf angenommen werden, daß trotz der ausführlichen Diskussion die Gründung des „Soldatenbundes" infolge der Meinungsverschiedenheiten unterblieb. Es ist auch durchaus möglich, daß die Gründung zerredet wurde, da trotz guten Willens den Mannschaften die volle Klarheit über die Notwendigkeit einer politischen Organisation fehlte. Falls gegründet, hatte der „Soldatenbund" mindestens sehr wenig Wirkung. Beckers sagte selbst: „Alles ist auf halbem Wege stehen geblieben." (Ebenda, S. 38.) 247 Ebenda, S. 38/39.
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Die Versammlung blieb nicht geheim. Bald kursierten Gerüchte von der Gründung eines „Soldatenbundes" in Kiel, z. B . auf „Kaiserin". 2 4 8 Nach wenigen Tagen suchten Beckers, Köbis und einige Kameraden im Kieler Gewerkschaftshaus den Sekretär der SPD auf. Sie wollten Rat und Unterstützung einholen, wurden jedoch abgewiesen. 2 4 9
6. Der Kohlenstreik der Mannschaft der Menagekommission
von „Prinzregent
Luitpold"
und die
Durchsetzung
Da ereignete sich in diesen Tagen auf „Prinzregent" ein Vorfall, der für die zugespitzte Lage kennzeichnend war und die Erfolge der revolutionären Matrosen und Heizer bei der Gewinnung der Mannschaft widerspiegelte. Das Kommando setzte kriegsmäßiges Kohlen an. Innerhalb von drei bis vier Stunden hätten die Matrosen 700—800 Tonnen Kohle übernehmen und die Heizer diese auf die einzelnen Bunker verteilen müssen. Als es beginnen sollte, stellte sich heraus, daß über Nacht die Taue und Giere zum Hieven der Kohlenkörbe durchgeschnitten waren. Auf einem Mittschiffspanzerturm stand: „Schafft uns Herzbruch von Bord — dann schlagen wir den Rekord!" 2 5 0 Stillschweigend wurden die Beschädigungen in Ordnung gebracht. Nun hing alles vom Arbeitstempo der Matrosen ab. Die Offiziere befahlen höchste Eile, mußten sich aber voller Ingrimm davon überzeugen, daß die längsseit liegenden Prähme nur sehr schleppend entleert wurden. Die Offiziere von „Prinzregent" kamen gegen diese besondere Form der Gehorsamsverweigerung nicht auf und blamierten sich damit sehr vor ihren allerdings meist ebenso bornierten und arroganten Kastengenossen. Auch Einlenkungsmanöver, wie Urlaubsversprechen, fruchteten bei den Mannschaften nicht. Wutschäumend mußten die Offiziere bis zum Abend, bis zur Beendigung des Kohlens, ausharren. 2 5 1 Bezeichnend für die Einstellung der Mannschaften war, daß sie Streikbrecher bekämpften. Als einige Matrosen am Kran schneller arbeiteten, wurden sie verprügelt. 2 5 2 Die Mannschaftssolidarität feierte einen großen Triumph. Die Matrosen und Heizer waren für eine gemeinsame Aktion gewonnen worden. Zweifellos muß das als Erfolg der unermüdlichen Aufklärungs- und Sammlungstätigkeit der Anhänger der an Bord Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 360. Hans Beckers: a. a. O., S. 39. Der genaue Zweck des Besuches war Beckers nicht mehr erinnerlich. 250 Ebenda, S. 40. Herzbruch war wegen seines hochnäsigen Auftretens bei den Mannschaften besonders unbeliebt. Bei dem Kohlen war es üblich, daß die Offiziere der daran beteiligten Schiffe gegenseitig Wetten abschlössen, welches Schiff zuerst das Kohlen beendete. 251 Ebenda, S. 41. 262 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 262 (Aussage von Beckers). 248
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bestehenden Organisation gebucht werden, wenn auch Beckers bescheiden schreibt: „ohne unser besonderes Zutun, ohne Ubereinkunft, waren alle auf dem Posten". 2 5 3 Die gemeinsame Aktion festigte erheblich den Zusammenhalt und bot der Organisation eine günstige Basis für die Ausbreitung ihres Einflusses. Diesem kollektiven Aufbegehren stand das Kommando machtlos gegenüber- Die Offiziere konnten nur feststellen, daß die erprobten Mittel der Niederhaltung versagten. Sie konnten den immer stürmischeren Forderungen nach Menagekommissionen nichts entgegensetzen. In ihrer Ratlosigkeit gingen sie scheinbar darauf ein und erlaubten schließlich zähneknirschend die Wahl von Menagekommissionen. 2 5 4 Nun setzte ein geschäftiges Treiben, eine „mehrtägige Wahlkampagne" ein. Die engen Verhältnisse an Bord wie auch die Möglichkeit der Anwesenheit unerwünschter Elemente, z. B. der Kammersänger 2 5 5 und Chargen, veranlaßten die revolutionären Mannschaften, die Unentschlossenheit des Kommandos auszunutzen. Sie verlangten die Erlaubnis, an Land Versammlungen abhalten zu können. 2 5 6 Allerdings „das Hauptsächliche war schon an Bord geregelt worden." 2 5 7 Gewählt wurden in die Menagekommission: Köbis, Pfeifler, Buddenberg, Mühlberg, Kohler. Da Beckers nur für Kohler angab, daß er „nie an unserer politischen Bewegung beteiligt" gewesen sei, 2 5 8 darf angenommen werden, daß die anderen Kommissionsmitglieder Verbindungen zur Organisation gehabt haben und daß die Organisation durch sie diese Schlüsselposition an Bord besetzte. 2 5 9
7. Die Rolle der Menagekommission auf „Prinzregent Luitpold". Die bewußte wendung des Hungerstreiks zur Durchsetzung wirtschaftlicher Forderungen
An-
Die Mannschaften trugen alle ihre Beschwerden und Wünsche an die Menagekommission heran. Die Offiziere wollten diese Entwicklung unterbinden. Sie mußten 263
254 Hans Beckers: a. a. O., S. 40. Ebenda, S. 24. Typisch war das Verhalten des I. Offiziers Herzbruch. Zunächst schäumte er: „Frechheit, so etwas zu fordern!" Als er schließlich den Mannschaften die Kommissionen zugestehen mußte, gab er mit finsterem Gesicht die Erlaubnis zur Wahl. 265 Ebenda, S. 27. Als „Kammersänger" wurden solche Matrosen und Heizer bezeichnet, die den Vorgesetzten in deren Kammern alles hinterbrachten. 268 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 264 (Aussage von Beckers). Seine Annahme, daß dies die erste Marineversammlung an Land gewesen sei, wird insofern stimmen, als jetzt die Zeit gekommen war, in der die Mannschaften begannen, ihre Versammlungen an Land abzuhalten. Es wird die erste Massenversammlung an Land gewesen sein. 267 Ebenda, Bd. 9/II, S. 265. Diese Feststellung, die Wucht des Auftretens, der Ablauf der „Wahlvorbereitung", die Zusammensetzung der Kommission widersprechen der Bemerkung Beckers, daß zu dieser Zeit noch keine Organisation bestanden hätte. Es sei denn, daß er hierbei eine Organisation mit ausgesprochen politischem Charakter im Auge hätte. Diese entwickelte sich später. 2se Ebenda, Bd. 9/II, S. 266 (Aussage von Beckers). 26» ygj auch Hans Beckers: a.a.O., S. 24.
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jedoch schließlich in ohnmächtiger Wut zusehen, wie die Menagekommission sehr schnell ihre Befugnisse ausweitete und sich zu einem allgemeinen Beschwerdezentrum der Mannschaften gegen die Vorgesetzten entwickelte. Die revolutionären Mannschaften ahnten etwas von den Möglichkeiten der weiteren Entwicklung. „Nach unserem Wunsche sollte die Menage-Kommission eine Art Soldatenrat darstellen, obwohl diese Bezeichnung damals noch unbekannt war". 2 6 0 Auf Grund ihrer Tätigkeit konnte sich die Kommission auf das Vertrauen der Masse der Mannschaften stützen. Besonders beliebt bei den Kameraden waren diejenigen, die sich bei dem ständigen Kleinkrieg mit den Offizieren hervortaten. Sie stellten meist auf den einzelnen Schiffen auch die Führer der entstehenden revolutionären Bewegung. 2 6 1 Auf „Prinzregent" war das Köbis. Er brachte alles vor und machte sich beim I. Offizier, und sicherlich nicht nur bei ihm, sehr mißliebig. „Wenn einer für alle sprechen sollte, war es immer der Vertreter der Verpflegungskommission." 2 0 2 Die Offiziere waren aber nicht gewillt, weitere Zugeständnisse zu machen und etwas zu ändern. So blieben die Klagen über die Verpflegung auch weiterhin bestehen. Zwar wurde die Veröffentlichung eines Wochenspeiseplanes durchgesetzt. Hinter den pompösen Namen verbargen sich jedoch meist kärgliche Suppen. Konnten sich die Vorgesetzten dem Knurren der hungernden Mägen nicht entziehen, so erhielten die Mannschaften als Zusatzverpflegung zur freien Verfügung harten Schiffszwieback, der von Maden wimmelte. 2 6 3 In ihrer Verblendung merkten die Offiziere gar nicht, daß sie die Mannschaften damit nur zur Weißglut reizten und die Ausbreitung der Organisation unterstützten. Geradezu postwendend erhielt das Kommando einen Denkzettel verabreicht. Mitte Juli fuhr „Prinzregent" durch den Kanal nach Wilhelmshaven zurück. Die Mannschaft erhielt Würmersuppe. Daraufhin verweigerten die Heizer deren Abnahme. Die Heizer Beckers, Köbis und Köhler hielten dem Stabsarzt im Beisein von Offizieren die Suppe vor. Dieser mußte ihre Ungenießbarkeit feststellen, obwohl er vor der Essenausgabe sie noch f ü r gut befunden hatte. Binnen kurzem war eine neue Suppe zum Ausschenken bereit, deren Annahme die Mannschaften ebenfalls verweigerten. 2 6 4 Nun riß den Heizern der Geduldsfaden; sie verweigerten die Arbeit, „Prinzregent" stoppte und versperrte den folgenden Schiffen die Durchfahrt durch den Kanal. Die Mannschaften trumpften auf und begannen die 260
Ebenda, S. 26. „Wer dreist und gottesfürchtig die Meinung der anderen vertrat, Beschwerden vorbrachte und den Vorteil aller zu wahren verstand — der war 'Führer'." (Ebenda, S. 26.) 262 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 265 (Aussage von Beckers). Anscheinend haben Beckers und Köbis sich in die Arbeit so geteilt, daß sich Beckers der Organisation und der politischen Arbeit und Köbis sich der Heranführung der Mannschaften an die Organisation über die Menagekommission widmete. Für diese Trennung spricht auch die Bemerkung, daß in der Menagekommission im allgemeinen nicht über politische Sachen gesprochen wurde. 263 Hans Beckers: a. a. O., S. 25/26. 264 In einer halben Stunde hatte die Küche für 1200 Mann Besatzung eine neue Suppe fabriziert. Die Kennzeichnung derselben als „unzureichend" wird danach voll berechtigt gewesen sein. (Ebenda, S. 41/42.) 261
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Hans-Joachim,
Bernhard
ihnen übergebenen Einrichtungen und Waffen gegen ihre Unterdrücker anzuwenden. Sie besannen sich auf ihre Macht. Mit Bestürzung wurden sich die Offiziere ihrer Abhängigkeit von den Mannschaften bewußt. Schnell bewilligte das Kommando Brot und Wurst und sagte ein vollwertiges Mittagessen zu, um die Durchfahrt fortsetzen zu können. 2 6 5
8. Die Ausdehnung
der illegalen
revolutionären
Organisation
Auf „Friedrich der Große" und auf „Prinzregent" hatten sich die revolutionären Mannschaften organisatorisch und politisch im Kampf gegen die reaktionäre Offiziersklasse gestärkt. Die ersten Erfolge der Massenaktionen entwickelten in ihnen das Bewußtsein ihrer Kraft. Als das IV. Geschwader mit „Friedrich der Große" und „Prinzregent" nach Wilhelmshaven zurückkehrte, erfuhren die Mannschaften, daß im Reichstag eine Resolution angenommen worden war, die sich für die Herbeiführung des Friedens aussprach. Die Friedensresolution der Reichstagsmehrheit beschäftigte alle. Die allgemeine Meinung war: „Wenn die Leute oben schon der Meinung sind, daß um den Frieden gekämpft werden muß, dann müssen wir um so energischer vorstoßen, sonst wird aus der ganzen Sache nichts." 2 6 6 Die Mannschaften wollten „den damals von verschiedenen Seiten schwebenden Friedensangeboten ein wenig nachhelfen. Es sollte mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, daß die Flotte sich gegen die Fortsetzung des ,Krieges um jeden Preis', wie es auf der anderen Seite (der der Offiziere — H. B.) gesagt wurde, wehrt. Wir wollten das eben nicht! Und wir wollten durch unsere Demonstration zum Ausdruck bringen, daß wir lange genug Krieg geführt hätten. Es schwebten damals bekanntlich Friedensmöglichkeiten; das wurde in den Zeitungen hin und her debattiert- Wir hätten unsererseits versucht, dem Friedenswunsch Ausdruck zu verleihen." 2 6 7 Viele Mannschaften hatten bisher der Agitation der revolutionären Bewegung ablehnend gegenübergestanden oder sich reserviert verhalten. Sie hatten gezaudert und gezweifelt. Bei vielen fiel nun die Agitation für den Frieden auf fruchtbaren Boden. Die Erkenntnis der Möglichkeit einer erfolgreichen Tat für den Frieden brach sich immer mehr Bahn. Sie stützte sich auf die Erfolge der zahlreichen gemeinsamen Gehorsamsverweigerungen und brachte der revolutionären Bewegung neue Anhänger und Sympathisierende. Die Bewegung erreichte eine neue Entwicklungsstufe, die sich in dem stürmischen Drang der Mannschaften nach politischer Klarheit und in der Ausbreitung der BeEbenda, S. 42. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 245 (Aussage von Sachse). Die Vorgänge um die Friedensresolution der Reichstagsmehrheit und ihre eigene Bewegung müssen die Mannschaften so beschäftigt haben, daß selbst ein solch wichtiges Ereignis wie das des Kanzlerwechsels von ihnen kaum beachtet wurde. 267 Ebenda, Bd. 9/II, S. 330 (Aussage von Beckers). 205
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wegung auf die gesamte Flotte ausdrückte. Den Höhepunkt bildete der Massenaufstand der „Prinzregent"-Mannschaft am 2. August 1917. Die neue Etappe wurde durch die heftigen politischen Diskussionen gekennzeichnet, deren Kernproblem die Herbeiführung des Friedens bildete: F ü r den Frieden oder für den Krieg? Mit oder ohne Gewalt? Dies hieß gleichzeitig die Frage stellen: Bildung einer revolutionären Organisation der Mannschaften und Anschluß an die U S P D oder Treibenlassen der spontanen Bewegung. Wenn auch hinsichtlich der Wege zur Herbeiführung des Friedens unter den revolutionären Mannschaften einschließlich ihrer Führer noch große Meinungsverschiedenheiten bestanden, so waren sie sich doch in der einen Grundfrage einig. Sie hatten die Notwendigkeit der Organisation erkannt und konnten deshalb in vielen Diskussionen auf diese Frage antworten und damit die Führung der Diskussion übernehmen. Wenn in der Diskussion „die Ansichten, Wünsche und Forderungen deutlicher" hervortraten, 2 6 8 so kann das nur ihnen als Verdienst angerechnet werden. Die Vorgänge auf beiden Schiffen blieben aber weder unbekannt noch unbeachtet. Auch auf anderen Schiffen war die Lage reif. Ihre Mannschaften wurden durch das Beispiel von „Friedrich der Große" und „Prinzregent" angezogen und vorwärts gedrängt. Daher wird die neue Etappe noch weiterhin durch die Beteiligung von Kameraden anderer Schiffe gekennzeichnet, die hier gewissermaßen lernten, um dann auf ihren Schiffen eine ähnliche Bewegung aufzubauen. Besonders handelte es sich um Mannschaften des I- Geschwaders. Damit wurde die lokale Enge der Bewegung, die einzelne Schiffe erfaßt hatte, gesprengt und zu einer Bewegung von beachtlichem Ausmaß erweitert, die sich auf große Teile der Flotte erstreckte. Die gesteigerte politische Aktivität auf den Schiffen äußerte sich in der Unterschriftensammlung für die U S P D und die Stockholmer Konferenz, in der Massenwerbung für die U S P D und in dem Massenvertrieb politischer und revolutionärer Literatur. Außerdem wurden die Verbindungen zur Zentrale der U S P D , zu lokalen Gruppen und zu Einzelpersonen weiter gefestigt und bewußt zum Zwecke der Werbung für die Organisation und deren Festigung eingesetzt. Beckers, einer der führenden Heizer, stellte eindeutig als Erfolg all dieser Bemühungen fest, daß die Bewegung schon so weit gediehen war, „daß man sagen konnte: Fast alle, sogar die, die nicht davon sprachen, machten mit", wobei er hervorhob, daß dies für alle Schiffe gelte. 2 6 9 Führend in dieser ganzen Entwicklung wurde die Mannschaft von „Friedrich der Große". „Sachse, Weber und Reichpietsch auf dem Flotten-Flaggenschiii bildeten stillschweigend die Zentrale der kreisenden Bewegung, weil ihr Schiff den Flottenchef trug und daher stets im Mittelpunkt jedes Gesprächs über die Flotte stand. Außerdem war der erste Anstoß von Sachse und Reichpietsch ausgegangen. Oder vielmehr Hans Beckers: a. a. O., S. 33. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 318 (Aussage von Beckers). 268
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die Organisierung der schon lange in den Mannschaften schlummernden Erregung seitens der vorhin Genannten ausgelöst worden". 2 7 0 Neben „Friedrich der Große" muß aber unbedingt auch die Mannschaft von „Prinzregent" genannt werden, die sich sehr schnell der von „Friedrich der Große" angeschlossen hatte. Sie zeichnete sich durch besondere Entschlossenheit, Mut und Tatkraft aus. Ihre Führer, Beckers und Köbis, spielten eine beachtliche Rolle im Flottenmaßstab. Die Vertrauensmännerorganisationen von „Friedrich der Große" und von „Prinzregent Luitpold" gingen gemeinsam daran, in allen Geschwadern eine revolutionäre Organisation zu schaffen, eine Flottenzentrale aufzubauen und die Flottenmannschaften f ü r die revolutionäre Friedensbewegung zu gewinnen. Wiederholt führten sie im Juli Besprechungen und Versammlungen durch. Reichpietsch selbst legte auf einer Versammlung Ende Juli die Aufgaben der Mannschaften und den Sinn der revolutionären Mannschaftsbewegung dar: „Dem Stande der Matrosen und Heizer bringe eine weitere Kriegführung nur noch Nachteile. Deshalb müsse dem Kriege mit Gewalt ein Ende gemacht werden. Die Soldaten müßten sich fest zusammenschließen und, wenn sie diesen Zusammenschluß erreicht hätten, nötigenfalls mit Gewalt gegen die Vorgesetzten vorgehen. Die Friedensbewegung müsse unbedingt in der Marine verbreitet werden, damit die Abgeordneten der USPD demnächst in Stockholm den nötigen Rückhalt hätten. Wenn aber die Abgeordneten wiederkommen sollten und hätten nichts in Stockholm ausgerichtet und dann an die Soldaten der Ruf herantrete: ,Auf, sprengt die Fesseln nach russischem Muster', dann wisse ja Jeder, was er zu tun habe." 2 7 1 Die revolutionäre Bewegung breitete sich jetzt über die ganze Hochseeflotte aus. Auf den drei Schlachtschiflgeschwadern bildete sich eine illegale revolutionäre Organisation. Die revolutionäre Friedensbewegung trat aber auch auf dem Schlachtkreuzergeschwader und auf den kleinen Kreuzern der Aufklärungsstreitkräfte auf. Insgesamt haben sich etwa 5000 Matrosen und Heizer zu der revolutionären Friedensbewegung bekannt. Den Höhepunkt der revolutionären Mannschaftsbewegung stellt die Massenaktion der „Prinzregent"-Mannschaft Anfang August 1917 dar. Die revolutionäre Friedensbewegung in der Flottenmannschaft blieb im wesentlichen auf die Flotte selbst beschränkt. Der Matrosenaufstand bildete nicht den Anfang einer umfassenden Aktion der revolutionären Arbeiterbewegung Deutschlands. Die revolutionären Mannschaften hatten auf die Führung der USPD gebaut. Doch diese ließ sie im Stich und verriet sie. Deshalb gelang es dem Flottenkommando 1917, die illegale Organisation der revolutionären Flottenmannschaften verhältnismäßig rasch aufzurollen und die revolutionäre Mannschaftsbewegung zu unterdrücken. 270
Hans Beckers: a. a. O., S. 33/34. Vgl. auch: Deutsches Zentralarchiv,Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474.B1. 436. Sachse gab als ungefähren Termin für die Bildung der Flottenzentrale an: Nach der Rede von Herre im „Deutschen Haus". (Ebenda, Bl. 390.) Das würde bedeuten, daß die Flottenzentrale etwa um den 25. Juli 1917 gebildet worden wäre. 271 Das Werk des Untersuchungsausschusses a. O., Bd. 9/1, S. 286. Vgl. auch: Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 362.
WALTER
BARTEL
D E R J A N U A R S T R E I K 1918 IN B E R L I N
KAPITEL
I
DIE
SPARTAKUSGRUPPE
DES
STREIKS
ALS
INITIATOR
UND
ORGANISATOR
Die Spartakusgruppe hatte seit dem Beginn der russischen Februarrevolution der deutschen Arbeiterklasse das atemberaubende Geschehen im revolutionären Rußland nahegebracht. Sie veröffentlichte Aufrufe und Beschlüsse der russischen Arbeiter- und Soldatenräte, gab Kenntnis von ihren revolutionären Entscheidungen und vollzog damit einen Akt von wahrem proletarischem Internationalismus. 1 Die Dokumente aus den ersten Tagen der russischen Revolution demonstrierten den deutschen Arbeitern das Wirken der Arbeiter- und Soldatenräte. Am russischen Beispiel lernten deutsche Arbeiter und Soldaten das ABC einer geschichtsbildenden Aktion des Volkes kennen. Sie bekamen einen Hauch von dem zu spüren, was es heißt, aus eigener Kraft das Recht des Volkes zu verwirklichen. Die Spartakusgruppe mahnte vom ersten Tage, die russische Revolution nicht nur als ein erfreuliches Schauspiel in der Nachbarschaft anzusehen. Das deutsche Proletariat müsse erkennen, „daß es seine eigene Sache ist, die Sache des einen und unteilbaren internationalen Proletariats, das dort den ersten Anlauf zur welthistorischen Auseinandersetzung mit der Klassenherrschaft des Kapitalismus nimmt". 2 Noch vor dem Beginn der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution stellte ein Flugblatt der Spartakusgruppe die großartigen Resultate des proletarischen Massenkampfes in Rußland dem dumpfen Zuchthausdasein der Arbeiterklasse in Deutschland gegenüber. Rußlands Proletariat öffnete die Zwingburgen des Zarismus, wurde gesagt, es holte seine besten Frauen und Männer heraus, stellte sie an die Spitze der Bewegung und warf in die freigewordenen Gefängnisse den Zaren und seine Henkersknechte. Das deutsche Volk läßt seine besten Kämpfer in Zuchthäusern und Gefängnissen verderben. Die russischen Arbeiter jagen ihre Minister zum Teufel, wenn sie die schnelle Herbeiführung des Friedens sabotieren. Die deutschen Arbeiter dulden nach 1 Vgl. Spartakusbriefe, (Neudruck). Herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), Berlin 1920, S. 90 ff. ü Ebenda, S. 105.
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Walter Bartd
wie vor die Hetze der Kriegsverlängerer. Die russischen Arbeiter zwangen durch Streiks der Regierung ihren Willen auf. Die deutschen Arbeiter werden als Hundsfötter beschimpft, weil sie von ihrem Recht der Arbeitseinstellung Gebrauch machten. „Die russische Arbeiterklasse hat durch ihren opferreichen Kampf sich und der ganzen Menschheit Wege zur Freiheit erschlossen. Trotz der gewaltigen Opfer, die die russische Arbeiterklasse in ihrem revolutionären Kampf dargebracht hat, sind diese Opfer verschwindend gering gegen die Opfer, die das Weiterrasen der Kriegsfurie kostet." 3 Diese Gegenüberstellung ist nicht nur sehr eindrucksvoll, sondern gleichzeitig von großer prinzipieller Bedeutung. Wenn die Spartakusgruppe aussprach, daß der Kampf der Arbeiterklasse gegen den Krieg weniger Opfer fordert als die Teilnahme am imperialistischen Krieg, war das ein entscheidendes Argument gegen die sozialchauvinistische und zentristische Agitation. Scheidemann wie Kautsky malten unentwegt die Schrecken des Bürgerkriegs an die Wand, weil die Arbeitermassen anfingen zu fordern, nach russischem Beispiel die Waffen nicht gegen die Klassenbrüder, sondern gegen die eigenen Offiziere und Generale zu richten. Völlig richtig wies das Spartakusflugblatt darauf hin, daß der Druck, den der russische Arbeiter- und Soldatenrat auf die bürgerliche Clique ausübte, Hunderttausenden russischen und deutschen Proletariern das Leben rettete, da durch die revolutionären Aktionen des russischen Volkes der Krieg an den Fronten f ü r einige Monate tatsächlich zum Stillstand gekommen war Die jüngste geschichtliche Erfahrung bestätigt überzeugend: „Mit einem Bruchteil der Opfer, die jetzt alltäglich im Westen in dem mörderischen Kriege fallen, und derer, die als Opfer des Krieges an Hunger und Seuchen im Hintergrund sterben, können wir, deutsche Arbeiter, das gleiche wie die Russen erlangen." ^ Das Flugblatt erinnerte die deutschen Arbeiter an die Geschichte ihrer großen Kämpfe vor dem Kriege. Damals ging es um wenige Pfennige Lohn, und wieviel Mut, Opferbereitschaft und Solidarität wurde in diesen Kämpfen aufgebracht! Jetzt, im Kriege kann ein solcher mit gleicher Zähigkeit und Entschlossenheit geführter Kampf den Sturz der deutschen Regierung, Frieden, Brot und Freiheit dem ganzen internationalen Proletariat bringen. Entgegen der Argumentation sozialdemokratischer Führer, die unentwegt die Schwäche der Arbeiterklasse im Kriege betonte, erklärte die Spartakusgruppe: „Die Arbeiterschaft war nie mächtiger als jetzt im Kriege, wenn sie geschlossen, solidarisch handelnd und kämpfend sich betätigt, die herrschende Klasse war nie sterblicher." 5 Der Sieg der russischen Arbeiter, Bauern und Soldaten am' 7. November 1917 gab der revolutionären Bewegung in Deutschland neue Kraft und stärkste Impulse. Die Konstituierung der Regierung der Volkskommissare, das Dekret über den Frieden und der Ruf „An Alle", sofort Verhandlungen aufzunehmen, um den Abschluß eines demokratischen Friedens ohne Annexionen und Kontributionen herbeizuführen, war den Volksmassen das Signal zur eigenen Tat. Die Arbeiter in den Fabriken, die 3
Spartakus im Kriege. Die illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege. Gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, S. 176—179. 4 Ebenda. 5 Ebenda.
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Soldaten an der Front, die Millionen Hungernden und Leidenden fühlten die untrennbare Verbundenheit ihres Schicksals mit der Revolution in Rußland. Die rote Fahne wurde zum Verständigungszeichen für die deutschen und russischen Soldaten an der Ostfront. Als Ende November 1917 die Waffenstillstandsverhandlungen begannen, am 2. Dezember ein teilweiser und am 7. Dezember mittags ein vorläufiger zehntägiger Waffenstillstand vereinbart wurde, atmeten die leidgeprüften Völker auf. Der Friede war greifbar nahegerückt. Deutsche Soldaten brachten begeistert ihre Sympathie für die friedenbringende russische Revolution zum Ausdruck. An der ganzen Ostfront feierte die Fraternisierung Triumphe. 6 In den Rüstungsbetrieben gab es nur ein Gespräch — die russische Revolution. Die deutschen Arbeiter gingen auf die Straße und bekundeten ihren Willen zum Frieden mit Rußland durch machtvolle Demonstrationen. In Berlin verbot die Polizei von der U S P D einberufene öffentliche Versammlungen zum Thema: „Der Friedensvorschlag der russischen Regierung." Trotzdem erschienen vor den Versammlungslokalen Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie formierten sich zu Demonstrationszügen, die in das Stadtinnere vordrangen. Die Polizei versuchte, mit Waffengewalt die Demonstrationen zu verhindern. Sie mußte aber selbst Schläge einstecken, die ihr von den Demonstranten mit Stöcken und Schirmen versetzt wurden. 7 Auch in Leipzig und Stettin kam es trotz Verbot zu Sympathiekundgebungen für die russische Revolution. Am 25. November 1917 fanden in Berlin erneut Manifestationen für die Revolution in Rußland statt. Ungeachtet des Polizeiterrors und des Einsatzes von Militär, das mit Waffengewalt gegen die Demonstrierenden vorging, bekundeten Tausende Berliner ihre aufrichtige Sympathie für den Sieg der russischen Arbeiter und Bauern. Die Begründer der Spartakusgruppe, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, erlebten das weltumwälzende Geschehen hinter Kerkermauern. Nur informiert durch die tendenziösen Nachrichten der deutschen Presse, sah Karl Liebknecht in dem Sturz der Kerenski-Regierung den Beginn eines gewaltigen Prozesses der sozialen und wirtschaftlichen Revolutionierung Rußlands, weit bedeutender als die Große Französische Revolution. Er deutete die Bereitschaft des ersten Arbeiter-und-BauernStaates, einen Frieden mit dem imperialistischen Deutschland abzuschließen, völlig richtig in der Perspektive, „die Entente von innen heraus revolutionär zur Verhandlungsbereitschaft zu peitschen, die Friedensintrige des deutschen Imperialismus zerfetzend — die Eroberungspläne nicht nur Deutschlands, sondern auch Österreichs und Bulgariens . . . enthüllen und brandmarken." 8 Karl Liebknecht war überzeugt, daß diese Politik die deutschen Massen erregen und ihre Wirkung auf die Völker in den Ententeländern nicht verfehlen würde. Warnend schrieb er seinen Freunden, bei allen Vorbehalten gegenüber der Taktik des russischen Proletariats müssen wir uns vor dem prinzipiellen Anti-Leninismus hüten. Höchste 6 Vgl. Albert Norden: Zwischen Berlin und Moskau, Berlin 1954, S. 75 ff. ' Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 311. 8 Karl Liebknecht: Briefe aus dem Felde, aus der Untersuchungshaft und aus dem Zuchthaus, Berlin 1919, S. 97.
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Vorsicht und aller Takt ist f ü r deutsche Kritik an dem russischen Proletariat geboten. 9 Aus der Kerkerzelle mahnte er die deutschen Soldaten, immer daran zu denken, daß die weitere Befolgung der Befehle eines Hindenburg nur den Interessen der deutschen Reaktion diene. Rosa Luxemburg hatte wie Karl Liebknecht bereits im Sommer 1917 in der Diktatur des Proletariats die einzige Konsequenz für die Weiterentwicklung der russischen Revolution gesehen. In der tiefen Abgeschlossenheit der Gefängniszelle durchlebte sie mit innerster Anteilnahme alle Phasen der russischen Revolution. Losgelöst von dem kraftvollen Leben der Volksmassen, bangte sie um das Schicksal der russischen Revolution, wenn diese, von der deutschen Arbeiterklasse nicht unterstützt, gezwungen sein sollte, mit den deutschen Imperialisten einen Separatfrieden abzuschließen. Die revolutionäre Kämpferin war weit davon entfernt, den Bolschewiki einen Vorwurf zu machen, weil diese sich nach Rosas Meinung in einer fast aussichtslosen Situation befänden. In einem Brief an Luise Kautsky gab sie die Schuld f ü r diese eigenartige Situation der russischen Revolution nicht der rückständigen ökonomischen Entwicklung, wie der Gatte der Empfängerin das tiefsinnig festgestellt hatte, sondern dem Umstand, daß „die Sozialdemokratie in dem hochentwickelten Westen aus hundsjämmerlichen Feiglingen besteht, und die Russen, ruhig zusehend, . . . verbluten lassen." Für Rosa Luxemburg war der Sieg der russischen Arbeiter und Bauern im November 1917 „eine weltgeschichtliche Tat, deren Spur in Äonen nicht untergehen wird". Hoffnungsvoll erwartete sie noch viel Großes in den nächsten Jahren, nur wollte sie „die Weltgeschichte nicht bloß durch das Gitter b e w u n d e r n . . . " 10 Mit großer Klarheit und mit Worten höchster Bewunderung schrieb Clara Zetkin in der „Frauenbeilage der Leipziger Volkszeitung" über die Große Sozialistische Oktoberrevolution. Sie erklärte ihren Leserinnen, daß die Revolution in Petersburg und ihr Sieg der Triumph der konsequent festgehaltenen und durchgeführten grundsätzlichen und taktischen Auffassung der Bolschewiki sei. 11 „Die Zeit der bürgerlichen politischen Revolutionen ist abgelaufen", schrieb Clara ZeUdn am 30. November. Die breitesten Massen des Volkes erlebten mit steigender Erbitterung, daß die provisorischen Regierungen fortfuhren, f ü r imperialistische Weltmachtgelüste das Blut und den Schatz des Volkes zu vergeuden. Die Regierungsgewalt ging mit dem 7. November in die Hände der Sowjets über. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats ist eine Tatsache; um das Proletariat werden sich alle werktätigen Schichten scharen. Für Clara Zetkin gab es keinen Zweifel, daß die russische 9 Vgl. Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlaß, Berlin 1921, S. 34. 10 Rosa Luxemburg: Briefe an Karl und Luise Kautsky, Berlin 1923, S. 210. — R. Luxemburg bezog sich offenbar auf den Artikel Karl Kautskys in der,,Neuen Zeit'' vom 6. April 1917 „Die Aussichten der russischen Revolution" (35. Jg. 2. Bd., S. 9fi.). Aus dem zahlenmäßigen Überwiegen der bäuerlichen Bevölkerung zog K. den Schluß, daß das Schicksal der Revolution durch die Bauern bestimmt wird, wobei er jedoch ein Bündnis der Proletarier mit den Bauern als einen Anachronismus bezeichnete. Die russische Revolution vom November 1917 paßte in keines der Kautskyanischen Schemata — Grund genug für ihn, sie abzulehnen. 11 „Leipziger Volkszeitung", Frauenbeilage, Nr. 11, vom 16. November 1917.
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revolutionäre Regierung getreu dem Standpunkt der Bolschewiki für einen Frieden kämpfen wird, der niemals den unversöhnlichen Gegensatz der Arbeiterklasse zum Imperialismus und die innige Solidarität mit dem internationalen Proletariat außer acht lassen wird. Für sie stand die historische Tatsache fest, daß der Kampf der russischen Arbeiterklasse um Macht und Frieden, ganz unabhängig, wie auch sein endgültiger Ausgang sein wird, „tiefe unverwischbare Spuren in der Geschichte graben (wird — W. B.), und nicht nur von seinem Sieg, den die Proletarier aller Länder leidenschaftlich wünschen, von der bloßen Tatsache, daß er war, wird neues, schöpferisches Leben ausstrahlen." 1 2 In seinem Neujahrsartikel 1918 lehnte es Franz Mehring kategorisch ab, den Bolschewiki einen Vorwurf zu machen, weil sie, von der Ungunst der Zustände gezwungen, sich bereitfinden mußten, einen Sonderfrieden mit der deutschen Regierung abzuschließen. Ein solcher Vorwurf, schreibt Mehring, trifft alle jene, die nichts getan haben, um die russische Revolution wirksam zu unterstützen. E r war überzeugt, daß auch ein Separatfrieden die russische Revolution nicht in ihrem Lauf aufhalten könne. Sie hat „das Signal einer besseren Zukunft gegeben, und j e mehr Hindernisse sich uns auf dem Wege zu dieser Zukunft entgegentürmen, um so mehr gilt es, nicht vor ihnen zurückzuschrecken, um so mehr heißt es, sich anstrengen, um sie zu überwinden." 1 3 In einem Aufruf „Die Stunde der Entscheidung" legte die Spartakusgruppe vor den deutschen Arbeitern und Arbeiterinnen ihren Standpunkt zum Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution dar. Sie nannte den 7. November eine weltgeschichtliche Tat. „Zum ersten Mal in der Weltgeschichte wird hier von einer proletarischen Masse der Versuch gemacht, die politische Macht im Staate an sich zu reißen. Mit einem Heldenmute sondergleichen, ohne Opfer zu scheuen, ohne das eigene Herzblut zu sparen, kämpfen jetzt die russischen Proletarier, auf das Bauerntum gestützt, um die Aufrechterhaltung und Befestigung ihrer soeben erlangten Herrschaft im Staat. Das Ziel, das sie dabei verfolgen, ist ein doppeltes: Ein Ende mit dem Völkermord, ein Anfang mit der Verwirklichung des Sozialismus." 1 4 Eindringlich stellte die Spartakusgruppe die ungeheuren Schwierigkeiten dar, die sich dem russischen Volk bei der Realisierung seiner Pläne entgegenstellten. Zu dem Widerstand der Bourgeosie und des Junkertums im Innern, zu dem Hunger und der Not und der Desorganisation der ganzen Staatsmaschine kam, daß „draußen aber vor dem Tor deutsche Kanonen und deutsche Maschinengewehre, von der Hand deutscher Arbeiter gegen das revolutionäre Rußland gerichtet", stehen. 15 Die Spartakusgruppe warnte die deutsche Arbeiterklasse und das ganze deutsche Volk, zu große Erwartungen auf die Bereitschaft der kaiserlichen Regierung, mit der proletarischen russischen Regierung Friedensverhandlungen zu beginnen, zu setzen, und erklärte: Der Krieg wird nicht aufhören, solange die herrschenden Klassen am Ruder sind. „Die Herrschaft der Reaktion und der imperialistischen Klassen in 12 13 14 16 10*
„Leipziger Volkszeitung", Frauenbeilage, Nr. 12, vom 30. November 1917. „Leipziger Volkszeitung", Nr. 303, vom 31. Dezember 1917. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/14. Ebenda.
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Deutschland gilt es zu brechen, wenn wir mit dem Völkermord ein Ende machen w o l l e n . . . Nur durch Massenkampf, durch Massenauflehnung, durch Massenstreiks, die das ganze wirtschaftliche Getriebe und die gesamte Kriegsindustrie zum Stillstand bringen, nur durch Revolution und die Erringung der Volksrepublik in Deutschland durch die Arbeiterklasse kann dem Völkermord ein Ziel gesetzt und der allgemeine Frieden herbeigeführt werden. Und nur so kann auch die russische Revolution gerettet werden." 1 6 Mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgten die Volksmassen die am 22. Dezember 1917 in Brest-Litowsk begonnenen Friedensverhandlungen zwischen den Mittelmächten und Sowjetrußland. Es gab bei den Völkern nur einen Wunsch, dem Waffenstillstand im Osten möge der Frieden an allen Fronten folgen. Selbst Ludendorff mußte zugeben, daß die deutschen Verhandlungsführer unter dem Druck der Friedenssehnsucht der Völker standen. Für den General war der Wunsch nach Frieden allerdings nur das Ergebnis der feindlichen Propaganda. 1 7 Ein Bericht des preußischen Ministers des Innern an den Vizepräsidenten des Königlichen Staatsministeriums vom 9. Februar 1918 enthält den charakteristischen Satz: „Wohl aber ist nach diesen schweren Kriegsjahren mit ihren unmittelbaren physischen Entbehrungen der Beginn der Verhandlungen in Brest-Litowsk mit hellem Jubel begrüßt worden, als der Anfang vom Ende des Krieges." 1 8 Die Völker wollten den Frieden. Die deutsche imperialistische Regierung sah jedoch in dem Ende der Kriegshandlungen im Osten nur die Chance, „durch Angriff zu Lande den Krieg zur Entscheidung zu bringen. Die Stärkeverhältnisse lagen so, wie wir (die Oberste Heeresleitung — W. B.) sie noch nie gehabt hatten." 19 Die wahren Ansichten der deutschen Imperialisten enthüllte eine Bemerkung Hindenburgs gegenüber dem Staatssekretär Kühlmann. „Ich will für den nächsten Krieg gegen Rußland den Raum für die Bewegungen des deutschen linken Flügels sichern." 2 0 Dem entsprach die ultimative Forderung des Generals Hoffmann, der im Auftrage der deutschen Generalität am 18. J a n u a r 1918 den Sowjetvertretern eine Note übergab, in der eine Grenzlinie gezogen war, die ausschließlich den deutschen militärischen und weiteren Angriffsabsichten auf Sowjetrußland entsprach. 2 1 Dieses Auftreten des Generals Hoffmann fand jedoch ein völlig anderes Echo als die Oberste Heeresleitung erwartet hatte. Selbst Ludendorff konstatierte ein Rauschen des Unwillens in der deutschen und österreichisch-ungarischen Presse, die bisher vom Verständigungsfrieden gesprochen hatte und nun durch General Hoffmann den brutalen Machtwillen der deutschen Militaristen demonstriert bekam. 2 2 Dabei war klar, daß die unter Zensur stehenden Zeitungen nur sehr schwach die wirkliche Empörung der Völker über die Provokation der deutschen Generalität in Brest-Litowsk wider16 17 18 19 20 21 22
Ebenda. Erich Ludendorff: Meine Kriegserinnerungen 1914—1918, Berlin 1919, S. 436 ff. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 90a, Bd. II, Abt. D, Tit. I 1, Nr. 2, Bl. 299. Erich Ludendorff: a. a. O., S. 430. Richard Kühlmann: Erinnerungen, Heidelberg 1948, S. 517. Vgl. Geschichte der Diplomatie, Berlin 1948, Bd. II, S. 380. Erich Ludendorff: a. a. O., S. 442/43.
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spiegelten. Die Massenstimmung kam in einer großen Zahl von Versammlungen der USPD zum Ausdruck. Hierbei orientierte die USPD ihre Mitglieder und das Volk vornehmlich auf die Volksvertretung als ein Mittel, den Verständigungsfrieden herbeizuführen. Clara Zetkin stellte dagegen sehr richtig fest, daß die Rolle der Parlamente aller Länder um so schattenhafter und jämmerlicher ist, je mehr die Verhältnisse zum Frieden drängen. Der deutsche Reichstag schalte sich in demselben Moment aus, wo Staatsmänner, Generale und Offiziere „Geschichte machen". Dagegen erschienen in Petersburg „in öffentlichen Riesenversammlungen Beauftragte des Volkes, die sich in anderen Ländern Minister nennen, zu deutsch Diener, und unterbreiteten das Tun, die Auffassung der Regierung, dem Urteil der Massen." 2 3 Auf der einen Seite steht das Alte, schrieb Clara Zetkin, das ist der passive Reichstag, das sind die Machinationen der deutschen Generale und Führer in BrestLitowsk. Auf der anderen Seite vollzieht sich etwas Neues in Petersburg, im Wirken der Massen mit den von ihnen gewählten Repräsentanten des Volkes. „Neben dem brüchigen Alten ringt Neues empor. Neues will werden, Neues kann werden, wenn aus den dunklen Tiefen das Schöpfungswort gegen das Himmelsgewölbe klingt: wir wollen!" 24 Obwohl Clara Zetkin unter dem Druck der Militärzensur in einer Sklavensprache schreiben mußte, klangen aus ihren Zeilen die stolze Zuversicht und der leidenschaftliche Appell heraus, die Massen könnten das Neue erzwingen, wenn sie nur wollten. Es ist das große historische Verdienst der Spartakusgruppe, daß sie um die Jahreswende 1917/1918 alles daran setzte, die deutsche Arbeiterklasse von der Notwendigkeit zu überzeugen, die russische Revolution durch die eigene deutsche Revolution zu schützen. Sie nannte jeden Gedanken, daß die kaiserliche Regierung oder der Reichstag Abstand davon nehmen würde, dem revolutionären Rußland einen imperialistischen Frieden aufzuzwingen, völlig illusorisch. Auf der deutschen Arbeiterklasse ruhte eine große Verantwortung für den Weitergang der russischen Revolution aber auch f ü r die Fortsetzung des verbrecherischen Krieges. Der Arbeiterklasse ist die Aufgabe gestellt, die imperialistische Politik durch große Massenaktionen zu unterbinden. Von der kaiserlichen Regierung zu verlangen, „sie möge nun ja die imperialistischen Wünsche lassen und sich auf den tugendsamen Weg der Verständigung begeben, . . . heißt von dem Ochsen verlangen, daß er Milch gebe. Die deutsche Regierung wie die jedes anderen kapitalistischen Staates wird imperialistisch sein, oder sie wird nicht sein." 2 5 In unmißverständlicher Weise stellte die Spartakusgruppe den deutschen Arbeitern im J a n u a r 1918 die Alternative: „Der allgemeine Friede läßt sich ohne Umsturz der herrschenden Macht in Deutschland nicht erreichen." 2 6 Im offenen Massenkampf muß 23
„Leipziger Volkszeitung", Frauenbeilage, Nr. 16, vom 25. Januar 1918. Ebenda. s6 Spartakusbriefe, a. a. O., S. 153. »s Ebenda, S. 151.
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die Arbeiterklasse die politische Macht erringen, um die Volksherrschaft und eine deutsche Republik zu errichten. Das ist der einzige Weg, der ein neues Auflodern des Völkermordens und Triumphe deutscher Annexionisten im Osten und Westen verhindern kann. „Die deutschen Arbeiter sind jetzt berufen, die Botschaft der Revolution und des Friedens von dem Westen nach dem Osten zu tragen. Hier hilft kein Mundspitzen, hier muß gepfiffen werden." 27 Das von General Hoflmann auf den Verhandlungstisch von Brest-Litowsk provokatorisch geworfene Schwert steigerte die Empörung der Arbeiterklasse in Deutschland und Österreich-Ungarn. Die brutale Kriegssprache der Mittelmächte in BrestLitowsk, eine weitere angekündigte Kürzung der Lebensmittelrationen und die Verdoppelung der Tabakpreise lösten am 14. Januar 1918 einen Streik in Wiener Neustadt aus. Im Verlauf von 48 Stunden waren fast alle Länder der österreichischungarischen Monarchie von der Massenstreikbewegung erfaßt. Die österreichische Regierung mußte einen durch die Wiener Arbeiter gebildeten Arbeiterrat offiziell anerkennen und die Forderungen der Arbeiter nach einem Frieden ohne Annexionen und Kontributionen, auf ein gleiches Wahlrecht in den Städten und Ländern und auf höhere Lebensmittelrationen annehmen. Nach diesen Zugeständnissen beschloß der Wiener Arbeiterrat am 20. Januar, am nächsten Tage die Arbeit wieder aufzunehmen. 2 8 Die große Streikaktion der Arbeiterklasse in Österreich-Ungarn versetzte dem reaktionären Habsburger Regime einen schweren Schlag. In einem Land des Westens übernahmen die Arbeiter die revolutionäre Form von Arbeiterräten, um sich für die Führung ökonomischer und politischer Massenaktionen ein Kampforgan zu geben. Der Wiener Arbeiterrat zerschlug die opportunistische These, daß die Kampfformen des russischen Proletariats auf Länder mit parlamentarischen Einrichtungen nicht übertragbar seien. Obwohl die Nachrichten über die Streikbewegung in ÖsterreichUngarn infolge schärfster Zensurmaßnahmen nur ein oberflächliches Bild von dieser grandiosen Massenaktion vermittelten, war dieser Massenkampf in Österreich-Ungarn von großer mobilisierender Kraft f ü r die deutsche Arbeiterklasse. Die Betriebsbelegschaften erkannten die Richtigkeit der Losung der Spartakusgruppe, mit Massenaktionen den Kampf gegen Hunger und für den Frieden aufzunehmen. Dem stürmischen Drängen der deutschen Arbeiterklasse, den Kriegsverlängerern Einhalt zu gebieten, konnten sich auch die führenden Gremien der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) nicht entziehen. Anfang Januar 1918 tagte der Parteivorstand mit dem Beirat. Ein der Spartakusgruppe angehörendes Mitglied des Beirates regte an, aus Anlaß der Verhandlungen in Brest-Litowsk eine Massenaktion für den Frieden durchzuführen. Der Parteivorstand entgegnete, daß für eine derartige Aktion jede Massenstimmung fehle. Die Kenntnis dieser ablehnenden Haltung des Parteivorstandes der USPD und die folgenden Ausführungen über den Tagungsverlauf stammen aus einem Bericht, der anläßlich einer Haussuchung im 27 19
Ebenda. Schultheß' Europäischer Geschichtskalender, München, 34. Jg., 1918, II. Teil, S. 2/3.
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April 1918 bei einem in Berlin-Neukölln wohnenden Anhänger der Spartakusgruppe beschlagnahmt wurde. 29 In dem vorgenannten Bericht — im folgenden kurz „Neuköllner Bericht" genannt — wird über den weiteren Verlauf der fraglichen Parteivorstandssitzung der USPD Mitte Januar, insbesondere zu dem Vorschlag, Massenaktionen für den Frieden durchzuführen, sarkastisch gesagt: „Bekanntlich sagen die Kerle jedesmal, wenn sie Durchfall bekommen, daß ,die Massen' Leibschmerzen haben." 3 0 Der Beirat bestand darauf, den Zentralvorstand der USPD von Großberlin und einige oppositionelle Gewerkschaftsfunktionäre über die Stimmung der Massen zu befragen. Dabei ergab sich, daß die Stimmung der Arbeiter vortrefflich war. Die Arbeiter erwarteten eine Aktion, sonst würde die USPD alles Prestige verlieren. R. Müller schrieb dazu, daß sich in der Diskussion drei Gruppen herausbildeten. Die Gruppe um Ströbel stand jeder Aktion skeptisch gegenüber. „Eine Revolution wie in Rußland sei in Deutschland unmöglich", war ihr wichtigstes Argument. 31 Die größte Gruppe um Haase stimmte Massenaktionen zu, lehnte es aber ab, öffentlich zum Massenstreik aufzufordern, weil, ihrer Meinung nach, damit die Partei vernichtet werden würde. Eine dritte Gruppe um Ledebour und A. Hoffmann trat f ü r den politischen Massenstreik ein, zu dem die Reichstagsfraktion auffordern müsse. 32 Unter dem Eindruck dieser Berichte kamen Parteivorstand und Beirat überein, die deutsche Arbeiterklasse zu einem dreitägigen Demonstrationsstreik zur Bekundung ihres Friedenswillens aufzurufen. Die Reichstagsfraktion der USPD wurde telegraphisch nach Berlin gerufen, um den Entwurf des Aufrufes zu beraten. Die Fraktion lehnte zunächst jegliche Aufforderung zum Streik ab, verwarf dann den ganzen Entwurf des Parteivorstandes und formulierte einen neuen Text. Die massenweise Verbreitung dieses inhaltlosen Aufrufes schien daran zu scheitern, daß der Parteivorstand vorgab, über keine entsprechende Druckerei zu verfügen. Die Spartakusgruppe erklärte sich bereit, den Druck des Aufrufes zu besorgen, aber sie forderte textliche Änderungen. Ein Einvernehmen kam nicht zustande. Der Parteivorstand gab dann das Flugblatt 29 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 97/102 — Der Bericht wurde mit einem ebenfalls vorgefundenen Flugblatt der Spartakusgruppe vom Stellvertretenden Generalstab der Armee, Abt. I l l b , T. B. V. Nr. 6344 A X/l geh. XIV 120, am 22. April 1918 an das Kriegsministerium, das Reichsamt des Innern und andere Regierungsstellen gesandt. Das Vorhandensein dieses Dokuments bestätigte im Münchener Dolchstoßprozeß der Senatspräsident Seeber in seiner Eigenschaft als Zeuge. Seeber war während des Krieges bei der Reichsanwaltschaft tätig und gab zu Protokoll: „Man hat bei einem Anhänger der Spartakusgruppe, der so ungefähr im März 1918 verhaftet worden ist, einen Bericht über die Entstehung des Januarstreiks gefunden. Dieser Bericht ist in Schreibmaschinenschrift hergestellt und vervielfältigt gewesen. Er ist ausgegangen von einem Angehörigen der Spartakusgruppe, von wem, weiß ich nicht, das konnte man diesem Stück Papier auch gar nicht ansehen. Aber ich nehme an, daß es eben ein Mann gewesen ist, der über die Entstehung recht gut unterrichtet war". (Vgl. Hans Herzfeld: Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Weltkriege, Leipzig 1928, S.232). 30 „Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, Bl. 99. 31 Richard Müller: Vom Kaiserreich zur Republik, Wien 1924, Bd. I, S. 101. 32 Ebenda.
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illegal heraus. In Golha erschien es in dem offiziellen Organ der L'SPD, ohne daß die Zensur Einspruch erhob. Diese Tatsache illustriert, wie gering die mobilisierende Wirkung dieses Aufrufes von den Regierungsbehörden eingeschätzt wurde. Das Flugblatt beschuldigte zwar Hindenburg und Ludendorff, die Schwerindustriellen, die bürgerlichen Parteien und die chauvinistische Presse des wildesten Annexionismus gegenüber dem russischen Volk, aber es enthielt keine Aufforderung zum Streik, zur Demonstration oder zu einer andern Massenaktion. Die Abgeordneten der USPD fanden einen höchst einfachen Weg, sich der geschichtlichen Verantwortung f ü r das Zustandekommen eines Diktatfriedens gegenüber Sowjetrußland zu entziehen. Sie übertrugen die Verantwortung den Volksmassen. Ihr Flugblatt bezog sich auf einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen und schloß mit den Worten: „Die Stunde ist gekommen, eure Stimme f ü r einen solchen Frieden zu erheben! Ihr habt jetzt das Wort!" 3 3 Der Parteivorstand der USPD beschloß ferner, durch die Parteiorganisationen und insbesondere durch die oppositionellen Gewerkschaftler eine mündliche Agitation f ü r den Demonstrationsstreik zu betreiben. Damit war aber gleichzeitig der Plan verbunden, den Beginn des Streiks um "ein bis zwei Wochen hinauszuschieben. Wie es in dem genannten Bericht heißt, vermied es die Führung der USPD der mündlichen Agitation Ziel und Richtung zu geben. Das ist kein Zufall. Wir wissen aus einem Brief von Hugo Haase vom 20. J a n u a r 1918 wie er die Ereignisse in Österreich-Ungarn einschätzte. Er berichtete in diesem Brief: „Alle Tage haben die demonstrierenden Massen — nicht nur Sozialdemokraten — auf dem Ring in Wien und in Budapest vor dem deutschen Konsulat heftige deutschfeindliche Kundgebungen veranstaltet, die deutschen Generäle, namentlich Hoflmann, geschmäht." 3 4 Haase unterschätzte die Wirkung des Massenkampfes in Österreich-Ungarn auf die innerpolitische Entwicklung der Habsburger Monarchie und dessen Ausstrahlung auf den Antikriegskampf in Deutschland. Er maß dem Massenkampf der Arbeiterschaft in Österreich-Ungarn nur geringe Bedeutung f ü r den Gang der Friedensverhandlungen bei. Jede Idee, das österreichisch-ungarische ßeispiel für den Friedenskampf in Deutschland auszunutzen, lag Haase völlig fern. Es war ihm klar, daß die deutsche Regierung zu imperialistischen Gewaltakten im Osten übergehen werde und daß sie zugleich im Westen eine Offensive vorbereitete, die alles überbieten würde, was der Krieg bisher den Völkern gebracht hatte. Trotz dieser Erkenntnis und obwohl er Augenzeuge der großen österreichisch-ungarischen Massenbewegung in den Januartagen 1918 war, kam Haase nicht auf den Gedanken, die deutsche Volksmassen zu einer ähnlichen Kraftanstrengung aufzurufen, um das Morden in Ost und West einzustellen. Seit Mitte J a n u a r diskutierten die Arbeiter in den Rüstungsbetrieben ganz offen die Frage einer großen politischen Massenaktion zur Herbeiführung des Friedens. Einen wesentlichen Anteil daran trug das bereits erwähnte Flugblatt der Spartakusgruppe „Die Stunde der Entscheidung". Mitte Januar verbreitete die Spartakusgruppe 38 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 94; vgl. auch Richard Müller: a. a. O., S. 102. 84 Hugo Haase: Sein Leben und Wirken, Berlin, o. J., S. 157.
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ein neues Flugblatt mit dem Titel: „Hoch der Massenstreik! Auf zum K a m p f ! " 3 5 Dieses Flugblatt prangerte die verbrecherischen Kriegsziele der deutschen Regierung an, wie sie in den Verhandlungen von Brest-Litowsk erneut offen zutage traten. „ R a u b fremder Länder, Unterjochung fremder Völker, gewaltsame Annexionen und die Herrschaft des deutschen Säbels in der Welt: das sind die Kriegsziele der deutschen Regierung." 3 6 Jeder Glaube, daß der Separatfriede mit Rußland der Anfang zum allgemeinen Frieden sei, sei eitle Hoffnung und bewußter Volksbetrug. Das Gegenteil sei die Wahrheit. „Das ganze Streben und Trachten der Regierung ist darauf gerichtet, durch einen Separatfrieden mit Rußland Rückendeckung im Osten zu bekommen, um das menschliche Kanonenfutter vom Osten nach dem Westen zu kommandieren und alle Kräfte mit doppelter Wucht gegen England, Frankreich und Italien zu werfen." 3 7 Vor den Arbeitern stehe die große Aufgabe, ihre eigene Existenz zu verteidigen, und zwar zu verteidigen gegen die deutschen Junker, gegen die deutsche imperialistische Bourgeoisie und gegen die deutsche Regierung. „Die Verhandlungen in Brest-Litowsk haben sogar den Blinden und Tauben die einfache, handgreifliche Wahrheit beigebracht: entweder muß die Regierung untergehen oder das deutsche Volk ist unabwendbar dem Untergange geweiht!" 3 8 Klar und deutlich, für jeden Arbeiter und für jede Arbeiterin verständlich, erklärte die Spartakusgruppe, es gäbe keine andere Hoffnung und kein anderes Mittel, zum Frieden zu kommen, als den Sturz der Regierung, die Zerschmetterung der Macht der Bourgeoisie. „Nur die Volksrevolution und die Volksrepublik in Deutschland würden imstande sein, den allgemeinen Frieden in kürzester Frist herbeizuführen . . . " 3 9 Der erste Waffengang im Kampf um Frieden und Revolution, das sei der allgemeine Massenstreik, eine Arbeitsruhe, die so allgemein, so vollständig wird, daß vor allem die Produktion der Mordwerkzeuge aufhört. J e d e r Verkehr, auch der Verkehr der Eisenbahnen und Straßenbahnen müsse eingestellt werden. J e d e r müsse dafür sorgen, daß die Kunde von dem Massenstreik an die Front dringt, damit sie in den Schützengräben einen mächtigen Widerhall findet. Zu den Streikversammlungen und Straßenkundgebungen seien die Urlauber einzuladen, damit die Soldaten und Arbeiter gemeinsam handeln. „ E s gilt zu kämpfen, nicht zu demonstrieren . . . ! E s handelt sich nicht darum, unsern Willen kundzutun, sondern unsern Willen durchzusetzen. Die Regierung hat tausendmal bewiesen, daß sie auf den Volkswillen pfeift, wenn er nicht durch entschlossene Taten und rücksichtslosen K a m p f zum Ausdruck gebracht wird." 4 0 Die Spartakusgruppe schlug für den bevorstehenden Massenkampf die folgenden Forderungen vor, von deren Erfüllung die Wiederaufnahme der Arbeit abhängig gemacht werden sollte: „1. Die sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes, der Zensur und aller sonstigen Beschränkungen der Presse. 2. Unbeschränkte Vereins- und Versammlungsfreiheit. 3. Unbeschränktes Koalitions- und Streikrecht. 4. Aufhebung Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/14. Ebenda. " Ebenda. 38 Ebenda. 38 Ebenda. *« Ebenda. 36
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des Arbeitszwangsgesetzes. (Gemeint ist das sog. vaterländische Hilfsdienstgesetz, das, am 5. Dezember 1916 erlassen, alle nicht im Heeresdienst stehenden militärpflichtigen Personen zur Arbeit in öffentlich-rechtlichen Betrieben verpflichtete — W. B.) 5. Die Befreiung aller wegen politischer Betätigung Verurteilten und Inhaftierten und die Niederschlagung aller politischen Prozesse." 4 1 Das Flugblatt nannte dies die Mindestforderungen, deren Erzwingung die notwendige Freiheit verschaffen sollte, damit der Kampf f ü r den Frieden und die Republik mit aller Kraft geführt werden konnte. Das Flugblatt schloß mit der Strophe eines alten Arbeiterlieds: „Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will." In dieser überzeugenden Weise bereitete die Spartakusgruppe den politischen Massenstreik vor. Entgegen dem verwaschenen Aufruf der Reichstagsfraktion der USPD, der keine Resonanz bei den Arbeitermassen fand, wurde hier mit aller Deutlichkeit das politische Ziel gestellt, den Massen gesagt, daß sie die Waffe des Massenstreiks anwenden müssen, um ihre gerechten Forderungen durchzusetzen. Die Polizeiberichte meldeten, daß in den Berliner Großbetrieben, aber auch bei den Holzarbeitern, Transportarbeitern und Schuhmachern in reger Weise, von Mund zu Mund für den Ausstand agitiert wurde. Das Oberkommando in den Marken übermittelte am 26. J a n u a r dem Berliner Polizeipräsidenten den Befehl, allen Saalbesitzern zu untersagen, ihre Säle f ü r Veranstaltungen ohne Vorlage einer polizeilichen Genehmigung zu vermieten. 42 Die Spartakusgruppe gab auch das Signal f ü r den Beginn des großen politischen Massenstreiks. In der letzten Januarwoche verbreiteten die unermüdlichen Anhänger der Spartakusgruppe das Flugblatt: „Am Montag, den 28. Januar beginnt der Massenstreik!" 4 3 Das Flugblatt vermittelte eingangs den Arbeitern und Arbeiterinnen die Tatsachen der großartigen Aktion ihrer Klassenbrüder in Öslerreich-Ungarn. Richtig wurde das Neue in der politischen Situation Österreich-Ungarns mit den Worten dargelegt: „In schlotternder Angst vor der drohenden Revolution war die Zentralregierung gezwungen, den nach Muster der russischen Revolution gewählten Wiener Arbeiterrat anzuerkennen und mit ihm zu verhandeln." 4 4 Mit der Bekanntgabe der Zugeständnisse, die durch die Massenaktion der Arbeiterschaft der herrschenden Klasse abgetrotzt wurden, erklärte die Spartakusgruppe: „Die historische Bedeutung des Arbeiterausstandes in Österreich-Ungarn liegt aber nicht in diesen Zugeständnissen, sondern in der Tatsache der Erhebung selbst. Die Bewegung ist zwar auf halbem Wege stehengeblieben, aber es ist dies der erste Schritt, dem andere folgen werden. Die Hilfe der deutschen Arbeiter, unser Massenstreik, wird die Flamme der Revolution in der Doppelmonarchie zu neuem mächtigem Brande entfachen." 4 5 41
Ebenda. Vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sect. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 3, Bl. 1, 153. 43 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/9. 44 Ebenda. « Ebenda. 42
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Es ist interessant, die Einschätzung des Januarstreiks 1918, wie sie von der Spartakusgruppe und von dem Vorsitzenden der USPD, Hugo Haase, gegeben wurde, zu vergleichen. Auf der einen Seite Stolz und Hochachtung über die große Yolksaktion in Österreich-Ungarn und ein wirkliches marxistisches Verständnis für die Rolle der Volksmassen. Auf der anderen Seite eine nichtssagende, kleinbürgerliche, die Kraft der Volksmassen negierende Grundeinstellung des namhaftesten Führers der USPD. Die Führer der USPD sahen in einer Massenaktion das Ende einer Bewegung. Die Spartakusgruppe sah in ihr den Beginn einer neuen Phase des Klassenkampfes. Die USPD begann damit, den Massenkampf in parlamentarische Verhandlungen ausklingen zu lassen; die Spartakusgruppe war stets bemüht, die Aktion der Massen als Hebel anzusetzen, um den bisher erreichten Stand des Klassenkampfes auf eine höhere Stufe zu bringen: Darum im Spartakusflugblatt die Feststellung, daß der Massenstreik in Österreich-Ungarn zwar ein erster Schritt, aber von großer prinzipieller Bedeutung sei. Darum auch das Streben der Spartakusgruppe, die kommende Bewegung in Deutschland nicht auf einen Demonstrationsstreik zu beschränken, zumal die Führer der USPD einen befristeten Demonstrationsstreik lediglich als ein Ventil betrachten würden, um dem Unwillen der Massen Luft zu schaffen. Aber die Zeit des bloßen Demonstrierens war vorbei. Hunderttausende, Millionen mußten ihre ganze Kraft in die Waagschale werfen, das heißt den Gegner fühlbar attackieren, um die nationale Katastrophe zu verhindern. Mit der Aufforderung, den politischen Massenstreik am 28. Januar zu beginnen, propagierte die Spartakusgruppe die im Flugblatt „Hoch der Massenstreik! Auf zum Kampf!" bereits formulierten Mindestforderungen. Zu diesen politischen Forderungen unterbreitete die Spartakusgruppe den Vorschlag, nach russischem und Österreich-ungarischem Beispiel für den bevorstehenden Kampf Streikleitungen in den Betrieben zu bilden. Es wurde empfohlen, auf 1000 Beschäftigte einen Vertrauensmann zu wählen; die Vertrauensleute eines Betriebes sollten sich dann als Arbeiterrat konstituieren. Die Belegschaften wurden gemahnt, dafür zu sorgen, „daß die Gewerkschaftsführer, die Regierungssozialisten und andere ,Durchhaltet unter keinen Umständen in die Vertretungen gewählt werden." 46 Das Flugblatt bezeichnete diese Leute als Handlanger und freiwillige Agenten der Regierung, die in Arbeiterversammlungen nichts zu suchen haben; sie seien Todfeinde des Massenstreiks und gehören nicht in die Reihen der kämpfenden Arbeiterschaft. „Von diesen Wölfen im Schafspelz droht der Bewegung eine viel schlimmere Gefahr, als von der königlich preußischen und anderweitigen Polizei!" 47 Die mächtige Waffe der Arbeiterinnen und Arbeiter sei die Klassensolidarität. Jetzt heißt es: „Alle für einen, einer für alle!" Zum Schluß erinnerte das Flugblatt an den rohen Knecht der Säbeldiktatur, den General Groener, der nach dem Streik im April 1917 jeden Arbeiter als Hundsfott beschimpfte. „Zeigen wir der Welt, daß die ,Hundsfötter' in Deutschland noch etwas zu sagen haben!" 4 8 46 47 48
Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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Das Flugblatt der Spartakusgruppe war Gegenstand heftigster Diskussionen unter den Betriebsbelegschaften. Offensichtlich machten die Arbeiter kein Hehl aus ihrer Bereitschaft, nach russischem und österreichischem Beispiel durch eine Massenarbeitsniederlegung die richtigen politischen Forderungen der Spartakusgruppe zu ihren eigenen zu machen. Die Breite der Diskussionen in den Betrieben, die von einem starken Kraftgefühl der Arbeiter zeugte, führte auch dazu, daß die Behörden und die Feinde der Arbeiterklasse von den Streikabsichten Kenntnis erhielten. In derSitzung derBudget-Kommission desBeichstages vom 26. Januar 1918 machte der Abgeordnete Naumann von der Fortschrittspartei auf das Flugblatt der Spartakusgruppe aufmerksam. Er sprach dabei gleichzeitig die Hoffnung aus, daß die HirschDunckerschen Gewerkschaften ihre vaterländische Pflicht erkennen und nicht streiken würden. 4 9 Der Staatssekretär des Innern, Wallraf, fühlte sich angesprochen und nahm bereits einige Stunden später in derselben Sitzung zu der Streikaktion Stellung. In echt preußischer Weise drohte er, mit allen Mitteln die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Im übrigen hielt er es für unwahrscheinlich, daß größere Massen dem Ruf zu einem Ausstand folgen würden. Er täuschte sich genauso wie reaktionäre Berliner Zeitungen, die noch am Morgen des 28. J a n u a r schrieben, daß aus »der Demonstration, die angeblich in einen Generalstreik ausmünden sollte, nicht sehr viel werden würde. 5 0 Am Sonntag, dem 27. Januar, tagte in Berlin eine Versammlung der Dreher. Sie war von der Leitung der revolutionären Obleute ganz bewußt zu diesem Tage einberufen worden. 5 1 Die 1500 Anwesenden vertraten fast alle Berliner Rüstungsbetriebe. Nach dem Bericht des Branchenleiters der Dreher, R. Müller, nahm die Versammlung ohne Diskussion, ohne eine Frage zu stellen, auch ohne Beifallsbezeugung, ruhig, fast unheimlich still, den Vorschlag an, am nächsten Tage mit dem Massenstreik zu beginnen. 52 49
„Leipziger Volkszeitung", Nr. 23, vom 28. Januar 1918. Meldung der ,,Telegraphen-Union", abgedruckt in der „Leipziger Volkszeitung", Nr. 23, vom 28. Januar 1918. " Richard Müller: a. a. O., S. 102. 62 Ebenda; Richard Müller muß zugeben, daß die Spartakusgruppe bereits mehrere Tage vor dem offiziellen Streikbeschluß mit dem genannten Flugblatt für den Beginn des Streiks am 28. Januar Propaganda gemacht hatte. Demnach war es so, daß der Streikbeschluß auf Grund der Agitation der Spartakusgruppe zustande kam. 60
KAPITEL
DIE
MASSEN
FÜHRER
II
KÄMPFEN
-
DIE
SOZIALDEMOKRATISCHEN
VERRATEN
Am 28. Januar 1918 begann der große politische Massenstreik mit seltener Wucht und Geschlossenheit. Am ersten Tage legten in Berlin an 4 0 0 000 Arbeiterinnen und Arbeiter die Arbeit nieder. Sie wählten entsprechend dem Vorschlag der Spartakusgruppe in den Belegschaftsversammlungen Arbeiterräte, die schon am Nachmittag des ersten Streiktages im Berliner Gewerkschaftshaus zusammentraten. 414 Arbeiterräte nahmen einstimmig eine Entschließung an, die folgende Streikforderungen proklamierte: „1. Schleunige Herbeiführung des Friedens ohne Annexion, ohne Kriegsentschädigung, auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker entsprechend den Ausführungsbestimmungen, die dafür von den russischen Volksbeauftragten in BrestLitowsk formuliert wurden. 2. Hinzuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen. 3. Ausgiebigere Nahrungsversorgung durch Erfassung der Lebensmittelbeslände in den Produktionsbetrieben wie in den Handelslagern zwecks gleichmäßiger Zuführung an alle Bevölkerungskreise. 4. Der Belagerungszustand ist sofort aufzuheben. Das Vereinsrecht tritt vollständig wieder in Kraft, ebenso das Recht der freien Meinungsäußerung in der Presse und in Versammlungen. Die Schutzgesetze für Arbeiterinnen und Jugendliche sind schleunigst wieder in Kraft zu setzen. Alle Eingriffe der Militärverwaltung in die gewerkschaftliche Tätigkeit sind rückgängig zu machen und neue zu verhindern. 5. Die Militarisierung der Betriebe ist gleichfalls aufzuheben. 6. Alle wegen politischer Handlungen Verurteilte und Verhaftete sind sofort freizulassen. 7. Durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen in Deutschland, und zwar zunächst die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle Männer und Frauen im Alter von mehr als 20 Jahren für den preußischen Landtag." 5 3 53
„Leipziger Volkszeitung", Nr. 24, vom 29. Januar 1918.
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Die Arbeiterräte verpflichteten sich in einer weiteren Entschließung, dafür Sorge zu tragen, daß die Gebote der Solidarität unbedingt eingehalten werden und jede Maßregelung der Streikführer, der Vertreter und Beauftragten der Betriebe mit aller Macht abzuwehren ist. Die gleiche Entschließung richtete „an die Proletarier Deutschlands wie der anderen kriegführenden Länder insgesamt die dringende Aufforderung, wie schon die Arbeitskollegen in Österreich-Ungarn erfolgreich uns vorangegangen sind, so nunmehr gleichfalls in Massenstreiks einzutreten, denn erst der gemeinsame internationale Klassenkampf schafft uns endgültig Frieden, Freiheit und Brot." 9 4 Nach der einstimmigen Annahme dieser Entschließungen wählte die Vertreterversammlung eine Streikleitung von elf Mitgliedern. 55 Aus der Mitte der Versammlung kam der Vorschlag, den Vorstand der USPD aufzufordern, drei Vertreter zum Aktionsausschuß zu delegieren. Dieser Antrag wurde von einem anwesenden Gewerkschaftsbeamten der SPD benutzt, um auch die Zulassung von offiziellen Vertretern der SPD zu beantragen. Die Arbeiterräte lehnten diesen Antrag ab, jedoch die Versammlungsleitung, d. h. Richard Müller, stellte den Antrag nochmals zur Abstimmung. Er wollte „keinen Mißton in die Versammlung tragen" und empfahl deshalb die Annahme des Antrages, die gegen wenige Stimmen erfolgte. 56 In dem sogenannten Reichspräsidentenprozeß in Magdeburg (1924) begründete R. Müller seine Haltung folgendermaßen: Die SPD hatte den ersten politischen Massenstreik 1916 als Landesverrat bezeichnet. „Ich sagte mir, es sei ganz gut, wenn die Rechtssozialisten jetzt selbst das mitmachten, was sie vor zwei Jahren als Landesverrat betrachtet hatten." 57 Man kann Müller unterstellen, im guten Glauben gehandelt zu haben; aber es war ein verhängnisvoller politischer Schritt. Mit seiner Taktik, die Vertreter der SPD in den Aktionsausschuß zu holen, erweckte er Illusionen über deren politische Absichten. Es besteht kein Zweifel, daß ein Auftreten Müllers gegen die Hereinnahme von Führern der SPD in die Streikleitung eine überwältigende Mehrheit bei den Arbeiterräten gefunden hätte. Der Parteivorstand der SPD hätte seine Politik zum schnellen Abbruch des Streiks unter allen Umständen betrieben, aber es wäre ihm ohne die Zugehörigkeit zum Aktionsausschuß schwerer gefallen, und er hätte seine verräterische Politik offener betreiben müssen. Als Vertreter der USPD erschienen Haase, Ledebour und Dittmann, als Vertreter der SPD Ebert, Scheidemann und Braun im Aktionsausschuß. Das erste Auftreten Eberts war ein Versuch, das aufgestellte und soeben einstimmig angenommene Streikprogramm umzustoßen. Die Vertreter der SPD könnten nicht allen aufgestellten Forde64
Richard Müller: a. a. O., S. 204. Diese Streikleitung, auch Aktionsausschuß des Arbeiterrats genannt, bestand aus den Arbeitern Eckert, Blumenthal, Neuendorf, Malzahn, Kraatz, Müller, Scholze, Tost, Zimmermann, Tirpitz und Kläre Casper (Richard Müller: a. a. O., S. 103). Die Mitglieder standen politisch zur U S P D , zwei Teilnehmer hatten bereits an dem Streik 1916 teilgenommen, ein Mitglied zählte zur Spartakusgruppe (vgl. „Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, Bl. 100). 58 Richard Müller: a. a. O., S. 103. 57 Karl Brammer: Der Prozeß des Reichspräsidenten, Berlin 1925, S. 39. 55
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rungen zustimmen, monierte er. Ferner verlangte Ebert eine paritätische Zusammensetzung des Aktionsausschusses. Die von den Arbeiterräten gewählten Mitglieder lehnten Eberts Anträge ab. Er behielt sich vor, sie auf der nächsten Sitzung erneut zur Diskussion zu stellen. Weitere Schritte konnten die Führer der S P D in dieser ersten Sitzung nicht unternehmen, da ein polizeilicher Uberfall signalisiert wurde. Das war für sie Grund genug, das Lokal fluchtartig zu verlassen. 5 8 Die Führung der U S P D war in ihren Ansichten zum Streik und in ihrem Verhalten keineswegs einheitlich. Von den drei Vertretern im Aktionsausschuß ließen sich Haase und Dittmann nur durch die Massenaktion vorantreiben. Von ihnen selbst ging keine Initiative aus, den Streik auf ganz Deutschland auszudehnen, und sie lehnten jeden Versuch ab, den K a m p f im entscheidenden Moment auf eine höhere politische Ebene zu heben. Der Streik trug ausgesprochen politischen Charakter. E r war das Echo des K a m p f e s um den Frieden, zu dem die beiden russischen Revolutionen des J a h r e s 1917 und das Friedensprogramm des zweiten Kongresses der russischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten den Anstoß gegeben hatten. Die Forderungen der Streikenden und die Wahl von Arbeiterräten waren auf den K a m p f der deutschen Arbeiterklasse angewandte Lehren aus der siegreichen russischen Revolution. Die Arbeitermassen standen im K a m p f , sie trotzten den Drohungen der Regierung, den Brutalitäten der Polizei und der infamen Hetze der bürgerlichen Presse. Ihr Wille, den Kriegsverlängerern einen entscheidenden Schlag zu versetzen, stand außer Zweifel. Sie hofften, mit der Waffe des politischen Massenstreiks den Frieden erzwingen zu können. Das russische Beispiel stand ihnen als erstrebenswertes Ziel vor Augen. Aber der deutschen Arbeiterklasse fehlte in dieser entscheidenden Stunde die kampferprobte, fest mit den Massen verbundene revolutionäre Partei. Der Verlauf des Kampfes, die Vorgänge in der Versammlung der Berliner Arbeiterräte und im Aktionsausschuß zeigten mit seltener Schärfe die Hauptschwäche der revolutionären Arbeiterbewegung: das Fehlen einer eigenen selbständigen, auf dem festen Boden des wissenschaftlichen Sozialismus stehenden Klassenpartei. Die Spartakusgruppe hat durch ihre unermüdliche Agitation in den Betrieben, mit ihren Kampflosungen und dem tapferen Auftreten ihrer Anhänger das unbestreitbare historische Verdienst, den Streik ideologisch und organisatorisch vorbereitet zu haben. Sie hat vom ersten Tage des K a m p f e s die politische Bedeutung der gewaltigen Massenaktionen der deutschen Arbeiterklasse verständlich gemacht. Sie gab den Massen das Bewußtsein ihrer Kraft als Klasse; sie schürte den Haß gegen die Kriegsverlängerer und Annexionisten; sie mahnte, die verpflichtenden Aufgaben des proletarischen Internationalismus zu erfüllen. Doch die Spartakusgruppe war bei allen diesen großen Verdiensten keine revolutionäre Partei. So gelang es ihr nicht, während des Januarstreiks ihren politischen Willen in den entscheidenden Streikorganen durchzusetzen. Das zeigte sich bereits in der geschilderten Versammlung der 414 Berliner Arbeiterräte. Es wurde wohl über die Hinzuziehung von offiziellen Vertretern der beiden Arbeiterparteien zur Streikleitung 48
Richard Müller: a. a. O., S. 104.
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diskutiert, und es wurden Beschlüsse gefaßt. Aber von einer Hinzuziehung der Spartakusgruppe war nicht die Rede. Sie bildete nach ihrer eigenen Definition nur eine Richtung innerhalb der USPD — die entschiedene Opposition —, aber keine eigene, selbständige Partei. So großartig die Spartakusgruppe den Streik durch ihre klaren Kampflosungen und durch die Propagierung der Arbeiterräte vorbereitet hatte, so wenig war sie selbst vorbereitet, im Kampf eine führende, organisierende Rolle zu übernehmen. Es fehlten den tapferen Mitgliedern der Spartakusgruppe die parteimäßige Verständigung untereinander und das einheitliche Auftreten in den Streikkundgebungen, wie in den betrieblichen Streikorganen und in der zentralen Streikleitung. Aus dem „Neuköllner Bericht" geht hervor, daß die Spartakusgruppe bei Beginn der Aktion einen linken Flügel innerhalb der Arbeiterräte bilden wollte. „Unter den Delegierten des Rates (es war die Versammlung aller Berliner Arbeiterräte gemeint — W . B.) solle eine ganze Menge unserer Leute gewesen sein, nur waren sie zerplittert, hatten keinen Aktionsplan und verschwanden in der Menge. Auch sind sie meistens selbst unklar." 5 9 Diese selbstkritische Betrachtung bestätigt die geschichtliche Erfahrung, daß es nicht genügt eine politische Linie zu propagieren, sie bedarf auch der Organisation, u m sie mit Erfolg durchzusetzen. Die streikenden Arbeiter und Arbeiterinnen begnügten sich nicht damit, die Produktion von Waffen und Munition einzustellen und durch die Arbeitsverweigerung ihren Willen zum sofortigen Frieden zu bekunden. Sie demonstrierten in vielen Berliner Stadtteilen f ü r ihre Streikforderungen. Am ersten Streiktage war das Ziel vieler Demonstranten das Gewerkschaftshaus am Engelufer. Die Demonstranten wollten von den gewählten Arbeiterräten erfahren, was die gemeinsame Versammlung aller Arbeiterräte beschlossen hatte. Mit starkem Beifall begrüßten sie das aufgestellte Kampfprogramm. Eine Welle von Enthusiasmus erfüllte die Streikenden. Der so wuchtig begonnene Kampf verfehlte nicht seine Wirkung auf andere Arbeiterschichten. Am zweiten Streiktage erhöhte sich die Zahl der Streikenden auf mehr als eine halbe Million. W ä h r e n d des ganzen Tages fanden auf den Straßen und Plätzen Demonstrationen und Kundgebungen statt, bei denen die Polizei ständig nervöser u n d brutaler einschritt. Die kaiserlichen Behörden kannten gegen den machtvoll zum Ausbruch gekommenen Volkswillen nur ein Mittel: Verbieten! Das Oberkommando in den Marken erließ noch am 29. J a n u a r einen Befehl, der das Abhalten von Streikversammlungen u n d die Bildung von Streikkomitees untersagte. 6 0 Am gleichen Tage trat der Aktionsausschuß zu seiner zweiten Sitzung zusammen. Er beschäftigte sich mit dem Befehl des Oberkommandierenden in den Marken und beschloß, eine Delegation zum Staatssekretär des Innern zu entsenden, um die Aufhebung des Versammlungsverbotes von der Regierung zu fordern. Die Delegation, bestehend aus den Abgeordneten Scheidemann u n d Haase und den Arbeiterdelegierten Müller und Scholze, wurde trotz geduldigen Wartens im Vestibül des Ministeriums nicht empfangen. Der Staatssekretär Wallraf ließ kategorisch durch einen Beamten 59 60
„Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, Bl. 101. Schultheß' Europäischer Geschichtskalender, a. a. O., Teil I, S. 50.
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erklären, daß er bereit sei, mit den Abgeordneten zu verhandeln, aber nicht mit den Arbeitervertretern. 61 Den Mitgliedern der zentralen Streikleitung wurde noch am gleichen Abend durch eine Verfügung des Oberkommandos in den Marken zur Kenntnis gebracht, daß jede weitere Zusammenkunft und jede weitere Betätigung der Streikleitung verboten sei und unter Strafe stehe. „Die Arbeitervertreter, die am Abend nicht zu erreichen waren, wurden am anderen Morgen durch Kriminalpolizei nach dem Polizeipräsidium gebracht, wo sie die Kenntnisnahme der Verfügung des Oberkommandos schriftlich bestätigen mußten." 62 Müller setzt hinzu, daß sich kein Mitglied der Streikleitung an diese Verfügung hielt; die Sitzungen fanden nach wie vor statt. Die Terrormaßnahmen der Regierung stärkten die Streikfront, und die Zahl der Kämpfenden stieg weiter an. Am 30. Januar legte ein Teil der Buchdrucker die Arbeit nieder. Der „Vorwärts", das Zentralorgan der SPD, wurde verboten, weil er angeblich die Zahl der Streikenden zu hoch angegeben hatte. Starke Polizeikräfte besetzten das Gewerkschaftshaus am Engelufer und verhinderten eine neue Tagung des Großberliner Arbeiterrates. Durch ein riesiges Polizeiaufgebot unter Hinzuziehung von 5000 Unteroffizieren sollten die Streikenden eingeschüchtert werden. Ein Flugblatt „An die Arbeiterschaft Berlins", herausgegeben vom Aktionsausschuß des Arbeiterrates, gab den Streikenden von dem großen Umfang der Massenaktion in Berlin und von dem Umsichgreifen der Streikbewegung in ganz Deutschland Kenntnis. In aller Schärfe protestierte der Aktionsausschuß gegen das Versammlungsverbot und gegen die Brüskierung der höchsten gewählten Körperschaften der Streikenden durch die Regierung. Wenn die Regierung es ablehne, mit Arbeitervertretern über politische Fragen zu verhandeln, dann könne und dürfe es nur eine Antwort geben, so hieß es in dem Flugblatt: „Fester und geschlossener Zusammenhalt! Zehntausende werden sich mit den Streikenden solidarisch erklären. Die Bewegung muß so gewaltigen Umfang annehmen, daß die Regierung unserem berechtigten Verlangen nachgibt. Laßt Euch durch nichts und durch niemanden irremachen, weder durch die falschen Berichte der bürgerlichen Presse noch durch die Einschüchterungsversuche der Behörden. . . . Steht fest zusammen! Einer für alle, Alle für Einen!" 63 Die Zahl der in ganz Deutschland zwischen dem 28. Januar und 3. Februar 1918 Streikenden wird nach den vorliegenden Angaben auf eine Million geschätzt. Diese Zahl ist eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. Für die Streikaktion in Deutschland war nicht unbedeutend, daß zur gleichen Zeit Massenstreiks in England, Frankreich und Holland stattfanden. Der Streik in England umfaßte 100 000 Teilnehmer. Eine Massenversammlung der Maschinisten und verwandter Berufe am 27. Januar in London nahm eine Entschließung an, in der von der englischen Regierung gefordert wurde, den Mittelmächten unverzüglich ein Friedensangebot zu übermitteln, und zwar auf der Grundlage: keine Annexionen, keine Entschädigungen, Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten. Ähnlich lautende Resolutionen nahmen die 61 62 63
IX
Richard Müller: a. a. O., S. 105. Ebenda, S. 106. Ebenda, S. 205.
