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German Pages [360] Year 1994
VÔR
ANDREAS GRÜNSCHLOSS
Religionswissenschaft als Welt-Theologie Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben v o n Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka B a n d 71
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Grünschloss, Andreas: Religionswissenschaft als Welt-Theologie: Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik / Andreas Grünschloss. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 71) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1991/92 ISBN 3-525-56278-0 NE: G T
© 1994 Vandenhoeck & Ruprecht, 37070 Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elekronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.
Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. Immanuel Kant
W a s ich zu einem bedeutsamen Teil vermittelt zu haben hoffe, ist die Ubiquität, die Verschiedenartigkeit und die durchgängige Gemeinsamkeit menschlicher Religiosität. Man kann mir freilich vorwerfen, ich habe mein Material von einem bestimmten Standpunkt aus vorgestellt — aber wem könnte man das nicht vorhalten? Ich gebe gerne und freudig zu, daß mein Standpunkt der eines Humanisten ist... Meine humanistischen und auf die Transzendenz bezogenen Folgerungen sind mit Sicherheit Schlüsse, die sich auf meine Forschungen gründen und aus ihnen abgeleitet wurden. Sie sind Folgerungen, aber keine Methodologie. Denn was auch immer der Ausgangspunkt eines Wissenschaftlers sein mag, muslimisch, fundamentalistisch christlich, marxistisch oder überzeugt säkular, »Aufklärungs-orthodox« oder was auch immer, - wenn sich nach sagen wir zwanzig Jahren Forschung zur religiösen Geschichte der Welt dieser Ausgangspunkt und die Grundüberzeugungen nicht deutlich verändert haben, ist er — oder sie — mit Sicherheit ein schlechter Wissenschaftler - und ein außerordentlich dürftiger Intellektueller. Wilfred Cantwell Smith, 1985
Vorwort Die Idee zu der vorliegenden Arbeit entstand im Anschluß an einen Studienaufenthalt an der University of Chicago in den Jahren 1983/84. Dort stieß ich das erste Mal auf Wilfred Cantwell Smiths programmatische Bestimmung von Gegenstand und Aufgabe vergleichender Religionsforschung. Sein leidenschaftliches Eintreten für eine, über traditionelle Grenzziehungen zwischen Theologie und Religionswissenschaft hinausgehende, interkulturelle und interreligiöse Verständigung, mit der er die religionswissenschaftliche Arbeit ausdrücklich in den theologischen Problemhorizont des religiösen Pluralismus stellt, faszinierte mich und weckte das Interesse am Gesamtwerk dieses >Grenzgängers< zwischen Islamwissenschaft, vergleichender Religionswissenschaft und (protestantischer) Theologie. Die Arbeit wurde im Wintersemester 1991/92 von der theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen; sie wurde für die Druckfassung nur geringfügig überarbeitet und an wenigen Stellen durch ergänzende Literaturhinweise aktualisiert. Ich habe besonders Herrn Professor Sundermeier zu danken, der mich zu meinem Arbeitsvorhaben ermutigte und die vorliegende Arbeit von Anfang an betreut hat; ihm - sowie den Teilnehmer(inne)n des Doktorandenseminars - verdanke ich wertvolle kritische Anregungen und auch persönliche Bestätigung. Herr Professor Welker, unter dessen Leitung ich Anfang der achtziger Jahre mein erstes Seminar über die systematisch-theologische Bedeutung des Religionsbegriffs besuchte, hat sich freundlicherweise bereiterklärt, das Zweitgutachten zu erstellen, wofür ich ihm herzlich danken möchte. Herrn Professor Wißmann in Mainz danke ich für sein Verständnis und die informelle, konstruktive Kritik aus religionswissenschaftlicher Perspektive; der freundschaftliche Arbeitskontext der Mainzer »Firma« bot während der letzten Jahre geradezu ideale Voraussetzungen für mein Forschungsvorhaben. Den Herausgebern der Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie danke ich für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe. Ferner bin ich der deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft zu Dank verpflichtet, die einen Zuschuß zu den Druckkosten sowie für meine Forschungsreise in die USA und nach Kanada gewährte. Diese Forschungsreise diente dem Zweck, an den drei Universitäten McGill (Montreal), Harvard (Cambridge) und Dalhousie (Halifax) vorhandenes Archivmaterial zu sichten
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Vorwort
und Gespräche mit ehemaligen Kollegen oder Studenten Smiths zu führen. Die Offenheit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft der betreffenden Menschen und Institutionen überstiegen meine Erwartungen bei weitem. Ich habe daher all denen zu danken, die mir durch Gespräche oder durch die Ermöglichung des Zugangs zu unpubliziertem Material einen lebendigeren Eindruck von Person und Wirken Wilfred Cantwell Smiths erschlossen haben. Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang: in Harvard Frau Prof. Diana Eck und ihre Kollegen David Eckel und William Graham (alle drei ehemalige Schüler und gewissermaßen >Nachfolger< Smiths), an der dortigen Divinity School die Herren Professoren Helmut Koester und Richard Niebuhr, sowie am Center for the Study of World Religions Frau Dr. Harriet Crabtree und Andrew Rasanen; an der McGill-Universität Frau Prof. Runalls, sowie Prof. Katherine Young und Prof. Arvind Sharma, ebenso Prof. Charles Adams vom islamwissenschaftlichen Institut, die Professoren Stanley B. Frost und Robert Stevenson, die Archivarin E. Phebe Chartrand, sowie Frau Prof. Sheila McDonnough von der Concordia Universität; in Dalhousie die Professoren Tom Sinclair-Faulkner und Ravi Ravindra. Während der Konferenz über den Religionsbegriff in Hamilton (Okt. 1989) waren Prof. Willard Oxtoby und Prof. Jacques Waardenburg dankenswerterweise zu längeren Gesprächen bereit. Zu danken habe ich auch meinem - inzwischen leider verstorbenen - Chicagoer Lehrer Prof. Joseph M. Kitagawa, der sich während meines Besuchs ausführlich Zeit nahm, um mit mir über die Bedeutung von Smiths Werk im Kontext der nordamerikanischen Religionswissenschaft zu sprechen. Diese vielen >mündlichen Traditionen haben mir zu einem umfassenden und plastischen Bild von Smiths Gesamtwerk verholfen. Ganz besonderer Dank gebührt Herrn Professor Wilfred Cantwell Smith selbst: für die herzliche Gastfreundschaft, die er und Mrs. Smith mir während meines mehrtägigen Besuchs in Toronto gewährten, für die großzügige Erlaubnis, sein Privatarchiv zu konsultieren, für die zeitraubenden Diskussionen mit mir und nicht zuletzt für die meist mehrseitigen Briefe, mit denen er immer wieder auf Fragen zu Biographie oder Werkinterpretation antwortete. Seine menschliche Wärme und Bescheidenheit haben einen lebendigen, persönlichen Eindruck von dem vermittelt, was in seinen Publikationen mit der Betonung von >Freundschaft< und mit der Forderung nach einer >Personalisierung< und >Humanisierung< der Religionsforschung angesprochen wird. Meiner Frau Lydia möchte ich für ihre Hilfe und für ihr Verständnis während eines mehrjährigen Arbeitsprozesses danken, der ein Familienleben nicht gerade bereichert und die gemeinsame Aufgabe der Erziehung unserer kleinen Maya zeitweise sehr stark auf ihre Schultern verlagert hat.
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Vorwort
Das Buch ist meinen Eltern gewidmet, die mit ihrem Verständnis für meine Ausbildungs- und Forschungsinteressen und durch ihre fortwährende Hilfe und Ermutigung wesentlich zum Gelingen dieses Unternehmens beigetragen haben. Bad Kreuznach, im Juni 1994
Andreas
Grünschloß
Inhalt Abkürzungsverzeichnis & Verzeichnis der Abbildungen Einleitung - Zum Forschungsstand - Konzeption und Anlage der Untersuchung - Persönliche (hermeneutische) Vorbemerkung - Konventionen, Stil, Formales 1. EINFÜHRUNG IN LEBEN UND WERK WILFRED C. SMITHS
1.1. 1.2. 1.3. 1.4.
1.5. 1.6. 1.7. 1.8. 1.9.
- Vorbemerkung Kindheit und Jugend in Toronto. Beginn des Orientalistikstudiums . Fortsetzung des Studiums in England (Cambridge) und Heirat . . . . Mit dem kanadischen Missionsrat nach Indien/Pakistan. Promotion . Professor für »vergleichende Religionswissenschaft« und Gründer des »Instituts für islamwissenschaftliche Studien« in McGill (Montreal) Professor für »Weltreligionen« und Direktor des »Center for the Study of World Religions« in Harvard (Cambridge/Mass.) Organisator und erster Direktor des »Department of Religion« an der Dalhousie-Universität (Halifax, Nova Scotia) Professor für »Comparative History of Religion« und Vorsitzender des Kommitees »The Study of Religion« in Harvard Die Zeit nach der Emeritierung: Sr. Killam Research Fellow und Gastprofessor an der Universität von Toronto (Ontario) Zusammenfassung. Tabellarischer Lebenslauf und Bio-Grafik . . . . - Zusammenfassung - Tabellarische Chronologie von Leben und Werk - Werkgeschichtliche Bio-Grafik
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2. DIE SICHT DES ISLAMS BEI WILFRED CANTWELL SMITH
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- Vorbemerkung 2.1. Die frühen Veröffentlichungen bis zum Ende der »sozialistischen Phase« 2.1.1. Die Publikation Modern Islam in India (MI) - Kritische Beobachtungen 2.1.2. »Vorläufige« Gedanken über Pakistan als islamischer Staat (PS) . . . - Kritische Beobachtungen
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Inhalt
2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3.
Die zeitgenössische Synopse: Der Islam in der Gegenwart (IH) . . . 80 Smiths grundlegende Interpretation des Islams in IH 81 Die Schematisierung islamischer Geschichte 83 Die Charakterisierung der arabischen Welt: islamische Krise . . . . 85 Die Türkei: ein >Modellfall< islamischer Reformation 87 Pakistan und der Islam in Indien 89 Zusammenfassende Beobachtungen und kritische Beurteilung.... 91 Ausblick auf weitere Themen in Smiths Islamwissenschaft 93 Smiths Sicht des islamischen Gesetzes: sar', sarFa und igtihäd . . . 93 Die Begriffsentwicklung von islam 98 Das Ewige im Zeitlichen: Geschichte als Heilsgeschichte und die Rolle des Korans 102 2.3.4. Die >Begegnung< mit Taftäzäni und die Interpretation des Glaubens: ïmâri, tasdïq, arkän 107 2.3.4.1. Der islamische Glaube (iman): faith oder belief ? 110 2.3.4.2. Glaube und Werke: die ursprüngliche Bedeutung von arkän 112 2.3.4.3. Glaube als existentielle >An-Erkenntnis< der Wahrheit: die Bedeutung von tasdïq 113 2.3.4.4. Zusammenfassende Beobachtungen und Kritik zu Smiths Interpretation von islam und iman 116 2.3.5. Folgerungen zum Verhältnis von Islam und Christentum: Divergenzen und Konvergenzen 119 2.3.6. Abschließende Beobachtungen 122 2.4. Wilfred Cantwell Smiths Islamwissenschaft - ein Resümee 124 3. GRUNDLEGUNG UND DURCHFÜHRUNG VON SMITHS VERGLEICHENDER RELIGIONSWISSENSCHAFT
- Vorbemerkung 3.1. Wilfred Cantwell Smiths religionswissenschaftliches Programm . 3.1.1. Erste Überlegungen zu »Möglichkeit und Aufgabe einer Religionswissenschaft« (CS) - Zusammenfassung und kritische Beobachtungen 3.1.2. Programmatische Zuspitzung des »personalistischen« Ansatzes: formale Kriteriologie (CR) und Teleologie der Religionsforschung (SC) - Personalisierung auf Seiten des >Forschungsgegenstandes< . . . . - Personalisierung auf Seiten der Forschenden - Dialogische Interaktion von >Außenperspektive< und Innenansicht < - Die Teleologie religionswissenschaftlicher Forschung: »globales religiöses Selbstbewußtsein« - Zusammenfassung und kritische Beobachtungen
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Inhalt 3.1.3. Ein Testfall: Smiths Verständnis anderer Glaubensweisen (FM) . . - Zusammenfassende Beurteilung 3.2. Die kritischen Begriffsstudien zu »Religion« und »Glaube« 3.2.1. Die Kritik des Religionsbegriffs, seine Bedeutung und sein telos (ME) 3.2.1.1. Historische Befunde - Die Reifikationsgeschichte des Religionsbegriffs (1) >Religion< im Westen (2) Religionskonzeptionen anderer Kulturen 3.2.1.2. Systematische Implikationen und >Weiterungen< - Smiths Folgerung: das »Ende« des Religionsbegriffs . . - Smiths Alternative: »persönlicher Glaube« und »kumulative Tradition« 3.2.1.3. Kritische Beobachtungen und zusammenfassende Beurteilung 3.2.2. Fortführung der >Religionskritik< als Kritik des Glaubensbegriffs: >Glaube< zwischen Frömmigkeit und Glaubensmeinung (BH, FB) . 3.2.2.1. Historische und vergleichende Befunde - Die Depravationsgeschichte des (protestantischen) Glaubensbegriffs - Der Begriff >Glaube< (faith) im interreligiösen Vergleich. (1) Die christliche Tradition (a) Πίστις im Neuen Testament (b) Credo in der (katholischen) Kirche (2) >Glaube< (iman) im Islam (3) >Glaube< (sraddhä) bei den Hindus (4) >Glaube< in der buddhistischen Tradition 3.2.2.2. Systematische Voraussetzungen, Implikationen und Folgerungen - Zusammenstellung einiger Grundaussagen Smiths über >Glaube< - Smiths »Folgerung«: Glaube als gemeinsames Zentrum aller religiösen Traditionen 3.2.3. Zwischenresumee und kritische Beurteilung der Begriffsstudien . 3.2.3.1. Versuch einer synthetischen Rekonstruktion der normativen Grundannahmen in Smiths >Pistologie< - Exkurs zum geistesgeschichtlichen Hintergrund von Smiths Pistologie 3.2.3.2. Abschließende Beurteilung der Begriffsstudien 3.3. Ausblick auf weitere Themen in Smiths Religionswissenschaft... 3.3.1. Universalgeschichtliche Konstruktionen in Smiths Religionsforschung 3.3.2. Wahrheit und Methode: Smiths interpersonales Wahrheitsverständnis und seine Ablehnung von >Methodologie
heiliger Schriftenfaith ehronolog. Bibliographie) cf. Verzeichnis der Rezensionen Smiths cf. Verzeichnis des unveröffentlichten Materials (Manuskripte) cf. Verzeichnis des unveröffentlichten Materials (Predigten)
Sekundärliteratur: EI1, EI2 EI(H) ER GAL GAL(S) HrwG LmthG ÖL RGG3 TRE Islam
Encyclopaedia of Islam 01915-43; 21960ff) Handwörterbuch des Islam (1941) Encyclopedia of Religion (1987) Brockelmann, Geschichte der arabischen Literatur I—II (21943/49) Supplementbände I-III zu GAL (1937-42) Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (1988ff) Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe (1987) Ökumene Lexikon (21987) Die Religion in Geschichte und Gegenwart (31957ff) Theologische Realenzyklopädie (1977ff) Der Islam, I-III [Religionen der Menschheit, 25.1-3] (1980-90)
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Abkürzungsverzeichnis, Verzeichnis der Abbildungen
Sonstige Abkürzungen: CSR CSWR I.A.RR H.V. V. Ü. v. V. skr. idg. ORK WCC •
Committee on The Study of Religion (Harvard) Center for the Study of World Religions (Harvard) International Association for the History of Religions Hervorhebung vom Verfasser (der vorliegenden Arbeit) Übersetzung vom Verfasser sanskrit indogermanisch Ökumenischer Rat der Kirchen dto. (World Council of Churches)
Wenn nicht anders angegeben, erfolgen Koranziiate nach der Ausgabe von Paret (31983), BiòeZzitate nach der revidierten Lutherbibel (1984).
