Reli – keine Lust und keine Ahnung? [1 ed.] 9783666720055, 9783525720059


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German Pages [265] Year 2019

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Reli – keine Lust und keine Ahnung? [1 ed.]
 9783666720055, 9783525720059

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Reli keine Lust und keine Ahnung?

Jahrbuch der Religionspädagogik

Herausgegeben von Stefan Altmeyer / Bernhard Grümme / Helga Kohler-Spiegel /  Elisabeth Naurath / Bernd Schröder / Friedrich Schweitzer

Reli – keine Lust und keine Ahnung? Jahrbuch der Religionspädagogik (JRP) Band 35 (2019) herausgegeben von Stefan Altmeyer, Bernhard Grümme, Helga Kohler-Spiegel, Elisabeth Naurath, Bernd Schröder, Friedrich Schweitzer

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © marekuliasz/shutterstock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-72005-5

Inhalt

Schlaglichter Interview mit dem Abiturienten Ben N. zur Bedeutung der »Holyge Bimbel« (Elisabeth Naurath) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Zwischen Ablehnung, Desinteresse und Glaube – Erfahrungsbericht einer Berufseinsteigerin zur Schülerschaft des Religionsunterrichts heute (Julia Dietsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Auf dass wir uns nicht allzu viel einbilden … (Marcin Morawski) . . . . 16 Interdisziplinäre Perspektiven Kein Interesse am Unterricht – ein Grundproblem von Schule? Ein Versuch (Peter Fauser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Ist Interesse geweckt, läuft das meiste von selbst – Interesse und Desinteresse im und am Religionsunterricht (Anton A. Bucher) . . . . . . 34 Wen der Religionsunterricht nicht erreicht und wie er sich darum ändern müsste – Schülerwahrnehmungen zum Religions- und Ethikunterricht im Vergleich (Golde Wissner und Friedrich Schweitzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Ach, ist doch bloß Reli! Ist der Religionsunterricht selbst schuld daran, wenn man ihn nicht ernst nimmt? (Rudolf Englert) . . . . . . . . . . . 62 Konturen weltanschaulicher Heterogenität – religionssoziologische Perspektiven auf die weltan­schau­lichen Profile religiöser und säkularer Jugendlicher angesichts zunehmender Konfessionslosigkeit (Ulrich Riegel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht? (Monika E. Fuchs) . . . 92 Religionsdistanz als Herausforderung im Spiegel religions­didaktischer Ansätze (Bernd Schröder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

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Inhalt

Didaktische Konkretionen Das ist für alle relevant!? Religionsunterricht mit Religionsdistanten (Claudia Gärtner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Religionsunterricht mit Kindern ohne religiöse Sozialisation – Impulse für den Religionsunterricht in der Grundschule (Susanne Schwarz und Ulrike Witten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Religionsunterricht mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern in Ostdeutschland (Michael Domsgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Welche Kompetenzen brauchen Religionslehrkräfte im Umgang mit religionsdistanten Schülerinnen und Schülern? (Manfred L. Pirner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sprachhürden erkennen und abbauen: Wege zu einem sprachsensiblen Religionsunterricht (Stefan Altmeyer) . . . . . . . . . . . . . . 184 »Wege aus dem Niemandsland?« – Aspekte einer zeitgemäßen Bibeldidaktik auch für Religionsferne (Mirjam Zimmermann) . . . . . . . . 197 Potenzielle Religiosität. Subjektorientierte Religions­pädagogik im Umgang mit religiösen und nicht-religiösen Lebensdeutungen (Gundula Rosenow) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Wie gelingt Berufsschulreligionsunterricht? Eine persönliche Perspektive (Claudia Märkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Religionsunterricht mit konfessionslosen und reli­gions­distanzierten Schülerinnen und Schülern – mögliche Strategien aus der Sicht der Lehrerausbildung (Wolfgang A. Kasper) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Bilanz Reli – keine Lust und keine Ahnung? Eine Zwischenbilanz (Helga Kohler-Spiegel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Schlaglichter

Interview mit dem Abiturienten Ben N. zur Bedeutung der »Holyge Bimbel«1 Elisabeth Naurath

Ich kann mich an folgende Situation erinnern: Du bist mit ein paar Freunden (ihr wart damals 17 Jahre) nach Hause gekommen und ihr habt völlig begeistert in der Holyge Bimbel geblättert und gelesen. Was war der Grund? Ja, das war einfach so, dass es irgendetwas ja Neuartiges, Krasses – um nicht zu sagen Rebellisches – war, diese Bibel, die man schon von der Kindheit her kennt, die mit so einer Ernsthaftigkeit von den Eltern behandelt wurde, auf einmal so ja schon fast kabarettistisch aufgeführt wird, in dieser Jugendsprache, die damals sehr viral gegangen ist – gerade auch im Internet. (Pause) Es gab viele Videos dazu und jeder hat irgendwie diese Jugendsprache an sich genommen. Aber dass es ein ganzes Buch danach gibt oder gab, das war einzigartig und als das dann noch die Bibel war, das war einfach sehr witzig und amüsant. Es sind genau die Geschichten wie aus der Bibel – nur in einer modernen Sprache und mit modernen Mitteln übersetzt oder: was heißt moderne Sprache? Einfach in diese Jugendsprache, die damals aktuell war. Was meinst Du, warum empfinden viele Jugendliche heute die Holyge Bimbel als so cool? Besonders cool ist die Holyge Bimbel einfach dadurch, dass sie sich perfekt in die heutige Zeit integriert. Es sind keine Geschichten, die jetzt nur 2000 Jahre alt sind. Also klar, die kommen auch vor, sonst hätte es ja keinen Bezug mehr zur Bibel. Aber es sind halt sehr moderne – ich sag mal Insiderwitze der jugendlichen Generation enthalten, z. B. verschiedene Worte wie die Larrys oder ja, dass Michael Jackson vorkommt … Darf ich hier mal nachfragen was heißt denn z. B. die Larrys? Halt jetzt nicht so die Machos, sondern halt – keine Ahnung – die einfachen Leute, die den Großen, die Ahnung haben, hinterherlaufen wie die Jünger quasi.

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Shahak Shapira, Holyge Bimbel. Storys vong Gott u s1 Crew, Hamburg 52017.

Interview mit dem Abiturienten Ben N. zur Bedeutung der »Holyge Bimbel«

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Aha. Und dann gibt es ja so einige Abkürzungen in der Holyge Bimbel, so wie »WTF«. Was bedeutet denn das? What the fuck. Was für ein Scheiß. Aber was ich eigentlich vorhin meinte mit den modernen Insiderwitzen, die nur die Jugendlichen verstehen, dass einfach auch Prominente, vor allem auch aus Deutschland, genannt werden, z. B. die Bibis Beauty Palace und Helene Fritscher und alles Mögliche. Und was ich eigentlich gerade such, aber ich weiß nicht mehr genau, wo das gerade war, ist ein Ausspruch, der […] eigentlich ein Ausspruch von einem der bei DSDS – also Deutschland sucht den Superstar – mitgemacht hat und dieses Video ist sehr viral gegangen auf YouTube. Und da meint er ja: sie fragt ihn, warum ist dir das so wichtig und er antwortet: »Weil mein Ruf kaputtgeht und net deiner«. Und das ist sehr bekannt gewesen bei den Jugendlichen und dass einfach so etwas hier diesem Buch mit vorkommt – gerade in Verbindung mit der Liebe – macht das natürlich sehr witzig. Welche Texte gefallen Dir am besten? Und warum? Mir persönlich gefallen am besten die Texte, wo Gott und Jesus sich unterhalten, weil das sind dann quasi ja zwei Personen, die eigentlich ganz weit weg sonst von der Jugendsprache sind und dass die beiden so in dieser Jugendsprache miteinander sprechen, macht diesen Dialog einfach unglaublich unterhaltsam. Und vor allem, wenn dann mit modernen Klischees quasi gewitzelt wird. Also und natürlich sind auch ganz viele Anglizismen dabei und Jesus meint dann: »Ja, aber die believen mir nit und Gott antwortet dann einfach Sheeesh. Hanst du denen schon vino aus Water gemaket usw.« Was heißt denn »sheeesh«? Das kann man nicht übersetzen. Das ist ein Wort aus der Jugendsprache. Das ist einfach so eher in die Richtung: »Oh krass, Scheiße« oder »es ist einfach krass« – würde ich es am ehesten sagen –, aber das kann man nicht so übersetzen. Kommt mehr so nach dem Gefühl, diese Wörter aus dieser Jugendsprache, aus dieser Vong-Sprache. Auf die beziehe ich mich. Ich mein die Jugendsprache ändert sich ja auch, aber die war damals halt aktuell. Wird denn die Vongsprache heute noch von Jugendlichen gesprochen? Bin ja jetzt auch schon ein bisschen aus dem Jugendlichen raus. Ich denke schon noch, dass das aktuell ist, weil viele Videos davon immer mal wieder auf Facebook kursieren, aber an sich hat die sich schon weiterentwickelt. Aber es gab von der Vongsprache wie so einen ganzen Duden und der hat sich explizit darum gekümmert, die ganze Sprache so zu verändern …

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Was meinst Du, warum haben die Jugendlichen diese Vongsprache erfunden? Einfach, um etwas Einzigartiges zu kreieren und etwas, was es einfacher macht – auch zum Tippen. Also die Sprache verändert sich ja gerade auf den Messengern wie WhatsApp oder so und wenn man dann nicht mehr eins schreibt oder so, sondern immer die Zahl 1, ist das einfach eine krasse Abkürzung. Und genauso auch die anderen Worte: wie das, was man angesprochen hat, WTF, sind einfach Abkürzungen, und das macht natürlich die Kommunikation zwischen Jugendlichen in der heutigen Zeit mit WhatsApp auch aus. Und hat man das extra gemacht – auch damit die Erwachsenen nichts verstehen? Da müsste ich jetzt spekulieren, aber kann bestimmt ein Grund sein. Was weißt Du zum Autor Shakak Shapira? Ich weiß, dass er Jude ist und ich würde ihn als modernen Künstler beschreiben. Er macht auch viel Kabarett und in die Richtung und auch sehr kritische Aktionen. Man bekommt immer mal wieder was über ihn über Facebook mit, z. B. hat er eine große Aktion gegen Twitter und hat alle möglichen Hass-Tweets vor die Twitterzentrale in den Boden quasi mit Farbe gesprayt, um ein Zeichen zu setzen an Twitter, dass die auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben, um gegen Hetze sich zu kümmern – und da geht’s vor allem dann auch gegen Judenhass eigentlich. Gefällt er Dir? Ja. Ja. Der Holygen Bimbel liegen ja biblische Texte zugrunde. Was macht denn der Autor, also Shahak Shapira, Deiner Meinung nach mit diesen biblischen Texten? Was hältst Du davon? Ja, es werden natürlich nicht alle Texte aufgegriffen. Ich meine, das Buch hat 70 Seiten ungefähr und die Texte sind natürlich auch nicht detailliert. Also es geht jetzt nicht darum, jemanden, der keine Ahnung von der Bibel hat, eben die Bibel in der Kurzfassung in moderner Sprache nahezubringen. So eine Person würde nicht schlau daraus, sondern es ist eher eine moderne Kurzzusammenfassung von ein paar biblischen Texten – gerade für Bibelkenner, um diese dann zu unterhalten bzw. als modernen Zugang, um ein Interesse an der Bibel zu wecken. Aber ansonsten würde ich es nicht als ein vollständiges Informationsbuch zur Bibel betrachten, sondern der unterhaltsame Zweck steht mehr im Vordergrund.

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Unterhaltsam eher im kritischen Sinn oder im bestätigenden Sinn? Unterhaltsam sowohl im kritischen Sinne, dass man sich über die Bibel unterhalten muss, wie die bei Jugendlichen ankommt und ob das ein Weg sein kann – eben mit dieser Jugendsprache die Bibel den Jugendlichen näherzubringen. Bekräftigend würde ich jetzt gar nicht so unbedingt sagen. Also es wird zwar nirgendswo direkt infrage gestellt, aber man könnte natürlich argumentieren, dass durch die Wortwahl, durch die Vongsprache Gott, Jesus und andere biblische Personen ins Lächerliche gezogen werden. Aber das denkt man eigentlich nicht, wenn man nur bedenkt, dass diese zu Unterhaltungszwecken genutzt wird. Du warst ja auch einige Zeit als Teamer in der Konfi-Arbeit aktiv. Welche Bedeutung hatten biblische Texte da für Dich und was meinst Du, für die Konfis? Die Konfis waren mit biblischen Texten des Öfteren konfrontiert, u. a. im Konfi-Camp, weil es einfach immer wieder Einheiten gab, die dann von Pfarrern oder auch von Ehrenamtlichen gehalten wurden. Und diese Einheiten hatten immer wieder biblische Texte zugrunde und es wurden dann verschiedene Fundamente des christlichen Glaubens gelehrt – und natürlich muss man auch den einen oder anderen Bibeltext für seine Konfirmation kennen oder auswendig lernen. Also waren da Bibeltexte schon präsent, aber sie waren jetzt nicht so der einzige Inhalt, sondern es ging mehr um die Aufbereitung der Texte in den Einheiten. Meinst Du, dass die Jugendlichen Lust hatten, mit den Bibeltexten zu arbeiten? Eher weniger. Es wurde ihnen meistens auch nicht so überlassen – so nach dem Motto »hier lest euch jetzt mal das Ganze durch«, sondern es war meistens nur ein Ausschnitt der Bibeltexte und der wurde vorgetragen und aufgrund diesen Ausschnitts wurde dann darüber gesprochen und weiter interpretiert, was das für jeden Einzelnen bedeuten kann. Es war jetzt keine normale Textarbeit, sollte ja auch nicht so verschult sein. Die letzte Frage: Würdest Du z. B. in der Konfi-Arbeit mit Jugendlichen auch mit der Holyge Bimbel arbeiten? Und wenn ja, wie? Das ist nicht einfach zu beantworten. Ich denke, da muss man den Rahmen betrachten, wie sich die Jugendsprache auch weiterentwickelt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Holyge Bimbel mal einen sehr unterhaltsamen, humorvollen Zugang zur Bibel darstellt und man damit mal quasi eine moderne Bibelstunde einleiten könnte oder das mal zum Thema macht. Ansonsten würde ich auf gar keinen Fall ausschließlich mit der Holyge Bimbel arbeiten, weil dafür wären die Texte einfach nicht genau oder detailliert genug wiedergege-

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Elisabeth Naurath

ben, sondern es geht da wirklich nur um den Unterhaltungszweck. Und ja, das würde ich eher so als Aufhänger machen, um quasi Spannung und Interesse bei den Jugendlichen zu wecken, aber ich würde jetzt auch keinen Text daraus zur Grundlage für eine Andacht oder so nehmen, weil sonst die Ernsthaftigkeit dahinter verloren geht. Vielen Dank für das Interview.

Zwischen Ablehnung, Desinteresse und Glaube – Erfahrungsbericht einer Berufseinsteigerin zur Schülerschaft des Religionsunterrichts heute Julia Dietsch

Als junge Religionslehrerin stehe ich bei der Unterrichtsplanung stets vor der Frage, was an diesem oder jenem Thema interessant für meine Schülerinnen und Schüler ist und wie ich ihnen den Kern der Sache vermitteln kann. Vor diese Herausforderung, die Themen des Religionsunterrichts adressatengerecht aufzubereiten, wird jeder Religionslehrer und jede Religionslehrerin immer wieder gestellt. Die Gestaltung des Religionsunterrichts ist abhängig von den Individuen, die am Unterricht teilnehmen. Im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler, denen ich in den verschiedenen Religionskursen begegne, zeigen sich ebenso viele verschiedene Zugänge zur Religion und individuelle Voraussetzungen, wie sich Schülerinnen und Schüler im Kurs befinden. Dennoch möchte ich auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen einige Grundtendenzen beschreiben, die aus meiner Sicht die Schülerschaft des Religionsunterrichts heute ausmachen. Die Schülerschaft des heutigen Religionsunterrichts lässt sich in erster Linie als plural bezeichnen. Auf der einen Seite sitzen in diesem Religionsunterricht – wenn auch relativ vereinzelt – Kinder und Jugendliche, die seit Jahren zum Beispiel als Messdienerinnen und Messdiener oder als Pfadfinderinnen und Pfadfinder in ihrer Kirchengemeinde aktiv sind und sich gut mit den Traditionen, Symbolen und Geschichten der christlichen Religion auskennen und ihr Wissen auch oft explizit abrufen können. Diese Schülerinnen und Schüler haben in der Regel auch ein personales Gottesbild. Auf der anderen Seite sitzen – und dies nicht selten – Schülerinnen und Schüler in diesem Unterricht, die vielleicht noch das Taufsakrament empfangen haben, den Glauben an einen Gott aber bewusst ablehnen und/oder sich aktiv gegen die institutionalisierte Religion aussprechen. Dazu kommen Schülerinnen und Schüler, die Themen und Fragestellungen der Religion weitestgehend aus ihrem Leben ausblenden und damit eine gewisse »Ist-mir-egal-Haltung« einnehmen. Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besuchen – so meine persönliche Erfahrung –, glaubt jedoch an etwas, das über sie selbst und über die Welt, in der sie leben, hinausreicht. Sie nennen diese göttliche Instanz nur selten Gott oder verbinden sie mit einer bestimmten Religion, sondern haben ihre ganz eigene – oft diffuse – Vorstellung.

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Julia Dietsch

Hieraus ergeben sich für mich als Religionslehrerin bei der Planung eines ansprechenden und schülergerechten Unterrichts täglich besondere Herausforderungen: Wie kann ich die unterschiedlichen Voraussetzungen aufseiten der Schülerinnen und Schüler angemessen berücksichtigen? Wie spreche ich die Schülerinnen und Schüler an, die keinen Zugang zu religiösen Inhalten mitbringen, und vernachlässige zugleich nicht jene Schülerinnen und Schüler, die schon Einiges wissen und noch mehr dazulernen möchten? Wie schaffe ich Raum für offene Diskussionen und mache so auch die ablehnende Haltung einiger Schülerinnen und Schüler für den Unterricht insgesamt nutzbar? Wie viel materiales Wissen muss ich vermitteln, damit sich die Kinder und Jugendlichen mit den religiösen Themen ernsthaft auseinandersetzen können, und wie viel wird im Rahmen der Allgemeinbildung – auch gesellschaftlich – erwartet? Wie kann ich meine eigene Perspektive als gläubige und vom Glauben geprägte Religionslehrerin ausblenden und aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler nach Fragen und Anknüpfungspunkten suchen, sodass sich mein Unterricht tatsächlich an den Interessen der Schülerinnen und Schüler orientiert? Wie lässt sich dieses Ausblenden meiner eigenen Perspektive, um für die Sichtweise der Schülerinnen und Schüler offen zu sein, damit vereinbaren, dass ich als Religionslehrerin für die Schülerinnen und Schüler selbst das Modell einer Gläubigen sein soll? Trotz all dieser Herausforderungen habe ich im Referendariat und meiner noch kurzen Tätigkeit als Lehrerin immer wieder die Erfahrung gemacht, welches besondere Potenzial der Religionsunterricht im Vergleich zu anderen Schulfächern bietet, da er den Schülerinnen und Schülern Raum gibt, über wichtige Fragen des Lebens zu sprechen, sich über persönliche Vorstellungen auszutauschen und Erfahrungen zu reflektieren. Findet man die richtigen Zugänge und Denkanstöße, sind die Schülerinnen und Schüler – auch bei anfänglicher Zurückhaltung – sehr interessiert und bringen sich, ihre Ideen und Vorstellungen aktiv ein. Indem die unterschiedlichen Sichtweisen und Zugänge zu Sinnfragen breite Diskussionen ermöglichen, bietet gerade die Pluralität der Schülerschaft hier große Potenziale. Die christliche Perspektive liefert dabei Denkanstöße und ein mögliches Angebot an die Weltsicht der Schülerinnen und Schüler, ist aber zugleich Gegenstand der Diskussion. Insbesondere in den unteren Jahrgangsstufen brennen den Kindern viele Fragen geradezu unter den Nägeln: Ist mein verstorbenes Haustier im Himmel? Wo ist Gott eigentlich genau? Ist er groß oder klein? Das Theologisieren mit Kindern habe ich hier als Bereicherung wahrgenommen. Bei den älteren Schülerinnen und Schülern sind es gerade ethische Themen, die zu reichhaltigen und konstruktiven Diskussionen führen. Aber auch Gespräche über das eigene Gottesbild oder bibli-

Zwischen Ablehnung, Desinteresse und Glaube

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sche Texte werden positiv angenommen – natürlich nicht in jeder Lerngruppe gleichermaßen. Zusammenfassend besteht die zentrale Herausforderung des Religionsunterrichts von heute aus meiner Sicht darin, dass ablehnende, desinteressierte und gläubige Schülerinnen und Schüler im Unterricht gleichermaßen berücksichtigt und in eine offene und wertschätzende Diskussion untereinander, aber auch mit den Gegenständen des Religionsunterrichts geführt werden. Den Bezug zur christlichen Religion dabei immer wieder in einer konstruktiven und nicht additiven Weise herzustellen, wird aufgrund der schwindenden religiösen Sozialisation der Schülerinnen und Schüler zunehmend schwieriger und nicht selten wird die Frage nach dem Mehrwert eines konfessionellen Religionsunterrichts gestellt. Auf diese Situation muss sich der Religionsunterricht einlassen und passende Konzepte bereitstellen, sodass ein interessanter und schülernaher Unterricht entsteht, der tragfähige Lernprozesse initiiert.

Julia Dietsch hat im Oktober 2018 ihr Referendariat mit den Fächern Katholische Religionslehre und Deutsch an einem Duisburger Gymnasium abgeschlossen und unterrichtet zurzeit an der Bernard-Overberg-Realschule in Recklinghausen.

Auf dass wir uns nicht allzu viel einbilden … Marcin Morawski

Ich sollte einen Text schreiben über das, was meine Schülerinnen und Schüler nicht können. Ich aber möchte diesen Beitrag jedoch mit einem Plädoyer für ein Bilderverbot beginnen und mich dabei auf einige Überlegungen von Max Frisch stützen. Dieser weitet das biblische Bilderverbot auch auf den zwischenmenschlichen Bereich aus und bezeichnet es als eine »Versündigung, sich von seinem Nächsten oder überhaupt einem Menschen ein fertiges Bildnis zu machen, zu sagen: So und so bist du, und fertig«1. Sich ein Bild von einem Menschen zu machen, ist nie bloß dessen Abbild, sondern ist stets geprägt von den Schemata und Formen desjenigen, der sich das Bild macht und zugleich birgt das Bild die Gefahr, den Abgebildeten, nach diesem Bild zu formen, was in der Pädagogik als Pygmalion-Effekt bezeichnet wird. Nun ist es aber so, dass wir dazu neigen, uns ein Bild von Menschen und Dingen zu machen, möglicherweise gar nicht anders können als dies zu tun. Scheint da ein Plädoyer für ein Bilderverbot nicht sinnlos? Betrachtet man das Zitat von Max Frisch genauer, so sieht man jedoch, dass er sich nicht für ein absolutes Bilderverbot ausspricht, sondern gegen fertige Bilder, aus denen es für den Abgebildeten schwer ist, zu entrinnen, insbesondere in einem asymmetrischen Machtverhältnis, wie es in der Schule vorkommen kann. Möglicherweise wäre es nicht nur unmöglich, auf Bilder zu verzichten, sondern aus pädagogischer Sichtweise auch verkehrt, bedenkt man die Wirkung, die von einem positiven Bild ausgehen kann. Ich plädiere daher an dieser Stelle gegen allzu vorschnelle und fertige Negativ-Bilder der heutigen Schülerschaft, was nicht bedeuten soll, dass man als Lehrer nur Positives von dieser berichten könnte. Natürlich gibt es Schülerinnen und Schüler, manchmal auch Klassen und Kurse, für die Schule bzw. das Fach Religion nicht an erster Stelle ihrer Prioritätenliste stehen und denen in der Zeit der Irrungen und Wirrungen, genannt Pubertät, andere Dinge wichtiger sind, egal wie sehr man sich ins Zeug legt.

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Vgl. Max Frisch, Stiller, Frankfurt a. M. 1973, 116; ders., Tagebuch, Frankfurt a. M. 1985, 32.

Auf dass wir uns nicht allzu viel einbilden …

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Aber kann man dies als ein neues Phänomen und ein typisches Merkmal der heutigen Schülerschaft betrachten? Gab es einmal eine goldene Zeit, in der alle Schüler stets hoch motiviert, allzeit interessiert und immer freundlich waren? Wenn es dieses goldene Zeitalter jemals gegeben hat, dann muss dies weit vor meiner eigenen Schulzeit gewesen sein. Ich sehe keinen Anlass dazu, ein negatives Bild von der gesamten heutigen Schülerschaft zu zeichnen, weil dies auf vielfältigen Ebenen zu Konsequenzen führen kann, welche zur Bestätigung dieser Einschätzung führen können. Nimmt man beispielsweise an, heutige Schülerinnen und Schüler könnten oder wollten keine längeren und anspruchsvollen Texte mehr lesen oder die großen Fragen des Daseins und die oftmals provozierenden Perspektiven eines christlich-religiösen Weltzugangs würden kein Interesse mehr wecken, spiegelt sich dies möglicherweise auch in den Materialien und Zielvorstellungen der Lehrkräfte wider. Möglicherweise resultiert die »Verdünnung« vieler aktueller Religionsbücher aus solchen Vorannahmen. Ich habe den Eindruck, dass in vielen der neueren Religionsbücher theologische Perspektiven entweder in sehr stark verkürzten Textauszügen präsentiert werden, oder dort ganz auf O-Töne verzichtet wird und den Schülerinnen und Schüler nur noch Zusammenfassungen zugetraut werden, in denen der spezifische Textduktus, der Argumentationsgang und die Pointe der Originaltexte eingeebnet sind. Wenn Schülerinnen und Schüler nur noch an solche Kost gewöhnt sind, bestätigt sich irgendwann einmal die Annahme, dass man der Schülerschaft von heute nichts mehr zutrauen könne. Meine persönliche Erfahrung als Religionslehrer zeigt mir, dass es nach wie vor viele Schülerinnen und Schüler gibt, die sich gerne von den »ungeheuerlichen« Provokationen der christlichen Tradition, die oftmals quer steht zu gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten, herausfordern lassen und sich einem kritischen Dialog stellen. Die schönsten Momente des Lehrerberufes sind es, wenn man am Gesichtsausdruck der Schülerinnen und Schüler erkennt, dass ein bestimmter Gedanke, eine bestimmte Sichtweise zum Nachdenken, vielleicht auch zum Anders-­ Denken oder zu einem Ringen mit diesem führen und für die Schülerinnen und Schüler relevant werden. Dass Schülerinnen und Schüler heute durchaus auch »Bock« haben, sich mit ernsten Fragen zu befassen, möchte ich kurz anhand von zwei Beispielen verdeutlichen. Vor einigen Jahren schrieb einer meiner Oberstufenschüler eine Facharbeit zum Thema »Religiöse Motive im Frühwerk Karl Mays«, die so fabelhaft war, dass er den ersten Preis des Facharbeitswettbewerbs des Bistums Münster

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gewann. Ich kann an dieser Stelle die Arbeit nicht en Detail vorstellen, jedoch möchte ich kurz erwähnen, dass er beispielsweise Motive der Mystik an manchen Stellen des Mayschen Werkes überzeugend identifizieren konnte, was für einen Schüler, der damals noch nicht einmal volljährig war, schon beachtlich ist. Ein anderes Beispiel, dass ich noch gerne erwähnen würde, stammt aus meiner Referendarszeit in Witten. Während eines Berufsorientierungstages kam ein mir unbekannter Schüler der Nachbarschule auf mich zu und bat mich bezüglich folgenden Problems um Rat: Er habe mit seinen Freunden einen philosophischen Lesezirkel gegründet und sie hätten sich dort entschieden, Nietzsche zu lesen. Nach kurzer Zeit fanden sie heraus, dass es sinnvoll wäre, vorher Schopenhauer gelesen zu haben, um Nietzsche besser zu verstehen. Kurz nachdem sie mit der Schopenhauerlektüre begonnen hatten, wurde klar, dass man doch vorher Kant gelesen haben müsste, doch auch während der Kantlektüre wiederholten sich die bereits beschriebenen Probleme … Ich empfahl, mit Nietzsche zu beginnen, doch bin ich neugierig geworden, welche Jahrgangsstufe der Schüler besuchte. Es war die neunte Klasse! Ich muss zugeben, dass diese Beispiele aus zwei Gymnasien stammen, die einen guten Ruf genießen, weshalb ich gerne kurz meinen Blick auf die eigene Schulzeit richten möchte. Auch wenn mein Abitur nun schon fast zwanzig Jahre zurück liegt, möchte ich behaupten, dass das, was heute so aktuell unter dem Stichwort Heterogenität diskutiert wird, bei uns gleichsam wie unter Laborbedingungen zu finden war. Ich besuchte ein Gymnasium im Essener Norden, das nicht nach einer großen Persönlichkeit, sondern nach einer Himmelsrichtung benannt war. Der sozio-kulturelle Hintergrund war genauso heterogen wie die ethnische Herkunft und die religiöse Zugehörigkeit. Unter meinen Mitschülern waren zehn verschiedene Nationen vertreten. An unserer Schule gab es eine Vielzahl großartiger Lehrer und Pädagogen, von denen ich an dieser Stelle meinen Religionslehrer hervorheben möchte, der in der 11. Klasse unseren katholischen Religionskurs übernahm, welcher trotz der konfessionellen Trennung durchaus heterogen war. Die religiöse Sozialisation war sehr unterschiedlich und viele von uns haben spätestens nach der Firmung eine Vakanzzeit von der Kirche angetreten. Im Kurs befanden sich darüber hinaus muslimische und vereinzelt auch evangelische Schüler, die aus Interesse am Unterricht teilnahmen. Auch das Leistungsniveau war sehr unterschiedlich, wobei wir insgesamt weder über- noch unterdurchschnittlich waren. Wie sah nun die religionspädagogische Antwort unseres Lehrers auf die »Herausforderung« dieser Heterogenität aus? Wie ging er damit um, dass viele von uns nicht mehr allzu sehr religiös sozialisiert waren, der sozio-kulturelle

Auf dass wir uns nicht allzu viel einbilden …

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Hintergrund nicht allzu hoch war und auch Vertreter anderer Konfessionen bzw. Religionen am Unterricht teilnahmen? Ich denke, dass sie ganz anders ausfiel als die Antworten, die vielen heutzutage durch den Kopf gehen mögen. Die Antwort unseres Religionslehrers waren überwiegend Klassiker der Theologie! Dazu auch Bibelarbeit, gelegentlich auch ein Kunstwerk, manchmal etwas Lyrik. Wir lasen die großen Namen wie Metz, Ratzinger, Rahner, Moltmann, Drewermann, Augustinus, Cusanus, um nur einige zu nennen. Manchmal arbeiteten wir mit der alten Ausgabe des Forums Religion von Trutwin, häufig brachte unser Lehrer selbst abgetippte Texte mit, nicht selten zwei bis drei Seiten lang, die meist zur nächsten Stunde vorzubereiten waren. Er war kein Methodenzauberer, meist bestand der Unterricht aus Textarbeit und Unterrichtsgespräch, wobei er die Kunst des Unterrichtsgesprächs meisterlich beherrschte. Was äußerlich betrachtet vielleicht recht unspektakulär wirken mag, brachte innerlich so einiges in Bewegung und kam bei den meisten von uns sehr gut an. Vielleicht waren nicht alle gleichermaßen Feuer und Flamme, jedoch hatte ich den Eindruck, dass niemand komplett außen vor war. Vielmehr freuten wir uns stets auf diese Art des Religionsunterrichts und die dort aufgeworfenen Fragen beschäftigten uns oft auch noch über die Unterrichtszeit hinaus. Was war nun das Geheimnis unseres Lehrers, dass solch ein Unterricht in solch einer Lerngruppe möglich war? Einerseits lag dies mit Sicherheit an seiner Persönlichkeit. Es war ein Lehrer, der nicht aus dem Geist der Macht, sondern aus der Macht des Geistes lebte, um es mit der Reformpädagogin Marta Heimeran zu sagen. Ich hatte immer den Eindruck, dass die Texte, die er für uns auswählte und abtippte, auch für ihn selbst relevant gewesen waren, dass er sich zuvor an ihnen abgearbeitet hatte. Es gab nie irgendwelche Verlegenheitstexte, die er eingereicht hätte, weil gerade nichts Besseres zur Hand gewesen wäre. Die Materialien boten uns neue Sichtweisen auf uns selbst, auf die Welt und auf Gott, wodurch unser Blick mehrfach umgewendet wurde und sich für uns neue Denkräume erschlossen. Dankbar bin ich, dass unsere Lehrer keine Versuche unternahm, die Unterrichtsthemen an unsere vermeintliche Lebenswelt anzupassen, sondern diese so auswählte, dass sie für uns existenziell relevant wurden, unsere limitierten Sichtweisen erweiterten und so zu einem Teil unserer Lebenswelt wurden. Der Unterricht gab uns Antworten auf Fragen, die wir uns stellten, warf aber auch Fragen auf, die zuvor nicht in unserem Blickfeld waren. Solch ein Unterricht war meines Erachtens nur möglich, weil das Bild, das unser Lehrer von uns hatte, nicht bloß das Gegebene, sondern auch das Mögliche mitdachte.

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Marcin Morawski

In diesem Sinne möchte ich abschließend über die Schülerinnen und Schüler von heute sagen: besser als ihr Ruf.

Marcin Morawski ist Lehrer für Katholische Religion und Philosophie am Vestischen Gymnasium in Kirchhellen.

Interdisziplinäre Perspektiven

Kein Interesse am Unterricht – ein Grundproblem von Schule? Ein Versuch Peter Fauser

1 »Interesse« Das Thema meines Beitrags fordert durch den Begriff »Interesse« besonders heraus: Zu sagen, dass jemand sich für eine Sache, einen Menschen, ein Schulfach interessiert, ist umgangssprachlich üblich. Jeder versteht, was gemeint ist. In der Schulpädagogik oder in der Pädagogischen Psychologie, im fachlichen Kontext, findet der Begriff des Interesses nur geringe Aufmerksamkeit.1 Das erstaunt umso mehr, als der Begriff ein geradezu ideales Verhältnis zwischen Lernenden und Lerngegenstand zum Ausdruck bringt. Interesse bedeutet bekanntlich gemäß seiner lateinischen Herkunft aus »inter« und »esse« ein »Dazwischensein«. Im Deutschen erfährt das Wort – ich folge dem Grimm’schen Wörterbuch – seit dem 15. Jahrhundert einen Bedeutungswandel. Er führt vom äußeren, materiellen bzw. finanziellen Nutzen über den »Vorteil« ganz allgemein, der auch nicht-materielle Güter meint (»im interesse der freundschaft wirken«), dann im 19. Jahrhundert »in der gewählteren sprache« zu dem »antheil, den wir an einer Sache nehmen«. Hier wird Kant zitiert: »interesse wird das wohlgefallen genannt, das wir mit der vorstellung der existenz eines gegenstandes verbinden.«2 1

In den meisten Standard-Nachschlagewerken der Pädagogik und der Psychologie fehlt ein Artikel zum Thema »Interesse«. Eine Ausnahme bildet das von Hans Schiefele und Andreas Krapp 1981 herausgegebene Handlexikon Pädagogische Psychologie mit dem Beitrag von Schiefele und das von Detlef H. Rost herausgegebene Handwörterbuch de Pädagogischen Psychologie mit dem Beitrag von Andreas Krapp. In der Zeitschrift für Pädagogik ist der vorzügliche Beitrag von Andreas Krapp eine Ausnahme geblieben. Auch die neuesten schulpädagogischen Handbücher kennen das »Interesse« nicht – weder als Thema eines Beitrags noch als Stichwort. Meine eigenen Texte zum Lernen, zur Vorstellungsbildung, zur Schulreform und zur Schulqualität fügen sich, wie ich gestehen muss, in dieses Bild. Vgl. Andreas Krapp, Interesse, in: Detlef H. Rost (Hg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie, Weinheim 1998, 203–209; Hans Schiefele, Interesse, in: Hans Schiefele/Andreas Krapp (Hg.), Handlexikon zur Pädagogischen Psychologie, München 1981, 192–196; Andreas Krapp, Intrinsische Lernmotivation und Interesse. Forschungsansätze und konzeptuelle Überlegungen, in: Zeitschrift für Pädagogik 45 (1999), 387–406. 2 Jakob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch (Band 10) (1877), München 1984, Sp. 2147 f. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft (Werke Band 8), Darmstadt 1981, 280. Und weiter, »interesse ist das, wodurch vernunft praktisch … wird.« Ders., Grundlegung der Metaphysik der Sitten (Werke Band 6), Darmstadt 1981, 97.

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Interesse bezeichnet also ein Verhältnis zwischen Person und Sache, zwischen Subjekt und Objekt, pädagogisch gewendet, zwischen Lernenden und Lerngegenstand, für das nicht eine einseitige technische oder analytisch-distanzierte Gegenstellung charakteristisch ist. Vielmehr umfasst der Begriff eine Vielfalt unterschiedlicher Qualitäten der Beziehung zwischen Person und Sache, die von Nützlichkeit und Zweckhaftigkeit bis hin zu einer emotionalen Anziehung reichen. Das Wort selbst – das »Dazwischensein« – ruft sogar die Vorstellung wach, dass die Sache, der Gegenstand, die Lernenden gleichsam umgibt, dass man in einer Sache »aufgeht«. Mit Interesse in dieser starken Bedeutung verbindet sich etwas wie eine individuelle kognitive Leidenschaft, die aus sich heraus nach Erweiterung von Wissen und Können strebt und keiner motivationalen Hilfsmittel bedarf, sondern eine ganz persönliche, von außen unverfügbare intentionale Gegenstandsbeziehung darstellt. Es ist dieses breite Bedeutungsspektrum, besonders aber die starke Bedeutungsvariante, die es geradezu nahelegt, den Begriff auf schultheoretische und -reformerische Grundfragen zu beziehen. »Kein Interesse am Unterricht – ein Grundproblem von Schule?« Das Thema fordert eine schultheoretische Perspektive, die sich nicht auf »Unterricht« im engeren Sinne beschränkt, sondern auch auf die Schule insgesamt bezieht: Könnte es sein, dass die Schule als Institution so konstruiert ist, dass sie als solche kein »Interesse am Unterricht« fördert? Steht sich die Schule damit selbst im Wege – oder ist es, wie schulkritische Analysen nahelegen, möglicherweise sogar funktional, wenn die Schule, gegen die guten pädagogischen Absichten, den Erhalt, die Stärkung oder die Neubildung von Interesse unterläuft oder behindert? Ich möchte im Folgenden der Frage nachgehen, was der Begriff des »Interesses« dazu beitragen kann, die institutionelle Aufgabe der Schule und besonders des Unterrichts auf zeitgemäße Weise zu bestimmen.

2 Ausgangspunkt: Moderne Schule und Reform »Unterricht« und »Schule« entstehen, weil im direkten Mitvollzug der Praxis nicht mehr gewährleistet werden kann, dass die nachwachsende Generation das Wissen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben kann, die für Erhalt und Entwicklung der menschlichen Kultur gebraucht werden. Die Schule schiebt sich zwischen Herkunft und Zukunft, zwischen familiale Lebenswelt und Gesellschaft. Die Differenz zwischen »der« Schule und »der« Gesellschaft und die damit institutionalisierte Ausgrenzung des Lernens bildet nicht allein den praktischen Ausgangspunkt, die elementare Entstehungstatsache für die Schule; sie

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bildet ebenso den pädagogischen Ausgangspunkt für ihre Theorie und deshalb auch für die folgenden Überlegungen. Was bedeutet institutionelle Ausgrenzung des Lernens durch die Schule? Vereinfachend kann man sich vorstellen, dass diese Ausgrenzung durch zwei Schnitte erzeugt wird. Der erste Schnitt: Die Schule trennt als Institution die Generationen voneinander – die Jüngeren von den Älteren, die Kinder von den Eltern. Eine Folge ist, dass die Weitergabe von Wissen und Können, von Normen und Formen zwischen den Älteren und den Jüngeren, die sich in vormodernen Gesellschaften durch ein weitgehend beiläufiges »praktisches« Lernen3 im alltäglichen Mitleben vollzieht, unterbrochen wird. Diese Trennung der Generationen durch die Schule setzt sich als Organisationsprinzip innerhalb der Schule mit der Trennung nach Altersgruppen oder Jahrgängen fort. Viele werden sich daran erinnern, wie beim Schuleintritt – und besonders beim Übertritt in weiterführende Schulen – die älteren Schülerinnen und Schüler fast wie Angehörige einer fremden Spezies bestaunt wurden. Der zweite Schnitt: Die Schule legt nicht nur einen horizontalen Schnitt zwischen die Generationen, sie trennt, durch einen vertikalen Schnitt, auch das organisierte Lernen von der gesellschaftlichen Praxis. Das Leben bleibt draußen. Schulisches Lernen ist per se erfahrungsfern. Das ist unvermeidlich und zugleich unauflöslich zwiespältig: Auf der einen Seite befreit eine solche Erfahrungsferne vom Zwang und den Beschränkungen der alltäglichen Lebenswelt – für viele Kinder und Jugendliche auch heute noch eine Befreiung zum Lernen. Auf der anderen Seite entzieht die Schule, je weiter sie sich zeitlich und sachlich ausdehnt – bis heute auf gut ein Dutzend Jahre und noch weit mehr Fächer – dem Lernen immer mehr die Erfahrung eigenen Tätigseins. Dieser Prozess der Verschulung des Aufwachsens und der reflexiven, indirekten Zugänge zum Lernen bildet einen wesentlichen Strang der gesellschaftlichen Modernisierung – als Bestandteil der Umstellung der Gesellschaft auf »funktionale Differenzierung«. Zur Moderne gehört wesentlich die Herausbildung gesellschaftlicher Teilbereiche oder -systeme, die spezielle Ziele mit speziellen Mitteln verfolgen und dadurch wichtige Funktionen der gesamtgesellschaftlichen Anpassung und Entwicklung erfüllen. Wissenschaft, Recht, Verwaltung, Wirtschaft oder Kunst sind andere Teilbereiche, die, wie die Schule, eigenen Funktionsprinzipien folgen.4 3 Peter Fauser/Klaus J. Fintelmann/Andreas Flitner (Hg.), Lernen mit Kopf und Hand – Berichte und Anstöße zum praktischen Lernen in der Schule, Weinheim/Basel ²1992. 4 Exemplarisch: Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986; Peter L. Berger/Brigitte Berger/Hansfried Kellner, Das Unbehagen in der Modernität. Frankfurt a. M./New York 1975; Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen

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Gemeinsam ist diesen verschiedenen Bereichen, dass sie als Teilsysteme mit der Modernisierung eigene Rationalitäten ausbilden und gegenüber den Herkunftswelten durchsetzen. Kritisch gesehen führt die moderne »Rationalisierung« in eine prekäre Situation, die der Philosoph Odo Marquard wie folgt charakterisiert: Modernisierungen bestehen »in der – partialen – Ersetzung der Herkunftswelten durch experimentell geprüfte und technisch erzeugte Sachwelten«.5 Dies gelte auf eigene Weise auch für die Schule; hier trete an die Stelle der Erfahrung die Belehrung oder, in der zugespitzten Formulierung Marquards, eine »Kultur des Erfahrungsersatzes«, nämlich des »erfahrungsentlasteten – erfahrungsentfernten – Erfahrungserwerbs, den man heute meint, wenn man ›lernen‹ sagt«.6 Die Schule beschleunigt ihrerseits, das ist die These, den gesellschaftlichen Prozess, bei dem »immer schneller immer mehr zur Sache« wird – in der Schule zur Sache der Belehrung, zum Lerngegenstand, zum Unterrichtsstoff. Marquard bezeichnet die so entstehende Stellung des modernen Menschen als »Weltfremdheit«.

3 Herbarts dualistische Interessenpädagogik Halten wir fest: Die Schule institutionalisiert die Differenz zwischen »Lernen« und »Leben«. In ihrem Spielraum zwischen Familie und Gesellschaft bildet die Schule mehr und mehr eigene Erfahrungen, Handlungsmuster, Einflusspotenziale aus, die sie zu einem eigenen Faktor werden lassen. Wie erscheint nun diese Entwicklung im Lichte des Interessebegriffs? Nur exemplarisch möchte ich eine pädagogische Perspektive aufgreifen, die am Beginn der Moderne auf die Ausgrenzung des Lernens durch die Schule reagiert. Gemeint ist die Pädagogik von Johann Friedrich Herbart (1776–1841). Herbart macht den Begriff des Interesses zu einem der Grundbegriffe seiner Unterrichtslehre. Sein Konzept des »erziehenden Unterrichts« sieht die Herstellung von Interesse als eine Kernaufgabe der Schule. Ziel ist ein vielseitiges und gleichschwebendes Interesse. Für die Ausbildung eines solchen Interesses ist es aus Herbarts Sicht wesentlich, dass die Schule den Unterricht von Erfahrung und praktischem Tätigsein trennt. Diese Position bildet sich in Gegenstellung zu der sensualistischen Psychologie, die alles Wissen und alle Vorstellungen auf die WahrnehHandelns (2 Bde.), Frankfurt a. M. 1981; Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984; Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt a. M. 1989. 5 Odo Marquard, Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1987, 104. 6 Ebd., 84.

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mung der Sinne zurückführt. Aber wie sollen sich, so die kritische Gegenfrage Herbarts und seiner Anhänger, aus der sinnlichen Wahrnehmung religiöse, sittliche, überhaupt rein geistige Vorstellungen bilden können? Herbart und die Herbartianer sind der Überzeugung, dass Interessen sich allein durch eine Bildung des Gedankenkreises im inneren Raum einer Vorstellungswelt und durch deren didaktisch-methodische Ordnung und Steuerung angemessen ausbilden lassen. Der »Sitz im Leben«, auf dem die überdauernde Tragfähigkeit von Interessen beruht, wird in dieser Sicht als störende Fessel aufgefasst. Schultheoretisch gesehen antwortet Herbart auf die moderne Ausgrenzung des Lernens durch die Schule mit dem Optimismus eines intentional beherrschbaren Unterrichts. Für ihn ist die Trennung des Lernens vom Leben zuerst und vor allem eine Befreiung, und er verbindet – in Gegenstellung zu einer utilitaristischen Nützlichkeitspädagogik – diese Befreiung mit einem idealistischen Bildungsdenken. Er vertraut darauf, dass die vom Unterricht vermittelten Einsichten und Erkenntnisse zu einer Vielseitigkeit vernünftigen Denkens führen, die dann im (späteren) Leben als Richtschnur moralisches Urteil, praktische Sittlichkeit und Handeln lenken soll. Man kann verstehen, dass diese Position, die die Schule gleichsam zur Vermittlung fachlich geprüften und wissenschaftlich gereinigten Wissens durch Unterricht befreit, einen eminenten Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Pädagogik und des Lehrerstandes hatte, weil sie eine Domäne pädagogischer Einwirkung institutionalisiert, die sich mit dem Versprechen professioneller Wirkungssicherheit verbindet. Nicht zuletzt geht sie auch auf Distanz zu allen Spannungsfeldern in Gesellschaft und Politik. Freilich bleibt ein dualistischer Grundwiderspruch zwischen der didaktischen Forderung, die Ausbildung von Interessen durch eine radikale Ausgrenzung des Lernens zu verfolgen, und dem anthropologisch gefassten Interessensbegriff, den Herbart zugleich vertritt. Während der Unterricht eine innige Einbettung in einen gegenständlichen Kontext unterbinden soll, um Interesse aufzubauen, wird ganz grundsätzlich eine gleichsam unauflösliche Gegenstandsbeziehung als wesentlich für das Interesse angesehen: »Das Interesse, welches, mit der Begehrung, dem Wollen, und dem Ge­­ schmacks­urteil gemeinschaftlich, der Gleichgültigkeit entgegensteht, unterscheidet sich dadurch von jenen dreien, daß es nicht über seinen Gegenstand disponiert, sondern an ihm hängt.«7

7 Johann Friedrich Herbart, Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet, hg. v. Hermann Holstein (Kamps pädagogische Taschenbücher Bd. 23), Bochum 1976, 75.

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In dieser Perspektive wird der Gegenstand des Interesses nicht als etwas diesem Äußeres gesehen, sondern als dessen eigentliches Gravitationszentrum. Herbart weicht dem theoretischen Problem aus, indem er das »Interesse« ganz in die innere Wirklichkeit der Vorstellungswelt verlagert;8 Benner charakterisiert dies als »interesseloses Interesse des Lernenden in die Vertiefung in einen Lerngegenstand«.9 Praktisch wird das Interesse erst, wenn »Begierde und Wille« die Brücke zum Handeln bilden: »Wir sind zwar innerlich aktiv, indem wir uns interessieren, aber äußerlich solange müßig, bis das Interesse in Begierde und Wille übergeht.«10 Es bleibt indessen schwer nachvollziehbar, wie die fast mechanische Unterrichtsmethodik zu einem »vielseitigen Interesse« führen und wie aus diesem »die Festigkeit des moralischen Charakters hervorgehn« soll.11 Herbarts Pädagogik begünstigt mit ihren »Formalstufen« nicht nur die vielbeklagte Verschulung des Lernens. Sie schneidet auch die lebensweltlichen Ressourcen des Lernens ab, die Kinder mitbringen. Insgesamt bleibt das Bild einer dualistischen Interessenpädagogik, die den bildungsmächtigen Einfluss von Interessen davon abhängig sieht, dass sie von ihrem lebensweltlichen Kontext getrennt in der Schule kultiviert werden. Herbart schlägt damit einen eigenen Weg radikaler didaktischer Rationalisierung ein; es erstaunt nicht, dass dies von der Reformpädagogik dann wie ein Exzess einer rationalistischen Kommandopädagogik angefeindet wird.12

4 Reformpädagogik Die Umstellung des Lernens von einem rein praktischen, impliziten Lernen durch Mitvollzug der alltäglichen Tätigkeiten auf ein explizites, rational gesteuertes Lernen, das von professionalisierten Lehrpersonen organisiert, angeregt, überwacht wird, hat von Anfang an kritische Analysen auf sich gezogen und   8 Vgl. dazu auch Friedrich Schweitzer, Sinn, Phantasie und Symbol. Religionspädagogische Annäherungen an den Zusammenhang von Lernen und Imagination, in: Peter Fauser/Eva Madelung, unter Mitarbeit von Gundela Irmert-Müller (Hg.), Vorstellungen bilden. Beiträge zum imaginativen Lernen, Seelze 1996, 91–107.   9 Dietrich Benner, Die Pädagogik Herbarts. Eine Problemgeschichtliche Einführung in die Systematik neuzeitlicher Pädagogik, Weinheim/München 1983, 108. 10 Herbart, Allgemeine Pädagogik, 75. 11 Johann Friedrich Herbart, Pädagogische Schriften, hg. v. Walter Asmus, Stuttgart 1982, 99. 12 Peter Fauser, Eine demokratische Schule? Die Universitätsschule Jena in ihrer Weimarer Gründungszeit. Versuch einer demokratiepädagogischen Qualitätsanalyse ihrer Praxis, in: Peter Fauser/Jürgen John/Rüdiger Stutz (Hg.), Peter Petersen und die Jenaplan-Pädagogik. Historische und aktuelle Perspektiven, Stuttgart 2012, 161–226.

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Reformen ausgelöst. Am bekanntesten ist die »historische« oder »klassische« Reformpädagogik am Beginn des 20. Jahrhunderts,13 die erstmals in aller Schärfe die Fehlentwicklungen einer einseitigen Modernisierung kritisiert und zu korrigieren versucht hat14 – mit einer Fülle von Erfindungen, Konzepten, Initiativen. Sie reichen von der Entwicklung von Sinnesmaterial bei Montessori über den »Arbeitsunterricht« bei Kerschensteiner oder den Buchdruck bei Freinet bis hin zu umfassenden Neuansätzen in Landerziehungsheimen oder komplexen Schulkonzepten wie bei Petersen, die viele zeitgenössische Elemente aufgreifen und synthetisieren.15 Über große Unterschiede im Einzelnen hinaus kann man sagen, dass sie alle Einseitigkeiten aufzuheben suchen, die am Ende des 19. Jahrhunderts und nach dem Ersten Weltkrieg als krisenhaft erlebt worden sind. Das Lernen soll befreit werden aus autoritären, bürokratischen, mechanistischen Mustern. Die Reformen reagieren auf Folgen der Industrialisierung, auf massenhaftes Elend in den Armutsquartieren der Städte und auf den Krieg. Dabei greifen sie Erfahrungen und Ideen moderner Menschlichkeit neu auf, die durch den gewaltigen Siegeszug der technisch-industriellen Modernisierung in den Hintergrund gedrängt worden sind: den Glauben an die künstlerischen, schöpferischen Potenziale der Vernunft, den humanisierenden Einfluss solidarischer Gemeinschaften, die Aufmerksamkeit für die heilsamen Kräfte der Natur. Es geht um die fundamentale Erneuerung der pädagogischen Moderne, es geht um den ganzen Menschen. In Reformschulen der Gegenwart sind vergleichbare Motive erkennbar. Freilich: Sie verbinden sich, auch wenn sie explizit auf die Reformpädagogik zurückgreifen, mit heutigen Themen, Problemen, Mitteln und Ideen – und es ist für sie selbstverständlich, dass sie die reformpädagogischen Traditionskonzepte, die für Freiheit und Individualität des Lernens starke Grundmuster bieten, ergänzen und modifizieren durch zeitgemäße wissenschaftliche Mittel und Möglich-

13 Hein Retter, Klassische Reformpädagogik im aktuellen Diskurs (Pädagogische Reform 12), Jena 2010; Peter Fauser, »Pädagogische Reform« – Zu einem Bewegungsbegriff der Moderne und seiner Aktualität in Theorie und Praxis schulpädagogischer Programme, in: Peter Fauser/ Wolfgang Beutel/Jürgen John (Hg.), Pädagogische Reform. Anspruch – Geschichte – Aktualität, Seelze-Velber 2013, 20–56. 14 Ulrich Beck, Risikogesellschaft; Heiner Ullrich, Die Reformpädagogik, Modernisierung der Erziehung oder Weg aus der Moderne? In: Zeitschrift für Pädagogik 36 (1990), 893–918. 15 Fauser/John/Stutz, Peter Petersen; Andreas Flitner, Reform der Erziehung. Impulse des 20. Jahrhunderts. Erweiterte Neuausgabe (1. Aufl. 1992), München 1999; Hein Retter (Hg.), Reformpädagogik. Neue Befunde – Zugänge – Kontroversen, Bad Heilbrunn 2004.

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keiten der Diagnose und Evaluation, durch demokratisches Führungsmanagement, durch unternehmerische Initiative.16

5 Lernen und guter Unterricht heute: Theorie Halten wir zunächst fest: Die »Ausgrenzung« des Lernens, die Trennung vom »wirklichen« Leben bleibt konstitutiv für Schule und Unterricht. Aber spätestens seit der klassischen Reformpädagogik gehört zum guten Unterricht der immer wieder erneuerte Versuch, die dualistische Spaltung zwischen »Leben« und »Lernen« zu überwinden. Es geht darum, beides zu sichern, Gewinn und Vorteil eines reflexiven Zugangs zu den Gegenständen und zugleich den Erfahrungsbezug des Lernens. Schule soll aus dem Leben schöpfen und für das Leben bilden sowie alle humanen Kräfte der Heranwachsenden stärken. Eine solche Perspektive ließe sich durchaus interessentheoretisch fassen: Wesentlich für Schule, Unterricht und Lernen soll eine dialektische Wechselwirkung von Erfahrungsbezug und reflexiver Verarbeitung sein. Die reformpädagogische Perspektive verändert so das Bild der Schule als ganzer. Was bedeutet das für die Gestaltung von Unterricht und für das Verständnis von Lernen? Mit einem solchen Verständnis des Lernens korrespondieren heute besonders drei miteinander verbundene Debattenstränge: 1. Zuerst nenne ich die Erweiterung des Verständnisses von Lernen und Bildung durch die Kompetenztheorie und die darauf aufbauende international-vergleichende Bildungsforschung (PISA usw.)17 – ein Perspektivwechsel, den der Deutsche Bildungsrat seit 1966 dadurch vorbereitet und eingeleitet hatte, dass er an Stelle des – als idealistisch überhöht kritisierten – Bildungsbegriffs den Begriff des Lernens ins Zentrum stellte.18 Die kompetenztheoretische Diskussion lenkt den Blick direkt auf das Lernen der Kinder und Jugendlichen. Wesentlich ist, dass dabei die Aspekte der Motivation, Volition, der situativen Einbettung des Lernens, sein konstruktiv-produktiver Cha16 Exemplarisch: Gisela John/Helmut Frommer/Peter Fauser (Hg.), Ein neuer Jenaplan. Befreiung zum Lernen. Die Jenaplan-Schule 1991–2007, Seelze-Velber 2008. Eine Fülle von Beispielen bieten die inzwischen 11 Monografien, die im Rahmen des Deutschen Schulpreises seit 2007 jährlich den Ertrag der Ausschreibungen darstellen. Erster Band: Peter Fauser/Manfred Prenzel/Michael Schratz (Hg.), Was für Schulen! Gute Schule in Deutschland. Der Deutsche Schulpreis 2006, Seelze-Velber 2007. 17 Franz Emanuel Weinert, Konzepte der Kompetenz, Paris 1999. 18 Deutscher Bildungsrat, Empfehlungen der Bildungskommission, Strukturplan für das Bildungswesen, Bonn 1970.

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rakter und die Gültigkeit von Erfahrung und Anwendungsbezug auf ganz neue Weise betont werden. Gleichzeitig wird die Bedeutung der besonderen inhaltlichen Kontexte hervorgehoben und werden Zweifel an der Übertragbarkeit von Kompetenzen verstärkt. Man kann auch sagen: Kompetenzen werden, wie Interessen, gegenstandsspezifisch ausgebildet. 2. Mit der Ausrichtung auf »Kompetenz« werden Gesichtspunkte pädagogischen Denkens gewissermaßen wiederentdeckt, die zum Grundbestand einer aufgeklärt reformpädagogischen Sicht gehört haben: die Auffassung von Lernen als einem ganzheitlichen, konstruktiven, individuellen Prozess der bildenden Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die Wirksamkeit praktischen Tuns und praktischer Erfahrung,19 die Bedeutung der Vorstellungsbildung20 – zusammengefasst im Konzept des »Verständnisintensiven Lernens« sowie die Rolle der Zugehörigkeit zur Schule als einer der gesellschaftlich bedeutsamen Kommunitäten.21 3. Fast zeitgleich mit der kompetenztheoretischen Debatte tritt die pädagogisch-psychologische Interessetheorie publizistisch in Erscheinung. Sie spricht Interessen eine grundlegende Bedeutung für Lernen und Schule zu und ist vor allem von Hans Schiefele, Andreas Krapp und Manfred Prenzel formuliert worden. Auf die Auseinandersetzung mit Schwächen der Motivationspsychologie kann ich hier nicht eingehen. Wesentlich ist eine Erweiterung der theoretischen Perspektive auf im breiteren Sinne pädagogische Aspekte. Gemeint ist damit »die Entwicklung und Förderung einer mündigen, in einer Gesellschaft lebenslang handlungsfähigen und letztlich glücklichen, psychisch gesunden Persönlichkeit«22. Es geht daher um das »Motivierungsgeschehen nicht nur auf der Ebene einzelner Handlungen, sondern zugleich auf der Ebene längerfristig wirksamer Prozesse und Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung«.23 Interessen stellen in dieser Perspektive »sowohl Bedingung als auch Ergebnisse (und insofern potenzielle Ziele) lebenslangen Lernens und einer individuell als befriedigend erlebten Entwicklung dar.« Charakteristisch für Interessen ist, dass sie »stets auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet« sind. Hinzu kommen sodann »emotionale« und 19 Fauser/Fintelmann/Flitner, Lernen. 20 Fauser/Madelung, Vorstellungen. 21 Flitner, Reform; Peter Fauser/Friederike Heller/Ute Waldenburger (Hg.), Verständnisintensives Lernen. Theorie, Erfahrung, Training, Seelze-Velber 2015. 22 Krapp, Intrinsische Lernmotivation, 396. 23 Ebd., 397, i. O. kursiv.

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»wertbezogene« Merkmalskomponenten: Interessengeleitetes Tun wird mit »überwiegend positiven Gefühlen und Erlebnisqualitäten verbunden«, was damit zusammenhängt, dass im »Verlauf einer Interessenhandlung […] Möglichkeiten zur Aktivierung und Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse nach Kompetenzerfahrung, Selbstbestimmung und sozialer Eingebundenheit« bestehen. In Anlehnung an die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan wird ein enger Zusammenhang postuliert zwischen dem »Erleben subjektiver Bedeutsamkeit und dem Ausmaß der Identifikation mit den Objekten, Sachverhalten oder Themen des Interessengebiets«.24 Insgesamt korrespondieren Kompetenztheorie, das Konzept Verständnisintensives Lernen und Interessetheorie sehr stark – die Bedeutung des Willens anstelle der »Motivation«, die Gegenstandsbeziehung, die individuelle Prägung, der Erfahrungs- und Anwendungsbezug und der aktiv-konstruktive Zug ist für alle drei Ansätze prägend. Anders als bei Herbart wird freilich der Lebensbezug des Lernens schulisch nicht sozusagen vom Platz gestellt, sondern allem, gerade auch schulischem Lernen, als immanente Quelle und Wesenszug zugesprochen.

6 Lernen und guter Unterricht heute: die Praxis Mein Bild von zeitgemäßem Lernen und Unterricht wird neben meinen theoretischen Bemühungen – die im Konzept des Verständnisintensiven Lernens ihren Ausdruck gefunden haben – entscheidend durch Schulen geprägt, die sich am Deutschen Schulpreis beteiligt haben.25 Nimmt man diese Schulen in den Blick – inzwischen weit über tausend –, dann findet sich eine Fülle von Konzepten, Praxisformen und Erfahrungen, die man als Schritte zu einer auf die Bildung von Interesse ausgerichteten Unterrichtspraxis sehen kann – auch wenn sie nicht unter einer interessentheoretischen Perspektive entwickelt und dargestellt worden sind. Ich nenne hier Veränderungen der schulischen Praxis, die nicht Einzelfälle oder Ausnahmen darstellen, sondern bezeichnend sind für diese Schulen. Strukturell wesentlich ist dabei, dass »Unterricht« bei diesen Schulen sich vom konventionellen Bild der Einzelstunde, die instruktionsgeprägt ist, also im Kern von der Lehrerdarbietung bestimmt wird, weitgehend 24 Ebd., 398 f. Edward L. Deci/Richard M. Ryan, Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik, in: Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993), 223–228. 25 Fauser/Heller/Waldenburger, Verständnisintensives Lernen; Fauser/Prenzel/Schratz, Was für Schulen! – und die jährlich erschienenen Bände zur Ausschreibung des Deutschen Schulpreises. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Schulpreis (Zugriff am 16.1.2019).

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gelöst hat. Unterricht in diesem konventionellen Sinne ist dort lediglich eine, wenngleich wichtige, didaktische Inszenierungsform, die nicht von der Lehre her, sondern vom Lernen her, als einem kompetenzorientierten, verständnisintensiven, interessensensiblen und -förderlichen Lernen konzipiert wird. Charakteristisch und exemplarisch für diese Entwicklung ist, ȤȤ dass die Schule sich über kulturelle und familiäre Herkunft, Begabungen, Interessen und Probleme von Kindern schon lange vor ihrem Eintritt in die Schule mit großer Sorgfalt kundig macht, ȤȤ dass Schulen – in sehr unterschiedlichen methodisch-didaktischen Mustern – die Eigenaktivitäten der Lernenden, ihre Lebensumstände und Herkunft, ihre Neigungen, Stärken und Schwächen aufgreifen, ȤȤ dass Schulen durch fächerverbindende Arbeitsformen die Vielfalt möglicher Beziehungen auf Themen und Gegenstände die Engführung getrennter, fachlich bestimmter Sichtweisen korrigieren und auf diese Weise auch vielfältige individuelle Gegenstandsbeziehungen fördern, ȤȤ dass Schulen über den konventionellen Unterricht hinaus didaktische Großformen wie Epochen, Projekte, Jahrgangsmischung usw. praktizieren und dabei oft Probleme, kulturelle Eigenarten und gesellschaftliche Spannungen ihrer Umgebung aufgreifen, ȤȤ dass Schulen durch Praktika, außerschulische Lernorte und Partnerschaften Brücken bilden zur Berufs- und Arbeitswelt und zu zivilgesellschaftlichen Akteuren und Einrichtungen, ȤȤ dass Schulen umfassend und intensiv Eltern in die Schularbeit und das Schulleben einbeziehen.

7 Interesse? Ein »starker« Interessenbegriff, wie er für meine Überlegungen leitend ist, wäre für eine schultheoretische, lerntheoretische und didaktisch-methodische Ausleuchtung guter Schulen durchaus sinnvoll. Ein solcher Begriff von Interesse sieht das Lernen als eingebettet in einen Gegenstand – oder sagen wir, etwas verallgemeinernd – in einen Kontext, der zumindest für den Einzelnen durchaus über die Lebensspanne hinweg identitätsprägend ist und als bedeutsam erlebt wird. Im Blick auf die Schule lässt sich sagen, dass heute erwartet wird, dass sie eine Umgebung bildet und gestaltet, die eine Ausbildung von Interessen fördert. Im Idealfall umgeben Schulen Kinder und Jugendliche mit einem Raum interpersonaler Wahrnehmung und Kommunikation, der sensibel auf die immer heterogener werdenden Herkunftswelten antwortet und alle Kinder achtungsvoll

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und förderlich begleitet, ohne das Leistungsethos der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verleugnen. Gute Schulen suchen dem Lernen einen Sitz im Leben zu geben und das schulische Lernen dem Leben zu öffnen. Schule und Unterricht können natürlich nicht auf mitgebrachte individuelle Interessen allein bauen. Niemand interessiert sich für alles, was für den Erhalt und die Entwicklung der Kultur wichtig ist. Die Schule sollte aber Interessen als individuelle Zentren und Quellen von Bildung und Anstrengungsbereitschaft aktiv anerkennen, pflegen und fördern. Dies stärkt auch die Bereitschaft, sich der Widerständigkeit von Lerngegenständen zu stellen, die an der Peripherie eigener Stärken und Interessen liegen. Auch die Schule ist freilich den gewaltigen Veränderungskräften der digitalen Moderne ausgesetzt. In der Gegenwart entsteht durch die mit der Digitalisierung möglich gewordenen Netzbildungen in praktisch allen Feldern menschlicher Arbeit und Kommunikation ein ganz neuer kultureller Kontext. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass der unbegrenzte, kaum kontrollierbare Zugang zu Wissen und Waren in jeder Form und die Strategien der manipulativen Fremdsteuerung auf ganz neue Weise Zeit und Spielräume für Initiativen und eigenes Tun immer mehr überformen. Der Begriff »Interesse« setzt dagegen auf die Bedeutung einer originalen Person-Gegenstandsbeziehung, wie sie vermutlich nur in einer Umgebung entspringen kann, in der Menschen mit solchen Person-Gegenstandsbeziehungen als leibhaftige Exempel für kognitive Leidenschaft erlebt werden können – in einem personalen Handlungsund Erfahrungsraum. Die Frage bleibt, ob die digitalen Mächte, vor allem durch Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz, auch immer mehr in diesen personalen Binnenraum eindringen – und der Zugang zur Wirklichkeit immer mehr durch eine industrielle Vorstellungsmanipulation überwältigt wird.26 – Warum die Interessenstheorie trotz ihres möglichen Beitrags zu einer Schule, die dem Lernen einen Sitz im Leben geben und die Schule dem Leben öffnen will, bis heute von der Pädagogik nicht breit aufgenommen worden ist, bleibt für mich eine offene Frage.

Dr. Peter Fauser war bis 2013 Professor für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

26 Der Regisseur Michal Haneke hat in seinem Film »Benny’s Video« 1992 diese düstere Vision dargestellt. Dirk Baecker, 4.0 oder Die Lücke, die der Rechner lässt, Leipzig 2018.

Ist Interesse geweckt, läuft das meiste von selbst – Interesse und Desinteresse im und am Religionsunterricht Anton A. Bucher

Eine unvergessliche Religionsstunde in meiner Grundschulzeit begann damit, dass der Religionslehrer das Klassenzimmer nicht allein betrat, sondern begleitet von einem älteren Mann, der eine dunkle Brille trug, um den Oberarm eine gelbe Binde mit drei schwarzen Punkten darauf, und in der Rechten einen dünnen Stock, mit dem er tastend den Boden berührte. Wer das wohl ist? Ein Blinder? Und was will der hier? Unvermittelt war Interesse geweckt. Sodann erzählte der Kaplan, Norbert sei ein Freund von ihm, bei einem Arbeitsunfall im Chemiewerk seien seine Augen verätzt worden, er sei blind und gern mit ihm in die Stunde gekommen, um uns zu erzählen, wie ein Blinder lebe. Alles Erdenkbare wollten wir wissen: Wie er seine Wege finde, ob er wirklich gar nichts mehr sähe, sondern vielleicht noch farbige Ringe wie wir, wenn wir die Augen schließen, wie er die Blindenschrift erlernt habe etc. etc. Diese Stunde, die der Lehrer in den Zusammenhang biblischer Heilungswunder gestellt hatte, blieb über Jahrzehnte unvergessen. Wenn Interesse geweckt ist, laufen Lernprozesse zumeist wie von selbst. Und kaum eine Erfahrung ist bitterer als die, die vor Jahren ein Religionslehrer eingestand: Dass nach einer mühsam überstandenen Stunde eine Schülerin zu ihm kam und ihm sagte: »Sie geben sich ja viel Mühe, und Sie sind auch ein netter Mensch. Aber glauben Sie denn wirklich, dass es irgendjemand interessiert, was Sie hier tun?«1 In diesem Beitrag wird, auf der Basis von Emotions- und Lernpsychologie, zunächst dargelegt, was Interesse ist und welches seine neuronalen Korrelate sind. Sodann werden empirische Studien referiert, die das Interesse von Schülern an den Gegenständen des Religionsunterrichts und an diesem selbst in den Blick nehmen, allen voran die ausgezeichnete Längsschnittstudie von Georg Ritzer.2 Abgeschlossen wird der Beitrag mit Strategien, um das Interesse von Schülerinnen an religiösen Themen zu wecken bzw. zu stärken. 1 Norbert Scholl, RU 2000. Welche Zukunft hat der Religionsunterricht?, Zürich 1993, 16. 2 Georg Ritzer, Interesse – Wissen – Toleranz – Sinn. Ausgewählte Kompetenzbereiche und deren Vermittlung im Religionsunterricht. Eine Längsschnittstudie, Wien 2010.

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1 Was ist Interesse? Interesse ist zum einen ein zentrales Ziel jedweder Bildung. Hans Schiefele, über Jahrzehnte hinweg der Experte für Interesse, formulierte bündig: »Wer kein Interesse hat, ist nicht gebildet.«3 Zum anderen ist Interesse eine motivationale Bedingung dafür, dass sich Menschen bestimmten Sachverhalten nähern, sich mit ihnen auseinandersetzen und lernen.4 Obschon jedwedes Interesse kognitive Komponenten beinhaltet – Menschen sind stets an oder für etwas interessiert, das ihnen bewusst ist –, zählte der Emotionspsychologe Carroll Izard das Interesse zu den angeborenen Basisemotionen, ohne die unsere Vorfahren niemals überlebt hätten.5 Interesse kann sich physiognomisch zeigen, wenngleich nicht so trennscharf wie panische Angst oder jähe Überraschung: Wenn sich die Pupillen weiten, der Augenschlag verzögert, der Blick auf das Interessierende fokussiert ist und der Mund leicht geöffnet wird.6 Für letzteres gibt es unterschiedliche Erklärungen: Entweder aufgrund der Entspannung der Kiefermuskulatur oder – wie schon Darwin vermutete7 –, um das Hören zu schärfen, weil das Atmen durch den Mund leiser ist als durch die Nase. Unwillkürlich neigen viele Menschen, wenn sie in Interesse geraten, den Kopf, sei es nach vorne, hin zum interessierenden Gegenstand, sei es seitwärts, um allfällige Geräuschquellen besser zu lokalisieren.8 Interesse bedingt eine Selektivität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, was schon William James hervorgehoben hatte: Denken sei stets »interessiert« und das Bewusstsein wende sich fortlaufend einem Teil seines Objekts mit mehr Interesse zu als einem anderen.9 Diese Selektivität der Wahrnehmung scheint angeboren: Schon Säuglinge betrachten Gegenstände, die sie offensichtlich interessieren, länger und konzentrierter als andere, insbesondere Gesichter, aber auch neue visuelle Stimuli.10 Interesse versetzt zumeist in Aktivität, nicht in extrinsisch motivierte, sondern intrinsische, um ihrer selbst willen vollzogen, oft als Exploration. Charak  3 Hans Schiefele, Interesse – Neue Antworten auf ein altes Problem, in: Zeitschrift für Pädagogik 32 (1986), 153–162, hier 154.   4 Andreas Krapp, Entwicklung und Förderung von Interessen im Unterricht, in: Psychologie für Erziehung und Unterricht 44 (1998), 185–201.   5 Carroll Izard, Die Emotionen des Menschen. Eine Einführung in die Grundlagen der Emotionspsychologie, Weinheim 31994, 219–270.   6 Ebd., 107.   7 Charles Darwin, The expression of the emotions in man and animals, Las Vegas 2007 (11872), 283.   8 Izard, Emotionen, 248.   9 William James, Psychologie, Leipzig 1908, 169. 10 Martin Dornes, Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre, Frankfurt a. M. 31999, 58 f.

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teristisch ist, wenn kleinere Kinder einen neuen Gegenstand erhalten, diesen von allen Seiten ertasten und ausprobieren, was alles mit ihm möglich ist. Insofern steht Interesse in besonderer Nähe zur Neugierde, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom biologisch orientierten Psychologen William McDougall als einer der wichtigsten Instinkte des Menschen bezeichnet wurde.11 Wären unsere Vorfahren nicht neugierig gewesen, wären sie kaum ins Gebirge gestiegen, hätten nicht in Kanus große Seen überquert, wären kaum dem Lauf von Flüssen gefolgt. Gemäß McDougall kann Neugierde aufgrund »jeden Objekts« geweckt werden, »das ähnlich ist zu, aber doch deutlich verschieden von vertrauten Objekten, die gewöhnlich wahrgenommen werden.«12 Auch erkannte er, dass Objekte, die hochgradig ungewohnt oder fremd sind, Furcht auslösen können und den Menschen zurückweichen lassen, wohingegen interessierte Neugierde das psychodynamische Annäherungssystem aktiviert. Nach der kognitiven Wende in den 1960er Jahren vollzieht sich in der Psychologie aktuell, was als »emotionale Wende« bezeichnet wird.13 »Was den Menschen umtreibt, sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle.«14 Zum Menschsein zählt, stets etwas zu empfinden und zu fühlen, aber erfahrungsgemäß wird dabei nicht immer auch reflektiert. Emotionen, von denen die Psychologin Tiffany Smith jüngst immerhin 154 zählte,15 treten vielfach gemeinsam mit anderen auf, auch Interesse. Izard eruierte, dass starkes Interesse zumeist von Freude begleitet ist, sodann von der ebenfalls angeborenen Überraschung, wenn Menschen die Brauen unwillkürlich hochziehen, die Pupillen sich weiten, der Mund geöffnet wird, um mehr Sauerstoff einziehen zu können. Nur ganz vereinzelt wird sie gemeinsam mit Furcht erlebt – wenn Reize gänzlich unbekannt sind und bedrohlich wirken –, und schon gar nicht mit Trauer, Scham oder Zorn. Interesse ist somit eine enorm angenehme und auch wünschenswerte Emotion, die Freiheit voraussetzt und unter Zwang nicht wachsen kann. Erklärt wird Letzteres in der jüngeren Pädagogischen Psychologie vielfach mit der zu Recht an Renommee gewonnenen »Selbstbestimmungstheorie« von Deci und Ryan.16 Gemäß dieser wohnen dem Menschen mindestens drei grund11 12 13 14 15

William McDougall, An introduction to social psychology, London 1923. Ebd., 57. Patricia Clough/Peter Halley, J. (Hg.), The affective turn: Theorizing the social, Durham 2007. Manfred Spitzer, Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Darmstadt 2002, 160. Tiffany Smith, The book of human emotions. An encyclopedia of feeling from anger to wanderlust, London 2016. 16 Eward Deci/Richard Ryan, Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik, in: Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993), 223–228.

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legende Bedürfnisse inne, die sich auf seine Interessen auswirken. Erstens: Das Bedürfnis nach Autonomie, nicht gleichzusetzen mit Willkür, sondern damit, dass Menschen Handlungsfreiheit wünschen, wo sie glauben, anstehende Aufgaben selber bewältigen zu können.17 Damit geht – zweitens – das Bedürfnis nach Kompetenzerleben einher, darin bestehend, die Dinge selber verrichten zu können, das sich bei Kindern darin manifestiert, wenn sie sagen: »Will es selber machen!« Eine Person, die nicht schwindelfrei ist, wird sich nicht für einen Hochklettergarten oder für das Besteigen der Eigernordwand zu interessieren beginnen. Und drittens: Das Bedürfnis des Dazugehörens, der sozialen Eingebundenheit, das sich darin manifestiert, dass sich viele Menschen auch dafür interessieren, was ihren signifikanten Bezugspersonen am Herzen liegt. Menschen sind vor allem dann interessiert, wenn sie frei wählen können, diesbezüglich kompetente Selbstwirksamkeit sowie Einbindung erfahren.18 Was sagen die heutigen Götter in Weiß zum Interesse, die Neuropsychologen, denen zumeist stärker geglaubt wird als (Religions-)Pädagogen? Die neuropsychologischen Korrelate von Interesse sind mittlerweile gut rekonstruiert. Ausschlaggebend ist der Botenstoff Dopamin, der aus der Aminosäure Tyrosin entsteht und zu den Katecholaminen gehört, die als Hormone und Neurotransmitter wirken.19 Ausgeschüttet wird Dopamin jeweils im nucleus accumbens, um die Informationsweitergabe über die Synapsen zu beschleunigen. Menschen erleben dabei Vorfreude, sie verspüren mehr Energie und Tatendrang und werden motiviert, beispielsweise eine mögliche Partnerin zum Tanz zu bitten, eine fremde Umgebung auszukundschaften. Beflügelt werden Neugierde und spielerische Exploration20 – und damit auch Lernen. Das dopaminerge System ist ein Belohnungssystem und bewirkt auch, dass im Frontalhirn, zuständig für höhere mentale Prozesse, endogene Opioide freigesetzt werden.21 Wenn das ventrale Striatum und die Schwarze Masse zu wenig Dopamin produzieren, kommt es zu Lustlosigkeit, Antriebsschwäche, Trägheit. Schlimmstenfalls geraten Menschen in die Parkinson-Krankheit, begleitet von Zittern, Steifheit und Bewe-

17 Krapp, Entwicklung, 194. 18 Andreas Krapp/Richard Ryan, Selbstwirksamkeit und Lernmotivation, in: Matthias Jerusalem/ Diether Hopf (Hg.), Zeitschrift für Pädagogik. Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen, 44. Beiheft (2002), 54–82. 19 Stefan Böhm, Dopaminerge Systeme, in: Michael Freissmuth/Stefan Offermanns/Stefan Böhm, Pharmakologie und Toxikologie. Von den molekularen Grundlagen zur Pharmakotherapie, Heidelberg 2012, 128–131. 20 Patrick Anselme, Dopamine, motivation, and the evolutionary significance of gambling-like behavioral, in: Behavioral Brain Research 256 (2013), 1–4. 21 Spitzer, Lernen, 180.

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gungslosigkeit.22 Wenn zu viel Dopamin erzeugt wird, kann es zu »unwillkürlichen, einschießenden Bewegungen« und zu exaltiertem Verhalten kommen.23 Interesse, von Krapp als »Person-Gegenstands-Relation« definiert,24 ist ein universales Phänomen und zutiefst konstitutiv für das Menschsein (für andere höhere Lebensformen wohl auch). Trotzdem ist es der Fall, dass Interesse sich auch schwächen kann, beispielhaft an dem Unterrichtsfach Religion.

2 Empirische Studien zu Interesse im und am Religionsunterricht Wie wichtig Interesse für das Lernen auch im Religionsunterricht ist, war der wissenschaftlichen Religionspädagogik von ihren Anfängen an bewusst, in der (Lern-)Psychologie selbstverständlich auch, speziell für den großen Reformpädagogen John Dewey.25 Schon im Jahre 1907 formulierten die Autoren des Münchener Katechetischen Kurses: »Es gehört zu den Verdiensten Herbarts, die Forderung aufgestellt zu haben, dass aller Unterricht, der von Menschen und menschlichen Dingen handelt, das Interesse daran zu steigern hat.«26 Vermehrt in den Fokus geriet das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht und seinen Gegenständen in den 1960er Jahren, als dieses Fach in eine schwere Krise geriet. Norbert Havers fand in seiner Resonanzstudie, die unter dem bezeichnenden Titel »Der Religionsunterricht – Analyse eines unbeliebten Faches« veröffentlicht wurde, dass die von ihm befragten 330 Gymnasiasten in München den katholischen Religionsunterricht am langweiligsten fanden bzw. dass Geografie, Biologie und selbst Mathematik für viel interessanter eingeschätzt wurden.27 Zu ähnlich deprimierenden Ergebnissen gelangte Robert Prawdzik in seiner Befragung von 800 Münchner Hauptschülern: Gerade einmal 23 % fanden ihren Religionsunterricht wirklich interessant und nicht einmal 10 % für »sehr wichtig«.28 Die Ursache für diese geringe Resonanz wurde in der mangelhaften pädagogischen und didaktischen Qualifizierung der Religionslehrerinnen und -lehrer identifiziert. Prawdzik ging sogar so weit, den Rat zu 22 Gerhard Roth, Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt a. M. 2003, 468. 23 Spitzer, Lernen, 195. 24 Krapp, Entwicklung. 25 John Dewey, Interest and effort in education, Boston 1913. 26 Zit. aus: Michael Pfliegler, Die Psychologie der religiösen Bildung, Innsbruck 1935, 24. 27 Norbert Havers, Der Religionsunterricht – Analyse eines unbeliebten Faches, München 1972, 166. 28 Robert Prawdzik, Der Religionsunterricht im Urteil der Hauptschüler, Zürich 1973, 149.

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erteilen, »dass es wohl für die Gesamteinstellung der Schüler zu Religion und Kirche vorteilhafter wäre, den RU ausfallen zu lassen, als ihn mit ungeeignetem Personal weiterzuführen«.29 Vorrangig sei es, die pädagogisch-didaktische Ausbildung für dieses Fach zu verbreitern und zu optimieren, was in der Folge an vielen Ausbildungsstätten begann, speziell indem religionspädagogische und religionsdidaktische Lehrstühle eingerichtet wurden. Aber schon in den 1970er Jahren wurde das (Des-)Interesse von Schülerinnen nicht nur isoliert betrachtet, fokussiert auf Religionslehrer, Stoffauswahl, Methodik, Unterrichtsmaterialien. Prawdzik hielt dies für reduktionistisch und gab zu bedenken, das religiöse Interesse hänge in einem ungleich stärkeren Maße von der Primärsozialisation ab, insbesondere vom Elternhaus.30 Wenn in diesem Tag für Tag manifest werde, dass es sich auch ohne Religiosität gut leben lässt, erzeuge ein Unterricht, der andere Werte als nur säkulare zu vermitteln versucht, kognitive Dissonanz, wenn nicht Reaktanz und Abwehr. Auch Jürgen Schmidt vertrat in seiner Studie »Desinteresse am Religionsunterricht« die These, geringes Interesse an diesem Fach sei weniger auf den Unterricht selbst zurückzuführen – dieser habe mittlerweile ein beachtliches Qualitätsniveau erreicht –, sondern vielmehr auf die durch Distanzierung, Isolierung und Entfremdung gekennzeichnete Umwelterfahrung vieler Jugendlicher.31 Interesse auch an Religion lasse sich weniger durch aktionistische methodische Kniffe stärken, sondern vielmehr dadurch, dass die Sinnorientierung – angelehnt an die Logotherapie von Viktor Frankl – gestärkt werde, wobei nur wenig konkretisiert wird, wie dies zu bewerkstelligen wäre. Wie schon angedeutet, bewirkte das desaströse Image des Religionsunterrichts eine Intensivierung und Optimierung der pädagogisch-didaktischen Ausbildung und Weiterbildung. Eine Frucht davon war, dass die Resonanz des Religionsunterrichts in den folgenden Jahren besser wurde. Die vieldiskutierte Allensbacher Studie zum Religionsunterricht bescheinigte diesem, bezüglich seiner Beliebtheit im Mittelfeld zu liegen, ähnlich wie Sozialkunde oder Geschichte.32 Aber knapp die Hälfte der Schüler sei an ihm weniger interessiert als an anderen Fächern, am ehesten noch jene, die kirchlich geprägt seien. In einer der größten Resonanzstudien zum Religionsunterricht, durchgeführt im Jahr 29 Ebd. 228. 30 Ebd., 229 f. 31 Jürgen Schmidt, Desinteresse am Religionsunterricht? Ein Test zur Messung der religiösen Ansprechbarkeit von Schülern, Zürich 1982, bes. 105. 32 Renate Köcher, Religionsunterricht – zwei Perspektiven, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Religionsunterricht. Aktuelle Situation und Entwicklungsperspektiven, Bonn 1989.

