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German Pages 120 [130] Year 1987
Lorenz Lange
Reise nach China
Dokumente der Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Christa Kirsten und Kurt Zeisler
Akademie-Verlag • Berlin
Lorenz Lange
Reise nach China Mit einem Nachwort von Conrad Grau und 12 zeitgenössischen Illustrationen
Akademie-Verlag • Berlin
ISBN 3-05-000043-0 ISSN 0233-0792
Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, DDR-1086 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1986 Lizenznummer: 202 • 100/261/86 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer" 5820 Bad Langensalza LSV 5376 Bestellnummer: 754 400 5 (2187/5) 02500
Reise von Petersburg nach China und Beschreibung dieses Landes
Nachdem wir beiderseits Sr. Zarischen Majestät allergnädigsten Befehl erhalten, die Reise nach China anzutreten, und unsere AdresseBriefe an den chinesischen Hof empfangen, begaben wir uns auf die Reise von St. Petersburg den 18. August Anno 1715 und reiseten den Newa-Strom aufwärts bis an Schlüssel bürg, allwo wir den 20ten arrivierten, welches Schloß mitten in dem Munde [Mündung] von der Ladogaschen See lieget, woraus der vorerwähnte Newa-Strom entstehet. Nachdem er aber Neuenschanz und St. Petersburg vorbeigeflossen, fallt er 30 Werst von der erwähneten Stadt in die Ostsee. Von dannen mußten wir 70 Werst zu Lande reisen bis an Staraja Ladoga, welches an dem Fluß Wolchow lieget, weilen wir wegen des ungestümen Wetters uns nicht auf die Ladogasche See wagen durften, und erreichten den 22ten obenbenannte Stadt, allwo wir ein Fahrzeug bekamen, um unsere Reise ferner auf dem Fluß Wolchow fortzusetzen. Also gingen wir den 23ten von dannen zu Wasser und kamen den 26ten in Groß-Nowgorod [an]. In dieser Stadt mußten wir uns wegen Podwodden [Pferdefuhrwerk] eine Nacht aufhalten, doch traten wir den 27ten ganz frühe unsere Reise ferner an und provitierten [durchreisten] zwischen Moskau und Nowgorod die Städte Torshok und Twer und arrivierten in Moskau den 7ten Tag des Monats September. Wiewohl wir in dieser großen und weit berühmten Stadt nicht länger als in den anderen uns aufzuhalten vermeineten, wurden wir wegen des sehr nassen Herbstwetters bis den 22ten Dezember zu verbleiben gezwungen. Da wir uns nun allhier eine geraume Zeit aufgehalten hatten, und einen überall wohl gebahnten Weg zu haben vermeineten, machten wir uns wieder auf den Weg und arrivierten den 24ten in der Stadt Pereslawl-Salesski, welche 120 Werst von Moskau lieget, und den 25ten, als am Heiligen Weihnachtstage, [in] die Stadt Rostow-Jaroslawski, von Pereslawl 60 Werst entlegen, allwo wir die Nacht über verbleiben mußten, weilen die Wege alle durch den starken Wind dergestalt verwehet waren, daß man weder Weg noch Steg sehen konnte. Doch mußten wir diesen schlimmen Weg auch passieren, weswegen wir erst den 26ten in Jaroslawl ankamen, welches eine große und reiche Handelsstadt ist, lieget an dem Wolga-Strom; fällt noch 5
dicht bei der Stadt ein anderes kleines Revier [FlüßchenJ, Kotorosl genannt, welches seinen Ursprung aus Rostowskoje 'Osero, einer stehenden See dieses Namens, hat. In dieser Stadt hatten wir etwas Diffikultät wegen Podwodden, weilen uns die Karawane allhier begegnete und sie viel Pferde vonnöten hatten. Doch konsiderierte der Kommandant, daß wir auf Order Sr. Groß-Zarischen Majestät reiseten und expedierte uns den 27ten des Abends. Damit wir aber keine Zeit umsonst zubringen möchten, reiseten wir denselben Abend noch 30 Werst und blieben die Nacht über in einem Dorf, genannt Wolschewskoj-Jam [Poststation]. Den 28ten des Morgens gingen wir noch 30 Werst bis TelatscheJam, allwo uns die Leute warneten, uns vor den Straßenräubern in acht zu nehmen, weilen kein gefährlicherer Ort auf der ganzen Reise wäre als derselbe und bis auf 60 Werst von dannen und versicherten uns, daß vor einigen Tagen der Einkäufer von der Prinzessin Natalja Alexejewna von dergleichen Leuten wäre überfallen worden und hätte nicht allein seine bei sich habenden Güter, sondern auch das Leben verlieren müssen, daferne nicht einige Bauern aus den nächst umliegenden Dörfern ihnen beigesprungen wären. Nachdem wir dieses angehöret hatten, reiseten wir denselben Tag noch 30 Werst und kamen des Abends ohne Gefahr in Ukerska-Jam [an], allwo wir abermals die Nacht über blieben. Den 29ten reiseten wir die andere Hälfte von diesem gefahrlichen Weg, welcher 30 Werst war, bis Obmorska, allwo wir des Morgens zu guter Zeit ankamen. Von hier gingen wir denselben Tag noch 40 Werst und blieben die Nacht über im Dorf Nizowska. Bei diesem Dorf blieb uns die Stadt [Wologda] auf 25 Werst zur linken Hand liegen. Wir aber nahmen den geraden Weg nach Weliki Ustjug und gingen den 30ten noch 30 Werst, bis wir gegen Mittag in dem Dorf Staroje ankamen, von wannen wir noch 20 Werst reiseten, bis wir an Schuskoje [kamen] und blieben die Nacht über allda. Von hier begaben wir uns auf den Fluß Suchona, welcher seinen Ursprung hat aus einer stehenden See, Kubenskoje Osero genannt. Ist ein sehr angenehmes Revier, welches auf b.eiden Seiten mit schönen großen Dörfern bebauet ist. Bei einigen Orten ist es beinahe eine Werst breit und stürzet sich endlich bei Archangelsk in das Weiße Meer, nachdem es bei dem Fluß Jug, so dahineinfallt, seinen vorigen Namen verlieret und Sewernaja Dwina genannt wird. Auf diesem nunmehro Dwina genannten Strom wird alle Jahre großer Handel zwischen Archangelsk und Ustjug getrieben, doch geschiehet es nicht ohne Gefahr, weilen er nicht tief ist und einen sehr steinigten Grund hat. 6
Da wir nun auf diesem Revier 25 Werst in der Morgenstunde gereiset waren, kamen wir in ein Dorf, Darowatka genannt, und von dannen 40 Werst in Awarwiza, welches auch ein Dorf ist, allwo wir die Nacht über blieben. Weilen aber der Weg allhier sehr gut war, so gingen wir am Heiligen Neujahrstage, als den 1. Januar 1716, zu guter Zeit aus dem Quartiere und kamen noch vor Tage in das Dorf Usjetosnazka, nachdem wir 25 Werst gereiset waren. Denselben Tag avancierten wir noch 50 Werst und kamen des Abends in die Stadt Totma und hielten allda unser Nachtlager. Den 2ten des Morgens bekamen wir frische Pferde, konnten aber nicht mehr als 40 Werst reisen, weilen wir wiederum einem Teil von der Karawane begegneten, zu welcher alle die Pferde weggenommen waren. Wurden also gezwungen, bis Mitternacht in dem Dorfe Kotschenga zu verbleiben; doch reiseten wir noch bis gegen Morgen wiederum 40 Werst bis Beresowa Sloboda. Den 3ten reiseten wir 50 Werst bis Bobrowskoje und ließen die Pferde etwas ruhen; wir gingen aber dieselbe Nacht noch 40 Werst und kamen des Morgens frühe in dem Dorfe Taschima [an]. Hier verweileten wir uns wiederum etliche Stunden und gingen noch denselben Tag, als am 4ten dieses Monats, 40 Werst bis an das Dorf Schuratina. Nachdem wir nun in der frühen Stunde noch 40 Werst zurückgeleget hatten, arrivierten wir den 5ten in Weliki Ustjug und blieben meist den ganzen Tag allda, weilen wir die Podwodden nicht eher als gegen Abend [bekamen. Gingen] von dannen und kamen in dem Dorfe Alexewna [an], welches 20 Werst von der obenbenannten Stadt lieget. Den 6ten, als am Heiligen Dreikönigstage, kamen wir in Solwytschegodsk [an], welches eine schöne und große Stadt ist, von dem obenerwähnten Dorfe 25 Werst entlegen. Man merket aber, daß allhier die Werste wohl zweimal größer sind, als die wir bishero gereiset haben und sind auch ungemessen. Den 7ten fuhren wir 30 Werst von Solwytschegodsk bis an das Dorf Spaje durch einen sehr engen morastigen und auf beiden Seiten mit einem sehr dicken Busch bewachsenen Weg. Der Schnee war auch allhier so groß gefallen, daß die Pferde kaum darinnen gehen konnten. Wir nahmen aber auch die Nacht zu Hülfe, weilen hier schön sicher zu reisen war, und kamen, nachdem wir 50 Werst gereiset waren, an zwei Winterwohnungen, allwo wir etliche Bauern antrafen, deren Sprache wir kaum verstehen konnten. Sie nannten sich Syrener [Syrjanen = alte Bezeichnung des Volkes Komi\, weilen das Land selbst Syrania heißet und 7
erstrecket sich auf 70 Siumka in der Länge — eine Siumka ist 5 Werst — sind aber allhier, wie oben gemeldet, um ein gut Teil größer wie die russischen. Man hört in dieser Leute ihrer Sprache unterschiedene Wörter, die mit der livländischen Bauernsprache eine Verwandtschaft haben, doch wissen sie selbst nicht, wo sie herstammen oder wie sie in dieses Land gekommen sind. Diese Leute wohnen auch nicht allezeit hier, weilen des Sommers keine Leute diesen Weg reisen können, sondern kommen nur des Winters aus den anderen Dörfern an diesen Ort, damit sie die Reisenden mit Fourage für ihre Pferde und anderen Notwendigkeiten versehen können. Sie sind der russischen oder griechischen Religion zugetan. Weiter wissen sie auch von ganz keinen Büchern noch Schriften nicht, sondern sind gesonnen, in derselben Unwissenheit ihr Leben zuzubringen, wie es ihre Voreltern getan haben. Den 8ten reiseten [wir] wiederum 8 Siumkas oder 40 Werst und kamen in ein Dorf, Rasize genannt, welches das erste von dem sibirischen Gouvernement war, und den 9ten gingen wir 30 Werst bis an das Dorf Pogoldina. Von diesem Dorfe hatten wir wiederum 80 Werst durch lauter Wildnis zu reisen, daß auch nicht einmal ein Haus zu finden war, weswegen wir auch die Nacht zu Hülfe nahmen, damit wir desto eher aus diesem dicken Walde wieder herauskommen möchten und erreichten auch den lOten des Morgens Uschga-Jam, welches ein großes und wohlbewohntes Dorf war, allwo wir wieder frische Pferde bekamen. Als wir von diesem Dorfe wieder abgereiset waren, kamen wir wiederum in eine Wildnis und mußten, nachdem wir den Tag über 50 Werst gereiset waren, bei einer kleinen Hütte, so im Walde stand, die Pferde etwas ruhen lassen. Die folgende Nacht aber gingen wir wiederum 30 Werst bis an ein Kloster, welches in dieser Wildnis stand, und hat den Namen nach der Wüstenei, nämlich Ustretinska Pustynja [Wüste, Einöde]. Doch waren nicht mehr als 4 Mönche, die sich in diesem Kloster aufhielten. Von dannen kamen wir den Ilten in ein Dorf, Selo quidaquova genannt, welches 30 Werst von dem Kloster war. Wir verweilten uns aber allhier nicht lange, sondern avancierten noch 37 Werst bis an die Stadt Kai, allwo wir uns von Mitternacht bis den andern Tag Nachmittag wegen frischem Vorspann aufhalten mußten. Diese Stadt ist von einer mittelmäßigen Größe und lieget an dem Fluß Kama, welcher sehr krumm läuft und stürzet sich in die Wolga. Den 12ten avancierten wir nicht sonderlich, weilen wir so spät 8
von dieser Stadt wegreiseten, sondern mußten uns mit 35 Werst begnügen lassen, welche wir auch in einer Wüstenei reisen mußten und kamen abermals an 3 kleine Winter Wohnungen. Wir hielten aber nicht lange allda, sondern gingen noch in der Nacht 25 Werst weiter in selbiger Wildnis, bis wir an eine andere kleine Hütte kamen, allwo wir einige Stunden verweilten. Den 13ten machten wir uns wieder von dannen auf und kamen, nachdem wir 30 Werst gereiset waren, in dem Dorfe Selzow [an]. Des Nachmittags aber reiseten wir 45 Werst und bekamen frischen Vorspann in einem Dorf, welches Kosa heißet. Die darauffolgende Nacht gingen wir noch 50 Werst bis an das Dorf Uwolska, allwo wir den andern Morgen in der Frühe arrivierten. Den 14ten konnten wir nicht mehr als 40 Werst reisen, weswegen wir in dem Dorfe Will die Nacht über verblieben. Den 15ten, nachdem wir abermals 15 Werst zurückgelassen hatten, kamen wir in die Stadt Solikamsk, welche auch an dem Kama-Fluß lieget. Ist eine große Stadt und wegen der Kaufleute, so diesen Ort bewohnen, sehr berühmt. Man zählet auch in dieser Stadt 32 Salzbrunnen, worunter — den Leuten ihrer Aussage nach — die meisten bis 30 Faden tief waren. Ich probierte selbst dieses Wasser und fand es so salzig, daß man es wegen der Schärfe nicht lange in dem Munde halten konnte. Bei diesen Brunnen waren auch in der Erde Öfen oder Feuergruben gegraben, über welchen große eiserne Pfannen stunden, worinnen sie das Salz kochten. Diese waren beinahe 1 Arschin tief und 2 1/2 Faden lang, worinnen kontinuierlich Salz gesotten wird. Und muß allezeit unter so einer Pfanne ein Faden Holz brennen. Dieses Salz ist so fein, daß man es bald für Mehl ansehen sollte, und so weiß als Schnee. Von diesem Orte wird ganz Sibirien, Kasan und Astrachan mit Salz versehen. Die Leute, welche bei diesen Brunnen das Wasser ausziehen, bekommen für jede 100 Spann 1 Kopeke. Dieses Geld wird ihnen aber nicht aus Ihrer Zarischen Majestät Kasse gezahlet, sondern von den Kaufleuten, denen die Salzsiedereien gehören. Diese aber sind verbunden, jährlich an Sr. Zarische Majestät soviel Salz, als von ihnen verlanget wird, um ein gewisses Geld für ein jedes Pud an die Stelle und Ort, wo es hin verlanget wird, zu liefern. Das Land zwischen Kai und Solikamsk heißet Groß-Permia, worinnen die letztbenannte Stadt [Perm] die Hauptstadt ist. Die Einwohner aber dieses Landes sind keine Russen, ob sie schon dem russischen Glauben zugetan sind, sondern nennen sich Permianer, haben ihre eigene Sprache, woraus man gar nicht judizieren kann, was [es] vor alten Zeiten für eine Art Volk muß gewesen sein. Haben 9
auch keine Schriften noch Bücher und wissen von ihren Voreltern nichts zu erzählen, als daß vor vielen Jahren ein Bischof aus Rußland dahin gekommen sei, der sich Stephan Weliki Permskoj [der Heilige Stefan von Perm, 2. Hälfte des 14. Jh.] hat nennen lassen, und hat sie von ihrem Heidentum und Abgötterei zum christlichen Glauben bekehret. Sonsten sind sie von Ansehen starke und wohlgewachsene Leute. Nachdem wir uns wegen Pferden bis den andern Tag Nachmittage allhier aufgehalten hatten, verfügten wir uns wieder von dannen und blieben eine kleine Weile in dem Dorfe Izewka. Aber die darauffolgende Nacht gingen wir noch 40 Werst, also daß wir frühmorgens in dem Dorfe Jejewa ankamen. Den 17ten gingen wir des Morgens 20 Werst nach dem Dorfe Chipion und ließen die Pferde etwas ruhen. Zwischen der Stadt Solikamsk und diesem Dorfe passierten wir die Werchoturischen Gebirge [Ural bei Werchoturje], auf welchen so ein starker Frost war, daß wir uns mit genauer Not in den Schlitten davor wahren konnten, und konnten nicht über 20 Werst fahren ohne Anhalten, weilen sich unsere Jamschiken [Fuhrmann] fast alle Augenblicke die Nasen verfroren hatten. Über diese Gebirge hatten wir 50 Werst zu reisen; die perpendikulare [Höhe] dieses Gebirges mutmaße ich, wo es am allerhöchsten ist, auf 9 Werst. Es ist überall dicht mit Busch bewachsen, und hält sich darinnen viel Wild auf, als Zobel, Marder, Füchse, Wölfe, Hirsche, Elen und Rehe, und unten am Fuß des Gebirges findet man in den kleinen Flüssen und Morasten viele schöne Ottern. Diesen Tag gingen wir 50 Werst durch einen Wald und den 18ten 32 Werst, bis wir in dem Dorfe Podpawienska ankamen, doch hielten wir uns allhier nicht auf, sondern gingen bis [zu] dem Dorf Spaska, allwo wir uns etwas verweilten. Dieses Dorf ist von dem vorigen 23 Werst [entfernt]. In diesem Dorf fanden wir eine andere Art von Volk, welches sich Wogulzy [ Wogulen = alte Bezeichnung der Völkerschaft der Mansen] nennt. Dem Ansehen nach so ist es eine Art Kalmücken, weilen sie ziemlich breite Gesichter, kurze dicke Nasen und kleine Augen haben. Es wohnet eine ziemliche Menge von diesem Volk in der Gegend von Werchoturje, weiß aber nicht, wie sie dahin gekommen sind. Ihre Sprache ist auch nicht dieselbe, welche die Kalmücken sprechen. Diese Leute sind erst kürzlich auf Befehl des Herrn Generalgouverneurs von Sibirien, Fürst Gagarin [Matvej Petrovic G., Gouverneur von 1708—1719], in dem christlichen Glauben getauft worden. Doch kann ihnen dieses gute Werk wenig Nutzen 10
schaffen, weilen sie noch von dem Unterschied, welcher zwischen dem Glauben an Christum und dem Götzendienst," keine Erkenntnis haben. Doch kann von ihren Kindern und Nachkömmlingen etwas Besseres zu hoffen sein. Weilen wir uns ohnedem bei diesen Leuten aufhielten, war ich curieus [wißbegierig] zu fragen, worinnen ihr Götzendienst bestanden hätte, ehe sie zum christlichen Glauben bekehret worden. So antworteten sie mir, daß sie in dem Walde ein kleines Idol an einem Baum haben hängen gehabt, vor welchem sie, so oft sie die Lust angekommen, niedergefallen sind und mit einem großen Geschrei in die Höhe gesehen; worinnen aber dieses Geschrei bestanden hätte, konnte ich von ihnen nicht erfahren, als daß sie mir sagten, es hätte ein jeder unter ihnen nach seiner eigenen Phantasie geschrien. Ferner frug ich sie, warum sie denn in die Höhe gesehen hätten, und ob sie gewußt hätten, daß allda ein Gott wäre, der alles sehen [könnte] und aller Menschen Tun und Gedanken wüßte. Allein sie antworteten mir, daß der Himmel von ihnen viel zu hoch wäre, um zu wissen, ob allda ein Gott wäre oder nicht, und sie hätten [sich] auch in ihrem heidnischen Zustand um nichts mehr bekümmert als nur den Hunger zu stillen. Ich fragte sie ferner, ob sie denn nunmehro, da sie den lebendigen und seligmachenden Gott anbeteten, nicht mehr Trost und Vergnügung bei sich spürten als vor diesem, da sie ja in dem blinden Heidentum wandelten. So gaben sie mir zur Antwort, sie sähen keinen großen Unterschied, und gilt ihnen gleichviel, wenn sie nur Brot haben. Nachdem wir nun eine kleine Zeit mit diesen Leuten passieret hatten, gingen wir noch 40 Werst bis an das Dorf Karaul, allwo wir uns wiederum verweilten. Den 20ten kamen wir früh in Werchoturje [an], nachdem wir 15 Werst gereiset waren. Diese Stadt ist ziemlich groß und mehrenteils von Kaufleuten bewohnet, ist auch etwas fester als die anderen Städte, weilen an diesem Orte alle Passagiere aufs genaueste visitieret werden, die in und aus Sibirien reisen. Als wir in dieser Stadt mit frischem Vorspann wieder versehen waren, kamen wir gegen Abend in ein Dorf, 26 Werst von dannen, welches Polda 1 heißet; und darauf reiseten wir 46 Werst bis Machnewo-Jam, allwo wir abermals frischen Vorspann bekamen. Von hier mußten wir den 21 ten 45 Werst in einer kleinen Wildnis reisen, allwo wir eine Winterwohnung antrafen, und ließen unsere Pferde bei derselben etwas ruhen. Man findet auch in diesem Walde eine große Menge wilde Tiere, als Zobel, Marder, Rotfüchse etc. Von dieser 11
Winterwohnung hatten wir noch 45 Werst zu reisen, bis wir den andern Morgen, als am 22ten, in Blagoweschtschensk ankamen. Von dieser Sloboda kamen wir in eine kleine Stadt, so Jepantschin heißet, nachdem wir 40 Werst gereiset waren, von welcher nichts besonders zu melden ist, als daß aus dem dazugehörigen Gebiete viel Pelzwerk alle Jahre in die Stadt geliefert wird. Sonsten wird auch die Stadt Turinsk genannt wegen des Tura-Stromes, so da vorbeifließet. Von dannen reiseten wir noch 30 Werst bis an das Dorf Kaminowa, allwo wir bis gegen den andern Morgen verblieben. Den 24ten [= 23.] gingen wir noch 40 Werst und kamen gegen Mittag in das Dorf Jolkina, und nachmittags avancierten wir 20 Werst weiter und passierten den Tura-Fluß, welcher in den Tobol fällt. Die Nacht über blieben wir aber in Kamenskoje, welches ein Dorf ist. Den 24ten reiseten wir in der frühen Stunde 20 Werst und kamen in J 2 [an], wo wir uns wegen frischem Vorspann bis Mittag verweilen mußten; doch gingen wir denselben Tag noch 30 Werst weiter und nahmen unser Nachtlager in dem Dorf Jska. Den 25 ten gingen wir früh aus dem Quartier und kamen, nachdem wir 30 Werst gereiset waren, in einen Flecken, welcher Sloboda Archereska Pokrofska heißet. Nachmittags gingen wir 40 Werst und kamen des Abends in Bersowa-Jam [an], ferner gingen wir die Nacht 40 Werst bis an das Dorf Schestaky und verweileten allda einige Stunden. Den 26 ten reiseten wir 33 Werst und nahmen unser Nachtlager im Dorfe Schiskina, und am 27 ten, nachdem wir noch 7 Werst gereiset waren, kamen wir in Tobolsk [an], welches die Hauptstadt in ganz Sibirien ist, lieget auf einem hohen Berge und ist umlängst [ringsherum] mit einer alten Mauer — von Ziegelsteinen aufgeführet — umgeben. In dieser Festung stehet ein schönes Kloster nebst einer Kirche und außerhalb der Festung auch viele andere Kirchen, welche der Stadt von weitem ein überaus hübsches Ansehen verursachen. Unten am Fuß des Berges fließt der Irtysch, welcher im Süden, und zwar im Lande der Kalmücken, seinen Ursprung hat; fließt auf einem morastigen Grund, weswegen das Wasser sehr trübe ist, und wenn [man] dasselbe in einem Geschirr stehen läßt, findet man gemeiniglich ä l'ordinair, daß sich etwas als ein Lehm auf dem Boden setzet. Längs diesem Fluß ist unten am Berge noch eine hübsche und große Vorstadt, welche von Bürgern und Kosaken bewohnet ist. Dieselbe leidet aber alle Jahre überaus großen Schaden wegen der Feuerbrünste, ja, es geschiehet oft, daß kaum 2 bis 300 Häuser nach dem 12
Feuer allda übrig bleiben. Ungefähr 3 Werst von dieser Stadt fällt auch der Fluß Tobol in den Irtysch, welcher sich folgends allgemach nach West und Nordnordwest wendet und stürzt sich in den Ob. Man findet in diesem Flusse nicht über 3 oder viererlei Sorten von Fischen, als nämlich Sterletten, Hechte, Karauschen und auch Stör et Quappen und Barsche, worunter die Sterletten wohl die fettesten sind, schmekken sie doch bei weitem nicht so lieblich als diejenigen, welche im Ob, Ket und Jenissei gefangen werden, von welchen Flüssen an seinem Orte ein mehres gemeldet werden soll. Nachdem wir nun etliche Tage in Tobolsk uns aufgehalten hatten, um uns zu einer ferneren Reise einzurichten, begaben wir uns den 8ten Februar wiederum auf die Reise und zwar auf dem Irtysch, bis wir den löten in der Stadt Tara ankamen, welche den Leuten ihrer Mutmaßung nach 600 Werst von Tobolsk sein soll. Allein wenn die Werste sollten gemessen werden, könnten wohl 1000 und mehr gezählet werden. Zwischen diesen beiden Städten wohnen längs dem Irtysch hinauf lauter mohammedanische Tartaren, die auch nach ihrer Art wohlhabende Leute sind. Ihre Reichtümer aber bestehen nicht im Gelde, weilen sie danach wenig fragen, sondern mehrenteils in guten Pferden, Ochsen, Kühen und Schafen. Man kommt auch selten in eine tartarische Jurte oder Stube, wo nicht 3 ä 4 Kälber hinter dem Kamin angebunden sind, davon sie aber gar keine verkaufen noch schlachten, weilen sie des Aberglaubens sind, als wenn die Kühe sich deswegen zu Tode grämen würden. Bei diesen Leuten findet man nicht wie bei den russischen Bauern, daß sie Öfen in den Stuben haben, worinnen sie ihre Speise zurichten, sondern man siehet erstlich bei ihnen einen Kamin, welcher fast nach der teutschen Manier aufgeführet ist, obschon diese nur von Strauche und Lehm gemacht sind. Um den Kamin herum haben sie die Diele eine halbe Arschin niedriger als den übrigen Teil gelassen, einen starken Faden lang auf jeder Seite, welches ihnen anstatt Bänke dienet, damit sie darauf sitzen können und sich wärmen. Neben dem Kamin haben sie einen großen Kessel eingemauert, worinnen sie ihre Speise kochen, wiewohl dieselbe selten aus etwas Anderem als Trockenfischen besteht, welche mit Gerstenmehl gekocht werden. Anstatt des Brots essen sie trockenes Gerstenmehl, welches nicht gemahlen, sondern nur in einem hölzernen Mörser gestoßen ist. Von diesem nehmen sie beide Hand voll und füllen sich die Mäuler, so daß man meinet, daß sie ersticken würden. Bei einigen siehet man auch, daß sie es mit Wasser anfeuchten und umrühren, gleich wie man bei den russischen Bauern siehet, wenn sie die Hühner füttern wollen. Wenn sie Tee trinken, melieren [mengen] sie auch von diesem Mehl darunter und 13
trinken dasselbe mit Butter. Wenn sie sich aber recht delektieren wollen, wie gemeiniglich auf ihren Hochzeiten zu geschehen pfleget, so schlachten sie ein junges Pferd, dasselbe kochen sie und invitieren darauf soviel Gäste, als ungefähr vonnöten sind, dasselbe mit ihnen zu verzehren, damit nichts übrig bleibe. Ihr Getränk ist dabei Braga [.selbstgebrautes Bier], welches von Habermehl gemacht wird, und Branntwein, von Pferdemilch destillieret. An diesem Getränk können sie sich so vollsaufen, daß sie gleichsam wie tolle Leute untereinander herumspringen und -liegen; damit aber in einem so unordentlichen Wesen keine Unzucht mit dem Weibervolk vorgehen möchte, werden dieselben in absonderen Jurten mit der Braut traktieret. Ihre Kleider sind nicht viel von den russischen unterschieden; ich rede aber nicht von den heutigen Russen, welche die französischen Manieren angenommen haben, sondern von den alten Manieren, welche bis auf den heutigen Tag in Sibirien in Gebrauch sind. Man siehet in ganz Rußland und sonderlich in Sibirien, daß die Bauernweiber für einen Zierat halten, große Ohrringe in den Ohren zu tragen. Es scheinet aber, als wollten sie die tartarischen auch hierinnen perfektieren, indem sie nicht allein Ringe in die Ohren, sondern auch mitten durch die Nase ziehen. Dieses letztere ist aber mehrenteils bei denjenigen, so für etwas Vornehmes passieren wollen. Der Tribut, welchen sie jährlich Ihro Groß-Zarischen Majestät liefern müssen, bestehet in Pelzwerk, als Zobel, Füchse, Grauwerk [sibir. Eichhörnchen (Feh)] etc. Sie geben aber solches nicht allein an Höchst Erwähnten Sr. Großzarischen Majestät, sondern auch an den Contaisch, welcher ein kalmückischer Fürst ist, und grenzet [sein Reich] an diese Sibirische Tartarei gegen Südwesten; von den Chinesen wird er Zwang Raptan genannt. Die Stadt Tara liegt an einem kleinen Fluß dieses Namens, welcher eine halbe Werst von der Stadt in den Irtysch fallt. Sie ist von einer mittelmäßigen Größe und mit Palisaden umgeben. Hier mußten wir uns etliche Tage wegen frischem Vorspann aufhalten, weilen keine Podwodden, sondern Sr. Groß-Zarischen Majestät Pferde für die Reisenden allda gehalten werden, welche von den allda herumliegenden Dörfern gefüttert werden. Den 21 ten reiseten wir wieder von dannen und kamen in die Baraba [-Steppe], welches eine große Wüstenei ist, durch welche wir bis Tomsk reisen mußten. Sie bestehet aus Birken- und Tannenbäumen, welche in dem Moraste stehen. Es wohnen in dieser Wüstenei des Winters eine Sorte von Tartaren, welche von den Russen Barabinskije Tartary genannt werden. Des Sommers aber wohnen sie an dem 14
Fluß Tara und anderen kleinen Flüssen. Sie sind Heiden und leben auch so miserabel, daß man sie eher dem Vieh als Menschen gleich schätzen könnte. Ihre Wohnungen haben sie in der Erde, welche oben ungefähr ein Arschin mit Staketen verhöhet und mit Stroh bedecket sind. Darinnen haben sie ein kleines Idol aus Holz geschnitten in Form eines Menschen in ejnem kleinen Kästchen stehend und mit allerhand Lappen bekleidet. Dieses ist aufs allermeiste eine halbe Elle lang, welches sie Schaitan nennen. Wenn sie ausgehen, etwas Wildes zu schießen, so versprechen sie diesem Schaitan auch eine Mütze oder Halskragen, wenn er ihnen zu einem reichen Fang verhelfen wird. Ihre Speise bestehet aus Trockenfischen und Mehl, welches sie ganz trocken essen, und [sie] trinken geschmolzenen Schnee, weilen in dieser Wüstenei sonsten kein Wasser zu bekommen ist. Sie halten wenig oder gar kein Vieh, ausgenommen Pferde, welche in dem Walde herumgehen und ihre Nahrung unter dem Schnee suchen müssen. Man findet auch bei ihnen Heu, aber sie halten es nur für die Reisenden, damit sie von ihnen nur etwas Tobak dafür bekommen mögen, denn nach Geld fragen sie nicht, und wenn sie Tobak bekommen, es sei so wenig als immer wolle, so teilen sie ihn miteinander. Wäre es aber so wenig, daß etwa nur eine Pfeife damit angefüllet werden könnte, so behält das auch nicht einer allein, sondern zündet die Pfeife an und giebet sie einem andern, welcher auch einen Zug tut, und giebet sie weiter, damit ein jeder einen Mund voll Rauch bekommt, welchen sie in sich hineinschlucken, und soll ihnen dieses, ihrer Aussage nach, gesund sein. Ihre Kleidungen bestehen aus allerhand zusammengeflickten Pelzlappen, wovon sie auch ihre Mützen und Strümpfe machen. Wenn sie eine Blessur bekommen, wie sehr oft geschiehet, daß sie sich in den Wäldern stoßen, so brauchen sie keine andere Kur, als daß sie etwas Zunder nehmen, zünden denselben an, legen ihn auf die Wunde, lassen ihn auch darauf zu Asche brennen, stellen sich dabei so unempfindlich an, als wenn sie die Hitze gar nicht gewahr würden. Diese Asche streichen sie nachgehends auf und um die Wunde, wovon dieselbe zuheilen soll. Ihren Tribut zahlen sie gleich den vorigen sowohl an Sr. Großzarischen Majestät als auch an den Contaisch. Meines Erachtens so finden sich auch unter diesen Leuten Ostjaken [heute: Chanten], weilen sie, nachdem mir diese sind beschrieben worden, ihnen sehr ähnlich sind, und zwar um desto mehr, weilen die Ostjaken, welche an dem Ob-Strom ihren Aufenthalt und Wohnung haben, mit diesen nahe Nachbarn sind. In ihrem Glauben kom15
men sie auch mit vorerwähnten überein, weilen dieselben auch den Schaitan zu ihrem Abgott haben; sind von kleiner Gestalt, aber, wie bereits erwähnet, sehr häßlich, haben kleine Augen, platte Nasen und schwarze Haare, welche ihnen in großer Konfusion um die Ohren herunter hängen. Da wir nun eine kleine Weile in dieser Wüstenei zugebracht hatten, kamen wir den 7ten März auf den Fluß Tom, an welchem die Stadt Tomsk gebauet ist. Darauf haben wir 2 Tage zugebracht, bis wir den 9ten in Tomsk arrivierten, allwo sich das Revier dergestalt zerteilet, daß es an beiden Seiten der Stadt fliesset, kommt aber am Ende derselben wieder zusammen, wendet sich nach Südosten und Südsüdosten und fallt in den Ob. Diese Stadt liegt in einer lustigen Gegend, auf einem Berge, ist von reichen Leuten bewohnet; in dem Flusse findet man in großer abondance [Überfluß] allerlei schöne Fische. Das Land ist auch mit Getreide reich gesegnet, dergestalt, daß sie auch den andern Städten von ihrem Überfluß mitteilen. In der übrigen Gegend dieser Stadt ist von allerhand Pelzwerk in so großer Menge, als an einem Orte in ganz Sibirien. Insonderheit gibt es hier eine schöne Art von Grauwerk, die von den Russen Kelauzki Belki [Eichhörnchen] genannt werden, sind schneeweiß und wohl zweimal größer als die ordinären. An Mineralien leidet man auch hier keinen Mangel, weilen die herumliegenden Berge sowohl Blei und Eisen als auch Kupfer mitteilen. Von Silber höret man nicht, daß viel sein soll, allein Gold soll hin und her, nach Aussage der schwedischen Gefangenen, zu sehen gewesen sein. In den Gräbern werden auch gefunden allerlei von Gold und Silber gemachte Figuren als Vögel, Fische, Idole, Beschlag von Sätteln und Mundstücken, so auch Tafelgeschirr, Ringe, auf den Fingern zu tragen, und Ohrringe, Geld und viele andere Sachen. Doch sind dieselben auch nicht alle von Gold und Silber, sondern auch von Kupfer und Eisen. Aus diesem ist wohl zu schließen, daß in alten Zeiten andere Leute in diesen Ländern müssen gewohnet haben, als die sich heute allhier befinden, weilen man dergleichen Dinge bei ihnen gar nicht siehet, sondern das Hausgerät bei diesen Leuten ist ein eiserner Kessel und das übrige alles von Birkenborke. Ferner gibts in dieser Gegend viele Kristall-Berge und an den großen und kleinen Ufern allerhand hübsche doch unechte Steine und von allerhand unterschiedenen Couleurs. Insonderheit gibts eine Art von Steinen, die sich in andere Steine generieren, welche die Böhmischen Diamanten weit übertreffen, sowohl an Glanz als auch an Härte. 16