Verzeichnis der Abbildungen und Grafiken im Text Seite Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6
Wilfred Cantwell Smith 1951. [McGill News 37:2 (1956), 12], Werkgeschichtliche Bio-Grafik. Frömmigkeit versus >ReifikationPistologieantitheologischen Affekt< in der akademischen Religionswissenschaft. Theologischerseits wurde das faktische Nicht-Gespräch zwischen den beiden Disziplinen im Nachkriegsdeutschland durch die starke Wirkungsgeschichte der Theologien Barths und Bonhoeffers verstärkt, für die eine Auseinandersetzung mit dem Problem des >Religiösen< gerade nicht zur Agenda zeitgemäßer Theologie gehörte, sondern die >nüchterne< Auseinandersetzung mit der säkularisierten, >mündigen Weltalles andere< aus historisch-philologischer bzw. vergleichender Perspektive. Innerhalb theologischer Fakultäten spielte die Religionswissenschaft daher nur noch in Personalunion mit der Missionswissenschaft (Ausnahme: Marburg) eine Rolle, und an dieser Zuordnung hat sich bis heute nicht viel geändert. Erst seit den sechziger Jahren ist ein erneutes theologisches Interesse an der Religionsproblematik spürbar; man beginnt sich wieder auf die Problemstellungen Troeltschs zu besinnen und setzt sich mit den >anderen Religion e n - meist noch theoretisch - auseinander (Tillich, Rahner, Pannenberg, u. a.). Allmählich treten kontextbezogene Fragen des Dialogs mit dem Judentum sowie nach dem Zusammenleben mit Muslimen in den Vordergrund; der sog. religiose Pluralismus< wird in Deutschland jedoch erst in jüngster Zeit als Kontext der Theologie anerkannt. - Gleichzeitig wurden in der Nach-
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Einleitung
kriegszeit auf dem nordamerikanischen Kontinent eine Vielzahl neuer religionswissenschaftlicher Lehrstühle geschaffen und bisweilen ganze Divinity Schools in allgemeine Religious Studies Departments verwandelt, die nun häufig unter einem Dach Religionsgeschichte, Religionspsychologie, Religionssoziologie, sowie verschiedene konfessionelle und denominationelle Theologien beherbergten. Die multikulturelle Gesellschaft Nordamerikas verlangte ferner nach einer theologischen Auseinandersetzung mit dem religiösen Pluralismus, was im letzten Jahrzehnt zu einem beherrschenden Thema angloamerikanischer Theologie wurde. In diese Zeit fällt das Wirken des gebürtigen Kanadiers Wilfred Cantwell Smith, der sich - angestoßen durch seine missionarischen und orientalistischen Forschungsaufenthalte in Indien sowie in der muslimischen Welt bald zu einem der geistigen Väter der pluralistischen Religionstheologie< entwickelte. Seit Beginn seiner akademischen Tätigkeit im >Westen< an der McGill University in Montreal (1949) hat er sich mit dem Problem interreligiösen Verstehens auseinandergesetzt, das er in speziell islamwissenschaftlichen Veröffentlichungen ebenso thematisierte wie in allgemein-religionswissenschaftlichen oder theologischen Publikationen. Smith ist ein akademischer >GrenzgängerReligion< und >GlaubeGlaube< in religionsvergleichender Hinsicht darstellen dürften, finden sie in dem ausführlichen Artikel »Glaube« der Theologischen Realenzyklopädie an keiner Stelle Erwähnung weder im religionswissenschaftlichen noch im historischen oder systematischen Teil. Dieser Sachverhalt ist symptomatisch für die Rezeption von Smiths Denken in Deutschland: Bis auf die Studie zum Religionsbegriff und die wenigen programmatischen Artikel über die Aufgabe vergleichender Religionsforschung ist er - auch innerhalb der Religionswissenschaft - wenig beachtet worden. Aber auch auf dem amerikanischen Kontinent gab es bis in die siebziger Jahre keine umfangreichere Publikation zu Smiths disziplinübergreifender Religionsforschung1, und die wenigen nordamerikanischen Dissertationen über Smith blieben fast durchweg unveröffentlicht. Edward Hughes konnte daher 1985 in seiner eigenen Arbeit über Smiths Religionstheologie feststellen: »The amount of serious material on Smith's thought remains small.«2 Angesichts der theologischen und religionstheologischen Bedeutung von Smiths Forschung hat sich daher auch an der richtigen Einschätzung Klaus Hocks seit 1986 nichts geändert: »Um so erstaunlicher ist es, daß sein theologischer Beitrag in missions- und ökumenewissenschaftlichen Kreisen nur in Ansätzen rezipiert wurde und auf dem Kontinent bislang kaum Resonanz gefunden hat. Infolgedessen liegt auch noch keine umfassende und ausgearbeitete Kritik an Smiths Gesamtkonzeption vor.« 3
Cf. G. E. Pruett, »History, Transcendence, and World Community in the Work of Wilfred Cantwell Smith«, Journal of the American Academy of Religion 41 (1973), 573-590, der den Artikel von A.R.Gualtieri, »Faith, Tradition and Transcendence: A Study of Wilfred Cantwell Smith«, Canadian Journal of Theology 15 (1969), 102—111, noch als »the only treatment of Smith's thought more extensive than a book review« bezeichnen konnte (ibd., 578). 2 E. J. Hughes, Wilfred Cantwell Smith — A Theology for the World (London: SCM Press, 1986), 210 (Anm. 9) [= überarbeitete Druckfassung seiner Dissertation The Global Philosophy of Wilfred Cantwell Smith: An Experiment in Intercultural Thought, Ph.D.-Diss., Claremont Graduate School (California), 1985], 3 K.Hock, Der Islam im Spiegel westlicher Theologie. Aspekte christlich-theologischer Beurteilung des Islams im 20. Jahrhundert (Köln/Wien: Böhlau, 1986)
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Einleitung
Diese Lücke will die vorliegende Arbeit schließen. Aus der Perspektive deutschsprachiger Theologie findet sich - abgesehen von den Schlußfolgerungen bei Hock - die erste fundierte Auseinandersetzung mit Smiths WeltTheologie bei M. Welker, »>Einheit der Religionsgeschichte< und universales Selbstbewußtsein< - Zur gegenwärtigen Suche nach Leitbegriffen im Dialog zwischen Theologie und Religionswissenschaft«4. Auch seit der Fertigstellung des Manuskripts für die vorliegende Arbeit ist in Deutschland nur wenig Neues über Smith veröffentlicht worden.5 Mehrere beachtenswerte Stellungnahmen zu Smiths Ansatz liegen im Bereich der angloamerikanischen Theologie vor; dabei sind m.E. besonders die Artikel von L.Gilkey, H.Smith, WJ. Wainwright, H. Meynell, G. E. Pruett, A. R. Gualtieri und D. Burell besonders erwähnenswert6. In religionswissenschaftlicher Hinsicht sind v. a. die Stellungnahmen von RKvaerne, D.Wiebe, N.Smart und E.Sharpe zu beachten7, ferner die von E Whaling herausgegebene Festschrift The World's Religious Traditions - Current Perspectives in Religious Studied, die auch das bislang vollständigste Literaturverzeichnis Smiths enthält. [ursprünglich eine Dissertation am Fachbereich Evangelische Theologie, Universität Hamburg, 1985], — Cf. dazu C. E Hallencreutz, New Approaches to Men of Other Faiths 1938—1968. A Theological Discussion [Research Pamphlets, 18] (Geneva: WCC, 1970), 84: »It is rather surprising that so far the discussion on Smith's contribution has been comparative meagre among phenomenologists of religion and very meagre indeed among missionary theologians. With a view to the development of a dialogical missionary approach, however, his insistence on the individuality of the religious man and his methodological concern with the question of religious change seem to be extremely interesting not least in the present stage of ecumenical considerations.« 4 Evangelische Theologie 48 (1988), 3-18; eine amerikanische Übersetzung dieses Aufsatzes erschien in Harvard Theological Review 81 (1988), 431-444. - Cf. ferner H. Küng, »Der Streit um den Religionsbegriff«, Concilium 22 (1986), 2—4. 5 Cf. das Kapitel Uber Smiths »personale Theorie religiöser Wahrheit« bei A. Kreiner, Ende der Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Philosophie und Theologie (Freiburg: Herder, 1992; 376—394), ferner die Abschnitte Uber Smith bei RSchmidt-Leukel, »Den Löwen brüllen hören« Zur Hermeneutik eines christlichen Verständnisses der buddhistischen Heilsbotschaft [Beiträge zur ökumenischen Theologie, 23] (München: Schöningh, 1992) und bei G. Rosenstein, Die Stunde des Dialogs. Begegnung der Religionen heute [Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung, 9] (Hamburg: E.B.-Verlag Rissen, 1991). 6 Cf. das Literaturverzeichnis (mit direktem Bezug auf Smith) im Anhang. 7 Cf. Anhang, ibd. 8 Essays in honour of Wilfred Cantwell Smith (Edinburgh: Clark, 1984). — Eine weitere »Festschrift« findet sich im Center for the Study of World Religions, die Smith von Schülern und Freunden — anläßlich einer Konferenz zu seinen Ehren — 1979 überreicht wurde: SMITHFEST 1979. A Presentation Volume of the Papers from a Conference on Issues in the History of Religion, held in honor of Wilfred Cantwell Smith, 15-17 June 1979. Die meisten Beiträge wurden zwischenzeitlich an verschiedenen Orten publiziert.
Einleitung
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In Dissertationen wurde Smiths Werk bisher meist vergleichend neben einer oder mehreren anderen religionstheologischen Konzeptionen behandelt (Gualtieri, Ipema, Nicholson, Doyle, Fellows, Hock, Buckalew) 9 . Bis auf die Arbeiten von Hock und Ipema, die sich speziell der Islaminterpretation widmeten, fand Smiths islamwissenschaftliche Seite wenig Berücksichtigung. Die stärker theologisch orientierten Dissertationen (Shawver, Hughes, Tadsen, Buckalew, Rasiah) 10 nahmen Smith zwar auch in seiner religionswissenschaftlichen Bedeutung wahr, eine Beurteilung der speziell religionswissenschaftlichen Tragfähigkeit seiner Forschung lag jedoch nicht in ihrem Blick. Die beste und umfassendste Arbeit stellt m.E. die bereits zitierte Untersuchung von Hughes dar (sie wurde auch als einzige der nordamerikanischen Dissertationen publiziert). 11 Keine Arbeit hat sich bislang bemüht, Smiths organisatorisches Wirken im Bereich der jeweiligen akademischen Institutionen (an den er stets leitend tätig war) zu untersuchen, obwohl
9 Antonio R. Gualtieri, Theological Evaluations of Christians of the Religious Faith of Non-Christians, Ph.D.-Diss. McGill University, Dept. of Divinity, 1969; Peter Ipema, The Islam Interpretations of Duncan B. MacDonald, Samuel M.Zwemer, A. Kenneth Cragg and Wilfred C.Smith: An Analytical Comparison and Evaluation, Ph.D.-Diss. Hartford Seminary Foundation, 1971; — Wayne I.Nicholson, Toward a Theology of Comparative Religion: A Study in the Thought of Hendrik Kraemer and Wilfred Cantwell Smith, Ph.D.-Diss. Southern Baptist Theological Seminary, 1978; - Dennis M.Doyle, The Distinction between Faith and Belief and the Question of Religious Truth: The Contribution of Wilfred Cantwell Smith and Bernard Lonergan, Ph.D.-Diss. Catholic Univ. of America, 1984; — Klaus Hock, Der Islam im Spiegel westlicher Theologie, op. cit. 1985/1986; - Ronald W Buckalew, A Return of the Servant: Kenotic Christ and Religious Pluralism in the Thought of Raimundo Pannikar and Wilfred Cantwell Smith, Ph.D.-Diss. Union Theological Seminary in Virginia, 1987; - Ward J. Fellows, The Dilemma of Universalism and Particularism in four Christian Theological Views of the Relation of Christianity to other Religions, Ph.D.-Diss. Union Theological Seminary (N.Y.), 1988. — Die nordamerikanischen Arbeiten wurden vom Verfasser in Microfilm bzw. Microfiche konsultiert (erhältlich Uber University Microfilms International, Ann Arbor; mittlerweile auch in der Universitätsbibliothek Tübingen vorhanden). 10 David J. Shawver, Wilfred Cantwell Smith's Conceptions of Religious Truth, M.A.-Diss. McGill University, Dept. of Religious Studies, 1974; - Iswaradevan Rasiah, The Contribution of Wilfred Cantwell Smith to Inter-Faith Understanding, Ph.D.-Diss. Boston University School of Theology, 1984; — Rose Tadsen, Jesus Christ in the World Theology of Wilfred Cantwell Smith, Ph.D.-Diss. University of St. Michael's College (Canada), 1985; — Edward J.Hughes, op.cit.; — Ronald WBuckalew, op. cit. 11 In der Zwischenzeit ist eine Tübinger Dissertation von J. Zehner veröffentlicht worden, die in der Druckfassung u. a. um ein Kapitel über Smith erweitert wurde: Der notwendige Dialog. Die Weltreligionen in katholischer und evangelischer Sicht [Studien zum Verstehen fremder Religionen, 3] (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G.Mohn, 1992).
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Einleitung
Smith selbst mehrfach betont hat, wie sehr seine Forschung mit der Ermöglichung konkreter interreligiöser >Begegnung< in Zusammenhang steht.12 Konzeption und Anlage der Untersuchung Daraus ergibt sich die Aufgabe der vorliegenden Arbeit: Wilfred Cantwell Smiths Ansatz soll gewissermaßen als Fallstudie für interreligiöse Hermeneutik in religionswissenschaftlicher und theologischer Hinsicht dienen; zu diesem Zweck muß ein umfassendender Rekonstruktionsversuch von Smiths Werk auf allen akademischen Ebenen unternommen werden. - (a) In biographisch-werkgeschichtlicher Hinsicht wird zu prüfen sein, ob bzw. wie Smiths dialogischer Forschungsansatz konkrete Gestalt in Ausbildung und Organisationsstruktur an den einzelnen akademischen Institutionen (McGill, Harvard, Dalhousiej gewonnen hat. Zu diesem Zweck kann u.a. auf Archivmaterial zurückgegriffen werden, das vom Verfasser während einer Forschungsreise im Jahr 1989 eingesehen wurde. - (b) In islamwissenschaftlicher Hinsicht sollte Smiths gesamte Islaminterpretation von den frühen Studien zum indischen Islam (die bei Hock beispielsweise unberücksichtigt bleiben) bis zu den späten Veröffentlichungen zum muslimischen Glaubensbegriff in den Blick kommen, da sich hier bereits viele charakteristische Weichenstellungen für seine allgemeine Religionsforschung herausarbeiten lassen. - (c) Den Hauptteil wird die Sichtung und Beurteilung des umfangreichen religionswissenschaftlichen Werkes ausmachen, wobei die vergleichenden Begriffsstudien zu >Religion< und >Glaube< einen zentralen Platz einnehmen müssen. Die Tragfähigkeit von Smiths dialogischer Religionsforschung ist dabei aus religionswissenschaftlicher Perspektive zu leisten. Es soll gefragt werden, ob seine Programmatik innerhalb dieser Disziplin konsensfähig bleibt. - (d) Schließlich gilt es, die missionstheologischen und religionstheologischen Veröffentlichungen zu sichten und auf dem Hintergrund der religionswissenschaftlichen Studien in ihrer christlich-theologischen Plausibilität und Verantwortbarkeit zu prüfen. - (e) Im Hinblick auf den geforderten umfassenden Rekonstruktionsversuch wird die Arbeit insgesamt ein hermeneutisch-systematisches Interesse verfolgen: die allmähliche, synthetische Rekonstruktion der normativen Grundannahmen von Smiths Ansatz, ohne die eine Wissenschafts- und geistesgeschichtliche Einordnung und Beurteilung nicht möglich wäre.
12 In biographischer Hinsicht ist auch die »Einleitung« von W G. Oxtoby zu der von ihm herausgegebenen Sammlung Smithscher Aufsätze Religious Diversity [RD] beachtenswert.