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2000 mit insgesamt 7239 Schülerinnen und Schülern, zeigte sich jedoch, dass immerhin 40 % jener Grundschülerinnen und -schüler, die im Elternhaus keinerlei religiöse Sozialisation mehr erfahren hatten, die Inhalte des Religionsunterrichts gleichwohl für interessant und als für ihr Leben »sehr wichtig« einstuften.33 Allerdings, mit steigendem Alter sank das Interesse auch an diesem Fach markant. Ohnehin ist es gut gesichert, »dass das durchschnittliche Interesse an den Inhalten der Schulfächer auf allen Ebenen des Bildungssystems im Verlauf der Schulzeit ›unaufhaltsam‹ absinkt«.34 Aber so oder so: Den Religionslehrerinnen ist es, zumal weil sie besser ausgebildet wurden, in den letzten Jahrzehnten gelungen, die Akzeptanz ihres Faches beträchtlich zu erhöhen und seine Inhalte als interessanter zu präsentieren. Die bisher wohl gründlichste Studie zum Interesse am Religionsunterricht (und an Religion) erstellte Georg Ritzer.35 Er befragte – längsschnittlich – 1335 Teilnehmer des katholischen Religionsunterrichts zu vier ausgewählten Kompetenzbereichen des Religionsunterrichts, auch zu Interesse, weil dieses nicht nur als unabdingbare Voraussetzung auch zum religiösen Lernen gesehen werden kann, sondern selbst als eine Kompetenz, weil eine solche nach der klassischen Definition von Weinert auch motivationale und volitionale Bereitschaft einschließt.36 Dabei stellte er fest, dass gut 60 % das Item bejahten: »Grundsätzlich bin ich am Religionsunterricht interessiert«. Deutlich weniger (40 %) stimmten der Formulierung zu: »An der Lehre meiner Religion bin ich sehr interessiert«, und gut ein Viertel gab an, sich mit religiösen Themen zu beschäftigen. Ritzer konstatierte, die Begeisterung der Schülerinnen für Religion halte sich in Grenzen. Am bemerkenswertesten jedoch ist, dass sich das Interesse für Religionsunterricht als stärker herausstellte als jenes für Religion, möglicherweise weil in dem entsprechenden Item das Adverb »grundsätzlich« enthalten war. Wovon aber hängt dieses Interesse ab, und hat es sich zwischen den beiden Messzeitpunkten, die knapp ein Jahr auseinanderlagen, verändert? Letzteres war nicht der Fall. Ritzer konstatierte eine hohe Stabilität des Interesses an diesem Fach. Abhängig ist dieses sowohl von unterrichtlichen als auch außerschuli33 Anton A. Bucher, Religionsunterricht zwischen Lernfach und Lebenshilfe. Eine empirische Untersuchung zum katholischen Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 32000, 50 f. 34 Krapp, Entwicklung, 187. 35 Ritzer, Interesse, 193. 36 Franz E. Weinert, Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit, in Franz E. Weinert (Hg.), Leistungsmessungen in Schulen, Weinheim 2001, 17–31.

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schen Faktoren.37 Besonders stark von der religiösen Sozialisation in der Familie, die differenziert wurde in Instruktion (»In meinem Elternhaus wurde mir von Gott erzählt«), Verstärkung (»Meine Eltern ermutigen mich, mich mit Glauben und Religion zu beschäftigen«) sowie Modellernen (»Meine Eltern sind mir in Glaubensdingen ein Vorbild«).38 Am stärksten korreliert religiöses Interesse mit Verstärkung. Besonders abträglich ist dem Interesse am Religionsunterricht, wenn in diesem der Lärmpegel verunmöglicht, noch aufzupassen, wohingegen eine vorzügliche Strukturiertheit des Unterrichts, gemessen mit Items wie: »Der Stoff des Unterrichts hatte einen klaren Aufbau«, das Interesse wecken und auch stärken kann, desgleichen die Qualität der Beziehung, gemessen mit Items wie: »Meine Meinung wurde im Unterricht ernst genommen«. Religionslehrerinnen und -lehrer können zwar niemals alles kompensieren, was in der Primärsozialisation als religiöse Prägung und Interessensbildung möglich wäre, aber sie können, zumal mit einem klar strukturierten Unterricht, beträchtlich dazu beitragen, dass ihren Themen Interesse entgegengebracht wird.

3 Im Unterricht Interessen stärken39 Interesse ist ein Ingrediens des Menschseins, und ebenfalls, von Motiven bewegt zu sein. Der bekannte Gehirnforscher Manfred Spitzer hält denn auch dafür: »Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist daher etwa so sinnvoll wie die Frage: ›Wie erzeugt man Hunger?‹«40 Auch Gerald Hüther wird nicht müde, zu betonen, das Gehirn, speziell im Kindesalter, wolle sich stets interessiert Neuem zuwenden und unentwegt lernen.41 Aber dieser natürliche Interessens- und Lerntrieb regt sich – das wissen alle Unterrichtenden – nicht in jeder Schulstunde und schon gar nicht bei jedem Schüler. Zu den zentralen, mitunter aufreibenden Bemühungen vieler Lehrkräfte zählt, bei Schülerinnen Interesse dafür zu wecken, was sie ihnen zu vermitteln haben. Der bekannte Flow-Forscher Cszikszentmihalyi führte Interviews mit intrinsisch motivierten Hochbegabten und wollte von ihnen wissen, welche Personen 37 Ritzer, Interesse, 178–213. 38 Ebd. 170. 39 Prägnanter Review: Martin Steger, Wie fördert man Interesse im Unterricht? Ein Orientierungsversuch zwischen methodischer Kompetenz, Sachhaltigkeit und Wirkung der Lehrpersönlichkeit, in: wissenplus 1–16/17 (2017). 40 Spitzer, Lernen, 192. 41 Gerald Hüther, Die Bedeutung sozialer Erfahrungen für die Strukturierung des menschlichen Gehirns, in: Ulrich Herrmann (Hg.), Neurodidaktik, Weinheim 2006, 41–48.

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auf ihre Entwicklung einen besonders förderlichen Einfluss hatten.42 Vielfach wurden Lehrer genannt, die sich dadurch auszeichneten, dass sie sich nicht nur an ihrem Unterrichtsstoff sehr interessiert zeigten, sondern ebenso sehr an ihren Schülerinnen und Schülern. Gelegentlich wurde eine Kategorie genannt, die auch in der (Religions-)Pädagogik ein Randdasein fristet: Begeisterung.43 Eine Ausnahme ist die Freiburger Dissertation von Robert Koczy, »Begeisterung. Grundprinzip für den katholischen Religionsunterricht«44, in der konstatiert wurde, Begeisterung, obschon ihre pädagogische Bedeutung »kaum überschätzt werden« könne, sei ein Stiefkind. Ursächlich für diese Marginalisierung dürfte sein, dass Begeisterung oft missbraucht wurde, unüberbietbar in der nationalsozialistischen Pädagogik. Aber schon Berthold Otto, einer der originellsten Reformpädagogen und Gründer der Hausschule, formulierte: »Rezepte, wie man Schüler begeistern kann, möge der pädagogische Pfuscher beim pädagogischen Quacksalber suchen; der Lehrer, wie er sein soll, muss dadurch begeistern, dass er selber begeistert ist.«45 Neuerdings intensivieren sich jedoch die Bemühungen um dieses Phänomen. Enthusiasmus – ursprünglich bedeutend: wenn Göttliches in den Menschen kommt – wird als Komponente der professionellen Kompetenz von Lehrerinnen gewürdigt und auch empirisch untersucht, so im groß angelegten Forschungsprojekt COACTIV.46 Hunderte von Lehrkräften wurden längsschnittlich befragt, auch dazu, wie sehr sie von ihrem Unterrichtsfach begeistert sind, aber auch davon, in der Klasse zu stehen, den Schülerinnen in die Augen zu sehen, sie zu unterrichten. Dabei trat zutage, dass sich der Unterrichtsenthusiasmus auf die Schüler positiver auswirkte als der Fachenthusiasmus. Schülerinnen waren interessierter an Mathematik und erzielten bei Pisa-Aufgaben bessere Resultate, wenn ihre Lehrerinnen und Lehrer vom Unterrichten und von ihren Schülerinnen und Schülern stärker begeistert waren als von Differenzialgleichungen und dergleichen. »Nicht die gelegentlich geforderte Liebe zum Fach (stellt) den entscheidenden Faktor dar […], sondern die Freude an der Interaktion mit den 42 Mihaly Cszikszentmihalyi/Jane McCormack, The influence of teachers, in: Phi Delta Kappa (1986), 415–419. 43 Anton A. Bucher, Begeisterung. Auch eine Perspektive des Religionsunterrichts, in: Christlich-­ Pädagogische Blätter 119 (2006), 139–143. 44 Robert Koczy, Begeisterung. Grundprinzip für den katholischen Religionsunterricht besonders an Fachschulen für Sozialpädagogik, https://freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:1369/datastreams/FILE1/content (Zugriff am 17.10.2018). 45 Berthold Otto, Der Hauslehrer, Leipzig 1903, 98. 46 Mareike Kunter, Motivation als Teil der professionellen Kompetenz – Forschungsbefunde zum Enthusiasmus von Lehrkräften, in: Dies. (Hg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisses des Forschungsprojektes COACTIV, Münster 2011, 259–275.

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Schülerinnen und Schülern.«47 Eminent positiv wirke Unterricht dann, wenn er die Zeit vergessen lässt und die daran Beteiligten in Flow geraten,48 was Bakker an 178 Musiklehrerinnen aufzeigte, von denen Flow wie ein Funke auf die Schüler übergesprungen ist. 49 Kunter zog den Schluss, es sei verkürzt, bei der Lehrerkompetenz primär auf die kognitiven Kompetenzen zu fokussieren, speziell auf die vor wenigen Jahren popularisierte Lehrerexpertise,50 vielmehr seien emotionale Faktoren stärker zu gewichten, um auch die motivationalen und volitionalen Komponenten von Kompetenz nach Weinert51 abzudecken. Diese empirischen Ergebnisse sind didaktisch insofern relevant, als Fachwissenschaftler, Germanistinnen wie Theologen und andere mehr oft der Meinung sind, eine gute Lehrerin zeichne primär aus, fachwissenschaftlich besonders beschlagen zu sein. Werden Lehramtsstudiengänge konzipiert, kommt es fast unvermeidlich zu Verteilungskämpfen und kann der pädagogischen und fachdidaktischen Ausbildung leicht unterstellt werden, zu wenig wissenschaftlich zu sein. Andererseits ist es keineswegs nur ein Klischee, dass es Lehrer gab und teils noch immer gibt, die in ihrer elaborierten Fachterminologie keinen kommunikativen Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern aufbauen können. Damit Interesse erwachen kann, muss die Wahrnehmung selektiv werden. In der eingangs geschilderten Religionsstunde geschah dies, indem der Lehrer einen ungewöhnlichen Gast mit in den Unterricht brachte. Inspiriert dazu wurde er durch das religionspädagogische Konzept der Kräfteschulung, das letztlich auf die Ordensschwester Oderisia Knechtle (1900–1978) zurückgeht und von Fritz Oser psychologisch-pädagogisch reflektiert und in die Katechetenausbildung implementiert wurde.52 Wenn Religionslehrerinnen sogenannte Erlebnisgestalten in den Unterricht bringen, kann die Aufmerksamkeit der Schülerinnen in einem ungleich stärkeren Maße gebündelt werden, als wenn er mit leeren Händen dasteht. Beispiele für solche Erlebnisgestalten sind verschiedenartige Steine, die von den Schülern befühlt und schließlich zu einem Kreuz auf dem Boden zusammengestellt wurden, Samenkörner, Blumensträuße, der siebenarmige Leuchter, gelegentlich auch Menschen, in einem Falle freiwillig eine Mut-

47 Ebd. 269. 48 Mihaly Csikszentmihalyi/Ulrich Schiefele, Die Qualität des Erlebens und der Prozess des Lernens, in: Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993), 207–221. 49 Arnold Bakker, Flow among music teachers and their students: The crossover of peak experiences, in: Journal of Vocational Behavior 66 (2005), 26–44. 50 Rainer Bromme, Lehrerexpertise, in: Wolfgang Schneider/Marcus Hasselhorn (Hg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie, Göttingen 2008, 159–167. 51 Weinert, Leistungsmessung. 52 Dazu Regina Schnell, Erfahrung und Erlebnis in der religiösen Erziehung, Zürich 1984.

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ter, die mit ihrem Säugling vorbeikam, was die Grundschüler sichtlich bewegte.53 Intendiert wird vor allem ästhetisches Erleben: »Das aber erreichen wir nicht durch Vorführung eines abstrakten Textes, sondern durch die anschauliche Einheit«, so schon vor mehr als hundert Jahren und längst vor der Proklamierung von Religionspädagogik als eine auch ästhetische Disziplin Joseph Göttler.54 Es gibt zahlreiche Kniffe und Strategien, die Aufmerksamkeit zu selegieren und so eine Schneise für Interesse zu schlagen: Bilder, Video-Clips, Musikstücke etc. etc. In der Tradition des strukturgenetischen Konstruktivismus gut bewährt haben sich »kognitive Ungleichgewichte«, erzeugt speziell durch Dilemmas.55 Unvergesslich bleibt, wie in einer hospitierten Religionsstunde ein Arzt, der als Gast zugegen war, von seinem bittersten Dilemma im Leben erzählte: Wie er mit seinem Freund in der Felswand von einem Steinschlag überrascht wurde, im Seil hing, nicht in der Lage, sich hochzuziehen, unter ihm hängend sein Kamerad, der auf seine Schreie nicht antwortete. Sein Dilemma: Am Felsen erfrieren, oder das Seil hinter ihm durchschneiden – die Schülerinnen und Schüler saßen da mit aufgesperrten Augen und offenen Mündern. Über Dilemmas Interesse zu wecken, versucht auch die von Jean-Luc Patry entwickelte VAKE: Value and Knowledge Education.56 Schülerinnen werden mit einem realen und fiktiven Dilemma konfrontiert und durch geschickte Fragen zur Einsicht gebracht, dass es für die Lösung desselben nützlich wäre, über zusätzliches Wissen zu verfügen. Besonders Schüler, die ohnehin selbständiger sind, lassen sich dadurch leicht zu Informationsbeschaffung motivieren. Und nicht zuletzt kann – so unsere Resonanzstudien zum Religionsunterricht – enormes Interesse geweckt werden, wenn Unterrichtende aus ihrem Leben erzählen: »Der Lehrer erzählt aus seinem Leben seine Erfahrungen, und wir denken dann darüber nach, ob wir das auch so gemacht hätten« – so eine 14-jährige Gymnasiastin.57 Wie leicht es auch ist, mit vielfältigen Medien kurzfristiges, episodisches Interesse zu wecken, so schwierig ist es jedoch, dieses am Leben zu erhalten und bestenfalls in ein individuell dispositionales Interesse zu überführen bzw. zu habitualisieren.58 Und genau das ist ein wesentliches Ziel von Bildung: Interessantheit von vielfältigen Anregungen sollte zu einer grundsätzlich Interessiert53 Weitere Beispiele: Fritz Oser, Kräfteschulung. Mit Beispielen aus der Praxis, Zürich u. a. 1977. 54 Josef Göttler, Religiöse Erziehung und katechetische Methode, München 1910, 110. 55 Verena Baldus, 50 Dilemmageschichten für Kinder zum Diskutieren, Schreiben, Weiterspielen, Mülheim 2009. 56 Jean-Luc Patry/Sieglinde Weyringer/Alfred Weinberger, Combining values and knowledge education, in: David N. Aspin/Judith D. Chapman (Hg.), Values education and lifelong learning, Berlin 2007, 60–179. 57 Bucher, Religionsunterricht, 75. 58 Krapp, Entwicklung, 191 f.

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heit an so vielem wie möglich werden. Schon Dewey hielt vor, das kurzfristige Wecken von Neugier durch anregende Stimuli reiche dafür nicht aus.59 Effekthascherische Inszenierungen verlieren schnell an Reiz. Als hilfreich dafür, nachhaltige Interessen zu entwickeln, wird die Ausrichtung des Unterrichts an der bereits erwähnten Selbstbestimmungstheorie von Deci and Ryan empfohlen.60 Interessebildend ist vor allem ein solcher Unterricht, der das Autonomiegefühl von Schülern stärkt – übermäßige Kontrolle ist Gift für das Lerninteresse – und ihnen ermöglicht, ihre eigenen Kompetenzen anzuwenden,61 wofür es ratsam sei, jeweils sehr individuelle Feedbacks zu geben. Bestenfalls stellt sich in einem solchen Unterricht ein starkes Gemeinschaftsgefühl ein.62 Gewiss, dies klingt sehr plausibel. Aber dies im Klassenzimmer zum Entstehen zu bringen – etwa mit 30 aufgedrehten Schülerinnen und Schülern, die gerade eine schwierige Mathearbeit geschrieben haben –, ist und bleibt eine gewaltige Herausforderung.

Dr. Anton A. Bucher ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.

59 Dewey, interest, 25. 60 Florian Müller, Interesse und Lernen, in: REPORT 29 (2006), 48–62. 61 Keith Ciani u. a., Motivational influences on school-prompted interest, in: Educational Psychology 30 (2010), 377–393. 62 Krapp, Entwicklung, 198.

Wen der Religionsunterricht nicht erreicht und wie er sich darum ändern müsste – Schülerwahrnehmungen zum Religions- und Ethikunterricht im Vergleich Golde Wissner und Friedrich Schweitzer

Die Frage, wen der Religionsunterricht nicht erreicht, ist bewusst so formuliert, dass sie sowohl Kinder und Jugendliche einschließt, die nie den Religionsunterricht besuchen, wie auch solche Kinder und Jugendliche, die aus dem Religionsunterricht ausgetreten sind. Der erste Fall ist vor allem in den ostdeutschen Bundesländern zu finden, in denen Religion weit weniger häufig besucht wird als Ethik. Austritte aus dem Religionsunterricht gibt es aber schon aus rechtlichen Gründen in allen Bundesländern, da das Grundgesetz eine entsprechende Befreiungsmöglichkeit vorsieht (Art. 7,2 GG). Es kommt aber wohl vor allem in westdeutschen Bundesländern vor, dass sich jemand nach dem Besuch des Religionsunterrichts gegen diesen Unterricht und damit für den Ethikunterricht entscheidet, der »ersatzweise« besucht werden muss (sog. Ersatzfachregelung). Doch soll es in diesem Beitrag nicht nur um diese Entscheidungen als solche gehen, sondern immer auch darum, was aus den damit verbundenen Schülerwahrnehmungen über den Religionsunterricht zu lernen ist. Entsprechend der Thematik des vorliegenden Bandes, die sich vor allem auf problematisierende Wahrnehmungen von Religionsunterricht bezieht, liegt der Schwerpunkt im Folgenden bei negativen Wahrnehmungen von Religionsunterricht. Leider gibt es bis heute nur eine kleinere, nicht repräsentative Befragung von Schülerinnen und Schülern, die aus dem Religionsunterricht ausgetreten sind, und als vergleichende Befragung zu Religion und Ethik ist nur eine fast 20 Jahre alte Studie verfügbar, die sich auf die Einführung dieser Fächer in Ostdeutschland bezieht. Die neue Tübinger Repräsentativstudie »Jugend – Glaube – Religion« lässt nun einen aktuellen systematischen Vergleich zu Schülerwahrnehmungen von Religions- und Ethikunterricht zu, zumindest für ein (süd-) westliches Bundesland (Baden-Württemberg). Auf die Befunde aus dieser Studie soll hier deshalb besonders zurückgegriffen werden, auch mit weiteren Auswertungen speziell zur Fragestellung des vorliegenden Beitrags. Darüber hinaus gibt es eine Reihe kleinerer und größerer Umfragen aus anderen Bundesländern, insbesondere aus Ostdeutschland und Österreich, deren Befunde sich hier ebenfalls nutzen lassen.

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1 Der Abschied vom Religionsunterricht und seine Gründe – Ergebnisse aus der Studie »Jugend – Glaube – Religion« Die Studie »Jugend – Glaube – Religion«1 erlaubt in wichtigen Hinsichten neue Erkenntnisse zum Religionsunterricht, auch wenn ihr eigentlicher Schwerpunkt bei der Religiosität Jugendlicher allgemein lag. Im Herbst 2014 wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Tübingen mehr als 7000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 27 Jahren2 an Gymnasien und Beruflichen Schulen in Baden-Württemberg mithilfe eines eigens entwickelten Fragebogens zu ihren Einstellungen und Haltungen in Bezug auf Religion/en, Kirche und verschiedene Glaubensthemen befragt. Dieselbe Stichprobe wurde im Frühjahr 2017 erneut befragt, sodass Konstanz und Veränderungen festgestellt werden konnten. Eine qualitative Teilstudie begleitete die quantitative Erhebung, wobei rund 300 weitere Schülerinnen und Schüler mithilfe von Gruppeninterviews befragt wurden. Im Folgenden soll nicht die Studie als solche dargestellt werden, sondern es sollen Schülerwahrnehmungen zum Religions- und Ethikunterricht im Vergleich vorgestellt und interpretiert werden, um Erkenntnisse zu der Frage zu finden, welche Jugendlichen sich gegen den Religionsunterricht entscheiden. Dazu werden die evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schüler im Ethikunterricht besonders betrachtet, da in dieser Gruppe aufgrund der Ersatzfachregelung sowie des in Baden-Württemberg üblichen Angebots von Ethik erst in höheren Schulklassen (traditionell ab Klasse 9, inzwischen mitunter schon früher) die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie früher den Religionsunterricht besucht haben und sich von diesem abgemeldet haben. 1.1 Schülerinnen und Schüler, die in Ethik wechseln Da nicht nur Schülerinnen aus dem Religionsunterricht, sondern auch aus dem Ethikunterricht befragt wurden, können mithilfe der Befunde Vergleiche zwischen den beiden Schülergruppen angestellt werden. Wie in Tabelle 1 ersichtlich wird, besuchten im prozentualen Vergleich deutlich mehr Personen ohne Religionszugehörigkeit oder mit muslimischer Religionszugehörigkeit den Ethikunterricht als den Religionsunterricht. Der Ethikunterricht scheint im Blick auf 1 Friedrich Schweitzer/Golde Wissner/Annette Bohner/Rebecca Nowack/Matthias Gronover/ Reinhold Boschki (Hg.), Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht, Münster 2018. In diesem Buch finden sich weitere Nachweise zu den im Folgenden nur kurz genannten Ergebnissen bspw. der Faktorenanalysen. 2 Der Großteil der Befragten (88 %) war bei der ersten Erhebung zwischen 16 und 19 Jahre alt.

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die Religionszugehörigkeiten »bunter« gemischt zu sein. Dennoch ist auch festzuhalten, dass die Hälfte der Schüler im Ethikunterricht entweder angibt, evangelisch oder römisch-katholisch zu sein. Speziell für diese Gruppe kann gefragt werden, was sie möglicherweise bewogen hat, in den Ethikunterricht zu wechseln. Auch wenn im Einzelfall nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob ein Wechsel in Ethik stattgefunden hat (danach wurde nicht explizit gefragt), sind neben dem Vergleich der Wahrnehmungen von Religion und Ethik auch in dieser Hinsicht zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Unterscheiden sich die evangelischen und katholischen Schülerinnen in ihren Einstellungen und religiösen Ansichten im Religionsunterricht auf der einen und im Ethikunterricht auf der anderen Seite, so kann dies ein erster Hinweis auf Gründe für ihre Wahl von Religion oder Ethik sein. Tabelle 1: Religionszugehörigkeit und Unterrichtsfach (t1-Sample) Religions­ zugehörig­keit/ Konfession

RU (N = 6003)

EU (N = 1074)

Anzahl Schüle­rinnen/ Schüler

Pro­ zent

Anzahl Schüle­rinnen/ Schüler

Pro­ zent

römisch-katholisch

2663

44 %

253

24 %

evangelisch

2474

41 %

283

26 %

evangelisch-freikirch­ lich

190

3 %

15

1 %

christlich-orthodox

87

1 %

46

4 %

muslimisch

178

3 %

195

18 %

ohne Religionszuge­ hörigkeit

338

6 %

283

26 %

andere

73

1 %

44

4 %

Verteilung der Schülerinnen/Schüler nach Religionszugehörigkeit/Konfession und Unterrichtsfach. RU = Schülerinnen/Schüler im Religionsunterricht, EU = Schülerinnen/Schüler im Ethikunterricht. Die prozentualen Anteile beziehen sich jeweils auf die Gesamtzahl der Schülerinnen/ Schüler im Religions- bzw. Ethikunterricht. Rundungsdifferenzen sind der Grund, warum die Summe der Prozentwerte von 100 % abweichen kann.

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Weniger Glaube und mehr Zweifel im Ethikunterricht

»Es gibt so viele wissenschaftliche Gegenbeweise, dass Gott nicht die Welt erschaffen hat, somit kann es ihn auch nicht geben.« (m, 16 Jahre, evangelisch, Ethikunterricht, Berufliche Schule).3 Ethikschülerinnen und -schüler weisen insgesamt deutlich niedrigere Religiositätswerte auf: Sie glauben seltener an Gott, beten weniger häufig und sind deutlich weniger kirchlich verbunden als Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht. Diese Effekte zeigen sich auf Item- und auf Faktorenebene und verstärken sich über die Zeit, was bei der zweiten Befragung derselben Stichprobe festgestellt werden konnte. Das trifft auch dann zu, wenn nur evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler in die Auswertung einbezogen werden. Abbildung 1 zeigt, dass es hinsichtlich der evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht und im Ethikunterricht große Unterschiede im Blick auf die Zustimmung zu zentralen Glaubensaussagen gibt: Etwas mehr als die Hälfte der evangelischen und katholischen Befragten im Religionsunterricht stimmen beispielsweise der Aussage »ich glaube an Gott« zu,

Abbildung 1: Zentrale Glaubensaussagen – Evangelische und katholische Schülerinnen/Schüler im Ethik- oder Religionsunterricht Abgebildet sind die tendenziellen Zustimmungswerte (TZ) in Prozent (Stufen 5/6/7 der Skala 1 = trifft gar nicht zu; 7 = trifft voll zu), RU = katholische und evangelische Schülerinnen/Schüler im Religionsunterricht, EU = katholische und evangelische Schülerinnen/Schüler im Ethikunterricht, N(RU) = 5070–5081, N(EU) = 483–490. 3 Alle Schüleräußerungen in diesem Beitrag stammen aus der Interviewstudie des Tübinger Forschungsprojektes.

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Golde Wissner und Friedrich Schweitzer

während dies nur 28 % der evangelischen und katholischen Ethikschülerinnen und -schüler tun. Lediglich 6 % der katholischen und evangelischen Ethikschülerinnen und -schüler würden sich als religiös bezeichnen (im Religionsunterricht bezeichnen sich 22 % der katholischen und evangelischen Jugendlichen als religiös). Mehr religiöse Sozialisation und kirchliche Verbundenheit im Religionsunterricht

»Ich bin groß geworden mit der Kirche (Jungschar, Kinderkirche, Kinderbibelwochen …); meine Eltern arbeiten beide für die Kirche, für mich war die Kirche also immer im Alltag mit dabei. Durch meine Konfirmation hat sich das aber alles verstärkt, mein Glaube.« (w, 15 Jahre, evangelisch, Religionsunterricht, berufliches Gymnasium) Ethikschülerinnen und -schüler geben an, insgesamt weniger religiös sozialisiert zu sein als die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht. Betrachtet man nur die Zustimmung der katholischen und evangelischen Schülerinnen und Schüler in den beiden Fächern zu der Aussage »ich wurde religiös erzogen«, ergibt sich dasselbe Gefälle: 39 % der Religionsschülerinnen und -schüler und 29 % der Ethikschülerinnen und -schüler stimmen zu. Wie auch durch eine Regressionsanalyse festgestellt werden konnte, ist die Wahrscheinlichkeit, am Ethikunterricht teilzunehmen, für Personen mit niedrigerer religiöser Sozialisierung größer als für Personen mit höherer religiöser Sozialisierung. Der soziale Druck der Eltern, am Religionsunterricht teilzunehmen, dürfte bei Personen mit niedriger religiöser Sozialisation geringer sein: Wenn die Erwartung der Eltern für die Teilnahme am Religionsunterricht nicht vorhanden ist, liegt es den Jugendlichen näher, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Abbildung 2 zeigt die Einstellung zur Kirche evangelischer und katholischer Schülerinnen und Schüler abhängig davon, ob sie im Ethikunterricht oder im Religionsunterricht sind: Die größere Distanzierung der Ethikschülerinnen und Schüler zur Institution Kirche wird deutlich. Beispielsweise erwägt die Hälfte (51 %) dieser Jugendlichen, aus der Kirche auszutreten, oder ist bereits ausgetreten, während es bei den Religionsschülerinnen und -schülern etwas weniger als ein Viertel sind (was aus kirchlicher Sicht gleichwohl zu denken geben muss). Eine größere Distanz zur Kirche mag auch ein Grund sein, warum sich Jugendliche eher für den Ethikunterricht entscheiden. Sie identifizieren sich vermutlich nicht mit dem Religionsunterricht, weil sie sich nicht mit Kirche

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identifizieren, denn die Begriffe Religion und Kirche gehören für Jugendlichen eng zusammen.4 Das Zitat einer Schülerin aus dem Ethikunterricht macht dies deutlich und zeigt zugleich, dass es auch im Ethikunterricht Jugendliche gibt, die unabhängig von institutioneller Bindung an Gott glauben: »Mein Glaube hat sich insoweit verändert, dass ich immer noch an Gott glaube, aber die Sicht der Kirche nicht mehr teilen kann.« (w, 16 Jahre, katholisch, Ethikunterricht, allgemeinbildendes Gymnasium).

Abbildung 2: Einstellungen zur Kirche – Ev. und kath. Schülerinnen/Schüler im Ethik- und Religionsunterricht im Vergleich Abgebildet sind die tendenziellen Zustimmungswerte (TZ) in Prozent (Stufen 5/6/7 der Skala 1 = trifft gar nicht zu; 7 = trifft voll zu), RU = katholische und evangelische Schülerinnen/Schüler im Religionsunterricht, EU = katholische und evangelische Schülerinnen/Schüler im Ethikunterricht, N(RU) = 4708–5007, N(EU) = 406–454.

1.2 Der Ethikunterricht wird mehr geschätzt Das dritte auffällige Ergebnis der Fragebogenuntersuchung: Ethikschülerinnen und -schüler finden ihren Unterricht interessanter und die Inhalte relevanter als Religionsschülerinnen und -schüler. Dabei wurden die Jugendlichen nicht selbst um eine vergleichende Einschätzung gebeten – sie besuchen aktuell ja nur den einen oder den anderen Unterricht. Die vergleichende Einschätzung beruht vielmehr auf einer Auswertung der Angaben zu Ethik einerseits und Religion andererseits. Das Ergebnis ändert sich nicht, wenn ausschließlich die evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schüler in die Analyse einbezogen werden: In Tabelle 2 sind die Zustimmungswerte für einzelne Aussa4 Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 70 ff.

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gen, die den Unterricht betreffen, für evangelische und katholische Befragte nach Unterrichtsfach getrennt abgebildet. Dabei wird beispielsweise ersichtlich, dass 70 % der evangelischen und katholischen Ethikschülerinnen und -schüler zustimmen, dass es in ihrem Unterricht spannende Themen gebe, während dem nur die Hälfte der evangelischen und katholischen Religionsschülerinnen und -schüler zustimmt. Tabelle 2: Einstellungen zum Unterricht – Ethikunterricht und Religionsunterricht im Vergleich RU

EU

N

M

SD

TZ

N

M

SD

TZ

Im Religions-/ Ethikunterricht gibt es spannende Themen.

5037

4.40

1.66

51 %

457

5.18

1.61

70 %

Der Religions-/ Ethikunterricht bringt mir persönlich wenig.

5032

4.27

1.82

47 %

455

3.59

1.89

30 %

Der Religions-/ Ethikunterricht hilft mir bei schwierigen Lebensfragen.

5027

2.67

1.55

15 %

456

3.06

1.72

24 %

Der Religions-/ Ethikunterricht gibt mir Denkanstöße.

5026

4.10

1.77

47 %

455

4.50

1.87

59 %

Für meinen (späteren) Beruf lerne ich etwas im Religions-/ Ethikunterricht.

5031

2.37

1.58

13 %

455

2.82

1.91

19 %

Es ist wichtig, dass die Lehrkraft in Religion/Ethik nach unserer Meinung fragt.

5027

5.67

1.54

80 %

454

5.96

1.49

86 %

TZ = tendenzielle Zustimmung in Prozent (Stufen 5/6/7 der Skala 1 = trifft gar nicht zu; 7 = trifft voll zu), RU = katholische und evangelische Schülerinnen/Schüler im Religionsunterricht, EU = katholische und evangelische Schülerinnen/Schüler im Ethikunterricht. Alle Mittelwertunterschiede sind im t-test signifikant (p < 0.001).

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Aus religionspädagogischer Sicht können diese Ergebnisse nicht kalt lassen: Wo­her kommt diese bessere Bewertung des Ethikunterrichtes? Eine Schülerin sagt: »Ich finde im Ethikunterricht lernt man zu denken und man muss wirklich denken und da geht’s eben und da hatte ich im Religionsunterricht eben […] immer das Gefühl, es wird einem vorgegeben, wir lesen jetzt die Stelle in der Bibel, schreib raus, was Jesus getan hat oder sowas. ›Herzlichen Glückwunsch, Sie wissen jetzt Bescheid.‹ […] in Ethik, grad durch unsere Lehrerin, die regt uns dazu an nachzudenken, eine eigene Meinung zu bilden, die dann auch wirklich mit anderen zu diskutieren und zu gucken: was denken Andere drüber, denken die anders als ich? Und das finde ich eben das Schöne an Ethik, es wird viel mehr zugelassen als im Religionsunterricht.« (w, 18 Jahre, katholisch, Ethikunterricht, berufliches Gymnasium) Auch wenn diese einzelne kritische Schülererfahrung nicht vorschnell zu Verallgemeinerungen im Blick auf den Religionsunterricht führen darf, drängt sich die These auf, dass es Schülerinnen und Schüler gibt, die zu wenig Meinungsfreiheit im Religionsunterricht erleben und sich durch die Inhalte und Methoden dort zu wenig angesprochen fühlen. 1.3 Zusammenfassung Die dargestellten Ergebnisse legen mehrere Gründe nahe, warum sich evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht in den Ethikunterricht verabschieden: Sie sind weniger religiös und weniger stark religiös sozialisiert als die Jugendlichen im Religionsunterricht und/oder machen dort Erfahrungen, die ihnen den Eindruck vermitteln, eher in den Ethikunterricht zu »passen«, der zudem insgesamt attraktiver erscheint. »Ich besuchte seit der 1. Klasse den Religionsunterricht, jedoch hat sich mein Glaube in den letzten Jahren verändert; ich habe meine eigene Vorstellung bekommen und fühle mich nun im Ethikunterricht um einiges besser verstanden.« (w, 17 Jahre, katholisch, Ethikunterricht, berufliches Gymnasium) Wie es diese Schülerin ausdrückt, fühlt sie sich im Ethikunterricht »besser verstanden«, nachdem sie eine »eigene Vorstellung« davon bekommen hat, was Glaube für sie ist. Ihre Religiosität ist nicht verschwunden, aber ihr Glaube hat

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sich so verändert, dass sie sich nun weniger mit dem als offenbar als zu »eng« wahrgenommenen Religionsunterricht identifiziert. Der Religionsunterricht scheint ein »Image-Problem« zu haben, wenn Jugendliche meinen, sie könnten dort nur bestimmte Meinungen vertreten: »Ich wurde im Unterricht (kath. Religion) gefragt, wie die Welt entstanden ist. Meine Antwort war ›durch den Urknall‹. Die gewollte Antwort war ›durch Gott‹. Das zeigte mir, dass ich im Ethikunterricht besser aufgehoben bin, da ich nicht mehr an Gott glaube.« (w, 15 Jahre, katholisch, Ethikunterricht, allgemeinbildendes Gymnasium). Die Ethikschülerinnen und -schüler sind weniger religiös und gehen deshalb nicht (mehr) in den Religionsunterricht – die Äußerung der Schülerin oben zeigt, dass es zu einfach wäre, bei dieser simplen Begründung stehen zu bleiben: Die Jugendliche fühlt sich nicht nur deshalb »im Ethikunterricht besser aufgehoben«, weil sie nicht an Gott glaubt, sondern auch, weil sie meint, dass ihre Meinung im Religionsunterricht nicht passend, vielleicht sogar unerwünscht sei. Es gibt Schülerinnen und Schüler, die meinen, aufgrund einer vermeintlich falschen Meinung oder »unpassenden« religiösen Überzeugung, nicht in den Religionsunterricht zu gehören. Dies würden die allermeisten Religionspädagoginnen und -pädagogen als ein problematisches Vorurteil bezeichnen, dem dringend begegnet werden muss. Nimmt man die verschiedenen Befunde zusammen, ergibt sich also, dass der Religionsunterricht für Jugendliche, die religiös wenig sozialisiert sind, dem christlichen Glauben fragend-kritisch oder gleichgültig begegnen und sich der Kirche nicht verbunden fühlen, am wenigsten attraktiv ist. Dazu kommen noch die positiven Erfahrungen aus dem Ethikunterricht. Dieses Ergebnis erscheint nur auf den ersten Blick banal. Denn es impliziert – etwas anders sowie zugespitzt formuliert –, dass der Religionsunterricht vor allem solche Jugendliche anzusprechen vermag, die dem christlichen Glauben und der Kirche ohnehin nahestehen. Ehe diese Wahrnehmung weiter diskutiert wird, soll zunächst ein Blick auf andere Studien geworfen werden: Stützen auch sie diese Deutung? Ergänzen sie das Bild, indem sie weitere Gründe benennen, warum Schülerinnen und Schüler den Ethikunterricht favorisieren?

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2 Was begründet die Entscheidung für oder gegen den Religionsunterricht? Weitere Untersuchungen zum Religions- und Ethikunterricht Um es noch einmal zu sagen: Es gibt nur wenige aktuelle Untersuchungen zu der Frage, warum sich Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht abmelden oder in den Ethikunterricht wechseln. Zu nennen ist vor allem die 2016 von Carsten Gennerich und Mirjam Zimmermann veröffentlichte explorative Studie mit einem allerdings nicht systematisch kontrollierten Sample von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern in verschiedenen Bundesländern (s. dazu unten). Im Folgenden geht es nicht um eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse solcher Studien. Der Schwerpunkt liegt durchweg bei der Frage, welches weitere Licht sie auf die Wahrnehmung von Religion und Ethik werfen und was dies im Blick auf die Frage, wen der Religionsunterricht nicht erreicht, bedeutet. Die Bedeutung der Lehrkraft und andere situationsbedingte Gründe

»Ich glaube, beim Religionsunterricht ist’s halt auch so, dass es total vom Lehrer abhängt. Also ich glaube, wir haben auch eine richtig gute Lehrerin.« (w, 18 Jahre, katholisch, Religionsunterricht, berufliches Gymnasium) »Zu Ethik gewechselt, wegen meinen Freunden, immer noch gläubig.« (m, 15 Jahre, katholisch, Ethikunterricht, allgemeinbildendes Gymnasium) Es »hängt total vom Lehrer ab« oder die Freunde, die in Ethik wechseln, geben den Ausschlag: Oftmals werden auch in den Interviews des Tübinger Projektes äußere Umstände dafür genannt, dass sich Jugendliche gegen (oder für) den Religionsunterricht entscheiden. Zu denken ist bei solchen Faktoren etwa an die Rolle der Lehrkraft, ihre Kompetenz und Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern, die Freundinnen und Freunde, die vielleicht in Ethik gewechselt sind, oder beispielsweise auch eine (vermutete) bessere Benotung im anderen Fach. Wenn es Ethik an der Schule als Ersatzfach nicht gibt, wiegt verständlicherweise auch die Zeitersparnis als Motiv für die Abmeldung aus dem Religionsunterricht schwer.5 Andererseits kann ein äußerer Grund für den Verbleib 5 Georg Ritzer, Was muss geschehen, dass sich SchülerInnen, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, an diesem wieder beteiligen? Ein Plädoyer zur Analyse von Einflussfaktoren zum Abmeldeverhalten vom RU an Schulen, in: Österreichisches religionspädagogisches Forum 12/13/2003, 67.

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im Religionsunterricht sein, wenn angenommen wird, dass der spätere Arbeitgeber Wert auf eine gute Religionsnote legt. In diesem Zusammenhang ist zudem zu betonen, dass auch strukturelle Faktoren, die die Schule betreffen, nicht zu unterschätzen sind. Damit sind beispielsweise die Akzeptanz des Faches Religion im Kollegium gemeint und die Bewertung des Faches unter den Schülern6 oder das Klima in der aus verschiedenen Klassen zusammengesetzten Lerngruppe im Religionsunterricht.7 Das Ergebnis einer Befragung von 325 Schülerinnen und Schülern, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, und 100 Religionslehrkräften in vier westdeutschen Bundesländern bestätigen, dass besagte äußere Umstände bei der Abmeldung vom Religionsunterricht bedeutsam sein können.8 Lehrkräfte vermuteten vor allem diese Faktoren als Ursache für den Wechsel in Ethik. Die Ergebnisse der Schülerbefragung derselben Untersuchung machen allerdings auch deutlich, dass inhaltliche Begründungsmuster, die sich direkt auf den Unterricht beziehen, nicht unterschätzt und übergangen werden dürfen: Gründe für die Abmeldung aus dem Religionsunterricht, die mit persönlichen Faktoren, Einstellungen und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf Inhalte und Methoden des Religionsunterrichtes selbst zusammenhängen.9 Da diese Dimension der Abmeldegründe aus Sicht der Lehrkräfte sehr viel undurchsichtiger sind, betonen die Autoren, dass es umso wichtiger sei, sich ihnen verstärkt empirisch und praktisch zuzuwenden. 2.1 Die Qualität des Unterrichtes Einige weitere Befragungen aus den ostdeutschen Bundesländern und in Österreich geben interessante Einblicke in die Motive von Schülerinnen und Schülern, sich für oder gegen Religion als Schulfach zu entscheiden. Ein beachtlicher Teil der Personen ohne Religionszugehörigkeit nimmt in Ostdeutschland bewusst 6 Ebd. 7 Günter Denk/Robert Kissinger/Georg Wagner, LehrerInnen ohne Absatzgarantie – eine Studie zur Abmeldung vom evangelischen Religionsunterricht in der Oberstufe der Wiener allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS), Wien 1996. 8 Mirjam Zimmermann/Carsten Gennerich, Abmeldung vom Religionsunterricht – Statistiken, empirische Analysen, didaktische Perspektiven, Leipzig 2016. 9 Auch Steffi Völker stellte in ihrer Befragung in Ostdeutschland diese unterschiedliche Wahrnehmung bei Schülerinnen/Schülern und Lehrkräften fest: Die Sympathie der Lehrkraft wurde von den Lehrenden als einer der wichtigsten Faktoren bei der Bewertung des Faches genannt, während sie bei der Schülerschaft auf dem letzten Platz bei der Wichtigkeit möglicher Faktoren rangiert. In: Steffi Völker, Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt und Thüringen – eine empirische Studie, Leipzig 2015, 204.

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am Religionsunterricht teil und ist interessiert, mehr über religiöse Themen zu erfahren.10 In einer repräsentativen Befragung von 1455 Schülerinnen und Schülern in Thüringen wurde der Religionsunterricht mindestens ebenso gut bewertet wie der Ethikunterricht11 (anders also als in der Tübinger Studie, in der wie oben beschrieben der Religionsunterricht im Vergleich zu Ethik schlechter abschneidet, wobei sich die Thüringer Studie auf eine Sondersituation – die Einführung der Fächer – bezieht). Ein Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Ergebnisse nahezu aller Untersuchungen: Die Qualität des Religionsunterrichtes ist entscheidend. Werden Inhalte oder die Methode von den Schülerinnen und Schülern als mangelhaft erachtet, kann dies zu einem Wechsel in den Ethikunterricht führen.12 Interessant ist der Befund einer Studie mit 1536 Jugendlichen in Österreich, die untersucht, was Schülerinnen und Schüler dazu bewegt, zurück in den Religionsunterricht zu wechseln: Dies geschehe dann mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, wenn die Qualität des Unterrichts merklich steige, wobei die »Lebensrelevanz« für die Jugendlichen von großer Bedeutung ist.13 Die Qualität des Unterrichtes ist auch nach der Studie von Carsten Gennerich und Mirjam Zimmermann ein entscheidendes Kriterium für das Abmeldeverhalten der Jugendlichen. Die befragten Schülerinnen nannten vor allem inhaltliche Gründe, die sie dazu bewogen hätten, sich vom Religionsunterricht abzumelden. 2.2 Die eigene Entscheidung bei der Unterrichtswahl Ein weiterer Punkt, der zwar bekannt ist, aber vielleicht in Bezug auf das Abmeldeverhalten der Jugendlichen zumindest in Westdeutschland zu wenig in Blick kommt, ist das Streben der Jugendlichen nach Autonomie. Klaus Petzold führt überzeugend aus, dass die bewusste und eigene Entscheidung für den Religionsunterricht in den neuen Bundesländern zur positiven Bewertung des Faches beiträgt.14 Dieser Effekt dürfte sozusagen umgekehrt für Westdeutschland gelten. Wie ausgeführt wurde: Die Ethikschüler haben sich in den westdeutschen Bundesländern in den meisten Fällen (im Gegensatz zu den Religionsschüle10 Michael Wermke, Evangelischer Religionsunterricht in Ostdeutschland – empirische Befunde zur Teilnahme thüringischer Schülerinnen und Schüler, Jena 2006, 107. 11 Klaus Petzold, Religion und Ethik hoch im Kurs – repräsentative Befragung und innovative Didaktik, Leipzig 2003, 33. 12 Michael Domsgen/Frank Lütze, Schülerperspektiven zum Religionsunterricht – eine empirische Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Leipzig 2010, 131 ff. 13 Ritzer, Was muss geschehen. 14 Petzold, Religion und Ethik, 35.

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rinnen, die im Religionsunterricht verbleiben!) bewusst für das Fach Ethik und damit gegen Religion entschieden. Diese Entscheidung selbst kann zusätzlich bewirken, dass auch das Fach Ethik insgesamt positiver bewertet wird.15 Für Ethik sprechen auch nach einer Untersuchung in Österreich das Interesse und die Neugier der Jugendlichen in Bezug auf das »neue« Fach.16 Dazu kommt in diesem Zusammenhang das für Jugendliche kennzeichnende Bedürfnis nach eigenständigem Denken und danach, in den eigenen Positionen ernst genommen zu werden. Dieses Bedürfnis wird in den Augen mancher Jugendlicher eher im Ethikunterricht als im Religionsunterricht aufgenommen, wie unter anderem die oben vorgestellten Befunde der Tübinger Studie nahelegen. 2.3 Zusammenfassung Weitere Studien unterstreichen die in der Tübinger Studie gefundenen Ergebnisse und ergänzen weitere Faktoren, die für die Abmeldung aus dem Religionsunterricht relevant sind und in der Tübinger Studie nicht eigens abgefragt worden sind. Neben der Rolle, die die Religiosität der Schülerinnen und Schüler, deren religiöse Sozialisation und kritische Wahrnehmungen zum Religionsunterricht spielen, können durch die vorgestellten Befunde folgende Punkte ergänzt werden, die bedeutsam für die Jugendlichen bei der Wahl des Unterrichtsfaches sind: Äußere Faktoren (Lehrerpersönlichkeit, Notengebung, Peers …) können mit ins Gewicht fallen. Solche Gründe werden oftmals von den Lehrkräften als primär ausschlaggebend wahrgenommen und damit überschätzt. Deutlich wichtiger ist in den Augen der Jugendlichen die Qualität des Unterrichts (Inhalte, Methoden). Und drittens die eigene Entscheidung für Ethik und damit gegen Religion (insbesondere in den westdeutschen Bundesländern, wo Ethik meist erst später als Alternative zum Religionsunterricht hinzukommt), die dem Autonomiestreben der Jugendlichen entgegenkommt und die bessere Bewertung des Faches Ethik miterklären könnte. Die äußeren Faktoren, die eine Rolle dafür spielen können, warum sich Jugendliche für Ethik entscheiden, sind also nicht zu übergehen, aber auch keinesfalls zu überschätzen. Es wäre nicht sinnvoll, bei diesen Erklärungen (z. B. »es liegt halt am Lehrer« …) allein stehen zu bleiben. Alle genannten Studien belegen, dass sich Schülerinnen und Schüler im Unterricht Themen wünschen, 15 Dieser Effekt kann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht allein die oben genannten und für den Religionsunterricht teilweise alarmierenden Ergebnisse erklären. 16 Anton A. Bucher, Ethikunterricht in Österreich – Bericht der wissenschaftlichen Evaluation der Schulversuche »Ethikunterricht«, Wien/Innsbruck 2001, 25.

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die mit der eigenen Existenz zu tun haben,17 und der Religionsunterricht dann besonders positiv bewertet wird, wenn er als lebensrelevant beziehungsweise »lebensnah« eingestuft wird und darin »lebenspraktische Nützlichkeit« offenbar wird,18 was allerdings in der Realität in den Augen der Jugendlichen zu selten der Fall ist.19 Dieser übergreifende Befund ist für die Religionspädagogik irritierend, da sie sich seit den 1970er Jahren ja gerade dem Ziel verschrieben hat, eine am Subjekt orientierte lebensförderliche Begleitung im christlich-theologischen Horizont zu bieten.

3 Implikationen und Konsequenzen für den Religionsunterricht Wie mithilfe der Befunde der Tübinger Studie sowie weiterer Forschungsergebnisse gezeigt werden konnte, lassen sich verschiedene Motive und Gründe identifizieren, warum sich Jugendliche aus dem Religionsunterricht verabschieden. So muss zwischen äußeren Gründen unterschieden werden, die mit eine Rolle für die Entscheidung spielen können, und Hauptgründen, die oftmals inhaltlicher Art sind und sich im Gegensatz zu den äußeren Gründen als ausschlaggebend für die Abmeldung aus dem Religionsunterricht erweisen. Wie ist mit diesen Ergebnissen umzugehen? Zwar wird der Religionsunterricht in den vorgestellten Befunden der Tübinger Studie nicht mehrheitlich schlecht bewertet, aber doch fast durchweg schlechter als der Ethikunterricht. Und auch die qualitative Auswertung der Schülerinterviews zeigte, dass das »Image« des Religionsunterrichtes in vielen Fällen hinter dem zurückbleibt, was sich Religionslehrkräfte wünschen würden. Wenn Schülerinnen den Religionsunterricht als realitätsfern empfinden oder das Gefühl haben, mit ihrer Meinung dort nur anzuecken, muss dringend weiter erörtert werden, ob, wie weit und warum möglicherweise die Realität und die Meinungen der Schüler bei dieser Beurteilung auseinander gehen. Auf jeden Fall muss dieses Ergebnis ernst genommen und darauf reagiert werden. Vielleicht noch mehr Anlass zu (selbst-)kritischer religionspädagogischer Reflexion gibt der Befund, dass der Religionsunterricht offenbar solche Kinder und Jugendliche wenig oder gar nicht erreicht, die entsprechende Interessen nicht schon aus dem Elternhaus oder aus der religiösen Sozialisation mitbrin17 Petzold, Religion und Ethik. 18 Wermke, Evangelischer Religionsunterricht, 46. 19 Z. B. Ritzer, Was muss geschehen, 65.

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gen. Damit wird gerade diejenige Gruppe der Kinder und Jugendlichen verfehlt, für die der Religionsunterricht der einzige Zugang zu Religion und religiöser Bildung darstellt. Ein solcher Effekt ist natürlich nicht beabsichtigt, weder in der Theorie noch in der Praxis – wenn er sich dennoch einstellt, muss etwas schiefgelaufen sein, gerade ohne dass dies den Beteiligten bislang bewusst wäre. Ratlosigkeit, Frustration und Überforderung – so beschreiben Carsten Gennerich und Mirjam Zimmermann mögliche Reaktionen von Lehrkräften auf die Abmeldung ihrer Schüler vom Religionsunterricht.20 Sicherlich wäre es der falsche Weg, aktionistisch nach Ideen zu suchen, wie man alle Religionsschülerinnen in Zukunft am besten davon abhalten könnte, in Ethik zu wechseln. Es ist gut und notwendig, dass es den Ethikunterricht für diejenigen Schülerinnen und Schüler gibt, die sich bewusst gegen den Religionsunterricht entscheiden wollen. Jedoch sollte die Entscheidung gegen »Reli« nicht auf falschen Annahmen gründen. Darum ist es ebenso falsch, die Hände in den Schoss zu legen und nichts zu tun: Religionsunterricht kann und sollte sich selbst nicht als zu selbstverständlich hinnehmen, er sollte darum Kindern und Jugendlichen transparenter machen, worum es ihm geht und was sie dort erfahren und lernen können. Warum nicht mit Angeboten werben, die auch Jugendliche mit kritischen Haltungen, mit diffusen religiösen Vorstellungen, mit Zweifeln und ohne familiäre religiöse Sozialisation ansprechen? Warum nicht nach der Entwicklung neuer Rahmenbedingungen suchen, sodass die Jugendlichen sich (wie in einigen Fällen in Ostdeutschland) ebenso bewusst für das Fach Religion wie für das Fach Ethik entscheiden können? Wie mit den Ergebnissen der Tübinger Studie gezeigt wurde, gibt es einen beträchtlichen Anteil unter den evangelischen und katholischen Schülerinnen, die sich in Ethik »besser aufgehoben« fühlen, weil sie weniger religiös sind und Religion in ihrem Elternhaus keine große Rolle spielt. Diese Gruppe darf (ebenso wie die konfessionslosen und alle anderen Schüler) nicht ausgeblendet werden. Denn die Zuwendung zu allen, besonders auch zu den Schwierigen, Ablehnenden und Desinteressierten ist ein Auftrag der christlichen Religionspädagogik. Schon in den 1990er Jahren wurde der Ruf laut, man müsse sich von der »Fiktion einer christlich homogenen Schülerschaft« im Religionsunterricht verabschieden.21 In Zeiten, in denen die Gesellschaft immer pluraler wird – auch innerhalb der christlichen Konfessionen, muss sich der Religions20 Zimmermann/Gennerich, Abmeldung, u. a. 112 f. 21 Fred-Ole Sandt, Religiosität von Jugendlichen in der multikulturellen Gesellschaft – Eine qualitative Untersuchung zu atheistischen, christlichen, spiritualistischen und muslimischen Orientierungen, Münster 1996, 262.

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unterricht weiter öffnen. Dass die Pluralität bzw. die Heterogenität längst in der Wahrnehmung der Schülerinnen selbst angekommen ist, zeigt beispielsweise die Studie des Teams um Uta Pohl-Patalong aus dem Jahr 2017.22 Die vielen Stimmen nicht nur wahrzunehmen, sondern auch ernst zu nehmen, sodass sie sich auch im Religionsunterricht »gut aufgehoben« fühlen, ist sicherlich eine große Herausforderung. Die vorgestellten Befunde und Analysen begründen die Forderung nach einem neuen religionspädagogischen Bewusstsein für die Herausforderungen, die aus den Antworten auf die Frage erwachsen, wen der Religionsunterricht (noch) nicht erreicht.

Dr. Dr. h. c. Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen. Dipl. Psych. Golde Wissner ist Pfarrerin und Mitarbeiterin am Evangelischen Institut für Berufsorientierte Religionspädagogik (EIBOR) an der Universität Tübingen.

22 Uta Pohl-Patalong/Johannes Woyke/Stefanie Boll/Thorsten Dittrich/Antonia Elisa Lüdke, Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt, Stuttgart 2016.

Ach, ist doch bloß Reli! Ist der Religionsunterricht selbst schuld daran, wenn man ihn nicht ernst nimmt? Rudolf Englert

Wohl jeder, der mit religionsdidaktischer Theorie und Praxis einigermaßen vertraut ist, weiß, was der Religionsunterricht für eine großartige Sache sein kann. Viele Religionslehrerinnen könnten vermutlich ohne Weiteres von Erfahrungen erzählen, die zeigen, was ihr Unterricht alles bewirken und wie gut er Kindern und Jugendlichen tun kann. Kaum zu bestreiten ist allerdings auch, dass das Potenzial dieses Faches aus vielerlei Gründen oft nicht so zum Tragen kommt, wie es zu wünschen wäre. Der Religionsunterricht kann seinen Anspruch längst nicht immer umsetzen und bleibt hinter seinen Möglichkeiten teilweise deutlich zurück. Von den bildungstheoretischen Idealen, programmatischen Erklärungen und religionsdidaktischen Konzepten kommt auf der religionsunterrichtlichen Alltagsbühne manchmal nicht viel an. Wenn wir dem neuseeländischen Bildungsforscher John Hattie folgen, wäre gerade an den Punkten anzusetzen, an denen es nicht klappt, an denen es schwergängig wird, an denen die Bemühungen ins Leere laufen.1 So soll im Folgenden nicht vor allem auf den Anspruch und das Potenzial des Religionsunterrichts geschaut werden, sondern auf seine gegenwärtige Realität und die in dieser erkennbar werdenden Schwachpunkte. Es soll gefragt werden, inwieweit der Religionsunterricht ihm gegenüber feststellbare Reserven und Abwertungen, gerade auf Schülerseite, selbst mitverursacht. Dabei werde ich von außen nach innen vorgehen und mich von den äußeren Bedingungen schrittweise zur inneren Gestalt des Faches vorarbeiten.

1 Anzeichen schulischer Marginalisierung Gegen Ende ihrer universitären Ausbildung haben unsere Studierenden ein Praxissemester zu absolvieren.2 Ein halbes Jahr lang können sie, beobachtend 1 2

Vgl. John Hattie, Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von »Vis­ ible Learning«, Baltmannsweiler 2013, 5. Vgl. dazu Mirjam Zimmermann/Hartmut Lenhard, Praxissemester Religion, Göttingen 2015.

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und mitgestaltend, die Praxis an Schulen jenes Typs kennenlernen, an denen sie später tätig sein wollen. Ein fachdidaktisches Begleitseminar soll ihnen helfen, diese Erfahrungen zu verarbeiten. Heute treffe ich mich das erste Mal mit den jungen Männern und Frauen, die nun schon seit einigen Wochen in »ihren« Schulen sind. In einer ersten Gesprächsrunde tauschen wir uns darüber aus, wo sie »gelandet« sind und wie es dort um den Religionsunterricht bestellt ist. Am besten, so scheint es, ist die Situation an den Gymnasien. Eine Kommilitonin ist einem kirchlichen Gymnasium zugewiesen worden, an dem es sage und schreibe zwölf Fachlehrer für katholische Religion gibt. Der Religionsunterricht korrespondiert hier mit der besonderen Ausrichtung der Schule und wird dementsprechend geschätzt und ausgestattet. In den anderen Schulformen aber sieht es teilweise düster aus. Eine Studentin ist an einer großen Gesamtschule mit über 1000 Schülerinnen tätig, an der es gerade einmal drei Kurse für katholische Religion gibt. Drei Kurse in neun Schuljahren! Der Hintergrund ist: Die meisten Schüler an dieser Schule im Ruhrgebiet sind islamischen Glaubens. Findet denn islamischer Religionsunterricht statt? Das weiß die Kommilitonin nicht. Was wird aus dem Fach »Religion« unter solchen Umständen? Was nützt die ganze Diskussion um kompetenzorientierten Religionsunterricht, wenn die Voraussetzungen für die Entwicklung aufeinander aufbauender Kompetenzen schlichtweg fehlen? Eine andere Studentin berichtet aus dem Berufskolleg. Ihr Mentor ist ein evangelischer Berufsschulpfarrer, der ursprünglich Gemeindepastor werden wollte und sich mit seiner Tätigkeit an der Schule nie wirklich anfreunden konnte. Nach vielen Jahren ungeliebter Lehrertätigkeit ist er jetzt frustriert und lässt die Dinge laufen, redet fast die ganze Stunde selbst oder zeigt Filme. Die Schülerinnen nehmen die Praktikantin beiseite und fragen, ob nicht sie den Unterricht übernehmen könne. Ich frage mich: Mit welchem Bild von Religionsunterricht werden diese Schüler die Schule verlassen? Was soll die Praktikantin von ihrem Mentor lernen können? Mit welchen Erwartungen und Befürchtungen wird sie demnächst ihre eigene Lehrtätigkeit aufnehmen? Eine dritte Kommilitonin ist an einer Grundschule in einem sozialen Brennpunkt tätig. Hier muss man als Lehrer schon extrem »heterogenitätssensibel« sein. Die Quote der Schülerinnen mit Migrationshintergrund liegt bei 94 %. Im Vordergrund steht hier pädagogische, ja zivilisatorische Basisarbeit. Der Religionsunterricht rangiert unter »ferner liefen«: Er ist an einen Außenposten des Stundenplans verbannt und hat sich mit 45 Minuten pro Woche zu begnügen. Und diese schrumpfen weiter zusammen, weil sich die aus verschiedenen Klassen kommenden Schüler immer erst zu einer Lerngruppe zusammenfinden müssen. Da aber selbst die Zeit, die dann noch bleibt, als eine Art Verfügungs-

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masse angesehen wird, die für alle möglichen anderen Aufgaben eingesetzt werden kann, fällt der Religionsunterricht nicht selten aus. Wenn man sich dann wieder trifft, haben die Schülerinnen kaum mehr eine Erinnerung an die letzte Stunde. So geht es weiter, aber nicht voran. Wieder eine andere Kommilitonin erzählt von einer großstädtischen Gesamtschule, an der es zwei Religionslehrerinnen gebe. Der Religionsunterricht finde überkonfessionell statt. Auch hier werde der Religionsunterricht nicht wirklich ernstgenommen; auch von den Schülern nicht. Vielfach verlaufe der Unterricht ziemlich chaotisch. So etwas wie ein roter Faden sei nicht erkennbar. Die Studentin wollte im Rahmen eines kleinen Forschungsprojekts den didaktischen Einsatz der Bibel analysieren. Da die Bibel bislang aber noch nie eingesetzt wurde, musste sie ihr Projekt fallenlassen. Sie hofft, dass es ihr bei dem Unterrichtsversuch, den sie in Kürze selbst durchführen soll, trotz allem gelingt, die Schülerinnen für ihr Thema zu motivieren. Sie sagt das ganz tapfer, auch wenn man sehen kann, dass schon erhebliche Zweifel an ihr nagen. So sind die Verhältnisse sehr unterschiedlich, aber viel zu häufig einfach schlecht. Nicht selten sind schon die äußeren Bedingungen so ungünstig, dass man sich fragen muss, welche realistischen Chancen der Religionsunterricht unter diesen Umständen überhaupt hat.

2 Anzeichen der Unlust aufseiten der Schülerinnen und Schüler Zu den Pflichtmodulen im theologischen Masterstudium an der Universität Duisburg-Essen gehört eine Einführung in empirische Forschungsverfahren. Mit dem hier erworbenen Wissen und Know-how sollen die Studierenden dann selbst kleine schul- und unterrichtsbezogene Forschungsprojekte durchführen. In diesem Empirie-Seminar geht es allerdings nicht nur um den Erwerb technischer Skills – Wie gestalte ich einen Fragebogen? Wie werte ich ein Leitfadeninterview aus? usw. –, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit der religionsunterrichtlichen Realität als dem zentralen Gegenstand der anvisierten Untersuchungen. Ein wichtiger Punkt dabei ist: Was am Religionsunterricht ist es überhaupt wert, genauer erforscht zu werden? Was wären relevante Untersuchungsfragen? Dabei gehen wir, wie John Hattie, davon aus: Nach genauerer Aufhellung verlangt vor allem das, was nicht rund läuft, wo Schwierigkeiten auftreten, wo das Gefühl entsteht, hinter den eigentlich gegebenen Möglichkeiten zurückzubleiben. Also machen wir eine kleine Blitzlicht-Umfrage zu den von den Semi-

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narteilnehmern im gegenwärtigen Religionsunterricht wahrgenommenen Problemen. Eine solche Umfrage verspricht auch deshalb interessante Aufschlüsse, weil viele Studierende einen recht guten Einblick in die schulische und unterrichtliche Realität haben. Sie begegnen dabei nicht selten Verhältnissen, die wissenschaftlicher Unterrichtsforschung, die auf die freiwillige Mitarbeit von Lehrerinnen und auf amtliche Genehmigungen angewiesen ist, weitgehend verborgen bleiben. Schließlich stehen 16 Punkte auf unserer Liste gegenwärtiger religionsunterrichtlicher Probleme. Fast alle haben auf die eine oder andere Weise mit den Schülern zu tun: ȤȤ Die Schülerinnen und Schüler scheinen den Religionsunterricht vielfach nicht für sinnvoll zu halten; ȤȤ die Schüler haben häufig nur ein geringes Interesse an religiösen Inhalten; ȤȤ oft scheint der Religionsunterricht nur jene Schülerinnen zu erreichen, die aus einem religiösen Elternhaus kommen; ȤȤ gerade die männlichen Schüler erscheinen im Religionsunterricht häufig ziemlich »abgehängt« bzw. »klinken sich« selbst aus; ȤȤ die Patchworkreligiosität vieler Schülerinnen und der im Religionsunterricht thematisierte Glaube passen nicht zueinander; ȤȤ der Religionsunterricht wird von vielen Schülern offensichtlich nicht als gleichwertiges Fach betrachtet; ȤȤ der Religionsunterricht leidet unter einem negativen Image; ȤȤ dass der Religionsunterricht schulisch oft marginalisiert wird, hat negative Auswirkungen auf das Ansehen des Fachs bei den Schülerinnen; ȤȤ die Konzentration der Schüler ist häufig gering; ȤȤ es scheint einen Teilnehmerrückgang beim Religionsunterricht zu geben; der Religionsunterricht wird, wo es möglich ist, zunehmend abgewählt. Natürlich bietet eine solche kleine Umfrage keine repräsentativen Aufschlüsse über die Einschätzung des Religionsunterrichts in der gegenwärtigen Schülerschaft. Aber es gibt doch zu denken, dass so viele Lehramtsstudierende, wenn sie anfangen Religionsunterricht aus der Lehrerperspektive wahrzunehmen, derart massive Probleme aufseiten der Schülerschaft sehen: Wie lassen sich Schülerinnen für den Religionsunterricht gewinnen, die dem Fach gegenüber teilweise deutliche Vorbehalte haben und im Unterricht nicht selten desinte­ ressiert, unkonzentriert und »abgehängt« wirken? Interessant an dieser kleinen Umfrage ist darüber hinaus, dass hier – mindestens indirekt – auch Hinweise darauf gegeben werden, womit die genannten Probleme zusammenhängen könnten: Ist der Religionsunterricht vielleicht immer noch zu voraussetzungsreich und arbeitet vor allem mit denen, die eine

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gewisse Beziehung zu Religion und Glaube schon von zuhause aus mitbringen?3 Ist er in seinem thematischen und methodischen Zuschnitt vielleicht zu einseitig mädchenaffin und spricht Jungen zu wenig an?4 Ist der geringe Stellenwert des Religionsunterrichts bei den Schülern vielleicht auch die Spiegelung seiner geringen Wertschätzung an der Schule überhaupt? Gelingt es im öffentlichen Diskurs zu wenig, die Bildungsbedeutung des Religionsunterrichts bewusst zu machen?

3 Anzeichen unterrichtspraktischer Inszenierungsprobleme Kommen wir von unsystematischen Einzelbeobachtungen nun zu den Befunden der religionspädagogischen Unterrichtsforschung.5 Diese hat im gegenwärtigen Religionsunterricht – neben mancherlei positiven Entwicklungen! – durchaus auch einige Schwachpunkte erkennen lassen: ȤȤ So weist der Religionsunterricht in vielen Fällen einen relativ geringen kognitiven Aktivierungsgrad auf. Man könnte auch sagen: Er tut zu wenig dafür, seine Schülerinnen gedanklich zu fordern.6 Das kann z. B. mit der Art der Lehrerfragen zusammenhängen, die zu selten in Richtung der sogenannten higher order questions gehen; es kann mit den Aufgabenstellungen zu tun haben, die die Schüler zu oft nur beschäftigen; es kann an der fehlenden unterrichtlichen Dynamik liegen, weshalb die Schülerinnen nicht ins eigene Nachdenken kommen. Auch hier sei an Hattie erinnert, der schreibt: »Wenn die Lernenden nicht genügend denken, dann stimmt mit dem Unterricht etwas nicht.«7 ȤȤ Der Dramaturgie des Unterrichts und vor allem auch der Unterrichtsreihen wird offenbar nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Oft werden die verschiedenen Einheiten einfach in einer schlichten parataktischen Sequenz nebeneinandergestellt: Erst A, dann B, dann C, dann D – wobei die Reihenfolge vielfach genauso gut auch D-C-B-A oder anders lauten könnte.8 Zu selten wird überlegt, wie sich die verschiedenen thematischen Komponen3 Vgl. dazu die mittlerweile schon recht breite Diskussion zur Teilnahme von Konfessionslosen am konfessionellen Religionsunterricht; s. etwa David Käbisch, Didaktischer Umgang mit Konfessionslosigkeit, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 13 (2014), 60–63. 4 Vgl. dazu Junge, Junge! Jungs im Religionsunterricht, in: entwurf 4/2011. 5 Einen guten und weit über die deutschen Verhältnisse hinausreichenden Überblick gibt: Friedrich Schweitzer/Reinhold Boschki (Hg.), Researching Religious Education, Münster 2018. 6 Vgl. dazu Rudolf Englert/Elisabeth Hennecke/Markus Kämmerling, Innenansichten des Religionsunterrichts, München 2014, 125 ff; 229 ff. 7 Hattie, Lernen sichtbar machen, 34. 8 Vgl. Englert/Hennecke/Kämmerling, Innenansichten, 129.

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ten zu einem für die Schüler nachvollziehbaren Spannungsbogen miteinander verbinden ließen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Fragen der Dramaturgie bzw. der unterrichtlichen Choreografie9 jenseits schlichter Unterscheidungen wie der von »Einstieg«, »Erarbeitung« und »Sicherung« in der Ausbildung nur wenig Bedeutung zukommt. ȤȤ Optimierungsfähig ist häufig auch die Art des Einsatzes kooperativer Lernformen. Deren besonderer Reiz liegt ja doch gerade darin, dass wieder zusammengeführt wird, was getrennt erarbeitet wurde. Man könnte im Anschluss an Hans Mendl hier von »Kooperativen Konstruktionen im Dialog« sprechen.10 Doch eben dieser Dialog fällt häufig aus oder kommt zu kurz. In Partner- oder Gruppenarbeit gewonnene Ergebnisse werden im Klassenplenum mit Applaus zur Kenntnis genommen – und dann meistens einfach nebeneinander stehengelassen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und erst recht mit den in ihnen vielleicht zum Ausdruck kommenden positionellen Differenzen findet nicht statt. ȤȤ Das gesellschaftliche Phänomen religiöser Individualisierung erschwert die Markierung eines fachlichen Gefälles zwischen Experten und Novizen, wie es für andere Fächer ganz selbstverständlich ist. Wenn Lehrerinnen im Religionsunterricht mantraartig wiederholen, dass es hier »kein richtig und kein falsch« gebe, unterstreichen sie dies noch.11 Gewiss geschieht dies in der guten Absicht, Schüler zu eigenen Positionierungen zu ermutigen; langfristig hinterlässt es aber eben auch das Empfinden, dass es in religiösen Fragen keine wirklich begründete Expertise gebe. Womit sich die Frage stellt, was sich im Religionsunterricht – jenseits einer Sachkunde Religion – dann noch lernen lassen soll. ȤȤ Der Sicherung von Lernergebnissen wird eine zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt.12 Eine nochmalige Rekonstruktion des Lernprozesses und der   9 Vgl. dazu die nach wie vor sehr lesenswerten Ausführungen des Erziehungswissenschaftlers und Religionspädagogen Fritz Oser; s. etwa Fritz Oser/Jean-Luc Patry, Sichtstruktur und Basismodelle des Unterrichts. Über den Zusammenhang von Lehren und Lernen unter dem Gesichtspunkt psychologischer Lernverläufe, in: Richard Olechowski/Brigitte Rollett (Hg.), Theorie und Praxis. Aspekte empirisch-pädagogischer Forschung – quantitative und qualitative Methoden, Frankfurt a. M. 1994, 138–146. 10 Vgl. dazu Hans Mendl, Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch, Münster 2005, 34 ff.: Wie sieht eine konstruktivistisch geplante und durchgeführte Unterrichtsstunde aus? 11 Vgl. zur Grundproblematik Magnus Striet, Kein wahr und kein falsch. Inwieweit sind theologische Aussagen wahrheitsfähig? In: Jahrbuch der Religionspädagogik 30 (2014), 189–196. 12 Insgesamt zur Frage des religionsunterrichtlichen Lernertrags: Elisabeth Hennecke, Was lernen Kinder im Religionsunterricht? Eine fallbezogene und thematische Analyse kindlicher Rezeptionen von Religionsunterricht, Bad Heilbrunn 2012; s. a. Englert/Hennecke/Kämmerling, Innenansichten, 131 ff.

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dabei erzielten Einsichten ist gerade auch deshalb wichtig, weil der im Religionsunterricht erzielte Lerngewinn sich oft nur schwer fassen lässt. Das spiegelt sich auch in der Schülerrede vom »Laberfach«. Demnach wird hier viel geredet, aber es kommt nichts (Greifbares) heraus. Der Markierung einzelner Lernschritte sowie auch der insgesamt erzielten Lernprogression wäre entsprechend größere Beachtung zu schenken. ȤȤ Vielerorts zeichnet sich eine Entwicklung des Religionsunterrichts in Richtung tutoriell begleiteter Materialbuffets ab. Diese Entwicklung wird sich mit dem Versuch, das Ideal einer inklusiven Schule umzusetzen, noch verschärfen. Wo man glaubt, die Forderung nach Bildungsgerechtigkeit nur in inklusiven Schulen angemessen realisieren zu können, wird man auf Differenzierung und Individualisierung setzen müssen; und man wird die Digitalisierung des Lernens als eine Möglichkeit lernprofilgerechter Förderung begrüßen und entsprechend vorantreiben.13 All das verändert den Religionsunterricht wahrscheinlich stärker als es der Ausgang einer konzeptionellen Debatte jemals getan hat. Lernen als einigermaßen synchronisiertes Voranschreiten in der Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Gegenstand wird zugunsten der individuellen oder kooperativen Arbeit an Materialien und Aufgaben zurücktreten, weil sich der starken Heterogenität der Lern­ voraussetzungen und Lerntempi anders kaum Rechnung tragen lässt. Mit dem Rückgang von Unterricht im Klassenplenum nimmt auch der Stellenwert des Unterrichtsgesprächs ab – der einstigen Königsdisziplin des Religionsunterrichts, ja, es steht zu befürchten, dass damit auch der Stellenwert von Diskursivität, Kontroversität und kognitiven Spannungsmomenten geringer werden wird. Bedingt auch durch diese Entwicklungen wird der Religionsunterricht wohl insgesamt sachkundlicher werden.14 Aber dies sind eher prognostische Überlegungen als durch Unterrichtsforschung schon hinlänglich gestützte Analysen.

13 Wie das gehen kann, zeigt exemplarisch Elisabeth Hotze, Überlegungen zur Konstruktion heterogenitätstauglicher bibeldidaktischer Basistexte am Beispiel des digitalen Buches »Der Weg des Paulus«, Essen 2018, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:464-20181122-094639-5 (Zugriff am 1.4.2019). 14 Vgl. zur Versachkundlichungstendenz a. Rudolf Englert, Wird aus der Religionsdidaktik eine Sachkunde »Religion«? Eine auffällige Tendenz in der Entwicklung des Religionsunterrichts, in: Jahrbuch der Religionspädagogik 30 (2014), 133–143.

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4 Anzeichen fachlicher Konstruktionsprobleme Vor mir liegt ein ganzseitiger Artikel der Frankfurter Allgemeinen über den Religionsunterricht.15 Das ist für sich genommen schon ein Zeichen dafür, dass der Religionsunterricht kein ganz vergessenes, völlig im Windschatten der öffentlichen Aufmerksamkeit liegendes Fach ist. Meistens zielt die öffentliche Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Legitimation und die Organisationsform des Faches. In diesem Artikel ist das anders. Seinem Autor, Jürgen Kaube, einem der Herausgeber der Zeitung, geht es in der Hauptsache um die didaktische Qualität des Faches. Dabei gelangt Kaube zu einem vernichtenden Fazit: Der gegenwärtige Religionsunterricht sei in seinem Anspruch überzogen, in seiner Praxis trivial und in seiner Konzeption konfus. Schauen wir uns Kaubes Monita genauer an: Demnach verfolgt der gegenwärtige Religionsunterricht insofern einen unbescheidenen Anspruch, als er mehr sein will als ein sachlich informierender Religionskundeunterricht für alle. Seine Misere habe wesentlich damit zu tun, dass er Lebenshilfe bieten wolle, statt sachliche Aufklärung zu leisten. Und so folge »eine Unterrichtsstunde über Lebensprobleme nach der anderen – mein Beziehungsnetzwerk, Streit und Gewalt, Behindertsein, Verantwortung für den Nächsten, Gewissen und Schuld –, die verlässlich jedes Mal am Ende in die Einsicht mündet, dass nicht nur in den Arbeitsblättern und bei Erich Kästner, sondern auch in den Testamenten etwas dazu steht«. Gerade jene Bezüge zwischen religiöser Tradition und gegenwärtiger Lebenswelt also, um die es der Fachdidaktik unter Stichworten wie »Korrelation« oder »Elementarisierung« besonders zu tun ist, erschöpften sich am Ende in der trivialen Erkenntnis: Es gibt hier Parallelen – auch in der Bibel steht zum Beispiel schon etwas über Streit und Gewalt. Aber sei dies wirklich ein Lernfortschritt? Damit sind wir beim zweiten von Kaube angesprochenen Manko: Der Religionsunterricht wolle nicht nur zu viel, sondern er »bringe« auch zu wenig. Ist das magere Ergebnis der Preis zu hochgesteckter Ziele? Kommt gehaltvolle Wissenserweiterung, die realistisch erreichbar wäre, um einer illusionären Lebenshilfe willen zu kurz? Kaube bezweifelt, dass der Religionsunterricht überhaupt einem konsistenten Plan folge. Schon die Begründung für seine konfessionelle Gestalt sei »abenteuerlich«. Aber noch verwegener sei sein inhaltliches Programm. Kaube nennt es »konfus«: In der Grundschule Lutherbildchen, für Dreizehnjährige »das Alte Testament als Medium der Selbstfindung«, die Religions15 Vgl. zum Folgenden Jürgen Kaube, Haben wir was in Reli auf? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.1.2019, 9.

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pädagogik insgesamt ohne klare Struktur: »Wer religionspädagogische Ratgeber liest, wundert sich nicht, dass die Schüler einer Religion verlorengehen, die sich als Botschaft irgendwo zwischen Grundgesetz, Biografiebegleitung und Glückskeksweisheiten ansiedelt.« Es ist hier nicht der Ort, auf diese Kritikpunkte im Einzelnen einzugehen. Manches ließe sich schnell entkräften. Auch was Kaube als Alternative zu dem von ihm kritisierten religionsunterrichtlichen Gemischtwarenladen vorschwebt: eine stark bildungsbürgerlich und kulturchristlich motivierte Auseinandersetzung mit den Problemen und Praktiken der Religionen: Was ist magisches Denken? Wieso hat Gott einen Baum der Erkenntnis geschaffen? Weshalb soll man am siebten Tag ruhen? usw., wäre unter den gegenwärtigen Bedingungen viel schwieriger umzusetzen, als sich der FAZ-Herausgeber dies offenbar vorstellt. Ein paar Unterrichtshospitationen in Gesamt- oder Sekundarschulen in Mannheim, Köln oder Duisburg würden hier vermutlich schnell für Korrekturen sorgen. Gleichwohl finde ich Kaubes Artikel interessant. Er bietet eine selbstbewusste Außensicht auf den Religionsunterricht, und zwar vonseiten eines Meinungsmultiplikators, der »Religion« für einen wirklich wichtigen schulischen Bildungsgegenstand hält. Vor allem aber präsentiert er eine Antwort auf das hier zu diskutierende Problem – inwiefern der Religionsunterricht für die Ressentiments, die ihm gegenüber wahrnehmbar sind, selbst verantwortlich oder doch mindestens mitverantwortlich ist. Dass Schülerinnen »Reli« verlorengehen, sieht Kaube schon im Selbstverständnis und in der Anlage des Religionsunterrichts begründet. Diese Einschätzung ist fachlich sehr ernst zu nehmen: Ist die Art und Weise, wie im Religionsunterricht versucht wird, religiöse Traditionen mit Gegenwartsfragen ins Gespräch zu bringen, häufig nicht wirklich fragwürdig? Kaube meint: Der Religionsunterricht drängt sich »den Schülern als Lebenshilfe auf und instrumentalisiert dazu bestimmte Motive aus religiösen Texten«. Ich veranstalte derzeit ein Seminar über Lebensfragen im Religionsunterricht, in dem genau dieses Vereinnahmungsproblem immer wieder auftritt, ob wir nun zu »Glück«, »Gerechtigkeit«, »Heimat« oder dem »Umgang mit dem Bösen« arbeiten. Die meiste Mühe macht es und der höchsten Kunst bedarf es, religiöse Inspirationen auf eine überzeugende und weiterführende Weise in die Auseinandersetzung mit solchen Lebensfragen einzubringen. Bei den Unterrichtsplanungen der Studierenden zeigen sich oft jene Defizite wieder, die schon den problemorientierten Religionsunterricht in Misskredit gebracht haben: Spannende Einheiten über die »anthropologischen« Dimensionen des Problems und merkwürdig verdruckst und teilweise deplatziert wirkende Rückgriffe auf »Religion«, die häufig schon auf den ersten Blick den Charakter eines Feigen-

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blattes haben – ist ja schließlich Religionsunterricht! Ja, die Sehnsucht nach Heimat kommt natürlich auch in der Bibel vor. Aber was lässt sich beispielsweise aus der Situation Israels im Babylonischen Exil für Schüler von heute lernen, für ihr gegenwärtiges Bemühen, im Spannungsfeld von Globalität und Lokalität Orte und Momente unangestrengter Zugehörigkeit und mit allen Sinnen erlebbaren Zuhause-Seins zu finden? Das in einer wirklich gut nachvollziehbaren Weise zu erschließen, ist alles andere als einfach. Im Vergleich dazu ist es – natürlich – leichter zu erklären, wie der Sonntag entstanden ist oder warum der Adventskranz vier Kerzen hat. Aber kann man sich mit Fragen dieser Kategorie im Religionsunterricht begnügen? Wenn man das Problem etwas allgemeiner fasst, könnte man sagen: Alles, was im Religionsunterricht über die Gewinnung religiöser Sachkenntnisse hinausgeht, sind schwer fassbare und nicht leicht evaluierbare Einsichten, soweit sich hier überhaupt von etwas derart Distinktem wie »Einsichten« sprechen lässt. Könnte also, dass Schülerinnen »Religion verlorengehen«, auch damit zusammenhängen, dass der Ertrag dessen, was im Religionsunterricht geschieht, für die Schüler so undeutlich bleibt, dass, in Verbindung damit, zu oft der Eindruck von thematischer Beliebigkeit, ergebnislosem Austausch, Redundanz und Gelaber entsteht?16

5 Anzeichen einer veränderten In-Gebrauch-Nahme von Religion Eine weitere Frage ist, ob sich der Religionsunterricht auf den veränderten gesellschaftlichen Stellenwert christlicher Religion angemessen einzustellen vermocht hat. Die veränderte Bedeutung christlicher Religion im sozialen Leben und für die individuelle Selbstkonstitution spiegelt sich keineswegs nur in der relativen Fremdheit, mit der heutige Schülerinnen dem Bereich des Religiösen gegenüberstehen. Sie spiegelt sich auch in den Formen des Zugriffs auf Religion, wo ein solcher noch erfolgt, und des Gebrauchs von Religion, wo diese in irgendeiner Gestalt noch eine Rolle spielt. Ein Aspekt der hier beobachtbaren Veränderungen hat für das religionsunterrichtliche Programm der Entwicklung religiöser Orientierungsfähigkeit besonders gravierende Folgen. Es ist das offensichtlich stark rückläufige Inte16 Auch das Bemühen um die Bestimmung verbindlicher und klar definierter Kompetenzen oder das lernpsychologische Wissen um die Bedeutung von Wiederholung und Ergebnissicherung haben dieses offensichtlich tiefer liegende Problem nicht wirklich lösen können.

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resse an der Auseinandersetzung mit Religion als einem Glaubens- und Sinnsystem, als einem geordneten Kosmos von Überzeugungen. Wo sich Religion in einem bestimmten Bekenntnis – z. B. zu einem personalen Gott, zu einem auferstandenen Christus, zu einem ewigen Leben – artikuliert, bekommt sie es mit den Reserven gerade auch des religiös sensiblen Teils der Jugendlichen zu tun, denen dies vielfach zu festgelegt, zu starr, zu »dogmatisch« erscheint. Offenbar stehen die überkommenen Praktiken der kognitiven Formierung von Religion, gerade soweit sie auf Verbindlichkeit und Abgrenzung bedacht sind, in Spannung zu der verbreiteten Unbestimmtheit individueller Religiosität und der Fluidität religiöser Vorstellungen. Die Vorbehalte gegenüber einem sich in bestimmten religiösen Überzeugungen aussprechenden Glauben schlagen sich nicht mehr nur in der Bestreitung einzelner Glaubensinhalte nieder, sondern darüber hinaus in einer prinzipiellen Aversion gegen Dispute in Glaubensfragen. Mehr noch: Es erscheint überhaupt zweifelhaft, was es »bringen« könnte, sich mit Glaubensinhalten auseinanderzusetzen, nach ihrer Relevanz für »uns« zu fragen, nach der in ihr steckenden »gewissmachenden Wahrheit«17 zu fahnden? Was lässt sich, wenn es um religiöse Inhalte geht, nicht alles behaupten? Und wie schwierig ist es, selbst abstrus erscheinende religiöse Vorstellungen argumentativ zu entkräften? Solche grundlegenden Zweifel an der Wahrheitsfähigkeit und an der Argumentierbarkeit von Religion erschweren auch den religionsunterrichtlichen Diskurs. In Anbetracht der Pluralisierung und Individualisierung religiöser Wahrheiten lässt sich, auch im konfessionellen Religionsunterricht, nicht mehr auf einen durch verbindliche Axiome und Regeln strukturierten Diskursraum zurückgreifen. Religiöse Fragen werden unentscheidbar.18 Unter diesen Umständen ist es nicht leicht, zu sehen, wie religiöses Lernen noch mehr sein kann als die Erschließung religionskundlicher Kenntnisse und Einsichten. Aber genau darauf käme es an: ein auch aus Schülersicht beachtliches »Mehr« didaktisch so zu entfalten, dass der Religionsunterricht weder »unbescheiden«, noch »konfus« und schon gar nicht trivial erscheint.

