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English, German Pages 448 [450] Year 2019
BEIHEFTE
Tim Kallenborn
Regionalsprachliche Syntax. Horizontal-vertikale Variation im Moselfränkischen
Germanistik
ZDL
Franz Steiner Verlag
zeitschrift für dialektologie und linguistik
beihefte
176
Tim Kallenborn Regionalsprachliche Syntax. Horizontal-vertikale Variation im Moselfränkischen
zeitschrift für dialektologie und linguistik beihefte In Verbindung mit Michael Elmentaler und Jürg Fleischer herausgegeben von Jürgen Erich Schmidt
band 176
Tim Kallenborn
Regionalsprachliche Syntax. Horizontal-vertikale Variation im Moselfränkischen
Franz Steiner Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12157-6 (Print) ISBN 978-3-515-12159-0 (E-Book)
Meinen Eltern und Marco
VORWORT Bis zur Fertigstellung der vorliegenden Arbeit, bei der es sich um eine leicht überarbeitete Version meiner 2016* an der Universität Wien eingereichten Dissertation handelt, war es ein weiter – oft steiniger und nicht einfacher – Weg. Dass ich diesen Weg gegangen bin und gehen konnte, liegt vor allem an zwei Dingen: Erstens habe ich in den zurückliegenden Jahren ganz persönlich erfahren dürfen, wie viel Wahrheit im Titel der von Peter Gilles, Joachim Scharloth und Evelyn Ziegler zu Ehren von Klaus J. Mattheier herausgegebenen Festschrift „Variatio delectat“ steckt. Denn sie delektiert so sehr, dass die Freude und die Neugier, die Spannung und die Erfahrungen, die ich im Umfeld des Verfassens dieses Textes und des akademischen Arbeitens insgesamt entdeckt habe, es wert waren, den Weg bis zum Ende zu gehen. Der zweite – noch wesentlichere – Aspekt ist der, dass eine große Zahl von Menschen einen Anteil am Zustandekommen dieser Monographie hat. Diesen Menschen soll hier in aller Form für ihre Unterstützung, die sich individuell in ganz verschiedenen Formen gezeigt hat, gedankt werden: Als Erstes gebührt mein ganz besonderer und herzlichster Dank meiner Betreuerin Alexandra N. Lenz (Wien), die der Arbeit über die gesamte Zeit mit Rat und Umsicht zur Seite stand. Ein zweiter, nicht minder herzlicher Dank gilt Jürgen Erich Schmidt (Marburg), der die folgenden Untersuchungen durch konstruktive und intensive Diskussionen unterstützt, gefördert und begleitet hat. Über diese beiden hinaus möchte ich mich ganz besonders bei meinen Wiener Kolleginnen und Kollegen bedanken, mit denen bei manchem Kaffee, Bier oder gar einem Whisky mit Zigarre der ein oder andere unausgegorene Gedanke diskutiert werden konnte, der später ausgereift in die folgenden Analysen eingeflossen ist: Danke Andrea Kleene, Michael „Mitschel“ Riccabona, Manfred „Manzi“ Glauninger, Andreas „Variandi“ Gellan, Fabian Fleißner, Juliane „Dschuli“ Fink, Timo Ahlers, Susanne Oberholzer und Ludwig Maximilian Breuer! Über das Wiener Team hinaus schulde ich vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen Dank für hilfreiche und konstruktive Diskussionen: Herzlichen Dank an Thomas Brooks (Wien), Shannon Dubenion-Smith (Bellingham WA, USA), Simon Kasper (Marburg), Katrin Kuhmichl (Siegen), Christian Ramelli (Saarbrücken), Albrecht Plewnia (Mannheim), Christoph Purschke (Luxemburg), Gertjan Postma (Amsterdam), Oliver Schallert (München) und Jan Vanhove (Fribourg/CH). Außerdem danke ich auch der Universität Groningen (Niederlande) und dem CLCG in Person von John Nerbonne für die Unterstützung in der Anfangsphase dieser Dissertation. An dieser Stelle gebührt auch allen Gewährspersonen ein großes Dankeschön. Das gilt sowohl für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fragebogenerhebung als auch für die Graacher Gewährspersonen, die sich dazu bereit erklärten, über mehrere Stunden Interviews mit mir zu führen und „merkwürdige Experi*
Die Arbeit am Manuskript der vorliegenden Monographie wurde im April 2016 abgeschlossen. Publikationen, die später erschienen sind, konnten daher nur punktuell berücksichtigt werden.
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Vorwort
mente“ über sich ergehen zu lassen. Ganz besonders danke ich an dieser Stelle dem Graacher Ortsbürgermeister Günther Zimmer, ohne dessen Einsatz die Informantenakquise ungleich komplizierter verlaufen wäre. Alle akademischen und wissenschaftlichen Diskussionen und Unterstützungen wären jedoch sinnlos, wenn mir nicht auch Familie und Freunde mit aller Kraft zur Seite gestanden hätten: Hier ist zuerst Verena Moosbrugger zu nennen, die mit ihrem unerschütterlichen Optimismus und ihrem Glauben an mich das Zustandekommen dieser Arbeit in einem nicht hoch genug einzuschätzenden Maße unterstützt hat: Danke für alles, Verena! Daneben möchte ich weiteren tollen Menschen für ihre Unterstützung in den verschiedensten Phasen dieser Arbeit (und des Lebens) danken: Danke Oliver Stein, Alisa Hanke, Robert Molter, Anne Kallenborn, Florian Aul, Tobias, Lukas, Sabine und Timo Nagel sowie Heidi Lang! Genauso fest wie diese Menschen haben auch mein Bruder Marco Kallenborn und meine Oma Marie-Luise Nagel an mich geglaubt und mich mit aller Kraft unterstützt, wofür auch ihnen mein tiefster Dank gilt. Der größte Dank kann an dieser Stelle aber niemand anderem als meinen Eltern Conny und Fred Kallenborn gebühren, ohne deren Unterstützung in allen Lebensphasen diese Arbeit nicht hätte entstehen können. DANKE!
INHALTSVERZEICHNIS ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .......................................................................... 15 TABELLENVERZEICHNIS................................................................................. 17 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ........................................................................... 19 KARTENVERZEICHNIS ..................................................................................... 27 1 EINLEITUNG: SYNTHESE VON REGIONALSPRACHENFORSCHUNG UND DIALEKTSYNTAX ZUR REGIONALSPRACHLICHEN SYNTAX .............................................. 29 1.1 Zum Thema der vorliegenden Arbeit ........................................................ 29 1.2 Zum Forschungsschwerpunkt Regionalsprachenforschung...................... 32 1.2.1 Allgemeine Forschungsfragen und Forschungsstand..................... 32 1.2.2 Grundbegriffe der modernen Regionalsprachenforschung (nach der Sprachdynamiktheorie) .................................................. 35 1.2.2.1 Allgemeine Vorbemerkungen .......................................... 35 1.2.2.2 „Synchronisierung“ .......................................................... 36 1.2.2.3 Zu den sprachlichen Registern „Varietät“ und „Sprechlage“ ..................................................................... 38 1.2.2.4 „Dialekt“, „Regiolekt“, „Standardsprache“ und „Regionalsprache“ ............................................................ 41 1.3 Zum Forschungsschwerpunkt Dialektsyntax ............................................ 43 1.4 Synthese: Regionalsprachliche Syntax ..................................................... 47 1.4.1 Regionalsprachliche Syntax: Ein Desiderat ................................... 47 1.4.2 Terminologische Probleme einer regionalsprachlichen Syntax ............................................................................................. 50 1.4.2.1 Was ist eine syntaktische Variable? ................................. 50 1.4.2.2 Zur Klassifikation syntaktischer Varianten – AUER (2004) ..................................................................... 56 1.4.2.3 Zur Adaption der sprachdynamischen Terminologie für syntaktische Fragestellungen ............... 58 1.4.3 Zum Problem ausreichend großer Datenmengen für die Analyse regionalsprachlicher Syntax ....................................... 62 1.5 Detaillierte Fragestellungen, Hypothesen und Erkenntnis interesse der vorliegenden Arbeit ............................................................. 64 2 ANLAGE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG .................................... 67 2.1 Zum Untersuchungsgebiet „Moselfränkisch“ ........................................... 67 2.2 Zur Auswahl der Variationsphänomene ................................................... 69
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Inhaltsverzeichnis
2.3 Datenerhebung und Korpuszusammensetzung ......................................... 72 2.3.1 Vorüberlegungen ............................................................................ 72 2.3.2 Areal-Horizontale Analyseperspektive 1: Moselfränkische Zwirner-Aufnahmen ........................................... 74 2.3.2.1 Ziele der Korpusanalysen ................................................. 74 2.3.2.2 Allgemeines zum Zwirner-Korpus: Möglichkeiten und Probleme ........................................... 74 2.3.2.3 Ortsnetz und Gewährspersonen ........................................ 77 2.3.3 Areal-Horizontale Analyseperspektive 2: Fragebogenerhebung ...................................................................... 78 2.3.3.1 Ziele der Fragebogenerhebung ......................................... 78 2.3.3.2 Ortsnetz und Gewährspersonen ........................................ 79 2.3.3.3 Aufbau des Fragebogens .................................................. 83 2.3.4 Vertikale Analyseperspektive: Das Graach-Korpus ...................... 85 2.3.4.1 Ziel der Erhebungen in Graach......................................... 85 2.3.4.2 Erhebungsort und Gewährspersonen ................................ 87 2.3.4.3 Allgemeines Setting der Datenerhebung .......................... 92 2.3.4.4 Sprachproduktionstests (SPT) .......................................... 95 2.3.4.5 Freie Gespräche: Freundesgespräch und Interview ........ 100 2.3.4.6 Zur Aufbereitung der erhobenen Daten .......................... 102 2.4 Statistische Präliminarien ........................................................................ 104 3 VARIABLENZENTRIERTE ANALYSEN ................................................... 109 3.1 Vorbemerkungen ..................................................................................... 109 3.2 VariableS „Progressivkonstruktionen“ .................................................... 110 3.2.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 110 3.2.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 115 3.2.3 Areal-horizontale Analysen 1: Progressivkonstruktion in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen............................. 121 3.2.4 Areal-horizontale Analysen 2: Progressivkonstruktionen in den Fragebogendaten ............................................................... 126 3.2.5 Vertikale Analysen: Progressivkonstruktionen im Graach-Korpus ............................................................................. 130 3.2.5.1 Zum Design der Sprachproduktionstests (SPT) ............. 130 3.2.5.2 Sprachproduktionstests – intra- und intersituative Analysedimension .......................................................... 133 3.2.5.3 Freundesgespräche und Interviews – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 140 3.2.5.4 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 143 3.2.6 Zusammenfassung ........................................................................ 145
Inhaltsverzeichnis
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3.3 VariableS „Finale Infinitivkonstruktionen“ ............................................. 148 3.3.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 148 3.3.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 154 3.3.3 Areal-horizontale Analysen 1: Finale Infinitivkonstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen .......... 157 3.3.4 Areal-horizontale Analysen 2: Finale Infinitivkonstruktionen in den Fragebogendaten ............................................ 160 3.3.5 Vertikale Analysen: Finale Infinitivkonstruktionen im Graach-Korpus ........................................................................ 162 3.3.5.1 Zum Design der Sprachproduktionstests (SPT) ............. 162 3.3.5.2 Sprachproduktionstests – intra- und intersituative Analysedimension .................................... 164 3.3.5.3 Freundesgespräche und Interviews – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 171 3.3.5.4 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 172 3.3.6 Zusammenfassung ........................................................................ 175 3.4 VariableS „Adnominale Possessivkonstruktionen“ ................................. 177 3.4.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 177 3.4.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 188 3.4.3 Areal-Horizontale Analysen 1: Adnominale Possessivkonstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ..................................................................... 192 3.4.4 Areal-Horizontale Analysen 2: Adnominale Possessivkonstruktionen in den Fragebogendaten ....................... 197 3.4.5 Vertikale Analysen: Adnominale Possessivkonstruk tionen im Graach-Korpus ............................................................. 201 3.4.5.1 Zum Design der Sprachproduktionstests (SPT) ............. 201 3.4.5.2 Sprachproduktionstests – Intra- und inter situative Analysedimension ............................................ 204 3.4.5.3 Freundesgespräche und Interviews – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 211 3.4.5.4 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 213 3.4.6 Zusammenfassung ........................................................................ 215 3.5 VariableS „Konstruktionen zum Ausdruck des irrealen Konjunktivs II“ .......................................................................... 218 3.5.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 218 3.5.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 225 3.5.3 Areal-horizontale Analysen 1: Konstruktionen zum Ausdruck des irrealen Konjunktivs II in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen........................................ 231
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Inhaltsverzeichnis
3.5.4 Areal-horizontale Analysen 2: Konstruktionen zum Ausdruck des irrealen Konjunktivs II in den Fragebogendaten .......................................................................... 236 3.5.5 Vertikale Analysen: Konstruktionen zum Ausdruck des irrealen Konjunktivs II im Graach-Korpus .................................. 239 3.5.5.1 Zum Design der Sprachproduktionstests (SPT) ............. 239 3.5.5.2 Sprachproduktionstests – Intra- und inter situative Analysedimension ............................................ 240 3.5.5.3 Freundesgespräche und Interviews – Intraund intersituative Analysedimension ............................. 246 3.5.5.4 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 251 3.5.6 Zusammenfassung ........................................................................ 256 3.6 VariableS „Dativpassiv“ .......................................................................... 258 3.6.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 258 3.6.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 264 3.6.3 Areal-Horizontale Analysen 1: Dativpassive in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen........................................ 268 3.6.4 Areal-Horizontale Analysen 2: Dativpassive in den Fragebogendaten .......................................................................... 270 3.6.5 Vertikale Analysen: Dativpassive im Graach-Korpus ................. 277 3.6.5.1 Zum Design der Sprachproduktionstests (SPT) ............. 277 3.6.5.2 Sprachproduktionstests – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 280 3.6.5.3 Freundesgespräche und Interviews – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 287 3.6.5.4 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 289 3.6.6 Zusammenfassung ........................................................................ 293 3.7 VariableS „StellungsvariantenS von MOD-INF-Verbalkom plexen in Verbletztsätzen“ ...................................................................... 296 3.7.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 296 3.7.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 302 3.7.3 Areal-Horizontale Analysen 1: StellungsvariantenS von MOD-INF-Verbalkomplexen in Verbletztsätzen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen........................................ 307 3.7.4 Areal-Horizontale Analysen 2: StellungsvariantenS von MOD-INF-Verbalkomplexen in Verbletztsätzen in den Fragebogendaten .......................................................................... 311 3.7.5 Vertikale Analysen: StellungsvariantenS von MOD-INFVerbalkomplexen in Verbletztsätzen im Graach-Korpus ............ 313 3.7.5.1 Zum Design der Sprachproduktionstests (SPT) ............. 313 3.7.5.2 Sprachproduktionstests – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 314
Inhaltsverzeichnis
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3.7.5.3 Freundesgespräche und Interviews – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 315 3.7.5.4 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 318 3.7.6 Zusammenfassung ........................................................................ 321 3.8 VariableS „Pronominaladverbien“ .......................................................... 322 3.8.1 Forschungsstand und grammatiktheoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 322 3.8.2 Normstatus und Distribution (horizontal und vertikal) ................ 330 3.8.3 Areal horizontale Analysen 1: Pronominaladverbien in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ................................. 336 3.8.4 Areal-horizontale Analysen 2: Pronominaladverbien in den Fragebogendaten ................................................................... 345 3.8.5 Vertikale Analysen: Pronominaladverbien im Graach-Korpus ............................................................................. 348 3.8.5.1 Vorbemerkungen ............................................................ 348 3.8.5.2 Freundesgespräche und Interviews – Intra- und intersituative Analysedimension .................................... 350 3.8.5.3 Erhebung von Pronominaladverbien in den SPT ........... 359 3.8.5.4 Sprachproduktionstests: Intra- und intersituative Analysedimension .......................................................... 360 3.8.5.5 Intra- und interindividuelle Analysedimension .............. 360 3.8.6 Zusammenfassung ........................................................................ 364 3.9 Zusammenfassung ................................................................................... 368 4 VARIABLENÜBERGREIFENDE ANALYSEN .......................................... 371 4.1 Fragestellungen und methodische Grundlagen ....................................... 371 4.1.1 Vorbemerkungen .......................................................................... 371 4.1.2 Zur Selektion der berücksichtigten VariantenS ............................ 372 4.1.3 Zum statistischen Verfahren der Clusteranalyse .......................... 374 4.2 Variantenklassifikation ........................................................................... 379 4.3 Sprechergruppen auf der Grundlage des individuellen Sprachverhaltens ..................................................................................... 383 4.3.1 Vorüberlegungen .......................................................................... 383 4.3.2 Klassifikation der Gewährspersonen anhand der SPT-Daten .............................................................................. 385 5 ZUSAMMENFASSUNG................................................................................ 405 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................. 411 ANHANG ............................................................................................................ 429
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AdA .................................... Atlas zur deutschen Alltagssprache Akk..................................... Akkusativ AUX ................................... Auxiliar BD ...................................... Basisdialekt D3....................................... Distanzverdreifachung von Pronominaladverbien Dat ...................................... Dativ DGD ................................... Datenbank für Gesprochenes Deutsch DP ...................................... Variablenname in Kapitel 4: Dativpassiv DPAux ............................... Variablenname in Kapitel 4: Dativpassiv-Auxiliar DV ...................................... Distanzverdoppelung von Pronominaladverbien EP ....................................... Einfaches Pronominaladverb FB....................................... Fragebogen FINAL ................................ Variablenname in Kapitel 4: Finaler Infinitiv INF ..................................... Infinitiv eines lexikalischen Vollverbs IOD .................................... Intendierter Ortsdialekt ISS ...................................... Intendierte Standardsprache KON ................................... Variablenname in Kapitel 4: Konjunktiv KV ...................................... Kurze Verdoppelung von Pronominaladverbien Infinitregierendes (lexikalisches) Vollverb LEX .................................... (z.B. gehen) bei Dubenion-Smith (2008) LK ...................................... Linke Klammer (im topologischen Feldermodell) MF ...................................... Mittelfeld (im topologischen Feldermodell) mfr. ..................................... moselfränkisch MOD .................................. Modalverb NF ...................................... Nachfeld (im topologischen Feldermodell) Nom ................................... Nominativ NORM ............................... „non-mobile“, „older“, „rural“ und „male“ NORF ................................. „non-mobile“, „older“, „rural“ und „female“
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Abkürzungsverzeichnis
NP ...................................... Nominalphrase Pronominaladverb ohne overtes Element und OOVEBF ........................... mit besetztem Vorfeld Pronominaladverb ohne overtes Element OOVELVF ......................... und mit leerem Vorfeld PART ................................. Partizip II PM ...................................... Possessum PP ....................................... Präpositionalphrase POSS .................................. Variablenname in Kapitel 4: Possessivkonstruktionen PR....................................... Possessor PROG ................................. Variablenname in Kapitel 4: Progressivkonstruktionen RA ...................................... Regionalakzent RD ...................................... Regionaldialekt REDE ................................. Projekt „Regionalsprache.de“ RK ...................................... Rechte Klammer (im topologischen Feldermodell) RS....................................... Regionaler Substandard SADS ................................. Syntaktischer Atlas der Deutschen Schweiz SAND................................. Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten SP ....................................... Spaltungskonstruktion von Pronominaladverbien SPT..................................... Sprachproduktionstest / Sprachproduktionstests Dialektdurchgang Sprachproduktionstest / SPT-D ................................ Sprachproduktionstests Standarddurchgang Sprachproduktionstest / SPT-S ................................. Sprachproduktionstests SyHD ................................. Projekt „Syntax hessischer Dialekte“ SynAlm .............................. Projekt „Syntax des Alemannischen“ V2-Satz .............................. Verbzweitsatz VF ...................................... Vorfeld (im topologischen Feldermodell) VL-Satz .............................. Verbletztsatz VPR .................................... Verb-Projection-Raising
TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Übersicht über die selektierten und analysierten Variationsphänomene .................................................................................... 71 Tabelle 2: Für syntaktische Analysen notwendige Textmengen ........................... 73 Tabelle 3: In der DGD verwendete Labels zur Kennzeichnung der Zwirner-Aufnahmen ...................................................................................... 75 Tabelle 4: Umfang der im Zwirner-Korpus analysierten Daten ............................ 78 Tabelle 5: Übersicht über den Umfang der Daten aus den freien Gesprächen .... 102 Tabelle 6: Zusammenfassung zur Distribution der Progressivkonstruktionen .... 120 Tabelle 7: Vermutete Distribution der finalen Infinitivkonstruktionen im Moselfränkischen und in der Standardsprache ............................................ 157 Tabelle 8: Übersicht über die Distribution adnominaler Possessivkonstruktionen .............................................................................. 192 Tabelle 9: Erwartete Konjunktiv-II-VariantenS in den vertikalen regionalsprachlichen Registern ................................................................................. 231 Tabelle 10: Auswahl der Dativpassiv-Videos für den Vergleich zwischen den SPT-Durchgängen ................................................................................. 279 Tabelle 11: Frequenzen der 2-1- und der 1-2-Stellung für das Westmitteldeutsche................................................................................ 308 Tabelle 12: Belegte Vorkommen der jeweiligen Wortstellungen mit einzelnen Modalverben in den SPT ............................................................. 315 Tabelle 13: Belegte Vorkommen der jeweiligen Wortstellungen mit einzelnen Modalverben in den Daten der freien Gespräche ........................ 317 Tabelle 14: Belegte Vorkommen der jeweiligen Wortstellungen mit einzelnen Modalverben in den Daten der freien Gespräche (nur Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen) .................... 317 Tabelle 15: Paradigma der Pronominaladverbien ................................................ 323 Tabelle 16: Übersicht über belegte Pronominaladverb-VariantenS im Moselfränkischen (dialektale Register) ....................................................... 334 Tabelle 17: Übersicht über belegte Pronominaladverb-VariantenS im Westmitteldeutschen ............................................................................... 336 Tabelle 18: Übersicht über belegte Pronominaladverb-VariantenS im Moselfränkischen bzw. Westmitteldeutschen (dialektale und regiolektale Register) ............................................................................ 336 Tabelle 19: Frequenzen der einzelnen Pronominaladverbien im Zwirner-Korpus ........................................................................................... 338 Tabelle 20: Matrix der Stellungen von Erst- und Zweitglied bei DV-VariantenS ............................................................................................. 344 Tabelle 21: Matrix der Stellungen von Erst- und Zweitglied bei SP-VariantenS .............................................................................................. 344 Tabelle 22: Frequenzen der einzelnen Pronominaladverbien in den freien Gesprächen ........................................................................................ 350 Tabelle 23: Matrix der Stellungen von da(r)-Erstglied und präpositionalem Zweitglied der DV-Konstruktionen in V2-Sätzen ...................................... 356
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 24: Übersicht über belegte Pronominaladverb-Konstruktionen im Moselfränkischen.................................................................................... 365 Tabelle 25: Übersicht über belegte Pronominaladverb-Konstruktionen im Westmitteldeutschen ............................................................................... 365 Tabelle 26: Belegte Konstruktionen im Freundesgespräch und SPT-D .............. 366 Tabelle 27: Belegte Konstruktionen im Interview und SPT-S ............................ 366 Tabelle 28: Beispiel einer von SPSS ausgegebenen Clusterzugehörigkeitstabelle ........................................................................ 377 Tabelle 29: Ausschnitt aus der Ausgangsmatrix für die Clusteranalyse ............. 378 Tabelle 30: Konstruiertes Beispiel für fehlende Werte in den Ausgangsmatrizen der Clusteranalysen ....................................................... 379
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Moderne Regionalsprachenforschung und Dialektsyntax ............... 30 Abbildung 2: Analyseebenen von standardsprachlicher und Dialektsyntax nach Auer (2004, 72) ..................................................................................... 57 Abbildung 3: Beispiel für eine Fragebogenaufgabe (Puzzleaufgabe) ................... 85 Abbildung 4: Alter der Gewährspersonen der direkten Erhebung ........................ 89 Abbildung 5: Durchschnittliche aktive Dialekt- und „Hochdeutsch“Kompetenz nach subjektiver Einschätzung der Gewährspersonen ............... 92 Abbildung 6: Beispielausschnitt aus einer Transliteration .................................. 103 Abbildung 7: Frequenzen der Progressivkonstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....................................................... 122 Abbildung 8: Frequenzen unterschiedlicher Verarbeitungsstrategien von Akkusativobjekten mit dem am-Progressiv ................................................. 126 Abbildung 9: Frequenzen der Progressivkonstruktionen in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens ....................................................... 128 Abbildung 10: Strategien zur Verarbeitung eines Akkusativobjekts bei amProgressiven in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens ....................... 129 Abbildung 11: Verhältnis von nullwertigen, intransitiven, mono- und ditransitiven Verben in den SPT-Durchgängen ........................................... 132 Abbildung 12: Frequenzen der Progressivkonstruktionen in den Einzelaufgaben im SPT-D ........................................................................... 133 Abbildung 13: Frequenzen der Progressivkonstruktionen in den Einzelaufgaben im SPT-S ............................................................................ 134 Abbildung 14: Frequenzen der Progressivkonstruktionen in den SPT ................ 136 Abbildung 15: Frequenzen der Verarbeitungsstrategien von Akkusativobjekten bei monotransitiven Verben in den beiden Gewährspersonengenerationen ................................................................................................. 138 Abbildung 16: Frequenzen der Verarbeitungsstrategien von Akkusativ objekten bei monotransitiven Verben in den beiden SPT-Durchgängen ..... 138 Abbildung 17: Frequenzen der Progressivkonstruktionen in den freien Gesprächen ........................................................................................ 140 Abbildung 18: Intergenerationeller Vergleich der Strategien zur Verarbeitung von Akkusativobjekten mit dem am-Progressiv in den freien Gesprächen (alle Gewährspersonen) ................................................ 142 Abbildung 19: Intersituativer Vergleich der Strategien zur Verarbeitung von Akkusativobjekten mit dem am-Progressiv in den freien Gesprächen des Graach-Korpus (alle Gewährspersonen) .............................................. 142 Abbildung 20: Individuelle Frequenzen der Progressivkonstruktionen im SPT-D .......................................................................................... 143 Abbildung 21: Individuelle Frequenzen der Progressivkonstruktionen im SPT-S ...................................................................................................... 144 Abbildung 22: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....................................................... 158
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 23: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in der Vervollständigungsaufgabe des Fragebogens .............................................. 161 Abbildung 24: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in den Einzelaufgaben im SPT-D ........................................................................... 164 Abbildung 25: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in den Einzelaufgaben im SPT-S ............................................................................ 165 Abbildung 26: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in den SPT ....... 166 Abbildung 27: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen mit der entsprechenden Anzahl zusätzlich realisierter Phrasen ............................... 169 Abbildung 28: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Daten aus Freundesgesprächen und Interviews) ............................................................................................ 171 Abbildung 29: Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen in den Interviews (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen) ................................................................................... 172 Abbildung 30: Individuelle Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen im SPT-D ..................................................................................................... 173 Abbildung 31: Individuelle Frequenzen der finalen Infinitivkonstruktionen im SPT-S ...................................................................................................... 173 Abbildung 32: Frequenzen der PM-von-PR- und der PRdat-Poss-PMKonstruktion in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ...................... 193 Abbildung 33: Frequenzen der PM-von-PR- und der PRdat-Poss-PMKonstruktion in den Zwirner-Aufnahmen differenziert nach der Substantivkategorie des Possessors ............................................................. 194 Abbildung 34: Frequenzen der adnominalen Possessivkonstruktionen in der Ergänzungsaufgabe des Fragebogens ................................................ 198 Abbildung 35: Beispielskizze eines in den SPT verwendeten Possessum-Stimulus..................................................................................... 202 Abbildung 36: Beispielskizze des Nebeneinanders von Possessor und Possessum im SPT ....................................................................................... 202 Abbildung 37: Frequenzen der adnominalen Possessivkonstruktionen in den Einzelaufgaben im SPT-D .................................................................... 205 Abbildung 38: Frequenzen der adnominalen Possessivkonstruktionen in den Einzelaufgaben im SPT-S ..................................................................... 205 Abbildung 39: Frequenzen der adnominalen Possessivkonstruktionen in den SPT ........................................................................................................ 206 Abbildung 40: Frequenzen adnominaler Possessivkonstruktionen im SPT-D Substantivklassen des Possessors im Vergleich: Propria und Appellativa ............................................................................... 208 Abbildung 41: Frequenzen adnominaler Possessivkonstruktionen im SPT-S Substantivklassen des Possessors im Vergleich: Propria und Appellativa ............................................................................... 208 Abbildung 42: Frequenzen adnominaler Possessivkonstruktionen in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Daten aus den Freundesgesprächen) ................................................................................... 211
Abbildungsverzeichnis