Einleitung
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Aus dieser Themenstellung ergibt sich ohne weiteres die Gliederung der Arbeit. Es ist sinnvoll, das biographisch-werkgeschichtliche Kapitel voranzustellen, da in diesem Zusammenhang (a) eine erste Einfiihrung in Smiths Religionsforschung geleistet werden kann. In diesem Kapitel wird, über die reine >Werkgeschichte< hinaus, auch der jeweilige institutionelle Kontext nordamerikanischer Religionswissenschaft (religious studies) beleuchtet (—» Kap. 1). - Da die folgenden Punkte (b - c - d) ein werkgeschichtliches Gefalle aufweisen, bietet sich eine entsprechende Kapitelreihenfolge an, die sowohl dem chronologischen Gesichtspunkt als auch der Verschiedenheit der wissenschaftlichen Perspektiven Rechnung trägt: Smiths Schwerpunkte verlagern sich allmählich von der Islamwissenschaft (—» Kap. 2) auf die allgemeine Religionswissenschaft (—» Kap. 3), deren Folgerungen schließlich zunehmend in theologische Reflexionen münden (—• Kap. 4). Trotz der Vorteile dieses Gliederungsprinzips läßt es sich nicht ganz vermeiden, daß an einigen Stellen inhaltliche Überschneidungen zwischen den drei Kapiteln entstehen, die sich aus Smiths disziplinübergreifender Arbeitsweise notwendig ergeben. - Die o.a. hermeneutische bzw. systematische Aufgabe (e) wird dabei als unterschwellige bzw. fortlaufende Bemühung um Präzisierung der werkimmanenten Systematik aufgefaßt und deshalb keinem separaten Kapitel zugeordnet. Da Smiths Terminologie meist bewußt vage und unbestimmt gehalten ist, wird die Untersuchung zunächst eine relativ umfangreiche, das gesamte Werk einbeziehende historische Darstellungsarbeit leisten müssen, die eine möglichst wertneutrale Sichtung und Präsentation der von Indien bis Kanada verstreuten (und oft sehr unzugänglichen) Publikationen Smiths vornimmt; erst auf diesem >archäologischen< Hintergrund kann die induktive Rekonstruktion der immanenten Normativität überzeugend vorgeführt werden. Mit der Arbeit verbindet sich daher zugleich ein historisches und ein systematisches Interesse. - Da die abschließende Beurteilung von Smiths Werk aus den Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen mit ihrem je eigenem Selbstverständnis geleistet werden muß, bietet es sich an, Zusammenfassung und Ertrag jeweils im Anschluß an die drei inhaltlichen Kapitel (2-4) zu formulieren. Persönliche (hermeneutische) Vorbemerkung Um den >erkenntnisleitenden< Hintergrund der vorliegenden Arbeit etwas durchsichtiger zu machen, möchte ich im folgenden die persönlichen Motivationen und Forschungsinteressen zum Thema (soweit es mir möglich ist)
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Einleitung 13
formulieren. Smiths religionswissenschaftliche Programmatik hat mich fasziniert, weil sie eine Möglichkeit darzustellen scheint, Theologie und Religionswissenschaft wieder zu einem gemeinsamen Gespräch zu bewegen. Da meine eigene religiöse Sozialisation im Jugendalter u. a. von jener charakteristischen Mischung aus »Hesse, Räucherstäbchen und Alan Parsons«14, einer entsprechend intensiven Beschäftigung mit Yoga und Zen-Meditation sowie >Pilgerfahrten< nach Taizé geprägt war, habe ich seit Beginn meines Theologiestudiums möglichst viele Gelegenheiten zu religionsgeschichtlichen und religionspsychologischen Grenzüberschreitungen genutzt. Meinem Interesse an religionsvergleichenden und religionsdialogischen Fragestellungen kamen während der Tübinger Zeit neben allgemein-religionsgeschichtlichen Vorlesungen besonders die Lehrangebote am Institut für Ökumenische Forschung (Prof. H. Küng und Mitarbeiter) entgegen, während ein Parallelstudiengang in Psychologie gewisse Schwerpunkte in Fragen empirischer und erfahrungsbezogener Religionsforschung zuließ. Die eigentliche Vertiefung und Formierung meiner religionswissenschaftlichen, aber auch religionstheologischen Interessen fand während eines Studiengangs in Religious Studies an der Universität Chicago (Divinity School) statt, der in einer für nordamerikanische Universitäten typischen Weise theologische, religionsgeschichtliche sowie sozial- und verhaltenswissenschaftliche Fragestellungen integrierte.15 In den darauffolgenden Jahren in Heidelberg war vor allem die Arbeit am missionswissenschaftlichen Institut prägend; dort konnte ich mich bei Prof. Sundermeier missions-, ökumenewissenschaftli13
Ich greife damit eine Praxis auf, die im Rekurs auf zeitgenössische hermeneutische Einsichten der jeweiligen Perspektivität wissenschaftlicher Forschung Rechnung tragen will. Ich verweise dazu auf zwei >Heidelberger Beispiele< für eine ähnliche Reflexion: D. Ritsehl, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken (München: Kaiser, 1984), 15—18 (»Zum Buch«, »Zum Autor«); K. Berger, Art. »Gnosis«, TRE 13, 521f (»Systematisch bedingte Forschungsinteressen«). 14 Wolfgang Spindler, »Rock me«, K.M.Michel, H.Wieser, H.M.Enzensberger (Hg), Kursbuch 54 - Jugend (Berlin: Rotbuch, 1978), 1-12 (Zit.: 6f). 15 In meiner religionswissenschaftlichen Magisterarbeit Religion and Religions. The Impact of Personal Convictions on the Academic Study of Religion (1984) versuchte ich am Beispiel von R.Otto, J.Wach, G.van der Leeuw und M.Eliade der hermeneutischen Frage nachzugehen, wie normative Vorstellungen über das Wesen des Religiösen die wissenschaftliche Wahrnehmung religiöser Phänomene beeinflussen. - Der Aufenthalt in Chicago prägte mich v. a. in religionswissenschaftlicher Hinsicht durch meine Lehrer J. M. Kitagawa, R Homans, K. Rudolph (jetzt in Marburg) sowie in theologischer Hinsicht durch H. D. Betz, L. Gilkey und D. Tracy. — Das hinter dieser Arbeit stehende hermeneutische Interesse dürfte größtenteils auf die Chicagoer Prägung zurückgehen (Eliade, Ricoeur, Tracy), obwohl Fragen >interreligiöser Hermeneutik durch die Arbeit am Lehrstuhl Prof. Sundermeiers in Heidelberg eine weitere Vertiefung gefunden haben.
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chen und religionstheologischen Fragen widmen und verfaßte eine systematisch-theologische Magisterarbeit zu Paul Tillichs Religionsbegriff16. Meine religionswissenschaftlichen Kenntnisse konnte ich durch Seminare bei Prof. Wißmann (damals noch Privatdozent in Heidelberg) vervollständigen, an dessen Mainzer Lehrstuhl ich seit 1987 als wiss. Mitarbeiter tätig bin und dem ich vor allem die philologische und religionsgeschichtliche Erschließung der (mir bis dahin weitgehend unbekannten) mittelamerikanischen Religionsgeschichte verdanke17. In Heidelberg und Mainz habe ich ferner versucht, religionswissenschaftlichen Kompetenzen in philologischer Hinsicht durch das Studium indischer Philologien (Sanskrit und Päli) zu erweitern. Meine Beschäftigung mit Smith entspringt daher einem ganz persönlichen Interesse an einer Integration religionswissenschaftlicher und theologischer Forschung, die das Proprium keiner der beiden Disziplinen verwischt. Es ist meine feste Überzeugung, daß es möglich ist, einerseits religionswissenschaftliche >Nüchternheit< und Sachlichkeit im Umgang mit religiösen Phänomenen und andererseits das Interesse an theologischen und religionstheologischen Interpretationen so zu vereinen, daß keiner der beiden Wissenschaftszweige verletzt wird.18 - In diesem Sinn beansprucht die vorliegende Arbeit, in ihren religionswissenschaftlichen Teilen religionswissenschaftlich konsensfähig zu sein, während sie in Bezug auf die theologischen Folgerungen dasselbe innerhalb des theologischen Bezugsrahmens leisten möchte. Diese zweifache Aufgabenstellung entspricht ferner der Abfassung an einem Lehrstuhl für Religions- und Missionswissenschaft und stellt m. E. eine unabdingbare Voraussetzung für alle heutigen religionstheologischen Äußerungen dar, weil sie über den binnentheologischen Diskurs hinaus rezeptionsfähig und realistisch bleiben müssen: Religionswissenschaft kann und muß, sofern sie in den Rahmen theologischer Forschung hineinreicht, >ungemischt und ungetrennt< mit der Theologie verhandelt werden. Konventionen, Stil, Formales In der vorliegenden Arbeit wurde in der Hoffnung auf bessere Lesbarkeit und schnelle Orientierungsmöglichkeit der Weg gewählt, bereits in den Fußnoten fast immer vollständige Literaturangaben zu liefern. Dadurch kann das lästige Blättern in den Bibliographieteil weitgehend entfallen. Gewisse Red16
Das Unbedingte und die Religion bei Paul Tillich (1986). Das Beispiel der aztekischen >Religion< ist für mich seither ein äußerst illustrativer Anlaß für die Bezweiflung allzu optimistischer und >humanistischer< Religionstheorien bzw. Religionstheologien geworden. 18 Für einen ersten Versuch meinerseits in diese Richtung cf. den Art. »Initiation«, LmthG, 168-176.
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undanzen zwischen Fußnotenreferenzen und Literaturverzeichnis sind dabei unvermeidlich, wenn man sich nicht auf eine unüberschaubare Vielzahl bibliographischer Kürzel einlassen will. Nur in Fällen, wo lediglich summarisch auf verschiedene Veröffentlichungen Smiths verwiesen wird, wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mit »(Pubi, xx)« auf das nummerierte chronologische Publikationsverzeichnis der Primärliteratur zu verweisen. Für Smiths Buchpublikationen, drei wichtige programmatische Aufsätze und einige Nachschlagewerke aus der Sekundärliteratur fanden die im Abkürzungsverzeichnis aufgeführten Kürzel Verwendung (MI, CR, LmthG, etc.). Bei der extensiven Benutzung fremdsprachiger Literatur wie im vorliegenden Fall stellt sich stets die Frage, ob (bzw. wann) eine Quelle übersetzt oder im Original wiedergegeben werden soll. Ich habe versucht, mich in der Regel an folgender Vorgabe zu orientieren: Wenn die Übersetzung besondere Schwierigkeiten bereitet hätte oder das englische Original einfach prägnanter schien, wurde der englische Text wiedergegeben; in Fällen, bei denen die Übersetzung keine Einbuße an Information bedeutete, habe ich (sofern keine andere Übersetzung existierte) den Text eingedeutscht. Um der besseren Verständlichkeit willen wurden bisweilen - wo es angemessen erschien - die englischen Originalausdrücke in Klammern mitgeführt oder in den Fußnoten im Original zitiert. Ein hochgestelltes >d< oder >e< vor den Seitenangaben eines bibliographischen Hinweises dient zur Unterscheidung der deutschen bzw. englischen Ausgabe eines Textes (z. B. CR d76, e32). Die Wiedergabe religionsphilologischer Begriffe {iman, sraddhä, etc.) erfolgte stets in Kursivdruck und nach Maßgabe der in Deutschland üblichen Transskriptionsregeln. Daneben wurden häufiger wiederkehrende, englische Zentralbegriffe (faith, corporate critical self-consciousness, etc.) im Kursivdruck geführt, wohingegen längere Zitate oder auch einzelne Zitatausschnitte, wie üblich, durch doppelte Anführungszeichen gekennzeichnet wurden. Einfache Anführungszeichen fanden hingegen Verwendung, wenn ein Wort lediglich hervorgehoben werden sollte - insbesondere, wenn der Begriff uneigentlich gebraucht wurde (z. B. der Begriff >ReligionModerneErfahrungsymbolischen< relativiert hat. Dennoch sind bis heute das ausgeprägt moralische Verständnis von Glaube als >Gehorsam< und die Enthaltsamkeit von verschiedenen üblichen Formen der Zerstreuung (Fernsehen, Alkohol, etc.),5 sowie die Betonung der Transzendenz Gottes und des fìniìum non capax infiniti Anzeichen für den prägenden Einfluß der religiösen Erziehung in seiner Jugend; sie ermöglichte ihm nicht zuletzt auch die Wertschätzung eben dieser Elemente im Islam. Wie er selbst einmal treffend betonte: »I am a Presbyterian, and will never shake off my delightful Calvinistic Puritanism until the day I die.«6 1927 wurde Smith ein Auslandsaufenthalt in Genoble (am Lycée Champollion) ermöglicht. Zu dieser Zeit war in dem Elfjährigen bereits der Wunsch gereift, Pfarrer zu werden. Eine Ägyptenreise mit seiner Mutter im Jahre 1933 präzisierte diese Absichten in Richtung einer Missionstätigkeit im arabischen Raum. Nach dem High School-Abschluß wollte ihm seine unternehmungslustige Mutter - sie war selbst eine missionarisch interessierte Frau und Mitglied des S.VM. (s. u.) gewesen - ein wenig mehr von der Welt 4
Oxtoby vermutet dies zu recht (ibd., x), wie Smith dem Verfasser im Gespräch bestätigte. Demnach hat er die Frömmigkeitstradition seiner Mutter geradezu als Ausgleich zu der streng puritanischen Haltung des Vaters empfunden, was er mit dem Ausspruch »Everybody with a Presbyterian/Calvinistic father should have a Methodist mother« scherzend zusammenfaßte (Gesprächsnotiz vom 2.10.1989). 5 Als Beispiel für seine im Calvinismus verwurzelte moralische Integrität sei ein Vorfall erwähnt, der im Archiv der Dalhousie-Universität dokumentiert ist. Smith war in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren vom benachbarten King's College für einen Vorlesungsbeitrag zum dortigen »foundational year programme« — einer einführenden interdisziplinären Veranstaltung für Erstsemester — eingeladen worden. Als Entgelt wurde ihm mehrfach ein Scheck über fünfzig Dollar zugesandt, den er postwendend mit der Begründung zurücksandte, daß der Vorlesungsbeitrag seiner eigenen Arbeit viel »zu nahe« stünde, als daß er in eine zusätzliche Bezahlung einwilligen könne. Da die Verwaltung in den meisten Fällen auf einer Auszahlung bestand, entspann sich eine nicht unbedeutende Korrespondenz um diese Meinungsverschiedenheit, die Smith schließlich zugunsten seiner Auffassung entscheiden konnte. Vorkommnisse dieser Art sind dem Verfasser von vielen ehemaligen Kollegen, Freunden und Bekannten Smiths erzählt worden. Auch Oxtoby nennt als wichtiges Charakteristikum Smiths eine dezidiert orthopraktische Glaubensdisziplin, die sich besonders in einer »scrupulous personal morality« ausdrücke (ibd.). — Huston Smith schildert eine ähnlich typische Begebenheit in »Faith and its Study: What Wilfred Smith's against, and for«, Religious Studies Review 7 (1981), 306-310, cf. 310. 6 RD, 136.
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
zeigen, und so blieben sie nach einem jeweils dreimonatigen Aufenthalt in Spanien (v a. Madrid) und Frankreich ein halbes Jahr lang in Ägypten. Diese Reise war für Smith (auch nach eigener Auskunft)7 ein bedeutsames Erlebnis.8 Er begann bereits damals (siebzehnjährig) mit den ersten privaten Arabisch-Studien und entschloß sich daraufhin zum Studium der Orientalistik am College der University of Toronto.9 Das bereits erwähnte religiöse Erbe führte ihn aber nicht in konfessionalistische Abgrenzung: in den College-Jahren von 1934-38 engagierte er sich in verschiedenen ökumenischen Kreisen am Campus. Sein Hauptinteresse galt missionarisch ausgerichteten Gruppierungen. Zu nennen wären hier besonders das interdenominationell strukturierte Student Volunteer Movement for Foreign Mission (S.VM.; gegründet Mount Hermon/Mass. 1886), eine kleine Gruppe von damals ungefähr fünfundzwanzig >MissionsFreiwilligenLehrer< Smiths. Vor allem dessen Buch The Natural and the Supernatural, von den damaligen Studenten unter dem Spitznamen Nat' sup als die theologische Systematik verehrt, wurde von Smith selbst als ei-
zuriickzukehren, scheiterte u. a. an ihrem inzwischen veralteten medizinischen Wissensstand und ihrer einseitig tropenmedizinischen Spezialisierung. Mit dem Umzug nach Halifax im Jahr 1973 begann sie eine bibliothekarische Ausbildung an der dortigen Universität und arbeitete nach erfolgreichem Abschluß als Bibliothekarin in der medizinischen Abteilung der Universitätsbibliothek; cf. Lynn Murphy, »From a China mission and tropical diseases to medical librarianship«, Dalhousie University News, April 14, 1977, 5. 11 Die sogenannten honours-Programme der nordamerikanischen Universitäten/ Colleges stehen leistungsmäßig herausragenden Studenten als zusätzliche Qualifizierung zum allgemeinen undergraduate-Studium offen. — Der Titel der Arbeit lautete » n ' p n p — a new Manuscript«. Eine Ausgabe befindet sich noch in Smiths Privatarchiv, wo sie vom Verfasser eingesehen werden konnte. Die Arbeit veranschaulicht Smiths damaligen Kenntnisstand in semitischer Philologie: er rekonstruierte anhand der philologischen Hilfsmittel eine unvokalisierte Textausgabe Kohelets, mit der er hoffte, ein sowohl ästhetisch-literarischen als auch wissenschaftlichen Kriterien genügendes, gut lesbares (!) Manuskript geschaffen zu haben. In dem von jugendlichem Selbstbewußtsein geprägten Vorwort schreibt er: »The accompanying manuscript is a work of art. [...] The masoretic Bible was produced for the pious; Kittel's for scholars; mine for the aestetes. [...] Science is of value only when used. In a sense, this is the first attempt to use the results achieved by Hebrew scholars [...]. I have spend long learning moons to be able to read Qoheleth in Hebrew; now I wish to read him. But the Hebrew of all previous texts is unreadable, unsightly, distracting - meant to be studied, not read. [...] n ' p n p , as I have learned to call him, I number among my friends.«
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
nes der prägendsten Bücher seines Lebens bezeichnet12. In der Orientalistik hatte er Gelegenheit, bei dem bekannten Islamwissenschaftler Hamilton A. R. Gibb (Oxford) zu studieren, zu dem sich bald ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte.13 In diese Zeit fällt auch die Heirat des nunmehr Dreiundzwanzigjährigen mit Muriel McKenzie Struthers (23. September 1939). Bereits vor der Heirat hatten die beiden geplant, gemeinsam eine Missionsaufgabe zu übernehmen. Es gelang Smith, das letzte Jahr seines auf drei Jahre angelegten Stipendiums in Cambridge für einen Indienaufenthalt umzuwandeln, und so brachen beide ins heutige Pakistan auf.