17 Vgl. dazu Reinhold Boschki, Elementare Wahrheiten – Versuch einer Präzisierung, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 68 (2016), 73–84. 18 Auch Religionspädagoginnen und Religionspädagogen betrachten religiöse Fragen mittlerweile als prinzipiell unentscheidbar. Wie man sich religiösen Fragen gegenüber positioniere, sei eine freie Entscheidung des Einzelnen, und diese sei eben gerade deshalb frei, weil es keine rein sachlichen Argumente gebe, die in die eine oder andere Richtung wiesen. Vgl. dazu Theresa Schwarzkopf, Fachdidaktische Entwicklungsforschung zum Lernprozess des theologischen Argumentierens, in: Christian Höger/Silvia Arzt (Hg.), Empirische Religionspädagogik und Praktische Theologie, Freiburg/Salzburg 2016, 182–192.

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6 Wo ansetzen? Was tun? Die hier präsentierten Befunde und Überlegungen sollten in bewusster Einseitigkeit Schwachstellen gegenwärtigen Religionsunterrichts in den Blick nehmen; dies deshalb, weil die Wahrnehmung dessen, was »unrund« läuft, Ansatzpunkte für Verbesserungen freilegt. Einige solcher Ansatzpunkte seien am Schluss in thesenhafter Knappheit angesprochen: 1. Der Religionsunterricht war über lange Zeit vorzugsweise ein Ort der Auseinandersetzung mit Inhalten christlichen Glaubens. Diese Intention ist, vor allem in der unterrichtlichen Praxis, zwischenzeitlich deutlich relativiert worden: So geht es nicht mehr nur um die »Bezugsreligion«19 evangelischer oder katholischer Christinnen und Christen, sondern um Religion und Religionen in interschiedlichen Formen und Ausprägungen; es geht nicht nur um Inhalte im Sinne von religiösen Überzeugungen und Vorstellungen, sondern – Stichwort »performativer Religionsunterricht« – auch um die Begegnung mit unterschiedlichen Erscheinungsformen gelebter Religion; und es geht schließlich keineswegs immer um »Auseinandersetzung«, sondern – Stichwort »religiöse Sachkunde« – vielfach einfach auch um Information. Diese Akzentverschiebungen wären in die »Philosophie des Faches« noch stärker einzuholen – und zwar so, dass nach außen nicht der Eindruck einer programmatischen Konfusion entsteht. 2. Der Religionsunterricht ist mitunter auch deshalb »schwierig«, weil er auf eine Dimension des Lebens ausgreift, deren Bedeutung vielen Menschen erst zu erschließen ist; weil er zum Umgang mit Kontingenzen, Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen zu befähigen versucht, die in einer »vereindeutigten Welt«20 vielfach an den Rand des Bewusstseins gedrängt sind; er ist auch deshalb »schwierig«, weil er Schülerinnen und Schülern zumutet, gerade wo er auf ferne Traditionen rekurriert, mindestens gedankenexperimentell immer wieder aus dem gewohnten Denken und vertrauten Plausibilitäten herauszutreten. Das Bemühen um einen solchen »Weltabstand« (Henning Luther) ist zwar schwierig, aber nicht unbescheiden oder illusionär. Es gehört zum religionsunterrichtlichen Kerngeschäft. Es kann innovative, ideologiekritische, prophetische und dann und wann vielleicht sogar metanoetische Impulse

19 Vgl. Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Red.), Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung. Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I, Münster 2006, 19. 20 Vgl. Thomas Bauer, Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, Stuttgart 2018.

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freisetzen. Dieses Potenzial ist hochgradig bildungsrelevant und wäre nach außen hin stärker und offensiver bewusst zu machen. Wo der Religionsunterricht eine über das rein Sachkundliche hinausreichende religiöse Kompetenz anstrebt, muss sich dies auch aus Schülerperspektive lohnen. Die Schüler/-innen sollten spüren können, dass sie Fortschritte im Umgang mit einem relevanten Fragebereich erzielt haben, dass sie eine bestimmte literacy erworben haben. Sie sollten erfahren können, wie sich so abstrakte Kompetenzen wie »religiöse Urteilskraft«, »religiöse Orientierungsfähigkeit« oder »religiöse Pluralitätsfähigkeit« im Umgang mit konkreten religiösen Problemen zeigen und auswirken. Von daher wäre zu bedenken, wie sich der Ertrag religiösen Lernens stärker »sichtbar machen« (vgl. John Hattie) lässt. Auch in Zukunft sollte an der Argumentierbarkeit religiöser Fragen und der Begründbarkeit religiöser Standpunkte festgehalten werden. Es sollte deutlich werden, dass auch in Religion nicht einfach alle Antworten gleich überzeugend sind; dass es auch hier Kriterien für mehr oder weniger qualifizierte Argumente gibt. Auch wenn es nicht ohne Weiteres möglich ist, verschiedene Niveaus religiösen Denkens zu unterscheiden, gibt es doch auch im Bereich der Religion Erfahrungen des Erkenntnisfortschritts, und zwar sowohl in der Christentumsgeschichte wie im individuellen Suchprozess: Erfahrungen mit dem Wegfall von »Blickschranken« (Ernst Bloch), mit der Verstrickung in Sackgassen, mit der »Unterscheidung der Geister«. Wo es im Religionsunterricht gelingt, Kinder und Jugendliche an solchen Erfahrungen teilhaben zu lassen, wird nicht nur »etwas« gelernt, sondern geschieht Bildung. Die didaktischen Ansprüche des Unterrichtens erschöpfen sich nicht einfach in handwerklichen Fragen nach der rechten Methoden- und Materialauswahl. Deshalb wäre, in Ausbildung und Praxis, auch auf die Entwicklung der anspruchsvolleren didaktischen Künste Wert zu legen: Wie lassen sich größere Sinnzusammenhänge erschließen? Wie gelangt man zu einer wirklich durchdachten unterrichtlichen Dramaturgie? Wie schafft man es, Schülerinnen und Schüler bei der Auseinandersetzung mit religiösen Fragen kognitiv zu aktivieren und auch gedanklich herauszufordern? Wie kann es auch im Religionsunterricht gelingen, einen wirklichen Erkenntnisfortschritt sichtbar zu machen? Religionspädagogisch Verantwortliche sollten sich auf allen Ebenen Tendenzen zur Marginalisierung des Religionsunterrichts entgegenstellen. Entweder ist das Fach bildungspolitisch und schulisch gewollt, dann muss es unter akzeptablen äußeren Bedingungen stattfinden, oder es ist nicht gewollt, dann muss dies ausdrücklich gesagt und die Diskussion um den Stellenwert reli-

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giöser Bildung offen geführt werden. Wo sich in Anbetracht der religionsstatistischen und demografischen Entwicklung anders keine gute Lösung erzielen lässt, sind alternative Organisationsformen in Betracht zu ziehen. Dezidiert keine Lösung ist es, wenn der Religionsunterricht in eine gerade noch zugestandene Nischenexistenz verbannt wird.

Dr. Rudolf Englert ist Professor für Religionspädagogik an der Universität Duisburg-Essen.

Konturen weltanschaulicher Heterogenität – religionssoziologische Perspektiven auf die weltan­ schau­lichen Profile religiöser und säkularer Jugendlicher angesichts zunehmender Konfessionslosigkeit Ulrich Riegel

Die soziale Lage von Religion verändert sich in der deutschen Gesellschaft. Dabei deuten zwei Schlaglichter die Richtung dieser Veränderung an: Erstens gehören im Jahr 2017 ca. 45 Millionen Menschen den beiden großen christlichen Kirchen an.1 Angesichts einer Gesamtbevölkerung von über 82 Millionen Menschen bedeutet das einen Anteil kirchlich gebundener Menschen von 55 %. Zweitens zeigt der Religionsmonitor 2013, dass immer weniger Menschen angeben, in ihrer Familie religiös erzogen worden zu sein.2 Bedenkt man, dass beide Kirchen ihre neuen Mitglieder vor allem aus sich selbst heraus rekrutieren, zeichnet sich hier eine fallende Tendenz für zukünftige Mitgliederzahlen ab. Beide Schlaglichter deuten an, dass Konfessionslosigkeit zu einer charakteristischen Signatur der deutschen Gesellschaft zu werden scheint. Eine solche Signatur fordert auch den Religionsunterricht heraus. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich dabei auf die weltanschaulichen Einstellungen, die Schülerinnen und Schüler in die inhaltlichen Auseinandersetzungen dieses Unterrichts einbringen. Deshalb werden nach einer kurzen Klärung einschlägiger Begrifflichkeiten (2) und einer groben Einschätzung der Datenlage (2) die Konturen der Weltanschauungen religiöser (3) und säkularer Jugendlicher (4) rekonstruiert, um vor dem Hintergrund soziokultureller Bedingungen weltanschaulicher Vielfalt (5) Herausforderungen für den Religionsunterricht zu identifizieren (6).

1 Das Ringen um Begriffe Allerdings ist bereits die eben gewählte Bezeichnung bestimmter Schülerinnen und Schüler als konfessionslos nicht unproblematisch, und zwar sowohl in gesellschaftspolitischer als auch in konzeptueller Hinsicht. In gesellschafts1 2

Vgl. Katholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2017/18, 6. Vgl. Detlef Pollack/Olaf Müller, Religionsmonitor – verstehen was verbindet. Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland, Gütersloh 2013, 15.

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politischer Hinsicht wird kritisiert, dass der Begriff der Konfessionslosigkeit suggeriere, Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit fehle etwas. In diesem Sinn bevorzugt z. B. der Humanistische Verband Deutschlands die Formulierung konfessionsfrei.3 Umgekehrt könnte man dem Begriff der Konfessionsfreiheit vorwerfen, er suggeriere, dass eine Mitgliedschaft in einer Kirche die Menschen entmündige und in ihrer religiösen Freiheit einschränke. Beide Fälle münden wohl in die Einsicht, dass weltanschauliche Fragen auf gesellschaftspolitischer Ebene auch heute noch feinfühlige Gemüter bewegen und der Blickwinkel auf solche Fragen stark vom eigenen weltanschaulichen Standpunkt abhängt. In konzeptueller Hinsicht bleibt festzuhalten, dass die Frage nach Konfessionslosigkeit bzw. -freiheit die formale Dimension von Religiosität berührt. Sie bezieht sich auf die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft und stellt damit eine Unterkategorie von Religionszugehörigkeit dar. Man kann Mitglied in einer Konfession bzw. Religionsgemeinschaft sein oder nicht. Die individuelle Glaubenshaltung und -praxis sind von dieser Frage nicht berührt, denn die individuelle Religiosität ist von der formalen Dimension der Mitgliedschaft prinzipiell unabhängig. In diesem Sinn konstruieren Boris Kalbheim und HansGeorg Ziebertz z. B. vier Typen, nämlich konfessionell-religiöse, konfessionell-­ nichtreligiöse, nichtkonfessionell-religiöse und nichtkonfessionell-nichtreligiöse Jugendliche.4 Der individuelle Status hinsichtlich der Religionszugehörigkeit sagt somit noch nichts darüber aus, ob sich die persönliche Einstellung an Religion orientiert oder nicht. Für den schulischen Religionsunterricht stellt die formale Kategorie der Konfessionalität eine wichtige Bezugsgröße dar, weil anhand von ihr bestimmt wird, wer natürliches Mitglied der Lerngruppe ist. Schülerinnen und Schüler anderer Konfessionen oder ohne konfessionelle Zugehörigkeit können am Religionsunterricht teilnehmen, haben im konfessionellen Setting jedoch Gastrecht. Allerdings wird der formale Aspekt im Unterrichtsalltag schnell vom inhaltlichen überdeckt, denn für die inhaltliche Auseinandersetzung spielt die individuelle Glaubenshaltung – zumindest aus Sicht der Lehrpersonen – eine größere Rolle als die formale Zugehörigkeit.5 Für den Unterrichtsalltag scheint die individuelle Religiosität somit entscheidender zu sein als die formale Religionszugehörigkeit der Kinder und Jugendlichen. 3 Vgl. http://www.humanismus.de/wir-ueber-uns (Zugriff am 11.10.2018). 4 Boris Kalbheim/Hans-Georg Ziebertz, Konfessionslosigkeit, Humanismus und religiöse Traditionen in Europa. Eine empirische Studie über konfessionslose Jugendliche, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), H.1, 32–56, 34. 5 Z. B. Uta Pohl-Patalong u. a., Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein, Stuttgart 2016, 39–45.

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Das oben angeführte Modell von Kalbheim und Ziebertz unterscheidet auf der inhaltlichen Ebene zwischen religiösen und nichtreligiösen Schülerinnen und Schülern. Zieht man jüngere empirische Studien heran, bezeichnet das Konzept Religiosität in den Augen Jugendlicher die individuelle Beziehung zu einer übernatürlichen Wirklichkeit, die mehr oder weniger stark an vorfindliche religiöse Traditionen rückgebunden ist.6 Institutionelle Bezüge spielen für diese Religiosität nicht notwendig eine Rolle. In der Folge deckt Religiosität ein breites Spektrum individueller Glaubensgebäude ab, deren Grenze zu säkularen Sinnmustern fließend erscheint. In der englischsprachigen Diskussion hat sich für diesen Sachverhalt der Begriff der Spiritualität etabliert, der vor allem einen subjektiven und auf das eigene Selbst gerichteten Glauben bezeichnet.7 In der deutschsprachigen Diskussion ist dieser Begriff allerdings noch nicht so etabliert, dass er den Begriff der Religiosität ersetzt hätte. Von daher liegt es nahe, junge Menschen mit Glaubenshaltungen, die sich irgendwie auf eine übernatürliche Wirklichkeit beziehen, als religiös zu bezeichnen. Die alternative Gruppe wären in der Diktion von Kalbheim und Ziebertz nichtreligiöse Jugendliche. Diese Bezeichnung hat gegenüber Alternativen wie atheistisch, religiös indifferent oder ohne Bekenntnis den Vorzug, dass sie niemanden ausschließt. So könnten Jugendliche, die sich zu einem humanistischen Weltbild bekennen, kaum als Menschen ohne Bekenntnis bezeichnet werden. Auch fallen Jugendliche, die sich nicht für Religion interessieren, Religion aber auch nicht kritisieren, kaum unter die Kategorie Atheismus. Allerdings bleibt beim Begriff nichtreligiös der Makel, dass er nicht bezeichnet, für was diese Jugendlichen stehen. Deshalb werden in diesem Beitrag nicht religiöse Jugendliche als säkular bezeichnet, denn sie stehen für unterschiedliche weltanschauliche Orientierungen, die sämtlich dem für die sog. Moderne typischen Bewusstsein entspringen, Sinn für das Leben aus wissenschaftlichen und erfahrungsgesättigten Konzepten abzuleiten, die sich ausschließlich an der vorfindlichen Welt ausrichten.8 In der Folge wird somit zwischen religiösen und säkularen Jugendlichen unterschieden, wobei vorausgesetzt wird, dass beide Gruppen vielfältige individuelle weltanschauliche Orientierungen beinhalten. Ob die Jugendlichen einer Religionsgemeinschaft angehören oder nicht, spielt für diese Zuordnung erst einmal keine Rolle. 6 Z. B. Friedrich Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht, Münster 2018, 187–224. 7 Vgl. Heinz Streib/Barbara Keller, Was bedeutet Spiritualität? Befunde, Analysen und Fallstudien aus Deutschland, Göttingen 2015. 8 Vgl. Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt a. M. 2007.

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2 Zur Datenlage Grundsätzlich ist die Datenlage zur Religiosität Jugendlicher eher unbefriedigend. Auf der einen Seite finden sich große, repräsentativ angelegte Umfragen (religions-)soziologischer Herkunft wie die Shell-Jugendstudien oder der ­ALLBUS, die Religion vor allem als Religionszugehörigkeit, als religiöse Selbsteinschätzung und als Teilnahme an Gottesdiensten operationalisieren. Lediglich der ebenfalls grundsätzlich repräsentativ angelegte Religionsmonitor fällt hier differenzierter aus. In der Summe zeichnen diese Studien das folgende Bild der Religiosität Jugendlicher:9 Etwa je ein Drittel der Jugendlichen gehören der Evangelischen oder der Römisch-Katholischen Kirche an. Muslimische Jugendliche decken etwa 7 % dieser Altersgruppe ab. Etwa ein Viertel der Jugendlichen gehört keiner Konfession oder Religionsgemeinschaft an. Eine mehr oder weniger häufige Teilnahme an Gottesdiensten und vergleichbaren rituellen Feiern in nicht-christlichen Traditionen weisen etwa 10 % der Jugendlichen auf. Für ihr eigenes Leben schreiben etwa 16 % der Jugendlichen Religion eine große Bedeutung und ca. 34 % eine geringe bis keine Bedeutung zu. Die Mehrheit der Jugendlichen ist damit nicht wirklich entschieden, ob Religion für sie wichtig ist oder nicht. Je nach Blickwinkel werden diese Daten als »De-Institutionalisierung«10 oder als »religiöse Indifferenz«11 interpretiert. Auf der anderen Seite findet sich eine Vielzahl explorativ angelegter, religionspädagogischer Studien, die die Religiosität junger Menschen quantitativ und qualitativ ergründen. Die jüngst erschienene Tübinger Studie zur Religiosität Jugendlicher ändert dieses Bild nur marginal: Sie ist zwar repräsentativ angelegt, fokussiert aber ausschließlich die Regionen Baden und Württemberg.12 Die religionspädagogischen Studien arbeiten mit differenzierten Operationalisierungen von Religion und Religiosität. Sie können die subjektiven, in der Regel stark biografisch grundierten Dynamiken individueller Glaubensgeschichten präzise nachzeichnen und charakteristische Typen in den Glaubenshaltungen junger Menschen fein konturiert rekonstruieren. Belastbare Aussagen über die Verteilung dieser Typen sind wegen der fehlenden Repräsentativität jedoch nicht möglich. In der Summe ergeben diese religions­pädagogischen Studien   9 Vgl. Heinz Streib, Religiöse Orientierungen, spirituelle Konstruktionen und Formen religiöser Vergemeinschaftung bei Jugendlichen, München 2017 (www.dji.de/15_kjb). 10 Ebd., 11. 11 Vgl. Gert Pickel/Tabea Spieß, Religiöse Indifferenz – Konfessionslosigkeit als Religionslosigkeit? In: Heinrich Bedford-Strohm/Volker Jung (Hg.), Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung, Gütersloh 2015, 239–266. 12 Vgl. Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion.

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das folgende Bild:13 Jugendliche zeigen eine Vielzahl von individuellen Glaubenshaltungen, die nicht auf eine oder zwei Grundhaltungen Religion gegenüber reduziert werden können. Die Eckpunkte des Spektrums bilden eine von den vorfindlichen religiösen Institutionen und Traditionen getragene Religiosität und eine säkulare Grundhaltung. Zwischen beiden Eckpunkten findet sich eine Vielfalt religiöser Haltungen, die stark durch den Willen zu religiöser Selbstbestimmung geprägt sind und sich auf unterschiedlichste Sinnsysteme beziehen können. Beiden empirischen Zugängen zum Feld ist gemeinsam, dass sie vor allem Religiosität erfassen, während säkulare Orientierungen in der Regel durch die Abwesenheit von Religion bestimmt wird. Eine positive Bestimmung dessen, was säkulare Orientierungen ausmacht, ist deshalb in der Regel kaum möglich. Dieses Dilemma lässt sich an der Würzburger Studie zu religiösen Signaturen ablesen, die einen nicht-religiösen Typ rekonstruiert, der sich vor allem durch seine Ablehnung von allem Religiösen auszeichnet.14 Woran sich die Jugendlichen dieses Typs orientieren, lässt sich anhand der erhobenen Daten nicht bestimmen. In den folgenden Studien aus Würzburg wurde dieses Dilemma daraufhin behoben, sodass diese auch typische Konturen säkularer Orientierungen junger Menschen rekonstruieren können.15 Erst in jüngster Zeit widmen sich empirische Studien ausdrücklich der weltanschaulichen Orientierung säkularer Menschen.16 Dabei handelt es sich jedoch in der Regel um Stichproben älterer Menschen. Wenn im Folgenden also die Konturen weltanschaulicher Heterogenität nachgezeichnet werden, können sich die Darstellungen zu religiösen Jugendlichen vor allem auf Untersuchungen stützen, die explizit diese Altersgruppe in den Blick nehmen. Die Darstellungen zu säkularen Jugendlichen müssen dagegen auch auf Studien zurückgreifen, die Erwachsene untersuchen.

13 Ulrich Riegel, Art. Pluralisierung, in: WiReLex (2016), https://doi.org/10.23768/wirelex.Pluralisierung.100203 (Zugriff am 10.4.2019). 14 Vgl. Hans-Georg Ziebertz u. a., Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur empirischen Jugendforschung, Freiburg/Gütersloh 2003. 15 Vgl. Hans-Georg Ziebertz/Ulrich Riegel, Letzte Sicherheiten. Eine empirische Untersuchung zu Weltbildern Jugendlicher, Freiburg/Gütersloh 2008; Kalbheim/Ziebertz, Konfessionslosigkeit (s. o. Anm. 4). 16 Vgl. Phil Zuckermann u. a., The Nonreligious: Understanding Secular People and Societies, Oxford 2016.

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3 Konturen der Weltanschauungen religiöser Jugendlicher Die zentralen Agenten des religiösen Felds in Deutschland sind die etablierten religiösen Traditionen und die mit ihnen verbundenen Institutionen wie die christlichen Gemeinden oder die muslimischen Moscheevereine. Sie prägen mit ihrer Semantik und Symbolik das, was als Religion verstanden wird, und ihre Vollzüge bestimmen das, was man als religiöse Praxis ansieht. Gleichzeitig entwickeln und leben viele Jugendliche ihre individuelle Religiosität in mehr oder weniger enger Bindung an diese Traditionen und Institutionen, zum Teil weisen ihre Glaubensgebäude fast keinen Bezug zu ihnen mehr auf. Dann treten an die Stelle traditioneller Überzeugungen und Vollzüge mystische Erfahrungen, in denen sich individuelles Glück, die Verbundenheit mit dem eigenen Selbst und dem Universum oder die persönliche Suche nach Frieden und Erleuchtung ausdrückt. Für solche Erfahrungen hat sich in jüngerer Zeit der Begriff der Spiritualität etabliert. »›Spiritualität‹ bietet die Möglichkeit, erfahrungs-orientierte, privatisierte Religion, die mit mystischen Erfahrungen zusammenhängt und nicht selten mit einer Abwertung von ›Religion‹ und ›religiöser‹ Tradition und vertikaler Transzendenz einhergeht, zur Sprache zu bringen.«17 In diesem Sinn wäre das Feld weltanschaulicher Orientierungen religiöser Jugendlicher zwischen den beiden Eckpunkten traditioneller Religiosität und privatisierter Spiritualität aufgespannt. Die Breite dieses Feldes ist nur schwer zu bestimmen, weil präzise Daten für ganz Deutschland fehlen. Die für Baden-Württemberg repräsentative Studie aus Tübingen rechnet einen großen Teil der Befragten dem religiösen Feld zu.18 Demnach äußern 58 % der Jugendlichen, einen Glauben an Gott zu haben, und für 43 % dieser Jugendlichen spielt ihr Glaube eine Rolle in ihrem Alltag. Befragt nach dem Inhalt ihres Gottesbildes, bekommen die Aussagen, dass Gott Sicherheit gibt (49 %) und dass er jemand ist, mit dem man sprechen kann (47 %), die größte Zustimmung. 38 % geben an, mehrmals im Monat zu beten, und 15 % der Jugendlichen gehen mehr als ein Mal im Monat zur Kirche bzw. besuchen eine Moschee. Weitere 33 % tun dies mehrmals im Jahr. Alle diese Werte liegen jedoch über den Vergleichswerten des ALLBUS von 2012,19 sodass 17 Streib, Religiöse Orientierungen, 24–15. 18 Vgl. Schweitzer u. a., Jugend, 65–106. 19 Vgl. Streib, Religiöse Orientierungen, 13–14.

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man davon ausgehen kann, dass von Baden-Württemberg nur sehr vorsichtig auf Gesamtdeutschland geschlossen werden darf. Zieht man dagegen die im Religionsmonitor gemessene Zentralität von Religion als Maßstab für die Breite des religiösen Feldes unter Jugendlichen heran und rechnet die beiden Kategorien »hoch religiös« und »mittel religiös« diesem Feld zu, gehören etwa 66 % der Jugendlichen in Deutschland dem religiösen Feld an, wobei dieser Anteil regional stark variieren dürfte.20 Auch für die Konturen des religiösen Feldes gilt, dass es keine allgemein verbindliche Kategorisierung gibt, die auf verlässlichen Daten beruht. In einer Sonderauswertung der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD kommt Hilke Rebenstorf zum Ergebnis, dass 20 % der befragten Jugendlichen, d. h. der Befragten unter 30 Jahren, eine intensive theistische Religiosität zeigen.21 Ihr Gottesbild ist im Wesentlichen mit dem christlichen Gottesgedanken vereinbar, wobei das christliche Konzept nicht immer in allen seinen Facetten nachvollzogen wird. Ein Teil dieser Jugendlichen geht regelmäßig in den Gottesdienst, ein weiterer Teil meditiert regelmäßig – was andeutet, wie heterogen die Gruppe theistisch gläubiger Jugendlicher wohl ist. Für alle diese Jugendlichen sind die Frage nach dem Sinn des Lebens oder nach dem Anfang und Ende der Welt jedoch religiös konnotierte Themen. Sie können somit alltägliche Herausforderungen aus einer – wie auch immer inhaltlich konturierten – religiösen Perspektive betrachten. Mit 26 % etwas größer als die eben beschriebene Gruppe fällt die Gruppe der verhalten pantheistischen Religiosität aus. Diese Jugendlichen sehen in Gott eine abstrakte höhere Macht. Engel und Geister sind für viele von ihnen reale Wirkmächte, magische Überzeugungen werden dagegen mehrheitlich abgelehnt. An traditionellen religiösen Vollzügen nehmen nur wenige dieser Jugendlichen teil, aber auch alternative spirituelle Praktiken wie die Meditation werden kaum wahrgenommen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist in dieser Gruppe eher nicht religiös assoziiert. Die beiden anderen von Rebenstorf rekonstruierten Glaubenstypen sind eher dem säkularen Feld zuzurechnen, was impliziert, dass das religiöse Feld gemäß der V. KMU lediglich knapp die Hälfte der befragten Jugendlichen umfasst. Die eher deduktiv argumentierende Studie zu Jugend und Religion von Heinz Streib und Carsten Gennerich kommt zu drei typischen Ausprägungen jugendlicher Glaubenswelten.22 Demnach orientiert sich die Kirchenreligiosi20 Vgl. ebd. 15. 21 Hilke Rebenstorf, Die Generation U30 – wie hält sie’s mit der Religion? Signifikante empirische Befunde in der V. KMU, in: Bernd Schröder u. a. (Hg.), Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, Stuttgart 2017, 45–74. 22 Vgl. Heinz Streib/Carsten Gennerich, Jugend und Religion, Weinheim 2011.

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tät stark an den Vorgaben der traditionellen religiösen Institutionen, wobei der individuelle Nachvollzug mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann. Die Gruppe derer, die sich an Mystik und Spiritualität orientiert, deckt das breite Feld individualisierter Religiosität ab, welches kaum noch christliche Referenzen zeigt und stark an Rebenstorfs Gruppe der Pantheisten erinnert. Die Jugendlichen dieser Gruppe sind kaum in stabile Gemeinschaften integriert. Instruktiv ist der Typ einer Sektenreligion, der auf kleine religiöse Gemeinschaften verweist, die eine hohe Verbindlichkeit nach innen aufweisen und sich eher stark gegenüber ihrer Umwelt abgrenzen. Der Verlust individueller Freiheit wird in diesen Gemeinschaften durch die gelebte Solidarität untereinander kompensiert. Die Glaubensgebäude dieser Jugendlichen sind stark an den Vorgaben der jeweiligen Gemeinschaft orientiert. In charismatischen und freikirchlichen Gemeinden ist das in der Regel ein dezidiert biblisch grundierter Glaube, meistens verbunden mit einem wortwörtlichen Verständnis der biblischen Schriften. Die Gestaltung des Alltags orientiert sich deutlich an den ethischen Normen der jeweiligen Gemeinschaft. Die Kontur dieser letzten Gruppe konnte jüngst durch das Kasseler Team um Tobias Faix empirisch bestätigt werden.23 In der Summe erweist sich das religiöse Feld somit als vielfach heterogen. Auf der einen Seite stellen die überkommenen religiösen Traditionen verschiedene Glaubensinhalte und vollzüge zur Verfügung, auf der anderen Seite orientieren sich die Jugendlichen mehr oder weniger intensiv an diesen Sinnmustern. An seinen Grenzen wird das religiöse Feld durch spirituelle Orientierungen geprägt, die stärker auf das eigene Selbst oder das menschliche Gegenüber als auf eine übernatürliche Wirklichkeit zielen. Transzendenz erscheint in diesen Orientierungen eher horizontal als vertikal ausgeprägt zu sein. Unabhängig von der konkreten individuellen Verortung in diesem Feld scheint mir ein Detailbefund der Tübinger Religiositäts-Studie ein charakteristisches Dilemma des religiösen Feldes aufzuzeigen: den Konflikt religiöser Überzeugungen und wissenschaftlicher Erklärungen. Das Gros der in Baden-Württemberg Befragten ist entweder davon überzeugt, dass Gott die Welt erschaffen hat oder dass sie durch den Urknall entstanden ist.24 Nur wenige bringen beide Einsichten zueinander in eine sinnvolle Beziehung. Hier scheint sich mir eine charakteristische Dissonanz des religiösen Feldes gegenüber einer säkularen Gesellschaft westlicher Prägung widerzuspiegeln – womit sich gleichzeitig eine Aufgabe für den Religionsunterricht angesichts einer zunehmend konfessionell nicht gebundenen Gesellschaft ausdrückt. 23 Vgl. Tobias Faix u. a., Jugendstudie 2018. Forschungsbericht, https://www.cvjm-hochschule. de/fileadmin/2_ Dokumente/5_FORSCHUNG/empirica/Jugendstudie_2018-Forschungsbericht_empirica.pdf (Zugriff am 26.10.2018). 24 Vgl. Schweitzer u. a., Jugend, 85.

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4 Konturen der Weltanschauungen säkularer Jugendlicher Die Beschreibung des säkularen Feldes steht vor der Frage, welches Kriterium die Zugehörigkeit zu ihm kennzeichnet. Häufig wird die Konfessionslosigkeit oder -freiheit als Ausgangspunkt solcher Studien gewählt. So rekonstruieren Boris Kalbheim und Hans-Georg Ziebertz in einer Sonderauswertung einer deutschlandweiten Befragung zum Weltbild Jugendlicher von 2002 das weltanschauliche Profil der konfessionslosen Heranwachsenden in Deutschland.25 Demnach lehnen diese Jugendlichen sowohl nihilistische als auch christliche Aussagen über den Sinn von Leben und Welt ab. Stattdessen befürworten sie pragmatische und naturalistische Äußerungen. Besagte Jugendliche erklären sich die Welt somit auf der Grundlage der Prämissen eines modernen Wissenschaftsverständnisses und gehen davon aus, dass jede/r selbst dafür sorgen muss, dass das eigene Leben sinnvoll erlebt werden kann. »Das Leben ist nicht sinnlos, aber der Mensch bekommt diesen Sinn nicht über eine Gottesoffenbarung oder eine Höhere Macht, sondern jeder Mensch muss den Sinn des Lebens selbst bestimmen.«26 Entsprechend können konfessionslose Jugendliche kaum von eigenen religiösen Erfahrungen berichten und hegen auch nicht den Wunsch, solche Erfahrungen selbst zu machen. Wenn andere Menschen jedoch von religiösen Erfahrungen berichten, zeigen sie eine gewisse Aufgeschlossenheit. Konfessionslose Jugendliche scheinen damit nicht atheistisch in einem kämpferischen Sinn zu sein. Religion mag es geben, sie spielt in ihrem Leben aber keine Rolle. Das gilt auch für die Rolle religiöser Institutionen im Leben konfessionsloser Jugendlicher. Nach der Auswertung von Kalbheim und Ziebertz gibt es für sie keinen Grund, die eigenen Kinder taufen zu lassen oder im kirchlichen Rahmen zu heiraten. Lediglich der Vorstellung, in Begleitung eines Priesters begraben zu werden, stehen sie ambivalent gegenüber. Diese Befunde bestätigen im Wesentlichen den nicht-religiösen Typ, den die Würzburger Forschergruppe 2003 in einem regionalen Sample rekonstruieren konnte,27 ergänzen ihn aber um die pragmatische und naturalistische Dimension im Weltbild.

25 Vgl. Kalbheim/Ziebertz, Konfessionslosigkeit, 43–50. Zum Sample wird keine präzise Aussage gemacht. Aus einer Übersicht auf S. 37 kann geschlossen werden, dass es sich um die 456 befragten konfessionslosen Jugendlichen in Deutschland handelt, die zu 70 % aus dem Osten der Republik stammen. 26 Ebd., 47. 27 Vgl. Ziebertz u. a., Religiöse Signaturen, 402–403.

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Überblicksstudien, die sich allerdings nicht ausschließlich auf Jugendliche konzentrieren, bestätigen das von Kalbheim und Ziebertz gezeichnete Bild.28 Demnach hängen säkulare Menschen mehrheitlich einem dezidiert rationalistischen Weltbild an. Als vernünftig gilt ihnen das, was wissenschaftlich beweisbar und aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ableitbar ist. Naturwissenschaftliche, psychologische, soziologische und geschichtswissenschaftliche Einsichten und Theorien erklären Leben und Welt in hinreichender Weise und haben gegenüber religiösen Sinnpotenzialen den Vorzug, dass sie auf vernünftigen Annahmen und nachvollziehbaren Methoden beruhen. Das Ethos nicht-religiöser Menschen orientiert sich überdurchschnittlich stark an Werten der individuellen Autonomie und Selbstverwirklichung. Demnach ist ausschließlich der Mensch für sich selbst verantwortlich und muss sein Handeln so gestalten, dass er dieser Verantwortung gerecht wird. Menschenwürde und globale Gerechtigkeit sind häufig die normativen Bezugspunkte dieser Verantwortung. Im Alltag drücken sich säkulare Überzeugungen nur selten dadurch aus, dass Religion explizit kritisiert wird. Ethnografische Studien verweisen eher darauf, dass sich säkulare Haltungen in kleinen Gesten und Zeichen niederschlagen.29 So finden sich in säkularen Haushalten Postkarten mit Sprüchen wie »I found the key to paradise. But I can’t find the door«, man trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck des sog. Darwin Fisches, man kauft die Schuhe der Initiative Atheist Shoes oder im eigenen Bücherregal stehen Bücher des sog. Neuen Atheismus. Ferner zeigen viele säkulare Menschen einen relativistischen Umgang mit religiösen Symbolen. Kreuze werden dann als Schmuckstück getragen, ohne dass ihm eine religiöse Bedeutung zugeschrieben wird. Eine Deutung dieses Schmucks als implizit religiös lehnen säkulare Menschen dezidiert ab. Sinn erfahren säkulare Jugendliche vor allem in diesseitigen Bezügen.30 Dazu gehören vor allem persönliche Mythen und Rituale sowie Transzendierungserlebnisse, in denen kurzzeitig die alltägliche Wahrnehmung durchbrochen wird und denen eine Person die Qualität zuschreibt, als Kraftfeld das eigene Leben 28 Vgl. Linda Woodhead, The Rise of ›No Religion‹ in Britain: The Emergence of a New Cultural Majority, in: Journal of the British Academy 4 (2016), 245–261; Zuckerman u. a., The Non­ religious. 29 Vgl. z. B. Talal Asad, Thinking about the Secular Body, Pain, and Liberal Politics, in: Cul­tural Anthropology 26 (2011) 4, 657–75; Fenella Cannella, The Anthropology of Secularism, in: Annual Review of Anthropology 39 (2010), 85–100; Matthew Engelke, An Ethnography of the British Humanist Association; Lois Lee, Recognizing the Non-religious: Reimagining the Secular, Oxford 2017, 49–106. 30 Tatjana Schnell, »Für meine Freunde könnte ich sterben«. Implizite Religiosität und die Sehnsucht nach Transzendenz, in: Ulrich Kropač u. a. (Hg.): Jugend, Religion, Religiosität, Regensburg 2012, 87–106.

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zu bereichern. Letztere stellen sich z. B. beim Sport oder bei Computer-Spielen ein, wenn man Raum und Zeit vergisst und sich selbst als leicht und ungebunden fühlt. Oftmals werden solche Transzendierungserlebnisse auch als Flow bezeichnet. In allen diesen Formen diesseitiger Sinnstiftung tritt der Mensch aus sich selbst heraus und erfährt eine Beziehung zu sich selbst oder zu seiner Umwelt, ohne dass darin das, was die etablierten Religionen als transzendente Wirklichkeit bezeichnen, eine Rolle spielt. In der Regel sind es Beziehungen, denen eine implizit sinnstiftende Qualität zugeschrieben wird. Man erfährt den Austausch mit der besten Freundin oder die Liebe des Partners oder das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das einem die Sportmannschaft vermittelt, als Kraftquelle, die dem eigenen Leben Sinn und Orientierung gibt. Differenziertere Konturen säkularer Weltbilder lassen sich kaum seriös beschreiben. Zum einen müssen sich säkulare Menschen in ihrem Alltag in der Regel nicht zu ihrer Weltanschauung bekennen. In der Folge speist sich eine säkulare Haltung meistens aus wenigen inhaltlichen Bezugspunkten und stellt sich darüber hinaus als inhaltlich fluide dar. Zum anderen fehlen aber auch explizite, institutionell getragene und propagierte Weltanschauungen größerer sozialer Reichweite. Nur wenige Menschen bekennen sich zum Atheismus, weil dieser Begriff für viele zu kämpferisch oder intellektuell klingt. Vorfindliche säkulare Weltanschauungsgemeinschaften beziehen sich in der Regel auf humanistische Traditionen,31 ohne dass sich der Humanismus – zumindest bislang – als geeignetes Label für einen positiven Bezugsrahmen einer säkularen Einstellung breit durchgesetzt hätte. In der Folge ist eine säkulare Einstellung gegenüber Leben und Welt für die meisten momentan eher ein Lebensgefühl als ein Bekenntnis.

5 Zum soziokulturellen Hintergrund weltanschaulicher Profile Die soeben rekonstruierten weltanschaulichen Profile skizzieren die grundsätzliche Perspektive, mit der Jugendliche ihr Leben und die Welt wahrnehmen. Ihre praktische Bedeutung sollte stark durch das gesellschaftliche Umfeld bedingt sein, in dem sich die Jugendlichen bewegen. Für Deutschland scheinen mir zwei vor allem sozialräumliche Aspekte in dieser Hinsicht besonders bedeutsam zu sein: zum einen die charakteristischen Unterschiede zwischen den westlichen und den östlichen Bundesländern, zum anderen die zwischen großstädtischen und ländlichen Lebensräumen. 31 Vgl. z. B. den »Humanistischen Verband«, http://www.humanismus.de/ (Zugriff am 23.4.2018).

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Deutschland kann heute als stark säkulare Gesellschaft betrachtet werden, in der Religion akzeptiert wird, solange sie das Privatleben der Menschen betrifft. Was die individuelle und öffentliche Kultur angeht, stellen Olaf Müller und Kollegen jedoch einen charakteristischen Unterschied fest: »Während die vorherrschende Kultur in den ›alten‹ Bundesländern nach wie vor kirchlich-christlich verfasst ist und Religion und Kirche, wenn auch immer weniger, in vielerlei Hinsicht das gesellschaftliche Leben wie auch die individuellen Wertvorstellungen und Orientierungen eines Großteils der Bevölkerung prägen, lässt sich die dominante Kultur in Ostdeutschland nicht nur als entkirchlicht, sondern als säkularisiert bezeichnen.«32 Dieser Unterschied scheint vor allem durch die aggressive Religionspolitik in der ehemaligen DDR begründet zu sein.33 Erstens mündete der explizite Druck zur Mitgliedschaft in der SED für viele in einer bewussten Entscheidung für oder gegen die Kirche. Zweitens führte die Betonung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Sozialismus dazu, dass Religion von vielen als irrational erachtet wurde. Drittens bot die sozialistische Orientierung am Diesseits mit ihren Werten von Gemeinschaft, Arbeit und Ehrlichkeit eine echte, immer wieder propagierte Alternative zu religiösen Sinnangeboten. In der Summe erscheinen religiöse Orientierungen in den östlichen Bundesländern heute als vielfach exotisch und grundsätzlich erklärungsbedürftig, während sie in den westlichen Ländern in der Regel als ein mögliches Sinnpotenzial akzeptiert werden. Der Unterschied zwischen (Groß-)Stadt und Land gehört zu den Klassikern der Religionssoziologie. Zum einen erweisen sich großstädtische Lebensräume als religiös vielfältiger als ländliche. Religiöse Vielfalt ist hier nicht nur ein Thema in den Medien, sondern kann unmittelbar erlebt werden, denn der nächste Tempel oder die nächste Moschee sind oft nur zwei U-Bahn-Stationen entfernt. Zum anderen ist das soziale Netz in Großstädten lockerer geknüpft als in ländlichen Räumen, was Experimente mit säkularen und religiösen Sinnangeboten und Vollzügen, die nicht der eigenen spirituellen Herkunft entstammen, ermöglicht, ohne das eigene Image zu gefährden. Dazu passt, dass gemäß des Religionsmonitors von 2013 die Teilnahme an traditionellen religiösen Vollzügen wie Gottesdiensten oder dem Freitagsgebet und die persönliche Bedeu32 Olaf Müller/Detlef Pollack/Gert Pickel, Religiös-konfessionelle Kultur und individuelle Religiosität: Ein Vergleich zwischen West- und Ostdeutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie 65 (2013), 123–148, hier: 144. 33 Monika Wohlrab-Sahr/Uta Karstein/Thomas Schmidt-Lux, Forcierte Säkularität. Religiöser Wandel und Generationendynamik im Osten Deutschlands, Frankfurt a. M. 2009.

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tung von Religion in ländlichen Regionen stärker ausgeprägt sind als in (groß-) städtischen Lebensräumen.34 Jugendliche mit einer weltanschaulichen Orientierung, die nicht zum kulturellen Mainstream ihrer Region passt, können diese in großstädtischen Lebensräumen also ungefilterter und unmittelbarer ausleben als in ländlichen Lebensräumen, in denen der kulturelle Mainstream noch zu vielfältigen Anpassungen führt.

6 Herausforderungen für den Religionsunterricht Im Abgleich der weltanschaulichen Profile lassen sich nun Herausforderungen für den Religionsunterricht formulieren, der in Deutschland sowohl seinem Namen nach als auch in seinen Ansprüchen konfessionell gebunden ist. Seine Lerngruppen charakterisiert eine tiefgreifende weltanschauliche Heterogenität, wobei die Kontur dieser Vielfalt wohl stark vom regionalen Umfeld bedingt ist. In ländlichen Regionen des Sauerlands oder Niederbayerns wird man als Lehrperson wohl vor allem mit den verschiedenen Spielarten innerhalb des religiösen Feldes konfrontiert sein, in großstädtischen Umfeldern wie Frankfurt oder dem Ruhrgebiet wohl zusätzlich mit einem Gutteil säkularer Einstellungen. Dazu kommt der oben skizzierte West-Ost-Unterschied in der öffentlichen Haltung Religion und Kirche gegenüber, der die lokale Hintergrundfolie für die Thematisierung religiöser Inhalte definiert. Auf den ersten Blick scheint der Religionsunterricht gut gerüstet zu sein für diese weltanschauliche Heterogenität. Er will die Schülerinnen und Schüler befähigen, sich innerhalb der vorfindlichen religiösen Vielfalt zu orientieren und angemessen mit dieser Vielfalt umzugehen. Seine Lehrpersonen sind sich der Heterogenität ihrer Schülerinnen und Schüler bewusst, wobei es vor allem ein Bewusstsein für die immer stärker werdenden säkularen Einstellungen zu geben scheint.35 Und mit den Ansätzen eines konfessorischen Lernens und des Lernens im Perspektivenwechsel liegen didaktische Konzepte vor, wie weltanschauliche Vielfalt im Unterrichtsgeschehen fruchtbar werden kann.36 Der aktuelle Religionsunterricht scheint somit pluralitätsfähig zu sein. 34 Vgl. Pollack/Müller, Religionsmonitor – verstehen was verbindet, 19. 35 Vgl. Uta Pohl-Patalong u. a., Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein, Stuttgart 2016, 29–45. 36 Vgl. David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung, Tübingen 2014; Jan Woppowa, Perspektivenverschränkung als zentrale Figur konfessioneller Kooperation, in: Konstantin Lindner u. a. (Hg.) Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, Freiburg 2017, 174–192.

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Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass diese Pluralitätsfähigkeit vor allem auf konzeptueller Ebene gegeben ist. Über das, was faktisch im Religionsunterricht geschieht, gibt es bislang nur bruchstückhafte Einsichten, die eher ernüchternd ausfallen. So stellt die Essener Forschergruppe um Rudolf Englert fest, dass die Lehrpersonen in ihrer Stichprobe dazu neigen, Religion vor allem sachkundlich zu thematisieren.37 Über weltanschauliche Differenzen wird in einem solchen Zugang bestenfalls informiert, nicht jedoch mit existenziellem Anspruch diskutiert. Eva Leven und Ulrich Riegel finden in ihren Unterrichtsvideografien dagegen Ansätze eines affirmativen Unterrichtsstils, der die Per­ spektive der den Unterricht tragenden Konfession als fraglose Tatsache vermittelt.38 Weltanschauliche Differenzen spielen hier bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Und eine Tübinger Studie zur Perspektivübernahme im Unterricht der Berufsschule zeigt auf, dass eine solche nur ansatzweise gelingt.39 Weltanschauliche Differenzen werden hier zwar adressiert, nicht jedoch wirksam bearbeitet. Weder können die drei skizzierten Befunde Repräsentativität für das Geschehen im Religionsunterricht beanspruchen, noch zeichnen sie ein in sich konsistentes Bild desselben. Sie haben jedoch gemeinsam, dass keiner der drei Befunde dem Ideal eines pluralitätsfähigen Religionsunterrichts entspricht. Außerdem ist noch zu wenig bekannt, wie sich die konfessionelle Rahmung des Unterrichts auf die Thematisierung religiöser Vielfalt auswirkt. Mit der konfessionellen Rahmung sind konkrete weltanschauliche Positionen anderen gegenüber explizit hervorgehoben. Was bedeutet das für das Unterrichtsgeschehen? Bzgl. der Unterrichtsgestaltung ergibt eine explorative Analyse von 15 Unterrichtsreihen, dass inhaltliche Aspekte, die nicht dem religiösen Anspruch der den Unterricht tragenden Konfession entsprechen, vor allem funktional ins Unterrichtsgeschehen eingespielt werden, um den Schülerinnen und Schülern einen besseren Zugang zum eigentlichen Thema des Unterrichts zu eröffnen.40 Bzgl. der Interaktionen im Religionsunterricht konnte Barbara Asbrand zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die nicht der den Unterricht tragenden Konfession angehören, sich vielfach nicht wirklich trauen, ihre eigene 37 Vgl. Rudolf Englert u. a., Innenansichten des Religionsunterrichts. Fallbeispiele – Analysen – Konsequenzen, München 2014, 110–119. 38 Eva Leven/Ulrich Riegel, How do German RE teachers deal with truth claims in a pluralist classroom setting? In: Journal of Religious Education, 64 (2016) 2, 75–86. 39 Vgl. Friedrich Schweitzer/Magda Bräuer/Reinhold Boschki, Interreligiöses Lernen durch Perspektivenübernahme. Eine empirische Untersuchung religionsdidaktischer Ansätze, Münster 2017, 107–132. 40 Vgl. Ulrich Riegel/Sarah Delling, Dealing with Worldviews in Religious Education. A Thematic Analysis on the Topical Structure in Denominational Religious Education, in: British Journal of Religious Education, 2019 (doi: 10.1080/13617672.2019.1618150).

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Ulrich Riegel

weltanschauliche Position vollgültig anzusprechen.41 Wieder sind beide Befunde alles andere als repräsentativ. Dennoch verweisen sie darauf, dass eine Unterrichtsgestaltung und ein Unterrichtsgeschehen, in der bzw. in dem die verschiedenen weltanschaulichen Positionierungen – zumindest prinzipiell – gleichberechtigt nebeneinanderstehen, alles andere als trivial sind. Schließlich gibt es m. E. noch keine evidenzbasierten Einsichten in die Problematik, die sich durch die unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht ergibt. Zwar wird viel Geld in die Hand genommen, um milieubedingte Glaubensgebäude von Schülerinnen und Schülern zu rekonstruieren. Die Analyse der Konsequenzen, welche Rolle milieubedingte Sprach- und Handlungsmuster im Religionsunterricht haben und wie sie sich in einer weltanschaulich heterogenen Lerngruppe auswirken, scheint mir jedoch noch in den Kinderschuhen zu stecken – wenn überhaupt. So ist etwa denkbar, dass z. B. muslimische Schülerinnen und Schüler nicht nur eine für die Mehrheit der Lerngruppe oft fremde Religion zur Sprache bringen, sondern das auch in einer Sprache tun, die vielen von ihnen weniger vertraut sein kann als dem Gros ihrer Mitschüler. Bernhard Grümme ist deshalb zuzustimmen, wenn er fordert, Heterogenität im Religionsunterricht als vieldimensionales Konzept zu verstehen, das nicht nur entlang der weltanschaulichen Dimension entfaltet werden kann.42 Denn gerade bei weltanschaulich relevanten Fragestellungen, die in der Regel bedeutsam für die eigene Identität und das Ansehen in der Gruppe sind, kommt es darauf an, dass man sich so ausdrücken kann, wie es die Situation erfordert. Verdichtet man die singulären empirischen Einsichten zu einer vorsichtigen Bilanz, lässt sich Folgendes festhalten: Es liegt nahe, dass sich das mittlerweile vorfindliche Problembewusstsein der religionspädagogischen Diskussion noch nicht hinreichend in praktische Formate von Unterrichtsplanung und  -gestaltung durchgesetzt hat. Im konfessionellen Religionsunterricht scheint – bei allem guten Willen der Lehrpersonen – noch eine gewisse Hilflosigkeit zu herrschen, wenn es darum geht, weltanschauliche Vielfalt zu einem tragenden Faktor unterrichtlicher Auseinandersetzung zu machen. Weder scheint weltanschauliche Vielfalt in der Planung und Organisation von konfessionellem Religionsunterricht ein ausschlaggebendes Kriterium zu sein, noch scheinen die didaktischen

41 Vgl. Barbara Asbrand, Zusammen Leben und Lernen im Religionsunterricht. Eine empirische Studie zur grundschulpädagogischen Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts im Klassenverband der Grundschule, Frankfurt a. M. 2000, 181–191. 42 Vgl. Bernhard Grümme, Heterogenität in der Religionspädagogik. Grundlagen und konkrete Bausteine, Freiburg 2017, 89–102.

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Strategien, mit denen diese Vielfalt ins unterrichtliche Geschehen eingespielt werden kann, hinreichend bei den Lehrpersonen verankert zu sein. Wer diese Bilanz als Persilschein für die wissenschaftliche Religionspädagogik liest, liegt falsch, denn es ist ihre Aufgabe, ihre Theorien und didaktischen Strategien in die Praxis hinein zu kommunizieren. Wie sich Lehre und Weiterbildung aber verändern muss, dass sich auch Praxis verändert, ist wiederum ein eher blinder Fleck religionspädagogischer Forschung. Studien zur Wirksamkeit spezifischer Lehrsettings liegen nur vereinzelt vor.43 In anderen Fachdidaktiken hat sich der Einsatz von Unterrichtsvideos in Aus- und Weiterbildung bewährt, weil in ihnen Praxis anschaulich wird, gleichzeitig aber immer wieder und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann.44 Inwieweit sich dieses Potenzial auch in der religionspädagogischen Lehre heben lässt, kann noch nicht sicher abgeschätzt werden.45

Dr. Ulrich Riegel ist Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik am Seminar für Katholische Theologie der Universität Siegen.

43 Z. B. Jan Woppowa/Carina Caruso, Das Praxissemester als Ort religionspädagogischer Professionalisierung. Einblicke in eine prozessgestaltende Untersuchung, in: Religionspädagogische Beiträge 76 (2017), 96–107. 44 Vgl. Tomas Janik u. a., Der Einsatz von Videotechnik in der Lehrerbildung. Eine Übersicht leitender Ansätze, in: Ulrich Riegel/Klaas Macha (Hg.), Videobasierte Kompetenzforschung in den Fachdidaktiken, Münster 2013, 63–78. 45 Z. B. Guido Hunze u. a., Projekt GRUVI. Entwicklung von Grundkompetenzen für den Religionsunterricht durch videografische Unterrichtsanalyse, in: Religionspädagogische Beiträge 62 (2009), 61–64.

Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht? Monika E. Fuchs

1 Einführende Überlegungen Dem Beitrag eignet etwas Paradoxes: Wie können wir – die wir uns i. d. R. mit den an der strukturellen Anlage des Faches Religion beteiligten Playern, mit den für Religionsunterricht geltenden rechtlichen und curricularen Rahmenbedingungen und schließlich mit den im konkreten Religionsunterricht figurierenden Akteuren und didaktischen Konzepten befassen – zu sachlich angemessenen Aussagen über diejenigen kommen, die dem Fach gerade den Rücken kehren?1 Die Beschreibung steht in der Gefahr, »einerseits mit Defizitbeschreibungen zu hantieren oder andererseits beim Anderen etwas zu sehen, was dort gar nicht so anzutreffen ist.«2 Die Frage als solche ist zuvorderst eine Relevanz-Frage: Wer einer Sache kein Interesse entgegenzubringen bereit ist, hat ihren Wert nicht gekannt, erkannt oder aber verkannt. Die ihr möglicherweise innewohnende Wertigkeit und Stärke kann nicht entfaltet, ein zur Handlung befähigendes Movens nicht freigesetzt werden. Sie bleibt nutzlos. Wo der Wert nun gar nicht erst gekannt wird, handelt es sich um ein Wissensdefizit – was ich nicht kenne, kann ich auch nicht bewerten. Wird ein Wert nicht erkannt, mag es daran liegen, dass er sich nicht plausibilisieren ließ, vielleicht auch nicht »anwenderfreundlich« genug vermittelt wurde. Wird er schließlich verkannt, bleibt im Letzten seine Anerkennung aus. Auch hier könnte sein, dass sich der Wert nicht ausreichend plausibilisieren ließ und/oder, dass er im Abgrenzungsmodus zu den bis dato geltenden, widersprechenden Lebensdeutungsmustern nicht anerkannt werden kann bzw. will und deshalb abge1

Die vor diesem Hintergrund naheliegende Suche nach empirischen Untersuchungen zur Motivation und Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an den Alternativfächern (je nach Bundesland Werte & Normen, Ethik, Philosophie oder LER) offenbarte ein erstes Desiderat. Nach Auskunft mehrerer angefragter Kolleginnen und Kollegen aus der Religionswissenschaft seien bislang keine Studien bekannt, die diese Frage adressierten. 2 Michael Domsgen, Diagnose »konfessionslos«? – Was heißt das religionspädagogisch? In: Loccumer Pelikan H.3 (2018), 4–9, 4.

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lehnt werden muss. Die mit dem Desinteresse einhergehende Haltung bewegt sich entsprechend zwischen leidenschaftsloser Gleichgültigkeit und massiver Ablehnung. Was also wissen wir über Kinder und Jugendliche, die den Wert des (konfessionellen) Religionsunterrichtes nicht kennen, erkennen oder ihn verkennen? Zu fragen ist nach Rahmenbedingungen, die ihre Teilnahme am Religionsunterricht be- oder verhindern, nach Hinweisen, die Aufschluss über defizitäre unterrichtliche Plausibilisierungsstrategien geben und nach alternativen bzw. konkurrierenden Deutungsoptionen, die gleichwohl für die Rezipienten die höhere Überzeugungskraft zu haben scheinen.

2 Empirische Beobachtungen zur religionsbezogenen Großwetterlage 2.1 Wahrnehmungen von und Haltungen zum Religionsunterricht Ein Nachdenken über die Interessen heutiger Kinder und Jugendlicher beinhaltet zugleich ein Nachdenken über sie als »Kinder ihrer Zeit«, greift also gesellschaftliche Entwicklungen und zeitgeistige Strömungen auf. Der Blick gilt deshalb zunächst der aktuellen religionsbezogenen »Großwetterlage«. Als paradigmatisch hierfür vermag die bezeichnenderweise mit »Mehrheit für Abschaffung des Religionsunterrichts«3 betitelte YouGov-Studie aus dem Jahr 2016 stehen. In Reaktion auf die Abschaffung des Religionsunterrichtes in Luxemburg4 zuguns3

Das Marktforschungs- und Beratungsinstitut YouGov hat auf Basis des sog. YouGov Omnibus, einem Online-Panel, im Zeitraum vom 23.–27.9.2016 in Deutschland 1048 Personen repräsentativ befragt; siehe https://yougov.de/news/2016/09/28/mehrheit-fur-abschaffung-des-religionsunterrichts-/ (Zugriff am 31.10.2018). Bemerkenswert ist die Rezeption der Ergebnisse auf der Webseite der sog. »Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland« unter https://fowid. de/meldung/allgemeiner-werteunterricht-oder-religionsunterricht (Zugriff am 31.10.2018). 4 Im Zuge der 2014 angekündigten Reformen im Verhältnis von Kirche und Staat führte Luxemburg zum Schuljahr 2016/17 das Unterrichtsfach »Leben und Gesellschaft« ein. Zuvor hatte die Wahlmöglichkeit zwischen Religionsunterricht und einem konfessionslosen Moralunterricht bestanden. Vgl. hierzu die Webseiten des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (https://www.evangelisch.de/inhalte/144951/14-07-2017/religionsunterricht-luxemburg-wird-abgeschafft (Zugriff am 31.10.2018) sowie des Humanistischen Pressedienstes (https://hpd.de/artikel/luxemburg-verabschiedet-sich-religionsunterricht-14616 (Zugriff am 31.10.2018). Die dort hinterlassenen Kommentare geben überdies einen Einblick in das Diskursklima und die Argumentationsqualität. Ähnliches gilt für die – ausgerechnet mit dem frommen Wunsch »Reli Adieu« benannte – Kampagne des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten unter https://www.ibka.org/de/Materialien_Reli_Adieu (Zugriff am 1.11.2018) bzw. https://de-de.facebook.com/ReliAdieu/ (Zugriff am 1.11.2018).

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ten des Faches »Vie et société«5 hatte das Marktforschungsinstitut im September 2016 eine repräsentative Befragung in Deutschland durchgeführt. Auf die Frage »Seit Beginn des Schuljahres gibt es in Luxemburg keinen Religionsunterricht mehr, sondern einen allgemeinen Werteunterricht. Würden Sie einen solchen gemeinsamen Werteunterricht anstatt des Religionsunterrichts für alle Schüler befürworten oder ablehnen?« befürworten dies mehr als zwei Drittel: 39 % tun dies »voll und ganz« und weitere 30 % »eher«; hingegen lehnen 21 % dies ab. In der Frage nach im Religionsunterricht bedeutsamen Aspekten zeigen sich vergleichbare Trends (vgl. Tab. 1). Im Ost-West-Vergleich ist die Zustimmung für einen allgemeinen Werteunterricht mit insgesamt 81 % sowie für die Aspekte »Allgemeine Ethik, Werte, Normen« innerhalb eines Religionsunterrichts mit 66 % im Osten Deutschlands jeweils höher.6 Tabelle 1: Bedeutsame Aspekte im Religionsunterricht (YouGov 2016) »Welche Bedeutung sollte Ihrer Meinung nach den folgenden Aspekten im Religions­ unterricht zukommen?« Die eigene Religion bzw. Konfession (n = 1.027)

Verschiedene Religionen bzw. Konfessionen (n = 1.034)

»Allgemeine Ethik, Werte, Normen« (n = 1.034)

… sollte(n) im Zentrum stehen.

21 %

15 %

60 %

… sollte(n) behandelt werden, aber nicht im Zentrum stehen.

58 %

66 %

29 %

… sollte(n) nicht behandelt werden.

14 %

11 %

5 %

WN/k.A.

7 %

7 %

6 %

In Summe scheint es eine Art gesellschaftsatmosphärisch erwarteten Bildungsauftrag zu geben, in dem Religionen wohldosiert und in wertfreier »religious correctness« zu vermitteln sind und wo ein allgemeiner Weltanschauungsunterricht in maximaler Toleranz allem und allen gerecht werden soll. Die 5 Siehe hierzu »Das Projekt Rahmenlehrplan für das Fach ›Leben und Gesellschaft‹/›Vie et société‹« unter https://gouvernement.lu/dam-assets/fr/actualites/communiques/2015/11-novembre/12-cours-vieetsociete/rahmenlehrplan.pdf (Zugriff am 31.10.2018). 6 Vgl. YouGov, Abschaffung.

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didaktische Zauberformel lautet »Perspektivenwechsel«7. Fragwürdig im Wortsinne ist freilich, wie es um den Grad und die Qualität der Reflexion all dessen bestellt ist.8 Ebenfalls im Jahr 2016 hat die Kultusministerkonferenz der Länder im Dezember eine »Auswertung Religionsunterricht Schuljahr 2015/16«9 vorgelegt, die Auskunft über die Angebotslagen religionsbezogener Fächer in den einzelnen Bundesländern gibt. Die Auswertung wurde von der »Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland« umgehend kommentiert. Kern der Kritik ist u. a. die Vereinnahmung weltanschaulichen Unterrichts unter dem Begriff »Religionsunterricht« im Titel sowie die Bezeichnung nicht konfessionsbezogener Fächer als »Ersatzfächer« bzw. deren Einordnung unter »Sonstiges«.10 Die Auswertung als solche zeigt – neben einer wachsenden Zahl an Schülerinnen und Schülern, die den Ethikunterricht besuchen – auf, dass über 8 % der Lernenden keinen Religions- oder Ethikunterricht besuchen, wovon mehrheitlich Grundschulkinder sowie einzelne Bundesländer wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen besonders betroffen sind. Die statistische Dokumentation der KMK gibt jedoch keinen Aufschluss über Ursachen oder Wechselwirkungen dieser Befundlage.

  7 Vgl. hierzu Moritz Emmelmann, Perspektivenwechsel. Überlegungen zur Leistungsfähigkeit einer Leitmetapher für die religionspädagogische Auseinandersetzung mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität, in: Bernd Schröder/Moritz Emmelmann (Hg.), Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, Göttingen 2018, 145–156.   8 Vgl. hierzu Christian Polke, Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität? Ethische und religiöse Bildung in pluraler Schule und Gesellschaft, in: Schröder/Emmelmann, Religions- und Ethikunterricht, 15–35. 9 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Auswertung Religionsunterricht Schuljahr 2015/16. Teilnehmende Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen in öffentlicher Trägerschaft nach Schularten (aufgegliedert nach Religionsunterrichten, Ethik und weiteren Ersatzunterrichten) für den Primarund Sekundarbereich I, Berlin 2016, https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/ AW_Religionsunterricht_II_2015_16.pdf (Zugriff am 2.11.2018). 10 So Carsten Frerk in seinem Kommentar am 30.1.2017 unter fowid, Meldung. In seinem Fazit kommt er zu dem Schluss, die Auswertung sei »in ihren Zuordnungen von einer Auffassung bestimmt, die nur den drei abrahamitischen Religionen eine Berechtigung zuspricht, alles andere wird unter ›Sonstiges‹ oder ›Ersatz‹ oder ›Sonstiger Ersatz‹ abgewertet.«

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2.2 Religionszugehörigkeit, Konfessionslosigkeit und Haltungen zur Kirche Während die beiden christlichen Konfessionen in Deutschland knapp zwei Drittel ausmachen,11 zeigen die im Rahmen von Asylverfahren laufenden Migrationsströme eine deutlich andere Verteilung; die Anzahl der zum Christentum Gemeldeten liegt hier bei einem Fünftel.12 Die prognostizierte Entwicklung in den nächsten 30 Jahren erwartet für Deutschland einen Rückgang des Christentums bei gleichzeitigem Anstieg von Konfessionslosen und Muslimen (s. Tab. 2). Tabelle 2: Religionszugehörigkeit in Deutschland 2010 und Prognose bis 205013 2010

2020

2030

2040

2050

Christen

68,7 %

66 %

63,7 %

61,5 %

59,3 %

Konfessionslose

24,7 %

26,3 %

27,6 %

28,7 %

29,8 %

Muslime

5,8 %

6,9 %

7,9 %

8,9 %

10 %

Juden

0,3 %

0,3 %

0,3 %

0,3 %

0,3 %

Buddhisten

0,3 %

0,3 %

0,3 %

0,3 %

0,4 %

Volks- und Naturreligionen

0,1 %

0,1 %

0,1 %

0,1 %

0,1 %

Hindus

0,1 %

0,1 %

0,1 %

0,1 %

0,1 %

Andere Religionen

0,1 %

0,1 %

0,1 %

0,1 %

0,1 %

Die »Anzahl der Personen in Deutschland, die im Leben großen Wert auf Religion und eine feste Glaubensüberzeugung legen«, scheint in jüngster Zeit hingegen verhältnismäßig konstant und lag im Jahr 2018 bei 23,4 %.14 Zur Frage »Denken Sie, dass in Deutschland eine striktere Trennung von Staat und Kirche notwendig ist?« ergab eine im Mai 2015 durchgeführte Befra11 Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.), Zensus 2011. Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit, Familienstand und Religionszugehörigkeit. Endgültige Ergebnisse, Bad Ems 2014, 41. 12 Im Weiteren Islam: 65,9 %, Jesiden: 6,7 %, Konfessionslos: 2,2 %, Hinduismus: 0,9 %, sonstige/ unbekannt: 3,7 %; vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Das Bundesamt in Zahlen 2017. Asyl, Migration und Integration, Nürnberg 2018, 27. 13 Zusammengestellt nach https://de.statista.com/statistik/daten/studie/701006/umfrage/verteilung-der-bevoelkerung-in-deutschland-nach-religionszugehoerigkeit/ (Zugriff am 1.11.2018). 14 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/264229/umfrage/lebenseinstellung-bedeutung-von-religion-und-fester-glaubensueberzeugung/ (Zugriff am 2.11.2018). Die Stichprobe belief sich 2018 auf 23.389 Befragte, Hochrechnung auf 70,45 Mio. Personen, vgl. ebd.

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gung von 1.000 Personen in der Altersgruppe ab 18 Jahren nahezu eine Pattsituation: 50 % halten eine solche für nicht notwendig, 44 % für notwendig.15 Die Meinungen zu den innerhalb der Konfessionen agierenden Institutionen divergieren wiederum. Die jüngste EKD-Mitgliedschaftserhebung beschreibt Jugendliche und junge Erwachsene als »Stabil im Bindungsverlust zur Kirche«.16 Im Vergleich der Alterskohorten waren es auch »[b]ereits in allen vier Vorgängerstudien der V. KMU […] die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die geringste Verbundenheit gegenüber der evangelischen Kirche bekundet haben.«17 Was die Haltung zur Kirche anbelangt, so äußern von den in der Shell-Studie 2015 befragten Jugendlichen 67 %, sie fänden gut, dass es Kirche gibt; in der aktuellen Studie aus Baden-Württemberg sind es 56 %.18 Deren gesellschaftliche Rolle und die ihr innewohnenden sozialen Aufgaben werden durchaus geschätzt und anerkannt. Gleichzeitig sagen über 50 % (Shell 2015: 57 %19; »Jugend – Glaube – Religion« 2018: 52 % in t1 und 56 % in t220), dass Kirche keine Antwort auf die Fragen habe, die sie wirklich bewegten. – Innerhalb der einschlägigen Diskurse um Säkularisierung und Pluralisierung, Individualisierung und Privatisierung von Religion21 dürfte für Jugendliche gerade hierin die Scharnierstelle für Plausibilisierungsprozesse liegen. 15 Vgl.https://de.statista.com/statistik/daten/studie/190176/umfrage/meinung-zu-einer-strikteren-trennung-von-kirche-und-staat-in-deutschland/ (Zugriff am 2.11.2018). 2 % meinten, die Trennung sei bereits strikt und 4 % äußerten sich mit »weiß nicht«. 16 So der Untertitel des Teilkapitels 8 »Jugendliche und junge Erwachsene« von Gert Pickel in Evangelische Kirche Deutschland (Hg.), Engagement und Differenz. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Hannover 2014, https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/ekd_v_kmu2014. pdf (Zugriff am 2.11.2018), 60–73. 17 EKD, Engagement und Differenz, 62. 18 Vgl. Friedrich Schweitzer/Golde Wissner/Annette Bohner/Rebecca Nowack/Matthias Gronover/ Reinhold Boschki, Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht (Glaube – Wertebildung – Interreligiosität, Band 13), Münster 2018, 23; 54 % der hier Befragten »finden, dass die Kirche ›viel Gutes für die Menschen tut‹«, ebd. 19 Vgl. Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch, Frankfurt a. M. 2015, 259. Bemerkenswert ist, dass bereits 1997 44 % (West) bzw. 48 % (Ost) der in der EKD-Erhebung Befragten als Kirchenaustrittsgrund angaben, »weil ich mich mehr an allgemein humanistisch-ethischen Werten orientiere als an christlichen«. Klaus Engelhardt/Hermann von Loewenich/Peter Steinacker (Hg.), Fremde Heimat Kirche. Die dritte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 1997, 327. 20 Vgl. Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 129. 21 Unter religionspädagogischer Perspektive knapp gebündelt bei René Gründer/Albert Scherr, Jugend und Religion. Soziologische Zugänge und Forschungsergebnisse, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 11 (2012), H.1, 64–79, bes. 68 ff. Vgl. hierzu auch bereits das Kapitel »Religiöse Kommunikation« in Wolfgang Huber/Johannes Friedrich/Peter Steinacker (Hg.), Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Die vierte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 2006, 355–414; sowie EKD, Engagement und Differenz, 60 f.

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2.3 Rückzug ins Private oder »Das muss jeder für sich selbst entscheiden« Insgesamt ist ein sozialer Bedeutungsverlust von Religion für den Lebensalltag zu konstatieren, der sich zunehmend »in Form religiöser Indifferenz in den Köpfen festsetzt«. Jugendliche und junge Erwachsene nehmen ihre Umwelt dann »als vorwiegend säkular strukturiert wahr und verweisen Religiöses in den Sektor des Persönlichen. Dieser Prozess ist nicht nur für die Mitgliedschaft in einer Kirche nachteilig, sondern führt scheinbar auch dazu, dass junge Menschen immer häufiger Religion generell als etwas Nachrangiges für den Lebensalltag verstehen.« Sie tauschen sich »weniger als ihre älteren Mitmenschen über religiöse Themen aus (16 % zu ca. 23 %) oder praktizieren im Lebensalltag ihre Religion«.22 Im Blick auf Urteilsbildung und Einschätzungen zur Toleranzfähigkeit erscheinen dann u. U. aber diejenigen suspekt, die das nicht so handhaben. Die V. KMU dokumentiert, dass 70 % der befragten Konfessionslosen und 45 % der befragten Evangelischen der Aussage »Ich meine, dass feste Glaubensüberzeugungen intolerant machen« zustimmen.23 In der konkreten Unterrichtssituation begegnet diese Haltung in Gestalt jener »wohlbekannten Schüler(innen)äußerung«24, die da lautet: »Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich bin nämlich der Meinung, man muss hier tolerant sein.« – Diese Verwendung des Toleranzbegriffs bringt freilich eine »gewichtige Verschiebung« dahingehend mit sich, »Toleranz bestehe darin, man solle seine eigene Überzeugung nicht so wichtig nehmen.« Die gesellschaftsatmosphärisch wahrzunehmende Tendenz geht hier »in die Richtung, dass jede Form von Religiosität geradezu unter Fundamentalismusverdacht gestellt wird. Eine religiöse Überzeugung haben ist – in der Sprechweise dieser Lernenden – per se ›intolerant‹.«25 Der Rückzug ins Persönliche korrespondiert, so scheint es, mit dem Rückzug eines persönlichen bzw. persönlich relevanten Gottes. Im Frühjahr 2017 haben Erwachsene ab 18 die Frage »Inwieweit stimmen Sie der Aussage zu, dass es einen Gott gibt, der sich mit jedem Menschen persönlich befasst?« wie folgt beantwortet: 22 EKD, Engagement und Differenz, 65. 23 Vgl. EKD, Engagement und Differenz, 36. Dies wirkt sich auch auf die Frage der Zugeständnisse an die Religionsgemeinschaften aus. So stimmen 65 % der befragten Evangelischen und 57 % der befragten Konfessionslosen der Aussage zu »Alle religiösen Gruppen sollten die gleichen Rechte haben«; vgl. ebd. 24 Vgl. Johannes Kubik, »Das muss jeder für sich selbst entscheiden«. Hermeneutische und didaktische Überlegungen zu einer wohlbekannten Schüler(innen)äußerung, in: Loccumer Pelikan H.3 (2018), 56–60. Kubik unterscheidet vier Bedeutungsvarianten dieser Äußerung, skizziert diesen Bedeutungsfall aber als den schwierigsten. 25 Kubik, selbst entscheiden, 59.

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Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht?

Tabelle 3: Existenz eines persönlich bedeutsamen Gottes (Erwachsene)26 Stimme voll zu.

Stimme eher zu.

Keine feste Meinung.

Stimme eher nicht zu.

Stimme gar nicht zu.

Noch nie darüber nachgedacht.

Keine Angabe.

10 %

12 %

23 %

10 %

27 %

12 %

6 %

2.4 Zwischenfazit Die bis hierhin zusammengetragenen Beobachtungen geben nun Anhaltspunkte erstens für zu erwartende Entwicklungen, zweitens zur Bearbeitung inhaltlicher, gleichwohl zu plausibilisierender Fragen und drittens im Blick auf Forschungsdesiderate. Erstens: Angesichts des prognostizierten Rückgangs des Christentums ist mit einem rückläufigen Belegungsinteresse am evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht zu rechnen. Gegenläufig hierzu dürften sich Engagement und Leidenschaft aufseiten der Kritiker und Gegner des Religionsunterrichts eher noch steigern, die Anfragen an Art. 7 GG zunehmen. Mit einer Verschärfung der gesellschaftlichen und politischen Debattenlage ist zu rechnen. Zweitens: Der Religionsunterricht stößt auf wenig bis gar kein gesellschaftliches Interesse. Seine Intention und Anlage scheinen weder auf struktureller noch inhaltlicher Ebene mehr nachvollziehbar und sind deshalb ungleich schwerer vermittelbar. Eine (bis dato mutmaßlich unterschätzte) Ursache und zugleich ein möglicher Anknüpfungspunkt scheint dabei in der nicht geklärten Verhältnisbestimmung von Ethik und Religion zu liegen, und dies in mehrfacher Hinsicht: zum einen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Unterrichtsfächern Religion und Ethik,27 zum zweiten hinsichtlich einer begrifflichen Verständigung über die Begriffe »Ethik«, »Normen« und »Werte«, die (vgl. exemplarisch Tab. 1) in den gesellschaftlichen Debatten häufig unterbestimmt und unterreflektiert Verwen26 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/274734/umfrage/religion--glaube-an-gott-dersich-mit-jedem-menschen-befasst/ (Zugriff am 3.11.2018). Im Februar 2017 waren 990 Personen ab 18 Jahre online befragt worden. Vgl. hierzu auch die differenzierten Daten zu religiösen Weltbildern aus Statistisches Bundesamt (Hg.), Datenreport 2016. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2016, Kap. 12.2 »Religiosität und Säkularisierung«, bes. 380 f. 27 Hierzu jüngst Schröder/Emmelmann, Religions- und Ethikunterricht. Zu dieser Verhältnisbestimmung gehört auch die Klärung der Rolle von Ethik im Religionsunterricht und umgekehrt von Religion im Ethikunterricht.

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dung finden, zum dritten und im Schnittfeld beider hinsichtlich des didaktisch intendierten Perspektivenwechsels und eines damit verbundenen Einübens in Toleranz im Sinne einer »Haltung […], die wehtut.«28 Kubik plädiert in seinem Beitrag dafür, Schüleräußerungen wie die oben genannte fruchtbar zu machen, um Lernenden »erstens etwas über positive Religionsfreiheit und zweitens über den Toleranzbegriff beizubringen«29. Eine weitere Ursache liegt darin, dass das im Religionsunterricht transportierte Lebensdeutungsangebot nicht als ein solches wahrgenommen wird. Obwohl der mehrheitlich gewünschten Fokussierung auf ethische und Wertefragen ein Bedürfnis nach Orientierungshilfe innewohnt, wird der Lebensdienlichkeit religiöser Deutungen misstraut. Mutmaßlich gerät der Religionsunterricht hier kausal in »Sippenhaft« mit kirchlichen Angeboten bzw. Plausibilisierungsproblemen: Wenn Kirche keine Antworten auf meine Lebensfragen hat, warum sollte es dann ein konfessioneller Unterricht haben? Wiederum riskiert ein Sich-bescheiden mit bloßer Information über Religion u. U., diejenigen knapp 25 % zu übersehen bzw. zu übergehen, die sehr wohl großen Wert auf eine feste Glaubensüberzeugung legen. Drittens: Ein erstes Desiderat sind empirische Studien zur Angebotslage, Teilnahmemotivation und Unterrichtszufriedenheit derer, die die weltanschaulichen Alternativfächer (Ethik bzw. Philosophie bzw. Werte & Normen) anbieten, besuchen oder unterrichten.30 Inwiefern werden die gesellschaftlich, politisch und von einschlägigen Verbänden formulierten Ansprüche tatsächlich eingelöst? Weiterführend sollten Verwendung und jeweiliger Verwendungszusammenhang der Begriffe »Ethik«, »Werte« und »Normen« untersucht werden. Das Desiderat zielt auf fächerübergreifende Unterrichtsforschung ebenso wie auf soziologische, sozialwissenschaftliche und kommunikationstheoretische Studien.31 28 Kubik, selbst entscheiden, 60. 29 Ebd., 59. 30 Bislang liegen v. a. religionspädagogisch motivierte, vergleichende Studien vor, vgl. z. B. DanPaul Jozsa/Thorsten Knauth/Wolfram Weiße (Hg.), Religionsunterricht, Dialog und Konflikt. Analysen im Kontext Europas (Religious Diversity and Education in Europe, Bd. 15), Münster 2009; sowie Georg Ritzer, Interesse – Wissen – Toleranz – Sinn. Ausgewählte Kompetenzbereiche und deren Vermittlung im Religionsunterricht. Eine Längsschnittstudie (Empirische Theologie, Bd. 19), Berlin 2010; sowie jüngst Martin Rothgangel/Thomas Schlag/Friedrich Schweitzer, Didaktische Gestaltungen des Themas »Islam« aus LehrerInnen- und SchülerInnenperspektive. Konfessioneller und religionskundlicher Unterricht im internationalen Vergleich, in: ZPT 70 (2018), 4–20. 31 Zur Problematik des Wertebegriffs vgl. Bernd Schröder, Religionsfern, spirituell suchend – oder einfach »ausgetreten«? Facetten konfessionsloser Lebensführung an den Lernorten Gemeinde und Schule, in: Loccumer Pelikan H.3 (2018), 10–14, 12.

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Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht?

Ein drittes Desiderat betrifft die Auswertung der KMK. Es bedarf hier künftig verlässlicher und möglichst vollständiger KMK-Daten – auch und gerade zur Grundschule.32

3 Empirische Befunde auf Rezipientenseite Blicken wir nun auf Schülerinnen und Schüler. Lassen sich Hinweise auf alternative bzw. konkurrierende Deutungsoptionen finden, die für sie als (potenzielle) Rezipienten des Religionsunterrichts die höhere Überzeugungskraft zu haben scheinen? 3.1 Werthaltungen und Relevanzzuschreibungen Einblick in Wertorientierungen gibt u. a. die Shell-Studie 2015. Sie belegt zum Item bzgl. Vorstellungen, die das Leben und Verhalten bestimmen (»Wenn du einmal daran denkst, was du in deinem Leben eigentlich anstrebst, wie wichtig sind diese Punkte?«), dass für 79 % wichtig ist, »sich bei Entscheidungen auch nach Gefühlen [zu] richten«, während für lediglich 33 % wichtig ist »an Gott [zu] glauben«.33 Eine Tiefenbohrung zur Frage nach dem Verhältnis zu Gott bei den Jugendlichen ergibt vier in etwa gleich große Gruppen, wobei theologisch-inhaltlich noch am ehesten bei der Gruppe der sog. »Kirchennah Religiösen« Anschlussfähigkeit gegeben ist: Tabelle 4: Existenz eines persönlich bedeutsamen Gottes (Jugendliche)34 Kirchennah Religiöse:

»Es gibt einen persönlichen Gott.«

26 %

Kirchenfern Religiöse:

»Es gibt eine überirdische Macht.«

21 %

Religiös Unsichere:

»Ich weiß nicht richtig, was ich glauben soll.«

24 %

Religionsferne:

»Ich glaube nicht, dass es einen persönlichen Gott oder eine überirdische Macht gibt.«

27 %

Keine Angabe:

2 %

32 Vgl. hierzu Olga Giese, Werte und Normen in der Grundschule. Ein Bericht aus der Erprobungsphase, in: Loccumer Pelikan H.3 (2018), 62–63. 33 Vgl. Shell, Jugend 2015, 243. 34 Daten entnommen aus Shell, Jugend 2015, 253. Vgl. hierzu auch die Detailanalysen bei Carsten Gennerich, Religiosität Jugendlicher in der Lebensstilperspektive, in: Österreichisches Religionspädagogisches Forum, 26 (1) (2017), 47–63, 55 f.

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Die Relevanz des Glaubens an Gott lässt sich für die Lebensführung nochmals ausdifferenzieren. Sie liegt noch über dem Gesamttrend und markiert eine deutliche Differenz zwischen den beiden Konfessionen und anderen Religionen einerseits und zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen andererseits: Tabelle 5: Wichtigkeit des Glaubens für Lebensführung (Shell 2015)35 Die Wichtigkeit des Glaubens an Gott für die Lebensführung ist … katholisch

evange­ lisch

andere Religionen

West

Ost

… wichtig.

39 %

32 %

70 %

34 %

19 %

… teils, teils.

19 %

21 %

13 %

18 %

9 %

… unwichtig.

38 %

44 %

14 %

45 %

68 %

… weiß nicht/k.A.

4 %

3 %

3 %

3 %

4 %

Der Einfluss des konfessionellen Milieus auf den Lebensstil bildet sich zudem ab bei der Gebetspraxis36 und findet sich ausdifferenziert bei Gennerich: »Es zeigt sich, dass vor allem die Zugehörigkeit zum Islam mit Traditionswerten einhergeht; dass die Mitgliedschaft in einer evangelischen Freikirche stark mit Selbst-Transzendenzwerten korreliert und dass konfessionslose Jugendliche sich im Bereich unten/links verorten [d. h. im Quadranten ›Selbst-­ Steigerung‹/unten und ›Offenheit für Wandel‹/links, M.F.]. Römisch-katholische und landeskirchlich-evangelische Jugendliche erweisen sich schließlich als eine heterogene Gruppe, die kein besonderes Profil zeigt.«37 Diese ausbleibende Profilbildung zeichnet sich als Vierfach-Typologie unter den evangelisch-landeskirchlichen Jugendlichen wie folgt ab: 16 % sind explizit christlich, 29 % sind christlich indifferent, 13 % sind »religiös musikalisch« und 41 % sind nicht religiös.38 Die schulische wie die spezifisch religionsunterrichtliche Bildungslandschaft trifft damit auf religionsbezogene Haltungen, die hinsichtlich christlicher Reli35 36 37 38

Zusammengestellt nach Shell, Jugend 2015, 251. Vgl. Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 94–97. Gennerich, Religiosität Jugendlicher, 51 f. Vgl. Ulrich Riegel/Anne E. Hallwaß, Zur Reichweite konfessioneller Positionen im individuellen Glauben Jugendlicher und junger Erwachsener, in: Bernd Schröder/Jan Hermelink/Silke Leonhard (Hg.), Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, Stuttgart 2017, 75–94, bes. 82 f., 90; vgl. auch Schröder, Religionsfern, 11.

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gion in weiten Teilen zwischen »verloren gegangenem Einverständnis« und »nie vorhanden gewesenem Einverständnis« pendeln.39 Was bedeutet dies einerseits für das Verhältnis von Religion und Glaube und andererseits für das »Phänomen Konfessionslosigkeit«? 3.2 Religion und Glaube Die jüngste Untersuchung von Schweitzer u. a.40 markiert hier sehr deutlich, dass eine differenzierte Unterscheidung beider Kategorien empirisch wie didaktisch geboten ist. So bezeichneten sich in der Repräsentativbefragung lediglich 22 % als religiös, aber 41 % als gläubig.41 In Teilen erscheint »religiös« institutionell konnotiert, was zu Distanzierung führt, die sich wiederum nicht mit einem Desinteresse an Glaubens- und Sinnfragen gleichsetzen lässt.42 45 % der Befragten meinen, ihr Glaube spiele im Alltag keine Rolle, während 43 % meinen, dass er das tue. Der heterogene Befund gilt auch für Krisensituationen.43 Wesentlich für Jugendliche ist zudem die Freiheit der Glaubensentscheidung.44 Als fruchtbar erweist sich in dieser Hinsicht die präzisierende Unterscheidung zwischen Gottesbild/Gottesvorstellung und Gottesverständnis, wobei eine Lösung von traditionellen Gottesbildern bei den Befragten nicht zwingend gegeben ist.45 Bemerkenswert sind die Befunde zur Gebetspraxis, die bei den Jugendlichen zumindest ansatzweise weit verbreitet ist.46 Von besonderem Interesse ist schließlich die Frage nach einem Weiterleben nach dem Tod. Zwar gibt es für 70 % kein gesichertes Wissen darüber; 54 % der Befragten stimmen jedoch zu, dass es ein solches Weiterleben gibt.47 Insgesamt resümieren die Autoren »die Beschreibung einer gespaltenen Haltung der Befragten im Verhältnis zu Religion und Glaube, d. h. es gibt hier erhebliche Unterschiede zwischen den Gruppen – bei gleichzeitig unscharfen Grenzen zwischen diesen Gruppen.«48 39 Vgl. hierzu Monika Jakobs/Bernd Schröder, Einführung in den Thementeil: Ausdrucksformen des nicht-gegebenen Einverständnisses mit christlicher Religion und die Religionspädagogik, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), H.1, 8–11. 40 Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion; vgl. dazu den Beitrag Wissner/Schweitzer in diesem Band, dort auch weitere Angaben. 41 Vgl. ebd., 19 f.; 202–223. 42 Vgl. ebd., 20, 23, 70–81, 224–229. 43 Ebd., 74; vgl. auch 168–180. 44 Vgl. ebd., 20 f., 202–206. 45 Vgl. ebd., 214–216. 46 Ebd., 21 f., vgl. auch 90 ff. 47 Vgl. ebd., 22, 82 f., vgl. auch 127 f. 48 Ebd., 24.