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Abbildung 43: Frequenzen adnominaler Possessivkonstruktionen in den Interviews (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen) ................................................................................... 213 Abbildung 44: Individuelle Frequenzen der adnominalen Possessivkonstruktionen im SPT-D ............................................................. 214 Abbildung 45: Individuelle Frequenzen der adnominalen Possessivkonstruktionen im SPT-S ............................................................. 214 Abbildung 46: Frequenzen der Konjunktiv-II-VariantenS in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....................................................... 232 Abbildung 47: Frequenzen der würde- und täte-Konjunktive sowie der VollKon-VariantenS in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....... 233 Abbildung 48: Frequenzen der Konjunktivauxiliare in den mosel fränkischen Zwirner-Aufnahmen ................................................................. 234 Abbildung 49: Frequenzen der Konjunktiv-II-VariantenS in der Ergänzungsaufgabe des Fragebogens .......................................................... 236 Abbildung 50: Frequenzen der Konjunktiv-II-VariantenS in den Einzelaufgaben im SPT-D ........................................................................... 240 Abbildung 51: Frequenzen der Konjunktiv-II-VariantenS in den Einzelaufgaben im SPT-S ............................................................................ 241 Abbildung 52: Frequenzen der Konjunktiv-II-VariantenS in den SPT ................ 242 Abbildung 53: Das Verhältnis von täte- und würde-Konjunktiven in den SPT .................................................................................................... 243 Abbildung 54: Das Verhältnis von periphrastischen und nicht periphrastischen Konjunktiv-II-VariantenS in den SPT............................... 244 Abbildung 55: Frequenzen von Konjunktiv-II-VariantenS in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Daten aus den Freundesgesprächen) ................................................................................... 246 Abbildung 56: Frequenzen von Konjunktiv-II-VariantenS in den Interviews (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen) ................... 247 Abbildung 57: Frequenzen von täte- und würde-Periphrasen in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Daten aus Freundesgesprächen) .................................................................................................. 248 Abbildung 58: Frequenzen von täte- und würde-Periphrasen im Interview (Gewährspersonen ohne Daten aus Freundesgesprächen) .................................................................................................. 249 Abbildung 59: Individuelle Frequenzen von Konjunktivkonstruktionen im SPT-D ..................................................................................................... 252 Abbildung 60: Individuelle Frequenzen von Konjunktivkonstruktionen im SPT-S ...................................................................................................... 252 Abbildung 61: Individuelle Frequenzen von Konjunktiv-II-VariantenS im Freundesgespräch (Gewährspersonen mit Daten aus Interviews und Freundesgesprächen) ................................................................................... 254 Abbildung 62: Individuelle Frequenzen von Konjunktiv-II-VariantenS im Interview (ausschließlich Gewährspersonen mit Daten aus Interviews und Freundesgesprächen) ............................................................................ 254
22
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 63: Individuelle Frequenzen einzelner Konjunktivkonstruktion en im Interview (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen) ............................................................................. 255 Abbildung 64: Skizze der Bildergeschichte „Blumentopfübergabe“ .................. 271 Abbildung 65: Frequenzen der einzelnen Dativpassiv-VariantenS in der Bildergeschichte „Blumenstockübergabe“ des Fragebogens ........... 272 Abbildung 66: Frequenzen der Dativpassiv-VariantenS in der Bilderge schichte „Banane wegnehmen“ des Fragebogens ........................................ 274 Abbildung 67: Frequenzen der Dativpassiv-VariantenS in den Einzelaufgaben im SPT-D ........................................................................... 280 Abbildung 68: Frequenzen der Dativpassiv-VariantenS in den Einzelaufgaben im SPT-S ............................................................................ 281 Abbildung 69: Frequenzen der Dativpassiv-VariantenS in den SPT ................... 282 Abbildung 70: Frequenzen von kriegen und bekommen als Dativpassiv-Auxiliar in den Einzelaufgaben im SPT-D .............................. 284 Abbildung 71: Frequenzen von kriegen und bekommen als DativpassivAuxiliar in den Einzelaufgaben im SPT-S ................................................... 285 Abbildung 72: Frequenzen von kriegen und bekommen als DativpassivAuxiliar in den SPT ..................................................................................... 286 Abbildung 73: Individuelle Frequenzen von Dativpassiv-VariantenS im SPT-D ..................................................................................................... 290 Abbildung 74: Individuelle Frequenzen von Dativpassiv-VariantenS im SPT-S ...................................................................................................... 290 Abbildung 75: Individuelle Frequenzen der Auxiliare kriegen und bekommen im SPT-D ................................................................................... 291 Abbildung 76: Individuelle Frequenzen der Auxiliare kriegen und bekommen im SPT-S .................................................................................... 292 Abbildung 77: Frequenzen der 2-1- und 1-2-Stellung im MOD-INFVerbalkomplex in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen .................. 308 Abbildung 78: Frequenzen der 2-1- und der 1-2-Stellung in Abhängigkeit der verwendeten Modalverben..................................................................... 311 Abbildung 79: Puzzleaufgabe zur Erhebung von MOD-INF-Verbalkomplexen in Verbletztsätzen ...................................................................... 312 Abbildung 80: Frequenzen der 2-1- und der 1-2-Stellung in den SPT ................ 314 Abbildung 81: Frequenzen der 1-2- und der 2-1-Stellung in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Daten aus den Freundesgesprächen) .................................................................................................. 316 Abbildung 82: Frequenzen der 1-2- und der 2-1-Stellung im Interview (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen) ................... 316 Abbildung 83: Individuelle Frequenzen der 2-1- und 1-2-Stellung im SPT-D (alle älteren Gewährspersonen) ....................................................... 318 Abbildung 84: Individuelle Frequenzen der 2-1- und 1-2-Stellung im SPT-S (alle älteren Gewährspersonen) ........................................................ 319 Abbildung 85: Individuelle Frequenzen von 2-1- und 1-2-Stellung im Freundesgespräch ................................................................................... 320
Abbildungsverzeichnis
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Abbildung 86: Individuelle Frequenzen von 2-1- und 1-2-Stellung im Interview (ältere Gewährspersonen mit Daten aus dem Freundesgespräch) ....................................................................................... 320 Abbildung 87: Individuelle Frequenzen von 2-1- und 1-2-Stellung im Interview (ältere Gewährspersonen ohne Daten aus dem Freundesgespräch) ....................................................................................... 321 Abbildung 88: Frequenzen der VariantenS mit da(r)-Pronominaladverbien in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen (vokalisch anlautende Präpositionen) .............................................................................................. 339 Abbildung 89: Frequenzen der VariantenS mit da(r)-Pronominaladverbien in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen (konsonantisch anlautende Präpositionen) ............................................................................ 339 Abbildung 90: Frequenzen der Stellung der Pronominaladverb-VariantenS in den topologischen Feldern ....................................................................... 343 Abbildung 91: Frequenzen der Pronominaladverb-VariantenS in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens (konsonantisch anlautende Präposition – davon) .................................................................................... 346 Abbildung 92: Frequenzen der Pronominaladverb-VariantenS in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens (vokalisch anlautende Präposition – daran) .................................................................................... 346 Abbildung 93: Frequenzen der VariantenS von da(r)-Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Freundesgesprächdaten) ........................................ 351 Abbildung 94: Frequenzen der VariantenS von da(r)-Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition in den freien Gesprächen (Gewährspersonen mit Freundesgesprächdaten) ........................................ 351 Abbildung 95: Frequenzen der VariantenS von da(r)-Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition in den Interviews (Gewährspersonen ohne Freundesgespräche) ............................................ 353 Abbildung 96: Frequenzen der VariantenS von da(r)-Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition in den Interviews (Gewährspersonen ohne Freundesgespräche) ............................................ 353 Abbildung 97: Frequenzen der Pronominaladverb-VariantenS in den topologischen Feldern (V2-Sätze) ............................................................... 354 Abbildung 98: Frequenzen der Pronominaladverb-VariantenS in den topologischen Feldern (VL-Sätze) ............................................................... 355 Abbildung 99: Frequenzen von da(r)- und hier-Pronominaladverbien in den freien Gesprächen des Graach-Korpus (Gewährspersonen mit Daten aus den Freundesgesprächen) ............................................................ 357 Abbildung 100: Individuelle Frequenzen der VariantenS von da(r)Pronominaladverbien im Freundesgespräch (vokalisch anlautende Präpositionen) ............................................................................ 361 Abbildung 101: Individuelle Frequenzen von da(r)-Pronominaladverbien im Interview (Gewährspersonen mit Daten aus den Freundesgesprächen; vokalisch anlautende Präpositionen ...................................... 361
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 102: Individuelle Frequenzen der VariantenS von da(r)Pronominaladverbien im Freundesgespräch (konsonantisch anlautende Präpositionen) ............................................................................ 362 Abbildung 103: Individuelle Frequenzen von da(r)-Pronominaladverbien im Interview (Gewährspersonen mit Daten aus den Freundesgesprächen; konsonantisch anlautende Präpositionen) ........................... 362 Abbildung 104: Individuelle Frequenzen von da(r)-Pronominaladverbien im Interview (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen; vokalisch anlautende Präpositionen) .................................... 363 Abbildung 105: Individuelle Frequenzen von da(r)-Pronominaladverbien im Interview (Gewährspersonen ohne Daten aus den Freundesgesprächen; konsonantisch anlautende Präpositionen) ........................... 363 Abbildung 106: Beispiel für ein Dendrogramm als Ergebnis einer Clusteranalyse ..................................................................................... 376 Abbildung 107: Dendrogramm zur Clusteranalyse der syntaktischen Varianten ............................................................................... 381 Abbildung 108: Mittelwerte der Variantenfrequenzen im SPT-D und SPT-S im Vergleich, sortiert nach Variantencluster .................................... 382 Abbildung 109: Dendrogramm der Clusterung der 30 Aufnahmen im SPT-D und der 30 Aufnahmen im SPT-S) ............................................. 386 Abbildung 110: Frequenzmittelwerte der VariantenS in den Hauptaufnahmeclustern A und B ................................................................. 387 Abbildung 111: Frequenzmittelwerte der VariantenS in den Aufnahmeclustern A.1 und A.2 ................................................................... 388 Abbildung 112: Frequenzmittelwerte der VariantenS in den Aufnahmeclustern A.1.1 und A.1.2 ............................................................. 389 Abbildung 113: Frequenzmittelwerte der VariantenS in den Aufnahmeclustern A.2.1 und A.2.2 ............................................................. 389 Abbildung 114: Frequenzmittelwerte der VariantenS in den Aufnahmeclustern B.1 und B.2.................................................................... 391 Abbildung 115: Frequenzen der einzelnen VariantenS von GRA02 im SPT-D ..................................................................................................... 393 Abbildung 116: Frequenzen der einzelnen VariantenS von GRA02 im SPT-D ..................................................................................................... 393 Abbildung 117: Frequenzen der VariantenS aller SPT-D- und SPT-S-Aufnahmen ....................................................................................... 395 Abbildung 118: Frequenzmittelwerte aller VariantenS der Variantencluster I.b und II.a in den Aufnahmeclustern B, A.1 und A.2 ................................. 399 Abbildung 119: Clusterzugehörigkeit der Gewährspersonen im SPT-D und im SPT-S im Vergleich ............................................................. 400 Abbildung 120: Altersstruktur in den jeweiligen „Wechselmustern“ zwischen SPT-D- und SPT-S-Cluster .......................................................... 401 Abbildung 121: Typen intersituativer Sprachvariation im engen Informantensample von LENZ (2003, 246) .................................................. 402
Abbildungsverzeichnis
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Abbildung 122: Alternative Darstellung der von LENZ (2003, 246) eruierten „Typen intersituativer Sprachvariation“ ....................................... 403
KARTENVERZEICHNIS Karte 1: Grundkarte des Erhebungsgebiets; basierend auf WIESINGER (1983) ..... 69 Karte 2: Ortsnetz der moselfränkischen Zwirner-Transliterationen ...................... 77 Karte 3: Ortsnetz der Fragebogenerhebung ........................................................... 80 Karte 4: AdA-Karte „Sie ist noch am schlafen“ .................................................. 118 Karte 5: AdA-Karte „Ich bin gerade die Uhr am reparieren“ .............................. 118 Karte 6: Areale Distribution der Progressivkonstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....................................................... 125 Karte 7: Areale Distribution der Progressivkonstruktionen in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens ....................................................... 127 Karte 8: AdA-Karte „um/für … zu kaufen“ ........................................................ 156 Karte 9: Areale Distribution der finalen Infinitivkonstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....................................................... 159 Karte 10: Areale Distribution der finalen Infinitivkonstruktionen in der Vervollständigungsaufgabe des Fragebogens .............................................. 162 Karte 11: Areale Distribution der PM-von-PR- und der PRdat-Poss-PMKonstruktion in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ...................... 193 Karte 12: Areale Distribution der Possessivkonstruktionen in der Ergänzungsaufgabe des Fragebogens .......................................................... 199 Karte 13: Areale Distribution der PRdat-Poss-PM-Subtypen in der Ergänzungsaufgabe des Fragebogens .......................................................... 200 Karte 14: AdA-Karte „Artikel + Vorname“ im Kontext „Unter Freunden“........ 201 Karte 15: AdA-Karte „Wenn er nur nicht zu spät kommen würd(e)/ kommen tät(e)/käm(e)/kommt“ ................................................................... 228 Karte 16: AdA-Karte „Das täte/würde ich gerne mal ausprobieren“ .................. 228 Karte 17: Areale Distribution der Konjunktiv-II-Konstruktionen in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen ....................................................... 234 Karte 18: Areale Distribution der Konjunktiv-II-VariantenS in der Ergänzungsaufgabe des Fragebogens .......................................................... 238 Karte 19: AdA-Karte „geholfen kriegen“ ............................................................ 266 Karte 20: AdA-Karte „geholfen bekommen“ ...................................................... 266 Karte 21: Absolute Zahl von Dativpassivbelegen an den Zwirner-Orten ........... 269 Karte 22: Verhältnis von Gewährspersonen mit mind. einem Dativpassivbeleg und Gewährspersonen ohne Dativpassivbeleg ................ 269 Karte 23: Areale Distribution der Dativpassiv-VariantenS in der Bildergeschichte „Blumenstockübergabe“ des Fragebogens ...................... 274 Karte 24: Areale Distribution der Dativpassiv-VariantenS in der Bildergeschichte „Banane wegnehmen“ des Fragebogens .......................... 275 Karte 25: Areale Distribution der 2-1- und der 1-2-Stellung im MOD-INF-Verbalkomplex in den moselfränkischen ZwirnerAufnahmen................................................................................................... 310 Karte 26: Areale Distribution der 2-1- und 1-2-Stellung im MOD-INFVerbalkomplex in Verbletztsätzen in der Puzzleaufgabe des Fragebogens ................................................................................................. 312
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Kartenverzeichnis
Karte 27: Areale Distribution der VariantenS mit da(r)-Pronominalad verbien in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen (vokalisch anlautende Präpositionen) ............................................................................ 341 Karte 28: Areale Distribution der VariantenS mit da(r)-Pronominalad verbien in den moselfränkischen Zwirner-Aufnahmen (konsonantisch anlautende Präpositionen) .............................................. 342 Karte 29: Areale Distribution der Pronominaladverb-VariantenS in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens ....................................................... 347 Karte 30: Areale Distribution der Pronominaladverb-VariantenS in der Übersetzungsaufgabe des Fragebogens ....................................................... 348
1 EINLEITUNG: SYNTHESE VON REGIONALSPRACHENFORSCHUNG UND DIALEKTSYNTAX ZUR REGIONALSPRACHLICHEN SYNTAX 1.1 ZUM THEMA DER VORLIEGENDEN ARBEIT In der rezenten germanistischen Variationslinguistik lassen sich (neben vielen anderen) aktuell zwei Forschungsschwerpunkte beobachten: zum einen die sog. Regionalsprachenforschung, die sich – anders als die traditionelle Dialektologie – nicht mehr ausschließlich mit der Erforschung basisdialektaler Strukturen befasst, sondern das gesamte vertikale1 Variationsspektrum erforscht, und zum anderen die mittlerweile boomende Erforschung eines früheren „Stiefkinds der Dialektologie“2, die variationslinguistische Erforschung arealer Strukturen in der Syntax, die sog. Dialektsyntax. Insgesamt wurden die beiden Ansätze bislang nur unzureichend zusammengeführt: Denn während man sich in der Regionalsprachenforschung bisher häufig auf Untersuchungen und Analysen zu phonetischphonologischen Fragestellungen konzentriert und syntaktische Strukturen häufig unberücksichtigt bleiben, fokussieren sich – wie der Name bereits impliziert – dialektsyntaktische Arbeiten zumeist auf die Erforschung dialektaler Strukturen und lassen weitere regionalsprachliche Varietäten und Sprechlagen weitgehend außer Acht. Das Verhältnis der Disziplinen Regionalsprachenforschung und Dialektsyntax lässt sich graphisch wie in Abbildung 1 zusammenfassen: Während das vertikale Variationsspektrum in seiner Gesamtheit von der Regionalsprachenforschung untersucht wird, klafft für die Syntax ein großes Fragezeichen in nicht dialektalen Registern, das aus der Konzentration der Dialektsyntax auf den Dialekt und aus der Schwerpunktsetzung der modernen Regionalsprachenforschung auf die phonetisch-phonologische Systemebene resultiert. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, dieses Desiderat anzugehen und erstmals systematisch Variation in der Vertikalen anhand syntaktischer Varianten zu untersuchen und damit moderne Regionalsprachenforschung und Dialektsyntax zu einer „regionalsprachlichen Syntax“ zusammenzuführen. Dabei wird mit DÜRSCHEID (2010, 11) unter „Syntax“ ein Untersuchungsgegenstand verstanden, der „alle sprachlichen Strukturen [umfasst; TK], deren gemeinsames Merkmal es ist, dass es sich um Verbindungen oberhalb der Wortebene handelt. Der Satz stellt die obere Einheit dieser Verbindungen dar, das Wort die untere.“
1 2
Zu einer Explikation von „vertikaler“ und „horizontaler“ Variationsdimension vgl. Kapitel 1.2. Obwohl sich GLASER (2000, 258) klar auf die Arbeit von SCHWARZ (1950) bezieht, wird das Zitat „Stiefkind der Dialektologie“ häufig GLASER selbst zugeschrieben (vgl. z. B. WEISS 2004, 21 und 2016).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
Phonetik/Phonologie
Syntax
Moderne Regionalsprachenforschung
Vertikales Variationsspektrum
Standardnächste Sprechlagen
? Dialektsyntax
Dialektalste Sprechlagen
Abbildung 1: Moderne Regionalsprachenforschung, Dialektsyntax und die jeweils untersuchten Systemebenen und Varietäten3
Als Untersuchungsregion wurde für die vorliegende Arbeit das Moselfränkische ausgewählt, was unter anderem mit der exzellenten variationslinguistischen Forschungslage in diesem Dialektverband zu begründen ist (für eine ausführlichere Skizze des Forschungsstands im Moselfränkischen sowie weitere Gründe zur Auswahl des Untersuchungsgebiets vgl. Kapitel 2.1). Die für die vorliegende Arbeit wichtigste Arbeit hat LENZ (2003) vorgelegt, die das vertikale Variationsspektrum der moselfränkischen Stadt Wittlich anhand phonetisch-phonologischer Variablen genau analysiert und beschrieben hat. Ihre Untersuchung stellt damit einen idealen Vergleichspunkt für die in der vorliegenden Arbeit angestrebte Analyse dar. Mit dem bisher Erläuterten lassen sich die Hauptfragestellungen, die die vorliegende Untersuchung beantworten möchte, wie folgt formulieren: Lässt sich auch für syntaktische Variationsphänomene Variation entlang der DialektStandard-Achse nachweisen und wie sieht diese aus? Weil – wie unten gezeigt wird – auch die areale Variationsdimension Teil der Regionalsprachenforschung ist, muss eine regionalsprachliche Syntax auch diese Dimension berücksichtigen. Daher wird im Zuge der Arbeit auch danach gefragt, ob sich innerhalb des Moselfränkischen Raumbilder für syntaktische Variationsphänomene ergeben. Selbstverständlich bedürfen diese recht allgemeinen Fragen weiterer Spezifizierungen. 3
Die in der Abbildung verwendeten Termini „standardnächste“ bzw. „dialektalste Sprechlagen“ stellen zunächst terminologische Platzhalter dar, die im Verlauf von Kapitel 1 durch fundierte Termini der Regionalsprachenforschung ersetzt werden. Der Terminus „Mittlerer Bereich“ geht zurück auf BELLMANN (1983, 117). Auch diese Bezeichnung ist hier zunächst als Platzhalter zu verstehen. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird ausführlich expliziert, was unter „mittlerem Bereich“ zu verstehen ist und welche Terminologie die moderne Regionalsprachenforschung hierfür bereitstellt.
Zum Thema der vorliegenden Arbeit
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Um diese jedoch vornehmen zu können, ist es zunächst notwendig, den theoretischen Rahmen zu erläutern, in dem sich die vorliegende Arbeit verortet, da jede spezifischere Fragestellung ohne Erörterung der theoretischen Basis un- oder bestenfalls missverständlich bliebe. Im weiteren Verlauf von Kapitel 1 werden daher zunächst allgemeine Forschungsfragen und der Forschungsstand der modernen Regionalsprachenforschung skizziert und diskutiert (Kapitel 1.2.1). In Kapitel 1.2.2 wird anschließend das theoretische Fundament der vorliegenden Arbeit – die Sprachdynamiktheorie nach SCHMIDT / HERRGEN (2011) – diskutiert. Auf der Grundlage dieses theoretischen Fundaments werden wichtige regionalsprachliche Termini, wie sie im Rahmen dieser Theorie (weiter)entwickelt wurden, skizziert. Im Fokus stehen hier die Termini „Varietät“, „Sprechlage“, „Dialekt“, „Regiolekt“, „Standardsprache“ und „Regionalsprache“. Anschließend werden in Kapitel 1.3 der Forschungsstand und allgemeine Fragestellungen der Dialektsyntax vorgestellt. In Kapitel 1.4 wird diskutiert, ob und wie sich die Terminologie der modernen Regionalsprachenforschung auf variationslinguistische Arbeiten übertragen lässt, in deren Fokus syntaktische Variationsphänomene stehen. Im Mittelpunkt steht hier vor allem die Adaption der variationslinguistischen Begriffe „Variable“ und „Variante“, über die in der englischsprachigen Literatur seit den späten Siebzigern eine lange und kontroverse Debatte geführt wird, die von deutschsprachigen variationslinguistischen Arbeiten bisher kaum beachtet wurde. Außerdem werden in dem Kapitel methodologische Probleme bei der Analyse des vertikalen Variationsspektrums anhand syntaktischer Phänomene diskutiert, die vor allem in nen Niedrigen Frequenzen bestimmter syntaktischer Phänomene bestehen. In Kapitel 1.5 werden auf der Grundlage der theoretischen Überlegungen die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit konkretisiert. Der Aufbau der empirischen Untersuchung wird ausführlich in Kapitel 2 erläutert. In Kapitel 2.1 wird zunächst das Untersuchungsgebiet vorgestellt, bevor in Kapitel 2.2 ein Überblick über die für die Analysen selektierten Phänomene gegeben wird. Anschließend wird die Zusammensetzung des umfangreichen Datenkorpus, das aus verschiedensten Datenklassen besteht, in Kapitel 2.3 beschrieben. Ein Schwerpunkt liegt hier auf der Beschreibung der eigens für die vorliegende Untersuchung entwickelten „Sprachproduktionstests“. Hierbei handelt es sich um eine innovative Methode, durch die syntaktische Daten in einer für variationslinguistische Analysen ausreichenden Menge effizient erhoben werden können. In den Kapiteln 3 und 4 werden die erhobenen Daten detailliert analysiert: Im Fokus von Kapitel 3 stehen dabei vor allem die Einzelphänomene und deren areale und vertikale Variation. Dabei werden auch unterschiedlichste Steuerungsfaktoren, die Einfluss auf die Realisierung dieser Variationsphänomene nehmen, analysiert. In Kapitel 4 verlagert sich der Fokus von der Einzelphänomenperspektive auf phänomenübergreifende Analysen zur syntaktischen Variation in der Vertikalen.
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
1.2 ZUM FORSCHUNGSSCHWERPUNKT REGIONALSPRACHENFORSCHUNG 1.2.1 Allgemeine Forschungsfragen und Forschungsstand Im Gegensatz zur traditionellen Dialektologie stehen im Zentrum der modernen Regionalsprachenforschung nicht mehr länger ausschließlich auf den (Basis-)Dialekt ausgerichtete Fragestellungen, sondern die Struktur und Dynamik des gesamten Variationsspektrums unterhalb der kodifizierten Standardsprache. Zentrale Fragestellungen der modernen Regionalsprachenforschung fasst KEHREIN (2008) zusammen: Wie sehen die standardnächsten Sprechlagen in den verschiedenen Dialektregionen aus und welche Raumstrukturen lassen sich hier ermitteln (horizontale Dimension)? Welche Strukturen weisen die linguistischen Variationsspektren zwischen den unterschiedlichen Dialekten und dem Standarddeutschen auf (vertikale Dimension)? KEHREIN (2008, 132)4
Hinter den Begriffen „vertikal“ und „horizontal“ steht das Konzept zweier Variationsdimensionen: Die horizontale Analysedimension beschäftigt sich mit Fragestellungen, die das Nebeneinander verschiedener Varietäten im Raum betreffen. Hinter dem Begriff der Vertikalen steht das Konzept, dass für jeden Punkt auf der Horizontalen ein Variationsspektrum zwischen Dialekt und Standardsprache besteht, das sich empirisch fassen lässt. Mit den Attributen „oben“ und „unten“ wird dabei auf die Position eines sprachlichen Registers auf dieser vertikalen Achse referiert, bei der am unteren Pol die Basisdialekte und am oberen Pol die Standardsprache stehen.5 Wie das Zitat von KEHREIN zeigt, sind für die moderne Regionalsprachenforschung neben vertikalen auch areal-horizontale Fragestellungen von Belang, nur dass sich diese arealen Fragen nicht mehr ausschließlich auf Raumbilder im Dialekt konzentrieren, sondern auch die areale Distribution weiterer vertikaler Register berücksichtigen. In den letzten Jahrzehnten ist eine Reihe von einschlägigen Arbeiten entstanden, die sich (theoretisch und/oder empirisch) mit der Struktur der Vertikalen beschäftigen (vgl. beispielsweise BELLMANN 1983, MACHA 1991, SCHMIDT 1998, LENZ 2003, AUER 2005, SPIEKERMANN 2008, SCHMIDT 2010, KEHREIN 2012, UNGER 2014 oder LANWER 2015). Fast alle der genannten Arbeiten konzentrieren sich dabei primär auf phonetisch-phonologische Aspekte. Arbeiten, die sich auf andere Systemebenen konzentrieren, liegen zwar vor, bleiben dabei aber auf einen bestimmten Ausschnitt des vertikalen Spektrums begrenzt: Für die Morphologie wäre hier beispielsweise die Arbeit von RABANUS (2008) zu nennen, die sich mit der Pronominal- und Verbalmorphologie von Minimalsätzen in den verschiedenen 4 5
Eine umfassende Skizze der von der modernen Regionalsprachenforschung anzugehenden Aufgabenfelder findet sich bei SCHMIDT / HERRGEN (2011, 71–88). Keinesfalls wird also mit „oben“ und „unten“ auf einen Stil referiert. Die genannten Attribute sind keinesfalls wertend in Bezug auf das jeweils in Rede stehende Register – etwa im Sinne eines „gehobenen“ oder „niederen“ Stils.
Zum Forschungsschwerpunkt Regionalsprachenforschung
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Dialekten des hochdeutschen Sprachraums beschäftigt (beschränkt auf die Bundesrepublik Deutschland; Österreich und die Schweiz bleiben hier unberücksichtigt). Für die Syntax liegen hingegen Arbeiten vor, die vor allem nach arealen Raumstrukturen im Dialekt fragen und dabei zumeist auf ein bestimmtes Phänomen beschränkt bleiben (vgl. hierzu die Auflistung in Kapitel 1.3). Prosodische Fragestellungen, die ebenfalls auf den Dialekt beschränkt sind, werden etwa bei SCHMIDT (1986) oder bei WERTH (2011) analysiert. Hingegen liegen Arbeiten, die systematisch die Struktur des vertikalen Varietätenspektrums anhand von Varianten anderer Systemebenen (wie eben beispielsweise Morphologie oder Syntax) analysieren, bisher nicht vor. Über diese Einzelpublikationen hinaus sind in den letzten Jahren auch einige Großprojekte genehmigt worden, die in den Jahren 2006–2008 eine neue Grundlagenforschung zum größten Desiderat der Regionalsprachenforschung gestartet [haben], die die variativen Spektren (Repertoires) repräsentativer Sprechergruppen im Raum in direkt vergleichbarer Weise erhebt und analysiert. Es handelt sich um die drei komplementär angelegten Großprojekte „Deutsch heute“ (Mannheim), „Sprachvariation in Norddeutschland“ (SiN; Bielefeld, Frankfurt/Oder Hamburg, Kiel, Münster, Potsdam) und „regionalsprache.de“ (REDE; Marburg). SCHMIDT / HERRGEN (2011, 392)
Da alle Projekte bereits in mehreren Publikationen zusammengefasst und vorgestellt wurden, kann an dieser Stelle auf eine erneute Schilderung verzichtet werden. Aktuelle Zusammenfassungen finden sich im Band von KEHREIN / LAMELI / RABANUS (2015). Weil von den genannten Publikationen die Arbeit von LENZ (2003) besonders relevant für die folgenden Analysen ist, werden zum Abschluss dieser komprimierten Forschungsskizze der modernen Regionalsprachenforschung die für die vorliegende Arbeit wesentlichen Punkte aus LENZ (2003) genauer vorgestellt.6 Das Ziel ihrer Arbeit besteht darin, das vertikale Variationsspektrum einer Region (als Untersuchungsgebiet wurde die Kleinstadtregion Wittlich im Moselfränkischen gewählt) nachzuzeichnen und linguistisch zu fassen. In der Literatur treffen bis dahin zwei unterschiedliche Auffassungen über die Struktur des vertikalen Spektrums aufeinander, das „entweder als ein Kontinuum von Varianten oder aber als Komplex klar abgrenzbarer Varietäten dargestellt wird, wobei die Anzahl der angegebenen Varietäten – auch innerhalb ein und derselben Untersuchungsregion – mitunter deutlich differiert“ (LENZ 2003, 15). Zu diesem Zweck analysiert LENZ 19 phonetisch-phonologische Variablen, die sie von insgesamt 25 Gewährspersonen7 erhebt.
6 7
Eine Zusammenfassung ihrer Untersuchung findet sich auch bei SCHMIDT / HERRGEN (2011, 326–334) und KEHREIN (2012, 89–92). Insgesamt besteht das Gewährspersonensample von LENZ aus 50 Personen. Für alle 50 Gewährspersonen werden in der Untersuchung die in Interviews erhobenen Spracheinstellungsdaten analysiert. Für 25 dieser 50 Gewährspersonen wertet sie zusätzlich objektsprachliche Daten aus insgesamt vier Erhebungssituationen aus.
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
Erhoben wurde das Material anhand von vier Erhebungssituationen: In einem leitfadengesteuerten Tiefeninterview mit der Exploratorin (LENZ) und in einem Freundesgespräch zwischen den Gewährspersonen, bei dem die Exploratorin nicht anwesend war, erhebt die Autorin „natürliche“ Daten, die sie von den „unnatürlichen“8 Daten aus zwei Übersetzungseinheiten differenziert. Innerhalb dieser Übersetzungseinheiten sollten die Gewährspersonen konstruierte Sätze in den Dialekt bzw. in die Standardsprache übersetzen. Bei der Übersetzung in den Dialekt wurden die Testsätze von LENZ vorgelesen, bei der Übersetzung in die Standardsprache wurden die Sätze, die zuvor von einem kompetenten Dialektsprecher eingesprochen wurden, von Band abgespielt. Ziel der Übersetzungen war die Erhebung des nach MACHA (1991) benannten „Intendierten Ortsdialekts (IOD)“ bzw. der „Intendierten Standardsprache (ISS)“ (vgl. LENZ 2003, 58–60). Durch diese vier Aufnahmesituationen erhebt die Autorin den sprachlichen „Möglichkeitsraum“ individuellen Sprechens […]. Aus der Summe der individuellen Variationsspektren werden in der Zusammenschau personenübergreifende Aussagen zu den lokalen Substandards einzelner Stadtteile und darüber hinaus zum Substandard der Wittlicher Region abgeleitet.9 LENZ (2003, 55)
In einem ersten Analyseschritt werden von LENZ die Frequenzen der in den vier Erhebungssituationen erhobenen phonetisch-phonologischen Varianten durch eine Variablenanalyse (Type-Token-Analyse) bestimmt. Aus den so ermittelten Frequenzen leitet sie dann eine Abbauhierarchie der jeweiligen Varianten ab, anhand derer deutlich wird, welche Varianten von Abbautendenzen betroffen sind und welche Varianten (eher) remanent sind. Die Varianten werden in primäre, sekundäre, tertiäre, quartäre und quintäre Varianten eingeteilt (vgl. LENZ 2003, 188), wobei die primären Varianten von der dialektalsten (IOD) bis zur standardnächsten (ISS) Erhebungssituation am stärksten abgebaut werden, während die quintären Varianten auch in der ISS-Erhebung noch recht hohe Frequenzen aufweisen. In einem folgenden Analyseschritt führt LENZ (2003) eine Clusteranalyse durch. Durch dieses statistische Verfahren „wird eine Vielzahl von Objekten (Personen, Länder etc.) anhand von Merkmalen derart zusammengefasst, dass Personen mit ähnlichen Merkmalen zum gleichen Cluster (zur gleichen Gruppe) gehören“ (BLASIUS / BAUR 2014, 1010; vgl. auch unten, Kapitel 4.1.3). Aus dieser Clusteranalyse ergeben sich für das Freundesgespräch fünf und für das Interview drei Cluster. Anschließend werden die durchschnittlichen Frequenzen der zuvor ermittelten Variantenklassen mit den jeweiligen Clustern korreliert. Dabei ergibt sich, dass mit der Differenzierung unterschiedlicher Cluster unterschiedliche Frequenzen einzelner Variantenklassen einhergehen. Beispielsweise unterscheiden sich die beiden für das Freundesgespräch ermittelten Hauptcluster vor allem in der Verwendung der primären und der sekundären Varianten: Während also diese 8 9
„Die Sprachdaten aus Interview und Freundesgespräch werden gegenüber den Daten aus den Übersetzungseinheiten durch das Attribut natürlich abgesetzt“ (LENZ 2003, 62). Auch der Terminus „sprachlicher Möglichkeitsraum“ geht auf MACHA (1991, 2) zurück.