1.3. Mit dem kanadischen Missionsrat nach Indien/Pakistan. Promotion Smith wurde in dieser Zeit vom Canadian Overseas Mission Council zum »Repräsentant unter Muslimen« ernannt: damit war die nötige finanzielle Grundlage geschaffen, um den gemeinsamen Indienaufenthalt der Smiths über ein Jahr hinaus verlängern zu können. Diese Funktion innerhalb des kanadischen Missionsrates nahm er bis 1949 wahr, wobei er die meiste Zeit als Dozent für indische und islamische Geschichte am Forman Christian College in Lahore verbrachte (bis 1945), das zur University of the Panjab gehörte (formell war Smith auch mit der Henry Martin School of Islamic Studies in Aligarh verbunden, jedoch ohne dort zu lehren). Zur selben Zeit wurde er von der Unierten Kirche Nordindiens ordiniert.14 Nach Smiths eigener Auskunft muß Lahore zu dieser Zeit noch eine sehr unbeschwerte und »fröhliche« Stadt gewesen sein, die erst allmählich von religiösen und gesellschaftlichen Konflikten erfaßt wurde.15 In dieser Zeit entwickelten sich für ihn lose Kontakte und einige enge Freundschaften mit Muslimen, Sikhs und Hindus - vor allem Intellektuellen. Diese Freundschaften veränderten Smiths eigene religiöse Position nachhaltig. Zum einen entdeckte er existentiell die prinzipielle Unabgeschlossenheit und Vorläufigkeit aller dogmatischen Aussagen im Lichte verschiedenreli-
12
W. C. Smith, »Books that Shape Lifes«, The Christian Century 95 (1978), 549. Gibb betreute Smith bei seinen Forschungen am St. John's College; cf. Nicholson, op. cit., 131, und Oxtoby, RD, xii. 14 Die Ordination wurde nach seiner Rückkehr von der Presbyterianischen Kirche Kanadas anerkannt (1945); Smith blieb daraufhin 17 Jahre Geistlicher in dieser Kirche. — Cf. Oxtoby, ibd., xi. 15 Gesprächsnotiz vom 2.10.1989. - Cf. Oxtoby, ibd., xii. 13
1.3. Mit dem kanadischen Missionsrat nach Indien/Pakistan. Promotion
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16
giöser Erfahrungen Gottes. Zum anderen hatten ihm die immer heftiger werdenden religiös-politischen Auseinandersetzungen um die Zukunft dieses Teils Indiens - in die auch seine Freunde zum Teil verwickelt waren, und die schließlich zur Gründung Pakistans im Jahr 1949 führten - das Faktum religiöser Verschiedenartigkeit nachdrücklich bewußt gemacht. 1 7 Zeit seines Lebens wird Smith von nun an versuchen, diese Erfahrungsgrundlage interreligiöser Freundschaften akademisch (religions- und islamwissenschaftlich, später zunehmend theologisch) aufzuarbeiten, durch weitere Kontakte zu vertiefen und denkerisch einzuholen. Die Kategorie >Freundschaft< (bzw. >FreundeAnsatz< weiter präzisieren. An der Erklärung des Begriffs >sozialistisch< läßt sich seine damals noch ungebrochene sozialistische Zukunftserwartung besonders deutlich aufzeigen: »socialist pertaining to a society in which industry, agriculture, etc., are carried on in a planned and co-operative manner in the interest of all those who carry them on; in which the only form of wealth is in >consumption< goods, and in which power is democratically in the hands of all members of the society. Full socialist societies are a matter of the future, so that the definition of this word cannot be made decisively empirical. But the U.S.S.R. may be given as an illustration of one society in which the basis for socialism has already been laid, and which has been moving in the direction of socialism« (308). Smith hatte zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch keine Kenntnisse über die stalinistische Realität. 22 In seinem 1954 publizierten Pakistan as an Islamic State [PS] nimmt er seinen früheren Ansatz bei der gesellschaftlichen Dynamik zurück (34): er habe über die Konzentration auf externe Faktoren die spezifisch religiöse Komponente in der Geschichte Indiens/Pakistans vernachlässigt. Sein Bruder, Arnold, der gegen Ende des Krieges als Botschaftssekretär in Moskau tätig war (und den er für längere Zeit nicht gesehen hatte), hatte ihm in der Zwischenzeit seine marxistische Orientierung regelrecht ausgeredet. Teilweise wird dies reflektiert in der kurzen Passage über die marxistische Ideologie in PS, 87f, noch deutlicher aber in seinem 1965 publizierten
1.3. Mit dem kanadischen Missionsrat nach Indien/Pakistan. Promotion
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sung von Geschichte als »Prozeß«, und zwar als Fortschreiten auf ein besseres, >humanes< Zusammenleben, bis heute beibehalten - wenngleich der gesellschaftliche Aspekt zugunsten einer Betonung des >Persönlichen< immer stärker in den Hintergrund trat. Nach dem Kriegsende kehrte Smith für eine von Philip K. Hitti betreute Promotion am Department of (Mental Languages der Universität Princeton nach Nordamerika zurück. En passant erhielt er 1947 den Titel Master of Arts (Μ. Α.) und wurde 1948 mit einer Dissertation über die in Kairo herausgegebene islamische Monatszeitschrift Azhar Journal zum Doctor of Philosophy (Ph. D.) promoviert. In seiner Dissertation »The Azhar Journal: Survey and Critique« versuchte er, neben einer gründlichen inhaltlichen Darstellung und Analyse der seit 1930 erscheinenden Zeitschrift (Majallat al-Azhar), formale und inhaltliche Unterschiede zwischen der Zeit des ersten und des zweiten Herausgebers herauszuarbeiten23. Die Rockefeller Foundation (Humanities Division) verlieh Smith ein Forschungsstipendium, das ihm 1948/49 eine ausgedehnte Forschungsreise durch verschiedene islamische Länder ermöglichte. Er knüpfte neue Kontakte und hielt sich im Winter/Frühjahr 1949 auch wieder in Pakistan auf, wo er Informationen über neue Entwicklungen seit der Staatsgründung sammeln konnte (einige seiner Freunde sollten in der Folgezeit wichtige Amter in Erziehungswesen, Publizistik und Politik einnehmen)24. Die Gespräche aus dieser Zeit gaben einen Großteil der Hintergrundinformationen zu PS (und IH) ab.25 Seine Frau Muriel begleitete ihn auf dieser Reise nicht,
Modernisation of a Traditional Society [MS], wenn er schreibt: »In those days I was younger, of course, more naive and enthusiastic and with more bouyant optimism. [...] Some of us were, in addition, socialists, in the simple days before the devastation of the Stalin terror had become revealed, before Hungary, before Chinese imperialist aggression. Those were messianic days, with the brave new world just around the corner« (2). Cf. auch ibd. für eine deutliche Absage an die Basis-Überbau-Struktur (24). 23 Während die Zeitschrift unter dem ersten Herausgeber im wesentlichen an der Verkündigung des wahren Islams orientiert sei und sich vor allem an die G e i s t lichkeit wende, bewege sie sich unter dessen Nachfolger stärker im Rahmen apologetischer Auseinandersetzungen mit der Moderne und sei vorwiegend an interessierte Laien adressiert. Insgesamt liefert die Arbeit auch einen nach muslimischen Einteilungskriterien gordneten thematischen Index über die bis dahin erschienenen Ausgaben; Wilfred C.Smith, The Azhar Journal — Survey and Critique, Diss., Princeton University, 1948. — Die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit wurden in Smiths Islam in Modern History [IH], Kap. 3, aufgenommen. 24 Cf. Oxtoby, RD, xii. 25 Cf. die Anmerkung PS, 4. Diese Publikation wurde später in überarbeiteter Form in Smiths IH als Kapitel 5, »Pakistan: Islamischer Staat«, wiederabgedruckt.
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
sondern kümmerte sich zu Hause um den Sohn Arnold und die kurz zuvor geborenen Zwillinge Julian und Heather.
1.4. Professor für »vergleichende Religionswissenschaft« und Gründer des »Instituts für islamwissenschaftliche Studien« in McGill (Montreal) Nach einer längeren Zeit interdenominationeller Zusammenarbeit war 1948 in McGill eine Faculty of Theology gegründet worden, in der neben den Lehrstühlen für Altes und Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Religionsphilosophie und -psychologie, auch das Fach Vergleichende Religionswissenschaft (Comparative Religion) vertreten sein sollte.26 Mit der Berufung nach McGill im Jahr 1949 begann Smiths akademische Karriere auf dem nordamerikanischen Kontinent. Er wurde als Dreiunddreißigjähriger der erste W. M. Birks Professor of Comparative Religion - eine Position, die er vierzehn Jahre lang innehatte. Seine Antrittsvorlesung (8.12.1949) über »Das vergleichende Studium der Religion - Überlegungen zu Möglichkeit und Aufgabe einer Religionswissenschaft« [CS] stellt ein wichtiges Dokument dar, da er hier erstmals zu allgemein-religionswissenschaftlichen und im weitesten Sinne (religions-) wissenschaftstheoretischen Fragen Stellung bezieht. So formuliert er bereits hier die für seine personalistische Neuakzentuierung religionswissenschaftlicher Forschung charakteristische Grundthese, es gehe der Religionsforschung in erster Linie »nicht um Religionen, sondern um religiöse Personen«21. Der bisherige, an Glaubenssystemen orientierte, »äußerliche« Zugang sei inadäquat, weil er Religion als statische Idee auffasse; Religion müsse demgegenüber als »ein per26 Als Quellen für den geschichtlichen Werdegang der theologischen Fakultät (seit 1970: Faculty of Religious Studies), insbesondere für die uns hier interessierende Zeitspanne bis 1963, wurden benutzt: H. Keith Markell, The Faculty of Religious Studies, McGill University, 1948-1978 (Montreal: Faculty of Religious Studies, McGill, 1979); Stanley B.Frost, McGill University — For the Advancement of Learning, Volume 2, 1895-1971 (Montreal: McGill-Queen's University Press, 1984); sowie die Jubiläumsausgabe der Fakultätszeitschrift zum 40-jährigen Bestehen, ARC 16, Doppel-Nr. 1/2 (Autumn 1988), bes. die Beiträge von A. Sharma, R.W Stevenson (mit persönlichem Rückblick auf die Studienzeit bei Smith!) und D. R. Runnalls. — Eine Fülle von Material findet sich darüberhinaus in McGills außergewöhnlich gut katalogisiertem Archiv, im einzelnen auch zu Person und Wirken Smiths (v. a. als Direktor des von ihm gegründeten islamwissenschaftlichen Instituts), da ein Großteil seiner Akten (Korrespondenz, Kursbeschreibungen, Prüfungsfragen, etc.) geschlossen ins Archiv überführt wurden. 27 W. C. Smith, »The Comparative Study of Religion: Reflections on the Possibility and Purpose of a Religious Science« [CS], McGill University, Faculty of Divinity, Inaugural Lectures (Montreal: McGill University, 1950), 39-50; 53 (H. v.V.).
1.4. Professor für »vergleichende Religionswissenschaft« in McGill
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sönlicher und kreativer Akt« geschichtlich bedingter Menschen verstanden werden, andernfalls gäbe es keine Erklärung f ü r die sich ständig ändernde Geschichte der Religionen. 28 Auf den Lehrstuhl f ü r systematische Theologie war Robert H. L. Slater berufen worden, der mit seinen Erfahrungen im buddhistisch-christlichen Dialog 2 9 zu einem interessanten Gesprächspartner Smiths wurde. In den ersten drei Jahren hielt Smith eine religionswissenschaftliche Vorlesung pro Semester, wobei sich jeweils ein einführender und ein vertiefender Kurs in »Comparative Religion« abwechselten. 3 0 Gleich nach der Gründung der Fakultät war beschlossen worden, bestimmte Lehrveranstaltungen innerhalb der theologischen Fakultät auch für undergraduates in der Fakultät für Arts and Sciences zugänglich zu machen: u.a. auch Smiths Einführungskurse in die Religionsgeschichte, die er von 1950 an zusätzlich im College abhielt. Zusammen mit seiner Familie nahm er regelmäßig am Gemeindeleben einer unierten Gemeinde teil und lies 1961 auch seine Ordination auf die United Church of Canada (Abb.l) Wilfred Cantwell Smith 1951 übertragen. Smith bemühte sich von Anfang an um eine stärkere Einbindung religionswissenschaftlicher und besonders islamwissenschaftlicher Studien in das Kurrikulum der Universität. Bereits 1951 gelang es ihm, mit Hilfe einer Rokkefeller Stiftung ein islamwissenschaftliches Institut ins Leben zu rufen, das 28
Ibd., 51. Slater war vor seiner Berufung nach McGill längere Zeit Dozent fur Logik und Religionsphilosophie in Rangoon, Burma, gewesen. — Cf. Robert H. L. Slater, 29
Paradox and Nirvana: A Study of Religious Ultimates with Special Reference
to
Burmese Buddhism (Chicago: Univ. of Chicago Press, 1951). 30 Für eine genaue Auflistung seiner Lehrveranstaltungen siehe Anhang. — Den dreistündigen Einführungskurs in die Religionsgeschichte hat Smith in ähnlicher Form fast dreißig Jahre lang an den verschiedenen Stätten seines Wirkens gehalten. Er reflektiert darüber in einem Vortrag »Teaching the Introductory Course in Religion« vom 18.6.1985 anläßlich der Berkeley/Chicago/Harvard Conference in Berkeley, California, der demnächst publiziert werden soll [MIO],
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
er - parallel zu seiner Lehrtätigkeit in der theologischen Fakultät - als erster Direktor leitete. 31 Das Institute of Islamic Studies (IIS) trug demzufolge auch deutlich die »organisatorische Handschrift« Smiths. Zum einen war es seinen persönlichen Erfahrungen in Indien zu verdanken, daß der inhaltliche Forschungsschwerpunkt nicht, wie sonst üblich, ausschließlich auf der arabischen Welt lag, sondern von vorneherein die Frage nach gemeinsamen, kulturübergreifenden Faktoren muslimischer Identität von Westafrika bis Indonesien in den Blick nahm, und somit die damals gängige Verengung der Islamwissenschaft auf den arabischen Raum vorausblickend sprengte. Zum anderen, in organisatorischer Hinsicht, sorgte Smith für die grundsätzliche Regelung, daß Lehrkörper und Studentenschaft möglichst zu gleichen Teilen aus Muslimen und Nicht-Muslimen bestehen sollten. 32 Diese policy sollte institutionell absichern, daß westliche und muslimische Studenten durch einen, sowohl akademischen als auch persönlich-religiösen, Dialog zu »mutually acceptable descriptive formulations regarding Islam« gelangen konnten. 33 Wie sich noch zeigen wird, spiegelt sich hierin bereits eine der zentralen methodischen Forderungen von Smiths Religionswissenschaft. In diese Zeit fällt der Großteil von Smiths islamwissenschaftlichen Veröffentlichungen: meist weit verstreute Zeitschriftenaufsätze, insbesondere aber seine Monographie Islam in Modern History (11957), die - mehrfach 31
Cf. H. Κ. Markell, op. cit., 33f. Das Institut existierte innerhalb der Faculty of Graduate Studies and Research, war aber räumlich für längere Zeit in der theologischen Fakultät angesiedelt. Smiths Hauptziel war die Förderung »gegenseitigen Verstehens zwischen Islam und Christentum« bzw. »dem Westen«; cf. ibd., sowie J. Scott, »Islam at McGill«, McGill News 34:2 (1953), 7. - Cf. Smith, »The Istitute of Islamic Studies (McGill)«, The Islamic Literature 5 (1953), 173—176. 32 Kurzbeschreibung des Instituts im Vorlesungsverzeichnis (Calendar) 1952—53: »Ein kooperatives Unternehmen, in dem Lehrkörper und Studentenschaft aus Orient und Okzident sich versammeln, um den Islam als lebendige gesellschaftliche Kraft (living social force) zu verstehen und gemeinsam Forschungen über seine modernen Fortentwicklungen anzustellen« (197). — Bereits 1951 hatte Smith auf einer mehrwöchigen Reise (Türkei, Pakistan, Indien) versucht, muslimische Mitarbeiter in Lehre und Forschung sowie graduafe-Studenten für die Arbeit am IIS zu gewinnen. Durch die Rockefeller-Stiftung waren Reise- und Vollstipendien für muslimische Studenten ermöglicht worden. Cf. »McGill Islam Studies Head Will Leave Soon for Orient«, Montreal Gazette, August 9 t h (1951); ohne Seitenangabe in der Sammlung von Zeitungsausschnitten des McGill-Archivs gefunden (Scrapbook 12, 307). 33 Oxtoby, RD, xiv. — Charles Adams, Smiths Assistent und Nachfolger als Direktor des IIS, schreibt in einer Darstellung des Instituts 1965, daß es zu einem »echten Gemeinschaftsgefühl« und »persönlichen Beziehungen« zwischen den Beteiligten gekommen sei: »A former North American student once said that he had learned more of Islam from his experience of washing tea cups with a Muslim fellow· student than he had in his classroom experience«; in »Understanding the Muslim World«, McGill News 64:3 (1965), 15.