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3.3 Distanznahme und Konfessionslosigkeit In den Jahren 1980 bis 2010 ist die Zahl der Konfessionslosen in Ostdeutschland von 65 % auf 75 % und in Westdeutschland von 6,5 % auf 17 % angestiegen.49 Konfessionslosigkeit »steht schlagwortartig für eine Entwicklung, die mit den Begriffen Irrelevanz, Sprachlosigkeit und Indifferenz im Blick auf christlich-­ religiöse Deutungsmuster und Lebenspraktiken beschrieben werden kann.«50 Gleichwohl bedarf es auch hier einer Differenzierung in mehrfacher Hinsicht: Zunächst lassen sich mit Pickel51 vier Typen unterscheiden: 1. volldistanzierte Atheisten: 51 %, 2. normale Konfessionslose: 21 %, 3. tolerante Konfessionslose: 17 % und 4. gläubige Konfessionslose: 11 %. Darüber hinaus handelt es sich »um einen Tendenzbegriff, der die Aufmerksamkeit auf ein Feld der Lebensdeutung und -gestaltung richtet, das sich […] auch im Feld der Kirchenmitgliedschaft aufzeigen lässt.«52 Zu unterscheiden ist deshalb drittens zwischen »konfessionslos sein« bei Menschen, die nicht Mitglied einer Religionsgemeinschaft sind, und »sich als konfessionslos verstehen« bei Menschen, deren Selbstverständnis keine religiösen Überzeugungen zulässt.53 Für 12- bis 25-Jährige lässt sich feststellen: »Wer kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist, lehnt in drei von vier Fällen auch religiöse Überzeugungen für sich ab. Wer Mitglied der evangelischen Kirche ist, bejaht in drei von fünf Fällen auch religiöse Überzeugungen.«54 Auch Schweitzer u. a. konstatieren, »dass der Gottesglaube keineswegs nur von denen abgelehnt wird, die keine Religionszugehörigkeit aufweisen«.55 Schröder markiert im Schnittfeld der Lernorte Schule und Gemeinde hierzu vier religionspädagogisch motivierte Linien der Auseinandersetzung: »1. den Raum für Auseinandersetzung eröffnen, 2. die Relevanz des Evangeliums erschließen, 3. die Lebensdienlichkeit des Evangeliums ausweisen, 4. die Glaubwürdigkeit der Kirche verbessern.«56

49 Vgl. Gert Pickel, Konfessionslose – das ›Residual‹ des Christentums oder Stütze des neuen Atheismus? In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 12 (2013), H. 1, 12–31; 16. 50 Domsgen, Diagnose, 4. 51 Vgl. Pickel, Konfessionslose, 22–24. 52 Domsgen, Diagnose, 4. Vgl. hierzu auch Schröder, Religionsfern, 11 f. 53 Vgl. Schröder, Religionsfern, 12. 54 Ebd. 55 Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 21; vgl. hierzu auch die Befunde zur Gebetspraxis bei Ethikschülerinnen und -schülern, 93. 56 Schröder, Religionsfern, 13.

Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht?

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Bei Schülerinnen und Schülern ist im Falle des »Konfessionslos-seins« i. d. R. von einer »ererbten Konfessionslosigkeit« auszugehen, womit zumeist eine entsprechende sozialisatorische Prägung einhergeht.57 Domsgens religionspädagogischer Blick zielt vor diesem Hintergrund auf »den Kontext, die Verständigungsbasis sowie die grundsätzliche Ausrichtung des didaktischen Arrangements«.58 Er plädiert damit erstens für eine Unterscheidung zwischen innerunterrichtlicher Perspektive (Religionsunterricht mit Konfessionslosen) und kontextueller Perspektive (Religionsunterricht in der Konfessionslosigkeit), weil »die kontextuellen Rahmenbedingungen die Plausibilitätsstrukturen maßgeblich prägen« – wobei beide Perspektiven wiederum aufeinander zu beziehen sind. Zweitens votiert er für »[m]enschliche Grunderfahrungen als gemeinsamer Ausgangspunkt«, damit Glaubenssätze nicht als »Antworten auf Fragen [erscheinen], die weder gestellt noch verstanden worden sind«. Im Fokus steht für ihn drittens die Relevanzfrage im Sinne einer »Relevanzerkundung«. Dafür braucht es Sprachen, »die das Subjekt involvieren und in seiner Selbsterfahrung innerlich ansprechen«. – Jüngste Forschungsbemühungen zu religiöser Kommunikation59 dokumentieren hier ein Stück des Ringens um eine angemessene, sprach- wie pluralitätsfähige »Kommunikation des Evangeliums«. Gennerich kommt in seinen Untersuchungen zu vier Anknüpfungspunkten für religiöse Lernprozesse: Demzufolge bevorzugen konfessionslose Jugendliche zum einen naturwissenschaftliche Deutungskategorien, sie zeigen zum zweiten »eine größere Präferenz für den Begriff der Spiritualität im Vergleich zum Begriff der Religiosität. Ebenso präferieren sie non-personale gegenüber personalen Gottesbildern.« Zum dritten betont ihr spezifisches Profil »Werte der Leistung, des Hedonismus, der Anregung und Selbstentfaltung« und schließlich orientieren sich konfessionslose Jugendliche in Ostdeutschland »an sachlich unangemessenen Vorstellungen über Religion und Glauben, die in authentischen zwischenmenschlichen Begegnungen neu justiert werden können«.60

57 Domsgen, Diagnose, 5. 58 Ebd., 6; zum Folgenden vgl. 6 f. 59 Vgl. Andrea Schulte (Hg.), Sprache. Kommunikation. Religionsunterricht. Gegenwärtige Herausforderungen religiöser Sprachbildung und Kommunikation über Religion im Religionsunterricht (Studien zur religiösen Bildung, Bd. 15), Leipzig 2018. 60 Vgl. Carsten Gennerich, Konfessionslosigkeit im Jugendalter, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 66 (2014) 3, 232–243, 243.

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3.4 Wer sind die »Abmelder«? Ausgehend von früheren Untersuchungen zu dieser Frage haben Gennerich und Zimmermann 2016 eine Studie zum Abmeldeverhalten vorgelegt. Ihre vergleichende statistische Analyse zeigt drei Ergebnislinien:61 Erstens ist – entgegen des in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Trends – »die Quote der Abmeldungen bzw. der Teilnahme am Religionsunterricht in den letzten zwölf Jahren weitgehend konstant geblieben, gerade auch in den ostdeutschen Bundesländern. Im Vergleich zur Quote der evangelischen Kirchenmitglieder liegt die Teilnahmequote im Religionsunterricht oft höher.« Zweitens verzeichnet die Grundschule »im Durchschnitt die geringste Abmeldequote und die prozentual höchste Teilnahme«; die »höchsten Abmeldequoten haben demgegenüber die Hauptschulen und Berufsschulen«; in den Gymnasien divergieren die Befunde in den verschiedenen Bundesländern. Es zeigt sich drittens in den Mittelstufenklassen und hier besonders ab Klasse 9 die höchste Steigerung der Abmeldezahlen; für divergierende Befunde in der Oberstufe verweisen die Autoren auf länderspezifische Rahmenbedingungen. Schließlich markieren Gennerich und Zimmermann dezidiert Probleme bzgl. der statistischen Erfassung und sehen die Forschung zur Abmeldung erst am Anfang. Die explorative Fragebogenerhebung mit 325 Schülerinnen und Schülern, die vormals am Religions- und nun am Ethikunterricht teilnehmen, markiert eine »fehlende Passung« zwischen Religionsunterricht und Schülern62: Die beiden größten Abmelder-Gruppen stellen dabei evangelische (42 %) und konfessionslose (34 %) Schülerinnen und Schüler dar; die katholischen Wechsler belaufen sich auf 10 %.63 Insgesamt werden diejenigen Lernenden mit Werten für »Offenheit für Wandel« schlechter erreicht als konservative; sie führen »inhaltliche Differenzen und damit Qualitätsmerkmale des Religionsunterrichts für ihre Abmeldung« an. Diese Relevanz inhaltlicher Merkmale wird jedoch von den Lehrkräften unterschätzt.64 Zum zweiten zeigen die Befunde, dass mit der wachsenden Bedeutung autonomieorientierter Werte bei den 15- bis 19-Jährigen die Erfahrung einhergeht, dass der Religionsunterricht »an ihren persönlichen Fragen und Bedürfnissen vorbeigeht«, der Unterrichtsstoff wird als im Widerspruch zu individuellen 61 Carsten Gennerich/Mirjam Zimmermann, Abmeldung vom Religionsunterricht. Statistiken, empirische Analysen, didaktische Perspektiven, Leipzig 2016. Zum Folgenden vgl. ebd., 81 f. 62 Gennerich/Zimmermann, Abmeldung, 124. 63 Vgl. ebd., 85. 64 Ebd., 126; zum Folgenden vgl. 126–128.

Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht?

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Bedürfnissen stehend erfahren, was zur Abmeldung führt. Das erklärt die ab Klasse 9 steigenden Abmeldungen. Zum dritten zeigt sich, dass lebensweltliche Erfahrungen »die Präferenz für bestimmte Werte und damit mittelbar die mögliche Wahl zwischen Religionsunterricht und Ethik/Philosophie« bedingen. Jugendliche, die »die Welt als besonders sicher erfahren und daher eine starke Motivation haben, angstfrei Neues zu erkunden«, haben bei Unzufriedenheit keine Hemmungen bzgl. eines Wechsels in den Ethikunterricht. Gennerich und Zimmermann schließen daraus die Aufgabe, adäquate inhaltliche Zugänge zu finden und diese über das Konzept des Theologisierens einzuspielen.65 In einem später erschienenen Beitrag führen Gennerichs Analysen zu fünf fundamentalen Herausforderungen für den Religionsunterricht mit Jugendlichen: 1. das »Fehlen progressiver Deutungsangebote«, 2. das »Moment der Trägheit bezogen auf Themen der Selbsterkenntnis«, 3. das »Problem der konventionellen Wahrnehmung religiöser Symbole«, 4. die »Relevanz unpersönlicher Gottesbilder« und 5. die »begrenzten Ressourcen der Jugendlichen im unteren Feldbereich« bzgl. Kompetenzen, Distanzierung und Abwertung.66

4 Vergleichende empirische Befunde zu Religions- und Ethikunterricht 4.1 Einstellungen zum Unterricht Im Vergleich der beiden Fächer lassen sich aufseiten befragter Schülerinnen und Schüler erste Tendenzen und damit verbundene Erwartungen ausmachen (s. Tab. 6). Es zeigt sich dabei einerseits eine relative Ausgewogenheit bzgl. der Glaubensaussage (Item 3), andererseits benennen 62 % als ausschlaggebenden Grund für den Wechsel »mein Verhältnis zum Glauben«; weitere 61 % die »Unterrichtsthemen«.67

65 Vgl. ebd., 135 ff. 66 Gennerich, Religiosität Jugendlicher, 59. 67 Vgl. Gennerich/Zimmermann, Abmeldung, 88.

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Tabelle 6: Abmelde-/Fachwechsel-Gründe (Gennerich/Zimmermann 2016)68 Item

Trifft gar nicht zu

Trifft sehr zu

1. Der RU ist langweilig.

7 %

33 %

2. Die Themen im RU haben mich nicht mehr interessiert.

4 %

34 %

3. Ich glaube nicht mehr an Gott.

26 %

34 %

4. In den Interpretationen der Bibel und des Lebens im RU kann ich mich nicht wiederfinden.

8 %

38 %

5. Die Themen im Ethik-/Philosophieunterricht waren interessanter.

5 %

37 %

6. Der/Die Lehrer/in im Ethik-/Philosophieunterricht war besser.

17 %

26 %

7. Der Stoff des RU hatte nichts mit der Wirklichkeit außerhalb der Schule zu tun.

11 %

25 %

Die qualitativen Ergebnisse aus der jüngsten Tübinger Untersuchung zeigen jedoch auch Schülerinnen und Schüler, die »das Abwählen des Religionsunterrichts und den damit verbundenen Besuch des Ethikunterrichts als eine Art ›Verrat‹ am eigenen Glauben [empfinden]«. Sie setzen den Wechsel in den Ethikunterricht »sogar mit der Ablehnung einer persönlichen Gottesbeziehung gleich«. Die Interviews markieren andererseits auch, dass der Besuch des Ethikunterrichts insgesamt »in erster Linie als Ablehnung des Religionsunterrichts« gesehen wird.69 Die quantitativen Ergebnisse der Tübinger Studie eröffnen überdies Einsichten in die Unterrichtszufriedenheit und -rezeption – losgelöst von der Fachwechsel-Frage: Tabelle 7: Einstellungen zum EU/RU – tendenzielle Zustimmung (Schweitzer u. a. 2018)70 Item

TN am Ethikunterricht

TN am Religionsunterricht

1. Im RU/EU gibt es spannende Themen.

68 %

52 %

2. Der RU/EU bringt mir persönlich wenig.

32 %

46 %

3. Der RU/EU hilft mir bei schwierigen Lebensfragen.

24 %

15 %

4. Der RU/EU gibt mir Denkanstöße.

59 %

47 %

68 Zusammengestellt nach Gennerich/Zimmermann, Abmeldung, 87. 69 Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 230 f. 70 Zusammengestellt nach Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 110; vgl. auch 136 ff.

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Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht?

Item

TN am Ethikunterricht

TN am Religionsunterricht

5. Für meinen (späteren) Beruf lerne ich etwas im RU/EU.

20 %

13 %

6. Es ist wichtig, dass die Lehrkraft im RU/ EU nach unserer Meinung fragt.

87 %

80 %

7. Es ist wichtig, dass die Lehrkraft im RU/ EU weiß, was uns beschäftigt.

74 %

68 %

Sie geben Aufschluss darüber, dass die Relevanz der Themen im Religionsunterricht (Item 1) und die generelle Lebensdienlichkeit (Item 2) von nur etwa der Hälfte der Befragten als solche gesehen werden. Insgesamt liegen sämtliche Werte für den Ethikunterricht höher, wobei für beide Unterrichte die hohen Werte ins Auge fallen, die eine autonome Beteiligung bzw. Beschäftigung mit den Inhalten abbilden (Item 6 und 7). Insgesamt zeigt sich bei den Ethikschülerinnen und -schülern eine stärkere Haltung dahingehend, »Religion(sunterricht) überzeugt nicht, Wissenschaft schon«, zudem zeigen diese Lernenden »ein bleibend größeres Interesse an ihrem Fach als die Religionsschülerinnen und -schüler«.71 4.2 Unterschiede auf Teilnehmerseite Die Unterscheidung nach diesen beiden Schulfächern bzw. ihrer Schülerschaft eröffnet bei Schweitzer u. a. nun insbesondere Differenzen im Blick auf Religion und Glaube. Zunächst ist zu konstatieren, dass 39 % der am Ethikunterricht Teilnehmenden zugleich Kirchenmitglieder sind; weitere 32 % vermögen angesichts der Zustimmung zur Aussage, »dass Gott die Menschen liebt und sich um sie kümmert« wiederum nicht als Atheisten eingestuft zu werden. Die Religionszugehörigkeit hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Bewertung des Unterrichtsfaches. Augenfällig wird schließlich, dass eine differenzierte Betrachtung nicht nur Gottesvorstellung und -verständnis, sondern auch den Beziehungsaspekt beachten muss.72 Die Autoren verweisen auf ausgewählte Items in vier Differenzbereichen:

71 Ebd., 159; 161. 72 Vgl. ebd., 29; 111.

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Tabelle 8: Unterschiede Schülerinnen und Schüler im Ethik- und Religionsunterricht (Schweitzer u. a. 2018)73 Differenzbereich

TN am Ethikunterricht

(1) Gottesbild & Gottesbeziehung

Zustimmung zu Gott als »etwas, das Sicherheit gibt« 32 %

TN am Religionsunterricht 52 %

Zustimmung zu Gott als »jemand, zu dem man sprechen kann« 35 %

50 %

Zustimmung zu »Ich glaube an Gott.« 38 %

55 %

(2) Verhältnis zur Kirche

Zustimmungswerte bei den Ethik-TN sowohl bei rel. Einstellungen/Glaubensüberzeugungen als auch bei Items zum Kirchenverhältnis deutlich niedriger als bei RU-TN

(3) Religiöse Sozialisation

familiäre religiöse Sozialisation weniger ausgeprägt: 66 %

eher ausgeprägt: 53 %

Zustimmung zu »Meine Eltern haben mit mir gebetet.« 34 % (4) Religiös-­ weltanschauliche Vielfalt

46 %

Zustimmung zu »Ohne Religionen wäre die Welt friedlicher.« 47 %

38 %

Zustimmung zu »Mich interessiert, was Mitschüler einer anderen Religion denken.« 67 %

60 %

Zustimmung zu »Ich finde es spannend, mich mit anderen Kulturen zu beschäftigen.« 73 %

63 %

In den geführten Interviews zeigen sich weitere Präferenzen hinsichtlich des gewählten Unterrichtsfaches. So nehmen die befragten Ethikschülerinnen und -schüler den Unterricht als Raum für intellektuelle Freiheit und wertfreie Meinungsäußerung wahr; sie schätzen die explizit nicht-religiöse Bearbeitung existenzieller Fragen.74

73 Zusammengestellt nach Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion, 28–30; 79; 107; 157–162. 74 Vgl. ebd., 230 f.

Wer hat kein Interesse am Religionsunterricht?

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Die interviewten Religionsschülerinnen und -schüler fokussieren die Themen »Werte« und »andere Religionen/Weltreligionen«. Wo Erfahrungen mit religionsübergreifendem Religionsunterricht gemacht wurden, scheinen diese positiv zu sein. Als bedeutsam – im positiven wie negativen Sinn – werden die Lehrkräfte wahrgenommen;75 in methodischer Hinsicht »scheint sich der Wunsch nach Diskussionen als dominierende Unterrichtsform durchzusetzen«.76

5 Resümierende Beobachtungen Festhalten lässt sich zunächst im Blick auf die Rahmenbedingungen, dass das gesellschaftliche Klima erstens zwar einerseits religionsinteressiert, andererseits aber deutlich religions(-unterrichts-)kritisch ist. Zweitens zeigt sich, dass Konfessionszugehörigkeit nur noch bedingt ein Indikator – wenngleich ein wesentlicher – für die Teilnahme am Religionsunterricht ist. Untersuchungen wie von Gennerich/Zimmermann sowie den Tübinger Autoren vorgelegt sind zwingend und weiterführend nötig. Drittens zeigt sich, dass – auch und gerade unterrichtliche – Plausibilisierungsstrategien jeweils in Wechselwirkung sowohl zur familiären religiösen Sozialisation der Lernenden als auch zu ihrer Haltung zur Kirche stehen. Das mag einerseits entlasten, ist aber andererseits didaktisch nur begrenzt einholbar. In inhaltlicher Hinsicht divergiert das Interesse an den Themen Religion und Glaube, Gottesfrage, Gebetspraxis, ist jedoch gleichwohl breit vorhanden; Schnittmengen bezüglich der Unterrichtsfächer Religion und Ethik sind – neben dem Blick auf »Werte und andere Religionen« – menschliche Grunderfahrungen und damit verbundene existenzielle Fragen, nicht zuletzt die nach dem Tod und dem »Danach«. Sollen alternative Deutungsoptionen hier nicht zu einem Austritt aus dem RU führen, gilt es, diese Themen im Ernstnehmen der Schüleremotionen und -autonomien aufzubereiten.

Dr. Monika E. Fuchs ist Professorin für Evangelische Theologie/Religions­ pädagogik an der Leibniz Universität Hannover.

75 Vgl. ebd., 232 f. 76 Ebd., 234.

Religionsdistanz als Herausforderung im Spiegel religionsdidaktischer Ansätze Bernd Schröder

Religions- und kirchendistanzierte Schülerinnen und Schüler nehmen in nicht unerheblicher Zahl am Religionsunterricht teil; in der Praxis ist mittlerweile jede Religionslehrerin und jeder Religionslehrer gut beraten, die Lehr-Lern-Arrangements im Fach auch auf sie hin zu entwerfen oder zumindest auf ihre Passung zu diesen Schülerinnen und Schülern zu prüfen. Religions- und Kirchendistanz ist ein vielgestaltiges Phänomen: Wie in der Gesamtbevölkerung dürfte auch in der Schülerschaft gegenwärtig etwa ein Drittel kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft, also »konfessionslos«, sein. Statistiken der Kultusministerien der Länder lassen erkennen, dass – v. a. in Berufsbildenden Schulen und in Grundschulen – nicht wenige von ihnen am (evangelischen) Religionsunterricht teilnehmen.1 Hinzu kommt, dass unter den Schülerinnen und Schülern, die beispielsweise der evangelischen Kirche angehören, etwa ein Viertel zum baldigen Kirchenaustritt tendiert,2 oder – um exemplarisch eine einschlägige Sekundäranalyse heranzuziehen – ausweislich ihrer Selbsteinschätzung nahezu zwei Drittel unter ihnen als »nicht religiös« oder »christlich indifferent« gelten können.3 Zudem bauen Kinder und Jugendliche ein je individuell differierendes Repertoire an religiös relevanten Erfahrungen, Wissensbeständen, Kompetenzen und Interessen auf. Für nahezu alle Jugendlichen gilt darüber hinaus, dass sie sich selbst als diejenigen verstehen, die ihr Verhältnis zur Kirche (bzw. einer anderen verfassten Religionsgemeinschaft) wie zu konkreten religiösen Inhalten und Praxen bestimmen. Sie schreiben sich Autonomie in Sachen »Religion« zu und damit eben auch die Entscheidung über Nähe und Distanz.4 1 Daten bietet die »Evangelische Bildungsberichterstattung« zum »Religionsunterricht«, hg. v. Comenius-Institut, Münster u. a. 2019 (im Erscheinen). 2 Heinrich Bedford-Strohm/Volker Jung (Hg.), Vernetzte Vielfalt, Gütersloh 2015. 3 Ulrich Riegel/Anne Elise Hallwaß, Zur Reichweite konfessioneller Positionen im individuellen Glauben Jugendlicher […], in: Bernd Schröder u. a. (Hg.), Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, Stuttgart 2017, 75–94, hier 90 mit Kurzbeschreibung ihrer Profile 91 f. 4 Das wird eindrücklich deutlich bei Friedrich Schweitzer u. a., Jugend – Glaube – Religion: eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht, Münster u. a. 2018.

Religionsdistanz als Herausforderung im Spiegel religionsdidaktischer Ansätze

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Mit einer gewissen Spreizung je nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und Kontext ist also gegenwärtig davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht zu dessen Inhalten »auf Distanz« steht oder geht, diese Distanz unterschiedlich verwurzelt und konnotiert ist, also etwa ein noch nie vorhanden gewesenes, ein sich anbahnendes oder ein nicht mehr gegebenes Einverständnis spiegeln kann, und allerdings auch, dass die jeweilige Haltung – im Sinne des okkasionell-sozialen Modus der Aneignung von Sinn5 – durchaus veränderlich ist. Es zeichnet die religiös-­ weltanschauliche Konstellation insbesondere des Jugendalters aus, dass sich Meinungen und Haltungen – freilich nicht selten kaschiert hinter überdeutlichen Praktiken und Äußerungen – »in der Schwebe« befinden.

1 Ein Gang durch religionsdidaktische Ansätze Spiegelt sich diese Konstellation in der Situationsbeschreibung, die religionsdidaktischen Ansätzen der Vergangenheit und der Gegenwart zugrunde liegt? Nehmen sie Religionsdistanz unter Schülerinnen und Schülern als Herausforderung wahr? Und welche konzeptionellen bzw. unterrichtspraktischen Konsequenzen werden daraus gezogen? In der Spur dieser Fragen sollen ausgewählte didaktische Ansätze vorrangig evangelischer Provenienz gesichtet werden. 1.1 F  rühneuzeitliche Ausgangspunkte und die Dominanz theologischer Anthropologie Zu beginnen ist mit einem unzeitgemäßen Blick zurück: Schon mittelalterliche und frühneuzeitliche Zeugnisse religiöser Unterweisung in der Schule lassen erkennen, dass Schüler (und Schülerinnen) nicht durchweg bei der Sache waren: Text- wie Bildquellen lassen deren mangelnde Aufmerksamkeit und mangelndes Verständnis, zudem mancherlei Nebenbeschäftigungen oder Widerstandshandlungen erkennen – und damit wohl auch Distanz zu den traktierten Inhalten des Religionsunterrichts.6 Dies entspricht durchaus dem devianten Verhalten und den synkretistischen bzw. häretischen Neigungen in der Glaubenswelt

5 Albrecht Schöll, Jugend und Religion, in: Handbuch Jugend. Evangelische Perspektiven, hg. v. Yvonne Kaiser u. a., Opladen 2013, 155–160. 6 Vgl. Kostproben bei Rainer Lachmann/Bernd Schröder (Hg.), Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland – Quellen, Neukirchen-Vluyn 2010, 6–8 und 29–44.

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Erwachsener.7 Als Remedien gegen solche Verhaltensweisen empfehlen katechetische Äußerungen bis ins 18. Jh. hinein in der Regel das strikte Einhalten von Disziplin (etwa verdichtet in der Synonymisierung von Schule und »Unter die Rute gehen«), die frontale Steuerung des Unterrichtsgeschehens durch die Lehrperson (z. B. durch Wechselspiel aus Lehrerfrage und Schülerantwort), und eine leicht auf ihren Erfolg hin kontrollierbare Abbilddidaktik (z. B. durch Betonung des Memorierens). Die Motive und Logiken der Schüler für ihr deviantes Verhalten stießen hingegen in der Regel nicht auf erkennbares Interesse – weder bei Lehrern noch bei (den wenigen) Katechetikern: Die einschlägige katechetische Literatur spart explizite »didaktische und methodische Erörterungen im Blick auf [… die] Fassungskraft« der Jugend häufig aus8 – im Vordergrund steht das Interesse an einer schlüssigen Darbietung der theologischen Inhalte, im Hintergrund eine pessimistische theologische Anthropologie, die vor der Folie der Sündhaftigkeit des Menschen ohnehin nicht von Interesse, Verstehen-Wollen und -Können, intrinsisch motivierter Partizipation der Schüler auszugehen vermag. Ausnahmen wie Jan Amos Comenius (1592–1670) bestätigen die Regel. 1.2 Die Revolution der Sichtweise in der Aufklärung Es ist die Unterrichtslehre bzw. Katechetik der Aufklärung – gemeinhin mit den Begriffen Philanthropie und Sokratik verbunden –, die in dieser Hinsicht umsteuert: Sie setzt sich zum Ziel, das in den Schülern vorhandene Potenzial freizusetzen, sie zu Selbsttätigkeit und Verstehen zu animieren. Die Lehrenden beginnen sich als Mäeuten zu verstehen, die – einer Hebamme gleich – ans Licht bringen wollen und sollen, was Schülerinnen und Schüler an Kenntnissen, Vorstellungen und ggfls. Fragen in sich bergen. Diese Intention wird später immer wieder aufgenommen werden: etwa in der Symbolisierungsdidaktik eines Peter Biehl, in der Kinder- und Jugendtheologie oder der konstruktivistischen Religionsdidaktik.

7 Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt (1997) 42009; und ders., Religionsfreiheit – freier Eintritt und freier Austritt, in: Mariano Delgado (Hg.), Schwierige Toleranz: der Umgang mit Andersdenkenden und Andersgläubigen in der Christentumsgeschichte, Fribourg/Stuttgart 2012, 13–27. 8 Friedrich Schweitzer, Die Religion des Kindes. Zur Problemgeschichte einer religionspädagogischen Grundfrage, Gütersloh 1992, hier 73 im Blick auf die »Institutiones catecheticae« von Conrad Dietericus aus dem Jahr 1613. Dazu weiterführend Andreas Ohlemacher, Lateinische Katechetik der frühen lutherischen Orthodoxie, Göttingen 2010.

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Um dieses Zieles willen nehmen die Wortführer aufklärerischer Katechetik faktisch vorhandene Lern-Hindernisse in den Blick und suchen sie zu überwinden. »Kinderkenntnis« gilt nunmehr als »Sache, ohne die man unmöglich ein nützlicher Kinderlehrer sein kann«9; ggfls. beobachtbares renitentes Verhalten gilt es cum grano salis nicht länger zu domestizieren, sondern zu verstehen und konstruktiv zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang werden die Katechetiker aufmerksam auf den Umstand, dass Kinder und ihr Glaube sich entwickeln, dass sie dabei durch äußere Einflußfaktoren wie etwa ihre Herkunftsfamilie oder soziale Lage mitbestimmt werden, und dass sie durchaus individuelle Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Nicht zuletzt eignen sich die aufklärerischen Katechetiker die Differenzierung zwischen Theologie (wie sie im Katechismus zur Darstellung kommt) und Religion (wie sie etwa von Schülern praktiziert und artikuliert wird) als Denkfigur an.10 Autoren wie Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) erkennen und anerkennen, dass das Einverständnis mit religiösen Überzeugungen und erst recht mit theologischen Sätzen weder selbstverständlich vorausgesetzt noch allein durch mitteilendes Lehren bewirkt werden kann – er schreibt folgerichtig »ueber die wirksamsten Mittel, Kindern Religion beyzubringen«11. Zu diesen Mitteln gehört u. a., den Unterricht thematisch gestuft anzulegen (voranschreitend von Phänomenen natürlicher Religion bis zu solchen dogmatischer Kirchenlehre), sich als Lehrender an den »Gesetze[n]« zu orientieren, »nach denen die menschliche Seele zu wirken pfleget« (und damit all die im »Krebsbüchlein« zusammengestellten Fehler zu meiden),12 und – nicht zuletzt – eine von den Praxen der verfassten Kirche abgekoppelte Schulreligion als förderliches Umfeld von Religionsunterricht zu etablieren. Nicht zuletzt hält Salzmann in bahnbrechender Klarheit dazu an, etwaige Defizite aufseiten der Schüler nicht länger diesen schuldhaft zuzurechnen, sondern die Ursache dafür und die Stellschrauben ihrer Behebung aufseiten der Lehrenden zu suchen:

  9 So ein gleichnamiger Aufsatz von Friedrich Gustav Dinter, in: Ders., Ausgewählte pädagogische Schriften II, Langensalza 1881, 86–94. 10 Dazu Schweitzer, Religion des Kindes, 133–152. 11 So der Titel seines 1780 erstmals veröffentlichen Buches; Digitalisat der zweiten, verb. Ausgabe aus dem Jahr 1787 zugänglich unter: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/ urn:nbn:de:gbv:3:1–707558 (Zugriff am 10.4.2019). Dazu Rainer Lachmann, Die Religions-Pädagogik Christian Gotthilf Salzmanns – ein Beitrag zur Religionspädagogik der Aufklärung und Gegenwart, Jena 2005. 12 Salzmann, Mittel, 35. Vgl. Christian Gotthilf Salzmann, Salzmanns Pädagogische Schriften I: Krebsbüchlein –Ameisenbüchlein, hg. v. Matthias Dräger, St. Goar 2007, hier »Krebsbüchlein« [1780].

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»Mein Symbolum ist kurz und lautet folgendermaßen: Von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge muß der Erzieher den Grund in sich selbst suchen. […] Meine Meinung ist gar nicht, als wenn der Grund von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge in dem Erzieher wirklich läge; sondern ich will nur, daß er ihn in sich suchen soll. Sobald er Kraft und Unparteilichkeit genug fühlt, dieses zu tun, ist er auf dem Wege, ein guter Erzieher zu werden.«13 Weiter vertieft und systematisiert werden solche Einsichten bei Friedrich Schlei­ ermacher (1768–1834). Er geht davon aus, dass ein christlich-frommes Selbstbewusstsein nicht von Kindheit an angemessen artikuliert werden kann, sondern auch auf diesem Gebiet ein »Fortschreiten in Übergängen zur Wahrheit« stattfinden kann und muss;14 Unterricht soll sich demzufolge auf Unterschiede in Sozialisation, Entwicklung und Einstellung aufseiten der Kinder einstellen, methodisch und didaktisch auf die Förderung religiöser Mündigkeit zielen und – eine die eigene Wichtigkeit relativierende Einsicht – auf die Erübrigung seiner selbst hinwirken.15 Schleiermacher war es allerdings auch, der dem formalen Unterricht im Blick auf Religion wenig zutraute: Er war vielmehr der Ansicht, Frömmigkeit (des Schülers) könne sich nur an Frömmigkeit (etwa des Lehrers) entzünden. Insofern gab er dem freien Kommunizieren in Sachen Religion den Vorzug vor (schulischem) Unterricht. Schon Schleiermacher wusste um Distanz und Skepsis vieler evangelischer Kirchenmitglieder gegenüber Inhalten und Formen christlicher Religion – nicht umsonst verfasste er »Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern«16. Allerdings galten ihm – aus verschiedenen Gründen – nicht Schüler als besonders dringliches Thema theologischer und katechetischer Reflexion. 1.3 Religionsdidaktischer Optimismus der frühen Religionspädagogik Das ändert sich, als gegen Ende des 19. Jh. dem Begriff wie der Sache nach religionspädagogische Überlegungen angestellt werden, also: wissenschaftsför13 Salzmann, Ameisenbüchlein [1806], 14. 14 Friedrich Schleiermacher, Die Vorlesungen aus dem Jahr 1826, in: Ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, 2 Bde., Frankfurt a. M. 2000, hier Bd. 2, 246. 15 So z. B. Friedrich Schleiermacher, Die praktische Theologie […], hg. v. Jacob Frerich (1850) Nachdruck Berlin 1983, 396. 16 Friedrich Schleiermacher, Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (Reprint der Ausgabe 1831), Berlin 2018.

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mige Reflexionen über »Ausbau und Vertiefung evangelischen Religionsunterrichts und der religiösen Erziehung in Kirche, Schule und Haus«17. Seinerzeit wurde Religionsdistanz in ihren beiden grundlegenden Spielarten, sowohl als äußere als auch als innere Distanz, und erstmals explizit in ihren strukturellen Ursachen (»Modernisierung«) wahrgenommen. Man könnte zuspitzend sogar sagen, dass eben diese Wahrnehmung zur raison d’etre der Religionspädagogik als »Krisenwissenschaft« gehört.18 »Für diese Zeit ist Religionsdistanz  – etwa in Gestalt niedriger Gottesdienst-Besuchsquoten, aber auch in Gestalt des Austritts – statistisch nachweisbar: Seit 1874 gab es im Deutschen Reich ein förmliches Recht auf Austritt aus der Kirche bzw. aus einer Religionsgemeinschaft, seit 1910 weist die staatliche Zivilstandsstatistik entsprechende Daten aus. Doch die Zahl der Austritte war zunächst gering – im Jahr 1900 lag sie bei 3.793 Personen, 1918 bei 8.724 –, erst später stiegt die Durchschnittszahl deutlich an, gepaart mit relativen Spitzenwerten etwa in den Jahren 1920, 1935–1939, ab 1969, nach 1990.«19 So verwundert es nicht, dass in dieser Zeit auch erste empirische Untersuchungen zur (mangelnden) Religiosität von Schülerinnen und Schülern angestrengt werden.20 Religionsdidaktische Entwürfe dieser Ära greifen explizit auf Beobachtungen, Erfahrungen und Erhebungen der Religionsdistanz unter Schülern zurück – Marx Lobsien etwa eröffnet 1908 seinen Artikel »Über Beliebtheit des Religionsunterrichts in der Schule« mit dem Satz: »Sattsam bekannte Tatsache ist, daß Tausende äußerlich, Abertausende innerlich der Kirche und ihrer Lehre fernstehen«.21 Im Lichte zweier schriftlicher Befragungen von Schülerinnen und Schülern kann er ergänzen: »Der Religionsunterricht gehört zu den Unterrichtsfächern, die von den Schülern und Schülerinnen der Volks- und Mittelschulen am geringsten bewertet werden.« Ursächlich dafür sei die fehlende Orientierung des Unterrichts an »psychogenetischen Tatsachen und Gesetzen« sowie 17 Untertitel der Zeitschrift »Monatsblätter für den Evangelischen Religionsunterricht« (MERU; 1908–1932). 18 Christian Grethlein, Religionspädagogik, Berlin u. a. 1998, 96. 19 Grundlegend Andreas Feige, Kirchenmitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Gütersloh 1990, 126–136. Vgl. auch Lucian Hölscher (Hg.), Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, 4 Bde., Berlin (2001) Reprint 2013. 20 Vgl. den Beitrag von Anton A. Bucher in diesem Band. 21 Marx Lobsien, Über Beliebtheit des Religionsunterrichts in der Schule, in: Monatsblätter für den evangelischen Religionsunterricht 1 (1908), H. 3, 80–85, hier 80.

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die Stofffülle des Faches, die dessen anschauliche und kindgerechte Erschließung unterminiert, schließlich wohl auch der eingangs genannte Umstand des ›Fernstehens‹.22 Unter anderem ist es Friedrich Niebergall (1866–1932), der solche »empirischen« Beobachtungen systematisch aufzunehmen fordert. Er sieht in der »Berücksichtigung des Kindes« eine entscheidende differentia specifica zwischen der neuen Religionspädagogik und der Katechetik alten Typs.23 Diese Berücksichtigung schließt einerseits den »realistischen« Blick auf Störfaktoren des Unterrichts ein – darunter entwicklungsbedingte, psychologisch zu traktierende Krisen, soziale, volkskundlich zu erschließende Hemmnisse und religiöse Indifferenz oder Skepsis – und andererseits eine erziehungsoptimistische Perspektive: Im Anschluss an Schleiermacher geht Niebergall von einer »religiöse[n] Uranlage« aus, die es zu entwickeln bzw. zu fördern gilt.24 Während Seelen- und Volkskunde das Sein (»Zustand«) zu erkunden hat, die Theologie das Sollen (»Ideal«) ausarbeitet, ist es die Aufgabe der Praktischen Theologie als »Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung« (und damit auch der Religionspädagogik) auf den Lückenschluss zwischen Sein und Sollen hinzuwirken und die dafür geeigneten »Mittel« zu finden. In Anbetracht des verbreiteten Mangels an Erfahrung mit Religion und der Abständigkeit kirchlicher Praxis empfiehlt Niebergall etwa die Arbeit an der »Wertentwicklung« vom Sinnlichen hin zum Geistigen, die Förderung von »Gesinnung« und »Persönlichkeit«, das Einspeisen »der christlichen Religion« in einer Weise, die es ermöglicht, »sie [sc. die Schüler] zu tüchtigen Menschen zu machen«: Konkret gilt es Schülern »Gottvertrauen, Pflicht, Beten, Hoffnung auf die Ewigkeit« als Essentials christlicher Existenz zu erschließen.25 Dies gelingt, Niebergall zufolge, durch Arrangement von Lehr-Lern-Prozessen, die nicht allein kognitiv, sondern auch emotional ansprechen und zudem praktisch ausgerichtet sind: Es gilt, »die Gestalten und die Gedanken unsrer Urkunden […] so auszumünzen, daß Modelle von Lebensdeutung und Lebensbewältigung daraus gewonnen werden«.26 Diese Intention wird später aufgegriffen werden in so unterschiedlichen Ansätzen wie der thematischen Problemorientierung oder der kompetenzorientierten Religionsdidaktik. 22 Lobsien, Beliebtheit, 85. 23 Friedrich Niebergall, Die Entwicklung der Katechetik zur Religionspädagogik, in: MERU 4 (1911), 1–10, 33–43, 69–75. Vgl. dazu David Käbisch (Hg.), Friedrich Niebergall. Werk und Wirkung eines liberalen Theologen, Tübingen 2016. 24 Friedrich Niebergall, Der neue Religionsunterricht, Langensalza o. J. (1922), 70 f. 25 Niebergall, Religionsunterricht, 26 und 37. 26 Friedrich Niebergall, Christliche Jugend- und Volkserziehung, Göttingen 1924, 132.

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1.4 Illusionsloser Blick auf religionsdistante Schülerinnen und Schüler im Lichte des Wortes Gottes … Während Niebergall ganz auf die Überwindung anfänglicher Stufen von Religiosität bei Kindern und Jugendlichen durch Initiierung und Förderung von Entwicklung setzt – u. a. weil er eine bewusste, wohl überlegte Religionskritik oder gar Religionsabstinenz bei Schülerinnen und Schülern nicht ins Kalkül zu ziehen vermag –, kombiniert Gerhard Bohne (1895–1977) den Gedanken des Förderns explizit mit demjenigen eines unverfügbaren Angesprochenwerdens und einer menschlichen Entscheidung auf diesen Anruf. Anders gewendet: Bohne zieht psychologisch-pädagogische und theologische Kategorien heran, um die von ihm als Gegebenheit wie als Signatur der Zeit wahrgenommene »Glaubenskrise« einzuschätzen und zu bearbeiten. »Der RU […] steht […] bei seiner Betrachtung des Menschen unter einer doppelten Spannung. Einmal sieht er den Menschen phänomenologisch-­ psychologisch in seiner tatsächlichen Erscheinung, […] und dann sieht er ihn morphologisch-pneumatisch, in seiner von Gott her geschauten seelischen Lage […]. Diejenige Betrachtungsweise, die dem RU wesentlich ist und ihn in seiner Besonderheit charakterisiert, ist die zweite. Nur daß die zweite, die morphologisch-pneumatische, für ihn nicht zu denken ist ohne die erste, die phänomenologisch-psychologische«.27 Religionsdistanz unter Schülerinnen und Schülern – Bohne spricht eher von »Ich-Betrug«28 oder »Glaubenskrise«29 – ist somit einerseits entwicklungspsychologisch-empirisch beschreibbar und andererseits eine Konstellation, in der es »nicht mehr darum« geht, »daß er [sc. der Mensch bzw. Schüler] sich entscheidet über seine Stellung zu Gott, sondern daß er spürt, wie Gott über ihn entscheidet, indem die Begegnung mit dem lebendigen Gott ihn selbst notwendig in eine Entscheidung zwingt«.30 Ziel des Religionsunterrichts ist es infolgedessen, »daß der junge Mensch mit Gott ernst macht, sein Wort hört und sich ernsthaft mit ihm […] auseinandersetzt«, die Hoffnung der Lehrenden ist es, »daß dabei Gott in seinem Wort den jungen Menschen […] zu einem Leben des Gehorsams durch Umsinnung führt. Wir versuchen dabei zu helfen« – namentlich indem 27 Gerhard Bohne, Das Wort Gottes und der Unterricht, Berlin 21932, 138. 28 Bohne, Wort Gottes, 172. 29 Gerhard Bohne, Die Frömmigkeit des Kindes (1961), hg. v. Sylvia E. Kleebeger-Hörnlein/Michael Wermke, Leipzig 2017, 240 passim. 30 Bohne, Wort Gottes, 139.

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der Unterricht »Hinwege zum Evangelium« öffnet, »damit die Auseinandersetzung nicht mehr mit den Vorläufigkeiten, sondern mit der Sache selbst erfolgt«31. Angesichts dieser Aufgabe verblassen Kirchenzugehörigkeit, Frömmigkeit und Interesse der Schülerinnen und Schüler als Unterrichtsfaktoren: »Für den RU [gilt] in ganz besonderem Maße das Wort, daß Jesus einst von sich selbst sagte, daß er für die Kranken da sei, nicht für die Gesunden. […] Der rechte Religionslehrer wird deshalb den schwierigen Schülern, den suchenden […] und auch den ablehnenden […] immer ein ganz besonderes Interesse entgegenbringen.«32 Auf dieser Linie lassen sich Konzeptionen wie die Aktualisierung der »der Bibel eigenen Didaktik« bei Ingo Baldermann verorten. 1.5 … und hermeneutisch geschulter Religionsdidaktik Auf den ersten Blick nimmt die sog. hermeneutische Religionsdidaktik ihren Ausgang nicht vom Phänomen der Religionsdistanz – zu klar geht sie von einem biblisch-christlich geprägten Kulturraum und einem kirchlichen Christentum als Referenzrahmen aus, zu gradlinig strebt sie das Verstehen und Aneignen existenzial bedeutsamer Erkenntnisse dieses Christentums an, zu wenig ist sie an den Schülerinnen und Schülern, sondern allein an der Sache interessiert. Auf den zweiten Blick indes finden sich im Zeichen dieses didaktischen Ansatzes einige der schärfsten empirisch-religionssoziologischen und theologischen Analysen dessen, was an schulischen und gemeindlichen Lernorten als »Religionsdistanz« erlebt werden kann. So konstatiert Martin Stallmann (1903–1980), »daß [sc. in der Kriegs- und Nachkriegszeit] nicht nur das Überlieferte, sondern auch das Überliefern abriß« – und damit der Bezug von Schülerinnen und Schülern zur »Kontinuität des kulturellen Lebens« insgesamt, aber insbesondere auch zum Christentum als »Element der geistigen Überlieferung« verloren ging.33 Das Remedium ist ein Dennoch: »Der Lehrer muß […] das Christentum als Element unserer geistigen Wirklichkeit verstehen und muß in seiner Schule diese Wirklichkeit vergegenwärtigen und interpretieren« – durchaus auch dann, wenn Kollegen oder Schüler aus der Kirche austreten, denn 31 Bohne, Wort Gottes, 258. 32 Bohne, Wort Gottes, 257. 33 Martin Stallmann, Christentum und Schule, Stuttgart 1958, 9; 134.

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»ein Kirchenaustritt […] braucht nicht die Abkehr vom Christentum als geistigem Erbe einzuschließen. Er kann gemeint sein als ein eigenwilliger, aber darum noch respektabler Versuch, den falschen Schein einer […] Übereinstimmung mit den offiziellen Kirchen […] abzutun«.34 Es gilt also zwischen dem Christentum als geistiger Überlieferung und den Kirchen als »gesellschaftliche[n] Mächte[n]« zu unterscheiden – der Religionsunterricht soll nicht für Kirchenmitgliedschaft werben, sondern »junge Menschen [sc. durch deren ›Auslegung‹] vor die Frage der geschichtlichen Wirklichkeit […] stellen«.35 Ebenfalls im Rahmen von »Hermeneutik« und mithilfe der Unterscheidung zwischen der – unbedingt erschließenswerten – »religiösen Dimension der Wirklichkeit« und der – Anstoß erregenden – Kirche argumentiert Hubertus Halbfas (*1932): Angesichts der »tödlichen Diskrepanz zwischen kritisch-­ theologischem Denken und einer weithin unreflektierten Gemeindegläubigkeit« müsse der Religionsunterricht »zum Ort des Zweifelns und Fragens« werden, »damit hier kritisch geprüft werde, was existentiell realisierbar ist«.36 Die Schülerinnen und Schüler eines solchen Unterrichts werden bei Halbfas nicht eigens charakterisiert, jedoch vom Duktus der Ausführungen her als exemplarisch »moderne[.] Menschen« angesehen, deren Religiosität durch die allgemeinen Lebensumstände unter hohem Begründungsdruck steht: »Das technisch-­ naturwissenschaftliche Denken und dessen Objektivation in einer globalen Industriekultur ist in seinem inneren Wesen atheistisch.«37 Je auf ihre Art schreiben beide der Religionsdidaktik angesichts religionsdistanzierter Schülerinnen und Schüler eine Aufgabe ins Stammbuch, die sie nur zum Schaden ihrer Sache überspringen kann, nämlich die theologisch-­ hermeneutische Anstrengung, die Tradition in den Verstehens- und Plausibilitätshorizont der Gegenwart übersetzt. 1.6 Empirische Analyse von Religionsdistanz im Interesse unterrichtlicher Problembearbeitung Im Kontrast zum Profil der hermeneutischen Religionsdidaktik adressiert die sog. thematisch-problemorientierte Religionsdidaktik Religionsdistanz als Aus34 35 36 37

Stallmann, Christentum, 182; 183. Stallmann, Christentum, 185. Hubertus Halbfas, Fundamentalkatechetik, Düsseldorf (1968) 21969, 13 f.; 15. Halbfas, Fundamentalkatechetik, 49; 39.

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gangskonstellation didaktischer Reflexion – und zwar cum grano salis in den Erscheinungsformen, die auch gegenwärtig zu erfahren sind: ȤȤ Religionsdistanz als äußeres, förmlich dokumentiertes Auf-Abstand-­Gehen, in den späten 1960er Jahren v. a. in Gestalt einer Abmeldewelle vom Religionsunterricht, ȤȤ Religionsdistanz als Skepsis bzw. inneres Sich-Lossagen, ihrerzeit auch in Gestalt einer im Religionsunterricht vieldiskutierten Religions- und Kirchenkritik, ȤȤ Religionsdistanz als Vergleichgültigung gegenüber bestimmten theologischen Axiomen, ihrerzeit in Gestalt der Wahl lebensweltlich für bedeutsam erachteter Themen resp. Probleme als Gegenstand des Religionsunterrichts.38 Die programmatischen Texte der sog. Reformdekade – darunter diejenigen von Hans Bernhard Kaufmann (*1925) – halten sich mit Beschreibung und Analyse dieser Spielarten von Religionsdistanz nicht lange auf, aber sie fordern, die »bestimmte[n] kirchensoziologische[n], sozial-kulturelle[n] und individuell-­ biographische[n] Bedingungen«, in die »die Frage nach Gott […] in der Lebensgeschichte jedes Menschen eingebettet« ist, »didaktisch in Ansatz zu bringen«. Das Konzipieren von Religionsunterricht erfordert »Daten […] empirischer Art« über die »je gegebene Ausgangslage«, aber auch eine »Deutung des heranwachsenden Menschen auf seine verborgenen Möglichkeiten, auf seine noch offene Zukunft hin, die er selbst entdecken und ergreifen können soll« – als Arbeitshypothese fungiert dabei die Annahme einer – zumindest hintergründig gegebenen – »relative[n] religiöse[n] Ansprechbarkeit«.39 Didaktisch wird Relevanz – gepaart mit Kritik – zum Schlüsselbegriff: »Fragestellungen, […] Themen und Aufgaben« sollen sowohl die Lerngruppe »angehen« als auch Raum geben, um die »Relevanz [sc. der ›Glaubensüberzeugungen und Glaubenssysteme‹] für das Weltverstehen und für die Orientierung […] zum Handeln in gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen aufzuzeigen«.40 Von diesem Ansatz weisen Verbindungen zur Symboldidaktik wie zur kompetenzorientierten Religionsdidaktik. 38 Dazu Folkert Rickers/Bernd Schröder (Hg.), 1968 und die Religionspädagogik, Neukirchen-Vluyn 2010. 39 Hans Bernhard Kaufmann, Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen? In: Ders. (Hg.), Streit um den problemorientierten Unterricht in Schule und Kirche, Frankfurt a. M. u. a. 1973, 23–27, hier 25. 40 Hans Bernhard Kaufmann, Thesen zum thematisch-problemorientierten Religionsunterricht, in: Ders. (Hg.), Streit, 36–39, hier 38. Vgl. Thorsten Knauth, Problemorientierter Religionsunterricht, Göttingen 2003.

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1.7 Ingebrauchnahme von Religion und ihren Zeichen als Offerte für Religionsdistante Während die thematisch-problemorientierte Didaktik vom Vorhandensein zweier – die Gesellschaft Westdeutschlands prägender – Volkskirchen, der römisch-katholischen wie der evangelischen, und entsprechender Verbreitung oder jedenfalls Zugänglichkeit christlicher Praxis und Tradition als Bedingung für die Möglichkeit von Sachkritik und Relevanzprüfung auszugehen scheint, verändern sich in den 1980er Jahren die Vorzeichen: Sowohl die sog. Symboldidaktik (und erst recht ihre Fortschreibung in Gestalt einer semiotisch grundierten Zeichendidaktik) als auch die performative Didaktik nehmen an, dass Symbole bzw. Zeichen christlicher Religion immer häufiger in ihren traditionellen Bedeutungen nicht vertraut und erst recht nicht in Gebrauch sind, wohl aber lebensweltlich vagabundieren und immer wieder mit individuellen, mutmaßlich devianten Deutungen belegt werden – sie gehen, kurz gesagt, vom sog. »Traditionsabbruch bei Jugendlichen«41 aus. Beide didaktischen Konzeptionen legen infolgedessen Wert darauf, die Artikulation subjektiver Schüler-Lesarten religiös relevanter Zeichen als konstitutiven Schritt eines Lernprozesses in den Unterricht einzubeziehen, dann auch ihre semantische Tradition zu erschließen und – wiederum neu – die Symbole bzw. Zeichen nicht nur zu verstehen, sondern in Gebrauch zu nehmen:42 in einem Fall in Gestalt primär intellektueller Aneignungsprozesse (»Symbolisierungsdidaktik«),43 im anderen Fall in Gestalt der Erprobung religiöser Vollzüge (»performative Didaktik«).44 Sie tragen damit der Einsicht Rechnung, dass ein religiöser Lernprozess nicht in der Anerkennung der Wahrheit von Sätzen, sondern in der (Nicht-)Ingebrauchnahme von Religion in Lebensdeutung und -führung zum Ziel kommt. Insofern gehen diese beiden Ansätze religionsdidaktisch reflektierten Handelns in der Analyse der Lernausgangslage, in der didaktisch-methodischen Konstruktion des Lernprozesses wie im angestrebten Ergebnis konsequent von der – angenommenen – Religionsdistanz der Schülerinnen und Schüler aus. 41 Wilfried Bergau, Die neuen Schüler. Beobachtungen und Reflexionen, in: EvErz 39 (1987), 6, 636–654. 42 Die Schulbuchreihe »Religion entdecken – verstehen – gestalten« (hg. v. Gerd-Rüdiger Koretzki/Rudolf Tammeus, 4 Bde., Göttingen 2000–2003) bringt den intendierten Lernprozess zur Anschauung. Dazu Florian Dinger/Bernd Schröder, Religiöse Bildung entdecken, verstehen und gestalten – Rudolf Tammeus, in: Bernd Schröder u. a., Göttinger Religionspädagogik, Tübingen 2018, 353–369. 43 Vgl. Peter Biehl, Symbole geben zu lernen, 2 Bde., Neukirchen-Vluyn 1989 und 1993. 44 Zusammenfassend Bernhard Dressler, Performativer Religionsunterricht, in: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100017/ (Zugriff am 8.2.2019); Florian Dinger, Religion inszenieren, Tübingen 2018.

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1.8 »Jede/r ist ein Sonderfall« – gerade auch im Verhältnis zur Religion Religionsdidaktische Konzeptionen nahmen Schülerinnen und Schüler – wenn überhaupt – in der Regel als Kollektiv in den Blick: die oder der Einzelne und damit auch die Heterogenität von Lerngruppen rücken erst in den Fokus, seitdem so verschiedene Faktoren wie die Einsicht in die plurale Verfasstheit der Gesellschaft, die Orientierung am Begriff der Bildung (als Entfaltung und Selbst-Bildung), die Nutzung qualitativer Sozialforschung dies nahelegen.45 Ohne dies in eine Konzeption zu gießen, versteht sich Religionsdidaktik immer deutlicher als verwiesen auf die konkreten einzelnen Schülerinnen und Schüler, als orientiert an deren Subjektwerdung oder Empowerment, als interessiert an individualisierten Lernprozessen in einer inklusiven (d. h. nicht auf äußere Differenzierung abhebenden) Lerngruppe46 – insbesondere Kinder- und Jugendtheologie sowie die konstruktivistische Religionsdidaktik arbeiten unterschiedliche didaktisch-methodische Settings aus, darunter etwa biografisches Lernen. Im Zuge dessen zieht die individuelle Religiosität bzw. Religionsdistanz der Lernenden neue Aufmerksamkeit auf sich – und sie tut dies nicht in einer defizitorientierten Weise, sondern aus Interesse sowohl an einer besseren Passung von Unterrichtsplanung und Lernenden als auch an adäquaten Einsichten in den Modus und das Ergebnis der Konstruktion von Sinn bei Heranwachsenden. So begrüßenswert dieser wertschätzende Zugang zur Religiosität von Kindern und Jugendlichen ist, so sehr läuft er Gefahr, die strukturellen Hintergründe und die weite Verbreitung gelebter Religionsdistanz und religionsdistanter Denkmuster zu überspringen.

2 Bilanz Spätestens seit der Ära der »Religionspädagogik« kommen nahezu alle religionsdidaktischen Konzeptionen auf das Phänomen zu sprechen, das eingangs als Religionsdistanz unter Schülerinnen und Schülern beschrieben wurde – diese Herausforderung ist also keineswegs so neu wie sie zu sein scheint! Die diversen Ansätze kommen darauf allerdings aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mit unterschiedlichen Analyse-Instrumenten und unterschiedlichen Rezepturen zu sprechen. 45 Elisabeth Naurath, Art. Schülerinnen und Schüler, in: WiReLex (2015), https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100089/ (Zugriff am 8.2.2019). 46 Friedrich Schweitzer, Art. Religionspädagogik, in: WiReLex (2015), https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100099/ (Zugriff am 8.2.2019) formuliert sogar: »Eine schüler- und kindorientierte Didaktik ist allgemeiner Standard.«

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Während die einen darin primär eine vorübergehende, entwicklungs- und sozialisationsbedingte Phase sehen, die – eine religiöse Anlage vorausgesetzt – mithilfe von methodisch geleiteten Verstehensbemühungen und pädagogischen Interventionen überwindbar ist (so in der Aufklärung und in der Gründerzeit der Religionspädagogik), gilt Religionsdistanz den anderen als eine Ausdrucksform – gewollter oder unvermeidlicher – menschlicher Gottferne, die von Menschen identifiziert, aber nicht überwunden werden kann, es sei denn durch Gott selbst (so etwa Gerhard Bohne). Im Einzelnen unterscheiden sich die empfohlenen pädagogischen Interventionen erheblich – die möglichen Imperative lauten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): ȤȤ Wider den Augenschein vorhandene, implizite Religiosität der Schülerinnen und Schüler aufspüren und explizieren! D. h. die ggfls. verborgene religiöse Anlage fördern und implizite religiös relevante Wissensbestände, Fragen und Vorstellungen ans Licht bringen ȤȤ Explizite Religion in säkulare Sprache und Orientierungen übersetzen! D. h. religiöse Gehalte in Worten und Werten zur Geltung bringen, die auch ohne religiöse Voraussetzungen einleuchten bzw. attraktiv erscheinen ȤȤ Religion thematisieren, aber die dazu gehörige »kirchliche« Praxis/Zugehörigkeit aussparen! D. h. die religiöse »Sache« und die äußere Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft unterscheiden und sich in der Schule allein auf hermeneutische Anstrengungen zur Sache konzentrieren ȤȤ Religion zeigen und Erfahrung reflektieren! D. h. den – einer kritischen Haltung oder fehlender Sozialisation geschuldeten – Mangel an Erfahrung mit Religion unter den Bedingungen des Labors Schule kompensieren und reflektieren ȤȤ Religion thematisieren, aber den Glauben als unverfügbar ausweisen! D. h. die Vielfalt der vorfindlichen Haltungen gegenüber Religion als didaktische Herausforderung wahrnehmen, aber die Reichweite von Unterricht depotenzieren, indem die persönliche »Entscheidung« außen vor bleibt Über alle didaktischen Konzeptionen hinweg zeigt sich als Trend: Die Bezugnahme auf religionsdistante Schülerinnen und Schüler nimmt immer breiteren Raum ein – an die Stelle einer Hermeneutik des schon gegebenen Einverständnisses tritt eine Hermeneutik des noch zu suchenden Einverständnisses,47 an die Stelle der Vorstellung, alle Schülerinnen und Schüler seien in ihrer Hal47 Karl Ernst Nipkow, Bildung in einer pluralen Welt, Bd. 2: Religionspädagogik im Pluralismus, Gütersloh 1998, 215–263.

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tung zum Thema des Religionsunterrichts cum grano salis homogen tritt die Einsicht in ihre Heterogenität,48 an die Stelle der Vorstellung, die Religiosität der Lernenden sei von den Lehrenden zu diagnostizieren, tritt diejenige, sie sei im Rahmen und als Teil eines individuell-passgenauen Lernprozesses von den Schülerinnen und Schülern selbst bewusst zu machen und zu artikulieren.49 Allerdings: Konsequent zum Ausgangspunkt ihrer Didaktik macht kaum eine Konzeption das, was sich auf den Begriff der »Religionsdistanz« bringen lässt und gegenwärtig als Grundhaltung der Mehrheit unter den jugendlichen Schülerinnen und Schülern angenommen werden muss – am ehesten tun es einige Lesarten performativer Religionsdidaktik, Kinder- und Jugendtheologie sowie Didaktiken, die den Perspektivenwechsel in die Mitte des didaktischen Arrangements rücken.50 Eine konsequente Differenzierung didaktischen Handelns je nach Nähe und Distanz der Schülerinnen und Schüler zum Gegenstand steht indes noch aus. Auch wenn die didaktischen Konzeptionen (und infolge dessen auch methodische Präferenzen) im Laufe der letzten 200 Jahre tiefgreifenden Veränderungen unterzogen wurden: Im Religionsunterricht allgemeinbildender Schulen leitet sich das Gefüge der Inhalte in bemerkenswerter Konstanz nach wie vor aus der dogmatischen Theologie und dem Bekenntnis der jeweiligen Kirche ab.51 Demgegenüber hat der Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen das Tableau seiner Inhalte vergleichsweise recht konsequent berufs- und schülerorientiert umgestaltet.52 Leider muss man auch festhalten: Zwar lässt sich im Handlungsrahmen aller religionsdidaktischen Grundstrukturen – mit Peter Biehl: der traditions48 Bernhard Grümme, Heterogenität in der Religionspädagogik: Grundlagen und konkrete Bausteine, Freiburg 2017. 49 Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, hg. v. Gerhard Büttner u. a., Stuttgart/München 2014; und v. a. »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles«. Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus, hg. v. Gerhard Büttner/Friedhelm Kraft (Jahrbuch für Kindertheologie 13), Stuttgart 2014. 50 David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung, Tübingen 2014. 51 Konferenz der Kultusminister (Hg.), Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung: Evangelische Religionslehre, Bonn 2006 – dort werden bekanntlich genannt: »Das christliche Bild des Menschen – Das Evangelium von Jesus Christus –Die christliche Rede von Gott – Das Wahrheitszeugnis der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden – Die christliche Ethik der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, der Versöhnung und des Friedens – Die christliche Zukunftshoffnung«. 52 Kirchenamt der EKD (Hg.), Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Ein Orientierungsrahmen, Hannover 2018, nennt fünf »Gegenstandsbereiche«: »I Eigene Sichtweisen, Erfahrungen, Weltdeutungen und Glaubensvorstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen – II Christliche Glaubens- und Le-

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erschließenden, der problemorientierten, der symboldidaktischen und der biografischen53 – auf Religionsdistanz unter Schülerinnen und Schülern reagieren, doch für keine der Strukturen und keine der geschichtlichen Konzeptionen können wir evidenzbasierte Angaben zur Effizienz des Ansatzes selbst oder einzelner Interventionen machen. Die Frage, ob schulischer Religionsunterricht und welches didaktisch-methodische Arrangement Religionsdistanz existenziell thematisieren, aufbrechen oder ggfls. konstruktiv transformieren kann, ist offen.

Dr. Bernd Schröder ist Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Georg-August Universität Göttingen.

benspraxis, Überlieferung, Lehre und Ethik – lII Erfahrungen und Begegnungen mit Religionen und Weltanschauungen – IV Religion als gesellschaftliches und kulturelles Phänomen – V Die religiöse und ethische Dimension des Berufs« (31–33). 53 Peter Biehl, Didaktische Strukturen des Religionsunterrichts, in: JRP 12 (1996), 197–223; sowie ders., Die geschichtliche Dimension religiösen Lernens, in: JRP 18 (2002), 135–143.

Didaktische Konkretionen

Das ist für alle relevant!? Religionsunterricht mit Religionsdistanten Claudia Gärtner

1 Problemaufriss Am Religionsunterricht nehmen immer mehr Konfessionslose teil,1 die zugleich die derzeit am schnellsten wachsende weltanschauliche Gruppe in Deutschland bilden. Dabei unterscheidet Gert Pickel vier Typen der Konfessionslosigkeit: Atheisten, gläubige, tolerante und »normale« Konfessionslose, die im Gegensatz zu toleranten Konfessionslosen eine Beschäftigung mit Religion weitgehend als überflüssig ablehnen.2 Insbesondere gläubige und tolerante Konfessionslose dürften, wenn überhaupt, den Weg in den Religionsunterricht finden. Neben den Konfessionslosen wächst aber auch der Anteil konfessioneller Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht, die in Einstellung zu und Umgang mit Religion den Konfessionslosen ähneln. Sie stehen oftmals der eigenen Religion distanziert, ahnungs-, erfahrungs- und interessenlos gegenüber. Um diese konfessionellen und konfessionslosen Schülerinnen und Schüler, im Folgenden kurz Religionsdistante genannt – soll es in diesem Beitrag gehen. Warum sollen und wie können sich diese jungen Menschen mit Religion im Religionsunterricht der Sekundarstufen auseinandersetzen? Während fehlendes fachliches Vorwissen im Religionsunterricht relativ leicht kompensiert werden kann, sind mangelnde religiöse Erfahrung und Praxis sowie fehlende lebensweltliche Relevanz besondere religionsdidaktische Herausforderungen. Wenn Religion im Leben der Religionsdistanten keine Bedeutung besitzt, gestaltet sich Lernen als schwierig, denn nur was als relevant betrachtet wird, wird nachhaltig gelernt. In dieser Hinsicht stellt sich die Frage nach der Relevanz und nach dem »Warum« religiösen Lernens von Religionsdistanten. Und wenn religionsdistante Schülerinnen und Schüler keine religiöse Erfahrung und Praxis besitzen, dann haben sie in der Regel keinen Zugang zu einer religiösen 1 Vgl. für Sachsen: Frank M. Lütze, Begegnungsmöglichkeiten schaffen – Der Konfessionsbezug des evangelischen Religionsunterrichts in einem mehrheitlich konfessionslosen Kontext, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 4 (2014), 283–293, hier 385. 2 Vgl. Gert Pickel, Konfessionslose – das ›Residual‹ des Christentums oder Stütze des neuen Atheismus? In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), 12–31, hier 22–27.

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Weltwahrnehmung und -deutung. Da diese jedoch grundlegend für religiöses Lernen im konfessionellen Religionsunterricht ist, stellt sich angesichts dieser Lernausgangslage die Frage nach dem »Wie« religiösen Lernens mit Religionsdistanten. Auf der Grundlage dieses theoretischen Aufrisses werden abschließend drei religionsdidaktische Konkretionen vorgeschlagen.

2 Die Frage nach der Relevanz von Religion für Religionsdistante 2.1 Die Relevanzfrage – ein interdisziplinärer fachdidaktischer Angang Im schulischen Kontext ist es nicht ungewöhnlich, dass Schülerinnen und Schüler einen Lerngegenstand als irrelevant betrachten. Wer misst mit 13 Jahren dem Aufbau eines Vulkans oder dem chemischen Periodensystem Relevanz bei? Daher stellt sich die Relevanzfrage für alle Fächer, wenn auch mit unterschiedlichem Fokus. In der Naturwissenschaftsdidaktik haben Stuckey u. a. ein Relevanzmodell schulischen Lernens entwickelt,3 das auch für die Religionsdidaktik adaptierbar ist. Lernen wird demnach für Schülerinnen und Schüler relevant, wenn es für ihr individuelles, gesellschaftliches oder berufliches Leben wichtig ist. Entsprechend werden drei Relevanzdimensionen unterschieden, die jeweils intrinsisch und extrinsisch ausdifferenziert sind. Bezieht man dieses Modell auf die Religionsdidaktik, so ist – mit Ausnahme spezifischer religionsdidaktischer Modelle für die berufliche Bildung – zumeist die berufliche (vocational) Dimension von untergeordneter, die individuelle (individual) von besonderer Bedeutung. In Hinblick auf Religionsdistante wird zu diskutieren sein, inwiefern die gesellschaftliche (societal) Dimension einer verstärkten Aufmerksamkeit bedarf. Bemerkenswert ist, dass das Modell neben aktuellen (present) intrinsischen (intrinsic) Dimensionen, die in der Religionsdidaktik m. E. oftmals im Fokus stehen, auch extrinsische, auf Zukunft ausgerichtete Relevanzdimensionen berücksichtigt. Relevant kann ein religiöser Lerngegenstand somit auch werden, wenn Schülerinnen und Schüler hiermit in Zukunft beruflich, z. B. in Kita, Altenheim oder Journalismus oder zukünftig mit religiös relevanten gesellschaftlichen Fragen konfrontiert werden. 3 Marc Stuckey/Avi Hofstein/Rachel Mamlok-Naaman/Ingo Eilks, The meaning of ›relevance‹ in science education and its implications for the science curriculum, in: Studies in Science Education 49 (2013), 1–34.

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Fachlich relevante Themen sind nicht per se für Lernende relevant, sondern müssen erst zu relevanten Lerngegenständen transformiert werden. So stellt der fachwissenschaftliche Inhalt »Theodizee« noch keinen relevanten Lerngegenstand dar, sondern dieser ergibt sich erst, indem er in Hinblick auf z. B. individuelle (individual) oder gesellschaftliche (societal) Relevanzen befragt und didaktisch rekonstruiert wird. Im Rahmen des Dortmunder Forschungs- und Nachwuchskolleg »FUNKEN« wird dieses Modell um eine vierte Relevanzdimension erweitert und von vier unterschiedlichen Relevanzstiftern ausgegangen. In Hinblick auf den Religionsunterricht ist das Modell durch einen fünften Relevanzstifter, die Religionsgemeinschaften, zu ergänzen (unterer Teil der Grafik).

Handlungsbefähigung

Lernen in und an bedeutungsvollen Kontexten

Lebensweltbezug Kontextauthentizität Reichhaltigkeit Kohärenz

Gesellschaft

Wirtschaft

Disziplin

Relevanzstifter

Individuum

Fachliches Wissen

Sinn-Angebote

Religionsgemeinschaften

• • • •

Wirkungsebene

Gesellschaftliche, kulturelle, soziale und berufliche Teilhabe

Persönlichkeitsbildung

Abbildung 1: Dube u. a. Strukturmodell als Heuristik (2019),4 hier ergänzt um »Religions­ gemeinschaften« als fünfte Relevanzstifter

Dabei wird die Relevanz von Lerngegenständen in einem ersten Schritt nur theoretisch aus Stakeholder-Perspektive (Relevanzstifter) herausgestellt, z. B. auf curricularer Ebene. Ob ein Lerngegenstand für Individuen im Aneignungsprozess tatsächlich relevant wird, entzieht sich der didaktischen Planbarkeit. Dennoch kann dieser Prozess durch Lernen an und in sinnstiftenden Kontexten – den Sinn-Angeboten – unterstützt werden (mittlerer Teil der Grafik, vgl. auch Kap. 2.3). 4 Juliane Dube/Claudia Gärtner/Stephan Hußmann/Bernd Ralle/Jörg Thiele, Der Weg zur Handlungsbefähigung. Ein fachdidaktikenübergreifendes Strukturmodell zur Schaffung von Sinn-Angeboten, in: Dies. (Hg.), Sinnstiftende Lehr-Lern-Prozesse initiieren. Zur Rolle von Kontexten in der Fachdidaktik, Münster 2019, 17–35.

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Sinnstiftung kann sich auf drei Wirkungsebenen realisieren (oberer Teil der Grafik): Erstens auf der Ebene der Persönlichkeitsbildung, wenn sich das Gelernte als sinnstiftend für das eigene Leben erweist; zweitens auf gesellschaftlicher, kultureller, sozialer oder beruflicher Ebene, wenn das Gelernte eine bessere Teilhabe in diesen Bereichen ermöglicht; drittens auf der fachlichen Ebene, wenn das Gelernte sinnvoll ist, um aktuelle oder zukünftige innerfachliche Problemstellungen zu lösen, was insbesondere für Fächer mit kumulativen Lernprozessen relevant ist. Eine so verstandene Handlungsbefähigung (oberster Teil der Grafik) zielt somit auf sinnerfüllte Bildungsprozesse und umfasst fachliches Wissen, Persönlichkeitsbildung und die Fähigkeit zu beruflichem, gesellschaftlichem, kulturellem und sozialem Handeln. Die Religionsdidaktik steht somit vor der Aufgabe, fachlich relevante Themen so didaktisch zu transformieren, dass diese anhand von sinnstiftenden Kontexten auch für Religionsdistante relevant werden. 2.2 Die Relevanzfrage – ein religionsdidaktischer Angang In der hier gebotenen Kürze lässt sich die o. a. dreifach ausdifferenzierte Wirkungsebene von Relevanz religionsdidaktisch reformulieren und entsprechend fokussieren. 1. Persönlichkeitsbildung: Religion besitzt für Religionsdistante keine individuelle Bedeutung, daher ist es schwer, ihr einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung zuzumessen. Michael Domsgen setzt dennoch beim Subjekt an und formuliert »Empowerment als verständliche, zumutbare und anschluss­fähige Zielperspektive«5 eines Religionsunterrichts mit Konfessionslosen. Eine solche Perspektive will er anthropologisch als Befähigung zum Menschsein bestimmen, was er in christlicher Perspektive als ein Menschsein in Beziehung bezeichnet und soziale sowie solidarische Aspekte miteinschließt. Die Auseinandersetzung mit Religion dient hierbei als Eröffnung von neuen »Möglichkeitsräumen«6 mit dem Ziel, des Empowerments, um Subjekten neue Ressourcen zu erschließen, ihre Partizipationsfähigkeit zu steigern, und solidarische Vernetzung einzuüben und zu ermöglichen. Die Didaktik des Per­ spektivwechsels besitzt für diese Zielperspektive eine wichtige Rolle (Kap. 3.1).7 5 Michael Domsgen, Sensibilisieren, vor Augen führen und plausibilisieren. Lerntheoretische und schulpädagogische Perspektiven, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 4 (2014), 243–252, hier 249. 6 Ebd., 251. 7 Vgl. ebd., 250; David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung, Tübingen 2014, 216–251.

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2. Gesellschaftliche, kulturelle, soziale und berufliche Teilhabe: Religion ist mittlerweile wieder als relevante gesellschaftliche Größe im öffentlichen Diskurs präsent. Diesbezüglich sprach- und argumentationsfähig zu sein,8 kann auch für Religionsdistante relevant werden. Die gegenwärtigen Debatten um eine (neubelebte) politisch- bzw. problemorientierte Religionsdidaktik zeugen hiervon. Dabei geht es darum, in religiösen Lernsettings aus der religiösen Tradition heraus eine eigene Logik und Agenda des Politischen resp. Religionskritischen (Kap. 3.3), aber auch des Kulturellen (Kap. 3.2) zu entwickeln,9 die aus und in den Alltag der Lernenden hinein wirken kann. 3. Fachliches Wissen hingegen ist nicht primär an der Lebenswelt der Lernenden ausgerichtet, sondern binnenfachlich fundiert. Wie kann diese Fachlichkeit im Religionsunterricht zu sinnstiftendem Lernen führen? Derzeit wird bislang ergebnisoffen diskutiert, was überhaupt die spezifische Fachlichkeit des Religionsunterrichts ist.10 Ist es die Theologie, das lebendige Christentum, der Dialog der Religionen o.Ä.? Es kristallisiert sich heraus, dass Fachlichkeit nicht aus der Theologie als Bezugswissenschaft abgeleitet werden kann, sondern vielmehr eine theologische Hermeneutik der Praxis, eine »positionell-partizipatorische Hermeneutik«11 besondere Bedeutung besitzt, in deren Horizont Lernende ihr Welt- und Selbstverständnis theologisch deuten können. Um diese Kompetenz zu erwerben, muss Religion insbesondere bei Religionsdistanten unterrichtlich auch in einer »religionstheoretischen Metaperspektive«12 betrachtet werden, damit diese überhaupt »erkennen, was religiöse Erfahrungen und ihre Deutungsmuster ausmacht, welche potentiell lebensdienliche Relevanz religiösem Fragen und Sich-Verstehen zukommen kann.«13 Hier bedarf es somit auch fachlicher Vertiefungen, um religiöse Eigenlogiken (z. B. Transzendenz-­ Immanenz), religiöse Kommunikations- (z. B. Gebet-, Symbol-, Bildspra  8 Vgl. Thorsten Knauth, Bleibend notwendig! Der Problemorientierte Religionsunterricht und seine Bedeutung für eine kritische Religionspädagogik – Geschichte und Aktualität, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 70 (2018), 128–141, hier 139.   9 Vgl. ebd., 140. 10 Vgl. Thomas Schlag/Jasmine Suhner, Theologie als Herausforderung religiöser Bildung. Bildungstheoretische Orientierungen zur Theologizität der Religionspädagogik, Stuttgart 2017. 11 Rudolf Englert, Das Theologische der Religionspädagogik. Grundfragen und Herausforderungen, in: Thomas Schlag/Jasmine Suhner (Hg.), Theologie als Herausforderung religiöser Bildung, Stuttgart 2017, 21–32, hier 29. 12 Martina Kumlehn, Religiöse Indifferenz und Differenzkompetenz. Religiöse Bildung als Überführung komplexer religiöser Unbestimmtheiten in einen bewussten Umgang mit dem Unbestimmbaren, in: Miriam Rose/Michael Wermke (Hg.), Konfessionslosigkeit heute. Zwischen Religiosität und Säkularität, Leipzig 2014, 288–303, hier 299 f. 13 Ebd., 300.

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che) und Handlungsstrukturen (z. B. Ritual, Liturgie) wahrnehmen und verstehen zu können, ohne dass diese Lernsettings immer lebensweltlichen Kontexten entspringen. 2.3 Kontextorientierung bei Religionsdistanten Lerngegenstände sind nicht per se relevant und sinnstiftend, sondern müssen von Lernenden als solche wahrgenommen werden. Dennoch können Lernsettings dazu beitragen, entsprechende Lernprozesse zu initiieren. Lernen in Kontexten hat sich hierbei als eine auch in anderen Fächern etablierte Didaktik herausgebildet. Unter Kontexte werden spezifische, abstrahierte Aspekte von Alltagssituationen, von bereits didaktisch transformierten Ausschnitten aus der Lebenswelt verstanden (vgl. Abb. 1). Wenn z. B. in den Medien von Katastrophen, Gewalt oder Leid berichtet wird, so werden diese Situationen erst zu einem Kontext, wenn sie didaktisch durch Aufgaben oder Rahmungen in Hinblick z. B. auf Theodizee oder ethisches Lernen fokussiert werden. Ein Kontext ist fachlich fokussiert, er aktiviert fachliche und lebensweltliche Vorerfahrungen und Interessen der Lernenden und macht die Lebenswelt somit fachlich erschließbar. Ein solcher Kontextbegriff ähnelt dem religionsdidaktischen Verständnis von Anforderungssituationen.14 Dabei sollen Kontexte folgende Kriterien möglichst umfassend erfüllen.15 Sie … ȤȤ sind anschlussfähig an Erfahrungen, Interessen, kognitive Denk- und Handlungsmuster sowie Lebenswelt (Anschlussfähigkeit). ȤȤ ermöglichen, authentische Fragen zu bearbeiten und etwas über den Kontext zu lernen (Kontextauthentizität). ȤȤ sind problemhaltig und offen, um auf verschiedenen Niveaus zu reichhaltigem Lernen anzuregen (Reichhaltigkeit). ȤȤ initiieren fachlich authentische Handlungen und führen zu tragfähigen fachlichen Konzepten (fachliche Authentizität). Geeignete Kontexte werden durch Aufgabenstellungen didaktisch und fachlich erschlossen. Für das gemeinsame Lernen mit Konfessionslosen kommt Käbisch zu dem Schluss, dass eine Fachdidaktik für Konfessionslose »keine Neuerfindung der Religionsdidaktik darstellt, sondern auf bewährte Aufgabentypen und 14 Vgl. Gabriele Obst, Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 42015. 15 Vgl. Timo Leuders/Stephan Hußmann/Bärbel Barzel/Susanne Prediger, »Das macht Sinn!« Sinnstiftung mit Kontexten und Kernideen, in: Praxis der Mathematik in der Schule 37 (2011), 2–9.

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Aufgabenformate aufbauen kann.«16 Dies lässt sich auch für Lernen mit Religionsdistanten in Anschlag bringen. Darüber hinaus formuliert er Kriterien für entsprechende Aufgabenstellungen, wovon für den Religionsunterricht mit Religionsdistanten insbesondere folgende zu berücksichtigen sind: Die Aufgabe … ȤȤ betrachtet Schülerinnen und Schüler nicht als Angehörige oder Experten einer Religion oder Konfession, ȤȤ setzt keine religiöse Praxis voraus, um über diese reflektieren zu können, ȤȤ beschäftigt sich mit Denken, Fühlen und Handeln (nicht-)religiöser Menschen, ȤȤ konfrontiert Schülerinnen und Schüler mit (imaginierten, inszenierten) Situationen, in denen sie Wissen über Denken, Fühlen und Handeln (nicht-) religiöser Menschen rekonstruieren, konstruieren oder anwenden, ȤȤ befähigt Schülerinnen und Schüler, zwischen einer religiösen Binnen- und Außenperspektive zu unterscheiden.17 Insbesondere in performanzorientierten Lernsettings, die an religiösen Handlungen orientiert sind, ist für Käbisch gemeinsames Lernen mit Konfessionslosen möglich, wobei auch religionskritische Aufgaben hilfreich seien.18 Vor diesem Hintergrund soll nun anhand von drei fachdidaktischen Konkretionen auf Kontexte hingearbeitet werden, die für Religionsdistante relevant werden können.

3 Lernsettings für Lernen von und mit Religionsdistanten 3.1 Theodizeefrage mit Religionsdistanten bearbeiten Die Theodizeefrage wurde in der Religionsdidaktik lange Zeit als relevant für alle Schülerinnen und Schüler betrachtet, da sie früher oder später mit Leid und Tod konfrontiert seien. Einige neuere empirische Studien deuten darauf hin, dass viele Jugendliche diese Frage nicht mehr stellen, insbesondere religiös distanzierte Schülerinnen und Schüler.19 Theodizee wird somit religions16 David Käbisch, Konfessionslosigkeit als Thema von Lern- und Anwendungsaufgaben Fachdidaktische Perspektiven, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 3 (2014), 252–261, hier 261. 17 Vgl. ebd., 260. 18 Vgl. David Käbisch, Didaktischer Umgang mit Konfessionslosigkeit. Thesen und Beispiele, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 13 (2014), 60–63, hier 60 f. 19 Vgl. Werner H. Ritter/Helmut Hanisch/Erich Nestler/Christoph Gramzow, Leid und Gott. Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen, Göttingen 2006; Eva Maria Stögbauer, Die Fragen nach Gott und dem Leid bei Jugendlichen wahrnehmen. Eine qualitativ-empirische Spurensuche, Bad Heilbrunn 2011.

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didaktisch auf der individuellen Relevanzebene angesiedelt, obwohl sie diese individuelle Relevanz vielfach nicht mehr besitzt. In diese Situation hinein entwickelt und evaluiert Nicole Blanik empirisch einen theodizeedidaktischen Ansatz, in dem fremd-biografische Leidkontexte das Zentrum des Lernsettings darstellen,20 wodurch möglichen fehlenden (religiösen) Erfahrungen aufseiten der Schülerinnen und Schüler begegnet wird. Diese bearbeiten die Jugendlichen durch mehrfache Perspektivwechsel, in denen sie, z. B. mit der Methode des Briefschreibens, erlernte Theodizeemodelle aus unterschiedlichen weltanschaulichen resp. religiösen Perspektiven anwenden und bewerten müssen. Die Perspektivwechsel ermöglichen eine »Vernetzung einer kognitiv-rationalen Ebene mit einer existenziell-emotionalen Ebene« und zielen auf »eine affektive Fremdwahrnehmung (ggf. verbunden mit Empathie und Mitgefühl)«21, ganz im Sinne der von Käbisch formulierten Aufgabenkriterien. Aufschlussreich ist die qualitativ-empirische Auswertung des Lernsettings, in der Blanik u. a. eine Fallstudie zu einem religionsdistanten resp. kritischen Schüler vornimmt. Diesem fällt es schwer, die religiöse Perspektive einzunehmen. »Der Brief von Hiob hat mir die Lösungsansätze aus der Bibel zwar noch einmal aus einer neutralen Position vor Augen geführt, aber [es ist] schwer Erklärungen für Leid anzuwenden, von denen man selbst nichts hält, da man an Gott einfach nicht glaubt. […] Dafür fand ich aber den zweiten Schritt gut, wo man selbst aus Christophs Position Hiobs Erklärungen testen muss. Trotzdem ist es auch da schwer seine eigene Meinung da zurückzuhalten.«22 Die Aufgabe fordert den Schüler heraus, die Auswertung seines Lernprozesses zeigt, dass hierdurch jedoch seine Sach- und Werturteilsbildung deutlich gefördert wird. Blanik kommt zu dem Schluss, dass durch das Lernsetting »Distanz zur eigenen religionskritischen Ausrichtung des Schülers und eine differenzierte Haltung zu Theodizee-Erklärungsansätzen im Beurteilungsprozess aufgebaut werden. […] Hiermit kann prozedurales Wissen und möglicherweise auch ein sinnstiftender Beitrag für eine persönliche Kontingenzbewältigung im Kontext eigener aktueller oder zukünftiger Leidsituationen stellvertretend angeregt werden.«23

20 Vgl. Nicole Blanik, Theodizeedidaktik im Horizont von Krisensituationen. Wie Schülerinnen und Schüler Theodizee-Erklärungsmodelle entlang von fremd-biografischen Anforderungssituationen zu beurteilen lernen, Berlin 2018. 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd.