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wenig remanenten Varianten von einer Gruppe im Freundesgespräch selten verwendet werden, verwenden die Gewährspersonen des zweiten Hauptclusters diese Varianten sehr häufig. Daher ist das Sprachverhalten des einen Clusters als dialektal und das des anderen Clusters als eher standardsprachlich zu klassifizieren. Insgesamt ermittelt LENZ für Wittlich fünf – von ihr so bezeichnete – „Verdichtungsbereiche“. Diese unterscheiden sich einerseits durch Frequenzdifferenzen und andererseits ergeben sich zwischen bestimmten Verdichtungsbereichen Varietätengrenzen, die durch Hyperformen angezeigt werden: Gewährspersonen, die den Dialekt nicht beherrschen, realisieren beim Versuch Dialekt zu sprechen Hyperdialektalismen. Andererseits realisieren einige Gewährspersonen bei anvisierter Standardsprache Hyperkorrekturen. Somit kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass der „Substandard, wie er sich in der Wittlicher Region präsentiert, […] ein empirisches Kontinuum [ist; TK], das sich in fünf Verdichtungsbereiche einteilen lässt, die gemeinsam „zweieinhalb“ Varietäten bilden“ (LENZ 2003, 412),10 nämlich die Varietät Dialekt, die sich in die Sprechlagen „Basisdialekt“ und „Regionaldialekt“ gliedern lässt und die Varietät Regiolekt, die LENZ in „Oberen Regionalen Substandard“, „Unteren Regionalen Substandard“ und „Regionalakzent“ gliedert (vgl. LENZ 2003, 246 und 392). 1.2.2 Grundbegriffe der modernen Regionalsprachenforschung (nach der Sprachdynamiktheorie) 1.2.2.1 Allgemeine Vorbemerkungen Die oben genannten Arbeiten haben dazu beigetragen, dass Varietäten und Varietätenspektren sowohl aus horizontaler als auch aus vertikaler Perspektive sehr genau beschrieben werden können und teilweise schon beschrieben worden sind. Ihre theoretische Fundierung erfahren diese Befunde in der von SCHMIDT / HERRGEN (2011) vorgelegten Sprachdynamiktheorie, die den theoretischen Rahmen der vorliegenden Arbeit bereitstellt. In den Kapiteln 1.2.2.2 bis 1.2.2.4 werden zunächst die für die vorliegende Arbeit relevanten Begriffe so skizziert, wie sie in der Sprachdynamiktheorie (weiter)entwickelt werden. Da diese Terminologie primär auf Ergebnissen basiert, die aus phonetisch-phonologischen Arbeiten hervorgehen – diese Schwerpunktsetzung wurde bereits durch den oben umrissenen Forschungsstand deutlich – muss diese Terminologie dahingehend kritisch überprüft werden, ob sie sich auch auf eine syntaktisch ausgerichtete Arbeit übertragen lässt. Diese Diskussion erfolgt in Kapitel 1.4.
10 Der komplexe Sachverhalt, dass das vertikale Variationsspektrum in Wittlich einerseits ein Kontinuum darstellt, bei dem aber andererseits Verdichtungsbereiche deutlich voneinander abgegrenzt werden können, wird im Rahmen der Explikation des Varietätenbegriffs in Kapitel 1.2.2.3 weiter verdeutlicht.
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
1.2.2.2 „Synchronisierung“ Ansatzpunkt der Sprachdynamiktheorie ist die Feststellung, dass Sprache stets heterogen und nie homogen ist: „Es gibt keine zwei Menschen, die über dasselbe Sprachwissen verfügen. Und deshalb ist es kein Zufall, dass Sprache uns für den gesamten Zeitraum, für den wir gesicherte Daten haben (Überlieferung), als heterogen gegenübertritt“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 19). Aus dieser Tatsache geht hervor, „dass eine gegenstandsadäquate Sprachtheorie essentiell einer Integration der gegenstandskonstituierenden Dimensionen Sprachvariation und Sprachwandel bedarf“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 19; Hervorehebungen im Original). Daher definieren die Autoren „Sprachdynamik“ als „die Wissenschaft von den Einflüssen auf die sich ständig wandelnde komplexe Sprache und von den sich daraus ergebenden stabilisierenden und modifizierenden Prozessen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 20). Sprache stellt nach SCHMIDT / HERRGEN (2011, 24) also ein „echt dynamisches System“ dar, dessen konstitutive Zeitlichkeit im Wesentlichen auf der immanenten Zeitlichkeit der einzelnen sprachlichen Interaktion und ihrer kognitiven Reflexe sowie auf den Zeitabschnitten [beruht; TK], in denen Subjekte in unterschiedlicher Dichte sprachlich interagieren und dabei ihr sprachliches Wissen und ihre situationsabhängigen sprachlichen Konventionen abstimmen. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 25)
Innerhalb dieses echt dynamischen Systems kommt es durch Einflüsse auf die Sprache zu „stabilisierenden und modifizierenden Prozessen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 20). Darunter verstehen SCHMIDT / HERRGEN hauptsächlich den Abgleich von Kompetenzdifferenzen, den sie als die „zentrale Ursache sprachdynamischer Prozesse“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 20) ausmachen. Konkret ist dieser Prozess wie folgt zu verstehen: Der Sprecher aktiviert im Sprachproduktionsakt jenen Ausschnitt seines sprachlichen Wissens, den er in der aktuellen Kommunikationssituation für angemessen erachtet. Ein wichtiger Faktor sind hierbei die vom Sprecher erwarteten „Verstehensmöglichkeiten und Kommunikationserwartungen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 25–26) seines Gegenübers: Die Dynamik der einzelnen Interaktion ergibt sich im Wesentlichen aus der ‚Rückkopplung‘ durch den Partner. Signalisiert er Nichtverstehen (z. B. fragender Blick), partielles Verstehen (Meinen Sie?), Nichterfüllung einer Sprachverhaltenserwartung (z. B. durch implizite oder explizite Korrektur) oder vollständiges Verstehen und vollständige Erfüllung meiner Sprachverhaltenserwartung (z. B. durch ein Bestätigungssignal wie die Partikel Hm)? Die jeweilige Art der Rückkopplung bewirkt eine Modifikation oder Stabilisierung der angewendeten Sprachproduktionsstrategie. Zeitlichkeit und Dynamik sind also konstitutive Eigenschaften einer jeden noch so elementaren Interaktion. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 26; Hervorhebungen im Original)
Auf der Grundlage der konstitutiven Eigenschaften Zeitlichkeit und Dynamik entwickeln die Autoren den für die Theorie der Sprachdynamik wesentlichen Begriff der „Synchronisierung“. Hierunter verstehen sie
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den Abgleich von Kompetenzdifferenzen im Performanzakt mit der Folge einer Stabilisierung und/oder Modifizierung der beteiligten aktiven und passiven Kompetenzen. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 28)
Dabei differenzieren SCHMIDT / HERRGEN zwischen den drei Synchronisierungstypen Mikro-, Meso- und Makrosynchronisierung. Um das Zusammenspiel und den Zusammenhang dieser drei Synchronisierungsarten verstehen zu können, ist es zunächst hilfreich, die Ursache für Synchronisierungen zu benennen. Diese sieht die Theorie der Sprachdynamik darin, dass jeder Sprecher bei dem, was er sagt, verstanden „oder zumindest nicht missverstanden“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29) werden möchte. Erlebt also ein Sprecher beispielsweise eine Interaktionssituation, in der ihm durch die Rückkopplungen seines Interaktionspartners Un- oder Missverstehen signalisiert wird, lernt er aus dieser Situation, dass seine Verwendung bestimmter Interaktionsparameter der Verstehensmaxime widersprochen haben, was einer Modifikation seines sprachlichen Wissens entspricht. Solch eine „punktuelle, in der Einzelinteraktion begründete Modifizierung und zugleich Stabilisierung des individuellen sprachlichen Wissens“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29) bezeichnet die Theorie der Sprachdynamik als Mikrosynchronisierung. Durch Mikrosynchronisierungen ausgelöste Modifikationen des sprachlichen Wissens sind immer punktuell und „[a]bsolut gescheiterte Teilakte (absolutes Nichtverstehen) bleiben weitgehend folgenlos“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29). Erklären lässt sich dies durch die Tatsache, dass das Erkennen einer Kompetenzdifferenz zugleich eine „Vielzahl erfolgreicher und damit stabilisierender sprachlicher Teilprozesse […] voraus[setzt]“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29). So ist etwa das „Erkennen einer einzelnen syntaktischen [!] Differenz […] nur möglich, wenn die Gesamtintention der Sprachhandlung erfolgreich dekodiert werden kann“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29–30).11 Beim Akt der Mikrosynchronisierung gehen also Modifikation und Stabilisierung des sprachlichen Wissens miteinander einher. Aufgrund ihrer Punktualität und ihrem in der Einzelinteraktion liegenden Ursprung bezeichnen SCHMIDT / HERRGEN die Mikrosynchronisierung als „Elementarakt, der allen übrigen Typen zugrunde liegt“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29): Zwar bleibt jede Einzelinteraktion und die aus ihr resultierende Mikrosynchronisierung für sich genommen punktuell, jedoch passieren sie nicht losgelöst oder unabhängig voneinander. Sprachverwender bewegen sich in ihrem Alltag in sozialen Subsystemen wie beispielsweise der Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis und natürlich den schulisch-beruflichen Netzwerken wie Kollegen, Vorgesetzten oder Mitschülern. Innerhalb dieser Subsysteme werden bestimmte Kommunikationserwartungen (beispielsweise durch einen unterschied-
11 Es ist zumindest bemerkenswert, dass eine Theorie, deren grundlegenden Ideen hauptsächlich an empirischen Arbeiten zur Phonologie „zündeten“ (SCHMIDT 2005b), ausgerechnet ein syntaktisches Beispiel anführt, um ihren „Elementarakt“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 29) Mikrosynchronisierung zu erklären. Kritisch ist anzumerken, dass hierzu keinerlei empirische Evidenz vorliegt, da über die Auffälligkeit syntaktischer Phänomene noch nicht viel bekannt ist (vgl. Kapitel 1.4.2).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
lichen Formalitätsgrad) an die Sprachverwender gestellt, was folglich immer wieder gleichgerichtete Mikrosynchronisierungsakte bei den Sprechern auslöst: Eine solche Folge von gleichgerichteten Synchronisierungsakten, die Individuen in Situationen personellen Kontakts vornehmen und die zu einer Ausbildung von gemeinsamem situationsspezifischem sprachlichem Wissen führt, nennen wir Mesosynchronisierung. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 31; Hervorhebung im Original)
Wie schnell und in welchem Ausmaß dabei das sprachliche Wissen der Individuen modifiziert bzw. stabilisiert wird, ist (neben vielen anderen) hauptsächlich von zwei Faktoren abhängig: Einerseits von der Länge der Zeit, die das Individuum mit den Mitgliedern des einzelnen sozialen Subsystems verbringt, und andererseits von der Kommunikationsdichte innerhalb dieses Subsystems (vgl. SCHMIDT / HERRGEN 2011, 31). Da aber Sprachverwender innerhalb ihres Lebens nicht mit allen anderen Sprachverwendern und auch nicht innerhalb aller Subsysteme kommunizieren, führen Mesosynchronisierungen in dem Maße, in dem sie zur partiellen Homogenisierung des sprachlichen Wissens der Gruppenmitglieder eines sozialen Subsystems führen, gleichzeitig zu einer Divergenz des sprachlichen Wissens zwischen ihnen und allen anderen Sprachverwendern. Sie „wirken also für einen begrenzten Ausschnitt der komplexen dynamischen Gesamtsprache immer integrierend. […] Auf die Gesamtsprache bezogen wirken sie divergierend, in dem Maße, in dem die Gruppen […] sprachliches Sonderwissen entwickeln“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 31–32). Mikrosynchronisierungen sind also verantwortlich für die „Dynamik der Einzelinteraktion“, während Mesosynchronisierungen verantwortlich für die „Dynamik der Gesamtsprache“ sind (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 30). Der dritte und letzte Synchronisierungstyp, den die Autoren differenzieren ist die Makrosynchronisierung, unter der sie Synchronisierungsakte [verstehen; TK], mit denen Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sich an einer gemeinsamen Norm ausrichten. Makrosynchronisierungen nehmen tendenziell alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft oder auch Mitglieder von Großgruppen vor, zwischen denen kein persönlicher Kontakt bestehen muss. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 32)
1.2.2.3 Zu den sprachlichen Registern „Varietät“ und „Sprechlage“ Auf dem im vorangehenden Kapitel skizzierten Synchronisierungsbegriff aufbauend entwickelt die Sprachdynamiktheorie die Terminologie für einige wesentliche Konzepte der Variationslinguistik weiter. In diesem Kapitel stehen zunächst die Begriffe „Varietät“ und „Sprechlage“ im Fokus, wie sie im Rahmen der Theorie definiert werden. Wie aus der zuvor erläuterten Definition des Synchronisierungsbegriffs deutlich wird, ergibt sich für die Sprachdynamiktheorie
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die Komplexität des dynamischen Gesamtsystems Einzelsprache aus den ständigen Mesosynchronisierungen […], d. h. aus Folgen gleichgerichteter Synchronisierungsakte, in denen Individuen gemeinsames situationsspezifisches sprachliches Wissen ausbilden. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 49)
Hieraus folgt, dass das „Konstrukt ‚homogene Varietät‘ theoretisch obsolet, weil gegenstandsinadäquat, ist“ (SCHMIDT 2005b, 63). Eine Definition von „Varietät“ muss dieser Dynamik Rechnung tragen, was im Rahmen der Sprachdynamiktheorie durch den Synchronisierungsbegriff gewährleistet wird. Unter Rückgriff auf diesen definieren SCHMIDT / HERRGEN (2011) Varietäten individuell-kognitiv als durch je eigenständige prosodisch-phonologische und morpho-syntaktische Strukturen bestimmte und mit Situationstypen assoziierte Ausschnitte des sprachlichen Wissens. Da es sich um in gleichgerichteten Synchronisierungsakten herausgebildetes gemeinsames sprachliches Wissen handelt, sind Varietäten immer auch sozial konstituiert. Daher definieren wir Varietäten sprachsozial als partiell systemisch differente Ausschnitte des komplexen Gesamtsystems Einzelsprache, auf deren Grundlage Sprechergruppen in bestimmten Situationen interagieren. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 51)
Innerhalb dieser Varietätendefinition differenzieren die Autoren zwischen Vollvarietäten und sektoralen Varietäten: Wo es erforderlich ist, bezeichnen wir Varietäten, die vollgültig dieser Definition entsprechen, als Vollvarietäten. Sie sind zu unterscheiden von den Ausschnitten sprachlichen Wissens, bei denen auf der Basis einer Vollvarietät die sprachlich situative Kompetenz durch eine kontinuierliche Folge von Mikrosynchronisierungsakten erworben wird, die lediglich begrenzt sektoral – in erster Linie lexikalisch – zu Inventarerweiterungen, Inventardifferenzierungen oder Inventarsubstitutionen führt. Diese bezeichnen wir als sektorale Varietäten. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 51)
Mit einem so definierten Varietätenbegriff lässt sich auch die in der Literatur immer wieder diskutierte Frage12 beantworten, ob und wie sich Varietäten (arealhorizontal und sozial-vertikal) voneinander abgrenzen lassen: Handelt es sich bei Varietäten um disjunkte Einheiten oder liegt ein Kontinuum vor, das sich durch ein graduelles Mehr oder Weniger bestimmter Varianten auszeichnet? Innerhalb der Sprachdynamiktheorie stellen aber „[V]arietät und variatives Kontinuum […] keine alternativen variationslinguistischen Ansätze dar, sondern simultan existente Phänomene der Sprachvariation“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 53). Entscheidend hierfür sind die in der Varietäten-Definition genannten „eigenständige[n] prosodisch-phonologische[n] und morpho-syntaktische[n] Strukturen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 53). Kompetenzdifferenzen, die diese Strukturen betreffen, stellen „sprachlich-kognitive Grenzen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 53) dar, die sich anhand bestimmter Indikatoren empirisch fassen lassen: Als stärkster Indikator gelten hier Hyperformen, die
12 Einen Einblick in diese Diskussion bietet SINNER (2014, 18–27). Eine konkrete Diskussion im Kontext der Sprachdynamiktheorie findet sich bei SCHMIDT (2005b).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax dreierlei zeigen: Der Sprecher strebt 1. eine sprachliche Zielnorm oder eine sprachliche Gruppenkonvention an; er beherrscht sie 2. aufgrund der Begrenztheit seiner Kompetenz (genau an dieser Stelle) nicht, und dies wirkt 3., wenn es bemerkt wird, auf diejenigen, die die Sprachnorm oder -konvention beherrschen, lächerlich, d. h. als sprachsoziales Schibboleth (Ausschlusskriterium). SCHMIDT / HERRGEN (2011, 50)
Hyperformen treten sowohl in Form von Hyperkorrekturen als auch in Form von Hyperdialektalismen auf. Ein klassisches und vielzitiertes Beispiel für Hyperkorrekturen stellen die als /ch/ realisierten Formen des /sch/-Phonems dar (vgl. HERRGEN 1986): Sprecher, die in ihrem Primärspracherwerb nicht mit zwei distinkten Phonemen /ch/ und /sch/ sozialisiert wurden, müssen die Phonem-LexemZuweisung dieser Phoneme in der Standardsprache erst erlernen.13 Erfolgt diese Zuweisung im Sprachproduktionsakt nicht korrekt, können die beschriebenen Formen auftreten. Hyperdialektalismen entstehen, wenn Sprecherinnen oder Sprecher den Dialekt nicht beherrschen und diese Varietät dennoch anstreben: Eine Gewährsperson – GRA09 – des für die vorliegende Arbeit erhobenen GraachKorpus (vgl. Kapitel 2.3.4) realisiert bei einer Nachahmung des seiner Meinung nach „saarländischen Dialekts“ die Form Glaschkaschde ‘Glaskasten’. GRA09 weiß intuitiv, dass im von Graach aus südlicher – und zwar südlich der fest/feschtGrenze – gelegenen Saarland der stimmlose alveolare Frikativ [s] vor bestimmten Plosiven als [ʃ] realisiert wird. Dass dies jedoch nicht – wie im Falle des Kompositums Glas-Kasten – über Silbengrenzen hinweg gilt, ist ihm nicht bewusst. Die geschilderten Kompetenzdifferenzen im prosodisch-phonologischen und morpho-syntaktischen Fundamentalbereich stellen für die Sprachdynamiktheorie damit Grenzen – die Autoren sprechen hier von „Strukturgrenzen“ – zwischen vertikalen Varietäten dar. Innerhalb dieser Varietäten lassen sich Verdichtungsbereiche von Varianten feststellen, die in der Sprachdynamiktheorie als Sprechlagen bezeichnet werden: Bei Sprechlagen handelt es sich um „konventionelle allophonische und allomorphische Variation innerhalb einer Vollvarietät, die mit sozialen, situativen und arealen Faktoren korrelliert“ (SCHMIDT 2010, 128).14 In der vorliegenden Arbeit werden die Termini „Varietät“ und „Sprechlage“ als Hyponyme des Hyperonyms „Register“ verstanden und dementsprechend verwendet.15 Gleichzeitig begrenzen Strukturgrenzen aber auch die alten Dialektverbände wie Rheinfränkisch, Mittelbairisch etc. Strukturgrenzen grenzen also nicht nur in vertikaler Perspektive Varietäten voneinander ab, sondern auch in der Horizontalen (vgl. hierzu u. a. KALLENBORN 2010, SCHMIDT 2010 und PURSCHKE 2011).
13 Zu Hyperkorrekturen und Hyperdialektalismen vgl. auch LENZ (2005) und HANSEN (2012, 59–65). 14 Siehe auch SCHMIDT / HERRGEN (2011, 52): „Verdichtungsbereiche variativer Sprachverwendung […] für die sich – empirisch signifikant – differente sprachliche Gruppenkonventionen nachweisen lassen, bezeichnen wir als Sprechlagen“ (Hervorhebung im Original). 15 Zu einem Überblick über unterschiedlichste Konzepte des Terminus „Register“ vgl. SINNER (2014, 141–143).
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1.2.2.4 „Dialekt“, „Regiolekt“, „Standardsprache“ und „Regionalsprache“ Mit den im vorangehenden Kapitel skizzierten Definitionen der Termini „Sprechlage“ und „Varietät“ wurde eine wichtige Grundvoraussetzung geschaffen, um im Rahmen der Sprachdynamiktheorie die elementaren Begriffe „Dialekt“, „Standardsprache“, „Regiolekt“ und „Regionalsprache“ herleiten zu können. Wie in den Kapiteln 1.2.2.2 und 1.2.2.3 werden auch in diesem Kapitel zunächst die jeweiligen Begriffe vorgestellt, wie sie innerhalb der Sprachdynamiktheorie entwickelt wurden. Eine kritische Diskussion darüber, ob und wie diese Begriffe für eine Arbeit adaptiert werden können, die sich aus variationslinguistischer Perspektive mit syntaktischen Variationsphänomenen beschäftigt, findet in Kapitel 1.4 statt. Für die Definition der Begriffe „Dialekt“, „Regiolekt“, „Standardsprache“ und „Regionalsprache“ im Kontext der Sprachdynamiktheorie stellt die „Genese der modernen Regionalsprachen“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 63) einen wichtigen Prozess dar. Ausgangspunkt für die Beschreibung dieser Genese sind für die Autoren der Sprachdynamiktheorie Quellen um 1300, die belegen, dass den Sprecherinnen und Sprechern areal-horizontale Sprachvariation „von jeher bewusst war“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 54). Auf diese Arealsprachen referieren SCHMIDT / HERRGEN (2011, 54) mit dem Terminus „lantsprachen“ (vgl. auch SCHMIDT 2005a). Vertikale Variation konnten die Sprecherinnen und Sprecher erst wahrnehmen, als durch die Einführung einer mehr oder weniger einheitlichen literalen Norm um 170016 ein überregionaler Vergleichspunkt entstanden ist. Diese literale Norm wurde von zunächst kleineren intellektuell-elitären Kreisen auch gesprochen. SCHMIDT / HERRGEN (2011) bezeichnen diese Sprechweise als „landschaftliches Hochdeutsch.“17 Aus dem oben erläuterten Begriff der Vollvarietäten, der areal-horizontal Dialektverbände mit einem weitgehend übereinstimmenden prosodisch-phonologischen und morpho-syntaktischen Fundamentalbereich differenziert, folgt, dass dieses Sprechen der literalen Norm an die jeweiligen Fundamentalbereiche gekoppelt war: Angesichts der jahrhundertelangen erheblichen graphemischen Variabilität musste die Zuordnung von Phonemen eine relativ freie sein. Wenn also die obersächsischen Dialekte kein /t/Phonem hatten, dann wurden die -Graphien auf das nächstähnliche Phonem /d/ bezogen. Das -Graphem in den geschriebenen Zeichen Teer und der wurde also in beiden Fällen als [d] oralisiert. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 64)
Für diese Zeit ist also von einem diglossischen System auszugehen, in dem neben die bis dahin einzig bekannten, areal begrenzten „lantsprachen“ eine an der Schriftsprache orientierte großlandschaftliche Prestigevarietät tritt.
16 Zur Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache vgl. auch BESCH (2003). 17 Zum landschaftlichen Hochdeutsch vgl. auch GANSWINDT (2010 und 2011).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
Das Entstehen einer nationalen Oralisierungsnorm datieren die Autoren der Sprachdynamiktheorie um das Jahr 1930 herum, als durch die massenhafte Verbreitung von Rundfunkempfangsgeräten die neuen nationalen Normen der Mündlichkeit als ‚richtige‘, ‚reine‘ Oralisierungen der Standardvarietät kommunikative Präsenz erlangten […]. […] [Hierdurch; TK] wurden die alten großlandschaftlichen Prestigesprechlagen als regional begrenzt wahrgenommen. Fast gleichzeitig setzte ein langfristiger und keineswegs einheitlich verlaufender Um-, meist auch Abwertungsprozess [der ehemaligen Prestigesprechlagen; TK] ein. SCHMIDT / HERRGEN (2011, 65)
Diesen Zeitpunkt benennen SCHMIDT / HERRGEN (2011, 65–66) als Konstitution der Regionalsprachen: Indem zur diglossischen Situation um 1700 – Dialekte und „landschaftliches Hochdeutsch“ – eine nationale Oralisierungsnorm hinzukommt und die ehemaligen Prestigesprechlagen als regional begrenzt wahrgenommen und abgewertet werden, entsteht ein Drei-Varietäten-System, das sich aus den Dialekten, den ehemaligen großlandschaftlichen Prestigesprechlagen, und der nationalen Oralisierungsnorm der schriftlichen Standardsprache zusammensetzt.18 Unter Rückgriff auf die bisher skizzierten Termini definieren SCHMIDT / HERRGEN (2011, 66) Regionalsprache als „ein durch Mesosynchronisierungen vernetztes Gesamt an Varietäten und Sprechlagen, das horizontal durch die Strukturgrenzen der Dialektverbände und vertikal durch die Differenzen zu den nationalen Oralisierungsnormen der Standardvarietät begrenzt ist.“ Wie durch die Definition von (Voll-)Varietäten (vgl. Kapitel 1.2.2.3), die sich – wie oben beschrieben – anhand bestimmter Indikatoren (z. B. Hyperformen) im vertikalen Variationsspektrum sehr genau abgrenzen und nachweisen lassen, deutlich geworden ist, bringt ein solcher Varietätenbegriff den Vorteil mit sich, „das variative Kontinuum der fein abgestuften sprachlichen Differenzen nicht nach letztlich arbiträren sozial-situativen Kriterien zu ordnen, sondern aufgrund einer linguistisch-systematischen Klassifikation“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 58–59). Innerhalb der Sprachdynamiktheorie können Dialekte daher unter Rückgriff auf den Begriff der „(Voll-)Varietät“ definiert werden als „die standardfernsten, lokal oder kleinräumig verbreiteten Vollvarietäten“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 59). In Bezug auf den Terminus „Standardsprache“ geht aus der knappen Skizze der Genese der modernen Regionalsprachen hervor, dass der literalen Norm und den aus ihr entstandenen Oralisierungsnormen große Bedeutung bei diesem Geneseprozess zukommt, was sich auch in der sprachdynamischen Definition des Standardbegriffs widerspiegelt. Standardsprache wird definiert als „Vollvarietät, auf deren Literalisierungsnorm die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft ihre Makrosynchronisierungen ausrichten. Die – nationalen – Oralisierungsnormen dieser Vollvarietät sind durch Freiheit von (kommunikativ) salienten Regionalismen gekennzeichnet“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 62). Ausgangspunkt für diese Definition ist also die literale Norm, die „für den literalen Fundamentalbereich (Orthographie, Morphologie und Syntax [!]) kodifiziert (überstaatliche amtliche 18 Zu diesem Geneseprozess vgl. auch AUER (2005, 23).
Zum Forschungsschwerpunkt Dialektsyntax
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Rechtschreibregelung; Grammatiken)“ ist (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 60). Auf der Grundlage dieser literalen Norm haben sich dann nationale Oralisierungsnormen herausgebildet, die für die phonetisch-phonologische Systemebene in Aussprachewörterbüchern wie etwa dem Duden-Aussprachewörterbuch (Duden 2015) kodifiziert wurden (vgl. SCHMIDT 2005a; SCHMIDT / HERRGEN 2011, 60–61 und KEHREIN 2012, 30–31). In diesem Ansatz stellen die Aussprachewörterbücher also „eine wortweise Kodifizierung der Aussprache dar (= nationale Oralisierungsnorm […])“ (KEHREIN 2012, 31). Wie für die Vollvarietät Dialekt gilt, dass die Vollvarietät Standardsprache „in mehrfacher Weise komplex [ist; TK]; Sie umfasst (im Deutschen) eine gesamtsprachliche Literalisierungsnorm, drei nationale Oralisierungsnormen, verschiedene Sprechlagen innerhalb der Oralisierungsnormen und eine Fülle von sektoralen Varietäten („Fachsprachen“)“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 62–63). Mit dem Verweis auf die Abwesenheit salienter Regionalismen in der Standardsprache nehmen die Autoren Bezug auf die Ergebnisse von LAMELI (2004), der zeigt, dass Hörer Restarealität in standardsprachlichen Registern nicht wahrnehmen, wenn es sich um wenig auffällige Regionalsimen handelt. Dadurch trägt der sprachdynamische Standardsprachbegriff der Tatsache Rechnung, dass Sprechen immer areal bedingt ist und auch in der Standardsprache Restarealität nachweisbar ist; SCHMIDT / HERRGEN (2011, 58) sprechen hier vom „sprachlich[en] RaumApriori.“ Für die Varietät zwischen Dialekt und Standardsprache, die aus den ehemaligen Prestigesprechlagen entstanden ist, wird häufig der Terminus „Regiolekt“ verwendet, mit dem auch in der vorliegenden Arbeit auf diese Varietät referiert wird. Auf die standardnächste Sprechlage des Regiolekts wird mit dem Terminus „Regionalakzent“ referiert. 1.3 ZUM FORSCHUNGSSCHWERPUNKT DIALEKTSYNTAX Neben der oben skizzierten modernen Regionalsprachenforschung spielt für die vorliegende Arbeit vor allem jene Subdisziplin eine wichtige Rolle, für die sich die Bezeichnung „Dialektsyntax“ durchgesetzt hat. Dabei ist zu beachten, dass innerhalb dieser Subdisziplin zwei Forschungszweige voneinander zu differenzieren sind: Anhand von zwei in der neueren Zeit erschienenen umfangreichen Monographien möchte ich zwei verschiedene Richtungen innerhalb der Dialektsyntaxforschung illustrieren. […] Die Arbeit von F. PATOCKA (1997a) kann als dialektgeographische Untersuchung charakterisiert werden (Sie hat ein größeres Untersuchungsgebiet und untersucht in diesem eine Reihe von Phänomenen, die sich in Teilgebieten des Untersuchungsgebietes von einander unterscheiden), die Arbeit von H. WEISS (1998) stellt dagegen im Wesentlichen eine Ortsmonographie dar (das heißt es werden nur Daten aus einer Ortsmundart berücksichtigt). Die Arbeit von H.