Es finden sich aber an diesem Orte wenig solche Liebhaber, die sich die Mühe geben würden, solchen Dingen recht nachzusuchen. Den 11 ten gingen wir noch mit guter Schlittenbahn von hier weg und kamen auf den Tschulym, welcher ein trübes Wasser ist und läuft sehr krumm, auch so, daß man des Abends gleichsam zu stehen kommt, wo man des Morgens gewesen ist. Die Tartaren, welche an diesem Wasser wohnen, werden genannt Tschulymskije Tartary und sind von den Vorigen nicht viel zu unterscheiden. Wir haben zwar von diesem Volke wenig gesehen, weilen sie des Winters mehr auf die Zobeljagd und andere Tiere zu fangen ausgehen als daß sie zu Hause sind. Ihre Wohnungen fanden wir alle Tage, die am Ufer des Wassers standen, welche zwar ganz ledig standen, doch konnte man wohl daraus judizieren, was für Wirtsleute dazugehören. Wenn diese Tartaren auf die Jagd gehen, nehmen sie Weiber und Kinder mit, allwo sie das Fleisch essen von den Tieren, welche sie schießen; wenn sie aber zu Hause sind, leben sie nur allein von Fischen. Den 22 ten arrivierten wir in Jenisseisk, nachdem wir dieses Wasser verlassen und 5 Tage durch einen Wald gereist waren. Diese Stadt lieget an dem Fluß Jenissei, welcher aus Ostsüdosten herkommt, fließt aber diese Stadt vorbei, gerade nach Westen, wendet sich aber nachgehends nach Norden und fallt ins Eismeer. Ist bei Mangaseja ein überaus lustiges Revier, voll mit allerhand schönen Fischen. Insonderheit werden die Sterletten, welche man hier fanget, für sehr delikat ästimieret. Das Wasser ist bei dieser Stadt eine starke Werst breit, bei Mangaseja aber oder Turuchansk soll es über 5 Werst in der Breite haben. Das Pelzwerk, welches in diesem Gebiete gefangen wird, als Zobel, schwarze, rote und weiße Füchse wie auch Hermeline und Grauwerk sind um etwas schlechter als die bei Tobolsk, Tara und Tomsk gefangen werden. Man findet auch sowohl in der Gegend dieser Stadt als auch weiter hinunter nach Mangaseja eine sehr wunderliche Art von Knochen, welche an dem Ufer des Reviers und in andern Höhlen, allwo das Ende etwas eingefallen ist, gefunden werden. Der Figur nach sind sie den Elefantenzähnen beinahe ähnlich, sie sind aber krummer, allein die Dicke, Länge und Größe dieser Knochen, so auch mit dem Gewicht, kann keinem Elefantenzahn verglichen werden. Es wird unterschiedlich von diesen Knochen bei den alten sibirischen Einwohnern judizieret, welches aber ebensowohl für Fabeln als Wahrheit passieren kann, denn einige meinen, daß vor der Sintflut in Sibirien ein viel wärmeres Klima als itzo soll gewesen sein und daß sich zu der 2 Lange, China
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Zeit Elefanten allda aufgehalten hätten, die zur Zeit der Sintflut in dem Wasser ersoffen wären, und als nachgehends das Klima sich in Kälte verändert hätte, wären die Tiere alle gestorben. Ihre Knochen aber haben nicht verfaulen können wegen des starken Frostes, so in diesem Lande ist, denn bei dem Eismeere tauet die Erde auch im Sommer nicht über eine halbe Elle auf. Andere bilden sich ein, daß diese Knochen von keinen Tieren wären, sondern [sie] generierten sich selbst in der Erde. Weilen aber dieses sehr einfaltig ist, will ich dieselben auch bei ihrer Phantasie lassen. Sonsten meinen auch einige, daß ein überaus großes Tier in der Erde leben sollte, welches sie Momom-Tier [Mammut] nennen. Dasselbe sollte weder des Tages Licht noch die Luft vertragen können. Es soll ihrer Meinung nach ein Horn mitten auf dem Kopf haben, womit es die Erde vor sich weg stoßet, und wenn es par hasard an ein Ufer kommt oder sonsten die Luft und das Tageslicht gewahr wird, soll es davon sterben. Das Horn aber soll dieser Knochen sein, von welchem geredet wird. Hingegen sind wieder andere, die etwas tiefsinniger dieses Tier betrachten und glauben, es sei der Behemoth, von welchem geschrieben stehet im Buche Hiob im 40. Caput Vers 10 und folgende, allwo folgendes zu lesen ist: 1. Siehe, der Behemoth, den ich neben dir gemacht habe, frisset Heu wie ein Ochse. 2. Siehe, seine Kraft ist in seinen Lenden und 3. sein Vermögen in dem Nabel seines Bauches. Sein Schwanz strecket sich wie eine Zeder, die Adern seiner Scham starren wie ein Ast. 4. Seine Knochen sind wie festes Erz, seine Gebeine wie eherne Stäbe. 5. Er ist der Anfang der Wege Gottes, der ihn gemacht hat, der greift ihn an mit seinem Schwert. 6. Die Berge tragen ihm Kräuter, und alle wilden Tiere spielen daselbst. 7. Er lieget gerne im Schatten im Rohr und im Schlamm verborgen. 8. Das Gebüsch bedecket ihn mit seinem Schatten, und dis Bachweiden bedecken ihn. 9. Siehe, er schlucket in sich den Strom und achtet es nicht groß, lässet sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Munde ausschöpfen. 10. Noch siehet man ihn mit seinen eigenen Augen, und durch Fallstricke durchbohret man ihm seine Nase. Woferne zu glauben ist, daß noch heutzutage ein solches Tier auf 18
der Welt sei, als uns Hiob dieses beschreibet, so sollte man auch nicht gar zu großen Zweifel tragen können, daß es nicht dasselbe sei, von welchem man in Sibirien diese sogenannten Momons- oder MammutsKnochen findet, denn die Backenzähne dieses Tiers sind von so einer Materie, daß man schwerlich sollte raten können, was es eigentlich wäre. Von außen sehen sie aus wie Knochen und inwendig wie Erz und sind hart wie ein Stein. Daß sich das Tier gerne im Schatten und Schlamm verbirgt, kommt auch wohl mit den Orten in Sibirien überein, denn die Knochen werden mehrenteils am Wasser und morastigen Orten gefunden, die mit Busch bewachsen sind. Ferner, wenn man nachdenket, was geschrieben stehet, nämlich die Berge tragen ihm Kräuter, und die wilden Tiere spielen daselbst, so muß man gestehen, daß in Sibirien soviel Berge, Gründe, wilde Tiere sind als an einem Orte in der ganzen Welt, und könnte ein solches Tier allda end[lich] leben. Was mich aber noch am meisten persuadieret, daß diese Knochen von einem noch heutzutage lebenden Tier seien, ist, weilen mir von soviel glaubwürdigen Leuten ist zugeschworen worden, daß sie selbst Hörner, Backenzähne und Rippen gesehen haben, wo noch ganz frisches Blut daran gesessen hat. Wenn nun diesen Leuten Glauben zugestellt wird, so wird der Vorigen ihre Opinión, nämlich daß es Elefantenzähne seien, nichts mehr gelten können, zumal es jene doch nur supponieren, diese aber unterschiedliche Teile des Leibes von diesem Tiere gesehen haben und versichern, daß die den Elefantenzähnen ähnlich sehenden Knochen keine Zähne sind, ob sie gleich inwendig von dem Elfenbein nicht sonderlich können unterschieden werden, sondern Hörner, deren das Tier nur eines mitten auf dem Kopf haben soll, welches sich unterwärts nach der Nase zu krümmet. Diese Sprüche Hiobs stimmen auch überein mit den Siberianern ihrer Meinung von diesem Tiere, nämlich da geschrieben stehet, siehet man ihn mit seinen eigenen Augen etc. Denn sie auch sagen, daß sobald es das Licht oder die Sonne gewahr wird, muß es daran sterben. Es war aber niemand, der mir sagen konnte, daß er jemals ein solches Tier lebendig gesehen hätte. In Jenisseisk mußten wir uns wider unseren Willen eine ziemliche Zeit aufhalten, weilen allda das Frühlingswetter allbereits kräftige Wirkung hatte. Doch fehlte uns die Zeit, so lang da zu verbleiben, bis alle die Reviere offen wären, um zu Wasser reisen zu können, zumalen es auch sehr langsam gehet, wenn man in einem Fahrzeug sitzet und sich an einem Strick fortziehen lassen muß. Deswegen dachten wir, unsere Reise besser zu beschleunigen, wenn wir [sie] von dannen zu Lande und zwar reitend antreten würden, welches wir auch taten, 2*
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ungeachtet daß uns solches alle Leute abrieten und uns den schlechten Weg, welchen wir zu reisen haben würden, vorstelleten. Wir ließen uns aber dieses keines [wegs] anfechten, zumalen wir sowohl gute als schlechte Wege bereits zu reisen gewohnet waren. Gingen also den 24. Mai von dannen. Ich muß aber wohl gestehen, daß mir noch keine Reise so schwer angekommen ist als diese; weiß mich auch nicht zu besinnen, von einem so miserablen Weg gehöret zu haben, als ich hier reisen mußte, denn der ganze Weg bis Bratsk bestand in nichts Anderem als in Bergen, Tälern, Morasten und Wäldern. Alle Gewässer waren aufgegangen, zudem regnete es auch noch Tag und Nacht ohne Unterlaß, und zwar so stark, daß man vielmals kein Feuer davor machen konnte, sondern so naß, als wir uns des Abends etwas zu ruhen niederlegten, so mußten wir auch wieder aufstehen, bis wir an ein Revier, Kan genannt, kamen und allda etliche tartarische Jurten oder Hütten von Birkenborke aufgebauet antrafen, worinnen Tartaren, so nach dem Revier Kanskije Tartary genannt werden, wohneten. Diese haben noch schlechtere Wohnungen als die Vorigen, wo wir gereiset waren, und so klein, daß kaum 4 oder 5 Personen darin sitzen können. Sie kleiden sich mit allerhand zusammengenähten Pelzlappen und essen dasjenige, was sie in den Wäldern mit ihren Pfeilen erschießen können, roh oder gekocht ist ihnen gleichviel; Fische finden sie auch im Überfluß in dem Revier. Anstatt des Brots essen sie Wurzeln von gelben Tulpen, welche sie in den Wäldern ausgraben. Sie sind Heiden, aber worin ihre heidnische Religion bestehet, wissen sie selbst nicht. Wir mußten uns aber gefallen lassen, auf unseren verdrießlichen Weg uns wiederum aufzumachen, bis wir den 16. Juni in Bratsk ankamen, welches ein großer Flecken ist, lieget an der Angara, woselbst die Oka dahineinfallt. In dieser Gegend wohnen Tartaren, so Bratskije Tartary heißen, welche in filzernen Jurten wohnen, sind an Pferden, Ochsen, Kühen und Schafen sehr reich, und ist unter ihnen ein schlechter Kerl, der nur 4 oder 5003 Pferde hat. Von Kühen und anderm Fasel [Jungvieh] wissen sie bisweilen selbst die Zahl nicht. Ihre Speise ist dasjenige, was sie in den Wäldern erlegen. Verreckt aber ein Pferd, so bitten sie schon Gäste darauf und halten ein großes Traktament, weilen Pferdefleisch bei ihnen eine Delikatesse ist. Ihr Getränk ist mehrenteils Branntwein aus Pferdemilch destilliert, worin sie sich dergestalt besaufen können, daß sie von ihren Sinnen nichts wissen. Sie schlachten kein zahmes Vieh selbst, außer auf ihren Hochzeiten. Alsdann töten sie soviel junge Pferde, als sie vermeinen, genug daran zu haben. 20
Wenn sie freien, so akkordieren sie mit der Braut Vater, wieviel Pferde, Kühe, Ochsen und Schafe er für seine Tochter haben will, und wenn sie darum einig werden, nimmt der Freier die Braut zu sich, invitieret ihre Nachbarn und Freunde, welche sich miteinander brav besaufen, so ist die Hochzeit vorbei. Es trifft sich wohl bisweilen, wenn einer nach ihrer Art ein hübsches Mädchen haben will, daß er 70, 80, auch wohl 100 Pferde und [genau] soviel Ochsen und Schafe dafür geben [muß] und wohl 10 bis 20 Kamele noch dazu, denn diese Tiere findet man in großer Menge. Ihr Gottesdienst bestehet in Anbetung etlicher alter Schafsfelle, welche sie auf Stangen um ihre Hütten herum hängen, vor welchen sie niederfallen, schreien und gebärden sich wie die unsinnigen Leute. Warum sie es aber tun, wissen sie selbst nicht. Ihre Kleidung ist viel besser als wir bei den anderen Tartaren gesehen haben, denn sie tragen lange Röcke, welche unten an den Knien gleich wie Falbeln in Falten gelegt sind. Die Weiber haben lange schwarze Haare, die sie in zwei Locken auf die Schultern herunterhängen lassen. Dieselben sind als zum Zierat mit messingen und zinnernen Ringen umfaßt. Die Jungfern aber flechten ihre Haare in soviel Locken, als sie immer können, die ihnen auch wie soviel Hörner um die Köpfe herumstehen. Um die Hälse und Arme tragen sie allerhand Läppereien von Messing, von Eisen oder Kupfer. Etliche haben auch Perlen von geschmolzenem Glas, die ihnen zu ihrem Zierat dienen. Von Ansehen ist es ein sehr häßliches Volk, sind von Farbe den Zigeunern etwas ähnlich, haben aber breite Gesichter, platte Nasen und kleine Augen. Reisende Leute können hier ohne Sorge reisen, wenn sie Brot bei sich haben, denn Fleisch bekommen sie genug, wenn sie nur Tobak haben, denn für 2 oder 3 Pfeifen Tobak bekommt man ein ganzes Schaf. Sie zanken sich auch wohl bisweilen, wer es geben soll, denn sie wollen gerne alle Tobak haben, damit sie etwas warmen Tobaksrauch in den Magen bekommen können. Bisweilen sind sie auch so höflich, daß sie einem selbst ein Schaf zum Präsent bringen. Wenn man es aber bei ihnen schlachtet, so nehmen sie das ganze Eingeweide, ohne sich sonderliche Mühe zu geben, es rein zu machen, kochen dasselbe und essen es miteinander als eine Delikatesse. An diesem Orte hielt ich mich etwas auf, um nach einer so mühsamen Reise mich etwas zu erholen. Indessen kam auch der Kommandant von Ilimsk dahin, welches eine kleine Stadt ist, ungefähr 30 Meilen von hier entlegen, um die Contributiones für Ihro Zarische Majestät einzufordern, mit welchem ich nachgehends von dannen reisete, 21
um die Stadt zu besehen. Allein der Flecken, wo ich darinnen war [Bratsk], kam mir viel hübscher vor wegen der hübschen Situation und des hübschen Reviers, so da vorbeifließt. Die Stadt Ilimsk ist nur eine kleine Stadt in einem Tal zwischen hohen Bergen und Felsen gebauet, an einem kleinen Revier, Ilim genannt, welches aus Nordwest kommt, fließet aber nach Süden und fallt in die Werchnjaja Tunguska [Angara, der Ilim fließt von Süden nach Norden in die Angara]. Die Stadt ist einzig und allein an diesem Orte gebaut wegen der schönen Pelzwerke, so in dieser Gegend gefangen werden, und insonderheit sind die Zobel hier viel schwärzer, als die wir gesehen haben an den anderen Orten. Den 10. Juli reiste ich von dieser Stadt und kam den 12ten wieder zu unserer Bagage, welche 18 Meilen von der Stadt mich erwartete in einem Dorf, Mamyr genannt. Den 13ten begaben wir uns wieder auf die Reise und kamen den 18ten in Irkptsk [an], von wannen wir gleich unsere Pässe nach der West-Tartarei oder Mongolenland an den Tuscheduchan (Donduckan) [sandten], welcher Vize-Roy desselben Landes an den russischen Grenzen ist, und taten ihm unsere Ankunft kund, damit er selbiges dem Kaiser von China rapportieren könnte. Wir aber verweilten uns noch eine Zeit allda. Irkutsk ist dieselbe Stadt, welche Isbrandsz Ides [Evert 1.1. (1657— 1706) war 1692 als russischer Gesandter in China] Iekutsky nennet, welches ein Fehler im Schreiben vielleicht sein mag, denn die Stadt Iekutsky [.Jakutsk] lieget fast äußerst im Norden unweit des Ozeans. Von der brennenden Höhle, welche zu seiner Zeit bei dieser Stadt soll gewesen sein, ist itzo nichts mehr zu sehen. Hier fließt die Angara dicht bei der Stadt, welche aus der Baikalischen See ihren Ursprung hat, in welche auch der Irkut fällt, da diese Stadt den Namen von hat und stehet an dem Fluß. Gegenüber hat die Stadt ein hübsches Kloster. Ferner ist von diesem Orte nichts zu melden, als daß die Menge schwarze Zobel und Füchse nebst anderem Pelzwerk hier gefangen werden. Den 2ten August gingen wir von dannen und kamen den 3ten an die Baikalische See, allwo am Ufer eine Tschasownja oder Tempel dem Heiligen Nikolai zu Ehren auferbauet und mit Bildern versehen ist, damit die Reisenden, ehe sie sich auf das Wasser begeben, dahineingehen und ihren Gottesdienst verrichten können. Ich mutmaße, daß es dieselbe sein wird, welche Isbrandsz Ides ein Kloster nennet, denn es wußte mir niemand zu sagen, daß vordem jemals ein Kloster allda gewesen sei. Der Baikal, welcher sonst Lacus Sinicus genannt wird, hat 30 Werst in der Breite von Osten nach Westen, und von Norden 23
nach Süden — den Leuten ihrer Mutmaßung nach — über 500. Sie nennen ihn Swjatoje Morje oder Heilige See und können nicht leiden, daß man ihn Osero [See] oder Stehendes Wasser nennen soll, da es doch in der Tat [ein solches ist] und [sie glauben, daß er] seine Satisfaktion von demjenigen, welcher ihn so affrontieret, wenn er darauf kommt, nehmen wird. Ja, sie sind so fromm, wenn sie auf diesem Wasser reisen, daß sie auch nicht ein böses Wort zueinander sagen, trinken keinen Branntwein und rauchen keinen Tobak, da sie doch von dergleichen Sachen große Liebhaber sind. Diese Irrtümer aber unter den Leuten rühren daher, weilen sie vordem keine größere See gesehen haben. Er ist mit hohen Steinfelsen ganz umgeben, dahero, wenn der Wind von der einen Seite stark wehet, kann er in so einer Enge nicht Platz genug haben, sondern prallt von den gegenüberstehenden Klippen wieder zurück und verursachet große Wellen, und auch, daß die Fahrzeuge bisweilen, wenn sie auf dem halben Weg sind, wieder zurückgehen müssen. Alsdann haben sie auch Gefahr auszustehen wegen der vielen Steinklippen, welche sich in dem Wasser befinden; bisweilen geschiehet es auch, daß sich der Wind 3 bis 4 mal in einem Tag verändert, und diejenigen, welche sich alsdann darauf befinden, können weder hin noch herkommen, weilen ihre Fahrzeuge unten flach sind, mit welchen sie nicht lavieren können. Alsdann fangen sie an, in ihr Gewissen zu gehen und denken nach, ob sie sich nicht gegen die See versündiget haben, bitten sie auch um Pardon und versprechen, solche Fehler hinfiiro nicht mehr zu begehen. Dieses kam mir aber wunderlich vor, daß sich auch in diesem Wasser Seehunde in großer Menge aufhalten, da es doch ein süßes Wasser ist und so klar, daß man auf 6 bis 7 Klafter tief den Grund sehen kann. Von Farbe ist es etwas grünlich, nimmt man es aber in ein Glas, so ist es weiß wie ein Kristall und hat einen lieblichen Geschmack. Den 4ten [August] traten wir in unser Fahrzeug, um dieses gefahrliche Wasser zu passieren, allein der Wind war uns etwas konträr, weswegen wir uns an einem Strick ans Ufer ziehen ließen, bis wir den 5ten mittags einen glücklichen, favorablen Wind bekamen, mit welchem wir hinübersegelten, und hielten unser Nachtlager am Ufer bei einem Kloster, Posolski monastyr — Gesandten-Kloster — genannt. Doch waren wir nicht so bald auf der andern Seite, als sich der Wind wieder änderte, und wären wir zu der Zeit nur auf eine viertel Meile vom Strande gewesen, so wären wir ohne Zweifel gezwungen worden, wieder umzukehren. Den 6ten bekamen [wir] wiederum guten Wind und segelten bis 25
in den Fluß Werchnjaja Selenga, allwo [wir] am Ende des Flusses eine Tschasownja oder Tempel, so gleich wie der vorige dem Heiligen Nikolai zu Ehren aufgebauet war, antrafen. Hier legten wir ein wenig an, damit die Arbeitsleute ihrer Gewohnheit nach daselbst ihren Gottesdienst verrichten konnten. Von diesem Orte ließen wir uns am Stricke den Strom hinaufziehen und nahmen unser Nachtlager am Strande. Den 7ten ließen wir uns ferner an einem Strick fortziehen und hatten dabei den ganzen Tag so einen Regen, mußten aber unser Nachtlager am Strande halten, wo keine Wohnungen waren. Den 8 ten gingen wir auf vorige Art wieder fort und kamen endlich soweit, daß wir Leute wieder in Augenschein bekamen, die am Strande gingen und Heu schnitten, weil das Wasser vor einigen Tagen so hoch gewesen ist, daß das ganze Land damit überschwemmet gewesen. Und hat [es] sowohl das Heu, welches zu diesem bevorstehenden Winter geschnitten war, als auch alles Getreide und Fasel [Jungvieh] umgebracht. Den 9 ten kamen wir zu Mittag an das Dorf Kolesnikow, allwo wir uns nicht aufhielten, sondern gingen bis eine halbe Meile vor Kabanski Ostrog und verblieben die Nacht allda am Strande stehen. Den 10 ten zu Mittag kamen [wir] zu Kabanski Ostrog an, welches ein großer Flecken ist und nicht, wie es Isbrandsz Ides in seiner Reisebeschreibung ein Schloß nennet. Da nun die Reise gegen das Wasser sehr langsam und verdrießlich [aus]fiel, nahmen wir hier Pferde, um unsere Reise desto schleuniger fortzusetzen. Wir kamen aber denselben Tag nur 7 Werst durch einen sehr morastigen Weg und blieben die Nacht über in einem kleinen Dorf. Den 11 ten kamen wir wieder in einen großen Flecken, der Bolschaja Saimka [Ilimski Ostrog] genennet wird, in welchem auch ein hübsches Kloster stehet, welches sie Troizki Monastyr oder Monasterium de Trinitate nennen. Hier blieben wir wieder über Nacht. Den 12ten kamen wir in die Stadt Udinsk [Ulan Ude], welche an dem Uda-Strom stehet, welcher eine starke Werst von der Stadt in die Selenga fället. Die Festung aber liegt auf einem hohen Berge und ist in Form eines Triangels von Holz aufgebauet. Wir verweilten uns hier bis an den andern Tag. Den 13 ten reiseten wir 40 Werst bis an ein kleines Dorf, welches nur aus 3 oder 4 Häusern bestand, und hielten allda unser Nachtlager. Den 14ten gegen Mittag kamen wir in Selenginsk [Tschukupaischin an], welches die letzte russische Stadt ist, hat auch eine kleine 26
Festung, wird aber nur von einem Amtmann beherrschet. Bei dieser Stadt läuft der Fluß Selenga, davon sie auch den Namen hat, nimmt seinen Ursprung gegen Mittag im Lande der Mongolen, wendet sich nach Westen und fallt in den Baikal. Allhier trafen wir noch die Karawane an, und war bereits ein mongolischer Hauptmann angekommen, der dieselbe empfangen sollte. Er hatte aber wegen uns keine Order, weswegen wir uns eine Zeit hier aufhalten mußten. Damit wir aber nichts versäumten, schickten wir einen Expressen mit einem Brief an den Vizekönig der Mongolen, der sich Tuscheduchan titulieren lässet, daß wir allhier angekommen wären, ersuchten ihn dabei, daß er es an den chinesischen Hof berichten möchte. Darauf er uns dann wieder antworten ließ, daß er alsobald einen Lama oder mongolischen Götzenpriester nach Peking senden wollte. Wir konnten aber innerhalb 30 Tagen keine Antwort darauf bekommen, weilen die Kuriere von dem Orte, da er sich aufhält, 15 Tage nach Peking und wiederum soviel zurück zu reisen haben mußten. Also mußten wir uns gefallen lassen, selbiges abzuwarten. In den letzten Tagen des Monats August haben wir dem berühmten Fischfang, da Isbrandsz Ides von meldet, welchen er bei Udinsk soll gesehen haben, an diesem Orte auch beigewohnet. Welches in der Tat auch wunderlich anzusehen ist. Es ist eine Art Fische, die den Heringen sehr ähnlich sind, welche aus dem Baikal in der Selenga aufwärts geschwommen kamen und zwar in so großer Menge, daß, wenn die Bauern ihre Netze auswerfen, sie dieselben mit genauer Not wieder einholen können vor der Menge der Fische, welche sie darinnen fangen. Von den Einwohnern dieses Landes werden sie Omuli genannt. Es ist diesen Fischen in der Natur, daß sie alle Jahre um diese Zeit das Revier hinauf geschwommen kommen, und [sie] schwimmen soweit hinauf, bis sie mager und abgemattet werden, daß sie nicht mehr fortkommen können. Alsdann siehet man sie wiederum den Fluß herunterkommen und liegen gleichsam wie tot auf dem Wasser, werden aber alsdann von keinem gefangen, weilen sie nicht mehr zu essen gut sind. Den 2ten Oktober kam ein chinesischer Mandarin nach Selenginsk, welcher von dem Kaiser von China Order hatte, uns zu empfangen und uns mit benötigten Podwodden und Lebensmitteln auf der Reise bis Peking zu versorgen. Weswegen wir den 7. Oktober von Selenginsk abreiseten und kamen den 9ten in Maimatschin [Suche Bator an], allwo von beiden Seiten die Grenze zwischen Sibirien und der Mongolei mit Wache besetzt ist. Hier blieben wir zwei Tage, damit der Mandarin Zeit bekam, wegen Podwodden und anderen Not27
wendigkeiten Anstalt zu machen, und reiseten erstlich den 11 ten von hinnen über hohe Berge und Täler, bis wir den 15 ten an dem TolaStrom ankamen. Hier hatten wir eine große Steppe zu passieren, welche bis an die große und berühmte Chinesische Mauer ging, da auch kein Busch auf der ganzen Reise zu sehen gewesen ist. Anstatt des Holzes mußten wir trockenen Pferdemist brennen und anstatt des Wassers Schnee schmelzen, welcher ziemlich häufig in der Steppe gefallen war, und zu essen war nichts als Schöpsenfleisch, weilen die Tartaren nicht gerne anderes Vieh schlachten mögen. Man sollte nicht denken, daß in dieser Steppe, welche doch weit im Osten lieget, so eine starke Kälte des Winters sein konnte, als wir hierinnen gefunden haben. Ich muß wohl gestehen, daß mir der Winter in Sibirien viel erträglicher als hier vorgekommen ist, denn man findet hier keine anderen Wohnungen als von Filz gemachte Zelte, in welchen man in der Mitte ein Feuer von Pferdemist machen muß, welcher, ehe er zu brennen anfanget, das Zelt so voller Rauch machet, daß einer, der dasselbe nicht gewohnet ist, lieber hinausgeht und frieret, als daß er bei einem solchen Feuer die Wärme leiden mag. Die Einwohner dieser Tartarei sind an Pferden, Kamelen, Schafen, Kühen und Ochsen sehr reich. Es deucht sich einer unter ihnen ein armer Mann zu sein, der nicht 3 bis 4000 Pferde und 6 bis 700 Kamele hat. Von ihrer Lebensart ist nichts Besonderes zu melden, denn sie leben in Gezeiten, und ihr Essen bestehet gemeiniglich aus verreckten Pferden, Ochsen und dergleichen. Die aber unter ihnen für etwas Vornehmes passieren wollen, und insonderheit ihre Pfaffen, welche nicht schlechte Leute zu sein gedenken, essen nichts als frische Speisen. Es gibt in dem Lande noch an Wildpret einen großen Überfluß, insonderheit an Hirschen, Rehen und Gemsen, und an Federwild gibt es eine besondere Art von Feldhühnern, die viel größer sind als bei uns die Kapaunen, woraus man wohl sollte schließen können, daß die Leute nicht vonnöten hätten, sich mit schlechten Speisen zu behelfen. Allein die Ursache, daß sie es tun müssen, rühret her von dem Khutuktu [Oberhaupt des lamaistischen Buddhismus in der Mongolei], welcher unter ihnen als ein hoher Priester angesehen ist. Dieser hat den Leuten von seiner Heiligkeit soviel eingebildet, daß er unter dem gemeinen Volke für einen Gott angesehen und verehret wird. Ja, sie schätzen sich glücklich und gedenken eine große Gnade von diesem Betrüger erlanget zu haben, wenn er ihnen die Stelle, worauf er gesessen oder gestanden hat, zu küssen erlaubet. Daß alles, was auf dem Erdboden lebet, von ihm dependieret, und deswegen unter ihnen ein Gebot ausgehen lassen, daß sie mutwilligerweise 28
kein lebendiges Tier, es sei auch Ungeziefer als Schlangen, Heuschrecken etc. oder was nur Leben in sich hat, töten sollen. Diesem Gebot wird aber mehrenteils allein von den Pfaffen und den unter ihnen gehörigen Leuten nachgelebet. Über diesem Khutuktu ist noch einer, der sich Dalai-Lama nennet, der sich wirklich für einen unsterblichen Gott ausgiebet. Um von demselben nähere Nachricht zu haben, ritten wir den 4ten November zu einem zu ihnen gehörigen Lama oder Götzendiener. Dieser erzählete uns, daß er vor einigen Jahren so glücklich gewesen wäre, daß er den Dalai-Lama gesehen und angebetet hätte, und zeigete uns dabei einige kleine Götzen, aus Zypressenholz geschnitten, welche ihm derselbe gegeben und als Götter zu verehren geboten hätte. Das 1 te Bild sah einer Frauensperson etwas ähnlich, die mit unter sich geschlagenen Beinen auf einem kleinen Sessel saß und hielt die eine Hand in die Höhe. Der Pfaffe sagte aber, es wäre kein Frauenzimmer, das dieses abbildete, sondern derselbe Gott [Buddha], dessen Bildnis es wäre, hätte so hübsch ausgesehen. Zum andern wies er uns einen Löwen mit 4 Köpfen, welcher doch ganz klein aus Zypressenholz geschnitten war. Die vier Köpfe standen einer über dem andern, und am untersten sah man den Rachen offen und als ein Kind halb verschlungen. Das 3te Bild sollte eine Mannsperson repräsentieren. Dieser hatte das Maul offengesperret und sah an seiner Gestalt aus, wie wir Christen den Teufel abzubilden pflegen. Diese Götzen hatte er in einem kleinen messingen Kästchen, mit Damast ausgefüttert, wohl verwahret. Wir fragten ihn, ob er fest glaubte, daß ihn diese Götzen erhören und dasselbe geben könnten, worum er sie anbetete. Darauf antwortete er, wenn er dessen nicht versichert wäre, würde er sie auch nicht in so großen Ehren halten. Sagte auch dabei, daß er zwar auch nicht allezeit erlanget hätte dasjenige, worum er die Götter angerufen, allein die Schuld wäre doch sein eigen, weil er sich so oft — wiewohl unwissend — gegen dieselben versündiget und sie erzürnet hätte. Ferner fragten [wir] ihn, woher es kam, daß sie dem Dalai-Lama alles glaubten, was er ihnen von seiner unsterblichen Gottheit einbildete, und womit er solches behaupten könnte. Darauf antwortete er, daß der Dalai-Lama nicht ein solcher Gott wäre, der da in eines [ununterbrochen] ewig leben könnte, sondern wenn er zu Jahren käme und etwas alt würde, müßte er wieder veijünget werden, und solches geschehe durch den Tod. Wenn er aber eine kleine Zeit aus der Welt gewesen wäre, käme er nicht mehr an denselben Ort wieder, wo er gestorben wäre, sondern ließ sich an 29