Aevolutionäre Ereignisse
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Maschinisten in anderen englischen Industriezentren an. Es waren die gleichen politischen Ziele, f ü r die deutsche Arbeiter zur Waffe des politischen Massenstreiks gegriffen hatten. 64 Am 31. Januar, dem 4. Streiktage, wurde die Lage in Berlin äußerst kritisch. Offenkundig bereitete sich die Regierung darauf vor, den Streik mit den brutalsten Mitteln niederzuschlagen. Große Plakate in roter Farbe kündigten den verschärften Belagerungszustand und die Einsetzung außerordentlicher Kriegsgerichte an. 6 5 Der Oberbefehlshaber in den Marken bedrohte die Berliner Arbeiterschaft mit dem folgenden Erlaß: „Nachdem ich nunmehr den verschärften Belagerungszustand eingeführt habe, will ich die Bevölkerung nicht im Zweifel darüber lassen, daß ich jeden Versuch, die Ruhe und Ordnung zu stören, mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln unterdrücken werde. Ich warne daher jeden ordentlichen Bürger, sich irgendwo an öffentlichen Zusammenkünften zu beteiligen. Jedermann gehe ruhig seinen Pflichten nach und halte sich von Aufläufen fern; bei dem Gebrauch der Waffe läßt sich ein Unterschied zwischen Ruhestörern und Unbeteiligten nicht machen. Der Oberbefehlshaber in den Marken, von Kessel, Generaloberst." 66 Aber auch diese provozierende Sprache preußischer Junker und Generale verfehlte ihren Zweck. 6 7 In fast allen Berliner Stadtteilen führten die Streikenden weiterhin Kundgebungen und Demonstrationen durch. „Die Stimmung am Mittwoch und Donnerstag (30. und 31. Januar) hatte einen Anhauch von revolutionärer Bereitschaft, man wußte jedoch nicht, was anzufangen. Nach jedem Zusammenstoß mit der Polizeimacht erschallten Rufe: ,Genossen, morgen kommen wir bewaffnet'. Am Donnerstag begannen gewaltsame Eingriffe der Menge, Sabotage der Sraßenbahnen." 6 8 Die1 Berliner Straßenbahner hatten sich dem Streik nicht angeschlossen. Da gütliches Zureden und der Appell an die proletarische Solidarität nichts fruchteten, griffen die Arbeiter zur Selbsthilfe. Sie schnitten die Leinen der Kontaktstränge durch, nahmen den Fahrern die Kurbeln weg und verhinderten auf diese und andere Weise das Fahren der Straßenbahnen. Die Polizei stellte Doppelposten auf die Plattformen der Straßenbahnwagen und verlangte verstärkten Einsatz militärischer Kräfte. Auch hier wurde wieder das Gegenteil des beabsichtigten Zwecks erreicht. Die Straßenbahner im Osten und Norden der Stadt weigerten sich, unter Polizeiaufsicht zu fahren. Der Verkehr kam zum Erliegen. Eine besondere Bedeutung kommt der großen Streikversammlung auf der Treptower Spielwiese am 31. Januar zu. Einer der Redner war Friedrich Ebert. Er befand sich in 04
„Leipziger Volkszeitung", Nr. 33, vom 8. Februar 1918. „Leipziger Volkszeitung", Nr. 27, vom 1. Februar 1918. 04 Ebenda. 87 In seinemBuch „Entstehung und Geschichte der Weimarer Bepublik" (Frankfurt a.M. 1955, S. 193/94) schätzt Arthur Rosenberg die Lage richtig ein, wenn er schreibt: „Die Oberste Heeresleitung erkannte, daß es innenpolitisch jetzt um das Ganze ging. Ludendorff schob die Zivilregierung beiseite und nahm die Bekämpfung des Streiks selbst in die Hand. Sein Ziel war die rücksichtslose Niederwerfung des Streiks ohne jede noch so kleine Konzession an die Arbeiter. In diesem Sinne ging der kommandierende General in Berlin vor." 68 „Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, Bl. 100. 05
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einer schwierigen Situation. Als Mitglied des Streikausschusses mußte er zu den kämpfenden Proletariern sprechen, ohne seine Rolle als Streikbrecher allzu deutlich herausklingen zu lassen. Ebert begann seine Rede mit der Schilderung der schweren Lage der arbeitenden Massen. Das hinderte ihn nicht, zu sagen, „es sei die Pflicht der Arbeiter daheim, ihre Brüder und Väter an der Front zu stützen und ihnen das beste an Waffen zu liefern, was es gäbe. Die Arbeiter Frankreichs und Englands verlören auch nicht eine Arbeitsstunde, um ihren Brüdern an der Front zu helfen. Der Sieg sei selbstverständlich der Wunsch jedes Deutschen . . . " 6 9 Nach dem Bericht eines Redakteurs des „Berliner Tageblattes" stieß dieser Teil der Rede Eberts auf starken Widerspruch. Das war sehr vorsichtig ausgedrückt, denn Zwischenrufe wie „Streikabwürger!" und „Arbeiterverräter!" prasselten Ebert an den Kopf. Ebert fühlte, daß er zu weit gegangen war, und solidarisierte sich deshalb in den nächsten Sätzen mit den Forderungen der Streikenden. Sie mögen aber Ruhe bewahren, belehrte sie der Vorsitzende der SPD und jeden Zusammenstoß mit der Polizei oder dem Militär vermeiden. Aber auch auf diese weise Mahnung bekam Ebert keinen Beifall. Die vor ihm stehenden Arbeiter wußten aus eigeiier Erfahrung, daß nicht sie, sondern die Polizei die Zusammenstöße provozierte und sie selbst nur in berechtigter Abwehr sich der säbelschwingenden Polizei erwehrten. „Es war ein Mißerfolg", erklärte deshalb derselbe Tageblatt-Redakteur, „weil er den Leuten, wie sie offen sagten, nicht scharf genug war. Ich selbst hatte das Gefühl, daß Ebert, der sonst stets sehr konsequent und slraiT sprach, diesmal nicht mit dem Herzen dabei war. . . . Mir fiel es auf, daß Ebert an sich auch nicht ein einziges revolutionäres Wort brauchte." 7 0 Es war auch nicht der Plan Eberts, die Demonstrierenden aufzufordern, den Streik bis zum siegreichen Ende durchzuführen. Es lag nicht in seiner Absicht, die Kraft der Massen zu stärken, sondern sie zu schwächen. Sein Ziel bestand darin, in möglichst kurzer Frist die rebellierenden Munitionsarbeiterinnen und -arbeiter wieder in die Betriebe zu bringen, damit die Kriegsmaschine nicht ins Stocken kam. In dem Magdeburger Prozeß schilderte Ebert seine eigene Rolle mit den Worten: „In den Berliner Munitionsbetrieben hatte damals die radikale Richtung die Oberhand gewonnen. Angehörige unserer Partei, die von den Radikalen vielfach terrorisiert und gezwungen wurden, die Arbeit niederzulegen, kamen zum Parteivorstand und baten, daß der Vorstand Mitglieder in die Streikleitung entsenden möge. . . . Ich bin mit der bestimmten Absicht in die Streikleitung eingetreten, den Streik zum schnellen Abschluß zu bringen und eine Schädigung des Landes zu verhüten." 7 1 Im Prozeß wurde des langen und breiten verhandelt, ob Ebert in seiner Rede auf der Treptower Spielwiese aufgefordert hatte, den militärischen Gestellungsbefehlen nicht zu folgen. Ebert bestritt das ganz entschieden, und sicher sagte er die Wahrheit. Die sozialdemokratischen Führer wollten den Krieg der deutschen Imperialisten fortführen und ihn nicht mit der Kraft des Volkes beenden. 69 Karl Brammer: a. a. 0., S. 68/69, und Friedrich Ebert: Kämpfe und Ziele, Dresden, o. J., S. 360. 70 71 Karl Brammer: a. a. O., S. 68/69. Ebenda, S. 21. ll»
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Als Repräsentant der U S P D sprach auf der Treptower Spielwiese Wilhelm Dittm a n n . Auch ihm k a n n m a n unterstellen, d a ß er im Magdeburger Prozeß ganz aufrichtig die Rolle der U S P D gekennzeichnet hat. Er erklärte nämlich, die U S P D wollte dem J a n u a r s t r e i k lediglich den Charakter einer Demonstration geben. Das war, wie erinnerlich, auch der Sinn des Beschlusses des Parteivorstandes u n d der Reichstagsfraktion der U S P D vor Beginn des Streiks. Nach D i t t m a n n wollten die Streikenden n u r ihre Wünsche der Regierung unterbreiten u n d bedienten sich dabei ihrer Abgeordneten u n d der Betriebsvertreter. D i t t m a n n bestritt, ein Flugblatt, das zur Bildung von Arbeiterräten u n d z u m Kampf u m die politische Macht im J a n u a r 1918 aufgefordert hatte, zu kennen. „Es klingt nach Spartakus", erklärte er dem Gericht. 7 2 A m Schluß seiner Rede auf der Treptower Spielwiese w u r d e Wilhelm D i t t m a n n verhaftet u n d wegen versuchten Vaterlandsverrat v o n einem außerordentlichen Kriegsgericht zu fünf J a h r e n Festung verurteilt. Dieses brutale Urteil der wilhelminischen Klassenjustiz wirkte eher aufreizend als abschreckend. Es verstärkte die Emp ö r u n g der Arbeiter gegen das kaiserliche Regime u n d erwies sich auch deshalb als Fehlgriff, weil Dittmann nicht die Absicht hatte, die Landesverteidigung des kaiserlichen Deutschlands zu schwächen. A m 5. Streiktage (1. Februar) verschärften die Militärbehörden ihre Angriffe gegenüber den Streikenden. Sieben Berliner Großbetriebe wurden unter militärische Leitung gestellt. Es handelte sich u m die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Martinickenfelde, Lichtenberg u n d Wittenau, die Berliner Maschinenbau-Aktiengesellschaft, v o r m . L. SchwartzkopfF, in Berlin, A. Borsig, in Tegel, AEG, W e r k Hennigsdorf, Argus-Motorengesellschaft, Reinickendorf, Luft-Verkehrsgesellschaft in Johannistal u n d Daimler-Motoren in Marienfelde. Die Arbeiter dieser Betriebe erhielten den Befehl, die Arbeit spätestens Montag, den 4. F e b r u a r 1918, bis morgens 7 Uhr, aufzunehmen. Zuwiderhandelnde setzen sich schwerer Bestrafung nach den Vorschriften des Belagerungszustandes aus; die Wehrpflichtigen unter ihnen würden außerdem eingezogen werden. 7 3 Die Verhängung des Kriegsrechts über die Deutschen Waffen- u n d Munitionsfabriken, die Firmen Schwartzkopfl, Daimler, Argus u n d die A E G Hennigsdorf war ein ehrenvolles Zeugnis f ü r diese Belegschaften. Sie gehörten schon 1916 zu den Betrieben, die wegen ihrer Anteilnahme a n dem Proteststreik gegen den Liebknecht-Prozeß unter militärische Aufsicht gestellt waren. F ü r die Militärbehörden waren diese Belegschaften besonders unzuverlässig. Dem nach Frieden drängenden Volk galten sie als Vorbild. Die N a m e n dieser Betriebe gewannen in Deutschland u n d im Ausland d u r c h die revolutionäre H a l t u n g ihrer Belegschaften einen rühmenswerten Klang. Die Belegschaften zählten zu den besten in den Beihen des gegen den Krieg k ä m p f e n d e n Proletariats. Ihren Kampf gegen den imperialistischen Krieg, ihre tapferen Beispiele der Solidarität u n d des proletarischen Internationalismus darzustellen, wäre eine d a n k b a r e Aufgabe unserer Geschichtsschreibung. Die Offensive der Militärbehörden w a r mit Massenverhaftungen u n d den ersten drakonischen Urteilen der außerordentlichen Kriegsgerichte v e r b u n d e n . Die Militär72
Ebenda, S. 34.
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kommandos stellten täglich 500 bis 600 Arbeitern die Gestellungsbefehle zu. Das Oberkommando in den Marken bediente sich dabei der Mithilfe der Unternehmer. Diese waren allzu willig, den Militärbehörden Listen jener Arbeiter zu übermitteln, die den Werkleitungen als Streikagitatoren und -Organisatoren bekannt geworden waren. 74 Da etwa der zehnte Teil der Einberufungsorder nicht Folge leistete, gingen die Behörden dazu über, die Gestellungsbefehle durch die Polizei austragen zu lassen und die Einberufenen unter Bewachung in die Kasernen zu überführen. 7 5 Nach dem „Neuköllner Bericht" ging die Zahl der zum Militärdienst befohlenen Streikenden in die Zehntausende. Von der Firma Schwartzkopff wurden allein 1400 Arbeiter eingezogen. Viele Angehörige der Fabrikausschüsse, darunter auch Mitglieder der SPD, ein großer Teil des Berliner Arbeiterrates und drei bis vier Mitglieder des Aktionsausschusses waren in ein bis drei Tagen in den Zwangsrock des Kaisers gesteckt worden. 76 Ungeachtet dieser Repressalien herrschte am 31. J a n u a r und 1. Februar eine ausgezeichnete Stimmung unter den Massen. Das dem so war, ist in außerordentlichem Maße der zielbewußten Massenarbeit der Spartakusgruppe zu verdanken. Der Aktionsausschuß unternahm sehr wenig, um der gewaltigen Armee von einer halben Million Streikender durch schriftliche oder mündliche Informationen den Sinn des Kampfes immer wieder zu erläutern und sich gegen die schlimme Flut der von der bürgerlichen Presse geführten Verleumdungskampagne zu wehren. Einige wenige Auskunftsstellen in den Stadtteilen konnten dieser Aufgabe nicht gerecht werden. Mit wenigen Handzetteln, meist nur mit der Maschine geschrieben, wurden die Streikenden zu Versammlungen auf öffentlichen Plätzen mobilisiert. Wenn trotzdem diese Veranstaltungen zu machtvollen Kundgebungen wurden, zeugte das von dem Willen der Streikenden, mehr zu tun als tatenlos den weiteren Verlauf des Streiks abzuwarten. Die bürgerliche Presse überschlug sich in wüsten Beschimpfungen der Streikenden. Sie denunzierte die Streikenden als Landesverräter und Vaterlandsfeinde. Gegen die Hauptforderung des Streiks — schleunigste Herbeiführung des Friedens ohne Annexionen, ohne Kriegsentschädigung — stellte die „Norddeutsche Zeitung" die Behauptung auf, daß der Streik die Friedensverhandlungen nicht fördere, sondern erschwere und verschleppe. Für die „Kreuzzeitung" waren die 500 000 Streikenden schlechtweg Verbrecher. Es fehlte auch nicht die antisemitische Verunglimpfung des Rechtsanwaltes Haase. „Die Post" rief die Frontsoldaten als „Blutzeugen" dafür an, daß sie wegen mangelnder Munition in größerer Zahl fallen würden. „Die Kölnische Zeitung" unterstellte den Streikenden, daß sie Steine auf den Friedensweg karrten, sie wären nichts anderes als Landesverräter. Der Streik würde ohne Ergebnis im Sande verlaufen, beteuerte die „Frankfurter Zeitung", und der einzige Erfolg würde sein, daß die Reaktion einen neuen Agitationsstoff bekäme, den sie weidlich gegen die demokratischen Kräfte ausnutzen werde. 77 74 Klaus Mammach: Der Einfluß der russischen Februarrevolution und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die deutsche Arbeiterklasse. Februar 1917 — Oktober 1918, Berlin 1955, S. 98 f. 76 Ebenda. „Neuköllner Bericht" vgl. Anmerkung 29, Bl. 102. 77 Diese und folgende Presseauszüge sind der „Leipziger Volkszeitung" vom 29. bis 31. Januar 1918 entnommen.
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So diffamierte, beschimpfte und verleumdete die ganze bürgerliche Presse die Streikenden. Es gab in Berlin keine legale Zeitung, die das Recht und die Ansichten der kämpfenden Arbeiterschaft vertrat. Was von der sozialdemokratischen Presse nach Berlin kam — der „Vorwärts" war am 2. Streiktage verboten worden — schrieb wie die „Dresdner Volkszeitung", daß die Vertreter der SPD nur dem Aktionsausschuß beigetreten wären, um die Bewegung zu einem guten Ende zu führen. Die Chemnitzer „Volksstimme" bedauerte den Massenstreik, denn nach ihrer Ansicht gefährde er die Existenz Deutschlands und die Interessen des Proletariats. In Berlin gab es einige tausend Abonnenten der „Leipziger Volkszeitung". Ihre Redaktion war äußerst besorgt, keinen Anlaß zu einem Verbot zu geben. Sie begnügte sich deshalb mit kurzen Nachrichten über den Streik und druckte Berichte aus der bürgerlichen Presse ab. Ihre Kommentare waren stets mehr als zurückhaltend. Die „Leipziger Volkszeitung" warb nicht für den Streik, popularisierte nicht die Streikforderungen und ließ sich in die Rolle des Zuschauers drängen. Es ist auf jeden Fall eine Tatsache, daß Leipzig zu jenen wenigen deutschen Großstädten gehörte, in denen es während des Januarstreiks keine größeren Aktionen gab. Leipzig war während des Krieges und auch später die Hochburg der USPD. In dieser Stadt hatte sie ihre stärkste Organisation und die meistgelesene Zeitung. Das Generalkommando verbot der Leipziger Organisation der USPD eine Mitgliederversammlung, auf der gegen die Knebelung der „Leipziger Volkszeitung" gesprochen werden sollte. Das Verbot nahm die USPD wie die Redaktion ohne Protest hin; es gab weder Demonstrationen noch Streiks. „Die Gewerkschaften stehen diesen Streiks fern, ihre Leitungen sind an ihnen in keiner Weise beteiligt." Mit dieser Feststellung bestimmte eine Entschließung der Konferenz von Vertretern der Vorstände der gewerkschaftlichen Zentralverbände vom 1. Februar 1918 die Stellungnahme der Gewerkschaftsführer. Sie standen wirklich dem Streik fern, aber sie wagten es nicht, angesichts der Tatsache, daß im Reich eine Million Arbeiter streikten, die zum übergroßen Teil freigewerkschaftlich organisiert waren, offen gegen die Kämpfenden und für die kaiserliche Regierung aufzutreten. Ihr Bemühen ging deshalb zunächst dahin, dem Streik begrenzte innenpolitische Ziele zu geben. In der genannten Entschließung heißt es, die Gewerkschaftsführer seien der Ansicht, „daß für die jetzigen politischen Streiks in erster Linie die innerpolitischen Verhältnisse und die Haltung der Regierung verantwortlich zu machen sind." 7 8 Die Entschließung kritisierte die Regierung wegen der Handhabung des Belagerungszustandes, wegen ihrer Ohnmacht gegenüber dem Schleichhandel und dem Lebensmittelwucher. Die Verhandlungen im Verfassungsausschuß des Preußischen Landtages über die Wahlrechtsvorlage sei ebenfalls ein Grund für die Empörung der Arbeiterschaft und Anlaß der Arbeitseinstellungen. Ungeachtet dieser Kritik an der Innenpolitik der Regierung erklärten die Vertreter der Gewerkschaften nach wie vor, ihre ganze Kraft einzusetzen, um die Landesverteidigung zu sichern. Sie mahnten die Regierung und die Militärbehörden, den Wünschen und Bedürfnissen der Arbeiterschaft 79
Deutsohes Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 229/230.
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im erforderlichen Maße Rechnung zu tragen. Im Auftrage der Generalkommission der Gewerkschaften übersandte G. Bauer dem Reichskanzler die Resolution, wobei er im Begleitschreiben im Namen der Generalkommission betonte, „daß die Wiederholung der bedauerlichen Streikbewegung am sichersten dadurch vermieden werden kann, daß den berechtigten Wünschen und Beschwerden der Arbeiter Rechnung getragen wird." 7 9 Den Gewerkschaftsführern lag es völlig fern, die kaiserliche Regierung durch die gewaltige Massenaktion der deutschen Arbeiterschaft zu zwingen, im Osten einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen abzuschließen, und Maßnahmen zu ergreifen, um schnellstens zu einem allgemeinen Frieden zu kommen. Im Gegenteil: Der gesamte Gewerkschaftsapparat wurde eingespannt, um die außenpolitische Richtung des Streiks zu ändern, um die gefährliche Spitze gegen den deutschen Imperialismus abzubiegen. Im Januarstreik gab es nur eine politische Gruppe, die mit ihren schriftlichen Materialien und ihrer mündlichen Agitation kühn und wegweisend den Kämpfenden zur Seite stand. Das war die Spartakusgruppe. Mit ihren Flugblättern informierte sie die Kämpfenden, erklärte ihnen die politische Bedeutung des Massenkampfes um den Frieden und spornte sie an, allen Gewalten zu trotzen. Alle ihre Materialien bezeichneten die Junker, die Militärkaste und die imperialistischen Kriegstreiber als Hauptfeind, die in ihrer Sucht um die Weltherrschaft Ströme von Blut vergießen ließen. Die Spartakusgruppe verbreitete zum Streik acht verschiedene Publikationen in Auflagen von 25 000 bis 100 000 Exemplaren. 8 0 Zu diesen Materialien gehörten die beiden bereits erwähnten Flugblätter „Hoch der Massenstreik! Auf zum Kampf!" und „Am Montag, den 28. J a n u a r beginnt der Massenstreik!" 8 1 Die Spartakusgruppe verteilte diese Flugblätter in einer Reihe Großstädte, zumeist in oder vor Rüstungsbetrieben. Sie waren mit dem Ziel verfaßt, den politischen Massenstreik unmittelbar auszulösen und erfüllten diese Aufgabe in hervorragender Weise. Aus diesen Flugblätern sprach die Erkenntnis der Spartakusgruppe, das Regime des Krieges, der sozialen Unterdrückung, des Hungers und der Todfeindschaft zur werdenden sozialistischen Gesellschaft durch eine gewaltige, politische Aktion der Massen zu stürzen. Weiter propagierten die Flugblätter die beschlossenen Streikforderungen und mahnten, die Arbeit nicht eher aufzunehmen, bis die Forderungen erfüllt seien. Ein weiteres Flugblatt stellte erneut die verbrecherischen Ziele der deutschen Imperialisten dar. Ihre Kriegspläne hießen: Offene Annexion im Osten und Fortdauer des Krieges im Westen. Niemals war es klarer als jetzt: Die Existenz des Volkes steht auf dem Spiel, der Hauptfeind steht im eigenen Hause. Die Verhandlungen in BrestLitowsk zeigen die handgreifliche Wahrheit: „Entweder muß die Regierung untergehen, oder das deutsche Volk ist unabwendbar dem Untergang geweiht!" 82 79 80 81 82
Ebenda. „Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, BI. 101. Vgl. S. 153, Anm. 35 und S. 154, Anm. 43. Ebenda, S. 187.
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Aus dieser Lage ergibt sich die dringende Forderung des Volkes, die Regierung zu stürzen, denn „nur die Volksrevolution und Volksrepublik in Deutschland würden imstande sein, den allgemeinen Frieden in kürzester Zeit herbeizuführen." 83 Die Spartakusgruppe wandte sich mit einem besonderen Flugblatt, betitelt „Denkt an Eure wahre Pflicht!" an die Soldaten. Dieses Flugblatt sprach im Namen der in die Uniform gepreßten Proletarier zu den Soldaten. Die Arbeiter streiken, so wird gesagt, und stellen damit die Fabrikation der Mordwerkzeuge ein, um weiteres Blutvergießen zu verhindern und um der Not und dem Elend daheim ein Ende zu machen. Mit dem Streik beantworten die Arbeiter das verbrecherische Spiel der Regierung, den Willen des Volkes zum Frieden immer wieder zu ignorieren. Die Regierung pfeift auf den Friedenswillen des Volkes. Sie ist bereit, auch fernerhin mit dem Blute der werktätigen Menschen die schmutzigen Gelüste der herrschenden Klasse zu bezahlen. Eindringlich heißt es in diesem Mahnwort an die Soldaten: „Solange die Regierung am Ruder bleibt, solange die Reaktion und Militärkaste herrscht, ist an Frieden nicht zu denken. Entweder versinken wir in diesem Blutmeer oder die Regierung wird gestürzt. Ein drittes gibt es nicht." 84 Aus diesem Grunde muß die Sache der Arbeiter zur Sache der Soldaten werden. Es geht um das Leben von Arbeitern und Soldaten. „Wir sind doch auch im Waffenrock Proletarier, wir haben bloß den Arbeiterkittel mit der Uniform vertauscht." 8 5 Weiter wurde argumentiert, daß am Ende des Krieges die Soldaten wieder in Fabriken und Dörfer zurückkehren. Ihr Los werde dann wieder das schwere Los der Arbeiter sein. Deshalb kämpfen die Soldaten gleichzeitig für ihre eigene Zukunft, für ihre eigenen Frauen und Kinder, wenn sie den Massenstreik der Arbeiter mit aller Kraft unterstützen und die Waffen gegen die Volksausbeuter und Unterdrücker, gegen die Urheber des Krieges wenden. „Sollen wir da vielleicht auf unsere Brüder und Schwestern schießen? Können und dürfen wir in diesem Kampfe untätig beiseite stehen? Nein, tausendmal nein! Wir müssen gemeinsame Sache mit den Arbeitern machen und durch unser entschlossenes Eintreten dem von den Arbeitern begonnenen Kampf zum Siege verhelfen." 8 6 Das außerordentlich bemerkenswerte Flugblatt schloß mit der Losung: „Fort mit dem Kadavergehorsam, fort mit allen kleinlichen Bedenken! Jetzt gilt es, wahre Tapferkeit zu beweisen! Heraus aus den Kasernen! Urlauber, geht auf die Straße! Nehmt an den Streikversammlungen und Straßenaufzügen teil! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! Es lebe der Sozialismus! Es lebe der allgemeine Friede!" 87 Es ist dies das einzige Dokument, das in der historischen Situation zum Bündnis zwischen Arbeitern und Soldaten aufforderte und den Soldaten ihre wirkliche Klassenlage verständlich machte. Die Spartakusgruppe erwies sich auch in dieser entscheidenden Frage auf der Höhe der geschichtlichen Aufgabe, sie trieb voran, sie verbreiterte die Kampffront, damit das Volk den Frieden gewinnen konnte. 93 84 85 86 87
Ebenda. Ebenda, S. 189/190. Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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Auf die Verhängung des verschärften Belagerungszustandes antwortete das Flugblatt der Spartakusgruppe „Ausharren um jeden Preis!" Die Machthaber wollen nicht nur den Krieg gegen den äußeren Feind fortsetzen, sondern auch gleichzeitig den Krieg gegen das eigene Volk führen. Das zeigen die Nichtanerkennung des Arbeiterrates seitens der Behörden, die Diffamierung der streikenden Arbeiter als Verbrecher, der Polizeiterror und die Einsetzung der Kriegsgerichte. Die Losung könne deshalb in diesem Moment nur sein: „Den verschärften Belagerungszustand beantworten wir durch zehnfach verstärkten Kampf." 8 8 Im gleichen Flugblatt wird vor den Machinationen gewarnt, die Streikleitung durch die Generalkommission der Gewerkschaften zu verdrängen. Die Herren Bauer, Legien und Konsorten seien die Helfer der Regierung, die mit ihr während des ganzen Krieges durch dick und dünn gegangen seien. Dieser hinterlistige und anmaßende Versuch müsse mit Entrüstung und Verachtung zurückgewiesen werden. „Der einzige berufene Vertreter der kämpfenden Berliner Arbeiterschaft ist der freigewählte Berliner Arbeiterrat und wenn die Regierung unsere Vertreter nicht anerkennt, so beantworten wir diese Aufforderung durch Nichtanerkennung der Regierung und ihrer Organe, durch den Kampf der Massen mit allen Mitteln gegen ihre brutale Gewaltpolitik." 89 Unmißverständlich forderte die Spartakusgruppe auf, der Gewalt die Gewalt entgegenzustellen. Jetzt gelte es nicht mehr zu verhandeln, sondern zu handeln. Dem Ukas des Oberkommandos, die Arbeit in den militarisierten Betrieben unter den Bedingungen des Kriegsrechtes aufzunehmen, dürfe nicht Folge geleistet werden. Die Zehntausende Arbeiter, die in diesen Betrieben streiken, könnten nicht alle ins Gefängnis gesteckt werden. In dieser kritischen Stunde forderte die Spartakusgruppe, keinen Stillstand in der Bewegung zuzulassen. Die Arbeiter selbst müßten im Kampfe voranschreiten. „Erwarten wir nicht alles vom Arbeiterrat und seinem Aktionsausschuß. Der Segen kommt nicht von oben. Er liegt in den Massen selbst, in ihrem unmittelbarem Kampfe. Die Entscheidung über den Ausgang unseres Kampfes wird nicht auf dem Verhandlungstisch, nicht im Aktionsausschuß und sogar nicht im Arbeiterrat, sondern einzig und allein auf der Straße fallen." 9 0 Da der Arbeiterrat von den Polizeibütteln gesprengt, der Aktionsausschuß verfolgt wurde, empfahl die Spartakusgruppe den gewählten Betriebsvertretern, sich nach Bezirken und Unterbezirken zu organisieren, Ausschüsse einzusetzen, um die Bewegung im Bezirk zu leiten. „Den Gewaltakten der Polizei muß rücksichtsloser, hartnäckigster Widerstand mit allen Mitteln geleistet werden. Die noch arbeitenden Betriebe müssen um jeden Preis stillgelegt und der Straßenbahnverkehr eingestellt werden." Das Flugblatt schloß mit dem Appell an die Arbeiter, das Heer für die Sache des Friedens und der Freiheit zu gewinnen. „Die Gewaltherrschaft stützt sich auf Bajonette und ist verloren, sobald diese ihr aus der Hand gewunden ist. Arbeiter! Genossen! Wir müssen mit der Reaktion ,russisch' reden!" 9 1 88 89
Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/9. 90 91 Ebenda. Ebenda Ebenda.
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Sprache und Inhalt dieses Flugblattes der Spartakusgruppe entsprachen der Situation, spiegelten die Massenstimmung wider und zeigten den Weg, über die Streikdemonstration hinaus die aufgestellten Forderungen durchzusetzen. Die Zusammenstöße mit der Polizei, die Rufe nach Waffen, die gewaltsame Stillegung einiger Straßenbahnlinien sind dafür überzeugende Beweise. Im Gegensatz zu diesem Massenwillen und zu den nach weiterer Verschärfung des Kampfes drängenden Losungen der Spartakusgruppe zeigte sich die zentrale Streikleitung der Lage nicht gewachsen. In der Sitzung des Aktionsausschusses vom 31. J a nuar teilten die sozialdemokratischen Abgeordneten mit, daß die Mitglieder der Generalkommission der Gewerkschaften, Robert Schmidt und Gustav Bauer, in ihrer Eigenschaft als Reichstagsabgeordnete mit dem Reichskanzler über Wirtschaftsfragen verhandelt hätten. Bei dieser Gelegenheit sei auch die Streiklage erwähnt worden. Der Reichskanzler hätte sich in dem Gespräch bereit erklärt, mit einigen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern zu verhandeln, wenn die Generalkommission der Gewerkschaften zugegen wäre. In diesem Falle würde der Reichskanzler sogar davon Abstand nehmen, erst zu prüfen, ob die Arbeitervertreter am Streik beteiligt seien. Die Vertreter der USPD verhielten sich zu dieser Frage passiv. Der Aktionsausschuß lehnte dennoch den Vorschlag ab. Doch die Vertreter der SPD und der USPD gaben die Absicht nicht auf, durch Verhandlungen mit den Regierungsstellen den Streik zu beenden. Auf Veranlassung von Haase wurde dem Reichskanzler ein Telegramm gesandt, in dem die Absender ersuchten, vier Abgeordnete und fünf Funktionäre der Gewerkschaften, die von den Streikenden als ihre Vertrauensleute bezeichnet wurden, zu empfangen. Der Reichskanzler bestand darauf, daß die Generalkommission hinzugezogen werde. Da das die Arbeitervertreter im Aktionsausschuß ablehnten, kam die Verhandlung nicht zustande. Sehr richtig wird in dem „Neuköllner Bericht" zu dieser Situation gesagt: „Der Ausschuß mit den unabhängigen Reichstagsabgeordneten an der Spitze wußte auch nichts mit der revolutionären Energie der Masse (in der vorliegenden Abschrift heißt es ,Waffe', was offensichtlich ein Schreibfehler ist — W. B.) anzufangen. Gemäß dem parlamentarischen Kretinismus und dem Schema F bei Gewerkschaftsstreiks, hauptsächlich aber aus Mangel an Vertrauen auf die Masse und nicht zuletzt deshalb, weil die Unabhängigen sich den Streik von vornherein nicht anders als eine Demonstration vorstellen konnten, beschränkte sich der Ausschuß unter dem Einfluß der Abgeordneten auf Bemühungen, in Verhandlungen mit der Regierung zu treten, — statt von vornherein alle Verhandlungen zurückzuweisen und die Massenenergie in den verschiedensten Formen zu entfesseln." 9 2 Von der äußerst zugespitzten Situation am 31. Januar und 1. Februar und dem Willen der revolutionären Arbeiter, den Kampf mit allen Mitteln fortzusetzen, zeugt eine Aussage Scheidemanns vor dem Magdeburger Gericht. Bar jeglichen Klassengefühls und völlig instinktlos für die wirklichen Interessen des schaffenden Volkes, erklärte dort Scheidemann: „Die Arbeiter wollten als Erwiderung des Kesseischen Befehls die Elektrizitätsversorgung lahmlegen. Wenn wir nicht in das Streikkomitee 92
„Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, Bl. 100/101.
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hineingegangen wären, dann würde wahrscheinlich das Gericht heute nicht tagen können und dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen Uberzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen." 9 3 Ausnahmsweise muß einmal Scheidemann zugestimmt werden. J a , der Krieg und alles andere, d. h. das kaiserliche Regime, die Klassenherrschaft der Junker und Rüstungsherren wären im Januar erledigt gewesen, wenn die Bewegung der kämpfenden Arbeiterschaft zu einem vollständigen Generalstreik und zum Aufstand geführt hätte. Wenn Scheidemann sagt, die Vertreter der SPD seien nur in die Streikleitung eingetreten, um die Arbeitsniederlegung der 500 000 Arbeiter so schnell wie möglich zu beenden, dann ist das die Wahrheit. Aber wenn er diese Handlungsweise mit Liebe zum Vaterland und zum deutschen Volke motiviert, dann war das nichts als pure Heuchelei, ein widerliches Anbiedern an die Herrschenden der Weimarer Republik. Und dazu noch, wie die Geschichte zeigt, ohne jeden Erfolg. Liebe zum Vaterland erforderte im Januar 1918, den Streik zu verbreitern, über ganz Deutschland auszudehnen, die Arbeiter zu bewaffnen, Polizei und Militär, die sich den Arbeitern entgegenstellten, zu entwaffnen, den Kampf fortzuführen, bis die Forderungen der Streikenden erfüllt und die Kontrolle ihrer Durchführung durch die Arbeiter gesichert waren. Das allein wäre wirkliche Liebe zum Vaterland und zum deutschen Volke gewesen. Der Kampf gegen die Massenbewegung des Januar 1918 war schlimmster sozialer und nationaler Verrat. Die Unentschlossenheit des führenden Organs des Januarstreikes, des Aktionsausschusses, auf der Höhe des Massenkampfes charakterisiert sichtbar das Verhalten Richard Müllers. Gestützt auf ein unumstrittenes Vertrauen, das ihm die Berliner Metallarbeiter wegen seiner oppositionellen Haltung gegenüber den rechten sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern entgegen brachten, übte er die Funktion des Vorsitzenden des Aktionsausschusses aus. E r ergriff die Initiative, die am weitesten rechtsstehenden Führer der SPD in die Streikleitung zu holen, um sie nach seiner Ansicht endgültig bloßzustellen. E r sah dem Drängen der Vertreter der SPD und der USPD im Aktionsausschuß nach einer Kompromißlösung durch Verhandlungen mit der Regierung tatenlos zu. Trotz aller Wortgefechte gegen die offiziellen Gewerkschaftsführer blieb er passiv, um deren Einfluß im Aktionsausschuß zu unterbinden. Müller unterließ es, Kontakt mit den Anhängern der Spartakusgruppe unter den Arbeiterräten aufzunehmen, und sich so einen Rückhalt gegen Sozialchauvinisten und Zentristen zu verschaffen. In seinem Buch „Vom Kaiserreich zur Republik" spricht er von drei Möglichkeiten, die sich nach Verkündigung des verschärften Belagerungszustandes und der Verhängung des Kriegsrechtes über sieben Berliner Großbetriebe ergaben: „1. Verhandlungen mit der Regierung unter Hinzuziehung der Generalkommission und dann Abbruch des Streikes; 2. Steigerung des Streikes bis zum Aufruhr und 3. Abbruch des Streiks ohne Verhandlungen." 9 4 83 94
Karl Brammer: a. a. O., S. 89. Richard Müller: a. a. O., S. 109.
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Die erste Möglichkeit schied nach seiner Ansicht aus, weil sie der Generalkommission der Gewerkschaften erneut Einfluß auf die Berliner Arbeiterschaft gegeben hätte, was mit einer Erschütterung des Vertrauens der Massen zu den revolutionären Obleuten gleichbedeutend gewesen wäre. Die zweite Möglichkeit, Steigerung des Streiks bis zum Aufruhr, wurde, wie Müller selbst schreibt, von der Spartakusgruppe propagiert. „Die Leitung der revolutionären Obleute lehnte es ab."
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Es ist nicht ersichtlich, ob über diese Frage eine Aussprache
stattgefunden hat, oder ob Müller seine Ansicht für die des Aktionsausschusses ausgibt. Zur Begründung führt Müller a n : „Eine Steigerung der Bewegung war für Berlin möglich, aber sie wäre isoliert v o m übrigen Reich erfolgt, denn überall war der Streik durch Verhandlungen wieder beigelegt worden, oder das Ende stand unmittelbar bevor."
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Das ist ein schwaches Argument für die so schwerwiegende Ablehnung. Es
stimmte außerdem nicht, daß die Streiks im Reiche schon alle aufgehört hatten. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß die verantwortlichen Streikführer in Berlin — dazu gehörte der Aktionsausschuß — während des Streiks nichts unternommen hatten, um den K a m p f in Berlin mit dem im Reiche zu verbinden. Zweifellos hätte eine Verschärfung des Streiks in Berlin fördernd auf die Bewegung im Reiche ausgestrahlt. Müller begründet das Verhalten des Aktionsausschusses noch mit einem zweiten Argument. E r schreibt: „Die Berliner Arbeiter konnten allein den Endkampf mit der Regierung und der Bourgeoisie nicht aufnehmen. Der Versuch wäre mit unermeßlichen Opfern bezahlt worden und mit dem Verlust der revolutionären Kraft an der wichtigsten Stelle."
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Dazu ist zu sagen, daß die Berliner Arbeiter die Niederlage des
Januarstreiks mit 5 0 0 0 0 Einberufenen zum Heer bezahlten. Leider gibt es keine Ziffer, die aussagen könnte, wieviele von diesen 5 0 0 0 0 Arbeitern lebend die mörderischen Schlachten im Westen überstanden. Aber sicher ist, daß die Regierung im Februar 1 9 1 8 nicht gewagt hätte, auf Hunderttausende Streikende — oder auch nur auf Zehntausende — das Feuer zu eröffnen. Dazu fühlte sich die kaiserliche Regierung schon zu dieser Zeit nicht mehr stark und ihrer Truppe nicht mehr sicher genug. Tatsache ist, daß sich die Truppen im November 1 9 1 8 auf die Seite der Revolution stellten und nicht einem verrotteten Regime Blut und Leben opferten. Natürlich m u ß hier berücksichtigt werden, daß die Massen der Soldaten neun Monate ernste Erfahrungen sammelten, in denen die Sinnlosigkeit des Krieges deutlich genug wurde. Dennoch bleibt die Annahme, daß die Truppen im Februar 1 9 1 8 ein Massaker unter den streikenden Munitionsarbeitern und -arbeiterinnen angerichtet hätten, eine bloße Hypothese. Die vom Leiter des Aktionsausschusses angeführten Argumente dienen ausschließlich dem Zweck, um den Streikabbruch vom 3. Februar zu rechtfertigen. Mehr als eine halbe Million Kämpfende gingen in die Rüstungsbetriebe zurück, ohne daß auch nur eine einzige ihrer Forderungen erfüllt war. In einem vom Aktionsausschuß zum 05 99 97
Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 109/110.
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E n d e des Streiks herausgebrachten Flugblatt w u r d e der Streik eine „der staunenswertesten u n d erhebendsten Leistungen des deutschen Proletariats, vielleicht ihre größte in der bisherigen Parteigeschichte" 9 8 genannt. 9 9 Ohne Zweifel w a r der Massenstreik eine grandiose Leistung der Arbeiterklasse und, wie Lenin sagte, „eine Tatsache v o n erstklassiger Wichtigkeit", die „einen Wendepunkt in den Stimmungen des deutschen Proletariats" bezeichnet. 1 0 0 Wie richtig Lenin die Lage einschätzte, zeigte der weitere geschichtliche Verlauf. Der Abbruch des größten Massenstreiks im Kampf u m den Frieden bedeutete eine schwere Niederlage der deutschen Arbeiterklasse u n d damit des gesamten deutschen Volkes. Die Folgen der Niederlage ließen sich in den ersten Februartagen k a u m ermessen u n d wirkten sich verhängnisvoller aus, als im Augenblick der Arbeitsaufn a h m e a n g e n o m m e n werden konnte. Aber die Bewegung gegen den Krieg war nach einem W o r t von Lenin n u r „zeitweilig unterbrochen worden", weil „die H a u p t u r s a c h e n dieser Bewegung nicht beseitigt sind." 1 0 1 Der Krieg zog sich qualvoll in die Länge, der Imperialismus enthüllte seine Brutalitäten immer frecher, u n d diese Tatsachen werden, so schlußfolgerte Lenin, auch jenen Massen die Augen öffnen, die der sozialistischen Politik fernstehen. Lenins Zuversicht entsprach der Wirklichkeit. Alle Berichte stimmten darin überein, d a ß die Arbeiterschaft ungeachtet des erfolglos abgebrochenen Streiks keine Mutlosigkeit zeigte. Die gewaltige Massenaktion hatte in den Arbeitern das Bewußtsein ihrer K r a f t gestärkt. Sie gingen in die Betriebe zurück, ohne die Absicht aufzugeben, mit der W a f f e des politischen Massenstreiks ihr Recht auf Frieden, Freiheit u n d Brot zu erkämpfen. Herzfeld nennt das Streikergebnis nur einen Augenblickserfolg f ü r die Regierung. „Die revolutionären K r ä f t e waren, wenn auch zurückgeworfen, doch in keiner Weise zertrümmert." 1 0 2 Rosenberg bezweifelt zwar, „daß das P r o g r a m m der Massen d u r c h die Niederlage u n d durch das rücksichtslose Vorgehen der Behörden radikalisiert wurde." Doch er m u ß zugleich gestehen, d a ß sich die Massen nicht von ihren Uberzeugungen abbringen ließen. Sie glaubten nach ihren E r f a h r u n g e n im J a n u a r nicht m e h r daran, „daß die Reichstagsparteien ihnen aus d e m Krieg u n d aus der Militärdiktatur heraushelfen würden, sondern sie verließen sich n u r auf ihre eigene K r a f t u n d auf eine bessere Gelegenheit, als der J a n u a r 1918 sie geboten hatte." 1 0 3 Es ist eine erstaunliche Leistung, wenn derselbe Rosenberg einige Sätze später erklärt, d a ß „der S p a r t a k u s b u n d in seinen Theorien u n d Zielen dieser deutschen Volks98
Ebenda, S. 209. Es ist bezeichnend, daß der Aktionsausschuß ein Massenflugblatt bei Beginn des Streiks und ein zweites nach dem Streikabbruch herausbrachte, während des Streiks jedoch kein einziges. 100 W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. X X I I I , Moskau 1940, S. 185. 101 Ebenda, Bd. X X I I , Zürich 1934, S. 303. 102 Hans Herzfeld: a. a. O., S. 101. 103 Arthur Rosenberg: a. a. O., S. 195. 99
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bewegung von 1917 und 1918 fremd" w a r . 1 0 4 Die Volksbewegung entstand g e g e n den Willen der Führungsgremien der SPD wie der USPD. Die kämpfenden Massen übernahmen die Losungen der Spartakusgruppe und schufen sich in den Arbeiterräten — im Herbst 1918 mit den Arbeiter- und Soldatenräten — die allein von der Spartakusgruppe propagierten Kampforgane. Dennoch zu erklären, daß die Spartakusgruppe diesen Volksaktionen fremd gegenüberstand, widerspricht den geschichtlichen Tatsachen und muß als Geschichtsfälschung zurückgewiesen werden. 105 101 Ebenda. 106 Eugen Prager fertigt den Januar-Streik mit einer einzigen Druckseite ab, auf der nicht einmal das Wort „Spartakusgruppe" vorkommt. Ein Musterbeispiel „objektiver" Geschichtsschreibung! (Eugen Prager: Geschichte der USPD, Berlin 1921, S. 170/71.)
K A P I T E L III
L E H R E N UND FOLGEN DES
JANUARSTREIKS
R. Müller kommentierte den Beschluß des Aktionsausschusses vom 3. Februar, den Streik abzubrechen, mit den Worten: „Die Arbeiter fühlten sich nicht geschlagen, sondern als Kämpfer, die den Rückzug antreten, um mit stärkerer Kraft vorzustoßen." 1 0 6 Ungewollt verrät Müller mit dem folgenden Satz, wie es möglich war, daß die Arbeiter trotz der Niederlage so zuversichtlich blieben. Er sagte: „Aus der geschaffenen Stimmung klang es überall heraus: wir brauchen Waffen, wir müssen unsere Propaganda in das Heer tragen. Nur eine Revolution bringt uns Rettung." 107 Damit nahm Müller die Forderungen der Spartakusgruppe auf, ohne ausdrücklich zu bekennen, daß allein der von ihr gewiesene Weg die drohende soziale und nationale Katastrophe verhindern konnte. „Der letzte politische Massenstreik im Februar hat bewiesen, daß die Arbeiterklasse ohne Gewaltanwendung gegen die bestehende Gesellschaftsordnung nichts auszurichten vermag." 108 Mit diesen Worten beginnt ein Flugblatt der Spartakusgruppe, betitelt „Kameraden, Genossinnen und Genossen!", das mit dem hier so bezeichneten „Neuköllner Bericht" beschlagnahmt wurde. 1 0 9 Das Flugblatt unterstreicht, daß die große Mehrzahl der Streikenden gewillt war, der brutalen Polizeigewalt Widerstand entgegenzusetzen. Die beruhigenden Worte der Führer, die größtenteils aus Gewerkschaftlern und Mehrheitssozialisten bestand, hielt jedoch die Massen von jeder weiteren Aktion ab. Fest überzeugt von bevorstehenden neuen, größeren Massenkämpfen und im Bestreben, jeglichen Streikbruch durch die opportunistischen Gewerkschafts- und Parteiführer zu unterbinden, empfahl 104
Richard Müller: a. a. O., S. 110. Ebenda. 108 ,»Neuköllner Bericht", vgl. Anmerkung 29, Bl. 98. 109 In dem bereits angeführten Begleitschreiben des „SteEvertretenden Generalstabs der Armee" vom 22. April 1918 wurde mitgeteilt: „Der Aufruf ist als Flugblatt auch schon in Berliner Fabriken verteilt worden. In einer Versammlung der Linksradikalen, die Ende vorigen Monats in Hamburg stattfand, wurden die Richtlinien als Entschließung angenommen." (Vgl. Anmerkung 29, Bl. 97.) 107
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die Spartakusgruppe den Arbeitern und Soldaten: „Es ist deshalb dringend notwendig, für die demnächst bevorstehende Aktion, die sich die Herbeiführung des sofortigen Friedens sowie den Sturz der bestehenden Gesellschaftsordnung zum Ziel gesetzt hat, daß sich tatkräftige Männer aus dem Arbeiter- und Soldatenstande an die Spitze stellen, die als A. u. S.rat eine Organisation zur Verwirklichung dieser Ideen schafTen." 110 Für die Sparlakusgruppe gab es keinen Zweifel, daß neue Massenkämpfe keine begrenzten Ziele haben dürfen, wenn sie die Grundfrage des deutschen Volkes lösen wollen, den Frieden gegen den Willen der herrschenden Klassen zu erzwingen. Sie bezeichnete es deshalb als die historische Aufgabe des Proletariats, durch eigene Kraft einen sofortigen Frieden herbeizuführen und die bestehende Gesellschaftsordnung zu stürzen. Gleichzeitig propagierte die Spartakusgruppe das neue Kampfinstrument, das in der russischen Revolution durch die Schöpferkraft der Massen geschaffen, sich auch in Deutschland und Österreich bereits bewährt hatte, die Räte. Mit der Losung: „Bildet Arbeiter- und Soldatenräte!" wurde zugleich die wichtige Lehre aus dem Januarstreik gezogen, daß die Volksmassen den Frieden nicht erzwingen können ohne gleichzeitige gemeinsame Aktionen der Arbeiter und Soldaten. Dieser Erkenntnis entsprachen die folgenden Richtlinien, die in dem angeführten Flugblatt den Arbeitern und Soldaten vorgeschlagen wurden. „1. Einen Arbeiter- und Soldatenrat zu schaffen, der sich aus revolutionären Klassenkämpfern zusammensetzt. Zu diesem Zwecke müssen Vertrauensleute aus den Betrieben und Kasernen, die Einfluß auf ihre Mitarbeiter und Kameraden haben, zu gewinnen gesucht werden. Diesen fällt die Aufgabe zu, die Verbreitung von Schriften und die Agitation vorzubereiten. Die Vertrauensleute halten ihre Sitzungen bezirksresp. regimenterweise ab. Jeder Bezirk resp. jedes Regiment wählt einen Arbeiter- und Soldatenrat-Delegierten für den mittleren Rat, aus welchem der ausführende Rat hervorgeht. Dieser setzt sich aus je 5 Arbeitern und 5 Soldaten zusammen. 2. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat die Pflicht, die Massen zur Revolution aufzurufen, ferner sich der Regierungsgewalt zu bemächtigen und die deutsche Volksrepublik auszurufen. 3. Wir empfehlen daher Bildungen von Gruppen, die es sich zur Pflicht machen, einen Teil der Arbeiter mit Waffen und Munition zu versehen. Weiter sind alle Munitionsfabriken zu besetzen. Vor allen Dingen ist es die erste Pflicht, der Polizeigewalt entgegenzutreten. Arbeitern, welche den Beschlüssen der Arbeiter- und Soldatenräte keine Folge leisten, ist Gewalt entgegenzustellen. Die Reptilienpresse ist auf jede Weise auszuschalten. 4. Sämtliche parlamentarische Körperschaften sind ohne weiteres aufzulösen und durch eine auf Grund des freien Wahlrechts gewählte Konstituante zu ersetzen. 5. An Stelle der ausführenden Regierungsorgane setzen. 111 110 111
Ebenda. Ebenda.
sind Volkskommissare
zu
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Diese Richtlinien bestätigen erneut, daß die Spartakusgruppe als einzige politische Kraft in Deutschland dazu übergegangen war, ihre eigene Taktik im Kampf um die nationalen und sozialen Ziele des deutschen Volkes mit den neugewonnenen Erkenntnissen der russischen Arbeiterbewegung zu bereichern. Ein Vergleich mit den verschwommenen, im Grunde nichtssagenden Schlußfolgerungen der Führung der U S P D zum Januarstreik macht die historische Leistung der Spartakusgruppe noch deutlicher. Die Reichstagsfraktion der U S P D gab in der Sitzung v o m 27. Februar 1918 eine Erklärung ab, in der sie sich mit den streikenden Arbeitern solidarisierte und den Vorwurf zurückwies, die Arbeiter hätten sich mit dem Streik des Landesverrats schuldig gemacht. Der Streik wurde als das größte Ereignis in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bezeichnet und zu seinem Ergebnis gesagt: „ E r hat seinen Zweck voll erfüllt: er hat im Innern die Herrschenden darüber aufgeklärt, daß die Arbeiter es satt sind, sich als blinde Werkzeuge der Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik der Herrschenden gebrauchen zu lassen, bloß Objekte der Militärdiktatur zu sein. E r hat aber auch zum Ausdruck gebracht, daß die deutschen Arbeiter bereit sind, mit dem gesamten Proletariat der anderen Länder für einen demokratischen Frieden zu wirken." 1 1 2 Das war mehr als billig. Uber eine Million Arbeiter hatten gestreikt — die Reichstagsfraktion der U S P D kam nicht umhin, diese Tatsache anzuerkennen. Sie nennt die Diffamierung der Streikenden als „Landesverräter" ein Gerede, ohne die wirklichen Landesverräter in den Reihen der Imperialisten beim Namen zu nennen. Auf Betreiben der Führer der S P D und U S P D gingen die Arbeiter in die Betriebe zurück, stellten weiterhin Munition und Waffen her und verlängerten damit den Krieg. Das bezeichnete die Fraktion der U S P D als einen voll erreichten Zweck des Streiks. Mit dieser Fehlentscheidung bewies sie ihr Unverständnis gegenüber dem Wollen der Arbeiterschaft. Diese bekundete durch eine fast ununterbrochene Kette von Streiks v o m Februar bis zum Oktober und schließlich mit der Revolution, daß es ihr auch schon im J a n u a r nicht darum ging, die Herrschenden „aufzuklären", sondern darum, den Herrschenden die Möglichkeit zu nehmen, ihre Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik und vor allem den mörderischen Krieg fortzusetzen. Die führenden Kräfte der U S P D bewiesen mit ihrer Stellungnahme im Reichstag, wie wenig sie d a s Neue in der Massenbewegung begriffen hatten und wie wenig sie willens waren, den imperialistischen Krieg auf revolutionäre, auf sozialistische Weise zu beenden. Die von der Spartakusgruppe als Lehre aus dem Januarstreik den Arbeitern und Soldaten empfohlenen Maßnahmen dienten dem Zweck, alle subjektiven Voraussetzungen für den Sieg einer neuen Massenaktion zu schaffen. Sie spiegeln aber auch ihre von den Ansichten der Bolschewiki abweichende Konzeption über das Verhältnis der Partei zu den Massen wider. Die Richtlinien enthalten keinerlei Hinweise f ü r die Anhänger der Spartakusgruppe, eine Massenbasis zu schaffen, die fortschrittlichsten, kampfbereitesten Arbeiter und Soldaten eng mit der Gruppe zu verbinden und in den eigenen Reihen jene ideologischen und organisatorischen Mängel zu beseitigen, die im Januarstreik offen zutagetraten. 112
12
Vgl. Richard Müller: a. a. 0 . , S. 211.
Revolutionäre Ereignisse
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Diese einschränkende Bemerkung ändert nichts an dem Verdienst der Spartakusgruppe. Sie allein lehrte die deutsche Arbeiterklasse, sich in den Arbeiter- und Soldatenräten jene revolutionären Organe zu schaffen, die notwendig waren, um das deutsche Volk aus dem Chaos des Krieges zu einem dauernden Frieden zu führen, das junkerlich-imperialistische Regime zu beseitigen und eine deutsche Volksrepublik zu errichten. Weg und Ziel der Spartakusgruppe entsprachen den historischen Notwendigkeiten. Den Beweis erbrachte die Politik des kaiserlichen Deutschlands in den letzten zehn Monaten seines Bestehens. Die Niederlage der Arbeiter im Januarstreik ermöglichte den deutschen Imperialisten, ihre schamlose Annexionspolitik im Osten, das verbrecherische Vabanquespiel im Westen und den Terror gegen das Frieden fordernde deutsche Volk fortzuführen. Die brutale Gewaltpolitik im Innern sollte die Volksmassen einschüchtern, damit sie auch weiterhin das wahnwitzige Machtstreben einer Handvoll deutscher Rüstungsgewinnler und Militaristen widerstandslos mit Blut und Leben bezahlten. Nach der Aussage des Regierungsrats Henniger, der während des Januarstreiks im Oberkommando in den Marken tätig war, wurde jeder zehnte Streikende, insgesamt .50 000 Arbeiter, zum Heeresdienst eingezogen. 113 Die Akten dieser Eingezogenen enthielten das Stichwort „Berlin 1918". Ein Telegramm des III. A.-K., Stellv. GeneralKommandos, Berlin, vom 7. Februar 1918 informierte das Stellvertretende GeneralKommando I. A.-K., Königsberg, daß Leute mit dem Vermerk „Berlin 1918" aktiv als Agitatoren im Januarstreik beteiligt gewesen waren. 1 1 4 Ein weiteres Telegramm des Stellvertretenden Generalkommandos I. A.-K., Abt. II b Nr. 21 983 vom 13. Februar 1918 an die unteren Militäreinheiten verfügte: „Die Leute sind tunlichst bald zur Ersatzgestellung heranzuziehen. (Also möglichst schnell an die Front zu bringen. — W. B.) Für andere Waffengattungen Taugliche sind mit Bezug auf diese Verfügung zur Versetzung in Vorschlag zu bringen. Die Unterbringung hat möglichst isoliert von den anderen Leuten zu erfolgen. Der Verkehr der Leute ist zu beaufsichtigen, Arbeitsgelegenheit außerhalb des Truppendienstes ist ihnen nicht zu geben, ebenso dürfen sie bis auf weiteres weder Heimats- noch Stadturlaub erhalten." « s 113
Vgl. Karl Brammer: a. a. O., S. 50. Vgl. Spartakusbriefe, a. a. O., S. 166 — Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß diese» Telegramm sämtlichen Stellvertretenden General-Kommandos zugegangen ist. im Vgl. Spartakusbriefe, a. a. O., S. 167 •— Wie die Sache in der Praxis aussah, kann dem Bericht eines Teilnehmers des Januarstreiks in Gotha, des damaligen achtzehnjährigen Tischlergesellen Willi Barth, entnommen werden. B. wurde wegen aktiver Streikteilnahme mit 50 anderen Kollegen seines Betriebes (Gothaer Waggonfabrik) zu einem Fernsprechregiment in Karlsruhe eingezogen. Er schreibt: „Nachdem ich drei Tage in der Kaserne war und die Kompagnie, der ich angehörte, auf dem Kasernenhof angetreten war, forderte mich ein Major auf, vor die Kompagnie zu treten. Er hielt eine Rede, beschimpfte mich als vaterlandslosen Gesellen und Streikorganisator und sagte: ,Er hofie, die Kompagnie behandle mich entsprechend.' Das geschah dann auch. Ich bekam die ganze Zeit während der Ausbildung nur einmal Stadturlaub und hatte fortlaufend Strafdienst, z. B. solche Sachen wie zehnmal im Dauerlauf 114
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Den Terror der Militärbehörden gegen die zum Heeresdienst eingezogenen Arbeiter ergänzte im ausgiebigen Maße die Justizmasehine gegenüber den Antikriegskämpfern. Es regnete Zuchthausstrafen in Berlin, Bremen, Dresden und vielen anderen Orten. 116 In diesem Zusammenhang muß die beschämende Tatsache festgehalten werden, daß die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands in einem vierseitigen Flugblatt „Die Gewerkschaften und die politischen Streiks" nachträglich die kämpfenden Arbeiter und ihre Funktionäre beschimpfte. Das Flugblatt zeichnete ein Bild der angeblich unerschütterlichen Kraft des kaiserlichen Regierungsapparates. Nur die naivsten, von „gewissenlosen Demagogen" betörten Gemüter können „sich für das wahnwitzige Unternehmen begeistern, die deutsche Staatsgewalt, die einer Welt von Feinden bald vier Jahre Stand hält, nach russischem Vorbild zertrümmern oder in die Hand der unabhängigen Drahtzieher spielen zu wollen." 117 Für den Militärterror machte die Generalkommission nicht den Klassenfeind, nicht die Kriegsverlängerer, sondern die Streikführer verantwortlich. Zu einer Zeit, wo jedes offene Wort gegen den Krieg durch die kaiserlichen Behörden unterdrückt wurde, forderte die Generalkommission auf, sich gegen diejenigen zur Wehr zu setzen, die „durch anonyme Flugblätter zu Streiks und Unbesonnenheiten provozieren . . . Leute, die ein reines Gewissen und aufrichtige Absichten im Interesse der Arbeiterklasse haben, bedienen sich solcher Mittel nicht." 118 Die Generalkommission entwürdigte dadurch nicht nur den großartigen Versuch der deutschen Arbeiter, mit eigener Kraft den imperialistischen Krieg zu beenden, sie versuchte gleichzeitig, die kampfgewillten Massen moralisch und politisch zu entwaffnen, indem sie die Aussichtslosigkeit einer deutschen Revolution mit der unzerstörbaren Kraft des kaiserlichen Regimes begründete. 119 um die marschierende Kompagnie zu laufen usw. Als ich Ende August oder Anfang September nach Frankreich an die Front kam, ließ der Leutnant die Fernsprechabteilung (Diferna 414) antreten; es waren 36 Mann, fast alles alte Landsturmleute, die alle hätten mein Vater sein können. Der Leutnant machte auch diese Landser darauf aufmerksam, daß ich ein gefährlicher Mensch und ein Roter sei, der einen Streik organisiert habe und sie sollten auf mich aufpassen. Nach dieser Episode ging ich mit den Soldaten in den Unterstand. Dort schenkten mir die Soldaten einen Trinkbecher voll Schnaps ein, und ich mußte ihnen immer wieder erzählen, wie das mit dem Streik war und ob die Seh. . . . nicht bald zu Ende wäre. Sie haben mich alle liebevoll behandelt, wie ihren eigenen Sohn." (Brief von Willi Barth, Berlin, vom 2. März 1957, an den Verfasser.) 116 Vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, Berlin 1929, S. 168, und Spartakusbriefe, a. a. O., S. 174ff. 117 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 119/120. 118 Ebenda. 119 Eine sehr interessante Analyse der Rolle der SPD, der Wechselbeziehungen zwischen ihr und der USDP, wie der Taktik der Regierung zu beiden Arbeiterparteien enthält eine Denkschrift des Preußischen Ministers des Innern, Drews, vom 13. Februar 1918, Akte P 118 (vgl. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 90a, Abt. D., Titel I 1, Nr. 2, Bd. II, Bl. 288—304; Nachdruck in: Erich Otto Volkmann: Der Marxismus und das deutsche Heer im Weltkriege, Berlin 1925, S. 291 ff.). 12»
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Der wütenden Hetzjagd auf revolutionäre Arbeiterfunktionäre fiel im März 1918 auch Leo Jogiches zum Opfer. 120 Der Verlust wog schwer. Die führende Kräfte der Spartakusgruppe waren entweder verhaftet oder durch ständige Polizeikontrollen in ihrer politischen Wirksamkeit stärkstens behindert. Mit der Verhaftung von Leo Jogiches verlor die Spartakusgruppe ihren hervorragenden Organisator, der auf Grund seiner Erfahrungen als polnischer Revolutionär im Kampf gegen den Zarismus ein vortrefflicher Lehrer in der konspirativen Arbeit war. Da Volkmann berichtet, daß Jogiches Ende März bei einer Zusammenkunft der Neuköllner Spartakusgruppe verhaftet wurde, liegt der Gedanke nahe, daß Jogiches Verfasser bzw. Mitverfasser des sogenannten „Neuköllner Berichtes" bzw. der im Flugblatt vorgeschlagenen Richtlinien war. Ein brutaler Massenterror und eine durch die Regierung und die bürgerliche Presse aufgepeitschte chauvinistische Welle kennzeichnen die Situation nach dem Januarstreik. In dieser Atmosphäre begannen die deutschen Annexionisten mit ihren diplomatischen und militärischen Gewaltakten gegenüber Sowjetrußland. Am 10. Februar, eine Woche nach dem Ende des großen politischen Streiks, forderte die deutsche Regierung ultimativ die Annahme ihrer Friedensbedingungen durch die Regierung Sowjetrußlands. Trotzki lehnte es in Brest-Litowslc entgegen den Direktiven des Rates der Volkskommissare ab, den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Mit seinem eigenmächtigen Verhalten erleichterte er dem aggressivsten Flügel der deutschen Imperialisten, mit Waffengewalt das weitgesteckte Annexionsprogramm zu verwirklichen. Am 18. Februar begannen deutsche und österreichisch-ungarische Truppenverbände mit dem Vormarsch nach dem Osten, um die bestehende Sowjetmacht im Blute der russischen Arbeiter, Bauern und Soldaten zu ersticken. Die Ziele der Offensive umriß Ludendorff mit den Worten: „Um die Bildung einer neuen Ostfront durch den Bolschewismus selbst zu verhindern, mußte seinen uns gegenüberstehenden Truppen ein kurzer, starker Schlag versetzt werden, der uns auch Kriegsmaterial in Mengen bringen würde." 1 2 1 An gleicher Stelle bekannte Ludendorlf ungeniert die wahren Absichten mit dem Einmarsch deutscher Truppen in die Ukraine. „In der Ukraine war der Bolschewismus zu unterdrücken, es waren auch dort derartige Verhältnisse zu schaffen, daß wir militärischen Nutzen aus ihr gewinnen und Getreide und Rohstoffe beziehen konnten; dazu mußten wir hier tief in das Land einrücken. Es blieb uns gar nichts anderes übrig." 1 2 2 Ein ordinärer Raubkrieg — das war der Sinn der Offensive im Osten. Dabei sprach Ludendorff nur die halbe Wahrheit aus. Der seinerzeitige Stabschef der deutschen Besatzungstruppen in der Ukraine, General Groener, äußerte sich dahingehend, daß „solange England Deutschland nach Westen abschließt, das Hauptinteresse Deutschlands über die Ukraine und die Krim gegen Indien f ü h r t . . . " 1 2 3 Ein heftiger Gegenschlag schnell zusammengestellter und heldenhaft kämpfender Roter Garden bei Pskow und Narwa ließ es der deutschen Heeresleitung geboten er120 121 123
Vgl. Erich Otto Volkmann: a. a. 0., S. 194. 122 Erich Ludendorff: a. a. O., S. 447. Ebenda. Die deutsche Okkupation der Ukraine, Strasbourg 1937, Dokument 29, S. 80.
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scheinen, ihren Vormarsch in Richtung Petersburg einzustellen. Sie erklärte sich am 23. Februar zu Verhandlungen bereit, nachdem Lenin unmittelbar mit dem Beginn der deutschen Offensive einen Beschluß durchgesetzt hatte, sofort die deutschen Friedensbedingungen anzunehmen. Lenin bezeichnete sie als „unerhört schwere, unendlich drückende, räuberische Bedingungen. Die deutschen Imperialisten machen sich die Schwäche Rußlands zunutze und setzen uns das Knie auf die Brust." 124 Aber für Sowjetrußland gab es nur die Alternative: entweder die Friedensbedingungen anzunehmen oder in drei Wochen das Todesurteil für die Sowjetmacht zu unterzeichnen. 125 In der Diskussion um den Brester Vertrag spielte das Tempo der herannahenden deutschen Revolution eine wesentliche Rolle. Die Gegner der Unterzeichnung argumentierten, daß Liebknecht Sowjetrußland aus der Klemme helfen werde. Ihnen antwortete Lenin, daß gerade die Niederlage der deutschen Arbeiter im Januarstreik eine so verzweifelte, tragische Situation für die russische Revolution entstehen ließ. „Ja, die deutsche Revolution wächst, aber nicht so, wie wir es haben möchten.... Die deutsche Revolution hat das Unglück, daß ihre Entwicklung nicht so rasch vor sich geht." 1 2 6 Voller Vertrauen zu den revolutionären Kräften Deutschlands ging Lenin von der Tatsache aus, daß die deutschen Arbeiter nicht imstande sein würden, die Offensive ihrer Imperialisten gegen Räterußland zu verhindern. Deshalb plädierte er für die Annahme der schändlichen deutschen Friedensbedingungen, um der russischen Revolution eine Atempause zu verschaffen. Die Geschichte gab Lenin recht. 300 000 deutsche Soldaten besetzten die Ukraine, drangen bis ans Schwarze Meer und den Kaukasus vor und leisteten der finnischen Konterrevolution Waffenhilfe. Die deutsche Heeresleitung unterstützte weißgardistische Banden mit Geld, Waffen, Munition und Instrukteuren. 127 Das Land, besonders die Ukraine, wurde mit allen Raffinessen und Brutalitäten ausgeplündert, Widerstand der Arbeiter und Bauern schonungslos niedergeschlagen. 128 Aber die Flamme der Revolution konnte nicht erstickt, der Wille der Volksmassen, im eigenen Arbeiter-und-Bauern-Staat zu herrschen, nicht gebrochen werden. Dazu kam, daß die großen Ideen der sozialistischen Revolution die deutschen und österreichischen Arbeiter und Bauern im Waffenrock zusehends beeinflußten. Es kam zu offenen Meutereien und zum Fraternisieren von Truppenteilen mit der Widerstand leistenden ukrainischen Bevölkerung. Die aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden deutschen Soldaten verweigerten den Fronteinsatz im Westen oder versuchten zumindest, ihn mit allen Mitteln zu umgehen. Ihre „Kriegsmüdigkeit" wirkte ansteckend auf andere Truppenteile. 129 124
W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. X X I I , Zürich 1934, S. 301. 128 Ebenda, S. 297. Ebenda, S. 355. 127 Vgl. Hauptarchiv des Auswärtigen Amtes, ,,Der Weltkrieg 15 Geh.", zit.: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, München, 3. Jg. 1955, Heft 1, S. 87. 12« Vgl. Max Fritsche: Das Kgl. Sächsische Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 106, Dresden 1925, S. 145, 181 u. 187/88 und Wilhelm Keil: Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Stuttgart 1947, Bd. I, S. 412/413. 129 Vgl. Die deutsche Okkupation der Ukraine, a. a. O., S. 210 u. 236 — Anmerkungen; Die Rückführung des Ostheeres, Berlin 1936,S.4—7 und Erich Otto Volkmann: a. a. O., S. 164/65. 126
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Die abenteuerlichen Pläne der deutschen Imperialisten im Osten endeten 1918 mit einem Fiasko. Die Generale mußten die erste Niederlage im Kampf gegen den russischen Arbeiter-und-Bauern-Staat einstecken. Der Leninsche Plan von der Atempause stärkte die Sowjetmacht, während die Widersprüche im Lager des deutschen Imperialismus zur akut revolutionären Krise, zur Novemberrevolution führten. Dieser Entwicklungsprozeß ändert nichts an der geschichtlichen Tatsache, daß eine gerade Linie von der Niederlage der deutschen Arbeiter im Januarstreik zum Brester Diktatfrieden, zu den deutschen imperialistischen Gewaltakten gegenüber Sowjetrußland, Finnland, der Ukraine, der Krim und dem Kaukasus führte. Die historische Schuld für diese Kriegspolitik liegt auf der Seite der machtgierigen deutschen Imperialisten und ihrer Generale; sie liegt aber auch bei jenen rechten sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführern, deren einziges Bemühen während des größten politischen Massenstreiks darin bestand, die kämpfenden Arbeiter wieder in die Betriebe zurückzuführen, damit der Krieg fortgesetzt werden konnte. Eine in ihren Ausmaßen noch katastrophalere Folge des Januarstreiks waren die deutschen Offensiven vom März bis Juli 1918 an der Westfront. Die Herren der deutschen Stahl- und Eisenkonzerne verlangten von ihren Generalen und Diplomaten einen Frieden, der ihnen mit dem Besitz der Erzlager von Longwy und Briey die größte Eisen- und Stahlquote in Europa sichern und die günstigsten Voraussetzungen für den nächsten Krieg schaffen sollte. Thyssen in höchst eigener Person, der „Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller", der .,Verein Deutscher Eisenhüttenleute" und der „Deutsche Wehrverein E. V." brachten im Herbst und Winter 1917/18 der Regierung gegenüber zum Ausdruck, daß allein der Besitz des Erzbeckens von Longwy und Briey in deutscher Hand die deutsche industrielle Leistungsfähigkeit sichert, „eine Gewähr für einen dauerhaften Frieden und eine Bürgschaft für die Sicherheit des Reiches bietet" und nicht zuletzt Deutschland in einem künftigen Kriege rettet. 130 Die politische Aufgabe für die große Schlacht im Westen hieß, den Gegner so zu schlagen, daß er bereit ist, den Plänen der deutschen Montanherren zuzustimmen. Ausschließlich von diesem Gesichtspunkt müssen die Absichten der deutschen Kriegsführung gegenüber dem Westen im Jahre 1918 betrachtet werden. Die Generale glaubten, dafür alle Vorbedingungen geschaffen zu haben. „Für die Fortführung der Operation im Westen waren wir mit Kriegsgerät gut ausgestattet." 131 Vierzig Divisionen waren vom Osten nach dem Westen gebracht, Hunderttausende Männer, darunter der Jahrgang 1899, eingezogen worden. „Millionen Menschen sollen dort wieder (im Westen — W. B.) hingemordet werden", schrieb die Spartakusgruppe, damit die Daimlers und andere kapitalistische Hyänen in Deutschland sich bereichern und ungeteilt herrschen können." 132 Mit neunzig Divisionen begann am 21. März 1918 die Schlacht im Westen, von der Schwertfeger sagte, „Deutschland hatte alles auf eine Karte gesetzt." 1 3 3 Trotz der großen zahlenmäßigen Überlegenheit am Hauptkampfabschnitt ging die Schlacht ver130 Vgl. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 885, Nr. 4, Bd. 3, Bl. 81/82, 195 ff. u. 221/222. 181 132 Erich Ludendorff: a. a. O., S. 469. Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 200. 133 Bernhard Schwertfeger: Das Weltkriegsende, Potsdam 1938, S. 55.
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loren. Der geplante Durchbruch scheiterte. Damit war nach der Ansicht des Generals Hoffmann „ein entscheidender Sieg an der Westfront nicht mehr zu erwarten". Nachdem dieser erste mit den besten Kampfmitteln unternommene Versuch nicht geglückt war, mußte sich die Oberste Heeresleitung sagen, „daß weitere Angriffe, die stets nur mit immer geringer werdenden Kräften unternommen werden konnten, gleichfalls keine Aussicht auf Erfolg boten." 1 3 4 Aber Ludendorff ließ weiter deutsche Divisionen im feindlichen Feuer ausbrennen. Der mörderischen Schlacht im März folgten Schlachten im April, Mai, J u n i und Juli. Dann erst resignierte Ludendorff. „Der Versuch, die Völker der Entente durch deutsche Siege vor Ankunft der amerikanischen Verstärkungen friedenswillig zu machen, war gescheitert." 1 3 5 Der General konnte den Befehl des Herrn Thyssen nicht ausführen. Die letzte Karte war verspielt. Die Bilanz dieses im wahrsten Sinne des Wortes Vabanquespiels weist erschreckende Tatsachen auf. Vom März bis November 1918 verlor Deutschland an der Westfront nach unvollständigen Angaben 192 447 Tote, 4 2 1 3 4 0 Vermißte und Gefangene, 860 287 Verwundete. Die Gesamtverluste des Jahres 1918 werden mit 349 461 Toten und 924 983 Verwundeten angegeben. 1 3 6 Zu den Verlusten an den Fronten kamen hohe Totenziffern in der Heimat. Im Jahre 1918 starben fast 300 000 Menschen mehr als im letzten Friedensjahr. Die Sterblichkeit der Kinder im Alter von eins bis fünf J a h r e n erhöhte sich 1918 um 50 %v gegenüber 1913. 137 Das deutsche Volk mußte 1918 weiter bluten und sterben, weil die deutschen Montanherren unter allen Umständen stärkere Faustpfänder f ü r einen imperialistischen Frieden und eine günstigere Ausgangsbasis für einen zweiten Weltkrieg besitzen wollten. Die nationale Bedeutung der Massenaktion der deutschen Arbeiterklasse im J a n u a r 1918 tritt angesichts des verbrecherischen Spiels der deutschen Imperialisten und Militaristen deutlich hervor. Die Streikniederlage führte zur sozialen und nationalen Katastrophe des ganzen Volkes. Es gibt keinen Zweifel, daß die konsequente Fortsetzung des im J a n u a r begonnenen Massenkampfes, um das Ende des Krieges mit allen Mitteln zu erzwingen, nur einen Bruchteil jener 1,5 Millionen Toten, Verwundeten u n d Gefangenen an Opfern erfordert hätte. Das historische Recht stand im J a n u a r 1918 auf der Seite der streikenden Arbeiter. Die Spartakusgruppe vertrat mit ihrem Kampf f ü r den Streik und seine Weiterführung bis zur Durchsetzung des beschlossenen Kampfprogrammes die Interessen der deutschen Nation; die Saboteure des Streiks betätigten sich als Würger und Verderber des deutschen Volkes. 134
Die Aufzeichnungen des Generalmajors Max Hoffmann. Herausgegeben von Karl Friedrich Nowak, Berlin 1929, II. Bd., S. 226. 136 Erich Ludendorff: a. a. O., S. 545. 136 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 42. Jg. 1921/22, S. 28, und 44. Jg. 1924/25, S. 26. 137 Vgl. S.Drucker: Das Massensterben der Zivilbevölkerung in der Kriegszeit, in: „Der Sozialist" (Sozialistische Auslandspolitik), Berlin, 5. Jg. Nr. 15 — Das Sterben unter den verwundeten und gefangenen Soldaten hielt auch nach dem Kriege längere Zeit an. Die angeführten Quellen weisen aus, daß nach dem 1. Januar 1919 noch 171799 Verwundete und Gefangene verstarben, wobei auch das noch keine endgültige Ziffer war.
KURT
ZEISLER
DIE REVOLUTIONÄRE MATROSENBEWEGUNG IN D E U T S C H L A N D IM O K T O B E R / N O V E M B E R 1918
K A P I T EL
I
D I E S P E Z I E L L E N V E R H Ä L T N I S S E IN D E R
KRIEGSMARINE
Seit im Juni 1905 die Matrosen des zaristischen Panzerkreuzers „Potemkin" die Seite der revolutionären Arbeiter und Bauern übergingen, stehen die Matrosen Kriegsflotten nicht selten in den ersten Reihen der revolutionären proletarischen wegung ihrer Länder und gehen ihr, was die revolutionäre Energie und auch Konsequenz des Kampfes betrifft, oftmals voran.
auf der Bedie
Die Matrosen der Panzerkreuzer „Aurora" und „Sarja Swobody" hatten bedeutenden Anteil am Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in Petrograd, und der Hafen von Kronstadt war 1917 ein starker Stützpunkt der Bolschewiki. Im Januar 1918 erhoben sich Matrosen der österreichisch-ungarischen Kriegsflotte in Cattaro gegen den imperialistischen Krieg, und schließlich hatte die revolutionäre Bewegung in der deutschen Kriegsflotte im Oktober und November 1918, die den Auftakt zur Novemberrevolution gab, ihren Vorläufer in der Matrosenbewegung des Sommers 1917, die mit den Namen der beiden von der Militärjustiz ermordeten Matrosen Max Reichpietsch und Albin Köbis untrennbar verbunden ist. Der Versuch scheint angebracht, den Ursachen nachzugehen, die gerade die Proletarier in der Kriegsmarine in die vorderste Front des revolutionären Kampfes stellen. Selbstredend sind die Faktoren, die die revolutionäre Krise eines Staates herbeiführen, auch in der Kriegsmarine wirksam. Darüber hinaus aber müssen Faktoren wirken, die die revolutionäre Bewegung beschleunigen und besonders begünstigen. Eine bedeutende Rolle spielte die soziale Zusammensetzung der Mannschaften. Die meisten Matrosen, insbesondere die zum technischen Personal zählenden (das Verhältnis von technischem und seemännischem Personal war in der deutschen Kriegsmarine 1 : 1 ) , waren im Zivilberuf qualifizierte Facharbeiter, vor allem der Metallindustrie. Sie kamen aus den großen Industriezentren. Als Schlosser, Dreher, Mechaniker, Zimmerleute, Heizer waren sie meistens schon vor ihrem Militärdienst politisch und gewerkschaftlich organisiert gewesen und besaßen ein relativ hohes Klassenbewußtsein und oft erhebliche Erfahrungen in politischen und gewerkschaftlichen Kämpfen. Viele der Matrosen waren vor ihrem Dienst in der Kriegsmarine jahrelang
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auf Handelsschiffen gefahren und durch ihren Kontakt mit der internationalen proletarischen Bewegung zu politisch reifen Arbeitern geworden. Ein zweiter wichtiger Faktor, auf den, ebenso wie auf den ersten, auch Albert Norden hinweist, 1 war die enge Verbindung der Matrosen zu dem revolutionär eingestellten Teil der Werft- und Hafenarbeiter, die während der oft längeren Werft- und Hafenliegezeiten angeknüpft werden konnte. Viele der Werftarbeiter waren früher selbst zur See gefahren. Matrosen nahmen an den politischen Versammlungen der Werftarbeiter teil. Von ihnen erhielten sie Agitations- und Propagandamaterial. Für einige Monate unmittelbar nach der Zerschlagung der Matrosenbewegung vom Sommer 1917 läßt sich diese bis dahin bestandene Verbindung nicht nachweisen. Zu Beginn des Jahres 1918 aber erfuhr sie wieder einen Aufschwung. In den Monaten Januar bis April 1918 beispielsweise wurden auf den Werften und den Kriegsschiffen große Mengen Flugblätter beschlagnahmt, deren Herkunft von den Linksradikalen und der Spartakusgruppe zweifelsfrei nachweisbar ist. 2 Uber die Werftarbeiter gelangten die Flugblätter auf die Schiffe und in die Hände der Matrosen. 3 Auf die Werftarbeiter wiederum wirkte dann die Bewegung der Matrosen wie der vielzitierte Funke im Pulverfaß; nach dem übergreifen der Bewegung auf das Land Anfang November 1918 waren die Werftarbeiter die ersten, die sich ihr gegen den Widerstand der rechtssozialdemokratischen Gewerkschafts- und Parteifunktionäre anschlössen. Ein weiterer, die rasche Revolutionierung der Matrosen fördernder Faktor war das enge Zusammenleben an Bord, die starke Konzentration vieler Proletarier auf engstem Raum, was die politische und organisatorische Arbeit unter ihnen naturgemäß erleichterte. Auf diese den Verhältnissen eines Großbetriebes ähnelnde Eigenart des Schiffslebens wies auch der Unabhängige Sozialdemokrat Popp hin. 4 Ein nicht unwesentlicher Faktor ist auch, daß der Seemannsberuf in hohem Maße jene Charaktereigenschaften fördert, die f ü r den revolutionären Kampf notwendig sind: Unerschrockenheit, Einsatzbereitschaft, Kollektivgeist. Und schließlich muß von den unerträglichen materiellen Zuständen gesprochen werden, unter denen die Matrosen lebten, und von ihrer menschenunwürdigen Behandlung durch die Offiziere, von Momenten, die sehr viel zur Revolutionierung der Mannschaften beigetragen haben. Wenn von Marineoffizieren, aber auch von Führern der Mehrheitssozialdemokratie der Versuch gemacht wurde, die Untätigkeit der Matrosen, den Mangel an Kampfeinsatzmöglichkeiten, für die revolutionäre Stimmung der Matrosen verantwortlich zu machen, wie es der Admiral von Trotha etwa 1
Albert Norden: Zwischen Berlin und Moskau, Berlin 1954, S. 68. Vgl. S. 198. 3 Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages . . . Vierte Reihe: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918. Zweite Abteilung: Der Innere Zusammenbruch, Bd. 10/1, S. 333, 335. Albert Norden: a. a. O., nach S. 72. 4 Lothar Popp unter Mitarbeit von Karl Artelt: Ursprung und Entwicklung der Novemberrevolution 1918, Kiel 1918, S. 5. 2
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und der Sozialchauvinist Hermann Müller taten, 5 so kann ihre „Begründung" nicht besser als mit Zitaten aus dem Tagebuch des Matrosen Richard Stumpf widerlegt werden, der schrieb: „Von der Stimmung, die jetzt an Bord herrscht, kann sich wohl schwerlich jemand eine Vorstellung machen. Es ist tiefe Verbitterung, verbunden mit Unlust zu jeder T ä t i g k e i t . . . überall hört man den Wunsch: Wäre erst einmal wieder Frieden. Wir wollen gar keine Schlacht mehr, wir haben auch so genug." 6 Das schrieb Stumpf im März 1915. Und aus nur wenig späterer Zeit stammen folgende Zeilen: „Sehr häufig höre ich die Leute sagen, daß es nun hoffentlich nicht mehr zu einer Schlacht kommt. Für wen sollen wir uns totschießen lassen? Für die Geldsäcke? Nach dem Kriege wird's uns genauso gehen wie vorher, und wir werden der leidende und zahlende Teil doch bleiben." 7 Immerhin wird von einigen Seiten zugegeben, daß es Mißstände gegeben hat, daß von den Matrosen über die Vorgesetzten, über unzureichende Verpflegung und kärgliche Löhnung geklagt wurde. 8 So schlimm aber könne alles nicht gewesen sein, denn die Hauptsorge der Ersten Offiziere habe darin bestanden, f ü r geregelten Urlaub und reichliches Essen (für die Mannschaften!) zu sorgen, 9 und die Unzufriedenheit über die Verpflegung sei den verschiedenen Geschmacksrichtungen entsprungen. 10 Diese dummdreisten Argumente stehen in krassem Widerspruch zu den Tatsachen. Gehen wir zu den Tatsachen über. Auf den Schiffen bestanden Mannschafts-, Deckoffiziers- und Offiziersverpflegungsgemeinschaften und dementsprechend drei verschiedene Küchen. 1 1 Die Unterschiede in der Verpflegung für Mannschaften und Offiziere waren sehr kraß. Das tägliche Menagegeld zum Beispiel betrug im September 1917 für einen Offizier 3,55 RM, f ü r einen Matrosen dagegen 1,77 RM, was gerade 50 Prozent des Offiziersmenagegeldes sind. Noch im Mai 1918, also zu einer Zeit äußerster Nahrungsmittelknappheit, wurden den Offizieren des Kreuzers „Nürnberg" beispielsweise fünf Gänge zum Mittagessen serviert. Und noch im Februar 1918, als es für die Mannschaften schon lange nur noch Kartoffelbrot gab, wurden f ü r die Offiziersmessen auf „Nürnberg" täglich Brötchen und sonntags Kuchen gebacken. 12 Ein ehemaliger Marineangehöriger schrieb: „Die Offiziersküche lag auf ,König Albert' so, daß alle Speisen durch das Wohndeck der Heizer getragen werden mußten. Die Heizer, welche nach vierstündiger schwerer A r b e i t . . . bei Brot mit Marmelade saßen, mußten zusehen, wie den Offizieren schon morgens gebratenes Fleisch mit Spiegeleiern etc. 6
Hermann Müller-Franken: Die Novemberrevolution, Berlin 1928, S. 23. Ewald Beckmann: Der Dolchstoßprozeß in München vom 19. Oktober bis 20. November 1925. Verhandlungsberichte und Stimmungsbilder, München 1925, S. 35. 6 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/11, S. 46/47. 7 Ebenda, Bd. 10/11, S. 52. 8 Vgl. z. B. Friedrich Fikentscher: Die Wahrheit über den Zusammenbruch der Marine, Berlin 1920, S. 9. • Ebenda, S. 10. 10 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 242. 11 Auf einigen Schiffen, vor allem kleineren, gab es auch nur zwei Küchen, die Mannschafts- und die Offiziersküche. 18 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 169 und Bd. 9/1, JS. 424.