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax WEISS (1998) geht von einem stark theoretischen Interesse aus (wobei die dialektalen Daten als eine natürlichere, empirisch verlässlichere Basis angesehen werden, als dies bei standardsprachlichen Daten der Fall wäre; vgl. H. WEISS (1998, 1–24) und ist generativ orientiert, die Arbeit von F. PATOCKA (1997a) steht eher in der dialektologischen Tradition und ist rein deskriptiv orientiert. FLEISCHER (2002b, 34–35)19
In diesem Kapitel stehen primär solche Arbeiten im Fokus, die FLEISCHER (2002a) in der zitierten Passage unter dem Attribut „dialektgeographisch“ subsummiert. Aus diesem Attribut wird ersichtlich, dass die in diesem Sinne verstandene Dialektsyntaxforschung den Fokus auf Fragen nach raumbildenden syntaktischen Strukturen legt. Diese Hauptfragestellung leitet auch die meisten dialektsyntaktischen Großprojekte (vgl. unten) und spiegelt sich auch in der Fragestellung mehrerer einschlägiger Publikationen wieder (vgl. etwa BART / GLASER / SIBLER 2013 oder GLASER 2013). Die systematische Analyse der Vertikalen ist bisher hingegen nur selten in den Fokus variationslinguistischer Arbeiten mit syntaktischem Schwerpunkt gerückt. Obwohl der Beginn dialektsyntaktischer Forschung von GLASER (2008, 85) mit dem Erscheinen der Arbeiten von BINZ (1888) und REIS (1891) datiert wird, wurde die Subdisziplin häufig als vernachlässigter Teil der Dialektologie bzw. der Variationslinguistik bezeichnet (vgl. etwa PATOCKA 1989, 47 oder WERLEN 1994, 49), was ihr den Spitznamen „Stiefkind der Dialektologie“ (SCHWARZ 1950) einbrachte. Mittlerweile kann jedoch ein „deutlich gestiegenes Interesse an dialektalen Syntax-Daten und eine sprunghafte Zunahme einschlägiger Aktivitäten“ (SCHEUTZ 2005, 291) konstatiert werden.20 Sichtbar wird diese Zunahme etwa an mehreren Großprojekten, die aktuell durchgeführt werden bzw. in jüngerer Vergangenheit durchgeführt wurden: Vor allem sind hier zu nennen das Atlasprojekt „Syntaktischer Atlas der Deutschen Schweiz (SADS)“21, das Projekt „Syntax Hessischer Dialekte (SyHD)“ und das Projekt „Syntax des Alemannischen (SynAlm)“22. Da ein Teil der Datenerhebungen (Fragebogenerhebung; vgl. Kapitel 2.3.3) für die vorliegende Arbeit in enger Anlehnung an die im SyHD-Projekt angewandte indirekte Erhebungsmethode entwickelt worden ist, ist an dieser Stelle auf das SyHD-Projekt näher einzugehen. Diese Ausführungen konzentrieren sich auf die indirekt erhobenen SyHD-Daten:23 Ziel von SyHD ist die flächendeckende Dokumentation und Analyse syntaktischer Strukturen der im Bundesland Hessen (sowie in zwölf Vergleichspunkten außerhalb Hessens) gesprochenen Dialekte
19 Zum im Zitat implizit angesprochenen Verhältnis von Grammatiktheorie und Empirie vgl. SCHMIDT (2000) und auch SCHMIDT (1993, 193–195). 20 Vgl. auch PATOCKA (2000, 249) und WEISS (2004, 21). 21 Zum SADS vgl. GLASER (2000), GLASER / BUCHELI (2002), BUCHELI-BERGER (2008) und GLASER / BART (2015). 22 Zu SynAlm vgl. BRANDNER (2015). 23 Zur direkten Datenerhebung bei SyHD vgl. FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015).
Zum Forschungsschwerpunkt Dialektsyntax
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[…]. Der größte Teil der Projektdaten wurde zunächst im Rahmen der indirekten Methode erhoben; danach wurden bei einem Teil der Informanten zusätzlich direkte Erhebungen durchgeführt. FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015, 261)
Dies geht SyHD anhand eines 160 Orte umfassenden Ortsnetzes (plus zwölf Vergleichspunkte außerhalb Hessens) an, das ausschließlich aus Orten mit dörflicher Struktur (zwischen 500 und 1500 Einwohner) besteht. Dabei sind pro Ort mindestens drei Gewährspersonen akquiriert worden (vgl. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015, 263). Die analysierten Phänomene weisen eine hohe Bandbreite auf und lassen sich der Verbal-, Nominal-, Pronominalsyntax und Satzverknüpfungen zuordnen (vgl. FLEISCHER / LENZ / WEISS 2015, 268–269). Zur Erhebung dieser unterschiedlichen Phänomenbereiche mittels Fragebogen greift SyHD auf Erfahrungen vorheriger Atlasprojekte (v. a. des SADS) zurück und entwickelt die dort verwendeten Methoden weiter. Den am häufigsten verwendeten Fragentyp stellen dabei sogenannte „Bewertungsfragen“ bzw. „Ankreuzfragen“ dar (vgl. hierzu und zu dem Folgenden FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 12–25). Dabei wurden den Gewährspersonen mehrere Konstruktionen vorgegeben und die Gewährspersonen sollten ankreuzen, welche dieser Konstruktionen sie selbst im Dialekt sagen können.24 Außerdem wurde den Gewährspersonen zusätzlich die Möglichkeit gegeben, eine eigene Konstruktion anzugeben, die nicht aufgeführt ist. Die vorgegebenen Antworten wurden für den Dialekt der jeweiligen Region angepasst („Dialektalisierung“), damit die Gewährspersonen vorgegebene Antwortmöglichkeiten nicht aufgrund der Lautung ablehnen. Neben diesen Bewertungsaufgaben wurden weitere Aufgabentypen konstruiert und angewendet, bei denen keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben waren. Zur Erhebung von Dativpassiven (vgl. auch Kapitel 3.6) wurden etwa die von LENZ (2008) verwendeten Videos als Bildergeschichten in den Fragebogen integriert. Diese waren dann von den Gewährspersonen zu beschreiben. Dass dies eine fruchtbare Methode zur indirekten Erhebung von Dativpassivkonstruktionen ist, hatten zuvor Tests im Rahmen der Methodenkonzeption für die vorliegende Untersuchung ergeben.25 Eine detaillierte Beschreibung weiterer Aufgabentypen ohne vorgegebene Antworten erfolgt im Rahmen der Ausführungen zu den Datenerhebungen für die vorliegende Arbeit (vgl. Kapitel 2.3.3 und die Kapitel 3.2.4 bis 3.8.4). Auch außerhalb des zusammenhängenden deutschen Sprachraums wurden bzw. werden dialektsyntaktische Großprojekte durchgeführt: So ist etwa der „Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (SAND)“ als Pionierprojekt empi-
24 Auf die Erhebung negativer Evidenz durch zusätzliche „Nein-Kästchen“, bei denen die Gewährspersonen für jede Konstruktion explizit angeben müssen, ob sie sie nicht sagen können wurde nach der Pretestphase verzichtet. 25 Als kooptierter Mitarbeiter war der Verfasser der vorliegenden Arbeit selbst in die Entwicklung des SyHD-Fragebogens involviert.
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
risch ausgerichteter Dialektsyntaxforschung zu bezeichnen.26 Im Rahmen dieses Projekts wurden Erfahrungen gesammelt und Methoden entwickelt, von denen die Nachfolgeprojekte profitierten und die im Rahmen dieser Folgeprojekte weiterentwickelt worden sind. Eine Übersicht über weitere europäische Syntaxprojekte geben das Edisyn-Projekt auf seiner Homepage (; Stand: 4. Dezember 2015) und LENZ / AHLERS / WERNER (2015). Neben diesen Großprojekten, die immer mehrere syntaktische Variationsphänomene untersuchen, ist in den letzten Jahr(zehnt)en auch eine Reihe von einschlägigen Publikationen zu einzelnen syntaktischen Variationsphänomenen mit dialektsyntaktischen Fragestellungen entstanden: FLEISCHER (2002a) untersucht die Realisierungsformen von Pronominaladverbien in den Dialekten des Deutschen (vgl. Kapitel 3.8 der vorliegenden Arbeit), FLICK / KUHMICHEL (2013) und RAMELLI (2013) analysieren die areale Verbreitung des sog. am-Progressivs (vgl. hierzu auch Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit), STROBEL (2013) beschäftigt sich mit dialektalen Partitivkonstruktionen und STROBEL / WEISS (2016) analysieren Indefinitartikel im Bairischen. Diese Auflistung ist bei Weitem nicht vollständig; sie soll lediglich einen ersten Einblick in die vielfältigen dialektsyntaktisch ausgerichteten Arbeiten geben, die in letzter Zeit entstanden sind. Weitere Publikationen, die jene syntaktischen Einzelphänomene betreffen, die auch in der vorliegenden Arbeit analysiert werden, werden in den jeweiligen Unterkapiteln von Kapitel 3 aufgeführt. Trotz dieses jüngsten Aufschwungs der Dialektsyntax verfügen andere linguistische Systemebenen über deutlich mehr auf Grundlagenforschung beruhendes Material: So stehen beispielsweise deutlich weniger syntaktisch ausgerichtete junggrammatische Ortsmonographien zur Verfügung als für phonetischphonologische Fragestellungen: Zwar wurde seit den Anfängen der wissenschaftlichen Dialektforschung immer wieder auch Syntaktisches behandelt, doch gibt es keine dialektsyntaktische Tradition in dem Sinne, daß sich ein der historisch-vergleichenden Lautlehre entsprechendes Paradigma herausgebildet hätte. APPEL (2004, 42)
Auch eine zum Wenker-Atlas vergleichbare Datenquelle existiert für die Dialektsyntax nicht. Wo also phonetisch-phonologisch ausgerichtete Arbeiten aufgrund junggrammatischer Ortsmonographien und des Wenker-Materials diachrone Analysen durchführen können, bestehen für dialektsyntaktische Fragestellungen solche Möglichkeiten nur in deutlich geringerem Maße – etwa für einzelne Ortspunkte, für die syntaktisch ausgerichtete Ortsmonographien vorliegen. Ein Beispiel für solche Ortsmonographien ist LABOUVIE (1938) für das saarländische Dillingen im rheinfränkisch-moselfränkischen Übergangsgebiet. Damit ist für die
26 Zum SAND vgl. beispielsweise CORNIPS / JONGENBURGER (2001) und BARBIERS / BENNIS (2007).
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Synthese: Regionalsprachliche Syntax
Dialektsyntax aktuell (noch) ein Mangel an Grundlagenforschung zu konstatieren, der aber in der jüngeren Zeit – v. a. durch die erwähnten Großprojekte – verstärkt angegangen wird. 1.4 SYNTHESE: REGIONALSPRACHLICHE SYNTAX 1.4.1 Regionalsprachliche Syntax: Ein Desiderat Die vorangehenden Kapitel verdeutlichen das bereits in der Einleitung (Kapitel 1.1) skizzierte Desiderat, dass die moderne Regionalsprachenforschung und die Dialektsyntax bisher noch nicht ausreichend zusammengeführt wurden. Dieses Desiderat wurde bereits von anderen Autoren erkannt und ist in der Literatur mehrfach beschrieben: LENZ (2003) zeigt für das Westmitteldeutsche, wie sich die verschiedenen Register innerhalb dieses Varietätenspektrums auf phonologischer Ebene voneinander abgrenzen lassen. Für syntaktische Phänomene fehlen allerdings bisher Erkenntnisse darüber, in welchen Sprachlagen welche Konstruktionen auftauchen bzw. nicht mehr auftauchen. RAMELLI (2016, 49–50) Innerhalb neuerer variationslinguistischer Forschungsfelder wie der (sprachdynamischen) Regionalsprachenforschung (siehe dazu grundlegend Schmidt und Herrgen 2011: 67–86) und ihrem Interesse an ‚vertikaler‘ Variation (d. h. zwischen den Polen Basisdialekt und Standardsprache) ist die Beschäftigung mit syntaktischen Fragestellungen ein zartes Pflänzchen. SCHALLERT (2012, 60)27 Das gesamte Spektrum – von dialektalen bis zu standardisierten Mustern – umfassende diasystemische Beschreibungen gibt es nicht. HENN-MEMMESHEIMER (1989, 171)
Zwar liegen bisher fast keine systematischen Analysen regionalsprachlicher Spektren anhand syntaktischer Phänomene vor, allerdings gibt es vereinzelte Schnitte ins vertikale Spektrum: So wie im Rahmen der Dialektsyntax Raumstrukturen für einzelne syntaktische Phänomene ermittelt werden, liegen auch Untersuchungen zu einzelnen Phänomenen für andere regionalsprachliche Register vor: Pronominaladverbien werden etwa bei NEGELE (2012b) sowohl für die Standardsprache als auch für die „Nähe- bzw. Alltagssprache des Neuhochdeutschen“ (NEGELE 2012b, 2) untersucht. Gemeinsam mit der dialektal ausgerichteten Arbeit von FLEISCHER (2002a) ergibt sich ein recht guter Überblick über die areale Distribution von Pronominaladverbien in verschiedenen regionalsprachlichen Registern – allerdings beruhen beide Arbeiten auf verschiedenen Korpora und ermöglichen dadurch keinen systematischen vertikalen Vergleich. Ein anderes Beispiel für einen Schnitt 27 Sowohl hier als auch in der Folge wird an einigen Stellen die Dissertationsschrift von SCHALLERT (2012) zitiert, da die zitierten Stellen aus der publizierten Version (SCHALLERT 2014) entfernt wurden.
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
ins vertikale Spektrum stellen die umfangreichen Analysen der Verben kriegen und bekommen in verschiedenen geschriebenen und gesprochenen Varietäten des Deutschen dar, die LENZ (2013b) vorgelegt hat. Eine Arbeit, die mehrere Variationsphänomene der Nominal- und Pronominalsyntax in „Non-Standard Varietäten“ beschreibt, ist die Untersuchung von HENN-MEMMESHEIMER (1986). Ziel ihrer Arbeit ist es, ein Modell zu entwickeln, das […] dem Standard entsprechende, dialektale, dialektgefärbte, stilistisch auffallende Äußerungen etc. als Möglichkeiten innerhalb des Systems ‚deutsche Sprache‘ zeigt. Dabei ist vorläufig nicht daran gedacht, die externen Verwendungsbedingungen einzelner sprachlicher Muster aufzuzeigen, sondern nur, solche Muster überhaupt in eine systematische Beschreibung einzubeziehen. HENN-MEMMESHEIMER (1986, 1)
Als Non-Standard-Varianten beschreibt sie alle „Muster“, die sie in ihren Quellen belegen kann, die aber nicht in standardsprachlichen Regelwerken kodifiziert sind (vgl. HENN-MEMMESHEIMER 1986, 8). HENN-MEMMESHEIMER (1986, 9) weist explizit darauf hin, dass sie keine „Häufigkeitsangaben oder Angaben über Faktoren, die die Anwendung [der jeweiligen Variante; TK] bedingen, integrier[t].“ Darüber hinaus gewährt die Untersuchung teilweise auch Einblick in die areale Distribution der von HENN-MEMMESHEIMER beschriebenen Varianten. Zwar ist ihre Arbeit keine dialektologische Arbeit, sondern verfolgt ein spezielleres – wenn man will: vorläufigeres – Ziel: die Formulierung eines abstrakten Regelsystems, mit dem sich Nonstandardmuster überhaupt erst beschreiben lassen. Wenn dabei die Herkunft der Nonstandardmuster notiert wird, ergeben sich auch areal begrenzte Verteilungen, dies zeigen die Karten. HENN-MEMMESHEIMER (1986, 10)
Ein systematischer Vergleich syntaktischer Variationsphänomene in der Vertikalen liegt also auch hier nicht vor. Allerdings gibt die Arbeit einen fundierten Überblick über Variationsphänomene, die unterhalb der kodifizierten Standardsprache Variation aufweisen.28 Über diese Publikationen hinaus existiert mit dem „Atlas zur Deutschen Alltagssprache (AdA)“ ein Atlasprojekt, das zum einen auf die Erhebung nicht (ausschließlich) dialektaler Register abzielt und dabei zum anderen auch syntaktische Phänomene berücksichtigt: Der AdA konzentriert sich „insbesondere auf die Le28 Im Rahmen dieses Forschungsüberblicks ist ferner auf das Projekt „Variantengrammatik des Standarddeutschen“ hinzuweisen. Dieses Projekt „hat es sich zum Ziel gesetzt, auf der Grundlage eines großen Korpus von standardsprachlichen Texten aus allen Regionen des zusammenhängenden deutschen Sprachgebiets (unterteilt in 15 Sektoren) die Variation in der Grammatik der geschriebenen deutschen Standardsprache (genauer: in der Grammatik des Gebrauchsstandards) zu erfassen, zu dokumentieren und für Laien wie für Wissenschaftler zugänglich zu machen“ (DÜRSCHEID / ELSPASS 2015, 563). Da das Projekt jedoch auf die geschriebene Standardsprache begrenzt ist, ist es hier lediglich als Projekt zu erwähnen, das grammatische Variation durch die Analyse mehrerer grammatischer Phänomene in einem bestimmten vertikalen Register analysiert. Zum Projekt vgl. auch DÜRSCHEID / ELSPASS / ZIEGLER (2011 und 2015).
Zum Forschungsschwerpunkt Dialektsyntax
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xik, bezieht aber auch […] Fragen der grammatischen und der phonologischen Variation mit ein“ (MÖLLER / ELSPASS 2015, 520). Nicht unproblematisch an den AdA-Daten ist, dass das sprachliche Register, für das die erhobenen Daten stehen, nicht ganz klar ist: Dazu distanzieren sich die Autoren explizit vom Terminus „Umgangssprache“, der auf Sprechlagen bezogen [wird; TK], die zwischen Dialekt und Standardsprache angesiedelt sind, unter Ausschluss dieser Pole. Dem AdA geht es […] dagegen um das, was man am betreffenden Ort „normalerweise hören würde – egal, ob es mehr Mundart oder mehr Hochdeutsch ist“ (so die an den WDU29 angelehnte Aufforderung im Fragebogen des AdA […]), auch unter Einbeziehung von Varianten, die basisdialektal oder standarddeutsch sind, sofern sie dem ortsüblichen Gebrauch entsprechen. Wie die zitierte Formulierung deutlich macht, ist der Gebrauch in informellen Situationen im lokalen Rahmen gemeint, nicht nur im familiären Nähebereich (in dem stärker individuelle Faktoren mitspielen), sondern auch unter nicht näher miteinander bekannten Sprechern in einem lokalen Kontext, etwa im örtlichen Lebensmittelgeschäft. MÖLLER / ELSPASS (2015, 520)
Eine Zuordnung der vom AdA anvisierten Sprechlagen/Varietäten zu den oben definierten Varietäten „Dialekt“, „Regiolekt“ und „Standardsprache“, deren Definitionen auf dem Begriff der Vollvarietät basieren, fällt auf der Grundlage eines von den AdA-Autoren so definierten Zielregisters eher schwer. Die AdA-Autoren führen dazu aus: [Dass] es bei sehr vielen Phänomenen nicht einen einzigen ‚normalen‘ Gebrauch am Ort gibt, ist bei dem Konzept ‚Alltagssprache‘ natürlich noch selbstverständlicher als bei Dialekterhebungen […]. Dies ist bei der AdA-Erhebung insofern einkalkuliert, als die Einbeziehung möglichst vieler Informanten praktisch automatisch zu einem Einblick in diese Variation [zwischen Dialekt und Standardsprache; TK] führt. Selbst wenn anzunehmen ist, dass standardsprachliche Varianten etwas unterrepräsentiert sind, gilt doch: Wer keine dialektale/regiolektale Variante mehr kennt, kann keine angeben, und auch wer sie kennt, aber nie benutzen würde, wird sie vermutlich nicht als ‚üblich‘ nennen. MÖLLER / ELSPASS (2015, 520)
Ein unsystematisches Nebeneinander von dialektalen und nicht dialektalen Varianten ermöglicht jedoch – anders als von den AdA-Autoren argumentiert – keine Analyse der vertikalen Variationsdimension, da zwar aus unterschiedlichen Registern stammende Varianten erhoben werden, eine Zuordnung dieser Varianten zum konkreten Register dann aber ausbleibt. Dennoch ist aufgrund der zitierten Stelle davon auszugehen, dass im AdA nicht ausschließlich dialektale Daten erhoben werden und somit regiolektale Strukturen zumindest teilweise in den AdA-Karten sichtbar werden. Damit sind die AdA-Karten für die vorliegende Arbeit von großem Wert, da sie Hinweise auf eine mögliche areale Distribution syntaktischer Phänomene in nicht (ausschließlich) dialektalen sprachlichen Registern geben. Darüber hinaus ist in Österreich am 1. Januar 2016 ein Spezialforschungsbereich (SFB) „Deutsch in Österreich (DiÖ). Variation – Kontakt – Perzeption“ angelaufen, in dessen Rahmen in einem Teilprojekt an 16 österreichischen Orts29 WDU = Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (vgl. EICHHOFF 1977–2000)
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
punkten vertikale Variationsspektren erfasst und strukturiert werden sollen, wobei die Systemebenen Phonetik/Phonologie, Morphologie und Syntax berücksichtigt werden. Durch die Analyse mehrerer Systemebenen können in diesem SFBTeilprojekt auch Fragen in Bezug darauf angegangen werden, ob sich auf der Grundlage von phonetisch-phonologischen, morphologischen und syntaktischen Varianten je gleiche Variationsspektren in der Vertikalen ergeben, oder ob diese für je unterschiedliche Systemebenen unterschiedliche Strukturen aufweisen.30 Einer der Gründe dafür, dass die vertikale Variationsdimension syntaktischer Phänomene innerhalb des Paradigmas der modernen Regionalsprachenforschung bisher eine so untergeordnete Rolle gespielt hat, liegt möglicherweise darin, dass die gesamte Terminologie, die im Forschungsfeld der modernen Regionalsprachenforschung entwickelt worden ist, primär auf Studien beruht, deren Ergebnisse durch die Analyse von primär phonetisch-phonologischen Fragestellungen entstanden sind: [T]he main advances in our understanding of sociolinguistic variation tend to come from studies of phonological variation; and although our understanding of phonological variation is at a stage where generalisations can be made about the relationship between gender and social class on the basis of more than thirty years of research […], no such generalisations can be made for syntactic variation. CHESHIRE (2005, 480)
Im folgenden Kapitel wird daher kritisch diskutiert, ob die in Kapitel 1.2 skizzierte Terminologie der modernen Regionalsprachenforschung für Studien mit syntaktischem Schwerpunkt adaptiert werden kann. 1.4.2 Terminologische Probleme einer regionalsprachlichen Syntax 1.4.2.1 Was ist eine syntaktische Variable? In Kapitel 1.2 wurden Begriffe skizziert und diskutiert, die im Rahmen des Paradigmas der modernen Regionalsprachenforschung (weiter)entwickelt worden sind. Zwei wesentliche Begriffe wurden dort allerdings nicht diskutiert: „Variable“ und „Variante“. Sie gehören so fest zum Inventar variationslinguistischer Arbeiten, dass sie in neueren Untersuchungen nur noch selten diskutiert werden. Im Rahmen einer syntaktisch ausgerichteten Arbeit, die ihre theoretische Basis im Paradigma der modernen Regionalsprachenforschung verortet, ist eine solche Reflexion jedoch essentiell, da – wie viele andere Begriffe dieser Disziplin auch – „the notion of sociolinguistic variable [was; TK] originally developed on the basis of phonological data“ (LAVANDERA 1978, 171). Das Variablenkonzept geht ursprünglich auf WILLIAM LABOV zurück:
30 Zum SFB „Deutsch in Österreich (DiÖ) – Variation – Perzeption – Kontakt“ (FWF F060) vgl. ; Stand: 04.04.2016).
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The insight that linguistic variation is not necessarily free, but is systematically constrained by linguistic and social factors (or both), was achieved using the analytic construct of the linguistic variable. As originally conceived by LABOV, this was a linguistic unit with two or more variants that covary with other linguistic and/or social variables. CHESHIRE (1987, 259–260)
In der englischsprachigen Literatur findet sich eine sehr ausführliche und kontroverse Diskussion31 darüber, ob das LABOV’sche Konzept der Variable auf die Syntax (und auch andere linguistische Systemebenen) übertragen werden darf und kann. Erstaunlicherweise wird diese Diskussion im deutschsprachigen Diskurs bisher fast überhaupt nicht aufgegriffen und diskutiert: Selbst Publikationen, die im Titel den Terminus „syntaktische Variable“ explizit beinhalten, diskutieren die Übertragung des Variablenkonzepts auf die Syntax nicht (vgl. STROBEL 2013). Auf der anderen Seite fällt auf, dass in einigen einschlägige Publikationen die Termini „Variable“ und/oder „Variante“ nur recht spärlich verwendet werden, was dafür spricht, dass den Autorinnen und Autoren sehr wohl bewusst ist, dass eine Adaption der Termini für die Syntax nicht ohne weiteres möglich ist. Daraus resultieren jedoch begriffliche Ungenauigkeiten: GLASER (2008, 87) verwendet beispielsweise für ein und dasselbe Konzept zunächst den Terminus „syntaktisch[e] Variable“, ein paar Zeilen später den Terminus „Phänomene“ und wieder nur ein paar Zeilen später „syntaktische Varianten.“ Das Konzept der (sozio)linguistischen Variable spielt für die vorliegende Untersuchung aus zwei Gründen eine herausragende Rolle: Erstens basieren die in Kapitel 3 vorgestellten Daten größtenteils auf der Methode der Type-TokenAnalyse, für die das Variablenkonzept von großer Bedeutung ist, da im Rahmen dieser Methode Frequenzen einzelner Varianten einer bestimmten Variable ermittelt werden. Zweitens – und dieser Punkt ist wesentlich für das theoretische Fundament der vorliegenden Arbeit – beruhen die in Kapitel 1.2 vorgestellten theoretischen Konzepte sprachlicher Register (Varietäten und Sprechlagen) fundamental auf dem Variablen- und Variantenbegriff. Daher sollen die wichtigsten Punkte der Diskussion über eine Verwendung des Konzepts der soziolinguistischen Variable für andere (= nicht phonologische) Systemebenen hier skizziert werden. In der besagten Diskussion, deren Ausgangspunkt LAVANDERA (1978) darstellt, wird als Hauptargument dafür, dass das Variablenkonzept nicht ohne Weiteres auf die Syntax (und auch andere Systemebenen) übertragen werden kann, hervorgebracht, dass nach LABOV (1972a) „social and stylistic variation presuppose the option of saying ‚the same thing‘ in several different ways: that is, the variants are identical in reference or truth value, but opposed in their social and/or stylistic significance“ (LABOV 1972a, 271; Hervorhebung TK). Auch in aktuellen Arbeiten stellt die semantische Bedeutungsgleichheit der Varianten ein wichtiges Definiens dar. So etwa bei STEINER (1994, 11), die „Variable“ versteht als „Bezugsrahmen für koexistierende Ausdrucksvarianten synchroner Subsysteme, die 31 Vgl. beispielsweise LAVANDERA (1978), LABOV (1978), DINES (1980), ROMAINE (1981), WEINER / LABOV (1983), ROMAINE (1984), CORVALAN (1984), CHESHIRE (1987), WOLFRAM (1991), SERRANO (1997–98), CHESHIRE (2005), AUER / VOESTE (2012) und HASTY (2014).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
auf den gleichen außersprachlichen Sachverhalt referieren und in den meisten Fällen verschiedene funktionale Qualität besitzen.“ In der Diskussion um die Übertragung des Variablenkonzepts auf die Syntax wird hervorgehoben, dass sich vor allem die Phonologie zur Anwendung des Variablenkonzepts eignet: As regards the semantic respect, phonological and non-phonological (morphological, syntactic, and lexical) variants differ in a fundamental way. The story of phonological variables is a relatively happy one […]: phonological variants can be handled with greater ease because they are realizations of a phoneme. Phonemes as the smallest contrastive unit, distinguish meanings of words, but they have no semantic content themselves: their allophones and variants never convey a different referential meaning per definitionem. AUER / VOESTE (2012, 255–256)32
In Bezug auf die Lexik stellt LABOV (1978, 8) heraus, dass there are no true synonyms, in an absolute sense. But stylistic demands force us to substitute one word for another in speech and writing, so that in any given sequence of sentences we use many words as stylistic variants, though each has the potential ability to distinguish particular states of affairs. LABOV (1978, 8)
Es liegt nahe, Ähnliches auch für syntaktische Varianten anzunehmen: Auch hier ist – aus sozio- bzw. variationslinguistischer Sicht – davon auszugehen, dass bestimmte syntaktische Varianten genutzt werden „as stylistic variants, though each has the potential ability to distinguish particular states of affairs“ (LABOV 1978, 8). Als Antwort auf LAVANDERA (1978) argumentiert LABOV (1978, 8), dass bei syntaktischen Variablen natürlich nur jene Fälle zu vergleichen seien, „when our dependent variable is the choice of two forms for the same meaning. When we are dealing with a choice of two meanings for one form it is a different matter.“ Bei ihrer Analyse unpersönlicher Passivkonstruktionen, die sie im Vergleich mit Aktivkonstruktionen untersuchen (vgl. The liquor closet was broken into vs. They broke into the liquor closet) widmen WEINER / LABOV (1983, 33–40) ein recht umfangreiches Kapitel einzig und allein der „Definition of the Variable“ (WEINER / LABOV 1983, 33), um Fälle auszuschließen, bei denen es sich nicht um Varianten der von ihnen untersuchten Variable handelt. Damit zeigen die Autoren zwar, dass es möglich ist, syntaktische Variablen zu definieren und im Rahmen sozio- bzw. variationslinguistischer Analysen nutzbar zu machen. Ob dies jedoch ohne weiteres für alle potenziellen syntaktischen Variablen möglich ist, bleibt offen. Beispielsweise ist bei adnominalen Possessivkonstruktionen (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.4) klar, dass Konstruktionen wie der Hut von Peter im Vergleich zu anderen Konstruktionen wie beispielsweise dem Peter sein Hut eine 32 Vgl. beispielsweise auch LAVANDERA (1978, 174–175): „It is […] clear why phonological variables were better candidates for the first studies of linguistic variation than other kinds of options in the language. Laughing and laughin‘, or /gard/ and /ga:d/ can more convincingly be shown to be used to stay referentially the same thing than any pair of postulated synonymous syntactic constructions such as The liquor closet was broken into vs. They broke into the liquor closet.“
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deutlich ablative Lesart aufweisen. Dennoch ist unstrittig – das zeigen auch die Daten in Kapitel 3.4 –, dass die beiden genannten Konstruktionen in denselben Kontexten verwendet werden können. Ob bei diesem Beispiel wirklich semantische Identität zwischen den beiden Konstruktionen vorliegt oder – durch den Ausschluss bestimmter Belege – hergestellt werden kann, ist zweifelhaft. Noch deutlicher wird das Problem der „Variablendefinition“ bei der Analyse von Progressivkonstruktionen: Eine Analyse, die für das Deutsche beispielsweise die Frequenz von Progressivkonstruktionen im Vergleich zu Nicht Progressivkonstruktionen ermitteln will, muss zunächst festlegen, welche progressiv unmarkierten Formen als Variante der Variable gezählt werden können (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.2). Möglicherweise als Folge der zuvor skizzierten Aspekte ist außerdem zu beachten, dass überhaupt kein Terminus existiert, der – entsprechend zu „Allophon“ und „Allomorph“ – syntaktische Allo-Formen bezeichnet: Die Variation betrifft alle Ebenen der sprachlichen Organisation, und die deskriptive Sprachwissenschaft ist völlig unabhängig von der jeweils zu Grunde liegenden Theorie gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. […] [S]ie betrifft die Bausteine der lautlichen, morphologischen und syntaktischen Struktur ebenso wie die Pragmatik. Phonologische Varianten werden als „Allophone“ bezeichnet; […]. Morphologische Varianten […] heißen entsprechend „Allomorphe“. […] Einen analogen Terminus für syntaktische Allo-Konstruktionen gibt es nicht. KREFELD (2010, 56–57)
Wenn also nicht klar ist, aus welchen syntaktischen Varianten sich eine bestimmte syntaktische Variable zusammensetzt, dann geht daraus hervor, dass empirische Studien, die mit einem quantitativen Ansatz arbeiten und das Vorkommen bestimmter syntaktischer Konstruktionen quantitativ in Relation zum Vorkommen von „Alternativkonstruktionen“ bestimmen, die zur jeweiligen Variable gehörenden Varianten zunächst definieren müssen: The standard process of identifying a linguistic variable involves isolating the set of variants (one of which may be null) that are tied to some underlying form. The set must be exhaustive; otherwise it is not possible to establish non-occurrence, and the frequency of a variant cannot be expressed as a proportion of potential occurrences. DINES (1980, 14)
Dabei kann es auf der einen Seite passieren, dass mögliche Varianten der Variable übersehen werden oder dass auf der anderen Seite Konstruktionen berücksichtigt werden, die keine Variante der Variable darstellen. Der erste Fall wird in vielen einschlägigen Forschungsprojekten abgedeckt. Die beiden großen dialektsyntaktischen (Atlas-)Projekte SADS und SyHD tun dies beispielsweise, indem bei den sogenannten „Ankreuzaufgaben“, bei denen die Gewährspersonen vorgegebene Konstruktionen bewerten sollen, immer auch ein zusätzliches Feld aufgeführt ist, in das die Gewährspersonen zusätzliche Varianten eintragen können (vgl. FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 13–17 und die Ausführungen zu SyHD in Kapitel 1.3). Zum zweiten Punkt finden sich bisher noch keine ausführlicheren Diskussionen: Nutzt eine Gewährsperson das besagte Feld, um eine – seiner Meinung nach
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
– fehlende Variante anzugeben, müssen die Projektverantwortlichen entscheiden, ob es sich um eine „relevante“ oder eine „irrelevante“ Variante handelt, die in den weiteren Analysen berücksichtigt werden oder eben nicht. Entscheidungskriterien, die hier eine Rolle spielen, haben unmittelbar mit der skizzierten Diskussion zu tun, ob das Variablenkonzept auf die Syntax übertragbar ist oder nicht. Und auch wenn natürlich in den jeweiligen Projekten reflektierte und nachvollziehbare Entscheidungen in Bezug auf die (Nicht-)Berücksichtigung einzelner – von den Gewährspersonen zusätzlich angegebener – Varianten getroffen worden sind, so belegt dieser Punkt erneut, wie wichtig die Rezeption der skizzierten Diskussion in einschlägigen Publikationen zur germanistischen Syntaxforschung wäre. Im Verlauf der skizzierten Diskussion wurden einige Aspekte diskutiert, die zur Lösung des Problems beitragen können: HASTY (2014) führt hierzu aus, dass seiner Meinung nach das Definiens der semantischen Äquivalenz zwischen Varianten nicht für alle syntaktischen Variablen ein Problem darstellt, da durchaus syntaktische Variablen existieren, die sich sehr ähnlich verhalten wie phonetischphonologische Variablen. Als Beispiel nennt er das Vorhandensein des Verbs to be in englischen Progressivkonstruktionen: Im „African American English“ lässt sich hier Variation zwischen Konstruktionen mit und ohne to be beobachten, wie in (1). (1)
Beispiele für englische Progressivkonstruktionen mit und ohne to be aus HASTY (2014, 271) (1.1) They Ø walking too fast. (1.2) They are walking to fast.