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3.2 Christliches Kulturerbe mit Religionsdistanten erschließen 2018 war Europäisches Kulturerbejahr, mit dem die Europäische Kommission das europäische kulturelle Erbe (neu) ins Bewusstsein bringen möchte. Das Christentum ist prägender Teil dieses kulturellen Erbes, dem auch Religionsdistante in ihrem Alltag, im Kunst-, Geschichts- oder Deutschunterricht begegnen. In dieser Hinsicht wird darauf verwiesen, dass sich der Religionsunterricht auch kulturgeschichtlich legitimieren lasse, gerade auch für religionsdistante Schülerinnen und Schüler. Zugleich wird ein solcher kulturgeschichtlicher Ansatz berechtigt hinterfragt,24 da er Gefahr laufe, vornehmlich auf Vergangenheit bezogen zu sein, wodurch die lebendige, gegenwartsprägende Kraft des Christentums in den Hintergrund trete. Zudem empfänden viele Schülerinnen und Schüler kulturgeschichtliches Lernen ebenfalls als irrelevant. Warum sollte ein aus Afghanistan geflüchtetes muslimisches Mädchen oder ein atheistischer Junge aus Berlin einen Passionsaltar deuten oder eine barocke Kirche besuchen? Die Kunstgeschichtsdidaktik erschließt dezidiert aus heterogenitätssensibler Perspektive das kulturelle Erbe. Sie zielt auf kulturelle Teilhabe, wonach allen Schülerinnen und Schülern diese kulturelle Ressource zur eigenen Lebensorientierung und -gestaltung zur Verfügung gestellt werden solle25 – ein Ansatz, an dem auch eine Religionsdidaktik für Religionsdistante anknüpfen kann. Der Fokus ist auf das Kulturerbe aus dem Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler gerichtet, gerade auch auf Kirchengebäude. Barbara Welzel geht davon aus, dass dieses Kulturerbe doppelt kodiert sei: säkular und religiös.26 Für die Kunstdidaktik fordert sie eine bekenntnisneutrale Erschließung, die für alle Schülerinnen und Schüler möglich sei, die jedoch durch religiöse Per­ s­pektiven erweitert werden könne. Hierdurch würden plurale Narrative an ein Werk herangeführt. Kunstwerke können »›Verhandlungsorte‹ sein für Gespräche über Orte, Geschichten, Erinnerungen und Ideen, über Ängste und Hoffnungen vergangener Generationen […], über eigenes und Fremdes und noch vieles mehr.«27 Ein eindrucksvolles Beispiel für die Konfliktträchtigkeit, aber 24 Vgl. Claudia Gärtner, Religionsunterricht – ein Auslaufmodell? Begründungen und Grundlagen religiöser Bildung in der Schule, Paderborn 2015, 189–195. 25 Vgl. Barbara Welzel, Kulturelles Erbe in einem Einwanderungsland. Einige Perspektiven kunsthistorisch-kultureller Bildung, in: Barbara Lutz-Sterzenbach (Hg.), Bildwelten remixed. Transkultur, Globalität, Diversity in kunstpädagogischen Feldern, Bielefeld 2013, 313–324. 26 Barbara Welzel, Kunstgeschichte und kulturelles Gedächtnis. Zur Integration historischer Kunstwerke in Bildungsprozesse, in: Klaus-Peter Busse/Karl-Josef Pazzini (Hg.), (Un)Vorhersehbares lernen. Kunst – Kultur – Bild, Norderstedt 2008, 161–169, hier 163. 27 Ebd., 168.

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auch Produktivität eines solchen Zugangs wurde 2009 in dem Streit um Navid Kermani deutlich, der aus muslimisch geprägter Perspektive die »Kreuzigung« von Guido Reni erschloss. In diesen »Verhandlungen« geht es nicht um das Wiederholen von tradierten Bedeutungszuschreibungen, sondern – wie bei Kermani – um deren lebendiges Fortschreiben, was auch eine Transformation kultureller Bedeutungen mit sich führen kann.28 Dies geschieht in der Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler bereits an vielen Orten. So zeigen Studien zu ästhetischen Selbstinszenierungen und Präferenzen von Jugendlichen, wie stark diese selbst von einem cultural remix29 geprägt sind, in dem auch Religion eine Rolle spielen kann. Wenn Kirchenräume zu »Verhandlungsorten« werden, dann sollen dort auch Religionsdistante »mitverhandeln«. Um diesen Lernort zu einem religionsdidaktisch sinnstiftenden Kontext zu transformieren, kann an kirchenraumpädagogischen Ansätzen angeknüpft werden, die mithilfe einer heterogenitätssensiblen Kunstgeschichtsdidaktik reflektiert und differenziert werden. Während die Kirchenraumpädagogik stark erfahrungs- und subjektorientiert, oft auch spirituell ausgerichtet ist,30 betont die Kunstgeschichtsdidaktik die Mehrperspektivität des Erschließungsprozesses. Kirchen sind z. B. auch Zeugnis sozialer, kultureller, lokaler oder globaler Praktiken, Teil kollektiver Erinnerungskultur, politisches, biografisches oder religiöses Zeugnis u. v. m. Kunstgeschichtsdidaktik bettet diese mehrperspektivischen Deutungen in kreative und forschende Lernprozesse ein und zielt auf einen individuellen Aneignungsprozess, der ggf. selbst künstlerisch-kulturell geprägt ist. Wird christliches Kulturerbe zu einem sinnstiftenden Kontext für Religionsdistante konkretisiert, dann ist die beschriebene Mehrperspektivität besonders zu berücksichtigen. Die von Käbisch angeführten Kriterien für Lernaufgaben können kulturelles Erbe als Lernkontext weiter spezifizieren (Kap. 2.3). So ist in Kirchenräumen insbesondere eine wechselnde Binnen- und Außenperspek28 Barbara Welzel, Ortsvermessung im Dialog mit der Kunstgeschichte: Kirchen als Überlieferungsträger Europas, in: Stefan Bork/Claudia Gärtner (Hg.), Kirchengeschichtsdidaktik. Verortungen zwischen Religionspädagogik, Kirchengeschichte und Geschichtsdidaktik, Stuttgart 2016, 62–78, hier 64–75. 29 Ansgar Schnurr, Remixing Culture. Ethnographische Skizze zu Probehandlungen türkischstämmiger Jugendlicher in den Zwischenräumen Online und Offline, in: Stephanie Geise/ Katharina Lobinger (Hg.), Bilder, Kulturen, Identitäten. Analysen zu einem Spannungsfeld Visueller Kommunikationsforschung, Köln 2012, 142–164, hier 160. 30 Vgl. Claudia Gärtner, Sehen – Forschen – Gestalten. Kirchengeschichtsdidaktik im Horizont künstlerisch-kultureller Bildung, in: Stefan Bork/Claudia Gärtner (Hg.), Kirchengeschichtsdidaktik. Verortungen zwischen Religionspädagogik, Kirchengeschichte, Geschichtsdidaktik und Kunstgeschichte, Stuttgart 2016, 129–142.

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tive auf religiöse Praxis, auf das unterschiedliche Denken, Fühlen und Handeln im Sakralraum sowie die Aufgabe, diese unterschiedlichen Perspektiven einzunehmen, von besonderer Bedeutung. 3.3 Kritisch-emanzipatorisches Potenzial von Religionen mit Religionsdistanten erschließen In den 1960er Jahren entwickelte sich ein problemorientierter Religionsunterricht, auch vor dem Hintergrund zunehmend religionsdistanter, -kritischer und atheistischer Schülerinnen und Schüler. In einer sich rasant verändernden Gesellschaft sollte Religionsunterricht zu einer (religions-)kritischen Reflexion gesellschaftlicher, individueller und religiöser Problemfelder beitragen und emanzipatorisches Potenzial freisetzen. Eine solche religionsdidaktische Grundausrichtung, die in den letzten Jahrzehnten nahezu in Vergessenheit geraten war, wird derzeit erneut diskutiert.31 Ein solcher Ansatz kann auch für Religionsdistante relevant und sinnstiftend werden. Denn dieser bezieht sich auf das Zentrum des jüdisch-christlichen Glaubens. »So bieten u. a. der präsentische Imperativ des Reich Gottes, der biblisch belegte Wille Gottes zur Freiheit des Menschen, die prophetische Tradition (des Alten Testaments) sowie die Verknüpfung von Gottes- und Nächstenliebe bis heute fruchtbare Orientierungshilfen zur Ausrichtung (praktisch-)theologischer Kritik.«32 Ein solcher Religionsunterricht ist somit genuin fachlich und konfessionell ausgerichtet, auch wenn diese Fachlichkeit für Religionsdistante auf den ersten Blick wenig Relevanz besitzen zu scheint. Diese kann sie erhalten, wenn die jüdisch-christliche Botschaft in ihrer kritischen Perspektive auf Welt und Gesellschaft bezogen wird, um diese im Horizont der christlichen Botschaft zu reflektieren. Zugleich wird aber auch Religion selbst kritisch hinterfragt und ist damit für religionskritische Schülerinnen und Schüler anschlussfähig. »Ein RU, der die religionskritische Seite religiöser Traditionen hervorhebt, kann einfacher ad extra plausibilisiert werden, gerade gegenüber einer atheistisch-säkularistischen Kritik.«33

31 Vgl. exemplarisch Jan-Hendrik Herbst, Ideologiekritik und Religionsunterricht. Zum unabgegoltenen Potenzial des ideologiekritischen Arguments für den konfessionellen Religionsunterricht, in: Religionspädagogische Beiträge 79/2018, 86–97; Themenheft Zeitschrift Pädagogik und Theologie 70/2018; Judith Könemann/Norbert Mette (Hg.), Bildung und Gerechtigkeit. Warum religiöse Bildung politisch sein muss, Ostfildern 2013; Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Religiöse Bildung in pluralen Lebenswelten, Stuttgart 2015. 32 Johannes Heger, Art. Ideologiekritik, in: WiReLex (2018) https://www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/100113/ (Zugriff am 19.9.2018). 33 Herbst, Ideologiekritik, 96.

Das ist für alle relevant!?

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Damit lässt sich ein kritisch-emanzipatorischer Religionsunterricht sowohl ad intra als auch ad extra legitimieren und erscheint auch für Religionsdistante relevant: enthemmter Kapitalismus, wachsende ökonomische Ungerechtigkeiten, ökologische Katastrophen, Ausbeutung von Humankapital, Selbstoptimierung u. v. m. können so zu Kontexten für religiöses Lernen werden. Werden diese Kontexte im Religionsunterricht religiös gedeutet, dann geschieht dies in der Perspektive eines genuin religiösen »fundamentalen Weltabstand[s …]. Alles, was in dieser Welt von Bedeutung ist, relativiert sich im Lichte dessen, was Gott den Menschen als Reich (basileia) verheißt.«34 Damit diese Perspektive gelingen kann, müssen jedoch die Lernvoraussetzungen von (religionsdistanten) Schülerinnen und Schülern berücksichtigt werden. Sie müssen lernen, die Eigenlogiken von Religion wahrzunehmen und zu verstehen, wozu es insbesondere einer expliziten Beschäftigung mit religiösen Erfahrungen und ihren Deutungsmustern, mit spezifisch religiösen Kommunikations- und Handlungsstrukturen bedarf (Kap. 2.2). Es benötigt eine Sensibilisierung für Religion und eine Ausbildung hermeneutischer Kompetenzen, auch um der Gefahr zu entgegnen, dass Religion nur funktional als Gesellschaftskritik verwendet wird. Hier verschränkt sich eine problemorientierte, kritisch-emanzipatorische Religionsdidaktik mit performativ-ästhetischen, hermeneutischen Ansätzen. »D. h. in eine religionshermeneutisch und ästhetisch-wahrnehmungsorientierte Matrix ist immer wieder eine Struktur von Problemorientierung einzuzeichnen, die den Dialog herausfordert und eine Form von Partizipationskompetenz ausbildet, sich in religiös-weltanschaulich relevanten Fragen begründet am Diskurs beteiligen zu können und für sich zu klären, warum religiöse Deutungsmuster und Praktiken für einen selbst in Frage kommen oder eben nicht.«35 Um dies zu erlernen, benötigen Schülerinnen und Schüler fachliches Wissen und Kompetenzen, die nicht immer direkt lebensweltlich rückgebunden sind (Kap. 2.2). Um Welt und Gesellschaft im Lichte der christlichen Botschaft kritisch zu reflektieren, um das emanzipatorische Potenzial zu entdecken, bedarf es eben u. a. auch der Einblicke in die mystisch-spirituellen, liturgischen, ästhetischen Dimensionen von Religion und deren Hermeneutik.

34 Rudolf Englert, Religionspädagogische Grundfragen. Anstöße zur Urteilsbildung, Stuttgart 2007, 297. 35 Kumlehn, Indifferenz, 301 f.

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Als Fazit für einen Religionsunterricht mit Religionsdistanten kann daher auf Käbisch verwiesen werden, der für religiöses Lernen mit Konfessionslosen resümiert: »Fazit: Die hermeneutische Fähigkeit, andere Menschen und sich selbst vom Anderen her in der Vielfalt religiöser und nichtreligiöser Lebensformen und Lebensorientierungen zu verstehen, durchzieht alle genannten Aufgabenfelder. Bei der Konstruktion von Aufgaben für das gemeinsame Lernen mit Konfessionslosen kam daher den zu erwerbenden hermeneutischen Kompetenzen eine Schlüsselstellung zu«36.

Dr. Claudia Gärtner ist Professorin für Praktische Theologie an der Technischen Universität Dortmund.

36 Käbisch, Religionsunterricht, 305.

Religionsunterricht mit Kindern ohne religiöse Sozialisation – Impulse für den Religionsunterricht in der Grundschule Susanne Schwarz und Ulrike Witten

1 Einleitung Zwar werden Lernende ohne religiöse Sozialisation religionspädagogisch und  -didaktisch konzeptionell inzwischen stärker berücksichtigt, Grundschulkinder werden dabei jedoch noch wenig explizit bedacht. Eine schulformbezogene religionsdidaktische Reflexion ist jedoch aus entwicklungs- und lernpsychologischen Gründen angeraten. Die bereits vorliegenden Forschungsbefunde zu Lernenden ohne religiöse Sozialisation lassen sich nur ansatzweise auf den Religionsunterricht in der Grundschule transferieren, denn Atheismus, die fehlende Bereitschaft, sich auf theologische Denkfiguren einzulassen, religiöses Desinteresse und die reflektierende Gegenüberstellung von nichtreligiösen und religiösen Weltsichten sind eher jugendbezogene Herausforderungen. Stattdessen kann davon ausgegangen werden, dass das religionsbezogene Interesse der Grundschülerinnen und -schüler höher ist, dass sie über religiöse Fragen unbefangener kommunizieren (wollen), dass sie ein großes Interesse an biblischen Geschichten haben und diese, wie auch Symbole, Metaphern und Gleichnisse, zunächst mythisch-wörtlich verstehen.1 Die religionsdidaktische Aufgabe besteht in diesem Artikel darin, die Teilnahme konfessionsloser und/oder nicht religiös sozialisierter Grundschülerinnen und -schüler2 am Religionsunterricht zu bedenken und Impulse für einen subjektorientierten Religionsunterricht zu formulieren, mit dem die Ziele religiöser Bildung verwirklicht werden können. Zunächst geben wir einen Überblick über empirische Befunde, bevor wir religionsdidaktische Vorschläge für das Lernen mit konfessionslosen Grundschü1 Evangelische Kirche in Deutschland (Hg), Religion in der Grundschule, Hannover 2000, https://www.ekd.de/rugrundschule_2000_inhalt.html (Zugriff am 10.4.2019). 2 Präziser wäre es, die unter dem Begriff gefassten religionsbezogenen Voraussetzungen zu differenzieren. Wir fassen in diesem Artikel unter dem formal unterscheidenden Begriff über diesen hinausgehend all jene Grundschülerinnen und -schüler, die sich selbst als nichtreligiös verstehen und/oder wenig Wissen und keine Erfahrungen mit Religion aus ihrer Sicht mitbringen.

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lerinnen und -schülern reflektieren, um schließlich anhand der didaktischen W-Fragen und an dem klassischen religionsunterrichtlichen Thema Jesus Christus exemplarisch religionsdidaktische Konkretionen zu formulieren.

2 Empirische Perspektiven Um zu verstehen, wie konfessionslose Lernende den Religionsunterricht und die mit ihm verbundenen Dimensionen wahrnehmen, sich aneignen und beurteilen, ist es notwendig, empirisch erfasste Selbstäußerungen von ihnen zu betrachten. Bislang liegen jedoch keine empirischen Studien vor, in denen deren Perspektiven explizit erforscht worden sind. Deshalb stützen wir uns auf Einzelbefunde in Studien mit anderen Fragestellungen, anhand derer etwas über die hier interessierenden Voraussetzungen erfahren werden kann. Zwar gibt es nicht nur im Bereich der Kindertheologie und im Zusammenhang mit den in Rostock entstandenen Arbeiten zu religionsbezogenen Vorstellungen von Kindern im konfessionslosen Umfeld Studienmaterial, gleichwohl ist dabei jedoch eher das Interesse leitend, religiöse Spuren zu entdecken und zu zeigen, dass alle Kinder als Theologen verstanden werden können. Nichtreligiöse Vorstellungen werden in dem Zusammenhang kaum thematisiert und somit implizit eher aus einer Defizitperspektive wahrgenommen. Wir systematisieren die eruierten Einzelbefunde in Bezug auf die religionsdidaktischen Aufgaben, die sich u. E. darin zeigen. 2.1 W  oher gewinnen nichtreligiös Sozialisierte ihr Wissen und wie stehen sie zum Gegenstand? Sowohl in Helmut Hanischs Untersuchung zu Gottesbildern von religiös und nichtreligiös erzogenen Lernenden,3 in Lynn Schofield Clarks Studie zur Prägekraft von Medien4 als auch der Arbeit von Sarah Demmrich5 zu Ritualen von 3 Vgl. Helmut Hanisch, Die zeichnerische Entwicklung des Gottesbildes. Eine empirische Vergleichsuntersuchung mit religiös und nichtreligiös Erzogenen im Alter von 7–16 Jahren, Stuttgart/Leipzig 1996. 4 Vgl. den empirischen Forschungsüberblick bei Manfred L. Pirner, Religiöse Mediensozia­ lisation. Wie die Medien die Religiosität von Kindern und Jugendlichen beeinflussen, in: Rudolf Englert/Helga Kohler-Spiegel/Elisabeth Naurath/Bernd Schröder/Friedrich Schweitzer (Hg.), Gott googeln? Multimedia und Religion (Jahrbuch der Religionspädagogik 28), Neukirchen-Vluyn 2012, 59–69, 64. 5 Sarah Demmrich, Religiosität und Rituale. Empirische Untersuchungen an ostdeutschen Jugendlichen (Arbeiten zur Praktischen Theologie 62), Leipzig 2016.

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konfessionslosen Jugendlichen lassen sich Hinweise darauf erkennen, dass nicht religiös sozialisierte Schülerinnen und Schüler ihr religiöses Wissen zuerst (und zum Teil eher unbewusst) in medialen und schulischen Kontexten erwerben. Käbisch hat darauf verwiesen, dass die medial vermittelten Informationen über Religion oft konfliktbehaftet sein können.6 Anhand der Äußerungen von nicht religiös Sozialisierten zu ihren Gotteszeichnungen in Hanischs Studie zeigt sich außerdem, dass diese nicht nur häufiger als religiös sozialisierte Lernende darauf verweisen, woher sie die ihren Zeichnungen zugrundeliegenden Vorstellungen haben, sondern auch Distanz gegenüber diesen Vorstellungen und den damit verbundenen Inhalten wahrnehmen und artikulieren.7 Beide Aspekte zeigen, dass nichtreligiös sozialisierte Schülerinnen und Schüler auf religionsbezogenes Wissen außerhalb des familiären und kirchlichen Bereiches angewiesen sind. Die Adaption und Rezeption des medial und/oder schulisch vermittelten religionsbezogenen Wissens ist dabei abhängig von Art und Inhalt der Präsentation von Religion wie auch von den persönlichen Dispositionen des Grundschulkindes und erfolgt ohne die Einbettung in eine persönliche Beziehungsstruktur oder innerhalb einer kommunikativen Praxis, wie sie für eine explizite religiöse Erziehung üblich sein kann.8 Von daher erklärt sich die von den Schülerinnen und Schülern identifizierte Distanz zu den religiösen Inhalten und Gegenständen, welche ihnen als etwas »Äußerliches« und eher Unvertrautes begegnen. Religionsdidaktisch zu beachten sind demnach die unterschiedlichen Vorkenntnisse, Zugangsweisen und Beziehungen zu den Lerngegenständen des Religionsunterrichts. 2.2 Teilhabeprozesse im Religionsunterricht Aufschlussreich ist eine qualitative Feldstudie von Barbara Asbrand,9 in der sie den Hamburger Religionsunterricht für alle im Grundschulalter untersucht. Für unsere Frage weiterführend waren jene Passagen, in denen die Autorin auf das 6 David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 14), Tübingen 2014, 61 ff. u. ö. 7 Vgl. Hanisch, Zeichnerische Entwicklung, 129; 134; 138; 145; 153; 157; 159; 164; 176; 188; 191; 192. 8 Vgl. Michael Domsgen, Mit Kindern von Gott reden – wie kann man das? In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 3 (2005), 272–284, 274 ff. 9 Vgl. Barbara Asbrand, Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht. Eine empirische Studie zur grundschulpädagogischen Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts im Klassenverband der Grundschule, Göttingen 2008, 100 ff. u. ö.

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Beteiligungsverhalten von konfessionslosen Lernenden aufmerksam wurde, wenn es im Religionsunterricht um die Kommunikation religiösen »Insiderwissens« und religiöser Erfahrungen ging. So zeigt sich in jenen Ausschnitten zum Religionsunterricht, dass – normalerweise aktiv mitarbeitende – nichtreligiöse Schülerinnen und Schüler in diesen Situationen Frustrationserfahrungen machten, weil sie sich nicht mit eigenem religionsbezogenen »Insiderwissen« oder religiösen Erfahrungen einbringen konnten. Auf die Schilderungen religiöser Schülerinnen und Schüler reagierten sie zum Teil gelangweilt und/oder auch mit Ablehnung. Eine zweite wichtige Beobachtung Asbrands bezieht sich auf die Ambivalenzen, die mit der angetragenen Rolle als Repräsentantin einer Religion verbunden sind, weil dies zu vorschnellen und binären Identitätszuschreibungen führen kann. Für einen erfahrungsbezogenen und subjektorientierten Religionsunterricht sind beide Beobachtungen wichtig, weil unterschiedliche Vorerfahrungen und Vorkenntnisse mit verschiedenen Beteiligungschancen einhergehen und den entwicklungs- wie motivationspsychologisch gut begründeten Bedürfnissen nach Kompetenzerleben und sozialer Einbindung möglicherweise nicht gleichermaßen entsprochen werden kann. Mit der zweiten Beobachtung wird auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass durch ungleiche Beteiligungschancen die Beziehungen zwischen den Lernenden gefährdet und Othering-­Prozesse begünstigt werden können.

3 Diskussion fachdidaktischer Impulse für den Religions­ unterricht mit Konfessionslosen an der Grundschule Forschungsperspektiven zu Konfessionslosigkeit im Religionsunterricht beziehen sich nicht explizit auf das Grundschulalter, bieten zum Teil aber grundschulspezifische Hinweise. Drei didaktische Impulse werden aufgegriffen und hier kurz skizziert. Käbisch plädiert in seiner fachdidaktischen Grundlegung zum gemeinsamen Lernen mit Konfessionslosen im Religionsunterricht für eine Didaktik des Perspektivenwechsels zwischen religiösen und nichtreligiösen Lebensformen. So sollte bereits im Grundschulalter mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung religiöser und nichtreligiöser Lebensformen begonnen werden. Dazu seien Aufgabenformate zu konzipieren, mit deren Hilfe die Kinder eine einfache selbstreflexive Perspektivenübernahme einüben können.10 10 Vgl. Käbisch, Religionsunterricht.

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Mit den Herausforderungen theologischer Gespräche für Konfessionslose setzt sich Frank Lütze11 auseinander. Die Herausforderungen bestünden demnach nicht auf der Wissens- oder auf der Glaubensebene, sondern in dem »mangelnde(n) Wirklichkeitsbezug einer theologischen Denkfigur«12. Theologisieren aber bräuchte den Kontakt zur Wirklichkeit, um religiös bildungsrelevant zu werden. Den Schlüssel dazu sieht er im Erschließen der religiösen Relevanz. Eine Möglichkeit bestünde im Anschluss an Heinrich Roth in der »Zurückverwandlung« – tote Sachverhalte sollen in lebendige Gegenstände zurückverwandelt werden, aus denen sie entsprungen sind, z. B. Lösungen in Aufgaben. Um allen Zugang zu ermöglichen, sollten außerdem anthropologische Grundfragen vor theologische Fragen gestellt werden, um damit »allererst einen religiösen wie nichtreligiösen Schülern gemeinsamen, als real erlebten Boden zu bereiten.«13 Ein dritter Vorschlag zielt darauf, den Lernenden Begegnungen mit gelebter Religion und mit Menschen zu ermöglichen, die ihr Leben und ihre Erfahrungen religiös deuten. Aufgrund ihrer oben angedeuteten Ergebnisse aus den Feldstudien präsentiert Asbrand,14 zwar mit Blick auf das Hamburger Modell und eher religionskundlich orientiert, Impulse, die auch für den Religionsunterricht mit konfessionslosen Grundschülerinnen und -schülern bedenkenswert sind. In Bezug auf die religionsbezogenen Unterschiede zwischen den Lernenden plädiert sie dafür, Differenz eher indirekt zu thematisieren und die Kinder nicht zu Repräsentanten der eigenen Religion/Nichtreligion zu machen, um Othering-Prozesse und binäre Identitätskonstruktionen zu vermeiden. Demgegenüber schlägt sie vor, alle Kinder an einer Gesprächs- und Erzählkultur teilhaben zu lassen, vor allem Gemeinsames zu thematisieren – wozu existenzielle religiöse Fragen gehören –, Neugier gegenüber religiösen Phänomenen und Geschichten sowie ethische Fragen zum Zusammenleben. Konkret würde das gemeinsame Interesse an einem Thema genutzt und der Gegenstand in vielfältigen religiösen Bezügen präsentiert. Weiterführend sei es außerdem, bei den Beziehungen 11 Frank M. Lütze, »Jesus hat sich ans Kreuz nageln lassen, weil er voll hinter seiner Weltanschauung stand.« Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen, in: Gerhard Büttner (Hg.), »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles«. Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus (Jahrbuch für Kindertheologie 2014), Stuttgart 2014, 76–82, 81. 12 Frank M. Lütze, Die Lichterkrippe als Bekenntnis. Beobachtung zu Weihnachtswissen und  -deutungen ostdeutscher Jugendlicher, in: Hanna Roose/Gerhard Büttner/Thomas Schlag (Hg.), »Es ist schwer einzuschätzen, wo man steht«. Jugend und Bibel (Jahrbuch für Kinderund Jugendtheologie 2), Stuttgart 2018, 132–141, 140. 13 Ebd. 14 Asbrand, Zusammen.

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der Kinder anzusetzen. So sollten Gemeinsamkeiten auf der Ebene der Beziehungen ermöglicht und dadurch ein Umgang auf der Ebene der Pluralität der Religiosität vorbereitet werden. Kritisch setzt sich Asbrand außerdem mit der Möglichkeit auseinander, im Religionsunterricht religiös (kompensatorisch) zu erziehen oder religiöse Erfahrungen zu ermöglichen. Zurecht entlastet ihr Plädoyer den Religionsunterricht und religiöse Lehrkräfte insofern, als die Aufgabe des Religionsunterrichts weder darin besteht, das Fehlen zu kompensieren (vielmehr ist seine Aufgabe die der religiösen Bildung), noch darin, religiöse Erfahrungen anzubahnen. Realistischer sei es, von Begegnungen oder Erfahrungen mit Religion zu sprechen. Setzt man die empirischen Vorüberlegungen (2.) zu den religionsdidaktischen Impulsen (3.) ins Verhältnis, zeigt sich, dass die empirischen Einzelbefunde Unterschiede zwischen religiös und nichtreligiös sozialisierten Schülerinnen und Schülern auf der religionsbezogenen Wissens-, Beziehungs-, Praxis- und Erfahrungsebene sichtbar machen. Die skizzierten religionsdidaktischen Impulse schlagen entweder eine explizite Thematisierung vor, wenn für die Einübung in einen Perspektivenwechsel und die Förderung der Unterscheidungsfähigkeit plädiert wird, oder aber empfehlen eine eher indirekte Thematisierung auf Basis einer am Gemeinsamen orientierten Beziehungsarbeit. Die Unterschiede auf der Beziehungs-, Praxis- und Erfahrungsebene werden teilweise adressiert, wenn der Zugang über anthropologische Fragen und der Bezug auf die Relevanzfrage eingefordert wird, wiewohl offenbleibt, worin die Relevanz für die nicht religiös Sozialisierten bestehen kann. Aufgrund empirischer Einzelbefunde wird die Möglichkeit, religiöse Erfahrungen zu machen, eher zurückhaltend bewertet und realistischer wie sachangemessenerer befürwortet, Erfahrungen mit Religion anbieten und machen zu können.

4 Religionsdidaktische Vorschläge für den Religionsunterricht mit nicht religiös sozialisierten Kindern an der Grundschule In Aufnahme der gewonnenen vorläufigen Erkenntnisse werden religionsdidaktische Konkretionen exemplarisch aufgezeigt an einem zentralen religionsunterrichtlichen Thema – Jesus Christus – und strukturell zusammengehalten unter Bezugnahme auf didaktisch relevante W-Fragen.15

15 Wir beschränken uns für unsere Fragestellung auf sechs der neun klassischen W-Fragen.

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4.1 Was soll/kann am Thema Jesus Christus gelernt werden? Damit Schülerinnen und Schüler ohne religiöse Sozialisation etwas am Thema Jesus Christus lernen können, ist zur Orientierung mit der Unterscheidung zwischen historischem Jesus und verkündigtem Christus bzw. mit dem erinnerten Jesus vertraut zu machen. Das ermöglicht ihnen die Einsicht, dass Christsein nicht meint, man müsse schwer erklärbare fantastische Geschichten glauben, und zeigt in Grundzügen auf, wie wissenschaftlich-theologisch Erkenntnisse gewonnen werden. Diese Unterscheidung umfasst Sachwissen zum historischen Jesus, d. h. Einsicht in die Perspektivität der Quellen, Grundinformationen zu Jesu Umwelt, Wirkungsorte und -zeit sowie Jesu Auftreten und Wirken (Geburt, Taufe, Jesus als Erzähler und als Wundertäter, Mahlpraxis, Passion und Auferstehung). Zugleich ist christologischen Fragen Raum zu geben. Denn während die Vorstellung von Jesus als einem guten Menschen, der anderen geholfen hat, für Konfessionslose noch gut nachvollziehbar ist, fordern christologische Bekenntnisse der Gottessohnschaft oder des Sühnetodes durch ihre Unverständlichkeit besonders heraus. Um zu vermeiden, dass diese Bekenntnisse als etwas, »was man als Christin eben glauben muss«, abgehakt werden, ist es erforderlich, für diese Perspektive zu werben. Dazu bietet es sich erstens an, die Verwunderung über Jesu Tun, die sich in biblischen Texten widerspiegelt, wenn die Umstehenden fragen »Wer ist dieser …?«16 (Mk 4,41; Lk 7,49; 8,25; Joh 12,34), zu kommunizieren und auf diese Weise zu verdeutlichen, dass auch für Gläubige damit Verwunderung verbunden ist. Zweitens sind die Hoffnungen und die Sehnsüchte, wie sie sich z. B. im Reich-Gottes-Topos ausdrücken, zu thematisieren. Mit dem sich-Wundern und den Hoffnungen werden zwei anthropologische Zugänge mit der Christologie verbunden, die auch für konfessionslose Kinder anschlussfähig sein können, weil sie Sehnsucht nach Veränderung oder Hoffnungslosigkeit kennen und diese Gefühle für die Gegenwart bedeutsam sind. Über die Frage »Wer ist Jesus?« lassen sich unterschiedliche Perspektiven einspielen, und es wird möglich, zwischen ihnen zu wechseln, z. B. indem die Lernenden sich mit Positionen auseinandersetzen, die eher einen ethischen Jesus vertreten, oder mit Positionen, die Jesus Heilsbedeutung zuweisen. Auch Christologien, die allen mehrheitlich fremd sind, wie z. B. Perspektiven aus Afrika,17 können zum Nachdenken anregen. 16 Vgl. dazu Anne Klaaßen (Hg.), Kompetenzorientierter Religionsunterricht in der Grundschule. Beispiele aus der Praxis, Braunschweig 2013, 31–55. 17 Henrik Simojoki, Christus in Afrika. Wie anderswo geglaubt wird, in: Rudolf Englert/Friedrich Schweitzer (Hg.), Jesus als Christus – im Religionsunterricht. Experimentelle Zugänge zu einer Didaktik der Christologie, Göttingen 2017, 220–231.

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Bezüge zur Lebenswelt lassen sich über das Schuljahr, die Ferien sowie die Feiertage herstellen, und es ist sinnvoll, nach Präsentationen von Jesus Christus im Umfeld der Lernenden zu suchen und Zusammenhänge herzustellen, z. B. zwischen dem Tod Jesu und dem Opfermotiv in Literatur und Filmen, wie es in König der Löwen oder Harry Potter zu finden ist. 4.2 Reflexion über die Lernprozesse konfessionsloser Kinder Religionsdidaktische Entscheidungen über das Wann thematischer Schwerpunkte und Zugänge hängen ab von entwicklungspsychologischen Voraussetzungen, lerntheoretischen und lernpsychologischen Möglichkeiten sowie den curricularen Rahmenbedingungen. Entwicklungspsychologisch ist offen, wie mythisch-wörtliches Verstehen und die Tendenz zu finalistisch-artifizialistischem Denken im Grundschulalter oder die zum Teil noch nicht ausreichende Differenzierung zwischen Gott und Jesus bei nichtreligiös sozialisierten Kindern in Bezug auf christologische Fragestellungen und die Rezeption neutestamentlicher Geschichten zu denken sind. Zu vermuten ist, dass sich die Rezeption aufgrund der fehlenden inneren Beziehung zum Gegenstand nicht unterscheidet von der Rezeption anderer literarischer Texte. Anzunehmen ist außerdem, dass Konfessionslose sich den Fragen nach Gott und Jesus Christus aus einer Außenperspektive annähern und vor allem die mit ihnen verbundenen ethischen und anthropologischen Fragen mit ihrer Lebenswelt verknüpfen können, während sie theologischen Fragen aus Neugier eher auf der spekulativen Ebene nachgehen, wie sie dies zum Beispiel auch bei Fantasyfiguren tun würden. Lerntheoretisch bedeutsam ist, dass religiös sozialisierte Lernende mit einigen biblischen Geschichten von Jesus vertraut sind und eine persönliche Beziehung zum Gegenstand mitbringen können, während nichtreligiös Sozialisierte weder über einen Geschichtenpool noch über eine persönliche Beziehung zum Gegenstand verfügen, wenngleich zu vermuten ist, dass Grundschulkinder über den Kindergarten und/oder über die Medien Vorkenntnisse erworben haben können.18 Lernpsychologisch und deshalb auch bildungstheoretisch relevant ist jedoch, dass die Rolle des Vorwissens für den schulischen Lernerfolg groß ist, dass ein persönlicher Bezug zum Gegenstand das Lerninteresse, und damit auch den Lernerfolg begünstigt und dass umfangreicheres (Vor-)Wissen auch 18 Ob es jedoch aufgrund des unterschiedlichen Vorkenntnisstandes und der unterschiedlichen Beziehungen zum Lerngegenstand lernpsychologisch angemessen ist, von Expertinnen und Novizen für die (Teil-)Domäne Jesus Christus/Christologie zu sprechen, kann hier nicht beantwortet werden.

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differenziertere Denkoperationen begünstigt.19 Gleichzeitig ist zwischen Wissen und Denken zu unterscheiden, und so ist auch christologisches Denken nicht unabhängig von entwicklungspsychologischen Bedingungen.20 Religionsdidaktisch ist unmittelbar einsichtig, dass insbesondere die Lernenden mit weniger oder gar keinem Vorwissen zunächst auf ein Angebot an materialem Wissen zu Jesus Christus angewiesen sind, das entweder so präsentiert und eingeführt werden kann, dass die Lernenden mit mehr Vorwissen gleichzeitig die Chance erhalten, dem Bekannten neu zu begegnen, es zu strukturieren oder stärker zu vernetzen. Materiales Wissen ist Voraussetzung für differenzierte (christologiebezogene) Denkprozesse.21 Weiterführend wird es sein, sowohl narrativ als auch abstrahierend zu arbeiten. Der narrative Zugang bietet sich aus entwicklungs- wie aus lernpsychologischer Perspektive für den Wissensaufbau, die Zugänglichkeit und die Behaltensleistungen vor allem bei nicht religiös sozialisierten Kindern22 an und kann Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit theologischen Aspekten der biblischen Geschichten und darüber hinausgehende christologische Fragestellungen sein. Um dem vorhandenen Geschichtenvorwissen der religiösen Schülerinnen und Schüler zu begegnen, können die Geschichten zum einen aus anderer Perspektive angeboten und können Jesusgeschichten unterschiedlicher Evangelien miteinander verglichen werden. So kann gleichzeitig auch der von Roose angemerkten Tendenz zur Vereinheitlichung des Jesusbildes begegnet werden.23 Prinzipiell kann auch im Religionsunterricht mit konfessionslosen Lernenden über christologische Fragen nachgedacht werden. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass sich alle Grundschulkinder inhaltlich gleichermaßen am Gespräch und gemeinsamem Nachdenken beteiligen können. Mit Lütze sollte schließlich auch eruiert werden, inwiefern und welche christologischen Fragen gerade auch die konfessionslosen Kinder mit Blick auf Jesus Christus bewegen. Bei Grundschulkindern muss jedoch nicht, wie Lütze schreibt, immer erst von 19 Vgl. Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern: Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2012, 207 ff.; 398; 408; darauf verweisen auch bisherige Schülerund Schülerinnenstudien zum Religionsunterricht, vgl. Susanne Schwarz/Adriane Dörnhöfer, SchülerInnenperspektiven auf den evangelischen Religionsunterricht in Bayern, ausgewählte Ergebnisse, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 1 (2016), 205–243; Michael Domsgen/Frank Lütze, Schülerperspektiven zum Religionsunterricht, Leipzig, 2010. 20 Vgl. Näheres dazu bei Gerhard Büttner/Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik, Göttingen 2013, 191–206. 21 Vgl. Zimmermann, Kindertheologie. 22 Vgl. Elisabeth Hennecke, Was lernen Kinder im Religionsunterricht? Eine fallbezogene und thematische Analyse kindlicher Rezeptionen von Religionsunterricht, Bad Heilbrunn 2012. 23 Vgl. Roose, Jesus Christus.

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anthropologischen Fragen ausgegangen werden, da die bei den meisten vorhandene Neugier, die Freude an kognitiven Herausforderungen und der Wunsch, sich auch im Gespräch als kompetent zu erleben, diese Art der Gespräche als lohnenswert erscheinen lassen. Für den Wissensaufbau und die Förderung theologischen, christologischen wie auch ethischen Denkens kann die alljährliche Bezugnahme auf das Kirchenjahr als theologisches Scaffolding wertvolle Hilfe leisten, weil christologiebezogener Wissenserwerb und Denkprozesse spiralförmig gefördert werden können und dadurch den Lernenden eine wichtige Strukturierungsmöglichkeit mit hohem Erinnerungswert und Lebensweltbezug zur Verfügung steht. In religionsdidaktischer Hinsicht ist hier darauf zu achten, dass die religiös sozialisierten Kinder nicht immer wieder als Repräsentanten ihrer Religion fungieren. Hier kommt es auf die differenzierte Wahl an Zugängen zu privaten Feierriten in Korrelation mit den theologischen Deutungen und Traditionen an, die Teilhabe ermöglicht und Impulse für religiöse wie auch nichtreligiöse Feier- und Deutepraxen vermittelt. 4.3 »Auf Anfang« – voraussetzungslose und fragenorientierte Lernwege Aus den vorhergehenden Überlegungen ergibt sich notwendig, dass Methoden zu wählen sind, die Unterschiede in Vorwissen, Vorerfahrungen, Interesse und Verstehen der Lernenden berücksichtigen und Zugänge zum Thema schaffen. So sollte bspw. die Lernausgangslage eher nicht in einem gemeinsamen Gespräch zu Jesus Christus bestimmt werden, indem die Lehrkraft erfragt, was die Lernenden schon wissen, sondern es ist offener zu fragen. Z. B. können sich die Lernenden von ausliegenden Bildern eines aussuchen, das sie anspricht, und ihre Fragen zum Thema Jesus Christus sammeln. Fragen sind als gut und wertvoll wertzuschätzen, damit Lernende sich getrauen, diese zu stellen. Es muss deutlich kommuniziert werden, dass es im Religionsunterricht nicht darum geht, scheinbare Richtigkeiten oder sozial erwünschte Antworten zu geben, sondern dass es sinnvoll ist, das Sperrige und Unverständliche zu thematisieren, und dass gerade auch Unverständnis oder Zweifel etwas sind, was die Lernprozesse aller fördern kann. Jedoch sollten konfessionslos Sozialisierte nicht auf die Rolle der Stichwortgeber reduziert werden, sondern die Möglichkeit erhalten, selbst Experten sein zu können, indem sie z. B. ein Thema eigenständig vertieft bearbeiten. Das reiche Methodenrepertoire des Religionsunterrichts sollte ausgeschöpft werden, um über für alle gleichermaßen neue und ungewohnte Bilder, Geschichten oder spielerische Wege auf der Handlungsebene gleiche Voraussetzungen

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zu schaffen. Bekommen die Lernenden z. B. die Aufgabe, sich durch Gestalten eines Standbildes mit der Frage nach einem Gott, der Jesus am Kreuz sterben lässt, auseinanderzusetzen, stehen alle Lernenden vor einer für sie gleichermaßen neuen Aufgabe. Diese können sie durch Einbringen ihrer je unterschiedlichen Voraussetzungen bewältigen. Während eine allein kognitive Ausrichtung dazu führen kann, dass Kinder, die mit den Themen und Zugangsweisen schon vertraut sind, sich einbringen, und andere, für die das neu ist, sich zurückgesetzt fühlen, wird durch für alle neue Zugangsweisen eine gleichberechtigtere Teilhabemöglichkeit geschaffen, die zudem eine aktive Auseinandersetzung ermöglicht. Förderlich ist eine mehrdimensionale Herangehensweise, mit der die Bedeutung des eigenen Nachdenkens und Handelns betont wird und auch religiös Sozialisierte einem neuen Zugang bzw. Irritationen zum Bekannten begegnen. Religion ist auf Praxis bezogen, und es sollte auch im Raum Schule die Möglichkeit geben, an dieser Praxis zu partizipieren. Eine ungelöste Frage ist, wie mit religiöser Praxis im Hinblick auf nicht religiös Sozialisierte im Religionsunterricht der Grundschule umzugehen ist, denn angesichts sozialen Drucks ist der Verweis auf die Freiwilligkeit von Angeboten, wenn z. B. gebetet wird, nur scheinbar. Ebenso sind empirisch implizit vorhandene Voraussetzungen und dadurch entstehende Barrieren zu prüfen. 4.4 Von und mit wem soll gelernt werden? Für nichtreligiöse Lernende können Religionslehrkräfte als Vertreterinnen einer bestimmten Religion die Erstkontakte mit personal gelebter Religion sein, ihnen kommt als religionsbezogenen Repräsentantinnen eine besonders wichtige Rolle für den religiösen Lernprozess nichtreligiöser Schülerinnen und Schüler zu. Ihr gelebtes und gelehrtes Verhältnis zum Gegenstand des Lernens fungiert als Modell, zu dem sich die Lernenden ins Verhältnis setzen. Nicht nur vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, weitere Repräsentanten gelebter Religion in den Religionsunterricht einzuladen, um Chancen zum Kennenlernen von religionsbezogenen Handlungs- und Lebensfeldern anzubieten sowie die Vielgestaltigkeit von Religion sichtbar zu machen. Asbrand hat mit ihrer Studie auf die Herausforderung der angetragenen Repräsentanz einer Religion unter Grundschulkindern hingewiesen. Um Othering-Prozesse zu vermeiden, gleichzeitig aber Lernchancen zu nutzen, bieten sich kooperative Lernformen an, mit denen die Lernenden ihre religiösen, nichtreligiösen, indifferenten u. a. Deute- und Erfahrungsperspektiven immer wieder austauschen dürfen. Dieser Austausch kann sich auf christologische Fragen nach der Macht, der Natur, dem Verhältnis zwischen Gott und Jesus und der aktuellen Bedeutung von

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Jesus Christus für einen selbst oder für andere beziehen. Entlang der sozialen Beziehungslinie, die über das gemeinsame Bewältigen von Aufgaben unterstützt wird, können wechselseitige Perspektivenwechsel angebahnt werden. Die Per­ spektiven der Mitlernenden müssen u. E. hier jedoch (noch) nicht als christlich/ nichtchristlich, religiös/nichtreligiös kategorisiert werden, wiewohl ein Differenzbewusstsein in Bezug auf außerschulische Gäste, die Lehrkraft und andere Perspektivenangebote durchaus angebahnt werden kann, um die religionsbezogene Differenzkompetenz zu fördern. 4.5 Mediale Repräsentanz von Religion berücksichtigen Medien stellen für Konfessionslose einen wichtigen Lernort für Religion dar, weshalb die religionsbezogene Mediensozialisation im Unterricht zu berücksichtigen ist. Es ist sinnvoll, mit den Kindern darüber in den Austausch zu treten, woher sie ihre Bilder, Vorstellungen und Fragen haben. Dabei sind die Bilder, die Kinder von Jesus Christus erhalten, in Abhängigkeit von ihrer Mediennutzung recht unterschiedlich: Die Sendung mit der Maus oder ähnliche eher auf Sachwissen abzielende Formate transportieren andere Vorstellungen von Religion als z. B. Die Simpsons oder Gregs Tagebuch. Als Medien für die Lernenden können Lehrkräfte über die Anschaffung einer Schul-Bibel nachdenken. Darüber hinaus sind Chancen von Medien, in denen Religion nicht auf klassische Weise präsentiert wird, zu nutzen, weil sie aus der Lebenswelt konfessionslos Sozialisierter stammen und die Verknüpfung von Religion mit ihrer Lebenswelt sichtbar werden lassen und auch religiösen Kindern einen neuen anregenden Zugang zum »Altbekannten« ermöglichen. Für das Thema Jesus Christus sind als Medien, die auch für eher nicht religiös Sozialisierte zum Lerngegenstand werden können, z. B. die Krippe von Playmobil oder auch das Kinderbuch Das Weihnachtskind24, das bei dem Fest und bei der Geburt eines Kindes ansetzt, zu empfehlen. 4.6 Warum und wozu sich mit Jesus Christus auseinandersetzen? Die Zentralstellung des Themas »Jesus Christus« lässt sich aus theologischer Perspektive, aus dem Profil des christlichen Religionsunterrichts sowie ausgehend von Überlegungen zur Allgemeinbildung relativ leicht begründen. Aber wie sieht es aus, wenn man diese Frage auf die Perspektive der konfessionslosen Schülerinnen und Schülern bezieht? 24 Rose Lagercrantz/Jutta Bauer, Das Weihnachtskind, Frankfurt a. M. 2015.

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Religiöse Traditionen werden im Religionsunterricht nicht als Selbstzweck behandelt, sondern sie sollen zur Ressource der Orientierung für Kinder und Jugendliche werden.25 Die Geschichten von Jesus Christus enthalten Potenzial für Orientierung sowie für Irritationen: Es durchbricht menschliche Vorstellungen von der Welt und wie sie funktioniert, wenn der erhoffte Messias schutz- und hilflos als Kind in die Welt kommt oder wenn Jesus Tote zum Leben erweckt. Jesu Gleichnisse irritieren menschliche Vorstellungen von Gerechtigkeit, präsentieren Gegenbilder zum sonst Üblichen, und dass Gott in Jesus am Kreuz als Mensch grausam stirbt und danach wiedererscheint, stellt Menschen bis heute vor denkerische Herausforderungen. Für Kinder ohne religiöse Sozialisation stellt gerade Jesus Christus ein Thema dar, das ihnen in ihrer Lebenswelt über Feiertage, medial oder durch Symbole im öffentlichen Raum begegnet. Damit verbundene Fragen sind im Religionsunterricht zu klären, z. B.: »Ist das Kreuz ein Zeichen für den Tod, weil es auf Friedhöfen zu sehen ist?« »Ist das Christentum wirklich so, wie es in Gregs Tagebuch dargestellt wird?« Dabei ist nicht nur beim Sachwissen stehenzubleiben, sondern die damit verbundene Sinnfrage zu thematisieren. Insbesondere für Konfessionslose gilt es, die Orientierungen, die Hoffnungen, die Zuversicht usw., die Menschen in ihrem Vertrauen auf Jesus Christus gewinnen, sowohl transparent zu machen als auch zu eigenen Orientierungen, Hoffnungen und Fragen in Beziehung zu setzen.

5 Ausblick und Desiderate Der Schwerpunkt der Betrachtungen lag bislang auf dem Religionsunterricht. Es muss aber im Blick sein, dass religiöse Bildung nicht nur religionsdidaktisch betrachtet werden kann. Wünschenswert wäre ein schulischer Kontext, der Begegnung mit Religion ermöglicht, z. B. außerunterrichtlich im Rahmen von Ganztagsangeboten oder durch Feiern, die die Übergänge vom Kindergarten zur Schule bzw. zwischen Grundschule und weiterführender Schule begleiten. Aufgrund zunehmender Konfessionslosigkeit ist auch in westdeutschen Bundesländern der Religionsunterricht stärker als offenes religiöses Bildungsangebot zu denken, für das auch in der Schuleingangsphase und darüber hinaus geworben wird. Zudem würde es die Kooperation in den wertbezogenen Fächern begünstigen, wenn sie als Fächergruppe verstanden würden, was vor25 Vgl. Rudolf Englert, Religion gibt zu denken. Eine Religionsdidaktik in 19 Lehrstücken, München 2013, 63.

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aussetzt, dass auch in der Grundschule verschiedene Religionsunterrichte sowie der Ethikunterricht angeboten werden, was bislang nicht in allen Bundesländern der Fall ist. Abschließend ist auf den Forschungsbedarf zu verweisen: Ungeklärt ist beispielsweise, welche Art von religionsbezogenen und lernrelevanten Vorstellungen religiös nicht sozialisierte Kinder warum ausbilden, welche Rolle dabei entwicklungspsychologische Bedingungen spielen und inwiefern welche Art von Sozialisationskontexten Einfluss haben. Besonders erhellend wäre außerdem religionsdidaktische Unterrichtsforschung, mit der den religionsbezogenen Lernprozessen nichtreligiöser Kinder nachgegangen wird, um zu verstehen, welche Faktoren welchen Einfluss haben und wie religiöse Lern- und damit auch Bildungsprozesse gedacht und gestaltet werden können.

Dr. Susanne Schwarz ist Professorin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik/Didaktik an der Universität Koblenz-Landau. Dr. Ulrike Witten ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Ev. Religionspädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Religionsunterricht mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern in Ostdeutschland Michael Domsgen

Anfänglich waren es vor allem Erfahrungen im ostdeutschen Religionsunterricht, die später unter dem Stichwort der Konfessionslosigkeit zu einem verstärkten Nachdenken über die sozialisatorischen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen geführt haben. So berichtete beispielsweise Christian Grethlein Anfang der 1990er Jahre von irritierenden Erfahrungen im Religionsunterricht am Landesgymnasium »August Hermann Francke« in Halle, bei dem er »in Übernahme eines Unterrichtsentwurfs von H. Hanisch« eine Diskussion »des Oserschen Paul-Dilemmas« anregen wollte, »in dem es um die Frage nach der Gültigkeit eines in einer Notsituation Gott gegebenen Gelübdes geht«. Sie »endete in Halle – anders als in dem westdeutschen Projektbericht – schnell. Die interessierten, freiwillig in der neunten Stunde zum Religionsunterricht dagebliebenen Schülerinnen und Schüler konnten sich nicht vorstellen, daß man ›dem Gott‹ etwas versprechen könne. Gott als Gesprächspartner? – unvorstellbar für diese jungen, atheistisch erzogenen Menschen.«1 Mit dieser kurzen Episode soll vor Augen geführt werden, dass mit dem Stichwort der Konfessionslosigkeit Lernvoraussetzungen in den Blick kommen, die über das bisher bekannte und übliche Maß an Fremdheitserfahrungen mit dem Unterrichtsgegenstand hinausgehen. Der Religionsunterricht hat hier mit Schülerinnen und Schülern zu tun, denen das Christentum nicht nur zur »Fremdreligion«2 geworden ist, sondern die innerhalb ihrer Sozialisation nie ausdrücklich damit in Berührung gekommen sind. Zugespitzt könnte man von einem sozialisierten Nicht-Verhältnis zum Christentum sowie zu Religionen insgesamt sprechen. Zugleich jedoch darf man nicht der Gefahr einer zu schnellen Vereindeutigung erliegen. Es wäre schlichtweg falsch, von einer tabula rasa in Sachen Religion auszugehen. Vielmehr finden sich eigene Zugänge zu diesem 1

Christian Grethlein, Lernort Gemeinde – Lernort Schule. Einige religionspädagogische Überlegungen zu ihrem Verhältnis, in: ThLZ 118, 1993, 571–586, 584. 2 Bernhard Dressler, Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch, in: rhs 45 (2002), H. 1, 11–19, hier 13.

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Feld, die ganz unterschiedlich bestimmt sein können, von unterschiedlichen Formen der Gleichgültigkeit über solche der Zustimmung bis hin zu denjenigen der Ablehnung.

1 Zugänge 1.1 Differenzierungen beachten Die Bestimmung und Beschreibung von Konfessionslosigkeit ist aufs Engste mit den Normalitätserwartungen verbunden, die dabei im Raum stehen und beispielsweise dazu führen, dass Konfessionslosigkeit in Ost und West unterschiedlich zu bestimmen ist. Im religionssoziologischen Diskurs wird zwischen einer »Kultur der Konfessionsmitgliedschaft (in Westdeutschland)« und einer »Kultur der Konfessionslosigkeit (in Ostdeutschland)«3 unterschieden. Beide verbindet die Konstanz im Anstieg des Anteils an Konfessionslosen an der Gesamtbevölkerung. Er stieg in den letzten zwanzig Jahren um 6 Prozentpunkte im Westen (von 11 auf 17 %) und um 10 Prozentpunkte im Osten (von 65 auf 75 %).4 Inzwischen bilden die Konfessionslosen deutschlandweit mit 36 % die größte Gruppe innerhalb der Bevölkerung, gefolgt von den Katholiken (28,5 %), Protestanten (26,5 %), Muslimen (4,9 %) und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften (3,9 %). Zugleich ist jedoch zu beachten, dass sich unter ihnen jeweils unterschiedliche sozialisatorische Profile aufzeigen lassen. Während in Westdeutschland nach wie vor die frisch erworbene, also zwischen den Generationen nicht oder erst ansatzweise weitergegebene Konfessionslosigkeit dominiert, so ist es in Ostdeutschland die ererbte Konfessionslosigkeit. Zwei Drittel der Konfessionslosen in Ostdeutschland waren schon immer konfessionslos. Sie wuchsen also in Familien auf, in denen die Eltern und oft auch die Großeltern bereits konfessionslos waren. Insofern verwundert es nicht, dass für sie vermutlich jede Art von religiöser Sozialisation ausgefallen ist.5 Zudem tradieren sie damit auch einen bestimmten Aneignungsmodus, den die Kulturwissenschaftlerin Monika 3

Olaf Müller/Gert Pickel/Detlef Pollack, Kirchlichkeit und Religiosität in Ostdeutschland: Muster, Trends, Bestimmungsgründe, in: Michael Domsgen (Hg.), Konfessionslos – eine religionspädagogische Herausforderung. Studien am Beispiel Ostdeutschlands, Leipzig 2005, 23–64, 29 (im Original teilweise kursiv). 4 Vgl. Gert Pickel, Konfessionslose – das ›Residual‹ des Christentums oder Stütze des neuen Atheismus? In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013) 1, 12–31, 15. 5 Vgl. Michael Domsgen, Religiöse Pluralität anders wahrnehmen, in: Henning Schluß u. a. (Hg.), Wir sind alle »andere«. Schule und Religion in der Pluralität, Göttingen 2015, 145–164, 147.

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Wohlrab-Sahr als »forcierte Säkularität« bezeichnet. Sie versteht darunter die »subjektive Aneignung des mit Zwangsmitteln Betriebenen […], aber auch die subjektiven Grundlagen des durch repressive Maßnahmen Forcierten«6. Konfessionslosigkeit ist also nicht gleich Konfessionslosigkeit. Neben Unterschieden zwischen Ost und West sind Differenzierungen zwischen Stadt und Land, Jung und Alt zu beachten. Wenn im Folgenden nun konfessionslose Schülerinnen und Schüler in den Blick genommen werden, dann geht es hauptsächlich um veränderte sozialisatorische Voraussetzungen. Wurden nicht-religiöse Positionen im Religionsunterricht in der Summe bisher eher als Abweichung einer Minderheit von der Mehrheit und lebensgeschichtlich als vorrübergehende Distanz von einer (wenn auch nur im weitesten Sinn) christlich grundierten bzw. davon bestimmten Erziehung betrachtet, so begegnet nun immer deutlicher eine Schülerschaft, die damit nicht mehr ausreichend zu verstehen ist. Damit geraten bisher kaum hinterfragte Annahmen auf den Prüfstand. Denn die meisten der religionsdidaktischen Ansätze und unterrichtspraktischen Hilfsmittel gehen davon aus, dass die Mehrheit der Schüler zwar nicht mehr als hochreligiös zu beschreiben ist und auch oft keine Ahnung mehr von christlichen Glaubensinhalten hat. Doch die religiöse Weltsicht an sich scheint davon nicht gleichermaßen betroffen zu sein. Das jedoch kann nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden. Darauf weisen konfessionslose Schülerinnen in besonderer Deutlichkeit hin. 1.2 Uneindeutigkeiten aushalten In einem Kontext, in dem die Kindertaufe dominiert, ist bei konfessionslosen, also nicht getauften, Schülern und Schülerinnen mehrheitlich von einer ererbten Konfessionslosigkeit auszugehen. Damit wird der Blick auf die sozialisatorischen Prägungen der Kinder und Jugendlichen gelenkt. Einerseits kann die Taufe von den Eltern absichtsvoll aufgeschoben worden sein, um den Kindern einen eigenen Zugang im Sinne einer bewussten Entscheidung zum Christsein nahezulegen. Das ist vor allem im freikirchlichen Feld ein wichtiger Faktor. Möglich ist aber auch eine Taufverweigerung, um sich bewusst von der (volkskirchlichen) Praxis des Hineinwachsens in das Christsein zu distanzieren. Das ist innerhalb des Kontexts mehrheitlicher Kirchlichkeit vor allem bei kirchenkritischen Eltern anzunehmen, die einer areligiösen oder atheistischen 6 Monika Wohlrab-Sahr, Forcierte Säkularität oder Logiken der Aneignung repressiver Säkularisierung, in: Michael Domsgen/Henning Schluß/Matthias Spenn (Hg.), Was gehen uns »die anderen« an? Schule und Religion in der Säkularität, Göttingen 2012, 27–47, 28 (im Original kursiv).

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Lebensgestaltung und -deutung anhängen. Andererseits kann die Taufe aber auch gar nicht in den Blick kommen, weil sie in der eigenen Familientradition schlichtweg keine Bedeutung mehr hat und deshalb nicht einmal als Möglichkeit im Raum steht. Solche Einstellungen (man könnte auch von Nicht-Einstellungen zur Taufe sprechen) begegnen vor allem dort, wo Konfessionslosigkeit seit Generationen verankert ist. In besonderer Weise gestützt wird eine solche Position im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit. Allerdings ist sie auch im Kontext mehrheitlicher Kirchlichkeit vereinzelt anzutreffen. Schon diese kurze Skizze macht deutlich, dass konfessionslose Schülerinnen und Schüler keine homogene Gruppe sind. Zwar ist mehrheitlich davon auszugehen, dass die Prämisse einer wie auch immer im Einzelnen sich gestaltenden eigenen Religiosität nicht mehr geteilt wird. Ein Großteil der Schülerschaft – vor allem in Ostdeutschland – hat eine Sozialisation erfahren, bei der die Auseinandersetzung mit Religion keine Rolle spielte, weil sie aus einer nicht-religiösen Position heraus erfolgte. Man könnte sie als mehrheitlich areligiös beschreiben, wobei man sich gar nicht als atheistisch, sondern vielmehr als untheistisch versteht, weil sich die Frage nach Gott schlichtweg nicht stellt.7 Doch finden sich auch unter konfessionslosen Schülern und Schülerinnen solche, die sich eigene Zugänge zur Religion erarbeitet haben. Interessant ist an dieser Stelle ein Blick auf eine Untersuchung, die Sarah Demmrich vorgelegt hat. Sie beschäftigte sich mit Ritualen ostdeutscher Jugendlicher im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit und stieß dabei einerseits darauf, dass auch Jugendliche, die weder in der Familie und/oder der Gemeinde religiös sozialisiert worden waren, beteten und dass sie sich das Gebet andererseits über Lernwege angeeignet hatten, die religionspädagogisch bisher kaum im Blick waren. Sie lernten über »Trial-andError«, also durch ein Austesten dieser religiösen Praxisform, angeregt durch außerfamiliale Instanzen, primär durch die Medien.8 Auf diese Weise entwickelten sie eigene Zugänge, die sich deutlich von denjenigen derer unterschieden, die das Beten im Modus der Nachahmung (Lernen am Modell) gelernt hatten. Auffällig war hier vor allem ihre »intrinsische Motivation«9, die dazu führte, dass dem Gebet eine sehr große Bedeutung für die eigene Emotionsregulation zukam (was so in der Vergleichsgruppe der religiös Sozialisierten nicht zu beobachten war). 7 So die Selbsteinschätzung des Leipziger Schriftstellers Erich Loest. Vgl. Friedemann Stengel, Zwischen Abbruch, Umbruch und Aufbruch. Eindrücke zur kirchlichen Lage in der ostdeutschen Provinz, in: Deutsches Pfarrerblatt 9/2004, 451–456, 453. 8 Vgl. Sarah Demmrich, Religiosität und Rituale. Empirische Untersuchungen an ostdeutschen Jugendlichen (APrTh 62), Leipzig 2016, 169. 9 Ebd., 260.

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Konfessionslose Schülerinnen und Schüler markieren also ein Spektrum, das einer kirchlichen Sozialisationslogik nicht (mehr) folgt. Um es angemessen zu erfassen, ist darauf zu achten, dass es nicht unter der Defizitperspektive in den Blick genommen wird, indem beispielsweise Leerstellen markiert werden (nach dem Motto: Christen glauben an Gott, Konfessionslose nicht; oder: Christliche Jugendliche feiern Konfirmation, Konfessionslose tun das nicht). Vielmehr ist nach denjenigen Antworten und Strategien zu suchen, die Konfessionslose im Umgang mit den Herausforderungen des Lebens entwickelt haben. 1.3 Säkularität in der Vielfalt wahrnehmen Sehr hilfreich für den Versuch einer sensiblen Wahrnehmung vorhandener Einstellungen und lebensgestaltender Praktiken im Feld nicht-religiöser Weltanschauungen kann die Untersuchung religiöser Transformationsprozesse sein, wie sie Monika Wohlrab-Sahr mit ihren Mitarbeitern in Interviews mit ostdeutschen Mehrgenerationenfamilien vorgenommen hat. Mit dem Begriff der »agnostischen Spiritualität«10 bezeichnet sie eine Haltung, die einen Transzendenzbezug mehr oder weniger abstrakt aufrechterhält, ohne ihn verbindlich inhaltlich-religiös zu füllen. Christliche Semantik ist nicht mehr anschlussfähig, aber auch der reine Atheismus wird als unbefriedigend wahrgenommen. Die agnostische Spiritualität ist synkretistisch angelegt und wird individuell durchaus als rational verstanden. Allerdings kann Wohlrab-Sahr eine solche Profilierung längst nicht bei allen Probanden beobachten. Insofern verdeutlicht diese Untersuchung neben den Chancen eines solchen Zugriffs auch dessen Grenzen. Diese sind dann erreicht, wenn die zu beobachtenden spirituellen Dimensionen nicht mehr an das Selbstverständnis angeschlossen werden können. Ein zu weiter Religionsbegriff steht in der Gefahr der Überdehnung und vermag dann auch kaum Erhellendes beizutragen. Mit Blick auf einen großen Teil der konfessionslosen Schülerinnen und Schüler scheint ein Mittelweg angezeigt zu sein, also einerseits ihren »säkularen Habitus«11 ernst zu nehmen und andererseits nicht vorschnell Vereindeutigungen einzuziehen. Letztlich handelt es sich hier um eine spezifische Art und Weise der Lebensgestaltung und -deutung, die von einer bewussten oder auch unbewussten Distanz der expliziten Religiosität gegenüber geprägt ist, die jedoch ganz ausgestaltet sein kann.

10 Monika Wohlrab-Sahr/Uta Karstein/Thomas Schmidt-Lux, Forcierte Säkularität. Religiöser Wandel und Generationendynamik im Osten Deutschlands, Frankfurt a. M. 2009. 11 Ebd., 17.

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2 Religionsdidaktische Implikationen 2.1 Die Passungsverhältnisse berücksichtigen Besonders seit den PISA-Studien ist das Bewusstsein für den Zusammenhang von schulischer Bildung und familialer Sozialisation gewachsen. Die Passungen können hier ganz unterschiedlich ausfallen und bestimmen maßgeblich über die schulischen Lernerfolge. Der Religionsunterricht ist davon nicht ausgenommen. So zeigt eine empirische Untersuchung aus Sachsen-Anhalt, dass es Schülerinnen und Schülern, die nicht religiös sozialisiert wurden, besonders schwerfällt, dem Religionsunterricht etwas für sie Relevantes zu entnehmen.12 Religionsunterrichtliche und lebensweltliche Perspektiven lassen sich für sie nur schwer oder gar nicht miteinander verbinden. Damit wird ein Aspekt beschrieben, der sich auch in anderen Kontexten nachweisen lässt. So zeigt eine bayrische Studie zum evangelischen Religionsunterricht, dass es stark mit dem Gottesglauben zusammenhängt, ob Lernende den Religionsunterricht als relevant erachten und ihn gern besuchen. Je »kritischer SchülerInnen sich zum Gottesglauben verhalten, desto kritischer stehen sie auch dem Fach und wesentlichen Elementen innerhalb des Faches gegenüber«13. Vergleichbares trat auch in einer Befragung im evangelischen und katholischen Religionsunterricht in Baden-Württemberg zutage. Schülerinnen und Schülern, die die Vorstellung eines personalen (»biblisch-immanenten«) Gottesbildes ablehnen, ist die aktive Mitarbeit erschwert. Insgesamt gesehen wird deutlich, dass der Religionsunterricht Lernenden mit bestimmten religiösen Vorstellungen (wie auch sozioökonomischen Voraussetzungen) bessere Anknüpfungsmöglichkeiten zu geben scheint als anderen.14 Religionsdidaktisch ist deshalb sehr genau danach zu fragen, »welchen inhaltlichen Steuerungseinflüssen die Lernenden (und Lehrenden) in der Vielfalt der Lernbotschaften, die letztlich von Menschen veranlasst werden, unter-

12 Vgl. zu den Einzelbefunden Michael Domsgen/Frank M. Lütze, Schülerperspektiven zum Religionsunterricht. Eine empirische Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Leipzig 2010, 136–143. 13 Susanne Schwarz/Adriane Dornhöfer, SchülerInnenperspektiven auf den evangelischen Religionsunterricht in Bayern. Ausgewählte Ergebnisse, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 15 (2016), 205–243, 240. 14 Alexander Unser, Soziale Ungleichheiten im Religionsunterricht. Eine quantitativ-empirische Untersuchung mit Blick auf die religionspädagogische Debatte um Bildungsgerechtigkeit, in: Bernhard Grümme/Thomas Schlag (Hg.), Gerechter Religionsunterricht. Religionspädagogische, pädagogische und sozialethische Orientierungen (REIN 11), Stuttgart 2016, 80–95.

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liegen.«15 Hier ist von grundlegender Bedeutung, ob die Religionsunterrichtsinhalte bestätigt, konterkariert oder einfach nur als belanglos wahrgenommen werden. Im Religionsunterricht ist eben immer auch die gesellschaftliche und familiale Wirklichkeit mit im Raum. Sie bestimmt maßgeblich mit über den Erfolg des didaktisch Intendierten. Für konfessionslose Schülerinnen und Schüler ergibt sich dabei eine besonders große Herausforderung, insofern der Religionsunterricht eine Perspektive der Lebensdeutung und -gestaltung in das Zentrum stellt, die sozialisatorisch kaum anschlussfähig ist. Sie begegnen hier dem Christentum und anderen Religionen (bestenfalls) im Status einer möglichen Option, im familialen Nahumfeld jedoch der areligiösen bzw. untheistischen Lebensdeutung und -gestaltung im Status der gelebten und mit entsprechenden Erfahrungen gesättigten Praxis. Dass mögliche Lebensdeutungen gegenüber bereits praktizierten einen schweren Stand haben, leuchtet schnell ein. Sie können zwar reizvoll sein, müssen sich aber entgegen der Macht des Faktischen erst einmal bewähren. Dass es dazu kommt, ist alles andere als selbstverständlich. Dabei sind es vor allem die explizit christlich-religiösen Themen (wie Gott, Jesus Christus, Kirche, Weltreligionen), denen gegenüber sich konfessionslose Schülerinnen und Schüler tendenziell eher schwerer öffnen können. So zeigt die bereits angesprochene Schülerbefragung in Sachsen-Anhalt, dass sich bei der Gruppe der christlich-religiös Sozialisierten eine größere Offenheit explizit christlich-religiös bestimmten Themen gegenüber erkennen lässt.16 Sich über Gott und Jesus Christus zu verständigen, steht für sie an oberster Stelle im Religionsunterricht. Das hat auch damit zu tun, dass ihnen diese Themen zumindest vom Grundansatz her vertraut und sie – wenngleich in individuell abgestufter Weise – lebensweltlich relevant sind. Bei denen, die sich selbst als nicht-gläubig verstehen, fehlt dieser lebensweltliche Bezug. Das führt dazu, dass diejenigen, die sich nicht als gottesgläubig bezeichnen, wenig Wert auf das religiöse Profil des Religionsunterrichts legen. Sie erwarten von ihm am ehesten die Auseinandersetzung mit lebensweltlichen Problemen, sind aber insgesamt gesehen deutlich zurückhaltender in der Benennung von für sie relevanten Themen.

15 Ralf Koerrenz, Religionspädagogik und Didaktik des Arrangements, in: Thomas Klie/Dietrich Korsch/Ulrike Wagner-Rau (Hg.), Differenzkompetenz. Religiöse Bildung in der Zeit, Leipzig 2012, 71–81, 76. 16 Vgl. Domsgen/Lütze, Schülerperspektiven, 141 f.; 182 f.

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2.2 Die Spezifika der christlichen Lebensdeutung und -gestaltung bedenken Einen Schritt über die reine Problembeschreibung hinaus kommt man, wenn man versucht, sich in die Perspektive von Schülerinnen und Schülern hineinzuversetzen, die nicht von Kindesbeinen an mit christlichen Deutungsmustern und Riten in Berührung gekommen sind. Dann wird schnell deutlich, wie voraussetzungsreich strukturierte religiöse Bildungsprozesse in Schule und Gemeinde sind. Geradezu durchgängig werden religiös geprägte Sprachspiele und mehr oder weniger zustimmende Positionierungen dazu vorausgesetzt. Was sich an Herausforderungen ergibt, wenn davon nicht ausgegangen werden kann, zeigt eine kleine Studie unter Religionsschülern in Sachsen-Anhalt, die zu ihrem Verständnis des Satzes »Jesus ist für uns gestorben« befragt wurden.17 Dabei ist schon die Fragestellung für die Befragten nur schwer nachvollziehbar. »Das ist alles schon sehr kompliziert«, schreibt eine Schülerin. »Er starb für seinen Glauben. Der Glaube ist das Christentum. Das Christentum sind die Menschen. Doch der Gedanke, dass er für uns, mich, euch gestorben ist, klingt so weit hergeholt, dass es unglaubwürdig wirkt.« Und eine andere stellt fest: »Lebten wir denn schon zu Jesus Zeit, dass er für uns sterben konnte? Nein, wir leben jetzt, also ist dieser Ausdruck/Aussage einfach falsch und völlig unbegründet.« Was für einen Christen, wenn nicht restlos verstanden – wer hat schon verstanden, was es heißt: Jesus ist für uns gestorben? –, dann aber doch jedenfalls sehr vertraut ist, scheint den ostdeutschen Jugendlichen geradezu absurd: Dass ein antiker Todesfall eines bekannten Religionsgründers irgendetwas mit ihnen, Kindern des 21. Jahrhunderts, zu tun haben sollte. Es fragt ja auch niemand, warum ein Mose oder ein Sokrates gestorben ist; und welche Verschwörer Caesar ermordet haben, lernt man in der Schule bestenfalls für eine Klausur auswendig.18 Auch die kognitive Dimension des Religionsunterrichts ist an Prämissen gekoppelt, die vom Glauben ausgehen. Anselm von Canterburys Diktum von der fides quaerens intellectum, das in den Lehrplänen durchgängig zu finden ist, bringt das gut zum Ausdruck. Die denkerische Durchdringung ist eine vom Glauben ausgehende und ihm korrespondierende. Sie geht nicht gänz17 Vgl. Annchristin Schubert, Für uns gestorben und nicht mehr von Belang? Eine qualitative Vergleichsstudie zu Deutungen Jugendlicher aus Sachsen-Anhalt und Bayern in Bezug auf den Kreuzestod Jesu Christi, Halle 2012, https://www.theo-web.de/zeitschrift/online-reihe/008_ schubert.pdf (Zugriff am 22.2.2019). 18 Frank M. Lütze, Christlicher Religionsunterricht – nichtreligiöse Schüler: Wahrnehmungen im konfessionslosen Kontext Ostdeutschlands, 2017 (unveröffentlicht), 4.

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lich in der Rationalität auf und vermag deshalb Religionen auch nicht restlos zu erklären. Die Glaubensdimension trägt in sich (rationale) Zumutungen und durchbricht bisweilen eine logische Argumentation, die nicht innerhalb des Systems operiert. Religion ist eine kommunikative soziale Praxis. Gewissheiten ergeben sich erst im Vollzug, also im kommunikativen Modus. Deshalb gerät auch das im schulischen Setting übliche Faktenlernen im Religionsunterricht an Grenzen. »Der Tod Jesu als Sühne für die Sünde, als Freikauf oder als Tod des zweiten Adam: Das ist, solange ich niemanden kenne, für den das persönliche Bedeutung hat, im Grunde doch ziemlich absurd.«19 Der Religionsunterricht kann auf diese Weise sehr schnell zur Bestätigung dessen werden, was man immer schon geahnt hat, dass nämlich eine religiöse Weltdeutung und Lebensgestaltung letztlich nicht plausibel ist. In hilfreicher Weise irritiert werden können solche Vorannahmen beispielsweise in der authentischen Begegnung, weil hier die Verbindung von Lebens- und Glaubensperspektive erlebbar vor Augen tritt und von den Schülerinnen und Schülern auch nachgefragt werden kann. 2.3 Von einer gemeinsamen Kommunikationsbasis ausgehen Kommunikationsprozesse mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht stehen schnell in der Gefahr, in ein Muster zu verfallen, das Zugänge eher verschließt als eröffnet. Das ist dann der Fall, wenn die einen (Lehrkräfte und religiös sozialisierte Schüler) als Insider und die anderen (konfessionslose Schülerinnen) als Outsider agieren. Erstere erklären Religion und jonglieren dabei mit vertrauten religiösen Begrifflichkeiten. Letztere nehmen das mehr oder weniger interessiert zur Kenntnis, sind aber mit den ihnen zur Verfügung stehenden Sprachspielen irgendwie immer außen vor. Hier ist die Gefahr groß, dass eine wesentliche Dimension von Religion auf der Strecke bleibt, nämlich ihr kommunikativer Modus. Religion wird letztlich nur verstanden, wenn sie in ihrer Sozialität und das heißt in ihrer lebensgestaltenden Dimension wahrgenommen wird. Erfahrungen damit können auf Schülerseite heute nicht mehr einfach vorausgesetzt werden. Vielmehr hat der Religionsunterricht hier im Rahmen einer »Hermeneutik […] des erst zu suchenden Einverständnisses«20 zu agieren. Relevanz erlangen die Unterrichtsgegenstände erst dann, wenn ihre lebenserschließende Kraft deutlich wird. Letztlich geht es 19 Ebd. 20 Karl Ernst Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung. Kirchliche Bildungsverantwortung in Gemeinde, Schule und Gesellschaft, Gütersloh 21992, 383.

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darum, den oft als gravierend wahrgenommenen Graben zwischen religiösen und nicht-religiösen Deutungsmustern und Praktiken zu überbrücken. Daraus ergibt sich eine Doppelbewegung in hermeneutischer Perspektive: Zum einen geht es in der Auseinandersetzung mit der Überlieferung darum, »tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rückzuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind: Gegenstände in Erfindungen und Entdeckungen, Werke in Schöpfungen, Pläne in Sorgen, Verträge in Beschlüsse, Lösungen in Aufgaben, Phänomene in Urphänomene«.21 Ein Großteil der biblischen Texte, theologischen Denkfiguren oder bildlichen Darstellungen lässt sich als Resultat von Deutungsprozessen, mit Heinrich Roth gesprochen, als geronnene Lösungen bezeichnen. Um sie zu verstehen, müssen sie neu dynamisiert werden, indem klar wird, auf welche Frage, auf welches Lebensproblem oder Dilemma, auf welche Erfahrung von Glück oder Schicksal diese Lösungen eine Antwort suchen. Zum anderen sind eigene Lebenserfahrungen und Herausforderungen in der Lebenswelt hinsichtlich ihres Potenzials auf eine mögliche Verknüpfung hin mit christlich religiöser Praxis und damit verbundenen Deutungsmustern abzuklopfen. Den zentralen Fluchtpunkt bildet dabei die Kategorie der Relevanz. Relevant ist, »was beim Individuum Aufmerksamkeit erhält«22. Nach diesen Aufmerksamkeiten ist verstärkt zu suchen. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass Menschen immer schon von eigenen, im Laufe ihrer Lebensgeschichte erarbeiteten Antworten und Lebensentwürfen her leben. Diese sind zu thematisieren und mit den Antwortversuchen der christlichen Tradition in Beziehung zu setzen. Dabei geht es um Prozesse der Öffnung. Gundula Rosenow spricht hier von einer »Didaktik der Potenzialität«, bei der es letztlich darum geht, diese »Potenzialität für einen zukünftigen lebensbegleitenden Interpretationsprozess offen zu halten«23. Konkret bedeutet das, Deutungen der Schüler als solche stehen zu lassen und damit zu rechnen, dass diese veränderbar sind. Theologisch lässt sich das als ein Unterrichten im Horizont der Unabschließbarkeit der Gottesrede auf dem Hintergrund des Bilderverbotes verorten. Religionsunterricht mit konfessionslosen Schülerinnen kann keine Einbahnstraße sein. Es geht nicht nur darum, Nichtreligiösen einen Zugang zur 21 Heinrich Roth, Zum pädagogischen Problem der Methode, in: Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung 4 (1949), 102–109, 108. 22 Eberhard Hauschild/Uta Pohl-Patalong, Kirche, Gütersloh 2013, 110. 23 Gundula Rosenow, Individuelles Symbolisieren. Zugänge zu Religion im Kontext von Konfessionslosigkeit, Leipzig 2016, 284.

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Religion zu vermitteln. Auch die Gegenrichtung ist im Blick zu haben. Diejenigen, die sich als religiös verstehen, sollen verstehen, was Menschen umtreibt, die diese Dimension nicht für sich annehmen. Eigenes und Fremdes sind miteinander in Beziehung zu setzen, wobei beides ineinander übergeht. Im Eigenen gibt es immer auch Fremdes. Und das Fremde kann mir manchmal sehr nahe sein. Das gilt für den Austausch zwischen den Religionen, aber auch für die Begegnung zwischen Menschen, die sich als gläubig, und denen, die sich als nicht-gläubig verstehen, wie auch immer dabei die Verortungen im Einzelnen aussehen.

3 Unterrichtspraktische Aspekte Die eben angesprochene Doppelbewegung von der Überlieferung her zu lebensweltlichen Erfahrungen und von lebensweltlichen Erfahrungen her zu Aspekten der Überlieferung soll nun an zwei Beispielen konkretisiert werden. 3.1 Impulse aus der Arbeit mit biblischer Überlieferung und zentralen christlichen Texten Anregend für den Umgang mit fehlender religiöser Sozialisation können solche Ansätze sein, die die biblische Überlieferung in bewusster Reflexion einer fehlenden religiösen Sozialisation der Rezipienten aufnehmen. Hier wäre beispielsweise Ingo Baldermanns Bibeldidaktik zu nennen. Sein Ansatz wurde zwar nicht ausdrücklich für konfessionslose Schülerinnen und Schüler entwickelt, nimmt aber diese Möglichkeit explizit in den Blick und geht in diesem Zusammenhang sehr sensibel mit den unterschiedlichen Schülervoraussetzungen um. So setzt er in der Arbeit mit Psalmen bewusst nicht bei den Worten des Lobes und des Vertrauens ein, weil sie »eine Voraussetzung [machen; M.D.], die nicht alle Kinder und Jugendlichen teilen«, nämlich »eine Gotteserfahrung, die Lob und Vertrauen als Antwort hervorruft.«24 Bei den Klageworten ist das etwas anders. Sie haben zwar einen »Adressaten«, ohne den sie nie formuliert worden wären – aber dennoch sind sie unmittelbar zugänglich für jede und jeden, »auch ohne irgendeine religiöse Sozialisation«. Das liegt daran, dass sie Erfahrungen und Fragen in Sprache fassen, »die jeder Mensch mit sich trägt«. 24 Ingo Baldermann, Art. Psalmendidaktik, in: WiReLex (2016), https://www.bibelwissenschaft. de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Psalmendidaktik___2018-09-20_06_20. pdf (Zugriff am 24.2.2019), 3. Auch die folgenden Zitate im Text finden sich hier.

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Es ermöglicht unmittelbare Zugänge und lässt ein Gespür dafür wachsen, dass es nicht um Lösungen, sondern um »Wegweisung« geht. »Die Worte der Klage, allgemein und überall so verständlich, führen uns didaktisch genau an den Ort, an dem die biblische Botschaft existenziell begreiflich wird.« Baldermann nutzt biblische Sprache und ihre Bilder, »um an Erfahrungen heranzukommen«, die Schülerinnen und Schüler »in sich tragen«25. Es geht um eine Sprache »für zuvor sprachlose Erfahrungen«26. Zugleich wird deutlich, dass solchen Erfahrungen nur mit »Vertrauensworten«27 begegnet werden kann, die »so tief wie nur möglich in zwischenmenschlichen Erfahrungen« verankert sein müssen, »in Trosterfahrungen mit der Mutter, der Freundin, dem Freund – nur dann können sie sich mit elementarer emotionaler Erfahrung füllen, und nur so können sie Eingang finden in ein ahnungsweises Verstehen der biblischen Gotteserfahrung«. Damit eröffnet er eine Perspektive, die für die hier verhandelte Thematik besonders interessant ist. Denn eine der großen Herausforderungen besteht in einer Sozialisation, die durch die Abwesenheit von Religion geprägt ist. Die Selbsteinschätzung »Ich bin nicht so erzogen worden« markiert dabei eine Distanz, die nur schwer zu überwinden ist. Es gibt einiges, was kritisch in Anschlag zu bringen wäre hinsichtlich der Vorstellung eines unmittelbaren, existenziell ausgerichteten Zugangs zur biblischen Überlieferung.28 Dass Baldermanns elementare Bibeldidaktik »keine Distanz zur Bibel« erlaube, ist – vor allem in schulischen Zusammenhängen – problematisch, kann aber in der Arbeit mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern Zugänge eröffnen, insofern damit die Erfahrung eines – bisweilen durchaus überraschenden – unmittelbaren Zugangs ermöglicht wird, die den tief verinnerlichten garstigen Graben zu überbrücken hilft. Der Lerngewinn kann dabei vor allem darin bestehen, dass es sich bei der biblischen Überlieferung nicht um eine Sammlung von Doktrinen handelt, sondern um Erzählungen, Symbole und Metaphern, die in eine kommunikative Praxis eingebettet sind und damit neue Perspektiven eröffnen im Präsenzversprechen des mitgehenden Gottes. Letztlich geht es hier darum, eine Sprache zu finden, die explizit religiöse Themen auch für Nicht-Religiöse nachvollziehbar macht. Anregend dafür können auch die Überlegungen von Hans-Martin Barth sein, der den Versuch unter25 26 27 28

Ebd., 4. Ebd., 6. Ebd., 8. Auch die folgenden Zitate im Text finden sich hier. Vgl. z. B. Christina Kalloch/Bettina Kruhöffer, Das Alte Testament »unmittelbar« erschließen? Kritische Anfragen an die bibeldidaktische Konzeption Ingo Baldermanns, in: Loccumer Pelikan 2/01, 59–64.

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nommen hat, zentrale christliche Texte in nicht-traditionell-religiöser Sprache zu formulieren.29 3.2 Impulse aus der Arbeit mit existenziell bedeutsamen Erlebnissen Gleichsam umgekehrt zum eben skizzierten Ansatz von Baldermann geht Gundula Rosenow vor. Auf der Basis religionstheoretischer Annäherungen, die mit Schleiermacher Religion als Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit und Religiosität als Bewusstsein der Unverfügbarkeit der eigenen Existenz bestimmen, sieht sie im »[e]xistenzielle[n] Erleben, das nach Deutung drängt« und »grundsätzlich allen Menschen gemeinsam« ist, den »Urgrund der Entstehung von Religion«30. Dabei geht sie davon aus, dass die »individuelle[n] Symbolisationen existenziellen Erlebens […] Potentiale jugendlicher Religiosität«31 enthalten. Von dort her können dann auch tradierte Symboliken gewinnbringend in den Blick genommen werden. Der große Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass in diesem »konsequent subjektorientierten Zugang«, der sich »eines nicht-traditionellen Sprachgebrauches bedient«32, die Unterschiede zwischen religiös und nicht-religiös sozialisierten Schülerinnen und Schülern zurücktreten und allen gleichermaßen Zugänge ermöglicht werden. Der Arbeitsauftrag lautet dabei: »Schildern Sie ein tiefgreifendes Erlebnis, das Sie positiv oder negativ nachhaltig beeinflusst hat. Was haben Sie dabei gefühlt?