einem andern Orte durch ein Frauenzimmer, das ihm am besten gefiel, wiederum gebären. Wir fragten ihn weiter, woher sie versichert sein könnten, daß allezeit derselbe Dalai-Lama wiedergeboren würde, der da gestorben war. Er antwortete, daß er dasselbe am Tage und Stunde seiner Geburt bezeugete, indem er haarklein zu erzählen wüßte, wieviel Leute er in seinem Dienste hätte gehabt, auch wie dieselben mit Namen hießen, wieviel Pferde, Kamele, Schafe und Ochsen und was er noch mehr in seiner vorigen Lebenszeit gehabt hätte. Darauf fragten wir noch, ob denn nicht noch mehr dergleichen Leute wären, die sich von neuem könnten gebären lassen. Er sagte darauf, daß solches gar oft geschehe, und er wüßte sich zu besinnen, daß einige Leute 3 bis 4 mal von neuem geboren wären und deswegen auch für Götter angesehen würden, allein sie wären doch aufs Letzte mit allen weggeblieben, und wäre auch niemand gewesen, der sich so oft nach seinem Tode hat können wieder gebären lassen als dieser. Der jetzo [regierende], sagte [er], wäre nicht mehr als 7 Jahre alt und zum 30ten Male wiedergeboren. Wir fragten ihn ferner, wie er die Götzen, welche er bekommen hätte, anbetete. Ob ein jeder unter ihnen sein eigenes Offizium hätte, oder ob es gleichviel wäre, welchen er unter ihnen anbetete, und ersuchten ihn, er möchte uns doch ein Gebet hören lassen, das er an die Götzen zu tun pflegte. Darauf antwortete er, daß er sie niemals um etwas Anderes gebeten hätte, als daß sie ihn vor bösen Leuten als Schelmen und Dieben behüten und ihm zu essen und trinken, soviel er vonnöten hätte, allezeit schaffen möchten. Als wir von diesem Pfaffen wieder weggeritten waren, kamen wir unser Nachtlager zu halten in ein chinesisches Dorf, allwo ein Götzentempel war, darinnen wir einlogieret wurden, weilen sonst in diesen Landen keine besseren Quartiere als bei den Pfaffen zu bekommen sind. Die Kuriosität trieb uns, in diesen Tempel hineinzugehen, um die Götzen, welche sich darinnen befanden, zu besehen. Am Anfang sahen wir ein überaus großes Bild von Holz gehauen und gleichsam wie sitzend auf einem Altar. Das Bild war über und über vergoldet und mit hübschen seidenen Kleidern noch darüber, damit der Staub nicht auf den Leib fallen könne, angekleidet. Vor demselben stand ein Tisch, darauf allerhand Instrumente lagen als kleine Trommelpfeifen, messinge Teller und Becken, mit welchen sie zur Zeit ihres Gottesdienstes ein großes Geräusch machen. Neben dem Altar zur rechten Seite stand ein großer Stuhl, welcher beinahe 3 Arschin lang, 1 /2 hoch und auch so breit war. Hinten aber, wo man den Rücken anzulegen pfleget, war er beinahe 4 Arschin hoch von der 30
Erde. Über diesem Stuhl lag ein großes Kissen, welches teils durch Staub, teils von Motten zerfressen war, daß es schon nicht mehr zusammenhängen konnte. Ich fragte sie, für wen dieser große Stuhl in der Kirche stünde. Darauf sagten sie nur, daß sich niemand auf den Stuhl setzen dürfte, weilen er einzig und allein für den Dalai-Lama dahin gestellet wäre, damit, wenn er in die Kirche käme, er sich dahin setzen und von den Leuten anbeten lassen könnte. Ferner standen noch rund um die Wände eine große Menge andere Götzen, die gleichsam nur als Bediente von demjenigen, der auf dem Altar saß, destinieret wurden. Den 6ten November passierten wir die große und wohlberühmte Chinesische Mauer, nachdem wir 2 Tage durch sehr enge Passagen zwischen hohen Steinfelsen gereist waren. Diese Mauer ist von lauter Ziegelsteinen aufgebauet, hat 2 starke Klafter in der Breite und — meiner Mutmaßung nach — beinahe 3 in der Höhe mit demjenigen, was unten auf der Erde gebauet ist. [Sie wird] über die allerhöchsten Berge, deren Spitzen man kaum in den Wolken sehen kann, geführet. Die Länge dieser Mauer soll sein — der Leute Mutmaßung nach — von Osten nach Westen und zwar von einer See zur anderen, 300 französische Meilen, wenn sie nämlich in Parallel-Linie mit der Erde zählen wollten. Sollten sie aber rechnen alle die Höhen und Tiefen, über welche sie gehet, würde [man] unfehlbar noch einmal soviel und mehr Meilen befinden. Man siehet noch auf dieser Mauer kleine viereckige Bastionen, die einen Bogenschuß voneinander stehen, sind auch über die höchsten Berge gleich wie die Mauer geführet. Da wir nun durch diese Mauer passierten, standen bei der Pforte an der rechten Seite 7 bis 8 Offiziere in Damastkleidern sehr proper angekleidet, die uns sehr höflich empfingen und zu sich in die Corps de garde nötigten auf eine Schale Tee und eine Pfeife Tobak, welches allezeit bei den Chinesern das 1 te Kompliment ist. Zur linken Hand sahen wir beinahe 30 Mann Soldaten in einer geraden Linie nebeneinanderstehen mit ihren Säbeln an der einen und Pfeilen und Bogen an der anderen Seite, welche nach dem chinesischen Gebrauch ins Gewehr standen {präsentierten]. Da wir nun dieser Offiziere Höflichkeit mit Dank akzeptieret und ein wenig bei ihnen gesessen, reiseten wir noch eine halbe Meile weiter bis an die Stadt Kaigan [Tschankiakou], allwo uns der Mandarin, welcher Kommandant in derselben Stadt war, in unserem Quartier eine Visite gab und [uns] zu sich zur Mittagsmahlzeit nötigte, deswegen wir uns gleich zu Pferde setzten und ihm bis an seine Behausung folgeten. Sobald wir vors Haus kamen, sahen wir auf dem Hof etliche Musi31
kanten stehen, durch welche er uns mit einer Musik, welche in Pauken, Trompeten und anderen nach ihrer Art gemachten Instrumenten bestand, bewillkommnete. Da wir durch diesen Hof passieret waren, kamen wir gleich in einen anderen, allwo vor seinem Hause noch andere Musikanten standen, die uns gleich wie die vorigen, durch ihre Musik eine Ehre antaten. Da wir nun von den Pferden abstiegen, nötigte er uns in einen großen Saal, welcher mit hübschen Tapisserien bestens an den Wänden beschlagen war. In demselben präsentierte er uns eine Schale Tee, mit Milch und geröstetem Mehl gekocht, und dabei eine Pfeife Tobak. Gleich darauf wurden 2 Tafeln hereingebracht und zu jeder 2 Stühle gesetzt. Bei der 1 ten Tafel setzte er sich selber mit dem Doktor [Thomas Garwin], und bei der anderen nötigte er mich nebst dem Mandarin, welcher uns dahin konvoieret hatte, zu sitzen. Gleich darauf wurde Essen aufgetragen, welches bestand in gekochtem Schweinefleisch, klein geschnittenem Schafsfleisch und Reis. Dabei wurden kleine Porzellanschalen mit salzigem Wasser und ein Paar aus schwarzem Ebenholz geschnittene Stöckerchen einem jeden vorgeleget, mit welchen er uns zu essen nötigte. Unter währender Mahlzeit wurde zu unterschiedlichen Malen warm gemachter Branntwein und Tarasum, welches bei ihnen ein Getränk, von unreifem Reis gemacht, ist, herumgetragen; auch nachdem wir von den 1 ten Speisen etwas gegessen hatten, wurden gebratene Hühner, Gänse und Enten hereingetragen, welche in unserer Präsenz von einem seiner Bedienten klein geschnitten und aufgetragen wurden. Da wir nun auch von denselben zur Genüge gegessen hatten, wurden die Tische mitsamt den Speisen wiederum hinausgetragen. Wir aber wurden noch mit Tee und einer Pfeife Tobak nach der Mahlzeit traktieret. Nachdem nun dieses vorbei war, dankten wir dem Mandarin für die uns erwiesene Höflichkeit und verfügten uns wieder nach unserem Quartier, allwo wir einen Kurier vor uns fanden, der von dem Gouverneur von Peking auf Befehl des Kaisers ausgesandt war, um zu vernehmen, wo wir wären, welcher uns berichtete, daß der Kaiser schon lange uns erwartete, und wäre auf den Mandarin etwas ungehalten, weilen er so lange mit uns wegbliebe. Der Mandarin aber, um des Kaisers Ungnade zu evitieren, schob die ganze Schuld auf uns, sagend, daß wir das langwierige Reiten nicht gewohnet wären. Womit der Kurier wiederum zurück nach Peking ging. Von dieser Excuse, die er getan hatte, war uns nichts bewußt, sondern wir merkten [nur], daß ihm dieser Kurier etwas müßte berichtet haben, das ihn zu einer geschwinderen Reise antrieb, weilen er den anderen Morgen, als am 7ten [November], über [entgegen] seiner 3 Lange, China
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vorigen Gewohnheit, sich vor Tage mit uns zu Pferde setzte und von dieser Stadt wegreisete. Als wir ihn auf der Reise fragten, was Ursache [weswegen] er an diesem Tage so früh aufgestanden wäre, antwortete er uns, daß er mit dem Kurier von dem Kaiser Order erhalten hätte, aufs geschwindeste mit uns nach Peking zu kommen. Weswegen wir denselben Tag bis in die sinkende Nacht reiseten und bekamen unser Nachtlager in einer sehr großen Stadt, Zchang-Pinchu genannt, allwo an der Straße, wo wir vorbeipassierten, ein Theatrum stand, auf welchem eine Comedie gespielet wurde. Weilen wir aber von der Reise, welche einen ganzen Tag gewähret hatte, etwas müde waren, hatten wir mehr Lust, ein wenig zu ruhen, als die Comedie anzusehen, weswegen wir uns zu unserem Quartier verfügten. Von dannen gingen wir den 8 ten und gingen denselben Tag durch viele andere kleine Städte und Dörfer, welche in diesem Lande so nahe aneinander sind, daß man bisweilen 3 bis 4 kleine Städte oder Dörfer auf einmal sehen kann. Unser Nachtlager aber hatten wir in einem kleinen Städtchen, Nanku genannt. Den 9 ten und 10 ten passierten wir mehr dergleichen Orte, bis wir den 11 ten nachmittags 1 1 /2 Meile Von Peking in einer Stadt, welche Zchantchuyenne heißet, arrivierten, welche gegen Abend von Peking lieget. An diesem Orte befand sich der Kaiser selbst in seinem Lusthause, weswegen der Mandarin nicht versäumete, dem Kaiser unsere Ankunft zu notifizieren. Kaum war der Mandarin eine halbe Stunde weg, kam er wieder in vollem Lauf geritten mit Befehl von dem Kaiser, daß wir gleich am Hofe erscheinen müßten, ohne daß uns Zeit gegeben wurde, andere Kleider anzuziehen oder den Staub von denjenigen abzufegen, die wir anhatten. Da wir nun am Hofe [ankamen], wurden wir durch einen Schloßplatz in einen anderen geführet, allwo uns gesaget wurde, daß wir des Kaisers Befehl allda abwarten müßten. Kaum waren wir auf diesen Platz hineingetreten, als der ganze Hof, welcher doch aus vielen 100 Menschen bestehet, curieus wurde, uns zu sehen, weswegen sie sich so aneinander drängten, daß kaum Platz für uns zu stehen war. Sie waren auch so unhöflich, daß uns der eine an der Perücke zog, um zu sehen, wie die beschaffen wäre, der andere an dem Hut. Einige hoben den Rock auf, um die Hosen und Strümpfe zu besehen. In summa, wir standen da gleich ein paar Spectacul [Sehenswürdigkeiten], über welche sich die ganze Welt verwunderte, bis endlich ein paar Jesuiten, welahe die Vornehmsten waren von der Societas [Jesu] zu Peking, auf Befehl des Kaisers dahin kamen. Der eine hieß Kilianus Stumpf und der andere Dominicus Parrenin. Alsdann befahl der 3'
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Kaiser, durch sie uns zu fragen, wie lange wir aus Europa [weg] wären, und wieviel Monate wir zwischen Petersburg und Peking zugebracht hätten, wie sich Ihro Zarische Majestät befänden. Da wir auf dieses geantwortet hatten, wurden dem Doktor [Garwin] ein und andere Quaestiones wegen der Medizin getan und mir wegen dem Kriege; als wir auf dieses geantwortet hatten, schickte uns der Kaiser einem jeden eine silberne Schale voll Tee, welcher mit Milch und geröstetem Mehl gekocht war, ließ dabei sagen, es wäre der Tee, wovon er selbst pflegte zu trinken, welcher uns sehr wohl schmeckte, insonderheit, weil es denselben Tag kalt war und wir so lange auf dem Schloßplatz unter dem freien Himmel zubringen mußten. Endlich wurden uns noch ein und andere Fragen getan, und darauf, [nachdem von] denselben dem Kaiser unsere Antwort referiert ward, befahl er einem von seinen Ministern, der auch Generalgouverneur von der Okzidentalischen Tartarei war, daß er uns zu sich zum Abendessen nötigen möchte, welches er auch tat, und führete uns nebst den Jesuiten in seine Behausung, allwo wir sehr wohl traktieret wurden. Nachdem wir bei ihm gespeiset hatten, hielt er uns einige Stunden bei sich auf mit ein und anderen Fragen von den Manieren in Europa. Weilen es aber bereits Mitternacht war und wir von der Reise etwas ermüdet, dankten wir demselben für die uns angetane Ehre. Und als wir von ihm Abschied nahmen, ließ er uns wissen, daß es des Kaisers Pläsier wäre, daß wir den anderen Morgen vor Aufgang der Sonne wiederum bei Hofe [uns] einstellen möchten. Den 12ten kamen schon vor Aufgang der Sonne 2 Mandarine zu uns und taten uns kund, daß der Kaiser bereits aufgestanden wäre, und daß wir eilen möchten, dahin zu kommen, indem der Kaiser schon nach uns gefragt hätte. Wir machten uns alsobald fertig und folgeten denselben bis in des Kaisers Palast, allwo wir bei dem Ersten Kammerherrn, welcher ein Kastrat war, mit Tee traktieret wurden. Derselbe ließ uns wissen, daß der Kaiser allbereits mit den Reichsaffaren okkupieret wäre und befohlen hätte, daß wir in demselben Zimmer verziehen möchten, bis dieselben expedieret wären. Alsdann sollten wir zur Audienz kommen. Da es nun beinahe zwei Uhr nachmittags war und alle Herren des Reichs von Ihro Majestät abgefertiget waren, kam zu uns auf Befehl des Kaisers der Minister, bei welchem wir den vorigen Abend gewesen waren, um zu vernehmen, ob wir selbst Verlangen trügen, Ihro Majestät zu sehen, worauf wir antworteten, daß uns in einem von Europa so weit entfernten Lande keine größere Ehre widerfahren könnte, als einem so großen Monarchen unsere Reverenz zu machen. Als er 36
dieses an den Kaiser berichtet hatte, kam er wieder und sagte, daß der Kaiser uns erlaubet hätte, vor ihm zu erscheinen. Dazu wurde den 2 Patres Jesuiten, von welchen bereits Meldung getan ist, anbefohlen, als Dolmetscher mit uns zu kommen. Alsdann wurden wir gleich zwischen den zwei Patres durch nach einem Vorhof in einen Saal, wo der Kaiser auf dem Thron saß, hineingeführet, allwo wir, sobald wir hineingetreten waren, vor Ihro Majestät niederknien mußten und uns mit dem Kopf 3 mal bis zur Erde niederbücken. Da dieses geschehen war, standen wir wieder auf, knieten aber wie vordem noch einmal nieder, um dieselbe Reverenz zu machen; dieses geschah auch noch zum 3ten Mal. Alsdann blieben wir auf den Knien bestehen. Der Kaiser befahl uns, dicht an den Thron zu kommen, worauf gleich ein Kammerherr uns bei den Händen nahm und an des Kaisers linke Seite führete. Die Patres Jesuiten aber gingen an die rechte Seite des Throns, allwo wir insgesamt auf Kissen, welche bereits für uns dahin gelegt waren, niederknieten. Alsdann war die 1 te Frage des Kaisers nach Seiner Groß-Zarischen Majestät Gesundheit, worauf wir durch die Jesuiten antworten ließen, daß, obschon wir in Moskau vernommen hätten, daß sich Ihro Majestät nach unserer Abreise von Petersburg etwas unpäßlich befunden hatten, erhielten wir doch gleich darauf die fröhliche Zeitung, daß Ihro Majestät wiederum genesen. Worauf der Kaiser antwortete, daß ihm solches sehr lieb wäre. Ferner fragte uns der Kaiser, wie lange wir auf der Reise gewesen wären. Darauf gaben wir zur Antwort, daß wir von Petersburg bis Peking 15 Monate zugebracht hätten. Als ihm dieses durch die Patres berichtet wurde, fragte er wieder, ob uns nicht kalt wäre in den engen und kurzen Kleidern. Wir antworteten, daß die Kälte in diesem Lande uns nicht unerträglich vorkäme, weilen wir in Rußland eine viel größere Kälte als diese gewohnet wären. Wir hätten aber im Gebrauch, uns gegen dieselbe mit guten Pelzen zu versehen. Dieses wurde dem Kaiser wieder durch die Jesuiten verdolmetscht. Alsdann redete der Kaiser zu seinem Kammerherrn, welcher gleich hinausging und zwei Damast-Röcke, mit weißem Fuchs gefüttert, hereinbrachte. Diese befahl der Kaiser uns beide über unsere Kleider anzuziehen. Da nahm einer von den Kammerherrn den 1 ten und ein anderer den andern und kleideten uns dieselben an, für welche wir uns gegen den Kaiser mit den Köpfen bis zur Erde niederbückten. Danach befahl uns der Kaiser, unsere Handschuhe anzuziehen, welches wir auch taten. Als wir nun noch etwas dagestanden hatten, befahl der Kaiser dem Doktor [Garwin], daß er ihm an den Puls fühlen möchte und ihn 37
sein Judizium davon wissen lasse, worauf der Doktor zur Antwort gab, daß er nichts Anderes daraus spüren könnte, als daß sich Ihro Majestät recht wohl befanden. Doch könnte er wohl daraus merken, daß Ihro Majestät nicht ohne viele Gedanken und Sorgen lebten. Diese Antwort gefiel ihm recht wohl und erlaubten uns, wiederum aufzustehen und bei dem Kammerherrn, wo wir gewesen waren, wieder hineinzugehen. Als wir dahin kamen und ein wenig gesessen hatten, schickte uns der Kaiser von seiner Tafel Essen, welches bestand in etlichen Ragouts, gekochtem Schöpsenfleisch und gebratenen Hühnern, Gänsen und Enten, die alle klein geschnitten aufgetragen wurden. Ferner wurde uns ein Gericht Fische, die mit ganz klein geschnittenem Fleisch zubereitet waren, aufgesetzet und vor einem jeden eine Porzellanschale mit gekochtem Reis nebst einigen kleinen Kuchen, welche mit Früchten angefüllet waren, vorgesetzet. Da wir nun mit vorerwähntem Kammerherrn und [den] Jesuiten bei der Mahlzeit saßen, kam ein Kammerdiener von dem Kaiser und sagte, daß er expresse von Ihro Majestät geschickt wäre, um uns zu nötigen, daß wir wohl essen möchten und dabei zu vernehmen, wie uns die Speisen gefielen. Darauf bedankten wir uns für die große Gnade, die Ihro Majestät für uns hätten und fingen an, die Speisen im höchsten Grad zu rühmen, wie sie auch in der Tat rühmenswürdig waren. Teils konnte er auch selber sehen, daß es uns an Appetit nicht fehlete, obschon wir mit den chinesischen Gabeln im Anfang nicht gar wohl zurechtkommen konnten. Als wir nun abgespeiset hatten, ging er wieder hin und referierte dasjenige, was er bei uns gesehen und gehöret hatte, welches Ihro Majestät sehr wohl gefiel. Wir aber bekamen Permission, wiederum nach unserem Quartier zu gehen. Doch ehe wir aus dem Palast gegangen waren, ließ der Kaiser den französischen Pater Dominicus Parrenin zu sich rufen, sandte ihn aber gleich wieder zu uns, welcher mit uns auf Befehl des Kaisers folgende Worte redete: „Ihro Majestät, der Kaiser von China und 1 ter König auf der ganzen Welt, läßt Ihnen sagen, es wäre demselben wohl bekannt, daß Sie in diesem von Europa so weit entfernten Lande Fremdlinge wären, die weder des Landes Gebrauch noch Sprache verstünden. Allein Sie sollten sich über nichts grämen, weilen Ihro Majestät Sie nicht wie Fremdlinge, sondern wie Ihre eigenen Kinder annimmt." Worauf wir uns für die hohe Gnade des Kaisers aufs demütigste bedankten und verfügten uns nach Hause. D a wir nun eine kleine Weile in unserem Quartier gewesen waren, kam wiederum ein Kammerherr nebst den 2 Jesuiten und brachte uns von dem Kaiser ein Präsent von Früchten, welche bestanden aus einer 38
sehr delikaten Melone, 3 unterschiedlichen Sorten von Weintrauben und frischen Korinthen, die nicht weniger als die Melone delikat waren, und ließ dabei von uns vernehmen, ob wir gesonnen wären, unsere eigenen Kleider in diesem Lande zu tragen, oder ob wir auf chinesisch gekleidet gehen wollten. Darauf machten wir unsere gebührende Reverenz für das Präsent, welches uns Ihro Majestät zugesandt hatte, und sagten, daß wir wegen der Kleidertracht Ihro Majestät Befehl nach leben wollten. Kaum hatten dieselben dieses dem Kaiser rapportieret, da der Kammerherr wieder zu uns kam und brachte uns einem jedweden 2 Kleidungen, dabei auch Mützen, Hemden, Strümpfe und Stiefel waren, und sagte, daß uns der Kaiser diese Kleidung zugesandt hätte, damit wir selbige tragen sollten. Die Röcke aber waren der eine mit Fuchs und der andere mit Grauwerk gefüttert und die Oberröcke mit weißem Fuchs und Bäuchen von Grauwerk, die so weiß waren und so wohl zusammengefüget, daß man dieselben von den Hermelinen kaum hätte unterscheiden können. Worauf wir den Kammerherrn baten, daß er bei dem Kaiser für die vielfältige Gnade, mit welcher wir überhäufet waren, unseren ganz demütigsten Dank abstatten wolle. Den 14ten [November] hatten wir wieder eine Visite von den obenerwähnten Herren, mit welchen wir wiederum in des Kaisers Palast gingen. Als wir dahinkamen, ließ der Kaiser durch die Jesuiten von uns fragen, ob wir resolvieret wären, aus diesem Lande an Seine GroßZarische Majestät etwas zu übersenden. Worauf wir antworteten, daß wir erstlich neu angekommen wären, und obschon viel kuriose Sachen allhier wären, welche Seiner Groß-Zarischen Majestät gefallen würden, hätten wir dieselben noch nicht gesehen, sintemalen wir nicht wüßten, wo dergleichen Sachen zu bekommen wären. Hierauf ließ uns der Kaiser wieder sagen, wir sollten ihn nur wissen lassen, was Ihro Zarische Majestät ungefähr aus diesem Lande für Kuriositäten zu haben verlangten, so würde er uns dieselben aus seinem Kabinett geben lassen. Wir dankten gebührenderweise für des Kaisers hohe Gnade und sagten, wir wüßten keine Raritäten in Europa, die nicht in Ihro Zarischer Majestät Kabinett bereits wären. Allein an den hiesigen Orten wären uns noch viel Sachen unbekannt, weswegen diejenigen die besten sein würden, welche Ihro Kaiserliche Majestät aus selbst eigener hohen Gnade uns geben würde. Nachdem ihm dieses rapportieret wurde durch die Patres, hatte es Ihro Majestät wohl gefallen. Wir aber blieben denselben Tag nicht länger bei Hofe, sondern gingen zur Mittagszeit nach unserem Quartier. Als wir da etwas allein gewesen waren, sahen wir wieder die Herren 39
vom Hofe nebst den Jesuiten zu uns kommen und berichteten uns, daß Ihro Majestät ordinieret hätten, uns Bettkleider zu geben und einem jeden einen Maulesel nebst Sattel und Zubehör, welche wir zu unserem Dienst behalten sollten. Für unsere Bedienten wurden aber Pferde ordinieret, die alle Tage umgewechselt wurden. Ferner sagten sie, daß auch Ihro Majestät eine Pension für uns ordinieret hätten, welche wir monatlich empfangen sollten, und bestünde dieselbe in Geld, Schafen und Reis, dabei auch Fourage für unsere Pferde, welche uns auch alle Monat ins Haus gebracht wurde. Es wurde auch bei einem jeden von uns ein Mandarin kontinuierlich zu sein anbefohlen, welcher Sorge tragen sollte, daß alles dasjenige, welches uns noch fehlen möchte, angeschaffet würde. Auch wurde in unserem Quartier Wache dahingesetzt, welche dasselbe in unserer Abwesenheit bewachen sollte. Und wurde uns noch soviel andere Gnade erwiesen, daß selbiges zu schreiben viel Zeit erfordern würde. Da nun dieser Tag mehrenteils verflossen war und wir mit den Jesuiten allein waren, fragte ich den französischen Pater, ob [es] möglich wäre, einen Ofen von gutem Porzellan für Gold in Peking zu bekommen und bat ihn, er möchte so gütig sein und mir dazu verhelfen. Er antwortete aber, daß solche Sachen schwer zu bekommen seien, weilen sie in China niemals gesehen noch gemacht worden sind. Doch verlangte er, den Abriß zu sehen, und als ich ihm denselben gewiesen, sprach er, es wäre unmöglich, dasselbe zu machen, dafern es nicht auf expressen Befehl des Kaisers geschähe. Ich antwortete aber, daß mir nur anbefohlen wäre, dieselben zu kaufen, dafern sie zu bekommen wären, dürfte also Ihro Majestät desfalls nicht inkommodieren. Allein der Pater ließ sich nicht länger von mir aufhalten, sondern sagte, daß ihm Ihro Kaiserliche Majestät expresse befohlen hätte, von uns zu vernehmen, womit Seiner Groß-Zarischen Majestät in diesem Lande gedienet wäre. Verfügte sich alsogleich nach Hofe und rapportierte dasselbe dem Kaiser, wiewohl ich alle Mittel gebraucht hatte, ihn davon abzuhalten. Da er nun ungefähr eine Stunde weggewesen war, kam er wieder mit einem Mandarin und verlangte auf Befehl des Kaisers, den Abriß von den Öfen zu haben, weilen denselben Ihro Majestät selbst gern sehen wollten. Also konnte ich mich nicht weigern, denselben an Ihro Majestät zu übersenden. Sobald ihn der Kaiser gesehen hatte, ließ er mir wieder sagen, daß ich mich nicht weiter darum bemühen möchte, weilen mir niemand dergleichen Sachen zu kaufen schaffen könnte, sondern er würde den Riß selber mit einem Mandarin nach der Provinz schicken, wo das Porzellan gemacht wird, welcher auch allda bleiben sollte, bis die 40
Öfen verfertiget wären. Alsdann würde sie der Kaiser selber als ein Präsent an Ihro Zarische Majestät übersenden. Befahl auch gleich dem Pater Kilianus Stumpf, welcher Präses ist in der mathematischen Wissenschaft in Peking, der einzig und allein wüßte, wie dieselben gemacht werden, daß er gleich das Modell von Holz verfertigen möchte, welches er auch tat. Und sobald es fertig war, expedierte der Kaiser den Mandarin mit dem Abriß und Modell ab. Ehe er aber wegreisete, invitierte ich ihn zu mir und beschenkte ihn mit etlichen paar Zobeln, damit er desto mehr Pläsier haben möchte, dasjenige wohl zu verrichten, was ihm von dem Kaiser anbefohlen war. Und [er] versprach mir auch, daß er wiederum im Monat August Anno 1717 mitsamt den Öfen in Peking sein würde. Den 15ten [Januar 1717] ließ mir der Kaiser durch einen Mandarin, welcher Gouverneur war von der Okzidentalischen Tartarei, sagen, daß [ich] mich, sobald [es] möglich wäre, reisefertig machen sollte, weilen Ihro Majestät resolvieret hätten, eine Gesandtschaft an Ihro Groß-Zarische Majestät zu senden, welche ich bis an den Ort konvoieren sollte, wo sich Seine Zarische Majestät befinden würden. Worauf ich antworten ließ, daß ich fertig wäre, zu welcher Stunde es dem Kaiser gefiele, mit der Gesandtschaft zu reisen, worauf alsobald 2 chinesische und 2 tartarische Herren dazu ernennet wurden. Ihnen fehlete es nur noch an einem. Unterdessen reisete der Kaiser weg, um sich auf der Jagd etwas zu divertieren. Wir aber blieben unterdessen in Peking. Den 20ten Januar Anno 1717 kamen Ihro Majestät wieder von der Jagd und blieben etliche Tage in Zchantchuyenne und reiseten nachgehends nach Peking, um allda das Neujahrsfest zu zelebrieren. Den 2ten Februar fiel bei den Chinesern das Neujahrsfest ein, weswegen aus allen Provinzen die vornehmsten und von geringer Würde Mandarine, welche in 1000 und mehr Personen bestanden, nach Peking kamen, um Ihro Majestät zu komplimentieren. Es ist aber zu wissen, daß die chinesischen Mandarine in unterschiedliche Orden eingeteilet sind. Als die nämlich, [die] von dem 1 ten Orden waren, hatten die Freiheit, in dem innersten Hofe des Palastes vor dem Zimmer, darin der Kaiser saß und die Tür geöffnet war, ihren Neujahrswunsch [anzubringen], welches auf den Knien [geschah], und zwar auf selbige Manier, als wir bei unserer Audienz vor dem Kaiser uns beugen mußten. Die Mandarine von dem 2 ten Orden mußten wieder in dem andern Hofe auf die Knie fallen und gegen den Palast ihre Reverenz machen. Die von dem 3 ten Orden, welche wiederum etwas geringer waren, mußten in dem 4 ten Hofe auch gegen den Palast niederknien. Die 41
von dem 5ten Orden, welche von den geringsten waren, blieben in dem 5ten Vorhofe. Hernach war eine große Anzahl anderer Leute, die auch in des Kaisers Dienst waren, ob sie gleich nicht unter die Mandarine gehörten, welche auf der Straße vor dem Tor des Palastes niederfielen und Ihro Majestät salutierten. Diese Leute waren alle von dem 1 ten bis zu dem Letzten nach der sinesischen Art aufs prächtigste angekleidet in den besten Damast, worauf allerhand Figuren von Gold zu sehen waren, als Drachen, Löwen, Schlangen, Berge, Täler, Moraste und Bäume. An ihren Überröcken sah man auf Brust und Rücken in einem kleinen Spatium, ungefähr eine Spanne breit im Quadrat, allerhand Tiere und Vögel ausgenähet, an welchen man erkennen konnte, von wessen Bedienung sie waren. Bei den Militär-Bedienten sah man einen Löwen, Tiger oder Leopard und bei den Gelehrten, welche Doktoren von der Schrift titulieret werden, Pfauen auf ihren Kleidern ausgenähet, an welchen man sie von den andern unterscheiden konnte. In dem innersten Hofe, wo die Mandarine von dem 1 ten Orden dem Kaiser salutierten, hatten wir auch die Ehre, nebst den Patres Jesuiten Ihro Majestät unseren Glückwunsch abzustatten, allwo zu sehen waren ein Stücker 10 Elefanten auf dem Hofe stehen, die sehr prächtig ausgezieret waren. Unter den Mandarinen von dem 3 ten Orden war einer, der am Neujahrstage sein hundertstes Jahr vollendet hatte, der auch schon Mandarin gewesen war zur Zeit, da die jetzo in China herrschenden Tartaren sich des Landes bemächtigten. Zu diesem schickte der Kaiser seinen 1 ten Kammerdiener und ließ ihm sagen, daß er die Ehre haben sollte, in dem Saal Ihro Majestät zu gratulieren, und wenn er dahineinkäme, würde der Kaiser von seinem Thron vor ihm aufstehen. Er sollte aber dabei wissen, daß ihm diese Ehre nicht wegen seiner Person, sondern wegen seines Alters widerführe. Nachdem diese Zeremonien vorbei waren und der Kaiser sehr viele preziöse Präsente empfangen hatte, reisete er wieder nach Zchantzchuyenne, allwo ein Feuerwerk repräsentieret wurde, bei welchem alle Europäer, worunter wir auch gehörten, auf Befehl des Kaisers erscheinen mußten, um dasselbe anzuschauen. Erstlich sah man etliche von Holz gemachte Männer gegeneinander stehen und mit Schwärmern anstatt Pfeilen aufeinander schießen, welches eine gute Weile währete. Da nun eine Partei von diesen weichen mußte, sah man eine Stadt, die von den übrigen attackieret wurde. Da nun diese eine halbe Stunde auf die Stadt geschossen hatten und die Stadt wieder auf sie, geriet Feuer in die eine Bastion, in welcher 42
wohl 2 bis 3 tausend Schwärmer waren. Da diese alle in Feuer kamen, hörte man so ein großes Gerassel, daß einer, der es hörete und nicht zusah, wohl gedenken sollte, daß Peking selbst in die Luft gesprungen wäre. Nach diesem sah man auf dem Wall viele Männer erscheinen, die alle bloße Schwerter in den Händen hatten und sich kontinuierlich umdreheten und die Hände bewegten, darinnen sie die Schwerter hatten. Und von unten waren andere, die auf diese schössen. Während der Zeit zeigeten sich zwei Drachen, die von Papier gemacht waren, wohl 3 Faden lang. Inwendig waren sie ganz voll Lichter, in den Rachen, die weit aufgesperret waren, hielt ein jeder eine Laterne. Diese Wurden auf dem Platz eine kleine Weile herumgetragen. Sobald sie aber weg waren, verschwanden auch die Männer, welche die Stadt defendierten. Die anderen aber kontinuierten, auf die Stadt zu schießen, bis noch eine Bastion in die Luft sprang. Auf dem Platz, wo diese Bastionen gestanden hatten, erschienen wieder andere Männer, welche auf diejenigen, so auf dem Felde waren, sehr eifrig schössen. Unterdessen präsentierten sich wieder die 2 Drachen, welche hin und her auf dem Platz getragen [wurden], und das Feuerwerk hatte ein Ende. Es waren zwar noch ein und andere Kleinigkeiten zu sehen, man konnte aber dieselben nicht so genau observieren, weilen sie sich mit den anderen Sachen zugleich repräsentierten. Rund um den Platz, wo das Feuerwerk war, sah man etliche tausend Laternen hängen, die mit allerhand schönen Farben angestrichen waren und nicht wenig zum Zierat halfen. Während der Zeit, daß dieses währete, schickte der Kaiser etliche Mal zu uns und ließ fragen, wie uns das Feuerwerk gefiele. Worauf wir antworteten, daß es überaus schön wäre und wohl meritierte, vor einem so großen Monarchen als dem Kaiser repräsentieret zu werden. Die Patres Jesuiten versicherten uns, daß dieses Feuerwerk bereits 2000 Jahre nacheinander, ohne etwas daran zu verändern, bei den regierenden Kaisern zu sehen gewesen ist. Weilen ich mir aber vorgenommen, eine nähere Beschreibung von dem Königreich China zu machen, so will ich dieses hiermit beschließen und zu derselben schreiten.