Da solche Konstruktionen „clearly recognizable co-variants“ aufweisen, sei es weitgehend unproblematisch, das Variablenkonzept auf solche syntaktischen Variationsphänomene zu übertragen. Problematisch – so HASTY weiter – seien hingegen Variationsphänomene, die gerade keine klaren Varianten aufweisen. Als Beispiel nennt er Konstruktionen wie I done told you once deren Bedeutung sich nur annähernd durch beispielsweise ‘I have already completely told you’ umschreiben lässt (vgl. HASTY 2014, 271). Für diese und ähnliche Varianten weist CHESHIRE (2005, 482) unter Verweis auf DINES (1980) und COUPLAND (1983) darauf hin, dass unter bestimmten Voraussetzung das Definiens der semantischen Äquivalenz von Varianten einer Variablen aufgeweicht werden kann: The long debate about whether the linguistic variable should be used to analyse syntactic variation as well as phonological variation seems to have resulted in a tacit consensus that the condition of strict semantic equivalence can be relaxed if variants can be shown to be equivalent in their discourse function […]. CHESHIRE (2005, 482)
Mit Hilfe dieser Definition von Varianten als „equivalent in their discourse function“ untersucht CHESHIRE das Vorkommen unterschiedlicher Existenzkonstruktionen (there is etc.). Indem sie die „discourse functions“ dieser Existenzkonstruk-
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tionen sehr genau definiert, ist es ihr möglich Varianten, die explizite Marker für Existenzkonstruktionen enthalten (there is a drug car in the village square), mit anderen Konstruktionen ohne solche Marker zu kontrastieren (a drug car is in the village). Auch wenn beide Ansätze fruchtbare Ergebnisse für Einzelfallstudien hervorund neue Impulse in die Diskussion eingebracht haben, so muss dennoch hinterfragt werden, ob durch diese Ansätze das Problem gänzlich gelöst werden kann: Vor allem beim Ansatz von CHESHIRE (2005) wäre zu fragen, inwiefern die Definition von gleichen pragmatischen Funktionen einen Vorteil gegenüber der Selektion von semantisch identischen Konstruktionen darstellt. Der skizzierte Ansatz von HASTY (2014) bietet keine Lösung für Probleme, wie sie oben für adnominale Possessivkonstruktionen beschrieben worden sind: Solche Konstruktionen können wohl weitgehend jenem Variablentyp zugeordnet werden, den HASTY als unproblematisch beschrieben hat, da sich ja deutliche Varianten finden lassen. Allerdings löst seine Einteilung nicht das oben skizzierte Problem, dass das Haus von Peter im Gegensatz zu dem Peter sein Haus eine deutlich ablative Lesart aufweist und damit keine semantische Gleichheit zwischen den Varianten vorliegt. Somit gilt nach wie vor, dass „there has been no agreement on whether the concept of the linguistic variable can be extended beyond phonology“ (CHESHIRE 2005, 480). Aus der skizzierten Diskussion sind aber dennoch sowohl methodische als auch terminologische Konsequenzen zu ziehen. Als methodische Konsequenz wird in der vorliegenden Arbeit auf einen Ansatz zur Datenerhebung zurückgegriffen, der der Diskussion um syntaktische Variablen neue Impulse geben kann: Die Grundidee dieses Ansatzes ist es, syntaktische Variablen onomasiologisch zu definieren. Zunächst wurden anhand der vorhandenen Forschungsliteratur potenzielle Varianten der jeweils anvisierten Variable selektiert, anhand derer die Variable vorläufig definiert wurde als Summe dieser Varianten. Wie in Kapitel 2 ausführlich gezeigt werden wird, liegt der empirischen Untersuchung der vorliegenden Arbeit ein multidimensionales Datenerhebungssetting zugrunde, durch das unter anderem Daten aus einer Fragebogenerhebung und aus Sprachproduktionstests erhoben wurden. In beiden Erhebungsverfahren, die ausführlich in Kapitel 2 vorgestellt werden, wurden mehreren Gewährspersonen identische Stimuli (Fragebogenaufgaben bzw. audio-visuelle Stimuli in Sprachproduktionstests) präsentiert. Alle Antworten, die als Reaktion auf diese Stimuli von den Gewährspersonen realisiert worden sind, werden dann als Varianten der jeweiligen Variable angesehen, da sie als Reaktion auf einen identischen Stimulus realisiert worden sind. Dadurch ist klar, dass allen Varianten mehr oder weniger dasselbe Konzept zugrunde liegt – nämlich der gezeigte Stimulus.33 Sollten hier weitere Varianten auftreten, die in der vorläufigen – auf die Forschungsliteratur gestützten – Variablendefinition nicht berücksichtigt wurden, wurde die Variable um die entsprechende Variante erweitert. Durch diese Definition der 33 Die Relativierung durch „mehr oder weniger“ bezieht sich auf die Tatsache, dass, aus einer konstruktivistischen Perspektive betrachtet, unterschiedliche Interpretationen des präsentierten Stimulus seitens der Gewährspersonen nicht ausgeschlossen werden können.
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Variablen wird gesichert, dass die als Varianten der Variable klassifizierten Konstruktionen auch tatsächlich miteinander variieren. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Variable exhaustiv erfasst wird. Möglicherweise existieren weitere Varianten, die zur jeweiligen Variable gehören. Dieses Problem kann auch durch den vorliegenden Ansatz nicht gelöst werden, was aber durch die vielen Vorteile – v. a. was die Vergleichbarkeit der Daten angeht –, die die auf diese Weise erhobenen und definierten Variablen mit sich bringen, mehr als ausgeglichen wird.34 Terminologische Konsequenzen der skizzierten Diskussion ergeben sich daraus, dass es vom Ausgang der skizzierten Debatte abhängig ist, ob die Termini „syntaktische Variable“ und „syntaktische Variante“ überhaupt adäquate Begriffe darstellen und verwendet werden können, ohne unangebrachte Äquivalenz zu phonologischen Variablen zu suggerieren. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit die Termini „Variable“ und „Variante“ immer dann mit einem hochgestellten S indiziert, wenn sie auf „syntaktische Variablen“ oder „syntaktische Varianten“ referieren. Auch die synonym zu „VariableS“/„VarianteS“ gebrauchte Verwendung des Adjektivattributs „syntaktisch“ zusammen mit „Variante“ oder „Variable“ („syntaktische Variable/Variante“) verdeutlicht, dass es sich um eine Terminologie handelt, die die geschilderten Probleme reflektiert. Darüber hinaus stellt auch der Terminus „Konstruktion“ in den folgenden Analysen ein Synonym zu VarianteS dar. 1.4.2.2 Zur Klassifikation syntaktischer Varianten – AUER (2004) Eng verbunden mit dem erläuterten Problem, dass für syntaktische Variablen nicht immer klar ist, aus welchen VariantenS sie bestehen, ist das Problem einer Klassifizierung syntaktischer Varianten. Damit ist gemeint, dass für phonetischphonologische Varianten aufgrund umfangreicher Beschreibungen in den junggrammatischen Ortsmonographien, dem Wenker-Material und den modernen Regionalatlanten auf der einen und den normierten Oralisierungsnormen, wie sie durch den Ausspracheduden vorliegen, auf der andern Seite, in der Forschung zumeist Einigkeit darüber herrscht, welche Varianten als standardsprachlich und welche als dialektal zu klassifizieren sind. Phonologische Varianten einer Variable, die in regionalsprachlichen Registern Variation aufweisen, werden als relevant für variationslinguistische Fragestellungen angesehen. Darüber hinaus besteht zumeist auch Einigkeit darüber, dass es phonetisch-phonologische Varianten gibt, die auf die Gegebenheiten gesprochener Sprache insgesamt zurückgeführt werden müssen und keine variationslinguistisch relevanten Phänomene darstellen. Solche Varianten werden unter dem Begriff „Koartikulation“ zusammengefasst und zu-
34 Von (sozio)linguistischen Variablen – unabhängig auf welche Systemebene sie sich beziehen – sind selbstverständlich statistische Variablen zu differenzieren. Statistische Variablen definiert MEINDL (2011, 33) als „[a]lle Gegebenheiten in einer wissenschaftlichen Untersuchung, die sich quantitativ oder qualitativ ändern können.“
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meist aus variationslinguistischen Analysen ausgeschlossen (vgl. beispielsweise LAMELI 2004). Für syntaktische Varianten und Variablen hat AUER (2004) einen Vorschlag zur Einteilung vorgelegt. Ausgangspunkt ist für ihn die Auflösung des „traditional view“, nach dem Dialektsyntax Syntax der gesprochenen Sprache und standardsprachliche Syntax ausschließlich Syntax der geschriebenen Sprache sei. Er schlägt ein Modell vor, in dem die Syntax der gesprochenen Sprache sowohl den Dialekt als auch den Standard umfasst. Medial davon getrennt sieht AUER die Syntax der geschriebenen Standardsprache. Dieses Modell ist in Abbildung 2 dargestellt, die AUER (2004, 72) entnommen ist.
Abbildung 2: Vorschlag zu Analyseebenen von standardsprachlicher und Dialektsyntax nach AUER (2004, 72)
Ausgehend von dieser Modellierung leitet AUER drei unterschiedliche Typen von „syntactic features“35 ab: (2)
Klassifikation von „syntactic features“ nach AUER (2004, 72) (2.1) Typ A: „General syntactic features of spoken language, i.e. the structural consequences of orality“ (2.2) Typ B: „Geographically restricted syntactic features“ (2.3) Typ C: „Non-dialectal non-standard features“
Unter Typ A fasst AUER Konstruktionen, die sich aus den Besonderheiten gesprochener Sprache ergeben. Diese sind mit Koartikulationsphänomenen bei der Untersuchung phonetisch-phonologischer Fragestellungen vergleichbar. Sie sind für variationslinguistisch ausgerichtete Analysen daher weniger interessant. Die Typen B und C unterscheiden sich nach AUER in ihrer arealen Verbreitung: Während Typ-B-Features „occur in a restricted part of the German language area (neither in 35 WEISS (2016) übersetzt bei der Diskussion des Beitrags von AUER (2004) „syntactic features“ übrigens mit „syntaktischer Variable.“
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
the standard variety nor in all dialects)“ (AUER 2004, 72) sind Typ-C-Features „observed in all German dialects but not in the spoken standard. By definition, they cannot be called dialect features since they do not show areal distribution“ (AUER 2004, 72). SCHALLERT (2012, 62) weist darauf hin, dass die Bezeichnung der Typ-C-Features irreführend ist, da sich die von AUER als „non-dialectal nonstandard“ bezeichneten Features ja gerade dadurch auszeichnen, dass sie in allen Dialekten vorkommen. SCHALLERT (2012, 62) schlägt daher als Alternative die Bezeichnung „dialektale Merkmale ohne Raumbildung“ vor. Kritisch anzumerken ist auch, dass das AUERʼsche Modell ausschließlich die beiden Parameter Medialität und Arealität berücksichtigt. Die sozio-situativ vertikale Variationsdimension wird nur implizit durch die Benennung der einzelnen Features berücksichtigt. Darüber hinaus ist die Klassifikation stark vereinfachend, da sie ein zentrales Ergebnis variationslinguistischer Forschung unkommentiert lässt, auf das bereits LAVANDERA (1978) hinweist (und das sich auch in aktuellen Studien – wie beispielsweise LENZ 2003 zeigt): As a matter of fact, for cases of inherent variation it is reported that there are no speakers who never use a variant nor are there any who always use it. It is not therefore which form is chosen in any particular occurrence but the frequency with which one form is chosen over another alternative form […]. LAVANDERA (1978, 174)
Nimmt man diesen Befund ernst, dann wird offensichtlich, dass für eine adäquate Einteilung syntaktischer Variablen die vertikale Variationsdimension zu berücksichtigen ist, da nur ein systematischer Vergleich der von AUER genannten Typen in verschiedenen regionalsprachlichen Registern zeigen kann, ob die jeweiligen Konstruktionen wirklich nicht in standardsprachlichen Registern vorkommen, oder – falls sie dies doch tun – ob sich zwischen standardsprachlichen und dialektale(re)n Registern statistisch signifikante Unterschiede in den Verwendungsfrequenzen der einzelnen VariantenS zeigen. Dies gilt sowohl für die kleinräumig verbreiteten (Typ B) als auch für die Features ohne Raumbildung (Typ C). 1.4.2.3 Zur Adaption der sprachdynamischen Terminologie für syntaktische Fragestellungen Zum Abschluss der terminologisch-theoretischen Vorüberlegungen für die folgenden Analysen sind die in Kapitel 1.2.2 vorgestellten Grundkonzepte, wie sie im Rahmen der Sprachdynamiktheorie (weiter)entwickelt worden sind, daraufhin abzuklopfen, ob und wie sie sich für regionalsprachliche Syntaxanalysen adaptieren lassen. „Synchronisierung“: Mit Blick auf die Adaption dieses Terminus für syntaktisch ausgerichtete Fragestellungen ist festzuhalten, dass bisher keine Analysen und/oder Ergebnisse zu Synchronisierungsakten syntaktischer Strukturen vorlie-
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gen.36 Außerdem ist zu erörtern, ob und wie sich das Synchronisierungskonzept mit anderen, im Rahmen der Grammatikforschung erarbeiteten Sprachwandelkonzepten wie etwa Grammatikalisierungen37 und – spannender und schwieriger – Reanalysen in Einklang bringen lässt. Anzunehmen ist jedoch: Wenn für syntaktische Variablen in ein und demselben Kontext mehrere VariantenS nachgewiesen werden können – und in Vorwegnahme der Ergebnisse ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass dies der Fall ist –, dann ist es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass Synchronisierungsakte auch für (zumindest bestimmte) syntaktische Variablen beobachtet werden können. „Varietät“: Mit SCHMIDT / HERRGEN (2011, 51) wurden in Kapitel 1.2.2.3 Varietäten als „durch je eigenständige prosodisch-phonologische und morphosyntaktische Strukturen bestimmte und mit Situationstypen assoziierte Ausschnitte des sprachlichen Wissens“ definiert. Die arealen und vertikalen Grenzen dieser Varietäten sind bestimmt durch sogenannte Strukturgrenzen, die sich dadurch auszeichnen, dass zu ihrer Überwindung mindestens eine Struktur (egal – so die Autoren – ob phonetisch-phonologisch, morpho-syntaktisch oder einer anderen Systemebene zugehörig) in einem Prozess erlernt werden muss (etwa aufgrund spezifischer Phonem-Lexem-Zuweisungen). Solche Strukturgrenzen lassen sich anhand von Hyperformen (Hyperdialektalismen bzw. Hyperkorrekturen) linguistisch bestimmen. Ähnlich wie beim Synchronisierungsbegriff scheint auch hier eine Adaption für syntaktische Fragestellungen im theoretischen Rahmen unproblematisch. Allerdings liegen auch hierzu noch keine empirischen Befunde vor: Zwar setzt die Sprachdynamiktheorie stets einen „morpho-syntaktischen Fundamentalbereich“ an, allerdings liegen – zumindest für syntaktische Variationsphänomene – noch keine Befunde vor, die einen solchen Fundamentalbereich tatsächlich belegen. Hier ist auch zu fragen, ob sich für die Syntax die für das Varietätenkonzept wichtigen Hyperformen nachweisen lassen. „Sprechlage“: Weitgehend unkompliziert ist auch die Adaption des oben ebenfalls definierten Terminus „Sprechlage,“ der definiert ist als „konventionelle allophonische und allomorphische Variation innerhalb einer Vollvarietät, die mit sozialen, situativen und arealen Faktoren korrelliert“ (SCHMIDT 2010, 128). Lassen sich für bestimmte VariablenS zwischen unterschiedlichen Erhebungssituationen, die bestimmte Kommunikationssituationen repräsentieren, statistisch signifikante unterschiedliche Verwendungsfrequenzen einzelner VariantenS nachweisen, dann deutet dies darauf hin, dass Sprechlagen auch anhand syntaktischer Varianten nachweisbar sind oder umgekehrt, dass Sprecherinnen und Sprecher auch in der Syntax situationsbezogene Variation aufweisen. „Standardsprache“, „Dialekt“ und „Regionalsprache“: Deutlich schwieriger als die zuvor diskutierten Termini lassen sich die sprachdynamischen Konzep36 Eine Arbeit, die sich zumindest in Teilen mit dieser Frage auseinandersetzt, entsteht aktuell mit der Dissertation von AHLERS (i.V.). 37 Unter Grammatikalisierung wird hier mit SZCZEPANIAK (2011, 5) ein Prozess verstanden, der die „Entstehung und Weiterentwicklung grammatischer Morpheme bis hin zu ihrem Untergang bezeichnet […].“
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te für „Standardsprache“, „Dialekt“ und „Regionalsprache“ für syntaktische Fragestellungen adaptieren. Dies hat seinen Grund vor allem in der sprachdynamischen Definition der Standardsprache, die hier wiederholt zitiert wird: Standardsprache heißt diejenige Vollvarietät, auf deren Literalisierungsnorm die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft ihre Makrosynchronisierungen ausrichten. Die – nationalen – Oralisierungsnormen dieser Vollvarietät sind durch Freiheit von (kommunikativ) salienten Regionalismen gekennzeichnet SCHMIDT / HERRGEN (2011, 62)
Diese Definition bringt mehrere – nicht nur für die Adaption des Begriffs für eine syntaktisch ausgerichtete Arbeit relevante – Probleme mit sich. Zunächst ist zu fragen, in welchem Verhältnis die „Literalisierungsnorm“ und die „Oralisierungsnorm“ stehen. Wenn – wie in der Definition von „Standardsprache“ klar festgehalten – die Literalisierungsnorm den Fixpunkt für die Makrosynchronisierungen der Sprachgemeinschaft darstellt, welchen Stellenwert nehmen dann die nationalen Oralisierungsnormen ein? Klar ist, dass ab der Einführung der hochdeutschen Schriftsprache um 1700 herum größere Teile städtischer Sprecher ihre Makrosynchronisierungen an der gemeinsamen Schriftnorm ausrichteten. […] Im personellen Kontakt der Mitglieder der intellektuellen Elite in den verschiedenen geistigen Zentren waren die Oralisierungsakte gleichgerichtet (auf die Schriftsprache gerichtet) und hatten eine ähnliche dialektale Basis, so dass sich bald relativ stabile Konventionen der Oralisierung herausbildeten SCHMIDT / HERRGEN (2011, 63–64)
Für die Umwertung des so entstandenen „landschaftlichen Hochdeutschs“ machen die Sprachdynamikautoren dann aber vor allem die „kommunikative Verfügbarkeit der massenmedial verbreiteten neuen nationalen Oralisierungsnormen verantwortlich“ und zwar „[i]n dem Maße, in dem die neuen nationalen Normen der Mündlichkeit als ‚richtige‘, ‚reine‘ Oralisierung der Standardvarietät kommunikative Präsenz erlangten“ (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 65; Fettdruck TK). Wesentlich für die gegenwärtige Situation scheint also eher die Existenz von Oralisierungsnormen zu sein, zumal die Autoren auch von „auf die Oralisierungsnorm gerichteten Makrosynchronisierungen“ schreiben (SCHMIDT / HERRGEN 2011, 62). Da diese Oralisierungsnorm in Aussprachewörterbüchern wie beispielsweise dem Duden-Aussprachewörterbuch (Duden 2015) kodifiziert ist, ist diese Oralisierungsnorm nach SCHMIDT (2005a) und KEHREIN (2012, 31) als nationale Oralisierungsnorm zu bezeichnen. Für die Syntax ergibt sich daraus ein Problem: Wenn die Sprecherinnen und Sprecher ihre Makrosynchronisierungen primär an der nationalen Oralisierungsnorm ausrichten, dann ist für die Syntax festzuhalten, dass es – anders als im Falle der Aussprachewörterbücher – keine Kodifizierung des Gesprochenen „auf Grundlage der Sprachverwendung durch Berufssprecher sowie im Falle des neuesten Deutschen Aussprachewörterbuchs empirischer Untersuchungen zur Akzeptanz von Sprechweisen“ (KEHREIN 2012, 31) gibt. Im sprachdynamischen Standardbegriff ist die Syntax zwar enthalten, indem die „Literalisierungsnorm“ als Fixpunkt für die Makrosynchronisierungen angegeben
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wird. Wie soeben gezeigt, kommt jedoch den (kodifizierten) Oralisierungsnormen im Rahmen der Sprachdynamiktheorie die entscheidende(re) Rolle zu. Daher ist für die Syntax zu fragen, woran hier die Sprachgemeinschaft ihre Makrosynchronisierungen ausrichtet. Dennoch muss der im Rahmen der Sprachdynamiktheorie entwickelte Standardbegriff für die Syntax nicht aufgegeben werden, wenn man zwei Ebenen voneinander unterscheidet: Die erste Ebene ist die Rolle, die der Standardbegriff für die Gliederung der vertikalen Variationsdimension spielt. Hierfür kann auch für die Syntax davon ausgegangen werden, dass sich die Sprachgemeinschaft an einer gemeinsamen Norm ausrichtet; welche auch immer das sein mag. Der sprachdynamische Standardbegriff deckt jedenfalls die Literalisierungsnorm mit ab und es ist auch keineswegs abwegig, dass bei syntaktischen Unsicherheiten in der gesprochenen Sprache die primär auf die geschriebene Sprache ausgerichteten Grammatiknachschlagewerke38 konsultiert werden.39 Damit kann auch für die Syntax von einer kodifizierten Standardsprache ausgegangen werden, die die jeweiligen Regionalsprachen überdacht. Auf einer zweiten Ebene ist aber zu fragen, welche VariantenS einer syntaktischen Variable als standardsprachlich zu klassifizieren sind. Hier muss erst noch der empirische Nachweis dafür erbracht werden, dass ausschließlich jene Konstruktionen als standardsprachlich angesehen werden können, die für die geschriebene Standardsprache kodifiziert sind oder ob es nicht auch eine Oralisierungsnorm für die Syntax geben muss. Ein Beispiel, das als Indiz für eine solche Oralisierungsnorm gesehen werden kann, stellen die in Kapitel 3.3 ausführlich behandelten finalen Infinitivkonstruktionen dar: Als solche beschreibt die Duden-Grammatik (2016) ausschließlich Konstruktionen mit um + zu-Infinitiv wie in (3.1). Konstruktionen mit für + zu-Infinitiv (vgl. (3.2)) werden ausschließlich für nicht standardsprachliche Register beschrieben (vgl. beispielsweise DEMSKE 2011). Konstruktionen mit zum mit einem Infinitiv, bei dem man zunächst analysieren muss, ob es sich um einen verbalen oder einen nominalen Infinitiv handelt, wie in (3.3) werden sicherlich von den meisten Sprecherinnen und Sprechern als standardsprachlich angesehen und auch in der Literatur als standardsprachlich beschrieben (vgl. ebenfalls DEMSKE 2011). Allerdings werden Konstruktionen wie in (3.3) im Grammatik-Duden (2016) überhaupt nicht diskutiert. (3)
Finale Infinitivkonstruktionen (3.1) Ich kaufe Farbe, um zu streichen. (3.2) Ich kaufe Farbe, für zu streichen. (3.3) Ich kaufe Farbe zum Streichen.
38 „Der Grundriss legt sich auf das geschriebene Standarddeutsche fest“ (EISENBERG 2013b, 3). Zur Diskussion, ob Grammatiken auch die gesprochene Sprache berücksichtigen sollen vgl. etwa EISENBERG (2007) und FIEHLER (2007). 39 „This can be seen from the success of dictionaries and reference books (e. g. DudenWörterbuch für Zweifelsfragen (Duden Dictionary of Dubious Cases))“ (HENNMEMMESHEIMER 1997, 233).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
Wie die Ergebnisse in Kapitel 3.3 zeigen werden, sind es gerade die zumKonstruktionen, die in standardnäheren Registern auftreten, während die Konstruktionen mit für + zu-Infinitiv in eher dialektalen Registern vorkommen. Aussagen wie „‚codified‘ is all that remains […] as a defining characteristic for the standard“ (HENN-MEMMESHEIMER 1997, 233) sind vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen. Ebenfalls – wenn auch weniger – problematisch für die Adaption des sprachdynamischen Standardbegriffs für syntaktische Fragestellungen ist der perzeptionslinguistische Teil der Definition, die besagt, dass die gesprochene Standardsprache Restarealität enthält, die aber unterhalb der von LAMELI (2004) bestimmten perzeptiven Grenze liegt und von Hörerinnen und Hörern nicht wahrgenommen wird. Darüber, welche syntaktischen Merkmale salient, pertinent (vgl. PURSCHKE 2011) oder überhaupt auffällig oder eben nicht auffällig sind, weiß die Forschung bisher nur sehr wenig. Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang auch zu fragen, ob und wie unterschiedliche Systemebenen, wie etwa die phonetisch-phonologische und die syntaktische Ebene bei der Wahrnehmung von „(Rest)Arealität“ überhaupt zusammenwirken.40 Für diesen Teil des Standardbegriffs gilt ebenfalls: Es fehlen bisher empirische Befunde, die eine Adaption der Konzepte für die Syntax final legitimieren, abgesehen davon spricht aber kein offenkundiges Argument dagegen, diese Konzepte so auch für die Syntax anzunehmen. Vor diesem Hintergrund können auch die sprachdynamischen Definitionen von „Regionalsprache“, „Dialekt“ und „Regiolekt“ übernommen werden, die vor allem auf dem Begriff der Vollvarietät fußen. Daher gilt auch für diese Begriffe: Es spricht – aus einer theoretischen Perspektive – nichts dagegen, das jeweilige Konzept auch für die Syntax anzunehmen. Es fehlt jedoch der empirische Nachweis, dass die Konzepte so auch für die Syntax gelten. Zu diesen Themenbereichen versuchen die folgenden Analysen einen Beitrag zu leisten. 1.4.3 Zum Problem ausreichend großer Datenmengen für die Analyse regionalsprachlicher Syntax Neben den in Kapitel 1.4.2 diskutierten terminologischen Problemen, ergibt sich für syntaktische Analysen mit variationslinguistischem Fokus auch ein – in der Literatur häufiger diskutiertes – methodologisches Problem, das für das recht spät aufkommende Interesse an der Dialektsyntax mitverantwortlich ist: Die zur Erhebung phonetisch-phonologsicher Phänomene entwickelten Methoden sind nur in eingeschränktem Maße zur Zusammenstellung eines Datenkorpus für syntaktische Fragestellungen geeignet. PATOCKA (2000) macht das am Beispiel der von ihm untersuchten Topologie innerhalb des Verbalkomplexes deutlich:
40 Eine perzeptionslinguistische Arbeit, die diese Fragestellung berücksichtigt, entsteht mit dem Dissertationsprojekt von KLEENE (i. V.).