29 Für das Vaterunser macht Barth folgenden Vorschlag: »In dem Vertrauen, das sich uns durch Jesus von Nazareth und seinen guten Geist vermittelt, sind wir gewiss, dass unsere Sehnsucht in Erfüllung geht: Geehrt, gewürdigt und geschützt werde das Geheimnis des Daseins, die Quelle aller Energie und Orientierung für ein frohes, heiteres, sinnhaftes Leben. Tatkraft und Engagement für eine bessere Welt werden wachsen und sich durchsetzen. Was dazu geschehen muss, soll geschehen, so weit möglich auch mit unserer Hilfe. Wir hungern nach Leben. Dankbar für alles, was uns täglich zuteilwird, sind wir bereit, davon weiterzugeben. Wir leben davon, angenommen zu sein und an unserem Versagen nicht scheitern zu müssen. Unsere Schuld wird uns vergeben sein, wie auch wir uns verpflichtet sehen, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Wir vertrauen darauf, in den Herausforderungen des Lebens nicht unterzugehen. Von dem Bösen in uns und um uns werden wir frei werden; daher können wir ihm Widerstand leisten. Vertrauen, Lieben und Hoffen, wie es an Jesus sich zeigt, ist eine Kraft, die wir spüren können. Sie macht uns gewiss, dass am Ende alles gut sein wird. Ja!« Hans-Martin Barth, Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christsein, Gütersloh 2013, 172 f. 30 Rosenow, Individuelles Symbolisieren, 38. 31 Ebd., 39. 32 Ebd. Zum subjektorientierten Zugang vgl. auch Joachim Kunstmann, Subjektorientierte Religionspädagogik. Plädoyer für eine zeitgemäße religiöse Bildung, Stuttgart 2018.

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Dieses Ergebnis muss nicht als religiös empfunden worden sein.«33 Dadurch kann sich jeder »als kompetenter Gesprächspartner ohne defizitäre Zuschreibungen«34 einbringen. Zudem führen die notierten Erlebnisse zu einer Intensivierung der unterrichtlichen Kommunikation, weil damit die Schülerinnen und Schüler selbst im Mittelpunkt stehen. Der Religionsunterricht gewinnt auf diese Weise an Bedeutsamkeit. Das gilt auch dann, wenn sich die Jugendlichen nicht zu einer religiösen Selbstpositionierung entscheiden können. Unerlässlich dafür ist ein offenes Gesprächsklima sowie die Bereitschaft, Schüleräußerungen zum »Unbedingten« und »Unverfügbaren« auch sprachlich offen zu lassen.

4 Ausblick: Perspektiverweiterungen ermöglichen Religionsunterricht mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern stellt in religionsdidaktischer Hinsicht keinen absoluten Sonderfall dar.35 Viel lässt sich hier aus dem interreligiösen Dialog lernen. Allerdings treten dort Menschen miteinander in einen Dialog, die sich zumindest in einem weiten Sinne als religiös verstehen. Davon kann beim Religionsunterricht mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern jedoch nicht ausgegangen werden. Welche Herausforderungen das mit sich bringt, zeigen nicht nur die Schüleräußerungen zum Kreuzestod Jesu. Wenn muslimische Frauen ein Kopftuch tragen oder jüdische Jungen beschnitten werden, kann das von Menschen, die sich als nicht religiös verstehen, oft nur einlinig decodiert werden, also beispielsweise als Ausdruck der Unterdrückung von Frauen oder als Körperverletzung. Mit einseitiger Logik ist Religion aber nur bedingt beizukommen. Und ein Wechsel in die jeweils andere Perspektive scheint eben nicht so leicht vonstatten zu gehen. Das gilt vor allem dann, wenn man sich der emotionalen Verankerung bewusst ist, die unsere jeweiligen Positionen begleiten. David Käbisch hat zu Recht auf die Notwendigkeit einer »altersangemessene[n] Konflikthermeneutik« hingewiesen, »die sich auf interpersonelle Konflikte in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen bezieht«36. Denn in kon33 Ebd., 159. 34 Ebd., 282. 35 Ich nehme hier in erweiterter Form das auf, was ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe: Michael Domsgen, Religionsunterricht mit Schüler*innen unterschiedlicher Weltanschauungen, in: Saskia Eisenhardt u. a. (Hg.), Religion unterrichten in Vielfalt. konfessionell – religiös – weltanschaulich. Ein Handbuch, Göttingen 2019, 114–124, 123 f. 36 David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 14), Tübingen 2014, 133.

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kreten Lebenszusammenhängen können »Unterschiede so aufeinandertreffen, dass Menschen nicht nur Differenzen zwischen dem eigenen und fremdem Denken und Fühlen erkennen, sondern auf der Handlungsebene in Unvereinbarkeitskonflikte geraten.«37 Eine religiöse Lebensführung ist immer auch mit Zumutungen verbunden. Angesichts dessen »erscheint der homo areligiosus als eine ›attraktive Lebensform‹, da es ihm in bestimmten Bereichen gelingt, Inkonsistenzen zu vermeiden und so das eigene Leben glaubwürdig zu präsentieren. Wer Konfessionslosen gegenüber ›Christsein‹ als eine attraktive Lebensform kommunizieren will, sollte zuvor zu verstehen suchen, warum vielen ›Christsein‹ als eine unattraktive, ja unglaubwürdige Lebensform erscheinen muss.«38 Notwendig dafür ist aufseiten der Lehrkräfte eine Wahrnehmungskompetenz, die einerseits neu nach den sozialisatorischen Prägungen der Schülerinnen und Schüler fragt und andererseits in der Lage ist, sich mit dem im jeweiligen Kontext allgemein Plausiblen in Beziehung zu setzen. Eng verbunden ist das mit einer Plausibilisierungskompetenz, die theologisch wie humanwissenschaftlich ausgerichtet ist und damit einhergeht, die eigene Position kommunizierbar zu machen, und zwar so, dass einerseits grundlegende Perspektiven verständlich und nachvollziehbar werden und andererseits dies nicht auf Kosten fundamentaler Profilierungen geschieht. Da im Unterricht mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern nicht von einem selbstverständlichen Rückgriff auf ein wie auch immer im Einzelnen sich gestaltendes Gottes- bzw. Transzendenzverständnis ausgegangen werden kann, schwingt hier – bisweilen auch im apologetischen Sinne – die Herausforderung mit, dessen Sinnhaftigkeit zuallererst einmal plausibel zu machen. Zugespitzt ließe sich sagen: Es geht darum, »Sinn für den Sinn von Religion«39 zu entwickeln, also den Gehalt und Gewinn religiöser Kommunikation auch dann erkennen zu können, wenn man sich selbst nicht als religiös verstehen kann oder will. Religionsdidaktisch und -methodisch korrespondiert dies mit einer Offenheit für authentische Begegnungen (samt ihrem verstörenden Potenzial) und Lernortwechsel, durch die Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit geboten wird, religiöse Praxis aus erster Hand kennenzulernen. Damit bewegt man sich ganz auf der Linie eines elementaren Lernens und letztlich im Modus gängiger religionsunterrichtlicher Praxis, die versucht, unter37 Ebd., 136. 38 Ebd., 142 unter Bezug auf Christian Grethlein, Fachdidaktik Religion (UTB 2686), Göttingen 2005, 272. 39 Michael Domsgen, Mission impossible? Religiöse Kommunikation in Ostdeutschland, in: Ders./Dirk Evers (Hg.), Herausforderung Konfessionslosigkeit. Theologie im säkularen Kontext, Leipzig 2014, 233–244, 240.

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schiedliche Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler so aufzunehmen, dass Zugänge zum Unterrichtsgegenstand aus den verschiedenen Positionen heraus ermöglicht werden. Allerdings zeigen die erwähnten empirischen Befunde, dass dies nur teilweise zu gelingen scheint, insofern nicht an Gott glaubende Schülerinnen und Schüler dem Religionsunterricht deutlich weniger an Relevantem für ihre Lebensführung entnehmen können. Eine konzeptionell und unterrichtspraktisch weiterführende Aufgabe wäre es deshalb, die säkularen Positionierungen konfessionsloser Schülerinnen und Schüler von vornherein konstitutiv mitaufzunehmen. Dabei würde dann nicht nur die Frage der Lernmotivation genauer zu bedenken sein. Auch die Frage nach einem wechselseitigen Lernen würde in neuer Weise in das Blickfeld treten. Das Ziel bestünde dann darin, die jeweiligen Perspektiven der Lernenden zu erweitern, indem Annäherungen an jeweils andere Positionen bearbeitet werden, die dazu verhelfen, für sich selbst neue Perspektiven zu eröffnen. Dabei ist es letztlich nicht möglich, die eigene Perspektive zu verlassen und in diejenige des Anderen zu wechseln. Die andere Perspektive, in die gewechselt werden soll, wird immer durch die eigene Perspektive mitbestimmt und geprägt. Deswegen sollte mit dem Begriff des Perspektivenwechsels im Religionsunterricht sehr sorgsam umgegangen werden. Er eignet sich nur sehr bedingt für das, was realistischerweise möglich ist. Denn wenn wir in der Begegnung mit dem Fremden die eigene Sichtweise erweitern, korrigieren oder mit neuen Impulsen bereichern, dann ist viel erreicht, wahrscheinlich sogar alles, was pädagogisch möglich ist. Das gilt für Lehrerinnen und Lehrer wie Schülerinnen und Schüler gleichermaßen.

Dr. Michael Domsgen ist Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Welche Kompetenzen brauchen Religionslehrkräfte im Umgang mit religionsdistanten Schülerinnen und Schülern? Manfred L. Pirner

Religionsunterricht zum Thema »Schöpfung« in der 8. Jahrgangsstufe einer bayerischen Mittelschule. Die Lehrerin, eine Studentin im Praktikum, hat mit den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung der biblischen Schöpfungstexte erarbeitet und fragt nun zum Abschluss: »Warum machen wir das eigentlich? Warum beschäftigen wir uns mit diesen alten Texten?« Nach einer kurzen Nachdenkpause meldet sich Enrico und meint: »Also, ich finde, selbst wenn man nicht daran glaubt, aber es hat doch viele gegeben und gibt ja immer noch Leute, die das glauben und denen das wichtig ist, und das spielt ja auch eine Rolle, wenn es um die Umwelt geht und so. Deshalb sollte man sich schon damit beschäftigen, man sollte wissen, um was es beim Glauben an die Schöpfung geht, auch wenn man es selber nicht glaubt.« Dass hier ein Schüler exemplarisch und geradezu mustergültig erklärt, dass Religionsunterricht auch für Nichtreligiöse – wie ihn selbst – wichtig ist und was sie im Religionsunterricht lernen können, ist bemerkenswert. Die Episode lässt zugleich erkennen, dass religionsdistante Lernende nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance und Bereicherung für den Religionsunterricht sind. Enricos Einsicht kann dabei sowohl den anderen religionsdistanten als auch den religionsaffinen Schülerinnen und Schülern in der Lerngruppe eine wichtige Lernerfahrung vermitteln: christliche Glaubensperspektiven können offenbar auch über die »Gläubigen« hinaus bedeutsam sein. Damit kommt hier beispielhaft in den Blick, dass im Religionsunterricht (diverse) religiöse und (diverse) nichtreligiöse Schülerinnen und Schüler voneinander lernen können. Dass dies möglich wurde, liegt in dieser konkreten Unterrichtssituation an der offenen und auf Meta-Reflexion zielenden Fragestellung der Lehrerin. In einer Fragebogenbefragung der Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schulpraktikums wurde deutlich, dass etwa die Hälfte von ihnen nicht glaubt, dass es einen Gott gibt. Der unterrichtenden Studentin war es ein Anliegen, alle Lernenden mit ihren unterschiedlichen religiösen oder nichtreligiösen Orientierungen einzubeziehen sowie grundsätzlich eine Unterrichtsatmosphäre zu schaffen, in der auch Zweifel und religionskritische Anfragen ernst genommen und als Unterrichtsbeiträge gewürdigt werden.

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Von diesem konkreten Unterrichtsbeispiel ausgehend soll im Folgenden grundsätzlicher gefragt werden, welche Einstellungen und Kompetenzen von Religionslehrkräften es wahrscheinlicher machen, dass sie religionsdistante Schülerinnen und Schüler als produktive Herausforderung und Bereicherung für ihren Religionsunterricht wahrnehmen und sie auf eine Weise in ihr didaktisches Denken und Handeln einbeziehen, dass potenzielle Lernchancen für alle Lernenden möglichst gut genutzt werden.

1 Theologisch-religionspädagogische Kompetenz: zum Verhältnis religiöser und nichtreligiöser Menschen Man kann hin und wieder Religionslehrkräften begegnen, die argumentieren, der christliche Religionsunterricht solle und könne sich auf die getauften und an Gott glaubenden Schülerinnen und Schüler konzentrieren, denn die anderen hätten ja jederzeit die Möglichkeit, aus dem Religionsunterricht auszutreten und das Ersatz- oder Alternativfach (meist »Ethik«) zu besuchen. Mit einer solchen Haltung wird nicht nur der Bildungsauftrag des Religionsunterrichts, sondern auch seine theologische Grundlage verkannt, die ich nachfolgend in drei Aspekten akzentuiere. 1. Wie insbesondere im Diskurs um eine Öffentliche Theologie herausgearbeitet worden ist, liegt das Potenzial und der (diakonische) Auftrag des christlichen Glaubens – konkret: von Kirchen wie von Christen – in einer pluralistischen Gesellschaft darin, Beiträge zum Wohl aller Menschen zu leisten, unabhängig von deren religiöser oder nichtreligiöser Orientierung. Historisch gesehen sind christliche Werte wie Nächstenliebe oder die Bewahrung der Schöpfung auch für viele nichtreligiöse Menschen nachvollziehbar und handlungsleitend geworden, also sozusagen generalisiert und säkularisiert worden. Aktuell und prominent hat z. B. der Philosoph Jürgen Habermas wiederholt darauf verwiesen, dass die biblisch-christliche Tradition auch ihm als »religiös Unmusikalischen« etwas zu sagen hat. Ganz in diesem Sinn ist ein zentrales Ziel des Religionsunterrichts darin zu sehen, dass auch religionsdistante Schülerinnen und Schüler aus ihm »etwas mitnehmen«, einen Bildungsgewinn in ihm erfahren. Die aus der englischen Religionspädagogik kommende Zielbestimmung des Religionsunterrichts als »learning from religion« weist darauf hin, dass dieser Bildungsgewinn einen rein religionskundlichen Wissenszuwachs übersteigen kann und sollte: Man kann von einer (anderen) Religion für das eigene Leben oder die Gestaltung der Gesellschaft etwas lernen, ohne seiner eigenen Religion oder Religions­

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distanz untreu werden zu müssen. Von dieser theologischen und religionspädagogischen Basis her gehört die Berücksichtigung religionsdistanter Kinder und Jugendlicher konstitutiv zum Auftrag eines primär diakonisch verstandenen Religionsunterrichts dazu. Dann kann auch erhofft werden, dass die Distanz solcher Schülerinnen und Schüler gegenüber Religion, Kirche und Glauben geringer wird und zumindest mehr Verständnis für religiöse Menschen bei ihnen geweckt wird. 2. Fundamentaltheologisch gesehen ist noch ein weiterer Aspekt von grundlegender Bedeutung, der ebenfalls im Kontext Öffentlicher Theologie besonders prägnant in den Blick rückt. Christlicher Glaube ist nämlich seinerseits auf den Austausch mit der pluralen und weithin säkularen Kultur angewiesen und wird durch ihn bereichert. Dies lässt sich zum einen mit der epistemologischen Einsicht in die Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit begründen (z. B. nach 1 Kor 13,12: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort […] Jetzt erkenne ich’s stückweise […]«). Zum anderen mit der historischen Erfahrung, dass es häufig Impulse von außerhalb bedurft hat, um Kirchen und Christen zu mehr Humanität zu bewegen – z. B. durch den Menschenrechtsdiskurs (UN-Konventionen zu den Rechten von Frauen, von Kindern, von Behinderten u. a.). Zum Dritten ist (schöpfungstheologisch, pneumatologisch oder christologisch) argumentiert worden, dass Gott der Herr über die ganze Welt und Wirklichkeit ist und sein Geist »weht, wo er will«, d. h., dass mit diesem Wehen auch außerhalb des Christentums, im Säkularen oder im »Zeitgeist« zu rechnen ist.1 Diese theologischen Einsichten werfen sowohl auf säkular orientierte, religionsdistante Kinder und Jugendliche als auch auf säkulare Inhalte im Religionsunterricht noch einmal ein anderes Licht. Sie erscheinen nicht lediglich als Adressaten der Vermittlung von »Christentum«, sondern als sachlich bedeutsame, ja geradezu unverzichtbare (potenzielle) Dialogpartner. 3. Der grundsätzlich zu fordernde und zu fördernde Dialog zwischen religiösen und nichtreligiösen Bürgerinnen und Bürgern erfährt im Kontext einer freiheitlich-demokratischen und pluralistischen Gesellschaft sowie im gegenwärtigen zeitgeschichtlichen Horizont eine besondere Dringlichkeit. Um sozialen Zusammenhalt, globale Verständigung und eine humane Weiterentwicklung unserer (Welt-)Gesellschaft zu erreichen, sind wir auf die Nutzung aller verfügbaren Humanitäts-Ressourcen sowie auf das Zusam1 Vgl. z. B. Peter Dabrock u. a., Unverschämt schön. Sexualethik: evangelisch und lebensnah, Gütersloh 2015, 168, wo zur Begründung der theologischen Positionsänderungen bezüglich der Homosexualität auf die Möglichkeit verwiesen wird, dass »auch im Zeitgeist der Heilige Geist wehen kann«.

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menwirken aller Menschen guten Willens angewiesen. Deshalb gewinnt die Schule als Lernort interreligiöser und interweltanschaulicher Verständigung sowie demokratisch-menschenrechtlicher Bildung noch weiter an Bedeutung. Ich habe an anderer Stelle dafür geworben, dass einerseits die Vernachlässigung von nichtreligiösen bzw. religionsdistanten Heranwachsenden in religionsdidaktischen Konzepten des interreligiösen Lernens überwunden werden sollte, und dass andererseits die menschenrechtlichen Grundwerte und -prinzipien als Basis einer solchen interreligiösen und interweltanschaulichen Verständigung ernster genommen werden sollten.2 Der Konsens der Menschenrechte empfiehlt sich deshalb als Basis und Bezugsrahmen, weil er einerseits sowohl verfassungsrechtlich als auch durch internationale Verträge verbürgt sowie durch eine breite Zustimmung getragen ist und andererseits für Begründungen, Interpretationen und Weiterentwicklungen aus unterschiedlichen religiösen wie nichtreligiös-weltanschaulichen Perspektiven offen ist. Im Religionsunterricht könnten religionsaffine und religionsdistante Schülerinnen und Schüler erfahren, wie religiöse und säkulare Traditionen zur Entwicklung der Menschenrechte beigetragen haben und wie auch heute religiöse und säkulare Akteure zusammenwirken, um sich in gemeinsamer menschenrechtlicher Orientierung für die Humanisierung unserer Gesellschaft einzusetzen. Damit könnten auch Ressentiments und Konflikte zwischen den Menschen unterschiedlicher religiös-weltanschaulicher Orientierung bereits in der Schule bearbeitet und wechselseitiger Respekt sowie Kooperationsbereitschaft gefördert werden. Deutlich ist auch, dass der Ansatz einer Öffentlichen Theologie und Religionspädagogik gerade keine Nivellierung der religiösen Perspektive anstrebt; vielmehr geht es um Erschließungs- und Übersetzungsprozesse, die die Sinndimensionen religiöser Glaubensüberzeugungen auch für Nicht- und Andersreligiöse nachvollziehbar machen.3 Demzufolge wird man sich von Religionslehrkräften die Kompetenz wünschen, Position beziehen zu können und diese zugleich argumentativ und kommunikativ so erschließen zu können, dass sie für vielfältige subjektive Übersetzungs- und Aneignungsprozesse, aber auch Abgrenzungsprozesse der Schülerinnen und Schüler anschlussfähig wird. 2 Vgl. Manfred L. Pirner, Die blinden Flecken interreligiöser Kompetenzbildung. Bestandsaufnahme und Konsequenzen für ein Modell von interreligiöser und interweltanschaulicher Kompetenz im Horizont Öffentlicher Religionspädagogik, in: Thomas Heller (Hg.), Religion und Bildung interdisziplinär. Festschrift für Michael Wermke, Leipzig 2018, 497–513. 3 Für diese Intention halte ich nach wie vor für anregend und empfehlenswert: Rainer Lachmann, Grundsymbole christlichen Glaubens, Göttingen 1992.

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Auf der Basis der vorgetragenen grundlegenden theologischen Perspektiven werden im Folgenden, in Anlehnung an den Band »Professionell Religion unterrichten«4, weitere Kompetenzen von Religionslehrkräften skizziert, die für ein konstruktiveres Wahr- und Ernstnehmen von religionsdistanten Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind.

2 Diagnostische Kompetenz Will man als Religionslehrkraft religionsdistanten Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht besser gerecht werden, müssen sie erst einmal als solche und in ihrer Unterschiedlichkeit bzw. Individualität wahrgenommen werden. Vorhandene empirische Kinder- und Jugendstudien können dabei hilfreich sein, solange sie so verwendet werden, dass die konkrete eigene Religionsunterrichts-Lerngruppe dadurch genauer in den Blick kommt. Grobe Angaben, nach denen etwa je ein Viertel der Jugendlichen in Deutschland a) an die Existenz eines persönlichen Gottes, b) einer überirdischen Macht, c) an keines von beiden glauben und d) unsicher sind, was sie glauben sollen,5 können erste Anhaltspunkte geben, womit auch in der eigenen Lerngruppe zu rechnen ist. Ähnlich wie bei religiösen bzw. religionsaffinen Kindern und Jugendlichen lohnt allerdings auch bei religionsdistanten das genauere Hinschauen und differenzierte Wahrnehmen. So haben etwa Hans-Georg Ziebertz und Ulrich Riegel bei ihrer Studie zu den Weltbildern Jugendlicher sieben signifikant unterschiedliche Ausprägungen herausarbeiten können, die darauf verweisen, dass auch Religionsdistanz vielfältige Varianten aufweist: 1. ein universalistisches Weltbild, in dem Jugendliche Interesse an religiösen Erfahrungen zeigen und die religiöse sowie kulturelle Vielfalt schätzen; 2. ein evolutionistisches Weltbild, in dem Jugendliche die Welt als ein Produkt natürlicher Prozesse interpretieren, religiöse Erfahrungen ausschließen und Kirche kritisieren; 3. ein agnostisches Weltbild, in dem Jugendliche die Frage nach Gott unbeantwortet lassen; 4. ein deistisches Weltbild, in dem Jugendliche Gott als Macht, jedoch nicht persönlich definieren;

4 Rita Burrichter u. a., Professionell Religion unterrichten, Stuttgart 2012. 5 Thomas Gensicke, Die Wertorientierungen der Jugend (2002–2015), in: Mathias Albert u. a. (Hg.), Jugend 2015. 17. Shell Jugendstudie, Frankfurt a. M. 2015, 237–272, hier: 253.

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5. ein immanentes Weltbild, in dem Jugendliche der Auffassung sind, das Göttliche sei sehr eng mit der Natur und dem Menschen verknüpft; 6. ein religionskritisches Weltbild, in dem Jugendliche Religion als obsolet und manipulativ ansehen; 7. ein nihilistisches Weltbild, in dem Jugendliche Sinnfragen des Lebens und Religion keine Bedeutung beimessen.6 Derartige Studien können auch als Anregung und Grundlage für eigene Befragungen der jeweiligen Lerngruppe dienen. Es empfiehlt sich, dabei auf (meist gut durchdachte und empirisch überprüfte) Fragestellungen oder Item-Formulierungen vorhandener Studien zurückzugreifen, statt auf die Schnelle eigene Fragen zu entwickeln. Hilfreiche methodische Hinweise sowie Studien zur Orientierung bietet für Studierende und Lehrkräfte das Studienbuch »Empirisch forschen in der Religionspädagogik«, inhaltlich besonders das Kapitel »Schüler*innen« von Julia Spichal.7 Eine anonyme Fragebogenbefragung kann manchmal für Lehrkräfte gerade hinsichtlich der Glaubenseinstellungen ihrer Schülerinnen und Schüler einen wichtigen Mehrwert an Information bieten. Grundsätzlich sind natürlich der Unterricht selbst oder informelle Gespräche am Rande gute Gelegenheiten, die Lernenden genauer kennenzulernen. Regelmäßige Lernentwicklungsgespräche8 sowie das systematische Arbeiten mit Schüler-Feedback9 erhöhen die Gelegenheiten und die Intensität der Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen, auch hinsichtlich ihrer Einstellungen zu Religion und Glauben. Dabei greifen diagnostische und didaktische Lehrerkompetenz ineinander. Angemerkt werden soll an dieser Stelle, dass die Heranwachsenden auch im Religionsunterricht nicht einseitig auf ihre religiösen oder nichtreligiösen Zugehörigkeiten und Einstellungen festgelegt werden sollten. Kinder und Jugendliche zeichnen sich durch eine Vielfalt von Merkmalen, Begabungen, Vorlieben, Erfahrungen, Hobbys usw. aus, deren Wahrnehmung und Kenntnis für das religionsunterrichtliche Lernen unter Umständen ebenso bedeutsam werden 6 Vgl. Hans-Georg Ziebertz/Ulrich Riegel, Letzte Sicherheiten: eine empirische Untersuchung zu Weltbildern Jugendlicher, Gütersloh 2008, 179 ff. 7 Manfred L. Pirner/Martin Rothgangel (Hg.), Empirisch forschen in der Religionspädagogik. Ein Studienbuch für Studierende und Lehrkräfte, Stuttgart 2018 (darin Julia Spichal, Schüler*innen, 255–272. 8 Vgl. z. B. Beate Eckert-Kalthoff/Susanne Löffler, Lernentwicklungsgespräche führen. Lehrerhandreichung mit Kopiervorlagen und CD-ROM, München 2015; Hanna Hardeland, Lernentwicklungsgespräche in der Grundschule. Ein Praxisleitfaden, Weinheim 2017. 9 Vgl. z. B. Regine Berger, »Warum fragt ihr nicht einfach uns?« Mit Schüler-Feedback lernwirksam unterrichten. Unterrichtsentwicklung nach Hattie, Weinheim 2013.

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können. Das gemeinsame Interesse z. B. für Fußball oder für eine Musikband lässt für viele Heranwachsende Unterschiede der kulturellen Herkunft oder der religiösen Orientierung nachrangig erscheinen und kann so Brücken schlagen – was auch für Lernprozesse im Religionsunterricht eine Chance bietet.

3 Spirituell-religionspädagogische Kompetenz Soll man mit religionsdistanten, nicht an Gott glaubenden Schülerinnen und Schülern beten oder Schulgottesdienste feiern? Über diese Frage scheinen sich Religionslehrende im konfessionellen Religionsunterricht tendenziell eher zu wenig als zu viel Gedanken zu machen; dies gilt offensichtlich besonders für die Grundschule. In einer eigenen kleinen Studie haben von 70 befragten Verantwortlichen für den Einschulungsgottesdienst im Großraum Nürnberg nur 15 bejaht, dass sie sich bemühen, »im Einschulungsgottesdienst auf Schulanfänger und ihre Familien aus anderen Religionen oder ohne Religionszugehörigkeit einzugehen«.10 In einer Befragung von Grundschulreligionslehrkräften in Nordrhein-Westfalen durch Christhard Lück sprach sich eine deutliche Mehrheit für das Beten im Religionsunterricht aus, über 20 % gaben an, selbst regelmäßig in ihrem Unterricht zu beten.11 Pädagogisch-didaktische Orientierung zum Umgang mit spirituellen Praxisformen ist vor allem im Kontext der sogenannten Performativen Religionsdidaktik erarbeitet worden. Die Performative Religionsdidaktik legt bekanntlich einerseits Wert darauf, Religion auch als Praxis erfahrbar und damit besser verstehbar zu machen, will aber andererseits eine religiöse Vereinnahmung oder gar Überwältigung der Lernenden vermeiden. Hans Mendl hat die wichtigsten didaktischen Überlegungen zum Umgang mit erlebnishaften, spirituellen Unterrichtsformen in ein griffiges Konzept gebracht.12 Demnach sollte im Vorfeld mit den Schülerinnen und Schülern besprochen werden, was die Lehrkraft vorstellen bzw. zum Miterleben anbieten möchte. Dabei sollte deutlich erläutert werden, welche Verhaltensmöglichkeiten die Lernenden haben. Dann kann die Lerngruppe diskutieren und gemeinsam beschließen, ob sie sich überhaupt auf das Erlebnisangebot einlassen will oder nicht. So könnte z. B. gemeinsam mit 10 Die Publikation der Studie ist in Vorbereitung. 11 Christhard Lück, Beruf Religionslehrer. Selbstverständnis – Kirchenbindung – Zielorientierung, Leipzig 2003, 367. 12 Vgl. Hans Mendl, Religion erleben. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht, München 2008; ders. (Hg.), Religion zeigen, Religion erleben, Religion verstehen. Ein Studienbuch zum Performativen Religionsunterricht, Stuttgart 2016.

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der Lerngruppe darüber diskutiert werden, ob zum Unterrichtsbeginn gebetet werden soll und wenn ja, in welcher Form, und wie sich dabei die nicht an Gott glaubenden, religionsdistanten (oder auch die andersreligiösen) Schülerinnen und Schüler verhalten können. Gerade bei spirituellen Formen wie dem Gebet, der Meditation oder dem Singen religiöser Lieder ist für alle Lernenden Freiwilligkeit oberstes Gebot sowie die Möglichkeit, selber zu entscheiden »ob sie sich in die Teilnehmerrolle begeben wollen oder auf einer Beobachterebene bleiben wollen – und dazwischen gibt es noch viele weitere Schattierungen einer Bedeutungszuweisung«.13 Ebenso wichtig wie die Vorbesprechung ist eine Nachreflexion über das Erlebte, die den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gibt, eigene Empfindungen zu äußeren und sich subjektiv zu positionieren. Sowohl in der Vorbesprechung wie in der Nachreflexion sollte eine offene Atmosphäre herrschen, in der auch kritische oder das Erlebnisangebot ablehnende Lernende in keiner Weise diskriminiert werden. Bei regelmäßigen Vollzügen wie einem Unterrichtsanfangsritual wird man nur bei seiner Einführung und in gewissen Abständen solche nachreflektierenden Gespräche führen. Im Hinblick auf Schulgottesdienste ist die Diskussion in jüngerer Zeit stark in Bewegung gekommen.14 Während vermehrt für eine Einbeziehung anderer religiöser Traditionen und Personen im Sinn multireligiöser Schulfeiern plädiert wird,15 bleiben jedoch säkulare Besinnungselemente und nichtreligiöse Personen häufig unberücksichtigt. Der Grundsatz des wechselseitigen »Dabei-Seins« von verschieden-religiösen Anwesenden bei multireligiösen Gebetsstunden oder Feiern zeigt aber zumindest die Freiheit und Legitimität des Wechselns zwischen Teilnehmer- und Beobachterrolle an, die auch für Nichtreligiöse wichtig ist. Theologisch und psychologisch gesehen ist auch bei christlich orientierten Schulgottesdiensten die bewusste und explizite Gewährung solcher Freiheitsspielräume möglich und sinnvoll. Dies gilt nicht nur für die Teilnahme, sondern auch für die Mitwirkung. In der Praxis haben sich längst offene Formen entwi13 Hans Mendl, Eine kurze Geschichte des Performativen – ein kritischer Literaturbericht, in: Ders. (Hg.), Religion zeigen, 10–49, hier: 18. 14 Vgl. die aktuelle, gründliche Habilitationsschrift von Tanja Gojny, ›Gute‹ Schulgottesdienste in der Pluralität. Theoretische Klärungen, konzeptionelle Bestimmungen und Gestaltungsfragen, Universität Erlangen-Nürnberg 2018 (in Vorbereitung). 15 Mittlerweile gibt es dafür mehrere Handreichungen und konzeptionelle Überlegungen, vgl. jüngst: o. Verf., Religiöse Feiern im multireligiösen Kontext der Schule. Eine Handreichung für die Fachkonferenzen Evangelische und Katholische Religionslehre und Schulleitungen aller Schularten [in Baden-Württemberg], https://www.elk-wue.de/fileadmin/Downloads/Presse/ Dokumente/2018/180906_Handreichung_Religioese_Feiern_im_multireligioesen_Kontext_ Schule.pdf (Zugriff am 10.4.2019).

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ckelt, an denen Kinder und Jugendliche auch dann mitwirken können, wenn sie sich nicht als gläubige Christinnen und Christen verstehen. Für das Vorlesen eines meditativen Textes, die Beteiligung an einem Anspiel oder das Gitarrespielen in der Gottesdienst-Band ist der Glaube keine Vorbedingung – wohl aber die Freiwilligkeit. Dies gilt erst recht für die Mitwirkung bei Trauerfeiern oder bei Gottesdiensten zur Bewältigung von Katastrophen und Schicksalsschlägen.

4 Religionsdidaktische Kompetenz Im Folgenden sollen bezüglich zwei exemplarischer Lernbereiche des Religionsunterrichts Überlegungen angestellt werden, wie religionsdistante Schülerinnen und Schüler besser im Unterricht berücksichtigt werden können. Vorangestellt wird ein Plädoyer für sprachliche Sensibilität. Zur Grundkompetenz sprachlicher Sensibilität

Es ist aufschlussreich zu beobachten, dass selbst reflektierte und für religiös-weltanschauliche Vielfalt aufgeschlossene Religionslehrkräfte manchmal intuitiv vereinnahmende oder exkludierende Sprachformen verwenden: Der Gott Daniels ist der Gott, »an den auch wir glauben«; die Muslime haben auch ein Glaubensbekenntnis, »so wie wir Christen«; es gibt »normale« Friedhöfe, und es gibt auch »Friedhöfe für Atheisten«. So wenig eine Religionslehrkraft ihre eigenen Glaubensüberzeugungen und die konfessionelle Orientierung des Unterrichtsfachs verleugnen sollte, so sehr sollte sie doch solche Sprachformen vermeiden, welche religionsdistanten oder andersreligiösen Lernenden das Gefühl geben, unter Konformitätsdruck gesetzt oder ausgeschlossen zu werden. Das bedarf offensichtlich eines gewissen Sensibilitätstrainings, das z. B. durch kollegiale Hospitation und Beratung unterstützt werden kann. Zu bibeldidaktischen Lernbereichen

Dass der Religionsunterricht und die Bibeldidaktik in ihm auch kulturgeschichtlich und als Beitrag zur Allgemeinbildung zu begründen sind, ist ein religionspädagogischer Allgemeinplatz geworden. Dennoch hat es bislang, wenn ich recht sehe, nur wenige bibeldidaktische Ansätze gegeben, die konsequent die Frage in den Mittelpunkt stellen: »Warum soll ein gebildeter Mensch die Bibel kennen und verstehen?« Der Neutestamentler Gerd Theißen hat von dieser Frage her seine »offene Bibeldidaktik« entwickelt. Dabei betont er, dass dennoch die Bibel als »religiöser Text« verstanden werden kann und muss: »Jede Bibeldidaktik, gleichgültig ob sie sich an Glaubende oder Ungläubige wendet,

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muss dem Rechnung tragen, dass die Bibel Grundlagenbuch einer lebendigen Religion ist.«16 Das Ziel sei dabei aber nicht »Einverständnis in Form eines Bekenntnisses, sondern Verständnis für das Bekenntnis – auch bei denen, die es nicht nachsprechen.«17 Ähnlich wie bei den obigen Überlegungen zu performativen Elementen des Religionsunterrichts geht es auch hier um die Freiheit der Schülerinnen und Schüler, sich selbst zu positionieren, selbst zu bestimmen, was Bibeltexte für sie selbst bedeuten oder nicht bedeuten, aber auf jeden Fall zu verstehen, was sie für andere bedeutet haben und bedeuten können und welche prägende Rolle sie für unsere Kultur, bis hin zur heutigen populären Kultur gespielt haben und spielen. Mir scheint, dass es für einen Religionsunterricht in der Pluralität gut wäre, wenn solche Freiheitsspielräume im Umgang mit der Bibel deutlicher didaktisch inszeniert und mit älteren Lernenden öfter auch explizit thematisiert würden. Zu ethischen Lernbereichen

Gerade wenn man religionsdistante Schülerinnen und Schüler ernst nehmen will, verschärfen sich möglicherweise Gefahren, die generell charakteristisch für die Behandlung von ethischen und lebensweltlichen Themen im Religionsunterricht sind. Dies ist zum einen die Betonung des »du sollst« oder »du solltest eigentlich« im Sinn des moralischen Zeigefingers bzw. moralischer Appelle. Zum anderen stellt sich leicht die Tendenz ein, nun auch aus der Sicht christlicher Ethik moralische Forderungen zu »verdoppeln«, die ohnehin bereits jeder kennt. Das Bemühen um die Berücksichtigung nichtreligiöser Kinder und Jugendlicher im Religionsunterricht sollte jedoch nicht dazu führen, lediglich und vorschnell gemeinsame ethische Standards festzustellen. Die besondere Chance des Religionsunterrichts liegt vielmehr darin, Begründungen und Motivationen für ethisches Urteilen und moralisches Handeln zu verdeutlichen sowie Empathie und ethische Sensibilität zu stärken und die dazugehörigen Glaubensperspektiven auch für religionsdistante Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar zu machen. So entsteht Dankbarkeit für die Schöpfung als Motivation, sich für die Bewahrung von Natur und Artenvielfalt einzusetzen, vor allem dann, wenn ihre Schönheit und Vielfalt auch wahrgenommen und erlebt werden kann – was auch nichtreligiösen Kindern und Jugendlichen möglich ist. Und auch der Grundgedanke des Rechtfertigungsglaubens der zuvorkommenden Gnade Gottes, der eine indikativische christliche Ethik begründet, kann zumindest in Teilen 16 Gerd Theißen, Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003, 109. 17 Theißen, Zur Bibel motivieren, 110.

Welche Kompetenzen brauchen Religionslehrkräfte mit religionsdistanten Schülern?

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auch nichtreligiösen Lernenden erschlossen werden; diese Glaubensperspektiven regen nämlich dazu an, dankbar wahrzunehmen, wie viel wir in unserem Leben der unverdienten Liebe und Zuwendung anderer Menschen verdanken – was wiederum auch Nicht-Glaubenden möglich ist.18

Dr. MANFRED L. PIRNER ist Professor für Evangelische Religionspädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

18 Vgl. dazu genauer Manfred L. Pirner, Wider den moralischen Zeigefinger. Plädoyer für eine indikativische und regenerative Ethik im Religionsunterricht. Religion heute 30 (1998), 84– 87; ders., Rechtfertigung/Gnade, in: Martin Rothgangel/Henrik Simojoki (Hg.), Theologische Schlüsselbegriffe. Neuausgabe, Göttingen 2019 (in Vorbereitung); sowie Lachmann, Grundsymbole.

Sprachhürden erkennen und abbauen: Wege zu einem sprachsensiblen Religionsunterricht Stefan Altmeyer

Die empirische Bildungsforschung hat längst die zentralen äußeren Faktoren identifiziert, durch die in hohem Maße Bildungsverläufe, Schulleistungen und erfolgreiche Teilhabe am Unterricht beeinflusst werden. Nationale und internationale Studien bestätigen (bei höchstens graduellen Unterschieden) immer wieder aufs Neue, wie stark sich etwa Herkunft, soziale Lage oder Geschlecht auf das schulische Lernen auswirken. Fragt man nach den Gründen für diese problematischen Zusammenhänge, so ist spätestens seit Pierre Bourdieu auf einen entscheidenden inneren Faktor des Unterrichtsgeschehens zu verweisen: die Sprache.1 Sprache ist in jedem Fachunterricht das wichtigste Medium des Lernens. Durch Sprache werden Inhalte vermittelt und angeeignet, sie bildet zugleich das zentrale Kommunikationsmittel wie Instrument der Leistungsüberprüfung. Nur wer über die im Unterricht geforderten und nur selten bewusst geförderten bildungssprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt, kann an Unterrichtskommunikationen teilhaben, Inhalte nachvollziehen und das Gelernte adäquat zum Ausdruck bringen.2 Zudem kann es inzwischen als empirisch erhärtet gelten, dass die oben genannten äußeren Ungleichheitsfaktoren sich im Unterricht ganz markant (wenn auch nicht zwangsläufig) in Differenzen hinsichtlich sprachlicher Kompetenzen manifestieren.3 Damit ungleiche sprachliche Bedingungen nicht länger die Teilhabe am Unterricht behindern oder sich dort gar verstärken, wird seit einigen Jahren auch bildungspolitisch auf breiter Linie gefordert, Sprachbildung und Sprachförderung als eine gesamtschulische Aufgabe anzusehen und einen sprachsensiblen Fachunterricht zu entwickeln. »Dis1 Vgl. Pierre Bourdieu, Sprache. Schriften zur Kultursoziologie 1, Berlin 2017; hierzu Sven Oleschko, Differenzielle Lernmilieus und Sprachbildung – zur Bedeutung der Sprachsoziologie für den Diskurs um Sprachfähigkeit in der Schule, in: Beate Lütke/Inger Petersen/Tanja Tajmel (Hg.), Fachintegrierte Sprachbildung. Forschung, Theoriebildung und Konzepte für die Unterrichtspraxis, Berlin 2017, 51–68. 2 Vgl. Magdalena Michalak/Valerie Lemke/Marius Goeke, Sprache im Fachunterricht. Eine Einführung in Deutsch als Zweitsprache und sprachbewussten Unterricht, Tübingen 2015, 5–45. 3 Vgl. exemplarisch den Überblick bei Bernt Ahrenholz, Sprache in der Wissensvermittlung und Wissensaneignung im schulischen Fachunterricht. Empirische Einblicke, in: Lütke/Petersen/ Tajmel (Hg.), Fachintegrierte Sprachbildung, 1–31.

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kutiert wird nicht mehr ob, sondern in welchem Umfang und an welcher Stelle entsprechende Kompetenzen und Fertigkeiten vermittelt werden müssen oder können«4. Mittlerweile liegen eine Fülle von Forschungsergebnissen und Praxisvorschlägen vor,5 die allerdings in der Religionsdidaktik bislang kaum rezipiert und für den Religionsunterricht allenfalls andeutungsweise spezifiziert wurden.6 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine mangelnde Teilhabe am Religionsunterricht nicht wenigstens teilweise auch ein Sprachproblem darstellt – oder positiv und als These formuliert: Sprache ist ein möglicherweise unterschätzter, jedenfalls bislang zu wenig bedachter Gelingensfaktor des Religionsunterrichts. Im Folgenden soll daher gezeigt werden, worin die sprachlichen Herausforderungen des schulischen Unterrichts bestehen und wie sich dies im Religionsunterricht noch einmal konkret ausbuchstabieren lässt. Bei allem steht das Anliegen im Mittelpunkt, die bereits in der Sprachdidaktik und Sprachförderforschung vorliegenden Vorschläge zum Umgang mit diesen Herausforderungen für die Entwicklung einer sprachsensiblen Praxis des Religionsunterrichts fruchtbar zu machen.

1 Die Aufgabe einer durchgängigen Sprachbildung für alle Zahlreiche Forschungsanstrengungen waren bislang auf die Frage gerichtet, worin überhaupt die sprachlichen Herausforderungen des schulischen Unterrichts bestehen, die eine unterschiedliche Teilhabe bedingen. Eine Schlüsselrolle wird hierbei vielfach dem Konstrukt der sog. Bildungssprache7 beigemessen, 4

Barbara Baumann, Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache in der Lehrerbildung – ein deutschlandweiter Überblick, in: Michael Becker-Mrotzek u. a. (Hg.), Deutsch als Zweitsprache in der Lehrerbildung, Münster 2017, 9–26, hier 9. 5 Vgl. exemplarisch Michael Becker-Mrotzek/Hans-Joachim Roth (Hg.), Sprachliche Bildung – Grundlagen und Handlungsfelder, Münster 2017; Lütke/Petersen/Tajmel (Hg.), Fachintegrierte Sprachbildung; Magdalena Michalak (Hg.), Sprache als Lernmedium im Fachunterricht. Theorien und Modelle für das sprachbewusste Lehren und Lernen, Baltmannsweiler 2014; Michael Becker-Mrotzek u. a. (Hg.), Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen, Münster 2013; Ingrid Gogolin u. a. (Hg.), Herausforderung Bildungssprache – und wie man sie meistert, Münster 2013. 6 Vgl. insbes. Yauheniya Danilovich, Deutsch als Zweitsprache. Religionspädagogische Herausforderungen und Chancen, in: Theologische Literaturzeitung 142 (2017), 17–34; Stefan Altmeyer, Sprache im Religionsunterricht, in: Michalak (Hg.), Sprache als Lernmedium, 154–174. 7 Das Konstrukt bezieht sich auf im Englischen geprägte Konzepte wie academic language oder language of schooling und überträgt diese mit Rückgriff auf den bei Jürgen Habermas benutzten Begriff der Bildungssprache ins Deutsche, vgl. Ingrid Gogolin/Imke Lange, Bildungssprache und Durchgängige Sprachbildung, in: Sara Fürstenau/Mechtild Gomolla (Hg.), Migration und schulischer Wandel. Mehrsprachigkeit, Wiesbaden 2011, 107–127; Michael Becker-Mrotzek/ Hans-Joachim Roth, Sprachliche Bildung – Grundlegende Begriffe und Konzepte, in: Dies. (Hg.), Sprachliche Bildung, 11–36, hier 22–24.

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und zwar besonders in Abgrenzung zur Alltagssprache. Während Alltagssprache in starkem Maße von direkter Nähe und Vertrautheit der Kommunikationspartner geprägt ist, sich meist dialogisch und spontan vollzieht und daher situationsgebunden ist, ist Bildungssprache eine Art des Sprachgebrauchs, die stark verdichtet und formalisiert sowie meist von persönlichen, kontextuellen und situativen Bezügen abgelöst ist. Zugespitzt lässt sich sagen, »dass Bildungssprache auch dann, wenn sie im Mündlichen vorkommt, an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs orientiert ist«8. Man spricht daher bei Alltagssprache von einem konzeptionell mündlichen, bei Bildungssprache von einem konzeptionell schriftlichen Sprachgebrauch. Typische Merkmale von Bildungssprache lassen sich auf Wort-, Satz- und Textebene identifizieren, wie etwa Fachvokabular, Nominalkonstruktionen, komplexe Satzgefüge in Nebensatz- und Passivstrukturen oder textliche und diskursive Konventionen in Formaten wie Beschreibung, Argumentation etc. Hier ein einfaches Beispiel: Ein alltagssprachliches Gespräch zwischen Grundschulkindern über den Hahn auf einer Kirchturmspitze könnte folgendermaßen verlaufen: »Guck mal, der Turm da bei der Kirche … Echt groß … Was ist das oben drauf? … es glitzert so schön … aus Gold … sieht aus wie ein Hahn … Warum Hahn? …« Wie demgegenüber bildungssprachliche Texte gebaut sind, zeigt folgender Ausschnitt aus einem Sachbuch für Kinder derselben Altersgruppe: »Oben auf der Kirchturmspitze steht oft ein Kreuz oder ein Hahn. Der Hahn ist ein Zeichen für Wachsamkeit. Mit dem ersten Hahnenschrei beginnt der Tag. Ganz praktisch gesehen dient der Hahn auf dem Kirchturm dazu, die Windrichtung zu bestimmen. Und schließlich ist der Hahn jemand, der zur Treue mahnt: Kurz bevor Jesus verhaftet wurde, hat sein Freund Petrus gesagt: ›Ich halte immer zu dir!‹ Jesus hat entgegnet: ›Noch bevor der Hahn kräht, wirst du dein Wort brechen. Du wirst behaupten, dass du mich nicht kennst‹ (Mk 14,30–31). So kam es dann auch. Petrus hat nicht zu Jesus gehalten, als es ernst wurde.«9

Rein deskriptiv handelt es sich bei Alltags- und Bildungssprache um zwei gleichberechtigte Verständigungsweisen, die aufgrund verschiedener Funktionen je unterschiedlichen Formgesetzen folgen. Der springende Punkt ist jedoch, dass im schulischen Kontext eine normative Ordnung dominant wird. Denn in der Schule »ist mit Bildungssprache dasjenige Register bezeichnet, dessen Beherr-

8 Gogolin/Lange, Bildungssprache, 111. 9 Julia Knop, Rund um den Glauben. 99 Fragen und Antworten, Freiburg 22008, 53 (gekürzt).

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schung von ›erfolgreichen Schülerinnen und Schülern‹ erwartet wird.«10 Dabei wird durchgehend der Anspruch erhoben, bildungssprachliche Ausdrücke verstehen und gebrauchen zu können. Wo dieser Anspruch weder explizit gemacht noch unterrichtlich eingeholt wird, ergeben sich gravierende Folgen gerade für jene Lernenden, die diese Anforderungen »entweder aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder aufgrund der Herkunft aus einer anderen Sprache nicht ohne weiteres erfüllen können«11. Hält man sich zudem vor Augen, dass pro Schuljahr um die 3.000 neue Wörter12 eingeführt werden, wird klar, wie mit fortschreitender Bildungsbiografie die bildungssprachlichen Anforderungen und auch die Leistungsunterschiede wachsen. Die im Unterricht gebrauchte Sprache (auch: Schulsprache) ist somit stark von bildungssprachlichen Standards geprägt, die einen allgemeinen, fächerübergreifenden Anteil und allerdings auch fachspezifische Ausprägungen umfassen. »Eine Argumentation über eine faire Verteilung von Tortenstücken wird im Religions- oder Ethikunterricht anders geführt als in der Mathematik«13, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Von daher hat die Schulsprache neben der allgemeinen Bildungssprache auch an den jeweiligen Fachsprachen Anteil, die auf je unterschiedliche Weise vorgeben, mit welchen sprachlichen Mitteln und Formen »sich Fachexperten über ein Fachgebiet optimal verständigen können«14 und wie deshalb Sachfragen im Fachunterricht sprachlich angegangen werden. Damit lässt sich der Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen aber nicht mehr an einzelne Fächer (wie insbes. Deutsch) oder Sprachförderkurse delegieren, sondern hat anteilig seinen Ort in jedem Fachunterricht. Vorschläge zur Entwicklung eines entsprechenden sprachsensiblen Unterrichts haben zuletzt vielfach auf das Konzept der Durchgängigen Sprachbildung zurückgegriffen, das im Rahmen des Modellprogramms »Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund« (FörMig) an der Universität Hamburg entwickelt wurde.15 Durchgängige Sprachbildung meint hier10 Gogolin/Lange, Bildungssprache, 111. 11 Ebd. 12 Vgl. Michalak/Lemke/Goeke, Sprache im Fachunterricht, 144. 13 Gogolin/Lange, Bildungssprache, 113. 14 Michalak/Lemke/Goeke, Sprache im Fachunterricht, 55. 15 Vgl. Gogolin/Lange, Bildungssprache; sowie online https://www.foermig.uni-hamburg.de/ – das Konzept wurde auch auf bildungspolitischer Ebene vorangetrieben, etwa durch die KMK-Empfehlung »Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule« von 2013, und ist inzwischen in zahlreichen Bundesländern implementiert; vgl. die Dokumente (Beschluss 2013 und Bericht 2017) unter https://www.kmk.org/themen/kultur/interkulturelle-bildung.html; vgl. auch die seit 2012 laufende gemeinsame Bund-Länder-Initiative »Bildung durch Sprache und Schrift« (BiSS, http://www.biss-sprachbildung.de/) (Zugriff jeweils am 13.12.2018).

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bei die systematische Entwicklung schul- und bildungsrelevanter sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten als gesamtschulische Aufgabe, die auf doppelte Weise durchgängig gestaltet sein soll: Zum einen wird eine vertikale Durchgängigkeit gefordert im Sinne einer kontinuierlichen sprachlichen Entwicklung und Förderung über die ganze Bildungsbiografie hinweg. Zum anderen soll dies mit einer horizontalen Durchgängigkeit zwischen den beteiligten Fächern und Institutionen einhergehen, in die auch die häufig anzutreffende Mehrsprachigkeit der Lernenden als Ressource einbezogen werden soll. Zu den wichtigsten grundsätzlichen Einsichten dieses und weiterer meist in den Feldern DaZ (Deutsch als Zweitsprache), Sprachdidaktik oder interkulturelle Pädagogik entwickelten Ansätze zählt sicherlich folgende: Die Aufgabe sprachlicher Bildung ist allen Bildungsetappen, allen Lernorten, allen Fächern gestellt und bezieht sich zudem auf alle Kinder und Jugendlichen. Sie ist weder auf solche Schülerinnen und Schüler beschränkt, »die aufgrund eines diagnostizierten Förderbedarfs einer gezielten Unterstützung bedürfen«16 – hier wäre zutreffender von Sprachförderung zu sprechen – noch darf sie auf bestimmte, durch äußere »Merkmale wie Migrationshintergrund, Geschlecht oder Herkunft«17 definierte Gruppen enggeführt werden.

2 Integration von fachlichem und sprachlichem Lernen Hinter dem Gedanken einer durchgängigen Sprachbildung stecken also mehr als ein integrationspolitischer Imperativ und die pädagogische Forderung nach einer heterogenitätssensiblen Bildungspraxis. Genau besehen verbirgt sich dahinter eine sprachtheoretische Prämisse mit weitreichenden didaktischen Konsequenzen. Sie lautet: Sprachlichkeit und Fachlichkeit lassen sich nicht voneinander trennen, sodass die Vermittlung und Aneignung von Sprach- und Fachwissen unlösbar wechselseitig verflochten sind: »Immer wenn fachliche Phänomene erworben werden, findet zugleich auch sprachliches Lernen statt.«18 Mit jeder erfolgreichen Erschließung eines neuen Themenfeldes wachsen auch die sprachlichen Kompetenzen, und mit jedem Zuwachs an fachlicher Komplexität ist auch eine sprachliche Komplexitätssteigerung verbunden. So unmittelbar einleuchtend diese Zusammenhänge sind, so sehr muss überraschen, wie wenig sie bislang (religions-)didaktisch reflektiert wurden. 16 Becker-Mrotzek/Roth, Sprachliche Bildung, 30. 17 Ebd. 18 Michalak/Lemke/Goeke, Sprache im Fachunterricht, 135.

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Im Kern steht die Aufgabe, bei allen fachlichen stets die korrespondierenden sprachlichen Kompetenzerwartungen mitzudenken. Orientierung können dabei folgende zentrale didaktische Prinzipien eines sprachsensiblen Fachunterrichts geben.19 1. Sprachliche Voraussetzungen der Lernenden in ihrer Heterogenität berücksichtigen: Unterrichtliche Erwartungen sind mit den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler abzugleichen – nicht nur in der Sache, sondern auch sprachlich. Eine Defizithermeneutik, die sprachliches Lernen ausschließlich im Nachteilsausgleich verortet, ist zu vermeiden. 2. Sprachliche Anforderungen in Planung und Gestaltung integrieren: Hier geht es darum, sich möglichst konkret klarzumachen, welche sprachlichen Mittel das Unterrichtsziel impliziert, welche sprachlichen Hürden in den Unterrichtsmaterialien stecken und welche Unterstützungen gegeben werden müssen und können. 3. Übergänge von der Alltagssprache zur fachlichen Kommunikation unterstützen: Entsprechend der Lernbewegung vom Konkreten zum Abstrakten ist es auf sprachlicher Ebene geboten, zunächst von der Alltagssprache auszugehen, Verstehensprozesse in eigenen Worten auszudrücken und erst dann Schritt für Schritt fachsprachliche Elemente aufzubauen (etwa durch gezielte Wortschatzarbeit oder Vermittlung von rezeptiven und produktiven Textkompetenzen). Voraussetzung ist, dass auch die Lehrkraft reflektiert zwischen den unterschiedlichen Registern Alltags-, Bildungs- und Fachsprache wechselt. 4. Vielfältige Anlässe zum sprachlichen Handeln schaffen: Um Sprachentwicklung zu fördern, müssen die Unterrichtsformen so angelegt sein, dass die Schüler/-innen möglichst oft selbständig mündlich wie schriftlich arbeiten und dabei Hilfestellungen wie Rückmeldungen auf inhaltlicher wie sprachlicher Ebene erhalten. 5. Sprachliche Aspekte bei der Bewertung berücksichtigen: Grundsätzlich geht es um ein Bewusstsein dafür, in welchem Maße und auf welche Weise Formate der Leistungsüberprüfung nicht nur fachliche, sondern auch sprachliche Aspekte erfassen bzw. voraussetzen. Diese allgemeinen didaktischen Prinzipien eines sprachsensiblen Unterrichts können auch im Religionsunterricht zu einer breiteren Teilhabebefähigung führen. Zugleich bleibt noch genauer zu bestimmen, wie sich hier das Verhältnis von Fachlichkeit und Sprachlichkeit spezifisch ausgestaltet. 19 Auswahl und Modifikation im Anschluss an ebd., 135–157.

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3 Fachlichkeit und Sprachlichkeit im Religionsunterricht Die kirchlichen Rahmenvorgaben zu den Bildungsstandards für den katholischen und evangelischen Religionsunterricht ermöglichen einen Einblick in die verschiedenen Aspekte sprachlichen Lernens im Religionsunterricht, wenngleich sie hauptsächlich indirekt auf den Aspekt der Sprachbildung eingehen.20 Ausdrücklich wird dies nur bei den Kompetenzformulierungen, die auf religiöse Sprache als Unterrichtsgegenstand gerichtet sind: »Religiöse Sprache verstehen und verwenden«21, »Religiöse Zeugnisse verstehen«22, »Grundformen biblischer Überlieferung und religiöser Sprache verstehen«23. Im Mittelpunkt stehen hier Verständnis und sachgemäßer Gebrauch der charakteristischen Merkmale von Sprache im Bereich Religion, und zwar was Einzelformen (Metapher, Symbol etc.), Gattungen (Gebet, Bekenntnis, biblische Gattungen etc.) und religiöse Sprachhandlungen (loben, danken, klagen, bitten etc.) angeht. Damit wird eine unterrichtliche Funktion von Sprache, nämlich als »Lern- und Reflexionsgegenstand«24, adressiert. Weitere unterrichtssprachliche Funktionen treten implizit in anderen Kompetenzbereichen auf, was sich an vier ausgewählten Sprachhandlungen verdeutlichen lässt. ȤȤ Darstellen: Diese Diskursfunktion vereint allgemeine und sachbezogene Aspekte und steckt hinter Formulierungen wie »Religiöses Wissen darstellen«25 oder »Über das evangelische Verständnis des Christentums Auskunft geben«26. Dies impliziert die sprachlichen Anforderungen, ein religiöses Thema strukturiert und adäquat darstellen und präsentieren zu können, was wiederum voraussetzt, die religiöse Eigenlogik verstehen, artikulieren und auch von anderen Wissensdomänen unterscheiden zu können (z. B.: Leben aus biologischer und religiöser Perspektive).

20 Ausführlich zu den vorgestellten Aspekten vgl. Stefan Altmeyer, Sprache; zur Frage nach der Fachsprache des Religionsunterrichts vgl. Theresa Kohlmeyer, »Sie sind religiös sprachunfähig!« Zur Fachsprachlichkeit des Christentums, in: Zeitschrift für Pastoraltheologie 38 (2/2018), 57–68. 21 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) (Hg.), Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 5–10/Sekundarstufe I (Mittlerer Schulabschluss), Bonn 42010, 16. 22 Ebd., 17. 23 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (Hg.), Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I. Ein Orientierungsrahmen, Hannover 2011, 18. 24 Michalak/Lemke/Goeke, Sprache im Fachunterricht, 13. 25 DBK, Bildungsstandards Sek I, 17. 26 EKD, Kompetenzen und Standards Sek I, 18.

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ȤȤ Urteilen: Auch in Formulierungen wie »Fragen stellen und bedenken«27 für die Grundschule oder »In religiösen Fragen begründet urteilen«28 für die Sekundarstufe zeigt sich die enge Verzahnung von fachlichen und sprachlichen Aspekten: Einerseits erfordert diese Frage- und Urteilskompetenz, dass bspw. eigene Positionen verständlich formuliert, Gründe angegeben und abgewogen werden können. Andererseits ist dies nicht ohne Sachbezug denkbar, der im Religionsunterricht sowohl diskursiv (etwa bei ethischen Fragestellungen) als auch existenziell aufgefasst werden kann. ȤȤ Ausdrücken: Kompetenzen wie »Den eigenen Glauben und die eigenen Erfahrungen wahrnehmen und zum Ausdruck bringen«29 oder schon für die Grundschule »sich ausdrücken und einander mitteilen«30 betonen eine kommunikative Funktion und zielen auf eine Sprachkompetenz für individuelle Vorstellungen, Erfahrungen und Deutungen, bspw. »menschliche Grunderfahrungen wie Freude, Trauer, Hoffnung, Schuld und Vergebung«31 oder persönliche »Vorstellungen von Gott und von Jesus Christus«32. Die Besonderheit dieser Kommunikation im Religionsunterricht liegt darin, dass sich Schülerinnen und Schüler über Persönliches austauschen und dabei Sachbezüge (re-)konstruieren sollen. ȤȤ Sich verständigen: Die kommunikative Sprachfunktion findet sich jedoch nicht nur mit individueller, sondern auch mit dialogischer Schwerpunktsetzung: »Mit Angehörigen anderer Religionen sowie mit Menschen mit anderen Weltanschauungen respektvoll kommunizieren und kooperieren«33 bzw. »sich über religiöse Fragen und Überzeugungen verständigen«34, lauten entsprechende Kompetenzerwartungen. Im Blick auf Sprache bedeutet dies, sich auf fremde Religionen und Kulturen einzulassen und nach einer gemeinsamen Sprache im Sinne einer »Kommunikationsfähigkeit über die eigene regionale Kultur hinaus«35 zu suchen.

27 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) (Hg.), Kirchliche Richtlinien zu Bil­ dungsstan­dards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/Primarstufe, Bonn 2006, 19. 28 DBK, Bildungsstandards Sek I, 17. 29 EKD, Kompetenzen und Standards Sek I, 18. 30 DBK, Bildungsstandards Primarstufe, 21. 31 Ebd. 32 EKD, Kompetenzen und Standards Sek I, 20. 33 Ebd., 18. 34 DBK, Bildungsstandards Sek I, 18. 35 Ebd., 11.

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Diese exemplarisch aufgezeigten sprachlichen Anteile in den Kompetenzformulierungen zeigen deutlich, wie auch im Religionsunterricht fachliche und sprachliche Erwartungen und Anforderungen miteinander verwoben sind. Das auffälligste Spezifikum liegt insgesamt wohl darin, dass es gemäß dem »dialogische[n] Prinzip«36 um eine Auseinandersetzung mit der religiösen Tradition geht, die lebenswelt- und erfahrungsbezogen erfolgt. Unterrichtsinhalte sollen hier stets »im Dialog mit den Fragen, Erfahrungen und Überzeugungen der Schülerinnen und Schüler«37 und daher durch »personale Kommunikation«38 erschlossen werden. Diese Grundausrichtung wirkt sich auch auf die Ziele der Sprachbildung aus. Denn weil gerade die konsequente Verknüpfung mit alltagssprachlich geprägten Kontexten inhaltlich zu den zentralen Anliegen des Religionsunterrichts zählt, muss er beides gleichermaßen fördern: fachlich-sprachliche Distanzierung wie lebensweltlich-sprachliche Anknüpfung. Damit bleiben alltagssprachliche Kompetenzen im Religionsunterricht von tragender, nicht ersetzbarer Bedeutung. Anders als in anderen Fächern kann der sprachliche Lernfortschritt im Religionsunterricht von daher nicht allein auf den Aufbau bildungssprachlicher Kompetenzen fokussiert werden.

4 Beispiele zur Entwicklung eines sprachsensiblen Religionsunterrichts Wie wäre nun auf der Basis dieser Grundlagen in Richtung einer sprachsensiblen Praxis des Religionsunterrichts zu gelangen? Zwar liegen kaum explizit religionsdidaktische Materialien39 vor, zugleich kann aber auf eine Fülle bereits erprobter allgemeiner Hilfestellungen hingewiesen werden, die leicht zugänglich und auf religiöse Lernprozesse übertragbar sind. 4.1 Unterrichtsplanung und -gestaltung Die großen Modellprojekte zur Entwicklung einer durchgängigen Sprachbildung wie FörMig und BiSS halten auf ihren Internetportalen sowohl Hinweise auf wissenschaftliche Ergebnisse als durchweg auch Praxismaterialien und Hinweise

36 EKD, Kompetenzen und Standards Sek I, 12. 37 DBK, Bildungsstandards Sek I, 14. 38 Ebd. 39 Eine Recherche in der Datenbank RKE des Comenius-Instituts zu Sprachförderung/-bildung und Religionsunterricht ergab nicht einmal zehn Treffer (Zugriff am 13.12.2018).

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auf empfehlenswerte Handbücher bereit.40 Mithilfe von Leitfäden und Beispielen findet man hier Orientierung zu den allgemeinen sprachdidaktischen Fragen, die sich auch im Religionsunterricht stellen: ȤȤ Was ist bei einer sprachsensiblen Unterrichtsplanung zu beachten? ȤȤ Woran erkennt man sprachliche Hürden in Unterrichtsmaterialen? ȤȤ Wie sehen sprachsensible Aufgabenstellungen aus? ȤȤ Wodurch lässt sich Sprachpraxis schriftlich und mündlich anregen? ȤȤ Welche Methoden helfen beim Aufbau eines Fachwortschatzes, welche bei der Erschließung von Texten? Neben diesen konkret-methodischen Zugängen hat unter den didaktischen Ansätzen das sog. Scaffolding breite Aufmerksamkeit erfahren, insbes. auch in einigen Fachdidaktiken.41 Dieses ursprünglich aus der Spracherwerbsforschung stammende Konzept arbeitet auf der Unterrichtsebene zentral mit temporären sprachlichen Hilfen (Scaffold = Baugerüst), die je nach Bedarf gegeben werden. Das grundlegende Prinzip ist denkbar einfach: Schülerinnen und Schüler erhalten nicht nur Aufgaben, was zu tun ist, sondern auch Unterstützung, wie sie dorthin gelangen können. Für den einen können dies Fachbegriffe sein, die aufgeschlüsselt werden, um eine Brücke zwischen Alltags- und Fachsprache herzustellen. Für die andere sind Visualisierungen oder das Bereitstellen von Textbausteinen angesagt, die bei der Erarbeitung einer Aufgabe nützlich sind. Auch konkrete Hilfestellungen beim Lesen und Erschließen von Texten fallen in diese Kategorie. Diese und andere »Gerüste« sollen das fachliche Lernen von sprachlichen Hürden entlasten und werden »abgebaut«, sobald sie nicht mehr benötigt werden. 4.2 Einbettung in sprachsensible Schulentwicklung Der langfristige Erfolg aller Bemühungen in Richtung eines sprachsensiblen Unterrichts hängt in hohem Maße mit der Frage zusammen, ob sich über punktuelle Anstrengungen hinaus an einer Schule auch insgesamt so etwas wie eine Kultur der Sprachsensibilität entwickelt. Insofern ist es folgerichtig, dass aus den genannten Initiativen der durchgängigen Sprachbildung auch Vorschläge und konkrete 40 Vgl. die bereits weiter oben angegebenen Homepages sowie exemplarisch Hanne Brandt/Ingrid Gogolin, Sprachförderlicher Fachunterricht. Erfahrungen und Beispiele (FörMig Material 8), Münster 2016; Josef Leisen, Handbuch Fortbildung Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis, Stuttgart 2017. 41 Vgl. Pauline Gibbons, Scaffolding language, scaffolding learning. Teaching English language learners in the mainstream classroom, Portsmouth, NH 22015; Michalak/Lemke/Goeke, Sprache im Fachunterricht, 161–166.

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Hilfestellungen für die gesamtschulische Ebene entstanden sind. Ein anregendes und mit vielen Praxisimpulsen dokumentiertes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen ist das Projekt »Sprachsensible Schulentwicklung«.42 Hier wird nachvollziehbar, auf welchem Wege das Anliegen auf den verschiedenen Ebenen des Systems Schule (Schulkultur, Unterricht, Strukturen) vorangebracht werden kann. Von entscheidender Bedeutung ist wohl die Sensibilisierung für den Anteil des sprachlichen Lernens an jedem fachlichen Lernen. Man findet in dem Material anregende Methoden und Übungen, die sich problemlos auf das Thema Religion übertragen lassen, wie etwa im Sinne der folgenden Übung: »Erklären Sie das Thema Advent schriftlich in Ihrer besten Fremdsprache.« Diese unscheinbar wirkende Übung macht, wenn sie etwa im Fachseminar oder in der Fachkonferenz gestellt wird, ganz unmittelbar und eindrücklich deutlich, welche sprachlichen Hürden ein (für diese Gruppe sachlich geklärtes) Thema stellt und welche Unterstützungen (Scaffolds) hilfreich sein könnten. Wer einmal selbst die Erfahrung gemacht hat, wie Sprachhürden den Umgang mit einem Thema des Religionsunterrichts blockieren können, wird den eigenen Unterricht mit anderen Augen wahrnehmen und reflektieren können. 4.3 Ein Beispiel für lebensweltlich-sprachliche Bildung im Religionsunterricht Neben den allgemeinen Ansätzen und Methoden, um Teilhabemöglichkeiten am Unterricht durch sprachbewusst geplante und gestaltete Elemente zu fördern, ist der Religionsunterricht natürlich auch gefordert, seine für ihn typische Ausprägung von Fachlichkeit und Sprachlichkeit anzubahnen. Viele religionsdidaktische Ansätze, wie etwa das Theologisieren mit Kindern- und Jugendlichen, die performative oder die Didaktik des Perspektivenwechsels, bieten dazu Anknüpfungspunkte, die allerdings noch mit dem Fokus auf Sprachbildung ausgearbeitet werden müssten. Hier soll abschließend ein Beispiel vorgestellt werden, das ausdrücklich den lebensweltlich-sprachlichen Aspekt religiöser Bildung fokussiert und als Element in grundsätzlich jedes religionsdidaktische Setting integriert werden kann. Unter dem Projekttitel »Sag’s doch einfach! In deinen eigenen Worten«43 wurde an der Universität Mainz ein religionsdidaktischer Baustein entwickelt, 42 Vgl. Heidi Scheinhardt-Stettner, Das Projekt »Sprachsensible Schulentwicklung«. Erfahrungen und Konzepte zur Umsetzung in Schulen, Arnsberg 2017; vgl. online: http://www.sprachsensible-schulentwicklung.de/ (Zugriff am 13.12.2018). 43 Vgl. Julia Kraft/Stefan Altmeyer, Sag’s doch einfach! … In deinen eigenen Worten, in: Katechetische Blätter 142 (2017), 281–283; sowie die Materialien online: https://www.relpaed.kath. theologie.uni-mainz.de/sags-doch-einfach/ (Zugriff am 13.12.2018).

Sprachhürden erkennen und abbauen

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der sprachdidaktisch am Modell des Scaffolding orientiert ist. Es geht darum, dass Schülerinnen und Schüler ein Thema des Religionsunterrichts in möglichst einfacher Sprache und für die Zielgruppe Gleichaltriger »übersetzen«. Als Hilfen (Scaffolds) stehen ihnen dabei Schritte zur Texterarbeitung (Planen, Formulieren, Überarbeiten) zur Verfügung, vor allem jedoch ein Set von Sprachregeln, die sie einhalten sollen. Diese Regeln sind am Inklusionsmodell der sog. Leichten Sprache orientiert und zielen darauf, konzeptionell mündliche und an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientierte Texte entstehen zu lassen. Ein Beispiel: Eine sechste Gesamtschulklasse beschäftigte sich mit dem Thema Gewissen. Der Unterricht verlief ohne ausdrückliches Augenmerk auf die sprachliche Dimension. Lediglich zum Abschluss der Unterrichtsreihe brachte die Lehrkraft das Projektmaterial zum Einsatz, um eine Ergebnissicherung mit lebensweltlichem Transfer zu ermöglichen. Die Schülerinnen und Schüler erhielten die Aufgabe, das Thema Gewissen für Gleichaltrige zu übersetzen und dabei den Sprachregeln des Projekts zu folgen, z. B.: kein Fachvokabular, sondern eigene Worte zu gebrauchen, Fremdwörter zu vermeiden bzw. zu erklären, Beispiele einzubinden sowie nur einfache Sätze zu bauen. Im Anschluss wurden die entstandenen Texte besprochen und überarbeitet. Der folgende Text stammt von zwei Schülerinnen und steht für eine Reihe von Beispielen, die zeigen, wie auf dem Weg der sprachlichen Vereinfachung die inhaltliche Auseinandersetzung intensiviert und lebensweltlich konkretisiert werden konnte. Ein Gewissen kommt vom Herzen Es begleitet dich durch das Leben. Es hilft dir bei Entscheidungen. Es gibt dir gute Ratschläge. Außerdem hält es dich von Fehlern ab. Es redet wie eine Stimme in deinem Kopf. Und wenn du es nicht befolgst, dann hast du ein schlechtes Gewissen. Das ist wie ein Stich im Herzen.

Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, worauf insgesamt die pilothafte Erprobung des Projektmaterials mit elf Lerngruppen unterschiedlicher Schulformen von Primar- und Sekundarstufe I hindeutet: Die Reduktion sprachlicher Komplexität führt dazu, dass die Relevanzfrage zum Gegenstand des Unterrichts gemacht und mehr Schülerinnen und Schüler beteiligt werden können. Es scheint so zu sein, dass der Gebrauch einer leichten Sprache zu einer intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung und Positionierung motiviert und diese fördert. Etwas in

196

Stefan Altmeyer

einfacher Sprache sagen zu dürfen, entlastet von den bildungs- und fachsprachlichen Konventionen, zugleich macht es die Anforderungen transparent, die Sache verstanden zu haben und sie auf die eigene Lebenswelt beziehen zu können. Damit wird – wie auch im zitierten Beispiel – deutlich, wo jenseits sprachlicher Hürden die thematischen Stolpersteine liegen, die zum Anstoß produktiver Lernprozesse für möglichst viele Schülerinnen und Schüler werden können.

Dr. Stefan Altmeyer ist Professor für Religionspädagogik, Katechetik und Fachdidaktik Religion an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

»Wege aus dem Niemandsland?« – Aspekte einer zeitgemäßen Bibeldidaktik auch für Religionsferne Mirjam Zimmermann

Die Bibel ist heutigen Kindern und Jugendlichen weitgehend unbekannt. Hierin unterscheidet sich die Gruppe der traditionellen oder modernen wenig von z. B. postmodernen, eher religionsfernen Milieus im Klassenzimmer.1 Selbst eine Orientierung in Basistexten wie dem Dekalog, dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter oder der Bergpredigt kann nicht mehr vorausgesetzt werden. Wer Schülerinnen und Schüler mit biblischen Texten konfrontiert, hat nicht selten den Eindruck, als führe man die Kinder und Jugendlichen in ein fremdes, unbekanntes Land, das im besten Fall Staunen, aber leider oft auch Ablehnung und Kritik z. B. deren Wahrheitsgehaltes hervorruft. Zugleich beansprucht die Bibeldidaktik nach wie vor, dass sich die Schülerinnen und Schüler so intensiv auf die Texte und Welten der Bibel einlassen, dass sie mit ihnen Sprach- und Identitätsgewinn2 erfahren, sie – metaphorisch gesprochen – bewohnen, um mit ihnen vertraut und heimisch zu werden. Die Bibeldidaktik steht damit vor der Herausforderung, einen Weg »Vom Niemandsland zum Heimatland« zu bahnen. Diese raumsemantische Aufgabenformulierung entlehne ich dem Titel einer bibeldidaktischen Fortbildung, zu der ich unlängst eingeladen war.3 Wie bei der Fortbildung auch, ziehe ich in einem ersten Teil zunächst empirische Studien zu Rate, um zu verdeutlichen, wie sich das Verhältnis der Jugendlichen zur Bibel heute beschreiben lässt. Ebenso kann und muss aber auch gefragt werden, welches Verhältnis die Religionslehrerinnen und Religionslehrer ihrerseits zur Bibel haben. Weil diesbezüglich kaum empirische Daten aus den großen Religionslehrerstudien vorliegen, wurde bei dieser Fortbildung eine kleine Befragung durchgeführt, deren Ergebnisse an dieser Stelle zur Frage referiert werden, welche Zugangsschwierigkeiten die Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit mit der Bibel feststellen. 1 Vgl. Ulrich Riegel, Bibelverständnis und soziales Milieu, in: Mirjam Zimmermann/Ruben Zimmermann, Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 22018, 674–677, der allerdings unterschiedlichen Milieus unterschiedliche Lesarten der Bibel zuordnet. 2 Vgl. Carsten Gennerich, Bibel als Medium der Identitätsbildung, in: Mirjam Zimmermann/ Ruben Zimmermann, Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 22018, 660–673. 3 Die Fortbildung fand am 21.11.2018 in Tecklenburg/Niedersachsen statt.

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Mirjam Zimmermann

Der zweite Hauptteil skizziert dann die im ersten Teil umrissenen Probleme aufnehmend bibeldidaktische Lösungsansätze, die versuchen, den Weg vom Niemandsland in Richtung Heimatland Bibel zu weisen.

1 Interesselosigkeit, Defizitempfinden, Kritik am Wahrheits­ gehalt: Bibel aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern Die Klage, dass nicht nur religionsferne Jugendliche kein persönliches Verhältnis mehr zur Bibel haben, ihren Wahrheitsgehalt bezweifeln, nicht mehr in der Bibel lesen und letztlich auch keine biblischen Geschichten mehr kennen, gibt es, empirisch überprüft, bereits fast ein halbes Jahrhundert lang, aber sicherlich auch schon lange davor. Bereits in der Studie von Bröcking-Bortfeldt,4 in der Anfang der 1980er Jahre 750 niedersächsische Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 16 Jahren nach der Bedeutung der Bibel befragt wurden, verneinen mehr als die Hälfte die Frage, ob es in der Bibel beeindruckende Geschichten gebe.5 Grundlage der Untersuchung war ein Fragebogen mit 49 Items, die nach der Faktizität der Bibel (»Haben die Menschen, die in der Bibel vorkommen, wirklich gelebt?«), nach der Häufigkeit der Bibellektüre, nach der Bedeutung der Bibel für die Probanden, nach für die Schülerinnen und Schüler wichtigen biblischen Personen, nach Vermittlern in ihrem Umfeld (Eltern, Großeltern, Lehrer u. a.) etc. fragten. Damals schon gab die Mehrheit der Jugendlichen (ca. 80 %) an, dass es in ihrer Familie egal sei, ob sie sich mit der Bibel beschäftigten.6 Entsprechend wenige lasen die Bibel (39 %: eigentlich nie; ziemlich oft/ regelmäßig: 8 %). Ein ähnliches Ergebnis zeigte die Studie von Horst Klaus Berg.7 Diese Situation hat sich je nach aktuellerer Untersuchung,8 auf die man sich bezieht, noch etwas zugespitzt, sodass die Bibel tatsächlich »ein Buch mit sieben Siegeln«9 zu sein scheint, indem »fremde Welten«10 in »fremden Spra-

  4   5   6   7

Martin Bröcking-Bortfeldt, Schüler und Bibel (Religionspädagogik heute, Bd. 13), Aachen 1984. Ebd., 162 f. Ebd., 23. Horst Klaus Berg, Die Bibel – ein wichtiges Buch für Schüler. Ergebnisse einer Umfrage, in: RU – Zeitschrift für die Praxis des Religionsunterrichts (1989) 3, 93–96.   8 Eine sehr übersichtliche und prägnante Zusammenfassung zu »Einstellungen zur Bibel von Jugendlichen« findet man von Joachim Theis unter www.wirelex.de (Zugriff am 23.11.2018).   9 Peter Müller, Schlüssel zur Bibel. Eine Einführung in die Bibeldidaktik, Stuttgart 2009, 11. 10 Stefan Alkier, Fremde Welten verstehen lernen. Semiotische Bausteine einer interkulturellen Hermeneutik für die religionsgeschichtliche und religionsdialogische Arbeit, in: Zeitschrift für Neues Testament (2000) 5, 49–55.

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»Wege aus dem Niemandsland?«

che[n]«11 vorgestellt werden. Allerdings haben Grundschulkinder ein sehr viel positiveres Bild von der Bibel als Jugendliche.12 Laut der 13. Shell-Jugendstudie 2000 liest ein Großteil der deutschen Jugendlichen so gut wie gar nicht mehr in der Bibel (1 % sehr oft; 2 % oft; 19 % selten und 79 % nie).13 Gleiches bestätigt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach 2005 für Deutsche ab 16 (häufig lesen 4 %; hin und wieder 9 %; selten 25 % und nie 62 % die Bibel).14 2016/17 haben Carsten Gennerich und ich 1409 Probandinnen aus Deutschland hinsichtlich ihres Bibelwissens und Bibelverständnisses befragt;15 hier ist das Bild nicht ganz so düster: Immerhin haben in Deutschland nach Aussage der Kinder/Jugendlichen nur in 21,5 % der Haushalte keine Bibel in ihrem Besitz. Tabelle 1: Häufigkeit des Bibelbesitzes

Deutschland (N = 1409)

nein

ja, eine

ja, mehrere

M

S

21,5

40

39

2,17

0,76

Dass die Bibel unter Kindern und Jugendlichen auch heute kein Buch ist, das sie häufig lesen, wird aus Tabelle 2 deutlich, in der die Antworten auf die Frage »Liest du selbst in der Bibel?« dargestellt sind: Knapp zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen liest nie bzw. ein weiteres Drittel selten in der Bibel, das sind 90 % der Gesamtstichprobe. Jeden Tag mit Geschichten aus dem Buch der Bücher befassen sich nur 3 % aller Kinder und Jugendlichen. Die Gruppe der Religionsfernen allein repräsentiert hier nicht die geringe Lesehäufigkeit. Tabelle 2: Lesehäufigkeit der Bibel

N = 1406

nie

selten

einmal im Monat

einmal pro Woche

Jeden Tag

M

S

60

30

4

4

3

1,59

0,94

11 Stefan Altmeyer, Bibeldidaktik als Sprachdidaktik, in: Mirjam Zimmermann/Ruben Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 22018, 482–488. 12 Helmut Hanisch/Anton A. Bucher, Da waren die Netze randvoll. Was Kinder von der Bibel wissen, Göttingen 2002. 13 Deutsche Shell (Hg.), Jugend 2000, Bd. 1, Opladen 2000. 14 Institut für Demoskopie Allensbach (Hg.), Allensbacher Berichte 20 (2005), 1–4,2; vgl. https:// www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_0520.pdf (Zugriff am 8.12.2018). 15 Carsten Gennerich/Mirjam Zimmermann, Bibelwissen und Bibelverständnis von Jugendlichen, Göttingen 2019 (im Erscheinen).

200

Mirjam Zimmermann

Bei einer offenen Frage nach den Lernorten biblischer Geschichten werden vergleichbar mit dem Ergebnis der geschlossenen Frage an erster Stelle der Religionsunterricht (85 %), dann Bücher (77 %), die Familie (30 %) und das Fernsehen (30 %) genannt. Teilweise lagen hier auch ähnliche Items bei Hanisch und Bucher vor. Dort hatten 88 % der Befragten ihre Bibelkenntnisse aus dem Religionsunterricht, 28 % aus dem Kindergottesdienst und 16 % aus dem Kindergarten.16 In dieser knappen Auswahl erwähnenswert soll noch die Frage nach der Bewertung von Bibel im Religionsunterricht sein. Hier haben wir nach zwei Alterskohorten aufgeteilt und es zeigt sich, dass biblische Themen im Religionsunterricht gar nicht so unbeliebt sind. Von der jüngeren Gruppe mit einem Altersschwerpunkt bei den 11-Jährigen bewerten 54 %, also mehr als die Hälfte diesen als gut oder sehr gut, bei den Älteren (Altersschwerpunkt: 16-Jährige) immer noch 38 %. Ablehnend stehen dem Medium Bibel im Religionsunterricht in beiden Kohorten etwa ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler gegenüber. Tabelle 3: Einschätzung der Bibel als Thema und Medium im Unterricht durch Schülerinnen und Schüler gar nicht gut

sehr gut

M

S

9- bis 14-Jährige (N = 939)

7

10

29

30

24

3,55

1,15

15- bis 20-Jährige (N = 942)

9

12

41

23

15

3,21

1,13

Bedenkenswert ist allerdings (wenngleich nicht repräsentativ erfasst), dass Jugendliche, befragt man sie am Ende ihrer Schulzeit nach 1000 Stunden Religionsunterricht,17 was sie zum Thema Bibel gelernt haben, dies oft selbst nicht als befriedigend empfinden: »Während wir in den Klassen 1–7 sehr viel mit der Bibel gearbeitet haben, wurde der Unterricht in den späteren Klassen immer theoretischer und philosophischer. Dabei haben wir unser Bibelwissen weitgehend verloren.«18

16 Hanisch/Bucher, Da waren die Netze randvoll, 61. 17 Peter Kliemann/Hartmut Rupp (Hg.), 1000 Stunden Religion. Wie junge Erwachsene den Religionsunterricht erleben, Stuttgart 2000. 18 Ebd., 71.

»Wege aus dem Niemandsland?«

201

»Was ich sehr vermisst habe, ist die Arbeit mit der Bibel, die eigentlich ›Hauptwerkzeug‹ des Unterrichts sein sollte, wie die Formelsammlung in Mathematik oder das Wörterbuch in Englisch.«19 »Eigentlich hat mich das Fach immer interessiert, aber inhaltlich ist mindestens aus den ersten zehn Schuljahren nicht besonders viel hängengeblieben. Manchmal finde ich es fast bedenklich, wie wenig ich mich z. B. in der Bibel auskenne.«20 Die Schülerinnen und Schüler beschreiben hier als Defizit, dass die Bibel in den höheren Klassen zu selten Thema gewesen ist, sodass bei ihnen weder ausreichendes Bibelwissen noch eine Orientierung in der Grundquelle des Christentums vorhanden sei. Zentral wird in verschiedenen Studien, dass Schülerinnen und Schüler mit wachsendem Alter ein Problem mit dem Wahrheitsgehalt der Bibel haben: In der Grundschulstudie von Hanisch und Bucher 2002 waren noch 61 % der Grundschulkinder mit geringer religiöser Praxis, 91 % mit mittlerer religiöser Praxis und 97 % mit hoher religiöser Praxis der Meinung: Die Bibel ist wahr.21 Bröcking-Bortfeldt konnte schon Anfang der 1980er Jahre die Abnahme der alterstypischen Zustimmung zur Frage nach »Bibel als Wort Gottes« (52 % mit 13 Jahren, 31 % mit 16 Jahren)22 und damit natürlich auch die zunehmende Infragestellung der Wahrheit der Schrift feststellen. Kalevi Tamminen bestätigte dann in seiner Studie von 1991 das Ergebnis, dass »eine eindeutige und durchgängige Veränderung [in Bezug auf die Bibel] mit zunehmendem Alter nur in einer der Kategorien, nämlich der bezüglich der Glaubwürdigkeit der Bibel (Kategorie 4) feststellbar ist«23. Eine vergleichbare Abnahme zeigt sich in unserer Studie: So halten in der jüngeren Kohorte noch 78,3 % die Bibel für wahr,24 in der Älteren sind es nur noch 52,5 %. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich für den Aspekt der persönlichen Bedeutsam19 20 21 22 23

Ebd., 50. Ebd., 123. Hanisch/Bucher, Da waren die Netze randvoll, 71. Bröcking-Bortfeldt, Schüler und Bibel, 135. Kalevi Tamminen, Religiöse Entwicklung in Kindheit und Jugend, Frankfurt a. M. 1993, 157; Tabellen: 158, 160. 24 Wir hatten im Rahmen des semantischen Differenzials den Gegensatz »wahr – erfunden« der Vergleichbarkeit zu Hanisch/Bucher halber belassen, obwohl das Gegenteil von wahr – unwahr und das von erfunden – wirklich passiert ist; hier ist die Hanisch/Bucher-Studie nicht klar. Einige Schülerinnen und Schüler hatten das immerhin angemerkt bzw. ihr Kreuz in die Mitte gesetzt. Gleichsam wie bei Bucher haben wir dies als Missing gezählt.