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zugetragen wurde." 13 Im J u n i 1915 schrieb der bereits erwähnte Matrose Richard Stumpf: „Währenddem wir uns mit halber Brotration begnügen müssen, finden in der Messe Eß- und Trinkgelage statt, bei welchen 6—7 Gänge aufgetischt werden." 14 Einer der Zeugen der gerichtlichen Untersuchungen, die der Aufdeckung der Matrosenbewegung von 1917 folgten, Fiebig, zitierte aus einer Rede eines Oberheizers Rebe: „Es ist wohl schlecht möglich, daß man bei 3 A Kump Steckrüben, 1 Pfund Brot und 100 Gramm Kunsthonig oder Marmelade den schweren Heizerdienst weiterverachten kann, ohne an der Gesundheit Schaden zu leiden. Der Rückgang des Körpergewichts jedes einzelnen sowie das Umfallen einiger Heizer vor Entkräftung sprechen f ü r diese Tatsache." 1 5 Aus der Fülle des einschlägigen Materials geben wir nur wenige Proben wieder. Nicht angeführt werden kann das Material über die umfangreichen Nahrungsmittelentwendungen aus den Mannschaftsvorräten durch Offiziere und über die Tätigkeit der Menagekommissionen, von denen die des Panzerkreuzers „Helgoland" schon kurz nach ihrer Bildung feststellte, daß die Mannschaft um annähernd ein Drittel des ihr zustehenden Proviants betrogen wurde. 1 6 Nicht angeführt werden kann auch das Material über ungerechte Urlaubsverteilung und die schikanöse Behandlung der Mannschaften, über die Häufung von Strafexerzieren und ähnlicher Drangsalierungen. Es soll nur noch ein Beispiel genannt werden, das die schreienden Unterschiede in der sozialen Lage von Mannschaften und Offizieren beleuchtet. Im April 1918 wurden auf dem Kreuzer „Nürnberg" die Offiziersmessen, die Kommandantenräume und die der meisten Offiziere salonartig ausgebaut, während die Heizer in drei Hängematten übereinander schlafen mußten, in Räumen, in denen eine Temperatur von 20 bis 30 Grad herrschte, wobei die Ventilatoren nicht benutzt werden durften, da das Geräusch die Offiziere in ihren darüber liegenden Kajüten gestört hätte. 17 Sehr hart waren die Strafen, die über die Mannschaften aus den nichtigsten Anlässen verhängt wurden. Von Kriegsbeginn bis Ende 1917 wurden in der Kriegsmarine — nach den wahrscheinlich zu niedrigen Angaben des ehemaligen Unabhängigen Sozialdemokraten Dittmann — folgende Strafen verhängt: Zuchthaus Gefängnis Todesurteile
181 Jahre, 1 Monat 180 Jahre, 5 Wochen 10, davon 2 vollstreckt. 18
Auf dem Kreuzer „Nürnberg" sprach allein der Erste Offizier in der Zeit vom November 1917 bis zum April 1918 an Strafen aus: 230 18 152 59 13 16 18
Tage Tage Stunden Stunden
Mittelarrest gelinder Arrest Straf exerzieren Strafwachen, Strafrapporte. 1 9
16 Ebenda, Bd. 9/1, S. 409. 14 Ebenda, Bd. 10/11, S. 63. Ebenda, Bd. 9/1, S. 11 Ebenda, Bd. 10/11, S. 247. " Ebenda, Bd. 10/1, S. 173. 19 Ebenda, Bd. 9/1, S. 2. Ebenda, Bd. 10/1, S. 175/176.
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Erreicht hat die kaiserliche Militärmaschine durch ihr drakonisches Regiment das Gegenteil dessen, was sie bezweckte. Die Revolutionierung der Matrosen wurde nicht unterbunden, sondern vorangetrieben. Am Beispiel des Matrosen Stumpf, der im Zivilberuf ein christlich organisierter Handwerker mit verworrenen politischen Ansichten war, lassen sich die Auswirkung der geschilderten Verhältnisse und der politisch aufklärende und mobilisierende Einfluß klassenbewußter Proletarier auf die Masse der Matrosen deutlich verfolgen. Im November 1916 schrieb Stumpf in sein Tagebuch: „Es ist eine ungerechte, böse Welt. Sollte sich für mich einst die Möglichkeit ergeben, etwas an ihr bessern zu helfen, so soll das mit Freuden geschehen. Zum Teufel mit dem Offizierspack, sie sollen uns in keinen Krieg mehr hineinreißen. Mögen sie einen ehrlichen Beruf ergreifen oder krepieren!" 20 Im Februar 1917 bekannte er: „Was kein Buch, keine Zeitung und kein Sozialist vermocht hatte, das gelang dem System des Militärs. Ich habe diese verkörperte Autorität hassen und verachten gelernt wie nichts auf der W e l t . . . August Bebel, ins Grab hinein rufe ich Dir den heißen Dank für alle Deine Bemühungen zugunsten der armen, bedrückten S o l d a t e n . . . Ich habe Dich früher mißverstanden, Dir ob aller Übertreibungen Deiner Reden zum Militäretat gezürnt; heute empfinde ich dieselben als patriotische Tat, für welche Dich die deutschen Mütter und Geschwister segnen." 2 1 Und im April 1917 erkannte er: „Im Anfang war das Wort! Aber helfen kann uns nur die Tat, jene lebendige Kraft, wie sie uns aas dem Osten hinter den Schützengräben so hell leuchtet." 2 2 Gleich Stumpf, erkannten viele Matrosen die Beispielhaftigkeit der russischen Revolution. 20
Ebenda, Bd. 10/11, S. 190. Ebenda, Bd. 10/11, S. 215/216. » Ebenda, Bd. 10/11, S. 229. 21
KAPITEL
II
DER BEGINN DER REVOLUTIONÄREN BEWEGUNG UNTER MATROSEN.
DIE VERHINDERUNG
DES
DEN
FLOTTENVORSTOSSES
Die revolutionäre Matrosenbewegung wurde ausgelöst durch den von Seekriegsleitung und Flottenkommando für Ende Oktober 1918 beabsichtigten und eingeleiteten Flottenvorstoß. Für diese Großaktion war der Einsatz der gesamten deutschen Kriegsflotte geplant. Durch einen überraschenden Angriff leichter Einheiten (von Kreuzern und Torpedobooten) auf die englische Kanal- und die flandrische Küste sollte das vor Scapa Flow liegende Gros der englischen Flotte zum Auslaufen und zur Schlacht mit der deutschen Flotte provoziert werden. Der Flottenvorstoß hätte, bei dem Kräfteverhältnis zwischen deutscher und englischer Kriegsflotte, etwa 80 000 deutschen Matrosen das Leben kosten können, und das noch wenige Tage vor Kriegsende. 23 Das geplante Unternehmen war ohne alle Erfolgsaussichten und wäre ein rücksichtsloses, sinnloses Spiel mit Tausenden von Menschenleben gewesen. 24 23 Die deutsche Kriegsflotte verfügte damals über 19 Großlinienschifle und 5 Schlachtkreuzer. In bezug auf ihre Offensiv- und Defensivkraft (Großkalibrigkeit der Geschütze und Panzerung) waren die englischen Schiffe den deutschen Schiffen zu jener Zeit erheblich überlegen. (Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 6, S. 81/82.) Vgl. auch die Darlegung des Plans für den Flottenvorstoß bei Magnus von Levetzow: Beitrag zur geschichtlichen Darstellung des Zusammenbruchs im Jahre 1918, in: Alfred Niemann: Revolution von oben — Umsturz von unten, Berlin 1927, Anhang, S. 410. 24 Der Vizeadmiral Galster beispielsweise schrieb über die möglichen Aussichten der Schlacht: „Mehr als ein Teilerfolg, und zwar durch die Kleinkriegsmittel, wäre schwerlich zu erringen gewesen, und der Annahme einer Siegesgewißheit für die Schlachtflotte durch Marineoffiziere fehlt jede Berechtigung." (Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 6, S. 83.) Natürlich fanden sich nach der Verhinderung des Flottenvorstoßes einige Militärs, die alles, was inzwischen über das geplante Vorhaben bekanntgeworden war, zu bestreiten versuchten. Zunächst wurde am 4. November 1918 ein von Prinz Max von Baden, Scheidemann und Marinestaatssekretär Ritter von Mann unterzeichnetes, in der ,,Vorwärts"-Druckerei in hoher Auflage hergestelltes Flugblatt verbreitet, in dem als „unsinniges Gerücht" bezeichnet wurde, daß die Offiziere einen Handstreich geplant hätten, der die Mannschaften nutzlos dem Tode überliefert haben würde. „Die Offiziere der Kriegsflotte leisten der Regierung Gehorsam, und der gegen sie gerichtete Vorwurf, sie hätten
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Die Vorbereitungen wurden streng geheimgehalten; außer den allerengsten Mitarbeitern der Seekriegsleitung und des Flottenkommandos wußte niemand von ihnen. Am 22. Oktober 1918 überbrachte der Chef des Stabes der Seekriegsleitung, von Levetzow, dem Flottenkommando in Wilhelmshaven den Befehl: „Hochseestreitkräfte sollen zum Angriff und Schlagen gegen englische Flotte eingesetzt werden." 2 5 Am 27. Oktober bestätigte die Seekriegsleitung den vom Flottenkommando vorgelegten Operationsbefehl. Am 30. Oktober sollte die Flotte auslaufen. Seit dem 28. Oktober sammelten sich die Schiffe der gesamten Kriegsflotte auf Schillig-Reede, der äußersten Einfahrt zum Jadebusen in der Nähe der Insel Wangeroog. Sogar die Schiffe, die Maschinenhavarie hatten, wie „Pillau", „Königsberg" und andere, mußten mit auslaufen. 26 Den Mannschaften wurde von den Offizieren gesagt, daß es sich um ein Flottenmanöver in der Deutschen Bucht handle, was ihnen verständlicherweise keiner glaubte. Die Matrosen erkannten an vielen Einzelheiten, daß ein ernstes Vorhaben geplant sein müsse. Allein schon die Sammlung aller Schiffe und Fahrzeuge der Kriegsflotte war höchst verdächtig. Zudem war es auf Grund des Zeitpunktes so gut wie ausgeschlossen, daß sich die Flotte nur zu einem Manöver versammeln sollte. „Man bedenke aber auch diesen Unsinn, jetzt — mitten in der Krisis — ein großes Flottenmanöver abzuhalten", meinte ein Matrose in einem Brief. 27 Auf dem Flaggschiff „Baden" quartierte sich der Flottenstab für mehrere Tage ein, wogegen er bei gewöhnlichen Manövern nur einen Tag an Bord geblieben war. Die Offiziere des Panzerkreuzers „Derfflinger" brachten vor dem Auslaufen nach diesen Gehorsam verletzt oder wollten ihn verletzen, ist unberechtigt. Niemand denkt daran, daß Leben von Volksgenossen, Familienvätern zwecklos aufs Spiel zu setzen." (Prinz Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, Berlin/Leipzig 1927, S. 572.) Anfang November kamen dann die Admirale von Trotha und von Brüninghaus in die Redaktion des „Vorwärts" und erklärten, daß die Operation, die beabsichtigt gewesen war, d e m Schutz des rechten Flügels der an der Westfront zurückgehenden Armee gegolten habe. Es sollte einer jener Vorstöße an die Themse gemacht werden, wie sie während des Krieges o f t durchgeführt worden seien. Von einer Absicht, sich sinnlos auf den Feind zu werfen, «ei überhaupt nicht die Rede gewesen. (Bruno Stümke: Die Entstehung der Deutschen Republik, Frankfurt am Main 1923, S. 105.) Und noch 1926 gab der Admiral von Trotha vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß die gleiche Behauptung zum besten. Offenbar wollte er übersehen, daß der ehemalige Chef der Seekriegsleitung, Admiral Scheer, inzwischen in seinen Publikationen zugegeben hatte, daß das Ziel des Flottenvorstoßes eine Schlacht mit der englischen Flotte gewesen sei. (Vgl. Reinhard Scheer: Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg, Berlin 1920, S. 494 und ders.: Vom Segelschiff zum U-Boot, Leipzig 1925, S. 357.) Und in dem „Beitrag zur geschichtlichen Darstellung des Zusammenbruchs im Jahre 1918" begründete der ehemalige Chef des Stabes der Seekriegsleitung, von Levetzow, den Entschluß zum Flottenvorstoß wie folgt: „Sie (die Hochseeflotte — K . Z.) in diesem Falle, während die ganze Nation auf das schwerste ringt, untätig beiseite liegen zu lassen, ist ausgeschlossen. In diesem Endkampf muß auch die Flotte ihr Äußerstes an Gut •und Blut drangeben, sie muß eingesetzt werden zum letzten wuchtigen Schlage ihrer noch unversehrten K r a f t in der Entscheidungsschlacht zur See." (Alfred Niemann: a. a. 0 . , S. 401.) 25 Alfred Niemann: a. a. O., S. 409. 26 Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, Berlin 1929, S. 185. 27 Bernhard Rausch: Am Springquell der Revolution. Die Kieler Matrosenerhebung, 2. Auflage, Kiel 1918, S. 9. 13
Revolutionäre Ereignisse
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Schillig-Reede ihre Privatsachen an Land, und ein Offizier schrieb, wie den Matrosen bekannt wurde, vor dem Auslaufen einen Brief, in dem es hieß: „Diese Schmach wollen wir nicht mitmachen, wir sterben lieber den Heldentod." 2 8 Auf dem Panzerkreuzer „Moltke" wurde der hintere Schornstein rot angestrichen; 2 9 der rote Schornstein war das Kennzeichen der deutschen Schiffe im Gefecht. Die Minensuchboote hatten Befehl erhalten, die Fahrstraße nach Skagen und weiter hinaus von Minen zu säubern. „Was hatten wir oben bei Skagen verloren? Manövriert wird in der Helgoländer Bucht, aber nicht da oben" 3 0 , schrieb ein anderer Matrose. In die Nähe von Helgoland wurden zahlreiche U-Boote beordert. Das waren also die ersten Anzeichen, die den Mannschaften das Vorhaben verrieten und deren Kenntnis sie sich rasch vermittelten. Völlige Sicherheit erlangten sie durch das eindeutige Verhalten der Offiziere, die sich in den Messen f ü r den zu erwartenden „Heldentod" den nötigen Mut antranken. Die „Vossische Zeitung" bestätigte die Aussagen von Matrosen, daß von den Kommandanten verschiedener Schiffe vor den Mannschaften Reden des Inhalts gehalten wurden, man solle lieber die ganze Flotte in die Luft sprengen, als sie dem Feinde ausliefern. 31 Der Kommandant der „Thüringen" sagte: „Wir verfeuern unsere letzten 2000 Schuß und wollen mit wehender Flagge untergehen." 32 Sogar der eifrige Verfechter der Dolchstoßlegende Neu mußte zugeben, daß Offiziere vom „heldenmütigen Untergang" der Flotte gesprochen hatten. 3 3 Nachdem die Matrosen Kenntnis von dem wahnsinnigen Vorhaben erhalten hatten, begannen sie den Widerstand zu organisieren, um den Vorstoß zu verhindern. „Es ist schade um jeden Blutstropfen, der noch f ü r diese Lumpen vergossen wird", schrieb der zuletzt erwähnte Matrose in dem Brief an seinen Vater. 34 Er brachte damit die unter den Matrosen herrschende Erbitterung treffend zum Ausdruck. Am 27. Oktober sollte der in Wilhelmshaven liegende Kreuzer „Straßburg" auslaufen. Nachdem das Schiff abgelegt hatte, wurde festgestellt, daß 45 Heizer fehlten. Das Schiff war dadurch gefechtsunfähig. Die an Bord zurückgebliebenen Heizer löschten die Feuer unter den Kesseln und versuchten, durch öffnen der Flutventile das Schiff zu versenken. Der Kreuzer mußte wieder anlegen. 35 Die Matrosen und Heizer des Panzerkreuzers „Moltke" verweigerten die Befehle zum Auslaufen, als sie den roten Schornstein sahen. 3 6 Die Mannschaften der Panzerkreuzer „Derfflinger" und „Von der Tann" verzögerten ebenfalls das Auslaufen ihrer 28
Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, a. a. 0., S. 18S. Ebenda. 30 Ebenda, S. 186. 31 Erich Kuttner: Von Kiel bis Berlin, Berlin 1919, S. 11. 32 Bernhard Rausch: a. a. O., S. 9/10. 33 Heinrich Neu: Die revolutionäre Bewegung auf der deutschen Flotte, Stuttgart 1930,. S. 58. 34 Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, a. a. O., S. 186. 85 Erlebnisse des Kreuzers „Straßburg" vom 27. Oktober bis 27. November 1918, Stettin o. J., S. 5. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/11, S. 301. 36 Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, a. a. O., S. 185. 89
Revolutionäre Matrosenbewegung im Oktober/November 1918 Schiffe aus Wilhelmshaven
nach
Schillig-Reede,
indem sie passiven
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leisteten. Allein vom Panzerkreuzer „Von der T a n n " kehrten 1 0 0 Mann nicht auf ihr Schiff zurück.
37
Auch vom Panzerkreuzer „Seydlitz" fehlten Matrosen.
38
Ebenfalls
schon beim Auslaufen nach Schillig-Reede leistete ein Teil der Besatzungen Minenkreuzer passiven Widerstand.
der
39
Am 28. Oktober begann die Bewegung auf dem Linienschiff „Markgraf" vom III. Geschwader. Die Matrosen verweigerten die Ausführung des Befehls, die Anker zu lichten, und besetzten die Gangspills. 4 0 Die Heizer rissen die Feuer unter den Kesseln heraus. Auf dem Linienschiff „ K ö n i g " bildete sich ein Soldatenrat, der versuchen wollte, durch Hissen der roten Flagge die Matrosen der englischen Flotte zum Aufstand und zur Verbrüderung zu veranlassen.
41
Auf dem Linienschiff „Großer Kurfürst" wurde ein Zettel mit folgender Aufschrift angeschlagen: „Schmeißt die Arbeit nieder! W i r wollen Frieden oder nicht? Oder sollen wir unseren Kameraden an der Westfront entgegenarbeiten? Nieder mit dem Krieg!"
42
Auf dem Linienschiff „Friedrich der Große" wurde ein gedrucktes Flugblatt
gefunden, auf dem stand, daß Männer und Söhne von deutschen Müttern für den Massenmord wohlfeiler als Schweine seien.
43
Auf dem gleichen Schiff beschlossen die
Heizer und Matrosen in einer Versammlung, keine Kohlen an Bord zu nehmen. Das Schiffskommando mußte den entsprechenden Befehl zurückziehen. Am Abend des 29. Oktober war die Bewegung bereits allgemein. Der Flottenchef wurde benachrichtigt, daß außer auf den Linienschiffen „Markgraf" und „ K ö n i g " auch auf dem Linienschiff „Kronprinz W i l h e l m " und den kleinen Kreuzern
die
Matrosen den Befehl verweigert hätten. Als am Abend des 29. Oktober der bereits erwähnte K o m m a n d a n t der „Thüringen" zum Flottenflaggschiff zur Befehlsentgegennahme fahren wollte, erschien nur ein Teil der Matrosen, die sein B o o t zu Wasser bringen sollten. Dem Kommandanten gelang es nur mit großer Mühe und erheblicher Verspätung, das B o o t klarzubekommen.
44
Auf vielen Schiffen beschloß das Maschinenpersonal, höchstens bis Helgoland zu fahren und dann die Feuer zu löschen. 4 5 Aber zur F a h r t bis nach Helgoland kam es nicht, weil die Mannschaften von „Thüringen", „Helgoland", „Markgraf" und weiteren Großkampfschiffen das Ankerlichten verhinderten, so daß die Flotte Schillig-Reede nicht verlassen konnte. „Thüringen" und „Helgoland" vom I. Geschwader waren die ersten Schiffe, auf denen die aufständischen Matrosen die rote Flagge hißten. 4 ® Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0 . , Bd. 10/11, S. 302. 39 Heinrich Neu: a. a. O., S. 59f. Ebenda. 40 Deutscher Geschichtskalender, hg. v. F . Purlitz. Die deutsche Revolution, Bd. 1 , Leipzig 1919, S. 3. 4 1 Bruno Stümke: a. a. O., S. 106. 42 H. v. Waldeyer-Hartz: Die Meuterei der Hochseeflotte. Ein Beitrag zur Geschichte der Revolution, Berlin 1922, S. 29. 43 Ebenda. 44 Friedrich Fikentscher: a. a. O., S. 25. 45 Deutscher Geschichtskalender: a. a. O., S. 3. Ernst Scheiding: Das erste J a h r der deutschen Revolution, Leipzig 1920, S. 19/20. 46 Heinrich Neu: a. a. O., S. 60. 37
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13«
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F ü r den 30. Oktober, 3 U h r morgens, w a r das Auslaufen festgesetzt. Auf G r u n d der revolutionären Haltung der Matrosen w u r d e der ,.Seeklar"-Befehl jedoch auf 8 U h r verschoben. Die K o m m a n d a n t e n sollten in der Zwischenzeit versuchen, die Mannschaften zur A u f n a h m e des Dienstes zu bewegen. Die B e m ü h u n g e n der Offiziere blieben völlig erfolglos. Der ,,Seeklar"-Befehl u m 8 U h r wurde verweigert. Auf der „Thüringen" blieb ein großer Teil der Besatzung in den H ä n g e m a t t e n liegen. 4 7 Später versammelten u n d verbarrikadierten sich die Matrosen u n d Heizer in der Vorbatterio (durch welche die Ankerketten liefen). Sie verhinderten das Ankerlichten d u r c h Dichtmachen des Stoppers der Ankerketten. Am Abend des 30. Oktober w u r d e erneut zweimal der „Seeklar"-Befehl gegeben, u n d zweimal m u ß t e er wieder zurückgezogen werden. Auf der „Thüringen" zerschnitten die Matrosen die Taljen u n d m a c h t e n so das Ankerlichten d a u e r n d unmöglich. Die elektrische Beleuchtung w u r d e außer F u n k t i o n gesetzt. In der Nacht v o m 30. z u m 31. Oktober bewaffneten sich die Offiziere der „Thüringen" u n d sammelten sich im Achterschiff, u m die Besetzung der lebenswichtigen Schiffsräume durch die Aufständischen zu verhindern. Am 31. Oktober gab das Flottenkommando wiederum den „Seeklar"-Befehl. Sofort d a n a c h verbarrikadierte sich der größte Teil der Besatzung der „Thüringen" wieder in d e r Vorbatterie. Inzwischen aber hatten die Offiziere Verstärkung erhalten u n d gingen n u n zur Offensive über. Aus Wilhelmshaven hatte ein D a m p f e r 250 M a n n Marineinfanterie gebracht. Die Marinesoldaten wurden, das Gewehr im Anschlag, a n Bord d e r „Thüringen" verteilt. Der K o m m a n d a n t forderte die Matrosen auf, sich zu ergeben. Die Aufständischen wollten verhandeln, der K o m m a n d a n t forderte bedingungslose Ubergabe der besetzten Schiffsteile. Zur gleichen Zeit legten sich ein Torpedoboot u n d ein U-Boot quer vor das Vorschiff der „Thüringen", die Geschütze u n d Torpedorohre schußbereit auf das rebellierende Schiff gerichtet. 4 8 Die aufständische „Helgoland" richtete ihre Kasemattengeschütze auf das Torpedo- u n d das U-Boot, bereit, die „Thüringen"-Besatzung zu schützen. Das G e s c h w a d e r k o m m a n d o erteilte den Befehl, den Widerstand der Aufständischen mit Gewalt zu brechen. Da erst beugten sich die Matrosen der „Thüringen" der Ubermacht. 600 M a n n von ihnen wurden v o n den Marineinfanteristen abgeführt u n d auf den D a m p f e r gebracht. Die Matrosen der „Helgoland" bekundeten ihren Kamer a d e n v o n der „Thüringen" ihre Solidarität durch ein dreifaches H u r r a . Von der „Helgoland" w u r d e n 150 Aufständische v e r h a f t e t , 4 9 v o m Linienschiff „ M a r k g r a f " 2 0 0 u n d v o m Linienschiff „Großer K u r f ü r s t " ebenfalls ein großer Teil der Besatzung, w ä h r e n d ein Zerstörer quer vor dem Schiff lag, bereit z u m Feuern. Insgesamt w u r d e n über 1000 M a n n verhaftet. Die Aufständischen w u r d e n nach Wilhelmshaven, Oslebshausen u n d B r e m e r h a v e n transportiert. Noch ein letztes Mal h a t t e die kaiserliche Militärmaschine den vollständigen Sieg der Matrosen v e r h i n d e r n 47 48 49
Über die Vorgänge auf „Thüringen" vgl. Friedrich Fikentscher: a. a. O-, S. 25—28. Bernhard Rausch: a. a. O., S. 9/10. Friedrich Fikentscher: a. a. O., S. 28.
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können. Aber nur für kurze Zeit. Ihr Nahziel jedoch, die Verhinderung des Flottenvorstoßes, hatten die Matrosen erreicht. Nach der Verhaftung des größten Teils der „Thüringen"-Besatzung erhielten 30 Heizer der „Ostfriesland" den Befehl, auf die „Thüringen" zu gehen, damit das Schiff wieder manövrierfähig werde. Die Heizer widersetzten sich diesem Befehl. Am 1. November befaßte sich eine Versammlung der Vertrauensleute der 1. Division des Linienschiffes „Friedrich der Große" mit dem Flottenvorstoß und verwarf die von Mehrheitssozialdemokraten vertretene Ansicht, daß zumindest an der Heimatverleidigung festgehalten werden müsse. Die Heizer löschten die Feuer. 50 Hier beginnt schon die nächste, höhere Etappe der Bewegung. Für die Malrosen waren die Aktionen zur Verhinderung des Flottenvorstoßes eine ausgezeichnete revolutionäre Schule. Große Teile von ihnen entzogen sich dem Einfluß der demagogischen Losung von der Vaterlandsverteidigung, der sie — nicht zuletzt auf fortgesetzte Weisung sozialchauvinistischer Führer der SPD — ihre Klasseninteressen weiterhin unterordnen sollten. Am 2. November meldete der Flottenchef, Admiral Hipper, dem Chef der Seekriegsleitung, Admiral Scheer, daß es sich bei den Vorgängen auf der Flotte um eine bolschewistische Bewegung handle. 5 1 Und auch im Befehl des Kommandos der Hochseestreitkräfte vom 4. November hieß es, daß hinter der Bewegung die „bolschewistische Richtung" stecke. 52 Begründet wurde das beide Male mit der Beschaffenheit und Einheitlichkeit der Losungen und der Kampftaktik, wie sie auf den meisten Schiffen zu bemerken war. Wenn mit dieser Kennzeichnung gesagt werden sollte, daß die Bewegung von proletarisch-revolutionären Kräften organisiert war, denen die kühnen Taten der russischen Matrosen in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution als Vorbild dienten, so ist die Charakterisierung gewiß zutreffend. Organisiert hatten die Bewegung jene bewußten proletarischen Kräfte in der Kriegsmarine, die die revolutionäre Bewegung im Sommer 1917 vorbereitet und geleitet hatten und die die kaiserliche Militärjustitz vergebens zu vernichten versucht hatte. Zwar waren zwei Todesurteile vollstreckt, viele Jahre Zuchthausstrafen verhängt und massenweise der revolutionären Arbeit verdächtige Matrosen von der Kriegsflotte entfernt und zu Landtruppenteilen abgeschoben worden; aber bald waren die Lücken wieder aufgefüllt und die Verbindungen zwischen den revolutionären Gruppen auf den einzelnen Schiffen wiederhergestellt. 53 Auch die Verbindung der Marinebewegung mit der proletarischen Bewegung auf dem Lande wurde enger, als sie bis dahin gewesen war. 54 Die Matrosen hatten so versucht, einen Mangel ihrer Arbeit zu überwinden, der sich in der Bewegung von 1917 sehr ungünstig ausgewirkt hatte. Als Beweise dafür, daß „die weitere Bewegung... nunmehr in einem engeren Zusammenwirken mit der revo60
Heinrich Neu: a. a. O., S. 61. Reinhard Scheer: Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg, a. a. 0 . , S. 497. Alfred Niemann: a. a. 0 . , S. 412. 52 Das Werk des Untersuchungsausschusses a. 0 . , Bd. 10/1, S. 206/207. 63 Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, a. a. O., S. 159. " Ebenda, S. 160. 61
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lutionären Arbeiterbewegung im Lande'" erfolgte, liegen die zahlreichen Flugblätter vor, die im Laufe des Jahres 1918 auf den Werften und den Schiffen gefunden worden sind. Diese Flugblätter zeigen auch, mit wem die Matrosen zusammengearbeitet haben: mit der linksradikalen Bewegung, die in Bremen ihr Zentrum hatte und in enger Verbindung zur Spartakusgruppe stand, und mit der Spartakusgruppe selbst. Bei einem im Januar 1918 auf dem Panzerkreuzer „Helgoland" gefundenen Flugblatt handelte es sich um das bekannte Spartakusflugblatt „Hoch der Massenstreik! Auf zum Kampf!" das anläßlich der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk herausgegeben wurde. Und im Februar und März 1918 wurden auf den Toiletten der Kaiserlichen Werft in Wilhelmshaven, die von den Matrosen benutzt wurden, große Mengen eines Flugblattes gefunden, das die Unterschrift „Die Linksradikalen" trug. 5 5 Eine Zusammenarbeit mit anderen Kräften als den Linksradikalen und der Spartakusgruppe kam nach der Selbstentlarvung der sozialpazifistischen Führer der USPD im Gefolge der Marinebewegung ven 1917 auch gar nicht in Betracht. Wenn Aboldt, ein ehemaliger Deckoffizier, vielleicht in der wohlgemeinten Absicht, der Dolchstoßlegende keine neue Nahrung zu bieten, schrieb: „ . . . es handelte sich bei den Vorgängen Ende Oktober 1918 um keine organisierte politische Bewegung, sondern — im ganzen — um den Bruch einer Spannungslinie, wie sie sich aus d e r . . . Stimmung, der vorhandenen Erbitterung und Überlegungen einfachster militärischer und allgemein politischer Art bei den Mannschaften herausgebildet hatte" 5 6 , so trifft das nicht den Kern des Sachverhalts. Noch eine Bemerkung zu den einheitlichen Losungen und zur Taktik der Matrosen. Die Losungen gipfelten überall in dem Beschluß, gegebenenfalls nicht weiter als bis nach Helgoland zu fahren und dann die Feuer unter den Kesseln zu löschen. Eine Schlacht mit der englischen Flotte, die den deutschen Matrosen unweigerlich das Leben gekostet hätte, sollte unter allen Umständen verhindert werden. Diesem Ziel dienende Argumentationen, die sich überall nachweisen lassen, waren: Der Flottenvorstoß ist eine Verzweiflungstat alldeutscher Offiziere; der Frieden wird durch ihn verzögert, die bevorstehenden Waffenstillstandsverhandlungen werden zerschlagen; die Offiziere handeln gegen den Willen und ohne Wissen der Regierung. 57 Zur Taktik ist zu sagen, daß sie strikt auf die Verhinderung des Flottenvorstoßes gerichtet war, daß die Kampfmethoden auf kein weiter reichendes Ziel eingestellt waren. So wurden die Ankerlichtvorrichtungen besetzt und unbrauchbar gemacht, die Feuer unter den Kesseln gelöscht, die Kohlenaufnahme wurde verweigert und die Manövrierfähigkeit der Schiffe durch Flucht von mehr oder weniger großen Teilen der Besatzung und durch Befehlsverweigerungen empfindlich gestört. 65
Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 333—336. Albert Norden: a. a. O., nach S. 72. 66 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 199. 57 Alfred Niemann: a. a. 0 . , S. 386/387. Erlebnisse des Kreuzers ,,Straßburg" . . ., a. a. O , S. 5. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 207. Auf die Untersuchung, ob der Flotten vorstoß „Admiralsrebellion" war, wird hier verzichtet.
KAPITEL
III
D E R B E W A F F N E T E A U F S T A N D IN K I E L
1. Das übergreifen
der revolutionären
Bewegung
auf das
Land
Nach dem verhinderten Flottenvorstoß wurden die einzelnen Geschwader zu verschiedenen Liegeplätzen beordert. Nach der Absicht des Flottenkommandos sollten die Geschwaderchefs so die Möglichkeit erhalten, die Bewegung in den voneinander getrennten Mannschaften zu unterdrücken. Das III. Geschwader, das aus den Linienschiffen „Bayern", „König", „Kronprinz Wilhelm", „Markgraf" und „Großer Kurfürst" bestand, fuhr nach Kiel. Am 31. Oktober nachts lief es im Hafen ein. Nach dem Eintreffen des Geschwaders befanden sich in Kiel 8 Linienschiffe der stärksten Klasse, 3 Torpedobootsflottillen mit zusammen 3 6 Fahrzeugen, einige kleine Kreuzer, U-Boote und Spezialschiffe, dazu einige Handelsdampfer, die Mannschaften von der flandrischen Küste, die geräumt worden war, zurückgebracht hatten. Insgesamt waren in Kiel etwa 25 000 Matrosen versammelt. 5 8 An Marinelandtruppen waren zu jener Zeit in Kiel etwa 15 000 Mann stationiert. Noch vor dem Einlaufen in den Hafen hatte der Chef des III. Geschwaders, Admiral Kraft, erneut Matrosen verhaften lassen. 47 Mann wurden von Holtenau aus nach Fort Herwarth gebracht. Weitere 200 Matrosen sollten als Strafkompanie an Land gebracht werden. Diese erneuten Verhaftungen und die Befürchtung der Matrosen, ihre verhafteten Kameraden würden von der Militärjustiz ermordet werden, verschärften ihre Erbitterung. Der Kampf begann um die Freilassung der Verhafteten. Am 1. November fand im Gewerkschaftshaus eine vorwiegend von Angehörigen •der „Markgraf-Besatzung besuchte Matrosenversammlung statt. Es wurde beschlossen, Abordnungen zu den Kommandanten zu schicken und die sofortige Freilassung der verhafteten Matrosen zu fordern. Die Offiziere wiesen die Delegierten ab; empört darüber, gingen die Matrosen auseinander. Vorher jedoch wurde beschlossen, 58 Bernhard Bausch: a. a. O., S. 11. Noske (Von Kiel bis Kapp, Berlin 1920, S. 12) spricht von 80000, Prinz Max von Baden (a. a. O., S. 586) von 40000 Mann.
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für den folgenden Tag erneut eine Versammlung ins Gewerkschaftshaus einzuberufen, um über geeignete Maßnahmen zur Befreiung der Kameraden zu beschließen. 5 9 Inzwischen hatten Gouvernement und Stadtkommandantur, die den neuerlichen offenen Ausbruch der Bewegung und deren übergreifen auf das Land, auf die in Kiel befindlichen Truppen und die Arbeiterschaft, befürchteten, sämtliche Kasernen gesperrt. Kein Matrose durfte sie ohne besonderen Erlaubnisschein verlassen. Auf diese Art sollte die „Infizierung" der Landtruppen verhindert werden. Die Kieler Marineinfanterie lag in Bereitschaft, um auf Befehl gegen die Matrosen vorzugehen. Aus Offizieren, Maaten und Applikanten gebildete Trupps patrouillierten durch die Straßen. Beim III. Geschwader wurden die Waffen der Mannschaften in der Nacht zum 2. November heimlich von Bord geschafft. Die Offiziere erhielten zusätzliche Munition. Um die Versammlung der Matrosen am 2. November zu verhindern, ließen die Militärbehörden das Gewerkschaftshaus durch Polizei für Matrosen und Soldaten sperren. Die Angehörigen des III. Geschwaders versammelten sich deshalb vor dem besetzten Gewerkschaitshaus. Die 1. Kompanie des I. Seebataillons, die gegen die Matrosen vorgehen sollte, verweigerte den Befehl. Vor dem Ausmarsch hatten die Soldaten je 3 0 scharfe Patronen erhalten. Der Befehl „Laden und Sichern" wurde von ihnen nicht befolgt; in losen Gruppen gingen sie in die Kaserne zurück. Patrouillen von Marineinfanteristen riefen den Matrosen zu: „Wir tun niemand etwas!" Auch bei der 2. Kompanie des I. Ersatzseebataillons kam es zu Befehlsverweigerungen. Hier beginnt das Ubergreifen der revolutionären Bewegung auf das Land. Die Matrosen des III. Geschwaders, denen sich inzwischen auch Angehörige anderer Einheiten angeschlossen hatten, begegneten der Sperrung des Gewerkschaftshauses, indem sie ihre geplante Versammlung auf den großen Exerzierplatz hinter der Waldwiese verlegten. Der Oberheizer Karl Artelt von der 5. Kompanie der I. Torpedodivision in Kiel, ein der USPD angehörender revolutionärer Arbeiter, forderte die Versammelten auf, für den kommenden Tag, Sonntag, den 3. November, eine große Volksversammlung einzuberufen, auf der gegen die Verhaftung von Matrosen protestiert werden sollte. Auf der Versammlung anwesende Werftarbeiter erklärten, daß die Kieler Arbeiter die Matrosen nicht im Stich lassen würden. Sie, die Ende Januar 1918 in einem energisch und geschlossen geführten Streik, die kompakten Drohungen der Militärbehörden nicht achtend und trotz der Abwürgungsmanöver der sozialchauvinistischen Gewerkschafts- und Parteiführer, sämtliche Werften einschließlich der Kaiserlichen Werft für Tage lahmgelegt hatten, ließen die Matrosen nicht im Stich. Um der in Kiel sich ausbreitenden Bewegung leichter Herr werden zu können, um ihr einen Teil der revolutionärsten Kräfte zu entziehen, sollten die Matrosen des 59 Lothar Popp/Karl Artelt: a. a. O., S. 10. Die Darstellung in diesem und dem folgenden Abschnitt stützt sich im wesentlichen auf den Bericht dieser zwei an den Kieler Vorgängen maßgeblich Beteiligten, den Augenzeugenbericht von Bernhard Rausch: a. a. O., die Schrift von H. v. Waldeyer-Hartz: An Bord des Kriegsschiffes „Schlesien" bei Ausbruch der Revolution, Berlin 1922, und zeitgenössische Presseberichte.
201
Revolutionäre Matrosenbewegung im Oktober/November 1918 „Markgraf
aus Kiel entfernt werden. Am Morgen des 3. November erhielt das
Linienschiff den Befehl zum Auslaufen. Die Matrosen verweigerten den Dienst; das Schiff blieb vor Anker. Die bereits genannte 1. Kompanie des I. Seebataillons wurde daraufhin wieder alarmiert. Erneut wurde scharfe Munition verteilt. Der Stationskommandant Heine hielt vor den Soldaten eine Ansprache, in der er die Verweigerung von Befehlen als Schande und den Krieg als noch nicht verloren bezeichnete. Englische Spione hätten Geld verteilt, um die Matrosen zu Unruhen zu veranlassen. Die Kompanie dürfe, schloß Heine seine Rede, nicht davor zurückschrecken, das Blut deutscher Soldaten zu vergießen. Nach dieser Vorbereitung wurde der Kompanie mitgeteilt, daß sie 6 5 Matrosen vom „Markgraf" zu verhaften und nach den Forts zu bringen hätte. Bis auf 13 Seesoldaten verweigerte die Kompanie wiederum den Befehl. Die Posten und Patrouillen in der Stadt wurden bedeutend verstärkt. Aus halbwüchsigen Kadetten wurde eine Weiße Garde gebildet. Die Matrosen, Arbeiter und Soldaten waren bereits aufs äußerste erbittert. Es bedurfte nur noch des Funkens, um die in Kiel so stark konzentrierte kaiserliche Machtmaschinerie in die Luft fliegen zu lassen. Diesen letzten, auslösenden Funken bildete die Niedermetzelung von insgesamt 37 Demonstranten durch eine aus Maaten und Applikanten bestehende Patrouille am Sonntag abend im Anschluß an die Kundgebung auf dem großen Exerzierplatz. 8 Demonstranten wurden getötet, 2 9 schwer verletzt. An der Kundgebung am Nachmittag dieses 3. November auf dem großen Exerzierplatz nahmen über 3 0 0 0 Matrosen, Arbeiter, deren Frauen und Soldaten teil. Um 14 Uhr ließ der Gouverneur, Vizeadmiral Souchon, Alarm schlagen mit der Absicht, die Matrosen und Soldaten zu bewegen, auf die Schiffe und in die Kasernen zurückzugehen. E r erreichte damit nur, daß noch mehr Menschen auf die Demonstration aufmerksam wurden und sich an ihr beteiligten. Auf der Kundgebung, die der schon erwähnte Oberheizer Karl Artelt eröffnete, wurde ein Artikel aus der „Leipziger Volkszeitung", dem Hauptorgan der U S P D während des Krieges, über die Matrosenbewegung von 1917 verlesen. Dann sprach der Kieler sozialdemokratische Gewerkschaftskartellvorsitzende
Garbe. E r forderte
die Anwesenden auf, mit der Bewegung noch ein bis zwei Tage zu warten, da die Werftarbeiter „etwas Ähnliches" geplant hätten. Der Zweck seiner R e d e war, wie Rausch, ein Gesinnungsgenosse Garbes, politischer Redakteur des Kieler sozialdemokratischen Organs „Schleswig-Holsteinsche Volks-Zeitung", bestätigte, die Massen abzuwiegeln. Die Versammelten aber gaben Garbe die gebührende Antwort: Sie verhinderten, daß er zu Ende sprechen konnte; er mußte abtreten. D e r nächste Redner, Kirchhöfer, beschuldigte die Generalkommission der Gewerkschaften, die Arbeiter während des ganzen Krieges an der Nase herumgeführt zu haben. Werftarbeiter erklärten, daß sie auf dem Boden der Bewegung stünden und sie unterstützten. Der Versuch der Sozialchauvinisten, Einfluß auf die Bewegung zu gewinnen und sie abzuwürgen, war vorerst gescheitert. Mit einem Hoch auf die internationale Sozialdemokratie, die Inhaftierten des I I I . Geschwaders und der Bewegung von 19.17 wurde die Versammlung geschlossen.
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Die Anwesenden formierten sich zu einem Demonstrationszug, der sich in Richtung Feldstraße, in der die Marinearrestanstalt lag, in Bewegung setzte. Unterwegs wurden die Angehörigen der Matrosendivision aus ihrer Kaserne an der Waldwiese befreit; sie waren dort eingesperrt worden, um ihren Anschluß an die Bewegung zu verhindern. Unter Rufen, wie: „Es lebe die Internationale! Es lebe die deutsche Republik! Weg mit dem Kaiser!" und dem Gesang der Arbeitermarseillaise bewegte sich der Demonstrationszug durch die Straßen. Viele Matrosen hatten sich aus den Beständen der Kaserne der Matrosendivision bewaffnet. Noch aber war die Bewaffnung nicht allgemein. Postenketten und Patrouillen, die sich der Demonstration entgegenstellten, wurden von den Demonstranten mühelos zersprengt und entwaffnet. Auf der Straße stehende Arbeiter wandten sich gegen die Offiziers- und Applikantentrupps und riefen ihnen zu, sie täten besser, in die Schützengräben zu gehen, als auf ihre Kameraden zu schießen. In der Brunswiker- Ecke Karlstraße schoß die erwähnte Patrouille auf die Demonstranten, während von hinten Feuerwehrautos in die Menge hineinfuhren. Unter den Toten und Verwundeten befanden sich auch Frauen und Kinder. Die Demonstration wurde auseinandergesprengt. Nun aber, nachdem die ersten Toten der Revolution gefallen waren, setzte sich bei den Massen schlagartig die Erkenntnis durch, daß die zwar nur noch geringe, dennoch aber bewaffnete Macht des kaiserlichen Staatsapparats nur durch die bewaffneten Massen gebrochen werden konnte. Der bewaffnete Aufstand begann.
2. D e r bewaffnete
Aufstand
Wie die Schüsse in die Demonstration auf die Matrosen und Arbeiter gewirkt hatten, zeigt das Beispiel der Matrosen vom Linienschiff „Großer Kurfürst". Am Morgen des 4. November kamen unter Führung eines Heizers Bodolskie 2 6 0 Matrosen dieses Schiffes, nachdem sie ihre Offiziere überwältigt hatten, an die Stelle, an der die Bluttat verübt worden war, und schworen durch drei Hurras, den Mord zu vergelten. In der Nacht zum 4. November und in seinen frühen Morgenstunden bildeten die Matrosen auf den Schiffen und die Marinesoldaten in den Kasernen Soldatenräte. Gerade hierbei ist die starke, beispielgebende Wirkung der russischen Revolution auf die deutsche revolutionäre proletarische Bewegung besonders deutlich erkennbar- Am Mittag des 4. November standen den Soldatenräten schon 2 0 0 0 0 Gewehre mit etwa j e 6 0 Schuß Munition zur Verfügung. Die Mehrzahl der Schiffsgeschütze war von Aufständischen besetzt. Wie sich die Entwicklung im einzelnen vollzog, soll am Beispiel der I. Torpedodivision gezeigt werden. Zur Niederschlagung der Bewegung in der Torpedodivision wurde, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, die I. Werftdivision eingesetzt. Nachdem ihre Angehörigen von den Matrosen der Torpedodivision über den wahren Zweck der Bewegung aufgeklärt worden waren, ging die vollständig bewaffnete und mit Munition versehene Werftdivision auf die Seite der Torpedomatrosen über. Die Tatsache, daß die Werftdivision bewaffnet war, war für die Angehörigen der
Revolutionäre Matrosenbewegung im Oktober/November 1918
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Torpedodivision wichtig, weil man ihnen selbst, mit Ausnahme einiger frischer Rekruten und ganz kaisertreuer Leute, die Waffen abgenommen hatte, so daß sie nur unter schweren Opfern in der Lage gewesen wären, den Aufstand von sich aus weiterzuführen. Der Kommandeur der I. Torpedodivision, Kapitän Bartels, versuchte, die Matrosen durch eine Rede von der Beteiligung an der Bewegung abzuhalten. Er sagte unter anderem: „Wir Soldaten haben keine Ahnung von Politik, also haben wir uns auch nicht mit Politik zu b e f a s s e n . . . Soldat soll gehorchen, Soldat muß gehorchen, und Soldat gehorcht." 6 0 Auf die Mannschaften blieb diese „klassische" Argumentation allerdings völlig ohne Einfluß. Unter Pfiffen und Drohrufen mußte Bartels abtreten. Davor bewahrte ihn auch nicht das Erscheinen schwerbewaffneter Deckoffiziersschüler. Die Matrosen forderten diese auf, sich der Bewegung anzuschließen, was die Deckoffiziersschüler auch tatenDanach zogen die Matrosen durch die Kaserne, um die Mannschaften der anderen Einheiten zum Anschluß an die Bewegung aufzufordern. Daran anschließend wurde vor dem Stabsgebäude der I. Torpedodivision eine Versammlung abgehalten. Die Matrosen zwangen den Divisionskommandeur, sich ihre vom Oberheizer Artelt vorgebrachten Forderungen anzuhören: 1. 2. 3. 4.
Abdankung des Hohenzollernhauses; Aufhebung des Belagerungszustandes; Freilassung der Gemaßregelten vom III. Geschwader; Freilassung aller im Zuchthaus zu Celle sitzenden Kameraden von der Matrosenbewegung des Jahres 1917; 5. Freilassung sämtlicher politischer Gefangener; 6. Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts f ü r beide Geschlechter. 0 1 Diese sechs Forderungen der Matrosen — die ersten von ihnen in dieser Bewegung formulierten — konnten weitester Unterstützung sicher sein, knüpften sie doch an die unmittelbaren Wünsche und Interessen der Matrosen an. Sie erfüllten darum eine wichtige Funktion: Sie stärkten die revolutionären Kräfte. Das über allem stehende, sich im Einklang mit dem mächtigen Friedenswillen des ganzen Volkes befindliche Bestreben der Matrosen, den imperialistischen Krieg zu beenden, fand in Punkt 1 der Forderungen, Abdankung der Hohenzollern, seinen Ausdruck. Die Auffassung war weit verbreitet, daß Wilhelm II. die unter dem Druck des militärischen Zusammenbruches und der Revolutionierung der Massen angebahnten Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen hintertreiben wolle. Die übrigen Punkte, vor allem Punkt 6, zeigten den Wunsch nach einer Demokratisierung des Staates. Insgesamt gingen die Forderungen über den Rahmen eines sehr gemäßigt demokratischen Programms nicht hinaus, wenn sie sich auch deutlich von der Politik der mehrheitssozialdemokratischen Führer abgrenzten, deren Ziel es bekanntlich war, die 60 61
Lothar Popp/Karl Artelt: a. a. 0., S. 16. Ebenda. Vgl.: Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/II, S. 580.
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Monarchie zu erhalten und jede revolutionäre Bewegung zu verhindern, die die ökonomischen und politischen Grundlagen des bestehenden Staates in Frage stellen könnte. Gehen wir zurück zur Darstellung der weiteren Ereignisse in Kiel. Nach der Versammlung vor dem Stabsgebäude der I. Torpedodivision bildeten die Torpedomatrosen kompanieweise ihre Soldatenräte. Jede Kompanie wählte vier Mitglieder in den Soldatenrat. Die erste gemeinsame Sitzung der Kompaniesoldatenräte der Torpedodivision fand am gleichen Tage statt. Der schon mehrfach erwähnte Oberheizer Karl Artelt wurde zum Ersten Vorsitzenden des Soldatenrates der Torpedodivision gewählt. Etwa zur selben Zeit, zu der sich die Erhebung der Torpedodivision abspielte, versammelten sich im Gewerkschaftshaus die Ob- und Vertrauensleute der Arbeiter der Kieler Großbetriebe und beschlossen, zur Unterstützung der Matrosenbewegung für den folgenden Tag, den 5. November, den allgemeinen Streik auszurufen. Die Bewegung unter den Arbeitern vollzog sich gegen den Widerstand der sozialchauvinistischen Funktionäre der SPD und der Gewerkschaften. Jetzt, wo diese fürchten mußten, daß sich die Arbeiter von ihrem Einfluß befreiten, schlössen sie sich scheinbar der Bewegung an, die sie bisher zu unterdrücken versucht hatten. In den in der gleichen Versammlung gebildeten Arbeiterrat schlichen sie sich ein und erlangten sogar dessen paritätische Zusammensetzung. Vor dieser Versammlung der Vertrauensleute der Arbeiterschaft fand im Gewerkschaftshaus eine große Kundgebung der aufständischen Matrosen statt. Die Versammelten machten die Forderungen der Torpedomatrosen auch zu den ihren; Mitglieder des Soldatenrates der Torpedodivision, die an der Kundgebung teilnahmen, hatten sie ihnen vorgelegt. Als letztes Mittel, um eventuell auf die Bewegung noch Einfluß zu erlangen und ihr die Spitze abzubrechen, hatte der Kieler Gouverneur bekanntgeben lassen, daß er bereit sei, Abordnungen der Aufständischen zu empfangen und ihre Forderungen anzuhören. Daraufhin fuhr eine Delegation zu ihm und legte ihm die sechs Forderungen vor. Unter Hinweis darauf, daß die Schiffsgeschütze ihren Worten Nachdruck verliehen, erzwangen die Matrosen die Anerkennung der Arbeiter- und Soldatenräte. Aber was die sechs Forderungen betraf, gaben sie sich schließlich damit zufrieden, daß der Gouverneur, Vizeadmiral Souchon, sie auf das Eintreffen der von ihm angeforderten Begierungsvertreter vertröstete. Die Matrosendelegierten forderten weiter vom Gouverneur, daß er keine auswärtigen Truppen zur Niederschlagung der Bewegung nach Kiel holen dürfe, andernfalls würde der Bahnhof von der Schiffsartillerie beschossen werden. Unter dem Druck der Umstände gab Souchon diesem Verlangen formell nach; er versprach, keine Truppen heranzuziehen, und schon auf dem Transport befindliche würde er zurückschicken. Trotz dieses Versprechens trafen am Abend des 4. November auf dem Kieler Hauptbahnhof vier auswärtige Kompanien ein. Die Soldaten wurden von Aufständischen gebührend empfangen; drei Kompanien schlössen sich ihnen sofort an, die vierte wurde entwaffnet. Ebenfalls entwaffnet wurden die schon in der Stadt befindlichen, von außerhalb herangezogenen Truppen. Aus dem Stationsgebäude wurden
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8 0 Infanteristen aus Lübeck, Souchons Leibgarde, herausgeholt und nach ihrer Entwaffnung zum Bahnhof abgeführt. Die das Gefängnis in der Feldstraße bewachende Kompanie wurde zum Anschluß an die Bewegung aufgefordert, was sie angesichts der aufständischen Massen auch tat. Den Offizieren und Fähnrichen des I I I . Geschwaders war es gelungen, mit ihren Schiffen am Nachmittag des 4. November den Hafen zu verlassen, indem sie ihre Schiffe großenteils selbst — von den Matrosen fehlten sehr viele — bedienten. Aber schon a m 6. November erzwangen die an Bord zurückgebliebenen
Mannschaften
die Rückkehr nach Kiel. Torpedoboote, die ebenfalls auslaufen wollten, wurden von Land aus von den Aufständischen beschossen, bis sie wieder anlegten. Die Offiziere des Linienschiffs „König" v o m I I I . Geschwader hatten das Hissen der roten F a h n e bisher verhindern können. Matrosen erzwangen in einem Feuergefecht die Niederholung der kaiserlichen Kriegsflagge und hißten die rote Fahne. Nur das Schulschiff „Schlesien" konnte den Kieler Hafen unter der Kriegsflagge verlassen. Als am Abend des 4. November die gewaltige Demonstration begann, war Kiel vollständig in der Hand der Matrosen, Arbeiter und Soldaten. Auf den Schiffen und den öffentlichen Gebäuden wehten rote Fahnen. Die ganze Stadt, der Hafen und sämtliche militärischen Anlagen, Waffen- und Munitionslager, das Minendepot in Dietrichsdorf und das Artilleriearsenal der Kaiserlichen Werft waren besetzt. Bei den Matrosen und Arbeitern lag sowohl die militärische als auch die zivile Gewalt. Dem Gouvernement und der Stadtkommandantur standen zu dieser Zeit kein Gewehr, kein Schuß Munition und vor allem kein Mann mehr zur Verfügung. Der provisorische Soldatenrat bestimmte über Sicherheits- und Polizeidienst. Die Stadtverwaltung arbeitete unter seiner Kontrolle. Versammlungen durften nur mit seiner Genehmigung abgehalten werden. Auch
der Matrosen
und
Soldaten wurde von ihm kontrolliert. Alle Aufständischen waren bewaffnet.
die Lebensmittelversorgung
der Bevölkerung,
Der
bewaffnete Aufstand hatte gesiegt. Am Abend des 4. November veröffentlichte der provisorische
Soldatenrat folgenden
Aufruf:
„Kameraden
und Genossen!
Unsere
Schicksalsstunde hat geschlagen. Die Macht ist in unserer Hand. Hört auf uns! Sammelt euch um eure erwählten
Führer! Keine Unbesonnenheiten! R u h e
und
Nerven sind das Gebot der Stunde. Zeigt daß ihr Männer seid, folgt unseren Sicherheitsorganen! Plündert und raubt nicht! E s ist euer unwürdig und gereicht euch nicht zur E h r e : Zum Ziel führt das nicht! Zur Unterdrückung unserer Bewegung nach hier entsandte Truppen haben sich unserer Bewegung angeschlossen. Alle Arbeiter aller Gewerkschaften sind auf unserer Seite. W i r sind unserem Ziel n a h e ! "
62
Der am Abend des 4. November aus Berlin eingetroffene Staatssekretär Haußmann und der Sozialchauvinist Noske konnten den Sieg des bewaffneten Aufstandes vorerst nur noch konstatieren. An der am Abend stattfindenden Demonstration beteiligten sich etwa 2 0 0 0 0 bewaffnete Matrosen und Soldaten- Der Zug war beherrscht von roten Fahnen. Die Aufständischen zogen zu den Arrestanstalten, um ihre befreiten Kameraden abzuholen. Am Gewerkschaftshaus ,2
schlössen
sich der Demonstration
Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, a. a. O., S. 188.
einige Tausend
Kurt Zeisler
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Arbeiter an. Nach der Versammlung auf dem Wilhelmsplatz, auf der auch der inzwischen eingetroffene Noske eine infam demagogische Rede gehalten hatte, wurde von Offizieren aus den Häusern auf die Demonstranten geschossen. Wieder konnte die Reaktion einige Blutopfer buchen. Nach der Kundgebung auf dem Wilhelmsplatz wurde im Gewerkschaftshaus der provisorische zentrale Arbeiter- und Soldatenrat Kiels gebildet. Etwa zur gleichen Zeit, da im Stationsgebäude Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates mit Noske und Haußmann verhandelten, stellte im Gewerkschaftshaus eine Versammlung von etwa 40 Vertrauensleuten verschiedener Schiffe und Formationen und von Arbeitervertretern die im weiteren Verlauf der Matrosenbewegung überall als Vorbild dienenden 14 Forderungen auf. Die Arbeitervertreter erklärten, daß die Arbeiterschaft hinter diesen Forderungen stünde und deren Verwirklichung unterstütze. Die Forderungen lauteten: „1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
13. 14.
Freilassung sämtlicher Inhaftierten und politischen Gefangenen; Vollständige Rede- und Preßfreiheit; Aufhebung der Briefzensur; Sachgemäße Behandlung der Mannschaften durch Vorgesetzte; Straffreie Rückkehr sämtlicher Kameraden an Bord und in die Kasernen; Die Ausfahrt der Flotte hat unter allen Umständen zu unterbleiben; Jegliche Schutzmaßnahmen mit Blutvergießen haben zu unterbleiben; Zurückziehung sämtlicher nicht zur Garnison gehöriger Truppen; Alle Maßnahmen zum Schutze des Privateigentums werden sofort vom Soldatenrat festgesetzt; Es gibt außer Dienst keine Vorgesetzten mehr; Unbeschränkte persönliche Freiheit des Mannes von Beendigung des Dienstes bis zum Beginn des nächsten Dienstes; Offiziere, die sich mit den Maßnahmen des jetzt bestehenden Soldatenrates einverstanden erklären, begrüßen wir in unserer Mitte. Alles übrige hat ohne Anspruch auf Versorgung den Dienst zu quittieren; Jeder Angehörige des Soldatenrates ist von jeglichem Dienst zu befreien; Sämtliche in Zukunft zu treffende Maßnahmen sind nur mit Zustimmung des Soldatenrates zu treffen. Diese Forderungen sind für jede Militärperson Befehle des Soldatenrates." 6 3
In diesen Forderungen findet die Tatsache ihren Ausdruck, daß die Matrosen gemeinsam mit der Kieler Arbeiterschaft die Macht erobert hatten. Von dieser Position aus diktierten sie ihre Forderungen, Forderungen aber, die sich im Vergleich mit der erkämpften faktischen Machtstellung der Aufständischen allzu bescheiden ausnehmen, die nur auf das Nächstliegende, in den militärischen Bereich Fallende, beschränkt sind. Die Matrosen sahen das Nahziel und hatten den einzig möglichen Weg, es zu erreichen, erkannt und beschritten: Beendigung des imperialistischen Krieges durch den revolutionären Kampf der Volksmassen. Daß der Kampf sich aber in der Beendigung 63
Lothar Popp/Karl Artelt: a. a. O., S. 21/22.
Revolutionäre Matroeenbewegung im Oktober/November 1918
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des imperialistischen Krieges nicht erschöpfen durfte, sondern weitergeführt werden mußte zum Sturz des bürgerlichen Staates und zur Vernichtung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, das erkannten sie noch nicht. Die Aufständischen besaßen große revolutionäre Energien. Aber ihre Erfahrungen im revolutionären Kampf um die Macht und ihre politische Schulung waren noch gering. Sie hatten keine den Aufgaben gewachsene, politisch klare und organisatorisch fest mit den Massen verbundene Leitung, die die revolutionären Energien der Matrosen in die richtigen Bahnen hätte lenken können. Die seit 1917 und früher in der deutschen Kriegsmarine wirkenden revolutionären Kräfte waren stark genug gewesen, die Verhinderung des Flottenvorstoßes zu organisieren; sie waren aber nicht in der Lage, die Matrosen in der weiteren, über dieses Nahziel hinausgehenden Bewegung zu führen. Sie waren dazu in erster Linie politisch, aber auch organisatorisch zu schwach. Die politischen Verhältnisse unter den Matrosen entsprachen somit im wesentlichen den Verhältnissen in der deutschen Arbeiterbewegung jener Zeit überhaupt. 3. Die Maßnahmen der rechtssozialdemokratischen reichen Aufstandes 64
Führer zur Abwürgung
des sieg-
ü b e r die Vorgänge auf der Kriegsflotte war die Kieler SPD-Führung am 2. November noch nicht unterrichtet. Die Matrosenbewegung kam, schreibt Rausch, allen überraschend. Am Sonntag, dem 3. November, fand im Gewerkschaftshaus eine Versammlung der SPD statt, in der der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Stubbe sprach und „in der wir uns noch mit den Unabhängigen über unsere Kriegspolitik herumgezankt hatten" 65 . Parlamentarisches Geplänkel also an Stelle revolutionärer Politik. Man stritt sich über die Art der Fortsetzung des imperialistischen Krieges, während wenige Meter weiter die Massen dabei waren, den imperialistischen Krieg zu beenden und die Kräfte zu stürzen, in deren Interesse er geführt wurde. Die Haltung des Kieler Gewerkschaftskartellvorsitzenden Garbe auf der Kundgebung am 3. November wurde schon gekennzeichnet. Nun aber wurde die Lage f ü r die Sozialchauvinisten ernst. Nachdem sie also zuerst versucht hatten, die Bewegung abzubremsen, waren sie jetzt darauf bedacht, Einfluß auf sie zu gewinnen. In ihrer Ausgabe vom 4. November schrieb die „Schleswig-Holsteinsche Volks-Zeitung": „Die bedauerlichen Vorgänge in Kiel haben uns veranlaßt, sofort einen Vertreter nach Berlin zu entsenden. Genosse Kürbis hat heute früh mit der Regierung verhandelt. Er trifft abends wieder in Kiel ein, und dann wird gehandelt und Wandel geschaffenwerden. Genosse Ebert hat keinen Zweifel mehr darüber gelassen, was ja von vornherein feststand, daß die Partei jede nutzlose Fortführung des Kampfes ablehnt." Zur gleichen Zeit, da der Bezirkssekretär der SPD die Regierung und seine Parteileitung um die Entsendung von Vertretern nach Kiel bat, meldete der Gouverneur 64
Die Darstellung in diesem Abschnitt stützt sich im wesentlichen auf die Schrift von. Rausch und auf Noskes Buch: Von Kiel bis Kapp, a. a. O. 66 Bernhard Rausch: a. a. O., S. 13.
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der Regierung, daß er versuchen werde, zum Zwecke der Beruhigung der Matrosen mit der Mehrheitssozialdemokratie zusammenzuarbeiten. 68 Wie richtig deren Rolle von den Marineoffizieren eingeschätzt wurde, geht auch aus einer Anweisung des Hochseeflottenkommandos hervor, in der den Offizieren befohlen wurde, die Bewegung, solange sie unter dem Einfluß der Mehrheitssozialdemokratie bleibe, gewähren zu lassen und lediglich auf die Mannschaften beruhigend einzuwirken. 67 Es bleibt, um das Bild von der Tätigkeit der rechtssozialdemokratischen Führer bis zum Eingreifen Noskes abzurunden, der Aufruf des Soldatenrates vom 5. November zu erwähnen, den Rausch federführend mit zwei Mitgliedern des Soldatenrates verfaßt hatte. In diesem als Flugblatt verbreiteten Aufruf werden — mit der unverkennbaren Absicht, auf die Massen in dem Sinne einzuwirken, als sei bereits alles erreicht, was erreicht werden sollte, und sie könnten nach Hause gehen — tatsächlich nicht existierende Ergebnisse der Besprechung zwischen Noske, Haußmann und dem Gouverneur einerseits und den Vertretern des Soldatenrates andererseits ausposaunt. Die Illusion wird zu erwecken gesucht, durch Verhandlungen mit Regierungsvertretern könnte die Erfüllung der Forderungen der Aufständischen erreicht werden. Haußmann habe die Forderungen angenommen und ihre beschleunigte Durchsetzung bei der Regierung versprochen. Neu dagegen schrieb über Haußmanns Verhalten in der genannten Sitzung, er habe lediglich gesagt, er werde sich für Amnestierung einsetzen. Alles übrige entziehe sich seiner Kompetenz. 68 Es sei erreicht worden, hieß es weiter in dem Flugblatt, daß sämtliche gegen die Bewegung gerichteten Maßnahmen abgebrochen werden. Das war einfach Irreführung. Zur Charakterisierung der Tendenz des Flugblattes mag das genügen. Auf Souchons und Kürbis' Bitten hin schickten Parteiführung der SPD und Regierung Noske und Haußmann nach Kiel. 69 Außer Noske wurden von der mehrheitssozialdemokratischen Parteileitung die Abgeordneten Stolten, Struve, HofI, Schumann und Quark in die Städte geschickt, in denen sie den Ausbruch der Erhebung befürchtete. Ihr Auftrag war, die Bewegung in reformerische Bahnen zu lenken, falls es nicht möglich sein würde, sie zu ersticken. Der kaiserliche Staatssekretär Scheidemann gab Noske den Rat, die Matrosen mit dem Argument zum Abbruch der Bewegung zu veranlassen, daß durch revolutionäre Handlungen die Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen gestört würden. Die Absicht ist vollständig klar. Wenden wir uns nun der Tätigkeit Noskes in Kiel zu. Am 5. November wurde ihm angeblich von Karl Artelt oder dem Gewerkschaftskartellvorsitzenden Garbe der " Friedrich v o n Payer: Von Bethmann-Hollweg bis Ebert, Frankfurt am Main 1923, S . 155. 67 Das Werk des Untersuchungsausschusses a. O., Bd. 4, S. 33. »8 Heinrich Neu: a. a. O., S. 70. Dasselbe geht aus dem telegrafischen Bericht über die Verhandlungen hervor, den Prinz Max von Baden abdruckt (a. a. O., S. 578/579). Der Text des Flugblattes findet sich bei Eberhard Buchner: Revolutionsdokumente, Bd. 1, Berlin 1921, S. 41/42. e ® Prinz Max von Baden: a. a. O., S. 572/573. Gustav Noske: a. a. 0 . , S. 8.
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Vorschlag gemacht, die Funktion des Soldatenratsvorsitzenden zu übernehmen. 7 9 Natürlich ergriff Noske sofort die sich ihm bietende Chance, auf die Bewegung Einfluß zu gewinnen, und ließ sich am gleichen Tage auf einer auf dem Wilhelmsplatz stattgefundenen Versammlung — nach einer Rede, in der er selbst für seine Wahl plädiert hatte — als Soldatenratsvorsitzender bestätigen. Erleichtert wurde ihm dieses wie alle folgenden Manöver durch die politische Schwäche der Bewegung. Auf einer am Nachmittag des 5. November von Noske einberufenen Vertrauensmännerversammlung der einzelnen militärischen Formationen suchte er sich ihm willfährig erscheinende Leute zusammen und bildete aus ihnen einen „Soldatenrat", um sein konterrevolutionär-diktatorisches Regiment unverdächtiger zu drapieren. Rausch mußte zugeben, daß „sich einige seiner Mitglieder (des Soldatenrates — K. Z.) in die bloß beratende Funktion anfänglich nicht recht fügen wollten" 71 . Ein an sich unwichtiger kleiner Vorfall ist bezeichnend und verdient erwähnt zu werden. Am Abend des 5. November war der Prinz Heinrich, Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte der Ostsee, aus seinem Kieler Schloß geflohen. Die Matrosen wollten sofort die Verfolgung aufnehmen. Sie gingen zu Noske und forderten, er solle ihnen Autos stellen. Noske hielt die empörten Matrosen so lange hin, bis der Prinz einen genügend großen Abstand haben mußte. „Als schließlich eine Stunde herum war, konnte ich den Leuten klarmachen, nun sei der Prinz in seinem schnellen Auto sicher so weit weg, daß es völlig zwecklos wäre, ihm nachzusetzen. So ist er mit heiler Haut davongekommen." 7 2 Um die heile Haut von Arbeitern hat sich Noske weit weniger gesorgt. Nachdem sich Noske die Funktion des Soldatenratsvorsitzenden zu verschaffen gewußt hatte, ging er daran, die Revolution zu entwaffnen. Am Abend des 5. November wurde folgender Befehl von ihm plakatiert: „Die Ruhe und Ordnung auf den Straßen ist unbedingt zu bewahren. J e d e s . . . Schießen hat zu unterbleiben. Der große Soldatenrat fordert, daß jedes unbefugte Waffentragen unterbleibt. Munition ist von den Delegierten zu verwahren. Zivilisten haben sofort alle Waffen bei der nächsten militärischen Dienststelle abzugeben. Patrouillen sollen nur auf Anordnung des Soldatenrates gehen." 7 3 Ein erneuter Befehl, der Waffentragen verbot, wurde am 7. November von Noske erlassen, nachdem er sich zum Gouverneur gemacht hatte. Am 6. November, als Noske auf Grund der mangelhaften Verbindung zu anderen Orten den Eindruck hatte, daß sich die Bewegung auf Kiel beschränke, machte er den Versuch, sie vollends abzuwürgen. Er erklärte, daß die Regierung über Amnestie mit sich reden lassen und auch politische Reformen durchführen würde, falls der „Kieler Meuterei" ein Ende gemacht werde. Eine Diskussion über diese Mitteilung ließ er nicht zu, sondern schickte die Vertrauensleute, zu denen er gesprochen hatte, mit der Weisung fort, die Matrosen darüber zu informieren. 74 Dieses Spiel gelang Noske jedoch nicht. 70
71 Gustav Noske: a. a. O., S. 17. Bernhard Rausch: a. a. O., S. 22. 73 Gustav Noske: a. a. O., S. 21. Bernhard Rausch: a. a. O., S. 26. « Gustav Noske: a.a.O., S. 23/24 Lothar Popp / Karl Artelt sagen, da» Angebot sei von der Versammlung einstimmig abgelehnt worden (a. a. O., S. 26). 72
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Wie die rechten Sozialdemokraten die Leitung der Bewegung an sich rissen, wie sie sich alle Schlüsselpositionen in die Hand spielten, zeigt auch folgendes Beispiel: Der schon genannte sozialdemokratische Parteisekretär von Schleswig-Holstein. Kürbis, wurde mit der Bearbeitung der Versorgungsangelegenheiten beauftragt und erhielt einen Sitz im Soldatenrat. Auf ähnliche Art wurden nach und nach alle revolutionären Kräfte aus den durch den bewaffneten Aufstand geschaffenen Machtorganen verdrängt und durch konterrevolutionäre Mehrheitssozialdemokraten ersetzt. Um die Bewegung in ganz Schleswig-Holstein in die Hand zu bekommen, heckte die Kieler Führung der SPD mit Noske zusammen den Plan zur Schaffung einer neuen Provinzialregierung aus. Der ganz unter Noskes Einfluß stehende Kieler Arbeiterund Soldatenrat wurde von ihnen als provisorische Provinzialregierung für SchleswigHolstein etabliert. Zum Zwecke der Kundmachung dieser Maßnahme wurde ein Aufruf erlassen, der auch heute noch als Musterbeispiel konterrevolutionärer Demagogie bezeichnet werden kann. 7 5 Gekrönt wurde Noskes konterrevolutionäre Tätigkeit in Kiel mit der Inbesitznahme des Gouverneurspostens. Daß er den faktisch vakanten Posten übernehmen solle, wurde am Morgen des 7. November von den Kieler Führern der Sozialdemokratie in einer geheimen Sitzung im Stationsgebäude beschlossen. Dieser Schachzug konnte nur mit Zustimmung der Kieler Führung der USPD gelingen. Also wurde mit ihr verhandelt. Das Ergebnis: Die Funktionäre der USPD willigten in die Besetzung des Gouverneurspostens durch Noske ein, baten sich als Gegengabe für ihre Zustimmung aber aus, daß Lothar Popp zum Nachfolger Noskes als Vorsitzender des Soldatenrats eingesetzt werde. Ein Kuhhandel, wie er im Buche steht. Der Gouverneur war oberster militärischer Befehlshaber für den Bereich der Ostseestation. Die mehrheitssozialistischen Führer in Kiel ersetzten den kaiserlichen Vizeadmiral Souchon durch Noske, stellten die gestürzte Befehlsgewalt des Gouverneurs wieder her und hatten so die militärische Schlüsselposition im Ostseebereich in ihre Hände gebracht. In seinem ersten Tagesbefehl ordnete Noske an, daß der militärische Sicherheitsdienst in seinem Befehlsbereich in vollem Umfange wiederaufgenommen werden müsse. 76 Der Krieg sollte — jetzt unter Leitung der Sozialchauvinisten — weitergehen. Das Waffentragen außer im militärischen Dienst wurde, wie erwähnt, erneut verboten. Als Gouverneur praktizierte Noske im kleinen, was er wenig später im ganzen Reiche durchführte: die Bildung einer konterrevolutionären Garde. Die revolutionären Kräfte im Soldatenrat hatten die Bildung einer Roten Truppe aus Matrosen und Arbeitern gefordert. Noske hatte sich dem widersetzt. Dafür gründete er aus Berufssoldaten, Unter- und Deckoffizieren seine „Eiserne Brigade". Mit der Inbesitznahme des Gouverneurpostens durch Noske ist die Abwürgung der bis dahin siegreichen Matrosenerhebung in Kiel vollendet. n 78
Bernhard Rausch: a. a. O., S. 27/28. Gustav Noske: a. a. 0 . , S. 27.
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4. Die Haltung der Fährer der USPD in Kiel Von gewissen Seiten wird die USPD als Urheberin nicht nur der Matrosenbewegung von 1917, sondern auch der von 1918 bezeichnet. 77 Andere wieder bescheiden sich in der Charakterisierung der Tätigkeit der USPD dahin, daß sie sagen, „daß die Energie der radikalen U. S. P. die entscheidende Kraft bedeutet hat, die den Ereignissen unter Ausnutzung der günstigen allgemeinen Lage erst den revolutionären Charakter verliehen hat" 78 . Lassen wir, um die wirkliche Rolle der Führung der USPD in Kiel zu erhellen, die Tatsachen sprechen. Tatsache ist, daß Lothar Popp, einer der führenden Funktionäre der Unabhängigen in Kiel, sich am 2. November vor dem Gewerkschaftshaus einfand und mit den dort versammelten Matrosen Fühlung aufnahm. Nach der am Abend des 2. November auf dem großen Exerzierplatz stattgefundenen Matrosenversammlung kam der Oberheizer Karl Artelt zur Kieler Parteileitung der Unabhängigen und forderte sie zur Teilnahme an der für den folgenden Tag geplanten Volksversammlung auf. Die Parteileitung versprach, die Versammlung zu unterstützen und f ü r sie unter den Kieler Werktätigen zu agitieren. Popp habe — nach eigener Angabe allerdings — einige Tausend Zettel mit den Aufschriften: „Kameraden schießt nicht auf eure Brüder!" und „Arbeiter, demonstriert in Massen, laßt die Matrosen nicht im Stich!" hergestellt und ihre Verteilung organisiert. 79 Bis hierher kann also eine gewisse Unterstützung der Bewegung durch die örtlichen Führer der USPD festgestellt werden. Dann entwickelte sich die Bewegung selbständig in der geschilderten Weise weiter. Die politische und organisatorische Leitung durch einzelne Matrosen war schwach. Von einer Mitwirkung oder gar Führung durch die USPD ist nichts zu bemerken. Popp tauchte erst dann wieder auf, als die Matrosendelegation dem Gouverneur am 4. November ihre Forderungen überbrachte. Mit J . Classen zusammen vertrat er die USPD, während Rausch und Poller im Namen der SPD dabei anwesend waren. Auch am Abend, bei der Besprechung der Vertreter des Soldatenrats mit Noske, Haußmann und dem Gouverneur, war Popp anwesend. Seine bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede gibt er wie folgt wieder: „Speziell die Herren Reichstagsabgeordneten und der Herr Staatssekretär mögen beherzigen, daß, wenn sie die Revolution vermeiden wollen, dazu . . . folgende Maßnahmen unverzüglich getroffen werden müssen: Absetzung aller Monarchien in ganz Deutschand, Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Proportionalwahlrechts f ü r alle Männer und Frauen vom 20. Lebensjahr an in allen Bundesstaaten, Freilassung aller politischen Gefangenen, Beseitigung des Herrenhauses. Aber alles müsse unverzüglich geschehen, wenn man sich erst an Paragraphen und Formeln klammere und noch lange Beratungen abhalte, sei es unmög77
Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 297/298. Heinrich Neu: a. a. 0., S. 9. 78 Hans Herzfeld: Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Weltkriege, Leipzig 1928, S. 121. 78 Lothar Popp/Karl Artelt: a. a. O., S. 12. 14*
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lieh, den Lauf der Dinge aufzuhalten... Ich erinnerte dann daran, daß von den wegen politischer Vergehen verurteilten Kieler Arbeitern trotz der Amnestie noch niemand freigelassen sei. Diese Männer seien jetzt, um die Bewegung ruhig durchzuführen, unentbehrlich." 80 Welche Furcht vor der Revolution, welche Mühe, der Regierung und der Mehrheitssozialdemokratie goldene Brücken zu bauen, welche Sorge um die „ruhige" Durchführung der Bewegung! Die Kieler Leitung der USPD verhinderte nicht die Übertragung der Funktion des Soldatenratsvorsitzenden an Noske. Sie stimmte ihr zu, mit der formellen Bedingung allerdings, daß bindende Beschlüsse erst gefaßt werden sollten, wenn die aus Berlin herbeigerufenen Unabhängigen Haase oder Ledebour in Kiel seien. Als Haase dann verspätet am 7. November in Kiel eintraf, setzte er sich mit Noske zu einer Unterredung zusammen, in der eine einheitliche Auffassung über die Stellungnahme zur Revolution herbeigeführt wurde — und fuhr wieder nach Berlin zurück, überließ den Sozialchauvinisten unbeanstandet das Feld. 8 1 Erwähnt wurde bereits der Kuhhandel zwischen Noske und Popp um die Aufteilung der Posten. Es fehlte bei den Kieler Führern der USPD freilich nicht an revolutionär klingenden Worten. Oft widersprachen sie Noske, um dann, wenn entscheidende Beschlüsse gefaßt werden mußten, mit ihm völlig einig zu sein. Die USPD gründete in Kiel eine eigene Tageszeitung, „Die Republik", in der sie die Politik der SPD kritisierte. In der Praxis wurde dann um Funktionen gehandelt und den Rechtssozialdemokraten die Führung überlassen. 80 81
Ebenda, S. 21/22. Ebenda, S. 24, 27; Gustav Noake: a. a. O., S. 27.
K A P I T B L
IV
D I E A U S B R E I T U N G DER B E W E G U N G DURCH D I E MATROSEN
Die Ausbreitung der revolutionären Bewegung von Kiel über die gesamte Ost- und Nordseeküste, über ganz Norddeutschland bis tief nach dem Westen Deutschlands hinein, die hierbei von den Matrosen vollbrachten Taten, ihr revolutionärer Elan und ihre Begeisterung für die Sache der Revolution sind bisher noch nicht zusammenhängend dargestellt und gewürdigt worden. Das Bestreben der Matrosen, die Bewegung auszubreiten, entsprang ihrer Erkenntnis, daß Kiel und die anderen Häfen, die in der Hand der Revolutionäre waren, allein der Konterrevolution nicht standhalten könnten. Die folgende Darstellung beschränkt sich in der Hauptsache auf die Vorgänge in den Küstenstädten an der Nord- und der Ostsee. Die Ausbreitung der revolutionären Bewegung auf die anderen Gebiete wird hier nur angedeutet.
1. Lübeck Am 5. November erschienen vor Travemünde drei größere Kriegsschiffe und fünf oder sechs Torpedoboote. Die Schiffe führten die rote Flagge. Die bewaffneten Matrosen dieser Schiffe fuhren mit Booten und mit der Straßenbahn nach Lübeck. In der Stadt zogen sie zu den Kasernen und forderten die Soldaten zum Anschluß an die Bewegung auf, was diese, als sie von der Matrosenerhebung erfuhren, auch sofort taten- Die Soldaten schlössen sich dem Demonstrationszug an, der zur nächsten Kaserne zog, deren Besatzung sich ebenfalls anschloß, so daß aus der Gruppe der Matrosen allmählich eine mächtige Demonstration wurde. Am Abend war die Garnison vollständig auf die Seite der Revolution übergegangen. Die Hauptpost, das Telegrafenamt, der Bahnhof, alle Magazine und Kasernen befanden sich in den Händen der Aufständischen. Der Lübecker Brigadekommandeur, ohne Machtmittel, konnte gegen die revolutionären Matrosen und Soldaten nichts unternehmen. Er wurde verhaftet und im Bahnhof gefangengesetzt. Ein Soldatenrat wurde gewählt und übernahm die Macht. Am Morgen des 6. November wurden auch die Offiziere der Garnison verhaftet und entwaffnet.
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Die Lübecker Arbeiter schlössen sich den Matrosen und Soldaten an und traten am 6. November in den Generalstreik. Ein Arbeiterrat wurde gebildet und beauftragt, für die Verwirklichung folgender Forderungen zu sorgen: allgemeines, gleiches, und direktes Wahlrecht für beide Geschlechter ab dem 20. Lebensjahr, Achtstundentag, Arbeitslosenversicherung und sofortige Beschlagnahme der vorhandenen Lebensmittel. 8 2 Noch am Abend des 5. November veröffentlichte der Soldatenrat einen Aufruf, in dem es unter anderem hieß: „Seit heute abend ist Lübecks Macht in unseren Händen. Wir erklären hiermit, daß mit unserer Sache den Kameraden an der Front wie hier in der Heimat gedient ist. Es mußte mit den korruptiven Zuständen und der militärischen Diktatur von gestern gründlich aufgeräumt werden. Der Zweck unserer Sache ist sofortiger Waffenstillstand und Friede." 83 Die Revolution siegte in Lübeck so rasch und mühelos, weil ihr der alte Staatsapparat keinen Widerstand mehr entgegensetzen konnte. Es gab nur noch einen General ohne Soldaten.
2.
Brunsbüttel
Ebenfalls am 5. November ergriffen die Matrosen in Brunsbüttel am Ausgang des damaligen Kaiser-Wilhelm-Kanals die Macht, wo nach der Verhinderung des Flottenvorstoßes Teile des I. Geschwaders, und zwar die Schiffe „Nassau", „Oldenburg", „Ostfriesland" und „Posen", vor Anker lagen. Am Vortage bereits fand in einem Lokal eine Versammlung der Matrosen und Heizer des I. Geschwaders statt, in der einstimmig beschlossen wurde, die Freilassung der verhafteten Kameraden zu fordern. Am 5. November erfuhren die Matrosen vom Sieg des bewaffneten Aufstandes in Kiel. Sie nahmen Verbindung mit den in Brunsbüttel stationierten Landeinheiten auf und beschlossen in einer geheimen Versammlung in Westerbüttel die Abhaltung einer gemeinsamen Demonstration. Die Schiffskommandanten, die von der neuerlichen Bewegung unter den Matrosen erfahren haben mußten, wollten ihr entgegenwirken; sie beabsichtigten das Geschwader auslaufen zu lassen. Auf See glaubten sie, die voneinander isolierten Mannschaften wieder in die Hand bekommen zu können. Die in Westerbüttel versammelten Matrosen gingen daran, das Vorhaben der Offiziere zu verhindern. Der an dieser Aktion führend beteiligt gewesene Matrose Robert Grundke schilderte ihren Verlauf wie folgt: „Um das Auslaufen dieser Schiffe zu verhindern, setzten wir uns mit den Matrosenartilleristen in Verbindung, überrumpelten die vier Landbatterien, entwaffneten die Mannschaften, nahmen die Munition in Beschlag und begaben uns darauf im Laufschritt zur Schleuse. Inzwischen war oben die ,Posen' schon durchgeschleust worden, was wir natürlich sehr bedauerten. Als wir die Schleuse stürmten, befand sich das Linienschiff ,Oldenburg' gerade mittschiffs in der Schleuse, blendete uns mit Scheinwerfern, und als ich durchs Megaphon die dreimalige Aufforderung zum Scheinwerferabblenden gab, die aber nicht befolgt M 88
Eberhard Buchner: a. a. O., S. 69. Deutscher Geschichtskalender, a. a. O., S. 5.
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wurde, erteilte ich den Befehl zum Feuern. Die erste Gewehrsalve schon hatte die Wirkung, daß sämtliche Spiegel der Apparate unbrauchbar gemacht wurden. Der Kommandant
der ,Oldenburg' gab
darauf
folgenden
Winkspruch
an
den
Ge-
schwaderchef a b : ,Werde von meuternden Matrosen b e s c h o s s e n . . . ' , während die Matrosenbesatzung uns mit Hurra begrüßte. Als der Befehlshaber der Schleuse seinen drei M G den Befehl zum Feuern gab, wurde er von seinen Leuten festgesetzt und die M G einfach in den Kanal geworfen. Dann drehten wir die Schleuse dicht und besetzten die Werke, die Signalstation und die Telefonanlage. Von der Signalstation ließ ich hierauf folgenden Scheinwerferspruch an die ,Posen' geben: ,Posen sofort einlaufen — S o l d a t e n r a t . ' " 8 4 In der anschließenden Verhandlung mit den Schiffskommandanten erzwangen die Matrosen die Anerkennung der bekannten
14 Kieler Forderungen. Am
gleichen
Tage, an dem sich der Bewegung noch die ebenfalls im Kanal liegenden zwei Zerstörer und zwei U-Boote anschlössen, wurden alle Gefangenen befreit. Das I. Geschwader, die militärischen und technischen Anlagen sowie der Ort waren am Abend in der Hand der Matrosen. Am folgenden Morgen
demonstrierten
mehrere Tausend Matrosen unter roten
Fahnen. Auf den Schiffen und im Ort wurden Soldatenräte gewählt. Ein aus Itzehoe kommender Transport Infanterie zur Niederschlagung der Bewegung in Brunsbüttel wurde von den Matrosen angehalten, und die Soldaten wurden entwaffnet. Die Infanteristen schlössen sich danach der Revolution an.