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Topologische Phänomene zu erheben ist, wie wir wissen, eine Schwierigkeit für sich. Prinzipiell ist es z. B. denkbar, von Gewährspersonen Satzkonstruktionen in ihre Mundart übertragen zu lassen, in der Hoffnung, die dialektal geltende Variante als Antwort zu erhalten. […] In der Regel bieten die Informanten, wenn sie den Sinn der Befragung erkannt haben, nämlich eine zwar lautlich, morphologisch und lexikalisch richtige Übersetzung, in topologischer Hinsicht neigen sie jedoch stark zu ‚Echo-Konstruktionen‘. Ein Satz wie er hat nicht arbeiten müssen wird z. B. in einem Dialekt im südöstlichen Niederösterreich vermutlich als ea had ned oawtn miaßt wiedergegeben werden, obwohl dort nachweislich die Variante ea had ned miaßt oawatn die basisdialektal ‚normale‘ ist. PATOCKA (2000, 250)
GLASER (2000) hält fest, dass häufig die Korpusanalyse frei gesprochener Texte als die einzig statthafte Methode der Syntaxanalyse angesehen [wird; TK]. Sicherlich ist das die ideale Methode für die Ermittlung syntaktischer Phänomene, was die fehlende Beeinflussung durch vorgegebene Muster oder durch die Interviewsituation angeht. Bei frei gesprochener Sprache kann davon ausgegangen werden, daß die Sprecher tatsächlich die für sie gewöhnlichen Strukturen benutzen. Das ist ein unbezweifelbarer Vorteil. Daß diese Methode für eine breit angelegte dialektgeographische Untersuchung verschiedener Phänomene schon aus zeitökonomischen Gründen nicht in Frage kommen kann, ist aber klar, selbst wenn man den gegenüber phonetisch-phonologischen Untersuchungen ungleich geringeren Transkriptionsaufwand berücksichtigt. GLASER (2000, 259–260)41
Die Aussage, dass der Transkriptionsaufwand im Vergleich mit phonetischphonologischen Untersuchungen „ungleich geringer“ sei, ist etwas missverständlich formuliert, da sie sich ausschließlich auf die Transkriptionstiefe des jeweils zugrunde liegenden Transkriptionssystems bezieht. Hier kommt die Syntax mit deutlich weniger detailliert transkribierten Texten zurecht als phonetisch-phonologische Arbeiten, die fast immer auf feinphonetische Transkriptionen angewiesen sind. In der Literatur wird aber häufiger darauf hingewiesen, dass für die Syntax ungleich mehr Datenmaterial benötigt wird als für die PhonetikPhonologie, da (bestimmte) syntaktische Varianten sehr selten in frei gesprochener Sprache vorkommen. Hierdurch ergibt sich also gerade für die Syntax ein besonders hoher Transkriptionsaufwand: [S]yntactic variation often operates on a very subtle level; it is in many cases not categorical, but instead a matter of statistical frequency, of preferences and preference patterns rather than mere presence or absence. In order to identify such subtle aspects of syntactic variation within and across dialects (even within the speech of the individual dialect speaker) much more material is necessary than for the study of accents and dialect vocabularies. According to some estimates, about forty times the amount of text is needed for a syntactic analysis as opposed to a phonetic one. KORTMANN (2010, 844–845)
Aus den Zitaten wird ersichtlich, dass für die Dialektsyntax neben dem Mangel an Grundlagenforschung auch das Problem besteht, dass bestimmte syntaktische Va41 Zur Diskussion unterschiedlicher empirischer Verfahren in der Syntaxforschung vgl. auch SCHMIDT (1993, 193–195).
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
rianten im Vergleich mit phonetisch-phonologischen sehr selten sind. Daher sind zur Erhebung einer (für quantitative Methoden) ausreichenden Datenmenge zur Analyse syntaktischer Konstruktionen innovative Methoden und ein Mix unterschiedlicher Datenklassen (direkte und indirekte Daten) vonnöten. Dieser Tatsache trägt die vorliegende Arbeit durch ein multidimensionales Methodensetting Rechnung, das in Kapitel 2 ausführlich vorgestellt wird. Von besonderer Relevanz sind hier die für die vorliegende Untersuchung entwickelten „Sprachproduktionstests (SPT)“, bei denen audio-visuelle Stimuli verwendet werden, um bestimmte syntaktische Variablen zu erheben. Die Sprachproduktionstests werden ausführlich in Kapitel 2.3.4.4 vorgestellt und diskutiert. 1.5 DETAILLIERTE FRAGESTELLUNGEN, HYPOTHESEN UND ERKENNTNISINTERESSE DER VORLIEGENDEN ARBEIT Auf der Grundlage der zuvor skizzierten Forschungsbereiche „Regionalsprachenforschung“, „Dialektsyntax“ und „regionalsprachliche Syntax“ können in diesem Kapitel die bereits in Kapitel 1.1 teilweise angerissenen Fragestellungen, die mit der vorliegenden Untersuchung angegangen werden, detailliert formuliert werden. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Pionierprojekt, das erstmals im deutschen Sprachraum systematisch die vertikale Variationsdimension anhand syntaktischer Variablen in den Blick nimmt und damit die Dialektsyntax mit der auf die Analyse vertikaler Variationsspektren ausgerichteten modernen Regionalsprachenforschung zusammenführt. In Bezug auf diese Analysedimension ist zunächst zu fragen: Können für unterschiedliche vertikale Register unterschiedliche Frequenzen bestimmter syntaktischer Varianten nachgewiesen werden? Lassen sich – aus einer auf die individuellen Gewährspersonen gerichteten Perspektive – Gruppen von Gewährspersonen herausarbeiten, die sich gruppenintern durch ein möglichst homogenes Sprachverhalten in Bezug auf die untersuchten VariantenS auszeichnen, während gleichzeitig zwischen den Gruppen möglichst große Differenzen bestehen? Zeigen sich dabei Korrelationen zwischen der linguistischen und der sozio-demographischen Zusammensetzung der einzelnen Gruppen? Im Mittelpunkt der sozio-demographischen Faktoren steht bei allen Analysen das Alter der Gewährspersonen: Bei allen in der Folge analysierten Daten werden daher zwei Altersgruppen miteinander verglichen. Dieser Apparent-Time-Ansatz42 dient dem Zweck, Rückschlüsse auf die Dynamik der analysierten Phänomene ziehen zu können. Abschließend ist dann zu fragen, ob sich anhand der einzelnen Grup-
42 „Apparent time studies of variation and change involve sampling speakers of different ages and comparing the frequency of a variant in the speech of successive generations. Apparent time is a way of simulating and modelling real time change using synchronic data“ (MEYERHOFF 2011, 140). Vgl. auch CHAMBERS / TRUDGILL (2009, 151): „Studying the diffusion of innovations in apparent time involves surveying the differences between the speech of people of different ages in the same community, while controlling the other independent variables such as sex, social class and ethnicity.“
Detaillierte Fragestellungen, Hypothesen und Erkenntnisinteresse
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pen Rückschlüsse auf die Gliederung der Vertikalen anhand syntaktischer Varianten ziehen lassen? Neben diesen variablenübergreifenden Fragestellungen, die vor allem in Kapitel 4 untersucht werden, ist es auch das Ziel dieser Arbeit, die vertikale Variation der selektierten VariablenS detailliert zu untersuchen. Solche variablenzentrierten Analysen sind nicht nur Voraussetzung für die von der EinzelvariableS abstrahierenden Forschungsfragen, sondern bieten einen detaillierten Einblick sowohl in die variablenspezifische Variation in der Vertikalen als auch in die Steuerungsfaktoren, von denen diese Variation möglicherweise abhängt. Da für die selektierten VariablenS bisher keinerlei Ergebnisse hierzu vorliegen, leistet die Arbeit auch einen Beitrag zum vertiefenden Verständnis der einzelnen Variationsphänomene. Diese – auf die einzelnen VariablenS fokussierten – Untersuchungen, werden in Kapitel 3 durchgeführt. Zwar liegt der Fokus der folgenden Analysen eindeutig auf der vertikalen Analysedimension, wie aber in Kapitel 1.2.1 deutlich wurde, sind auch areale Fragestellungen für regionalsprachliche Arbeiten relevant. Daher wird in der vorliegenden Arbeit auch diese Variationsdimension berücksichtigt. Hierbei steht allerdings nicht die in Kapitel 1.2.1 zitierte Frage von KEHREIN (2008, 132) nach der arealen Verteilung der standardnächsten Register im Fokus, sondern die Frage, ob sich innerhalb des moselfränkischen Dialektverbands syntaktische Raumbilder zeigen. Eine solche – auf den Dialekt ausgerichtete Fragestellung – ist für die moderne Regionalsprachenforschung deshalb von Interesse, da – wie oben gezeigt wurde – eine These besagt, dass Regionalsprachen horizontal durch die Grenzen der alten Dialektverbände begrenzt sind (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1.2.2). Bisher ist jedoch nur wenig darüber bekannt, ob eine Einteilung der Dialektverbände auf der Grundlage syntaktischer Varianten identisch mit Einteilungen, die auf phonetisch-phonologischen Variationsphänomenen beruhen, wäre. Diese Frage kann zwar anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht beantwortet werden, allerdings vermitteln die arealen Analysen einen ersten Eindruck über die areale Distribution der selektierten syntaktischen Variationsphänomene in dialektalen Registern des Moselfränkischen. Selbstverständlich werden die Ergebnisse der folgenden Analysen immer mit bereits vorliegenden Befunden zu regionalsprachlichen Registern verglichen. Da diese häufig auf der Analyse phonetisch-phonologischer Daten beruhen, geht die vorliegende Arbeit damit auch der Frage nach, ob sich zwischen der Analyse regionalsprachlicher Register anhand syntaktischer Daten Unterschiede zu variationslinguistischen Befunden zeigen, die für das regionalsprachliche Spektrum mittels phonetisch-phonologischer Daten herausgearbeitet wurden. Dabei sind vor allem die folgenden Fragen relevant: Führt die Einteilung der moselfränkischen Vertikale anhand syntaktischer Variablen zu denselben Registern wie bei Analysen anhand von phonetisch-phonologischen Variablen? Verhalten sich syntaktische Variablen aus einer Apparent-Time-Perspektive ähnlich wie phonetischphonologische Variablen? Finden sich also bspw. VariantenS, die von älteren Gewährspersonen häufiger verwendet werden als von jüngeren?
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Einleitung: Regionalsprachliche Syntax
Nicht zuletzt will die folgende Analyse aber auch methodische Fragen beantworten: Wie kann für die Analyse regionalsprachlicher Strukturen eine ausreichend große Datenmenge gewonnen werden, die quantitative und qualitative Analysen der Daten erlaubt. Mit dem in Kapitel 2.3 ausführlich skizzierten Methodensetting für die Datenerhebung der vorliegenden Arbeit – und hier vor allem der in Kapitel 2.3.4.4 vorgestellten innovativen Sprachproduktionstests – liegt ein Vorschlag vor, der diese Fragen beantworten kann.
2 ANLAGE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG 2.1 ZUM UNTERSUCHUNGSGEBIET „MOSELFRÄNKISCH“ Im Zentrum der folgenden Analysen steht die Frage, ob und wie syntaktische Varianten im vertikalen Variationsspektrum variieren. Aufgrund des in Kapitel 1.4 skizzierten Mangels an Grundlagenliteratur zu diesem Themenkomplex wurden an das potenzielle Untersuchungsgebiet die Kriterien gerichtet, dass einerseits variationslinguistische Vorgängerstudien existieren, die sich mit dem vertikalen Variationsspektrum des entsprechenden Gebiets befassen und dass es zumindest ein gewisses Repertoire an Forschungsliteratur gibt, die sich mit syntaktischen Besonderheiten des entsprechenden Areals auseinandersetzt. Wichtigstes Kriterium war, dass die zu erhebenden Sprachdaten möglichst variationsreich sein sollten und daher in einem Gebiet erhoben werden sollten, das sich durch eine hohe sozio- und varietätenlinguistische Dynamik auszeichnet. Diese Kriterien erfüllt der moselfränkische Dialektverband, da für das Gebiet mit der unter 1.2.1 vorgestellten Studie von LENZ (2003) und auch mit der Studie von KEHREIN (2012) erstens zwei Studien vorliegen, die die vertikale Struktur der moselfränkischen Regionalsprache umfassend beleuchten und damit hervorragende Vergleichspunkte für die vorliegende Arbeit darstellen. Zweitens existieren mit den Arbeiten von LABOUVIE (1938) und GROSS (1990) zwei syntaktisch ausgerichtete junggrammatische Ortsmonographien.43 Drittens wurden zumindest einige wenige syntaktische Einzelphänomene im Moselfränkischen bereits umfassend untersucht: so etwa die Wortstellung in mehrteiligen Verbalkomplexen44 von DUBENION-SMITH (2008) oder Analysen zu verschiedenen Passivkonstruktionen bei LENZ (2007b). Auf syntaktische Besonderheiten des polyfunktionalen Verbs geben im Moselfränkischen weisen BELLMANN (1998) und LENZ (2006 und 2007a) hin. In den Arbeiten von MÜLLER-DITTLOFF (2001) und WAGNER (2009) werden verschiedene grammatische Phänomene im schulischen Kontext im Moselfränkischen untersucht. Eine allgemeine Übersicht zu syntaktischen Variationsphänomenen, die in diesem Gebiet von variationslinguistischer Relevanz sind, gibt GLASER (2006).45 Die genannten Arbeiten verdeutlichen, dass das Moselfränkische gerade auch für syntaktische Fragestellungen ein fruchtbares und vielversprechendes Untersuchungsgebiet darstellt und die Datenerhebungen in diesem
43 Ferner wurden aber auch alle zur Verfügung stehenden Ortsmonographien des Moselfränkischen konsultiert, da sich gezeigt hat, dass sich auch in nicht explizit syntaxzentrierten Arbeiten häufig Hinweise auf syntaktische Phänomene finden; so etwa in den einzelnen Morphologiekapiteln oder auch in Beispielsätzen zu Variationsphänomenen auf anderen Systemebenen. 44 Dieses Phänomen wird auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit ausführlich behandelt (vgl. Kapitel 3.7). 45 Die Arbeit von GLASER konzentriert sich auf das Luxemburgische. Da das Luxemburgische zum Moselfränkischen gehört (vgl. WIESINGER 1983, 857 und die Ausführungen bei NEWTON 1990) stellt der Aufsatz auch für die vorliegende Arbeit eine wichtige Quelle dar.
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Anlage der empirischen Untersuchung
Gebiet variationsreiche Sprachdaten zutage fördern dürften. Darüber hinaus liegen für das moselfränkische Areal umfassende Studien zu fast allen linguistischen Systemebenen vor46, die als Vergleichspunkt für die Ergebnisse der folgenden Analysen dienen können. Die im Fokus der vorliegenden Arbeit stehende Frage nach der vertikalen Distribution syntaktischer Varianten wird anhand einer linguistischen Tiefenbohrung an einem moselfränkischen Ort, Graach an der Mosel, untersucht. Die für die vorliegende Arbeit ebenfalls relevante Frage nach der räumlichen Verteilung syntaktischer Varianten innerhalb des Moselfränkischen wird durch die Auswertung von Korpus- und Fragebogendaten angegangen, die von Orten aus dem gesamten moselfränkischen Areal stammen (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.3). Sowohl dem Terminus „Moselfränkisch“ als auch der Referenz auf andere Dialektverbände liegt in der vorliegenden Arbeit die Dialekteinteilung nach WIESINGER (1983) zugrunde, wie sie in der dort abgebildeten Karte zusammengefasst wird. Ein Ausschnitt dieser Karte, der das moselfränkische Gebiet zeigt, ist mit einer Überblendung von Bundesland- und Staatsgrenzen in Karte 1 abgebildet. Diese Karte bildet die Grundkarte der vorliegenden Arbeit, anhand derer in Kapitel 3 die Ergebnisse zu den areal-horizontalen Fragestellungen visualisiert werden. In Karte 1 ist außerdem die Stadt Wittlich (und der Wittlicher Stadtteil Wengerohr, der am nächsten zu Graach liegt) abgebildet, für die die Studien zur Vertikalen von LENZ (2003) und KEHREIN (2012) vorliegen. Ferner sind auch die Orte Dillingen und Hüttersdorf markiert, zu denen syntaktisch ausgerichtete Ortsmonographien, bzw. Ortsmonographien mit Syntaxteil vorliegen. Diese Arbeiten stellen die wichtigsten Vergleichspunkte für die folgenden Analysen dar. Schließlich ist auch Graach an der Mosel, der Erhebungsort der direkten Erhebungen der vorliegenden Arbeit, in der Karte eingezeichnet. Weiterführende Beschreibungen des Moselfränkischen finden sich beispielsweise bei WIESINGER (1983), NEWTON (1990), LENZ (2003 und 2006) oder WAGNER (2009). Die dort skizzierten Einteilungen und Subdifferenzierungen beruhen jedoch fast ausschließlich auf phonetisch-phonologischen Variationsphänomenen. Ausführungen über die Distribution von syntaktischen Variationsphänomenen und damit möglicherweise einhergehenden anderen Subdifferenzierungen finden sich in diesen Beschreibungen nur selten. 46 Hier seien nur einige beispielhaft genannt: Im Bereich der Prosodie ist hier etwa auf die Arbeiten von SCHMIDT (1986) und WERTH (2011) hinzuweisen. Für den Bereich des regionalsprachlichen Spracherwerbs wurde eine Studie von KATERBOW (2013) vorgelegt. Durch die lange Zeit anhaltende Konzentration der Regionalsprachenforschung auf phonetischphonologische Fragestellungen ist dieser linguistische Systembereich auch im Moselfränkischen der am besten erforschte: So liegt für das Moselfränkische mit dem Mittelrheinischen Sprachatlas (MRhSA) ein moderner Sprachatlas mit phonetisch-phonologischem Schwerpunkt vor. HERRGEN / SCHMIDT (1989) weisen gerade für das Mittelfränkische, zu dem das Moselfränkische ein Subareal darstellt, anhand eines Messverfahrens zur Ermittlung der Standarddifferenz sprachlicher Realisierungen eine sehr hohe Standarddifferenz nach (vgl. HERRGEN / SCHMIDT 1989, 314). Ferner ist an dieser Stelle auch auf die Arbeit von PURSCHKE (2011) hinzuweisen, der die Grenze des moselfränkischen Dialektverbands zum südwestlich benachbarten Rheinfränkisch aus perzeptionslinguistischer Perspektive untersucht.
Zur Auswahl der Variationsphänomene
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Karte 1: Grundkarte des Erhebungsgebiets; basierend auf WIESINGER (1983) (inkl. politischer Grenzen, dem Erhebungsort der direkten Erhebung und Orten mit relevanter Forschungsliteratur). Die Datei zur Abbildung der WIESINGER-Karte stammt aus dem REDE-SprachGIS, die Geodaten für die politischen Grenzen und die Orte stammen von DIVA-GIS und OpenStreetMap.
2.2 ZUR AUSWAHL DER VARIATIONSPHÄNOMENE Aus dem in Kapitel 1 skizzierten Mangel an Grundlagenforschung für variationslinguistisch ausgerichtete Syntaxuntersuchungen resultiert, dass „recht wenige begründete Vermutungen über Variablen47 bestehen, die dialektgeographisch ergiebig sein könnten“ (WERLEN 1994, 52).48 Dieses Problem stellt sich nicht nur für dialektgeographische Fragestellungen, auf die sich WERLEN bezieht, sondern auch für die vorliegende Arbeit mit ihrem Fokus auf die vertikale Variationsdi47 Auch WERLEN (1994) arbeitet in Bezug auf die Syntax mit dem Variablenbegriff ohne die in Kapitel 1.4.2.1 skizzierte Diskussion über syntaktische Variablen zu erwähnen. 48 Zu diesem Problem vgl. auch PATOCKA (1989, 50–51).
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Anlage der empirischen Untersuchung
mension. Auch hier ist zu entscheiden, welche Phänomene analysiert werden sollen und welche nicht, weil „eine ‚vollständige Syntax‘ – wie immer der Terminus umgrenzt sein mag – im Alleingang kaum zu leisten“ ist (PATOCKA 1989, 51). Folglich müssen die zu untersuchenden VariablenS zunächst auf der Grundlage bestimmter Kriterien selektiert werden. Ein erstes Kriterium ist hier selbstverständlich die vorhandene Forschungsliteratur. Für den deutschsprachigen Raum liegen mittlerweile einige Arbeiten vor, die der grundlegenden Frage nachspüren, welche Phänomene für variationslinguistisch ausgerichtete syntaktische Untersuchungen fruchtbar sein könnten (vgl. WEISE 1909, HENN 1983, GLASER 2006). Neben diesen Arbeiten, die sich primär auf areal-horizontale Fragestellungen konzentrieren, liegt mit der bereits in Kapitel 1.4 erwähnten Arbeit von HENN-MEMMESHEIMER (1986) auch eine Publikation vor, die das Vorkommen bestimmter Phänomene der Nominal- und Pronominalsyntax für den Sub- bzw. – in ihrer Terminologie – „Non-Standard“ beschreibt. Neben den genannten Übersichtsarbeiten liegen – wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt – für das Moselfränkische mit LABOUVIE (1938) und GROSS (1990) auch zwei syntaktisch ausgerichtete Ortsmonographien vor, die relevante Phänomene des Dialektverbandes beschreiben. Weitere Quellen, die zur Zusammenstellung des Phänomenkatalogs herangezogen wurden, sind einschlägige Publikationen zu einzelnen Phänomenen und die Karten des „Atlas zur Deutschen Alltagssprache (AdA)“, die einen schnellen ersten Überblick über die areale Verteilung vieler syntaktischer Phänomene in (teilweise) nicht dialektalen Registern bieten.49 Da für die vorliegende Arbeit selbstverständlich nicht alle in den genannten Quellen aufgelisteten Variationsphänomene berücksichtigt werden können, sind an die selektierten Phänomene noch andere Kriterien angelegt: Dabei sollten Phänomene vertreten sein, die eine vergleichsweise (d. h. für syntaktische Konstruktionen) kleinräumige areale Distribution aufweisen (für-zu-Konstruktion), Phänomene, denen häufig ein sehr großes Verbreitungsgebiet mit bestimmten Kernarealen (am-Progressiv) zugeschrieben wird, und Phänomene, die laut einschlägigen Publikationen keine areale Distribution aufweisen (Possessivkonstruktionen vom Typ dem Vater sein Hut). Nur eine Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Typen syntaktischer Variablen ermöglicht generalisierende Aussagen über syntaktische Variation in der Vertikalen. Außerdem sollten die selektierten VariablenS unterschiedliche Bereiche der Syntax abdecken. Hierzu orientiert sich die vorliegende Arbeit an jenen Bereichen, die auch im SyHD-Projekt abgedeckt werden. FLEISCHER / LENZ / WEISS (2015, 268–269) nennen hier die Bereiche Verbalsyntax, Nominal- und Pronominalsyntax und Satzverknüpfung. All diese Bereiche sind durch jeweils mindestens ein Variationsphänomen in den folgenden Untersuchungen berücksichtigt. Darüber hinaus werden Phänomene untersucht, die einem Bereich „Verdoppelungsphänomene“ zugeschrieben werden können. Welches Phänomen welchem der genannten Bereiche zuzuordnen ist, ist in Tabelle 1 vermerkt. 49 Der AdA wird in Kapitel 1.4.1 ausführlicher vorgestellt. Dort wird auch das Problem der Verortung der vom AdA erhobenen Daten im vertikalen Variationsspektrum diskutiert.
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Zur Auswahl der Variationsphänomene
VariableS
Beispiel
Phänomenbereich
Kapitel
Progressivkonstruktionen
Peter ist am/beim Arbeiten.50
Verbalsyntax
3.2
Finale Infinitivkonstruktionen
Peter kauft einen PC für zu Satzverknüpfung/ Verbalsyntax /um zu / zum Lernen.51
Adnominale Possessivkonstruktionen
Dem Peter sein Auto/Peters Verdoppelungsphänomene/ 3.4 Auto/das Auto von Peter Nominalsyntax
Irreale Konjunktiv-IIKonstruktionen
Peter täte/würde ein Auto kaufen /kaufte ein Auto.
Verbalsyntax
3.5
Dativpassiv
(Der) Peter kriegt/bekommt Verbalsyntax geholfen.
3.6
3.3
Stellungsvarianten von MOD… dass Peter noch lernen INF-Verbalkomplexen in Verbmuss / muss lernen. letztsätzen
Serialisierung/Verbalsyntax 3.7
Davon/Dadavon weiß ich nichts.
Pronominalsyntax/ 3.8 Verdoppelungsphänomene
Pronominaladverbien
Tabelle 1: Übersicht über die selektierten und analysierten Variationsphänomene
Nach Sichtung der beschriebenen Quellen wurden die in Tabelle 1 aufgelisteten Variationsphänomene selektiert. Erste Analysen bestehender Datenkorpora dienten dann u. a. dem Zweck, zu evaluieren, ob die aus der Literatur selektieren Phänomene auch tatsächlich im Moselfränkischen beobachtet werden können. Erst nach diesem Schritt wurden die einzelnen Phänomene endgültig in den Katalog der zu analysierenden VariablenS aufgenommen. In der Tabelle werden die entsprechenden Phänomene lediglich aufgelistet. Ausführliche Informationen und Übersichten zum Forschungsstand und zu ihrer arealen und vertikalen Distribution finden sich in den Einzelphänomenkapiteln 3.2 bis 3.8. Die Benennung der Phänomene stellt zugleich die Benennung der VariableS dar, die sich in den Überschriften zu den Einzelphänomenanalysen in Kapitel 3 wiederfinden.
50 Zur Diskussion der Groß- bzw. Kleinschreibung des Infinitivs in am-Progressivkonstruktionen vgl. die Diskussion in Kapitel 3.2. 51 Auch im Rahmen der zum-Konstruktion lässt sich über die Groß- bzw. Kleinschreibung des Infinitivs diskutieren, was in Kapitel 3.3 geschieht.
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Anlage der empirischen Untersuchung
2.3 DATENERHEBUNG UND KORPUSZUSAMMENSETZUNG 2.3.1 Vorüberlegungen Die Konzeption der Datenerhebung für die folgenden Analysen ist so konzipiert, dass – mit unterschiedlicher Gewichtung – die beiden grundlegenden Dimensionen regionalsprachlicher Variation berücksichtigt werden, nämlich die arealhorizontale und die sozio-situativ vertikale Dimension. Den beiden Variationsdimensionen wird Rechnung getragen, indem die ausgewerteten Daten nicht nur aus einer einzigen Erhebung(ssituation) stammen, sondern das Gesamtdatenkorpus durch ein multidimensionales Methodenset zusammengetragen worden ist. Innerhalb dieses Methodensets wurde mit dem Zwirner-Korpus ein bereits bestehendes Korpus für mehrere moselfränkische Ortspunkte ausgewertet (zum ZwirnerKorpus, vgl. Kapitel 2.3.2), Fragebogendaten an mehreren dieser Ortspunkte erhoben (vgl. Kapitel 2.3.3) und an einem Ort (Graach an der Mosel) eine linguistische Tiefenbohrung mit insgesamt 30 Gewährspersonen anhand von direkt erhobenen Daten durchgeführt (zum Graach-Korpus vgl. Kapitel 2.3.4). Indem die Erhebungsorte der Fragebogenerhebung eine Teilmenge der Orte mit analysierten Zwirner-Aufnahmen darstellen und Graach einer dieser Erhebungsorte ist, bauen die Datenerhebungen aufeinander auf: Für alle Orte, für die Daten aus der Fragebogenerhebung zur Verfügung stehen, sind also auch Zwirner-Aufnahmen vorhanden. Für Graach liegen damit in der vorliegenden Arbeit Daten aus der direkten Erhebung, Daten aus der Fragebogenerhebung und Daten aus dem ZwirnerKorpus vor. Aus der so angelegten Datenerhebung ergibt sich folglich eine Konzentration auf rurale Ortspunkte. Die für die folgenden Analysen berücksichtigten Daten des Zwirner-Korpus und der Fragebogenerhebung sind als dialektal zu klassifizieren52 und ermöglichen – da sie für mehrere moselfränkische Orte zur Verfügung stehen – (erste) Einblicke in die areale Distribution der selektierten Phänomene. Auf diese Weise vermitteln sie einen Überblick über die dialektsyntaktischen Strukturen im Untersuchungsgebiet und liefern damit das Fundament der auf die vertikale Analysedimension ausgerichteten Tiefenbohrung in Graach, denn es gibt laut WEISS (2004, 35) „nicht wenige Phänomene im Bereich der (Morpho-)Syntax des Deutschen, deren Analyse zumindest erleichtert wird, wenn man sich die entsprechenden Verhältnisse in den Dialekten ansieht.“ Auch wenn WEISS in der zitierten Stelle primär auf die syntaxtheoretische Analyse bestimmter Phänomene (beispielsweise im Rahmen der generativen Grammatik) abzielt, kann das Zitat auch Gültigkeit für die variationslinguistisch ausgerichtete Analyse vertikaler Strukturen beanspruchen, für die eine umfassende Kenntnis dialektaler Strukturen ebenfalls als Fundament dient. Neben der Berücksichtigung der areal-horizontalen und der sozio-situativ vertikalen Variationsdimension ist das Methodenset zur Datenerhebung aber auch so konzipiert, dass es dem in Kapitel 1.3 skizzierten Problem der großen Datenmen52 Zur Begründung vgl. Kapitel 2.3.2 und 2.3.3.