Beschreibung des Königsreichs China
und seines Anfangs nebst den Landesgebräuchen und -sitten von dem 1 ten Kaiser an, welcher gelebet hat vor Christi Geburt Anno 2952, bis auf die jetzige Zeit, nebst einem kurzen Bericht von der Religion und übrigen anmerkungswürdigen Sachen, welche mir teils von dem Reverendissimus Pater Kilianus Stumpf und anderen Patres Reverendissimi mitgeteilet, teils was ich selber [während] der Zeit meines Aufenthaltes in Peking erfahren habe.
Das lte Kapitel
Von dem Herkommen und Namen des chinesischen
Volkes
Wiewohl es sehr schwer ist, von den alten Zeiten etwas Gewisses ans Tageslicht zu geben, weilen im Anfang wenig oder gar keine Schriften zu finden gewesen sind, so muß man den Chinesern dieses undisputieret lassen, daß sie nahe an der Sintflut — wie man aus ihren eigenen Büchern siehet — einen Herrscher und Gesetzgeber mit Namen Fohi gehabt haben, welcher ein sehr frommer und verständiger Mann soll gewesen sein. Der 2te, welcher zu seinem Sukzessor von dem Volk erwählet wurde, hieß Kinan, der 3te aber hieß Huangdi, welches soviel bedeutet als ,Gelber Herr'. Dieser führete einen königlichen Hof und war der erste, der die gelbe und blaue Kleidertracht den Kaisern zu tragen anordnete, womit er andeuten wollte, daß bei den Kaisern etwas Unveränderliches sein sollte. Also zählet man von Fohi an, welcher gelebet hat vor der Geburt Christi [im] 2952. Jahr, bis [zu] dem jetzt regierenden Kaiser K'anghsi [1662—1723], daß er nach der Ordnung der 235 te rechtmäßige Kaiser sei. Wollte man aber die anderen, welche bisweilen mit Gewalt in dem Reiche eingedrungen sind und doch nur dasselbe auf eine kurze Zeit in Possession gehabt haben, mitzählen, würde dieser der 253 te sein. Also bestehet das chinesische Kaisertum von Fohi 44
an bis auf gegenwärtiges Jahr Christi Anno 1717 4415 Jahre. Sie wissen zwar noch viel weiter ihren Ursprung herzuzählen, weilen aber dasselbe ohne Grund ist, kann man ihm auch keinen Glauben zustellen, sondern wir wollen bei demselben bleiben, was mit mehrerem Grunde bezeuget wird. Diese 253 Kaiser sind nicht alle aus einem Stamm, sondern bestehen aus 22 unterschiedlichen Geschlechtern, und ein jedes Geschlecht hat seine Regierung gehabt. Die letzte Regierung hat ,Tai-Ming' oder Große Klarheit [Ming-Dynastie, 1368—1644] geheißen, und die jetzige wird genannt ,Tai-Ts'ing' oder das Große Blaue oder Steinigkeit des Blauen Elements, des Wassers [Ch'ing-Dynastie der Mandschu, 1644—1911; mandschurisch: Daicin = die Große Lautere], welche daher diesen Namen hat, weilen die Chineser die Tartaren als eine große Wasserflut, die sich über ihrem ganzen Lande ausgebreitet, angesehen haben. Von den Patres Jesuiten, welche sich heutigen Tages in China befinden und allda den Heiden das Evangelium predigen, wird dafür gehalten, daß Japhet oder Jectan der Patriarch oder Erzvater dieses Volks gewesen sein [soll]. Wie ferner davon zu lesen ist im lOten Kapitel des Ersten Buchs Moses, welches das Ansehen hat, daß Noah kaum gestorben war, da Japhet oder Jectan oder Fohi dieses Volk unterwies und regierete. Die Chineser sind bishero der Meinung gewesen, daß ihr Land mitten in der Welt wäre, daher wissen sie [ihm] auch keinen anderen Namen als ,Cumque', das ist Mittelländisches Reich, beizulegen. Ob es aber in vorigen Zeiten einen anderen Namen mag gehabt haben, ist unbewußt, denn sie sagen, daß ihnen [ihr Land] auf der einen Seite mit der See und auf der anderen Seite mit Wäldern und hohen Bergen umgeben sei, und die anderen Länder wären nur kleine Inseln, die in der See hin und her lägen, woraus denn zu schließen wäre, daß China auch das beste Land auf der ganzen Welt sein sollte. Nun sind wieder andere Völker, die diesem Reich auch andere Namen beilegen, als die Japaner heißen es 'Xinginque', welches soviel bedeutet als das Reich der Heiligen, denn die chinesischen Kaiser sind allezeit heilig genannt worden. Die Tartaren und Persianer heißen es ,Kitai', welcher Name auch bis auf den heutigen Tag bei den Russen beibehalten ist. Daß es aber von den Portugiesen, welche durch ihre Schifffahrt bereits vor 200 Jahren dieses Volk und Land bekannt gemacht haben, [Sina oder China genannt wird, hat folgenden Grund] und zwar vermutet man, daß auch den Portugiesen aus der Sineser Höflichkeit und Zeremonien das Wort ,cin' oder ,sin', welches soviel bedeutet 45
als ,ich bitte, ersuche' oder ,lade Euch Herren zu kommen', ,cinco' — ,ich bitte Euch zu sitzen' [bekannt wurde]. Weilen dann die Portugiesen bei diesen Zeremonien das Wort ,cin' oder ,sin' so oft in ihren Redensarten observieret, ist nicht zu zweifeln, daß sie das Land dahero Sina genannt haben. Es ist einigermaßen ungewiß, ob die Sprache noch heutzutage dieselbe in China sei, welche zu Zeiten des Fohi, Kinan und Huangdi ist geredet worden. Dieses wollen zwar die Sineser behaupten, allein die Patres Jesuiten haben observieret, daß in den südlichen und nördlichen Provinzen die Prononciation ziemlich unterschieden ist, ob man gleich durch das ganze Reich keinen Unterschied in ihren Charakteren [Schriftzeichen] merket. Denn dieselben sind sehr kurz und bestehen mehrenteils nur in einer Silbe, und wird ein jedes Wort mit einem besonderen Buchstaben [Schriftzeichen] geschrieben, welches unter anderen Nationen wenig zu finden sein wird, und einem Ausländer nicht leicht fallen sollte, diese Sprache recht zu lernen. Man findet in der ganzen chinesischen Sprache nicht mehr als 324 Wörter, hingegen aber viel tausend Buchstaben [Schriftzeichen]. Denn ein Wort bedeutet vielerlei Dinge, [je] nachdem es hoch, niedrig, mittelmäßig, mit offenem Munde, durch den Hals oder zwischen den Zähnen ausgesprochen wird. Und nach einer jeden Aussprache wird es mit einem besonderen Buchstaben geschrieben, als das Wort ,yen' zum Exempel bedeutet 'reden, geschlafen, ein Buch, gesalzenes Wasser, Tobak, Schreibtinte, Gastmahl, Rauch ,räuchern' und noch viele andere Dinge, und in jedem Verstände [Sinn] hat das Wort einen besonderen Buchstaben, woraus man merket, daß, obgleich die Sineser-Wörter aus mehr als einer Silbe bestehen, sie doch nimmer mit mehr als einem Buchstaben geschrieben werden. Und dergleichen Buchstaben findet man in der chinesischen Sprache über 30000, von welchen einer, der bei ihnen für einen Doktor oder Schriftgelehrten passieren will, ungefähr 10000 oder mehr auswendig können muß. Aber in einer Haushaltung hat einer genug zum täglichen Gebrauch, [der] 3000 kann, und wer die alle behalten will, muß meines Erachtens auch kein kurzes Gedächtnis haben. Das 2te Kapitel Von der Größe dieses Reichs und den angrenzenden
Ländern
Das Reich China ist ein sehr großes Königreich und wird in der Länge von Osten najch Westen auf 24 Grad oder 480 französische 46
Meilen gerechnet, und-von Mittag gegen Norden ist es etwas größer. Es grenzet gegen Osten an das Königreich Korea und an das Meer, welches auch die Seite nach Süden [und Südosten] ganz umgiebet. Gegen Westen sind die Reiche Kescho [Hanoi, Hauptstadt von Tonking, das 1802 an Annam = Vietnam angegliedert wurde], Pegu [seit 1754 zu Burma gehöriger Staat] Sada 4 [nach der in der heutigen indischen Provinz Assam gelegenen Stadt Sadija?] und Tibet. Hingegen wird das ganze Land durch die große und bewundernswürdige Mauer von allen Ländern separieret. Die Sineser nennen sie die Ewige Mauer, weilen sie von soviel hundert Jahren ganz und unzerfallen stehet und hat in der Länge von Osten nach Westen über 300 teutsche Meilen. Jetzo gehöret auch die Okzidentalische Tartarei oder Mongolei, wiewohl sie außerhalb der Großen Mauer ist, unter des Kaisers von China Botmäßigkeit, welches vordem nicht gewesen ist. So ist auch in alten Zeiten China nicht allezeit gleich groß gewesen, sondern hat bisweilen mehr, bisweilen weniger Provinzen gehabt. Nun aber bestehet es aus 15 [17] Provinzen, als: Peking oder Pei Chihli, Shansi, Shensi, Shantung, Honan, Hukwang, Fukien, Kiangsi, Wankien [?], Kiangning, Chekiang, Tokien [?], Kwangsi, Kwangtung, Yünnan, Kweichow, Liaoning, welcher letztere Teil innerhalb [vielmehr: außerhalb] der Großen Mauer ist, und war vor diesem nicht unter die Provinzen des Reichs gezählet, weilen er oft von den angrenzenden [Staaten], und insonderheit von denen jetzt [seit 1644] in China herrschenden Tartaren, attackieret und eingenommen wurde. Dieser Kaiser aber hat ihn mit zu einer Provinz gemacht, denn es ist ein großes Stück Land und mit vielen Inseln des Meeres umgeben, unter welchen Hainan über 100 teutsche Meilen in seinem Umkreis hat. Taiwan aber, welches auch eine Insel ist, hat in der Länge 60 Meilen und in der Breite 10, alle beiderseits volkreich. Die obengemeldeten 15 [17] Provinzen können alle nicht allein wegen ihrer Größe, sondern auch wegen der Menge des Volks und [der] Städte, welche sich darinnen befinden, für Königreiche angesehen werden. Die Hauptstädte heißen bei den Sinesern Su [Fu?]. Dieser zählet man innerhalb der Großen Mauer 173, welche insgesamt mit Peking können verglichen werden. Peking ist nicht [von] der Größe [wie] Nanking oder Kiangning, sondern es sind ihrer noch andere, die größer und wiederum andere, die ebenso groß sind. Diese zwei Gattungen der Städte werden bei den Sinesern Tschen genannt, unter welchen man einige findet, die so groß sind als Fu [Su?]. Dieser Gattung Städte zählet [man] 228. Die 3te Gattung, welche Hien hei47
ßet, sind 1388. Die Flecken und Dörfer sind in diesem Lande unzählbar. Soviel kann man aber von ihnen sagen, daß in China etliche Dörfer sind, worinnen man soviel, wo nicht mehr, Menschen zählen kann als in Paris oder Amsterdam. Ferner sind noch andere Orte, die Königliche Herberge genannt werden, welcher man bis 1145 zählet. Überdies sind noch Schlösser, worinnen die Kriminellen verwahret werden, deren die 1 te Gattung in sinesischer Sprache Quang heißet und sind 627. Die andere Sorte wird genannt Meg und bestehet aus 567. Die dritte Sorte nennen sie So und bestehet aus 311. Die 4te heißet Tschim, derer sind 300; die 5te, genannt Pao, sind 150; die 6te, genannt Pu, sind 100; die 7te, genannt Tschai, 300. Überdies sind noch viele hundert Wachtürme, die in ihrer Sprache Tai heißen. Schiffreiche Flüsse in China [und] etliche große Seen werden gezählet 1472, namhafte Brücken 331, große Berge 2099, große und berühmte Götzentempel 480, christliche Kirchen 260, ohne die, welche in der Tartarei sind, denn man muß wissen, daß bei 50 tartarische Fürsten dem Kaiser K'ang-hsi gehuldiget haben. Das 3 te Kapitel
Von dem königlichen Hofstaat zu Peking ,Peking' heißt ,Nordischer Kin' oder ,Königlicher Hofstaat gegen Norden', denn zuvor war ein anderer Hofstaat gegen Mittag, Nanking genannt, welches jetzt Kiangning [Stromesruhe] genannt wird. Die Stadt Peking ist dreifach, erstlich die Vorstadt, die man heutzutage der Sineser Stadt nennet, die anderen 2 sind der Tartaren Städte und eine innerhalb dieser, des Kaisers Stadt oder die Stadt mit der gelben oder roten Mauer, in welcher des Kaisers Palast ist. Die Vorstadt hat einen Wall, den die Chineser Tuchin oder die Erdene Mauer nennen, ist ungefähr vor 500 Jahren gemacht worden von den Westoder gegen Niedergang gelegenen Tartaren, als dieselben bei 30 Jahren lang in China Meister gespielet. Dieser Wall ist nun fast verfallen, die 2 Mauern sind aus gebackenen Steinen. Ihre Gräben sind an etlichen Orten mit Wasser [gefüllt]. Dieselbe Mauer ist an der Stadt angehängt, welche also verfertiget, daß die Mauer gegen Norden und Mittag eine Meile oder 10 Li lang ist, die Seiten von Auf- und Niedergang sind etwas länger und haben 12 Li. Vor der Mauer ist ein breiter Weg und außer dem Wege ein Graben, 40 oder 50 Fuß weit. Die Mauer ist 30 Schuh hoch und 48
50 breit, daß 16 Reiter in einer Linie nebeneinander reiten können. An der Mauer laufen viele viereckige Bastionen, eine soweit von der anderen, daß man von einer zu der anderen mit einem Pfeile etwas mehr als den halben Teil des dazwischen gelegenen Striches der Wand erreichen kann. Auf jeder Seite sind 3 Pforten, auf welchen hohe Häuser gebauet [sind], und ringsherum allezeit bei der dritten Bastion inwendig gegen die Stadt ist oben auf der Mauer ein Wachhaus, 30 Schuh lang. Auf einer jeden Seite sind 3 lange Steige oder Stufen, damit man könne zu Pferde hinaufgehen, und werden die Wachen alle Tage visitieret. Die Hauptgassen von Tor zu Tor sind schnurgerade, so breit, daß 25 Wagen nebeneinander gehen können. Tag und Nacht sind über 50000 Soldaten auf den Straßen, in Wachhäusern und -hütten. Des Volks ist eine so große Menge, daß ich glaube, es sind Männer, Weiber und Kinder über 2 Millionen. Dieses wird einem unglaublich scheinen, was aber zu glauben, und welches ein jeder leichtlich glauben wird, daß diese Leute unter 100 neugeborenen Kindern allezeit eines weggeworfen. Laß es sein, daß sie unter 2 ä 300 kaum eines weggeworfen, und doch ist es sicher, daß alle Tage — Sommer und Winter — über 100 neugeborene Kinder so ausgeworfen auf den Gassen gefunden werden, und müssen also folglich alle Tage 15000 Kinder wieder geboren werden. Und die dazu bestellet und sie aufnehmen, taufen derer alle Jahre 3 bis 4000 Stück. Diese [aufgenommenen Kinder] sind aber nicht der lOte Teil derer, die also jämmerlich weggeworfen werden und sterben. Wer Peking recht beschreiben will, hat eines Jahres Frist und ein großes Buch vonnöten. Nun will ich soviel sagen, daß weil, wie ich oben gesagt, eiine jede Provinz ein Königreich sei, also kann [auch] Peking ein Königreich genannt werden. Zur Bestätigung dessen hat Pater Kilian Stumpf vor 13 ä 15 Jahren mit seinen Augen gesehen den Kaiser mit 2 mal hunderttausend gerüsteten Soldaten ohne ihren Train aus Peking ziehen, und sind doch die Gassen so voller Leute geblieben, als wenn kein Mann ausgezogen wäre. Peking hat keinen schiffreichen Fluß, lieget 4 Meilen von dem Fluß Ju, 30 Meilen von dem Meer. Das 4te Kapitel Von der Regierung
dieses
Reichs
Die ganze Regierung stehet bei dem Monarchen oder Kaiser. Aber von der Zeit des Huangdi folgen sie aufeinander nach der Geburts50
linie, so lange ein Geschlecht dauert. Dem Kaiser aber ist erlaubet, aus seinen Söhnen zu erwählen, wen er will. Doch ist gebräuchlich, daß, wenn die wahrhafte Ehegemahlin einen Sohn hat, welcher zu der Regierung tüchtig, kein anderer zu dem Kaisertum angenommen werde. Sonst haben die Kaiser mehrmals andere Söhne erwählet, ja auch bisweilen alle ihre Söhne verlassen [ausgelassen] und einen Schon vor 2000 und mehr Jahren vor Christi Geburt bis hier [heute] frommen, verständigen und gerechten Mann zu ihrem Nachfolger erwählet. Wie solches getan haben Yai, Num, Yu etc. sind 6 Rathäuser [Ministerien] angelegt, von welchen alle Regierung in dem ganzen Röiche dependieret. Diese werden genannt Pu. Das lte heißet Lipu, welches alle Gewalthaber ad Mandationes regieret [Personalministerium; das 2. Pingpu — Kriegswesen], das 3te Lepu, so den bürgerlichen Mündigungsgebrauch 5 ordinieret [Kultusministerium], das 4te Hupu oder die Rentmeisterei [Finanzen], das 5te Kungpu oder die Baumeisterei [Öffentliche Arbeiten], das 6te Hsingpu [Justiz], Diesen Rathäusern sind anhängig die Gelehrtenschulen, die, so den Himmelslauf betrachten, die, so mit der Proviant- und Schiffsregierung zu tun haben. Alle diese Rathäuser sind unter dem Rathaus der Colleorum oder Minister, welche bei den sinesischen Kaisern 3 gewesen. Jetzund [seit der Ch'ing-Dynastie der Mandschu 1644] sind ihrer 6, nämlich 3 Sineser oder Nikan und 3 Tartaren. Das ganze Regiment ist klug und wohl bestellet, doch geschiehet bisweilen, daß das Geld die Gerechtigkeit auf die Seite schiebet. Der Kaiser ist sehr scharf und schonet keinen Rat. Wenn einer beschuldiget wird, ist er gewiß, daß er es mit der Geldstrafe oder mit der Haut bezahlen muß. Es ist kein Tag, daß nicht ein oder der andere von seinem Amt verstoßen wird und oft nur um einen kleinen Fehler, zum Exempel, wenn er in seiner Schrift nur einen einzigen Buchstaben gefehlet hat. Dergleichen ist auch zu unserer Zeit geschehen. Da es in einer langen Zeit nicht regnen wollte, befahl der Kaiser einem vornehmen Mandarin, daß er hingehen sollte und um Regen bitten. Da er nun eine ziemliche Zeit bei den Götzen mit allerhand Opfern zugebracht hatte, kam er unverrichteter Sache wieder dahin, und der Kaiser fragte, wie es käme, daß er keinen Regen könne zuwege bringen. Hat er in seiner Antwort etwa ein Wort außer der Ordnung gesprochen und wurde desfalls ohne Prozeß von seinem Amte [ab]gesetzet. Man sollte wohl gedenken, daß der Kaiser um solcher kleinen Sache willen mit einer gelinden Strafe diesen hätte strafen können, allein 4*
51
es ist hierbei zu wissen, daß bisweilen viele kleine Fehler vor[her]gehen, über welche der Kaiser simulieret, und wenn er dann keine Kapitalssachen auf |gegen] einen finden kann, nimmt er eine solche Gelegenheit, seine Untertanen zu züchtigen. Wenn der Kaiser sonst eine kleine Jalousie auf jemanden von seinen Untertanen hat, und er doch keine Ursache finden kann, durch welche er ihn strafen könnte, so könnte wohl [vorkommen, wie oft geschiehet, daß er sagen möchte, daß eine solche Person ihm um ein oder anderer Ursachen willen nicht anstünde. Alsdann ist der Mensch, von welchem er solches spricht, nicht mehr seines Lebens sicher, denn sein eigener Vater und Verwandte trachten alsobald, ihn zu töten. Doch gehen sie vorhero und lassen dem Kaiser sagen, wie sie vernommen hätten, daß eine solche Person seiner Heiligkeit Galle in Bewegung gebracht hätte und wäre deswegen nicht wert, länger zu leben. [Sie] bäten deswegen nur um diese Gnade, daß sie ihn umbringen dürften. So trifft sich bisweilen, daß der Kaiser solches nicht erlaubet, sondern spricht, derselbe könne wohl mit 100 Prügeln abgestrafet werden, welche er alsobald bekommt und muß nachdem niederknien und sich für solche hohe Gnade bedanken. Wenn aber der Kaiser solches erlaubet, kommen die Freunde und Verwandten zusammen und führen denselben hinaus auf den Platz, da sie ihre Toten begraben, unter dem Prätext, als wollten sie eine kleine Zeremonie über ihre verstorbenen Verwandten halten. Wenn sie ihn aber auf dem Platz haben, erwürgen sie ihn alsobald. Ferner haben sie noch eine Methode, Leute ums Leben zu bringen, daß nämlich, wenn einer schläft, nehmen sie etwas Papier, machen dasselbe naß und legen es dem Schlafenden übers Gesicht, also daß es Nase und Maul bedecket. Alsdann kann er keinen Odem schöpfen, sondern muß ersticken. Sie observieren aber, daß [derjenige, an dem sie dieses tun wollen, daß er vorhero einen kleinen Rausch habe, damit er desto fester schlafen möge. Sie tun dieses in dieser Konsideration, weilen sich der Kaiser, wie bereits gemeldet, heilig nennen läßt, und zwar bekommt er von seinen Untertanen diesen Titel, welches sie auch fest glauben, nämlich, daß er sei ein Sohn des Himmels und ein Gott der Erde. Bilden sich auch ein, daß [außer ihm] kein rechtmäßiger König auf der ganzen Welt wäre, es sei denn, daß ihn der Kaiser von China dazu gemacht hätte. Die Vizekönige und alle Befehlshaber in den Provinzen müssen alle an diese 6 Rathäuser, von welchen oben gemeldet ist, am Hofe Rechnung dem Kaiser überliefern, welche er selber überlieset und bestätiget. Alle Befehlshaber im ganzen Reiche bekommen ihren Sold 52
von dem Kaiser, welcher [Sold] aber sehr klein ist, denn selbst ein Vizekönig nicht über 400 Unzen Silber jährlich bekommt. Hingegen sind sie in den Orten so absolute [Herrscher], daß sie mit den Untertanen handeln können, wie ihnen gefallt. Und auf solche Art kann wohl ein Vizekönig Gelegenheit haben, sich des Jahres auf 3hunderttausend Unzen Silber Revenuen zu verschaffen. Die Gelehrten oder bürgerlichen Befehlshaber werden in China gezählet auf 15647 Personen; unter den Soldaten zählet man 19250. Es ist aber zu merken, daß niemand in der Provinz, wo er geboren ist, Befehlshaber sein kann, damit er nicht Gelegenheit bekäme, seinen Freunden oder Verwandten zu Gefallen über eine rechtmäßige Sache ein ungerechtes Urteil zu fällen. Von 3 zu 3 Jahren werden auch alle die Befehlshaber von ihren Stellen abgelöset, nämlich, daß einer des anderen Stelle besetzet und der wiederum in dessen Stelle gehet, ausgenommen die Vizekönige und Kriegsgenerale, welche bisweilen länger oder weniger ihre Stelle besetzen. Bisweilen geschiehet es auch, daß sie im 1 ten Jahr abgesetzet werden. Neben allen diesen Rathäusern ist noch eines, welches bestehet aus 10 oder mehr Doktoren, die man Kalao nennet. Diese haben Freiheit, jedermann groß und klein anzuklagen, nicht aber zu richten. Auch ist ihrem Amt gemäß, den Kaiser schriftlich zu ermahnen, wenn er etwas übersiehet oder gefehlet hat. Derowegen sind sie in großem Ansehen und werden geachtet als des Reichs Lehrmeister. Von diesem ihren Amt können sie zu keinem anderen kommen, es sei denn, daß sie 3 ansehnliche Klagen mit Recht vorgebracht haben. Der jetzige Kaiser hat keinen von ihnen ihres Vermahnens halber am Leben gestrafet. Es ist aber vielmals geschehen, daß solche Leute die Ermahnung, so sie den vorigen Kaisern getan, mit ihrem Leben haben bezahlen müssen. Einer mit Namen Pompum hat diesen gegenwärtigen Kaiser K'ang-hsi in seiner Jugend über etliche Stücke vermahnet, welches den Kaiser zu belästigen geschienen, und hat desfalls Kalao Pompum abgesetzet. Nicht lange hernach hat er sich der Treue des Kalao erinnert und ihn zum Vizekönig in Kwangtung gemachet, auch nach seinem Tode ihm große Ehre angetan. Das 5 te Kapitel Von der Zahl des chinesischen Volkes und [dem]
Tribut
Die Zahl dieses Volkes ist so groß, daß man es nicht sonder Mühe glauben kann. Diejenigen aber, so dem Kaiser den Tribut zahlen, 53
sind alle Mannspersonen über 20 Jahre alt; darunter, als Knaben [und] Frauenpersonen, bezahlen keinen Tribut. Man zählet jetzo, nachdem lange Zeit Friede im Lande gewesen, 68916780 Männer mit diesen Ausnahmen: erstlich werden ausgenommen die Alten, die über 65 Jahre sind, zum andern die Gelehrten. Derer sind etliche Tausend. 3tens alle Götzendiener in ganz China. Derer sind 1000000 und noch wohl mehr; 4tens 902050 Soldaten und die an der Langen Mauer Wache und Dienste tun; 5tens über 100 0006 Mann, die auf den Proviantschiffen das ganze Jahr sind; 6tens über 700000 Soldaten, so Tag und Nacht den Kriegsoffizieren zu Hause und auf der Reise beistehen; 7tens über 600000 Soldaten, die in Städten, sonderlich an dem Meere und anderen Orten die Besatzung machen; 8 tens alle Tartaren, so jetzund innerhalb der Langen Mauer wohnen. Von den [anderen] bekommt der Kaiser jährlich Tribut an dem feinsten Silber zweihundert 79mal hunderttausend Unzen, an Salz 13 hundert und 15 tausend 9 hundert und 37 Hüte, ein jeder Hut wieget 50 Pfund; an Seidenatlas 16 hundert und 557 tausend 4 hundert und 32 Stück; an dünnem Seidengewebe 4 hundert und 66 tausend 2 hundert 68 Stück; an ungeschorener Seide zweihundert 72 tausend und 93 Pfund; an ungeschorener Baumwolle 4 hundert 64 tausend 2 hundert und 17 Pfund; an gewebter Baumwolle 3 hundert 69 tausend 4 hundert und 80 Stück; Reis, Getreide und Hirse 433 tausend mal tausend 2 hundert und 88 tausend 346 Säcke, jeder Sack zu 120 Pfund. Zu Pferdefutter 2 hundert und 10 tausend 470 Säcke. Papier, Wolle und Hammelpelze über 5 hunderttausend; Hirsche 9000 ohne die wilden Schweine, Bären, Dachse und Fasane. Es würde kein Ende werden, wenn ich alles erzählen wollte. Neben dem Tribut sind die Zölle, Strafen, Konfiskationen wie auch [das] Geld, so die Reichen selber präsentieren, des Kaisers Gunst und Benefizia für ihre Kinder zu kaufen. Die Zölle sind hier nicht so schwer wie in anderen Ländern, doch aber tragen sie viel ein wegen des großen und unaufhörlichen Gewerbes. Der Zoll in Peking durch und durch bringet jährlich nicht mehr als 200000 Unzen Silber für den Kaiser. Was soll ich von den Pferden sagen? Alle Postpferde sind des Kaisers. Derer sind mehr in China als 70000. Für die Soldaten, welche an der Langen Mauer Wache und Dienste tun, hält der Kaiser 389160 Pferde, und für diejenigen, so in Bereitschaft stehen bei den Kriegsoffizieren,' 5 hundert und 64 tausend 900 Pferde. * Wieviel Pferde der Kaiser von den Tartaren hat, kann ich nicht wissen, weil sie unzählbar sind. Denn vor einigen Jahren hat Reveren54
dissimus Pater Kilianus von einem gefragt, der die Liste hatte von den Pferden, die des Kaisers 3tem Sohn gehörten, wieviel er denn hätte. [Er] hat darauf geantwortet: ,Leconmetir' [?], welches bedeutet: ,ziemlich viel'. Da er aber verlangete, die rechte Summe davon zu wissen, hat er geantwortet, er hätte dieses Jahr nur 15000, woraus man judizieren kann, daß die Zahl [von] des Kaisers Pferden nicht klein muß sein. Denn wer in Peking gewesen ist, kann nicht anders, als sich verwundern über die große Menge der Pferde, welche man alle' Tage da siehet. Es ist vorher erwähnet, daß die Tartaren, welche in China wohnen, keinen Tribut [zahlen], doch müssen sie alle Jahre um die Zeit, da der Kaiser das Neujahrsfest zelebrieret, alle ihre Töchter von 12 Jahren in den Palast bringen, von welchen der Kaiser für seine Söhne Mätressen, soviel ihnen anstehen, aussuchet.