1.4. Professor für »vergleichende Religionswissenschaft« in McGill
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aufgelegt und in Arabisch, Schwedisch, Französisch, Deutsch, Indonesisch, Japanisch und Urdu übersetzt - zu einem islamwissenschaftlichen Klassiker wurde. Diese Arbeit ist direkt aus dem Forschungsschwerpunkt des Instituts (Islam als gegenwärtige, lebendige Kraft) hervorgegangen, wobei es Smith offensichtlich gelungen ist, mehrere hochqualifizierte Mitarbeiter und Gastprofessoren in die Arbeit des Instituts einzubeziehen34. Das Buch (IH) geht neben einem einleitenden historischen Vorspann auf die damalige Lage des Islams vor allem in vier Regionen ein: arabischer Raum, Türkei, Pakistan und Indien. Der Charakter einer Bestandsaufnahme der islamischen Welt, der dieser Veröffentlichung zu eigen ist, machte sie für längere Zeit zu einer verbreiteten Informationsquelle - was u. a. auch dazu führte, daß es als bisher einziges Buch Smiths ins Deutsche übersetzt wurde. Wenngleich er in McGill in erster Linie als Islamist publizierte, so zeigte bereits seine dortige Antrittsvorlesung - über Möglichkeit und Aufgabe der vergleichenden Religionswissenschaft (s.o.) - ein deutlich allgemein-religionswissenschaftliches und letztlich theologisches bzw. humanistisches Interesse. Die doppelte Verpflichtung an der theologischen Fakultät (als Leiter des Department of Comparative Religion) und am islamwissenschaftlichen Institut (IIS), die von vornherein einer fachwissenschaftlichen Verengung entgegenwirkte, verstärkte die disziplinübergreifende Arbeitsweise Smiths. Er war in dieser Zeit sehr besorgt darum, Möglichkeiten für einen persönlichen Austausch auf verschiedenen Ebenen zu schaffen. Smith organisierte Treffen mit seinen Kollegen in der theologischen Fakultät (sog. faculty talks), unter anderem über die Theologien Tillichs, Barths, Kraemers, und die damit zusammenhängenden religionstheologischen Fragestellungen.35 Ferner sorgte er für regelmäßige Zusammenkünfte der Studenten und Mitarbeiter des IIS, bisweilen auch im Hause der Smiths, wobei ihm jegliche Ermöglichung interreligiöser Begegnungen besonders am Herzen lag.36 34 Unter anderen: I.M. Husayni, Fazlur Rahman, Niyezi Berkes, Jacques D. J. Waardenburg, Toshihiko Izutsu, Ismail Faruqi, Charles Adams. 35 Diese Information verdanke ich S.B.Frost, dem ehemaligen Dekan der theologischen Fakultät (Gesprächnotiz vom 27.9.1989), sowie Jacques D. J. Waardenburg, der Anfang der sechziger Jahre am IIS war, als Smith gerade die Endredaktion seines ME vorbereitete (Gesprächsnotiz vom 13.10.1989). 36 Bezeichnend ist hier seine Beschreibung des »Departments of Comparative Religion« (der Organisationseinheit, die er innerhalb der theologischen Fakultät leitete): Das Department »arbeitet mit der Überzeugung, daß eine andere Religion als die eigene, wenn Uberhaupt, nur dann verstanden werden kann, wenn die gewissenhafte Kenntnis ihrer Institutionen, Begriffe und Geschichte ergänzt wird durch die Wahrnehmung dessen, was diese persönlich für die Anhänger der betreffenden Religion bedeuten. Demzufolge werden Angehörige der zu studierenden Glaubensweisen (faiths) ermutigt, an den betreffenden Kursen und Seminaren teilzunehmen« (= Aktenkopie einer auf August 1957 datierten, gedruckten Beschreibung, die offensicht-
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
Seit 1959 tritt Smith dann auch verstärkt als allgemeiner Religionswissenschaftler an die Öffentlichkeit. Sein 1963 erschienenes Buch The Meaning and End of Religion: A New Approach to the Religious Traditions of Mankind [ME], eine historische Studie zum Religionsbegriff in der abendländischen Geistesgeschichte, sollte sich in der Folgezeit als Smiths religionswissenschaftlicher Klassiker erweisen37. Es ist dasjenige Buch, mit dem Smith am bekanntesten wurde - auch über die Grenzen speziell islam- oder religionswissenschaftlicher Forschung hinaus. Zusammen mit dem Aufsatz »Comparative Religion: Whither - and Why?« [CR], der 1959 in dem weithin bekannten methodologischen Sammelband The History of Religions: Essays in Methodology (herausgegeben von Mircea Eliade und Joseph M.Kitagawa)38 erschien, liegt mit diesem Buch Smiths persönlicher methodologischer Neuentwurf von »vergleichender Religionswissenschaft« vor. Nimmt man noch die Antrittsvorlesung vom 30. September 1964 in Harvard [SC]39 hinzu, so ergibt sich bereits das thematische Gerüst der weiteren begriffsgeschichtlichen und religionstheologischen Forschung, die in seiner »Trilogie« über den Glaubensbegriff (BH, FB, WT; 1977-81) einen vorläufigen Abschluß gefunden hat. Dieser Neuansatz religionswissenschaftlicher Forschung kann dahingehend charakterisiert werden, daß Smiths Erfahrungen und Bemühungen um die Schaffung interreligiöser Lernsituationen nun zu zwei präzisen methodischen Forderungen nach einer Personalisierung der Religionswissenschaft erhoben werden: [1] »Es kann kein religionswissenschaftliches Untersuchungsergebnis Gültigkeit besitzen, wenn es nicht von den Anhängern der betreffenden Religion anerkannt werden kann. [...]
lieh als Informationsblatt bzw. als Aushang verwandt wurde; McGill-Archiv: IIS, Director's Records). — Seine Ankündigung zum graduate-Seminar über religiösen Pluralismus (Registr.-Nr. 103), das er in der Zeit von 1952-62 mehrfach gehalten hatte, endete im kommentierten Veranstaltungskalender stets mit der Anmerkung: »Dieses Seminar wird nur dann stattfinden, wenn Angehörige von mindestens zwei unterschiedlichen religiösen Traditionen teilnehmen« (cf. Anhang). — Cf. CR, Anm. 18 (d244f„ e39f.). 37 Das Buch erfuhr seither — »already a modern classic of religious studies« (John Hick, in seinem Vorwort 1978) — mehrere Auflagen. 38 Chicago: Univ. of Chicago Press, 1959; — deutsche Übers, als Grundfragen der Religionswissenschaft: Acht Studien (Salzburg: O. Müller, 1963), cf. 75—105, 239-256 (Anmerkungen). 39 »Mankind's Religiously Divided History Approaches Self Consciousness«, Harvard Divinity Bulletin 29 (1964), 1-17; - deutsche Übersetzung in Rudolf Thomas (Hg), Religion und Religionen: Festschrift für Gustav Mensching zu seinem 65. Geburtstag (Bonn: L. Rohrscheid, 1967), 190-208.
1.4. Professor für »vergleichende Religionswissenschaft« in McGill
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[2] »Es ist die Aufgabe der vergleichenden Religionswissenschaft, Aussagen über Religionen zu erarbeiten, die zumindest innerhalb zweier religiöser Traditionen gleichzeitig verstanden werden können.« 40
Ein weltweites interreligiöses Gespräch wird hier als (sachgemäßer) Ausgangspunkt und (eigentliches) Ziel der Religionswissenschaft angegeben. Die Religionswissenschaft müsse ihre unbeteiligte >Außenperspektive< aufgeben und das Verhältnis von Religionsforscher und Forschungsgegenstand aus seiner Versachlichung befreien - hin zu einer im Dialog gründenden »gesamtmenschheitlichen Selbstbefragung«. Es sollten begriffliche Kategorien gefunden werden, die z.B. zugleich von Hindus, Christen und der akademisch-wissenschaftlichen Tradition benutzt werden könnten. Damit entwickle sich die Religionswissenschaft allmählich zum »disziplinierten Selbstbewußtsein« des unabgeschlossenen religiösen Lebens der Menschheit - einer Menschheit, in der einige sich als Muslime verstehen, andere als Christen, und wieder andere als Buddhisten. Die tiefere Begründung für diese Thesen liefert ME, in dem Smith den ursprünglichen Sinn des Begriffs >Religion< als »Glaube« bzw. »Frömmigkeit« bestimmt. Demnach muß der irreführende Begriff >Religion< aufgegeben werden - so das Resultat seiner Begriffsstudie - , da er v. a. im Gefolge von Aufklärung und Säkularisierung zu einseitig auf beobachtbare, »äußerliche« Gegebenheiten (System von Dogmen, Institutionen, Riten, etc.) verweist.41 Das Zentrum der Religion liege jedoch im »persönlichen Glauben«, der existentiellen Beziehung des Menschen zur göttlichen Transzendenz hinter den Manifestationen. Diesen persönlichen Glauben (faith) einzelner Menschen 40
CR, d87 u. 98, e42 u. 52. Smith verweist in einer Anmerkung zu der letzten These explizit auf die Regelungen des Promotionsverfahrens in McGill (Anm 41, d 253f, e 52f): Nach den dort gültigen Regeln reiche es nicht aus, lediglich die Form westlicher Wissenschaft auf die Substanz muslimischer Tradition anzuwenden. Die Kandidaten sollten nicht nur bezüglich der Form »die Anforderungen eines westlichen Doktorates erfüllen, sondern auch eine Arbeit vorweisen können, die der islamischen Tradition gerecht wird ... Es gehört zu den Aufgaben des Institutes, ... neue Formen zu entwickeln, ... die weder die westliche wissenschaftliche noch die islamische Tradition verleugnen oder verzerren. Das Forschungsergebnis sollte beiden Traditionen entsprechen und für beide Bedeutung und Überzeugungskraft besitzen ... [Die] Doktorarbeit sollte von beiden Traditionen als Fortschritt anerkannt werden können.« — Dasselbe gelte für die Vergleichende Religionswissenschaft mit der Erschwernis, »daß an den Kandidaten die Anforderung gestellt wird, drei Traditionen zu entsprechen: der Tradition der westlichen Wissenschaft und den Traditionen mindestens zweier Religionen. Im Falle lebender Religionen müßte eine Doktorarbeit damit sie approbiert werden kann — außer anderen Erfordernissen zu entsprechen, Prüfer zufriedenstellen müssen, die jede der betreffenden Traditionen vertreten« (ibd.). — Cf. hierzu auch das Vorwort zu IH, wo sich Smith selbst zu diesen Forderungen verpflichtet ( d 8ff, e viff). « ME, 50 u. 153.
42
Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
(in einer ganz bestimmten Zeit) zu verstehen, sei die Aufgabe der Religionsforschung. Nur dann kann begreiflich werden, wie und warum sich die beobachtbaren Gegebenheiten einer religiösen Gemeinschaft verändern (»kumulative Tradition«), und welche Funktion sie für das Verständnis von >Welt< in den Augen der Betroffenen besitzen. Statt des starren, idealistischen - und ständig zur »Reifizierung« unwirklicher, statischer Größen wie >Buddhismus< oder >Christentum< verführenden - Begriffs >Religion< schlägt Smith daher vor, das bipolare Konzept von personal fcäth und cumulative tradition in die Religionswissenschaft einzuführen; es werde der facetten- und beziehungsreichen Geschichte menschlicher Religiosität gerechter.42 Smiths Engagement in McGill hatte dazu geführt, daß ein islamwissenschaftliches Institut ins Leben gerufen worden war, das durch seinen akademischen Standard und sein dezidiert interkulturelles Forschungsziel schon innerhalb kurzer Zeit große Beachtung in der Wissenschaft und in der muslimischen Welt fand.43 Smiths ganzer Einsatz für eine echte Begegnung und gegenseitige Befruchtung zwischen Orient und Okzident, sowie sein rigoroses Beharren auf begrifflich korrektem gegenseitigen Verstehen, führten auch zu entsprechenden Beiträgen jenseits der religions- und islamwissenschaftlichen Fachwelt: von einer Rundfunkserie über den »Glauben anderer Menschen«44, über die Korrektur gängiger Falschbezeichnungen wie Mohammedaner^5, kritische Leserbrief-Zuschriften zu einseitig-verzerrenden Nachrichten über Ereignisse in der muslimischen Welt46, bis hin zu einem 42
Cf. v.a. das Schlußkapitel (»Conclusion«), ME, 193ff. — Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Smiths Lektüre von Taftäzänis Kommentar zu einem mittelalterlichen >Glaubensbekenntis< (cf. unten Abs. 2.3.4.), die ihm einen entscheidenden Anstoß zu seiner eigenen Theoriebildung im Bereich des religiösen Pluralismus lieferte; seit seiner Begegnung mit diesem Text 1950 hielt er regelmäßig Seminare zum Thema »Glaube im Islam« ab, in denen Taftäzänis Kommentar besonders eingehend behandelt wurde (cf. Auflistung im Anhang). 43 Cf. S. Β. Frost, op. cit., 283f. Neben der Tatsache, daß das Institut recht schnell zu einer Anlaufstelle für muslimische Forscher wurde, sei erwähnt: die Einladung Smiths (zusammen mit Rektor James) zur Feier des Unabhängigkeitstags in Indonesien durch den Staatspräsident Sukarno 1957 (Smith berichtet darüber in »Independence Day in Indonesia«, McGill News 39:1, 1957, 23f.), der Besuch des Schahs 1965 (cf. McGill News 46:3, 1965, 12-15), und die finanzielle Unterstützung durch Rockefeller- und Ford-Foundation sowie durch die Ismailiten (Aga Khan). 44 Sieben Rundfunkvorträge aus dem Jahr 1962, später veröffentlicht in The Faith of Other Men [FM] (New York: New American Library, 1963). In mehreren Auflagen erschienen, wird das Buch bis heute oft zur einführenden Lektüre in religionskundlichen Lehrveranstaltungen nordamerikanischer Colleges verwendet. 45 Interview mit Smith in dem Artikel von J.Scott, »Islam at McGill«, McGill News 34:2 (1953), 57. 46 Leserbrief (ca. 3 Schreibmaschinenseiten, in voller Länge abgedruckt) auf einen in der Tat anti-arabischen, mit einseitigen Urteilen und anti-kommunistischen
1.4. Professor für »vergleichende Religionswissenschaft« in McGill
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langen Vortrag über die »intellektuelle Aufgabe des Bibliothekswesens« in Bzug auf muslimische Veröffentlichungen 47 sowie einer Predigt über die christlich-theologische Bedeutung der asiatischen Religionen 48 . Die gewissenhafte und stimulierende Aufmerksamkeit, die er seinen Studenten widmete, schenkte ihm eine Reihe dankbarer >Schüler< aus dieser Zeit. 49 Aber auch die theologische Fakultät blieb von Smiths Arbeit in der religionswissenschaftlichen Abteilung geprägt, was sich unter anderem in dem Namenswechsel zu »Faculty of Religious Studies« (1970) und dem weiteren Ausbau des Department of Comparative Religion zeigte. 5 0
Emotionen gespickten Artikel (»Three Arab Kings Put West On Spot«) von O. Clausen in der Montreal Gazette (January 30 t h , 1957); gefunden im McGill-Archiv, IIS Director's Records. 47 Smith beklagt hier vor allem die nordamerikanische Tendenz, Veröffentlichungen aus dem muslimischen Raum den Standard-Klassifikationsmerkmalen westlicher Bibliotheks-Systematik zu unterwerfen, und beschreibt in einigen eindrücklichen Beispielen aus der Arbeit des IIS, welche Probleme sich ergeben, bzw. welcher intellektuellen Anstrengungen es bedarf, eine bessere, »sinnvollere« Klassifikation zu entwerfen; »The Intellectual Role of Librarianship«, abgedruckt in The Librarian Quarterly 35 (1965), 283-294, mit anschl. Diskussion, 294-297. - Dem Verfasser wurde verschiedentlich mitgeteilt, daß die ursprüngliche Bibliotheks-Systematik (einschließlich Schlagwort-Katalog) des IIS, auf die Smith große Energie verwendet hatte, mittlerweile zum großen Teil wieder den Standardkriterien unterworfen worden ist. 48 »The Christian and the Religions of Asia«, gehalten am 9.8.1959 auf einer Konferenz in Ontario; abgedruckt in Changing Asia. Report of the 28th Annual Couchiching Conference (Toronto: Canadian Institute on Public Affairs, 1959), 9—16. - In einem Brief an den Verfasser vom 18.12.1988 schreibt Smith, daß dies seit seiner Rückkehr von Indien der erste theologische Versuch war, die Erfahrungen im Kontakt mit andersreligiösen Freunden aufzuarbeiten. Der überwältigende positive Zuspruch danach habe ihm erst den Rücken gestärkt, von nun an stäker religionstheologisch zu arbeiten; cf. auch Oxtoby, RD, xi. 49 R.W.Stevenson berichtet u.a., welche Mühe Smith auf die Korrektur von Seminararbeiten verwandte: Er prüfte sorgfältig jede einzelne Anmerkung auf formale und inhaltliche Richtigkeit der Angaben, und nahm sich anschließend viel Zeit, die Gesamtargumentation zu diskutieren; ARC 16:1&2 (McGill, Faculty of Religious Studies) 45. Diese Genauigkeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Studenten wurde dem Verfasser allerorts (von ehemaligen Schülern oder Kollegen) bestätigt; nicht selten habe sich ein Kommentar zu einer ca. 25-seitigen Arbeit selbst auf annähernd 15 Seiten belaufen. — In McGill sind von Smiths Schülern R.W.Stevenson und Arvind Sharma tätig, letzterer in Religionswissenschaft (zusammen mit Katherine Young). 50 Nicht nur die bleibende Bedeutung von Comparative Religion im Zusammenhang mit theologischer Arbeit, sondern auch die grundsätzliche Orientierung an religionsvergleichender bzw. -übergreifender Arbeit und zeitgenössischen Phänomenen gehen, bis hin zu manchen institutionalisierten Regelungen zum Studienbetrieb, auf Smith zurück. - Cf. S. Β. Frost, »The Faculty and the Colleges, 1948-1988«, ibd., 17-20.