202

Mirjam Zimmermann

keit sowohl hinsichtlich der Altersentwicklung, aber auch der gesellschaftlichen Entwicklung (Hanisch/Bucher-Studie: »für mich wichtig/für mich unwichtig«: 74,5/25,5; unsere Studie »hat mit meinem Leben zu tun/hat nichts mit meinem Leben zu tun«: 45,5/54,5). Selbst bei evangelischen Jugendgruppen changiert die Bibel auf einer Rangliste von 18 Themen lediglich auf Rang 13, sogar im Rahmen kirchlicher Angebote ist das Interesse nicht besonders groß.25 Fazit: Für einen Großteil der Lernenden, nicht nur für die Gruppe der Religionsfernen, ist die Bibel ein »Niemandsland«, das in ihrem Leben eigentlich nicht vorkommt und deren Wahrheit und Bedeutung zumindest für einen Teil nicht nachvollziehbar ist. Das muss didaktisch aber kein schlechter Ausgangspunkt sein, wenn die angeleitete Begegnung gelingt. So lehnen Lernende nach unserer Studie das Medium Bibel im Religionsunterricht nicht grundlegend ab, sondern ein großer Teil befürwortet bibeldidaktische Zugänge.

2 Als Inhalt, Zielperspektive und Medium nicht an erster Stelle – Bibel aus der Sicht von Lehrerinnen und Lehrern Wertet man die großen Studien zur Person der Religionslehrerinnen und -lehrer hinsichtlich des Bibelbezugs bzw. bibeldidaktischer Probleme aus, so lässt sich hier ein Forschungsdefizit feststellen, denn der persönliche Bibelbezug und die Bedeutung einer bibeldidaktischen Zieldimension kommen nur ganz vereinzelt vor. Allein in den Untersuchungen von Feige, Dressler, Lukatis und Schöll26 sowie Lück27 findet man einige wenige relevante Aspekte. Dieser Studie liegt u. a. eine Fragebogenuntersuchung mit 2.109 ausgewerteten Bögen zugrunde, hier stößt man auf ein Item, das unter »Zielvorstellungen« die Bedeutung der Bibel im Reigen möglicher weiterer Ziele wie »christliche Ethik herauszuarbeiten«, »Glaubensfragen zu erkennen und zu erschließen«, »eine Oase in der täglichen Leistungsroutine der Schule zu bieten«, »Lebensbegleitung anzubieten«28 etc. verortet. Während als wichtigstes Ziel »Wertvorstellungen vermitteln« auf einer fünfstufigen Skala einen Mittelwert von 4,25 erzielt, gefolgt von »die gesell25 Untersuchung von Manfred Kwiram, zitiert bei Müller, Schlüssel zur Bibel, 53. 26 Andreas Feige/Bernhard Dressler/Wolfgang Lukatis/Albrecht Schöll, ›Religion‹ bei ReligionslehrerInnen. Religionspädagogische Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis in empirisch-soziologischen Zugängen, Münster u. a. 2000. 27 Christhard Lück, Beruf Religionslehrer. Selbstverständnis – Kirchenbindung – Zielorientierung (Arbeiten zur Praktischen Theologie, Bd. 25), Leipzig 2003. 28 Ebd., Feige/Dressler/Lukatis/Schöll, ›Religion‹ bei ReligionslehrerInnen, 224 f.

»Wege aus dem Niemandsland?«

203

schaftlich-emanzipatorische Seite von Religion betonen« (MW 4,15), liegt die Zielvorstellung bei biblischem Lernen, was mit dem Item »Zugänge zur Bibel schaffen« ausgedrückt wird, etwa im Mittelfeld (MW 3,23). Interessant ist, dass die Zieldifferenzierung nach Alter der Lehrkräfte29 eine Höhergewichtung dieses Items der über 56-Jährigen zeigt, »Zugänge zur Bibel schaffen« für die unter 40-Jährigen eine deutlich (MW ca. 3,0) geringere Bedeutung hat. Eine ähnliche Differenz findet man zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der Schulformen: An Primarstufen Lehrende, knapp gefolgt von den Gymnasiallehrerinnen und -lehrern, haben mehrheitlicher das Ziel, Zugänge zur Bibel zu schaffen, als z. B. Lehrende der Berufsschulen oder der Hauptschulen (MW nur um 2,7). Da sich Zielformulierungen auch immer mit Zielrealisierungen verbinden, kann man daraus ableiten, dass die älteren Religionslehrerinnen und -lehrer der Bibel in ihrem Unterricht eine größere Bedeutung einräumen, die Lehrenden der Haupt- und Berufsschulen dagegen eher Mühe mit dem Medium haben.30 Dies könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass deren Klientel noch schwieriger zur Bibel zu motivieren ist. Bei der Frage nach Unterrichtsgestaltungsmöglichkeiten31 liegt das Item »Religion über geprägte biblische Worte erschließen« sogar eher im letzten Drittel mit einem Mittelwert von 2,35, gefolgt nur noch von »Religion gewinnt Gestalt durch Gebete« und »Religion im Feiern der Schulandacht erschließen«, also gleichsam konservativ zu verortenden Items. Auch hier beurteilen die älteren Kolleginnen und Kollegen diese bibeldidaktische Möglichkeit positiver als die jüngeren,32 die männlichen positiver als die weiblichen,33 die an Gymnasien und Grundschulen deutlich positiver als die der Gesamt- und Hauptschulen, deren Lehrkräfte damit zum Ausdruck bringen, dass ihre eher religionsfernere Schülerschaft Religion eben noch weniger aussichtsreich über biblische Worte erschließen kann. Die Situation an Grundschulen stellt sich, wie oben schon angedeutet, in Bezug auf die Bibel positiver dar: Bei der von Christhard Lück 2003 publizierten Studie wurden gleichsam Zieldimensionen des Religionsunterrichts aus der Perspektive von Religionslehrenden erfasst. Hier finden sich zwei Variablen: »Biblisches Grundwissen vermitteln« (94,1 %, MW 2,2) und »Mit dem Leben und Wirken Jesu bekannt machen« (98,8 % MW, 1,75; 5er Skala von 1 »sehr wichtig« bis 5 »unwichtig«), die sich expliziter auf biblische Inhalte beziehen. 29 30 31 32 33

Ebd., 230. Ebd., 232. Ebd., 238. Ebd., 240. Ebd., 241.

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Mirjam Zimmermann

Die Zustimmung zu diesen Items bzw. sogar zu einer »Schwerpunktsetzung auf biblische Geschichten« (81 %, MW 2,61)34 ist deutlich und liegt weit über den Werten, die von Lehrenden anderer Schularten genannt wurden. Sucht man darüber hinaus nach Items, die die Relevanz der Bibel im persönlichen Leben der Lehrenden beschreiben, findet sich Interessantes beim Fragebogenauszug »Ausdrucksformen evangelischen Glaubens«, bei der die Befragten Ausdrucksgestalten eines evangelischen Glaubens für sich persönlich wiederum auf einer 5er-Skala (»Auffassung lehne ich völlig ab« bis »… stimme ich völlig zu«) bewerten sollten. Während hier vor allem die »gedankliche Auseinandersetzung mit dem Glauben« konsensfähig positiv bewertet wird (MW 4,4), erfährt das Item »Regelmäßige Bibellektüre gehört zur christlichen Lebensgestaltung« nur sehr bedingte Zustimmung (MW 2,79), gefolgt allein von der Bedeutsamkeit des Kreuzesgeschehens, der Kirchenmitgliedschaft und eines Bekehrungserlebnisses.35 Bezüglich der altersspezifisch und schulspezifisch stärkeren Zustimmung bzw. Ablehnung zeigt sich ein ähnliches Bild wie das zuvor beschriebene.36 Bibellesen rangiert außerdem besonders für die Gruppe als bedeutsam, die aktiv in der Kirchengemeinde ist.37 Bezieht man das Fortbildungsinteresse der Lehrenden ein, stehen Wünsche nach »vielfältigen Formen der Arbeit mit biblischen Texten« z. B. in der Studie von Rothgangel, Lück und Klutz bei 38,2 %, nach »biblisch-theologischen Grundinformationen« bei 20,7 % etwa im Mittelfeld dort genannter Themenangebote,38 vielleicht besonders deshalb, weil die bibeldidaktischen Schwierigkeiten gerade im Haupt- und Berufsschulkontext mit vielen religionsfernen Schülerinnen und Schülern deutlich wahrgenommen werden (s. o.). Leider finden sich in keiner der aufgeführten Studien Fragen zu bibeldidaktischen Schwierigkeiten im Religionsunterricht. Meine oben skizzierte kleine Befragung mit 30 Fortbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern sammelt hier die üblichen, schon von Horst Klaus Berg aufgeführten Problembereiche, dass es ein »starkes Erfahrungs- und Relevanzdefizit [gibt], das offenbar durch den bisherigen Bibelunterricht nicht aufgefangen wurde.«39 Folgende Aspekte wurden hier genannt und sind exemplarisch aus den Bögen wörtlich übernommen: 34 35 36 37 38

Lück, Beruf Religionslehrer, 131. Feige/Dressler/Lukatis/Schöll, ›Religion‹ bei ReligionslehrerInnen, 276. Ebd., 280 f. Ebd., 283. Vgl. Martin Rothgangel/Christhard Lück/Philipp Klutz, Praxis Religionsunterricht. Einstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen von ReligionslehrerInnen (Religionspädagogik innovativ, Bd. 10), Stuttgart 2017, 104. 39 Horst Klaus Berg, Grundriss der Bibeldidaktik. Konzepte – Modelle – Methoden, Stuttgart/ München 1993, 96.

»Wege aus dem Niemandsland?«

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ȤȤ Realitätsverlust: »Den Kindern ist der Umgang mit der Bibel häufig aus dem Elternhaus nicht bekannt.« ȤȤ Interesselosigkeit der Schülerinnen und Schüler (Evidenzverlust): »SuS haben keine Bereitschaft, sich auf die Texte einzulassen.« »Schon zu Beginn eher häufig gleichgültige oder sogar ablehnende Haltung.« ȤȤ Bedeutungslosigkeit (Relevanzverlust): »Die Einstellung der SuS ›das kennen wir schon, wie immer das gleiche‹ erschwert den Zugang.« »Die SuS sind der Meinung ›stinklangweiliges Buch‹.« ȤȤ Lebensferne: »Der Übertrag auf die Lebenswirklichkeit der Kinder ist schwierig.« ȤȤ Negative Konnotation: »Die SuS aus Freikirchen beteiligen sich nicht, weil es nicht positiv bewertet wird, sich in der Bibel auszukennen.« »Wenn ich mit den Bibeln in die Klasse komme, werde ich nicht gerade erfreut begrüßt.« ȤȤ Sprachlicher Anspruch: »Für die SuS ist selbst die Sprache der Guten Nachricht zu komplex.« »Sowohl der Satzbau als auch das Vokabular sind zu komplex.« ȤȤ Wahrheitsanspruch: »Die SuS sind der Meinung, was da drinsteht, ist alles erfunden.« »Die Schwierigkeit zu begreifen, dass die Bibel metaphorische Wahrheiten verkündet.« ȤȤ Aufgabenformate: »Die sogenannten Anforderungssituationen in kompetenzorientierte Aufgaben (Schulbücher, Unterrichtsreihen) zum Thema Bibel sind nicht wirklich aus der Lebenswelt der Jugendlichen, wie sollten sie auch.« ȤȤ Organisatorische Gründe: »Oft sind es schlichtweg organisatorische Gründe, z. B. wie bekomme ich die Bibeln in den Klassenraum im dritten Stock?« »Kinder anderer Religionen erschweren die Auseinandersetzung, weil sie die Bibel grundsätzlich in Frage stellen.« »Die Curricula in der Sek I und II sind übervoll mit Unterrichtsgegenständen ohne die Bibel.« »Kein kumulativer Wissensaufbau: die fehlende Vorarbeit der Kollegen, so dass man immer wieder bei Null anfangen muss.« Fazit: »Zugänge zur Bibel zu schaffen« nimmt im Reigen der Zielvorstellung von Religionslehrerinnen und -lehrern einen unteren Mittelwert ein. Die verhalten-kritische Sicht auf Bibel ist vor allem bei jüngeren Lehrerinnen und Lehrern und bei Lehrenden an Berufs- und Hauptschulen besonders vorherrschend, vielleicht weil bei letzteren deren Klientel eher noch religionsferner und damit bibeldidaktische Zugänge schwieriger sind. Lehrende an Grundschulen bewerten die biblischen Inhalte bedeutsamer. Als bibeldidaktische Schwierigkeiten konnten in einer kleinen Befragung mit offenen Fragestellungen im Rahmen einer Fortbildung Realitätsverlust, Interesselosigkeit, Bedeutungslosigkeit, Lebensferne, negative Konnotation, Wahrheitsan-

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spruch, sprachliche Probleme, fehlende Aufgabenformate und praktische Probleme identifiziert werden. Besondere Schwierigkeiten mit religionsfernen Schülerinnen und Schülern wurden hier nicht benannt.

3 Bibeldidaktische Lösungsversuche In den letzten Jahrzehnten sind manche bibeldidaktische Lösungsversuche angeboten worden, damit Schülerinnen und Schüler sich in sinnvoller Weise mit dem Buch der Bücher beschäftigen, sei es zum Kennenlernen der christlichen Tradition, um unsere Kulturgeschichte zu verstehen, sei es als Befähigung zum aktualisierenden Umgang mit der Tradition oder als Beitrag zur Wertebildung etc.40 Diese Ansätze seien unter Einbeziehung neuerer Publikationen ganz knapp genannt, bevor drei Zugänge kurz umrissen werden, die auf die in den ersten beiden Teilen genannten Probleme »Wahrheitsfrage«, »Identifikation/Lebensnähe«, »Sprachfähigkeit/Argumentationsfähigkeit« eingehen. Während es in der evangelischen Unterweisung nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch darum ging, dass die Lehrkräfte die (eine) Wahrheit der biblischen Botschaft bezeugen, damit die Lernenden als getaufte Christinnen und Christen von Gottes Wort her leben können, wurde das Konzept schon in den 1960er Jahren brüchig, weil Erfahrungen und Fragen der Lernenden dabei keine Rolle spielten. Die bewusste Erschließung der Texte mit geeigneten (historisch-kritischen) Methoden durch die Experten-Lehrkraft war dann ein Ziel der hermeneutischen Bibeldidaktik mit der Intention, dass junge Menschen diese nun besser verstehen und dadurch auch persönlich angesprochen würden. Weiter in Richtung »Berücksichtigung der Situation der Lernenden« schlug das Pendel im problemorientierten Religionsunterricht aus, bei dem die Bibel nur noch auf ihr »Problemlösungspotenzial« hin konsultiert wurde. In den folgenden bibeldidaktischen Konzeptionen wird nun das Verhältnis zwischen Lernenden, der Bibel und methodischen Zugängen jeweils neu bestimmt. Jüngst hat Horst Klaus Berg mit seinem Buch »Gottes Wort braucht keinen Vormund«41 die Zusammenführung der Erfahrungswelt der Bibel und der der Lernenden beschrieben. Dabei verweist er schon im Titel, wie auch zuvor Ingo Baldermann, auf die implizite Didaktik der Bibel. Laut Baldermann helfe diese dabei, an den elementaren Sprachstrukturen der Bibel das sachgerechte 40 Müller, Schlüssel, 32. 41 Horst Klaus Berg, Gottes Wort braucht keinen Vormund. Wege zur selbstständigen Auslegung der Bibel, Stuttgart/Ostfildern 2017.

»Wege aus dem Niemandsland?«

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Sprechen über Gott und Mensch zu lernen.42 Für Berg müssen dafür bei der Auslegung Kontexte der biblischen und der aktuellen Erfahrungen von Menschen verschmelzen: »Auslegung bedeutet nichts anderes, als dass diese ›Kontexte‹ zusammenkommen, das Verbindende ist die Erfahrung der damals und heute Lebenden.«43 Die Erkenntnis, dass wir uns bei der Arbeit mit der Bibel auf dort in literarisch verdichteter Form vorliegende Erfahrungen beziehen müssen, wird auch im Elementarisierungskonzept deutlich,44 gleichsam in der Suche nach kategorialen Grundeinsichten oder »Grundmotiven«45 als »Verdichtungen biblischer Erfahrungen«46 und damit als »Transfer-Schienen zwischen Tradition und Situation«47. Ob man bei den Problemen der Lernenden (Berg) oder als Stimulus bei (Psalm-)Texten der Bibel (Baldermann) ansetzt, findet sich unterschiedlich beantwortet und begründet. Kritisch gegen den Versuch der »Kontextverschmelzung« wendet sich Thomas Ruster, der die Texte der Bibel als fremde Welten verstehen und das auch didaktisch stark machen möchte.48 Deshalb sei das »Erfahrungsdogma« aufzugeben und es gehe im Gegenteil um Störungen von Schülererfahrungen durch die Welt der Bibel.49 Vonseiten der performativen Religionsdidaktik wird darüber hinaus in den letzten zwanzig Jahren ein bibeldidaktischer Ansatz favorisiert, der Sprache, Form und dramaturgische Gestalt der Bibel betont, weil das Christentum eben keine Buchreligion sei, sondern das Hören des Wortes und die Ansprache kon­ stitutiv zur Schrift dazugehören – dieses Wortereignis müsse didaktisch bedacht und unterrichtlich inszeniert werden.50 Im Rahmen der Bibeldidaktik im kompetenzorientierten Religionsunterricht wurde weiter nach dem kumulativen Erwerb spezifischer Auslegungskompe-

42 Ingo Baldermann, Die Bibel – Buch des Lernens. Grundzüge biblischer Didaktik, Göttingen 1980. 43 Berg, Gottes Wort, 13. 44 Friedrich Schweitzer, Elementarisierung im Religionsunterricht. Erfahrungen – Perspektiven – Beispiele, Neukirchen-Vluyn 2003. 45 Gerd Theißen, Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibel­ didaktik, Gütersloh 2003, 139–165; Theissen spricht hier von 14 Grundmotiven in einem stärker bildungstheoretischen Ansatz. 46 Berg, Grundriss der Bibeldidaktik, 76 f. 47 Ebd., 132. 48 Thomas Ruster, Der verwechselbare Gott. Theologie nach der Entflechtung von Christentum und Religion, Freiburg u. a. 2000, 7 f. 49 Ebd., 198–200. 50 Bärbel Husmann, Bibel und performative Didaktik, in: Zimmermann/Zimmermann, Handbuch Bibeldidaktik, 456–461, 458.

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tenzen durch adäquate Anforderungssituationen gefragt51 und verschiedentlich die Bedeutung der Bibeldidaktik im Rahmen religiöser Sprachbildung betont.52 Im Folgenden skizziere ich nun, ausgehend von den unter 2. herausgearbeiteten Hauptproblemen im Umgang mit der Bibel, bibeldidaktische Lösungsansätze. 3.1 Evidenz aufzeigen durch die Beschäftigung mit der Wahrheitsfrage Wie aus dem ersten Teil dieses Beitrags deutlich wurde, hängt die Frage nach der Evidenz und der Relevanz der Bibel stark mit dem Wahrheitsverständnis der Schülerinnen und Schüler zusammen. Wenn die Infragestellung eines wie auch immer gearteten Wahrheitsanspruchs als Teil der pubertären Entwicklung so zentral ist, muss dies umfassend im Religionsunterricht Berücksichtigung finden.53 Die Wahrheitsfrage kann bibeldidaktisch auf verschiedenen Ebenen (narrativ, kreativ, reflexiv, metadiskursiv) in Bezug auf biblische Texte und deren Inhalte bearbeitet werden, um die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler zu fördern, sich überhaupt auf bibeldidaktische Zugänge einzulassen.54 Narrativ bedeutet, schon bei den vor allem in der Grundschule erzählten biblischen Texten deren kontextuelle Perspektivität und lebensnahe Subjektivität zu verdeutlichen, später diese selbst kreativ zu erschließen, indem sie biblische Texte fort- und umerzählen, sodass sich deren individueller Wahrheitsgehalt im Sinne einer »narrativen Identität« verdeutlicht.55 Auch anhand von Wahrheitstheorien der biblischen Wahrheit nachzuspüren, kann ein Zugang sein, um sich dem Problem in der Oberstufe anzunähern. Metadiskursiv sollte die Frage nach der Wahrheit der Schrift als zentrale Schülerfrage56 fester Bestandteil in der religionspädagogischen Ausbildung sein. 51 Hartmut Lenhard/Gabriele Obst, Bibeldidaktik im kompetenzorientierten RU, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 469–476. 52 Stefan Altmeyer, Bibeldidaktik als religiöse Sprachbildung, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 482–488. 53 So z. B. in Mirjam Zimmermann/Ruben Zimmermann, Hermeneutische Kompetenz und Bibeldidaktik. Durch Unverständnis das Verstehen lernen, in: Glaube und Lernen 20 (2005), 72–87; unterrichtlich appliziert in: Mirjam Zimmermann/Ruben Zimmermann, Vom Textsinn zum Lebenssinn. Einführung in die biblische Hermeneutik und Methodik. Eine Unterrichtshilfe für Sek. II, Göttingen 2003. 54 Mirjam Zimmermann, »In Wahrheit erfunden!« Plädoyer für eine biblische Didaktik, die die Wahrheitsfrage stärker berücksichtigt, in: Irmtraud Fischer u. a. (Hg.), Jahrbuch für biblische Theologie 2016, Göttingen 2018, 337–352. 55 Mirjam Zimmermann, Faszination Jesus. Kinder verfassen ein Kinderevangelium aus der Perspektive von Kindern, in: Religion 5–10 (2012) 8, 8–13 (zusätzlich: Materialheft 3–9). 56 Vgl. Heike Lindner/Mirjam Zimmermann (Hg.), Schülerfragen im (Religions-)Unterricht – ein notwendiger Bildungsauftrag heute?!, Neukirchen-Vluyn 2011; Mirjam Zimmermann (Hg.), Fragen im Religionsunterricht. Unterrichtsideen zu einer schülerfragenorientierten Didaktik, Göttingen 2013.

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3.2 Identifikatorische Reaktualisierung anleiten z. B. durch mimetische Bibeldidaktik Den Begriff der »Mimesis« in die gegenwärtige theologische Grundlagendiskussion aufzunehmen, ist nicht neu.57 Besonders die Thesen von René Girard, der gesellschaftliche Prozesse und Sozialhandeln auf eine mimetische Bewusstseinsstruktur des Menschen zurückführte,58 wurden in der systematischen und praktischen Theologie breit rezipiert. Eine ähnliche Resonanz insbesondere im Bereich der Textanalyse und Hermeneutik war Paul Ricœurs Trilogie »Zeit und Erzählung« beschieden, der »Mimesis« zum Leitbegriff einer phänomenologischen Theorie der Textproduktion und -rezeption wählte.59 Doch weder über Girards allgemein-anthropologische Überzeugung, dass menschliches Handeln auf Nachahmung beruhe, noch über Ricœurs text- und lebensweltorientierte Hermeneutik fand der Mimesis-Begriff Einzug in die religionspädagogische Fachdiskussion.60 Dies ist umso beachtlicher, als auch bereits die antike Diskussion zum Mimesis-­Begriff explizit pädagogische Aspekte einschließt. So bezieht sich Mimesis auf einen vorausliegenden Gegenstand, aber die Art der Darstellung und Bezugnahme vergegenwärtigt diesen in intensivierter, kreativer und produktiver Weise. Damit gelingt eine Balance zwischen Traditio und Innovatio. »Mimesis« ist also keine Kopie eines vorgegebenen Gegenstandes, der in einem 1:1-Entsprechungsverhältnis nachgebildet wird. Zugleich kann aber zwischen gelungener und misslungener Mimesis unterschieden werden, was Platon am Maßstab der Teilhabe an der Wahrheit gemessen hat. Dabei hat Mimesis eine kognitive und affektive Wirkung, sei es auf den Nachahmer, sei es auf den Rezipienten der Nachahmung, löst also Erkenntnisprozesse und Emotionen aus. Die 57 So ausführlicher in Mirjam Zimmermann/Ruben Zimmermann, Skizze einer mimetischen Bibeldidaktik. Schrifthermeneutik in religionspädagogischer Perspektive, in: Praktische Theologie 49 (2014) 3, 165–172: Passagen teils wörtlich übernommen. 58 Mehr noch als das erste, literaturwissenschaftliche Werk (René Girard, Mensonge romantique et vérité romanesque, Paris 1961) fand sein zweites Werk (Girard, La violence et le sacré, Paris 1972) Beachtung; in Letzterem wird mimetisches Handeln als Bestandteil einer sozialen Gewalttheorie angeführt. 59 Vgl. Paul Ricœur, Temps et récit, Tome I-III, Paris 1983–85 (dt.: Zeit und Erzählung, München 1988–1991); neuerdings Martin Hähnel (Hg.), Memoria und Mimesis. Paul Ricœur zum 100. Geburtstag, Dresden 2013. 60 Es war durchaus weitsichtig, dass die Herausgeber der Katechetischen Blätter im Jahr 1977 einen kurzen Abschnitt aus Auerbachs Mimesis-Theorie mit Blick auf biblische Erzählungen zitiert haben. Siehe Erich Auerbach, Wie erzählt die Bibel?, in: KatBl 102 (1977), 739–741. Allerdings wird diese frühe Rezeption weder an dieser Stelle reflektiert und religionspädagogisch weitergedacht, noch in den folgenden Jahren aufgenommen.

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exegetische Wissenschaft hat an vielen Stellen zeigen können, dass die biblische Überlieferung selbst als »mimetischer Prozess« beschrieben werden kann. Dies gilt schon bei den Geschichtserzählungen der hebräischen Bibel (z. B. das deuteronomistische Geschichtswerk in Bezug auf die jahwistisch-elohistischen Erzählungen), bei Fortschreibungsprozessen der Prophetie (z. B. Jesaja-Buch), aber ebenso bei den Evangelien oder auch einzelnen Mikro-Gattungen. Im Kontext einer mimetischen Bibeldidaktik wird nun versucht, die Welt der Bibel narrativ-mimetisch mit der der Lernenden zu verbinden. So schreiben die Schülerinnen und Schüler z. B. in der Klasse 5/6 biblische Geschichten aus der Perspektive von Kindern und verbinden das mit dem Erwerb von dafür notwendigem Wissen zu »Zeit und Umwelt Jesu«.61 Gleichsam mimetisch wird das Schreiben von modernen Gleichnissen z. B. zum Thema Fußball angeleitet62 oder in der Klasse 9/10 ein modernes Hiobbuch in engem Bezug auf die Textteile im alttestamentlichen Hiob nach aktuellen Pressefotos geschrieben.63 3.3 Verstehenskompetenzen anleiten z. B. durch Theologisieren mit biblischen Texten Kinder und Jugendliche als Interpretinnen und Interpreten der Bibel ernst zu nehmen64 hat sich vor allem im Kontext des Konzepts der »Kinder- und Jugendtheologie«65 etabliert. Schaut man auf didaktische Realisierungen, geht es einerseits darum, die Lehrenden so auszurüsten, dass sie sich eine Textauslegungskompetenz erwerben,66 andererseits darum, im konkreten unterrichtlichen Auslegungsprozess verschiedene Deutungen der Schülerinnen und Schüler zu einem Text wahrzunehmen, diese ins Gespräch zu bringen und in einem dritten Schritt zu ergänzen, zu differenzieren und zu flexibilisieren. Da kompe61 Mirjam Zimmermann, Faszination Jesus. Kinder verfassen ein Kinderevangelium aus der Perspektive von Kindern, in: Religion 5–10 (2012) 8, 8–13. 62 Mirjam Zimmermann, »… von Gott reden?!« Moderne Bilder für Gott finden und in einem Schulgottesdienst gestalten, in: Religion 5–10 (2011) 1, 8–13. 63 Mirjam Zimmermann, »Hiob reloaded« – nach Gerechtigkeit fragen. Schülerinnen und Schüler schreiben moderne Hiob-Erzählungen, in: Religion 5–10 (2011) 4, 28–33. 64 So auch der Duktus in Nadja Troi-Boeck/Andreas Kessler/Isabelle Noth (Hg.), Wenn Jugendliche Bibel lesen. Jugendtheologie und Bibeldidaktik, Zürich 2015. 65 Vgl. Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 22012; Mirjam Zimmermann, Art. Kindertheologie und Kinderexegese, in: Zimmermann/Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, 450–455. 66 Ebd.; so auch Berg, Gottes Wort: »Ich schreibe für Leserinnen und Leser, die an diesem selbstständigen, eigensinnigen Verständnis der biblischen Überlieferung interessiert sind, aber nicht explizit dafür ausgebildet worden sind«, 11.

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tente theologische Begründungen für mögliche Auslegungen maßgeblich von einer breiten Textkenntnis bestimmt sind, ist es notwendig, hier kumulativ den engen religionspädagogischen Kanon im Kanon67 auszuweiten. Die Lektüre von verschiedenen biblischen Ganzschriften68 (für die Primarstufe oder Hauptschulklassen einer Kinderbibel), um im Sinne einer »Enzyklopädie der Auslegungsgemeinschaft« eine möglichst umfangreiche »Enzyklopädie des Textes«69 zu erwirken, ist ein innovativer Zugang, damit Lernende einen Eindruck der Bibel als Bibliothek bekommen und zumindest einzelne Bücher mit ihren Glaubensgeschichten im Zusammenhang kennengelernt haben. Bedeutsam können hier im Lesensprozess einerseits individuelle und gemeinsame Lesephasen, andererseits die Arbeit mit Schülerfragen eventuell in Kombination mit einem Lesetagebuch sein.70 Diese Zugänge setzten im Religionsunterricht bei der Situation der Schülerinnen und Schüler an, die zu einem großen Anteil offen auf biblische Texte reagieren, aber wenig Grundwissen mitbringen und die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Texte stellen (s. o. Teil 1). Dabei bieten sie reflexive und kreative Ansätze, die jeweils Problembereiche fokussieren. Man kann hoffen, dass damit zumindest eine Spur aus dem »Niemandsland« gefunden und die Richtung in eine mögliche Beheimatung eingeschlagen wird.

Dr. MIRJAM ZIMMERMANN ist Professorin für Evangelische Religionspädagogik/Didaktik an der Universität Siegen.

67 Vgl. Julian Enners, ›Kanon im Kanon‹ und Bibeldidaktik. Eine bibeldidaktische Studie zum ›Kanon im Kanon‹ ausgewählter bibeldidaktischer Konzeptionen, Lehrpläne und Religionsbücher, Studien zu Theologie und Bibel 21, Berlin 2018. 68 Christian Dern, Dialogische Bibeldidaktik. Biblische Ganzschriften des Alten und Neuen Testament in den Sekundarstufen des Gymnasiums. Ein unterrichtspraktischer Entwurf, Kassel 2013. 69 Mirjam Schambeck, Bibeltheologische Didaktik. Biblisches Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2009, 128. 70 Vorschläge bei Dern, Dialogische Bibeldidaktik; Peter Müller, Schlüssel zur Bibel; Mirjam Zimmermann, »Die ganze Genesis lesen?!« Ganzschriften im Religionsunterricht in Bezug auf die Thora, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 67 (2015), 179–186.

Potenzielle Religiosität Subjektorientierte Religions­pädagogik im Umgang mit religiösen und nicht-religiösen Lebensdeutungen Gundula Rosenow

1 Situationsbeschreibung »Ich finde den Unterricht wirklich ansprechend, da er mir geholfen hat, verschiedene Aspekte besser zu verstehen und mit anderen Augen zu sehen. […] Persönliche Erfahrungen und Sichtweisen sind für mich sehr hilfreich. Ich konnte so auch eine Art Glauben entwickeln, der jedoch nichts mit Gott oder Kirche zu tun hat, sondern nur mit dem, was ich mir vorstellen kann.«1 Dieses Feedback einer konfessionslosen Abiturientin zum erlebten Religionsunterricht in der Oberstufe könnte eine Antwort nahelegen auf die in letzter Zeit häufiger gestellte Frage nach einem Religionsunterricht für Nichtreligiöse. Die schärfsten Kontraste zeichnen sich in den ostdeutschen Bundesländern ab. Hier gehören zwei Drittel der Bevölkerung keiner Konfession an. Dieses Verhältnis bildet sich auch in der Schülerschaft ab. Nicht selten entscheidet sich trotzdem die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler einer Schule dafür, am Religionsunterricht teilzunehmen.2 Daraus resultieren in der Praxis Klassenzusammensetzungen mit 50–75 % Konfessionslosenanteil. Diesen Lernenden erschließen sich christliche Symbole, Denkfiguren und Traditionen selten. Oft lösen sie sogar regelrechte Blockaden aus. Damit übernehmen sie ein Verhalten, das in ihren Familien seit Generationen habitualisiert ist.3 Die zentralen theologischen Topoi werden falsch oder gar nicht verstanden und als irrelevant für das eigene Leben bezeichnet. Die Bibel gilt als veraltetes Geschichten-Buch und Glaube wird als Gegenteil von Wissen aufgefasst, der mit zunehmendem Fortschritt ohnehin in die Defensive getrieben werden wird. Apokalypse und Erlö1 Gundula Rosenow, Individuelles Symbolisieren. Zugänge zu Religion im Kontext von Konfessionslosigkeit (Studien zur religiösen Bildung/StRB 12), Leipzig 22018, 308. 2 Michael Domsgen/Frank M. Lütze, Schülerperspektiven im Religionsunterricht, Leipzig 2010, 214–122; Kirchenamt der EKD (Hg.), Religiöse Orientierung gewinnen, Gütersloh 2014, 81. 3 Monika Wohlrab-Sahr/Uta Karstein/Thomas Schmidt-Lux, Forcierte Säkularität, Frankfurt a. M./New York, 2009.

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sungsmythos finden allenfalls in Filmen, Computerspielen und Fantasyliteratur ihren Platz und fungieren dort als Flucht­mechanismen, entwickeln aber für die eigene Lebensdeutung keinerlei Relevanz. Der Atheismus wird als Normalform der Weltdeutung verstanden. Aber auch für konfessionelle Lernende fällt der Lernort Kirchgemeinde weitestgehend aus. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass bis zu 95 % aller Lernenden einer Religionsklasse keinerlei Sozialisation oder Beheimatung in einer Kirchgemeinde aufweisen.4 Tradition, Ritus und gottesdienstlicher Vollzug kommen als Medien religiöser Erfahrung deshalb sehr selten vor. Dogmatische Formulierungen bleiben auch für die wenigen religiös Sozialisierten leere Hüllen ohne Bedeutung. Diese pointierte Skizze mag für manche Gegenden im Westen Deutschlands noch nicht voll zutreffen – es zeichnet sich jedoch deutlich ein ähnlicher Trend ab.5 Gleichzeitig lässt sich jedoch eine weitere Tendenz beobachten: das Bedürfnis nach Deutung eigener existenzieller Erfahrungen, die Suche nach Orientierungshilfen, die Sehnsucht nach sinnvollem Dasein. Hier drängt sich der Gesprächsbedarf der Lernenden geradezu auf. In großer Offenheit werden Fragen besonders dort formuliert, wo eine wertschätzende Beziehung grundgelegt und ein sicherer Kommunikationsraum angeboten werden kann. Es ist daher klar zu konstatieren, dass ein Unterricht mit der Zielstellung, in erster Linie Reflexionsinstanz sozialisierter Religiosität zu sein, an den Bedürfnissen seiner Zielgruppe vorbeigeht. Soll er den aktuellen Erfordernissen gerecht werden, ist eine Neujustierung notwendig. Mit welcher Zielstellung kann ein Religionsunterricht mit und für überwiegend Konfessionslose gestaltet werden? Damit unauflösbar verbunden ist die Frage nach den grundlegenden Voraussetzungen und Handlungsmodi dieser Zielstellung. ȤȤ Konfessionslosigkeit darf nicht als Mangelzustand verstanden werden.6 ȤȤ Bildung ist nicht Aus-, sondern Person-Bildung und findet sich deshalb wieder »im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens«7.

4 Rosenow, Symbolisieren, 290. 5 Hubertus Halbfas, Religionsunterricht nach dem Glaubensverlust, Ostfildern 2012; Joachim Kunstmann, Religionsdistanz und religiöse Bildung, in: Thomas Heller (Hg.), Religion und Bildung interdisziplinär (StRB 17), 461–473. 6 Vgl. dazu Michael Domsgen, RU in konfessionsloser Mehrheitsgesellschaft – didaktische Herausforderungen und Ansätze, in: Theo-Web 12 (2013), 150–162; Michael Domsgen/Frank M. Lütze (Hg.), Religionserschließung im säkularen Kontext, Leipzig 2013; Michael Domsgen/Dirk Evers (Hg.), Herausforderung Konfessionslosigkeit, Leipzig 2014; Miriam Rose/Michael Wermke (Hg.), Konfessionslosigkeit heute (StRB 5), Leipzig 2014; Miriam Rose/Michael Wermke (Hg.), Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften (StRB 7), Leipzig 2016. 7 Kirchenamt der EKD (Hg.), Maße des Menschlichen, Gütersloh 22003, 66.

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ȤȤ Als ekklesiologisches Grundverständnis gilt nicht Beheimatung und Sozialisation, sondern Begegnung und Kommunikation.8 Auf dieser Grundlage lässt sich als Zielorientierung festhalten: Ein Religionsunterricht mit überwiegend Konfessionslosen dient der Ausprägung eines individuellen Weltverhältnisses, dessen resonanter Charakter9 durch das Getragensein in dieser Welt gekennzeichnet ist und das grundsätzlich unabhängig von konfessionellen Bekenntnissen bestehen kann. Die individuelle Ausformung ist auch dann als Entscheidung bezüglich der Religion anzusehen, wenn sie sich in ihrer Selbstzuschreibung als nichtreligiös versteht.10 Dieses Ziel kann nur im Modus des modernen Denkens verfolgt werden, das nach der historischen Entstehung fragt, von der Relativität der Sichtweisen ausgeht und psychologisch hintergründige Erfahrungen in den Blick nimmt.11 Spätestens hier wird deutlich, dass es eines grundsätzlichen Perspektivwechsels bedarf, bei dem auch die theologische Grundierung mit einbezogen werden muss, aus der sich letztendlich jede didaktische Zielstellung speist. Es ist offensichtlich, dass eine unterrichtliche Arbeit, bei der von Thema, Tradition und Vollzug ausgegangen wird, an den Erfordernissen vorbeigeht. Dringender Bedarf besteht dagegen bei der Orientierungshilfe zu individueller Lebensdeutung. Um diese Erfahrungen und Fragen jedoch kriteriologisch wahrnehmen zu können, bedarf es der religionshermeneutischen Perspektive der liberalen Theologie, die subjekttheoretisch vorgeht.

  8 Gemeinschaftskonstituierend im Sinne einer Ekklesia ist die Kommunikation über religiöse Inhalte, denen eigene Erfahrungen zugrunde liegen. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, aufgrund der 2. Aufl. hg. v. Martin Redeker, Berlin 1960, § 6, 2, KGA I, 13/1, Berlin 2003, 55.   9 Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 42016. Rosa beschreibt drei Resonanzachsen: die soziale Dimension, Objektbeziehungen und die Beziehung zur Welt als Totalität. 10 »Entschließen wir uns, die Rätsel unbeantwortet zu lassen, so ist dies eine Wahl; schwanken wir in unserer Antwort, so ist dies auch eine Wahl: aber welche Wahl wir auch treffen, wir tun es auf unsere Gefahr.« William James, Der Wille zum Glauben, in: Ekkehard Martens, Philosophie des Pragmatismus, Stuttgart 1975, 128–160, hier 158. 11 Kunstmann, Religionsdistanz, 468–469.

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2 Religionshermeneutische Grundlegungen Die Aktualität der »anthropologischen Wende«, die Schleiermacher bereits in seiner Frühschrift12 vollzieht, scheint ungebrochen, wenn man sich ehrlich die unterrichtliche Praxis vor Augen hält, in der allzu oft und in dem Bestreben nach substanziellen Lerninhalten ein Theologie- und Werteunterricht erfolgt. Demgegenüber beschreibt Schleiermacher Religion jedoch in der Kategorie der Intuition – des Gewahrwerdens – die er als grundsätzliche menschliche Erfahrung versteht. Dieses vorbewusste, präverbale »unmittelbare Selbstbewusstsein«,13 das man ebenso als »unmittelbares Existenzialverhältnis« beschreiben kann, ist zwischen den Polen der Aktivität und der Passivität, des »Sich-selbstSetzens« und »Sich-selbst-nicht-so-gesetzt-Habens«, mithin der Machbarkeit und der Unverfügbarkeit zu verorten. Der so beschriebene Lebensprozess, in dem sich der Mensch selbst erfährt, entspricht dem, was Hartmut Rosa soziologisch als Weltbeziehung beschreibt: das Sich-in-Resonanz-Befinden mit dem, was den Menschen affiziert.14 Diese Affektion, die vom Subjekt passiv, also als von außen kommend erfahren wird, entspricht klassisch theologisch ausgedrückt dem Handeln Gottes. Ihr religiöser Charakter wird durch die Relation zur Transzendenz begründet: Der Erfahrung der positiv oder negativ empfundenen Passivität ist bereits die Frage nach ihrem »Woher« inhärent. In der christlichen Tradition wird dieses »Woher« mit dem Wort »Gott« bezeichnet. Die geschilderten Erfahrungen kennen aber auch Menschen, die diese tradierte Symbolisation nicht benutzen möchten. Es ist also zugespitzt zu formulieren: Auch wer nicht von »Gott« reden möchte, redet prinzipiell von Gott. Er tut dies – im Sinne der Theologie Schleiermachers – indem er seine eigenen Erfahrungen in den Kontext einer transzendenten Wirklichkeit stellt.15 Es hat sich gezeigt, dass diese Denkfigur ausgesprochen nachvollziehbar erscheint für Nichtreligiöse, Konfessionslose oder Menschen, die sich als Atheisten verstehen. Der Denkvollzug gerät aber oft dann an eine Grenze, wenn es um die Symbolisation »Gott« geht, die als nicht kompatibel zur eigenen Deutung abgelehnt wird. Es wird dann das Bedürfnis artikuliert, diese Stelle lieber leer lassen zu wollen. Auch diese »Leere« stellt dann eine adäquate Symbolisation dar.16 12 Friedrich Schleiermacher, Über die Religion, 1799, KGA I, 12, Berlin 1995. 13 Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, aufgrund der 2. Aufl. hg. v. Martin Redeker, Berlin 1960, § 4, KGA I, 13/1, Berlin 2003, 19–36. 14 Rosa, Resonanz, 436. 15 Rosenow, Symbolisieren, 77–94. 16 Ebd., 355.

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Die Versprachlichung des subjektiven Gefühls der Passivität, das Schleiermacher in die bekannte Formulierung der »schlechthinnigen Abhängigkeit« fasst, muss – weil subjektiv –auf individuelle Weise erfolgen. »Individuelle Symbolisationen« sind nach Schleiermacher alle vom Individuum gewählten Ausdrücke für Emotionen und Denkprozesse. In einem sprachlichen Suchprozess werden die eigenen Erfahrungen in Worte gefasst. Das unmittelbar Erlebte und anfänglich in Bildern und Emotionen Erinnerte wird dabei durch den sprachlichen Ausdruck zwangsläufig eingeschränkt und interpretierend wiedergegeben. Dieses Verbalisieren versteht Schleiermacher als einen Handlungsprozess, der an das immer schon Bestehende anknüpft, sich also nur der ihm zur Verfügung stehenden Symbolisationen bedienen kann.17 Hieraus ergibt sich die Erkenntnis, dass religiöser Sprachverlust zu eingeschränkter Symbolisationsfähigkeit existenziellen Erlebens führen kann. Es ist ebenso nachvollziehbar, dass dogmatische Symbolisationen zu leeren Worthülsen werden. Vor diesem Hintergrund ist auch der didaktische Warnhinweis Schleiermachers zu verstehen, dass jeder begrifflichen Erörterung die eigene Erfahrung vorausgehen sollte, denn »aus heiler Haut ihnen die Begriffe beibringen, könnte nur totes Wesen veranlassen.«18 Von einer religiösen Symbolkunde, bei der Symbole ohne Erleben gelehrt würden, ist deshalb dringend abzuraten. Potenzial für die Religionspädagogik liegt auch in den Ergebnissen des Neurobiologen Antonio R. Damasio. Er weist in seinen Untersuchungen nach, dass einmal abgelegte autobiografische Erinnerungen beliebig oft abgerufen und in Beziehung zu einem nicht zum Selbst gehörenden Objekt gesetzt werden können. Durch diese Modifikationen entstehen Veränderungen im autobiografischen Selbst.19 Der Gedanke könnte sich religionsdidaktisch als fruchtbar erweisen: Demnach reichen einmalig ermöglichte Symbolisations- und Verstehensprozesse bereits aus, um das Subjekt lebenslang für entsprechende Wahrnehmungen und Symbolisierungen zu sensibilisieren. Systematische kognitive Reflexionsprozesse, die sich in theologischen Theoriekonstrukten der Dogmatik und Ethik niederschlagen, sind die Folgeoperationen innerhalb des menschlichen Denkens und Handelns und haben ihr Initial jeweils in den symbolisierten Erfahrungen. Sie sollten sich deshalb auch didaktisch erst am Ende eines Denkprozesses ergeben. Wie können diese subjekttheoretischen Einlassungen nun in eine subjektorientierte Religionsdidaktik umgesetzt werden? In den didaktischen Bemü17 Ebd., 62–68. 18 Schleiermacher, Texte zur Pädagogik, Bd. 1, hg. v. Michael Winkler/Jens Brachmann, Frankfurt a. M. 2000, 264. 19 Antonio R. Damasio, Ich fühle, also bin ich, Berlin 102013, 239, 271.

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hungen um das Subjekt ist sich die Religionspädagogik einig. Es hat jedoch den Anschein, als würde in der Praxis symbol- und bibeldidaktisch, performativ und ästhetisch, elementarisierend und konstruktivistisch immer auf das Subjekt hin, aber nicht von ihm her gearbeitet. Eine Didaktik, die den theologischen Per­ spektivwechsel Schleiermachers ernst nimmt, muss mit dem individuellen Symbolisieren der Erfahrungen beginnen und schlussendlich in ein offenes Fragen nach dem »Woher« des Anderen münden. Dogmatik und Ethik müssen sich dann gegen Ende des Denkprozesses plausibel erschließen können. Welche Folgen dieser Perspektivwechsel nach sich zieht, hat Joachim Kunstmann in seiner »Subjektorientierten Religionspädagogik« kürzlich umfassend dargestellt.20

3 Individuelle Symbolisationen im Religionsunterricht: die Methode des erinnernd eingebrachten Erlebens Existenzielle Erfahrungen können nicht im Unterricht generiert werden – dennoch sind sie dort immer schon hermeneutisch beteiligt, indem sie unbewusst Vorverständnisse prägen. Es kommt darauf an, sie methodisch in der Unterrichtspraxis zur Sprache zu bringen: Bei ausreichend differenzierter verbaler Ausdrucksfähigkeit, also eher in der Oberstufe, bietet es sich an, Lernende um die anonyme schriftliche Artikulation ihrer existenziellen Erfahrungen zu bitten.21 Es ist dabei wichtig, dass nicht nach religiösen Erfahrungen gefragt wird, um die Schwelle der eigenen Interpretation als religiös zu unterschreiten. Außerdem sollten diese individuellen Symbolisationen in Ruhe zu Hause, keinesfalls jedoch im Klassenverband im Unterricht formuliert werden. Die Resultate werden dann – mehrfach anonymisiert – gesammelt, gesichtet und in Auszügen im Unterricht verwendet. Es hat sich gezeigt, dass seitens der Lernenden eine große Bereitschaft besteht, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Die Symbolisationen sind thematisch ausgesprochen breit gefächert und von beeindruckender Tiefe. Ca. ein Drittel – und damit deutlich mehr als vermutet – thematisiert existenzbedrohende Situationen bzw. Todesfälle im familiären Umfeld. Zwei weitere Drittel beschreiben soziales Leid und zwischenmenschliches Glück. Besonders hervorzuheben ist die Suche nach eigenen Metaphern für erfahrene negative Gefühlszustände. Hier dominiert die Körpermetaphorik. Des Weiteren lässt sich feststellen, dass der 20 Joachim Kunstmann, Subjektorientierte Religionspädagogik. Plädoyer für eine zeitgemäße Bildung, Stuttgart 2018. 21 Ausführliche Erläuterungen zu Methodik und Untersuchung in Rosenow, Symbolisieren, 145–229.

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Gebrauch tradierter Metaphorik mit der Anzahl der kirchgemeindlich Beheimateten korreliert. Der Gebrauch individueller Metaphorik geht dagegen mit geringem Bezug auf Transzendenz einher.22 Das wirft die Frage auf, inwiefern die geschilderten existenziellen Erfahrungen als religiös klassifiziert werden können. Schleiermacher geht dazu zuerst von der Subjektivität der Wahrnehmung aus; das Gefühl der »schlechthinnigen Abhängigkeit« entwickelt sich aus der vorgängigen Affektion. Ausnahmslos alle Artikulationen wurden aus dieser Perspektive geschrieben und sind sich der Subjektivität auch bewusst. Diese Selbstwahrnehmung erfolgte grundsätzlich in der von Schleiermacher als zweitem Kriterium beschriebenen Spannung zwischen Aktivität und Passivität. Das Bewusstsein der Unverfügbarkeit schwingt in den Symbolisierungen mit, auch wenn es nicht ausdrücklich thematisiert wird. Während alle Artikulationen diese beiden Kriterien erfüllen, bezieht nur ein Drittel die eigenen Erfahrungen auf Transzendenz und erfüllt deshalb das dritte Kriterium religiöser Deutung. Dem gegenüber tragen die übrigen Äußerungen Potenziale religiöser Deutungen in sich. Hier liegt ein Ansatz für religionspädagogisches Handeln. Es muss Aufgabe eines zukünftigen Religionsunterrichtes sein, Bedingungen der Möglichkeit religiöser Deutungen zu eröffnen und so religionsbildend zu wirken. Gleichzeitig lässt sich als zentrale These für die Bedeutung individueller Symbolisationen formulieren: Individuell artikulierte Symbolisationen existenziellen Erlebens können den gleichen Verweischarakter tragen wie tradierte Symbolik. Zurück in die Unterrichtspraxis: Der methodische Brückenschlag, der Erfahrungen jenseits des schulischen Alltags mit in den Unterricht einbringt, wird mit dem prozessualen Begriff des erinnernd eingebrachten Erlebens bezeichnet. Er hat gleichzeitig zur Folge, dass sich die Wahrnehmung der Lehrenden auf ihre Schülerinnen und Schüler hin enorm weitet. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Lernenden selbst steuern, wie weit sie sich öffnen; gleichzeitig entsteht ein hoher ethischer Appell für die Lehrenden, achtsam mit dieser Offenheit umzugehen. Die Kommunikation über das erinnernd eingebrachte Erleben erfolgt nicht offen, da sonst die Anonymität nicht gewährleistet wäre, sondern durch selbstständiges schweigendes Lesen ausgewählter und an die Wand projizierter Textausschnitte. Wegen der hohen Intensität dieses Moments ist hier von einem Interim zu sprechen, bei dem schultypische Systemfaktoren außer Kraft gesetzt werden: Eine Bewertung verbietet sich, die Schüler-Lehrer-Beziehung erfährt mehr Nähe, die Kommunikation wird symmetrischer, affektiver, persönlicher. 22 Ebd., 176–234.

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Auch die Lehrenden sind persönlich affiziert. Parallel zu potenziell religiösen Deutungen kann hier von einer potenziell religiösen Kommunikation gesprochen werden – nach dem Verständnis Schleiermachers konstituiert diese religiöse Kommunikation Kirche. Lernende sind oft erstaunt über das mögliche Verstehen. Auch Symbolisierungen, deren zugrunde liegende Erfahrungen sie selbst nicht gemacht haben, erschließen sich ihnen. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Suche nach adäquaten Metaphern sind Lernende sensibilisiert, diese auch in anderen Äußerungen zu entdecken. Insgesamt wirkt das beschriebene Interim so stark, dass es den gesamten anschließenden Unterrichtsprozess beeinflusst. Individuelle hermeneutische Prozesse machen sich immer wieder an der eigenen Symbolisation fest oder setzen sie ständig neu ins Verhältnis.23 Dies gilt gleichermaßen für religiöse Lernende wie für Konfessionslose. Die oft im Religionsunterricht zu beobachtende Asymmetrie religiöser Kenntnisse ist hier nicht relevant. Gleiches gilt für die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion. Fazit: Die individuelle Symbolisation existenzieller Erfahrungen kann deshalb als gemeinsamer anthropologischer Ansatz für in verschiedener Hinsicht heterogene Lerngruppen fungieren. Die jeweils entstehenden individuellen Prozesse können dann im Unterricht orientierend begleitet und in Offenheit zur eigenen Entscheidung belassen werden. Der Ansatz setzt eine ausgeprägte verbale Ausdrucksfähigkeit voraus und bietet sich daher eher in der Oberstufe, gegebenenfalls in der Endphase der Sekundarstufe I an. Grundsätzlich lässt sich mit dem vollzogenen Perspektivwechsel zu einer subjektorientierten Religionsdidaktik aber generell ein Unterricht gestalten, der nicht unbedingt anderes unterrichtet, wohl aber anders vorgeht. Die Methode des erinnernd eingebrachten Erlebens kann dazu auf vielfältige Weise kreativ variiert und dann auch in jüngeren Klassen eingesetzt werden.

4 Die Korrelation mit Traditionen innerhalb des Unterrichtsprozesses Es ist jetzt danach zu fragen, wie – unter Rückgriff auf die geschilderten allgemein-menschlichen Grundbedingungen und unter Berücksichtigung heterogener Lerngruppen aus religiösen und nichtreligiösen Lernenden – der weitere Unterrichtsprozess gestaltet werden kann. Dabei ist selbstverständlich von einer 23 Schüleraussage: »Religion unterscheidet sich insofern von anderen Fächern, dass ich sowohl gewollt als ungewollt meine Auffassungen immer wieder ändern und umdenken muss und mich selbst neu erfahre – mehr als in anderen Fächern.« Ebd., 309.

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Korrelation mit der christlichen Tradition auszugehen, da Lernprozesse nur aus der Begegnung mit Neuem, auch Fremdem resultieren. Hier wird das Korrelationsverständnis von Tillich vorausgesetzt, welches die existenzielle Erfahrung des Menschen mit tradierten Zeugnissen in Beziehung setzt. Die geschilderten Handlungsoptionen bewegen sich in den bereits erwähnten Modi des modernen Denkens: genetisch, perspektivisch, psychologisch. 4.1 Bedingungen schaffen Bereits der Wechsel des Sprachspiels von der theologischen zur religionshermeneutischen Sprache erschließt und ermöglicht Verstehen. Theologische Sprache ist als Fachsprache anzusehen, deren Übertragung in alltagsweltliche Verständlichkeit den Lehrenden obliegt. Grundsätzlich ist jede dogmatische Rede zu übertragen. Denkfiguren wie »Sohn Gottes« oder »Jungfrauengeburt« können aus ihrem Entstehungskontext heraus erklärt, relationale Beschreibungen wie »Segen« oder »Reich Gottes« in Analogie zu allgemein mensch­ lichen Erfahrungen gesetzt werden. Der theologische Begriff der »Gnade Gottes« beispielsweise wird auf der Suche nach einer religionshermeneutischen Ausdruckweise zur »Erfahrung des Geschenkcharakters des Lebens«. Dieser Wechsel des Sprachspiels räumt unnötige Missverständnisse und Blockaden bereits im Ansatz aus. Herkömmliche Techniken des Unterrichtsgespräches basieren auf einem Machtgefälle zwischen Lehrendem und Lernendem. Diese strukturelle Asymmetrie kann und soll auch nicht beseitigt werden, ist sie doch auch Orientierungshilfe und Maßstab für Lernende. Trotzdem ist sie zeitweise für eine symmetrische Kommunikation (religiöse Rede statt Lehre) zu unterbrechen, die eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht. Auch Lehrende dürfen sich als Suchende zu erkennen geben, die um Worte ringen müssen, wenn sie eigene Erfahrungen oder Bekenntnisse verbalisieren wollen. Sie dürfen zugeben, dass sie manchmal keine Antwort wissen. Sie dürfen schweigen. Grundsätzlich müssen sich die Darstellung einer Religion, der Umgang mit den Texten der Tradition sowie dogmatisches Denken in das naturwissenschaftliche Weltbild der Lernenden einpassen. Erst nach einer diesbezüglichen Plausibilisierung ist es ihnen möglich, sich auf metaphorisches, transzendierendes oder mythologisches Denken einzulassen. Dämonen als Krankheitsursachen beispielsweise haben im naturwissenschaftlichen Denken keinen Platz. Ist jedoch das für die Zeit Jesu vorauszusetzende mythologische Weltbild bekannt sowie durch erinnert eingebrachtes Erleben die Erfahrung eigener Krankheit thematisiert worden, erschließt sich das mythologische Element plausibel als exis-

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tenzielle Erfahrung des Ergriffenwerdens wider Willen. Unter diesen Voraussetzungen wird die Symbolisation eines Dämonen dann oft doch als passende Beschreibung empfunden. So setzt sich innerhalb des Symbolisierungsprozesses um, was bereits Rudolf Bultmann forderte: »Mythos will nicht kosmologisch, sondern anthropologisch – besser: existential interpretiert werden.«24 Wissenschaftliches Instrument dazu ist die historisch-kritische Exegese. Sie wird von Lernenden auch als solches verstanden und beseitigt Blockaden, die durch wörtliches Verständnis entstehen und deshalb mit dem naturwissenschaftlichen Denken kollidieren. Die Kenntnis des mythologischen Weltbildes und seine Anwendung auf biblische und tradierte Texte muss deshalb zum Unterrichtsinhalt gehören – das ist in der unterrichtlichen Praxis momentan durchaus nicht selbstverständlich. Multiperspektivische Zugänge der Erkenntnis sollten ebenso gleichrangig nebeneinander gestellt werden wie Weltdeutungen und -anschauungen. Dazu ist es nötig, das Verständnis von Wahrheit zu relativieren. In einem offenen Unterricht werden die Deutungskonstrukte der Lernenden als solche identifiziert und wertschätzend akzeptiert – insofern sie argumentativ begründet werden. Besonders anschaulich lässt sich die Auswirkung der Perspektive auf den Erkenntnisgegenstand darstellen, wenn unterschiedliche erkenntnistheoretische Ansätze thematisiert werden. Ein Materialist beispielsweise kann die Existenz Gottes nur verneinen, während ein Konstruktivist zu anderen Schlussfolgerungen kommen muss. Ein breites Angebot an Deutungsmöglichkeiten verhilft den Lernenden zur eigenen Positionierung. 4.2 Begegnungen initiieren Grundsätzlich sollte der Brückenschlag der Begegnung immer von der Erfahrung der Lernenden ausgehen. Das kann z. B. durch subjektorientierte Stundenoder Themeneinstiege geschehen, die affizieren, erinnern, zur Sprache bringen. Themen, Texte oder Traditionen werden dann vom Lehrenden so aufgearbeitet, das sie sich auf der Erfahrungsebene der jeweiligen Entstehungssituation erschließen lassen. Jugendliche Erfahrungen der Lustlosigkeit, der Angst vor einem Einsatz für Gerechtigkeit oder das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit können – werden sie eingangs thematisiert – die gleiche Struktur aufweisen wie die Verweigerung des Jona, die Selbstzweifel Jeremias oder das Gefühl der Unzulänglichkeit des Mose. 24 Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie, in: Hans-Werner Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos, Bd. 1, Hamburg 31954, 15–48, hier 22.

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Begegnungen mit diesen Figuren können dann über das Aufzeigen von Strukturanalogien oder durch Elementarisierungen entstehen. Bemerkenswert ist, dass die Elementarisierungen vom Subjekt aus zu ähnlichen Erfahrungs­ feldern kommen, wie sie auch in der Bibeldidaktik zu verzeichnen sind25 – nur aus anthropologischer Perspektive. Genetisch handelt es sich bei tradierten Texten zumeist um emotionale Vorgänge, die symbolisiert wurden. Bei einer Rückübersetzung26 dieser Symbolisierungen – etwa durch die Aufgabe, Tagebucheinträge oder Blogs zu den genannten Figuren zu verfassen – treten die Gefühle wieder zutage und werden nachvollziehbar. Einige Textgattungen eignen sich jedoch auch für Direktbegegnungen mit überlieferter Metaphorik. Das hat Ingo Baldermann eindrucksvoll in seiner Arbeit mit Psalmen nachgewiesen.27 Die Sensibilisierung für Strukturanalogien bezüglich tradierter religiöser Symbolik ist ebenfalls über das individuelle Symbolisieren zu erreichen. Lernende haben im zurückliegenden Unterrichtsprozess bereits selbst die Erfahrung gemacht, dass Gefühle, Wesensbeschreibungen und der Charakter von Relationen nur in symbolischer Sprache ausgedrückt werden können. Als bestes Beispiel dazu kann die Beschreibung von Liebe gelten. Es erschließt sich ihnen deshalb ohne Weiteres, dass auch religiöse Aussagen – als Beziehungsaussagen – immer symbolisch sein müssen. Die Erkenntnis, dass Liebe, Vertrauen, Hoffnung usw. Beziehungsaussagen und nicht allein subjektive Befindlichkeiten sind, ebnet den Weg zum Verständnis von Glauben als relationalem Geschehen und ermöglicht so auch die Abstraktion eines Transzendenzdenkens. Werden z. B. Vertrauen und Hoffnung als generelle Aussagen über das Dasein verstanden, eröffnen sich Fragen: Worauf vertraue ich, woraufhin hoffe ich in meinem Leben? Dieses Woraufhin kann man Gott nennen oder die Stelle leer lassen – in jedem Fall bricht das Denken in Richtung Transzendenz auf – eine Denkoperation, die Lernenden erfahrungsgemäß sehr schwerfällt. Bekenntnisse und dogmatische Denkfiguren – wie das Glaubensbekenntnis – lassen sich nun analog als symbolisierte Beziehungsaussagen auffassen, die in der heutigen Zeit in andere Formulierungen gefasst worden wären. Dieser Zugang ermöglicht konfessionslosen Lernenden die Akzeptanz tradierter Ausdrucksformen, indem er sie plausibel und vor dem jeweiligen Entstehungshorizont als eine Perspektive unter anderen vorstellt; für religiös Sozialisierte stellt er oft ein erstes Hinterfragen dar, das eine neue Dimension des Verstehens öffnet. 25 Gerd Theißen, Zur Bibel motivieren, Gütersloh 2003, 131–172. 26 Mit Bezug auf Heinrich Roth, Zum pädagogischen Problem der Methode, in: Die Sammlung 4 (1949), 102–109. 27 Ingo Baldermann, Wer hört mein Weinen?, Neukirchen-Vluyn 112013.

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Trotz des im laufenden Lernprozess entwickelten Verständnisses für Symbolisationen entstehen bei der Symbolisation »Gott« oft erhebliche Schwierigkeiten. Deshalb ist der Bezug auf eine nontheistische Theologie unverzichtbar. Lernende, die sich selbst im umgangssprachlichen Sinne als Atheisten bezeichnen, können mit einer a-theistischen Theologie sehr viel besser umgehen als mit symbolischer Gottesrede. Durch die theologischen Ansätze Friedrich Schleiermachers, Paul Tillichs oder Dorothee Sölles öffnen sich neue Verstehenshorizonte. Die Formulierungen von dem »Einssein mit dem Universum«, der »Tiefe des Seins«, der »Sehnsucht nach einem erfüllten Leben« regen Lernende eher zum Nachdenken an als anthropomorphe Gottesbilder, die sich für sie zu schnell mit der Ablehnung ehemals kindlicher Vorstellungen verbinden. Diese Beobachtung wäre für die Didaktik endlich viel stärker als bisher fruchtbar zu machen. Es setzt – übrigens auch bei kirchlich Sozialisierten – ein geradezu erleichterter und befreiender Denkprozess ein, der in einen hohen Abstraktionsgrad übergehen kann. Als erleichternder Zugang hat sich außerdem die Formulierung »das, was man Gott nennen kann« erwiesen. Lernende, die sich als Atheisten verstehen, fühlen sich so in ihrem Bestreben akzeptiert, das Wort »Gott« nicht benutzen zu wollen und stattdessen diese Stelle leer zu lassen. Auf diese Weise werden die oben angesprochenen Blockaden vermieden. Das gleiche genetische Vorgehen bietet sich auch für die Entstehung von Traditionen und Ritualen an, die letztendlich symbolische Darstellungen sind. Das Bedürfnis, Resonanzerfahrungen zu wiederholen, sich zu erinnern oder sich rückzuversichern, sowie das Bestreben, Absurditätserfahrungen zu verarbeiten,28 lassen die Traditionsbildungen innerhalb einer Religion auch psychologisch plausibel erscheinen. Diese funktionale Sichtweise erschließt sich sofort, der ereignishafte Charakter von Ritualen, der durchaus neue Erfahrungen generieren kann, kann im Gespräch entwickelt werden. Nach dem Konzept Schleiermachers sowie in Analogie zu der von Gerd Thei­ßen entwickelten religionspsychologischen Theorie, über die urchrist­liche Erfahrung die folgenden Ausprägungen in Mythos, Ritus und Ethos zu verstehen,29 sind Dogmatik und Ethik innerhalb eines Unterrichtsprozesses als Folge­operationen zu konzipieren. Dogmatische Denkfiguren können als rational erfasste Reflexionen von Erfahrungen gelten; Ethik ist die Konsequenz einer veränderten Beziehungsqualität, die aus Erfahrungen des geschenkten Daseins resultiert.

28 Mit Bezug auf Gerd Theißen, Argumente für einen kritischen Glauben, Gütersloh 31988. 29 Gerd Theißen, Erleben und Verhalten der ersten Christen, Gütersloh 2007.

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5 Didaktische Schlussfolgerungen Eine Religionsdidaktik, mit der gemeinsame Lernprozesse zwischen und mit religiösen und nicht religiösen Lernenden initiiert werden soll, muss auf einer allen gemeinsamen existenziellen Ebene ansetzen und individuelle Verstehens­ prozesse auslösen, indem eigene Erfahrungen zur Sprache gebracht und kommuniziert sowie mit Deutungsangeboten der Tradition korreliert werden. Der Multiperspektivität der Lernenden in ihren Vorverständnissen steht die Deutungsoffenheit der individuellen Verstehensprozesse innerhalb des Unterrichtsgeschehens gegenüber; aus den Potenzialen, die sich durch die Wahrnehmung der individuell symbolisierten Erfahrungen ergeben, kann die lebenslange Befähigung zu persönlichen religiösen Deutungen entstehen, die nicht innerhalb des Unterrichtsprozesses evaluierbar ist. Diese konsequent subjektorientierte Didaktik ist anschlussfähig, ja ergänzungsbedürftig durch symbol- und bibeldidaktische Methoden, kompatibel mit ästhetischen, semiotischen oder biografischen Ansätzen, trägt selbst einen stark performativen Charakter und kann in eine interreligiöse Didaktik münden. Ihr Ziel ist die Ausbildung eines individuellen Weltverhältnisses, dessen unverzichtbarer Bestandteil die Frage nach der Welt in ihrer Totalität ist, indem sie potenzielle Religiosität bei Lernenden anspricht, ohne sie dabei religiös zu vereinnahmen. Von Lehrenden erfordert sie eine hohe Fach- und Sprachkompetenz sowie die Fähigkeit zu eigenem religionshermeneutischen Denken und zur wertschätzenden Beziehung dem Lernenden gegenüber. Die Offenheit, mit der diese Didaktik vorgeht, nimmt die Unverfügbarkeit ernst, die den beiden Disziplinen inhärent ist, aus denen sich die Religionspädagogik speist: der Theologie ebenso wie der Pädagogik.

Dr. Gundula Rosenow ist Gymnasiallehrerin für ev. Religion und Philosophie am Gymnasium Bergen/Rügen und war 2013–2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Universität Rostock.

Wie gelingt Berufsschulreligionsunterricht? Eine persönliche Perspektive Claudia Märkt

»Religion möchte ich nicht mehr unterrichten.« Diesen Satz habe ich mehrfach von Kolleginnen und Kollegen im Laufe meines Lehrerinnen- und Schulleiterinnendaseins gehört. Religionsunterricht scheint nicht so einfach zu sein, wie es so manch einer denken mag. Deshalb wage ich die Aussage, dass es schwer ist, Religion an der Berufsschule zu unterrichten. Wäre es einfach, wäre auch dieser Beitrag hinfällig. Religionsunterricht an der Berufsschule gibt es schon lange. Trotz dieser Jahrzehnte langen Erfahrungen mit dem Berufsschulreligionsunterricht (BRU) fragen wir aber heute immer noch danach, wie er gelingen kann. Offensichtlich gibt es kein allgemeingültiges Rezept, das garantiert, gut (aus-)gebildete Schüler oder Schülerinnen in Sachen Religion hervorzubringen. Dennoch hätten manche Lehrkräfte gerne genau dieses Rezept, damit es nicht dazu kommen muss: die Bitte an die Schulleitung zu äußern, in Religion lieber nicht mehr eingesetzt zu werden. Hier muss ich die Leserinnen und Leser aber gleich enttäuschen: Auch ich kann kein Rezept liefern, wie BRU gelingt. Ich kann nur von meinen Erfahrungen und meinen Überzeugungen berichten. Ich kenne den BRU aus unterschiedlichen Perspektiven: als Schülerin einer Bankfachklasse, als Lehrerin an einer Beruflichen Schule, aus Sicht einer Fachberaterin, als wissenschaftliche Mitarbeiterin im EIBOR (Evangelisches Institut für Berufsorientierte Religionspädagogik) an der Universität Tübingen sowie als Schulleiterin einer kaufmännischen Beruflichen Schule.

1 Warum BRU schwierig ist ȤȤ Kein anderes Fach ist so dem allgemeinen Zeitgeist ausgesetzt wie der BRU. Ist die Kirche in der Krise, dann kommt auch der BRU in die Krise. Die derzeitigen Missbrauchsfälle begünstigen, dass sich immer mehr Menschen von den Kirchen abwenden und austreten. Die Mitgliederzahlen der evangelischen und katholischen Kirche sinken in den letzten Jahren kontinuierlich.

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Somit sinken auf lange Sicht auch die Zahlen der potenziellen Schülerinnen und Schüler, die pflichtgemäß den BRU zu besuchen haben. ȤȤ In keinem anderen Fach steht die Lehrkraft mit ihrer Persönlichkeit so im Vordergrund wie im BRU. Im Fach Betriebswirtschaftslehre zum Beispiel liegt der Fokus klar auf der Stoffvermittlung. Fragen wie »Was glauben Sie?« oder »Wozu brauchen wir das?« kommen hier kaum einmal auf. Die persönliche Haltung der Lehrkraft zu einem Thema der Betriebswirtschaftslehre ist selten von Interesse. Jedoch fragen die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht sehr oft danach, wie man selbst zu einem der Themen wie etwa Abtreibung steht. Im BRU sind Stellungnahmen der Lehrkraft vonseiten der Schülerinnen und Schüler ausdrücklich gewünscht. ȤȤ Evangelische bzw. katholische Religionslehre ist das einzige Fach, aus dem die Schülerinnen und Schüler sich ohne weitere Vorleistung abmelden können. Von den Fächern Deutsch und Gemeinschaftskunde kann man sich bei entsprechender Vorleistung – mindestens Fachhochschulreife – befreien lassen. Die Voraussetzung zur Abmeldung vom Religionsunterricht ist lediglich die Religionsmündigkeit, die ab dem 14. Lebensjahr gegeben ist. Die Schülerinnen und Schüler, die in der Berufsschule sind, haben die Altersgrenze zur Religionsmündigkeit bereits alle erreicht. Somit kann potenziell jede und jeder aus dem Religionsunterricht aus Glaubens- und Gewissensgründen austreten. Diese Möglichkeit ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft; für die Lehrkraft bedeutet sie jedoch eine Unsicherheit für das Zustandekommen ihrer Religionsgruppe. Und dies nicht nur zum Schuljahresbeginn.

2 Wie BRU gelingen kann Zu dieser Fragestellung haben sich schon viele Religionspädagogen geäußert.1 Auch ich werde das Rad nicht neu erfinden und erhebe keinen wissenschaftlichen Anspruch. Vieles, das ich erwähne, werden Religionslehrkräfte bestimmt bereits so oder in ähnlicher Weise handhaben. Ich kann hier nur versuchen, die bereits bekannten Faktoren mit Leben und mit meinen Erfahrungen zu füllen. Die etwas gewagte Aussage, dass mir mein Religionsunterricht gelingt, leite ich vor allem davon ab, dass er mir noch immer Freude macht. Vielleicht kann ich deshalb durch das ein oder andere noch inspirieren. Folgende Aspekte sind mir wichtig.

1

Beispielhaft seien nur Karl Ernst Nipkow und Friedrich Schweitzer genannt.

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2.1 » Einmal bitte Lebensglück für 5 EURO!« Die erste Stunde ist entscheidend In der ersten Stunde stellt die Religionslehrkraft nicht nur das Fach, sondern auch sich selbst vor. Aus der Psychologie wissen wir, dass die ersten Sekunden in der Begegnung mit einem Menschen entscheidend dafür sind, ob man jemanden sympathisch findet oder nicht.2 Da es im Religionsunterricht die Möglichkeit des Austritts gibt, ist diese erste Stunde von entscheidender Bedeutung. Deshalb sollte sie sehr gut vorbereitet sein. Im Fach Religion kommt es wie bei keinem anderen darauf an, die Sympathie und das Interesse der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Mein Ansatz: Ich begegne den Klassen offen und gut gelaunt und werbe damit, dass Religion das beste Fach der Schule ist. Eine steile These! Meine Begründung: Nur da geht es um die Schülerinnen und Schüler selbst. Um ihre Fragen, ihre Probleme, um das, was in der Welt geschieht, und vor allem um die Stärkung ihrer Persönlichkeit – ganz unabhängig von all den fachlichen Qualifikationen, die sie in der Berufsschule erwerben. Ich weise auf Grundfragen unserer menschlichen Existenz hin, die entscheidend für das Gelingen oder Scheitern unseres Lebens sein können: Was sind die Ziele meines Lebens? Wie gehe ich mit Schwierigkeiten um? Warum rufen manche Menschen bei Astro-TV an, um die Millionen von Kilometern entfernten Planeten zu befragen, ob sie sich nun von ihrem Partner oder ihrer Partnerin trennen sollen oder nicht? Warum kaufen Menschen sich in der Bahnhofsbuchhandlung für 5 Euro einen Stein, der ihnen vermeintlich Glück bringen soll? Existiert Gott denn überhaupt? Wenn ja, meint er es gut mit mir? Was bringt mir der Glaube für mein Leben? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Mit all diesen Fragen versuche ich, die Schülerinnen und Schüler neugierig auf das Fach Religion zu machen und ihnen zu vermitteln, dass es wichtig ist, sich diesen Fragen zu stellen und gemeinsam nach Antworten zu suchen. Die erste Unterrichtsstunde ist entscheidend, da sie die einzige Chance ist, die Schülerinnen und Schüler für den Verbleib im Fach Religion zu gewinnen. Deshalb ist es wichtig, ihnen zu verdeutlichen, dass der Religionsunterricht der Unterricht in ihrer Ausbildung ist, in dem es um ihre Interessen geht. Hier haben sie ein Mitspracherecht bei den Themen und hier geht es um sie selbst und ihre Sicht der Welt. Dankbar kann ich sagen, dass bei mir bisher alle geplanten Religionsgruppen in der Berufsschule zustande kamen. Dennoch weiß ich von Kolleginnen 2 Vgl. Nicole Simon, Du bist nett, https://www.uni-muenster.de/Psychodiagnostik/public/ P.M.%20Perspektive.pdf (Zugriff am 17.2.1019).

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und Kollegen, dass sie diese Erfahrung des Nicht-Zustandekommens schon machen mussten. 2.2 »Wenn einer sagt, ich mag dich, du …«3 Die Schülerinnen und Schüler ernst nehmen und wertschätzen Die Jugendlichen merken, ob eine Lehrkraft sie mit ihrer Persönlichkeit ernst nimmt und wertschätzt oder ob sie nur den Stoff unterrichten möchte. BRU gelingt dann, wenn ich mich ernsthaft auf die jungen Menschen, die vor mir sitzen, einlasse, sie kennenlerne und ihnen zuerst einmal zuhöre. Folgende Fragen können – bei passender Gelegenheit gestellt – dabei hilfreich sein: Welche Hobbies haben die Schülerinnen und Schüler? Wo waren sie bisher auf der Schule? Welche Erfahrungen haben sie mit Schule gemacht? Fällt es ihnen leicht oder schwer zu lernen? Was haben sie schon alles durchgemacht (Krankheiten, Scheidung oder Verlust von Eltern, Großeltern …)? Was machen sie in der Freizeit? Welche Stärken und Schwächen haben sie? Welche Einstellung haben sie bisher zum Glauben, zu Gott, zu Jesus Christus und der Kirche entwickelt? Und welche Erfahrungen haben sie damit bis dato gemacht? Was interessiert sie am christlichen Glauben? Was interessiert sie an anderen Religionen? Was interessiert sie von den aktuellen Geschehnissen auf der Welt? Wie geht es ihnen mit ihrem gewählten Ausbildungsberuf? Haben sie Träume für ihre persönliche Zukunft oder die der Welt? Engagieren sie sich irgendwo ehrenamtlich? Entscheidend bei all den Fragen ist, den Schülerinnen und Schülern positives Feedback zu geben und sie zu ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen oder ihn noch zu finden. Alle haben sie schon wichtige Erfahrungen mit dem Glauben, mit Gott und mit Religion/en gemacht. Auch hatten die meisten zuvor Religionsunterricht. An diesen Erfahrungen kann der BRU anknüpfen. Wenn sie merken, dass die Lehrkraft ein ernstes Interesse an ihrer Person und Persönlichkeit hat und sie wertschätzt, dann werden sie den Religionsunterricht schätzen: Wer selbst wertgeschätzt wird, schätzt auch den Unterricht! Die Lehrkraft sollte m. E. den Schülerinnen und Schülern immer vermitteln, dass Zweifel und Kritik im Unterricht erlaubt sind. Sie sollen merken, dass sie mit ihrer Meinung ernst genommen werden und auch eine andere als die Lehrkraft haben dürfen. Dies soll ihnen Mut machen, ihre eigene Glaubensüberzeugung zu bilden und zu vertreten. 3 So lautet der Beginn des »Kindermutmachliedes« von Andreas Ebert.

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2.3 »In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost …«4 Aktualitäts- und Lebensweltbezug: Glaube hat Relevanz für das Leben Ein gängiger Gelingensfaktor für Religionsunterricht ist der Aktualitäts- und Lebensweltbezug. Nur wer aufzeigen kann, dass die Beschäftigung mit Religion und Glaube Relevanz für das Hier und Jetzt hat, kann die Schülerinnen und Schüler für den Religionsunterricht gewinnen. Die Relevanz des Glaubens für das Hier und Jetzt kann zum Beispiel durch das Herstellen von biblischen Bezügen innerhalb einer Unterrichtseinheit geschehen. Kennen die Jugendlichen die Bibelstelle, auf die verwiesen wurde, nicht, eröffnet dies die Möglichkeit, tiefer zu gehen und die Bibel selbst aufzuschlagen.5 In der Regel nutze ich hier Online-Bibeln. Gerade im Zuge des Unterrichts in Tabletklassen ist dies eine sehr gute Möglichkeit. Um einen Aktualitätsbezug herstellen zu können, muss man selbst wissen, was bei den Jugendlichen aktuell ist. Das Verfolgen der Nachrichten und der neuesten Entwicklungen der analogen und der digitalen Welt sind hierbei unabdingbare Voraussetzungen. Ebenso sollte man sich ein Bild von den Ausbildungsberufen der Schülerinnen und Schüler machen, um einen schülersensiblen Unterricht halten zu können. 2.4 »Ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle.«6 Den Berufsbezug herstellen Die große Chance des BRU ist die Herstellung eines Bezuges zum Ausbildungsberuf der Schülerinnen und Schüler. Falls dieser möglich ist, dann ist dies ein gutes Mittel, um an ihrer jeweiligen Lebens- und Berufswelt anzuknüpfen. Über diesen »Berufsbezug« wurde in den letzten Jahren sehr viel gearbeitet,7 da er zur Legitimierung des Religionsunterrichts in der Berufsschule einen wichtigen Beitrag leistet. Hier nur einige wenige Beispiele: ȤȤ »Umgang mit psychischen Krankheiten« bei den Medizinischen Fachangestellten. In dieser Unterrichtseinheit können die Medizinischen Fachangestellten zum Beispiel etwas über den Umgang mit depressiven Menschen lernen. »Jesus – der Arzt«, »Sterbehilfe«, »Organspende« sind ebenso Themen, die sich für alle medizinischen Berufe eignen. ȤȤ »Religiöse Motive in der Werbung«: Dieses Thema ist ein guter Berufsbezug für die Marketingkaufleute oder sogar für alle kaufmännischen Berufe. 4 5 6 7

Joh 16,33. Eine eigenständige Einheit »Bibel« mache ich i. d. R. in der Berufsschule nicht. 1. Kor 15,10. Z. B. durch die Institute für berufsorientierte Religionspädagogik EIBOR, KIBOR und bibor.

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Hier kann man verdeutlichen, dass die Werbung gezielt religiöse Motive aufgreift, weil diese die tiefen Sehnsüchte oder Ängste der Menschen darstellen. So wird etwa gerne das Paradiesmotiv aufgegriffen oder es werden Engel oder Teufel dargestellt. ȤȤ Themen aus den Bereichen »Wirtschaftsethik« und »nachhaltiges Wirtschaften« sind für alle kaufmännischen Berufe ein sehr guter Anknüpfungspunkt. ȤȤ Für Berufe im gewerblichen Bereich sind Themen wie »Der Umgang mit der Schöpfung«, »Schlachtopfer« oder »Jesus – der Handwerker« denkbar. ȤȤ In den Klassen der hauswirtschaftlichen Schulen kann der Berufsbezug über das Thema »Speisevorschriften in den Religionen« oder »Der Umgang Jesu mit den Kindern« hergestellt werden. Für alle Ausbildungsberufe – egal welcher Richtung – darf natürlich der Klassiker »Beruf und Berufung« nicht fehlen. Ebenso das Thema »Mobbing«, das leider oft von vielen Auszubildenden selbst erfahren werden muss. Die Herstellung des Berufsbezugs ist zwar grundsätzlich zu befürworten, aber er muss nicht immer gut sein. Denn nicht immer haben die Schülerinnen und Schüler ein Interesse daran, in Religion auch noch über ihren Beruf zu sprechen. Manche genießen es gar, in dieser einen Stunde in der Woche einmal nicht ausbildungsbezogen nachdenken zu müssen, sondern sich ganz anderen Themen des Lebens widmen zu dürfen. Hier braucht es ein gutes Gespür für die einzelnen Berufsschulklassen. 2.5 »Wer bin ich – und wenn ja wie viele?« Zur Persönlichkeitsstärkung beitragen Warum ticke ich so wie ich ticke? Dies ist eine Frage, die ich mit den Schülerinnen und Schülern gerne im Rahmen des Erwerbs von Persönlichkeitskompetenz erarbeite. Hierzu verwende ich das DISG-Persönlichkeitsmodell8 und lasse die Jugendlichen anfangs einen kleinen Test machen. So können sie erfahren, ob sie eher ein dominanter, ein initiativer, ein stetiger oder ein gewissenhafter Typ sind. Sich selbst besser kennenzulernen, ist eine wichtige Voraussetzung, um einen Beruf zu finden, der wirklich zu einem passt. Oder – da die Auszubildenden sich ja schon für einen Beruf entschieden haben – zu wissen, in welcher Abteilung eines Unternehmens man mit seinem Persönlichkeitsstil 8 Für eine kurze Information auf einfachem Level bietet sich folgendes Buch an: Friedbert Gay/ Lothar Seiwert, Das 1x1 der Persönlichkeit. Mehr Menschenkenntnis und Erfolg mit dem persolog®-Modell, München 2016. Dieses Buch basiert auf dem DISG-Modell. DISG steht für die Persönlichkeitstypen Dominant, Initiativ, Stetig und Gewissenhaft.