Das 6te Kapitel Von des chinesischen Kaisers Kleidung,
Wappen und Namen
Die gelbe Farbe hat ein Kaiser für sich erwählet vor Christi Geburt 2500 Jahre, derowegen er auch genannt worden ,Huangdi, der Gelbe Herr'; wobei wohl zu merken, daß nachmals ein anderer Kaiser 240 Jahre vor Christi Geburt sei genannt worden ,Xi Huangdi, der Erste Huangdi'. Aber dieses ist ein anderer Buchstabe [Schriftzeichen] Hoan und heißet nicht ,gelb', sondern ,Augustus', welchen Titel und Buchstaben alle Kaiser bis auf den heutigen Tag behalten haben. Die kaiserliche Farbe ist eierdottergelb oder auch goldgelb. Die 1 te tragen die Kaiserinnen und alle Frauen in Zimmern und Gemächern, wie auch die Söhne und Töchter. Wenn sie aber verheiratet sind und schon ihren Grad haben, tragen sie goldgelb. Die aber von dem Geschlecht oder Geblüt sind, und welche einigermaßen befreundet sind, tragen rot. Hieraus folget aber nicht, daß diese allezeit gelb gekleidet gehen müssen, denn man siehet des Kaisers Kinder und Freunde fast niemals in gelben Kleidern, sondern sie tragen allerlei Farben nach Belieben und halten [es] für genug, einen gelben Gürtel um den Leib und gelbe Zügel an den Zäumen zu haben, damit sie von andern distinguieret werden. Es geschiehet auch bisweilen, daß der Kaiser seiner jungen Prinzessin, wenn etwa ein Bußtag soll gehalten werden, einen rosenroten oder purpurfarbenen Zügel zu führen gibt, damit andere nicht merken, wann sie Pönitenz tun. Solche Pönitenz aber 56
bestehet in Fasten, nämlich, daß sie kein Vieh schlachten, sondern essen Fisch oder gekochten Reis. Aber der Sattel auf des Kaisers Pferd, der Sessel, die Steigbügel wie auch seine Bettstatt ist ordinär gelb, und was man ihm präsentieret, greift man mit einem gelben Tüchlein an, und alle Sachen, so man zu seinem Dienste mitführet, werden mit gelbem Tuche, Seidendamast etc. überzogen bis auf das Küchengeschirr. Diese gelbe Farbe kann niemand anders brauchen, doch schwefelgelb, zitronengelb, strohgelb und dergleichen ist erlaubet, wiewohl sich die Leute davor hüten. Die Lama oder tartarischen Götzenpfaffen dürfen die kaiserliche Farbe tragen, und haben solche Privilegien bekommen vor 500 Jahren, als die gegen Abend gelegenen Tartaren dieses Reich besetzten. Vor ungefähr 10 Jahren, als die verwitwete Kaiserin 60 Jahre alt geworden, hat sie den chinesischen Götzendienern Erlaubnis gegeben, bei ihrem Götzendienst [ebenfalls] die gelbe Farbe zu gebrauchen. Es ist weiter zu merken, daß nicht alle Kaiser die gelbe Farbe angenommen haben. Etliche haben die gelbe, etliche die schwarze, etliche die Purpurfarbe und etliche die rote vorgezogen, sonderlich diejenigen, so nicht aus kaiserlichem Stamme geboren und sich eingedrängt haben. Gleich vom Anfange dieses Reichs hat Fohi, der 1 te Kaiser, einen Drachen zu seinem und des Reichs Wappen erwählet. Im Jahre vor Christi Geburt 2400 hat der Kaiser, genannt Hao, anstatt des Drachens den Sonnenvogel zu seinem Wappen angenommen. Die folgenden Kaiser haben wiederum den Drachen erwählet, denn der Drache ist bei diesem Volk ein Zeichen der Glückseligkeit, wie bei uns der Adler ein Zeichen des höflichen Verstandes, die Tauben ein Zeichen der Sanftmut, der Hahn der Wachsamkeit. Nicht alle Drachen sind kaiserliche, sondern [nur] diejenigen, welche mit 5 Klauen gezeichnet werden. Derowegen dürfen andere Leute die Drachen mit 3 a 4 Klauen gebrauchen. Aber die mit 5 Klauen sind bei Lebensstrafe verboten, ausgenommen in dem Papier, worauf die Leute ihre Bittschriften schreiben und [den] Abgöttern aufopfern. Sonsten wird das Pferd des Kaisers in hoher Sprache genannt das Drachenpferd, die Kutsche der Drachenwagen. Das gemeine und unwissende Volk glaubet viel Fabeln von den Drachen, bildet sich ein, sie geben den Regen aus den Wolken, Flüsse und Brunnen aus den Bergen. Die weisen Leute lachen aber zu allen diesen Possen, und ist wohl zu merken, was ungefähr im Jahr Christi 180 Cao, der Kaiser Xiente, gesagt hat, nämlich: ,Die Schlange ist 57
klug, der Drache ist klug und mächtig, deswegen ist er ein Sinnbild eines verständigen großen Mannes.' Denn gleich wie das gemeine Volk saget, die Drachen schweben jetzund in den großen Wolken, schwimmen in den Tiefen des Meeres, gehen unten durch die Berge, machen sich dünn wie ein Zwirnsfaden, wiederum dick und stark wie ein Mastbaum. Sie applizieren dieses aber auf geschickte und verständige Leute, die durch ihre Scharfsinnigkeit anderer Leute Anschläge [durchschauen], die sich in ihr Glück als Unglück zu finden wissen. Daher ist allerdings dieses Sinnbild keine so große Torheit bei denjenigen, so keine Abgötterei daraus machen, und kann also sowohl an Kleidern als auch an Kirchen gemalet werden. Es ist zu merken, daß, wenn des Kaisers Prinzessinnen an jemanden ein Kleid schenken, worauf Drachen mit 5 Klauen sind, so kann es derselbe auch tragen, doch muß er einen guten Beweis haben, daß es ihm von einer solchen Person sei geschenket worden. Noch ist zu merken, daß den Kaisern ihre Namen, welche ihnen von Vater und Mutter gegeben worden, verborgen bleiben. Denn solange sie des Kaisers Prinzen im Palast sind, werden sie von einem jeden nach der Zahl genennet, nämlich der 1., 2., 3., 4., 5te Prinz. Der Erbprinz wird aber insgemein Huang tai iu, Augusti filius, [genannt]. Wenn er zu dem Regiment kommt, so gibt er für dasselbige Jahr einen Namen, und dieser Name gilt auch für des Kaisers Namen, bis er stirbt. Also heißt und schreibet man nun diesen Kaiser K'ang-hsi, das ist Ruhe, Frieden oder Beständige Ruhe, welches des Jahres Namen ist. Sonsten, wenn einer von dem Kaiser etwas redet oder schreibet, brauchet man dieses Wort: ,Wansui', das ist ,10tausend Jahre', welches wie ein guter Wunsch sein soll, daß der Kaiser lOtausend Jahre leben möge. Den Erbprinz aber nennet man ,Cien Hoi', das ist ,tausend Jahre'. Doch sind andere höhere Namen, als Huangdi — Augustus Dominator, Huang Xam — Augustus Supremus, Maotim — Summa aula imperii etc. Der höchste Titel aber ist Xim — Heiliger und Heiliger Herr, darum über des Kaisers Thron diese Worte allezeit mit Gold geschrieben oder [eingegraben sind. Es ist auch kein Wunder, daß dieses orientalische Volk seine Kaiser selig8 nennet, denn noch heute ist bei den Christen im Gebrauch, daß sie sagen ,das Heilige Römische Reich', ,Ihro Heilige Kaiserliche Majestät', denn das Wort heilig bei diesem Volke heißt Weisheit, Verstand und Leben, fast in demselben Verstände [Sinne] wie in der Heiligen Schrift Könige und andere große und hohe Personen [heilig] genannt werden.
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Das 7te Kapitel Wie die jetzigen
Tar taren zu dem Chineser-Reiche
gekommen
China ist vielmals von den Tartaren angefochten und zum Teil eingenommen gewesen, bis die von Abend vor 5 ä 600 Jahren fast Meister geworden und bei 80 Jahren ihre Regierung, die sie Quen chao genennet, kontinuieret [Mongolenherrschaft in China 1271—1368]. Die heutigen Tartaren aber sind von einer anderen Gattung geboren und gezogen, in einem entlegenen Orte gegen Aufgang, nicht weit von dem Japanischen Meer und auf den Grenzen des Reiches Korea gegen Norden. Der meiste Teil ißt rohes Fleisch. Wenn sie die Fische fangen, kleiden sich Mann, Weib, Kinder und Gesinde mit zusammengenäheten Fischhäuten. Zum Nähen gebrauchen sie die Nerven [Sehnen] von Hirschen und anderen Tieren. Was ihr Gemüt anbelanget, ist es ein gutes Volk, aufrichtig und getreu. Nun aber haben sie von den Sinesern alle Arglistigkeit gelernet. Die Sineser haben diese Leute von Alters her genennet Yu Pita, das ist Fischhaut tragende Tartaren und Nutschohe, das ist Ochsenkern [?]. Nun heißen sie Mandschu oder Taiu. Der König der Tartaren hat vor 140 und mehr Jahren Krieg wider die Sineser angefangen, und sind die gegen Abend gelegenen Tartaren als erste zu Felde gezogen. Die Sineser haben diese sehr hart geschlagen, und deswegen sind sie hochmütig [ge]worden und haben alle Tartaren insgemein verachtet, auch wider Recht und Billigkeit übel gehalten, also daß sie in der Provinz Liaoning, wo die Tartaren zum Handeln hingekommen, selbige^ oft beraubet und getötet. Unter anderem haben sie einen tartarischen Prinzen, welcher seine Braut zu holen an der Provinz vorbeigegangen, ohne Ursache angegriffen und totgeschlagen. Diese Tartaren haben sich zu Peking beklaget, sind aber unverrichteter Sache und mit Spott zurückgewiesen worden, derowegen sie in der Provinz Liaoning eingefallen, mit Raub und Feuer viel verdorben und, nachdem sie die Hauptstadt derselben Provinz einbekommen, haben sie einen Kaiser aufgeworfen [eingesetzt], der sich Tien min genannt, ist soviel in ihrer Sprache als ,der Befehl des Himmels', geordnet [dazu bestimmt], die Sineser zu strafen und die Gerechtigkeit einzuführen. Dieser war ein grausamer und wilder Mann. Sein Sohn aber, mit Namen Kamte, war verständig und sehr gelind. Unterdessen erhob sich eine große und starke Rebellion in China, 59
und bestanden die Rebellen in 8 Armeen, welches die meiste Ursache war, daß ganz China zugrunde ging, denn wegen der Tartaren hatte man so große Gefahr nicht zu besorgen. Der Fürst Mao ven tuum, welcher die chinesische Armee en chef kommandierte, hatte ihnen den Paß schon besetzt. Unterdessen disputierte ein und [der] andere den Vorzug der Armeen der Rebellen, bis endlich 2 mächtige Armeen daraus entstanden, deren eine der Fürst Li kommandierte, die andere aber der Fürst Cham. Damit sie aber nicht miteinander in Zwiespalt gerieten, zogen sie voneinander. Cham wandte sich zu den südlichen Provinzen Szechwan und Hukwang, Li aber ging nach den nordischen Provinzen, erstlich in die Provinz Shensi und belagerte darinnen die große Stadt Honan, die sich tapfer wehrete, auch so, daß sie wegen der großen Hungersnot, welche bei ihnen eingerissen war, Menschenfleisch essen mußten. Der Kaiser kam mit seinem Volke dieser Stadt zu Hülfe und wollte der Rebellen ganzes Kriegsvolk im Wasser ersaufen lassen, zog zu dem Ende die Dämme des Gelben Flusses auf. Es geschah aber, daß das Wasser die ganze Stadt mit 300000 Einwohnern überschwemmte und ersäufte, Li aber mit seinen Völkern von dem Wasser befreiet [verschont] wurde. Dieses geschah Anno Christi 1642. Unterdessen nahm Li die ganze Provinz und hernach Shensi ein, ließ auch alle Hauptleute töten, schonete aber das Volk und traktierte es höflich. Daher geschah es, daß viel Volk von dem Kaiser zu ihm überlief, also daß dieser große Räuber Li so mächtig wurde, daß er sich auch den Titel eines Kaisers geben ließ. Als er nun die ganze Provinz Shensi hatte unter seine Gewalt gebracht, ging er gerade nach Peking zu, nachdem er lange vorhero etliche tausend der Seinigen in die Stadt praktizieret, daß, wenn er davor käme, sie einen blinden Lärm sollten machen und ihm die Tore öffnen. In der Stadt lagen 70000 zur Besatzung, und doch den 3ten Tag nach seiner Ankunft ging Li in die Stadt durch eröffnete Tore mit 300000 Mann geraden Fußes nach des Kaisers Residenz zu. Und der Kaiser war eben mit Fasten und Beten (nach der Bentzier [?] Art) beschäftigt und wußte von allem nichts. Endlich als er sah, daß sie ihn alle verließen, ging er wieder in sein Gemach mit seiner Familie und lief ferner in den Garten, da er mit seinem eigenen Blute auf den Saum seines Kleides schrieb diese Worte: ,Die Meinigen haben mich verraten. Mache mit mir, wie und was Du willst, schone aber mein Volk!' Hernach zog der König seinen Säbel heraus und tötete seine Gemahlin. Da er aber wollte seine erwachsene Prinzessin auch enthaupten, damit sie nicht den Mördern in die Hände fiele, hielt 60
sie den Arm vor, welcher ihr abgehauen wurde, wovon sie auch tot zur Erde niederfiel. Darauf nahm der Kaiser seinen Leibgürtel und erhängte sich selbst im 36. Jahr seines Alters. Mit ihm ging zugrunde sein Name, Geschlecht und [die] ganze Familie, derer über 80 000 sollen gewesen sein. Diesem Tod folgete sein getreuer Rat Colaus und andere mehr. Sein Leichnam, als er gefunden ward, wurde von dem Tyrannen, der auf dem kaiserlichen Thron saß, gar spöttlich gehalten, seine beiden kleinen Söhne, nachdem der erste sich mit der Flucht salvieret hatte, wie auch alle vornehmen Hauptleute aufs greulichste hingerichtet und den Soldaten die ganze Stadt zum Raube überlassen. Nun war noch der tapfere Fürst Wu San-kuei zu bestreiten, der in Liaoning die Tartaren aufzuhalten sich in ein festes Schloß gesetzt hatte. Der Tyrann Li hatte Wu San-kueis Vater gefangen, stellete denselben vor das feste Kastell und ließ durch den Vater dem Sohn sagen, daß, wenn er nicht die Festung übergäbe, er vor seinen Augen auf das jämmerlichste sollte hingerichtet werden. Der Sohn Wu Sankuei, als er seinen Vater von der Mauer sah und solche Worte von ihm hörete, fiel er auf seine Knie und bat den Vater um Verzeihung, daß er mehr seinem König und Vaterland verpflichtet wäre. Wollte also lieber eher sterben, als solchem Räuber schändlich dienen. Der Vater lobete des Sohnes Vornehmen und gab sich willig fürs Vaterland in den Tod. Darauf ward der Wu San-kuei bedacht, auf welche Art und Weise er des Königs und seines Vaters Tod gegen die Rebellen rächen möchte, schloß derowegen mit dem tartarischen König Kamte einen so guten Frieden, als es sein Zustand zuließ, und rief denselben, nachdem er ihm durch Gesandte große Geschenke gesandt hatte, wider die Rebellen zu Hülfe. Welcher sich auch willig [darauf] einließ und sandte ihm zu seiner Hülfe eine große Armee. Da diese kam, verließen die Rebellen das feste Schloß und nahmen ihre Retirade nach Peking. Als sie aber da auch nicht sicher waren, plünderten sie das Schloß und nahmen alle königlichen Schätze und flohen nach der Provinz Shensi, wurden aber von den Tartaren heftig verfolget und verloren eine große Menge Volk. Da aber der tartarische König selber auch in Person nach China kommen wollte, starb er auf dem Wege und hatte seinen 6jährigen Sohn zum Sukzessoren nachgelassen. Dieses Kind wurde von den Chinesern so wohl angenommen, daß sie ihm Tür und Tor aufmachten und ihm mit Freuden zuriefen: ,Wan sui, wan sui', das ist ,Es lebe der 10000 und 100000 Jahre' und setzten ihn auf den Thron. Dieses ist geschehen Anno 1644. Dieser [er]richtete 61
eine neue Familie, die tartarisch-chinesisch war. Dieselbe ward genannt ,Tai-Ts'ing', das ist ,eine große Reinigkeit' [die Große Lautere], denn die Sineser sagen noch heutzutage, daß der Himmel die Tartaren wie eine große Wasserflut über China ausgegossen habe, das Feuer der inwendigen Rebellion und das unrecht vergossene Blut zu löschen. Dieser neue Kaiser gab sich den Namen Shun-chih, das ist ,eine glückselige Regierung', dannenhero er auch insgemein Shun-chih genannt worden, und ob er gleich noch ein Kind war, hatte er auf Befehl seines Vaters regieret, nach Unterweisung [von] seines Vaters Bruder, welcher deswegen Amawang genannt wurde, das ist Königlicher Vater. Dieser Kaiser hat wohl regieret und soviel [wie] möglich das Land zufriedengestellet und viel schöne Gedächtnisse nach sich gelassen. Zum Ende seines Lebens hat er sich wegen einer Frau von den Götzendienern hintergehen und betrügen lassen, welches er dann vor seinem Tode beklaget. Er ist an den Kindblattern krank [ge]worden im 24. Jahr seines Alters. Und wie er gesehen, daß er nicht genesen könne, hat er seine 4 Söhne vor sich kommen lassen, und da der 1 te ihm nicht tüchtig genug geschienen, hat er dem anderen das Reich anbefohlen, und weilen dieser noch nicht das 9 te Jahr erreichet, hat er vier Gouverneure bestellet, die mit einem gemein[sam]en Rat das Reich regieren sollten. Dieser 8- oder 9jährige Kaiser hat sein erstes Jahr genennet Kam, Anno 1662, wiewohl noch ein Teil des 1661er Jahres zu seiner Regierung gehörte.
Das 8te Kapitel Von dem jetzt in China regierenden Kaiser Kang-hsi insbesondere Man saget, daß Shun-chih vor seinem Tode seine Söhnlein zu sich gerufen und gesagt: ,Ich kann nicht länger leben. Wer aber aus euch hat so starke Schultern, daß er dieses neu gewonnenen Reiches Last tragen könne?' Auf welche Worte sich der älteste Sohn entschuldiget habe, sagend, er sei noch ein Kind und könne sich kaum selbst regieren, viel weniger ein so großes Land und Leute und bäte, daß der Vater möge es anwenden, wie es ihm am besten beliebe. K'ang-hsi aber, etliche Monate über 8 Jahre alt, sei vor des Vaters Bett getreten, auf die Knie gefallen und habe frisch geantwortet:,Vater, ich befinde mich stark und mächtig. Wenn es ja nicht anders sein sollte, daß Ihr 62
scheiden müsset, so leget die Last des Reiches auf meine Schultern. Ich will unsere Vorfahren, Kaiser, Vater und Anhänger nicht vergessen, sondern mit Sorgen und Ruhm die Last tragen.' Welche Worte dem Vater Shun-chih das Herz bewogen, daß er den ältesten Sohn vorbeige[«Aer]gangen und den anderen zum Kaisertum ernennet. K'ang-hsi hat die Regierung persönlich angetreten im Jahre 1666, worinnen er fortgefahren bis auf dieses 1718. Jahr. Er ist in seiner Jugend groß und stark, sowohl an Lebenskräften als an Verstände, gewesen. Wein, Weiber und Müßiggang hat er sehr gemieden, und ob er wohl nach Landes Gewohnheit viele Weiber genommen, ist er doch den Tag fast niemals zu dem Frauenzimmer [ge]kommen. Morgens früh, um 4 Uhr nach Mitternacht, hat er schon angefangen, die Bittschriften und Geschäfte der Rathäuser [Ministerien] durchzusuchen bis auf den Mittag. Die übrige Zeit hat er wieder zugebracht mit allerhand Übungen in Waffen, doch also, daß er die meisten [Stunden] fast den freien Künsten gewidmet. Unter anderem hat er auch von den Patres Jesuiten, als Ferdinand Verbiest, Thomas Pereyra, Anton Thomas, die Rechenkunst, den Himmelslauf, die Feldmesserei, die Musik und andere Wissenschaften also gelernet, daß er nicht allein seine Sineser in ihren Büchern, seine Tartaren in ihren Waffen, sondern auch die Europäer in der Mathematik examinieren kann. Ob er nun wohl der Jagd von seiner Jugend auf ergeben gewesen, hat er sich doch in den ersten Jahren nicht sehr weit von Peking [fortbegeben können, sonderlich weil zur selben Zeit das Reich noch nicht ganz ruhig gewesen und noch 3 oder 4 Rebellen hier und dort sich aufgeworfen. Nachdem aber solches überwunden, ist er Anno 1682 mit großer [Aus]rüstung in die Tartarei auf die Jagd gezogen, welchen Gebrauch er hernach jährlich gehalten. Und ist bis hierher sein Absehen gewesen, nicht allein im Lauf die Hirsche und anderen Tiere zu erjagen und zu fällen, sondern der eigentliche Zweck bestand darin, daß er seine Tartaren im Reiten, Pfeilschießen, Zelte aufschlagen und dergleichen Kriegsübungen unterhalten [unterweisen] wollte, damit sie nicht zugleich mit den Sinesern zu untauglichen Welklingen [Weichlingen] werden möchten. Sein Glück, Verstand und Heldenmut hat sich sonderlich sehen lassen in einigen Gelegenheiten, da er große und gefahrliche Konspirationen gleich einem Tropfen Wasser gelöschet ohne einige Zerrüttung des Reiches. Kein Befehlshaber kommt ohne Strafe davon, wenn er verklagt wird. Dem Volk ist dieser Herr sehr gütig, hat oft den Provinzen den Tribut erlassen, zur Zeit der Teuerung viele Millionen Silber und Reis gegeben. Den Soldaten ist er streng und freigiebig — streng, 64
weil er ihnen immer mit seinen Reisen und Jagden zu tun macht, freigiebig, weil er ihnen alle ihre Schulden bezahlet, wenn sie selbst nicht im Stande sind, daraus zu kommen. Er beschenket sie auch oft mit Kleidern gegen den Winter. Man hat von seiner Freigiebigkeit viele Exempel gesehen, auch gegen die Kaufleute, welche mit den Russen handeln, wenn sie bisweilen für große Summen Waren aufgenommen und auf bestimmte Zeit nicht haben bezahlen können. Da sich nun diese haben beschweret, daß sie über die Zeit aufgehalten worden sind, hat ihnen der Kaiser aus seinem eigenen Schatz zahlen lassen. Noch ein Exempel seiner Freigiebigkeit hat er im verwichenen 1717. Jahr sehen lassen. Da der Handel in Peking etwas schlecht war und die russischen Kaufleute ihre Waren nicht ohne Mühe absetzen konnten, gab er seinen eigenen Leuten frei, bei ihnen ohne Zoll zu handeln, da ihm doch dieses jährlich über 20 tausend Unzen Silber eingetragen hätte. Die Gelehrten hält er auch in großen Ehren, doch so, daß sie dem Volke nicht überlästig sein können. Dieser Herr hat endlich verdienet, daß die Chineser seine Regierung Teiping, den Großen Frieden, nennen. Der Kaiser K'ang-hsi, soviel man weiß aus dem Palast, hat 19 Söhne und 12 Töchter, die alle verheiratet sind, außer 2 Söhnen, wovon der eine 13 Jahre und der andere 12 Jahre alt ist. Von den Töchtern sind 3, von den Söhnen auch soviel gestorben. Der meiste Teil seiner Töchter wohnet in der Tartarei, denn er hat sich die tartarischen Herren und Könige auf alle Weise verbunden, und sind ihm anitzo fast alle Untertan. Man siehet mit Verwunderung alle Jahre im Januar- und Februar-Monat soviel tartarische Fürsten und Herren von 50- bis 60tägiger Reise herkommen und dem Kaiser zum Neuen Jahr gratulieren, welche er alle sehr höflich empfanget, beschenket sie mit Kleidern und giebet ihnen Unterhalt, solange sie in Peking bleiben. Es ist zwar auch dieser Kaiser K'ang-hsi zu loben, daß er von Kindheit an den Götzen nicht angehangen, sondern oft zu den Patres Jesuiten gesaget, er bete den blauen und gestirnten Himmel nicht an, sondern den lebendigen Herrn des Himmels und der Erde. Er hat auch viele christliche Bücher gelesen und die christliche Religion in seinem ganzen Reiche freigegeben [seit 1692], hat auch vor etlichen Jahren 15 tausend Unzen Silber, um eine christliche Kirche aufzubauen, gegeben. Nachdem er aber alt [ge]worden, ist ihm widerfahren, was dem Salomo widerfuhr, daß er nämlich seinetwegen, um sich ein langes Leben zu erbitten, zu den Abgöttern gehet. Es scheinet 5 Lange, China
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aber mehr aus Complaisance gegen das Frauenzimmer zu sein, als aus Vertrauen zu den Götzen. Die Christen aber haben sich nicht zu beschweren, daß ihnen von derti Kaiser einige Widerwärtigkeit widerfahren wäre, daferne ihnen von den anderen Herren des Reiches, welche das Evangelium gern aus ihrem Lande vertilgen wollten, nicht soviel Herzeleid zugefüget würde. Dieses 1718. Jahr ist der Kaiser [in] seinem 66ten Jahr und im 58. seiner Regierung. Im Jahre 1712 wurde eine schwere Klage wider die Christen eingegeben, welches aber der Kaiser so geschlichtet hat, daß es den Christen mehr Nutzen einbrachte, als sie vermeinet hatten, wovon im folgenden [13.] Kapitel ein Mehreres gehandelt werden soll.
Das 9te Kapitel Von der Religion in China Heutigen Tages ist viel Abgötterei in China. Erstlich sind diejenigen, so man Drousen 9 nennet, zum anderen [die, die] Tachi genannt werden, zum 3ten die, [die] Lo Han heißen, zum 4ten die Lasaren aus Indien, zum 5ten die Lama oder Zamorem aus der Tartarei. Von diesen allen wird nichts zu sagen sein, als daß sie Abgötter und Zauberer sind. Den wahren Gott beten die gelehrten Sineser an, deren Lehre genannt wird Guskino 10 , item die Mohammedaner, so vor ungefähr 800 Jahren mit den Tartaren nach China gekommen und nun über eine Million gezählet werden. Zum 3ten die Juden, derer anitzo sehr wenig sind, in einer eigenen Provinz, Honan genannt. Wann die 1 ten nach China gekommen sind, wissen sie selber nicht, doch ist gewiß, daß diese wahrhaftige Christen gewesen sind, [haben] aber aus Mangel an Lehrmeistern und Büchern ihren eigenen Glauben vergessen und wissen nicht mehr als das Zeichen des Kreuzes, denn soviel haben die Jesuiten aus dem Geschrei eines 80jährigen Kreuzanbeters vernehmen können. Sie sind auch aus der Tartarei gekommen, welches mit dem Marco Polo von Venedig übereinstimmet. Nachmals aber, als die Tartaren Yüan [die im 13. Jh. in China eingefallenen Mongolen]| vor 500 Jahren aus China geschlagen worden, haben sie, nämlich diese Kreuzanbeter, ihren Glauben verborgen, damit sie nicht auch 66
verjaget wurden, und auf diese Weise ist ihnen ihre Religion allgemach verfinstert worden. Zum 5ten die Christen, derer nun 200000 sind, wovon ich nachgehends insbesondere reden werde. Was nun die Schule und Lehre der Gelehrten betrifft, so bestehet die Hauptsache ihrer Religion darinnen, daß sie Gott im Himmel ehren, dessen Namen nicht wissen, sondern nennen ihn Himmel oder item den Höchsten Herrn, Tientschen, oder auch Xamti. Diesem haben sie Schlachtopfer geopfert schon vor 2900 Jahren vor Christi Geburt, und Anno 2660 hat Huangdi dem Himmel oder dem Himmel[sherrn?] einen ansehnlichen Tempel gebauet, und von der Zeit an bis auf den heutigen Tag sind die Kaiser zugleich dieses Volks Hohepriester gewesen, und haben alle Kaiser die alten Tempel erhalten oder neue gebauet. In solchem Tempel ist niemals ein Götze oder Bild gefunden worden, nur bloß allein eine lange aufgerichtete steinerne oder bisweilen hölzerne Tafel, auf welcher mit goldenen Buchstaben diese Worte geschrieben [stehen]: Huangdien Xamti, Oberster Herr oder Majestät. Diese Tafel aber ist gesetzt, damit, wenn die Kaiser ihre Opfer tun, sie einen gewissen Ort haben, wohin sie das Gesicht wenden nebst den Zeremonien. Die Tartaren haben diese sinesischen Worte nicht klarer gemacht in ihrer Sprache, sondern haben in eben derselben Tafel diese Worte geschrieben: Terghi abkachan, das ist Oberster Kaiser des Himmels. Überdies halten die Gelehrten in gewissen, dazu gebaueten Häusern eine Tafel oder auch ein Bild ihres alten Lehrmeisters Konfuzius und andere Täfelein ihren verstorbenen Eltern zu Ehren, vor welchen Täfelein sie zu gewissen Zeiten sich zur Erde beugen, Kerzen anzünden, Speise und Trank ihnen vorsetzen. Die Zeremonien halten sie sehr fleißig und mit Ehrerbietung. In der Wahrheit aber ist diese Ehre, so sie dem Konfuzius und ihren Verstorbenen [antun], keine göttliche oder heilige Ehre, sondern ein bürgerlicher und sittlicher Gebrauch. Also hat es uns der Kaiser K'ang-hsi schriftlich und mündlich erkläret, hat auch seine Erklärung zu dem Papst Clemens dem Ilten zu Rom geschickt. Nichtsdestoweniger ist gewiß, daß der Dienst des Himmels durch böse Leute, welche durch Rebellion zum Kaisertum gekommen, viel geändert worden sei, also daß sie aus ihren Herzen alle Gottesfurcht verjaget, und wenn sie dem Himmel geopfert, solches nur dem äußerlichen Schein nach getan, ohne Glauben, ohne Furcht und Andacht, nicht anders, als wäre der Himmel nur die blaue Decke mit den Sternen, welche nichts weiß, höret oder fühlet, wie die Erde unter unseren Füßen. Wie dann ein solcher Kaiser gewesen, welcher 5'
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um zu beweisen, was er für Mißglauben an den Himmel gehabt, einen ledernen Sack mit Blut angefüllet in die Luft [hat] hängen lassen und nachgehends Pfeile darein geschossen. Unter den Gelehrten sind auch viele gewesen, die angefangen haben zu lehren, daß kein Gott im Himmel sei, sondern daß nur diese Sterne und Wolken, Himmel mit der Erde, alles von ungefähr hervorbringen, wie in einem Kleide [von] ungefähr die Motten wachsen. Diese abenteuerliche Lehre haben sie von den Götzen genommen, denn ob sie [gleich] die Götter fürchten müssen und sie ehren, glauben sie selbst doch nichts weniger als an Götter oder einen Gott. Anitzo da in China alles, was Glaubenssachen betrifft, vermenget ist, [fallt] es einem Fremden sehr schwer, einen von seiner alten Religion mit guten Gründen zu dem wahren Gott zu bringen. Diejenigen aber, in deren Herzen diese alte Gewohnheit und Abgötterei erlöschen, sind leicht zum christlichen Glauben zu bringen, wenn sie nicht viel Weiber haben.
Das lOte Kapitel
Von den Wissenschaften und Künsten in China Ich gestehe gerne, daß die Wissenschaften in Europa zu größerer Vollkommenheit wie in Sina gekommen, daß aber die Wissenschaften in Sina älter als in Europa, ist nicht zu leugnen, denn vor Christi Geburt 2900 hat der Tatey schon die Musik gelehret und nach ihm Huangdi der 3te Kaiser, die Philosophie, sowohl was die guten Sitten betrifft als von der Natur Ursprung und Wirkung aller Dinge. Fohi hat den Anfang gemacht von der Arznei[wissenschaft], Xim Nun hat vor Christi Geburt 2700 Jahre das erste Kräuterbuch herausgegeben und nach ihm Huangdi das 1 te Büchlein von den Pulsen, Adern, wie auch von den Krankheiten der Menschen. Die Rechenkunst hat gedachter Huangdi [im] I657ten Jahr vor Christi Geburt in eine Ordnung gebracht und das Zahlbrett, wie es die Sineser und Russen anitzo brauchen, als erster gemacht. Die Sternseherkunst hat ihren Ursprung von dem Fohi, der Xun aber hat vor Christi Geburt Anno 2258 von Gold und Edelgesteinen die l t e Sphära oder Himmelskugel gemacht. Den Kalender hat eingesetzet der Kaiser Tschuenhis gegen das Jahr vor Christi Geburt 2513. Die Feldmesserei und Eisenwage ist den Ältesten schon bekannt 68
gewesen. Vor Christi Geburt Anno 2357 [regierte ein Kaiser], welcher viel verdorbenes Land zu Nutzen gemacht und seinen Untertanen ausgemessen hat. Von der Magnetnadel weiß man nicht, wann sie zuerst erfunden worden in Sina, allein man findet, daß im Jahr Christi 1100 Tschemum ausländischen und übers Meer gekommenen Gesandtschaften unter anderen Sachen die Magnetnadel gegeben, damit sie ihren Weg zurückfinden konnten. Was soll ich von den Handkünsten sagen? In Europa haben wir etliche, so die Sineser nicht haben, die Sineser aber haben andere hingegen, die wir in großem Wert halten. Also wenn wir sie in etlichen Sachen übertreffen, gehen sie uns in einigen anderen Dingen wieder vor, entweder des Alters oder der Geschicklichkeit wegen. Die Baukunst, das Malen, die Bildhauerei, das Glaswerk, das Schmelzwerk, die Goldschmiedekunst und Waffenschmiederei sind zwar in Europa besser, hingegen ist in China die Webekunst, Papiermacherei, das Gießen in Metall und das Porzellan wiederum bei ihnen so schön, daß sich ein Europäer wohl darüber verwundern muß. Hierbei ist zu merken, daß die Sineser schon lange vor den Europäern Stücke [Kanonen] und Schießpulver gehabt, denn man findet in ihren Jahrbüchern, daß Mankolan, ein kluger und treuer Meister des Kaisers Hiente, in den Kriegszügen Stücke und Pulver gebraucht hat, teils damit die Losung zu geben, teils damit Steine in des Feindes Lager zu werfen, in den Jahren nach Christi Geburt Anno 190 bis 220. Dannenhero es ein großer Fehler ist, wenn man in den europäischen Büchern findet, daß die Jesuiten zuerst den Sinesern Stücke zu gießen gelernet. Es ist zwar wahr, daß die Sineser diese Kunst nicht hochachten oder geachtet haben, indem sie alte Stücke in ihren Zeughäusern haben verrosten lassen, auch keine Leute gehabt, welche dero Gebrauch verstanden, doch haben sie allezeit Pulver gehabt, womit sie schöne Lustfeuerwerke gemacht. Die Portugiesen aus der Stadt Macao haben auf Anhalten und Bitten des Kaisers Xicum 6 metallene Stücke nebst noch 10 wohl erfahrenen Kriegsmännern nach Peking gebracht, welche allda neue Stücke gegossen, weilen die alten sinesischen Stücke plump und untauglich waren. Dieses ist geschehen im Jahr nach Christi Geburt 1580, und im Jahr 1621 haben die Holländer, nachdem sie das vergangene Jahr der Portugiesen Stadt Macao, auf einer sinesischen Insel gelegen, zu Wasser und [zu] Lande umsonst belagert, den Sinesern etliche Stücke verkauft und ihnen mehr zu verkaufen angeboten. Endlich aber zwischen 1670 und 1680 hat der Tui Ferdinandus dem Kaiser K'ang-hsi etliche gute Stücke gegossen, wobei es geblieben. 69
Im übrigen würde des Erzählens kein Ende werden, wenn man alle ihre Curiosa herrechnen wollte. Ihre größte Kunst aber bestehet darin, daß sie alles, was sie sehen, mit leichter Mühe nachmachen können, als zum Exempel: Vor einigen Jahren verkaufte ein Sineser einem Spanier viel Seide und nahm dafür spanische Taler ein. Über einige Tage kommt der Sineser an das Schiff, beklaget sich, daß er die Seide, so er versprochen, nicht zuhänden bekommen könne, bittet den Spanier, er möge sein Geld wieder zurücknehmen und die Seide bei anderen nach seinem Wohlgefallen kaufen. Der Spanier weiß keinen Argwohn zu fassen, weil er die Taler vor seinen Augen siehet, nimmt 1000 zurück. Wie er aber andere Seide kaufen will, ist kein Sineser, der die Taler nehmen will. Er schneidet etliche 20 [Taler] in Stücke und befindet, daß sie alle neugemachte falsche Taler waren.