3.
Hamburg Als revolutionäre Kieler Matrosen nach Hamburg kamen, um mitzuhelfen, auch
hier den bürgerlichen Staatsapparat zu beseitigen, war die revolutionäre Stimmung der Hamburger Arbeiterschaft schon auf dem Siedepunkt angelangt- Besonders unter dem Eindruck der aus Kiel kommenden Nachrichten war es auf den Werften, so bei Blohm & Voß, am Nachmittag des 5. November zu Unruhen gekommen. Um die Stimmung der Arbeiter zu besänftigen, veranstalteten die rechten Gewerkschaftsfunktionäre am Nachmittag des gleichen Tages eine Vertrauensleuteversammlung der Vulkan-Werft und der Werft von Blohm & Voß. Hense, Sekretär des Hamburger Gewerkschaftskartells, späterer Polizeipräsident in Hamburg, verhinderte unter dem Vorwand, daß es sich hierbei um eine politische Frage handle, die sich ihrer Kompetenz entziehe, die Beschlußfassung über den Antrag, am 6. November in den Sympathiestreik für die Kieler Bewegung zu treten. Bereits an dieser Versammlung nahmen mit roten Bändern geschmückte Kieler Matrosen teil. Am Abend des 5. November fand eine von 5 0 0 0 bis 6 0 0 0 Menschen besuchte Versammlung statt, die von der U S P D veranstaltet worden war. Die Versammelten be84 Die Volks-Marine in Berlin . . . Nach autobiographischen Angaben hg. v. E . BleeckSehlombach, Berlin 1919, S. 43/44. Vgl. auch: Das Werk des Untersuchungsausschusses a. a. O., Bd. 10/1, S. 287—293.
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schlössen den Beginn des Sympathiestreiks für den kommenden Tag. Stürmisch begrüßt wurden ein Trupp Kieler Matrosen und eine Gruppe Soldaten, die soeben aus dem Arrest der Kaserne des 76. Infanterieregiments in der Bundesstraße ausgebrochen waren. Ein Kieler Matrose schlug der Versammlung vor, am folgenden Tag eine Kundgebung auf dem Heiliggeistfeld zu organisieren. Eine im Anschluß an die Versammlung durchgeführte Demonstration zu der Kaserne des 76. Infanterieregiments wurde von Offizieren durch Werfen von Gasbomben gesprengt. Das war die Situation am Vorabend des von den Matrosen eingeleiteten bewaffneten Aufstandes, eine Situation, die den rechten Sozialdemokraten Hermann Müller, der sich an jenem Tag in Haqiburg aufhielt, zu folgender Einschätzung veranlaßte: „Nach dem, was ich am Abend hörte, war zu befürchten, daß in Hamburg die Wellen der Revolution weiter nach links schlagen würden, als das mit der Lage Deutschlands verträglich war." 8 S In der Nacht zum 6. November bemächtigten sich die Kieler Matrosen unter Führung des Maates Zeller der im Hafen liegenden Torpedoboote, deren Besatzungen bis dahin von der Bewegung noch nicht erfaßt waren. Die Mannschaften der Kriegsfahrzeuge schlössen sich ihren aufständischen Kameraden sofort an. Auf den Booten wurde die rote Fahne gehißt. Der Hafen und die Werftinsel wurden von den Aufständischen besetzt. Danach überwältigten sie die Wache des Hauptbahnhofes, die wegen der Bewegung unter den Werftarbeitern verstärkt worden war, und nahmen dieses strategisch wichtige Objekt in Besitz. Am Morgen des 6. November konnten die Aufständischen ihrem Willen schon mit über 100 Gewehren, einigen Maschinengewehren und der entsprechenden Munition Nachdruck verleihen. Sie legten in das Gewerkschaftshaus die zentrale Leitung des Aufstandes und umgaben das Gebäude mit Barrikaden, die von Matrosen mit Maschinengewehren besetzt wurden. Inzwischen waren die Bravourstücke der Matrosen unter den Arbeitern bekanntgeworden, die darauf in Massen zum Gewerkschaftshaus kamen, um sich den Matrosen anzuschließen. Der bewaffnete Aufstand wurde allgemein. Im Gewerkschaftshaus bildete sich ein Arbeiter- und Soldatenrat, der nun die Leitung des Aufstandes übernahm. Nach dem zweiten Angriff bereits gelang es den Aufständischen, die Offizierswache der Kaserne in der Bundesstraße zu überwältigen und in die Kaserne einzudringen. Die Soldaten schlössen sich den Matrosen freiwillig an. Die Offiziere, die die Massen mit Maschinengewehren beschossen hatten, wurden verhaftet, entwaffnet und nach dem Gewerkschaftshaus gebracht. Lediglich die Artilleriekaserne konnte vorerst nicht erobert werden. Unterdessen aber war der kleine Kreuzer „Augsburg" aus Wilhelmshaven in Hamburg eingetroffen. Seine Besatzung nahm mit den Aufständischen Fühlung auf und richtete die Schiffsgeschütze auf" die Artilleriekaserne. Unter dem Druck dieser deutlichen Mahnung ergab sich der letzte Stützpunkt der bewaffneten Macht des alten Staates in Hamburg. Die Gefangenen aus dem Gefängnis am Holstenplatz wurden befreit. 86
Hermann Müller-Franken: a. a. O., S. 31.
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An der Massenkundgebung auf dem Heiliggeistfeld beteiligten sich 40 000 Arbeiter, Matrosen und Soldaten. Die Versammelten beschlossen die Übernahme des berüchtigten, im Dienste der Kriegspolitik stehenden sozialdemokratischen „Hamburger Echos" durch den Arbeiter- und Soldatenrat. Ab 8. November erschien das Blatt unter dem Titel „Die Rote Fahne" als revolutionäres Organ. Weiter beschlossen die Versammelten die Absetzung des Kommandierenden Generals Falk. Sie demonstrierten nach Altona, dem Sitz des Stellvertretenden Generalkommandos. Der General war bereits geflohen. Aus den Fenstern des Gebäudes wurden die Demonstranten von zurückgebliebenen Offizieren beschossen; 10 Aufständische wurden ermordet. Danach wurde die große Waffenkammer am Lunapark in Altona von Revolutionären besetzt Der bewaffnete Aufstand hatte auch in Hamburg gesiegt. Am 7. November schrieb das schon unter der Redaktion des Arbeiter- und Soldatenrates erscheinende „Hamburger Echo": „Hamburg, die alte Hochburg der Sozialdemokratie, ist im Besitz des revolutionären Proletariats. Von seinen Zinnen wehen die roten Fahnen und grüßen die Brüder in Lübeck und Kiel, in Brunsbüttel, Rendsburg und Cuxhaven, in Lockstedt und Flensburg, wie sie die Brüder der baltischen Flotte grüßen, die als erste im Anfang der russischen Revolution das proletarische Banner in den Händen der Matrosen entrollt haben. Mag die Reichsregierung die Beziehungen zur Sowjetrepublik abgebrochen haben, das revolutionäre Hamburg hat durch die Tat bewiesen, daß das Rußland der Räteregierung und die Räteregierung Hamburg eine Einheit sind, die nichts mehr trennen kann." 86
4. Bremen Am 6. November brach die revolutionäre Bewegung in Bremen los. 87 Zwei Tage vorher hatte eine von 4000 Arbeitern besuchte Versammlung der USPD stattgefunden, auf der der unabhängige Reichstagsabgeordnete Henke versicherte, daß die USPD am Jahrestag der sozialistischen Revolution in Rußland zur Tat übergehen und die Sache der russischen Revolution zur ihren machen werde. 8 8 66 Paul Neumann: Hamburg unter der Regierung des Arbeiter- und Soldatenrates. Tätigkeitsbericht erstattet im Auftrag der Exekutive des Arbeiterrates Groß-Hamburgs, Hamburg 1919, S. 11. 87 Bremen war das Zentrum der von Johann Knief und anderen geführten linksradikalen Bewegung. Während des Krieges hatten die Bremer Linksradikalen eine in ihrer Konsequenz in Deutschland seltene proletarische Antikriegspolitik betrieben. Unter den Bremer Werftarbeitern besaßen sie großen Einfluß; in der Weserwerft z. B., dem größten Bremer Betrieb (10000 Arbeiter), hatten sie ein gutfunktionierendes Vertrauensmännersystem aufgebaut. Darauf ist es zurückzuführen, daß in Bremen in den folgenden Monaten ein bewußt revolutionärer Kurs gesteuert wurde. Als die Revolution ausbrach, waren die meisten Führer der Linksradikalen allerdings nicht in Bremen, sondern an den Fronten oder in Gefängnissen, weshalb schwankende Funktionäre der USPD in den ersten Tagen der Revolution den Ton angeben konnten. 88 Paul Müller und Wilhelm Breves: Bremen in der deutschen Revolution von November 1918 bis März 1919. In einem geschichtlichen Überblick, Bremen 1919, S. 9.
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Auf einer am 5. November stattgefundenen, von revolutionären Arbeitern gesprengten Versammlung der Mehrheitssozialdemokratie brachte der Soldat Willems eine Entschließung ein, in der sofortiger Abschluß des Waffenstillstandes, Aufhebung des Belagerungszustandes und des Hilfsdienstgesetzes, Abschaffung aller Dynastien und Errichtung der sozialistischen Republik gefordert wurde. 89 Die Erbitterung unter den Bremer Arbeitern und Soldaten war aufs äußerste gestiegen, ihre revolutionäre Stimmung bedurfte nur noch des letzten Anstoßes, um in Taten umzuschlagen. Dieser letzte Anstoß ging von den Matrosen ausAm Morgen des 6. November trafen Kieler Matrosen in Bremen ein. Sie setzten sich mit den Werftarbeitern der Weser-AG in Verbindung und baten die Arbeiter um Unterstützung bei der Befreiung der über 200 in Oslebshausen gefangengehaltenen Matrosen. Unter Streik- und Gewaltandrohung erzwangen die Arbeiter dann auch gemeinsam mit den Matrosen die Freilassung der Gefangenen. Die Werftarbeiter der Weser-AG wählten Arbeiterräte. Zur gleichen Zeit traf in der Stadt ein von 250 Seesoldaten unter Leitung von Offizieren bewachter Transport verhafteter Matrosen ein, der nach Munsterlager gebracht werden sollte. Die Matrosen weigerten sich, die Fahrt fortzusetzen. Gegen diesen geschlossenen Willen war die Bewachungsmannschaft machtlos. Nachdem die Matrosen sie entwaffnet hatten, besetzten und sicherten sie den Bahnhof gegen etwaige Angriffe noch regierungstreuer Truppen. In den Kasernen am Neustadtwall war es am gleichen Tage zu Befehlsverweigerungen gekommen; ein bereits eingekleideter Transport von Soldaten, der an die Front gebracht werden sollte, erklärte, Bremen nicht zu verlassen. Ein schon unterwegs befindlicher Transport wurde von den Aufständischen in Hamburg aufgefangen, entwaffnet und nach Bremen zurückgeschickt. Die Aktionen der Soldaten setzten den Garnisonskommandanten, Oberst Lehmann, matt; er hatte keine Machtmittel mehr, die er der Revolution hätte entgegenstellen können, und verlegte sich deshalb aufs Unterhandeln. Nachdem die Verbindung zwischen den Matrosen und den Soldaten der Garnison hergestellt worden war, zogen die Matrosen zu den Kasernen am Neustadtwall. Als die Soldaten die Matrosen sahen, schlössen sie sich ihnen sogleich an. Aus den Beständen der Kasernen bewaffneten sie sich. Ein Soldatenrat wurde gebildet. Am Tor der Kaserne wurde die rote Fahne gehißt. Der Hauptbahnhof wurde durch Maschinengewehre gesichert, die Post-, Telegrafen- und Telefonanlagen wurden besetzt. Auch die in der Umgebung der Stadt liegenden Dörfer wurden besetzt, um die Stadt gegen einen Uberfall von außen zu sichern. Inzwischen hatten die Kieler Matrosen auch unter den Arbeitern der anderen Großbetriebe agitiert. Uberall solidarisierten sich die Arbeiter mit ihnen. Die rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionäre, die zu bremsen versuchten, wurden beiseitegeschoben. Am Abend demonstrierten die Matrosen, die Soldaten der Garnison und die Arbeiter der Weser-Werft, der Atlas-Werke, der Otwi-Werke und der Hansa8
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Lloyd-Werke durch die Stadt. Die Gefangenen aus dem Gerichtsgebäude und dem Gefängnis am Ostertor wurden von den Demonstranten befreit. Auf dem Marktplatz sprach der Funktionär der USPD Frasunkiewicz zu den Massen. Er kündigte die Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates an, der die Kommandogewalt unter seine Kontrolle nehmen werde. Die Arbeiter forderte er auf, in den Betrieben weiterzuarbeiten. Der Arbeiter- und Soldatenrat werde alles weitere beschließen und die Arbeiter am folgenden Tage darüber informieren. Zum Schluß forderte er die Versammelten auf, ruhig nach Hause zu gehen. Das also war es, was die Führung der USPD unter „zur Tat übergehen" verstand. Die Führung der Bewegung sollte den Arbeitern und Matrosen entwunden und in ihre, der Sozialpazifisten, Hände gelegt werden. Das Ergebnis dieser Politik war: Die militärische Macht wurde zwischen dem Garnisonskommandanten und dem unter Einfluß der USPD stehenden Soldatenrat geteilt. Waffen und Munition sollten von einer aus Offizieren und Mannschaften gebildeten Kommission verwaltet werden. 9 0 So wurden faule Kompromisse geschlossen. Am folgenden Morgen traten die Arbeiter in den Streik, und die weitere Entwicklung der Revolution in Bremen bewies, daß die revolutionären Massen noch lange nicht unterdrückt werden konnten. Einige Tage später setzten die revolutionären Kräfte im Arbeiter- und Soldatenrat, aus dem die Offiziere inzwischen entfernt worden waren, die Annahme nachstehenden programmatischen Aufrufes durch: „An die Bevölkerung Bremens! Soldaten, Arbeiter, Parteigenossen! Was hat sich ereignet? Nichts Geringeres als eine Revolution. Ihr Produkt sind die Arbeiter- und Soldatenräte, ü b e r die Aufgabe der Räte kann kein Zweifel sein: Ausbreitung, Sicherung und Vertiefung der Revolution. Die ganze Macht in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte. Sturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und damit Aufhebung jeder Art der Ausbeutung und Unterdrückung . . . Aufrichtung der sozialistischen Gesellschaft. Das ist das Programm der Arbeiter- und Soldatenräte. Jeder, der es durchführen helfen will, ist willkommen. Jedem, der es bekämpft, werden wir rücksichtslos zu begegnen wissen. Einerlei, wo er stehen mag. . . . " 9 1
5.
Wilhelmshaven
Am 5. November trafen die Matrosen von den Schiffen und den Landeinheiten in Wilhelmshaven die letzten Vorbereitungen zum bewaffneten Aufstand. Die Militärbehörden, denen davon Mitteilung gemacht worden war, besetzten in der Nacht zum 6. November alle öffentlichen Gebäude und militärischen Anlagen durch noch regierungstreue Soldaten, die mit Maschinengewehren ausgerüstet waren. Am Morgen des 6. November überwältigten die Aufständischen die Wachen in den Kasernen. Sie bewaffneten sich und formierten sich zu Demonstrationszügen, die, mit roten Fahnen an der Spitze, durch die Stadt zogen. In kürzester Zeit schlössen sich
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Ebenda, S. 15. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, a. a. O., S. 200.
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Kurt
Zeialer
dem Aufstand die Matrosen der im Hafen liegenden Kriegsschiffe, der Torpedo- und der Werftdivision und des Seebataillons an. Auf den Torpedobooten hatten die Besatzungen die Feuer bereits gelöscht und sich ihrer Fahrzeuge bemächtigt. Dem großen Demonstrationszug, der inzwischen auf über 10000 Menschen angewachsen war, schlössen sich diejenigen Werftarbeiter an, die bereits am Vormittag die Betriebe verlassen hatten. Am Nachmittag wurden alle Werften und die anderen Betriebe geschlossen. Die Aufständischen besetzten die Arrestanstalten und befreiten ihre gefangenen Kameraden. Der Stationschef, Admiral Krosigk, ließ zur Unterdrückung des Aufstandes Truppen aus Oldenburg kommen. Ihr Einsatz aber wurde von den Aufständischen verhindert. Mittags wurden dem Stationschef folgende Forderungen überreicht: „1. Einsetzung einer Vertrauenskommission, bestehend aus je 3 Personen von jeder Kompanie, die wiederum aus ihrer Mitte einen Obmann zu wählen haben. Wünsche sind dieser Kommission vorzutragen. 2. Auswärtiges Militär ist sofort aus Wilhelmshaven zu entfernen bzw. dessen Ausladung zu verhindern. 3. Der Grußzwang innerhalb der Stadt ist aufzuheben. 4. Die Untersuchungsgefangenen und Arrestanten, die wegen der letzten politischen Vorfälle in der Flotte und der Garnison verhaftet sind bzw. wegen kleiner Disziplinarvergehen bestraft sind, sind sofort auf freien Fuß zu setzen . . . 5. Für Durchführung der gleichen Beköstigung für Offiziere und Mannschaften ist Sorge zu tragen. 6. Allen Abgeordneten und Arbeiterdelegationen ist der Zutritt zur Festung ohne Paßzwang zu gestatten. 7. Es ist sofort f ü r Aufhebung der Briefzensur Sorge zu tragen." 9 2 Am Nachmittag des gleichen Tages fand auf dem großen Torpedoexerzierplatz eine Massenkundgebung statt, auf der von verschiedenen Rednern die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes von Matrosen und Arbeitern betont wurde. Begeistert aufgenommen wurde die Forderung nach Errichtung der Sowjetrepublik. 9 3 Durch Zuruf und Handzeichen wurde ein Arbeiterrat gewählt. Zur Abwehr gegen Angriffe von außen wurde ein Flugzeugaufklärungsdienst eingerichtet. Es gelang den Mehrheitssozialdemokraten auch in Wilhelmshaven, sich der Führung der Bewegung zu bemächtigen. Der am Abend des 6. November aus Soldatenrat und Arbeiterrat gebildete 21er-Rat wurde vollständig von ihnen beherrscht. An seine Spitze schwang sich Kuhnt (der sich in der Folge zum Präsidenten der von ihm proklamierten Republik Oldenburg machte und mit Zentrumsleuten, Angehörigen der Volkspartei und ehemaligen Ministern zusammen ein „Landesdirektorium" bildete). In einem am 8. November veröffentlichten Aufruf verordnete Kuhnt: „Unruhen sind unter allen Umständen zu vermeiden! Dienst und Arbeit sind . . . wiederaufzunehmen... Die bis62 98
Josef Kliche: Vier Monate Revolution in Wilhelmshaven, Rüstringen 1919, S. 12 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/11, S. 305.
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herigen Vorgesetzten bleiben im Dienst Vorgesetzte, ihren Anordnungen ist Folge zu leisten. Die Waffen sind ihnen zu belassen." 9 4 Es gelang den Regierungssozialdemokraten jedoch nicht, die revolutionären Energien der Matrosen völlig zu unterdrücken. Sie konnten es nicht verhindern, daß gerade von Wilhelmshaven aus einige Tausend ins Landesinnere gingen, um die Revolution weiterzutragen.
6.
Cuxhaven
Am 5. November erhielten die Matrosen in Cuxhaven die Nachricht vom Sieg des bewaffneten Aufstandes in Kiel. Das war auch für die dortige Bewegung der letzte, auslösende Anstoß. Vor Cuxhaven lagen seit der Verhinderung des Flottenvorstoßes einige Kreuzer mit aufständischer Besatzung. Die Küstenartillerie, die Hafen und Stadt gegen die revolutionären Matrosen absperren sollte, wurde von ihren Bedienungsmannschaften zum Einsatz unbrauchbar gemacht; sie warfen die Geschützmunition ins Wasser. Die Matrosen der Garnison befanden sich in höchster Erregung. In den Kasernen besetzten sie die Munitionskammern. In das Gewerkschaftshaus wurde eine Matrosen- und Volksversammlung einberufen, zu der insbesondere die Matrosen aus den Kasernen und Außenforts in Massen kamen. Am Abend des 6. November 9 5 begann der bewaffnete Aufstand, und am Morgen des folgenden Tages war Cuxhaven mit allen militärischen Anlagen in der Hand der Aufständischen. Sie besetzten auch die Bahn-, Post-, Telefon-, Telegrafen- und Funkeinrichtungen. Die Offiziere und Deckoffiziere wurden verhaftet. Die Arbeiter, die sich den Matrosen angeschlossen hatten, waren am Aufstand aktiv beteiligt. Auf einer am 7. November stattgefundenen Kundgebung wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat gewählt, der dem Stationskommandanten folgende Forderungen vorlegte: 1. 2. 3. 4.
Sofortige Einleitung von Friedensverhandlungen. Abschaffung des Offizierskasinos. Gleiche Löhnung, gleiches Essen. Anerkennung der politischen Macht des Arbeiter- und Soldatenrates.
96
Die militärischen Behörden suchten dadurch auf die Bewegung Einfluß zu erlangen, daß sie vorschlugen, Offiziere in den Arbeiter- und Soldatenrat aufzunehmen. Dieser lehnte das Ansinnen entschieden ab. Danach bemühte sich der Stationskommandant, Konteradmiral Engelhard, Truppen aus Hamburg und Wilhelmshaven zur Niederschlagung des Aufstandes nach Cuxhaven zu beordern. Aber auch dieser Versuch war zum Scheitern verurteilt; in Hamburg und Wilhelmshaven gab es an jenem Tage keine regierungstreuen Truppen mehr. Darauf fingierte das Stationskommando Funksprüche 94
Josef Kliche: a. a. O., S. 14. John Ulrich Schroeder: Im Morgenlichte der deutschen Revolution, Hamburg 1921, 5. 14—18. M Die Volks-Marine in Berlin . . ., a. a. O., S. 25. ,5
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Kurt Zeisler
über einen angeblichen englischen Angriff auf die deutsche Küste, um die Aufständischen zu spalten und die Forts besetzen und von dort aus den Aufstand niederschlagen zu können- Die Matrosen setzten die ganze Offiziersclique gefangen, und der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates erklärte: „Wir lehnen die nationale Verteidigung ab, hätten also beim Erscheinen der Engländer ohne weiteres die weiße Flagge gehißt." 9 7 Mit einer derartig demagogischen Parole wie der der Vaterlandsverteidigung war auf die Aufständischen kein Eindruck mehr zu machen. Es verdient an dieser Stelle erwähnt zu werden, daß der Kern der Volksmarinedivision, die sich später in Berlin hervorragend geschlagen hat, aus Cuxhavener Matrosen bestand.
7. Die weitere Ausbreitung
der
Bewegung
Uber Warnemünde kommend, trafen am 6. November Kieler Matrosen in Rostock ein. Die Matrosen zogen, wie fast überall, zuerst zu den Kasernen und forderten die Soldaten der Garnison zum Anschluß an die Bewegung auf. Gemeinsam mit den Soldaten demonstrierten sie dann zur Ortskommandantur und verhandelten mit dem Garnisonältesten über die Anerkennung der 14 Kieler Forderungen. Der Kommandant wurde gezwungen, ihnen zuzustimmen. Ein Soldatenrat wurde gebildet. 9 8 Am 6. November fanden in Bremerhaven und Geestemünde Massenversammlungen statt. Es wurden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die die Macht übernahmen. Die Arbeiter traten in den Streik. In Bremerhaven besetzten die von Matrosen geführten Aufständischen die Kommandantur, den Bahnhof und die Telegrafeneinrichtung. In Lehe wurde der Garnisonshauptmann verhaftet und auf einem Schiff gefangengesetzt.99 Ebenfalls am 6. November bildeten Matrosen, Arbeiter und Soldaten in Flensburg, Rendsburg und Eckernförde Arbeiter- und Soldatenräte, die die Macht übernahmen Am gleichen Tage wurde unter Führung von aus Wilhelmshaven und Ahlshorn gekommenen Matrosen in Oldenburg ein Soldatenrat gebildet, 100 dem sich die Garnison unterstellte. Zwei bewaffnete Matrosen drangen in das Schloß ein und hißten im Beisein des Großherzogs die rote Fahne auf dem Gebäude. Die revolutionären Matrosen und Soldaten demonstrierten durch die Stadt und befreiten die Gefangenen aus den Arrestanstalten. Am 7. November erhielt der Chef der sich in Swinemünde aufhaltenden 4. Aufklärungsgruppe der Kriegsmarine den Befehl, die noch „zuverlässigen" Seestreitkräfte zu sammeln und gegen die Aufständischen zu führen. Die Besatzungen der Fahrzeugo der Aufklärunggruppe verhinderten die Ausführung dieses Befehls und erzwangen die Außerdienststellung ihrer Schiffe. 101 In Sonderzügen fuhren sie mit der Absicht 97 98 98 100 101
Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 153. Eberhard Buchner: a. a. O., S. 82/83. Ebenda, S. 82. Heinrich Marx: Handbuch der Revolution in Deutschland, Berlin 1919, S. 119. Alfred Niemann: a. a. 0 . , S. 392.
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nach Berlin, die Revolution in die Hauptstadt zu tragen, wurden dort aber von den kaiserlichen Organen noch verhaftet. Am 7. November griff die Revolution auch auf Schwerin und Emden über. In Hannover trafen Kieler Matrosen am 7. November ein. Unter dem Vorwand, sie besäßen keine von einer dazu berechtigten Stelle ausgestellten Urlaubsscheine (ihre Scheine waren vom Soldatenrat Kiel unterzeichnet), versuchte das
Bahnhofskom-
mando, die Matrosen festzunehmen. Diese aber überwältigten das Kommando, besetzten den B a h n h o f und befestigten ihn. Dann stellten sie die Verbindung zu den Kasernen der Garnison her. Der Stellvertretende Kommandierende General, Haenisch, befahl, den Bahnhof anzugreifen
und die Matrosen
„unschädlich"
von zu
machen. Die dazu eingesetzten Truppen gingen zu den Matrosen über und gaben die Waffen ab. Ein aus Celle nach Hannover kommandiertes Regiment schloß sich der Bewegung ebenfalls an. Offiziere wurden entwaffnet. Auf dem Waterlooplatz und dem Ernst-August-Platz kam es zu Kämpfen zwischen Aufständischen und Offizieren. Die Aufständischen besetzten das Generalkommando, verhafteten den General und verlangten von ihm die Anerkennung der bekannten 14 Kieler Forderungen. 1 0 2
Von
Hannover aus wurden Züge mit revolutionären Matrosen nach Berlin geschickt, um die Revolution auch in der Hauptstadt zum Siege führen zu helfen. Auch an dem bewaffneten Aufstand in Braunschweig
am 7. November waren
Matrosen führend beteiligt. Wie fast überall, bildete der von ihnen besetzte B a h n h o f den Ausgangspunkt ihrer Aktionen. Die Soldaten wurden aufgefordert, sich den Matrosen anzuschließen. Sie taten es, und auch die Polizei ging auf die Seite der Malrosen über. Die Revolutionäre besetzten neben dem Bahnhof das Post- und sämtliche anderen strategisch wichtigen Amtsgebäude. Die Gefangenen wurden befreit, der Herzog wurde zur Abdankung gezwungen. Der Arbeiter- und Soldatenrat übernahm die Macht. Nach Köln griff die Revolution ebenfalls am 7. November über. Schon zwei Tage vorher waren Matrosen aus Kiel in die Stadt gekommen. Sie hatten in den umliegenden Kasernen, so in der Kaserne des 29. Regiments in Riehl, beim Ersatzbataillon des 28. Regiments in Rodenkirchen und im Artilleriebataillon in der Hahnenstraße, unter den Soldaten agitiert. Der Militärgouverneur war unterrichtet worden, daß am 7. November eine größere Anzahl Kieler Matrosen nach Köln kommen werde, und ließ deshalb Eisenbahnzüge aufhalten. Trotz dieser Maßnahme trafen am Nachmittag 2 0 0 Matrosen auf dem Hauptbahnhof ein, besetzten ihn und machten ihn zur Ausgangsbasis ihrer Aktionen. Die Kölner Führung der S P D machte große Anstrengungen, um die sich entwickelnde Bewegung abzuwürgen. Am 7. November verhandelte sie mit dem Militärgouverneur und dem Oberbürgermeister Adenauer über Maßnahmen, die der Revolution die Spitze abbrechen könnten. Noch bevor die Debatte über die Zuweisung ausreichender Papiermengen für die Zeitung der S P D , die Kostaufbesserung der Gefangenen und ein Telegramm mit der Bitte an Scheidemann um Amnestie beendet war, Eberhard Buchner: a. a. O., S. 99/100. Alfred Niemann: a . a . O . , S. 250.
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Kurt
Zeisler
hatten die Matrosen den Bahnhof besetzt und Verbindung zu den Arbeitern und den Truppen der Garnison aufgenommen und sie für den Anschluß an die Bewegung gewonnen. Der rechte Sozialdemokrat Sollmann versuchte die Massen vergeblich dazu zu bewegen, die Entscheidungen der Führung der S P D abzuwarten. In der Nacht bildeten sich Demonstrationszüge von Matrosen, Arbeitern und Soldaten, die zu den Arrestanstalten zogen und die politischen Gefangenen befreiten. Die Militärbehörde ohne Militär war völlig machtlos. In der Nacht forderte der provisorische Soldatenrat alle Truppenteile von Köln und Umgebung durch Funkspruch auf, Vertreter zur Bildung des zentralen Arbeiter- und Soldatenrates zu entsenden, die sich am folgenden Morgen im Rathaus vollzog. Der Arbeiter- und Soldatenrat übernahm die M a c h t . 1 0 3 An der Organisierung der revolutionären Umwälzung in Essen, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Duisburg und anderen Städten waren ebenfalls Matrosen beteiligt. 104 103 104
Über die Vorgänge in Köln vgl. Wilhelm Sollmann: Die Revolution in Köln, Köln 1918 Eberhard Buchner: a. a. 0 . , S. 124, 119.
K k 1> I T i L V
DIE
VERSUCHE
DES
KAISERLICHEN
DIE
REVOLUTION
ZU
UNTERDRÜCKEN
STAATSAPPARATES,
Natürlich versuchten die Regierung Prinz M a x von Baden und die Militärbehörden mit allen Mitteln, die Matrosenbewegung zu ersticken. Aber wie es meist bei Beginn einer Revolution ist, so war es auch hier: Die herrschenden Klassen, nicht mehr in der Lage, mit den gleichen Mitteln wie bisher die Massen niederzuhalten, verursachten nicht nur selbst den letzten, auslösenden Anstoß, sondern waren im Augenblick des Ausbruchs der Bewegung so schwach und in sich uneinig, daß sie der Revolution nichts entgegensetzen konnten. Zuerst versuchte die Regierung, durch heuchlerische Erklärungen die Aufständischen zu beruhigen. „Wir wollen den Völkerkrieg nicht abschließen, um den Bürgerkrieg zu beginnen" 1 0 5 , hieß es in dem von Max von Baden, Scheidemann und Ritter von Mann unterzeichneten Aufruf an die „Seeleute und Arbeiter". „Seid Ihr Euch der Verantwortung bewußt, die Ihr vor Euren Volksgenossen tragt? Sorgt dafür, daß die traurigen Ereignisse der letzten Tage vereinzelt bleiben und daß wir ohne blutige Wirren unsere inneren Angelegenheiten in gesetzlicher Freiheit ordnen können, dem deutschen Volk und Euch selbst zum Heil!" 1 0 6 Die Unterzeichner wollten nicht wahrhaben, daß es eben die von ihnen bemühte Verantwortung vor dem Volke war, die die Matrosen die Waffen umkehren ließ. Der Aufruf hatte selbstverständlich keinerlei Einfluß auf die Matrosen. Dann wurden die erwähnten regierungssozialdemokratischen Abgeordneten in die Aufstandsgebiete geschickt. Aber sie konnten die Ausbreitung der Revolution nicht verhindern, wenn es Noske auch gelang, die Bewegung in Kiel zu unterdrücken. In ihrer Sitzung am 5. November 1918 beriet die Reichsregierung über Maßnahmen zur Niederschlagung der revolutionären Bewegung. Die Staatssekretäre Ritter von Mann und Erzberger forderten, man müsse ein Exempel statuieren, in Kiel mit großer Macht einrücken und die Stadt von Schiffen aus beschießen. Auch Kriegsminister 105 p r i n z Max von Baden: a. a. O., S. 573. 106 Ebenda. 15
Revolutionäre Ereignisse
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Kurt Zeisler
Scheüch war für eine exemplarische Unterdrückung der Bewegung. Die Situation jedoch realer einschätzend als Mann und Erzberger, meinte er, die der Regierung noch zur Verfügung stehenden Kräfte seien f ü r diese Aufgabe weder zuverlässig noch stark genug. 107 Seiner Ansicht schloß sich die Regierung unter dem Druck der Umstände an und beschloß: „1. Absperrung des Seuchengebiets, 2. freie Hand f ü r Noske bei dem Versuch, den lokalen Ausbruch zu ersticken." 108 Am 6. November erließ die Seekriegsleitung jedoch im Einvernehmen mit der Regierung den Befehl, den Widerstand der Aufständischen zu brechen und Schiffe unter roter Flagge als feindlich anzusehen. 109 Aber schon in der Nacht zum 7. November meldete das Kommando der Hochseeflotte: „Die mir zur Verfügung stehenden Machtmittel reichen nicht mehr aus, um den Befehl, Widerstand zu brechen, auszuführen. In Ubereinstimmung mit Stationschef werde ich jetzt versuchen, durch Einwirkung und gegebenenfalls Unterstützung der besonnenen Elemente, solange sie sich auf den Boden der Regierungssozialisten stellen und Gewaltmaßregeln unterlassen, zum Aufrechterhalten der Ordnung beizutragen." 1 1 0 Von der See aus war die Konterrevolution also machtlos. Es blieb f ü r sie nur noch übrig zu versuchen, die Aufstandsgebiete vom Land aus abzusperren und, wenn möglich, in sie einzudringen und die Bewegung zu zerschlagen. Wie es den nach Kiel transportierten Truppen erging, wurde berichtet. Zwischen Kriegsministerium und Reichsmarineamt wurde vereinbart, daß die Truppen des IX. und X. Armeekorps die Absperrung Kiels vornehmen sollten. Die Ersatztruppenteile aber verweigerten die Befehlsausführung. In der Nacht vom 6. zum 7. November meldete das Stellvertretende Generalkommando des X. Armeekorps aus Hannover, daß es keine Garantie f ü r das Gelingen der Operation übernehmen könne. 1 1 1 In Stettin wurden vom Kriegsminister 12 Kompanien bereitgestellt; 112 die revolutionäre Bewegung überrollte sie wie auch die anderen zur Absperrung und Niederschlagung vorgesehenen Truppen. Unter dem Druck der unzuverlässig gewordenen Truppen und des Beginns der Revolution in den Standorten mußte am 6. November im Bereich des IX. Armeekorps der Befehl, von den Waffen gegen Aufständische Gebrauch zu machen, zurückgezogen werden, am 7. November im Bereich des X. Armeekorps und am 8. im Bereich des IV., VII. und XVIII. Armeekorps. 113 Der Kriegsminister forderte von der Obersten Heeresleitung den Heimtransport zuverlässiger Truppen zur Niederschlagung der Revolution. Die von der OHL zu diesem Zweck zur Verfügung gestellte 2. Garde-Infanteriedivision traf am 6. November erst in Köln ein. Natürlich konnte sie nichts mehr ausrichten. Um die Verbindung der Aufständischen mit dem übrigen Reichsgebiet zu verhindern, wurden auf Veranlassung der Berliner Eisen"» Ebenda, S. 586/587. Hermann Müller-Franken: a. a. 0., S. 26. Alfred Niemann: a. a. O., S. 245. 108 109 Prinz Max von Baden: a. a. O., S. 588. Alfred Niemann: a. a. 0., S. 390—392. ho Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 10/1, S. 294. " i Alfred Niemann: a. a. O., S. 250. ua Ebenda, S. 249. " 3 Ebenda, S. 251.
Revolutionäre Matrosenbewegung im Oktober/November 1918
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bahnbehörden die Bahnlinien nach der Nord- und Ostseeküste in Neumünster unterbrochen. Die Berliner Stadtkommandantur erhielt die Anweisung, alle in Berlin eintreffenden Matrosen festzunehmen und zu entwaffnen. Der Berliner Presse wurde verboten, Nachrichten über die Vorgänge in den Hafenstädten zu veröffentlichen. Wolfis Telegraphisches Büro (WTB) gab am 6. November bekannt: „Auch heute ist es uns nicht möglich, eingehendere Darstellungen von den Vorgängen in Kiel, Hamburg, Lübeck, Wilhelmshaven usw. zu veröffentlichen... Diese Methode der Zensur, die der reichshauptstädtischen Presse einen Maulkorb vorhängt, ist einfach unhaltbar . . . " 1 1 4 Und die „Leipziger Volkszeitung" schrieb: „Im Machtbereich des Oberkommandos in den Marken, direkt unter den Augen der ,Volksregierung', waltet die politische Zensur unbeirrt im alten Gleise ihres Amtes. Während die Leipziger und die Hamburger Blätter am 6. November eingehende Meldungen über den Aufstand der Matrosen in Kiel, über ihre Verhandlungen und Abmachungen mit den Militärbehörden bringen konnten, enthält die gesamte Berliner Presse vom äußersten rechten bis zum linken regierungssozialistischen Flügel nicht ein Wort von diesen gewaltigen Ereignissen! Die Zensur hat es ihr verboten, wie das Berliner Tageblatt stöhnend feststellt!" 1 1 5 Schließlich, nachdem die Bemühungen, die Matrosenbewegung niederzuschlagen, sämtlich gescheitert waren, verlegte sich Ritter von Mann aufs Verhandeln. Am 7. November empfing er eine von einem Admiral geleitete Matrosendelegation aus Kiel zur Entgegennahme sehr gemäßigter Forderungen. Am 8. November bezeichnete er in einem Erlaß an alle Marinekommandos die Soldatenräte als Nebenregierungen und erklärte ihre Existenz für unzulässig, gestattete aber gleichzeitig die Bildung harmloser Vertrauenskommissionen, die das Recht haben sollten, den Kommandostellen Wünsche der Matrosen vorzutragen. Außerdem sei eine Einschränkung des Grußzwanges möglich und die einheitliche Verpflegung von Mannschaften un'd Offizieren notwendig.116 Die herrschenden Klassen mochten jedoch unternehmen, was immer sie wollten — die Revolution konnte durch nichts mehr aufgehalten werden. Wenn die deutsche revolutionäre Matrosenbewegung im Oktober und November 1918 auch ein Teil der gesamtnationalen Bewegung war, die entscheidende Impulse von der siegreichen proletarischen Revolution in Sowjetrußland empfangen hat, so unterlag sie doch einigen speziellen Bedingungen, wurde ihr Verlauf, vor allem in der ersten Etappe, von den der Kriegsmarine eigenen Verhältnissen mitbestimmt Das Beispiel der Matrosen hat auf die deutsche Arbeiterklasse eine bedeutende mobilisierende Wirkung gehabt, und im Norden und Westen Deutschlands haben sie in hohem Maße dazu beigetragen, den Beginn der Revolution zu beschleunigen und so der imperialistischen Kriegmaschine viele Opfer zu entreißen. Heinrich Marx: a. a. O., S. 94. „Leipziger Volkszeitung", Nr. 260, Tom 7. Norember 1918. n « Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0 . , Bd. 10/1, S. 343/344.
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Kurt
Zeisler
Dem imperialistischen Kriege und den verbrecherischen Plänen der Marineleitung setzten die Matrosen ihren großen revolutionären Mut und Elan, die Kraft des kämpfenden Proletariats, entgegen. Neben dieser großartigen Seite der Bewegung konnte jedoch ihre politische Schwäche und organisatorische Unsicherheit in der Darstellung nicht vollständig in den Hintergrund treten, sollte die Notwendigkeit der Verschmelzung von revolutionärer Kraft und politischer Klarheit deutlich werden. Die letzte Ursache der Schwächen der Bewegung war das Fehlen einer marxistisch-leninistischen Kampfpartei, die die Führung der revolutionären Massen hätte übernehmen können. So zeichnen sich in der deutschen Matrosenbewegung des Jahres 1918 Größe und Schwäche der ganzen deutschen revolutionären Bewegung jener Jahre ab, die die objektiven Voraussetzungen für den Sieg der sozialistischen Revolution nicht zu nutzen vermochte.
ALBERT SCHREINER/GÜNTER
SCHMIDT
D I E R Ä T E B E W E G U N G IN D E U T S C H L A N D B I S ZUR N O V E M B E R R E V O L U T I O N
K \ PIT B L I
DIE
RÄTE
TARISCHEN
ALS
KAMPF-
UND
MACHTORGANE
DER
PROLE-
REVOLUTION
In den Revolutionskämpfen im Februar/März 1917 bildeten die russischen Arbeiter, Bauern und Soldaten, gestützt auf die Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 und der Revolution von 1905, Räte der Arbeiterdeputierten. Unter diesen Begriff faßte Lenin 1906 die verschiedenen „Organe des unmittelbaren Massenkampfes": „Räte der Arbeiterdeputierten und ähnliche Körperschaften (Bauernkomitees, Eisenbahnerkomitees, Räte der Soldatendeputierten usw.)" 1 zusammen. „Sie entstanden als Organe des Streifckampfes. Sie wurden sehr rasch unter dem Druck der Notwendigkeit zu Organen des allgemeinen revolutionären Kampfes gegen die Regierung. Sie verwandelten sich unwiderstehlich, kraft der Entwicklung der Ereignisse und des Uberganges vom Streik zum Aufstand, in Organe des Aufstandes." a Lenin wies ausdrücklich darauf hin, daß die Aufforderung zur Bildung von solchen Organen des Aufstandes die Aufforderung zum Aufstand bedeute und es notwendig mache, „neben der Organisation der Räte eine militärische Organisation zu ihrer Verteidigung, zur Durchführung des Aufstandes zu schaffen". 3 In diesen Ausführungen über die Räte warnte Lenin gleichzeitig davor, sich den Räten gegenüber zu verhalten, „als wären sie ein Fetisch". Diese Warnung unterstrich Lenin noch mit den Worten: „Man bildet sich ein, daß diese Organe stets und unter allen Umständen für die revolutionäre Massenbewegung ,notwendig und ausreichend' seien. Hieraus ergibt sich urteilsloses Verhalten bei der Wahl des Augenblicks zur Schaffung solcher Körperschaften, zu der Frage, welcher Art die Bedingungen für den Erfolg ihrer Tätigkeit sind." 4 Die „Art der Bedingungen" für die Schaffung der Räte und ihr erfolgreiches Wirken wurden in der Folge von Lenin vielfach genannt und später in den speziellen Thesen 1 2 3 4
W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. X, Wien-Berlin 1930, S. 18«. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 18.
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Albert Schreiner /Günter Schmidt
des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale auf Grund der bis dorthin gemachten Erfahrungen der proletarischen Revolution genau umrissen. Wichtig ist, daß die Räte oder ihr verwandte Organisationsformen unwiderstehlich dann auftauchen, wenn eine revolutionäre Situation herangereift ist, die Frage des Kampfes um die Macht akut wird. Von Lenin wurde die Frage der Räte stets im Zusammenhang mit den aktuellen Aufgaben des proletarischen Klassen- und Machtkampfes aufgeworfen. Es ist interessant, daß er im vierten Brief aus der Ferne (12. März 1917) auf das Friedensprogramm der Bolschewiki vom 13. Oktober 1915 verwies, wo die Räte im Zusammenhang mit dem Kampf um die Beendigung des imperialistischen Krieges und um die Herstellung eines wahrhaft demokratischen Friedens genannt wurden. Der erste Schritt, den die Bolschewiki nach der siegreichen Oktoberrevolution in bezug auf den Frieden taten, war die Verwirklichung des genannten Friedensprogrammes von 1915. Dieses Programm sagte in seinem ersten Punkt: „Der Allrussische Rat der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten (oder der ihn provisorisch ersetzende Petersburger Rat) würde unverzüglich erklären, daß er durch keinerlei Verträge, weder der Zarenmonarchie noch der bürgerlichen Regierungen, gebunden ist." 5 In der Februarrevolution erstanden die Räte in den mannigfaltigsten Formen, aber insgesamt auf einer höheren Entwicklungsstufe als 1905. „Der Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten ist die Keimzelle einer Arbeiterregierung. Er ist der Vertreter der Interessen aller ärmeren Schichten der Bevölkerung, d. h. von neun Zehnteln der Bevölkerung, die Frieden, Brot und Freiheit verlangen." 6 Lenin spricht in diesem Zusammenhang davon, daß der Kampf zwischen den um die Macht ringenden Kräften die im März 1917 eingetretene Situation kennzeichnet, „die den Obergang von der ersten Etappe der Revolution zur zweiten bildet". Als „die einzige Garantie der Freiheit und der endgültigen Vernichtung des Zarismus" nannte Lenin „die Bewaffnung des Proletariats und die Festigung, die Steigerung der Rolle, der Bedeutung und der Macht des Rates der Arbeiter- und Soldatendeputierten". 7 Die nach der Februarrevolution einsetzende Entwicklung der Räte in Rußland bis zum Juli 1917 erhärtete die Leninsche Warnung von 1906, daß die Räte keineswegs „stets und unter allen Umständen f ü r die revolutionäre Massenbewegung , . . . ausreichend' seien". Auf rJrr Allrussischen Aprilkonferenz der SDAPR betonte Lenin: „Für uns sind die Sowjets wichtig nicht als Form, uns ist wichtig, welche Klassen die Sowjets vertreten. Deshalb ist eine langdauernde Arbeit zur Erhellung des proletarischen Bewußtseins notwendig" (Hervorhebung von A. Sch. und G. Sch). Gegen Abänderungsvorschläge zu den vorgelegten Leninschen Thesen des Parteiprogramms unterstrich Lenin in bezug auf die Räte die Notwendigkeit seiner Formulierung, „da es sich nicht darum handelt, wie die Institution heißt, sondern welches der politische Charakter und die Struktur dieser Institutionen sind". 8 5
Ebenda, Bd. XX/1, Wien—Berlin 1928, S. 68. • Ebenda, S. 22. 7 Ebenda. • Ebenda, S. 322, 367.
Rätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution
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Iiier haben wir die eindeutige Abgrenzung gegen den Rätefetischismus und den notwendigen Hinweis, daß um den klassenmäßigen Inhalt und die ihm entsprechende Struktur der Räte heiß gerungen werden muß. Die Erörterung der hier behandelten Frage auf der Aprilkonferenz der Bolschewiki diente der Klärung der Grundfrage der proletarischen Revolution, der Frage des Kampfes um die Macht. „Ohne Klarheit darüber kann von einer bewußten Teilnahme an der Revolution oder gar von ihrer Führung nicht die Rede sein." 9 Damit wurde die Frage des Verhältnisses der Partei der Arbeiterklasse zu den Räten, die Notwendigkeit des Ringens der Partei um die ideologische und organisatorische Führung in den Räten betont. Denn ohne diese Führung werden die Räte zu Anhängseln der bürgerlichen Staatsmacht, ja unter Umständen zu Organen der Konterrevolution und nicht zu den Trägern einer Staatsmacht neuen Typus, der revolutionären Diktatur des Arbeiter- und Bauernstaates. Dieser sehr wichtigen Frage des Ringens der Partei der Arbeiterklasse um die Führung in den Räten hat die Vorhut der deutschen Arbeiterklasse 1918 bekanntlich viel zu spät Rechnung getragen. Das hängt eben unbedingt mit dem Fehlen einer revolutionären marxistischen Partei in Deutschland bis zum Dezember 1918 zusammen. Uber die Entwicklung der Machtverhältnisse in Rußland sagte Lenin im Juli 1917: „Die Konterrevolution hat sich organisiert, gefestigt und faktisch die Macht im Staat in ihre Hände genommen." . . . „Die Führer der Räte und der Parteien der Sozialrevolutionäre und Menschewiki, . . . , haben die Sache der Revolution endgültig verraten, indem sie sie in die Hände der Konterrevolution überlieferten und sich und ihre Parteien in ein Feigenblatt der Konterrevolution verwandelten." 10 Angesichts dieser Lage betonten Lenin und die Bolschewiki: „Die Losung des Uberganges der Macht an die Räte würde sich jetzt wie eine Donquichotterie oder wie Hohn ausnehmen. Diese Losung hieße, objektiv, das Volk irreführen, ihm die Illusionen eingeben, als ob auch jetzt die Räte die Machtübernahme bloß zu wollen oder sie zu beschließen brauchten, um die Macht zu bekommen, als ob im Rat noch Parteien wären, die sich nicht durch Helferdienste für die Henker besudelt hätten, als ob man das Geschehene ungeschehen machen könnte." 11 Den gleichen Gedanken hob Lenin in der gleichen Arbeit noch einmal hervor, wo es hieß, jetzt seien „die Räte kraft- und hilflos gegenüber der siegreichen und siegenden Konterrevolution. Die Losung der Übernahme der Macht an die Räte kann aufgefaßt werden als ,einfache' Aufforderung zur Machtübernahme durch die gegebenen Räte"; das hieße das Volk betrügen, und nichts sei gefährlicher als der Betrug. 1 2 Diese Erkenntnis war der ideologische Ausgangspunkt für eine neue Phase des Kampfes um die Macht. „Der Zyklus der Entwicklung des Kampfes der Klassen und Parteien in Rußland vom 27. Februar bis zum 4. Juli ist zu Ende. Es beginnt ein neuer Zyklus, in den nicht die alten Klassen, nicht die alten Parteien, nicht die alten 9 10 11 12
Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,
S. 125. Bd. X X I , Wien—Berlin 1931, S. 27, 28. S. 38—39. S. 43.
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Räte eintreten, sondern die im Feuer des Kampfes, durch den Verlauf des Kampfes erneuerten, gestählten, geschulten, umgemodelten." 13 Der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution war der Gipfelpunkt des erfolgreichen Ringens der Bolschewiki um die Beherrschung der Räte, die nunmehr als die Organe der Staatsmacht neuen Typus, der proletarischen Diktatur, die Entwicklung zum Sozialismus einleiteten und sicherten. Damit war auch die Streitfrage innerhalb des Sozialismus über den Weg zur Macht, über den Gegensatz zwischen bürgerlicher und proletarischer Demokratie, zwischen den Herrschaftsformen der Räte und der Konstituante zugunsten der Räte, der proletarischen Diktatur und des Sozialismus entschieden. Die aus dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution gezogenen Erfahrungen bedeuten eine konsequente Weiterentwicklung der Grundlehre des Marxismus in den Fragen der Staatstheorie, der Gewaltstheorie und der entscheidenden Rolle der revolutionären marxistischen Partei. Diese neugewonnenen Grunderkenntnisse haben Gültigkeit f ü r den Kampf der Arbeiterklasse in allen Ländern und sind deshalb eine außerordentlich große und wesentliche Bereicherung des wissenschaftlichen Sozialismus. Seine sieghafte Weiterentwicklung durch Lenin und die bolschewistische Partei wurde durchgesetzt in jahrzehntelangen harten Auseinandersetzungen mit den offenen Gegnern des Marxismus und mit ihren Verbündeten in den Reihen des Sozialismus. Diese Auseinandersetzungen wurden und werden bis auf den heutigen Tag theoretisch geführt und nehmen als Begleiterscheinung des Kampfes um die Erringung und Sicherung der Macht auch die Form erbitterter physischer Auseinandersetzungen an, die Form von Kriegen oder Bürgerkriegen. Wendet man diese Erkenntnis auf eine Reihe von politischen Erscheinungen in den letzten Jahren an, so erhellt daraus ganz besonders eindringlich die internationale Bedeutung der grundlegenden Erkenntnisse, die uns der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution vermittelt hat. Es ist nicht uninteressant, daß sich in den letzten Jahren in Westdeutschland einige bürgerliche und sozialdemokratische Historiker gefunden haben, die sich fast vier Jahrzehnte nach dem Sieg der Oktoberrevolution erneut mit der reformistischen Interpretation des Rätegedankens befassen. Sie stützen sich dabei in der Hauptsache auf die Verfälschungen der Grundgedanken des revolutionären Marxismus durch Kautsky, die Lenin seinerzeit überzeugend widerlegt hat; es sei hier nur erinnert an Lenins Werk: „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky". Wir haben hierbei vor allen Dingen das 1955 neuaufgelegte Werk von Arthur Rosenberg über die Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik u , das Buch 13
Ebenda, S. 43. Arthur Bosenberg: Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Herausgegeben von Kurt Kersten, Frankfurt a. M. 1955. Wir beziehen des Werk des verstorbenen sozialdemokratischen Historikers Rosenberg in die oben bezeichnete Gruppierung ein, weil sich die genannten anderen Autoren wesentlich auf ihn berufen und weil die Neuherausgabe des Buches zur Stützung der Verfälschung des Rätegedankens dient. 14
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von Walter Tormin über die Rätebewegung in der deutschen Revolution 1918/19 1 5 und die Dissertation von Oskar Anweiler über die Rätebewegung in Rußland 1 6 im Auge. Tormin und auch Anweiler behaupten, das Wesen der Räte sei durch die Einflußnahme der Bolschewiki in sein Gegenteil verkehrt worden. Nach Anweilers Auffassung hat 1921 in Kronstadt der „reine Rätegedanke" seine „Auferstehung" erlebt. 1 7 Bezeichnenderweise führt Anweiler den von der Konterrevolution seinerzeit in Kronstadt entfesselten Putsch gegen die junge Sowjetmacht und die zu diesem Zweck von der Konterrevolution mißbrauchten „Räte" als Schulbeispiel für seine Theorie an. Der verbrecherische Putsch in Ungarn im Herbst 1956 und der dabei zutage getretene Mißbrauch des Rätegedankens findet in solchen „Theorien", wie sie Anweiler vertritt, seine ideologische Konzeption und „Rechtfertigung". Bei Tormin wird gesagt, durch das Wirken der Bolschewiki sei der Rätegedanke, „entgegen seinem ursprünglichen Sinn, in scharfen Gegensatz zur Demokratie" geraten. 1 8 Beide Historiker versuchen, ihre These in der Weise zu begründen, daß sie den Charakter der Räte als künftige Macht- bzw. Staatsorgane der Arbeiterklasse ablehnen und dagegen die Auffassung suggerieren wollen, die Räte hätten in dem Stadium ihrer Entwicklung der wahren Räteidee entsprochen, als sie noch praktisch Anhängsel des bürgerlichen Staates waren, als sie noch nicht zur Eroberung bzw. Festigung der proletarischen Diktatur in Aktion traten. 19 Die Parteinahme der beiden Historiker für den sogenannten reinen Rätegedanken ist im Grunde eine Parteinahme gegen die Errichtung der Diktatur des Proletariats und für den bürgerlichen Parlamentarismus. 20 Die genannten Historiker setzen die Allgemeingültigkeit der durch den Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bestätigten Grundlehren des Marxismus in Zweifel und lehnen die Weiterentwicklung des Marxismus durch Lenin als eine willkürliche Auslegung der Lehre von Marx nach spezifisch russischen Bedürfnissen a b . 2 1 Zur Erhärtung ihrer Position behaupten sie, diese Erfahrungen seien auf Deutschland und andere westliche Länder nicht anwendbar. 2 2 Es ist jedoch eine Tatsache, daß heute, gestützt auf die Theorien des Marxismus-Leninismus, immerhin schon mehr als 35 °/o der Bevölkerung der Erde in den Ländern des sozialistischen Lagers, das über 25 °/o der Erdoberfläche einnimmt, erfolgreich am Aufbau des Sozialismus — in der UdSSR bereits am Aufbau des Kommunismus — arbeiten, daß aber bisher in keinem der Länder, in denen der reformistische Weg zum Sozialismus versucht wurde, der Sozialismus siegte. 15 Walter Tormin: Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie. Die Geschichte der Rätebewegung in der deutschen Revolution 1918/19, Düsseldorf 1954. 16 Oskar Anweiler: Die Rätebewegung in Rußland 1905—1921. Ein Beitrag zur Geschichte des Bolschewismus und der russischen Revolution, Phil. Diss., Hamburg 1954. 18 Walter Tormin: a. a. O., S. 16. " Ebenda, S. 390. " Ebenda, S. 120. Oskar Anweiler: a. a. 0., S. 230. Oskar Anweiler: a. a. O., S. 251, 252. Walter Tormin: a. a. O., S. 138. 31 Walter Tormin: a. a. O., S. 16. Oskar Anweiler: a. a. O., S. 296. » Walter Tormin: a. a. O., S. 28.
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Die Entwicklung der Sowjets und der proletarischen Revolution in Rußland war keineswegs nur eine spezielle russische Angelegenheit. Eine Gruppe der internationalen Arbeiterbewegung war durch die Nutzung besonderer Umstände und durch selbstlosen und zielbewußten Einsatz im Kampf vorangegangen. Der Weg zur neuen Gesellschaft, der in den Grundzügen f ü r die Arbeiterklasse der ganzen Well der gleiche sein mußte, war zum ersten Mal beschritten worden. Der Sieg in Rußland war ein Sieg der internationalen Arbeiterbewegung. Den Unterdrückten aller Länder war das Beispiel gegeben. Die praktische Form der Diktatur des Proletariats, die bis dahin „Latein für die Massen" gewesen war, war gefunden. Lenin konnte auf dem ersten Kongreß der Kommunistischen Internationale feststellen: „Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden." 2 3 Der objektive Sinn der Neuaufwärmung bürgerlicher und reformistischer Versionen über die Räte wird verständlich, wenn man heute, 40 Jahre nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, sich das Kräfteverhältnis zwischen dem Weltlager des Sozialismus und des Kapitalismus vor Augen hält. Vor 40 Jahren wagten nur die fortgeschrittensten und kühnsten, dem Sozialismus ergebensten Menschen, sich eine Vorstellung von dem zu machen, was heute Wirklichkeit geworden. Die Verteidiger des Imperialismus und dessen sozialreformerische Apologeten müssen auf immer neue Schliche und Winkelzüge sinnen, um die historisch längst überholte Herrschaft des Kapitalismus noch für einige Zeit zu sichern. Die unmittelbar praktische Auswirkung der Verfälschung des Rätegedankens tritt klar am Beispiel solcher Ereignisse zutage, wie sie durch die internationale Konterrevolution im Herbst 1956 in Ungarn heraufbeschworen wurden. Die gedrängte Darstellung einiger Probleme der Entwicklung der Rätebewegung und der ihr zugrunde liegenden theoretischen Positionen sowie die summarische Kennzeichnung der alten und neuen Verfälschungen des Rätegedankens und der damit von den Feinden des Sozialismus verfolgten Absichten werden uns zu einem besseren Verständnis der Entwicklung der Räte in Deutschland bis zur Novemberrevolution verhelfen. iS
W. I. Lenin: An die Bevölkerung. Über „Demokratie" und Diktatur. Was heißt Sowjetmacht? Berlin 1955, S. 15, 16.
KAI') T EL
KEIMFORMEN
II
DER
RÄTE
IN
DEUTSCHLAND
Als im März 1917 die Nachricht von der Revolution in Rußland nach Deutschland kam, da erkannten Unterdrückte wie Herrschende, daß es ihre eigenen Klassenkämpfe waren, die dort ausgetragen wurden. Denn auch in Deutschland waren die objektiven Voraussetzungen für die Revolution herangereift. 24 Die großen Monopole der Schwerindustrie verflochten sich immer enger mit dem Staatsapparat; durch die Monopole wurden die Unterordnung oder Beseitigung der kleinen Betriebe und die Konzentration der Produktion während des Krieges stark beschleunigt. Institutionen, in denen Vertreter der Monopole bestimmten, wurden zur Verteilung der Grundstoffe für die Rüstungsindustrie und zur Einspannung aller wirtschaftlichen Kräfte f ü r den Krieg gebildet. Riesengewinne durch das Rüstungsgeschäft auf seiten der Großbourgeoisie und der Junker standen der stark wachsenden Verelendung der Massen gegenüber. Wuchergeschäfte mit Lebensmitteln durch Großgrundbesitzer und Spekulanten trugen zur weiteren Ausbeutung der Werktätigen und der Mittelschichten bei. Anfang 1917 mußten sogar Polizeibehörden zugeben, daß die Arbeiter durch Teuerung und Lebensmittelrationierung „ganz erheblich" Entbehrungen litten und „stärkere körperliche Anstrengungen nicht ohne Erschlaffung und Entkräftung mehr" ertrugen; Ohnmachtsanfälle am Arbeitsplatz traten a u f . 2 5 Ein „genial organisierter Hunger" herrschte bei den unterdrückten Klassen in Deutschland. 2 6 Zur Niederhaltung der Arbeiter und zur strikten Unterordnung der Politik unter die imperialistischen Kriegspläne waren den Militärbehörden große Machtbefugnisse eingeräumt worden. Seit der Bildung der 3. Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff übte diese Körperschaft faktisch die Militärdiktatur über Deutschland aus. Die Arbeiterklasse blieb dieser Entwicklung gegenüber nicht passiv. Anfang Mai 1916 sah sich das Reichsamt des Innern gezwungen, das Kriegsministerium darauf hinzuweisen, daß die Maßnahmen zur Erhaltung einer „siegesfrohen Stimmung" 24 26 26
W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 18, 375. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, I o, Nr. 2, Bl. 203. W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 18.
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immer wirkungsloser wurden. Die schlechte Ernährungslage und die Friedenssehnsucht des Volkes steigerten in Stadt und Land „Erregung und Unwillen". Um dem zu begegnen, schlug das Innenministerium gemeinsames Vorgehen der militärischen und zivilen Behörden vor. 27 Die Arbeiter wehrten sich gegen die Verelendung und gesteigerte Ausbeutung durch Hungerrevolten, Streiks für höhere Löhne und ausreichende Lebensmittelrationen. Die Spartakusgruppe war dabei die politisch richtunggebende Kraft. Die Spartakusgruppe war im J a n u a r 1916 als „lose Vereinigung der besten und fortschrittlichsten Elemente der revolutionären deutschen Sozialdemokratie" gegründet worden. 2 8 Ihr Wirken und das mutige Beispiel ihres führenden Mitgliedes Karl Liebknecht, der auf der Demonstration am 1. Mai 1916 in Berlin offen zum Kampf gegen den Krieg und die Regierung aufgerufen hatte, gaben der Antikriegsbewegung starken Auftrieb. Das wurde u. a. bewiesen durch die Beteiligung Tausender an Streiks, Demonstrationen und Sympathiekundgebungen in Berlin, Braunschweig und Stuttgart für den seit dem 1. Mai eingekerkerten Liebknecht. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet nahmen die Streiks zuerst größeres Ausmaß an. Dabei standen die „Anhänger der sogenannten Liebknecht-Gruppe", wie in einer Besprechung von Vertretern dortiger Behörden und der Industrie im August hervorgehoben wurde, an der Spitze. 2 9 In diesem industriellen Zentrum Deutschlands hatte der Staat bereits Mitte 1915 eine Änderung der Methoden zur Niederhaltung der Arbeiter eingeleitet. Die Zentralbehörden befürchteten schon damals in diesem Gebiet größere Streiks gegen die Kriegspolitik. Das hätte „sehr große militärische und politische Nachteile" f ü r die Herrschenden bewirken können; deshalb wurde auf die Trustherren „im Sinne einer Verständigung mit den Arbeitern" eingewirkt. Die von dem Konzernherrn Kirdorf u. a. praktizierte Form der direkten Zurückweisung von Lohnerhöhungen, „obwohl die Kohlenpreise von ihnen bereits mehrfach erhöht worden" und die Lebenshaltungskosten der Arbeiter gestiegen waren, konnte für diese Gebiete nicht mehr beibehalten werden. 3 0 Im August, Oktober und November 1916 wuchs die Kampfstimmung der Arbeiter im rheinisch-westfälischen Bergbaugebiet. Die Arbeiterausschüsse erwiesen sich nicht immer als brauchbare Instrumente zur Verhinderung von Streiks. Das stellvertretende Generalkommando des VII. Armeekorps in Münster forderte von den Gewerkschaften, dafür zu sorgen, daß auf den Belegschafts- und Streikversammlungen die Besprechung von Lebensmittel- und Lohnfragen „nicht verquickt" werde „mit weitergehenden Forderungen". 3 1 Führer der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften erbaten vom Generalkommando dessen Fürsprache beim Verein f ü r bergbauliche Interessen in Essen, den Gewerkschaftsführern die Beteiligung an Belegschaftsversammlungen zu ermöglichen, um beruhigend auf die 27 18 29 so 81
Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12475, Bl. 51. 35 Jahre Kommunistische Partei Deutschlands, Berlin 1954, S. 8—9. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, I o, Nr. 2, Bl. 18ff., 29. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichskanzlei, Nr. 547, Bl. 106—107. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, I o, Nr. 2, Bl. 88.
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Ausschüsse einwirken zu können, die in ihrer „Unerfahrenheit" auf „unverständige Forderungen" kommen und „leicht den an sie herantretenden extremen Bestrebungen" nachgeben würden. 3 2 Diese Führer waren besorgt, jede Gefährdung der Kriegspolitik zu verhindern und ihr die Interessen der Arbeiterklasse unterzuordnen. Um die Zunahme politischer Tendenzen in den Streiks zu verhindern, die Vorbereitung eines Machtkampfes im Keime unschädlich zu machen, wurde Ende 1916 die im Ruhrgebiet 1915 eingeleitete Methode der Zusammenarbeit zwischen Kapitalisten und Gewerkschaftsführern f ü r die Industrie in ganz Deutschland angewandt. Das Gesetz über den „vaterländischen Hilfsdienst" vom 5. Dezember 1916 bezeichnete die Form, in der sich die Zusammenarbeit vollziehen sollte. Die militärischen Kampfhandlungen hatten dem deutschen Imperialismus im Jahre 1916 eine Reihe von Mißerfolgen und große Verluste an Menschen und Kriegsmaterial eingebracht Die OHL unter Hindenburg und Ludendorfl unternahm alle Anstrengungen, Menschenreserven und Waffen zu beschaffen. Das wurde mit Zwangsmaßnahmen gegen die Volksmassen, vor allem durch das Hilfsdienstgesetz, verwirklicht. Wesentliche Freiheiten, die das Proletariat in langen Kämpfen durchgesetzt hatte, wurden beseitigt. Unter Androhung von Gefängnis- und Geldstrafen wurde für jeden Mann im Alter von 16 bis 60 Jahren der gesetzliche Arbeitszwang eingeführt. Die Freizügigkeit wurde aufgehoben; weder die Einstellung oder Kündigung der Arbeit noch der Wechsel des Arbeitsplatzes durften ohne Genehmigung der jeweiligen Fabrik- oder Militärbehörden und ohne ärztliche Befürwortung stattfinden. Zuwiderhandlung hatte Einberufung zum Militär oder Gefängnisstrafe zur Folge. Durch die Bildung von Schlichtungs- und Arbeiterausschüssen sollten die Protest- und Streikbestrebungen in die Bahn des Verhandeins mit Beauftragten des Militärs, der Staatsbehörden und der Kapitalisten geleitet werden. Zweck der Ausschüsse war es laut Gesetz, f ü r das ständige „gute E i n v e r n e h m e n . . . zwischen der Arbeiterschaft und dem Arbeitergeber" zu sorgen. 3 3 Während die Vorstände der SPD und der Gewerkschaften das Hilfsdienstgesetz, an dessen Ausarbeitung sie beteiligt waren, als Fortschritt hinstellten und aktiv für seine Durchführung wirkten, riefen die Anhänger der Spartakusgruppe zum Kampf gegen die „Kasernierung" des Proletariats auf. Sie kennzeichneten die Arbeiterausschüsse als „lächerliche Puppen in den Händen der Unternehmer und der Säbelherrschaft, nur dazu geschaffen, um das Vertrauen der Arbeiter in hinterlistiger Weise zu ergattern". 8 4 Im Bochumer Gebiet entwickelten sich verschiedene Arbeiterausschüsse im J a n u a r 1917 teilweise zu wahren Interessenvertretungen der Bergleute. Sie lehnten die Hinzuziehung von Vertretern der Leitungen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaft zu ihren Beratungen ab. Auf einer Zusammenkunft in Herne 3i
Ebenda, Bl. 21. Reichsgesetzblatt, Jahrg. 1916, Nr. 276, vom 5. Dezember 1916, S. 1336—1337. Spartakus im Kriege. Die illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege. Gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, S. 154—155. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13581, Bl. 133. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. T, Nr. 1, Bd. 3, Bl. 129. 3S 84
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brachten die Delegierten der Arbeiterausschüsse ihr Mißtrauen gegen das Kriegse r n ä h r u n g s a m t z u m Ausdruck. Zu U n r u h e n und K ä m p f e n zwischen Polizei, Mililäreinheiten u n d Streikenden k a m es im F e b r u a r in Barmen. Im gleichen Monat wurden vom Regierungspräsidenten in Düsseldorf Streiks in den Krupp-Werkon und auf verschiedenen Zechen gemeldet. Aus Mülheim an der R u h r kamen Nachrichten von Slreikdrohungen der Arbeiter der Maschinenfabrik Thyssen, in Berlin begannen Ausstände bei Schwartzkopff u n d in den Deutschen Waffen- u n d Munitionsfabriken. 3 5 Die Arbeiterausschüsse traten z u m Teil als Organisatoren des Streiks auf und vertraten in anderen Fällen die Forderungen der Streikenden. Das w a r u. a. auf den meisten Zechen der Essener Reviere, des Reviers W e r d e n u n d auf Zechen in Hattingen, Wattenscheid u n d Gelsenkirchen der Fall. 3 6 Sie gingen in diesen Fällen bewußt über den R a h m e n hinaus, den das Hilfsdienstgesetz ihnen gesteckt hatte. Im Aprilstreik 1917 traten d a n n nicht selten Mitglieder der Ausschüsse als F ü h r e r der revolutionären Bewegung hervor. Die fortschrittlichen K r ä f t e in den Arbeiterausschüssen unterstützten die Streiks f ü r höhere Löhne und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und erklärten den Arbeitern, d a ß f ü r eine grundlegende Änderung ihrer Lage und die Beendigung des Krieges die überlieferte F o r m des gewerkschaftlichen Streiks nicht genüge, sondern z u m politischen Massenkampf fortgeschritten werden müsse. Dennoch beseitigte der Staat diese Ausschüsse nicht. Denn in den meisten Fabriken fungierten sie so, wie die G r ü n d e r dieser Institutionen, die O H L , f ü h r e n d e Vertreter der Monopole u n d Gewerkschaften, es wünschten. Selbst dort, wo die Arbeiterausschüsse „den an sie herantretenden extremen Bestrebungen" folgten, bot sich den Behörden u n d Fabrikherren die Möglichkeit der Einflußnahme. Der sozialdemokratische Historiker Tormin versuchte im J a h r e 1954, die durch das Hilfsdienstgesetz von 1916 geschaffenen Arbeiterausschüsse als Institutionen hinzustellen, „die den Räten sehr ähnlich waren". E r versteigt sich sogar zu der Behauptung, die von der kaiserlichen Militärdiktatur gebildeten Arbeiterausschiissc seien „Vertretungsorgane der Arbeiterschaft" gewesen, die „aus den gleichen Antrieben wie bei Marx, wie in R u ß l a n d u n d bei Lenin" geschaffen oder geplant waren. 3 7 Der bürgerliche Historiker Fritz Kappel sieht in den Arbeiterausschüssen die geschichtlichen Wurzeln des Rätegedankens in Deutschland. E r will damit beweisen, d a ß hinter der deutschen Rätebewegung schon in ihrem Ursprung etwas anderes als in R u ß l a n d gesteckt habe; Kappel v e r k n ü p f t seine Erörterungen a u ß e r d e m noch mit Lobesbezeugungen f ü r Kaiser Wilhelm II. u n d die O H L . 3 8 Nach Ansicht des bürgerlichen Historikers Eugen Lips entstanden politische Räte nach Art der Sowjets erst 36
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, I o, Nr. 2, Bl. 135, 226, 178, 161 162. 142. Ebenda, Rep. 197 A, I p, Nr. 1, Abschrift eines Berichtes des Regierungspräsidenten aus Düsseldorf, vom 28. Februar 1917. 36 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsarbeitsministerium, Nr. 2062, Bl. 20—21. 37 Walter Tormin: a. a. 0 . , S. 18—21. 38 Fritz Kappel: Die historischen Wurzeln des Rätegedankens, Jur. Diss., Offenbach a. M. 1921, S. 24, 29, 107—108.
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in der Novemberrevolution. Zuvor habe es nur eine wirtschaftliche Rätebewegung gegeben, deren Wurzeln er, wie es später auch Tormin tut, auf die Fabrikausschüsse a m Ende des 19. Jahrhunderts und auf die Arbeiterausschüsse des Hilfsdienstgesetzes von 1916 zurückführt. 3 9 Kappel gibt immerhin zu, daß das Wirken der Fabrikausschüsse und der Arbeiterausschüsse nichts mit den Ideen von Marx und Lenin gemein hatte, sondern ausschließlich den Interessen der Fabrikherren und Militaristen diente. 40 Die Rätebewegung in Deutschland war kein Geschenk der OHL. Die Räte entwickelten sich aus mannigfaltigen Kampforganen der Arbeiter gegen Hunger und Krieg. 4 1 In diesen Kämpfen übernahmen später nicht selten Mitglieder von Arbeiterausschüssen die Funktion von Räten. Insofern können auch mit einem gewissen Recht d i e Arbeiterausschüsse, deren Handeln sich gegen die Zweckssetzung richtete, die das Hilfsdienstgesetz f ü r die Tätigkeit der Ausschüsse vorsah, als eine der Keimformen der Räte bezeichnet werden. Die revolutionären Kräfte in der Arbeiterklasse nutzten durch Einwirken auf die Ausschüsse diese legalen Körperschaften zum Vorantreiben der Bewegung aus. Sie schufen sich aber auch eigene Organe, die Institution der revolutionären Obleute. Diese Organe standen fast völlig außerhalb der Kontrolle des Staates. Lange Zeit konnten die Behörden nur Vermutungen über ihre Organisationsform und Zusammensetzung anstellen. Bereits im September 1916 machte das Reichsamt des Innern auf das Stattfinden von „zahlreichen Zusammenkünften in kleinem Kreise" unter der Arbeiterschaft aufmerksam, in denen die Agitation der sozialdemokratischen Minderheit „einen überaus fruchtbaren Boden" fände. Diese Zusammenkünfte seien, so schlußfolgerte die Behörde aus Nachforschungen, „anscheinend in größerem Umfange organisiert worden". 4 2 Die Obleute waren in der Mehrzahl Angehörige des Metallarbeiterverbandes, qualifizierte Facharbeiter, die die Politik des Burgfriedens mit den Kapitalisten ablehnten. Sie gingen aus der Oppositionsbewegung gegen die Politik der Führer der S P D und der Gewerkschaft hervor, die den Sozialismus aufgegeben hatten. Gegen den Willen der Bürokratie des Verbandes führten sie Lohnkämpfe. Sie organisierten Proteststreiks gegen die Verhaftung Liebknechts und unterstützten den Kampf gegen •den Krieg. 4 3 In den Gewerkschaften stellten ihre Vertreter den Sozialismus als Ziel in den Vordergrund. Die Angehörigen der Spartakusgruppe trieben diesen Entwicklungsprozeß voran. 4 4 In Berichten des Büros f ü r Sozialpolitik, einer staatlichen In30 Eugen Lips: Die Entwicklung des modernen Rätegedankens, Phil. Diss., Heidelberg 1923, S. 35—36, 40—41. 83. 40 Fritz Kappel: a. a. O., S. 89, 108—109, 114. 41 Vgl.: Ernst Däumig: Das Rätesystem. Reden auf dem Parteitage der USPD am 4. und S. März 1919, Berlin (1919), S. 4. 42 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12271, Bl. 84. 43 Richard Müller: Vom Kaiserreich zur Republik, Wien 1924, Bd. 1, S. 59. Emil Barth: Aus der Werkstatt der Revolution, Berlin 1919, S. 11, 15—17. 44 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. T, "Nr. 1, Bd. 3, Bl. 115. Ebenda, Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 473.
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Revolutionäre Ereignisse
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stitution, die den Organen der Reichsregierung ständig Meldungen über die Stimmungen im Volke und über hervortretende politische Tendenzen übermittelte, wurde im März 1917 von der Agitation oppositioneller Gewerkschaftler gegen das Hilfsdienstgesetz gesprochen und ein Anwachsen des Einflusses der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft auf ihre Tätigkeit „in Berlin und einzelnen Orten des industriellen Westens", dort besonders in Braunschweig, festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt war der Einfluß der Wortführer der Opposition in der Gewerkschaft, der revolutionären Obleute, auf die Arbeiter schon verhältnismäßig stark. Der Bericht des genannten Büros vom 1. März 1917 sagte, daß zwar „ein Teil der gewerkschaftlichen Ortsgruppe"' in Berlin wie in anderen Gebieten des Reiches „das Eindringen dieser Propaganda abzuwehren" trachte; aber dennoch gelinge es der Opposition, „den Führern, die fast ausnahmslos das Gesetz (über den „Hilfsdienst", A. Sch. und G. Sch.) billigen, die Massen aus der Hand zu nehmen". 4 5 Diese Entwicklung war nicht nur in Berlin zu verzeichnen. Ein anderes Zentrum der Tätigkeit der Obleute war Düsseldorf, wo von der Polizeiverwaltung gleichfalls auf eine zunehmende Verbreitung der Anschauungen der Arbeitsgemeinschaft und der Spartakusgruppe hingewiesen wurde. 4 6 Das von diesen Kräften in den Fabriken gebildete System von Vertrauensleuten bezeichnete Däumig mit Recht als „Keimzellen" der späteren Arbeiter- und Soldatenräte. 4 7 Die revolutionären Obleute spielten bei der Organisation der kommenden politischen Massenstreikkämpfe, die zu Vorstufen des Machtkampfes der Arbeiter wurden, eine große Rolle. Tormin spricht in seiner Arbeit von drei Kategorien der Räte. Außer den wirtschaftlichen Räten nennt er zwei spezielle Typen politischer Räte. Er verabsolutiert die beiden Hauptstadien der Entwicklung dieser Institution und konstruiert einen Gegensatz zwischen Räten, die als Kampforgane in Erscheinung traten, und den Sowjets, die in der zweiten Etappe der russischen Revolution Machtorgane der Arbeiter und Bauern wurden. Mit Hilfe dieses Schemas will er zeigen, daß nicht n u r die wirtschaftlichen „Räte" in Deutschland, sondern auch eine Kategorie der politischen Räte, deren Ansätze er in der Institution der revolutionären Obleute sieht, etwas völlig anderes als die Sowjets gewesen seien. In Deutschland gehörten f ü r ihn die Räte und die revolutionären Obleute „in die Kategorie der Revolutionsausschüsse", denen der Kampf um die proletarische Diktatur ferngelegen habe und die man nicht als Ausgangsform einer künftigen Arbeiterregierung bezeichnen könne, denn sie seien Organe für begrenzte Aktionen und von begrenzter Dauer gewesen. 4 8 Die Entwicklung der Sowjets wies jedoch auch in Rußland vor dem Sieg der Oktoberrevolution ähnliche Merkmale auf, wie Tormin sie in seiner besonderen Kategorie der politischen Räte nennt. Tormin versucht, die Rätebewegung in Deutschland gegenüber den Sowjets scharf abzugrenzen. Er behauptet, die Entwicklung der Räte in 46
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 30a, Bericht vom 1. März 1917 (S. 14), vom 21. März 1917 (S. 14), vom 31. März 1917 (S. 2). 46 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13581, Bl. 185—188* 47 Ernst Däumig: a. a. O., S. 4. 48 Walter Tormin: a. a. 0., S. 62, 7—8, 43.
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Deutschland sei in ihrem Wesen „kaum durch Einflüsse von außen bestimmt" worden. 4 9 Tormin will durch seine Darstellung beweisen, daß die deutsche Arbeiterklasse die Lehre von der Diktatur des Proletariats und die von den russischen Arbeitern und Bauern unter Führung der Bolschewiki herausgebildete praktische Form der Diktatur des Proletariats stets abgelehnt habe. 5 0 Demgegenüber muß betont werden, daß die Rätebewegung in Deutschland keine national abgegrenzte Erscheinung war. Sie entstand und entwickelte sich als ein Teil des Kampfes des internationalen Proletariats gegen den imperialistischen Krieg und für den Sozialismus. Ebenda, S. 130. «» Ebenda, S. 28, 61, 135, 137.
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16*
KAPITEL
NACH
III
DER FEBRUARREVOLUTION
DEUTSCHLAND
DIE ERSTEN
1. Die Räte im Aprilstreik
RÄTE
IN R U S S L A N D W E R D E N
IN
GEBILDET
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Im deutschen Proletariat fanden die Nachrichten vom Sturz des Zarismus begeisterten Widerhall. Das Beispiel der russischen revolutionären Massen in der Februarrevolution beschleunigte in Deutschland die Entfaltung von politischen Massenkämpfen. Im Gebiet des VII. Armeekorps (Münster) stellten die Militärbehörden Ende März fest, daß unter den Arbeitern der Generalstreik propagiert werde. Die Militärbehörde befürchtete, daß an die Stelle der wirtschaftlichen Streiks andere Kämpfe treten würden. Dabei wies sie auf die Revolution in Rußland hin und erklärte: „Die Geschichte lehrt, wie sehr derartige Bewegungen geeignet sind, ähnliche Tendenzen in den angrenzenden Ländern hervorgerufen." 5 1 Aus Kiel berichtete der Staatskommissar für Volksernährung, der Hauptgrund der Werftarbeiterbewegung in Kiel liege in der politischen Beeinflussung der Arbeiter durch die Arbeitsgemeinschaft (die spätere USPD), die versuche, die Arbeiter dem Einfluß der Mehrheitssozialdemokratie zu entreißen. E r betonte, es lasse sich eine „starke politische Unterströmung der augenblicklichen Unruhe in der Arbeiterschaft" nicht verkennen. In Berlin wurde eine ähnliche Bewegung unter den Metallarbeitern festgestellt; ein übergreifen der Bewegung auf andere Industriestädte wurde befürchtet. 52 Der sächsische Innenminister machte am 8. April seine Dienststellen auf die „immer mehr steigende Erregung" aufmerksam, die ihm „zu ernsten Besorgnissen Anlaß" gab. Als Ursache der Erregung nannte er die Notlage im Volke und „die politischen Umwälzungen im russischen Reiche, deren Einwirkungen auf unruhige Köpfe auch außer51 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/11, Bl. 85—86. " Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 82, 71, 92—93.
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halb Rußlands unverkennbar sind". 5 3 Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Berlin machte am 6. April darauf aufmerksam, daß „die Vorgänge in Rußland zu Versuchen" der Herbeiführung von „Demonstrationen gegen den Krieg und zu antimonarchischen Kundgebungen" Anlaß geben könnten. Es wurde angedeutet, daß der Krieg „den Charakter eines Kampfes gegen das herrschende System in Deutschland" annehmen könne. 54 Bei einzelnen Truppenteilen an der Ostfront fanden aus Berlin kommende Flugblätter der Spartakusgruppe Anklang. Mit Hilfe dieser Flugblätter wurde von den Linken „für sofortigen Friedensschluß im Anschluß an die russische Revolution Propaganda" getrieben. 5 5 Unter den deutschen Arbeitern war die russische Revolution Hauptdiskussionsthema. 5 6 In einer von Hunderten besuchten Versammlung des sozialdemokratischen Wahlvereins in Neukölln stand das Beispiel der russischen Arbeiter und Bauern im Mittelpunkt des Interesses. Einer der Diskussionsredner rief unter Beifall auf, sich jetzt, „wo- hier das ganze Volk nach Brot schreit", mit den Massen zu erheben. „Das Volk hat jetzt eine Stimmung, in der es zu allem fähig ist." Nun sei der Zeitpunkt gekommen, wo das Volk erkenne, daß es allein für den Kapitalismus verblute und ausgepreßt werde, daß die eigene Tat der Massen nur die Wende herbeiführen könne. 5 7 Die Bereitschaft der Unterdrückten zu politischen Aktionen war gegeben, ihre Stimmung war, wie Lenin feststellte, „dem Siedepunkt nahe". 5 8 Aber der Wille zum Handeln allein genügte nicht. Die Existenz einer organisierenden Kraft, die den Ausweg aus dem Krieg und der Knechtung zeigte und die konkreten Mittel und Maßnahmen als erste Schritte zum Ziel ihres Kampfes erklärte, war von gleich großer Bedeutung. Die Spartakusgruppe und die Bremer Linksradikalen waren die einzigen, die ehrlich um die Erfüllung dieser Aufgabe bemüht waren. Die große Rolle, die diesem organisierenden und Bewußtheit wie Richtung schaffenden Faktor zukam, wurde auch von den Behörden erkannt. Das geht beispielsweise aus Polizeiberichten hervor, die von Nachforschungen über den etwaigen Ausbruch revolutionärer Aufstände und von den Vorbereitungen, die in den Kreisen der Obleute für Streikkämpfe getroffen wurden, Mitteilung machten. Ende März faßten die Polizeistellen das Ergebnis ihrer Ermittlungen über die Möglichkeit von Revolutionskämpfen zusammen, wobei sie ihr Augenmerk besonders auf die Städte Stuttgart, Breslau, München, Berlin, Hamburg, Köln, Essen, Bremen, Osnabrück, München-Gladbach, Stettin, Düsseldorf und Duisburg richteten. Sie stellten fest, die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft, die sich als Opposition in der S P D Sächsisches Landeshauptarohiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071, Bl. 44. Brandenburgisches Landeshauptarohiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 5. » Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Bd. 1, Bl. 358. 68 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13581, Bl. 181. Richard Müller: a. a. O., S. 79. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 30a, Bericht vom 11. April 1917 (S. 11). 67 Brandenburgisches Landeshauptarohiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. T, Nr. 1, Bd. 3, Bl. 182—183. 58 W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 92. 58
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gebildet hatte, lehne überall öffentliche Aktionen „entschieden ab" aus Sorge, dadurch den Aufbau ihres Parteiapparates zu gefährden. Somit seien Aufstände nicht zu befürchten; denn erstens sei „der Einfluß der Arbeitsgemeinschaft zu stark, andernteils der der Linksradikalen zu schwach", durch die Verhaftung Liebknechts und Luxemburgs seien diese der entschiedensten Führer beraubt. 5 9 Die Erfahrungen hatten die staatlichen Organe gelehrt, daß der Kampfeswille und dessen spontane Äußerung in Bahnen gelenkt werden konnten, die den Bestand der bürgerlichen Ordnung nicht gefährdeten. Voraussetzung dafür war allerdings die Vorherrschaft der reformistischen Helfershelfer der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung. Die Tätigkeit der Linken und die Nachrichten von bevorstehenden weiteren Verschlechterungen der Lebenslage der Werktätigen bewirkten ein weiteres Anwachsen des Einflusses der Spartakusgruppe und nötigten die Behörden, die Ende März von den Polizeistellen getroffene Einschätzung zu korrigieren. Die russische Revolution trug zu diesem Fortschritt bei, weil durch ihr Beispiel den Massen erleichtert wurde, sich von der Demagogie der Sozialchauvinisten zu lösen. 6 0 Die fortschreitende Radikalisierung unter den Anhängern der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, der Ausschluß der Arbeitsgemeinschaft aus der SPD und die Aufforderung der Spartakusgruppe zur organisatorischen Trennung von den Sozialchauvinisten führten Anfang April 1917 zur Gründung einer neuen Partei, der USPD. Diese Partei unterließ es, aus der erfolgten Trennung von der SPD „die notwendigen Konsequenzen zu ziehen", und behinderte die Anwendung der richtigen proletarischen „Taktik des revolutionären Kampfes gegen die .eigene' Regierung". 6 1 Haase, Dittmann, Ledebour u. a. Führer der USPD lehnten auf dem Gründungsparteitag die Erörterung der ideologischen und theoretischen Probleme, der Fragen des Weges zum Sozialismus als „Zeitverschwendung" ab. Neue Beschlüsse zu fassen, die der Partei und dem Proletariat Richtlinien f ü r die Aufgaben in den kommenden Kämpfen geben sollten, bezeichnete Dittmann als unmöglich, da alles „zu sehr in Fluß" sei. Er und Ledebour wollten die Lösung dieser brennenden Fragen auf die Zeit nach dem Kriege hinausschieben. Diese Führer wollten die neugegründete Organisation nicht zu einem revolutionären Kampfbund, zu einer Partei neuen Typus machen. Ledebour hielt es für ein fruchtloses Bemühen, das Proletariat belehren zu wollen. Erkenntnisse zu gewinnen und danach zu handeln, sollte seines Erachtens dem Proletariat selbst überlassen werden. Die Partei habe in Massenaktionen nur zu „versuchen, den Zeitereignissen zu folgen, die Aktionen zu vertreten und zu verteidigen, wo die Notwendigkeit es erfordert". Aber selbst diese Nachtrabpolitik sah er als Ausnahmefall an, er stellte die parlamentarische Betätigung in den Vordergrund. Während die Bereitschaft bei den Massen zu außerparlamentarischen Kämpfen unter dem Eindruck der russischen Revolution stark angewachsen war und Organisationsformen — ähnlich
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Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/11, Bl. 88—97. 60 W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 25. Ebenda, Bd. XX/2, S. 126—127. « Ebenda, Bd. XXI, S. 126—127.