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Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
gen, die für die Analyse syntaktischer Variablen nötig sind, Rechnung trägt. In der einschlägigen Literatur finden sich unterschiedliche Schätzungen der Datenmenge, die für solche Analysen benötigt wird. Bereits oben wurde KORTMANN (2010, 844–845) zitiert, der davon ausgeht, „[a]ccording to some estimates, about forty times the amount of text is needed for a syntactic analysis as opposed to a phonetic one.“ PATOCKA (1989, 51) schätzt mit Bezug auf LÖFFLER (1980), dass für eine Syntaxuntersuchung rund 80mal soviel Text wie für die Phonologie gebraucht wird. Hier soll nicht um Zahlen gefeilscht werden – die Proportion 80:1 – dürfte, wenigstens in Bezug auf Parataxe-Hypotaxe-Untersuchungen, einiges für sich haben –, doch kann man den damit verbundenen arbeitstechnischen Konsequenzen insofern ihren Schrecken nehmen, als bei der Auswertung bei weitem nicht derselbe Aufwand an Transkriptionsmühen vonnöten ist wie zu phonologischen Zwecken. Eine ‚literarische Umschrift‘, der mundartlichen Lautung angenähert oder sogar in verhochsprachlichter Form, läßt sich um ein Vielfaches schneller bewerkstelligen als eine narrow transcription, und sie ist aus leicht einzusehenden Gründen sogar weit besser dazu geeignet, das syntaktisch Bedeutsame hervortreten zu lassen. PATOCKA (1989, 51)53
Vergleicht man diese Zahlen mit einer aktuellen variationslinguistischen Studie, dann lassen sich diese recht abstrakten Größen sehr schnell konkretisieren. KATERBOW (2013) hat die Größe seines Korpus sehr genau dokumentiert, weshalb seine Studie zum Regionalspracherwerb von Kindern hier als Vergleichspunkt verwendet wird. In Tabelle 2 wird die Korpusgröße von KATERBOW mit den von PATOCKA (1989) und KORTMANN (2010) genannten Zahlen kontrastiert: Textmenge bei KATERBOW (2013)
Geforderte Textmenge von PATOCKA (1989)
Geforderte Textmenge von KORTMANN (2010)
31.022 Wörter
2.481.760 Wörter
1.240.880 Wörter
Tabelle 2: Für syntaktische Analysen notwendige Textmengen nach PATOCKA (1989) und KORTMANN (2010) im Vergleich zur phonetisch-phonologischen Studie von KATERBOW (2013)
In Anbetracht der errechneten Zahlen ist klar, dass die dargestellten Textmengen in einer Einzelstudie wie der vorliegenden, die das gesamte vertikale Variationsspektrum in den Blick nimmt, nicht zu bewältigen sind, da der Aufwand zur Transliteration der Daten zeitlich nicht zu leisten ist. Diesem Problem begegnet das multidimensionale Methodenset mit einem innovativen Ansatz: Im Zuge der direkten Erhebung in Graach werden von 30 Gewährspersonen durch Sprachproduktionstests die gesuchten syntaktischen Konstruktionen in ausreichend großer Datenmenge evoziert. Diese zeichnen sich dabei durch ein hohes Maß an intra53 Auch ELSPASS (2005, 199) weist auf die große Datenmenge hin, die für syntaktische Analysen notwendig sind. Darüber hinaus benennt er auch das Problem, dass sich Datenkorpora für syntaktische Analysen „nicht mit herkömmlichen Suchprogrammen bearbeiten lassen.“ Wie die Analysen der Zwirner-Daten in Kapitel 3 zeigen wird, stellen aktuelle und online verfügbare Datenkorpora mittlerweile sehr ausgereifte Suchfunktionen zur Verfügung, sodass die von ELSPASS beschriebene Problematik heute nur noch in eingeschränktem Maße Schwierigkeiten bereitet.
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Anlage der empirischen Untersuchung
und interindividueller sowie intra- und intersituativer Vergleichbarkeit aus. Das Konzept und die Umsetzung der Sprachproduktionstests werden ausführlich in Kapitel 2.3.4.4 erläutert. Dass darüber hinaus unterschiedliche Datentypen (Zwirner-Aufnahmen, Fragebogen, Sprachproduktionstests, freie Gespräche) analysiert werden, die sich gegenseitig ergänzen, trägt ebenfalls zur Minimierung des skizzierten Problems der Datenmenge bei. 2.3.2 Areal-Horizontale Analyseperspektive 1: Moselfränkische Zwirner-Aufnahmen 2.3.2.1 Ziele der Korpusanalysen Im Rahmen des in dieser Arbeit verwendeten mehrdimensionalen Methodensets kommen der Auswertung des Zwirner-Korpus mehrere Rollen zu: Erstens wird durch die Zwirner-Daten die areal-horizontale Analysedimension fokussiert. Dabei ist vor allem zu fragen, ob sich innerhalb eines Dialektverbandes areale Strukturen bestimmter syntaktischer Variablen zeigen. Zweitens ermöglicht die Analyse der Zwirner-Daten einen diachronen Vergleich dialektsyntaktischer Strukturen in Real-Time zwischen den Zwirner-Daten, die um 1955 entstanden sind, und den für die vorliegende Arbeit im Jahr 2010 erhobenen Daten. Drittens ist eine Analyse der Zwirner-Daten für die Analyse der vertikalen Variationsdimension von Bedeutung, da durch die Zusammenschau der Zwirner-Daten mit den rezenten Dialektdaten ein umfassendes Bild des dialektalen Pols des vertikalen Variationsspektrums entsteht.54 Viertens dienten die Zwirner-Daten auch einer ersten empirischen Evaluierung, ob die anhand einschlägiger Publikationen selektierten Variationsphänomene auch tatsächlich im Moselfränkischen vorkommen (vgl. hierzu Kapitel 2.2). 2.3.2.2 Allgemeines zum Zwirner-Korpus: Möglichkeiten und Probleme Das sog. „Zwirner-Korpus“ besteht aus einer umfangreichen Sammlung von Tonaufnahmen, die hauptsächlich zwischen 1955 und 1960 aufgezeichnet wurden. Es umfasst insgesamt ca. 5.800 Aufnahmen, die an ca. 1.000 meist ländlichen Orten in den alten Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in Vorarlberg, in Liechtenstein, im Elsass, in Belgien und in den Niederlanden erhoben wurden. Jede Aufnahme dauert ca. zwölf Minuten und endet zumeist damit, dass die Gewährspersonen die Zahlen von eins bis zwölf und die Wochentage im jeweiligen Dialekt 54 Für einen synchronen Vergleich der dialektalen Zwirner-Daten mit Daten aus regiolektalen Sprechlagen bietet sich prinzipiell das sog. „Pfeffer-Korpus“ an. Im Moselfränkischen stehen jedoch lediglich zwei Aufnahmen (aus Trier) zur Verfügung, wodurch ein systematischer Vergleich der Zwirner- und der Pfeffer-Daten im Moselfränkischen nicht möglich ist (zum Pfeffer-Korpus vgl. beispielsweise PFEFFER / LOHNES 1984).
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Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
aufsagen. Das Korpus wird vom „Institut für Deutsche Sprache (IDS)“ in Mannheim verwaltet und ist über die Homepage der vom IDS herausgegebenen „Datenbank für gesprochenes Deutsch (DGD)“ frei zugänglich (vgl. Datenbank für Gesprochenes Deutsch (DGD) unter ; Stand: Februar 2016). Innerhalb der DGD sind für ca. 2.300 Aufnahmen der Erhebung auch Transliterationen verfügbar. Diese sind direkt mit der dazugehörigen Tondatei verknüpft. Zu beachten ist, dass das Zwirner-Korpus ein regionalsprachliches Korpus ist (vgl. LENZ 2007b, 177), das nicht nur aus dialektalen Aufnahmen besteht. Dies zeigt sich auch an der Auswahl der Gewährspersonen. ZWIRNER wählte an seinen Erhebungsorten als Mundartsprecher je eine alte Person aus der ländlichen Bevölkerung; dann je eine Person mittleren Alters aus kleinbürgerlichen Kreisen und schließlich je ein[en] Sprecher aus der schulentlassenen Jugend. Durch diese Auswahl wird erreicht, daß nicht nur die Mundarten, sondern auch die ländliche und kleinstädtische Umgangssprache und gleichzeitig verschiedene Stadien der bereits in Gang befindlichen und weitgehend vom Alter abhängigen sprachlichen Ausgleichsvorgänge erfaßt werden. ZWIRNER (1956, 12)
Dennoch wird das Zwirner-Korpus in der Forschungspraxis häufig als dialektales Korpus herangezogen (so etwa bei DUBENION-SMITH 2008), was sich aus mehreren Gründen rechtfertigen lässt: Zunächst ist hier das Aufnahmesetting zu nennen. ZWIRNER und seine Exploratoren wiesen die Gewährspersonen an, „vor dem Mikrophon – nach Möglichkeit in ihrer eigenen Mundart – […] einige Fragen zu beantworten“ (ZWIRNER 1956, 17). Darüber hinaus sind es aber die Daten selbst, die es rechtfertigen, das Zwirner-Korpus als (zumindest teilweise) dialektales Korpus zu bezeichnen: Die DGD klassifiziert jede Aufnahme hinsichtlich des in ihr realisierten sprachlichen Registers. Die hierzu in der DGD verwendeten Labels sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Mundart
Umgangssprache
Standardsprache
„Vollmundart“
„landschaftlich gefärbte Umgangssprache“
„Schriftsprache bzw. Hochdeutsch“
„Halbmundart“
„allgemeine Umgangssprache“
„Regionalmundart“
„landschaftliche Bildungssprache“
Tabelle 3: In der „Datenbank für Gesprochenes Deutsch (DGD)“ verwendete Labels zur Kennzeichnung der in den Zwirner-Aufnahmen verwendeten sprachlichen Register55
55 Neben den hier genannten Labels verwendet die DGD außerdem noch die Bezeichnungen „Mischsprache, Individualidiom“ und „Mischsprache, Zweisprachigkeit“. Diese Bezeichnun-
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Anlage der empirischen Untersuchung
Für die vorliegende Arbeit werden ausschließlich Transliterationen verwendet, die vom IDS mit dem Label „Mundart“ gekennzeichnet sind, wobei es unerheblich ist, ob es sich hierbei um „Voll-, Halb- oder Regionalmundart“ handelt. Im forschungspraktischen Umgang mit den Aufnahmen und den Transliterationen des Zwirner-Korpus sind Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Verschriftlichung des Tonmaterials zu beachten. Mit Bezug auf die Transliterationen halten ZWIRNER / BETHGE (1958, 36) fest: Die Übertragung in die Hochsprache gibt den Text in deutscher Orthographie wieder. Dabei wird wörtliche Übersetzung angestrebt, die die Abweichungen von der hochsprachlichen Redeweise möglichst beibehält. Der Satzbau, die Formen des Zeitwortes und ‚falsche‘ Kasusformen werden in die Übertragung übernommen. Wenig bekannte Mundartwörter werden wenn nötig durch hochdeutsche Synonyma ersetzt. Die Zeichensetzung lehnt sich unter Berücksichtigung der Sprechpausen und der Sprachmelodie an die Regeln an. ZWIRNER / BETHGE (1958, 36)
Bereits diese recht allgemeinen Konventionen machen deutlich, dass bei den Transliterationen ein gewisser Interpretationsrahmen zulässig ist, da „[w]enig bekannte Mundartwörter […] wenn nötig durch hochdeutsche Synonyma ersetzt werden.“ Hier stellen sich die Fragen, ab wann ein „Mundartwort“ wenig bekannt ist und auch was das adäquate „hochdeutsche“ Synonym zu diesem „Mundartwort“ ist. In Anbetracht der zitierten Passage ist es daher wenig verwunderlich, dass man in den Zwirner-Daten des Öfteren auf Textstellen stößt, die die gesprochene Passage nicht adäquat wiedergeben. Bei den in der vorliegenden Untersuchung analysierten Variationsphänomenen (vgl. Kapitel 2.2 und ausführlich Kapitel 3) werden etwa für-zu-Konstruktionen mit für zum verschriftlicht (vgl. Kapitel 3.3), kriegen-Passive als bekommen-Passive (vgl. Kapitel 3.6), täte-Konjunktive als würde-Konjunktive (vgl. Kapitel 3.5) und auch bei den Pronominaladverbien zeigen sich inadäquate Verschriftlichungen (vgl. Kapitel 3.8). Für die Analyse wurden daher alle Zwirner-Belege nachgehört und entsprechend ausgebessert.56 Trotz der genannten Probleme stellt das in die DGD integrierte ZwirnerKorpus eine gute Datenquelle für variationslinguistisch ausgerichtete syntaktische Analysen dar: Durch die ausgereifte Suchfunktion kann das Zwirner-Korpus mit sehr einfachen Suchausdrücken vergleichsweise effektiv nach komplexen syntaktischen Variablen durchsucht werden. Wie die einzelnen VariantenS konkret im Korpus gesucht werden können, ist in den Kapiteln zu den einzelnen Phänomenen genauer beschrieben (vgl. 3.2.3 bis 3.8.3).
gen spielen für die vorliegende Arbeit keine Rolle, da solche Aufnahmen unberücksichtigt bleiben. 56 Darüber hinaus zeigen sich hin und wieder auch Probleme bei der Alignierung der Texte mit der Tondatei. Aus diesem Grund wurden für die vorliegende Arbeit alle relevanten ZwirnerAufnahmen vom IDS käuflich erworben und die (wenigen) nicht korrekt alignierten Tonaufnahmen anhand der erworbenen Aufnahmen kontrolliert.
Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
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2.3.2.3 Ortsnetz und Gewährspersonen In der vorliegenden Arbeit werden alle Zwirner-Aufnahmen berücksichtigt, für die mit der Tondatei alignierte Transliterationen vorliegen, deren Erhebungsort sich innerhalb des Moselfränkischen bzw. auf der moselfränkischen Seite des jeweiligen Übergangsgebiets (nach WIESINGER 1983) befindet und die nach der DGD-Klassifikation als „mundartlich“ eingestuft werden.
Karte 2: Ortsnetz der in der Korpusanalyse berücksichtigten moselfränkischen ZwirnerTransliterationen
Bei der dialektgeographischen Verortung der jeweiligen Aufnahmen ist zu beachten, dass in den Metadaten der Zwirner-Aufnahmen das Mittelfränkische nicht weiter in Moselfränkisch und Ripuarisch differenziert wird. Daher wurden in einem ersten Schritt alle Zwirner-Gewährspersonen, die auf der Grundlage von WIESINGER (1983) zwar zum Mittel- aber eben nicht zum moselfränkischen Gebiet gehören, aussortiert. Hierzu wurde mit dem REDE-SprachGIS (; Stand: 23. November 2015) die dialektgeographische Verortung jedes mittelfränkischen Zwirner-Erhebungsortes überprüft, indem der jeweilige Ort auf der Dialekteinteilungskarte nach WIESINGER (1983) lokalisiert wurde. Auf diese Weise ergaben sich insgesamt 65 Transliterationen, die im Rahmen der
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Anlage der empirischen Untersuchung
Korpusanalyse berücksichtigt wurden. Karte 2 zeigt die areale Verteilung der in der Analyse berücksichtigten Orte mit Zwirner-Transliterationen. Die Zahl in den Kreisen gibt an, wie viele Transliterationen für diesen Ort zur Verfügung stehen. Die Kreisgröße symbolisiert dabei die Anzahl der zur Verfügung stehenden Aufnahmen: Je größer der Kreis, desto mehr Aufnahmen stehen zur Verfügung. Mit Bezug auf die Alterszusammensetzung der Gewährspersonen findet sich bei ZWIRNER – wie oben zitiert – lediglich die Information, dass „je eine alte Person aus der ländlichen Bevölkerung; dann je eine Person mittleren Alters aus kleinbürgerlichen Kreisen und schließlich je ein Sprecher aus der schulentlassenen Jugend“ (ZWIRNER 1956, 12) aufgezeichnet wurden. Durch welches konkrete Alter sich die einzelnen Gruppen jeweils auszeichnen ist unklar. In der Korpusbeschreibung der DGD findet sich zwar der Hinweis, dass es sich um Gruppen handelt, die „um 20“, „um 40“ und „um 50“ sind. Allerdings zeigen die Daten keine deutlichen Alterssprünge. Daher wurden die Gewährspersonen für die vorliegende Arbeit in eine „ältere“ und eine „jüngere“ Gruppe eingeteilt, deren Altersgrenze bei 50 gesetzt wurde. Hierdurch konnten zwei etwa gleich große Gruppen voneinander getrennt werden. Daraus ergeben sich eine jüngere Gruppe, deren Durchschnittsalter bei 32,1 Jahren liegt und die aus 33 Gewährspersonen besteht, und eine ältere Gruppe, die durchschnittlich 61,9 Jahre alt ist und die aus 32 Gewährspersonen besteht. Tabelle 4 fasst den Umfang der im Zwirner-Korpus analysierten Daten zusammen. Gesamtdauer des Tonmaterials
11h:16m:11s
Anzahl Tokens
114.122
Anzahl Gewährspersonen
65
Anzahl Erhebungsorte
35
Tabelle 4: Umfang der im Zwirner-Korpus analysierten Daten
2.3.3 Areal-Horizontale Analyseperspektive 2: Fragebogenerhebung 2.3.3.1 Ziele der Fragebogenerhebung Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist die Durchführung einer indirekten Erhebung anhand von Fragebogen in mehrfacher Weise motiviert. Das Hauptziel der Erhebung war die Vorbereitung der in Kapitel 2.3.4 skizzierten lokalen Tiefenbohrung: Orte der Fragebogenerhebung, für die sich in den Fragebogendaten ein hohes Variationspotential bei bestimmten Phänomenen andeutete, wurden als besonders ergiebig für die direkte Erhebung angesehen. Außerdem zeigte sich in der Kommunikation mit den Personen vor Ort, in welchen Orten mit besonders inte-
Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
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ressierten und hilfsbereiten Kontakt- und Gewährspersonen zu rechnen ist, die auch bereit wären, als Gewährspersonen für eine direkte Erhebung zur Verfügung zu stehen. Diesem Hauptziel entsprechend wurde das Gewährspersonensample der Fragebogenerhebung mit 45 Gewährspersonen relativ klein gehalten. Dennoch leistet die Fragebogenerhebung – wie auch die in Kapitel 2.3.2 beschriebene Analyse des Zwirner-Korpus – einen Beitrag zur Erforschung der areal-horizontalen Variationsdimension der moselfränkischen Regionalsprache. Dabei stellt sich die Frage, ob sich in rezenten dialektalen Registern raumbildende Phänomene innerhalb des Moselfränkischen zeigen oder nicht. Im Zusammenspiel mit den Zwirner-Daten lassen sich in Bezug auf diese areal-horizontale Fragestellung Vergleiche in Real-Time durchführen – auch wenn dabei selbstverständlich mitreflektiert werden muss, dass Zwirner- und Fragebogendaten je unterschiedliche Datentypen darstellen: Daten aus freien Gesprächen bei Zwirner und schriftliche Daten im Fragebogen. Ferner handelt es sich bei den Gewährspersonen im Zwirner- und im Fragebogenkorpus um unterschiedliche Personen. Da eine Fragebogenerhebung deutlich schneller und kostengünstiger durchzuführen ist als direkte Erhebungen und außerdem der Aufwand zur Auswertung deutlich niedriger als bei direkten Erhebungen ist, kann die areal-horizontale Analyse rezenter Dialektstrukturen in dem vorliegenden Projekt nur durch eine Fragebogenerhebung (und nicht etwa durch direkte Erhebungen an mehreren Orten) mitberücksichtigt werden. 2.3.3.2 Ortsnetz und Gewährspersonen Das Ortsnetz der Fragebogenerhebung orientiert sich an dem Netz der im Moselfränkischen zur Verfügung stehenden Zwirner-Daten (vgl. Karte 2 in Kapitel 2.3.2.3), indem nur Orte selektiert wurden, für die auch Zwirner-Daten zur Verfügung stehen. Allerdings wurden hierfür ausschließlich jene Zwirner-Orte berücksichtigt, die laut der Dialekteinteilungskarte nach WIESINGER (1983) im moselfränkischen Kerngebiet liegen. Orte in den Übergangsgebieten zu den benachbarten Dialektverbänden wurden bei der Fragebogenerhebung nicht mehr berücksichtigt. Dies ist durch das Hauptziel der Fragebogenerhebung zu begründen, das in der Vorbereitung der direkten Datenerhebung besteht. Für diese war von Anfang an ein Ort innerhalb des moselfränkischen Kerngebiets geplant, weshalb Orte aus den Übergangsgebieten bei der Fragebogenerhebung nicht mehr berücksichtigt wurden. Trotz intensiver Akquirierungsversuche konnten jedoch aus vier im moselfränkischen Kerngebiet gelegenen Orten, die bei der Auswertung des ZwirnerKorpus berücksichtigt wurden, keine geeigneten Gewährspersonen gewonnen werden (Brückrachdorf, Eckfeld, Körrig, Prüm). Insgesamt besteht das Ortsnetz der Fragebogenerhebung aus 16 Orten im moselfränkischen Kerngebiet. Das Ortsnetz ist in Karte 3 abgebildet.
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Anlage der empirischen Untersuchung
Karte 3: Ortsnetz der Fragebogenerhebung und Angabe der pro Ort ausgewerteten Fragebogen
Zur Akquirierung von Gewährspersonen an den auf der Karte abgebildeten Orten wurden zunächst die Ortsbürgermeister des jeweiligen Ortes durch ein Anschreiben über das Forschungsvorhaben informiert. Im weiteren persönlichen Kontakt wurden sie dann darum gebeten, anhand vorgegebener Kriterien (vgl. unten) Kontakt zu potenziellen Gewährspersonen herzustellen. Daraufhin wurden die von den Ortsbürgermeistern genannten Personen telefonisch kontaktiert und um die Mithilfe bei diesem Forschungsvorhaben gebeten. In einigen Fällen haben die Ortsbürgermeister die Fragebogen selbst im Ort verteilt, anschließend wieder eingesammelt und zurückgeschickt. Dieser Schritt hat sich als Fehlerquelle entpuppt, da hier trotz ausführlichen telefonischen und brieflichen Instruktionen häufig nicht die erforderlichen Kriterien bei der Gewährspersonenselektion berücksichtigt wurden. Bei der Auswahl der Gewährspersonen, stellt sich die Frage, welche Personen als repräsentativ für den jeweiligen Ortsdialekt anzusehen sind, denn „[d]ie erste Forderung, die an ein sprachwissenschaftliches Corpus gestellt werden kann, geht dahin, dass es für die zu untersuchende Sprache bzw. den interessierenden Sprachausschnitt repräsentativ sei“ (NIEBAUM / MACHA 2006, 11; Hervorhebung im Original). Da eine Kompletterhebung aller Ortseinwohner an allen 16 Erhebungsorten, die nach LENZ (2003, 46) „allein […] dem Anspruch einer eindeutig
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anti-korrelationistischen Methode genügen“ würde, forschungspraktisch unmöglich war, musste ein Gewährspersonenpool geschaffen werden, bei dem die Gewährspersonen als möglichst repräsentativ für den Ortsdialekt gelten. Das Vorgehen hierzu orientiert sich an Methoden, die sich bereits mehrfach in sozio- bzw. variationslinguistischen Studien bewährt haben: Ausgehend von der Hypothese, dass Sprachverhalten und extralinguale Kriterien miteinander in einer komplexen […] Verbindung stehen, wurde die Informantenauswahl aufgrund extralinguistischer Merkmale durchgeführt. Die Erwartung, die dieser Vorgehensweise zugrunde lag, war nicht die, dass über die extralingualen Kriterien sozial homogene Gruppen mit jeweils klar abgrenzbaren Varietäten und homogenem Sprachverhalten zu finden sind. Die Annahme war lediglich, dass in deutlich divergierenden demographischen Gruppen jeweils auch Sprecher zu finden sind, die im Sprachverhalten (mehr oder weniger) deutlich von (mehr oder weniger) Sprechern der Nachbargruppen abweichen. LENZ (2003, 46)
Für den Dialekt sind die extralinguistischen, sozialen Parameter, mit denen kompetente Sprecher dieser Varietät selektiert werden können, ausführlich beschrieben und haben sich mehrfach bewährt: Es sind die sogenannten NORMs, denen hauptsächlich eine hohe Dialektkompetenz zugeschrieben wird. Dabei steht das Akronym für die sozialen Parameter „non-mobile“, „older“, „rural“ und „male“ (vgl. BARBOUR / STEVENSON 1998, 110; CHAMBERS / TRUDGILL 2009, 29–30 sowie auch LENZ 2003 und 2010). Dass es aber gerade die Männer sind, die besonders dialektal sprechen, ist umstritten, weshalb in variationslinguistischen Studien häufig sowohl Männer (NORMs) als auch Frauen (NORFs) berücksichtigt werden (vgl. LENZ 2003, SyHD oder LENZ / AHLERS / WERNER 2015). Auch die Gewährspersonen für das SyHD-Projekt57 wurden anhand dieses Konzepts selektiert: [I]m Fragebogen [wird] nach mehreren Sozialparametern gefragt, die das Vorhandensein einer dialektalen Kompetenz wahrscheinlich machen, darunter Herkunft und Geburtsjahr der Informanten, der gelernte und ausgeübte Beruf, die private und berufliche Mobilität […] und die Herkunft der Eltern. Generell kann gesagt werden, dass es eher nicht-mobile, ältere (ca. 65 Jahre) und handwerklich oder hauswirtschaftlich (ehemals) aktive Personen sind, die dialektkompetent sind. FLEISCHER / KASPER / LENZ (2012, 6)
Bei der Akquirierung der Gewährspersonen für die vorliegende Fragebogenerhebung wurden diese Parameter ebenfalls zugrunde gelegt. Da in den folgenden Analysen aber auch Aussagen in Bezug auf die Dynamik der untersuchten Variationsphänomene – beruhend auf einem Apparent-Time-Ansatz (vgl. Kapitel 1.5) – gemacht werden sollen, wird die Gruppe der NORMs/NORFs, die ein eher konservatives Sprachverhalten repräsentieren, mit einer Gewährspersonengruppe kontrastiert, die ein im Vergleich eher progressives Sprachverhalten repräsentiert (vgl. zu diesem Vorgehen beispielsweise BELLMANN 1994a, 1994b, HERRGEN 1994 und LENZ / AHLERS / WERNER 2015). Über eine Modifikation der Kriterien
57 Zum Projekt „Syntax Hessischer Dialekte (SyHD)“ vgl. Kapitel 1.3.
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Anlage der empirischen Untersuchung
„Alter“ und „Beruf“ sollen diese beiden Gruppen im Sample voneinander differenziert werden. Das Kriterium „Autochthonie“ gilt für beide Gruppen in gleichem Maße. „Autochthonie“ wird dahingehend gewährleistet, dass die selektierten Gewährspersonen in dem jeweiligen Ort aufgewachsen sind und nicht mehr als ein Viertel ihres Lebens außerhalb des Ortes gelebt haben. Darüber hinaus wurde auch mindestens ein Elternteil jeder Gewährsperson in dem jeweiligen Ort geboren. Eine Übersicht über alle Gewährspersonen und deren individuelle Sozialdaten der Fragebogenerhebung findet sich im Anhang. Mit Bezug auf das Kriterium „Alter“ galt für die Gruppe der jüngeren Gewährspersonen als Selektionskriterium ein Mindestalter von 30 und ein Höchstalter von 50 Jahren. In Anlehnung an LENZ (2003) ist damit bei der jüngeren Gewährspersonengeneration eine Gruppe von Personen ausgewählt, „deren Sprachverhalten eine gewisse sprachliche Stabilität verspricht“, da „in Verbindung mit Ausbildung und Berufseinstieg sprachverändernde Prozesse ausgelöst werden“ (LENZ 2003, 49). Für die älteren Gewährspersonen wurde ein Mindestalter von 60 Jahren angesetzt. Durch diese Altersbegrenzungen ergibt sich ein Gewährspersonensample, das dem von LENZ (2003, 48–49) gleicht: Auch LENZ legt das Höchstalter der jüngeren Gewährspersonen auf 50 und das Mindestalter der älteren Gewährspersonen auf 60 Jahre fest. Für das Kriterium „Beruf“ wurde bei der Auswahl der Gewährspersonen die von LENZ (2003, 50) entwickelte Einteilung von Berufen in die Dichotomie „kommunikationsorientiert“ vs. „handwerklich“ übernommen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Berufsgruppen besteht vor allem darin, dass für handwerkliche Berufe „schriftliche wie mündliche Kommunikation und damit verbunden Standardsprachkompetenz von eher sekundärer Bedeutung“ ist (LENZ 2003, 50).58 Die ältere Gewährspersonengruppe der Fragebogenerhebung ist bzw. war hauptsächlich „handwerklich oder hauswirtschaftlich“ (FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 6) im jeweiligen Ort59 tätig. Im Sample der jüngeren Gewährspersonen sind zwar ebenfalls Personen vorhanden, die „handwerklich oder hauswirtschaftlich“ tätig sind, der Großteil dieser Gruppe besteht jedoch aus Personen, die in kommunikationsorientierten Berufen arbeiten und zu ihren Arbeitsorten pendeln. Unter Berücksichtigung der genannten Auswahlkriterien konnten für die Fragebogenerhebung insgesamt 42 Gewährspersonen akquiriert werden.60 Die ältere Generation besteht aus insgesamt 18 Gewährspersonen und ist durchschnittlich 67,9 Jahre alt, wobei die jüngste Person 60 und die älteste Person 80 Jahre alt ist. Die jüngere Generation besteht aus 24 Gewährspersonen und ist im Schnitt 44,6
58 Zu einer ausführlicheren Diskussion des Gegensatzes von „kommunikationsorientiert“ und „handwerklich“ vgl. Kapitel 2.3.4.2. 59 Zwei Gewährspersonen (OBB5, OBB6) arbeit(et)en in einem 9 Kilometer entfernten Ort, zwei weitere Gewährspersonen (HAM3, SÜL3) in einem 3 Kilometer entfernten Nachbarort. 60 Zur Größe des Samples vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.3.3.1.
Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
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Jahre alt. Dabei ist die jüngste Person 35 und die älteste Person 49 Jahre alt. Zwischen den beiden Gruppen liegen damit durchschnittlich 23,3 Jahre. Neben den diskutierten Sozialdaten wurde im Fragebogen außerdem erhoben, wie die Gewährspersonen ihre individuelle Dialektkompetenz einschätzen und wie häufig sie den Dialekt auf die Woche verteilt nutzen. In den unter (4) wiedergegebenen Fragen wurde der Terminus „Dialekt“ durch den im Moselfränkischen üblichen laiensprachlichen Terminus „Platt“ substituiert. (4)
Fragebogenfragen zur Selbsteinschätzung der Dialektkompetenz und der Verwendungshäufigkeit des Dialekts (4.1) Wie gut sprechen Sie selbst das Platt Ihres Wohnortes? „sehr gut“ g----g----g----g----g----g „gar nicht (4.2) Wie häufig sprechen Sie auf die Woche verteilt Platt? „immer“ g----g----g----g----g----g „nie“
Weist man dem jeweils linken Pol („sehr gut“ und „immer“) der beiden LikertSkalen in (4) den Wert 6 und dem jeweils rechten Pol („gar nicht“ und „nie“) den Wert 1 zu, so ergibt sich, dass die ältere Gewährspersonengeneration ihre Dialektkompetenz durchschnittlich mit 5,5 bewertet und die jüngere Generation mit 5,4. Als Durchschnittswert für die Häufigkeit des Dialektgebrauchs ergibt sich für die ältere Generation 5,3 und für die jüngere Generation 5,1. Weder die Mittelwerte der eingeschätzten Dialektkompetenz noch die Werte der angegebenen Verwendungshäufigkeiten sind statistisch signifikant.61 Damit stellt sowohl die ältere als auch die jüngere Gewährspersonengeneration nach ihren eigenen Einschätzungen ein dialektkompetentes Sample dar, das den Dialekt auch häufig verwendet. 2.3.3.3 Aufbau des Fragebogens Der Aufbau des Fragebogens orientierte sich ursprünglich an den im SyHDProjekt verwendeten Bogen, da beide Fragebogen etwa zur selben Zeit und in reziprokem Austausch entwickelt und getestet wurden. Ausgangspunkt der Fragebogenentwicklung waren bei SyHD auch die Erfahrungen und der Fragebogenaufbau im SADS-Projekt62 (vgl. FLEISCHER / KASPER / LENZ 2012, 10–17), der für SyHD und für die vorliegende Arbeit modifiziert und weiterentwickelt wurde. Insgesamt bestand der Fragebogen für die vorliegende Untersuchung aus vier Teilen: Zunächst wurden der Gewährsperson durch einen kurzen Einleitungstext 61 Dialektkompetenz: t(17,019)=1,844, p=0,083; Verwendungshäufigkeit: t(17,017)=1,915, p=0,072. 62 Zur Konzeption des SADS vgl. GLASER (2000), GLASER / BUCHELI (2002) und BUCHELIBERGER (2008). Neben Erfahrungen aus dem SADS wurden auch Erfahrungen und Konzepte aus dem niederländischen Syntaxprojekt „Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (SAND)“ berücksichtigt (zum SAND-Projekt vgl. CORNIPS / JONGENBURGER 2001 und BARBIERS / BENNIS 2007).