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
Smiths ehemaliger Kollege Robert H.L. Slater wurde im Sommer 1963 von seinem Posten als Professor für »Weltreligionen« in Harvard (Cambridge/Mass.), den er seit 1958 bekleidet hatte, emeritiert. Smiths Reputation im Bereich interkultureller und interreligiöser Kommunikation führte dazu, daß er als Nachfolger auf diesen Lehrstuhl - mit dem zugleich die Leitung des »Zentrums für das Studium der Weltreligionen« verbunden war - berufen wurde. Smith nahm an, nutzte jedoch mit seiner Familie die Zeit bis zum Amtsantritt (1964) für einen einjährigen Studienaufenthalt in Indien.
1.5. Professor für »Weltreligionen« und Direktor des »Center for the Study of World Religions« in Harvard (Cambridge/Mass.) Mit achtundvierzig Jahren folgte Smith dem ehrenvollen Ruf nach Harvard. Das Center war als Institution innerhalb der theologischen Fakultät gerade sechs Jahre alt.51 Mit der Berufung Slaters als erstem Professor für Weltreligionen war zugleich die formelle Gründung des Centers [CSWR] einhergegangen (1958), die eine Begegnung von Vertretern verschiedener Religionen ermöglichen sollte. Mit der Einweihung des endgültigen Gebäudes in der Francis Avenue (1960), gegenüber der Divinity School, war die (bis heute bestehende) räumliche Voraussetzung geschaffen, Angehörige verschiedener Religionen, meist Ph. D.-Studenten, zu einer interreligiösen Lebens- und Studiengemeinschaft zu vereinen. Mit den obigen Ausführungen dürfte bereits klar geworden sein, daß diese Situation kongenial zu Smiths eigenem approach war52, lieferte sie doch genau das von ihm intendierte >ExperimentierfeldDialoge< stärker im Zusammenhang christlicher Theologie stattfinden
51 Einen ersten Überblick Uber die Geschichte der Religionswissenschaft in Harvard bietet William R. Darrow in seinem Vortrag »The Harvard Way in the Study of Religion«, Harvard Theological Review 81 (1988), 215—234. Ferner liefern einzelne Exemplare des Bulletin — Center for the Study of World Religions wertvolle Hinweise für die Entwicklungsgeschichte des Zentrums, sei es durch Berichte aus der laufenden Arbeit oder durch >Rückblicke< ehemaliger Mitglieder. Cf. insbesondere die Hintergrundinformationen zur Entstehungsgeschichte des Centers bei K. W. Morgan, »The Establishment of the Center«, Bulletin CSWR, Summer 1977, 2-14. 52 Cf. R. W. Stevenson, op. cit., 46.
1.5. Professor für »Weltreligionen« und Direktor des CSWR in Harvard
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sollten. Smith und seine Familie hatten selbst regen Anteil an diesem Austausch, da sie ebenfalls im Center wohnten. 5 3 Smiths Bemühungen auf institutioneller Ebene galten einerseits Ausbau und Strukturierung des in der Arts and Sciences-Fakultät angesiedelten Ph. D.-Programms in Comparative Religion, zum anderen aber auch einer stärkeren Berücksichtigung von religionswissenschaftlichen Studienangeboten innerhalb des undergraduate-Kurriku\ums derselben Fakultät. 54 Was die akademische Reputation des CSWR anging, mußte Smith gewissermaßen zwischen zwei Fronten kämpfen: zum einen galt es, den Wert des dort Verhandelten gegenüber manchen theologischen Bedenken innerhalb der Divinity School zu verteidigen, zum anderen schien e s nicht immer einfach g e w e sen zu sein, den wissenschaftlichen Charakter und die akademische Notwendigkeit von Comparative Religion gegenüber dem Argwohn der - sich als säkular verstehenden - Fakultät für Arts and Sciences zu sichern. Bevor Smith die Nachfolge Slaters antrat, hatte sich das Center noch nicht recht im Bewußtsein der theologischen Fakultät etabliert. Angeregt durch die Stifter des Centers lag einer der Schwerpunkte auf dem vergleichenden Studium religiöser >Praxis< der Weltreligionen - »something that would involve living contact with people« 55 . Die Stiftung des Centers geht im wesentlichen
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Cf. Oxtoby, RD, xiv. Obwohl das Center institutionell der Divinity School angeschlossen war, rekrutierte sich seine Studentenschaft (incl. Bewohner) fast ausschließlich aus dem Ph. D.-Programm der Arts and Sci'ences-Fakultät (Kurse in World Religions damals für das Theologiestudium fakultativ). Dies geht aus einem von Smith verfaßten »Interim Information Memo« des CSWR vom Januar des Jahres 1965 hervor (CSWRArchiv, memo 39). Noch 1977 beklagt John Carman denselben Mangel an Aufgeschlossenheit seitens der theologischen Studentenschaft; »Reflections on the Center«, Bulletin - CSWR, Fall 1977, 18f. - Diese Situation hat sich offensichtlich erst mit der Umstrukturierung des Kurrikulums der Divinity School 1981 geändert, wonach der vergleichenden Religionswissenschaft ein weitaus größerer Raum zugebilligt wird als zuvor: Das Gebiet »Weltreligionen« wird nun als Arbeitsgebiet 3, neben Scripture and Interpretation (1) und Christianity and Culture (2), zum — obligatorischen (!) — »Kontext« christlicher Theologie bestimmt (cf. unten Abs. 1.7.). Smiths Bemühungen um eine angemessene Berücksichtigung religionsvergleichender Studien für undergraduates mündeten schließlich 1974 in die Einrichtung eines Studienbereichs Comparative Religion bzw. Comparative Study of Religion (kein eigenes Studien/ach, sondern lediglich honors-Schwerpunkt). Bereits seit 1966 hatte er seinen religionsgeschichtlichen Einführungskurs HR 101 auch für undergraduates des Colleges als HUM 11 zugänglich machen können; ab 1967 standen weitere Kurse des Studiengebietes »The Study of Religion« auch für undergraduates offen; — cf. die Liste seiner Veranstaltungen im Anhang. 55 John Carman in einem Interview: »CSWR — A religious network in a secular world«, Religion and Society [Suppl. to the Harvard Univ. Gazette], 27 March, 1987, 7. — Im Vorlesungsverzeichnis lautete der Untertitel zum Studienbereich »Weltreligionen» bis 1964 ausdrücklich Including the Faith and Practice of Contemporary 54
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auf eine reiche, ältere Dame (»the little Lady«) zurück, die zusammen mit einer Gruppe von Freunden und Freundinnen auf eine spirituelle Erneuerung der Gesellschaft hoffte. 56 Die Mitglieder dieser New Yorker Gruppe hatten sich verschiedentlich auch mit »devotional writings« der Weltreligionen befaßt. Als die »little Lady« von dem Spalding-Lehrstuhl für Weltreligionen (Radhakrishnan) in Oxford hörte, wollte sie mit dem (ihr anvertrauten) ansehnlichen Erbe der Gruppenmitglieder etwas ähnliches ins Leben rufen. Zunächst dachte sie an eine Bibliothek religiösen Schrifttums aus Asien und an »a place where people could come together to discuss religious ideas«.57 Ihre Vorstellungen von einem religiösen »Laboratorium«, in dem Menschen aus unterschiedlichen Traditionen »Religion nicht nur studieren, sondern auch praktizieren, und sogar mit verschiedenen Meditations-, Gottesdienstund Andachtsformen ihrer Wahl experimentieren könnten«,58 setzte sie mit der Stiftung von Chapel House an der Colgate University und der Stiftung des Centers in Harvard in die Tat um.59 Dementsprechend befand sich im Center auch ein allen zugänglicher, gemeinsamer Andachts- oder Meditationsraum. Dies, sowie die bislang ungewohnte ständige An- und Abreise von Vertretern verschiedener religöser Gemeinschaften (in Slaters Zeit besonders einige durch ihre Kleidung >auffällige< buddhistische Mönche) brachten dem Center bald den abschätzigen Spitznamen »God's Motel« ein. Smith verwandte einige Mühe darauf, dem Center diesen etwas unwissenschaftlichen Ruf zu nehmen, der u. a. auch in der Vermutung gründete, hier werde theologisch unreflektiert auf eine gemeinsame Frömmigkeitspraxis abgezielt.60 Man kann die von Smith durchgesetzte Umwandlung des MeditatiWorld Religions, — nach Smiths Ankunft wurde er bezeichnenderweise in Including Comparative Religion and Comparative Faith umgewandelt. 56 K.W.Morgan, »The Establishment of the Center«, op. cit. 2ff. 57 Ibd., 5. 58 Ibd., 6. - Diese inhaltliche Vorstellung, so freireligiös und optimistisch sie zunächst anmuten mag, wirkt angesichts des ursprünglich unitarisch-universalistischen und transzendentalistischen Hintergrunds der Harvard Divinity School vielleicht weniger ungewöhnlich. 59 Ibd., 6f. — In der Folgezeit wurde das Center durch den Nachlaß der Dame sowie durch Stiftungen zweier >Freundinnen< großzügig unterstützt (ibd., lOf). 60 Smith hat 1966 eine eigene Beschreibung über Idee, Aufgabe und Arbeit des Centers verfaßt, die offensichtlich als Informationsbroschüre veröffentlicht wurde (cf. bereits die Ankündigung memo 39, CSWR-Archiv, vom Januar 1965). Das sechsseitige Manuskript (memo 305, CSWR-Archiv) formuliert wiederum einige grundlegende >Interessen< von Smiths Religionswissenschaft: >Konsensfähigkeit< der Theoriebildung für verschiedene Traditionen gleichzeitig (einschl. outside observers und participants)·, als »neue Aufgabe« der Religionsforschung (des Centers) wird die Konzentration auf »relationships« bzw. »interrelations« zwischen den bisher allzu disparat konzeptualisierten Gemeinschaften und religiösen Sachverhalten angegeben; Zielperspektive ist das »striving towards an intellectual understanding of hu-
1.5. Professor für »Weltreligionen« und Direktor des CSWR in Harvard
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onsraums in einen Seminar- und Studierraum (und die gleichzeitige S c h a f fung e i n e s Gemeinschaftsraums) beinahe als symbolischen Akt begreifen, da s i e für s e i n vorrangiges Interesse an einem wissenschaftlich fundierten interpersonalen Austausch b e z e i c h n e n d ist. 6 1 - Obwohl das Center als Institution innerhalb der theologischen Fakultät der Idee nach z u einer schen
theologi-
Auseinandersetzung mit den Weltreligionen beitragen sollte, blieb e s
in den sechziger/siebziger Jahren für den Großteil der Studenten und Prof e s s o r e n dieser Fakultät »eine e t w a s s e l t s a m e und unbekannte Größe auf der anderen Straßenseite« 6 2 , w a s dazu führte, daß die Frage nach der christlich-theologischen
Bedeutung des religiösen Pluralismus kaum direkt
a n g e s p r o c h e n und ihre Beantwortung immer weiter a u f g e s c h o b e n wurde. 6 3 In seiner Antrittsvorlesung in Harvard hatte Smith die Agende für künftige religionswissenschaftliche Forschung wie folgt bestimmt: aufbauend auf (1) den historischen Informationen
über die religiösen Traditionen der
Menschheit, m ü s s e sich die Religionsforschung um (2) ein interprétatives Verstehen
d e s jeweils zugrundeliegenden »persönlichen Glaubens« b e m ü -
hen, oder, anders g e s a g t , den inneren
Sinn der äußeren
Formen zu erschlie-
man religiousness as a whole«, wobei auch die beitragenden Einzeldisziplinen in ein sinnvolles >Ganzes< integriert werden sollen; schließlich biete auch die Lebensgemeinschaft des Centers formelle (weekly colloquium) und informelle Anlässe zu interreligiösem Austausch (cf. Anm. 90). 61 Smith sprach anläßlich einer Einladung ins Center 1975 (nach seinem W e g gang nach Dalhousie) über diesen Vorgang: »When we arrived, it was a Meditation room. It had been built as a kind of common place for worship, with what the architects decided was the one symbol common to all communities: namely, light. [...] Anyway, we shifted it from a Meditation room to being a Seminar room [...]. The point was not simply that the other was not being much used as a Meditation room, or worship center. More than that, on principle the purpose of the Center was not, we felt, symbolized by a common centre of worship. On the contrary, the Center recognizes both in f a c t and in theory that people worship in different ways and in different places [...] and that having gone each to our own place, we come back and may still be friends« (Bulletin CSWR, March 1975, 8f.). 62 Carman in »Reflections on the Center«, Bulletin - CSWR, Fall 1977, 16-21, 18. — Die Einrichtung des Centers als Betriebseinheit innerhalb der theologischen Fakultät, jedoch vorwiegend mit der Ausbildung von humanwissenschaftlichen Doktoranden befaßt, war nicht unproblematisch. Die Diskussion über Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von der theologischen Fakultät tauchte immer wieder auf. Smith selbst hätte Aussagen ehemaliger Studenten zufolge lieber die theologische Fakultät als Teil des Centers augefaßt — sozusagen als ein Fall der weltweit zu studierenden Religiosität des Menschen. Dies wird zumindest teilweise durch eine Notiz Smiths vom 4. Oktober 1978 über die Frage »Is the Center for the Study of Religions part of the Divinity School?« bezeugt, wo er viel Mühe auf die Darstellung verwendet, daß das Center in keinem Fall der Divinity School untergeordnet sei, sondern »in gewisser W e i s e parallel dazu« existiere (CSWR-Archiv, memo 87). 63 Cf. William Darrow, op.cit., 232.