Das 11 te Kapitel Von der Sittenlehre der Chineser Gleich wie bei den alten heidnischen Weisen in Graecia, Ägypten, Arabia, in Persien etc. gute Sitten und Lehren gefunden worden, also auch und viel mehr bei den Chinesern, sonderlich weil sie den rechten Gott von altersher erkannt haben. Das ganze Hauptstück ihrer Sittenlehre bestehet darin, daß jedermann wisse und halte die 5 Ordnungen, welche sind: erstlich ein Freund gegen den anderen, 2tens der Lehrjunge gegen seinen Meister, 3tens der Bruder gegen seinen erstgeborenen [Bruder] wie auch gegen Vater und Mutter, 4tens die Eheleute gegeneinander, 5tens die Untertanen gegen ihren Kaiser und alle nachgeordnete Gewalt. Was gehöret nun einem mehr zu tun als diese 5 Stücke, nämlich die Schuldigkeit der Menschen gegen Gott, welches das 6te Stück ist, zu observieren. Diese obenangeführte Lehre aber ist allhier in sehr gutem Gebrauch, und wäre zu wünschen, daß auch in christlichen Landen ein so großer Gehorsam der Lehrjungen gegen ihre Meister, der Kinder gegen ihre Eltern, der Ehefrauen gegen ihre Männer, der Untertanen gegen ihre Herrschaft gefunden würde. Es ist eine solche Liebe, Guttätigkeit und Gehorsam der Kinder gegen ihre Eltern, daß sie zuweilen 3 Jahre fasten, den Himmel zu bitten, er wolle der Mutter Blut und Kräfte wieder ersetzen, als sie in der Geburt verloren und in der Milch, womit sie das Kind gesäuget. Es geschiehet 70
auch, wenn sie arm sind und nichts haben, womit sie die kranken Eltern laben können, [daß sie] Fleisch von ihren eigenen Leibern schneiden und den Eltern unwissend zu essen geben. Vater und Mutter verheiraten die Kinder nach ihrem Gutdünken, und ist kein Kind, das das geringste dawider sprechen sollte. Vater und Mutter bedienen sich der Kinder und Kindeskinder zu ihrem Dienste, und ist keiner, der ihnen alles dieses versagen sollte. Wenn die Eltern in Armut geraten, verkaufen sie ihre Kinder, und die Kinder wenden allen Fleiß an, sich wieder loszukaufen, damit sie wieder in ihrer Eltern Gewalt kommen und ihnen dienen können. Alle Befehlshaber bis auf die Vizekönige und Generale müssen ihre Ämter ablegen und 3 Jahre zu Hause trauern, wenn ihnen etwa Vater oder Mutter abgestorben ist. Täglich geschiehet es, daß die Kinder Haus und Hof, ja gar sich selbst verkaufen, damit sie die Kosten zur Beerdigung ihrer Eltern zuwege bringen. Noch etwas ist zu loben, welches in Europa gar schlecht observieret wird, nämlich die ehrbare Schicklichkeit, der Anstand des Frauenzimmers, denn dieses ist in seinen Häusern verschlossen, wohnet, ißt und arbeitet allein, ohne daß es von einer Mannsperson gesehen wird. Wenn das Hof-Frauenzimmer ausfahrt, werden alle Gassen, da es durch muß, geschlossen und darf keine Mannsperson bei Lebensstrafe sich in dem Wege sehen lassen. Wenn es sich von ungefähr fügte, daß einer in dem Felde dem Zug des Frauenzimmers begegnete, ja wenn es auch nur ein einziges Frauenzimmer wäre, so muß er spornstreichs zurücklaufen, und sollte er nicht entlaufen können, muß er sich mit dem Angesicht auf die Erde legen, solange bis sie vorbei sind. Das tartarische Frauenzimmer fahrt bisweilen auch aus, seine Freunde und Verwandten zu besuchen, allein sehr selten. Gehet auch etwa zu Fuß, seine Aufwartung bei den Frauenzimmern im Palast abzulegen. Man siehet auch bisweilen sehr arme Weibsbilder entweder ihrer Herren Dienste oder ihrer eigenen Notdurft auf den Gassen nachzugehen, aber mit solcher Ehrbarkeit, daß sie kein Mensch hindert oder [ihnen] mit einem Worte zurufet. Alle geben ihnen Ehre, weichen ihnen [aus] und lassen sie in Frieden gehen. Nun möchte man fragen, ob denn kein Frauenzimmer in China seine Ehre vergäße, so taugt zur Antwort, daß ich nur davon rede, was öffentlich und nicht insgeheim in den Häusern geschiehet. Sonsten gehen eben wohl unter soviel heidnischem Volke, soviel tartarischen Soldaten und soviel armem Frauenzimmer viele Unordnungen vor, welche aber die Obrigkeit wie auch Hausväter und Hausmütter 72
soviel [als] möglich zu verhindern sich angelegen sein lassen. Zudem haben alle Gassen ihre Gattertore, welche alle Nächte geschlossen und mit Wachen bei jedem Gatter versehen werden. Durch welches Mittel nicht allein Unruhe, Dieberei und andere Ungelegenheiten auf den Straßen vermieden werden, sondern auch nachgesehen wird, daß Junge Leute bei der Nacht nicht aus einem Haus ins andere laufen. Diese obengemeldete Sittenlehre nun bringet in diesem Reiche eine so große Ruhe und Frieden, als wenn alle Leute von einer Familie wären. Man hört in vielen Jahren nicht, daß in Peking ein Mord geschehen oder auf den Gassen begangen sei. Millionen Personen handeln und wandeln, reiten, fahren und gehen auf den Gassen und gehet alles so wundersam stille her, daß ein jeder seinen Weg ohne Schelten, ohne Fluchen, Balgen und Streiten fortsetzet, und wenn ja einer mit dem anderen einen Zwietracht anhebet, ist alles in einem Vaterunserlang ausgemacht. Die Wachen, so einen Pfeilschuß voneinander stehen, machen gleich Frieden ohne Gewehr und ohne Schelten. Wenn es ja hoch kommt, so gibt es etliche Streiche mit der Karbatsche. Wenn man die verurteilten Personen auf den Richtplatz führet durch die Gassen, da soviel 1000 Menschen weilen, brauchen sie nur 6 ä 8 Soldaten, die mit Karbatschen vornean gehen, um Platz zu machen. Keiner ist, der den Gefangenen zurufet, eine Hindernis verursachet oder gedenket, sie durch die Flucht zu retten. Die Blutsfreunde gehen zuweilen mit und tragen ein weißes Kleid unter den Armen, welches sie dem, der hingerichtet werden soll, anlegen, sobald die Exekution geschehen. Alles dieses geschiehet ohne Geschrei, Unordnung und Tumult.
Das 12te Kapitel Von der christlichen Religion in China Es ist zu glauben, daß der Heilige Apostel Thomas nach Christi, unseres Herrn und Heilandes, Leiden und Heiligem Kreuztod das lte Evangelium geprediget habe. Innerhalb Sinas befindet man hierüber wenig Zeichen oder Wahrscheinlichkeiten, aber in Indien an dem Orte, den die Portugiesen St. Thomas heißen, sind alte Schriften gefunden worden, aus welchen glaublich ist, daß St. Thomas nicht allein an selbigem Orte, den man sonst Colurmina 11 nennete, gelebet und um der Liebe Christi willen den Tod gelitten habe, sondern auch, daß er von Colurmina aus Indien nach China gekommen 73
und von dort wiederum zurück, aber der christliche Glaube ist wiederum verloschen. Sechshundert und etliche Jahre nach Christi Geburt sind aus Syrien Priester des wahren Gottes nach Sina gekommen, das Evangelium zu predigen und sind von dem Kaiser T'ai-tsung [628—649] gütlich aufgenommen worden. Man lieset in der Sineser Bücher, daß einige von ihnen rote Haare und graue Augen gehabt. Wie lange sie in China geblieben, ist unbewußt. Der Sineser Bücher sagen, der Kaiser T'ai-tsung habe ihnen in der Hauptstadt Peking einen Tempel bauen lassen. Sie haben auch in einem Gotteshause in der Stadt Ginganfu, so in der Provinz Shensi lieget, [im Jahre 781] einen großen Marmorstein aufgerichtet, in welchen sie mit syrischen Buchstaben die Hauptpunkte der christlichen Religion auf beiden Seiten eingehauen wie auch ihre Namen, derer 72 an der Zahl gewesen. Wo aber diese 72 Prediger des Evangelii hingekommen, ist unbewußt. Dieser Marmorstein ist einige 100 Jahre mit Erde bedecket gewesen, bis er Anno 1625 wieder gefunden worden, wovon ich nachmals weiter reden werde. Im übrigen ist das Heilige Evangelium fast verloschen, wenn nicht etwa die Kreuzanbeter, wovon ich oben gedacht, übrig wären. Es ist aber wohl zu merken, daß des Kaisers T'ai-tsung Geburtslinie, T'ang genannt, von einem Rebellen über 200 Jahre nach des Kaisers T'ai-tsung Tode ist vertilget worden und bei diesen über 100jährigen Troublen alles drunter und drüber gegangen. Zum 3ten Mal ist der christliche Glaube mit den gegen Abend gelegenen [Tartaren] nach Sina gekommen, die man sonst Mandschu oder Mongolen nennet. Denn wie Marcus Paulus Venetus [Marco Polo aus Venedig] erzählet, daß der tartarische Khan Kubilai oder Kushur viele gute Soldaten gehabt habe, die Christen gewesen seien und mit ihm nach Sina gekommen [Mongolenherrschaft seit 1271], Daß aber etliche Männer aus dem Jesuiten- und einige aus dem Dominikaner-Orden durch Persien gekommen und diesen Tartaren das Evangelium geprediget, findet man in unterschiedlichen Büchern. Endlich im Jahre Christi 1549 hat der heilige Mann Francisco Xavier in Indien in der Stadt Goa [. . . Lücke im Text. . .] worden und Paulo Auper genannt Kundschaft von dem Kaisertum China bekommen, und deswegen nach Lissabon in Portugal und nach Rom in Welschland geschrieben, damit man ihm Priester und Gesellen schicken möchte, mit welchen er dieses Kaisertum bekehren wollte. Im Jahre 1552 ist er persönlich von Goa aus Indien nach China geschiffet und in einem Sineser-Port, Chang-tchoan genannt, ange75
kommen, allwo er etliche 60 Mohammedaner getaufet. Von dannen hat er sich mit etlichen portugiesischen Kaufleuten zu der Sineser-Insel Santo chuang begeben, um alldort Gelegenheit zu erwarten, wie er in dieses Kaisertum kommen möchte. Er ist aber in selbigem Jahr auf eben derselben Insel 36 Meilen von Kanton den 2ten Dezember am hitzigen Fieber gestorben, und sein Grab wird annoch alldorten verehret. Anno 1555 ist ein anderer Pater Jesuit mit Namen Nunez Barreto von Goa aus Indien mit 6 Gesellen gegen China gefahren und hat das Glück gehabt, daß ihn die Sineser haben aufgenommen in der Hauptstadt der Provinz Camao oder Kanton, und obgleich er der Sprache nicht kundig gewesen, hat er doch einen seiner Gesellen in selbiger Stadt gelassen, um sie zu erlernen. Er selbst aber ist mit den anderen nach Japan gereiset. Zur selbigen Zeit war China den Ausländern sehr hart verschlossen, derowegen kaum möglich war, das Evangelium zu predigen, auch sogar, daß die portugiesischen Kaufleute, die dahin handelten, nur des Tages frei hatten, in der Stadt ihr Gewerbe zu treiben, des Nachts aber auf ihren Schiffen [sein] mußten, derowegen die Portugiesen sich bemühet, einen Platz am Ufer des Meeres von den Chinesern zu kaufen, wo sie einige Wohnungen zu ihrer Bequemlichkeit aufbauen konnten. Anno 1557 haben die Portugiesen einen Port an der Insel Amaeno von den Chinesern erhalten und alldort eine neue Stadt zu bauen angefangen, die sie die Stadt von dem Namen Gottes genannt. Nun heißen sie sie insgemein Macao und ist über 400 teutsche Meilen von Peking [entfernt]. Anno 1560 sind 3 Patres Jesuiten namens Balthazar Gago, Emmanuel Texeira und Francisco Perez angekommen. Diese haben in der neuen Stadt ein christliches Haus gebauet, teils damit sie die Chineser, welche nach Macao handelten, zum christlichen Glauben bringen möchten, teils damit sie in der Nähe Gelegenheit ersehen konnten, wie sie mit dem heiligen Evangelium in das Innerste des Kaisertums hineindringen könnten. Von 1560 bis 1579 sind zu Macao etliche Sineser Christen geworden. Anno 1579 hat man die Hand angeleget, daß endlich dem Evangelium das Tor geöffnet würde. Anno 1583 ist es dazu gekommen, daß 2 Jesuiten, Pater Michele Ruggieri und Pater Matteo Ricci in China [sind] eingelassen worden. Von derselben Zeit an sind allezeit mehr und mehr nachgefolget, bis auf den heutigen Tag. Doch sind wir niemals fest in China und haben [zu] unterschiedlichen Malen Verfolgung der Heiden leiden müssen, denn das Wort des Evangelii muß auch von uns erfüllet werden, 76
und wie der Herr Christus seinen Aposteln vorhergesaget, daß die Heiden, Juden und falschen Herzen die Prediger des Evangelii werden fangen, schlagen und töten. Also müssen wir diesem uns nicht entziehen, wenn wir uns den anderen Spruch unseres Heilandes zueignen wollen, da er saget: „Selig seid ihr, wenn sie euch verfolgen um meines Namens willen". Anno 1615 hat ein Minister in China mit Namen Shen-kio eine Verfolgung der Prediger des Evangelii angestellet, also daß einige sich aus Furcht haben verbergen müssen. Einige sind nach einigen von den Soldaten empfangenen Streichen in einer kleinen Festung bei der Langen Mauer eingezogen und als Verbannte traktieret worden. Einige sind, in hölzerne Käfige wie wilde Tiere eingeschlossen, nach Peking und also verschlossen über 400 Meilen mit nach Macao geschickt [worden], wo sie wegen so großer Not, die sie [auf] einem so langen Wege ausgestanden, bald gestorben. Endlich hat Gott ein Mittel gegeben, nämlich daß der Minister von seinem Amte verstoßen und die Prediger wieder eingelassen wurden. Anno 1637 sind wieder 7 Personen aus dem Reiche verjaget [worden], mit großer Gefahr der anderen. Es sind auch in den Jahren [16]40, 41 und 42 hier und dort einige ums Leben gekommen, so daß man kaum hat wissen können, warum sie getötet. Anno 1664 und 65 hat einer von den 4 Gouverneuren, welche in der Kindheit des K'ang-hsi regieret, alle Prediger des Evangelii aus dem ganzen Reich, derer zur selbigen Zeit 30 gewesen, zu Peking in den Kerker einschließen lassen. Den Pater Adam Schall hat er verdammet, daß er in 100 Stücke sollte zerrissen werden als ein Rädelsführer einer bösen Religion. Die anderen hat er geheißen, aus dem Reiche zu vertreiben. Gedachter Pater Adam ist im Kerker gestorben [tatsächlich nach seiner Entlassung]. Die anderen sind alle nach Kanton geschickt [worden], ausgenommen Pater Dominico Coronado, ein Dominikaner, welcher im Kerker gestorben. Diejenigen, so verschickt waren, haben alldort einige Jahre in einem verschlossenen Hause unter einer Soldatenwache leben müssen, bis Gott des jungen K'ang-hsi Herz regieret und ihm eingegeben, daß er alle die Prediger wiederum zu ihren Kirchen lassen sollte. Aber 3 sind in dem Elend gestorben, ehe sie des jungen Kaisers Gnade erreicht hat. Anno 1691 hat ein Vizekönig mit Namen Tochonius Puncke in der Provinz Chekiang sich wider das Evangelium aufgelehnet und zu Peking bei dem Lipu falsche Klagen eingebracht, welche soviel vermochten, daß der Lipu oder Zeremonienrat seine Sentenz gege78
ben, die christliche Religion in China bei Lebensstrafe zu verbieten und die christlichen Prediger aus dem Reiche zu vertreiben. Diese Sentenz hat der Kaiser K'ang-hsi erstlich für gültig erkläret, nachmals aber Anno 1692 widerrufen und die christliche Religion im ganzen Reiche freigegeben. Letztlich Anno 1712 im Monat Januar hat ein Doktor mit Namen Fan, einer aus dem Kalao oder Fiscalen [Staatsrat], Klagen wider die christliche Religion bei dem Kaiser eingegeben, doch ohne Schaden, von welchen Klagen ich insbesondere melden will [Kap. 13], damit sie die rechte Wahrheit wissen mögen. Bisher habe ich von lauter traurigen Verfolgungen geredet, damit man sich nicht verwundern möge, wenn etwa über ein und etliche Jahre, sonderlich nach dem Tode des Kaisers K'ang-hsi, ein neuer Sturm sich erreget, denn wir sind mit den Christen wie wenige Schäflein unter vielen Wölfen. Nun folget weiter von unserer Arbeit und von der Frucht derselben oder die Bekehrung der Seelen. Die lten 10 oder 12 Jahre hat der Pater Ricci mit seinen Gesellen viel gearbeitet, aber wenig gewonnen. Die Ursache unter anderem war, daß sie der Eigenschaft des Landes und der Natur der Leute noch nicht kundig genug waren. Die lten Jahre haben sie sich wie arme Geistliche gehalten in Kleidung, Speise und Wohnung, in Demut, Sparsamkeit und Verachtung der Welt mit geschorenen Haaren und Bärten wie diejenigen, so die Sineser ihrer Götzen geistliche Diener nennen. Endlich ist der Pater Ricci von etlichen guten Freunden unterrichtet worden, daß kein Gelehrter, kein Befehlshaber oder Edelmann sie [anjhören werde, viel weniger etwas von ihnen lernen, wenn sie [sich] nicht in der Kleidung und Hausordnung den Gelehrten gleich hielten, deswegen er die Kleidung geändert und sich dem Stande der Gelehrten gleich gekleidet. Woraus erfolgete, daß alle großen Herren ihn zu sich gelassen, seine Bücher, die er in chinesischer Sprache hat drucken lassen, durchgesehen und ihn gern gehöret haben, wenn er von Gott geredet. Eben auf diese Weise haben es alle seine Gesellen auch gemacht, und weilen, wo einer ist, der ein Christ werden will, sich wiederum etliche 1000 finden, die Heiden bleiben und man doch der Heiden Gunst bedarf, haben sie nicht allein Bücher von der Lehre Christi für die Christen geschrieben, auch einige von der Mathematik und anderen Wissenschaften ausgehen lassen, den Heiden damit Gelegenheit zu geben, nach den Predigern des Evangelii zu fragen und sie zu hören. Darauf ist die Frucht gefolget, daß ein Minister des 79
Reiches, etliche Verschnittene aus dem Palast des Kaisers, etliche sinesische Doktoren und bei 3000 aus dem Volke den christlichen Glauben angenommen haben bis gegen das Jahr 1614. Anno 1615 aber ist die Verfolgung angegangen, wie ich oben gesagt. Jedoch weilen unsere Bücher von der Sternkunst und anderen mathematischen Wissenschaften, die wir in chinesischer Sprache haben ausgehen lassen, in Sina geblieben, haben sich viele große Herren über die europäischen Wissenschaften verwundert und dahero verlanget, Europäer wiederum zu bekommen, sonderlich zweier Ursachen halber: llich, weilen die Unseren erwiesen, daß ihre [die chinesischen] Kalender falsch [seien] und doch keiner in Sina gefunden [werden konnte], der es hätte verbessern können — die andere, weilen sie innerhalb des Reiches mit den Rebellen, außerhalb aber mit den Tartaren im Kriege gestanden und wegen eines 30jährigen lange vorher gemachten Friedens die Kriegswissenschaften vergessen. Deswegen sie bei dem Kaiser angehalten, daß er sowohl weise Leute in der Sternsehkunst als [auch] gute Soldaten und Büchsenmeister von den in Macao wohnenden Portugiesen begehren sollte, welches der Kaiser getan. Und mit dieser Gelegenheit sind Anno 1620 3 Patres, nämlich Adamus Schall, ein Teutscher, Jacques Rho, ein Italiener, und Johann Terentius [latinisiert aus Schreck, auch: Terrenz], ein Teutscher, den Kalender zu bessern, 6 Büchsenmeister und hundert tapfere Männer, alle portugiesische Soldaten [nach China gekommen. Ihre Namen] findet man noch zu Peking und anderen Orten in China teils auf ihren Gräbern, teils auf den Stücken, so sie gegossen, wovon ich kurz Meldung getan. Mit diesem Dienste nun sind die Europäer bei den Chinesern in einen Wert gekommen und haben das Ansehen gewonnen, daß weilen sie so verständige Leute wären und in gutem Wandel beständig verblieben, ohne daß sie Reichtum und Ehre suchten, sondern täten alles [er]bitten, um ihren Glauben an Gott unter den Völkern auszubreiten, müßte ja wohl die europäische Religion die werteste sein, sonderlich, weil sie gelesen in unseren Büchern, daß unser Gott derjenige Gott sei, welchen ihre Vor- und Ureltern vor Zeiten, [nämlich] Fohi, Kian und Huangdi, nach den Sitten der Gelehrten erkannt und angebetet haben. Inwendig in unseren Häusern waren die Kirchen gebauet, und die Christen gingen durch unsere Hauspforten in die Kirche. Dann, weilen wir etliche Freunde gewonnen hatten, haben Neid und Haß mit dem höllischen Widersacher uns viele Feinde gemachet, daß es das Beste gewesen, gemach tun im Christen gewinnen. 6 Lange, China
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Anno 1625 ist der Stein, den die syrischen Priester, wie oben gesaget, aufgerichtet, [von] ungefähr aus der Erde gegraben worden. [. . . Lücke im Text. ..] derer in der Provinz Honan, Shensi und anderen von 1640 bis auf 1644 viele in den Kriegstumulten gestorben. Es sind auch viele Sachen unter den Christen vorgegangen, welche ohne göttliche Miracula nicht haben geschehen können, wodurch die Christen in ihrem Glauben bestätiget und so eifrig geworden, daß sie selber ihren Landsgenossen vorgeprediget. Nachdem aber Ch'ung-chen Kaiser geworden, hat er den Pater Adam Schall zum Präsidenten über die Mathematik und Kalenderkunst gemacht, welches ihm der Pater dreimal abgebeten [abgelehnt], sagend, er habe schon 10 Jahre den Kalender gemachet und andere Sineserdie Kunst gelehret, aber weil er ein Ausländer und Christ, gezieme es ihm nicht, den Titel und das Amt anzunehmen. Aber Ch'ung-chen hat ihm geantwortet, es sei bei den Tartaren nicht gebräuchlich, daß man dem Willen seines Herrn widerstehe, und sei ein schlechter Unterschied zwischen einem Rebellen und einem solchen, der seinen Dienst durch Hartnäckigkeit ihm verweigere. Dadurch ist der Pater gezwungen worden, das Amt und den Titel anzunehmen [1644]. Dieses Amt nun hat der Religion ein vieles gefruchtet, da in faveur des Paters Adam sind allezeit andere Prediger nach China gekommen, also daß, wenn sie in den Provinzen gesaget, sie wären Brüder des Paters Adam und haben seine Briefe vorgewiesen, hat kein Befehlshaber Hand an sie geleget, sondern sie in Frieden predigen lassen. Derowegen die Christenheit dergestalt gewachsen, daß der Pater Francesco Brancati in der Provinz Nanking über 40.000 Christen gemacht. Den so glücklichen Fortgang des Heiligen Evangelii hat der höllische Feind verhindern wollen, wozu er einen Sineser namens Yang Kuang-hsien und einen Mohammedaner Kuri, alle beide in der Mathematik gelehrt, gebraucht. Dieser erstliche hat mit dem Grafen Suksaha, welcher einer der 4 Gouverneure des Reiches war, die lte Klage wider den Pater Adam geschmiedet, nämlich, daß er in der Kalenderkunst gefehlet und eine neue Religion habe einführen wollen, und unter dem Deckmantel der Religion Anlaß habe geben wollen [zu Unruhen?]. Der Kaiser K'ang-hsi war damals ein Kind. Die Gouverneure aber hatten den Pater abgesetzt und zum Tode verdammet, den Yang Kuang-hsien und Kuri ins Amt gesetzet. Es hatte aber Gott beliebet, daß als die Sentenz wider den Pater sollte vollzogen werden, in Peking die Erde gebebet hat, so hart, daß viele Gebäude eingefallen, und 82
das Volk gerufen, die Erde gebe von der Unschuld des Paters Adam Zeugnis. Auf dieses Wunder [hin] sind alle Gefangenen aus dem Kerker losgelassen [worden]. Der Pater Adam ist nach etlichen Monaten auch losgekommen, aber bald darauf gestorben. Die Kalendermacherei ist bei Yang Kuang-hsien und Kuri geblieben, aber mit großen Fehlern, denn als der Pater Adam noch im Kerker war, haben sie eine Finsternis gesehen, welche nach ihrer Rechnung 4 Stunden [früher oder später?] hätte kommen sollen, mit der Rechnung des Paters Adam aber genau übereingekommen [ist]. Nach des Paters Tod haben sie in einem Jahr 3 Äquinoktien, d.i. 3mal Tag- und Nachtgleiche, gesetzet. Dieser Fehler hat allen in der Nase gerochen. Derowegen der junge Kaiser K'ang-hsi die Europäer wiederum [hat] wegen des Kalenders fragen lassen. Und weil er den Pater Ferdinand Verbiest, der etliche Jahre Paters Adam Geselle gewesen, in dieser Wissenschaft wohl erfahren gefunden, hat er ihm das Amt anbefohlen, Yang Kuang-hsien, Kuri und andere ihres Anhanges [aber] ins Elend verschicket. Was gemeldet wird, ist von 1655 bis gegen das Jahr 1670 geschehen, da noch kaum 30 Prediger in China waren. Dieses neue Amt nun hat wiederum den Weg gebahnet. Anno 1663 sind etliche neue Prediger aus der Franziskaner Orden wieder angekommen. Anno 1680 2 Augustiner, Anno 1684 drei Clerici und also mit der Zeit sowohl Prediger und Christen wie auch Kirchen Gottes gewachsen an der Zahl, daß gegen das Jahr 1680 ihrer insgemein 160000 [Christen] gewesen. Die Jesuiten haben 170 Kirchen gehabt. Anitzo ist die Zahl größer. In Peking und um Peking herum sind ungefähr 10000 Christen, wenn man Weiber und Kinder dazuzählet. In der ganzen Provinz von Peking 16000 außer den 6000 zu Peking, von welchen kaum 7 oder 800 [sind], welche alle Sonntage zur Kirche kommen und den Gottesdienst abwarten können. Die anderen wohnen weit, sind Soldaten, Leibeigene, alte Weibspersonen und Kinder, welche nicht aus dem Hause, aus ihres Herrn Dienst gehen können. In Peking haben wir 3 Kirchen und die 4te für die Weiber, denn nach des Landes Art können Männer und Weiber in einer Kirche nicht zusammen [sein], weilen die Sineser-Frauen gar selten aus ihrem Hause gehen. Den Christen ist bestimmt ein Monat im Frühling und ein Monat im Herbst, daß sie die Messe hören, beichten und kommunizieren können, welchen Gottesdienst sie mit großer Andacht verrichten. Unserer Christenheit bestes Kleinod zu Peking sind die unschuldigen Kinder, welche von ihren Eltern weggeworfen, von uns aber aufgenommen und nach der göttlichen Vorsehung die Heilige Taufe 84
und mit dieser das ewige Leben bekommen. Ich habe schon oben gesaget, daß in Peking wegen Unlust, die Kinder zu erziehen, oder aus Armut oder aus anderen Ursachen 30 bis 40000 Kinder in einem Jahr weggeworfen werden. Für diese armen Kinder ist ein Hospital, wohin sie auf Karren geführet werden, so man sie bei den Toren im Stadtgraben findet. Doch werden von 3000 nicht 1000, ja kaum 300 zurechtgebracht. Das Wetter ist oft kalt, der Weg weit, die Sorge klein, die bestellten Leute unfleißig etc. Diesen armen unschuldigen Kreaturen zu helfen, haben wir einige Christen bestellet, welche alle Tage bei der Stadtpforte aufwarten und nach Gelegenheit diese Kinder taufen, soviel sie können, und [von] diesen Kindern werden von denen dazu bestelleten Christen alle Jahre 3 bis 4000 getauft, welches uns ein großer Trost [ist] und genügt, alle Mühe und Arbeit, die wir in des Kaisers Dienst ausstehen, zu bezahlen. Weilen aber dieses Schreibens zuviel werden dürfte, breche ich ab und setze nur kürzlich noch einige Sachen hinzu. Das Heilige Eyangelium nach St. Thomas' Zeiten, nach den syrischen Priestern, nach den Zeiten der Christen, die mit den gegen Abend gelegenen Tartaren nach China [ge]kommen zur Zeit des Tartaren-Khans Kubilai, ist wiederum angegangen durch Francisco Xavier Anno 1552 nach Christi Geburt, danach [durch] unsere 2 Patres Ruggieri und Ricci. Anno 1683 bis 1712 sind aus unserer Gesellschaft [Societas Jesu, S. J.] Jesuiten nach China gekommen, das Evangelium zu predigen 249, ohne andere 127, die auf dem Meere durch lange Fatiguen gestorben sind. Aus dem Orden der Dominikaner
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aus dem Orden der Franziskaner
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aus dem Augustiner-Orden
17
aus dem geist- und weltlichen Orden der Clerici ungefähr . . .
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In allem ist die Summe
400
Im Jahre 1705 im Monat April ist Herr Charles Thomas Maillard de Tournon, ein zu Rom gemachter Patriarch zu Antiochia, Nuntius Apostolicus visitator etc., in China angekommen und von dem Kaiser K'ang-hsi wohl empfangen und gehalten worden. Weilen er aber gar zu hitzig nach seinem Sinn gehen wollte und die Gebräuche des Landes [nicht kannte, . . . Lücke im Text. . .] nach Rom schicken und des Papstes Antwort hätte erwarten sollen, so ist, ehe man zu 85
Rom gewußt, was in China geschehen, der Herr Kardinal de Tournon [krank] geworden und zu Macao gestorben den 10. Januar 1710. Wäre dieser Herr in China geblieben, wären wir wirklich in China 150 Prediger, aber von 1705 bis 1712 sind über 80 abgegangen, denn einige sind gestorben, einige wiederum zurück nach Europa [ge]gangen, etliche sind mit obengedachtem Herrn Patriarchen aus dem Reiche vertrieben, weilen sie nach seinem Willen die gewöhnlichen Zeremonien nicht haben zugeben wollen, so die Chineser gegen ihre Verstorbenen gebrauchen, obwohl [Papst] Alexander der 7te solches den Christen zugelassen. Und solange haben wir Prediger es auch zugegeben, bis von dem jetzigen Papst Clemens eine sichere Antwort käme. Nun sind in China noch ungefähr 50 Jesuiten, 15 Franziskaner, 2 Dominikaner und 2 Clerici verborgen. Mit uns an dem Hofe sind 2 Clerici und ein Augustiner. Im Monat Mai hat der Kaiser verlauten lassen, daß keiner von uns im Reich bleiben könnte, sofern wir die schon oben erwähnten Zeremonien verbieten würden. Derowegen wir in großen Sorgen und Furcht leben, es möchte das Heilige Evangelium wiederum verloren gehen, wie es nach den Zeiten St. Thomas' ergangen.