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den Sowjets — entstanden waren, redete Ledebour über die Unentbehrlichkeit der bürgerlichen Parlamente. Die von der Arbeiterklasse geplante Aktion und die zu ihrer Durchführung geschaffenen speziellen Kampforgane waren Ledebour nicht wichtig; ihn interessierte vielmehr die „bessere Ausgestaltung" der bestehenden Parlamente. Als Ziel wurde von ihm nicht die Zerschlagung des alten Staatsapparates bezeichnet, sondern „eine möglichst ausgedehnte Beteiligung aller Männer und Frauen" an den bestehenden Körperschaften, Verkürzung der Legislaturperiode und die Ergänzung durch das Referendum. 6 2 Mit Recht wiesen einige Vertreter der Linken darauf hin, daß diese Politik keinen grundlegenden Gegensatz zur Bourgeoisie und zur Politik der Führer der SPD beinhalte. 6 3 F.s gab in Deutschland keine andere Politik, die den Interessen des Proletariats und der Entwicklung ihrer Kampforgane mehr entsprochen hätte als die von Spartakus. Rück aus Stuttgart und Heckert aus Chemnitz vertraten auf der Gothaer Tagung der USPD die Politik der Linken. Im Sinne der in der Broschüre von Rosa Luxemburg über die Krise der Sozialdemokratie dargelegten Leitsätze verfochten sie die Propagierung des außerparlamentarichen Kampfes gegen die herrschenden Klassen und ihre Regierung. Heckert betonte, daß die Epoche f ü r „eine Partei des Handelns'" angebrochen sei, die „jetzt die Weltgeschichte verändern" müsse. Es sei nötig, an die Stelle der alten Parteibeschlüsse neue zu setzen. Die Tätigkeit im Parlament dürfe nicht der Inhalt der Politik sein, sie müsse vielmehr — und Heckert hob hier die vorbildliche Haltung der Bolschewiki in der 2. und 4. Duma hervor — das einzige Ziel haben, die Aktivität der Massen voranzutreiben. Er wies auf die Reife der „ökonomischen Verhältnisse für die sozialistische Umwälzung" hin, die nur durch das Handeln des Proletariats selbst herbeigeführt werden könne. Statt der Einrichtung von Schiedsgerichten, die die Führer der USPD zur Gewährleistung des Friedens priesen, statt der Aussöhnung der gegnerischen Imperialistengruppen forderten die Linken den Klassenkampf gegen den Krieg, die Vorbereitung der Massen zur Revolution. In der Stellung zu den Grundfragen, zum Imperialismus, zum Krieg, zum Parlamentarismus und zu Massenaktionen, wurde von den Vertretern der Spartakusgruppe ihr Gegensatz zur Politik der USPD hervorgehoben. 84 Die Anhänger der Spartakusgruppe vertraten ein Kampfprogramm. Sie wandten sich immer wieder gegen die Halbheiten der Zentristen, erkannten aber nicht, wie Lenin in seiner Kritik an den Leitsätzen der Spartakusgruppe sagte, den Zusammenhang „zwischen dem Sozialchauvinismus" der SPD „und dem Opportunismus" der Zentristen. 6 5 Zwar sprach Heckert von der Notwendigkeit einer „Partei des Handelns", aber dennoch blieben die Spartakusleute als selbständige Gruppe der USPD angeschlossen und versäumten es, eine eigene festgefügte marxistische Kampfpartei auf82 Protokoll über die Verhandlungen des Gründungs-Parteitages der USPD vom 6. bis S.April 1917 in Gotha. Herausgegeben von Emil Eichhorn, Berlin 1921, S. 37, 9, 16,56, 52—56. 83 Ebenda, S. 23—27. M Ebenda, S. 20—23, 61—67. M W. I. Lenin: Über die Junius-Broschüre, in: Rosa Luxemburg: Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 1, Berlin 1955, S. 117—118.
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zubauen. Der Verzicht auf die Bildung einer eigenen Partei, das Verbleiben im Rahmen der zentristischen USPD erschwerte es den konsequentesten Vertretern des Proletariats, ein detailliertes Programm des Weges zur proletarischen Diktatur auszuarbeiten, „die systematischen, konsequenten, praktischen, bei jedem beliebigen Entwicklungstempo der revolutionären Krise unbedingt durchführbaren Aktionen, die in der Richtung der heranreifenden Revolution liegen", zu untersuchen, die revolutionären Losungen „bis zu Ende zu durchdenken". 6 6 Die deutschen Linken zeichneten sich aus durch ihre unbedingte Treue zu den Prinzipien des revolutionären Marxismus, durch ihren Bruch mit den Sozialchauvinisten, durch ihre unnachgiebige Feindschaft zum Imperialismus und zum bürgerlichen Staat und durch ihr Streben, den Kampf des Proletariats um seine Befreiung voranzutreiben. Das befähigte sie, im praktisch-politischen Handeln Entscheidungen zu treffen, die den Anforderungen des Klassenkampfes der Arbeiter am nächsten kamen, sich selbst zu entwickeln und den Vortrupp der Bewegung zu bilden. Ihr Blick wandte sich auf die Momente, die zur Beschleunigung der Aktion und des Sieges ihrer Klasse führen konnten. Sie begrüßten daher die Taten de» russischen Proletariats und nannten deren Beispiel in Flugblättern und Aufrufen ein „leuchtendes Fanal" für die Arbeiter aller Länder, einen „Anschauungsunterricht, was die Proletarier wollen müssen und was sie erreichen können". 67 Während die zentristischen Führer die Anwendung der in Rußland bewährten Formen des konsequenten Klassenkampfes auf Deutschland ablehnten, benutzten die Linken den russischen „Anschauungsunterricht" zur Wachrüttelung der Massen. Sie bekannten sich zu dem in der Revolution geschaffenen System der Räte und widmeten ein Sonderheft der Spartakusbriefe (Nr. 5, vom Mai 1917) der Veröffentlichung von Dokumenten der Sowjets. 6 8 Diese Dokumente sprachen von Agitationsmethoden f ü r den Kampf gegen die zaristische Regierung, vom Vorgang der Wahl der Räte der Arbeiter und Soldaten, von ihren Appellen an die Völker der Welt zu Aktionen f ü r den Frieden und zum Sturz der Regierungen der Kriegspolitik. Da aber die Sowjets der ersten Etappe der Revolution von menschewistischen Führern beherrscht waren, mit der bürgerlichen Regierung paktierten, die Machtergreifung des Proletariats ablehnten, waren die Erklärungen und Aufrufe der Räteführer in wesentlichen Punkten inkonsequent und irreführend. Doch schon in den knappen Kommentaren zu den Dokumenten hob Spartakus die Notwendigkeit hervor, daß in Rußland und in den anderen Staaten „die Völker ihr Schicksal selber in die Hand nehmen, ihre durch und durch verlogenen Regierungen samt ihren Helfershelfern stürzen" müssen, um die .,Herrschaft der Demokratie" zu errichten. 6 9 Sie sahen in dem in Rußland Erreichten nicht das Endziel, sondern erkannten, daß es die Aufgabe der russischen Arbeiter und Bauern sei, die „ausschlaggebende Stellung" des Proletariats zu erkämpfen, sich gegen die zur Herrschaft gelangte eigene Bourgeoisie zu wenden, den Umfang und 66
Ebenda, S. 119, 132—133, 135. "7 Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 173—175. 88 Spartakusbriefe, (Neudruck). Herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), Berlin 1920, S. IV, 90ff. 69 Ebenda, S. 100.
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Radikalismus der Klassenaktionen zu steigern und „alle noch unklaren, vom bürgerlichen Nationalismus genasführten Schichten" mitzureißen oder niederzuwerfen. Diese Einschätzung der Entwicklung in Rußland durch die Spartakusgruppe enthält einige Punkte, die auch in der Politik der Bolschewiki gegenüber den Räten eine wichtige Rolle spielten. Vom deutschen Proletariat forderten die Linken, durch revolutionäres Handeln eine „Machtposition der deutschen ,Arbeiter und Soldaten' im eigenen Hause" zu errichten, und erklärten: „Mit den deutschen ,Arbeitern und Soldaten' wäre der Friede sofort geschlossen und auf granitene Basis gestellt." 7 0 Die in der Februarrevolution wiedererstandenen Räte fanden auch bei den Linksradikalen größte Beachtung. Sie sahen in den Sowjets in Rußland das „aus den Massen herauswachsende Instrument ihres Kampfes" gegen „die noch lebendigen Kräfte des alten Regimes wie gegen das neue Regime der Bourgeoisie". Die Bremer Linken erkannten, daß es Aufgabe der Sowjets sein müsse, „den Verwaltungsapparat in die Hände" zu nehmen. Diese neue Macht bildete f ü r sie einen Gegensatz zur englischen und amerikanischen Form der Demokratie, wo das Trustkapital die Staatsmaschine beherrsche. 7 1 Deutlicher als in den Spartakusbriefen wurde in der Presse der Linksradikalen die Vorherrschaft der Sozialchauvinisten und Zentristen in den Sowjets und deren für die proletarischen Interessen schädliche Politik, die Aufgabe des Zurückdrängens des Einflusses dieser Kräfte in den Räten und die führende Rolle der Bolschewiki in diesem Kampf dargelegt. 72 Die Erfahrungen der Februarrevolution hatten die deutschen Linken befähigt, schneller erste Ansätze zur konkreten Lösung der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse zu finden. In illegalen Flugblättern und Zeitungen, die über die Frontlinie oder auf anderen Wegen nach Deutschland geschafft wurden, gaben die Bolschewiki Hinweise zur Förderung des Klärungsprozesses im deutschen Proletariat. 7 3 Bei den spontan an der Ostfront stattfindenden Verbrüderungen waren sie bestrebt, die Arbeiterrevolution und deren Instrument, die Räte der Arbeiter und Soldaten, als den Weg zum dauerhaften Frieden zu erklären. 7 4 Im Aprilstreik 1917 entstanden zum ersten Male in Deutschland im Verlauf der Aktion Arbeiterräte. Walter Tormin spricht in seinen Ausführungen zu dieser Frage davon, daß sich hier ein „noch kleiner Teil der deutschen Arbeiterschaft" die Form des Rätegedankens zu eigen gemacht habe, die durch Begrenzung auf einzelne Aktionen von beschränkter Dauer gekennzeichnet sei; von besonders radikalen Forderungen sei nirgends die Rede gewesen. 7 5 Nicht Vorstufen eines Machtkampfes der Arbeiter, sondern eine Entwicklung zur angeblich spezifisch deutschen Form der Räte, die in ihrem Wesen nichts 70
Ebenda, S. 87—89, 90ff. „Arbeiterpolitik", Wochenschrift für wissenschaftlichen Sozialismus, (Bremen), Nr. 15, vom 14. April 1917, Nr. 16, vom 21. April 1917, Nr. 18, vom 5. Mai 1917. 71 Ebenda, Nr. 16, vom 21. April. 1917. 73 Ernst Drahn und Susanne Leonhard: Unterirdische Literatur im revolutionären Deutschland während des Weltkrieges, Berlin 1920, S. 118ff. 74 W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 357, 410—412. 76 Walter Tormin: a. a. O., S. 46, 45. 71
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mit der russischen gemein habe, sieht Tormin in diesen Geschehnissen. Untersucht man jedoch die Akten, die über den Verlauf des Aprilstreiks Auskunft geben, so erhält man ein anderes Bild. Aus ihnen erhellt außerdem, daß die „politischen Wünsche " der Arbeitermassen durchaus nicht mehr mit den Losungen der Führung der SPD und der Reichstagsmehrheit übereinstimmten und es sich keineswegs lediglich um Unterschiede in den Methoden zur Verwirklichung dieser Losungen handelte, wie das von Rosenberg noch deutlicher als von Tormin behauptet wird. 76 Die Darstellung, die Rosenberg vom Aprilstreik gibt, bewertet die Bewegung in Berlin als „Proteststreik gegen die unzulängliche Lebensmittelversorgung". Die Arbeit sei wieder aufgenommen worden, nachdem f ü r die nächsten Wochen wieder mehr Fleisch, Brot und Kartoffeln versprochen wurden. Nur in Leipzig seien „sieben zum Teil politische Forderungen" von den Streikenden aufgestellt worden. 7 7 Geschichtliche Tatsache ist jedoch, daß die Bestrebungen der Führer der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, den Streik in Berlin auf wirtschaftliche Zielsetzungen zu beschränken, erfolglos blieben. Während die in Leipzig gebildeten Räte unter Führung der Zentristen standen und sich Verhandlungen und Vereinbarungen mit der Regierung zum Ziele setzten, ging die Rätebewegung in Berlin noch über dieses Stadium der Entwicklung hinaus Aber auch in Leipzig war es zum mindesten der „radikale" Teil der Arbeiterklasse, der die Bewegung auf einen Machtkampf hinzulenken suchte. Die staatlichen Organe und ihre Helfershelfer in der Arbeiterbewegung allerdings entwickelten schon während der Zeit der Vorbereitung des Streiks große Geschäftigkeit, um die Bewegung auf solche Ziele zu lenken, die den Losungen der sozialdemokratischen Führung nicht widersprachen. Rosenberg und Tormin stellen also das Vorhaben als vollzogene Tatsache hin. Auf einer Sitzung des Staatsministeriums am 5. April 1917 wurde über Mittel zur Abwendung großer Streiks, Unruhen und schwerer innerer Kämpfe beraten. Die politische Situation wurde als zugespitzt und äußerst ernst für den Staat bezeichnet; der Innenminister stellte fest, die russische Revolution habe „eine geradezu berauschende Wirkung geäußert". Es sollten energische Schritte zur festen Führung der Staatsregierung getan werden; denn „sonst würden ihr die Zügel entgleiten und niemand könne wissen, wohin wir treiben würden unter den Einwirkungen, welche die russische Revolution und die amerikanische Kriegserklärung auf Deutschland ausübe". Auch der Justizminister sprach über die Einflüsse der Umwälzung im Osten und erwartete vom übergreifen der revolutionären Ideen den „größten Ansturm". Er hielt es f ü r nötig, „Maßnahmen zu ergreifen, die einem solchen Treiben den Wind aus den Segeln" nehmen sollten. Staatssekretär Helfferich stellte fest, die politische Agitation, gestützt auf die Ernährungsschwierigkeiten und auf die revolutionäre Bewegung in Rußland, werde einen solchen Sturm hervorrufen, daß man seiner nicht mehr Herr werden könne, wenn die Regierung keine Vorkehrungen treffe. 7 8 Vertreter der Behörden hatten die Warnungen und Mahnungen der Führer der SPD, der Gewerkschaft 76 77 79
Arthur Rosenberg: a. a. O., S. 189. Ebenda, S. 188—189. Deutsohes Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 90a, B III 2b, Nr. 6, Bd. 166, Bl. 102—114.
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und der Zentristen im Reichstag oder bei anderen Gelegenheiten als zutreffend erkannt, die auf die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs von Kämpfen nach russischen Muster hingewiesen und geraten hatten, dieser Bewegung durch Reformen entgegenzuarbeiten. Man stellte in Behördenkreisen fest, daß die Gewerkschaftsfunktionäre „bereits a m Ende ihres Einflusses" waren. 7 9 Ebert und Scheidemann gestanden Wahnschaffe, nicht mehr in der Lage zu sein, den Streik abzubiegen, zumal die „Psyche des V o l k e s . . . namentlich auch seit der russischen Revolution" eine andere geworden sei. 8 0 Die staatlichen Organe verstärkten zur Abwehr der herannahenden Kämpfe ihre bewaffneten Kräfte und belieferten einige Industriegebiete in Westdeutschland und Sachsen mit erhöhten Lebensmittelrationen; außerdem wurden in der „Osterbotschaft" des Kaisers politische Reformen versprochen. Das alles erleichterte vorübergehend die Agitation der SPD. Durch ihre Propaganda in Presse und Versammlungen suchten die rechten Partei- und Gewerkschaftsführer noch vor Beginn des Streiks die Bewegung abzuwiegeln und wirtschaftliche Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Doch breite Kreise der Arbeiterschaft drängten trotzdem zum Handeln. 8 1 Die revolutionären Obleute und einzelne Vertreter der Arbeiterausschüsse entfalteten eine rege Agitation zur Vorbereitung des Streiks. Die Führer der USPD, die maßgeblichen Einfluß auf die Leitung der Obleute hatten, ließen sich von der Massenstimmung treiben und wiesen den Arbeitern keine über den zum 16. April, dem Tag des Inkrafttretens erneuter Kürzung der Brotration, geplanten Streik hinausgehenden Ziele. Sie glaubten nicht an den Erfolg der Bewegung. 8 2 Die Zentristen behandelten dieses wichtige Problem der Vorbereitung und Planung der Kämpfe auf einer kurzen Nebenkonferenz während des Gründungsparteitages der USPD in Gotha, 8 3 obgleich das die Kernfrage des Gründungsparteitages hätte bilden müssen. Die zentristischen Führer wollten dem Entscheidungskampf ausweichen. Sie begnügten sich auch bei den weiteren Besprechungen im Kreise der Obleute Leipzigs mit dem Austausch von Stimmungsberichten und Informationen und warnten vor ausführlichen Diskussionen über die geplanten Schritte. Diese wurden in Leipzig erst a m 15. April besprochen. Aber auch da beschäftigte man sich nur mit der Benennung von Versammlungsrednern und -leitern und einer Delegation, die dem Reichskanzler die Forderungen der Streikenden unterbreiten und mit den Berliner Arbeitern Fühlung aufnehmen sollte. Es wurde auch die Vorlage einer Resolution beschlossen, die später von den Streikenden angenommen wurde. 8 4 In Berlin hielten es die Führer der USPD 79 Ebenda, Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 30a, Bericht vom 11. April 1917 (S. 8), vom 31. März 1917 (S. 6ff.). Erich Otto Volkmann: Der Marxismus und das deutsche Heer im Weltkriege, Berlin 1925, S. 287. 80 Philipp Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten, Dresden 1928, Bd. 1, S. 400. 81 Richard Müller: a. a. O., S. 79—80. Hermann Liebmann: Der erste Arbeiterrat in Deutschland, in:, .Leipziger Volkszeitung", Nr. 252, vom 8. November 1919. 82 Richard Müller: a. a. O., S. 80. 8 i Hermann Liebmann: a. a. O. 81 Ebenda.
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sogar für richtig, ohne vorherige Einigung über die Aufgaben des Streikkampfes im Kreise der Gewerkschaftsleitung auf der Generalversammlung der Metallarbeiter am 15. April die Fragen des Streiks zu besprechen. Zwar gelang es der Gewerkschaftsbürokratie nicht, den Willen zum Streik zu lähmen, wohl aber konnte sie anfangs die Bewegung von politischen Zielsetzungen abbringen und die Bildung einer Kominission für Verhandlungen über Ernährungsfragen zum Hauptanliegen der Obleute machen. 8 5 Auch hier wurde von der zentristischen Leitung der Obleute eine eingehende Aussprache über die strategischen und taktischen Probleme unterlassen. 8 8 Die Kampfstimmung breiter Kreise der Arbeiterklasse und der Obleute wurde von den Führern der USPD nicht gefördert. Die politische Unerfahrenheit der Massen ermöglichte es den Zentristen, die Arbeiterräte in ihre Hand zu bekommen und sie zu Körperschaften für Verhandlungen mit der Staatsbehörde zu machen, zu Organen für begrenzte Aktionen, wie es bei Tormin heißt. Aus den Berichten der Behörden über Entstehung und Fortgang des Streiks läßt sich schlußfolgern, daß die Politik der Führung der USPD teils absichtlich, teils ungewollt die Abwehr weitergehender Tendenzen im Volke und unter den Obleuten zum Inhalt hatte. In einem Schreiben der Sächsischen Gesandtschaft in Berlin teilte Nostiz am 12. April mit, die tägliche Agitation der Spartakusgruppe, deren Aufrufe „direkt revolutionären Charakter" trügen und „Anweisungen für den Weg, den die aufständische Bewegung gehen soll", enthielten, finde Anklang. Es sei bedauerlich, daß die Gewerkschaftsbeamten „faßt allen Einfluß auf die Massen verloren haben, die vielfach unter dem Einfluß radikalster Hetzer stehen". Diesen Zustand stellte er nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg und in den rheinisch-westfälischen und sächsischen Industriebezirken fest. 8 7 Die Obleute waren gewillt, die Kräfte zu unterstützen, die die Massen zum politischen Kampf zu führen versprachen. Sie beteiligten sich daher auch an der Verbreitung der Spartakusflugblätter. 88 Auch unter Mitgliedern der SPD wurde den Losungen der Linken zugestimmt, und die Meinung griff Platz, kein Sozialdemokrat dürfte der Bewegung in den Rücken fallen. 8 9 Die Polizeibehörden sahen in den Linken die eigentlichen Initiatoren der Streikkämpfe. 9 0 Von einem der Obleute, dem Dreher Kronenthaler aus den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Berlin-Wittenau, ermittelte die Polizei beispielsweise: „In seinem Arbeitsbetriebe bekleidet er die Funktion eines Obmannes, zu der Richard Müller: a. a. O., S. 81—82. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 72. 87 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071 Bl. 91—92. 88 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 383. 89 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 30a, Bericht vom 21. April 1917 (S. 11, 13). 90 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 218, 221—223, 224, 227, 229, 260—261, 413, 535, 473—474. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, Io, Nr. 2, Bl. 201. 85 84
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er nur infolge seines radikalen Verhaltens von seinen Arbeitskollegen gewählt worden i s t . . . Er ist mit noch 2 Arbeitskollegen (Peters und Fischer) der eigentliche Leiter der Streiks in seinem Betriebe, welches seine Arbeitskollegen bestätigen werden." Von dem Mitglied des Arbeiterausschusses in den Munitionsfabriken in Charlottenburg, dem „Anhänger Liebknechts" Anton Fleck, der als Schlosser tätig war, hieß es, er gehöre zu denen, die „die Arbeiter schon vor Beginn des Streiks aufwiegelten und den Streik mit vorbereitet haben". Er übe auf seine Kollegen einen „großen Einfluß" aus. 9 1 Das Polizeipräsidium hatte bereits vor dem Streik erkannt, daß die Obleute eine große Autorität in den Fabriken unter ihren Kollegen besaßen und „als tonangebend f ü r die gesamte Arbeiterschaft" galten. 9 2 Die Polizeiberichte über die Tätigkeit der Obleute bei der Vorbereitung und Durchführung der Streikbewegung bestätigen diese Einschätzung. 9 3 In allen Berliner Großbetrieben hatten diese „radikalsten Elemente" „die Oberhand". 9 4 Bezüglich der Lage in den Deutschen Waffenund Munitionsfabriken stellte das Kriegsministerium fest, daß „nur durch vollständige Erneuerung des Arbeiterkörpers" eine Änderung der Stimmung erzielt werden könnte. 9 5 Vielfach wagten die Kapitalisten keine offene Denunziation der Obleute bei den Behörden, weil sie befürchten mußten, die strafweise Einberufung oder Verhaftung der Vertrauensmänner werde zu Sympathiestreiks f ü r die Bestraften führen. 9 6 Auch Rosenberg gesteht in seiner Darstellung zu, daß die Obleute „immer die Stimmen und Wünsche der Massen im Betrieb getreu wiedergaben" 9 7 . Doch zur Begründung seiner Wertung des Aprilstreiks bezieht er sich nur auf das Leipziger Programm und läßt unberücksichtigt, daß die Obleute, die überall die Politik der SPD bekämpften, eine sehr große Rolle im Verlauf der Kämpfe spielten. Verschiedene Polizeiberichte betonten, daß diejenigen, die in den Fabriken die Losungen der Reichstagsmehrheit zu verfechten suchten, energisch von ihren Kollegen zurückgewiesen wurden. Eine Meldung der Abteilung Außendienst des Berliner Polizeipräsidiums wies darauf hin, daß solche Arbeiter, die sich „auf dem Boden der sozialdemokratischen Parteimehrheit halten" und sich dem Kampf nicht anschließen wollten, „rücksichtslos in den Fabriken terrorisiert" wurden. 9 8 Ein großer Teil der Obleute war gewillt, den Frieden in der von Spartakus propagierten Weise zu erkämpfen. 9 9 Viele Obleute hatten sich für die Verbreitung der Flugblätter der Linken eingesetzt. Die Mehrheit dieser Vertrauensmänner hatte gemeinsam mit den Spartakusleuten im Kampf gegen die Abwiegelungsversuche der sozialdemokratischen Führer 91 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 38, 193. 82 Deutsohes Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, Io, Nr. 2, Bl. 201. 93 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 535. 94 Ebenda, Bl. 413. 95 Ebenda, Bl. 2. 98 Ebenda, Bl. 299, 413. 97 Arthur Rosenberg: a. a. O., S. 188. 98 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 197 A, Io, Nr. 2, Bl. 202. *9 Ebenda, Bl. 201.
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die Herbeiführung des Streiks durchgesetzt. Sie hatten damit die „Stimmen und Wünsche der Massen" zum Ausdruck gebracht und keineswegs in Ubereinstimmung mit den Plänen der Reichstagsmehrheit gehandelt, wie Rosenberg in seiner Darstellung behauptet. Wollte die Führung der USPD ihren Einfluß behaupten, dann mußte sie den Stimmungen in der Arbeiterschaft und in den Kreisen ihrer Mitglieder Rechnung tragen. Auf den Streikversammlungen in Leipzig-Stötteritz zeigte es sich z. R. am 16. April, daß jedes Remühen, die Wiederaufnahme der Arbeit zu bewirken, auf den einmütigen Widerstand der Arbeiter stieß. Der von der USPD benannte Leiter einer der Massenversammlungen, der Gewerkschaftsangestellte Lieberasch, konnte mit seinem Rericht über Verhandlungen mit dem Kriegsamt wegen besserer Lebensmittelversorgung und mit Ermahnungen zur Ordnung nicht zur Reruhigung beitragen. Die Ausführungen des Vertreters der USPD Lipinski dagegen, der erklärte, es gelte, nicht nur die Lösung der Kohlrübenfragen, sondern die Beendigung des Krieges durchzusetzen, fanden ebenso lebhaften Beifall wie die Forderungen nach Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur, nach Freilassung der wegen politischer Angelegenheiten Verurteilten. Zwischenrufe aus der Versammlung zeigten, daß die Arbeiter zum konsequenten politischen Kampf bereit waren. Zwar sprach Lipinski von dem Beispiel des russischen Proletariats, von den Sowjets und ihren Aufrufen, aber als das Beispielgebende bezeichnete er das in Rußland nunmehr bestehende „demokratische Regiment". Als den Weg zum Frieden nannte er die Einführung dieser Demokratie durch die deutsche Regierung, die Annahme des gleichen Wahlrechts. Es war die Tendenz seiner Ausführungen, die Bewegung auf das Ziel bürgerlicher Reformen, auf die „Demokratisierung" des imperialistischen Staates 1 0 0 zu begrenzen. Allerdings war die Taktik der zentristischen Führer schwer von den Massen zu durchschauen; denn sie verwirrten die Arbeiter durch eine scheinradikale Phraseologie. Ein typisches Beispiel dafür waren die Ausführungen des Redners der USPD Liebmann in der Parallelversammlung in Leipzig-Stötteritz. Er sagte, dem Bericht des Uberwachungsbeamten zufolge: „Im Osten leuchte die lodernde Flamme der Revolution, während die deutschen Arbeiter sich noch unter dem Joche beugten. . . . Es müsse ein Arbeiterrat gebildet werden, der in den nächsten Tagen zu beraten habe. Es müsse dafür gesorgt werden, daß diese Leute an die richtige Schmiede gingen." 1 0 1 Aber nicht nur die Tatsache, daß sich die Führer der USPD in ihren Reden revolutionär gebärden mußten, um ihren Einfluß auf die Arbeiter zu erhalten, zeugt von dem Willen der Massen zu weitergehenden Kämpfen. Dafür spricht auch die Forderung an die Regierung, sich „zur sofortigen Friedensbereitschaft unter Verzicht auf jede offene oder versteckte Annexion" zu bekennen. Auch die Forderung nach Befreiung der politisch Inhaftierten und die Bildung von Arbeiterräten, die der „wirksamen Vertretung der Arbeiterinteressen" dienen sollten und zur Berichterstattung über ihre Verhandlungen mit den Staatsorganen verpflichtet wurden, 1 0 2 sprechen für die Auf1 0 0 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071, Bl. 119 fi. 101 Ebenda, Bl. 129. 102 Ebenda, Bl. 107, 120.
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fassung, daß die Arbeiter nicht lediglich Wahlrechtsreformen wünschten. Den Arbeitern war großenteils bekannt, daß die genannten Forderungen auch vom russischen Proletariat erhoben worden waren. Die „Leipziger Volkszeitung" hatte z. B. in der Zeit bis zum Beginn des Streiks darüber berichtet und einige Meldungen über die Räte in Rußland veröffentlicht. Wenn die Streikenden in Leipzig diese Forderungen aufgriffen und gleichfalls Räte bildeten, dann läßt sich daraus schlußfolgern, daß ein großer Teil der Arbeiter bereit war, dem Beispiel der russischen Revolutionäre nachzueifern. Nach der Ausdehnung des Streiks wurden auch in anderen Orten Sachsens die Forderungen und die Resolution von Leipzig-Stötteritz angenommen. Diese Forderungen boten im wesentlichen eine geeignete Grundlage f ü r die Sammlung der Massen zum Kampf. Denn die Zielsetzung mußte dem Reifegrad des politischen Bewußtseins eines großen Teils des Volkes Rechnung tragen, d. h. naheliegende politische Aufgaben nennen. Im Kampf um die Verwirklichung solcher Forderungen hätten breite Kreise der Massen zum aktiven Handeln gewonnen werden können. Die Erkenntnis über den Klassencharakter des Staates und seiner Organe und über die Notwendigkeit des Ubergangs zu weitergehenden Zielsetzungen wäre damit gewachsen. Doch f ü r die Führung der USPD waren die Forderungen keine Teilziele, sondern das oberste Ziel. Sie wollte keinen Staat der Arbeiter, sondern die „Demokratisierung" des bestehenden, wie Ledebour in Gotha erklärt hatte. Die USPD mobilisierte daher nicht die Arbeiter zum Kampf für die Forderungen, nutzte nicht die Berichterstattung der Räte über das Ergebnis von Verhandlungen mit den Behörden zur Aufklärung der Massen, sondern glaubte oder suchte bei den Streikenden glauben zu machen, ein Handeln im Sinne der Forderungen könne durch die Regierung erfolgen. Wenige Tage zuvor hatte Ledebour in Gotha als das Wesentliche der Politik seiner Partei herausgestellt, daß „das Hauptmittel des politischen Kampfes f ü r uns eben die parlamentarische Betätigung ist". 1 0 3 Diese Schwäche erkannten auch die Behörden. Die Kreishauptmannschaft Leipzig stellte in einer Einschätzung der Situation fest, daß es den Streikenden „weniger um die Erreichung wirtschaftlicher Ziele, als um eine politische Machtprobe" ging. Als Fürsprecher dieser Politik wurde die Spartakusgruppe genannt. 1 0 4 Auf Grund der Verhandlungsbereitschaft der Führer der Zentristen und Gewerkschaft ließen die Behörden von geplanten Zwangsmaßnahmen gegen die Räte und Streikkomitees ab. Die Verhaftung der Streikführer unterblieb, da sonst leicht „die Leitung über die Massen verloren" gehen, ein Anwachsen der „Gefahr von Unruhen" und eine wesentliche Erschwerung für „ein Verhandeln mit den Beteiligten" eintreten konnte. 1 0 5 Selbst lokale Verwaltungsstellen sahen, daß die Bestrebungen der Massensich nicht mit denen der Führer deckten. Staatsrekretär Helfferich bezeichnete die 103
S. 52. 104
Protokoll über die Verhandlungen des Gründungs-Parteitags der USPD . . . , » . » . O.,
Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071,. Bl. 134. 105 Ebenda, Bl. 147—148.
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Streiks in Sachsen als den „Anfang einer revolutionären Bewegung", den er „insbesondere in dem geplanten Arbeiterrat" erblickte. In der Reichsregierung wurde ein Vorgehen „mit aller Schärfe und auf jede Gefahr hin" erwogen. In einer Besprechung mit Legien, Ebert, Bauer und Scheidemann überzeugten sich die Regierungsvertreter, daß es klüger sei, keine direkten Gewaltmittel anzuwenden und keine Verhaftung der Räte vorzunehmen, sondern erst zu versuchen, sie f ü r Verhandlungen über Ernährungsfragen zu gewinnen. Das Oberkommando in den Marken unterstützte die von den Führern der SPD empfohlene Taktik. Sie wurde auch angewandt. 1 0 6 Der Leipziger Arbeiterrat entsandte Vertreter nach Berlin zu Verhandlungen mit dem Reichskanzler. Sie gaben in ihrer Unterredung mit dem Leiter des Ernährungsamtes, Batocki, und dem Chef des Kriegsamtes, Groener, die politischen Forderungen, deren Durchsetzung erzwungen werden sollte, schnell preis und erklärten sich mit Erörterungen über Ernährungsfragen zufrieden. 1 0 7 Die Verhandlungspolitik der Führer der USPD lähmte die Aktivität der Massen. Damit wurde den reformistischen Gewerkschaftsleitungen ermöglicht, die Bewegung auf Lohnfragen zu lenken. Die Unternehmer waren dabei gern bereit, durch kleine Konzessionen die kritische Situation zu überwinden. Selbst zu diesem Zeitpunkt befürchteten die Behörden, daß die Anhänger der Spartakusgruppe „die Oberhand gewinnen" könnten, „die die Angelegenheit zu einer politischen Machtfrage stempeln . . . " möchten. 108 Durch demagogische Erklärungen und kleine Zugeständnisse gelang es den Gewerkschaftsleitungen, den Abbruch des Streiks in Sachsen herbeizuführen. Dadurch wurde auch die vorgesehene Rechenschaftslegung der Arbeiterräte umgangen und eine etwaige Neuwahl und Entwicklung dieser Institutionen zu einem Kampforgan f ü r weitergesteckte politische Ziele verhindert. In diesem Sinne hemmte die Führung der USPD auch in Berlin die Streikkämpfe der Arbeiter und suchte hier ebenso die entstehenden Räte in Beschwerdekommissionen zu verwandeln. Als am 16. April in Berlin über 200 000 Arbeiter dem Streikbeschluß der revolutionären Obleute folgten, gelang es den rechten und zentristischen Führern nicht wie in Leipzig, Demonstrationen zu verhindern. Polizeieinheiten wurden eingesetzt, um die Züge, die zum Teil in Stärke von 5000—12 000 Teilnehmern heranrückten, vom Stadtinnern abzudrängen. 1 0 9 Die Streikenden gaben sich mit dem Ergebnis der Vereinbarungen zwischen einer Deputation und dem Kriegsernährungsamt, d. h. mit Versprechungen der Behörde, nicht zufrieden, sondern forderten den politischen Kampf. Auch die Einrichtung einer ständigen Kommission beim Oberbürgermeister zur Mitarbeit in Fragen der Nahrungsmittelverteilung, die aus Vertretern der Deputation gebildet wurde, war nicht geeignet, die Arbeiter zum Streikabbruch zu bewegen. Das erklärte sich nur daher, daß viele Arbeiter instinktiv fühlten — und die Vertreter 10>
Ebenda, BI. 142—145. ' Ebenda, Bl. 183. 108 Ebenda, Bl. 150, 140. 109 Deutsohes Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 99.
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der Spartakusgruppe suchten das bewußt zu machen —, daß die gewohnte Form gewerkschaftlicher Ausstände ihnen nicht helfen konnte. Die Streiks der vergangenen Jahre hatten ihnen gezeigt, daß durch einzelne Lohnerhöhungen und andere wirtschaftliche Teilerfolge weder die rasch fortschreitende Verelendung noch die Kriegsschrecken abgewendet worden waren. Neue Kampfmethoden waren nötig, die sich gegen den Rahmen der bestehenden Ordnung richten mußten. In einzelnen Versammlungen wurde das auch von verschiedenen Streikenden ausgesprochen. Die Streikenden haben „jetzt die größte Macht, um sich gegen die besitzenden Klassen zu wenden", erklärte ein Arbeiter. Er rief den Versammelten zu, der nun wehende „Wind von Osten" müsse noch schärfer werden als der, der vor ca. 130 Jahren vom Westen kam. Zahlreiche Teilnehmer auf einer der von Tausenden besuchten Massenversammlungen, wo die Streikenden Richtlinien f ü r den Kampf zu erfahren wünschten, erhoben die Forderung: „Stürzt die Regierung!" 1 1 0 Auf einer Streikversammlung in Reinickendorf wurde von den Arbeitern eine eigene Deputation gewählt, die am nächsten Tage über ihre Verhandlungen mit Michaelis Rechenschaft geben sollte. 1 1 1 In diesem Fall haben die Arbeiter versucht, die Lösung der Probleme des Kampfes selbst zu finden. Die Gewerkschaftsführer, die anfangs die Bewegung in der Hand hatten, wurden schon in den ersten beiden Tagen von den Arbeitern beiseite gedrängt. „Sie handeln nach dem Grundsatz: ,Sind die Führer nicht f ü r uns, so sind sie gegen uns' und schalten damit die derzeitige Führerkaste ganz aus," meldete ein Polizeibericht am 17. April. 1 1 2 In einigen Großbetrieben wählten die Streikenden Räte als Kampforgane. In den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken wurden die von uns in anderem Zusammenhang bereits erwähnten revolutionären Obleute und Angehörigen der Spartakusgruppe, Kronenthaler, Fischer und Peters, als Arbeiterräte gewählt. 113 Die Führer der USPD hatten die Streikenden sich selbst überlassen, nichts zur Forcierung des Kampfes und zur Aufklärung beigetragen, sondern ihren Vertrauensleuten nur Anweisung gegeben, sie umgehend über neu auftretende Momente zu informieren, um sich dann „gegebenenfalls sofort zur Verfügung" zu stellen. 1 1 4 Sie versuchten, die Arbeiter auf die einzige Forderung festzulegen: Freilassung des einberufenen Führers der Obleute, Richard Müller. Aber die Vorgänge in den Großbetrieben zeigten, daß die Arbeiter mehr als nur einen Solidaritätsstreik wollten. Darum ging die Leitung der USPD zu einer anderen Taktik über. Sie drängte sich in den von den Arbeitern der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken gebildeten Arbeiterrat. Obgleich die Arbeiter „im allgemeinen sehr erstaunt" waren, daß ihren Führern „durch die Reichstagsabgeordneten Haase, Ledebour und Vogtherr die Streikleitung aus der Hand genommen wurde" — wie ein Spitzelbericht mitteilte 1 1 5 —, 110
Ebenda, Bl. 201, 153. Ebenda, Bl. 194. 112 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 330. 113 Ebenda, Bl. 38, 40, 41, 43, 45—47. 114 116 Ebenda, Bl. 313. Ebenda, Bl. 192. 111
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Revolutionäre Ereignisse
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durchschauten sie doch noch nicht, daß eine Beschränkung des Kampfes auf Verhandlungen mit dem Reichskanzler oder dem Kriegsernährungsamt erfolglos sein mußte und nur zur Aufgabe der bisher entwickelten eigenen Initiative führen konnte. Die Führer der USPD förderten nicht die Kampfstimmung der Arbeiter gegen die Regierung, sondern nährten die Illusion, man könne mit Hilfe des Staatsapparates der Großbourgeoisie Maßnahmen im Interesse der Volksmassen erreichen. In einer Reihe von Streikversammlungen, die am 18. und 19. April von Obleuten der Betriebe organisiert worden waren, trugen Dittmann, A. Hofimann, Ledebour, Vogtherr und Büchner die Leipziger Forderungen vor und agitierten für deren Annahme. Doch wie in Leipzig, so wurden auch hier die Arbeiter nicht zum Kampf für die Beschlüsse, sondern nur zum Ausharren im Ausstand, zum Abwarten bis zur Annahme der Leipziger Forderungen durch den Staat aufgerufen. 1 1 6 Es wurde von ihnen teilweise erklärt, „die Regierung müsse mit Gewalt durch den Streik gezwungen werden, den Krieg zu beenden". Aber das sollte keinesfalls eine Losung zur Entwicklung der Bewegung zum Machtkampf bilden; denn es wurde dabei auf „die näheren Beschlüsse" in den nächsten Tagen vertröstet, die beim Ausbleiben einer „Einigung mit der Regierung" gefaßt werden sollten. 1 1 7 Auf einer am 19. April von über 1000 Arbeitern besuchten Versammlung der Knorr-Bremse wurde beschlossen, den Kampf für die Freilassung der politisch Inhaftierten, für die Aufhebung des Vereinsgesetzes, des Belagerungszustandes und aller Beschränkungen der politischen Entwicklung sowie für die Beendigung des Krieges ohne Annexionen und Kontributionen zu führen. Die Ernährungsfrage spielte eine untergeordnete Rolle. Die Versammlung beschloß, aus den Arbeitern eines jeden größeren Betriebes einen sogenannten Arbeiterrat zu bilden"; dieser sollte dann „allein" mit der Regierung verhandeln. 1 1 8 Au» diesem Verhalten der Arbeiter ist ersichtlich, daß sie in diesem Fall kein Vertrauen mehr zur Führung der USPD besaßen. Sie übertrugen die Vertretung ihrer Forderungen, die gut geeignet waren, eine Basis für ein besseres Fortschreiten des politischen Kampfes zu bilden, den Besten aus ihren eigenen Reihen. In den Regierungsstellen wurde die Verschärfung der Streikbewegung mit Erschrecken beobachtet. Die Vorgänge der ersten Tage hatte sogar Groener „ruhig hingenommen". Das wurde anders mit der Wendung nach dem 18. April. Vor allem die „Einsetzung eines Arbeiterrates nach russischem Muster" veranlaßte ihn, den Einsaz der ganzen staatlichen Macht zu befürworten. Das Entstehen der Arbeiterräte und der wachsende Einfluß der Spartakusgruppe — der zusammenfassende Bericht an den Kaiser nennt zum Beweis der Gefährlichkeit das Auftauchen der Flugblätter Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12473, Bl. 193—-195. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 187. 117 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 258. 118 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 141. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 2, Bl. 473—474. 116
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der Linken — veranlaßten die Behörden, zu offener Gewaltanwendung überzugehen. 1 1 9 Die Lage war für den Staat um so prekärer, weil auch in Sachsen noch immer eine bedrohliche Situation bestand und im westfälischen Bergbaurevier auf 23 Zechen, in verschiedenen Textilbetrieben in Landshut (Bayern) und in den Schütte-Lanz-Werken in Baden umfangreiche Streiks ausgebrochen waren. Die Vertreter des Staates waren sich im klaren, daß die Mittel, „Aufständen erfolgreich zu begegnen", begrenzt waren; man konnte nicht gegen Tausende Gewalt und Strafen anwenden. Im wesentlichen konnte die Taktik der Herschenden nur darin bestehen — so wurde in einer Besprechung im Kriegsministerium festgestellt —, gegen die Führer scharf vorzugehen und „die Massen in geschickter Weise durch Verhandlungen" und durch die Presse und ähnliche Mittel „zur Vernunft" zu bringen. 120 Viele Mitglieder der Spartakusgruppe, eine große Zahl von revolutionären Obleuten und ein Teil der fortschrittlichen Arbeiterausschußmitglieder wurden inhaftiert oder einberufen. Die Spartakusgruppe hatte sich während des Streiks rastlos für dessen Zuspitzung zum Machtkampf eingesetzt. In der ersten Phase waren ihre Losungen noch unklar und verschwommen. 1 2 1 Für sie traf die Kritik Lenins zu, die als Hauptmangel der Sozialisten bezeichnete, daß sie zu allgemein zu den Massen redeten, „während man über die konkreten Schritte und Maßnahmen sprechen m u ß " . 1 2 2 Doch im Verlauf des Kampfes lernten die Linken bald, relativ konkrete Losungen aufzustellen. So forderte die Spartakusgruppe zu Beginn des Streiks schon Aufhebung des Belagerungszustandes und des Arbeitszwangs, Beseitigung der Zensur und der Vereins- und Versammlungsverbote und Freiheit für politisch Inhaftierte. 123 Ihr Flugblatt „Der Kampf dauert fort!", das während der Zeit der Verschärfung des Klassenkampfes verbreitet worden war, hatte schon die Frage der einzelnen Schritte zur Verwirklichung der Parole: Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! in den Mittelpunkt gestellt. Hier waren die schon vorher genannten Forderungen — zu ihnen war die nach sofortiger Einleitung von Friedensverhandlungen auf der Grundlage des Verzichts auf Eroberungen und Kontributionen hinzugefügt worden — ausdrücklich als die „nächsten Ziele, für die wir mit aller Macht kämpfen und Opfer bringen müssen", bezeichnet und den Arbeitern Hinweise gegeben worden, wie sie den Kampf täglich führen und ausdehnen sollten. Eindeutig war gesagt worden, daß dieses Programm nur die Ausgangsposition weitgehenden Vordringens sein konnte, daß von der Regierung, „der Sachwalterin der herrschenden Klassen", nichts im Interesse der Werktätigen zu erwarten sei, daß die Massen dazu befähigt werden müssen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. 119 Dorothea Groener-Geyer: General Groener, Soldat und Staatsmann, Frankfurt a. M. 1955, S. 56—57. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 15, Bl. 112—118. 120 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 2, Bl. 1—2. 121 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 97. 122 W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. X X / 1 , S. 334. 128 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 200.
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Als eines der nächsten Ziele war die „Organisation der Arbeiterklasse zur Erzwingung des Friedens und wirklicher politischer Freiheit" genannt worden. Es war im Zusammenhang damit die Aufgabe gestellt worden: „Schaffung zu diesem Zweck eines ständigen Delegiertenkörpers aus Vertretern aller Betriebe, der den Arbeiterkampf leiten soll." 124 Es deutet sich darin an, daß die Spartakusgruppe den Räten eine entscheidende Rolle als Kampforgane der Arbeiter zuerkannte. Diese Institution hatte die Arbeiterklasse zum Kampf gegen die bestehende Regierung zusammenzufassen. Von dem Zeitpunkt des Erscheinens dieses Flugblattes an (das war etwa am 19. 4. 1917) gewann die Rätefrage in der Politik der Spartakusgruppe mehr und mehr Bedeutung. Auch in dem Flugblatt der Linken über die Lehren des großen Massenstreiks nahmen die Ausführungen über die „neue Massen- und Kampforganisation zur Erringung des Friedens und der Freiheit" großen Raum ein. 1 2 5 Die Hinweise in dem Flugblatt, daß die Räte eine „Kampforganisation" werden müßten, daß solche Arbeiter als Delegierte und für den leitenden Ausschuß gewählt werden sollten, die gewillt waren, für den Frieden zu kämpfen, gaben der Rätebewegung bereits erste konkrete Ausrichtung. Auch die allgemein genannte Aufgabe, die Unklarheit der Massen über das Ziel zu überwinden, den Einfluß der Agenten der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung zurückzudrängen, kann als richtige Grundlage für die Entwicklung der Prinzipien der Stellung zu den Räten bezeichnet werden. In einem Mitteilungsblatt der Spartakusgruppe vom 22. 4. an die Genossen 126 wurde die Stellung zu den Räten schon konkreter gefaßt. Die „bestehenden Organisationen" wurden beauftragt, in der „Massenkampforganisation", in den Räten, „die Rolle einer Triebkraft zu übernehmen". Damit war ein wichtiger Fortschritt in der Erkenntnis über die führende Kraft in den Räten erzielt. Ebenso bedeutungsvoll war, daß die Linken — wie aus Darlegungen in diesem Mitteilungsblatt zu schlußfolgern ist — teilweise erkannten, das Entstehen der neuen Kampforgane und das Anwachsen der Massenbewegung müßten nicht zur Verminderung, sondern zur Erhöhung der Aktivität der Spartakusgruppe veranlassen. Die Genossen wurden aufgerufen, Vorbereitungen für die erneute Entfachung der Klassenkämpfe zu treffen, das Arbeitsgebiet der Organisation zu erweitern. Die eigene Tatkraft im Vorantreiben der Bewegung gab die Spartakusgruppe nach der Entstehung der Räte nicht auf, sie wurde vielmehr verstärkt. Die Massen sollten an den Entscheidungskampf herangeführt werden. Der neue Staat, der an die Stelle des zu stürzenden Herrschaftsapparates der Bourgeoisie treten sollte, wurde jedoch noch nicht als eine Regierung der Arbeiter und Bauern vom Typ der Räte, sondern als „einheitliche demokratische deutsche Republik" bezeichnet. Der Inhalt dieser Staatsform wurde nur durch die Abgrenzung gegenüber dem bürgerlichen Staat charakterisiert. Es wurde erklärt, die Forderung des allgemeinen, direkten, gleichen und geheimen Wahlrechts, wie die USPD sie stellte, 124
Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 190—193. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a , Bd. 2, Bl. 101. 128 Ebenda, Bl. 385—386. 125
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sei „durch die Ereignisse überholt", entspreche nicht der revolutionären Situation. Dieses Recht würde dem Arbeiter keine Macht verschaffen und keinen Schutz gegen künftige Kriege bieten. Der Kampf müsse jetzt „aufs Ganze hinausgehen", zur Abschaffung der Parlamente vorangetrieben werden, so wurde im Gegensatz zur Losung der LiSPD hervorgehoben. Aber vom Werden eines neuen Staates, getragen von den Räten, sprachen ihre Flugblätter noch nicht. Die im Aprilstreik entstandenen Räte waren noch nicht als allgemeine Erscheinung aufgetreten, sie hatten sich in einigen Ansätzen zu Instrumenten des Machtkampfes der Arbeiter entwickelt. Die Praxis hatte erst geringe Hinweise zur Lösung des Problems der Form der proletarischen Demokratie gegeben. Aber aus den russischen Erfahrungen und aus den ersten Hinweisen, die die Praxis der Klassenkämpfe in Deutschland boten, hatten die Linken wesentliche Schlußfolgerungen gewonnen, die auf eine richtige Lösung hindeuteten.
2. Die Räte in der Flotte
im Sommer
1917
Die Klassenkämpfe, die im April 1917 zum Ausbruch gekommen waren, wertete Lenin als Symptom dafür, daß die proletarische Revolution „auch in Deutschland sichtlich heranwächst", daß die Kraft der dortigen internationalen Richtung des Proletariats „von Tag zu Tag stärker wird". 1 2 7 Ihren ersten großen Höhepunkt nach dem Aprilstreik hatte die Bewegung im Sommer 1917 in der Marine. In allen Zusammenstößen der gegnerischen Klassen nach dem April, die über den Rahmen wirtschaftlicher Streiks hinausgingen, auf einen Machtkampf hinzielten, trat die neue Organisationsform der Räte hervor. In den Kämpfen der Matrosen spielte sie eine zentrale Rolle. In der Flotte dienten in der Mehrzahl qualifizierte Facharbeiter; denn die Handhabung der Maschinerie und der Waffen setzte hier größere technische Kenntnisse und Fertigkeiten — besonders beim technischen Personal, bei den Heizern — als im Heer bei den Mannschaften voraus. Das waren meist Arbeiter, die aus Industriezentren stammten, die alle mehr oder weniger zur Arbeiterbewegung eine Beziehung hatten. Während beim Heer häufiger Ortswechsel, Verlagerung einzelner Truppenteile und Umgruppierungen vorgenommen wurden, bedingte das Funktionieren der Marineeinheiten den ständigen Zusammenhalt der Mannschaften. Das alles begünstigte die Herausbildung von Kampforganisationen der Marinemannschaften, die nach dem russischen Beispiel Matrosenräte f ü r ihren Friedenskampf bildeten. 1 2 8 Durch Briefe aus1 der Heimat und durch den Kontakt der Matrosen 127
W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 303, 319. Vgl.: Lothar Popp unter Mitarbeit von Karl Artelt: Ursprung und Entwicklung der Novemberrevolution 1918, Kiel 1918, S. 5. Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages . . . Vierte Reihe: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918. Zweite Abteilung: Der Innere Zusammenbruch, Bd. 9/II, S. 248. 128
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mit den Werftarbeitern in den Hafenstädten, wo die Kriegsschiffe meist stationiert waren, erfuhren die Schiffsbesatzungen vom Fortschreiten der Klassenkämpfe und ihren Problemen. Einzelne Matrosen verfolgten die Entwicklung der Arbeiterorganisationen, denen sie angehört hatten, das Hervortreten gegensätzlicher Strömungen und nahmen Partei f ü r die Richtung, die gegen den imperialistischen Krieg kämpfte. 1 2 9 Ihre eigene Lage zeigte ihnen, daß das auch ihren Interessen diente. Die zunehmende Verschlechterung der Verpflegung und der Gegensatz zu den Vorgesetzten, die in Vorträgen zum Durchhalten aufforderten und durch militärischen Drill während der Stationierung jede Lockerung des Kadavergehorsams zu verhindern suchten, steigerten den Haß der Marinemannschaften gegen den Krieg. Der Dienst des maschinentechnischen Personals, der Heizer, unterschied sich in der Sache kaum von der Tätigkeit der Fabrikarbeiter. Vielfach bezeichneten die Heizer sich daher selbst als „Arbeitssoldaten". Die von ihnen vor ihrer Einberufung angewandten Methoden des Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung in den kapitalistischen Betrieben auch in ihrer „Produktion" als Angehörige der Werftdivisionen auf den Schiffen zu nutzen, lag sehr nahe. Sie konnten durch verminderte Arbeitsleistung, unzureichende Bedienung der Maschinenanlagen, durch Passivität oder andere Mittel die Gefechtstüchtigkeit der Schiffe verringern oder lähmen und damit Zugeständnisse erzwingen. Solche Mittel waren in einzelnen Fällen schon vor dem Sommer des Jahres 1917 angewandt worden. Unter den politisch fortgeschritteneren Heizern und Matrosen waren schon vor Beginn des Jahres 1917 verschiedentlich die Fragen der Stellung der Sozialdemokraten zum Kriege, die Haltung Liebknechts und des Parteivorstandes diskutiert worden. „Wir sahen, daß die Sozialdemokraten nicht nach ihrem Programm handelten, sondern den Militaristen die Kriegskredite bewilligten. Das verstanden wir nicht," so schilderte einer der Beteiligten später die damalige Stimmung. 1 3 0 Sie kannten das Elend in der Heimat und litten selbst unter den Kriegsauswirkungen; darum galt ihre Sympathie denen, die f ü r den Frieden eintraten. Ihr Entschluß, zur Beendigung des Krieges auf revolutionäre Weise beizutragen, wurde gefördert durch die Traditionen, die von den Matrosen der russischen Schwarzmeer-Flotte 1905 begründet worden waren. Den stärksten Impuls f ü r die Entwicklung der Selbstinitiative gaben die Nachrichten aus Rußland und die Aufrufe der Sowjets, die vom März 1917 an teilweise in der Presse, besonders in der „Leipziger Volkszeitung", mitgeteilt wurden. Verschiedentlich erfuhren die Matrosen davon auch durch die Funkleute der Schiffe, von denen Sprüche der russischen baltischen Flotte oder anderer Stellen aufgefangen wurden. 1 3 1 Die Hoffnungen begannen Realitäten zu werden. Man sah in dem Handeln der russischen Revolutionäre „die Methode des Kampfes, die man anwenden muß, um zum Ziel, zum Frieden zu kommen", berichtete Sachse, der zu jener Zeit zu den Anhängern der Liebknecht-Gruppe in der Marine gehörte. 1 3 2 Der 129 130 131 132
Deutsohes Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 447. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . . , a. a. O., Bd. 9/II, S. 473, 242—243. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 347. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 253.
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Oberheizer Rebe bezeichnete in einem Brief am 21. März 1917 die Umwälzung in Rußland als „ein Schul- und Lehrbeispiel nicht nur für Sozialisten, sondern auch für jeden denkenden Arbeiter", „für das internationale Proletariat". 1 3 3 Selbst unter den politisch Indifferenten griffen Meinungen Platz, daß nur die Tat, wie sie „aus dem Osten hinter den Schützengräben so hell leuchtet", helfen konnte, daß die Erhebung der Russen gegen den Feind im eigenen Lande „den bedrängten Völkern den Weg zum Frieden" zeigte. 1 3 4 Der Kreis der Matrosen und Heizer, die sich in Diskussionen Klarheit über politische Probleme zu bilden suchten, erweiterte sich. Aussprachen über die Revolution, die Spaltung der Partei und über Presseberichte zu aktuellen Fragen fanden statt. Ein größerer Teil der Marinesoldaten abonnierte die „Leipziger Volkszeitung", einzelne beschäftigten sich sogar intensiver mit dem Studium sozialistischer Literatur. Dieser fortschrittliche Teil der Heizer und Matrosen wurde zum Initiator der Schaffung von Matrosenräten. Auch nach der Herausbildung der Räte blieb der Einfluß dieser Kräfte bestimmend. In den Diskussionen trat die Frage der Herbeiführung des Friedens mehr und mehr in den Vordergrund. Die russische Februarrevolution hatte gezeigt, daß im Kampf um die Lösung dieser Frage die Organisation der Massen in den Sowjets eine große Rolle spielte. Die Matrosen fanden den Ansatzpunkt zur Bildung einer solchen Organisationsform, die der Bewegung eine breite Basis geben, die Mehrheit der Mannschaften zusammenfassen konnte, in den Menagekommissionen. Diese Kommissionen waren in einigen Truppenteilen und auf einzelnen Schiffen, z. B. der „Baden", gebildet worden. Sie sollten — ähnlich wie die Arbeiterausschüsse in den Fabriken — aufkeimende Erregungen über Mißstände durch Vermittlung zwischen Mannschaft und Offizieren beschwichtigen. Die Führer der Friedensbewegung der Matrosen agitierten dafür, die Wahl der Menagekommissionen auf allen Schiffen durchzusetzen und durch die Delegation der entschiedensten Interessenvertreter der Mannschaften diese Einrichtungen zu Werkzeugen des Kampfes zu machen. Reichpietsch, einer der Initiatoren und Leiter der Bewegung, bezeichnete es in einem Schreiben an die Obleute, die die fortschrittlichen Kräfte zum Zweck ihres besseren Zusammenhalts aus ihren Kreisen auf fast allen Schiffen bestimmt hatten, als die Aufgabe: „Wir müssen den Leuten klarmachen, daß die Menagekommissionen der erste Schritt zur Bildung von Matrosenräten nach russischem Muster sind." 1 3 5 Damit erhielt die Bewegung ein erstes deutliches Ziel und eine festere Form. Der Kreis der politisch Fortgeschrittenen schuf sich daneben ein System von Vertrauensleuten, das zur politisch lenkenden Kraft für die Kommissionen wurde. In der Zentralleitung der Vertrauensleute wurden die Erfahrungen der Arbeit besprochen und Anleitungen für die Vertiefung und Ausbreitung der Organisation und der politischen Ausrichtung gegeben. Anfang September 1917, als schon die ersten großen Verhaftungen stattgefunden hatten, Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 447. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 482—483. 135 Albert Schreiner: Zur Geschichte der deutschen Außenpolitik 1871—1945, Bd. 1 Berlin 1955, S. 400. 133 134
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wurde in einem Bericht des Kommandos des I. Geschwaders 136 festgestellt, „daß alle Schifle voraussichtlich infiziert sind". Zwar befinde sich die Bewegung noch im Stadium der Vorbereitung, doch sei „der Ernst nicht zu verkennen, da rührig gearbeitet wird und zielbewußt auf die Tat zugesteuert wird". Man hatte die Beobachtung gemacht, daß selbst die Verhaftung von Vertrauensleuten die Entwicklung nicht zum Stillstand bringen konnte, da stets Ersatzleute an die Stelle der Verhafteten getreten waren. Hervorgehoben wurde das Fortschreiten zu radikaleren Formen, der Übergang „zur Propaganda der Tat", wobei denBeteiligten als„Muster . . . die russische Revolution mit Soldatenrat" vorschwebte. Darin erblickte das Reichsmarineamt eine große Gefahr. Es war jedoch ein Irrtum, wenn man dort glaubte, die Führung der USPD in Berlin bilde die Zentrale, die man ausschalten müsse, um die Bewegung zu zerschlagen. Einzig und allein die revolutionären Vertrauensleute der Matrosen selbst waren es, die die „Propaganda der Tat" vorantrieben. Durch unermüdliche Aufklärungsarbeit versuchten sie, die Mannschaften für den Kampf um die Lösung der Kernfrage, Erzwingung des Friedens, zu gewinnen. Sie beschafften Zeitungen und Flugschriften, die unter den Marinesoldaten verbreitet wurden. Es wurden Friedensresolutionen verfaßt, f ü r deren Annahme unter den Heizern und Matrosen agitiert wurde. Geldsammlungen für die Bezahlung der Propagandamaterialien, die man von der USPD und in einigen Fällen von Linksradikalen besorgte, wurden veranstaltet. Auch eigene Flugblätter- und Aufklärungsschriften wurden hergestellt. Aus ihnen geht hervor, daß die Auffassungen der Obleute und Räte über die Zielsetzungen der Zentristen hinausgingen und sich den Anschauungen der Spartakusleute näherten. In einem Aufruf der Zentralleitung der Matrosenräte vom 2. August 1 3 7 wurde an die Solidarität mit den russischen Revolutionären appelliert und aufgefordert, „die ersten Teilsiege" der russischen Arbeiter und Bauern durch den eigenen revolutionären Kampf „zum Endsiege" führen zu helfen. Sie solidarisierten sich durch ihr Handeln mit der Losung der Linken: Nieder mit dem Krieg! Leidenschaftliches Bemühen, die Kameraden aufzurütteln, sprach aus einer selbstverfaßten Flugschrift 138 vom August 1917, die zum Kampf gegen die Interessenten des Krieges, „die Schlotbarone, Krautjunker" und ihre Helfershelfer, drängte. Es wurde als Pflicht der Soldaten bezeichnet, diesen Volksmördern das Handwerk zu legen, die im Frieden den Schaffenden die Früchte ihrer Arbeit, im Kriege dazu noch Gesundheit und Leben zur Befriedigung ihrer hemmungslosen Profitsucht raubten. Eindringlich wurde auf die Bedeutung der festen Organisation der Mannschaft hingewiesen, auf die Notwendigkeit der Bildung eines unzerstörbaren Blocks der Kriegsgegner. Zwar waren diese Darlegungen verständlicherweise noch mit unklaren Auffassungen verflochten, doch die revolutionäre Tendenz war das Bestimmende. Die Mehrheit der Mannschaften war gewillt, sich der Bewegung anzuschließen. Die Zahl der Teilnehmer an den Versammlungen, die erst im Kreise der Obmänner und Räte der einzelnen Schiffe und in Form von Delegiertenzusammenkünften der 136 137 138
Deutsches Zentralarehiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 2—4. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/II, S. 443. Deutsches Zentralarehiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 28—39.
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Organisationen der Geschwader, dann im breiteren Rahmen von den Schills- und Geschwaderzentralen oder dem „Zentralkomitee" einberufen wurden, nahm ständig zu. Wie eine Anklageschrift, die Dinge gewiß übertreibend, besagte, bestand bei Ausbruch der Revolten „eine in allen Teilen genau organisierte und durchdachte Verbindung von Flottenangehörigen", die „nach Struktur und Zweck dem russischen Arbeiter- und Soldatenrat" entsprach. 139 Immer mehr Soldaten unterstützen die Agitation und den Ausbau des Systems der Räte und Vertrauensleute. 140 Die Leitungen der Matrosenräte auf den einzelnen Schiffen und die Hauptleitung auf dem Flaggschiff „Friedrich der Große" — ihr gehörten Reichpietsch, Köbis, Weber, Bekkers und Sachse an — sahen sich vor die Aufgabe gestellt, realisierbare Maßnahmen vorzuschlagen, die zur Verwirklichung der Friedenslosung führen sollten. Spontane Ausbrüche von Hungerrevolten, Befehlsverweigerungen und Streiks zeigten die Eindringlichkeit der Lösung dieses Problems. Die Zerstörung oder Auflösung des Organisationsapparates mußte die Folge sein, wenn nicht außer den allgemeinen Losungen ein konkreter Kampfplan der Bewegung Ziel und Inhalt gab. Doch über diese Frage bestand selbst bei den Führern keine Klarheit. In zahlreichen Unterredungen befaßten sich vor allem die Mitglieder der zentralen Leitung der Matrosenräte immer wieder mit diesem Problem. „Bis kurz vor unserer Verhaftung war die Diskussion noch immer im Fluß über die Frage: Welchen Weg muß man einschlagen, um den Frieden herbeizuführen? Das war stets die Kernfrage," so erklärte Sachse in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuß, der die „Ursachen des Zusammenbruchs" 1918 feststellen sollte. 141 Die Führer der USPD, bei denen die Leiter der Matrosenbewegung Aufklärung und Unterstützung zu erhalten suchten, wußten ihnen keinen Weg zu weisen. Sie rieten von jeder Gewaltanwendung ab, warnten vor der Überschreitung legaler Wege und forderten auf, Beschwerden den Reichstagsabgeordneten mitzuteilen, die diese dann im Parlament vortragen wollten. Die Justitzbehörden, die später Ermittlungen über die Rolle der USPD in der Marinemeuterei anstellten, erkannten, man könne die Sache der revolutionären Matrosen nicht mit der USPD in Verbindung setzen. „Die Matrosen waren zur Gewaltanwendung entschlossen", hieß es in der Stellungnahme. Sie „erwarteten darüber, welcher Art die Gewalt, welches der Gegenstand des Angriffes und wie dessen Durchführung sein solle", von den Führern der USPD nähere Weisung. „Daß aber, diese irgend etwas getan hätten, was unter den Begriff des Erregens eines Aufstandes einbezogen werden könnte, hat keiner der vernommenen Matrosen behauptet." Dittmann habe dort „im Gegenteile vorsichtig abgeraten" und „ausschließlich zur Werbung für die Partei aufgefordert". 142 Dittmann gab später selbst zu, daß die Leitung der USPD bemüht gewesen sei, die Bewegung nicht zu revolutionären Erhebungen zu führen, sondern in legale Bahnen zu lenken. Die Leitung der USPD sei nicht Gegner des 138
Ebenda, Bl. 222, 223. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . a. a. O., Bd. 9/II, S. 246. 141 Ebenda, Bd. 9/II, S. 248. 142 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 217—218. 140
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imperialistischen Krieges, der Landesverteidigung, wie Dittmann sagte, gewesen, sondern habe sich nur gegen den „Mißbrauch" des Verteidigungswillens zur Eroberung gewandt. 1 4 3 Die Marinemannschaften drängten zu Taten, die nicht den Bestrebungen und dem Programm der Zentristen entsprachen, sondern den Zielen der Spartakusgruppe nahekamen. 1 4 4 Ursache dafür mag die besondere Zusammensetzung der Marinemannschaften und ihre spezielle Lage gewesen sein, die bedingte, daß jede Streikregung unter ihnen, selbst wenn sie nur ökonomische Ziele hatte, zwangsläufig — viel stärker als bei den Fabrikarbeitern — sofort politischen Charakter annahm. Hier stießen beim eigenen aktiven Auftreten sofort die Klassenfronten aufeinander, die Grundlage der politischen Herrschaft der Ausbeuter wurde dann in Frage gestellt. 145 Ein weiteres Moment, das die Stärkung der revolutionären Tendenz unter den Obleuten und Räten bewirkte, war der Einfluß der Linken. Ein kleiner Teil der Obleute stand mit den Angehörigen der Bremer Linken in Verbindung, einzelne gewannen durch Werftarbeiter, bei denen m a n Erfahrungen über Methoden des Kampfes zu erhalten suchte, Kontakt mit Linksradikalen. 146 Dank dieses Einflusses schritt der Klärungsprozeß in der Marinebewegung voran. Im Dezember 1917 teilte das Reichsmarineamt mit, daß beispielsweise bei einer „großen Anzahl von Angehörigen der Marine und des Heeres die .Arbeiterpolitik' regelmäßig" bezogen wurde. 1 4 7 Einige Obleute suchten in Versammlungen die Mannschaften über die Schädlichkeit einzelner Sabotageakte und spontaner Befehlsverweigerungen zu be lehren. Sie forderten auf, Vorbereitungen zum gemeinsamen Losschlagen f ü r den Zeitpunkt zu treffen, wo erneut politische Massenstreiks der Arbeiter der Industriezentren ausbrechen würden. Der Kampf um die täglich auftretenden Probleme der Ernährung und der Behandlung der Mannschaften sollte, so schlug z. B. der Oberheizer Rebe vor, mit den legalen Mitteln der Menagekommissionen ausgefochten werden, wobei die Forderungen offen erhoben werden sollten. 1 4 8 Auch in der Zentralleitung der Vertrauensmänner setzte sich mehr und mehr gegenüber den anarchistischen und zentristischen Auffassungen eine revolutionäre Linie durch. Die Tatsache jedoch, daß sich die Linken selbst noch im Stadium der theoretischen Klärung befanden und organisatorisch schwach waren, erschwerte die Überwindung anarchistischer und zentristischer Tendenzen unter den Marinesoldaten durch die Anhänger der „Arbeiterpolitik". Schrittweise schufen die Führer der Soldatenräte sich und den Räten Klarheit darüber, daß nur ein vorbereitetes Auftreten im Bunde mit den Arbeitern an Land — vor allem mit den revolutionären Gruppen der Arbeiterklasse — Aussicht auf Sieg 143
Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 40, 42, 44—45. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 218, 205. 145 ygi a u c h ; Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, Berlin 1929, S. 59—60. 148 Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. O., Bd. 9/1, S. 289. Ebenda, Bd. 9/II, S. 246. 147 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 397. 148 Ebenda, Bl. 368—371. 144
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haben konnte. 1 4 9 Bevor jedoch Pläne zu solchen Maßnahmen, die zu einer revolutionären Taktik vordrangen, zur Sache der Mehrheit der Räte gemacht werden konnten, führten Verrat, der zum Teil durch terroristische Methoden einzelner Obleute bewirkt wurde, und verfrühte spontane Meutereien zu Massenverhaftungen und zur Aufdeckung der Organisation der Räte und Obleute. In seiner Darstellung der Entwicklung der Rätebewegung in Deutschland sucht Tormin immer wieder glaubhaft zu machen, daß den deutschen Arbeitern die bolschewistische Rätetheorie etwas völlig Fremdes gewesen sei. Diese Theorie hätte — so schreibt er — „eine völlige Umstellung des Denkens" erfordert, weshalb zwar „die äußere Form", nicht aber der Inhalt übernommen worden sei; dieser sei „viel weniger bekannt und noch weniger anerkannt" worden. 1 5 0 Die Vorgänge in der Marine im Sommer 1917 beweisen jedoch, daß auch in Deutschland die Räte als Organe des Machtkampfes der Arbeiter begriffen wurden. Deutlich zeigt sich am Beispiel der Matrosenräte die Haltlosigkeit einer schematischen Klassifizierung der politischen Räte, wie Tormin sie vornimmt. Räte als Organe f ü r Teilaktionen in der Marine zu bilden, wäre ein unsinniges Unterfangen gewesen; denn nirgendwo trat klarer als innerhalb der bewaffneten Macht zutage, daß die neue Institution im Kampfe nicht auf halbem Wege stehen bleiben konnte. Das war auch den Matrosen und Heizern mehr oder minder bewußt. Die Alternative war: Fortschreiten zum bewaffneten Aufstand im Bunde mit den revolutionären Massen oder drakonisches Einschreiten der Marinebehörden im Falle des Ausbleibens des Sieges der Räte. Die Mannschaften der Flotte forderten das Fortschreiten der Bewegung. Das Kennzeichnende für sie — auch f ü r die Anhänger der USPD in der Marine — war gerade, daß sie in ihren Zielsetzungen über die der Führer der USPD hinausstrebten. Die Tragik des Kampfes der Matrosen lag darin, daß ihr Vorwärtsdrängen zu frühzeitigen Erhebungen führte, ehe der Klärungsprozeß über die notwendigen Schritte des Vorgehens einen gewissen Abschluß gefunden hatte und ehe die geplante Koordinierung mit Aktionen der Arbeiter vorgenommen worden war. Der Kampf der Matrosen war ein leuchtendes Beispiel und wies die Arbeiter und Soldaten auf das Herannahen entscheidender Klassenkämpfe hin. Diese Bewegung konnte nicht verheimlicht und ihre ansteckende Wirkung nicht verhindert werden. Sogar in Rußland förderten die Vorgänge in der deutschen Flotte, die Lenin als eine neue Etappe, als Beginn des Vorabends der Revolution bezeichnete, die Mobilisierung der Massen. Für Lenin gab es zu dieser Zeit „kein überzeugenderes Symptom f ü r das Anwachsen der Revolution" als den Aufstand in der deutschen Marine. Dieses Beispiel der deutschen Matrosen führte er den Bolschewiki immer wieder vor Augen, um bei jedem äußerste Aktivität für die Durchführung der bewaffneten Erhebung hervorzurufen. Man würde Verrat an der Internationale üben, erklärte er, 149 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 222, 237. Das Werk des Untersuchungsausschusses . . ., a. a. 0., Bd. 9/II, S. 248—249. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 235 —236. 150 Walter Tormin: a. a. O., S. 28.
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wenn man „eine solche Aufforderung der deutschen Revolutionäre nur m i t . . . Resolutionen beantworten" wollte. 1 5 1 Die Tat der russischen Revolutionäre hatte der Entwicklung der deutschen Räte einen starken Impuls gegeben. Die revolutionäre Bewegung in Deutschland half wiederum beim Vorantreiben der russischen Revolution. In der Flotte selbst konnten die Todesurteile gegen Köbis und Reichpietsch und die hohen Zuchthausstrafen gegen viele andere revolutionäre Matrosen nicht verhindern, daß ihr Vorbild lebendig blieb und der Haß gegen den Militarismus und die Nutznießer des Krieges wuchs. 1 5 2 Im November 1918 war die Befreiung der inhaftierten Marineangehörigen die erste Forderung der aufständischen Matrosen. Sie traten gemeinsam mit den revolutionären Arbeitern auf. Durch sie wurde das übergreifen der Erhebung auf zahlreiche Städte, die Ausbreitung der Rätebewegung beschleunigt. Die Matrosen wurden „die Kerntruppen der Revolution". 1 5 3 Die Volksmarinedivision in Berlin gehörte zu den ersten bewaffneten Formationen der Arbeiter. Die Leitung der SPD, speziell Ebert, hatte schon nach den ersten Verhaftungen im August 1917 in Besprechungen mit dem Staatsekretär des Reichsmarineamtes Entrüstung „über das landesverräterische Vorgehen" der Matrosen geäußert und bezugnehmend auf die USPD betont, dieses Handeln „widerspreche durchaus den Ansichten von Haase und Ledebour". Ebert hatte seine Bereitschaft erklärt, den Auswirkungen der Bewegung entgegenzuarbeiten. Er versprach sogar, den Kampf der Matrosen als „lokalen Putsch" in der Propaganda seiner Partei darzustellen. Er war sich dabei gewiß, daß sämtliche Parteien, auch die USPD, ähnlich handeln, „von dem Putschversuch weit abrücken würden". 154 Er hatte sich darin auch nicht getäuscht. Doch während sich die Führer der USPD vom Kampf der Räte in der Marine distanzierten, ergriffen viele Arbeiter Partei für die revolutionären Matrosen. Die Spartakusleute verurteilten das Auftreten der Fraktion der USPD im Reichstag, die ihre Unschuld gegenüber den Verdächtigungen beteuerte, sie sei mit den Matrosen im Bunde gewesen. Die Spartakusgruppe bezeichnete es als eine „Ehrung sondergleichen", auf eine Stufe mit den Marinesoldaten gestellt zu werden; sie sah es als eine Ehrenpflicht an, sich gemeinsam mit diesen „als die Geächteten zu bekennen". i " W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. X X I , S. 300—301, 410—411, 421, 433. 152 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 289. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12474, Bl. 311, 470, 477. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 85. Lothar Popp/Karl Artelt: a. a. O., S. 6. Der Dolchstoß-Prozeß in München, Oktober bis November 1925. Eine Ehrenrettung des deutschen Volkes. Zeugen- und Sachverständigenaussagen. Eine Sammlung von Dokumenten, München 1925, S. 551. 153 Der I. Kongreß der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen in Moskau vom 2. bis zum 19. März 1919, Hamburg 1921, S. 13. 164 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 193—195.
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Denn das waren für die Linken „die wahren Helden des Weltkrieges", deren Vorbild man Millionen vor Augen halten m u ß t e . 1 5 5 Im Oktober wurden in Leipzig Klebezettel angebracht, die zur „Hilfe und Rache für unsere revolutionären Brüder bei der Marine" aufriefen. 1 5 6 Große Verbreitung fand im Januar 1918 ein Flugblatt, das vom Kampf der Marinemannschaften, von den Leiden der Eingekerkerten berichtete und die Massen aufforderte, dem Beispiel der Marinesoldaten zu folgen. 1 5 7 Es wurde von den Polizeibehörden zu den Agitationsmaterialien gezählt, die in erster Linie die „Aufreizung" der Massen zum Januarstreik mit bewirkt hatten. 165 166 157
Spartakusbriefe, a. a. 0 . , S. 146. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11072, Bl. 172. Ernst Drahn und Susanne Leonhard: a. a. 0 . , S. 95—96.
KAPITEL
EINE
NEUE
NACH D E M
IV
PHASE SIEG
DER
DER
RÄTEBEWEGUNG
GROSSEN
IN
DEUTSCHLAND
SOZIALISTISCHEN
OKTOBER-
REVOLUTION
1. Die Rätebewegung im
Januarstreik
Nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution setzte sich auch in Deutschland eine tiefere Erkenntnis über das Wesen der Räte durch. Betrachtet man die Ausführungen in der illegalen Presse und in den Flugblättern der deutschen Linken während der Zeit vom Aprilstreik bis zum November 1917, dann findet man, daß die Probleme des Weges zur Macht, in deren Mittelpunkt die Rätefrage steht, mehr und mehr Gegenstand der Diskussion wurden. In der Auseinandersetzung mit den von der U S P D unterstützten Theorien Wilsons zur Herbeiführung eines imperialistischen Friedens wurde von den Spartakusleuten betont, daß der „wichtigste politische Prüfstein" jeder sozialistischen Richtung nicht allein die Parteinahme für den Frieden an sich darstelle, daß vielmehr das Entscheidende „die politischen Methoden" der Herbeiführung des Friedens und die dem Proletariat dabei zugewiesene Rolle seien. 1 5 8 In der Presse der Linken wurde die Frage der Herbeiführung eines wahrhaft demokratischen Friedens mittels revolutionärer Kämpfe diskutiert, wobei dargelegt wurde, daß die Friedensformel der Sowjets nur dann verwirklicht werden könne, wenn die proletarische Revolution die politische und wirtschaftliche Selbstbestimmung der Nationen schaffe. Meist waren diese Erörterungen mit Betrachtungen über die Entwicklung der Revolution in Rußland verbunden, denn deren Verlauf war für die Linken immer die Sache des „einen und unteilbaren internationalen Proletariats, das dort den ersten Anlauf zur welthistorischen Auseinandersetzung mit der Klassenherrschaft des Kapitals n i m m t " . 1 5 9 Die Spartakusgruppe war sich klar darüber, daß die Kämpfe in Rußland die „erste proletarische Ubergangsrevolution" waren, und diese Klassen158 168
Spartakusbriefe, a. a. O., S. 73. Ebenda, S. 105.
Rätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution
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auseinandersetzung mußte dort wie in Deutschland und anderswo „als proletarischsozialistischer Kampf um die M a c h t . . . nur auf revolutionärem Wege ausgetragen werden". 1 6 0 In verschiedenen Artikeln der Spartakusbriefe und der Zeitung der Bremer Linksradikalen wurde zum bürgerlichen Parlamentarismus Stellung genommen und erklärt, daß es nicht möglich sei, innerhalb der bürgerlichen Vertretungskörperschaft durch Majoritätsbeschluß den Sozialismus oder sozialistische Umgestaltungen zu begründen. Die Presse der Spartakusgruppe stellte die Forderung, den Massen zu erläutern, „daß sie nichts vom Parlamentarismus, daß sie alles nur von der eigenen Initiative" zu erwarten haben. Sie wies darauf hin, daß es „Geschwätz" sei, von der Unmöglichkeit einer Massenrevolution und von den „großartig organisierten Machtmitteln des modernen Staates" zu reden. Gerade der russische Arbeiter- und Soldatenrat zeige, wie Machtmittel des Volkes gebildet werden können. 1 6 1 Die beharrliche Verfechtung der Interessen des deutschen Proletariats und die Klärung des Weges zur Arbeiterregierung mußten parallelgehen mit einer Parteinahme für den Vortrupp des internationalen Proletariats in Rußland, für die Bolschewiki. Mit dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Errichtung der russischen Räteregierung wurde diese Parteinahme das Kriterium für die Treue zum revolutionären Marxismus. Schon die ersten politischen Maßnahmen der Räteregierung zeigten, daß diese neue Macht nicht nur die Sache der russischen Arbeiter vertrat Bekannt ist das Dekret über den Frieden vom 8. November 1917, das die Grundsätze der sowjetischen Friedenspolitik fixierte, die Geheimdiplomatie abschaffte und allen Regierungen und Völkern sofortigen Waffenstillstand und Beginn von Friedensverhandlungen vorschlug. Es wurde „insbesondere an die klassenbewußten Arbeiter" Englands, Frankreichs und Deutschlands die Aufforderung gerichtet, sich für die „Befreiung der Menschheit von den Schrecken des Krieges" einzusetzen und die Sache des Friedens und der Abschüttelung jeder Ausbeutung „erfolgreich zu Ende zu f ü h r e n " . 1 8 2 Ebenso berühmt geworden ist der Funkspruch des Rates der Volkskommissare „An Alle!" Die Bolschewiki riefen in einem Appell an das sozialistische Proletariat Deutschlands auf, sich der russischen Revolution anzuschließen: „ . . . um eure Leibesinteressen, um euer Blut geht es. Wenn ihr euch uns nicht anschließt, dann werden die Junker und Kapitalisten euch so lange von einem Kriegsfeld aufs andere schleppen, bis ihr verblutet. Schließt euch der russischen Revolution a n ! . . . Bildet überall Arbeiter- und Soldatenräte, als Organe eures Kampfes um den Frieden." 1 6 3 Ein Funkspruch vom 17. Dezember „An alle Arbeiter, Unterdrückten und Ausgebeuteten der Völker Europas" betonte, daß die kapitalistischen Regierungen nicht fähig seien, einen demokratischen Frieden zu schließen, daß ein solcher Friede allein durch den revolutionären Kampf der Arbeitermassen gegen diese Regierungen nähergebracht werden könne. 1 6 4 Unter den deutschen Soldaten 160 161 162 163 164
Ebenda, S. 107. Ebenda, S. 106. W. I. Lenin: Über den Kampf um den Frieden, Berlin 1951, S. 172. Ernst Drahn und Susanne Leonhard: a. a. O., S. 143—144. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13581/1, Bl. 141.