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gut aufgehoben ist. So eignet sich beispielsweise der initiative Typ gut für den Vertrieb und der gewissenhafte Typ eher für die Buchhaltung. Zur Stärkung der Persönlichkeit ist es gut, den Jugendlichen aufzuzeigen, wer sie in den Augen Gottes sind. Seit einiger Zeit ist auch im säkularen Bereich der Spruch »Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen« bekannt. An diesem Spruch kann zum einen aufzeigt werden, wie man mit Niederlagen umgehen kann, zum anderen eignet er sich, den Schülerinnen und Schülern nahezubringen, was ihre Stellung im Reich Gottes ist: Königskinder. Eine meiner gelungen Stunden zur Stärkung der Persönlichkeit ist eine zum Thema »Ermutigung«. In dieser Stunde zeige ich das kleine Video von Johannes Hartl9 über »Entmutigung«10. Es ist der Aufhänger, um mit den Schülerinnen und Schülern über die Notwendigkeit der gegenseitigen Ermutigung zu sprechen und darüber, sich nicht bei großen Aufgaben entmutigen zu lassen. Johannes Hartl erwähnt in seinem Video Nehemia, der sich nicht von Widerständen der feindlichen Umgebung abhalten ließ. Gegen alle Widerrede der Mitmenschen baute er die Mauern von Jerusalem wieder auf. Hier können die Auszubildenden ermutigt werden, sich berufliche Ziele zu stecken und diese auch zu verfolgen. In einer Klasse der Zahnmedizinischen Fachangestellten sagte einst eine Schülerin: »Gerne würde ich ja noch das Abitur nachholen und dann studieren gehen, aber wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, dann bin ich doch schon so alt.« Seither ermutige ich die Jugendlichen immer wieder, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Sie sollen lieber noch 5 bis 10 Jahre investieren, um dann noch 30 Jahre lang den Beruf ausüben zu können, den sie wirklich machen wollen. Die Alternative wäre, in einem nicht optimal passenden Beruf 40 Jahre lang arbeiten zu müssen. 2.6 »Und es gibt gar nichts Neues unter der Sonne?«11 Aufzeigen, dass Christinnen und Christen nicht von gestern sind In manchen Schülerköpfen herrscht eine altmodische Vorstellung davon, wie Christinnen und Christen sind und leben. Vielleicht liegt es daran, dass in manchen Zubringerschulen im Religionsunterricht immer noch die Lieder der 1970er Jahre wie »Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer« gesungen werden. Gegen solche Lieder ist per se ja nichts einzuwenden, aber warum werden nicht   9 Wer sich wundert, dass ich hier einen katholischen Charismatiker zitiere, dem kann ich nur sagen, dass ich speziell einen Beitrag zum Thema Ermutigung gesucht habe und bei ihm fündig geworden bin. Hartls Beitrag ist kurz, knapp und ansprechend. Das ist es, was es für die Schülerinnen und Schüler braucht. 10 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=n5rC2Hxysfg (Zugriff am 17.2.2019). 11 Frei nach Koh 1,9.

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aktuelle geistliche Lieder gesungen? Im Bereich der modernen Lobpreismusik werden sämtliche Musikgenres bedient. Da müssen es nicht immer die alten Lieder sein. So versuche ich zum Beispiel, durch aktuelle Musikbeispiele aufzuzeigen, dass es keinen Widerspruch darstellt, ein moderner und gleichzeitig ein gläubiger Mensch zu sein. Zur Verdeutlichung zeige ich den Schülerinnen und Schülern auch andere Gemeindekonzepte wie etwa das des ICF Karlsruhes.12 Biblische Themen werden dort mit aktuellen Mitteln weitergegeben. So wird zum Beispiel unter dem Motto »Weihnachten neu erleben« seit 2014 jedes Jahr ein Weihnachtsmusical als gemeindeübergreifende Initiative unter der Schirmherrschaft des ICF angeboten. Mehrere Aufführungen fanden zunächst im Filmpalast am ZKM13 statt. Wegen der sehr hohen Nachfrage nach den kostenlosen Tickets wurde das Musical in den beiden vergangenen Jahren in der dm-arena in Karlsruhe mehrfach aufgeführt. Circa 50.000 – weitgehend kirchenferne – Zuschauer haben das Musical live gesehen, unzählige andere bei der Übertragung auf Baden-TV. 1.200 Ehrenamtliche aus den verschiedensten evangelischen Kirchen und Freikirchen haben im vergangenen Jahr bei der Veranstaltung mitgewirkt und geholfen. Das ist ein gutes Beispiel für attraktive Kirche, die nicht von gestern ist. Ich bedauere, dass ich dabei nicht auf Gemeinden aus meiner eigenen Kirche verweisen kann. Ich kenne in Karlsruhe leider kaum evangelische oder katholische Gemeinden, die auf junge Menschen so anziehend wirken wie das ICF. Wenn es in der Heimatkirche kein attraktives Angebot für Jugendliche gibt, dann lohnt sich manchmal ein Blick über den Tellerrand. 2.7 »Was willst du, was ich dir tun soll?«14 Schülerinnen und Schüler die Themen wählen lassen Es ist gute gängige Praxis, dass in der Berufsschule die Schülerinnen und Schüler die Themen für den Unterricht wählen. Somit ist der BRU der einzige Unterricht an der Berufsschule in Baden-Württemberg, in dem die Jugendlichen komplette Mitsprachemöglichkeit bei den Inhalten haben. Dies liegt an der Kompetenzorientierung des Bildungsplans. In Baden-Württemberg sind die Lehrkräfte verpflichtet, Kompetenzen zu vermitteln. Deshalb ist es möglich, die Auszubildenden Themen frei wählen zu lassen. Zur Ermutigung sage ich, dass wirklich alle Themen wählbar sind. 12 ICF steht für International Christian Fellowship, eine aus der Schweiz stammende, mittlerweile aber grenzüberschreitende moderne Gemeindeinitiative. 13 ZKM ist die Abkürzung des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe. 14 Nach Lk 18,41.

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Denn meine These lautet: »Alles im Leben hat mit Reli zu tun.« Als Beleg erzähle ich die Geschichte meines verunglückten Kinobesuchs mit einer Klasse: Der Lutherfilm wurde just an dem Tag abgesetzt, an dem ich mit einer Klasse den Kinobesuch geplant hatte. Stattdessen hat sich die Klasse spontan für »Findet Nemo« entschieden. Dieser Film – inzwischen schon etwas älter – ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel Religionsbezug in einem zunächst als banal und säkular eingestuften Film steckt. Da gibt es beispielsweise den Vater-Sohn-Konflikt, den Umgang mit der Schöpfung, die Freundschaftsthematik, den Umgang mit Behinderung etc. Es gibt m. E. nur wenige Themen, die nicht auf den Fuß des kompetenzorientierten Bildungsplans der Berufsschule in Baden-Württemberg gestellt werden können. Sind die Themen gewählt, lasse ich zu Beginn einer Unterrichtseinheit Fragen dazu aufschreiben, um Schwerpunkte bei der Erarbeitung setzen zu können. Vielfach gewünscht werden Themen wie Glück, Partnerschaft, Körperkult, Mobbing, Drogen oder Umgang mit dem Tod. Da etwa das Thema »Drogen« oft schon in der vorherigen Schule behandelt wurde, ist es wichtig zu fragen, was von Interesse ist. Man möchte ja nicht einfach eine Wiederholung des Unterrichts der vorherigen Schule bieten, sondern einen Zugewinn an Kompetenzen erreichen. 2.8 »Der Herr ist denen nahe, die … es ehrlich meinen.«15 Authentizität Im BRU ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Schülerinnen und Schüler das Gefühl haben, dass die Lehrkraft hinter dem steht, was sie im Unterricht sagt. Die Schülerinnen und Schüler merken schnell, ob eine Lehrkraft ein Thema nur behandelt oder ob er oder sie auch selbst dahintersteht. Kann die Lehrkraft sich selbst für ein Thema begeistern, dann schafft sie es auch, das Thema der Klasse lebendig zu vermitteln. Gerade im Religionsunterricht wird danach gefragt, ob man das Gesagte im Unterricht auch selbst glaubt und lebt. Besonders schnell kommt diese Frage auf, wenn es um Themen der Bibel geht. Hier fragen die Jugendlichen gerne nach dem eigenen Glaubensverständnis der Lehrkraft. Bei den Antworten ist es wichtig, dass diese immer als persönliches Glaubensverständnis dargestellt werden. Dann darf die Lehrkraft von ihren eigenen Erfahrungen und über ihre eigenen Zweifel und Probleme im Glauben erzählen. Ganz still wird es in den Klassen immer, wenn ich davon berichte, wie ich das Sterben meiner Großmutter begleitet habe. Für mich war das ein entschei15 Ps145,18 (Übersetzung »Hoffnung für alle«).

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dendes Erlebnis, um an ein Leben nach dem Tod glauben zu können. Wer von solchen eigenen Grenzerfahrungen berichten kann, dem empfehle ich, es zu wagen, diese auch zu thematisieren, wenn die Schülerinnen und Schüler danach fragen und man es mit sich vereinbaren kann. 2.9 »Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall.«16 Interreligiöses Lernen und Heterogenität als Chance des BRU In der Berufsschule wird oft im Klassenverband unterrichtet. Es wird also nicht nach evangelisch und katholisch getrennt, sondern die Lehrkraft einer Konfession unterrichtet die ganze Klasse. In der Praxis bleiben gerne auch konfessionslose, muslimische oder andersgläubige Schülerinnen und Schüler im BRU. Dies ist eine große Chance, da durch diese Heterogenität von vornherein mehrere Ansichten im Raum stehen. Die Musliminnen und Muslime oder die Andersgläubigen können bewusst in den Religionsunterricht einbezogen werden, sodass interreligiöses Lernen ermöglicht werden kann. So kommt es zu einem echten Austausch von unterschiedlichen Einstellungen und Ansätzen im Glauben. Die Musliminnen und Muslime, die Konfessionslosen oder Andersgläubigen bereichern somit den BRU in sehr produktiver Weise. Das Thema »Islam« kann dann zum Beispiel aus der Innenperspektive im Unterricht behandelt werden. Traditionen, Bräuche, Feste und Gottesbilder etc. können verglichen und von den Schülerinnen und Schülern der jeweiligen Religion selbst dargestellt werden. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die nicht-evangelischen oder nicht-katholischen Schülerinnen und Schüler von sich aus mehr nachfragen. Dies erfreut die meisten Lehrkräfte, da es sich um echtes Interesse handelt.

3 Die Rahmenbedingungen für BRU, die eine Schulleitung setzen kann Eigentlich sollte es nicht von der Lage der Religionsstunde im Stundenplan abhängen, ob der Unterricht gelingt oder nicht. Doch die Lage der Stunde wirkt auf jeden Unterricht. So ist auch Mathematik in der 6. Stunde schwieriger, wenn die Schülerinnen und Schüler schon fünf Stunden Unterricht hinter sich haben und in Gedanken bereits auf dem Heimweg oder im Betrieb sind. Da es an Beruflichen Schulen viel Nachmittagsunterricht gibt, kann es sein, dass der 16 Siehe z. B. Ausführungen dazu bei https://www.heilsarmee.de/woran-wir-glauben/details/ alle-menschen-sind-auslaender-fast-ueberall.html (Zugriff am 10.4.2019).

Wie gelingt Berufsschulreligionsunterricht?

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Berufsschulunterricht sogar nur am Nachmittag liegt, nachdem die Auszubildenden vormittags im Betrieb arbeiten mussten. Da geht der Unterricht dann möglicherweise schon einmal von der 7. bis zur 12. Stunde. Wenn es in einer Schule möglich ist, dann kann das Gelingen des Religionsunterrichts dadurch unterstützt werden, dass er nicht auf eine Randstunde gelegt wird. Denn dort ist die Neigung der Schülerinnen und Schüler wesentlich größer, sich vom BRU abzumelden, zumal wenn alternativ dazu kein Ethikunterricht stattfindet. In der Gesamtlehrerkonferenz können alle Lehrkräfte darauf hingewiesen werden, dass die Klassenlehrerinnen und -lehrer die Religionslehrkräfte unterstützen können, indem sie positiv vom Religionsunterricht sprechen und dessen Bedeutung für die Allgemeinbildung, die Wertebildung und die Ausbildung betonen. Es gibt durchaus Unternehmen, die auf die Religionsnote achten. Diese Note wird bei manchen als eine Note für Sozialkompetenz angesehen. Auch können die Unternehmen daran ablesen, ob Auszubildende bereit sind, auch mehr zu arbeiten als unbedingt notwendig. Wenn dies auch die Klassenlehrerinnen und -lehrer, bei denen die Austrittsmeldung eingereicht werden muss, erläutern, kann dies unterstützend sein. Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Faktor Lehrkraft nicht nur allgemein, sondern insbesondere für das Gelingen des BRU eine entscheidende Rolle spielt. Die Grundlage für jeden guten Unterricht ist m. E. eine gute Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern zu pflegen und mit ihnen im Dialog zu sein. Ich habe in meinen Ausführungen bewusst darauf verzichtet, didaktische Konzepte zu erwähnen. Jedes Konzept muss mit Leben gefüllt werden. Das gilt auch für alle Gelingensfaktoren für guten Berufsschulreligionsunterricht. Zwei Aspekte möchte ich noch besonders herausheben: Die Freude am Unterrichten und die Liebe zu den Schülerinnen und Schülern. Wer diese hat, wird bestimmt guten Unterricht machen.

Oberstudiendirektorin Claudia Märkt leitet die Wilhelm-Röpke-Schule in Ettlingen.

Religionsunterricht mit konfessionslosen und reli­gions­ distanzierten Schülerinnen und Schülern – mögliche Strategien aus der Sicht der Lehrerausbildung1 Wolfgang A. Kasper

1 Einleitung »Erwachsenwerden ohne Gott?«2 – so lautete im Jahre 1987 ein Titel des Tübinger Religionspädagogen Karl Ernst Nipkow. Darin geht er der Frage nach, wie sich die persönliche Gottesbeziehung im Lebenslauf von Heranwachsenden verändert und welche Erfahrungen eine solche Beziehung stärken oder ggf. auch eintrüben können. Bereits Mitte der 1980er Jahre analysiert Nipkow sehr klar eine zunehmend komplexe religiöse Gemengelage in der damaligen Bundesrepublik, die sich in Form gesellschaftlicher Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse artikulierte. Heute, mehr als 30 Jahre später, stellt sich dieser Befund noch einmal deutlich disparater und heterogener dar. Die vormalige Frage »Erwachsenwerden ohne Gott?« könnte heute lauten: »Erwachsen geworden ohne Gott?!« Das mag zum einen an der mit der Wiedervereinigung 1989 ins Blickfeld gerückten Säkularisierung in den neuen Bundesländern liegen, zum anderen an den fortschreitenden Entkirchlichungsprozessen insbesondere in deutschen Großstädten, in denen bisweilen nur noch ca. 50 % der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehören, und das bei weiterhin abnehmender Tendenz. Diese kirchen- und religionssoziologischen Befunde haben inzwischen für beide großen christlichen Kirchen unmittelbare Auswirkungen auch auf den Religionsunterricht, wobei diese in den Bildungsplänen, der akademischen Ausbildung oder dem Vorbereitungsdienst des religionspädagogischen Nachwuchses zumeist noch nicht konsequent berücksichtigt werden. Dabei ist inzwischen davon auszugehen, dass der Umgang mit der Heterogenität an Glaubens- und Frömmigkeitsstilen sowie entsprechende distanzierte Haltungen und Einstellungen sich unmittelbar auf die Qualität und das Gelingen oder eben auch Misslingen von Religionsunterricht auswirken. 1 Für wertvolle Hinweise und Rückmeldungen danke ich meinen Kollegen Klaus-Uwe Falke, Rainer Hoffmann und Peter Kliemann. 2 Karl Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? – Gotteserfahrung im Lebenslauf, München 1987.

Religionsunterricht mit konfessionslosen und religionsdistanzierten Schülern

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Im Folgenden werden zunächst religionspädagogische Überlegungen zum Themenkreis »Konfessionslosigkeit und Religionsdistanz« im Rahmen des Religionsunterrichts resümiert, sodann hinsichtlich ihrer religionsdidaktischen, d. h. unterrichtpraktischen Konsequenzen, bedacht und abschließend handlungsleitende Strategien vorgestellt, die dem Phänomen Rechnung zu tragen versuchen. Dabei sind m. E. mindestens zwei grundlegende Fragen zu erörtern: 1. Wie ist das Phänomen »Konfessionslosigkeit/Religionsdistanz« angemessen zu erfassen und zu beschreiben (→ Evaluations- und Deutungsprozess)? 2. Welche handlungsleitenden Konsequenzen folgen daraus für die konkrete Planung und Durchführung von Religionsunterricht sowie die Ausbildung der künftigen Referendarinnen und Referendare (→ ggf. auch institutionelle und organisatorische Rahmenbedingungen)?

2 »Im Zuge des aktuellen Wandels in der Religiosität nimmt der Anteil an weniger religiös bzw. nichtreligiös erzogenen Schüler/-innen zu.«3 – Religionspädagogische Überlegungen zur Zielgruppe Die religiöse und kirchliche Gesamtsituation in Deutschland wird spätestens seit Anfang der 1990er Jahren mit Begriffen wie »Traditionsabbruch«, »forcierte Säkularisierung«, »zunehmende Entkonfessionalisierung« oder »Religionsdistanz« beschrieben. Auch wenn es zu dem damit bezeichneten Themenkomplex zahlreiche valide Untersuchungen gibt, haftet diesen diagnostischen Zuschreibungen zumeist etwas Defizitäres bei gleichzeitig mangelnder Trennschärfe des damit bezeichneten Phänomens an. Wer z. B. konfessionslos ist, dem scheint aus kirchlich-christlicher Sicht etwas Wesentliches zu fehlen, nämlich eine Religion bzw. Konfession bei gleichzeitiger (Nicht-)Zugehörigkeit zur Sozialgestalt von Kirche.4 Der Code folgt hierbei einer zweiwertigen Logik von: konfessionsgebunden vs. konfessionslos, zur Kirche zugehörig vs. nicht zugehörig, glaubend vs. nichtglaubend. Aus christlicher Sicht war damit eine klare Unterscheidung getroffen, die vermutlich bis in jüngste Zeit ekklesiologisch zutreffend und sinnvoll war. Übertragen auf die Situation des Religionsunterrichts an der öffentlichen Schule ist diese Unterscheidung spätestens seit den gesellschaftlichen Umbrüchen von 1968 und 1989 und den damit einhergehenden Säkularisierungs3 4

Schülerzitat aus einer im Juli 2018 anlässlich dieses Beitrags durchgeführten Umfrage in einem Ev. Religionskurs der Jahrgangsstufe 11 am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg. Vgl. Michael Domsgen, Diagnose »Konfessionslos« – Was heißt das religionspädagogisch? In: Loccumer Pelikan, Heft 2/2018, 4–9.

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schüben in Deutschland zunehmend obsolet geworden. Wer einmal in einer Kursstufe über neuzeitliche Religionskritik und die Bedeutung biblischer Gottesvorstellungen hat diskutieren können, der dürfte bisweilen verwundert sein über die verschwimmenden Grenzlinien zwischen »nichtglaubend getauften« und »nichtgetauften glaubenden« Schülerinnen und Schülern. Das bedeutet, dass die gewiss nützlichen und häufig auch funktionierenden Zuschreibungen von »konfessionslos/religionsdistanziert« als Unterscheidungsmerkmal formal korrekt scheinen, im persönlichen Einzelfall jedoch irritierend bis sogar unzutreffend sein können. Zudem ist heute von einer erheblichen Bandbreite an pluralistischen Glaubensvorstellungen in kirchlichen Handlungsfeldern auszugehen, die sich zwangsläufig auch im Religionsunterricht abbildet.5 Auf dem Hintergrund der kirchensoziologischen Befunde und der erforderlichen theologischen Reflexion plädiert Bernd Schröder folgerichtig dafür, Konfessionslosigkeit als Herausforderung für »die kritische Auseinandersetzung sowie den Wettstreit um Erschließungskraft und Plausibilität«6 des Evangeliums anzunehmen. Der katholische Theologe und Philosoph Eberhard Tiefensee sieht angesichts der religiös indifferenten Lage in manchen Regionen Deutschlands klassische Missionsstrategien als weitgehend gescheitert an. Er plädiert stattdessen für eine »Dritte Ökumene«7, die Konfessionslose als gleichrangige Gesprächspartnerinnen und -partner betrachtet – ähnlich den Dialogen mit Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen. Er begründet dies theologisch u. a. mit dem Gedanken der »Stellvertretung« und der »Mitheiligung« (1. Kor. 7,14), wodurch Christinnen und Christen für ihr Gegenüber in Liebe einzutreten und zu sorgen hätten – ohne dabei zu bevormunden oder deren Autonomie zu verletzen. Vielleicht hilft es Religionslehrkräften, auf dem Hintergrund der christlichen Rechtfertigungs- und Versöhnungsbotschaft die jeweilige Lerngruppe immer schon als von Gott angenommen zu erhoffen – ungeachtet der Frage, wer bereits getauft und konfirmiert den Religionsunterricht besucht. Dies würde religionspädagogisch konnotiert alle teilnehmenden Schülerinnen und Schüler als von Grund auf gleichrangig in den Blick nehmen und religiöse wie areligiöse, affirmative wie skeptisch-ablehnende und eifrige wie laue Haltungen und Positionen gleichermaßen als Ressource bzw. Charisma eines lebensbedeutsamen Religions5 Vgl. Bernd Schröder, Religionspädagogik angesichts von Konfessionalität und Religionspluralität –Wahrnehmungen und Herausforderungen, in: Religionspädagogische Beiträge 77/2017, 35–44. 6 Bernd Schröder, Religionsfern, spirituell suchend – oder einfach »ausgetreten«? In: Loccumer Pelikan, Heft 2/2018, 12. 7 Eberhard Tiefensee, Dritte Ökumene – Man sollte Konfessionslose behandeln wie Angehörige anderer Konfessionen und Religionen, in: zeitzeichen, Heft 9/2016, 26–28.

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unterrichts anerkennen. Auch wenn es selbstverständlich sein mag, unter dieser Prämisse den eigenen Religionsunterricht zu erteilen, entbindet dies nicht von der Frage, wie es zu einem schülerorientierten und subjektgebundenen Unterricht kommt, der unterschiedlichen Interessen, Fragen und Bedürfnissen von Heranwachsenden in inhaltlicher wie didaktisch-methodischer Weise Rechnung trägt.8

3 »Essenziell im Unterricht mit konfessionslosen und religionsdistanzierten Schüler/-innen ist es, die Offenheit des Unterrichtsgesprächs sowie die freie Wahl eines religiösen bzw. areligiösen Standpunktes zu gewährleisten.«9 – Religionsdidaktische Anmerkungen An der Schnittstelle zwischen einer zu konkretisierenden Praxis des Evangeliums10 und der Unterrichtspraxis am Lernort Schule kommt den Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer eine steuernde Funktion zu. Nur wenn sichergestellt ist, dass Schülerinnen und Schüler als lernende Subjekte in den Blick geraten und mit ihren Lebensfragen ernst genommen werden, kann ein Unterricht auf Dauer gelingen. Ein konfessionell verantworteter Religionsunterricht wird darum vorhandene Schülerhaltungen und -einstellungen mit einer biblisch-christlichen Redeweise korrelieren und zu einer mehrperspektivischen Betrachtungs- und Redeweise einladen. Dies bleibt ein kontinuierlich offener und auf Zukunft hin ausgerichteter Kommunikationsprozess. Dabei bilden wissensbasierte Inhalte (biblisch-christliche Tradition) und gegenwärtige subjektabhängige Schülerinteressen die beiden Brennpunkte einer Ellipse. Eine Religionsdidaktik, die primär einen intendierten Lernoutput in den Fokus nimmt, muss beinahe zwangsläufig Interessen, Bedürfnisse und ggf. »Widerstände« gerade auch religionsdistanzierter Schülerinnen und Schüler zurückstellen und läuft somit Gefahr, komplexe diskursive Lernprozesse der beteiligten Subjekte zu trivialisieren.11   8 Ein solcher rezipientenorientierter Unterricht erlaubt von Fall zu Fall individuelle Zugangsweisen, ohne jedoch »individualistisch« verengt zu werden.   9 Siehe Schülerzitat unter Anm. 3. 10 Zu diesem auf Ernst Lange in den 1960er Jahren zurückgehenden Begriff vgl. Michael Domsgen/Bernd Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums – Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014. 11 Das gegenwärtig vorherrschende Kompetenzparadigma, das primär auf evaluierbare (Lern-) Ergebnisse und beobachtbares Schülerverhalten abhebt, scheint mir hier an Grenzen zu stoßen. Heranwachsende interessieren sich häufig für die »großen Fragen« des Lebens, bei denen zu erwerbende Kompetenzen gewissermaßen ein »donum superadditum« darstellen, also etwas, das zu Inhalten, Themen und Fragen in sekundärer Weise hinzukommt.

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Insofern wird der Religionsunterricht zu einem Ort, an dem religiöse Sprache eingeübt, in den eigenen Alltag übersetzt und damit korrelierende Erfahrungen reflektiert und interpretiert werden können. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Form des »Spracherwerbs« analog dem Erlernen einer neuen »Fremdsprache«. Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen, die z. B. mit der Begrenztheit und Unverfügbarkeit des Lebens und möglichen Trauer­ prozessen in Zusammenhang stehen (immanente Kontingenzerfahrungen angesichts von Krankheit und Tod), lassen sich im Religionsunterricht artikulieren und auf ihr christliches Hoffnungspotenzial hin befragen (Transzendenz). Dadurch wird der Unterricht zu einem Raum, in dem ein »individuelles Symbolisieren«12 durch Schülerinnen und Schüler konkret erprobt und erfahren werden kann. Neben diesem korrelativen Bezug gilt es auch an das klassische Konzept der »Elementarisierung« (W. Klafki) zu erinnern und dieses gezielt weiterzuentwickeln, sodass es verstärkt zu differenzierten lebensrelevanten Lernprozessen kommen kann.13 Was die Gestaltung der Kommunikations- und Interaktionsprozesse im Unterricht angeht, so ist angesichts heterogener Lerngruppen sowie pluraler Positionen ferner auf eine konsequente Sachorientierung zu achten, die auch abweichende Meinungen ausdrücklich zulässt und mit »Widerständen« kon­ struktiv umzugehen bereit ist. Die Beachtung von Spielregeln des Dialogs dürfte ein Übriges leisten, sodass mit dem Phänomen der Diversität respektvoll und differenzsensibel umgegangen werden kann. Eine Religionsdidaktik, die sowohl um ihren positionellen Ausgangpunkt weiß als auch dialogfähig ist, wird im besten Sinn des Wortes »apologetisch« wirken und eben darum das kontinuierliche Gespräch mit religionsdistanzierten Schülerinnen und Schülern suchen und führen.14 Es gibt in den gängigen Bildungsplänen für den Religionsunterricht – ungeachtet ihrer paradigmatischen Ausrichtung – aus meiner Sicht einen auffälligen Befund, dass u. a. die Weisheits-Traditionen der Hebräischen Bibel darin de facto keine Rolle spielen. Das mag theologisch-kirchlich schnell begründet und für heutiges Christsein kaum der Rede wert sein. Allerdings scheint mir die Aktualität und geradezu modern anmutende Individualität z. B. eines Kohelet durchaus unterrichtsrelevant zu sein. Die Reflexionen Kohelets stellen den 12 Vgl. die umfangreiche Studie von Gundula Rosenow, Individuelles Symbolisieren – Zugänge zu Religion im Kontext von Konfessionslosigkeit, Leipzig 2016. 13 Vgl. Friedrich Schweitzer/Sara Haen/Evelyn Krimmer, Elementarisierung 2.0 – Religionsunterricht vorbereiten nach dem Elementarisierungsmodell, Göttingen 2019. 14 Hans-Martin Barth, Konfessionslos glücklich – Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christentum, Gütersloh 2013, 216.

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Einzelnen – den Beter wie den Skeptiker – unmittelbar vor Gott, ohne dass man dabei noch besondere religiös liebgewonnene Traditionen legitimierend für sich in Anspruch nehmen könnte. Die Gestalt eines Kohelet lädt zu einem offenen und aufrichtigen Diskurs ein, der inmitten individueller wie kollektiver Sinnbedrohung die eigene Existenz radikal bedenkt und vor Gott gestellt sieht.15 Was das für den Religionsunterricht bedeuten könnte, wäre dialogisch immer wieder – auch in methodischer Hinsicht – neu auszuloten. Die Erschließung des Koheletbuchs könnte weisheitliches Denken für heute bedenken und dabei für konfessionell gebundene als auch konfessionslose Schülerinnen und Schüler zu einer lohnenden Lektüre werden. Die skeptischen Betrachtungen Kohelets (z. B. Kap. 3, 4 und 8 i.A.) lassen sich z. B. für Formen des kreativen Schreibens sowie für entsprechende »Inszenierungen« im Unterricht nutzen und auf die Gegenwart hin erschließen. In seiner Arbeit resümiert Kurt Marti hierzu: »Was also bleibt? Das Leben der Einzelnen in ihrer jeweiligen Gegenwart und Vergänglichkeit. Und, natürlich, die Probleme ihres Zusammen- und Gegeneinanderlebens. Und die Sternstunden der Freude.«16 Inmitten eines zunehmend auf Effizienz und Output hin ausgelegten Bildungssystems, in dem internationale Schulleistungsvergleiche in regelmäßigen Abständen eine »Qualitätsoffensive« nach der anderen hervorbringen, darf ein subjektorientierter Religionsunterricht auch einmal innehalten und eine Kultur des Atemholens, des Sabbats, pflegen. Hierzu lassen sich Formen christlicher Kontemplation in Anspruch nehmen, wie sie seit dem Mittelalter bis in die Moderne geübt und praktiziert werden. Einfache Stilleübungen und Elemente einer kontemplativen (Gebets-)Praxis sind auch im Klassenzimmer zumeist gut vermittelbar und benötigen aus Sicht der Religionslehrkräfte einen vergleichsweise geringen Aufwand in Vorbereitung und Durchführung.17 Gerade in Lerngruppen, in denen ein breites Spektrum an Haltungen und Einstellungen gegeben ist, können Rituale des temporären Innehaltens und Schweigens eine hilfreiche Unterbrechung des Unterrichtsalltags darstellen. Gleichwohl sind solche Rituale behutsam einzuführen und in Offenheit mit der Lerngruppe zu kommunizieren. Und eben dieses Einüben und Reflektieren kann auch kontinuierlicher Bestandteil in der Lehrerausbildung werden.

15 Vgl. Kurt Marti, Prediger Salomo – Weisheit inmitten der Globalisierung, Stuttgart 2002, 7–36. 16 Ebd., 32. 17 Vgl. die diversen Publikationen des Loccumer Arbeitskreises für Meditation e. V.; sowie Gerda Maschwitz/Rüdiger Maschwitz, Gemeinsam Stille entdecken: Wege zur Achtsamkeit – Rituale und Übungen, München 2004.

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4 »Das Ziel wäre ein diskussionsoffener Unterricht, in dem von Anfang ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird und alle Gesprächspartner gleichgestellt sind.«18 – Didaktisch-methodische Strategien Ein hilfreiches Setting an ausgewählten Verfahren und Instrumenten in Ausbildung und Unterricht setzt humanwissenschaftlich die Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Faktoren voraus. Das mag nach den gängigen Konzepten des 20. Jahrhunderts lapidar klingen, scheint es aber angesichts neuerer Studien und Einschätzungen nicht mehr zu sein. Die Heranwachsenden im Kontext Schule befinden sich zwischen einer Früh- und Spätphase der Adoleszenz. Die tiefgreifenden neurophysiologischen Veränderungen in dieser Lebensphase sind inzwischen in den Neurowissenschaften gut belegt und hinsichtlich ihrer sozial-psychologischen Auswirkungen hinreichend dokumentiert.19 Adoleszente brechen mit Regeln und Traditionen, sie können mitunter starken emotionalen Schwankungen unterliegen, sie neigen zu paradoxen Verhaltensweisen, sie gehen bisweilen – aus erwachsener Perspektive – unnötige Risiken ein, sie probieren verschiedene soziale Rollen aus und sind mit Blick auf ihre Subjektwerdung und Identitätsbildung einem stetigen Wechsel zwischen Traurigkeit und Allmachtsfantasien unterworfen. Der Heidelberger Kollege Henning Hupe bringt dieses Phänomen auf den Punkt: »Zusammenfassend lässt sich sagen, dass immer wieder ein quasi-paradoxes Zugleich von Finden und Verlieren, von Euphorie und Trauer, von Phantasie und Einöde beschrieben wird.«20 Nimmt man diesen Befund bzw. diese Beschreibung religionsdidaktisch ernst, dann hat dies für Ausbildung und Unterricht unmittelbare Folgen. Hupe plädiert an dieser Stelle – ungeachtet der Homogenität oder Diversität der Lerngruppe – für die Bereitstellung von »Spielräumen«, die Erfahrungen und Aneignungen für Heranwachsende ermöglichen und Rollenidentitäten spielerisch ausprobieren lassen. Performative Elemente, die zu erfahrungsbezogenen Auseinandersetzungen anregen sollen, gewinnen damit zusätzliche Bedeutung. In der Interaktion mit Referendarinnen und Referendaren als auch mit Schülerinnen und Schülern könnte dies verstärkt zu Lernarrangements führen, bei denen produkt- und rezeptionsorientierte Verfahren eine noch stärkere Rolle im 18 Siehe Schülerzitat unter Anm. 3. 19 Vgl. Sarah-Jayne Blakemoore, Das Teenager-Gehirn – die entscheidenden Jahre unserer Entwicklung, Frankfurt a. M. 2018. 20 Henning Hupe, Szenen des Unverfügens – geöffnete Räume, erschütterte Ordnung. Theologisieren mit Jugendlichen als Impro-Tanz, in: Hanna Roose u. a. (Hg.), Jahrbuch für Kinderund Jugendtheologie, Bd. 2, Stuttgart 2018, 91.

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Ausbildungs- und Unterrichtsalltag spielen. Dadurch können in Auseinandersetzung mit den Grundbeständen der christlichen Tradition (Heilige Schrift und ihre Rezeptionsgeschichte) neue und hoffentlich lebensbedeutsame Erfahrungen gewonnen und diese gemeinsam reflektiert werden.21 An den Ausbildungsseminaren wie an den Schulen wird es im Umgang mit religiös-weltanschaulich heterogenen Lerngruppen um das kontinuierliche Einüben von Diskursfähigkeiten gehen, die von einem lebendigen Austausch von Argumenten und einer erforderlichen Empathie aller Interaktionspartnerinnen und -partner ausgehen. Dass hierbei immer schon unterschiedliche Perspektiven ins Spiel kommen und gegensätzliche Positionierungen auszuhalten sind, sollte regelmäßig deutlich gemacht und in wechselseitiger Akzeptanz eingeübt werden. Dies gilt umso mehr, wenn Fragen des »Glaubens bzw. Nichtglaubens« erörtert und entsprechend kontrovers diskutiert werden. Insofern kommt der Ausbildung in der Praxisphase die Aufgabe zu, mithilfe geeigneter Instrumente einen kontinuierlichen Dialog- und Reflexionsprozess zu initiieren und zu begleiten.22 Der Referendarkurs 2018/2019 am Seminar Heidelberg widmete sich im Herbst 2018 der zentralen Frage »Wer sind unsere Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht?« Die im Zuge dieses Diskussionsprozesses angestellten Überlegungen weisen u. a. in folgende Richtungen, die hinsichtlich der »Prämissen« als selbstverständlich vorausgesetzt wurden:23 ȤȤ Prämissen für den RU: Alle werden als gleichwertiges Gegenüber akzeptiert; Meinungen sollen frei geäußert werden können; »Glauben« als offenes Angebot im Unterrichtsprozess; religiöse Sprache müsse »alltagstauglich« werden und die Schülerwirklichkeit berühren; negativ konnotierte Zuschreibungen sind zu vermeiden o.Ä. ȤȤ Didaktisch-methodische Umsetzung: Diskussions- und Rollenspiele, in denen Schülerinnen und Schüler auch einmal probeweise eine Position einnehmen, die nicht der eigenen entspricht; Verständnis für »fremde« Einstellungen kontinuierlich einüben; andere Weltanschauungen und (a-)religiöse Konzepte als »Chance für den konfessionellen Religionsunterricht« begreifen und Dialoge ermöglichen. ȤȤ Künftige Entwicklung des RU: Das Verstehen der eigenen Konfession vertiefen; konfessionelle Unterschiede reflektieren; dem Zusammenhang von 21 Vgl. Gerhard Büttner/Hanna Roose/Thomas Schlag (Hg.), Jahrbuch für Kinder- und Jugendtheologie (Bd. 1+2), Stuttgart 2018. 22 Vgl. Andreas Gruschka, Lehren, Stuttgart 2014. 23 Mündliche und schriftliche Mitteilungen im Rahmen der Fachdidaktik-Sitzungen im Herbst 2018.

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individueller »Selbstverwirklichung/Self-Empowerment« auf der einen und »christlichem Glauben in Gemeinschaft« auf der anderen Seite nachgehen. Auf dem skizzierten Hintergrund erinnerte der Referendarkurs ferner an Schülerinnen und Schüler, die bisweilen intensive religiöse Prägungen in den Religionsunterricht einbringen. Auch diese seien im Unterricht angemessen zu berücksichtigen und konstruktiv einzubinden. An den verschiedenen Schnittstellen zwischen Studium, Referendariat und Schule gilt es mit Blick auf den Religionsunterricht mehrfach unterrichtsrelevante Zusammenhänge zu beachten. Zu diesen gehören die Vermittlung klassischer »Wissensbestände« sowie der Erwerb elementarer Fähigkeiten und Fertigkeiten, die das Profil eines evangelischen Religionsunterrichts sichtbar werden lassen. Aus Sicht eines Ausbildungsseminars in Baden-Württemberg folgt daraus, dass künftig neben einer konsequenten institutionellen Vernetzung die fachdidaktische Ausbildung gezielte Akzentsetzungen vornehmen sollte, die die Adressaten des Unterrichts systematisch in den Blick nehmen. Die nachfolgende Tabelle bündelt wesentliche Überlegungen in inhaltlicher und prozessualer Hinsicht und fasst diese mit Blick auf die Unterrichtspraxis schematisch zusammen. Die in den Spalten Projekte/Verfahren und Intentionen aufgeführten Aspekte können punktuell ebenso zum Gegenstand der fachdidaktischen Ausbildung an den Seminaren werden. Tabelle 1: Didaktisch-methodische Strategien in inhaltlicher und prozessualer Hinsicht mit Blick auf die Unterrichtspraxis Klassen­ stufen

Basis-/Grundwissen24

Projekte/Verfahren

Intentionen

Klassen 5–7

Kenntnisse zur Bibel sowie christlicher Traditionen (u. a. Kirchenjahr, Psalmen, Gebet, Konfessionen o. Ä.)/biblische und ggf. weitere Narrationen/Religionen im Umfeld des Christentums (→ Judentum und Islam)

Einbeziehen außerunterrichtlicher Lernorte/Lerngänge und Exkursionen/Kirchenpädagogik/Einübung einer individuellen Erzählpraxis/spielerische und erlebnisorientierte Zugänge

Erfahrungsbezogenes Lernen u. a. an Symbolen und Ritualen/ religiöse Deutungen von »Wirklichkeit« kennenlernen und ausprobieren/Impulse zu komplementären Denken (→ »Schöpfung und Evolution« o. Ä.)

24 Hier geht es u. a. um elementares (Bibel-)Wissen, das gleichermaßen in Studium, Referendariat und Unterricht bedeutsam ist; vgl. u. a. Bernd Kollmann, Neutestamentliche Schlüsseltexte für den Religionsunterricht, Stuttgart 2019.

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Klassen­ stufen

Basis-/Grundwissen24

Projekte/Verfahren

Intentionen

Klassen 8–10

Konkrete Themenfelder → »Gerechtigkeit«/ Gottes- und Menschenbilder/»Menschenwürde«/»Religionen und Weltanschauungen«/ Ethische Problemhorizonte o.Ä.

Fächerverbindender Unterricht/»Tage der Orientierung«/ Religionsphilosophische Projekttage mit Andersdenken und -glaubenden/»Tage der Religionen und Weltanschauungen«

Theologische und philosophische Zugänge zu grundlegenden Themen erschließen und erfahrungsbezogen reflektieren (»Kontingenz«, »Identität«)

Kursstufe

Wissenschaftspropädeutische Zugänge zum Themenkomplex »Glauben und Wissen«/ Aspekte einer gelebten christlichen Existenz im 21. Jh./Ausdrucksformen von Kirche im digitalen Zeitalter o.Ä.

»Mentales Probehandeln« mithilfe kontroverser Positionen im Rahmen von Diskussions- und Planspielen/ Begegnung mit authentischen Vertreter/-innen christlicher und weltanschaulicher Positionen/Reflexion von »Diversität«/interreligiöse und weltanschauliche Kooperationen der Religionsunterrichte sowie Ethik bzw. Werte und Normen

Reflexion eigener und fremder Positionen/ Argumentieren lernen im Diskurs/Ambivalenz- und Ambiguitätserfahrungen identifizieren/Pluralitätsfähigkeit einüben

5 »… um allen gerecht zu werden, müssten die Lehrer/-innen in Zukunft wohl anders ausgebildet werden.«25 – 10+1 Desiderata Abschließend sollen noch einmal grundlegende Anliegen mit Blick auf den praktischen Umgang mit »Konfessionslosigkeit und Religionsdistanz« in der Lehrerausbildung summiert werden. 1. Der konfessionell verantwortete Religionsunterricht bedarf auch in Zukunft einer klaren Profilierung und Klärung hinsichtlich seiner »kontextuellen« Ausgestaltung vor Ort. Dies erfordert Konzepte, die sowohl organisatorische als auch klassenspezifische Besonderheiten in den Blick nehmen und Antworten für den didak25 Siehe Schülerzitat unter Anm. 3.

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tischen Umgang mit religiös-weltanschaulich heterogenen Lerngruppen entwickeln.26 2. Eine institutionalisierte Kooperation zwischen den beteiligten Fächern (ggf. »Fächergruppe«) sollte dauerhaft etabliert werden. Dies betrifft zum einen die Kooperation der entsprechenden Fachdisziplinen an den Hochschulen, zum anderen die Zusammenarbeit der entsprechenden Fächer an den Ausbildungsseminaren, die sich miteinander vernetzen und zukunftsfähige Handlungsoptionen für den Religionsunterricht erarbeiten können. 3. Die Lebens- und Glaubenshaltungen Heranwachsender sind mit Blick auf die Themen »Autonomie und Selbstbestimmtheit« theologisch-religionspädagogisch zu reflektieren. Dies stellt angesichts der jüngsten empirischen Erhebung des sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD ein dringendes Desiderat dar; wohl nicht ohne Grund trägt diese aktuelle Studie den aus kirchlicher Sicht provokanten Titel: »Was mein Leben bestimmt? Ich!«27 Die vorliegenden Befunde scheinen inzwischen auf das Phänomen einer »postchristlichen Generation« hinzuweisen. 4. Passgenaue Instrumente aus der aktuellen Bildungsforschung sind für die Lehrkräfte zu entwickeln und bereitzustellen. Dies verlangt nach geeigneten Tools, mit deren Hilfe kleinere Erhebungen in einer Lerngruppe zeitsparend im Zuge des Unterrichts durchgeführt und Schülerhaltungen und -einstellungen anonym(!) evaluiert sowie didaktisch-methodisch operationalisiert werden können.28 5. Ein »forciertes Miteinander« mit konfessionell nichtgebundenen Schülerinnen und Schülern und Eltern sollte auf der Tagesordnung stehen, um dauerhafte Gespräche auf Augenhöhe zu initiieren.29 Dies könnte Angebote für »Tage der Begegnung« in schulischen Kontexten sowie Kooperationen zwischen den Religionsunterrichten und dem Fach Ethik bzw. Werte und Normen und dergleichen an den Seminaren einschließen. 26 Vgl. Konstantin Lindner u. a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht – Konfessionell – kooperativ – kontextuell, Freiburg 2017. 27 Sozialwissenschaftliches Institut der EKD (Hg.), »Was mein Leben bestimmt? Ich!« – Lebensund Glaubenswelten junger Menschen heute, Hannover 2018, insbesondere 36–41. 28 Vgl. Manfred L. Pirner/Martin Rothgangel (Hg.), Empirisch forschen in der Religionspädagogik: Ein Studienbuch für Studierende und Lehrkräfte, Stuttgart 2018. 29 Arbeitskreis »Kirche im Dialog« der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Hg.), Ohne Gott? – Konfessionslosigkeit – Ein Überblick, Rostock 2018, 42.

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6. Der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule sollte den respektvollen Umgang mit unterschiedlichen »Perspektivenwechseln« einüben und Gelegenheiten zu einem reflektierten »Probehandeln« bereitstellen.30 Dies dürfte auch im Horizont pluraler Lebenssituationen den beträchtlichen Reichtum eines solchen Unterrichts ausmachen, in dem »Diversität« thematisiert und diskursiv bearbeitet wird. 7. In der Lehrerausbildung und Fortbildung ist verstärkt die Bandbreite an religiös-weltanschaulichen Schülerhaltungen zu problematisieren und religionsdidaktisch zu bearbeiten.31 Dies zielt u. a. auf das Rezipieren aktueller empirischer Befunde und die Erarbeitung darauf abgestimmter Lernarrangements ab (z. B. handlungsleitende Verfahren).32 8. In allen Phasen der gegenwärtigen wie zukünftigen Lehrerausbildung darf eine anspruchsvolle »Gesprächskultur« eingeübt werden, die Differenzen zu benennen und mit Diversität umzugehen in der Lage ist. Dies schließt handlungsleitend »Rollen- und Diskussionsspiele« sowie antizipierende Gesprächssituationen ein, die insgesamt einer förderlichen »Sprachschulung« dienen können.33 9. Eine umfassende »religiös-weltanschauliche Orientierungsfähigkeit« ist für angehende Lehrkräfte kontinuierlich zu erwerben. Dies ermöglicht im Dialog ggf. auch religionsdistanzierende Positionen zu identifizieren, orientierendes Wissen einzubringen und das Urteilsvermögen wechselseitig zu schulen. 10. Die kontinuierliche Reflexion der eigenen (Lehrer-)Biografie könnte für angehende Lehrkräfte integraler Bestandteil ihres beruflichen Werdegangs werden. Dies berührt persönliche Anteile in Studium, Referendariat und Lehrberuf und ist selbstredend äußerst sensibel zu behandeln. Gleichwohl könnte ein solches (auch religiöses) »Selbstcoaching« eigene Stärken und Grenzen im Umgang mit »Andersglaubenden« und »Andersdenkenden« bewusstmachen und die eigene Kommunikation stärken bzw. entlasten helfen. 30 David Käbisch/Laura Philipp, Religiöse Positionierung als Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und Argumentieren. Didaktische Leitlinien für das gemeinsame Lernen mit Konfessionslosen, in: Lindner u. a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht, 238–257. 31 Neben grundlegenden Kenntnissen bedarf es hier eigener Positionierungen und eines belastbaren Maßes an Empathie gegenüber den jeweiligen Interaktionspartnern. 32 So könnte man z. B. auf dem Hintergrund ethischer Fragestellungen (Bioethik, digitale Ethik o.Ä.) kontroverse Positionen und Argumente im Unterricht »durchspielen« und auf ihre Plausibilität hin prüfen. 33 Hier wären z. B. thematische Blockveranstaltungen im Rahmen des Studiums und Referendariats vorstellbar.

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Wolfgang A. Kasper

11. (10.+1) Die jüdische Lyrikerin Mascha Kaléko formuliert angesichts der Vorläufigkeit und Begrenztheit menschlichen Planens und Tuns ebenso weise wie ermutigend: »Sei klug und halte dich an Wunder.«34

Wolfgang A. Kasper ist Fachleiter für Evangelische Religionslehre am Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte (Gymnasium) Heidelberg und Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Baden.

34 Mascha Kaléko, Sei klug und halte dich an Wunder – Gedanken über das Leben, München 62013.

Bilanz

Reli – keine Lust und keine Ahnung? Eine Zwischenbilanz Helga Kohler-Spiegel

Es überrascht nicht, dass Religionspädagoginnen und Religionspädagogen über den Religionsunterricht nachdenken. Am 3. März 2018 startete der Deutsche Katechetenverein dkv die Kampagne #daRUm! mit vielfältigen Impulsen, Videos, Wettbewerben, Fachartikeln u. a., um für den Religionsunterricht »insbesondere in seiner gesellschaftlichen Bedeutung«1 zu sensibilisieren und zu argumentieren. Prominente Politikerinnen und Politiker wie der baden-­württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Alt-­ Bundespräsident Joachim Gauck nehmen für den Religionsunterricht Stellung. Joachim Gauck wird mit seinem Schreiben an den dkv zitiert: »Eine religiös plurale Gesellschaft braucht religiöse Bildung und religiöses Wissen. Was wir tun sollen, was wir hoffen dürfen und was wir sind – das sind (auch) religiöse Fragen.«2 Der dkv schreibt: »Uns ist es dabei wichtig, in den Dialog zu treten mit denen, die Anfragen an den Religionsunterricht haben, für den Religionsunterricht zu werben, aber auch für all die Lehrerinnen und Lehrer eine Lanze zu brechen, die tagtäglich mit hohem Einsatz ihren Mann und ihre Frau vor der Klasse stehen und dabei auch unangenehmen Fragen nicht ausweichen.«3 Die Katechetischen Blätter dokumentieren die Jahrestagung des dkv zur Kampagne mit einem Themenschwerpunkt4 mit Analysen und Reflexionen. Es überrascht nicht, dass sich auch das Jahrbuch der Religionspädagogik mit dem Religionsunterricht beschäftigt. Dabei sind die Kinder und Jugendliche, die nur wenig »Lust auf Reli« und auch »keine Ahnung« davon zu haben scheinen, im Blick dieses Jahrbuches. Es geht um »diejenigen Schülerinnen und Schüler, die vom Religionsunterricht nur wenig erreicht werden oder 1 2 3 4

http://www.darum.info/fakten-zum-ru/ (Zugriff am 15.5.2019). http://www.darum.info/aktuelles/aktuelles-3/ (Zugriff am 15.5.2019). http://www.darum.info/die-kampagne/ (Zugriff am 15.5.2019). Vgl. Themenschwerpunkt: Religion. daRUm! In: Katechetische Blätter 144 (2019), 85–134.

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die sich gegen diesen Unterricht entschieden haben«5. Die Einschätzung von Bernd Schröder gleich vorweg: »Die Frage, ob schulischer Religionsunterricht und welches didaktisch-methodische Arrangement Religionsdistanz existenziell thematisieren, aufbrechen oder ggfls. konstruktiv transformieren kann, ist offen.«6

1 Heterogenität Der Reihe nach: Es herrscht Konsens, die Heterogenität im Religionsunterricht wird nicht geringer, der Umgang damit nicht einfacher. Auch nicht überraschend. Es bedarf einer positiv zustimmenden Grundhaltung, die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler an- und in den Blick zu nehmen. Es bedarf aber auch zahlreicher Kompetenzen, einen »ansprechenden und schülergerechten«7 Unterricht im Alltag zu planen und durchzuführen. Zugleich schwärmt – wie andere auch – Julia Dietsch als junge Religionslehrerin, »welches besondere Potenzial der Religionsunterricht im Vergleich zu anderen Schulfächern bietet, da er den Schülerinnern und Schülern Raum gibt, über wichtige Fragen des Lebens zu sprechen, sich über persönliche Vorstellungen auszutauschen und Erfahrungen zu reflektieren«8. Marcin Morawski plädiert dafür, sich – im Sinne von Max Frisch – nicht zu schnell ein Bild von den Schülerinnen und Schülern zu machen, vor allem kein negatives. Die Annahme, dass Schülerinnen und Schüler z. B. keine längeren Texte mehr lesen wollen, führt dazu, dass ihnen keine längeren Texte mehr zugemutet werden. Daran gewöhnt, »bestätigt sich irgendwann einmal die Annahme, dass man den Schülern von heute nichts mehr zutrauen könne«9. Die Heterogenität von Schülerinnen und Schülern ist nicht nur ein Phänomen der Gegenwart, sondern war auch früher für (Religions-)Lehrkräfte herausfordernd.10 Heterogenität ist unbestritten.

5   6   7   8   9 10

Klappentext zu diesem Band. Bernd Schröder, in diesem Band, 127. Julia Dietsch, in diesem Band, 14. Julia Dietsch, in diesem Band, 14. Marcin Morawski, in diesem Band, 17. Vgl. Marcin Morawski, in diesem Band, 17–20

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2 »Kein Interesse« – ein Grundproblem von Schule? Schülerinnen und Schüler haben – bis auf ganz wenige Ausnahmen – Inte­ressen. Und wenn die Interessen ganz fehlen, nehmen wir das als Symptom einer problematischen Entwicklung wahr. Es scheint also nicht am Interesse zu liegen. Deshalb ist die Frage von Peter Fauser bedeutsam: Wie soll, wie muss Schule sein, damit sie »Interesse« – diese »Vielfalt unterschiedlicher Qualitäten der Beziehung zwischen Person und Sache«11 – weckt? Anton A. Bucher zeigt auf der Basis der jüngeren Pädagogischen Psychologie, dass es (mindestens) drei Grundbedürfnisse sind, die sich auf die Interessen von Menschen auswirken: »Das Bedürfnis nach Autonomie, […] das Bedürfnis nach Kompetenzerleben […] und das Bedürfnis nach Dazugehören.«12 Neuropsychologische Forschungen bestätigen dies. Damit sind wir mitten in Schulreform und Schulentwicklung. Aus schultheoretischer Perspektive ist zu fragen, wie Schule und Unterricht zeitgemäß gewährleisten können, was sie gewährleisten sollen, nämlich der nächsten Generation den Erwerb der Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu ermöglichen, »die für Erhalt und Entwicklung menschlicher Kultur gebraucht werden«13. Schule trennt die Generationen voneinander, und sie trennt »das organisierte Lernen von der gesellschaftlichen Praxis«14. Dies hat Konsequenzen, befreiende, da Lernen damit auch unabhängig von praktischen Erfahrungen möglich ist, aber auch einschränkende, die zu reformpädagogischen Konzepten und Schulentwicklung in verschiedensten Formen geführt haben und weiterhin führen. Letztlich geht es immer wieder darum, die Spaltung zwischen Leben und Lernen zu überwinden. Dies gilt für Schule insgesamt, dies gilt für religiöses Lernen im Besonderen. Fauser beantwortet diese Situation mit seinem Begriff von »Verständnisintensivem Lernen«15 und zeigt entlang der Schulen, die sich am Deutschen Schulpreis beteiligt haben, in welche Richtung Veränderungen – auch für den Religionsunterricht – sinnvoll sind16: Beschäftigung mit der Realität der Schülerinnen und Schüler, ihrer Herkunft, ihren Begabungen und Einschränkungen; Betonung der Eigenaktivität der Lernenden unter Einbeziehung deren Realität; fächerverbindendes Arbeiten unter Einbeziehung verschiedenster 11 12 13 14 15 16

Peter Fauser, in diesem Band, 23. Anton A. Bucher, in diesem Band, 36 f.; mit Verweis auf Deci und Ryan. Peter Fauser, in diesem Band, 23. Peter Fauser, in diesem Band, 24 – im Original kursiv. Peter Fauser, in diesem Band, 30 u. ö. Vgl. Peter Fauser, in diesem Band, 31 f.

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didaktischer Formen inner- und außerschulisch, sowie: intensive Einbeziehung der Eltern. Das Nachdenken über den Religionsunterricht ist also verbunden mit Schule und Schulentwicklung insgesamt. Religionsunterricht ist Teil von Schule und – hoffentlich – eingebunden in Grundkonzepte und Entwicklungen von Schule am konkreten Ort.

3 Was weckt Interesse am Religionsunterricht? Neben den Faktoren der religiösen Primärsozialisation in der Familie17 stärken gemäß der Studie Georg Ritzers von 2010 eine klare Strukturiertheit des Unterrichts (»Der Stoff des Unterrichts hatte einen klaren Aufbau«) und die Qualität der Beziehung (»Meine Meinung wurde im Unterricht ernst genommen«18) das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht. Interesse der Lehrperson am Unterrichtsstoff und an den Schülerinnen und Schülern scheint ein Schlüssel zu sein, dabei ist die Freude an der Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern wichtiger als die Liebe zum Fach. Anton A. Bucher spricht von »Begeisterung« und »Enthusiasmus«, »Unterrichtsenthusiasmus« ist dabei wichtiger als »Fachenthusiasmus«19. Die Herausforderung, nicht kurzfristiges, sondern nachhaltiges Interesse zu wecken, beantwortet Anton A. Bucher mit dem Hinweis auf die »Selbstbestimmungstheorie« von Deci und Ryan: Interessebildend ist vor allem ein »Unterricht, der das Autonomiegefühl von Schülerinnen stärkt – übermäßige Kontrolle ist Gift für das Lerninteresse – und ihnen ermöglicht, ihre eigenen Kompetenzen anzuwenden, […] wofür es ratsam sei, jeweils sehr individuelle Feedbacks zu geben. Bestenfalls stellt sich in einem solchen Unterricht ein starkes Gemeinschaftsgefühl ein«20. Ähnlich Bernd Schröder: Es gilt, den konkreten einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin in den Blick zu nehmen und Subjektwerdung sowie Empower17 Vgl. Anton A. Bucher, in diesem Band, 40 f. 18 Georg Ritzer, Interesse – Wissen – Toleranz – Sinn. Ausgewählte Kompetenzbereiche und deren Vermittlung im Religionsunterricht. Eine Längsschnittstudie, Wien 2010, zit. nach Anton A. Bucher, in diesem Band, 41; vgl. 38–41. 19 Anton A. Bucher, in diesem Band, 42. 20 Anton A. Bucher, in diesem Band, 45.

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ment zu unterstützen. Und interessiert zu sein am Lernprozess der Lerngruppe.21 Schröder steht dafür ein, Religiosität aufzuspüren, in säkularer Sprache zu benennen, Religion zu thematisieren und zu reflektieren, Glaube und religiöse Praxis aber außerhalb von Schule zu lassen. Es ist also die Person des Religionslehrers, der Religionslehrerin, dieser wird Bedeutung zugemessen. John Hattie spricht von »Visible teaching and learning«, von »Erkennbarem Unterrichten und Lernen«, dies findet statt, »wenn das aktive Lernen jedes einzelnen Lernenden das explizite Ziel ist, wenn es angemessen herausfordert, wenn der Lehrer und der Schüler (auf ihren unterschiedlichen Wegen) überprüfen, ob und auf welchem Niveau die Ziele auch wirklich erreicht werden, wenn es eine bewusste Praxis gibt, die auf eine gute Qualität der Zielerreichung gerichtet ist, wenn Feedback gegeben und nachgefragt wird und wenn aktive, leidenschaftliche und engagierte Menschen am Akt des Lernens teilnehmen.«22 Entscheidend ist nach Hattie die Haltung, dass es die Lehrperson interessiert, dass die Schülerinnen und Schüler wirklich etwas lernen. Und entscheidend ist das Tun der Lehrperson; Lernen gelingt besser, wenn die Bedeutung des Lerngegenstandes begründet wird, wenn die Lehrperson Regisseur bzw. Regisseurin des Lernprozesses ist: direktiv, einflussreich, fürsorglich, aktiv in der Leidenschaft. Sinnvoll ist, wenn die Lehrperson die Verantwortung für den Lernprozess innehat und auch präzise instruierend unterrichten kann, wenn wechselseitige Rückmeldungen zwischen Lehrenden und Lernenden sowie ein regelmäßiger Perspektivwechsel stattfinden, in dem Lernen aus Sicht der Schülerinnen und Schüler gesehen wird. Zentral ist, dass die Lehrperson auf ein vertrauensvolles, angstfreies, fehlerfreundliches und menschlich zugewandtes Miteinander verbunden mit hohen Ansprüchen an Einsatz und Anstrengungsbereitschaft achtet. Oder kurz gesagt: Entscheidend ist, was die Lehrperson tut.23

21 Vgl. Bernd Schröder, in diesem Band, 124. 22 SQA Schulqualität Allgemeinbildung, Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (Hg.), Die Hattie-Studie, Wien 2012, 5. 23 Vgl. John Hattie, Lernen sichtbar machen. Überarb. deutschspr. Ausgabe von »Visible Learning« v. Wolfgang Beywl/Klaus Zierer, Baltmannsweiler 2013, v. a. 27–46. Vgl. Helga Kohler-Spiegel, Bi-kulturell und mehrsprachig. Religionslehrpersonen im Spannungsfeld zwischen Schule und Kirche, in: Herder Korrespondenz Spezial: Glauben lehren? Die Zukunft des Religionsunterrichts, Freiburg 2013, 19–23.

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4 Wen der Religionsunterricht nicht erreicht Die Möglichkeit, sich vom Religionsunterricht abzumelden, führt zur Frage dieses Jahrbuches, wen der Religionsunterricht nicht erreicht. Bei der Tübinger Repräsentativstudie »Jugend – Glaube – Religion«24 wurden im Herbst 2015 mehr als 7000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 27 Jahren an Gymnasien und Beruflichen Schulen in Baden-Württemberg zu ihren Einstellungen und Erfahrungen zu Glaube, Kirche und Religion befragt. Diese Personen wurden im Sinne einer longitudinalen Befragung im Frühjahr 2017 erneut befragt, um Konstanz und Veränderungen zu erfassen.25 Interessant ist: »Ethikschülerinnen und -schüler weisen insgesamt deutlich niedrigere Religionswerte auf: Sie glauben seltener an Gott, beten weniger häufig und sind deutlich weniger kirchlich verbunden.«26 Wenig überraschend ist, dass Ethikschülerinnen und -schüler angeben, weniger religiös sozialisiert zu sein. Auffällig hingegen ist: »Ethikschülerinnen und -schüler finden ihren Unterricht interessanter und die Inhalte relevanter als Religionsschülerinnen und -schüler.«27 Wenn es um die Frage geht, warum sich Schülerinnen und Schüler abmelden, dann sind es – wieder: die Qualität des Unterrichts und die Person des Lehrers, der Lehrerin, konkret ihre Kompetenz (fachlich und methodisch) und ihre Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern.28 Auch systembezogene Faktoren sind bei Abmeldungen vom Religionsunterricht nicht zu unterschätzen. Golde Wissner und Friedrich Schweitzer zeigen: Das Image des Religionsunterrichts ist schlechter als das des Ethikunterrichts. Zudem erreicht der Religionsunterricht Jugendliche, die kaum oder keine religiöse Sozialisation mitbringen, nur wenig bis gar nicht. Diese fühlen sich im Ethikunterricht »besser« aufgehoben.29 Zahlreiche weitere Studien sind in diesem Jahrbuch thematisiert. Ulrich Riegel nennt die Datenlage »eher unbefriedigend«30, es lassen sich aber in Studien Unterschiede bei den Überzeugungen und dem Lebensgefühl religiöser und säkularer Jugendlicher zeigen.31 24 Vgl. Friedrich Schweitzer/Golde Wissner/Annette Bohner/Rebecca Nowack/Matthias Gronover/Reinhold Boschki, Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht, Münster 2018. 25 Vgl. Golde Wissner und Friedrich Schweitzer, in diesem Band, 46 ff. 26 Golde Wissner/Friedrich Schweitzer, in diesem Band, 49. 27 Golde Wissner/Friedrich Schweitzer, in diesem Band, 51. 28 Vgl. Golde Wissner/Friedrich Schweitzer, in diesem Band, 55 ff. 29 Vgl. Golde Wissner/Friedrich Schweitzer, in diesem Band, 59 f. 30 Ulrich Riegel, in diesem Band, 79. 31 Vgl. Ulrich Riegel, in diesem Band, 81–86.

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Monika E. Fuchs fragt nach den Schülerinnen und Schülern, »die den Wert des (konfessionellen) Religionsunterrichtes nicht kennen, erkennen oder verkennen«32. Sie zeigt demografische Veränderungen, Rückzug ins Private, Veränderungen in den Relevanzzuschreibungen und den Werthaltungen u. v. m.33 Das Phänomen der Religions- und Kirchendistanz ist nicht neu, Bernd Schröder bringt Zeugnisse seit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Bereits 2010 sprach Schröder (zusammen mit Folkert Rickers) von der »Religionsdistanz als Vergleichgültigung«34. Religion wird mit intellektueller Aneignung oder mit handelndem Erproben »in Gebrauch genommen«, und zwar in Lebensdeutung und Lebensführung.35 Claudia Gärtner nimmt die am schnellsten wachsende weltanschauliche Gruppe in Deutschland, die Gruppe der Konfessionslosen in den Blick. Auf der Basis der vier Typen nach Gert Pickel36 geht Gärtner davon aus, dass gläubige und tolerante Konfessionslose den Weg in den Religionsunterricht finden könnten. »Wenn Religion im Leben von Religionsdistanten keine Bedeutung besitzt, gestaltet sich Lernen als schwierig, denn nur was als relevant betrachtet wird, wird nachhaltig gelernt.«37 Was also ist für Religionsdistante relevant zu lernen? Und warum? Weitere Forschungsbefunde machen Tendenzen sichtbar: So zeigt z. B. eine Forschungsarbeit von Barbara Asbrand, »dass Schülerinnen und Schüler, die nicht der den Unterricht tragenden Konfession angehören, sich vielfach nicht wirklich trauen, ihre eigene weltanschauliche Position vollgültig anzusprechen«38. Die Situation in Ostdeutschland muss gesondert betrachtet werden, zwei Drittel der Konfessionslosen in Ostdeutschland waren »schon immer« konfessionslos, es ist eine »ererbte Konfessionslosigkeit«39. Spannend auch, wie Michael Domsgen mit Bezug auf die Forschung von Sara Demmrich zeigt, wie nicht religiös sozialisierte Jugendliche sich über Nachahmung (Lernen am Modell) das Beten beigebracht hatten und dies Auswirkungen auf ihre Emotionsregulation hatte.40

32 33 34 35 36 37 38 39 40

Monika E. Fuchs, in diesem Band, 93. Vgl. Monika E. Fuchs, in diesem Band, 92–111. Bernd Schröder, in diesem Band, 122, mit Bezugsliteratur. Vgl. Bernd Schröder, in diesem Band, 123. Vgl. Gert Pickel, Konfessionslose – das ›Residual‹ des Christentums oder Stütze des neuen Atheismus? In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), 12–31, hier: 22–27. Claudia Gärtner, in diesem Band, 130. Zit nach Ulrich Riegel, in diesem Band, 89 f. Michael Domsgen, in diesem Band, 158. Vgl. Michael Domsgen, in diesem Band, 160.

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5 Hinschauen, wo es nicht läuft … John Hattie, neuseeländischer Bildungsforscher, empfiehlt, dort hinzuschauen, wo Lernen nicht klappt. Rudolf Englert tut dies, er nennt41: geringen kognitiven Aktivierungsgrad, oder konkret: Der Religionsunterricht »tut zu wenig dafür, seine Schülerinnen gedanklich zu fordern«42. Englert sieht »Anzeichen einer veränderten In-Gebrauch-Nahme von Religion«43, er nimmt deutliche Vorbehalte bis hin zu Ablehnung gegenüber bestimmten Glaubensinhalten sowie gegenüber der Auseinandersetzung mit Glaubensfragen überhaupt wahr. Wenn es grundlegende »Zweifel an der Wahrheitsfähigkeit und an der Argumentierbarkeit von Religion«44 gibt, wird Religionsunterricht schwierig. Verbesserungen sind möglich: Religionsunterricht fordert »in einer ›vereindeutigten Welt‹ […] gedankenexperimentell immer wieder aus dem gewohnten Denken und vertrauten Plausibilitäten herauszutreten«45. Der Dramaturgie des Unterrichts folgend wären kooperative, dialogische Lernformen mit Positionierung ausbaufähig. Hilfreich wäre, einem materialbezogenen individuellen Lernen nicht zu viel Raum, und der Sicherung des Lernertrags nicht zu wenig Raum zu geben. Zugleich erschweren äußere Rahmenbedingungen häufig die Arbeit im Religionsunterricht sehr, teilweise sind diese so ungünstig, dass religiöses Lernen kaum stattfinden kann.46

6 Konkrete Impulse für den Religionsunterricht mit religions­ fernen und religionsdistanten Schülerinnen und Schülern Wie ist nun aber religiöses Lernen ohne religiöse Sozialisation konkret möglich? Wie kann – exemplarisch – Religionsunterricht in dieser Vielfalt von religiös sozialisierten bis hin zu religionsdistanten und religionslosen Schülerinnen und Schülern gelingen? Lernen ist schwierig, wenn das Gelernte im Leben keine Bedeutung hat.47 Claudia Gärtner verweist auf die Forschungen von Stuckey u. a. für die Natur41 Vgl. Rudolf Englert, in diesem Band, 62–64.; mit Verweis auf John Hattie. 42 Rudolf Englert, in diesem Band, 66. 43 Rudolf Englert, in diesem Band, 71 und 71 ff. Vgl. grundlegend Rudolf Englert, Was wird aus Religion? Beobachtungen, Analysen und Fallgeschichten zu einer irritierenden Transformation, Ostfildern 2018. 44 Rudolf Englert, in diesem Band, 72. 45 Rudolf Englert, in diesem Band, 73. 46 Vgl. die Beispiele von Rudolf Englert, in diesem Band, 62–64. 47 Vgl. Claudia Gärtner, in diesem Band, 130 f.

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wissenschaften, dass Lernen für Schülerinnen und Schüler dann relevant ist, »wenn es für ihr individuelles, gesellschaftliches oder berufliches Leben wichtig ist«48. Mit diversen Ergänzungen zeigt sich: Religion kann als »Empowerment« der Persönlichkeitsbildung dienen, Bildung wird dann verstanden als die Fähigkeit zum Perspektivwechsel bzw. konkret die Fähigkeit, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Dabei werden immer wieder (religiöse) Sprache und die Entwicklung religiöser Sprachfähigkeit wichtig. Christliches »in nicht-traditionell-religiöser Sprache zu formulieren«, ist nicht einfach49, Michael Domsgen bringt Beispiele. Stefan Altmeyer führt ein in einen sprachsensiblen Religionsunterricht: Spätestens seit Pierre Bourdieu gilt Sprache als ein entscheidender innerer Faktor des Unterrichtsgeschehens.50 »Sprache ist ein möglicherweise unterschätzter, jedenfalls bislang zu wenig bedachter Gelingensfaktor des Religionsunterrichts.«51 Die Beispiele von Stefan Altmeyer im Blick auf Alltags- und Bildungssprache bei Grundschülerinnen und Grundschülern sind eindrücklich, denn Erfolg in der Schule ist mit dem Verstehen und Anwenden der Bildungssprache verbunden. Schulsprache als die in der Schule verwendete Sprache ist eine Mischform von Bildungs- und Fachsprache und wird mithilfe durchgängiger Sprachbildung gelernt.52 Die zentralen didaktischen Prinzipien eines sprachsensiblen Fachunterrichts gelten auch für den Religionsunterricht, fachliches Lernen heißt immer auch sprachliches Lernen, d. h., konkret zu lernen, mich in diesem Fachbereich auszudrücken. Dies kann auch in »Leichter Sprache« geschehen, wie Stefan Altmeyer am Beispiel Gewissen zeigt.53 Wissen, worum es bei religiösen Fragen geht, auch wenn man selbst nicht glaubt54, das ist das Motiv von Enrico, sich auch als Religionsdistanter mit Religion zu beschäftigen. Anonyme Fragebogen am Beginn des Unterrichts erheben die religiöse Situation in der Klasse – das ist für die Lehrperson inte­ressant zu wissen. Dann aber braucht es die Kompetenz seitens der Lehrperson, mit dieser Vielfalt umzugehen. Manfred L. Pirner beschreibt die theologisch-­religionspädagogische, diagnostische, spirituell-religionspädagogische und religionsdidaktische Kom-

48 49 50 51 52 53 54

Claudia Gärtner, in diesem Band, 131. Vgl. Michael Domsgen, in diesem Band, 169., Anm. 29. Vgl. Stefan Altmeyer, in diesem Band, 184. Stefan Altmeyer, in diesem Band, 185. Vgl. Stefan Altmeyer, in diesem Band, 186–188. Vgl. Stefan Altmeyer, in diesem Band, 194–196. Vgl. Manfred L. Pirner, in diesem Band, 173 ff.

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petenz.55 Bei der praktischen Umsetzung verweist er auf Hans Mendl und sein Verständnis performativer Didaktik. Claudia Gärtner empfiehlt methodisch Lernarrangements für einen mehrfachen Perspektivwechsel, konkret z. B. das Erschließen von christlichem Kulturerbe, von Gebäuden und Festen und Bräuchen.56 Mirjam Zimmermann zeigt, dass Bibel nicht nur den Schülerinnen und Schülern fremd geworden ist, sondern auch bei den v. a. jüngeren Lehrkräften weniger Bedeutung hat, die Grundschul-Lehrpersonen ausgenommen.57 Entsprechend sind die Auseinandersetzung mit der Wahrheitsfrage, die Lebensnähe und die Entwicklung von Sprach- und Argumentationsfähigkeit bibel­didaktisch auch für die Lehrpersonen wichtig.58 Im Osten Deutschland nimmt Gundula Rosenow diese Religions- und Konfessionslosigkeit bis hin zur Ablehnung von Religion massiv wahr, zugleich beobachtet sie: »das Bedürfnis nach Deutung eigener existenzieller Erfahrungen, die Suche nach Orientierungshilfen, die Sehnsucht nach sinnvollem Dasein. Hier drängt sich der Gesprächsbedarf der Lernenden geradezu auf. In großer Offenheit werden Fragen besonders dort formuliert, wo eine wertschätzende Beziehung grundgelegt und ein sicherer Kommunikationsraum angeboten werden kann.«59 Wenn sich Religionsunterricht als »Orientierungshilfe zu individueller Lebensdeutung«60 versteht, haben alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.61 Den Religionsunterricht an Berufsschulen beschreibt Claudia Märkt folgendermaßen: den gesellschaftlichen Stimmungen zu Kirche ausgesetzt, stark von der Lehrperson und ihrer Persönlichkeit geprägt, mit Abmeldemöglichkeit ohne Vorleistung.62 Auch hier gilt – wenn die Abmeldungen am Schulbeginn möglichst verhindert werden konnten: Die Lehrperson ist wichtig, sie soll authentisch und im Dialog sein, offen und frei und vermutlich mit viel Humor. Sie 55 56 57 58 59 60 61 62

Vgl. Manfred L. Pirner, in diesem Band, 174–183. Vgl. Claudia Gärtner, in diesem Band, 130–142. Vgl. Mirjam Zimmermann, in diesem Band, 197–206. Vgl. Mirjam Zimmermann, in diesem Band, 206–211. Gundula Rosenow, in diesem Band, 213. Gundula Rosenow, in diesem Band, 214. Vgl. Gundula Rosenow, in diesem Band, 217 ff.. Vgl. Claudia Märkt, in diesem Band, 225 f.

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soll Schülerinnen und Schüler ernst nehmen und wertschätzen, die Relevanz von Glauben für das Leben hier und jetzt sichtbar machen, den Berufsbezug herstellen, zur Persönlichkeitsstärkung beitragen, und aufzeigen, dass Christinnen und Christen nicht von gestern sind.63 Und wenn die Schulleitung noch für erträgliche Rahmenbedingungen sorgt, ist es gut.64 Religionsunterricht in der Grundschule mit Kindern ohne religiöse Sozialisation ist wenig beforscht. Ungleiche Vorerfahrungen und Vorkenntnisse sowie Wissen führen auch im Grundschulbereich zu ungleichen Beteiligungschancen; dies auszugleichen ist Aufgabe bei Planung und Durchführung des Unterrichts. Auch für die Grundschule gilt: Perspektivwechsel zwischen religiösen und nicht-religiösen Lebensformen anbieten, theologische Gespräche im Blick auf relevante Erfahrungen, Begegnungen und Erfahrungen mit Religion ermöglichen, ohne die Differenz zu betonen. In der Grundschule ist es gut möglich, neue und ungewohnte Methoden einzusetzen, und so für alle Kinder Neues anzubieten. Fragenorientiert nachdenkliche, kooperative und handlungsorientierte Zugänge schaffen gleichberechtigtere Teilhabemöglichkeiten für alle Kinder.65 Und: Kann man Studierende auf den Religionsunterricht mit konfessionslosen und religionsdistanzierten Schülerinnen und Schülern vorbereiten? Ja! Wolfgang A. Kasper betont die Arbeit an der Persönlichkeit der angehenden Lehrerinnen und Lehrer sowie an ihrer fachlichen und didaktisch-methodischen Kreativität. Denn die Stichworte »Autonomie und Selbstbestimmtheit«, die entwicklungsbezogen für die jungen Menschen stimmend sind, bestimmen auch die Arbeit im Religionsunterricht.66

7 Mitten im Prozess der Veränderungen – ein bilanzierender Zwischenstopp »Die schwierige Situation des Religionsunterrichts in der Schule hat ihre tiefste Ursache in dem Spannungsverhältnis, das besteht zwischen einem schulischen Unterricht in einer weltanschaulich pluralen und teilweise indifferenten Gesellschaft und einer Katechese, die gläubige oder glaubenswillige 63 64 65 66

Vgl. Claudia Märkt, in diesem Band, 227–234. Vgl. Claudia Märkt, in diesem Band, 234 f. Vgl. Susanne Schwarz/Ulrike Witten, in diesem Band, 143–156. Vgl. Wolfgang A. Kasper, in diesem Band, 236–248.

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Schüler voraussetzt oder anstrebt. Es scheint so, als müsse der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule entweder darauf verzichten, Glaubensunterweisung zu sein, oder darauf, als ordentliches Lehrfach zu gelten. Im Grunde ist damit die Frage nach der Bedeutung von Glauben in unserer Zeit und Gesellschaft gestellt.«67 So sagt die Würzburger Synode 1974 am Beginn des Beschlusstextes »Der Religionsunterricht an der Schule« zur Situation. 2005 veröffentlichten die Deutschen Bischöfe unter dem Titel »Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen« ein Hirtenschreiben zum Thema. Im Anschluss an den Text der Würzburger Synode zum Religionsunterricht formulieren die Deutschen Bischöfe, dass »sich der Religionsunterricht nicht nur an gläubige oder glaubenswillige, sondern ebenso an suchende und zweifelnde sowie an sich ungläubig verstehende Schülerinnen und Schüler«68 wendet. Diese beiden Texte der katholischen Kirche – und die vergleichbaren Texte der evangelischen Kirche – erinnern exemplarisch daran, dass Diskussion und Verunsicherung rund um den konfessionellen Religionsunterricht nicht neu sind. 2019 ist es an der Zeit, erneut hinzuschauen, wo der Religionsunterricht steht, wen der Religionsunterricht erreicht und vor allem, wen er nicht erreicht, und in welche Richtungen Schritte gesetzt werden können und sollen, die der Entwicklung des Religionsunterrichts förderlich sind. Studien helfen, »gefühlte Wahrnehmungen« zum Religionsunterricht zu überprüfen, Entwicklungen zu erkennen, Bilder zu korrigieren. Erhebungen und Befragungen können unterschiedliches Zahlenmaterial liefern, Fragen schärfen und Erkenntnisse sichtbar machen. Hier ist noch vieles zu beforschen möglich und notwendig, im Rahmen von Unterrichtsforschung ist interessant zu wissen, was wie im Religionsunterricht wirkt, damit der Kompetenzerwerb nachhaltig aufgebaut werden kann. Dieses Jahrbuch zeigt vielfältige Zugänge zum Religionsunterricht, die Konzeptionen von Religionsunterricht, die sich in den Beiträgen finden, sind zahlreich – performativ und handlungsorientiert, erfahrungsorientiert und biografiebezogen und kompetenzorientiert. Heterogenität und der Umgang damit zeigt sich auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler, der Lehrpersonen und der 67 Der Religionsunterricht in der Schule. Ein Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1974) (Arbeitshilfen 66, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 1974, Punkt 1. 68 Die Deutschen Bischöfe, Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (Die Deutschen Bischöfe 80, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 2005, Punkt 1.

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Religionspädagogik insgesamt. Für die Schule gilt: All die ausdrücklich genannten und indirekt angesprochenen Konzeptionen von Religionsunterricht sind gespeist von der Dialogfähigkeit der Lehrpersonen und ihrer Bereitschaft, sich für Schülerinnen und Schüler zu interessieren, sich auf sie einzulassen. Die Person des Religionslehrers, der Religionslehrerin, ihre Glaubwürdigkeit, ihre Präsenz, ihre Resonanz, ihr Modellsein sind wichtig. Dieser Aspekt taucht immer wieder auf, ohne dass die Lösung aller Herausforderungen von der Lehrperson erwartet würde. Dennoch: Die Lehrperson ist für den Religionsunterricht bedeutsam, es geht dabei um ihre fachliche Kompetenz und ihre didaktisch-methodische Kompetenz, ihr Gespür für Lernprozesse, ihre Fähigkeit zu begeistern und zu beteiligen u. v. m. Ein hoher Anspruch. Dass Lehrpersonen für Religion unter den Abmeldungen am Beginn des Schuljahres leiden, dass sie immer wieder neu einen Umgang mit dieser Herausforderung für sich selbst, vor den Schülerinnen und Schülern und im Lehrerkollegium finden müssen, ist nicht einfach. Hier sind – neben dem persönlichen Umgang mit dieser Situation – der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowie kirchlich Vorgesetzte wichtig, die ermutigen und bei Bedarf auch die Religionslehrpersonen an einzelnen Schulen konkret unterstützen. Sprache und Sprachbildung sind von besonderer Bedeutung – für die Gegenwart und für die Zukunft von Religionsunterricht. Alltagssprache, Bildungssprache und Fachsprache, persönlich bedeutsame Sprache, religionssensible und religiöse Sprache – sinnvoll ist, sich immer wieder mit der Sprache im Religionsunterricht auseinanderzusetzen, für sich selbst und zusammen mit Kolleginnen und Kollegen. Es ist m. E. zentral, immer wieder übend zu erproben, wie im Religionsunterricht im Blick auf die Schülerinnen und Schüler und ihrer Realität, im Blick auf verschiedene Altersstufen in Alltagssprache, in Bildungssprache und in Fachsprache z. B. von Vergebung und Gnade und Schuld und Liebe und Erlösung, von gerechtem Handeln u. a. gesprochen werden kann. Dabei zeigt sich, wie bedeutsam »Fachlichkeit und Sprachlichkeit«69 sind. Für die konkreten Impulse sei nochmals auf den Beitrag von Stefan Altmeyer verwiesen.70 Schülerinnen und Schüler verändern sich. Lehrpersonen wissen, dass immer konkrete Kinder und Jugendliche mit ihrer Sozialisation, mit ihren Vorerfah69 Stefan Altmeyer, in diesem Band, 189. 70 Vgl. Stefan Altmeyer, in diesem Band, 184–196.

Reli – keine Lust und keine Ahnung? Eine Zwischenbilanz

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rungen und Verarbeitungsmustern, mit ihren Stärken und ihren Einschränkungen im Unterricht sind. Deren Religiosität, religiöse Sozialisation und religiöse Biografie sind nur ein »Kriterium« bei der Heterogenität von Schülerinnen und Schülern. Umso herausfordernder ist es, Religionsunterricht so zu gestalten, dass religiös sozialisierte Schülerinnen und Schüler ebenso wie religiös Distanzierte und Konfessionslose angesprochen sind. Sie alle fordern, Religion und Glaube exemplarisch zur Sprache kommen zu lassen und deren Bedeutsamkeit und Plausibilität konkret sichtbar zu machen. Langeweile und Desinteresse können vor allem durch zu geringe inhaltlich Anregung und Anforderung entstehen, durch mangelnde Erschließung der Struktur des Denkens hinter den Inhalten, durch zu geringe sprachsensible Anstrengungen im Religionsunterricht und an der Schule insgesamt, durch mangelnde didaktisch-methodische Durchdringung der Themen. Es bleibt aber klar, dass zahlreiche weitere Faktoren den Religionsunterricht teilweise sehr stark beeinflussen, z. B. Rahmenbedingungen, Atmosphäre und Kultur einer Schule, familiäre Sozialisation und Schulkarrieren der Schülerinnen und Schüler, die Dynamik innerhalb der Lerngruppe und ihre Fähigkeit zum Gespräch und zur Konfliktlösung und vieles mehr. Religionsunterricht wird so zum Dialog-Ort. Er wird zum Ort, an dem Menschen über Religion ins Gespräch kommen, inhaltlich angereichert und reflektiert und emotional angebunden an Erleben oder an didaktisch eingebrachten Situationen. Insofern fordert dialogisches Lernen immer auch vielfältige Lehr-Lern-Methoden, die Interesse wecken, die ins Tun führen. Insgesamt: Nicht leicht, Tag für Tag Religion zu unterrichten. Die Veränderungen, die bei Kindern und Jugendlichen sichtbar werden, können nicht nur durch didaktische Anpassungen beantwortet werden. Es braucht ein neues Nachdenken darüber, was die Bedeutung von Religion und Glaube ist im Angesicht von heterogen religiös sozialisierten, von religionsdistanten und konfessionslosen Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern. Es braucht ein inhaltliches Weiterentwickeln der Kompetenzraster und der Lehrpläne, um dieser Heterogenität für die Gegenwart und für die Zukunft des Religionsunterrichts gerecht zu werden. Es braucht didaktisch-methodische Ideen für den Religionsunterricht, wenn er religiös sozialisierte, religionsdistante und konfessionslose Schülerinnen und Schülern ansprechen und zum Aufbau von Wissen und Nachdenken über Religion einladen und ermutigen will. Vermutlich aber braucht es auch das grundsätzliche Nachdenken darüber, welche Form des Religionsunterrichts in Zukunft tragfähig sein wird, was im konfessionellen Religionsunterricht und im konfessionell-kooperierenden Religionsunterricht möglich ist, und was neue Formen religiösen Lernens brauchen. Und es

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benötigt die Überlegungen, wie diese Veränderungen in Aus- und Fortbildung umgesetzt werden. Dieser Band des Jahrbuchs Religionspädagogik öffnet Türen, über all diese – auch kritischen – Fragen gemeinsam weiter nachzudenken. Religionsunterricht ist Teil von Schule. Deshalb ist es gut, eingebunden zu sein in Schul- und Unterrichtsentwicklung am konkreten Schulort und dies gemeinsam mit Schulleitung und Kolleginnen und Kollegen zu gestalten. Es ist gut, didaktische Impulse von anderen Fachkolleginnen und -kollegen zu nutzen, Anregungen z. B. aus der Deutschdidaktik oder der Didaktik für Sachunterricht können auch für den Religionsunterricht hilfreich sein. Im Kontext schulischen Lernens ist Religion nicht vorrangig ein Sonderfall, sondern ein Unterrichtsfach, es geht um Kompetenzerwerb in Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Haltungen und Einstellungen – kognitiv und emotional. Es geht um Erkenntnisse darüber, wie Lernen möglich ist und was Lernen fördert. Und wenn z. B. der Aufbau von Metakognitionen vernachlässigt wird, behindert dies nachhaltiges Lernen. Denn: Lernen macht Sinn, Lernen gelingt, wenn das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenzerleben und Dazugehören71 erfüllt sind. Auch im Religionsunterricht.

Dr. Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Religionspädagogik und Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, Feldkirch/ Österreich.

71 Vgl. Anton A. Bucher, in diesem Band, 36 f.