Das 13te Kapitel Von der Klage, die im Januar-Monat 1712 wider die christliche Religion bei dem Kaiser eingebracht worden In der Provinz Peking ist eine Stadt 3ter Ordnung, die sie Hien heißen, sie nennen sie auch Wengan. In dieser wohnen von altersher 2 Familien, deren eine Fan, die andere Pu genannt wird. Und in dem Hause Fan befindet sich ein Knabe, dessen Vater, ein Doktor, nebst dem Ahnherrn oder Urälter-Vater. Der Ahnherr ist ein Kalao, [das] sind Leute, die die Sitten in China regulieren und Macht haben, jedermann anzuklagen. [Sie müssen jeden] anhören, sehen und allein leben nach der Manier der Gelehrten. Die Mutter und anderen Weibsbilder sind den Abgöttern zugetan. Es ist [ferner] eine Familie, so Zing genannt wird, und christlich ist. Der Mann heißet Zing Joseph, die Frau Maria, die älteste Tochter Agatha, ein Söhnlein Petrus, das kleinste Kind Amai. Zing Joseph, ein Kavalier, ist von dem Doktor Fan gebeten worden, seinen Sohn Fan in den chinesischen Büchern zu lehren. Joseph hat seinen Lehrjünger wohl unter86
richtet, mit großer Freude seiner Eltern, welche, weilen sie die Tugend und Treue des Zing Joseph vermerket und anderswoher vernommen, daß er eine kleine Tochter habe, die sehr schön von Gestalt, wie auch verständig und geschickt im Lesen und Schreiben wäre, ihm angeboten haben, eine Heirat zwischen ihrem Sohn und seiner Tochter zu stiften. Josephus hat eingewendet, daß sein Haus arm und seine Tochter eine Christin sei und er derowegen lieber arm bleiben wollte, als wegen seiner Armut und des christlichen Glaubens Ungelegenheiten zu erwarten. Der Doktor Fan hat dieses zu Rat gezogen und sowohl der Vater als Angehöriger hat eingewilliget wie auch die Mutter, daß Josephi Tochter bei ihrem christlichen Glauben bleiben sollte. Und nicht lange danach [wurde] die Versprechung vollzogen, wie auch der Mahl-Schatz [das Brautgeschenk] und der Ring Joseph und seiner Tochter zugeschicket, daß, sobald gute Gelegenheit vorfallen würde, Braut und Bräutigam sollten vereiniget werden. Sie waren beide noch nicht mannbar, derowegen sie noch 3 Jahre warten mußten. Unterdessen hat Zing Joseph seine Tochter Agatha mit Fleiß in den Glaubenssachen unterrichtet, damit sie standhaft sein möchte, wenn etwa die Schwiegermutter oder sonst ein anderer sie zu den Abgöttern abwendig machen wollte. Im Jahre 1711 im Monat November, als der Jüngling Fan 18, Agatha aber 17 Jahre erreichet, ist Agatha zur Hochzeit in des Doktor Fan Haus getragen worden, da sie eine gescheite, schöne und tugendhafte Tochter sahen. Sonderlich aber war die Schwiegermutter sehr wohl zufrieden. Den Tag hat man mit gewöhnlichen Zeremonien zugebracht. Auf den Abend, als Agatha in ihr Brautzimmer gehen soll, kommt die Schwiegermutter und will, daß Agatha vorhero den Götzen Rauchwerk anzünden soll, damit sie ihr gutes Glück und Fruchtbarkeit geben möchten. Agatha entschuldiget sich, sagend, sie kenne die Götter nicht, und bittet, man sollte sie bei ihrem Glauben lassen. Dieses hat die Schwiegermutter etwas verdrossen, doch um andere Ursachen zu vermeiden, hat sie die fromme Agatha hineingehen lassen. Nach etlichen Tagen hat sie ihrem Sohn angelegen, daß er sein junges Weiblein in die Schule führen [unterrichten] möchte und sie dazu bringen, daß sie nach der Schwiegermutter [Vorbild] die Götzen anbetete. Dieses war dem Sohn nicht ums Herz, weilen er seine Agatha sehr liebete und von der Agatha Vater schon unterrichtet war, daß die Götzen nichts als tote Steine und Holz wären. Derowegen er der Mutter geantwortet, er habe niemals von den Götzen etwas gelernt, viel weniger könne er andere lehren. Er bäte derowegen, die Mutter möchte selbst mit der Agatha 87
reden. Darauf rufet die Schwiegermutter sie zu sich, lobet sie ihrer Geschicklichkeit wegen, verspricht ihr goldene Berge, strafet sie [aber] mit Worten, daß sie ungehorsam sei und gutem Exempel nicht Folge leiste. Agatha verspricht allen Gehorsam, worauf die Schwiegermutter antwortet: „Willst du gehorsam sein, so komme mit mir." Geht alsogleich aus dem Zimmer in ihr Haus-Palais, kniet vor den Götzen nieder, schlägt die Stirn auf die Erde, stehet auf mit aufgestreckten und ausgereckten und aufgehobenen Händen und bittet, die Götter wollen den Neuverehelichten Erben geben. Nachdem wendet sie sich zu ihres Sohnes Weib, sagend: „Willst du gehorsam sein, so tue, wie ich getan habe." Agatha stellet sich auf die andere Seite gegen ihre Schwiegermutter, fällt vor ihr nieder, schlägt das Haupt nieder, und mit ausgestreckten Händen saget sie: „Liebe Mutter und Gebietende Frau, ich verspreche, Euch zu gehorsamen wie eine Tochter und zu dienen wie eine Magd." Dieses alles hat Agatha so fein und zierlich gemacht, daß sie der Schwiegermutter Herz erfreuete, auch zugleich [aber] gekränket, weilen sie gemerket, daß dieses junge Weiblein mit einer kleinen Arglist allen Gehorsam gegen die Götzen hat vermeiden wollen. Auf einen anderen Tag hat sie 4 Niku, das sind Weibspersonen, gekleidet wie die Götzendiener, zu sich kommen lassen, [um] mit der Agatha zu disputieren. Als Zing Joseph solches gehöret hatte, hat er mit seiner Frau sich beratschlaget und kein anderes Mittel als das Gebet gefunden. Derowegen er mit seinen 2 unschuldigen Kindern und der Mutter niedergefallen und Gott gebeten, er wolle seiner Tochter Agatha seinen heiligen Engel senden, der ihr beistehe. Über eine kleine Weile stehet sein Sohn Peterlein, ein Kind von 9 Jahren, auf und saget: „Vater, ich will meiner Schwester beistehen. Sendet mich morgen hin in des Doktor Fans Haus." Zing Joseph verwundert sich über sein Söhnlein, merket wohl, daß dieses Kind schlechte Hülfe beitragen werde, doch schickt er ihn im Namen Gottes fort, um zum wenigsten eine Zeitung zu erhalten. Peterlein gehet des Morgens in des Doktors Haus, und weilen er noch ein Kind, dringet er in der Frauenzimmer Wohnung, bis er in seiner Schwester Zimmer kommet, saget ihr die Sorgfalt ihrer Eltern und bietet ihr seine Hülfe an. Unterdessen waren 4 Niku angekommen, und die Schwiegerin lässet Agatha rufen. Agatha saget rund heraus, daß die Christen keine Gemeinschaft mit den Götzendienerinnen haben. Man rufet sie zum anderen und 3ten Mal, daß sie zum wenigsten die Gäste sehen sollte. Agatha gehet endlich an den Ort, setzet sich zu den Götzendienern und trinket einen Becher 88
Tschai [Tee\. Nachdem fingen die Niku zu disputieren [an], denen Agatha nur eine einzige Antwort gegeben, nämlich, sie bete einen und allein den wahren Gott an. Mit diesen Worten nahm sie Urlaub und gehet nach ihrem Zimmer. Peterlein aber ist bei den Niku stehengeblieben. Worauf sie den Peterlein fragten, wer er sei und warum er gekommen. Peter sagete, er sei der Agatha Bruder und wäre seiner Schwester zu Hülfe gekommen. „Die Götter helfen dir und deiner Schwester," spricht eine Niku. Peterlein aber schüttelt den Kopf. Daraufsaget die Niku: „Mein herzliebes Söhnlein, kennst du unsere Götter?" „Ja," sagt Peter, „ich kenne sie wohl. Sie sind große und kleine Teufel!" Dieses ist der Schwiegermutter durchs Herz gegangen, und [sie] hat ausgeschrien:" Was ist mir das für ein kleiner Bösewicht! Darfst du also reden mit den Göttern geweiheten Jungfrauen?" Peterlein lachet dazu und saget: „Ja, schöne Jungfrauen sind dies, welche durch die Hintertüre des Klosters ihre Buhlen einlassen und die geborenen Kinder hinauswerfen!" Die Schwiegermutter hat sich voll Zorn entschlossen, Gewalt zu gebrauchen. Derowegen hat sie ihre Hausgenossen unterrichtet und die Agatha vor die Tür gerufen und gesagt, daß sie mit ihr in die Hauskapelle gehen sollte. Als Agatha gekommen, ist sie vor der Tür stehengeblieben. Gleich sind vier Hausgenossen auf sie gedrungen, haben sie in die Kapelle getragen und vor den Götzen auf die Erde gelegt. Agatha hat sich nicht stören lassen, sondern mit lachendem Munde gesagt: „Dieses könnt ihr tun, sooft ihr wollt. Mein Leib ist zu schwach, 4 Menschen zu widerstehen, aber mein Herz kann keine Gewalt bezwingen. Der wahre Gott ist und bleibet in meinem Herzen." Hierauf hat die Schwiegermutter verzweifelt, mehr auszurichten, beklaget sich mit ihrem Manne beide bei dem alten Doktor, schreiben ihm, Agatha sei ein Engel an der Leibesgestalt und äußerlichen Sitten, aber felsenhart wider alle Götter, bitten ihn um Hülfe, damit der kleine Fan von seinem Weibe nicht zum Christentum verführet werde. Fan, Doktor und Zensor oder Fiscal, will alle seine Macht über die christliche Religion ausgießen, und zu dem Ende des Dezember schreibet er eine Klageschrift an den Kaiser, der damals auf der Jagd war, begehrete, man sollte durch öffentliches Edikt den christlichen Glauben verbieten, die europäischen Prediger, so die Mathematik verstehen, zu Peking einschließen und die anderen aus dem Reiche verjagen, ehe diese Religion überhand nehmen möchte. Diese Klageschrift hat der Kaiser zurück an den Rat geschickt, 89
so bei ihnen Lipu genannt wird, daß sie [in] dem Handel urteilen und ihre Sentenz darin sprechen sollten und solche sofort an Seine Majestät übersenden. Mit diesem ist fast der ganze Januar-Monat vergangen, welchen wir in Traurigkeit verbracht. Unterdessen haben wir untereinander uns beratschlaget, ob wir eine Bittschrift an den Kaiser senden sollten, oder ob einige von uns sie hinbringen sollten. Die Bittschrift ist zwar gemacht [worden], aber niemand wollte sich finden, der selbige an Seine Majestät [über]bringen wollte. Es haben uns auch gute Freunde ermahnet, nicht persönlich zu dem Kaiser zu gehen, denn, sagten sie, weil der Kaiser dem Rat die Sache übergeben, ist es sicher und gewiß, daß er das Rathaus wird urteilen lassen. Derowegen wenn ihr persönlich zu dem Kaiser gehet, werdet ihr keine andere Antwort bekommen, als daß ihr warten sollet auf des Rathauses Schluß. Diese Antwort bringet euch keinen Nutzen und giebet eurem Widersacher Gelegenheit, viel übles Geschrei auszusprechen, als wenn der Kaiser euch verworfen hätte. Es kann auch geschehen, daß der Rat selber, wenn er höret, daß ihr keine andere Antwort bekommen, deswegen sich schön verstellen [würde]. Also haben wir den Handel Gott befohlen mit täg- und nächtlichem Gebet. Endlich gegen den 20ten Januar hat das Rathaus seine Sentenz an den Kaiser geschickt, auf diese Weise: „Tou qum u — wir finden nichts zu richten an der Anklage des Fiscals Fan", wozu der Kaiser diese 2 Buchstaben gesetzt: „Q q", das ist: „Es beruhe auf des Rathauses Ausspruch". Also sind wir durch die Gnade Gottes für dieses Mal wieder durchgekommen, und ist die heilige Religion wieder in ihrem Stande geblieben. Der Name des Herrn sei gebenedeiet, und seine Hülfe stehet uns bei, solange das Schifflein Petri in diesem unbeständigen SineserMeere schwebet. — Amen
Hier folget noch eine Frage, ob der Kaiser Kang-hsi oder etliche seiner Kinder getauft sind Der Kaiser K'ang-hsi ist nicht getauft und hat auch noch kein Ansehen, daß er sich werde taufen lassen. Wie kommt es denn, möchte man fragen, daß die Jesuiten solange um ihn gewesen und ihn nicht getauft? Antwort: Um den weisen König Salomo waren soviel Propheten und Doktoren, aber Salomo war durch seine vielen Wei90
so bei ihnen Lipu genannt wird, daß sie [in] dem Handel urteilen und ihre Sentenz darin sprechen sollten und solche sofort an Seine Majestät übersenden. Mit diesem ist fast der ganze Januar-Monat vergangen, welchen wir in Traurigkeit verbracht. Unterdessen haben wir untereinander uns beratschlaget, ob wir eine Bittschrift an den Kaiser senden sollten, oder ob einige von uns sie hinbringen sollten. Die Bittschrift ist zwar gemacht [worden], aber niemand wollte sich finden, der selbige an Seine Majestät [über]bringen wollte. Es haben uns auch gute Freunde ermahnet, nicht persönlich zu dem Kaiser zu gehen, denn, sagten sie, weil der Kaiser dem Rat die Sache übergeben, ist es sicher und gewiß, daß er das Rathaus wird urteilen lassen. Derowegen wenn ihr persönlich zu dem Kaiser gehet, werdet ihr keine andere Antwort bekommen, als daß ihr warten sollet auf des Rathauses Schluß. Diese Antwort bringet euch keinen Nutzen und giebet eurem Widersacher Gelegenheit, viel übles Geschrei auszusprechen, als wenn der Kaiser euch verworfen hätte. Es kann auch geschehen, daß der Rat selber, wenn er höret, daß ihr keine andere Antwort bekommen, deswegen sich schön verstellen [würde]. Also haben wir den Handel Gott befohlen mit täg- und nächtlichem Gebet. Endlich gegen den 20ten Januar hat das Rathaus seine Sentenz an den Kaiser geschickt, auf diese Weise: „Tou qum u — wir finden nichts zu richten an der Anklage des Fiscals Fan", wozu der Kaiser diese 2 Buchstaben gesetzt: „Q q", das ist: „Es beruhe auf des Rathauses Ausspruch". Also sind wir durch die Gnade Gottes für dieses Mal wieder durchgekommen, und ist die heilige Religion wieder in ihrem Stande geblieben. Der Name des Herrn sei gebenedeiet, und seine Hülfe stehet uns bei, solange das Schifflein Petri in diesem unbeständigen SineserMeere schwebet. — Amen
Hier folget noch eine Frage, ob der Kaiser Kang-hsi oder etliche seiner Kinder getauft sind Der Kaiser K'ang-hsi ist nicht getauft und hat auch noch kein Ansehen, daß er sich werde taufen lassen. Wie kommt es denn, möchte man fragen, daß die Jesuiten solange um ihn gewesen und ihn nicht getauft? Antwort: Um den weisen König Salomo waren soviel Propheten und Doktoren, aber Salomo war durch seine vielen Wei90
ber betöret. Wo dieses Hindernis sich findet, gehet es mit der Bekehrung langsam her, und die Gnade Gottes findet selten Platz. Das wissen diejenigen, welche in Europa 10, 20, 30 bis 40 Jahre arbeiten und doch nicht können einen christlichen und katholischen Fürsten bewegen, daß er eine einzige Konkubine fahren lasse. Was [für] lange Mühe und kräftige Gnade will vonnöten sein, einen Heiden zu bekehren, der da mehr als 1000 Weiber hat! Im übrigen ist es wahr, daß einige kleine Kinder aus des Kaisers Hause die Heilige Taufe bekommen. Dieses ist aber unvermerkt geschehen, indem unsere Leute zu den kranken und sterbenden Kindern gerufen worden. Es sind auch einige aus des Kaisers Familie, die da christlich leben und ihre Kinder taufen lassen. Was aber den gemeinen Ruf betrifft, ob sei ein sinesischer Kaiser ein Christ geworden, so antworte ich, daß die Sache also zu verstehen sei, wie ich melden werde. Nachdem aber der rebellische Tyrann Li Peking eingenommen Anno 1644, hat der hiesige Kaiser, genannt Ch'ung-chen, sich selbst erwürget. Sein kleiner Sohn ist umgebracht [worden] und der größte aus dem Palast geflohen, aber nimmer gefunden worden. Nach diesem, sage ich, ist der 6jährige Knabe, wie oben genannt mit Namen Shunchih, zu Peking für einen neuen Kaiser aufgeworfen worden. Anno 1644 aber zu Nanking haben die Sineser einen Enkel des Kaisers Wan-li, mit Namen Hung wang, zum Kaiser gemacht, welcher gefangen nach Peking geführet und allda getötet worden. In der Provinz Fukien haben sie einen anderen Enkel des Kaisers Wan-li, mit Namen Lunquie, zum Kaiser gemacht, welcher auch von den Tartaren ums Leben gebracht [wurde]. Danach als die Tartaren in der Provinz Kwangsi Schaden gelitten, haben die Chineser den 3ten Enkel des Kaisers Wan-li gekrönet, dessen Sohn oder Erbprinz samt der Mutter und Ehegemahl sind alldort getauft worden von dem Pater Andreas-Xavier Koffler, einem Teutschen. Dieser Kaiser Yung-li ist nicht getauft worden, aber die Kaiserin hat den Pater Michel Boym nach Rom geschicket, ihren Gehorsam bei dem Heiligen Stuhl abzulegen. Weil dieser Kaiser Yung-li von seiner Familie verlassen worden, ist er in das nächstgelegene Königreich Pegu [später Teil von Burma] aus China geflohen. Aber der König in Pegu hat ihn mit seinem ganzen Hause den Tartaren übergeben. Von da ist er nach Peking zum Tode gebracht, sein Frauenzimmer aber ist in den Palast der Witwen verschlossen worden.
Conrad Grau
Wege nach China über Land und Meer um 1700
Christian Reuters Schelmuffsky aus Leipzig rühmte sich 1696 seiner „gefahrlichen Reise, welche ich durch Persien, Italien, Türkei, Moskau, Polen und durch das ganze gelobte Land getan". Von Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen erfuhr man 1669 über die Abenteuer, die Simplicius Simplicissimus in den 40er Jahren des 17. Jh. erlebte, als er nach Moskau und Astrachan ging, von den Tataren gefangen und nach Korea verkauft wurde, von wo aus er über Macao in China auf dem Seeweg nach Europa zurückkehrte. Friedrich Schillers „Turandot, Prinzessin von China", die 1802 auf die Bühne kam, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit 100 Jahren ihre Spuren in der europäischen Literatur hinterlassen. 1704 erschien eine französische Übersetzung dieser Geschichte, nach der Carlo Gozzi 1762 sein italienisches Stück schrieb. Dessen deutsche Übertragung von 1777 durch Friedrich Clemens Werthes benutzte Schiller schließlich für seine Gozzi-Bearbeitung. Diese literarisch-künstlerische Beschäftigung mit China, die im 18. Jh. zu einer wahren China-Begeisterung intellektueller Kreise Europas führte, vollzog sich seit der Mitte des 17. Jh. parallel zu den Anfangen der Erschließung und der wissenschaftlichen Erforschung Chinas. Ein Standardwerk war die in den 30er Jahren des 18. Jh. zuerst französisch und in den 40er Jahren auch deutsch erschienene vierbändige Beschreibung Chinas durch den Jesuiten Jean Baptiste Du Halde (1674—1742). Sein Buch fehlte in keiner bedeutenden damaligen Bibliothek. Der Reisebericht Lorenz Langes und die mit der Reise verbundenen Probleme stellen in der Beschäftigung mit China eine wichtige Episode dar. Die hier erstmals vollständig vorgelegte Beschreibung der Reise von Petersburg durch Sibirien nach Peking in den Jahren 1715 bis 1717 rückt zwei Länder in den Mittelpunkt des Interesses: Rußland und China. Rußland hatte im 17. Jh. ganz Sibirien erobert und seine Grenzen damit bis an den Stillen Ozean ausgedehnt. Gleichzeitig vollzog sich die verstärkte Wiedereingliederung des nunmehr weite Gebiete Osteuropas und Nordasiens umfassenden russischen Staates in die 95
europäischen Beziehungen, in denen er bereits im Mittelalter eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Die Jahre um 1700 waren nach der Reise des russischen Zaren Peter I. nach Westeuropa und mit dem Beginn des russischen Kampfes um den Zugang zur Ostsee ein Höhepunkt dieses Prozesses. Seine Grundlage bot die unter Peter intensiv, auf neuer Stufe weitergeführte russische Reformpolitik, die nunmehr alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens im Lande erfaßte, die Wirtschaft, den Staat, die Kultur, die Kirche und das Militärwesen. Rußland, ein europäischer Staat mit einem großen, noch weitgehend unerschlossenen asiatischen Territorium, schickte sich an, Großmacht zu werden. Als einziges europäisches Land, das eine gemeinsame Grenze mit China hatte, erregte es im Westen zusätzliches Interesse. Die am Ende des 17. Jahrhunderts einsetzende Zeit der petrinischen Reformen, die in einer zu engen Sicht zuweilen auch als „Europäisierung Rußlands" bezeichnet wird, war in Wirklichkeit eine Umgestaltung auf eigenständiger Grundlage unter Berücksichtigung der Erfahrungen anderer, ebenfalls feudal organisierter Staaten Europas in Anpassung an die beginnende kapitalistische Entwicklung. Von den Zeitgenossen wurde sie stärker als aus heutiger Sicht als ein gravierender Umbruch empfunden. Zweifellos waren die Reformen jedoch einer der stark nachwirkenden Prozesse der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Als unser Reisender 1715 in Petersburg aufbrach, war die 1703 gegründete Stadt gerade ein Dutzend Jahre alt und erst drei Jahre russische Hauptstadt. Die Reise verlief zunächst südöstlich über Nowgorod und Twer — heute Kalinin — nach Moskau. Von hier wurde in Richtung Nordost über Pereslawl-Salesski, Rostow und Jaroslawl an der Wolga die Suchona erreicht. Ein Stück folgte man diesem Fluß, bevor man sich, nunmehr erneut fast am 60. Breitengrad (auf dem Petersburg lag), nach Osten wandte und über Totma, Weliki Ustjug, Solwytschegodsk und Solikamsk an den Ural gelangte. Nach dessen Überquerung ging die Reise über Werchoturje und Turinsk nach Tobolsk am Zusammenfluß von Tobol und Irtysch. Auf letzterem Fluß reiste man nach Tara, dann durch die BarabaSteppe nach Tomsk, von wo aus man sich etwas nördlich nach Jenisseisk wandte. Von hier aus ging die Reise erneut in südöstlicher Richtung nach Irkutsk, wonach der Baikal-See überquert wurde. Auf der Selenga wurde Udinsk — heute Ulan-Ude — erreicht, und man gelangte bald danach in das Gebiet der heutigen Mongolei. Die Wüste Gobi wurde durchquert. Über Kaigan wurde schließlich das Ziel Peking erreicht. Fast eineinhalb Jahre hatte diese Reise 96
durch oft unwegsame Gebiete gedauert — eine bedeutende Leistung für die damalige Zeit, auch wenn man berücksichtigt, daß diese Route über weite Strecken den üblichen Verbindungswegen zwischen dem europäischen Rußland und Sibirien iolgte. Bei aller Kürze des Textes vermittelt die Beschreibung gut die ungeheuren Schwierigkeiten, die während der Reise zu überwinden waren. Besondere Bedeutung haben die geographischen, landeskundlichen und volkskundlichen Informationen sowie die allerdings weniger zahlreichen historischen Mitteilungen. Sie sind eine wertvolle Quelle für die Geschichte der Erschließung Sibiriens, auch wenn der Reisende zeitbedingt manches Unwahrscheinliche zu berichten weiß und es unberechtigt wäre, seine Beschreibung nach modernen wissenschaftlichen Maßstäben zu beurteilen. Den Inhalt des zweiten Teils des veröffentlichen Manuskripts bildet eine Beschreibung Chinas. Sie stützt sich weniger auf eigene Beobachtungen, wie sie Lange während der Reise selbst angestellt hatte, sondern hauptsächlich auf schriftliche und mündliche Berichte und Informationen Dritter. Es wird der Versuch unternommen, die verschiedensten Seiten des gesellschaftlichen Lebens in China mehr oder weniger ausführlich zu beschreiben und dabei die geschichtliche Entwicklung dieses alten Kulturlandes einzubeziehen. Die Mitteilungdfl zeugen von der Tatsache, daß dem Berichterstatter die weit in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte Chinas gegenwärtig war, besonders die der letzten Jahrhunderte vor seiner Reise. Im Zuge der am Beginn des 13. Jh. unter Tschingis-Khan (1155 bis 1227), dem Begründer des mongolischen Weltreiches, einsetzenden Expansion des ersten Staates der Mongolen wurde von diesen von 1211 bis 1215 Nordchina und danach von 1218 bis 1221 Mittelasien erobert. 1223 folgten der Feldzug der Mongolen gegen die russischen Fürsten und die Schlacht an der Kalka in Südrußland. Tschingis-Khans Enkel Batu (gest. 1255) eroberte 1237 bis 1240 die Mehrzahl der russischen Fürstentümer und drang 1241/42 mit seinem Heer bis nach Polen, Mähren und Ungarn vor. Batus nacheinander regierende Brüder Mönke-Khan (gest. 1258) und KubilaiKhan (gest. 1294) setzten die Eroberungspolitik erfolgreich fort. Kubilai-Khan errichtete 1271 die mongolische Herrschaft über China, die bis 1368 dauerte. Nach der Vertreibung der Mongolen aus China kam 1368 nach einem erfolgreichen Bauernaufstand die Ming-Dynastie zur Herrschaft. Es wurde eine starke Zentralgewalt errichtet — sechs Mini7 Lange, China
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sterien —, die Hauptstadt wurde 1421 von Nanking nach Peking verlegt. Ein wirtschaftlicher und kultureller Aufschwung des Landes vollzog sich. Innere Widersprüche und äußere Bedrohungen brachten jedoch die Ming-Dynastie schließlich in eine ausweglose Lage. Die Einfalle der Mandschu aus dem Norden häuften sich seit dem 17. Jh. Ab 1628 erschütterten Bauernaufstände das Land. 1644 eroberten die aufständischen Bauern unter der Führung von Li Tzu-ch'eng Peking. In dieser Situation verbündeten sich Anhänger der Ming-Dynastie mit den Mandschu. Eine Zentralfigur war der MingGeneral Wu San-Kuei, der den Mandschu den Einzug in Peking und dann 1644 die Errichtung einer neuen Dynastie unter dem Namen Ch'ing ermöglichte. Während dieser Ereignisse in China stattfanden, tobte in Mitteleuropa von 1618 bis 1648 der Dreißigjährige Krieg und siegte seit 1641 in England unter Oliver Cromwell (1599 bis 1658) die bürgerliche Revolution. Das Umbruchsjahr 1644 spielt in der Darstellung Lorenz Langes eine große Rolle, denn es war der Ausgangspunkt für die Situation, mit der er zu Beginn des 18. Jh. in Peking konfrontiert wurde. Zweiter chinesischer Kaiser aus der Mandschu-Dynastie war 1662 im Alter von acht Jahren K'ang-hsi geworden. Er übernahm bereits 1666 selbst die Regierung und herrschte bis 1723. K'ang-hsi war, wie wir zum besseren Verständnis der vorliegenden Publikation in Erinnerung rufen müssen, ein Zeitgenosse bekannter europäischer Herrscher. So regierten in jenen Jahrzehnten Ludwig XIV. (1643 bis 1715) in Frankreich, Peter I. (1682—1725) in Rußland, Friedrich Wilhelm (1640-1688), Friedrich III. (1688-1713, ab 1701 als König: Friedrich I.) und Friedrich Wilhelm I. (1713—1740) als Kurfürsten in Brandenburg und Könige in Preußen, August der Starke (1694—1733) als Kurfürst von Sachsen und König von Polen, Karl II. (1665-1700) und Philipp V. (1700-1746) in Spanien, Karl XII. (1697-1718) in Schweden sowie Peter II. (1683-1706) und Johann V. (1706—1750) in Portugal. An Stelle Portugals und Spaniens wurden im 17. Jh. die ökonomisch weiterentwickelten Staaten Holland und England in scharfer wechselseitiger Konkurrenz zu den führenden Seemächten. Teils durch die Eroberung „unerschlossener" überseeischer Gebiete, teils im Kampf gegen Spanien und Portugal um deren Kolonien bauten sie ihre Kolonialreiche aus. Europäische Gegensätze zwischen den Staaten fanden ihre Widerspiegelung auf fernen Kontinenten, darunter in Asien und hier speziell in China. Diese Teile der Welt waren im 17. Jh. von West- und Mitteleuropa aus fast ausschließ98
lieh auf dem Seeweg zu erreichen. Das hatte geographische, aber auch politisch-religiöse Ursachen: für die katholischen und die protestantischen Staaten Europas bildeten das islamische Osmanenreich — die Türken drangen 1683 bis Wien vor — und das griechischorthodoxe Rußland vorerst noch eine unüberwindliche Barriere. Das europäische Interesse an Ostasien läßt sich seit dem 13. Jh. quellenmäßig gut fassen. Es wird beispielsweise durch die Reisen des Piano Carpini (etwa 1182—1252) und des Wilhelm von Rubruk (etwa 1225— etwa 1270) zu den Mongolen in den Jahren 1245 sowie 1253 bis 1255 dokumentiert, die beide im Auftrage des Papstes unternommen wurden. In Rom hegte man große Hoffnungen, die Mongolen für den katholischen Glauben gewinnen zu können. Ein Erfolg blieb diesen Bestrebungen allerdings versagt. Wenig später war der Italiener Marco Polo (1254—1324) aus Venedig 1271 nach China gereist, wo er bis 1292 weilte und eine einflußreiche Stellung einnahm. Nach seiner Rückkehr verfaßte er 1298 seine nachmals berühmte Reisebeschreibung, die, als sie im 16. Jh. veröffentlicht wurde, das ferne Land in Europa bekannt machte. Das Interesse an China wuchs sichtbar im Zusammenhang mit der europäischen Kolonialpolitik, die mit dem Zeitalter der geographischen Entdeckungen seit dem ausgehenden 15. Jh.- einsetzte. 1517 landete das erste portugiesische Schiff in Kanton. Damit angebahnte Kontakte führten schließlich dazu, daß den Portugiesen 1557 Macao als Niederlassung eingeräumt wurde. Den Kaufleuten folgten sehr bald katholische Missionare, wie überhaupt im 16. Jh. die Mission in der ganzen Welt einen großen Aufschwung nahm. Nicht zuletzt wollte der Vatikan damit Verluste in Europa ausgleichen, die in Zusammenhang mit der Reformation und dem Abfall ganzer Völker vom katholischen Glauben entstanden waren. Die Hauptrolle in der katholischen Chinamission spielten die Jesuiten. Der erste bedeutende Jesuit in China war der Italiener Matteo Ricci (1552—1610), der 1582 in Macao eintraf. Er entwickelte sich zu einem bedeutenden Sinologen. Nachdem es ihm 1601 gelungen war, nach Peking zu kommen und in den Dienst des dortigen Hofes zu treten, errang er auf Grund seiner Kenntnisse in der Mathematik, der Astronomie und der Geographie Ansehen. Er wurde bei der Sternwarte angestellt und nahm Einfluß auf die Gestaltung des chinesischen Kalenders. Da sich nach chinesischer Anschauung das gesamte Leben in Einklang mit dem Naturgeschehen vollziehen sollte, war eine ständige genaue Berechnung der Himmelserscheinungen notwendig, die bis zum Eindringen der Jesuiten auf der Grundlage 7*
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der Ergebnisse der chinesischen und der arabisch-mohammedanischen Wissenschaft erfolgte. Mit Ricci begann die Reihe einflußreicher Jesuiten in Peking bis ans Ende "des 18. Jh. Herausragende Beispiele für deren großen Einfluß sind die Leitung der Pekinger Sternwarte durch Jesuiten in fast ununterbrochener Folge von 1644 bis 1805 und ihr Anteil an der Erarbeitung einer Generalkarte Chinas in den Jahren 1705 bis 1719. Das Wirken der Jesuiten in China im 17. und 18. Jh. gehört zu den personengeschichtlich am besten erforschten Bereichen der katholischen Missionsgeschichte. Sie prägten in hohem Maße das damalige europäische Chinabild. Durch ihre Publikationen und ihre mündlichen Berichte lieferten sie eine der wichtigsten Quellen für die in der vorliegenden Publikation mitgeteilten Nachrichten über China. Vor allem gilt das für vier in China tätige Jesuiten und einen weiteren, der in Europa für die Verbreitung von Chinakenntnissen wirkte. Von 1644 bis 1666 war der bedeutende Chinamissionar Adam Schall von Bell (1592—1666) aus Köln Präsident des Astronomischen Amtes in Peking. Er war zugleich einflußreicher Ratgeber des ersten Mandschukaisers und Historiker. Das größte und wirkungsvollste seiner Werke ist seine „Historia". Dert Inhalt dieses Werkes bilden vor allem seine 1660/61 abgeschlossenen Lebenserinnerungen. Sie sind eine wichtige Quelle, besonders für die Ereignisse, die im Zusammenhang mit dem Dynastiewechsel 1644 stattfanden. Sie erschienen bereits 1665 in Wien in lateinischer Sprache im Druck. 1672 wurden sie unter etwas geändertem Titel und erweitert in Regensburg nachgedruckt, noch 1834 erschien eine deutsche Übersetzung. Das berühmte Chinawerk des Jesuiten Athanasius Kircher (1601 bis 1680) — „China Monumentis qua sacris qua profanis nec non variis naturae et artis spectaculis aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata" — erschien 1667 in Amsterdam. Die Entstehung dieses Werkes, dessen Verfasser nicht selbst in China war, ist unmittelbar mit dem Problem verbunden, wie man im 17. Jh. von Europa nach China gelangte. Zunächst gab es nur den außerordentlich langwierigen, gefahrlichen und verlustreichen Seeweg um Afrika. Er war zudem durch die portugiesisch-holländische, also katholisch-protestantische Konkurrenz belastet. Die Fahrt dauerte in der Regel viele Monate, Naturgewalten und Krankheiten dezimierten die Zahl der Reisenden, für die eine solche Fahrt ein riskantes Abenteuer war. Mitte des 17. Jh. wurde der erste Versuch unternommen, China von Westeuropa aus auf dem Landwege zu 100
erreichen. 1656 erhielten die Jesuiten Bernhard Diestel (1623—1660) und Johann Grueber (1623—1680) den Auftrag, nach China zu reisen. Sie gelangten von Messina in Italien über Smyrna in Kleinasien durch das Heilige Land Ende 1656 nach Ispahan in Persien. Wegen kriegerischer Ereignisse zwischen Persien und dem Fürsten von Samarkand war die Weiterreise unmöglich, und die beiden Jesuiten begaben sich nach Indien. Von hier aus gelangten sie zu Schiff nach Macao, wo sie 1658 ankamen. Damit war das eigentliche Ziel des Unternehmens nicht erreicht worden. 1659 weilten beide Patres in Peking. Hier erhielt nunmehr Adam Schall den Auftrag, ihre Landreise von China nach Europa vorzubereiten, also den Weg von Osten her zu erkunden. Diestel starb schon 1660. An seine Stelle trat jetzt Albert Dorville (1621 — 1662), der 1661 mit Grueber von Peking aufbrach. Ihre Reise ging über Lhasa in Tibet und Katmandu in Nepal nach Agra in Indien, wo Dorville starb. Grueber und sein neuer Reisebegleiter Heinrich Roth (1620—1668) reisten von hier aus wie auf dem Hinweg Gruebers durch Mesopotamien nach Smyrna und von dort zu Schiff nach Messina. 1664 waren beide in Rom. Obwohl Grueber den von ihm entdeckten Weg als die beste Verbindung zwischen Europa und China empfahl, gewann er keine Bedeutung neben dem alten Seeweg. Grueber, der mit seinen Begleitern zu den wagemutigsten und erfolgreichsten Entdeckern der Neuzeit gezählt werden kann, hat es Kircher durch seine Berichte ermöglicht, sein genanntes Werk zu verfassen. Es spielte eine entscheidende Rolle in der europäischen China-Kenntnis. Kircher veröffentlichte auch als erster die Inschrift der 1625 in der Nähe von Xi'an gefundenen sogenannten Nestorianischen Stele aus dem Jahre 781, über die auch in der vorliegenden Beschreibung berichtet wird. Ihre Echtheit war lange umstritten, nährte sie doch die Diskussionen über den lange zurückreichenden christlichen Einfluß in China. Sinologen gilt sie als „ein literarisches Meisterstück höchsten Ranges". Der Nachfolger Schalls als Chef der Pekinger Astronomie war von 1669 bis 1688 der Jesuit Ferdinand Verbiest (1623—1688), Mathematiker, Geograph und Sinologe, der bereits seit 1660 Schalls Mitarbeiter gewesen war. Er war neben Schall eine Schlüsselgestalt in den Auseinandersetzungen, die 1664/66 zur Verfolgung der Jesuiten und zur vorübergehenden Unterdrückung der Mission in Peking infolge innerer Streitigkeiten während der Minderjährigkeit K'anghsis geführt hatten. Im Zusammenhang mit der weiteren Erschließung des Landweges nach China wird auf Verbiest zurückzukommen sein. 101