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Kap. 1 - Einführung in Leben und Werk
ßen suchen, um schließlich (3) auf der Ebene der Generalisierung »allgemeine Aussagen über die Religiosität des Menschen als solche« - nämlich den Glauben als universale Eigenheit und »nature of religion« - wagen zu können. 64 Die einzelnen Religionsgemeinschaften müßten demnach in einem gemeinsamen weltweiten Kontext als verschiedene Ausdrücke gemeinmenschlicher Religiosität verstanden werden. Je mehr sich die Religionsgemeinschaften selbst in dieser Weise als einzelne Glieder einer allgemeinen Religionsgeschichte verstünden, desto näher kämen sie Gottes eigener Sicht der weltweiten Heilsgeschichte. 65 Smith kann daher betonen, daß »in der vergleichenden Religionswissenschaft das vielgestaltige Bewußtsein des Menschen von seinem sich entwickelnden religiösen Leben zu einer eigenen Disziplin erhoben« werde: »Erziehung wird zum Einüben in das dynamische Selbstbewußtsein der Menschheit«.66 Laut eigener Angabe 67 machte Smith erst in der Zeit um 1964 die Entdeckung, daß der arabische Ausdruck für >Glaube< (iman) nicht mit »belief«, sondern mit »faith« zu übersetzen sei. Die Wurzeln dieser Einsicht reichen bis in die Anfänge seiner Arbeit in McGill zurück, als er das erste Mal mit Taftäzänis mittelalterlichem Kommentar über ein muslimische Glaubensbekenntnis< von al-Nasafi befaßt war. 68 Dieselbe Betonung des »inneren Glaubens« als faith - gegenüber Gimbensinhaüen (beliefs) - führte auch schon in ME zu der bereits angeführten Unterscheidung von »Glaube« und »kumulativer Tradition«. Signifikant ist in dieser Zeit auch der Übergang von der Verwendung des Wortes »Glaube« sowohl im Singular als auch im Plural (faiths - als Äquivalent für >ReligionenBelief< [...] I suggest might be better rendered >Faithindirekten< Zugänge zur Religionswelt anbieten. Das Department sollte daher einen breitgefächerten und vergleichenden Zugang zur Religionsgeschichte verfolgen und möglichst bald ein religionswissenschaftliches Hauptfach (major) für undergraduates betreuen können. Während der ersten beiden Jahre in Dalhousie war Smith einziges Mitglied des Departments; 1975 stießen Ravi Ravindra, eigentlich ein Physikprofessor in Dalhousie, als associate professor und der soeben in Chicago promovierte Kirchengeschichtler Tom Sinclair-Faulkner als assistant professor hinzu. Ab 1977 wurde ein undergraduate major in Religionswissenschaft angeboten. Was dürfte Smith bewogen haben, sich nach Nova Scotia zurückzuziehen, um lediglich ein kleines College-Programm in Religion zu betreuen, wo er doch in Harvard, bei ausgezeichneten Forschungsbedingungen, fast ausschließlich Magisterkandidaten und Doktoranden als Studenten hatte? Oxtoby verweist auf den geringeren Arbeitsaufwand im administrativen Bereich, der es Smith nun erlaubte, mehr Zeit auf die schriftliche Ausarbeitung seiner Forschungen zu verwenden als es bisher möglich gewesen war. Auch Smiths eigene Aussagen gehen in diese Richtung. Die Schriften BH, FB sowie WT, die erst während seiner Lehrtätigkeit an der Dalhousie-Universität in Halifax fertiggestellt wurden, sind somit eigentlich als Ergebnisse seiner knapp zehnjährigen Tätigkeit in Harvard aufzufassen. Der dezidiert multireligiöse Kontext der Arbeit des Centers war die institutionelle Voraussetzung für die Stimulation seiner akademischen Neigungen gewesen, die in Smiths »Trilogie« ihren Niederschlag fanden. 73 Das kleine Department in Dalhousie
73
In seinem »Reflecting on the Center« — zwei Jahre nach dem Weggang von Harvard — sagt er ausdrücklich: »[...] in ten years here, I learned so much that I decided that I had better go away and get it all down to paper, and tell the world about it, rather than just go on learning endlessly« (op. cit., 4). Cf. dazu FB, χ (»Acknowledgements«): »The work may in significant part be interpreted as a product of the Center for the Study of World Religions«. — Eine zusätzliche Erklärung liefert die
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Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk
eignete sich als »Elfenbeinturm« 74 hervorragend für die Abfassung dieser Bücher, zumal die zeitaufwendige Betreuung von gradwafe-Studenten und Doktoranden nunmehr entfiel. 7 5 Belief and History [BH], Smiths erste größere Studie zum Glaubensbegriff, wurde 1977 publiziert, und geht im wesentlichen auf die 1974/75 g e haltenen Richards-Lectures an der University of Virginia zurück; Smith will dort eine für sein gesamtes Werk entscheidende Grundthese belegen, die e s kurz zu skizzieren gilt. Gegenüber der »modernen Auffassung«, die religiös e s >Meinen< oder >Für-wahr-Halten< (believing) als religiösen Zentralbegriff benutzt, erweise sich vielmehr faith als die fundamentale religiöse Kategorie. 7 6 Smith erhebt gegen einige Vertreter der sprachanalytischen Philosophie den grundsätzlichen Vorwurf, diese Denker würden dem Phänomen religiöser Sprache nicht gerecht, wenn sie sie (im Gefolge naturwissenschaftlicher Wirklichkeitsauffassung) lediglich als Abfolge logischer S ä t z e begreifen wollten. Ihr Vorwurf, religiöse Sprache sei bedeutungslos, stelle zwar eine notwendige Konsequenz dieses fatalen Ansatzes dar, gehe jedoch an der menschlichen Wirklichkeit der Religionen völlig vorbei, weil er dem
(für Smiths Persönlichkeit typische) Smith-Halifax-story, die dem Verfasser während seiner Forschungsreise mehrmals begegnet ist. Demzufolge soll ein aus dem Orient stammender Doktorand Smiths nach erfolgreichem Abschluß seiner Promotion mit dem Gedanken gespielt haben, aus bestimmten Gründen lieber im Westen zu bleiben. Smith habe ihm das auszureden versucht, vor allem mit der Begründung, daß seine interkulturelle Kompetenz und sein akademisches Know How in seiner Heimat wesentlich dringender gefordert seien als hier. Im Anschluß an dieses Gespräch habe sich Smith — eingedenk seiner kanadischen Herkunft - auf seine eigene Verantwortung besonnen, und habe noch am selben Tag die Zusage für Dalhousie gegeben. — Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Geschichte wurde von Smith persönlich bestätigt (mündlich). Auch wenn sie sicherlich keinen Alleinerklärungsanspruch für den Wechsel nach Dalhousie erheben darf, zeigt sie wiederum recht deutlich, welche wichtige Rolle >moralische Korrektheit in Smiths Denken und Handeln spielt (cf. bereits oben, Anm. 5). — Die Bezeichnung »Trilogie« für die Schriften BH, FB und W T stammt von Smith selbst: »I call it so; the three volumes are formally quite distinct, but have converging theological impingement, explicit in the last«; W. C. Smith, »Theology and the World's Religious History«, in L. Swidler (Hg.), Toward a Universal Theology of Religion (Maryknoll: Orbis, 1987), 51-72 (Zit.: 55). 74 »I came here from Harvard precisely in search of an ivory tower«; Brief vom 15. September 1976 an den kanadischen Kirchenrat (Archiv, Dept. of Religion, Dalhousie). Obwohl W T erst 1981 erschien, war die schriftliche Ausarbeitung bereits kurz vor der Arbreise nach Harvard (1979) fertiggestellt worden. 75 Anfragen nach der Möglichkeit von graduate-Studien in Dalhousie mußte Smith während seiner Tätigkeit als Direktor des Departments stets mit dem Hinweis beantworten, daß etwas Derartiges weder vorhanden noch geplant sei (cf. Korrespondenz seit 1974 im Archiv, Dept. of Religion). 76 So Smith im Vorwort (ohne Seitenangabe) zu seinem Belief and History (Charlottesville: Univ. of Virginia Press, 1977).
1.6. Direktor des »Department of Religion« in Dalhousie
53
durch religiöse Sprache transportierten >Glauben< keine Beachtung schenkt. Smith führt daraufhin mit einer Fülle akribisch dokumentierter Belegstellen den Nachweis, daß sich sowohl die konnotative als auch die denotative Bedeutung im Wortfeld belief/believe vom Mittelalter bis heute entscheidend gewandelt haben: von affirmativer Wertschätzung, Vertrauen und Liebe (idg. Wteubtö) - hin zu theoretischer Meinung oder unbewußter presupposition, mit deutlicher Konnotation von Falschheit (ζ. B. belief in ghosts). Bezüglich der Sprachregelungen in der neutestamentlichen Rede von >Glaube/glauben< (gr. Vpist), und stellt fest, daß die Übersetzung mit »belief/believe« zwar für die King James Version des siebzehnten Jahrhunderts (1611) möglich gewesen sei, heute jedoch zunehmend im Sinne eines propositionellen Wahrheitsverständnisses mißverstanden werde. Folglich müßten die Übersetzungen in »faith« korrigiert werden. Gerade der neutestamentlich Befund zu Glaube (cf. BH, 90) bestärke ihn als vergleichenden Religionswissenschaftler in der Suche nach einem »Allgemeinbegriff von Glaube« (concept of faith as a generic qualify)11 So kommt Smith schließlich zu dem Ergebnis: »I am insisting that faith is one of the human virtues, like courage and loyality; and if we are to understand human religious life we should re-learn to see it so«; Glaube (faith) ist eine »universale Qualität«, sogar »die letztgültige (final) menschliche Qualität« (BH, 92f). Stand in seinem BH vorwiegend der negative Befund bezüglich des Begriffs >belief< im Vordergrund, so widmet er sich in seinem zwei Jahre später erschienenen Buch Faith and Belief [FB]78 noch stärker dem religions- und kulturvergleichenden positiven Aufweis eines allgemeinmenschlichen Vermögens >faithbelieve< im Englischen. Den Abschluß bildet eine längere Zusammenfassung seiner Auffassung von der Kategorie >Glaube< als »essential [sic!] human quality«19. In diesem Buch, das Smith ausdrücklich als ein Produkt des Centers< versteht (FB, x), steckt ein Großteil seines Lebenswerks. Der knapp 170 Seiten umfassende Text wird von 157 Seiten enggedruckten 77 BH, 90. — Diese Vorstellung von faith (als religionsgeschichtlicher Allgemeinbegriff) wurde bereits in ME grundgelegt (cf. ME, 170ff), in FB (und BH) mit umfangreichen Belegen versehen und in W T schließlich als Ausgangspunkt einer >weltweiten Religionstheologie< akzeptiert (Untertitel WT: »Faith and the Comparative History of Religion«!); cf. BH, 125 (Anm. 30). 78 Princeton: Princeton University Press, 1979. 79 FB, 129 (Η. v. V.); unter »weltweiter Perspektive [...] manifestiert sich Glaube als fundamental-menschliche Qualität« (ibd.). Eine gekürzte deutsche Übersetzung des Conclusion-Teils von FB liegt jetzt vor (Pubi. 116): Reinhold Bernhardt (Hg), Horizontüberschreitung. Die pluralistische Theologie der Religionen (Gütersloh: 1991), 156-174 (Zit.: 156).
54
Kap. 1 - Einführung in Leben und Werk
Anmerkungen ergänzt, in denen Smith eine beeindruckende Fülle von Belegstellen bewältigt hat. Towards a World Theology [WT]80, der dritte Band seiner »Trilogie«, geht von dem Faktum der allgemeinmenschlichen Religiosität (>faithklassische< Texte (Bhagavad Gïtâ, al-Gazâlïs Autobiographie, etc.) zurückschrauben mußte, da seine jetztigen undergraduate-Studenten noch nicht über umfangreiche philologische und religionshistorische Kenntnisse verfügen konnten.82 Wie bereits in McGill und Harvard, sind Smiths Ideen auch hier in der Beschreibung des Departments wiederzufinden. Die Darstellung der Aufgabe des Departments im Vorlesungsverzeichnis 1973/74 - also kurz nach seiner Berufung - liest sich regelrecht wie eine Kurzfassung der Smithschen religionswissenschaftlichen Programmatik: »The study of religion as a phenomenon in human history is the attempt to know and to interpret the data of religious life. The aspiration is to achieve such knowledge and such interpretation as will do justice simultaneously both to the meaning that the data have had for those persons to whom they have been religiously significant, and to the academic tradition within which the university study of religion lies [Zusatz 1974/75: which includes the critical analysis of outside observers] . The intellectual understanding of a more than intellectual reality in human
80
London: Macmillan, sowie Philadelphia: Westminster Press, 1981. Auffällig ist hier die nähere Bezeichnung seines Einführungskurses als »Introduction to Religious Man« (1973/74, 75/76) bzw. »Introduction to Homo religiosus« (74/75), da sie eine (normativ) anthropologische Auffassung vom Wesen des Menschen nahezulegen scheint (cf. dazu Eliades Religionsauffassung). 82 Cf. dazu wieder die Auflistung der Lehrveranstaltungen im Anhang. 81
1.7. Professor für »Comparative History of Religion« in Harvard
55
life constitutes a challenge; a successful rising to it would enhance human selfconsciousness at perhaps its most central point.« 83 Smith hatte den Kontakt zu Harvard nie abbrechen lassen. Er hielt zwei bis drei Seminare als Gastprofessor, zum Beispiel über Theology in World Perspective (Herbst 1977). Auf Betreiben des damaligen Dekans der Fakultät für Arts & Sciences wurde Smith zum Wintersemester 1978/79 wieder nach Harvard berufen: ein Ruf, den er nach anfänglichem Zögern gerne annahm, weil sich damit die Herausforderung verband, einen allgemein-religionswissenschaftlichen Ph. D.-Studiengang innerhalb der Fakultät für Arts & Sciences zu etablieren.
7.7. Professor für »Comparative History of Religion« und Vorsitzender interdisziplinären Kommitees »The Study of Religion« in Harvard
des
Smith wirkte von nun an in Harvard (bis zu seiner Emeritierung 1984) als Professor für Comparative History of Religion und Leiter des interdisziplinären Kommittees The Study of Religion. Neben seinem religionsgeschichtlichen Einführungskurs, den er seit 1981 unter dem Titel Faith as a Human Quality: A Comparative-Historical Introduction84 ankündigte, lehrte er wieder über Historical Interrelations Among Religious Traditions und gab islamwissenschaftliche Veranstaltungen zum Thema The Meaning of Faith for Muslims sowie über The Civilization of Islam. Seit dem Erscheinen von W T (1981) läßt sich bei Smith außerdem eine stärkere Tendenz zu theologischen Veröffentlichungen feststellen. 8 5 83
Zitiert nach dem Calendar der Dalhousie University, Faculty of Arts & Science 1972/73, 101. - In etwas geänderter Fassung, aber nicht weniger charakteristisch, lautet der Text im Calendar νon 1976/77 an bis heute (1990): »The university study of religion aims at an intellectual understanding of this more than intellectual reality. Religion is a phenomenon virtually universal in human society and history; some have held that it is central to the human experience. Understanding involves grasping simultaneously both the meaning of faith in the lives of participants, and the critical analysis of outside observers. Both the student who wishes to enhance his or her understanding of religion as an historical and social human fact, and the student who wishes to wrestle with problems arising in academic reflection, concerning the relation between the personal and the objective, will find material to engage them in the courses described below.« — Seit 1987 trägt das Department auf Initiative Tom Sinclair Faulkners den Namen »Comparative Religion«. 84 So der Titel für die theologische Fakultät; innerhalb der >säkularen< Fakultät für Arts and Sciences wurde der Kurs unter der Bezeichnung Introduction to the History of Religion angeboten; cf. die Liste der Lehrveranstaltungen im Anhang. 85 Cf. die systematisch-chronologische Übersicht zu Smiths Werk im Anhang — sowie die Publikationen Nr. 99, 107, 108, 110, 112 und 114.