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an der Front wurden Flugblätter verbreitet, die über die Entstehung und die Tätigkeit der Rätemacht berichteten. Es wurde darin betont, daß nur die Errichtung des Sozialismus „dem Arbeiterstande aller Länder einen gerechten und dauerhaften Frieden sichern kann". Der Rat der Volkskommissare bezeichnete darin das Beispiel Liebknechts, die Streikkämpfe und den Aufstand der Matrosen in Deutschland als Beweis f ü r die Fähigkeit der deutschen Arbeiter und Soldaten, einen entscheidenden Kampf f ü r den Frieden zu führen. Er wies darauf hin, daß die Bildung von „Arbeiter-Massenorganisationen" in Deutschland auch f ü r den Sieg des Sozialismus in Rußland eine Hilfe sei. 165 Während es vor dem November 1917 den deutschen Sozialchauvinisten leicht möglich war, durch Berufung auf inkonsequente Aufrufe und Handlungsweisen der von Menschewiki und Zentristen beherrschten Sowjets große Teile der Massen irrezuführen, waren die Worte und Taten der Sowjets nunmehr in jeder Beziehung eine Unterstützung der revolutionären Vorhut des deutschen Volkes. Die rote Fahne über Rußland war nun f ü r alle Unterdrückten und Entrechteten „zum Signal und Symbol des Friedens geworden", schrieb die „Arbeiterpolitik". 16 ® Die Anhänger der Spartakusgruppe wiesen die deutschen Arbeiter darauf hin, daß in Rußland zum „ersten Male in der Weltgeschichte" vom Proletariat versucht werde, „die politische Macht im Staate an sich zu reißen", und die „proletarische Regierung in Petersburg", die „von sozialistischen Arbeitern beherrschte Republik", nicht im Stich gelassen werden dürfe. Auch f ü r das deutsche Proletariat schlage nunmehr die „Stunde der Entscheidung". Es wurde an das Volk appelliert, durch Massenstreiks das wirtschaftliche Getriebe und die Kriegsindustrie zum Stillstand zu bringen, zur Revolution und zur „Erringung der Volksrepublik in Deutschland durch die Arbeiterklasse" zu schreiten und damit auch die russische Revolution zu retten. 1 6 7 Die Linken waren jetzt in der Lage, den Massen ein deutlicheres Bild des neuen Staates zu geben und besser den Weg zu zeigen. Sie konnten am Beispiel der russischen Räteregierung den Arbeitern zeigen, „wie unsere Demokratie in der Praxis aussieht". Trotz der spärlichen, oft verfälschten Nachrichten aus Rußland wurde von den Linken diese neue Demokratie richtig als die Organisationsform der proletarischen Herrschaft gewürdigt, die allein „als Hebel der sozialistischen Revolution" dienen könne. Sie erkannten, daß der Sieg der Rätemacht über den bürgerlichen Klassenstaat nicht „von oben her beschert" worden war, daß vielmehr die revolutionäre Massenerhebung und die Ausschaltung der pseudosozialistischen Elemente aus den Kampf- und Machtorganen der Massen, den Räten, dem Sieg der sozialistischen Revolution vorangegangen waren. 1 6 8 Aus ihren Untersuchungen über das Werden des neuen Staates, 165
Ebenda, Nr. 12255, Bl. 207. Dieses Dokument ist auch abgedruckt in: W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Berlin 1957, S. 414—416. 166 „Arbeiterpolitik", a. a. O., Nr. 50, vom 15. Dezember 1917. 187 Zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands. Eine Auswahl von Materialien und Dokumenten aus den Jahren 1914—1946, Berlin 1955, S. 42—43. 168 „Arbeiterpolitik", a. a. 0., Nr. 50, vom 15. Dezember 1917, Nr. 2, vom 12. Januar 1918.
Rätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution
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über die Entwicklung der Sowjets während der Periode der Doppelherrschaft gewannen die Linken eine bessere Grundlage f ü r eine richtige Einschätzung der Rälefrage. In der „Arbeiterpolitik" vom 17. Januar 1918 wurde — anknüpfend an die Vorgänge in Rußland — klar ausgesprochen, daß gegenüber der bürgerlichen Regierung die Organisation der arbeitenden Klassen innerhalb der Räte erfolgen müsse, in deren Händen sich nach dem Sturz der kapitalistischen Herrschaft alle Macht zu konzentrieren h a b e . 1 6 9 Die Form der Diktatur des Proletariats und das Mittel zu ihrer Vorbereitung waren damit in ihren wesentlichen Merkmalen skizziert. Diese Darlegungen sollten auch als Anleitung zum Handeln der Arbeiter in Deutschland verstanden werden. Die Darlegungen der Presse der Linken beweisen, daß Tormins Behauptung, selbst bei der Spartakusgruppe sei „von einem Vordringen der bolschewistischen Staatstheorie bis zum Sommer 1918 nichts zu bemerken", falsch ist. Wenn Tonnin in diesem Zusammenhang auf einen grundlegenden Gegensatz zwischen den Spartakusanhängern und den Linksradikalen hindeutet, indem er erklärt, die Bremer Linken — bei denen er ein Bekenntnis „zur zweiten Form des Rätegedankens", zur bolschewistischen Form, schon vordem feststellt — seien von den Bolschewiki nicht anerkannt worden, 1 7 0 so bezeugen verschiedene Äußerungen Lenins die Haltlosigkeit dieser Konstruktion. Lenin betonte ausdrücklich, daß die Bolschewiki „für die Einheit ausschließlich mit zwei Gruppen von deutschen Sozialisten" eintraten, mit „,Spartakus* und , A r b e i t e r p o l i t i k ' d a ß die Schattierungen, die es unter den Linken gab, nebensächlich seien. 1 7 1 Die Fortschritte in der Erkenntnis des Weges zum Arbeiterstaat befähigten die Linken, während des Januarstreiks 1918 weitaus zielstrebiger zu handeln, als das beispielsweise im Aprilstreik 1917 der Fall sein konnte. Aber nach wie vor haben sie die Organisation ihrer eigenen Kraft, die Schaffung einer revolutionären marxistischen Partei, unterschätzt, die dringlicher denn je war. Zwar wurde die Leistung der Bolschewiki von den Linken hervorgehoben und die Gründung einer Partei dieser Art in Deutschland eine „dringende Notwendigkeit" genannt; ebenso wurde erklärt, daß die Desorientierung der Massen durch die Führer der SPD und USPD „eine Machtstütze der herrschenden Klasse" bilde. 1 7 2 Andererseits wurde jedoch in diesem Zusammenhang auch davon gesprochen, die Arbeiter müßten sich durchringen, „ihr eigener Führer zu werden", die Entwicklung in der Arbeiterbewegung müsse „erst ihres Daseins Kreise vollenden". Es war ein Fehler von ihnen zu glauben, man solle die Führung der SPD gewähren lassen, damit sie sich völlig entlarve, und man solle die USPD beweisen lassen, ob sie nur zeitweilig oder generell untauglich sei, der Sache des Proletariats zu dienen. 173 Zweifellos wirkten sich solche Auffassungen vom Selbstlauf der Entwicklung zur Revolution und die Unklarheit über den Cha169 170 171 172
1918. 173
18
Ebenda, Nr. 3, vom 17. Januar 1918. Walter Tormin: a. a. O., S. 38, 40—41. W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 221, 171, 170—171, 92. „Arbeiterpolitik", a. a. 0., Nr. 50, vom 15. Dezember 1917, Nr. 4, vom 26. Januar Ebenda, Nr. 4, vom 26. Januar 1918.
Revolutionäre Ereignisse
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rakter der USPD hemmend für den Ausbau der Organisation der Linken zu einer revolutionären marxistischen Partei aus. Somit fehlte die wichtigste Voraussetzung zur Bewältigung der Aufgaben, die der revolutionäre Kern der deutschen Arbeiterklasse bei der Vorbereitung und in der proletarischen Revolution lösen mußte. Nur einige Ansätze zur Schaffung dieser Voraussetzung waren vorhanden. Wie zahlreiche Berichte der staatlichen Behörden aussagten, waren die Spartakusleute und Linksradikalen rastlos f ü r die Revolutionierung der Massen tätig. In Deutschland wie in allen imperialistischen Länder waren die „objektiven Voraussetzungen der sozialistischen Revolution", die „schon vor dem Kriege vorhanden waren", „noch reifer geworden" und entwickelten sich „infolge des Krieges mit rasender Schnelligkeit". 174 Diese objektive Situation war der Grund dafür, daß das Wirken der Linken wachsenden Widerhall fand. Mit dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht in Rußland war der Beweis f ü r die Durchführbarkeit der Ideen des Sozialismus erbracht. Das förderte den Einfluß der Linken auf die Massen in starkem Maße. Im Stimmungsbericht des Büros f ü r Sozialpolitik vom 11. Dezember 1917 wurde festgestellt, der Erfolg der Bolschewiki habe „unleugbar bei vielen Arbeitern die Frage geweckt", ob „der russische Weg nicht auch für uns richtiger" sei als die gewerkschaftliche Kleinarbeit „ohne große Gesichtspunkte und ohne das greifbare Ergebnis unmittelbarer grundstürzender Neugestaltungen". 1 7 5 Ein anschauliches Bild von der Begeisterung in der Arbeiterklasse und unter den Massen der Soldaten für den Sieg der Sowjets und f ü r ihre Politik zeigen die Schilderungen von Zeitgenossen, die Albert Norden in seinem Buch „Zwischen Berlin und Moskau" wiedergibt. 176 Sie sprechen von den Hoffnungen und von der Steigerung der eigenen Aktivität, die sich bei den deutschen Proletariern mit dem Beispiel der russischen Arbeiter und Bauern verbanden. Auch unter den Mitgliedern der USPD fanden Auffassungen der Spartakusgruppe jetzt stärker Anklang. Auf der Generalversammlung der USPD im Kreise Teltow-Beeskow stand z. B. in der Diskussion die Forderung im Mittelpunkt, den Kampf der Arbeiter zu beginnen. Es sei „hohe Zeit", erklärte einer der Redner, „so zu handeln wie die russischen Genossen". 1 7 7 Ein Bericht aus Düsseldorf 1 7 8 wies ebenfalls darauf hin, daß die Vorgänge in Rußland in der Mitgliedschaft der USPD „größte Beachtung" fanden. „Es sind bereits 2 Exemplare von Flugschriften revolutionären Inhalts aus den Kreisen russischer Arbeiter- und Soldatenräte in den Besitz der politischen Abteilung gelangt," hieß es weiter in diesem Zusammenhang. Mitte November kam es in Berlin, wo die Polizeiverwaltung Versammlungen verbot, die zum Thema „Der Friedensvorschlag der russischen Regierung" Stellung 174
W.I.Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 375. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 30b, Bericht vom 11. Dezember 1917 (S. 13—14). 1,6 Albert Norden: Zwischen Berlin und Moskau, Berlin 1954, S. 77—86. 177 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. T, Nr. 1, Bd. 3, Bl. 206—207. Vgl. auch: Ebenda, Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 3, Bl. 153. 178 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 332', Nr. 161, Bd. 1, Bl. 129. 176
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nehmen wollten, zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Polizei. 1 7 9 In Mannheim fanden Ende November Umzüge statt. In Duisburg brachen in den Rheinischen Stahlwerken Streikkämpfe aus. In verschiedenen Großstädten, besonders in Leipzig, trafen die Behörden Vorkehrungen, um Straßenkundgebungen zu verhindern. Führer der USPD verstanden es, diese Massenstimmung durch Hinlenkung auf Protestdemonstrationen und durch Ermahnungen zur Mäßigung zu schwächen. „Die Regierung darf nicht in dem Glauben verstärkt werden," hieß es in einem Aufruf der Zentristen, „als wären wir willenlose Arbeitstiere." Aber die Arbeiter wollten mehr als nur Proteste. Sie bekundeten ihre Unzufriedenheit mit dem Auftreten der Vertreter der USPD und ihre Bereitschaft „für erneute und wirkungsvoller organisierte" Aktionen 1 8 0 . Die Aufnahme von Friedensverhandlungen der deutschen Regierung mit dem Sowjetstaat bewirkte jedoch das zeitweilige Vorherrschen einer abwartenden Haltung bei den Massen. Um so stärker trat aber die Kampfstimmung hervor, als offensichtlich wurde, daß die deutsche Regierung den Sowjets einen Raubvertrag diktierte. Ende Dezember und im J a n u a r stellten die staatlichen Verwaltungen in Hamburg, Kiel, Bremen, Danzig, Berlin, in Städten des Ruhrgebiets und Sachsens eine ausgedehnte Verbreitung von Flugblättern der Linken fest. 1 8 1 Dem Berliner Polizeipräsidium wurde Mitte Januar berichtet, die Bewegung gewinne an Lebhaftigkeit und bereite sich auf einen Wechsel der Dinge vor. Während es das Ziel der Unabhängigen sei, den allgemeinen Frieden herbeizuführen, so hieß es in dem Bericht, gehe man in Kreisen der Linken weiter und erstrebe den Umsturz und die Errichtung des Sozialismus. Dabei wies der Bericht darauf hin, daß in der großen Masse der Mitglieder der USPD der Gedanke verbreitet sei, die Partei werde ebenfalls einen revolutionären Umschwung erkämpfen. 1 8 2 Die Spartakusleute klärten die Massen darüber auf, daß Wahlrechtsforderungen jetzt „die Parole der Konterrevolution" seien, 1 8 3 daß es gelte, gegen die deutschen Junker und Kapitalisten und deren Regierung zu kämpfen, nicht nur zu demonstrieren. In ihrem Flugblatt „Hoch der Massenstreik! Auf zum Kampf!" 1 8 4 riefen sie 179
Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 314. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11072, Bl. 173 —174, 177—178, 182. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12260, Bl. 88, 92. 181 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 232—233, 12, 13, 15, 17, 50, 106, 241. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 9—10, 17—19. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 3, Bl. 115. Ebenda, Bd. 4, Bl. 543—545. 182 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 131—132, 135. 183 Spartakusbriefe, a. a. O., S. 158. 181 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 20. Ernst Drahn und Susanne Leonhard: a. a. O., S. 99—102. Hans Spethmann: Zwölf Jahre Ruhrbergbau, Bd. 1, Berlin 1928, S. 56—57. 180
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der Arbeiterklasse zu, daß es keine Hoffnung und keine Mittel gebe, von der Regierung und den sie stützenden Klassen den Frieden zu erzwingen. „Nur der Sturz dieser Regierung, nur die Zerschmetterung der Macht der Rourgeoisie", so hieß es in dem Aufruf, „nur die Volksrevolution und die Volksrepublik in Deutschland" könne den allgemeinen Frieden herbeiführen; denn die „proletarische Revolution in Deutschland" würde zur Auslösung der Arbeiterrevolution der Welt führen. Es wurde zur Stillegung der gesamten Industrie und des Verkehrswesens und zur Einbeziehung der Soldaten in den Kampf aufgerufen. Gleichzeitig wurden f ü r die erste Etappe des Kampfes „Mindestforderungen", wie Freilassung der politischen Gefangenen und Aufhebung aller Reschränkungen der Organisation und politischen Retätigung der Arbeiterklasse, gestellt. In einem anderen Flugblatt 1 8 5 betonten die Linken, daß der Streik keine befristete Aktion, „kein kraftloser ,Protest'" bleiben dürfe, sondern der „Kampf um die Macht" werden müsse. Sie wiesen auf die in Österreich ausgebrochene Volkserhebung, auf den „nach Muster der russischen Revolution gewählten Wiener Arbeiterrat" hin und nannten den Arbeitern die Räteorganisation als Mittel, „diesen und die weiteren Kämpfe zu leiten". Der Aufruf gab eine genaue Anleitung f ü r die Wahl, die vor Streikbeginn in jedem Retrieb erfolgen sollte. Es wurde vorgeschlagen, durch die Vertrauensmänner der Retriebe sofort an jedem Orte den Arbeiterrat zu schaffen und nebenher f ü r jeden Retrieb eine leitende Körperschaft zu bilden. Den Arbeitern wurde die Lehre vom Aprilstreik in Erinnerung gerufen, nicht die Gewerkschaftsführer, Regierungssozialisten „und andere ,Durchhalter'" oder „Agenten der Regierung" als Vertreter in den Arbeiterrat zu wählen, sich nicht durch Friedensphrasen und Sympathieerklärungen für den Kampf durch „diese Judasse" täuschen zu lassen; denn deren Wirken habe schlimmere Folgen als das Eingreifen der Polizei. Die Linken waren die einzigen, die den Arbeitern ein Kampfprogramm vorlegten und Hinweise f ü r die Organisation von Räten als Mittel der Weiterführung der Rewegung zur Eroberung der Macht gaben. Die Zentristen traten erst mit einer Kundgebung hervor, als sie von ihren Anhängern „gedrängt" wurden, „ihrerseits auch .etwas' zu tun", stellte die Dresdener Polizeibehörde fest. 1 8 6 Auch das Rerliner Polizeipräsidium bestätigte, daß die USPD zur Teilnahme am Streik „einerseits durch die Arbeiterschaft einiger größerer Städte, andererseits durch den immer radikaler werdenden linken Flügel ihrer Rewegung, die Spartakisten, bestimmt wurde". 1 8 7 Aus Kreisen der revolutionären Obleute wurde der Führung der USPD geraten, zur Tat zu schreiten, denn „sonst würde die Partei alles Prestige verlieren". 1 8 8 Die Tat bestand schließlich in der Herausgabe eines Aufrufs, der auf Protestäußerungen gegen „das Gefährliche des annexionistischen Treibens" der deutschen Regierungsvertreter in 186 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 253 —255. Zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands, a. a. O., S. 45. 186 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 6. 187 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 332r, Nr. 161, Bd. 1, Bl. 129. 188 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 99.
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Brest-Litowsk abzielte und den Arbeitern nur sagte: „Ihr habt jetzt das Wort!" 1 8 9 In Behördenkreisen spottete man, die U S P D habe „Furcht vor ihrem eigenen Mut bekommen". Der Oberreichsanwalt stellte in einer Begutachtung des zitierten Flugblatttextes keinerlei Verstoß gegen die Gesetzlichkeit fest. 1 9 0 In der Gothaer Zeitung der U S P D konnte er legal gedruckt werden. Die Leitung der U S P D suchte einen Machtkampf zu vermeiden, sie wollte im Höchstfalle einen Druck auf Regierung und Parlament ausüben und traf sogar — wie aus einer Mitteilung an die Militärstellen hervorging — Absprachen mit Leitern der S P D über Fragen der T a k t i k . 1 9 1 Aber die gleiche Mitteilung warnte auch: „Das russische Beispiel der Machterringung durch die Bolschewiki wirkt unter den Massen fanatisierend"; man müsse sich „auf eine große Arbeitsniederlegung" gefaßt machen. Die Aufrufe der Spartakusgruppe wurden von den revolutionären Obleuten und den fortschrittlichen Mitgliedern der Arbeiterausschüsse, aus denen sich dann bei Streikausbruch die Räte rekrutierten, tatkräftig unterstützt, obgleich die Mehrheit unter ihnen der USPD anhing. Sie beteiligten sich führend an der Flugblattverteilung und entwickelten „eine umfassende Kleinarbeit", wie Nachforschungen der Behörden aussagten, „durch welche die Arbeiterschaft auf bevorstehende umwälzende Ereignisse für die nächste Zeit hingewiesen wurde". 1 9 2 Ein Bericht aus Düsseldorf teilte mit, daß bei dieser Agitation den Arbeitern immer wieder die Vorteile, die das russische Proletariat errungen habe, vor Augen geführt und der Krieg als Anliegen der Kapitalisten, nicht des Vaterlandes gekennzeichnet werde. 1 9 3 Trotz geschickter Demagogie gelang es der rechten Partei- und Gewerkschaftsführung nicht, „die Bewegung ,aufzufangen'". Vertreter der Staatsorgane hatten Verständnis dafür, daß sich die mehrheitssozialdemokratischen Führer nicht direkt gegen den Streik erklärten, um nicht „die Massen völlig aus den Händen zu verlieren"; den Behörden war sehr daran gelegen, „den mäßigenden Einfluß" dieser Führer zu erhalten. Sie waren „außerstande", der Entwicklung in der Form entgegenzutreten, „wie sie es früher mehrfach" mit Erfolg getan hatten. Sie liefen Gefahr, „mißhandelt oder Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 94. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a , Bd. 3, Bl. 445. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12473, Bl. 447. Ebenda, Reichskanzlei, Nr. 547, Bl. 196. 1 9 1 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 178. Vgl. auch: Der Dolchstoß-Prozeß in München, a. a. O., S. 301. Der Ledebour-Prozeß. Gesamtdarstellung des Prozesses gegen Ledebour wegen Aufruhr etc. vor dem Geschworenengericht Berlin-Mitte vom 19. Mai bis 23. Juni 1919, auf Grund des amtlichen Stenogramms bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von Georg Ledebour, Berlin 1919, S. 24. 1 9 2 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 295. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 3, Bl. 14. Ebenda, Bd. 4, Bl. 301, 352—353, 429, 461—463, 7, 25. 1 9 3 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 8. 189
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verlacht zu werden", schrieb das Büro für Sozialpolitik. 194 Die Bewegung ging über sie hinweg. Auf den Zusammenkünften der revolutionären Obleute verstanden es die Führer der USPD, durch Mahnungen zur Vorsicht und Geheimhaltung den Beginn der Kämpfe zu verzögern. In einigen Gegenden wurde dadurch die Bewegung gelähmt. 1 9 5 Die Losungen der Spartakusgruppe, die zum Streikbeginn am 28. Januar aufriefen, setzten sich jedoch unter den Obleuten durch. Die Losungen wurden durch ein Flugblatt bekräftigt, das wahrscheinlich aus Kreisen der Obleute kam. Hier wurde — abgesehen von der Konzession an den Zentrismus, die von der Begrenzung des Streiks auf zunächst drei Tage sprach — das Mindestprogramm der Linken wiederholt und durch die Forderungen nach der sofortigen Herbeiführung des allgemeinen Friedens und der Hinzuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den -Friedensverhandlungen erweitert. Als Zeitpunkt der Eröffnung der Kämpfe wurde ebenfalls der 28. J a n u a r genannt. 1 9 6 Die Streikkämpfe, die am 28. Januar begannen, bezeichnet Artur Bosenberg als eine „Friedensbewegung mit bürgerlich-demokratischen Zielen", und nur die kleine Gruppe der Spartakusleute habe an eine Weiterführung der Bewegung gedacht. Rosenberg (später auch Tormin) hebt immer wieder hervor, daß die Spartakusgruppe mit ihren „Theorien und Zielen dieser deutschen Volksbewegung von 1917 und 1918 fremd" gewesen sei, daß die Institution der Räte im Grunde nur das Ersatzorgan für die Gewerkschaft gebildet habe. 1 9 7 Aber nicht nur die Vorgänge während der Zeit der Zuspitzung der Klassenkonflikte sondern auch die Kämpfe im Verlauf des Streiks bekunden etwas ganz anderes. Entsprechend der Aufforderung in den Flugblättern der Spartakusgruppe wurde bei Beginn des Streiks am 28. J a n u a r durch die Arbeiter die Wahl von Räten vorgenommen. In Massenversammlungen der Streikenden von Berliner Betrieben wurden die Mindestforderungen der Linken, Fragen der Ausdehnung der Bewegung und der Gewinnung der Soldaten diskutiert, bevor die Wahlen vorgenommen und die Fabriken verlassen wurden. 1 9 8 Obleute und Mitglieder der Arbeiterausschüsse hatten beschlossen, auf je 500 Streikende einen Delegierten vorzuschlagen. In dieser Weise wurde auch verfahren. Im Gewerkschaftshaus fand eine Zusammenkunft der 414 Arbeiterdelegierten statt. Die Versammlung konstituierte sich als Arbeiterrat von Groß-Berlin. Aus seiner Mitte wurde ein Aktionsausschuß gebildet. 1 9 9 194 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 31a, Bericht vom 30. Januar 1918 (S. 3), vom 1. Februar 1918 (S. 4). Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 185—186. Vgl. auch: Friedrich Ebert: Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Dresden 1926, Bd. 2, S. 352. 196 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 147. 196 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12473, Bl. 439. 197 Arthur Rosenberg: a. a. O., S. 191, 193, 195. Walter Tormin: a. a. O., S. 46, 47 < 198 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 3, Bl. 243. 199 Ebenda, Bl. 116—117.
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In dem Ausbruch dieses Massenstreiks und in der Schaffung des „Sowjets der Arbeiterdeputierten" sah Lenin den „Augenblick des Beginns der Revolution". 2 0 0 Die „Prawda" schrieb: „Unser älterer Bruder — das österreichisch-ungarische und deutsche Proletariat — hat auf unseren Ruf geantwortet. Man hat in unserer Sprache gesprochen." Auch in der Presse des neutralen Auslandes stellte man den Anfang eines Machtkampfes der Arbeiter in Deutschland fest. 2 0 1 Äußerungen von Vertretern der Staatsorgane des kaiserlichen Deutschlands besagen, daß man in den Räten keineswegs nur eine der „Reichstagsmehrheit parallele Massenbewegung" erblicke, die lediglich „in der Taktik von den Reichstagsparteien" abwich. Die Räte waren im gleichen Maße wie die Sowjets vor dem Oktober 1917 Kampf Organe der Arbeiterklasse. Sie besaßen nicht nur dem Namen nach, sondern auch in ihrem Wesen eine enge Verwandtschaft mit den Sowjets während einer bestimmten Etapper ihrer Entwicklung. Ein zusammenfassender Bericht des Büros f ü r Sozialpolitik erklärte, die Bewegung habe „ihre Formen und Ausdrücke von der russischen und österreichischen Bewegung" entlehnt, „obwohl sie keineswegs ein fremdes, künstlich importiertes Gewächs, sondern ihren letzten Gründen nach bodenständig ist". 202 Die Grundlage der Entstehung war in ihren wesentlichen Momenten keine andere als in Rußland vor dem Sieg des Proletariats. Es geht an der Sache vorbei, wenn Friedrich Stampfer behauptet, es habe in Deutschland keine Voraussetzung für eine Wiederholung der Vorgänge gegeben, die im Osten zur Errichtung der Diktatur der Arbeiterklasse geführt hatten, und wenn er das mit dem Hinweis begründen will, die deutsche Industriearbeiterschaft sei in ihrer Mehrheit „keineswegs bolschewistischrevolutionär gesinnt" gewesen, das russische Beispiel habe auf sie „mehr abschreckend als ermunternd" gewirkt. 2 0 3 Gerade das Gegenteil dessen, was Stampfer, Rosenberg und Tormin in diesem Zusammenhang behaupten, stellte das Berliner Polizeipräsidium am 6. Februar 1918, als die Gefahr für die herrschende Klasse wieder gebannt war, in einem Bericht über den gesamten Streik an das Innenministerium als das Wesentliche fest. Darin wurde dargelegt, daß in den Fabriken schon vor Beginn der Kämpfe mehr und mehr „von dem nahen Tage der Abrechnung" gesprochen worden war. Den Arbeitern sei durch die Entwicklung in Rußland gezeigt worden, hieß es in dem Bericht, daß es dem Proletariat „tatsächlich möglich sei, sich der Staatsgewalt in vollem Umfange zu bemächtigen". Dieses Erlebnis und das Auftreten der sowjetischen Delegation in Brest-Litowsk habe sich „der Seele auch deutscher Arbeiter tief einprägen"' und bei ihnen zu dem Schluß führen müssen, „daß das, was in Rußland durch gewaltsame Mittel erreicht worden war, auf diese Weise auch innerhalb Deutsch-
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W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XXIII, Moskau 1940, S. 95. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13581/1, Bl. 98, 55, 39—40, 64, 65—66. 202 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 31a, Bericht vom 1. Februar 1918 (S. 2). 203 Friedrich Stampfer: Die vierzehn Jahre der ersten deutschen Republik, Hamburg 1953, S. 31. 201
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lands zu erreichen sein würde". 2 0 4 Die führenden Vertreter der Behörden durften sich keinen Illusionen über den Charakter der Kämpfe hingeben, wenn sie sachkundig über den Einsatz ihrer Mittel zur Niederwerfung der Bewegung entscheiden wollten: denn Fehlgriffe in Fragen der Taktik konnten für sie — wie der sächsische Gesandte in Berlin betonte 2 0 5 — „leicht zur Schicksalsfrage" werden. Was in Rußland geschehen war, das war auch in Deutschland möglich, und ein großer Teil der Arbeiterklasse war entschlossen, in diesem Sinne zu handeln. Die Bolschewiki betrachteten ihren Kampf gegen den Krieg stets als eine Teilaktion des internationalen Proletariats und stellten in ihrem Vorangehen die Interessen der Arbeiterklasse im Weltmaßstab in den Vordergrund. Sie sahen in den Arbeitern der anderen Länder die „zuverlässigsten Bundesgenossen" der revolutionären russischen Arbeiter und Bauern. 20 ® Durch die Errichtung der Herrschaft der Sowjets wollten sie gleichzeitig dem Proletariat aller kriegführenden Länder „die Bedingungen f ü r den Eintritt in entscheidende Kämpfe erleichtern" und das Beispiel geben, wie die Arbeiterklasse den Frieden erringen kann. 2 0 7 Lenin hatte im Oktober 1917 immer wieder vor den Genossen seiner Partei betont, die internationale Lage liefere eine Anzahl objektiver Belege, „daß wir, wenn wir jetzt in Aktion treten, das ganze proletarische Europa f ü r uns haben". 2 0 8 Er hatte sich darin nicht getäuscht. Auch in Deutschland hatten nicht nur die Linken, sondern ein großer Teil der Werktätigen Partei f ü r die Sowjetregierung genommen; denn die Massen hatten erkannt, daß diese Regierung im Kampf gegen den Krieg entstanden war und die Herstellung und Sicherung des allgemeinen demokratischen Friedens zum Inhalt ihrer Politik gemacht hatte. Im Verlauf der Verhandlungen in Brest-Litowsk war klar zutage getreten, daß sich nur die Delegation der Räteregierung f ü r einen demokratischen Frieden, f ü r die Sache der Arbeiter aller kriegführenden Länder eingesetzt hatte. Diese Verhandlungen hatten im Mittelpunkt des Interesses der Massen gestanden; denn die Frage des Friedens war überall f ü r die Werktätigen das Kernproblem. Es war nicht verborgen geblieben, daß die Vertreter der deutschen Regierung in Brest-Litowsk ein Programm der Unterjochung und Beraubung vertraten. Als der Kanzler Graf Hertling am 4. J a n u a r im Reichstag offen erklärt hatte, Deutschland müsse sich gegenüber den Sowjets auf seine Machtstellung stützen, steigerte sich die Empörung in der Arbeiterklasse. Die Appelle des Rates der Volkskommissare und der deutschen Linken an das Proletariat, durch die eigene revolutionäre Aktivität und mit Hilfe der Räte die Sache des Friedens zu lösen, nach dem Vorbild der Sowjets zu verfahren, hatten mehr und mehr Widerhall bei den Werktätigen gefunden. Aus Düsseldorf war dem Reichsamt des Innern eine Meldung zugeleitet worden, die von einer umfangreichen Agitation unter den Arbeitern der Rüstungsindustrie sprach. Die Ar204 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, l i t . D Nr. 3 a, Bd. 3, Bl. 146—147. 205 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 31. 208 W. I. Lenin: Sämtliche Werke, Bd. XX/1, S. 91, 92. 205 Ebenda, Bd. XX/1, S. 91. Ebenda, Bd. XX/2, S. 138. 208 Ebenda, Bd. XXI, S. 421.
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beiter gewannen — so geht aus der Meldung hervor — immer mehr die Auffassung, daß sie sich „selbst den Frieden verschaffen" müssen, „da die Regierung dieses nicht fertigbringe". 2 0 9 Die Führung der SPD, die durch den Hinweis auf die Bereitschaft der deutschen Regierung, Friedensverhandlungen mit den Sowjets aufzunehmen, die Massen zeitweilig hatte beschwichtigen und täuschen können, hatte seit Anfang Januar selbst unter den Mitgliedern ihrer Partei an Einfluß verloren. 2 1 0 „Seit dem 4. Januar fühlte sie," so stellte das Büro für Sozialpolitik fest, „daß eine rapide Radikalisierung der Massen eintrat und daß ihr diese aus den Händen glitten, wenn sie die Regierung in einem Augenblick deckte, in dem diese nach ihrer Meinung den Frieden mit den Bolschewiki scheitern zu lassen schien." 2 1 1 Aus dieser Feststellung über die Stimmung ist deutlich zu ersehen, daß sich die Werktätigen mit den Sowjets solidarisch fühlten. Der Bericht sprach von der tiefen Enttäuschung der Massen über die sich hinziehenden Friedensverhandlungen, von dem unüberwindlichen Mißtrauen der Arbeiter gegen die Regierung in der Friedensfrage und hob hervor, daß die Ausbreitung und Festigung dieser Stimmung den Boden für die Streikkämpfe am 28. Januar bereitet habe. Der „Hauptgrund" für den Ausbruch der Streiks — so liest man in den Darlegungen des Büros — müsse in der maßlosen Aufreizung der Massen durch „die Gefährdung der Friedensverhandlungen im Osten" seitens der deutschen Vertreter gesehen werden. 2 1 2 Es ist bemerkenswert, daß selbst von den staatlichen Stellen dieser Zusammenhang eingestanden und hervorgehoben wurde. Denn dieses Eingeständnis beweist, daß der Kampf der Massen für einen demokratischen Friedenj der zur Entwicklung der Räte beitrug, gleichzeitig von einer Parteinahme für die Sowjets getragen war. Aktionen der Solidarität für die Sowjets und Klassenkampf gegen den imperialistischen Krieg waren im Grunde zwei Ausdrucksformen für ein und dieselbe Sache. Daher wurde das Vorgehen der Reaktion gegen den Kampf der Massen und gegen die Räte auch mit Versuchen der Diffamierung der Sowjets verbunden. Die „Schlesische Zeitung", ein Organ der Kriegsinteressenten, beschimpfte beispielsweise die Streikenden, die — wie es hieß — „verzückt nach Brest-Litowsk starren und sich am liebsten den russischen Anarchosozialisten brüderlich an den Hals werfen möchten", als Verräter und nannte ihren Kampf um den Frieden ein „Spiel verbrecherischer Elemente". 2 1 3 Durch Verleumdung der Bolschewiki und der Sowjetregierung suchten die Herrschenden die Solidarität der Streikenden mit dem ersten Staat der Arbeiter und Bauern, das entscheidende Element zur Entwicklung der Räte, zu untergraben. Die Führer der SPD unterstützten diese Antisowjethetze. Für Scheidemann war das Auftreten der deutschen Regierungsvertreter in Brest-Litowsk kein Anlaß, die räuberische Politik des Imperialismus zu entlarven und die Arbeiter zur Aktion aufzurufen. E r wies vielmehr auf die bedrängte Lage der Sowjets hin, um den Massen in demagogischer Weise einzureden, daß der Weg zur Errichtung der
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Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 8. Ebenda, Bl. 186. Ebenda. Ebenda, Bl. 184. „Schlesische Zeitung", Nr. 62, vom 3. Februar 1918.
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Macht, den die Bolschewiki beschritten hatten, nicht als Vorbild dienen könne. Durch die Behauptung, die Bolschewiki hätten durch ihre revolutionäre Tätigkeit selbst die ihnen in Brest-Litowsk diktierte Unterwerfung verschuldet, wollte Scheidemann seiner Ablehnung des solidarischen Kampfes f ü r die Sowjets den Anschein der Berechtigung geben. 2 1 4 Die Regierungsstellen ordneten f ü r die Presse an, keinerlei Nachrichten über die Umgestaltungen zu veröffentlichen, die die Sowjets herbeigeführt hatten, „da sie den Weg angeben, wie bei einem Umsturz vorgegangen wird". Den Behörden wurde aufgetragen, nur solche Zeitungsberichte über den Rätestaat zu dulden, die abschreckend auf das deutsche Volk wirken könnten; „unterdrückt aber möchten alle Nachrichten werden, wie die Revolutionäre in Rußland vorgehen". 215 Die Antisowjethetze wurde zu einem wichtigen Propagandamittel der Reaktion und ihrer Helfershelfer gegen die Massenbewegung, in deren Verlauf Räte als Organe des revolutionären Kampfes entstanden. Die Sympathie f ü r die Sowjets wuchs in den Massen trotz aller Demagogie und Unterdrückungsmaßnahmen der Herrschenden; das russische Beispiel wirkte nicht „abschreckend" auf die deutschen Arbeiter, wie Stampfer glauben machen möchte. Der Berliner Arbeiterrat erhob die Forderungen der Linken und Obleute zum Programm der Bewegung. Die Zentristen konnten die Aufnahme ihrer Wahlrechtslosung dabei durchsetzen, doch ihr Vorschlag, einen auf drei Tage befristeten Demonstrationsstreik zu führen, wurde ausdrücklich abgelehnt. Zehn Arbeiter und eine Arbeiterin wurden in den Aktionsausschuß gewählt, und zwar der Maschinenbauer Richard Müller, dem die Leitung übertragen wurde, der Dreher Otto Tost, der Schlosser Paul Blumenthal. Von den anderen Mitgliedern, Zimmermann, Scholze, Neuendorf, Eckert, Malzahn, Otto Kraatz, Tirpitz und Frau Casper, fehlt in dem von der Polizei notierten Verzeichnis der Angehörigen des Ausschusses die Angabe des Berufes. Sie gehörten dem Kreis der revolutionären Obleute an; zwei von ihnen hatten schon am ersten Sympathiestreik für Liebknecht teilgenommen, einer war Mitglied der Spartakusgruppe. 2 1 8 Die Führung der USPD war durch Haase, Ledebour und Dittmann in dem Aktionsausschuß vertreten. Ein Antrag, auch Vertretern des Vorstandes der SPD die Mitgliedschaft zuzubilligen, wurde zurückgewiesen. Erst die verlogene Erklärung eines Beauftragten der Führung der SPD, die Partei wolle durch ihren Beitritt die Ausdehnung des Streiks fördern, sowie das Betreiben der zentristischen Führer im Aktionsausschuß und des Versammlungsleiters, Richard Müller, bewegten die Mehrheit der Räte bei einer zweiten Abstimmung zur Befürwortung des Antrages. 217 Die 214
Philipp Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten, a.a.O., Bd.2, S. 149—150. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 12. 216 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 100. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 3, Bl. 109. (Die Namen wurden nach Richard Müller: a. a. O., S. 103 wiedergegeben.) 217 Friedrich Ebert: Kämpfe und Ziele, Dresden o. J., S. 353, 354, 356, 358—360. Richard Müller: a. a. O., S. 103—104. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13584, Bl. 153. Ebenda, Nr. 13587, Bl. 24. 215
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nun hinzutretenden Mehrheitssozialisten Ebert, Scheidemann und Braun suchten eine Revision des Programms und eine Umbildung in der Zusammensetzung des Ausschusses zu erreichen. Diese Bestrebungen scheiterten jedoch. Die Spartakusgruppe hatte „sofort mit Hilfe einer anfangs kleineren Gruppe von Delegierten mit der Organisierung eines linken Flügels innerhalb des Rates" begonnen. Obgleich die Haltung der Mehrheit des Arbeiterrates auf der ersten Sitzung „noch parteipolitisch unausgeprägt, also fester Boden" f ü r die Führer der USPD war — so kennzeichneten die Linken die Situation 2 1 8 — stimmte die Versammlung doch einem Appell an die Proletarier Deutschlands und der anderen kriegführenden Länder zu, der zum Massenstreik und gemeinsamen internationalen Klassenkampf f ü r „Frieden, Freiheit und Brot" aufrief. Besonders wurde gefordert, Verbindung mit den Arbeitern des Ruhrgebiets aufzunehmen. 2 1 9 Ebert, Scheidemann und Braun wandten sich jedoch an ihren Gesinnungsgenossen Hué, den führenden Vertreter der Gewerkschaften im Bergbaugebiet, der sich rege dafür einsetzte, den Ausbruch von Kämpfen zu verhindern. Dennoch begannen auch im Ruhrgebiet politische Streikkämpfe; am 28. J a n u a r wurden 35 Schachtanlagen stillgelegt, am 29. waren die Arbeiter von 54 Anlagen in den Ausstand getreten. Im Dortmunder und Bochumer Gebiet wurden Flugblätter verbreitet, die zur Revolution und zur Rätebildung aufforderten. 2 2 0 Die Polizeistellen berichteten, daß der Ausbruch der Streiks im Reich meist die Antwort auf den Aufruf des Berliner Arbeiterrats bildete. Vielfach wurden auch die Berliner Forderungen übernommen. In Danzig und Köln gründeten die Streikenden Vertretungskörperschaften, die mit den Behörden in Verhandlungen traten. Die Versammlung der Kölner Obleute wählte einen Ausschuß, dem 4 Streikende, ein Redakteur und 2 Arbeitersekretäre angehörten, und beauftragte ihn, bei den Behörden die Annahme der Forderungen der Ausständischen, die im wesentlichen dem Berliner Programm entsprachen, zu verlangen. Der Ausschuß ließ sich jedoch in seiner Verhandlung mit dem Regierungspräsidenten durch Zugeständnisse in der Frage der Lebensmittelversorgung dazu bewegen, die politischen Forderungen aufzugeben. 2 2 1 Wie in Köln, so wirkten auch in Hamburg die Führer der USPD in den Vertretungskörperschaften f ü r die Abwiegelung des Kampfes. Die Berichte der Hamburger Behörden vermerkten jedoch, daß die Arbeiter eine Radikalisierung der Bewegung wollten. Die Obleute gerieten, da ihnen Klarheit über die Aufgaben fehlte, unter den Einfluß der Mehrheitssozialisten und stellten ein Programm auf, das nur ökonomische 218 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 101. 219 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 4, Bl. 496. Ebenda, Bd. 3, Bl. 20. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 57. 220 Hans Spethmann: a. a. 0., S. 52—61. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 47, 106. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 83. 221 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 16—17. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 112—113.
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Forderungen enthielt. Während die Vertreter der USPD das duldeten, erzwangen die Arbeiter durch ihre Proteste eine politische Zielsetzung, die den Berliner Forderungen ähnlich war. 222 Wie aus Mitteilungen über die Streikbewegung in sächsischen Industriestädten hervorgeht, wehrten sich auch dort die Arbeiter gegen die Einengung ihres Kampfes durch die Zentristen. Auf einer Streikversammlung in Deuben wies ein Vertreter der USPD nach Darlegung der Berliner Beschlüsse darauf hin, der alleinige Zweck des Streiks sei die Bekämpfung der Annexionisten, die man selbst im Reichstage als regierungsfeindlich bezeichnet habe; ihm wurde von Arbeitern in der Diskussion unter allgemeinem Beifall erklärt, daß der Hauptstoß sich gegen die Regierung richten müsse. Ein Arbeiter forderte die Bildung einer Kommission der Streikenden, die unter Ausschluß der Gewerkschaft und SPD von den Betriebsbelegschaften gewählt werden sollte. Dieser Vorschlag, der dem Aufruf der Spartakusgruppe zur Schaffung von Räten entsprach, wurde durchgesetzt; der Zutritt von je zwei Vertretern der USPD und der SPD zu dieser Körperschaft konnte jedoch nicht verhindert werden. Die Kommission wurde beauftragt, noch am gleichen Tage der sächsischen Regierung die Forderungen vorzutragen und am nächsten Tage über das Ergebnis zu berichten. Die Regierung lehnte den Empfang der Delegation ab. Weitere Versammlungen wurden verboten. Eine Regierungserklärung, die über eine Aussprache mit Vorstandsmitgliedern der SPD berichtete, suchte, um zur Beruhigung beizutragen, glaubhaft zu machen, der Staat sei bereit, im Interesse der politischen Wünsche der Arbeiter zu handeln. 2 2 3 Während sich die Streikenden in verschiedenen Städten, z. B. in Kassel, Jena und Magdeburg, mit der Absendung von Telegrammen an die Reichsleitung durch ihre Vertretungskörperschaften, die die Annahme der Forderungen des Berliner Arbeiterrates verlangten, zufriedenstellen ließen, gaben die Arbeiter in Nürnberg, Fürth, Schweinfurt, Ludwigshafen und München in Demonstrationszügen ihrem Kampfwillen Ausdruck. Die sächsische Gesandtschaft in München berichtete, man habe in Regierungskreisen den Eindruck erhalten, „daß man auf einem Vulkan stehe". Das Ministerium konnte es nicht wagen, Verhandlungen mit den Organen der Streikbewegung abzuschlagen. 2 2 4 In Kiel war es schon am 27. Januar zu Versammlungen der Arbeiter der Werften und Werkstätten von Kiel und Friedrichsort und zur Wahl von Arbeiterräten gekommen, deren Zweck es sein solltq, das „Instrument des proletarischen Klassenkampfes" zu bilden. Wie Popp, einer der Organisatoren des Streiks, erzählt, habe der Plan bestanden, „den Krieg durch die Revolution zu beenden", wozu mit Vertrauensleuten in der Marine verabredet gewesen sei, in gemeinsamer Aktion von Arbeitern 222
Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 69—70, 72. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 70—71. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 36 —45, 35, 50, 51. 224 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 13581/1, Bl. 156, 157. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 132. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 135. 223
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und Soldaten zunächst Rathaus, Post und Bahnhof zu besetzen, den Gouverneur gefangenzunehmen und die politischen Gefangenen zu befreien. Durch Verhaftung der Vertrauensmänner und der Führer des zentralen Arbeiterrates in Kiel habe dieser Plan nicht durchgeführt werden können. Dennoch behielt der Kampf eine politische Zielstellung. Selbst die Mitglieder der SPD im Kieler Arbeiterrat traten den Versuchen Legiens, der in Kiel eine Beruhigung herbeiführen wollte, entgegen und forderten den politischen Kampf. Die Führer der USPD konnten jedoch in der Entschließung der Streikenden ihre Losungen in den Mittelpunkt stellen. 225 Immer wieder kann man aus den Berichten über die Streikkämpfe ersehen, daß die sozialchauvinistischen oder sozialpazifistischen Führer die Leitung der Bewegung überall ¡in die Hand zu nehmen suchten, um sie zu entkräften. In einigen Städten, in Dresden und Mainz z. B . , 2 2 8 wandte sich die USPD direkt gegen die Organisation von Streiks. Die Berichte zeigen aber verschiedentlich, daß diese Taktik nicht dem Wollen 'der Massen entsprach und die Arbeiter nicht nur warnen und drohen wollten. Es ist bezeichnend, daß selbst in pommersche Städte „Beschwichtiger aus Berlin" geschickt werden mußten, weil auch dort vielen Arbeitern klar war, wie das stellvertretende Generalkommando des II. Armeekorps schrieb, 227 „daß es sich bei diesem Streik nicht um Lohnfragen oder Ernährungsfragen handelt, sondern lediglich um politische Machtfragen". In Berlin nahm der Kampf der Arbeiter die heftigsten Formen an. Die Zusammensetzung des Berliner Arbeiterrates und dessen Kundgebungen ließen darauf schließen, daß diese Körperschaft unter den Einfluß der Linken geraten werde; die Behörden verboten ihm deshalb jede weitere Tagung und Tätigkeit Obgleich der Aktionsausschuß der Räte, der ebenfalls schon am 29. Januar nicht mehr legal tagen durfte, jetzt praktisch von der Pflicht der Rechenschaftslegung entbunden war, wagten die zentristischen und sozialchauvinistischen Führer in den Verhandlungen mit den Behörden doch nicht, die aufgestellten politischen Forderungen preiszugeben. Die Vertreter der Streikenden im Aktionskomitee ließen es auch nicht zu, daß von den Parteiführern gesondert offizielle Besprechungen mit den Behörden geführt wurden, wie seitens der staatlichen Stellen vorgeschlagen worden war. Scheidemann und Haase lenkten die Arbeiter von den Fragen der Weiterführung des Kampfes ab durch Umgruppierung der Delegation, durch Vermittlungsvorschläge an die Behörden und durch andere Manöver. Aber die Streikenden, die sich schon am 29. Januar in großen Massen vor dem Tagungsort des Ausschusses zusammenfanden, erzwangen Rechenschaftslegung über das Ergebnis der Verhandlungen und zur Festlegung weiterer Kampf maßnahmen. Tumult entstand, als die Arbeiter von der ablehnenden Haltung der Regierung erfuhren. Bezüglich der Verbote wurde von ihnen geäußert, man werde sehen, wer der Stärkere sei. Schon an diesem Tage löste die Polizei Lothar Popp/Karl Artelt: a. a. O., S. 6—8. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 21, 42—43. 226 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 3, Bl. 154. 227 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 227. 226
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Massenversammlungen auf, in denen weitere Maßnahmen zur Durchführung des Generalstreiks, der Verhinderung der Westoflensive und des Separatfriedens sowie zur Freilassung der politischen Gefangenen beraten werden sollten. 2 2 8 Die Zahl der Streikenden wuchs. Der Aktionsausschuß, gehemmt durch die Taktik der Parteiführung, gab jedoch nur in unzulänglicher Weise Antwort auf die Frage der Fortsetzung des Kampfes. In einem Flugblatt vom 29. Januar begrüßte er die Ausdehnung der Bewegung; doch die Ablehnung von Verhandlungen durch die Behörden wurde von ihm nicht zur weiteren Aufrüttelung der Massen gegen die Regierung genutzt. Es wurde lediglich darauf hingewiesen, daß man die Arbeiter wie politisch unmündige Kinder behandele, daß die Schlußfolgerung sein müsse, fest zusammenzuhalten. „Die Bewegung muß so gewaltigen Umfang annehmen, daß die Regierung unserem berechtigten Verlangen nachgibt." 229 Es waren wiederum allein die Mitglieder der Spartakusgruppe, die den Streikenden einen Weg zur Weiterführung des Kampfes wiesen. 2 3 0 In den Aufrufen erklärte die Spartakusgruppe, daß Verhandlungen des Aktionskomitees mit der Staatsbehörde nur dann einen Sinn im Interesse des Fortschritts haben könnten, wenn sie bezweckten, den Massen vor Augen zu führen, daß nichts von der Regierung zum Vorteil der Arbeiter zu erwarten sei. Durch die Haltung der Regierung und ihre Verbots- und Strafmaßnahmen sei offenkundig geworden, daß man nicht verhandeln, sondern handeln müsse. Sie mahnten, nicht alles nur von den Räten und dem Ausschuß zu erwarten, sondern selbst mit einzugreifen; denn die Entscheidung werde „nicht am Verhandlungstisch, nicht im Aktionsausschuß und sogar nicht im Arbeiterrat, sondern einzig und allein auf der Straße fallen". Die Spartakusgruppe leugnete damit keineswegs die Bedeutung der Räte für den Kampf, sondern handelte ähnlich — wenn auch nicht so zielklar — wie die Bolschewiki, die ebenfalls immer wieder die Massen zur eigenen Aktivität und zum Vorantreiben der menschewistisch beherrschten Sowjets aufgefordert hatten. Die Linken riefen auf, in den Stadtteilen aus den Arbeiterräten der Fabriken Bezirksleitungen und Ausschüsse, Organe zur Leitung der weitergehenden Aktionen, zu organisieren. Dabei nannten sie den Massen und den Räten auch weitere Schritte des Kampfes. Ihr Programm müsse nunmehr sein, so hieß es in den Aufrufen, der Polizeigewalt mit allen Mitteln entgegenzutreten, alle Betriebe und Verkehrsmittel stillzulegen und die Soldaten f ü r den Kampf zu gewinnen. Es gelte nunmehr, mit der Reaktion „russisch" zu reden. Ausführlich legten sie den Streikenden dar, daß es Betrug sei, wenn von den „Demagogen der Scheidemann-Clique" erklärt werde, demokratische Reformen seien der Weg, der zum Sozialismus führe. Keine 228
Ebenda, Bl. 187. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. I), Nr. 3a, Bd. 3, Bl. 15, 95, 215. 229 Harald v. Koenigswald: Revolution 1918, Breslau 1933, S. 31—32. 230 Spartakus im Kriege, a. a. 0., S. 193—194, 195—198, 189—190. Harald v. Koenigswald: a. a. O., S. 33—34. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 233. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 3, Bl. 83.
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Reformierung dieser Regierung könne etwas an ihrem Wesen ändern, hieß es in den Spartakusflugblättern, in denen am Beispiel der USA dargelegt wurde, daß eine Demokratisierung des kapitalistischen Staates letztlich nur dazu angetan wäre, ein besseres „Werkzeug der brutalsten Klassenherrschaft des Kapitals" zu schaffen. Die Forderung demokratischer Freiheiten habe nur Sinn „als Etappe im Kampf um gänzliche Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung", betonten die Linken gegenüber den Bestrebungen der Parteiführer, die Bewegung im Rahmen dieses ersten Programms zu halten, und riefen auf zur Massenrevolution, zum Sturz der Regierung, zur Errichtung einer „deutschen Arbeiterdemokratie". Durch diese Aufklärungsarbeit und die Darlegung von Aufgaben für den Übergang zu einer höheren Etappe des Kampfes gaben sie den Streikenden und den fortschrittlichen Kräften unter den Räten eine Anleitung, die f ü r die Weiterentwicklung der Kampforgane der Arbeiter, für deren Befreiung von der Fessel, die ihnen Regierungssozialisten und Zentristen angelegt hatten, von großem Nutzen sein mußte. Auf den Massenversammlungen unter freiem Himmel und bei den großen Demonstrationen nach dem 30. J a n u a r zeigte es sich, daß die Arbeiter aus den Erfahrungen gelernt hatten und revolutionäre Aktivität entwickelten. Am 31. Januar und an den folgenden Tagen kam es in verschiedenen Stadtteilen zu blutigen Straßenkämpfen mit der Polizei, bei denen Arbeiter, die der SPD und der USPD angehörten, und Parteilose mit in den ersten Reihen der Kämpfenden standen. 2 3 1 Am 1. Februar hatte der Aktionsausschuß den Delegierten der Arbeiterräte die Anweisung zugehen lassen, in ihren Bezirken „für Ruhe zu sorgen", da Verhandlungen mit dem Reichskanzler in Aussicht genommen seien. 2 3 2 Aber die Erbitterung der Streikenden war nicht zu beschwichtigen. Sie erwarteten von ihrem Arbeiterrat „eine gleiche fruchtbringende Tätigkeit als die des russischen". 2 3 3 In den Stadtteilen begannen sie — oft unter Führung der Spartakusanhänger — mit der Bildung von Bezirksräten. In verschiedenen Gastwirtschaften wurden Geheimversammlungen der Räte abgehalten. Verkehrslokale der Streikenden wurden eingerichtet, von denen aus teilweise auch Versuche unternommen wurden, auf die Soldaten „dahin einzuwirken, sich dem Ausstand anzuschließen". Die Streikbüros waren meist die Zentren, von denen Losungen f ü r den weiteren Kampf ausgegeben wurden. Anfangs hatten die Flugblätter der Informationsbüros der Räte nur darauf hingewiesen, den Streik fortzusetzen, Einberufungen zum Militär keine Folge zu leisten und täglich auf bestimmten öffentlichen Plätzen zusammenzukommen. Noch am 31. Januar war in ihren Aufrufen zwar vom Anwachsen der Kämpfe in Berlin, Kiel, Danzig und anderen Städten berichtet und die Entschlossenheit des Auftretens der Streikenden für die großen Ziele der Arbeiterschaft hervorgehoben worden, aber die Frage des Verhandeins mit der Staatsleitung hatte auch hier noch im Vordergrund gestanden. Die Regierung müsse zu spüren bekommen, war darin gesagt worden, daß es den Streikenden mit ihren Forderungen ernst sei. Der 231 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D Nr. 3 a, Bd. 4, Bl. 453—456. 232 Ebenda, Bd. 3, Bl. 33. 133 Ebenda, Bl. 254.
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Einfluß des Zentrismus und die Illusion, man könne die Regierung und den Reichstag bestimmen, im Sinne der Arbeiter zu handeln, waren hier noch vorherrschend gewesen. Aufrufe der Räte, die an den folgenden Streiktagen erschienen, zeigten jedoch ein Zurücktreten dieser Tendenz. Deutlicher noch geht das aus den Polizeiberichten über die praktische Tätigkeit der Räte hervor. Verschiedene Mitteilungen sprachen z. B. davon, daß man in den Streikleitungen Pläne zur Stillegung der gesamten Verkehrsmittel sowie der Elektrizitäts- und Gaswerke berate. Es wurden schließlich auch Aufrufe herausgegeben, die von den Transportarbeitern und den Angestellten der Straßenbahnbetriebe die Teilnahme am Kampf forderten. Durch Umstürzen von Straßenbahnen und andere Maßnahmen verhinderten die Streikenden vielfach die Aufrechterhaltung des Straßenbahnverkehrs. In einzelnen illegalen Zusammenkünften der Räte wurden Beschlüsse gefaßt, die Demonstranten zur Bewaffnung aufzufordern. Am 2. Februar wurde von Arbeiterdelegierten die Parole ausgegeben, sich zum Sturm auf das Polizeipräsidium zusammenzufinden. Die Militärstellen zogen auf der Schloßinsel heimlich Truppen zusammen, da die Polizeimacht nicht mehr zur Sicherung ausreichte. 234 Auch auf den Aktionsausschuß der Räte wirkte sich diese Verschärfung der Kämpfe aus. Die rechten Führer der SPD erkannten, daß der Streik „ein vernichtender Schlag" für die Regierung werden konnte. Wie Scheidemann berichtet, wurden sogar in diesem Gremium, in dem die erfahrensten Wortführer des Sozialchauvinismus und Sozialpazifismus mit vertreten waren, Maßnahmen für die Zuspitzung der Kämpfe gefordert. Es habe „der ganzen Kaltblütigkeit und sorgfältigsten Überlegung" seitens der mehrheitssozialistischen Führer bedurft, schreibt Scheidemann, um im Aktionskomitee „übereilte" Beschlüsse zu verhüten. 235 Aus Aufzeichnungen der Behörden geht hervor, daß in dieser Körperschaft während der Zeit des Ubergangs zur nächsten Etappe der Bewegung eine gewisse Umgruppierung der politischen Kräfte vor sich ging, wobei „die alten Sozialdemokraten aus derselben hinausgedrängt" wurden. 236 Ebert und Scheidemann suchten nunmehr, durch private Unterredung mit dem Reichskanzler einen Weg zu finden, um „dem Ausstand ein möglichst feierliches Begräbnis zu bereiten". 237 Der Führer der USPD, Haase, der sich schon im April des Vorjahres gegenüber Groener zum Verrat an den Arbeitern bereit erklärt hatte, 238 beteiligte sich zusammen mit Ledebour an dieser hinterhältigen Aktion. Die Regierungsstellen begannen nach dem 31. Januar in Berlin und in Städten Westdeutschlands mit der Verschärfung des Belagerungszustandes und der Einsetzung 234 Ebenda, Bd. 4, Bl. 143—144, 120, 167, 166, 123, 263—267, 279, 70, 75, 76, 80—81, 141. Ebenda, Bd. 3, Bl. 356—358, 361, 337, 135—136, 149, 27, 354, 363, 50, 69. 235 Philipp Scheidemann: Der Zusammenbruch, Berlin 1921, S. 77, 79. 236 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 9 0 a , B I I I 2 b , Nr. 6, Bd. 167, Bl. 40. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D , Nr. 3 a , Bd. 3, Bl. 32, 149, 135. Ebenda, Bd. 4, Bl. 75. 237 Ebenda, Bd. 3, Bl. 139, 440 (S. 11). Richard Müller: a. a. O., S. 108—109. 23S Dorothea Groener-Geyer: a. a. O., S. 57.
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außerordentlicher Kriegsgerichte. Verhaftungen wurden in großer Zahl durchgeführt. In Berlin wurden sieben Betriebe unter militärische Leitung gestellt. Die Militärbehörde ließ kaisertreue Truppeneinheiten durch Berlin marschieren. Den unteren Polizeistellen wurde besonders aufgetragen, Nachforschungen über die Tätigkeit der Räte anzustellen und im Falle positiver Ermittlungen sofort Verhaftungen vorzunehmen. Bezüglich des Verhaltens gegenüber den Reichstagsabgeordneten, die eine Position in den Räten hatten, wurden dabei Einschränkungen gemacht. Am 1. Februar verfügte auch das stellvertretende Generalkommando des X I I . Armeekorps in Dresden, notfalls militärische Gewalt zur Zerschlagung der Bewegung einzusetzen. Die Truppenmacht sollte in erster Linie zur Unterbindung von Demonstrationszügen, zum Schutz von Streikbrechern und zur Verhinderung der Betätigung von Arbeiterräten und Aktionskomitees herangezogen werden. 2 3 9 Doch mehr noch als die Anwendung der Brachialgewalt bewirkten die Manöver der zentristischen und sozialchauvinistischen Führer den Abbruch des Kampfes. Die Vertreter des Vorstandes der S P D rühmten sich später selbst dieser Tätigkeit. 2 4 0 Die Zentristen mußten in den Beratungen der Obleute zugestehen, daß die Situation für die Uberleitung der Bewegung in den Bürgerkrieg reif sei. Durch Erklärungen, diese Situation bestehe nur in Berlin, ein lokaler Aufstand sei sinnlos, der Anschluß der Truppen sei nicht gewiß, 241 ließ sich aber die Mehrheit der Räte irreführen. Wenn sich die Losungen der Linken, zum bewaffneten Aufstand überzugehen, gegenüber den Argumentationen der Zentristen innerhalb der Räte nicht durchsetzten, dann hatte das auch darin seinen Grund, daß die Vertreter der Spartakusgruppe eine Politik verfochten, die in der Tendenz richtig, doch im einzelnen noch fehlerhaft war. Zwar hatten sie wesentliche Hinweise gegeben, die den Ubergang zu einer höheren Etappe der Bewegung und die Entwicklung der Räte fördern mußten, doch ihre Parole der Errichtung der „Volksrepublik" und der „Arbeiterdemokratie" bedurfte der Erläuterung, um von den Massen deutlich verstanden zu werden. 242 Wenngleich von ihnen richtig erkannt worden war, daß die Räte nur dann Bedeutung haben konnten, wenn sie zu Organen des Kampfes, der revolutionären Aktivität der Arbeiter wurden, so gaben ihre Losungen und Aufrufe nur teilweise ein Programm mit genau gekennzeichneten Maßnahmen für die Herbeiführung des Sturzes der Regierung. In wessen Hand die neue Regierung gegeben werden sollte, war zwar in der illegalen Presse der Linken deutlicher ausgeführt worden, doch die Flugblätter sagten das nur in umschriebener Form. Von den notwendigen ersten Aufgaben dieses Staates der „Arbeiterdemokratie" war kaum die Rede. Sie hatten die Massen auf das Mittel zur Führung des politischen Massenstreiks und des revolutionären Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 63—65. 240 Philipp Scheidemann: Der Zusammenbruch, a. a. O., S. 79. Friedrich Ebert: Kämpfe und Ziele, a. a. O., S. 353—354. 241 Richard Müller: a. a. O., S. 109—110. 242 Vgl.: P. Langner: Der Massenstreik im Kampfe des Proletariats, Berlin 1931, S. 46—48. Langner stellt die Mängel der Spartakusgruppe zu sehr in den Vordergrund, übertreibt sie und schädigt damit die Pflege der revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterklasse. 239
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Revolutionäre
Ereignisse
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Kampfes, auf die Räte, hingewiesen, aber auf die Organisation und direkte Lenkung dieser Institution nahmen die Linken, abgesehen vom Handeln der Mitglieder im einzelnen, nur ungenügend Einfluß. Während die Zentristen ständig auf die Leitung der Räte einwirkten, Zusammenkünfte der Obleute einberiefen und bestrebt waren, auch die Leitung der Informationsbüros und der Bezirksräte in die Hand zu bekommen oder den Einfluß auf sie zu behalten, wurde von der Spartakusgruppe n u r am 28. J a n u a r auf der Tagung der Deputierten ein zeitweiliger Zusammenschluß der fortschrittlichsten Kräfte im Arbeiterrat organisiert. Die Spartakusanhänger mußten in einem Rundschreiben, das eine Analyse des Januarstreiks gab, selbstkritisch feststellen, daß ihre Leute im Arbeiterrat „zersplittert" und ohne einheitlichen Aktionsplan aufgetreten waren. 2 4 3 Trotz dieser Mängel ist zu sagen, daß es vornehmlich der fördernden Einwirkung der Linken zu danken war, wenn in den meisten Industriegebieten Räte oder ähnliche Institutionen von den Streikenden gebildet worden waren, wenn den Unterdrückten in ganz Deutschland das Werkzeug zur Führung des Kampfes um ihre Befreiung gezeigt worden war. Nur die Linken hatten durch ihre Losungen, ihr praktisches Handeln und ihre Politik in der Rätefrage wesentlich dazu beigetragen, den Streik auf eine höhere Stufe zu heben, ihn, wie Lenin sagte, zu „einer höchst grandiosen Aktion der deutschen Arbeiter", zu einem „Wendepunkt in den Stimmungen des deutschen Proletariats" 2 4 4 zu gestalten. In einem Funkspruch und in Flugblättern wandte sich die Sowjetregierung am 6. Februar 1918 an die deutschen und österreichischen Arbeiter und begrüßte in erster Linie die Tatsache, daß in den Kämpfen des Proletariats in Wien, Berlin, Hamburg und anderen Städten Räte der Arbeiterdeputierten geschaffen wurden. Das war f ü r sie die Bestätigung, daß auch die deutschen Arbeiter den Willen äußerten, den Weg zur Niederwerfung der bürgerlichen Herrschaft und zur Begründung des Friedens und des Sozialismus zu gehen. Sie bestärkte die Arbeiter in ihrer Entscheidung und erklärte ihnen, daß diese Organisation in allen Ländern das Werkzeug der Arbeiterrevolution sei, daß das Proletariat aus den Erfahrungen der russischen Revolution lernen müsse, dieses Organ richtig zu gestalten und einzusetzen, es nicht „in den Klauen des Sozialpatriotismus" zu belassen. „Alles Beste und Heldenhafte im Weltproletariat", hieß es in dem Aufruf, „lauscht in atemloser Spannung auf euch, Genossen und Mitglieder der Wiener und Berliner Arbeiterausschüsse und der Arbeiterdelegierten. Euer Sieg wird den Sieg des Proletariats vollständig und unwiderruflich machen." 2 4 5 Der Bourgeoisie und ihren Helfershelfern war es am 3. Februar gelungen, die Abwiegelung des Streiks zu bewerkstelligen. Doch die Hoffnungen, die das internationale Proletariat in die revolutionäre Aktivität der deutschen Arbeiter und ihre Institutionen, die Räte, setzte, waren dennoch nicht unbegründet. Maßgebliche Repräsentanten der herrschenden Klassen rechneten selbst mit einer solchen revolutionären Entwicklung. Denn die Massen hatten den Kampf zwar abgebrochen, aber nicht auf243 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern,. Nr. 9/12, Bl. 101. in w I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, a. a. 0., S. 441 ^ 246 Ernst Drahn und Susanne Leonhard: a. a. O., S. 140—143.
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gegeben. Die Stimmung unter den Obleuten und Räten, die unter dem Einfluß von Zentristen standen, war, wie einer ihrer Führer berichtet: „ . . . wir brauchen Waffen, wir müssen unsere Propaganda in das Heer tragen. Nur eine Revolution bringt uns Rettung." 2 4 6 Es blieb den Behörden nicht verborgen, daß schon in den folgenden Tagen von den Linken und in Kreisen der Obleute Vorbereitungen für neue Aktionen getroffen wurden. Im Reichsamt des Innern stellte man fest, daß mit dem Januarstreik eine Entwicklung, die seit dem Aprilstreik, speziell seit dem Hervortreten der Anhänger der Gruppe „Internationale" begonnen hatte, ihren Höhepunkt, nicht aber ihren Abschluß gefunden hatte. 247 Der Staatsapparat beschränkte seine Tätigkeit zur Niederhaltung der Arbeiterklasse daher nicht darauf, nur den Streik zu unterdrücken und gegen die Räte und Obleute vorzugehen. Er entfaltete eine umfangreiche Arbeit, um die Bewegung, die die Räteorganisation hervorgebracht hatte, abzuwehren. Schon nach dem Aprilstreik war damit begonnen worden; denn in den zahlreichen ökonomischen und politischen Streiks nach dem April 1917, in denen teilweise erneut Räte entstanden waren, 248 hatte sich eine Tendenz des Klassenkampfes angedeutet, die der Staat nicht nur durch zeitlich und örtlich begrenzte Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg bekämpfen konnte. Auf einer Mitte Mai 1917 einberufenen Besprechung von Vertretern der Behörden im Kriegspresseamt war beispielweise zu diesem Problem Stellung, genommen worden. Zur Kennzeichnung der Gefahr, die man in der Institution der Obleute und in der Verbreitung revolutionärer Flugblätter erblickt hatte, war der Hinweis eines Generalkommandos zitiert worden, man nähere sich der Art des russischen Arbeiter- und Soldatenrates. Für die Bekämpfung solcher „Gefahren" war die „Zusammenarbeit mit dem rechten Flügel der sozialdemokratischen Partei" als „politische Notwendigkeit" bezeichnet worden. 2 4 9 Auch auf einer Beratung Schwerindustrieller im August 1917, an der Hugenberg, Emil Kirdorf, Reusch, Röchling, Springorum, August Thyssen, Vogler und Duisberg teilgenommen hatten, war bezüglich dieser Fragen dem Staatsekretär des Innern erklärt worden, daß es ausgeschlossen sei, ohne die Hilfe der Gewerkschaftsführer die „bedenkliche" Entwicklung abzuwenden. Man hatte es als „unbedingt notwendig" erachtet, stärker „mit den Führern der Gewerkschaften Fühlung zu nehmen und durch sie und die Gewerkschaftsorgane zu wirken". 2 5 0 Mit deren Hilfe hatte in vielen Fällen zum Nutzen der Bourgeoisie der Ausbruch politischer Kämpfe und die Schaffung der neuen Institutionen der Arbeiter abgewehrt werden können. Waren die Räte durch die Aktivität der Massen gebildet worden, dann hatten es die Gehilfen der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung verstanden, diese Organe ihrer Kraft zu 246
Richard Müller: a. a. O., S. 110. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 6—19. Vgl. auch: Ebenda, Rep. 90a, B III 2b, Nr. 6, Bd. 167, Bl. 139. 248 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11072, Bl. 38. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/11, Bl. 325. 249 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12475, Bl. 102. 250 Ebenda, Nr. 12476, Bl. 70—75. 247
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Günter Schmidt
berauben. Daher waren die staatlichen Stellen mehr und mehr dazu übergegangen, durch Freistellung „zuverlässiger" Gewerkschaftsfunktionäre vom Militärdienst, durch Genehmigung ihrer Versammlungen
und durch andere Zugeständnisse
günstigungen die Tätigkeit der rechten Arbeiterführer zu erleichtern
2S1
und
Ver-
, wobei von
ihnen Sorge getragen worden war, die Bloßstellung dieser Führer vor den Arbeitern zu vermeiden. 2 5 2 Nach dem J a n u a r
1 9 1 8 wurde die Zusammenarbeit zwischen
den
führenden
Politikern der Bourgeoisie und den Vertretern der reformistischen Partei und Gewerkschaftsleitungen intensiver; sie wurde jetzt für die Herrschenden zu einem Gebot der Erhaltung ihrer Macht. Der Januarstreik war für das Innenministerium der Anlaß, den entscheidenden Funktionären des Staates ausführlich und eindringlich die Bedeutung der rechten Arbeiterführer für die Bourgeoisie darzulegen. Am 13. F e b r u a r wurden die Staatsminister in einem Schreiben auf die wichtige Aufgabe hingewiesen, daß die Regierung „ihr Möglichstes" tun müsse, die Spaltung der Arbeiterbewegung aufrechtzuerhalten. „ W a r die Sozialdemokratie nicht unter der Führung der gemäßigten Mehrheit zusammenzuhalten und die Spaltung ein Übel," hieß es darin, „so würde das Übel vervielfältigt, wenn die Sozialdemokratie unter Führung der radikalen Minderheit wieder zusammenfände." Man betonte, es gebe verschiedene Anzeichen, daß eine solche Entwicklung nicht ausgeschlossen sei, daß unter den Faktoren, die das förderten, „die russische Revolution an erster Stelle" stehe. Es wurde erklärt, daß der Einfluß der Radikalen wachse und die „Gefahr" des Rückganges der Autorität der rechten Führer selbst bei ihren Anhängern zunehme; daher müsse m a n erkennen, daß diese Bundesgenossen der Bourgeoisie „im Strom der Radikalisierung untergehen" würden, wenn es ihnen nicht gelänge, ihre Forderungen nach Demokratisierung des bürgerlichen Staates zu erreichen. Die Regierung dürfe sich nicht durch radikale Worte dieser Führer beirren lassen, wurde gemahnt, sondern müsse sehen, daß ein Unterschied „zwischen den laut vertretenen Forderungen und den tatsächlichen Bestrebungen" bestehe, weshalb vom Staate tunlichst zu vermeiden sei, durch eine „Politik ab irato" die Anhänger der S P D der radikalen Bewegung zuzutreiben. Am Beispiel der Parteinahme der Führer der S P D gegen die Bolschewiki und an Hand von Darlegungen über ihr Auftreten im Januarstreik gab man zu verstehen, man werde sich auch in künftigen kritischen Situationen auf sie verlassen können. Während die Forderungen des Vorstandes der S P D nach dem Aprilstreik noch auf den Widerstand der bestimmenden Politiker der Bourgeoisie gestoßen waren, wurde jetzt sogar in dem Schreiben an die Staatsminister davon gesprochen, daß die Kursnahme auf Reformen unumgänglich sei. Mit dem Hinweis auf die Entstehung der Räteorganisation,
die dem Innenministerium
der Beweis
für
das Bestreben
der
Vgl.: Ebenda, Nr. 13581, Bl. 249. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11071, Bl. 105. 2 5 2 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 500, Nr. 52, Bd. 1, Bl. 184. Ebenda, Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 30 b, Bericht vom 22. August 1917. 261
Bätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution
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Arbeiter war, die Petersburger Vorgänge zu wiederholen, wurde die Wichtigkeit solcher M a ß n a h m e n unterstrichen. 2 5 3 Die Entwicklung der Klassenkämpfe hatte die Reichsregierung belehrt, d a ß Zugeständnisse zur Erleichterung der Tätigkeit ihrer Helfershelfer in der Arbeiterbewegung nicht m e h r genügten, u m deren Einwirkungsmöglichkeit auf das Proletariat u n d damit die A b w e n d u n g der revolutionären Bewegung zu gewährleisten. Es wurden Schritte vorbereitet, die Politik im Sinne der Stärkung des Einflusses der F ü h r e r der S P D u n d Gewerkschaften zu gestalten. In ihrer Presse u n d in den Parlamentsdebatten suchten Mehrheitssozialisten u n d Zentristen eine Forcierung des Ubergangs zur K u r s ä n d e r u n g zu begründen, wobei von den sozialdemokratischen Abgeordneten, bezugnehmend auf die Ereignisse im J a n u a r , besonders die Methoden des Verhandelns mit den R ä t e n u n d Obleuten der Streikenden, wie sie von der österreichischen u n d der bayerischen Regierung, v o m Kölner Regierungspräsidenten u n d v o m Oberbürgermeister Kölns, Adenauer, angewandt worden waren, als Muster herausgestellt wurden. 2 5 4 \ on Vertretern der Bourgeoisie, z. B. Friedrich N a u m a n n u n d Theodor Heuß, w u r d e erkannt, daß durch die Entwicklung der Räte und das Eindringen bolschewistischer Ideen die Existenz des bestehenden Staates aufs Spiel gesetzt werde u n d M a c h t k ä m p f e zu erwarten wären. „ W e n n unsere politische Leitung keine Folgerungen zieht," schrieb H e u ß in seinen Darlegungen über den Januarstreik, „so ist sie vor der Wiederkehr ähnlicher Bewegungen nicht gesichert." H e u ß und N a u m a n n forderten als Vorkehrung gegen den Ausbruch von M a c h t k ä m p f e n ebenfalls die E i n f ü h r u n g von Reformen und die Änderung der Regierungsmethoden. 2 5 5 Sie befürworteten damit die Umstellung der Politik i m Sinne der Stärkung des Einflusses der Sozialchauvinisten. Durch solche Vorbereitungen und durch das Zusammenwirken der sozialdemokratischen Abgeordneten mit den Vertretern des Zentrums u n d der Fortschrittler im Reichstag u n d in den interfraktionellen Sitzungen wurde eine Grundlage f ü r die im Oktober beginnende Beteiligung der Mehrheitssozialisten an der Regierung, f ü r den Übergang zur Parlamentarisierung und schließlich f ü r die Übertragung der Staatsleitung a n die F ü h r u n g der S P D geschaffen. Dieser Vorbereitungsprozeß f ü r den Wandel in den Methoden zur Niederhaltung der Ausgebeuteten wird speziell in der sozialdemokratischen Literatur als der „ K a m p f " f ü r Fortschritt und Sozialismus dargestellt. Die Verfechter der Parlamentarisierung einerseits u n d andererseits deren Opponenten, die Konservativen u n d die O H L , werden als „die inneren Fronten", 2 5 6 als der Gegensatz, der „die Armen u n d die 253
Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12476, Bl. 176—191. Vgl. auch: Erich Otto Volkmann: a. a. O., S. 291ff. 254 Verhandlungen des Reichstages, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Stenographische Berichte, Bd. 311, S. 4168ff. Mitteilungen über die Verhandlungen des Landtages, II. Kammer, Nr. 31, Dresden, vom 21. Februar 1918, S. 1056, 1060—1062, 1066. 266 Friedrich Naumann: Europäische Revolution? in: „Die Hilfe", vom 14. Februar 1918. Theodor Heuß: Folgerungen, in: „Deutsche Politik", vom 3. Februar 1918. 26fi Friedrich Stampfer: a. a. O., S. 24.
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Reichen, die Herrscher und die Beherrschten in Deutschland" trennte, 2 3 7 hervorgehoben. Die Konsequenz einer solchen Konzeption führt dazu, daß — da die Parlamentarisierung sohon im Oktober von oben „geschenkt" worden war — der revolutionäre Kampf der Massen im November schließlich als Rebellion „gegen sich selbst" 2 5 8 oder als Ergebnis eines „Mißverständnisses" 2 5 9 abgetan wird. Die Institution der Räte wird dieser Konzeption eingeordnet, indem sie als eine Form des Einsatzes der Arbeiter für die Parlamentarisierung gekennzeichnet wird. Einer der Hauptverfechter der Parlamentarisierung, General Groener, hatte schon aus dem Erlebnis der Kämpfe der Arbeiter im April 1917 die Überzeugung gewonnen, die bestehende staatliche Form würde eines Tages dem Ansturm nicht standhalten und daß es falsch wäre, sich der herannahenden Welle unmittelbar entgegenzustellen, „weil sie den, der sich ihr entgegenstellt, restlos über den Haufen wirft". Er hatte bereits damals geraten, dem vorzubeugen, um nicht unterzugehen. 2 6 0 Zu dieser Zeit hatte Hugo Stinnes, der die Politik der O H L maßgeblich bestimmte, die Erwägungen Groeners noch abgelehnt. 2 6 1 Doch in den folgenden Monaten, besonders nach dem Januarstreik, kam man auch in den Kreisen der Schwerindustrie zu anderen Auffassungen. Bei Beratungen, die von ihren Vertretern Anfang Oktober 1918 im Stahlhof zu Düsseldorf abgehalten wurden, sah man sich schließlich gezwungen, zur Rettung des Kapitalismus die Vorschläge Groeners und der rechten Partei- und Gewerkschaftsführer konsequent zu verwirklichen. 2 6 2 Es war nicht die Sache der Beherrschten und der Armen, die unter der Parlamentarisierung und der Wahlrechtsreform von langer Hand wurde. Es ging um den Schutz der herrschenden Klassen gegen das gegen die Arbeiterregierung. Groener, Scheidemann u. a. bestätigten das
der Losung vorbereitet Rätesystem, später. 2 6 3
Es ist notwendig, auf diese Vorbereitungsmaßnahmen der Vertreter der Kapitalistenklasse hinzudeuten, weil dieser Prozeß zeigt, daß die Bourgeoisie auch in Deutschland die Entstehung einer Räterepublik und das Schicksal herannahen sah, das der Kapitalismus in Rußland erlebt hatte. Die deutsche Bourgeoisie, belehrt durch die Erfahrungen ihrer russischen Klassengenossen, trat der Rätebewegung weitaus besser gewappnet als diese entgegen. Ihr standen in den Führern der S P D und Gewerkschaften Helfer zur Seite, die ihr Geschick in der Täuschung der Massen erprobt hatten und in der Ausarbeitung dementsprechender „marxistischer" Theorien führend in Europa waren. Seit dem Aprilstreik begann die herrschende Klasse mit Vorkehrungen mannigfaltiger Art gegen die Revolution. Darüber gab es oft heftige Auseinandersetzungen Arthur Rosenberg: a. a. 0 . , S. 162. Ebenda, S. 229. Walter Tormin: a. a. O., S. 55. 269 Walter Tormin: a. a. 0 . , S. 134. 3 8 0 Der Dolchstoß-Prozeß in München, a. a. O., S. 201—202. 261 Ebenda, S. 202. 2 9 2 Richard Müller: a. a. O., S. 122. 2 6 3 Dorothea Groener-Geyer: a. a. O., S. 197. Vgl. auch: Der Dolchstoß-Prozeß in München, a. a. O., S. 125, 131—132, 245—246. 257
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Rätebewegung in Deutschland bis zur Novemberrevolution
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zwischen den Fraktionen der Bourgeoisie und zwischen diesen und den rechten Partei- und Gewerkschaftsführern. Sozialchauvinisten und Zentristen verknüpften dabei ihre Argumentation vielfach mit Hinweisen auf die Wahlrechtskämpfe der Arbeiterbewegung vor Kriegsbeginn und erweckten den Glauben, sie handelten im Sinne von Marx, Engels und Bebel. Diese Auseinandersetzungen waren dazu angetan, der Arbeiterklasse die Erkenntnis zu erschweren, daß man gegen sie handelte. Dennoch konnte die Bourgeoisie die Weiterentwicklung der Rätebewegung nach dem Abbruch der Kämpfe im Januar nicht abwenden.
2. Das Heranreifen der Revolution und der Beschluß der Reichskonferenz Spartakusgruppe vom 7. Oktober 1918 über die Bildung von Räten
der
Ein großer Teil der Arbeiterklasse hatte im Januarstreik die Forderung der Wahlrechtsreform und der Parlamentarisierung noch nicht als die „Parole der Konterrevolution" erkannt. Die Bekämpfung dieser Losung, die die rechten Führer nunmehr mit verstärkten Anstrengungen in die Massen zu tragen suchten, war eine Vorbedingung f ü r die Revolutionierung des Proletariats und die Neuerweckung der Räte zu Organen des Machtkampfes. Von den l i n k e n wurde die Dringlichkeit dieser Aufgabe verstanden. In ihrer Presse und in vielen Flugblättern enthüllten sie den Charakter der Reformpläne und sagten den Arbeitern, daß ihr Weg der der Revolution, nicht der Reform sei. Dem bürgerlichen Parlamentarismus stellten sie das Rätesystem, das in Rußland errichtet war, gegenüber. Sie waren jetzt auch in der Lage, die Merkmale der neuen Herrschaftsform und die Gründe der Überlegenheit der Arbeiterdemokratie im Vergleich zum bürgerlichen Parlamentarismus herauszustellen. 264 Nach der Herstellung der parlamentarischen Regierung suchten sie den Massen bewußt zu machen, daß es sich hierbei um die „Änderung von Äußerlichkeiten" handelte, „um den Kern und das Wesen der alten Klassenherrschaft zu retten" und die proletarische Revolution aufzufangen. 2 6 5 Ihre Darlegungen zu der Frage, wie das Proletariat zur Errichtung seiner Macht vorgehen müsse, gewannen nach dem J a n u a r 1918 an Klarheit. Kurze Zeit nach den Januarkämpfen Wurde von den Linken ein Flugblatt verbreitet 2 6 6 , das als Mittel der organisierten Gewaltanwendung zur Herbeiführung des sofortigen Friedens und zum Sturz der bestehenden Gesellschaftsordnung die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten nannte. Darin wurde nicht nur die Anweisung gegeben, in welcher Form in den Betrieben und Truppenteilen die Organisation aufgebaut werden sollte, sondern es wurden auch Richtlinien für die Tätigkeit der Räte unterbreitet. Damit die Organisation befähigt werde, als Instrument des Kampfes zu handeln, wurde geraten, nur revolutionäre Klassenkämpfer als Räte zu wählen. Es wurde ihnen aufgegeben, die Massen f ü r die Revolution zu gewinnen, um 264 „Arbeiterpolitik", a. a. O., Nr. 8, vom 23. Februar 1918, Nr. 23, vom 8. Juni 1918, Nr. 29, vom 20. Juli 1918. 265 Spartakusbriefe, a. a. O., S. 189, 191. 266 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 97—98.
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schließlich im Verlauf der Aufstände „sich der Regierungsgewalt zu bemächtigen und die deutsche Volksrepublik auszurufen". Es wurde dazu vorgeschlagen, mit der Bewaffnung eines Teiles der Arbeiter zu beginnen. Diese wichtige Forderung erscheint hier zum erstenmal, und zwar im Zusammenhang mit der Erörterung des Kampfes um die Macht. Erstes Ziel der Erhebungen sollte es sein, den Kampf gegen die Polizei aufzunehmen, die Munitionsfabriken zu besetzen und die „Reptilienpresse" auszuschalten. Die bestehenden parlamentarischen Körperschaften sollten aufgelöst, die Regierungsorgane des Staates durch Volkskommissare ersetzt werdenMan muß diesen Aufruf im Zusammenhang mit den Losungen für den Beginn der Aktionen betrachten, die im J a n u a r von der Spartakusgruppe propagiert wurden; hier wurde lediglich der Weg skizziert, der beim Übergang zur höheren Etappe der Bewegung beschritten werden sollte. Die Spartakusgruppe hatte bei der Analyse des Massenstreiks festgestellt, daß den fortschrittlichen Kräften in den Räten ein Kampfplan gefehlt hatte, der sie nach dem 31. J a n u a r in die Lage versetzt hätte, die Bewegung zum Kampf um die Macht weiterzutreiben. Es ist von Bedeutung, daß bei der Lösung dieses Problems der Frage der Zusammensetzung der Räte größere Bedeutung geschenkt und der neuen Institution deutlich die Aufgabe gestellt wurde, die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen und die Staatsmacht in die Hand zu nehmen. In den Flugblättern und in den Aufsätzen der illegalen Presse der Linken trat in den folgenden Monaten die Bezeichnung dieses Zwecks der Rätebewegung immer präziser hervor. 267 Der Losung der Parlamentarisierung und Wahlrechtsreform wurde die Parole: Alle Gewalt den Räten! entgegengestellt. Während man bis zum Sommer 1918 nur in der Zeitung der Bremer Linken durch Ubersetzungen oder Berichte von Reden und Aufsätzen der Vertreter des Sowjetstaates, besonders Lenins, genauere Kenntnis über die Probleme der Gestaltung und Tätigkeit der Räte erhalten konnte, erschienen jetzt illegale Flugschriften und Broschüren, in denen dargestellt wurde, wie von den russischen Arbeitern der Sturz der kapitalistischen Ordnung bewerkstelligt und mit Hilfe der Räte die Herrschaft der Arbeiter und Bauern begründet worden war. Die Linken suchten diese Lehren f ü r das deutsche Proletariat zu nutzen. Auf einer Reichskonferenz am 7. Oktober entwickelten sie ein detalliertes Programm der ersten Etappe der Revolution, in dem sie Freilassung der politischen Gefangenen, Aufhebung des Belagerungszustandes und des Hilfsdienstgesetzes, Annullierung der Kriegsanleihen, Enteignung des Bankkapitals, der Grundstoffindustrie und des Großgrundbesitzes, Übergabe der Lebensmittelverteilung an Vertrauensleute der Arbeiter und Beseitigung der Einzelstaaten und Dynastien als Forderungen erhoben. Als Grundlage einer wirklichen Demokratisierung im Interesse der Arbeiter wurde der „Besitz an Grund und Boden und Kapital, Herr267 ,,Arbeiterpolitik", a. a. O., Nr. 29, vom 20. Juli 1918, Nr. 31, vom 3. August 1918, Nr. 34, vom 24. August 1918, Nr. 38, vom 21. September 1918, Nr. 40, vom 5. Oktober 1938. Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 201—205, 223—224.