Erwähnenswert ist auch Filippo Grimaldi (1638—1712), der nach Verbiest bis 1707 oder 1709 das astronomische Amt in Peking leitete. Obwohl schriftstellerisch weniger aktiv als etwa Verbiest, hat er durch persönliche Kontakte, vor allem zu Gottfried Wilhelm Leibniz (1646—1716), eine bedeutende Rolle in der China-Rezeption um 1700 gespielt. Als wichtiger Gesprächspartner des Verfassers des vorliegenden Berichts erscheint schließlich der Jesuit Kilian Stumpf (1655 bis 1720), von 1711 bis zu seinem Tode Leiter der astronomischen Behörde in Peking. Insgesamt muß hinsichtlich des Wirkens der Jesuiten in Peking vor allem auf die außerordentlich materialreichen Arbeiten von Louis Pfister S. J. und Joseph Dehergne S. J. verwiesen werden. Um die Rolle der Jesuiten in China im 17. und 18. Jh. und ihren Einfluß auf die europäische China-Kenntnis zu verstehen, bedarf es eines — wenn auch kurzen — Blickes auf innerkatholische Auseinandersetzungen jener Zeit, soweit sie sich in der Mission widerspiegelten. Im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht von der Geschlossenheit der Papstkirche, die in den Grundfragen durchaus bestand, existierten doch gerade hinsichtlich der Mission zuweilen Meinungsverschiedenheiten, die wirkungsgeschichtlich bedeutsam werden konnten. Den Hintergrund bildeten zumeist Faktoren, die aus der durchaus nicht völligen Kongruenz universalistischer Ansprüche der Kirche und den Interessen katholischer Staaten resultierten, die dann wiederum von Nichtkatholiken genutzt werden konnten. Machtpolitische Interessen — die Mission war Bestandteil der beginnenden europäischen Kolonialpolitik seit dem 16. Jh. — und innerkirchliche, theologisch motivierte Auffassungen stießen dabei zuweilen hart aufeinander. Das begann schon mit der Tätigkeit des erwähnten Matteo Ricci. Ricci legte es vor allen Dingen darauf an, gebildete Chinesen zu beeinflussen. Erfolgversprechend erschien es ihm, ihnen wissenschaftliche Kenntnisse Europas, vor allem auf den Gebieten Mathematik, Astronomie und Physik, zu vermitteln und sein Äußeres zugleich den Sitten des Gastlandes anzupassen. Beides galt ihm als Mittel zum Zweck. 1615 genehmigte der Papst u. a. die Übersetzung der Bibel ins Chinesische, den katholischen Gottesdienst in chinesischer Sprache und die Weihe chinesischer Priester. Die Methode Riccis, in der ihm zahlreiche Jesuiten folgten, schloß auch die Billigung chinesischer Riten — so die Verehrung des Konfuzius (551 —479 v.u.Z.) und der Ahnen — ein. Andere Orden hingegen, 102
wie die Dominikaner und die Franziskaner, die seit etwa 1630 ebenfalls in der Mission in China tätig wurden, lehnten diese und andere Riten ab. Hier liegt die Ursache des etwa 100 Jahre lang geführten sogenannten Ritenstreits innerhalb der katholischen Kirche. Mit Bullen und Breven griffen die Päpste Innozenz X. (1644—1655), Alexander VII. (1655—1667), Klemens XI. (1700-1721) und Benedikt XIV. (1740—1758) in die Auseinandersetzungen ein. 1645 wurde in Rom gegen die Zulassung der chinesischen Verehrung der Ahnen und des Konfuzius durch katholische Chinesen entschieden. Die Enzyklika Alexanders VII. von 1656 neigte dann wieder mehr einem Kompromiß zu. Zugleich gab es ungeachtet der insgesamt positiven Einstellung besonders von K'ang-hsi zu den Jesuiten eine latente chinesische Abneigung gegen diese. Die Fortschritte der jesuitischen Chinamission fanden ebenso wie der angedeutete Ritenstreit in Europa ein großes Echo und förderten das Chinainteresse ungemein. Dadurch wurde 1685 auch Ludwig XIV. veranlaßt, einige gelehrte französische Jesuiten durch die Académie des Sciences in Paris nach China zu senden, wo sie 1688 eintrafen. Zu ihnen gehörte der Pater Jean Gerbillon (1654 bis 1707), ein bedeutender Naturwissenschaftler, der durch Vermittlung des in Peking bereits tätigen Jesuiten Thomas (Tomé) Pereira (1645—1708) 1688 nach Peking kam. Auf beide wird noch in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein. Der größte Erfolg der Jesuiten in China war zweifellos das Toleranzedikt des Kaisers K'ang-hsi von 1692, das dank dessen autokratischer Macht die Freiheit gewährte, das Evangelium Christi in China zu verkünden und auszubreiten. Der chinesische Kaiser erwarb sich damit in Europa das Ansehen eines aufgeklärten Herrschers. Denis Diderot (1713—1784), der große französische Aufklärer, nannte ihn „den Marc Aurel Chinas wegen seiner Weisheit und dessen Ludwig XIV. wegen seines Despotismus und der Dauer seiner Herrschaft." Doch welch seltsame Wege der Geschichte! Die Vorkämpfer der Gegenreformation in Europa, die einen argen Konfessionalismus vertraten und jede Toleranz ablehnten, die die Nichtkatholiken grausam verfolgten, feierten einen Toleranzerfolg im fernen China. Die Jesuiten errangen ihre eigene Tolerierung in China nur sieben Jahre nach 1685, als der katholische König Ludwig XIV. durch die Aufhebung des Edikts von Nantes die religiöse Gleichberechtigung der französischen Protestanten beseitigte und damit die Auswanderung der Hugenotten aus Frankreich bewirkte. Die Erfolge der Jesuiten mit ihrer Missionsmethode ließen deren 103
Gegner in der eigenen Kirche nicht ruhen. Ihnen gelang es, Papst Klemens XI. 1704 zu dem Dekret zu veranlassen, mit dem die auch in Rom lange umstrittenen Missionsmethoden, die chinesische Besonderheiten berücksichtigten, verboten wurden. Die Jesuiten, oftmals die militantesten Verteidiger des Heiligen Stuhls, beugten sich jedoch in diesem Falle nicht. Bereits 1703 hatte der Papst als seinen Legaten Charles Thomas Maillard de Tournon (1668—1710) entsandt, der 1705 in Peking eintraf und zunächst positive Berichte nach Rom schickte. 1706 verlangte jedoch K'ang-hsi von den Missionaren die Weiterführung der Traditionen Riccis im Hinblick auf die Toleranz. Tournon dagegen bestand auf der Entscheidung Roms von 1704 und drohte seinen Glaubensgenossen anderenfalls mit der Exkommunikation. Er vermochte sich allerdings nicht durchzusetzen. Er starb 1710 in Macao. 1715 bestätigte Klemens XI. seine Auffassung in seiner Bulle „Ex illa die". Nachdem diese in China bekannt wurde, löste das für die Mission neue Schwierigkeiten aus. Später, im Jahre 1742, schloß sich auch Benedikt XIV. den Entscheidungen von Klemens XI. an. Insgesamt konnten alle diese Vorgänge das Ansehen der christlichen Religion in den Augen des Kaisers K'ang-hsi auf die Dauer nur schmälern. Er rückte gegen Ende seiner Regierungszeit de facto mehr und mehr von seinem Toleranzedikt ab, sein Sohn und Nachfolger Yung-cheng (1724—1735) hob es schließlich auf. Als Lorenz Lange in Peking war, standen die Patres freilich noch in höchstem Ansehen am Hofe. Lorenz Lange war auf einem Wege in dieses Land gekommen, der bisher in diesen Darlegungen noch keine Rolle spielte. Erinnert sei daran, daß die Mandschu 1644 aus dem Norden nach China vordrangen. Genau zu diesem Zeitpunkt hatten Vertreter des Zartums Moskau den Stillen Ozean erreicht und standen damit an den Grenzen .'es chinesisch-mandschurischen Machtbereichs. Wassili Danilowitsch Pojarkow erforschte 1643/46 als erster Europäer das Amurbecken. Zur Weiterführung dieser Aufgabe wurde 1649 aus Jakutsk Jerofej Pawlowitsch Chabarow (etwa 1610— nach 1667) entsandt. Er kehrte 1650 zurück und unternahm 1651/53 eine weitere Forschungsreise. Der erste Gesandte Moskaus, der bis nach Peking gelangte, war Iwan Petlin, dessen Expedition von 1618 bis 1620 dauerte. Vom chinesischen Kaiser wurde er nicht empfangen, doch ließ ihm Wan-li (1593—1620) 1619 eine Botschaft an den Zaren übergeben, in der die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen angeregt, diplomatische Kontakte aber abgelehnt wurden. Bedingt vor allem durch die folgenden Ereignisse in China in
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Zusammenhang mit dem Dynastiewechsel 1644 kam es nach der Reise von Petlin zu einer Unterbrechung der Beziehungen. Erst 1654 reiste unter der Leitung von Fjodor Issakowitsch Baikow (etwa 1612 bis 1663 oder 1664) wieder eine Moskauer Gesandtschaft nach China, die vor allem Wirtschaftsfragen verhandeln sollte. In Peking traf sie 1655 ein. Obwohl der diplomatische Erfolg gering war, konnte Baikow doch eine Menge über China in Erfahrung bringen, wodurch die Weiterentwicklung der Kontakte gefördert wurde. So informierte er z. B. über die Jesuiten in China und über eine 1656 in Peking weilende holländische Gesandtschaft. Der Bericht von Johann (Jan) Nieuhof über diese Gesandtschaft erschien 1666 in Amsterdam. 1657 reisten die Russen aus Peking wieder ab und waren 1658 in Tobolsk. Für die Erkundung des Landweges nach China hatte die Reise Baikows große Bedeutung. Obwohl die Kontakte zwischen dem Moskauer Staat und China weiterbestanden, kam es doch erst 1675 wieder zu einer größeren Gesandtschaft. Sie stand unter der Leitung des aus der Moldau stammenden und in Konstantinopel ausgebildeten Nikolai Spathar (Nicolae Milescu Spatarul, 1636—1708; lateinisch: Spatharius; russ.: Nikolai Gawrilowitsch Milesku Spafari), der 1671 in russische Dienste getreten war. Er reiste wie später Lorenz Lange über Jaroslawl und Weliki Ustjug nach Tobolsk und weiter nach Irkutsk und Nertschinsk. Seinen Reiseweg von Tobolsk bis an die chinesische Grenze hat er genau beschrieben. Im Mai 1676 war Spathar in Peking. Hier traf er auch mit dem bereits erwähnten Jesuiten Ferdinand Verbiest zusammen. Die Jesuiten sahen einerseits ihre Vorrangstellung als Ausländer bedroht, wenn die russisch-chinesischen Beziehungen intensiviert wurden,.andererseits aber waren sie sehr an einem Landweg über Rußland nach Westeuropa interessiert. Die Suche nach einem solchen Landweg zwischen China und Westeuropa durch Sibirien und das europäische Rußland rückte insbesondere seit den 80er Jahren des 17. Jh. immer mehr in den Vordergrund der Bemühungen katholischer Missionare. Spathar wurde schließlich im Juni 1676 von K'ang-hsi empfangen. Im Herbst verließ er Peking wieder. Sein Reisebericht und seine Beschreibung Chinas sind wichtige Quellen. Sie wurden beispielsweise von dem Jesuiten Philippe Avril (1654—1698) genutzt, der 1687 über Moskau nach China reisen wollte. Er publizierte darüber 1692 in Paris sein Buch über die Eröffnung eines neuen Weges nach China. Den Höhepunkt der russisch-chinesischen Beziehungen im 17. Jh. bildete 1689 der Abschluß des Vertrages von Nertschinsk. Um die 8
Lange, China
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zwischen beiden Ländern anstehenden Fragen zu klären, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hatten, wurde 1686 eine russische Gesandtschaft unter der Leitung von Fjodor Alexejewitsch Golowin (1650—1706) gebildet. Golowin wirkte unter Zar Peter I. als Leiter der auswärtigen Angelegenheiten Rußlands und war damit de facto russischer Reichskanzler. Nach langen Vorbereitungen, in denen auch die Jesuiten eine Rolle spielten, wurde 1689 schließlich der erwähnte Vertrag geschlossen, durch den die russisch-chinesische Grenze festgelegt wurde. Zugleich regelte der Vertrag die Handelsbeziehungen und schuf damit die Basis für die späteren russischen Handelsmissionen nach China. Der Vertrag von Nertschinsk war der erste gleichberechtigte völkerrechtliche Vertrag, den China mit einer ausländischen Macht schloß. Auf chinesischer Seite nahmen an den langwierigen und komplizierten Verhandlungen in Nertschinsk die Jesuiten Pereira und Gerbillon, die uns bereits als Angehörige der Pekinger Mission begegnet sind, offiziell als Übersetzer, tatsächlich jedoch als Berater der chinesischen Delegation teil. Sie festigten damit einerseits ihre Stellung in China uhd versuchten andererseits ihrem Ziel näher zu kommen, durch ihre Kontakte zu Rußland endlich den Landweg von China über Moskau nach Westeuropa zu erschließen. Die Bedeutung dieses Vertrages für die europäisch-chinesischen Beziehungen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Einer der ersten, der das erkannte und entsprechende politische und sogar wirkungsvolle publizistische Schlußfolgerungen zog, war Gottfried Wilhelm Leibniz. Als aufsteigende europäische Großmacht war Rußland in den 90er Jahren des 17. Jh. in sein Blickfeld getreten, was in Zusammenhang mit seinen Slaweninteressen schließlich zu seinen wirkungsgeschichtlich bedeutenden Rußland-Beziehungen führte. 1697 erregte die große russische Gesandtschaft nach Mittel- und Westeuropa, der auch Zar Peter angehörte, ungeheures Aufsehen. Leibniz erkannte, nicht zuletzt infolge seiner persönlichen Verbindungen, die er zu chinesischen Jesuitenmissionaren unterhielt, die in sich widersprüchliche Bedeutung der katholischen Erfolge in Fernost. Ihm wurde klar, daß Rußland eine Schlüsselstellung in den westeuropäisch-chinesischen Beziehungen zukam. Sie galt es zu nutzen, um weitere Kenntnisse über China zu erlangen und dabei zugleich das weitgehende westeuropäische Informationsprivileg der katholischen Kirche über China wenn nicht zu brechen, so doch wenigstens einzuschränken. Daraus resultierten die im Rahmen seiner Bildungskonzeption zu sehenden Gedanken von Leibniz über 106
eine protestantische Mission in Asien im Zusammenhang mit den in Europa fortdauernden Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Religionsgemeinschaften. Das griechisch-orthodoxe Rußland wurde daher um 1700 sowohl von Katholiken als auch Protestanten aus unterschiedlichen Gründen geradezu umworben, was unabhängig von der jeweiligen Akzentsetzung letztendlich der Intensivierung der Kontakte zu Rußland und-der Förderung des Interesses an China diente. In diesen Kontext gehört vor allem Leibniz' bedeutende, oft nicht genügend gewürdigte Schrift „Novissima Sinica", die 1697 in erster und 1699 in zweiter Auflage erschien. Der volle, der Zeit entsprechend sehr umfangreiche Titel lautet in deutscher Übersetzung: „Das Neueste von China zur Erhellung der Geschichte unserer Zeit. Gebracht wird darin ein nach Europa übermittelter Bericht über die nun erstmals zugelassene Verbreitung des Christentums. Weiter werden viele bisher unbekannte Informationen gegeben: über die Förderung der europäischen Wissenschaften, über die Sitten und Gebräuche des Volkes und die moralische Einstellung vor allem des Herrschers selbst sowie über den Krieg der Chinesen mit den Russen und ihren Friedenschluß". Leibniz verwertete für diese Schrift sowohl Nachrichten der Jesuiten als auch Mitteilungen aus Rußland. Zu nennen sind hier besonders die Informationen, die die russische Gesandtschaft nach China unter der Leitung von Evert Isbrandsz Ides (1657—1706) 1692 bis 1694 erbrachte. Während sein Reisebegleiter Adam Brand 1699 in Amsterdam eine Kurzbeschreibung der Reise veröffentlichte, legte Isbrandsz seine „Driejaarige reize naar China" erst 1704 ebenfalls in Amsterdam im Druck vor. Obwohl ihm also diese Publikation noch nicht zugänglich war, verfügte Leibniz doch durch seine Verbindungen zu Nicolaas Witsen (1641 bis 1717) in Amsterdam bereits über eine gute Rußlandquelle. Witsen war 1664/65 mit einer niederländischen Gesandtschaft in Moskau gewesen und interessierte sich fortan für Rußland. 1687 ließ er eine Karte der Tatarei — der asiatischen Gebiete jenseits des Ural — drucken, die Leibniz mindestens seit 1690 bekannt war. 1692—1705 in zweiter Auflage und 1785 in einem Nachdruck — erschien Witsens „Noord en Oost Tartarye", ein schon damals seltenes Werk, das trotz der gerade in den Jahrzehnten davor erreichten Fortschritte die noch immer recht ungenaue Kenntnis jener Gebiete widerspiegelt. Die Informationen über den Autor des vorliegenden Reiseberichts sind recht spärlich. Möglicherweise stammte er aus Schweden, wo107
bei zu berücksichtigen ist, daß damals große Teile der südlichen Ostseeküste, darunter ganz Pommern mit Stralsund und Rügen, zu Schweden gehörten. Am intensivsten haben sich in der Sowjetunion T. K. Schafranowskaja und A. I. Andrejew mit Lorenz Lange und seinen Chinareisen beschäftigt. Schafranowskaja verteidigte 1972 in Leningrad ihre Kandidaten-Dissertation unter dem Thema: „Die Tagebücher Lorenz Langes als historisch-ethnographische Quelle (Aus der Geschichte des Studiums der Völker Sibiriens, der Mongolei und Chinas in der 1. Hälfte des 18. Jh.)" Auf die Publikationen von Andrejew und Schafranowskaja, die in russischer Sprache auch einige Auszüge aus dem Tagebuch Langes aus den Jahren 1715/16 veröffentlichte, stützen sich die folgenden biographischen Angaben. Danach dürfte Lange als Kornett der schwedischen Kavallerie in der Schlacht bei Poltawa 1709, die mit einem Sieg der russischen Truppen endete, in Gefangenschaft geraten und 1712 in russische Dienste getreten sein. Ähnlich handelten auch andere schwedische Offiziere, während weitere nach Sibirien kamen, wo sie z. T. das Land erforschten. Lange verweist auf sie in seinem Tagebuch. Andrejew nennt ihn „einen gebildeten Menschen, Verfasser einiger Arbeiten, der offensichtlich über Lebensart und Menschenkenntnis verfügte" und „das Vertrauen der russischen Behörden verdiente". Von 1739 bis mindestens 1749 war er Vizegouverneur in Irkutsk. 1754 gaben Langes Erben eine Sammlung chinesischer Gegenstände aus seinem Besitz an die Kunstkammer der russischen Akademie der Wissenschaften in Petersburg. Lorenz Lange hat von 1715 bis 1737 insgesamt sechs Reisen nach China unternommen, wie Schafranowskaja ermittelt hat. Sie informiert auch ausführlich über bisherige Publikationen aus vier Reisetagebüchern Langes und hebt die besondere Bedeutung des hier veröffentlichten Berichtes hervor. Auszüge daraus, die er möglicherweise 1718 während seines Aufenthaltes in Petersburg von Lange erhielt, veröffentlichte Christian Friedrich Weber 1721 in seinem Buch „Das veränderte Rußland". Die vorliegende Publikation bietet erstmalig den vollständigen Text des Reiseberichtes. Wichtig für das Verständnis der vorliegenden Publikation ist die Tatsache, daß sich das eingehend vorbereitete Unternehmen Lorenz Langes, der von dem Chirurgen Dr. Thomas Garwin begleitet wurde, in einen größeren Komplex der Wissenschaftsorganisation und der Forschungsreisen im zweiten Jahrzehnt des 18. Jh. in Rußland einordnete. Dieser knüpft sich an den Namen des zarischen 108
Leibarztes Robert Areskin (1677—1718), dessen Pflegesohn Lange vermutlich war. So wurden in Rußland zwischen 1715 und 1718 eingeleitet bzw. abgeschlossen: Forschungsreisen des Arztes Gottlob Schober (1672— vor 1746) in das Astrachaner und das Kaukasusgebiet; die Erforschung der Heilquellen von Olonez durch Areskin selbst und den Arzt Laurentius Blumentrost (1692—1755), den späteren ersten Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in Petersburg; die Sammlung von Anschauungsstücken für die Kunstkammer des Zaren auf Grund entsprechender Verordnungen; die Anstellung des berühmten Sibirienforschers Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685—1735) ab 1. Januar 1718 und nicht zuletzt eben die erste Chinareise Langes durch Sibirien. Briefe Langes, beispielsweise aus Jenisseisk und Irkutsk aus dem Jahre 1716, enthalten bereits Informationen über naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Auch die im Reisebericht erscheinende Mammutfrage, in der Lange veralteten Ansichten anhing, taucht in diesen Briefen bereits auf. Areskin schätzte die Ergebnisse der Reise nach Langes Rückkehr in einem Brief an den Danziger Arzt Johann Philipp Breyne (gest. 1764) aus dem Jahre 1718 hoch ein. Wahrscheinlich war Lange auch der Vermittler eines Briefes des Pekinger Jesuiten Kilian Stumpf, mit dem er persönlich bekannt war, an den Zaren. Darin wurde an den „Religionseifer" Peters appelliert und auf dessen Verdienste im Kampf „wider Türken, Tartarn und andere Ungläubige" hingewiesen sowie die Bitte ausgesprochen, seine Korrespondenz, insbesondere über das Verhältnis zwischen den chinesischen Behörden und den Missionaren, nach Rom über Moskau laufen zu lassen. Abschriften dieses Briefes von Kilian Stumpf und Informationen über die Verhältnisse der Jesuiten in Peking, in die auch Mitteilungen Langes eingeflossen sein dürften, wurden von Areskin nach Danzig, Zürich und Paris weitergeleitet. Das war einerseits Ohne zarische Erlaubnis nicht möglich, sollte andererseits aber offensichtlich auch beabsichtigte Folgen haben. Diese Aktivität wird verständlich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen, die seit 1717 von Paris aus um eine Union der katholischen mit der orthodoxen Kirche Rußlands geführt wurden und deren Hintergrund innerkirchliche Streitigkeiten zwischen dem Vatikan und Teilen des französischen Klerus bildeten. Die Gewinnung der russischen Kirche wäre ein sichtbarer Erfolg der im übrigen streng katholischen und protestantenfeindlichen, aber gegen die Jesuiten eingestellten Kreise in Paris gewesen und hätte deren Stellung nicht unwesentlich ge109
stärkt. Von russisch-orthodoxer und von protestantischer Seite — Johann Franz Buddeus (1667—1729) in Jena — wurde entschieden gegen den Plan aus Paris Stellung genommen. Die Ablehnung von russischer Seite war am stärksten bei den Anhängern der Aufklärung. Ihr Wortführer war der Erzbischof Feofan Prokopowitsch (1681—1736). Die der petrinischen Aufklärung zurückhaltend oder ablehnend gegenüberstehenden Kreise, deren geistiger Führer der Verweser des Patriarchenstuhles in Moskau, Stefan Jaworski (1658 bis 1722), war, wollten wenigstens Verhandlungen mit den Katholiken aufnehmen. Die Aktion Areskins, die Schwierigkeiten innerhalb der katholischen Kirche und damit deren Schwäche sichtbar machen sollte, muß darüber hinaus in noch größeren Zusammenhängen gesehen werden. Ende 1716 war der Thronfolger Alexei wegen seiner Ablehnung der Reformpolitik des Zaren Peter aus Rußland geflohen und hatte sich unter den Schutz der katholischen Habsburger gestellt. Nach langen Unterhandlungen konnte er zur Rückkehr veranlaßt werden. Im Januar 1718 war er wieder in Rußland. Der Prozeß gegen ihn belastete nicht nur die antipetrinischen Kräfte in Rußland selbst, sondern auch die kaiserliche Regierung in Wien und die in Moskau damals bestehende Jesuitenmission. Folgerichtig wurden die Jesuiten im Frühjahr 1719 aus Moskau ausgewiesen. Die Überwindung der antipetrinischen Opposition war deshalb von großer Bedeutung, weil durch sie auch das Reformwerk in Rußland auf geistig-kulturellem Gebiet gefährdet werden konnte. Der hier veröffentlichte Reisebericht Lorenz Langes verdient als eine frühe Darstellung einer Reise durch das europäische und asiatische Rußland und als insgesamt recht zuverlässige Beschreibung Chinas doppeltes wissenschaftsgeschichtliches Interesse. Dem Leser wird ein Dokument vorgelegt, das es ihm ermöglicht, den komplizierten wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß auf einem speziellen Gebiet selbst nachzuvollziehen. Der Versuch, Lorenz Langes Bericht in der gebotenen Kürze in die europäisch-chinesischen Beziehungen um 1700 einzuordnen, soll im Zusammenhang mit den ausgewählten Literaturhinweisen und den absichtlich geringfügigen Kommentaren im Text selbst lediglich die Möglichkeit bieten, leichter in die komplizierte Materie einzudringen und sich bei vorhandenem Interesse intensiver mit dem Gegenstand zu beschäftigen. Während sich Lange im ersten Teil, der eigentlichen Reisebeschreibung, ausschließlich auf selbst Gesehenes oder von Landeseinwohnern Gehörtes beschränkt, nutzt er im Chinateil seines Be110
richtes neben eigenen Erfahrungen und mündlichen Berichten der Jesuiten — wobei er gelegentlich sogar deren Darlegungen in der Ich-Form wiedergibt — zusätzlich gedruckte Berichte über China. In den Fragen, die ihn interessierten und die er daher behandelt, reproduziert er das zeitgenössische Wissen. Auf diese Weise stehen wichtige und unbedeutende, richtige und falsche, modern anmutende und geradezu abergläubisch-mystische Nachrichten und Anschauungen oft unvermittelt nebeneinander. Gerade darin besteht jedoch der Reiz dieses Dokumentes, dessen Unmittelbarkeit durch die detaillierte Kommentierung jeder Einzelheit eher beeinträchtigt würde. Das Manuskript wurde 1718 abgeschlossen. Es umgreift den Zeitraum vom 18. August 1715 bis zum 2. Februar 1717. Am 23. Dezember 1717 trafen Lange und Garwin wieder in Moskau ein. Aus europäischer Sicht informiert es über das China an der Wende vom 17. zum 18. Jh. mit Rückblicken auf die chinesische Geschichte. Lorenz Langes „Reise nach China" von 1718 erweitert zugleich unsere Kenntnisse über das damalige Rußland und über das seinerzeitige europäische China-Interesse. Als Vorlage für die Publikation diente eine Abschrift des Reiseberichtes aus dem 18. Jh., die unter der Signatur Ms. Diez C Fol. 20 in der Handschriftenabteilung der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, Hauptstadt der DDR, aufbewahrt wird und 119 Blätter umfaßt. Eine zweite Abschrift des Berichtes befindet sich unter der Signatur Rep. 94, IX, D 2 im Zentralen Staatsarchiv der DDR in Merseburg und enthält 89 Blätter. In den wenigen Fällen, in denen das zweite Manuskript inhaltlich vom ersten abweicht, wurde das angemerkt. Offensichtliche Wortverschreibungen im Berliner Manuskript wurden, z. T. mit Hilfe des Merseburger Manuskripts, stillschweigend korrigiert. Das Merseburger Manuskript enthält als Anhang in deutscher und französischer Fassung eine „Relation von dem Einzüge der chinesischen Ambassade in Moskau" im Jahre 1731, der im Berliner Manuskript nicht enthalten ist. Auf die Verzeichnung gelegentlicher stilistischer Abweichungen der Manuskripte, insbesondere von Wortumstellungen, wurde verzichtet. Da es sich um zwei orthographisch und grammatikalisch nicht einheitliche Abschriften handelt, konnte im Interesse einer besseren Lesbarkeit unter Wahrung stilistischer Eigentümlichkeiten und charakteristischer Wortbildungen der Zeit — beispielsweise Tartaren statt Tataren — eine vertretbare Angleichung des Textes an die moderne Orthographie, Grammatik und Zeichensetzung sowie eine Untergliederung in Absätze vorgenommen werden. Personen- und Orts111
namen werden, soweit das mit den im Literaturverzeichnis angegebenen Hilfsmitteln möglich war, in heutiger Schreibweise wiedergegeben. Textergänzungen werden in eckigen Klammern, zum Verständnis unabdingbare Erklärungen zusätzlich kursiv geboten. Die Herstellung der Druckvorlage nach dem Berliner Manuskript und den Vergleich mit dem Merseburger Manuskript hat Barbara Grau übernommen. Ihr für ihre gewissenhafte Arbeit und den Bewahrern der Manuskripte für die Genehmigung zur Publikation gilt der Dank der Herausgeber des Bandes und der Reihe. Eingeschlossen in diesen Dank ist die Kartenabteilung der Deutschen Staatsbibliothek, die die Vorlagen für die Abbildungen zur Verfügung stellte.
Bezeichnungen im Merseburger
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Solda Janicew 3 oder 400 Ada Mundirungsgebrauch 1 Million 54 heilig Drachen Gukino Calunmina
Manuskript
Seite 11 12 20 47 51 54 54 58 66 66 74
Umrechnung der verwendeten Maß- und Gewichtsbezeichnungen 1 Werst = 500 Faden = 1500 Arschin = 1066,8 m 1 Klafter = 1,80 — 2,00 m (Entfernung der Fingerspitzen der ausgebreiteten Arme eines Mannes) 1 Spanne = 25—30 cm (Breite der ausgespannten Hand) 1 Meile = etwa 7,5 km (aber sehr unterschiedlich in einzelnen Ländern) 1 Pud = 16,38 kg
Bezeichnungen im Merseburger
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Solda Janicew 3 oder 400 Ada Mundirungsgebrauch 1 Million 54 heilig Drachen Gukino Calunmina
Manuskript
Seite 11 12 20 47 51 54 54 58 66 66 74
Umrechnung der verwendeten Maß- und Gewichtsbezeichnungen 1 Werst = 500 Faden = 1500 Arschin = 1066,8 m 1 Klafter = 1,80 — 2,00 m (Entfernung der Fingerspitzen der ausgebreiteten Arme eines Mannes) 1 Spanne = 25—30 cm (Breite der ausgespannten Hand) 1 Meile = etwa 7,5 km (aber sehr unterschiedlich in einzelnen Ländern) 1 Pud = 16,38 kg
Literaturverzeichnis
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Bildunterschriften
S. 22 Ein Burjate mit Frau und Tochter um 1700. Die Burjaten, ein zentralasiatischer mongolider Volksstamm und im 17. und 18. Jh. oft „Bratsker Leute" genannt, siedelten damals im Gebiet um den Baikal-See S. 24 Irkutsk um 1700. Die Stadt wurde 1652 als Winterstation der Kosaken angelegt und existiert seit 1661 als Siedlung. Seit dem 18. Jh. Verwaltungszentrum Ostsibiriens. Lorenz Lange war hier ab 1739 Vizegouverneur S. 32 Chinesische Mauer um 1700 mit Grenzstation S. 34 Innenhof des chinesischen Kaiserpalastes in der zweiten Hälfte des 17. Jh. anläßlich des Empfangs einer holländischen Gesandtschaft S. 49 Peking in der zweiten Hälfte des 17. Jh. S. 55 Chinesische Bauern beim Pflügen S. 63 Der chinesische Kaiser K'ang-hsi im Jahre 1679 S. 71 Chinesische Frauen im 18. Jh. S. 74 Chinesische Männer im 17. Jh. S. 77 Macao, die erste Ansiedlung der Portugiesen in China seit 1557 S. 80 Die Jesuitenpatres Schall (1592-1666) und Verbiest (1623-1688), die durch ihr Wirken das europäische Chinabild nachhaltig beeinflußten S. 83 Die Sternwarte in Peking im 18. Jh. A. Schall und F. Verbiest waren deren langjährige Direktoren
Die Illustrationen wurden folgenden Quellen entnommen: Nicolaas Witsen,' Noord en oost Tartaryen, beheizende eene beschryving van verscheidene Tartersche en Natuurige Gewesten, in de noorder en vorstelykste deelen van Azien en Europa, Amsterdam 1785 (nach der Edition von 1705) Johann Baptista Du Halde, Ausführliche Beschreibung des chinesischen Reichs und der großen Tartarey Teil 2, Rostock 1748 Teil 3, Rostock 1749 Johann (Jan) Nieuhof, Die Gesandtschaft der Ostindischen Gesellschaft . . . an den Tartarischen Cham und nunmehr auch Sinischer Keiser . . ., Amsterdam 1666
Inhalt
Reise von Petersburg nach China und Beschreibung dieses Landes Beschreibung des Königreichs China
5 44
Das lte Kapitel
Von dem Herkommen und Namen des chinesischen Volkes
44
Das 2te Kapitel
Von der Größe dieses Reichs und den angrenzenden Ländern
46
Das 3te Kapitel
Von dem königlichen Hofstaat zu Peking Das 4te Kapitel
Von der Regierung dieses Reichs
48
50
Das 5te Kapitel
Von der Zahl des chinesischen Volkes und [dem] Tribut
53
Das 6te Kapitel
Von des chinesischen Kaisers Kleidung, Wappen und Namen 118
56
Das 7te Kapitel
Wie die jetzigen Tartaren zu dem Chineser-Reiche gekommen 59 Das 8te Kapitel
Von dem jetzt in China regierenden Kaiser Kang-hsi insbesondere 62 Das 9te Kapitel
Von der Religion in China
66
Das lOte Kapitel
Von den Wissenschaften und Künsten in China
68
Das llte Kapitel
Von der Sittenlehre der Chineser
70
Das 12te Kapitel
Von der christlichen Religion in China
74
Das 13te Kapitel
Von der Klage, die im Januar-Monat 1712 wider die christliche Religion bei dem Kaiser eingebracht worden 86 Hier folget noch eine Frage, ob der Kaiser Kang-hsi oder etliche seiner Kinder getauft sind 90 Conrad Grau: Wege nach China über Land und Meer um 1700 Bezeichnungen im Merseburger Manuskript 119
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Umrechnung der verwendeten Maß- und Gewichtsbezeichnungen 113 Literaturverzeichnis
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Bildunterschriften
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