56
Kap. 1 — Einführung in Leben und Werk Mit seiner Berufung war der Auftrag verbunden, das Ph. D.-Programm
der Fakultät für Arts an der Divinity
and Sciences
School
neu zu strukturieren. Gleichzeitig wurde
ein n e u e s Kurrikulum entworfen, das z u einer Neu-
einteilung der einzelnen Disziplinen und einer obligatorischen Berücksichtigung
von
religionswissenschaftlichen
Lehrstoffen
im
Theologiestudium
führte. 8 6 An der Planung und Durchführung beider Reformvorhaben war Smith maßgeblich beteiligt. 8 7 Die nach einem Modell »konzentrischer Kreise« erfolgte Gliederung der theologischen Ausbildung (Abschluß: M. Div. und Th. D.) piaziert die traditionellen theologischen Fächer seit 1981/82 explizit in einen mit »Religions
of the World«
benannten religionsgeschichtlichen
»Kontext«. 8 8 D i e vierfache Aufgabenstellung d i e s e s Arbeitsbereichs verleiht der (oben skizzierten) Programmatik von CS erneut institutionellen Ausdruck: (a) in historischer
Hinsicht sollen die Studierenden in die L a g e
v e r s e t z t werden, andersreligiösen »world views and w a y s of life« mit Verständnis z u b e g e g n e n ; 8 9 (b) in vergleichender
Hinsicht soll die »menschliche
Religiosität insgesamt« (human religiousness
as a whole)
Forschungsgegen-
stand werden, wobei einerseits besonders die »historischen Verbindungen« (historical
86
connections)
z w i s c h e n religiösen Gemeinschaften, andererseits
Die beiden Programme sind personell und institutionell ohnehin miteinander verwoben: das Ph. D.-Programm wird von dem Standing committee aus Fakultätsmitgliedern von Arts & Sciences und Divinity School betreut; der Th. D. wird zwar im Rahmen der Divinity School erworben, wobei über die Area III aber auch allgemein-religionswissenschaftliche Lehrveranstaltungen verpflichtend sind. 87 Smiths Beiträge können v.a. anhand des CSR-Archivs erhoben werden, das eine relativ gut dokumentierte Sammlung von Smiths Korrespondenz, Memos, und anderen schriftlichen Unterlagen bietet. 88 Area I: Scripture and Interpretation beinhaltet als innerster Kreis die biblischen Fächer, berücksichtigt dabei aber auch die allgemeine Rolle heiliger Schrift (en) in jüdisch-christlichen und anderen Traditionen. Area II: Christianity and Culture beherbergt Kirchengeschichte und systematische Theologie (praktische Theologie wird in diesem Curriculum nicht zu einer eigenen Disziplin erhoben, sondern findet als applied dimension aller Einzeldisziplinen Berücksichtigung). Area III: Religions of the World, der »most inclusive circle«, »places Christianity in the context of human religious life as a whole through the historical and comparative study of world religions. It is concerned with developing sympathetic understanding of significant religious alternatives to Christianity and with the challenges and resources these alternatives offer contemporary Christian thought and practice«; zit. nach den Announcements der Harvard Divinity School 1981/82, 8f. 89 Announcements 1981/82, op. cit., 89 (»Statement of Purpose«); Smiths Vision von der Verständigung zwischen (zwei) verschiedenen religiösen Traditionen und der wissenschaftlichen Tradition (cf. CS) findet sich hier in folgendem Hinweis: »In this process members of religious communities other than the Christian also may be given illuminating perspectives on their traditions, perspectives provided by members of their own communities conversant with Western scholarship in religion as well as by scholars studying those communities from the outside« (ibd.).
1.7. Professor fiir »Comparative History of Religion« in Harvard
57
aber auch »offensichtliche Ähnlichkeiten«, »strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede« behandelt werden; (c) in normativer Hinsicht sollen diesbezügliche theologische - dogmatische und ethische - Beurteilungsmöglichkeiten (judgements of truth and value) bedacht werden; (d) in praktischdialogischer Hinsicht liegt das Ziel darin, »to prepare for and engage in interreligious colloquy90«; insgesamt soll Area III eine »christliche intellektuelle Isolation« angesichts des multireligiösen Weltkontexts überwinden helfen. 91 Die Richtlinien für das Ph. D.-Programm in The Study of Religion sind allgemeiner gehalten und lassen großen Raum für persönliche Spezialisierungswünsche. Lediglich die Rahmenvorstellung spiegelt Smiths Handschrift etwas deutlicher: zum einen wird (a) kompetente Spezialisierung in einem (innerhalb bestimmter Optionen) bestimmbaren Bereich gefordert, die einerseits (b) in ihrem jeweils partikularen kulturellen und historischen Kontext eingebettet sein soll und andererseits (c) im Rahmen der »allgemeinen menschlichen Religiosität« verstanden werden muß. Als >Optionen< für die Spezialisierung werden drei genannt: vergleichendes Studium (mind, zweier Traditionen), eine einzelne Tradition bzw. geschichtliche Größe, Religion und ein verwandtes Gebiet (Religionspsychologie, o. ä.).92 Auf diesem Hintergrund und angesichts des bereits unter 1.5. Verhandelten wird verständlich, wenn Smiths Nachfolger und ehemaliger Schüler William Graham feststellt: »Smith [...] was the major force over [...] twenty years in shaping the current direction of doctoral studies in religion at Harvard.«93 Seine Vorstellungen von der interrelatedness und continuity zwischen den 90 Smith zieht »colloquy« (in der Bedeutung >gemeinsamen GesprächsEinfuhrung in die Religionsge94 William Graham und Diana Eck, beide ehemalige Schüler Smiths, haben seine Nachfolge im Committee übernommen. Diana Eck wurde zudem als Leiterin der Dialog-Abteilung des Weltkirchenrats berufen. Am Center ist M. David Eckel, ebenfalls ein ehemaliger Schüler Smiths, als Associate Professor der Divinity School tätig. — Für die inhaltliche Kontinuität zwischen den bisherigen drei Leitern des Centers (R. L. Slater, W C. Smith, J. B. Carman) siehe William Jackson, »Tradition is our friend, truth our master: Harvard's Centre for the Study of World Religions«, World. Faiths Insight (N.S.) 22 (1989), 39-45. - Als Nachfolger Carmans wurde 1990 der Eliade-Schüler Lawrence E. Sullivan berufen. 95 »CSWR — A religious network in a >secular< world«, op. cit. (oben, Anm. 55), 7. 96 Cf. W. Darrow, »The Harvard Way in the Study of Religion«, op. cit. (oben, Anm. 51), 232: »At Harvard there has always been an undercurrent of what I used to call >representationalism< (everyone representing a tradition), which remains deeply at odds with our focus on the individual in creative interaction with his or her tradition« (zusätzlich stelle sich die Frage nach der Berechtigung, eine bestimmte, >zufällige< Person als »normative spokesman for a particular tradition« anzusehen). — Kritiker außerhalb Harvards sprechen (v. a. hinsichtlich des Centers) sogar abfällig von einem »Zoo-approach« vergleichender Religionswissenschaft (mündliche Tradition). 97 In einer Ansprache vor der Canadian Society for the Study of Religion hat er sich bereits 1967 zu seinem Verständnis von akademischer >Religionslehre< geäußert;
1.7. Professor fur »Comparative History of Religion« in Harvard
59
schichte< genannt, weil er damit keinen oberflächlichen »Uber-Blick« (survey) vermitteln wollte, sondern die Studenten »in etwas einführen« wollte: »Certainly I conceive my course as endeavouring to lead the students [...] to inside the religious experience of their fellow human beings around the world and across the centuries«. 98 In erster Linie geht es ihm um ein Verstehen" der >Religionsgeschichte< 100 als weiterandauerndem Prozeß menschlicher Religiosität, an dem »wir« alle »beteiligt sind« (participate)·, insofern möchte er das »Selbstbewußtsein« der Studierenden als Beteiligte »heben«: »A goal of the whole exercise is to elicit a s e n s e among the students of our participating in a long, and by any standard major, human process«. 1 0 1 - Es sei daher persönlich »eines der größten Komplimente« g e w e sen, als ihm ein begabter undergraduate-Student nach dieser Lehrveranstaltung eröffnete: »Mein Hauptfach ist Mathematik. Von den Vorlesungen in »The Teaching of Religion: Academic Rigour, and Personal Involvement« [M5]. Ausführlicher ist der obern erwähnte Vortrag auf einer gemeinsamen Tagung der religionswissenschatlichen Fakultäten Harvard, Berkeley und Chicago über religionswissenschaftliche Hochschuldidaktik (Berkeley, 18.6.1985), der demnächst — allerdings in erheblich gekürzter Fassung — publiziert werden soll: »Teaching the Introductory Course in Religion« [MIO]; die folgenden Zitate und Seitenangaben beziehen sich auf dieses Manuskript. Nach Smiths Verständnis ist dieser »Einführungskurs« der »wichtigste Kurs des Departments« und wurde deshalb auch (von R. Bellah) zum »foundational course« des religionswissenschaftlichen Studiums in Harvard gemacht (3). 98 MIO, 9. 99 »Understanding [...] is one of my favourite concepts« (ibd., 9f). Die zugänglichen »Daten der Traditionen« würden regelrecht »benutzt«, um die »Personen und Gruppen zu verstehen, für die sie [...] bedeutsam waren« (ibd.). — Smith versuchte, eher interpretierend mit dem Material umzugehen, und die Vermittlung grundlegenden Faktenwissens der studentischen Lektüre zu überlassen. Die abschließenden Vorlesungsprüfungen bestanden in der Regel aus drei Teilen (>gemischter Testheiliger Schriften< (cf. die summer-seminars in Harvard) sollte nach seiner Emeritierung weitergeführt werden und möglichst bald in eine Publikation münden. Die Smiths kehrten nach Kanada zurück und leben seither in Toronto, unweit vom Campus der Universität.104
1.8. Die Zeit nach der Emeriüerung: Senior. Killam Research Fellow und Gasprofessor an der Universität von Toronto (Ontario). Smith erhielt ein /ïïWam-Stipendium des Canada Councils (1984-86), um sein Scripture-Projekt in Ruhe verfolgen zu können. Zur selben Zeit wurde er als Ehrenmitglied einer der theologischen Fakultäten von Toronto (Trinity College) aufgenommen. Gesundheitliche Probleme verzögerten zunächst den Fortgang der Arbeit; dennoch wurden bereits einige wichtige Thesen in Artikeln und Vorträgen vorgestellt.105 Smith will das allgemeine Phänomen >heiliger Schriften< (as a generic term) in einem weltweiten Kontext als Ausdruck einer »bemerkenswerten menschlichen Tendenz« verstehen, »bestimmte Texte auf eine >sakraskripturale< (>scripture-likereligionsgeschichtlichen< Bibel- und Koraninterpretation; cf. die Publikationen Nr. 46, 62 und 86. Cf. zum Problem heiliger Schriften unten, Abs. 3.3.3. (Der ursprüngliche Arbeitstitel der Studie lautete: Scripture — Towards a New Understanding, Global and Historical)
1.9. Zusammenfassung. Tabellarischer Lebenslauf und Bio-Grafik
61
106
dein«. Nach ungefähr zehn Jahren konnte die Arbeit jetzt (1993) unter dem Titel What is Scripture? [WS] veröffentlicht werden 107 . Die bereits in seiner >Trilogie< anklingende Tendenz zu einer religionsanthropologischen Vision (homo religiosus im Sinne von homo credens) scheint hier in Richtung einer allgemeinmenschlichen Fähigkeit zur Produktion >heiliger Schrift e n ausgeweitet oder >angewandt< zu werden. In diese Zeitspanne fallen auch einige neuere theologische (bzw. religionstheologische) Aufsätze, in denen Smith unter anderem eine Auseinandersetzung mit Karl Rahners Theorie des >anonymen ChristentumsProgrammatik< im Gefolge seiner World Theology110 sowie eine missionstheologische Besinnung zum religiösen Pluralismus 111 vorgelegt hat.
1.9. Zusammenfassung.
Tabellarischer Lebenslaufund
Bio-Grafik
Zusammenfassung Blickt man am Ende dieser biographischen Einführung auf Smiths Werk zurück, so lassen sich bereits einige grundlegende Vorlieben und thematische Schwerpunkte seines Schaffens zusammenfassend herausstellen. 112 - Der ursprünglich dezidierte Sozialist Smith hat sich, ausgehend von der konkre106 Aus der Ankündigung des summer seminars für College-Lehrer über »Scripture: Its Nature and Evolving Role«, Harvard, 25.6.-17.8.1984 (CSR-Archiv, memo 454a). - Aufbauend auf historischen Einzelfällen soll das Seminar durch ein vergleichendes Verfahren schließlich auf ein allgemeines »concept of scripture, and of the human in relation to scripture« zusteuern (ibd.). 107 London: SCM Press, 1993 (cf. dazu unten, Abs. 3.3.3.). - Nach Smiths eigenen Angaben wird es definitiv sein letztes Buch bleiben (Brief an den Verfasser vom 27. Januar 1994). 108 »The World Church and the World History of Religions: the theological issue«, Catholic Society of America: Proceedings 39 (1984), 52-68. 109 »Theology and the Academic Study of Religion«, The Riff Review (Denver, Col.) 44:3 (1987), 9-18. HO »Theology and the World's Religious History«, Leonard Swidler (Hg), Toward a Universal Theology of Religion (Maryknoll, N.Y.: Orbis, 1987), 51-72. m »Mission, Dialogue, and God's Will for Us«, International Review of Missions 77 (1988), 360-374 (= Themenheft »Tambaram Revisited«). lî2 Cf. Α. Grünschloß, »Ein Religionswissenschaftler auf dem Weg zur >WeltTheologieBegegnung< und >Befruchtung< auf allen Ebenen seines institutionellen Wirkungsbereichs: das Institute of Islamic Studies und vor allem das Center for the Study of World Religions sind untrennbar mit seinem Namen verbunden. In diesem >personalistischen< Zusammenhang hat er Glaube als Zentrum menschlicher Religiosität - im dialektischen Gegenüber zur kumulativen Tradition - bestimmt. Diesen Glauben (faith) galt es vom Mißverständnis bloßen >Meinens< oder >Für-wahr-Haltens< (belief) zu befreien. Die These vom ubiquitären Vorhandensein persönlichen Glaubens in den verschiedensten Traditionen der Menschheit führte ihn schließlich zu einer zusammenfassenden Integration, der Vision einer, aus den verschiedenen Glaubensweisen heraus entstehenden, allgemeinen Weittheologie. - Insgesamt hat sich dabei der Schwerpunkt seines Forschens zunächst von der Islamwissenschaft auf die vergleichende Religionswissenschaft, später zunehmend auf die (Religions-)Theologie verlagert. Will man anhand des besprochenen Materials versuchen, bereits einen grundlegenden Impetus in Smiths bisherigem Leben und Werk zu bestimmen, so könnte man formulieren: es geht ihm durchgängig darum, die Religionsgeschichte (besser: religiöse Menschen) vor dem vergegenständlichenden Zugriff unpersönlicher Forschung zu bewahren, weil allen religiösen Phänomenen ein persönlicher >Glaube< und eine existentielle menschliche Wahrheit zugrundeliegen, die vor dem propositionalen Wahrheitsverständnis der >Moderne< gerettet werden müssen.113 Wenn dies gelingt, erweist sich die vergleichende Religionswissenschaft als >Geburtshelferin< eines neuen Zeitalters in der Evolution der Menschheit: das Zeitalter eines gemeinschaftlichen, weltweiten religiösen Selbstbewußtseins des Menschens, das alle parochialen Egozentrismen geschlossener Systeme< hinter sich läßt. Die inhaltliche Darstellung, Entfaltung und Analyse dieser werkimmanenten Bewegung von einer sozialgeschichtlichen Islaminterpretation zur teilnehmend-verstehenden Rekonstuktion islamischen Glaubens, sowie von
113 Eine ähnliche Charakteristik lieferte bereits Huston Smith, »Faith and its Study: W h a t Wilfred Cantwell Smith is against, and for«, Religious Studies Review 7 (1981), 306-310 (cf. 307).
1.9. Zusammenfassung. Tabellarischer Lebenslauf und Bio-Grafik
63
der Kritik des Religionsbegriffs über die Kritik des Glaubensbegriffs hin zur universalen Welttheologie114 wird in den folgenden Kapiteln zu leisten sein. Zwei abschließende Überblicke. - Das bisher Erarbeitete soll zunächst in einer tabellarischen Chronologie von Smiths Werk übersichtlich zusammengestellt werden; wichtige Auszeichnungen und Gastvorträge wurden ebenfalls in diese Übersicht aufgenommen. - In der Bio-Grafik wurde versucht, die entscheidenden Wendepunkte und Entwicklungslinien in Smiths Werk schematisch zu veranschaulichen. Zentrale Publikationen wurden mit Inhalten verknüpft, um das werkimmanente Gefalle von sozialgeschichtlichem Zugang (>externalsverstehende< und >personalistische< Religionsforschung (>internals