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Anlage der empirischen Untersuchung
Hinweise und Tipps zum Ausfüllen des Bogens gegeben. Wie sich im Pretests gezeigt hat, sind sich Gewährspersonen häufig unsicher, ob sie ein geeigneter Kandidat zum Ausfüllen eines solchen Fragebogens sind. Kommentare der Pretest-Gewährspersonen zeigen, dass diese Befürchtungen hauptsächlich dadurch ausgelöst wurden, dass die jeweilige Person vor der Aufgabe stand, den sonst fast ausschließlich gesprochenen Dialekt im Fragebogen verschriftlichen zu müssen. Ferner hatten viele Gewährspersonen generell Zweifel daran, das „richtig alte Platt“ zu sprechen und stellten ihre Kompetenz als Dialektsprecher infrage. Indem der Einleitungstext darauf verwies, dass es bei der Beantwortung der Fragen kein „Richtig oder Falsch“ gibt, sondern die Fragen ausschließlich auf die individuelle Sprachverwendung abzielen, sollten den Gewährspersonen diese Befürchtungen und Zweifel an ihrer Eignung als Gewährsperson genommen werden. Im zweiten Teil des Bogens wurden die Sozialdaten der Gewährspersonen abgefragt, anhand derer die jeweilige Sprachbiographie grob nachvollzogen werden konnte und außerdem die an die Gewährspersonen gestellten extralinguistischen Kriterien überprüft werden konnten (vgl. hierzu Kapitel 2.3.3.2). Der dritte Fragebogenteil stellte den Hauptteil des Bogens dar, der aus Aufgaben zu verschiedenen syntaktischen Konstruktionen bestand. Im Gegensatz zum SyHD-Projekt wurden im Fragebogen der vorliegenden Arbeit keine Bewertungsfragen erhoben, da der Fokus auf der Produktion eigener Konstruktionen seitens der Gewährspersonen liegen sollte. Dies hat zwei Gründe: Einerseits sind solche frei produzierten Daten besser mit den – ebenfalls frei produzierten – ZwirnerDaten und den Daten der direkten Erhebung vergleichbar (auch wenn Fragebogendaten und frei gesprochensprachliches Material selbstverständlich unterschiedliche Datenklassen darstellen). Zweitens helfen die so produzierten Daten bei der Definition der syntaktischen Variable: Indem alle Antworten auf den identischen Stimulus im Fragebogen realisiert wurden, konnten alle Antworten auf diesen Stimulus als VariantenS einer VariableS angesehen werden.63 Da nicht alle syntaktischen Variationsphänomene durch denselben Aufgabentypen erhoben werden können, sondern speziell auf das individuelle Phänomen zugeschnittene Aufgaben nötig sind, kamen unterschiedliche Aufgabentypen zum Einsatz, die sich als Übersetzungs-, Vervollständigungs-, Puzzle- und Bildbeschreibungsaufgaben benennen lassen. Ein Beispiel für eine Puzzleaufgabe ist in Abbildung 3 wiedergegeben. Aus der Abbildung werden allgemeine Eigenschaften des Fragebogenaufbaus ersichtlich, die sich in allen Aufgaben des Bogens wiederfinden: Alle Aufgaben werden durch eine kurze Kontextgeschichte eingeleitet. Außerdem werden die zu vervollständigenden bzw. (in Puzzleaufgaben) zu sortierenden Elemente bzgl. ihrer Lautung und ihrer Lexik an den Dialekt angepasst. Auf diese Anpassung wird im Folgenden stets mit dem Terminus „Dialektalisierung“ referiert. 63 Damit fallen solche Aufgaben auch nicht unter die gelegentlich an Bewertungsaufgaben vorgetragene Kritik, dass „informant judgments do not reflect the structure of the language directly; judgments of acceptability, for example, may fail to provide direct evidence as to grammatical status because of the intrusions of numerous other factors“ (CHOMSKY 1986, 36).
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Datenerhebung und Korpuszusammensetzung Frage 7:
Milchbauer Willi und Heubauer Sepp unterhalten sich über die Löhne, die sie ihren Mitarbeitern bezahlen können. Sepp meint, dass die Löhne in Luxemburg wesentlich höher sind und bezweifelt, dass dieselben Löhne in Deutschland bezahlt werden können. Er meint: Vervollständigen Sie den folgenden Satz, indem Sie die eingeklammerten Wörter in die von Ihnen bevorzugte Reihenfolge bringen!
Esch wääß nit, ob [mer]
[bezahle]
[deselwe]
[kinne]
[Lohn]
Abbildung 3: Beispiel für eine Fragebogenaufgabe (Puzzleaufgabe)
Durch die Kontextgeschichte und die Dialektalisierung sind alle Fragen in einen situationellen alltagsweltlichen Kontext eingebettet […]. Dieser Kontext liefert den Informanten Hintergrundinformationen zum Inhalt der zu bearbeitenden Sätze, führt Diskursreferenten ein, erzeugt Textkohärenz, und -kohäsion, und fixiert die Informationsstruktur der zu bearbeitenden Sätze, so dass ein bestimmtes Antwortschema bereits vorgebahnt wird. FLEISCHER / KASPER / LENZ (2012, 13)
Durch die Dialektalisierung wird ferner versucht, die Ablehnung bestimmter vorgegebener Antworten aufgrund von lautlichen oder lexikalischen Besonderheiten zu minimieren. Details zu den einzelnen Aufgaben finden sich in den jeweiligen Einzelphänomenkapiteln, da sie individuell auf das jeweilige Variationsphänomen zugeschnitten sind und Besonderheiten für die Erhebung der einzelnen Konstruktionen berücksichtigen müssen. 2.3.4 Vertikale Analyseperspektive: Das Graach-Korpus 2.3.4.1 Ziel der Erhebungen in Graach Im Folgenden wird das Hauptkorpus der vorliegenden Arbeit vorgestellt, das die Daten für die im Fokus stehende Frage nach der vertikalen Variation syntaktischer Variablen beinhaltet. Dabei handelt es sich um ein multidimensionales Datenset, das in mehreren Erhebungseinheiten mit 30 Gewährspersonen im moselfränkischen Ort Graach an der Mosel erstellt wurde. Dieses Korpus wird in der Folge als „Graach-Korpus“ bezeichnet. Es ergänzt die bisher vorgestellten Datenquellen (Zwirner-Korpus und Fragebogendaten) in mehrfacher Hinsicht: Die bisher skizzierten Korpora bieten ausschließlich die Möglichkeit, innerhalb einer Datenquelle unterschiedliche Sprechergruppen (ältere und jüngere Generationen) miteinander zu vergleichen. Darüber hinaus ermöglicht ein Vergleich der Zwirner- und der Fragebogendaten Real-Time-Analysen, wobei sich jedoch beide Korpora aus un-
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Anlage der empirischen Untersuchung
terschiedlichen Gewährspersonen zusammensetzen. Ferner bieten sie auch einen Einblick über die diatopischen Verhältnisse der in Rede stehenden syntaktischen Konstruktionen in dialektalen Registern des Moselfränkischen. Analysen zu individuellen Variationsspektren einzelner Sprecher bzw. bestimmter Sprechergruppen sind mit diesen Einzelkorpora hingegen nicht möglich, da jedes der skizzierten Korpora auf ein individuelles Gewährspersonensample zurückgreift, in dem die entsprechenden Gewährspersonen auch nicht intersituativ verglichen werden können, da die Daten ausschließlich aus einer einzigen Erhebungssituation stammen. Weder die Zwirner- noch die Fragebogendaten erlauben es daher, Daten von einzelnen Sprecher(gruppe)n aus unterschiedlichen vertikalen Registern miteinander zu kontrastieren. Da aber exakt solche Analysen zur Beantwortung der hier zugrunde liegenden Fragestellungen von elementarer Bedeutung sind, wurden in das Gesamtkorpus auch Daten aus einer direkten Erhebung integriert. Konzept und Struktur dieser Erhebung vereinen dabei klassische Erhebungsmethoden mit einem innovativen Ansatz: Die Aufzeichnung von Daten aus freien Gesprächen in unterschiedlichen Gesprächssituationen (Interview und Freundesgespräch) und die Durchführung von Sprachproduktionstests (SPT), durch die bestimmte syntaktische Konstruktionen gezielt evoziert werden. Ziel dieses Methodensets ist die Zusammenstellung eines Datenkorpus, das quantitativ ausreichende und qualitativ hochwertige Daten zur Verfügung stellt, die fundierte Analysen zum vertikalen Variationsspektrum ermöglichen. Dabei kommt vor allem den Sprachproduktionstests, die aus einem „Dialekt“- (SPT-D) und einem „Standard“-Durchgang (SPT-S) bestehen, eine besondere Bedeutung zu, da gerade sie einerseits das Problem von zu selten auftretenden VariantenS in freien Gesprächen vermindern (vgl. Kapitel 1.3) und darüber hinaus dasselbe Variationsphänomen in vergleichbaren Kontexten in dialektalen und in standardnahen Sprechlagen evozieren. Dadurch ermöglichen gerade die SPT-Daten sowohl ideale intra- und interindividuelle als auch intra- und intersituative Analysemöglichkeiten. Ferner leisten die SPT einen wichtigen Beitrag zur Definition der syntaktischen Varianten einer VariableS, da alle Antworten auf eine SPT-Aufgabe als VariantenS einer VariableS gewertet werden können (vgl. Kapitel 1.4.2.1 und 2.3.4.4). Anhand der Daten aus den freien Gesprächen aus Interview und Freundesgespräch kann dann überprüft werden, ob die in den SPT ermittelten Frequenzen auch für freie Gespräche gelten könnten. Aus den Daten der freien Gespräche können für die meisten VariablenS allerdings nur Tendenzen abgeleitet werden, da sich – wie erwartet – gezeigt hat, dass die meisten der für diese Arbeit ausgewählten Variationsphänomene in freien Gesprächen nur sehr selten vorkommen. Eine Ausnahme hierzu stellen die Analysen zu Pronominaladverbien (Kapitel 3.8) dar: Da bei dieser VariableS die einzelnen VariantenS in freien Gesprächen sehr häufig vorkommen (vgl. KALLENBORN 2011a) und in den SPT vergleichsweise wenige Belege evoziert wurden, konzentrieren sich diese Analysen primär auf die aus den freien Gesprächen stammenden Daten.
Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
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2.3.4.2 Erhebungsort und Gewährspersonen Die Selektion des Erhebungsortes für die direkte Erhebung ergibt sich aus dem Gesamtkonzept der Datenerhebung und dem Aufbau des Gesamtkorpus: Da für die Analysen möglichst viele Daten und Datentypen zur Verfügung stehen sollen, wurde der Erhebungsort für die direkte Erhebung aus den Ortspunkten der Fragebogenerhebung selektiert. Auf diese Weise stehen dann aus diesem Ort Daten aus dem Zwirner-Korpus, Fragebogendaten und die Daten der direkten Erhebung zur Verfügung. Zur Auswahl eines Erhebungsortes für die direkte Erhebung wurden die 16 Orte der Fragebogenerhebung sowohl anhand linguistischer als auch anhand forschungspraktischer Selektionskriterien miteinander verglichen: Linguistisch relevant waren hierbei die Ergebnisse, die aus den Zwirner- und vor allem aus den Fragebogendaten gewonnen werden konnten. Denn eine differenzierte sozio- bzw. variationslinguistische Tiefenbohrung an einem Ort ist dann besonders sinnvoll, wenn sich bereits in den Ergebnissen dieser vorangehenden Analysen für den potenziellen Erhebungsort ein gewisser Variationsgehalt der in Rede stehenden syntaktischen Konstruktionen abzeichnet. Wie die Datenanalyse jedoch zeigen wird, weichen innerhalb des moselfränkischen Kerngebiets keine Orte auffällig voneinander ab. So führt beispielsweise eine Clusteranalyse64 aller Ortschaften anhand der Fragebogendaten zu dem Befund, dass sich die ausgewählten Orte nicht sinnvoll gruppieren lassen. In diesem Sinne ist also kein Ort deutlich besser geeignet als alle anderen Orte. Forschungspraktisch ist zu beachten, dass in dem potenziellen Erhebungsort ausreichend viele Gewährspersonen zur Teilnahme an der Studie akquiriert werden können, die den an die Gewährspersonen angelegten Sozialkriterien entsprechen (vgl. unten). In Bezug darauf, aus welchen Orten möglichst viele Gewährspersonen gewonnen werden können, lassen sich Rückschlüsse aus der Fragebogenerhebung ziehen: Denn an allen Orten der Fragebogenerhebung wurden vor der Erhebung die Ortsbürgermeister (und/oder andere Kontaktpersonen) kontaktiert, die bei der Distribution der Fragebogen und bei der Akquise von Gewährspersonen behilflich waren. Bei der Auswahl des Ortes für die direkte Erhebung kam der Kommunikation mit diesen Kontaktpersonen vor Ort eine entscheidende Rolle zu: Nur in Zusammenarbeit mit solchen Multiplikatoren konnte Kontakt zu ausreichend vielen Gewährspersonen hergestellt werden. Darüber hinaus musste vielen Gewährspersonen auch die Angst vor der Befragung in dem Sinne genommen werden, dass sich die Kontaktperson vor Ort für die Seriosität der Untersuchung verbürgte und den potenziellen Gewährspersonen zusicherte, dass es sich nicht um ein Verkaufsgespräch o. Ä. handelt. Nicht zuletzt sollte der selektierte Erhebungsort aber auch nicht allzu weit von Wittlich entfernt liegen, wo die Daten für die Studie von LENZ (2003) erhoben wurden. Denn wie bereits in Kapitel 1.2 erwähnt, stellen die anhand phonetischphonologischer Varianten herausgearbeiteten Ergebnisse von LENZ zum vertika-
64 Zu diesem Verfahren vgl. Kapitel 4.1.3.
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Anlage der empirischen Untersuchung
len Variationsspektrum einen wichtigen Vergleichspunkt für die Ergebnisse der vorliegenden Studie dar. In der Zusammenschau dieser Kriterien hat sich als Ort der Untersuchung Graach an der Mosel herauskristallisiert. Bezogen auf die forschungspraktischen Kriterien stach Graach durch das große Engagement des Ortsbügermeisters hervor, der von Anfang an hinter der Studie stand und diese mit großem Engagement und Aufwand unterstützt hat.65 Da Graach außerdem lediglich zwölf Kilometer vom eingemeindeten Wittlicher Stadtteil Wengerohr entfernt liegt, erfüllt der Ort auch das oben festgelegte Kriterium der räumlichen Nähe zum Untersuchungsort der Studie von LENZ (2003). Wie Karte 1 in Kapitel 2.1 zeigt, liegt Graach dialektgeographisch nach der Dialekteinteilungskarte von WIESINGER (1983) im moselfränkischen Kerngebiet. Der sozioökonomische Status des Ortes wird bereits in KALLENBORN (2011b) beschrieben: Graach liegt ca. 12 Kilometer südöstlich von Wittlich und gehört zur Verbandsgemeinde Bernkastel-Kues im Landkreis Bernkastel-Wittlich. Im Jahr 2009 waren von 718 Einwohnern 98 Personen jünger als 18 Jahre, 441 Personen zwischen 19 und 65 Jahre und 179 Personen waren älter als 65 Jahre. Die beiden ökonomischen Standbeine des Ortes sind der ortseigenen Homepage zufolge der Weinbau und der Tourismus (vgl. www.graach.de). Laut Statistischem Landesamt RheinlandPfalz gibt es in Graach 21 Weinbaubetriebe, von denen jedoch nur neun haupterwerblichen Weinbau betreiben. Für den Tourismus verzeichnet das Statistische Landesamt sechs geöffnete Herbergsbetriebe mit einer Gesamtbettenzahl von 126. Dass Graach aber kein autarkes Dorf darstellt, sondern dass die Mehrheit der Graacher Arbeitnehmer der Gruppe der Berufspendler zuzuschreiben ist, wird ebenfalls durch die Statistiken belegt: 2009 standen zehn Einpendlern 190 Auspendler gegenüber. KALLENBORN (2011b, 282)
Zu ergänzen ist hierbei, dass der Ort aus zwei Ortsteilen besteht. Dabei ist der „Hauptort“, wie er von den Graachern bezeichnet wird, durch ca. 1,5 Kilometer lange Weinbergserpentinen, in deren Verlauf 300 Höhenmeter bewältigt werden müssen, vom Ortsteil „Schäferei“ getrennt. Das Sample der direkten Erhebung setzt sich aus 30 Graacher Gewährspersonen zusammen, die – ähnlich der Selektion bei der indirekten Erhebung – anhand der Parameter „Alter“, „Autochthonie“ und „Beruf“ selektiert wurden. Anhand dieser Kriterien sollen auch in diesem Sample klassische NORMs und NORFs mit jungen, mobilen Gewährspersonen kontrastiert werden. Für die direkte Erhebung in Graach besteht jede Altersgruppe aus 15 Personen. Dabei fußen das Mindest- und das Höchstalter der Gewährspersonengenerationen auf denselben Überlegungen wie bei der Auswahl der Gewährspersonen für die Fragebogenerhebung, die in Kapitel 2.3.3.2 diskutiert werden: Durch die Festlegung des Mindestalters der jüngeren Generation auf 30 Jahre sollten die Gewährspersonen die sprachverändernden Prozesse durch berufliche Ausbildung bzw. den Berufseinstieg bereits durchlaufen haben und „eine gewisse sprachliche 65 Hierfür danke ich Herrn Gerhard Zimmer an dieser Stelle ausdrücklich!
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Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
Stabilität“ versprechen (LENZ 2003, 49). Um – wie bei der Fragebogenerhebung auch – bei der direkten Erhebung einen möglichst hohen Kontrast zwischen der jüngeren und der älteren Gruppe zu erreichen, wurde auch hier das Höchstalter der jüngeren Generation auf 50 Jahre und das Mindestalter von Gewährspersonen der älteren Generation auf 60 Jahre festgesetzt, wobei alle Personen der älteren Generation Rentner oder Rentnerinnen sind.
Alter der Gewährspersonen
100
90 86 88
90 80 70
62
60 50 40
37 37 37 37 37 38 33 35
70 70 71 66 68 68
79 75 75 76 78
46 47 48 42 43 44 44
30 20 10
jüngere Generation
GRA17
GRA14
GRA16
GRA20
GRA23
GRA22
GRA12
GRA11
GRA10
GRA13
GRA08
GRA21
GRA18
GRA24
GRA09
GRA29
GRA03
GRA27
GRA30
GRA04
GRA25
GRA19
GRA05
GRA06
GRA15
GRA26
GRA02
GRA01
GRA07
GRA28
0
ältere Generation
Abbildung 4: Alter der Gewährspersonen der direkten Erhebung
Das Durchschnittsalter der jüngeren Generation beträgt 40,3 Jahre, wobei die jüngste Gewährsperson 33 und die älteste 48 Jahre alt ist. Bei der älteren Generation liegen die Extremwerte bei 62 und 90 Jahren und das Durchschnittsalter bei 74,8 Jahren. Damit liegen zwischen den beiden Generationen durchschnittlich 34,5 Jahre. Zwischen der ältesten Gewährsperson der jüngsten (48 Jahre) und der jüngsten Gewährsperson der älteren Generation (62 Jahre) liegen somit noch immer 14 Jahre. Die in Abbildung 4 zusammengefasste Altersverteilung zwischen den beiden Gewährspersonengenerationen macht deutlich, dass durch die jeweiligen Altersbeschränkungen ein Informantensample akquiriert werden konnte, das eine solide Grundlage für die (unter anderen) angestrebten Apparent-TimeAnalysen darstellt. Die Kriterien, die an die Gewährspersonen im Hinblick auf den Parameter „Beruf“ gestellt wurden, waren noch differenzierter als im Falle der Fragebogenerhebung. Denn im Gegensatz zur Fragebogenerhebung wurden die Berufe der Gewährspersonen aus dem Graach-Korpus nicht ausschließlich in Bezug auf die Dichotomie „kommunikationsorientiert/handwerklich“ eingeteilt, sondern – mit LENZ (2003, 50) – auch danach, ob sie in ihrem Beruf eine leitende Stellung einnehmen oder nicht: Kommunikationsorientiert steht in Dichotomie zu handwerklich. Tritt zur Kommunikationsorientierung die Position einer leitenden Stellung, also Weisungsbefugnis, hinzu, dann wird von Informanten dieser „gehobenen“ Berufsklassen besondere sprachliche Flexibilität und standardsprachliche Kompetenz gefordert. Diesen Berufen stehen auf der anderen Seite der aufgestellten Berufsskala ‚niedrige‘, das heißt handwerklich ausgerichtete Tätigkeiten ohne
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Anlage der empirischen Untersuchung Weisungsbefugnis (‚Landwirt‘, ‚Wachmann‘) gegenüber. Für ihren Berufsalltag und ihren beruflichen Erfolg ist schriftlich wie mündliche Kommunikation und damit verbunden Standardsprachkompetenz von eher sekundärer Bedeutung. LENZ (2003, 50)
Ausgehend von dieser Kreuzklassifikation ermittelt LENZ drei Berufstypen, denen sie die Attribute „niedrig“, „mittel“ und „gehoben“ zuschreibt. Zu den „niedrigen“ Berufsgruppen zählt sie Berufe, die nicht kommunikationsorientiert sind und bei denen die Gewährsperson keine Weisungsbefugnis hat. Handelt es sich um einen Beruf, der entweder kommunikationsorientiert ist oder mit dem eine Weisungsbefugnis einhergeht, zählt sie diesen zu den „mittleren“ Berufen. Kommunikationsorientierte Berufe, mit denen eine Weisungsbefugnis einhergeht, rechnet LENZ zum „gehobenen“ Berufstyp. Diese Einteilung wird auch für die Einteilung der Gewährspersonen der vorliegenden Arbeit übernommen, wobei die Bezeichnungen „niedrig“, „mittel“ und „gehoben“ durch eine nummerische Klassifikationen ersetzt werden: Nicht kommunikationsorientierte Berufe ohne Weisungsbefugnis werden zur „Berufsgruppe 1“ gerechnet; Berufe, die entweder kommunikationsorientiert sind oder mit denen eine Weisungsbefugnis einhergeht, gehören zur „Berufsgruppe 2“. „Berufsgruppe 3“ besteht schließlich aus jenen Berufen, die kommunikationsorientiert sind und mit denen eine Weisungsbefugnis einhergeht. Entsprechend dem anvisierten Ziel des Gewährspersonensamples den NORMs bzw. NORFs eine progressivere jüngere Gewährspersonengruppe entgegenzustellen, gehören von der jüngeren Generation fünf Personen zur „Berufsgruppe 1“, sieben zur „Berufsgruppe 2“ und drei zur „Berufsgruppe 3“. Innerhalb der älteren Generation sind 13 Personen der „Berufsgruppe 1“ und zwei der „Berufsgruppe 2“ zuzurechnen. Bezüglich des Parameters „Autochthonie“ wurden an die Gewährspersonen der direkten Erhebung dieselben Kriterien angelegt wie an die der Fragebogenerhebung: Alle Gewährspersonen sowie mindestens ein Elternteil mussten in Graach aufgewachsen sein und durften nicht mehr als ein Viertel ihres Lebens an einem anderen Ort gelebt haben. Zu berücksichtigen ist hier allerdings die oben beschriebene Zweiteilung des Ortes in die beiden Ortsteile „Hauptort“ und „Schäferei“. Denn aufgrund der Entfernung, die zwischen beiden Ortsteilen liegt (1,5 Kilometer Weinbergserpentinen und 300 Höhenmeter), ist zu reflektieren, ob zwischen den beiden Ortsteilen nicht nur räumlich, sondern auch emotional eine Distanz besteht. Zu fragen ist also, ob angesichts der Entfernung, die beide Ortsteile voneinander trennt, wirklich von zwei Ortsteilen desselben Ortes gesprochen werden kann, oder ob es sich um eine rein politisch-administrative Einheit handelt, während sich beide Ortsteile als je eigenständige Ortschaft wahrnehmen. Eine Wahrnehmung als je eigenständiger Ort müsste dann bei der Zusammenstellung des Gewährspersonensamples berücksichtigt werden. Denn wenn das Gewährspersonensample für einen dieser beiden – de facto – Orte repräsentativ sein soll, was ja gerade durch das Kriterium der Autochthonie sichergestellt wird, dürften die Einwohner des jeweils anderen Orts(teils) nicht im Gewährspersonensample berücksichtigt werden.
Datenerhebung und Korpuszusammensetzung
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Für die Sichtweise, den Hauptort und den Ortsteil Schäferei als je selbständige Ortschaften anzusehen, spricht die Tatsache, dass beide Teile ein eigenes Dorffest feiern und eine eigene freiwillige Feuerwehr mit je eigenem Feuerwehrfest unterhalten. Aussagen im Zuge der Tiefeninterviews belegen aber, dass die angesprochenen Dorf- und Feuerwehrfeste auch von den Einwohnern des jeweils anderen Ortsteils besucht werden. Ferner verfügt nur der Hauptort über eine Kirche. Auch eine Volksschule gab es nur im Hauptort.66 Ebenfalls nur im Hauptort finden die Treffen des Graacher Musikvereins statt, der von den Gewährspersonen übereinstimmend als Flaggschiff des Graacher Vereinslebens bezeichnet wird und in dem sowohl Einwohner des Hauptortes als auch Einwohner der Schäferei vertreten sind. Im Rahmen des Tiefeninterviews wurde nicht nur die Beziehung zwischen beiden Ortsteilen reflektiert, sondern auch die Frage danach, ob es zwischen den beiden Ortsteilen sprachliche Unterschiede gebe. Von 29 der 30 befragten Gewährspersonen wurde dies verneint. Jene Gewährsperson, die sprachliche Unterschiede zwischen dem Hauptort und dem Ortsteil Schäferei bejahte, konnte allerdings keinerlei objektsprachliche Beispiele benennen. Da alle Gewährspersonen (sowohl die der jüngeren als auch die der älteren Gewährspersonengeneration) noch in Graach zur Schule gegangen sind und weil allen Kirchenbesuchern nur die Kirche im Hauptort zur Verfügung steht und aufgrund der Tatsache, dass die Bewohner aus beiden Ortsteilen in großer Zahl die Feste des jeweils anderen Ortsteils besuchen, ist davon auszugehen – und das bestätigen auch Aussagen der Gewährspersonen aus den Tiefeninterviews –, dass die Bewohner beider Ortsteile weitestgehend in denselben Netzwerken miteinander verbunden sind. Alle Gewährspersonen lebten zur Zeit der Datenerhebung im Hauptort, auf den sich die Datenerhebung konzentriert hat. Zwei Gewährspersonen stammen zwar aus dem Ortsteil Schäferei, leben aber bereits seit über 20 Jahren im Hauptort (GRA04 und GRA27). Von zwei weiteren Gewährspersonen stammt mindestens ein Elternteil aus dem Ortsteil Schäferei (GRA16 und GRA17). Da beide Ortsteile auch in der Wahrnehmung der Bewohner und aufgrund der sozio-politischen Netzwerke (Schulen, Feiern, Kirche, Vereine) zu einem Ort gehören, stellten die Wurzeln dieser vier Gewährspersonen im Ortsteil Schäferei kein Ausschlusskriterium dar. Wie bei der Fragebogenerhebung wurden auch im Rahmen der Tiefeninterviews die Gewährspersonen um eine Selbsteinschätzung ihrer individuellen Dialektkompetenz und die Gebrauchsfrequenz des Dialekts gebeten.
66 Mittlerweile hat Graach keine eigene Schule mehr. Die Kinder fahren in die Grundschule der nahegelegenen Stadt Bernkastel-Kues.
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Anlage der empirischen Untersuchung
ältere Generation
jüngere Generation
6 5 4 3 2 1 0 "Dialekt"‐Kompetenz
"Hochdeutsch"‐ Kompetenz
Gebrauchsfrequenz "Dialekt"
Gebrauchsfrequenz "Hochdeutsch"
Abbildung 5: Durchschnittliche aktive Dialekt- und „Hochdeutsch“-Kompetenz nach subjektiver Einschätzung der Gewährspersonen im Vergleich (absolute Zahlen; 6=„reines Hochdeutsch“ bzw. „immer“; 1=„tiefstes Platt“ bzw. „nie“)
Abbildung 5 verdeutlich, dass die älteren Gewährspersonen ihre Dialektkompetenz insgesamt höher einschätzen (Ø 5,8) als ihre Hochdeutschkompetenz (Ø 4,5). Außerdem geben sie an, den Dialekt häufiger zu verwenden (Ø 5,8) als Hochdeutsch (Ø 3,8). Bei der jüngeren Generation zeigen sich umgekehrte Verhältnisse: Sie schätzen ihre Hochdeutschkompetenz (Ø 4,8) höher ein als ihre Dialektkompetenz (Ø 3,7) und geben an, Hochdeutsch häufiger (Ø 4,5) zu verwenden als Dialekt (Ø 4,0). Wie ein T-Test ergibt, sind im intergenerationellen Vergleich die Mittelwerte zwischen der Dialektkompetenz und der Dialektfrequenz statistisch signifikant, die Mittelwerte der Standardkompetenz und -frequenz hingegen nicht.67 2.3.4.3 Allgemeines Setting der Datenerhebung Zur Erhebung vertikaler Variation hat es sich in einschlägigen Arbeiten und Forschungsprojekten etabliert, die Sprachverwendung von Gewährspersonen in mehreren Situationen zu beobachten. LENZ (2003, 54–66) nutzt dazu vier Erhebungssituationen: In einem leitfadengesteuerten Tiefeninterview erhebt sie „möglichst standardsprachlich[e] Sprachdaten“ (LENZ 2003, 57) und in einem „Freundesgespräch“ bestand das Ziel in der „Gewinnung möglichst dialektaler bzw. standardfernerer Sprachdaten“ (LENZ 2003, 60). Zusätzlich zu diesen natürlichen Erhebungssituationen erhebt die Autorin anhand von Übersetzungsaufgaben (einmal in den Dialekt und einmal in die Standardsprache) den „intendierten Ortsdialekt 67 Dialektkompetenz: t(15,574)=4,917; p