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schaft ü b e r die bewaffnete Macht u n d über die J u s t i z " bezeichnet. 2 8 8 In den Aussprachen der Konferenzteilnehmer w u r d e n auch Richtlinien der W e i t e r f ü h r u n g der Bewegung erarbeitet. Endziel des Kampfes sollte die „deutsche sozialistische Republik", die E r r i c h t u n g der proletarischen Diktatur, sein, „die mit der russischen Sowjetrepublik solidarisch ist". 2 6 9 Es w u r d e beschlossen, überall dort f ü r die Organisation des K a m p f e s Arbeiter- u n d Soldatenräte zu bilden, wo das noch nicht erfolgt war. In einer Grußadresse a n die Sowjets gelobten sie, ihren D a n k f ü r deren Hilfe d u r c h Aktionen „entsprechend d e m russischen Vorbild zu betätigen". 2 7 0 Die Bolschewiki h a b e n d e m Beschluß der Spartakuskonferenz, überall die Schaffung v o n R ä t e n zu unterstützen, größte Bedeutung beigemessen. In einem Brief v o m 18. Oktober a n die Mitglieder der Spartakusgruppe stellte Lenin diesen Schritt der deutschen Linken als die wichtigste der von den Konferenzteilnehmern getroffenen M a ß n a h m e n heraus. Die Nachricht von diesem Appell der Oktoberkonferenz bezeichnete er als den Anlaß, u m die „besten W ü n s c h e den deutschen revolutionären Sozialdemokraten-Internationalisten zu übermitteln" u n d ihnen zu sagen, d a ß Spartakus „die E h r e des deutschen Sozialismus u n d des deutschen Proletariats gerettet" habe. Lenin gab im Z u s a m m e n h a n g mit diesen A u s f ü h r u n g e n der H o f f n u n g Ausdruck, „in nächster Zeit den Sieg der proletarischen Revolution in Deutschland begrüßen zu können". 2 7 1 Der F u n k s p r u c h der Sowjetregierung v o m 6. F e b r u a r hatte den deutschen Arbeitern als wichtigste Lehre aus der Entwicklung ihrer Räte genannt, d a ß es darauf a n k o m m e , diese Institution d u r c h Beseitigung des Einflusses der Sozialpatrioten f ü r den Kampf tauglich zu machen. Eindringlich w a r g e m a h n t w o r d e n : „Nur nach bitterer E r f a h r u n g u n d einer ganzen Reihe v o n Fehlern befreiten sich unsere Sowjets v o n d e m I r r t u m der Verteidigungspartei, der der russischen u n d internationalen Revolution teuer zu stehen gekommen ist. Genossen! Wiederholt unsere bitteren E r f a h r u n g e n nicht noch einmal." 2 7 2 Die Linken hatten schon w ä h r e n d des Januarstreiks die Arbeiter aufgerufen, die „Judasse" der Arbeiterbewegung nicht in den Vertretungskörperschaften zu dulden. Sie hatten w ä h r e n d des letzten Stadiums der Bewegung festgestellt, d a ß sowohl die F ü h r e r der S P D als auch die Zentristen die Räteentwicklung „in den Sumpf getrieben" hatten, wie in einem Flugblatt der H a m b u r g e r Linksradikalen hervorgehoben wurde. 2 7 3 Auch in der Analyse der Spartakusgruppe über den Streik, die in 268
Zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands, a. a. O., S. 47—48. Für die Richtigstellung der Datierung der Reichskonferenz der Spartakusgruppe vgl.: Albert Schreiner: Ein historisches Datum ist zu berichtigen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1955, Heft 1, S. 117—118. 269 Ernst Drahn und Susanne Leonhard: a. a. O., S. 114. 270 Ebenda, S. 117—118. Vgl. auch: „Volksbote", (Stettin), Nr. 259, vom 4. November 1918. 271 W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, a. a. O., S. 454. Vgl.: Albert Schreiner: Zu einigen Fragen der neuesten Geschichte, in: ZfG, 1955, Heft 3, S. 298. 272 Ernst Drahn und Susanne Leonhard: a. a. O., S. 142. !7S Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 124.
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erster Linie eine Analyse der Tätigkeit der Räte und der Linken war, wurde herausgestellt, daß die Zentristen, die meist Öie Führung in diesen Institutionen gehabt hatten, „durch ihre Feigheit und Halbheit" „den Karren in den Dreck geschoben" hatten. 274 Sie leiteten daraus die Erkenntnis ab, daß die Bewegung nur dann zum Siege geführt werden könne, wenn es gelänge, die eigene Organisation der Linken in den Räten „in kräftigster Weise zur Geltung" kommen zu lassen- Hatten sie noch im Januar der direkten Einwirkung auf die Organisation und Lenkung der Räte wenig Bedeutung beigemessen, so begannen sie nunmehr damit, als Organisation engere Verbindung zu den Obleuten herzustellen. 273 Zusammen mit ihren Anhängern im Aktionskomitee beriet die zentrale Leitung der Spartakusgruppe in Berlin Fragen der Vorbereitung weiterer Aktionen. Wie aus Spitzelberichten der Polizei ersichtlich ist, wurde auf geheimen Zusammenkünften der Linken auch beschlossen, selbständig die Schaffung von Räten der Soldaten in Angriff zu nehmen. „Man soll sich bereits drei bis vier Berliner Regimenter versichert und soll nach russischem Muster Arbeiter- und Soldatenräte gebildet haben," sagte dazu ein Bericht vom März 1918. 2 7 6 Im April wurden beispielsweise die Genossen Kohn, Wegner und Sternberg von der Hamburger Gruppe der Linken beauftragt, entsprechend den Richtlinien der Spartakusgruppe in Hamburg einen Arbeiter- und Soldatenrat zu organisieren. Sie führten geheime Besprechungen mit Arbeitern der Rüstungsbetriebe und der Werften und mit Anhängern der illegalen Jugendorganisation durch, um ihnen die Ziele zu erläutern. Bald gewannen sie Vertrauensleute, die sie in dieser Tätigkeit unterstützten. 2 7 7 Sie schufen durch die eigene Initiative und ständige Anleitung eine Gewähr f ü r die Gestaltung dieser Institution zu einem Organ des konsequenten Kampfes. Zwar konnte die Polizei in Hamburg durch Verhaftungen die Arbeit der Vertrauensleute unterbrechen, doch gewiß wurde durch diese Vorbereitungen der Linken mit die Grundlage dafür gebildet, daß wenige Monate darauf die Räte in dieser Hafenstadt eine starke Position erkämpfen konnten. Emil Barth, einer der zentristischen Führer der Obleute, berichtet, daß die Zentralleitung, die von Vertretern der USPD beherrscht wurde, nach dem Januar einen schwierigen Stand gegenüber den Spartakusleuten und Linksradikalen hatte. 278 Ernst Meyer, Hermann Duncker und Leo Jogiches, der bis zu seiner Verhaftung im März 1918 Organisator der Spartakusgruppe war, setzten sich dafür ein, den Einfluß der zentristischen Auffassungen unter den Obleuten zu beseitigen. Nach seiner Befreiung nahm auch Liebknecht an den Beratungen der Vertrauensmänner teil. Gemeinsam mit Pieck, Meyer und Duncker bekämpfte er die Taktik der Führer der USPD, die eine Klärung theoretischer Grundfragen unterband und zur Geheimbündelei führte. Liebknecht widerlegte die Meinung, man könne durch konspirative Tätigkeit und überraschendes plötzliches Losschlagen sofort die Massen zum Siege führen, und 27< 275 276 277
Ebenda, Bl. 101. Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 19. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsarbeitsministerium, Nr. 1962/1, Bl. 181. Ebenda, Reichsamt des Innern, Nr. 12473, Bl. 462—464. Emil Barth: a. a. O., S. 29.
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betonte, das führe nur zur Abwiegelung und Erstickung des revolutionären Elans, zum Verrat- Er erklärte den Obleuten, daß m a n durch Fortschreiten von Aktion zu Aktion die Aktivität der Massen entwickeln müsse. „In diesem Kampf," so agitierte er in einer Rede vor den Berliner Obleuten, „aber auch nur in diesem erfolgt die Einigung und Revolutionierung des Proletariats, erfolgt die Demaskierung der Sozialverräter, erfolgt die Klassenscheidung und erfolgt die Revolutionierung des Heeres." 2 7 9 Der Einfluß des Zentrismus auf die Obleute konnte nicht gebrochen werden, doch ein großer Teil der revolutionären Arbeitervertreter wurde f ü r die Ideen der Linken gewonnen. Wenn die Zentristen innerhalb der Organisation der Vertrauensleute ihre Losung der Wahlrechtsreform und Parlamentarisierung zurückstellen und sich in Worten zum Sturz der parlamentarischen Regierung und zur Errichtung der Räteherrschaft bekennen mußten, so war das im wesentlichen auf die Verbreitung der Auffassungen der Spartakusgruppe unter den Obleuten zurückzuführen. Die Linken hatten in verschiedenen Flugblättern und Aufsätzen von den Halbheiten der Zentristen und von der schädlichen Einwirkung dieser Partei auf die Rätebewegung gesprochen. Die Schlußfolgerungen daraus wurden in der Frage der Organisation von den Linken jedoch nicht — oder nur äußerst inkonsequent — gezogen. Es wurde unter den Linken über dieses Problem diskutiert, auch ihre Presse brachte dazu Aufsätze; m a n ging im März dazu über, einen engeren Kontakt zwischen den Linksradikalen und Spartakus herzustellen und die Organisation zu erweitern sowie in verschiedenen Städten neue Gruppen zu bilden. 2 8 0 In einem offenen Brief an die Bolschewiki, in dem im Namen der Spartakusgruppe eine Solidaritätserklärung f ü r die Leninisten ausgesprochen wurde, bezeichnete es Mehring am 3. J u n i 1918 als Fehler der Linken, daß sie sich den Unabhängigen angeschlossen hatten. 2 8 1 Auf der Oktoberkonferenz wurde sogar hervorgehoben, die Losungen der USPD seien ein Mittel zur Bekämpfung der aufkeimenden proletarischen Revolution, der Unterschied zwischen den Scheidemännern und den Unabhängigen sei im Grunde unbedeutend. Man begnügte sich aber, eine enge Zusammenarbeit aller revolutionären Gruppen und ein Vorgehen auf gemeinsamer Grundlage zu beschließen. Um zu beweisen, daß, bis kurz vor der Revolution, angeblich nicht einmal die Spartakusgruppe die Räte als Keim einer neuen Staatsordnung erkannt und somit kein Verständnis f ü r die Lenin'sche Politik in der Rätefrage gehabt habe, beruft sich Tormin auf die Stellungnahme des 10. Spartakusbriefes zum Wiener Arbeiterrat. 2 8 2 Unter der Überschrift „Ein warnendes Exempel" wurde h i e r 2 8 3 am Beispiel der Wiener Räte die Taktik der Sozialchauvinisten gegenüber den Räten aufgedeckt. Es wurde gezeigt, daß diese Führer, zu ohnmächtig zum offenen Angriff gegen die neuen 279
Ebenda, S. 38. Vgl. „Arbeiterpolitik", a. a. 0., Nr. 35, vom 31. August 1918. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsarbeitsministerium, Nr. 1962/1, Bl. 176. 281 Mitteilungsblatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend, Nr. 16, vom 21. Juli 1918. 282 Walter Tormin: a. a. 0., S. 38. 283 Spartakusbriefe, a. a. O., S. 173—174. 280
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Kampforgane der Arbeiter, „sich als ,gute Freunde'" in diese Körperschaften eingeschlichen hatten, um sie in ihre Hände zu bekommen und ihnen „das Rückgrat zu brechen". Damit waren die Räte in Österreich zur Bedeutungslosigkeit gebracht worden. Den Arbeitern wurde empfohlen, sich diese Lehre bei ihrem Handeln einzuprägen: „keinerlei Gemeinschaft mit Regierungssozialisten, keine ,guten Dienste' von Judassen der Arbeitersache". Die Spartakusgruppe hatte erkannt, daß nicht Räte an sich das Ziel waren, sondern daß sie das Mittel zur Erreichung des eigentlichen Zieles waren und als solches zweckentsprechend gestaltet werden mußten. Es hätte zur Mithilfe an der Täuschung der Massen geführt, wenn die Spartakusanhänger die Wiener Räte in ihrer gegebenen Zusammensetzung als Keim einer Arbeiterregierung bezeichnet hätten. Die Warnung der Linken zielte darauf ab, die Umkehrung der Rolle der Räte als Organe der proletarischen Revolution in ihr Gegenteil, ihre LImwandlung in ein Instrument der Konterrevolution, zu verhindern. Da dieser Frage eine ausschlaggebende Bedeutung in den Darlegungen Lenins beigemessen wurde, ist es berechtigt, gerade den von Tormin zitierten Spartakusbrief zu den Dokumenten zu rechnen, die belegen, daß sich die Linken wesentliche Elemente der bolschewistischen Erkenntnisse über die Räte erarbeitet hatten. Doch in einer Frage waren die Linken den Anforderungen des Machtkampfes auch jetzt noch nicht genügend gewachsen, und zwar in der Frage ihrer eigenen Organisation. Lenin hatte in seinem Schreiben vom 18. Oktober an die Mitglieder der Spartakusgruppe deren Aufruf an die Genossen zur Förderung der Bildung von Arbeiterund Soldatenräten begrüßt und im Zusammenhang damit von der Möglichkeit des Sieges der proletarischen Revolution in Deutschland gesprochen. Aber er hatte auch in diesem Brief keinen Zweifel darüber gelassen, daß die erste Voraussetzung für den Sieg und die Errichtung einer deutschen sozialistischen Republik durch die Organisation des revolutionären Kerns des Proletariats als Partei und durch die Beseitigung des Einflusses der Zentristen geschaffen werden mußte. Es war von ihm betont worden, daß „die schnell reifende deutsche Revolution . . . die Spartakusgruppe zur wichtigsten Rolle" rufe. 284 Die Oktoberkonferenz hatte diese Frage nicht gelöst. Auch der Hinweis Lenins wurde von den Linken nicht verstanden. Somit fehlte ihnen die feste Grundlage für die konsequente leninistische Politik in der Rätefrage. Doch die Kritik, die Tormin an der Spartakusgruppe übt, richtet sich nicht gegen diesen Mangel, sie umgeht vielmehr dieses Problem. In seiner Darstellung über die Tätigkeit der revolutionären Obleute ist Emil Barth bemüht, die Einwirkung der Spartakusleute auf die Vertreter dieser Institution als Schädigung der Sache der deutschen Arbeiter zu kennzeichnen und die von ihnen geforderte Taktik als „revolutionäre Gymnastik" lächerlich zu machen und zu diffamieren. 285 Auch in anderen Arbeiten zu dieser Frage, die Partei gegen die Linken ergreifen, z. B. bei Richard Müller und Walter Tormin, wird diese Kennzeichnung 284 2st
W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, a. a. O. S. 454. Emil Barth: a. a. O., S. 29, 30, 39.
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Barths übernommen. 2 8 6 Die Taktik der Spartakusgruppe, so wird erklärt, habe wohl dem Denken des russischen, nicht aber des deutschen Proletariats Rechnung getragen. 2 8 7 Gewiß spielte die Tradition des Reformismus in der deutschen Arbeiterbewegung eine größere Rolle als in der russischen, aber die Kapitulation gegenüber solchen Überlieferungen und deren Rechtfertigung entsprach keineswegs der Sache der Arbeiterklasse. Die Kämpfe der Massen bis zum Beginn des Jahres 1918 und die Entwicklung der Rätebewegung hatten gezeigt, daß ein bedeutender Wandel im Denken und Wollen, ein „Wendepunkt in den Stimmungen des deutschen Proletariats", wie Lenin sagte, 2 8 8 eingetreten war. Lenin hatte am 23. Februar 1918 erklärt, daß der Ausgang der Streikkämpfe vom Januar nur als zeitweilige Unterbrechung der aufsteigenden Bewegung der deutschen Arbeiter zu werten sei. 2 8 9 Zahlreiche Aktenmaterialien belegen, daß diese Einschätzung zutreffend war. Bereits am Tage des Abbruchs des Januarstreiks befürchteten die Behörden, daß der „Generalstreik in der kommenden Woche erneut in Gang" gebracht werden könnte. 2 9 0 Immer wieder trafen in den Monaten nach dem Januar Meldungen über Anzeichen von Streikvorbereitungen und über den Ausbruch ökonomischer und auch politischer Kämpfe in diesen oder jenen Teilen Deutschlands ein. 2 9 1 Am umfangreichsten waren die Streikbewegungen, die im Juni und Juli in Hamburg und Oberschlesien und im August im Gebiet von Münster, Essen und Saarbrücken stattfanden. 2 9 2 Das Berliner Polizeipräsidium war im J u n i der Meinung, daß es „nur eines kleinen Anstosses" bedurfte, „um den allgemeinen Ausstand zu entfachen". 2 9 3 Es ist verfehlt, wenn man annimmt, es habe sich bei all diesen Regungen des Proletariats darum gehandelt, die parlamentarische Regierung „gegen die zivile und militärische Bürokratie zu unterstützen", den Übergang zur Richard Müller: a. a. O., S. 129. Walter Tormin: a. a. O., S. 43. 287 Richard Müller: a. a. O., S. 130—131. 288 W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, a. a. O., S. 441. 289 Ebenda, S. 422—423. 290 Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 98. (Bericht des preußischen Kriegsministeriums vom 4. Februar 1918). 291 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsarbeitsministerium, Nr. 2059, Bl. 1, 2, 4, 5, 18, 20, 21, 24, 54, 56, 70. Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden; Ministerium des Innern, Nr. 11073, Bl. 237. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 159, 165, 177, 178, 181, 190, 227, 229, 263, 283, 296. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D f Nr. 3 a, Bd. 6, Bl. 12, 19, 37, 38—39, 144. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 118ff. 292 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 216, 217, 224. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsarbeitsministerium, Nr. 1962/1, Bl. 224, 227, 235, 237. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichskanzlei, Nr. 547, Bl. 209, 212, 213, 217, 218. 293 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 6, Bl. 39. 286
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sogenannten Demokratisierung des bürgerlichen Staates „mehr zu beschleunigen". 294 In einer der verschiedenen Eingaben an die Behörden, in denen von Anhängern der damaligen Gesellschaftsordnung besorgt auf Gerüchte vom nahenden Umsturz hingewiesen wurde, hieß es, die Massen seien „von der bolschewistischen Epidemie hochgradig ergriffen", eine solche Frage, wie die der Wahlrechtsreform, interessiere „nur noch die Parlamentsvertreter, die aber das Volk nicht mehr in der Hand haben". Der Schreiber wies darauf hin, daß es nur eines Anlasses zum Ausbruch bedürfe, dann werde sich die von den Arbeitern vorbereitete Organisation „als Regierung" in Funktion setzen. Diese Befürchtungen wurden von der Polizeibehörde nicht als unbegründet angesehen. „Daß innere Unruhen bevorstehen," wurde in einer Notiz gesagt, „damit ist sicher zu rechnen." 2 9 5 Schon im August sagte das Berliner Polizeipräsidium den Ausbruch von „Unruhen oder ausgedehnten Arbeitseinstellungen" voraus. 296 Nach der Bildung der parlamentarischen Regierung spielte auf den Sitzungen des Staatsministeriums das Problem, wie man den Bestrebungen der Arbeiter, „eine Revolution hervorzurufen, Scheidemann und Genossen wegzujagen und mit den Bolschewisten zu paktieren", „programmässig entgegenwirken" könne, 297 eine Hauptrolle. Die herrschende Klasse hatte alle Veranlassung zu solchen Besorgnissen; denn die Erbitterung der Massen gegen den Staat war trotz der Veränderung seiner Fassade — man sprach von „Volksregierung" — stark gewachsen. 298 Ihr wurden Mitteilungen zugetragen, die besagten, die Arbeiterschaft der Großbetriebe brenne darauf, lieber heute als morgen loszuschlagen. 299 Aus dem rheinischen Industriegebiet kam die Nachricht, der Bolschewismus mache „starke Fortschritte". 300 In einem Telegramm vom 14. Februar 1918, das als Flugblatt in Deutschland Verbreitung fand 301 , hatte der Rat der Volkskommissare die deutschen Arbeiter aufgerufen, sich nicht dazu mißbrauchen zu lassen, die Hände gegen den Staat der Arbeiter und Bauern zu erheben. „Gebt Euch nicht dazu her," so hatte dieser Appell gemahnt, „Ketten zu schmieden für das Proletariat anderer Länder; mit solchen Ketten würdet ihr nur selbst gefesselt werden." In wachsendem Maße fühlten oder verstanden die deutschen Arbeiter, daß sie der eigenen Befreiung und dem Frieden dienten, indem sie Solidarität vor allem mit denjenigen Klassengenossen übten, die ihnen im Kampf vorangegangen waren und ihre Macht gegen innere und äußere Gegner behaupten mußten. Je mehr die Idee des proletarischen Internationalismus in der Arbeiterklasse an die Stelle nationalistischer Verhetzung trat, desto schwächer wurde die Massenbasis der Herrschenden und ihrer 294
Walter Tormin: a. a. 0 . , S. 56. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D , Nr. 3 a, Bd. 6, Bl. 176, 72. 296 Ebenda, Bl. 111. 297 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 90a, B I I I 2 b , Nr. 6, Bd. 167, Bl. 365. 298 Richard Müller: a. a. O., S. 137. 2,9 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/13, Bl. 77. 300 Ebenda, Bl. 79. 301 Harald v. Koenigswald: a. a. O., S. 36. 296
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sozialchauvinistischen und sozialpazifistischen Gehilfen. Die deutschen Linken appellierten daher in ihren Flugblättern, die zum Kampf gegen den Kapitalismus und für die Rätemacht aufforderten, stets daran, im Sinne der internationalen Solidarität der Arbeiter, klassenbewußt zu handeln. Im August hatte ein Polizeibericht das Berliner Präsidium darüber informiert, daß die Werbung für Streikkämpfe in den Fabriken und f ü r revolutionäre Erhebungen unter den Soldaten in erster Linie durch den Hinweis auf den „Gewaltfrieden im Osten, die Unterdrückung der finnischen Revolution durch deutsche Soldaten, die Gewaltmaßnahmen in der Ukraine, das blutige Ringen im Westen" betrieben werde. 3 0 2 Um zu betonen, daß diese Agitation der revolutionären Kräfte erfolgreich sei, hatte der Berichterstatter die Stimmung der Massen mit einer Gewitterschwüle vor dem Sturm verglichen. Im Oktober stellte das Büro f ü r Sozialpolitik fest: „Die Entwicklung der russischen Revolution steht natürlich manchen Arbeitern als Vorbild vor Augen. Unklare Vorstellungen von der Diktatur des Proletariats als einem auch f ü r die deutsche Arbeiterschaft erreichbaren Ziel leiten sie. Die sozialdemokratische Presse warnt mit wachsendem Nachdruck vor der ,Pest des Bolschewismus'...." 303 Als am 16. Oktober tausende Demonstranten in Berlin die Linden entlangmarschierten, „Hochrufe auf die Revolution und die russische Botschaft" anstimmten, wußte die parlamentarische Regierung keinen anderen Weg, als zu den gleichen Mitteln zu greifen, die bisher praktiziert worden waren. Sie setzte Polizeitruppen gegen die Streikenden ein. Blutige Zusammenstöße waren die Folge. 3 0 4 Der Widerspruch zwischen dem Wollen der Massen und der Regierung der Reichstagsmehrheit trat deutlich zutage. Bereits nach dem Aprilstreik hatte der Generalstab des Feldheeres Veranlassung gehabt, die Behörden über die umfangreiche mündliche und schriftliche Agitation der Obleute zu informieren. „Die Obleute und Vertrauensmänner", so war berichtet worden, 305 „ziehen zunächst einen kleinen Kreis von Arbeitern ins Vertrauen, von dem sie eine erfolgreiche Agitation zugunsten des Umsturzes unter der Arbeiterschaft erwarten." Aus übereinstimmenden Aussagen von „zuverlässigen" Leuten hatte man schon damals festgestellt, daß es den Obleuten „nur allzu leicht gelingt, insbesondere unter dem Eindruck der russischen Revolution, den größten Teil der Arbeiter eines Betriebes durch die Agitation von Münd zu Mund f ü r die revolutionären Ideen zu gewinnen". Sei das geschehen, heißt es weiter, dann beginne man, durch Aktionen f ü r Lohn- und Ernährungsfragen sie auf den revolutionären Kampf vorzubereiten. Nach dem Januarstreik suchten die Staatsorgane, die Organisation der Linken und die Institution der revolutionären Obleute zu zerschlagen. Zehntausende von Arbeitern, die führend im Kampf gewesen waren, wurden nach der Schätzung der Spartakus302
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. I), Nr. 3 a, Bd. 6, Bl. 109. 303 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, V.Berlepsch, Nr. 31b, Bericht vom 25. Oktober 1918 (S. 4). 304 Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 6, Bl. 204, 219, 182, 184, 186—187. 306 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. VI, l f , Bl. 11.
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gruppe strafweise zum Militär einberufen. „ . . . ganze Fabrikausschüsse (darunter viele Mehrheitler), eine Menge Mitglieder des Arbeiterrates, 3—4 Mann aus dem Aktionsausschuß — alle in 1—3 Tagen wie weggeblasen", so schilderte ein Bericht der Linken über den Streik die Lage nach dem Abbruch der Massenaktionen. 3 0 8 Aber dieser Bericht wies gleichzeitig darauf hin, daß trotz aller Repressalien wenig von gedrückter Stimmung in der Arbeiterklasse zu merken sei. Die Spartakusgruppe trat schon nach kurzer Zeit erneut durch ihre revolutionäre Tätigkeit hervor. An die Stelle der einberufenen oder eingekerkerten Obleute rückten neue Kräfte. In wenigen Wochen war die Organisation der revolutionären Obleute wieder aufgebaut. „Seit dem Januarausstand", so liest man in einem im Oktober 1918 angefertigten Bericht eines Agenten der Bourgeoisie, „tritt ein Arbeiterrat (zusammengesetzt von den Spartakussen und den Unabhängigen) ständig zur Tagung zusammen, und das Ganze ist zur Zeit großartig organisiert, nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland." 3 0 7 In verschiedenen Industriegebieten wurden Vertrauensleute gewonnen, die sich ebenfalls für die Propagierung des Kampfes einsetzten. Bereits im März traten die Obleute in mehreren Orten neben den Linken und den fortschrittlichen Anhängern der U S P D durch ihre Agitation „zum Massenstreik und zur Revolution nach russischem Muster" in Erscheinung. 3 0 8 Seit dem Sommer 1918 entstand auch im Heer die Institution der Räte. Ihre Ausbreitung wurde durch strafweise einberufene Obleute und durch die aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Soldaten gefördert. Flugblätter der Linken wiesen auf die Pflicht der Soldaten zur Teilnahme am revolutionären Kampf hin und erklärten Weg und Ziel des Einsatzes der Soldatenräte. 3 0 9 Bald erschienen in einzelnen Truppenteilen Flugblätter „mit scharf hetzerischem Inhalt", die die Unterschrift „Revolutionäres Soldatenkomitee" oder „Der Ausschuß" trugen. 3 1 0 Ein Manifest des „Kriegs-Revolutionsrates der deutschen Ostfront" stellte den Mannschaften die Aufgabe, in jeder Kompanie, in jedem Bataillon, in jedem Regiment eine „Proletarier-Kampfesorganisation" der Soldatendeputiertenräte zu gründen, deren letzter Zweck der Sturz der Regierung und des Kapitalismus und die Herrschaft der Räte sein sollte. 3 1 1 Um die Begeisterung der Soldaten dafür zu wecken, betonte der Aufruf: „Mit einem Proletarier-Deutschland würden unsere russischen Genossen ihr letztes Stück Brot teilen." 306 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 102. 307 Ebenda, Reichskanzlei, Nr. 8/13, Bl. 77. 308 Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12255, Bl. 149—150. Ebenda, Nr. 13587, Bl. 84. 309 Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 201—205, 223—224. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12473, Bl. 468. Ebenda, Nr. 12476, Bl. 194, 326, 360. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/11, Bl- 200. 3 1 0 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 77, Tit. 949, Nr. 20 , Bd. 1, Bl. 459. Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichsamt des Innern, Nr. 12476, Bl. 321. 3 1 1 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/14.
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Im Oktober kam es zu Meutereien unter den Soldaten. Das Heer konnte nicht mehr zur Erhaltung der Macht der Ausbeuterklassen eingesetzt w e r d e n . 3 1 2 Die O H L drängte auf schnellen Friedensschluß, da sie täglich mit dem militärischen Zusammenbruch und der weiteren Radikalisierung der zurückflutenden geschlagenen Armeen rechnete. Die Taktik der Führer der SPD und der USPD bildete die letzte Rettung der Bourgoisie. Die Regierungssozialisten waren bestrebt, die Massen irrezuführen und die Meinung hervorzurufen, der sozialdemokratische Parteivorstand vertrete die Interessen der Arbeiterklasse. 3 1 3 Aber selbst auf die Stimmung der engsten Vertrauensleute der mehrheitssozialistischen Führer wirkte sich das Vordringen der Räteidee aus. Auf Besprechungen dieser Kreise hatten die Parteileitungsmitglieder Mühe, „anwesende Hitzköpfe zu besänftigen". 31 ' 4 Ein großer Teil der Mitglieder der SPD ging zu den Unabhängigen über. Auch innerhalb der USPD trat eine zunehmende Radikalisierung ein. Noch dm Juli 1918 sah der Berliner Polizeipräsident in dem Wirken der Führer der USPD eine Gewähr f ü r die Erhaltung der Ruhe. 3 1 5 Ab August gewann die revolutionäre Tendenz in der Mitgliedschaft an Bedeutung. Mitgliederversammlungen der Jugendlichen der Partei in Berlin stellten die Fragen der russischen Revolution in den Mittelpunkt ihrer Erörterungen. Der Vertreter des linken Flügels der USPD, Däumig, der gleichzeitig eine führende Rolle in den illegalen Räten spielte, n a h m auf diesen Tagungen Partei für die Bolschewiki und die Macht der Sowjets und bezeichnete deren Handeln als die Lehre, die m a n „nutzbringend bei den kommenden Kämpfen zur Erlösung der Menschheit aus den Klauen des Kapitalismus anwenden" müsse. 3 1 6 Als in einer der Versammlungen ein Redner die Politik der Leninisten herabzusetzen suchte, fand er bei keinem der Anwesenden Anklang. Auf Zusammenkünften der USPD, die im September in Berlin tagten, wurden die Probleme der Institution der Obleute der Betriebe mit den Vorgängen in Rußland in Verbindung 312 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 90a, B III 2b, Nr. 6, Bd. 167, Bl. 386 —387, 411, 310. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/13, Bl. 57. 313 Richard Müller: a. a. O., S. 139—140. Harald v. Koenigswald: a. a. O., S. 42—43. Hans Spethmann: a. a. O., S. 66, 71. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3a, Bd. 6, Bl. 7—9. Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichsamt des Innern, Nr. 9/12, Bl. 115—116. Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 92, v. Berlepsch, Nr. 31b, Bericht vom 25. Oktober 1918 (S. 4—5). 314 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 349. Vgl. auch: Philipp Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten, a. a. O., Bd. 2, S. 294. 316 Deutsches Zentralarchiv, Merseburg; Rep. 89 H, gen. 17, Bd. 5, Bl. 227—228. 316 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/8, Bl. 356 —361.
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Revolutionäre Ereignisse
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gebracht. 317 Dabei wurde von den Arbeitern begrüßt, daß es den Bolschewiki gelungen war, die Sowjetmacht trotz aller gegenrevolutionärer Angriffe zu festigen. Man wandte sich gegen die „Wahlrechtskomödie" der Regierungssozialisten und empfahl den Mitgliedern zur Aufklärung den Besuch der Vorträge des Genossen Däumig über die russische Revolution. Aus Spitzelmeldungen konnte die Polizei entnehmen, daß im Oktober in den Kreisen der Unabhängigen Aussprachen darüber durchgeführt wurden, „wie die Bolschewiki die Revolution gemacht hätten, um ihr Ziel zu erreichen". 318 Ein Uberwachungsbericht der Generalversammlung der USPD in Düsseldorf sprach von stürmischen Sympathieerklärungen der Teilnehmer f ü r Liebknecht und ihrer „Begeisterung f ü r den Sozialismus, insbesondere f ü r die Revolution". 3 1 9 Die Methoden der Abwiegelung, die die zentristischen Führer anwandten, verloren ihre Wirkung. Mehr und mehr reifte auch unter den Mitgliedern der USPD der Entschluß zur revolutionären Erhebung, zum Sturz der „Scheidemann-Regierung" und zur Bildung einer Revolutionsregierung „nach russischem Muster" heran. 3 2 0 Diese Entwicklung im politischen Bewußtsein eines großen Teiles der Unabhängigen war der Ausdruck dafür, daß in den Massen Bereitschaft zum revolutionären Kampf vorhanden war und die Losungen der Linken große Verbreitung gefunden hatten. Die Polizeibehörden in Düsseldorf stellten sogar fest, man könne die Befürchtung nicht von der Hand weisen, daß „zahlreiche" Angehörige des Mittelstandes, kleine Gewerbetreibende, selbständige Handwerker und Geschäftsleute „radikalen Einflüssen unterliegen". 321 Es widerspricht daher den Tatsachen, wenn Tormin behauptet, die Masse der Arbeiterschaft, die SPD und die Mehrheit der USPD hätten noch im Oktober/ November ihr Ziel in einer parlamentarischen Demokratie gesehen. Vergleicht man z. B. solche Behauptungen Tormins mit den Ausführungen, die in den Protokollen der Besprechungen der Staatssekretäre der Regierung des Prinzen Max von Baden wiedergegeben sind, dann steht eindeutig fest, daß Tormins Auffassung unhaltbar ist. Diese Protokolle beweisen allein schon, daß es absurd ist zu sagen, die sich anbahnende Revolution sei in ihrem Ziel nicht über das hinausgegangen, „was bereits die Oktoberregierung wollte". 322 Die Mitglieder der parlamentarischen Regierung wußten sehr wohl, daß sie keine Basis in den Massen hatten. Scheidemann verglich auf den Sitzungen der Staatssekretäre den Kampf der Regierung gegen die „innere Front" mit dem Krieg gegen den äußeren Feind. Es ging ihm darum, in den Massen „die Sympathie f ü r den Bolschewismus zu ersticken" und Maßnahmen zu finden, durch die verhindert werden könnte, „daß man schließlich vor der Straße ebenso kapitulieren würde wie vor dem 317
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. A, Nr. IIa, Bd. 20, Bl. 230. 318 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Reichskanzlei, Nr. 8/13, Bl. 78. 319 Ebenda, Bl. 86—88. 320 Brandenburgische Landeshauptarchiv, Potsdam; Rep. 30 C, Tit. 95, Sekt. 7, Lit. D, Nr. 3 a, Bd. 6, Bl. 237, 238. 321 Ebenda, Bl. 45. 322 Walter Tormin: a. a. O., S. 53, 56.
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Ausland". 3 2 3 Die Kapitulation vor dem Ausland wurde von der Regierung als die kleinere Gefahr angesehen, denn sie stellte die Existenz der bestehenden Ausbeuterordnung nicht in Frage. Man war sich klar darüber, daß die Herrschenden der Entente selbst den Bolschewismus zu fürchten hatten, 3 2 4 und sah in ihnen daher einen Bundesgenossen gegen den gemeinsamen Feind, das Proletariat und den ersten Staat der Arbeiter und Bauern. 3 2 5 Die Anstrengungen der Regierung der Reichstagsmehrheit, das Anwachsen der „inneren Front" aufzuhalten, waren jedoch vergeblich. Die Revolutionierung der Massen schritt voran, Ende Oktober begannen die ersten Erhebungen. Die Regierung hatte in den Räten, die unter den Arbeitern und Soldaten gebildet worden waren, keineswegs Organe f ü r zeitlich begrenzte Teilaktionen gesehen, sondern die Kampf- und Machtorgane der Revolution. Wenn Scheidemann Ende September der Meinung des Staatssekretärs v. Hintze, die Situation des Staates sei nicht bedrohlich, entgegengehalten hatte, man solle sich nicht täuschen, es könnten schon in acht Tagen an ihrer Stelle Arbeiter- und Soldatenräte sitzen, 326 so geht daraus deutlich hervor, daß man in dieser Institution die Gegenregierung der Arbeiter erkannt hatte. Anfang November mußten die Führer der SPD feststellen, daß die Ausbreitung dieser Institution nicht mehr abzuwenden war. Scheidemann erklärte zu dem Verbot, das das Oberkommando in den Marken gegen die Organisation von Räten ausgesprochen hatte: „Es hat denselben Sinn, als ob man verbieten würde, daß es morgen nicht regnen soll." 3 2 7 Die sozialistischen Führer, die trotz solcher realen Einschätzung der Entwicklung ihre Funktion als Gehilfen der Bourgeoisie nicht aufgaben, versuchten nunmehr Einfluß auf die neuerstehenden Räte zu gewinnen und sie in Organe f ü r zeitlich begrenzte Aktionen zu verwandeln. Im Verlauf der Revolution gelang ihnen das schließlich. Doch in der ersten Etappe der Kämpfe war die revolutionäre Aktivität der Massen stark genug, die politische Macht der Bourgeoisie zu überwinden. „In der ersten Zeit war die reale Macht auf ihrer Seite, und die Räte waren auf dem Wege dazu, eine tatsächliche Macht zu werden," 328 stellte der II. Kongreß der Kommunistischen Internationale in einem der Leitsätze fest, die die Fragen der Bildung von Räten zum Inhalt hatten. Das Beispiel der Sowjets und die Tätigkeit der deutschen Linken hatten in der Rätebewegung die Durchsetzung einer Entwicklung gefördert, die im Kampf gegen den Krieg und dessen Initiatoren gewachsen war. Der Sieg der Rätemacht der Arbeiter und Bauern in der Novemberrevolution hätte dem deutschen Volk und anderen Völkern das Leid erspart, das ihnen in den Jahrzehnten danach durch den deutschen 323
Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichskanzlei, Nr. 2462, Bl. 396, 442, 142, 143. Ebenda, Nr. 2462/1, Bl. 59. Ebenda, Nr. 2462, Bl. 508. 326 Prinz Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, Berlin und Leipzig 1927, S. 324. 32 ' Deutsches Zentralarchiv, Potsdam; Reichskanzlei, Nr. 2462/1, Bl. 115. 328 j ) e r zweite Kongreß der Kommunist. Internationale. Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August 1920 in Moskau, Hamburg 1921, S. 743. 324
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Imperialismus gebracht wurde. Ihr Sieg hätte die Kräfte entmachtet, die heute in Westdeutschland noch immer die Herrschaft besitzen und wiederum Expansionskriege vorbereiten. Die Arbeiter, die heute den Kampf gegen den Krieg und dessen Initiatoren führen, handeln im Sinne der Tradition der Rätebewegung in Deutschland, wenn sie die Lehren aus der Entwicklung dieser Bewegung nutzen und deren Fehler überwinden. Die Bedingungen ihres Kampfes sind heute viel günstiger. Doch die wesentlichen Prinzipien sind die gleichen geblieben. Das deutsche Proletariat, das in der Deutschen Demokratischen Republik die Herrschaft der Arbeiter und Bauern verwirklicht hat, setzt die Überlieferung der Rätebewegung fort, indem es die errungene Staatsmacht wirtschaftlich stärkt, politisch festigt und gegen alle Angriffe der ehemals Herrschenden sichert.
ROBERT LEIBBRAND/KLAUS
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D I E STELLUNG DER A R B E I T E R P A R T E I E N IN D E U T S C H L A N D ZU E I N I G E N P R O B L E M E N D E R GROSSEN S O Z I A L I S T I S C H E N OKTOBERREVOLUTION
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution leitete eine neue Ära in der Geschichte der Menschheit ein und führte eine grundlegende Wendung in der Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung herbei. Der Sieg der Oktoberrevolution in Rußland war ein Sieg des Marxismus-Leninismus über die Ideologie der Bourgeoisie, über den Opportunismus und Revisionismus in der Arbeiterbewegung der ganzen Welt. Seit der Sozialistischen Oktoberrevolution ist die Stellung zur Sowjetunion zum Prüfstein f ü r eine jede Arbeiterpartei geworden. „Die entscheidende Frage f ü r die internationale Arbeiterbewegung ist die Stellung zur proletarischen Diktatur in der Sowjetunion. Hier scheiden sich die Geister, und sie müssen sich scheiden! Die Stellung zur Sowjetunion entscheidet auch über die Frage, zu welchem Lager man in den Fragen der deutschen Politik gehört, zum Lager der Revolution oder zum Lager der Konterrevolution." 1 Diese Worte Ernst Thälmanns haben auch heute noch volle Gültigkeit. Die Stellung, die die verschiedenen Richtungen in der deutschen Arbeiterbewegung vor 40 Jahren zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bezogen, hat darum auch aktuelle Bedeutung. Der erste Weltkrieg hatte die tiefen inneren Gegensätze in der alten deutschen Sozialdemokratie zum offenen Ausbruch gebracht. Die Rechtsopportunisten gingen am 4. August 1914 offen in das Lager des deutschen Imperialismus über und spalteten mit diesem beispiellosen Verrat die deutsche Arbeiterklasse. In der Stunde der Bewährung blieben allein die Linken unter der Führung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara Zetkin und Wilhelm Pieck den Grundsätzen des internationalen revolutionären Sozialismus treu. Unter den schwierigsten Bedingungen und größten persönlichen Opfern organisierten sie die ersten Aktionen gegen den imperialistischen Krieg. Im J a n u a r 1916 schlössen sie sich zur Gruppe Internationale zusammen. Auf dem Boden des revolutionären Marxismus stand auch die Gruppe der Linksradikalen, die hauptsächlich in Bremen und Hamburg Einfluß hatte. Die Gruppe Internationale, nach den von ihr herausgegebenen illegalen „Spartakusbriefen" auch Spartakusgruppe genannt, war die Keimzelle der späteren Kommunistischen Partei Deutschlands. Aber während der Kriegsjahre war die Spartakusgruppe erst eine lose Vereinigung der fortgeschrittensten revolutionären Sozialisten in Deutschland. Sie hatte keine ausgebaute Organisation, keine feste Basis in den Betrieben und Gewerkschaften. Als im April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) gegründet 1
Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze, Bd. I, Berlin 1955, S. 435.
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wurde, schloß sich ihr die Spartakusgruppe unter Wahrung ihrer selbständigen politischen Plattform an. Die USPD war keine politisch einheitliche Partei mit einer konsequenten und zielklaren Politik, sondern eine Sammlung verschiedenartiger, oft einander widersprechender Kräfte. Ein großer Teil der Mitglieder der USPD waren klassenbewußte sozialistische Arbeiter. Aber die Führung der Partei lag in den Händen von Zentristen wie Haase, Ledebour, Kautsky und anderen, deren Bestreben, nach der treffenden Charakteristik von Franz Mehring 2 , nicht vorwärts zu einer neuen revolutionären Partei ging, sondern zurück zu der alten Sozialdemokratie der Vorkriegszeit, die angesichts des imperialistischen Krieges so schmählich versagt hatte- Nur unter dem Druck der wachsenden Opposition der Mitgliedschaft hatten die zentristischen Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion nach langem Zögern endlich gegen die Kriegskredite gestimmt. Nur gezwungen durch den Terror des opportunistischen Parteivorstandes, der alle oppositionellen Parteiorganisationen ausschloß und ihnen mit Hilfe der kaiserlichen Polizei und Justiz die Parteipresse und andere Parteieinrichtungen raubte, hatten sich die zentristischen Führer zur Bildung der neuen Partei entschlossen, um die Sammlung der oppositionellen Mitglieder um die Spartakusgruppe zu verhindern. Wegen der inkonsequenten, schwankenden Politik der zentristischen Führer konnte die USPD nicht die notwendige Stoß- und Werbekraft in der Arbeiterklasse entfalten. Im Besitz des Apparates der alten Partei, der Gewerkschaften und anderer Massenorganisationen, unterstützt vom imperialistischen Staatsapparat und der chauvinistischen Propaganda der Bourgeoisie, konnten die rechtsopportunistischen Führer der SPD die Mehrheit der Arbeiterklasse trotz wachsender Unzufriedenheit noch unter ihrem Einfluß halten. Das Beispiel der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wirkte tief auf den Klärungs- und Gesundungsprozeß in der deutschen Arbeiterbewegung ein. Aus der Vielzahl der Probleme, die durch die Oktoberrevolution in Rußland aufgeworfen wurden, sollen in diesem Beitrag nur folgende Fragen behandelt werden: 1. die unmittelbare Stellungnahme der drei Richtungen in der deutschen Arbeiterbewegung zur Errichtung der Sowjetmacht und zum Brester Frieden und 2. ihre grundsätzliche Stellungnahme zur Diktatur des Proletariats und die Nutzanwendungen, die sie daraus in der deutschen Novemberrevolution zogen. 2 Vgl. Offenes Schreiben von Franz Mehring an die Bolschewiki, in: ,,Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 16, vom 21. Juli 1918.
KAPITEL
DIE
STELLUNG
I
DER
ARBEITERPARTEIEN
D E R S O W J E T M A C H T UND ZUM B R E S T E R
ZUR
ERRICHTUNG
FRIEDEN
Im deutschen Volk fand die weltgeschichtliche Tat der russischen Arbeiter und Bauern einen gewaltigen Widerhall. Mit fieberhafter Spannung wurden die Nachrichten aus Rußland verfolgt. Aus den widerspruchsvollen, die revolutionären Ereignisse entstellenden Meldungen der bürgerlichen Nachrichtenbüros erkannten viele deutsche Arbeiter doch mit sicherem Klasseninstinkt: in Rußland hatten Klassengenossen die Macht an sich gerissen, sie standen im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, gegen die Kriegsverlängerer, die Rüstungskapitalisten und Militaristen, die auch in Deutschland dem Volk immer größere Blutopfer, immer mehr Hunger und Leid aufzwangen. Der Appell des II. Sowjetkongresses für einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen über einen allgemeinen, demokratischen Frieden gab der Hoffnung auf ein baldiges Ende des nun schon über drei Jahre wütenden Krieges neue Impulse. Der große Sieg der russischen Arbeiter und Bauern stärkte auch im deutschen Proletariat das Vertrauen in die eigene Kraft und beschleunigte das Heranreifen der revolutionären Krise in Deutschland. An der Ostfront fanden zahlreiche Massenverbrüderungen zwischen russischen und deutschen Soldaten statt. 3 In Berlin demonstrierten am 18. November 1917 tausende Arbeiter unter Hochrufen auf Karl Liebknecht und auf den Frieden. Noch stärker waren die Demonstrationen am 25. November. Verschiedene Demonstrationszüge durchbrachen auf dem Weg ins Stadtzentrum mehrere Polizeiketten, obwohl die Polizei mit der blanken Waffe einschlug und zahlreiche Demonstranten verletzte. Vom gleichen Tage wird auch über Demonstrationen in Mannheim, Stettin und Leipzig berichtet. 4 Natürlich war die Militärzensur bestrebt, Nachrichten über solche Aktionen zu unterdrücken. Die Bewegung war so nachhaltig, daß sich die Führung der SPD eilfertig bemühte, ihre Solidarität mit der Oktoberrevolution vorzutäuschen. So ließ der sozialdemokras
Vgl. Albert Norden: Zwischen Berlin und Moskau, Berlin 1954, S. 78—86. Vgl. Klaus Mammach: Der Einfluß der russischen Februarrevolution und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die deutsehe Arbeiterklasse. Februar 1917-—Oktober 1918, Berlin 1955, S. 80—81. 4
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tische Parteivorstand der Stockholmer Auslandsvertretung der Bolschewik! seine Grüße überbringen und erklärte sich solidarisch mit den Kämpfen des russischen Proletariats und dessen Forderungen nach einem demokratischen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen. Die deutsche Sozialdemokratie, so versicherte der Vorstand der SPD, werde diesen Solidaritätsgefühlen tatkräftig Nachdruck verleihen. 5 Die sachliche Mitteilung der Stockholmer Auslandsvertretung der Bolschewiki über Empfang und Weiterleitung dieser Erklärung veröffentlichte der „Vorwärts" als „Begrüßungstelegramm der Bolschewiki". 6 Wie die Führer der SPD sich der Massenstimmung anpaßten, zeigt ein „Vorwärts"Bericht, wonach Philipp Scheidemann in einer von 6—7000 Menschen besuchten Versammlung in Dresden den stärksten Beifall bei jenen Ausführungen fand, die die Vorgänge in Rußland mit der Hoffnung auf den Frieden in Verbindung brachten. Auch Friedrich Ebert erklärte in einer Versammlung in Elberfeld, der Sieg der Arbeiter- und Soldatenräte in Rußland sei ein Sieg des Friedenswillens und versicherte, die deutsche Arbeiterschaft werde es als ihre Ehrensache betrachten, den Kampf der russischen Revolution zu stärken. 7 Doch sollte die deutsche Arbeiterklasse dem russischen Beispiel beileibe nicht folgen! Eindringlich betonte der „Vorwärts", in Deutschland, „das durch und durch industrialisiert ist und dessen Bevölkerung infolgedessen höhere politische Bildung besitzt", könne sich die soziale Umwälzung nicht „nach russischen Rhythmen" vollziehen. Hier sei die „deutsche sozialdemokratische Taktik" des „schrittweisen Vordringens" die einzig richtige und mögliche. Als Erfolg dieser sozialdemokratischen Taktik stellte der „Vorwärts" „die erste parlamentarische Regierung in Deutschland", das Kabinett des Grafen Hertling, sogar auf eine Stufe mit der „ersten proletarischen Regierung" in Rußland. 8 Der „Vorwärts" versuchte aber, der Stimmung der sozialdemokratischen Arbeiter ein Zugeständnis zu machen mit dem demagogischen Argument, daß die bolschewistischen Methoden „für Rußland vielleicht die richtigen" seien. In Rußland, „wo Agrarwirtschaft und Analphabetentum vorherrschen", seien die Verhältnisse von den deutschen so grundverschieden, daß sich daraus eine andere Taktik ergebe. Darum wolle sich die SPD auch nicht als Richter zwischen Bolschewiki und Menschewiki aufwerfen. 9 Mit solchen zu keiner Parteinahme verpflichtenden Redewendungen sollte den sozialdemokratischen Arbeitern eine Solidarität mit der Oktoberrevolution vorgetäuscht werden. Einer eindeutigen und klaren Stellung zur Oktoberrevolution wich die Führung der SPD in den ersten Wochen aus. Nur ganz wenige Stimmen lassen wenigstens den 6 „Leipziger Volkszeitung", Nr. 271, vom 20. November 1917 und Nr. 277, vom 28. November 1917. 6 „Vorwärts", Nr. 319, vom 20. November 1917. 7 Ebenda, Nr. 318, vom 19. November 1917. 8 Ebenda, Nr. 309, vom 10. November 1917. 9 Ebenda, Nr. 309, vom 10. November 1917.
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Versuch einer ernsthaften Würdigung dieses welthistorischen Ereignisses erkennen, wenn auch unter Betonung der Tendenz, daß sich das russische Beispiel nicht auf den Westen anwenden lasse. So stellte der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Ludwig Quessel fest, in der deutschen Sozialdemokratie bestehe keine Klarheit darüber, „daß die Revolution im Osten in das überlieferte Schema des Westens sich nicht hineinzwängen läßt, daß sich auf russischem Boden etwas ganz Neues, in der Geschichte noch nie Dagewesenes, abspielt, demgegenüber alle historischen Analogien versagen müssen". 10 Als eine „durchaus irrige Ansicht" bezeichnete Quessel die in der sozialdemokratischen Presse vertretene Meinung, Rußland wäre noch nicht reif für den Sozialismus. Von dieser Ansicht „wird die deutsche Sozialdemokratie freilich abkommen müssen, wenn sie die Dinge, die sich in Rußland abspielen, richtig verstehen will". 1 1 Wie nicht anders zu erwarten, lehnte Quessel trotzdem die revolutionäre Politik der Bolschewiki ab. Sein Artikel erschien in den „Sozialistischen Monatsheften", dem Sprachrohr des rechtesten Flügels der SPD, und war als Warnung davor zu verstehen, den Kampf gegen die proletarische Revolution auf die leichte Schulter zu nehmen. In der „Neuen Zeit" schrieb der auf dem rechten Flügel der SPD stehende Historiker Wilhelm Bios, zum ersten Mal sei in der Weltgeschichte der Fall eingetreten, daß das Proletariat in einem großen Reiche die politische Macht an sich genommen hat und daran gehe, „Staat und Gesellschaft neu zu ordnen". Obwohl Bios den endgültigen Sieg der Arbeiter und armen Bauern bezweifelte, mußte er doch anerkennen, daß „Führer und Massen dort Eigenschaften gezeigt" haben, „welche die alte Gesellschaft bei ihnen nicht erwartet hat". 1 2 Aber auch Bios vermied es, aus seinen Feststellungen Konsequenzen für den Kampf der deutschen Arbeiterklasse zu ziehen. Selbst jene wenigen sozialdemokratischen Führer, die sich der weltgeschichtlichen Bedeutung der Oktoberrevolution nicht völlig verschlossen, gingen darin doch nicht weiter als auch eine Reihe bürgerlicher Demokraten. So bezeichnete z. B. auch Hans Vorst in seinen Artikeln im „Berliner Tageblatt" die russische Revolution als einen Versuch des Proletariats, seine Macht zu errichten, und als ein Beispiel, das internationale Bedeutung erlangen könne. Die große Mehrheit der sozialdemokratischen Führer ging nicht einmal so weit. Sie wollten nicht sehen, daß die Oktoberrevolution ein entscheidender Wendepunkt der Weltgeschichte war, der der Menschheit die großartige Perspektive der Verwirklichung des Sozialismus eröffnete. Sie wollten nicht erkennen, daß der Sieg der russischen Arbeiter und armen Bauern die Bestätigung der Marxschen Lehre vom Klassenkampf, von der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats war. Für sie war die Sowjetmacht lediglich ein „bolschewistisches Experiment", das sich bald als Fehlschlag erweisen mußte, da Rußland nach ihrer Meinung nicht reif für den Sozialismus war und die Bolschewiki keine Massenbasis hätten. 10
„Sozialistische Monatshefte", 24. Jhrg., 50. Bd., S. 7. Ebenda, S. 9. 12 „Die Neue Zeit", Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie, hrsg. von Heinrich Cunow, 36. Jhrg., Bd. I, S. 395. 11
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Das hinderte die Führer der SPD aber nicht, vor den Massen den Sieg der Oktoberrevolution als einen Erfolg ihrer opportunistischen Politik darzustellen. Ebert behauptete, die russische Revolution sei „durch die Friedensbereitschaft der Mittelmächte stark beeinflußt" worden. 1 3 Wobei diese angebliche Friedensbereitschaft des deutschen Imperialismus — in Wirklichkeit eine fadenscheinige Bemäntelung seiner Kriegsziele — natürlich als Erfolg des parlamentarischen „Kampfes" der SPD verstanden werden sollte. Noch plumper versuchte Eduard David, die Sympathie der deutschen Arbeiter mit der Oktoberrevolution zur Rechtfertigung der sozialdemokratischen Kriegspolitik zu mißbrauchen. Er erklärte im Reichstag: „Die russische Revolution ist nur möglich geworden durch eine Niederlage der zaristischen Armeen, und diese mit herbeigeführt zu haben, ist unser Verdienst". Hätte die Fraktion der SPD nicht immer die Kriegskredite bewilligt und damit die „Verteidigungskraft" Deutschlands gestärkt, dann wären die Bolschewiki nicht an der Macht, sondern im Gefängnis oder in Sibirien und der Zarismus würde noch herrschen. 14 Mit solchen demagogischen Argumenten befand sich David in trauter Gemeinschaft mit dem Führer der Konservativen, Graf Westarp, der gleichfalls für die deutschen Waffen das Verdienst in Anspruch nahm, den Zarismus und die KerenskiRegierung gestürzt zu h a b e n . 1 5 Was die preußischen Junker in Deutschland als Hochverrat und Todsünde gegen die gottgewollte Ordnung verdammten, den Sturz der Monarchie, das waren sie bereit, in Rußland anzuerkennen und zu begrüßen — weil sie von dem Ausscheiden des bolschewistischen Rußlands aus dem Kriegsbündnis mit England und Frankreich eine Wendung des Weltkrieges zugunsten dos deutschen Imperialismus erhofften. Aus dem gleichen Grunde waren die deutschen Sozialchauvinisten bereit, ihre menschewistischen Gesinnungsgenossen in Rußland fallenzulassen, die als getreue Knappen „ihrer" Bourgeoisie f ü r die Weiterführung des Krieges an der Seite der Entente eintraten. „Was rechts von den Bolschewiki steht, sind Entente-Freunde", erklärte David und beschwor die deutsche Regierung, nicht die günstige Chance f ü r den deutschen Imperialismus zu verscherzen. 1 6 Eifrig bemühten sich die sozialdemokratischen Führer, die deutschen Imperialisten zu überzeugen, daß es in ihrem eigenen Interesse liege, „die großen Werte der Zukunft nicht durch eine kleinliche Konjunkturpolitik des Augenblicks" zu zerstören. 17 Es sei ein „Fehler", die Ostfragen „etwa mit ostelbischen Mitteln und Methoden lösen zu wollen". Bei der „Neuordnung der Dinge" im Osten müsse Verzicht getan werden auf „gewaltsame einseitige Eingriffe" und mit „demokratischer Methode" gearbeitet werden. 1 8 Ziel dieser Neuordnung im Osten sollte sein, „nicht nur Mitteleuropa, 13
„Vorwärts", Nr. 318, vom 19. November 1917. Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Stenographische Berichte. Bd. 311, S. 3980—82. 15 Ebenda, S. 3956. " Ebenda, S. 4010. 17 „Vorwärts", Nr. 2, vom 2. Januar 1918. 18 Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 311, S. 4013. 14
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sondern ganz Kontinentaleuropa zu einem einheitlichen Produktions- und Zivilisationsgebiet zusammenzufassen". 19 Einem solchen Block vom Kanal bis nach Vorderasien liege der Weg vom Rhein bis zum Stillen Ozean offen 20 , und er könne dem angelsächsischen Imperium Paroli bieten. Noch darüber hinaus unterstützten die „Sozialistischen Monatshefte" die Forderung des kaiserlichen Staatssekretärs Solf auf „ein großes afrikanisches vom Ozean im Westen bis zum Ozean im Osten reichendes Kolonialreich" 21 . Welche sozialökonomische Struktur das von ihnen propagierte „einheitliche Produktions- und Zivilisationsgebiet" haben sollte, welche Klasse in ihm herrschen sollte, darüber sagten die Sozialchauvinisten nichts. Es galt ihnen als selbstverständlich, daß das bestehende imperialistische Deutschland kraft seines industriellen Potentials die Vorherrschaft in Kontinentaleuropa besitzen müsse. Bezüglich der innerpolitischen Entwicklung vertrösteten sie die deutschen Soldaten mit dem Versprechen, das gleiche Wahlrecht werde ihnen die „Gewißheit" geben, daß sie „für ein freies Vaterland" kämpften. Nach dem Kriege werde mit „umsichtiger Besonnenheit" dafür gesorgt, daß nicht einige Kapitalisten dem Volk die Früchte des Sieges entwenden. 22 Die deutschen Generale und Kanonenkönige setzten sich über alle „guten Ratschläge" der sozialdemokratischen Führer hinweg und zwangen der jungen Sowjetmacht den Gewaltfrieden von Brest-Litowsk auf. Er war so offensichtlich brutal und imperialistisch, daß auch David als Sprecher der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ihn als Gewaltfrieden bezeichnen mußte. Aber Davids Kritik am Brester Vertrag war eine Kritik vom Standpunkt der Expansionsinteressen des deutschen Imperialismus aus. E r „bedauerte", daß damit „eine zukünftige Weltpolitik Deutschlands ungeheuer erschwert", der „Weg nach Wladiwostok, an den Stillen Ozean" und-auch „der Weg an den Indischen O z e a n . . . verbarrikadiert" sei. David bedauerte, daß „die fremdstämmigen Randgebiete" mit Gewalt von Rußland losgerissen wurden, wo doch durch ein „Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, gegenseitiger demokratischer Verständigung" mit diesen Völkern „das territoriale Resultat schließlich das gleiche geworden" wäre. Er kritisierte, daß nicht die erwartete wirtschaftliche Erleichterung und militärische Entlastung für die verstärkte Weiterführung des Krieges im Westen erreicht worden sei. David fand es auch sehr bedauerlich, daß der deutsche Imperialismus durch den Brester Vertrag seine Raubgier und Brutalität so offen enthüllt hatte. Im feindlichen und neutralen Ausland sei „das Zutrauen zu der Ehrlichkeit der deutschen Politik" außerordentlich erschüttert und auch im deutschen Volk habe sich „ein großes Mißbehagen ausgebreitet". 2 3 Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion stimmte nicht gegen das Brester Friedensdiktat, sondern enthielt sich nur der Stimme. 24 Führten die Sozialchauvinisten " „Sozialistische Monatshefte", 23. Jhrg., 49. Bd., S. 1158. 20 „Vorwärts", Nr. 328, vom 30. November 1917. 21 „Sozialistische Monatshefte", 24. Jhrg., 50. Bd., S. 21/22. " Ebenda. 23 Verhandlungen des Eeichstags, a. a. O., Bd. 311, S. 4432/33. 24 Die „Internationale Korrespondenz", Nr. 6, vom 9. April 1918 behauptete sogar, der Brester Vertrag enthalte ein „gutes Stück politischer Vernunft und ein erhebliches Mehr an Völkerfreiheit".
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selbst im Parlament nur einen Scheinkampf, so waren sie erst recht bemüht, jede außerparlamentarische Aktion der Werktätigen gegen den imperialistischen Gewaltfrieden zu verhindern. Dabei begnügten sie sich keineswegs mit einer eifrigen Agitation gegen jeden Streik, sondern schreckten auch vor der Denunziation revolutionärer Funktionäre bei den Militärbehörden und vor der Organisierung des offenen Streikbruchs nicht zurück, wie bei dem Streik der deutschen Rüstungsarbeiter im Januar 1918, den sie mit allen Mitteln des Betruges und des Terrors abwürgten. Die große revolutionäre Massenaktion der deutschen Arbeiterklasse gegen das imperialistische Friedensdiktat von Brest-Litowsk zwang die Führung der SPD zu einer klaren Stellungnahme für oder gegen Sowjetrußland. Die sozialdemokratischen Führer zögerten keinen Augenblick, sich auch in dieser Frage mit aller Entschiedenheit an die Seite des deutschen Imperialismus gegen die Sowjetmacht zu stellen. Im „Vorwärts" erklärte Otto Braun, die SPD müsse zwischen den Bolschewiki und sich „einen dicken und sichtbaren Strich ziehen". Braun schob alle früheren heuchlerischen Beteuerungen der Solidarität mit dem russischen Proletariat beiseite und erklärte, daß Sowjetrußland von der SPD keine Unterstützung im Kampf gegen den Gewaltfrieden erwarten dürfe. Es müsse „den russischen Bolschewisten mit aller Deutlichkeit gesagt werden, ihre Hoffnung auf eine baldige gewaltsame Revolution in Deutschland ist ein Irrwahn". Braun ließ auch alle früheren Redensarten fallen, daß die bolschewistischen Methoden „für Rußland vielleicht die richtigen" seien, daß die Sozialdemokratie mit den Bolschewiki „die Gemeinsamkeit des sozialistischen Endziels" verbinde. „Es m u ß aber auch ganz offen und ganz unzweideutig ausgesprochen werden, daß wir als Sozialdemokraten diese Gewaltmethoden der Bolschewiki auf das schärfste verurteilen." Braun wiederholte die ganze Litanei der imperialistischen Antibolschewistenhetze, um schließlich zu prophezeien: „das Chaos auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet" müsse immer größer werden und schließlich zum Zusammenbruch der Sowjetmacht führen. 2 5 Braun hat sich als ein schlechter Prophet erwiesen- Die Sowjetmacht, deren sicheren Untergang er voraussagte, ist nach 40 Jahren stärker denn je. Der „Irrwahn" der baldigen Revolution in Deutschland jedoch war knappe dreiviertel Jahre später trotz aller verzweifelten entgegengesetzten Bemühungen der sozialdemokratischen Führer historische Tatsache. Als beständig erwies sich nur — sehr zum Schaden der deutschen Arbeiterklasse und der gesamten deutschen Nation — der dicke sichtbare Trennungsstrich zwischen der SPD und der Sowjetunion. Die rechten Führer der SPD sind seit der Oktoberrevolution bis zur Gegenwart erbitterte Feinde der Sowjetmacht geblieben. *
In der Stellung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Oktoberrevolution widerspiegelte sich die Zwiespältigkeit dieser Partei, der tiefe Widerspruch zwischen dem politischen Wollen der revolutionären sozialistischen Arbeiter und der zentristischen Führung. 26
„Vorwärts", Nr. 46, vom 15. Februar 1918.
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Die Leitung der USPD sandte der Sowjetregierung über Stockholm ein Begrüßungstelegramm, in dem das russische Proletariat zur Ergreifung der politischen Macht beglückwünscht und die Hoffnung ausgesprochen wurde, daß es ihm gelingen werde, unterstützt von dem Proletariat der anderen Länder, rasch einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen herbeizuführen. 2 6 Ein Aufruf der Parteileitung der USPD erklärte: „In Rußland hat das Proletariat die politische Macht ergriffen — ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. Noch niemals ist dem Proletariat eine solch große Aufgabe zugewiesen, wie in diesem Augenblick." Das deutsche Proletariat dürfe die Vorgänge in Rußland nicht „lediglich als teilnehmender Zuschauer" verfolgen, sondern müsse „überall Kundgebungen f ü r einen auf allen Seiten annexionslosen Frieden . . . veranstalten." 2 7 Die „Leipziger Volkszeitung" schrieb: „Mit unserem ganzen Herzen sind wir deutschen Proletarier in diesen Stunden mit unseren kämpfenden russischen Genossen. Sie kämpfen auch für unsere Sache. Sie sind die Vorkämpfer der Menschheit, die Vorkämpfer des Friedens." 2 8 Auch das „Mitteilungs-Blatt" der Berliner unabhängigen Sozialdemokraten hob die „weltgeschichtliche Tragweite" der Oktoberrevolution hervor, die die „entschieden sozialistischen Elemente" an die Macht brachte und die „Zeit der Koalitionen, des Paktierens mit dem Bürgertum" beendete. 29 Das „Mitteilungs-Blatt" nannte den siegreichen Kampf der russischen Arbeiter und Bauern ein „hochragendes Beispiel und eine lebendige Lehre" f ü r „das internationale Proletariat in seinem Ringen gegen die imperialistischen und reaktionären Mächte". 3 0 Es betonte, daß die Oktoberrevolution „nicht eine rein russische Angelegenheit" wäre, sondern die Sache eines jeden Proletariers, 3 1 daß vom Schicksal der Oktoberrevolution auch das Schicksal des internationalen Sozialismus abhinge. 32 Deshalb trage das gesamte internationale Proletariat die Mitverantwortung f ü r die Sicherung der russischen Arbeiter-und-Bauern-Macht- 3 3 Aus diesen Ausführungen spricht die Begeisterung und Solidarität, mit der die revolutionären sozialistischen Kräfte in der USPD die Oktoberrevolution begrüßten. Sie kommt auch in Entschließungen von Versammlungen der USPD zum Ausdruck. Nur wenige solche Entschließungen wurden veröffentlicht, 34 vermutlich sind gerade die entschiedensten der Militärzensur und der „Vorsicht" der Redaktionen zum Opfer gefallen. 26
„Leipziger Volkszeitung", Nr. 266, vom 14. November 1917. Ebenda, Nr. 264, vom 12. November 1917. 28 Ebenda, Nr. 266, vom 14. November 1917. 29 ,,Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 34, vom 18. November 1917. 30 Ebenda, Nr. 38, vom 16. Dezember 1917. 31 Ebenda, Nr. 34, vom 18. November 1917. 32 Ebenda, Nr. 38, vom 16. Dezember 1917. 33 Ebenda, Nr. 34, vom 18. November 1917. 34 Ebenda, Nr. 36, vom 2. Dezember und Nr. 37, vom 9. Dezember 1917. 27
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Aber neben dieser positiven Stellungnahme finden wir in der Presse der USPD auch versteckte und offene Feindschaft gegen die Oktoberrevolution und ihre führende Partei. Schon in den ersten Tagen bemühte sich Karl Kautsky, die Begeisterung der sozialistischen Arbeiter mit der „beklommenen Frage": „Wie wird das enden?" zu dämpfen und Zweifel an dem Erfolg der Sowjetmacht zu säen. 35 Die „Leipziger Volkszeitung" öffnete ihre Spalten dem russischen Menschewislen A. Stein, einem erklärten Gegner der Sowjetmacht. Er behauptete, die Oktoberrevolution sei eine „Frühgeburt", die „wenig Anzeichen von Lebensfähigkeit aufweist". Das sei die Schuld der Bolschewiki, die „durch ihren nach blanquistischer Methode organisierten Aufstand selber die Ereignisse forciert" hätten. Stein vertrat die bankrotte Politik der von der Oktoberrevolution verjagten russischen Menschewiki und rechten Sozialrevolutionäre und verteidigte ihren konterrevolutionären Kampf gegen die Sowjetmacht. 36 Es ist ein charakteristisches Beispiel f ü r die dauernden Schwankungen und Halbheiten der USPD, daß in ihrer Presse die positiven Äußerungen über die Oktoberrevolution durch entgegengesetzte, negative Beurteilungen wieder aufgehoben wurden. Vermutlich war die Führung der USPD sehr stolz auf die „Meinungsfreiheit", mit der sie in ihren Zeitungen Freunde und Gegner der Oktoberrevolution zu Wort kommen ließ, über die „Objektivität", mit der sie ihre Mitglieder und Anhänger „allseitig informierte". Aber diese „Objektivität" mußte sich faktisch als eine Hilfe f ü r die deutschen Imperialisten auswirken, die durch die bürgerliche und rechtssozialdemokratische Presse und alle anderen Mittel der ideologischen Beeinflussung eine Schmutzflut antibolschewistischer Verleumdungen über das deutsche Volk ergossen. Es diente nicht der Orientierung, sondern der Verwirrung der Mitglieder der USPD, wenn sie in ihren wenigen eigenen Zeitungen die Argumente der antibolschewistischen Propaganda lesen mußten und nicht einmal wußten, daß die Verteidiger der Bolschewiki durch die Zensur gehindert wurden, mit der notwendigen Schärfe und Deutlichkeit zu antworten. 3 7 Die scheinbare „Objektivität" und „Meinungsfreiheit" waren in der Tat ein Mißbrauch des Vertrauens und der Erwartungen, die die sozialistischen Arbeiter in die Opposition der USPD gegen den Verrat der rechten sozialdemokratischen Führer setzten. Die Inkonsequenz und Feigheit der Führung der USPD äußerte sich auch darin, daß sie sich bei der Erklärung ihrer Solidarität mit der Oktoberrevolution und bei ihrer Begrüßung des von der Sowjetregierung vorgeschlagenen demokratischen Friedens auf die Aufforderung zu Versammlungen und Demonstrationen beschränkten. Wohl erklärte Haase im Reichstag, daß ein allgemeiner demokratischer Frieden nur gegen die Imperialisten durch den internationalen Klassenkampf durchgesetzt werden könne. 3 8 Ledebour sagte, wenn die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk von den 35
„Leipziger Volkszeitung", Nr. 267, vom 15. November 1917. Ebenda, Nr. 300, vom 27. Dezember 1917. 37 Vgl. Alles für die Revolution. Aus Reden und Werk der Kämpferin Clara Zetkin, Berlin 1927, S. 26. 38 Verhandlungen des Reichstags, a. a. O., Bd. 311, S. 3964/65. u
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deutschen Imperialisten zur Vergewaltigung der Sowjetrepublik ausgenützt werden sollten, sei es notwendig, „an die Arbeiterschaft aller Länder zu appellieren, daß sie nunmehr ohne Rücksicht auf die Regierungen, ohne Rücksicht auf die herrschenden Klassen die Machtmittel einsetzt, die sie in der Hand hat, um wirklich den Frieden zu erzwingen." 3 9 Das „Mitteilungs-Blatt" unterstrich das Verdienst der Bolschewiki, daß sie es nicht bei „kraftloser Friedenssehnsucht" und bei „Friedensworten" hatten bewenden lassen, sondern die „erste wirkliche Friedenstat" vollbrachten. 4 0 Die Arbeiterklasse müsse „mit allen Mitteln die Friedensoffensive unserer russischen Genossen unterstützen und alle Kräfte einsetzen f ü r die dringende Forderung des Tages: die Schaffung eines allgemeinen demokratischen Friedens". 4 1 Aber es genügte nicht, daß die Führer der USPD im Reichstag die Annahme des sowjetischen Friedensangebotes forderten oder die Veröffentlichung der imperialistischen Geheimverträge der Mittelmächte verlangten. Die Führer der USPD haben es unterlassen, von der Tribüne des Parlaments aus die imperialistischen Kriegsziele der deutschen Regierung zu entlarven und dem deutschen Volk zu sagen, daß es von dieser Regierung keine ehrliche Friedensbereitschaft erwarten durfte. Eine wirklich revolutionäre Parteiführung hätte die Pflicht gehabt, den Arbeitern zu sagen, welches die „Machtmittel" waren, die angewandt werden mußten, sie hätte zum revolutionären Massenstreik aufrufen und diesen Streik organisieren müssen. Jedoch diese Konsequenz scheute die Führung der USPD. Es gab Anfang J a n u a r 1918 lange Auseinandersetzungen im Vorstand und in der Reichstagsfraktion der USPD über den Vorschlag, die Reichstagsabgeordneten, die durch die Immunität einigermaßen geschützt waren, sollten namentlich einen Aufruf zum Streik unterzeichnen. Das Ergebnis war die lahme Aufforderung zu „kräftigen Willenskundgebungen der werktätigen Bevölkerung". 4 2 Im großen Januarstreik, der von Mitgliedern der Spartakusgruppe gemeinsam mit den zum großen Teil der USPD angehörenden revolutionären Obleuten vorbereitet und ausgelöst wurde, setzten die Führer der USPD gegen den heftigen Widerstand der Betriebsobleute die Aufnahme von Ebert, Scheidemann und Braun in die Streikleitung durch. Sie unterstützten die rechten Führer der SPD bei der Abwürgung des Streiks. Der Brester Frieden wurde von der USPD als Gewaltfrieden, als Beweis der Raubgier und Brutalität des deutschen Imperialismus entschieden und eindeutig abgelehnt. Daraus konnte es nur die eine Schlußfolgerung geben, alle Kräfte der Arbeiterklasse und aller Werktätigen f ü r den revolutionären Kampf gegen den deutschen Imperialismus zu mobilisieren. Aber dieser Kampf wurde von den Führern der USPD gelähmt durch eine verleumderische Kritik an der Friedenspolitik der Bolschewiki. In der „Leipziger Volkszeitung" machte der Menschewist Stein den Bolschewiki zum Vorwurf, daß sie statt mit den Völkern mit den feindlichen Regierungen vef39
Ebenda, S. 3978. ,,Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 39, vom 23. Dezember 1917. 41 Ebenda, Nr. 40, vom 30. Dezember 1917. 42 Vgl. Klaus Mammach: a. a. O., S. 115. 40
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handelten, sie würden sich damit in eine Zwangslage bringen und das Gegenteil von dem erreichen, was sie erstrebten. 4 3 Aber gerade Stein und seine menschewistischen Gesinnungsgenossen in allen kriegführenden Ländern hatten durch ihre Politik der Verteidigung des kapitalistischen Vaterlandes den Sturz der imperialistischen Regierungen verhindert. Es war nicht Schuld der Bolschewiki, sondern der Sozialchauvinisten in aller Welt, daß die russische Arbeiter- und Bauern-Macht kapitalistischen Regierungen in allen anderen Ländern gegenüberstand. Diese Zwangslage den Bolschewiki zum Vorwurf zu machen, war nicht nur eine unverschämte Verleumdung, sondern auch eine Ablenkung von den revolutionären Aufgaben der deutschen Arbeiterklasse. Gleicherweise mußte es Verwirrung unter die deutschen Arbeiter tragen, wenn R . Thorwesten in der „Leipziger Volkszeitung" den Bolschewiki den Vorwurf machte, daß sie bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk das „Prinzip des verbindlichen Schiedsgerichts" und den „Gedanken der Vereinigten Staaten von Europa" nicht in die Debatte geworfen hatten. Das sei „um so bedenklicher", als doch einer proletarischsozialistischen Regierung „nicht nur daran gelegen sein dürfe, diesen Krieg zu beenden, sondern . . . die Vorbedingungen des Krieges überhaupt zu beseitigen". 4 4 Die ¿Vorbedingungen des Krieges überhaupt" konnten nicht durch das Prinzip eines verbindlichen Schiedsgerichts und nicht durch die Vereinigten Staaten von Europa beseitigt werden, sondern nur durch den Sturz des Imperialismus in der ganzen Welt. Die Bolschewiki hatten diese Vorbedingung in ihrem Lande geschaffen, und es war in erster Linie Aufgabe des Proletariats der anderen Ländern, bei sich dieselben Vorbedingungen zu schaffen. Davon oder von den nächsten konkreten Aufgaben des deutschen Proletariats war jedoch in dem ganzseitigen Artikel des Verfassers mit keinem einzigen Satz die Rede. Seine Kritik an der Friedenspolitik der Bolschewiki konnte nur die Wirkung einer Ablenkung von diesen konkreten Aufgaben haben. Die Frage des Friedens war der Frage der proletarischen Weltrevolution und der proletarischen Diktatur untergeordnet. Die russischen Arbeiter und Bauern hatten die Hauptaufgabe, ihre Arbeiter- und Bauern-Macht zu erhalten und zu festigen, notfalls selbst um den Preis der Annahme eines imperialistischen Separatfriedens. Denn der junge Sowjetstaat war die stärkste Machtposition der internationalen Arbeiterklasse und das mitreißende Beispiel im Kampf um den allgemeinen Frieden. Die deutsche Arbeiterklasse hatte die Hauptaufgabe, den deutschen Imperialismus zu stürzen, vorbehaltlos die russische Sowjetmacht zu unterstützen und ein Bündnis zwischen dem revolutionären Deutschland und Sowjetrußland anzustreben. Das war in Deutschland die wichtigste Voraussetzung für einen demokratischen Frieden. Auf diese Hauptaufgabe mußte eine revolutionäre sozialistische Partei die ganze Aufmerksamkeit und, Kraft der Arbeiterklasse richten. * 43 44
„Leipziger Volkszeitung", Nr. 300, vom 27. Dezember 1917. Ebenda, Nr. 302, vom 29. Dezember 1917.
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Es ist das große Verdienst der Linken in der deutschen Arbeiterbewegung, der Spartakusgruppe und der Linksradikalen, daß sie die weltgeschichtliche Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution klar erkannten und sich auch als wahrhafte Internationalisten für die vorbehaltlose Unterstützung der unter den größten Schwierigkeiten kämpfenden Sowjetmacht einsetzten. Rosa Luxemburg begrüßte die Oktoberrevolution als „eine weltgeschichtliche Tat, deren Spur in Äonen nicht untergehen wird". 4 5 In Artikeln und Aufrufen erklärte die Spartakusgruppe, daß in Rußland zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit das Proletariat und die arme Bauernschaft ihre Herrschaft errichtet hatten und mit großem Helden- und Opfermut um die Aufrechterhaltung und Festigung ihrer Macht rangen. 4 6 Die Spartakusgruppe hob die führende Rolle der Bolschewiki in der sozialistischen Oktoberrevolution hervor. Die Koalition zwischen rechten Sozialdemokraten und Bourgeoisie, wie sie seit dem Februar 1917 bestand, hatte sich — so schrieb Clara Zetkin — als unfähig erwiesen, die Forderungen der Arbeiter, Bauern und Soldaten nach Frieden und Freiheit zu verwirklichen. Allein die Bolschewiki waren fähig, die breiten Massen der ausgebeuteten und unterdrückten Proletarier und armen Bauern um sich zu scharen und sie zum Siege zu führen. 4 7 Die russischen Revolutionäre, heißt es in den Spartakusbriefen, konnten deswegen „die Initiative zur sozialen Erneuerung Europas" ergreifen, weil sich in Rußland die „revolutionäre Energie der modernen kapitalistischen Klassengegensätze" mit „der gewaltigen Spannung der ungelösten — und im Rahmen des bürgerlichen Staats unlösbaren — Agrarfrage" und mit „der reifsten proletarischen Ideologie v e r b a n d " . 4 8 Gegen die opportunistische Behauptung, die Oktoberrevolution sei nur durch die militärische Niederlage des Zarismus ermöglicht worden, betonte Rosa Luxemburg, daß die Revolution „im eigenen Lande tiefe Wurzeln hatte und innerlich vollkommen reif war". 4 » In allen ihren Äußerungen bekannten sich die Genossen der Spartakusgruppe zu der Partei der Bolschewiki und betonten, daß sie mit ihr „auf demselben Boden, mit derselben Taktik" kämpften. 5 0 „Mit neidlosem Stolz empfinden wir den Sieg der Bolschewiki als unseren Sieg", schrieb Franz Mehring im Namen der Spartakusgruppe an die „russischen Freunde und Gesinnungsgenossen" und versicherte, „daß wir uns durch alle Bande leidenschaftlicher und tiefer Sympathie mit ihnen verknüpft fühlen, und daß wir in ihnen . . . die kraftvollen Vorkämpfer der neuen Internationale bewundern". 5 1 46 Rosa Luxemburg: Briefe an Karl und Luise Kautsky (1896—1918), hrsg. v. Luise Kautsky, Berlin 1923, S. 210. 46 Spartakus im Kriege. Die illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege. Gesammelt und eingeleitet von Ernst Meyer, Berlin 1927, S. 179. 47 „Leipziger Volkszeitung", Frauen-Beilage, Nr. 12, vom 30. November 1917. 48 Spartakusbriefe, (Neudruck). Herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), Berlin 1920, S. 154. 49 Rosa Luxemburg: Die russische Revolution, Berlin 1922, S. 67. 50 „Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 16, vom 21. Juli 1918. 61 Ebenda.
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Auch die Linksradikalen begrüßten begeistert die Revolution der russischen Arbeiter und armen Bauern. Sie „hat die B a h n frei gemacht f ü r das weitere Vordringen der sozialen Revolution bis z u m endgültigen Siege des Sozialismus", schrieb die „Arbeiterpolitik" u n d hob hervor, d a ß das russische Proletariat so unerhört Großes und Gewaltiges vollbracht hatte, „dem nichts in der Weltgeschichte a n die Seite zu stellen ist". Die Volksmassen hatten a n Stelle des despotischen Zarismus und der bürgerlichen Demokratie eine Demokratie gesetzt, „die auf dem weiten E r d e n r u n d ihresgleichen" suchte. 5 2 Deutlicher als die Genossen der Spartkusgruppe sahen die Linksradikalen als eine wesentliche Ursache des Erfolgs der Revolution die Existenz der bolschewistischen Partei, „die v o m ersten Augenblick a n das B a n n e r des Sozialismus entfaltete u n d im Zeichen der sozialistischen Revolution k ä m p f t e " . 5 3 Von besonderer Bedeutung f ü r den Sieg der Revolution w a r nach Meinung der Linksradikalen auch die Tatsache, d a ß die Bolschewiki über hervorragende revolutionäre, marxistisch geschulte K a d e r verfügten, an deren Spitze ein solcher Genosse stand wie W . I. Lenin, „ein M a n n v o n unbändigem revolutionärem F e u e r . . . , ein eiserner Charakter von riesiger Energie, von unbeugsamer Konsequenz, ein Todfeind jedes zersetzenden Opportunismus". 5 ' 4 Die Linksradikalen verhehlten nicht die inneren u n d äußeren Schwierigkeiten, die sich vor den Bolschewiki a u f t ü r m t e n . Sie verwiesen auf die Agrarfrage, die n u r mit großer Anstrengung zu lösen w a r ; auf die fehlenden E r f a h r u n g e n in der L e n k u n g des Staates u n d beim A u f b a u der sozialistischen Wirtschaft; auf den erbitterten Widerstand der gestürzten Ausbeuterklassen in R u ß l a n d u n d der Imperialisten der ganzen Welt, die alles versuchen würden, u m den Arbeiter- u n d Bauern-Staat zu zerschlagen. 5 5 Sie vertrauten aber den Kräften zur Überwindung aller Schwierigkeiten: der revolutionären Energie der russischen Arbeiterklasse, einer Energie, „wie sie das Proletariat in keinem anderen Lande bisher entfaltet h a t " 5 6 ; den klaren sozialistischen E r k e n n t nissen der Bolschewiki und ihrer Verbindung mit den Massen, ihrem Vertrauen in die schöpferische K r a f t der Arbeiter u n d Bauern. 5 7 Die Stellungnahme der deutschen Linken zeigt, d a ß sie die Bedeutung der Oktoberrevolution als den entscheidenden Schritt zur Errichtung der Macht der Arbeiter u n d der werktätigen Bauern voll erkannten. Sie erkannten auch die Ursachen, die den Sieg der sozialistischen Revolution ermöglichten u n d hielten im Gegensatz zu den rechten Sozialdemokraten u n d K a u t s k y a n e r n die Verhältnisse in R u ß l a n d durchaus reif f ü r den Sozialismus. Vor allem aber bekundeten die Linken in der deutschen Arbeiterbewegung ihre Begeisterung u n d Solidarität f ü r die Oktoberrevolution nicht nur in Worten, sondern setzten auch all ihre K r a f t u n d Leidenschaft ein, u m die deutsche Arbeiterklasse zur revolutionären T a t zu mobilisieren. 52 „Arbeiterpolitik", Wochenschrift für wissenschaftlichen Sozialismus, (Bremen), Nr. 50, vom 15. Dezember 1917. 53 Ebenda, Nr. 50, vom 15. Dezember 1917. 54 Ebenda, Nr. 46, vom 17. November 1917. 56 Ebenda, Nr. 46, vom 17. November 1917; Nr. 47, vom 24. November 1917; Nr. 50, vom 15. Dezember 1917. 56 Ebenda, Nr. 47, vom 24. November 1917. 67 Ebenda, Nr. 49, vom 8. Dezember 1917.
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„Mit einem H e l d e n m u t sondergleichen, ohne Opfer zu scheuen, ohne das eigene Herzblut zu sparen, k ä m p f e n jetzt die russischen Proletarier, auf das B a u e r n t u m gestützt, u m die Auf rech terhaltung und Befestigung ihrer soeben erlangten Herrschaft im Staat. Das Ziel, das sie dabei verfolgen, ist ein doppeltes: ein E n d e mit dem Völkermord, ein Anfang der Verwirklichung des Sozialismus." So erklärte ein illegales Flugblatt der Spartakusgruppe u n d forderte auf, in Deutschland dem Beispiel der russischen Revolution zu folgen. „Nur durch Massenkampf, d u r c h Massenauflehnung, durch Massenstreiks, die das ganze wirtschaftliche Getriebe u n d die gesamte Kriegsindustrie z u m Stillstand bringen, n u r durch Revolution u n d die Erririgung der Volksrepublik in Deutschland d u r c h die Arbeiterklasse k a n n dem Völkermord ein Ziel gesetzt u n d der allgemeine Frieden herbeigeführt werden . . . Mögen n u r die deutschen Arbeiter d e m russischen Beispiel folgen u n d sich a n die Spitze des Kampfes stellen u n d der Schlachtruf des internationalen Sozialismus: P r o l e t a r i e r aller Länder, vereinigt Euch!' wird bald zur W a h r h e i t u n d zur Tatsache w e r d e n . . . . Auf z u m Kampf f ü r Frieden, Freiheit u n d Brot! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! Hoch der Massenkampf der Arbeiter! Hoch der Sozialismus!" 5 8 Das Angebot der Sowjetregierung an alle Völker der Welt f ü r einen allgemeinen Frieden ohne Annexionen u n d Kontributionen würdigte die Spartakusgruppe als einen entschlossenen Schritt zur Beendigung des Völkermordens. Clara Zetkin hob hervor, d a ß die Arbeiter- u n d Bauernregierung „ihre Friedensarbeit in das Licht der vollsten Öffentlichkeit gestellt" u n d den breitesten Massen die Möglichkeit gegeben halte, diese Arbeit „zu kontrollieren, zu prüfen, zu beurteilen u n d durch die B e k u n d u n g ihres Willens an ihr mittätig zu sein". 5 9 Eindringlich warnte die Spartakusgruppe die Arbeiter, sich durch die Bereitschaft der deutschen Regierung zu Friedensverhandlungen mit der Sowjetregierung nicht täuschen zu lassen. „Seid auf der H u t ! Denn gerade durch diese Verhandlungen beabsichtigt die deutsche Regierung, dem Volke Sand in die Augen zu streuen, das Elend u n d den J a m m e r des Völkermordens noch zu verlängern u n d zu verschärfen.'" 6 0 Angesichts der erpresserischen Forderungen der deutschen Imperialisten in BrestLitowsk erklärte die Spartakusgruppe: „Bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk m u ß t e der deutsche Militarismus endlich die Maske lüften. R a u b fremder Länder, Unterjochung f r e m d e r Völker, gewaltsame Annexionen u n d die Herrschaft des deutschen Säbels in der Welt: das sind die Kriegsziele der deutschen Regierung." 0 1 Gegen die betrügerische Behauptung, der Separatfrieden mit R u ß l a n d sei der Anf a n g des allgemeinen Friedens, wurde betont, d a ß die deutschen Imperialisten im Osten den Rücken freibekommen wollten, „ u m das menschliche K a n o n e n f u t t e r v o m Osten nach dem Westen zu kommandieren u n d alle K r ä f t e mit doppelter W u c h t gegen England, Frankreich u n d Italien zu werfen". Das bedeute „eine ungeheure Verschärf u n g und Verlängerung des Krieges" und eine Verstärkung der politischen Unterd r ü c k u n g der Werktätigen. 6 2 58
Archiv des Instituts f ü r Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/9. „Leipziger Volkszeitung", Frauen-Beilage, Nr. 16, vom 25. J a n u a r 1918. 00 Archiv des Instituts f ü r Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/9. « Ebenda, D. F. V/14. «2 Ebenda. 59
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Das Flugblatt rief den deutschen Arbeitern zu: „Jetzt gilt es wirklich, unsere Existenz und die deutsche Freiheit mit aller Kraft zu verteidigen. Aber nicht gegen die äußeren Feinde . . . , gegen die deutschen Junker, gegen die deutsche imperialistische Bourgeoisie und die deutsche Regierung gilt es zu kämpfen . . . Nur der Sturz dieser Regierung, nur die Zerschmetterung der Macht der Bourgeoisie, mit anderen Worten: nur die Volksrevolution und die Volksrepublik in Deutschland würden imstande sein, den allgemeinen Frieden in kürzester Frist herbeizuführen.... Daher fort mit dem Separatfrieden! Allgemeiner Frieden und Republik in Deutschland!..." 6 3 Auf die lendenlahme Aufforderung der Führung der USPD zu „Willenskundgebungen" anspielend, erklärte das Flugblatt: „Es handelt sich nicht darum, unseren Willen kundzutun, sondern unseren Willen durchzusetzen. Die Regierung hat tausendmal bewiesen, daß sie auf den Volkswillen pfeift, wenn er nicht durch entschlossene Taten und rücksichtslosen Kampf zum Ausdruck gebracht wird." 64 Die Spartakusgruppe rief zur Aktion auf: „Rüstet zum allgemeinen Massenstreik in den nächsten Tagen! Setzt alles dran, daß die Arbeitsruhe eine allgemeine, eine vollständige wird, daß vor allem die Produktion der Mordwerkzeuge in der Munitionsindustrie aufhört. Sorgt dafür, daß aller V e r k e h r . . . eingestellt werden muß und daß auch in den städtischen und anderen öffentlichen Werken die Arbeit ruht. Vor allem aber sorgt dafür, daß die Kunde von dem Massenstreik auch an die Front, in die Schützengräben dringt und dort einen mächtigen Widerhall findet, daß die Urlauber mit den Arbeitern gemeinsame Sache machen, die Streikversammlungen besuchen und an Straßenaktionen teilnehmen. . . . Fort mit dem Kadavergehorsam, mit der Trägheit, mit allen egoistischen Rücksichten und Bedenken! Ermannen wir uns auf unsere Pflicht uns selbst, unsern Brüdern in den Schützengräben und unsern Brüdern jenseits der Grenzen gegenüber! Wir kämpfen ums Leben, ums Leben der ganzen Menschheit, die im Blutmeer untergeht! Auf zum Massenstreik... Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! Frieden-! Freiheit! Brot!" 6 5 Mit solchen illegalen Flugblättern leistete die Spartakusgruppe eine bedeutende Arbeit zur Vorbereitung des großen Massenstreiks im Januar 1918. Die Spartakusgruppe verteidigte die Bolschewiki gegen die demagogische Beschuldigung der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, sie hätten durch die Annahme des Brester Separatfriedens die russische Revolution und den allgemeinen Frieden preisgegeben. „Unter den gegebenen Umständen stand der Sowjetregierung Rußlands keine Wahl frei", 66 schrieb Clara Zetkin. Franz Mehring erklärte, daß der Separatfrieden für Sowjetrußland unbedingt notwendig war, denn eine Fortführung des Krieges hätte zu einem „Verbluten der russischen Revolution" geführt. Eine Ablehnung des Separatfriedens wäre nur dann möglich gewesen, wenn die „Fortsetzung des Krieges eine europäische Revolution hervorgerufen haben würde". Aber das hätte nicht „im Bereich einer entfernten Möglichkeit gelegen". 67 93 66 67
M 65 Ebenda. Ebenda. Ebenda. „Leipziger Volkszeitung", Frauen-Beilage, Nr. 19, vom 8. März 1918. Ebenda, Nr. 125, vom 1. Juni 1918.
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Die „Arbeiterpolitik" betonte, die russischen Genossen hätten sich nicht der geringsten Täuschung hingegeben und vom deutschen Imperialismus keinen gerechten Frieden erhofft. 6 8 Aber Rußland brauchte den Frieden, um seine Aufbauarbeit zu beginnen. Auch konnte das Proletariat mit dem Friedensangebot breite Schichten des Volkes um sich sammeln. Als die deutschen Imperialisten ihren Gewaltfrieden diktierten, hatten die Bolschewiki keine andere Wahl als anzunehmen, um nicht „das ausgemergelte Land an den Rand des Abgrundes" zu bringen. 69 Doch gab es unter den Mitgliedern der Spartakusgruppe und der Linksradikalen Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten über die Auswirkungen des Brester Friedens. Viele Genossen befürchteten, daß die Last des Gewaltfriedens und die trotz des Friedensschlusses fortgesetzte Intervention der deutschen Truppen die Konterrevolution in Rußland stärken und den Untergang der Sowjetmacht herbeiführen müsse. Ebenso befürchteten manche Genossen, daß der Separatfrieden „eine gewaltige Machtstärkung des deutschen Imperialismus" 7 0 gebracht habe und ihm die Möglichkeit gebe, im Westen den Sieg zu erringen und ganz Europa seine reaktionäre Herrschaft aufzuzwingen. Diese Genossen erkannten noch nicht die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem einzelnen Lande, die Lenin aus seiner Analyse des Imperialismus bewiesen hatte. Sie waren der Auffassung, daß die russische Revolution dem Weltimperialismus erliegen müsse, wenn sie nicht in kurzer Frist Hilfe durch einen Sieg der Revolution in Mittel- und Westeuropa erhalte. Manche Genossen unterschätzten die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten, die durch den Brester Frieden verschärft worden waren. Die Mitglieder der Spartakusgruppe zogen als proletarische Revolutionäre aus ihrer ehrlichen Sorge um das Schicksal der russischen Revolution die richtige Konsequenz, ihre eigenen Anstrengungen zur Mobilisierung der deutschen Arbeiterklasse zu vervielfachen. „Alles, alles kommt auf das deutsche Proletariat an. Keine Anstrengung ist zu groß, ist groß genug!", 71 mahnte Karl Liebknecht aus dem Zuchthaus. Die Spartakusgruppe beschwor die deutschen Proletarier im Waflenrock, sich nicht als „Henker der Freiheit und des Sozialismus" mißbrauchen zu lassen: „Die deutsche Reaktion, der sie so mit eigenen Händen zur beispiellosen Machtstellung, zur Weltherrschaft verhelfen, wird am anderen Tage nach dem Kriege mit Peitsche und Skorpionen über die deutschen Volksmassen h e r f a l l e n . . . Es gilt, aus dieser furchtbaren Schmach sich a u f z u r ü t t e l n ! . . . Nur eine gewaltige revolutionäre Massenerhebung in Deutschland zur Niederwerfung der Reaktion und Beendigung des Völkermordens kann noch die ruchlosen Verbrechen gutmachen, die wir, die das deutsche Proletariat an andern und an uns selbst begangen haben und noch begehen!" 7 2 68
„Arbeiterpolitik", a. a. 0., Nr. 3, vom 17. Januar 1918. Ebenda, Nr. 41, vom 12. Oktober 1918. Spartakusbriefe, a. a. O., S. 150. 71 Karl Liebknecht: Briefe aus dem Felde, aus der Untersuchungshaft und aus dem Zuchthaus, Berlin-Wilmersdorf 1922, S. 53/54. 72 Spartakus im Kriege, a. a. 0., S. 200. 68
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Gerade angesichts der großen Schwierigkeiten der jungen Sowjetmacht, angesichts der verleumderischen Angriffe der offenen und versteckten Opportunisten auf die Bolschewiki stellten sich die Genossen der Spartakusgruppe und der Linksradikalen als echte Internationalisten noch entschiedener auf die Seite der Bolschewiki. Franz Mehring schrieb, es müsse „jeder, der einen demokratischen Verständigungsfrieden nicht bloß mit dem Maule wünscht, die Befestigung und Erhaltung der bolschewistischen Herrschaft in Rußland aufs dringendste zu fördern suchen. . . . Die Bolschewiki sind die einzige russische Partei, die vollkommen Bürgschaft f ü r einen demokratischen Verständigungsfrieden bietet, die vollkommen hieb- und stichfest ist gegen allen und jeden Imperialismus . . . " . 7 3 ' s „Leipziger Volkszeitung", Nr. 138, vom 17. Juni 1918.
KAPITEL
DIE
STELLUNG
DES
II
DER
PROLETARIATS
DEUTSCHEN
ARBEITERPARTEIEN UND
IHRE
ZUR
HALTUNG
DIKTATUR IN
DER
NOVEMBERREVOLUTION
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution errichtete zum erstenmal in einem großen Land die politische Macht der Arbeiterklasse. Das Kernstück des Marxismus, die Lehre von der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats, war nicht mehr nur Theorie, Programm, sondern lebendige Wirklichkeit. Vor dieser realen Tatsache gab es kein Ausweichen, sie zwang jede Arbeiterpartei, ihre Stellung zur Diktatur des Proletariats eindeutig zu bekennen. Wie schon gesagt, versuchten einige sozialdemokratische Führer in den ersten Wochen einer klaren Stellungnahme zur Sowjetmacht auszuweichen, indem sie erklärten, daß „die bolschewistischen Methoden f ü r Rußland vielleicht die richtigen" seien, f ü r Deutschland aber unbedingt abgelehnt werden müßten. Doch die große Solidaritätsaktion der deutschen Arbeiterschaft f ü r Sowjetrußland im Januarstreik 1918 u n d die heranreifende revolutionäre Krise, die auch in Deutschland die proletarische Diktatur auf die Tagesordnung stellte, zwangen die Führer der SPD, Farbe zu bekennen. Die führende Schicht der SPD, alle rechten Sozialdemokraten waren völlig einmütig in der offenen Ablehnung der proletarischen Diktatur. Nuancen gab es nur in der Form der Ablehnung, die bis zu offenen konterrevolutionären Angriffen und der übelsten antibolschewistischen Hetze ging. Friedrich Stampfer, der Chefredakteur des „Vorwärts", konnte nicht leugnen, daß die Politik der Bolschewiki „mit der Theorie des Kommunistischen Manifests in Einklang zu bringen ist" und daß die Sowjetmacht die Diktatur des Proletariats verwirklichte, „wie sie dem älteren Marxismus vorschwebte". Da aber die rechten Sozialdemokraten sich anmaßten, in ihren Erkenntnissen schon weit über Marx und Engels hinaus zu sein, erklärte Stampfer, daß die russische Revolution „mit ihrer Theorie und ihrer Praxis in einer Gegenwart wurzelt, die f ü r uns schon Vergangenheit geworden ist". 7 4 Stampfer hat damit eingestanden, daß Ablehnung der Diktatur des Proletariats Ablehnung des revolutionären Marxismus bedeutet. 74
„Vorwärts", Nr. 20, vom 20. Januar 1918.
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In allen Tonarten beschuldigten die rechten Sozialdemokraten die Bolschewiki der Verletzung der Grundsätze der Demokratie. Ein Beweis der angeblichen Gewaltherrschaft der Bolschewiki war allen offenen und versteckten Opportunisten besonders die Auflösung der Konstituante. Stampfer beschuldigte die Sowjetmacht, sie habe den „souveränen Willen des Volkes und der von ihm gewählten Vertretung" mißachtet. 7 5 Nach dem „Vorwärts" hatten die Bolschewiki „an dem Parlament des revolutionären Rußlands nicht anders gehandelt", „wie der Zar an der Duma". 7 6 Es galt den rechten Sozialdemokraten nichts, daß die vor der Oktoberrevolution unter der kapitalistischen Regierung gewählte Konstituante nicht „das Parlament des revolutionären Rußlands" war, sondern die Fahne und der „demokratische" Deckmantel aller konterrevolutionären Kräfte, daß sich der „souveräne Willen des Volkes" in der Oktoberrevolution überwältigend manifestierte und in den Sowjets seine gewählte Vertretung geschaffen hatte, die dem bürgerlichen Parlament weit überlegen war. Diese Sozialdemokraten wollten nach dem treffenden Wort Lenins die Revolution nur dann anerkennen, „wenn vorher — unter Beibehaltung der Stärke und Macht, des Jochs und der Privilegien des Kapitals und des Reichtums — die .Mehrheit ihre Stimme ,für die Revolution' abgegeben hat". 7 7 Immer wieder haben die sozialdemokratischen Führer den baldigen Zusammenbruch der Sowjetmacht prophezeit. Quessel schrieb schon im Januar 1918, „daß die zur Zeit bestehende bolschewistische Diktatur nur ein vorübergehender Zustand sein kann, der bald durch ein geordnetes demokratisches Regime . . . ersetzt werden wird". 7 8 Aber die Führer der SPD begnügten sich keineswegs damit, den sicheren Sturz der proletarischen Diktatur vorauszusagen, sie taten alles, was in ihrer Kraft stand, um selbst diesen Sturz herbeiführen zu helfen, die Imperialisten und Konterrevolutionäre durch eine zügellose antibolschewistische Hetze zu unterstützen. Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Max Schippel — um nur einen der rabiatesten Hetzer herauszugreifen — beschimpfte die Sowjetmacht als die Diktatur „einer Handvoll von engstirnigen Fanatikern", von „Desperados und Amokläufern", die eine „günstige Konjunktur f ü r diktatorische Staatsstreiche" ausgenützt hätten. 7 9 Die „Internationale Korrespondenz" versorgte die ganze sozialdemokratische Presse mit Material und veröffentlichte Aufrufe russischer Konterrevolutionäre, Artikel aus Zeitungen der Menschewiki und rechten Sozialrevolutionäre, die vor Verleumdung gegen die Bolschewiki strotzten, Meldungen ausländischer sozialdemokratischer Zeitungen, die den Kampf gegen die Sowjetmacht als „Kampf f ü r Freiheit und Demokratie" rühmten und die Arbeiter- und Bauernregierung als „Schreckensherrschaft" verleumdeten. Auch antibolschewistische Hetzartikel aus ausländischen bürgerlichen 75
Ebenda, Nr. 20, vom 20. Januar 1918. Ebenda, Nr. 21, vom 21. Januar 1918. W.I.Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Berlin 1957, S. 522. 78 „Sozialistische Monatshefte", 24. Jhrg., 50. Bd., S. 12. 79 Ebenda, 51. Bd., S. 1183—1185. 76
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Zeitungen, wie dem „Manchester Guardian", findet man in der „Internationalen Korrespondenz" neben „Erlebnisberichten" über fürchterliche Gewalttaten. 8 0 Diese Hetz- und Greuelmeldungen erschienen zum gleichen Zeitpunkt, als deutsche Truppen tief in Rußland eindrangen und, wohin sie kamen, die Arbeiter-, Bauernund Soldatenräte niederschlugen, als in der Ukraine deutsche Bajonette eine konterrevolutionäre Regierung mit blutiger Gewalt gegen das Volk stützten, in Finnland sogar eine sozialdemokratische Regierung niederschlugen. Mit ihrer antibolschewistischen Hetze waren die Führer der SPD aktive Helfer des deutschen Imperialismus bei seinem Raub- und Mordzug gegen das russische Volk und dessen Arbeiter- und Bauernmacht. Der Diktatur des Proletariats, der proletarischen Demokratie stellten die rechten Sozialdemokraten die Demokratie schlechthin entgegen. Nur „auf demokratischem Weg", so erklärte der „Vorwärts", könne und dürfe der Sozialismus verwirklicht werden. „Wenn die nächsten Reichstagswahlen eine sozialdemokratische Mehrheit ergeben, so wird die Sozialdemokratie die Regierung übernehmen müssen. W e n n nicht, dann nicht! Denn die demokratische Methode verbietet es einer Minderheit, die Regierungsgewalt gegen den ausgesprochenen Willen des Volkes zu usurpieren". Mit diesen Worten anerkannte der „Vorwärts" das Ergebnis der Reichstagswahlen im wilhelminischen Deutschland, unter der Herrschaft der J u n k e r und Kapitalisten, als „den ausgesprochenen Willen des Volkes". Solange die Sozialdemokratie bei diesen W a h l e n in der Minderheit blieb, dürfe sie nur „auf dem einzigen Weg, der ihr zustand, auf dem Wege der Aufklärung" vorgehen. Außerparlamentarische Aktionen nannte Stampfer einen „feigen Ausweg", nur im Reichstag könnten die politischen Entscheidungen getroffen werden. 8 1 „Mit solchen Methoden" des Parlamentarismus sei die Sozialdemokratie „nicht hinter Rußland zurück, sondern vor ihm voraus." 8 2 Mit keinem Wort w a r bei diesem Loblied auf die Demokratie und den Parlamentarismus von ihrem Inhalt und Klassencharakter die Rede. Die Führer der SPD verschwiegen, daß es in der Klassengesellschaft keine „Demokratie für alle", kein „gleiches Recht" für Ausbeuter und Ausgebeutete gibt, daß bei Wahlen die J u n k e r und Kapitalisten ihre wirtschaftlichen und politischen Machtpositionen zur Verfälschung und Vergewaltigung des Volkswillens gebrauchten. Die sozialdemokratischen Führer beschönigten und verteidigten nicht nur die bürgerliche Demokratie, sondern sogar die halbabsolutistische Monarchie in Deutschland. Sie sabotierten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln den revolutionären Kampf gegen den deutschen Imperialismus und versuchten noch bis in die Vormittagsstunden des 9. November 1918, die Monarchie zu retten. Erst als sie die letzte Hoffnung fallen lassen mußten, stellten sich die Führer der SPD „an die Spitze der Revolution" — um sie in die Bahn der bürgerlichen Republik zu lenken und abzuwürgen. Der Sturm der deutschen Novemberrevolution fegte in wenigen Tagen die Monarchie hinweg, zwang ihre Regierungen und Repräsentanten zur Abdankung und 80 „Internationale Korrespondenz", Nr. 68, vom 7. Februar 1918; Nr. 72, vom 22. Februar 1918; Nr. 74, vom 1. März 1918; Nr. 10, vom 12. April 1918. 81 „Vorwärts", Nr. 309, vom 10. November 1917 und Nr. 77, vom 18. März 1918. 82 Ebenda, Nr. 20, vom 20. Januar 1918.
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schmählichen Flucht, ü b e r a l l in Deutschland n a h m e n die revolutionären Massen die Losungen der Linken auf u n d bildeten sofort Arbeiter- u n d Soldatenräte. Mit der Schaffung der Arbeiter- u n d Soldatenräte folgten die deutschen Arbeiter dem Beispiel des russischen Proletariats u n d bekundeten ihren Willen, den Weg der russischen Oktoberrevolution zu gehen. Aber die volle Bedeutung der Räte als Organe der proletarischen Staatsmacht war, wie Lenin erklärte, f ü r „die große Masse der politisch gebildeten Arbeiter Deutschlands . . . noch nicht klar, weil sie im parlamentarischen System u n d in bürgerlichen Vorurteilen erzogen ist." 8 3 „Rätemacht oder bürgerliches Parlament", das w u r d e zur H a u p t f r a g e der Novemberrevolution. Ihre Lösung entschied über Sieg oder Niederlage der proletarischen Revolution, Sieg oder Niederlage des Sozialismus. Von der ersten Stunde der Novemberrevolution a n k ä m p f t e n die sozialdemokratischen F ü h r e r gegen die Macht der Räte, f ü r die Nationalversammlung. Bereits der erste Aufruf des Rates der Volksbeauftragten kündigte die W a h l der konstituierenden Versammlung an. E r war neben den F ü h r e r n der S P D Ebert, Scheidemann u n d Landsberg auch v o n den drei Volksbeauftragten aus der USPD, von Haase, D i t t m a n n u n d Barth unterschrieben. Am 13. N o v e m b e r forderte Stampfer, der R a t der Volksbeauftragten „müsse sobald wie n u r irgend möglich eine allgemeine Volksvertretung, eine konstituierende Vers a m m l u n g wählen lassen" u n d seine Macht in ihre H ä n d e zurücklegen. Die Arbeiteru n d Soldatenräte m ü ß t e n im Interesse des Sieges des „allgemeinen demokratischen Volksrechts" f ü r die Nationalversammlung e i n t r e t e n . 8 4 Der „Vorwärts" rief die Arbeiter auf, die Macht, die sie durch die Novemberrevolution errungen hatten, zu benutzen, u m „gerechtes Recht zu schaffen". „Wir h a b e n gesiegt, aber wir h a b e n nicht f ü r uns, sondern f ü r das ganze Volk gesiegt! F ü r uns heißt es eben d a r u m nicht: ,Die ganze Macht den Sowjets', sondern ,Die ganze Macht d e m ganzen V o l k e ' " . 8 5 Im N a m e n des „gerechten Rechts" n a h m der „Vorwärts" die Kriegsschuldigen u n d Kriegsverbrecher in Schutz: „Wir suchen unsere E h r e darin, auch dem Gegner innerhalb wie außerhalb der sozialistischen Bewegung volle Freiheit zu lassen". 8 6 Mit diesen Worten proklamierte der „Vorwärts" f ü r J u n k e r u n d Monopolkapitalisten, f ü r Monarchisten u n d Militaristen die „volle Freiheit", die Konterrevolution zu organisieren. In einem Beschluß des Parteiausschusses der S P D wurde erklärt, das allgemeine, gleiche, geheime u n d direkte Wahlrecht sei „die wichtigste politische E r r u n g e n s c h a f t der Revolution" u n d „zugleich das Mittel, die kapitalistische Gesellschaftsordnung nach dem Willen des Volkes in planmäßiger Arbeit zur sozialistischen umzuwandeln." 8 7 Scheidemann erklärte auf dem ersten Reichsrätekongreß, statt der F o r d e r u n g „Alle Macht den R ä t e n " müsse es „Alle O h n m a c h t den R ä t e n " heißen. Die R ä t e seien „eine 83 Der I. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Protokoll der Verhandlungen in Moskau vom 2. bis zum 19. Mai 1919, Hamburg 1921, S. 129. 81 „Vorwärts", Nr. 313, vom 13. November 1918. 85 Ebenda, Nr. 313, vom 13. November 1918. fi6 Ebenda, Nr. 314, vom 14. November 1918. »7 Ebenda, Nr. 328, vom 29. November 1918.
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vorübergehende Notwendigkeit", ihre dauernde Existenz aber würde „den absolut sicheren Ruin unseres Handels und unserer Industrie, den absolut sicheren Untergang des Reiches" herbeiführen. Scheidemann entwarf ein Bild „bolschewistischer Schreckensherrschaft", furchtbarer Zustände, die über Deutschland hereinbrechen würden, wenn sich die Arbeiter und Soldaten f ü r das Rätesystem entschieden. Die „Grundsätze der Demokratie" würden erfordern, daß nicht eine Klasse herrsche, sondern das ganze Volk. Die Räte könnten weder Brot noch Frieden bringen, dazu sei allein die Nationalversammlung imstande, durch die auch am besten die Errungenschaften der Revolution verteidigt werden könnten. 8 8 Eine besondere Rolle in der Agitation der rechten Sozialdemokraten f ü r die Nationalversammlung spielte die Drohung mit dem Einmarsch der Entente. Der „Vorwärts" prophezeite die Kündigung des Waffenstillstandes und die Besetzung ganz Deutschlands durch Ententetruppen, wenn nicht endlich „geordnete Zustände" hergestellt würden. „Nur die Demokratie, nur die schleunigste Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung kann uns retten". 8 9 Scheidemann unterstrich, ohne die Nationalversammlung könne Deutschland keine Kredite von den Westmächten erhalten. Diese seien aber erforderlich f ü r den Aufbau der Wirtschaft, f ü r die Wiedera u f n a h m e des internationalen Handels. 9 0 Wenn in Deutschland die Rätemacht errichtet würde, schrieb Max Cohen, könne es keine Wirtschaftshilfe von den USA erwarten, die es brauche, um den Sozialismus aufzubauen. 9 1 Die erpresserische Drohung der imperialistischen Westmächte, nur der Nationalversammlung den Friedensschluß und die Aufhebung der Hungerblockade zu gewähren, auf die Errichtung der Rätemacht in Deutschland aber mit bewaffneter Intervention zu antworten, ist von der Ebert-Scheidemann-Regierung und ihren diplomatischen Beauftragten selbst „angeregt" worden. Das wird einwandfrei bewiesen durch offizielle Dokumenten-Publikationen der amerikanischen Regierung und durch Äußerungen bürgerlicher Politiker. 9 2 Die diplomatischen „Anregungen" der rechten Sozialdemokraten standen in vollem Einklang mit der Politik vor allem der amerikanischen Imperialisten, in Deutschland einen Schutzwall gegen die Ausbreitung der proletarischen Revolution und eine Aggressionsbasis zur Niederschlagung der Sowjetmacht in Rußland zu schaffen. Die Führer der SPD verbündeten sich in ihrem Kampf gegen die Diktatur des Proletariats nicht nur mit den deutschen, sondern auch mit den ausländischen Imperialisten. Sie verrieten nicht nur die Klasseninteressen des Proletariats, sondern auch die nationalen Interessen des ganzen deutschen Volkes. Der natürliche Verbündete des deutschen Volkes im Kampf gegen einen imperialistischen, versklavenden Friedensvertrag war Sowjetrußland, das vom ersten Tag seines Bestehens an gegen den imperialistischen Krieg und f ü r einen demokratischen Frieden kämpfte und das 88
Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands vom 16. bis 21. Dezember 1918 im Abgeordnetenhause zu Berlin, Berlin 1919, S. 185/186. as „Abend-Vorwärts", Nr. 228a, vom 29. November 1918. 90 „Vorwärts", Nr. 317, vom 18. November 1917. 51 „Sozialistische Monatshefte", 24. Jhrg., 51. Bd., S. 1043. 82 Vgl. Albert Norden: a. a. O., S. 180—185.
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den deutschen Arbeitern und Bauern in den Tagen der Novemberrevolution sofort seine brüderliche Hilfe anbot. Ein Bündnis des revolutionären Deutschlands mit Sowjetrußland hätte auch eine gewaltige revolutionierende Wirkung auf die kapitalistischen Länder des Westens ausgeübt. Die fortgeschrittenen revolutionären Arbeiter in Deutschland verstanden dies sehr wohl und stimmten der Forderung der Spartakusgruppe auf ein enges Bündnis mit Sowjetrußland zu. Die erste Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin am 10. November 1918 erklärte in ihrem Aufruf: „Der Arbeiter- und S o l d a t e n r a t . . . gedenkt mit Bewunderung der russischen Arbeiter und Soldaten, die auf dem Wege der Revolution vorangeschritten s i n d . . . Er beschließt, daß die deutsche republikanische Regierung sofort die völkerrechtlichen Beziehungen zu der russischen Regierung aufnimmt und erwartet die Vertretung dieser Regierung in Berlin." 9 3 Der Rat der Volksbeauftragten hat diesen klaren und bestimmten Auftrag der Arbeiter- und Soldatenräte nicht ausgeführt. Die sozialdemokratischen Führer hatten j a selbst aktiv mitgewirkt an dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetregierung, den die kaiserliche deutsche Regierung noch kurz vor ihrem Sturz a m 5. November 1918 durchgeführt hatte. Scheidemann w a r es, der als damaliger Staatssekretär im Kabinett des Prinzen M a x von Baden den Plan der Provokation entwarf, die dann zum Vorwand für die Ausweisung der sowjetischen Botschaft genommen wurde. Im Rat der Volksbeauftragten waren sich sozialdemokratische und unabhängige Regierungsmitglieder einig, die Rückberufung der sowjetischen Botschaft und die Herstellung diplomatischer Beziehungen zur Sowjetregierung ins endlose hinauszuzögern. Sie wurden darin bestärkt durch die Erklärung Kautskys, die Sowjetregierung würde sich nicht mehr lange halten, sondern in wenigen Wochen erledigt sein. 9 4 Ebenso hat die Ebert-Scheidemann-Haase-Regierung die von den Arbeiter- und Soldatenräten geforderte Teilnahme einer Sowjetdelegation am ersten Reichsrätekongreß verhindert. Sie wies auch das großherzige Angebot der Sowjetregierung zurück, Getreide und Mehl für die hungernde deutsche Bevölkerung zu schicken, während sie gleichzeitig bei den amerikanischen Kapitalisten um Lebensmittellieferungen bettelte. Vom ersten Tage der deutschen Republik an orientierten die sozialdemokratischen Führer ihre Außenpolitik auf die Unterwerfung unter die imperialistischen Mächte und auf die tiefe Feindschaft gegen Sowjetrußland. Mit der Lüge von dem angeblich drohenden „Einfall bolschewistischer Horden" in Ostpreußen bemäntelten sie das Wüten der berüchtigten Freikorps gegen die revolutionären Arbeiter und Bauern in den baltischen Ländern. In ihrer antibolschewistischen Hetze verbündeten sich die Führer der SPD mit deutschen Militaristen und Reaktionären. Der „Vorwärts" veröffentlichte z. B. einen 93 „Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger", Nr. 268, vom 12. November 1918. 91 Vgl. Friedrich Ebert: Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Dresden 1926, Bd. 2, S. 103/104.
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Aufruf des von Monopolisten finanzierten und von konterrevolutionären Elementen geleiteten „Generalsekretariats zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus". 9 5 Stampfer verleumdete den Spartakusbund, daß er nach russischem Vorbild die Aufrichtung einer „asiatischen Hunger- und Schreckensherrschaft", einer „gewalttätigen Verbrecherherrschaft" erstrebe- Wer gegen die Regierung auftrat, die die Wahlen zur Nationalversammlung vorbereitete, wer sich f ü r die Macht der Räte einsetzte, war nach Stampfer „ein Verbrecher an der Revolution, an der Republik und am Sozialismus und muß dementsprechend behandelt werden". 9 6 Sozialdemokratische Führer hetzten offen zum Mord an den Führern des Spartakusbundes. Die „volle Freiheit auch dem Gegner", über die der „Vorwärts" 6 Wochen zuvor geschrieben hatte, galt also nur f ü r konterrevolutionäre Monarchisten und Militaristen, nicht aber für revolutionäre Sozialisten. Die „Demokratie f ü r alle" entpuppte sich als die Demokratie für die Bourgeoisie, die „Macht für das ganze Volk" als die Diktatur der Kapitalisten. Unter der Losung der „Demokratie" wurden die konterrevolutionären Freikorps organisiert und bewaffnet, wurden die revolutionären Arbeiter niedergeschlagen, wurden Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und zehntausende Kommunisten und Sozialisten ermordet, wurden die Arbeiter- und Soldatenräte entmachtet und in der Weimarer Republik die Klassenherrschaft der Bourgeoisie errichtet. *
Die Führung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei nahm zur Diktatur des Proletariats eine schwankende und zweideutige Haltung ein. Unter dem Eindruck der elementaren Sympathie der sozialistischen Arbeiter f ü r die junge Sowjetmacht erklärte sich auch ein Teil der führenden Funktionäre der USPD für die Diktatur des Proletariats. Im scharfen Gegensatz zu ihnen standen jedoch die rechten Führer der USPD. Sie befanden sich mit ihrer Ablehnung der proletarischen Diktatur und ihrer Feindschaft gegen die Partei der Bolschewiki in einer Front mit der Führung der SPD. Das Berliner „Mitteilungs-Blatt" setzte sich in einer Reihe von Artikeln f ü r die Diktatur des Proletariats und die Bolschewiki ein. Es erklärte, daß die russischen Menschewiki und rechten Sozialrevolutionäre durch die Politik des Paktierens mit der Bourgeoisie sich als „die stillen Helfershelfer des Ententeimperialismus und der russischen Gegenrevolution" erwiesen hatten. Den Bolschewiki gebühre das Verdienst, die „unfruchtbare Koalitionswirtschaft" beseitigt zu haben. 9 7 Durch die Diktatur des Proletariats seien die anarchistischen Zustände, die der Zarismus und die KerenskiRegierung geschaffen hatten, überwunden worden. Die proletarische Regierung der Sowjetrepublik, schrieb das „Mitteilungs-Blatt", ging „an den sofortigen Aufbau der Grundlagen einer echt demokratischen Umbildung aller gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse und Einrichtungen. Diese Regierung schwebt nicht als höhere 96
„Vorwärts", Nr. 383a, vom 24. Dezember 1918. "G Ebenda, Nr. 383 a, vom 24. Dezember 1918. 87 „Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen* Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 39, vom 23. Dezember 1917.
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Macht, als v o n Gott eingesetzte Obrigkeit über den Massen, sondern Massen und Regierung stehen hier in engster Verbindung miteinander." 9 8 Auf die Verleumdung, daß sich die Macht der Bolschewiki auf Bajonette u n d Maschinengewehre stütze, antwortete das „Mitteilungs-Blatt", d a ß es „Proletarier- u n d B a u e r n f ä u s t e " waren, die diese Bajonette f ü h r t e n , „es sind Angehörige der breiten Volksschichten, die in den Bolschewiki die Anwälte ihrer Klassennöte u n d Klasseninteressen sahen". 9 9 Die Sowjetmacht gehe nicht nach den „Anstandsregeln politischer Salons" vor, sondern packe h a r t zu; das sei notwendig f ü r eine Regierung, „die in jeder Sekunde vor neue Entscheidungen gestellt wird, die mit offenen u n d versteckten Mächten der Gegenrevolution k ä m p f e n u n d wichtige weltpolitische u n d wirtschaftliche Aufgaben lösen" müsse. Mochten die Bolschewiki auf d e m Weg, den sie als erste beschritten, auch Fehler machen, entscheidend sei, d a ß „das internationale Proletariat aus ihren Vorzügen wie aus ihren Fehlern ungeheuer viel lernen" könne. 1 0 0 Auch in vereinzelten, meist nicht namentlich gezeichneten Artikeln der „Leipziger Volkszeitung" w u r d e f ü r die Diktatur des Proletariats u n d die Bolschewiki Partei ergriffen. Allerdings unterstrich die Redaktion, die das Blatt i m m e r m e h r zu einem Organ der rechten F ü h r e r der U S P D machte, durch den Vorspann: „Man schreibt uns", daß die im Artikel geäußerte Meinung nicht die ihre war. In einem dieser Artikel w u r d e das Verdienst der Bolschewiki gewürdigt, d a ß sie der von den Kerenski u n d Kornilow erstrebten Militärdiktatur die Diktatur des Proletariats entgegenstellten. Ihre M a ß n a h m e n zur Festigung der Arbeiter- u n d BauernMacht seien ein Beweis dafür, d a ß die Bolschewiki „klug u n d den Interessen des revolutionären Proletariats gemäß operieren." 1 0 1 Der Verfasser eines anderen Artikels schrieb, d a ß die Sowjets die „einzig brauchbare u n d praktisch verwendbare F o r m f ü r eine Klassendiktatur" darstellten. I m Interesse der Festigung der Diktatur des Proletariats sei die Auflösung der Konstituante unumgänglich gewesen, da sie nicht das tatsächliche Kräfteverhältnis nach der Oktoberrevolution widerspiegelte. Das Sowjetsystem, so w u r d e festgestellt, entspreche „am meisten den grundlegenden Forderungen der Demokratie", zumal auch jedes Mitglied im Gegensatz zur Konstituante v o n seinen W ä h l e r n jederzeit abgerufen werden k o n n t e . 1 0 2 Solche Artikel widerspiegelten die H a l t u n g großer Teile der Mitgliedschaft der USPD, die als klassenbewußte Sozialisten die Notwendigkeit der proletarischen Diktatur erkannten, Vertrauen zur Politik der Bolschewiki u n d zur K r a f t der Arbeiterklasse hatten und bereit waren, aus der sozialistischen Revolution in R u ß l a n d die Konsequenzen f ü r den eigenen Kampf zu ziehen. Aber die revolutionäre K a m p f bereitschaft der sozialistischen Arbeiter w u r d e gelähmt, ihr sozialistisches Bewußtsein verwirrt durch die Angriffe einflußreicher F ü h r e r der U S P D gegen die Politik der Bolschewiki u n d gegen die Diktatur des Proletariats. 98 99 100 101 102
Ebenda, Nr. 38, vom 16. Dezember 1917. Ebenda, Nr. 43, vom 20. J a n u a r 1918. Ebenda, Nr. 43, vom 20. J a n u a r 1918. „Leipziger Volkazeitung", Nr. 9, vom 11. J a n u a r 1918. Ebenda, Nr. 122, vom 29. Mai 1918.
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Die „Leipziger Volkszeitung" veröffentlichte unter der Überschrift „Demokratie oder Diktatur" mehrere Artikel des Menschewisten Stein, der die Sowjetregierung verleumdete als „die Diktatur einer Gruppe der bolschewistischen Partei", die selbst von den „gemäßigten Bolschewiki" abgelehnt werde; Stein pries die Konstituante als den letzten „Ausweg aus den inneren Wirren in R u ß l a n d " . 1 0 3 Eduard Bernstein, der theoretische Begründer des Revisionismus, der im Krieg aus sozialpazifistischen Gründen Mitglied der USPD geworden war, trat in der „Leipziger Volkszeitung" gegen die Sowjetmacht auf. Er behauptete, die Bolschewiki hätten nur gesiegt, weil nach den großen Niederlagen der russischen Heere und dem Sturz des Zarismus „in Heer und Volk jene verzweifelte Stimmung um sich griff, in der eine Nation jede Regierung über sich ergehen läßt, von der sie die Erlösung von der gerade auf ihr lastenden Bürde erhofft". Nach dieser beispiellosen Beschimpfung des revolutionären Proletariats kann die Behauptung Bernsteins nicht mehr überraschen, daß die proletarische Diktatur „ein Moment der Schwäche" bilde und Rußland außerstande setzen würde, bei der Entscheidung über den kommenden allgemeinen Frieden noch ein Wort von Gewicht mitzureden. 1 0 4 Zum Wortführer aller Feinde der proletarischen Diktatur und aller Apologeten der bürgerlichen Demokratie war Karl Kautsky geworden, der einstige Theoretiker der II. Internationale und seit der Gründung der USPD deren theoretischer Führer. Bereits unmittelbar nach der Oktoberrevolution trat er gegen die Diktatur des Proletariats und gegen die Bolschewiki auf. Rußland — so behauptete er — sei noch nicht reif f ü r den Sozialismus, das russische Proletariat „politisch weder stark noch entwickelt genug", um seine Herrschaft errichten zu können. Unter den Bedingungen Rußlands müßte die Diktatur des Proletariats „zur politischen und sozialen Auflösung des Landes, zum Chaos" f ü h r e n . 1 0 5 In einem Artikel „Demokratie oder Diktatur" 1 0 6 beschuldigte Kautsky die Bolschewiki, sich „gegen den Willen der Volksmehrheit durch Verkümmerung oder Vergewaltigung der Demokratie" an der Macht zu halten. Die unter der Herrschaft der Kapitalisten und Gutsbesitzer gewählte Konstituante war für ihn „das Ergebnis der freien Wahl", ihre Auflösung „das Grab der Demokratie". Kautsky forderte „unter allen Umständen die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament, auch dort, wo diese eine reaktionäre Mehrheit enthält". Die Sowjetregierung müsse sich vor der „Demokratie" beugen und „anderen demokratischen Elementen, die die Volksmassen hinter sich haben. Platz machen". Kautsky sagte nicht, wer diese „anderen demokratischen Elemente" waren, die angeblich die Volksmassen hinter sich hatten. Er verschwieg, daß seine Forderung die Kapitulation der Arbeiter- und Bauern-Macht vor der Konterrevolution bedeutete. Angesichts des erbitterten Bürgerkrieges wollte er den russischen Arbeitern einreden, die Reaktion werde sich an die „demokratische Basis" „anpassen", wenn das Proletariat die Macht aus der Hand gebe. 103
Ebenda, Nr. 293, vom 17. Dezember 1917. Ebenda, Nr. 299, vom 24. Dezember 1917. 106 Ebenda, Nr. 267, vom 15. November 1917. 106 ,,Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 43, vom 20. Januar 1918. 104
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Revolutionäre
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Treffend hat Lenin diesen parlamentarischen Kretinismus gekennzeichnet: „Mag die Revolution zugrunde gehen, mag die Bourgeoisie über das Proletariat triumphieren, wenn nur die ,reine Demokratie' blüht und gedeiht". 107 Kautsky hat seine Verleumdung der proletarischen Diktatur und Verherrlichung der „reinen Demokratie" als „Gleichberechtigung... für jedermann, welcher Klasse und Partei er auch immer angehören mag" 108 , in seiner Broschüre „Die Diktatur des Proletariats" zu begründen versucht. Sie hat eine traurige Berühmtheit erlangt als „ein höchst anschauliches Beispiel für jenen vollständigsten und schändlichsten Bankrott der II. Internationale" 109 , wie sie Lenin in seiner Schrift „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky" bezeichnete. Es erübrigt sich darzulegen, wie unübertrefflich Lenin nachwies, daß Kautsky den Marxismus „seiner revolutionären lebendigen Seele beraubt" 110 hat und an die Stelle der marxistischen Lehre von der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats den bürgerlichen Betrug der „reinen Demokratie" setzte. Kautsky lieferte den offenen Opportunisten der SPD die pseudomarxistische Begründung für ihren Klassenverrat. Er mißbrauchte das Vertrauen, das er sich in früheren Jahren durch die Popularisierung der Werke von Marx und Engels erworben hatte, zur Irreführung der sozialistischen Arbeiter. Lenin brandmarkte Kautsky und seine Gesinnungsgenossen als „Leute ohne Gesinnung, ohne Charakter, ohne Politik, ohne Ehre, ohne Gewissen, die lebendige Verkörperung der Zerfahrenheit der Philister, die in Worten für die sozialistische Revolution eintreten, in der Tat aber unfähig sind, sie zu begreifen, als sie begann, und die auf Renegatenart die ,Demokratie' schlechthin verteidigen, das heißt tatsächlich die bürgerliche Demokratie verteidigen". 111 Eine Partei, die Kautsky und seine Gesinnungsgenossen in ihren Reihen duldete, die die Propagierung seines Opportunismus in ihren Zeitungen und Versammlungen zuließ, mußte trotz aller Opposition gegen die rechte SPD, trotz aller Bekenntnisse zur Oktoberrevolution und zur Sowjetmacht angesichts der konkreten Aufgaben der proletarischen Revolution versagen. Es ist kein Zufall, daß die USPD in der Hauptfrage der Novemberrevolution „Rätemacht oder Nationalversammlung" gespalten war, daß die Führung der USPD durch ihre schwankende und inkonsequente Politik den offenen Gegnern der proletarischen Diktatur in die Hand arbeitete. In einem Aufruf des Parteivorstandes der USPD vom 15. November 191.8 wurden die Arbeiter- und Soldatenräte als Organe der Regierungsgewalt des Proletariats anerkannt. Aber der Aufruf nahm keine Stellung zu der bereits vom Rat der Volksbeauftragten mit der Unterschrift von Haase, Dittmann und Barth angekündigten Nationalversammlung, ließ also die entscheidende Frage unbeantwortet. Entsprechend den Forderungen der revolutionären Arbeiter erklärten sich führende Funktionäre der USPD gegen die Nationalversammlung. Ernst Däumig, damals ein 107 108 109 110 111
W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Berlin 1955, Bd. II, S. 450/451. Karl Kautsky: Die Diktatur des Proletariats, Wien 1918, S. 57. W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, a. a. O., Bd. II, S. 411. Ebenda. W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, a. a. O., S. 484.
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Sprecher des linken Flügels der USPD, lehnte im Vollzugsrat der Berliner Arbeiterund Soldatenräte die Konstituierende Nationalversammlung ab und forderte, daß die Arbeiter- und Soldatenräte „die gesetzgebende und gewalthabende Körperschaft bleiben" müßten. Wenn eine Nationalversammlung zustande käme, „könnte die proletarische Republik nicht siegen", das „Bürgertum würde dann in die neue Regierung mit einer sehr starken Macht einziehen" und dafür sorgen „daß die kapitalistische Wirtschaft erhalten bleibt". 1 1 2 Richard Müller erklärte im Bericht des Vollzugsrats auf einer Versammlung der Arbeiterräte im Zirkus Busch am 19. November 1918, mit der Nationalversammlung wolle man „die politische Gewalt in die Hände der Bourgeoisie zurückgeben". „Würden wir jetzt die Nationalversammlung einberufen, so wäre das das Todesurteil für die Arbeiter- und Soldatenräte. Sie würden sich selbst ausschalten. Das dürfen sie nicht. Wir müssen unsere Macht behaupten, wenn nicht anders, dann mit Gewalt." 1 1 3 Auf dem ersten Reichsrätekongreß erklärte Däumig, die deutschen Arbeiter müßten von den russischen lernen, die die Diktatur des Proletariats auf das Rätesystem gestützt durchführten. Die Räte seien auch für Deutschland „die gegebene Organisationsform der modernen Revolution" und ein Mittel, die proletarische Demokratie zu verwirklichen. Däumig wandte sich gegen das von den rechten Führern der USPD propagierte Nebeneinanderbestehen von Nationalversammlung und Räten. Neben einem bürgerlichen Parlament, erklärte er, wären die Räte lediglich eine Marionette, die nicht einmal in der Wirtschaft Einfluß ausüben könnte. Mit der Nationalversammlung sei kein neues Deutschland aufzubauen, „in dem das Volk auch wirklich aktiven Anteil an seinen Geschicken nimmt" und nicht nur „alle zwei, drei Jahre mit seinem Stimmzettel in der Hand zur Wahlurne l ä u f t " . 1 1 4 Solchen Reden, die den Forderungen der revolutionären Arbeiter entsprachen, standen jedoch die Worte und Taten der rechten Führer der U S P D entgegen. Haase, der Vorsitzende der USPD, erklärte auf dem ersten Reichsrätekongreß: „Die Nationalversammlung ist unumgänglich", Meinungsverschiedenheiten gäbe es im Rat der Volksbeauftragten nur über den Zeitpunkt der Einberufung der Nationalversammlung. Er forderte, die Wahlen zum Parlament nicht zu früh festzusetzen. „Wir wollen reife, aufgeklärte Wähler zur Wahl bringen." 1 1 5 An die Stelle der grundsätzlichen Ablehnung der Nationalversammlung setzte also Haase den Streit um den Wahltermin. Bezeichnend für dieses Manöver der Führer der U S P D ist auch das Auftreten von Emil Barth in der Sitzung des Vollzugsrats am 16. November. Er erklärte, man könne der Einberufung der Nationalversammlung nur „in einer ganz losen Form" zustimmen, denn es sei technisch unmöglich, innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate Wahlen durchzuführen. Wie Haase suchte 112 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Nr. 11/1, Protokolle des Vollzugsrates der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, Bl. 11. 113 Vgl. Richard Müller: Vom Kaiserreich zur Republik, Wien 1925, Bd. II, S. 82/83. 114 Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, a. a. 0., S. 114
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auch Barth die Arbeiter zu beruhigen mit der Versicherung, daß die Räte „die ausschlaggebende Macht" haben müßten, „so lange die Konstituante nicht ist". 1 1 6 Dittmann äußerte auf dem Reichsrätekongreß die Zuversicht, daß die Wahlen zur Nationalversammlung, die nach dem „freiesten Wahlrecht der Welt" durchgeführt würden, eine sozialistische Mehrheit bringen müßten. 1 1 7 Auch Rudolf Hilferding schrieb, es bestehe kein Zweifel am Sieg der deutschen Arbeiterklasse im Wahlkampf f ü r die Nationalversammlung. Das Proletariat wäre nach diesem Sieg „auf dem Höhepunkt der Macht". Im Gegensatz zur „terroristischen Diktatur" in Rußland, die in der Rückständigkeit des Landes ihre Rechtfertigung finde, könne in Deutschland „im Interesse der internationalen sozialistischen Revolution" nur die „demokratische Methode" angewendet werden. Den Gegnern der Nationalversammlung erwiderte Hilferding, die USPD wäre „zu schwach, die Einberufung der Nationalversammlung zu verhindern", außerdem würden die Imperialisten der Entente über Deutschland herfallen, wenn die Macht der Räte errichtet würde. 1 1 8 Diejenigen führenden Funktionäre der USPD, die sich für die Rätemacht erklärt hatten, zogen nicht die Konsequenz, und trennten sich nicht von den offenen Verfechtern der Nationalversammlung in der USPD. Wie die rechten Sozialdemokraten so nährten auch die Führer der USPD die parlamentarischen Illusionen in der deutschen Arbeiterklasse und erweckten trügerische Hoffnungen auf das „freieste Wahlrecht der Welt". Besonders gefährlich war die Losung der zentristischen Führer, das Rätesystem mit der Nationalversammlung zu verkoppeln und die Macht 'der Räte in der Weimarer Verfassung zu verankern. Mit dieser Losung wurde der unversöhnliche Gegensatz zwischen proletarischer und bürgerlicher Demokratie vertuscht, der Klassencharakter der Nationalversammlung verschleiert und der Kampf für die Rätemacht geschwächt. Mit ihrer durch scheinrevolutionäre Reden getarnten, in Wahrheit opportunistischen Stellung zur Nationalversammlung, half die Führung der USPD den Ebert-Scheidemann, die deutsche Arbeiterklasse irrezuführen und zu spalten und die Frage „Rätemacht oder Nationalversammlung" zugunsten der Bourgeoisie zu entscheiden. *
Nur die Spartakusgruppe und die Linksradikalen bekannten sich mit Wort und Tat zur Diktatur des Proletariats und haben alle Kraft und Opferbereitschaft eingesetzt, ihren Sieg auch in der deutschen Novemberrevolution zu erringen. Schon vor der Oktoberrevolution schrieb Karl Liebknecht im September 1917, „nur eine Diktatur des Arbeiter- und Soldatenrats, eine Diktatur des Proletariats kann die russische Revolution für die Massen retten; retten vor dem — noch immer — lauernden Zarismus, retten vor den Hohenzollern und Habsburgern, retten vor dem russischen Imperialismus und vor dem Imperialismus der Entente". Karl Liebknecht 116 117 118
Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Nr. 11/1, Bl. 16/17. Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, a. a. 0., S. 23. „Die Freiheit", Berliner Organ der USPD, Nr. 6, vom 18. November 1918.
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sprach die Hoffnung aus, daß das russische Proletariat „in kühnem Selbstvertrauen das Steuer in die Hand nehme". 1 1 9 Während die Opportunisten aller Schattierungen über die „Gewaltherrschaft der Bolschewiki," zeterten, schrieb Karl Liebknecht Anfang Mai 1918: „Eines tut unseren Freunden in Rußland, tut den Sowjets in der heutigen Lage not, mehr als alles sonst: sich so schnell wie möglich handfeste Machtmittel zu verschaffen . . . , damit es als Vorbild und Pionier f ü r das Proletariat der anderen Länder der sozialen Weltrevolution die Bahn bereiten kann." 1 2 0 Rosa Luxemburg erklärte, daß die Bolschewiki „dem Weltproletariat mit gutem Beispiel vorangegangen sind". 1 2 1 Sie legten „die ganze Macht ausschließlich in die Hände der Arbeiter- und Bauernmassen, in die Hände der Sowjets". 122 Clara Zetkin begrüßte den „in kühnem Ansturm ohnegleichen" errungenen Sieg der Bolschewiki: „Die Regierungsgewalt ist in den Händen der Sowjets. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats ist Ereignis oder richtiger: die Diktatur des werktätigen Volkes, denn um das Industrieproletariat der großen modernen Wirtschaftszentren Rußlands, der Kristallisationsachse revolutionärer Kräfte, gruppieren sich Bauern und Kleinbürger in Arbeitsbluse und Waffenrock." 1 2 3 In einer Artikelserie „Die Bolschewiki und wir" erinnerte Franz Mehring daran, wie Karl Marx aus den Erfahrungen der Pariser Kommune die Lehre zog, daß es f ü r das Proletariat nicht genügte, die fertige Staatsmaschinerie in Besitz zu nehmen, sie mußte zerschlagen und durch eine von Grund auf demokratische Organisation ersetzt werden. Die Kommune konnte in den weniger* Wochen ihres Bestehens nur die Anfänge der neuen proletarischen Staatsorgane schaffen. „Wenn Marx diese Anfänge schon mit heller Begeisterung begrüßte, so mag man sich leicht vorstellen, wie er sich zur Sowjetregierung stellen würde, die nun schon f ü r die ungezählten Massen eines großen Volkes das Problem, zugleich regieren und regiert zu werden, in einer in der Weltgeschichte noch nie dagewesenen Weise gelöst hat." „Die Sowjets sind die Diktatur des Proletariats", stellte Franz Mehring fest und hob hervor, „daß sie in der einsichtigen Entschlossenheit, womit sie ihre revolutionären Maßregeln ausführen, alle revolutionären Regierungen übertreffen, die vor ihnen dagewesen sind." 1 2 4 Clara Zetkin schrieb im Frühsommer 1918 an eine Konferenz des Reichsausschusses und der Frauenvertreterinnen der USPD, an der sie wegen Krankheit nicht selbst teilnehmen konnte, einen umfangreichen Brief, in dem sie sich ohne Einschränkung zu den Bolschewiki und zur Diktatur des Proletariats bekannte. Mit aller Entschiedenheit setzte sie sich mit den opportunistischen Kritikern der Bolschewiki, mit Kautsky, Bernstein und Ströbel auseinander, denen sie angesichts ihres Versagens nach dem 4. August 1914 das Recht absprach, sich zum Richter über die Bolschewiki aufzuwerfen. „Die Diktatur des Proletariats", schrieb Clara Zetkin, „hat ihre geschichtliche 120 121 122 123 124
Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen . . a. a. O., S. 34/35. Karl Liebknecht: Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze, Berlin 1952, S. 465. Rosa Luxemburg: Die russische Revolution, a. a. O., S. 109. Ebenda, S. 119. „Leipziger Volkszeitung", Frauen-Beilage, Nr. 12, vom 30. November 1917. „Leipziger Volkszeitung", Nr. 132, vom 10. Juni 1918.
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Rechtfertigung darin, daß sie im Interesse der ungeheuren Mehrzahl des Volkes ausgeübt wird und nur Ubergangsmaßregel zu dem Zweck i s t , . . . das Ideal der Demokratie zu verwirklichen: ein freies Volk auf freiem Grund bei freier Arbeit." 125 Clara Zetkin betonte, daß sich eine proletarische Revolution ohne Diktatur des Proletariats nicht durchsetzen konnte, daß diese historisch notwendig war, um im Interesse der Mehrheit die Herrschaft gegen die gestürzte Minderheit, die Ausbeuterklassen, zu errichten, zu sichern und zu festigen- Damit die wahre, sozialistische Demokratie gerettet und für die Werktätigen wirksam werden konnte, mußten die Bolschewiki „die Rechte Einzelner und einzelner gesellschaftlicher Gruppen opfern", nämlich die Privilegien der herrschenden Klasse. 126 Entscheidend war die Frage, für wen die Demokratie eine Einschränkung erfuhr: „für die breiten Massen und in der Richtung zur Stärkung und Erhaltung der Macht weniger, oder aber für Minderheiten und in der Richtung zur wirklichen Gleichberechtigung aller." Clara Zetkin beantwortete diese Frage mit aller Entschiedenheit: „Das Recht der Massen geht dem Recht weniger vor" und betonte, die Diktatur des Proletariats unterscheide sich gerade dadurch von der Herrschaft der Ausbeuterklassen, daß sie nicht einigen wenigen politische Rechte gab, um über die Masse zu herrschen, sondern umgekehrt: die Massen übten ihre Herrschaft gegen die Minderheit der Ausbeuter aus. 1 2 7 Das Sowjetsystem, erklärte Clara Zetkin, war die Garantie für eine so breite Entfaltung der Demokratie, wie es sie bisher nie gegeben hatte. Es „vereinigt das Recht und die Macht zu Beschlußfassung, Ausführung und Verwaltung in einer Hand: in der starken, großen Hand des arbeitenden Volkes". Der im Kapitalismus hercschende Gegensatz zwischen Werktätigen und Regierung wurde durch dieses System überwunden, es sicherte „die lebendige, aktive Mitwirkung der Volksmassen", während im Kapitalismus die Werktätigen von der Regierung ausgeschlossen waren. 1 2 8 Auch die Linksradikalen erklärten, daß „die Diktatur des Proletariats zur wahren Demokratie" führt und daß „harte diktatorische Maßnahmen nicht zu entbehren sind" in einer Situation, in der es um Sein oder Nichtsein der proletarischen Revolution, des Sozialismus ging.1219 Die „Arbeiterpolitik" hob hervor, daß die Bolschewiki mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats der internationalen Arbeiterklasse ein Beispiel gaben, wie man auf dem Wege zum Sozialismus voranschreitet. 130 Die Auflösung der Konstituante bezeichnete die „Arbeiterpolitik" als „eine Sicherung der wirklichen Demokratie", denn die Gegner der vom Willen der arbeitenden Massen getragenen Sowjetregierung „wollten die Konstituante zu einer Waffe gegen diese Regierung machen". Die wirkliche Demokratie komme nicht in der Konstituante zum Ausdruck, wie die Reaktion behauptete, sondern in den Sowjets, die weit über die Einrichtungen des bürgerlichen Parlamentarismus hinausgingen. Sie waren 126 126 127 128 129 130
Alles für die Revolution, a. a. O., S. 41. Ebenda, S. 37/38. „Leipziger Volkszeitung", Frauen-Beilage, Nr. 30, vom 9. August 1918. Ebenda. „Arbeiterpolitik", a. a. O. Nr. 52, v o m 29. Dezember 1917. Ebenda, Nr. 41, v o m 12. Oktober 1918.
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„das selbstgewählte Parlament der arbeilenden Massen". Sie blieben mit den Massen, die sie gewählt hatten, ständig in Verbindung, durch sie waren die Werktätigen in der Lage, ihr Geschick selbst zu bestimmen. 1 3 1 Bei ihrem grundsätzlichen Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats haben jedoch einige Genossen der Spartakusgruppe die Politik der Bolschewiki nicht immer voll verstanden. So hatte Rosa Luxemburg, die im Gefängnis keine ausreichende Information erhalten konnte und keine Möglichkeit zur klärenden Diskussion mit Genossen hatte, in einigen Fragen der russischen Revolution irrige Auffassungen. In einer 1918 im Gefängnis niedergeschriebenen Arbeit trat Rosa Luxemburg für die Diktatur des Proletariats ein und widerlegte die opportunistischen Behauptungen von der Unreife Rußlands für die sozialistische Revolution und die proletarische Diktatur. 1 3 2 Sie kritisierte jedoch in einigen Fragen die Politik der Bolschewiki. Sie stimmte der Auflösung der Konstituante zu, befürwortete aber die Durchführung von Neuwahlen. Rosa Luxemburg wandte sich auch gegen einige Maßnahmen der Bolschewiki, die es der Konterrevolution unmöglich machten, die Sowjetdemokratie für ihre feindlichen Ziele auszunutzen. Sie befürchtete davon eine Verletzung der Demokratie und erkannte nicht genügend, daß gerade die Sicherung der sozialistischen Demokratie wirksame Unterdrückungsmaßnahmen gegen alle konterrevolutionären Elemente erforderteDie Schrift Rosa Luxemburgs, die sie selbst nicht veröffentlicht hat, wurde im J a h r e 1922 von Paul Levi herausgegeben. E r wollte damit seinen Abfall vom Kommunismus rechtfertigen und die Führerin der Spartakusgruppe und der K P D noch nach ihrem Tode gegen Lenin, gegen die KPdSU und die K P D ausspielen. Auch in der Gegenwart werden solche Versuche unternommen, den Namen Rosa Luxemburg zu revisionistischen Angriffen auf den Leninismus zu mißbrauchen. Doch keiner Fälscherkunst wird es gelingen, das Bild der großen Revolutionärin Rosa Luxemburg zu entstellen, die ungeachtet vorübergehender Bedenken in taktischen Fragen immer entschieden und leidenschaftlich an der Seite der Sowjetmacht und der Bolschewiki stand. Auch in der von Levi veröffentlichten Schrift hob Rosa Luxemburg das Verdienst der Bolschewiki hervor, daß sie die Revolution retteten, als Menschewisten und Sozialrevolutionäre Rußland in den Sumpf geführt hatten. 1 3 3 „Die ganze revolutionäre Ehre und Aktionsfähigkeit, die der Sozialdemokratie im Westen gebracht, war in den Bolschewiki vertreten. Ihr Oktoberaufstand war nicht nur eine tatsächliche Rettung für die russische Revolution, sondern auch eine Erneuerung des internationalen Sozialismus." 1 3 4 Nach ihrer Befreiung aus dem Gefängnis, als sie wieder unmittelbar in der revolutionären Bewegung stand, hat Rosa Luxemburg ihre irrigen Auffassungen korrigiert. Anfang Dezember 1918 schrieb sie an den polnischen Genossen Adolf Warski: "Alle Deine Vorbehalte und Bedenken habe ich auch geteilt, habe sie aber in den wich131 132 133 131
Ebenda, Nr. 8, vom 23. Februar 1918. Rosa Luxemburg: Die russische Revolution, a. a. O., S. 67—70. Ebenda, S. 109. Ebenda, S. 81.
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tigsten Fragen fallen lassen und in manchem bin ich nicht so weit gegangen wie D u " . 1 3 5 In den Kämpfen der deutschen Novemberrevolution ist Rosa Luxemburg mit aller Konsequenz für die Anwendung der in der Oktoberrevolution erprobten Politik der Bolschewiki eingetreten. Ein Beweis dafür, daß zeitweilige Bedenken einiger Genossen bald überwunden waren, ist auch eine Flugschrift, die von der Spartakusgruppe Anfang November 1918 zum Jahrestag der Oktoberrevolution verbreitet wurde. In der Flugschrift wurde hervorgehoben, daß die russische Arbeiterklasse nach der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates „an seine Stelle ihre eigene, in der Welt noch nie dagewesene staatliche Organisation errichtet" hatte, „ihre — wie Stahl harte — revolutionäre Arbeiterdiktatur". „Die Arbeiterklasse ist organisiert, die Arbeiterklasse herrscht, die Arbeiterklasse ist bewaffnet." Die Flugschrift verwies auf die Erfolge der Sowjetmacht: obwohl die Imperialisten ihre Truppen in Sowjetrußland einmarschieren ließen, die gestürzten Ausbeuterklassen durch Sabotage und Aufstand die Arbeiter- und Bauernmacht zu stürzen versuchten, die Sowjetmacht von den wichtigsten wirtschaftlichen Quellen abgeschnitten war, „wird die Diktatur des Proletariats immer mehr gefestigt, die Organisation seiner Macht von Tag zu Tag stärker". 1 3 6 Die Linken in der deutschen Arbeiterbewegung zogen sofort die richtigen Schlußfolgerungen aus der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution f ü r die deutsche Arbeiterklasse. Die Spartakusgruppe rief das deutsche Proletariat auf, sich an der Oktoberrevolution zu orientieren, dem Beispiel der russischen Klassengenossen zu folgen, durch Massenaktionen, durch die Revolution und die Erringung der Volksrepublik in Deutschland Krieg, Hunger, Elend und Entrechtung zu beseitigen. 1 3 7 Für die kommenden Auseinandersetzungen mit den herrschenden Klassen müsse das deutsche Proletariat nach dem russischen Vorbild Arbeiterräte wählen, die den Kampf organisieren und leiten sollten. 1 3 8 Aus der Abwürgung des Januarstreiks 1918 durch die Führer der SPD und der Gewerkschaften zog die Spartakusgruppe die richtige Lehre, indem sie aufforderte, revolutionäre Klassenkämpfer in die Arbeiter- und Soldatenräte zu schicken; diesen wurde die Aufgabe gestellt, neue Aktionen vorzubereiten und in den kommenden revolutionären Kämpfen „sich der Regierungsgewalt zu bemächtigen und die deutsche Volksrepublik auszurufen". 1 3 9 Gegen die Propagierung parlamentarischer Reformen durch die sozialdemokratischen Führer wurde in den Spartakusbriefen erklärt, daß allein revolutionärer Klassenkampf die Befreiung bringen konnte, daß es nicht um das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht ging, sondern um den Sturz der Militärdiktatur, des Imperialismus. „Die ganze Gewalt in die Hände der Arbeiter134 A. Warski: Rosa Luxemburgs Stellung zu den taktischen Problemen der Revolution, Hamburg 1922, S. 7. 136 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; D. F. V/18. Spartakus im Kriege, a. a. O., S. 182/183. 138 Ebenda, S. 184. 139 Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin; Nr. 9/12, Kriegszustand, Streiks und sonstige Unruhen während des Krieges, Bl. 93.
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räte, der Gewählten von der proletarischen Masse wie in Rußland", forderte die Spartakusgruppe. 140 Am Vorabend der Novemberrevolution, am 7. Oktober 1918, beschloß die Reichskonferenz der Spartakusgruppe gemeinsam mit Vertretern der Linksradikalen ein Aktionsprogramm für die bevorstehenden Kämpfe. Sie rief auf, sofort Arbeiter- und Soldatenräte zu bilden in allen Orten, wo solche Räte noch nicht bestanden. Als nächste Ziele des Kampfes wurden u. a. folgende Forderungen erhoben: Aufhebung des Belagerungszustandes und Freilassung der politischen Gefangenen; Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes, Verkürzung der Arbeitszeit und Festsetzung von Mindestlöhnen; Übergabe der Lebensmittelverteilung an Vertrauensleute der Arbeiterschaft; Annullierung der Kriegsanleihen, Enteignung des gesamten Bankkapitals, der Bergwerke und Hütten und des Großgrundbesitzes; durchgreifende Umgestaltung des Heeres mit weitgehenden Rechten der Soldatendelegierten; Abschaffung der Einzelstaaten und Dynastien. Diese Forderungen wurden als die ersten Schritte bezeichnet zu dem Ziel, „die deutsche sozialistische Republik, die mit der russischen Sowjetrepublik solidarisch ist", zu errichten. Den russischen Genossen versicherte die Konferenz ihren Dank, ihre brüderliche Sympathie und Solidarität und versprach, diese Solidarität nicht nur durch Worte, sondern durch Aktionen nach dem russischen Vorbild zu betätigen. 141 Mit ihrem Aktionsprogramm gab die Spartakusgruppe der deutschen Novemberrevolution Ziel und Richtung. Ihre Anhänger waren die aktivsten, vorwärtstreibenden Kräfte in den revolutionären Massenaktionen. Konsequent und entschlossen kämpfte die Spartakusgruppe in der Novemberrevolution für die Errichtung der Rätemacht. Die „Rote Fahne" forderte am 10. November das deutsche Proletariat auf, Polizei und konterrevolutionäre Truppen zu entwaffnen, sich selbst zu bewaffnen, sämtliche militärischen und zivilen Kommandostellen und Behörden mit Vertrauensleuten der Arbeiter- und Soldatenräte zu besetzen, den Reichstag, die Länder-Parlamente und Regierungen zu beseitigen, durch den Berliner Arbeiter- und Soldatenrat die Regierungsgewalt auszuüben und im ganzen Reiche Arbeiter- und Soldatenräte zu wählen, in deren Hand Gesetzgebung und Verwaltung liegen müßten. Die Spartakusgruppe — seit dem 11. November 1918 nannte sie sich Spartakusbund — forderte die sofortige Rückberufung der sowjetischen Botschaft nach Berlin. Fritz Heckert erklärte als Sprecher des Spartakusbundes auf dem ersten Reichsrätekongreß, daß das Lebensinteresse der deutschen Nation enge, freundschaftliche Beziehungen zu der russischen Sowjetrepublik verlange. „Es geht nicht an", sagte er, „daß wir die diplomatischen Beziehungen zu einem Staat, der mit uns in Frieden und Freundschaft leben will, zerstören lassen". 142 Im Namen der Internationalen Kommunisten, wie sich die Linksradikalen seit Mitte November 1918 nannten, erklärte sich Johann Knief für die „offene, unver140
Spartakusbriefe, a. a. O., S. 204/205. Ernst Drahn und Susanne Leonhard: Unterirdische Literatur im revolutionären Deutschland während des Weltkrieges, Berlin 1920, S. 114. 142 Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, a. a. O., S. 177. 141
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hüllte, bedingungslose Solidarität mit unseren russischen Kameraden und ihren revolutionären Kampfmethoden" und brachte die Entschlossenheit der Internationalen Kommunisten zum Ausdruck, dem russischen Proletariat auf seinem Weg zu folgen. 1 4 3 Rosa Luxemburg wandte sich gegen die demogogische Losung „Demokratie oder Diktatur?", unter der rechte und zentristische Sozialdemokraten gemeinsam mit der Bourgeoisie den Kampf für die Nationalversammlung führten. Die entscheidende Frage — so erklärte sie — laute vielmehr: bürgerliche Demokratie oder sozialistische Demokratie? Die Nationalversammlung bringe lediglich Demokratie für wenige, stärke die Position der Bourgeosie, „schwächt und verwirrt durch leere Illusionen das Proletariat". „Diktatur des Proletariats, das ist Demokratie im sozialistischen Sinne. Diktatur des Proletariats, das sind nicht Bomben, Putsche und Krawalle, ,Anarchie', wie die Agenten des kapitalistischen Profits zielbewußt fälschen, sondern das ist der Gebrauch aller politischen Machtmittel zur Verwirklichung des Sozialismus, zur Expropriation der Kapitalistenklasse, — im Sinne und durch den Willen der revolutionären Mehrheit des Proletariats, also im Geiste sozialistischer Demokratie." 144 Auch die Internationalen Kommunisten lehnten die Nationalversammlung ab, weil dort „der Wille der Großindustriellen und Großgrundbesitzer bestimmend sein" würde. „Nicht die Demokratie wird in der Nationalversammlung verwirklicht werden, sondern lediglich die Diktatur derjenigen Klasse, deren Politik die Arbeitermassen auf die Schlachtfelder des Imperialismus getrieben hat. Die Demokratie wird Farce, die Diktatur der Großbourgeoisie wird Wirklichkeit sein." 145 Die Organe zur Verwirklichung der Interessen der Arbeiterklasse seien die Räte. Es gebe nur einen Weg für das Proletariat: Ablehnung der Nationalversammlung und Errichtung der Diktatur des Proletariats. 146 Auf dem ersten Reichsrätekongreß bekannte sich Fritz Heckert im Namen des Spartakusbundes eindeutig zu den Räten als den Organen, die es dem Proletariat ermöglichten, verantwortlich den Aufbau einer neuen Gesellschaft durchzuführen. Nur die Räte, nicht aber die Nationalversammlung könnten wahre Demokratie schaffen. Die Zukunft gehöre nicht der Nationalversammlung, erklärte Fritz Hekkert, sondern dem Rätesystem, „der Diktatur der ungeheuren Mehrzahl des produktiven Volkes". 147 In einer gewaltigen Massenkundgebung unterstützte die Berliner Arbeiterschaft die Forderungen des Spartakusbundes an den Reichsrätekongreß. Aber unter dem Einfluß der rechten Sozialdemokraten beschloß die Mehrheit der Delegierten die Einberufung der Nationalversammlung. 143
„Der Kommunist", Flugzeitung der Internationalen Kommunisten Deutschlands, (Bremen), Nr. 2, vom 28. November 1918. 144 „Die Rote Fahne", Nr. 5, vom 20. November 1918. 145 „Arbeiterpolitik", a. a. O., Nr. 51, vom 21. Dezember 1918. 148 „Der Kommunist", a. a. 0 - , Nr. 4, vom 30. November 1918. 147 Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, a. a. O., S. 120 —121.
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Das Fehlen einer starken marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse war die entscheidende Ursache dafür, daß es der deutschen Bourgeoisie mit Hilfe der sozialdemokratischen Führer gelang, den revolutionären Kampf der deutschen Arbeiter für die Rätemacht mit Betrug und Gewalt niederzuschlagen. Deshalb war eine der wichtigsten Schlußfolgerungen, die der Spartakusbund — wenn auch nach langem Zögern und ernsten Auseinandersetzungen — aus den Lehren der sozialistischen Oktoberrevolution zog, die Bildung einer selbständigen Partei. Die Linksradikalen, die sich der USPD bei ihrer Gründung nicht angeschlossen hatten, betonten im Dezember 1917 erneut, nach der Oktoberrevolution sei erst recht „jeder Schein von Berechtigung für das Zusammengehen mit den Unabhängigen dahin". Sie appellierten an die Spartakusgruppe, als die größte und einflußreichste Gruppe der Linken: „Heute gebietet die internationale Lage die Gründung einer eigenen linksradikalen Partei als dringendste Notwendigkeit." 1 4 8 Unter dem Einfluß der Oktoberrevolution hatte sich innerhalb der Spartakusgruppe immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Anschluß an die USPD ein Fehler war. Bereits im Juni 1918 betonte Franz Mehring in seinem offenen Schreiben an die Bolschewiki, daß die Spartakusgruppe vom Beginn des Weltkrieges an im schärfsten Gegensatz zu den zentristischen Führern der USPD stand. „Nur in einem haben wir uns getäuscht: nämlich als wir uns nach der Gründung der Unabhängigen — selbstverständlich unter Bewahrung unseres selbständigen Standpunktes — ihr organisatorisch anschlössen, in der Hoffnung, sie vorwärtstreiben zu können. Diese Hoffnung haben wir aufgeben müssen; alle Anläufe dieser Art scheiterten..." 1 4 9 Besonders die Erfahrungen in der Novemberrevolution machten es dem Spartakusbund erneut deutlich, wie notwendig eine eigene Partei war. Schon am 9. November 1918 gab der Spartakusbund ein eigenes zentrales Organ, „Die Rote Fahne", heraus, nachdem in Stuttgart (5. Nov.) und in Hamburg (7. Nov.) bereits gleichnamige Zeitungen der Spartakusgruppe erschienen waren. Am 11. November 1918 wurde die Zentrale des Spartakusbundes gebildet und in raschem Tempo der Aufbau einer festgegliederten Organisation in den Orten und Bezirken begonnen. Am 14. Dezember war die Veröffentlichung des Programms des Spartakusbundes ein entscheidender Schritt zur selbständigen Partei. Die Internationalen Kommunisten Deutschlands beschlossen am 24. Dezember ihren Zusammenschluß mit dem Spartakusbund zur neuen Partei. Am 30. Dezember 1918 vollzog die Reichskonferenz des Spartakusbundes mit dem Austritt aus der USPD den endgültigen Bruch mit dem Opportunismus. Mit der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands wurde die Basis geschaffen für die marxistisch-leninistische Kampfpartei des deutschen Proletariats und für die Wiederherstellung der Einheit der deutschen Arbeiterklasse auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus. „Arbeiterpolitik", a. a. 0 . , Nr. 50, vom 15. Dezember 1917. „Mitteilungs-Blatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend", Nr. 16, vom 21. Juli 1918. 149
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Seit ihrem Bestehen war die Kommunistische Partei Deutschlands in fester Solidarität mit Sowjetrußland und den Bolschewiki verbunden. Der Gründungsparteitag sandte „die aufrichtigsten Grüße der russischen Räterepublik, den russischen Mitkämpfern gegen den gemeinsamen Feind der Unterdrückten aller Länder". 1 5 0 E r sprach sich f ü r die Schaffung einer neuen Internationale, einer „Internationale der revolutionären Tat" aus. 1 5 1 Immer und unerschrocken ist die KPD der Antisowjethetze entgegengetreten und hat sich für die enge Freundschaft des deutschen Volkes mit der großen sozialistischen Sowjetunion eingesetzt. In ihrem Programm bekannte sich die KPD eindeutig zur Diktatur des Proletariats und zu den grundlegenden Lehren der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Es war das einzige Programm in Deutschland, das der Arbeiterklasse und allen Werktätigen aus der Hölle des Imperialismus den Weg zu Frieden, Glück und Wohlstand, den Weg zum Sozialismus zeigte. *
Der lächerliche Versuch des „Vorwärts" vom 10. November 1917, den sozialdemokratischen „Erfolg" einer Umbildung der bürgerlich-monarchistischen Regierung in Deutschland (das Kabinett Hertling) gleichzusetzen mit dem welthistorischen Ereignis der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, zeigte anschaulich den Abgrund zwischen dem marxistisch-leninistischen Weg des revolutionären Klassenkampfes und der proletarischen Diktatur und dem opportunistischen Weg der Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie und der Unterwerfung unter die formale bürgerliche Demokratie. Die sozialdemokratischen Führer sind den opportunistischen Weg konsequent bis zum bitteren Ende gegangen. Noch angesichts des Papen-Staatsstreiches im Sommer 1932 erhofften sie die Rettung vor dem Faschismus vom Stimmzettel und von der Justiz des kapitalistischen Staates. Selbst bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im J a n u a r 1933 lehnten die Führer der SPD die außerparlamentarische Aktion der proletarischen Einheitsfront ab mit dem formal-rechtlichen Argument, Hitler sei legal an die Macht gekommen. Das Ende dieses Weges war die offene und brutale faschistische Diktatur; die opportunistische Politik erwies sich als außerstande, auch nur die formale bürgerliche Demokratie, der sie alle Klasseninteressen des Proletariats geopfert hatte, zu erhalten. Offensichtlich haben die rechten sozialdemokratischen Führer in Westdeutschland auch heute noch nicht die Konsequenzen aus der Katastrophe der opportunistischen Politik gezogen. Es ist die alte Unterwerfung unter die formale bürgerliche Demokratie, wenn Erich Ollenhauer die Treue der SPD gegenüber den NATO-Verträgen erklärt, obwohl diese Verträge gegen den Willen und gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes geschlossen wurden. Es ist die alte Beschönigung der bürgerlichen Klassenherrschaft, wenn die rechten Führer der SPD den Bonner Separatstaat der Monopolisten und Hitlergenerale als „Rechtsstaat" anerkennen, aber der Arbeiter160 Bericht über den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919, o. O., o. J., S. 8. 151 Ebenda, S. 45/46.
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und Bauernregierung der Deutschen Demokratischen Republik die Anerkennung versagen. Die deutsche Arbeiterklasse hat aus der Geschichte gelernt. In einem Teil Deutschlands haben sich nach der Zerschlagung des faschistischen Staates Kommunisten und Sozialdemokraten auf dem Boden des Marxismus-Leninismus zusammengeschlossen, mit vereinter Kraft und brüderlicher Unterstützung der Sowjetmacht den ersten Arbeiter- und Bauernstaat in der deutschen Geschichte geschaffen. Er ist die starke Basis des Kampfes für die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands. In Anwendung der grundlegenden Lehren der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution führt die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik beim erfolgreichen Aufbau des Sozialismus. Auch in Westdeutschland sind viele Mitglieder und Funktionäre der SPD von tiefer Sorge über das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus und Militarismus erfüllt und fordern eine entschiedene Wendung in der Politik der Sozialdemokratischen Partei. Die Aktionseinheit der Arbeiterklasse in ganz Deutschland ist trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse auf dem Marsch und wird Frieden, Demokratie und Sozialismus für das ganze deutsche Volk erringen.
PERSONENREGISTER
Aboldt 198 Adenauer, Konrad 223, 293 Adler 124 Anweiler, Oskar 235 Artelt, Karl 200, 201, 203, 204, 208, 211 Bachmann 112, 113, 114, 115, 116, 119 Bartels 203 Barth, Emil 298, 300, 301, 332, 338, 339, 340 Barth, Willi 178 Batocki, Adolf v. 256 Bauer, Gustav 167, 169, 170, 256 Bebel, August 93, 100, 191, 295 Beckers, Hans 93, 97, 105, 106, 107, 109, 126,128,129,132,133,134,135, 136,137, 139, 140, 265 Beier, Otto 37 Berge, v. 19 Bernhard 73 Bernstein, Eduard 9, 337, 341 Bethmann-Hollweg, Theobald v . X , 8, 9, 11, 18, 20, 24, 32, 39, 40, 41, 43, 52, 53, 61, 75, 81, 251, 256, 258 Bios, Wilhelm 315 Blumenthal, Paul 158, 282 Biller, Otto 37 Bodolskie 202 Bolens 74 Braun, Otto 158, 283, 318, 321 Bräuner 126 Bredow, Robert 37 Brüninghaus, Willi 93, 123, 193 Buddenberg 136 Büchner 52, 258 Büdeler 116,117
Calmus, Paul 108, 113, 126, 127 Capelle, Eduard v. 106, 130, 268 Casper, Kläre 158, 282 Chef des Kriegsamtes, siehe unter Groener Classen, J . 211 Cohen, Adolf 5, 20, 21, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 43, 46, 51, 52, 53, 80, 86 Cohen, Max 333 Cohn, Oskar 43, 53, 54, 78 Dahn 126 Däumig, Ernst 242, 305, 306, 338, 339 David, Eduard 316, 317 Dittmann, Wilhelm 52, 82, 93, 109, 114, 115,116,117,118,119, 120,121,123,124, 125, 131, 158, 159, 164, 190, 246, 258, 265, 266, 282, 332, 338, 340 Dobring 120 Drews, Bill 148, 179 Duisberg 291 Duncker, Hermann 298 Ebert, Friedrich X I I , 8, 20, 81, 158, 159, 162, 163, 207, 251, 256, 268, 283,288,314, 316, 321, 332, 333, 334, 340 Eckert, Paul 158, 282 Eder 100, 102, 111 Ehrke, Johannes 37 Eichler, Otto 54 Engelhard 221 Engels, Friedrich 295, 329, 338 Erzberger, Matthias 225, 226 Falk 217 Feikert, Paul 70 Feldmann, v. 66, 69 Fiebig 190
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Personenregister Fischer, Franz 37, 55, 56, 67, 253, 257 Fischer 134 Fleck, Anton 56, 253 Frasunkiewicz 219 Friedrich II. (alter Fritz) 74 G alster 192 Garbe 201, 207, 208 Generalfeldmarschall, siehe unter Hindenburg Generalissimus, engl. 78 Gerlach, Hellmuth v. 26, 47 Gesandte, sächs., siehe unter Nostiz Gouverneur von Kiel, siehe unter Souchon Gregor XIII. 3 Groener, Wilhelm 16, 22, 45, 54, 59, 64, 66, 71, 73, 74, 75, 78, 81, 155, 180, 256, 258, 288, 294 Großherzog von Oldenburg 222 Grotewohl, Otto 46 Grundke, Robert 214 Grunert, Robert 69 Haas 97 Haase, Hugo 8, 10, 11, 20, 52, 53, 54, 56, 61, 62, 76, 77, 78, 79, 83, 114, 117, 119, 124, 125, 151, 152, 155,158, 159,160,165, 170, 212, 246, 257, 268, 282, 285, 288, 312, 320, 332, 334, 338, 339 Haase 121 Haenisch, v. 223 Haußmann, Konrad 205, 206, 208, 211 Hecker 60, 61 Heck